Jan Lies (Hrsg.) / Steffen Mörbe / Ulrike Volejnik / Simon Schoop Erfolgsfaktor Change Communications
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Jan Lies (Hrsg.) / Steffen Mörbe / Ulrike Volejnik / Simon Schoop Erfolgsfaktor Change Communications
Jan Lies (Hrsg.) / Steffen Mörbe Ulrike Volejnik / Simon Schoop
Erfolgsfaktor Change Communications Klassische Fehler im Change-Management vermeiden
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dr. Riccardo Giuseppe Mosena Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: workformedia Korrektorat: Dipl.-Kfm. Inge Kachel-Moosdorf Endredaktion: Nicole Graf Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2522-0
Vorwort
V
Change-Management und Change Communications
Vorwort Das im vorliegenden Werk skizzierte Minenfeld „Change“ mit theoretischer Untermauerung und praktischen Fällen hilft Ihnen, die kritischen Tretminen, die die Durchsetzung der Change-Management-Prozesse in Ihrer Firma schmälern oder gar verhindern, zu identifizieren und aus dem Weg zu räumen. In dieser Weise möchten wir Sie an unseren Erfahrungen teilhaben lassen. Wir sind sämtlich als Berater tätig, aber mit verschiedenen Branchenschwerpunkten. Die daraus resultierenden verschiedenen Sichtweisen auf das Thema Change Management bieten Ihnen daher einen objektiven Überblick, der inhaltlich in folgender gemeinsamen Erkenntnis gipfelt: Zu einem gelingenden Change gehört notwendig immer auch die ineinandergreifende Gestaltung harter und weicher Faktoren! Denn nur die gezielte Kombination aus harten und weichen Faktoren führt zu Wandlungserfolgen.
1. Studien Im Vorlauf zum vorliegenden Werk hatten wir drei Studien durchgeführt, in deren Folge Unternehmen befragt wurden, die sich in einem Change-Management-Prozess befanden. Die Umfrageergebnisse fließen in dieses Buch ein. Die folgende Übersicht zeigt, welche Themen in welchen Kapiteln besprochen werden. Frage an Agenturen und Kommunikationsabteilungen/ Forschungsbereiche
Kapitel
Kurzbeschreibung der Studien
1.
Wegweiser
Inwieweit ist Unternehmenskommunikation eine anerkannte Managementdisziplin?
2.5 Positionierungsschwäche der Kommunikationsabteilung
Bedeutung und Anwendung der ChangeDramaturgie in der Praxis
3.6 Die Anwendung der Change-Dramaturgie in der Praxis
Bedeutung des Scope-Managements als Teil der Change Communications
4.5 Scope-Management als Teil von Change Communications?
Die Rolle von Emotion und Identifikation im Change
6.6 Emotion und Identifikation in ChangeProzessen
Einflussnahme von Change Communications auf die Zielanpassung
10.5 Change Communications und Zielbildung in der Praxis
VI
Frage an Agenturen und Kommunikationsabteilungen/ Forschungsbereiche
Vorwort
Kapitel
Der Stellenwert von Mikropolitik in der ChangePraxis
12.4 Der Stellenwert von Mikropolitik in der Change-Praxis
Rolle und Akzeptanz von Change-Agents in der Praxis
13.7 Change-Agents zur Stabilisierung sozialer Dynamik
Die Relevanz von Ja-Sagern in Unternehmen und
16.2 Ja-Sager als Führungsproblem
Frage nach der Fehlerkultur als Unternehmensrealität
16.6 Fehlerkultur: Gelebter Teil des ChangeManagements?
Die Ausprägung von Change Communications als Verhaltensmanagement in der Praxis
20.4 Change als Verhaltensmanagement in der Praxis?
Abbildung 1: vorgestellte Studien und dazugehörige Kapitel Quelle: eigene Darstellung
2. Lesehinweis Um Ihnen eine schnelle Orientierung im Dschungel der möglichen Fallstricke während des Change-Prozesses zu bieten, haben wir dem Buch folgenden Aufbau gegeben. Das vorangestellte Kapitel erklärt einleitend zentrale Begriffe des Change-Managements und unterstützt Sie als „Wegweiser“ für das Folgende. In den sich daran anschließenden 20 Fehler-Kapiteln beschreiben wir oft ausgelöste Fallstricke. Die Kapitel sind so geschrieben, dass Sie sie in beliebiger Reihenfolge lesen können. Die den Abschnitten eingeflochtenen Querverweise zeigen Ihnen an, in welchem Kapitel Sie weitere wichtige, im Zusammenhang stehende Informationen erhalten. Die Systemdynamik eines Changes erfordert vernetztes Handeln und damit das Vernetzten von Wissen. Die Querverweise können Ihnen bei Ihrer persönlichen Wissensvernetzung helfen. 3. Aufbau des Buches Wir möchten Ihnen mit diesem Buch die notwendigen Hinweise zur gewinnbringenden Analyse des bei Ihnen stattfindenden Change-Management-Prozesses geben als auch den zum tieferen Verständnis notwendigen theoretischen Hintergrund vermitteln, der unsere hier gebotenen Hinweise forschungsseitig unterfüttert. Da Ihnen eine gebotene Praxisorientierung zunächst sicherlich vorrangig sein wird, um Ihre eigene Problematik wiederzufinden, haben wir den theoretischen Rahmen nach hinten, hinter die Behandlung, der am häufigsten vorzufindenden Fehler, verlagert.
Vorwort
VII
Abbildung 2: Aufbau des Buches Quelle: eigene Darstellung
4. Über uns Steffen Mörbe und Ulrike Volejnik sind beide Bereichsleiter Consulting bei der T-Systems Multimedia Solutions GmbH. Sie entwickeln E-Business Strategien für ihre Kunden, optimieren Geschäftsprozesse und begleiten Kunden im Projekt- und Change Management bei der Umsetzung von Veränderungen. Simon Schoop ist Geschäftsführer der 4-advice Unternehmensberatung in Bonn. Um Innovationen in Organisationen zu verankern, verfolgt sein Team einen ganzheitlichen Change Management-Ansatz: Menschen, Prozesse und Technologien sind für den Erfolg gleichermaßen kritisch.
VIII
Vorwort
Jan Lies ist Kommunikations- und Strategieberater und lehrt als Fachhochschulprofessor PR- und Kommunikationsmanagement an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation. Er versteht Change Management als Kommunikationsund Verhaltensmanagement. Jan Lies Steffen Mörbe Simon Schoop Ulrike Volejnik
Inhalt
IX
Inhalt Vorwort................................................................................................................ V Inhalt................................................................................................................... IX Wegweiser ............................................................................................................. 1 1. Mine: Strategiedominanz harter Faktoren im Change ..................................... 7 1.1 Ein Beispiel....................................................................................................... 7 1.2
Change: Zwischen Krisen- und Schönwettermanagement? ............................. 9
1.3
Harte Faktoren als Initiatoren von Changes ................................................. 10
1.4
Duale Change-Strategien gegen die Macht weicher Faktoren........................ 11
1.5
Die Organisation des Changes ....................................................................... 12
1.6
Fazit: Integration beginnt durch Change-Organisation................................. 15
2. Mine: Entkopplung von Change-Management und Change Communications?........................................................................17 2.1 Ein Beispiel..................................................................................................... 17 2.2
Kommunikationsebenen von Change Communications............................... 18
2.3
Kommunikationskaskade: erst intern, dann extern ....................................... 19
2.4
Abwärtsdelegation von Change Communications ........................................ 21
2.5
Positionierungsschwäche der Kommunikationsabteilung ............................. 21
2.6
Kommunikation als Teil des Managements?.................................................. 22
2.7
Fazit: Change Communications noch kein Erfolgsfaktor ............................. 24
3. Mine: Change-Programmatik ohne Change-Dramaturgie...............................27 3.1 Ein Beispiel..................................................................................................... 27 3.2
Change-Modus, Change-Dramaturgie, Change-Didaktik .............................. 29
3.3
Change-Dramaturgie als innere Struktur des Changes .................................. 30
3.4
Strategische Projektauswahl und Dramaturgie .............................................. 32
3.5
Change-Didaktik: das Können fördern.......................................................... 34
3.6
Die Anwendung der Change-Dramaturgie in der Praxis ............................... 36
3.7
Fazit: Rolle und Bedeutung der Change-Dramaturgie................................... 37
X
Inhalt
4. Mine: Zielorganisation ohne Scope-Management ............................................39 4.1 Ein Beispiel..................................................................................................... 39 4.2
Der Scope als Komplexitäts- und Kapazitätsmanagement ............................. 41
4.3
Der Scope als harter und weicher Faktor ...................................................... 41
4.4
Der Scope als Aspekt des Schnittstellenmanagements ................................... 43
4.5
Scope-Management als Teil von Change Communications? ......................... 45
4.6
Fazit: Scope-Management senkt die Komplexität .......................................... 47
5. Mine: Keine Management-Agenda ...................................................................49 5.1 Ein Beispiel..................................................................................................... 49 5.2
Instanz für mehr Durchsetzungskompetenz.................................................. 50
5.3
Management-Agenda: Leitbildprozess für Führungskräfte............................ 51
5.4
Die Vision im Change: Orientierung und Dringlichkeit............................... 52
5.5
Fazit: Vier Funktionen der Management-Agenda ......................................... 53
6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding.......................................................55 6.1 Ein Beispiel..................................................................................................... 55 6.2
Story: Die zwei Arbeitsebenen ...................................................................... 56
6.3
Die Story: Instrument der Führungskräfteentwicklung ................................ 57
6.4
Marke, Projekte, Change ............................................................................... 60
6.5
Ankerpunkte von Projekt-Branding im Change............................................ 60
6.6
Emotion und Identifikation in Change-Prozessen......................................... 63
6.7
Fazit: Story und Marke als Teil des Wissensmanagements ............................ 64
7. Mine: Mangelnder Sense of Urgency ...............................................................67 7.1 Ein Beispiel..................................................................................................... 67 7.2
Konzerne: Organisationen mit Komfortzonen ............................................. 69
7.3
Beteiligte aus der Komfortzone führen .......................................................... 70
7.4
Emotionalisierende Business-Cases ................................................................ 71
7.5
Mentoring als Wissenstransfer ....................................................................... 72
7.6
Fazit: Der Sense of Urgency ist Teil der Dramaturgie................................... 73
8. Mine: Führungskräfte nicht systematisch eingebunden ..................................75 8.1 Ein Beispiel..................................................................................................... 75 8.2
Change-Management: Bekenntnis des Scheiterns? ......................................... 77
8.3
Change-Management: Wer gibt das Startzeichen? ......................................... 77
Inhalt
XI
8.4
Beratung und partizipative Führung.............................................................. 78
8.5
Kommunikationskaskade als Führungskräftebestätigung.............................. 80
8.6
Doppelrolle von Führungskräften im Change............................................... 81
8.7
Fazit: Führungskräfte durch Einbindung stärken.......................................... 81
9. Mine: Unechte Mitarbeiter-Partizipation ........................................................83 9.1 Ein Beispiel..................................................................................................... 83 9.2
Funktionen der Partizipation im Change-Management ................................ 84
9.3
Partizipation bedeutet höchste Führungsanforderung................................... 86
9.4
Vom Whistleblowing zum Mystery-Management......................................... 87
9.5
Fazit: Einbindung stabilisiert Systemdynamik .............................................. 89
