Annika Hoffmann Drogenkonsum und -kontrolle
Perspektiven kritischer Sozialer Arbeit Band 13
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Annika Hoffmann Drogenkonsum und -kontrolle
Perspektiven kritischer Sozialer Arbeit Band 13
Herausgegeben von Roland Anhorn Frank Bettinger Henning Schmidt-Semisch Johannes Stehr
In der Reihe erscheinen Beiträge, deren Anliegen es ist, eine Perspektive kritischer Sozialer Arbeit zu entwickeln bzw. einzunehmen. „Kritische Soziale Arbeit“ ist als ein Projekt zu verstehen, in dem es darum geht, den Gegenstand und die Aufgaben Sozialer Arbeit eigenständig zu benennen und Soziale Arbeit in den gesellschaftspolitischen Kontext von sozialer Ungleichheit und sozialer Ausschließung zu stellen. In der theoretischen Ausrichtung wie auch im praktischen Handeln steht eine kritische Soziale Arbeit vor der Aufgabe, sich selbst in diesem Kontext zu begreifen und die eigenen Macht-, Herrschafts- und Ausschließungsanteile zu reflektieren. Die Beiträge in dieser Reihe orientieren sich an der Analyse und Kritik ordnungstheoretischer Entwürfe und ordnungspolitischer Problemlösungen – mit der Zielsetzung, unterdrückende, ausschließende und verdinglichende Diskurse und Praktiken gegen eine reflexive Soziale Arbeit auszutauschen, die sich der Widersprüche ihrer Praxis bewusst ist, diese benennt und nach Wegen sucht, innerhalb dieser Widersprüche das eigene Handeln auf die Ermöglichung einer autonomen Lebenspraxis der Subjekte zu orientieren.
Annika Hoffmann
Drogenkonsum und -kontrolle Zur Etablierung eines sozialen Problems im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2012 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012 Lektorat: Dorothee Koch | Marianne Schultheis VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17994-0
Danksagung Danksagung
Die vorliegende Monographie ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die dem Promotionsausschuss Dr. phil. der Universität Bremen 2010 vorlag. Während meiner Dissertation haben mich viele Menschen unterstützt, denen ich danken möchte. Ganz besonders herzlich möchte ich mich bei Prof. Dr. Henning SchmidtSemisch bedanken, der meine Arbeit nicht nur als Gutachter seit meinem Studium mit großem persönlichen Engagement und sehr wertvollen Denkanstößen begleitet hat. Wenn es nötig war, stand er mit konkreter Hilfe bereit und hat mich sonst meine Ideen selbstständig verfolgen lassen. Dem zweiten Gutachter meiner Dissertation, Prof. Dr. Hasso Spode, danke ich sehr für seine unkomplizierte Unterstützung und für seine hilfreichen und konstruktiven Hinweise, die meine Arbeit sehr bereichert haben. Eine interdisziplinäre Studie braucht Hilfe von vielen Seiten. Im Arbeitskreis Regionalgeschichte und in der Forschungswerkstatt Drogen der Universität Bremen konnte ich mein Projekt in jedem Entwicklungsstand diskutieren. Die konstruktive Kritik und die wertvollen Hinweise der Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren mir eine unverzichtbare Unterstützung. Bedanken möchte ich mich besonders herzlich bei Prof. Dr. Stephan Quensel und Dr. Eva Schöck-Quinteros. Außerdem vielen Dank an Prof. Dr. Klaus Weinhauer, Prof. Dr. Robert Jütte, Prof. Dr. Martin Dinges, Prof. Dr. Gaby Temme, Dr. Birgitta Kolte, Dr. Svenja Korte-Langner, Dr. Marcus Meyer, Susanna Prepeliczay, Katja Thane, Friedrich Schorb, Gerrit Bliefernicht, Claudia Baier, Dennis Wernstedt, Frank Eisermann und Sigrid Dauks. Vielen Dank an die Archivarinnen und Archivare im Bundesarchiv BerlinLichterfelde, im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes und im Staatsarchiv Bremen, die mir stets kompetent und engagiert geholfen haben. Besonderer Dank richtet sich an die Universität Bremen, die meine Dissertation mit einem dreijährigen Doktorandenstipendium gefördert hat. Allerherzlichster Dank geht an meine Familie, meine Freundinnen und Freunde, die mich während meiner Dissertation immer unterstützt haben. Hamburg im August 2011, Annika Hoffmann
Inhalt Inhalt
Danksagung .................................................................................................... 5 Inhalt ............................................................................................................... 7 Abkürzungsverzeichnis ................................................................................ 10 Einleitung ...................................................................................................... „Treibmittel der Experimentierlust jener Tage“: Heutige Wahrnehmung von Drogen in der Weimarer Republik ............................ Fragestellung, Analyseebenen und Akteure ............................................. Theorie, Methoden und Quellen ............................................................... Forschungsstand und Relevanz der Arbeit sowie Begriffsklärungen .......
11 11 16 19 29
1 Erstes Interesse für Betäubungsmittel kommt auf: Drogen in Deutschland bis ca. 1919 ........................................................................... 35 1.1 „Indessen wollten wir nicht das Odium auf uns nehmen, die Reform verhindert zu haben“ – Strategien und Ziele deutscher Politik in der „Opiumfrage“ bis 1919 ................................................. 35 1.2 „Zahllos sind die Opfer des Kokains dort drüben in Montmartre“ – Drogen als Thema der Tagespresse bis 1919 ...................................... 64 2 Deutschland rückt in den Fokus des Interesses: Betäubungsmittel 1919-1923 .................................................................................................... 79 2.1 „Mangels jeden Beweises müssen hiernach die (…) bislang aufgetauchten Nachrichten als nicht den Tatsachen entsprechend erachtet werden“ – Entwicklung auf staatlicher Ebene 1919-1923 ..... 79 2.2 Eine im Verborgenen blühende „Volksseuche“? Presse zu Drogen 1919-1923: Wissenschaftler schalten sich in die öffentliche Diskussion ein ..................................................................................... 98 2.3 „Kokainsüchtige mit gewaschenen Händen habe ich noch nie gesehen“ – Fachpublikationen zu Betäubungsmitteln im medizinischen Kontext bis 1923 ....................................................... 114
8 3 Festschreiben der Problemwahrnehmung: Betäubungsmittel in Deutschland, ca. 1923-1929 ..................................................................... 3.1 Zwischen Stellvertreterpolitik und einer Unterstützung im „Geiste“ – der Umgang mit Betäubungsmitteln auf staatlicher Ebene 1923-1929 .............................................................................. 3.2 „Teilerscheinungen der allgemeinen Katastrophenmisere seelischer Art“ – Presse zu Betäubungsmitteln 1923-1928/1929 ...... 3.3 Cocainisten finden sich „hauptsächlich in jenen Gruppen, die dem geregelten Erwerbsleben ferner stehen“ – Fachpublikationen zu Betäubungsmitteln 1923-1929 .......................................................... 4 Ein etabliertes Problem – kritische Reflektion kann den Wahrnehmungskokon nicht mehr nachhaltig beeinflussen: Betäubungsmittel in Deutschland ab 1929 ............................................ 4.1 „(…) daß der Opiatmißbrauch in der deutschen Bevölkerung verhältnismäßig wenig verbreitet ist“ – der Umgang mit Drogen auf staatlicher Ebene ab 1929 ........................................................... 4.2 Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, „das öffentliche Rechtsbewußtsein aufzupeitschen“ – nichtstaatliche Organisationen als neuer Akteur in Deutschland .............................. 4.3 Mehr als eine halbe Million Konsumenten in Deutschland oder doch nur „wenige Rauschgiftsüchtige in Berlin“? Presseberichterstattung zu Betäubungsmitteln ab 1929 .................... 4.4 „Ein Morphinist ist m.E. kein vollwertiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft“: Expertenmeinungen ab 1929 als Nebeneinander von sachlichen und diskreditierenden, dramatisierenden und relativierenden Darstellungen ........................ 5 Wie Opiate und Kokain von Arzneimitteln zu einem sozialen Problem wurden: Resümee und Ausblick sowie Schlussfolgerungen aus drogenpolitischer Perspektive ......................................................... 5.1 Problematisierungsprozess und Wahrnehmungswandel ................... 5.2 Ausblick ............................................................................................ 5.3 Bewertung der Ergebnisse aus Sicht der kritischen Sozialen Arbeit und aus einer drogenpolitischen Perspektive ....................................
Inhalt
131 131 177 191
215 215 242 256
282
297 297 302 304
Inhalt
Quellenverzeichnis ..................................................................................... Verzeichnis der für diese Arbeit konsultierten Bestände in Archiven .... Verhandlungen des Reichstags und des Bundes- bzw. Reichsrats .......... Zitierte zeitgenössische Fachliteratur ...................................................... Verzeichnis der für diese Arbeit ausgewerteten Zeitungsartikel ............
9 309 309 309 309 312
Literaturverzeichnis ................................................................................... 321 Verzeichnis der zitierten Internetquellen ................................................. 331
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
AA AOIB BA DDP DMW DNVP DVP FOK IBZ IFFF KPD OK OT PA AA RGA RMI RS SPD StAB VS WV
Auswärtiges Amt Anti-Opium Informations-Büro Bundesarchiv Deutsche Demokratische Partei Deutsche Medizinische Wochenschrift Deutschnationale Volkspartei Deutsche Volkspartei Fachgruppe Opium und Cocaïn Internationale Bibliographie der Zeitschriftenliteratur Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit Kommunistische Partei Opiumkommission des Völkerbundes Ohne Titel Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Reichsgesundheitsamt Reichsministerium des Inneren Rückseite Sozialdemokratische Partei Deutschlands Staatsarchiv Bremen Vorderseite Wirtschaftliche Vereinigung
„Berlin 1929: Kriminalkommissar Gereon Rath erlebt eine Stadt im Rausch. Kokain, illegale Nachtclubs, politische Straßenschlachten – ein Tanz auf dem Vulkan.“1
Einleitung Einleitung
Die Vorstellung verbreiteten Drogenkonsums gehört – ebenso wie Zigarettenspitze und Bubikopf – zum populären Bild der häufig als ‚wild’ und ‚golden’ (oder aber als Krisenzeit) wahrgenommenen 1920er Jahre.2 Die Weimarer Republik gilt als eine Epoche, in der die Menschen viele Drogen konsumierten und deren genussorientierter Gebrauch erstmals eine als problematisch bewertete Verbreitung fand. Im Zentrum meiner Arbeit steht die Frage, wie diese Deutung des Konsums von Opiaten und Kokain als soziales Problem entstand. Zunächst soll es aber darum gehen, wie Betäubungsmittel und ihr Konsum vor rund einhundert Jahren heute wahrgenommen werden. Dies zeigen uns populärwissenschaftliche und belletristische Publikationen sowie deren Rezeption. „Treibmittel der Experimentierlust jener Tage“: Heutige Wahrnehmung von Drogen in der Weimarer Republik Heutige Wahrnehmung von Drogen in der Weimarer Republik Drogen sind ein gängiges Thema in Erzählungen zur Weimarer Republik. In Susanne Gogas Kriminalroman Leo Berlin jagt Kommissar Leo Wechsler einen Mörder in Berliner „Kokainhöhlen und Rotlichtbezirken“3, in denen angeblich „unzählige Kunden“ Betäubungsmittel gekauft haben sollen (Goga 2005: 52). Julia Franck lässt in Die Mittagsfrau, 2007 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet, zwei Hauptpersonen regelmäßig Morphin bzw. Kokain nehmen (Franck 2007: 134; 191). Ferner verwendet sie die Darstellung von Drogenkonsum als Stilmittel, um das Berliner Nachtleben zu beschreiben (Franck 2007: 1
Einleitende Worte des Klappentextes von Der nasse Fisch, einem Kriminalroman (Kutscher 2008). Betäubungsmittel bzw. Drogen im Sinne dieser Arbeit sind bewusstseinsverändernde Substanzen (außer Alkohol), die aus genussorientierter Motivation konsumiert oder aus medizinischen Gründen verabreicht werden. Dabei geht es hier v.a. um Opiate und Kokain. 3 Aus der Beschreibung des Kriminalromans unter (26.01.2007). Gogas Buch Leo Berlin ist – wie die anderen hier genannten – trotzdem lesenswert. 2
A. Hoffmann, Drogenkonsum und -kontrolle, DOI 10.1007/978-3-531-94045-8_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
12
Einleitung
181). In einem zweiten Kriminalroman, dem Kalenderblattmörder von Marek Krajewski (2006), spielen Drogen im Plot und als Stilmittel eine bedeutende Rolle. Sie werden z.B. eingesetzt, um einzelne Personen oder bestimmte Orte zu charakterisieren: „Schnee, nicht Bier war die wichtigste Einnahmequelle in der Kneipe“ (Krajewski 2006: 142). Abgesehen von – Vorsicht, hier wird das Ende verraten – der Tötung zweier Opfer durch Opium, nimmt neben zahlreichen anderen Menschen auch die Ehefrau des Kommissars Betäubungsmittel. Ferner begegnen wir zwei klassischen Drogenkonsumentinnen der Literatur: der Prostituierten und der Künstlerin (Krajewski 2006: 325; 329; 136ff; 268). In einem anderen Roman treffen wir eine „kokainsüchtige Schauspielerin“ sowie Kokain konsumierende Homosexuelle (Kutscher 2008: 207; 126). Dieses vierte Beispiel – Volker Kutschers Roman Der nasse Fisch – wird hoch gelobt: „Der beste deutsche Hardboiler des Jahres“ wirbt der eingangs zitierte Klappentext, der sich schon in seinen ersten Worten auf die damals vermeintlich so weit verbreitete Droge bezieht. Entsprechend wird Kokain auch im Lauf der Geschichte immer wieder erwähnt, etwa wenn Kommissar Rath während seiner Ermittlungen im Drogenmilieu in den „Venuskeller“ gerät. Dort bestellt seine Begleitung Champagner und Kokain, welches in einer „kleinen silbernen Zuckerdose“ mit Röhrchen zum Schnupfen wie selbstverständlich serviert und von ihnen direkt am Platz eingenommen wird. Betäubungsmittelkonsum wird als Normalität in diesem Lokal dargestellt, zogen sich die Konsumenten4 doch (wie Kutscher es für andere Etablissements beschreibt) nicht einmal diskret auf die Toilette zurück. Wenn sich die Romanfiguren über Drogen unterhalten, verwenden sie „Schnee“ oder „Koks“ als Decknamen für Kokain bzw. „die Nase pudern“ oder „koksen“ als Synonyme für seinen Gebrauch (Kutscher 2008: 126; 200; 207). Der Autor präsentiert den Szenejargon als gewöhnliches Vokabular und beschreibt den Umgang mit Drogen so als alltägliche Realität. Durch all diese Elemente entsteht bei Kutscher, Goga, Franck und Krajewski der Eindruck, Drogenkonsum und -handel seien im Berlin der späten 1920er Jahre üblich und der Umgang mit den Betäubungsmitteln für die Beteiligten nichts Ungewöhnliches gewesen. Kokaingebrauch in Lokalen wird als Normalität dargestellt:
4 In dieser Arbeit beschränke ich mich i.d.R. auf die männliche Schreibweise. Dies soll v.a. der der besseren Lesbarkeit dienen und keine Diskriminierung und „Unterschlagung“ von Frauen und weiblichen Meinungen sein. Für eine Betrachtung des (verschwindend geringen) Einflusses von Frauen auf den Problematisierungsprozess im staatlichen Bereich, auf Ebene der Mediziner und der Presse s. Kapitel 2.1. Zur weit bedeutenderen Rolle von Frauen in nichtstaatlichen Organisationen s. Kapitel 4.2.
Heutige Wahrnehmung von Drogen in der Weimarer Republik
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„Im Café Berlin schien kein Mensch mehr nüchtern zu sein. Wer nicht dem massenhaft ausgeschenkten Schaumwein zugesprochen hatte, der hatte sich in den eleganten Waschräumen die Nase mit Kokain gepudert. Die meisten hatten beides getan“ (Kutscher 2008: 121).
Drogen und ihre Konsumenten werden dabei i.d.R. in Milieus verortet, die von bürgerlichen Normen abweichen – sei es (wie im letzten Beispiel) durch Dekadenz oder durch als abweichend definierte Aspekte wie Prostitution oder Homosexualität.5 Herauszuheben ist, dass die aufgeführten Szenarien nicht als Fiktion, sondern als historisch schlüssige Bilder präsentiert werden. So heißt es in den Verlagsinformationen zum nassen Fisch: „Volker Kutscher lässt das Berlin des Jahres 1929 lebendig werden“.6 Die Romane haben keinen wissenschaftlichen Anspruch – und dieser wird hier selbstverständlich auch nicht erwartet. Dass sie von manchen Lesern allerdings als glaubhafte Szenarien wahrgenommen werden, zeigen folgende Kommentare: Susanne Goga lasse „gute Recherchearbeit erkennen“ und führe „den Leser gekonnt ins Berlin der Weimarer Republik“, heißt es bei einem Internetbuchhändler zu Leo Berlin.7 Ferner wird Kutscher auf einer Rezensionsseite dafür gelobt, dass es ihm „ausgezeichnet gelungen ist, die Atmosphäre der damaligen Zeit einzufangen“.8 Ein anderer Rezensent schreibt, Krajewskis Buch vermittele den Eindruck, „der ganze Plot“ beruhe „fast ausschließlich auf geschichtsträchtiger Wahrheit“.9 Aber nicht nur von Lesern, sondern auch in professionellen Rezensionen wird das zeithistorische Faktenwissen der Autorinnen und Autoren betont: „Als habe sie Ort und Zeit selbst erlebt, bewegt sich Susanne Goga durch die Szenen ihres Romans“, lobt Inge Schnettler (2005) in der Rheinischen Post. Und in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hebt Hardy Reich (2008) die hervorragende Einbettung der Handlung von Der nasse Fisch in den historischen Kontext hervor: „ganz und gar schlüssig“ sei Kutschers Projekt und sein Fall bleibe „aufs engste mit den politischen und gesellschaftlichen Umständen verknüpft“.
5 Abweichendes Verhalten oder Devianz bezeichnen hier Verhaltensweisen, die durch soziale Zuschreibungsprozesse als nicht den gesellschaftlichen Normen entsprechend definiert werden. Da diese Normen wandelbar sind, ist auch als abweichend definiertes Verhalten historisch variabel (s.u.). 6 (19.06.2009). Kutscher studierte u.a. Geschichte, was seinen Szenarien ebenfalls Glaubwürdigkeit verleihen mag. 7 (19.06.2009). 8 (07.09.2009). 9 (07.09.2009).
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Einleitung
Die Autoren sehen es offensichtlich als einen glaubhaften historischen Hintergrund für ihre fiktiven Geschichten an, Betäubungsmittel als Bestandteil des öffentlichen Lebens der 1920er Jahre zu präsentieren. Darüber hinaus zeigen die verlagsinternen, professionellen und privaten Kommentare, dass die Szenarien als historische Tatsache angesehen werden. Betäubungsmittelkonsum gilt in der heutigen populären Wahrnehmung als zentraler und alltäglicher Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens der Weimarer Republik. Diese Einschätzung bestätigen journalistische Darstellungen wie die von Stephan Wiehler (2000), der das „schillernd-flirrende Kulturleben im Berlin der zwanziger Jahre, die Extravaganzen und Eskapaden einer sensationsgierigen Gesellschaft, die sich zum fieberhaften Tanz auf dem Vulkan mit Kokain auf Trab hielt“
beschreibt. Ähnliches findet sich in populärwissenschaftlichen Darstellungen wie dem Artikel „Morgen früh ist Weltuntergang: Berlin bei Nacht, 1923“, den der Journalist Johannes Strempel im Themenheft Die Weimarer Republik von Geo Epoche veröffentlichte.10 Drogen sind nur ein Nebenaspekt der Beschreibung, aber dennoch präsentiert Strempel (2007: 51) (angeblich) genaue Details: „Drogenhändler mit hochgeschlagenem Mantelkragen verkaufen in Toreingängen Kokain – oft gestreckt mit Kartoffelmehl oder Kalk sowie flüssiges Morphium in Ampullen und braune Opiumkugeln.“
Der Autor stellt Betäubungsmittel im Kontext verruchten Nachtlebens dar und einen Zusammenhang zu Prostitution, Homosexualität und dem Milieu der „Unterwelt“ her (Strempel 2007: 52; 50f). Obwohl Drogen nicht den Kern der Darstellung bilden, werden sie im Ausblocker für das Inhaltsverzeichnis erwähnt (Strempel 2007: 4)11 und finden den Weg in eine Bildunterschrift: „Drogen sind in der Friedrichstadt unweit des Potsdamer Platzes an fast jeder Ecke zu kaufen. Kokain, Morphium, Opium – flüssig, gepresst oder pulverisiert. Sie sind das Treibmittel der Experimentierlust jener Tage, und selbst Tänze werden ihnen gewidmet“ (Strempel 2007: 52).
Auf dem beschriebenen Bild sehen wir trotz dieser detaillierten Erklärung allerdings lediglich eine nächtliche Straße ohne erkennbaren Bezug zu Betäubungsmitteln. Dies sind Beispiele dafür, dass das Thema Drogen häufig an prominenter Stelle erwähnt wird, auch wenn es nicht zentraler Gegenstand des 10
Auch in der Zeitschrift G - Geschichte (2001: 21) war 2001 bezüglich der 1920er Jahre von einer ersten „‚Kokainwelle' als Modedroge“ zu lesen. „In Varietés wie dem ‚Wintergarten’ feiern, trinken und schnupfen sie [die Menschen; AH] die Angst vor der Zukunft weg“.
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Heutige Wahrnehmung von Drogen in der Weimarer Republik
15
Textes ist.12 Wenn ausgesprochen konkrete Details wie die hochgeschlagenen Mantelkrägen oder Hinweise auf Streckmittel wiedergegeben werden, bleibt sowohl offen, wie diese Elemente überliefert wurden, als auch, welchen Gehalt diese Informationen haben sollen. Drogen spielen also eine zentrale Rolle in der populären Wahrnehmung des beginnenden 20. Jahrhunderts – doch wie sieht dies in der akademischen Forschung aus? Wissenschaftliche Autoren, die sich eingehend mit dem Thema Drogen in der Weimarer Republik auseinandersetzen (oder es am Rande erwähnen), gehen in aller Regel davon aus, dass die Substanzen damals viel konsumiert wurden und dass dies von den Zeitgenossen als problematisch angesehen wurde. Etliche Beschreibungen sprechen im- oder explizit von einer großen Verbreitung, wobei die Formulierung, in der Weimarer Republik habe es eine „Welle“ von Drogenkonsum gegeben, charakteristisch ist.13 Welche Substanzen genannt werden, ist dabei augenscheinlich beliebig; mal ist die Rede von einer „Kokainwelle“ (Bolognese-Leuchtenmüller 1992: 14), dann von einer „Morphinsuchtwelle“ (de Ridder 2000: 24). Die beiden Substanzen tauchen auch zusammen als „Morphin- und Kokainwelle“ (Geiger 1975) auf, es gibt aber ebenso die Variante „Opium [sic] und Kokainwelle“ (Heising/Hensel/Rost 2003: 336). Briesen (2005: 72) und Holzer (2002: 111) schreiben, es habe damals eine „Drogenwelle“ gegeben.14 Schweer und Strasser (1994: 93f) sehen eine „Welle von Kokainmißbrauch“ in den 1910er und 1920er Jahren, Nedopil (2007: 132) verortet das Phänomen allein in den 1920ern. Andere Autoren schreiben von den „zwanziger und dreißiger“ Jahren (Heising/Hensel/Rost 2003: 336) und Briesen (2005: 73) sieht den Höhepunkt der vermeintlichen Welle um 1925. Blasius (2000: 465) schließlich bezeichnet den Ersten Weltkrieg als „Drogenmulitplikator“.15
12
Diesem Phänomen begegnen wir z.B. auch bei Goga (2005). Mit „Cocain“ und „Rauschgifthandel“ wird das Buch unter zwei Drogen betreffenden Schlagworte im Verzeichnis Lieferbarer Bücher geführt. Obwohl Betäubungsmittel kein zentrales Thema von Leo Berlin sind, werden sie mit einem Drittel der Schlagworte dennoch besonders hervorgehoben. (07.09.2009). 13 Zum Begriff der Drogenwelle und den seine Verwendung implizierenden Bedrohungsszenarien (Unberechenbarkeit, enorme Dynamik, Relevanz für die gesamte Bevölkerung) vgl. Barsch (1996). 14 Dabei betont Briesen, dass dies auch im Zusammenhang mit der Gesetzgebung gestanden haben könne: „oder genauer, die gesetzlichen Regelungen produzierten (…) abweichendes Verhalten, das beobachtet, sanktioniert und erklärt werden musste.“ 15 Weitere Literaturbeispiele zur Einschätzung genussorientierten Gebrauchs von Betäubungsmitteln in der wissenschaftlichen Literatur bei Hoffmann (2005: 42-51).
16
Einleitung
Diese sehr unterschiedlichen Angaben zeigen, wie diffus die Einschätzungen zu Substanzen und Zeitraum sind – einig ist sich die Forschung anscheinend nur in dem Punkt, dass zu Beginn des 20. Jahrhundert, v.a. aber in der Weimarer Republik (sei es über ihren gesamten Zeitraum oder nur phasenweise), der Konsum von Mitteln, die heute häufig als „harte Drogen“ bezeichnet werden, verbreitet gewesen sei. Neben Vertretern der Wellen-These stehen schon seit einiger Zeit Autoren, die eine relativierende Einschätzung vertreten und die Verbreitung von Drogen vor der Zeit des Nationalsozialismus als gering bezeichnen (de Ridder 2000, Scheerer 1989, Selling 1989-2). Eine Auseinandersetzung darüber, dass sich diese beiden Ansätze widersprechen, gab es lange nicht. Eine dezidiert historischkritische Reflektion zur Verbreitung des genussorientierten, hedonistischen, d.h. den Rahmen medizinischer Verschreibung verlassenden, Gebrauchs von Drogen in Deutschland fand nicht statt. Hingegen zeigte eine eingehende Analyse der Situation in Bremen bis in die 1920er Jahre, dass es keine stichhaltigen Belege für verbreiteten Betäubungsmittelkonsum in der Hansestadt gibt. Die von den Zeitgenossen konstatierte Bedrohung der Volksgesundheit durch Opiate und Kokain konnte für Bremen nicht nachgewiesen werden (Hoffmann 2005: 87112; Hoffmann 2006). In dieser Arbeit wird zu zeigen sein, dass sich die spätere Forschung nicht ausreichend kritisch mit den zeitgenössischen Vorstellungen auseinandergesetzt hat. Bisherige Beschreibungen tradieren m.E. eher den an die jeweiligen aktuellen Vorstellungen angepassten zeitgenössischen Diskurs als dass sie einer historisch-kritischen Reflektion standhalten könnten. Fragestellung, Analyseebenen und Akteure Fragestellung, Analyseebenen und Akteure Im Kern der folgenden Analyse geht es daher um die Frage, wie sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die Wahrnehmung des genussorientierten Drogengebrauchs als zum Handeln zwingendes Problem entwickelte und welche Wirkung dies entfaltete. Hierfür wird in zwei miteinander verknüpften Analysesträngen erstens nachvollzogen, welche Informationen zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums den Zeitgenossen zur Verfügung standen (auf welcher Basis sie also argumentierten) und – zweitens – wie sich der Diskurs um Opiate und Kokain im Untersuchungszeitraum entwickelte. Hierbei orientiere ich mich an dem von Michael Schetsche vorgestellten „Kokonmodell sozialer Probleme“ (Schetsche 1996; 2008; ausführlich unten). Die deutsche Betäubungsmittelgesetzgebung ist nur vor dem Hintergrund der internationalen Opiumkonferenzen verständlich, die ab 1909 wiederholt
Fragestellung, Analyseebenen und Akteure
17
zusammentraten. Die 1912 in Den Haag sowie 1925 und 1931 in Genf geschlossenen Abkommen hatten die weltweite Beschränkung des Gebrauchs von Drogen auf medizinische und wissenschaftliche Zwecke zum Ziel und stellten die Weichen für die bis heute international verfolgte restriktive Betäubungsmittelpolitik. Ferner waren Kokain und Morphin unentbehrliche Arzneimittel und wurden im medizinischen Bereich vielfach eingesetzt (de Ridder 2000; Hoffmann 2005: 36-42). Der Umgang mit den Substanzen wurde in Deutschland schon lange vor dem ersten Opiumgesetz, nämlich seit Beginn des Jahrhunderts, durch Verordnungen überwacht: Betäubungsmittel waren seit 1901 apothekenpflichtig und in den Jahren ab dem Ersten Weltkrieg kamen weitere Vorschriften hinzu. 1921 trat das erste deutsche Gesetz zur Kontrolle von Opium, Morphin und Kokain in Kraft16 und mit seinen Änderungen (1924 und 1929) sowie zahlreichen Verordnungen wurde die Kontrolle immer weiter ausgedehnt. Auf eine eingehende Darstellung dieser Rahmenbedingungen kann in der vorliegenden Studie angesichts der soliden Forschungslage verzichtet werden (s. Forschungsstand). Ich konzentriere mich hinsichtlich der rechtlichen Entwicklungen vielmehr darauf, welche Ziele staatliche Stellen auf dem nationalen und internationalen Parkett verfolgten und welche Interessengruppen hierauf wie und mit welchem Erfolg Einfluss zu nehmen versuchten. Entsprechend der genannten Rahmenbedingungen wird der Problematisierungsprozess auf verschiedenen Akteursebenen analysiert, die eng miteinander verknüpft waren und sich gegenseitig stark beeinflussten: Erstens geht es um die inner- und zwischenstaatliche Ebene, denn das deutsche Reich war durch die Abkommen sowie weitere zwischenstaatliche Aktivitäten in die beginnende internationale Bearbeitung der „Opiumfrage“ eingebunden. Mit Blick auf Deutschland selbst werden ferner Gesetzgebungsprozesse und Administration untersucht (insbesondere geht es um die Aktivitäten in Reichsgesundheits- und Auswärtigem Amt). Doch die Problemkarriere wurde nicht allein von internationalen Entwicklungen und staatlichen Institutionen beeinflusst, denn zweitens nahmen als Experten wahrgenommene Akademiker (v.a. Mediziner) erheblichen Einfluss auf die Problemgenese. Sie publizierten Fachaufsätze zu Betäubungsmitteln, hielten Vorträge, nahmen an Beratungen zu Gesetzesentwürfen teil und veröffentlichten Artikel in populären Zeitungen. Damit spielten sie eine zentrale Rolle im Kontext des dritten Akteurs – der Tagespresse. In der folgenden Analyse wird zu zeigen sein, dass die Tagespresse entscheidenden Einfluss auf die Problemkarriere nahm und dass dieser weit über meinungsbildende Artikel hinausging. Zunächst waren es v.a. Mediziner, die sich in Zeitungen 16
Hier und im Folgenden beziehe ich mich bei der Nennung der Substanzen mit Bezug auf die Gesetze wie dort aufgeführt immer auch auf ihre Abkömmlinge und Salze.
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Einleitung
problematisierend zu Betäubungsmitteln äußerten. Als sie sich gegen Ende der 1920er Jahre aus diesem Feld zurückzogen, trat ein weiterer kollektiver Akteur auf den Plan: nichtstaatliche Organisationen, die für den innerdeutschen Diskurs (im Gegensatz zur internationalen Entwicklung) bis dahin nicht wichtig gewesen waren. Diese vier Akteursebenen – nationale und internationale Politik, Fachwelt, Presse sowie nichtstaatliche Organisationen – strukturieren den Aufbau der Arbeit. Über Zitationsketten und Zirkelschlüsse kann der Problematisierungsprozess teilweise bis in kleinste Details nachvollzogen werden. All diese Punkte sind Facetten, die für sich genommen nicht gravierend scheinen – in der Zusammenschau beeinflussten sie die Entwicklung aber entscheidend. Eine der zentralen Thesen dieser Arbeit lautet, dass das Opiumgesetz erst durch die Wandlung der Problemwahrnehmung wirksam wurde. Für die Konsumenten lag das entscheidende Moment m.E. nicht im ersten deutschen Gesetz zur Kontrolle von Drogen aus dem Jahr 1920, sondern in der sich wandelnden Wahrnehmung ihres Verhaltens und ihrer Person. Diese Problemwahrnehmung wurde durch die Interaktion der genannten Akteure geprägt, die nicht nur die rechtliche Entwicklung beeinflussten, sondern auch den Diskurs zu und den Umgang mit Betäubungsmitteln. Die Analyse dieser Interaktion zeigt, wie zum Ende des Kaiserreichs und v.a. in der Weimarer Republik Politik gemacht wurde, wie Strategien entwickelt und politische Entscheidungen gefällt wurden. Gefragt wird: Wie wurden Gesetze und Verordnungen entwickelt und begründet? Welche Rolle spielten Parlamente, Administration, Experten, Presse und Interessengruppen in diesem Prozess? Wer nahm wie Einfluss auf öffentliche Diskurse und wie wurden diese auf politischer und gesellschaftlicher Ebene wirksam? Auf welcher Grundlage argumentierten und agierten die beteiligten Zeitgenossen? Welche Ziele verfolgten die Akteure und waren diese an der „Opiumfrage“ oder an anderen Aspekten ausgerichtet? Neben Fragen nach staatlicher Herrschaft geht es demnach auch um die Basis wissenschaftlicher Argumentation – um die „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ (Raphael 1996) – und um die Frage, wie gesellschaftliches Wissen generiert wurde. In der vorliegenden Arbeit spielen also Dimensionen der neueren Politikebenso wie der Wissenschaftsgeschichte eine Rolle, ferner kriminalitätshistorische, sozial- und diskursgeschichtliche Aspekte. Die meisten der genannten Fragen weisen auf die Entstehung der Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums als soziales Problem hin, weshalb sich die soziologisch-kriminologisch orientierte Analyse dieser Entwicklung als roter Faden durch die Arbeit zieht.
Theorie, Methoden und Quellen
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Theorie, Methoden und Quellen Theorie, Methoden und Quellen Im Folgenden umreiße ich das dieser Arbeit zugrunde liegende theoretische Konzept – das von Michael Schetsche vorgestellte Kokonmodell sozialer Probleme – und bestimme den historischen Blickwinkel, den diese Arbeit einnimmt: Eine transnationale Perspektive, die Transfers zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren besondere Aufmerksamkeit schenkt. Dem schließen sich eine Vorstellung der Quellen, des Untersuchungszeitraums und des Aufbaus der Arbeit an. Eine Soziologie sozialer Probleme – Schetsches Kokonmodell Im Zentrum meiner interdisziplinären Arbeit mit geschichtswissenschaftlichem Schwerpunkt steht wie beschrieben die Frage, wie sich die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums als Problem in Deutschland etablierte. Mit der empirischen Analyse dieser Problementwicklung liefert die Studie einen historisch orientierten Beitrag zur Soziologie sozialer Probleme.17 Dabei orientiere ich mich an dem von Michael Schetsche (1996; 2008) vorgestellten „Kokonmodell sozialer Probleme“, welches im Folgenden knapp umrissen wird. Wie wir am Beispiel der historischen Romane und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gesehen haben, dominiert aktuell ein Blick auf Betäubungsmittelkonsum in der Weimarer Republik, der von der heutigen Wahrnehmung des Drogenkonsums als soziales Problem geprägt ist. Bislang wurde (wie zu zeigen sein wird) v.a. der stark problematisierende und dramatisierende zeitgenössische Diskurs tradiert, ohne ihn einer historisch-kritischen Reflektion zu unterziehen. Daher bieten die Soziologie sozialer Probleme und v.a. das Kokonmodell Schetsches, das zwischen sozialem Sachverhalt, konsensualen Sachverhalten und der Problematisierung differenziert, einen sinnvollen Zugang zu unserem Untersuchungsgegenstand.18 Ein soziales Problem (im soziologischen Sinne und im Verständnis der vorliegenden Arbeit) ist laut Schetsche (1996: 2) „alles, was von kollektiven Akteuren, der Öffentlichkeit oder dem Wohlfahrtsstaat als solches angesehen und 17 Für eine eingehende Darstellung der Diskussion um Theorien zur Soziologie sozialer Probleme sei hier auf folgende Publikationen verwiesen: „Theoretische Konzepte und Debatten“ verschiedener Ansätze diskutiert Schetsche (2008: 9-42). Albrecht, Groenemeyer und Stalberg (1999: 11-136) liefern in ihrem Handbuch soziale Probleme „Bausteine einer Theorie sozialer Probleme“ (eine Neuauflage ist für 2011 angekündigt: Albrecht/Groenemeyer 2011). 18 Entsprechend kann die Analyse des Problematisierungsprozesses auch als eine Form der historischen Diskursanalyse verstanden werden (vgl. Landwehr 2001).
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bezeichnet wird.“ Ich gehe zunächst davon aus, dass soziale Probleme nicht aus sich heraus existieren, sondern Produkte von Prozessen kollektiver Definition sind (Blumer 1971: 301). Oder wie Sebastian Scheerer (1993: 79) eingängig zum „Drogenproblem“ formuliert: „Weil sie ‚Probleme’ sind, bedürfen sie zu ihrer Entstehung der Problematisierung.“ Im Sinne des Kokonmodells sind soziale Probleme „primär als Ergebnisse eines diskursiven gesellschaftlichen Prozesses“ zu verstehen (Schetsche 2008: 43). Analytisch unterscheidet Schetsche (2008: 43) in seinem Modell „zwischen den sozialen Sachverhalten, deren Deutung als Problem und dem Prozess, in dem diese Deutung soziale Anerkennung erlangt“. Die verdichtete Problemwahrnehmung, durch die der Sachverhalt von „einer Art ideellem Gespinst“ umgeben und von der er wie von einer Hülle „gleichsam eingesponnen“ ist, bezeichnet er als „Wahrnehmungskokon“ (Schetsche 2008: 44): Die Wahrnehmung des sozialen Sachverhaltes ist nur noch durch den Wahrnehmungskokon bestimmt; es ist nicht mehr möglich, „den ursprünglichen Sachverhalt getrennt von den problematisierenden Zuschreibungen zu untersuchen“ (Schetsche 2008: 43). Oder anders gesagt: „‚Soziales Problem’ nennen wir eine soziale Realität, die durch die gesellschaftliche Anerkennung des Wahrnehmungskokons entsteht, in den kollektive Akteure einen sozialen Sachverhalt mit Hilfe ihrer Deutung-als-Problem ‚eingesponnen’ haben“ (Schetsche 1996: 13f).
In der vorliegenden Arbeit steht die Entwicklung des Wahrnehmungskokons im Fokus: Wie kam es dazu, dass Akteure in Deutschland von einem zum Handeln zwingenden Problem im Umgang mit Betäubungsmitteln sprachen? Schetsche (2008: 76) betont, dass soziale Sachverhalte „nur in Form der Wissensbestände, die in der Gesellschaft über sie verbreitet sind, analysiert werden [können]“. Sie müssen in einer Form untersucht werden, die „die diskursive Transformation des Wissens über soziale Sachverhalte (also die Entstehung des Wahrnehmungskokons) angemessen berücksichtigt“ (Schetsche 2008: 44). Nach dem Kokonmodell kann es neben dem Wissen über soziale Sachverhalte, das mittels der Problemwahrnehmung erzeugt wird, allerdings von der Problematisierung unabhängige gesellschaftliche Wissensbestände geben: Wissen, das auch von Akteuren geteilt wird, die die „Deutung-als-Problem“ nicht unterstützen. Neben umstrittenen Aussagen über soziale Sachverhalte kann es demnach Feststellungen geben, über deren Realitätsgehalt Konsens herrscht. Diese von allen am Diskurs Beteiligten anerkannten Wissensbestände nennt Schetsche „konsensuale Sachverhalte“ (Schetsche 2008: 76-81). Eben jene Sachverhalte gelte es nach dem Kokonmodell zu bestimmen und über sie könne (im Gegensatz zum „traditionellen konstruktionistischen Modell“) auch eine „sozialethische Bewertung“ von Problemwahrnehmung erfolgen:
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„Problematisierungen, die auf einen in der Gesellschaft allgemein anerkannten Sachverhalt verweisen, können von ‚virtuellen Problemen’ unterschieden werden, bei denen bereits die Existenz der im Problemdiskurs behaupteten Sachverhalte strittig ist“ (Schetsche 2008: 45).
In seiner ausführlichen Vorstellung zur empirischen Analyse sozialer Probleme weist Schetsche (2008: 57-175) besonders auf die Bedeutung kollektiver Akteure, der Medien und der politischen Arena hin. Auch die Diskursstrategien19 der Akteure und ihre Interessenlagen spielen eine besondere Rolle.20 Einen der vorliegenden Arbeit vergleichbaren Blickwinkel nahm Scheerer schon 1993 in seinen Anmerkungen zur Geschichte des Drogenproblems ein (Scheerer 1993: 78-83).21 Mit der reflexiven „Konstitutionsperspektive“ betont er, dass sich die Existenz eines sozialen Problems nicht von seiner Definition trennen lässt und analysiert „die Transformation der Opiumfrage des 19. Jahrhunderts in das Drogen- und Rauschgiftproblem des 20. Jahrhunderts“ (Scheerer 1993: 83). Während Scheerer sich in seinem instruktiven Artikel auf die Entstehung des ersten Opiumabkommens konzentriert, geht der Blickwinkel hier von Deutschland aus auf die innerdeutsche ebenso wie die zwischenstaatliche Ebene und der zeitliche Rahmen der Analyse ist erheblich erweitert. Auch Lars Amenda untersucht die Entwicklung einer Problemwahrnehmung am Beispiel der Chinesischen Migration und ihrer Wahrnehmung in Hamburg (Amenda 2005; 2006; o.J.). Hasso Spode (1997; vgl. Spode 2010) analysiert die Thematisierungskonjunkturen des Alkohols als soziales Problem. Die explizite Bezugnahme einer geschichtswissenschaftlichen Arbeit auf Schetsches Modell sozialer Problem ist m.E. allerdings neu. Die vorliegende Analyse zeigt, dass Schetsches Kokonmodell auch für die Geschichtswissenschaft fruchtbar ist. Den obigen Ausführungen gemäß bestand ein soziales Problem in der Vergangenheit, sofern die Zeitgenossen dies annahmen. Demnach ist mit den angemeldeten Zweifeln an einer weiten Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums im Deutschland der 1920er Jahre (Hoffmann 2005) die Analyse keineswegs beendet – hier wird es vielmehr erst spannend. So wird in der vorliegenden Arbeit gefragt, wie es dazu kommen konnte, dass wir heute von einem Drogenproblem in der Weimarer Republik ausgehen. Analysiert wird, wie genussorientierter Betäubungsmittelkonsum als 19 Unter Diskursstrategien werden hier „spezifische Techniken der Darstellung von Sachverhalten, welche die Problemwahrnehmung und die mit ihre verbundenen Handlungsanleitungen rhetorisch so absichern, dass es beim Subjekt erst gar nicht zu einem Abwägen kommt, ob ‚die Sache’ näherer Aufmerksamkeit und einen eigenen Ressourceneinsatz wert ist“, verstanden (Schetsche 2008: 129). 20 Auf eine ausführliche Darlegung des Konzepts wird hier verzichtet, denn es dient lediglich als Folie für die folgende Analyse. Im Laufe der Arbeit werden einzelne Elemente von Schetsches Modell noch ausführlicher erläutert. 21 Schetsche (1996: 11f) bezieht sich in seiner Darstellung des Kokonmodells auch auf diesen Text von Scheerer.
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abweichendes Verhalten definiert und wie diese Annahme zu gesellschaftlich anerkanntem Wissen wurde. Dabei geht es um den zeitgenössischen, aber auch um den heutigen Diskurs, der sich um das Thema Betäubungsmittelkonsum rankte und rankt (vgl. Schetsche 2008: 19; 30). Auf die historische Analyse übertragen fordert das Kokonmodell zu einer Reflektion der sozialen Sachverhalte (mithin der zeitgenössischen Wissensbestände, die uns als Information zum Thema vorliegen) auf. Zu prüfen ist, ob wir diese Sachverhalte auch heute noch als konsensual ansehen, ob wir ihnen also zustimmen. Wenn nicht, könnten wir von einem „virtuellen Problem“ in der Vergangenheit sprechen. Die folgende Untersuchung differenziert dementsprechend hinsichtlich der Problematisierung zwischen vier Analyseebenen: erstens jener der heutigen Wahrnehmung des Phänomens, zweitens der zeitgenössischen Problematisierung, drittens dem sozialen Sachverhalt gemäß der zeitgenössischen Wissensbestände und viertens einer heutigen Bewertung der damaligen konsensualen Sachverhalte. Für eine geschichtswissenschaftliche Arbeit wäre die reine Konzentration auf den Diskurs um Betäubungsmittel unter Vernachlässigung der „objective condition“, wie es Spector und Kitsuse (1973: 414) fordern, schwierig. Da wir (anders vielleicht als bei einer aktuellen Problematisierung) nicht über den Hintergrund des historischen Diskurses informiert sind, müssen m.E. auch seine Rahmenbedingungen analysiert werden, um die Problematisierung überhaupt verstehen zu können. Das Kokonmodell ermöglicht, in einer konstruktionistischen Perspektive soziale Sachverhalte zu berücksichtigen und ist daher m.E. für eine historische Analyse besonders gut geeignet (vgl. Schetsche 2008: 76). Originäres Ziel dieser Arbeit ist also nicht zu beweisen, ob es im Deutschland des beginnenden 20. Jahrhunderts nun ein Drogenproblem gab oder nicht, denn diese Frage stellt sich hier im Sinne des Thomas-Theorems gar nicht.22 Damit knüpft die Arbeit an die programmatischen Aussagen Gebhardts (1988: 543) zur historischen Presseanalyse an. Der Geschichtswissenschaftler schreibt, es gehe nicht primär „um die Frage, ob die Darstellungen im dokumentarischen Sinne ‚wahr’ sind (…). Es geht vielmehr um die Rekonstruktion des publizistischen Prozesses der Herausbildung und Verfestigung von Vorstellungen“.
Oder in den Worten Schwerhoffs (1999: 42), bezogen auf die historische Kriminalitätsforschung: 22
William Isaac und Dorothy Swaine Thomas formulierten 1928: „If men define situations as real, they are real in their consequences” (Thomas/Thomas 1928: 572).
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„Methodisch tritt die unproduktive Forderung nach einer möglichst ‚objektiven’ Rekonstruktion des Sachverhalts hinter einer Analyse der jeweils dominierenden Argumentationsmuster und Werthaltungen zurück“.
In diesem Sinne fokussiert die vorliegende Untersuchung die Problematisierung durch die zeitgenössischen Akteure sowie die Funktion der Problematisierung. Die transnationale Perspektive Die unterschiedlichste Ebenen des Problematisierungsprozesses stellen sich als transnationales23 Phänomen dar: Transfers aus anderen Ländern wirkten sowohl auf die ursprüngliche Thematisierung im Rahmen der Abkommen als auch auf die deutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung. Wir werden sehen, dass internationale Einflüsse die Debatten, Wahrnehmungen und Aktivitäten im professionellen und gesellschaftlichen Bereich prägten. Da das Phänomen sich in internationaler Vernetzung entwickelte, bedarf es einer transnational angelegten Untersuchung, die Einflüsse auf den Umgang mit und die Bewertung von Betäubungsmitteln eingehend berücksichtigt: „Erst der Kulturtransfer-Ansatz öffnet den Blick dafür, daß sich Eigenes und Fremdes nicht frontal entgegenstellen lassen, sondern in ihrer Verflechtung und Vermittlung (einschließlich der diese Vermittlung leistenden Personen, Medien und Diskurse) untersucht werden müssen“ (Middell 2000: 40).
Denn wie in der geschichtswissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahre immer häufiger betont wird, ist „die Analyse von grenzübergreifenden Interaktionen und Transfers, von transnationalen Kommunikationsräumen oder wechselseitiger Wahrnehmung für ein adäquates Verständnis nationaler Geschichten unerlässlich“.24
In dieser Studie spielen sowohl die feiwillige Übernahme von Ideen und Maßnahmen aus anderen Ländern (die in diesem Moment als eine Art Vorbild dienten) als auch Übertragungen unter Druck oder Zwang eine Rolle. Dabei wird Deutschland sowohl als Adressat als auch als Sender von Transfers in den Blick genommen. 23
Zur Definition Conrad und Osterhammel (2004: 14-16): „Der Begriff ‚transnational’ bezieht sich auf (…) Beziehungen und Konstellationen, welche die nationalen Grenzen transzendieren. Der Begriff könne auf „den allergrößten Teil grenzüberschreitender Beziehungen angewendet werden“, welche bilateral oder multilateral sein könnten. Ferner seien transnationale Beziehungen „potentiell weltumspannend“ und das „Spektrum der Träger und Akteure“ gehe „über den kleinen Kreis außenpolitischer Funktionsträger weit hinaus“, schreiben Osterhammel und Conrad. 24 Tagungsbericht Writing National History in its European Context. Verfügbar unter (26.08.2009).
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Da die rechtlichen Regelungen und die internationalen Vereinbarungen zentrale Bausteine der Problemgenese und damit dieser Arbeit sind, spielt der Nationalstaat eine entscheidende Rolle in der Analyse des Umgangs mit Betäubungsmitteln. So ist der Untersuchungsgegenstand räumlich zunächst auf Deutschland fokussiert, der transnationale Blickwinkel ermöglicht aber eine „Dezentrierung der Perspektive“ (Espagne 2003: 438), denn er „interessiert sich für (…) jene strukturellen Verbindungen, die eine nationalhistorische Perspektive per definitionem relativieren“ (Patel 2005). Während ich untersuche, welche Rolle zwischenstaatliche Spannungen im Feld Betäubungsmittel spielten, schenke ich dem Nachbarland Frankreich erhöhte Aufmerksamkeit, schlug sich das wechselhafte Verhältnis der beiden Länder doch z.B. in Einschätzungen zum Umgang mit Betäubungsmitteln im jeweils anderen Land nieder (Bariéty/Guth/Valentin 1987; Bariéty/Poidevin 1982; NeriUltsch 2005).25 Quellen Als Quellen für die auf Deutschland fokussierte Analyse in transnationaler Perspektive verwende ich erstes Aktenbestände des Reichsgesundheits- und Auswärtigen Amtes, zweitens Reichstags- und Bundesrats- bzw. Reichsratsprotokolle, drittens Zeitungsartikel und viertens Fachpublikationen. Diese breit gefächerte Quellenbasis erlaubt eine detaillierte Analyse der unterschiedlichen Problematisierungsstränge und wird nun kurz vorgestellt. Erstens werden amtlichen Unterlagen aus dem Bundesarchiv Berlin bzw. dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes untersucht. Im Bundesarchiv 25 Die vorliegende Untersuchung war zunächst als deutsch-französischer Vergleich angelegt (zur historischen Methode des Vergleichs z.B. Haupt/Kocka 1996). U.a. hatten während der Konzeption der Arbeit zahlreiche Presseartikel in den Akten des Reichsgesundheitsamtes angedeutet, dass das gespannte Verhältnis der Nachbarstaaten erheblichen Einfluss auf die Problemgenese in Deutschland entwickelte. Da aber (wie etwa die Untersuchung der Archivalien des Auswärtigen Amtes zeigte) Frankreich im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit kein wichtiger Bezugspunkt für das Deutsche Reich war und bei Fokussierung auf ein Vergleichsland die bedeutenden Einflüsse anderer Staaten nicht genug hätte berücksichtigen können, habe ich mich für eine transnationale Perspektive entschieden. Da der Schwerpunkt der Untersuchung auf der Analyse des Problematisierungsprozesses liegt, wird hier auf eine eingehende Diskussion der methodischen Debatte um Transfer, Transnationale Geschichte, Vergleich etc. verzichtet. Einen Zwischenstand der Diskussion gibt Kaelble (2005). Zum Verhältnis von Vergleich und Transferforschung siehe Middell (2000) und Kaelble/Schriewer (2003). Anwendungen der transnationalen Perspektive z.B. bei Conrad/Osterhammel (2004). Weiteres zur Methodendiskussion im Fachforum unter .
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(BArch) sind vor allem die Bestände des Reichsministeriums des Innern (RMI; R 1501) und des ihm unterstellten Reichsgesundheitsamtes (RGA; R 86) relevant, ergänzend wurden außerdem Akten aus der Reichskanzlei (R 43) und dem Reichskolonialamt (R 1001) herangezogen. Im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA) habe ich Unterlagen aus der Rechtsabteilung bearbeitet, v.a. die umfangreiche Aktenreihe „betreffend Opium“, aber auch interessante kleinere Bestände wie die Handakten des für Betäubungsmittelfragen zuständigen Ministerialamtmanns Breitfeld. Die BArch-Akten tragen Titel wie „Vertrieb von Opium, Morphium und Kokain“ und sind sehr allgemein gehalten. Die im PA AA überlieferten Akten enthalten chronologisch nach dem Eingangsdatum sortiert die damals im Auswärtigen Amt (AA) angefallenen Dokumente zum Themenfeld Betäubungsmittel. Da eine Vorabauswahl der zu untersuchenden Archivalien aufgrund dieser Archivierung kaum möglich war, wurden sehr große Mengen konsultiert (allein im PA AA sind rund 80 umfangreiche Akten überliefert). M.E. handelt es sich bei allen Beständen um eine (bis auf kleinere Lücken) vollständige Überlieferung der Geschäftsvorgänge. Dies erlaubt eine dezidierte Untersuchung der Problemwahrnehmung, sind doch z.B. gelegentlich mehrere Fassungen ein und desselben Berichtes erhalten, wodurch Änderungsschritte nachvollzogen werden können. Neben den für das Promotionsvorhaben recherchierten amtlichen Unterlagen kann ich auf die Vorarbeiten meiner Magisterarbeit, etwa auf Archivalien aus dem Staatsarchiv Bremen (StAB), zurückgreifen.26 Den zweiten Quellenbestand bilden Zeitungsartikel, die – zum einen – aus den amtlichen Unterlagen stammen, v.a. aus den Akten des Reichsgesundheitsamtes und des Auswärtigen Amtes. Die dort überlieferten Zeitungsartikel wurden von den Referenten in den allgemeinen Opium-Akten gesammelt. Um eine darüber hinausgehende Quellenbasis zu erhalten, habe ich – zum anderen – die Internationale Bibliographie der Zeitschriftenliteratur (IBZ) herangezogen, in der zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch Zeitungsartikel separat aufgeführt wurden.27 Für den Zeitraum 1900 bis 1944 habe ich alle in der IBZ aufgeführten, Betäubungsmittel betreffenden Zeitungsartikel erhoben. 26
Am Beispiel Bremens habe ich den Umgang mit Betäubungsmitteln in einer mittleren Großstadt anhand der im StAB überlieferten Bestände von Gesundheitsrat und Medizinalkommission analysiert (zur Vorstellung der umfangreichen Aktenlage bis Ende der 1920er Jahre Hoffmann 2005: 8890, die Ergebnisse anschließend: 90-112). 27 Für die Jahre von 1908 bis 1922 und 1928 bis 1944 erschienen separate Bände zur Zeitungsliteratur. Recherchiert habe ich die folgenden Schlagworte: Absinth, Betäubungsmittel, Cocain, Drogen, Haschisch, Heroin, Kokain, Morphin/Morphium, Opium, Rauschgift, und zwischenzeitlich Pervitin, Rezeptfälschung, Schwarzhandel und Schleichhandel.
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Ziel der Untersuchung ist, einen breiten Überblick über die Entwicklung der veröffentlichten Meinung zu geben; hinsichtlich der Presseanalyse ist Vollständigkeit daher nicht das Ziel meiner Quellenbasis.28 Es geht vielmehr darum, einen breit gefächerten Eindruck von der Berichterstattung zu gewinnen, womit die IBZ ein probates Mittel der Quellenrecherche darstellt, obwohl sie keinen vollständigen Überblick über alle erschienenen Zeitungsartikel bietet.29 Im Gegensatz zur Erhebung einzelner Zeitungen bietet die Kombination aus den archivierten Artikeln und der IBZ-Recherche den Vorteil, dass ein größeres Spektrum politischer und weltanschaulicher Meinungen und renommierte ebenso wie populärere Organe über einen langen Zeitraum berücksichtigt werden können. Die Auswahl der IBZ-Redakteure und der Beamten in den Behörden funktioniert als Filter meiner Presseanalyse: Nur Berichte, die von ihnen wahrgenommen wurden, sind Teil meiner Quellenbasis. Ergänzend habe ich Artikel herangezogen, auf die Autoren in Presse, Fachorganen oder amtlichen Schreiben Bezug nahmen. Die von mir analysierten Publikationen sind zwischen wenigen Sätzen und bis zu zwei Seiten lang. Ausgewertet wurden rund 200 Artikel aus Tageszeitungen, die jeweils ungefähr zur Hälfte über die IBZ recherchiert bzw. in den konsultierten Archivalien aus dem PA AA und dem BArch gefunden wurden.30 Drittens ist die parlamentarische Ebene zu nennen, welche ich anhand der Verhandlungen des Reichstags und des Bundes- bzw. Reichsrats analysiere. 28 „Die deutsche Presselandschaft war sehr kleinteilig-förderalistisch“, konstatiert Dussel (2004: 130f) und Fulda (2006: 194) weist auf die starke Fragmentierung der Berliner Presse hin. Zeitungen waren das zentrale Medium der Weimarer Republik, der Rundfunk wurde „erst in den 1930er Jahren zu einem Massenmedium“ und wird hier nicht berücksichtigt (Stöber 2005: 164). Im Untersuchungszeitraum erschienen deutlich über 4.000 Zeitungen; um die Wende zu den 1930er Jahren hatten davon etwa 40 eine Auflage von mehr als 100.000 Exemplaren (Dussel 2004: 129). Da ein Gesamtüberblick demnach hier nicht zu erreichen gewesen wäre, habe ich auf eine systematische Erhebung einzelner Zeitungen zugunsten der o.g. Auswahl verzichtet. 29 Die in der IBZ genannten Artikel wurden nach Titelschlagworten erhoben, nicht aufgrund einer inhaltlichen Analyse. Da einige recht kreative Überschriften ohne unmittelbar verständlichen Bezug zum Inhalt hatten, tauchen sie nicht in der IBZ auf. Außerdem hieß es in einem im Oktober 1903 verfassten Vorwort der Bibliographie, dass zwar zahlreiche Zeitungen erhoben wurden, aber keineswegs alle Artikel; auch seien nicht alle Ausgaben der berücksichtigten Organe gesichtet worden. Es sei ferner darauf hingewiesen, dass trotz umfangreicher Recherchen (in der Zentralen Wissenschaftlichen Einrichtung Deutsche Presseforschung und der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, im Institut für Zeitungsforschung, Dortmund sowie über Fernleihe) nicht alle ausgewählten Artikel zu beschaffen waren. 30 Im Anhang findet sich eine Liste der Zeitungsartikel. Diese zitiere ich im Folgenden mit Titel und Datum (bzw. aus Platzgründen bei einer großen Anzahl Artikel in einer Fußnote gelegentlich nur mit Datum).
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Hierfür habe ich die stenographischen Berichte zu den Verhandlungen des Reichstags für die Jahre 1900 bis 1919 auf Mikrofiche und für die Jahre 1919 bis 1942 über die digitale Suche des Münchener Digitalisierungszentrums recherchiert.31 Für die zweite Kammer habe ich die gedruckt vorliegenden Protokolle über die Verhandlungen des Bundesrats des Deutschen Reichs von 1871 bis 1919 sowie die Niederschriften über die Verhandlungen bzw. die Vollsitzungen des Reichsrats für die Jahre 1920 bis 1934 analysiert. Diese Protokollsammlungen verfügen über Sach- und Sprechregister, die anhand einer umfassenden Schlagwortsammlung32 auf jegliche Wortmeldung zu Betäubungsmitteln hin ausgewertet wurden. Schließlich war – viertens – zu den Fachpublikationen bereits über die Vorarbeiten meiner Magisterarbeit33 ein Zugang geschaffen. Zusätzlich zu den dort analysierten Aufsätzen habe ich Monographien zum Thema Betäubungsmittel hinzugezogen, die sich zu Fragen der Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums äußerten und Bewertungen der Gesetzgebung oder der Konsumenten vornahmen. Hier wurde v.a. auf jene Publikationen zurückgegriffen, die in anderen Werken als Referenz herangezogen worden waren, die also nachweislich die Wahrnehmung von Zeitgenossen beeinflusst haben. Untersuchungszeitraum und Aufbau der Arbeit Die bei der Vorstellung der Quellen genannten Daten weisen darauf hin, dass der Untersuchungszeitraum der Analyse nicht streng begrenzt ist. Die 31 Inzwischen sind auch die Jahrgänge bis 1919 online verfügbar: . 32 Absinth, abusus, Betäubungsmittel, Coca, Droge, Genf, Haag, Kokain, Missbrauch, Morphium, Opiat, Opium, Rauschgift, Schleichhandel, Schwarzhandel, Sucht, Völkerbund. 33 Hierfür hatte ich einerseits medizinische und pharmazeutische Fachzeitschriften auf Beiträge zur Betäubungsmittelkontrolle und Verbreitung des Konsums hin analysiert. Grundlage waren die in der Drogenbibliographie (Hefele 1988) zu diesen Themen aufgeführten Artikel sowie Funde aus dem Bremer Informations- und Forschungszentrum für Alkohol, Tabak, Drogen, Medikamente und Sucht Archido. V.a. aber hatte ich die beiden bedeutenden medizinischen Fachorgane Deutsche Medizinische Wochenschrift (DMW) und Münchener Medizinische Wochenschrift (MMW) für die Jahre 1918-1933 einer Vollerhebung unterzogen (eine Diskussion der Quellen bei Hoffmann 2005: 114116, anschließend (117-167) die Ergebnisse). Am Ende der letzten Kapitel zur jeweiligen Akteursebene finden sich kurze Fazits: gesondert zur inner- bzw. zwischenstaatlichen sowie zur parlamentarischen Ebene, sodann zu den zivilgesellschaftlichen Organisationen, zur Presseberichterstattung und zum Expertendiskurs. Die meisten Zwischenkapitel schließen ebenfalls mit einem kurzen Resümee, weshalb am Ende der Arbeit nur eine knappe Zusammenfassung gegeben wird.
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internationale Problemkarriere von Betäubungsmitteln begann 1909 mit der Konferenz von Shanghai. In Deutschland gab es seit 1901 Kontrollbemühungen und erste auf das Reich bezogene Problematisierungen finden sich ab 1910. Schließlich war die entscheidende Phase bis zur Problemetablierung Ende der 1920er Jahre abgeschlossen. Daher deckt die Studie den Zeitraum zwischen 1900 und 1935 – mithin einen angemessenen Vor- und Nachlauf der genannten Entwicklungen – ab. Alle bearbeiteten Quellenbestände umfassen diese Phase. Wo es ohne erheblichen Mehraufwand möglich war, habe ich größere Zeiträume untersucht, um die vorangehende und folgende Entwicklung ebenfalls zu berücksichtigen. Die Analyse ist chronologisch aufgebaut, um die verschiedenen Phasen des Problematisierungsprozesses nachvollziehen zu können: Der Hauptteil der Arbeit ist in vier Kapitel gegliedert, innerhalb derer den Akteursebenen – Staat, Presse, fachliche Auseinandersetzung und nichtstaatliche Organisationen – eigene Unterkapitel gewidmet sind.34 Da die Interaktion zwischen den Ebenen entscheidender Bestandteil des Problematisierungsprozesses war, gibt es immer wieder Verknüpfungen zwischen den jeweiligen Abschnitten. Der Chronologie folgend beschreibt das erste Kapitel das beginnende Interesse für Betäubungsmittel bis ca. 1919. Im zweiten Teil geht es um den Zeitraum von ca. 1920 bis 1923, als die Aufmerksamkeit konkreter wurde und der Diskurs sich erstmals problematisierend auf Deutschland bezog. Die zentrale Phase der Problemkarriere lag etwa zwischen 1923 und 1928 und wird im dritten Kapitel untersucht. Ab ca. 1928/1929 kann man von einem in Deutschland etablierten Problem sprechen. Im letzten Kapitel geht es um die Zeit ab 1929, als in manchen Bereichen das Interesse für Betäubungsmittel wieder zurückging, es in anderen Teilen aber zu extrem dramatisierenden Darstellungen kam. Parallel dazu setzte eine Reflektion des Diskurses ein. Die genannten Jahreszahlen markieren keine scharfen Zäsuren, denn die Problemgenese kann nicht an einzelnen Ereignissen festgemacht werden, sondern war ein Prozess mit fließenden Übergängen. Die Jahreszahlen sind entsprechend als strukturierende Orientierungswerte zu verstehen, nicht als starres Raster.
34 Auch Schetsche (2008: 77) betont, dass es sinnvoll sei, „lebensweltliche und wissenschaftliche Wissensbestände in Problemdiskurses“ analytisch zu trennen, auch wenn diese „oftmals bis zur Unkenntlichkeit verschmolzen sind“.
Forschungsstand und Relevanz der Arbeit sowie Begriffsklärungen
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Forschungsstand und Relevanz der Arbeit sowie Begriffsklärungen Forschungsstand und Relevanz der Arbeit sowie Begriffsklärungen Auch wenn bislang noch keine explizit historisch-kritische Auseinandersetzung mit der Frage stattfand, wie sich die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums als soziales Problem in Deutschland entwickelte, so gibt es doch eine Fülle an wissenschaftlichen Publikationen und eine Vielzahl an Forschungsfeldern, an die diese Arbeit anknüpft. Auf sozialwissenschaftlicher, soziologischer bzw. kriminologischer Ebene stellen Drogen selbst ein schier undurchdringbares Thema dar und viele Untersuchungen behandeln – i.d.R. in knappen Abrissen – auch historische Aspekte des Gegenstandes, meist geht es dabei aber um die Kontrolle der Substanzen, nicht um ihren Konsum. Für eine eingehende Erörterung des Forschungsstandes bis 2004 verweise ich auf Hoffmann (2005: 23-33). Hier seien nur die wichtigsten Werke und jüngere Publikationen vorgestellt sowie – kombiniert mit einer Erörterung der Relevanz vorliegender Arbeit und der Erläuterung einiger zentraler Annahmen bzgl. Betäubungsmitteln – die weiteren Forschungsfelder präsentiert, an die die Untersuchung anschließt. Angesichts der Vielzahl von Arbeiten, die historische Aspekte des Themenfeldes Betäubungsmittel bearbeiten, ist das Ergebnis erstaunlich, dass bislang keine umfassende und kritische Studie zu jener Phase erschien, in der Drogenkonsum in Deutschland erstmals problematisiert und staatlich kontrolliert wurde. Eine Auseinandersetzung mit der Entstehung der Problemwahrnehmung in Deutschland steht noch aus. Etliche Arbeiten beschäftigen sich in historischer Perspektive mit verschiedenen Fragen im Feld Betäubungsmittel und in den letzten Jahren kann ein zunehmendes Interesse an historischen Drogenfragen konstatiert werden. Zur Genese der Betäubungsmittelgesetzgebung sind die Arbeiten von Sebastian Scheerer (1982; 1993) immer noch grundlegend. Der Historiker Klaus Weinhauer (2004; 2005; 2006) forscht zum Drogenkonsum Jugendlicher im Berlin und London der 1960er und 1970er Jahre; sein DFG-Projekt zum Thema steht vor dem Abschluss. Mehrere Arbeiten befassen sich mit der Zeit des Nationalsozialismus (Pieper 2002; Steinkamp 2006; 2008; Lewy 2006). René Renggli und Jakob Tanner (1994) beschäftigen sich explizit mit der Geschichte des Drogenproblems, beschreiben allerdings die m.E. wichtigste Phase der Problemgenese, die Weimarer Republik, nicht detailliert. Tilmann Holzer (2002) nimmt ebenfalls eine historische Perspektive ein und hebt die Bedeutung der asketischen protestantischen Ethik für die Entwicklung der internationalen Drogenkontrollnormen hervor. In jüngster Zeit sind drei wichtige historisch argumentierende Monographien im Feld Betäubungsmittel erschienen: In seiner Dissertation stellt Holzer (2007) eine m.E. strittige
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Verknüpfung zwischen der bundesrepublikanischen Betäubungsmittelgesetzgebung mit jener des Nationalsozialismus her und berücksichtigt mit seiner These von der Geburt der Drogenpolitik aus dem Geist der Rassenhygiene deren – auch inhaltliche – Wurzeln in der Weimarer Republik nicht ausreichend. 2005 legte Detlef Briesen einen interessanten Vergleich zwischen der deutschen und US-amerikanischen Betäubungsmittelpolitik vor. Für die frühen Jahre fehlt eine quellenbasierte Auseinandersetzung mit dem Konsum in Deutschland allerdings weitgehend. In seiner juristischen Dissertation liefert Jan Wriedt (2006) eine gute und solide Darstellung der rechtlichen Entwicklung, lässt aber einen kritischen Blick auf den Untersuchungsgegenstand an entscheidenden Punkten vermissen. Ferner schließt die folgende Analyse an ein vorab von mir veröffentlichtes Buch und einen Sammelbandbeitrag an (Hoffmann 2005; 2007). Zahlreiche weitere Arbeiten setzen sich mit Drogen in historischer Perspektive auseinander. Grundlegend zur Kultur- und Sozialgeschichte des Alkohols in Deutschland ist weiterhin Spode (1993).35 Weitere Arbeiten beschäftigen sich mit einzelnen Personen36 oder konzentrieren sich auf bestimmte Substanzen.37 Michael de Ridder (2000) schrieb eine ausgesprochen interessante Dissertation zu Heroin, das sich (wie auch die anderen hier betrachteten Substanzen) vom Arzneimittel zur Droge entwickelte. Beke-Bramkamp (1992) und Selling (1989-1) betrachten die internationale Drogenkontrolle mit einem Schwerpunkt auf den USA.38 Das hier besonders berücksichtigte Nachbarland Frankreich ist hinsichtlich der Geschichte von Drogenkonsum und -kontrolle gut erschlossen (Charras 1998-1; 1998-2; 2002; Rosenzweig 1998). Insbesondere die Arbeiten von Jean-Jacques Yvorel (1992) und Emmanuelle Retaillaud-Bajac (2000, 2001), die mit ihrer lohnenden Dissertation eine dezidierte Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung von Betäubungsmitteln in Frankreich vorlegte, bieten wichtige Anknüpfungspunkte. 35
Einen kulturgeschichtlichen Blickwinkel nimmt auch Schievelbusch (1979) ein. „Drogenrauschkonstruktionen in der Kulturgeschichte Europas“ analysiert ferner Svenja Korte (2007: 49-110) in einem Kapitel ihrer Dissertation ausführlich. 36 Die Pharmazeutin Petra Schendzielorz (1998) behandelt die Person Otto Anselmino und seine Rolle in der Entwicklung der internationalen Drogenkontrollabkommen. 37 Mit der Geschichte des Hanfes beschäftigen sich Jack Herer und Mathias Broeckers (1993), Thomas Ben Bartholdy (1992) analysiert das Kokainverbot. Zuletzt widmete sich Kamphausen (2009) in schwerpunktmäßig soziologisch-kriminologischer Perspektive der Dekulturation der Lebensführung von Opiatkonsumenten. 38 Die dortige Situation ist gut erschlossen, herausragend durch David F. Musto (1999; Musto/Korsmeyer/Maulucci 2002). Auch zu anderen Ländern gibt es interessante historische Analysen zu Betäubungsmitteln: Prägend für Großbritannien sind die Arbeiten von Virginia Berridge (Berridge/Edwards 1981), wertvolle Ansätze liefert auch die Studie von Kohn (2001). Zu Drogenkonsum und Betäubungsmittelgesetzgebung in der Schweiz der 1920er Jahre forschte Tanner (1990).
Forschungsstand und Relevanz der Arbeit sowie Begriffsklärungen
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Aus der Perspektive der Genussmittel behandeln Thomas Hengartner und Christoph Maria Merki den Gegenstand. Ihre Auffassung, dass Drogen „keine ihnen immanente, quasi transhistorische Bedeutung“ haben und dass „nicht nur der Genußbegriff (…) soziokulturell konstruiert [ist], sondern ebenso derjenige der ‚Sucht‘“ (Hengartner/Merki 2001: 10-15), liegt auch der vorliegenden Analyse zu Grunde.39 Nicht zuletzt hat die vorliegende Studie auch eine drogenpolitische Implikation. Möchte man die Effektivität der Drogenprohibition bewerten, so kommt man nicht umhin, auf ihre Ursprünge zurück zu blicken und sich zu fragen, ob die Kontrollgesetze positive oder negative Effekte hatten. Kritische Auseinandersetzungen mit den Wirkungen und Nebenwirkungen der repressiven Betäubungsmittelpolitik sind zahlreich (z.B. Quensel 1982; Schmidt-Semisch 1992; Nolte/Quensel/Schultze 1996). Das Konzept „drug-set-setting“ von Zinberg et alii (1978) liegt vielen dieser Arbeiten – und auch meiner – zu Grunde: Für die Wirkung von Drogen ist nicht allein die Substanz verantwortlich, sie wird vielmehr von drei Faktoren beeinflusst: Erstens von der pharmakologischen Komponente („drug“), zweitens vom „setting“ (gemeint sind die Umgebung und das kulturelle Umfeld) und drittens von dem Konsumenten mit seinen physiologischen Eigenschaften, seinem persönlichem Wissen und seinen Erwartungen, dem „set“. Das (wie zu zeigen sein wird seit den 1920er Jahren) dominierende „medizinisch-psychiatrisch-naturwissenschaftliche Suchtkonzept“ konfrontieren Bernd Dollinger und Henning Schmidt-Semisch in ihrem Sammelband mit sozialwissenschaftlichen Ansätzen der Drogenforschung (Dollinger/SchmidtSemisch 2007: 9). Über die Beschäftigung mit Betäubungsmitteln hinaus ergeben sich zahlreiche Anknüpfungspunkte für die hier untersuchten Fragen, beispielsweise an die historische Kriminalitätsforschung. In deren Sinne verstehe ich den Umgang mit Betäubungsmitteln als ein nicht allein rechtliches (oder medizinisches), sondern insbesondere als ein soziales bzw. gesellschaftliches Phänomen (vgl. Opitz/Studer/Tanner 2006). Wie wir Drogen wahrnehmen und wie wir abweichendes Verhalten definieren, ist gesellschaftlich konstruiert und historisch 39 Ähnlich argumentiert etwa Kohn (2001: 1): Drogenkontrolle sei keineswegs eine Art Naturgesetz, das aus den pharmakologischen Eigenschaften der Substanzen resultiere. Retaillaud-Bajac (2000: 1) hebt hervor, dass Drogen „medizinisch, juristisch und sozial konstruierte Kategorien“ sind. In diesem Sinne gehe ich von der Annahme aus, dass kontrollierter Konsum jeglicher als Drogen bezeichneter Substanzen möglich ist (vgl. Harding 1981; Kemmesies 2004; eine Diskussion des Begriffs „Kontrollierter Drogenkonsum“ bei Kolte/Schmidt-Semisch 2006). Nur so lässt sich z.B. erklären, warum mit Kokain oder Morphin behandelte Patienten die Arzneimittel nur in den seltensten Fällen länger gebrauchten als medizinisch vorgesehen: Laut Ullmann (2004: 19) lag die Zahl der als abhängig bezeichneten Patienten im Promillebereich.
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Einleitung
variabel (vgl. Becker 1981: 8; Schwerhoff 1999: 10f). Mit dem „Prozeß der Normsetzung“ (Schwerhoff 1999: 40) steht die Definition des Betäubungsmittelkonsums als abweichendem Verhalten im Fokus der Arbeit. „Indem die historische Kriminalitätsforschung das Konzept der sozialen Kontrolle als Bezugsrahmen wählt, vermeidet sie eine juristische Engführung. Als Teil der allgemeinen Sozialgeschichte untersucht sie ‚abweichendes Verhalten in der Vergangenheit im Spannungsfeld von Normen, Instanzen und Medien sozialer Kontrolle einerseits, von gesellschaftlichen Handlungsdeterminanten andererseits. Umgekehrt wird Kriminalität auch als zentraler Indikator für die Erforschung von gesamtgesellschaftlichen Zuständen und historischem Wandel eingesetzt.’ In sozialgeschichtlicher Perspektive interessieren nicht nur die Formen der Devianz in der Vergangenheit und die Umsetzung von Rechtsnormen in die Praxis, sondern weiter ausgreifend die Frage nach der Konstruktion gesellschaftlicher Ordnung und der Entstehung bzw. Bewältigung sozialer Konflikte“ (Schwerhoff 1999: 12).
Der Blick auf soziale Kontrolle, Normierung und Sanktionierung, auf die Zuschreibungen im Feld Betäubungsmittel als soziale Konstrukte und die Frage, „ob und in welcher Weise die vom politischen und kulturellen Klima des jeweiligen Landes abhängige gesellschaftliche Konstruktion von Kriminalität und Strafe durch den internationalen Austausch von Konzepten, Ideen und Lösungsmodellen transformiert wurde“,
verknüpfen die transnationale Perspektive mit aktuellen Fragen der kriminalitätshistorischen Diskussion und grundlegenden soziologisch-kriminologischen Konzepten (Schauz/Freitag 2007: 25; Schwerhoff 1999; Galassi 2004; Wetzell 2000). Der Umgang mit Betäubungsmitteln kann als Indikator für die Untersuchung von gesamtgesellschaftlichen Zuständen und historischem Wandel eingesetzt werden. Indem er „als ‚Sonde’ für verschiedenartige gesellschafts- und kulturgeschichtliche Fragestellungen“ instrumentalisiert wird (Schauz/Freitag 2007: 11), wird die „Frage nach der Konstruktion gesellschaftlicher Ordnung“ (Schwerhoff 1999: 12) gestellt und untersucht, wie (v.a.) in der Weimarer Republik Politik gemacht und Wissen generiert wurde. So trägt die vorliegende Arbeit zum Verständnis des Funktionierens staatlicher Herrschaft bei: Einerseits hinsichtlich der Genese der rechtlichen Regelungen und andererseits – indem nachvollzogen wird, wie das Betäubungsmittelgesetz Wirksamkeit entfaltete – hinsichtlich der Wandlung gesellschaftlicher Normen und der Genese eines sozialen Zuschreibungsprozesses. Kohn (2001: 1f) betont: „the modern discourse about drugs is about far more than drugs, and (…) these other themes are far more interesting than drugs themselves.” Bei der Geschichte von Betäubungsmitteln geht es in der Tat um weit mehr als um Drogen. Indem nachvollzogen wird, wie Definitions-, Zuschreibungs- und Ausgrenzungsprozesse verliefen, analysiere ich entsprechend
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gesellschaftliche Machstrukturen.40 In diesem Sinne verwende ich Drogen und den Umgang mit ihnen als Sonde, um etwa die Netzwerke von staatlichen Kräften, Experten und Presse zu analysieren. „The study of psychoactive substances (…) can provide historians and anthropologists with a fresh perspective on the functioning of social relations, on economic systems of exchange and on political power and privilege“,
konstatieren auch Goodman, Lovejoy und Sherratt (1995: 233). Indem die Berichterstattung der Presse, ihre Wirkung auf politischer Ebene und ihr Zusammenspiel mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung analysiert werden, schreibt sich diese Arbeit ferner in die umfangreiche Forschung zur Pressegeschichte ein (Wilke 2000; Dussel 2004; Böning et alii 2004). Siemens (2007: 50-56) liefert in seiner ausgezeichneten Studie zu Gerichtsreportagen in Berlin, Paris und Chicago der Zwischenkriegszeit eine aktuelle und treffende Synthese der Diskussion um Medienwirkung aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive, auf die hier verwiesen sei. Er betont (in Anlehnung an Führer et alii), die Gerichtsberichterstattung der 1920er Jahre mache deutlich, dass die Massenmedien nicht nur Informationen, sondern auch Werte vermittelten und ihren Lesern Orientierung boten. Massenmedien fungierten als Ordnungsinstanzen und markierten die „Grenzen des Sagbaren“ (Siemens 2007: 51f; 56). An diese Perspektive knüpft die vorliegende Arbeit an und greift seine Anregung auf, „das 20. Jahrhundert umfassend medien- und kriminalitätshistorisch zu untersuchen, um Kontinuitäten und Brüche der medialen Inszenierung von Kriminalität sowie die sich wandelnde Bedeutung der Massenmedien zu untersuchen“ (Siemens 2007: 393).
Der hier vorgestellte Forschungsstand und die Ausführungen zu Theorie und Methode zeigen: Auch wenn in Deutschland Drogen als eigenes Forschungsthema der Geschichtswissenschaften (im Gegensatz etwa zur Soziologie und Kriminologie) bislang nicht etabliert sind (vgl. Weinhauer 2005: 187), bietet die historische Analyse von Betäubungsmittelkonsum und -kontrolle zahlreiche Anknüpfungspunkte an aktuelle geschichtswissenschaftliche Diskussionen. Die interdisziplinäre Studie verknüpft eine soziologische Theorie mit historischen Methoden und einem kriminologischen Blickwinkel. Darin liegt der Reiz dieser Analyse. 40
Hier sind Machtbegriffe fruchtbar, die Macht nicht als ‚von oben’ ausgeübtes Phänomen beschreiben, sondern als in der Gesellschaft verankert interpretieren. Michel Foucault geht beispielsweise davon aus, dass Macht nicht auf die Entscheidungen eines individuellen Subjekts zurückgehe. Ferner seien ihre Effekte häufig nicht intendiert (Foucault 1983).
1 Erstes Interesse für Betäubungsmittel kommt auf: Drogen in Deutschland bis ca. 1919 Erstes Interesse für Betäubungsmittel kommt auf: Drogen in Deutschland bis ca. 1919
Drogen in Deutschland bis ca. 1919
Im ersten Kapitel wenden wir uns der Zeit bis 1919 zu, für die immer wieder schlaglichtartige Auseinandersetzungen mit Betäubungsmitteln überliefert sind. Wir befinden uns in einem Abschnitt, in dem sich das Interesse für Kokain und Opiate in Deutschland langsam steigerte und in dem international die Weichen für den restriktiven Umgang mit den Substanzen gestellt wurden. Die beiden folgenden Unterkapitel behandeln je einen in dieser Phase im Deutschen Reich wichtigen kollektiven Akteur: die politische Ebene und die Tagespresse. 1.1
„Indessen wollten wir nicht das Odium auf uns nehmen, die Reform verhindert zu haben“ – Strategien und Ziele deutscher Politik in der „Opiumfrage“ bis 1919 Strategien und Ziele deutscher Politik in der „Opiumfrage“ bis 1919 Zunächst soll es darum gehen, den Problematisierungsprozess auf staatlicher Ebene nachzuvollziehen. Wir blicken hierbei auf die Intentionen deutscher Vertreter im Kontext der internationalen Abkommen und der weiteren außenpolitischen Tätigkeit sowie auf den innenpolitischen Umgang mit der Frage. Als Quellen dieser Analyse dienen u.a. Protokolle zahlreicher Beratungen im Vorfeld und während der Konferenzen, Weisungen an die Delegierten, für den internen Gebrauch formulierte, geheime Stellungnahmen zur „Opiumfrage“ und Protokolle zur Vorbereitung der Gesetze. Die Leitfragen dieses und der folgenden Kapitel zur staatlichen Ebene lauten: Welche Ziele verfolgten staatliche Stellen im internationalen Kontext und mit einzelnen Gesetzesänderungen und Verordnungen? Welche Rolle spielten internationale Einflüsse? Vor welchem Informationshintergrund agierten die Beteiligten bzw. auf welche Phänomene und Entwicklungen reagierten sie bzw. gaben sie vor zu reagieren? Insbesondere soll gefragt werden, wie sich die Wahrnehmung von Betäubungsmitteln als Problem entwickelte und wie sich dies an der Gesetzgebung bzw. deren Vorbereitung und den Begründungen ablesen lässt.
A. Hoffmann, Drogenkonsum und -kontrolle, DOI 10.1007/978-3-531-94045-8_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
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Diese Fragen werden im folgenden Kapitel chronologisch bearbeitet, weshalb die Darstellungen zu den internationalen Abkommen und die unterschiedlichen Dimensionen der innerstaatlichen Ebene ineinander greifen. Aufgrund der soliden Forschungslage kann hier auf eine ausführliche Darstellung der Abkommen, der Gesetze und der zahlreichen Verordnungen verzichtet werden, um den Fokus auf die o.g. sozialhistorisch und in Hinblick auf die Problemgenese interessanten Aspekte zu legen. Für detaillierte inhaltliche Analysen verweise ich auf die ausführlichste Darstellung bei Wriedt (2006) sowie den weiteren Forschungsstand (Scheerer 1982; 1993; Schendzielorz 1988; Hoffmann 2005; zum Nationalsozialismus Holzer 2007; zuletzt Kamphausen 2009). 1.1.1 Inner- und zwischenstaatliche Maßnahmen bis 1910 Um die Anfänge der Betäubungsmittel betreffenden Kontrollen in Deutschland nachzuvollziehen, müssen wir einige Jahre zurückblicken. Durch Verordnungen der Bundesstaaten war ihr Erwerb in Apotheken der Rezeptpflicht unterstellt; diese Regelungen wurden 1891 aufgrund eines Bundesratsbeschlusses vereinheitlicht (Wriedt 2006: 41f).41 Damals war es theoretisch möglich, größere Mengen von Opiaten und Kokain über den Großhandel zu beziehen (Wriedt 2006: 40-44). Die Überlieferung birgt allerdings keine Hinweise darauf, dass auf diesem Wege nennenswerte Mengen der Substanzen an Konsumenten in Deutschland gelangt seien, doch dazu im Verlauf dieses Kapitels mehr. Als weiterer Schritt wurde mit der kaiserlichen Verordnung vom 22. Oktober 1901 der Begriff des Heilmittels präzisiert. „Danach sollten Heilmittel Mittel zur Beseitigung von Krankheiten sein. Zum Teil wurden vor Einführung dieser Legaldefinition auch Mittel zur Verhütung von Krankheiten als Heilmittel angesehen“ (Wriedt 2006: 44).42
Ein Strafmaß war zu diesem Zeitpunkt noch nicht in den Regelungen implementiert.43 Vor den internationalen Konferenzen wurden Kokain und Opiate in Deutschland im Sinne stark wirkender Arzneimittel behandelt. Der Umgang mit ihnen erfuhr erhöhte Aufmerksamkeit, wobei die Akteure weder von Missbrauch im heutigen Sinne sprachen, noch Suchtfragen in den Mittelpunkt der Erörterungen stellten. Ein besonderes Problem mit Rauschdrogen oder das Ziel Genusskonsum zu 41
Eine Untersuchung der landesspezifischen Regelungen, ihrer Einführungsdaten und begründungen steht noch aus. Für die Situation in Bremen vgl. Hoffmann 2005. Kursivsetzungen i.O. Außerdem wurde das neu entdeckte Heroin der Verordnung unterstellt. 43 Das Strafmaß ergab sich aus § 367 Nr. 3 und 5 StGB sowie § 147 RGewO (Wriedt 2006: 45). 42
Strategien und Ziele deutscher Politik in der „Opiumfrage“ bis 1919
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verhindern spielten keine Rolle bei der Regelung des Verkehrs mit Betäubungsmitteln. Soweit die Ausgangslage vor den internationalen Betäubungsmittelkonferenzen. Bislang haben sich insbesondere der Jurist Jan Wriedt und der Politologe Tilmann Holzer mit der Haltung Deutschlands auf diesen Zusammenkünften auseinandergesetzt und archivalische Quellen herangezogen. Holzer vertrat in seiner 2002 publizierten Studie die These, die Politik der deutschen Regierung sei zwischen 1909 bis 1929 „ökonomisch motiviert“ gewesen und im Zweifelsfall sei „den Interessen der Drogenproduzenten der Vorrang gegeben“ worden (Holzer 2002: 134); „erst allmählich“ habe sich „ein Differenzierungsprozess zwischen Industrie und Regierung beobachten“ lassen (Holzer 2002: 103). Diese Strategie, die ökonomischen Zielen den Vorrang gab, bewertet Holzer (2002: 134) als erstaunlich: „Aus heutiger Sicht am überraschendsten ist sicherlich das Ergebnis, dass medizinische Überlegungen nicht wichtig für die deutsche Regierung waren.“ Dementgegen werden wir sehen, dass die Strategien der deutschen Staaten als stringent zu interpretieren sind und der jeweiligen Problemwahrnehmung der Verantwortlichen entsprachen. Vier Jahre später erschien die Dissertation Jan Wriedts, der (ohne dabei Holzers Thesen zu diskutieren) den Standpunkt einer deutlichen Verlagerung der Strategien verfocht: Deutschland habe zunächst nur die Interessen seiner Industrie vertreten, die Konferenzen später aber zur Verfolgung außenpolitischer Ziele genutzt. Im Rahmen der Haager Konferenz 1911/1912 habe das Deutsche Reich „um jeden Preis seine pharmazeutische Industrie schützen“ wollen, 1925 sei hingegen das Ziel gewesen, „außenpolitisch wieder eine bessere Stellung zu erlangen“ (Wriedt 2006: 248; 250). Die Analysen von Holzer und Wriedt greifen meiner Ansicht nach insbesondere für die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg zu kurz und erfassen daher die Haltung Deutschlands nicht vollständig. Für eine Bewertung der vom Deutschen Reich im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit verfolgten Ziele muss m.E. einbezogen werden, wie die Zeitgenossen die Situation im eigenen Land wahrnahmen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die heutige Problemwahrnehmung die Bewertung dominiert. Im Rahmen der Konferenz von Shanghai, der ersten internationalen Zusammenkunft zur „Opiumfrage“ im Jahr 1909, war die Position Deutschlands noch sehr reserviert. Wie aus einer Stellungnahme von Dr. Pernitzsch44 vom März 1910 hervorgeht, fühlte man sich nicht direkt betroffen, denn Deutschland zähle 44 Pernitzsch war deutsches Mitglied der internationalen Opiumkonferenz von Shanghai und zweiter Dolmetscher am Generalkonsulat. PA AA R 97828, 07.11.1911. „Aufzeichnung über die Stellung Deutschlands zu dem Programm der am 1. Dezember d. J. in Haag zusammentretenden internationalen Konferenz zur Reglung des Verkehrs mit Opium, Morphium und Kokain“.
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(ebenso wie die USA) zu jenen Staaten, die kein eigenes Interesse an der Frage hätten.45 An der Notwendigkeit und Zielsetzung einer internationalen Regelung hatte Pernitzsch erhebliche Zweifel: „[D]ie meisten Regierungen werden sich, und nicht mit Unrecht, auf den Standpunkt stellen, daß jeder Staat seine eigene Opiumfrage nach seinem Ermessen (…) regeln müsse, und daß es dazu gar keiner internationalen Abmachungen bedürfe.“46
Seiner Meinung nach genüge „der einfache Hinweis auf die außerordentliche Verschiedenheit der Verhältnisse in den einzelnen Ländern (…), um den Gedanken eines ‚Weltrechts’ für Opium als illusorisch erscheinen zu lassen“.47
Pernitzschs sehr ausführlicher Bericht zu Shanghai schloss mit auffallend ablehnenden Worten: „[I]m ganzen aber schießt das Programm weit über das hinaus, was zur Zeit erreichbar ist, und berücksichtigt viel zu wenig wichtige und bedeutende Interessen anderer Mächte. Das Opiumproblem läßt sich vielleicht allmählich lösen, nicht aber einfach aus der Welt schaffen, auch nicht durch internationale Konferenzen und Abkommen.“48
Auch Konsul Dr. Rößler49 hielt ein „einheitliches Weltrecht in der Opiumfrage“ für unwahrscheinlich. Selbst die USA würden anerkennen, „daß jeder Staat am besten in der Lage ist, die Opiumfrage durch seine eigene Gesetzgebung zu regeln“, schrieb er.50 Deutscherseits fühlte man sich von dem Konferenzthema nicht direkt betroffen: „In Deutschland besteht keine sogenannte Opiumfrage; wir haben deshalb meines Erachtens auch keinen Anlaß, dem Handel und der Industrie nach dieser Richtung hin Beschränkungen aufzuerlegen.“51
Noch knapp zwei Jahre vor Abschluss des Haager Abkommens von 1912 sahen Vertreter deutscher Behörden die Notwendigkeit und das Potenzial einer internationalen Regelung der Opiumfrage also in jeder Hinsicht kritisch. Sie erkannten weder eine das Heimatland betreffende Problemlage an noch hielten sie die 45
BArch R 1001/6818, S. 114, Stellungnahme Dr. Pernitzsch; Anlage zum Shanghaibericht Nr. 131, 30.03.1910. 46 BArch R 1001/6818, S. 100, Stellungnahme Pernitzsch. 47 BArch R 1001/6818, S. 116, Stellungnahme Pernitzsch. 48 BArch R 1001/6818, S. 120, Stellungnahme Pernitzsch. 49 Dr. Rößler war damals kaiserlicher Konsul im südchinesischen Canton und Delegierter zur Haager Konferenz (Wriedt 2006: 55). 50 BArch R 1001/6818, Kaiserlich Deutsches Konsulat, Canton, den 10. Juni 1910. 51 BArch R 1001/6818, S. 152, Dr. Rößler aus Shanghai an das Kaiserliche Deutsche Konsulat, 13.05.1910.
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avisierte Strategie des „Weltrechts für Opium“ für effektiv. Die Berichte zur Konferenz von Shanghai zeigen deutlich: Um 1910 gab es noch kein Problemempfinden gegenüber Opium oder anderen Drogen in Deutschland – als Sachverständige wurden in China stationierte Diplomaten herangezogen. Eine internationale Bearbeitung der Frage schien deutschen Stellen unnötig, nicht zielführend und wurde daher abgelehnt. So weit zur Haltung des Deutschen Reichs im internationalen Kontext. Die innenpolitische Entwicklung lässt sich an einer Diskussion im Reichstag und einer daraufhin angestrengten Umfrage ablesen. 1.1.2 „Mißstände [...] müßten aber erst nachgewiesen werden“ – Diskussionen um Betäubungsmittel im Reichstag und eine landesweite Umfrage 1910 Die erste für uns relevante Erwähnung von Betäubungsmitteln im Reichstag stammt aus dem Jahr 1910, als der Abgeordnete von Treuenfels52 kritisierte, es sei auf dem Wege des Großhandels ein Leichtes, größere Mengen Betäubungsmittel zu erwerben.53 Ferner gebe es Missstände auf dem Gebiet der Verschreibung durch Ärzte oder bei der Abgabe in Apotheken. Der Präsident des Reichsgesundheitsamtes Dr. Bumm entgegnete damals: „Daß aber auf dem Wege des Großhandels erhebliche Mißbräuche in der Abgabe von Morphium und Kokain eingetreten wären, ist dem Gesundheitsamt bisher nicht bekannt geworden; der Herr Vorredner hat auch keine Vorgänge geschildert, bei denen ersichtlich gewesen wäre, in welcher Weise Verfehlungen stattgefunden haben.“54
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Carl Friedrich Georg von Treuenfels (* 1863) war Abgeordneter der Deutsch-Konservativen Partei, Landwirt und Rittergutsbesitzer. Seine Konfession war lutherisch. Informationen über die Abgeordneten habe ich den Kurzbiografien der Reichstagshandbücher entnommen, die über die Datenbank <www.reichstag-abgeordnetendatenbank.de> abgerufen werden können. Auf Quellenangaben hierzu verzichte ich im Folgenden. 53 Eine Erwähnung von Absinth sei hier der Vollständigkeit halber aufgeführt: 1909 gab die Stadt Mülhausen im Elsass eine Petition in den Reichstag, diese blieb aber aufgrund einer Gegenpetition des Vereins der Großdestillateure und Branntweingroßhändler von Elsaß-Lothringen erfolglos (Stenographische Berichte des Reichstags (StB) Bd. 234, S. 6192; Anl. Bd. 250, Nr. 1072). Absinth spielte – im Gegensatz zu Frankreich – in Deutschland keine nennenswerte Rolle im Diskurs um Betäubungsmittel. 54 StB, 3. Bd., 04.03.1910. Hier S. 1708. Die Verhandlungen des Reichstags sind online in der Blätterversion der Protokolle unter <www. reichstagsprotokolle.de/rtbiiauf.html> abrufbar. Über die hier angegebenen Informationen (Datum und Seite) können die betreffenden Stellen problemlos recherchiert werden, weshalb ich aus Platzgründen auf weitere Angaben verzichte.
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Bumm kritisierte, dass die Abgeordneten keine Belege für ihre Äußerungen anbrachten und forderte: „Mißstände [...] müßten aber erst nachgewiesen werden“. In der Tat bezog sich beispielsweise von Treuenfels keineswegs auf solide Hinweise, sondern auf recht persönliche Erfahrungen, die er zudem nicht konkretisieren konnte oder wollte. Er entgegnete, er könne theoretisch „genug“ Beispiele nennen, dürfe „aber nicht intime Familienverhältnisse hier von der Tribüne des Reichstags aus besprechen.“55 Das Parlament verabschiedete damals mit großer Mehrheit die durch von Treuenfels und 31 weiteren Personen eingebrachte Resolution, „den Reichskanzler zu ersuchen, baldmöglichst einen Gesetzeswurf vorzulegen, welcher bezweckt, den Mißbrauch narkotischer Arzneimittel wirksam zu verhindern, da diese Arzneimittel auf dem Wege des sogenannten Großhandels vielfach in die Hände unbefugter Personen gelangen und dem Morphinismus, Cocaïnismus sowie ähnlichen schwer krankhaften Erscheinungen zu einer höchst verderblichen Verbreitung verholfen haben.“56
Die Resolution wurde von rund der Hälfte der Deutsch-Konservativen Fraktion unterstützt, welche in der 12. Legislaturperiode die zweitstärkste Partei des Reichstags stellte.57 Bis auf einen Katholiken waren alle Unterzeichner Protestanten (teils lutherisch),58 außerdem fällt der mit fast 50 % der Beteiligten sehr hohe Anteil Adliger besonders ins Auge. Durch ihren beruflichen Hintergrund waren die Unterzeichner zumindest nicht dazu prädestiniert, diese Resolution zu verabschieden: Keiner der Unterzeichner war Arzt, Drogist o.ä.. Dies fällt besonders auf, weil jene Gruppe die Diskussion der späteren Jahre dominieren sollte. Vielmehr war (wie auch der Redner von Treuenfels) rund ein Drittel der Unterzeichner Rittergutsbesitzer und viele andere waren in der Landwirtschaft tätig; es gab auch einige Juristen. Damit lebten aller Wahrscheinlichkeit nach die wenigsten Unterzeichner dauerhaft in Großstädten. All dies sind, neben der Tatsache, dass von Treuenfels keine Belege für seine Äußerungen lieferte, Hinweise darauf, dass die Deutsch-Konservativen ihre Resolution keineswegs Sofern ich am Stück längere Passagen aus derselben Quelle zitiert habe, nenne ich im Folgenden jeweils nur zu Beginn die Referenz; die Angabe bezieht sich dann auch auf die weiteren Zitate bis zur Angabe einer anderen Quelle. Angaben zu Archivalien und Zeitungsartikeln habe ich bei Mehrfachnennung teilweise gekürzt. 55 StB, 04.03.1910, S. 1712. 56 StB 1909/1910, 4. Anlagen-Band, S. 1627, Aktenstück Nr. 293. 57 Die Unterzeichner waren: v. Treuenfels, Arendt (Labiau), Arnstadt, v. Bieberstein, v. Bolko, v. Bonin, v. Brockhausen, v. Byern, Grad v. Carmer-Osten, Graf v. Carmer-Zieserwitz, Dietrich, v. Elern, Euen, Feldmann, Dr. Giese, Glüer, Holtschke, Kreth, Metnz, Niederlöhner, v. Normann, v. Oldenburg, Pauli, (Potsdam), Perniock, v. Rautter, Freiherr v. Richthofen-Damsdorf, Rupp, Graf v. Schwerin-Löwitz, Dr. Wagner (Sachsen), Graf v. Westarp, Will (Stolp). 58 Auf die Bedeutung der protestantischen Ethik für die Entstehung des Drogenprohibitionsregimes hat bereits Holzer (2002) hingewiesen (vgl. Hoffmann 2005: 31f).
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auf eine solide Basis gestellt hatten. Die zeitliche Nähe zur Shanghaier Konferenz sei hier betont – auf einen inhaltlichen Zusammenhang weisen die Quellen allerdings nicht hin. Reichsgesundheitsamts-Präsident Bumm zeigte sich bezüglich der Kontrollmöglichkeiten kritisch: „Man wird nicht so weit gehen können, auch noch die Ärzte unter Kontrolle zu stellen, ob sie das Kokain nur zu erlaubten Zwecken verschreiben.“59 Seine Zweifel an der Wirksamkeit von Kontrollen fand Unterstützung bei einem Teil der Abgeordneten: „Ob freilich für alle Fälle sich wird verhüten lassen, daß Morphiumsüchtige das ersehnte Mittel sich verschaffen, scheint mir fraglich zu sein; denn es ist bekannt, daß gerade die Leute, die an Morphiumsucht und an Kokainsucht leiden, ungemein erfinderisch sind, sich in den Besitz der bezeichneten Mittel zu bringen. (Sehr richtig! rechts.)“60
An der Resolution selbst und ihrer Diskussion im Reichstag ist ein abwertender Tenor oder eine Stigmatisierung der Konsumenten nicht zu erkennen, es ging vielmehr darum, als gefährdet angesehenen Personen zu helfen. So betonte von Treuenfels, „daß leider Gottes unter den Ärzten eine große Menge Morphinisten sind“.61 Konsumierende Mediziner hielt er für gefährlich, Freigiebigkeit mit Betäubungsmittel-Rezepten für „gewissenlos“. In Bezug auf Morphinkonsumenten formulierte der Abgeordnete das Bild der Proselytenmacherei62: „Es ist ja leider Gottes der Fall, daß jeder Morphinist ein Proselitenmacher ist und immer diese Mittel anderen Leuten anzupreisen und noch mehr Leute in das Verderben hineinzuziehen sucht.“63
Mit Direktor Bumm präsentierte das Reichsgesundheitsamt sich als reflektierende Instanz, die die Verlässlichkeit von Informationen analysierte und eine kritische Bewertung der vorgetragenen Fälle vornahm. Der Hinweis auf verein59
StB, 04.03.1910, S. 1708. Zur Struktur des Kaiserlichen- bzw. Reichsgesundheitsamtes vgl. Hüntelmann (2006: 28-30). Betäubungsmittel wurden in Abteilung II (Medizinische Abteilung) des 1876 gegründeten Amtes bearbeitet. Aufgabe des RGA war die Beratung des Reichskanzlers in medizinischen Fragen; in Abteilung II wurden z.B. die Medizinalstatistik geführt und Gesetze vorbreitet. 60 Ergänzungen wie „Sehr richtig! rechts“ zeigen Kommentare im Reichstag an. Nur in wenigen Fällen ist für die Auseinandersetzung um Betäubungsmittel überliefert, dass das Auditorium auf Beiträge reagierte. 61 StB, 04.03.1910, S. 1707. 62 Unter Proselytenmacherei verstanden die Zeitgenossen das Überreden anderer Menschen – hier zum Konsum von Betäubungsmitteln. Klar definiert war der Begriff allerdings nicht. 63 StB, 04.03.1910, S. 1707. Als „Kokainisten“ oder „Morphinisten“ bezeichneten die Zeitgenossen Menschen, die die jeweilige Substanz konsumierten. Dabei wurde i.d.R. nicht zwischen gelegentlichem oder dauerhaftem Konsum unterschieden. Als „Kokainismus“ und „Morphinismus“ galten Zustände, die mit dem heutigen (ebenfalls diffusen) Verständnis von „Abhängigkeit“ identifiziert werden können (zur Geschichte der Sucht und ihrer Vorläufer z.B. Spode 1993; 2005).
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zelten als problematisch bewerteten Umgang mit Betäubungsmitteln löste im RGA Reflektionen aus, führte aber nicht zu Aktionismus oder Dramatisierung. Vielmehr nahm das Amt die Befürchtungen sehr ernst und ergriff große Anstrengungen, um sich selbst ein umfassendes Bild vom Betäubungsmittelkonsum im Deutschen Reich zu machen: Als Reaktion auf die Debatte und die Resolution sandte es am 25. Mai 1910 ein Schreiben an den Staatssekretär des Inneren, das zu einer reichsweiten Umfrage führen sollte.64 Berichterstatter Regierungsrat Dr. Rost beschrieb für das RGA zunächst die Rechtslage. Dass er diese nicht als bekannt voraussetzte, werte ich als Indiz für eine bis dato eher geringe Aufmerksamkeit für Betäubungsmittel, denn in den späteren Jahren wurden die Rahmenbedingungen in solchen Schreiben nicht mehr erläutert. Er unterstrich mit Bezug auf die Reichstagsdebatte, dass dem RGA „nennenswerte Mißstände“ bei der Großhandelsabgabe „nicht bekannt geworden“ seien. Das Amt zog eine „Verschärfung der bestehenden medizinalpolizeilichen Bestimmungen für Ärzte und Apotheker“ in Erwägung, sofern die Vorwürfe leichtfertiger Verschreibung sich erhärten würden. Vorläufig würden aber Hinweise an sie durch die Standesvertretungen sowie an die Hochschullehrer (zwecks Unterweisung der Ärzte in spe) genügen. Das RGA war demnach keineswegs geneigt, schnell restriktive Maßnahmen insbesondere gegenüber Medizinern zu ergreifen. Ein weiterer Auslöser für diese Umfrage war ein Bericht aus den Münchener Neuesten Nachrichten, der im März 1910 Aufmerksamkeit in den Behörden erregte und der Anfrage an die Länderregierungen beigelegt wurde. In dem Artikel mit dem Titel „Narkotika“ hieß es, „der Konsum und Mißbrauch“ der verschiedenen Drogen habe „auch bei uns in auffälliger Weise zugenommen“ und dabei handele es sich um eine „bisher sehr unterschätzte soziale Gefahr“.65 Die Ermittlungen bei den Landesbehörden liefen unter dem Betreff „angebliche Mißstände im Verkehr mit narkotischen Arzneimitteln“, was zeigt, dass die von Bumm in der Debatte geäußerte Skepsis die Haltung des Reichsgesundheitsamtes wiedergab. Etwa ein Jahr später hatte sich diese Wahrnehmung geändert. Eine Besprechung im Juni 1911 thematisierte bereits „die in Deutschland im 64
R 86/5073, RGA an Staatssekretär des Inneren, 25.05.1910. Dies war nicht die erste Umfrage zum Thema Betäubungsmittel. 1904 erschien ein Bericht in der Deutschen Drogisten Zeitung, der beschrieb, Kinder würden (v.a. von Fabrikarbeiterinnen) mittels eines Aufgusses aus reifen Mohnkapseln ruhig gestellt. Dieser „Mißbrauch [sei] stark verbreitet“ und habe in manchen Fällen zum Tode geführt. Daraufhin erfolgte im Juli 1904 eine Umfrage des Reichsgesundheitsamtes zur Verbreitung des genannten Vorgehens; die Antworten der anderen Länderregierungen bestätigten die Darstellung allerdings nicht (BArch R 1501/110307, Der Verkehr mit reifen Mohnkapseln). Der Bericht in der Fachzeitschrift ging im Übrigen auf eine Veröffentlichung in der „Nord. Allg. Ztg.“ zurück. 65 Narkotika, 10.03.1910. Im anschließenden Unterkapitel wird der Artikel ausführlich analysiert.
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Verkehr und in der Abgabe von narkotischen Arzneimitteln beobachteten Mißstände“.66 Wie es zu dieser Wandlung kam, zeigt die folgende Analyse der Umfrageergebnisse von 1910. Hervorzuheben ist, dass auch hier nicht von Missständen in Bezug auf Konsumenten die Rede war. Die Antworten der Landesregierungen wurden im RGA in zwei Etappen ausgewertet, da der Bericht Preußens auf sich warten ließ. Dies ist für die Analyse der Problemwahrnehmung interessant, denn nach Eingang der preußischen Angaben kam es zu einer veränderten Beurteilung der Lage. In der ersten Interpretation wurden die Ergebnisse zur Rundfrage durch das Reichsgesundheitsamt sehr relativierend zusammengefasst: „1. Nirgends bestanden wirkliche grobe Mißstände im Verkehr mit Morphin und Cocain“,67 teilweise sei „sogar ein Rückgang in der Abgabe“ beobachtet worden. Zur Verbreitung des Konsums hieß es: „Andererseits wird nicht geleugnet, daß jetzt wie auch früher Morphinisten nicht selten sind.“68 Hierbei handele es sich häufig um Ärzte und andere Medizinalpersonen und deren Konsum lasse sich „auch bei schärferen Vorsichtsmaßregeln naturgemäß nicht verhindern“.69 Fälle von Großhandelsbezug seien „nur vereinzelte Erscheinungen“, ebenso Verstöße gegen Vorschriften durch Apotheker oder Ärzte.70 Hinsichtlich der im Artikel „Narkotika“ aufgestellten Behauptungen hieß es: „Daß die in einigen Tageszeitungen erwähnten Cafés u. dergl. in Großstädten bestehen, in denen besonders Mitglieder der besseren Gesellschaft sich Morphiumeinspritzungen vornehmen lassen, wird als den Tatsachen nicht entsprechend bezeichnet.“71
Als Kontrollmaßnahmen zogen die Länderregierungen in Erwägung, den Kleinvertrieb auf Apotheken zu beschränken. „Fast einstimmig“ waren sie der Meinung, Verschärfungen gegen Mediziner seien „nicht nur nicht erforderlich, sondern als eine ungerechtfertigte Beschränkung“ ihrer Befugnisse anzusehen. Anders als in späteren Jahren, in denen der Weg restriktiver Kontrollen nicht
66 BArch R 86/5073, Aufzeichnung über das Ergebnis der am 8. Juni 1911 im Reichsamt des Innern abgehaltenen kommissarischen Beratung, betreffend die in Deutschland im Verkehr und in der Abgabe von narkotischen Arzneimitteln beobachteten Mißstände, III B 3742. 67 BArch R 86/5073, Über angebliche Mißstände im Verkehr mit Morphin und Cocain und etwa dagegen zu ergreifende Maßnahmen, zu I 553/ii. 68 BArch R 86/5073, RGA an Staatsekretär des Inneren, 01.04.1911. 69 BArch R 86/5073, Über angebliche Mißstände (…), S. 2. 70 BArch R 86/5073, RGA an Staatsekretär des Inneren, 01.04.1911. Als Bezugsquelle wurde ferner der illegale Erwerb durch Rezeptbetrug mittels Verwendung alter Rezepte, Fälschung von Rezepten oder von Rezeptblöcken hervorgehoben. Auch Bestellungen aus dem Ausland wurden als Quelle genannt sowie der Bezug aus Versandgeschäften in einzelnen Großstädten (angeführt wurden Berlin und Hamburg). 71 BArch R 86/5073, Über angebliche Mißstände (…), S. 5.
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mehr reflektiert wurde, dachte man hier noch an potenzielle Nebenwirkungen, etwa „daß alle schärferen Bestimmungen leicht dazu führen könnten, daß die vorher vereinzelten Fälschungen durch Morphiumsüchtige vermehrt betrieben werden und ähnlich wie beim Sacharin Schleichwege der verschiedenen Art begangen werden.“72
Auch der Autor des Artikels aus den Münchener Neuesten Nachrichten hatte angemerkt, es gebe „so viel Mittel und Wege, sich [Narkotika; A.H.] zu verschaffen, daß alle bezüglichen Vorschriften ziemlich hinfällig sind. Wo Geld vorangeht, sind alle Wege offen.“73
Derartige Zweifel wurden in der Zeit vor Einführung des ersten deutschen Betäubungsmittelgesetzes wiederholt vorgetragen; in den späteren Jahren wurden sie kaum noch artikuliert, was m.E. die Verfestigung des Wahrnehmungskokons widerspiegelt und zeigt, dass die restriktive Kontrolle von Betäubungsmitteln sich damals als einzig vorstellbarer Weg etablierte. Das Oldenburgische Ministerium des Inneren bezeichnete es als „Übelstand“, wenn sich z.B. Krankenschwestern in Kliniken ohne eigene Apotheke Betäubungsmittel verschaffen könnten.74 Der Berichterstatter fügte an: „Ich werde hierauf dadurch aufmerksam, daß innerhalb einiger Jahre drei Fälle von Morphiumsucht bei Krankenschwestern mir bekannt wurden.“ Sein Kommentar zeigt, wie persönlich gefärbt manche Einschätzungen der Landesregierungen waren – ein Umstand, dem wir auch schon in der durch von Treuenfels ausgelösten Reichstagsdebatte begegnet sind. Verallgemeinerte und häufig sensationell aufgebauschte Einzelfälle konnten das Bild leicht prägen.75 Ferner wurde der Konsum v.a. „besseren Kreisen“ zugeschrieben, wie wir der Mitteilung aus Lübeck entnehmen können.76 So weit zur ersten Zusammenfassung, bei der die Stellungnahme Preußens noch fehlte. Es zeigt sich, dass die Beschreibungen weitgehend undramatisch und nicht problematisierend waren. Aus dem größten Einzelstaat ging neben einer eigenen Interpretation eine 22 Seiten umfassende handschriftliche Tabelle ein,
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BArch R 86/5073, Über angebliche Mißstände (…), S. 7. Narkotika, 10.03.1910. 74 BArch R 86/5073, 01.09.1910, Oldenburgisches Ministerium des Inneren. 75 Die Prägekraft von Einzelfällen beschreiben auch Linder und Ort (1999: 5). Für die Auseinandersetzung mit Drogen weist Quensel (1996: 34), darauf hin, dass „Drogenlügen“ auch heute u.a. durch unzulässig generalisierte Einzelfälle geprägt werden (vgl. Reinarman/Duskin 1992: 11; Schetsche 2008: 132). 76 BArch R 86/5073, K.G.A. zu I 3404/10, Anlage 23, 25.08.1910. 73
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in der die Antworten der Regierungen der preußischen Gebiete eingetragen waren.77 Das Fazit hierzu lautete, „daß in der Tat in vielen Bezirken Mißstände beobachtet [worden] sind, denen im Interesse des Volkswohls entgegengetreten werden muß.“78
Die umfassende Tabelle ermöglicht eine eigene Bewertung der Antworten. Differenziert nach Schwere des beschriebenen Vorkommens gingen 21 der 37 Antworten von geringen oder gar keinen Unregelmäßigkeiten aus.79 Hingegen berichteten 14 Regierungen von Problemen. Demnach beschrieb auch in Preußen die überwiegende Mehrheit der Bezirke nur geringe Missstände. Eine genauere Analyse jener 14 Antworten, die ein Problem uneingeschränkt bejahten, zeigt, dass es sich nie um dramatische Situationen, nie um ein gehäuftes Vorkommen gehandelt hatte. Nur eine einzige – die Düsseldorfer Regierung – antwortete, man habe „viele Mißstände festgestellt“ und führte aus: „Viele Apotheker geben Morphium ohne Rezept ab oder wiederholen es. Auch Fälschungen von Rezepten sind beobachtet. Vielfach führen die Drogisten Alkaloide in Geheimschränken, als einer hierbei erfasst wurde, erklärte er, die Strafe (…) gehöre eben zu den Geschäftsunkosten, die getragen werden müszten. Fast alle Gemeinde- und Krankenschwestern führen Narkotika und verabreichen den Kranken Injektionen.“80
Ein Glücksfall für unsere Analyse ist, dass wir zur Umgebung Düsseldorfs über eine der detailliertesten zeitgenössischen Untersuchungen verfügen. 1925 wurde der Mediziner Walter Jacob für seine Arbeit Zur Statistik des Morphinismus in der Vor- und Nachkriegszeit promoviert. Diese beruhte auf einer (für damalige Verhältnisse umfassenden) Erhebung im Landeskrankenhaus Grafenberg bei Düsseldorf, deren Material sich über 15 Jahre erstreckte und das Jahr 1910 mit einschloss. Zwei der Ergebnisse Jacobs sind für uns wichtig: Von 1910 bis 1924 wurden in der geschlossenen Anstalt Grafenberg 67 unterschiedliche Personen wegen Morphinismus aufgenommen (Jacob 1925: 221).81 Es handelt sich hier also keineswegs um eine besonders hohe Fallzahl, betrachtet man den Jahresdurchschnitt von 4,5 Aufnahmen. Genussstreben führt Jacob in neun Nachkriegsfällen als Ursache des Morphinismus an; für die Vorkriegszeit nennt er keinen einzigen derartigen Fall. Zwar darf aus der Erhebung nicht gefolgert werden, dass alle Fälle im Raum Düsseldorf erfasst wurden. Wir können aber 77
BArch R 86/5073, Tabelle ohne Aktenzeichen. BArch R 86/5073, Anlage zum Schreiben vom 30.03.1911. Keine Probleme beschrieben zwei, ein Aufkommen nur in den Städten drei Regierungen; in 16 Bereichen seien nur wenige Missstände aufgefallen. 80 BArch R 86/5073, Tabelle ohne Aktenzeichen. Hier Eintrag Nr. 33 (Düsseldorf). 81 Die Ergebnisse en detail sind nachzulesen bei Jacob (1925: 221-230). Eine weitere Auseinandersetzung mit Jacob bei Hoffmann (2005: 86f). 78 79
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ausschließen, dass Jacobs auf weitere im Umkreis der Stadt bekannt gewordene Fälle nicht hingewiesen hätte, da seine Untersuchung sehr gründlich ist. Daher bin ich der Ansicht, dass der Rahmen, den diese Zahlen vorgeben, auch der Basis der Einschätzung der Düsseldorfer Regierung entspricht. Die Diskrepanz zwischen deren Einschätzung, in ihrem Bezirk habe man viele Missstände festgestellt, und der Analyse der Grafenberger Aufnahmen ist offensichtlich und zeigt, dass die Zeitgenossen bereits bei Einzelfällen von problematischer Verbreitung sprachen. Zu Preußen lautete das Resümee des Reichsgesundheitsamtes, es habe dort „erhebliche Mißstände“ gegeben.82 An anderer Stelle hieß es, „daß in zahlreichen Bezirken Preuszens Misstände im Verkehr mit Morphin beobachtet worden sind. Hiernach scheinen die Verhältnisse in Preuszen anders als in den übrigen Bundesstaaten zu liegen. Das Material der Zusammenstellung gibt jedoch keine Unterlagen, um (…) den Umfang des unnötigen Morphiumgenusses in Preuszen festzustellen oder nachzuweisen, inwieweit der Morphinismus in Preuszen häufiger ist als in den übrigen Teilen des Reichs.“83
Für die Entwicklung des Problemverständnisses ist interessant, dass in einer frühen Fassung des Schreibens geäußerte Zweifel an der potenziellen Wirksamkeit von Kontrollen (etwa dazu, ob man Bezug aus dem Ausland überhaupt verhindern könne) gestrichen wurden. Wie es zu diesem wichtigen Schritt kam, ist nicht überliefert. Fiel die kritische Reflektion der Maßnahmen schlicht aufgrund redaktioneller Änderungen heraus oder fand hierzu eine Diskussion statt? Hier stößt die Analyse der Problemgenese leider an ihre Grenzen. Aus heutiger Perspektive ist zentral, dass von einem Schwarzmarkt aus keinem Bezirk berichtet wurde. Aus Berlin hieß es, man habe „Mißstände festgestellt“: Ärztliche Verordnungen seien gefälscht worden und Bezug aus Apotheken und Drogenhandlungen sei vorgekommen.84 Hervorzuheben ist ferner, dass sich keiner der Berichte auf hedonistischen Konsum von Drogen bezog und dass Kokain 1910 keine herausragende Rolle spielte. Zwar ging es um die Perspektive der Sucht, aber die Berichterstatter werteten die Konsumenten nicht ab, auch nicht moralisch. Der wiederholt beschriebene Bezug aus Großhandlungen wurde als abzustellender Missstand bezeichnet. Anzumerken ist, dass die Möglichkeit, Betäubungsmittel ohne weitergehende Kontrolle en gros zu beziehen, auch dem sonstigen rechtlichen Umgang mit den Substanzen entgegen stand, denn sie hebelte die zur Kontrolle 82
BArch R 86/5073, III B 3742, Aufzeichnung über das Ergebnis der am 8. Juni 1911 im Reichsamt des Innern abgehaltenen kommissarischen Beratung, betreffend die in Deutschland im Verkehr und in der Abgabe von narkotischen Arzneimitteln beobachteten Mißstände. Hier S. 5. 83 BArch R 86/5073, Bericht zum Bericht Preussens, Berlin, 27.04.1911. 84 BArch R 86/5073, Tabelle ohne Aktenzeichen. Hier Eintrag Nr. 6, Berlin.