10. Mine: Anreizloses Change-Management........................................................91 10.1 Ein Beispiel..................................................................................................... 91 10.2 Harte und weiche Wertschöpfung ................................................................. 92 10.3 Auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung............................................. 93 10.4 Balanced Scorecard als Steuerungsinstrument? .............................................. 95 10.5 Change Communications und Zielbildung in der Praxis .............................. 97 10.6 Fazit: Communicative Governance in Not ................................................... 99 11. Mine: Mangelndes Change-Commitment ....................................................101 11.1 Ein Beispiel................................................................................................... 101 11.2 Commitment von Topmanagement und Führungskräften ......................... 102 11.3 Change als Stakeholder-Management........................................................... 103 11.4 Widerstand ist unvermeidlich, aber eingrenzbar ......................................... 105 11.5 Fazit: Change-Commitment gegen Subsystembildung ................................ 108 12. Mine: Ausblendung von Mikropolitik .........................................................109 12.1 Ein Beispiel................................................................................................... 109 12.2 Mikropolitik: Relevanz für Change-Prozesse .............................................. 110 12.3 Hidden Agendas als Managementrealität ..................................................... 112 12.4 Der Stellenwert von Mikropolitik in der Change-Praxis............................. 113 12.5 Fazit: Mikropolitik – Ursache und Instrument zugleich ............................. 115
XII
Inhalt
13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht ....................................................117 13.1 Ein Beispiel................................................................................................... 117 13.2 Typen der Macht.......................................................................................... 118 13.3 Change-Prozesse als Eingriffe in das Machtgefüge ....................................... 120 13.4 Visualisierung von sozialer Dynamik als Macht .......................................... 120 13.5 Der Druck von Gruppen ............................................................................. 123 13.6 Multiplikatormanagement für Change-Allianzen........................................ 124 13.7 Change-Agents zur Stabilisierung sozialer Dynamik................................... 125 13.8 Promotoren-Paradoxon ............................................................................... 128 13.9 Fazit: Machtmonitoring als Erfolgsfaktor im Change ................................. 128 14. Mine: Keine Moderation und Mediation .....................................................131 14.1 Ein Beispiel................................................................................................... 131 14.2 Clearingstelle: allparteilicher Prozessbeschleuniger..................................... 133 14.3 Moderation und Mediation zur Energieumwandlung ................................. 134 14.4 Fazit: Mediation als dialogische Managementinstanz .................................. 135 15. Mine: Einseitige und punktuelle Due Diligence ..........................................137 15.1 Ein Beispiel................................................................................................... 137 15.2 Zweck der Cultural-Due-Diligence .............................................................. 138 15.3 Prognosefähigkeit der Macht von Unternehmenskultur ............................. 139 15.4 Vorgehen der Cultural-Due-Diligence ......................................................... 140 15.5 Überführung von Kultur in themenabhängige Macht................................. 142 15.6 Fazit: Kultur als Dynamik der Durchsetzungsfähigkeit .............................. 144 16. Mine: Ja-Sager statt Fehler- und Konfliktkultur..........................................145 16.1 Ein Beispiel................................................................................................... 145 16.2 Ja-Sager als Führungsproblem ...................................................................... 147 16.3 Konflikte als produktiv nutzbare Energiequellen........................................ 148 16.4 Change: konzentriertes Konfliktmanagement ............................................. 149 16.5 Kulturmanagement als „Tool“?.................................................................... 151 16.6 Fehlerkultur: Gelebter Teil des Change-Managements? .............................. 151 16.7 Fazit: Ja-Sager – menschlich angenehm, aber schädlich ............................... 152
Inhalt
XIII
17. Mine: Mangelndes Timing ...........................................................................155 17.1 Ein Beispiel................................................................................................... 155 17.2 Timing als Teil des Change-Managements................................................... 156 17.3 Zeit als Phase handlungsrelevanter Energiefreisetzung................................ 157 17.4 Der Change-Anlass als Bestimmungsfaktor der Zeit ................................... 159 17.5 Fazit: Das Team der Zielorganisation schnell bestimmen ........................... 160 18. Mine: Geheimhaltungskultur und Ergebniskommunikation ......................163 18.1 Ein Beispiel................................................................................................... 163 18.2 Geheimhaltung: Vermeidung unbequemer Kommunikation? .................... 165 18.3 Mangelnde Koordination, kippendes Arbeitsklima ..................................... 166 18.4 Gerüchte als Nährboden für Gegenallianzen............................................... 167 18.5 Funktionen von Gerüchten ......................................................................... 168 18.6 Fazit: Konsequenzen für Change Communications .................................... 169 19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement ..............................171 19.1 Ein Beispiel................................................................................................... 171 19.2 Merger of Equals: Konstruktivistische Kommunikation ............................. 172 19.3 Unechte Integration harter und weicher Fakten ......................................... 173 19.4 Vor- und Nachteile konstruktivistischer Kommunikation ......................... 174 19.5 Wirkungen verfehlten Erwartungsmanagements......................................... 175 19.6 Soll-Kommunikation im Change ................................................................. 177 19.7 Fazit: Kommunikation als Transparenzmanagement .................................. 178 20. Mine: Kommunikations- ohne Verhaltensmanagement...............................181 20.1 Ein Beispiel................................................................................................... 181 20.2 Change-Management: von Rational zur Relational Choice......................... 182 20.3 Change als Antizipation organisationaler Energie....................................... 183 20.4 Change als Verhaltensmanagement in der Praxis? ....................................... 185 20.5 Fazit: Handlungsfelder und Aufgaben ......................................................... 186 Theoretischer Rahmen .......................................................................................193 Literatur .............................................................................................................201 Stichwortverzeichnis ..........................................................................................207
Wegweiser
1
Change-Management und Change Communications sind voneinander abhängige Managementansätze!
Wegweiser Jan Lies Das folgende Buch untersucht das Minenfeld, in dem sich Manager während der Vorbereitung und/oder bei der Durchführung von Change-Management-Projekten bewegen. Dieses martialische Bild soll viererlei verdeutlichen: I) Typische Minen sind solche, deren Sprengkraft in der Praxis rund um tiefgreifende Veränderungsprozesse immer wieder beobachtet werden kann. Erfolgskritisch sind solche, die den Change-Prozess hemmen oder gar scheitern lassen 1 können. Sie können als klassische Fehler bezeichnet werden, wenn sie wiederholt auftreten und das Change-Management in Not bringen. II) Der Gang durch das Minenfeld erfordert stetige Konzentration, um die Minen aufzuspüren. Ihre Energie ist eine lautlose Gefahr. Erst die Detonation in Form von Protesten, ausgelöst durch Unsicherheit oder Unzufriedenheit, zeigt ihre Kraft, die schmerzhaft oder gar tödlich für das Change-Projekt ist. Sind aber die Gefahren von Minen bewusst, ist es eine Kompetenz, ihnen auszuweichen und/oder sie zu entschärfen. III) Die Minen symbolisieren die Kraft der Eigendynamik von Systemen und die Gefahr einer Kettenreaktion, die von Desorientierung, Unsicherheit, Konflikten oder Widerständen ausgeht. IV) Dem Change-Manager ist nicht damit geholfen, nur einer Mine oder einer Auswahl von Minen erfolgreich auszuweichen, wenn er das Feld – also den Change-Prozess – insgesamt unversehrt durchqueren will. Im Folgenden werden 20 solcher Minen beschrieben. Wer sie vermeiden kann, ist auch in der Lage, die Erfolgswahrscheinlichkeit des ChangeManagements zu steigern. Anlass für dieses Vorgehen ist eine zentrale Feststellung, die empirisch belegt zu sein scheint: Die Konzept- und Instrumentenvielfalt für ein erfolgreiches Change-Management steht im Missverhältnis zur hohen Misserfolgsquote bei Versuchen, tiefgreifende Veränderungsprozesse durchzusetzen.
1. Drei Studien als Impulsgeber Die Initialzündung gaben diverse Change-Projekte, die der Autor sowohl in großen Industriekonzernen als auch in mittelständischen Unternehmen betreute. Dabei zeigte sich oft, dass die Sprengkraft organisationaler Energie mit großer Gefahr für das Management in vielen Organisationen lauert. Das Change-Management löst sie oft unbewusst aus. Die Auslöser in Form von Tretminen zu konkretisieren, hat zur Durch-
1
Vgl. zum Thema „Fehler“ den Abschnitt 16.3 „Konflikte als produktiv nutzbare Energiequellen“.
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
2
Jan Lies
führung folgender Studien im Sommer 2009 und im Sommer 2010 geführt, deren Ergebnisse hier in wesentlichen Teilen veröffentlicht werden:2
Studie 1: Mikropolitik – diese Untersuchung fand vom 25. Mai bis zum 17. Juni 2010 statt. Online befragt wurden rund 1 500 Kommunikationsabteilungen in Deutschland von Unternehmen verschiedener Größe. Es antworteten 80 von ihnen.3
Studie 2: Change Communications – diese Untersuchung fand vom 15. Juni bis zum 12. Juli 2010 statt. Online befragt wurden rund 500 PR-Agenturen in Deutschland. Es antworteten 60 von ihnen.4
Studie 3: Arbeitet Public Relations abgekoppelt vom Unternehmensmanagement? – Diese Untersuchung fand vom 25. Mai bis 5. Juni 2009 statt. Online befragt wurden rund 500 Kommunikationsabteilungen in Deutschland von Unternehmen verschiedener Größe. Es antworteten 84 von ihnen.5
2. Kennzeichnung von Change-Management Was wird derzeit unter Change-Management verstanden und was unterscheidet es vom „Standardmanagement“? Management als Funktion kennzeichnet Tätigkeiten, die von Führungskräften in allen Bereichen der Unternehmung (Personalwirtschaft, Beschaffung, Absatz, Verwaltung, Finanzierung etc.) zur Zielerreichung zu erbringen sind. Häufig wird der Managementbegriff als Managementkreislauf dargestellt. Er wird in die Schritte Zielformulierung, Planaufstellung, -realisierung und -kontrolle unterteilt. Ergibt die Kontrolle als letzter Schritt, dass Zielabweichungen vorliegen, ist Managementhandeln erforderlich. Das heißt: Management an sich wird auf Basis von Abweichungsanalysen stets tätig, die mehr oder andere zugrundeliegende Leistungen erfordern. Und doch ist nicht jedes Management Change-Management. Deshalb stellt sich die Frage: Wo verläuft die Grenze zwischen Change-Management und Standardmanagement? Die Antwort ist nicht banal und praktisch hoch relevant, da sich die betriebswirtschaftliche Literatur und Praxis rund um das Change-Management in den vergangenen Jahren verändert haben (vgl. Al-Ani/Gattermeyer, 2001: 13). Frühere Ansätze waren eher von spezifischen Handlungsfeldern geprägt: Lean-Management, Just-in-Time-Management, Total-Quality-Management sowie Reengineering wurden mit Blick auf ihre isolierten Schwerpunkte kritisiert (vgl. Vahs, 2000: 1 ff.). Derzeit sind mit ChangeManagement meist ganzheitliche und tiefgreifende Veränderungen gemeint. „Ganzheitlichkeit“ bedeutet „die Organisation insgesamt oder weiträumig umfassend“ und wird als Versuch der nachhaltigen Korrektur harter Faktoren durch einen möglichst großen Scope ver-
2
Die Ergebnisse der Studie finden sich in den jeweiligen Kapiteln (vgl. Abschnitt „Umfrageergebnisse“). Wenn absolute/prozentuale Angaben nicht die Anzahl der o. a. Teilnehmer/100 Prozent ergibt, sind die jeweiligen Fragen nicht von allen Teilnehmern beantwortet worden. 3 Der Dank gilt Bahar Erdogan für ihre gute Unterstützung. 4 Der Dank gilt Jana Nörenberg für ihre gute Unterstützung. 5 Der Dank gilt Sarah Schuldt für ihre gute Unterstützung.
Wegweiser
3
standen.6 Die Spezifizierung „tiefgreifend“ verdeutlicht, dass ein Change-Prozess zu der Unterscheidung von „Startorganisation“ und „Zielorganisation“ führt. Die Zielorganisation soll mit dem Transformationsprozess erreicht werden.
Startorganisation: die Organisation (Strategie, Aufbau, Ablauf, Prozesse, Kultur), die mit dem Change-Prozess verändert wird
Zielorganisation: die Organisation (Strategie, Aufbau, Ablauf, Prozesse, Kultur), die nach der Transformation erreicht werden soll
Entscheidend dafür, dass Change-Management vorliegt, ist der strategische und damit langfristig erfolgskritische Charakter, den die Zielorganisation verkörpert. „Strategisch“ meint hier also den Aufbau bzw. die Sicherung langfristiger Erfolgspotenziale jener Voraussetzungen einer Organisation, die den Bestand nachhaltig sichern. Erfolgsfaktoren sind dabei zentrale Aspekte bewährter Erfolgspotenziale (vgl. Lies, 2008f: 226.). Change Communications wird in den folgenden Kapiteln als ein vernachlässigter Erfolgsfaktor gekennzeichnet. Fusionen und die darauf folgenden Integrationen der beteiligten Unternehmen gehören also dann zum Change-Management, wenn umfassende Veränderungen bei den beiden fusionierenden Unternehmen damit verbunden sind. Die Vorstellung, dass Change-Management ganzheitlich sein müsste, entwickelt sich auf eine besondere Art. Ganzheitlich scheint zu bedeuten, dass Change-Management tiefgreifend für einen möglichst großen Teil der Organisation angewendet wird. Eine Vielzahl von Maßnahmen wird eingeleitet, um harte Faktoren nachhaltig zu korrigieren. Ganzheitlich scheint aber in der Praxis nicht zu bedeuten, dass die weichen Faktoren ebenso wie die harten Faktoren im Fokus des Topmanagements stehen. Darauf deuten erstens Umfragen zur Strategiedominanz harter Faktoren und zweitens die Beobachtung, dass das Management harter und weicher Faktoren in der Praxis zum Teil entkoppelt betrieben wird.7 Hieraus erwächst das Problem, dass die Organisation aufgrund rational notwendiger Change-Management-Maßnahmen eine Eigendynamik entwickeln kann, die die Durchsetzung dieser Maßnahmen verhindern kann. 3. Change-Management als systemisches Machtmanagement Eigendynamik kann für das Management sowohl eigene Macht als auch Gegenmacht im System „Unternehmen“ bedeuten. Macht hilft dem Management, eine ChangeProgrammatik einfacher umzusetzen,8 kann ihre Umsetzung aber auch hemmen oder gar verhindern. Macht bezeichnet erfolgskritische freigesetzte Energie. Sie ist mit der eigenen Kompetenz- und Ressourcenausstattung qua Funktion allein nicht mehr steuerbar. Damit ergibt sich das Handlungsfeld des Machtmanagements zur Durchsetzung von
6
Vgl. zum Stichwort „Scope“ den Abschnitt 4.3 „Der Scope als harter und weicher Faktor“. Vgl. zur Strategiedominanz harter Faktoren den Abschnitt 1.3 „Harte Faktoren als Initiatoren von Changes“; vgl. zur Entkopplung des Managements harter und weicher Faktoren den Abschnitt 2.6 „Kommunikation als Teil des Managements?“. 8 Vgl. zum Begriff der Change-Programmatik den Abschnitt „3. Mine: Change-Programmatik ohne ChangeDramaturgie“. 7
4
Jan Lies
Handlungen. Es erfordert andere Instrumente als die Ausstattung mit Macht qua Amt oder Funktion. Systemisches Change-Management beinhaltet auch, ausgehend von der notwendigen Optimierung harter Faktoren, die damit verbundene Macht weicher Faktoren zu beeinflussen. So lässt sich ein Change-Management-Begriff erster und zweiter Ordnung unterscheiden.
Change-Management erster Ordnung: Die Kennzeichnung von ChangeManagement als ganzheitlicher Veränderungsprozess führt dazu, dass Strukturen, Prozesse, Systeme, Schnittstellen, Menschen, Kultur und damit auch Kommunikation gleichzeitig verändert werden. Das Change-Management erster Ordnung folgt der Logik rationaler Entscheidungen (Rational Choice). Dies sind individuelle Entscheidungen, die auf Optimierungsplänen basieren. Es handelt sich also um das klassische Management, das harte Faktoren optimiert. Harte Faktoren können mit Kennzahlen dargestellt werden (Kosten, Renditen, Durchlaufzeiten etc.) und sind somit messund steuerbar.
Change-Management zweiter Ordnung: Der Anspruch der Ganzheitlichkeit führt dazu, dass in besonderer Weise weiche Faktoren als gruppendynamische Kräfte geweckt werden (Eigendynamik, Systemdynamik), da ein großer Scope besondere Systemeigenschaften zur Freisetzung weicher Faktoren beinhaltet.9 Weiche Faktoren sind dazu geeignet, Managementprozesse zu beschleunigen (durch Begeisterung, Motivation etc.) oder zu hemmen (durch Ängste, Widerstände etc.). Weiche Faktoren entfalten ihre Relevanz durch gruppendynamische Prozesse. Ein tiefgreifender Change-Prozess erster Ordnung steht sich mit der Freisetzung der Kraft weicher Faktoren in besonderer Weise selbst im Weg. Oder: Change-Management (erster Ordnung) hemmt sich selbst, wenn es den hierdurch ausgelösten Change-Prozess zweiter Ordnung nicht (ausreichend) beachtet.
Das Change-Management zweiter Ordnung erhöht (scheinbar) die Komplexität des Change-Managements erster Ordnung, indem das relevante Umfeld einbezogen wird.10 Individuell rationale Entscheidungen müssen an die erwarteten Handlungen erfolgskritischer Dritter – vor allem an die von Mitarbeitern und Führungskräften, aber ggf. auch von Kunden – angepasst werden. Es ist also antizipatives Management (vom Lateinischen ante [vorher] und capere [nehmen] erforderlich. Damit wird antizipatives Change-Management eine Anwendung von Relational Choice. Der Begriff Relational Choice drückt aus, dass eine im Prinzip zuerst rational geplante Change-Management-Programmatik stets auf erfolgskritische Effekte des Changes zweiter Ordnung zu prüfen und daran anzupassen ist: Relational Choice ergänzt Rational Choice. Dies beinhaltet die möglichst vorwegnehmende Einflussnahme auf die Eigendynamik inner- und außerhalb der Organisation, die die Handlungsfähigkeit funktional (zielführend) oder dysfunktional (hemmend oder verhindernd) beeinflussen kann. Management umfasst die Herleitung von Handlungsprogrammen, deren Erfolg von zielgerichtetem Verhalten abhängt. Diese Ziele sind nicht allein vom Verhalten der Entscheider, sondern auch vom Verhalten erfolgsrelevanter Dritter
9
Vgl. zur Relevanz des Scopes als weicher Faktor Abschnitt „4.3 Der Scope als harter und weicher Faktor“. Vgl. zum Thema „Komplexität“ Abschnitt „4.6 Fazit: Scope-Management senkt die Komplexität.“.
10
Wegweiser
5
(Stakeholder) abhängig.11 Letzteres folgt wiederum der Beobachtung des für sie relevanten Managementverhaltens, sodass antizipatives Change-Management die kritische Beobachtung eigenen Führungsverhaltens erfordert. 4. Beeinflussung systemischer Dynamik Wie bildet sich systemische Eigendynamik heraus und wie kann das Management sie für die Durchsetzung von Change-Management nutzen?
Abbildung 3: 20 Minen als Auslöser von Eigendynamik Quelle: eigene Darstellung
11
Vgl. zum Thema „Stakeholder“ den Abschnitt „11.3 Change als Stakeholder-Management“.
6
Jan Lies
Wünschenswert ist eine Systemdynamik, die die Ziele des Managements unterstützt oder sie zumindest nicht aktiv verhindert. Die Systemdynamik wird im Folgenden anhand 20 typischer „Minen“ verdeutlicht. Jede „Mine“ ist ein Faktor, der die (das Management hemmende) Eigendynamik der Organisation auslösen kann. Die Aufzählung der Faktoren ist beispielhaft und nicht abschließend. Sie stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig und sind auch von harten Faktoren abhängig. Zudem basieren sie auf Erfahrungswerten und variieren je nach ChangeProgrammatik. Das Ziel dieser Darstellung ist nicht, eine neue Illusion der exakten Steuerungsfähigkeit von Systemen zu wecken, die ausschließlich in der Entschärfung der 20 Minen besteht. Das Ziel ist vielmehr, einerseits die mögliche Vielfalt der Auslöser von Eigendynamik zu zeigen und andererseits zentrale Ansatzpunkte dafür offenzulegen, wie sich das ChangeManagement verbessern lässt und damit die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöht werden kann. Sie werden in jedem Kapitel in Form von Handlungsfeldern und Aufgaben exemplarisch gesammelt und bilden die Konkretisierung des Verhaltensmanagements,12 das aus sechs Handlungsfeldern besteht:
Abbildung 4: Die „Change-Arena“ – Eckpunkte der Einflussnahme auf die Systemdynamik Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Cacaci (2006: 155)
5. Fazit: Change-Management und weiche Faktoren Da weiche Faktoren das geplante Managementhandeln beeinflussen – et vice versa – ist der Bereich der Change Communications eine Komponente des ChangeManagements, das Relational Choice erfordert. Dies sind Rational-Choice-Strategien, die die erfolgskritischen Ansprüche Dritter – vor allem von Führungskräften, Mitarbeitern und Kunden – identifizieren, um sie mit Strategieanpassungen vorwegzunehmen. Change-Management ist also Anzipationsmanagement. Das Ziel dieses Buches ist es, auf die Notwendigkeit einer Managementkultur und -ausbildung hinzuweisen, die das Wissen harten und weichen Managements verzahnt und nicht zwei Parallelwelten zuordnet.
12
Vgl. Abschnitt „20. Mine: Kommunikations- ohne Verhaltensmanagement“.
1. Mine: Strategiedominanz harter Faktoren im Change
7
Change Communications berücksichtigt das Management weicher Faktoren.