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eingeführte Rezeptpflicht aus. In Hinblick auf die heute vertretene These, eine erleichterte Zugänglichkeit von Drogen führe zu einem erhöhten Konsum, kann man allerdings anmerken, dass in Deutschland selbst zu Zeiten, in denen man Opiate und Kokain über den Großhandel und damit theoretisch ohne gravierende Einschränkungen beziehen konnte, offensichtlich kein verbreiteter Konsum stattgefunden hat (bzw. dass dieser sozial integriert verlief, da er den Behörden nicht bekannt war). Von Auffälligkeit Einzelner, von Arbeitsunfähigkeit, Drogenszenen, Drogentoten oder anderen Phänomenen, die heute einem problematischen Umgang mit Betäubungsmitteln zugeschrieben werden, berichtete 1910 keine der deutschen Landesregierungen; die beschriebenen Missstände beziehen sich lediglich auf die Art der Abgabe. Einen Einblick in die Wirkung der Reichstagsdebatten auf die heutige Wahrnehmung gibt die Analyse Jan Wriedts (2006: 45-48). Der Jurist konzentriert sich in seiner Darstellung auf die Diskussion im Reichstag, gibt dabei aber v.a. die dramatisierenden Aussagen wieder und blendet die kritische Reflektion Bumms weitgehend aus. Wriedt führt an, es habe „damals vermehrt Berichte über den Missbrauch von narkotischen Arzneimitteln“ gegeben und stellt die Äußerungen der Reichstagsabgeordneten als Tatsache dar (Wriedt 2006: 45f). Den staatlichen Umgang mit Betäubungsmitteln bewertet er als nachlässig – die Reaktionen seien nicht angemessen gewesen, „obwohl mittlerweile selbst im Reichstag über den stark ansteigenden Missbrauch narkotischer Arzneimittel diskutiert wurde“ (Wriedt 2006: 48). Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig eine Differenzierung zwischen dem Diskurs um Betäubungsmittel und den konsensualen Sachverhalten ist. Die Diskussion im Reichstag beweist, dass es 1910 eine beginnende Problematisierung des Betäubungsmittelkonsums in Deutschland gab – mehr aber auch nicht. Die Umfrage lässt einen Blick auf die konsensualen Sachverhalte zu und diese beziehen sich lediglich auf die Form der Abgabe, aber in keiner Weise auf einen Missbrauch im heutigen Sinne. Daher sind die Reaktionen des Reichsgesundheitsamtes m.E. als reflektiert und sachlich zu bezeichnen. Hier einen „Missstand (…) durch die fehlende staatliche Kontrolle“ zu konstruieren (Wriedt 2006: 46), entspricht der Wahrnehmung des Abgeordneten von Treuenfels, aber nicht einer kritischen Quellenanalyse. 1.1.3 Die Konferenz von Den Haag 1912 und ihre Ratifizierungskonferenzen Im Folgenden wird untersucht, welche Ziele die deutschen Vertreter im Kontext der Konferenz in Den Haag 1911/1912 verfolgten, auf der erstmals ein internationales Abkommen geschlossen wurde, das sich die Beschränkung von Opiaten und Kokain auf „den medizinischen und gesetzmäßigen Gebrauch“ zum Ziel
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setzte.85 Bislang geht die Forschung (wie oben beschrieben) diesbezüglich übereinstimmend von einer rein ökonomisch orientierten Strategie aus. Hier wird gezeigt, dass die vom deutschen Staat verfolgten Interessen bereits im Kontext der Haager Konferenz ausgesprochen vielschichtig waren. Deutschland beteiligte sich an den Diskussionen um die neu aufgeworfene Opiumfrage v.a., um sich außenpolitisch nicht zu isolieren, wobei wirtschaftliche und außenpolitische Interessen teilweise Hand in Hand gingen. Dies zeigt z.B. die „Aufzeichnung über die Stellung Deutschlands zu dem Programm der (…) internationalen Konferenz zur Regelung des Verkehrs mit Opium, Morphium und Kokain“: „Ein Widerstand Deutschlands gegen eine die chinesische Regierung in ihrem Kampfe gegen das Opiumlaster unterstützende internationale Regelung der Frage würde von China als Unfreundlichkeit aufgefaßt werden und eine Schädigung unserer Position bei dem allgemeinen Wettbewerb um den wirtschaftlichen Einfluß in China herbeiführen.“86
Ferner wurde „die Rücksicht auf das allgemein menschliche Interesse“ der Ziele, also humanitäre Fragen, als Argument für eine Kooperation angeführt. Man wollte „nicht retardierend auf die Konferenzberatungen einwirken“, sondern müsse ihnen „bereitwillige Mitarbeit widmen“. 87 Offen bleiben muss hier, ob dies aus Überzeugung geschah oder mit dem Ziel einer positiven Außendarstellung. Bei alldem vergaß man im AA nicht die staatseigenen Interessen (Sicherstellung des „freien Bezuges“ der Rohsubstanzen für die Industrie). In Hinblick auf die Problemwahrnehmung ist entscheidend, dass der Opiumfrage bezogen auf das eigene Land keine besondere Bedeutung beigemessen wurde. Berücksichtigt wurde ferner die Tatsache, dass die genannten Betäubungsmittel in der Medizin eine bedeutende Rolle spielten, schließlich würden diese „in Deutschland und in seinen Schutzgebieten als Arzneimittel gebraucht“. Man kann also keineswegs sagen, dass das Reich nur ökonomische Ziele verfolgte, vielmehr begegnen wir einem Interessenkonglomerat, das seine Haltung zur Opiumfrage beeinflusste. Am 9. November 1911 fand eine „Besprechung über die auf der Internationalen Opium-Konferenz in Haag zu erörternden Fragen und über die unseren Delegierten zu erteilenden Instruktionen“ statt. Deren geheimes Protokoll umfasst 28 Seiten und stellt uns zunächst jene 14 Personen vor, die an der Unterredung teilnahmen: Vor Ort waren Dr. von Koerner (Direktor des Auswärtigen Amtes) 85
Internationales Opiumabkommen, Reichsgesetzblatt (RGBl) 1921, S. 22. PA AA R 97828, Aufzeichnung über die Stellung Deutschlands zu dem Programm der am 1. Dezember d. J. in Haag zusammentretenden internationalen Konferenz zur Reglung des Verkehrs mit Opium, Morphium und Kokain, 07.11.1911, S. 3. 87 PA AA R 97828, Aufzeichnung über die Stellung Deutschlands (…), S. 4. 86
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sowie fünf weitere Vertreter des AA, sodann der geheime Oberregierungsrat Delbrück aus dem RMI und der Direktor des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, Dr. Kerp. Schließlich waren Vertreter des Reichskolonial-, des Reichspost und Reichsschatzamtes sowie des königlich Preußischen Ministeriums des Innern beteiligt. Demnach waren teils hochrangige Vertreter anwesend. Viele Behörden waren vertreten, dominiert wurde die Beratung aber von den Vertretern des Auswärtigen Amtes, in deren Räumen die Sitzung stattfand.88 Herr Lehmann als Vertreter des AA bemerkte: „[W]enn auf der Konferenz nichts zustande käme, so wäre dies für uns das Beste, denn wir hätten kein Opiumlaster. Indessen wollten wir nicht das Odium auf uns nehmen, die Reform verhindert zu haben.“89
Als Odium – also Makel oder Schande – wurde die Verantwortung für ein mögliches Scheitern der Konferenz interpretiert und damit wird klar: Die Eckpunkte der Taktik waren durch das Interesse an außenpolitischer Integration gesteckt; nur in diesem Rahmen verfolgte man weitere Ziele wie den Schutz der Wirtschaft und die Versorgung mit Arzneimitteln. Darüber hinaus belegt allein schon die Teilnahme an der Konferenz, dass das Reich auf außenpolitische Integration bedacht war. Schließlich wäre es möglich gewesen, eine Mitarbeit von vorneherein abzulehnen, wie es z.B. die Türkei getan hatte, „da sie Übelstände, deren Bekämpfung Gegenstand der Konferenz sein würde, nicht zu beklagen habe und auch einer Einschränkung des Mohnbaus oder Opiumhandels nicht zustimmen könne.“90
Auch im Verlauf der Konferenz (im Rahmen einer geheimen Besprechung am 30. Dezember 1911 zu einem in Den Haag entwickeltem Entwurf) hieß es zu der Frage einer möglichen Ablehnung, es sei „auch die politische Seite zu berücksichtigen, welche es nicht erwünscht erscheinen lasse, daß wir allein den Bestrebungen Chinas entgegenträten.“91 Der außenpolitischen Darstellung des Landes wurde in den folgenden Jahren vor allem Rechnung getragen. Es steht außer Frage, dass Deutschland versuchte, seine Industrie vor finanziellen Einbußen durch die Reglementierung des Betäubungsmittelverkehrs zu schützen: 88
Ich bin der Ansicht, dass das AA die Federführung in diesen Beratungen hatte, weil die Opiumfrage damals v.a. als außenpolitisches Thema behandelt wurde. Ein konkreter Auftrag an das AA von höherer Regierungsstelle die Beratungen zu leiten o.ä. ist mir aber nicht bekannt. 89 BArch R 1001/6819, S. 197. Protokoll der Besprechung über die auf der Internationalen OpiumKonferenz in Haag zu erörternden Fragen und über die unseren Delegierten zu erteilenden Instruktionen. Einige der Protokolle sind im Konjunktiv verfasst und werden hier entsprechend zitiert. 90 PA AA R 97828, Aufzeichnung über die Stellung Deutschlands (…), S. 1. 91 BArch R 1001/6820, S. 5.
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„Unsere Delegierten werden nur im Auge zu halten haben, (…) daß dem Handel nicht unbillige, in keinem Verhältnisse zur Bedeutung der Sache stehende Erschwerungen bereitet werden.“92
An anderer Stelle hieß es: „Wir sind (…) nicht geneigt, Maßregeln zuzustimmen, die geeignet sind, die chemische und pharmazeutische Industrie in Deutschland und den deutschen Handel mit derartigen Produkten in weiterem Umfange zu benachteiligen, als dies nach Lage der Dinge unbedingt notwendig ist.“93
Diese in den Instruktionen an die Delegierten für Den Haag formulierte Haltung war allerdings kein reiner Wirtschaftsprotektionismus, sondern betraf auch ureigene Interessen des Staates, denn die Wünsche der Industrie deckten sich in mehrfacher Hinsicht mit jenen des Reiches: Erstens sicherte Deutschland sich so Steuereinnahmen und zweitens spielte die Versorgung mit den Substanzen eine wichtige Rolle, wie aus Instruktionen an die Delegierten hervorgeht: „Deutschland hat (…) an dem – auch in Kriegszeiten – sicheren Bezuge dieser Droguen in den erforderlichen Mengen ein erhebliches Interesse.“94
Zu berücksichtigen ist ferner, dass die große Bedeutung finanzieller Fragen bei der Abwägung der Strategien von den Zeitgenossen nicht als unangemessen bzw. unmoralisch angesehen wurde, was dem Stand der Problemwahrnehmung entsprach.95 Eindeutig ist, dass die pharmazeutische Industrie großen Einfluss auf die Betäubungsmittelpolitik hatte und dass der deutsche Staat ihr diesen bereitwillig einräumte, indem Vertreter der pharmazeutischen Industrie regelmäßig zu Beratungen geladen wurden. Dies war aber zunächst keineswegs ein Privileg der pharmazeutischen Industrie, auch der Großhandel oder Reedereien wurden anfangs zu Beratungen eingeladen. 96 92
PA AA R 97828, Aufzeichnung über die Stellung Deutschlands (…), S. 3. PA AA R 97828, Geheime Instruktionen an die Haager Delegation vom November 1911; Abschrift Nr. II.U. 80484, S. 4. 94 PA AA R 97828, Geheime Instruktionen an die Haager Delegation vom November 1911, S. 3. Im Original heißt es „diese“: ich habe kleinere Fehler, die nicht aussagekräftig waren, stets korrigiert. „Droguen“ hingegen ist entweder eine zeitgenössische Schreibweise oder sie könnte ein Fehler sein und andeuten, dass der Begriff noch nicht allgemein bekannt war (üblich war die Schreibweise „Drogen“). Daher habe ich, wie auch sonst bei zeitgenössischer Rechtschreibung, auf eine Korrektur verzichtet. 95 Die Opiumfrage war für die meisten Akteure gerade auch eine Geldfrage, etwa für die Türkei als Opiumproduzenten oder England als Händler. Auch in China spielten Einkünfte aus Betäubungsmitteln eine nicht unbedeutende Rolle auf politischer Ebene (PA AA R 43384, Abschrift zu III R 1148/25/1180, 19.12.1925). 96 BArch R 1001/6819, S. 166f. Bei einer Vorbesprechung zur Haager Konferenz am 24.10.1911 waren diverse Vertreter der Industrie beteiligt. Neben Sachverständigen teils namhafter Firmen wie 93
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Als programmatisch kann die Stellungnahme des Direktors des Auswärtigen Amtes, Dr. von Koerner, gewertet werden, der zur Eröffnung der Sitzung vom 9. November folgende Grundposition darstellte: „Am Verbrauch des Opiums für Genußzwecke seien wir wenig beteiligt. Wir hätten aber ein wesentliches Interesse daran zu verhindern, daß unserer pharmazeutischen und chemischen Industrie und unserem Handel Fesseln auferlegt würden, die nicht unbedingt nötig seien. Wenn wir zu dem Resultat kommen sollten, daß einzelne Vorschläge für uns unannehmbar seien, so würde es die Aufgabe unserer Vertreter auf der Konferenz sein, unsere Haltung dort nicht so erscheinen zu lassen, als ob wir das etwaige Scheitern der Konferenz veranlasst hätten und China in seinem Bestreben nach Unterdrückung des Opiumlasters entgegentreten wollten.“97
Die Instruktionen an die Delegierten für die Konferenz stellten eine Art Wunschfahrplan dar, der tatsächlich die industriellen Interessen in den Mittelpunkt rückte. In der Praxis wich man aber weit von diesem ursprünglichen Programm ab und zeigte sich deutlich kooperativer. Holzer (2002: 98) vertritt die These, Deutschland habe „die amerikanischen Vorschläge der strengen internationalen Kontrollen“ für „schlicht unnötig“ gehalten, da es mit seinen eigenen Regelungen „zufrieden“ gewesen sei. Warum man keinen Bedarf für weitergehende Maßnahmen sah, erörtert er allerdings nicht eingehend. Die Strategien Deutschlands lassen sich m.E. nur schlüssig erklären, wenn man die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums und den Stand der Problematisierung berücksichtigt. In einer Aufzeichnung im Vorfeld zur Haager Konferenz hieß es, die Stellung Deutschlands ergebe sich erstens daraus, dass der „Opiumgenuß bzw. der Morphinismus und der Kokainismus (…) als Allgemeinübel in Deutschland nicht in Frage“ kämen.98 Das „Opiumlaster“ finde sich lediglich in den deutschen Kolonien, wo es „mit dem Ziele der völligen Ausrottung bekämpft“ werde. Dr. von Koerner resümierte im Januar 1912 im Hinblick auf die ausstehende Unterzeichnung des Abkommens, „die Sache sei für unsere Verhältnisse so wenig notwendig und andererseits bringe sie so große Gefahr für unsere Industrie, daß wir wissen müßten, was die anderen getan hätten.“99 Auf Deutschland selbst bezogene gesundheitspolitische Fragen spielten demnach in den Erwägungen keine Rolle. Da man bis dato nicht von einer relevanten Problemlage ausging, legte das Reich den Schwerpunkt Merck oder dem Norddeutschen Lloyd waren der Verein zur Wahrung der Interessen der chemischen Industrie in Deutschland, der Deutsche Apothekerverein und der Zentralverein Deutscher Rheder vertreten. 97 BArch R 1001/6819, S. 197. Vgl. PA AA R 97828. 98 PA AA R 97828, Aufzeichnung über die Stellung Deutschland zu dem Programm der am 1. Dezember d. J. in Haag zusammentretenden internationalen Konferenz zur Reglung des Verkehrs mit Opium, Morphium und Kokain, S. 2f. 99 PA AA R 97828, Geheimes Protokoll der Besprechung vom 04.01.1912 im AA, S. 34.
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seiner Interessen verständlicherweise nicht in den gesundheitspolitischen Bereich und es war Raum, auch taktische – außenpolitische bzw. finanzielle – Ziele zu verfolgen. Halten wir zur Haager Konferenz fest: Schon kurze Zeit nach den grundlegenden Infragestellungen von 1909/1910 war es Konsens, dass an der Konferenz teilgenommen werden sollte. Auch darüber, dass sie die Unterdrückung des Opiumkonsums prinzipiell unterstützten, waren sich die auf deutscher Seite Beteiligten einig. Diese sich Ende 1911 vollziehende Wandlung markiert einen wichtigen Schritt der Problembeurteilung in Deutschland und ist v.a. auf den Willen einer positiven Außendarstellung des Reiches zurückzuführen. Deutschland definierte seine Ziele in der Betäubungsmittelfrage von Beginn an primär unter außenpolitischen Gesichtspunkten, erst danach kamen wirtschaftliche Interessen zum Tragen, aber auch andere Fragen spielten eine untergeordnete Rolle. Die Beteiligung stand nicht unter der Voraussetzung, dass man ein Problem im eigenen Land angenommen hätte. Dass mit Maßnahmen, die offiziell zur Bekämpfung eines sozialen Problems ergriffen wurden, auch andere Ziele verfolgt wurden, ist keineswegs ungewöhnlich. Auch Groenemeyer (1999: 130) betont: „politische Maßnahmen können durchaus andere Funktionen erfüllen oder Ziele verfolgen, als ihre Programmatik in Bezug auf die Bearbeitung sozialer Probleme angibt.“ Er hebt besonders die „Funktion der Herstellung symbolischer Ordnung“ hervor, die institutionelle Arrangements und rechtliche Verfahren im Feld sozialer Probleme innehaben (Groenemeyer 1999: 132). Deutschland unterschrieb das Abkommen von Den Haag unter dem Vorbehalt, dass eine Ratifizierung nur angängig sei, sofern alle anderen Staaten bis zum 31. Dezember 1912 ebenfalls gezeichnet hätten. Ansonsten sollten Ratifizierungskonferenzen einberufen werden. So schien ein ausgewogenes Ergebnis erzielt worden zu sein, das politische und wirtschaftliche Eigeninteressen sowie die Wünsche anderer Staaten angemessen berücksichtigte. Es greift also zu kurz, wenn Selling (1989-2: 284) schreibt, das Reich sei „unfreiwillig in das sich entwickelnde System der internationalen Drogenverfolgung eingegliedert“ worden. Deutsche Regierungsvertreter hatten das Abkommen, wenn auch unter Druck, so doch ohne direkten Zwang unterzeichnet. Die Ausgangsintention des Haager Abkommens – das Prinzip der Kontrolle von Opium – lehnte das Reich keineswegs ab, wie man der „Aufzeichnung über die Stellung Deutschlands“ zum Haager Programm entnehmen kann:
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„Das von der Amerikanischen Regierung (…) aufgestellte Programm hat im allgemeinen die grundsätzliche Zustimmung der beteiligten deutschen Ressorts, Missionen und Schutzgebietsverwaltungen gefunden. Ebenso sind [von deutscher Seite; AH] gegen den großbritannischen Vorschlag (…) Einwendungen nicht erhoben worden.“100
In den Jahren nach der Konferenz kam im Hinblick auf die Ratifizierung des Abkommens zum schon zuvor erwogenen steuerpolitischen Interesse eine Angst vor Abwanderung der eigenen Industrie hinzu. Dem geheimen Protokoll einer Besprechung im Vorfeld der zweiten Ratifizierungskonferenz können wir entnehmen, dass das Reich sich zu einer Umsetzung der Konvention nicht „in der Lage“ sah: Ein Inkraftsetzen sei „aus Rücksicht auf unsere Industrie (…) nicht angängig“.101 An der Sitzung nahmen zehn Personen teil, es sprach aber fast ausschließlich der Vorsitzende Dr. Grunewald aus dem AA. Für das RMI meldete sich nur Dr. Albert zu Wort.102 Dies zeigt, wie sehr die Haltung des AA die damalige Strategie dominierte. Hintergrund der Rücksichtnahme war, dass man eine „Abwanderung unserer einschlägigen Industrie“ in die Nachbarstaaten oder das „Entstehen einer schädigenden Konkurrenz“ in „durch keine Kontrollmaßregeln eingeengten“ Ländern befürchtete. Neben diesen finanziellen Interessen argumentierte man aber auch mit der Logik des Haager Abkommens: Wenn Deutschland schon ohne eigenes Interesse und unter Einschränkung seiner Industrie „im Hinblick auf die allgemeinen humanitären, auf mögliche Beseitigung des Missbrauchs der genannten Drogen in anderen Ländern gerichteten Bestrebungen“ das Abkommen ratifiziere, „so müsse jedenfalls eine Garantie geschaffen sein, daß alle in Betracht kommenden Länder die gleichen Verpflichtungen übernehmen, um zu verhindern, daß unsere Industrie einseitig geschädigt werde, ohne daß der Zweck der Konferenz erreicht werde“.103
Trotz dieser eindeutig ökonomischen Motivation gaben außenpolitische Erwägungen aber weiterhin den Handlungsrahmen vor: Deutschland nahm an den 100
PA AA R 97828, Aufzeichnung über die Stellung Deutschlands (…), S. 3. BArch R 1001/6821, S. 91-97. Geheime Aufzeichnung über die am 29. Mai 1913 im Auswärtigen Amt abgehaltene Besprechung über die Stellungnahme zur (…) Einladung zu einer neuen Opiumkonferenz im Haag. A II 1166/13. Hier S. 93. 102 Die zehn Beteiligten waren Vertreter von AA, RMI, Reichskolonialamt, Reichspostamt, Reichsschatzamt, Reichsmarineamt, Königlich Preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe und vom Königlich Preußischen Ministerium des Innern. Es war keiner der Beteiligten explizit für das Reichsgesundheitsamt anwesend und auch zur Ratifizierungskonferenz war kein Delegierter aus dem RGA gesandt worden. 103 BArch R 1001/6821, Geheime Aufzeichnung (…), S. 92. 101
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Ratifizierungskonferenzen teil, denn es wollte (wie zuvor) nicht dafür verantwortlich sein, „die Bestrebungen zur Unterdrückung bestehender Missstände zum Scheitern gebracht zu haben“.104 Sollten die anderen Staaten das Abkommen ratifizieren, würden sie „uns dadurch in eine peinlich Lage versetzen“, sagte der Vorsitzende Dr. Grunewald aus dem AA. Eine ökonomische Argumentation wurde auch in der Presse verfolgt, etwa in der Kölnischen Zeitung, die sich mit der dritten Opiumkonferenz in Haag beschäftigte: Deutschland habe sich mit Recht geweigert zu ratifizieren, denn wenn nicht alle Staaten beiträten, stünde zu befürchten, dass sich in anderen Ländern „Opiumfabriken“ bildeten: „Deshalb hat Deutschland mit Recht auf der ersten Konferenz gefordert, es müßten, um den Vertrag in Kraft treten zu lassen, erst alle Staaten beigetreten sein.“105 Interessenlage und Strategie Deutschlands hatten sich also seit dem Abschluss des Abkommens nicht grundlegend gewandelt, es fand allerdings eine eingehendere Abwägung der eigenen Interessen statt. Die beiden Ratifizierungskonferenzen106 blieben erfolglos; das Abkommen wurde zu diesem Zeitpunkt nicht in Kraft gesetzt und schließlich verdrängte der Erste Weltkrieg die Opiumfrage vorläufig von der internationalen politischen Agenda, weshalb wir uns nun wieder der innerdeutschen Ebene zuwenden. 1.1.4 Staatliche Maßnahmen 1914-1917 Relevante rechtliche Maßnahmen wurden zwei Jahre nach Unterzeichnung des Haager Abkommens ergriffen: Am 31. Juli 1914 – also im Kontext des Kriegseintritts Deutschlands am folgenden Tag – wurde per Verordnung die Aus- und Durchfuhr jeglicher Verband- und Arzneimittel verboten.107 Darunter fielen, ohne dass sie explizit benannt wurden, auch Morphin, Opium sowie später Kokain (Wriedt 2006: 61f). Das Verkündigungsdatum und die Tatsache, dass jegliche Medikamente einbezogen wurden, verdeutlichen die Orientierung der Verordnung: Sie zielte in keinerlei Hinsicht auf die Kontrolle von Opiaten und Kokain als Rauschmittel, sondern sollte lediglich der Kriegsversorgung dienen.108 Dass die Maßnahme nicht auf Probleme im Umgang mit Drogen im 104
BArch R 1001/6821, Geheime Aufzeichnung (…), S. 93. Holland. Die dritte Opiumkonferenz, 21.06.1914. 106 Die Ratifizierungskonferenzen tagten vom 01.-09.07.1913 und 15.-25.06.1914 jeweils in Den Haag (Holzer 2002: 83f). 107 Verordnung betreffend das Verbot der Ausfuhr und Durchfuhr von Verband- und Arzneimitteln sowie von ärztlichen Instrumenten und Geräten. Vom 31. Juli 1914. RGBl. 1914, S. 268. 108 Laut Wriedt (2006: 62) ist es im Zuge der Verordnung zu Verknappung dieser Mittel gekommen; Einkäufe in der Hoffnung auf Preissteigerungen seien die Folge gewesen. 105
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Inland reagierte oder den Konsum eindämmen sollte, ist eindeutig, denn nur die Aus-, aber nicht die Einfuhr von Betäubungsmitteln wurde Beschränkungen unterworfen. Neben der Sicherstellung der Versorgung sollten möglicherweise auch die Gegner geschwächt werden, denn Opium war im Ersten Weltkrieg ein knappes Gut, was sich an folgenden Überlegungen zeigt: Im Juli 1917 wurde vom Reichsgesundheitsamt erwogen, bei der Deutschen Bank eingelagertes Opium beschlagnahmen zu lassen, um den „dringenden Inlandsbedarf“ decken zu können.109 Die Substanz war aber nicht nur Spekulationsobjekt, sondern ihr Handel wurde auch als strategisches Instrument eingesetzt. Deutschland erwog 1917 den Ankauf von Opium aus Bulgarien, um zu verhindern, dass die Entente-Staaten ihre Vorräte an Schmerzmitteln auffüllen könnten, wodurch „die Widerstandskraft der feindlichen Heere gestärkt“ worden wäre.110 Im Jahr dieser Überlegungen, 1917, ergingen am 22. März eine Verordnung und eine Bekanntmachung.111 Der Großhandelsbezug von Drogen wurde eingeschränkt und staatlich kontrolliert, außerhalb des Großhandels durften sie von da an „nur in Apotheken und nur als Heilmittel abgegeben werden“.112 Qualitativ neu war, dass dies in einer allein auf Betäubungsmittel bezogenen Verordnung verankert wurde, allerdings wurden am selben Tag im gesamten Bereich des Arzneimittelhandels Restriktionen eingeführt. So waren die Strafandrohungen für unerlaubten Handel mit Opiaten und Kokain oder Preistreiberei bei anderen Medikamenten „durch unlautere Machenschaften, insbesondere Kettenhandel“ identisch.113 Schleichhandel mit Arzneien war damals kein betäubungsmittelspezifisches Phänomen.114 In Hinblick auf die Problemgenese ist die Begründung der ersten Verordnung vom 22. März 1917 interessant, denn sie bezog sich auch auf das Beheben von „Unzuträglichkeiten“ im Handel mit Morphin usw., die
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BArch R 1501/110394, S. 54ff. BArch R 1501/110394, S. 59. RGBl 1917, S. 256 sowie S. 270-273. 112 RGBl 1917, S. 256, § 1. Der Erwerb zu wissenschaftlichen Zwecken wurde auf den Großhandel beschränkt. Außerdem wurde als Strafmaß ein Jahr Gefängnis bzw. 10.000 Mark Geldstrafe eingeführt (§ 2). Im Zuge der Verordnung wurden die Führung eines Lagerbuchs und Bezugsscheine für die Abgabe in Apotheken verpflichtend (BArch R 1501/110393, S. 234, Ausführungsanweisung des Innenministers vom 13. April 1917 zur Verordnung des Bundesrats vom 22. März 1917 (…)). 113 2. Verordnung, S. 272/§ 9. 114 Z.B. hatte sich der Apotheker-Verein des Rhein- und Maingaues diesbezüglich an Herrn Dr. Wehrle, ein Mitglied des Reichsgesundheitsrats, gewandt (BArch R 86/5061, I 3710/24; 23.08.1924). Dem Schreiben war der Artikel „Verkehr von Arzneimitteln ausserhalb der Apotheke“ aus der Pharmazeutischen Zeitung (Nr. 57, 16.07.1924) beigefügt, der (nicht ohne Eigeninteresse) kritisierte, wie viel Handel mit Arzneimitteln außerhalb der Apotheken stattfinde. 110 111
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„während des Krieges und auch infolge des Krieges erheblich zugenommen und sich zu einem Mißstand gesteigert [haben], der nicht nur aus gesundheitlichen, sondern ebenso sehr aus wirtschaftlichen Gründen einer schleunigen Bekämpfung dringend bedarf.“115
Es wurde auf „Angewöhnung“ an die Substanzen Bezug genommen und auf „die Sucht, auf jede Weise in ihren Besitz zu kommen“, welche „mißbräuchliche Abgabe in zahlreichen Fällen“ zur Folge gehabt habe. Die Einschätzung der Problemlage war unfundiert und pauschalisierend: „Bekanntlich gehen die vom Morphinismus befallenen Personen, soweit nicht noch rechtzeitig wirksame ärztliche Hilfe Platz zu greifen vermag, in kurzer Zeit körperlich und moralisch zugrunde.“
Problematisiert wurde die Vernichtung von Existenzen, durch die „auf ganze Familien vielfaches Unglück“ übertragen werde und wodurch „beklagenswerte Verluste an wertvollen Arbeitskräften für Staat und Volk“ entstanden seien. Die Kernaussage der Begründung lautete: „Volkswirtschaftliche Rücksichten erheischen daher eine Verschärfung der Bestimmungen über die Abgabe der betreffenden Betäubungsmittel.“ Mit Blick auf den Problematisierungsprozess ist Folgendes entscheidend: Die in der Begründung, aber auch in den sie vorbereitenden Schriftstücken116 beschriebenen „Unzuträglichkeiten“ bzw. Klagen über „zunehmenden Mißbrauch“ bezogen sich auf unvorsichtige Verschreibung, unzulässige Abgabe an Kriegsverletzte durch Drogisten etc. Nirgendwo war von Genusskonsum oder einem Ausweichen auf Betäubungsmittel, etwa aus Mangel an Alkohol, die Rede.117 Ferner ging es im Vorlauf118 und auch in der Begründung lediglich um „Morphin usw.“, erst in der Verordnung selbst wurde Kokain explizit aufgeführt; mithin stand es 1917 nicht im Fokus der Wahrnehmung. Daraus folgt, dass das Ziel der Verordnung keineswegs war, Konsum aus hedonistischen Motiven zu unterdrücken – vielmehr ging es darum, den medizinischen Umgang mit Betäubungsmitteln zu regeln und dessen als problematisch angesehene Nebenerscheinungen zu kontrollieren. Zu diesen wurde zwar ein sittlicher Niedergang der Konsumenten gezählt, womit die Folgen des Drogengebrauchs nicht nur in medizinischer, sondern auch in moralischer Perspektive negativ bewertet 115
Begründung zur Bekanntmachung über den Handel mit Opium und anderen Betäubungsmitteln. StB, Bd. 322, Nr. 1214, S. 130. 116 Die vorbereitenden Schritte finden sich auf den dem Entwurf vorangehenden Seiten der Akte. Etwa im Bericht des Geheimen Obermedizinalrats Krohne, BArch R 1501/110393, 196f. 117 BArch R 1501/110393, S. 201ff, der Präsident des Kaiserlichen Gesundheitsamts Bumm an den Herrn Staatssekretär des Innern, 15.12.1916, I 3085/16, Begründung: BArch R 1501/110393, S. 225 Rückseite (RS). 118 BArch R 1501/110393, S. 211 Vorderseite (VS), RS, Abschrift III B 4572, Der Minister des Innern, M 7419, 15.11.1916.
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wurden. Hervorzuheben ist aber, dass der Blick auf die Konsumenten selbst nicht abwertend war: 1917 wurde nicht die Motivation zum Konsum oder der Konsument kritisiert. Die Verfasser der Verordnung problematisierten vielmehr die angenommenen Folgen der Verwendung. Zielsetzung der Maßnahme war, durch die Einschränkung der Abgabe Leid von Einzelpersonen und Familien abzuwenden. Ebenso offen wurde damals noch formuliert, dass man die Arbeitskraft der Konsumenten erhalten wollte.119 In einem Brief für den Reichskanzler schrieb das Reichsamt des Inneren an die Landesregierungen einige Zeit später, „daß noch immer Ärzte (…) bei der Verschreibung von Morphinersatzmitteln nicht mit der Gewissenhaftigkeit zu Werke gehen, die im Interesse der Erhaltung wertvoller Arbeitskräfte für Staat und Volk von ihnen erwartet werden muss.“120
Diese beiden Hinweise verdeutlichen, dass die restriktive Drogenkontrolle keineswegs nur das Ziel hatte, die „Volksgesundheit“ zu schützen. Es ging nicht nur um die Gesundheit des Einzelnen oder das Wohlergehen der Bevölkerung, sondern eindeutig auch um finanzielle Eigeninteressen des Staates. Wirtschaftliche Aspekte spielten demnach auch für die innenpolitische Bewertung der Frage eine entscheidende Rolle. So explizit wie 1917 und 1919 wurde dieses Argument nach meinen Erkenntnissen in den Folgejahren allerdings nicht mehr vorgebracht. Am 15. Dezember 1918 ersetzte eine Verordnung, die im Rahmen der Demobilmachung erging, hinsichtlich der Opiate die erste Maßnahme vom 22. März 1917.121 Bemerkenswerterweise gab es sogar eine Strafmilderung.122 Für die Entwicklung der Problemwahrnehmung ist die in § 1 festgeschriebene Meldepflicht für Opium, Morphin, Codein und andere Opiumalkaloide am interessantesten, denn Mengen bis zu einem Kilogramm mussten nicht angegeben werden und Kokain wurde überhaupt nicht aufgenommen. Dies zeigt, dass die Maßnahme lediglich demobilmachungstechnische Ziele verfolgte und die Unterdrückung eines hedonistische Bedürfnisse befriedigenden Schwarzmarktes nicht das Ziel der Verordnung war. Staatliche Stellen scheinen Kokain Ende 1918 119
Ob 1917 – im Ersten Weltkrieg – auch kriegspolitische Fragen wie die Erhaltung der Wehrkraft eine Rolle gespielt haben, bleibt offen; explizit erwähnt wird dies zumindest nicht. 120 StAB 3-M.1.l.Nr. 32 - 1/14, Das Reichsamt des Inneren für den Reichskanzler an die Landesregierungen, II 5334, 19.08.1919. In Bremen ist dieses Schreiben durch die Hände von Senat, Medizinalkommission und Gesundheitsrat gegangen. 121 RGBl 1918, S. 284. Diese Verordnung wurde am 20.08.1919 geändert; einige Substanzen durften wieder bezugsscheinfrei abgegeben werden. Die Verordnung betraf die Alkaloide des Opiums Narcein, Narcotin, Thebain und Papaverin sowie ihre Abkömmlinge und Zubereitungen (RGBl. 1919, S. 1474). 122 Das Strafmaß wurde in § 6 gegenüber 1917 halbiert und auf sechs Monate herabgesetzt.
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nicht als nennenswerte Bedrohung empfunden zu haben, denn warum hätten sie sonst dessen Bestände nicht einbeziehen sollen? Halten wir fest: Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zielte die Betäubungsmittelkontrolle des Deutschen Reichs demnach nicht auf hedonistischen Gebrauch. Die Verordnung von 1917 ließ zwar eine moralische Dimension erkennen und zeigt, dass Missstände wahrgenommen wurden. Diese bezogen sich aber nicht auf genussorientierten Konsum, den man habe verhindern wollen, und beinhaltete keineswegs eine Abwertung der Konsumenten. Bislang wurden die hier beschriebenen Verordnungen wie folgt interpretiert: Nach Sebastian Scheerer (1982: 41) hätten „Versorgungsprobleme“ infolge einer Handelsblockade im Krieg die Verordnung von 1917 notwendig gemacht. Zwar greift diese Analyse wie beschrieben m.E. zu kurz, aber auch Wriedts (2006: 68) These, der „durch den Krieg geförderte Morphin- und vor allem der wachsende Kokainmissbrauch sowie der ausufernde ungesetzliche Handel“ hätten dazu geführt, die Verordnungen von 1917, 1918 und 1920 zu erlassen, lässt sich nach obigen Ausführungen nicht halten. Keineswegs war Ende des Ersten Weltkriegs „die Suchtbekämpfung endlich ein Schwerpunkt der Betäubungsmittelgesetzgebung“, wie Wriedt (2006: 68) annimmt. Er schreibt dem Kokain eine bedeutendere Rolle zu, als sie der Überlieferung zu entnehmen ist. Da er außerdem die Fragen des beschriebenen „Missbrauchs“ und des genussorientierten Gebrauchs nicht eingehend erörtert, kommt er m.E. zu einer Fehlinterpretation der staatlichen Intention, die die Problemgenese nicht erfasst. 1.1.5 „In Berlin soll gegenwärtig das Kokainschnupfen grassieren“ – der Artikel „Kokainismus“ und eine zweite reichsweite Umfrage zu Betäubungsmitteln Wenden wir uns nun wieder mehr der Problemwahrnehmung als solcher zu. Nachdem 1910 die Kombination einer Diskussion im Reichstag mit Presseberichten eine landesweite Umfrage ausgelöst hatte, genügte hierfür neun Jahre später ein einziger Artikel: Am 25. Juni 1919 erschien in der renommierten Frankfurter Zeitung ein Bericht123 des Direktors des Pharmakologischen Instituts an der Universität Freiburg, Prof. Dr. Walter Straub. Dieser schlug im RGA so hohe Wellen, dass im August 1919 eine weitere, als eilig deklarierte Umfrage 123
BArch R 1501/110395, S. 44. Der Artikel erschien in Nr. 462 der Frankfurter Zeitung vom 25.06.1919 sowie dem Berliner-Lokal-Anzeiger vom 04.07.1919. Straub forderte zur Eindämmung des Kokainkonsums ein völliges Verbot der Substanz und die Einstellung ihrer Fabrikation – eine Forderung, die angesichts der Bedeutung der Droge in der Medizin und der Rolle der Kokainproduktion als Wirtschaftsfaktor auf Widerstand stoßen musste.
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zur Verbreitung des Konsums eines Betäubungsmittels durchgeführt wurde.124 Im Folgenden werden zunächst der Artikel und dann die Ergebnisse der Befragung vorgestellt. Neu war, dass Straub Kokain in den Mittelpunkt seiner Beschreibung stellte und außerdem Deutschland als unmittelbar betroffen beschrieb. Er eröffnete seinen Artikel spektakulär: „Mit Tango und Foxtrott ist nun als weitere Segnung aus Amerika auch der Kokainismus bei uns eingezogen – von Kundigen längst erwartet.“ Hernach äußerte er sich bezüglich der Verbreitung des Konsums eher zurückhaltend und schränkte seine Aussagen stark ein: „In Berlin soll gegenwärtig das Kokainschnupfen grassieren, in anderen Großstädten wird es nicht viel anders sein, im (…) Schleichhandel soll das Kokain (…) leicht zu erhalten sein.“125 Der Pharmakologe gab demnach lediglich Vermutungen und Gerüchte wieder, ohne diese als Tatsachen hinzustellen. Dennoch entwickelten sich seine Aussagen zu einem zentralen Baustein der Problementwicklung, denn der Artikel wurde der Rundfrage von 1919 beigelegt und auch im Anschreiben bezog sich das Reichsgesundheitsamt auf Straub. Hier kam es zu – wenn auch kleinen, so doch zentralen – Umformulierungen. In dem von RMIMinisterialdirektor Dammann gezeichneten Schreiben hieß es mit Bezug auf den Artikel: „In einer (…) Abhandlung des (…) Professor Straub wird behauptet, daß in letzter Zeit die Kokainsucht, u.a. auch in Form des Kokainschnupfens, in Deutschland weitere Verbreitung gefunden habe.“126
Weiter schrieb der Autor von der „Befürchtung Professor Straubs, daß der Kokainmißbrauch weiterhin zunehme und sich damit zu einer ernsten Gefährdung der Volksgesundheit auswachse“. Es wird deutlich, dass Dammann eine weitere Verbreitung des Konsums während des Krieges annahm; er sprach z.B. auch von „dem während des Krieges in steigendem Maße beobachteten Kokainmißbrauch“. Diese Aussagen des Ministerialdirektors waren allerdings nicht durch den Artikel gestützt, denn er hatte keineswegs die Befürchtung geäußert, der Konsum wachse sich bereits zur Volksseuche aus. Zwar schrieb Straub, der Kokainismus sei in Deutschland „eingezogen“ – mehr aber nicht. Auch zur Verbreitung machte der Pharmakologe eher zurückhaltende Aussagen wie „[a]ls Genussmittel breiterer Schichten ist Kokain bei uns bisher nicht gefährlich 124
BArch R 1501/110395, S. 42f, Brief an die Regierungen der Freistaaten, 06.08.1919, RMI II 6671. 125 Hervorhebungen soweit nicht anders vermerkt hier und im Folgenden AH. Alle aufgeführten Zitate Straubs stammen aus seinem o.g. Artikel. 126 BArch R 1501/110395, S. 46, Reichsminister des Inneren, 06.08.1919, II 6671.
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geworden“. Er betonte zwar das Gefährdungspotenzial („Kokainismus ist schlimmer wie Morphinismus [sic]“) und ging davon aus, dass „die dekadenteren Kreise“ an der Substanz Gefallen gefunden hätten. Zentral ist aber, dass er keineswegs schrieb, es bestehe ein konkretes Massenproblem in Deutschland. Durch Fehlinterpretationen wurden Straubs Aussagen von Dammann so dargestellt, als ginge der Freiburger Professor von einer ernsten und konkreten Gefährdung Deutschlands aus. Dadurch erhielt die Problemwahrnehmung eine beunruhigendere Konnotation, denn es wurde eine unmittelbare Bedrohung der Volksgesundheit suggeriert. Es ist paradox, dass dieses Szenario nun im Raum stand, ohne dass jemand explizit von einer konkreten Gefährdung gesprochen hätte – ja u.U. ohne dass einer der Beteiligten dies überhaupt persönlich angenommen hätte. Ausgesprochen von hoher Regierungsstelle und mit Bezug auf einen etablierten Wissenschaftler mag die Annahme bei den Adressaten trotz allem das Bild einer unmittelbaren Bedrohung des Deutschen Reichs durch Kokainismus verankert haben. Dass genau dies geschah, zeigt etwa die Antwort Sachsens auf die Umfrage, in der es hieß: „Die von Herrn Professor Dr. W. Straub behauptete Zunahme der Kokainsucht ist hier in keiner Weise beobachtet worden.“127 Über wenige Zwischenstationen war damit aus den Vermutungen Straubs die These von der „Zunahme der Kokainsucht“ geworden. Durch die Umfrage und die von vielen Ländern daraufhin in den Landkreisen oder direkt bei den ansässigen Medizinern durchgeführten Erhebungen wurden diese Formulierungen weit verbreitet. So stellen Artikel und Umfrage – trotz ihrer einschränkenden Fragestellung und andersartiger Intention – einen zentralen Beitrag zur beginnenden auf Deutschland bezogenen Problematisierung dar. Die Antworten auf die Umfrage gingen über vier Monate verteilt beim Reichsgesundheitsamt ein. Sie erlauben uns einen Einblick in die Problemwahrnehmung der Landesregierungen im Jahr 1919. Die oben zitierte Stellungnahme Sachsens beruhte auf einer „Umfrage“ und „Aussprache“ im Land: Arzneimittel würden nicht in einem Umfang verschrieben, die auf „Mißbrauch“ deuten könnten, auch lägen keine Informationen über Kokain aus Militärbeständen vor, das „in Privathand“ gelangt sei. „Daß sich Stätten aufgetan hätten, in denen dem Kokainlaster gefrönt wird, ist in Sachsen nicht bekannt geworden“, lautet das Resümee.128 Auch in Hamburg hätten derartige Stätten „nicht ermittelt werden“ können und „besondere Wahrnehmungen über den Mißbrauch von Kokain zu 127
BArch R 1501/110395, S. 69 RS. Ähnlich äußerten sich Württemberg, Hessen, der Freistaat Sachsen-Weimar-Eisenach, Mecklenburg, Schaumburg-Lippe und Lübeck.
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Genußzwecken“ seien ebenfalls „nicht gemacht worden“.129 Andere Teilstaaten stritten ein Vorkommen nicht-medizinischen Kokainkonsums nicht völlig ab, aber keine Landesregierung berichtete von einer weiten Verbreitung. Ein charakteristisches Beispiel ist der Report aus Anhalt, wo es ebenfalls keine Hinweise auf „Stätten (…), wo dem Kokainlaster gefrönt wird“ gegeben habe.130 Von dort wurde allerdings von Jugendlichen berichtet, die sich offenbar von einem Kokainisten hätten verführen lassen, „sehr schnell von dieser Sucht angesteckt worden“ seien, dann aber „im Krankenhaus in kurzer Zeit dauernd geheilt [wurden]“. Dass diese letztlich folgenlose Angelegenheit erwähnenswert schien, zeigt, wie groß die Aufmerksamkeit für den Gegenstand und auch für Einzelfälle weiterhin war. Eine sehr ausführliche Beschreibung ging aus Berlin vom preußischen Minister für Volkswohlfahrt ein, der eine Stellungnahme des Polizeipräsidenten beifügte. Es handelt sich um eine der wohl detailliertesten und differenziertesten zeitgenössischen Beschreibungen zur Frage des Betäubungsmittelkonsums aus Sicht eines Polizisten.131 Er berichtete, „daß ein umfangreicher Schleichhandel mit Kokain getrieben wird.“ Dessen Quellen seien nicht auszumachen, es handele sich wahrscheinlich um Heeresbestände und teils um in Firmen veruntreute Ware. Dass allgemein die Rede von Schleichhandel war, ist nicht entscheidend für die Einschätzung des außermedizinischen Kokainkonsums, denn einen Schwarzmarkt gab es wie erwähnt auch für andere Arzneimittel. Aus dem Polizeibericht erfahren wir etwa auch, dass die Substanzen teilweise nach Russland und Polen, „wo Mangel daran herrscht, ausgeführt werden sollten“. Allein aus der Tatsache, dass es einen Schwarzmarkt gab, kann daher nicht auf hedonistischen Drogengebrauch in Berlin geschlossen werden. Für unsere Analyse ist die anschließende Aussage des Berliner Polizeipräsidenten entscheidend: „Nur in ganz vereinzelten Fällen ist nachgewiesen, daß das Kokain zu Genußzwecken, nämlich zum Schnupfen, mißbraucht werden sollte. Es liegt jedoch kein Anhalt dafür vor, daß sich Stätten aufgetan haben, in denen dem Kokainlaster gefröhnt wird.“
Auch in der größten Stadt des Deutschen Reiches wussten polizeiliche Stellen also nichts von „Kokainhöhlen“. Da das Augenmerk schon eine Weile auf Betäubungsmitteln lag, ist es sehr unwahrscheinlich, dass es eine signifikante Anzahl solcher Etablissements gegeben haben könnte, ohne dass die Polizei dies zumindest vermutet hätte. Die auf Straubs Artikel gestützte Problematisierung 129 BArch R 1501/110395, S. 102, Senatskommission für die Reichs- und Auswärtige Angelegenheiten an Reichsministerium des Innern, 15.10.1919, J. N° 10948 (Aktenzeichen II 10127 des RGA). 130 BArch R 1501/110395, S. 92, Staatsrat für Anhalt an RMI, 11.10.1919, verbunden mit II A 202. 131 BArch R 1501/110395, S. 67 VS, RS.
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fand demnach keine Stütze in den beschriebenen Sachverhalten und das von ihm wiedergegebene Gerücht, in Berlin „soll gegenwärtig das Kokainschnupfen grassieren“, konnte durch die polizeiliche Untersuchung nicht bestätigt werden. Zusammenfassend ist zu der Umfrage von 1919 zu sagen, dass in keinem der Länder von einer weiten Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums gesprochen wurde. 18 Regierungen verneinten die Anfrage völlig, nur sechs berichteten von vereinzeltem Vorkommen. Dabei zählte Bremen zu den Staaten, die von vereinzeltem Vorkommen berichtet hatten. Von dort wissen wir, dass lediglich zwei von 150 Ärzten chronische Kokainkonsumenten bekannt waren (Hoffmann, 2005: 92-94). Das von RGA-Präsident Bumm an den Reichsminister des Inneren Erich Koch (Deutsche Demokratische Partei, DDP) gesandte Fazit zu der Erhebung lautet entsprechend, die Mitteilungen der Länder „lassen auch nach der Ansicht des Gesundheitsamtes besondere Maßnahmen gegen den Mißbrauch von Kokain zur Zeit nicht als nötig erscheinen, vielmehr dürften die bestehenden Bestimmungen über den Verkehr mit Kokain als ausreichend zu bezeichnen sein.“132
Das von Straub geforderte Kokainverbot sei angesichts der „verschwindend geringen Zahl von Fällen“ und unter Berücksichtigung seiner medizinischen Bedeutung „nicht angängig“. Bumms Aussagen bzgl. der Verbreitung des Kokainkonsums waren eindeutig: „Maßgebend ist für das Gesundheitsamt, daß nirgends Stätten aufgefunden werden konnten, an denen Kokain an eine größere Anzahl von Personen zu mißbräuchlicher Benutzung abgegeben würde.“
Er stritt keineswegs ab, dass Kokainismus vorgekommen sei und betonte, dass auch nicht alle Fälle verhindert werden könnten. Seine Sicht ist hinsichtlich Problemanalyse und Kontrollmöglichkeiten recht differenziert und distanziert: „Daß einzelne Fälle von Kokainismus namentlich bei Ärzten vorkommen, wird sich schwer vermeiden lassen und hat auch keine Bedeutung für die Allgemeinheit; solche vereinzelte mißbräuchliche Verwendung von Kokain ist in Sonderheilanstalten auch schon vor dem Weltkrieg beobachtet worden.“
Die Verbreitung des Kokain- bzw. Betäubungsmittelkonsums sei ein Punkt, der die Aufmerksamkeit des Reichsgesundheitsamtes erfordere; ein späteres Eingreifen schloss Bumm keinesfalls aus. Bumms Analyse zeigt uns einen unter den Zeitgenossen konsensualen Sachverhalt. Sie waren sich einig, dass Betäubungsmittelkonsum stattfand und dass man ihn aufmerksam beobachten müsse. Mit dieser Stellungnahme zeigten das Reichsgesundheitsamt und insbesondere sein Präsident Bumm sich auch 1919 als sachlich argumentierende Instanzen, 132
BArch R 1501/110395, S. 113, RGA an RMI, 14.02.1920, II 1036/20. Hervorhebung i.O.
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die ihre Quellen kritisch prüften und reflektierten. Dies ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass das von Dammann verfasste Anschreiben an die Länder eine problematische Verbreitung suggeriert hatte und dieses Szenario, wie wir gesehen haben, teilweise auf fruchtbaren Boden gefallen war. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass derart umfassende Umfragen in den Folgejahren nicht mehr durchgeführt wurden, obwohl (wie wir sehen werden) bereits kurz nach Bumms soeben zitiertem Fazit die auf Deutschland bezogene Problematisierung des Betäubungsmittelkonsums erst so richtig beginnen sollte und obwohl das Fehlen soliden Materials auch von Experten angemerkt und differenzierte Erhebungen gefordert wurden (Bonhoeffer 1926: 228f; Jacob 1925). Der Umgang der Folgejahre entsprach demnach nicht dem bisherigen Vorgehen des Reichsgesundheitsamtes, das bis 1919 um eine differenzierte Auseinandersetzung bemüht war. Erst 1928 unternahm das Amt wieder größere Anstrengungen, wie wir in Kapitel 4 sehen werden. Hinsichtlich der staatlichen und zwischenstaatlichen Beschäftigung mit Betäubungsmitteln ist festzuhalten: Bis in das Frühjahr 1920 wuchs die Aufmerksamkeit für den Gegenstand deutlich und einige Akteure problematisierten den Konsum von Drogen. Instanzen wie das Reichsgesundheitsamt nahmen diese Besorgnis sehr ernst und betrieben große Anstrengungen, um notwendige Entscheidungen auf eine solide Informationsbasis zu stellen. Das RGA war in dieser Phase eine reflektierende Instanz in der Auseinandersetzung. Bei der politischen Entscheidungsfindung berücksichtigte es Anregungen von Experten (selbst, wenn diese lediglich über die Tagespresse geäußert wurden), setzte diese aber nicht unmittelbar um, sondern strengte selbst Untersuchungen an, um die Vorschläge auf einer soliden Grundlage beurteilen zu können. Hingegen scheinen von Treuenfels und die anderen Abgeordneten ihre Situationsbeschreibungen im Reichstag auf persönliche bzw. ihnen direkt zugetragene Erfahrungen gestützt zu haben, die sie verallgemeinerten. Während das Reichsgesundheitsamt die Auseinandersetzung auf innerstaatlicher Ebene dominierte, war das Auswärtige Amt entsprechend der Ressorteinteilungen für die internationalen Abkommen zuständig. Auch in Hinblick auf diese fand eine differenzierte Auseinandersetzung statt; zu den umfassenden Beratungen wurden unterschiedlichste Ressorts hinzugezogen, wobei das AA die Auseinandersetzung dominierte, was sich auch in den verfolgten Zielen niederschlug. Als Zwischenfazit zur Haltung Deutschlands im Rahmen der Konferenzen ist festzuhalten, dass das Reich sowohl wirtschaftliche als auch außenpolitische Interessen verfolgte. Den Rahmen des Machbaren gab dabei die Außenpolitik vor: Politische Isolation aufgrund einer ablehnenden Haltung wollte man unbedingt vermeiden, das „Odium“ eines Scheiterns des Abkommens nicht auf
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sich laden. So war eine grundsätzlich kooperative Richtung vorgegeben und nur in diesem Rahmen verfolgte die deutsche Delegation wirtschaftliche Ziele. Humanitäre Interessen spielten ebenfalls in die Überlegungen hinein, waren aber nachgeordnet. Dies erscheint konsequent, wenn man berücksichtigt, dass die Situation im eigenen Land damals von staatlichen Stellen als unproblematisch empfunden wurde. Entsprechend muss die Strategie Deutschlands als Ausdruck der geringen Problemetablierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewertet werden. Aufgrund der fehlenden Problemwahrnehmung ging es Deutschland bei der Haager Konferenz weniger um Betäubungsmittelkonsum oder -kontrolle an sich, sondern um taktische wirtschaftliche und außenpolitische Fragen. Dieser Wahrnehmung entsprechen auch die innerstaatlichen Maßnahmen, die bis 1919 nicht auf hedonistischen Konsum orientiert waren und die Konsumenten nicht moralisch abwerteten. In der Auseinandersetzung mit dem staatlichen Umgang mit Betäubungsmitteln trat bereits ein weiterer Akteur auf den Plan: die Tagespresse. Diese soll im folgenden Kapitel im Mittelpunkt stehen. 1.2
„Zahllos sind die Opfer des Kokains dort drüben in Montmartre“ – Drogen als Thema der Tagespresse bis 1919 Drogen als Thema der Tagespresse bis 1919 Im vorangehenden Unterkapitel deutete sich an, dass Zeitungsartikel teils erheblichen Einfluss auf die politische Auseinandersetzung zu Betäubungsmitteln entwickelten. Diese Annahme wird durch die Tatsache gestützt, dass in den Opium-Akten von Reichsgesundheitsamt und Auswärtigem Amt mehrere hundert Zeitungsberichte archiviert sind.133 Anhand der Unterstreichungen und handschriftlichen Notizen134 können wir nachvollziehen, welche Elemente der Artikel besondere Aufmerksamkeit erhielten: Im RGA und im AA wurde der Entwicklung im Ausland eine große Bedeutung beigemessen, aber ebenso der Berichterstattung über die Lage in Deutschland, dem Verhalten der deutschen Industrie in Sachen Export und dem Ursprung illegal gehandelter Substanzen.135
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Manche Artikel wurden sogar abgeschrieben: BArch R 96/5073, S. 165. Notizen zu Artikeln finden sich z.B. bei: Die „künstlichen Paradiese“, 19.03.1913; Ein lukrativer Opiumhandel, 08.09.1913; Gegen Rauschgift, aber für Opium : Ein eigenartiger Beschluß der WeltOpiumkonferenz, 09.06.1913; Balkanländer. – Die Opiumerzeugung des Balkans und der Türkei, 20.08.1931; Der Weg des weißen Giftes : Rauschgift zentnerweise: 250 kg Morphin – 650 kg Heroin…, 05.12.1931. 135 In Frankreich wurden Vorwürfe erhoben, aus Deutschland würden Drogen ins Land geschmuggelt. Dementsprechend sind Stellen, die diese Theorie widerlegen, in den Archivalien häufig markiert. 134
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Auffällig ist auch, dass teils absolut basale Informationen (z.B. zu Rechtsfragen oder statistischen Details der Beschlagnahmung von Betäubungsmitteln) hervorgehoben wurden, von denen man erwarten könnte, dass die Behörden sie aus solideren Quellen und nicht aus Zeitungen entnommen hätten.136 An anderer Stelle wurden z.B. überraschende Aussagen in Artikeln mit Fragezeichen versehen.137 In einem Bericht hieß es, dem Gesundheitsamt seien „Zeitungsnotizen bekannt geworden, wonach gerade im holländischen Grenzverkehr der Arzneimittelbezug aus holländischen Apotheken einen nicht unbeträchtlichen Umfang angenommen haben soll“.
Dies belegt eindeutig, dass im Reichsgesundheitsamt Pressemeldungen als Informationsbasis dienten.138 Auch Fulda (2006: 71f) konstatiert einen erheblichen Einfluss der veröffentlichten Meinung: „Besonders bei Politikern und Journalisten läßt sich sogar ein starker, unmittelbarer Presseeinfluß feststellen. Als professionelle Zeitungsleser nutzten sie die Presse in einer Zeit fehlender Meinungsumfragen als Abbild der öffentlichen Meinung und als Ausgangspunkt für ihre Tagesarbeit.“
Aber nicht nur von den Zeitgenossen, sondern auch in der späteren Forschung wurden Pressemeldungen unkritisch als Informationsquellen verwendet. Dabei hatte schon Gebhardt (1987: 12) darauf hingewiesen, dass Zeitungen keinesfalls als „billige Lieferanten geschichtlichen Materials“ verwendet werden sollten, „ohne daß sich die Nutzer der Mühe notwendiger quellenkritischer Aufbereitung unterziehen“. Beispielsweise stützt Tilman Holzer (2002: 137) seine Analyse des Betäubungsmittelschmuggels unter anderem auf Zeitungsberichte. Ferner gibt Lars Amenda (2005: 97) einen Artikel als Quelle für „Fahndungserfolge der Polizei“ an, die 1921 „in Hinterräumen einer chinesischen Wäscherei und eines Gemüsegeschäfts 50 meist chinesische Personen im Opiumrausch“ aufgefunden habe. An anderer Stelle konstatiert er: „In Hamburg konzentrierte sich der Straßenverkauf an der Grenze zu Altona“ und stützt sich dabei ebenfalls auf einen Bericht des Hamburger Echo, einer sozialdemokratischen Hamburger Tageszeitung (Amenda 2005: 117). 136
Ein neues Pariser Laster, 03.12.1912. Opiumkonferenzen, ohne Datum. Schleichwege des Rauschgifthandels : Die Dampfleitung aus Kokain - Opium in Rettungsringen : Riesige Schmuggelgewinne, 07.05.1927; Kontrolle der Rauschgiftproduktion : Ein amerikanischer Vorschlag, 01.02.1929. S. z.B. BArch R 86/5073. zu I 1066/10 (Neues aus aller Welt: eine peinliche Affäre in Bremen, 11.04.1910); Verhaftung von Kokainschmugglern – Internationale Organisation aufgedeckt, 05.10.1927. 137 Internationales Opium : Nur noch wenige Rauschgiftsüchtige in Berlin, 29.11.1929. 138 BArch R 86/5073, Bericht zum Bericht Preussens, 27.4.1911.
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Auch wenn wir meist nicht genau nachvollziehen können, wie Zeitungsartikel die Wahrnehmung prägten, so ist doch eindeutig, dass sie erheblichen Einfluss auf die damaligen Vorstellungen von Drogen entwickeln konnten. Um den Faktor Presse näher zu untersuchen, erfolgt hier eine eingehende Analyse von (Tages-)Zeitungspublikationen. Im Zentrum steht dabei, wer die treibenden Akteure und was die zentralen Themen der Berichte waren, auf welcher Grundlage sie verfasst wurden und schließlich, wie sich der Einfluss von Presseartikeln auf die Problemwahrnehmung gestaltete. Die Presseanalyse ist ein weiterer Schritt, sich dem damaligen common sense anzunähern, sie hat aber enge Grenzen, wie auch Kerstin Brückweh (2006: 301) schreibt: „Insbesondere für historische Fälle ist die Frage, wie sich die Leser, Hörer und Zuschauer Medienberichte angeeignet haben, aufgrund der Quellenlage schwierig zu beantworten. Eine Inhaltsanalyse von Zeitungsberichten lässt zunächst keine Aussage darüber zu, ob die potentiellen Rezipienten und Rezipientinnen diese auch tatsächlich gelesen oder ob sie einfach über die entsprechende Rubrik hinweg geblättert haben.“
In der vorliegenden Studie geht es also weniger um die öffentliche als um die veröffentlichte Meinung, da z.B. keine Bevölkerungsumfragen zum Thema zur Verfügung stehen. In manchen Fällen kann die Wirkung von Medienberichten aber durchaus nachvollzogen werden – etwa wenn (wie wir bereits in Kapitel 1.1 gesehen haben) Artikel auf administrativer Ebene Reaktionen auslösten oder wenn sie im Reichstag rezipiert wurden. Vernetzungen und Einflusswege können z.B. durch Zitationsketten analysiert werden. Dabei schlägt sich die eingangs erwähnte starke Fragmentierung der Presselandschaft der Weimarer Republik auch in der ausgewerteten Stichprobe nieder. Die hier berücksichtigten, zwischen 1904 und 1934 veröffentlichten 204 Artikel stammen aus 57 unterschiedlichen Zeitungen. Davon erschienen fünf und mehr in folgenden neun Blättern: In der Berliner Börsenzeitung und der RheinischWestfälischen Zeitung aus Essen je fünf. Sechs in der Kölnischen Zeitung, der Deutschen Tageszeitung und den Münchener Neuesten Nachrichten. Besonders viele Berichte stammen aus dem Berliner Lokal Anzeiger (16) sowie dem Berliner Tageblatt und der Vossischen Zeitung (je 19). Mit Abstand am meisten Artikel unserer Stichprobe – 25 – erschienen in der Frankfurter Zeitung. Mit den zwei letztgenannten sind die beiden wichtigsten (liberalen und seriösen) Presseorgane der Weimarer Republik am häufigsten vertreten. Aber nicht nur derartige Blätter wurden berücksichtigt, sondern ebenso Boulevardzeitungen wie das 8 Uhr Abendblatt oder die kommunistische Welt am Abend. Gemeinsam erschienen in den neun zuerst genannten Zeitungen rund die Hälfte der hier ausgewerteten Artikel.
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Diese Angaben verdeutlichen, dass Erhebungen in einzelnen Zeitungen den Blick zu sehr auf diese verengt und die Breite der Berichterstattung nicht widergespiegelt hätten. In der folgenden Analyse geht es nicht darum, die Haltung einzelner Zeitungsredaktionen zu ermitteln, sondern die Grundzüge des gesellschaftlichen Diskurses und die Art und Weise seiner Entstehung herauszuarbeiten. 1.2.1 Eine „bisher sehr unterschätzte soziale Gefahr“ oder doch eher ein Randthema? Zeitungsartikel zu Betäubungsmitteln in Deutschland Beginnen wir die Analyse der Presseberichterstattung mit dem bereits erwähnten Artikel „Narkotika“ aus dem Jahr 1910. Nachdem wir uns im vorangegangen Unterkapitel mit seinen Folgen beschäftigt haben, soll er nun einer inhaltlichen Analyse unterzogen werden. „Narkotika“ war zwar keineswegs der erste Zeitungsbericht, der das Thema in Deutschland ansprach, er verdient aber aufgrund seiner Konsequenzen und seiner Verbreitung besondere Aufmerksamkeit. Der Autor bezeichnete Betäubungsmittel als eine in Deutschland „bisher sehr unterschätzte soziale Gefahr“. Die Reichtagsdebatte zwischen von Treuenfels und Bumm führte er einleitend als Beleg für seine Thesen an, gab dabei aber nur die von dem Abgeordneten vertretene Theorie wieder, der „Konsum und Mißbrauch der verschiedenen Narkotika“ habe „auch bei uns in auffälliger Weise zugenommen“.139 Die Argumentation des Artikels ist teilweise hanebüchen: Der nicht näher bekannte Autor A.S. blendete nicht nur die kritischen Antworten Bumms im Reichstag aus, sondern zeichnete ein Szenario, bei dem entscheidende Elemente als erfunden eingestuft werden müssen. In Paris habe es „an allen Ecken und Kanten (…) Opiumspelunken“ gegeben, behauptet er z.B. Allerdings wissen wir heute durch die Analyse der französischen Historikerin Emmanuelle RetaillaudBajac (2002), dass das Bild der „1.000 Opiumhöhlen“ in Paris nicht haltbar ist. Ferner schrieb A.S., es gebe in Berlin und Hamburg „Konditoreien“, „in denen man Einspritzungen verabfolgt“ habe; auch „Opium- und Morphium-Pralinees“ hätten kursiert und neuerdings mache sich „der Cocainismus bedenklich breit“. Die im vorhergehenden Kapitel dargelegten Ergebnisse der 1910er Umfrage zeigen hingegen, dass – auch wenn gewisse Missstände im Umgang mit Betäubungsmitteln beschrieben wurden – nirgendwo von verbreitetem Genusskonsum oder überhaupt von Kokain die Rede war. Schwarzhandel oder Szenelokale wurden für Deutschland nicht beschrieben. Wir können also festhalten, dass der 139
Narkotika, 10.03.1910.
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Autor der Münchener Neuesten Nachrichten zentrale Punkte seines Szenarios frei erfunden hatte (bzw. lediglich Gerüchte zusammentrug). Wie wir gesehen haben, können wir davon ausgehen, dass der der amtlichen Umfrage von 1910 beigelegte Artikel große Aufmerksamkeit erhielt und die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums prägen konnte.140 Obwohl A.S. keine Quellen nannte, zeigen seine Bezüge zu China und Indien und darüber hinaus zu Frankreich, England und den USA, dass die (dramatischen) Darstellungen zu anderen Ländern das Bild von Betäubungsmitteln als potenzieller Gefahr prägten: „heute sind in New York und San Francisco über 40.000 Menschen dem Laster verfallen“, schrieb er und gab damit vollkommen ungestützte Zahlen wieder. Transnationale Phänomene hatten also schon 1910 Einfluss auf die Problemwahrnehmung in Deutschland, prägten bereits die frühen Bezüge auf das Land selbst und ebneten so den Boden für eine stark problematisierende Wahrnehmung. Der Artikel „Narkotika“ ist ein frühes Beispiel für ein Phänomen, das wir in den Folgejahren noch häufiger antreffen werden, und das Sebastian Scheerer (1978: 225) als „politisch-publizistischen Verstärkerkreislauf“ charakterisiert: Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass Äußerungen zum einen durch „offiziöse Verwendung“ auf politischer Ebene „glaubhaft gemacht“ und zum anderen durch Erwähnung in den Medien verbreitet werden (Scheerer 1978: 225). Wenn (unbelegte und/oder dramatisierende) Behauptungen den „politischpublizistischen Verstärkerkreislauf“ erfolgreich durchlaufen haben, werden sie als Tatsache anerkannt. Man kann die Presse auch als „riesigen Resonanzkörper“ (Kalifa 1994: 72) bezeichnen, der Themen verstärkt, bis sie „peu à peu von der Politik übernommen“ werden. Im Fall „Narkotika“ wurden Thesen aus dem Reichstag in der Presse zitiert und dies wiederum über die behördliche Ebene verbreitet. Durch das Wiederholen der Argumentation gewann diese an Legitimität und Glaubwürdigkeit und schrieb sich in die Wahrnehmung der Akteure ein. Moores (1997: 23) betont: „erst durch Kumulation, also durch ständige Wiederholung erwächst starke Medienwirkung.“ Reuband (1999: 319) weist darauf hin, dass Ende des 20. Jahrhunderts in vielen Publikationen zum Thema Drogen zwar „oftmals bloße Eindrücke vermittelt“ würden, aber durch deren Wiederholung „der Eindruck von Konsens hervorgerufen“ werde, wobei realiter ein Mangel an empirisch abgesichertem Wissen bestünde. „Dies betrifft vor allem die Verbreitung, Entstehungsbedingungen und Folgen im Kontext gesellschaftlicher Rahmenbedingungen.“ Dem entsprach die Lage in der Anfangsphase der Problematisierung des Drogenkonsums in 140
Die Bremer Opium-Akten zeigen, dass der Artikel gelesen und aufgehoben wurde. StAB 3M.1.l.Nr. 32 -1/2.
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Deutschland.141 Durch die ständige Wiederholung und das wechselseitige Zitieren in Tages- und Fachpresse, Reichstag und Administration entstand in der Folgezeit der Eindruck, die postulierten Meinungen könnten als gesichertes Allgemeinwissen angesehen werden. A.S. blendete Bumms Kritik aus und gab nur jene Elemente wieder, die seiner eigenen Wahrnehmung entsprachen – ein Phänomen, dem wir im Laufe der Untersuchung noch häufiger begegnen werden. Der so entstehende einseitig problematisierende Verstärkerkreislauf war zentral für die Entwicklung der Problemwahrnehmung und sollte den Prozess der Folgejahre entscheidend prägen. Neben dem als weitgehend unsachlich zu bezeichnenden und stark dramatisierenden Artikel „Narkotika“ liegen mir weitere 66 bis zum Jahr 1919 erschienene Zeitungsnotizen oder -artikel vor. Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet jene Berichte, die staatlicherseits besonders große Aufmerksamkeit erhielten („Narkotika“ oder jener von Prof. Straub aus dem Jahr 1919), sich als Ausnahme darstellten. Denn die anderen bis 1919 erschienenen Texte beschäftigten sich nicht mit Kokain, konzentrierten sich auf die medizinische Seite des Konsums bzw. auf Weitergebrauch nach ärztlicher Vergabe von Opiaten und zeichneten weit weniger dramatische Szenarien. Die Berichterstattung über die Gefährlichkeit der hier behandelten Drogen war in den frühen Jahren i.d.R. sehr allgemein gehalten, bis 1919 ging es meist nicht um ein Problem in Deutschland selbst. Vielmehr konzentrierte sich der Großteil der Artikel auf konkrete Ereignisse im Feld Betäubungsmittel142 oder auf den Zusammenhang zu Alkoholkonsum.143 Morphinismus wurde bereits um 1910 als potenziell problematisches Phänomen interpretiert. Wenn nun aber Betäubungsmittelkonsum als gesellschaftliches Problem dargestellt wurde (und nicht nur, wie bislang i.d.R., als medizinisches), so geschah dies meist in Hinblick auf das Ausland: Häufig mit Bezug auf China144 oder die USA145, aber auch
141
Wie wir sehen werden, war deren Frühphase von Vorurteilen, Moralisierung und voreingenommenen Forschungsdesigns geprägt, nicht von einer sachlichen, wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Frage. Mediziner, die ersten als Experten wahrgenommenen Problematisierer, griffen v.a. auf Einzelfälle aus ihrer Praxis zurück und verallgemeinerten diese. 142 Holland. Die dritte Opiumkonferenz, 21.06.1914. Die dritte internationale Opiumkonferenz, 28.06.1914. Zur Entdeckung des Morphiums u.a. Hundert Jahre Morphium : Ein Markstein in der Geschichte der Chemie, 13.06.1917. 143 Opium statt Schnaps, 30.05.1915; oT, 18.03.1916; Internationale Opiumkonferenz, 03.02.1912. 144 Opiumschmuggel in China, 13.08.1913, sowie Die Opiumfrage, 08.02.1911, Opium in China, 14.08.1911. 145 Opium auf Karten, 13.06.1916; Pariser Brief. Aus dem Reiche der Toxikomanen, 25.01.1914.
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Norwegen146 oder Russland147 wurden genannt – in aller Regel ging es also nicht um Deutschland selbst. In den 37 zu Frankreich gesammelten Artikeln aus den Jahren 1912-1914 wurde einerseits Opiumkonsum in der französischen Marine und in französischen Hafenstädten problematisiert und andererseits Kokainkonsum (z.B. auf Montmartre). Diese Artikel hatten, obwohl sie in deutschen Zeitungen erschienen, meist keinerlei Bezug zum Reich. Nur manchmal wurde die Herkunft der Betäubungsmittel diskutiert148 oder ein deutscher Kokainkonsument beschrieben.149 Entscheidend ist, dass unter den hier berücksichtigten Artikeln bis 1919 im Kontext Betäubungsmittelkonsum im Ausland keine konkrete Auseinandersetzung hinsichtlich der Frage stattfand, ob die Situation in Deutschland ähnlich sei.150 Diese begann erst 1919, als die Situation im eigenen Land und die Substanz Kokain thematisiert wurden. Als besonders gravierend wurde die Lage in den Tageszeitungen damals nicht dargestellt, auch wenn der Autor Julius Stinde von „zahllosen anderen“ schrieb, die an Morphium gewöhnt seien.151 Dieses Opiat stand eindeutig im Mittelpunkt des Interesses, ging es doch wie erwähnt bis in das Jahr 1919 nur in den beiden genannten Artikeln zu Deutschland um Kokain. Heroin oder Cannabis wurden ebenfalls nicht thematisiert und Opium nur selten.152 Dabei wurde in den Tagezeitungen gelegentlich sogar betont, dass es in Deutschland keine Rolle spiele. So etwa von Victor Ottmann, der 1913 geradezu humorvoll schrieb, auf Opium könne man in Deutschland „gottlob“ verzichten, denn es gebe genug zu trinken. „Deutsche Seeleute scheinen zum Glück keinen Geschmack am süßen Gift des Orients zu finden“, ergänzte er.153 In den Archivalien sind wenige problematisierende Artikel überliefert; einer davon beschreibt einen Fall zu Beginn des Jahres 1910: Bei einer „peinlichen Affäre in Bremen, in die etwa fünfzig Söhne aus angesehenen Familien verwickelt“ gewesen seien, hätten sich junge Leute „zu wüsten Orgien zusammengefundenen“ und Minderjährige verführt. Den „durch den Genuß von Opiumzigaretten willenlos“ gemachten Opfern habe man „Kuchen, Früchte, Zigaretten usw.“ vorgesetzt, die „mit Opium getränkt waren“.154 Auf demselben Blatt der 146
Morphium, 10.04.1910. Ohne Titel (oT), 18.03.1916. 148 Die künstlichen Paradiese, 19.03.1913; Die Opiumsucht in Paris, 17.10.1913; Sechs Kokainhändler in Paris festgenommen, 17.10.1913. 149 Neues aus aller Welt. Die Kokainsucht in Paris, 20.06.1913. 150 Mit Ausnahme der beiden in Kapitel 1.1 analysierten Artikel von 1910 und 1919. 151 Morphiumesser, 19.08.1910. 152 Keiner der Artikel meiner Stichprobe stellte Heroin oder Cannabis in den Mittelpunkt. 153 Der Kampf um das Opium, 19.02.1913 und 08.03.1913. 154 BArch R 86/5073. oT, oD. 147
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Akte ist eine Korrektur der Meldung aus der Frankfurter Zeitung überliefert: „Auswärtige Blätter brachten sensationell zugestutzte Meldungen über eine (…) Skandalaffäre“. Die Angelegenheit sei „gröblich aufgebauscht“ worden. Erfunden sei „die Behauptung, daß die Opfer der Homosexuellen durch Opiumzigaretten betäubt worden seien.“155 Auch wenn sich dieses Szenario auf den Gebrauch von Betäubungsmittel bezog und ihn problematisierte, ging es hier nicht um individuellen (und freiwilligen) genussorientierten Konsum.156 Eine Verknüpfung devianten bzw. delinquenten Verhaltens mit Betäubungsmittelkonsum schien aber auch schon 1910 plausibel, wie die konstruierte „Skandalaffäre“ zeigt, in der Betäubungsmittel mit männlicher Homosexualität, Verführung Minderjähriger und „wüsten Orgien“ in Verbindung gebracht wurden.157 In diesem Fall machten sich die Beamten im Gesundheitsamt die Mühe, den skandalisierenden Artikel mit seiner Korrektur zu verbinden und handschriftlich an den betreffenden Stellen darauf hinzuweisen, dass Fehlinformationen verbreitet wurden.158 Als Erscheinungsdatum ist der 11. April 1910 vermerkt; kurz zuvor war der Artikel „Narkotika“ erschienen.159 1910 gab es also einen ersten sensiblen Moment, von dem mehrere problematisierende Beiträge aus dem Reichstag und aus Zeitungen überliefert sind. Den dominierenden Diskurs konnten sie zu diesem Zeitpunkt nicht nachhaltig verändern. Wir sehen aber, dass auch in Deutschland um 1910 (kurz nach der Konferenz von Schanghai) das Interesse am Thema Betäubungsmittel wuchs. 1.2.2 „Die Lampen waren rot verkleidet, die Fensterschreiben waren aus rosafarbigem Glas“ – Abwertung im Kontext „Betäubungsmittel in Frankreich“ nach deutschen Pressestimmen Besondere Aufmerksamkeit verdient eine Sammlung von Zeitungsnotizen und artikeln zu Frankreich, die aus der frühen Phase der Berichterstattung zu Betäubungsmitteln in Deutschland stammt und aufgrund ihrer fokussierten Thematik (Opiatkonsum in der französischen Marine sowie Kokainkonsum, v.a. in Paris) und ihrer komprimierten Erscheinungszeitraums zwischen November 1912 und 155
BArch R 86/5073. Neues aus aller Welt : eine peinliche Affäre in Bremen, 11.04.1910. Ähnlich verhält es sich mit dem erwähnten archivierter Artikel aus dem Jahr 1904, der die Vergabe von Opium als Schlaftee für Kinder thematisierte. Hierbei handelt es sich um einen Bericht aus der Deutschen Drogisten-Zeitung, der aber auf eine Tageszeitung Bezug nahm (oT, 03.09.1904). 157 Damals waren nach § 175 StGB sexuelle Handlungen zwischen Männern illegal. 158 BArch R 86/5073, zu I 1066/1910. 159 Unklar ist, ob sich das Datum auf den Artikel oder die Korrektur bezieht. 156
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Oktober 1914 ein interessantes Analysefeld darstellt. Von den 67 mir vorliegenden Artikeln bis 1919 beschäftigen sich 37 mit dem Nachbarland. Sie zeichnen ein anderes Bild als jene Berichte unserer Stichprobe, die sich auf die Situation in Deutschland bezogen. Die Beschreibungen vermittelten den Eindruck, in Frankreich (insbesondere in Paris bzw. in dem – wie es hieß – „besonders lasterhaften und in jeglicher Hinsicht verseuchten Montmartre“160) sei Kokainkonsum gang und gäbe gewesen: Ein Londoner Händler habe „fast die ganze Pariser Aristokratie“ mit Drogen versorgt und sei deshalb „Hoflieferant“ genannt worden.161 Andernorts wurde der Konsum als vollkommen alltäglich beschrieben: „In dieser merkwürdigen Stadt (…) gibt es wohl kaum jemand, der nicht wüßte, daß das Kokain in jenen Kreisen, denen diese Damen angehören, zu den täglichen ‚Gebrauchsgegenständen' zählt, wie ihre Puderquaste und ihr roter Lippenstift. Zahllos sind die Opfer des Kokains dort drüben in Montmartre“.162
Es sticht besonders hervor, dass als Konsumierende v.a. Frauen präsentiert wurden und dass es hieß, diese hätten mehr Drogen genommen als Männer. Die Darstellung entspricht den Forschungsergebnissen von Emmanuelle RetaillaudBajac (2001: 89-93), die nachweist, dass diese Zuschreibung den französischen Diskurs durchzog. Analog konstatiert Marek Kohn (2001: 177) in seinem Buch Dope Girls in Hinblick auf Großbritannien, dass auch dort der Konsum von Kokain insbesondere Frauen zugeschrieben wurde: „young womanhood acquired an extraordinarily distinct identity; as image, as object of desire, as fetish, as problem, and as the agent of modernity. The consequent feminisation of drugs, especially cocaine, was equally marked”.
In den auf das Deutsche Reich bezogenen Artikeln tauchen Frauen als Drogen konsumierende oder sie verkaufende Prostituierte auf (sowie später gelegentlich als Schmugglerinnen). In Deutschland hob der Diskurs des gesamten hier untersuchten Zeitraumes Frauen entgegen der Darstellungen aus Frankreich und Großbritannien allerdings nicht besonders hervor. Besonders auffällig ist, dass in den Artikeln zu Frankreich Betäubungsmittelkonsum und -handel häufig mit dem Feld der Prostitution verknüpft wurde: In jedem dritten bis vierten Artikel kamen Prostituierte, „Halbweltdamen“163 oder auch mal eine „Grisette“164 vor.165 Einmal hieß es „mindestens die Hälfte aller 160
Frankreich in der Narkose, 31.12.1912. Pariser Opiumsalons, 26.02.1914. 162 Kameliendamen, 04.10.1913. 163 OT, 04.03.1913. 164 OT, 03.03.1913. 165 Z.B.: OT, 18.03.1913; oT, 04.03.1913; Das verheerende Opium, 23.04.1913. 161
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sogenannten Montmartredamen sind mehr oder weniger starke Kokainschnupferinnen“166, ein andermal, „Frauen der Halbwelt“ hätten das „Laster“ von den Offizieren übernommen und ihrerseits Offiziere und Kadetten „verführt“.167 Pauschalisierend und abwertend berichtete etwa F. Daum, sterbe eine „Dirne dritter oder vierter Rangstufe“ aufgrund von Kokainkonsum, würde das normalerweise niemanden interessieren. Er suggerierte, es käme häufig vor, dass eine Prostituierte „einer Dosis Kokain erlegen“ sei.168 Auch die Frankfurter Zeitung schrieb 1913 zu Drogen in Frankreich: „Die Prostitution gibt dem schlimmeren Uebel ein sicheres Asyl“169 und stellte eine negative Hierarchie abweichenden Verhaltens auf, indem sie Prostitution als Übel, Drogen aber als noch problematischer einstufte. Verallgemeinernde und abwertende Darstellungen dieser Art fanden sich also auch in einem der renommiertesten zeitgenössischen Presseorgane Deutschlands. Quellen für diese Verknüpfung nannten die Autoren meist nicht und so sind die Behauptungen in aller Regel nicht nachprüfbar. Entscheidend ist allerdings ohnehin nicht, ob es Drogen konsumierende Prostituierte gab (das steht ebenso wie für andere Gruppen außer Frage)170, sondern, dass der Konsum bei dieser Gruppe Nachrichtenwert hatte und als Problem dargestellt wurde, bei anderen aber nicht. Möglicherweise wurde erst durch die Verknüpfung mit dem Feld Prostitution aus einer banalen auf Betäubungsmittel bezogenen Nachricht eine Meldung – anders etwa, als es bei einem Kokain schnupfenden Medizinstudenten gewesen sein mag. Aber auch über die Verknüpfung mit Prostitution hinaus ist an der Artikelserie zu Frankreich die moralische Abwertung der Konsumenten besonders auffällig; sie erfolgte teils sehr explizit, teils schien sie nur implizit durch. Gemein ist den meisten Schilderungen – und das trifft auf 23 der 37 Artikel zu – dass Betäubungsmittelkonsumenten und -händler mit negativen Begriffen beschrieben oder mit Normabweichungen in Verbindung gebracht wurden. Dies ist besonders erstaunlich, weil viele nur kurze Notizen von unter einhundert Wörtern sind. Anzumerken ist, dass es in keinem einzigen der zu Frankreich überlieferten Berichte um iatrogene Abhängigkeit ging,171 sondern immer um Genusskonsum und dessen Folgen, womit sie in starkem Kontrast zu den damaligen auf Deutschland bezogenen Beschreibungen stehen. Zum Nachbarland ist außerdem 166
Ein neues Pariser Laster, 03.12.1912. OT, 25.04.1913. 168 Frankreich in der Narkose, 31.12.1912. 169 Das Opium in der französischen Flotte, 02.05.1913. 170 Eine Analyse des Drogenkonsums von Prostituierten im Paris der Zwischenkriegszeit bei Retaillaud-Bajac (2000: 105-108). 171 Also um Patienten, die nach medizinisch indizierter Verwendung von Betäubungsmitteln abhängig geworden seien. 167
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kein längerer Artikel überliefert, der sich deutlich um eine sachliche Auseinandersetzung bemüht hätte.172 Betäubungsmittelkonsum wurde teilweise moralisch abwertend als Laster173 beschrieben, aber auch mit medizinischen Begriffen wie Seuche174 bezeichnet, ohne dass explizit gemacht wurde, was nun genau am Substanzgebrauch negativ zu bewerten sei – oder auch nur, was diese Bezeichnungen rechtfertigen würde. Für uns entscheidend sind die Assoziationen, die hervorgerufen wurden; das Bild, in welches Betäubungsmittelkonsum eingeschrieben wurde. Dieses Bild war insbesondere bei längeren Artikeln i.d.R. sehr negativ, was durch die Zuschreibung dekadenter Verhaltensweisen, durch unmoralische Assoziationen oder unmittelbar durch die Verknüpfung mit deviantem Verhalten hervorgerufen wurde. Einen Eindruck von der Bandbreite der negativen Zuschreibungen vermitteln die folgenden Beispiele, etwa ein Artikel zu einer polizeilichen Durchsuchung, zu der laut B.Z. am Mittag die Polizisten vor Gericht „ulkige Milieuschilderung“ gegeben hätten.175 Detailverliebt wurde im Artikel „Pariser Opiumsalons“ vom Februar 1914 berichtet, dass die „Dame des Hauses (…) nur mit einem roten Seidenüberwurf bekleidet“ gewesen sei und „eine grüne Perücke“ trug, als Polizisten sie festnahmen. „Sie war eben im Begriff, in diesem futuristischen Milieu etwas heißgemachten Caviar (!) zu verzehren“, hob der Autor sogar durch ein Ausrufezeichen hervor. Das futuristische Milieu bestand in einem Salon, der „ganz mit chinesischer grüner Seide ausgeschlagen“ war. „Die Lampen waren rot verkleidet, die Fensterscheiben waren aus rosafarbigem Glas“. Auch wenn sie als polizeiliche Aussage vor Gericht zunächst glaubwürdig und auch sehr illustrativ sind: Hohen Informationsgehalt hatten all diese Details nicht. Vielmehr sollten sie wohl ein möglichst genaues Bild von den vermeintlichen „Pariser Opiumsalons“ zeichnen und zeigen, dass der Konsum in einem Umfeld zu verorten sei, das, wenn es nicht eindeutig der Prostitution zuzuschreiben wäre, so doch zumindest anrüchig sei. Der Hinweis auf den Kaviarkonsum verdeutlicht, dass das Milieu in den Augen des Autors eines ganz gewiss war: dekadent. Neben der Verknüpfung mit der Prostitution und der
172 In 13 kürzeren Artikeln zu Frankreich findet sich keine direkte Abwertung. Artikel vom: 05.12.1912; 24.02.1913; 29.04.1913; 29.04.1913; 13.06.1913; 20.06.1913; 08.09.1913; 01.10.1914; 03.10.1913. 173 Artikel vom 03.12.1912; 25.04.1913; 29.04.1913; 22.04.1913; 02.05.1913. 174 Ein neues Pariser Laster, 03.12.1912; Die Morphiumseuche in Paris, 03.01.1913. 175 Pariser Opiumsalons, 26.02.1914
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„Halbwelt“176 gab es auch die Vorstellung, besonders in höheren Gesellschaftskreisen177 sei Kokain verbreitet. Gelegentlich wurde der Konsum auch abwertend als Mode beschrieben.178 Ein Stilmittel der Artikel war, durch Szenebegriffe Nähe zum Gegenstand auszudrücken, z.B. wurde Kokain mit dem französischen Slangbegriff „Coco“179 bezeichnet. In einem anderen Artikel wurde in ironischer Art über die vermeintliche Kultiviertheit der Franzosen gesprochen und suggeriert, die Deutsche (Bier-)Kultur sei der Französischen überlegen: „Man trank den Aether, wie die unkultivierten Deutschen Bier zu trinken pflegen.“180 Die Gegenüberstellung von Drogenkonsum und moralisch korrektem Verhalten erfolgte teilweise sehr explizit. So hieß es zum Tod einer jungen Frau, sie sei in der „Rue des Vertus, der Straße der Tugenden“ aufgewachsen, was süffisant mit „es gibt doch witzige Zufälle“ kommentiert wurde.181 Ein anderer Autor schrieb, „der Opiumgenuß [treibt] in eine völlige Morallosigkeit hinein“, die Konsumenten gäben Ehre und Würde auf und würden vor Verbrechen nicht zurückschrecken.182 Andernorts verwies man auf „allgemeine Disziplinlosigkeit“ und bezeichnete die zunehmende Kinderlosigkeit der Franzosen als „andere (…) Entartungserscheinung“ (neben jener des Betäubungsmittelkonsums), womit der Autor besonders scharfe Worte fand.183 Auch Tätowierungen von involvierten Frauen wurden in einer Form beschrieben, die sie als abwertendes Element erscheinen lassen; z.B. war die „dunkle Tätowierung“ der Toten aus der Rue des Vertus (ein Katzenkopf) erwähnenswert.184 Die Bandbreite der mit dem Drogenkonsum der Franzosen assoziierten Bilder war allerdings noch viel breiter: Kokainisten würden Geschwindigkeit lieben und gerne Spritztouren mit schnellen Autos machen, hieß es einmal185 oder der Pariser Polizeipräsident sei „ein ‚invertierter' Aetheromane“186. Dann wieder lernte man, diese Menschen seien daran zu erkennen, dass sie „geräuschvoll durch die Nase atmen“187 und
176
Z.B. Frankreich in der Narkose, 31.12.1912; oT, 25.04.1913; oT, 04.03.1913. Z.B. Pariser Opiumsalons, 26.02.1914; Die Opiumschmach zu Ende, 02.05.1913; oT, 24.02.1913; Frankreich in der Narkose, 31.12.1912. 178 Pariser Opiumsalons, 26.02.1914. 179 Kokainisten in Paris, 30.11.1912; Kameliendamen, 04.10.1913. 180 Kameliendamen, 04.10.1913. 181 Kameliendamen, 04.10.1913. 182 Das Opium in der französischen Flotte, 02.05.1913. 183 Frankreich in der Narkose, 31.12.1912. 184 Kameliendamen, 04.10.1913. Ebenfalls zu Tätowierungen: Pariser Opiumsalons, 26.02.1914. 185 Kokainisten in Paris, 30.11.1912. 186 Frankreich in der Narkose, 31.12.1912. 187 Kokainisten in Paris, 30.11.1912; ähnlich: Ein neues Pariser Laster, 03.12.1912. 177
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schließlich durfte eine Verknüpfung mit den die Kriminalitätsfurcht im Frankreich jener Zeit prägenden „Apachen“ nicht fehlen.188 Diese Reihung unterschiedlichster negativer Assoziationen zeigt: Mit Betäubungsmittelkonsum war vieles verbunden – nur nicht gesellschaftlich etablierte Moralvorstellungen. Er ging in den Augen der Autoren Hand in Hand mit abweichendem Verhalten und zwar in verschiedenster Form. Dabei lässt sich nicht konkret herausarbeiten, worin genau der Zusammenhang zwischen dem Abweichen von gesellschaftlichen Normen und Betäubungsmittelkonsum bestanden haben soll – vielmehr fällt auf, wie breit gestreut und diffus die negativ besetzten Zuschreibungen waren. Man kann die einzelnen Darstellungen als en passant eingebautes Stilmittel zur Illustration verstehen, in der Gesamtschau zeigt sich aber ein eindeutig abwertendes Bild. Auch wenn die Verfasser der Zeitungsartikel nicht viel über Drogengebraucher wussten, so waren sie sich doch einig, dass außermedizinischer Betäubungsmittelkonsum unmoralisch sei und nicht in das eigene Selbstbild passte. Ob die hier dargestellten Szenarien zumindest teilweise auf Tatsachen beruhten, ist für unsere Analyse letztlich unerheblich. Zentral ist vielmehr, dass die in den Zeitungsnotizen zu Frankreich verbreiteten vielschichtigen Verknüpfungen von Betäubungsmitteln und abweichendem Verhalten dazu beitrugen, den Konsum der Substanzen selbst als eine Form der Abweichung festzuschreiben. Dabei war es für die Autoren nicht nötig, genau zu definieren, was sie am Betäubungsmittelkonsum negativ bewerteten – eine Verknüpfung mit abwertenden Beschreibungen genügte. Ähnlich konstatiert Jean-Jacques Yvorel (1992: 215) zur Verbindung von Prostitution und Drogen im französischen Diskurs: „Réel ou fantasmatique, ce rapport contribue à forger la vision d’une ‚toxicomanie’ perçue comme déviante.“ Und Emmanuelle Retaillaud-Bajac (2000: 108) kommt sogar zu dem Schluss, dass Drogen im Kontext der Prostitution zu einem weiteren Marginalisierungsfaktor „au sein même de la marginalité prostitutionnelle“ geworden seien. Das Nachbarland Frankreich, zu dem ein gespanntes Verhältnis bestand (Bariéty/Guth/Valentin 1987; Bariéty/Poidevin 1982; Neri-Ultsch 2005), diente Deutschland hier m.E. als Folie, auf die ein Bedrohungsszenario projiziert wurde. Interessant ist, dass auch in Frankreich Berichte erschienen, die die Situation in Deutschland als dramatisch darstellten – und das lange bevor man in Deutschland selbst von einem Problem mit Drogen ausging. Der Artikel „Cocaïnomanie“ aus der nationalistischen Tageszeitung Action Française 188 „Die Titulierung ‚apache’ (…) insinuierte um 1900 ein umfassendes Konglomerat aus unangepaßter Lebensweise und asozialer Unkultur.“ Sie „umfasste (…) beinahe die Totalität unerwünschten, ‚abweichenden Verhaltens’ im Sinne eines ‚Kontinuums sozialer Normwidrigkeiten’“ konstatiert Bettina Schmidt (2005: 22). Frankreich in der Narkose, 31.12.1912.
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berichtete von „ganzen Dörfern von Morphio-Kokainisten“ und wertete die Deutschen extrem ab: „Néamoins, nous n'en sommes pas encore, Dieu merci, au point de nos mauvais voisins, chez lesquelles existent des villages entiers de Morphino-Cocaïnomanes parvenues au dernier degré de la dechéance et retournés à l'animal par la voie imprévue de perfectionnement thérapeutique.“189
Das zeitgenössische Wissen zu Drogen war so undifferenziert, dass in beiden Ländern höchst dramatische Darstellungen zum Betäubungsmittelkonsum der Nachbarn glaubhaft schienen. Dass die Abqualifizierung von Gegnern auf der Ebene des Konsums nichts Ungewöhnliches war, zeigt der Hinweis von Jeismann (1992: 352), dass „vermeintlich allgemeine Eß- oder Trinkgewohnheiten der Bevölkerung des feindlichen Staates zur ethischen Disqualifizierung verwendet werden.“ Wahrscheinlich dienten derartige Szenarien (neben der Abwertung des Gegners) dazu, das als ungeheuer bedrohlich angesehene Potenzial von Betäubungsmitteln zu illustrieren. Dabei rückte die Verortung des Problems im Nachbarland es einerseits in räumliche Nähe, womit es zu einer unmittelbaren Gefahr für die eigene Nation wurde. Andererseits konnte durch die Entfernung kaum nachgeprüft werden, ob die Darstellungen auf Tatsachen beruhten. Ein konkretes Problem mit Drogen sahen die Autoren bis 1919 offensichtlich nur im Ausland, wobei die Situation in Frankreich ausgesprochen stark dramatisiert wurde. Im eigenen Land problematisierte man den Konsum von Kokain und Opiaten hingegen bis dato kaum und auch eine Verknüpfung zwischen Betäubungsmittelkonsum und Devianz spielte bis ca. 1919 in Hinblick auf die Situation im eigenen Land keine Rolle. Zusammenfassend ist zu den bis 1919 erschienen Zeitungsartikeln zu sagen, dass die grundsätzliche Perspektive, Betäubungsmittelkonsum als gesellschaftliches Problem zu interpretieren, in Deutschland lange vor den ersten umfassenden Diskussionen um die Entwicklung im eigenen Land, die in den folgenden Kapiteln untersucht werden soll, denkbar war. Transnationale Einflüsse waren m.E. hierfür prägend, denn durch die Beobachtung und Bewertung der Situation in China und vielen weiteren Ländern war das grundlegende Wahrnehmungsraster in Deutschland bereits angelegt: Betäubungsmittelkonsum galt lange vor den 1920er Jahren als gefährlich, aber man bezog dieses als Bedrohung wahrgenommene Phänomen zunächst noch nicht auf das eigene Land. Wenn, dann ging es in aller Regel um Verwendung von Drogen, die ihren ursprünglichen, den 189
BArch R 86/5060, Cocaïnomanie. In: Action Française, 30.07.1913. Laut Yvorel (1992: 136f) wurde dieses Szenario auch in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben.
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medizinischen, Rahmen verlassen hatte. Auffällig ist, dass die Beschreibungen vom Fernen Osten immer näher rückten: In räumlich näher liegende Länder bzw. in solche, zu denen kulturell und politisch engere Beziehungen bestanden, wie die USA und schließlich das Nachbarland Frankreich. Festzuhalten bleibt: Vor 1919 waren Betäubungsmittel in Deutschland kein großes Thema. Die Wahrnehmung von Drogen in der Öffentlichkeit war – abgesehen von dem alltäglichen Gebrauch als Arzneimittel – u.a. durch Darstellungen der Tagespresse geprägt und konzentrierte sich auf Morphium. Dass die Berichterstattung sich v.a. auf andere Länder bezog und sich dabei insbesondere um als hochgradig problematisch bewertete Szenarien drehte, bereitete den Boden für eine problematisierende und dabei abwertende Wahrnehmung auch in Bezug auf das eigene Land. Ein solcher Bezug tauchte in der deutschen Tagespresse bis 1919 nur gelegentlich auf. Es gab aber bereits erste Thematisierungen, die sich auf Deutschland bezogen und diese erhielten, wie wir in Kapitel 1.1 gesehen haben, große Aufmerksamkeit, was m.E. an der Sensibilisierung durch die Berichterstattung über andere Länder lag. Außerdem dürfte der Diskurs um Alkoholkonsum die Wahrnehmung von Opiaten und Kokain zumindest implizit beeinflusst haben. Direkte Bezugnahmen auf Alkohol waren aber keineswegs die Regel. Eines zeigte dieses Kapitel eindeutig: Auch schon vor dem Opiumgesetz von 1920 und vor dem Haager Abkommen gab es in Deutschland eine Thematisierung von Betäubungsmitteln, die den Konsum und die Konsumenten abwertete. Bevor das Phänomen konkret auf Deutschland bezogen wurde, können wir von einer latenten Phase der Problematisierung sprechen. Der Prozess der Problemgenese war derart komplex, dass der eigentliche primäre Akteur nicht ermittelt werden kann – je nachdem, was man als Kern der Problematisierung bezeichnet, waren dies die den Opiumkonsum im Ausland berichtende Tagespresse oder auch Mediziner, die die Verschreibungspraxis ihrer Kollegen kritisierten. Richtet man den Blick auf die rechtliche Ebene, wie es Scheerer (1993) tat, so kommt der Staat als primärer Akteur infrage. Das, was wir heute als „Drogenproblem“ bezeichnen, hatte bereits an der Wende zu den 1920er Jahren viele Dimensionen und verschiedene Vorläuferprobleme.
2 Deutschland rückt in den Fokus des Interesses: Betäubungsmittel 1919-1923 Deutschland rückt in den Fokus des Interesses: Betäubungsmittel 1919-1923
Im folgenden Kapitel geht es mit der Phase von 1919 bis 1923 um die Zeit, in der die Aufmerksamkeit für Drogen immer konkreter wurde und sich direkt auf Deutschland bezog. Zwar setzten sich weiterhin nur wenige Personen mit dem Gegenstand auseinander, wir werden aber einem neuen kollektiven Akteur begegnen: Als Experten angesehene Mediziner beeinflussten den Problematisierungsprozess ab 1920 entscheidend. Zunächst wenden wir uns jedoch der Auseinandersetzung staatlicher Institutionen mit Betäubungsmitteln zu. 2.1
„Mangels jeden Beweises müssen hiernach die (…) bislang aufgetauchten Nachrichten als nicht den Tatsachen entsprechend erachtet werden“ – Entwicklung auf staatlicher Ebene 1919-1923 Entwicklung auf staatlicher Ebene 1919-1923 Zunächst geht es im Kapitel zur staatlichen Ebene um die Entwicklung der Gesetzgebung. Es folgt eine Untersuchung der Auseinandersetzung um Betäubungsmittel im parlamentarischen Kontext und schließlich blicken wir auf die Frage der Problemwahrnehmung von staatlicher Seite. 2.1.1 Das erste deutsche Betäubungsmittelgesetz von 1920 – Kontinuität oder Bruch? Bislang wurde der 1. Januar 1921 meist als einschneidendes Datum der deutschen Betäubungsmittelgesetzgebung interpretiert (Scheerer 1982; Selling 19891; Holzer 2002). Peter Selling (1989-2: 284) vertritt wie bereits erwähnt die These, Deutschland sei 1919 „unfreiwillig in das sich entwickelnde System der internationalen Drogenverfolgung eingegliedert worden“. Aber selbst wenn es im Reich 1912 Vorbehalte gegen das Haager Abkommen gegeben hatte, so muss doch berücksichtigt werden, dass das 1920 aufgrund der Verpflichtung im Versailler Vertrag verabschiedete Gesetz kein radikaler Bruch mit den vorhergehenden Maßnahmen war und dass damit dieser Schritt dem Land keineswegs
A. Hoffmann, Drogenkonsum und -kontrolle, DOI 10.1007/978-3-531-94045-8_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
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entgegen aller vorhergehenden Regelungen „diktiert“ wurde, wie Selling schreibt (1989-2: 284). Auch wenn die Verordnung von 1901 „keinerlei gesundheitspolitische Intentionen“ verfolgt haben mag und jene von 1917 und 1918 aufgrund „kriegsbedingter Engpässe“ erlassen worden waren (Selling 1989-2: 284): Der inhaltliche Unterschied zu den bestehenden Maßnahmen war, wie wir sehen werden, geringer als die Forschung lange betonte. Hier wird zu zeigen sein, dass sich der Umgang mit Betäubungsmitteln in der Zeit um 1920 grundlegend änderte, dass dies aber v.a. an der sich wandelnden Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums lag. Bevor wir zum ersten deutschen Betäubungsmittelgesetz kommen, wenden wir uns der Chronologie folgend noch einer Verordnung zu, die als letzte Maßnahme vor Umsetzung des Haager Abkommens am 20. Juli 1920 erging und inhaltlich „nahezu deckungsgleich mit der Verordnung vom 15.12.1918“ war (Wriedt 2006: 67). Über die Intention der Maßnahme erfahren wir Näheres aus einem „Vermerk über das Ergebnis der Sitzung vom 17. Mai 1920, betreffend Einrichtung einer Kontrolle über den Verkehr mit Cocain.“ Die Vertreter des Reichsgesundheitsamtes und des Preußischen Wohlfahrtsministeriums hatten betont, „daß der Schwerpunkt der Angelegenheit nicht auf wirtschaftlichem sondern auf medizinalpolitischem Gebiet zu suchen sei und daß der in zahlreichen Fällen beobachtete Cocainmißbrauch dringend dazu nötige, entsprechende vorsorgliche Maßnahmen zu treffen.“190
Es ist nicht überliefert, ob sich die Vertreter des RGA und des Preußischen Wohlfahrtsministeriums hier auf Missbrauch im medizinischen Kontext oder auf genussorientierten Konsum bezogen. Rufen wir uns aber in Gedächtnis, dass Reichsgesundheitsamt-Präsident Bumm diesbezüglich noch wenige Monate zuvor resümiert hatte, „besondere Maßnahmen gegen den Missbrauch von Kokain“ würden „zur Zeit nicht als nötig erscheinen“ und man habe nirgends Stätten gefunden, „an denen Kokain an eine größere Anzahl von Personen zu missbräuchlicher Benutzung abgegeben würde“.191 Falls es den Beteiligten um hedonistischen Konsum gegangen sein sollte, wäre dies erstaunlich, fand doch die Erarbeitung der Verordnung in zeitlich nächster Nähe zur Auswertung der Umfrage statt. Hatte sich die Wahrnehmung des Kokainkonsums im RGA 190 BArch R 1501/110395, S. 148, Vermerk über das Ergebnis der Sitzung vom 17.05.1920, betreffend Einrichtung einer Kontrolle über den Verkehr mit Cocain, zu II A 2035. An der Beratung waren auch Vertreter der chemisch-pharmazeutischen Industrie beteiligt, die neben den Repräsentanten des preußischen Wohlfahrtsministeriums die Entscheidungsfindung beeinflussten. Einen Bezug zum Haager Abkommen und dessen bevorstehender Umsetzung habe ich in den Archivalien zur Vorbereitungen der Verordnung im Übrigen nicht gefunden. 191 BArch R 1501/110395, S. 113, RGA an RMI, 14.02.1920, II 1036/20.
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innerhalb weniger Monate so stark verändert, ohne dass hierfür neue (auch nur annähernd ähnlich aufwändige) Untersuchungen wie 1919 durchgeführt worden wären? Dies kann mangels verlässlicher Quellen in Hinblick auf diese Verordnung nicht genau untersucht werden. Wir müssen uns für diesen Zeitraum auf die anderen Akteure konzentrieren und uns dem Reichsgesundheitsamt erst wieder in der Folgezeit zuwenden. Nach den ergebnislosen Ratifizierungskonferenzen und dem Leerlauf im Ersten Weltkrieg kam die Opiumfrage mit den Friedensverträgen wieder auf die internationale Agenda, denn dort wurde die Ratifizierung des Haager Abkommens festgeschrieben.192 Die Umsetzung wurde nicht sofort in Angriff genommen und so geriet Deutschland unter Zeitdruck. Am 30. Dezember 1920, unmittelbar vor Ablauf der Umsetzungsfrist, wurde das Gesetz im Reichstag ohne inhaltliche Wortmeldungen verabschiedet und innerhalb weniger Minuten in erster, zweiter und dritter Lesung angenommen.193 Die Gesetzesbegründung rekurrierte auf die Unterzeichnung des Haager Opiumabkommens und auf die aus Artikel 295 des Versailler Vertrages resultierende Verpflichtung zur Ratifizierung194 – es stand nicht grundsätzlich zur Debatte, ob das Gesetz verabschiedet werden sollte. Spielraum hätte es trotz Ratifizierungsverpflichtung dennoch gegeben, wie die unterschiedliche Umsetzung des Haager Abkommens in den anderen Ländern, zum Beispiel in Großbritannien, zeigt (Arndt 2000). Hervorgehoben wurde der „in erster Linie auf den Schutz der Volksgesundheit Bedacht nehmenden Charakter des Gesetzes“; Ziel sei die Gesunderhaltung des Volkes und ein Unterbinden von missbräuchlicher Verwendung von Betäubungsmitteln gewesen.195 Was damit konkret gemeint war – was „Volksgesundheit“ bedeute und wie das Gesetz sie konkret schützen solle – wurde hier (und auch später) nicht definiert.196 Ob das reine Wohlbefinden in körperlicher und geistiger Hinsicht im Mittelpunkt stehe, ob es um die Individuen oder die Gemeinschaft gehe, ob auch die Erhaltung von „wertvollen 192 Die Ratifizierung wurde demnach nicht nur für die Kriegsverlierer verpflichtend. Scheerer (1982: 48) weist darauf hin, dass Artikel 295 auf Bestreben der Internationalen Vereinigung für den Kampf gegen das Opium in Peking und England eingeführt worden sei (vgl. Holzer 2002: 104). RGBl 1919, Nr. 140 (Nr. 6958), S. 157ff, Gesetz über den Friedensschluß zwischen Deutschland und den alliierten und assoziierten Mächten, 19.07.1919. Artikel 295 des Versailler Vertrages ist zu finden in Abschnitt I (Handelsbeziehungen), Kapitel 5 (Allgemeine Bestimmungen). Verfügbar unter: (15.08.2009). 193 StB, 17.12.1920, Bd. 346, S. 1762, Beratung des Entwurfes eines Gesetzes zur Ausführung des internationalen Opiumabkommens vom 23.01.1912; Nr. 1128 der Anlagen: Entwurf, Begründung. 194 Erster Abschnitt der Einleitung (S. 4), sowie zu § 2, S. 6. 195 Begründung. Zu § 1, S. 5 196 Dass der Begriff „Volksgesundheit“ auch in der Sekundärliteratur zu Betäubungsmitteln meist unpräzisiert verwendet wurde und wird, zeigt Haas (2001).
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Arbeitskräften für Staat und Volk“ eine Rolle spielte (wie es ja noch 1917 explizit hieß) oder ob möglicherweise die gesellschaftliche Ordnung geschützt werden sollte, wurde nicht erläutert. Ebenso wenig wurde definiert, worin die Bedrohung der Volksgesundheit durch Betäubungsmittel konkret bestanden habe, obwohl dies für die Beurteilung des (möglichen) Gefährdungspotenzials der Substanzen entscheidend gewesen wäre. Aber selbst im Kontext der Gesetzesbegründung wurde weder im Reichsgesundheitsamt noch auf anderer Ebene definiert, was gefährlich am Drogenkonsum sei. Ebenso wie der Artikel 295 im Versailler Vertrag im Vergleich zu anderen dort festgeschriebenen Verpflichtungen als unbedeutend einzustufen ist, war die Einführung der Betäubungsmittelgesetzgebung in Deutschland eine Randnotiz angesichts der gravierenden politischen Umgestaltungen jener Zeit. Dies mag dazu beigetragen haben, dass den Regelungen keine Aufmerksamkeit zukam. Aber auch in den Folgejahren fand eine Reflektion der Maßnahmen auf der politischen Bühne nicht statt. Mit dem 1. Januar 1921 wurden Ein- und Ausfuhr, Herstellung und Verarbeitung der schon zuvor kontrollierten Substanzen sowie der Verkehr mit ihnen unter die zentrale Aufsicht des Reichsgesundheitsamtes gestellt. Grundlegende Elemente des Gesetzes, wie die betroffenen Substanzen, das Strafmaß, die Kontrollmaßnahmen (Lagerbuchführung) und das Genehmigungsverfahren (Bezugsscheine), waren mit den vorangegangenen Verordnungen identisch.197 Absolut neu war das vollständige Verbot einer Substanz: Rauchopium war in Deutschland ab 1921 nicht mehr verkehrsfähig. Nimmt man die Perspektive der Konsumenten ein, hätte das Gesetz selbst kein besonderer Einschnitt sein müssen – die Neuerungen waren für sie nicht entscheidend, denn es gab keine besondere Verschärfungen gegenüber den vorhergehenden Regelungen: Die Abgabe von Betäubungsmitteln an Endverbraucher blieb auf Apotheken beschränkt; sie durften dort nur als Heilmittel erworben werden und die Strafandrohung wurde nicht erhöht. Auch die unmittelbar mit den Gebrauchern in Kontakt stehenden Apotheker mussten die gleichen Kontrollmaßnahmen berücksichtigen wie zuvor und für Ärzte gab es ebenfalls noch keine expliziten Einschränkungen. Unmittelbar im Fokus des Gesetzes standen Menschen, die Drogen aus hedonistischen Motiven einnahmen, ohnehin nicht, denn der Konsum selbst wurde – obwohl dies durchaus denkbar war, wie das
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Es gab theoretisch die Möglichkeit, Betäubungsmittel zu wissenschaftlichen (vormals auch zu künstlerischen) Zwecken, in Apotheken zu beziehen. Allerdings ist nicht überliefert, dass diese Möglichkeit genutzt wurde, um Drogen für den Genusskonsum zu erwerben. Allem Anschein nach wurden sie in erster Linie auf dem Weg über Arzt und Apotheker bezogen.
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Beispiel Frankreich zeigt – nicht illegalisiert.198 Die Kontrollmaßnahmen wurden präzisiert und ihr Geltungsbereich erweitert: Als inhaltliche Neuerung wurde ab 1921 neben dem Verkehr199 auch der sonstige Umgang mit Opiaten und Kokain kontrolliert, denn auch Ein- und Ausfuhr, Herstellung und Verarbeitung wurden der Aufsicht des Reichsgesundheitsamtes unterstellt. Im Gegensatz zu den Konsumenten änderte sich für die Produzenten und Händler von Betäubungsmitteln die Rechtslage also entscheidend. Neu war 1921, dass die betäubungsmittelspezifischen Regelungen nicht per Verordnung erlassen wurden, sondern nun Gesetzeskraft hatten. Die Bedeutung der Maßnahme (ein von Reichstag und Reichrat verabschiedetes Gesetz, gezeichnet vom Reichspräsidenten Ebert und dem Reichsminister des Inneren Koch) mag von den Betroffenen und der allgemeinen Bevölkerung als größer wahrgenommen worden sein (die zuletzt erlassene Verordnungen wurde durch das Reichministeriums für wirtschaftliche Demobilmachung erlassen und von RMI Lewald gezeichnet). Faktisch hatte diese Neuerung aber keine Relevanz. Das Verbot von Rauchopium in § 7 deutet hingegen den inhaltlich verschärften Charakter des Gesetzes an: „Entsprechend dem Vorgehen anderer Länder soll sie [die Substanz Rauchopium; AH] (…) völlig verboten werden.“200 Der Bezug auf das Vorgehen anderer Staaten deutet an, dass hier allein aufgrund der potenziellen Verwendung von Rauchopium als Genussmittel gehandelt wurde. Praktische Relevanz hatte dieser Paragraph für Deutschland wahrscheinlich nicht, wurde doch Rauchopiumkonsum als nicht verbreitet angesehen.201 In Hinblick auf die Problemgenese war das Verbot allerdings ein entscheidender Schritt, denn implizit definierte der Gesetzgeber genussorientierten Konsum hiermit als unerwünscht. Demnach war die Einführung des ersten deutschen Gesetzes zur Kontrolle von Betäubungsmitteln kein Bruch zu den vorhergehenden Regelungen, es schreibt sich vielmehr in den sich Schritt für Schritt wandelnden Umgang mit den Substanzen ein. In Hinblick auf die von der Regierung mit der Betäubungsmittelgesetzgebung verfolgten Ziele ist erst wieder die am 20. Dezember 1923 erlassene Verordnung über die Abänderung der Ausführungsbestimmungen zum Opiumgesetz 198
In Frankreich wurde mit dem Gesetz vom 12.07.1916 die „usage en société“, der „Konsum in Gemeinschaft“, verboten (Charras 1998-1). Die vorhergehenden Verordnungen bezogen sich auf Handel, Erwerb und Veräußerung. 200 Begründung zu § 7. 201 Der zeitgenössische Diskurs thematisiert den Konsum von Rauchopium in Deutschland nicht; es gibt in der damaligen Auseinandersetzung keine Hinweise darauf, dass dieser – abgesehen von der chinesischen Minderheit in Hamburg – eine Rolle gespielt haben soll (Amenda 2006). 199
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interessant.202 In deren Begründung hieß es, bislang seien „bei der Beurteilung der Ein- und Ausfuhrfragen (…) auch wirtschaftliche Erwägungen in Frage“ gekommen, nun sollten aber „nur noch gesundheitliche Gesichtspunkte maßgebend sein“, weshalb „Entscheidung über die Ein- und Ausfuhr nunmehr völlig dem Reichsgesundheitsamte“ übertragen wurden. Zunächst scheint es, als seien ab 1923 nur noch gesundheitspolitische Fragen wichtig für die Maßnahmen zur Kontrolle von Drogen gewesen. Aber wie wir demselben Dokument entnehmen können, war neben dem Ziel der Kontrolle von Betäubungsmitteln die Außendarstellung Deutschlands weiterhin ein wichtiger Faktor, denn die Verordnung wurde erlassen, „um eine Unterbrechung der Kontrolle, die die Überwachung des inländischen Verkehrs mit Betäubungsmitteln in Frage stellen und im Ausland zu ungünstiger Beurteilung Anlaß geben würde, zu verhüten.“
Die mit der Betäubungsmittelgesetzgebung verfolgten Ziele waren demnach auch 1923 noch vielschichtig. Wie sich der Diskurs um Drogen auf parlamentarischer Ebene entwickelte, soll im Folgenden analysiert werden. 2.1.2 Diskussionen zu Betäubungsmitteln auf parlamentarischer Ebene: Die Abgeordneten Nachdem wir bereits im vorangegangenen Kapitel Diskussionen im Reichstag zu Betäubungsmitteln betrachtet haben, soll im folgenden Abschnitt analysiert werden, wie sich die Wahrnehmung des Drogenkonsums in diesem Zusammenhang ab 1919 darstellte und was dies über die Entwicklung der Problemgenese aussagt. Dafür wurden zum einen die Beiträge selbst – ihre Auslöser, ihr Inhalt, ihre (möglichen) Konsequenzen – untersucht: Auf welche Informationen griffen die Abgeordneten zurück? Woher stammte ihr Wissen über Betäubungsmittel und den Umgang mit ihnen? Äußerten sie sich zum (vermeintlich steigenden) Konsum und problematisierten sie diesen? Doch zunächst soll es darum gehen, wer sich im Reichstag überhaupt zu Drogen äußerte: Welchen Beruf, welches Geschlecht, welche Partei- und Religionszugehörigkeit hatten die Abgeordneten? Interessant ist darüber hinaus, in welchen Bereichen die an Betäubungsmitteln interessierten Parlamentarier außerdem aktiv waren.203 Um einen Vergleich zwischen den an der Diskussion Beteiligten 202 Reichsratsprotokolle 1923, S. 349/ § 1387. Zu anderen Maßnahmen wie der Ausführungsbestimmung vom 26.02.1921 sei auf Hoffmann (2005: 74) und Wriedt (2006: 76-78) verwiesen. 203 Dies war über digitale Suche in den Sprechregistern der Reichstagprotokolle zu ermitteln.