1. Mine: Strategiedominanz harter Faktoren im Change Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik Change-Prozesse sind häufig kapitalmarktgetrieben und werden somit oft von harten Faktoren wie Kosten- oder Renditekennzahlen ausgelöst. Der Druck von Banken und Börsen ist auf den ersten Blick ein effizienter Steuerungsmechanismus, der Unternehmen davor bewahrt, ihre Strukturen zu konservieren. Für die Strategieentwicklung und Durchführung von Change-Prozessen ist der Kapitalmarkt und die hier verankerte Strategiedominanz harter Faktoren dagegen kein guter Referenzmaßstab. Die Change-Strategie bezeichnet die geplante Vorgehensweise, mit der langfristig erfolgskritische Potenziale wie Kostengrößen, Reaktionsfähigkeit oder Innovationskraft mit der Zielorganisation erschlossen werden sollen. Manager, die Change-Strategien ausschließlich mit Blick auf harte Kennzahlen betreiben und diese zum Handlungsmaßstab machen, verkennen, dass sie durch diese Kennzahlen vor und während des Veränderungsprozesses weder vollständig noch rechtzeitig über die Fortschritte des Veränderungsprozesses informiert werden.
1.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Ein Unternehmen der Dienstleistungsbranche hatte sich entschieden, mehrere Bereiche zu reorganisieren und so neue Geschäftsfelder aufzubauen. Auslöser hierzu waren keine Kostenvolumina – also die harten Faktoren. Das Ziel bestand vielmehr darin, aus einer Situation der Stärke heraus mittels neuer Geschäftsfelder mehr Wachstum zu generieren. Für die Vorbereitung des Changes und zur Überführung in die Zielstruktur war ein Zeitraum von fünf Monaten vorgesehen.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Das Dienstleistungsunternehmen war im Projektgeschäft tätig. Die Projektarbeit für Kunden war der Maßstab für die Leistungsfähigkeit. Die Leistungsfähigkeit der einzelnen Bereiche bemaß sich vor allem anhand der Auslastung mit Kundenprojekten. Kapazitäten für die Vorbereitung und/oder Durchführung von Change-Managementprojekten zu verwenden, war daher mit internen Widerständen belegt. Führte eine organisatorische Veränderung zudem zur Verunsicherung der Projektmitarbeiter, war damit zu rechnen, dass die Qualität der Projektarbeit darüber hinaus leiden und
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Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik
die Kundenzufriedenheit sinken würde. Die Leistungsfähigkeit der Organisation würde dementsprechend nachhaltig beeinträchtigt. Daher waren Veränderungsprozesse, die Zeit für Konzept- und Vorbereitungsarbeiten erforderten und damit nicht „mit dem Kunden“ verbracht wurden, eine große Herausforderung. Um die gewünschte Zielstruktur durchzusetzen, galt es daher nicht nur, die Leistungsfähigkeit während der Change-Vorbereitung zu erhalten. Die Herausforderung bestand vielmehr auch darin, dass die Mitarbeiter unmittelbar mit dem Start der Zielstruktur Fahrt aufnehmen sollten. Das heißt: Eine längere Übergangsphase von der Start- zur Zielstruktur sollte möglichst vermieden werden. Der Change war also eine Doppelbelastung, indem er neben dem Projektgeschäft zusätzliche Ressourcen band.
Lösungsansatz: Um die erwartete Beeinträchtigung der Leistungserstellung zu verhindern bzw. möglichst gering zu halten, bestand der Ansatz darin, die Zielstruktur sukzessive neben dem laufenden Geschäft aufzubauen, um so die Übergangsphase zwischen Start- und Zielstruktur zu minimieren. Die Kommunikation wurde daher von Anfang an als erfolgskritische Komponente betrachtet und entsprechend geplant, um Führung und Mitarbeitern den Nutzen des Changes jenseits von Kennzahlen zu vermitteln. Das Konzept sah vor, die Kommunikation kaskadisch durchzuführen.13 Die Vorgehensweise wurde als „Schalenmodell“ bezeichnet: Die Schalen stehen dabei für die Hierarchieebenen, die jeweils Kontakt mit der folgenden Ebene und ihre Einbindung sicherstellen mussten.
Erfahrungen: Die erste Schale bildete das oberste Leitungsgremium. Nachdem die grundsätzlichen Rahmenbedingungen von ihm freigegeben worden waren, konnte es die nächste Führungsebene mit einem belastbaren Mandat für die geplanten Veränderungen ausstatten und in die weiteren Überlegungen einbeziehen. Durch den so erweiterten Kreis konnten weitere Perspektiven in die inhaltliche Ausgestaltung des Changes und in die weiteren Kommunikationsmaßnahmen einfließen. Den Abschluss der Kommunikationskaskade – also hier die in der Kaskade letzte Schale – bildete die Information aller Mitarbeiter vor allem in Form von Veranstaltungen. Inhaltliche Schwerpunkte der Veranstaltung hierzu waren: 1) Chancen der neuen Organisation, 2) Vorteile für den Einzelnen (z. B. direktere Führung durch geringere Führungsspannen), 3) Möglichkeit zu Fragen und zur Diskussion, 4) nächste Schritte (z. B. finale Freigabe der neuen Personalzuordnung durch den Betriebsrat).
13
Vgl. Abschnitt 8.5 „Kommunikationskaskade als Führungskräftebestätigung“.
1. Mine: Strategiedominanz harter Faktoren im Change
1.2
9
Fazit: Die Ankündigung organisatorischer Veränderungen allein sorgt für Verunsicherung bzw. führt zu Brüchen in der Leistungserstellung. Wenn Führungskräfte und Mitarbeiter durch eine offene Kommunikation Teil des Changes werden und durch kritisches Feedback an der Ausgestaltung mitwirken können, kann sich eine konstruktive Grundstimmung entwickeln, die über viele Irritationen hinweg trägt. Dies erfordert Kritikfähigkeit der Führung, was für diese zwar nicht immer leicht ist, sich aber trotzdem lohnt. Die Führungskräfte standen geschlossen hinter der Veränderung und prägten gezielt die Stimmung der jeweils folgenden Schalen. Der gewählte Lösungsansatz führte dazu, dass die Veränderung letztlich positiv aufgenommen und von allen mitgetragen wurde. Change: Zwischen Krisen- und Schönwettermanagement?
Interessanterweise existiert eine Vielzahl von Büchern über Krisenmanagement, idealisierte Konzepte und erfolgversprechende Strategien. Dass die Initiierung von ChangeProgrammen oft jedoch nicht auf intellektuellen Strategiediskursen, sondern auf einer Mischung aus sich verschlechternden Kennzahlen und mangelnder Börsenphantasie beruht, bleibt dagegen oft unerwähnt. Letztendlich spiegeln Change-Initiativen dann den Druck von Börse und Aufsichtsrat wider und sind damit Ausdruck krisenhafter Adhoc-Aktionen des Managements. Mit der Bewertung des strategischen Anspruchs des Change-Managements ist Change nicht gleich Change, wenn beispielsweise Restrukturierungsprogramme und Fusionen/ Übernahmen miteinander verglichen werden: Change-Prozesse wie Fusionen oder Übernahmen haben eine bessere Chance, mit höherem strategischen Anspruch konzeptioniert zu werden als Restrukturierungsmaßnahmen in Krisenzeiten. Denn sie werden zum Teil nicht in einer Situation des Zeitdrucks, sondern aus einer Position der Stärke erwogen, sodass Prüfung und konzeptionelle Vorbereitung einen größeren Raum einnehmen (können). Change-Initiativen wie Restrukturierungen entstehen dagegen zum Teil aufgrund von Druck – vonseiten des Markts, des Aufsichtsrats oder der Shareholder. Die strategische Umsetzung wird deshalb teilweise von Unternehmens- oder Kommunikationsberatern (mit-)entwickelt, nachdem der Change bereits ohne echte konzeptionelle Fundierung der Vorgehensweise begonnen wurde. Solche Change-Management-Projekte sind zum Teil als Befreiungsschlag eines genötigten Managements zu werten. Für strategischen Anspruch oder theoretische Perfektion bleibt in dieser Situation oft keine Zeit. Die Hürden des Change-Managements werden in der folgenden Grafik zusammenfassend dargestellt:
10
Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik
Abbildung 5: Hürden des Change-Managements Quelle: Mast (2008: 21), n = 80
1.3
Harte Faktoren als Initiatoren von Changes
Die obige Betrachtung der unterschiedlichen Change-Anlässe zeigt, dass das ChangeManagement einerseits zwar zum Teil an mangelnder strategischer Eleganz leidet. Andererseits ist es aber auch nicht konzeptionslos, sondern zum Teil einseitig angelegt. Dies ergibt sich aus der Fehleranalyse durchgeführter Change-Projekte: Dafür, dass viele tiefgreifende Veränderungsprozesse ihre Ziele nicht erreichen, wird oftmals die dominante Beachtung der sogenannten „Hard Facts“ und die Vernachlässigung der „Soft Facts“ durch das Change-Management verantwortlich gemacht (vgl. Houben, 2007: 39ff.).14 Paradox hierbei ist, dass die häufige Überbetonung harter Faktoren ein Ausdruck einer bestimmten Art von Kultur ist. Das heutige Change-Management mit der Überbetonung harter Faktoren ist damit der Ausdruck einer von Rational Choice geprägten Managementkultur. Besonders deutlich wird diese Kultur des Managements harter Faktoren in Führungskreisen, wenn über die (harten) Ziele eines Change-Prozesses zwar Einigkeit herrscht, der Weg zu ihrer Realisierung aber bestenfalls schemenhaft umrissen ist. Dies wird im Change-Prozess beispielsweise dann deutlich, wenn die Entwicklung der Story des Changes auf Topmanagement-Ebene nur mit größten Kraftanstrengungen möglich ist,15 weil sich das Gremium weder über die Prioritäten noch über die Vorgehensweise der Change-Programmatik einig ist. Erst wenn die Story im Konsens erarbeitet vorliegt, hat sie ihren Beitrag dazu geleistet, dass das Führungsteam als ein klar beobacht-
14
Vgl. zur Definition von harten und weichen Faktoren im einführenden Abschnitt das Kapitel „ChangeManagement als systemisches Machtmanagement“. 15 Vgl. zur Story Abschnitt „6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding“.
1. Mine: Strategiedominanz harter Faktoren im Change
11
bares Subsystem der Organisation auftritt. Erst dann fungiert sie als starkes Dokument der strategischen Change-Prozess- und Umsetzungsorientierung des Managements. Die Story vereint dann als Hybridinstrument die rationalen und relationalen Anforderungen der Change-Strategie. 1.4
Duale Change-Strategien gegen die Macht weicher Faktoren
Weiche Faktoren können systembeflügelnde oder hemmende Kräfte freisetzen. Ihre stabilisierende, positive Kraft wird durch die Beachtung der 20 Minen insgesamt deutlich. Verallgemeinernd entspricht die funktionale Kraft weicher Faktoren Phänomenen wie der Begeisterung durch Identifikation aus dem Motivationsmanagement oder wie dem Engagement für gemeinsame Projekte in Vereinen, Verbänden und Parteien. Ein konkretes Beispiel für diese positive Kraft wird weiter unten im Rahmen des Projekt-Brandings gegeben.16 – Die hemmende Kraft weicher Faktoren in ChangeProzessen deutet sich bereits in den Anstrengungen an, die die Storyentwicklung erfordert, wenn das Management in der konkreten Vorgehensweise zur Erreichung der Change-Ziele uneins ist. Sie multiplizieren sich für das Management, wenn die Uneinigkeit über die Führungshierarchien auf die Mitarbeiter in den nachgeordneten Verantwortungsbereichen übertragen wird.