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zu ermöglichen, werden diese Fragen hier für den gesamten Untersuchungszeitraum en bloc behandelt. Insgesamt thematisierten die Abgeordneten Drogen in lediglich 14 Sitzungen des Reichstages zwischen 1900 und 1942.204 Nie handelte es sich dabei um längere Auseinandersetzungen; nur in wenigen Fällen gab es überhaupt eine Entgegnung auf die Beiträge. Dennoch sind sie in Hinblick auf die Problemgenese hochinteressant. Auffällig ist zunächst, dass alle Beiträge aus den Reichstagsdebatten von Männern stammen, dies entspricht aber der sonstigen Entwicklung: Frauen spielten lange keine wahrnehmbare Rolle in der Auseinandersetzung um Betäubungsmittel; erst Ende der 1920er Jahre kam ihr Einfluss im zivilgesellschaftlichen Feld zum Tragen (s. Kapitel 4.2).205 Angesichts der bedeutenden Rolle, die Frauen im Rahmen der „Alkoholfrage“ spielten, die gerade von der politischen Linken
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Der Untersuchungszeitraum ist hier ausgeweitet, da die Protokolle von 1918 bis 1942 geschlossen online bearbeitet werden konnten. Auch die Protokolle von Bundes- und Reichsrat wurden für die Jahre 1876 bis zur Auflösung 1934 untersucht. Da es sich bei letzteren nicht um stenographische Berichte handelt, sind sie in Hinblick auf den Problematisierungsprozess nicht interessant: Wortmeldungen einzelner Bundes- bzw. Reichsrats-Abgeordneter zu Betäubungsmitteln sind nicht überliefert. Der Reichsrat überwies Betäubungsmittel betreffende Fragen regelmäßig in die Ausschüsse. Dort wurden allerdings keine inhaltlichen Änderungen vorgenommen und die entsprechenden Berichte aus den Ausschüssen wurden im Plenum allenfalls mündlich vorgetragen, weshalb ich diese Ausschussberatungen nicht näher untersucht habe. Abgesehen von den Gesetze und Verordnungen betreffenden Thematisierungen spielten Betäubungsmittel im Reichsrat von 1919 bis zu seiner Auflösung 1934 keine Rolle. Auch in Ausschusssitzungen des Reichstags wurden Betäubungsmittel thematisiert. Dies habe ich berücksichtigt, wenn Ergebnisse in das Parlament zurückgegeben wurden und sie so Außenwirkung und damit potenziellen Einfluss auf den gesellschaftlichen Problematisierungsprozess entfalteten. Eine systematische Erhebung hätte kein lückenloses Ergebnis versprochen, da – wie Mergel (2002: 34f) betont – die Quellenbasis zu den Reichstagsausschüssen nicht vollständig ist und teilweise nur Ergebnis-, keine Wortprotokolle geführt wurden. 205 Weder auf der politisch-administrativen Ebene, noch in der Interaktion zwischen Staat und Industrie oder über Fachveröffentlichungen prägten Frauen die Problemgenese. In den Archivalien wird m.E. nur eine beteiligte Frau, Rachel Crowdy, erwähnt, die bis 1931 Leiterin der Abteilung für soziale und Opiumangelegenheiten des Völkerbundsekretariats und Sekretärin der Beratenden Opiumkommission des Völkerbundes war (PA AA R 43262, II A 2730/4.9, 06.09.1929). Im Strafrechtsausschuss meldete sich einmal die SPD-Abgeordnete Mathilde Wurm zu Wort (29.10.1928), sie beeinflusste die Debatte aber kaum. Ferner wurden lediglich zwei der deutschsprachigen Zeitungsartikel von Frauen verfasst (Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht, von Félicie Breyer, 20.11.1929 sowie Englands Opiumprofite in Indien von Agnes Smedley, der ca. 1923 erschien. Später mehr hierzu). Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass Autorinnen anonym veröffentlichten oder dass Frauen auf anderen Ebenen (indirekten) Einfluss auf den Diskurs nahmen. Abgesehen von den genannten Beispielen ist mir aber nicht bekannt, dass Frauen bis Ende der 1920er Jahre in Deutschland öffentlich zu Betäubungsmitteln Position bezogen hätten (vgl. Hoffmann 2005: 75f).
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auch als Frauenfrage verstanden wurde, ist dies bemerkenswert (Eckler-von Gleich 2000).206 Bei der parteipolitischen Zugehörigkeit der Abgeordneten ist ein breites Spektrum abgedeckt; Wortmeldungen kamen von folgenden Fraktionen: Deutschnationale Volkspartei (DNVP; Hartmann, Philipp, Schultz), Wirtschaftliche Vereinigung207 (WV; Petzold), Deutsche Demokratische Partei (Sparrer), Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD; Moses), Kommunistische Partei (KPD; Stoecker) und von der Deutsch-Konservativen Partei (v. Treuenfels). Hinsichtlich der Religionszugehörigkeit war ebenfalls ein breites Spektrum vertreten, wobei Protestanten mit vier Abgeordnete die Mehrheit stellten (v. Treuenfels, Hartmann, Schultz und Philipp), zwei Abgeordnete waren katholisch (Petzold und Sparrer), einer war Jude (Moses) und einer konfessionslos (Stoecker). Die inhaltliche Beschäftigung mit Betäubungsmitteln war demnach nicht von Parteiund Religionszugehörigkeit abhängig. Auch für Drogen galt offensichtlich, was der Abgeordnete und Abstinenzler Brejski in Hinblick auf die Alkoholfrage als selbstverständlich voraussetzte, nämlich „daß auf dem Gebiete des Schutzes der Gesundheit alle Parteien, alle Konfessionen und alle Nationalitäten ein gleiches Interesse haben, und daß jede Politik von diesem Gebiete ausgeschlossen werden muß.“208
Ein anderes Bild gibt die Verteilung der Berufsgruppen, denn auch wenn sieben unterschiedliche Felder vertreten waren, so tritt das Überwiegen der medizinischen und verwandten Arbeitsbereiche deutlich hervor: Zwei der beteiligten Parlamentarier waren Ärzte (Hartmann und Moses), einer Drogist (Petzold) und einer Apotheker (Sparrer). Ferner meldeten sich je ein Lehrer (Philipp), Jurist (Schultz) und Redakteur (Stoecker) sowie der Landwirt v. Treuenfels zu Wort. Die Hälfte der Abgeordneten hatte demnach in ihrem Berufsleben unmittelbar mit Drogen zu tun, was ein Spezifikum der am parlamentarischen Diskurs um Betäubungsmittel Beteiligten war. Eine Aufteilung der Beiträge nach chronologischen Gesichtspunkten zeigt einen sehr deutlichen Schwerpunkt ab 1925/1926. Nur zweimal wurden Opiate und Kokain vor 1925 im Reichstag thematisiert (1910 sowie Ende 1919/Anfang 1920). Alle anderen Beiträge fallen in den Zeitraum 1925 bis 1931. Damit gab es zwischen 1920 und 1925 eine große Lücke, die interessanterweise sowohl die 206
Auch in den USA spielten Frauen eine zentrale Rolle in der Prohibitionsbewegung, z.B. war die 1874 gegründete Women’s Christian Temperance Union Vorreiterin der Alkoholprohibition (vgl. Behr 1996: 35-44). 207 3. Wahlperiode: Wirtschaftliche Vereinigung (Wirtschaftspartei des Deutschen Mittelstandes); 4. und 5. Wahlperiode: Reichspartei des deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei). 208 StB, 04.03.1910, S. 1706.
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Verabschiedung des ersten Betäubungsmittelgesetzes (1920) als auch seine erste Novelle (1924) einschließt. In der Zeit, als die wichtigsten Weichenstellungen im Umgang mit Drogen vorgenommen wurden, setzte sich der Reichstag also nicht inhaltlich mit dem Thema auseinander, sondern diente lediglich als Organ zur Verabschiedung der Gesetze. Noch viel deutlicher fällt allerdings die Verteilung der Beiträge auf die einzelnen Abgeordneten ins Auge: Nur zwei äußerten sich mehrfach inhaltlich zu betäubungsmittelrelevanten Fragen: Georg Sparrer, der zwei Beiträge lieferte und – herausragende sechs Mal – Artur Petzold. Im Reichstag diskutierte demnach nur ein extrem begrenzter Kreis über Betäubungsmittel – so man überhaupt von einer Diskussion sprechen möchte, denn abgesehen von den Äußerungen Petzolds blieben die Beiträge unverbunden nebeneinander stehen. Demnach kann von einem Phänomen mit Breitenwirkung im gesamten Untersuchungszeitraum keine Rede sein; Opiate und Kokain waren im Reichstag kaum von Interesse und lediglich ein Thema für Einzelpersonen. In keiner der Fraktionen gab es auch nur annähernd so etwas wie Experten in Betäubungsmittelfragen, denn Drogenpolitik wurde selbst vom Hauptbeiträger Petzold nur als Nebenbeschäftigung betrieben. Darüber hinaus ist im Untersuchungszeitraum eine parteipolitische Positionierung zum Thema nicht zu erkennen. Die weiteren Betätigungsfelder der Redner knüpften an die unterschiedlichen Dimensionen an, die auch sonst für die Auseinandersetzung mit Betäubungsmitteln wichtig waren. Entsprechend ihrer beruflichen Qualifikation waren viele auch parlamentarisch im gesundheitspolitischen Bereich tätig. Hartmann und Sparrer beteiligten sich beispielsweise an den umfangreichen Debatten zu Alkohol. Ein Arbeitsschwerpunkt von Walter Stoecker lag hingegen in der Außenpolitik. Andere Abgeordnete beschäftigten sich mit Fragen, die häufig mit Betäubungsmitteln zusammengedacht wurden wie z.B. Geschlechtskrankheiten und Prostitution. Dies trifft auch auf den Hauptredner Artur Petzold zu, der in unterschiedlichen Politikfeldern sehr aktiv war (v.a. in wirtschaftlichen Fragen, die den Mittelstand betrafen, oder in der Gesundheitspolitik). Seine Beiträge bewegten sich oft in der politischen Schnittmenge von Gesundheit und Moral: Er äußerte sich zur Alkoholfrage, zum „sittlichen Jugendschutz“, zum Vertrieb von „Schund- und Schmutzliteratur“ und zu Geschlechtskrankheiten. So verwundert es nicht, wenn er (wie wir sehen werden) auch Betäubungsmittelkonsum nicht aus einer rein medizinischen, sondern gerade auch aus moralischer Perspektive bewertete. Da Artur Petzold bei weitem die meisten für uns relevanten Beiträge einbrachte, sei er hier näher vorgestellt. Er wurde 1872 geboren, war zur Zeit seiner Beiträge also gut 50 Jahre alt. Der Katholik gehörte einer wirtschaftsorientierten
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Mittelstandspartei an, besaß seit 1916 eine Drogerie in Berlin und hatte zuvor einer Fabrik chemisch-pharmazeutischer Präparate als Direktor vorgestanden. Neben seiner beruflichen Tätigkeit war Petzold als Hauptschriftleiter des Drogenhändlers (dem Organ des deutschen Drogistenverbandes), als Vorsitzender der Drogisteninnung Berlin, als Vorstandsmitglied des Deutschen Drogistenverbandes und als Sachverständiger der Industrie- und Handelskammer Berlin für Drogenkleinhandel aktiv. All diese Tätigkeiten weisen auf eine intensive Auseinandersetzung mit Drogen hin – hier allerdings im ursprünglichen pharmazeutischen Sinne des Begriffs verstanden. Ob sich Petzold näher mit der spezifischen Problematik des genussorientierten Betäubungsmittelkonsums auseinandergesetzt hatte, war nicht zu ermitteln. Petzolds Beiträge folgten einem bestimmten Muster: Alljährlich nutzte er die Beratungen des Haushaltsplanes, um sich (im Rahmen eines längeren Beitrags zum Etat des Reichsministeriums des Innern) zu Betäubungsmitteln zu äußern. Hingegen meldete sich Petzold interessanterweise im Rahmen der Gesetzesverabschiedungen im Reichstag nie zu Wort. Abbildung 1: Artur Petzold209
2.1.3 Gesundheitsgefährdung durch „opiumhaltige Zigaretten englischen oder amerikanischen Ursprungs“? Eine Debatte im Reichstag 1919 Kommen wir nun zur inhaltlichen Analyse der Beiträge von 1919 bis 1923. Nach der folgenreichen Resolution der Deutsch-Konservativen von 1910 kam eine lange Phase, in der Betäubungsmittel im Reichstag keine Rolle spielten. Erst neun Jahre später brachten die DNVP-Abgeordneten Dr. Rudolf Hartmann und Dr. Albrecht Philipp eine angebliche Gefährdung der Volksgesundheit durch opiumhaltige Zigaretten auf die Tagesordnung der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung: „Durch Opiumzusatz vergiftete Zigaretten in englischer Packung werden in immer steigendem Maße in Deutschland vertrieben. Schwere Vergiftung durch solche Zigaretten ist ärztlich festgestellt. Ist der Reichsregierung diese ernste Gefährdung der Gesundheit des deutschen Volkes, zumal
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Quelle: Reichstagshandbuch 1930, Bayerische Staatsbibliothek München.
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der jetzt in Unterernährung heranwachsenden, dem Zigarettengenuß ergebenen männlichen Jugend bekannt und was gedenkt sie zur Abstellung dieses schweren Übels zu tun?“210
Zur Beantwortung der Frage erschien nach geraumer Zeit, zwei Monate später, Dr. Carl Hamel (Geheimer Regierungsrat im Reichsministerium des Inneren (RMI)) vor der Nationalversammlung. Seine Ausführungen lassen vermuten (zumal ihnen nicht grundsätzlich widersprochen wurde), dass die Anfrage der DNVP v.a. durch Pressemitteilungen motiviert war: „In der Tagespresse sind in letzter Zeit wiederholt Mitteilungen erschienen, daß durch opiumhaltige Zigaretten englischen oder amerikanischen Ursprungs Gesundheitsschädigungen herbeigeführt worden seien.“211
Aufgrund der Antwort Hamels müssen wir davon ausgehen, dass die Pressemeldungen einer Grundlage entbehrten: „Das Reichsgesundheitsamt ist sämtlichen Mitteilungen sogleich nachgegangen; in keinem Falle gelang es jedoch, durch Vermittlung der örtlichen Behörden derartige opiumhaltige Zigaretten zu erhalten. Insbesondere erwies sich auch die Angabe einer Berliner Zeitung, ‚man spräche von Hunderten von Soldaten, die infolge des Genusses englischer und amerikanischer Zigaretten in der Charité schwer krank darnieder [sic] lägen,’ wie auch die weitere Mitteilung einer rheinischen Zeitung und eines Berliner Abendblattes, wonach man in Cöln Riesenfälschungen von gesundheitsschädlichen englischen Zigaretten auf die Spur gekommen sei, als einer tatsächlichen Unterlage entbehrend.“
Weiter verwies der spätere Präsident des Reichsgesundheitsamtes auf laufende Versuche des Nachweises von Opium in den betreffenden Zigaretten. Er machte außerdem auf das Nahrungsmittelgesetz, das Maßnahmen gegen einen solchen Vertrieb ermögliche, aufmerksam. Von dieser Äußerung Hamels nicht zufrieden gestellt, hakte der Abgeordnete Hartmann nach, ob die Reichsregierung geneigt sei, Informationen hierzu z.B. beim pharmazeutischen Institut der Universität Berlin einzuziehen. Auch er selbst bot sich als Informationsquelle an: „Ist die Regierung geneigt, bei einem Arzt, der derartige Kranke behandelt hat, zum Beispiel bei mir, Erkundigungen einzuziehen, ob Opiumvergiftungen vorgekommen sind. (Hört! Hört! rechts.)“
Die Antwort der Regierung macht deutlich, dass das RGA den Fällen intensiv nachgegangen war. Auch hier zeigte das Amt sich als kritisch reflektierende Instanz, die erheblichen Aufwand betrieb, um die im Reichstag und in der Presse veröffentlichten Behauptungen zu prüfen:
210 211
StB, Bd. 339, 25.10.1919, S. 1326; Anfrage Nr. 470, Aktenstück Nr. 1375. StB, 21.11.1919, Bd. 331, S. 3651.
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„Die Reichsregierung ist hierzu bereit. Es ist bisher in sämtlichen Fällen, in denen von Vergiftungen in den Zeitungen gemeldet worden ist, an die betreffende Stelle geschrieben worden. Die Kreisärzte und Polizeibehörden sind gebeten worden, derartiges Material zu beschaffen. Es ist nichts zu erhalten gewesen.“
Erstaunen kann die folgende Ergänzung Hartmanns: „Ist die Reichsregierung geneigt, solche Zigaretten zu kaufen? (Heiterkeit.) Sie sind in jedem Zigarettengeschäft erhältlich.“
Hartmann war also der Ansicht, diese Zigaretten seien weit verbreitet gewesen. Es wäre allerdings merkwürdig, wenn das RGA und die von ihm in Bewegung gesetzten Polizeibehörden und Ärzte nicht in der Lage gewesen sein sollten, derartige Produkte zu kaufen, wenn sie tatsächlich „in jedem Zigarettengeschäft“ angeboten worden wären. Allein aufgrund der Aussage des Mediziners, er habe selbst Patienten mit Vergiftung behandelt, kann nicht darauf geschlossen werden, dass opiumhaltige Zigaretten tatsächlich im Umlauf gewesen seien. Etwaige Vergiftungen hätten durch andere Substanzen oder gewollten Konsum von Opium hervorgerufen worden sein können, der von Patienten möglicherweise später zur eigenen Exkulpation auf vergiftete Zigaretten zurückgeführt wurde. Offen bleibt auch, in welchem Interesse amerikanische und britische Firmen ihre Produkte mit anderen (teureren) Substanzen hätten versetzten sollen – oder wer sonst dies mit welcher Motivation gemacht haben sollte. Das Thema kam nach einigen Monaten, im April 1920, erneut zur Sprache, denn Dr. Philipp stellte eine Anfrage zu weiteren Erkundigungen des Reichsgesundheitsamtes;212 die schriftliche Beantwortung aus dem Reichsministerium des Inneren erfolgte umgehend:213 Bei Untersuchungen im RGA und in anderen Instituten sei in englischen und amerikanischen Zigaretten kein Opium nachgewiesen worden. Zu den vermeintlichen Vergiftungsfällen hieß es: „Auch haben sich in keinem Falle tatsächliche Unterlagen für die in der Presse gelangten Mitteilungen über angebliche Gesundheitsschädigungen durch Rauchen opiumhaltiger ausländischer Zigaretten feststellen lassen, noch ist auch sonst bisher in keinem einzigen Falle eine Opiumvergiftung durch englische oder amerikanische Zigaretten erwiesen worden. Mangels jeden Beweises müssen hiernach die in dieser Hinsicht bislang aufgetauchten Nachrichten als nicht den Tatsachen entsprechend erachtet werden.“
Die in Tageszeitungen erhobenen Vorwürfe waren demnach unbegründet, sie hatten aber dennoch Diskussionen im Reichstag ausgelöst, was den erheblichen 212 213
StB, Bd. 342, S. 2824, Anfrage Nr. 866, Aktenstück Nr. 2581. StB, Bd. 343, S. 3083, Aktenstück Nr. 2777.
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Einfluss von Pressemeldungen auf Abgeordnete zeigt. Die Thematisierung im Reichstag diente auch hier als Verstärker der Pressemeldungen, denn durch die Debatte wurde eine Untersuchungsreihe des Reichsgesundheitsamtes ausgelöst. Dass diese die Presseartikel Lügen strafte, änderte aber nichts an der Tatsache, dass die Meldungen große Aufmerksamkeit erlangten: Regierungsbehörden, wissenschaftliche Institute und der Reichstag beschäftigten sich mit der Frage – und gewiss auch viele Leserinnen und Leser der Zeitungsartikel. Noch während der Debatte war am 7. November 1919 in der Deutschen Zeitung unter der Überschrift „Opium“ ein Artikel erschienen, der mit Bezug auf die Anfrage im Reichstag „die Aufmerksamkeit auf eine dem deutschen Volke drohende neue ernstliche Gefahr, die Gefahr dem Schicksal Chinas und der Länder Indiens zu verfallen“ lenken wollte.214 Verfasst wurde er von Dr. Rudolf Hartmann – jenem Mitglied des Reichstags, das die Diskussion maßgeblich vorangetrieben hatte und das sich, ohne dies zu erwähnen, damit selbst zitierte. Dies ist eine bemerkenswerte Variante des politisch-publizistischen Verstärkerkreislaufes. Wie nachhaltig die Aufmerksamkeit war, die das Thema erlangte, zeigt folgender Abschnitt aus dem Buch Deutsches Reich und deutsche Medizin, in dem Georg Schreiber215 noch 1926 „die Frage der angeblich mit Betäubungsmitteln versetzten Zigaretten“ resümierte: „Nikotinbestimmungen nach verbesserten Verfahren und Prüfungen auf andere Alkaloide konnten keinerlei Anhaltspunkte für den von anderer Seite geäußerten Verdacht erbringen“ (Schreiber 1926: 133).
Auch über ein halbes Jahrzehnt später schien also ein Hinweis auf die Zeitungsente notwendig. Das nächste Mal standen Betäubungsmittel bei der Verabschiedung des ersten Gesetzes im Dezember 1920 auf der Tagesordnung des Reichstags. Hier gab es wie erwähnt keinerlei inhaltliche Wortmeldungen. 2.1.4 „New German Weapon Against France“ – zwischenstaatliche Spannungen und Betäubungsmittel Hervorzuheben ist, dass es sich bei der Opiumzigaretten-Diskussion nicht nur (wie im Fall der Bremer „Skandalaffäre“ von 1910) um das Szenario unfreiwilliger Einnahme von Betäubungsmitteln handelte, sondern v.a. auch um das 214
Opium, 07.11.1919. Dr. phil. (sowie Dr. med h.c. und Dr. rer. pol. h.c.) Georg Schreiber (* 05.01.1882, Rüdershausen) war Professor an der Universität Münster, päpstlicher Hausprälat und Mitglied des Reichstags (Zentrum). 215
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Konstrukt einer Bedrohung von außen. Die Geschichten bezogen sich nicht etwa auf Produkte deutscher Firmen, die mit Opium vergiftet worden waren, sondern auf die der Gegner des just beendeten Weltkrieges. Derartige Szenarien waren keine Seltenheit, wie folgende Analyse zeigt. Etwa zur selben Zeit war in Großbritannien die Vorstellung verbreitet, Deutschland versuche es durch die Einfuhr von Kokain zu schwächen. Nach dem Tod einer jungen Frau erschien im Daily Express eine Serie „on the drug menace“, in der Kokainzigaretten und eine „German conspiracy“ beschrieben wurden, die das Ziel gehabt hätte „to subvert the nation by means of the drug habit“ (Kohn 2001: 105). In Großbritannien gab es außerdem die verbreitete Vorstellung „that the Canadians were responsible for bringing the cocaine habit to Britain“ (Kohn 2001: 35). In anderen Berichten wurde England als verantwortlich für den Konsum in Italien beschrieben (Kauffmann 1924: 399). Weitere Autoren beschuldigten Frankreich, den Bundesgenossen Italien „mit noch verderblicheren Giften zu verseuchen“ und im selben Artikel hieß es, das Kokain werde „aus Deutschland von Händlern und Reisenden, von französischen und amerikanischen Soldaten aus dem besetzten Gebiet nach Paris geschafft.“216 Ein Höhepunkt derartiger Berichterstattung war der zwei Seiten füllende, mit sechs teilweise bedrohlich anmutenden Bildern reich illustrierte Artikel „Dope: New German Weapon Against France“217 von Ethelyn Middleton, der im Februar 1925 in The World Magazine erschien.
216
Die Kokainseuche in Italien, 07.08.1921. Dope: New German Weapon Against France, 08.02.1925. Auch kurze Artikel waren teilweise auf zwei Seiten abgedruckt; ich habe hier und im Folgenden der besseren Lesbarkeit halber bei zwei- bis dreiseitigen Artikeln auf Seitenangaben verzichtet. 217
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Abbildung 2: Illustration aus dem Artikel „Dope: New German Weapon Against France“ (Ausschnitt)218 Deutschland habe eine „revengeful fist“ auf Frankreich herabgehen lassen und schmuggele riesige Mengen Morphin und Kokain in das Nachbarland. Schon 1870, im deutsch-französischen Krieg, habe es eine „German narcotic offensive“ gegeben, aber nun richte sich „the Teuton attack“ im Sorbonne-Viertel gegen die Jugend Frankreichs und die „intellectual flower of the world“. Die Informationen des wort- und bildgewaltigen Artikels entnahm die Autorin französischen Zeitungen und verwies für Detailfragen auf Polizeiberichte. Die harschen Vorwürfe in der (nach meinen Erkenntnissen US-amerikanischen) Zeitung scheinen den verantwortlichen Redakteuren zu weit gegangen zu sein, denn nur wenige Tage später erschien eine Richtigstellung, die einer Entschuldigung gleichkommt: Unter der Überschrift „There are mysteries!“ hieß es, es sei ein Rätsel, wie der „German Weapons“-Artikel mit seiner unentschuldbaren Überschrift überhaupt habe erscheinen können.219 Pariser Zeitungen würden derartiges berichten (das sei ihre Sache), aber das World Magazine wolle sich mit diesen Anschuldigungen nicht in Verbindung bringen lassen. Deutschland sei am Kampf gegen Betäubungsmittel interessiert wie jedes andere Land. Die Richtigstellung gelangte über ein Schreiben des Generalkonsulats in New York an das Auswärtige Amt und erschien demnach bereits am 16. Februar 1925, also 218 219
PA AA R 43230. There are mysteries!, 16.02.1925.
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nur acht Tage nach Veröffentlichung des reißerischen Artikels von Middleton.220 Die beiden Artikel zur „deutschen Drogenoffensive“ von 1925 zeigen einerseits, dass damals in Frankreich derartige Vorstellungen noch kursierten (und zunächst auch im englischsprachigen Ausland plausibel erschienen). V.a. zeigt die Korrektur aber auch, dass in den USA solche Vorwürfe 1925 nicht mehr sagbar waren: Die Publikation war den Verantwortlichen offensichtlich so peinlich, dass sie sich entschuldigten. Doch nicht nur in Tageszeitungen oder im deutschen Reichstag, sondern auch im französischen Parlament wurden schwerwiegende Vorwürfe dieser Art erhoben. In Frankreich, so Charras (1998-1: 372; 1998-2: 13), sei Drogengebrauch immer mehr als Bedrohung von Werten wie Ordnung, Moral, Hygiene oder der „défense nationale“ empfunden worden, was im Ersten Weltkrieg besonders wichtig geworden sei.221 „Les allemands furent en effet accusés de diffuser les drogues – et notamment la cocaïne – pour atteindre les tranchées et les populations de l’arrière, C’est pourquoi, au cours des débats qui précédèrent le vote de la loi sur les stupéfiants, Dominique Delahaye n’hésita pas à dénoncer à la tribune de Sénat l’une des invasions les plus dangereuses de nos ‘amis’ les boches“ (Charras 1998-1: 372).
Seitdem wurden Betäubungsmittel, die ja wie z.B. das Kokain von einem Deutschen entwickelt wurden, als „drogue allemande“ bezeichnet – die populistisch-abwertende Variante dieser neutralen Bezeichnung war „poison des boches“ (Charras 1998-1: 372).222 Der Abgeordnete Delahaye stufte Deutschland im französischen Parlament als illegalen Drogenlieferanten ein: „Les boches continuent encore à nous approvisionner par la poste.“223 Auch in der Folgezeit wurden Drogen als diskursives Mittel eingesetzt, um etwa die Gewissenlosigkeit des Gegners darzustellen, wie die von Jonathan Lewy (2006: 1180) angeführten Beispiele aus dem Zweiten Weltkrieg zeigen: Die 220
PA AA R 43230, Deutsches Generalkonsulat New York an AA, 13.02.1925, III R 245/25. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts gab es laut Dominique Kalifa (1994: 65) in Frankreich eine gesteigerte Sensibilität für Kriminalität und eine umfassende Diskussion darüber, die schließlich ein immer größeres Echo im Parlament fand. 222 Ähnlich verhielt es sich mit den französischen Bezeichnungen der verschiedenen Entziehungsmethoden. Laut Yvorel wurden sowohl die brüske als auch die langsame Entzugsvariante parallel in Deutschland entwickelt, für die langsame Variante habe aber auch ein Franzose die Entwicklung reklamiert. Die als brutal angesehene brüske Methode wurde als „méthode Levinstein“ oder „méthode allemande“ bezeichnet (Yvorel 1992: 222f; vgl. Retaillaud-Bajac 2000: 235). 223 Journal Officiel, 27.01.1916, S. 23. Die deutsche Forschung nahm die Vorwürfe aus Frankreich wahr, welche in der wissenschaftlichen Literatur ebenso verbreitet worden seien wie in populären Zeitschriften. Joël und Fränkel (1924: 21) etwa bezeichneten sie als „Abgeschmacktheiten“, diskutierten sie aber ebenso wenig wie ihre Kollegen umfassend. 221
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Nachrichtenagentur Reuters habe dem nationalsozialistischen Staat 1941 vorgeworfen, die Polen mit Opium zu beruhigen (ähnlich wie die Japaner in Shanghai mit den Chinesen verfahren würden). In einem anderen Fall aus dem Jahr 1944 sei deutschen Schmugglern das Ziel „of corrupting the free world and weakening public morals“ unterstellt worden. Als Reaktion aus Deutschland verlautete, bei den Tätern habe es sich um Kommunisten, Juden oder Sozialdemokraten gehandelt. Lewy resümiert diese Beispiele wie folgt: „Each side blamed the other for utilizing psychoactive substances in social control. The purpose was to blacken the reputation of the enemy by adding an evil twist to their conquest. But in spite of such idle claims, no proof was ever found to support the propaganda.”
Vorwürfe, andere Staaten oder deren Bürger würden Drogen einschleusen, um den Gegner zu schwächen, waren demnach in vielen Ländern verbreitet und finden sich bis in den Zweiten Weltkrieg hinein. Dass derart schwerwiegende Anschuldigungen in Tageszeitungen und Parlamenten ohne zuverlässige Beweise verbreitet werden konnten, zeigt ihre damalige Glaubwürdigkeit und Plausibilität und auch das World Magazine konstatierte, die „German narcotic offensive“ von 1870 sei allgemeines Gesprächsthema gewesen. Auch später, in der Zeit der Bundesrepublik, begegnen wir ähnlichen Zuschreibung: „In Germany the spread of drug use in the early 1960s was seen as a consequence of the activities of ‘colored American soldiers’ and of ‘guest workers’ coming to Germany”, konstatiert Klaus Weinhauer (2005: 196).224 Diese Berichte zeigen m.E. weniger, welche Objekte zwischen den Kriegen im vermeintlichen unbewaffneten Kampf eingesetzt wurden (wie das Beispiel der angeblichen britischen Opiumzigaretten in Deutschland zeigt, waren sie zumindest teilweise erfunden), sondern vielmehr, dass Betäubungsmittel als Transportmittel rassistisch-nationalistischer Stereotype225 dienten, um die jeweiligen Gegner politisch und moralisch zu diskreditieren. So wurde das Thema Drogen in bestehende Feindbilder integriert und als fremdartig definiert: „Drugs were 224
Ferner sei auf Parallelen zu anderen Debatten in der Zeit um den Ersten Weltkrieg hingewiesen, etwa zu der von Koller untersuchten Kolonialtruppendiskussion: In diesem Diskurs bezeichnete die rechte Opposition in Deutschland die französische Kolonialtruppenpolitik laut Koller (2001-2: 156) als „eine Strategie zur ‚Infizierung’ des deutschen Volkes mit dem Blut ‚niederer Rassen’“. 225 Für eine Definition des Begriffs Stereotyp sei auf Hans Henning und Eva Hahn (2002: 20f) verwiesen: „Ein Stereotyp stellt eine Aussage dar, und zwar ein (negatives oder positives) Werturteil, das gemeinhin von einer starken Überzeugung getragen wird (…), Es wird meist auf Menschen angewandt, und zwar auf menschliche Gruppen, die unterschiedlich definiert sein können: rassisch, ethnisch, national, sozial, politisch, religiös oder konfessionell, beruflich usw. (…) Die Anwendung auf Gruppen bringt es mit sich, daß die wertende Aussage gleichzeitig verallgemeinernd ist.“ Der Diskurs um Betäubungsmittel ist von einem Konglomerat impliziter Stereotype geprägt, die in der Struktur der Berichterstattung – v.a. durch Wiederholung – sichtbar werden (vgl. Bassewitz 1990).
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seen as a foreign phenomenon, at a time of extreme xenophobia“ (Kohn 2001: 30). 2.1.5 Entwicklung der offiziellen staatlichen Beschreibung des Betäubungsmittelkonsums: Die „Denkschriften über die gesundheitlichen Verhältnisse des deutschen Volkes“ Wenden wir uns nun wieder der Ebene der Problemwahrnehmung auf offizieller Seite zu. Detaillierte Umfragen wie die von 1910 und 1919 liegen uns für die Folgezeit leider nicht vor, allerdings wurden für die Jahre von 1920 bis 1927 „Denkschriften über die gesundheitlichen Verhältnisse des deutschen Volkes“ veröffentlicht, die interessante Einblicke in die fortschreitende Problematisierung des Betäubungsmittelkonsums auf staatlicher Seite zulassen. Zunächst erschienen zwei Doppeljahrgänge (1920/1921 sowie 1923/1924), sodann drei für die Jahre 1925, 1926 und 1927. Bemerkenswert ist, wie schnell der Stellenwert wuchs, der dem Betäubungsmittelkonsum in diesen Analysen gegeben wurde. Ergänzend werden in der folgenden Betrachtung weitere Berichte aus den Akten von Reichsgesundheitsamt und Reichskanzlei hinzugezogen. In der Denkschrift für die Jahre 1920/1921 wurden Drogen überhaupt nicht erwähnt, hier ging es vielmehr um Fragen wie Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose, Wohnungsnot und Kleidungsmangel.226 „Über den Stand der Volksgesundheit in Deutschland gegen Ende des Jahres 1922“ berichtete ein Report aus dem Reichsgesundheitsamt vom 9. Dezember 1922, in dem Betäubungsmittel ebenfalls nicht aufgeführt wurden. Als gesundheitlich „besonders wichtige Fragen“ galten beispielsweise die „Zu- und Abnahme der Tuberkuloseerkrankungen und die Zahl der einer Ernährungsfürsorge bedürftigen Kinder“.227 Diese Hinweise auf weit drängendere gesundheitliche Probleme machen deutlich, dass die Sorgen der Bürger sich in dieser Zeit um völlig andere Dinge drehten als um Drogenkonsum. Dass das Reichsgesundheitsamt dem Thema Ende 1922 noch keine gesteigerte Aufmerksamkeit zuwies, ist allerdings angesichts der Gesetzesbegründung von 1920 und der anderen rechtlichen Maßnahmen bemerkenswert und kann als Ausdruck der damals noch nicht weit vorangeschrittenen Problemetablierung gewertet werden. Die nächste Denkschrift überschreitet die zeitliche Strukturierung dieser Arbeit, denn sie umfasst die Jahre 1923 und 1924. Hier wurden Betäubungsmittel 226 227
BArch R 43/1976, S. 232ff. BArch R 43/1976, S. 213.
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erstmals erwähnt und zwar als Unterkapitel des Bereichs „Sonstige bemerkenswerte Erkrankungen und bedrohliche Erscheinungen”: „Diese wirtschaftlichen Nöte dürften ferner zu einem steigenden Missbrauch von berauschenden Mitteln Anlass geben, zu denen neben dem Alkohol besonders in den Großstädten noch das Morphin und das Kokain treten, die indes bedauerlicherweise auch in ländlichen Bezirken (Schwaben und Neuburg) Eingang zu finden scheinen.”228
Wie es dazu kam, dass Betäubungsmittel hier aufgeführt wurden, kann ich mangels Quellen leider nicht beantworten. Wir sehen aber, dass in der Ende 1925 veröffentlichten Denkschrift zu den Jahren 1923 und 1924 Betäubungsmittel nicht nur zum ersten Mal erwähnt wurden, sondern dass neben einem Hinweis auf die Verbreitung in den Großstädten ländliche Regionen ebenfalls als betroffen bezeichnet wurden. Der steigende Betäubungsmittelkonsum wurde in der Denkschrift mit wirtschaftlichen Problemen in Verbindung gebracht. Wie wir feststellen werden, unterschied sich dies von weiteren Betrachtungen der Jahre 1920 bis 1923, in denen meist der vorangegangene Weltkrieg als Ursache des Betäubungsmittelkonsums angesehen wurde. Halten wir fest, dass die Jahre zwischen 1919 und 1923 auf staatlicher Ebene die Phase beginnender Problemwahrnehmung markierten. Hatte das RGA 1919 noch postuliert, Kokain sei in Deutschland kein Problem, so begannen die staatlichen Akteure v.a. ab 1920, auch das eigene Land als vom Kokainismus betroffen zu verstehen. Die Zeitgenossen stellten das Problem allerdings im soeben betrachteten Zeitraum noch nicht als dramatisch dar. Auffällig ist, dass die beginnende Problematisierung im Reichstag und (wie sich andeutete) auch in der Tagespresse erst in der zweiten Denkschrift niederschlugen, nachdem auch 1922 Betäubungsmittelkonsum im Verhältnis zu anderen gesundheitspolitischen Fragen offiziell noch nicht als bedeutend eingestuft wurde. Interessant ist dies etwa auch angesichts der Ende 1920 formulierten Gesetzesbegründung, 228
BArch R 86/4509, S. 41f. In den stenographischen Berichten des Reichstags ist eine geänderte Fassung dieses Abschnitts überliefert, in dem (neben kleineren Abwandlungen) auch auf „die vielfach noch immer bestehende Häufigkeit der Selbstmorde“ hingewiesen wurde, welche „mit beiden Übelständen zum wenigsten teilweise im Zusammenhang stehen [dürfte]” (StB, Bd. 406, Nr. 1725, S. 7). Eine solche Verquickung mit Selbstmorden tauchte auch in der Denkschrift zu 1925 auf (StB, Bd. 413, Nr. 2992, S. 8), nach meinen Erkenntnissen spielte sie ansonsten im Diskurs um Betäubungsmittel aber keine Rolle. Föllmer, Graf und Leo (2005: 28) erwähnen, dass es einen „von keiner statistischen Evidenz gedeckten medialen Eindruck, dass Deutschland von einer regelrechten Selbstmordwelle überrollt werde“ gegeben habe. Sie verweisen dabei auf Christian Goeschel, der inzwischen eine Studie zum Thema Suicide in Nazi Germany vorgelegt hat (Goeschel 2009). Wir werden sehen, dass darin eine Parallele zu dem hier untersuchten Diskurs bestand.
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die postulierte, zum Schutz der Volksgesundheit seien Einschränkungen im Verkehr mit Betäubungsmitteln notwendig. 2.2
Eine im Verborgenen blühende „Volksseuche“? Presse zu Drogen 1919-1923: Wissenschaftler schalten sich in die öffentliche Diskussion ein Presse: Wissenschaftler schalten sich in die öffentliche Diskussion ein Wenden wir uns nun wieder der Darstellung von Opiaten, Kokain und ihren Konsumenten in Tageszeitungen zu. Die Zeit um 1919/1920 markierte in der Presseberichterstattung in mehrfacher Hinsicht eine Wende. Fanden sich in unserer Stichprobe für die Jahre zuvor auch einige sachliche Berichte zu Drogen, so kam in den Folgejahren nicht einer ohne moralisierende Abwertung aus: Zum einen werteten in den Jahren von 1920 bis 1925 alle hier analysierten Zeitungsautoren die Substanzen oder ihre Konsumenten in irgendeiner Form ab. Zum anderen diskutierten sie nun Ereignisse und Entwicklungen in Deutschland selbst und bezogen sich nicht länger nur auf das Ausland. Ab 1920 wurden zudem Artikel auch ohne konkreten Anlass veröffentlicht und Betäubungsmittel wurden aus sich heraus thematisiert oder der vermeintlich steigende Konsum war der Schwerpunkt der Beschreibung. Ein weiterer wichtiger Unterschied liegt auf Seite der Autoren: In den ersten Jahren wurden die Verfasser der von mir analysierten Zeitungsartikel i.d.R. nicht genannt, weshalb keine Rückschlüsse auf ihre Sozialstruktur gezogen werden können. 1919 trat die Berichterstattung in Deutschland in eine neue Phase ein, denn ein weiterer kollektiver Akteur schaltete sich in den öffentlichen Diskurs ein. Ab diesem Zeitpunkt äußerten sich immer häufiger namentlich genannte Autoren zu Betäubungsmittelfragen und diese waren häufig Akademiker – z.B. Pharmazeuten oder Juristen, v.a. aber Mediziner.229 Wie bedeutend deren Rolle war, zeigt eine statistische Auswertung der hier untersuchten Quellen: Bis 1919 ist keiner der Zeitungsberichte durch einen Mediziner gezeichnet. In der Zeit von 1919 bis 1928 stammen hingegen knapp 40 % der Artikel (18 von 49) von Ärzten (bei den über die IBZ recherchierten sind es sogar rund 70 %).230 In den Jahren 1920 und 1921 gehen alle acht Artikel unserer Stichprobe, die einen Bezug zu Deutschland haben, auf lediglich 229
Titel und Berufsbezeichnung der Autoren wurden in den Zeitungen häufig genannt. Da sich auch die Berichterstattung inhaltlich radikal änderte, schließe ich aus, dass auch zuvor zahlreiche Artikel von Medizinern veröffentlicht wurden, dies aber nicht angeführt wurde. 230 Bei 14 Artikeln sind Mediziner als Autoren angeführt, hinzu kommen drei Artikel, die sicher auf Ärzte bzw. deren Informationen zurückgingen. Ferner war ein Autor Dr. jur.; sechs Artikel sind nicht gekennzeichnet.
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zwei Mediziner zurück (sechs auf Waldemar Schweisheimer, zwei auf Bruno Glaserfeld). In der entscheidenden, die Wahrnehmung des Problems prägenden Phase von ca. 1919 bis 1928, nahmen Mediziner also erheblichen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs um Betäubungsmittel; dieser ging (quantitativ betrachtet) in den Jahren ab 1929 deutlich zurück.231 Erinnern wir uns zunächst an zwei Thematisierungen, die wir im vorangehenden Unterkapitel betrachtet haben. Zum einen die Berichte über „opiumhaltige Zigaretten englischen oder amerikanischen Ursprungs“ und zum anderen der vier Monate zuvor erschienene Artikel „Kokainismus“ von Prof. Dr. Walter Straub. Dieser präsentierte „Siechtum“ als beinahe zwangsläufige Folge von Kokainkonsum und schrieb von möglicher Ansteckung: „Groß aber ist die Infektionsgefahr gegen breitere Schichten des Volkes, jene Schichten, die eigentlich die ‚werktätigen’ heißen wollen.“ Ferner differenzierte der Pharmazeut (so weit bekannt als erster Autor eines deutschsprachigen Zeitungsartikels) nicht mehr zwischen der Feststellung, dass Konsum stattfand, und der Schlussfolgerung, es liege ein ernsthaftes Problem vor, weil missbräuchlicher Konsum von zahlreichen Menschen betrieben werde. Nach meinen Erkenntnissen war der im Juni 1919 erschienene Artikel der erste eines Wissenschaftlers, der sich in Deutschland öffentlich zu Betäubungsmitteln äußerte und dabei einen konkreten Bezug zum eigenen Land herstellte. Er war damit Vorläufer zahlreicher Experten, die sich in den Folgejahren zu der Frage äußern sollten und denen wir uns nun zuwenden. Im Berliner Tageblatt und Handelszeitung erschien am 24. November 1919 ein Artikel, von Sanitätsrat232 Dr. Max Edel: „Reiz und Betäubung. Ein Beitrag zur Krankheit unserer Zeit“. Betäubungsmittelkonsum sah der Arzt als eines der Phänomene, für die der Krieg verantwortlich sei: „Alle Leidenschaften sind wach geworden: die Tanzwut, der Spielspleen, der Filmfimmel, der Konzerttraptus, der Theaterkoller.“ Das „Laster“ sei „Mode“ und Betäubungsmittel würden als Ersatz für Alkohol konsumiert, auch weil sie „billiger als ein gutes Abendbrot in einem besseren Lokal“ seien. Auch bei Edel finden wir eine zentrale Unterscheidung zu den Artikeln der Vorjahre: Bei ihm sowie bei Straub und ihren Nachfolgern stand nicht mehr der medizinische Kontext im Mittelpunkt, sondern Konsum aus Genussorientierung. Darüber hinaus spielte nun Kokain eine zentrale Rolle. Im Unterschied zu Straubs vagen Aussagen (und analog zu deren verschärfender Interpretation auf politisch-administrativer Ebene) schwankte Dr. Edel in seiner 231
Zwischen 1929 und 1934 wurden nur noch 15,1 % der Artikel (13 von 86) bzw. 26 % bei der IBZ sicher oder wahrscheinlich von Medizinern veröffentlicht (s. Kapitel 4.3). Die Bezeichnung Sanitätsrat war ein bis 1918 in Deutschland verliehener Ehrentitel für verdiente Ärzte.
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Einschätzung der Gefährdung Deutschlands: Zunächst schrieb er, dass sich die Anwendung von Kokain und Morphium „zu einer Gefahr auszuwachsen droht“ (man beachte, dass der Sanitätsrat sich hier nicht auf Kokain beschränkte). Er beschrieb Betäubungsmittel also erst einmal als eine potenzielle Bedrohung. Sodann zog er aber, wenn auch zurückhaltend, die Situation im Fernen Osten als Vergleich heran: „Es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn man den Umfang des Mißbrauchs von derartigen Betäubungsmitteln, besonders von Kokain, soweit es sich um Groß-Berlin handelt, in eine gewisse Parallele zum Opiummißbrauch in China und Indien setzt.“
Edels Artikel zeigt sehr deutlich, dass die seit vielen Jahren bekannten dramatischen Beschreibungen der Situation in China und anderen Ländern die Wahrnehmung in Deutschland entscheidend prägten. Die Angst, die Situation könnte sich ähnlich zuspitzen, beeinflusste schon die ersten auf das Reich bezogenen Problematisierungen von Betäubungsmittelkonsum unmittelbar. Die Bedrohung erschien den Zeitgenossen so manifest, dass trotz der zunächst relativierenden Darstellung die Angst vor unkontrollierter Ausbreitung des Konsums kurz darauf den deutlich dramatisierenden Vergleich mit China gerechtfertig erscheinen ließ. Dieses Gefahrenszenario stand in engem Zusammenhang mit zwei Vorstellungen, die die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsum in Deutschland entscheidend prägen sollten: Erstens war die Idee der Proselytenmacherei zentral für das zeitgenössische Bild vom Drogenkonsum und zweitens jene des unkontrollierbaren Konsums. Diesen beiden Ansichten entsprechend war auch laut Edel das Schicksal der (Erst-)Konsumenten quasi vorbestimmt: „junge Leute“ würden zum Probieren verführt „und schon hält der Rausch ihre Sinne gefangen.“ Die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums war fatalistisch – selbstbestimmter, kontrollierter, mäßiger außermedizinischer Gebrauch schien nicht möglich. Edel schilderte die seiner Ansicht nach fatalen Folgen des Drogenkonsums wie folgt: Die wirtschaftliche Existenz werde „zerstört“, der Charakter „verdorben“ bzw. „ruiniert“, die Gesundheit „völlig untergraben“, ebenso das Familienleben. Abhängigkeit sei die Folge und Entzug ohne Rückfall extrem schwierig. Solch einseitigen Beschreibungen, die den hedonistischen Gebrauch von Betäubungsmitteln als zwangsläufig folgenschwer darstellten, werden wir in der folgenden Analyse immer wieder begegnen. Diesem Szenario verlieh die Vorstellung von Proselytenmacherei eine besondere Gefährlichkeit, erschienen doch nicht nur die einzelnen Konsumenten als verloren, sondern mit ihnen all jene, die sie in Zukunft verführen würden. Die beiden Szenarien zusammen riefen die Vorstellung hervor, schon wenige Betroffene würden unzählige Menschen anstecken
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und sie ins Verderben ziehen, weshalb Edel auch eine „bedrohliche Schädigung der Volksgesundheit“ prognostizierte. Der Arzt versuchte, mit seinem Artikel die Aufmerksamkeit der Polizei auf „bestimmte Dielen und Nachtlokale, in denen Kellner derartige Mittel servieren“ zu lenken. 2.2.1 Glaserfeld und Schweisheimer – zwei Mediziner, die die Jahre 1920/1921 prägten Nachdem so 1919 die Grundlage einer Problemwahrnehmung im eigenen Land geschaffen war, wuchs die Bedeutung des Themas im Folgejahr deutlich. Ab Februar 1920 berichteten zahlreiche Zeitungen über den Konsum von Betäubungsmitteln in Deutschland und problematisierten diesen stark. Den Anfang machten zwei ohne Autorenangabe veröffentlichte Artikel, die sich auf eine Veröffentlichung des Mediziners Glaserfeld233 im angesehenen Fachorgan Deutsche Medizinische Wochenschrift (DMW) stützen. Dieses neuartige Zusammenspiel von Fach- und Tagespresse wird nun zunächst näher untersucht, bevor wir uns einem weiteren Autor zuwenden: Kurz nach Glaserfeld trat der Sozialmediziner Dr. Waldemar Schweisheimer234 auf den Plan, der uns in den Folgejahren mit sehr ähnlich strukturierten Berichten immer wieder begegnen wird und der die meisten Artikel der untersuchten Stichprobe veröffentlichte. Die beiden Artikel zu Kokainkonsum, die sich auf den kurzen Bericht Glaserfelds stützten, erschienen im Februar 1920 und waren nahezu identisch. Glaserfeld (1920-1) hatte in der DMW geschrieben, es bestehe „kein Zweifel“, „daß in Groß-Berlin eine schreckliche Volksseuche, der Kokainismus, im Verborgenen blüht“. Als Quellen dienten dem Mediziner hauptsächlich eigene Erfahrungen. Berichte von Praktikern aus ihrem Arbeitsalltag waren in den Fachzeitschriften üblich, allerdings präsentierte Glaserfeld in der DMW lediglich die Krankengeschichten von vier Konsumenten, die er persönlich verfolgt hatte. Ferner referierte er Informationen aus zweiter Hand, die er aus „Berichten von 233
Die Kokainsucht. Eine Volksseuche in Groß-Berlin, 19.02.1920 und 27.02.1920. Dr. med. Waldemar Schweisheimer (* 1889, München), studierte in München, Freiburg/B. und Wien und war Spezialarzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde. Er emigrierte im Nationalsozialismus und trat zuletzt 1959 in Highland Hall/USA auf (Strebedaten unbekannt; vgl. Weder 2000: 440). Zwischen März 1920 und Februar 1928 veröffentlichte Schweisheimer in unterschiedlichen Tageszeitungen acht Artikel, die sich teilweise auf das Wort glichen. Zunächst Kokainismus in Deutschland, 24.03.1920; Die Kokainseuche in Deutschland, 10.05.1920; Kokainismus in Deutschland; 19.05.1920. Später dann: Morphiumsucht, 16.04.1921; Morphiumsucht, 29.04.1921; Morphinismus, 17.08.1921; Das weiße Gift : Die Zunahme des Kokainmißbrauches, 24.03.1926; Medikamente als Gewohnheitsgifte. Neue Möglichkeit zur Heilung von Morphiumkranken? Mißbrauch von Opium, Morphium, Eukodal, Kokain. Schwere Folgen, 29.02.1928. 234
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Kokainsüchtigen“ ableitete. „Endlich hörte ich, daß die Portiers und Kellnerinnen zahlreicher Dielen und Bars eifrige Vertreiber des Kokains sind und einen ansehnlichen Verdienst dadurch haben“, berichtete Glaserfeld z.B. Seine Aussagen waren demnach nicht umfassend, nur teilweise durch verlässliche Belege gestützt und daher nicht verallgemeinerbar. Kommen wir zu einem inhaltlichen Vergleich des Originals mit den beiden Tageszeitungsartikeln: In der DMW beschrieb der Schöneberger Arzt das Gefährdungspotenzial des Kokainismus als hoch und schränkte seine Aussagen ein, bezog er sich doch (so der Titel) auf „das gehäufte Auftreten des Kokainismus in Berlin“. Bezüglich Morphinismus schrieb er sogar vom „eventuell vermehrte[n] Vorkommen des Morphinismus“ – seine Darstellung beinhaltete also entscheidende Einschränkungen. Die beiden vorliegenden Tageszeitungsartikel gaben den Mediziner fast wortgetreu wieder, aber selbst die nur geringfügigen Änderungen, die Gestaltung der Überschrift und das Ersetzen von Glaserfelds Einleitung durch eine eigene verschärften die Aussage. So titelte die Badische Landeszeitung: „Die Kokainsucht“ und verschob die räumliche Einschränkung in den klein gedruckten Untertitel „Eine Volksseuche in Groß-Berlin“. Der Artikel begann mit folgenden Worten: „In Berlin wächst die Gefahr des Kokainismus erschreckend an: sie greift seuchenartig um sich.“ Die Badische Landeszeitung verschärfte die Aussage des Mediziners mit den Schlagworten „Kokainsucht“ und „Volksseuche“, denn während Glaserfeld den Begriff „Volksseuche“ auf Berlin und ein Blühen „im Verborgenen“ beschränkte, titelte die Tageszeitung gar mit diesem Schlagwort. Im Original gingen ferner relativierende Aussagen zu offenen Fragen voran; die Zeitung aus Süddeutschland und der Vorwärts eröffneten hingegen mit den Schlagworten der (wachsenden) „Gefahr“ und des „seuchenartigen“ Umsichgreifens in Deutschland. Der anschließende Hinweis darauf, dass es in „allen Volksschichten Berlins“ Kokainisten gebe, verstärkte den Eindruck einer bedrohlichen Situation. Den Begriff der Gefahr, der m.E. den Bezug zu Deutschland besonders konkret machte, weil er den Kokainkonsum als eine unmittelbare Bedrohung darstellte, benutzte Glaserfeld selbst nicht. Daneben sprach der Arzt eine Frage an, die in den Folgejahren immer wieder aufkam, nämlich Hintergrund und Ursache des Phänomens.235 Zunächst schrieb er einleitend sehr ehrlich: „Die Literaturdurchsicht ergibt (…) keine Angaben über den Einfluß des Krieges auf den Morphinismus und Kokainismus.“ Dann widersprach er selbst dieser Einschätzung: „Der Krieg, der unsere Heere mit den Gepflogenheiten so vieler fremder Länder in Berührung brachte, hat uns leider 235
Auch Glaserfelds Vorgänger blieben vage: Straub hatte Amerika als Ursprung des Kokainismus angedeutet, Edel spekulierte über den Krieg als Ursache.
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den reinen Kokainismus beschert“. In der Vorwärts-Einleitung rückte diese Verknüpfung ungeachtet der Verunsicherung Glaserfelds prominent in den ersten Satz: „Auch diese Sucht ist eine der Errungenschaften, die unser Volkskörper dem Stahlbad Krieg zu verdanken hat.“ Die Hintergründe des Phänomens lagen 1920 völlig im Dunkeln, dennoch stellten die Zeitgenossen ihre Vermutungen als Fakten dar (sogar wenn sie auf fehlende Belege selbst hinwiesen). Dabei ermöglichte der Mangel an gesicherten Informationen, die Darstellung an die eigene politische Position anzupassen, unterschlug doch das SPDZentralorgan Vorwärts, dass Glaserfeld seine Überlegungen auch in den Kontext der Revolution stellte.236 Die Aussage des mit großem Kulturkapital (Bourdieu 1983) ausgestatteten promovierten Mediziners wurden in den genannten Fällen verschärft bzw. verändert und an das eigene Weltbild angepasst, aber dennoch mit Bezug auf dessen wissenschaftliche Autorität in Tageszeitungen weitergegeben. Ähnlich wie im Fall des Artikels von Straub handelte es sich bei all diesen Punkten nur um Verschiebungen von Nuancen, diese sind aber entscheidend, weil sie die „Deutung-als-Problem“ Stück für Stück forcierten und festschrieben. Tagepresse, Reichstagsabgeordnete und Wissenschaftler bezogen sich wechselseitig aufeinander und etablierten so die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums als Problem in Deutschland, ohne dass stichhaltige Informationen zum Thema vorgelegen hätten. Zeitungen verbreiteten diese Wahrnehmung, indem sie den vermeintlich solide recherchierten Artikel eines vermeintlichen Experten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machten und diesem durch die Wiederholung seiner Aussagen größere Festigkeit gaben. Der zuvor beschriebene politisch-publizistische Verstärkerkreislauf muss also um eine Dimension erweitert werden: Der Diskurs um Betäubungsmittel wurde in einem politischpublizistisch-professionellen Verstärkerkreislauf festgeschrieben und verschärft. Wie wichtig die „professionelle“ Beteiligung von Wissenschaftlern war, soll daher in einem weiteren Analysestrang anhand von Fachpublikationen untersucht werden (s. Kapitel 2.3; 3.3 und 4.4). Die Wirkung von Glaserfelds Artikel blieb allerdings nicht auf die beiden genannten Blätter beschränkt. Zunächst wurde er von seinem Kollegen Schweisheimer in Tageszeitungen zitiert.237 Ferner gab der Schweizer Hans Wolfgang Maier ihn im ausführlichen Forschungsstand seines renommierten Buches Der Kokainismus : Geschichte, Pathologie, medizinische und behördliche Bekämpfung wieder: 236 Die Einleitung in der Badischen Landeszeitung schwieg übrigens zu den Ursachen des Kokainkonsums. 237 Kokainismus in Deutschland, 24.03.1920; Die Kokainseuche in Deutschland, 10.05.1920; Kokainismus in Deutschland, 19.05.1920.
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„Es ist ein Verdienst von Glaserfeld, 1920, meines Wissens als erster, in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift auf die gefährliche Ausbreitung der Krankheit in Berlin hingewiesen zu haben.“
Glaserfelds Ausführungen wurden durch diese Zusammenfassung weiter festgeschrieben und bestätigt – und zwar durch ein Buch, das später im medizinischen Fachkontext häufig herangezogen werden sollte. Aber auch auf politischer Ebene wirkte Glaserfelds Darstellung: Der Artikel aus der DMW wurde im Mai 1921 einem Schreiben des Reichsministers des Inneren an die Länder beigelegt.238 Konkreter Auslöser war eine einzelne in Berlin ausgehobene Kokainhöhle, über die in der Tagespresse „überall“ berichtet worden sei. Mehr als ein Jahr nach seinem Erscheinen diente Glaserfelds Analyse also als wissenschaftliche Beilage zu einem amtlichen Schreiben. Die Reichsregierung forderte die Länder auf, „das Treiben in gewissen Vergnügungsstätten unausgesetzt zu beobachten und dadurch sowie durch scharfe Überwachung verdächtiger Schankwirtschaften, Drogengeschäfte usw. den Missbrauch und den unerlaubten Schleichhandel mit Kokain mit allen Kräften zu bekämpfen.“
Es ist davon auszugehen, dass aufgrund solcher Aufforderungen in den Folgejahren vermehrt Personen, die in derartigen Stätten verkehrten, von der Polizei besonders aufmerksam beobachtet – und entsprechend häufiger als Drogenkonsumenten auffällig wurden. Dass das Schreiben unmittelbare Konsequenzen hatte, zeigt das Beispiel Bremen, wo nun die Polizei in Betäubungsmittelfragen integriert wurde (es findet sich erstmals der Stempel der Bremer Polizeibehörde auf einer die Substanzen betreffenden Archivalie). Auch Berlin richtete eine eigene Betäubungsmittelabteilung bei der Polizei ein. Das Schreiben der Reichsregierung zeigt außerdem einen entscheidenden Schritt in der Problemverfestigung: Der behördliche Blick auf die Konsumenten änderte sich, denn das Verhalten wurde aus dem medizinischen Kontext gelöst und eindeutig missbilligt, hieß es doch, „die Kokainsucht entspringt lediglich dem Verlangen, sich (…) die anregenden und betäubenden Wirkungen diese Stoffes zu verschaffen.“ Glaserfelds Artikel entfaltete also eine breite Wirkung über mehrere Jahre hinweg. Sie ging aber noch weit darüber hinaus. Wir haben in der Einleitung gesehen, dass in populärwissenschaftlichen Darstellungen anschauliche Details ohne inhaltlichen Wert (wie z.B. die hochgeschlagenen Mantelkrägen) tradiert werden. Dass dies auch in wissenschaftlichen Analysen der Fall ist, zeigt das Beispiel des Slangbegriffs „Grammophonplatte“. Dieser wurde nach meinen Erkenntnissen zuerst von Glaserfeld (1920-1) als Synonym für Kokain angeführt und mit Bezug auf ihn von Maier (1926: 69) wiedergegeben. Dabei belegte 238
StAB, 3-M.1.L. Nr. 32 1-19, RMI II A 4924, 28.05.1921.
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keiner der Autoren, ob die Bezeichnung häufig gebraucht oder von wem sie benutzt worden sei – und auch hier bleibt der Informationsgehalt der Überlieferung offen. Bei Briesen (2005: 75) taucht diese Begriff nun wieder auf: „Damals konnte man etwa in Berlin unter dem Decknamen Koks oder Grammophonplatte (…) Kokain angeblich ohne größere Schwierigkeiten erwerben“. Der Historiker stützt sich hierbei auf Hesse (1953: 48), welcher dasselbe Szenario schilderte (allerdings ohne die Einschränkung „angeblich“). Obwohl Hesse hier keine Quellenangabe lieferte, wird die Information im 21. Jahrhundert in einer historischen Analyse verbreitet. Einerseits werden also schmückende Details bis heute tradiert, andererseits schlagen sich bestimmte zeitgenössische Bilder in der aktuellen Forschung nicht mehr nieder. Die Vorstellung, Drogenkonsumenten würden „Proselyten machen“, wurde zunächst weitergegeben. Hesse (1953: 49) meinte z.B.: „Die Proselytenmacherei spielt gerade bei dieser Sucht [dem Kokainismus; AH] eine große Rolle.“ Schendzielorz (1988: 59) beschrieb noch vor rund 20 Jahren „das charakteristische Verlangen, ‚Proselyten zu machen’“: Bei Kokainisten würde „der Rausch vorzugsweise in Gesellschaft anderen Menschen verlebt (‚Cocainhöhlen’)“ und stelle „somit ein soziologisches Problem dar, da andere Menschen zur Einnahme ‚überredet’ werden“ (Schendzielorz 1988: 23). In den aktuellsten Publikationen – Briesen (2005), Holzer (2007) und Wriedt (2006) – findet sich der Topos Proselytenmacherei nicht mehr und das obwohl z.B. Briesen (2005: 72ff) neben Hesse auch Schendzielorz für seine Beschreibung des Kokainkonsums in den 1920er Jahren als Quelle angibt. Bemerkenswert ist meiner Meinung nach, dass einerseits inhaltslose Details wie der Slangbegriff „Grammophonplatte“ eins zu eins übernommen und andererseits heute undenkbare Szenarien ausgeblendet werden – und dass dabei die Verlässlichkeit der jeweiligen Quelle bzw. Forschungsliteratur nicht explizit reflektiert wird (was etwa bei Briesens Umgang mit Hesse in meinen Augen angebracht gewesen wäre). Ich nehme an, dass die Tradierung derartiger illustrativer Details in wissenschaftlichen und anderen Publikationen v.a. eine atmosphärisch dichte Beschreibung erreichen und signalisieren sollen, dass die jeweiligen Autoren sich mit ihrem Untersuchungsgegenstand gut auskennen – so gut, dass sie sogar Slangausdrücke kennen. An diesem Beispiel kann nachvollzogen werden, wie ein Begriff aus einem schlecht belegten Artikel über solidere zeitgenössische Fachliteratur bis in aktuellste Publikationen überliefert wurde, ohne dass eine Prüfung des Wahrheits- und Informationsgehaltes stattfand. Der Wahrnehmungskokon wird auch heute noch an das jeweils Denkbare angepasst.
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Knapp einen Monat nach Glaserfelds Publikation erschienen die ersten für uns interessanten Artikel von Dr. Waldemar Schweisheimer. Der Münchener Arzt war Sozialmediziner und strebte die Aufklärung der „großen Massen (…) über gesundheitliche Gefahren“ an (Schweisheimer 1920: I). Sein Credo lautete: „Aufklärung und wieder Aufklärung ist daher die Grundlage aller volksgesundheitlichen Bestrebungen, jedes sozialhygienischen Erfolges“ (Schweisheimer 1920: 6). Auch mit seinen Veröffentlichungen zu Betäubungsmitteln wollte er m.E. die Öffentlichkeit sensibilisieren und informieren, sah er doch neben dem Aufklärungsfilm die Presse als „Hauptwaffe im Kampf gegen der Volksgesundheit drohende Gefahren“ an (Schweisheimer 1920: 79). Schweisheimer stützte sich auf sein als Mediziner erworbenes Wissen, war aber kein ausgewiesener Betäubungsmittelexperte.239 Er nannte Beispiele, die wahrscheinlich auf eigene Erfahrungen zurückgingen (oder die er vom Hörensagen kannte) und bezog sich 1920 ansonsten v.a. auf den Artikel von Glaserfeld aus der DMW. Schweisheimer gab jenen Bericht teils originalgetreu wieder und verallgemeinerte dessen Aussagen. Es scheint weder für die Tageszeitungsredakteure noch für Schweisheimer selbst relevant gewesen zu sein, dass Glaserfelds Aussagen keine Grundlage für eine Generalisierung boten – die renommierte Fachzeitschrift wurde anscheinend aus sich heraus als verlässliche Quelle angesehen. Die ersten beiden der drei frühen Artikel von Schweisheimer waren mit „Kokainismus in Deutschland“ überschrieben und einer erschien an prominenter Stelle, nämlich auf Seite eins der Münchener Neuesten Nachrichten, was die Relevanz des Themas betonte. Die beiden anderen Fassungen wurden jeweils auf Seite zwei der Leipziger Neusten Nachrichten240 bzw. der Rheinisch Westfälischen Nachrichten241 abgedruckt. Über Kokain zu berichten war damals – wie wir gesehen haben – nichts Neues mehr. Neu war 1919/1920 allerdings der konkrete Bezug auf das eigene Land, der jeweils im Titel hervorgehoben wurde. Entgegen der beiden anderen Artikel titelte man in Leipzig: „Die Kokainseuche in Deutschland“ und hob mit diesem Schlagwort den Aspekt einer gefährlichen Verbreitung des Konsums besonders deutlich hervor (inhaltlich waren die Artikel bis auf Kürzungen identisch). Hinsichtlich der Verbreitung des Kokainkonsums bezog Schweisheimer nicht eindeutig Position. Einerseits beschrieb er sie recht zurückhaltend:
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Unter seinen 20 in der deutschen Nationalbibliographie aufgeführten Werken findet sich seine Dissertation zum Thema Alkohol (Schweisheimer 1913), ein Buch zur „Fettsucht“ (Schweisheimer 1926), aber keine Fachpublikation zu Morphin, Kokain etc. 240 Die Kokainseuche in Deutschland, 10.05.1920. 241 Kokainismus in Deutschland, 19.05.1920.
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„Neuerdings verdichten sich die Beobachtungen immer mehr, die ein neues, vor dem Kriege kaum bekanntes Krankheitsbild, die Kokainsucht, als eine wenn auch beschränkte, so doch wegen ihrer enormen Gefährlichkeit drohende Volksseuche erscheinen lassen.“242
Im Begriff der Volksseuche ist ein äußerst bedrohliches Bild angelegt, wurde er doch neben Alkoholismus und Geschlechtskrankheiten auch für die weit verbreitete Tuberkulose verwendet243 – eine Krankheit, auf die um 1910 in Deutschland über 15 % aller Todesfälle zurückgingen (Condrau 2000: 40).244 Andererseits hieß es im Gegensatz zum Kokainismus über den Alkohol: „Verschwunden als Volksseuche ist der Alkoholismus, wenigstens zurzeit“,245 womit der Eindruck entstehen konnte, es existiere die konkrete Gefahr, dass in naher Zukunft die Zahl der Kokainisten jene der als kritisch eingestuften Alkoholkonsumenten übertreffen könnte.246 Später beschrieb Schweisheimer eine „weite Verbreitung“, ein „Umsichgreifen“ des Kokainkonsums, der von „heimkehrenden Feldsoldaten“ ausgegangen sei.247 Ebenso wie Alkoholkonsumenten kannte wohl jeder Leser Kriegsheimkehrer und konnte sich (bzw. sein Umfeld) damit als potenziell gefährdet interpretieren.248 Insgesamt entsteht bei der Lektüre von Schweisheimers Artikeln also der Eindruck, Deutschland sei von einer bereits recht weiten Verbreitung des Kokainkonsums betroffen und müsse v.a. auf der Hut vor einer Zunahme sein. Diese Gefahr der Zunahme des Konsums war bei Schweisheimer in mehreren Elementen angelegt. Erstens würden „Personen, die anfangs dem Morphiummißbrauch huldigten, später zum Kokain übergehen“ (schon die ersten Artikel zu Kokain in Deutschland bemühten also eine Einstiegsdrogentheorie). Zweitens ergab sich eine Gefährdung aus möglicher Verführung: Ein 242
Kokainismus in Deutschland, 24.03.1920. StB, 04.03.1910, S. 1703. 244 Emmanuelle Retaillaud-Bajac (2000: 28) beschreibt derartige durch keinerlei statistische Belege gestützte Vergleiche für Frankreich. „Jusqu'au milieu des années vingt, la plupart des observateurs n'hésitent pas à comparer le problème de la drogue aux grands fléaux sanitaires du temps, alcoolisme, tuberculose, ou de plus en plus, cancer, alors même qu'ils ne disposent d'aucune statistique susceptible d'appuyer leur démonstration.“ 245 Dieses Verschwinden führte Schweisheimer darauf zurück, dass durch die Kriegsfolgen die „Herstellung alkoholischer Getränke bedeutend eingeschränkt“ sei. 246 „Die Zahl der Trunksüchtigen im Reich hatte man auf vier- bis fünfhunderttausend geschätzt“, schreibt Spode (1993: 253) mit Bezug auf das Kaiserreich. Bei aller Vorsicht, mit der solche Schätzungen zu betrachten sind, wird deutlich, dass es sich um weit größere Dimensionen handelte als bezüglich Opiat- und Kokainkonsumenten. 247 Kokainismus in Deutschland, 24.03.1920. 248 Hier begegnen wir den von Schetsche (2008: 142f) angeführten Nachrichtenfaktoren „Herstellung eines unmittelbaren Bezugs zum Rezipienten“ und „Anschlussfähigkeit der neuen Information an bereits vorhandene Wissensbestände“, die dazu beitrugen, die Problematisierung des Betäubungsmittelkonsums in den Zeitungen zu verankern. 243
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Apotheker habe im Krieg Kokain konsumiert, schrieb der Autor. „Mit ihm kamen alle seine Gefährten dazu, dem gleichen Laster zu fröhnen.“ Vor allem verwies – drittens – das Bild der „Seuche“ und schlimmer noch das der „Volksseuche“ auf das Potenzial, das Drogen- und v.a. Kokainkonsum zugeschrieben wurde: Über die Möglichkeit der Ansteckung wurde das gesamte Volk als potenziell gefährdet dargestellt; Kokainkonsum erschien als Krankheit und – schlimmer noch – als Infektionskrankheit, die schnell um sich greife. Diese drei Elemente lassen die Relativierungen Schweisheimers verblassen – auch wenn er nicht schrieb, dass Deutschland akut von einer Kokainwelle überrollt werde, so erschien die Bedrohung dennoch enorm. Das Einstreuen medizinischen Vokabulars („die Kranken“; „endemisch“; „Seuche“) in die Presseartikel erzeugte einen Eindruck von Sachkompetenz. Schweisheimer ergänzte den medizinischen Kontext durch religiöses Vokabular: Er beschrieb Kokainkonsum als „Laster“ und sprach vom „Kokainteufel“. Neben der medizinischen Instanz wurde also die religiöse bemüht, womit er zwei Referenzen heranzog, die implizit verdeutlichten, dass Kokainkonsum negativ zu bewerten sei. In Hinblick auf die Entstehung der Problemwahrnehmung ist wichtig, was konkret als problematisch am Konsum angesehen wurde – man hätte das Phänomen ja auch als Privatsache einstufen können. Schweisheimer meinte, im Krieg sei Morphium häufig verschrieben und danach von den Patienten weiter gebraucht worden. Die medizinische Verwendung sei notwendig und gut, daneben gebe es aber Missbrauch ohne medizinische Indikation. Hierbei trete „körperlicher und geistiger Verfall unaufhaltsam“ ein, „die geistigen Fähigkeiten“ würden leiden und die Folge sei „sittliche Entartung“. Werde keine Entziehungskur eingeleitet, führe der Missbrauch „über gänzlichen Verfall sicher zum Tode“. Die Abwertung Schweisheimers richtete sich hier (wie schon zuvor) gegen die Konsumenten. Die Verwendung im medizinischen Kontext ließ die Morphiumsüchtigen aber als weniger kritikwürdig erscheinen und wenn er ihr Tun auch abwertend beschrieb, so verortete er die originäre Schuld daran nicht bei „den Kranken“ selbst. Verantwortung für die Ausbreitung des Morphinismus sah er darin, dass im Kriegskontext die Vergabe der Substanz Menschen überlassen worden sei, „die das in sie gesetzte Vertrauen nicht immer rechtfertigten“ (wahrscheinlich meinte er Pflegepersonal). Schweisheimer bezog also die medizinische Sphäre in die Problemanalyse ein. Verwerflich erschien das Tun der Schieber, denen er „an der Ausbreitung und Erleichterung des Morphiumgenusses ein direktes Interesse“ zuschrieb. Es fand eine Differenzierung der Kritik statt, die im (vermeintlichen) Konsummotiv (Genusskonsum vs. iatrogene Abhängigkeit) begründet lag. Morphiumkonsum wurde primär (aber nicht ausschließlich) mit letzterem Motiv assoziiert, Kokain meist mit Konsum
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„ohne berechtigte Veranlassung“.249 Vereinfacht gesagt gab es also die Tendenz, Morphinisten zu exkulpieren, Kokainisten aber als selbst an ihrer Situation schuldig einzustufen.250 2.2.2 Prostitution und Drogen In der Artikelserie zu Frankreich aus den Jahren 1912-1914 ist uns bereits die Verknüpfung von Betäubungsmitteln und Prostitution begegnet. Dieser Assoziation begegnen wir auch in Bezug auf Deutschland – und zwar zuerst bei den beiden soeben untersuchten Autoren Schweisheimer und Glaserfeld. Letzterer schrieb: „Noch leichter wird der Kokainankauf der Bevölkerung dadurch gemacht, daß nachts auf den Straßen Groß-Berlins Verkäufer kleine Päckchen zu 1, 2, 3-6 g den Passanten anbieten; auf diese Weise deckt namentlich die Prostitution ihren Bedarf. Endlich hörte ich, daß die Portiers und Kellnerinnen zahlreicher Dielen und Bars eifrige Vertreiber des Kokains sind und einen ansehnlichen Verdienst dadurch haben. (…) Die Prostituierten stellen einen großen Teil der Kokainisten dar.“251
Knapp einen Monat später postulierte auch Waldemar Schweisheimer, „die an der Kokainseuche erkrankten Prostituierten“ würden v.a. im Straßenhandel ihren Bedarf decken.252 In einem anderen Artikel aus dem Jahr schrieb er (ohne Prostituierte direkt zu nennen), in „Restaurants, Bars und anderen Nachtlokalen wird von bestimmten Personen das Gift an die Lokalbesucher (…) verkauft“.253 Auch für diese Verknüpfung brachten die Mediziner keine Belege, auffällig ist allerdings, dass das Szenario bereits aus den Artikeln zu Frankreich bekannt war. Vor allem bleibt vollkommen offen, welchen Wert diese Information für die Debatte hätte haben sollen. Wir sehen, dass Glaserfeld und Schweisheimer 249
Morphiumsucht, 16.04.1921. In weiteren Artikeln wandte sich Schweisheimer 1921 der Morphiumsucht zu, die „in den letzten Jahren ganz besondere Ausdehnung erfahren“ habe (der Artikel „Morphiumsucht“ liegt zweimal vor – jeweils auf der Titelseite des Hamburger Fremdenblattes (16.04.1921) bzw. des Schwäbischer Merkur vom 29.04.1921). In Bezug auf Morphin sprach er weder von „Laster“, noch von einer „Seuche“ oder von der Proselytenmacherei, was auf eine Differenzierung zwischen den beiden Substanzen und ihren Konsumenten hinweist: Schweisheimer stellte Morphiumabhängigkeit als ein (durchaus verbreitetes) individuelles und v.a. medizinisches Problem dar, wohingegen Kokain aufgrund seines vermeintlichen Ansteckungspotenzials und Seuchencharakters das ganze Volk zu bedrohen schien. 251 Die Kokainsucht. Eine Volksseuche in Groß-Berlin, 19.02.1920. 252 Identisch in: Kokainismus in Deutschland, 24.03.1920; Die Kokainseuche in Deutschland, 10.05.1920; Kokainismus in Deutschland; 19.05.1920. 253 Das weiße Gift : Die Zunahme des Kokainmißbrauches, 24.03.1926. In seinen genannten Artikeln zu Morphium (16.04.1921; 26.04.1921; 17.08.1921) spielten Prostituierte keine Rolle. 250
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nicht sachlich Ergebnisse ihrer Arbeit vorstellten, sondern stigmatisierende Verallgemeinerungen verbreiteten, die einem wissenschaftlichen Anspruch nicht gerecht wurden.254 In der Tagespresse fand sich diese Verknüpfung in den Folgejahren in fünf weiteren Artikeln, sie war also keineswegs im gesamten Untersuchungszeitraum weit verbreitet.255 Wir haben aber bereits in der Romananalyse gesehen, dass das Bild der Drogen konsumierenden und verkaufenden Prostituierten für die Weimarer Republik in populären Darstellungen auch noch heute existiert. Doch wie verhält es sich hier mit der wissenschaftlichen Literatur? Die Verknüpfung von Betäubungsmitteln und abweichendem Verhalten scheint z.B. auch bei Briesen (2005: 74) durch: „der Gebrauch dieser Substanz spielte sich offenbar in den zwanziger Jahren in den großstädtischen Lebe-, Halb- und Unterwelten ab“. Der Historiker stützt seine vagen Aussagen zur „Drogenszene in den zwanziger Jahren“ (Briesen 2005: 72) auf Schendzielorz,256 nach der das Phänomen neben Drogisten auch bei „Kellnern, Dirnen und Friseuren“ besonders verbreitet gewesen sei (Schendzielorz 1988: 24); Friseure tauchen indes in Briesens Darstellung nicht auf. Die Pharmazeutin wiederum bezieht sich auf Schreiber (1926: 65), der neben „verdächtigen Schankwirtschaften und Drogengeschäften, ferner den vielfach in Kellerräumen betriebenen großstädtischen Kokainhöhlen“, die von der Polizei besonders beobachtet würden, auch auf „Leute aus fast allen Schichten der Bevölkerung“ verwies, die „Anhänger“ des Kokains gewesen seien. Aus der umfassenden Darstellung Schreibers wurde also 1988 bereits eine eingeschränkte Charakterisierung und bei Briesen die Variante „Lebe-, Halb- und Unterwelten“. An anderer Stelle charakterisiert Schendzielorz (1988: 59) Konsumenten mittels abwertender Zuschreibungen: „Der Cocainist gehörte mehr zu den renommistisch eingestellten, überheblichen, oft kriminellen, unsteten Individuen, Müßiggängern, Bohémiens, Prostituierten, Personal von Nachtlokalen usw.“
und bezieht sich dabei auf eine Publikation von Wolff aus den 1920er Jahren (Wolff 1927-1: 270).
254
Wäre das Ergebnis z.B. gewesen, im Prostitutionskontext würden Drogen häufig konsumiert und verkauft und daher sollten Fürsorge oder Polizei dort ihre Arbeit beginnen, hätte der Hinweis auf Prostitution theoretisch durchaus konstruktiv sein können. 255 Die Kokainseuche in Italien, 07.08.1921; In einer Pariser Opiumhöhle, 21.01.1925; Die Opiumhöllen von Singapur, 11.02.1925; Alkohol und Rauschgift in Amerika. : Erfolgloser Kampf gegen die Trunksucht, 06.08.1932; Internationaler Kampf : gegen den Rauschgifthandel, 09.01.1933. 256 Briesen nennt Schendzielorz 1988: „22ff“ als Quelle.
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Die stereotypen und diskriminierenden Vorstellungen der Zeitgenossen fanden also noch Ende der 1980er Jahre Niederschlag in wissenschaftlichen Publikationen und implizit scheinen sie auch in der aktuellen Forschung noch durch. Eine explizite Reflektion darüber, welche Details tradiert werden, vollzog keiner der Wissenschaftler. Die Überlieferung ist m.E. vom jeweiligen Wahrnehmungskokon der Autoren geprägt und wurde stets dem aktuell Sag- und Denkbaren angepasst. Am Beispiel Prostitution können wir ablesen, wie Vorstellungen aus den 1920er Jahren über wenige Zwischenstationen unreflektiert in die aktuelle Darstellung Einzug erhielten – und dass auf diese Art und Weise Betäubungsmittelkonsum seit den 1920er Jahren als abweichendes Verhalten definiert wird. So wurden die hier behandelten Drogen einerseits als fremd charakterisiert und von verbreiteten Genussmitteln wie Alkohol und Tabak abgegrenzt und andererseits die Bewertung ihres hedonistischen Gebrauchs von der medizinischen Verschreibung getrennt. 2.2.3 „[A]uch die Kreise, die der Gilde des Kokainisten angehören, [haben] ihr eigenes Rotwelsch“ – weitere Artikel bis 1923 Für die Folgejahre bis 1923 liegen mir weitere fünf Artikel vor: erstens „Die Kokainseuche in Italien“ von Kurt Bauer, zweitens „Kokolores“ von Dr. med. C. Mamlock, drittens „Kokain“ von Dr. med. Hans Theodor Sanders.257 In den Archivalien sind ferner zwei Artikel mit Bezug auf das Ausland überliefert: „Die Opiumsucht in Amerika“ sowie „Narkotikamißbrauch und Narkotikafabrikation in der Schweiz“, erschienen in den Baseler Nachrichten und ebenfalls ohne Autorennennung, aber wohl von Fabrikantenseite verfasst.258 Der Artikel zu Italien erwähnt Deutschland nicht, das Szenario ist aber dramatisch: Man könne dort „überall ohne Schwierigkeiten“ Kokain kaufen; Bauer259 schrieb von einer „verhängnisvollen Kokainverseuchung“ Italiens, von der v.a. junge Leute betroffen seien, die extrem negativ als „Tagedieb“ oder „gewissenlose Verführer“ dargestellt wurden. Italien war damals häufiger Bezugspunkt der Artikel; auch Schweisheimer berichtete, dort habe der Konsum von Morphium und Kokain „ungeheuere Verbreitung gefunden“.260 Konsum im Ausland war also weiterhin Thema.
257
Erscheinungsdaten der Artikel: 07.08.1921; 07.03.1923; 15.03.1923. Die Opiumsucht in Amerika, 09.01.1920; Narkotikamißbrauch und Narkotikafabrikation in der Schweiz, 13.11.1923. 259 Der Autor ist im Gegensatz zu den anderen untersuchten dieser Zeit kein Arzt. 260 Morphiumsucht, 16.04.1921; Morphiumsucht, 29.04.1921. Ähnlich Morphinismus, 17.08.1921. 258
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Dr. med. C. Mamlock schrieb, auch bei Kokain gebe es häufig Weitergebrauch nach medizinischer Anwendung. Neu war, dass er sich auf zwei Referate von Ernst Joël und Louis Lewin bezog und ein geradezu schreckenerregendes Szenario zeichnete: „Vom Standpunkt der Volksgesundheit ist diese Narkomanie ein sehr ernstes Problem, denn die Seuche ist in den letzten Jahren in Kreise gedrungen, die bisher davon frei waren“. Das vermeintliche Ausmaß der Verbreitung machte er an (unbestreitbar existenten, aber wohl keineswegs allzu bedeutenden) sprachlichen Aspekten fest: „Wie fast jeder Beruf, haben auch die Kreise, die der Gilde des Kokainisten angehören, ihr eigenes Rotwelsch; wenn man untereinander von ‚Koks’ redet, meint man nicht das Heizmaterial, sondern das Kokain und der Kokainrausch heißt ‚Kokolores’. Schon dieser besondere Jargon zeigt, wenn man es sonst noch nicht wüßte, daß es eine große Gemeinde von Kokainisten geben muß, die zur Verständigung einer besonderen Berufssprache bedarf.“
Ein verbreiteter Topos der Folgejahre sollte folgender Aspekt werden: Betäubungsmittel wurden als unterschätzte Gefahr eingestuft, deren Ausmaß insbesondere der Laie nicht überblicken könne. „Der Fernerstehende“ ahne „gar nicht, daß die Narkomanie (…) sich zu einer Volksseuche auszuwachsen droht.“ Mit der Argumentation, das genaue Ausmaß des Problems könne von Laien nicht überblickt werden und Betäubungsmittelkonsum sei ein unterschätztes Problem, setzten Mediziner sich (und andere Experten) in den Stand, allein die Bedeutung des Themas einschätzen zu können. Eine Gegenargumentation wurde so unmöglich gemacht; die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums als Problem beanspruchte für sich uneingeschränkte Gültigkeit. Entsprechend folgerte Mamlock: „Das Problem ist also keineswegs nur eine Frage der Medizin und öffentlichen Hygiene, sondern des Staatswohls überhaupt und verdient als Zeiterscheinung die ernsteste Beachtung des Soziologen“.
Auch Mamlock verwies mit den Begriffen „Seuche“ und „Volksseuche“ auf das vermeintliche Ansteckungspotenzial des Kokains. Eine besondere Gefahrendimension liege in der „Verführung“, da „Proselytenmacherei den Kokainisten eigentümlich“ sei. Zur Gefährdung trage der wilde Handel bei. Abwertung erfolgte über unterschiedliche negativ konnotierte Einschätzungen sowie den Begriff „Laster“. Dr. med. Hans Theodor Sanders eröffnete seinen Artikel „Kokain“ mit den Worten:
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„Der gesteigerte Verbrauch von Rauschmitteln und Giften gehört zu den Zersetzungserscheinungen unserer Zeit, die allmählich immer bedrohlicheren Charakter annehmen und die ernsteste Beachtung verdienen.“261
Kokain habe „heute leider auch in Deutschland weite Verbreitung“ gefunden: „In allen großen Städten ist der Verbrauch in den letzten Jahren überraschend schnell gestiegen und an vielen heimlichen Ecken und in bestimmten Cafés wird diese Ware [...] lebhaft gehandelt.“
Die Verbreitung des Kokainkonsums beschrieb er mithin als gefährlich. Auch Sanders wollte die Gesellschaft aufklären und „weiteste Kreise“ „vor diesem tückischen Feinde“ warnen. 2.2.4 Resümee Presse 1919-1923 Hatte man in Deutschland länger als in anderen Ländern wie z.B. in Frankreich (Retaillaud-Bajac 2000) oder den USA (Musto 1999) Betäubungsmittelkonsum nicht als Problem im eigenen Land interpretiert, markiert das Jahr 1919, wie wir gesehen haben, einen Wendepunkt in der Berichterstattung zu Drogen. Ab diesem Zeitpunkt stellten Zeitungsautoren einen konkreten und problematisierenden Bezug zu Deutschland selbst her. Im vorangegangenen Abschnitt 1.1 haben wir gesehen, dass die Behörden Zeitungsartikel zunächst überprüften, dazu teilweise großen Aufwand unternahmen und in ihren Akten Korrekturen vermerkten (Artikel von 1910 zu Bremen) bzw. diese auch publizierten (Schreiber 1926). Auffällig ist, dass Derartiges später nicht mehr geschah. Ich gehe davon aus, dass im Reichsgesundheitsamt nicht nur der Artikel von Glaserfeld wahrgenommen, sondern dass die medizinische Fachdiskussion insgesamt verfolgt wurde. Es mag an der herausragenden Rolle von Gelehrten im Problematisierungsprozess und an ihrer Reputation gelegen haben, dass die Behörde diese Aussagen nicht mehr eingehend prüfte. In den Jahren zwischen 1919 und 1923 vollzogen sich entscheidende Veränderungen in der Berichterstattung über Drogen. Die vorliegenden, zwischen 1919 und 1923 erschienenen Artikel zum Themenfeld in Deutschland folgten alle einem ähnlichen Muster. Erstens wurde von den hier betrachteten Autoren ein direkter Bezug zwischen Betäubungsmittelkonsum und Deutschland hergestellt. Zweitens wurde über genussorientierten Konsum berichtet, wobei – drittens – Kokain häufig in das Zentrum der Berichte rückte und viertens die Bewertung 261
Kokain, 15.03.1923.
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der Konsumenten sich dahingehend verschob, dass genussorientierter Gebrauch als negativ und problematisch beschrieben und (etwa durch die Verknüpfung mit dem Feld der Prostitution) in den Kontext abweichenden Verhaltens gerückt wurde. Festzuhalten bleibt aber auch, dass bis 1923 keiner der Zeitungsautoren schrieb, Deutschland werde gerade von einer Drogenwelle überrollt – vielmehr bildete das Gefährdungspotenzial neben der moralischen Bewertung – bzw. konkreter: Abwertung – den Kern der Wahrnehmung. 2.3
„Kokainsüchtige mit gewaschenen Händen habe ich noch nie gesehen“ – Fachpublikationen zu Betäubungsmitteln im medizinischen Kontext bis 1923 Fachpublikationen zu Betäubungsmitteln im medizinischen Kontext bis 1923 Wie wir im vorangehenden Kapitel gesehen haben, schalteten sich 1919 Wissenschaftler in die öffentliche Diskussion um Betäubungsmittel ein und äußerten ihre Meinung zu Konsumenten und deren gesellschaftlicher Relevanz. Dabei prägten ab 1920 Ärzte die Berichterstattung zu Drogen in deutschen Tageszeitungen. Um nachzuvollziehen, ob sich dieser kollektive Akteur auch in Fachpublikationen am Problematisierungsprozess beteiligte und um zu verstehen, auf welcher Basis jene Aussagen getätigt wurden, analysiere ich im Folgenden wissenschaftliche Veröffentlichungen von Medizinern.262 Die Artikel in der Tagespresse waren ihrem Charakter gemäß kurz gefasst, was ein Grund für das Fehlen detaillierter Verweise gewesen sein könnte. Ob die Autoren in der fachlichen Auseinandersetzung differenzierter argumentierten und z.B. Belege für ihre Einschätzungen anbrachten – und damit eines der zentralen Qualitätskriterien wissenschaftlicher Arbeiten einhielten263 – wird in diesem und den nächsten Kapiteln zur Expertenebene untersucht. Ferner geht es darum, welches Bild von Opiaten, Kokain und ihren Konsumenten in Fachzeitschriften und wissenschaftlichen Monographien vermittelt wurde und von welcher Verbreitung des Konsums die Praktiker ausgingen. Betäubungsmittel waren schon viele Jahre zuvor ein wichtiges Thema der medizinischen Fachdiskussion.264 Der Schwerpunkt meiner Untersuchung liegt 262
Beiträge anderer Disziplinen (z.B. von Juristen) habe ich berücksichtigt, sofern diese von Medizinern rezipiert wurden oder in deren Fachzeitschriften erschienen. 263 Belege sind eines der Kriterien, die wissenschaftliche Arbeiten von der Publikation reinen Alltagswissens oder einer einfachen Meinung unterscheiden, denn erst sie stützen die Aussagen, machen sie nachvollziehbar und v.a. prüf- und damit diskutier- und widerlegbar. 264 In der Drogenbibliographie (Hefele 1988: XXXI) sind für die Jahre 1900-1920 335 Publikationen zum Thema Betäubungsmittel aufgeführt. Darüber hinaus zeigen Stichproben, dass Hefele nicht alle Veröffentlichungen erfasst hat (vgl. Hoffmann 2005: 114).
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allerdings auf dem öffentlichen Diskurs um Betäubungsmittel – auf dem Problematisierungsprozess – und hierzu äußerten sich Mediziner nach meinen Erkenntnissen erst ab 1920. Es kann hier nicht um eine Analyse des gesamten medizinischen Diskurses um Betäubungsmittel gehen (dazu hätten etwa auch Publikationen zur Wirkungsweise von Opium, zu Entzugsverfahren bei Morphinismus oder zu Kokainismus und Homosexualität gehört).265 Deshalb beschränke ich mich auf ab 1920 erschienene Fachpublikationen, die außermedizinischen Gebrauch von Betäubungsmitteln thematisierten (und damit zum in Tagespresse und Politik verfolgten Diskurs beitrugen) und auf Arbeiten aus den vorangegangenen Jahren, die später noch rezipiert wurden. 2.3.1 Problematisierende Artikel ab 1920 Der bereits im Kapitel zur Tagespresse analysierte Artikel von Bruno Glaserfeld war 1920 zuerst in der DMW erschienen. Glaserfeld war laut Kauffmann (1924: 397) der erste Mediziner, der in einer Fachzeitschrift „über das gehäufte Auftreten des Kokainismus“ berichtete. Er hatte wie beschrieben Betäubungsmittelkonsum und -handel mit Prostitution sowie „Portiers und Kellnerinnen zahlreicher Dielen und Bars“, mithin v.a. mit dem Nachtleben assoziiert (Glaserfeld 1920-1: 185). Kurz nach Glaserfeld erschien ein Artikel von Kahn (1920: 571f)266, der sich m.E. auf seine Erfahrungen im Krieg bezog und eine durchaus radikale Meinung vertrat. In einem ansonsten sehr sachlichen Bericht qualifizierte er Betäubungsmittelkonsumenten explizit ab und schrieb, sie seien i.d.R. „willensschwache, psychopatisch minderwertige Menschen“. Er fügte an, dass es „unter den Morphinisten aber auch sehr wertvolle Persönlichkeiten [gebe], die infolge von ungünstigen äusseren Bedingungen zum gewohnheitsmässigen Gebrauch des Giftes gelangt sind.“
Die Fokussierung des Problematisierungsprozesses zwingt dazu, die Frage der Auseinandersetzung um das Thema Sucht, die insbesondere Mediziner beschäftigte, hier weitgehend auszublenden. 265 Eine Auseinandersetzung mit v.a. in medizinischen und pharmazeutischen Fachzeitschriften veröffentlichten Artikeln bei Hoffmann (2005: 113-167). Zu Deutschland legte Michael de Ridder (2000) die beste Arbeit aus einer medizinhistorischen Perspektive vor (kürzer de Ridder 1998). Sehr lohnend sind die Darstellungen Rainer Ullmanns (2001; 2004) zum Verbot der Opiaterhaltungstherapie. Zu medizinischen Debatten und administrativen Maßnahmen 1918-1939 schrieb Maren Soehring 2002 ihre geschichtswissenschaftliche Magisterarbeit. Die Diskussion der 1920er Jahre um den vermeintlichen Zusammenhang von Homosexualität und Kokaingenuss analysiert Florian Mildenberger (2001). 266 Auch bei den Fachpublikationen habe ich mit dem Ziel verbesserter Lesbarkeit von wiederholten Quellenangaben abgesehen, sofern die Artikel nicht mehr als drei Seiten umfassten.
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Damit machte Kahn einen deutlichen Unterschied zwischen verschiedenen Konsumentengruppen – was diese Differenzierung in seinen Augen rechtfertigte, erfahren wir allerdings nicht. Der Militärarzt hatte im Feld gewiss umfassende Erfahrungen gesammelt, aber diese unmittelbar auf die Zivilbevölkerung zu übertragen, halte ich für schwierig, weil er z.B. fortgesetzte Verwendung nach der Behandlung von Kriegsverletzungen mit dem genussorientierten Konsum im Berlin der 1920er Jahre verglich. In Kahns Augen lag das Problem darin, dass durch den Morphinismus „viel Kraft verloren“ gehe, was in jener Zeit, „in der unserem Volk Gesundheit und Kraft so bitter nottun“ hochproblematisch sei. Der Jurist Dr. Ebermayer267 beteiligte sich mit einem Artikel in der DMW am medizinischen Diskurs und schrieb 1920 in der Rubrik „Rechtsfragen aus der medizinischen Praxis“, Morphinismus und Kokainismus seien „Mode geworden und die auch in unserer Geschäftswelt teilweise gesunkene Moral erleichtert die Erlangung dieser bei Mißbrauch verderblichen Stoffe. In Nachtlokalen werden sie ohne Scheu feilgeboten und in Dielen, Bars und anderen Vergnügungslokalen wird Kokain als Schnupfmittel serviert.“
Ebermayer sprach von einer „schweren Gefahr“ für die Volksgesundheit, die von den Drogen ausgehe und wollte Aufmerksamkeit für das Thema schaffen: „Möchten die Ausführungen Edels bei allen, die es angeht, ernste Beachtung finden.“ Dessen Artikel aus dem Berliner Tageblatt (vgl. Kapitel 2.2) fasste Ebermayer auf etwa ein Drittel der ursprünglichen Länge zusammen, veränderte dabei allerdings einige Aussagen: Hatte Edel noch vage „eine gewisse Parallele zum Opiummißbrauch in China und Indien“ gezogen und diesen Bezug außerdem eingeschränkt, so blendete Ebermayer die Reflektion aus und konstatierte: „Wir nähern uns immer mehr dem Opiummißbrauch in China und Indien“, womit er ein dramatisches Szenario heraufbeschwor. Bemerkenswert ist, dass hier die Zitationsrichtung von der Tages- zur Fachpresse ging: Im Fachkontext zog Ebermayer, der unter Veröffentlichung von Titel und Position (mithin Referenzen für seine Qualifikation) publizierte, also eindeutig unbelegte Informationen aus einer Tageszeitung heran. Aufgrund dieses Rahmens, gerade aber auch in Hinblick auf den Autor – Ebermayer war Senatspräsident am Reichsgericht – mögen die Aussagen als sehr zuverlässig eingestuft worden sein. Wie wir anhand der Ausführungen zu Edel sowie der unbegründeten Verschärfung seiner Aussagen durch den Juristen sehen konnten, hatten die Thesen Ebermayers allerdings keine zuverlässige Grundlage. Hier 267
Ludwig Friedrich Peter Ebermayer (* 15.4.1858 in Nördlingen, † 30.6.1933 in Leipzig) war seit 1918 Senatspräsident am Reichsgericht und später (1921-1926) Oberreichsanwalt. Quelle: (30.11.2009).
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bestätigt sich die Vermutung des vorangegangenen Abschnitts, dass es auch eine „publizistisch-professionelle“ Dimension des Verstärkerkreislaufs gab – „lebensweltliche und wissenschaftliche Wissensbestände“ des Diskurses waren in der Tag eng miteinander verwoben (vgl. Schetsche 2008: 77). Auch Dr. med. Glaserfeld (1920-2) verwies in einem weiteren Artikel, der im Sommer 1920 in der Deutschen Strafrechtszeitung erschien, auf eine Tageszeitung: Mit Bezug auf den italienischen Secolo belegte er die Aussage, in anderen europäischen Ländern sei „die Zunahme des Kokainwahnsinns und dadurch der Kriminalität“ konstatiert worden. In Indien habe „der Einfluß der Zunahme des Kokainismus auf die Kriminalität deutlich festgestellt werden“ können. Daraus leitete er die These ab, in ihrem „geisteskranken Zustand“ würden die Kokainisten „häufig strafbare Handlungen vom einfachen Diebstahl, Meineid, Sexualverbrechen bis zum Mord begehen.“ In Bezug auf Deutschland schrieb der Mediziner lapidar: „Eine Statistik der Zunahme der Verbrechen durch chronischen Kokaingenuß bei uns fehlt natürlich noch“. Er verwies auf das Ansteigen der Zahl von Prozessen, „in denen Kokain eine Rolle spielt“ und führte die Strafsache „gegen die Büfettdame K.“ an – ein Beweis für seine These vom Zusammenhang zwischen Kokainkonsum und Kriminalität war dies allerdings nicht. Mit dieser Aussage verschärfte Glaserfeld den Diskurs um Drogen in Deutschland erheblich, ohne dass er für seine Behauptung eine wissenschaftlich haltbare Begründung angeführt hätte. Im Sommer 1920 führte Glaserfeld ferner die Verknüpfung von Betäubungsmittelkonsum und Nachtleben aus seinem ersten Artikel fort, konstatierte eine erhebliche Verbreitung auch unter Frauen und eine Gefährdung der Jugend: „unter den Kokainopfern [sind] namentlich die Söhne vieler kleinbürgerlicher Familien im Alter von 20-30 Jahren“.268 All diese Einschätzungen blieben, ebenso wie die Aussage, „die Prostituierten“ seien „zum größten Teil dem Gift verfallen“, unbelegt. Hinsichtlich der Verbreitung des Konsums sei angeführt, dass die Beschreibungen im Sommer 1920 dramatischer als in seinem Artikel aus der DMW erschienen, schrieb er doch von „dieser im Verborgenen sehr verbreiteten Volksseuche“ und beschwor die Gefahr, dass der Kokainismus sich „in deutschen Landen so einbürgert, wie es englische und amerikanische Aerzte seit Jahrzehnten von Indien, von den Südstaaten Nordamerikas, insbes. den ärmeren Negerklassen berichten.“
268
Im Untersuchungszeitraum wurde der Konsum unter Jugendlichen zwar gelegentlich hervorgehoben, dies war aber kein zentrales Thema des Diskurses – im Gegensatz zu den 1960er und 1970er Jahren, als Drogenkonsum zum Bestandteil von Jugendkulturen wurde (Weinhauer 2005: 189).
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Auch Glaserfeld diente der Bezug auf das Ausland als dramatisches Zukunftsszenario. Innerhalb kurzer Zeit hatte sich die Beschreibung ein und desselben Autors verschärft – von neuen, gesicherten Erkenntnissen, die ihn zu dieser veränderten Wahrnehmung brachten, schrieb er allerdings nicht. Der Artikel erlaubt auch einen Blick auf Glaserfelds mit seinen Publikationen verfolgte Motive: Er strebte offensichtlich an, Verbündete im „Kampfe“ gegen „diesen Unfug“ zu finden. Ärzte könnten nur die Bevölkerung und die Behörden aufklären (was er ähnlich wie Schweisheimer offensichtlich anstrebte); von den Lesern der Deutschen Strafrechtszeitung erhoffte Glaserfeld sich hingegen weit konkretere Unterstützung: „Vielleicht ist es einem oder dem anderen Leser dieser Zeitung möglich, für eine schnelle, durchgreifende Bekämpfung des Verkaufs des Gifts in den Vergnügungsstätten Sorge zu tragen“.
Auf den zweiten Artikel Glaserfelds bezog sich der Gefängnisarzt und Sachverständige Friedrich Leppmann, als er 1921 einen Vortrag in der Forensischmedizinischen Vereinigung zu Berlin hielt.269 Leppmann referierte viele Stereotype zu Konsumenten und erging sich dabei in teils abstrusen Beschreibungen ohne erkennbaren Informationsgehalt wie „Kokainsüchtige mit gewaschenen Händen habe ich noch nie gesehen“ (Leppmann 1921: 91). Auch er assoziierte Betäubungsmittelkonsum mit dem Nachtleben: Verkauft werde Kokain von „Schiebern aller Art, besonders aber auch von den Portiers und Kellnern in jenen Dielen und Bars, in denen es üblich ist, daß man von Zeit zu Zeit eine Prise ‚Coco’ aus dem ominösen Büchschen nimmt“ (Leppmann 1921: 90).
Den Konsumenten kämen die „Begriffe von Ehre, Wahrheit und Recht (…) rapide abhanden“, schrieb er und attestierte ihnen gar „sittliche Verblödung“ (Leppmann 1921: 91; 93). Ferner verknüpfte der Gerichtssachverständige als abweichend definiertes Sexualverhalten mit Kokainkonsum, indem er abfällig von einem „vorher einwandfreien Mädchen“ berichtete, das sich unter Kokaineinfluss „jedem beliebigen Manne“ hingegeben habe, und ergänzte: „Nach Entziehung wurde sie wieder völlig anständig“ (Leppmann 1921: 93). Wir treffen hier auf eine Vielfalt von Assoziationen, die den Betäubungsmittelkonsumenten abweichendes Verhalten attestierten; von banalen Dingen bis hin 269 Mehrere der hier zitierten Quellen waren schriftliche Fassungen von Vorträgen, was ein Indiz dafür ist, dass Betäubungsmittel zumindest auch über die originär mit dem Gegenstand beschäftigten Autoren hinaus eine gewisse Aufmerksamkeit erlangten. Teilweise sind Aussprachen zu den Referaten überliefert, darüber hinaus ist (ähnlich der Presseanalyse) abgesehen von Bezügen in Artikeln eine genaue Untersuchung der Rezeption und v.a. der Verbreitung der Thesen kaum möglich.
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zu dem als zutiefst unmoralisch beschriebenem polygamen Verhalten eines jungen Mädchens. Im Kern des Referates ging es aber um die Frage, wie Kokainmissbrauch forensisch zu beurteilen sei – ob es einen Zusammenhang zwischen Verbrechen und Kokainkonsum gebe. Leppmann stützte sich dabei auf den in diesem Punkt extrem schlecht belegten Artikel von Glaserfeld. Dieser habe konstatiert, „daß die Kokainisten in ihrem geisteskranken Zustand häufig strafbare Handlungen, vom einfachen Diebstahl, Meineid und Sittlichkeitsverbrechen bis zum Morde begehen.“
Leppmann (1921: 93) meinte dazu: „Wenn man die Schilderungen der Kokainwirkung liest, sollte man meinen, daß es typische Verbrechen der Kokainisten gäbe, wie es typische Verbrechen der Alkoholiker gibt“.
Er reflektierte kritisch, dass es in der Literatur keine Belege für den von Glaserfeld hergestellten Zusammenhang zwischen Kokainkonsum und kriminellen Handlungen gebe, sagte selbst, dass er nur ausgesprochen wenige Fälle kennen gelernt habe und stützte sich auf die Erfahrungen des Berliner Arztes Lipschütz, der weitere Beispiele und eigene Feldforschung beitrug (Leppmann 1921: 93). Die Grundannahme „daß dieses Gift den Menschen zum Verbrecher machen kann“ stellte er aber trotz des Mangels an konkreten Belegen, den er selbst konstatierte, nicht in Frage (Leppmann 1921: 96). Ähnlich wie seine Kollegen wollte der Gefängnisarzt v.a. Aufmerksamkeit für den Gegenstand erzielen und mit seinen Beschreibungen zu kritischen Untersuchungen der Frage anregen, er präsentierte aber dennoch zentrale und den damaligen Diskurs verschärfende Hypothesen als feststehende Tatsachen. Die Beiträge von Leppmann und Glaserfeld (1920-2) zeigen, dass nicht nur der diskursive Übergang zwischen medizinischen bzw. juristischen Fragen und moralischer Bewertung, sondern auch jener zwischen abweichendem Verhalten und Kriminalität fließend war. Genauso wenig wie die Tagespresse lieferten medizinische Fachpublikationen konkrete Begründungen, die die Verquickung von Betäubungsmittelkonsum und -handel mit Prostitution oder anderen Formen von Devianz und Delinquenz wissenschaftlich unterfüttert hätten. Zwar kann nicht eindeutig nachgewiesen werden, worauf die Vorstellungen der Experten basierten. Allerdings ist auffällig, dass sie einerseits hierfür keine fundierten Hinweise aus ihrer täglichen Praxis anbrachten und andererseits in der Tagespresse schon seit vielen Jahren abwertende Beschreibungen von vermeintlichen Zusammenhängen beispielsweise zwischen Drogen und Prostitution vorkamen. Für die ersten im medizinischen Fachkontext erschienenen Artikel kann also festgehalten werden, dass Betäubungsmittelkonsum ab 1920 explizit mit den
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unterschiedlichsten Formen abweichenden oder negativ bewerteten Verhaltens verknüpft wurde. Die Autoren vollzogen zum einen deutliche moralische Abwertungen und schrieben den Drogengebrauch devianten Personen zu bzw. assoziierten ihn mit abweichendem Verhalten, zum anderen präsentierten sie ihre unbelegten Hypothesen als Fakten. Mediziner und Juristen veröffentlichten wechselseitig in den jeweiligen Fachorganen der anderen Disziplin Artikel zu Fragen, zu denen sie (vermeintlich) über solidere Informationen verfügten als die fachfremden Kollegen. Die hier untersuchten Beispiele zeigen, dass sich die Autoren gegenseitig bestätigten und ihre Thesen festschrieben, indem sie sie in verschiedenen Wissenschaftsbereichen veröffentlichten und sich aufeinander bezogen. Es gab also sowohl einen innerals auch einen interdisziplinären Verstärkerkreislauf, in dem neue Thesen durch wechselseitiges Zitieren ohne konkrete Belege festgeschrieben und verschärft wurden. Wie weit verbreitet dieses Phänomen war, welche Wirkung es entfaltete und welche anderen Disziplinen möglicherweise involviert waren, müsste allerdings noch eingehender untersucht werden. 2.3.2 Fortschreitende Moralisierung durch Untersuchungen an Orten, „wo sich das eigentliche Leben dieser Kokainisten abspielt“ Kommen wir nun zu ersten Autoren, die ihre Aussagen auf eine etwas solidere Basis stellten. Im Februar 1923 referierte der Assistenzarzt am städtischen Krankenhaus Moabit, Dr. Ernst Joël, in der Berliner medizinischen Gesellschaft seine Erkenntnisse zum Kokainismus (Joël 1923). Sie beruhten auf eigenen Studien, die er zusammen mit dem Mediziner Dr. Fritz Fränkel durchgeführt hatte.270 Auch wenn nicht anzuzweifeln ist, dass die Erfahrungen der beiden späteren Fürsorgeärzte sich wie beschrieben zugetragen haben, so hatte ihre Untersuchungsmethode dennoch eine entscheidende Schwachstelle: Joël und Fränkel 270 Ernst Joël (* 18.01.1893, Berlin, † 12.08.1929, Berlin) und Fritz Fränkel (* 07.09.1892, Berlin, † 21.06.1944) zählten in der Weimarer Republik zu den führenden Betäubungsmittel-Experten und publizierten gemeinsam zahlreiche grundlegende Schriften, v.a. zu Kokain. Sie waren Leiter einer der ersten städtischen Fürsorgestellen für Suchtkranke in Berlin-Kreuzberg. Medizinische Aufklärung der Arbeiter und der Kampf um die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse waren Teil der sozialistischen Gesundheitspolitik von Joël und Fränkel (Fränkel war KPD-Gründungsmitglied). Beide haben selbst Versuche mit Kokain durchgeführt; Joël wird als Kokainkonsument bezeichnet und sein Tod anno 1929 wird mit damit in Verbindung gebracht. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung wurde der Neurologe Fränkel im März 1933 verhaftet und mit der Auflage auszureisen wieder entlassen. Seine Flucht führte ihn über die Schweiz und Frankreich bis nach Mexiko (vgl. Hoffmann 2005: 200-202; Täubert 2005: 39-46; Eckler-von Gleich 2000).
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stellten ihre Feldforschung dort an, „wo das Gift an die Jugend der breiten Volksschichten herangebracht wird“; dort, „wo sich das eigentliche Leben dieser Kokainisten abspielt“ (Joël 1923: 817). Mithin war ihr Fokus reduziert auf öffentlich wahrnehmbare Gruppen und blendete Menschen, die die Möglichkeit diskreten Erwerbs und zurückgezogenen Konsums der Drogen hatten, von vorneherein aus. Dabei thematisierten Mediziner bereits seit vielen Jahren eine überdurchschnittliche Verbreitung des Morphinkonsums unter Medizinalpersonen (Ärzten, Apothekern, Krankenpflegern etc.) – es hätte also nahe gelegen, auch gesellschaftlich integrierte Gruppen gezielt zu untersuchen (Erlenmeyer 1887: 3).271 Die bisher ausgeführten Einschätzungen, die bereits 1920 einen Zusammenhang zwischen Betäubungsmitteln und abweichendem Verhalten postuliert hatten, prägten demnach die Untersuchungen Joëls und Fränkels entscheidend und aufgrund dieser forschungsleitenden Annahmen konnten sie kaum zu einem widersprechenden Ergebnis gelangen. Folgerichtig konstatierte Joël (1923: 817) abwertend, Kokainkonsumenten seien „in der Regel haltlose Psychopathen aller Kreise, besonders Halbwüchsige, Gelegenheitsarbeiter, Schleichhändler, Artisten, Studenten, Schüler, Prostituierte beiderlei Geschlechts, aber in der überwiegenden Mehrzahl Männer.“
Die „besonderen Lokale“ der Konsumenten gebe es in ganz Berlin und auch wenn ihre Zahl dort „vielleicht nur einige Tausend“ betrage, so sei sie doch „im Wachsen“ begriffen (Joël 1923: 819). Letztere These hob Joël durch Sperrung besonders hervor. Auf Feldforschung unter ähnlichen Prämissen verwies auch Leppmann (1921: 93): „Herr Dr. Kurt Lipschütz, der Gelegenheit gehabt hat, als Arzt in Berlin persönlich einige solche Schnupfkokainisten zu behandeln, und dadurch angeregt, auch die Orte besucht hat, an denen dieser Gewohnheit gefröhnt wird, war so freundlich mir eine Schilderung zu geben, die ich hier folgen lasse.“
Lipschütz Untersuchungen basierten demnach ebenso auf der Grundannahme, Kokainisten würden bestimmte Lokale aufsuchen, weshalb seine Basis auch nur auf eine bestimmte, von vorneherein festgelegte Gruppe von Konsumenten beschränkt war. Ohne Zweifel brachten die Studien der drei Mediziner wichtige 271 Vgl. Umfrageergebnisse von 1910 in Kapitel 1 sowie Kahn (1920). Diese Fokussierung setze sich über Jahrzehnte fort und der Konsum gesellschaftlich etablierter Gruppen steht bis heute selten im Zentrum der Drogenforschung. So bezeichnet der VS-Verlag die 2004 erschienene Untersuchung von Uwe Kemmesies zu Drogenkonsum im bürgerlichen Milieu als „erste Untersuchung zum illegalen Drogengebrauch von Normalbürgern“ (; 24.11.2009).
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Ergebnisse, sie waren aber voreingenommen und konnten nur zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Ein weiterer Artikel zeugt von einer starken Abwertung der Konsumenten. Der Autor, Medizinalrat Dr. Oppe, schrieb 1923, das „Laster des Kokainschnupfens“ sei „in gewissen Kreisen der Bevölkerung zur Gewohnheit geworden“ (Oppe 1923: 8; 1): „Insgeheim wurde es [das Kokain; AH] in Nachtcafés, Bars, Spielergesellschaften, Animierkneipen usw. verkauft, aber auch gewissenlose Ärzte leisteten Vorschub, indem sie Kokain in übermäßiger Menge und zur beliebigen Wiederholung des Rezeptes verordneten.“
Oppe (1923: 1) vertrat in seinem Vortrag in der forensisch-psychiatrischen Vereinigung zu Dresden auch die These der Proselytenmacherei, die er als „die Neigung der Süchtlinge, den Genuß ihres gewohnten Mittels auch anderen zu empfehlen und sie gewissermaßen in seine Reize einzuweihen“ beschrieb. Auch bei Joël (1923) sowie in der Aussprache zu seinem Referat finden wir dieses Szenario. Zuvor hatten schon Leppmann (1921: 90) und Glaserfeld (1920-2: 234) einen Zusammenhang zwischen Betäubungsmittelkonsum und Krieg hergestellt. Oppe (1923: 2) sah die Ursachen des Konsums darin, dass „nach der Beendigung des Krieges überhaupt eine ungezügelte Genußsucht im Volke Platz griff“, sowie in der Verschleuderung von Heeresbeständen. Seiner Ansicht erwuchs „der Mißbrauch von Kokain wie ein Giftpilz aus dem Boden“. Oppe untersuchte Kokainismus in Bezug auf strafrechtliche Handlungen und kam zu dem Schluss, dass der so verursachte Rausch in dieser Hinsicht keine große Bedeutung habe. Nur in einem Fall seiner Tätigkeit sei „Kokainmißbrauch durch Schnupfen ernstlich im Sinne des § 51 StGB. in Frage“ gekommen und auch die Zahl anderer Fälle sei „verschwindend gering“ gewesen (Oppe 1923: 8). Warum er nicht reflektierte, dass seine eigenen beruflichen Erfahrungen die vorangehenden, die Verbreitung problematisierenden Ausführungen zumindest in Frage stellten, bleibt offen. Bei „minderwertigen Naturen“ sei es wahrscheinlicher, dass sie Kokain konsumierten, schrieb Oppe (1923: 2). Allerdings ließ er offen, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Drogengebrauch und der „sittlichen Entartung“, die sich seiner Meinung nach z.B. in den Beschaffungsmethoden der Konsumenten zeige, gebe oder ob die unterstellte „Entartung des Charakters“ und der „Verfall sittlicher Anschauung“ auf bereits zuvor gebotene „Ausfallerscheinungen ethischer Art“ zurückzuführen seien (Oppe 1923: 2). Aber selbst wenn er Ursache und Wirkung nicht genau definierte, zeigen diese Formulierungen die radikale Abwertung der Betäubungsmittelkonsumenten. Halten wir Folgendes fest: Schon in der ersten wichtigen Phase der Problemetablierung veröffentlichten Mediziner sowie Juristen Einschätzungen zur
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Sozialstruktur der Betäubungsmittelkonsumenten. Dabei deutete sich immer wieder an, dass Morphinisten i.d.R. als unschuldig an ihrer Situation angesehen wurden und Genussorientierung, die man v.a. den Kokainkonsumenten zuschrieb, stigmatisiert wurde (vgl. Bartholdy 1992). So erfolgte eine unterschiedliche Bewertung der Menschen, die aufgrund angenommener Gebrauchsmotive differenzierte und iatrogene Abhängige als unschuldig an ihrer Situation, Einnahme aus hedonistischen Motiven o.ä. hingegen als lasterhaft bezeichnete. Die negative Konnotation des Betäubungsmittelkonsums lässt sich an einem Beispiel besonders gut herausarbeiten. Neben den diffusen Negativbeschreibungen fand sich auf allen Akteursebenen und im gesamten Untersuchungszeitraum die Bezeichnung des Gebrauchs als „Laster“. Von den bis hierhin berücksichtigten Fachautoren schrieb etwa Oppe (1923: 8) vom „Laster des Kokainschnupfens“, Leppmann (1921: 89) sah im „internationalen Lasteraustausch“ während des Krieges den Grund dafür, dass „die Mode des Kokainschnupfens auch nach Deutschland“ gekommen sei und schließlich bezeichnete der Hals-Nasen-Ohren Arzt von Eicken in der Aussprache zu Joëls Referat den „Kokainabusus“ als „Laster“ (Joël 1923: 259). Mit dieser der Charakterisierung, die auch die Folgejahre prägen sollte, schrieben sich die Mediziner in den damaligen Diskurs zu Betäubungsmitteln ein. So benutzte ca. jeder siebte Autor der von mir berücksichtigte Zeitungsartikel explizit die Metapher „Laster“ zur Beschreibung des Drogenkonsums. Dieses Phänomen zog sich durch den gesamten Untersuchungszeitraum, wobei der Begriff in der Phase um 1925 etwas weniger gebraucht wurde als vor- und nachher.272 In den von Medizinern veröffentlichten oder an ihnen Publikationen orientierten Zeitungsartikeln finden wir ab 1920 auch die Bewertung von Morphinismus und Kokainismus als Krankheit. Wichtig ist dabei, dass dies zunächst nicht in expliziter Abgrenzung zur moralisch abwertenden Bezeichnung als Laster erfolgte, sondern lediglich en passant oder teilweise unter Verwendung beider 272
Am Anfang des Untersuchungszeitraums wurde der Begriff i.d.R. für sich allein stehend benutzt und bezeichnete unmittelbar den Konsum als „Laster“, als „lasterhaft“ o.ä. Später wurden dann immer mehr Wortschöpfungen geprägt: 1913 wurde zu Frankreich der Begriff des „Opiumlasters“ verwendet (29.04.1913; BArch R 1001/6819, S. 197), Straub schrieb 1919 vom „Kokainlaster“. Vor allem aber ab Mitte der 1920er Jahre fanden sich vermehrt Begriffe wie „Rauschgiftlaster“ (23.04.1930; 09.01.1933), „Kokainlaster“ (09.01.1933) oder „Luxuslaster“ (08.01.1930). Daneben wurden Bezeichnungen, die die Problematik und die weite Verbreitung des Konsums unterstreichen sollten, gebildet: Betäubungsmittelkonsum wurde nicht nur als „Volkslaster“ (24.03.1912), sondern auch als „Lasterseuche der Menschheit“ (17.02.1929) oder als „Weltlaster“ (24.02.1925) bezeichnet. Die Entwicklung eigener Wortschöpfungen werte ich als Indiz für die Ende der 1920er Jahre deutlich weiter vorangeschrittene Problemetablierung. Der Begriff „Morphiumlaster“ findet sich übrigens in keinem der hier berücksichtigten Zeitungsartikel und in den amtlichen Dokumenten nur zu Beginn der Untersuchung, 1910 bei Dr. Pernitzsch (BArch R 1001/6818, S. 114).