Abbildung 6: Symptome des Widerstands – in Gruppen Ausdruck weicher Faktoren Quelle: Doppler/Lauterburg (2005: 327)
16
Vgl. Abschnitt „6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding“.
12
Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik
In diesem Buch wird zuerst die negative Seite weicher Faktoren herausgestellt, um ihre hemmende Kraft in Bezug auf die Durchsetzung von Change-Prozessen aufzuzeigen. Wichtig zu beachten ist, dass diese weichen Faktoren als Teil mikropolitischer Verhaltensweisen nicht offensichtlich zutage treten müssen.17 Die Bedeutung weicher Faktoren als gruppendynamische Prozesse im Management und/oder bei den Mitarbeitern macht Change-Management zu internem StakeholderManagement.18 Dies sind bekanntlich Gruppen, die ihre Anspruchspositionen durchsetzen können, beispielsweise indem sie in Form von offenen oder verdeckten Widerständen die Change-Programmatik hemmen oder gar verhindern. Forschungen haben ergeben, dass der synchrone Einsatz von Hard- und Soft-Fact-Strategien als ChangeManagement-Ansatz mit größerer Wahrscheinlichkeit zum Erfolg führt und die zerstörerische Kraft weicher Faktoren bändigen kann als ihre einfache Aneinanderreihung (vgl. Beer/Nohria, 2000: 133ff.; Houben, 2007: 45ff.). Die Hard-Fact-Strategie („hard approach“) basiert auf Finanzkennzahlen, wie Kosten, Durchlaufzeiten und anderen Benchmarking-Kennzahlen.19 Soft-Fact-Strategien („soft approach“) haben zum Ziel, eine Unternehmenskultur mit adäquatem Humankapital zu entwickeln, das sich zum Change bekennt. Trotz des synchronen Einsatzes der beiden Strategien erreichen auch nach neueren Untersuchungen – je nach Studie – bis zu 80 Prozent aller Change-Projekte ihre Ziele nicht (vollständig). Es ist davon auszugehen, dass die Strategiedominanz harter Faktoren auch bei der Anwendung von dualen Change-Strategien ursächlich ist und diese hohe Misserfolgsquote mitbegründet. Ein früher Hinweis in diesem Buch ist hierfür, dass die unterschiedlichen Möglichkeiten der Organisation eines Change-Projekts in vielen Beiträgen zum Change-Management nicht oder nur als Randnotiz erwähnt werden. 1.5
Die Organisation des Changes
Die Frage der Einbeziehung beider Faktoren stellt sich schon bei der Planung der Organisation des Change-Vorhabens. Die Frage der Change-Organisation, also die Frage, ob die Um- und Durchsetzung mittels der bestehenden Linienorganisation, einer linienparallelen Projektorganisation oder mithilfe von Change-Management-Gruppen erfolgt, ist weichenstellend für die integrierte Berücksichtigung harter und weicher Faktoren. Die häufig zitierte Pauschalformel der Change-Literatur, „Betroffene zu Beteiligten“ zu machen, bedeutet streng genommen, die gesamte Organisation oder einen sehr großen Teil in die Vorbereitungs- und Umsetzungsarbeiten einzubinden. Dieses Vorgehen dürfte in der Praxis unrealistisch sein, da es zu einer diskussionsgeladenen Multikomplexität mit basisdemokratischen Zügen führt. Demgegenüber steht die puristische Projektorganisation durch ein Change- und Beraterteam für die Überbetonung harter Faktoren,
17
Vgl. Abschnitt „12. Mine: Ausblendung von Mikropolitik“. Vgl. Abschnitt „11.3 Change als Stakeholder-Management“. 19 Vgl. zum Thema „Benchmarking“ Abschnitt „8.3 Change-Management: Wer gibt das Startzeichen?“. 18
1. Mine: Strategiedominanz harter Faktoren im Change
13
wenn es ohne Einbindung von Führungskräften und Mitarbeitern kennzahlenorientierte Change-Managementprojekte durchführt. Will man also harte und weiche Faktoren bereits in der Change-Projektorganisation berücksichtigen, sind Entscheidungsargumente für die Organisationsgestaltung des Change-Projektes erforderlich. Hier sollen nun die Vorteile dafür genannt werden, Change mit den üblichen Regeln des Projektmanagements zu steuern und zu organisieren (vgl. Janes et al., 2001: 75 f.). „Change-Management und Projektmanagement sind untrennbar miteinander verbundene Gebiete, da Wandel in aller Regel in Form von Projekten organisiert wird und das Projekt in gewissem Sinne als Organisationsform für wandlungsfähige Unternehmen schlechthin steht.“ (Lauer, 2010: 163) Das Topmanagement der Organisation bildet hierfür einen Steuerungskreis (Steering-Committee) und ruft Teilprojekte ins Leben, die im Idealfall mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden. Die Teilprojekte bilden die Projektarchitektur, die die Zielorganisation vorbereitet. Sie werden mit Mitarbeitern und Führungskräften der Linienorganisation besetzt. Nach Abschluss der Teilprojekte des Change-Prozesses wird die Projektorganisation nach und nach in die Linienorganisation der Zielstruktur überführt. Diese Form der Projektorganisation beinhaltet folgende Vorteile:
Senkung von Komplexität: Da „Change“ derzeit als ganzheitliche Veränderung definiert ist, reduziert die Organisation in Projektform die Komplexität gegenüber der linienparallelen Projektorganisation, indem wichtige Maßnahmenbereiche benannt, gebündelt und als Handlungsfelder bearbeitet werden.
Benennung von Verantwortlichkeiten: Change-Management benötigt eine definierte und sichtbare Führung. Diese vergibt zur Umsetzung die Verantwortung basierend auf definierten Zielen und zugeordneten Funktionen an das Projektteam als umsetzende Instanz. Zudem sorgt sie für die Zielerreichung. Die Führung muss zudem sichtbar sein, um das Change-Commitment zu institutionalisieren.20 Die Projektorganisation ist also auch ein visualisierendes Element.
Bereitstellung von Ressourcen und Anreizen: Um tiefgreifende Veränderungen umsetzen zu können, sind personelle, technische und monetäre Ressourcen nötig. Die Projektorganisation definiert diese, stellt sie bereit und ist dafür verantwortlich, dass sie stets in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Ggf. ist der Scope – also die Breite und Tiefe der geplanten Veränderungen – hieran anzupassen.21 Die Mitglieder der Projektorganisation übernehmen die Arbeit aus der Change-Organisation nicht einfach zusätzlich, sondern werden mit Anreizen und Ressourcen ausgestattet, beispielsweise durch (anteilige) Freistellung für diese Tätigkeiten und/oder durch zusätzliche Honorierung.
Beteiligung und Denken mit Blick auf die Zukunft: Wo immer es möglich ist, wird die Change-Projektorganisation mit Mitarbeitern und Führungskräften besetzt, die die Zielorganisation mit ausarbeiten und ihr später angehören werden.
20 21
Vgl. zum Begriff „Change-Commitment“ Abschnitt „11. Mine: Mangelndes Change-Commitment“. Vgl. zum Begriff „Scope“ Abschnitt „4. Mine: Zielorganisation ohne Scope-Management“.
14
Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik
Dadurch, dass die Stakeholder des Change-Projekts in die Vorbereitung und Umsetzung eingebunden werden, wird also ein antizipatives Element etabliert. Zwar wird dies aufgrund der Zwänge des Arbeitsrechts, das für das Change-Management relevant ist, z. B. aufgrund der oft zeitintensiven Verhandlungen zu einem Interessenausgleich bei Betriebsänderungen gemäß Betriebsverfassungsgesetz, vor allem auf der Mitarbeiterebene nicht immer möglich sein. Dennoch sollte diese Idee als Maßstab gelten.
Soundingboards: Diese Resonanzgruppen mit Führungskräften der Linie (möglich sind auch weitere/kombinierte Soundingboards mit Beratern, Kunden, Mitarbeitern oder anderen Stakeholdern) erhalten den Auftrag, Arbeitsschritte der Projektorganisationen stetig mit Blick auf Machbarkeit und Mehrwert aus Sicht von wesentlichen Bereichen der Organisation (z. B. Vertrieb, Produktion, Betriebsrat usw.) zu kommentieren. Somit wird eine Form des Issues-Managements als weitere antizipative Form der Change-Management-Organisation etabliert.22
Information und Kommunikation von Start- und Zielorganisation: Indem die Unternehmenskommunikation zu einem Teil der Projektorganisation wird, kann sie im Idealfall stetig über die Projektfortschritte auf dem Weg von der Start- zur Zielorganisation informieren sowie Motivations- und Koordinationsbedarf unterstützen, indem sie die Systemdynamik stets prüft.23
Diese und weitere Argumente fasst folgende Tabelle zusammen:
Vorteile
Change-Management in der Linienorganisation
Change-Management in der Projektorganisation
maximale Beteiligung
klare Kompetenz- und Kapazitätszuweisungen
minimale Frontenbildung durch Interventionsversuche Dritter
klare Aufgaben und Innovationsaufträge, die nicht mit den Ist-Aufträgen kollidieren stete Vorher-Nachher-Kommunikation; stete Diagnose zur Systemdynamik
Nachteile
neues Denken durch herkömmliche Aufgaben wird nicht unterstützt
Gefahr der Abkopplung und Frontenbildung zwischen Linie und Projekt
gewohnte Hierarchien und Verhaltensweisen bleiben bestehen
mehr Energieaufwendung zur Durchsetzung nötig
Doppelbelastung führt zu Überforderung bzw. Vernachlässigung Abbildung 7: Vor- und Nachteile von Change-Organisationsformen Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Hochreiter (2006: 67)
22 23
Vgl. hierzu auch das Mystery Management im Abschnitt „9. Mine: Unechte Mitarbeiter-Partizipation“. Vgl. zur Analyse der Systemdynamik Abschnitt „15. Mine: Einseitige und punktuelle Due Diligence“.
1. Mine: Strategiedominanz harter Faktoren im Change
1.6
15
Fazit: Integration beginnt durch Change-Organisation
Erfolgreiche Organisationen integrieren im Change-Management harte und weiche Faktoren. Was dies konzeptionell-instrumentell im Einzelnen heißt, ist angesichts der Strategiedominanz harter Faktoren zunächst nur tendenziell klar. Es werden als Hürden des Managements insgesamt häufig diffuse Change-Strategien und mangelnde Kommunikation diagnostiziert. In diesem Buch werden insgesamt 20 Minen identifiziert, deren Auslösung man als Ausdruck dieser Strategiedominanz harter Faktoren werten könnte. Ein erster Auslöser ist in der Change-Organisation zu suchen: Bereits hier gilt es, weiche Faktoren zu berücksichtigen. Handlungsfeld
Aufgaben
Antizipation: Change-Strategie
die „harte“ Change-Programmatik zum Ausgangspunkt wählen, um Anpassungsbedarf aufgrund weicher Faktoren zu ermitteln
Antizipation – Partizipation: Change-Management-Organisation
bereits mit der Organisation des Change-Projekts, harte und weiche Faktoren integrieren – möglich durch die Kombination von Projektorganisation und Umsetzung durch Linienmitarbeiter der Zielstruktur
Information/Kommunikation: Change-Communications-Organisation
Change Communications ist systematisch in der Change-Projektsteuerung verantwortlich vertreten
Abbildung 8: Aufgaben zur Vermeidung der Strategiedominanz harter Faktoren Quelle: eigene Darstellung
2. Mine: Entkopplung von Change-Management und Change Communications?
17
Die Aufgabe von Change Communications ist nicht delegationsfähig.