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Begriffe.273 Manche Autoren stellten diese heute als widersprüchlich angesehenen274 Interpretationen nebeneinander, so etwa im Artikel „Morphinismus“ vom Mai 1909, in dem der Autor den Begriff des Lasters benutzte, gleichzeitig das Begriffspaar „Leidenschaft“ und „Genußsucht“ verwendete und schließlich vom Morphinismus als „Krankheit“ schrieb. Erst zum Ende des Untersuchungszeitraumes hin erschienen differenzierte Artikel, die explizit das Krankheitskonzept als Gegensatz zum Laster aufbauten (s. Kapitel 4). An dieser Stelle wird besonders deutlich, dass der hier analysierte Diskurs vielfältige Parallelen zu der Auseinandersetzung um Alkohol aufweist. Wir befinden uns in der Weimarer Republik in „Zyklus IV“ der Problematisierung des Alkohols, der nach Spode (1997: 138) vom späten 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg dauerte. Die Problematisierung von Opiaten und Kokain knüpfte an den Alkohol- und Suchtdiskurs an, dessen „Einstellungswandel (…) in der Weimarer Republik voll zum Tragen“ kam (Spode 1997: 139). Wir begegnen verschiedenen Dimensionen der seit dem 16. Jahrhundert um Alkohol geführten Auseinandersetzungen. Der Bezug auf den Alkoholdiskurs erfolgte allerdings in aller Regel implizit und die Zeitgenossen schlossen keineswegs unmittelbar an die damalige Bewertung der Substanz an. Man könnte sagen, dass die Akteure im Diskurs um Betäubungsmittel jenen um Alkohol in einer Art unbewussten Zeitraffer nachvollzogen: Wie erwähnt wurde der Konsum von Opiaten und insbesondere Kokain als Laster beschrieben – wie Alkoholkonsum v.a. im 16. Jahrhundert (hierzu und im Folgenden Spode 1993). Gleichzeitig existierte ein diffuses Krankheitsbild – wie im 17. und 18. Jahrhundert. Der Beschreibung des Konsums als eine Krankheit, die verwerflich sei, begegnete man hinsichtlich des Alkohols bereits anno 1784 bei Rush. Auch medizinisch orientierte Theorien gab es im Betäubungsmitteldiskurs der 1920er Jahre (wie bei Hufeland 1796, der die Vorstellung einer Zerstörung der Selbstkontrolle einbrachte). Sodann stellte Brühl-Cramer um 1819 explizit die These auf, der Alkoholkonsum sei eine Krankheit, keine Verletzung moralischer Fragen und auch diese Vorstellung finden wir in der späteren Auseinandersetzung um Opiate und Kokain in der Weimarer Republik. Schließlich fehlte der ab 1900 immer dominanter werdende Diskursstrang, der Alkohol und Degeneration in Verbindung brachte, hinsichtlich der anderen Drogen ebenfalls nicht. Wenn es derart deutliche Analogien gab, stellt sich die Frage, warum hier ein Vergleich zu der Auseinandersetzung um Alkohol nicht stärker gemacht wird. 273
19.02.1920; 24.03.1920; 19.04.1925; 10.05.1930. Heute dominiert das „medizinisch-psychiatrisch-naturwissenschaftliche Suchtkonzept“ die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums (Dollinger/Schmidt Semisch 2007: 9). Die Bundesärztekammer (2002) definiert „auf Grundlage des allgemein anerkannten Standes der Wissenschaft“ Drogenabhängigkeit als „eine behandlungsbedürftige chronische Krankheit“.
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Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Substanzen wurden damals unter sehr unterschiedlichen Bedingungen behandelt, denn Opiate und Kokain hatten im Gegensatz zum Alkohol in der Weimarer Republik zunächst v.a. den Charakter von Medikamenten. Entscheidend ist aber die legislative Ebene: Alkohol fiel nicht unter die rechtlichen Regelungen, denen alle hier behandelten Stoffe damals unterstellt wurden. Darüber hinaus spielte auf der einen Seite das Thema Degeneration hinsichtlich Betäubungsmitteln (zumindest bis zum Ende der 1920er Jahre) nur eine untergeordnete Rolle, auf der anderen Seite aber gingen abstinente Alkoholforschung und Eugenik „eine Art Symbiose“ (Spode 1993: 222) ein. Schließlich gab es bezüglich Opiaten und Kokain keinen Streit zwischen Mäßigen und Abstinenten, wohingegen die „diffizile Gratwanderung zwischen normalem und abweichendem Trinken (…) das wohl wichtigste Kennzeichen des modernen Umgangs mit dem Rauschmittel Alkohol“ gewesen sei, wie Spode (1993: 280) konstatiert. Entsprechend muss der Alkohol als Modellsucht in der Analyse des Diskurses um Betäubungsmittel präsent sein, ein direkter Vergleich würde aber aufgrund der stark abweichenden Rahmenbedingungen zu viel Raum beanspruchen, wodurch eine eingehende Analyse der Genese des sozialen Problems Betäubungsmittel an den Rand rücken würde. Der Einfluss des um Alkohol gesponnenen Wahrnehmungskokons auf die Auseinandersetzung um die hier untersuchten Substanzen bedarf einer eingehenden separaten Analyse. Diese sollte die Entstehung des Suchtparadigmas und die Auswirkungen des Suchtbegriffs auf den Diskurs um Betäubungsmittel zentral berücksichtigen. Kommen wir wieder zum Gegenstand Betäubungsmittel. Herauszuheben ist, dass die beteiligten Ärzte die Differenzierung Krankheit vs. Laster keineswegs besonders vorangetrieben haben. Dies ist interessant, da sich hier ein entscheidender Unterschied zur damaligen Auseinandersetzung um Alkohol zeigt: Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts diskutierten Mediziner, ob Alkoholismus weniger als Laster, sondern vielmehr als Krankheit zu bewerten sei: „die Zeit um 1800 [bildet] eine wichtige, vielleicht die wichtigste Zäsur: der Trinker wurde zu einem Kranken. Aus der Trunkenheit wurde die Trunksucht“ (Spode 1993: 115). Das Paradigma der „Trunksucht“ brauchte einige Zeit bis zu seiner Durchsetzung (Spode 1993: 141); um den Beginn des 20. Jahrhunderts verortet Schmid (2003: 112) den „Sieg des Krankheitskonzeptes des Alkoholismus“. Laut Spode (1993: 135) wurde die Annahme, dass die „Trunksucht (…) eine Krankheit, das heißt ein medizinisches und kein moralisches Problem sei“, gar Voraussetzung für die Teilnahme am medizinischen Diskurs vor dem Ersten Weltkrieg. Dies ist zentral für unsere Betrachtung, tätigten die in dieser Arbeit vorgestellten Zeitgenossen ihre moralisierenden Aussagen laut Spode und Schmid doch in
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einer Phase, in der das Krankheitsparadigma hinsichtlich des Alkohols bereits Fachkonsens war. Auch wenn die Auseinandersetzung um Alkohol ebenfalls nicht wertfrei war (Spode 1993: 258), so fiel der neu aufkommende, stigmatisierende Diskurs um Drogen dennoch hinter die Debatte um Alkoholismus zurück. Obwohl Mediziner den auf Deutschland bezogenen problematisierenden Diskurs um Betäubungsmittel prägten, wurden Kokainismus und Morphinismus also keineswegs aus einem Blickwinkel betrachtet, der dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprochen hätte. Die Interpretation als Laster dominierte zunächst eindeutig über die medikalisierende Bewertung als Krankheit. Die Einstufung des Betäubungsmittelkonsums als abweichendes Verhalten geht entscheidend auf die Beschreibungen von Medizinern zurück und ihr Einfluss war m.E. entscheidend für die Dauerhaftigkeit der Zuschreibungen, da ihr Expertenstatus der Einstufung Glaubwürdigkeit verlieh. Mediziner waren zwar wahrscheinlich diejenigen, die in Deutschland zu den umfassendsten Informationen zu Betäubungsmitteln verfügten, weil sie diese in ihrer beruflichen Praxis als Arzneimittel verwendeten. Deshalb war es durchaus sinnvoll, dass z.B. der Staat Bremen 1910 und 1919 die Umfragen des Reichsgesundheitsamtes an die Mediziner des Landes weitergab (Hoffmann 2005: 91ff). Ab der Wende zu den 1920er Jahren beteiligten sich die Ärzte aber an einem neuen, völlig anders gelagerten Diskurs – nun ging es um den außermedizinischen, um den hedonistischen Gebrauch von Drogen und zu diesem verfügten sie keineswegs über detaillierte Informationen. Umfassende Untersuchungen zu genussorientiertem Betäubungsmittelkonsum gab es in Deutschland zu diesem Zeitpunkt nicht und dennoch bewerteten Mediziner den hedonistischen Gebrauch aus einer moralischen Perspektive – mithin aus einem Blickwinkel, der nichts mit ihrer beruflichen Qualifikation zu tun hatte, was dem Expertenstatus widerspricht, den sie in dieser aufkommenden Diskussion hatten. Als die Mediziner 1920 dazu übergingen, die Drogengebraucher zu charakterisieren und eine Bedrohung durch Betäubungsmittelkonsum heraufzubeschwören, taten sie dies demnach nicht auf Grundlage empirischer Untersuchungen. Die als Experten angesehenen Akademiker differenzierten ihre Aussagen nicht, verallgemeinerten vielmehr ihre negativen Eindrücke und blendeten dabei Informationen etwa über den unter Medizinalpersonen verbreiteten Konsum weitgehend aus. Die Erfahrungen beschränkten sich nur auf wenige Fälle und die vermeintlichen Experten bezogen sich ansonsten auf das, was sie vom Hörensagen oder ggf. durch Berichte aus anderen Ländern zu wissen glaubten.275 Sie hatten also keinen verallgemeinerbaren Überblick und konnten sich 275
Es sei auf die von Schetsche (2008: 107) verwendete (an Knoblauch (2005: 156) orientierte) Definition von Wissen verwiesen: „Als ‚Wissen’ werden hier alle Annahmen, Interpretationen, Überzeugungen verstanden, die von handelnden Subjekten (hier Akteuren einer Problemwahrneh-
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nicht wissenschaftlich fundiert zu genussorientiertem Betäubungsmittelkonsum äußern. Aus der schieren Dominanz von Akademikern in diesem Diskurs darf also nicht geschlussfolgert werden, dass in diesem Feld eine „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ (Raphael 1996) stattgefunden habe, denn besonderes Fachwissen zum Thema genussorientierter Drogenkonsum brachten die Mediziner keineswegs in den Diskurs ein.276 Dabei betonte Waldemar Schweisheimer (1920: 12-14), der als einer der ersten Mediziner unter Nennung seiner Qualifikation in der Tagespresse zu Betäubungsmitteln publizierte, doch besonders, dass die „Wissenschaftlichkeit“ auch in der volksaufklärerischen Darstellung nicht leiden müsse.277 Elemente einer Verwissenschaftlichung können zwar beobachtet werden – so waren die Experten und ihre Argumente „in Verwaltung und Betrieben, in Parteien und Parlamenten“ präsent, sie wurden an der Gesetzgebung beteiligt und beeinflussten „die öffentliche Wahrnehmung und Rede“ über Betäubungsmittel (Zitate hier und im Folgenden Raphael 1996: 166-168). Entscheidend ist aber, dass „religiöse und moralische Argumentationen“ in diesem Fall keineswegs „durch die Konkurrenz humanwissenschaftlichen Wissens abgeschwächt“ wurden. Vielmehr waren es gerade Humanwissenschaftler, die eine moralisierende Sichtweise beförderten und wie wir gesehen haben, können ihre Untersuchungen aus heutiger Perspektive keineswegs als wissenschaftlich zuverlässig eingestuft werden. Hinsichtlich Betäubungsmitteln kann also allenfalls von einer partiellen Verwissenschaftlichung gesprochen werden, unter deren Deckmantel sich eine fortschreitende Moralisierung und Disziplinierung des Privaten vollzogen und soziale Kontrolle in ein sehr privates Feld Einzug hielt. Dies steht im Gegensatz zu der von Opitz, Studer und Tanner (2006: 11) beschriebenen Phase, in der es einen „Rückzug des Staates als Kontroll- und Regulierungsinstanz seit dem 19. Jahrhundert“ gegeben habe und die eine „massive Entkriminalisierung von Handlungen insbesondere in nunmehr als ‚Privatsache’ verstandenen Bereichen wie Sexualität und Religion zur Folge [hatte]“. Hinsichtlich des Konsums bewusstseinsverändernder Substanzen ist eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten, wurde dieses sehr private Feld mung) für wahr gehalten werden, also sozial als Wirklichkeitswissen gelten.“ Das Problemwissen, also die kollektiv geteilten Wissensbestände, sind demnach „unabhängig davon, welcher Realitätsstatus diesem Wissen aus Sicht (…) wissenschaftlicher Disziplinen zukommt. 276 Dies wird hier nicht betont, um es den damaligen Akteuren vorzuwerfen, sondern um aufzuzeigen, wie sich der Problematisierungsprozess entwickelte und welche Rolle dabei den Experten zukam. Wir sehen, dass Verweise auf Experten zentral für die Generierung gesellschaftlichen Wissens waren und dass hierfür unerheblich war, auf welcher Grundlage ihr Wissen beruhte. 277 „Der Name eines Arztes als hygienischen Beraters auf dem Titelblatt eines Films verpflichtet“, schrieb Schweisheimer (1920: 79f).
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der Lebensgestaltung doch ab den 1920er Jahren staatlich geregelt, in den Blick der Öffentlichkeit gerückt und als abweichendes Verhalten definiert. Frank Nolte (2007: 53) konstatiert treffend zur Säkularisierung des Sucht-Diskurses, dass zentrale Elemente des zuvor „medizinisch-religiösen“ Diskurses nun auf „medizinisch-wissenschaftlicher“ Seite übernommen wurden, wesentliche Inhalte jedoch „in säkularisierter Form“ Gültigkeit behielten. Die Zeitgenossen sahen im Krieg und seinen Folgen eine Ursache für die angenommene Steigerung des Betäubungsmittelkonsums. Das DrogenBedrohungsszenario schrieb sich in aktuelle Debatten um soziale Hygiene, Degenerationstheorien und die Bedeutung der Volksgesundheit ein. Woelk und Vögele (2002: 20) konstatieren für die die „unmittelbare Nachkriegszeit“ eine „Politisierung von Gesundheit“, die zu einem vieldiskutierten ‚Staatsproblem’“ geworden sei. Einen Erklärungsansatz dafür, dass ein derartiges Bedrohungsszenario auf fruchtbaren Boden fallen konnte, präsentieren Föllmer, Graf und Leo (2005: 28): Durch die damals verbreitete allgemeine Krisenwahrnehmung konnten „Fehlwahrnehmungen“, die „von keiner statistischen Evidenz“ gestützt waren, produziert werden. Auch das Szenario einer Bedrohung durch Betäubungsmittel war ein Krisendiskurs, dem die Annahme zugrunde lag, „dass individuelle und kollektive Existenz eng verbunden seien.“ Diese Wahrnehmung habe, so die Autoren weiter, v.a. jenen Gruppen „eine Chance“ geboten, „die vom Trend zur ‚Verwissenschaftlichung des Sozialen’ zu profitieren versuchten“: „Ohne die eingängigen Szenarien der ‚Entartung des Volkes’, der ‚Entpersönlichung’ des Subjekts oder der Bedrohung durch ‚Berufsverbrecher’ hätten Rassenhygieniker, Psychologen und Kriminalisten ihre Diagnosen und Lösungsvorschläge nicht so erfolgreich in eine breitere Öffentlichkeit einspeisen können.“
Die Diskutanten schrieben genussorientierten Drogengebrauch in die damalige Krisenwahrnehmung ein. Positive Eigendarstellungen von Konsumenten sind mir in den analysierten Quellen nicht begegnet. Für eine Analyse dazu, ob manche ihr Verhalten nicht eher als Teil eines jener „Bereiche jenseits der Krise, in denen die Lust auf Leben weiter besteht“ (Föllmer/Graf/Leo 2005: 7) wahrgenommen haben, müssten andere Quellenarten wie z.B. Lieder oder Gedichte herangezogen werden. Ebenso kamen „aktive Betroffene“ (Schetsche 2008: 87-89), also Drogengebraucher, die sich selbst als Problemopfer sahen, im hier analysierten Teil des Diskurses so gut wie nicht zu Wort.278
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Lediglich in einem Artikel ging es um „Erfahrungen eines geheilten Morphinisten“ (Erfahrungen eines geheilten Morphinisten. Selbsterlebtes aus England. Ueber Morphinismus und Kokainismus, 19.04.1925).
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Halten wir abschließend zu der in diesem Kapitel untersuchten Zeitspanne fest: Während in der Phase bis 1919 eine latente Problematisierung des Betäubungsmittelkonsums in Deutschland vorherrschte, begegnen wir in den Folgejahren einer Gleichzeitigkeit verschiedener Problementwicklungsstufen (vgl. Schetsche 2008: 69). In den Jahren zwischen 1919 und 1923 begann die öffentliche, fachliche und staatliche Anerkennung von Betäubungsmitteln als Problem. Fast gleichzeitig – und das ist ein Charakteristikum der Entstehung des „Drogenproblems“ – wurden erste Bekämpfungsschritte aufgenommen. Zu betonen ist, dass auf staatlicher Seite zunächst von einer rein formalen Anerkennung des Problems ausgegangen werden muss. Wie wir sehen werden, kam es erst in den Folgejahren zu einer faktischen Anerkennung. Da es sich bei dieser Entwicklung um einen langwierigen Prozess handelte, ist eine genaue Abgrenzung der einzelnen Phasen nicht möglich. Die zweite, dritte und vierte der von Schetsche beschriebenen Phasen279 verliefen teilweise gleichzeitig.
Die Sichtweise der Konsumenten ist hier unterbelichtet; eine Analyse von Drogen in der Weimarer Republik, die eine Patientengeschichte im Sinne Roy Porters (1985) betreibt, bleibt ein Desiderat. Die Quellenlage hierzu ist besonders problematisch, da Drogenkonsum stigmatisiert wurde und die Konsumenten Reflektionen ihres Handelns damit wahrscheinlich nicht häufig in für andere zugänglicher Form dokumentierten. Eine Anfrage im Tagebucharchiv Emmendingen ergab keinen Hinweis auf relevante Überlieferungen. Für Interviews mit (ehemaligen) Konsumenten ist es inzwischen zu spät. Wie fruchtbar diese Methode für das Thema Drogen ist, zeigt das Buch Addicts who survived von David Courtwright, Herman Joseph und Don Des Jarlais (1989). 279 Schetsche (2008: 69) benennt eine erste Thematisierung des Problemmusters, ferner zunächst die öffentliche und dann die staatliche Anerkennung desselben und die Phase der Problembekämpfung (sowie ggf. die Problemlösung). Unter „Problemmuster“ werden im Kokonmodell sozialer Probleme „argumentativ verbundene Wissensbestände, mittels derer Sachverhalte als soziale Probleme formuliert werden“ verstanden (Schetsche 2008: 108). Ist das Problemmuster internalisiert, muss bei einzelnen Problembeschreibungen nicht mehr näher verdeutlicht werden, „‚worum es geht’ und ‚wie die Sache sich verhält’“ (Schetsche 2008: 112).
3 Festschreiben der Problemwahrnehmung: Betäubungsmittel in Deutschland, ca. 1923-1929 Festschreiben der Problemwahrnehmung, ca. 1923-1929
Der Zeitraum zwischen 1923 und den Jahren 1928/1929 markiert die Phase, in der die Bewertung von und der Umgang mit Betäubungsmitteln und ihren Konsumenten in Deutschland festgeschrieben wurde. Am Ende dieser Zeitspanne war das spezifische Problemwissen auf den unterschiedlichen Akteursebenen definiert. Im folgenden Kapitel 3 dieser Arbeit werden wiederum die drei Akteursebenen Staat, Presse und Experten untersucht. Das Auswärtige Amt ging zu einer Unterstützung der internationalen Abkommen im „Geiste“ über, das Reichsgesundheitsamt schrieb die Problemwahrnehmung und den Umgang mit Betäubungsmitteln fest und auch auf Ebene der Experten finden sich programmatische Stellungnahmen zu den Substanzen. Schließlich war auf der Ebene der Tagespresse die Wahrnehmung des Drogenkonsums als Problem um 1928/29 in Deutschland etabliert. 3.1
Zwischen Stellvertreterpolitik und einer Unterstützung im „Geiste“ – der Umgang mit Betäubungsmitteln auf staatlicher Ebene 1923-1929 Der Umgang mit Betäubungsmitteln auf staatlicher Ebene 1923-1929 Die Auseinandersetzung mit Betäubungsmitteln auf staatlicher Ebene wurde in den Jahren zwischen 1923 und 1929 deutlich eingehender und intensiver. Um diese vielschichtige und teils verworrene Entwicklung zu fassen, werden im folgenden Teilkapitel unterschiedliche Ebenen der innerdeutschen und zwischenstaatlichen Aktivitäten jeweils in chronologisch aufgebauten Abschnitten erörtert. Hinsichtlich der staatlichen Problemwahrnehmung und -darstellung sowie der Interessen, die die Behördenvertreter im Kontext Drogen verfolgten, sind zum einen weiterhin die Ebenen der rechtlichen Maßnahmen (zwei neue Gesetze in den Jahren 1924 und 1929) und der internationalen Abkommen (die Konferenz in Genf 1925) interessant. Zum anderen bieten die internationale Zusammenarbeit im Völkerbund sowie weitere zwischenstaatliche Kooperationen und Konfrontationen Einblicke in die Problemgenese auf nationaler und internationaler Ebene. Zudem werden im folgenden Kapitel Thematisierungen im Reichstag selbst und in seinem Strafrechtsausschuss untersucht. Den
A. Hoffmann, Drogenkonsum und -kontrolle, DOI 10.1007/978-3-531-94045-8_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
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Festschreiben der Problemwahrnehmung, ca. 1923-1929
Abschluss bildet eine Analyse verschiedener offizieller Berichte zu Betäubungsmitteln. Wir werden sehen, dass die Auseinandersetzung um Drogen in der Zeit ab 1923 deutlich komplexer wurde. Zentral ist, dass es in der Diskussion im staatlichen Kontext nie allein um die Substanzen und den Umgang mit ihnen ging, sondern stets andere – gesellschaftliche und politische – Fragen mitgedacht wurden. 3.1.1 Rechtliche Maßnahmen 1924 wurde die Drogengesetzgebung erstmalig überarbeitet. Wie schon 1920 verabschiedete der Reichstag die Novelle280 ohne inhaltliche Auseinandersetzung in allen drei Lesungen und auch der Reichsrat nahm keine relevante Änderung am Entwurf vor.281 Die Maßnahme stellte eine Verschärfung gegenüber der vorhergehenden Rechtslage282 dar und zu seiner Begründung wurden drei Themenfelder angeführt: Erstens Beschlüsse des Weltpostkongresses von 1920, zweitens Empfehlungen des Völkerbundes, der inzwischen die Kontrolle über Narkotikafragen übernommen und weitere Einschränkungen vorgeschlagen hatte, sowie drittens „bei der Beaufsichtigung des Verkehrs mit Betäubungsmitteln gemachte Erfahrungen“ des Reiches selbst.283 Demnach sei es zweckmäßig erschienen, dass die Kontrolle „auch auf die Abgabe in den Apotheken erstreckt werden kann, falls ein zu großer Verbrauch in einer Apotheke den Verdacht mißbräuchlicher ärztlicher Verschreibung oder unrechtmäßiger Abgabe durch den Apotheker nahelegt.“284
Ein solcher Fall ist in den Akten des Bremer Staatsarchivs überliefert: Die dortige Sonnenapotheke wurde überprüft, da das RGA ihre BetäubungsmittelAbgabe als zu hoch ansah. Die Behörden der Hansestadt kamen zu dem Ergebnis, dass „der tatsächliche Monatsgebrauch der Sonnenapotheke sich nur feststellen [ließe], wenn es möglich wäre, sämtliche Rezepte der in Betracht kommenden ca. 60 Krankenkassen (…)
280
„Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung des Opiumgesetzes“, StB, Bd. 380, S. 7891f, Anlage Nr. 6567. StB, Bd. 361, 10.03.1924, S. 12687. Gesetz vom 21.03.1924: RGBl 1924/1, S. 290. 282 Für die Inhalte vgl. Hoffmann (2005: 75f) und Wriedt (2006: 79-81). 283 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung des Opiumgesetzes. In: Reichsratsdrucksachen, Jg. 1924, Nr. 24. 284 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung des Opiumgesetzes, S. 2. 281
Der Umgang mit Betäubungsmitteln auf staatlicher Ebene 1923-1929
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durchzusehen. Die Rezepte sind aber nicht mehr vollzählig zu bekommen. Ebenso ist das Kopierbuch der Sonnenapotheke nicht lückenlos.“285
Unmittelbare Folge war, dass im Juli und August 1924 alle Bremer Apotheken kontrolliert wurden.286 Dabei fielen sieben Mediziner durch überdurchschnittlich hohe Verordnungsmengen auf (wobei ihr Verhalten weder gegen die ärztliche Lehrmeinung noch gegen geltendes Recht verstoßen hatte). Ich gehe davon aus, dass derartige Fälle zur 1924 eingeführten Verschärfung der Rechtslage beitrugen, da eine Reglementierung der Verschreibung und eine vollständige Kontrolle der Abgabe bis dato nicht möglich waren. Die Bremer Untersuchung spiegelt die gewachsene staatliche Aufmerksamkeit für den Umgang mit Betäubungsmitteln wider und zeigt, dass Apotheker und Ärzte in das Blickfeld der Kontrolle rückten. Diese Entwicklung hatte unmittelbare Folgen für drogengebrauchende Menschen, wie de Ridder (2000) und Ullmann (2004) nachgewiesen haben: Mediziner verschrieben immer weniger Betäubungsmittel und Apotheker prüften bei deren Abgabe die Rezepte eingehender. Inspektionen wie in Bremen und wiederholte Hinweise auf einzuhaltende Kontrollregelungen dürften diesen Wandel unterstützt haben.287 Grundlegende Änderungen der Betäubungsmittelgesetzgebung brachte aber v.a. das erstmals unter dem Titel „Opiumgesetz“ firmierende Gesetz von 1929, welches im Laufe dieses Kapitels noch eingehend analysiert wird. An dieser Stelle sei auf zwei rechtliche Maßnahmen hingewiesen, die verdeutlichen, dass das Reich keine lückenlose Kontrolle des Verkehrs mit Betäubungsmitteln anstrebte, solange dies kein negatives Licht auf die Bemühungen des Staates warf. In der Frage der „Versorgung der Kauffahrteischiffe mit Betäubungsmitteln“288 nutzte das Deutsche Reich auch 1925 noch Spielräume des Opiumabkommens, um für bestimmte Gruppen den Zugang zu den Substanzen zu erleichtern. Der Bedarf dieser Handelsschiffe an Betäubungsmitteln konnte „ohne ärztliche Anweisung (…) auf Anforderung des Schiffseigners“ gedeckt 285
StAB, 3-M.1.L. Nr. 32 1-18, Gesundheitsrat an Medizinalkommission, 03.09.1924. Der Bedarf der Sonnenapotheke wurde auf 50g pro Monat geschätzt. Einem Schreiben des RMI vom Oktober 1924 kann man entnehmen, dass als Jahresbedarf einer „mittleren Apotheke“ eine Menge im dreistelligen Grammbereich angenommen wurde, was dem monatlichen Bedarf der Sonnenapotheke entsprochen hätte (StAB 3-M.1.L. Nr. 32 1-31; RMI II7730A). Derartige Schätzungen waren und sind sehr schwierig, da der Bedarf stark von der Lage der Apotheke im Stadtgebiet und von der Verschreibungspraxis der umliegenden Ärzte abhängt. 286 StAB, 3-M.1.L. Nr. 32 1-18. 287 Beispielsweise veröffentlichten die Bremer Behörden in den dortigen Fachzeitschriften zahlreiche Hinweise auf geänderte Gesetze und Verordnungen, auf die sich ihrer Meinung nach verschärfende Sachlage oder darauf, dass bestimmte Regelungen einzuhalten seien (StAB, 3-M.1.L. Nr. 32 1-1/ 11; 14; 16; 19; 32; 33; 34; 35; 40. 3-M.1.L. Nr. 32 1-14 & 18). 288 Reichsratsprotokolle, 12.10.1925, Nr. 142.
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werden, „um Zeitverluste und Kostenaufwand für den Reeder zu vermeiden.“ Ähnlich verhielt es sich noch 1930, durfte die pharmazeutische Industrie doch weiterhin Ärztemuster von Betäubungsmitteln verschicken.289 3.1.2 Von der Tolerierung illegitimer Ausfuhr zur Unterstützung der Abkommen „dem Geiste“ nach – deutsche Betäubungsmittelpolitik im internationalen Kontext Für die weitere Entwicklung werfen wir zunächst wieder einen Blick auf die internationalen Beziehungen Deutschlands. Die Analyse der Zusammenarbeit in der Opiumkommission des Völkerbundes (OK) erlaubt deutliche Einblicke in die Problemetablierung und zeigt, wie deutsche Behörden Mitte bis Ende der 1920er Jahre mit Betäubungsmitteln umgingen. Die an die Opiumkommission zu erstattenden Jahresberichte für 1922, 1923 und 1924 lösten kontroverse Diskussionen aus und zeigen uns, wie RGA und AA im Feld Drogen zusammenarbeiteten. Deutschland war mit dem Einreichen des Berichts von 1921 implizit die Verpflichtung eingegangen, dies auch in den Folgejahren zu tun.290 Problematisch war nur, dass die Exportzahlen angesichts der stark gestiegenen Heroinausfuhr deutscher Pharmafirmen alles andere als für eine Veröffentlichung geeignet schienen und so befürchteten die Behörden 1924 Kritik von der OK. Das RGA verwahrte sich dabei allerdings gegen Vorwürfe, denn bislang gab es keine rechtliche Handhabe den Ausfuhrschein zu verweigern, war dies doch im Gesetz von 1920 überhaupt nicht vorgesehen.291 In der internen Korrespondenz mit dem AA bezeichnete man die Exporte der Jahre 1922 bis 1924 im RGA tatsächlich als „medizinalpolizeilich (…) nicht völlig einwandfrei“.292 Die Ausfuhren waren nicht nur bekannt, sondern wurden teilweise sogar tendenziell positiv bewertet: Otto Anselmino sagte, deutsche Firmen seien „leider oder glücklicherweise“ am Schmuggel beteiligt – „je nach dem Standpunkt“ (vgl. Holzer 2002: 137). Auch Oberregierungsrat Zeller aus dem AA befürchtete „berechtigte Vorwürfe“ der anderen Signatarstaaten, denn der „übergroße Export“ widerspreche „dem Geiste des Haager Internationalen Opium-Abkommens“. Vor allem die „vielen Fälle von Schmuggel von Opiaten 289
Reichsratsdrucksachen, 1930, Bd. 3, Nr. 134, S. 28. BArch R 901/40372-2, S. 417, Aufzeichnung zu III R 614. BArch R 901/46373, S. 17f, Vermerk über eine am 30.08.1924 im R.M.d.I. stattgehabte Besprechung über Ausfuhr von Betäubungsmitteln, III R 811/24. Über Schmuggeltaktiken wie das falsche Deklarieren als Chemikalien war man informiert, konnte sie aber nicht unterbinden, denn in Hinblick auf das Opiumgesetz war dies zulässig, sofern ein Ausfuhrschein vorlag. 292 BArch R 901/40372-2, S. 415, RMI an AA, II 4769 A, III R 614/24; 23.06.1924. 290 291
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und Kokain besonders nach dem Fernen Osten“ seien „geeignet, uns politische Schwierigkeiten zu bereiten.“293 Entsprechend hieß es seitens des AA: „Aus der (…) mißlichen Lage muß nun ein Ausweg gefunden werden, der Deutschlands Stellung als Vertragsteilnehmer der Haager Konvention nicht abträglich ist.“ Es gehe „nicht an, daß die Interessen eines einzelnen Gewerbezweiges zum Schaden der außenpolitischen Stellung Deutschlands in den Vordergrund gestellt werden“.294 Zeller schlug vor, unvollständige Statistiken einzureichen und, um die Verantwortung abzuwälzen, „für das Jahr 1922 das ‚Loch im Westen’, für 1923 die Besetzung des Ruhrgebietes, die tatsächlich einen Teil der chemischen Industrie der Kontrolle der deutschen Regierung entzogen hat, für die Unvollständigkeit der (…) Statistiken verantwortlich zu machen.“295
Weiter verlangte er eine Verschiebung der politischen Prioritäten im praktischen Umgang mit Betäubungsmitteln: „Das Auswärtige Amt muß deshalb darauf bestehen, daß von jetzt ab die Interessen der deutschen chemischen Industrie hinter den außenpolitischen zurückgestellt werden und daß die Ausfuhr von Betäubungsmitteln aus Deutschland in Zukunft auf ein Maß zurückgeführt wird, welches es der Deutschen Regierung ermöglicht, ihre Statistiken den Vertragsteilnehmern der Haager Opium-Konvention ungeschminkt vorzulegen.“
Die ursprüngliche Erwägung geschönte Zahlen einzureichen wurde schnell verworfen – „streng wahrheitsgemäß“ müssten die Angaben sein, denn sollten Fehlinformationen aufgedeckt werden, würde sich die Regierung nur schwer gegen Vorwürfe wehren können, dass sie den Schmuggel begünstigt habe.296 Die Vertreter von AA und RMI einigten sich schließlich im August 1924 darauf, die Weiterleitung der Jahresberichte zu verzögern, da eine Veröffentlichung zu einem späteren Zeitpunkt vorteilhafter erschien.297 Wir sehen, dass Deutschland auch nach Ratifizierung des Haager Abkommens in der Praxis einen Umgang mit der Ausfuhr von Betäubungsmitteln pflegte, der
293
BArch R 901/40372-2, S. 417f, Aufzeichnung zu III R 614/24. BA R 901/403732-2, S. 420, AA an RMI, III R 768, 07.07.1924. Gemeint war die pharmazeutische Industrie. 295 BArch R 901/40372-2, S. 418, Aufzeichnung zu III R 614/24. 296 BArch 3 R 901/46373, Vermerk über eine am 30.08.1924 im R.M.d.I. stattgehabte Besprechung über Ausfuhr von Betäubungsmitteln, III R 811/24, S. 2. 297 BArch R 901/46373, Aufzeichnung Fricke, zu III R 768/725/24, S. 3. Es ist anzumerken, dass sich in den Akten des Auswärtigen Amtes ein Hinweis findet, dass die Berichte schließlich doch nicht eingereicht wurden. Die Hintergründe dieser Entscheidung sind nicht überliefert, an der Aussagekraft der Auseinandersetzung ändert dies aber nichts (PA AA R 43236, AA an RMI, 12/03/1926, zu III R 217/26 (III R 317/26). 294
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den Zielen der Konvention nicht entsprach.298 RGA und AA war bewusst, dass die deutsche Industrie Drogen in Mengen ausführte, die international zu Kritik Anlass geben könnten – Anfang der 1920er Jahre stellte das Reich also finanzielle bzw. wirtschaftsprotektionistische Fragen noch weitgehend über die praktische Umsetzung des Abkommens. Die befürchtete internationale Kritik brachte Deutschland auch ohne direkten Zwang allerdings Mitte der 1920er Jahre dazu, der eigenen Industrie weitere Einschränkungen aufzuerlegen. Hierbei handelten die Verantwortlichen aus RMI und RGA in einer Art vorauseilendem Gehorsam, um Zweifel an der deutschen Integrität und der Unterstützung des Anti-Opium-Kampfes gar nicht erst laut werden zu lassen. Auf diese Art präsentierten sie sich als vom Prinzip der Betäubungsmittelkontrolle überzeugt. Da die Aufmerksamkeit für die „Opiumfrage“ auf dem internationalen Parkett zunahm, setzte das Auswärtige Amt das RMI und das RGA unter Druck. Hier wird deutlich, wie sich die Verfestigung der Problemwahrnehmung auf internationaler Ebene auf den Umgang mit Betäubungsmitteln in Deutschland auswirkte. Ab Mitte der 1920er Jahre distanzierten sich die Offiziellen in RGA und AA von den – wenn auch nicht illegalen, so doch als illegitim angesehenen – Exporten und gingen damit um 1924 zur Einhaltung des Haager Abkommens „dem Geiste“ (und nicht nur dem Wortlaut) nach über. Der vom AA eingeforderte Weg zeigte sich in der künftigen Handhabung der Ausfuhrkontrollen: Firmen, die im Verdacht „unrechtmäßiger Ausfuhr“ standen, wurde mit Konzessionsentziehung gedroht, um sie zur Rücknahme des gestellten Ausfuhrantrages zu veranlassen.299 298
Diese Vorgehensweise Deutschlands scheint keineswegs einzigartig gewesen zu sein, denn die Statistiken der anderen Exportländer waren anscheinend ebenfalls nicht immer korrekt (PA AA R 43236, Geschäftsführer der Fachgruppe Opium und Cocaïn an RMI, 10.03.1926, III R 217/26). Das RMI war sich der Angreifbarkeit der eigenen Angaben bewusst und betonte, die Statistiken seien in der Öffentlichkeit mit Vorsicht zu gebrauchen, da Waren teilweise nicht den angegebenen Weg genommen hätten. Hier sehen wir erneut, dass Zeitungsartikel im RMI als Quelle für basale Informationen dienten, denn Dammann schrieb: „Aus Zeitungsnachrichten ist ferner zu entnehmen, dass in Österreich 300 kg Betäubungsmittel angeblich deutschen sowie schweizerischen Ursprungs beschlagnahmt wurden, die wahrscheinlich als für die Türkei bestimmt ausgeführt wurden, aber in Österreich verblieben sind und von dort anderweitig umgeleitet werden sollen.“ (PA AA R 43245, RMI an AA, 11.05.1927, II 3884 A. III R 431/27). 299 BArch R 901/46373, Vermerk über eine am 30.08.1924 im R.M.d.I. stattgehabte Besprechung über Ausfuhr von Betäubungsmitteln, III R 811/24, S. 3. Solange es keinen erhärteten Verdacht gab, stellten sich AA und RGA vor deutsche Firmen, die des Schmuggels verdächtigt wurden. Schienen die Vorwürfe begründet, wurde hingegen versucht, die Regierungstätigkeit als tadellos zu präsentieren und im Falle eines Verstoßes gegen das OG oder dessen „Geist“ wandten sich die Reichsbehörden auch offiziell gegen die Beschuldigten (PA AA R 43262, RMI an Rachel Crowdy, II A 2730/4.9., 06.09.1929). Deutsche Privatpersonen, die im Ausland wegen Betäubungsmittelschmuggel verurteilt wurden, konnten ebenso wenig damit
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Der Umgang mit Betäubungsmitteln änderte sich aber nicht nur im eigenen Land, denn nach außen wurde Deutschland selbst zum treibenden Akteur der internationalen Drogenkontrolle. Dabei verfolgte das AA allerdings nicht primär das Ziel, die Kontrolle über den Verkehr mit Betäubungsmitteln zu verbessern. Das Reich traf Ende 1924 als erstes Land eine Vereinbarung mit der chinesischen Regierung, durch die für die Ausfuhr von Betäubungsmitteln nach China eine staatliche Einfuhrbewilligung des Handelspartners verpflichtend wurde.300 Mit dieser Maßnahme verfolgte das AA ebenfalls außenpolitische Ziele, wie aus Notizen des zuständigen Referenten für Betäubungsmittelfragen, Breitfeld,301 über den Zusammenhang von Opiumanbau und Drogenschmuggel mit den politischen Verhältnissen in China hervorgeht: „Die deutsche Regierung hat aus politischen Gründen ein besonderes Interesse daran, daß die Zentralregierung in China gestärkt wird. Sie muß also alles tun, um dem Schmuggelhandel die Wege nach China zu verschließen.“302
Mit dem Abkommen konnte das AA beweisen, „daß die Reichsregierung ernstlich bemüht ist, die chinesische Regierung in ihren Bestrebungen zur Bekämpfung des Schmuggels bereitwillig zu unterstützen.“303 Ähnliche Interessen verfolgte das Reich mit einem Abkommen mit Chile, das für deutsche Betäubungsmittelexporte Einfuhrgenehmigungen verpflichtend machte. Als „Streng vertraulich!“ war ein Schreiben Breitfelds gekennzeichnet, welches zeigt, dass mit der Vereinbarung nicht nur illegitimer Handel verhindert
rechnen, dass ihr Heimatland ein Gnadengesuch stellte, wie das Beispiel des Matrosen David Girgsdies zeigt, der 1926 in Georgia verhaftet und wegen Vergehens gegen das „narcotic law“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde (PA AA R 43251, AA an dt. Botschaft in Washington, 12.03.1928, zu III R 200; 202 /28). Dass sich nicht nur der deutsche Staat schützend vor seine Industrie stellte, zeigt ein in den Unterlagen des AA überlieferter Zeitungsbericht, in dem die Schweizer Regierung ihre Industrie gegen Schmuggelvorwürfe verteidigte. Die Deutsche Gesandtschaft in Bern, welche den Artikel an das AA geschickt hatte, kommentierte süffisant: „Ein (Mohnblumen-) Kränzlein windet die Schweizerische Regierung den Basler Chemieindustriellen, die von bösen Leuten innerhalb und ausserhalb des Völkerbundes verdächtigt werden, Verstösse gegen die guten Rauschgiftsitten begangen zu haben.“ (PA AA R 43259, III R 316/1929, Haltlose Anklagen gegen die Schweiz, 23. & 24.04.1929). 300 PA AA 43281, Anlage II („China“) zu III R 460/31, eingegangen 21.05.1931, S. 3 . Allerdings gab es bereits seit dem 08.05.1911 ein „Agreement between the United Kingdom and China relating to opium”. Vgl. BArch R 1001/6819. 301 Breitfeld war der zuständige Referent für Betäubungsmittelfragen im Auswärtigen Amt. Seine Handakten enthalten Material und Aufzeichnungen zur Opiumfrage aus den Jahren 1912-1942 (PA AA R 43384 sowie 43384a und b). 302 PA AA R 43384a, Aufzeichnung, Abschrift zu III R 1148/25/1180, 19.12.1925, S 1. 303 PA AA R 43281, Anlage II („China“) zu III R 460/31, eingegangen 21.05.1931, S. 3.
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werden sollte.304 Intern wurde 1926 deutlich formuliert, dass es dem AA im Wesentlichen darauf ankam, „die Verantwortung für den Verbleib der (…) ausgeführten Betäubungsmittel der chilenischen Regierung zuzuschieben.“305 Dass auch die für das Deutsche Reich Agierenden v.a. den Vorteil des Landes und weniger eine erfolgreiche Betäubungsmittelkontrolle zum Ziel hatten, ändert nichts an der Tatsache, dass Deutschland selbst zum treibenden Akteur der globalen Narkotikakontrolle wurde und so die internationale Etablierung der Drogenprohibition306 voranbrachte. Betäubungsmittelpolitik wurde in den 1920er Jahren international als Stellvertreterpolitik geführt und angesichts des Drucks der politisch-moralischen Kontrollinstanz Opiumkommission global verfestigt.307 Die fortschreitende internationale Etablierung und Forcierung des Problembewusstseins und der Kontrollmaßnahmen wurde durch ein derartiges Vorgehen vorangetrieben, wie auch Nadelmann (1990: 483) schreibt: „Global adherence to the norms of a particular prohibition regime typically gives the regime greater moral and symbolic force and helps qualify its norms as ‘international laws’ that cannot be defied lightly.”
Der Druck der Opiumkommission zeigte sich auch darin, dass Deutschland ab Mitte der 1920er Jahre immer wieder konkreten Schmuggelvorwürfen ausgesetzt war. Es schien, als würden deutsche Firmen nicht nur die als legal eingestufte Betäubungsmittelnachfrage zu einem großen Teil befriedigen, sondern auch den illegalen Markt beliefern. Auf internationaler Ebene spielte die Auseinandersetzung um Drogenschmuggel ab 1925 eine zentrale Rolle und nahm den „breitesten Raum in den Verhandlungen“ der OK-Tagungen ein.308 Die 304
PA AA R 43241, III R 550/27, 43241, 06.12.1926, AA (Breitfeld) an deutsche Gesandtschaft in Santiago, S. 2. 305 PA AA R 43241, III R 550/27, S. 3. Eine ähnliche Einschätzung findet sich auch bezüglich des Betäubungsmittelverkehrs mit der Türkei in den Jahren 1928/1929, doch dazu mehr in Kapitel 4.1. 306 Drogenprohibition wird hier als die Eingrenzung auf die medizinische und wissenschaftliche Verwendung der Substanzen verstanden. 307 Für die heutige Zeit weist Nicole Krumdiek (2009) darauf hin, dass das System der internationalen Drogenkontrolle stärker von finanziellen u.a. Interessen geleitet sei als von Fragen des Gesundheits- oder Jugendschutzes. 308 PA AA R 43257, Bericht zu Punkt 5 der vorläufigen Tagesordnung der 54. Ratstagung (darin: Bericht der Beratenden Opiumkommission an den Völkerbundsrat über den Verlauf ihrer 12. Tagung), Völkerbunddrucksache C. 33. 1929. XI. (O. C. 943 - I - ), Breitfeld an RMI, III R 150, Ang. II bzw. Vbd. 338/29, 25.02.1929, S. 6. Vgl. Holzer 2002: 136. Es sei darauf hingewiesen, dass es sich bei den Funden keineswegs immer um größere Mengen handelte. In einem Fall ging es beispielsweise um 5 Unzen Morphinhydrochlorid und 1 Unze Kokain; einmal um 2 Unzen Kokain (ca. 60g). Der Aufwand, der um diese Funde betrieben wurde, zeigt das große Engagement im Kampf gegen den Betäubungsmittelschmuggel (PA AA R 43262, zwei Schreiben des Treasury Department/Bureau of Prohibition, Washington vom 24. & 25.04.1929 an Anselmino/RGA, Abschrift II A 2730/29.8).
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deutschen Vertreter mussten in diesem Rahmen erklären, wie es dazu kommen konnte, dass Produkte (scheinbar oder tatsächlich) deutschen Ursprungs auf dem weltweiten Schwarzmarkt auftauchten. Diese Situation stellte für das Reich ein großes Problem dar, wäre seine offizielle Beteiligung am Anti-Opium-Kampf doch konterkariert worden, wenn die eigene Industrie den Schwarzmarkt versorgt hätte. In Regierungskreisen befürchtete man, dass hierdurch Deutschlands internationale Reputation beschädigt werden könnte.309 Inwieweit diese Vorwürfe zutrafen, ist schwer zu beurteilen. Michael de Ridder (2000: 146) nennt Heroinschmuggelfälle, an denen Pharmafirmen beteiligt waren, und kommt zu dem Schluss, dass „pharmazeutische Industrien verschiedener Länder (…) bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein tief in illegale Narkotikatransaktionen verstrickt waren“. Die Behörden des Völkerbundes hätten „umfangreiche Analysen des weltumspannenden Alkaloidgeschäfts“ betrieben (de Ridder 2000: 146). Holzer (2002: 139) wiederum konnte bei den von ihm vorgestellten exemplarischen Schmuggelfällen lediglich einmal die „direkte Verstrickung bestimmter Produzenten“ nachweisen.310 Hierbei handelt es sich um den Fall „Naarden“, den auch de Ridder ausführlich darstellt und der wohl tatsächlich der „größte Schmuggelfall der Weimarer Republik“ war (Holzer 2002: 139): Große deutsche Firmen wie Boehringer-Ingelheim hatten nachweislich bei Lieferungen eine Lücke im Opiumgesetz ausgenutzt. Eines ausgesprochenen Vergehens gegen das OG hatten sie sich aber keineswegs schuldig gemacht.311 Dementsprechend wurde das bis heute bedeutende Pharmaunternehmen nur ermahnt, aber nicht verurteilt. Boehringer-Ingelheim habe „nicht das Maß an Zuverlässigkeit gewiesen, dass insbesondere von den zur Herstellung von Betäubungsmitteln zugelassenen Firmen erwartet werden muss. (…) Die Firma war sich dabei bewusst, dass sie durch die verschleierte Ausfuhr nach Holland die Bestrebungen der deutschen Behörden durchkreuzte, die entsprechend der in dem internationalen Opiumabkommen übernommenen Verpflichtungen bemüht sind, unerlaubte Ausfuhren von Betäubungsmitteln (…) zu verhindern.“312
Entscheidend für die (moralische) Bewertung war demnach nicht der Wortlaut des Gesetzes, sondern dessen implizite Intention. 309 PA AA R 43240, Verbalnote zu III R 495/25, Königlich Großbritannische Botschaft, 27.05.1926, S. 2, sowie RMI an AA, III R 227/25, S. 1. 310 Im Bundesarchiv sind zahlreiche Schmuggelvorwürfe überliefert (BArch R 1501/110432; -433; 434). 311 Folglich ist „Schmuggel“ keine passende, weil nur moralisch, aber nicht juristisch treffende Bewertung. 312 PA AA R 43262, RMI an AA, 30.08.1929, II A 2730/30.8, III R 618/29. Dort auch mehr zum Fall.
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Insbesondere während der ersten Jahre der Betäubungsmittelgesetzgebung gab es in der Exportkontrolle weitgehende Lücken, die erst sukzessive geschlossen wurden. Dass diese Grauzonen von der Industrie genutzt wurden und dass die Pharmafirmen aktiv Geschäfte betrieben, die gegen den „Geist“ der Abkommen verstießen, ist sicher – wie häufig dies der Fall war, muss aber offen bleiben. Ab Mitte der 1920er Jahre nahm der Handlungsspielraum der Firmen mit zunehmend restriktiven Regelungen und Kontrollen immer weiter ab, sie fügten sich in die neue Situation und signalisierten damit, dass sie das sich wandelnde Problembewusstsein anerkannten.313 Entsprechend stellt de Ridder (2000: 147) fest, dass „nach 1931 die pharmazeutische Industrie als Heroinquelle zu versiegen begann“. Zur Klärung der Schmuggelvorwürfe wurde zunächst untersucht, ob die Verpackung (und damit das Produkt) als Originalware oder Fälschung anzusehen sei. An Kriterien wie Papierqualität, Nummerierung oder Datumsstempel konnten Imitate erkannt werden.314 Das Fälschen von Arzneimittelpackungen war zu Beginn des 20. Jahrhunderts tatsächlich ein Leichtes, wie an einem in den Akten des Bundesarchivs erhaltenem Warenschild der Firma Merck zu erkennen ist.
Abbildung 3: Etikett Morphinum hydrochloricum der Firma Merck315
313
Dies wird sich in der Vorbereitung des Gesetzes von 1929 ebenfalls zeigen. Mein Ziel ist nicht, die Pharmafirmen zu exkulpieren, sondern zu zeigen, dass selbst im Fall der Schmuggelvorwürfe nicht alles so einfach ist, wie es scheint. Der Diskurs um Schmuggel war ein wichtiger Teil der zeitgenössischen Problematisierung, weshalb der Hintergrund der Auseinandersetzung hier historisch-kritisch analysiert wird. Aus heutiger Perspektive ist es kaum möglich, die Stichhaltigkeit der Vorwürfe zu bewerten. Das Herkunftsland der Schmuggelware ließ sich nämlich keineswegs „problemlos am Etikett“ erkennen, wie Holzer (2002: 137) behauptet. 315 Quelle: BArch R 901/46373. 314
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Bei dem abgebildeten Etikett handelt sich um einen Aufkleber aus einfachem farbigem Papier, es gab weder Prägung noch Siegel. Dennoch sei bei Prüfungen teilweise „auf den ersten Blick (…) kenntlich“ gewesen, dass die Ware gefälscht war.316 Es kam auch vor, dass Etiketten und Firmen frei erfunden317 oder Originaletiketten mehrmals verwendet318 wurden. Dieser Problematik waren sich auch die Akteure der OK bewusst, denn auch dort waren bei Prüfungen Plagiate deutscher Etiketten aufgefallen.319 Handelte es sich um Fälschungen, so wies das AA jede Verantwortung zurück. Tauchte hingegen nachgewiesenermaßen deutsche Originalware auf dem Schwarzmarkt auf, so verfolgte das Amt abhängig vom Produktionszeitraum der Substanzen zwei Argumentationsstrategien: Waren die Betäubungsmittel bis etwa Anfang/Mitte der 1920er Jahre produziert und exportiert worden, hieß es i.d.R., über die Ausfuhr könnten keine genaueren Angaben gemacht werden.320 Bei älteren Präparaten lehnte das Reich also die Verantwortung ab. Bei jüngeren Produktionsdaten standen die zuständigen Stellen hingegen unter größtem Rechtfertigungsdruck und versuchten, durch detaillierte Angaben zum Export die Verantwortung auf das Empfängerland abzuwälzen (ähnlich dem Abkommen mit Chile).321 Das Ziel war, nachzuweisen, dass die Ausfuhr „unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen erfolgt [war]“.322 Die Konflikte um den Schmuggel waren Ausdruck zwischenstaatlicher Spannungen und deuten an, dass nicht nur Deutschland Betäubungsmittelpolitik als Stellvertreterpolitik betrieb. Dabei lag die Hauptkonfliktlinie Deutschlands in Betäubungsmittelfragen Ende der 1920er Jahre weiterhin im Verhältnis zu Großbritannien. Hierbei ging es schon seit der Konferenz von Den Haag gerade auch um industrieprotektionistische Fragen (vgl. Scheerer 1993). Auch wenn Etiketten britischer oder US-amerikanischer Firmen auf dem schwarzen Markt auftauchten, so waren doch meist deutsche Betriebe von Fälschungen betroffen.323 In den Akten von RGA und AA sind keine Quellen 316 PA AA R 43240, Verbalnote zu III R 495/25, Königlich Großbritannische Botschaft, 27.05.1926. An der Größe der Kristalle konnte man z.B. feststellen, wenn der Inhalt nicht aus der angegebenen Firma stamme (PA AA R 43240, Société des Nations, O.C. 295, 14.08.1925). 317 PA AA R 43254, RMI an AA, III R 807/28, 25.10.1928. 318 PA AA R 43254, Reichsminister des Inneren an Auswärtiges Amt, III R 807/28, 25.10.1928. 319 PA AA R 43240, Société des Nations, Comité Consultatif de l’Opium, O.C. 295, 14.08.1925. 320 PA AA R 43262, 16.09.1929, zu II A 2730/29.8, III R 680/29. Ähnlich PA AA R 43285, Kahler (RMI) an Harry J. Anslinger (Treasury Department, Bureau of Narcotics), Nr. II A 2730/23.9, 10.10.1931. 321 Dabei wurden z.B. Datum und Nummer des Ausfuhrscheins sowie der betreffenden Eingangsbestätigung im Zielland angegeben. 322 PA AA R 43291, Wiedel (RMI) an Anslinger, 03.08.1932. 323 PA AA R 43240, Société des Nations, O.C. 295, 14.08.1925. Hierfür mag es viele Gründe gegeben haben: Das Reich war größter Alkaloidproduzent, der Anteil am legalen Handel war enorm
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überliefert, die dafür sprechen, dass es sich um gezielte Schädigungsversuche gegen den deutschen Staat oder deutsche Firmen gehandelt hätte. Aber dennoch ging das Reich angesichts der Vorwürfe in die Offensive, beispielsweise Ende 1925 in einer Verbalnote an die Königlich Großbritannische Botschaft: „Es scheint, daß internationale Schmugglerkreise Betäubungsmittel nicht deutschen Ursprungs absichtlich (…) in den Handel bringen, damit bei etwaigen Beschlagnahmen der Waren der Verdacht des unerlaubten Handels auf deutsche Firmen fällt“.324
Trotz der relativ zurückhaltenden Formulierung war diese Behauptung brisant, denn sie konnte als verdeckter Angriff auf das Königreich angesehen werden, lag doch die Frage nahe, welche Schmuggler ein Interesse daran gehabt haben könnten, den Verdacht ausgerechnet auf Deutschland zu lenken. Auf deutscher Seite bestand der Eindruck, Großbritannien nutze seine gute Stellung in den Organen des Völkerbundes dazu, das Reich in Betäubungsmittelfragen zu diskreditieren. Beispielsweise hatte die OK 1927 einen Bericht veröffentlicht, in dem u.a. deutsche Firmen des Schmuggels verdächtigt wurden. Breitfeld zeigte sich verärgert darüber, dass den deutschen Vertretern nicht die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Vorwürfe zunächst zu untersuchen: „Oberreg. R. Anselmino hat in seiner Eigenschaft als Stg. Mitglied der Opiumkommission protestiert. Trotzdem sind die Meldungen in der ursprünglichen Fassung veröffentlicht worden, nicht aber der Protest.“325
Zwei Jahre später schlug der Vertreter Großbritanniens im Rahmen einer Besprechung zum Fall Naarden vor, eine „schwarze Liste“ mit Firmen zu erstellen, die „wenn auch nicht gegen den Wortlaut, so doch gegen den Geist der Opiumkonventionen und des Opiumgesetzes“ verstoßen hätten.326 Den Betrieben sollten die betreffenden Regierungen die Erlaubnis zum Handel mit Betäubungsmitteln entziehen. Der deutsche OK-Vertreter, Ministerialrat Dr. Kahler (RMI), bestand darauf, die jeweiligen Staaten müssten die Möglichkeit haben, und der Bekanntheitsgrad von Firmen wie Merck dürfte überdurchschnittlich hoch gewesen sein. Für illegale Produzenten mag es daher nahe gelegen haben, Packungen zu produzieren, die den Kunden bekannt waren und deren Firmen einen guten Ruf hatten. Es hätte also viele Argumente gegeben, bei Fälschungen deutsche Marken zu imitieren und das Ziel muss keineswegs gewesen sein, dem Reich oder den Firmen Probleme zu bereiten. 324 PA AA R 43240, Verbalnote (Abschrift) zu III R 838/25, An die Königlich Großbritannische Botschaft, 02.12.1925, S. 2. Aus einer Erklärung zu Etikettenfälschungen geht hervor, dass staatliche Stellen dieses Szenario auch 1929 noch in Erwägung zogen (PA AA R 43262, Aktenvermerk zu III R 682, gez. Breitfeld 18.09.1929, S. 6). 325 PA AA R 43243, III R 104/27, Abschrift Dufour an AA, 27.01.1927, S. 2. 326 PA AA R 43257, Bericht über die im Januar 1929 abgehaltene Tagung der OK des VB, Abschrift II A 2720/7.2., Anl. zu III R 134/29, S. 12.
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die Beschuldigungen zu prüfen.327 In der Tat ist der britische Vorschlag erstaunlich, hätte er doch eines der zentralen rechtsstaatlichen Prinzipien – die Unschuldsvermutung – außer Kraft gesetzt. Damit hätten theoretisch bloße Verdächtigungen genügen können, um Konkurrenzfirmen auszuschalten. Die gegenseitigen Anschuldigungen auf der einen und mangelnde Erfolge in der gemeinsamen Sache auf der anderen Seite schlugen sich auch in der Stimmung der Opiumkommission nieder. In einem Tagungsbericht von 1926 ist von „einer gewissen Unzufriedenheit“ zu lesen. Die Delegierten fühlten sich wie in einer „Sackgasse“, in der man sich gegenseitig des Schmuggels verdächtige „und die Schuld an dem tatsächlich unbefriedigenden Zustand von sich auf andere schiebe, statt positive Arbeit zu leisten.“328 Im Jahr zuvor hatte Anselmino sogar von einer „Genfer Atmosphäre des allgemeinen gegenseitigen Mißtrauens“ berichtet.329 Er formulierte deutlich, worauf es seiner Meinung nach ankam: „Deutschland muss das größte Interesse daran haben, dass die englische Vorherrschaft in der Betäubungsmittelkontrolle nicht derart festgelegt wird.“330 Angesichts dieser Interessenkollisionen ist es nicht erstaunlich, dass die Stimmung in der Opiumkommission schlecht war. Hinzu kam, dass ab Mitte der 1920er Jahre immer deutlicher wurde, dass die Bemühungen der OK zur Unterdrückung des Schwarzmarkts scheiterten und dass sie ihr Ziel, den Betäubungsmittelkonsum auf medizinische und wissenschaftliche Zwecke zu beschränken, nicht erreichte. Die Beteiligten gewannen den Eindruck, „dass eine endgültige Beruhigung des Morphium- und Cocainproblems noch weit vom Ziel ist.“331 Der japanische Vertreter Sato kam gar resigniert zu dem Schluss, dass die Überwachung der Abkommen und Ausübung der Kontrolle „einfach nicht auszuführen“ sei.332 Doch obwohl viele Delegierte angesichts immer neuer und weitgehend erfolgloser Kontrollschritte realisierten, dass der Weg restriktiver Betäubungsmittelkontrolle erfolglos blieb, fand auf internationaler Ebene ein grundsätzliches Überdenken des Systems nicht statt. Die Frustration der deutschen Delegierten hatte noch eine andere Ursache: Sie empfanden nicht nur die Arbeit der OK als unergiebig, sondern gewannen auch mehr und mehr den Eindruck, dass „die aktiven Opiuminteressenten: England, Indien, Frankreich, Niederlande, Portugal“, da sie „eben doch beträchtliche materielle Einbussen“ befürchteten, nicht an einer wirklichen Lösung des 327
PA AA R 43257, Tagung OK, Abschrift II A 2720/7.2., S. 12. PA AA R 43240, Bericht über die 8. Tagung der OK des VB, III R 616/26, 06.07.1926. PA AA R 43230, Genf, 02.02.1925, gez. Anselmino, S. 5. 330 PA AA R 43251, 16.05.1928, III R 453/28, Bericht Anselminos, S. 5. 331 PA AA R 43243, Bericht über die 9. Session der OK des VB, III R 167/27, S. 2. 332 PA AA R 43251, Bericht über die 11. (ordentliche) Tagung der der OK des VB, „vertraulich“, S. 3. 328 329
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Problems interessiert seien.333 Deutschland war also in der Opiumkommission nicht nur Vorwürfen ausgesetzt, sondern klagte die anderen Staaten auch selbst an. 1927 gingen die Anschuldigungen so weit, dass die deutschen Delegierten der OK vorhielten, eine Verschleierungstaktik zu betreiben: „An einer endgültigen Lösung der Morphiumfrage hat die Kommission auch kein Interesse“.334 Diese harschen Vorwürfe gipfelten in einer generellen Infragestellung der OK, die nur die Interessen der „Rauchopium-Staaten“ vertrete: „Die Kommission hat also deutlich wie noch nie bewiesen, dass sie praktische Arbeit nicht leisten will, und dass ihr ganzes Gerede über Humanität und soziale Verantwortung nur bis zu dem Punkt gilt, wo ihr Rauchopium-Geschäft anfängt oder bedroht ist.“
Deutschland nahm allein die USA als an einer tatsächlichen Lösung interessierten Partner wahr und schlug sich auf ihre Seite, um mit ihnen – wie es hieß – „aktive und zielbewusste Politik [zu] treiben.“335 Die Vorwürfe der deutschen Delegierten lassen erhebliche Zweifel daran aufkommen, dass es den staatlichen Akteuren wirklich um „Humanität und soziale Verantwortung“ gegangen sei. Für die Verfestigung der Problemwahrnehmung auf internationaler Ebene war wiederum unerheblich, welche Ziele die Akteure verfolgten: Durch die Aktivitäten der Opiumkommission und der beteiligten Regierungen wurde die Drogenprohibition international als einzig gangbarer Weg festgeschrieben. Halten wir fest, dass das Verschwinden der (inhaltlichen) Grauzonen und das Pochen auf die Einhaltung der Intention der Abkommen einen bedeutenden Problemetablierungsschritt im Deutschen Reich markieren. Ferner zeigt es, wie wichtig die ständige Arbeit des Völkerbundes für die Etablierung der Drogenkontrolle war, denn nur durch die andauernde internationale Aufmerksamkeit entfalteten die Betäubungsmittelkonventionen in Deutschland überhaupt Wirkung. Die Wirksamkeit der Kontrolle entstand also nicht allein durch die internationalen Abkommen, sondern auf der Ebene der „implicit rules and patterns that govern the behavior of state and nonstate actors“ (Nadelmann 1990: 480). In Hinblick auf die Analyse der Problemetablierung ist zu betonen, dass zwischen der Behandlung in der politischen Arena, der staatlichen Anerkennung nach außen und einer faktischen staatlichen Anerkennung unterschieden werden muss (vgl. Schetsche 2008: 69). Sofern mit der Akzeptanz einer Problemdeutung nach außen Ziele verfolgt werden, die nicht auf das Problem an sich gerichtet sind, muss diese keineswegs mit einer tatsächlichen Überzeugung der staatlichen Akteure übereinstimmen. 333
PA AA R 43240, Bericht über die 8. Tagung der OK des VB, III R 616/26, 06.07.1926. PA AA R 43243, Bericht über die 9. Session der OK des VB, III R 167/27, S. 3f. 335 PA AA R 43243, Bericht über die 9. Session der OK des VB, III R 167/27, S. 6. 334
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3.1.3 „Deutschland [wird] nicht umhin können, sich (…) des Schlagwortes ‚Humanität’ zu bedienen“ – das Genfer Abkommen von 1925 Kommen wir nun von der allgemeinen außenpolitischen Dimension unseres Gegenstandes wieder zu den internationalen Abkommen. 1925 traten in Genf zwei Konferenzen zusammen, die das Ziel hatten, die in Den Haag begonnenen Kontrollen zu verbessern und den illegalen Handel mit Betäubungsmitteln zu unterdrücken. Hierzu wurde eine Beschränkung der Herstellung der Ausgangssubstanzen und der Weiterverarbeitung zu Kokain, Morphin etc. diskutiert (vgl. Wriedt 2006: 89-102). Deutschland war nur an der zweiten Zusammenkunft beteiligt, da es kein eigenes Interesse an der nur Opium behandelnden ersten Konferenz gehabt habe. Ebenso wenig wie im Rahmen des Haager Abkommens eine rein ökonomisch motivierte Politik des Kaiserreichs nachzuweisen ist, kann die Haltung der Vertreter der Weimarer Republik in dieser Debatte monokausal interpretiert werden. Die im Rahmen der Konferenzen von 1925 verfolgten divergierenden Interessen lassen sich an einem Entwurf von Instruktionen an den Delegierten Eckart ablesen.336 „Die deutsche Industrie vertritt den Standpunkt, daß die Ausfuhr von Betäubungsmitteln aus dem Lieferlande nur gegen Einfuhrbescheinigung des Bestimmungslandes erfolgen soll. (…) Diesem Standpunkt, dem das Reichsministerium des Innern beigetreten ist, ist bei den Verhandlungen in erster Linie Rechnung zu tragen.“
Als oberste Prämisse wurde aber herausgegeben, was zu einer Art Mantra der deutschen Auftritte wurde – es dürfe „keinesfalls der Eindruck erweckt werden, als wolle Deutschland bei der Bekämpfung des Mißbrauchs der Narkotika nicht loyal und uneigennützig mitwirken.“337 Während das RMI im ersten Teil des Schreibens die Interessen der pharmazeutischen Industrie unterstützte, ergänzte das AA außenpolitische und taktische Fragen. Es müsse „nicht nur jedes isolierte Vorgehen vermieden, sondern auch jede sich bietende Möglichkeit zu einem gemeinsamen Vorgehen mit irgendwelchen anderen Staaten oder Staatengruppen benutzt werden. Politisch würde es besonders wertvoll sein, wenn wir recht oft mit England und Amerika gemeinsame Sache machen könnten. Gelingt es uns, England und Amerika die Überzeugung beizubringen, daß wir zu loyaler Mitarbeit bereit sind, dann wird es unser Ansehen auch nicht schädigen, wenn wir gelegentlich zur Verteidigung unserer Interessen eine von der ihrigen abweichende Stellung einnehmen.“
In politischen Fragen sollten sich die Mitglieder der Delegation zurückhalten und bei „Fragen (…) von größerer politischer Tragweite (…) vor endgültiger 336 337
BArch R 901/46373, III R 1034/24, AA an Eckart, 13.11.1924. BArch R 901/46373, III R 1034/24, AA an Eckart, 13.11.1924, S. 1f.
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Stellungnahme die Entscheidung des Auswärtigen Amtes telegraphisch“ einholen. Die Abgesandten hatten also vielschichtige Interessen finanzieller ebenso wie außenpolitischer Natur zu vertreten. Auch 1925 standen humanitäre oder gesundheitspolitische Fragen demnach keineswegs im Zentrum – Betäubungsmittelpolitik wurde auch noch Mitte der 1920er Jahre von den relevanten deutschen Behörden als Stellvertreterpolitik betrieben. Die zweite Genfer Konvention von 1925 wollte die „bedeutungsvollen Ergebnisse“ des Haager Abkommens „vervollständigen und (…) verschärfen“, um den „immer noch in großem Maße [bestehenden] Schmuggel und Mißbrauch“ zu unterdrücken.338 Dies sollte durch die Kontrolle der Gewinnung, der Herstellung und des Handels von bzw. mit Betäubungsmitteln erreicht werden. Deutschland unterschrieb das Abkommen unter dem Vorbehalt, dass es einen eigenen Vertreter in den neuen Zentralausschuss entsenden könne, was nicht nur staatlichen Interessen, sondern ebenso jenen der Industrie entsprach.339 Der Vorbehalt war also keine dem Vorgehen in Den Haag vergleichbare Verzögerungstaktik. Demnach kann auch die Tatsache, dass Deutschland das Abkommen erst 1929 ratifizierte, weder als Zeichen mangelnder Unterstützung der Ziele bzw. fehlenden Interesses (wie es Selling (1989-2: 285) interpretiert), noch als Ausdruck einer „stark ablehnende[n] Haltung gegenüber den Opiumabkommen“ gedeutet werden, wie Holzer (2007: 32) schreibt. Deutschland betonte vielmehr wiederholt seine „Bereitwilligkeit (…) zur Mitarbeit an der Lösung des Opiumproblems.“340 So erklärten die Delegierten auf einer Ratstagung der Opiumkommission 1927: „Die Deutsche Regierung hat sich bisher stets nach besten Kräften am Kampfe gegen den illegalen Handel mit Betäubungsmitteln beteiligt und wird dies auch fernerhin tun.“ Man beabsichtigte „den Eindruck [zu] vermeiden, als wolle die Reichsregierung die Ratifizierung absichtlich verzögern“. Mit diesen offiziellen Verlautbarungen wäre natürlich noch nicht bewiesen, dass Deutschland nicht insgeheim doch an einer Verzögerung interessiert gewesen
338
Gesetz über das internationale Opiumabkommen vom 19. Februar 1925. RGBl, 1929 II, S. 407440, hier S. 408. Vgl. Hoffmann 2005: 65-67. Wie aus einem Schreiben der Firma C. H. Boehringer Sohn Nieder-Ingelheim/Hamburg hervorgeht, befürchteten Industrielle, das Genfer Abkommen könne missbraucht werden und stelle „eine besondere Gefahr der Handelsspionage dar“ (PA AA R 43384, C. H. Boehringer Sohn, Denkschrift zur II. Genfer Opium-Konferenz, S. 3). Vgl. Notiz Breitfelds (PA AA R 43242, Aufzeichnung vom 29.11.1928, III R 946/26). Auch 1932 meinte Dammann (RMI) noch, neu gegründete Firmen könnten die vom Ständigen Opiumzentralausschuss aufgestellten Statistiken zur Kundenakquise missbrauchen (PA AA R 43291, RMI an AA, 30.07.1932, II A 2722/13.7). 340 PA AA R 43248, Aufzeichnung zu Punkt 5 der Tagesordnung der 48. Ratstagung, III R 1051/27 Vbd. 5112/27, S. 6. 339
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wäre. Gegen eine solche Annahme spricht allerdings, dass sogar eine Aufhebung des Vorbehalts diskutiert wurde, um umgehend ratifizieren zu können, „falls die Zurücknahme des Vorbehalts und die baldige Einleitung der zur Ratifizierung erforderlichen Schritte als im Interesse der deutschen Völkerbundspolitik liegend erachtet werden“.
Ferner nahm Deutschland in anderen Zusammenhängen wie in technischen Ratifizierungsfragen sich bietende Verzögerungsmöglichkeiten nicht wahr.341 Allein aus der langen Zeit bis zur Umsetzung kann keineswegs in Analogie zum Haager Abkommen geschlossen werden, dass das Reich diese zu verzögern oder gar zu verhindern gesucht hätte. Im Rahmen der Ratifizierung waren also außenpolitische Entscheidungen ebenfalls handlungsleitend und die anderen Interessen mussten dahinter zurücktreten, wie folgendes Zitat von Breitfeld eindeutig zeigt: „Angesichts der ganzen Sachlage muß das AA darauf bestehen, daß die außenpolitischen Interessen des Reichs den Interessen der mit der Herstellung von Betäubungsmitteln befaßten deutschen chemischen Industrie vorangehen.“ 342
Drogenpolitik war ein Vehikel, um international wieder Fuß zu fassen, weshalb die Stellung im Völkerbund wichtiger war als der angestrebte Ausschusssitz und damit wichtiger als die Vertretung der Wünsche der Industrie. Breitfelds Handakten können wir entnehmen, dass Deutschlands Aufnahme in den Völkerbund im September 1926 die Unterstützung der Drogenbekämpfung noch einmal verschärfte: „Nach dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund wird die Reichsregierung besonders darauf achten müssen, daß zwecks Bekämpfung des Schmuggels mit Betäubungsmitteln deutscherseits alles getan werde, das aus ihren tatsächlichen und moralischen Verpflichtungen folgt, um die aus der Opiumfrage sich ergebenden Möglichkeiten im Verhältnis des Reichs namentlich zu England, zu Amerika und zu China nach anderer Richtung auswerten zu können. Dabei wird Deutschland nicht umhin können, sich ebenso wie England und Amerika des Schlagwortes ‚Humanität’ zu bedienen. Humanitäre Gründe erfordern aber unter allen Umständen die Bekämpfung des Schmuggelhandels mit Betäubungsmitteln.“
Anhand dieser Aufzeichnung sehen wir deutlich, dass die Beteiligung v.a. taktisch motiviert war und sich in die allgemeine Außenpolitik der Weimarer Republik einschrieb. Diese war insbesondere in den Jahren zwischen 1923 und 1929 unter Reichsaußenminister Gustav Stresemann auf außenpolitische Reintegration gerichtet (Hildebrand 2008), und diesem zentralen Ziel wurde die 341 Deutschland bestand z.B. nicht darauf, dass nur Signatarstaaten zu der zum Inkrafttreten erforderlichen Zahl von Staaten zu zählen waren (PA AA R 43253, AA/Breitfeld an Reichsminister des Inneren; 20.08.1928; zu III R 649). 342 PA AA R 43384a, Aufzeichnung Abschrift zu III R 1148/25/1180; 19.12.1925.
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„Opiumfrage“ als ein eher unbedeutend eingestuftes Thema untergeordnet. Die Federführung des AA in der Betäubungsmittelfrage bewirkte, dass Drogenpolitik in der Weimarer Republik Stellvertreterpolitik blieb. Breitfelds Differenzierung zwischen „tatsächlichen und moralischen Verpflichtungen“ sowie sein Hinweis darauf, Deutschland solle sich „des Schlagwortes ‚Humanität’“ bedienen, machen seine starke inhaltliche Distanz zum Thema deutlich. Breitfeld, der ab Mitte der 1920er Jahre wichtigste Bearbeiter von Narkotikafragen im Auswärtigen Amt, war kein „Moralunternehmer“ (Becker 1981) oder „Advokat“ (Schetsche 2008: 89-92); er war kein Akteur, der an der Betäubungsmittelfrage an sich ein spezifisches Interesse gehabt hätte. Für ihn war Drogenpolitik ein Arbeitsbereich, den er im Sinne seines Ressorts v.a. in Hinblick auf die Außendarstellung des Reiches orientiert bearbeitete. In diesem Sinne ist Breitfeld – bzw. das Auswärtige Amt in Gänze – am ehesten der Kategorie der „Problemnutzer“ (Schetsche 2008: 94-96) zuzuordnen. Als eine Art kollektiver Problemnutzer instrumentalisierte das Deutsche Reich die „Opiumfrage“ für seine Außenpolitik. Anders als zu Beginn des Jahrhunderts wurde die Teilnahme an der Konferenz in Genf nicht mehr infrage gestellt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass alle Beteiligten auch inhaltlich vollkommen von der gesundheitspolitischen Bedeutung der Frage überzeugt waren, wie die Notizen Breitfelds zeigen. Die Interessenlage war weiterhin vielschichtig und hatte sich nur in Nuancen verschoben. Die Umsetzung des Abkommens führt uns nun wieder zur innerdeutschen Rechtslage und damit zum Opiumgesetz von 1929. 3.1.4 Das Opiumgesetz von 1929 Deutschland ratifizierte das Genfer Abkommen von 1925 am 26. Juni 1929343 und nun musste es zeitnah in deutsches Recht umgesetzt werden.344 De facto war das Opiumgesetz v.a. eine Verfeinerung und partielle Verschärfung der vorangehenden Regelungen – ein an der Praxis orientiertes Ausbessern, das die Kontrolle konkretisierte und einzelne Lücken schloss.345 Seine Vorbereitung war intensiv und zog sich über mehrere Jahre hin. Es gab zahlreiche Sitzungen, 343
Ratifizierungsgesetz: RGBl, 1929 II, S. 407-440. Opiumgesetz: RGBl 1929, Nr. 1386. Für Ausführliche Darstellungen vgl. Wriedt (2006: 103-109) sowie Hoffmann (2005: 77-82). Mit dem Opiumgesetz wurde Cannabis denselben Einschränkungen unterstellt wie Opiate und Kokain. Dieser Schritt ging auf die Genfer Konvention von 1925 zurück, mit der die Substanz laut Holzer (2004: 9) nicht aufgrund sachlicher Erwägungen, sondern als „eine Geste an die ägyptische Delegation“ in das Abkommen aufgenommen wurde.
344 345
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in denen auch Sachverständige (wie z.B. Mediziner) gehört wurden und die Industrie ihren Einfluss geltend machen konnte.346 Im Ganzen ist der Entstehungsprozess des Gesetzes hier nicht wiederzugeben; ich werde lediglich exemplarisch einzelne Aspekte herausgreifen, die die Entwicklung verdeutlichen und die Problemgenese und -wahrnehmung fokussieren. Dass es im Vergleich zu den vorangehenden Regelungen weit intensivere und in Detailfragen kontroversere Vorbereitungen gab, werte ich als Schritt der Problemetablierung: Immer mehr Menschen waren in den Diskussionsprozess involviert und die Meinungen in den einzelnen Ressorts hatten sich ausdifferenziert. Wir werden sehen, dass die Betäubungsmittelfrage Ende der 1920er Jahre in der deutschen Politik institutionalisiert war. Während Details intensiv diskutiert wurden, fand zu einer zentralen Frage keine Auseinandersetzung mehr statt: Was die Basis des Problems sei und was das Gesetz genau zu bekämpfen suchte, wurde als Konsens vorausgesetzt. Dabei wandelte sich genau dieser grundlegende Aspekt in jener Zeit entscheidend. Die Vorbereitungen markierten ein interessantes Moment des Problematisierungsprozesses, konzentrierte sich die Gesetzgebung doch nicht mehr vorwiegend auf missbräuchliche Verwendung mit medizinischem Hintergrund, sondern auf den Gebrauch von Betäubungsmitteln zu „Suchtzwecken“347. Dieser wurde als verbreitetes, zunehmendes und zu bekämpfendes Problem dargestellt, ohne dass dabei genau definiert worden wäre, was „suchtmäßiger“ Gebrauch genau sei (vgl. Temme 2006: 122). Damit wurde zwar kein explizites Arbeiten gegen missbräuchlichen Konsum hedonistischer Natur festgeschrieben, aber dennoch markiert der Perspektivwechsel am Ende der 1920er Jahre einen entscheidenden Schritt in der Bewertung des Betäubungsmittelkonsums bzw. in der Problemwahrnehmung vom vorwiegend medizinischen zum gesellschaftlichen Problem. Nicht länger war „Missbrauch“ als abstraktes Phänomen Gegenstand der Maßnahmen – vielmehr wurden Ende der 1920er Jahre die Drogengebraucher selbst als zentraler Teil des Problems von staatlicher Seite in den Fokus gerückt. Zwar 346
PA AA R 43230, II 11692/26 A. III R 43/27. Niederschrift über die Beratungen betreffen Überwachung des Verkehrs mit Betäubungsmitteln. I O 1246/25 an das AA, III R 300/25. Nicht alle Beratungen zielten unmittelbar auf die Gesetzesänderung, aber schließlich waren sie doch Grundlage für diese Erörterungen. Die Industrie hatte sich schon frühzeitig selbst in die Vorbereitungen eingebracht, wie aus einem Schreiben von Herrn Hoffmann von der Fachgruppe Opium und Cocaïn an das RMI aus dem Jahr 1927 hervorgeht: „Ich wäre Ihnen dankbar von Ihnen zu erfahren, wie weit die Vorschläge des Opiumgesetzes gediehen sind, da ich vielleicht in der Lage wäre, Ihnen aus praktischen Erfahrungen der Fabriken einige Anregungen zu geben.“ BArch R 1501/110418, S. 212-214. 347 PA AA R 43252, Ergebnisse der Beratung am 23.06.1928 (Niederschrift), III R 559/28, II A 2701/7.7, 07.07.1928, RMI an AA sowie Reichswirtschaftsministerium, Reichsministerium der Justiz, Reichsministerium der Finanzen und die Preußischen Ministerien für Volkswohlfahrt, Handel und Gewerbe und Justiz.
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wurde der Konsum selbst nicht unter Strafe gestellt, es ging aber nun nicht mehr länger nur darum, die Konsumenten vor den (angenommenen) gesundheitlichen und moralischen Folgen ihres Verhaltens zu schützen. Vielmehr wurde ihr aktives Handeln als verwerflich deklariert und die Einnahme aus hedonistischen Motiven als etwas zu Verurteilendes definiert. Neben den seit 1924 zur Verantwortung gezogenen Ärzten und Apothekern rückten 1929 also auch die Konsumenten in den Fokus der Gesetzgebung. Ein Fixpunkt der Vorbereitungen des Opiumgesetzes von 1929 war die Hypothese, dass der Konsums zunehme und zum Handeln zwinge. Diese Frage musste nicht näher diskutiert oder begründet werden, was uns zeigt, das der Problematisierungsprozess auf staatlicher Ebene bis Ende der 1920er Jahre weit fortgeschritten war. Hinsichtlich dieser Frage war das Problemwissen so weit etabliert, dass es nicht mehr begründet werden musste (vgl. Schetsche 2008: 129). Selbst für eine Verschärfung des Gesetzes schien eine Auseinandersetzung um die Sachlage nicht mehr notwendig; die Problemwahrnehmung war etabliert und die restriktive Herangehensweise festgeschrieben. Die Zielsetzung des Opiumgesetzes wurde in den Vorbereitungen deutlich formuliert. Es nahm Ärzte und Apotheker ins Visier und sollte sie zu reduzierten Betäubungsmittelverschreibungen erziehen: „Herr Anselmino macht geltend, daß die gegenwärtige Fassung des Gesetzes lediglich ein Strafgesetz sei. Das Opiumgesetz solle aber auch ein Erziehungsmittel werden.“348
Daher sei es „nötig, daß (…) gegen die schuldigen Ärzte und Apotheker kleine Übertretungsstrafen verhängt werden könnten.“ Damit richtete sich der „Kontrollblick“ auf diejenigen, die für den Verkehr mit Betäubungsmitteln verantwortlich waren – und erfasste damit auch die Konsumenten (vgl. SchmidtSemisch 2009: 106). Zuvor war es darum gegangen, den Verkehr mit Betäubungsmitteln (wie mit anderen Arzneimitteln auch) zu regeln und die Substanzen standen im Fokus des Interesses. Die kommissarische Beratung zum Gesetzesentwurf gibt auch Einblick in den Stand der Problemwahrnehmung anno 1928.349 Im Nachhinein wurde die Sachlage damals folgendermaßen interpretiert: 1920 habe man lediglich den Verbleib der Substanzen kontrollieren wollen; vier Jahre später sei dagegen 348
PA AA R 43252, Ergebnisse der Beratung am 23.06.1928, S. 9. PA AA R 43252, Ergebnisse der Beratung am 23.06.1928. Weder zu diesen Äußerungen noch zum Protokoll gab es Widerspruch. Die Niederschrift kann also als eine Art offizielle Analyse der Problementwicklung angesehen werden, denn aufgrund ihres internen Charakters war sie weniger Einschränkungen als etwa die offizielle Gesetzesbegründung unterworfen. Zu bedenken ist, dass durch die nachträgliche Interpretation die Entwicklung der vorhergehenden Jahre umgedeutet worden sein mag. 349
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ausschlaggebend gewesen, dass der Missbrauch „dauernd“ zugenommen habe.350 Rückblickend war für die Jahre zwischen 1920 und 1924 von „vielfach suchtmässiger Verwendung“ die Rede. Als Novum nach 1924 wurden hingegen „offensichtlich zu Suchtzwecken verschriebene Betäubungsmittel“ angeführt. Die offizielle Lesart des Jahres 1928 lautete also, dass ein stetig wachsender Missbrauch von Betäubungsmitteln, der zudem scheinbar seinen Charakter hin zu suchtmäßiger Verwendung geändert habe, zu den Gesetzesverschärfungen beigetragen habe.351 Auch im Kontext dieses Gesetzgebungsverfahrens waren nicht gesundheitspolitische Fragen handlungsleitend, sondern die Außendarstellung des Landes. Dies können wir an einem scheinbar nebensächlichen Aspekt ablesen: Im Rahmen der Vorbereitungen des Opiumgesetzes schlug Breitfeld für das AA vor, das bereits für eine Aufnahme in das OG vorgesehene Benzoylmorphin per Sonderregelung beschleunigt der Kontrolle zu unterstellen.352 Obwohl die Anregung als unterstützenswert empfunden wurde, nahm das AA sie aufgrund außenpolitischer Erwägungen zurück. Die Substanz wurde bislang in den Opiumjahresberichten nicht explizit erwähnt, sondern in einer Sammelrubrik abgerechnet. Breitfeld notierte: „Hierbei werde von außenstehender Seite angenommen, daß die unter dieser Rubrik ausgeführten Mengen Morphin in der Hauptsache auf Codein verarbeitet worden seien. Tatsächlich seien sie aber auf Benzoylmorphin (!) verarbeitet worden.“353
Diese für Deutschland hochproblematische Information wollte man für 1929 noch verschweigen, was aber bei einer vorzeitigen Unterstellung der Substanz unter das OG nicht mehr möglich gewesen wäre. Denn dann hätte „bei anderen ein gewisser Verdacht hinsichtlich der Rubrik ‚Zur Verarbeitung auf Codein usw.’ erregt werden [können], was besser vermieden werden sollte.“ Noch Ende der 1920er Jahre wurden also Exporte in Kauf genommen, die dem „Geist“ der Abkommen widersprachen, um die außenpolitische Integrität Deutschlands zu wahren.
350
PA AA R 43252, Ergebnisse der Beratung am 23.06.1928, S. 3. BArch R 43/1987, Begründung zum Opiumgesetz von 1929, zu II A 2701/ 22.7.1929. 352 PA AA R 43259, Aktenvermerk Breitfelds vom 10.06.1929 zu den Beratungen vom 07.06.1929 zur Anpassung des Opiumgesetzes an das Abkommen, III R 561/29 (e.o. III R 423/29), S. 3. Dieser Vorschlag Breitfelds ging auf eine auch von Deutschland unterstützte Empfehlung der Beratenden Opiumkommission zurück (vgl. PA AA R 43260, unadressiertes Schreiben des AA, 09.07.1929, III R 537/29, zu III R 464/29, S. 5. 353 PA AA R 43259, Aktenvermerk Breitfelds vom 10.06.1929, S. 5. Codein wurde als unschädlich angesehen und untersteht bis heute nicht denselben scharfen Kontrollen wie die anderen Opiate. 351
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Auch der Geschäftsführer der Fachgruppe Opium und Cocaïn (FOK), Hoffmann, erhob Einwände gegen eine beschleunigte Unterstellung der Substanz und bat darum, den Firmen noch „eine gewisse Zeit zu lassen“, damit diese „nur noch die laufenden Geschäfte abwickeln“ könnten.354 Der weitere Umgang des AA mit dem Benzoylmorphin zeigt allerdings, wo der Einfluss der Wirtschaft an Grenzen stieß und verdeutlicht, wie offen intern die außenpolitische Motivation formuliert wurde. Eine Bitte des Fabrikanten Merck, der eine Vertagung der Frage bis zur Ratifizierung des 1925er Abkommens erreichen wollte,355 wurde von Breitfeld abgelehnt. Die bisherige Ausfuhr der Substanz, mit der „große Mengen (…) dem illegalen Markt zugeführt“ worden seien, habe zwar „z.Zt. noch nicht gegen das Opiumgesetz“, aber doch „gegen das Ziel selbst der derzeitigen Opiumgesetzgebung“ verstoßen.356 Die bisherige Verzögerung sei nur vertretbar gewesen, um nicht „zu unerwünschten und unzutreffenden Schlußfolgerungen Anlaß zu geben“.357 Wie wir sehen, erwarteten staatliche Stellen Ende der 1920er Jahre von der deutschen Industrie, dass diese (entgegen ihrer finanziellen Interessen) aktiv an der Bekämpfung des Schwarzmarktes mitwirkte und so schien es für die Unternehmen an der Zeit, sich offensiv zur Unterstützung der internationalen Abkommen zu bekennen.358 Neben diesen grundlegenden Fragen nach Problemanalyse und Handlungsmotiven im Kontext der Gesetzesverabschiedung wenden wir uns nun einigen zentralen Aspekten dieser bedeutenden Novelle zu. Beispielsweise wurde die Möglichkeit, Ausländer bei Vergehen gegen das OG auszuweisen, 1929 verschärft. Hieran können wir erkennen, wie sehr die Verknüpfung von Betäubungsmittelschmuggel und dem „charakteristischen Anderen“ (Becker 2002: 21;
354
PA AA R 43259, Aktenvermerk Breitfelds vom 10.06.1929, S. 4. PA AA R 43260, Hessischer stellvert. Bevollmächtigter zum Reichsrat an RMI, 17.06.1929, Abschrift zu II A 2720/17.6, Anlage zu III R 464/29, S. 3. 356 PA AA R43260, Unadressiertes Schreiben des AA (Breitfeld), 09.07.1929, S. 2f. 357 PA AA R43260, Unadressiertes Schreiben des AA (Breitfeld), 09.07.1929, S. 6. 358 In diesem Sinne ist m.E. der als freiwillig eingestufte Produktionsstopp zu sehen, mit dem sich die deutsche Betäubungsmittelindustrie bereiterklärte, ab April 1931 auf die Herstellung und den Verkauf von Benzylmorphin zu verzichten (PA AA R 43278, RMI an Duncon Hall, 09.03.1931, II A 2701/25.2). Dieser von der Regierung sehr positiv bewertete Schritt sollte auf der Sitzung des Völkerbundsrates eingebracht werden, um zu zeigen, „daß die Reichsregierung bei ihren Bestrebungen (…) die verständnisvolle Mitarbeit der deutschen Herstellerfirmen findet“ (PA AA R 43280, Abschrift II A 2720/5.5, Vermerk zur kommissarischen Beratung vom 04.05.1931, S. 3). Ziel war auch, die anderen Länder zu einem Produktionsstopp zu bewegen – aus humanitären, aber auch aus finanziellen Gründen, hielt man doch eine „einseitige Beschränkung der deutschen Fabriken (…) auf die Dauer nicht für tragbar“ (PA AA 43278, Kahler an Stellen in den Produktionsländern 09.03.1931, Abschrift II A 2701/25.2, Anl. 2, S. 1f). 355
Der Umgang mit Betäubungsmitteln auf staatlicher Ebene 1923-1929
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vgl. Kapitel 3.3) Ende der 1920er Jahre bereits etabliert war.359 Denn in der Gesetzesbegründung hieß es: „Die gewerbsmäßigen Schmuggler sind zum großen Teil Ausländer.“360 Die Grundlage dieser Einschätzung kann anhand der Verurteilungen nach dem OG überprüft werden. Nur durchschnittlich 3,9 % der Schuldsprüche aus den Jahren 1925 bis 1927 betrafen Nichtdeutsche. Zieht man die absoluten Zahlen hinzu, so kann die Gesetzesbegründung nur als durch die staatliche Statistik nicht begründete Zuschreibung gelten, denn der Ausländeranteil lag stets im einstelligen Bereich, wie die folgende Tabelle zeigt:361 1925
1926
1927
98
256
281
6
7
8
6,1
2,7
2,9
Jahr Gesamtzahl der Verurteilungen nach dem Opiumgesetz Davon verurteilte Ausländer Anteil von Ausländern an den Verurteilungen in %
Tabelle 1: Anteil von Ausländern an den Verurteilungen nach dem Opiumgesetz 1925-1927 Die Verknüpfung zwischen Betäubungsmitteln und dem „Anderen“ war Ende der 1920er Jahre bereits so verfestigt, dass es glaubhaft schien, Ausländer seien die Hauptverantwortlichen für Schmuggel, obwohl de facto im Jahresschnitt nur sieben Nichtdeutsche nach dem OG verurteilt wurden. In der Vorbereitung des Gesetzes erfuhr das Vorgehen anderer Länder große Aufmerksamkeit. Es war die Regel, dass in strittigen Fragen nicht nur Reaktionen des Auslandes einkalkuliert wurden, sondern dass die Entwicklungen in und Maßnahmen von anderen Staaten als Orientierung dienten. Etwa wurde in der Frage, ob man ein eindeutig wirtschaftlich motiviertes Einfuhrverbot für ausländische Betäubungsmittel einführen sollte, zur Unterstützung angeführt, die USA und Großbritannien hätten dies bereits getan.362 Ferner orientierte man sich bezüglich der Erleichterungen der Apothekenabgabe an den Listensystemen anderer Länder.363 Und schließlich wurden Zweifel, ob die Auflagen für Ärzte 359
Die Ausweisungsmöglichkeit wurde bereits 1924 eingeführt, aber ab 1930 konnten Ausländer schon bei der Verurteilung zu einer Geldstrafe aus dem Reichsgebiet verwiesen werden (§ 10(6)). 360 BArch R 43/1987, Begründung zum Opiumgesetz von 1929, zu II A 2701/ 22.7.1929, S. 11. 361 Eigene Tabelle aufgrund der Angaben aus Berichten an den Völkerbund. Zu 1925: PA AA R 43239, I.O. 1715/26. Zu 1926: PA AA R 43246, Anl. 1 zu III R 704/27; O.C. 23 (Z) 7, 25.06.1927. Zu 1927: PA AA R 43252, Anl. zu III R 538/28, II A 2700/13.6, 27.06.1928. 362 PA AA R 43252, Ergebnisse der Beratung am 23.06.1928, S. 12f. 363 PA AA R 43252, Ergebnisse der Beratung am 23.06.1928, S. 5.
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und Apotheker nicht zu weitgehend seien, vom Abteilungsdirektor des RGA, Herrn Rost,364 u.a. mit dem Argument ausgeräumt, „daß er keine Bedenken trage“, denn die USA hätten „viel strengere Bestimmungen über das Verordnen von Betäubungsmitteln getroffen.“365 Auffällig ist, dass gerade den Entwicklungen in den Vereinigten Staaten von Amerika und deren möglichen Reaktionen besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde.366 Obwohl sie nicht in den Völkerbund eintraten und damit die Politik der Opiumkommission nicht unmittelbar mitgestalteten, hatten die USA auf die Entwicklung der Gesetzgebung in Deutschland erheblichen Einfluss. Sie prägten damit nicht nur die Frühphase der internationalen Drogenkontrolle (vgl. Beke-Bramkamp 1992; Selling 1989-1; Holzer 2002), sondern auch die Folgezeit. Es sei darauf hingewiesen, dass auch die Rechtsprechung in Deutschland ähnlich der US-amerikanischen verlief – ob es allerdings unmittelbaren Einfluss gab, kann hier nicht geklärt werden (vgl. Hoffmann 2005: 152f; Ullmann 2001: 5). Zumindest lassen sich aber Parallelen erkennen. Der Mediziner Dr. Bier aus Dresden wurde vom Reichsgericht verurteilt, weil er innerhalb von fünf Monaten 3.000 Rezepte über mindestens 3.000 Gramm Kokain an Kokainkonsumenten ausgestellt hatte. Diese hätten die Substanz allerdings teilweise an Dritte weiterverkauft. Die Anklage lautete, Bier habe „beim Handel mit Kokain wissentlich Beihilfe geleistet“.367 In einem analog zu Entscheidungen des USSupreme Court368 argumentierenden Urteil des Reichsgerichts gegen Bier wurde zum einen die Erhaltungstherapie verboten und zum anderen explizit gemacht, dass der „regelmäßige Gebrauch zu bloßen Genusszwecken, dessen Verhinderung wegen seiner verderblichen Folgen für die Volksgesundheit gerade der Zweck des Abkommens ist“, unerwünscht sei.369 364 Prof. Dr. Eugen Rost, Abteilungsdirektor im Reichsgesundheitsamt (* 24.10.1870), Pharmakologe. Quelle: (03. 08.2009). 365 PA AA R 43242, II 11692/26 A, Niederschrift über die am 06.11.1926 im RMI stattgefundene kommissarische Beratung über die Überwachung des Verkehrs mit Betäubungsmitteln, S. 9. 366 PA AA R 43259, Aktenvermerk Breitfelds vom 10.06.1929, S. 2. 367 BArch 2705/ R 3002-1D, 184/1926.VII, Urteil des 1. Strafsenats des Reichsgerichts in der Strafsache gegen Bier vom 05.10.1926. Eine ausführliche Analyse des Urteils und seiner Folgen findet sich bei Hoffmann (2005: 149-154). 368 Laut Caroline Jean Acker (1995: 122) verbot der Supreme Court die dauerhafte Verschreibung von Betäubungsmitteln. Abstinenz wurde die Zielvorgabe der medizinischen Behandlung in den USA. Beispielsweise in Großbritannien war hingegen die Erhaltungstherapie weiterhin möglich (vgl. Mold 2008). 369 BArch 2705/ R 3002-1D, 184/1926.VII, Urteil des 1. Strafsenats des Reichsgerichts in der Strafsache gegen Bier vom 05.10.1926. Das Reichsgericht hatte zwar nur die Dauerverschreibung von Kokain untersagt, in seiner Auslegung führte dies aber außerdem zum Verbot der Opiaterhaltungstherapie. Das Urteil hatte auch den Effekt, dass sich durch die erstmalige Bestrafung eines Mediziners wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz Ärzte mehr und mehr für die
Der Umgang mit Betäubungsmitteln auf staatlicher Ebene 1923-1929
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Auch im Umgang mit Betäubungsmitteln zeigt sich also das von Wetzell (2000: 296) für die deutsche Psychiatrie um 1900 (und später) herausgearbeitete Charakteristikum – die Bereitschaft „to place the interest of society above the welfare of the individual patient“. Im Reichsgerichtsurteil wurde die Weiterverschreibung verboten, obwohl für den Konsumenten ein fortgesetzter Gebrauch der Substanzen häufig weniger schädlich als ein Entzug gewesen wäre. Da aber die „Volksgesundheit“ als schützenswertes Gut über das Wohlergehen der Individuen gestellt wurde, sollte jeglicher Gebrauch von Betäubungsmitteln auf die Verwendung als Heilmittel beschränkt werden. Diese gerichtliche Entscheidung markierte einen zentralen Schritt der Problemgenese, schrieb sie doch auch auf innerstaatlicher Ebene die inhaltliche Umsetzung der Abkommen „im Geiste“ fest und definierte hedonistischen Konsum als von staatlicher Seite unerwünscht. Der Spielraum, den die Gesetzgebung bis dato gelassen hatte, wurde mit diesem Urteil durch eine staatliche Instanz explizit eingeschränkt. Dies ist ein weiterer Schritt, der zeigt, dass nicht allein die erzwungene Ratifizierung des Haager Abkommens durch das erste Drogenkontrollgesetz in Deutschland entscheidend für den Umgang mit Betäubungsmitteln war. Der Rechtsspruch ist vielmehr Ausdruck der vorangeschrittenen Problemetablierung, die Mitte der 1920er Jahre die Regelung des Umgangs mit Drogen als Mittel sozialer Kontrolle festschrieb. Das Urteil spielte auch im Meinungsbildungsprozess zum Gesetzgebungsverfahren eine wichtige Rolle, denn es war z.B. ein Argument für die Beschränkung der Verordnungsfreiheit. Bei den Beratungen zum Missbrauch im November 1926 forderte Ministerialrat Brescius aus dem Sächsischen Ministerium des Inneren, „Beschränkungen im weitesten Umfang“.370 Er führte den Dresdner Fall des Dr. Bier an und forderte, „[m]an möge die Maschen des Gesetzes möglichst eng ziehen und in allen Fällen von suchtmäßigem Gebrauche die ärztliche Verordnung verbieten“. Nachdem nun ausführlich die Vorbreitung des Gesetzes analysiert wurde, werfen wir noch einen Blick auf seine Verabschiedung im Reichstag. Hier zeigt sich (ebenso wie bei der Ratifizierung des Genfer Abkommens von 1925) ein im Vergleich zu 1920 und 1924 deutlich gesteigertes Interesse der Abgeordneten an Betäubungsmittelfragen; eine inhaltliche Auseinandersetzung fand aber dennoch nicht statt. Hierfür war – wie auch in den Vorjahren – Zeitnot ein zentraler Grund. Drogengesetzgebung interessierten. Zu betonen ist, dass die Rechtsprechung bereits 1926 mit dem Schutz der Volksgesundheit argumentierte und nicht erst in der Bundesrepublik, wie Holzer (2007: 491f) schreibt. 370 PA AA R 43242, Niederschrift über die am 06.11.1926 im RMI stattgefundene Beratung, S. 10.
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Am 23. März wurde dem Reichstag der „Entwurf eines Gesetzes über das internationale Opiumabkommen vom 19. Februar 1925“ vorgelegt.371 In der ersten Beratung am 22. April wurde es auf Wunsch der Kommunisten an den Auswärtigen Ausschuss überwiesen,372 dieser beantragte am 4. Juni dem Entwurf unverändert zuzustimmen,373 was am 15. Juni ohne Wortmeldung geschah.374 Vier Monate später wurde auch der „Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Opiumgesetz)“ in den Reichstag eingebracht – nur rund drei Wochen, bevor das Abkommen in Deutschland in Kraft treten würde, also erneut in höchster Eile. „Der Gesetzesentwurf ist dringlich“ hieß es so auch in dessen Einleitung.375 Demgemäß widersprach das SPD-Mitglied Moses auch sogleich dem Antrag des Abgeordneten Schultz (DNVP), der gefordert hatte, den Entwurf an den Bevölkerungspolitischen Ausschuss zu überweisen. Als Kompromiss vollzog der Reichstag zunächst nur die erste Lesung des Gesetzes,376 in der zweiten und dritten Lesung wurde es am 28. November 1929 angenommen – mit zwei Wochen Verspätung nach Inkrafttreten des Abkommens.377 Es gab einen formellen Änderungsantrag378 sowie einen Diskussionsbeitrag: Georg Sparrer, Medizinalrat und Mitglied der DDP, mahnte an, in Zukunft solle vor der Unterstellung neuer Substanzen unter das Opiumgesetz eine Sachverständigenkommission gehört werden. Diese solle aus Wissenschaftlern, aber auch aus Ärzten und Apothekern bestehen, „die beide ja in allererster Linie davon betroffen werden“ und auch der Gesundheitsrat solle gehört werden.379 Damit forderte der Apotheker Sparrer eine Institutionalisierung der seit vielen Jahren gängigen Praxis, betroffene Berufsgruppen an der Betäubungsmittelgesetzgebung zu beteiligen und betonte die Interessen seines Standes, hierbei ebenfalls berücksichtigt zu werden. Wir sehen, dass hinsichtlich der Gesetzgebung die entscheidenden Diskussionen eindeutig nicht im Parlament, sondern in den vorgelagerten Beratungen stattfanden. Die zentralen Entscheidungen fielen auch im Feld der Betäubungsmittelpolitik in „informellen Beratungen zwischen Parlamentariern, Regierungs- und 371
StB, Bd. 435, Anlage Nr. 941. StB, Bd. 424, 22.04.1929, S. 1602. StB, Bd. 436, Anlage Nr. 1071. 374 StB, Bd. 425, 15.06.1929, S. 2493. Gesetz vom 26.06.1929, veröffentlicht im RGBl 1929/2, S. 407. 375 StB, Bd. 438, Anlage Nr. 1386. 376 StB, Bd. 426, 27.11.1929, S. 3257. 377 StB, Bd. 426, 28.11.1929, S. 3279f. Gesetz vom 10.12.1929, veröffentlicht im RGBl 1929/1, S. 215. 378 StB, Bd. 438, Anlage Nr. 1432. 379 StB, Bd. 426, 28.11.1929, S. 3280. 372 373
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Interessenvertretungen“ (Mergel 2002: 477) und demnach gilt die Feststellung Witts, dass „[d]er Einfluß des Reichstages auf die Gesetzgebung (…) während der ganzen Dauer der Weimarer Republik nicht hoch zu veranschlagen [ist]“ (Witt 1983: 139). Generell stellt er für Gesetzgebungsverfahren treffend fest, was auch für die Drogengesetzgebung zutrifft: „Die bürokratische Vorberatung auf der Ebene der Fachreferenten, die ihrerseits vielfach die Interessen der durch ihr jeweiliges Ressort betreuten wirtschaftlichen und sozialen Organisationen im Vorweg erkundet hatten, spielte dabei [bei der Gesetzgebung, AH] die zentrale Rolle. Hier und nicht etwa in den Sitzungen des Preußischen Staatsministeriums oder in den Beratungen des Reichskanzlers mit seinen Staatssekretären wurden die Grundlinien der Gesetzgebung festgelegt und hinter verschlossenen Türen ein Teil dessen geleistet, was sonst Aufgabe der parlamentarischen Erörterung war: Nämlich die Abwägung und Ausgleichung sozialer, ökonomischer und politischer Interessen“ (Witt 1983: 141).
Der Reichstag übte also auch in diesen Fragen keinen entscheidenden Einfluss auf die Gesetzgebung aus. Wie sich der Diskurs um Drogen abgesehen von unmittelbar die Betäubungsmittelgesetzgebung betreffenden Fragen innerhalb des Parlaments und im Strafrechtsausschuss des Reichstags entwickelte, sollen die beiden folgenden Teilkapitel zeigen. 3.1.5 „An erster Stelle möchte ich die Aufmerksamkeit auf die sogenannten Rauschgifte lenken“ – Reichstagsdebatten zu Betäubungsmitteln Nachdem 1920 im Reichstag zuletzt über die angeblich mit Opium vergifteten Zigaretten gesprochen worden war, dauerte es fünf Jahre, bis Betäubungsmittel dort wieder thematisiert wurden. In der Zwischenzeit hatten Reichstag und Reichsrat 1920 und 1924 die beiden genannten Gesetze verabschiedet. Im Juni 1925 kam es dann auf Bitten des Reichshaushalts-Ausschusses im Rahmen der Etatdebatten am 22. Januar 1926 zu einer Entschließung des Reichstages. Er bat darum, „den Reichsminister des Inneren zu ersuchen, darauf hinzuwirken, daß gegenüber dem in neuerer Zeit namentlich in einer Reihe von Großstädten wieder beobachteten Umsichgreifen des Mißbrauchs von Betäubungsmitteln (Morphinismus und Kokainismus) seitens der zuständigen Reichs- und Landesbehörden mit allem Nachdruck von den bestehenden gesetzlichen Handhaben Gebrauch gemacht wird, um einen Einnisten dieser Körper und Seele in gleicher Weise zerrüttenden Seuchen im deutschen Volke zu verhindern.“380
Diese Entschließung wurde ohne weitere Beschäftigung mit der Frage angenommen. Zuvor hatte Reichstagspräsident Löbe darauf hingewiesen, dass eine 380
StB, Bd. 401, Anlage Nr. 999, S. 6.
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„materielle Auseinandersetzung“ nicht mehr möglich sei, da rund 300 weitere Anträge vorlägen.381 Die Entschließung brachte zum Ausdruck, dass die Beteiligten annahmen, Drogen würden „Körper und Seele“ zerstören. Die Bedrohung wurde als stark bewertet, wie die Metapher „Seuche“ und die Einschätzung vom „Umsichgreifen des Mißbrauchs“ deutlich machen. Bereits am darauf folgenden Tag ließ die Reichsregierung in einer schriftlichen Antwort verlauten: „Die Verhütung des Mißbrauchs von Betäubungsmitteln ist fortgesetzt Gegenstand ernstester Aufmerksamkeit der Reichsregierung. Um den von Reichsgesundheitsamt bei Ausübung seiner Überwachungstätigkeit beobachteten Mißständen entgegenzuwirken, haben die Landesregierungen durch Vermittlung der Standesorganisationen die Ärzte und Apotheker zur tätigen Mitarbeit im Kampfe gegen den Mißbrauch der Betäubungsmittel aufgerufen und ihnen die genaue Befolgung der bestehenden Vorschriften sowie von Richtlinien, die das Reichsgesundheitsamt über die Verordnung und Abgabe von Betäubungsmitteln ausgearbeitet hat, zur Pflicht gemacht.“382
Weiter hieß es, die Vorschriften seien in Fachblättern veröffentlicht und die Dozenten in den medizinischen Fakultäten seien veranlasst worden, „belehrend auf die Studierenden einzuwirken“. Bezüglich des Ausbaus der Kontrolle des Inlandsverkehrs seien Verhandlungen im Schweben. Zu polizeilichen Maßnahmen hieß es weiter: „Auch die Zusammenarbeit zwischen Reichsgesundheitsamt und Strafverfolgungsbehörden soll, um die Fälle, in denen Diebstähle gemeldet werden, eingehender verfolgen zu können, wirksamer gestaltet werden.“
Das Vorgehen im Reichstag – das Drängen darauf, dass inhaltliche Diskussionen unterbleiben mögen – zeigt, dass es erneut wenigen Personen möglich war, die Entwicklung zu beeinflussen. Die Antwort der Reichsregierung drückt aus, dass sie das Thema Betäubungsmittelkonsum aufmerksam verfolgte, aber noch keine aufwändigen Aktivitäten zu seiner Unterdrückung unternahm. Bislang bat man Ärzte und Apotheker um Mithilfe, was darauf hindeutet, dass das Phänomen zu diesem Zeitpunkt – 1926 – v.a. als Problem im medizinischen Kontext bewertet wurde. Neu ist, dass die Polizei als Akteur ins Spiel gebracht wurde, wobei es um Diebstähle, aber nicht um Verfolgung von Schwarzhandel oder organisiertem Schmuggel ging. Diese Elemente, die heute als zentrale Bestandteile des so genannten Drogenproblems wahrgenommen werden, spielten damals offensichtlich noch keine bedeutende Rolle in der Wahrnehmung des Reichsgesundheitsamtes.
381 382
StB, Bd. 388, 22.01.1926, S. 5101. StB, Bd. 412, Anlage Nr. 2821, S. 15.
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Das Jahr 1926 markiert im Reichstag einen Wendepunkt, denn erstmals meldete sich Artur Petzold zu Wort, der in den Folgejahren zum aktivsten Thematisierer von Betäubungsmitteln avancieren sollte. Im März 1926 äußerte er sich in einem längeren Beitrag zum Reichshaushaltsplan folgendermaßen: „Meine Damen und Herren! Ich vermißte in den Beratungen dieses Jahres ein näheres Eingehen auf die überaus großen Gefahren des Genusses der Rauschgifte. Wenn man verfolgt, was uns nach dieser Richtung hin die Zeitungen im letzten Jahr geboten haben, dann muß man geradezu darüber staunen, daß die Reichsregierung noch nicht die Gelegenheit wahrgenommen hat, ein besonderes Gesetz zu schaffen, das jene Menschen, die sich des Verbrechens der Vermittlung dieser Rauschgifte, Kokain und Morphium, schuldig machen, mit höheren Strafen bedroht, als sie im Augenblick nach unserem Reichsstrafgesetzbuch vorgesehen sind. Diejenigen, die diese Rauschgifte vermitteln, gehören zweifellos zu jenen gewinnsüchtigen Menschen, die den Teufel nach der Gesundheit ihrer Volksgenossen fragen.“383
Petzold forderte in dem rund einminütigen Abschnitt seiner Rede Strafverschärfungen für illegale Händler, die er dämonisierend beschrieb. Als Quellen für seine dramatische Gefahreneinschätzung nannte der Drogist lediglich „die Zeitungen“. Eine fundierte Basis für seine nicht näher präzisierten Thesen zu den „Gefahren des Genusses der Rauschgifte“ lieferte er nicht. Auch in den Folgejahren bildeten Zeitungen Petzolds Informationsgrundlage (1928 außerdem Gespräche mit Vertretern des RGA). Er gab den Presseberichten durch das Resümieren im Reichstag größte Glaubwürdigkeit, womit wir erneut der parlamentarischen Seite des politisch-publizistischen Verstärkerkreislaufs begegnen. Ein Jahr später, im März 1927, ergriff Petzold erneut das Wort zu Betäubungsmitteln: „Ich möchte dann die Frage aufwerfen, wie weit der Kampf gegen die Rauschgifte in Deutschland gediehen ist. Wir haben auch im Laufe des letzten Jahres außerordentlich viele Nachrichten lesen können, darüber, daß in den sogenannten besseren Kreisen, die sich nicht dem Alkohol ergeben, die Rauschgifte außerordentlich stark an Gebrauch zugenommen haben. Es ist schon von der Regierung darauf hingewiesen worden, daß auf diesem Gebiet nur schwer etwas zu erreichen ist. Nur von internationalen Abmachungen könnte ich mir einen Erfolg versprechen; aber selbst dies ist noch kein absolutes Schutzmittel, weil es immer wieder Lücken und Gelegenheit geben wird, diese Rauschgifte auf Umwegen über die gesetzlichen Schranken hinweg dem Volke zuzuführen.“384
Interessant ist, dass Petzold v.a. auch die „besseren Kreise“ als Konsumenten anführte und zumindest leise Zweifel an der Wirksamkeit der Kontrolle anmeldete. Grundsätzlich stellte er die Kontrollmaßnahmen aber keineswegs in Frage. Der Abgeordnete der Wirtschaftlichen Vereinigung deutete an, dass es einen 383 StB, Bd. 389, 10.03.1926, S. 6157. Auch in den Folgejahren nahm Petzold jeweils die Etatverhandlungen zum Anlass für einen Beitrag zu Betäubungsmitteln. 384 StB, Bd. 392, 19.03.1927, S. 9740.
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konkreten Akteur gebe, der „Rauschgifte [...] dem Volke“ zuführe. Im Jahr zuvor hatte er gewinnsüchtige und mit dem Teufel in Kontakt stehende Händler kritisiert; hier mag auch pauschal das Ausland gemeint gewesen sein. Wie schon 1926 schloss er seinen Worten über Betäubungsmittel Ausführungen zu Alkohol an und zog „eine Parallele (…) zwischen dem, was man als sogenannten Alkoholmißbrauch bezeichnet und dem, was man Rauschgiftmißbrauch nennen muß.“ Die WV habe über eine Differenzierung zwischen „Alkoholmißbrauch und Alkoholgenuss“ diskutiert, berichtete er. Hinsichtlich Betäubungsmitteln fand in der Partei eine solche Reflektion offensichtlich aber nicht statt; hier wurde jeglicher Konsum als bekämpfenswert angesehen. Ein weiteres Jahr später, im Frühjahr 1928, bot (wie in den Vorjahren) die Beratung des Budgets des Reichsministeriums des Innern wieder Anlass für Petzold, sich zu unserem Thema zu äußern. Nachdem er allgemein die Bedeutung des Reichsgesundheitsamtes für den Schutz der Volksgesundheit herausgestellt hatte, führte er aus: „An erster Stelle möchte ich die Aufmerksamkeit auf die sogenannten Rauschgifte lenken, jene gefährlichen Stoffe, durch die die deutsche Volksgesundheit nach dem Kriege immer mehr und mehr verdorben worden ist. Es wird Zeit, daß das Reichsgesundheitsamt sich ernstlich darum bemüht, hier Wandel zu schaffen. Wenn man hört und lesen muss, daß in den Zeitungen immer wieder über den Rauschgifthandel geschrieben wird, und wenn man sich vergegenwärtigt, daß dem Übel überaus schwer beizukommen ist, weil immer Mittel, Schliche und Wege gefunden werden, jene gefährlichen Stoffe aus dem Auslande durch Schmuggel und auf sonstigen Wegen einzuführen, so muß man sagen, daß alle Volksgenossen ein Interesse daran haben, gegen den Rauschgifthandel vorzugehen.“385
Petzolds Rede von 1928 ist für den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit der längste Reichstagbeitrag zu Betäubungsmitteln. Auffällig ist, dass er nicht länger nur von einer Bedrohung der Volksgesundheit sprach, sondern erklärte, sie sei durch die Substanzen tatsächlich bereits „verdorben worden“. Er verschärfte in diesem Fall also seine Darstellung deutlich und mahnte das Reichsgesundheitsamt zu ernsteren Bemühungen. Seine Formulierung „immer mehr und mehr“ zeigt, dass der Drogist 1928 von einer stetigen Zunahme des Konsums ausging. Eine Begründung für diese verschärfte Bewertung lieferte er allerdings nicht. Seine Ausführungen richteten sich wie in den Vorjahren primär gegen die (illegalen) Händler der Rauschgifte, nicht gegen die Konsumenten. Dass er medizinisch nicht einwandfrei begründeten – also insbesondere auch 385
StB, Bd. 395, 24.03.1928, S. 13718. Hier ist im Gegensatz zu den Jahren 1926 und 1927 nur ein Auszug zitiert, der ca. 1/5 des Beitrages ausmachte. Petzold sprach ca. 3 Minuten über Betäubungsmittel und wandte sich dabei den damals relevanten Fragen zu. So kritisierte er z.B., dass der Vertrieb von Eukodal nicht dem Opiumgesetz unterstellt sei und dass Ärzte in ihren Verschreibungen zu leichtfertig seien.