2. Mine: Entkopplung von Change-Management und Change Communications? Jan Lies/Simon Schoop Wie im vorigen Kapitel gezeigt wurde, ist die Beachtung der weichen Faktoren im ChangeManagement von großer Bedeutung. Trotzdem ist der Bereich der Change Communications als das Management weicher Faktoren noch nicht oder noch zu wenig als Disziplin im Management anerkannt. Change-Management und Change Communications arbeiten in der Praxis oft entkoppelt. Wenn das Ziel von Change Communications aber in Motivation besteht, um damit die Organisationsdynamik im Sinne des Managements zu prägen, ist eine Entkopplung des Managements harter und weicher Faktoren theoretisch gar nicht möglich. Denn Motivation ist von beiden Dimensionen abhängig.
2.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Im Rahmen eines Change-Projekts in einem Unternehmen der Informations- und Telekommunikationsbranche wurden diverse neue Prozesse eingeführt, die von webbasierten Tools unterstützt wurden. Einer dieser Prozesse diente der Produktentwicklung. Er wurde jedoch nicht in ausreichendem Maße von den Mitarbeitern akzeptiert und genutzt – der Beratungsauftrag lautete somit, die Akzeptanz und Nutzung des speziellen Prozessmodells zu steigern. Dies war auch mit Blick auf weitere anstehende Veränderungen von Bedeutung.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Das Unternehmen betrieb diverse Veränderungsprozesse gleichzeitig. Die Technikorientierung der Organisation und damit die Akzeptanz von Software-Lösungen machte es zwar möglich, viele Prozesse mit IT zu unterstützen. Trotzdem galt es ein Spannungsfeld zu bewältigen, das aus Effizienzgewinnen zu etablierender Prozesse, agiler Produktentwicklung und möglichst kurzen Zeiten von der Idee bis zur Markteinführung neuer Produkte entstand. Hierbei sollte das neue Prozessmodell helfen.
Lösungsansatz: Zur Akzeptanzsteigerung des Prozessmodells musste ein ChangeProjekt aufgesetzt werden. Eine losgelöste interne Kommunikationskampagne allein erschien hier aufgrund der mangelhaften Nutzung des Prozessmodells nicht (mehr) erfolgversprechend. Deshalb wurde ein Vorgehen aus den drei folgenden
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18
Jan Lies/Simon Schoop
Schritten gewählt: 1) Die Verankerung des Innovationsgedankens sollte im Leitbild des Unternehmens erfolgen, auch mit Blick auf weitere anstehende Veränderungsmaßnahmen, die von der Organisation umgesetzt werden müssen. 2) Die Verankerung sollte sich in den Zielvereinbarungen der Führungskräfte wiederfinden. 3) Zudem wurde eine flankierende integrierte, interne Kommunikationskampagne gestartet.
Erfahrungen: Die Notwendigkeit des Schulterschlusses von Management und Unternehmenskommunikation wurde am Beispiel dieses Prozessmodells sehr deutlich. Kommunikation allein ist leer und kraftlos, wenn Führungskräfte ihr Mandat für Veränderungen nicht authentisch und mit Nachdruck unterstützen. Dies wiederum gelingt in einer Phase des Umbruchs vor allem mit Hilfe spürbarer Anreize, die die Zielerreichung sanktionieren bzw. honorieren. Flexibilität und Anpassung von Human-Resource-Systemen sind dabei ein Erfolgsfaktor. Sobald die neue Zielvereinbarung als belastbare Basis etabliert ist, entfaltet die führungskräfte- und mitarbeiterspezifische Kommunikationskampagne ihre Wirkung. Der Dialog wird dann über die Hierarchien hinweg zu einem „Tool“ für die Führungskräfte, mit dem sie Informationsvermittlung, Einbindung und letztlich auch Akzeptanz erzielen können.
Fazit: Akzeptanz ist auch in Organisationen erreichbar, die oft und tiefgreifend umgebaut werden. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist der Schulterschluss des Managements von Human Resources, IT und Kommunikation.
2.2
Kommunikationsebenen von Change Communications
Das Ziel von Change Communications besteht aus Sicht des Managements letztlich in der Motivation von Führungskräften und Mitarbeitern (vom Lateinischen movere [bewegen]; Beweggrund und damit Antrieb sowie Koordination, ein Ziel zu erreichen). In Change-Projekten bedeutet Motivation allerdings oft „Senkung von Widerstand“, wenn Mitarbeiter- und Führungskräftegruppen sowie das Topmanagement (temporär) unterschiedliche Ziele verfolgen.24 Damit wird deutlich, dass der Bereich der Change Communications nicht auf die Organisation von Mitteilungshandlungen (Kommunikation) zu beschränken ist.25 Die interne Kommunikation (reduziert auf Mitteilungshandlungen) ist nur ein Teil von Change Communications. Sie bedient (normativ) mindestens drei Ebenen im Kommunikationsprozess, die dazu beitragen, das Verhalten der Mitglieder einer Organisation und damit die Systemdynamik zu beeinflussen (vgl. Lies, 2008a: 33 ff.):
24 25
Vgl. zum Thema „Zielgleichheit“ Abschnitt „12.3 Hidden Agendas als Managementrealität“. Vgl. zum Thema „Verhaltensmanagement“ Abschnitt „20. Mine: Kommunikations- ohne Verhaltensmanagement“.
2. Mine: Entkopplung von Change-Management und Change Communications?
19
1.
Die informative Ebene: Bereitstellung von Informationen für die Wahrnehmungsebene.
2.
Die edukative Ebene: Erklären von Informationen zur Vermittlung von Bedeutung und Verständnis.
3.
Die emotionale Ebene: Gefühlsebene für die Identifikation und andere Interpretationsprozesse (vgl. Mast, 2007: 299 ff.).
Alle drei Kommunikationsebenen werden aber nicht nur durch geplante Mitteilungshandlungen, sondern auch durch ungeplante Wahrnehmungsangebote bedient. Ungeplante Wahrnehmungsangebote werden in der aktuellen Change-Theorie und -Praxis zu wenig thematisiert. Zu solch ungeplanter Wahrnehmung gehört beispielsweise, wenn Mitarbeiter beobachten, dass Kommunikation und angekündigtes Handeln zeitlich weit auseinanderfallen oder wenn das Handeln von Führungskräften nicht zu ihren Ankündigungen passt.26 Damit muss die Anwendung von Change Communications über geplante Mitteilungshandlungen (zum Beispiel Formulierung von Kernbotschaften, Reden, Mitarbeiterzeitung etc.) hinausgehen, wenn konsequent an der Motivation gearbeitet werden soll. Das heißt zudem, dass die Aufgaben von Change Communications nicht delegationsfähig sind oder umgekehrt: Wenn die Abteilung (interne) Kommunikation Change Communications als Management weicher Faktoren betreiben soll, ist sie eng in die Steuerung des Change-Prozesses einzubeziehen. Bereits die reduzierte Funktion von Change Communications mit ihrer Bereitstellungsfunktion von Information ist in Veränderungsprozessen eine Herausforderung: Ein wesentliches Kennzeichen von Change-Prozessen ist, dass in Organisationen erprobte Informationsbereitstellungsroutinen oft aufgelöst und damit nicht mehr angewendet werden können. Darum ist bereits diese reduzierte Funktion als Basisleistung von Change Communications auf relevante, schnelle, aktuelle und verlässliche Informationen aus der Projektsteuerung/dem Steering-Committee zu den wesentlichen Change(Teil-)Projekten angewiesen, wenn sie ihr Motivationspotenzial durch Kommunikation ausschöpfen soll. 2.3
Kommunikationskaskade: erst intern, dann extern
Schlagzeilen, wie „Wir haben von der Fusion erst aus der Zeitung erfahren“, finden sich häufig im Umfeld von tiefgreifenden Veränderungsprozessen. Sie zeigen an, welchen geringen Stellenwert die (interne) Kommunikation in solchen Organisationen innehat: Wenn die Pressearbeit des Topmanagements die interne Kommunikation überholt, sinkt damit deren Relevanz für die Zielgruppen. Je mehr relevante Informationen nicht von der (internen) Kommunikation flankiert oder initiiert werden, desto weniger Bedeutung und damit Einfluss hat sie. Sie verliert an Beachtung und damit an
26
Vgl. zu den Folgen der Diskrepanz von aktiver Kommunikation und hiervon abweichender Wahrnehmung die Abschnitte „19.5 Wirkungen verfehlten Erwartungsmanagements“ sowie „11. Mine: Mangelndes ChangeCommitment“.
20
Jan Lies/Simon Schoop
edukativem und emotionalisierendem Potenzial. Zudem kann eine vorschnelle externe Kommunikation auch als eine mangelnde Einbindung von Führungskräften wahrgenommen werden.27 Mit ihrem niedrigen Stellenwert im Management besteht für die interne Kommunikation insgesamt das Risiko, ihrer Aufgabe für das Widerstands- bzw. Motivationsmanagement nicht mehr gerecht werden zu können. Die Gefahr des Glaubwürdigkeitsverlusts steigt darüber hinaus, da die Pressearbeit im Change bei Führungskräften, Mitarbeitern und auch Kunden an Interesse gewinnt, weil der Informationsbedarf steigt und es gleichzeitig an der Bereitstellung von relevanten Informationen durch die (interne) Kommunikation hapert. Daher wird Pressearbeit im Change zu einem Teil der internen Kommunikation.
Abbildung 9: Kommunikationskaskade im Change Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Reinert (2006: 428)
Normativ sind Führungskräfte und Mitarbeiter also vor der Presse zu informieren (kaskadische Information), um die Glaubwürdigkeit und Relevanz der internen Kommunikation zu erhöhen.28 Darum gilt für das Change-Management die alte Kommunikationsregel „PR begins at home“, die dem PR-Pionier Edward Bernays (Merten, 2004: 10.) zugeschrieben wird. Spätestens seit der Titelstory des Time Magazin vom April 1939, die diese Regel als wörtlichen Titel trägt, ist sie als Regel für die Unternehmenskommunikation bekannt.
27 28
Vgl. zum Thema „Führungskräfte“ Abschnitt „8.5 Kommunikationskaskade als Führungskräftebestätigung“. Vgl. zum Thema „Glaubwürdigkeit“ Abschnitt „19.5 Wirkungen verfehlten Erwartungsmanagements“.
2. Mine: Entkopplung von Change-Management und Change Communications?
2.4
21
Abwärtsdelegation von Change Communications
Statt der kaskadischen Kommunikation ist jedoch häufig ein delegationsorientiertes Verhalten des Topmanagements in Bezug auf die Kommunikation in Change-Prozessen beobachtbar. Dabei wird die Kommunikationsabteilung oft nicht in die relevanten Entscheidungsprozesse eingebunden oder zumindest stetig und umfangreich informiert. Dies führt nicht nur zu Brüchen in der Kommunikationskaskade mit Phänomenen wie der oben beschriebenen vorschnellen Pressearbeit. Dies führt bis heute auch dahin, dass die interne Kommunikation in Organisationen oft als das fünfte Rad am Wagen arbeitet: In den 1980er-Jahren reduzierte sich die interne Kommunikation zum Teil auf die Mitarbeiterzeitung, die von „Betriebsjournalisten“ erstellt wurde, oder auf das „Schwarze Brett“. Dieser „historische“ Status der internen Kommunikation als lästige Pflicht oder als Selbstdarstellungsorgan statt als hilfreiches Führungsinstrument lässt sich an folgenden Punkten ablesen (vgl. Deekeling/Baghop, 2003: 15 f.; Klöfer, 2003: 21 ff.; Lies, 2008b: 140 ff.; Schick, 2007: 1 ff.): Die interne Kommunikation dient vor allem als Verlautbarungsorgan der Geschäftsführung und transportiert bis heute oft lieber strahlende und gestylte Traumwelten des Managements,29 als die positive Kraft weicher Faktoren zu nutzen. Die interne Kommunikation wird daher lieber zur Nachberichterstattung erfolgreicher Management-Projekte verwendet und nutzt ihr Potenzial als Motivations- und Multiplikatormanagement zur Stärkung und/oder Sicherung von Machtpositionen des Managements nicht.30 2.5
Positionierungsschwäche der Kommunikationsabteilung
Dass die Abteilung Unternehmenskommunikation nicht in die Konzeption und/oder Organisation eines Change-Projektes eingebunden wird und nicht die Kraft hat oder das Verständnis für die Wichtigkeit entwickelt, die Veröffentlichung verfrühter Pressemitteilungen zu verhindern, zeigt – plakativ formuliert – die Schwäche der Kommunikationsabteilung. Umgekehrt könnte man auch konstatieren: Das Topmanagement zeigt, dass die Unternehmenskommunikation kein Mandat hat, den Change-Prozess mitzugestalten. Eine Studie beinhaltete die Frage an PR-Agenturen nach dem Stellenwert von Change Communications: Bitte bewerten Sie folgende Aussagen, die die Bedeutung von Change Communications aus Unternehmenssicht kennzeichnen: Change Communications ist aus Sicht des Topmanagements von Unternehmen eine Beratungsdisziplin auf Augenhöhe von Transaktions-, Unternehmens- und Rechtsberatung:
29 30
Vgl. hierzu Abschnitt „19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement“. Vgl. zum Thema „Multiplikatormanagement“ Abschnitt „13.6 Multiplikatormanagement für ChangeAllianzen“.
22
Jan Lies/Simon Schoop
Abbildung 10: Change Communications – Beratungsdisziplin auf Augenhöhe? Quelle: Studie 2, n = 60
Die These, dass die Disziplin „Change Communications“ die Augenhöhe anderer Beratungsdisziplinen, wie Unternehmens- oder Rechtsberatung, erlangt hat, wird ebenso oft abgelehnt wie bestätigt. Insgesamt zeigt die Umfrage, dass Change Communications und das Management harter Faktoren bis heute nicht auf Augenhöhe arbeiten, wie die folgenden Ergebnisse dokumentieren. 2.6
Kommunikation als Teil des Managements?
Larissa A. Grunig stellte 1990 mit Verweis auf Studien fest: „Aus welchen Gründen auch immer: Public Relations-Fachleute erfreuen sich nur selten einer Position mit Einfluss in ihrer Organisation.“ (Grunig, 1990: 123.) Hat sich 20 Jahre später daran etwas geändert? Frage: Wie bekommen Sie als Kommunikationsabteilung Aufträge aus der Organisation? Von wem werden Ihnen die Aufträge erteilt? Anzahl
Prozent
Ich bekomme Aufträge vor allem von der Geschäftsführung/vom Vorstand.
52
61,90%
Ich bekomme Aufträge vor allem von (Projekt-)Leitern anderer Abteilungen.
19
22,62%
Mir werden meist keine Aufträge erteilt. Die Abteilung gestaltet ihre Aufträge selbst und stellt diese Geschäftsführung/Vorstand/Abteilungen vor.
41
48,81%
sonstiges
4
4,76%
Abbildung 11: Auftragserteilung an die Kommunikationsabteilung Quelle: Studie 3, n=84
2. Mine: Entkopplung von Change-Management und Change Communications?
23
Die diesem Buch zugrunde liegende Studie (Studie 3) ergibt: Fast 50 Prozent der Kommunikationsabteilungen werden keine internen Aufträge erteilt, gerade einmal der Hälfte werden Kommunikationsziele vom Vorstand vorgegeben und fast ebenso viele gestalten sich ihre Aufträge selbst. Nur zehn Prozent der Kommunikationsabteilungen setzen Strategievorgaben um und rund 15 Prozent entwickeln selbst Strategien. Rund 30 Prozent der befragten Unternehmen werden mittels einer Balanced Scorecard geführt,31 aber nur bei gut 20 Prozent der so geführten Unternehmen wird dabei explizit die Kommunikation berücksichtigt. Dieser Befund problematisiert die Rolle von Kommunikation im Change-Management, die mit der folgenden Frage an PR-Agenturen konkretisiert wurde. Interessanterweise sieht die Kommunikationsberatungs- und Dienstleisterbranche ihre eigene Rolle im Change-Management durchaus kritisch: Mehr als die Hälfte der Befragten antwortet, dass die Unternehmenskommunikation im ChangeProzess eher keine strategische Rolle spielt, sondern tendenziell operativer Dienstleister ist. Mehr als 60 Prozent der Befragten geben an, dass oft oder sehr oft externe Berater mehr Gestaltungsmöglichkeiten in Veränderungsprozessen haben als die Abteilung Unternehmenskommunikation selbst. Die Antworten zu dieser Frage stellt folgende Tabelle dar: Frage: Wie ist Ihrer Einschätzung nach die Unternehmenskommunikation im Change-Management eingebunden/tätig? Welcher Aussage stimmen Sie eher zu: kommt sehr oft vor Die Unternehmenskommunikation übernimmt eine strategische Rolle und führt den ChangeManagement-Prozess. Die Unternehmenskommunikation ist in ChangeProzessen vor allem operativer Dienstleister zur Abwicklung von Kommunikationsdienstleistungen (Eventorganisation, Medienproduktion etc.). Die Unternehmenskommunikation ist im ChangeManagement das fünfte Rad
31
kommt oft vor
kommt manchmal vor
kommt selten vor
5
21
24
8
(8,33 %)
(35,00 %)
(40,00 %)
(13,33 %)
20
24
13
2
(33,33 %)
(40,00 %)
(21,67 %)
(3,33 %)
1
10
26
20
(1,67 %)
(16,67 %)
(43,33 %)
(33,33 %)
Vgl. zur Balanced Scorecard Abschnitt „10.4 Balanced Scorecard als Steuerungsinstrument?“.
24
Jan Lies/Simon Schoop
kommt sehr oft vor
kommt oft vor
kommt manchmal vor
kommt selten vor
am Wagen.
Externe Kommunikations/Unternehmensberater haben im Change mehr Gestaltungsmöglichkeiten als die Abteilung Unternehmenskommunikation des Kunden.
15
25
12
5
(25,00 %)
(41,67 %)
(20,00 %)
(8,33 %)
Abbildung 12: Einbindung von Unternehmenskommunikation im Change-Management Quelle: Studie 2, n = 60; absolute Antworten (in Prozent)
Insgesamt zeichnet sich hier, trotz der bekannten Feststellung, dass Kommunikation eigentlich Führung ist, eine Positionierungsschwäche der Kommunikation im ChangeManagement ab (vgl. Klöfer, 2003: 21ff.). Oder anders formuliert: ChangeManagement beinhaltet mit Blick auf die Differenzierung der Begriffe „Führung“ und „Management“ traditionell gar keine weichen Faktoren, denn Management wird zum Teil mit der Betonung auf die Analytik, Planung und Rahmengebung von der Führung abgegrenzt, die eher das Beziehungs- und damit verbundene Rollenverständnis betont (vgl. Cloke/Goldsmith, 2007: 40). 2.7
Fazit: Change Communications noch kein Erfolgsfaktor
Die Studienergebnisse ermöglichen eine positive und eine negative Interpretation bezüglich der Rolle von Change Communications: Positiv formuliert verfügen Kommunikationsabteilungen offenbar über einen großen Gestaltungsspielraum, um etwaige Erfolgsbeiträge zu generieren. Negativ formuliert würde ein Aufsichtsrat die betreffende Organisation aufgrund der schwachen internen Mandatierung bestimmter Abteilungen wohl als hoch pathologisch bezeichnen, wäre etwa ein Controlling- oder Vertriebsleiter mit so einer Bilanz im Unternehmen unterwegs. Die Positionierung der PR-Abteilungen als gleichrangig anerkannte Managementdisziplin ist also bis heute nicht als Standard zuwerten. Für das Change-Management gilt deshalb, dass die Delegation interner Kommunikation mit dem Ziel der Motivation durch Identifikation und Vertrauen in Phasen tiefgreifender Veränderungen scheitern wird. Denn vor allem das Topmanagement produziert mit der Planung des ChangeProzesses die für die Führungskräfte relevanten Informationen. In Phasen tiefgreifender Veränderungen gehen gelernte interne Routinen wie Informationskaskaden durch Struktur- und Prozessveränderungen verloren, während zugleich das Interesse und der Informationsbedarf steigen. Des Weiteren verändert sich das Ziel interner Kommuni-
2. Mine: Entkopplung von Change-Management und Change Communications?
25
kation als Teil von Change Communications; die klassischen, informativen Kommunikationsziele werden in Change-Prozessen um edukative und emotionale Ziele ergänzt, die letztlich die Unterstützung steigern bzw. Widerstände senken können. Das Handeln im Rahmen von Change Communications nimmt Einfluss auf Soll-Verhaltensweisen und gehört damit zum verhaltenswissenschaftlichen Management.32 Handlungsfeld
Aufgaben
Antizipation:
Kommunikationsabteilung weiterentwickeln und positionieren, sodass sie Change-Programmatiken auf Relevanz weicher Faktoren überprüfen und ggf. anpassen kann
Reintegration von Kommunikation und Führung
Information/Kommunikation: Kommunikationskaskaden
Inhalte und persönliche Kommunikation von Change Communications vom Management selbst gestalten lassen vor allem kritische Themen von ChangeTeilprojekten als durchgängigen Informationsprozess von innen nach außen anlegen und an Hierarchien als Führungskaskaden ausrichten
Information/Kommunikation: Pressearbeit
Pressearbeit möglichst nach der persönlichen internen Kommunikation
Abbildung 13: Aufgaben zur Kopplung von Change-Management und Change Communications Quelle: eigene Darstellung
32
Vgl. zum Thema „verhaltenswissenschaftliches Management“ Abschnitt „20. Mine: Kommunikations- ohne Verhaltensmanagement“.