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genussorientierten – Konsum dennoch ablehnte, zeigt sich allerdings an seiner Kritik der unvorsichtigen ärztlichen Verschreibungspraxis. Petzolds beruflicher Hintergrund spielte eindeutig eine zentrale Rolle für seinen ausführlichen Bericht, bezog er sich doch auf Vorwürfe gegen Drogisten, die z.B. im Berliner Lokal Anzeiger erhoben wurden. Diese seien „wie ein Feldzug gegen einen deutschen Gewerbestand“ und müssten verurteilt werden. Der Abgeordnete beschwor Einigkeit im Kampf gegen den Rauschgifthandel und postulierte, „daß alle Volksgenossen ein Interesse daran haben, gegen den Rauschgifthandel vorzugehen“. Er verfolgte berufsständische Eigeninteressen (vgl. Schetsche 2008: 92-94), indem er versuchte, die Kritik von seinem eigenen Stand abzuwälzen und auf Schwarzhändler umzuleiten. Petzold stellte es als volksschädigend dar, wenn man keine prohibitionistische Position zu Betäubungsmitteln einnahm. Wir sehen, dass auch im Reichstag die Ablehnung des Drogenhandels und -konsums den Status einer sozialen Norm erlangt hatte, der man nicht mehr widersprechen konnte, „ohne sich zumindest moralischdiskursiven Sanktionen auszusetzen“ (Schetsche 2008: 133). Petzolds Rede führte dazu, dass nach acht Jahren wieder eine externe Person im Reichstag zum Thema Drogen sprach: Wie schon 1920 erschien Dr. Carl Hamel, der inzwischen Präsident des Reichsgesundheitsamtes war, im Plenarsaal.386 Er antwortete zwei Tage nach Petzolds Forderungen, dass eine verschärfende Gesetzesnovelle in Vorbereitung sei und „voraussichtlich in sehr kurzer Zeit dem neuen Reichstage zugehen“ solle.387 Wir können festhalten, dass Betäubungsmittel bis 1928 inhaltlich betrachtet bzw. mit Blick auf die Wortmeldungen kein wichtiges Thema im Plenum des deutschen Reichstags waren. Lediglich ein einzelner Abgeordneter einer kleineren Partei beschäftigte sich in den Jahren rund um den vermeintlichen Höhepunkt der Drogenwelle eingehender mit dem Gegenstand. Dass Petzolds Ausführungen zum außermedizinischen Konsum v.a. auf Zeitungsmeldungen beruhten, zeigt, dass sich auch dieser Abgeordnete nicht eingehend mit der Thematik auseinandergesetz hatte. Die vom Reichstag 1926 verabschiedete Entschließung und auch die Gesetze wurden wegen Zeitdrucks nicht inhaltlich diskutiert. Bedeutende Debatten um die Substanzen gab es in den 1920er Jahren nicht und Betäubungsmittelpolitik war kein Thema der parlamentarischen Auseinandersetzung. Allerdings wurden Drogen mehrfach in Sitzungen des 386
Carl Hamel war von 1926 bis 1933 Präsident des RGA. Er war Nachfolger von Franz Bumm, der dem Amt von 1905 bis 1926 vorgestanden hatte. Im Untersuchungszeitraum war außerdem Karl Köhler Präsident der Institution (ab 1900). Quelle: (13.08.2006). 387 StB, Bd. 395, 26.03.1928, S. 13740.
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Strafrechtsausschusses thematisiert, welche im nächsten Abschnitt untersucht werden.388 3.1.6 Es muss „irgend etwas getan werden“ – Betäubungsmittel im Strafrechtsausschuss des Reichstags In der ersten für uns relevanten Sitzung des Strafrechtsausschusses ging es am 29. November 1927 um die Neuregelung des § 57 StGB. Der Abgeordnete Dr. med. Julius Moses (SPD) sprach ausführlich zu Betäubungsmitteln, ohne dass einer der anderen Teilnehmer auf seine Thesen einging. Statistische Belege zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums könne es nicht geben, sagte Moses. „[E]inen Begriff von dem Ausmaße, das der Mißbrauch der berauschenden Mittel angenommen habe“, bekäme man aber aufgrund der Anstaltsstatistiken.389 Der Sozialdemokrat referierte den Standpunkt des Mediziners Maier390, „jeder Kokainist sei als gemeingefährlicher Infektionskranker zu behandeln, der zum Schutze der Allgemeinheit isoliert werden müsse“. Als „Infektionsquelle, von der sich der Kokainismus sozusagen endemisch ausbreite“, seien nach der Literatur „bestimmte Kreise“, nämlich „Kreise der Intellektuellen, Schauspieler, Filmleute, Schriftsteller“ zu bezeichnen und darüber hinaus „[l]eider (…) Schüler der höheren Lehranstalten“ sowie „Männer der Wissenschaft“ und „Professoren an den Universitäten“. Der Mediziner bezog sich auf damals gängige Literatur, allerdings nicht auf Joël und Fränkel, sondern auf die drei Professoren Maier, Lewin und Bonhoeffer. Moses rezipierte Veröffentlichungen aus den USA und zu Frankreich und ordnete die deutsche Situation international ein. Er trug im Ausschuss aber v.a. Fragen zum (potenziellen) strafrechtlichen Umgang mit Betäubungsmitteln vor. Aus der medizinischen Fachliteratur zog er radikale Schlussfolgerungen zum anzustrebenden Umgang mit ihnen: „Es sei (…) notwendig, den Mißbrauch von Morphium, Morphiumpräparaten und
388
Mir sind fünf Sitzungen des Strafrechtsausschusses des Reichstags bekannt, in denen Betäubungsmittel thematisiert wurden (29.11.1927; 29.10.1928; 12.01.1931; 05.02.1931; 18.03.1932). Der Ausschuss beratschlagte eine Neufassung des Strafgesetzbuches. Für Betäubungsmittel waren folgende Paragraphen relevant: § 56 Unterbringung in Heil- oder Pflegeanstalt; § 57 Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder in einer Entziehungsanstalt. Ferner im Abschnitt 35: Mißbrauch von Rauschgiften: § 367 Volltrunkenheit; § 368 Abgabe berauschender Getränke oder Mittel an Insassen einer Trinkerheilanstalt oder Entziehungsanstalt; § 369 Verabreichung geistiger Getränke an Kinder oder Betrunkene. 389 Alle Zitate aus der Sitzung vom 29.11.1927 nach Schubert (1995: 321). 390 In den Protokollen steht „Professor Meyer in Zürich“, Moses bezog sich aber wohl auf Prof. Dr. Hans W. Maier. Zu ihm und den anderen von Moses herangezogenen Quellen vgl. Kapitel 3.3.
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Kokain genau so zu behandeln, wie den des Alkohols“, denn „die Folgen in krimineller Hinsicht“ seien sogar schlimmer als bei Alkohol. Er ergänzte: „Der chronische Mißbrauch dieser Gifte finde sich vorwiegend bei an sich schon labilen Naturen. Psychopathen und Leute mit sexuell abnormer Veranlagung würden dadurch in ihren verbrecherischen Neigungen bestärkt, verelendeten sozial und würden zu Gewohnheitsverbrechern.“
Dr. Moses Aussagen waren inhaltlich keineswegs durch die von ihm angeführten Quellen gestützt, zudem waren sie pauschalisierend und abwertend. Durch den Bezug auf „Professor Bonhoeffer“ und die anderen Mediziner sowie aufgrund seiner Reputation als Dr. med. mag der Eindruck entstanden sein, dass Moses Forderungen eine wissenschaftliche Grundlage gehabt hätten. Ähnlich den bereits in Kapitel 2.3 ausgeführten Beispielen bezog auch Moses ohne wissenschaftliche Grundlage Stellung zu Fragen im Kontext Betäubungsmittel, die seine fachliche Qualifikation als Mediziner weit überstiegen. Moses schwankte zwischen einer medizinisch-fürsorgerischen Herangehensweise, die sich auf der einen Seite in seinen Worten, man müsse sich „immer vor Augen halten, daß es sich um Kranke handle, bei denen man zunächst den Versuch machen müsse, sie zu heilen“ äußerte und auf der anderen Seite in der beschriebenen abwertenden Sicht auf die Konsumenten. Von ihnen gehe eine Gefährdung der Allgemeinheit aus, weswegen man „dem Kokainismus auch strafrechtlich zu Leibe“ gehen solle, meinte er. Die Haltung des auf dem linken Flügel der SPD stehenden Reichstagsabgeordneten ist symptomatisch für die deutsche Ärzteschaft Ende der 1920er Jahre und zeigt die zwiegespaltene Wahrnehmung zwischen moralischer Abscheu und Kontrollsehnsucht auf der einen und medizinisch fundierter Analyse mit dem Willen zur Hilfe auf der anderen Seite. Die Bekämpfung des Kokainismus durch das Strafrecht bezeichnete Moses als „einen großen Fortschritt“ und schlug vor, Verurteilten ihren Aufenthalt in Heilanstalten auf ihre Strafe anzurechnen.391 Er forderte „eine Zusammenarbeit von Ärzten, Gesundheitsbehörden, Gerichten und Polizei“, da es sich „um Leute handle, die einer sozial gefährlichen Sucht unterliegen“. Die Ausführungen des SPD-Abgeordneten zeigen, dass immer mehr staatliche Stellen einbezogen wurden. Insbesondere wird deutlich, dass der Umgang mit Betäubungsmitteln Ende der 1920er Jahre von einer Sache der Medizin auch zu einer Angelegenheit der Polizei wurde.
391
Implizit formulierte Moses damit bereits 1927 den Grundsatz „Therapie statt Strafe“.
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Dreizehn Monate später, am 29. Oktober 1928, fand eine weitere Sitzung des Strafrechtsausschusses statt, in der „Rauschgifte“ erneut thematisiert wurden.392 Die Sitzung stellt m.E. die umfassendste Auseinandersetzung mit Betäubungsmitteln im Kontext des Reichstags dar und erlaubt uns detaillierte Einblicke in die Problemwahrnehmung des RGA.393 Inhaltlich ging es zunächst um sechs Fragen, die der Abgeordnete Moses schriftlich eingereicht hatte. Zunächst war die Zunahme des „Morphinismus, Kokainismus usw.“ Thema. Die zweite Frage lautete: „Bilden Kokainisten, Morphinisten usw. eine gesundheitliche und strafrechtliche Gefahr, namentlich für Jugendliche?“ Ferner interessierten Moses die Höhe des Inlandsbedarfs und eine mögliche Produktionsbeschränkung in Deutschland. Abstrakter war die Frage, ob die Überproduktion nicht als Verstoß gegen den „Geist der internationalen Abmachung“ anzusehen sei (dies wurde im Übrigen nicht beantwortet). Abschließend stellte der Mediziner zur Diskussion, „[w]elche anderen gesundheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Morphinismus usw. (…) getroffen werden“ könnten. Zur Beantwortung waren als Sachverständige hochrangige Beamte des Reichsgesundheitsamtes erschienen, was auf die Bedeutung hinweist, die man der Sitzung im RGA beimaß:394 Aus der Chemisch-Pharmazeutischen Abteilung kamen Direktor Dr. Kerp (Geheimer Regierungsrat), Oberregierungsrat Prof. Dr. Rost und Regierungsrat Linz, sowie aus der Medizinal-Abteilung Oberregierungsrat Dr. Hesse und Direktor Dr. Frey, letzterer als Vertreter des Präsidenten des Reichsgesundheitsamtes. Zur Zunahme des Rauschgiftkonsums und dessen Umfang referierte Dr. Hesse zunächst die Zahl der Aufnahmen in Heilanstalten von „Morphinisten und (…) mit anderen narkotischen Mitteln Vergifteten“ und stellte fest, dass diese „sehr erheblich gestiegen“ sei: um 200 % bei Männern und um 150 % bei Frauen. Die Zahl der Aufnahmen rechnete er direkt auf die Bevölkerungszahl um und kam so auf „0,3 männliche und 0,1 weibliche Morphinisten“ pro 10.000 Menschen in Deutschland. Ferner gab er die Zahl der „infolge von Morphinismus und anderen narkotischen Vergiftungen“ verstorbenen Personen an: 32 im Jahr 1923, im Folgejahr 18 und anno 1925 39. Einer Bewertung dieser Zahlen enthielt Hesse sich ebenso wie die anderen Experten des RGA.395 392
Zitate hier und im Folgenden: BArch R 101/5202, S. 70 VS-72 RS, 13. Sitzung des 21. Ausschusses (Reichsstrafgesetzbuch), IV. Wahlperiode 1928, 29.10.1928 (vgl. Schubert 1996: 139ff). 393 Das stenographische Protokoll zum betreffenden Teil der Sitzung ist mit fünf Seiten sehr lang und weist auf die wachsende Bedeutung des Gegenstandes hin. Hier sollen nur die in Hinblick auf die Problemwahrnehmung der Beteiligten zentralen Aspekte wiedergegeben werden. 394 Die Delegation war so groß, dass zwei der fünf Personen (Linz und Frey) nicht einmal das Wort ergriffen. 395 BArch R 101/5202, S. 70 VS. Für eine Diskussion der Statistiken s.u.
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Neben der Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums und der Zahl der Toten ging man auf die Kontrolle der Ausfuhr ein. Hierzu gab das Reichsgesundheitsamt an, diese werde streng kontrolliert und durch das Zertifikatssystem sei „eine andere Verwendung (…) als zu legalen medizinischen Zwecken ausgeschlossen“. Die Ausfuhr auf anderem Weg (in Staaten, die das Zertifikatssystem noch nicht eingeführt hatten), betrage nur etwa 10 % des Gesamtexports und werde ebenfalls streng kontrolliert. Bis auf Einzelfälle sah man also die Regelung der Ausfuhr als effektiv an, weshalb das (im Gegensatz zu den oben betrachteten internen Diskussionen vor wenigen Jahren) bemerkenswerte Fazit zur Frage des Schmuggels auch lautete, „daß die Vorstellungen, die man sich über die Höhe der Ausfuhr für nicht legale Zwecke mache, gewaltig übertrieben sei.“396 Auf die Frage, „welche Gefahren diese Giftzuchten [sic] für das deutsche Volk darstellen“, antwortete Professor Dr. Rost zunächst mit Blick auf die Individuen: Die Rauschgifte hätten „für die betreffende Persönlichkeit schwere Schädigungen“ zur Folge und äußerten sich „in körperlichem, seelischem und moralischem Zerfall der Persönlichkeit“. Ferner hob er hervor, der Konsum wirke sich negativ auf das Vermögen und auf das „Bestehen der Familie“ aus, „da die Süchtigen bei der Beschaffung dieser Gifte vor keinem Mittel und vor keiner Ausgabe zurückschreckten“. Auch Rost nahm keine Unterscheidung zwischen Konsum der Substanz und Sucht bzw. Gewöhnung vor. Einen anderen Aspekt hingegen unterschied er sehr deutlich: „der Morphinist“ bleibe „noch lange arbeitsfähig“ und konsumiere meist allein, der Kokainist hingegen „mit Vorliebe in Gemeinschaft“ und „wünsche, auch andere zu verführen“. Die Differenzierung zwischen den eingenommenen Substanzen ermöglichte, Morphinisten als ungefährlich darzustellen und damit Kriegverletzte, iatrogen Abhängige und andere Gruppen wie z.B. Ärzte von Kokainisten zu separieren und deren Verhalten grundlegend anders zu werten. Der mit größtem objektiviertem Kulturkapital ausgestatte Experte Rost gab der Einschätzung, Kokainisten würden andere Menschen zum Konsum verführen, durch sein Referat für das RGA im Ausschuss des Reichstags höchste politische Legitimation. Niemand stellte diese Einschätzung (im Gegensatz zu anderen Aspekten) in der anschließenden Diskussion in Frage, sie wurde also offenbar als Tatsache anerkannt. Rosts Ausführungen zeigen, dass der Betäubungsmittelkonsum nach Ansicht des RGA eine erhebliche Gefahr für die Individuen und das Volk darstellte und dass sich diese angenommene Bedrohung keineswegs auf die gesundheitliche Ebene beschränkte, sondern auch in geistiger, moralischer und finanzieller Hinsicht problematisch seien. Darüber hinaus schienen zentrale Werte wie die Familie bedroht. 396
BArch R 101/5202, S. 70 RS.
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In Hinblick auf den Problematisierungsprozess ist die Auslegung der referierten Details zur wachsenden Verbreitung durch die Mitglieder des Strafrechtsausschusses interessant. Die eine Zunahme konstatierenden, aber ansonsten nicht wertenden Angaben der Beamten Hesse und Rost wurden mit entscheidenden Verschärfungen interpretiert. Als erster äußerte sich Dr. Hanemann von der DNVP: „Aus den Darlegungen habe man die bedauerliche Tatsache vernommen, daß wir eine große Zunahme der Rauschgiftverbraucher, das heißt eine bedenkliche Verbreitung dieses Lasters zu verzeichnen haben.“397
Ebenso resümierte Moses: „Eine Zunahme von 200 v. H. der Rauschgiftsüchtigen gegenüber der Vorkriegszeit sei doch ungeheuerlich.“ Moses Interpretation beinhaltete zwar im Gegensatz zu den relativ neutralen Aussagen des Reichsgesundheitsamtes eine Bewertung, er sprach aber noch nicht von einer gravierenden Zunahme. Dagegen ging Hanemann (DNVP), der von einer „bedenkliche[n] Verbreitung“ sprach, klar über die ursprüngliche Darstellung Hesses hinaus, denn er stellte den Betäubungsmittelkonsum als dringendes und zu bekämpfendes Problem dar. Auch hier handelte es sich nur um eine Verschiebung um Nuancen, es ist aber auffällig, wie häufig derartige Verschärfungen von ursprünglichen Aussagen durch die nächste Instanz vorkamen. Das Ergebnis der Beantwortung von Moses Fragen war eine Entschließung, die die Ausschussmitglieder in den Reichstag einbrachten. Die Regierung sollte aufgefordert werden, die Produktion von Betäubungsmitteln auf den alleinigen Bedarf Deutschlands zu beschränken. In der Begründung zeigt sich die Rat- und Hilflosigkeit der Abgeordneten angesichts dieser neuen als Problem empfundenen Situation. Hierzu noch einmal der Sozialdemokrat Moses, der sagte, gegen die „Zunahme (…) der Rauschgiftsüchtigen (…) müsse vom Gesetzgeber irgend etwas [sic] getan werden.“ Die Entschließung solle „vor allem ein Appell an die Öffentlichkeit und auch an die Ärzte“ sein. Ähnlich sah dies der Abgeordnete der Kommunisten, Alexander: „Viel werde freilich eine solche Entschließung (…) nicht helfen. Aber sie sei immerhin eine weitere Kundgebung in der Richtung der Bekämpfung der Rauschgifte.“398 Keiner der Abgeordneten war also der Ansicht, dass mit der Maßnahme eine Verbesserung der Situation zu erreichen sei – der vermeintlichen Bedrohung wollten sie aber auch nicht tatenlos zusehen.399
397
BArch R 101/5202, S. 71 RS. BArch R 101/5202, S. 72 VS. 399 BArch R 101/5202, S. 71 RS. 398
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Auch inhaltlich erscheint die Entschließung aus heutiger Sicht unreflektiert und von Aktionismus geprägt, denn obwohl sie v.a. appellativen Charakter haben sollte, stellten die Ausschussmitglieder sehr weitgehende Forderungen. Sie rieten dem Reichstag nicht nur, auf eine Eingrenzung der Produktion hinzuwirken, sondern forderten eine Beschränkung der Fertigung auf den Bedarf des eigenen Landes. Nicht der als legitim eingestufte Weltbedarf sollte demnach als Maßstab dienen, sondern allein jener des Deutschen Reiches. Dabei ließen die Politiker außer Acht, dass die weltweite Versorgung mit den für die Medizin unentbehrlichen Narkotika hätte in Gefahr geraten können, wenn Deutschland als bedeutendster Produzent seinen Export eingestellt hätte.400 Dies wäre aus medizinischer und ethischer Sicht desaströs gewesen und kann nicht im Interesse der Abgeordneten von KPD, SPD, DDP und der Deutschen Volkspartei (DVP) gelegen haben, die die Entschließung vorbereitet bzw. für sie gestimmt hatten und sie aus humanitären Gründen unterstützten. Wir sehen, wie wenig praxisorientiert die Arbeit der Ausschussmitglieder war, ging ihre Forderung doch zum einen weit über das eigentliche Ziel, mehr Aufmerksamkeit für die Thematik zu erlangen, hinaus und hatten sie zum anderen doch keinen Blick für mögliche negative Konsequenzen ihres Vorschlags. Auffällig ist auch, dass die Entschließung keinen Bezug auf die Argumente nahm, die auf den anderen Ebenen der staatlichen Auseinandersetzung diskutiert wurden. Die Entschließung Nr. 62 wurde „mit großer Mehrheit“ im Ausschuss angenommen, was der damaligen Stimmenmehrheit der großen Koalition entsprach.401 Auf parlamentarischer Ebene hatte sie nach meinen Kenntnissen keine Konsequenzen,402 unbeachtet blieb sie dennoch nicht, wie wir im nächsten Kapitel zur Presse sehen werden: Die Ausschusssitzung fand Niederschlag in mindestens vier Zeitungsartikeln und wurde auch international wahrgenommen.403 Inhaltlich stellen die Ausschusssitzungen einen weiteren Schritt der Verfestigung der Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums als Problem dar. Sie zeigen deutlich, dass die Arbeit der Reichstagsabgeordneten mehr durch 400
Ganz zu schweigen davon, was passiert wäre, wenn andere Produktionsländer dem Beispiel gefolgt wären. Große Koalition unter Herrmann Müller (SPD): SPD, DDP, Deutsche Zentrumspartei, BVP (Bayerische Volkspartei) und DVP. 402 Im Februar 1931 wurde im Ausschuss zum Strafgesetzbuch erwogen, die Entschließung erneut in den Reichstag einzubringen, aber nach einem Bericht zum damaligen Stand der Opiumgesetzgebung durch Oberregierungsrat Wagner vom Reichsjustizministerium wurde sie ad acta gelegt, „da sie inzwischen gegenstandslos geworden sei“ (10. Sitzung des 18. Ausschusses (Strafgesetzbuch), 05.02.1931 (Schubert 1997: 96f)). 403 In der DMW bezeichnete Wolff (1928-2: 2032) die Entschließung als „sehr begrüßenswert“ und gab die Sitzung detailliert wieder. 401
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Aktionismus und weniger durch Reflektion und fundierte Auseinandersetzung geprägt war. Das Reichsgesundheitsamt war um eine differenzierte Betrachtung des Themas bemüht, aber auch Personen wie Dr. Rost nahmen eine moralisierende Perspektive auf Betäubungsmittel und ihre Konsumenten ein. Wie erwähnt strengten das RGA, andere staatliche Instanzen oder wissenschaftliche Institutionen in den Jahren zwischen 1920 und 1928 – in der Hochphase der Problematisierung des Betäubungsmittelkonsums und während der vermeintlichen Drogenwelle – keine wissenschaftlich zuverlässige Erhebung zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums mehr an. Offizielle Einschätzungen zur Problemlage, denen wir entnehmen können, wie sich die Wahrnehmung des RGA entwickelte, stehen uns aber weiterhin in den „Denkschriften über die gesundheitlichen Verhältnisse des deutschen Volkes“ sowie weiteren offiziellen Berichten zur Verfügung. Diese sind Thema des folgenden Abschnitts. 3.1.7 Kein „Vorrecht der Großstädte“ mehr – Drogenkonsum in offiziellen Berichten ab 1925 Auch Mitte der 1920er Jahre erstellten die einzelnen Landesregierungen des Deutschen Reichs Berichte für das RGA, denen u.a. Informationen zu Betäubungsmitteln zu entnehmen sind. Wir erfahren, dass den Substanzen weiterhin Aufmerksamkeit zukam, diese aber zunächst nicht sehr ausgeprägt war und dass den Ländern nur wenig verlässliche Informationen vorlagen. So hieß es 1925 aus Preußen in Hinblick auf Erwachsene lediglich: „Der Mißbrauch von Rauschgiften, insbesondere von Morphin und Kokain, scheint immer noch umfangreich zu sein.”404 Ferner wurde in dem Bericht über eine Zunahme des Alkoholismus bei Jugendlichen geklagt, Betäubungsmittelkonsum dieser Altersgruppe aber nicht erwähnt. Jenes Land, das sechs Jahre zuvor noch fast im Alleingang das Bild eines steigenden Drogengebrauchs geprägt hatte, lieferte 1925 also keine über Vermutungen hinausgehenden Informationen.405 Sechs Monate zuvor hatte das Berliner Polizeipräsidium aus einem Wilmersdorfer Bericht zitiert und dabei (im Gegensatz zum erstgenannten) auch Jugendliche einbezogen:
404
BArch R 86/4509, S. 33. Für andere Phänomene wurden in diesem Bericht Belege angeführt, nicht aber hinsichtlich des Konsums von Opiaten und Kokain.
405
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„‚Es sind dies häufig nicht nur Alkoholsüchtige, sondern auch Morphium- und Kokainsüchtige, dazu Spieler, Homosexuelle oder sonst pervers Veranlagte. Diese jungen Leute vom 17.25. Lebensjahr sind häufig völlig verkommen, innerlich entwurzelt und geistig entartet.’”406
Erneut treffen wir hier auf die Verknüpfung des Konsums psychoaktiver Substanzen mit abweichendem Verhalten und wir können sehen, dass diese Assoziation die polizeiliche Arbeit prägte. Eine ähnlich gelagerte Verbindung, nämlich die von Alkoholkonsum und Kriminalität, finden wir auch in der Darstellung aus Schwaben und Neuburg vom Februar 1925.407 Neben den Länderreports erfahren wir aus einem Bericht des Berliner Professors Dr. B. Möller zur „Entwicklung des Gesundheitswesens im Deutschen Reich im Jahre 1925“ mehr über die Problemwahrnehmung.408 Er setzte sich recht intensiv mit Drogen auseinander und stellte die Zahl der Anstaltsaufnahmen aufgrund von Betäubungsmittelkonsum vor, welche „auf über das Doppelte der Vorkriegsjahre“ gestiegen seien. Der Autor fügte folgende Tabelle bei, der wir die Anzahl der aufgrund von „Morphinismus und anderen narkotischen Vergiftungen (…) in die Anstalten für Geisteskranke“ aufgenommenen Personen entnehmen können: Jahre
absolute Zahlen
Auf je 10.000 der männlichen und weiblichen Zivilbevölkerung
männl. weibl.
männl.
weibl.
1920
594
252
0,20
0,08
1921
720
257
0,25
0,08
1922
805
291
0,27
0,09
Tabelle 2: Anzahl der aufgrund von „Morphinismus und anderen narkotischen Vergiftungen (…) in die Anstalten für Geisteskranke“ aufgenommenen Personen 406
BArch R 86/4510, Bericht aus Berlin zum 1. und 2. Quartal 1925 aus dem Berliner Polizeipräsidium an den Preussischen Minister für Volkswohlfahrt, weitergeleitet an das RGA, Anlage zu II 2701/26, 21.07.1926, hier S. 13. Spandau und Wilmersdorf berichteten über eine „Zunahme der Trunksucht besonders unter den Jugendlichen, die davon früher ganz frei waren“; immer mehr Jungendliche unter 20 Jahren seien betroffen. Die damalige Darstellung, dass immer jüngere Menschen immer mehr Alkohol trinken würden, erinnert an die dramatisierende Diskussion der letzten Jahre zum Binge Drinking bzw. „Komasaufen“ Jugendlicher. 407 BArch R 86/4509, Bericht aus Augsburg, 04.02.1925, S 6. „Auch die Morphium- und Kokainsüchtigen nehmen auffallend zu”, hieß es außerdem. 408 BArch R 86/4510, Bericht zur Entwicklung des Gesundheitswesens im Deutschen Reich im Jahre 1925.
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Vor dem Krieg habe der Durchschnitt bei Männern 0,11, bei Frauen 0,04 pro 10.000 betragen. Gerechnet auf das ganze Land betrug der Anteil der Aufnahmen laut Möller 1922 rund 0,0018 % der Gesamtbevölkerung (in den Vorjahren lag die Zahl bei 0,0014 bzw. 0,0016 %). Auffällig ist dabei, dass der prozentuale Anstieg zwischen Vor- und Nachkriegszeit bis in das Jahr 1922 mit über 100 % sehr hoch war. Diese Aufnahmezahlen wurden im zeitgenössischen Diskurs immer wieder herangezogen, um eine Zunahme des Betäubungsmittelkonsums zu belegen (uns sind sie bislang bei Moses und Hesse begegnet, später spielten sie u.a. in den Denkschriften eine Rolle). Es sei darauf hingewiesen, dass die Angaben aus mehreren Gründen nur sehr bedingt Rückschlüsse auf die Zahl der Konsumenten zulassen: Gerade das immer strikter werdende Opiumgesetz wirkte mit Sicherheit auf die „Kurwilligkeit“ (Jacob 1925) der Konsumenten ein. Vielen wurde der legale Zugang zu den Substanzen erschwert oder ganz versperrt. Manche wichen auf den Schwarzmarkt aus, andere unternahmen selbst einen Entzug. Ein großer Teil der Konsumenten wurde allerdings in die privaten und vor allem in die öffentlichen Kliniken gedrängt, weshalb deren Aufnahmezahlen nach Einführung des Betäubungsmittelgesetzes stark stiegen. Weitere Einflussfaktoren waren z.B. in den späteren Jahren Armut und Inflation, die insbesondere die Zahl der Kuren in öffentlichen Einrichtungen (geschlossenen psychiatrischen Kliniken) steigen ließ, denn Aufenthalte in Privatkliniken wurden für immer weniger Menschen bezahlbar (Wolff 1928-1: 268). Die Aussagekraft der Statistiken wird auch dadurch eingeschränkt, dass Doppelzählungen nicht erfasst wurden. Die Erfolgsquote bei Entziehungskuren wurde mit 10-40 % angegeben, 60-90 % der Patienten wurden also rückfällig und tauchten bei abermaliger Behandlung mehrfach auf. Andererseits können die Statistiken keine Auskunft über die nicht behandelten Konsumenten geben. Die Erhebungen von Anstaltsaufnahmen können daher allenfalls als grober Orientierungswert dienen – eine zuverlässige Quelle waren sie nicht. Ähnlich der Feldforschungen von Joël und Fränkel hatte also auch dieses immer wieder genannte und vermeintlich solide Argument erhebliche methodische Schwächen. Die beiden Ansätze hatten zwar das Ziel, die Debatte auf eine solide Grundlage zu stellen und prägten die damalige Wahrnehmung – aus heutiger Perspektive müssen sie aber als wissenschaftlich nicht zuverlässig eingestuft werden. Wie wir noch sehen werden, wurden die Statistiken auch schon von den Zeitgenossen nach einer Weile kritisch reflektiert. Im Jahre 1927 erschien schließlich in Berlin die Denkschrift für das Jahr 1925, nach der sich die Situation erneut verschärft habe:
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„Eine Besserung lässt sich ferner vermissen in Bezug auf den Mißbrauch von Rauschgiften (Morphinismus, Kokainismus), der, ursprünglich in der Lebewelt verbreitet, mehr und mehr auch in weniger wohlhabenden Kreisen sich einbürgert und auch nicht mehr als ein – bedauerliches – Vorrecht der Großstädte anzusehen ist. Über eine bemerkenswerte Zunahme dieses Lasters wird besonders in Schwaben und in Sachsen Klage geführt.”409
Im Vergleich zur Denkschrift des Vorjahres war nicht nur von einer problematischeren Verbreitung die Rede, sondern es ging auch um die Ausweitung des Konsums auf ländliche Gebiete und in weitere Gesellschaftsschichten. Worauf diese Einschätzung beruhte, ist den Berichten der beiden genannten Länder zu entnehmen, hier zunächst Sachsen: „Als Beweis des infolge des häuslichen Elends mehr schwindenden moralischen Haltes im allgemeinen darf die Zunahme der Kokainsucht angesprochen werden. Nachdem festgestellt worden ist, daß in einer sächsischen Großstadt ein einziger Arzt von Anfang September bis Ende November 1924 im ganzen 1640,5g Kokain verschrieben hatte, hat neuerdings die Durchsicht der von sämtlichen Apotheken derselben Stadt gesammelten Kokainrezepte, die offensichtlich zu Schnupfzwecken ausgestellt waren, ergeben, daß von 7 Ärzten 567 Rezepte mit ca. 933,3g Kokain verordnet worden waren.”410
Bei dem hier genannten Arzt handelte es sich offensichtlich um Dr. Bier aus Dresden, dessen Fall zum o.g. Reichsgerichtsurteil geführt hatte. Der Bericht aus Sachsen und sein Niederschlag in der Denkschrift zeigen, dass ein weiterer Effekt des Falles eine verschärfte Wahrnehmung und stärker problematisierende Beurteilung des Betäubungsmittelkonsums zunächst in Dresden, dann im Land Sachsen und daraufhin im ganzen Reich war. Der herausragende Fall wirkte sich mithin stark auf die Problematisierung aus und zeigt erneut die extreme Wirkung von Einzelfällen. Hierzu betont Schetsche (2008: 132; vgl. Kapitel 1.1): „Indem Einzelfälle zu typischen Beispielen für die Gesamtheit der inkriminierten Sachverhalte gemacht werden, wird die Wirklichkeit des sozialen Problems diskursiv (und manipulativ) zugerichtet.“
Das zweite angeführte Land, Schwaben, berichtete im Februar 1926 (wie es üblich war) zunächst über Alkoholkonsum und im Anschluss über Betäubungsmittel. Explizite Informationen zu hedonistischem Gebrauch von Drogen enthielt das Schreiben nicht. Vielmehr wurden v.a. Mediziner als Konsumenten hervorgehoben – eine Gruppe, die in der Denkschrift keineswegs explizit genannt wurde, womit die Interpretation durch das Reichsgesundheitsa als
409
BArch R 86/4510, Denkschrift über die gesundheitlichen Verhältnisse des deutschen Volkes im Jahre 1925, 14.02.1927. 410 BArch R 86/4510, Abschrift II 4494 A, Anlage zu II 1814/26; 07.05.1926, hier S. 8.
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beliebig erscheint.411 Das Verhalten von Medizinalpersonen wurde hier unter dem Begriff „Laster“ subsumiert. Diese Ausnahme zeigt erneut, dass die Übergänge in den Darstellungen fließend waren. Die offiziellen Berichte stuften den Betäubungsmittelkonsum also als stetig wachsendes Problem ein. Die Länderberichte waren (ähnlich den Anstaltsstatistiken) Versuche, diesen Darstellungen eine solide Basis zu geben. Allerdings waren auch die Landesregierungen nicht gut informiert, die Statistiken waren mangelhaft und Einzelfälle konnten großen Einfluss auf die Darstellungen erlangen. Ab 1926 sollten die Länder auf Anweisung des RGA neben den als drängend empfundenen Fragen wie Abtreibung und Alkoholismus auch explizit über Betäubungsmittelmissbrauch berichten.412 Dies werte ich als bedeutenden Schritt der Problemetablierung, verfestigte die Anweisung doch mit Sicherheit die Aufmerksamkeit in den Ländern und führte beinahe zwangsläufig zu ausführlicheren Darstellungen des Themas. Entsprechend enthielt die Denkschrift ab 1926 auch eine eigene Überschrift zu „Alkoholismus, Nikotinismus, Morphinismus“ im Kapitel „Erkrankungs- und Sterbehäufigkeit nach einzelnen Krankheiten“.413 Dies war 1926 einer von 15 Unterpunkten der gesamten Denkschrift, Betäubungsmitteln wurde also ein prominenter Platz eingeräumt. Bemerkenswert ist, dass verbreitete Krankheiten wie Tuberkulose oder Krebs hingegen unter dem Punkt „Krankheitsgruppen“ gefasst wurden. Ferner tauchte Kokainismus überraschenderweise weder in der Überschrift noch überhaupt in der Denkschrift auf, obwohl dieser doch in den Jahren zuvor das am meisten problematisierte Phänomen war. Für die Jahre 1923/1924 bzw. 1925 wurden die Abschnitte zum „steigenden Mißbrauch von berauschenenden Mitteln“ bzw. „Mißbrauch von Rauschgiften (Morphinismus, Kokainismus)“ noch unter der Rubrik „Sonstige bemerkenswerte Erkrankungen und bedrohliche Erscheinungen” gefasst. Nur in diesen Jahren wurde Kokainismus also an ebenso prominenter Stelle wie Morphinismus genannt. 411 BArch R 86/4510, Regierung von Schwaben und Neuburg an Staatsministerium des Inneren, 03.02.1926, S. 6f. 412 BArch R 86/4510. 413 Denkschrift über die gesundheitlichen Verhältnisse des deutschen Volkes im Jahre 1926, S. 1. Verfügbar unter (09. 09.2009). Für die Jahre 1923/1924 bzw. 1925 waren die Abschnitte zum „steigenden Mißbrauch von berauschenenden Mitteln“ bzw. „Mißbrauch von Rauschgiften (Morphinismus, Kokainismus)“ in der Rubrik „Sonstige bemerkenswerte Erkrankungen und bedrohliche Erscheinungen” aufgeführt. 1923/24: (09.09.2009). 1925: (09.09.2009). 1927: (09.09.2009). 1931: (09.09.2009).
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Schetsche (2008) wertet das Auftreten eines eignen Schlagwortes als Indiz der Problemetablierung. In diesem Sinne sind die Aufmerksamkeit und der Platz, der Betäubungsmitteln in den Denkschriften eingeräumt wurde, ein eindeutiger Hinweis auf die wachsende Bedeutung, die ihnen zugeschrieben wurde.414 Einen eindeutigen „Problemnamen“ (Schetsche 2008: 111f) entwickelte das hier behandelte Phänomen im Untersuchungszeitraum hingegen erstaunlicherweise nicht. Es firmierte unter unterschiedlichen Schlagworten – von den relativ neutralen Begriffen wie Kokainismus oder Morphinismus über Problembeschreibungen wie „Missbrauch“ der Substanzen hin zu dramatisierenden Schlagworten wie (Volks-)seuche etc. In der 1926er Denkschrift hieß es: „wesentlich gestiegen ist seit dem Kriege ferner die Zahl der in den Anstalten für Geistes- und Nervenkranke behandelten Morphinsüchtigen und an anderen narkotischen Giften (Alkaloiden) Leidenden. Während an Alkaloidsuchten vor dem Kriege jährlich etwa 500 Personen behandelt wurden, stieg die entsprechende Zahl in den Jahren 1923 bis 1925 auf 1283, 1430 und 1623. Wenn hierdurch die tatsächliche Zunahme der Morphinisten usw. überhaupt auch nicht ohne weiteres dargestellt wird, so geben die Zahlen doch zweifellos einen Anhaltspunkt über die allmähliche Entwicklung dieses Mißstandes.”
Zwar fand hier eine gewisse Objektivierung statt, da die Entwicklung in einzelnen Ländern oder Bezirken die Darstellung weniger als zuvor beeinflussen konnten. Allerdings bildete die Anzahl der Krankenhausaufnahmen die Hauptgrundlage der Bewertung. Deren Aussagekraft wurde zwar teilweise kritisch reflektiert, sie wurde aber dennoch an prominenter Stelle als Beleg für eine Zunahme des Betäubungsmittelkonsums herangezogen. Erst 1929 erschien die nächste Denkschrift, die Informationen über das Jahr 1927 lieferte und einen Abschnitt zu „Alkoholismus, Nikotinismus, Morphinismus” enthielt.415 Dieser war im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren sehr 414
Auch in anderen Zusammenhängern ist die Frage der Schlagworte interessant. Im Jahres-GesamtSachregister der IBZ wurde bereits 1921 „Kokainseuche“ als eigenes Stichwort mit zwei Treffern geführt und zeigt ein kurzes Aufflammen des Interesses unter einem abwertenden Label. Danach tauchte es nicht wieder auf. Die Betäubungsmittel betreffenden Artikel wurden ansonsten lange unter den Substanzbegriffen (Kokain, Morphin) aufgeführt, ab Mitte der 1920er Jahre unter dem Stichwort „Rauschgifte“. Waren die Substanzbegriffe noch neutral und schlossen den medizinischen Gebrauch mit ein, so lag ab Mitte der 1920er Jahre das Augenmerk auf der negativ besetzten berauschenden Eigenschaft der Substanzen (vgl. Korte 2007). In den Reichsratsprotokollen tauchten Betäubungsmittel erstmals 1923 als eigenes Schlagwort auf. Zum Stichwort Opiumgesetz war „s. Betäubungsmittel“ vermerkt. Danach wurden die einschlägigen Sitzungen unter unterschiedlichen Schlagworten geführt, meist unter solchen, die auf den Arzneimittelcharakter der Substanzen hinwiesen bzw. unter Opiumgesetz/Opiumabkommen geführt. 415 StB, Bd. 435, Anlage Nr. 936, S. 15. Denkschriften liegen für die Folgejahre nicht vor und im Bundesarchiv sind keine Länderberichte überliefert. Erst 1931 erschien die nächste Denkschrift (s. Kapitel 4.1).
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relativierend, berücksichtigte externe Faktoren und betonte die eingeschränkte Möglichkeit, überhaupt Aussagen über den außermedizinischen Betäubungsmittelkonsum zu treffen. Im Jahr 1929 begegnen wir demnach wieder deutlichen Reflektionen auf Seiten des RGA, das den damaligen Diskurs kritisch hinterfragte. Hier sei der Abschnitt zu Morphin etc. in Gänze zitiert: „Die Zahl der wegen Morphin- und anderer narkotischer Giftsuchten in den Heilanstalten für Geistes- und Nervenkrankheiten behandelten Personen, die in der Vorkriegszeit jährlich rund 500 betrug, ist seit dem Jahre 1923 von 1 283 auf 1 623 im Jahre 1925 und 1 710 im Jahre 1926 gestiegen. Eine Vermehrung der Süchtigen nach der Inflationszeit dürfte hieraus jedoch nur bedingt zu folgern sein, vielmehr scheint die strengere Kontrolle bei der Abgabe dieser Gifte dahin geführt zu haben, daß zahlreiche Morphinisten der Kriegs- und besonders der Inflationszeit infolge der zunehmenden Schwierigkeiten und Kosten der Giftbeschaffung sich gezwungen sehen, die Heilanstalten zu Entziehungskuren aufzusuchen. Beachtlich in dieser Hinsicht ist auch, daß die Sterbezahlen an diesen Vergiftungen wenn sie auch wegen ihrer Kleinheit für gesicherte Schlußfolgerungen nicht völlig ausreichen dürften, in Preußen sogar eine Abnahme erkennen lassen.“
Es folgte eine Statistik zu tödlichen Vergiftungen mit Opiaten und Kokain durch Selbstmord oder Unglücke. Besonders interessant sind die Angaben zu betäubungsmittelbedingten Todesfällen, die in der 1927er Denkschrift erstmals angeführt wurden. Insgesamt starben nach der preußischen Todesursachenstatistik von 1919 bis 1927 57 Menschen durch Kokain (durchschnittlich 6,5 pro Jahr) und durch Opium und seine Abkömmlinge wie Morphium 1073 (rund 119 im Schnitt). Die Zahlen schlossen gezielte Selbstmorde durch diese Substanzen sowie ärztliche Kunstfehler ein, es handelte sich also nicht allein um Todesfälle aufgrund hedonistischen Konsums. Andernorts finden sich aufgeschlüsselte Zahlen zu Todesfällen durch Opium, die einen Vergleich zwischen Kokain und Opium zulassen: Todesursache/ Substanz Selbstmord Mord Verunglückungen Todesfälle gesamt
Kokain 34 0 15 49
Opium 40 1 46 87
Opiumabkömmlinge unbekannt416 unbekannt unbekannt 785
Tabelle 3: Zahl der tödlichen Vergiftungen durch Betäubungsmittel 1919-1925 in Preußen417
416 Zu Opiumabkömmlingen (Morphin etc.) liegt nur die Gesamtzahl der Todesfälle, aber keine Aufschlüsselung nach Selbstmord, Mord und Verunglückungen vor. 417 Eigene Tabelle aufgrund der Angaben in StB, Bd. 435, Anlage Nr. 936, S. 15, sowie PA AA R 43256, RMI an AA, zur Zahl der Rauschgiftsüchtigen in Deutschland, III R 80/29.
Der Umgang mit Betäubungsmitteln auf staatlicher Ebene 1923-1929
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Der Drogendiskurs in der Weimarer Republik war wie erwähnt auf Kokain, Morphium und vereinzelt Heroin beschränkt – Opium spielte keine Rolle (de Ridder 2000). Betrachtet man die genannten Zahlen vor diesem Hintergrund, so sticht – erstens – hervor, dass es von 1919 bis 1925 1,7-mal mehr Tote durch Opium als durch Kokain gab. Zunächst ist demnach eindeutig zu konstatieren, dass entgegen der herrschenden Wahrnehmung Opiumgebrauch medizinischer oder genussorientierter Art in Deutschland stattgefunden haben muss. Wichtiger ist für uns aber, dass die Wahrnehmung und Problematisierung des Kokainbzw. Opiumkonsums der Anzahl der jeweiligen Todesfälle diametral entgegenstand: Kokain wurde als gravierenderes Problem als die anderen Substanzen wahrgenommen. Dabei überstieg die Zahl der mit Opium im Zusammenhang stehenden Todesfälle jene von Kokain deutlich. Die Anzahl der Sterbefälle durch Kokain schwankte über den gesamten Zeitraum, dabei mögen Steigerungen von bis zu 125 % den Zeitgenossen als extrem vorgekommen sein – in absoluten Zahlen waren sie allerdings gering: 1925 starben in Preußen zwei Menschen418 durch Kokain – angesichts der starken Problematisierung ist dies in meinen Augen eine erstaunlich geringe Zahl. Zweitens ist der Vergleich der morphin- mit den kokainbedingten Todesfällen interessant, zeigt er doch, dass rund 16-mal mehr Menschen im Zusammenhang mit Morphiumgebrauch starben als durch Kokain. Diese erhebliche Diskrepanz beweist, dass die Problematisierung des Konsums einer Droge nicht von ihrer Verbreitung abhing. Wichtiger war, wer welche Substanz aus welcher Motivation konsumierte – bzw. wem dieser Konsum zugeschrieben wurde. Courtwrights (1995: 220f) Analyse für die USA trifft also auch auf Deutschland zu: „The background of users and sellers has always been an important determinant of the legal response, for cocaine or for any other psychoactive substance” (beispielsweise habe es zwar Zigaretten-, aber keine Zigarrengesetze gegeben). Courtwright konstatiert treffend: „This seems irrational – (…) but it makes social sense”. Wir können also feststellen: Was wir über Drogen denken und wie wir Drogengebrauch regulieren, hängt insbesondere davon ab, wem der Gebrauch der Substanzen aus welchen Gründen (primär) zugeschrieben wird (vgl. Courtwright 1995: 206). Doch nicht nur substanzspezifisch, sondern auch in temporärer Perspektive war die Problematisierung weitgehend unabhängig von der Zahl der Todesfälle, wie folgende Grafik zeigt: Im Jahre 1926 lag die Zahl derjenigen, die sich in Preußen durch Kokain umbrachten bzw. die tödlich verunglückten bei drei (1927 bei vier) Personen. Für Opiate waren es 1926 101 und 1927 100 Menschen (StB, Bd. 435, Anlage Nr. 936, S. 15.). Preußen stellte etwa die Hälfte der Reichsbewohner. Mit „Verunglückungen“ waren „zufällige akute oder chronische Vergiftungen“ gemeint. 418 Vereinfacht auf das gesamte Deutsche Reich hochgerechnet wären es ca. vier Personen gewesen.
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Abbildung 4: Betäubungsmittelbedingte Todesfälle in Preußen419 Im Durchschnitt starben in Preußen zwischen 1919 und 1925 jährlich 3,3 Menschen pro einer Millionen Einwohner aufgrund von Betäubungsmittelkonsum. Allerdings korreliert die Zahl der Todesfälle weder mit dem angeblichen Höhepunkt der Drogenwelle um 1925, noch kann eine bedeutende Entwicklung nach Einführung des ersten deutschen Opiumgesetzes nachgewiesen werden. Wie wir gesehen haben, war ein zentraler Bestandteil der zeitgenössischen Dramatisierung die Vorstellung, Kokainkonsum führe zu Verelendung und Tod. Die preußische Todesursachenstatistik stützt diese Annahme nicht, zumindest nicht hinsichtlich der Vorstellung, die Substanz selbst sei der Auslöser der Todesfälle. Die Auseinandersetzung um Drogen hatte in der Hochphase der Problematisierung und während der vermeintlichen Drogenwelle keine wissenschaftlich zuverlässige Basis, schlug aber teils hohe Wellen. Hatte das Reichsgesundheitsamt den Diskurs zu Beginn noch sehr kritisch und reflektierend begleitet, so nahm es diese Rolle einige Jahre lang nicht wahr, sondern tradierte v.a. die damalige Beunruhigung. Ich gehe davon aus, dass hierzu die Dominanz der Mediziner beigetragen hat, die als (vermeintlich) wissenschaftlich argumentierender kollektiver Akteur den moralisierenden und problematisierenden Diskurs 419
Eigene Grafik aufgrund der Angaben in StB, Bd. 435, Anlage Nr. 936, S. 15, sowie PA AA R 43256, RMI an AA, zur Zahl der Rauschgiftsüchtigen in Deutschland, III R 80/29.
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vorantrieben. Erst um die Wende zu den 1930er Jahren lassen die Denkschriften wieder ein Hinterfragen der zur Verfügung stehenden Informationen erkennen. 3.2
„Teilerscheinungen der allgemeinen Katastrophenmisere seelischer Art“ – Presse zu Betäubungsmitteln 1923-1928/1929 Presse zu Betäubungsmitteln 1923-1928/1929 Wie sich die Berichterstattung der Presse im Zeitraum 1923-1928/29 entwickelte, soll im folgenden Teilkapitel nachvollzogen werden. Im Fokus steht einerseits erneut die Frage, wie die Verbreitung des Drogenkonsums in deutschen Zeitungen dargestellt wurde und andererseits die Art und Weise der Problematisierung (also die Begründung der Abwertung von Betäubungsmittelkonsum und -konsumenten). Besonderes Augenmerk liegt außerdem auf der Frage, welche Akteure in der Tagespresse aktiv wurden, und wie die Reichsbehörden auf die Zeitungsberichte reagierten bzw. wie sie mit der Presse interagierten. Die Artikel aus den Jahren 1923-1928 verstärken den Eindruck, dass v.a. Ärzte die Einschätzung forcierten, in Deutschland selbst gebe es ein zur Handlung zwingendes Problem mit Betäubungsmitteln. So stammen alle aus diesen Jahren vorliegenden Artikel, die als zentrale These die Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums in Deutschland problematisierten, von Medizinern.420 Bei jenen Artikeln, die lediglich en passant auf die Verbreitung in Deutschland hinwiesen, ohne das Thema zum Schwerpunkt zu nehmen (wobei sie die Verbreitung durchaus teilweise problematisierten), war dies nicht der Fall.421 Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass sich Laien im Zeitraum 1923-1928 eher mit allgemeinen Fragen zu Betäubungsmitteln beschäftigten, wohingegen die durch ihre berufliche Qualifikation als Experten wahrgenommenen Mediziner das Feld der Verbreitungs- und Gefahrenfrage inhaltlich besetzten. Die vorliegenden Artikel der Jahre 1923-1928 zeigen, dass sich die Zeitungsautoren damals in einer diffusen Art und Weise über eine problematische Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums in Deutschland einig waren, dies aber nicht präzisieren konnten (oder wollten). So beschrieb ein ungenannter Autor Betäubungsmittel 1926 als diese „während der letzten Jahre leider so begehrten 420
Hier gilt auch der Umkehrschluss: Wenn Experten zum Betäubungsmittelkonsum publizierten, dann problematisierten sie in aller Regel auch dessen Verbreitung. 421 Erfahrungen eines geheilten Morphinisten. Selbsterlebtes aus England. Ueber Morphinismus und Kokainismus, 19.04.1925; Kriminalbeamte als Schwerverbrecher, 09.06.1926; Der neue OpiumKrieg, 13.10.1927; Einschränkung der Rauschgift-Produktion : Eine Entschließung des StrafrechtsAusschusses, 30.10.1928. Die problematisierenden Artikel sind über die IBZ überliefert. Jene Artikel, die die Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums lediglich erwähnten, stammten i.d.R. aus den Archivalien.
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Medikamente“422 und für einen anderen war der Kampf gegen Drogen aufgrund 423 ihrer Verbreitung eine „humanitäre Angelegenheit von größter Bedeutung“. Über einen vermeintlichen Rauschgifthändler hieß es, er habe „ohne Zweifel in Berlin schon viel Schaden angerichtet“, was ebenfalls auf ein großes Vorkommen der Substanzen schließen ließ.424 Genauere Informationen, die jene Einschätzungen begründet hätten, können wir diesen von Laien bzw. anonym veröffentlichten Artikeln allerdings nicht entnehmen. Aber auch Mediziner wurden, selbst wenn sie auf Fachpublikationen zurückgriffen, in den Zeitungsveröffentlichungen nicht präziser. „Die Verbreitung des Kokainismus hat in den letzten Jahren stark zugenommen“, hob Schweisheimer in seinem Artikel „Das weiße Gift : Die Zunahme des Kokainmißbrauches“ vom März 1926 hervor.425 Er zog das von Maier (1926) veröffentlichte Buch Der Kokainismus als Referenz heran, verschwieg allerdings, dass Maier ebenso wenig wie seine Kollegen genaue Angaben zur Entwicklung des Konsums machen konnte. Schweisheimers Darstellung erschien aber aufgrund der Tatsache, dass ein durch seinen Doktorgrad ausgewiesener Mediziner einen anderen Experten zitierte, als glaubwürdig. Ein Beispiel verdeutlicht, dass die Bewertungen Schweisheimers weitgehend beliebig waren: Im selben Artikel brachte er Studenten sowie v.a. Künstler als Konsumentengruppen ins Spiel: Unter letzteren sei es „zuweilen zu einem endemischen Umsichgreifen der Sucht“ gekommen, „wenn von irgend einer bewunderten Größe bekannt wird, daß sie zuweilen Kokain gebraucht.“ In einem rund zwei Jahre später veröffentlichten Artikel bezeichnete der Arzt die Ausbreitung unter Künstlern nicht mehr als endemisch, sondern schrieb verschärft von einem „fast epidemischen“ Umsichgreifen, ansonsten ist der Wortlaut der Passage identisch.426 Auch andere Beispiele wiederholte der Mediziner häufig – etwa das eines Apothekers, der im Krieg mit dem Kokainkonsum begonnen habe oder das einer Universität, an der es „Sitte [gewesen sei], daß Studenten ihre Examensangst mit Kokain zu überwinden suchten“. So blieben die Beispiele und Argumente Schweisheimers gleich, nur deren Bewertung wurde schärfer.
422
Kriminalbeamte als Schwerverbrecher. Riesendiebstähle von Betäubungsmitteln, 09.06.1926. Die Genfer Opium-Konvention in Kraft. Ihre Bedeutung für Deutschland, 08.07.1928. Rezepte „für eigenen Gebrauch" : Der ehemalige stud. Med. als Arzt und Rauschgifthändler, 09.11.1926. 425 Das weiße Gift : Die Zunahme des Kokainmißbrauches, 24.03.1926. 426 Medikamente als Gewohnheitsgifte. Neue Möglichkeit zur Heilung von Morphiumkranken? Mißbrauch von Opium, Morphium, Eukodal, Kokain. Schwere Folgen, 29.02.1928. 423 424
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Aber auch andere Experten wurden nicht konkreter in ihren Zeitungsartikeln, etwa Dr. med. Johannes Berger427 oder Dr. E. Ebermeyer, der im Zusammenhang mit dem Reichsgerichtsurteil von 1926 schlicht von der „Zunahme der Kokainseuche“428 schrieb. Das schon im vorangehenden Zeitraum untersuchte Beispiel der Charakterisierung des Konsums als „Seuche“ war auch bis 1928 noch relevant: Von 1920 bis 1927 benutzten alle Experten, die zu Kokain- oder anderem Drogenkonsum schrieben, den Begriff der Seuche.429 Dies sollte sich in den Folgejahren radikal ändern (s. Kapitel 4.3). Der Topos Seuche wurde bis 1927 v.a. von Experten verwendet. In Artikeln, die nicht von ihnen stammten (oder nicht gekennzeichnet waren), tauchte die Formulierung in diesem Zeitraum kaum auf.430 Worin der Grund für diese Darstellung lag, kann hier nicht geklärt werden. Es ist aber auffällig, dass Ärzte und andere Experten bis Anfang 1929 die dramatische Darstellung des Betäubungsmittelkonsums besonders forcierten, andere Autoren sich hierin aber zurückhielten. Für die verschärfte Darstellung des Problems in der Tagespresse waren Mediziner (sowie gelegentlich andere Wissenschaftler) bis Ende der 1920er Jahre also der bedeutendste Akteur. In den Jahren 1923 bis 1928 wurden die unterschiedlichsten Rauschgifte in Zeitungsartikeln behandelt. Mal ging es um Morphium431, mal um Kokain432,
427
Opiumkonferenzen, 13.05.1925. Der Arzt und der Kokainschnupfer, 09.11.1926. Lediglich in einem Morphium-Artikel von Schweisheimer taucht der Begriff nicht auf. 430 Die Kokainseuche in Italien, 07.08.1921. Die Rauschgiftapotheke der Menschheit : Europas Rauschgiftschmach - Ostasiens Rauschgiftelend - Opiate und Heroine - "Der starke Mann in Pulverform" - Zur Kur- und Medizinalgeschichte des Alkaloidrausches - Wann endet die Schande?, 17.02.1929. Erfahrungen eines geheilten Morphinisten. Selbsterlebtes aus England. Ueber Morphinismus und Kokainismus, 19.04.1925. Ferner ab Ende 1929: Internationaler Kampf gegen Opium und Rauschgift. Tagung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, 29.11.1929; Weltkampf gegen das Rauschgift : Gespräch mit Alfredo Ernesto Blanco : dem Leiter des Anti-Opium-Instituts beim Völkerbund, 21.02.1930; Internationaler Kampf : gegen den Rauschgifthandel, 09.01.1933 sowie: Hübsch hier geblieben : – nicht ins Nirwana! Erschreckende Zunahme der Rauschgift-Seuche in allen Ländern, 27.11.1929; Der Krieg gegen Opium und Rauschgifte, 29.11.1929; Riesiger Rauschgiftskandal : Enthüllungen Russel Paschas, des Chefs der Kairoer Polizei : Tolle Bestechungen, 23.02.1933. 431 Morphinismus, 06.05.1925; Erfahrungen eines geheilten Morphinisten. Selbsterlebtes aus England. Ueber Morphinismus und Kokainismus, 19.04.1925; Medikamente als Gewohnheitsgifte. Neue Möglichkeit zur Heilung von Morphiumkranken? (…), 29.02.1928; Rauschgifte : Ihre Gefahren und ihre Bekämpfung, 30.0.1928. 432 Das weiße Gift : Die Zunahme des Kokainmißbrauches, 24.03.1926; Der Arzt und der Kokainschnupfer, 09.11.1926; Erfahrungen eines geheilten Morphinisten. Selbsterlebtes aus England. Ueber Morphinismus und Kokainismus, 19.04.1925; Medikamente als Gewohnheitsgifte. Neue Möglichkeit zur Heilung von Morphiumkranken? (…), 29.02.1928; Rauschgifte : Ihre Gefahren und ihre Bekämpfung, 30.06.1928. 428 429
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aber auch andere Substanzen433 wurden thematisiert, darunter Haschisch434, Opium435 und Eukodal436. Keine der Drogen prägte das Interesse allein, doch Morphium und Kokain überwogen deutlich. Nicht immer wurde zwischen den beiden Mitteln und ihrer Wirkung und Verbreitung unterschieden. Auch die angenommenen Gründe für die beschriebene Zunahme scheinen wie in den Vorjahren beliebig und mehr als eine zeitliche Einordnung des Phänomens in die Kriegs- und Nachkriegszeit ergaben sie nicht: Einmal schrieb Schweisheimer mit Bezug auf Maier (1926), „die Stimmung der Revolutionsund Inflationszeit [hat] der Ausbreitung des Kokainsucht Vorschub geleistet.“437 Dann konstatierte er – ohne Bezug auf die Nachkriegszeit: „Die Verbreitung der Kokainsucht hat im großen Maßstab erst während des Weltkrieges begonnen“.438 Auch in einem Artikel zum deutschen Ärztetag 1928 wurde zu dieser Frage nur spekuliert und auf „die Begleiterscheinungen des Krieges, die großen Entbehrungen und den Zusammenbruch“ Bezug genommen.439 Sofern die Frage überhaupt erörtert wurde, suchten die Autoren Gründe für die Zunahme weiterhin im diffusen Feld Krieg, Revolution und Inflation – mithin in den die Krisenwahrnehmung der Zeitgenossen dominierenden Erscheinungen (vgl. Föllmer/Graf/Leo 2005: 7; 11). Zunächst blieben die Angaben zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums, wie in den Vorjahren, ungenau. Erst 1928 wurden sie präziser und nun gab es nicht mehr nur Warnungen und Appelle à la Schweisheimer, sondern konkrete Aussagen, die teils durch (vermeintlich) eindeutige statistische Informationen gestützt wurden. In dem Artikel zum Ärztetag 1928 hieß es, in Deutschland hätten sich die Gründe für Drogengebrauch „besonders stark ausgewirkt“, der Konsum in der Republik wurde also als weiter verbreitet als in anderen Ländern dargestellt. „Die Rauschgiftsucht, die vordem Einzelerscheinung gewesen [sei]“, sei „zur Massenerscheinung“ geworden, hieß es weiter. Der Begriff „Massenerscheinung“ ist die weitgehenste Bewertung der Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums, die in meinen Quellen bis zu diesem Zeitpunkt 433
Medikamente als Gewohnheitsgifte. Neue Möglichkeit zur Heilung von Morphiumkranken? (…), 29.02.1928; Ein neues Rauschgift, 31.03.1928; Rauschgifte : Ihre Gefahren und ihre Bekämpfung, 30.06.1928. 434 Rauschgifte des Orients. Haschisch und Opium, 03.08.1927. 435 Die Opiumhöllen von Singapur, 11.02.1925; In einer Pariser Opiumhöhle, 21.01.1925; Erfahrungen eines geheilten Morphinisten. Selbsterlebtes aus England. Ueber Morphinismus und Kokainismus, 19.04.1925. 436 Medikamente als Gewohnheitsgifte. Neue Möglichkeit zur Heilung von Morphiumkranken? (…), 29.02.1928. 437 Das weiße Gift : Die Zunahme des Kokainmißbrauches, 24.03.1926. 438 Medikamente als Gewohnheitsgifte. Neue Möglichkeit zur Heilung von Morphiumkranken? (…), 29.02.1928. 439 Rauschgifte : Ihre Gefahren und ihre Bekämpfung, 30.06.1928.
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überliefert ist. Auch wenn der Autor, der Mediziner Prof Dr. Rudolf Lennhoff, sich bei seinen Ausführungen auf den deutschen Ärztetag bezog, so gab er dennoch keine genauere Begründung für diese weitgehende Einschätzung. Konkret wurden die Angaben zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums Ende des Jahres 1928.440 Bereits am Tag nach der in Kapitel 3.1 beschriebenen Sitzung im Strafrechtsausschuss des Reichstages zur „Frage der Rauschgifte“ erschien ein erster Artikel. „Gegenüber der Vorkriegszeit ist die Zahl der Morphinisten sehr erheblich gestiegen“, hieß es am 30. Oktober 1928 mit Bezug auf die Sitzung, referiert wurden ferner die Angaben aus der Heilanstaltsstatistik – es habe eine Zunahme der „behandelten Kranken dieser Art bei Männern um 200 v. H., bei Frauen um 150 v. H.“ gegeben, womit auf „10 000 Einwohner (…) sonach in Deutschland 0,3 männliche und 0,1 weibliche Morphinisten“ kämen. Dies sind in meiner Stichprobe die ersten konkreten Zahlen zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums, die in einer Zeitung überliefert wurden. Ebenso wie der zitierte Referent, Oberregierungsrat Dr. Hesse, enthielt sich der Autor des in der Vossischen Zeitung erschienenen Artikels einer Bewertung der Statistiken. Er gab die zentralen Aussagen des Redners wortgetreu wieder und unterließ weitergehende Interpretationen. Was der Autor aber ebenfalls unterließ, war eine kritische Reflektion der genannten Angaben. Auch die Zahl der „infolge von Morphinismus und anderen narkotischen Vergiftungen“ gestorbenen Personen wurde nicht kommentiert. Konkrete Bewertungen der Konsumverbreitung enthielt der Artikel demnach nicht – es erschienen aber erstmals konkrete (wenn auch teilweise nicht sehr aussagekräftige) Zahlen zur Verbreitung in einer Zeitung. Die Heilanstaltsstatistiken fanden also über die politische Ebene den Weg in die Tagespresse und dienten damit einem über die Fachwelt hinausgehenden Publikum als Informationsgrundlage. In der Kombination Reichstagsausschuss und Reichsgesundheitsamt (zu denen sich später, wie wir in Kapitel 4.2 sehen werden, noch eine humanitäre Organisation gesellen sollte) und durch den Abdruck in der Tageszeitung erhielten diese Angaben m.E. höchste Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und offensichtlich auch den Status, nicht mehr reflektiert werden zu müssen. Auch hier treffen wir also auf einen Verstärkerkreislauf. Der Artikel vom 30. Oktober 1928 ist in den Archivalien überliefert, weil das Anti-Opium Informations-Büro (AOIB) aus Genf auf sein Erscheinen hin präzisere Angaben zur „Zahl der Rauschgiftsüchtigen in Deutschland“ erbat.441 440
Einschränkung der Rauschgift-Produktion : Eine Entschließung des Strafrechts-Ausschusses, 30.10.1928. 441 PA AA R 43256, Schreiben des AOIB vom 17.11.1928; Abschrift II A 2700/19.1. Aus der Antwort des RGA geht hervor, dass die Zahl der Kokainisten in den Anstaltsstatistiken inbegriffen war. Das RGA wies ferner darauf hin, dass aus den Angaben der Heilanstalten keine direkten
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Für unsere Analyse ist interessant, dass ein Zeitungsartikel die Kommunikation zwischen nichtstaatlichen Organisationen und Regierungen anstieß. Zu betonen ist, dass dieser Kontakt über die Landesgrenzen hinweg verlief (weshalb auch das AA zwischengeschaltet wurde). Die (seriöse) Tagespresse fungierte hier als impulsgebendes transnationales Scharnier zwischen nichtstaatlichen Organisationen und Regierungsstellen. Das AOIB veröffentlichte schließlich einen Hinweis auf die in der betreffenden Sitzung formulierte Entschließung des Reichstags: „Une Commission du Reichstag demande au gouvernement de limiter la manufacture des narcotiques en Allemagne.“442 Informationen über die Entschließung des Strafrechtsausschusses fanden also weite Verbreitung, auch wenn sie inhaltlich keine Konsequenzen hatte. Als Resümee ist festzuhalten: Die beiden 1928 erschienenen Artikel, die sich mit dem Ärztetag und der Ausschusssitzung auf herausragende Ereignisse beziehen, markieren eine wichtige Phase in der Problemgenese. Denn auch wenn die Formulierungen hier (zunächst) nicht allzu scharf waren, änderte sich in den Folgejahren Entscheidendes: Das Problem als solches wurde um 1928 auf Ebene der Zeitungsberichterstattung als nicht mehr zu hinterfragende Tatsache festgeschrieben. Ab diesem Zeitpunkt war es für Mediziner und andere Experten wie Juristen und Pharmakologen nicht mehr notwendig, das eigene Interesse am Thema zu rechtfertigen bzw. grundsätzlich darauf hinzuweisen, dass es ein Problem mit Betäubungsmitteln gebe – dies wurde Ende der 1920er Jahre als Tatsache anerkannt. Die Etablierung des Problems in Deutschland war 1928 so weit abgeschlossen, dass keine Lobbyarbeit von Experten mehr notwendig war, um die Beschäftigung mit dem Thema an sich zu rechtfertigen bzw. für Aufmerksamkeit zu sorgen. Experten wie Schweisheimer hatten demnach ihr Ziel, die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Konsum von Betäubungsmitteln zu lenken, erreicht. Wenden wir uns nun der Frage zu, wie sich die moralische Bewertung des Betäubungsmittelkonsums in den Tageszeitungen ab 1923 entwickelte. Wie wir im vorangehenden Kapitel gesehen haben, sind in der hier verwendeten Stichprobe zwischen 1920 und 1925 keine wertfreien Artikel erschienen; kein Bericht kam ohne moralisierende Abwertung von Betäubungsmittelkonsum oder konsumenten aus. Ab ca. 1926, verstärkt ab 1927, erschienen dann immer mehr
Rückschlüsse auf die Zahl der Konsumenten gezogen werden könnten. PA AA R 43256, III R 80/1929, RMI an AA, 28.01.1929. Als Antwort auf das Schreiben des AOIB vom 17.11.1926, Abschrift II A 2700/19.1. 442 PA AA R 43255, Broschüre des AOIB, III R 921/28.
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Darstellungen, die ohne moralische Be- bzw. Abwertung blieben. Gemein ist ihnen ein konkreter Aufhänger, ein konkreter Berichtsanlass.443 Beispielsweise wurde ab Ende der 1920er Jahre häufiger über Verhaftungen im Rahmen jüngst aufgedeckter Schmuggelfälle444 oder besonders ereignisreiche Sitzungen der Opiumkommission445 berichtet. Ebenso konnten eine neue und vermeintlich erfolgreiche Entziehungskur446 oder eine bislang unbekannte Substanz447 Anlass für einen Artikel sein. Später verfolgten die Zeitungen auch Gerichtsprozesse im Ausland mit Interesse, sofern deutsche Staatsbürger betroffen waren.448 Heute berichten viele Zeitungen (wenn auch in weit größeren Dimensionen) über den jährlichen Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung, aber auch schon in der Weimarer Republik boten die Vorstellung neuer Reports zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums und (scheinbar verlässlicher) Statistiken Anlass für Zeitungsartikel.449 Die Berichterstattung zeigte ab Ende der 1920er Jahre einen journalistischeren Charakter. Beispielsweise erschien am 1. Dezember 1931 ein „Drahtbericht unseres Korrespondenten“ zu einem Aufsehen erregenden „Rauschgiftprozeß“ 443
Dieses Phänomen zieht sich bis in die nächste Periode hinein, weshalb ich hier bereits beide Zeiträume behandele. 444 Verhaftung von Kokainschmugglern : Internationale Organisation aufgedeckt, 05.10.1927; Wien - Zentrale des Rauschgift-Schmuggels, 29.03.1929; Vermutlich deutsches Rauschgift in New York beschlagnahmt. Was heißt "Wollens"?, 25.04.1931; Sensationelle Verhaftung im Rheingold-Expreß. Führer einer Rauschgift-Schmugglerbande gefaßt. Ein griechischer Bankier, der nach Basel fuhr, 09.03.1932. 445 Die Opiumkommission an der Arbeit. Die Bekämpfung des Rauschgiftschmuggels, 01.10.1927; Beilegung des Genfer Opiumzwischenfalls, 27.01.1929. Der Heroinschmuggel-Prozeß, 25.11.1931; 8 Millionen Menschen hätten sich in Giftrausch versetzen können! Im Basler Rauschgiftprozeß wurden von 23 Angeklagten nur drei zu Gefängnisstrafen verurteilt. – Wie die Schleichhändler „arbeiteten“, 01.12.1931. 446 Heilung von Morphinismus : Durch Psychotherapie, 03.10.1929; Ein Heim für Morphiumkranke : Ein Geheilter will heilen, 16.10.1929. 447 Der bekannte Pharmakologe Louis Lewin (s. Kapitel 3.3.) berichtete über eine neu entdeckte psychoaktive Liane. Ein neues Rauschgift, 31.03.1928. 448 Dass die verbreitete Berichterstattung zu Gerichtsverhandlungen über die reine Informationsebene hinausging, beschreibt Siemens (2007: 394f): „Strafverfahren schienen sich gerade deshalb als medientaugliches Thema zu erweisen, da in ihnen grundlegende Konflikte und Veränderungen der großstädtischen local moral order sowohl abgebildet als auch verhandelt werden konnten. Die moralisch argumentierende, zugleich informierende wie unterhaltende Gerichtsberichterstattung war ein Kennzeichen der Metropolenkultur der Zwischenkriegszeit. Sie ist nicht nur von historischem Interesse, sondern hat auch Redeweisen über Kriminalität, Justiz und Gesellschaft etabliert, die bis heute nachwirken.“ Ein Betäubungsmittel-Prozeß in Basel, 16.11.1931; Der Heroinschmuggel-Prozeß, 25.11.1931; 8 Millionen Menschen hätten sich in Giftrausch versetzen können! (…), 01.12.1931. 449 Gegen das weiße Gift : Haschisch, Opium, Heroin, 23.07.1930; Die Dämonie der Rauschgifte : Abwehr in Ägypten, 16.03.1931; Internationaler Rauschgifthandel : Nach einem offiziellen Bericht der ägyptischen Regierung, 04.07.1930.
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in Basel.450 Andere Artikel wurden offensichtlich von Reportern veröffentlicht, die ohne besonderes Eigeninteresse oder Hintergrundwissen ereignisorientiert berichteten.451 Die moralisierend argumentierenden Mediziner wurden mehr und mehr von anderen Autoren abgelöst, die kein spezifisches Interesse am Thema hatten, sondern es journalistisch und mit professioneller Distanz bearbeiteten. So wurden Betäubungsmittel ab Ende der 1920er Jahre zu einem gewohnten Bestandteil der Presseberichterstattung. Ab ca. 1927 sind also zunehmend anlassbezogene Artikel überliefert, die im Gegensatz zu den anderen Berichten keinen moralisch abwertenden Tenor hatten. Die in Inhalt und Darstellung im Vergleich zu den Jahren 1920 bis 1925 sachlicheren Artikel machen deutlich, dass sich der Blick auf Betäubungsmittel wandelte und er seinen stark moralisierenden Charakter mehr und mehr verlor, was Hand in Hand mit einem Rückzug der Mediziner aus der Tagespresse ging. Die v.a. moralisierende Berichterstattung, die nach Auskunft der Akteure das Ziel hatte, Aufmerksamkeit für das Phänomen zu schaffen, wurde Ende der 1920er Jahre in der Presse abgelöst von einer Darstellung, die die Problemetablierung voraussetzen konnte. Auch in der Phase von ca. 1923 bis 1928 erörterten nur die wenigsten Autoren detailliert die Frage, worin genau das Problem liege, wenn Menschen Betäubungsmittel ohne medizinische Begründung einnahmen.452 Moralische Herabsetzung erfolgte, wie bereits in Kapitel 2.2 erwähnt, in allen bis 1925 erschienenen Artikeln. Weiterhin, aber seltener als zuvor, verwendeten Autoren negative Assoziationen, die eine Abwertung von Betäubungsmitteln suggerierten. So schrieb Schweisheimer mit Bezug auf Lewins 1924 erschienene Phantastica (Lewin 1980), alle Kokainkonsumenten würden „bald durch die Pforte des Unglücks in die Nacht des Nichts“ wandern.“453 Die Welt am Abend nannte illegalen Betäubungsmittelhandel und vermeintlich involvierte staatliche Stellen eine „Eiterbeule“, die es aufzustechen gelte.454 Aus anderen Artikeln sprach eine 450
8 Millionen Menschen hätten sich in Giftrausch versetzen können! (…), 01.12.1931. Die Rauschgifte der Exoten : Die Inka-Götter mit der schiefen Backe. Seliges Vergesen - Der Natema-Trunk bei der Gattenwahl, 07.03.1929; Heilung von Morphinismus : Durch Psychotherapie, 03.10.1929; Ein Heim für Morphiumkranke : Ein Geheilter will heilen, 16.10.1929; Das neue Opium-Gesetz. Regelung des Verkehrs mit Betäubungsmitteln, 12.11.1929; Der Völkerbund gegen Rauschgifte, 18.03.1930; Die Weltopiumkonferenz, 15.07.1931; Die Rauschgift-Händler : Ist Del Gracio ein – Vergnügungsreisender?, 08.12.1931; Atsuoray 2W xsgbf : Die entlarvten Rauschgiftschmuggler : Mitglieder einer Weltorganisation, 15.12.1931; Sensationelle Verhaftung im Rheingold-Expreß. (…), 09.03.1932; Ein Blick hinter die Kulissen der Rauschgiftkommission. Opiummächte schläfern den Völkerbund ein : Eine der rentabelsten Waren der Welt, 07.02.1933. 452 Der Arzt und der Kokainschnupfer, 09.11.1926; Der Opiumkrieg in Genf, 31.01.1929. 453 Das weiße Gift : Die Zunahme des Kokainmißbrauches, 24.03.1926. 454 Schwunghafter Handel mit Rauschgiften, 06.09.1928. 451
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gewisse Faszination für Betäubungsmittelkonsum.455 Häufiger als zuvor wurde explizit eine Gefährdung der „Volksgesundheit“ angeführt.456 So hieß es beispielsweise, Schwarzhändler würden „die Volksgesundheit aufs schwerste schädigen und gefährden“ und der Konsum sei zu einer „ernsten Gefahr für die Volksgesundheit“ geworden.457 Bei manchen Darstellungen in der Tagespresse bleibt vollkommen offen, worauf sie zurückgegangen sein mögen. Ein Zeitungsautor beschrieb beispielsweise ein medizinisch unhaltbares Szenario, nach dem die negativen Wirkungen des Opiums sich erst nach einiger Zeit zeigen würden, „wenn der längere Gebrauch des Opiums die Organe mit dem Gift gesättigt hat und Rückenmark und Gehirn infiziert sind.“458 Einen deutlichen Blick auf den Hintergrund der Bedrohungsgefühle lässt hingegen ein 1925 erschienener Artikel von Professor Schultz zu, der Betäubungsmittelkonsum als „Teilerscheinungen der allgemeinen Katastrophenmisere seelischer Art, der Lockerung bürgerlicher Ordnung und Hemmung“ bezeichnete, ohne genau zu benennen, was am Konsum überhaupt problematisch sei.459 Im selben Jahr charakterisierte Otto Corbach den Konsum von Betäubungsmitteln explizit als „ein Laster, das in gleichem Maße die Volksgesundheit wie die Volksmoral zerrüttet.“460 Er stellte Kriminalität als Folge des Betäubungsmittelkonsums dar und die folgende unbelegte und aus dem Zusammenhang gerissene Vermutung auf: „Damit hängt sicherlich auch die rasche Zunahme der Raubmorde in den großen amerikanischen Städten zusammen.“ Diese Darstellungen zeigen, dass weiterhin ein diffuses Bedrohungsgefühl die Angst vor und Ablehnung von Betäubungsmitteln und ihren Konsumenten prägte und dass Gefahrenszenarien und Beispiele ohne schlüssige Argumentation oder Belege angeführt wurden. Der Sozialhygieniker Prof Dr. Rudolf Lennhoff, OberregierungsMedizinalrat, berichtete in der liberalen Vossischen Zeitung ebenfalls von der Kombination körperlicher und geistiger Probleme: „Wohin der Mißbrauch führt, zeigt der oft in den Zeitungen besprochene körperliche und seelische Verfall der ‚Kokainschnupfer'.“461 Eine „besondere Gefahr für das Volk“ sei, dass „verhältnismäßig viele Heilpersonen (…) zu Morphinisten geworden sind“, weil diese 455
In einer Pariser Opiumhöhle, 21.01.1925; Die Opiumhöllen von Singapur, 11.02.1925. Der neue Opium-Krieg, 13.10.1927; Einschränkung der Rauschgift-Produktion : Eine Entschließung des Strafrechts-Ausschusses, 30.10.1928; Das Weltlaster des Opiums : Besorgnisse der Vereinigten Staaten, 24.02.1925; Die Freunde der Rauschgifthändler, 31.08.1928; Opium und Rauschgifte: Die weiße Rasse bedroht, 20.11.1929. 457 Der Schleichhandel mit Rauschgiften : Ein gefährliches Gewerbe. - Erschwerte Abwehrmaßnahmen, 18.08.1930. 458 Die Opiumhöllen von Singapur, 11.02.1925. 459 Morphinismus, 06.05.1925. 460 Das Weltlaster des Opiums : Besorgnisse der Vereinigten Staaten, 24.02.1925. 461 Rauschgifte : Ihre Gefahren und ihre Bekämpfung, 30.06.1928. 456
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zu viele Betäubungsmittel abgeben würden. Ihnen solle man die Approbation entziehen, forderte auch Lennhoff. Nur in Ausnahmefällen bezogen die Zeitgenossen so eindeutig Position wie Dr. Rost in der Sitzung des Reichstagsausschusses, die (wie oben erwähnt) in einem Artikel vom Oktober 1928 ausführlich zitiert wurde. Seine Darstellung war programmatisch für die negative Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums am Ende der Weimarer Republik. Rosts Darstellungen fasste die Vossische Zeitung folgendermaßen zusammen: „Der schädliche Einfluß der Rauschgifte ist zunächst ein persönlicher. Er äußert sich im körperlichen, seelischen und moralischen Zerfall. Während aber der Morphinist noch lange arbeitsfähig bleiben kann und allein seinem Laster frönt, versucht der Kokainist auch andere zu verführen, bekommt Unruhe, Bewegungsdrang und Halluzinationen, die ihn gelegentlich zu Abwehrreaktionen usw. treiben. Der Kokainist kommt mit dem Strafgesetzbuch deshalb öfter in Konflikt.“462
Körper und Seele, Arbeitskraft und Moral seien durch den Drogengebrauch in Gefahr; den Kokainkonsumenten stellte die Zeitung mit Bezug auf die Ausschusssitzung außerdem eine negative strafrechtliche Prognose. Eine umfassendere Gefährdung der Individuen, aber auch der „Werteordnung der Gesellschaft“ ist wohl kaum vorstellbar (Schetsche 2008: 115f). Hier wird deutlich, dass sowohl staatliche Instanzen wie das Reichsgesundheitsamt als auch eine seriöse Zeitung wie die Vossische das Problemmuster des Betäubungsmittelkonsums als „gesellschaftlich inakzeptabel“ trugen. 3.2.1 „[D]ringend erwünscht ist, dass von den Betäubungsmitteln in der Presse, im Film, im Theater möglichst wenig oder gar nichts verlautet“ – zum Verhältnis von Staat und Presse Dass Presseberichte in RGA (und auch im AA) immer wieder als Informationsquellen herangezogen wurden, haben wir bereits gesehen. Ab Ende der 1920er Jahre sind außerdem Elemente einer kritischen Reflektion der Berichterstattung und einer aktiven Pressepolitik in Betäubungsmittelfragen überliefert. Diese wurde nach meinen Erkenntnissen nicht systematisch betrieben, auch wenn etwa zur Ratifizierung des in Genf geschlossenen Abkommens am 17. Oktober 1929 eine Pressemitteilung des AA erschien, die auch von der Nachrichtenagentur
462
Einschränkung der Rauschgift-Produktion : Eine Entschließung des Strafrechts-Ausschusses, 30.10.1928.
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Wolff’s Telegraphisches Büro verbreitet wurde.463 Eine systematische Information der Presse durch regelmäßige Mitteilungen etwa zum Stand der Betäubungsmittelfrage oder neuen rechtlichen Entwicklungen ist allerdings nicht überliefert. Im Auswärtigen Amt entwickelte man im Laufe der Zeit offensichtlich recht genaue Vorstellungen davon, wie die einheimischen Zeitungen möglichst über Betäubungsmittel berichten sollten. In einem Schreiben zur „Unterrichtung der deutschen Pressevertreter in Genf über Opiumfragen“ vom 26. März 1927 hieß es, „wissenschaftlich-technische“ Aspekte seien für die Tageszeitungen kaum interessant. Vor allem aber sei „von einer Behandlung deutscher Schmuggelfälle in der Öffentlichkeit zweckmäßig abzusehen“. Das AA versuchte also, die Presse dahingehend zu beeinflussen, dass sie seine Politik der positiven Außendarstellung des Reiches in Betäubungsmittelfragen unterstützte.464 Wir haben bereits gesehen, dass ein Reichstagsabgeordneter als Zeitungsautor auftrat, teilweise gab es aber auch unmittelbare Verknüpfungen zwischen Behörden und Presse, denn gelegentlich verfassten Mitarbeiter des RGA Artikel für Zeitungen. Beispielsweise veröffentlichte Oberregierungsrat Dr. med. Johannes Berger am 13. Mai 1925 in seinem Artikel „Opiumkonferenzen“ eine aufgrund seiner Funktion im RGA semi-offizielle Einschätzung zu den vorangegangenen Gesetzen: „Um die in Haag eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen und die deutsche Volksgesundheit vor Schaden zu bewahren, wurden im Deutschen Reiche verschiedene Gesetze und Vollzugsvorschriften erlassen“.465
Dass derartige Verquickungen mit der (Fach-)Presse nicht immer erwünscht waren, musste Oberregierungsrat Professor Otto Anselmino erfahren, der in der Pharmazeutischen Zeitschrift über die Genfer Opiumkonferenz von 1925 berichtet hatte. Solche Darstellungen wurden ihm für die Dauer der Konferenz als von RGA und AA „unerwünscht“ untersagt: Es sei „jedem nur einigermaßen Unterrichteten unschwer erkennbar“ gewesen, dass Anselmino als Mitglied der deutschen Delegation der Autor war.466 Ab Ende der 1920er Jahre versuchten staatliche Stellen wiederholt, aktiv auf die konkrete Presseberichterstattung einzuwirken. Einheimische Zeitungen hätten Deutschland im Kontext eines Schmuggelfalles als „Zentrale des internationalen Kokainhandels“ bezeichnet, hieß es in dem Schreiben des RMI an den Hessi463
PA AA R 43262, zu III R 600/29, Ang. III, Vermerk von Breitfeld; Kopie W.T.B. Meldung Nr. 2133. 464 PA AA R 43244, AA III R 299/27. 465 Opiumkonferenzen, 01.05.1925. 466 PA AA R 43230, 03.02.1925, e.o. III R 111/25, AA an RMI.
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schen Minister des Innern im August 1926.467 Derartige „leichtfertige Mitteilungen in deutschen Tageszeitungen“ seien „bedauerlich“, hieß es, und das RGA versuchte erfolglos, den Urheber dieser Meldungen zu ermitteln. Später berichtete das RMI, es habe sich daher „darauf beschränken müssen, die Presseabteilung der Reichsregierung zu ersuchen, daß sie die Zeitungskorrespondenzen und die Vertretungen der Tagespresse darauf hinweist, wie sehr durch solche Sensationsnachrichten die deutsche Wirtschaft und ganz allgemein das deutsche Ansehen geschädigt wird.“
Ferner kann dem Schreiben entnommen werden, dass RGA und AA gegen ähnliche Behauptungen, die in französischen Zeitungen erschienen waren, vorgehen wollten. Hierfür warteten sie aber noch den geeigneten Moment ab. Sie wollten eingreifen, sobald sich „eine Gelegenheit zu eindrucksvollen und wirksamen Gegenschritten bietet, ohne daß durch sie rückwirkend wieder die deutschen Verhältnisse zum Angriffspunkt genommen werden können.“
Im RGA verfolgte man die Darstellung von Betäubungsmitteln in der Öffentlichkeit aufmerksam und zeigte sich im Sommer 1927 besorgt: „Das Reichsgesundheitsamt beobachtet seit längerer Zeit mit Bedauern, daß die Betäubungsmittel und ihr suchtmässiger Gebrauch in der Tagespresse und in Unterhaltungszeitschriften sowohl in Wort wie in Bild eine Behandlung erfahren, die mit Rücksicht auf die Volkswohlfahrt durchaus nicht begrüsst werden kann. Dazu kommt, dass in letzter Zeit anscheinend auch das Lichtspiel in erhöhtem Masse die Betäubungsmittel und ihre Verwendung zum Gegenstand der Darstellung macht.“468
467
PA AA R 43239, II 6164 A, 03.08.1926, RMI an den Hessischen Minister des Innern, Irreführenden Zeitungsnachrichten betreffend geheime Ausfuhr von Betäubungsmitteln aus Deutschland, Abschrift an AA, III R 631/26. 468 BArch R 501/100418, S. 175 (ff). RGA an RMI, Betäubungsmittel und Presse, I O 2400/27, 20.07.1927. Einige Jahre später erhob die kommunistische Welt am Abend in mehreren Artikeln harsche Vorwürfe gegen Anselmino und damit auch gegen das Reichsgesundheitsamt (s.u.). Diese Anschuldigungen prüfte man im RGA und kam zu dem Schluss, dass „die angestellten eingehenden Erhebungen die Haltlosigkeit der gegen Professor Anselmino erhobenen Klagen einwandfrei ergeben“ (PA AA R 43254, zu III R 713/28, 17.09.1928). Die beteiligten Behörden befürchteten zunächst, die Vorwürfe könnten von weiteren Zeitungen aufgegriffen oder im Ausland wahrgenommen werden und so das Ansehen der Behörden oder gar das des Landes schädigen (aber auch Anselmino wollte man schützen) und entwarfen eine Berichtigung (PA AA R 43254, zu III R 713/28, undatierter Entwurf von Dr. Hamel. Ebenfalls überliefert in einer separaten Akte: BArch R 86/5782). Die Vorwürfe brachte die KPD 1929 erneut vor und in der Sitzung des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten vom 04.06.1929 ein (PA AA R 43260, zu III R 262/29). Die o.g. Artikel waren: Die Freunde der Rauschgifthändler : Organisation des Rauschgifthandels in Berlin – Häupter der Schieberzentrale verhaftet, aber wieder freigelassen : Schwere Anschuldigungen gegen
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Das RGA ging diesbezüglich mit der Berliner Medizinischen Gesellschaft konform und vertrat die Ansicht, dass „dringend erwünscht ist, dass von den Betäubungsmitteln in der Presse, im Film, im Theater möglichst wenig oder gar nichts verlautet.“469 Die Behörde begründete diese Haltung mit der vermeintlichen Gefahr der Verführung: „nach einschlägigen Veröffentlichungen der Fachpresse [ist] ein guter Teil der Süchtigen durch Verführung zu dem Gebrauch der Betäubungsmittel gekommen (…), bei den Kokainisten dürfte es der grösste Teil sein“.
Den (übrigens auch in „ernsten“ Zeitungen erscheinenden, teils auf Polizeimeldungen zurückgehenden) Artikeln könne man nicht entnehmen, „dass es sich um eine mit Rücksicht sowohl auf den Einzelnen wie auch die Allgemeinheit tief beklagenswerte Sucht handelt.“ Es sei Sorge zu tragen, dass die Mitteilungen der Polizei an die Presse „rein sachlich und ohne ausschmückende Übertreibung erfolgen“, auch wenn die Polizei Interesse habe, „die Öffentlichkeit über die Erfolge ihrer Bemühungen zu unterrichten.“470 Gleiches gelte auch für Darstellungen in Rundfunk und Film, die keinesfalls die „Neugierde“ wecken dürften, was allerdings auch durch Darstellungen mit einem negativen Ende geschehen könne. Das Schreiben des Reichsgesundheitsamtes wurde beeinflusst von einem Brief des Geschäftsführers der Fachgruppe Opium und Cocaïn, der (im Interesse der Industrie) darauf hingewiesen hatte, dass die Darstellungen nicht nur wegen der möglichen Verführung problematisch sei, sondern „sicher auch unserem Ansehen im Ausland“ schade.471 Einem späteren Schreiben ist zu entnehmen, dass 1927 eine Pressekonferenz zum Thema abgehalten wurde. Diese habe allerdings „keine Verbesserung der Verhältnisse gebracht.“472 Ähnlich wie das RGA äußerte sich z.B. auch Paul Wolff (1928-3: 1658) in einer Rezension des Romans Kokain von Pitigrilli (1928): Es sei „am besten, wenn das große Publikum möglichst wenig vom weißen Teufel hört“. Andernorts kritisierte der Schriftleiter der DMW ebenfalls Zeitungsberichte und mahnte im November 1928, die in der Presse „zum Teil das Reichsgesundheitsamt, 31.08.1928. PA AA 43254. Schwunghafter Handel mit Rauschgiften : Was tut das Reichsgesundheitsamt zum Schutze der Volksgesundheit?, 06.09.1928. 469 BArch R 501/100418, S. 175. RGA an RMI, Betäubungsmittel und Presse, I O 2400/27, 20.07.1927. 470 Müller (2005: 136) verweist ebenfalls auf Kooperationen zwischen Kriminalpolizei und Tageszeitungen „aus ‚kriminalpolizeilichem Interesse’“, wobei aber auch frei erfundene sensationelle Nachrichten über Kriminalität in der Presse lanciert worden seien. 471 BArch R 501/100418, S. 178, Abschrift II 4388 A, Der Geschäftsführer der Fachgruppe Opium und Cocain an Ministerialrat Kahler im RMI, 14.05.1927. 472 BArch R 501 126496, S. 252 RS, 29.12.1932, 3970/12.9.32, Präsident des Reichsgesundheitsamts an RMI, II A 270/29.12.32.
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unter sensationeller Aufbauschung“ erscheinenden Prozessberichte „sollten endlich unterbleiben“. Wolff (1928-2: 2033) ergänzte: „Man spricht nicht unnötigerweise vom Teufel“. Sachlicher blieben Joël und Fränkel, die schon 1924 von einer Aufklärungspropaganda in Tageszeitungen und im Film „entschieden“ abgeraten hatten. Die Presse berichte „in der Regel (…) sachlich falsch“ und „feuilletonistisch“ aufbereitet, was „eher die Neugierde und das Sensationsbedürfnis“ wecke als Konsum zu verhindern. Sie forderten „eine vernünftige Genußmittelpolitik (…) in dem Sinne, daß harmlose Genußmittel billiger erhältlich sind als die gefährlichen.“ (Joël/Fränkel 1924: 85). An den Schreiben des Reichsgesundheitsamtes zum Thema „Betäubungsmittel und Presse“ lässt sich ablesen, dass der Außendarstellung des Reichs auch im innenpolitischen Ressort große Bedeutung beigemessen wurde. Auch Wittek (2005: 16) betont, dass „die deutsche Reichsregierung (…) in der Pressebeeinflussung ein wichtiges Instrument der eigenen Außendarstellung und damit der Außenpolitik“ sah. Man versuchte – auf paternalistische Art und Weise, geleitet von der Angst vor der angeblich sehr gefährlichen „Proselytenmacherei“ und offensichtlich erfolglos – die mediale Berichterstattung zu Betäubungsmitteln möglichst zu beschränken. Die Interessen, die sich in der erwünschten Behandlung des Themas zeigten, waren wiederum vielschichtig und nicht primär auf das Thema Betäubungsmittel oder einen an gesundheitlichen Fragen ausgerichteten Umgang mit ihnen orientiert. Die Aufforderungen von Wolff und dem RGA „Übertreibung“ bzw. „Aufbauschung“ zu unterlassen, deuten darauf hin, dass die Presseberichterstattung in den Augen von Medizinern und Behördenvertretern teilweise übertrieben war. Staatliche Instanzen verfolgten hinsichtlich der öffentlichen Darstellung von Betäubungsmitteln zwei Ziele: Zum einen wollten sie verhindern, dass ausländische Stellen einen negativen Eindruck von Deutschland (sowohl hinsichtlich des Konsums als auch hinsichtlich des illegalen Handels mit Betäubungsmitteln) erhielten. Zum anderen sahen sie eine Gefahr darin, dass Einzelpersonen durch sensationelle Berichte neugierig auf Betäubungsmittel gemacht werden könnten. Mithin hatte der Umgang mit der Presse einen außenpolitischen sowie einen innenpolitischen, auf die Individuen gerichteten, Impetus. Eine kohärente Informations- bzw. Medienpolitik zu Betäubungsmitteln lässt sich im gesamten Untersuchungszeitraum allerdings nicht nachweisen. Festzuhalten ist: um 1928/29 war aus der Perspektive der Tagespresse die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums als Problem in Deutschland etabliert. Die Autoren waren nicht mehr gezwungen, ihr Interesse zu rechtfertigen, und mit dem Bezug auf Thematisierungen im Strafrechtsausschuss des Reichstags bzw. den deutschen Ärztetag konnten sie bedeutende Referenzen
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anführen, die die Problemwahrnehmung stützten. Mediziner spielten bis zum Ende dieser Phase eine entscheidende Rolle in der Problematisierung und moralischen Abwertung des Konsums, die weiterhin stattfand, aber ab 1925 seltener wurde. Ab ca. 1926 und zunehmend ab 1927 wurden wieder Artikel mit konkretem Berichtsanlass veröffentlicht, die Betäubungsmittelkonsum nicht moralisch abwerteten. Diese Entwicklung markiert einen entscheidenden Punkt der Problemetablierung, wie auch Schetsche (2008: 129) konstatiert: „Als gesellschaftlich eingeführt kann eine Problemwahrnehmung gelten, wenn sie – nicht ganz unabhängig von der Frage der staatlichen Anerkennung – in den Massenmedien mit Selbstverständlichkeit prozessiert wird (…) und wenn das ihr ideell zugrunde liegende Deutungsmuster zum allgemeinen Wissen der Mitglieder der Gesellschaft zu rechnen ist.“473
Nachdem in den ersten beiden Untersuchungsphasen die Interaktion zwischen Presse und Politik meist in einer Reaktion staatlicher Stellen auf Zeitungsmeldung bestand, nahmen die Reichsbehörden in der Zeit ab 1925 eine aktivere Haltung ein. Sie kritisierten die Presseberichterstattung zu Betäubungsmitteln und versuchten, diese aktiv zu beeinflussen. Die Tätigkeiten zeigen die Etablierung des Themas in den Behörden sowie seine routinierte Bearbeitung und verdeutlichen damit, wie die Problemetablierung immer weiter voranschritt und der Wahrnehmungskokon sich zusehends verfestigte. 3.3
Cocainisten finden sich „hauptsächlich in jenen Gruppen, die dem geregelten Erwerbsleben ferner stehen“ – Fachpublikationen zu Betäubungsmitteln 1923-1929 Fachpublikationen zu Betäubungsmitteln 1923-1929 Wie sich die Fachdiskussion um Opiate und Kokain entwickelte, soll im folgenden Kapitel weiter an unserem Beispiel der Mediziner nachvollzogen werden. In den Jahren ab 1923 erschienen immer mehr Publikationen zum Thema.474 Wie erwähnt wuchs die Aufmerksamkeit für Fragen der Gesetzgebung und Recht473
Schetsche (2008: 147) führt an, dass „die öffentliche Durchsetzung einer Problemwahrnehmung am Übergang von der Darstellung in dokumentarischern Formaten hin zur Behandlung in fiktionaler Form gleichsam abzulesen ist.“ Diese Dimension der Problemwahrnehmung habe ich nicht analysiert. Hierfür müssten Romane wie Kokain von Pitigrilli (1928), Filme, Gedichte u.ä. herangezogen werden. Für eine Analyse zeitgenössischer Beispiele von Kokainliteratur in der Zwischenkriegszeit sei auf Atai (2008) verwiesen sowie für die Kulturgeschichte des Opiums auf Seefelder (1996). An dem von Lars Amenda (2005) analysierten Roman Begegnung auf der Landstraße von Alfons Zech (1936) können wir beispielhaft nachvollziehen, dass Drogen Mitte der 1930er Jahre als literarisches Instrument eingesetzt wurden, um Personen zu charakterisieren. Ferner deuten die o.g. Anmerkungen der Behörden an, dass Betäubungsmittel Ende der 1920er Jahre vermehrt Gegenstand fiktionaler Darstellungen waren. 474 Siehe dazu auch die Grafik in Kapitel 4.4 (Abb. 7).
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sprechung zu Betäubungsmitteln, nachdem Dr. Bier aus Dresden 1926 vom Reichsgericht verurteilt wurde. Den Ärzten wurde damals klar, dass das Opiumgesetz sie auch selbst unmittelbar betraf. Doch schon in den Vorjahren beschäftigten sich immer mehr Mediziner mit Drogen: 1924 erschienen zwei wichtige Monographien von Lewin sowie Joël und Fränkel. Diese Standardwerke werden zu Beginn des Kapitels diskutiert, bevor wir uns wieder den Fragen der Darstellung der Konsumenten und der Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums zuwenden. 3.3.1 Zwei wichtige Analysen zu Betäubungsmitteln von Lewin sowie Joël und Fränkel Eines der zeitgenössischen Standardwerke zu Betäubungsmitteln, das 1924 erschien und während der Weimarer Republik mehrere Auflagen erlebte, war Phantastica von Louis Lewin475. Es wurde auch in der Bundesrepublik mehrfach wieder aufgelegt, z.B. 1980 mit einem Vorwort von Hans-Georg Behr und zuletzt im Jahr 2005 (Lewin 1980; 2005). Lassen wir zunächst Professor Lewin zu Wort kommen: In seinem Betäubungsmittel-Bestseller schrieb Lewin (1980: 70), Morphin- und Opiumkonsum seien in Frankreich „eine nationale Gefahr“: In Paris habe es vor einigen Jahren bereits unter 40 Menschen etwa einen Morphinisten gegeben und jetzt werde „die Zahl auf sehr viel höher geschätzt“ (Lewin 1980: 79). Es gebe „noch andere Stellen in Europa, wo verlebte degenerierte Süchtlinge beiderlei Geschlechts, Ganzdirnen, Halbdirnen und Halbmänner – Opfer blinden, selbstbeherrschungslosen Genießenwollens – ihrer ungezügelten Leidenschaft diese Rauchopfer bringen“,
es sei aber gerade auch „der Kopf“ der Gesellschaft bedroht: „Ärzte, Professoren, Apotheker, Literaten, Künstler, Juristen, Offiziere, höhere Staatsbeamte usw.“ seien besonders von Morphinismus betroffen, außerdem sei dieser seit dem Ersten Weltkrieg „nach der anderen [weniger gebildeten; AH] Seite hin gewachsen“ (Lewin 1980: 79). Dabei gebe es in Deutschland „genußsüchtige Kokainverwender in vielen Berufsarten bis zu den Straßendirnen und Zuhältern herunter“ und in den Berliner „Kokainhöhlen“, von denen es „bessere oder schmutzstarrende“ gebe, fänden sich „Männer und Frauen aus allen Gesellschaftskreisen, auch Akademiker, Schauspieler usw.“ (Lewin 1980: 110). 475
Louis Lewin (* 09.11.1850, Tuchel (Westpreußen), † 01.12.1929, Berlin) war ein bedeutender Pharmakologe und Toxikologe. Er habilitierte sich 1881 für Arzneimittellehre, Toxikologie und Hygiene; seit 1919 war er Honorarprofessor an der TH Berlin-Charlottenburg. Lewin war Jude. Quelle: (26.04.2009).
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Zur Erlangung der Betäubungsmittel werde „gestohlen und betrogen“, schrieb Lewin (1980: 85). Im Konjunktiv, aber dennoch kritiklos gab er außerdem die Information weiter, es hätten sich sogar „bisher achtbare Frauen der Prostitution ergeben (…), um Morphin kaufen zu können!“ (Lewin 1980: 85). Für Kokainkonsumenten sei das Ende „vorgeschrieben“, sie würden (ebenso wie Morphinisten, nur noch schneller) „aus der moralischen und gesellschaftlichen Ordnung“ herausrücken und ihr Ende sei meist eine „Lebens- und Sterbenstragödie“ (Lewin 1980: 117):476 „Die Willensenergie sinkt, Unentschlossenheit, Mangel an Pflichtgefühl, Launenhaftigkeit, Eigensinn, Vergeßlichkeit, Weitschweifigkeit in der Rede und in Briefen wachsen“ (Lewin 1980: 114). Auch bei Lewin standen also die den Konsumenten zugeschriebenen Charaktereigenschaften im Gegensatz zu gesellschaftlichen Normen und Moralvorstellungen. Lewins Bild war fatalistisch; der moralische Niedergang der Konsumenten schien ihm unausweichlich.477 Er stellte jeglichen hedonistischen Gebrauch und seine Folgen sehr negativ dar, differenzierte aber zwischen Morphin- und Kokainkonsumenten: Die Verwendung von Kokain als „Genußmittel“ (Lewin 1980: 111) wertete er noch deutlicher ab als außermedizinischen Konsum von Morphin, und er stellte Kokainkonsumenten eine noch schlimmere Prognose aus als Morphinisten. Als Konsumentengruppen nannte Lewin gebildete, angesehene und künstlerische Kreise; das andere Extrem markieren für ihn negativ bewertete Gruppen aus dem Kontext der Prostitution. Der Arzt und Pharmakologe stellte damit ein sehr breites sozialstrukturelles Spektrum an Konsumenten vor, lediglich selbständige Handwerker, Arbeiter u.ä. Berufe führte er nicht explizit an. Lewin, dem Behr (Lewin 1980: XI) zu Recht „einen seltsamen Zug von Zurückhaltung bei Quellenangaben“ bescheinigt, führte für die hier zitierten Aussagen, selbst für konkrete Statistiken (Lewin 1980: 79), keine Belege an.478 Dennoch gilt Lewins Buch als Standardwerk, da es eines der ersten war, das sich „wissenschaftlich“ mit Drogen auseinandergesetzt habe, wie Behr konstatiert (Lewin 1980: II). Der Klappentext der Auflage von 2005 warb damit, dass das Buch als erstes „einen sachlichen und vorurteilslosen Überblick über die Vielfalt der Genußmittel“ gegeben habe. Diese Einschätzungen sind erstaunlich, denn Lewins Darstellungen sind hinsichtlich der Konsumenten aus heutiger 476
An anderer Stelle räumt Lewin (1980: 120) ein, dass manche Kokainisten „zur Dauerheilung“ kämen. Von einer Möglichkeit Kokain ohne negative Folgen zu konsumieren, schrieb Lewin aber nicht. 477 Lewin beschreibt wie die meisten damaligen Ärzte auch negative medizinische Folgen des Konsums. Hier stehen aber die darüber hinausgehenden Thesen der Zeitgenossen im Fokus. 478 Lewin (1980: 111) verwies lediglich unpräzise auf eine einzige Kokainhöhle, die von der Berliner Polizei Anfang 1924 „aufgehoben“ worden sei.
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Perspektive wissenschaftlich unzuverlässig und ein Bemühen um Sachlichkeit ist kaum erkennbar. Lewins Professorentitel, seine große Reputation als Toxikologe und die Tatsache, dass sein Buch Phantastica gut verkauft und viel zitiert wurde, mag über diese Schwächen hinweggetäuscht haben. „Das meiste, was später über Drogen geschrieben wurde, wurde von Lewin abgeschrieben, und seine Irrtümer zeugten Kinder und Kindeskinder“, meint Behr (in Lewin 1980: X). Diese Aussage muss man zwar relativieren (denn auch andere Autoren wurden als Referenz herangezogen), dennoch trifft Behrs Aussage, dass die Darstellungen von Lewin und seinen Zeitgenossen bis heute überliefert werden, auch mehr als 20 Jahre später noch zu (Behr in Lewin 1980: X): Courtwright (1995: 207) verweist für seine Angabe, „in Germany, illicit cocaine use became a notorious feature of Weimar nightlife” auf Lewin. Ferner gaben Schweer und Strasser die Phantastica für ihre Ausführungen zu Kokain im Deutschland der 1920er Jahre (neben literarischen Quellen) noch 1994 als einzige Publikation eines Wissenschaftlers an (Schweer/Strasser 1994: 95-104). „Zur Geschichte des Kokains in den zwanziger Jahren“ verweist der Historiker Lars Amenda (2006: 151f) schließlich auf das Buch von Schweer/Strasser, womit Lewins Ausführungen bis in die jüngste Zeit selbst in ansonsten sehr guten Arbeiten tradiert werden. Nun treffen wir wieder auf Ernst Joël und Fritz Fränkel, von deren Feldforschung wir bereits in Kapitel 2.3 gehört haben. Sie bildeten eine herausragende Ausnahme unter den deutschen Medizinern, die in der Weimarer Republik zu Betäubungsmitteln publizierten, da sie persönlichen Kontakt zu verhältnismäßig vielen Konsumenten hatten und sowohl „im krankenhausärztlichen Dienst wie auch privatim“ Studien betrieben (Joël/Fränkel 1924: 1). Teilnehmende Beobachtung außerhalb des medizinischen Umfeldes hielten sie für unerlässlich, war für sie doch der „moderne Cocainismus (…) keine rein klinische, sondern auch eine soziale Erscheinung“. Ihre informativen Darstellungen beruhten auf der umfassendsten Quellenbasis, auf die Mediziner meiner Stichprobe zurückgriffen, sie hatte aber wie bereits diskutiert methodische Mängel. Ähnlich Lewin war auch die Darstellung der beiden Kommunisten ein Standardwerk, das noch in jüngster Zeit zitiert wird.479 Ihre Darstellung war deutlich differenzierter als die anderen zeitgenössischen Publikationen. Dies zeigt sich z.B. darin, dass sie die Folgen des Gebrauchs nicht fatalistisch beschrieben und auch kontrollierten Drogenkonsum benannten: 479
Täschner/Richtberg (1982: 105ff) geben den Cocainismus ausführlich wieder und noch 1998 erschien ein (unkommentierter) Auszug des Buches im Sammelband von Stratenwerth und Alex (Joël/ Fränkel 1998).
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„Ja, es gibt jetzt sogar Gelegenheitscocainisten“, stellten sie überrascht fest und betonten: „Unter den Cocainschnupfern gibt es ja Typen, die nur gelegentlich zu dem Gift greifen oder mit verhältnismäßig geringen Mengen auskommen; dann haben wir freiwilligen Entzug auf Monate hindurch wiederholt beobachtet“ (Joël/Fränkel 1924: 17).
Ferner hoben Joël und Fränkel (1924: 1; 22f; 87) hervor, dass die Verbreitung des Konsums in Deutschland keineswegs extrem sei. Interessant sind ferner ihre Darstellungen zu den Ursachen des Kokainismus. Der Krieg habe die „allgemeinen psychischen Bedingungen zu einem Giftkonsum großen Stils“ geschaffen, schrieben Joël und Fränkel (1924: 14). Zum einen habe es „fortdauernde Alkoholknappheit“ gegeben und manche Menschen hätten mehr Geld zur Verfügung gehabt. Zum anderen beschrieben sie „Genußgier“ nach dem Krieg, „Entfremdung geregelter Arbeit“ und ein „[g]esteigertes und vergrößertes Rauschbedürfnis nach den Jahren des Verzichtes, jene ganze Stimmungslage, wie sie in der Tanzwut, der massenhaften Eröffnung flachster Unterhaltungsstätten, der ungenierten Entfaltung der Prostitution zum Ausdruck kam – alles das bildete einen günstigen Nährboden für die Ausbreitung des neuen Mißbrauchs“.
Joël und Fränkel sahen den Konsum also wie ihre Zeitgenossen als Folge der als krisenhaft empfundenen Zeit. Schließlich schrieben sie aber trotz gewisser Abwertung, man solle die Konsumenten nicht aufgeben und stellten im Schlusssatz ihrer Studie implizit ein Programm auf, das als Grundlage ihrer späteren Fürsorgearbeit interpretiert werden kann: „Die Persönlichkeiten, mit denen wir es beim Cocainismus zu tun haben, sind haltlose, aber eben deshalb meist außerordentlich lenkbare Charaktere. (…) Diese Menschen können zur nützlichen Betätigung ebensowohl wie zu schädlichen gelenkt werden, und es gehört zum Aufgabenkreis eines geordneten Staatswesens, jede Gelegenheit zur letzteren nach Möglichkeit zu erschweren.“ (Joël/Fränkel 1924: 87).
Es gibt (neben den methodischen Schwächen) einige Punkte an dieser ansonsten wertvollen Arbeit, die zu kritisieren sind. Die beiden Forscher haben nur mit Berliner Kokainisten gesprochen, über die Situation in anderen Großstädten bzw. in kleineren Orten oder auf dem Land waren sie schlecht informiert, weshalb Verallgemeinerungen m.E. schwierig sind (Joël/Fränkel 1924: 1).480
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Berlin war häufig Bezugspunkt der Analysen und die Bewertung der Situation in der Hauptstadt mag so die Wahrnehmung besonders geprägt haben. Mit wie vielen Konsumenten sie Kontakt hatten, führten die Autoren leider nicht aus und Informationen über den Umfang der teilnehmenden Beobachtungen fehlen ebenfalls. Ein Indiz liefern aber
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Ferner zeigt ihre ausführliche und weitgehend sachlich gehaltene Darstellung v.a. in den Resümees, dass auch die Untersuchung von Joël und Fränkel durch Vorurteile geprägt war: Die Autoren stellten 15 „besonders typische Fälle“ ihrer Krankenbeobachtungen eingehend vor (Joël/Fränkel 1924: 87; 87-100). Hierunter waren zwei Kaufmänner, ein Händler, ein Hausdiener, ein Kohlenträger und ein Pfleger, also sechs Personen, die absolut durchschnittliche Berufe hatten.481 Hinzu kamen zwei Frauen ohne Berufsnennung (vermutlich Hausfrauen) und zwei Studenten, womit zwei Drittel der Patienten ein geregeltes Berufsleben führten. Ihre eigene Zusammenfassung repräsentierte diese von den Autoren als typisch bezeichneten Fälle allerdings nicht: „Was zunächst die soziale Zusammensetzung der cocainkonsumierende Kreise betrifft, so ist sie bei aller Verschiedenheit der einzelnen Typen im ganzen doch einheitlicher als die der Morphinisten. Sind jene zumeist neuropathische Personen aller Volksschichten, die durch schwere Krankheit oder ihren Beruf (Ärzte usw.) die Bekanntschaft des Morphinismus gemacht haben, so finden sich die Cocainisten außer in den Heilberufen hauptsächlich in jenen Gruppen, die dem geregelten Erwerbsleben ferner stehen: Müßiggänger aus der literarischen und artistischen Bohême, Spieler, Sportinteressenten, Angehörige der eleganten und der proletarischen Prostitution, Schieber und Schleichhändler, Söldner, Filmstatisten, Kellner, Nachtportiers, Hotelpagen, Kuppler, Zuhälter, Gelegenheitsarbeiter, Gelegenheitsverbrecher, aber auch sehr viele Halbwüchsige, die unverschuldet arbeitslos sind“ (Joël/Fränkel 1924: 15f).
Darüber hinaus ist ihre Zusammenfassung in sich widersprüchlich, denn auch wenn die von Joël und Fränkel genannten Kellner, Nachtportiers und Hotelpagen teilweise ungewöhnliche Arbeitszeiten hatten, waren sie nicht unbedingt „Gruppen, die dem geregelten Erwerbsleben ferner stehen“. Ferner führten sie einen Rechtsanwalt und einen „Kaufmann in leitender Stellung“ an, die direkt aus betreffenden Lokalen zu ihrer Arbeit fuhren – zwei weitere Beispiele, die eines ungeregelten Lebenswandels ausgesprochen unverdächtig waren (Joël/Fränkel 1924: 16). Warum diese beiden Personen nicht in der Aufzählung auftauchten, ist leider nicht nachzuvollziehen. Die Zusammenfassung von Joël und Fränkel blendete demnach nicht passende Puzzlestücke (vgl. Quensel 1996: 34) aus und konzentrierte sich m.E. auf jene Fälle, die der eigenen Wahrnehmung entsprachen. Die Resümees zur Sozialstruktur der Konsumenten spiegeln v.a. ihre stereotype Wahrnehmung wieder, weniger ihre umfassende Forschung. Dort, wo eine Prüfung möglich ist (etwa über die angefügten Krankengeschichten), widerspricht die Darstellung eher den Schlussfolgerungen der Autoren als diese zu stützen. Den Gegensatz zwischen die Krankengeschichten am Ende des Buches, die sie aus ihren „etwa 50“ in der Klink gemachten Beobachtungen entnommen haben (Joël/Fränkel 1924: 87). 481 Ferner stellten sie vor: Einen Kellner, einen Zeichner, einen Arbeitslosen, der „zuletzt Filmschauspieler“ war, einen arbeitslosen Artisten, einen arbeitslosen verletzten Kriegsfreiwilligen und einen Arbeitslosen, der zuvor als Grenzschutzsoldat gearbeitete hatte.
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den Ergebnissen der teilnehmenden Beobachtung und der klinischen Erfahrung lösen Joël und Fränkel ebenso wenig auf. So kommen sie trotz der zahlreichen Beispiele in das Arbeitsleben integrierter Menschen zu der These, dass „infolge der Cocainsucht (…) auch die Lust zu geregelter Tätigkeit [schwindet]. Die Tendenz zu einem arbeitslosen Leben, das von der Bohème bis zum Verbrecherdasein alle Schattierungen aufweist, ist fast stets vorhanden“ (Joël/Fränkel 1924: 52).
Bei allem Bemühen um Sachlichkeit blieb demnach auch die Darstellung von Joël und Fränkel nicht ohne Abwertung der Konsumenten. Wie ihre Zeitgenossen bezeichneten sie hedonistischen Betäubungsmittelgebrauch als „Laster“ und „Unsitte“ (Joël/Fränkel 1924: 41; 13). Sie sprachen von einer „hochgradigen moralischen Depravation“, die „bei chronischen Cocainschnupfern unausbleiblich“ sei und bewerteten Kokainismus als schlimmer als Morphinismus: „Das Wort: ‚Der Morphinist kennt keine Scham’, gilt in erhöhtem Maße für den Cocainisten“ (Joël/Fränkel 1924: 51). Der Kokainist in seiner „ethischen Hemmungslosigkeit“ wurde auch von den späteren Fürsorgeärzten als ein am Rande der Gesellschaft stehender Mensch dargestellt. Ein Beispiel macht aber dennoch besonders deutlich, dass Joël und Fränkel sich von der Mehrzahl der am Diskurs Beteiligten unterschieden. Sie konstatierten: „Es ist geradezu erstaunlich, wieviel ehemalige Angehörige der Freikorps man unter den Berliner Cocainisten findet, wenigstens in den Kreisen, in welchen wir hauptsächlich unsere Studien gemacht haben“ (Joël/Fränkel 1924: 14f).
Auffällig ist, dass sie mit den Freikorps eine Gruppe in die Diskussion einbrachten, die in kommunistischen Kreisen ein Feindbild war482 – und dass die anderen (nach meinen Erkenntnissen im politischen Spektrum rechts von Joël und Fränkel stehenden) Akteure dieses Beispiel nicht aufgriffen, auch wenn sie sich sonst stark an den Aussagen der beiden Ärzte orientierten. Obwohl Der Cocainismus zu einem Standardwerk wurde, habe ich von Freikorps als Kokainisten an keiner anderen Stelle, weder in Zeitungen noch in Fachpublikationen oder auf der politischen Ebene, gelesen. Dieses Beispiel ist ein Indiz dafür, dass nur jene Ideen tradiert wurden, die den jeweiligen gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Diskutanten entsprachen.
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Die aus ehemaligen Frontsoldaten des Ersten Weltkriegs bestehenden Freikorps waren u.a. an der Niederschlagung kommunistischer Aufstände wie der Münchener Räterepublik beteiligt.
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3.3.2 Weitere stereotype Beschreibungen von Konsumenten 1923-1928 Wie es sich mit der in Tageszeitungen sowie in den Standardwerken von Lewin und Joël/Fränkel vorkommenden moralischen Abwertung von Konsumenten verhielt, untersucht der folgende Abschnitt. Mit Bezug auf französische Autoren präsentierte der Berliner Nervenarzt Kauffmann 1924 das Quartier Latin und Montmartre als „Krankheitsherde“ von denen „die Seuche sich explosionsartig über ganz Europa ausbreiten sollte“ (Kauffmann 1924: 393). „Meist handelte es sich um Künstler und Studenten sowie Halbweltdamen“, schrieb er zu Konsumenten – ob Informationen für das Deutsche Reich vorlägen oder ob dies dort ähnlich sei, diskutierte er allerdings nicht. Dies zeigt klar, dass ein direkter Transfer von Vorstellungen aus Frankreich stattgefunden hat, ohne dass zu Deutschland eigene Überlegungen oder Untersuchungen stattgefunden hätten. Weiter berichtete Kauffmann (1924: 395), Morphinisten hätten nach dem Krieg „förmliche Gemeinden“ gebildet und seien zu „psychischen Ansteckungsherden“ geworden. Auch seien Alkaloide „durch das berüchtigte ‚Loch im Westen’“ just „als im Lande die bürgerliche Ordnung sich wieder zu festigen begann“ eingeströmt, wobei französische Offiziere eine wichtige Rolle gespielt hätten. Dies sei ihm „von durchaus zuverlässiger Seite“ mitgeteilt worden, schrieb Kauffmann (1924: 396). Neben Frankreich sei eine weitere Quelle des Konsums das Ostheer gewesen. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass auch Mediziner, die sich mit Betäubungsmittelkonsum auseinandersetzten, die gesellschaftlichen Entwicklungen und Ereignisse der Zeit als Bedrohung der bürgerlichen Ordnung wahrnahmen und Betäubungsmittelkonsum in die Reihe dieser Phänomene einschrieben. Der Mediziner Arnold Kohfahl berichtete 1926 auf Grundlage von Materialien der Hamburger Polizeibehörde zum illegalen Verkehr mit „Rauschmitteln“: „Die Konsumenten sind meist arbeitsscheue Individuen beiderlei Geschlechts, außerdem die Halbwelt“ (Kohfahl 1926: 88).483 Prof. Dr. Hans W. Maier, Oberarzt an der psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli-Zürich, hatte sein viel zitiertes Buch Der Kokainismus in einem für seine Zeit sehr sachlichen Stil verfasst und vermied abwertende Formulierungen. Einen Zusammenhang von Betäubungsmitteln und der „Halbwelt“ stellte er aber dennoch her (Maier 1926: 250).484 Illberg (1926: 241) referierte meist distanziert, verbreitete aber ebenfalls interessante Details, hier zum illegalen Handel mit Kokain: 483
Dr. med. Arnold Kohfahl war Quarantänearzt in Cuxhaven. Maier referierte den damaligen Forschungsstand sehr ausführlich; wie erwähnt z.B. Glaserfelds Artikel (Maier 1926: 69f).
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„Kokain haben insbesondere Kellner, Damen der Demimonde, Artisten, Buchmacher, Friseure, Homosexuelle, oft recht jugendliche Elemente vertrieben, nicht nur in Cafés, Kneipen, Bordellen, auch in Privatgesellschaften, nachts auf Bahnhöfen und auf der Straße“.
In der mündlichen Aussprache zu den Referaten von Bonhoeffer und Illberg verknüpfte Cimbal Sexualität und Drogen (ohne herauszustellen, ob seine Ausführungen Illberg widersprechen sollten oder nicht): „Die vom Cocainismus ergriffenen Kreise entstammen der groß- und hafenstädtischen Lebewelt, besonders den Prostituiertenkreisen, den lesbischen und homosexuellen [sic] Schichten“ (Bonhoeffer/Illberg 1926: 325). Zu Heroinkonsumenten machte wiederum Arnold Kohfahl (1926: 88) detaillierte Aussagen: „Wir finden Heroinisten unter den Prostituierten, die sich durch den Heroingenuß in die für ihr Gewerbe nötige Gleichgültigkeit hineinzuversetzen suchen (…), ferner findet man Heroinisten unter Artisten zweiten Ranges, Berufsmusikern, Kellnern, kurz unter all den Berufen, die in Nachtlokalen ihr Brot verdienen. Vor allem aber sind es die Seeleute, die das Hauptkontingent an Heroinsüchtigen stellen“.
Der Jurist Fraeb485 und der Mediziner Paul Wolff486 veröffentlichten 1927 eine Monographie zur straf- und zivilrechtlichen Stellungnahme gegen den Rauschgiftmißbrauch. Die Synthese ihres mit Stereotypen geradezu überladenen Buches lautete: „Für den Kokainismus bildet vielfach das Halbweltmilieu den Ausgangspunkt. Die Kranken werden häufig selbst Rauschgifthändler im Kleinen. (…) Besonders häufig finden sich solche kleinen Kokainhändler unter Kellnern, Garderobenangestellten, Kaffeehausmusikern, Chauffeuren, der weiblichen wie der männlichen Prostitution“ (Fraeb/Wolff 1927: 87f).
Eine vergleichbare Darstellung lieferte Wolff (1927-1: 271)487: „Der psychische Habitus der Kokainisten ist von dem (…) der Morphinisten weit verschieden. (…) Der Kokainist gehört zwar auch in die große Gruppe der Psychopathen, aber es sind mehr renommistisch eingestellte, überhebliche, oft kriminelle, unstete Individuen, Müßiggänger, Bohémiens, Invertierte, Prostituierte (bei uns mehr männliche als weibliche, im Gegensatz zu Frankreich), Personal von Nachtlokalen u.s.f., übrigens zumeist in einer jüngeren Altersstufe als die Morphinisten.“
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Dr. Walter Martin Fraeb war Landgerichtsrat in Hanau. Dr. med et phil. Paul Wolff (* 28.02.1894 in Berlin) war habilitiert für Pharmakologie, Schriftleiter der Deutschen Medizinischen Wochenschrift, der Fortschritte der Therapie und Herausgeber des Reichsmedizinalkalenders sowie Schriftführer der Deutschen Arzneimittelkommission. Laut Peter Voswinckel (2002: VIII.b) wurde er 1933 von den Nationalsozialisten aus Berlin vertrieben, da er Jude war. 487 Renommistisch bedeutet angeberisch/prahlerisch. Diese Darstellung Wolffs wurde fast eins zu eins von Schendzielorz (1988: 59) übernommen. 486
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In einer von ihm erstellten Umfrage zu Betäubungsmitteln unter Medizinern konstatierte Paul Wolff schließlich: „Wir wissen ja, daß Morphin das Gift der Einsamen ist (…) während Kokain ein ausgesprochenes Geselligkeitsgift darstellt, das Rauschmittel der Kinoschauspieler, Jazzbandmusiker, der Pervertierten, endlich überhaupt aller derer, die eine Steigerung der Unterhaltung, eine Vermehrung des ‚Amusement’ usw. suchen“ (Wolff 1928-1: 350).
Auch ab Mitte und bis zum Ende der 1920er Jahre fanden sich also bei vielen Autoren abwertende Beschreibungen von Betäubungsmittelkonsumenten. Auffällig ist, wie detailliert die Aussagen inzwischen waren, wurden doch immer wieder ganz konkrete Personengruppen aufgezählt und als Konsumenten identifiziert – von Garderobenangestellten und Chauffeuren über Buchmacher bis zur „groß- und hafenstädtischen Lebewelt“ und jenen „Berufen, die in Nachtlokalen ihr Brot verdienen“. Dabei diskutierte keiner der Autoren, dass seine Kollegen ganz andere Kreise nannten als er selbst und letztendlich zeichneten die Aufzählungen in der Summe wahrscheinlich ein relativ genaues Bild: Betäubungsmittelkonsumenten waren anscheinend in den meisten gesellschaftlichen und beruflichen Gruppen zu finden. Festzuhalten ist allerdings, dass nie ausschließlich solche Gruppen angeführt wurden, die durch ihren Lebenswandel gesellschaftliche Normen repräsentierten. Sie wurden zwar erwähnt, aber nicht besonders hervorgehoben, denn der Fokus der Beschreibungen lag stets auf jenen Menschen, deren Verhalten als abweichend empfunden wurde. Das Zuschreibungsmuster blieb also ähnlich und es spielt gar nicht die Hauptrolle, welche Kreise genau als Konsumenten (oder Händler) bezeichnet wurden. Wichtiger ist hier, welches Bild sich aus den Zuschreibungen ablesen lässt: Über die Heterostereotype, mit denen der Betäubungsmittelkonsum verknüpft wurde, wird das Autostereotyp der Akteure deutlich (vgl. Bernhardt 1994: 21), denn auch wenn die meisten Autoren es nicht explizit aussprachen: Betäubungsmittelkonsum passte nicht in das Selbstbild der Akteure; es wurde als nicht akzeptables Verhalten dargestellt. Eva und Hans Hahn (2002: 31f) konstatieren: „Fast jedes Mal, wenn ein negatives Heterostereotyp benutzt wird, wird gleichzeitig das positive Autostereotyp mitgedacht. (…) Solche Gegensatzpaare brauchen meist nicht verbal ausgeführt zu werden; sie stellen sich von selbst ein, denn der Andere wird nur stereotyp geschildert, um sich auf diesem Wege selbst zu definieren.“
Die gesellschaftliche erwünschte Norm wurde also durch das definiert, was als nicht erwünscht, als abweichend, definiert wurde. Dabei verstießen Betäubungsmittelkonsumenten einerseits gegen die Normen der durch die protestantische Ethik geprägten kapitalistischen Gesellschaft, die
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den Trinker „als krank definiert, weil er nicht der Norm dieser Gesellschaft entspricht: Produktivität, Funktionalität und Erfolg sind sowohl im Calvinismus als auch im Kapitalismus Schlüsselbegriffe“, wie Frank Nolte (2007: 53) in Anlehnung an Max Weber (1991) konstatiert. Ähnliches betont Spode (1993: 146) bezüglich des Alkohols: „Im Prozeß der Zivilisation wird Trunkenheit zum Atavismus. Der Trinker versündigt sich gegen die protestantische Ethik und die rationalistische gleichermaßen. (…) Gemeinsam mit dem Verbrecher und dem Wahnsinnigen, deren Krankheit – wie Michel Foucault beredet dargelegt hat – in der Abweichung von der Normalität besteht, wird er zum ‚pathologisierten Subjekt‘.“
Drogenkonsum schien bürgerliche Werte und Tugenden zu negieren, denn durch ihn schien das Arbeits- und Leistungsethos bedroht und rationale Lebensplanung ebenso unmöglich wie akribische Pflichterfüllung, Leistungsbereitschaft und (moralische) Disziplin. Auch mit der neubürgerlichen Körperkultur der 1920er Jahre war der hedonistische Konsum von Betäubungsmitteln nicht vereinbar.488 Es ging aber nicht nur um eine Bedrohung bürgerlicher Werte, denn auch für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg galt: „Drug use (…) seemed to threaten conventional notions of a Western lifestyle and morality. (…) Especially in London, deep-rooted fears about the casual way of life resurfaced” (Weinhauer 2005: 195f). Gerrit Kamphausen (2009: 86; vgl. Spode 1993: 254f) betont, dass nicht nur bürgerliche Werte, sondern auch jene der Arbeiterklasse durch den Betäubungsmittelkonsum negiert wurden: „Die proletarisch-sozialistische Ethik ist in Bezug auf Alkohol- und Drogengebrauch von der protestantisch-kapitalistischen nicht so sehr verschieden. Die jeweiligen Gesellschaftsformen haben beide denselben Bedarf an möglichst zivilisierten und disziplinierten, d.h. auch nichtberauschten, Individuen.“
All dies zeigt, dass sich hier eine Parallele zur stereotypenbehafteten Kolonialtruppendiskussion im Ersten Weltkrieg ziehen lässt. Für diese hat Koller (20011: 374) nachgewiesen, dass die „grundlegenden Auffassungen von fast dem gesamten politischen und intellektuellen Spektrum getragen wurden.“ Die beiden Beispiele der kollektiven Abwertung bestätigen, dass die Weimarer Republik keineswegs in allen Bereichen eine „zerrissene Gesellschaft“ war, wie auch Mergel (2002: 13) betont. Dass es für die Bewertung des Verhaltens einen entscheidenden Unterschied machte, wer als Drogenkonsument galt, drückte Steimann (1927: 719) ungewöhnlich deutlich aus: Vor dem Ersten Weltkrieg seien es „fast durchweg (…) 488
Als Zusammenfassung der umfangreichen Forschungsliteratur zu Lebenswelt und Kultur des Bürgertums sei auf Schulz (2005) verwiesen.
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Angehörige der gehobenen, gebildeten Stände“ gewesen. „Man war da eher zum Verstehen und mehr noch zum Verzeihen bereit.“ Keinerlei Verständnis brachte er allerdings Soldaten entgegen, deren Morphinismus als Kriegsbeschädigung anerkannt wurde, die aber möglicherweise einen Teil des staatlich finanzierten Morphiums weiterverkauften. Diese bezeichnet der Arzt als „eine Gruppe minderwertiger Menschen“ (Steimann 1927: 720). Eine solch radikale Abwertung hatten wir bereits bei Kahn (1920) angetroffen und sie stellten (auch in der Folgezeit; vgl. Kapitel 4.4) keine Ausnahme dar. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass auch für die Bewertung der Experten entscheidend war, wer Betäubungsmittel konsumierte (bzw. wem dieser Konsum zugeschrieben wurde). Der Wandel in der Bewertung und die zunehmende Problematisierung mag also zu weiten Teilen darin begründet gewesen sein, dass seit dem Weltkrieg weniger „Angehörige der gehobenen, gebildeten Stände“ (Steimann 1927: 719), sondern v.a. marginalisierte Gruppen und deviante Personen mit Betäubungsmittelkonsum assoziiert wurden. Auffällig sind die moralisch abwertenden Bemerkungen zu Drogen und ihrem Konsum auch, weil – wie etwa in der Einleitung des Haager Abkommens postuliert – der Kampf gegen Betäubungsmittel von den Zeitgenossen als „humanitäres Bestreben“ verstanden wurde. Er werde „aus Gründen der Menschlichkeit“ geführt, schrieb z.B. Dr. Büchner (1924: 388) im Weltwirtschaftlichen Archiv. Die Akteure gaben also vor, aus humanitären Gründen zu handeln. Jene Beteiligten (unter den Ärzten besonders Joël und Fränkel) waren ihrem Selbstverständnis nach der Kategorie der „Advokaten“ (Schetsche 2008: 89-91) zuzurechnen, die sich stellvertretend für die Betroffenen engagierten. Die Mediziner hatten außerdem „im Rahmen einer spezifischen Ausbildung Kompetenzen auf Arbeitsfeldern erworben“, die unmittelbar mit der behandelten Frage in Verbindung standen (Schetsche 2008: 92), weshalb sie auch als „Experten“ im Sinne der von Schetsche vorgestellten idealtypischen Akteure gelten können. Klar abzugrenzen ist die Zuordnung zu den Akteurstypen Advokaten oder Experten allerdings nicht – und angesichts der wissenschaftlich unzuverlässigen Methoden ist zu sagen, dass der positiv wertende Begriff der Experten auf die beteiligten Diskutanten nicht unmittelbar zutraf. Auch wenn bei den Medizinern mangels Quellen i.d.R. nicht dezidiert erörtert werden kann, welche spezifischen Ziele sie in Drogenfragen verfolgten, so kann doch konstatiert werden, dass auch ihr berufsständisches Eigeninteresse eine Rolle spielte (vgl. Schetsche 2008: 93). Durch seine Beteiligung an der Debatte um Betäubungsmittel besetzte der aufstrebende Stand ein weiteres Arbeitsfeld und grenzte sich darüber hinaus von den Drogisten und Apothekern ab. In diesem Sinne kann das Engagement der Ärzte als Professionalisierungsstrategie verstanden werden (vgl. Müller 2004: 20; Woelk/Vögele 2002: 23).
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3.3.3 Widersprechende Aussagen wurden ausgeblendet und abweichende Meinungen konnten keinen entscheidenden Einfluss erlangen Jacob konstatierte 1925 in seiner auf Krankenakten basierenden Untersuchung, „daß der Morphinismus in den handarbeitenden Schichten nach dem Kriege verhängnisvoll um sich gegriffen hat“ (Jacob 1925: 225, vgl. Kapitel 1.1). „Der soziale Typ freilich, aus dem sich nach Joël und Fränkel vorwiegend die Cocainisten rekrutieren: ‚die Gruppen, die dem geregelten Berufsleben ferner stehen’, z.B. Bohémiens, Prostituierte, Söldner, Kellner, Filmstatisten (…) ist bei unseren Nachkriegmorphinisten nicht ganz so häufig zu treffen. 4 unserer [insgesamt 86; AH] Fälle ließen sich so einrangieren, es sind 2 Kaffeehausmusiker und 2 Leute, die ohne geregelte Arbeit nur vom Schleichhandel lebten“ (Jacob 1925: 229).489
Seine Untersuchung lieferte als eine der wenigen statistisch verlässliche Informationen zum beruflichen bzw. gesellschaftlichen Hintergrund der Konsumenten – und widersprach dabei deutlich den damals gängigen Vorstellungen, denn unter 5 % der Grafenberger Patienten fielen unter „die Gruppen, die dem geregelten Berufsleben ferner stehen“, wie es Jacob in Anlehnung an Joël und Fränkel formulierte. Seine Ergebnisse korrespondierten mit jenen Levinsteins aus dem Jahr 1879, die er ebenfall referierte: Die meisten Betroffenen seien Ärzte oder Offiziere gewesen; fast die Hälfte der 110 Personen waren in Gesundheitsberufen Tätige bzw. deren Angehörige. Levinstein sprach laut Jacob (1925: 215) von einer „Krankheit der gebildeten und ‚besseren’ Kreise“. Die Dissertation Jacobs löste nach meinen Erkenntnissen keine Reflektion des Bildes von Betäubungsmittelkonsumenten aus. Weiterhin war es üblich, v.a. den genussorientierten Gebrauch marginalisierter Gruppen hervorzuheben und zu problematisieren, den von etablierten Kreisen hingegen nur am Rande zu behandeln. So wiederholte Joël 1928 seine explizit von Jacob kritisierte Aufstellung fast eins zu eins – lediglich die Söldner nannte er aus nicht näher genannten Gründen in seinen Ausführungen nicht mehr (Joël 1928: 63). Ob nun Joël und Fränkel hervorhoben, dass manche Menschen Kokain kontrolliert konsumierten490 oder Jacob in seiner Studie nicht auf die erwartete Sozialstruktur stieß. – Derartige Ergebnisse, die den gängigen Vorstellungen widersprachen, konnten keinen entscheidenden Einfluss auf den Diskurs erlangen. 489
Jacob bezog sich auf Joël und Fränkel (1924). Auch Bonhoeffer (1926: 230) nannte übrigens „Gelegenheitsschnupfer“, welche sich der Behandlung (und damit der Erfassung) entziehen würden. Der Mediziner Klemperer brachte in die Aussprache nach Joëls Referat Fälle zweier Ärzte ein, die ohne Beeinträchtigung „ihre Leidenschaft in Schranken halten“ und sich durch Kokain nach eigenen Angaben „das Leben verschönern“ würden (Joël 1923: 259). Diese Hinweise auf kontrollierten Konsum bildeten im damaligen Drogendiskurs aber die absolute Ausnahme. 490
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Der Wahrnehmungskokon der Zeitgenossen war bereits Ende der 1920er Jahre so weit verfestigt, dass solche Hinweise wirkungslos blieben, obwohl sie aus den wenigen wissenschaftlich zumindest einigermaßen verlässlichen Untersuchungen hervorgingen. Ähnlich verhielt es sich mit Aussagen von Karl Bonhoeffer, der in seinem Vortrag „über die Verbreitung und Bekämpfung des Morphinismus und Kokainismus“, den er im September 1925 auf der Tagung des Deutschen Vereins für Psychiatrie in Kassel hielt, hervorhob: „Alles in allem sehen wir eine deutliche Zunahme des Narkotismus, der im Interesse der Volksgesundheit unsere Aufmerksamkeit erfordert, aber die Sachlage gibt noch keineswegs Anlaß, in dem Umfange des Mißbrauchs schon jetzt den Beginn einer Verseuchung unseres Volkes, insbesondere unserer Jugend, zu erblicken“ (Bonhoeffer 1926: 236).
In der Aussprache zu seinem Referat diskutierte keiner der Kollegen diese der gängigen Einschätzung widersprechende These (Bonhoeffer/Ilberg 1926). Ferner verkürzte die DMW das Referat in ihrem Resümee extrem, verfälschte v.a. die Aussagen bzgl. Kokainismus und unterschlug die relativierenden Elemente vollständig (Bostroem 1925). Auch Maier (1926: 83) fasste die Thesen zusammen, blendete aber die von Bonhoeffer wiederholt angeführten Einschränkungen aus. Bonhoeffer wurde in den Folgejahren häufig zitiert und seine Aussagen als Beleg für die Zunahme des Betäubungsmittelkonsums verwendet, der Vortrag wurde in mehreren Artikeln wiedergegeben.491 Seine relativierenden Ansichten konnten den Diskurs aber nicht mehr entscheidend beeinflussen. 3.3.4 Ausdifferenzierung der Wahrnehmung und ambivalente Interpretationen: Kriminalität, Degeneration und Mitleid In Publikationen aus dem juristischen Kontext wurde Betäubungsmittelkonsum weiterhin unmittelbar mit Kriminalität verknüpft. Walter Fraeb schrieb: „Der Mißbrauch von Rauschgiften der verschiedensten Art steht in engster Beziehung zu der Häufigkeit und der Art der Verbrechen. Ein erheblicher Teil aller Straftaten wird unter der unmittelbaren Einwirkung von Rauschgiften begangen“ (Fraeb/Wolff 1927: 14).
Sein Co-Autor, der Mediziner Paul Wolff, meinte zur selben Frage: „Entsprechend dem geschilderten Ausfall von Hemmungen und der Ausschaltung der Überlegung ist der Kokainist oft zu Triebhandlungen befähigt; so gilt auch der kokainistische
491 Bostroem (1925); der komplette Vortrag erschien in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie: Bonhoeffer (1926); eine Kurzfassung sowie die Wiedergabe der sich dem Referat anschließenden Diskussion in bei Bonhoeffer/Illberg (1926). Auch Jacob (1925) zitierte Bonhoeffer.
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Verbrecher in kriminalistischen Kreisen als gefährlich, er ist besonders schnell mit der Waffe bei der Hand“ (Fraeb/Wolff 1927: 37).
Im Jahr zuvor hatte auch Maier (1926: 253) auf die besondere Bedeutung der „Kriminalität der Kokainisten“ verwiesen. Hier wurde – schärfer als bisher – eine Verknüpfung von Kriminalität und Kokainkonsum betrieben (und damit weiterhin zwischen den Substanzen Morphin und Kokain differenziert). Maier ergänzte: Es komme zu Gewalttätigkeiten im Rausch und Verabreichung der Substanz an Frauen, um diese bei sexuellen Übergriffen wehrlos zu machen. Einbrüche und Raubüberfälle zur Beschaffung des Kokains seien „nichts Seltenes“. Hingegen fanden sich Ende der 1920er Jahre in der Fachpresse auch mitleidsvollere Bewertungen der Konsumenten; Mediziner betrachteten das Phänomen unter dem Gesichtspunkt der Krankheit, mithin differenzierte sich die Wahrnehmung und Bewertung des Betäubungsmittelkonsums in diesem Zeitraum aus. So betonte etwa Ernst Joël (1928: 11): „Der Unterschied zwischen dem Süchtigen und dem sogenannten Normalen ist kein wesentlicher, sondern ein gradmäßiger, wenn auch oft von gewaltigem Ausmaß.“ Bei ihm klangen Ende der 1920er Jahre exkulpierende Töne an: „Der Giftsüchtige ist ein Mensch, der an einem Mißverhältnis zwischen Welt und Ich krankt“. Als „Menschen mit einem irgendwo verborgenen Defekt“ beschrieb er Konsumenten in einer Publikation mit Fränkel und weiter als „Typen mit starken Insuffizienzgefühlen, (…) die an sich und am Leben leiden“ (Joël/Fränkel 1928). Sie betonten (wie auch schon 1925), die „Alkaloidsuchten“ seien „Sache der Ärzte und nicht der Polizei“ und sprachen sich „gegen jede Form autoritativen Zwanges“ aus: „Jeder hat das Recht über sich selbst, solange die Rechte anderer nicht gefährdet werden“, postulierten sie und leiteten hieraus ein „Recht auf Morphinismus“ ab. Auch wenn sie selbst 1921 zu den ersten gehört hätten, die von den „Mißständen im Betäubungsmittelwesen“ gesprochen hätten, hoben sie doch die „unerwünschte Nebenwirkung“ ihres Tuns hervor und kritisierten die aktuelle Rechtslage mit dem Verbot der Erhaltungstherapie: „[S]o sind Morphinismus, Cocainismus usw. an sich zu illegalen Zuständen geworden, zu Krankheiten, die eigentlich verboten sind.“ Dabei sei Entzug vom medizinischen Standpunkt her keineswegs immer sinnvoll und ziehe außerdem allzu oft eine berufliche und „soziale Schädigung des Kranken“ nach sich. M.E zeigt diese Darstellung den fürsorgerischen und kommunistischen Hintergrund der beiden Ärzte besonders deutlich, denn im Gegensatz zu anderen Medizinern, die die Drogengebraucher teils auf das Schärfste abwerteten, hoben Joël und Fränkel ihr Mitgefühl hervor und betonten ein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auch für Betäubungsmittelkonsumenten. Einig waren sich Joël und Fränkel aber mit ihren Zeitgenossen in der negativen Bewertung
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des Konsums. Es war ein konsensualer Sachverhalt der hier untersuchten Diskussion, dass der außermedizinische Konsum von Drogen zu verurteilen sei. Mitgefühl deutete sich auch bei Paul Wolff (1927-2: 2173) an: „Der Süchtige ist ein kranker Mensch“, schrieb er und in einem anderen Text hieß es, „daß im Stadium der Sucht eine Krankheit vorliegt, und daß man diese Menschen nicht etwa wie Böswillige behandeln darf“ (Fraeb/Wolff 1927: 46).492 Die Interpretation des Kokainismus und Morphinismus als Krankheit war allerdings nicht weit von einer anderen Lesart entfernt, denn Wolffs Haltung war sehr ambivalent, wie folgendes Zitat zeigt: „Meist sind es ja Degenerierte, (…) trotzdem sollen aber diese Personen nicht etwa im Werturteil von vornherein diskreditiert werden. Es gibt genug wertvolle Persönlichkeiten unter ihnen.“ (Fraeb/Wolff 1927: 29).
Einerseits hielt Wolff die Konsumenten also für degeneriert (bzw. für potenziell extrem gefährliche Verbrecher, wie wir oben gesehen haben), andererseits wollte er nicht abstreiten, dass viele von ihnen „Spitzenleistungen“ brächten (Fraeb/Wolff 1927: 29).493 Das Szenario der Degeneration als Ursache oder Wirkung von Betäubungsmittelkonsum tauchte Ende der 1920er Jahre wiederholt bei Experten auf, auch wenn aus den Ausführungen nicht präzise hervorgeht, was im Bezug auf Drogen genau darunter zu verstehen sei: „Es wird immer wieder betont (…), daß es sich gerade bei den Kokainisten um haltlose, psychopathische, degenerierte Individuen handelt“, schrieb Wolff weiter. Später bezeichnete er Kokainkonsumenten als „Dégénéré-Typen“, ohne dass die Leser erfahren, was er darunter verstand (Wolff 1928-1: 266). In seinem Referat beim Deutschen Ärztetag in Danzig 1928494 transportierte außerdem Professor Gaupp495 aus Tübingen nicht nur Vorstellungen abwertender und rassistischer Natur, sondern beschrieb den Kokain-Konsumenten auch als „Degenerierten“. Degeneration als Problemdimension des Betäubungsmittelkonsums war demnach Ende der 1920er Jahre eine relevante Größe in der Diskussion. 492
„Krankheit“ bzw. „kranker“ wurden hier durch Sperrung besonders hervorgehoben. Auch Reuband (1999: 330) betont, dass Betäubungsmittelkonsumenten heute gleichzeitig als Täter und als Opfer wahrgenommen werden und dass die gesellschaftliche Reaktion zwischen strafrechtlichen und therapeutischen Reaktionen schwankt. 494 47. Deutscher Ärztetag in Danzig. Vgl. stenographischer Bericht zum Ärztetag im Aerztlichen Vereinsblatt, 21.08.1928, S. 66-79. Das Referat und die anschließende Diskussion zitiere ich als Gaupp (1928). 495 Robert Eugen Gaupp (* 03.10.1870 in Neuenbürg, † 30.08.1953 in Stuttgart) war Psychiater und Neurologe und von 1916 bis 1936 Leiter der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Tübingen. Er gehörte in der Weimarer Republik dem Vorstand der Gesellschaft für Rassenhygiene an und befürwortete die Zwangssterilisierung (Schott/Tölle von Beck 2005: 141; 182; 225). 493
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Dies und der Punkt, dass der Schutz der Volksgesundheit bereits 1920 in die Begründung des Opiumkontrollgesetzes eingeschrieben wurde, zeigt, dass folgende These Holzers nicht zutrifft: Er schreibt, der Nationalsozialismus habe „aus dem rassenhygienisch fundierten Schutz der Volksgesundheit seine Legitimität für drogenpolitische Maßnahmen“ geschöpft und das Jahr 1933 habe „auch drogenpolitisch eine tiefe Zäsur“ dargestellt, wohingegen die bundesdeutsche Drogenpolitik eine Weiterführung der nationalsozialistischen unter dem Label Volksgesundheit gewesen sei (Holzer 2007: 27; 31). Mit der „neuen, nationalsozialistischen Drogenpolitik“ sei eine „autoritative Zuweisung von Werten“ verbunden gewesen (Holzer 2007: 27). M.E. waren die Veränderungen im Umgang mit Drogen und ihren Konsumenten in der Zeit nach 1933 auch auf ideologischer Ebene deutlich weniger „radikal“, als Holzer (2007: 26; 66) konstatiert. Hier konnte vielmehr gezeigt werden, dass die Verknüpfung von Betäubungsmittelkonsum und Degeneration durch Ärzte auf Kontinuitäten seit der Weimarer Republik zurückging.496 Ähnlich wie „[h]abituelle Trinker“ wurden Betäubungsmittelkonsumenten „als kranke und degenerierte Menschen verstanden“ (Becker 2002: 354).497 Weindling (1995: 134) weist auf die wachsende Bedeutung von Gesundheit, sozialer Hygiene sowie Lehren zur Degeneration und Eugenik im gesellschaftlichen Diskurs nach dem Ersten Weltkrieg hin. Setzt man die verbreitete Vorstellung der Proselytenmacherei498 mit den (weniger häufig geäußerten) Ideen einer Degeneration durch Betäubungsmittelkonsum in Verbindung, wird das Bedrohungsempfinden der Zeitgenossen nachvollziehbar, wurde so doch aus dem Konsum von Individuen eine „Volk“ und „Rasse“ gefährdende Tat. 496
Anzumerken ist ferner, dass eine Verknüpfung von Betäubungsmitteln und Degenerationstheorien nicht nur älter war, als von Holzer angenommen, sondern außerdem nicht auf Deutschland beschränkt blieb: Laut Yvorel (1992: 11) nahm die Morphiomanie bereits in den 1870er Jahren einen Platz an der Seite des Alkoholismus, der Tuberkulose und der Syphilis im Zug der „périls sociaux“, die die Rasse mit Degeneration bedroht hätten, ein. Im Frankreich der Zwischenkriegszeit sah man Betäubungsmittelkonsum als „cause et conséquence de dégénérescence“ (Retaillaud-Bajac 2000: 221). Yvorel (1992: 80-85) zeigt, dass bereits Bénédict Augustin Morel Betäubungsmittel als wichtige Ursache für Degeneration beschrieb. Das von Igor Charras (1998-1: 378) angeführte Beispiel des französischen Radikalsozialisten Emile Goy belegt außerdem, dass die Verknüpfung von Drogen und Degeneration auch außerhalb Deutschlands nicht auf die politisch Rechte beschränkt war. Zur Bedeutung von Degenrationstheorien im Diskurs um Kokain in Großbritannien ähnlich Kohn (2001: 101; 108). 497 Hier sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Zeitgenossen meist keine Unterscheidung zwischen habituellem und gelegentlichem Konsum von Opiaten und Kokain machten. Mehr zu Degenerationstheorien im kriminologischen Diskurs bei Galassi (2004: 132ff). 498 Auch Maier (1926: 253) ging beispielsweise vom Szenario der Proselytenmacherei aus und schrieb, „daß jeder Kokainist selbst eine gefährliche Infektionsquelle darstellt“. Dieses Charakteristikum sei „der große Unterschied“ zum Morphinismus und in ihm liege „die erhöhte Gefährlichkeit“ des Kokainismus begründet (Maier 1926: 251).
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3.3.5 Festschreiben der fachlichen Meinung: Der deutsche Ärztetag 1928 in Danzig Dass es sich bei den hier vorgestellten Aussagen in der deutschen Ärzteschaft keineswegs um die Meinung einer radikalen Minderheit handelte, wird – zum einen – bei einem näheren Blick auf die Beteiligten deutlich. Mit Joël und Fränkel waren zwei der wichtigsten deutschen Betäubungsmittel-Experten unter den Autoren; die Diskussion in Fachzeitschriften prägte insbesondere Paul Wolff, der außerdem Schriftleiter der DMW war und Deutschland international in Betäubungsmittelfragen vertrat (Hoffmann 2005); andere Autoren führten Professoren-Titel. Könnten die Aussagen trotz dieser Referenzen theoretisch noch als Einzelmeinungen interpretiert werden, so erhielten abwertende Einschätzungen – zum anderen – 1928 eine der höchstmöglichen Weihen: Auf dem Deutschen Ärztetag in Danzig hielt Prof. Dr. Gaupp aus Tübingen ein ausführliches Referat, in dem stereotype Vorstellungen abwertender und – was neu war – rassistischer Natur transportiert wurden.499 Der Ärztetag ist die Hauptversammlung der Bundesärztekammer, hatte also große Definitionsmacht. Im „‚Parlament der Ärzteschaft’“500 wurde 1928 erstmals in solch bedeutendem Rahmen über Betäubungsmittelfragen diskutiert. Folgt man den Ausführungen Paul Wolffs, erhielten sie enorme Aufmerksamkeit: „über die Grenzen Deutschlands hinaus sieht die Welt soweit sie unter dem gleichen Uebel leidet und soweit sie überhaupt an den Alkaloidsuchten interessiert ist, auf diese Erörterungen“ (Gaupp 1928: 79).
Im Vorfeld der Veranstaltung hatte Prof. Dr. med. Rost im Ärztlichen Vereinsblatt für Deutschland vorläufige Leitsätze zum Umgang mit Betäubungsmitteln veröffentlicht, welche in Danzig angenommen wurden (Rost 1928). Rost ist uns bereits mehrmals als Geheimer Regierungsrat im Reichsgesundheitsamt begegnet – wir sehen also, dass die Behörde erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung der Ärzteschaft nahm, der Verstärkerkreislauf funktionierte hier also wechselseitig. Gaupp (1928: 68) referierte, nach dem Krieg seien Betäubungsmittel in „falsche Hände“ geraten und „allerlei degenerativen Elementen“ sei der „Weg zu schädlichem Einfluß“ geebnet worden. In den Großstädten und dem besetzen Gebiet sei durch das „‚Loch im Westen’, wo sich auch französische Offiziere am Kokainhandel rege beteiligten“ der „immer frecher sich zeigende Schleichhandel“ gewachsen. 499
Zur Dimension von Rassismus und Betäubungsmittelkonsum s. Kapitel 4.3. Als solches wird der Ärztetag heute von der Bundesärztekammer (08.04.2009).
500
bezeichnet.
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„Der Zusammenstrom von entwurzelten Massen verschiedener Nationen, namentlich auch die aus dem Osten kommende Flut fremdstämmiger Elemente, schuf in Berlin und in den Hafenstädten in lebensgierigen Kreisen mit suggestiver Kraft den Schnupfkokainismus, den Deutschland vor dem Kriege überhaupt kaum gekannt hatte.“
Ab 1918 habe sich „in Berlin und anderen Großstädten“ Kokainismus „breit gemacht“, referierte Gaupp, und zwar als „eine Seuche im Sumpfe der Großstadtentartung“: „[Die] Teilnehmer an dieser Erscheinung fanden sich namentlich unter den sozial Gescheiterten, den Prostituierten und Zuhältern, den sexuell Abnormen, namentlich den Homosexuellen, den gefälligen Lieferanten in Pennen und Kaschemmen.“ 501
Auch Ärzte seien unter den Konsumenten, aber diese rechnete Gaupp (1928: 69) unabhängig von der eingenommenen Substanz einer Gruppe zu, die „nach Lebensalter, geistiger und moralischer Struktur und nach der Art, mit der sie dem Mißbrauch frönen“ von den eigentlichen Kokainkonsumenten verschieden seien. Gaupp stellte den Morphinisten, bei denen „sehr häufig eine weiche Stimmung, ein lebhaft empfundenes Insuffizienzgefühl, ein Leiden am Leben eine ursächliche Rolle“ des Konsums spielten, den Kokainkonsumenten entgegen, bei dem es sich um „in der Regel einen genusssüchtigen, den Glücksrausch liebenden, sexuell anregungsbedürftigen Degenerierten [handelt], den nicht die Qualen einer Abstinenz, sondern das immer wieder erwachende Verlangen nach dem Genuß und dem Rausch zum gewohnheitsmäßigen Kokainschnupfer macht.“
Auch wenn die Wirkung der Substanzen sich ähnele, so sei doch „die Geistesart der meisten derzeitigen Kokainschnupfer von den Opfern der Morphiumsucht“ verschieden. Später betonte Gaupp in Bezug auf „eingehende sozialmedizinische Studien“ erneut die „enge Verbindung [des Kokainismus; AH] mit der Prostitution und Homosexualität, seine Einwirkung auf die sexuelle Triebwelt dieser haltlosen Genußsüchtigen, seine nahen Beziehungen zu manchen Formen der Kriminalität in allen ihren Schattierungen.“
Trotz von ihm erwähnter Studien musste Gaupps aber eingestehen, dass zuverlässiges Material nicht zur Verfügung stand: „Eine brauchbare Statistik darüber gibt es naturgemäß nicht, aber die Ausdehnung des Uebels war [sic!] groß und
501
Interessant ist, dass Gaupps Formulierung, gerade die „sozial Gescheiterten“ würden zu den Betäubungsmittelkonsumenten gehören, in der Druckfassung durch Sperrung besonders hervorgehoben ist. Demnach sollte dieser Aspekt entweder von Gaupp selbst oder von Seiten des Ärztlichen Vereinsblatts betont werden.
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bedrohlich.“ Von seinen teils radikal abwertenden Thesen hielt ihn die problematische Quellenlage allerdings nicht ab. Wie wir gesehen haben, spiegelten Gaupps Thesen die Meinung zahlreicher anderer Ärzte und weiterer Experten wider. Besonders deutlich wird die bereits etablierte Assoziation von Betäubungsmittelkonsum und abweichendem Verhalten; wie viele seiner Kollegen verknüpfte er Drogen mit Prostitution, Homosexualität, sozialem Scheitern und Haltlosigkeit. Als programmatisch bewerte ich seine deutliche Differenzierung zwischen Morphinismus und Kokainismus – zwischen Konsum, der zwar eine Schwäche darstelle, aber tolerierbar sei und abweichendem Verhalten, das nah an der Kriminalität (wenn nicht gar kriminell) sei. Gaupp betonte die verbreitete Unterscheidung dieser beiden Konsumformen und Konsumentengruppen besonders, was ihm und seinen Zuhörern, der deutschen Ärzteschaft, ermöglichte, manchen Drogengebrauchern (wie anzunehmen ist wohl v.a. ihresgleichen) mitleidig bis kritisch, anderen aber mit heftigster Ablehnung entgegenzutreten. An Gaupps Referat wurde der fließende Übergang zwischen moralisierender Abwertung und fachlicher Auseinandersetzung aus medizinischer und juristischer Perspektive besonders deutlich. Zwar machten die hier zitierten Ausführungen nur einen kleinen Teil von Gaupps Referat zu Betäubungsmitteln aus, sie zeigten aber dennoch, dass abwertende Vorstellungen hinsichtlich der Substanzen und ihrer Konsumenten Ende der 1920er Jahre unter Medizinern auf breitester Basis etabliert waren: Sie wurden in einem höchst bedeutenden Kontext referiert und blieben in der anschließenden Diskussion unwidersprochen.502 3.3.6 Weiterhin keine Verwissenschaftlichung Gaupp wies auf den Mangel an zuverlässigem Material zum Betäubungsmittelkonsum hin, was uns zum Schluss dieses Kapitels noch einmal der Frage zuführt, auf welcher Basis die Autoren ihre zunehmend radikalen Abwertungen aufbauten. Interessant ist beispielsweise das Vorgehen Arnold Kohlfahls (1926), der sich auf Akten der Hamburger Polizeibehörde stützte. Denn auch wenn die ihm zur Verfügung stehenden Materialien sicher verlässlich waren, so bleibt doch vollkommen offen, wie Kohlfahl (1926: 88) aufgrund der Polizeiunterlagen die Arbeitswilligkeit der Konsumenten beurteilt haben mag und zu der Charakterisierung kam, diese seien „arbeitsscheue Individuen“.
502
Ebenso wenig sind im stenographischen Protokoll der Diskussion negative Zwischenrufe vermerkt (Gaupp 1928: 76-79).
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Ähnlich unzulässig scheinen die o.g. Schlussfolgerungen anderer Autoren: Selbst wenn Paul Wolff (bzw. einer der auf seine Umfrage antwortenden Ärzte) einen konsumierenden Jazzbandmusiker kannte, Prostituierte in der Fürsorgeeinrichtung von Joël und Fränkel Hilfe suchten oder polizeilich bekannte Personen auch im Kontext Betäubungsmittel auffällig wurden – die Resümees und Generalisierungen der Mediziner waren häufig problematisch und entbehrten einer soliden Grundlage. Wie in den Vorjahren Glaserfeld oder von Treuenfels im Reichstag, leiteten die Wissenschaftler von Einzelfällen verallgemeinerte Thesen ab und so wurde auch hier die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums durch besonders exponierte Beispiele geprägt. Im Fokus standen nicht die durchschnittlichen Gebraucher und so wurde Betäubungsmittelkonsum in der Tat meist nur dann zu einem Marginalisierungsfaktor, wenn er zu anderen als abweichend definierten Verhaltensweisen hinzukam. Trotz der Professionalisierung der Auseinandersetzung, die wir in den umfassenden Untersuchungen erkennen können, war die Quellengrundlage einiger Fachpublikationen weiterhin unsolide. Beispielsweise wertete Fraeb in seiner Monographie Tagezeitungen aus: „Zur eindringlichen Begründung der aufgestellten Forderungen [habe er; AH] eine Reihe von Fällen ‚aus dem Leben’ nach Zeitungsnachrichten wiedergegeben; auch hieraus soll man ersehen, wie notwenig eine schärfere juristische Erfassung der Rauschgiftmißbrauchs ist“ (Fraeb/Wolff 1927: 3).
Geradezu erstaunlich waren allerdings die Quellen des Polizeipräsidenten Sirks aus Rotterdam, auf die er in seinem in der deutschen Zeitschrift für die gesamte Kriminalistische Wissenschaft und Praxis veröffentlichten Artikel „Die Polizei und die Rauschgiftfrage“ hinwies. Sirks (1931: 6) schrieb: „aus dem Buch von Ashbury, ‚The Gangs of New York’, ergibt sich, daß 90 % der ‚Duster’ dem Kokain ergeben sind.“ Ferner berichtete er von jungen Frauen, die Rauschgifte konsumieren müssten, um „trotz körperlicher Schwäche (…) Gewalttaten in der Weise durchführen zu können, wie sie in der Presse wiedergegeben werden.“ Der Polizeipräsident verwendete einen fiktionalen Roman als Grundlage für statistische Behauptungen über die Verbreitung des Kokainkonsums sowie Tageszeitungen als weitere Quelle. Sirks veröffentlichte diese Aussagen unter Nennung seines Polizeipräsidententitels in einer Fachzeitschrift, also an einem prominenten Platz im wissenschaftlichen Kontext und unter Verweis auf sein kulturelles Kapital. Zusammenfassend können wir konstatieren, dass in der vorgestellten Phase von 1923 bis Ende der 1920er Jahre unter Ärzten das Interesse für die Frage der Betäubungsmittel und ihre Verbreitung in Deutschland sowie die Bewertung des
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Phänomens ihren Höhepunkt im Untersuchungszeitraum erreichte. Der Schwerpunkt lag auf dem Kokainismus, die meisten und wichtigsten Publikationen erschienen zwischen 1924 und ca. 1928. Dabei wurden die abwertenden Zuschreibungen der Vorjahre bis Ende der 1920er Jahre ausdrücklicher, der Diskurs verschärfte sich und erhielt teilweise eine degenerationstheoretische und auch rassistische Dimension. Die diffusen Zuschreibungen, denen wir in den Presseberichten der frühen Jahre begegnet sind, verschwanden. Neben den präziser und radikaler abwertenden Äußerungen entwickelte sich aber auch ein zunehmend mitfühlender Blick auf die Konsumenten, und die Perspektive von Betäubungsmittelkonsum als Krankheit gewann Ende der 1920er Jahre an Bedeutung. Mithin differenzierte sich die Wahrnehmung und Bewertung des Betäubungsmittelkonsums in diesem Zeitraum aus – sowohl in Richtung eines mitleidsvollen Blickes als auch in Richtung besonders abwertender Meinungen. Der Konsum von Betäubungsmitteln wurde von den Medizinern bzw. im dominierenden Diskurs, i.d.R. Personengruppen zugeschrieben, die gesellschaftlichen Idealvorstellungen nicht entsprachen, ihr Verhalten wurde als Bedrohung insbesondere der bürgerlichen Ordnung wahrgenommen. Kohn (2001: 108) schreibt: „the contrast was all the more made between the men who did their duty and the degenerates who sat at home and doped.” Über die Heterostereotype, die Betäubungsmittelkonsum dem „charakteristischen Anderen“ (Becker 2002: 21) zuschrieben, definierten die Akteure ihre jeweiligen Autostereotypen, in dem Betäubungsmittelkonsum keinen Platz hatte. Drogen waren ein Vehikel, mit dem „Vorstellungen über gesellschaftlich wünschenswerte Zustände, über bevorzugtes Verhalten, aber auch über gesolltes und angesonnenes Verhalten“ transportiert wurden (Nedelmann 1986: 27). Klaus Weinhauer (2005: 188) betont: „we should keep in mind that writing about drugs means writing about moral panics and about deeper social anxieties: about self control, gender and sexuality, otherness and violence“ und bringt mit der „moral panic”503 (vgl. Cohen 1972) ein weiteres Konzept ein, das den Umgang mit Betäubungsmitteln treffend beschreibt. Entsprechend gilt auch für Deutschland, was Kohn (2001: 2) konstatiert: „The outlawing of drugs was the consequence not of their pharmacology, but of their association with social groups that were perceived as potentially dangerous.” Oder in den Worten von Ethan Nadelmann (1990: 510): „the association of opiate, cocaine, and cannabis use with the lower classes, disfavored minorities,
503
Das Sage dictionary of criminology definiert „Moral Panic” wie folgt: „Disproportional and hostile social reaction to a condition, person or group defined as a threat to social values, involving stereotypical media representations and leading to demands for greater social control and creating a spiral of reaction.”
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and deviant groups also favored punitive approaches over more modest measures.“ Peter Beckers Analysen zur Erfindung und Identifizierung des Bösen, in denen er den Verbrecher als „negatives Beispiel des idealtypischen Bürgers“ herausarbeitete (Becker 2000; Becker 2002: 336), und das uns etwa als Trinker, Verbrecher, Irrer oder Prostituierte begegnen kann (Becker 2002: 354), trat zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Drogenkonsument an die Seite. Becker (2002: 12) verweist auf die „Dichotomie zwischen dem bürgerlichen Selbst und dem kriminellen Anderen“, der „jeweils unterschiedlich definiert“ gewesen sei. Auch Drogenkonsumenten wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur „Projektionsfläche all dessen, was für das bürgerliche Selbst nicht der Fall sein konnte“ (Becker 2002: 12).504 Analog zu den von ihm beschriebenen „Gaunern“ wurden Betäubungsmittelgebraucher nicht zum Gegenstand des Kriminalitätsdiskurses, „weil sie quantitativ dominierten, sondern weil sie vollständig mit zeitgenössischen Erwartungen an Bürgerlichkeit und Devianz (…) kompatibel waren.“ Die Meinungsfindung der Mediziner war bis Ende der 1920er Jahre weitgehend abgeschlossen – das Referat auf dem Deutschen Ärztetag ist als Moment zu verstehen, in dem die leitenden Grundannahmen, das Wissen des damaligen Fachdiskurses, festgeschrieben wurden. In Hinblick auf diese Disziplin kann die Problemwahrnehmung also 1928 als „eingeführt“ gelten (Schetsche 2008: 129): Das Deutungsmuster zählte nun zum „allgemeinen Wissen der Mitglieder“ dieser Gruppe und in Teilen dieser Disziplin wurde dem Thema „Wahrnehmungs- und Handlungspriorität“ eingeräumt. Eine zentrale Strategie der am Diskurs beteiligten Zeitgenossen war, dass sie ihre Aussagen durch Verweise auf – vermeintlich – verlässliche Quellen absicherten. Häufig nannten sie als Experten angesehene Personen (meist Mediziner) bzw. Fachzeitschriften. Denselben Zweck erfüllten aber z.B. auch Hinweise auf den Reichstag, seine Ausschüsse, offizielle Statistiken oder Berichte. Durch diese Referenzen erschienen die Aussagen abgesichert und zuverlässig, sie wurden (soweit sich dies analysieren lässt) nicht mehr hinterfragt (zu den Diskursstrategien vgl. Schetsche (2008: 130-134)). Im Rückblick auf das dritte Gesamtkapitel kann festgehalten werden: Auf den drei Akteursebenen Staat, Presse und Experten war die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums als dramatisches und zu bekämpfendes Problem um 1928 bzw. 1929 festgeschrieben. Parallel dazu entwickelte sich die Wahrnehmung von Betäubungsmittelkonsumenten als Abweichler bzw. die Definition des Konsums als abweichendes Verhalten. Für diese Entwicklung war die Interaktion der verschiedenen Akteursebenen auf staatlicher und professioneller 504
Auch hier gilt allerdings, dass die Eingrenzung auf bürgerliche Akteure zu eng ist.
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Ebene sowie die Darstellungen in der Tagespresse entscheidend. Im politischpublizistisch-professionellen Verstärkerkreislauf wurde die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums als Problem festgeschrieben.
4 Ein etabliertes Problem – kritische Reflektion kann den Wahrnehmungskokon nicht mehr nachhaltig beeinflussen: Betäubungsmittel in Deutschland ab 1929 Ein etabliertes Problem – Betäubungsmittel in Deutschland ab 1929
Im letzten Hauptkapitel dieser Arbeit steht die Phase ab 1929 im Mittelpunkt. Wir werden sehen, dass in manchen Bereichen das Interesse an der Betäubungsmittelfrage abnahm. Parallel dazu kam es auf der einen Seite zu einer extremen Dramatisierung des Phänomens und auf der anderen zu ersten deutlichen Reflektionen des Diskurses. Zunächst rückt hier erneut die staatliche Ebene in den Fokus. Sodann begegnen wir einem weiteren kollektiven Akteur, denn Ende der 1920er Jahre schalteten sich auch in Deutschland zivilgesellschaftliche Organisationen in die Auseinandersetzung um Drogen ein. Die daran anschließenden beiden Unterkapitel widmen sich der Berichterstattung in der Presse und der fachlichen Auseinandersetzung. 4.1
„(…) daß der Opiatmißbrauch in der deutschen Bevölkerung verhältnismäßig wenig verbreitet ist“ – der Umgang mit Drogen auf staatlicher Ebene ab 1929 Der Umgang mit Drogen auf staatlicher Ebene ab 1929 Im Folgenden wenden wir uns ein letztes Mal der innerdeutschen und zwischenstaatlichen Auseinandersetzung um Drogen zu. Ab 1929 war der Umgang mit Betäubungsmitteln auf der einen Seite routiniert und etabliert und auf der anderen Seite kam es zu einer veränderten Wahrnehmung, die die Annahme einer großen Verbreitung stark relativierte. Der Darstellung der verschiedenen Dimensionen staatlichen Handelns schließt sich jeweils ein kurzes Resümee der Entwicklung auf der betreffenden Ebene für den gesamten Untersuchungszeitraum an.
A. Hoffmann, Drogenkonsum und -kontrolle, DOI 10.1007/978-3-531-94045-8_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
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Ein etabliertes Problem – Betäubungsmittel in Deutschland ab 1929
4.1.1 Ausweitung der Kontrolle – die Verordnung „über das Verschreiben Betäubungsmittel enthaltender Arzneien und ihre Abgabe in den Apotheken“ vom Dezember 1930 In den Jahren ab 1928 wurden zahlreiche Verordnungen zu Opiaten und Kokain verabschiedet, die hier nicht alle analysiert werden.505 Einer Maßnahme wenden wir uns allerdings ausführlich zu: Die Verordnung „über das Verschreiben Betäubungsmittel enthaltender Arzneien und ihre Abgabe in den Apotheken“ vom 19. Dezember 1930 war der Höhepunkt der Bürokratisierung im Betäubungsmittelrecht und der Einschränkung des Verkehrs mit den Substanzen in der Weimarer Republik. Als Konsequenz daraus, dass der Heilmittelbegriff 1929 aus dem Opiumgesetz gestrichen wurde, musste der Gesetzgeber per Verordnung festlegen, welche Art medizinischer Anwendung er für legitim hielt. Die umfangreiche Verordnung506 regelte viele Detailfragen, beispielsweise wurden Verschreibungshöchstmengen507 festgelegt, was für Ärzte und Apotheker einerseits eine größere Rechtssicherheit darstellte und Unsicherheiten ausräumte. Dies wurde von den Betroffenen positiv bewertet. Andererseits war diese Maßnahme aber auch ein Eingriff in die Verordnungspraxis (Hoffmann 2005: 83-85). Für die Verbraucher bedeutete der Schritt u.a., dass sie – sofern ihr Bedarf an Opiaten oder Kokain die festgelegten Mengen überstieg oder chronisch war – als süchtig klassifiziert wurden. Dies erschwerte ihnen den weiteren Bezug der Substanzen erheblich, da eine Identifizierung des Patienten und die Kontrolle der abgegebenen Menge vorgesehen waren. Ferner war den Ärzten in diesen Fällen die Zielsetzung der Behandlung vorgeschrieben: Sie sollten eine Verringerung der Abgabe erreichen, wenn nicht gar die vollständige Absetzung der Substanzen. Unabhängig von der Zahl der Patienten oder der Fachrichtung des Arztes wurde ferner die Tageshöchstmenge von einem Gramm für die unmittelbare Anwendung in Praxen festgelegt (§ 14). Hier wurde die Kontrolle besonders ausgeweitet und schien dabei unmittelbar auf die Mediziner selbst zu zielen, denen 505
Allein Wriedt (2006: 109-112) führt über ein Dutzend Regelungen an. Weitere Verordnungen sind in der Zusammenstellung von Schendzielorz (1988: 271-274) aufgeführt, die aber ebenfalls nicht vollständig ist. Eine lückenlose rechtshistorische Aufarbeitung der deutschen Betäubungsmittelgesetzgebung steht noch aus. 506 Die Verordnung umfasste ohne Anhänge knapp sechs Seiten. Indischer Hanf (§ 5) oder Koka (§ 7) waren nicht mehr verschreibungsfähig. Kokain war nur noch in wenigen, detailliert angeführten Ausnahmefällen als Ultima Ratio anzuwenden, wobei Substanzverschreibungen ganz verboten wurden (§ 12-18). Weitere Details bei Wriedt (2006: 111f) und Hoffmann (2005: 83-85). 507 Die Tageshöchstdosis betrug z.B. zwei Gramm Opium, 0,2 g Morphin oder 0,03 g Diacetylmorphin (§ 9).
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missbräuchliche Eigenanwendung bzw. unerlaubtes Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln vorgeworfen wurde. Auch bei der Abgabe der Medikamente gab es Änderungen, denn Apotheker wurden verpflichtet, die Verschreibungen auch inhaltlich zu prüfen (§ 20-24) – ein Vorgang, der ihnen zuvor nicht zugemutet worden war. Damit wurde es möglich, Apotheker aufgrund unrechtmäßiger Abgabe zu belangen, selbst wenn sie lediglich ein ärztliches Rezept ausführten. Ein grundlegender Aspekt der Verordnung war besonders problematisch: In § 6 wurde festgelegt, dass die Substanzen nur verschrieben werden durften, wenn die Anwendung „ärztlich, zahnärztlich oder tierärztlich begründet ist“. Dies konnte allerdings keineswegs eindeutig beurteilt werden, denn ebenso wie die Tageshöchstdosen relativ willkürlich gesetzt werden mussten,508 gab es unter Medizinern keine einhellige Meinung zur Anwendung von Narkotika (Hoffmann 2005: 113-167). Beispielsweise hatten HNO-Ärzte während einer Besprechung zu dieser Verordnung betont, sie könnten „bei der Behandlung außerhalb der Klinik auf eine 2%ige Kokainlösung nicht verzichten“ und Ersatzmittel „hätten sich nie so gut bewährt wie das Kokain selbst“.509 Obwohl die Maßnahme auf den Stand der ärztlichen Verordnungspraxis rekurrierte, wurden abweichende Meinungen nicht berücksichtigt. Wir sehen, dass die Verordnung schwerwiegende Konsequenzen für Verbraucher und Praktiker barg, da der Spielraum für Betäubungsmittelverschreibungen und -anwendungen stark eingeschränkt wurde. Entsprechend löste die Verschreibungsverordnung ablehnende Reaktionen von einzelnen Ärzten über Ärztekammern bis hin zum Gesamtverband der Krankenkassen Deutschlands aus, die Abänderungsvorschläge einreichten.510 Im RGA verhielt man sich der Kritik gegenüber zunächst vollkommen ablehnend: Die Beschwerden seien „zu erwarten“ gewesen und eine „sofortige Änderung der Verordnung [käme] jedenfalls nicht in Betracht“.511 Tatsächlich bestanden nach Auffassung des RGA „an sich gegen jede Änderung der Verordnung grundsätzliche Bedenken“, 508
Abhängig von Geschlecht, Gewöhnung und anderen körperlichen und nichtkörperlichen Einflüssen ist die Wirkung von Betäubungsmitteln sehr variabel. 509 BArch R 1501/126496, 423 VS/RS. Auch Zahnärzte wiesen darauf hin, dass sie auf Kokain in Substanz nicht verzichten könnten und betonten, dass es um sehr geringe Mengen von 2 g pro Jahr ginge. 510 Zum Beispiel das Schreiben eines Arztes für Haut- und Geschlechtskrankheiten aus Mannheim, BArch R 1501/126496, S. 345. 19.01.1931, II A 2701/19.1.31. Ferner BArch R 1501/126496, S. 356. Aertzekammer Rheinprovinz Köln an RMI, 29.05.1931, II A 2701/29.5.31 und schließlich BArch R 1501/126496, S. 387. Gesamtverband der Krankenkassen Deutschlands an RMI, 21.07.1931, II A 2701/ 21.7.31. Zahlreiche weitere Schreiben an das RMI in BArch R 1501/126496, S. 345ff. 511 BArch R 1501/126496, S. 375, Präsident des RGA an RMI, 30.06.1931, II A 2701/30.6.31.
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da man davon ausging, dass „sicher alle beteiligten Kreise ihre Forderungen anmelden [würden], sobald die Verordnung auch nur an einer verhältnismäßig nebensächlichen Stelle geändert wird.“ Gezwungenermaßen gab man sich nach außen dennoch verhandlungsbereit und beraumte eine Besprechung über eine Modifikation der Regelungen an, deren Vorschläge schließlich auch umgesetzt wurden.512 Im Protokoll dieser Beratung ist dokumentiert, dass die Auswirkungen der Verordnung auf die Konsumenten tatsächlich gravierend waren, denn staatliche Stellen nutzen die mit der Maßnahme eingeführte Datensammlung nicht nur um zu kontrollieren, ob die Tageshöchstmengen eingehalten wurden. So berichteten die Herren Falkenberg und Lehnhoff aus Berlin, dass es zu „Einsichtnahme in das Kokain- und Morphinbuch durch Polizei- und Kriminalbeamte“ gekommen sei.513 Desgleichen hätten in Apotheken „Kriminalbeamte das Morphinbuch beschlagnahmt oder auch ohne den Amtsarzt Einsicht in die Bücher und Rezepte genommen“. Es ist nicht überliefert, ob die Polizei die – illegal erworbenen – Kenntnisse gegen Betäubungsmittelkonsumenten anwandte, aber Falkenberg und Lehnhoff konstatierten zumindest, das Verfahren habe „in Berlin schon zu unangenehmen Folgen geführt“. Mit ihrer Verpflichtung, die Daten von Süchtigen in Apotheken und bei Ärzten zu sammeln, trat die deutsche Betäubungsmittelgesetzgebung in eine neue Dimension ein – das Potenzial auf der Ebene der sozialen Kontrolle wurde mit ihr erheblich erweitert. Als Folge der Verordnung standen Konsumenten ab 1930 nicht mehr nur als Gruppe im Blick der Öffentlichkeit, sondern auch als Individuen. Selbst wenn die Polizei die illegal erworbenen Daten möglicherweise nicht verwendete, so kann allein die Tatsache, dass die
512 BArch R 1501/126496, S. 417-426. Niederschrift über die Beratung im Reichsgesundheitsamt am 16.07.1932 über Änderung der Verordnung des Reichsministers des Innern über das Verschreiben Betäubungsmittel enthaltender Arzneien und ihre Abgabe in den Apotheken, Abschrift 3915/29.12.32. An der vierstündigen Beratung nahm die enorme Anzahl von 44 Personen (Regierungsvertreter, Sachverständige (Ärzte u.a.), Vertreter von Verbänden und Mitglieder des RGA) teil. Beispielsweise wurde angemerkt, die Bedürfnisse der Augenärzte seien in der Verordnung zu wenig berücksichtigt worden. Zu einzelnen Punkten gab es durchaus divergierende Meinungen, etwa hinsichtlich der Frage, ob neben Morphin noch ein weiteres Opiat „in Suchtmengen“ verschreibungsfähig werden sollte (S. 6). Herr Urban sprach von Schwierigkeiten in der Durchführung, andere verneinten dies (S. 18). Die erarbeiteten Änderungen wurden schließlich in der Sitzung der Reichsratsausschüsse vom 04.05.1933 unverändert angenommen (BArch R 1501/126496, S. 460, undatierte Notiz). 513 BArch R 1501/126496, S. 421RS, Niederschrift über die Beratung am 16.07.1932.
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Konsumenten nun damit rechnen mussten, polizeilich als Süchtige bekannt zu sein, sie negativ beeinflusst haben.514 Die Verordnung vom 19. Dezember 1930 sowie weitere Maßnahmen desselben Jahres zeigen, dass Deutschland nun auch ohne Bezüge auf internationale Zusammenhänge agierte und den Willen hatte, die Kontrolle von Betäubungsmitteln in Bezug auf Konsumenten und Ärzte uneingeschränkt durchzuführen.515 Rund ein Jahrzehnt nach Einführung des ersten Kontrollgesetzes war eine restriktive Drogenpolitik in Deutschland demnach institutionalisiert. Aus den Begründungen anderer Verordnungen erfahren wir mehr über die Grundlage, auf der die staatlichen Stellen agierten. Eine Verordnung wurde z.B. damit begründet, dass „in mehreren Großstädten nachgewiesen worden [ist], daß im Straßenhandel vertriebene Betäubungsmittel auf ärztliche Verschreibung aus den Apotheken bezogen worden waren. Einzelne derartige bedauerliche Vorkommnisse sind auf dem Wege über die Tagespresse öffentlich bekannt geworden.“
Anstelle eines Nachweises polizeilicher Ermittlungen wurde hier auf die Tagespresse verwiesen, es scheint, als habe diese selbst auf der Verordnungsebene unmittelbare Wirkung erlangt.516 Am Beispiel einer anderen Maßnahme sehen wir, dass schon Einzelfälle Anlass für Neuregelungen sein konnten: In einem Verordnungsentwurf vom 27. Februar 1931 wurden lediglich drei bekannte problematische Fälle mit einer Substanz angeführt, was (neben theoretischen Erwägungen) zu einer Unterstellung unter das Opiumgesetz führte.517 Die Kontrollmaschinerie auf nationaler (wie auf internationaler) Ebene sprang also schnell an. In der Begründung der Verordnung wurden ferner die Leitsätze des Danziger Ärztetages zitiert. Durch Kombination der beiden Instanzen Ärztetag und Regierung wurden Aussagen wie die „erste Morphineinspritzung kann schon die Gefahr einer Sucht in sich bergen“ in dem politisch-professionellen
514
Das Zusammenspiel von medizinischer (Erhaltungs-)Verschreibung und sozialer Kontrolle analysiert Mold (2008). Auch wenn in Großbritannien kein Zwang zum Entzug bestand, so war die von Ärzten durchgeführte Therapie dennoch ein Kontrollinstrument. 515 Entwurf einer Verordnung über Einfuhr, Durchfuhr und Ausfuhr von Betäubungsmitteln, Nr. 44 Reichsratsdrucksachen (RRDr), 1930, 10.03.1930. Auch diese Verordnung hatte keinen Bezug auf internationale Zusammenhänge, sondern war rein innerstaatlich motiviert und zeigt einen routinierten Umgang mit der Thematik. Ferner RRDr 1930, Bd. 2, Nr. 56 (Entwurf der Verordnung vom 24.03.1930) und die Begründung zum Entwurf einer Verordnung über das Verschreiben Betäubungsmittel enthaltender Arzneien und ihre Abgabe in den Apotheken, 08.07.1930, RRDr, 1930, Bd. 3, Nr. 134. 516 RRDr, 1930, Bd. 3, Nr. 134, S. 22. 517 RRDr, Nr. 31, 27.02.1931.
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Verstärkerkreislauf als gesellschaftliches Wissen, als Problemwissen (Schetsche 2008: 107), festgeschrieben.518 4.1.2 Fazit zur innerstaatlichen Ebene im gesamten Untersuchungszeitraum Der Umgang mit Betäubungsmitteln wurde in Deutschland schon lange vor dem ersten Opiumgesetz, das 1921 in Kraft trat, über Verordnungen kontrolliert. Dabei standen zunächst medizinische Fragen (Kontrolle der Abgabe von Betäubungsmitteln als Arzneimittel) im Vordergrund. 1914/1918 kamen kriegsbedingte Kontrollen (Sicherung der Versorgung) hinzu. Eine moralisierende Perspektive hielt 1917 in die rechtliche Kontrolle Einzug, dabei ging es aber nur um die vermeintlichen Folgen des Konsums (man nahm einen unverschuldeten moralischen Niedergang der Konsumenten an), es fand keine Abwertung der Motivation zur Einnahme und damit auch keine Herabsetzung der Konsumenten statt. Die Verordnung von 1920 deutete erstmals an, dass die Akteure in Deutschland ein Phänomen wahrnahmen, das nicht nur einen medizinischen Hintergrund hatte; die Wahrnehmung begann sich zu wandeln, war aber noch sehr diffus. Erstmals wurde Kokain zentral thematisiert. Das durch den Versailler Vertrag angeordnete und auf das Haager Abkommen von 1912 zurückgehende Gesetz von 1920 hätte dem Wortlaut nach keine direkten Auswirkungen auf die Konsumenten haben müssen, der Bezug (und damit auch der Konsum) von Betäubungsmitteln war weiterhin möglich. Im Verlauf der 1920er Jahre ging Deutschland immer mehr zu einer Unterstützung der internationalen Abkommen „im Geiste“ über, was sich auch an der Betäubungsmittelgesetzgebung ablesen lässt. Aber auch in den 1930er Jahren bewirkten widerstreitende staatseigene und wirtschaftspolitische Interessen noch, die Drogenkontrolle nicht mit aller Vehemenz durchzuführen; Lücken wurden auch damals noch genutzt, um z.B. kleinere Erleichterungen für die Industrie zu ermöglichen. Hinsichtlich der Ebene der Konsumenten und Ärzte wurde die Kontrolle um die Wende zu den 1930er Jahren aber extrem strikt. Zentral für die Entwicklung der deutschen Betäubungsmittelgesetzgebung war neben den internationalen Zusammenhängen – auf die das Auswärtige Amt entscheidenden Einfluss nahm – das Reichsgesundheitsamt. Ende der 1920er Jahre war die Betäubungsmittelfrage in der deutschen Politik institutionalisiert. Es vollzog sich ein Perspektivwechsel hin zu einem (impliziten) Arbeiten gegen missbräuchlichen Konsum hedonistischer Natur, womit ein entscheidender Schritt in der Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums bzw. in der 518
RRDr, 1930, Bd. 3, Nr. 134, S. 24.
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Problemwahrnehmung vom vorwiegend medizinischen zum gesellschaftlichen Problem vollzogen wurde. Drogenpolitik war nicht mehr vornehmlich auf die Regelung der medizinischen Verwendung orientiert, sondern wurde Ende der 1920er Jahre auch in Deutschland zu einem Mittel sozialer Kontrolle. Dies ist ein entscheidender Punkt, zu dem das Reich mit dem Versailler Vertrag nicht gezwungen wurde: Der Hintersinn des Haager Abkommens und der Folgeabkommen war, missbilliges Verhalten – den genussorientierten Gebrauch von Drogen – zu reglementieren. Dies setzte sich in Deutschland erst langsam bis Ende der 1920er Jahre durch und war eine Entwicklung, die sich zwar unter internationalem Einfluss, aber keineswegs unter Zwang vollzog. Erst dieser Wandel der Wahrnehmung von Betäubungsmitteln, aus dem eine veränderte Bewertung der Konsumenten resultierte, brachte die entscheidende Veränderung. Zentral für die Betäubungsmittelkontrolle war demnach nicht allein die Gesetzgebung – mindestens ebenso wichtig waren die sich wandelnde öffentliche Darstellung, die die Konsumenten abwertete und genussorientierten Betäubungsmittelkonsum als unerwünschtes Verhalten definierte, und der Umgang mit den Konsumenten: Die Gesetzgebung entfaltete erst im Zusammenspiel mit diesem Wahrnehmungswandel Wirkungsmacht. Eine reine Fokussierung der rechtlichen Ebene greift also aus sozialgeschichtlicher Perspektive ebenso zu kurz wie unter einem soziologisch-kriminologischen Blickwinkel. 4.1.3 „Es empfiehlt sich (…) zu betonen, daß Deutschland bestrebt ist, zur Lösung (…) der Betäungsmittelfrage nach besten Kräften beizutragen“ – Betäubungsmittelpolitik auf internationaler Ebene ab 1929 Wie zuvor gab es auch Ende der 1920er Jahre Aktivitäten auf internationaler Ebene, die die Eigenständigkeit Deutschlands in der Betäubungsmittelpolitik verdeutlichen. Rund zwei Jahre nach dem Abkommen mit Chile (s. Kapitel 3.1), 1928/1929, wurde Deutschland eindeutig selbst aktiv: Bezüglich deutscher Ausfuhrgeschäfte nach der Türkei hatte es Auffälligkeiten gegeben und so ließ das RMI über das AA und die Deutsche Botschaft in Konstantinopel einige dort ansässige Handelspartner dahingehend überprüfen, ob diese als „zuverlässig im Sinne des Verkehrs mit Betäubungsmitteln“ angesehen werden könnten.519 Ferner geht aus den Akten hervor, dass das Deutsche Reich sich in diesem Zusammenhang520 gegenüber der Türkei als aktiver Befürworter der 519
PA AA R 43256, Deutsche Botschaft Konstantinopel, 28.12.1928, III R 9/29. Vgl. PA AA R 43257, II A 2700/29.1., RMI an Auswärtige Amt, 05.02.1929, III R 106729. Bzw. bezüglich der in den 1930er Jahren angestrebten Quotenzuweisungen in der Betäubungsmittelproduktion.
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internationalen Betäubungsmittelkontrollbemühungen präsentierte: Ähnlich den Vereinbarungen mit China und Chile hatte man zunächst ein eigenes Abkommen vorgeschlagen, um den Verkehr mit Betäubungsmitteln zu kontrollieren.521 Weitgehender war aber, dass die Weimarer Republik sich als Befürworterin der internationalen Abkommen dargestellt und der Türkei im Februar 1931 nahe gelegt hatte, „daß im Sinne der von der Türkei gewünschten Quotenbeteiligung deutscherseits der türkischen Regierung nur geraten werden könne, das Genfer Abkommen sobald als möglich zu ratifizieren.“
Erneut spielte die Außendarstellung des Reichs eine wichtige Rolle: Die Zunahme der Ausfuhr nach der Türkei hätte ein schlechtes Licht auf Deutschland werfen können, denn es musste „befürchtet werden (…), daß auf diesem Wege deutsche Betäubungsmittel u.a. in die V.St. von Amerika geschmuggelt werden“. In einem als „eilig“ und „[s]treng vertraulich!“ gekennzeichneten Schreiben aus dem Auswärtigen Amt an die Deutsche Botschaft in Konstantinopel hieß es, mit der Regelung solle „eine Handhabe geschaffen werden, die es dem deutschen Vertreter in der beratenden Opiumkommission ermöglichen wird, etwaige Angriffe wegen illegaler Ausfuhr von Betäubungsmitteln aus Deutschland nach der Türkei abzuwehren.“522
Eindeutig war also erneut ein wichtiger Grund des deutschen Engagements, dass man im Kontext der OK Kritik fürchtete, wenn Waren deutschen Ursprungs im Schleichhandel auftauchen würden. Die an den Beispielen China, Türkei und Chile aufgeführte Exportkontrolle verankerte Deutschland Anfang 1930 schließlich auch im eigenen Rechtssystem: In der „Verordnung über die Einfuhr, Durchfuhr und Ausfuhr von Betäubungsmitteln“ wurden besondere Maßnahmen für den Export in Länder, die nicht dem internationalen Kontrollsystem angeschlossen waren, festgeschrieben. In diesen Fällen mussten die Lieferanten nun ggf. Unterlagen vorlegen, aus denen hervorging, „daß die Stoffe und Zubereitungen im Einfuhrlande zu wissenschaftlichen oder medizinischen Zwecken bestimmt sind“ (vgl. Hoffmann 2005: 83).523
521
PA AA R 43281, Anlage I („Türkei“) zum Vermerk gelegentlich der Besprechung (…) betreffend die Konferenz zur Beschränkung der Herstellung von Betäubungsmitteln (…), 08.05.1931, III R 460. 522 PA AA R 43251, 16.05.1928, zu IIIR 414; 423; 441 u. 448/ 28, AA (Breitfeld) an die Deutsche Botschaft in Konstantinopel, S. 3. 523 RGBl 1930, Nr. 11, 01.04.1930, S. 113-129; Zitat aus § 12 d.
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1931 folgte nach Shanghai, Den Haag und dem Genfer Doppelabkommen von 1925 eine weitere Konferenz in der Schweizer Stadt. Als Ziel der dort zu treffenden Vereinbarung wurde angestrebt, bereits die Herstellung von Betäubungsmitteln „so zu beschränken, daß lediglich der medizinische und wissenschaftliche Bedarf gedeckt werden kann“, die Produktion also planwirtschaftlich zu betreiben.524 Erneut beeinflussten vielschichtige Gründe die deutsche Strategie und dabei blieben auch im letzten Teil des Untersuchungszeitraums die Interessenkonglomerate Außen- und Wirtschaftspolitik zentral. Die Problemetablierung schritt im Zusammenhang mit den internationalen Bestrebungen zur Beschränkung der Betäubungsmittelproduktion weiter voran. Deutschland war einer Teilnahme an der Konferenz prinzipiell nicht abgeneigt. Aus dem Reichsministerium des Inneren ging im August 1930 folgende Nachricht an das AA: „Gegen die Annahme der (…) Einladung zur Teilnahme an der Konferenz über die Beschränkung der Herstellung von Betäubungsmitteln bestehen diesseits keine Bedenken.“525
Auch eine Verzögerung der Vorbereitung war deutscherseits nicht angedacht.526 In London gab es eine Vorkonferenz, auf der sich Vertreter der Produktionsländer über die Verteilung der Fabrikationsquoten auf die jeweiligen Staaten einigten. Von der Zusammenkunft, die vom 27. Oktober bis 11. November 1930 stattfand, berichtete der deutsche Delegierte Kahler und bezeichnete die Ergebnisse als „Fortschritt auf dem Wege zur Beschränkung der Herstellung von Betäubungsmitteln“, was seine Unterstützung der Bestrebungen signalisiert, handelte es sich doch um einen internen Bericht.527 Wesentlich war für ihn außerdem, dass der Verlauf der Tagung „auch dazu beitragen [dürfte], die namentlich in den zurückliegenden Jahren weit verbreitete Auffassung zu entkräften, dass die deutschen Fabriken, die die grössten Hersteller von Betäubungsmitteln sind, im Interesse eines möglichst grossen Absatzes ihrer Produkte den internationalen Vereinbarungen auf dem Gebiete des Opiums innerlich ablehnend gegenüberstehen.“
Das Bestreben Deutschlands ging dahin, nicht nur staatliche Stellen in einem guten Licht dastehen zu lassen, sondern auch die private Industrie. Bewusst
524
PA AA R 43272, III R 693/30 Vbd. 2465/30 Aufzeichnung zu Punkt 14 der Tagesordnung der 60. Tagung des Völkerbundrats; Breitfeld, S. 1. Das Beschränkungsziel bezog sich auf Betäubungsmittel gemäß Artikel 4 b, c und g des Genfer Abkommens von 1925. 525 PA AA R 43272, RMI an AA, II A 2744/22.7; III R 681/30. 526 PA AA R 43272, III R 763/ 30, Punkt 2, S. 3. Sowie Kahler an AA, 03.09.1930, III R 763. 527 PA AA R 43275, Anlage 1 zu III R 1035/30, S. 20f.
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schaltete sich die Regierung daher nicht in die Aushandlungen der Fabrikationsquoten ein.528 Wie auch in den Jahren zuvor spielten im Rahmen der Hauptkonferenz außenpolitische Erwägungen eine zentrale Rolle. Dies wurde in den Instruktionen für die Delegierten direkt zu Beginn betont. Eigene Strategien Deutschlands waren sekundär – im Mittelpunkt stand zunächst das Ziel, Spannungen mit England bzw. den USA zu vermeiden und dabei wurde auch die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit berücksichtigt: „Vom politischen Standpunkt ist das Opiumproblem für Deutschland besonders wichtig hinsichtlich seiner Beziehungen zu England und den V. St. von Amerika, es ist auch zu berücksichtigen, daß diesem Problem in der Öffentlichkeit allgemein große Beachtung geschenkt und daß in den V. St. die Haltung anderer Staaten gegenüber den Bestrebungen zu seiner Lösung aufmerksam verfolgt wird.529
Eigene Ziele formulierte das Reich im Vorfeld der Konferenz zunächst nicht, allein die Außendarstellung war handlungsleitend. Diese Haltung sollte sich im Laufe der Tagung ändern, was als Zeichen für eine weitere Ausdifferenzierung der deutschen Haltung zur Betäubungsmittelfrage und damit als Ausdruck voranschreitender Problemwahrnehmung gewertet werden kann. Deutschland hob (wie auch die meisten anderen Staaten) seine prinzipielle Unterstützung der Opiumkommission hervor. In der o.g. Vorbesprechung hieß es: „Es empfiehlt sich, gelegentlich der Eröffnung der Generaldebatte zu betonen, daß Deutschland bestrebt ist, zur Lösung des Gesamtproblems und insbesondere der Betäubungsmittelfrage nach besten Kräften beizutragen (…).“
In der einleitenden Generaldebatte zur Eröffnung der Konferenz erklärte in diesem Sinne der Delegierte Freiherr von Rheinbaben, „dass Deutschland im wesentlichen auf dem Boden des von der Opiumkommission ausgearbeiteten Entwurfes stehe“.530 Die neue Konferenz wurde im Auswärtigen Amt als „entscheidende Etappe“531 in der Opiumkontrolle angesehen, die Produktionsbeschränkungen hielt z.B. auch Breitfeld für erstrebenswert – wobei er eine 528
Das Ergebnis der Vorkonferenz war, dass Deutschland die höchsten Quoten zugesprochen wurden, was Ausdruck seiner führenden Stellung auf dem Weltmarkt war: rund 40 % der Morphinund 50 % der Kokainproduktion fielen Deutschland zu (PA AA R 43275, Anlage 1 zu III R 1035/30, S. 12). 529 PA AA R 43281, Vermerk gelegentlich der Besprechung (…) betreffend die Konferenz zur Beschränkung der Herstellung von Betäubungsmitteln (…), 08.05.1931, III R 460, S. 2. 530 PA AA R 43281, Bericht über die Konferenz über die Beschränkung der Herstellung von Betäubungsmitteln, Staatssekretär Freiherr von Rheinbaben und Ministerialrat Kahler an AA, 03.06.1931, III R 514/31, S. 2 der Anlage. 531 PA AA R 43281, Bericht vom 03.06.1931, S. 1.
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generelle Beschränkung des Rohstoffanbaus als noch sinnvoller empfunden hätte. Ansonsten wich deutscherseits die Interpretation der bisherigen Erfolge der OK von der der meisten anderen Staaten deutlich ab. Breitfeld betonte eine „wesentliche Besserung der Lage“ und merkte an, „dass diese Erfolge noch viel grösser gewesen sein würden, wenn die Konvention von allen Ländern ratifiziert worden wäre, oder wenn man ihr genügend Zeit gelassen hätte, nach der nunmehr durch die meisten Länder erfolgten Ratifikation sich auszuwirken und zu bewähren.“
Als weiteren Schritt der Problemetablierung und Zeichen der besonderen Akzeptanz der Kontrollmaßnahmen kann gewertet werden, dass sich Deutschland als ihr besonderer Befürworter präsentierte und sogar den Beitritt weiterer Länder forderte. Sowohl im RGA als auch im AA fanden sich mit Kahler und Breitfeld behördliche Vertreter, deren Äußerungen nun auf eine tatsächliche Unterstützung der Konferenzziele schließen lassen – um die Wende zu den 1930er Jahren begegnen wir also inhaltlicher Überzeugung der verantwortlichen staatlichen Akteure. Dass die Interessen der Industrie auch bei den Verhandlungen zum Produktionsbeschränkungsabkommen eine relevante Größe darstellten, geht aus einem Vermerk Breitfelds vom 2. Juli 1931 hervor. Der Referent schrieb, von Seiten des AA seien bezüglich des neuen auf dem „offenen Markt“ beruhenden Abkommensentwurfs keine Bedenken zu erheben.532 Auch im RMI gebe es keine Einwände, „namentlich da die deutsche Betäubungsmittelindustrie in Genf durch Herrn Hoffmann, den Geschäftsführer der Fachgruppe Opium und Cocaïn vertreten ist, mit dem die deutsche Delegation dauernd in Fühlung steht.“
Die deutschen Delegierten sprachen sogar ihr Vorgehen auf der Konferenz mit Industrievertretern ab: „die Mitarbeit unserer Delegation an dem neuen Entwurf [ist] im Einvernehmen mit der deutschen Industrie erfolgt.“533 Das Verhältnis zwischen den Delegierten und den Industrievertretern war recht persönlich, wie ein Schreiben Kahlers aus dem RMI im August 1931 zeigt, in dem beispielsweise Höflichkeiten über den Gesundheitszustand des Adressaten ausgetauscht wurden und Kahler weiter schrieb: 532
PA AA R 43281, 02.07.1931, Vermerk zu III R 573 von Breitfeld. Anzumerken ist, dass Herr Hoffmann auch zuvor schon in Genf als Beobachter zugegen war, z.B. während der neunten Tagung der Opiumkommission. Deren Sitzungen waren (wie immer) teilweise öffentlich, weshalb es nichts Besonderes war, dass der Geschäftsführer der FOK diesen beiwohnte. Aus einem Aktenvermerk im Auswärtigen Amt geht dabei eindeutig hervor, dass Hoffmann nicht nur in Kontakt zu den deutschen Delegierten stand, sondern auch deren Entscheidungen beeinflusste (PA AA R 43262, Aktenvermerk zu III R 682/29 Ang. II, S. 3).
533
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„Mich für die Wahrung der Interessen der deutschen Industrie einzusetzen, ist meine Pflicht gewesen; daß es mir bei der Zusammenarbeit, wie sie auf dem Gebiete des Betäubungsmittelwesens sich herausgebildet hat, eine angenehme Pflicht gewesen ist, brauche ich Ihnen gegenüber nicht besonders zu betonen.“534
Zu beachten ist, dass eine Beschränkung der Produktion zwar als im Kern gegen die Interessen der Industrie gerichtet anzusehen sein mag, dass die Betäubungsmittelhersteller der führenden Produktionsländer aber mit der Aufteilung der Fabrikationsquoten auch das Ziel verfolgten, die Etablierung neuer Konkurrenten zu verhindern.535 Die Vertreter des deutschen Staates schienen hierbei sowohl ernsthaft bemüht zu vermeiden, dass weitere Länder die Betäubungsmittelproduktion aufnahmen als auch an einem raschen Abschluss eines Abkommens interessiert. Im Laufe der Konferenz wurden unterschiedliche Vorschläge eingebracht, die die Interessen der nicht an den Industrieabkommen beteiligten Staaten berücksichtigen sollten. Die deutschen Delegierten ergriffen teilweise selbst die Initiative und waren an allen Kommissionen beteiligt.536 Dieses große Engagement ist ein Indiz für die Bedeutung, die der deutsche Staat der Konferenz beimaß und für die Anerkennung der Betäubungsmittelfrage als relevante Größe im deutschen Reich. Auf der Konferenz wandte das Reich sich von seiner geplanten Strategie ab, möglichst mit Großbritannien537 und den USA zu stimmen, denn das englische Festhalten am Quotensystem erschien als schlechte Taktik, mit der sich das Land „in eine völlig isolierte Lage hineinmanövriert“ habe.538 So betrieb Deutschland 1931 eine (aus heutiger Sicht) sachorientierte539 Politik, bei der taktische Fragen teilweise in den Hintergrund traten. Das Interessenkonglomerat Außenpolitik und wirtschaftliche Interessen bildete aber weiterhin den handlungsleitenden Rahmen. 534
BArch R 1501/126510, S. 85 VS RS. RMI/Kahler an Herrn Direktor Pfotenhauer, 10.08.1931, II A 2744 a/ 6.8. 535 PA AA R 43285, AZ: T 21396, Nachdruck eines Schreibens vom 25.11.1931, Abschriftlich an dt. Botschaft Ankara (zu III R 684 Ang. II v. 23.09.1931), sowie dt. Gesandtschaft in Belgrad (zu V 21248 vom 13.11.1931), gez. Martius, S. 2. Während also die führenden Produktionsländer den anteiligen Status quo zu sichern versuchten, forderten andere Länder, bei der Quotenverteilung besser berücksichtigt zu werden; einige meldeten an, in der nächsten Zeit die Betäubungsmittelproduktion aufnehmen zu wollen (PA AA R 43281, Bericht vom 18.06.1931, Anl. zu III R 597/31, S. 2). 536 PA AA R 43281, Bericht vom 18.06.1931, Anl. zu III R 597/31, S. 4. 537 In den Unterlagen ist i.d.R. von „England“ die Rede, meist ist aber wohl das Vereinigte Königreich gemeint. 538 PA AA R 43281, Bericht vom 18.06.1931, Anl. zu III R 597/31, S. 1. 539 Mit Sachorientierung ist hier gemeint, dass das Handeln der Akteure primär auf den Gegenstand Betäubungsmittel gerichtet und nicht an anderen Fragen orientiert war.
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Wenden wir uns nun dem Inkrafttreten des Abkommen zu. Die britische Regierung regte an, die Ratifikationsurkunden gemeinsam in Genf zu hinterlegen. Auch nach Auffassung das Auswärtigen Amtes erschien es „erstrebenswert, daß das Übereinkommen vom 13. Juli 1931 in den vier wichtigsten Herstellungsländern, d.h. in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz, gleichzeitig in Kraft tritt.“
Dabei wurden auch hier die Industrieinteressen berücksichtigt, wie der Zusatz zeigt, dass dies „soweit hier bekannt ist, den Wünschen der deutschen Betäubungsmittelindustrie entsprechen [würde].“540 Deutschland zeigte also durchaus Engagement, die Ratifikation voranzubringen – aber nur in Gemeinschaft mit den anderen bedeutenden Produktionsländern. Dies ging darauf zurück, dass man von der Annahme ausging, der illegale Markt würde bei einseitegen Einschränkungen von anderer Seite befriedigt, womit Deutschland die finanziellen Nachteile der Maßnahme zu tragen gehabt hätte, ohne dass ein Fortschritt humanitärer Art erzielt worden wäre (diesem Argument sind wir bereits im Kontext des Haager Abkommens begegnet). Interessant ist, dass in diesem Zusammenhang eine Nichtregierungsorganisation aktiv wurde: In den Akten des AA findet sich ein Antwortschreiben an die Deutsche Liga für Völkerbund, die anscheinend auf eine baldige Ratifikation gedrängt hatte.541 Eine derartige Anfrage war ein Novum, sie sollte aber nicht die einzige dokumentierte Aktivität einer nichtstaatlichen Organisation bleiben, vielmehr schlug sich das wachsende Interesse an Betäubungsmittelfragen auch in der Überlieferung der Archive nieder (mehr in Abschnitt 2 dieses Kapitels). Hier konnte gezeigt werden, dass Betäubungsmittelpolitik mit den Konferenzen und der Arbeit im Kontext der Opiumkommission ein frühes Beispiel intensiver multistaatlicher Kooperation war. Das seit den 1990er Jahren alltagssprachlich als „Globalisierung“ bezeichnete Phänomen internationaler Zusammenarbeit und des Zusammenwachsens der Welt war in diesem Feld bereits seit den 1910er Jahre Praxis (vgl. Holzer 2002). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden – ausgehend von den USA, aber mit zunehmender Unterstützung durch andere Staaten wie das Deutsche Reich – Wahrnehmung, Problematisierung und Bekämpfung des Phänomens Betäubungsmittel auf internationaler Ebene vereinheitlicht. Ein anderer als ein prohibitiver Umgang mit Betäubungsmitteln erscheint seitdem global kaum denkbar.
540 541
PA AA 43282, 29.06.1932. III R 656/32 PA AA R 43285, zu V 20363, 26.10.1931.
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Auch in Bezug auf Betäubungsmittel kann für die Zeit zwischen Erstem und Zweiten Weltkrieg nicht von einer Phase der „Deglobalisierung“ gesprochen werden (vgl. Osterhammel/Petersson 2006: 63). Vielmehr war Drogenpolitik für andere Bereiche der zwischenstaatlichen Beziehungen Experimentierfeld. Durch die Arbeit der Opiumkommission trugen Betäubungsmittelfragen zur Institutionalisierung und Ausweitung der Kooperation im Rahmen des Völkerbundes bei. Zahlreiche Fragen internationaler Zusammenarbeit kamen zu Beginn der 1930er Jahre im Rahmen der „Opiumfrage“ auf die Agenda: Die Auslieferung Beschuldigter an andere Staaten wurde im Fall von Vergehen gegen das Opiumgesetz von den Reichsministern des Inneren und der Justiz befürwortet.542 Ferner wurde die Ausdehnung des Weltrechtsprinzips543 in Bezug auf Betäubungsmittel vorangebracht, wie man einem Schreiben des Reichsministers der Justiz an das RMI entnehmen kann: „Gegen eine Ausdehnung des Weltrechtsprinzips auf die Vergehen gegen das Opiumgesetz sind vom Standpunkt meines Ressorts grundsätzliche Bedenken nicht zu erheben.“544 Kritischer standen deutsche Stellen (v.a. der Reichspostminister) zur Frage der Beschränkung des Telegraphengeheimnisses (man befürchtete u.a. Handelsspionage).545 Die Kooperation „zum Zwecke der Unterdrückung des Schmuggels mit Betäubungsmitteln“ führte auch zu einer Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen der internationalen Kriminalpolizeikommission und dem Völkerbund.546 Der gemeinsame Kampf gegen einen scheinbar konkreten Feind – die internationalen Schmugglerkreise – einte die Mächte im Völkerbund und entwickelte sich wegen seines vor dem Hintergrund humanitärer Ziele als undiskutierbar empfundenen Charakters zu einem Arbeitsfeld, auf dem andere, teils strittige Fragen um dieses gemeinsamen Zieles willen vorangetrieben wurden. Zwei Themen, mit denen Betäubungsmittel in Verbindung gebracht und die vom Völkerbund behandelt wurden, waren z.B. Waffenschmuggel und Mädchenhandel.547 In der Bekämpfung des Betäubungsmittelschmuggels ging es also nie nur um Drogen an sich, sondern immer auch um andere Fragen. „1905 war internationale Kriminalität als Thema bei großen strafrechtlichen Tagungen ‚angekommen’“, schreibt Jäger (2007: 309) und ergänzt, um 1915 sei internationale 542
PA AA R 43276, RMI an AA, II R 1111/30; II A 2700/9.12. Das „Weltrechtsprinzip“ bezeichnet die Verfolgung von Straftaten über Landesgrenzen hinweg ohne Berücksichtigung der Staatsangehörigkeit des Verdächtigen oder der Gesetze vor Ort. 544 PA AA R 43269, Reichsminister der Justiz an RMI, 27.02.1930, Abschrift zu II A 2720/10.2, S. 5. 545 PA AA R 43269, Reichspostminister an RMI, 31.03.1930, III R 301/31. PA AA R 43269; Reichsminister der Justiz an RMI, 27.02.1930, Abschrift zu II A 2720/10.2. 546 PA AA R 43284, AA an Reichsminister der Justiz, 04.09.1931, III R 735/31. PA AA R 43284, AA an RMI, 18.10.1931, V 19427. 547 PA AA R 43236, Geschäftsführer FOK an RMI, 10.03.1926, III R 217/26, S. 2. 543
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Polizeikooperation „als unhinterfragbarer Dreh- und Angelpunkt jeglicher Verbrechensbekämpfung” wahrgenommen worden (Jäger 2007: 311). Auch der illegale Handel mit Drogen wurde in dieses Feld integriert und der zeitgenössischen Problematisierung der „internationalen“ Kriminalität entsprechend schon früh als grenzüberschreitendes Phänomen behandelt, das global bekämpft werden sollte.548 Wie die Einzelabkommen mit China, Chile und der Türkei zeigen, integrierte sich Deutschland in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren in wachsendem Maße in die internationale Betäubungsmittelkontrolle – und so wurde das Reich immer stärker selbst zur treibenden Kraft in diesem Feld. Herauszuheben ist, dass humanitär-gesundheitspolitische Aspekte dabei keineswegs eine herausragende Rolle spielten. Zentral waren gerade auch außenpolitische Ziele, die Deutschland zum Vorteil gereichen sollten. Man strebte an, das eigene Land (und so weit möglich auch die eigene Industrie) in ein gutes Licht zu stellen und die Verantwortung für den Verbleib von Betäubungsmitteln – also für ein mögliches Auftauchen deutscher Ware im Schleichhandel – auf die Empfangsländer abzuwälzen. Dass Deutschland v.a. aufgrund steigenden Betäubungsmittelkonsums im eigenen Land bereitwilliger im Kampf gegen Betäubungsmittel mitgewirkt habe (vgl. Wriedt 2006: 68f), muss nach dieser Analyse als Fehlinterpretation angesehen werden. Den Politikwandel ab 1920 und insbesondere 1925 allein mit einer veränderten innerdeutschen Ausgangslage zu erklären, mutet zwar schlüssig an, greift aber zu kurz. Auch Tilmann Holzer konstruiert wiederholt einen Zusammenhang zwischen Konsumverbreitung und staatlicher Reaktion (Holzer 2007: 20; 36; 510). Zwar standen die sich wandelnde Problemwahrnehmung und die Gesetzesverschärfungen in engem Zusammenhang, zu betonen ist aber, dass die Einflussfaktoren auf die innerdeutsche Gesetzgebung vielschichtig waren und dass die Maßnahmen an sich (und auch ihre Ex-post-Begründung) keine Rückschlüsse auf die Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums zulassen, sondern allenfalls auf die sich wandelnde Problemwahrnehmung. Auch Briesen (2005: 14) konstatiert treffend: „Drogenkonsum und Drogenpolitik sind nicht unmittelbar miteinander verbunden“.
548
Jäger (2007: 311) weist auf eine Thematisierung von Betäubungsmitteln auf dem internationalen Polizeikongress in Wien im Jahr 1923 hin. Interessant wäre eine eingehende Untersuchung der Frage, wie sehr die Bekämpfung des Betäubungsmittelschmuggels, begründet durch humanitäre Argumente, schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts dazu diente (und bis heute dient), z.B. etwa Bürger- und Menschenrechte einzuschränken oder in die Hoheit von Staaten einzugreifen.
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4.1.4 Fazit zur zwischenstaatlichen Ebene im gesamten Untersuchungszeitraum Zur Haltung des Deutschen Reichs im Rahmen der Konferenzen und auf der internationalen Ebene ist Folgendes festzuhalten: Im internationalen Kontext, der besonders durch die Opiumkonferenzen in Shanghai (1909), Den Haag (1911/12) und Genf (1925; 1931) sowie durch die Zusammenarbeit im Völkerbund strukturiert war, hatte Deutschland stets vielschichtige Ziele. Handlungsleitend für die Strategien, die die Vertreter der beiden deutschen Staaten im Feld Betäubungsmittel verfolgten, war im gesamten Untersuchungszeitraum die außenpolitische Darstellung des Landes. Von der Teilnahme an den ersten Konferenzen bis hin zur praktischen Umsetzung der Abkommen im eigenen Land und der Bekämpfung des Schmuggels im Kontext der Opiumkommission war die oberste Prämisse der deutschen Drogenpolitik, das eigene Land nicht in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. Dieser Rahmen gab den Spielraum für andere Aspekte vor: zum einen die Wahrung wirtschaftlicher Interessen des Staates und der Industrie und zum anderen die – im Laufe des Untersuchungszeitraums wichtiger werdenden – humanitären und gesundheitspolitischen Fragen. Allein handlungsleitend waren letztere nie, Betäubungsmittelpolitik wurde vom Deutschen Reich ebenso wie von anderen Staaten als Stellvertreterpolitik geführt und erst 1931 kann von einer (aus heutiger Sicht) sachorientierten Politik gesprochen werden, bei der taktische Fragen teilweise in den Hintergrund traten. Auch bezüglich der Ziele und Taktiken im internationalen Kontext muss berücksichtigt werden, dass der außermedizinische Konsum von Betäubungsmitteln zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland nicht als ein das eigene Land betreffendes Problem wahrgenommen wurde. Vor diesem Hintergrund (und entgegen der bisherigen Forschungsmeinung bei Wriedt (2006) und Holzer (2002; 2007)) ist die Politik des Reichs durchaus als stringent zu bezeichnen und war über den gesamten Untersuchungszeitraum in ihren Grundzügen konstant, es gab lediglich eine Verschiebung der Schwerpunkte. Da man lange Zeit nicht von einer medizinalpolizeilich relevanten Problemlage ausging, war Raum, auch taktische Ziele im Rahmen der internationalen Konferenzen zu verfolgen.
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4.1.5 „[S]o glaube ich doch (…) annehmen zu dürfen, daß die Rauschgiftsucht im Abnehmen begriffen ist“ – Reichstagsdebatten zu Betäubungsmitteln ab 1929 Wenden wir uns noch einmal der Ebene der Behandlung von Betäubungsmitteln im Reichstag zu. Auch 1929 brachte der Abgeordnete Petzold das Thema Drogen wieder im Rahmen der Haushaltsberatungen zur Sprache. Sein Beitrag fiel erneut in etwa so kurz aus wie zwei Jahre zuvor und enthielt nicht so programmatische Ausführungen wie noch 1928, das (für den hier betrachteten Zeitraum) also auch im Reichstag den Höhepunkt des Interesses für Betäubungsmittel markiert (vgl. Kapitel 3.1). „In den Berichten des Reichsgesundheitsamtes wird auch berichtet über den die Volksgesundheit schädigenden Gebrauch von Rauschgiften. Wenn hier auch gezeigt wird, daß die Zahl der in den Heilanstalten Aufgenommenen im Jahre 1926 gegenüber 1925 gestiegen ist, wir also nicht recht wissen, wie die Verhältnisse im Jahre 1927 und 1928 liegen, so glaube ich doch, nach den Mitteilungen, die mir auf diesem Gebiete zugegangen sind, annehmen zu dürfen, daß die Rauschgiftsucht im Abnehmen begriffen ist. Ich kann mir vorstellen, daß, wenn wir erst das in Aussicht gestellte neue Gesetz haben, sicherlich auch auf diesem Gebiet eine wesentliche Besserung eintritt, was ich als einen Beweis dafür ansehe, daß der Lebenswille des deutschen Volkes wieder im Zunehmen begriffen ist und daß wir jedenfalls in absehbarer Zeit nicht mehr diese furchtbaren Erscheinungen der Benutzung von Rauschgiften erleben werden wie in der Vergangenheit.“549
Der Tenor dieser Rede unterschied sich deutlich von den Vorjahren, ging Petzold doch nun davon aus, dass der Konsum von Drogen im Abnehmen begriffen sei. Erneut benannte er seine Quellen nicht, dabei wären sie in diesem Fall besonders interessant, weil er seine Einschätzung änderte. Der Abgeordnete führte allein die Klinikstatistiken als Referenz an, welche also auch 1929 in einem bedeutenden Kontext zitiert wurden. Der Hinweis auf „Mitteilungen“, die ihm „zugegangen“ seien, bleibt diffus. Ähnlich der gängigen Annahme, dass die damaligen Krisenerscheinungen zu Ausbreitung des Betäubungsmittelkonsums beigetragen hätten, verknüpfte Petzold nun den angenommenen Rückgang mit einem wachsenden Lebenswillen des Volkes. Es nahm also nicht nur der Umfang der Auseinandersetzung mit Betäubungsmitteln ab, sondern der wichtigste Akteur im Reichstag postulierte sogar ein Abnehmen des Konsums. Interessant ist außerdem, dass Petzold sich 1929 nicht mehr gegen illegale Rauschgifthändler wandte, sondern explizit die „Rauschgiftsucht“ als Faktor benannte. Implizit gerieten daneben die Konsumenten selbst als negativ bewerteter Akteur in den Blick, wenn Petzold ihre Handlungen als „diese furchtbaren Erscheinungen der Benutzung von Rauschgiften“ 549
StB, Bd. 425, 12.06.1929, S. 2317.
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tadelte. Aber schon im folgenden Jahr, 1930, machte der Abgeordnete der Wirtschaftspartei erneut auf die illegale Einfuhr von Betäubungsmitteln aus dem Ausland aufmerksam. Auch hier bezog er sich lediglich auf Pressemitteilungen: „Meine Damen und Herren! Vor längerer Zeit hat der Reichstag das Opiumgesetz verabschiedet. Es richtete sich gegen den Mißbrauch von sogenannten Rauschgiften und es steht fest, daß im Laufe der letzten Jahre, sicherlich zuletzt auch infolge dieses Gesetzes, der Vertrieb von Rauschgiften abgenommen hat. Es besteht aber immer noch die Möglichkeit einer geheimen Einfuhr. Es liegt mir beispielsweise ein Zeitungsausschnitt vor, auf dem zu lesen steht, daß im Januar dieses Jahres in Schleswig-Holstein in einem geradezu unglaublich großen Umfange Rauschgift eingeführt worden ist, und daß man bei einer einzigen Razzia in Hamburg nicht weniger als 10 000 gefälschte Kokainrezepte hat annektieren können. Es gibt also immer noch Wege, um die Rauschgifte in das Deutsche Reich hineinzubringen, und dabei werden mit gefälschten Rezepten Riesengeschäfte gemacht, die man früher nicht kannte. Ich hoffe, daß es dem Reichsgesundheitsamt gelingen wird, dafür zu sorgen, daß diesem Übelstand ein Ende gemacht wird.“550
Petzold brachte (nun bezogen auf den Vertrieb von Betäubungsmitteln) den Gedanken eines Rückgangs des Phänomens in die Diskussion ein. Während er dies auch auf das Opiumgesetz zurückführte, welches er positiv bewertete, konstatierte er keinen Zusammenhang zu der von ihm beschriebenen illegalen Einfuhr oder Rezeptfälschungen. Dabei hatte eine einzige Zeitungsmeldung Petzold zu seinen Ausführungen veranlasst und um offizielle Einschätzungen (etwa zu den Mengenangaben im Artikel) hatte er sich allem Anschein nach nicht bemüht. Diese Äußerungen Petzolds führten nach zehn Jahren Unterbrechung dazu, dass ein anderer Reichstagsabgeordneter außerhalb von Debatten um Gesetze das Wort zu Betäubungsmitteln ergriff. Georg Sparrer (DDP), der wenige Monate zuvor bei der Verabschiedung des Opiumgesetzes für die Anhörung von Sachverständigen plädiert hatte, griff die Ausführungen am folgenden Tag auf: Petzold habe schärfere Strafen gefordert (was im Übrigen für dieses Jahr nicht zutraf) und von unrechtmäßigem Vertrieb gesprochen. Dem stellt Sparrer entgegen: „Ich glaube aber doch feststellen zu müssen, daß man auf dem Gebiete der Rauschgiftbekämpfung in den letzten Jahren erfolgreich vorgegangen ist, und daß die größten Auswüchse in der Hauptsache schon heute abgestellt sind.“551
Er ergänzte, die Maßnahmen müssten fortgeführt werden, „um dieser Sucht möglichst völlig den Garaus zu machen.“ Sparrer ging nicht darauf ein, dass er letztlich dieselbe Auffassung wie Petzold vertrat, beurteilten doch beide die 550 551
StB, Bd. 428, 17.06.1930, S. 5538. StB, Bd. 428, 18.06.1930, S. 5570.
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restriktiven Maßnahmen positiv.552 Ebenso wie Petzold äußerte er implizit Zweifel an der Wirksamkeit der Betäubungsmittelkontrolle, diskutierte diese aber nicht. Auf parlamentarischer Ebene ist eine kritische Auseinandersetzung um Sinn und Wirksamkeit der Betäubungsmittelgesetzgebung im Untersuchungszeitraum nicht überliefert. Auch im folgenden Jahr meldete sich Petzold wieder während der Haushaltsdebatten zu Wort, zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums äußerte er sich nicht, sprach aber vom „guten Erfolg“ des Opiumgesetzes, „durch das gegen den Mißbrauch von Narkotika (…) Abhilfe geschaffen wird.“ Petzold kritisierte in diesem Jahr v.a. die fehlende Anerkennung der Regelungen unter den betroffenen Berufsgruppen: „Warum ist das so? Weil wahrscheinlich die Praxis nicht in genügender Weise herangezogen worden ist, um, was theoretisch ausgeklügelt wurde, auf seine praktische Brauchbarkeit hin zu prüfen. Man wird jedenfalls darüber nachdenken müssen, wie man die Theorie mit der Praxis in Verbindung bringen kann, ohne den guten Erfolg des Opiumgesetzes irgendwie auszuschalten.“553
Unverständlich ist, warum Petzold diesen Aspekt erst im Jahre 1931 in die Diskussion einbrachte, hatten sich doch schon in den Jahren zuvor, ab dem Verbot der Erhaltungstherapie durch das Reichsgericht 1926, Mediziner intensiv mit dem Opiumgesetz auseinandergesetzt (s. Kapitel 3). Nie hatte es eine einhellig positive Einschätzung desselben gegeben, vielmehr gab es immer Spezialisten, die bestimmte Substanzen in ihrem Arbeitsfeld für nicht ersetzbar hielten. So hatte z.B. der Rhinologe Franz Bruck (1928) betont: „Dem bekannten Ausspruch: „Ohne Morphium möchte ich nicht Arzt sein“ stelle ich den Satz an die Seite (…) Ohne Kokain möchte ich nicht Nasenarzt sein.“
Von der sechsten Wahlperiode an, also ab dem Sommer 1932, war Artur Petzold nicht mehr Mitglied des Reichstags und bis zu dessen letzter Sitzung im April 1942 thematisierte kein Abgeordneter mehr den Gegenstand.554 552
Anschließend verwies Sparrer auf das Medikament Veronal, das sich zu einem „Selbstmordmittel“ und Rauschmittel „entwickelt“ habe. Er mahnte an, „differente Arzneimittel“ (solche, die bei längerem Gebrauch Gesundheitsschädigungen hervorrufen sollten) dürften nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen dem freien Verkehr überlassen bleiben. Es müssten „alle irregulären Kanäle [verstopft werden; AH], soweit das überhaupt möglich ist.“ (StB, Bd. 428, 18.06.1930, S. 5570). 553 StB, Bd. 445, 05.03.1931, S. 1391. 554 Zu beachten ist dabei, dass im Reichstag überhaupt keine inhaltlichen Debatten mehr geführt wurden, da dieser mit dem am 23.03.1933 verabschiedeten „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ (Ermächtigungsgesetz genannt) der nationalsozialistischen Regierung das Recht übertragen hatte, Gesetze ohne Zustimmung zu erlassen und seiner demokratischen Funktion beraubt war.
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Werfen wir noch einen kurzen Blick auf eine Sitzung des Strafrechtsausschusses. Diese lässt einen Einblick in die Problemwahrnehmung von Seiten des Reichsjustizministeriums zu.555 Dessen Vertreter, der Referent Wagner, sprach im Februar 1931 von dem „namentlich in den Großstädten zutage tretende[n] Umsichgreifen der suchtmäßigen Verwendung der in Frage kommenden Rauschmittel“ und von „der häufig beobachteten mißbräuchlichen Verschreibung und Abgabe von Betäubungsmitteln“. Der Oberregierungsrat ging demnach von einer weiten Verbreitung des Drogenkonsums aus. Er referierte ferner Stand und Entwicklung der Opiumgesetzgebung und bewertete diese positiv. An diesen Äußerungen lässt sich die weitgehende Problemetablierung und anerkennung im Reichsjustizministerium ablesen. Die Bekämpfung des Betäubungsmittelkonsums mittels restriktiver gesetzlicher Maßnahmen war 1931 fest etabliert. Im Ausschuss trafen Wagners Thesen nicht auf Widerspruch. Halten wir fest: Die Reichstagsdebatten der Jahre ab 1929 zeigen einen Rückgang des Interesses am Thema Betäubungsmittel, zudem wurde wiederholt eine Abnahme des Konsums oder Vertriebs in die Diskussion eingebracht, ohne hierfür Belege anzuführen. Das Opiumgesetz wurde von den beiden Rednern positiv bewertet, ohne dass sie dies näher begründeten. Weiterhin waren Tageszeitungen eine wichtige Quelle der Parlamentarier. 4.1.6 Fazit zur parlamentarischen Ebene im gesamten Untersuchungszeitraum Für den gesamten Untersuchungszeitraum machen die Redebeiträge der Reichstagsabgeordneten deutlich, dass diese – obwohl sie meist von Personen stammten, die in ihrem (ursprünglichen) Berufsalltag mit Betäubungsmitteln zu tun hatten – relativ schlecht über die nicht-medizinische Seite des Phänomens informiert waren. Artur Petzold ist der Akteurskategorie der „Experten“ zuzuordnen – aber auch für ihn gilt die Differenzierung, dass dies keine Rückschlüsse auf sein spezifisches Wissen zum Thema zulässt. Auch er verfolgte berufsständische Eigeninteressen des in die Kritik geratenen Drogistenstandes. Im gesamten Untersuchungszeitraum ist kein besonderes Interesse der Reichstagsabgeordneten an Betäubungsmitteln zu erkennen. Lediglich der Fall der vermeintlich opiumverseuchten Zigaretten konnte ihre Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum fesseln, ansonsten gab es kaum unmittelbare Reaktionen des Auditoriums und Antworten anderer Abgeordneter waren ebenfalls eine absolute Ausnahme. Das in den Protokollen der beiden Kammern zu erkennende Interesse für Opiate und Kokain blieb in der Legislative über den gesamten 555
10. Sitzung des 18. Ausschusses (Strafgesetzbuch), 05.02.1931 (Schubert 1997: 96f).
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Untersuchungszeitraum hinweg marginal und eine inhaltliche Auseinandersetzung fand im deutschen Parlament nicht statt. In allen Fraktionen waren es nur Einzelpersonen, die sich überhaupt hinsichtlich Betäubungsmittelfragen zu Wort meldeten; bestimmte parteipolitische Haltungen ließen sich nicht erkennen. In allen von mir untersuchten Wahlperioden gab es insgesamt nur zwei Abgeordnete, die sich mehr als einmal inhaltlich äußerten. Allein Artur Petzold verfolgte das Thema über einen längeren Zeitraum hinweg – er dominierte die Debatte in den Jahren 1926 bis 1931 absolut. Drogenpolitik wurde auf den vorgelagerten Ebenen betrieben, selbst die Ausschüsse spielten eine untergeordnete Rolle. 4.1.7 „Die Ziffer 1 pro 10000 wird manchen durch ihre Kleinheit überraschen“ – die 1931 erschienene Denkschrift zu 1928 und eine ihr zugrunde liegende Studie Zum Abschluss des Unterkapitels soll es nun ein letztes Mal um offizielle staatliche Einschätzungen des Betäubungsmittelkonsums gehen. Erst 1931 erschien die nächste Denkschrift, in der zunächst wieder die Zahl der Anstaltsbehandlungen referiert, sodann aber ausgeführt wurde, dass wegen der Zunahme aller Anstaltsbehandlungen „aus den (…) absoluten Zahlen eine größere Ausbreitung des Morphinismus nicht gefolgert werden“ könne.556 Mit dieser Veröffentlichung wurde die Einschätzung des RGA zur eingeschränkten Aussagekraft der Statistiken auch vom RMI und dem Reichskanzler übernommen. Anschließend wurden die Ergebnisse einer im Auftrag des RGA durchgeführten Untersuchung wiedergegeben. Die bemerkenswerte Schlussfolgerung hieraus lautete: „Im ganzen hat die Erhebung gezeigt, daß der Opiatmißbrauch in der deutschen Bevölkerung verhältnismäßig wenig verbreitet ist. Überdies zeigt der Verbrauch an Betäubungsmitteln im Deutschen Reiche seit dem Jahre 1926 eine ständig fallende Richtung.“557
Aus dem Jahr 1931 liegt also eine explizite Einschätzung von Reichsgesundheitsamt, RMI und Reichskanzler vor, die die dramatisierenden Darstellungen der damaligen Zeit deutlich relativierte. Sie wurde als Teil der Denkschrift über die gesundheitlichen Verhältnisse in den Protokollen des Reichstags abgedruckt und damit an einer der bedeutendsten Stellen für gesundheitspolitische Analysen veröffentlicht. Doch worauf beruhte diese Kehrtwende in der Wahrnehmung des 556
StB, Bd. 451, Anlage Nr. 1224. StB, Bd. 451, Anlage Nr. 1224, S. 22. Ferner wurde die Gesetzgebung als zwar noch verbesserungswürdig, aber dennoch wirksam interpretiert. Kokain wurde hier überhaupt nicht mehr thematisiert und demnach nicht problematisiert. 557
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Problems? Das Reichsgesundheitsamt hatte bei dem Psychiater Dr. Kurt Pohlisch eine Erhebung in Auftrag gegeben. Für das Jahr 1928 erstellte er eine Untersuchung zur Verbreitung des chronischen Opiatmißbrauchs in Deutschland, für die er die Rezepte aller Apotheken im Reich für die erste Hälfte des Jahres auswertete.558 Der Privatdozent Kurt Pohlisch war damals unter Karl Bonhoeffer Oberarzt an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Berlin, der Charité, und veröffentlichte seine Untersuchung im Jahr 1931.559 „Um einen Überblick über die Zahl der Rauschgiftsüchtigen zu gewinnen“, hatte die Gesundheitsverwaltung ihn mit dieser Studie beauftragt.560 Hier fragte also eine staatliche Stelle eine wissenschaftliche Expertise zur Fundierung der eigenen Aktivitäten ab, was auf eine enge Zusammenarbeit zwischen RGA und Forschung hinweist. Dies ist Ausdruck von – im Gegensatz zu den frühen 1920er Jahren – zunehmender Verwissenschaftlichung der staatlichen Auseinandersetzung um Drogen. Das Reichsgesundheitsamt nahm so wieder den Faden einer differenzierten Betrachtung auf – und das noch intensiver und systematischer als zuvor mit den Umfragen von 1910 und 1919. Die Untersuchung kann trotz gewisser methodischer Schwächen als zuverlässig angesehen werden (vgl. Hoffmann 2005: 137-140). Sie stellt die umfassendste zeitgenössische Erhebung zu Betäubungsmittelkonsum in Deutschland dar und liefert die solidesten Informationen zu seiner Verbreitung bis in die Zeit der Weimarer Republik. Bei seiner Untersuchung ermittelte Pohlisch 3.500 Personen mit einem durchschnittlichen Tagesverbrauch von je mehr als 0,1g Morphinum hydrocloricum.561 Umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung Deutschlands über 20 Jahre (unter Berücksichtigung der von ihm geschätzten Fehlerzahl, die auch 558
Apotheken waren nach dem OG verpflichtet, Betäubungsmittelrezepte aufzubewahren. „Chronischen Opiatmißbrauch“ definierte Pohlisch (1931-1: 3) in Anlehnung an das OG als „regelmäßiges, langdauerndes Überschreiten der maximalen Tagesdosis“, also 0,1g Morphinum hydrocloricum pro Tag (bzw. umgerechnet ähnlich wirksame Mengen anderer Substanzen). Er differenziert damit zwischen „chronischem Mißbrauch“ und anderen Gebrauchsformen. Diese nannte er nicht explizit, es war aber allem Anschein nach auch gelegentlicher hedonistischer Konsum gemeint. Für eine ausführliche Diskussion der Studie verweise ich auf Hoffmann 2005: 136-147. 559 Die Studie erschien als Langfassung (Pohlisch 1931-1) und gekürzt in der DMW (Pohlisch 19312). Im Nationalsozialismus war Pohlisch (* 28.03.1893 in Remscheid, † 06.02.1955 in Bonn) „ förderndes SS-Mitglied“, seit 1937 Mitglied der NSDAP und 1940/1941 an der T4-Aktion zur Tötung psychisch Kranker beteiligt; mehr zu seiner Rolle im Nationalsozialismus und seinem mit Freispruch endendem Entnazifizierungsverfahren bei Forsbach (2006: 201; 493; 629-640). 560 BArch R 1501/126496, S. 140. RGA an den Leiter der Abteilung des Völkerbundes - Sekretariat für soziale Angelegenheiten und Opiumhandel, Herrn Minister Eric Einar Ekstrand, 23.05.1931. 561 Aufgrund der Rezepte waren die Personen namentlich zu ermitteln, was eine genaue Aufstellung ermöglichte. Bei Personen unter 20 Jahren sei Missbrauch nur selten, daher wurden diese in der Umrechnung auf die Gesamtbevölkerung außen vor gelassen (vgl. Hoffmann 2005: 140).
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potenzielle Schwarzmarktbezieher einschloss562) ergab sich ein Anteil von einer auf 10.000 Personen, also 0,01 % der Bevölkerung. Folgende Tabelle zeigt den Anteil der über der Tageshöchstdosis liegenden Konsumenten pro 10.000 Einwohner bezogen auf verschiedene Gruppen:563 Bezugsgruppe Gesamtbevölkerung Männer Frauen männliche Gesamtbevölkerung über 20 Jahre weibliche Gesamtbevölkerung über 20 Jahre Gesamtbevölkerung über 20 Jahre Ärzte
pro 10.000 0,70 0,69 0,46 1,10 0,76 0,93 109,00
Anteil 0,0070 % 0,0069 % 0,0046 % 0,0110 % 0,0076 % 0,0093 % 1,0900 %
Tabelle 4: Anteil von Betäubungsmittelkonsumenten an der Bevölkerung Angesichts der Darstellungen des Betäubungsmittelkonsums, die in den Jahren bis zum Erscheinen seiner Studie immer dramatischer geworden waren, interpretierte Pohlisch (1931-1: 19) diese Zahlen treffend: „Die Ziffer 1 pro 10000 wird manchen durch ihre Kleinheit überraschen.“ Auffällig ist, dass der Konsumentinnenanteil ein Drittel unter dem der Männer lag und v.a., dass die medizinischen Berufe mit einem Konsumentenanteil von 1,09 % radikal überrepräsentiert waren (vgl. Hoffmann 2005: 143ff). In Pohlischs Stichprobe waren 523 Ärzte als Opiate missbrauchende Menschen aufgeführt.564 Sie stellten damit über ein Siebtel der ermittelten Personen und waren hundertmal häufiger betroffen als der Rest der Bevölkerung. Dies schlug sich auch deutlich auf die Gesamtzahl nieder: Ohne Mediziner lag der Anteil bei 0,006 %, mit ihnen bei 0,007 %.565 Der Morphinismus habe „in Deutschland hauptsächlich die selbständigen Berufe, also Intellektuelle, besonders oft die im Heildienst Tätigen“ betroffen, konstatierte Pohlisch.
562
Diese berechnete er mit 25 %. Vgl. Pohlisch (1931-2: 1984). Alle Angaben inklusive des von Pohlischs ermittelten Fehleranteils von 25 %. 564 StB, Bd. 451, Anlage Nr. 1224. 565 Hinzu kommt, dass der Anteil der Medizinalpersonen insgesamt noch deutlich höher gelegen haben dürfte, weil andere Gruppen (z.B. Krankenschwestern) nicht separat aufgeführt sind. Da v.a. die frühen Aussagen zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums i.d.R. auf eigenen Erfahrungen und nicht auf umfassenden Erhebungen beruhten, mögen Mediziner die Situation in ihrem eigenen Umfeld auf die gesamte Bevölkerung übertragen haben. Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass gerade sie den Konsum moralisch stigmatisierten und ihn devianten Angehörigen marginalisierter Gruppen zuschrieben – und eben nicht schwerpunktmäßig ihren Kollegen. 563
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Ähnlich der Analyse zur Unterschiedlichen Problematisierung von Kokain- und Opiumkonsum kann hier konstatiert werden: Anlass zu Artikeln über besonders gefährdete Gruppen hätten nach Pohlischs Zahlen v.a. Medizinalpersonen geboten. Deren Konsum wurde durchaus immer wieder erwähnt – problematisiert wurde aber v.a. der Gebrauch von Gruppen, deren Verhalten man als abweichend definierte. Drogenkonsum war in den 1920er Jahren kein Marginalisierungsfaktor, wenn er Menschen zugeschrieben wurde, deren Verhalten als gesellschaftlich etabliert galt. Pohlisch traf zwar keine so klaren Aussagen über Kokain- wie über Opiatkonsum, da hier der Ausfall wegen illegaler Beschaffung schlecht geschätzt werden könne (Pohlisch 1931-1: 10). Er stellte aber heraus, dass reiner Kokainismus selten gewesen sei und daher die ermittelten Zahlen für Opiate durch Menschen, die ausschließlich Kokain einnahmen, nicht besonders steigen würden. Bedeutend für den Anteil der Opiatkonsumenten war die Ortsgröße (vgl. Hoffmann 2005: 145-147). Es gab lediglich vier Städte, in denen mehr als einer von 10.000 Einwohnern missbräuchlichen Opiatkonsum betrieb (darunter Berlin, Hamburg und München). „Das Ueberwiegen der Großstädte tritt also deutlich hervor“ resümierte Pohlisch (1931-1: 21).566 Er stellte aber heraus, dass die Bevölkerungsstruktur großen Einfluss auf die Ergebnisse hatte und „nicht die Großstadt an sich (…) den Mißbrauch fördert“ (Pohlisch 1931-2: 1986). Es war also in der Tat methodisch problematisch, dass andere Untersuchungen (wie z.B. die von Joël und Fränkel) nur in Großstädten durchgeführt wurden. Mit dieser Untersuchung lagen also im Jahr 1931 erstmals Informationen vor, die eine verhältnismäßig solide statistische Basis hatten. Die Ergebnisse der von Pohlisch durchgeführten Erhebung standen in krassem Gegensatz zur damaligen Dramatisierung, die den Betäubungsmittelkonsum als zunehmendes und bedrohliches Problem bewertete.567 566
In Städten über 100.000 Einwohnern war die Verbreitung mit 0,011 % deutlich höher als in Gemeinden unter 20.000 Personen (0,003 %). Die Situation in Frankreich stellte sich ähnlich dar: Ohne dass verlässliche Statistiken vorgelegen hätten, wurde von einer immensen Bedrohung ausgegangen. Hingegen kommt Emmanuelle Retaillaud-Bajac (2000: 179) in ihrer Dissertation zu dem Schluss, dass die Zahl der Konsumenten in Frankreich „irgendwo“ zwischen 1.000 und 10.000 gelegen habe (die hätte einem maximalen Bevölkerungsanteil von 0,04 % entsprochen). Sie resümiert: „Voilà donc un ordre de grandeur qui demeure modeste – quelques milliers de consommateurs sur une population de 39 millions d’individus – et qui invalide très largement le fantasme d’une ‚société intoxiquée’ véhiculé par les médias des années vingt.“ Es handele sich um eine „chiffre non négligeable“, die aber in keinen Verhältnis zu den „‚60000 toxicomanes parisiens’ fantasmés par les représentations sociales“ stehe. Yvorel (1992: 107) hat nachgewiesen, dass die Szenarien zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums in Frankreich zwischen 1870 und 1920 „abwegig“ gewesen seien. Trotzdem die Zahlen manipuliert und stark übertrieben waren, würden sie bis heute zitiert, etwa die 1200 Opiumhöhlen in
567
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Ob die Untersuchung von den Zeitgenossen rezipiert wurde und wie sie auf den Diskurs wirkte, soll nun (und in den Folgekapiteln) untersucht werden. So ist zu fragen, ob es durch die Ergebnisse zu einer Neubewertung der Situation kam und ob von staatlicher Seite eine Reflexion der eigenen, zuvor stark problematisierenden, Einschätzung erfolgte. In einer Akte aus dem Reichsministerium des Inneren568 finden sich Unterlagen, die zeigen, dass Pohlischs Untersuchung von staatlicher Seite her große Aufmerksamkeit erfuhr: Sie bildete nicht nur die Grundlage für die o.g. Umbewertung der Situation in der 1931 erschienenen Denkschrift, sondern wurde dem Völkerbund auch als Material über die Verbreitung des Drogenkonsums im Deutschen Reich vorgelegt.569 Mit dieser Veröffentlichung und der Weitergabe erfuhr die Studie quasi die größtmögliche Würdigung von Seiten der deutschen Regierung und wurde so zur offiziellen Lesart des Phänomens. Beim Völkerbund stieß die Untersuchung auf sehr großes Interesse: Sie wurde in weiteren Exemplaren angefordert570 und als englische Zusammenfassung an die Mitglieder des Advisory Committee versandt. Diese hielten die Studie für zu wichtig, als dass sie hätte verkürzt werden dürfen.571 Die Opiumkommission des Völkerbundes bewertete sie als „an important study” und forderte eine Übersetzung an,572 die schließlich eigens angefertigt wurde.573 Eine umfassendere Rezeption auf internationaler politischer Ebene war für eine derartige Studie wohl kaum möglich. Am 26. September 1932 schrieb der ehemalige Präsident des Reichsgesundheitsamtes Bumm an den Direktor des Office Internationale d'Hygiène publique, Herrn Dr. Abt, daher zu Recht von dem „allgemeinen Interesse, das die Publikation von Dr. Pohlisch findet“.574 Einem anderen Schreiben können wir entnehmen, dass es erwünscht war, eine derartige Untersuchung „gelegentlich zu wiederholen“, auch um die Auswirkungen neuerer Verordnungen zu überprüfen, dass eine zweite Studie „jedoch schon allein wegen der Kosten“ vorerst nicht geplant sei.575 Unstrittig ist demnach die sehr positive Bewertung der Untersuchung durch RGA und RMI. Dabei ist allerdings auch zu bedenken, dass die deutsche Paris. Yvorel (1992: 108) vermutet, dass die Glaubwürdigkeit dieser Angabe auf ihren Ursprung im „corps législatif“ zurückgehe. 568 BArch R 1501/126496, S. 116-187. 569 BArch R 1501/126496, S. 140. 570 BArch R 1501/126496, S. 140-142. 571 BArch R 1501/126496, S. 161f. 572 BArch R 1501/126496, S. 162. 573 BArch R 1501/126496, S. 179-182; Pohlisch (1932). 574 BArch R 1501/126496, S. 171f. 575 BArch R 1501/126496, S. 148. Schreiben vom 02.04.1932. Vgl. BArch R 1501/126496, S. 149f. RMI an AA, 09.04.1932.
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Regierung großes Interesse daran hatte, die Bemühungen um die Eindämmung des Konsums im eigenen Land international (und v.a. im Völkerbundkontext) als erfolgreich zu präsentieren. Wie diese neuartige Interpretation der Sachlage sich auf den Problematisierungsprozess auswirkte, zeigt ein aktuelles Beispiel. Manche Argumente, die Teil der Dramatisierungsstrategie gewesen sind, wurden nach einigen Jahren auch von jenen Akteuren, die sie in die Diskussion eingebracht hatten, kritisch bewertet (z.B. die Aufnahmestatistiken in den Denkschriften). Dabei bewirkte die Kritik aber weder eine grundsätzliche Reflektion des problematisierenden Diskurses (auch wenn ein wichtiger Baustein der Argumentation wegbrach), noch dass das nun kritisierte Argument generell aus dem Diskurs verschwunden wäre. Beispielsweise wurden die Angaben zu Anstaltsaufnahmen weiterhin in Presseartikeln als Argument angeführt, sie wirkten im zeitgenössischen Diskurs also weiter. Die Reflektion konnte den Wahrnehmungskokon in diesem Punkt nicht mehr beeinflussen – die Problematisierung (und auch die Verwendung von Argumenten) waren zum Selbstläufer geworden. Dass die Kritik den Wahrnehmungskokon nicht mehr durchdringen konnte, sehen wir an der Analyse von Jan Wriedt, der die Angaben der Denkschriften von 1927 und 1931 wie folgt interpretiert: „Allein die offizielle Zahl der Morphinisten stieg von 1920 bis 1925 von ca. 1000 auf 1600, wobei die Dunkelziffer um einiges höher gewesen sein dürfte. Die offizielle Zahl stieg bis 1929 auf 1850. Von 1919 bis 1927 starben jährlich durchschnittlich ca. 110 Personen, die morphinsüchtig waren. Auch der Konsum von Kokain zu nicht medizinischen Zwecken nahm während dieses Jahrzehnts zu und übertraf den Morphinkonsum bei weitem. Hierbei spielten sowohl der gesellschaftliche Umbruch als auch die Verarmung und Zermürbung des Volkes durch die Folgen des Ersten Weltkrieges eine große Rolle. Zudem war der Alkohol (schon damals die Volksdroge Nr. 1) in den ersten Jahren nach dem Krieg knapp“ (Wriedt 2006: 86).576
Wriedt reflektiert die Angaben zu den Klinkaufnahmen nicht kritisch, obwohl dies sogar in den von ihm als Referenz angegebenen Denkschriften geschah. Er bezeichnet die Anstaltsaufnahmen vielmehr als „offizielle Morphinisten“. Die Aussage zu Kokainkonsum, der den des Morphins „bei weitem“ überstiegen habe, kann durch die angegebenen Quellen nicht belegt werden. Erstaunlich sind auch die Angaben über die jährlich 110 Toten, „die morphinsüchtig waren“.577 Die Denkschrift bezog ausdrücklich auch weitere Todesfälle, u.a. 576 Als Quellen gibt Wriedt die Stenographischen Berichte an (Bd. 435, Drucksache 936 sowie Bd. 451, Drucksache 1224), also die Denkschriften zu 1927 und 1931. 577 Hierfür findet sich kein direkter Beleg, ich gehe daher davon aus, dass er seine Aussage auf die in der Denkschrift zu 1927 veröffentlichten Zahlen stützt.
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durch „Selbstmord“ in diese Zahl mit ein,578 sie sagt demnach überhaupt nichts darüber aus, ob die Toten „morphinsüchtig“ gewesen sein mögen, denn auch Selbstmord durch einmalige Einnahme, eine Überdosierung bei medizinischen Anwendungen oder der Tod eines Menschen, der nur gelegentlich Opiate konsumiert hatte, wären hierunter gefallen.579 Wriedts Aussagen zu dieser Frage zeigen, wie schwer ein Wahrnehmungskokon zu durchdringen ist, wenn er sich erst einmal verfestigt hat. Ähnlich wie bei seiner Interpretation der Reichstagsdebatte von 1910 konstruiert Wriedt durch (bewusste oder unbewusste) Ausblendung von Informationen und trotz widersprechender Hinweise Zusammenhänge, die durch die von ihm zitierten Quellen nicht belegt werden können. Seine in anderen Teilen sehr gute Studie trägt so durch mangelnde Reflexion zur Verfestigung des heutigen Wahrnehmungskokons bei. Dieser ist, wie wir an diesem Beispiel sehen können, offensichtlich so stark, dass selbst offizielle zeitgenössische Informationen ihn nicht mehr durchdringen können. Auch die zitierten Äußerungen zum Einfluss des gesellschaftlichen Umbruchs, von „Verarmung und Zermürbung des Volkes“ durch den Krieg und die Verknappung des Alkohols sind m.E. nicht gerechtfertigt. Die Vermutungen der Zeitgenossen ergaben, wie wir gesehen haben, nicht mehr als eine zeitliche Korrelation zwischen Krieg, politischem Umbruch, Inflation und der Problematisierung des Betäubungsmittelkonsums – und konnten zudem nicht belegt werden. Dennoch stellt Wriedt diese Vermutungen als Tatsache dar. Halten wir zu den offiziellen Einschätzungen zum Betäubungsmittelkonsum im Deutschen Reich fest: Diese entwickelten sich innerhalb von nur zwei Jahrzehnten von der Negierung eines Problems über die Feststellung einer Problemlage hin zu der These, dass der Verbrauch im Land nicht weit verbreitet sei. Das Reichsgesundheitsamt besann sich Ende des Jahrzehnts auf die Rolle, die es zu Beginn der Auseinandersetzung um Drogen innehatte und ging wieder zu einer kritischen Reflektion des Diskurses über. Auf der staatlichen Ebene war die Auseinandersetzung um Drogen ab 1929 routiniert. Die grundsätzliche Haltung – eine Anerkennung der restriktiven Kontrolle der Substanzen und das Ziel, hedonistischen Konsum unbedingt zu unterbinden – war zu diesem Zeitpunkt etabliert. Das allgemeine Interesse an der Betäubungsmittelfrage ging nach der Hochphase Mitte der 1920er Jahre wieder zurück. Ob die daraus resultierende relativierende Einschätzung der
578 579
StB, Bd. 435, Anlage Nr. 936, S. 15. Hinzu kommt, dass sich die Zahlen nur auf Preußen bezogen, nicht auf das ganze Reich.
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Problemlage den Diskurs nachhaltig beeinflussen konnte, untersuchen die folgenden Kapitel. 4.2
Öffentlichkeitsarbeit mit dem Ziel, „das öffentliche Rechtsbewußtsein aufzupeitschen“ – nichtstaatliche Organisationen als neuer Akteur in Deutschland Nichtstaatliche Organisationen als neuer Akteur in Deutschland Erinnern wir uns: Die ursprüngliche Entstehung der Opiumfrage war entscheidend durch den Einfluss nichtstaatlicher Organisationen geprägt (vgl. Kapitel 1.1). Tilmann Holzer (2002) hat anschaulich nachgewiesen, dass protestantische Missionare insbesondere im Kontext der Konferenz von Shanghai eine herausragende Rolle in der Auseinandersetzung mit dem Opiumkonsum in China und auf den Philippinen gespielt hatten. Und nicht nur das – laut Scheerer (1993) und Holzer (2002) war außerdem eine Initiative britischer Anti-OpiumOrganisationen der Auslöser dafür, dass die Ratifizierung des Haager Abkommens im Versailler Vertrag implementiert wurde. Die Aktivitäten von heute als Nichtregierungsorganisationen bezeichneten Gruppen hatten also erheblichen Einfluss nicht nur auf die theoretische Entwicklung der Opiumfrage, sondern auch auf die faktische Einführung der Bekämpfungsstrategien. Dieser Einfluss wurde sowohl auf der internationalen als auch auf der innerstaatlichen deutschen Ebene wirksam. Offen ist bislang hingegen, welche Rolle nichtstaatliche Organisationen für die Entwicklung der Problemwahrnehmung und den Umgang mit Drogen in Deutschland selbst spielten. Welche Organisationen sich dort mit Betäubungsmitteln auseinandersetzten, welche Positionen sie vertraten und welche Bedeutung die Auseinandersetzung für die Problemwahrnehmung und den Umgang mit den Substanzen hatte, wurde bislang nur angeschnitten (Holzer 2002: 140ff). Als zentrales Charakteristikum von Organisationen, die heute i.d.R. als Nichtregierungsorganisationen bezeichnet werden, gilt, dass sie nicht gewinnorientiert arbeiten. Dies geht z.B. aus der Definition der Vereinten Nationen hervor.580 Geht man aber davon aus, dass solche Organisationen per definitionem nicht profitorientiert arbeiten, ist die Interpretation von Holzer zu kritisieren, der auch Interessenvertretungen der Industrie wie die Fachgruppe Opium und Cocaïn als NGO bezeichnet – mit dem paradoxen Ausdruck „profitorientierte NGOs“
580
„A non-governmental organization (NGO) is a not-for-profit, voluntary citizens’ group, which is organized on a local, national or international level to address issues in support of the public good” (United Nations o.J.).
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(Holzer 2002: 49).581 Aufgrund der vollkommen anders gelagerten Motivationen von Anti-Opium-Organisationen (grob beschrieben als humanitär-sittlichmoralisch motivierter Kampf gegen Betäubungsmittel) und Interessenvertretungen der Industrie (finanziell motivierte Verhinderungs- und Ausweichstrategien) und wegen der – damals wie heute – konträren Bewertung der Legitimität dieses Engagements werde ich mich in der folgenden Erörterung auf nicht gewinnorientiert arbeitende Organisationen beschränken, worunter ich auch Kirchen bzw. Missionarsgruppen verstehe, auch wenn sie keine klassischen NGOs im heutigen Sinne sind. 4.2.1 Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen zu Betäubungsmitteln in Deutschland Im Gegensatz zum erheblichen Einfluss protestantischer und anderer nichtstaatlicher Gruppen auf die theoretische und praktische Behandlung der Opiumfrage im internationalen Kontext, spielten einheimische Organisationen in Deutschland bis in die späten 1920er Jahre keine unmittelbare Rolle. Lange traten pressure groups in diesem Kontext in Deutschland überhaupt nicht offen in Erscheinung; erst ab 1929 sind Aktivitäten in Form von Broschüren überliefert. Auch die umfassende Aktendokumentation von BArch und PA AA enthält erst für das Jahr 1929 Hinweise auf Tätigkeiten humanitärer Organisationen aus dem eigenen Land; zunehmend dann hinsichtlich der Ratifizierung des Genfer Abkommens ab 1931. Dabei handelte es sich um Gruppen, die ihren Arbeitsschwerpunkt in anderen Fragen hatten und sich nur gelegentlich zu Betäubungsmitteln äußerten. Wie wir sehen werden, wurden Opiate und Kokain nur für deutsche Organisationen relevant, die andere Hauptthemen hatten und zudem in internationalen Zusammenhängen agierten. Weltweit gab es weiterhin unterschiedliche Gruppen, die sich entweder mit der „Opiumfrage“ beschäftigten oder auch die anderen Betäubungsmittel mit einbezogen. Die National AntiOpium Association of China beispielsweise sandte immer wieder Informationsmaterialien nach Deutschland, darunter die von ihr herausgegebene Zeitschrift
581
Holzer vertritt die These, die „typische Konfliktkonstellation“ zu Beginn der Opiumfrage habe aus „zwei NGO-Gruppen (protestantische Missionare versus Pharmaindustrie)“ bestanden, die „de facto ihre Interessen durch ihre Regierungen (vor allem die USA versus Deutschland) auf internationaler Ebene vertreten [ließen] und (…) so das heute noch existierende weltweite Drogenprohibitionsregime [schufen].“ Der „beherrschende Konflikt“ sei „jener zwischen moralischem und ökonomischem Interesse“ gewesen (Holzer 2002: 76).
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Opium a World Problem.582 Die Hefte waren stets reich mit häufig sehr plakativen Darstellungen bebildert, wie folgende Zeichnung verdeutlicht, die mehrfach als Titelbild der Zeitschrift fungierte: Die Bedrohung durch Opium wird mit einer dämonischen Figur illustriert, die versucht die Welt dem Fortschritt zu entziehen.
Abbildung 5: Titelbild der Zeitschrift Opium a World Problem Beim AA erkundigten sich ausländische Organisationen wiederholt nach möglichen nichtstaatlichen Kooperationspartnern, wurden aber enttäuscht. So schrieb Ministerialamtmann Breitfeld im März 1929, „daß sich in Deutschland noch keine besonderen Gesellschaften gebildet haben, die sich (…) den Kampf gegen 582 PA AA R 43275 Z.B. Deutsche Gesandtschaft Peking an AA, 12.01.1932, V 1269/32. Ausgaben der Zeitschrift sind in PA AA R 43249; 43252; 43257 und 43262 enthalten sowie in 43265, woher auch die Abbildung stammt.
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das Opiumlaster zur Aufgabe gemacht haben.“583 Und auch anderthalb Jahre später standen dem AA „Anschriften von Vereinigungen zur Bekämpfung der Betäubungsmittelsucht (…) nicht zur Verfügung“.584 Von zwei Gruppen verschiedenen Hintergrundes – dem Deutschen Evangelischen Missionsbund und dem Deutschen Zweig der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) – liegen Konferenzberichte vor, die die jeweilige Haltung zu Betäubungsmitteln hervorragend nachvollziehbar machen und eine genaue Analyse ihrer Positionen und Ziele im Kampf gegen Drogen ermöglichen. Die in Deutschland auftretenden Organisationen entstammten dem von Schetsche benannten Akteursfeld der sozialen Bewegungen (IFFF) bzw. der Advokaten (konfessionelle Gruppen). Die Abteilung für soziale und wirtschaftliche Forschung und Beratung des Internationalen Missions-Rates veröffentlichte ihren Bericht Die Mission und das Opium- und Narkotika Problem im Sommer 1932.585 Doch zunächst wollen wir uns der deutlich früher erschienenen Druckschrift Internationaler Kampf gegen Opium und Rauschgifte zuwenden, in der der Wortlaut von Reden und Diskussionsbeiträgen einer IFFF-Tagung publiziert wurde.586 Bei dieser Broschüre handelt es sich um die erste überlieferte Positionierung einer deutschen zivilgesellschaftlichen Organisation zum Thema Betäubungsmittel.
583
PA AA R 43258, AA an die Deutsche Gesandtschaft in Peking, 30.03.1929, zu III R 221. PA AA R 43275, Reichsminister des Inneren an Auswärtiges Amt (Vorbereitung eines Schreibens an die Chinesische Gesandtschaft), 27.11.1931, III R 1042/30; II A 2701/17.11., S. 5. 585 PA AA R 43292, Die Mission und das Opium- und Narkotika Problem : Bericht der Abteilung für soziale u. wirtschaftliche Forschung und Beratung des Internationalen Missions-Rats für die Konferenz des Ausschusses des Internationalen Missions-Rats in Herrnhut, 23.06. bis 04.07.1932. Anlage zu V 10995/32. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass sich Organisationen mit Betäubungsmitteln beschäftigten, ohne dass dies überliefert ist. Diskussionen kleinerer Gruppen oder auch andere Aktivitäten, die keinen Niederschlag in der Presse, in den Akten der Regierungsstellen oder durch eigene Veröffentlichungen gefunden haben, können hier nicht berücksichtigt werden. Es darf aber auch davon ausgegangen werden, dass derartige möglicherweise existierende Gruppen keine bedeutende Wirkung auf die Entwicklung des Diskurses und die Problemwahrnehmung erlangten. 586 Die Broschüre der Opium-Kommission des deutschen Zweiges der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (hier zitiert als IFFF 1930) hatte etwa 80 Seiten von ungefähr DIN-A5Format. In den gesichteten Archivakten ist sie nicht enthalten. 584
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4.2.2 „[A]uf zum Internationalen Kampf gegen Opium und Rauschgifte!“587: Eine Tagung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit in Berlin 1929 Die Tagung „Internationaler Kampf gegen Opium und Rauschgifte“ der IFFF fand am 28. November 1929 statt.588 Nach Presseinformationen war sie die „erste öffentliche Konferenz in Deutschland gegen Opium und Rauschgifte“.589 Zum Ehrenkomitee gehörten Frauenrechtlerinnen wie Helene Stöcker und Anita Augspurg sowie weitere bekannte Persönlichkeiten, etwa Albert Einstein, Käthe Kollwitz und Ludwig Quidde. Es sprachen z.B. für die IFFF Lida Gustava Heymann590, Alfredo Ernesto Blanco591 und der uns bereits bekannte Fürsorgearzt Fritz Fränkel. Die Initiative des deutschen Zweiges der IFFF stand im Zusammenhang mit Beschlüssen der gesamten internationalen Frauenliga, sich in der Opiumfrage zu engagieren. Dies ging wiederum auf den Besuch einer Delegation der IFFF in China zurück, die 1927 von chinesischen Frauen eingeladen worden war. Aufgrund der Eindrücke aus Fernost hatte der internationale Kongress der Liga 1929 beschlossen, Konferenzen abzuhalten, um die öffentliche Meinung für Betäubungsmittelfragen zu sensibilisieren und auf den Völkerbund einzuwirken, „seinen langsamen Gang etwas zu beschleunigen“ (IFFF 1930: 7). Auf dem Umweg über den internationalen Zusammenschluss konnten chinesische Organisationen demnach die Diskussion in Deutschland beeinflussen.592 Abendveranstaltungen zur Berliner Konferenz wurden in München, Berlin, Bremen und Hamburg abgehalten und ähnliche Konferenzen fanden in mehreren europäischen Ländern statt. Den Abschluss der Reihe bildete die 587
Schlussworte Lida Gustave Heymanns auf der Konferenz in Berlin (IFFF 1930: 54). PA AA R 43265, Konferenz Programm, Anlage zu III R 950/29. 589 Die Opium-Konferenz in Berlin. Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, 28.11.1929. Dieser Einschätzung widersprechende Informationen liegen mir nicht vor. 590 Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg waren bekannte Vertreterinnen der bürgerlichradikalen Frauenbewegung und die Leiterinnen des deutschen Zweigs der IFFF. Es ist bemerkenswert, dass sich lange kaum Frauen aus Deutschland zu Betäubungsmitteln äußerten und 1929 zum einen eine (aufwendige) Konferenz abgehalten wurde und zum anderen wichtige Akteurinnen aus der Frauenbewegung stammten. 591 Alfredo Ernesto Blanco war Leiter des Genfer Anti-Opium-Büros und zuvor bis August 1928 in der Opiumabteilung des Völkerbund-Sekretariats angestellt. Blanco war Mitbegründer der International Anti-Opium Association in Peking und arbeitete mit den USA zusammen, um beispielsweise neue Vorschläge in die Opiumkommission einzubringen. Er war also ein global tätiger Akteur der Anti-Opium-Bewegung. Mehr zu ihm bei Holzer (2002: 140f); vgl. Rede Blancos auf der IFFFTagung in PA AA R 43265 (ohne Aktenzeichen etc.). 592 Transfers im Bereich nichtstaatlicher Organisationen bzw. sozialer Bewegungen (wie ihn Kristina Schulz (2002) für die Frauenbewegung im Deutschland und Frankreich der 1960er Jahre nachweist), gab es also schon in der Zwischenkriegszeit. 588
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internationale Konferenz gegen Opium und Rauschgifte der IFFF am 28. und 29. April 1930 in Genf (IFFF 1930: 73). Dass der deutsche Zweig der IFFF sich sehr eng an den internationalen Beschlüssen orientierte, zeigt sich daran, dass Lida Gustava Heymann zum einen den Vorschlag, man solle die Alkoholfrage ebenfalls in diesem Kontext behandeln,593 zunächst ablehnend beantwortete: Der „Kampf gegen Alkohol“ werde „seit Jahrzehnten bereits von anderer Seite betrieben“ (IFFF 1930: 50). Später wies die Vorsitzende zum anderen darauf hin, „daß der deutsche Zweig der I.Fr.Fr.Fr. sich an das hält, was international gemeinsam beschlossen wurde“ (IFFF 1930: 54). Diese Vorgaben bestimmten also den Rahmen der Diskussionen und Aktivitäten in Deutschland. Auch inhaltlich interpretierten die Frauen die Betäubungsmittelfrage nicht primär als innerstaatliches Problem, sondern betonten deren globale Zusammenhänge: „Die Frage des Opiums und der Rauschgifte ist längst zu einer internationalen, politischen, wirtschaftlichen und Kulturangelegenheit geworden“, so Heymann (IFFF 1930: 61). Eindeutig wurde auf der Tagung die Industrie als schuldig am Betäubungsmittelproblem dargestellt (IFFF 1930: 58). Darüber, wie die Situation in Deutschland selbst zu interpretieren sei, waren die Referenten auf der Berliner Tagung geteilter Meinung: Einerseits sagte Robert Kempner594 indirekt, in Berlin könne man „soviel Rauschgift wie man nur haben will“, bekommen (IFFF 1930: 31). Und auch Blanco beschwor eine direkte Gefährdung: „Opferländer“ seien Fabrikations- ebenso wie Nichtfabrikationsländer;595 alle rechtlichen Maßnahmen seien hinfällig, wenn man keinen weltweiten Produktionsstopp erlassen würde: „Narkotika und Schmuggel kennen ebensowenig wie Cholerabazillen irgendwelche Landesgrenzen. Solange irgendwo Betäubungsmittel in grösserer Menge als zu ärztlichen Zwecken erforderlich fabriziert werden, wird ihr Volk imstande sein, sich Narkotika zu verschaffen und ihrem Genusse zu fröhnen.“
Im Gegensatz zu diesen Gefahrenszenarien schätzte Fritz Fränkel die aktuelle Situation in Deutschland als weniger bedrohlich ein und relativierte: „Wir müssen die Dinge reduzieren auf das Maß, das ihnen zukommt“ (IFFF 1930: 593
Die gemeinsame Bearbeitung der Fragen forderte etwa Fritz Fränkel (IFFF 1930: 49). Robert M. W. Kempner (* 17.10.1899 in Freiburg/B.; † 15.08.1993 in Königstein/T.) war Dr. iur. und Rechtsanwalt, 1928-1933 Justitiar und Regierungsrat im preußischen Innenministerium, Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik. Er emigrierte 1935 nach Italien, ging 1938 nach Frankreich und 1939 in die USA. Kempner war 1945-1948 stellvertretender Hauptankläger bei den Nürnberger Prozessen und ab 1951 Rechtsanwalt in Frankfurt/M. Quelle: (14.12.2008). 595 PA AA R 43265, Anlage zu III R 950/29, Deutsches Konsulat, Genf, 03.12.1929 an Weizsäcker, S. 16f. 594
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45). Seine Situationsanalyse war sogar sehr optimistisch: „Der Zeitpunkt, in dem Deutschland davon sprechen kann, daß es, soweit überhaupt möglich, frei ist von Morphium- und Alkaloidsüchtigen, ist gar nicht so fern“ (IFFF 1930: 47). Dennoch sah Fränkel Handlungsbedarf, denn „jeder Süchtige hat eine gewisse Tendenz, Proselyten zu machen. (…) Insofern bedeutet er eine soziale Gefahr“ (IFFF 1930: 46).596 Allerdings bezog er sich hierbei auf Morphinismus – der Kokainismus könne angesichts der Arbeit der Polizei „heute als erledigt gelten“, meinte Fränkel. Als großes Problem wurde allenthalben die mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Rauschgifte bezeichnet: „Es fehlt ein allgemeines Rechtsbewußtsein, nach dem (…) Vergehen [gegen das Opiumgesetz; AH] wirklich strafwürdig sind“ (IFFF 1930: 22), kritisierte der Referent Robert Kempner. „Das mangelnde Rechtsbewußtsein ist gefährlicher als eine mangelhafte Gesetzgebung“, ergänzte er (IFFF 1930: 22). Zu Beginn der öffentlichen Versammlungen hob auch Heymann dies als Manko hervor: „Erschreckend ist es, welche Gleichgültigkeit und Unwissenheit nicht nur in den breiten Massen, sondern selbst bei politisch und wirtschaftlich sonst gut unterrichteten Kreisen in Bezug auf Opium und Rauschgifte zu finden ist. Überall begegnet man der Ansicht, daß diese Frage nur für den fernen Osten von Bedeutung sei“ (IFFF 1930: 55).
Nach Heymann wurde dies der Bedeutung nicht gerecht, denn Betäubungsmittel seien „eine wirtschaftliche, politische und Kulturfrage ersten Ranges“ (IFFF 1930: 55). Die IFFF verfolgte mit ihrer Tagung das Ziel, dass eine Konferenz zur Begrenzung der weltweiten Produktion von Betäubungsmitteln einberufen werden solle (was, wie wir im vorangegangenen Unterkapitel gesehen haben, zwei Jahre später auch geschah). Um dies zu erreichen, setzte die IFFF auf die Mobilisierung der öffentlichen Meinung – darauf, „das öffentliche Rechtsbewußtsein aufzupeitschen“, wie es Robert Kempner formulierte (IFFF 1930: 26). „Wir verlassen uns durchaus nicht auf den Völkerbund“, lautete die Devise der IFFF (1930: 54) und so sollte die Kampagne dazu dienen, „die Öffentlichkeit aufzuklären und mit ihr die Kommission des Völkerbundes zu bearbeiten, ihr unsere Beschlüsse zu unterbreiten“ (IFFF 1930: 54). Die Organisation setzte also nicht primär auf Aufklärung der Bevölkerung, um diese vor Betäubungsmitteln zu warnen (wie es z.B. viele Mediziner anstrebten), sondern v.a. darauf, durch gezielte Information der Bürger Druck auf die deutsche Regierung (und weitere Staaten) auszuüben.
596
Fränkel betonte dabei allerdings auch, man müsse den Süchtigen „als Kranken und nicht als Verbrecher“ sehen (IFFF 1930: 45).
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Blanco sprach ein weiteres Ziel der Öffentlichkeitsarbeit an: Die Waage würde sich eindeutig in Richtung der Produktionsbeschränkung neigen, „wenn man in die eine Schale den guten Namen der Regierung und das Wohlergehen des gesamten Volkes und in die andere die Interessen eines Bruchteils einer Industrie wirft.“597 Der Spanier nannte hier zwei Argumente, die auch auf politischer Ebene eine Rolle spielten, nämlich auf der einen Seite die finanziellen Motive der Fabrikanten und auf der anderen Seite – in seinen Augen weit gewichtiger – die Aspekte Volksgesundheit und Außendarstellung der Regierungen. Dass Blanco letzteres Argument in diesem Rahmen einbrachte, mochte eher ein Hinweis an die Zuhörer gewesen sein, dass es auf diesem Weg möglich sei, Druck auf die Regierung zu erzeugen, als eine Warnung, dass das Ansehen des Reichs in Gefahr sei. Die IFFF hatte aber auch konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Situation in Deutschland selbst. Beispielsweise forderte Anita Augspurg ausreichend Heilstätten mit Fachpersonal, „in denen die Süchtigen ohne Grausamkeit, ohne pekuniäre Ausbeutung, im Notfall unentgeltlich, geheilt werden“ (IFFF 1930: 51). Die Frauenorganisation setzte auf unterschiedliche Mittel, um ihre Ziele zu erreichen: Erstens war da die hier beschriebene internationale Kampagne, die von einer umfassenden Öffentlichkeitsarbeit flankiert wurde. Zweitens machte die IFFF eine solide Pressearbeit (s.u. sowie Kapitel 4.3.) und dokumentierte die Tagung von 1929 drittens ausführlich in ihrer Broschüre, deren Titelbild hier abgebildet ist. Die IFFF versuchte aber nicht nur, über die Sensibilisierung der öffentlichen Meinung Druck auf die Regierung auszuüben, sie versuchte darüber hinaus – viertens – diesen Druck selbst zu erzeugen, indem sie sich unmittelbar an die deutsche Regierung wandte. Einige Eingaben der Liga und anderer Organisationen sind in den Archivakten erhalten. Abbildung 6: Titelbild der IFFF Broschüre (IFFF 1930) 597
PA AA R 43265, Anlage zu III R 950/29, Deutsches Konsulat, Genf, 03.12.1929 an Weizsäcker, S 17.
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Ab 1931 sind in den Archivalien einige Eingaben nichtstaatlicher Organisationen an RMI und AA enthalten, die u.a. auf die Ratifizierung des Genfer Abkommens drängten. In einem Briefwechsel mit Herrn Kahler aus dem RMI bekundete etwa Lida Gustava Heymann als Vorsitzende der deutschen IFFF in recht harschem Ton ihren Unmut darüber, dass Deutschland die Erörterung eines Vorschlages zum Staatsmonopol für Betäubungsmittel in der Opiumkommission abgelehnt hatte: Keiner sei „so allwissend, daß nicht durch Erörterungen im Kreise der Vertreter von 55 Staaten ihm und anderen neue Gesichtspunkte erschlossen würden.“598 Das „Interesse objektiver internationaler Zusammenarbeit“ gebiete, Vorschläge anderer Staaten zumindest anzuhören. Das Engagement der deutschen IFFF-Frauen resultierte erneut aus transnationalen Einflüssen, denn die Mitstreiterinnen aus anderen Ländern fragten, „aus welchen Gründen die deutsche Delegation diese Empfehlung nicht annahm“. In einem anderen Schreiben bat die Opium-Kommission des deutschen Zweiges der IFFF darum, ihr den Wortlaut einer Erklärung Deutschlands zur Ratifikation des Abkommens zur Verfügung zu stellen, da dieser „für unsere internationale Arbeit wichtig“ sei.599 4.2.3 „Opium und Narkotika Sucht führt fast unvermeidlich zu einer Überschreitung der Gebote Gottes“: christliche Kirchen und Drogen in Deutschland Zu dieser Zeit wandten sich weitere zivilgesellschaftliche Organisationen aus Deutschland direkt an staatliche Stellen, z.B. erkundigte sich (wie erwähnt) die Deutsche Liga für Völkerbund im Oktober 1931 im AA nach dem Stand der Ratifizierung des Abkommens.600 Mitte 1932 schalteten sich außerdem die beiden großen christlichen Kirchen ein: Als erste religiöse Organisation meldeten sich die Deutschen Heidenmissionen bzw. der Deutsche Evangelische Missionsbund zu Wort, die die Konvention in einem Schreiben an das AA als „einen ausserordentlich wichtigen Schritt auf dem Wege zur Lösung des Problems“ bewerteten.601 Der Deutsche Evangelische Missionsbund drängte auf „eine möglichst baldige Ratifizierung“. Interessant ist, dass die Besorgnis des 598
BArch R 1501/126510, S. 96, IFFF an Kahler/RMI, 20.08.1931, II A 2744a/20.8.31 sowie BArch R 1501/126510, S. 223, IFFF an Kahler/RMI, 29.08.1931, II A 2744a/29.8. PA AA R 43291, Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, Deutscher Zweig. OpiumKommission, an AA, 20.07.1931, V 9097/32. Vgl. Abschrift in BArch R 501/126510, S. 502. 600 In den Akten des AA ist nur dessen Antwort an die Deutsche Liga für Völkerbund erhalten: PA AA R 43285, zu V 20363; 26.10.1931. 601 PA AA R 43291, Deutscher Evangelischer Missionsbund, 29.07.1932, V 9618/32. 599
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Missionsbundes sich ähnlich der der IFFF nicht explizit auf die Situation im Deutschen Reich richtete, sondern auf jene Länder, in denen die Organisation aktiv war – auf die Länder „des Nahen und Fernen Ostens“. Anfang des Jahres 1933 schaltete sich schließlich auch die katholische Kirche ein: Aus einer Aufzeichnung des AA-Referenten Dehl geht hervor, dass Papst Pius XI. „ein erhebliches Interesse“ am Inkrafttreten des Abkommens bekundet hatte.602 Dabei habe der Nuntiatur603 angefragt, „ob etwa deutscherseits Bedenken gegen die Ratifikation“ bestünden. Auf die genannten Anfragen der verschiedenen Organisationen antwortete das Auswärtige Amt zeitnah und wahrheitsgemäß, dass die Ratifizierung im Gange sei.604 Im Schreiben des Deutschen Evangelischen Missionsbundes war eine Publikation des Internationalen Missionsrats enthalten, die eine ähnlich detaillierte Analyse seiner Positionen und Strategien ermöglicht wie der IFFFTagungsband. Aus dem Bericht des Missionsrats zu seiner Konferenz im Sommer 1932 gehen genauere Einschätzungen der evangelischen Mission zu Betäubungsmitteln hervor. So sahen die Autoren in der Ratifizierung des Genfer Abkommens von 1931 den nächsten wichtigen Schritt bei der Bekämpfung des „Narkotika Uebels“.605 „Warum das Opium- und Narkotika-Problem ein Anliegen der Mission ist“, wurde ebenfalls ausgiebig behandelt: Anders als das lokale „Opium-Problem“ sei das der Narkotika „weltweit in seinen unmittelbaren Wirkungen“.606 Interessanter als dieses Verbreitungsargument ist aber die grundlegende Einschätzung der Phänomene: Sie müssten bekämpft werden, weil „sie Laster sind, die unsagbares Leiden über Millionen von Menschen bringen und das sittliche Niveau der Süchtigen derartig herabmindern, dass (…) das Wort Gottes sie überhaupt nicht mehr erreichen kann, und dass sie ausserdem eine ständige Gefahr darstellen für das sittliche und soziale Leben der christlichen Gemeinde.“607
Der Missionsrat sah Handlungsbedarf, denn „Sucht führt fast unvermeidlich zu einer Überschreitung der Gebote Gottes.“608 Neben dem Individuum seien 602
PA AA R 43296, Aufzeichnung, V 1515, eingegangen am 02.02.1933. Der Nuntiatur ist der ständige Vertreter des Papstes im jeweiligen Land. 604 PA AA R 43291, AA an Deutschen Evangelischen Missionsbund, 12.08.1932, V 9618/32. PA AA R 43285, AA an Deutsche Liga für Völkerbund, 26.10.1931, zu V 20363. PA AA R 43291, AA an die Opiumkommission des Deutschen Zweiges der IFFF, 27.07.1932, zu V 9097. 605 PA AA R 43292, Die Mission und das Opium- und Narkotika Problem. (Bericht des Internationalen Missionsrates zu einer Konferenz im Sommer 1932 in Deutschland). Anlage zu V 10995/32, S. 21. 606 PA AA R 43292, Die Mission und das Opium- und Narkotika Problem, S. 1. 607 Holzer (2002: 148) weist darauf hin, „dass die Position der protestantischen Missionare seit Ende des 19. Jahrhunderts gleich geblieben ist“. 608 PA AA R 43292, Die Mission und das Opium- und Narkotika Problem, S. 4. 603
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außerdem „das christliche Familienleben“ und „das sittliche Leben der christlichen Gemeinde durch das schlechte Beispiel, das der Süchtige anderen gibt“, gefährdet. Die Missionare vermengten mehrere negative Interpretationsebenen: Lasterhaftigkeit, Leid des Individuums, Gefahr für die unmittelbare Umgebung und für die Gemeinschaft sowie einen allgemeinen Widerspruch zu einem gottgefälligen Leben. Betäubungsmittelkonsum wurde vom Missionsrat also in jeglicher Hinsicht als problematisch eingestuft, wobei die Betonung religiöser Elemente im Vordergrund stand und die medizinische Seite kaum beachtet wurde. Die protestantischen Missionare stellten aber nicht nur den Konsum als lasterhaft und den Konsumenten als (gefährlichen) Sünder dar, sondern „der Opiumerzeuger und der Händler“ rückten ebenfalls in den Fokus: „Es ist nicht nur die Seele des Süchtigen, die (…) Schaden nimmt, sondern auch die Seele dessen, der daraus Gewinn erzielt“. Als Hauptproblemträger wurden somit neben den Konsumenten jene herausgestellt, die die Substanzen produzierten und sie verkauften. Die Frage, wer als Problemträger identifiziert wurde und wo die Lösungsansätze greifen müssten, war augenscheinlich eine sehr grundsätzliche und die Benennung der Verantwortlichen hing erheblich von der politischen und geistigen Grundhaltung der Kritiker ab. So stellten im Gegensatz zu den christlichen Missionaren einige der IFFF-Rednerinnen und Redner nicht die Individuen bzw. fremde Tätergruppen in den Mittelpunkt, sondern das (Wirtschafts-)System: Die französische Anarchistin Marcelle Capy interpretierte Rauschgifte als „die zweite Waffe des Imperialismus“ (IFFF 1930: 67) und der KPD-Mitbegründer Fränkel betonte, dass auch „kapitalistische Interessen“ (IFFF 1930: 48) in der Betäubungsmittelfrage eine Rolle spielten. Für Capy und Fränkel standen dementsprechend der Staat und die Industrie im Fokus der Kritik. Bemerkenswert ist ohnehin, dass die Anarchistin Capy und der Kommunist Fränkel auf der IFFF-Tagung sprachen, stammte die Liga doch aus einem ganz anderen politischen Kontext, nämlich der radikal-bürgerlichen Frauenbewegung. Wie auch heute waren Betäubungsmittel schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Thema, das Zusammenarbeit über politische Grenzen hinweg ermöglichte. Probleminterpretationen, Methoden und Lösungsansätze der in Deutschland in Aktion tretenden Organisationen waren erheblich von internationaler Kooperation geprägt. Die Analyse der Broschüren zeigte, dass die Frage, wie das Problem genau bezeichnet wurde, global sehr ähnlich, in entscheidenden Details aber unterschiedlich interpretiert wurde. Gemein ist allen genannten Analysen, dass sie den Bezugsrahmen der Betäubungsmittelfrage im internationalen Kontext sahen und die Situation in Deutschland nicht isoliert betrachteten. Den Konsum Einzelner sahen alle als problematisch an und zwar wegen der potenziellen
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Gefährdung des Umfeldes des Konsumenten. Der entscheidende Unterschied der Interpretationen war, wo sie die Schuld an all diesen Aspekten suchten: bei den Herstellern im eigenen Land oder im Ausland, beim Staat selbst oder doch beim Individuum. Der Topos der Proselytenmacherei ist sowohl in den Analysen der IFFF-Tagung als auch in jenen der protestantischen Missionare angelegt. Beiden galten Konsumenten als Menschen, die andere verführen würden. Dabei machten die Missionare einen Schritt zur Individualisierung der Schuld (sowohl des Händlers als auch des Konsumenten). Eine solche Gefährdung stritt wie erwähnt auch Fränkel nicht ab, seinem Selbstverständnis als Fürsorger entsprechend entschuldigte er aber den (für die Gemeinschaft potenziell als gefährlich angesehenen) Abhängigen, indem er betonte, dieser sei als Kranker – nicht als Verbrecher – zu behandeln. 4.2.4 Weitere Zirkelschlüsse: zivilgesellschaftliche Organisationen und Presse Qualitativ neu in Deutschland war das systematische Informieren der Öffentlichkeit, indem insbesondere gezielte Pressearbeit betrieben wurde. Dieser Strategie, die für den deutschen Raum im Rahmen der IFFF Tagung ihren Anfang genommen zu haben scheint, wurde große Bedeutung beigemessen. So betonte Blanco, der bei der Frauenliga gesprochen hatte, gegenüber dem Genfer Generalkonsul Völckers, „daß er in Berlin viel Gelegenheit gehabt hätte, mit deutschen und ausländischen Pressevertretern zu sprechen, und daß er die öffentliche Meinung in Deutschland überall gut darüber [sic] vorbereitet habe, daß es nunmehr notwendig sei, radikale Maßnahmen zur Bekämpfung des 609 Opiumschmuggels durchzuführen.“
Andererseits fiel Blancos Informationspolitik aber auch im Auswärtigen Amt auf; Breitfeld schrieb an Völckers über die Tagung der IFFF: „Fast die gesamte Berliner Presse hat sich mit der Konferenz beschäftigt; auch Herrn Blancos Bestrebungen um die Lösung der ‚Opiumfrage’ wurde eingehend hervorgehoben.“610 Die Pressearbeit der IFFF scheint sehr erfolgreich gewesen zu sein, hieß es doch, „die Veranstaltungen [fanden] bereitwillige Unterstützung durch die Presse des In- und Auslandes“ (IFFF 1930: 55). In den Akten des Auswärtigen
609
PA AA R 43265, Anlage zu III R 950/29, Deutsches Konsulat, Genf, 03.12.1929 an Weizsäcker. PA AA R 43265, Breitfeld an Generalkonsul Völckers zur Tagung der IFFF, 05.12.1929, zu III R 884/29, S. 2.
610
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Amtes sind fünf Presseberichte zur Konferenz dokumentiert, so viele wie selten zu einem einzigen Ereignis.611 Besonders deutlich wird das Verhältnis von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Presse in der Rede Blancos auf der IFFF-Tagung. Der Redner bezog sich wiederholt auf Zeitungsartikel als Informationsquelle, ähnlich wie Gertrud Woker.612 Auch in einem Schreiben an das AA stützte Blanco sich auf Presseberichte: Angesichts der enormen Mengen Schmuggelware hätte sich das Publikum „die Frage [gestellt], was denn die Kommission eigentlich tue“, berichtete er und brachte Zeitungen ins Spiel: „Presse-Artikel erläuterten und tadelten die Tätigkeit des Völkerbundes und forderten Abhilfe gegen das Uebel.“613 Es gab demnach auch eine Ebene des Verstärkerkreislaufs, auf der sich zivilgesellschaftliche Organisationen und Zeitungen wechselseitig zitierten, denn Blancos AOIB konnte die Berichterstattung schon seit mehreren Jahren beeinflussen.614 Tilmann Holzer (2002: 140) hat bedeutenden Einfluss internationaler nichtstaatlicher Organisationen auf die Presse in der Frage der Schmuggelfälle nachgewiesen: „Ein Versiegen des öffentlichen Interesses wurde durch verschiedene NGOs verhindert, am einflussreichsten war einerseits die ‚International Anti-Opium Association’ in Peking, welche über Schmuggel von Europa nach China berichtete, meist direkt an den Völkerbund, der diese Zahlen fast immer in offizielle Drucksachen übernahm; die zweite wichtige NGO war das ‚Anti-Opium Information Bureau’ in Genf. Dieses sorgte für die Verteilung verschiedener Berichte, z.B. der IAOA-Berichte aus China oder ähnlicher Fälle aus den USA. Diese NGO konnte durch gute Kontakte zur Presse des öfteren anklagende Artikel gegen den internationalen Drogenschmuggel lancieren.“
Wenn tatsächlich Statistiken dieser Gruppen in die Akten des Völkerbundes übernommen worden sind, hätten sie erstaunliche Deutungsmacht gehabt und der Verstärkerkreislauf hätte hier Presse, zivilgesellschaftliche Organisationen und (über-)staatliche Institutionen umfasst.
611
PA AA R 43265, Anlagen 1-5 zu III R 884/29: Hübsch hier geblieben – nicht ins Nirwana! : Erschreckende Zunahme der Rauschgift-Seuche in allen Ländern, 27.11.1929; Die OpiumKonferenz in Berlin. Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit; 28.11.1929; Der Krieg gegen Opium und Rauschgifte, 29.11.1929; Internationales Opium : nur noch wenige Rauschgiftsüchtige in Berlin, 29.11.1929; Gegen Opium und Rauschgift, 03.12.1929. 612 Leitner (1998: 339ff) beschreibt, dass Woker spontan auf der Hauptkonferenz gesprochen und dafür in einer Nacht ihr Wissen über die Opiumfrage zusammengetragen habe. Woker war als Chemikerin durchaus Expertin für Betäubungsmittel, aber auch sie war über die soziale Seite der Frage anscheinend nicht gut informiert. 613 PA AA R 43265, Anlage zu III R 950/29, Deutsches Konsulat, Genf, 03.12.1929 an Weizsäcker, S. 8. 614 Mehr zum Verhältnis Presse – nichtstaatliche Organisationen im folgenden Unterkapitel.
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4.2.5 Fazit zu zivilgesellschaftlichen Organisationen und ihrer Bedeutung für den Problematisierungsprozess Neu war ab 1929, dass sich zivilgesellschaftliche Gruppen öffentlich zu Drogen äußerten und dass sie auch auf reichspolitischer Ebene aktiv wurden. So kam die Betäubungsmittelfrage um die Wende zu den 1930er Jahren als Problem, das konkrete Aktivitäten erforderte, in der deutschen Zivilgesellschaft an, was einen weiteren Schritt der Problemetablierung markiert. Auffällig ist, dass dies erst geschah, als das Problem auf anderen Ebenen – auf staatlicher Seite, in der Presse und im fachwissenschaftlichen Bereich – bereits anerkannt war. Zu einer Etablierung der Betäubungsmittelfrage in den Alltag der Zivilgesellschaft kam es zu diesem Zeitpunkt in Deutschland allerdings nicht: Gruppen, die die Frage dauerhaft auf ihre Agenda setzten oder gar zu ihrem Hauptbetätigungsfeld machten, traten im Untersuchungszeitraum nicht in Erscheinung.615 Angesichts der intensiven Auseinandersetzung mit der Alkoholfrage in Deutschland und der Impulse, die die Öffentlichkeit durch Gesetzgebung, internationale Sensibilisierung, Presseartikel und nicht zuletzt durch zivilgesellschaftliche Organisationen erhalten hat, fällt diese ausbleibende dauerhafte Etablierung in der Tat ins Auge.616 Dies werte ich als Hinweis darauf, daß „die Dinge“ letztlich vom Großteil der Bevölkerung tatsächlich „auf das Maß, das ihnen zukommt“, reduziert wurden, wie Fritz Fränkel gefordert hatte (IFFF 1930: 45; vgl. Kapitel 4.3). Dies entspricht auch der Wahrnehmung Breitfelds, der das geringe Interesse der Öffentlichkeit 1929 darauf zurückführte, dass die „Sucht nach Opium“ in Deutschland nicht bestehe und „die Sucht nach Betäubungsmitteln“ „nicht entfernt in dem Maße verbreitet“ sei wie in China oder den USA.617 Wir sehen, dass der Druck, unter dem die deutsche Politik stand, seit Ende der 1920er Jahre nicht mehr nur von internationalem Parkett ausging, sondern 615
Es gibt nur einen einzigen Hinweis auf eine Gruppe in Deutschland, die sich ausschließlich mit der Betäubungsmittelfrage beschäftigt haben soll: Ein Zeitungsartikel vom August 1930 erwähnte die Gründung eines Vereins „zur Bekämpfung der Rauschgiftseuche“. An dessen Spitze stünden „hervorragende Aerzte“, das Ziel sei Aufklärung (etwa durch Vorträge) und Einflussnahme auf die Regierung; das Polizeipräsidium habe seine Unterstützung zugesagt. Der Verein schien mit der IFFF in Verbindung zu stehen, Kontaktmöglichkeiten wurden aber nicht genannt. Weitere Informationen zu dieser Gruppe habe ich nicht gefunden und auch in keiner anderen Quelle von ihr gelesen. Sofern er überhaupt existiert hat, blieb der Zusammenschluss nach meinen Erkenntnissen bedeutungslos (Der Schleichhandel mit Rauschgiften (…), 18.08.1930). 616 In den Alkoholgegnervereinigungen haben Betäubungsmittel zumindest keine besondere, wenn nicht sogar überhaupt keine Rolle gespielt und so wurden sie auch in der Zivilgesellschaft getrennt vom Alkohol behandelt. In Bremen beispielsweise thematisierten die Alkoholgegner Betäubungsmittel weder in ihrem Selbstverständnis noch in Analysen des problematischen Alkoholkonsums explizit (vgl. Hoffmann 2005: 98f). 617 PA AA R 43258, AA an die Deutsche Gesandtschaft in Peking, 30.03.1929, zu III R 221.
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zusätzlich von Organisationen aus dem eigenen Land kam. Mit den Aktivitäten der IFFF und der konfessionellen Gruppen gab es seit Ende der 1920er Jahre organisierte Menschen, die die Entwicklungen aufmerksam beobachteten und die deutsche Regierung zur Fortsetzung der Bekämpfung von Betäubungsmitteln drängten. Dass das Engagement dieser Gruppen Wirkung hatte, zeigen die o.g. Antwortschreiben der Regierungsstellen auf die Anfragen. Aber auch internen Dokumenten maßen die Beamten in RGA und AA beispielsweise der IFFF-Tagung (und hier insbesondere der Rede Blancos) Bedeutung bei.618 4.3
Mehr als eine halbe Million Konsumenten in Deutschland oder doch nur „wenige Rauschgiftsüchtige in Berlin“? Presseberichterstattung zu Betäubungsmitteln ab 1929 Presseberichterstattung zu Betäubungsmitteln ab 1929 Im folgenden Kapitel soll die Darstellung von Drogen und ihren Konsumenten in der Presse ab 1929 im Fokus stehen. Einerseits steigerte die Darstellung sich, wie wir sehen werden, teilweise in Szenarien, die jeglichen nachvollziehbaren Bezugsrahmen verließen. Analog zur staatlichen bzw. Experten-Ebene wurden andererseits aber auch in den Zeitungen erste Stimmen laut, die den zeitgenössischen Diskurs kritisch reflektierten. Der Abschluss dieses Kapitels bildet ein kurzes Resümee zur Presseberichterstattung im gesamten Untersuchungszeitraum. 4.3.1 Charakteristisch wie die Pest für das Mittelalter? Konkrete Zahlen und dramatische Metaphern zur Verbreitung des Drogenkonsums Ab Ende der 1920er Jahre wurden zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums immer häufiger (mehr oder minder) konkrete Zahlen, aber auch wortgewaltige Metaphern genannt, um die Bedrohung zu veranschaulichen. Es sei eine Tatsache, dass „Tausende von Künstlern, Schriftstellern, also gerade geistigen Menschen, ohne die Erregung des Giftrausches nicht mehr schaffen können oder schaffen zu können glauben“, schrieb z.B. Dr. Rebmann 1930.619 Ein anderer Autor verkündete, es seien „[u]ngezählte Wissenschaftler, in Deutschland allein Tausende von Ärzten“ betroffen.620 Beide führten unterschiedliche Gruppen an, 618
PA AA R 43265, Breitfeld an Generalkonsul Völckers zur Tagung der IFFF, 05.12.1929, zu III R 884/29, S. 2. 619 Das Kampfgesetz gegen die Nervengifte : Am 1. Januar ist das neue Gesetz über den Verkehr mit Rauschgiften in Kraft getreten, 08.01.1930. 620 Heilung vom Morphinismus, 17.12.1930.
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deren „Begabung“621 für die Gesellschaft als wichtig erachtet wurde und postulierten, ein großer Teil ihrer Mitglieder würden Betäubungsmittel konsumieren. Ein Artikel berichtete mit Bezug auf den Strafrechtsausschuss vom „Umsichgreifen des Rauschgiftlasters und seinen verheerenden Folgen“. Es seien in Deutschland „von je 100000 Menschen vier dem Laster derart verfallen (…), daß sie aus der Gesellschaft völlig ausscheiden.“622 Einen knappen Monat später, im Mai 1930, erschien ein Artikel, der nicht wie der Vorgänger von umgerechnet rund 2.400 Betroffenen sprach, sondern angab, die Zahl der Kranken sei „mit einer halben Million Menschen in Deutschland eher zu niedrig als zu hoch eingeschätzt.“623 Einem Anteil von umgerechnet ca. 0,004 % Konsumenten an der Bevölkerung aus dem Strafrechtsausschuss (die bereits als gravierend eingestuft worden waren) standen nun rund 0,8 % der Einwohner entgegen, also 200-mal mehr. Insbesondere die Artikel vom April und Mai 1930 zeigen, dass es keinerlei Konsens gab, was unter den dramatisierenden Szenarien zu verstehen sei und ab welcher Verbreitung man den Betäubungsmittelkonsum als Gefahr bewerten wollte: Egal ob von 500.000 oder doch nur 2.400 Betroffenen geschrieben wurde oder ob nun „Tausende“ Ärzte, Künstler o.ä. ins Feld geführt wurden – all diese Zahlen konnten unabhängig von ihrer Höhe als dramatisch dargestellt werden. Diffuser, aber keineswegs undramatischer waren die Metaphern und Umschreibungen, mit denen manche Autoren arbeiteten: René Kraus schrieb, „Hekatoben von Menschen“, also eine riesige Zahl von Opfern, seien „am Rauschgift zugrunde“ gegangen.624 Félicie Breyer meinte, die Opiumfrage sei „eine bitterernste europäische“ und berichtete vom „erschreckenden Umfang“ des Konsums in fast allen europäischen Ländern und den USA.625 Ein anonymer Autor schrieb Ende 1930, „Armeen von Beamten, Angestellten und Arbeitern“ seien betroffen.626 Und schließlich wies ein ranghoher niederländischer Polizeibeamter des Rauschgiftdezernats in einem Interview auf „das Heer der dem Rauschgiftlaster Verfallenen“ und die „außerordentliche Ausbreitung“ des Konsums hin.627 Gemein ist diesen Schilderungen, dass sie die Assoziation einer immensen Verbreitung der Substanzen hervorriefen. 621
Das Kampfgesetz gegen die Nervengifte (…), 08.01.1930. Der internationale Kampf gegen die Rauschgifte, 23.04.1930. 623 Die Gottesgeißel von gestern (…), 10.05.1930. 624 Die Gottesgeißel von gestern (…), 10.05.1930. 625 Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht, 20.11.1929. Wahrscheinlich schrieb mit Félicie Breyer eine Frau aus dem Umfeld der IFFF den Artikel. Ähnlich: Internationaler Kampf gegen Opium und Rauschgift. Tagung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, 29.11.1929. 626 Heilung vom Morphinismus, 17.12.1930. 627 Internationaler Kampf : gegen den Rauschgifthandel, 09.01.1933. 622
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Auch das bekannte Bild der Seuche wurde anders eingesetzt als in den Vorjahren. Hatten bisher v.a. Mediziner die Metapher zur Charakterisierung des Betäubungsmittelkonsums verwendet, so tauchte der Seuchenbegriff ab 1928 nur noch bei einem einzigen Expertenartikel meiner Stichprobe auf.628 Das bedeutete aber nicht, dass der Vergleich vollkommen aus dem Diskurs verschwand, denn nun verwendeten jene Autoren, die keine Experten waren (oder die ihre Artikel nicht kennzeichneten), ihn etwas häufiger als zuvor.629 Allem Anschein nach hatten diese Autoren die Darstellungsweise der Mediziner übernommen. Interessant ist, dass auch das Seuchen-Bild eine Zuspitzung erfuhr: In einem Artikel aus dem November 1929 war nicht mehr allgemein die Rede von einer unbestimmten Seuche, sondern von der Pest. Betäubungsmittel seien „die Giftseuche, die unser Zeitalter genau so charakterisiert, wie etwa die Seuche des ‚schwarzen Todes' das Mittelalter“, hieß es Ende 1929.630 Der Autor beschwor damit ein hochdramatisches Szenario herauf, schließlich werden die Pestepidemien bis heute als die „verheerendsten Naturkatastrophen, die Europa jemals heimgesucht haben“ (Herlihy 2007: 7) empfunden. Der unmittelbare Vergleich mit der Pest, noch dazu im Bezug zu ihrer mittelalterlichen Hochphase, ist ein deutlich konkreterer Vergleich als die einfache Bezeichnung „Seuche“ – und eine der am weitesten gehenden Dramatisierungen, die uns bislang begegnete.631 628 Internationaler Rauschgifthandel : Nach einem offiziellen Bericht der ägyptischen Regierung, 04.07.1930. Wir erinnern uns, dass von 1920 bis 1927 bis auf eine Ausnahme alle Experten, die zu Kokain- oder anderem Drogenkonsum schrieben, den Begriff der Seuche benutzten (s. Kapitel 3.3). 629 Sie wählten diese Formulierung aber niemals so häufig wie Mediziner. Die Kokainseuche in Italien, 07.08.1921; Die Rauschgiftapotheke der Menschheit : Europas Rauschgiftschmach Ostasiens Rauschgiftelend - Opiate und Heroine - „Der starke Mann in Pulverform“ - Zur Kur- und Medizinalgeschichte des Alkaloidrausches - Wann endet die Schande?, 17.02.1929; Internationaler Kampf gegen Opium und Rauschgift. Tagung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, 29.11.1929. Weltkampf gegen das Rauschgift : Gespräch mit Alfredo Ernesto Blanco : dem Leiter des Anti-Opium-Instituts beim Völkerbund, 21.02.1930; Internationaler Kampf : gegen den Rauschgifthandel, 09.01.1933. Die Auswertung der Archivalien steht dieser Annahme nicht entgegen: Gesamt ist nur ein Medizinerartikel in den Archivalien (Opiumkonferenzen, 01.05.1925) kopiert. Der Begriff der Seuche taucht in den von mir ausgewählten Artikeln nur sporadisch auf und nur in den Jahren 1925, 1929 (zweimal) und 1933: Erfahrungen eines geheilten Morphinisten. Selbsterlebtes aus England. Ueber Morphinismus und Kokainismus, 19.04.1925; Hübsch hier geblieben : – nicht ins Nirwana! Erschreckende Zunahme der Rauschgift-Seuche in allen Ländern, 27.11.1929; Der Krieg gegen Opium und Rauschgifte, 29.11.1929; Riesiger Rauschgiftskandal : Enthüllungen Russel Paschas, des Chefs der Kairoer Polizei : Tolle Bestechungen, 23.02.1933. 630 Hübsch hier geblieben : – nicht ins Nirwana! Erschreckende Zunahme der Rauschgift-Seuche in allen Ländern, 27.11.1929. 631 Zuvor war in meiner Stichprobe nur zweimal der Begriff Pest aufgetaucht, dort allerdings nicht besonders hervorgehoben: einmal durch WTB (obwohl die Überschrift überhaupt nicht zum Inhalt
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All diese Metaphern sollten augenscheinlich eine extreme Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums suggerieren und waren dabei stark dramatisierend. Wie die Darstellungen in konkreten Ziffern zeigen sie, dass das Reden über die Verbreitung um die Wende zu den 1930er Jahren jeglichen Bezugsrahmen verließ – selbst Beschreibungen, die die Betroffenheit von Millionen Menschen in Deutschland suggerierten, wurden eingesetzt. Ebenso wie andere Darstellungen an Dramatik zunahmen, so wurde auch der Topos des Drogenkonsums als unterschätzter Gefahr ab 1930 häufiger und zugespitzt eingesetzt. Diese Diskursstrategie ermöglichte den Experten mit Verweis auf ihr umfassendes Wissen, die eigene Einschätzung als unumstößlich zu präsentieren und weniger problematisierende Beschreibungen als unfundiert zurückzuweisen. Darüber hinaus konnten mit diesem Mittel gleichzeitig die sonstigen Szenarien übersteigert werden, wie wir an einer Äußerung von Alfredo Ernesto Blanco aus dem Februar 1930 sehen können: „Man liest heute verhältnismäßig viel vom Kokain-Schleichhandel, von Opium-Lasterhöhlen, von den Rauschgift-Zentren in allen großen Städten. Die Wirklichkeit übertrifft all diese Berichte hundertfach. Wenn wir auch noch nicht so weit sind wie China, wo tatsächlich das ganze Volk durch die Rauschgifte verseucht ist, - die Öffentlichkeit würde staunen, wenn sie einen Begriff davon hätte, wie weit heute auch in Europa die Rauschgifte in gut bürgerliche und vor allem in Arbeiterkreisen eingedrungen sind.“632
„Das Kokainlaster ist sehr viel weiter verbreitet, als allgemein bekannt ist“, konstatierte ein anderer Autor 1931.633 Und auch in jenem Artikel, der von einer halben Million Konsumenten in Deutschland sprach, hieß es, genaue Zahlen könne es nicht geben, aber „diese Menschheitsgeißel“ sei „sehr viel weiter verbreitet, als man es in der Öffentlichkeit ahnt.“634 Diese (impliziten) Verweise auf ein Dunkelfeld sind ein typischer Bestandteil der Diskursstrategie der Dramatisierung (vgl. Schetsche 2008: 131).635 Der Problematisierungsprozess passte; Deutschland und die Opiumpest, 23.11.1924) sowie 1919 durch ein (promoviertes) Mitglied des Reichstages, Dr. Hartmann (Opium, 07.11.1919). 632 Weltkampf gegen das Rauschgift : Gespräch mit Alfredo Ernesto Blanco : dem Leiter des AntiOpium-Instituts beim Völkerbund, 21.02.1930. 633 Internationaler Kampf : gegen den Rauschgifthandel, 09.01.1933. Ferner hieß es in einem Artikel, Drogenkonsum sei eine ernste Gefahr und deutlich weiter verbreitet, als die Öffentlichkeit annehme (Der Schleichhandel mit Rauschgiften : Ein gefährliches Gewerbe. - Erschwerte Abwehrmaßnahmen vom 18.08.1930). 634 Die Gottesgeißel von gestern (…), 10.05.1930. 635 Schetsche (2008): 135) weist zu Recht darauf hin, das die „dramatisierende Formatierung sozialer Probleme (…) in den Massenmedien (…) voll und ganz deren spezifischer Systemlogik [entspricht].“ Allerdings ist die Analyse der verzerrten Darstellung in den Zeitungen dennoch wichtig, weil sie einerseits von Zeitgenossen und der späteren Forschung als verlässliche Quellen herangezogen wurden und andererseits, weil wir so nachvollziehen können, wie sich der Problematisierungsdiskurs entwickelte.
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wurde mit dieser Darstellung aus einer umfassenden gesellschaftlichen Auseinandersetzung förmlich herausgelöst, hätten demnach doch nur Experten realistische Bewertungen abgeben können und ihre Aussagen damit die Qualität von Unwidersprechbarem erlangt. Dabei gab es sogar die Möglichkeit, sich auf die Definitionsmacht eines Experten zu berufen, seine Analyse aber verfälscht wiederzugeben. Beispielsweise referierte ein Autor die Ergebnisse Pohlischs folgendermaßen: „Die Zahl der Morphiumsüchtigen hat in Deutschland im Laufe der Nachkriegsjahre ausserordentlich zugenommen. Eine Statistik, welcher die im ersten Halbjahr 1928 gesammelten Morphiumrezepte zugrunde gelegt sind, gibt die Zahl der Morphiumkranken auf annähernd 8000 an.“636
Hervorgehoben wurde hier allein die zunehmende Verbreitung des Substanzen – von Pohlischs Bewertung, die Konsumentenzahl könne durch ihre „Kleinheit“ nur überraschen, erfuhren die Zeitungsleser hingegen nichts. Wir sehen, dass Argumente wie die Statistiken aus den Krankenanstalten oder jene von Pohlisch „im Laufe der Problemkarriere schnell der Verfügungsgewalt der Problemdefinierer entzogen [wurden] und (…) eine ganz eigene soziale Realität: die diskursiv konstituierte Wirklichkeit eines sozialen Problems [generierten]“ (Schetsche 2008: 70). Diese „erhebliche Eigendynamik“ der Problemdeutung zeigte sich ebenso, wenn durch Überschriften oder im Verstärkerkreislauf Aussagen verschärft Interpretiert wurden. Sie bildet ein zentrales Charakteristikum des hier beschriebenen Problematisierungsprozesses.637 Wir sind den von Schetsche exemplarisch vorgestellten Diskursstrategien „Dramatisierende Statistik“, „Selektive Auswahl von Fallbeispielen“ und „Moralisieren“ begegnet (zu deren Erläuterung s. Schetsche 2008: 130-134). Diese Diskursstrategien waren zentral dafür, dass sich die Problemwahrnehmung im politischpublizistisch-professionellen Verstärkerkreislauf bis zum Ende der 1920er Jahre zum „allgemeinen Wissen der Mitglieder der Gesellschaft“ entwickelte (Schetsche 2008: 129). 4.3.2 „Rauschgifthändler sind Schädlinge der Menschheit“: Dimensionen der Problematisierung ab 1929 Nachdem wir gesehen haben, wie die Verbreitung des Konsums ab 1929 dargestellt wurde, wenden wir uns nun der inhaltlichen Bewertung des Phänomens zu.
636
Morphinismus : Psychische Behandlungsmethode, 20.12.1932. Auf eine ähnliche Eigendynamik, die Krisendiskurse geprägt habe, verweisen auch Föllmer, Graf und Leo (2005: 31). 637
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Ab Ende der 1920er Jahre rückte der Schmuggel als zentrale Problemdimension immer mehr in den Blick der Presseberichterstattung, womit die Zeitungen sich an die Entwicklung des Diskurses auf politischer Ebene anlehnten. Die Akteure machten den „Schleichhandel“ als Grundlage der Betäubungsmittelfrage aus638 und im öffentlichen Diskurs wurde immer wieder auf die internationale Dimension des Problems verwiesen.639 Interessant ist, dass die Verschiebung des Fokus parallel zum Rückzug der Mediziner und anderer Akademiker aus der Zeitungsberichterstattung verlief, dieser also keineswegs zu einer stärkeren öffentlichen Kritik an Fehlern von Medizinern führte – im Gegenteil. War auch in den Vorjahren schon häufiger die Rede von der Problematik des Schmuggels, so fokussierte die Tagespresse ab ca. 1929 die BetäubungsmittelKleinhändler. Diese Gruppe wurde Ende der 1920er Jahre als manifester Bestandteil des Problems eingeführt – und als solches gelten Dealer bis heute (vgl. Paul/Schmidt-Semisch 1998). „Die moralische Bewertung der Opiat- und Kokainhändler hat sich seit den dreißiger Jahren nicht grundsätzlich geändert, sondern – unter Aussparung expliziter Benennung von Juden als Täter – in ihren wesentlichen Merkmalen nur verfestigt“,
schreiben Mach und Scheerer (1998: 72) und bezeichnen diese Verfolgung von Dealern als „Vorhut der allgemeinen Entwicklung sozialer Kontrolle“. Zu ergänzen ist, dass die Grundstruktur dieser Bewertung bereits in der Weimarer Republik angelegt wurde. Der Fokus schwenkte Ende der 1920er Jahre von abstrakten Schmugglerkreisen weg, hin auf (zumindest theoretisch) identifizierbare Einzelpersonen, die mit Betäubungsmitteln handelten, womit sich die Wahrnehmung ganz konkret auf die Umgebung der Autoren und Leser richtete. Zwar fanden die „kleinen Rauschgifthändler“ schon früher Beachtung,640 aber erst ab 1929 bezogen die Akteure den Schmuggel als zentrales Charakteristikum des Problems neben seiner internationalen Dimension ganz konkret auf Deutschland als Verkaufsort. Neu war, dass es nicht mehr nur abstrakt um Schmuggel ging, sondern um eine konkrete Bedrohung durch „Rauschgifthau638
Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht, 20.11.1929; Gegen Opium und Rauschgifte, 03.12.1929; Ein Blick hinter die Kulissen der Rauschgiftkommission. Opiummächte schläfern den Völkerbund ein : Eine der rentabelsten Waren der Welt, 07.02.1933; Enthüllungen über den Rauschgifthandel. : Russel Paschas Lebenswerk. - Der Rauschgifthandel von Aegypten, Griechenland und der Türkei. - Drei Griechen beschäftigen 300 000 Mann. - Eine Liste der Namen und der Bestechungsgelder, 04.05.1933. 639 Dies war z.B. eine der zentralen Thesen der IFFF-Tagung bzw. der nichtstaatlichen Organisationen (IFFF 1930). Zeitungsartikel: Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht, 20.11.1929; Enthüllungen über den Rauschgifthandel (…), 04.05.1933. 640 Schwunghafter Handel mit Rauschgiften : Was tut das Reichsgesundheitsamt zum Schutz der Volksgesundheit, 06.09.1928.
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sierer“641, „Rauschgiftkleinhändler“,642 bzw. „Rauschgifthändler“, die als „Schädlinge der Menschheit“ bezeichnet wurden. Diesen Personen wurde zugeschrieben, „die Volksgesundheit aufs schwerste [zu] schädigen und [zu] gefährden“. Besonders interessant ist, dass die Rauschgiftkleinhändler teilweise nicht länger nur als Nutznießer eines ohnehin bestehenden Problems dargestellt wurden (mithin als diejenigen, die einen bestehenden Bedarf an Betäubungsmitteln abdeckten und dabei Gewinn erzielten). Vielmehr wurde 1929 erstmals von gezielt arbeitenden Händlern berichtet, die versuchen würden neue Kundenkreise anzuwerben.643 „Der Rauschgifthausierer ist eine der dunkelsten Gestalten der modernen Großstadt, meist selbst süchtig, verleitet er durch Abgabe von ‚Proben’ seine zukünftigen Abnehmer“, konstatierte beispielsweise Félicie Breyer.644 Ferner hieß es 1934 über die USA, dort hätten „die Rauschgifthändler selbst an Schulkinder Rauschgifte zu sehr niedrigen Preisen abgegeben, um sich damit sozusagen einen zukünftigen Markt zu sichern“.645 Hier wurde also wieder ein (durch die suggerierte Bedrohung von Kindern) besonders dramatisches Szenario mit Bezug auf das Ausland referiert. Die Vorstellung der Bedrohung durch Rauschgiftkleinhändler trat übrigens in einer Phase auf, in der der Topos der Proselytenmacherei in der Pressedarstellung an Bedeutung verlor.646 Damit füllten die „Rauschgifthausierer“ die Leerstelle der gezielten Weiterverbreitung des Betäubungsmittelkonsums. Ferner kann man die Fokussierung des Schleichhandels und der Kleinhändler als weiteres Indiz dafür werten, dass die Problemwahrnehmung etabliert war, wurde doch über eine bestimmte Dimension des Phänomens berichtet, die 641
Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht, 20.11.1929. Der Schleichhandel mit Rauschgiften : Ein gefährliches Gewerbe. - Erschwerte Abwehrmaßnahmen, 18.08.1930. 643 Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht, 20.11.1929; Internationaler Kampf : gegen den Rauschgifthandel, 09.01.1933; Der Rauschgifthandel in Amerika : 765 Personen verhaftet, 12.12.1934; Weltkampf gegen das Rauschgift : Gespräch mit Alfredo Ernesto Blanco : dem Leiter des Anti-Opium-Instituts beim Völkerbund, 21.02.1930. 644 Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht, 20.11.1929. 645 Der Rauschgifthandel in Amerika : 765 Personen verhaftet, 12.12.1934. 646 Das konkrete Bild des Proselyten machenden Konsumenten tauchte ab der Wende zu den 1930er Jahren kaum noch auf. Zweimal begegnen wir einer gewandelten Darstellung des Szenarios: Ein Autor schrieb, Morphinisten würden die „Rolle des Verführers, dem der Verführte aus Neugierde und Unkenntnis erliegt“ spielen (Ende des Morphinismus?, 22.05.1930) und auch Fränkel betonte 1929, die Berliner „Morphinistenclubs“ würden beweisen, dass der Morphinist „Anhänger suche“ (Der Krieg gegen Opium und Rauschgifte, 29.11.1929). Zuvor war, wie wir wissen, die Proselytenmacherei v.a. als Beweis für die Gefährlichkeit des Kokains, nicht des Opiats herangezogen worden. Ferner: Die Rauschgiftapotheke der Menschheit (…), 17.02.1929; Ein Heim für Morphiumkranke : Ein Geheilter will heilen, 16.10.1929; Die Gottesgeißel von gestern (…), 10.05.1930; Die Rauschgiftfrage in Deutschland, 13.01.1931. 642
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voraussetzte, dass der zugrunde liegende Sachverhalt (der Betäubungsmittelkonsum) im jeweiligen Land existierte und negativ bewertet wurde. In den genannten Berichten ging es nicht länger darum, die Problemwahrnehmung zu rechtfertigen oder zu verankern, sondern um einen ganz konkreten Problembzw. Lösungsansatz. Zur Frage des Schmuggels und seiner Bekämpfung gab es auch kritische Stimmen. So wurde einerseits gefragt, ob diese überhaupt Erfolg habe könne: „Es muß also befürchtet werden, daß die Rauschmittel in Zukunft auf illegalem Wege lediglich schwerer zu beschaffen sind und dementsprechend teurer werden, mit andern Worten, daß die Morphium- und Kokainsucht in verstärktem Maße ein Luxuslaster wird.“647
In der Tagespresse war derartige Kritik am Wirkungspotenzial der Opiumgesetzgebung bzw. der (internationalen) Bekämpfung des Schmuggels allerdings eine Ausnahme. Ebenso wie auf politischer Ebene wurde auch hier nicht darauf hingewiesen, dass eine Beschränkung der legalen Produktion auf den medizinischen Bedarf zur Folge haben könnte, dass nicht nur der Handel, sondern auch der Anbau der Rohstoffe und ihre Weiterverarbeitung in illegale Kanäle abwandern könnten. Es wurde weder (öffentlich) reflektiert, dass dies die Wirksamkeit der angestrebten Maßnahmen in Frage stellte, noch, dass ein rein illegaler Markt deutlich schwerer zu kontrollieren wäre als die Produktion von Firmen wie Boehringer und Merck. Die kritische Reflexion der Betäubungsmittelgesetzgebung blieb im Untersuchungszeitraum also eine Randerscheinung des Diskurses und konnte sich nicht als Bestandteil des Wahrnehmungskokons integrieren. Die Presseberichterstattung um die Wende zu den 1930er Jahren zeigt, wie weit die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums als zu bekämpfendes Problem bereits etabliert war. Zwar erschienen weiterhin Artikel, die ausführlich erklärten, worin sie das ihrer Darstellung zugrunde liegende Problem sahen,648 aber die meisten Verfasser setzten die Problemwahrnehmung bei ihren Adressaten voraus. Ende der 1920er Jahre konnten sich die Autoren darauf beschränken, Ausmaße des Problems, bestimmte Aspekte der Frage oder Bekämpfungsstrategien zu beschreiben. Aus dem Jahr 1929 sind deutlich mehr Artikel überliefert, die gar nicht649 oder nur sehr pauschal650 formulierten, worin das Problem mit Drogen liege und in
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Das Kampfgesetz gegen die Nervengifte (…), 08.01.1930. Z.B. Vom Dämon der Rauschsucht. Wirkungen der Rauschgifte und ihre Bekämpfung, 11.10.1930. 649 Der Opiumkrieg in Genf, 31.01.1929; Hongkong, die Hochburg des Opiumschmuggels : Eine ausgedehnte Korruption verhindert zunächst seine wirksame Bekämpfung : Mißtrauen gegen internationale Einmischung, 03.02.1929. 648
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denen die Autoren demnach auf das Problemwissen ihrer Leser zurückgriffen. Wenn Félicie Breyer schrieb, Betäubungsmittel seien eine „in politischer, wirtschaftlicher und hygienischer Hinsicht gleich wichtige Frage“, deutete sie die Problemdimensionen nur an und ihr nicht präzisierter Hinweis auf „geistig, körperlich und wirtschaftlich“ geschädigte Menschen lässt vermuten, dass sie davon ausging, Grundlagenwissen bei der Leserschaft voraussetzen zu können.651 Dies ist ein Hinweis darauf, dass spätestens Ende der 1920er Jahre das Problemmuster weitgehend internalisiert war (Schetsche 2008: 112; vgl. Kapitel 2.2). Andere Autoren beschränkten sich auf die bekannten Gemeinplätze und manche wiesen auf das Gefahrenpotenzial hin.652 Weiterhin fanden sich pauschal argumentierende Artikel, die Betäubungsmittel als „Feind“ oder „Luxuslaster“ bezeichneten.653 Ein anderer Autor mutmaßte: „wer weiß, wohin der Weg der Seuche noch führt…“654 und weiter: „Es bestehen heute eine Anzahl internationale Kulturprobleme (…). Zu diesen Fragen gehört meiner Meinung nach in erster Linie das Problem der Rauschgift-Bekämpfung.“655 Ein Artikel zeigte deutlich eine christliche Motivation hinter der Bekämpfung der Betäubungsmittel, der Autor, Jost M. Goergen, benannte Gründe für die Ablehnung von Betäubungsmitteln aber ebenfalls nicht.656 Die fortgeschrittene Problemetablierung zeigt sich ebenfalls darin, dass ab Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre abwertende Darstellungen der Konsumenten eine geringere Rolle in der Presseberichterstattung spielten. Wurde einmal ein Verdächtiger verhaftet oder lief ein Gerichtsprozess, so versuchten die Tageszeitungen allerdings, detaillierte Informationen zu veröffentlichen. Einmal wurde angemerkt, einer der Schmuggel-Verdächtigen sei ein Jude „aus Palästina“.657 Derartige Bezüge habe ich anderweitig nicht festgestellt und auch insgesamt war der Diskurs um Betäubungsmittel nach meinen Erkenntnissen nicht antisemitisch geprägt. Rassistisch-abwertende 650
Der Krieg gegen Opium und Rauschgifte, 29.11.1929; Das Kampfgesetz gegen die Nervengifte (…), 08.01.1930, Weltkampf gegen das Rauschgift : Gespräch mit Alfredo Ernesto Blanco : dem Leiter des Anti-Opium-Instituts beim Völkerbund, 21.02.1930. 651 Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht, 20.11.1929. 652 Internationaler Kampf gegen Opium und Rauschgift. Tagung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, 29.11.1929. 653 Das Kampfgesetz gegen die Nervengifte (…), 08.01.1930. 654 Punkte im Original. 655 Weltkampf gegen das Rauschgift : Gespräch mit Alfredo Ernesto Blanco : dem Leiter des AntiOpium-Instituts beim Völkerbund, 21.02.1930. 656 Der Opiumkrieg in Genf, 31.01.1929. 657 Die Schleichwege des Rauschgiftschmuggels : Wien ein Sammelpunkt des europäischen Schleichhandels mit Rauschgiften, 08.05.1930.
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Untertöne fanden sich jedoch, etwa wenn es hieß, in Balkanländern fände sich immer ein korrupter Beamter, der Schmuggel ermöglichen würde: „Die durch einige ‚Gefälligkeiten verpflichtete' leitende Persönlichkeit irgendeiner Sanitätsbehörde eines Balkanstaates findet sich immer bereit, [sich am Schmuggel zu beteiligen; AH]“.658
Auch wenn in meiner Stichprobe keine markante rassistische Prägung der Abwertung zu erkennen ist, so bot der Topos des Rauschgifthandels doch Raum für derartige Stigmatisierungen einzelner Gruppen. Lars Amenda (2006) hat aufgezeigt, dass der kleinen chinesischen Gemeinde in Hamburg zugeschrieben wurde, mit Drogen zu handeln, auch wenn sich dafür keine Beweise fanden. Erfolglose Razzien wurden vielmehr mit der vermeintlichen Gerissenheit der Kontrollierten erklärt. „Auch wenn es einige polizeiliche Fahndungserfolge gegenüber Chinesen gab und ein Teil von ihnen tatsächlich Opium rauchte, so war der pauschale Verdacht gegenüber einer kleinen ethnischen Gruppe doch aus der Luft gegriffen. (…) Das Hamburger Rauschgiftdezernat vermutete im chinesischen Umfeld überall Opiumhöhlen und überwachte die chinesischen Migranten in St. Pauli mit Argusaugen. Wiederholt gab es Razzien in chinesischen Treffpunkten, doch deren Erfolg – dies fiel sogar damaligen Beobachtern auf – ließ sehr zu wünschen übrig und blieb weit hinter den erhobenen Vorwürfen zurück“ (Amenda 2006: 171).
In meiner Stichprobe findet sich nur ein Zeitungsartikel, der explizit auf die damals vieldiskutierte Frage der Vererbung negativer Eigenschaften einging. Der Autor, Sanitätsrat Dr. Bergmann, bezog sich in seinem Bericht „Vom Dämon der Rauschsucht“ auf den Alkohol als die u.a. in Europa „verbreiteste Erscheinungsform der Rauschsucht“. Problematisch sei, dass „der Alkoholkranke (…) seine Leidenschaft als Neigung zur Trunksucht auf seine Nachkommen vererbt oder (…) diese durch eine angeborene Neigung zur Epilepsie und anderen Krampfleiden behaftet werden oder mit teils sittlichen, teils verstandesmäßigen Mängeln zur Welt kommen.“
Lediglich der von Félicie Breyer zitierte Japaner Sugimura sprach außerdem davon, dass „die weißen Völker (…) die Rauschgifte unterdrücken“ müssten, wenn sie „nicht degenerieren“ wollten.659 Breyer führte diesen Aspekt allerdings nicht weiter aus, es ist nicht ersichtlich, ob sie besagte These unterstützte – trotzdem bezog sich der stark dramatisierende Untertitel ihres Artikels – „Die weiße Rasse bedroht“ – auf diese Aussage Sugimuras. Einmal mehr verschärfte also die Überschrift den Inhalt. Der Schutz der Volksgesundheit war auch schon in der Weimarer Republik zentrales und erklärtes Ziel der deutschen 658 659
Internationaler Kampf : gegen den Rauschgifthandel., 09.01.1933. Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht, 20.11.1929.
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Betäubungsmittelgesetzgebung. Angst vor Degeneration scheint dabei zumindest beim kollektiven Akteur Presse keine bedeutende Rolle gespielt zu haben. Wir haben bereits nachvollziehen können, dass die Bewertung des Betäubungsmittelkonsums davon abhing, welchen Personenkreisen er zugeschrieben wurde. Dies zeigt sich besonders deutlich an der Darstellung des Drogengebrauchs von Medizinern. Dieser rückte ab 1928 – parallel zum Rückzug der Ärzte aus der Zeitungsberichterstattung – stärker in den Fokus. In der Tagespresse wurde über den Konsum von Medizinalpersonen gleichermaßen durch Ärzte wie durch andere Autoren berichtet. Einmal hieß es, die Schätzung, ein Drittel der Berliner Mediziner solle morphiumsüchtig sein, sei „vielleicht nicht (…) gar zu hoch übertrieben.“660 In Bezug auf Deutschland erschienen Artikel, die den Betäubungsmittelkonsum von Medizinalpersonen ansprachen, ab 1921 in Tageszeitungen. In den Jahren bis 1926661 tauchte der Aspekt nur gelegentlich auf, ab 1928662 dann häufiger. Dies korrespondiert mit der Diskussion in der medizinischen Fachpresse, in der ab ca. 1928 immer vehementer gefordert wurde, Drogen konsumierenden Medizinern die Approbation zu entziehen (vgl. Hoffmann 2005: 101f). Der Schriftleiter der DMW, Paul Wolff (1928-1: 388) verlangte dies mit dem Verweis auf „Standesrücksichten“ und fand harte Worte: Dem Arzt „als Kulturträger, als der Vertreter eines Standes, der Jahrhunderte hindurch das größte Ansehen in allen sozialen Schichten genossen hat und genießt“, solle man kein allzu großes Misstrauen entgegenbringen. Dies sei am besten dann zu erreichen, „wenn er [der Arzt; AH] selbst faule Zweige vom gesunden Stamme reißt.“ Derartige Eigeninteressen mögen ein Faktor gewesen sein, warum Ärzte in Tageszeitungen zwar den Betäubungsmittelkonsum von medizinischem Personal thematisierten, diesen aber i.d.R. nicht als problematisch darstellten. Auch die Presseautoren unterschieden zwischen den Konsumentengruppen sowie den ihnen zugeschriebenen Konsummotiven. Im deutlichen Gegensatz z.B. zu Prostituierten nahmen sie Mediziner und anderes Fachpersonal häufig in Schutz. Dies gilt für den gesamten Untersuchungszeitraum. So schrieb Waldemar Schweisheimer in seinem Artikel „Morphiumsucht“ entschuldigend, „durch die 660
Die Gottesgeißel von gestern (…), 10.05.1930. Erneut war Schweisheimer der erste, der das Thema ansprach. Morphiumsucht, 16.04.1921; Kokolores, 07.03.1923; Morphinismus, 06.05.1925; Der Arzt und der Kokainschnupfer, 09.11.1926. 662 Medikamente als Gewohnheitsgifte. Neue Möglichkeit zur Heilung von Morphiumkranken? Mißbrauch von Opium, Morphium, Eukodal, Kokain. Schwere Folgen, 29.02.1928; Rauschgifte : Ihre Gefahren und ihre Bekämpfung, 30.06.1928; Heilung von Morphinismus : Durch Psychotherapie, 03.10.1929; Das neue Opium-Gesetz. Regelung des Verkehrs mit Betäubungsmitteln, 12.11.1929; Die Gottesgeißel von gestern (…), 10.05.1930; Heilung vom Morphinismus, 17.12.1930; Die Rauschgiftfrage in Deutschland, 13.01.1931. 661
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Oede und Einförmigkeit des Stellungskrieges“ seien Apotheker, Ärzte und Sanitätspersonal „verführt“ worden und hätten deshalb „zum Kokain als Reizmittel“ gegriffen.663 Ähnlich wertete sein Kollege Mamlock das Verhalten von Richtern, Ärzten, Apothekern und anderen „Personen, von denen Wohl und Wehe dritter abhängt“ im Gegensatz zu Drogen gebrauchenden Jugendlichen, die er als „Haltlose“ bezeichnete, nicht ab.664 Der Konsum medizinischen Fachpersonals wurde i.d.R. durch deren besondere Belastung etwa im Krieg oder durch den leichten Zugang zu den Substanzen665 entschuldigt. Ebenfalls entschuldigt wurde das Verhalten von iatrogenen Abhängigen und insbesondere von Kriegsmorphinisten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Jean Jacques Yvorel (1992: 206f): „Quand on nous expose le cas clinique d’un médecin ‚toxicomane’ (…), jamais on ne le juge pervers, vicieux ou sans morale.“ Gesellschaftlich etablierte Konsumenten wie z.B. Mediziner wurden als Drogenkonsumenten zwar kritisiert, aber im Gegensatz zu anderen Gruppen nicht moralisch abgewertet oder marginalisiert. Oder wie Emmanuelle Retailluad-Bajac (2000: 300) schrieb: „la drogue ne semble devenir un facteur de marginalisation que lorsqu’elle se greffe à des situations d’exclusion préexistantes“. Retaillaud-Bajac (2000: 301) konstatiert, in der Zwischenkriegszeit habe sich eine „marginalité de la drogue plus spécifique, qui semble sécréter des formes endogènes d’exclusion“ entwickelt, Betäubungsmittel seien also selbst zum Marginalisierungsfaktor geworden. In Deutschland wurde Drogenkonsum m.E. erst später zu einem für sich stehenden Faktor gesellschaftlicher Marginalisierung – wann genau sich diese Wandlung vollzog, bleibt zu untersuchen.
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Morphiumsucht, 16.04.1921. Kokolores, 07.03.1923. 665 Rauschgifte : Ihre Gefahren und ihre Bekämpfung, 30.06.1928. 664
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4.3.3 „[D]em Laster derart verfallen (…) daß sie aus der Gesellschaft völlig ausscheiden“: Presseberichte zur Sitzung des Strafrechtsausschusses vom Oktober 1928 und zur IFFF-Tagung Die in Kapitel 3 analysierte Ausschusssitzung vom Oktober 1928 fand über mehrere Jahre hinweg Niederschlag in Presseartikeln. Der Artikel „Der Opiumkrieg in Genf“ vom 31. Januar 1929666 gab das Protokoll inhaltlich eins zu eins wieder: „gegenüber der Vorkriegszeit ist die Zahl der Morphinisten und der mit anderen narkotischen Mitteln Vergifteten sehr erheblich gestiegen“. Der Kampf gegen Opium und andere Betäubungsmittel liege daher „im ureigensten Interesse Deutschlands“, hieß es außerdem.667 Auch der Artikel „Opium und Rauschgifte: Die weiße Rasse bedroht“, der über ein Jahr nach der Sitzung, im November 1929, erschien, nahm Bezug auf die Angaben der ReichsgesundheitsamtsVertreter im Strafrechtsausschuss und hob hervor, „daß die Zahl der Morphionisten [sic] und der mit anderen narkotischen Mitteln Vergifteten, in Heilanstalten behandelten Kranken im Jahre 1923/24 bei Männern um 200, bei Frauen um 150 Pzt. zugenommen hat.“668
Die Sitzung wirkte – m.E. mangels anderer konkreter Quellen – also noch lange Zeit nach. Die Bewertungen zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums gingen in den genannten Artikeln weiter als in der Besprechung selbst. So schrieb Félicie Breyer 1929, „die Volksgesundheit wird untergraben“ und in fast allen europäischen Ländern habe der Betäubungsmittelkonsum „erschreckenden Umfang“ angenommen, weshalb die Opiumfrage „eine bitterernste europäische“ sei. Diese sehr weitgehende Interpretation war allerdings nicht durch die Aussagen der Referenten oder der Ausschussmitglieder gestützt. Darüber hinaus forcierte wie erwähnt die Überschrift des Artikels die Ansichten der Verfasserin. Hier fand sich also eine Kombination aus Verschärfung durch die Darstellung der Autorin, zunehmende Dramatisierung durch den Titel und Festschreibung im publizistisch-professionellen Verstärkerkreislauf. Hans Peters, der den Artikel „Der internationale Kampf gegen die Rauschgifte“ geschrieben hatte, gab die Aussagen im April 1930 wie folgt wieder: Nach dem Bericht aus dem Strafrechtsausschuss seien „in Deutschland von je 100000 Menschen vier dem Laster derart verfallen (…) daß sie aus der Gesellschaft völlig ausscheiden.“669 Später schrieb der Autor vom „Umsichgreifen des 666
Der Opiumkrieg in Genf, 31.01.1929. Der Opiumkrieg in Genf, 31.01.1929; Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht, 20.11.1929. 668 Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht, 20.11.1929. 669 Der internationale Kampf gegen die Rauschgifte, 23.04.1930. 667
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Rauschgiftlasters und seinen verheerenden Folgen“. Hier findet sich eine Uminterpretierung der Aussagen, die den Inhalt stark verschärfte, denn selbst wenn die Zahlen des Reichsgesundheitsamtes korrekt wiedergegeben wurden, gab es doch einen entscheidenden Unterschied: Die Anstaltsstatistiken waren Angaben zur Zahl der Kranken, die sich wegen Morphinismus etc. hatten behandeln lassen – und dies war keineswegs gleichbedeutend mit einem Ausscheiden aus der Gesellschaft. Festzuhalten ist, dass diese sich auf die Ausschusssitzung beziehenden Artikel das Protokoll keineswegs falsch zitierten, es aber verfälschten, indem sie zentrale Aussagen in einen anderen Kontext stellten, sie ergänzten, weiterführten oder indem die Artikel an anderer Stelle viel weitgehendere Einschätzungen trafen. Der Bezug auf das Ausschussprotokoll gab den Artikeln aber trotz dieser (nicht offen gelegten) weitergehenden Interpretationen höchste Glaubwürdigkeit. Auffällig ist, dass die späteren Artikel in ihrer übertriebenen Darstellung der Ausschusssitzung deutlich weiter gingen als andere Berichte, die zeitnah erschienenen (s. Kapitel 3.2). Meines Erachtens weist dies auf die zunehmend dramatische Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums in diesem Zeitraum hin. Zentral ist außerdem, dass die relativierenden Elemente der Ausschusssitzung keine mediale Beachtung fanden. So schrieb Peters, der Schleichhandel sei weit umfassender als der legale Handel und nur ca. 5 % der Schmuggelwaren würden entdeckt670 – der Hinweis Hesses aus dem RGA, „daß die Vorstellungen, die man sich über die Höhe der Ausfuhr für nicht legale Zwecke mache, gewaltig übertrieben sei“,671 referierte der Autor hingegen nicht. Hier zeigt sich, dass in diesem Diskursstrang nur noch die dramatisierenden Elemente wahrgenommen und relativierende Stimmen – bewusst oder unbewusst – nicht gehört wurden. Der Wahrnehmungskokon war anscheinend bereits so verfestigt, dass ihn nicht integrierbare Elemente nur noch schwer durchdringen konnten und sie von den Akteuren ausgeblendet wurden. Der im vorangegangenen Teilkapitel ausführlich vorgestellten Tagung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit schenkten acht Artikel der Stichprobe größere Aufmerksamkeit.672 Schon anhand der Überschriften wird 670
Der internationale Kampf gegen die Rauschgifte, 23.04.1930. BArch R 101/5202, S. 70 RS, Protokoll der 13. Sitzung des Strafrechtsausschusses, 29.10.1928, S. 2. 672 Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht, 20.11.1929; Hübsch hier geblieben : – nicht ins Nirwana! Erschreckende Zunahme der Rauschgift-Seuche in allen Ländern, 27.11.1929; Die Opium-Konferenz in Berlin. Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, 28.11.1929; Der Krieg gegen Opium und Rauschgifte, 29.11.1929; Internationales Opium : Nur noch wenige Rauschgiftsüchtige in Berlin, 29.11.1929; Internationaler Kampf gegen Opium und Rauschgift. 671
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deutlich, wie unterschiedlich deren Ergebnisse interpretiert wurden. Neben mehr oder minder neutralen Titeln wie „Die Opium-Konferenz in Berlin. Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“673 stand einer, der das Ziel des Kongresses, den „Krieg gegen Opium und Rauschgifte“, herausstellte.674 Besonders traten aber folgende drei Überschriften hervor: Auf der einen Seite das 8 Uhr Abendblatt mit „Hübsch hier geblieben : – nicht ins Nirwana! Erschreckende Zunahme der Rauschgift-Seuche in allen Ländern“.675 Ferner hatten die Bremer Nachrichten schon vorab getitelt: „Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht“.676 Auf der anderen Seite schrieb der Berliner Börsen Courier: „Internationales Opium : Nur noch wenige Rauschgiftsüchtige in Berlin“.677 Neben zwei Überschriften, die die große Verbreitung des Konsums in den Mittelpunkt stellten und mit starken Worten eine Bedrohung beschrieben, stand also eine, die das genaue Gegenteil betonte. Wie unterschiedlich die Ergebnisse der Konferenz interpretiert werden konnten, zeigte sich auch in der sonstigen Berichterstattung. Während der Börsen Courier eine positive Prognose stellte und eine zentrale These Fränkels – „Der Zeitpunkt, wo Deutschland frei von Süchtigen sein wird, sei nicht mehr allzu fern“ – hervorhob, war diese im 8 Uhr Abendblatt sehr düster: „die Rauschgifte aller Kategorien“ seien „zu einer fürchterlichen Volksgefahr, ja Weltgefahr geworden“.678 Ein fett gedruckter Ausblocker hob hervor: „In Berlin ist die Zahl der in Kliniken und Heilanstalten untergebrachten Patienten, die von dem Laster der Rauschgifte unrettbar befallen waren, gegenüber dem Vorjahre um 66 Prozent gestiegen.“
Hingegen gaben zwei Artikel Fränkels Kernthese, dass „der Kokainismus heute als erledigt gelten könne“679 wieder – dies wurde im AA übrigens angezweifelt Tagung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, 29.11.1929; Gegen Opium und Rauschgift, 03.12.1929; Der Schleichhandel mit Rauschgiften : Ein gefährliches Gewerbe. Erschwerte Abwehrmaßnahmen, 18.08.1930. 673 Die Opium-Konferenz in Berlin. Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, 28.11.1929; ähnlich: Internationaler Kampf gegen Opium und Rauschgift. Tagung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, 29.11.1929. 674 Der Krieg gegen Opium und Rauschgifte, 29.11.1929; ähnlich: Gegen Opium und Rauschgift, 03.12.1929. 675 Hübsch hier geblieben : – nicht ins Nirwana! Erschreckende Zunahme der Rauschgift-Seuche in allen Ländern 27.11.1929. 676 Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht, 20.11.1929. 677 Internationales Opium : Nur noch wenige Rauschgiftsüchtige in Berlin, 29.11.1929. 678 Hübsch hier geblieben : – nicht ins Nirwana! Erschreckende Zunahme der Rauschgift-Seuche in allen Ländern, 27.11.1929. 679 Der Krieg gegen Opium und Rauschgifte, 29.11.1929.
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und am Rand der Artikel mit einem Fragezeichen versehen.680 Während der eine Artikel681 ferner die Aussagen Spenglers wiedergab – „[i]n den letzten zwei Jahrzehnten habe die sich die Rauschgiftsucht ganz enorm ausgebreitet“ –, fokussierte der andere das Referat Fränkels und damit die positive Prognose. Der Artikel „Gegen Opium und Rauschgifte“682 hob in der fett gedruckten Einleitung hervor, dass Deutschland „im Verbrauch erfreulicherweise hinter anderen Ländern zurückbleibt“. Es sei noch erwähnt, dass zwei der Artikel, die am 29. November 1929 erschienen, offensichtlich vom selben Autor bzw. aus derselben Quelle stammten und dennoch der eine die Argumenten Spenglers in den Mittelpunkt stellte und der andere die Thesen Fränkels.683 Die IFFFKonferenz barg die Möglichkeit, hinsichtlich der Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums und der Zukunftsaussichten völlig beliebige Aussagen zu treffen und diese mit Bezug auf Experten zu belegen. Dies zeigte sich auch im Sommer 1930, als es hieß: „Auf dem Rauschgiftkongress, der vor einiger Zeit in Berlin tagte, wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Zahl der Rauschgiftsüchtigen in ständigem Wachsen begriffen ist.“684 Auf der Konferenz wurde durch Fränkel aber auch betont, dass man das Thema nicht überbewerten solle – genau das machte der Autor des Artikels m.E., wenn er von einem „Umsichgreifen der Rauschgiftseuchen“ schrieb und mit folgenden Worten einleitete: „Ganz im Geheimen und von der Öffentlichkeit unbeachtet, hat sich in den letzten Jahren der Rauschgiftgenuß mehr und mehr ausgebreitet, so daß er allmählich zu einer ernsten Gefahr für die Volksgesundheit geworden ist.“685
Auch hier sehen wir, dass v.a. jene Stimmen gehört wurden, die die eigene Problemwahrnehmung unterstützten. Die Konferenz hätte Anlass zu einer differenzierten Auseinandersetzung um die Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums geboten, diese fand aber weder auf der Tagung selbst noch in der Presse statt.
680
PA AA R 43265, Anl. 3 und 4 zu III R 884/29. Der Krieg gegen Opium und Rauschgifte, 29.11.1929. 682 Gegen Opium und Rauschgift, 03.12.1929. 683 „Der Krieg gegen Opium und Rauschgifte“ sowie „Internationales Opium“ sind gleich aufgebaut und ganze Sätze sind identisch, darunter auch Überleitungen, die nicht direkt auf die Referate der IFFF-Konferenz zurückgingen. 684 Der Schleichhandel mit Rauschgiften : Ein gefährliches Gewerbe. - Erschwerte Abwehrmaßnahmen, 18.08.1930. 685 Durch Sperrung wurde zudem die Formulierung der „ernsten Gefahr für die Volksgesundheit“ besonders hervorgehoben. 681
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Nach meinen Erkenntnissen gelangte die Diskussion darüber, Laster und Krankheit als zwei widersprüchliche Konzepte einzustufen (vgl. Kapitel 2.3), hinsichtlich Betäubungsmitteln erst 1929 in die deutsche Medienöffentlichkeit – und zwar im Rahmen der IFFF-Konferenz. Ein Bericht über diese Tagung gab die Forderung von Dr. med. Reinhold Spengler wieder, der „Einsicht in die Tatsache, dass der Süchtige schwerkrank, aber nicht lasterhaft verdorben ist“ gefordert hatte.686 Ähnlich äußerte sich auch der Fürsorgearzt Fritz Fränkel: „Es könne nicht oft genug betont werden, daß der Süchtige kein Verbrecher, sondern ein Kranker sei.“687 Fränkels Wortwahl deutet an, dass diese Diskussion unter Medizinern keineswegs neu war – in der Tagespresse hatte sie aber trotz der großen Ärztebeteiligung m.E. noch keinen Niederschlag gefunden. Ein halbes Jahr später betonte der Autor René Kraus in seinem u.a. mit den Worten „Leiden, nicht Laster!“688 überschriebenen Artikel, es sei wichtig zu erkennen, dass die Menschen leiden würden. Spengler, Fränkel und Kraus waren keineswegs die ersten, die den Krankheitsbegriff in die Pressediskussion einbrachten, denn schon zuvor war „die Kranken“ ein Synonym für Betäubungsmittelkonsumenten. Die entscheidende Neuerung am Ende der 1920er Jahre ist die Konfrontation der Begriffe als widerstreitende Konzepte. Die „ohne eigene Schuld süchtig gewordenen Kranken“ wurden (implizit) jenen gegenübergestellt, die aus hedonistischen Motiven Drogen eingenommen hatten.689 Aber auch explizite Unterscheidungen fanden sich: „[D]er Kokainsüchtige, der meist aus Genußsucht handelt“ stand dem Morphiumsüchtigen, der „in der Regel durch unverschuldete Krankheit an das Rauschgift gewöhnt worden ist“ gegenüber.690 Ihre Diskussionsbeiträge markieren allerdings keinen plötzlichen Paradigmenwechsel, denn weiterhin fanden Begriffe wie „Rauschgiftlaster“691 Verwendung. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Interpretation als Laster oder Krankheit demnach noch kein eindeutiges „Entweder–Oder“; teilweise waren die Übergänge zwischen den Bewertungen fließend. Am Ende des Untersuchungszeitraumes erschienen allerdings differenzierte Artikel, die explizit das Krankheitskonzept als Gegensatz zum Laster aufbauten. Parallel zu der o.g. Individualisierung der Täterschaft fand aber eine gewisse Individualisierung der Opfer statt. Herauszuheben ist, dass die in der Tagespresse aktiven Mediziner keineswegs diejenigen Akteure waren, die die Differenzierung Krankheit vs. Laster besonders vorangetrieben hätten. 686
Die Opium-Konferenz in Berlin. Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, 28.11.1929. Internationales Opium : Nur noch wenige Rauschgiftsüchtige in Berlin , 29.11.1929. 688 Die Gottesgeißel von gestern (…), 10.05.1930. 689 Heilung von Morphinismus, 17.12.1930. 690 Die Rauschgiftfrage in Deutschland, 13.01.1931. 691 Internationaler Kampf : gegen den Rauschgifthandel, 09.01.1933. 687
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Ab 1929 erschienen in Deutschland Artikel, die nah an die Analysen und Forderungen der nichtstaatlichen Organisationen angelehnt waren. In einem Artikel wurden Positionen Blancos sogar in der ersten Person Singular wiedergegeben, ein anderer übernahm eine Illustration aus der Zeitschrift Opium a World Problem, ohne dies zu benennen.692 Zivilgesellschaftliche Organisationen erlangten also großen Einfluss auf die Gestaltung des Diskurses.693 Im Gegensatz zum kollektiven Akteur Experten (deren Artikel häufig mit „Dr. med.“ oder ähnlichen Hinweisen versehen waren), wurde dieser Einfluss aber nicht explizit benannt. Schon zu Beginn unseres Untersuchungszeitraums erschienen in Deutschland Artikel, die die internationale Anti-Opium-Bewegung positiv bewerteten.694 Neu war Ende der 1920er Jahre, dass die Argumentation der Presseberichte sehr eng an jener der nichtstaatlichen Organisationen lag. Eine Beeinflussung ist eindeutig nachzuweisen und keine Distanz zur dargestellten Haltung erkennbar.695 Nur ein Artikel meiner Stichprobe nahm eine explizit kritische Haltung gegenüber den Organisationen ein: Im Februar 1929 fragte der Vorwärts, was der Völkerbund gegen den Rauschgifthandel tue. Er kritisierte den „Rauschgiftkapitalismus“ auf das Heftigste und warf den Betäubungsmittel produzierenden Staaten vor, mit ihrem Bestehen auf möglichst freiem Handel für die eigene Industrie ein „peinliches Bild“ abzugeben. Die „überhitzte Verbotstendenz amerikanischer Frauenligen“ lehnte das SPD-Organ aber dennoch ab: „Man kann nicht die ganze Menschheit unter Kuratel stellen, um einige Gramm Kokain zu erfassen“, hieß es. Das Postgeheimnis als hohes Gut der „Kulturmenschen“ müsse Vorrang vor den Verbotsbemühungen haben.696 In seiner Kritik an der Unterstützung, die die Industrie von staatlicher Seite erfuhr, aber auch in 692
Der Krieg gegen Opium und Rauschgifte, 29.11.1929. Das Bild stammte aus Opium a World Problem, Heft 11/1928 (vgl. PA AA R 43257; III R 116/29). 693 Folgende Artikel stützten sich beispielsweise auf Informationen des AOIB oder anderer nichtstaatlicher Organisationen: Ein Blick hinter die Kulissen der Rauschgiftkommission. Opiummächte schläfern den Völkerbund ein : Eine der rentabelsten Waren der Welt, 07.02.1933; Das Opium in China. Ungeahnte Blüte des Rauschgiftschmuggels. - Und seine Bekämpfung?, 28.07.1931; Weltkampf gegen das Rauschgift : Gespräch mit Alfredo Ernesto Blanco : dem Leiter des AntiOpium-Instituts beim Völkerbund, 21.02.1930. 694 Internationale Opiumkonferenz, 03.02.1912; Der Kampf gegen das Opium in China, 05.02.1912; Nachklänge zur chinesischen Opiumbefreiung, 27.06.1917; Englands Opiumprofite in Indien; ca. 1923. 695 Von November 1929 bis Februar 1930 beschäftigten sich fünf von acht über die IBZ recherchierte Artikel mit der IFFF und anderen Organisationen, gaben deren Haltung wieder oder wiesen (teils in einer angefügten Notiz) auf Aktivitäten wie die Konferenz der IFFF hin. Auch in den Archivalien sind fünf Artikel überliefert, die sich unmittelbar mit der IFFF Konferenz auseinandersetzen und teilweise nah an deren Thesen angelehnt waren (die Artikel sind im November und Dezember 1929 erschienen). 696 Der Rauschgifthandel. Was tut der Völkerbund dagegen und was tut er nicht?, 05.02.1929.
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der kritischen Reflektion der zu ergreifenden Maßnahmen war der Vorwärts eine Ausnahme. Aber auch das SPD-Organ stellte die Betäubungsmittelkontrolle nicht grundsätzlich infrage. 4.3.4 „Wir müssen die Dinge reduzieren auf das Maß, das ihnen zukommt“697: Relativierungen im Diskurs ab 1929 In der Berichterstattung über die IFFF-Tagung deutet sich eine für die Analyse der Problemwahrnehmung zentrale Entwicklung an, denn ab 1929 griffen einige Autoren relativierend in die Auseinandersetzung ein. Nachdem sich die Beschreibungen des Betäubungsmittelkonsums und seiner Verbreitung bis Ende der 1920er Jahre in Politik, Tagespresse und Fachliteratur zu teils abstrusen Szenarien gesteigert hatten, begannen jene Autoren, die Debatte zu reflektieren. Sie hinterfragten kritisch, welche gesicherten Informationen es zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums gab und ob die Wahrnehmung einer Gefährdung Deutschlands gerechtfertigt sei. Nach den mir vorliegenden Quellen machte Fritz Fränkel auf der IFFF-Konferenz hierbei den Anfang. Den o.g. Berichten über sein Referat folgten nach einiger Zeit weitere kritische Artikel, wobei der Wichtigste – „Die Rauschgiftfrage in Deutschland“ – im Januar 1931 erschien.698 In weiteren Artikeln fanden sich relativierende Aussagen in Randbemerkungen: Deutschland stehe „im Verbrauch der Rauschgifte erfreulicherweise immer noch hinter den andern Ländern zurück“, schrieb etwa der Mediziner A.L.699 Ferner fand sich in einem kurzen Artikel über die Entdeckung des Morphins die Formulierung, das von Sertürner entdeckte Mittel habe „außerordentlich viel Segen“ gebracht, es sei „zugleich aber auch Tausenden zum Verderben“ geworden – ein Zahlenwert also, der im Gegensatz zu anderen zeitgenössischen Artikeln (in denen z.B. die Rede von „unzähligen Menschen“ war) als relativ moderat eingestuft werden kann.700 Schließlich wies der Autor Li. 1932 in der Vossischen Zeitung (mit Bezug auf einen Vortrag Paul Wolffs in der Berliner Medizinischen Gesellschaft) darauf hin, dass die Zahl der Süchtigen in den USA auf 100.000 bis 150.000 geschätzt werde, man hingegen in Deutschland von 697
Fritz Fränkel in: IFFF 1930: 45. Die Rauschgiftfrage in Deutschland, 13.01.1931. 699 Das neue Opiumgesetz : Gegen das weiße Gift, 03.04.1931. 700 Der Entdecker des Morphiums : Aus dem Leben des Apothekergehilfen Sertürner, 01.09.1930. Andere Artikel, die von Tausenden Betroffenen berichteten, bezogen sich dabei stets auf kleinere Gruppen der Gesellschaft; hier wurde kein Bezugsrahmen genannt, weshalb die Einschätzung letztlich ungenau bleibt. Wir können aber davon ausgehen, dass „Tausende“ zumindest auf die deutsche, wenn nicht auf die Weltbevölkerung bezogen war. 698
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4.000 bis 6.000 Betroffenen ausgehe. Grob 0,01 % der Reichsbevölkerung standen demnach 10-mal mehr Betroffene in den Vereinigten Staaten gegenüber.701 Ferner merkte Li. an, im Deutschen Reich habe die „Verordnung von Rauschgiften in der letzten Zeit (…) stark abgenommen“. Auf ein solches Abnehmen wies auch der Verfasser eines kurz nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten erschienenen Artikels hin: Die Situation sei schlimm, in Deutschland verbessere sie sich aber. Als Referenz zog er den Rückgang der verschriebenen Mengen an Betäubungsmitteln heran. „Besserung in Deutschland“ lautet so auch die Zwischenüberschrift. Dies sei allerdings „kein Anlaß (…), die Stärke der errungenen Stellung zu überschätzen“, auch wenn „die Zahl der Rauschgiftsüchtigen sich erheblich vermindern“ werde. Der Autor lobte „Fortschritte im Schutz der Volksgesundheit“.702 All diese teils nur in Randbemerkungen enthaltenen Relativierungen standen aber hinter einem bemerkenswerten Artikel zurück, der in der Frankfurter Zeitung erschien und sowohl in den Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes überliefert als auch in der IBZ aufgeführt ist.703 Der Artikel fiel aus dem Rahmen der zeitgenössischen Darstellungen und reflektierte den damaligen Diskurs in zentralen Punkten. Seine außergewöhnliche Perspektive und seine Deutlichkeit verdienen es hier detailliert dargestellt zu werden:704 Der verhältnismäßig lange Bericht bezog sich direkt auf die zeitgenössische Diskussion, in der gefragt worden sei, welche Bedeutung „dem Genusse“ von Betäubungsmitteln in Deutschland zukomme und ob dieser „bereits in größerem Maße die deutsche Volksgesundheit“ gefährde. „Diese Frage ist in einigen Fällen nachdrücklich bejaht worden. Ohne Uebertreibungen ist es dabei freilich nicht abgegangen. So hat man etwa gemeint, zunehmender Kokaingenuß bedrohe uns geradezu mit einer ‚Volksseuche’, oder man hat befürchtet, die wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten würden breite Volksschichten bald zu reichlichem Genusse von Morphin oder Kokain verführen. Solch weitgehende Mutmaßungen finden allerdings bei einiger Ueberlegung keine Stütze in den Tatsachen.“ 705
So hätte man durch eine „Nachprüfung“ in einer deutschen „Halbmillionenstadt, die in den Ruf angeblich besonders umfangreicher Mißbräuche gekommen
701
Die USA hatten 1930 rund 123 Millionen Einwohner (U.S. Departement of Commerce 1930: 4). Alkohol und Rauschgift in Amerika. : Erfolgloser Kampf gegen die Trunksucht, 06.08.1932. Der Schleichhandel mit Rauschgiften : Schwere Gegenwehr, 19.01.1933 703 Die Rauschgiftfrage in Deutschland, 13.01.1931; PA AA R 43276a, zu III R 45/31. 704 Erstaunlich ist angesichts all dieser ungewöhnlichen Elemente, dass der Artikel anonym veröffentlicht wurde. 705 „Uebertreibungen“ wurde hier durch Sperrung hervorgehoben. 702
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war“706 in den letzten drei Jahren „bei noch nicht 0,04 Prozent der Einwohnerschaft illegalen Bezug von Rauschgiften ermittelt“. Es sei „nicht sehr wahrscheinlich“, dass sich diese Vergehen i.d.R. im Verborgenen abspielten, weshalb der Autor schlussfolgerte, dass „selbst wenn man die genannte Ziffer verdreifachen wollte, (…) noch kein Anlaß zu besonderen Befürchtungen vorhanden“ sei. Eine zentrale These des Artikels lautet, man müsse die spezifisch deutschen Verhältnisse beachten: „Morphium- und Kokainsucht oder der Mißbrauch entsprechender Drogen hat wenig Aussicht, zu einem Volkslaster zu werden“. Denn „Gelegenheit und Verführung“ seien „in der Regel nur in den Großstädten und auch dort nur im Geheimen an wenigen Stellen“ vorhanden. „Vor allem aber sind die Rauschgifte für eine ‚Volksseuche’ viel zu teuer!“ Dementsprechend seien „die minderbemittelten Schichten (…) meist am wenigsten gefährdet“. In Hafenstädten, „wo der Schmuggel in den Kneipen blüht“, gebe es etwas mehr Konsum. „Aber normalerweise beschränkt sich der illegale Gebrauch weitgehend auf wohlhabende Personen, die mit dem Nachtleben der Großstadt in engste Berührung kommen“. Ferner seien Personen, die aufgrund ihres Berufs leichten Zugang zu den Mitteln hätten, unter den Konsumenten sowie „Halbweltkreise“ und iatrogen Abhängige (darunter Kriegsbeschädigte). Alkohol hingegen sei billiger und habe von daher eher das Potenzial, eine Volksseuche zu werden. In einem zentralen Punkt ging der Autor mit seinen Zeitgenossen konform: Auch hier findet sich die gängige Differenzierung zwischen den Substanzen: während „der Kokainsüchtige (…) meist aus Genußsucht“ handele, sei der „Morphinsüchtige (…) in der Regel durch unverschuldete Krankheit an das Rauschgift gewöhnt worden“. Auch sei das Kokain „vom sozialen Gesichtspunkte aus gesehen gefährlicher“, neige der „Kokainsüchtige“ doch dazu „auch seine Umgebung anzustecken“. Die Frankfurter Zeitung schrieb Drogen nicht das Potenzial einer Volksseuche zu, obwohl sie an der Vorstellung der Proselytenmacherei festhielt. Die These lautete, Betäubungsmittelkonsum sei schädlich für die Individuen, aber keine Bedrohung der Volksgesundheit. Der Hinweis, verschiedene Beobachtungen würden darauf hindeuten, „daß sich seit 1925 eine langsame Besserung einstellt“, zeigt uns außerdem, dass auch die Situation vorher (also die vermeintliche Zunahme des Betäubungsmittelkonsum bis zum Höhepunkt 1925) nicht als bedrohlich und die zeitgenössische Wahrnehmung hierzu ebenfalls als übertrieben eingestuft wurden. Auch der Autor dieses Artikels ging im Übrigen davon 706
Hierbei handelt es sich m.E. um Dresden, das im Kontext des Falls Dr. Bier besondere Beachtung fand.
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aus, dass „Kriegs- und Inflationszeit den Rauschgiftgenuß sicherlich gefördert“ hätten. Eine Besonderheit des Artikels ist, dass er explizit auf den Diskurs Bezug nahm und die starken Dramatisierungen als nicht den Tatsachen entsprechend kritisierte. Der anonyme Autor analysierte die seit den 1920er Jahren ins Blickfeld geratene Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums in Deutschland dahingehend, dass die Wahrnehmung der Zeitgenossen stark übertrieben und nicht durch „Tatsachen“ gestützt sei. Dies ist eine bemerkenswerte Äußerung, die zudem an prominenter Stelle in einer der wichtigsten zeitgenössischen Zeitungen getätigt wurde.707 Der Autor griff zahlreiche Elemente des Diskurses auf und stellt seine abweichende Meinung hierzu vor. Man kann den Artikel (ähnlich wie die allermeisten hier untersuchten) dafür kritisieren, dass er kaum nachprüfbare Belege für seine Aussagen anbrachte; wir dürfen also nicht den Fehler machen, nun diese Publikation als verlässliche Quelle etwa für die Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums heranzuziehen. In Hinblick auf seinen Beitrag zum zeitgenössischen Diskurs und zur Problemgenese ist er aber dennoch ausgesprochen interessant, fand doch m.E. die kritische Reflektion des Diskurses in der Presse hier ihren Höhepunkt. Die mir vorliegenden relativierenden Artikel stammten v.a. aus der führenden seriösen Weimarer Presse. Neben der Frankfurter Zeitung, erschienen sie z.B. in der Vossischen und der Kölnischen Zeitung. Diese Blätter waren aber keineswegs Ausnahmen, die auch zuvor eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema geführt bzw. hernach nur noch differenziert berichtet hätten. Eine Unterscheidung zwischen sachlichen Qualitäts- und dramatisierenden populären oder Boulevardzeitungen kann also nicht getroffenen werden. In der Kölnischen Zeitung war zwei Jahre später von „der ungeheuerlichen Zunahme des Verbrauchs von Rauschgiften und der dadurch bewirkten schweren Schädigung der Volksgesundheit“ zu lesen.708 Die Vossische Zeitung hatte zahlreiche problematisierende Artikel zu Betäubungsmitteln veröffentlicht, darunter auch Lennhoffs zum Ärztetag.709 Die Frankfurter Zeitung schließlich hatte abwertend über französische Prostituierte und deren Kokainkonsum berichtet und war mit dem Artikel Straubs von 1919 ein entscheidender Faktor der ersten Problematisierungsphase. Manche Zeitungen versuchten also, mit neu gewonnenen Informationen das auch von ihnen beförderte Bild zu korrigieren.
707
Mir liegen unterschiedliche (inhaltlich identische) Ausgaben des Artikels vor, die zeigen, dass „Die Rauschgiftfrage in Deutschland“ mindestens in einer der drei Ausgaben der Frankfurter Zeitung vom 13. Januar 1931 oben auf der Titelseite platziert war. 708 Gegen die Rauschgiftsucht, 17.02.1931. 709 Rauschgifte : Ihre Gefahren und ihre Bekämpfung, 30.06.1928.
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Die unmittelbare Wirkung der Relativierungen auf die Zeitgenossen kann nur bedingt analysiert werden. Eine Auseinandersetzung mit den Berichten von staatlicher Seite her ist nicht überliefert,710 ebenso wenig sind mir Zeitungsartikel oder Veröffentlichungen nichtstaatlicher Organisationen bekannt, die sich explizit auf „Die Rauschgiftfrage in Deutschland“ (oder die anderen Beiträge) bezogen. Auch in Fachpublikationen diskutierten jene Autoren, die von einer weiten Verbreitung ausgingen, die relativierenden Diskussionsbeiträge nicht. Die Wirkung dieser Analysen blieb also allem Anschein nach marginal. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass weiterhin Artikel erschienen, die die hier kritisierten Diskursmuster fortschrieben.711 Relativierende Artikel existierten neben problematisierenden, wobei die Dramatisierung quantitativ weit überwog. 4.3.5 Beschwerden über „lügenhafte Nachrichten aller Art“ : Drogen, Staat und Presse Anfang der 1930er Jahre Wie auch schon zuvor finden sich auch zu Beginn der 1930er Jahre Hinweise zum Verhältnis zwischen Staat und Presse. Ende 1932 beklagte der Präsident des RGA, in Tageszeitungen werde zunehmend über Verhaftungen von Rauschgifthändlern berichtet. Er befürchtete, dass dadurch im Ausland „der Eindruck entsteht, als ob der ungesetzliche Verkehr mit Betäubungsmitteln in Deutschland im Zunehmen begriffen sei“712 und fügte hinzu: „Nach Kenntnis des Reichsgesundheitsamts gibt es in Berlin keinen Schleichhandel mit Betäubungsmitteln, dessen Umfang eine öffentliche Gefahr bedeutet. (…) Durch derartige nicht sachlich gehaltene Zeitungsberichte wird dagegen der Eindruck erweckt, als ob Schleichhandelsware in größerer Menge und ein entsprechender Abnehmerkreis in Berlin vorhanden wären. Beides möchte ich bezweifeln. Zu befürchten ist ferner, daß durch diese übertreibenden Berichte im Ausland der falsche Eindruck entsteht, als ob der Schleichhandel und Schmuggel mit Betäubungsmitteln in Deutschland in Blüte steht.“
Quelle derartiger Presseberichte seien polizeiliche Meldungen gewesen, weshalb der Präsident des RGA dem Reichsministerium des Innern vorschlug, dem Berliner Polizeipräsidium „Zurückhaltung in der Weitergabe von Mitteilungen über Schmuggelfälle“ nahe zu legen. 710
In den Akten des PA AA sind neben dem Artikel „Die Rauschgiftfrage in Deutschland“ lediglich die Erscheinungsdaten sowie wie üblich ein Aktenzeichen vermerkt. Die oben erwähnten Fragezeichen neben Fränkels These zeigen nur, dass ein Leser aus dem AA dies infrage stellte. Eine weitere Auseinandersetzung ist nicht überliefert. 711 Beispielsweise Gegen die Rauschgiftsucht, 17.02.1931. 712 BArch R 1501/126496, S. 252f, Präsident des RGA an RMI, 29.12.1932, 3970/12.9.32, II A 270/29.12.32.
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Auf derartige Anweisungen713 hin betonte Herr Mosle im Februar 1933, das Berliner Landes-Kriminalpolizeiamt sei ebenfalls an einer sachlichen Presseberichterstattung interessiert.714 Neben Fällen, die ohnehin bereits in die Zeitungen gelangt seien und bei denen man „irreführende Veröffentlichungen“ vermeiden wolle, würde die Polizei Nachrichten herausgeben, sofern sie die Öffentlichkeit um Mitwirkung bitten wolle. Im Namen des Berliner Polizeipräsidenten erhob Mosle schwere Vorwürfe gegen die Presse: „Bei der Übernahme der häufig mündlich und nur in Stichworten herausgegebenen tatsächlichen Berichte verfährt die Presse oft eigenmächtig und in entstellender Weise, indem sie sensationelle Überschriften und Ausschmückungen bringt, die vielfach den Tatsachen nicht entsprechen.“
Ferner würden „lügenhafte Nachrichten aller Art auch aus ausländischen Zeitungen übernommen“. Die Urheber von Falschmeldungen oder „unsachlicher Berichterstattung“ zu ermitteln, gelänge hingegen nur selten. Aufgrund ihres internen Charakters kann bei der hier zitierten Korrespondenz zum Verhältnis zwischen Presse, Polizei und Behörden davon ausgegangen werden, dass die Aussagen tatsächlich die Ansichten der Beteiligten widerspiegeln. Diese Überlieferung weist darauf hin, dass Zeitungsberichte häufig unsachlich waren und so die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums nicht nur entscheidend prägten, sondern diesen v.a. auch dramatisierten. Anfang der 1930er Jahre wurde die staatliche Kritik an der Presse deutlicher als noch wenige Jahre zuvor, was zeitlich mit den immer stärker dramatisierenden Berichten korrespondiert, die in diesem Kapitel vorgestellt wurden. Das Phänomen der stark übertriebenen medialen Darstellung von als problematisch bewerteten Phänomenen war nichts Ungewöhnliches. Fulda (2006: 48f) hebt hervor, dass in der Zeit der Weimarer Republik die Veröffentlichung von Verfälschungen durch die Tagespresse durchaus normal gewesen sei. Und analog konstatiert Brückweh (2006: 11) einen „Widerspruch zwischen geringer kriminalistischer Relevanz und medialer Vielfalt von Sexual-Serientätern“. Für deren mediale Repräsentation sei „eine Mischung aus Konstruktionen, Fiktionen und Fantasien“ charakteristisch gewesen.715 Die Kritik an der Presse ist als Ausdruck der beginnenden Reflektion zu werten, die das postulierte Ausmaß des Betäubungsmittelkonsums erheblich infrage 713
BArch R 1501/126496, S. 254f, RMI II A 2701/29.12.32. BArch R 1501/126496, S. 289ff, III a II 439/33, in Abschrift. Dass dies nach dem Zweiten Weltkrieg keineswegs anders war, zeigt die Untersuchung von Danner (1954: 2059), der hinsichtlich Zeitungsmeldungen über angeblich „17 000 Marihuana rauchenden bzw. dem Rauschgifthandel oder -mißbrauch verfallenen Personen in der deutschen Bevölkerung“ zu dem Schluss kam, diese seien „nichts anderes als eine unverantwortliche Sensationsmache“.
714 715
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stellte und die Anfang der 1930er Jahre zur vorherrschenden Haltung der Reichsbehörden wurde. Eindeutig ist allerdings auch zu erkennen, dass staatliche Stellen weiterhin v.a. an einer positiven Außendarstellung des Reichs gelegen war und dass sie deshalb auf die Presseberichterstattung Einfluss zu nehmen versuchten. Dies zeigt deutlich, dass der deutsche Staat selbst ein Eigeninteresse daran entwickelt hatte, die Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums im eigenen Land als gering zu präsentieren – und dem entsprach auch die offizielle Interpretation des Gegenstandes um die Wende zu den 1930er Jahren. 4.3.6 Fazit zur Presseberichterstattung zu Betäubungsmitteln in Deutschland im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts Folgende zentrale Punkte sind hinsichtlich der Presseberichterstattung zu Opiaten und Kokain in Deutschland im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts festzuhalten: Lange Zeit waren nur Artikel über Betäubungsmittel mit Bezug auf das Ausland erschienen, bis 1919/1920 eine Wende eintrat und nun das Reich selbst als vom Drogenkonsum betroffen dargestellt wurde. Die öffentliche und politische Wahrnehmung war zu diesem Zeitpunkt bereits durch transnationale Einflüsse und Presseberichte sensibilisiert, die ersten Artikel fielen auf sehr fruchtbaren Boden und lösten umfangreiche Reaktionen aus. In den Jahren bis ca. 1925 wurde – teils unterschwellig, mit Blick auf den gesamten Diskurs aber eindeutig – Betäubungsmittelkonsum als abweichendes Verhalten definiert und devianten Angehörigen marginalisierter Gruppen zugeschrieben. Um ca. 1928 war die Wahrnehmung des Drogenkonsums als problematisches und zu bekämpfendes Phänomen in der Tagespresse festgeschrieben. Hinsichtlich der Presseberichterstattung der Jahre ab 1929 bleibt festzuhalten, dass diese auf der einen Seite von dramatisierenden Darstellungen und auf der anderen Seite von reflektierenden Berichten geprägt war. Dominant waren weiterhin stark problematisierende Artikel, wobei sich deren Szenarien in teils abstruse Dimensionen steigerten, die jeglichen belegbaren Bezugsrahmen verließen. Diese Berichte verdeutlichen, dass im zeitgenössischen Diskurs keine konkrete Auseinandersetzung darüber stattfand, was z.B. genau am Betäubungsmittelkonsum negativ zu bewerten sei oder ab welchem Punkt dieser für die Individuen und ab wann für die Volksgesundheit bzw. die Gesellschaft problematisch würde. Das andere Extrem der Darstellung bildeten die dezidiert reflektierenden Artikel, die den zeitgenössischen Diskurs kritisch hinterfragten,
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relativierende Ansichten zur Gefährdung durch Drogen vertraten und sich differenzierter mit dem Thema Narkotikakonsum auseinandersetzten. Diese Publikationen konnten jedoch keine entscheidende Wirkung mehr auf die Darstellung ausüben. Die Kritik der Zeitgenossen am vorherrschenden Diskurs und die Reaktionen staatlicher Stellen weisen darauf hin, dass zahlreiche um die Wende zu den 1930er Jahren erschienene Artikel als stark übertrieben und dramatisierend eingestuft werden müssen. Zwischen 1920 und der Wende zu den 1930er Jahren prägten v.a. Mediziner die Berichterstattung in den Tageszeitungen. Ihre Aussagen wurden sowohl in administrativen Schreiben als auch in Zeitungsartikeln häufig verfälscht wiedergegeben. Andere Thesen wurden häufig wiederholt und konnten so Wirkungsmacht entfalten, ohne dass sie eine solide Basis gehabt hätten. Durch wechselseitiges Zitieren entstand in einem politisch-publizistisch-professionellen Verstärkerkreislauf ein Wahrnehmungskokon, in den die Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums als zu bekämpfendes Problem und die Konsumenten als Abweichler eingeschrieben wurden. Als etwa Ende 1929 die Mediziner ihre führende Rolle in der problematisierenden Presseberichterstattung ablegten, erlangten nichtstaatliche Organisationen für eine Weile großen Einfluss auf die Berichterstattung in Deutschland.716 Ab ca. 1930 ist dann in meiner Stichprobe kein konkreter kollektiver Akteur mehr auszumachen, der den Diskurs besonders geprägt hätte. Da 1929 der Problemetablierungsprozess bereits recht weit vorangeschritten war, war es m.E. nicht mehr notwendig, dass ein Akteur diesen weiter vorangebracht hätte: Die Presseanalyse zeigt, dass Berichte über Betäubungsmittel nun ein gängiges Thema der Zeitungslandschaft geworden waren. Die Thematisierung wurde zum Selbstläufer – und mithin die Problematisierung, konnte sich doch ein neutraler Blick auf Opiate und Kokain nicht etablieren. Das Bild von Drogen, deren Verbreitung und ihren Konsumenten, das in der Tagespresse der Weimarer Republik gezeichnet wurde, war weitgehend einheitlich. Von einem „Klima hochantagonistischer veröffentlichter Meinung“, das laut Fulda (2006: 48f) im Bereich der politischen Presse existiert habe, kann in Hinblick auf Drogen nicht die Rede sein. Fuldas Analyse, dass sich die Zeitungen nicht als „kontrollierende ‚vierte Gewalt’ als Gegengewicht zur Politik“ hätten etablieren können, kann hingegen bestätigt werden, fand doch eine 716
Mit Fränkel, Spengler u.a. waren auf der IFFF Konferenz Ärzte als Experten geladen – Mediziner hatten also weiterhin Einfluss auf die Behandlung der Betäubungsmittelfrage, auch wenn sie öffentlich seltener als selbständige Akteure auftraten. Die Industrie konnte zwar eindeutig Einfluss auf politischer Ebene erlangen, als öffentlich wahrnehmbarer Akteur haben sich die Fachgruppe Opium und Cocaïn, andere Industrievertreter oder Einzelpersonen aber im Untersuchungszeitraum nicht in den Diskurs eingeschaltet.
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kritische Reflektion der inner- und zwischenstaatlichen Politik auch zu unserem Thema nicht statt. Die hier beschriebene gegenseitige Rezeption im politischpublizistisch-professionellen Verstärkerkreislauf zeigt uns, dass Fuldas zu Beginn des ersten Kapitels zur Tagespresse (Kapitel 1.2.) zitierte Aussage erweitert werden muss: Wie gezeigt werden konnte, lässt sich nicht nur bei Politikern, sondern auch bei den (hier am Beispiel der Ärzteschaft analysierten) Experten, „starker, unmittelbarer Presseeinfluß“ feststellen. 4.4
„Ein Morphinist ist m.E. kein vollwertiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft“: Expertenmeinungen ab 1929 als Nebeneinander von sachlichen und diskreditierenden, dramatisierenden und relativierenden Darstellungen Expertenmeinungen ab 1929 Nachdem in der Phase zwischen 1923 und 1929 zahlreiche Fachpublikationen erschienen waren, die meist schwerpunktmäßig den Kokainismus behandelten, ebbte das Interesse bei Medizinern nun wieder ab. Einen Orientierungswert bieten die in der Drogenbibliographie aufgeführten Veröffentlichungszahlen, die einen Rückgang der Auseinandersetzung mit dem Thema Betäubungsmittel bestätigen (Hefele 1988: XXXI). Die meisten Publikationen im Untersuchungszeitraum erschienen 1928 mit 94, 1927 waren es noch 82. Erst für die 1950er Jahre sind wieder ähnlich viele Schriften zu Drogen aufgeführt. In den Jahren ab 1929 ging die Zahl der Veröffentlichungen zurück: 1929 waren es 61, von 1930 bis 1933 im Schnitt rund 56.
Publikationen
100 80 60 40 20 0
1935
1933
1931
1929
1927
1925
1923
1921
1919
1917
1915
1913
1911
1909
1907
1905
1903
1901
Jahr
Abbildung 7: Anzahl der Publikationen zu Drogen in den Jahren 1900-1935717
717
Eigene Grafik aufgrund der in der Drogenbibliographie aufgeführten Publikationen.
Expertenmeinungen ab 1929
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Der generelle Rückgang stützt die These, dass 1928 die Meinungsbildung dieser Akteursgruppe zu hedonistischem Konsum weitgehend abgeschlossen war. War das Interesse an Betäubungsmitteln mit der Verabschiedung des Opiumgesetzes 1920 lebhaft gestiegen und hatte es 1928 seinen Höhepunkt erreicht, so verringerte es sich in der Folgezeit wieder deutlich. Die in diesem Kapitel betrachtete Auseinandersetzung unter Medizinern hinsichtlich der Fragen der Verbreitung und der Bewertung des nicht-medizinischen Betäubungsmittelkonsums spiegelt das Abflauen wider. Nachdem sich bis Ende der 1920er Jahre die Meinungen ausdifferenziert hatte, standen in der nächsten Phase ab 1929 widersprüchliche Interpretationen zur Verbreitung sowie unterschiedliche Bewertungen des Verhaltens nebeneinander. Folgende Beispiele zeigen, dass einige Mediziner Drogenkonsumenten weiterhin radikal abwerteten. Prägnant formulierte etwa Hoffmann (1929: 357): „Ein Morphinist ist m.E. kein vollwertiges Mitglied der menschlichen Gesellschaft.“ Dr. Werner Leibbrand (1930)718 resümierte zur „gegenwärtigen Lage des Rauschgiftproblems“, eine Statistik gebe es nicht und man sei auf Anstaltsstatistiken angewiesen. „Die soziale Struktur ist häufig durch Prostituierte, Bohemiens und Haltlose aller Schichten gekennzeichnet“, schrieb der Psychiater. Dass er sich unmittelbar davor auf Jakob (1925) bezog, der diese These explizit kritisiert hatte, zeigt erneut, wie schwer der Wahrnehmungskokon für kritische Anmerkungen zu durchdringen war. Weiterhin gab es (wie beispielsweise bei Cimbal im Jahr 1926) eine Verknüpfung von abweichendem Sexualverhalten und Drogenkonsum. Abwertend beschrieb Erich Leschke719 die vermeintlichen Folgen des Kokainkonsums mit sexistischen und homophoben Stereotypen und auf eine extrem sexualisierte Art: „Namentlich bei Frauen ist die Euphorie nach Kokain stark erotisch betont. Sie haben ein lebhaftes Bedürfnis nach sexueller Betätigung, lassen alle Hemmungen fallen und haben, wenn nicht in Wirklichkeit, so in der Phantasie sexuelle Erlebnisse, die auch nach abgelaufener Vergiftung in der Erinnerung einen so starken Wirklichkeitscharakter haben, daß sie schon häufig zu Beschuldigungen des Arztes wegen angeblicher Aggressivität oder gar Vergewaltigung geführt haben“ (Leschke 1932: 1357).
Während Frauen „gänzlich nymphoman“ würden, komme es bei Männern hingegen „zu mannigfachsten Perversionen, namentlich auch zu Auftreten von 718
Dr. Werner Leibbrand (1896-1974) war Facharzt für Psychiatrie und Nervenheilkunde und in der Weimarer Republik Mitglied im Verein sozialistischer Ärzte und der Internationalen Liga für Menschenrechte. Er nahm als einziger deutscher Gutachter an den Nürnberger Ärzteprozessen teil (vgl. Max-Planck-Institut für Psychiatrie (o.J.)). 719 Dr. Erich Friedrich Wilhelm Leschke (1887-1933) war Internist und Professor für innere Medizin an der Berliner Charité (vgl. Schernus 2005).
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Homosexualität, Sadismus, Masochismus, Voyeurtum u.a.“, führte Leschke (1932: 1358) weiter aus. Homosexualität reduzierte er damit auf ihre körperliche Dimension und wertete sie, ebenso wie die genannten sexuellen Spielarten, radikal ab. Vergewaltigungsvorwürfe gegen Ärzte stellte Leschke als Phantasien von Kokainkonsumentinnen dar und zog nicht einmal in Erwägung, dass seine Kollegen derartige Verbrechen tatsächlich begangen haben könnten. Die Intoleranz von Medizinern gegenüber als abweichend definiertem Sexualverhalten und auch die dichotome Wahrnehmung der tadellosen Ärzte und unglaubwürdigen Patienten bzw. Konsumenten wird hier besonders deutlich. Leschke war eine Ausnahme in der geschlechtsspezifischen Differenzierung der Betäubungsmittelkonsumenten, denn wie erwähnt spielten Frauen keine besondere Rolle im Diskurs um Betäubungsmittelkonsum in Deutschland. Andere Autoren forcierten die negative Darstellung der Konsumenten nicht. Relativ neutral war etwa die Veröffentlichung von Dansauer und Rieth720, die 1931 eine Analyse zu Morphinismus bei Kriegsbeschädigten vorlegten. Sie beschränkten ihre Beschreibung zur Verbreitung der Alkaloidsuchten in der Zivilbevölkerung auf die bekannten Punkte: die Großstädte seien besonders betroffen gewesen, insbesondere die Kreise der „Psychopathen und der sozialen Unterwelt“ (Dansauer/Rieth 1931: 7). Eine weitere Beschäftigung mit der in den 1920er Jahren noch so verbreiteten Charakterisierung der Betäubungsmittelkonsumenten betrieben sie nicht, ihre Beschreibungen der Kriegsversehrten sind vorurteilsfrei. Zur Verbreitung des Drogenkonsums referierten sie ein „starkes Ansteigen der Suchten (…), das zwar vielleicht seinen Höhepunkt schon überschritten hat, aber trotz dieses Absinkens (…) noch immer auf einer besorgniserregenden Stufe verharrt“
und sprachen von einem „Umsichgreifen des Alkaloidmißbrauchs nach dem Kriege“ (Dansauer/Rieth 1931: 5-7). Die Autoren ermittelten 918 im Krieg verletzte Morphinisten, also zwischen 0,06 und 0,1 ‰ der „Kriegsbeschädigten“ (Dansauer/Rieth 1931: 17; 44; 127). Sie nahmen sowohl auf Bonhoeffer als auch auf die Anstaltsaufnahmen Bezug; Pohlischs Studie führten sie im Anhang lediglich als kürzliche erschienene und inhaltlich nicht berücksichtigte Analyse auf (Dansauer/Rieth 1931: 7; 136). Schließlich gab es auch einen Diskursstrang, in dem sich die Darstellung der Konsumenten ab Ende der 1920er Jahre versachlichte. Paul Wolff etwa, ein Autor, dessen zuvor sehr negative Einschätzungen zu Drogengebrauchern wir 720
Adolf Rieth (* 1902) war Landeskonservator und Prähistoriker (Quelle: (14.12.2009).
Expertenmeinungen ab 1929
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bereits kennen gelernt haben, scheint Ende der 1920er Jahre seinen Blick auf diese Menschen geändert zu haben und blieb nun neutral. Ferner sah er einen Rückgang des Konsums in den Großstädten, wo es zuvor ein „Umsichgreifen der suchtmäßigen Verwendung“ von Betäubungsmitteln gegeben habe, „der zuvor seuchenhaft angeschwollene Rauschgiftmißbrauch“ aber in den letzten Jahren abgenommen habe (Wolff 1929). Dies wertete er als Erfolg und führte es auf Polizeiaktivitäten und die Rechtsprechung zurück. Das (erreichbare) Ziel der Gesetzgebung sah er in der „Erhaltung der Volksgesundheit“ durch Eindämmung des Missbrauchs.721 Ähnlich der bereits vorgestellten Ebenen gab es auch unter den Medizinern Akteure, die den Diskurs explizit kritisch hinterfragten. Schon in den Vorjahren hatten Joël und Fränkel wiederholt betont, die Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums sei in Deutschland geringer als in anderen Ländern. Fränkel war ferner jener Mediziner, der auf der IFFF Konferenz die These vertreten hatte, man müsse „die Dinge reduzieren auf das Maß, das ihnen zukommt“ (IFFF 1930: 45). Auch Bonhoeffer (1926) hatte bereits Mitte der 1920er Jahre angedeutet, dass im Deutschen Reich weniger Drogen konsumiert würden als in anderen Ländern und auch 1931 äußerte er sich zu der von Paul Wolff (1931-2: 223) für die DMW durchgeführte Umfrage zur Opiatverschreibung erst nach folgender Vorbemerkung: „Sie wünschen von mir nicht die Erörterung der Frage, ob die Verbreitung des Morphinmißbrauchs in Deutschland so groß ist, daß weitgehende gesetzliche und verordnungsmäßige Einschränkungen notwendig sind, eine Frage, über die man vielleicht im Zweifel sein kann“.
Bonhoeffer wies darauf hin, dass der zeitgenössische Diskurs eine kritische Problemanalyse unterließ. M.E. stellte er nicht nur die Notwendigkeit der gesetzlichen Regelung, sondern auch eine weite Verbreitung des Konsums in Frage und kritisierte, dass nicht reflektierende Erörterungen im Fokus standen, sondern allein die Gegenmaßnahmen. Wahrscheinlich orientierte sich Bonhoeffer hier u.a. an den Ergebnissen von Kurt Pohlisch – diese dürften ihm frühzeitig bekannt gewesen sein, da Pohlisch unter Bonhoeffer Oberarzt an der Charité war und Bonhoeffer 1928 seine Habilitationsschrift begutachtet hatte (Forsbach 2006: 201). Die Umfrage zeigt uns, dass unter den Experten eine Diskussion der möglichen Wirksamkeit der Betäubungsmittelgesetzgebung nicht verbreitet war. Von den befragten 30 „erfahrenen ärztlichen Sachverständigen“ (Wolff 1931-2: 312) wurde lediglich ein Mediziner zitiert, der das Potenzial der Gesetze und
721
Ebenfalls neutral war folgende Veröffentlichung: Wolff 1931-1.
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Verordnungen sehr kritisch bewertete, Prof. Gustav von Bergmann722 aus Berlin. Er wies darauf hin, für die geringe Zahl der Süchtigen, die nicht ohnehin Psychopathen seien, werde zu viel Aufwand betrieben und schließlich würden v.a. die „Morphin- und Kokainpreise der Schieber (…) gewaltig steigen“ (Wolff 1931-2: 310).723 Die Umfrage der DMW offenbart auch, dass die Experten die Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums sehr unterschiedlich bewerteten. „Man schätzt, Deutschland habe einige Tausend Süchtige“, schrieb Bergmann (Wolff 1931-2: 310). Sein Kollege Prof. Hans Curschmann724 aus Rostock ging hingegen von einer extremen Verbreitung des Morphinismus aus und antwortete, allein bei rechtzeitiger Operation von Gallensteinen „würde es Tausende von Morphinisten weniger geben“ (Wolff 1931-2: 135). Bonhoeffer, Bergmann, Curschmann und ihre Kollegen blieben hinsichtlich der Charakterisierung der Konsumenten sehr sachlich, eine moralische Abwertung erfolgte nicht. Curschmann schrieb in Hinblick auf „süchtige Aerzte“ von „bedauernswerten Kollegen“ und Bratz von „unglücklichen süchtigen Patienten“ (Wolff 1931-2: 135; 181). In einer weiteren Publikation verwendete Bonhoeffer 1931 nach meinen Erkenntnissen als einziger zeitgenössischer Autor das Bild einer Welle des Betäubungsmittelkonsums in der Weimarer Republik: „Die Kokainismuswelle ist heute in der Klinik so gut wie völlig abgeebbt“ (Bonhoeffer 1931: 141). Er resümierte: „Im ganzen kann man aber sagen, daß der Kokainismus zurzeit keine soziale Bedeutung mehr hat und auch hinsichtlich des Morphinismus muß man sich darüber klar sein, daß die absoluten Zahlen der Morphinisten keineswegs eine beunruhigende Höhe haben.“
Bonhoeffer bewertete den Kokainismus als „typische Nachkriegserscheinung“. Die Konsumenten der Substanz seien zur Hälfte Jugendliche ab 16 Jahren und „zumeist labile, unstete, pseudologische Psychopathen“, also krankhaft lügnerische Menschen.
722
Prof. Dr. med. Gustav von Bergmann (* 24.12.1878) war Internist und Direktor der 2. medizinischen Universitätsklinik der Charité. Quelle: (14.12.2009). 723 Ein anderer Arzt, K.H. Blümel (1932) bezeichnete in einem Vortrag die Konsequenzen der Verordnung vom 19.12.1930 als „lästig“. Er selbst habe in seinem Berufsleben „kaum einen auffälligen Mißbrauch der Opiate“ und „trotz Tausenden von Verschreibungen nie einem Fall von Heroinmißbrauch“ gesehen, weshalb er an der Verschreibung festhalte. 724 Prof. Dr. Hans Curschmann (* 14.08.1875, † 01.03.1950) war Neurologe und Direktor der Medizinischen Universitätsklinik Rostock. Quelle: (14.12.2009).
Expertenmeinungen ab 1929
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Die wichtigste Publikation zu Betäubungsmitteln, die im Untersuchungszeitraum erschien, ist m.E. die Monographie von Kurt Pohlisch aus dem Jahr 1931, welche in Kapitel 4.1 ausführlich vorgestellt wurde. Hier ist noch zu betonen, dass Pohlischs Analyse sehr sachlich war und ohne Stereotype auskam. Außerdem sei darauf hingewiesen, dass auch Pohlisch (1931: 23f) Proselytenmacherei beschrieb und anführte, es gebe „Nesterbildungen“, die durch ein „regional eng umgrenztes, gehäuftes Auftreten von Beziehern großer Opiatmengen“ entstünden. Ähnlich wie Fränkel bezog Pohlisch dies auf Morphinisten: „Solche Nesterbildungen erklären sich zweifellos durch die Neigung der Morphinisten, Proselyten zu machen. Mehrfach mußte das Entstehen solcher Nester in Beziehung zu dort ansässigen morphinistischen Ärzten gebracht werden.“
Pohlisch Ergebnisse wurden nicht nur auf staatlicher Ebene, sondern auch von Medizinern in ihrem Sinne rezipiert. So fanden sie im Jahr nach ihrer Veröffentlichung Einzug in die „Leitsätze betr. Opiumgesetz“, die als Beschlüsse der Ärztekammer für Berlin am 5. März 1932 verabschiedet wurden: „Die ausserordentlich geringe Zahl der Rauschgiftsüchtigen (0,56 auf 10000 über 20 Jahre alte Personen mit einer die Tagesdosis von 0,1 übersteigenden Rauschgiftmenge) beweist, dass die Ärzteschaft sich ihrer hohen Verantwortung beim Verordnen von Rauschgiften schon bisher bewusst war. Trotzdem ist sie bereit, in einer das ärztliche Handeln nicht hemmenden Weise an der weiteren Bekämpfung der Rauschgiftsucht mitzuwirken.“725
Diese Interpretation der Berliner Ärzte bildet allerdings eine Ausnahme und ist nicht repräsentativ für die deutsche Ärzteschaft. Dass die dortigen Mediziner von einer „ausserordentlich geringe[n] Zahl der Rauschgiftsüchtigen“ sprachen, führte nicht dazu, die Wahrnehmung der deutschen Ärzteschaft nachhaltig zu verändern. Dabei hätte sie (wie auch die Berliner) durchaus Interesse daran haben können, eine eher geringe Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums zu betonen, waren sie selbst doch in der Auseinandersetzung um den Gegenstand doch in die Kritik geraten, zu leichtfertig mit den Substanzen umzugehen. Eine umfassende Auseinandersetzung und kritische Reflektion der eigenen Darstellung zur Verbreitung des Drogengebrauchs löste Pohlischs Untersuchung unter Medizinern allerdings nicht aus. Halten wir fest: Ab Mitte der 1920er Jahre lassen sich mit Maier, Pohlisch und Dansauer/Rieth größere Studien nachweisen, in denen eine vorurteilsbehaftete Darstellung der Betäubungsmittelkonsumenten keine oder nur eine marginale Rolle spielte. Auch in kürzen Aufsätzen blieb die Darstellung nun häufiger sachlich. Sofern in Fachpublikationen eine Abwertung von Konsumenten 725
BArch R 1501/126496, S. 394. Zitiert nach einem Schreiben des Geschäftsführers der FOK an Ministerialrat Dr. Kahler/ RMI, 03.03.1932.
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erfolgte, so geschah dies Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre allerdings in teils in sehr drastischer Art und Weise. Wir sehen, dass es auch auf Ebene des Expertendiskurses zu diesem Zeitpunkt ein Nebeneinander von Radikalisierung und wachsender Differenzierung, von neutraler Darstellung und diskreditierender Beschreibung gab. Nach meinen Erkenntnissen fand allerdings während des gesamten Untersuchungszeitraums weder in Fachpublikationen noch auf anderen Akteursebenen eine Reflektion darüber statt, ob eine derartige moralische Abwertung der Konsumenten angemessen sei. Allein hinsichtlich der Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums fand eine kritische Reflektion des gängigen Diskurses statt, aber auch diese konnte den Wahrnehmungskokon nicht mehr nachhaltig beeinflussen und so standen Publikationen, die die Verbreitung kritisch reflektierten, neben solchen, die weiter von verbreitetem Konsum ausgingen. Ein zentrales Charakteristikum der Zeit ab 1928 ist, dass die Aufmerksamkeit für Betäubungsmittel unter Experten langsam wieder abebbte. 4.4.1 Fazit zum Expertendiskurs zu Betäubungsmitteln im gesamten Untersuchungszeitraum Ursprünglich ging es im Problematisierungsdiskurs um den Gebrauch von Drogen im medizinischen Kontext, später wurden auch genussorientierte Konsumformen thematisiert. Unvorsichtige Verschreibung von Opiaten galt nach ärztlicher Lehrmeinung als fachliche Fehlleistung, ebenso die Verwendung von Kokain in Fällen, wo Ersatzmittel gleichwertige Erfolge erzielten. Gelegentliche Verwendung von Betäubungsmitteln im medizinischen Kontext wurde allerdings weiterhin als notwendig und – das ist hervorzuheben – als sowohl für den Patienten als auch gesellschaftlich unproblematisch bewertet. Seit ab ca. 1919/1920 der Konsum von Drogen als ein Deutschland direkt betreffendes Problem thematisiert wurde, waren Mediziner lange Zeit führend in der Debatte. Durch ihre Dominanz etablierte sich ein medikalisierender, pathologisierender Blick – und folgerichtig eine problematisierende Betrachtungsweise des hedonistischen Konsums. Dieser wurde im Gegensatz zur medizinischen Verwendung abgewertet, ohne dass dabei präzisiert worden wäre, gegen welche konkreten Moralvorstellungen er verstoße. Dabei wurde genussorientierter Drogengebrauch mit abweichendem Verhalten unterschiedlichster Form verknüpft. Im Falle des außermedizinischen Konsums wurde im vorherrschenden Diskurs nicht zwischen gelegentlicher Verwendung und anderen Gebrauchsformen unterschieden. Vielmehr wurde jeglicher Konsum
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hedonistischer Natur abgewertet und hierbei generell eine negative gesundheitliche Prognose gestellt. Warum für den medizinischen Kontext angenommen wurde, vorsichtige und gelegentliche Verwendung sei ohne Abhängigkeit möglich, dies aber bei außermedizinischem Gebrauch nicht gelten solle, wurde im zeitgenössischen Diskurs m.E. nicht thematisiert. Die unterschiedliche Bewertung war zentral dafür, dass man die Behandlung mit Opiaten durch Mediziner weiterhin billigen konnte – eine Frage, die aufgrund der Unentbehrlichkeit der Substanzen in der ärztlichen Praxis unabdingbar war. Dies mag ein Grund dafür gewesen sein, dass insbesondere die Expertengruppe der Mediziner die Verknüpfung von Betäubungsmittelkonsum und abweichendem Verhalten in ihren Publikationen festschrieb. Sie könnte dementsprechend als Diskursstrategie gewertet werden, mithilfe derer zwischen legitimem und illegitimem Konsum unterschieden wurde. Durch diese Verknüpfung war es nicht notwendig auszuführen, was denn überhaupt problematisch am genussorientierten Konsum von Drogen sei. Hätte dies argumentativ unterfüttert werden müssen, wäre (angesichts der etwa von Joël und Fränkel beschriebenen Gelegenheitskonsumenten) möglicherweise die Frage aufgekommen, ob nicht gelegentlicher genussorientierter Konsum als unproblematisch zu bewerten sei. Es ist nicht möglich, einen idealtypischen Mediziner vorzustellen, der den Diskurs maßgeblich beeinflusst hätte – zu unterschiedlich war die Sozialstruktur der beteiligten Autoren. Zunächst ist auffällig, dass sie aus verschiedenen Teildisziplinen stammten: Es waren beispielsweise sowohl Hals-Nasen-Ohren Ärzte als auch Internisten beteiligt. Die Fachrichtung der Neurologen bzw. Psychiater überwog, war aber keineswegs absolut dominant. Ebenso war die aktuelle Tätigkeit der Autoren sehr unterschiedlich: Viele waren an Krankenhäusern beschäftigt (ein Schwerpunkt lag bei der Charité), andere arbeiteten als Gefängnisarzt oder im Feld der Sozialhygiene. Manche Ärzte hatten im Ersten Weltkrieg Erfahrung als Feldarzt gesammelt. Schließlich waren Joël und Fränkel als Fürsorgeärzte tätig und arbeiteten unmittelbar mit Menschen, die Probleme mit Alkohol, Kokain oder anderen Drogen hatten. Soweit zu ermitteln, arbeiteten alle beteiligten Experten in Großstädten, eigene berufliche Erfahrungen aus kleineren Ortschaften oder ländlichen Gebieten wurden demnach nicht einbezogen. Alle Autoren waren Männer, wir begegnen aber unterschiedlichen Konfessionen. Die Mediziner vertraten verschiedene politische und weltanschauliche Meinungen; ähnlich verhielt es sich mit den Beteiligten im politischen Feld und bei den nichtstaatlichen Organisationen den Tageszeitungen. Diese Einigkeit der Zeitgenossen in der negativen Bewertung des Betäubungsmittelkonsums ist also ein zentrales Charakteristikum des Diskurses, das alle Akteurebenen und den gesamten Untersuchungszeitraum durchzog.
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Wichtig ist, dass die Auseinandersetzung um Opiaten und Kokain für fast alle Beteiligten eine Nebenbeschäftigung war. Für Autoren wie die Professoren Bonhoeffer und Curschmann war das Thema eines unter vielen in ihrem Arbeitsalltag. Nur wenige Mediziner profilierten sich schwerpunktmäßig im Bereich Drogenforschung. Dazu zählten Jacob, der seine Promotion zu Betäubungsmitteln verfasste, Pohlisch, der eine Auftragsarbeit des Reichsgesundheitsamt ausführte sowie Joël und Fränkel, deren Profil schließlich das der „Suchtmediziner“ wurde. Sie legten jene Arbeiten vor, die als die differenziertesten und sachlichsten, mithin als die wertvollsten Auseinandersetzungen von deutschen Ärzten zum Thema Drogen in der Weimarer Republik gewertet werden können. Auffällig ist, dass jene Autoren, die sich am intensivsten mit dem Gegenstand beschäftigten, ab Mitte/Ende der 1920er Jahre zu den reflektierenden und den Diskurs relativierenden Akteuren zählten. Zu den beiden zentralen Themenfeldern des zeitgenössischen Diskurses – der Frage nach der Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums (und einer daraus möglicherweise resultierenden Gefährdung und Handlungsnotwendigkeit) und der Bewertung des Verhaltens – äußerten sich Mediziner, lange bevor hierzu eine differenzierte Auseinandersetzung stattgefunden hätte. Im Fachkontext, in der Tagespresse und im politischen Feld vertraten Ärzte die Auffassung, Betäubungsmittelkonsum sei nicht nur medizinisch problematisch, sondern ein moralisch verwerfliches Verhalten, das gravierende Konsequenzen für die Individuen, aber auch für die Gesellschaft habe. So beeinflusste die als Experten wahrgenommene Gruppe die gesellschaftliche und politische Meinungsfindung stark und bewirkte, dass Drogenkonsum als abweichendes Verhalten definiert wurde. Mediziner interagierten aber auch mit anderen Fachrichtungen, v.a. der Pharmazie und den Rechtswissenschaften. Ihre Positionierung zu strafrechtlichen Fragen trug dazu bei, dass die Bewertung des Drogenkonsums in moralischer, juristischer und medizinischer Perspektive ineinander überging. Allerdings waren die Beiträge der Mediziner zu diesem Themenkomplex reine Meinungsäußerungen, keine wissenschaftlich fundierten Thesen. Die grundlegende Problemwahrnehmung der Mediziner war lange bevor erste Studien wissenschaftlichen Ansprüchen zumindest teilweise und schließlich weitgehend genügten, festgelegt. Die solideste Analyse des Untersuchungszeitraums, die Erhebung von Kurt Pohlisch, wurde auf Regierungsseite, im Völkerbund und von Medizinern rezipiert und fand in der Tagespresse Niederschlag. Dennoch konnte sie (ebenso wenig wie die anderen kritische Beiträge) weder den damaligen Diskurs noch die heutige Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums in der Weimarer Republik nachhaltig beeinflussen. Der Wahrnehmungskokon der Experten war bereits verfestigt, bevor eine solide wissenschaftliche Auseinandersetzung Fuß fassen konnte. Dies alles verdeutlicht, dass die
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Auseinandersetzung im Fachkontext, die hier am Beispiel der den Diskurs entscheidend prägenden Mediziner betrachtet wurde, v.a. von Vor- und moralischen Werturteilen geprägt war und nicht von einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Obwohl akademisch ausgebildete und als Experten wahrgenommene Personen die Auseinandersetzung um Drogen prägten, kann von einer „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ demnach nicht die Rede sein. 4.4.2 Zur Frage der konsensualen Sachverhalte und der „Drogenwelle in der Weimarer Republik“ Folgende Punkte stellen sich als konsensuale Sachverhalte des zeitgenössischen Diskurses dar: Erstens differenzierten die Beteiligten zwischen verschiedenen Konsummotiven und zwischen den verschiedenen Substanzen. Das Gros der Zeitgenossen empfand Kokainkonsum als gefährlicher im Vergleich zu dem von Morphin und verurteilte die Einnahme von Kokain, die meist auf „Genußsucht“ zurückgehe; Morphinismus hingegen wurde i.d.R. entschuldigt. Zweitens wurde Betäubungsmittelkonsum v.a. auch deshalb als Bedrohung gesehen, weil die Zeitgenossen davon ausgingen, er könne sich unkontrollierbar verbreiten. Dies lag in der Vorstellung begründet, Drogenkonsumenten würden andere Menschen zum Gebrauch der Substanzen überreden, also Proselyten machen. Einig waren sich die Zeitgenossen – drittens – darüber, dass es Konsum von Drogen aus unterschiedlichen Motiven gab und dass Schleichhandel stattfand. Darüber, wie verbreitet diese Phänomene waren, gab es keine Einigkeit. Auch im relativierenden Beitrag der Frankfurter Zeitung wurde Betäubungsmittelkonsum v.a. in Großstädten verortet und dem Nachtleben (sowie Medizinalpersonen) zugeordnet. Viertens terminierten die Beteiligten das Phänomen in der Nachkriegszeit und brachten es mit jenen Erscheinungen in Verbindung, die die Wahrnehmung der damaligen Epoche als krisenhaft prägten. Ob dieser Zusammenhang allerdings rein temporärer oder doch kausaler Natur war, konnten die Zeitgenossen nicht beantworten. Es deutet sich außerdem an, dass sie annahmen, der Konsum sei ab 1925 zurückgegangen, die Aussagen hierzu blieben allerdings vage. Der wichtigste konsensuale Sachverhalt war aber, dass der nicht medizinisch gerechtfertigte Konsum von Opiaten und Kokain von den hier untersuchten Akteuren als negativ bewertet wurde. Wenden wir uns zum Schluss der eingangs zunächst zurückgewiesenen Frage zu, ob es in der Weimarer Republik ein Drogenproblem gegeben hat. Diese
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können wir zunächst relativ einfach im Sinne der Soziologie sozialer Probleme beantworten: Da die Zeitgenossen ein Problem wahrnahmen, gab es auch eines (selbst wenn sie nicht den Begriff „Drogenproblem“ verwendeten oder explizit von einem „sozialen Problem“ gesprochen haben). Fragt man jedoch, ob es aus heutiger Perspektive damals eine gefährliche Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums gegeben hat – und betätigt man sich damit als „‚Buchhalter gesellschaftlicher Wissensbestände’, der zu klären (und zu erklären) hat, was in seiner Gesellschaft als Wirklichkeit gilt und was nicht“ (Schetsche 2008: 85), so fällt die Antwort deutlich komplexer aus, da wir hierfür die zeitgenössischen konsensualen Sachverhalte und ihre Generierung einer kritischen Reflektion unterziehen müssen. Legt man dabei aktuelle wissenschaftliche Maßstäbe an, kann man aus heutiger Perspektive den damaligen Betäubungsmittelkonsum nicht als verbreitet bezeichnen. Meiner Meinung nach ist sogar die „Existenz der (…) behaupteten Sachverhalte“ umstritten (Schetsche 2008: 83). War das heute als Drogenproblem interpretierte Phänomen also ein „virtuelles Problem“? Festzuhalten ist, dass wir nur Indizien über die Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums sammeln können. Aber mehr konnten alle anderen, die sich bislang zu dieser Frage äußerten, auch nicht – weder den Zeitgenossen noch den späteren Forschern lagen m.E. genauere Informationen zur Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums vor, als sie hier erörtert wurden. Wir können also lediglich feststellen, dass der Konsum sichtbarer wurde; möglicherweise hat er sogar zugenommen, auf jeden Fall werteten die Zeitgenossen dies als bedrohlich. Zentral ist allerdings, dass es keine nach heutigen Maßstäben verlässlichen Quellen gibt, die es rechtfertigen, von einer weiten Verbreitung des Drogenkonsums in der Weimarer Republik zu sprechen.726 Aussagen über Phänomene wie den Betäubungsmittelkonsum zu treffen ist schon für die Gegenwart schwierig, v.a. weil viele Menschen dieses Verhalten nicht offen thematisieren. Für die weiter zurückliegende Vergangenheit kann man fundierte Aussagen zu hedonistischem Konsum meiner Meinung nach zwar für einige exponierte Gruppen treffen (eben für jene Berbers und Falladas, von 726
Der Diskurs um Betäubungsmittel schreibt sich damit in die allgemeine Wahrnehmung der Kriminalität in der Weimarer Republik ein. Galassi (2004) weist nach, dass in dieser Zeit zwar ein Anstieg der Kriminalität behauptet wurde, dies aber nach einer Prüfung von Statistiken nicht bestätigt werden konnte. „Im Rückblick erscheint die Kriminalitätsentwicklung in der Weimarer Republik wenig spektakulär“ (Galassi 2004: 176). Obwohl es keinen nennenswerten Anstieg der Kriminalität gegeben habe sei den „weniger informierten Zeitgenossen“ durch die Rückfallstatistik „eine stetige Zunahme des Gewohnheitsverbrechertums“ suggeriert worden (Galassi 2004: 177). Sie schreibt, die „diffuse Stimmungslage“ des Bürgertums und die „Dramatisierungen der Strafrechtsreformer und Kriminologen“ hätten wechselseitig aufeinander gewirkt und sich „in ihrer Resonanz verstärkt“ (Galassi 2004: 105).
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deren Konsum wir häufig hören). Über den individuellen, unauffälligen Konsum der breiten Masse können wir aber kaum etwas sagen – ob Frau Janes oder Herr Wagner gelegentlich koksten oder ob sie dies niemals getan hätten, ist nicht überliefert (oder müsste etwa durch Tagebuchanalysen aufwändig ermittelt werden). Es gibt allerdings keine Hinweise darauf, dass zu Zeiten, als in Deutschland der Erwerb von Drogen theoretisch ohne größere Schwierigkeiten möglich war, eine signifikante Anzahl von Menschen wahrnehmbare gesundheitliche, psychische oder anderweitige Probleme aufgrund eines solchen hedonistischen Konsums entwickelt hätte.727 Jene Statistiken, die uns über einen auffällig gewordenen Konsum informieren (wie die Anstaltaufnahmen oder Pohlischs Erhebung), sprechen eine Sprache, die es meiner Meinung nach – mit heutigem Maß gemessen – nicht zulässt, von einer gefährlichen Verbreitung des Betäubungsmittelkonsums in der Weimarer Republik zu sprechen. In diesem Sinne kann die Drogenwelle der Weimarer Republik aus heutiger Perspektive als virtuelles Problem im Sinne Schetsches bezeichnet werden. Autorinnen und Autoren, die eine weite Verbreitung des Drogenkonsums zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschreiben, kolportieren also lediglich einen Mythos. Dass wir genau dies aber heute tun, geht weniger auf einen zunehmenden Konsum zurück, als auf die wachsende Aufmerksamkeit, die diese Substanzen erfuhren. So kann für den Beginn des 20. Jahrhunderts zwar die Existenz von Betäubungsmittelkonsum, aber keine weite Verbreitung konstatiert werden: Meine These ist, dass es keine Drogenwelle in der Weimarer Republik gab, sondern allenfalls eine Welle der Aufmerksamkeit für und der Berichterstattung über Drogen. In diesem Sinne haben jene Zeitgenossen, die mit ihren Zeitungsberichten, wissenschaftlichen Publikationen und öffentlichen Thematisierungen Aufmerksamkeit für den Gegenstand Betäubungsmittel erlangen wollten, ihr Ziel mehr als erreicht. Die wachsende Präsenz der Konsumenten lässt sich auch anders als durch verbreiteten Konsum erklären: Durch das Opiumgesetz wurden sie sichtbarer, denn die Möglichkeiten, Betäubungsmittel zu erwerben, wurden erheblich eingeschränkt und es ist anzunehmen, dass auch der Druck, sich einer Entziehungskur zu unterziehen, für viele Konsumenten wuchs. Ihr Verhalten konnte sich immer weniger im Verborgenen abspielen und wurde – befördert durch die Sensibilisierung durch Presse, Experten und Politik – deutlicher wahrgenommen (vgl. Yvorel 1992: 96). So war es eine zwangsläufige Folge der Gesetze, der wachsenden Problematisierung und der größeren Aufmerksamkeit, dass der Konsum sichtbarer wurde. Man kann es als direkte Folge der Kriminalisierung 727
Ähnliches konstatiert Kohn (2001: 4) übrigens für Großbritannien: „Anybody was free to walk into a chemist’s shop and buy cocaine or morphine, subject to one or two formalities, but almost nobody chose to do so.“
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Ein etabliertes Problem – Betäubungsmittel in Deutschland ab 1929
interpretieren, dass Personen, die bislang sozial integriert und medizinisch unauffällig konsumierten, nun neue Probleme im Umgang mit Betäubungsmitteln entwickelten (bzw. dass ihre Probleme sichtbar wurden). In diesem Sinne wäre zu fragen, ob Verelendung, Drogentote und Szenenbildung – also das, was heute als Drogenproblem bezeichnet wird – nicht erst durch die restriktive Betäubungsmittelkontrolle befördert wurden. Jedenfalls kann die Problematisierung des Konsums und der Versuch seiner Unterdrückung unmittelbar mit seiner steigenden Sichtbarkeit gleichgesetzt werden. In diesem Sinne ist die „Drogenwelle“ mit ihrem vermeintlichen Höhepunkt 1925 als Folge der Gesetzgebung zu interpretieren – und nicht als deren Grund (der sie zeitlich gesehen auch nicht sein konnte). Die Analyse der Entstehung des Drogenproblems in Deutschland zeigt, dass sich die Problematisierung weitgehend unabhängig von dem zugrunde liegenden sozialen Sachverhalt vollzog und dass sich Teile des Diskurses Ende der 1920er Jahre vollkommen von ihm lösten. Dies führt uns zur Diskussion der Theorien sozialer Probleme zurück: Spector und Kitsuse (1973: 414) vertreten die These, dass soziale Probleme theoretisch vollkommen ohne Bezug auf soziale Sachverhalte konstruiert werden können. Die hier untersuchte Verfestigung der vom Sachverhalt gelösten Interpretation durch die spätere Forschung zeigt, dass auch das, was wir als historische Realität ansehen – das, was etwa den in der Einleitung zitierten Roman in den Augen der Leser zu „geschichtsträchtiger Wahrheit“ macht, ebenfalls weitgehend unabhängig von nachprüfbaren Sachverhalten konstruiert werden kann, sofern nur ausreichend verlässliche Autoritäten eine entsprechende Auffassung vertraten und diese Meinung oft genug von verschiedenen Akteuren wiederholt wurde. Dabei wird m.E. die Ex-post-Konstituierung eines sozialen Problems in der Vergangenheit erheblich erleichtert, wenn in der Gegenwart ein ähnlich geartetes Problem angenommen wird – wenn die Darstellung der Vergangenheit also auf einen entsprechenden Wahrnehmungskokon in der Gegenwart trifft. Wie stark der heutige Wahrnehmungskokon wirken kann, zeigt ein Beispiel, das uns bis in das 19. Jahrhundert zurückführt. Jan Wriedt (2006: 48) schreibt zum Jahr 1891: „Es gab also zu dieser Zeit ein Drogenproblem im Deutschen Reich“. Bei der Analyse des betreffenden Bundesratsbeschlusses bezieht sich Wriedt (2006: 41f) auf Dokumente aus den Beständen des Bundesarchivs.728 Laut Wriedt (2006: 42) „sollte durch diesen Beschluss des Bundesrates den Suchtgefahren des Missbrauchs entgegnet werden.“ In der zitierten Besprechung ging es um „Mißbrauch“ von „Drogen“ – hier allerdings das Szenario eines „Problems 728
BArch R 1501/110205, S. 314-321 RS, Denkschrift zu K.G.A. Nr. 3023, undatiert (stammt aber aller Wahrscheinlichkeit nach wie die vor- und nachgeordneten Dokumente aus dem Jahr 1890).
Expertenmeinungen ab 1929
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des Drogenmissbrauchs“ (Wriedt 2006: 48) heraufzubeschwören heißt, das heutige Vokabular unreflektiert in die Sprache des 19. Jahrhunderts zu übertragen: Zur Diskussion standen „Drogen“ im damaligen pharmazeutischen Sinne, also nicht allein Betäubungsmittel, sondern getrocknete tierische und pflanzliche Substanzen bzw. Arzneimittel generell. Und auch „Mißbrauch“ war nicht Missbrauch im heutigen Sinne. Richtig ist, dass bestimmte Arzneimittel, zu denen auch die Betäubungsmittel zählten, aufgrund möglicher Wirkungen strenger behandelt wurden als andere und ihnen ein Sonderstatus eingeräumt wurde: „Die mit einem solchen [wiederholten und gesteigerten, AH] Genusse verbundenen großen Gefahren für Körper und Geist machen es aber geradezu zu einer Nothwendikeit, die Erlangung jener Mittel zu erschweren“.729
Zur Diskussion standen um 1890 also durchaus besondere Gefahren, die von Substanzen wie Kokain und Morphium, aber auch von Chloralhydrat,730 ausgingen. Im Kontext der allgemeinen Regelungen des Verkehrs mit Arzneimitteln wurde Betäubungsmitteln aufgrund ihrer starken Wirksamkeit und spezifischen Gefahren also besondere, aber keineswegs übermäßige Aufmerksamkeit gewidmet. Der Begriff des Missbrauchs muss im Sinne der Zeitgenossen interpretiert werden und dass die Begriffe „Drogen“ und „Missbrauch“ in ein und demselben Kontext verwendet wurden, heißt nicht, dass die Zeitgenossen ein „Drogenproblem“ wahrnahmen. Die Analyse ist heutigen Wahrnehmungsmustern geschuldet und zeigt, wie sehr die heutige Betrachtung durch den verfestigten Wahrnehmungskokon Gefahr läuft, aktuelle Wahrnehmungsmuster auf vorangegangene Situationen zu übertragen.
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BArch R 1501/110205, 318 VS. Chloralhydrat (aus der Stoffgruppe der Aldehydhydrate) ist das älteste synthetisch hergestellte Schlafmittel.
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5 Wie Opiate und Kokain von Arzneimitteln zu einem sozialen Problem wurden: Resümee und Ausblick sowie Schlussfolgerungen aus drogenpolitischer Perspektive Wie Opiate und Kokain von Arzneimitteln zu einem sozialen Problem wurden
Im Fazit dieser Arbeit, die der Frage nachging, wie sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die Wahrnehmung des genussorientierten Drogengebrauchs als verbreitetes Problem entwickelte und welche Wirkung dies entfaltete, sollen hier der komplexe Prozess der Problemgenese und einige daran anschließende Thesen resümiert werden. Dem schließen sich ein Ausblick und Schlussfolgerungen aus drogenpolitischer Perspektive an. 5.1 Problematisierungsprozess und Wahrnehmungswandel Problematisierungsprozess und Wahrnehmungswandel Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wurden auf zwischenstaatlicher Ebene zentrale Abkommen geschlossen und die wegweisenden innerstaatlichen Maßnahmen zur Kontrolle von Opiaten und Kokain in Deutschland verabschiedet. Entscheidend dafür, wie sich der Umgang mit Drogen und ihren Konsumenten wandelte, war aber nicht allein die damals eingeführte restriktive Betäubungsmittelgesetzgebung, sondern insbesondere der Prozess, in dem sich die Wahrnehmung des hedonistischen Konsums von Drogen als ein problematisches und zu bekämpfendes Phänomen im Land entwickelte. Dieser Problematisierungsprozess, dieser Wahrnehmungswandel vollzog sich schwerpunktmäßig in den 1920er Jahren und wurde von mehreren kollektiven Akteuren beeinflusst: Erstens von Medizinern, die hierfür den zweiten zentralen Akteur nutzten – die Tagespresse. Zu diesen beiden kamen drittens (in Deutschland ab 1929) nichtstaatliche Organisationen hinzu. Durch die Interaktion dieser drei Gruppen mit der politischen Ebene entstand in einem politischpublizistisch-professionellen Verstärkerkreislauf ein Wahrnehmungskokon, der den hedonistischen Konsum der Substanzen als moralische Abweichung von gesellschaftlichen Normen definierte und die Konsumenten ebenso wie den halb- und illegalen Handel stigmatisierte. Die zentralen Elemente dieser Entwicklung sollen im Folgenden präzisiert werden.
A. Hoffmann, Drogenkonsum und -kontrolle, DOI 10.1007/978-3-531-94045-8_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
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Charakteristisch für die Problemgenese ist zum einen, dass das Wissen um Drogen (v.a. um ihren außermedizinischen Gebrauch, dessen Verbreitung und die Konsumenten) im Untersuchungszeitraum ausgesprochen gering war. Zwar prägten Mediziner die Debatte, seitdem das Phänomen als auf Deutschland bezogenes, eigenständiges Thema behandelt wurde. Sie konnten aber ebenso wenig wie Parlamentarier, Journalisten oder andere am Diskurs beteiligte Akteure auf Informationen zurückgreifen, die eine solide Basis hatten oder gar auf wissenschaftlichen Untersuchungen basierten. Vielmehr behandelten die Akteure Betäubungsmittelkonsum als eine Frage der Moral. Das vor diesem Hintergrund verbreitete Wissen ging meist auf verallgemeinerte Einzelfälle zurück und/oder beruhte auf Vorurteilen; erste umfassendere Untersuchungen hatten voreingenommene Forschungsdesigns und wurden daher zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Der sich vor diesem Hintergrund vollziehenden Medikalisierung des sehr privaten Feldes Drogenkonsum fehlte eine zureichende wissenschaftliche Basis – der Umgang mit Opiaten und Kokain stand also einer Verwissenschaftlichung diametral entgegen. Vor diesem Hintergrund ist ein zentrales Charakteristikum der Problemgenese zu sehen – die Art und Weise, wie sich das einer soliden Basis entbehrende Wissen etablieren und die Wahrnehmung prägen konnte: Durch das wechselseitige Zitieren in Tages- und Fachpresse, Reichstag und Administration im politisch-publizistisch-professionellen Verstärkerkreislauf entstand der Eindruck, die postulierten Meinungen könnten als gesichertes Wissen angesehen werden. Der Verstärkerkreislauf war von häufig nur geringfügigen, in ihrer Gesamtheit aber entscheidenden Ungenauigkeiten und Zuspitzungen geprägt, die die Darstellung des Betäubungsmittelkonsums als Problem zum einen immer weiter dramatisierten und zum anderen immer weiter festschrieben. Dies wurde durch ständige Wiederholung der (unbelegten) Thesen von verschiedenen Autoritäten (insbes. Medizinern und Politikern) und die Verbreitung in verschiedenen Medien bzw. Kontexten (Boulevardzeitungen ebenso wie seriöse Tages- und Fachpresse oder Reichstagsdebatten) befördert. Durch die dominierende Rolle der Mediziner und die zustimmende Rezeption im politischen Kontext konnte ferner der Eindruck entstehen, das Thema Drogenkonsum und -kontrolle sei wissenschaftlich oder zumindest sachlich und differenziert behandelt worden. Obwohl keine soliden Informationen zum Gegenstand vorlagen, konnte in den Jahren zwischen 1920 und 1929 ein Wahrnehmungskokon entstehen, der sich so weit verfestigte, dass auch zuverlässige Informationen, die von amtlicher Seite global verbreitet wurden, sowie kritische journalistische und wissenschaftliche Stimmen, die sich um 1929 erhoben, keinen Einfluss mehr auf diese Wahrnehmung ausüben konnten. Sie konnten
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weder die zeitgenössischen Vorstellungen des Phänomens noch spätere Darstellungen nachhaltig beeinflussen. Zeitlich gesehen lagen die wichtigsten Zäsuren für Deutschland zunächst um 1920 und dann um 1928/1929, wobei der Wandel der Wahrnehmung als Prozess kleiner Schritte von fließenden Übergängen geprägt war. Nachdem Drogen um die Jahrhundertwende zunächst wie andere Arzneimittel kontrolliert wurden, nahmen staatlichen Stellen in Deutschland ab den 1910er Jahren einen problematischen Umgang mit Betäubungsmitteln im medizinischen Bereich wahr. Diese erste Problematisierung vermischte sich in den Folgejahren, v.a. ab 1920, immer mehr mit einem vollkommen anders gelagerten Phänomen: der Stigmatisierung des hedonistischen Konsums von Drogen. Beide Phänomene wurden in der Tagespresse und von Experten, aber auch von Politikern ungefähr ab 1920 (zunehmend ab ca. 1923) immer weiter dramatisiert. Zentrales Element des Wahrnehmungskokons war das Konstrukt einer Bedrohung durch Drogen und ihre Konsumenten, das sich in den Jahren zwischen 1920 und 1928 zu teils abstrusen Szenarien steigerte und dabei ab ca. 1925 jeglichen realistischen Bezugsrahmen verließ. In der vorangegangenen Analyse, die sich an dem von Michael Schetsche vorgestellten Kokonmodell sozialer Probleme orientierte und zwischen zeitgenössischem Diskurs und konsensualen Sachverhalten differenzierte, haben wir gesehen, dass es keine stichhaltigen (bzw. nach heutigen Maßstäben glaubhaften) Belege für eine weite Verbreitung von Drogen bzw. die These einer „Drogenwelle“ in der Weimarer Republik gibt. Die wachsende Sichtbarkeit der Betäubungsmittelkonsumenten ist vielmehr auf das Zusammenspiel von staatlicher Kontrolle und gesellschaftlicher Stigmatisierung zurückzuführen, womit die „Drogenwelle“ der 1920er Jahre als Welle der Aufmerksamkeit und nicht als die von den Zeitgenossen wahrgenommene bedrohliche Zunahme des Konsums zu interpretieren ist. Kennzeichnend für diese zeitgenössische Dramatisierung war die Zuschreibung des Betäubungsmittelkonsums auf Gruppen, die gesellschaftlichen Idealvorstellungen und Normen nicht entsprachen. Dies führte – vollkommen unabhängig davon, ob eine solche Verbindung bestand oder nicht – dazu, Betäubungsmittelkonsum als neue Form abweichenden Verhaltens zu konstruieren. Indem die genannten Akteure den Konsum von Drogen (devianten) Angehörigen marginalisierter Gruppen zuschrieben, erweiterten sie ihr Autostereotyp um eine Dimension: Betäubungsmittelkonsum wurde als inakzeptables, als abweichendes Verhalten definiert, das der eigenen Gruppe unangemessen sei. Auffällig ist, dass diese Wahrnehmung des Betäubungsmittelkonsums über politische, konfessionelle und andere Grenzen hinweg weit verbreitet war und dass hieran
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Personen aus allen untersuchten Akteursfeldern beteiligt waren, womit die Zuschreibung umfassende Gültigkeit erlangte. All diese Einflussfaktoren trugen dazu bei, dass sich Kokain und Opiate in einem komplexen Prozess innerhalb rund eines Jahrzehnts nicht nur „vom Arzneimittel zur Droge“ (de Ridder), sondern zum sozialen Problem entwickelten. Gemäß diesem Wahrnehmungsmuster gilt hedonistischer Drogenkonsum bis heute als abweichendes Verhalten. Wie wir gesehen haben, kann man Drogen als „Sonde“ verwenden, um an diesem komprimierten Feld nachzuvollziehen, wie gesellschaftliches Wissen generiert werden konnte und auf welchem Weg es Anerkennung erlangte. Ferner wurde gezeigt, dass für das Wirksamwerden von Politik nicht primär die Gesetze, sondern gerade auch der gesellschaftliche Umgang mit Betäubungsmitteln und ihren Konsumenten zentral war. Unser Beispiel erlaubt darüber hinaus einen Blick auf die Frage, wie politische Entscheidungen gefällt wurden. Dabei wird zunächst deutlich, dass die Weichen für die internationale Positionierung zur „Opiumfrage“ im Auswärtigen Amt und Reichsgesundheitsamt gestellt wurden, wobei die inhaltliche Vorbereitung der Gesetze und Verordnungen v.a. im RGA unter Einbeziehung betroffener Gruppen (insbesondere der pharmazeutischen Industrie und Mediziner) erfolgte. Auch wenn es gelegentlich Wortmeldungen zu Rauschgiften im Reichstag gab, wurden im Parlament aber weder die Gesetze noch die internationalen Abkommen umfassend diskutiert. Allenfalls erlangten die Mitglieder der Reichstagsausschüsse (auch außerhalb der Diskussion um die Gesetzgebung) einen geringfügigen Einfluss auf den Umgang mit Betäubungsmitteln. Von der Entstehung einer „Drogenpolitik“ im Sinne parteipolitischer Meinungsfindung und Positionierungen sowie parlamentarischer Auseinandersetzung kann für das erste Drittel des 20. Jahrhunderts also nicht die Rede sein. Drogen waren im politisch-administrativen Feld ein Thema für – meist schlecht informierte – Einzelpersonen. Entsprechend ist es nicht erstaunlich, dass sich die wechselnden politischen Verhältnisse zu Beginn des 20. Jahrhunderts keineswegs auf den Umgang mit Opiaten und Kokain niederschlugen: Weder veränderte der Systemwechsel vom Kaiserreich zur Republik den Blick auf Drogen wesentlich, noch beeinflussten die unterschiedlichen Regierungskoalitionen die Politik. Ebenso wenig konnte ein relevanter Einfluss der Länder auf den Umgang mit Drogen nachgewiesen werden. Demnach prägten diejenigen Akteure, die sich in RGA und AA mit der Frage befassten, zusammen mit jenen, die zu Beratungen herangezogen wurden, die zentralen Entscheidungen wesentlich, weshalb konstatiert werden kann, dass im Feld Betäubungsmittel persönliche und professionelle Netzwerke deutlich mehr Einfluss auf die Politik hatten als gewählte politische Entscheidungsträger.
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Dies stellt nicht infrage, dass transnationale Einflüsse und internationaler Druck für diese Entwicklung bedeutend waren – der im Versailler Vertrag festgeschriebene Zwang zur Ratifizierung des Haager Abkommens kann für Deutschland aber keineswegs als das zentrale Moment der Entwicklung im Umgang mit Drogen gewertet werden. Wir wissen, dass die deutsche Betäubungsmittelgesetzgebung entscheidend durch die internationalen Abkommen geprägt wurde; wie hier gezeigt werden konnte, waren transnationale Einflüsse aber auch in anderen Bereichen prägend: Nachweislich verfolgte z.B. das für den Umgang mit Drogen mitentscheidende Auswärtige Amt v.a. eine auf positive Außendarstellung des Reiches gerichtete Strategie. Ferner zeigt die deutsche Rechtsprechung Parallelen zur US-amerikanischen und auch der gesellschaftliche Diskurs (etwa hinsichtlich der Bewertung des Konsums als Bedrohung) war durch Einflüsse aus anderen Ländern geprägt. Schließlich waren auch dafür, dass die Auseinandersetzung mit Drogen um 1929 im zivilgesellschaftlichen Feld Aufmerksamkeit erlangte, Kontakte zwischen nichtstaatlichen Organisationen verschiedener Länder entscheidend. Einflüsse gab es aber auch in der anderen Richtung, denn Betäubungsmittelpolitik war ein frühes Beispiel intensiver multistaatlicher Zusammenarbeit. Dies bezieht sich keineswegs nur auf die internationale Kooperation zur Opiumfrage selbst, die bereits 1909 im Kontext der Konferenz von Shanghai begann, in der Opiumkommission des Völkerbundes ihren institutionalisierten Niederschlag fand und die wir heute in den drei von den USA zentral beeinflussten internationalen Drogenkonventionen wieder finden. Vielmehr führte das gemeinsame Ziel der Unterdrückung des als illegitim bewerteten Betäubungsmittelkonsums und -handels zahlreiche Staaten zu einer intensiven Zusammenarbeit in unterschiedlichsten Themenfeldern. Drogen- und Drogenpolitik stellten sich also bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts als in vielerlei Hinsicht transnationale Phänomene dar. Über die unmittelbar wissens- und politiktheoretischen Fragen hinaus ging es in dieser Arbeit auch um die Frage, wie die Geschichte sozialer Probleme geschrieben werden kann. Greift man die in der Einleitung analysierten heutigen Darstellungen zu Betäubungsmitteln in Romanen, populären Medien und wissenschaftlichen Untersuchungen auf, zeigt das Beispiel Drogenkonsum, wie unkritisch unsere historische Wahrnehmung (möglicherweise insbesondere im Feld sozialer Probleme) ausfallen kann. Denn da die spätere Forschung die zeitgenössischen Vorstellungen über Jahrzehnte hinweg ohne kritische Reflektion rezipierte – und damit den Verstärkerkreislauf bis in die heutige Zeit erweiterte – sprechen wir bis heute von einer Drogenwelle in den 1920er Jahren. Der damalige Diskurs wurde der jeweils aktuellen Wahrnehmung angepasst und so entstand ein Bild des Betäubungsmittelkonsums in der Weimarer Republik, das zwar mit heutigen Vorstellungen korrespondiert, aber wenig über die
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nachprüfbaren Informationen aussagt, die zu diesem Feld vorliegen (bzw. den Zeitgenossen vorlagen). Dies bestätigt Schetsches These, dass ein einmal verfestigter Wahrnehmungskokon sehr nachhaltig wirken kann: Um die Wahrnehmung eines sozialen Problems, das in einen verfestigten Wahrnehmungskokon eingesponnen ist, nachhaltig zu verändern, kann erhebliche Reflektionsund Dekonstruktionsarbeit notwendig sein. Sowohl die Generierung des zeitgenössischen Wissens als auch seine Anerkennung, sowohl die Entwicklung der damaligen Politik als auch ihr Wirksamwerden waren also komplexe, ineinander verwobene Prozesse. Sie entstanden in der Interaktion der verschiedenen Akteursebenen von Politik, Wissenschaft, Tagespresse und nichtstaatlichen Organisationen, die einen Wahrnehmungswandel bewirkten, der den Konsum von Drogen als abweichendes Verhalten und gesellschaftliche Bedrohung definierte. Dieser Wahrnehmungswandel ist bis heute wirksam. Er beeinflusst unsere Vorstellungen von der Weimarer Republik als einer Zeit, in der der Konsum von Opiaten und insbesondere von Kokain weit verbreitet gewesen sei, aber auch unseren heutigen Umgang mit Drogen und ihren Konsumenten. Aus diesem Grund schließt sich dem nun folgenden Ausblick als letzter Teil der Analyse eine Bewertung der Ergebnisse aus einer drogenpolitischen Perspektive an. 5.2 Ausblick Ausblick Im Gegensatz zur von Tillmann Holzer (2007) vertretenen These zeigt sich nach meinen bisherigen Erkenntnissen zwischen der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus kein scharfer Bruch im politischen Umgang mit Betäubungsmitteln, vielmehr scheint dieser in seinen Grundzügen und leitenden Annahmen konstant geblieben zu sein. Ferner deutet sich an, dass der schon Ende der 1920er Jahre beginnende Rückgang der Presseberichterstattung sich nach 1933 fortsetzte (die in der IBZ aufgeführten Artikel zu Betäubungsmitteln weisen darauf hin, dass das öffentliche Interesse an ihnen schließlich vollkommen zu Erliegen kam). Dies korrespondiert mit der Behauptung, im Nationalsozialismus habe es kaum Drogenkonsum gegeben. Zu untersuchen bliebe nun allerdings, ob diese Wahrnehmung nicht viel mehr der damals bevorzugten Präsentation des deutschen Staates entsprach oder ob z.B. andere Themen schlicht die Aufmerksamkeit vom Gegenstand abgezogen hatten. Der Übergang zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus bedarf weiterer quellenbasierter Forschung, die nicht nur die politische Ebene beachtet, sondern den gesellschaftlichen und fachlichen Umgang mit Betäubungsmitteln zentral
Ausblick
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berücksichtigt. Will man ferner nachvollziehen, ob in Deutschland jemals eine eingehende Reflektion der Drogenpolitik stattgefunden hat und welche politischen Auseinandersetzungen es um den Gegenstand gab, so wären weitere Untersuchungen notwendig. Besonders interessant wäre eine Analyse der Übergänge zwischen Nationalsozialismus, den beiden deutschen Nachkriegsstaaten und schließlich dem vereinigten Deutschland. Aber nicht nur in zeitlicher, sondern auch in räumlicher Perspektive deuten sich weitere Untersuchungsfelder an: Erstens nimmt Gerrit Kamphausen (2009: 106f) an, „dass auch das chinesische Opiumproblem größtenteils ein durch Problemwahrnehmung bei Nicht-Konsumenten konstituiertes soziales Problem war.“ Zweitens stellt Emmanuelle Retaillaud-Bajac (2001: 325) zu Frankreich heraus, es sei wichtig, „de ramener le phénomène à ses justes proportions“ (vgl. Charras 1998-1: 370; 1998-2: 10) und schließlich gibt es für Großbritannien (Kohn 2001: 39; Mold 2008: 20) und die USA (Courtwright 1982; vgl. Briesen 2005: 57) Anhaltspunkte dafür, dass möglicherweise nicht nur unsere Wahrnehmung des Drogenkonsums in der Weimarer Republik deutlich überzeichnet ist. Die genannten Hinweise deuten an, dass eine global ausgerichtete Untersuchung, die unser Bild von den Anfängen des Drogenproblems in China und den USA kritisch reflektiert und weitere Staaten einbezieht, sehr lohnend sein könnte. Nicht zuletzt wäre eine weitere historisch-kritische Auseinandersetzung unter Zugrundelegung einer Theorie sozialer Probleme, die den Prozess der Problematisierung des Alkohols in den Mittelpunkt stellt, attraktiv. Die Fokussierung des Konsums Jugendlicher wäre dabei gerade auch in Hinblick auf Fragen sozialer Kontrolle und das Verhältnis zwischen den Generationen interessant. Keineswegs erst seit der aktuellen Diskussion um das „Komasaufen“, sondern z.B. auch in hier untersuchten Dokumenten sowie in den unterschiedlichsten historischen Konstellationen wird das Verhalten der jeweils jüngeren Generation als gegenüber der (eigenen) Vergangenheit verschärftes Problem interpretiert. Wie in Kapitel 2 beschrieben, wäre dabei ein eingehender Vergleich der hier gewonnenen Erkenntnisse mit dem um Alkohol gesponnenen Wahrnehmungskokon ein vielversprechendes Forschungsfeld. Abgesehen von diesen direkten Erweiterungen des untersuchten Gegenstandes kann der hier verfolgte Ansatz auch abstrahiert werden: Die Zugrundelegung einer Theorie sozialer Probleme hat sich als ausgesprochen fruchtbar für die historische Analyse erwiesen und kann für die Untersuchung von anderen Phänomenen, die von den Zeitgenossen oder auch heute als soziales Problem wahrgenommen werden, empfohlen werden.
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Die explizite Differenzierung zwischen sozialem Sachverhalt, dessen Deutung als Problem und der Anerkennung dieser Problemwahrnehmung schärft den Blick dafür, nicht allein zeitgenössische Diskurse zu tradieren, sondern einen historisch-kritischen Blick auf die zu Grunde liegenden Sachverhalte einzunehmen. Letzteres ist aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive möglicherweise banal, sollte doch eine kritische Untersuchung der Quellenbasis zwingende Grundlage jeder historischen Analyse sein. Andererseits zeigt die bisherige Darstellung zu Betäubungsmitteln in der Weimarer Republik, dass dieser Aspekt allzu leicht übersehen werden kann. Will man das Kokonmodell Michael Schetsches für die historische Analyse sozialer Probleme verwenden, muss man so weit wie möglich in den Wahrnehmungskokon der Zeitgenossen eindringen. Doch wird dies insbesondere bei Phänomenen schwierig, die auch heute noch als problematisch eingestuft werden, da man neben der Durchdringung des historischen Wahrnehmungskokons reflektieren muss, dass sowohl die heutige Forschung als auch die eigene Betrachtung durch einen sich ständig fortentwickelnden Wahrnehmungskokon geprägt sind. Eine historische Analyse kann versuchen, diese Phänomene weitgehend zu trennen, wofür eine breite (sozial-, aber je nach Thema z.B. auch rechtshistorisch orientierte) Quellenbasis ebenso notwendig ist wie die oben betonte historisch-kritische Auseinandersetzung mit der Überlieferung. Unter diesen Voraussetzungen kann man in den Wahrnehmungskokon eindringen und die verschiedenen Ebenen von Problematisierungsprozessen aufzeigen. 5.3
Bewertung der Ergebnisse aus Sicht der kritischen Sozialen Arbeit und aus einer drogenpolitischen Perspektive Bewertung der Ergebnisse aus einer drogenpolitischen Perspektive Was hat diese Analyse nun mit kritischer Sozialer Arbeit zu tun? Mit Ernst Joël und Fritz Fränkel wurden hier zwei Menschen vorgestellt, die zu den ersten gehörten, die als Fürsorgeärzte im weiteren Sinne Soziale Arbeit mit Drogenkonsumenten betrieben haben. Sie waren Mediziner, in der Alkoholfürsorge aktiv und Kommunisten. Zudem waren sie Wissenschaftler: Sie versuchten, ihr praktisches Handeln auf eine fundierte Basis zu stellen und betrieben aktive Feldforschung. Wie sich ihre tägliche Arbeit konkret ausgestaltete, kann hier nicht nachvollzogen werden, denn ihre Nachlässe sind m.E. nicht überliefert.731 Wir müssen uns also an dem orientieren, was Joël und Fränkel veröffentlicht haben. An ihren Publikationen sehen wir, dass sie zwar eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Konsumenten von Opiaten und Kokain anstrebten, 731
Dies ergaben zumindest Recherchen, etwa im Bundesarchiv.
Bewertung der Ergebnisse aus einer drogenpolitischen Perspektive
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dass sie aber – wie die meisten ihrer Zeitgenossen – von starken Vorurteilen gegenüber ihren potenziellen Klienten geprägt waren und diese aus einem defizitorientierten Blickwinkel betrachteten. Die Dominanz dieses defizitorientierten Blicks ist zentral für den Umgang mit Drogen und ihren Konsumenten seit den 1920er Jahren. Hier konnte gezeigt werden, dass es für den sich wandelnden Umgang mit Betäubungsmittelkonsumenten nicht allein wichtig war, welche rechtlichen Rahmenbedingungen den Gebrauch regelten. Vielmehr spielte es eine zentrale Rolle, dass sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland der gesellschaftliche – und der professionelle – Blick auf Drogen wandelte. Der außermedizinische Konsum von Opiaten und insbesondere von Kokain wurde als abweichendes Verhalten definiert und stigmatisierten Angehörigen marginalisierter Gruppen zugeschrieben. Wer Drogen nahm, wurde nicht länger indifferent betrachtet oder als ein Fall für Mediziner eingestuft. Vielmehr rückten Kokainisten und Morphinisten damals einerseits in das Blickfeld polizeilicher Kontrolle und andererseits in jenes der Sozialen Arbeit. Aus der Perspektive der Konsumenten bzw. aus jener der kritischen Sozialen Arbeit verweist das Fazit zur vorliegenden Untersuchung u.a. auf den Handlungsspielraum der täglichen Praxis. Der Blick auf bzw. der Umgang mit Konsumenten ist veränderbar, auch ohne auf politische Umgestaltungen zu warten: Die Betäubungsmittelgesetzgebung wurde erst durch den Wahrnehmungswandel wirksam und entsprechend können wir uns heute im täglichen privaten wie professionellen Umgang mit Drogenkonsumenten bemühen, unseren eigenen defizitorientierten Blick zu hinterfragen. Drogenkonsum ist nicht primär durch die Gesetzgebung als abweichendes Verhalten definiert worden und die Soziale Arbeit kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Diskurs um immer neue Drogenwellen, um komasaufende Jugendliche, um Tabak- und Crackkonsum zu reflektieren, kritisch zu hinterfragen, zu relativieren und zu entdramatisieren. Dabei kann die historische Analyse helfen, denn sie schärft die Wahrnehmung für einen differenzierten Blick auf Diskurse um Drogen und die an ihnen beteiligten Akteure. Sie zeigt, welch entscheidende Rolle die Medien im Problematisierungsprozess spielten, wie wichtig kritisch reflektierende Stimmen für eine differenzierte Auseinandersetzung gewesen wären und wie kompliziert ein Aufbrechen des seit Ende der 1920er Jahre verfestigten Wahrnehmungskokons ist. Betrachten wir die Betäubungsmittelgesetzgebung und die Problematisierung des Konsums durch eine historische Brille, so zeigen sich Handlungsspielräume für heutige Akteure. Die kritische Soziale Arbeit kann hier einen – langwierigen, aber keineswegs aussichtslosen – Beitrag leisten, den Umgang mit Drogen und ihren Konsumenten zu entdramatisieren und darauf hinzuwirken,
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dass in der Auseinandersetzung um Betäubungsmittel das Wohl der einzelnen Menschen in den Mittelpunkt gerückt wird. Das heißt nicht, dass nicht weiter auf eine Neuorientierung in der Drogenpolitik hingearbeitet werden sollte. Nur zeigt es, dass die politische Ebene keineswegs die dominanteste ist und dass die entschuldigenden und entmutigenden Verweise auf den Zwang der internationalen Drogenkontrollabkommen, die seit den 1920er Jahren die (bundes-)deutsche Drogenpolitik bestimmen, nicht das Ende der drogenpolitischen Fahnenstange bedeuten müssen. Wenden wir uns zum Schluss der Arbeit dem engeren Gebiet der gegenwärtigen Drogenpolitik zu, um zu fragen, welche Konsequenzen sich aus der hier vorgestellten historischen Analyse ergeben. Denn auch wenn es in dieser Arbeit um „far more than drugs“ ging (Kohn 2001: 1), so hat sie nicht zuletzt eine drogenpolitische Dimension. Die Fortschreibung des Wahrnehmungsmusters zu Drogen in der Weimarer Republik ist keineswegs erstaunlich, mag es doch heute schwer fallen sich vorzustellen, dass es eine Zeit gab, in der Opiate und Kokain fast ohne Beschränkungen erhältlich waren. Auch passt das Bild einer Drogenwelle nur allzu gut in die Interpretation der Weimarer Republik als Krisenzeit, die lange „Forschungskonsens“ war (Föllmer/Graf/Leo 2005: 11). Durch die Dominanz der Mediziner im hier untersuchten Diskurs konnte sich in Deutschland ein medikalisierender, pathologisierender Blick auf genussorientierten Drogenkonsum etablieren, der zu einer defizit-orientierten, problematisierenden Betrachtungsweise führte, wurde doch jeglicher nicht-medizinische Gebrauch der Substanzen als illegitim eingestuft. Hierbei spielte es eine Schlüsselrolle, dass die damaligen Diskutanten (und auch hier gerade die Mediziner) nicht zwischen dem Konsum an sich und den ihm zugeschriebenen Folgen differenzierten. Unsere heutige Wahrnehmung von Betäubungsmitteln ist durch jahrzehntelange Debatten um das „Drogenproblem“ sensibilisiert und fokussiert auf die Koppelung von Drogen und Sucht. Unproblematische Konsummuster haben in dieser Vorstellung kaum einen Platz und es ist nicht mehr im Alltagswissen – und auch nicht in der Wahrnehmung der meisten Konsumenten und Professionellen – verankert, dass alle Drogen, auch Kokain oder Heroin, konsumiert werden können, ohne dass zwangsweise eine „Sucht“ entstehen muss.732 Dies macht verständlich, dass die Vorstellung einer Drogenwelle in der Weimarer Republik und einer Gesetzgebung, die darauf reagiert habe, heute als so plausibel 732
Für Cannabis ist das Wissen um unproblematische Gebrauchsmuster weit verbreitet; analog hierzu ist die differenzierende These Holzers interessant, der ein Cannabisproblem in der Weimarer Republik verneint, bzgl. Opiaten und Kokain aber von einem Problem spricht (Holzer 2002: 128; 107).
Bewertung der Ergebnisse aus einer drogenpolitischen Perspektive
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angesehen wird. Dem obigem Wahrnehmungsmuster folgend scheint es kaum möglich, dass der unbestritten vorkommende Betäubungsmittelkonsum in der Weimarer Republik, der mit der Möglichkeit leichter Zugänglichkeit zu den Substanzen einherging, nicht zwangsläufig zu einem Drogenproblem geführt haben sollte. Im Untersuchungszeitraum etablierte sich (nach anfänglichen Zweifeln) ab ca. 1912 die Wahrnehmung der Prohibition als einzig möglicher Umgang mit Drogen. Heute gehört „das Drogenverbot zum gleichsam unhintergehbaren politischen Inventar (nicht nur) des deutschen Staates, das von Regierung zu Regierung weitergegeben wird, ohne dass sich jemand verantwortlich oder auch nur aufgerufen fühlte, seine Sinnhaftigkeit zu begründen“ (SchmidtSemisch 2009: 108).
Zu einer solchen Reflektion fordern die hier vorgestellten Ergebnisse allerdings auf: Die Weichen unseres heutigen Umgangs mit Drogen wurden aufgrund von Annahmen gestellt, die wir inzwischen nicht mehr teilen, doch blieb die Herangehensweise in ihren Grundzügen identisch. Demgegenüber muss man jedoch die Sinnhaftigkeit und Zielsetzung der Drogenpolitik heute konkret benennen, wissenschaftlich belegen und kritisch reflektieren. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts relevanten impliziten, aber zentralen Einflussfaktoren oder die der Problematisierung zu Grunde liegenden Annahmen können heute kaum noch als Leitgedanken der Drogenpolitik angeführt werden. Wir müssen uns daher auch fragen, ob die unserem heutigen Umgang mit Betäubungsmitteln zu Grunde liegenden moralischen Implikationen für eine zielgerichtete Politik, die auch das Wohl des Einzelnen und nicht nur das abstrakte Gut „Volksgesundheit“ in den Fokus stellt, handlungsleitend sein können. Schließlich ist für eine Einschätzung der Wirksamkeit restriktiver Drogenpolitik eine Analyse der historischen Ausgangssituation von fundamentaler Bedeutung, wird die betreffende Gesetzgebung doch häufig als notwendige Konsequenz des vermeintlich wachsenden hedonistischen Gebrauchs von Opiaten und Kokain dargestellt. Fundierte Aussagen über den Konsum der Substanzen vor Einführung der Gesetze sind also unerlässlich, um nachzuvollziehen, ob die Betäubungsmittelprohibition positive Auswirkungen auf den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung hatte. Folgt man der hier vertretenen Annahme, dass die Drogenwelle der 1920er Jahre auf der gesteigerten Sichtbarkeit des Konsums infolge der rechtlichen Maßnahmen beruhte, so erscheint die deutsche Betäubungsmittelgesetzgebung nicht länger als sinnvoller Ablauf von Aktion und Reaktion, von zunehmendem Konsum und Verschärfung rechtlicher Maßnah-
308
Wie Opiate und Kokain von Arzneimitteln zu einem sozialen Problem wurden
men. Die Analyse der in den 1920er Jahren eingeführten Drogenprohibition erweckt den Eindruck, dass sie mehr Probleme schuf als beseitigte. Es war eine Folge der damals einsetzenden Kriminalisierung, dass bislang sozial integrierter und medizinisch unauffälliger Konsum sichtbar wurde. Tatsächlich hat die Betäubungsmittelpolitik der letzten 100 Jahre keineswegs das postulierte Ziel erreicht die Volksgesundheit zu schützen. Wenn vor dem Beginn der Drogenprohibition weit weniger Menschen einen sozial auffälligen Umgang mit Drogen pflegten als in den Folgejahren und heute, wenn Schwarzmarkt und Drogentote erst später relevante Phänomene wurden, so liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die restriktive Betäubungsmittelpolitik versagt hat und von Anfang an kontraproduktiv war. Der (positiv zu bewertende) vorsichtigere Umgang von Ärzten und Apothekern mit den starkwirksamen Substanzen wurde mit gravierenden Nebeneffekten erkauft. Die historische Analyse zeigt, dass die damals entstandene Problemwahrnehmung keine solide Basis hatte, jedoch bis heute wirkt. Sie dient als Rechtfertigung für einen Umgang mit Drogen und ihren Konsumenten, der v.a. negative Effekte hat und daher grundlegend verändert werden muss.
Quellenverzeichnis Quellenverzeichnis
Verzeichnis der für diese Arbeit konsultierten Bestände in Archiven Verzeichnis der für diese Arbeit konsultierten Bestände in Archiven Bundesarchiv Berlin (BArch): Reichsministeriums des Innern (R 1501) Reichsgesundheitsamt (R 86) Reichskanzlei (R 43) Reichskolonialamt (R 1001)
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA): Rechtsabteilung
Staatsarchiv Bremen (StAB): Senatsregistratur - Medizinalkommission des Senats (3-M.1.L. Nr. 32)
Verhandlungen des Reichstags und des Bundes- bzw. Reichsrats Verhandlungen des Reichstags und des Bundes- bzw. Reichsrats Reichstag: 1900-1919: Verhandlungen des Reichstages/ Stenographische Berichte: Mikrofiche 1919-1942: Verhandlungen des Reichstages/ Stenographische Berichte: Digitale Suche des Münchener Digitalisierungszentrums unter .733
Bundes- bzw. Reichsrat: 1871-1919: Protokolle über die Verhandlungen des Bundesrats des Deutschen Reichs. 1920-1934: Niederschriften über die Verhandlungen bzw. die Vollsitzungen des Reichsrats
Zitierte zeitgenössische Fachliteratur Zitierte zeitgenössische Fachliteratur Blümel, K. H. (1932): Das neue Opiumgesetz und die Rezeptur der Hustenmittel bei Lungentuberkulose. In: Münchener Medizinische Wochenschrift, Nr. 3, 15.01.1932, S. 92-93.
733
Inzwischen sind auch die Jahrgänge bis 1919 online verfügbar.
A. Hoffmann, Drogenkonsum und -kontrolle, DOI 10.1007/978-3-531-94045-8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
310
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312
Quellenverzeichnis
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Verzeichnis der für diese Arbeit ausgewerteten Zeitungsartikel Verzeichnis der für diese Arbeit ausgewerteten Zeitungsartikel In der folgenden Tabelle verwende ich folgende Abkürzungen: BLA Berliner Lokal Anzeiger BT Berliner Tageblatt DZ Deutsche Tageszeitung FZ Frankfurter Zeitung KZ Kölnische Zeitung MMN Münchener Neueste Nachrichten RWZ Rheinisch-Westfälische Zeitung, Essen VZ Vossische Zeitung WTB Wolff’s Telegraphisches Büro (W.T.B.) Titel des Artikels
Autor
oT
oA
Morphinismus
A. M.
Zeitung Deutsche Drogisten 03.09.1904 Zeitung 13.05.1909 MNN
Narkotika
A. S.
10.03.1910 MNN
Morphium oA Neues aus aller Welt : eine peinliche Affäre in oA Bremen oT (Korrektur zu Neues aus aller Welt : eine oA peinliche Affäre in Bremen) Stinde, Morphiumesser Julius
Datum
10.04.1910 DZ unbekannt
unbekannt
11.04.1910 FZ 19.08.1910 Der Tag
Die Opiumfrage
oA
Opium in China
oA
Leipziger Volkszeitung 14.08.1911 FZ
Internationale Opiumkonferenz
oA
03.02.1912 KZ
Der Kampf gegen das Opium in China
A. S. Freska, Friedrich P. K.
24.03.1912 Straßburger Post
Das Opiumgespenst in Frankreich Kokainisten in Paris
08.02.1911
05.02.1912 FZ
30.11.1912 FZ
Ein neues Pariser Laster
oA
03.12.1912 Tägliche Rundschau
oT
oA
05.12.1912 FZ
oT (England verlangt, daß Opium geraucht wird)
oA
24.12.1912 DZ
313
Verzeichnis der für diese Arbeit ausgewerteten Zeitungsartikel
Frankreich in der Narkose Die Morphiumseuche in Paris Aushebung einer Opiumhöhle in Toulon
Daum, F. 31.12.1912 BLA v. oA 03.01.1913 BLA 19.02.1913 Der Tag
oT (Ein Opiumclub in Toulon ausgehoben)
oA Ottmann, Victor oA
oT
oA
03.03.1913 FZ
oT
oA Ottmann, Victor oA
04.03.1913 FZ Hamburger 08.03.1913 Correspondent 08.03.1913 FZ
oT
oA
18.03.1913 FZ
Die „künstlichen Paradiese“
oA
19.03.1913 FZ
Das Opiumlaster in der französischen Marine
oA
22.04.1913 BLA
Opiumlaster in der französischen Marine
oA
22.04.1913 B.Z. am Mittag
Das verheerende Opium
oA
23.04.1913 BLA
Allerlei : In französischen Opiumhöhlen
K. F.
24.04.1913 Tägliche Rundschau
oT
oA
Gegen die Opiumsucht
oA
Der Kampf um das Opium
Der Kampf um das Opium oT
23.01.1913 BLA
24.02.1913 BLA
Rubrik Das Neueste (Notiz)
oA
25.04.1913 BLA Norddeutsche 29.04.1913 Allgemeine Zeitung 29.04.1913 BLA
Opium
oA
01.05.1913 Straßburger Post
Das Opium in der französischen Flotte
oA
02.05.1913 FZ
Das Opium : eine nationale Gefahr Frankreichs
oA
06.05.1913 DZ Leipziger Volkszei20.05.1913 tung Fränkische Kreiszei25.05.1913 tung 13.06.1913 FZ
Die Opiumschmach zu Ende Kleines Feuilleton. Morphinomanie oT
oA Farga, Franz oA
Neues aus aller Welt. Die Kokainsucht in Paris
oA
20.06.1913 BLA
Opiumschmuggel in China
oA
13.08.1913 FZ
Ein lukrativer Opiumhandel
oA
08.09.1913 BLA
Wieder ein Opfer des Aethergenusses
oA
03.10.1913 BLA
Kameliendamen
Lorm, J.
04.10.1913 BLA
Die Opiumsucht in Paris
oA
17.10.1913 Vorwärts
Sechs Kokainhändler in Paris festgenommen
oA
17.10.1913 BLA
Pariser Brief. Aus dem Reiche der Toxikomanen
Daier, A.
oT
oA
25.01.1914 Medizinische Klinik Deutscher Reichsan12.02.1914 zeiger
314
Quellenverzeichnis
Die Kokainsucht der Pariser
oA
Die Kokainsucht der Pariser
oA
19.02.1914 BLA
Pariser Opiumsalons
oA
26.02.1914 B.Z. am Mittag
Frankreich. Das Opium in der Marine
oA
27.02.1914 FZ
Holland. Die dritte Opiumkonferenz
oA
21.06.1914 KZ
Die dritte internationale Opiumkonferenz
oA
28.06.1914 KZ
oT
oA
01.10.1914 FZ
Opium statt Schnaps
oA 30.05.1915 FZ Neubur08.11.1915 VZ ger, Albert oA 18.03.1916 FZ
Das Ende des Absinths oT
Opium auf Karten oA Kampf gegen den Schleichhandel : Razzia auf oA den Bahnhöfen Hundert Jahre Morphium : Ein Markstein in der Abels, A. Geschichte der Chemie SchrameiNachklänge zur chinesischen Opiumbefreiung er Hundert Jahre Morphium oA Hundert Jahre Morphium Kokainismus Chinas Kampf gegen das Opium Opium
Abels, A. Straub, Walter oA Hartmann, R.
Reiz und Betäubung. Ein Beitrag zur Krankheit Edel, Max unserer Zeit Die Opiumsucht in Amerika
oA
Die Kokainsucht. Eine Volksseuche in GroßoA Berlin Die Kokainsucht. Eine Volksseuche in GroßoA Berlin Schweishe Kokainismus in Deutschland imer, W. Schweishe Die Kokainseuche in Deutschland imer, W. Kokainismus in Deutschland Schw. W. Schweishe Morphiumsucht imer, W Schweishe Morphiumsucht imer, W Bauer, Die Kokainseuche in Italien Kurt
19.02.1914 BLA
13.06.1916 MNN 27.02.1917 VZ 13.06.1917 MNN 27.06.1917 Deutsche Warte 08.07.1917 RWZ Dresdner Neueste 22.07.1917 Nachrichten 25.06.1919 FZ 05.08.1919 DZ 07.11.1919 Deutsche Zeitung Berliner Tagblatt und Handelszeitung Kölnische Volkszei09.01.1920 tung
24.11.1919
19.02.1920 Vorwärts 27.02.1920
Badische Landeszeitung, Karlsruhe
24.03.1920 MNN Leipziger Neueste Nachrichten 19.05.1920 RWZ Hamburger Frem16.04.1921 denblatt Schwäbischer 29.04.1921 Merkur 10.05.1920
07.08.1921 Dresdner Anzeiger
315
Verzeichnis der für diese Arbeit ausgewerteten Zeitungsartikel
Morphinismus Englands Opiumprofite in Indien. Kokolores Kokain
Schweishe imer Smedley, Agnes Mamlock, C. Sanders, Hans Theodor
Narkotikamißbrauch und Narkotikafabrikation in oA der Schweiz oT oA Deutschland und die Opiumpest
oA
In einer Pariser Opiumhöhle
C. F.
Die Opiumhöllen von Singapur
M. L.
There are mysteries! Das Weltlaster des Opiums : Besorgnisse der Vereinigten Staaten Erfahrungen eines geheilten Morphinisten. Selbsterlebtes aus England. Ueber Morphinismus und Kokainismus
oA Corbach, Otto oA
17.08.1921
Leipziger Neueste Nachrichten
ca. 1923
unbekannt
07.03.1923 BT 15.03.1923 RWZ 13.11.1923 Basler Nachrichten 20.11.1924 WTB 23.11.1924 D.A.Z. Berliner Börsenzei21.01.1925 tung Weser Zeitung, 11.02.1925 Bremen 16.02.1925 The World Magazine 24.02.1925 BT 19.04.1925 BT
Berger, 01.05.1925 BT Johannes Schultz, J. Morphinismus 06.05.1925 BT H. Das weiße Gift : Die Zunahme des Kokainmiß- Schweishe 24.03.1926 MNN brauches imer, W. Kriminalbeamte als Schwerverbrecher. RiesenHamburger FremoA 09.06.1926 diebstähle von Betäubungsmitteln denblatt Keine Rauschgifte der I.G. Farbenindustrie in oA 17.06.1926 unbekannt China EberDer Arzt und der Kokainschnupfer 09.11.1926 BT mayer, E. Rezepte „für eigenen Gebrauch“ : Der ehemalige oA 09.11.1926 BT stud. Med. als Arzt und Rauschgifthändler Die Internationale der Kokainhändler. Exportgeschäfte mit Hindernissen. Riesenverdienste und oA 12.01.1927 BT Riesenbetrügereien. Zahlreiche Verhaftungen Eine Rauschgiftzentrale ausgehoben. Entlarvung nach monatelanger arbeit. Eine internationale oA 12.01.1927 BT Großhandelsgesellschaft für Kokainhandel Schleichwege des Rauschgifthandels : Die Magdeburger Dampfleitung aus Kokain - Opium in Rettungs- oA 07.05.1927 Zeitung ringen : Riesige Schmuggelgewinne Rauschgifte des Orients. Haschisch und Opium Huber, E. 03.08.1927 Germania, Berlin Opiumkonferenzen
316 Organisierung der Opiumwirtschaft in Jugoslawien? Die Opiumkommission an der Arbeit. Die Bekämpfung des Rauschgiftschmuggels Verhaftung von Kokainschmugglern : Internationale Organisation aufgedeckt Verhaftung von Kokainschmugglern : Internationale Organisation aufgedeckt Rauschgiftschmuggel von Berlin nach China : Verhaftungen in Berlin und Hongkong - Die Korrespondentz im Banksafe Opium : Der Opiumkrieg - Stellung zum Opiumhandel - je nach Geschäftsaussichten Babyjacken und Opiumkonferenz Der neue Opium-Krieg
Quellenverzeichnis
oA
29.09.1927 T.u.G.
oA
01.10.1927 BT
oA
05.10.1927 VZ
oA
05.10.1927 VZ
oA
05.10.1927 Der Tag
oA
09.10.1927 RWZ
oA
13.10.1927
Hamburger Fremdenblatt
29.02.1928
Badische Presse, Karlsruhe
Medikamente als Gewohnheitsgifte. Neue Möglichkeit zur Heilung von Morphiumkranken? Schweishe Mißbrauch von Opium, Morphium, Eukodal, imer, W. Kokain. Schwere Folgen Lewin, Ein neues Rauschgift Louis Rauschgifte : Ihre Gefahren und ihre Bekämp- Lennhoff, fung Rudolf Die Genfer Opium-Konvention in Kraft. Ihre oA Bedeutung für Deutschland Ende des Opiumschachers? Zum Inkrafttreten der W. R. Genfer Opium-Konvention von 1925 Die Freunde der Rauschgifthändler : Weltorganisation des Rauschgifthandels in Berlin - Häupter der Schieberzentrale verhaftet, aber wieder oA freigelassen : Schwere Beschuldigungen gegen das Reichsgesundheitsamt Opiumhandel und Opiuminteressen. Ein britioA scher Vorschlag im Völkerbundrat Schwunghafter Handel mit Rauschgiften : Was tut das Reichsgesundheitsamt zum Schutz der oA Volksgesundheit Ein Artikel über Alkohol und seine Gegner. Die oA einzig guten Gegner seien die von Arbeiterseite Opium-Kontrolle ohne Amerika oA Opium-Kontrolle ohne Amerika Einschränkung der Rauschgift-Produktion : Eine Entschließung des Strafrechts-Ausschusses oT Internationale der Rauschgiftschmuggler. von Europa bis zum fernen Osten gehen die Fäden Uebermäßige Rauschgift-Produktion : Das
31.03.1928 VZ 30.06.1928 VZ 08.07.1928
Industrie- und Handelszeitung
31.08.1928 Germania, Berlin
31.08.1928 Die Welt am Abend
01.09.1928 KZ 06.09.1928 Die Welt am Abend 07.09.1928 Die Welt am Abend 06.10.1928 VZ
oA
07.10.1928 VZ
oA
30.10.1928 VZ
oA
14.12.1928 VZ
oA
25.01.1929 BT
oA
26.01.1929 VZ
317
Verzeichnis der für diese Arbeit ausgewerteten Zeitungsartikel
Dreißigfache des Bedarfs Beilegung des Genfer Opiumzwischenfalls
oA
Japanischer Protest gegen Chinas Opiumkrieg oA Neuer Vorstoß Chinas in der Opiumkommission. oA Prostest gegen Unterdrückung der Beschwerden Goergen, Der Opiumkrieg in Genf Jost M. Kontrolle der Rauschgiftproduktion : Ein oA amerikanischer Vorschlag Hongkong, die Hochburg des Opiumschmuggels : Eine ausgedehnte Korruption verhindert oA zunächst seine wirksame Bekämpfung : Mißtrauen gegen internationale Einmischung Der Handel mit Rauschgiften : Was tut der oA Völkerbund dagegen - was tut er nicht? Der Rauschgifthandel. Was tut der Völkerbund oA dagegen und was tut er nicht? EberUnstatthafte Rauschgiftrezepte. Eine Reichsgemeyer, richtsentscheidung Ludwig Die Rauschgiftapotheke der Menschheit : Europas Rauschgiftschmach - Ostasiens Rauschgiftelend - Opiate und Heroine - „Der starke Renner, Mann in Pulverform“ - Zur Kur- und W. Medizinalgeschichte des Alkaloidrausches Wann endet die Schande? Unerhörter Opiumskandal – sechs Monate oA Schweigen Die Rauschgifte der Exoten : Die Inka-Götter mit Albringer, der schiefen Backe. Seliges Vergessen - Der August Natema-Trunk bei der Gattenwahl
27.01.1929 VZ 29.01.1929 DZ Berliner Börsenzei30.01.1929 tung Augsburger Postzei31.01.1929 tung 01.02.1929 VZ 03.02.1929 RWZ 05.02.1929 Fränkische Tagespost 05.02.1929 Vorwärts 12.02.1929 BT
17.02.1929 Germania, Berlin
01.03.1929 Die Welt am Abend 07.03.1929 Kasseler Post
Wien - Zentrale des Rauschgift-Schmuggels
Grüttefien
Haltlose Anklagen gegen die Schweiz Heilung von Morphinismus : Durch Psychotherapie Deutschland ratifiziert das Genfer Opiumabkommen Ein Heim für Morphiumkranke : Ein Geheilter will heilen Das neue Opium-Gesetz. Regelung des Verkehrs mit Betäubungsmitteln oT (Notiz zur IFFF Kampagne) Opium und Rauschgifte : Die weiße Rasse bedroht Hübsch hier geblieben : – nicht ins Nirwana! Erschreckende Zunahme der Rauschgift-Seuche
oA
Fränkischer Kourier, Nürnberg 23.04.1929 unbekannt
eld
03.10.1929 VZ
oA
15.10.1929 WTB
Biesenthal , Georg Hamburger, Adolf oA Breyer, Félicie oA
29.03.1929
16.10.1929
Leipziger Neueste Nachrichten
12.11.1929 BT 12.11.1929 BT 20.11.1929 Bremer Nachrichten 27.11.1929 8 Uhr Abendblatt
318
Quellenverzeichnis
in allen Ländern Die Opium-Konferenz in Berlin. Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit Der Krieg gegen Opium und Rauschgifte Internationales Opium : Nur noch wenige Rauschgiftsüchtige in Berlin Internationaler Kampf gegen Opium und Rauschgift. Tagung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit Eine kurze Reichstagssitzung
oA
28.11.1929 BT
oA
29.11.1929 Der Tag Berliner Börsen29.11.1929 Courier
oA oA
29.11.1929 FZ
oA
29.11.1929 FZ
Gegen Opium und Rauschgifte
S. T.
03.12.1929 Bremer Nachrichten
Gegen Opium und Rauschgift Das Kampfgesetz gegen die Nervengifte : Am 1. Januar ist das neue Gesetz über den Verkehr mit Rauschgiften in Kraft getreten Rauschgifte
oA
03.12.1929 VZ
Rebmann, H.
08.01.1930
Weisbach
Eine Morphinistin 'geht um' oA Weltkampf gegen das Rauschgift : Gespräch mit Alfredo Ernesto Blanco : dem Leiter des Anti- oA Opium-Instituts beim Völkerbund Der Völkerbund gegen Rauschgifte oA Peters, Der internationale Kampf gegen die Rauschgifte Hans Die Schleichwege des Rauschgiftschmuggels : Wien ein Sammelpunkt des europäischen oA Schleichhandels mit Rauschgiften Die Gottesgeißel von gestern : Ende des Morphinismus?/ Leiden, nicht Laster!/ Eine halbe Kraus, Million heimliche Kranke/ Der Arzt des ReichsRené arbeitsministeriums/ Die neue Heilung/ Der Patient selbst „Ende des Morphinismus?“ Walter Internationaler Rauschgifthandel : Nach einem Morey, offiziellen Bericht der ägyptischen Regierung Geoffrey Persien liefert „Weißes Gift“ oA Gegen das weiße Gift : Haschisch, Opium, Klötzel, E. Heroin Z. Das Opium in China. Ungeahnte Blüte des oA Rauschgiftschmuggels - Und seine Bekämpfung? Der Schleichhandel mit Rauschgiften : Ein gefährliches Gewerbe. - Erschwerte Abwehr- E. R. F. maßnahmen Der Entdecker des Morphiums : Aus dem Leben O. B. des Apothekergehilfen Sertürner Vom Dämon der Rauschsucht. Wirkungen der Bergmann Rauschgifte und ihre Bekämpfung
Dresdner Neueste Nachrichten
12.01.1930 Dresdner Anzeiger 28.01.1930 BZ am Mittag 21.02.1930
Weser Zeitung, Bremen
18.03.1930 BT 23.04.1930 Essener Volkszeitung 08.05.1930
Schwäbischer Merkur
10.05.1930 Dortmunder Zeitung
22.05.1930 Bremer Nachrichten 04.07.1930 Prager Presse, Prag 23.07.1930 VZ 23.07.1930 VZ 28.07.1930 FZ 18.08.1930 Fränkische Tagespost 01.09.1930 Fränkische Tagespost 11.10.1930 DZ
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Verzeichnis der für diese Arbeit ausgewerteten Zeitungsartikel
Heilung vom Morphinismus
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Die Rauschgiftfrage in Deutschland
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Gegen die Rauschgiftsucht oA Die Dämonie der Rauschgifte : Abwehr in H. E. M. Ägypten ReifenRauschgift-Zentralen : Opium und Kokain im berg, Orient Adolf Das neue Opiumgesetz : Gegen das weiße Gift A. L. Vermutlich deutsches Rauschgift in New York oA beschlagnahmt. Was heißt „Wollens“? Für 20 Millionen M. Rauschgift beschlagnahmt oA „Afiun“
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Die internationale Rauschgiftfrage oA Gegen Rauschgift, aber für Opium : Ein eigenaroA tiger Beschluß der Welt-Opiumkonferenz Tientsin, eine einzige Opiumhöhle : Riesensummen, die am Rauschgift verdient werden – Bestochene Polizei und bestochene Politik – Die oA amtlichen Darstellungen: Bluff! : Hochburgen des Opiums Die Weltopiumkonferenz
oA
Das Opium in China. Ungeahnte Blüte des Rauschgiftschmuggels. - Und seine Bekämp- A. S. fung? Balkanländer. – Die Opiumerzeugung des oA Balkans und der Türkei Aranyosi, 100 Jahre Morphium Nikolaus Ein Betäubungsmittel-Prozeß in Basel oA Der Heroinschmuggel-Prozeß 8 Millionen Menschen hätten sich in Giftrausch versetzen können! Im Basler Rauschgiftprozeß wurden von 23 Angeklagten nur drei zu Gefängnisstrafen verurteilt. – Wie die Schleichhändler „arbeiteten“ Der Weg des weißen Giftes : Rauschgift zentnerweise: 250 kg Morphin – 650 kg Heroin… Wie Rauschgifte geschmuggelt wurden. Die Nachforschungen in der Rauschgift-Affäre. – Die geheimnisvollen Telephongespräche des Afghanen Moses Aufdeckung eines Rauschgiftschmuggels
Weser Zeitung, Bremen 13.01.1931 FZ
17.12.1930
17.02.1931 KZ Weser Zeitung, Bremen
16.03.1931
17.03.1931 BT 03.04.1931 Bremer Nachrichten Berliner Nachtausga25.04.1931 be 25.04.1931 VZ Berliner Börsen26.04.1931 Courier 27.05.1931 FZ 09.06.1931 Germania, Berlin
28.06.1931
Berliner Volkszeitung
15.07.1931
Leipziger Volkszeitung
28.07.1931 FZ 20.08.1931 unbekannt 10.09.1931 Vorwärts 16.11.1931 WTB
oA
25.11.1931 WTB
oA
01.12.1931 BLA
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05.12.1931
Berliner Illustrierte Zeitung
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06.12.1931
Berliner Börsenzeitung
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06.12.1931 FZ
320 Die Rauschgift-Händler : Ist Del Gracio ein – Vergnügungsreisender? Es wird weiter Opium geraucht : Wieder eine erfolglose Völkerbunds-Konferenz. - Warum brachte Bankok keine Ergebnisse? Atsuoray 2W xsgbf : Die entlarvten Rauschgiftschmuggler : Mitglieder einer Weltorganisation Sensationelle Verhaftung im Rheingold-Expreß. Führer einer Rauschgift-Schmugglerbande gefaßt. Ein griechischer Bankier, der nach Basel fuhr Alkohol und Rauschgift in Amerika. : Erfolgloser Kampf gegen die Trunksucht Energische Rauschgift-Bekämpfung in der Türkei Sitzung des Opiumkomitees in Genf Morphinismus : Psychische Behandlungsmethode Internationaler Kampf : gegen den Rauschgifthandel Großes Rauschgiftlager entdeckt : Etwa 10 000 Ampullen Morphium beschlagnahmt Der Schleichhandel mit Rauschgiften : Schwere Gegenwehr Ein Blick hinter die Kulissen der Rauschgiftkommission. Opiummächte schläfern den Völkerbund ein : Eine der rentabelsten Waren der Welt Riesiger Rauschgiftskandal : Enthüllungen Russel Paschas, des Chefs der Kairoer Polizei : Tolle Bestechungen Enthüllungen über den Rauschgifthandel. : Russel Paschas Lebenswerk. - Der Rauschgifthandel von Aegypten, Griechenland und der Türkei. - Drei Griechen beschäftigen 300 000 Mann. - Eine Liste der Namen und der Bestechungsgelder Der Rauschgifthandel in Amerika : 765 Personen verhaftet
Quellenverzeichnis
oA
08.12.1931 BT
oA
11.12.1931
oA
15.12.1931 B.Z. am Mittag
oA
09.03.1932 unbekannt
L. i.
06.08.1932 VZ
oA
27.09.1932
Saarbrücker Landeszeitung
oA
Berliner Börsenzeitung 25.10.1932 WTB
oA
20.12.1932 BT
oA
09.01.1933
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19.01.1933 unbekannt
oA
19.01.1933 KZ
Kolzow, Michael
07.02.1933
oA
23.02.1933 8 Uhr Abendblatt
oA
04.05.1933 Essener Volkszeitung
oA
12.12.1934
Berliner Börsenzeitung
Leipziger Neueste Nachrichten
Augsburger Postzeitung
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A. Hoffmann, Drogenkonsum und -kontrolle, DOI 10.1007/978-3-531-94045-8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012