3. Mine: Change-Programmatik ohne Change-Dramaturgie
27
Handlungen im Rahmen von Change Communications nehmen Einfluss auf den Change-Prozess.
3. Mine: Change-Programmatik ohne ChangeDramaturgie Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe Die Dominanz harter Faktoren in Transformationsprozessen kommt in der Praxis unter anderem darin zum Ausdruck, dass die Change-Programmatik ohne Berücksichtigung von Change Communications definiert wird. Die Change Programmatik kennzeichnet die inhaltliche, instrumentelle und zeitliche Vorgehensweise eines Veränderungsprozesses nach bis dato vor allem rationalen Gesichtspunkten und ergibt sich aus der Change-Strategie. Die mit der Strategie fixierten Ziele, wie die zu erlangende Kosten- oder Innovationsführerschaft, um nur zwei Beispiele stellvertretend zu nennen, geben den Rahmen für die Change Programmatik vor. Sie ist zu einem Teil rational-logisch unveränderbar bestimmt: Wenn beispielsweise durch die Zielorganisation Kostensenkungen erreicht werden sollen und als Hauptkostentreiber zu komplexe Produktionsprozesse aufgedeckt wurden, dann müssen diese Prozesse vereinfacht werden. Damit ist die Programmatik jedoch nur ein Stück weit definiert. Denn das Management hat mit dem Change-Modus Freiheitsgrade, den Weg zur Zielorganisation zu bestimmen. Der Change-Modus setzt sich aus der Change-Dramaturgie und der Change-Didaktik zusammen, die hier vorgestellt werden sollen. Sie betreffen insbesondere das Management weicher Faktoren. Der Change-Modus fasst die Möglichkeiten, „harte Strategien“ durch „weiche Anforderungen“ zu erweitern, zusammen. Maßstab für Modifikationen ist die (angenommene) Kraft weicher Faktoren, die die Change-Ziele beeinflussen kann – positiv und negativ.
3.1
Ein Beispiel Ausgangspunkt: Im Frühjahr 2010 entschied sich ein Telekommunikationskonzern zur strategischen Integration von Leistungsbereichen, um einheitliche Kommunikationslösungen in einem sich schnell entwickelnden Markt anbieten zu können. Dabei wuchsen Telefon, Internet und mobile Dienstleistungen zusammen: als Angebote für die Kunden, aber auch die dafür nötigen Leistungsprozesse. So trug die Integration der Leistungsbereiche zu dem Ziel bei, Technik- und IT-Ressourcen künftig effizienter und damit vor allem kostengünstiger einsetzen zu können. Diese organisatorische Entscheidung hatte zum Teil weitreichende Auswirkungen auf Prozesse, Systeme und nicht zuletzt auf die Arbeit der Mitarbeiter, die in den neuen Strukturen ihre Leistungen erbringen sollen.
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
28
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Im hier beschriebenen Fall mussten mehrere Tausend Mitarbeiter in nur acht Wochen geschult und in die neuen Prozesse eingeführt werden. Für etwaige dramaturgische Elemente einer Change-Programmatik war daher kaum Zeit. Die Mitarbeiter waren zudem an mehreren, auch internationalen Standorten tätig, was eine dramaturgische Prozessaufwertung zusätzlich erschwerte. Die Einführung angepasster Prozesse und IT-Systeme erforderte einen effizienten Wissenstransfer, der neben dem Alltagsgeschäft erfolgen musste.
Lösungsansatz: Aufgrund der Kürze der vorgegebenen Zeit und der Vielzahl von Mitarbeitern, die an die technischen Neuerungen heranzuführen waren, wurde in diesem Fall darauf gesetzt, mit einer umfassenden flankierenden Einführungskampagne vor allem das Können der Mitarbeiter zu fördern. Die ChangeProgrammatik wurde also frühzeitig durch einen didaktischen Change-Modus unterstützt. Um die betroffenen Mitarbeiter und ihre Führungskräfte in den Change sinnvoll und effizient einzubinden, wurde eine umfassende Informations-, Trainings- und Kommunikationskampagne entwickelt. Sie wurde sowohl von Präsenz- als auch von Online-Trainings, sogenannten „Webinaren“, begleitet.
Erfahrungen: Kulturelle Hürde und gleichzeitig Erfolgschance war im Rahmen dieses Change-Projekts, neuen Lösungen und Prozessen den Weg in einer Kultur zu bereiten, die von Telekommunikationsexperten geprägt war. Einerseits war zwar viel Vorwissen vorhanden, aber andererseits prägte Skepsis das Handlungsumfeld. Daher war es wichtig, die individuellen Aufgaben der Mitarbeiter zu berücksichtigen, damit ausschließlich notwendige Informationen vermittelt werden und kein Mitarbeiter sich mit für ihn irrelevanten Inhalten befassen musste. Die Kommunikation wurde durch ein System aus webbasiertem Training, Glossar und FAQ (frequently asked questions – häufige Fragen mit Antworten) unterstützt – die Möglichkeit zur direkten Kommunikation und zum Feedback ermöglichte ein Portal. Ein weiteres Element dieser „Enabling-Kampagne“ war ein intranetgestütztes, umfassendes Nutzerhandbuch.
Fazit: Entscheidend für die erfolgreiche Begleitung und Vermittlung des Changes war das zielgruppenspezifische Konzept und die Nutzung unterschiedlicher Informations- und Trainingsbausteine. Dies waren die zentralen didaktischen Elemente, die die Dramaturgie dieses zeitlich eng begrenzten Change-Prozesses prägten. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den technischen Neuerungen und die Erfahrungen mit ihrer Anwendung dämmten die Skepsis ein und gaben Raum für Veränderungen.
3. Mine: Change-Programmatik ohne Change-Dramaturgie
3.2
29
Change-Modus, Change-Dramaturgie, Change-Didaktik
In einer von harten Fakten dominierten Change-Strategie folgt die ChangeProgrammatik des geplanten Transformationsprozesses der Logik der Rationalität. Die Anforderungen, die sich auf Basis weicher Faktoren ergeben, werden ausgeblendet. Das heißt von der analytischen Betriebswirtschaft wird die Annahme übernommen, dass alle Beteiligten an einer gemeinsamen Zielhierarchie arbeiten. Hierbei handelt es sich aber oft um eine falsche Annahme,33 sodass das Planungsfeld des Managements um die weichen Faktoren zu erweitern ist. Es geht nicht nur um das rationale Sollen, sondern darüber hinaus um das situative Ermöglichen („Enabling“), das persönliche Können und das klimatische Wollen (Rosenstiel, 2000: 57). Dieser Zusammenhang wird in der nachfolgenden Abbildung dargestellt.
Abbildung 14: Durchsetzungsrelevante Dimensionen im Change-Management Quelle: Rosenstil (2000: 57)
33
Vgl. zum Thema „Eigeninteressen“ Abschnitt „12.3 Hidden Agendas als Managementrealität“.
30
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Man könnte diese vier verhaltensprägenden und damit durchsetzungsrelevanten Dimensionen des Change-Managements mit Peter M. Senge zur so genannten „fünften Disziplin“ als zentrale (vgl. Senge, 2006: 171ff.), systemprägende Kategorie zusammenfassen, die Change-Management zu anlassbezogenem Kommunikations- und Verhaltensmanagement macht. Die vier verhaltensbestimmenden Dimensionen führen dazu, dass die Change-Programmatik in besonderer Weise einen Change-Modus, also eine zu bestimmende Vorgehenscharaktersistik erfordert, die von zwei Komponenten geprägt wird: 1) Der Change-Dramaturgie, die mit Aspekten wie dem Timing oder der Mikropolitik ein Ausdruck des vernetzten Steuerns von rationalen und emotionalen Aspekten ist, um das Wollen zu unterstützen, und 2) der Change-Didaktik. Sie überträgt die konzeptionelle Vorgehensweise des Lehrens und Lernens auf das Change-Management. Zunächst wird im Folgenden der Begriff der Change-Dramaturgie genauer vorgestellt.
Abbildung 15: Architektur des Change-Managements Quelle: eigene Darstellung
3.3
Change-Dramaturgie als innere Struktur des Changes
Die Dramaturgie bezeichnet die innere Struktur des Dramas. Das Drama ist hier nicht, wie üblich, als Bild eines katastrophenartigen Verlaufs eines Projekts zu verstehen – was Insider von Change-Prozessen vielleicht nicht ganz zu Unrecht annehmen würden. Vielmehr ist hier die ursprüngliche Bedeutung – „Drama“ (griechisch) für Handlung – gemeint, in der die Dramaturgie auf der Bühne den Aufbau eines Spannungsbogens bezeichnet. Auf den Change übertragen und aus Sicht von Change Communications interpretiert, handelt es sich bei der Change-Dramaturgie, wie im Theater, um den Handlungsaufbau,
3. Mine: Change-Programmatik ohne Change-Dramaturgie
31
die Erzählstruktur und das Bühnenbild. Die Erzählstruktur führt zur Story.34 Die Dramaturgie formt die Inszenierung, womit im Theater die Vorbereitung, Gestaltung und Umsetzung einer Handlung gemeint ist. Die Inszenierung wiederum ist die Umsetzung des Drehbuchs als bewusste Gestaltung von Begegnungsszenen, Szenarien und Handlungsabläufen (vgl. Lies, 2008: 200; Zowislo/Schwab, 2003: 15 ff.). Die Inszenierung des Changes setzt also die Dramaturgie um, beispielsweise mit den identifizierten Meilensteinen, die den Change-Prozess prägen sollen und im nächsten Abschnitt erläutert werden. Das Drama führt zu der (neu-)geordneten Verbindung von Schritten der ChangeProgrammatik nach rationalen Aspekten und kritischer Wahrnehmung Dritter, wie Mitarbeiter- und Führungskräftegruppen. Der Veränderungsprozess wird mit der Change-Dramaturgie inszeniert und auch von ihr beeinflusst, um die vier Dimensionen Sollen, Ermöglichen, Wollen und Können im Rahmen der Möglichkeiten der Change-Strategie zu berücksichtigen. Anders als der Film im Kino oder die Aufführung im Theater richtet sich die Change-Dramaturgie nicht zuerst an die Zuschauer, sondern orientiert sich zuerst an den logisch zwingenden Schritten zur Erreichung der Zielstruktur. Als Grundstruktur dient die rationale Zielvorplanung, die antizipativ um relevante Stakeholder-Ansprüche korrigiert wird. „Zuerst“ bedeutet auch, dass meist verschiedene Schritte existieren, die sich in ihrer Abfolge und Dimensionierung gestalten lassen. Diese zu identifizieren und dramaturgisch zu managen, ist die Aufgabe von Change Communications, woraus sich dann die Meilensteine eines Transformationsprozesses ergeben. Meilensteine sind nur die Teile der Change-Programmatik mit (vermuteter) herausragender Wahrnehmungsrelevanz. Sie bilden die Glieder der Prozesskette, entlang derer die Kommunikation erfolgt. Meilensteine sind Ereignisse, die für die Orientierung herausragend sind und die Change-Dramaturgie mitbestimmen. Was ein Meilenstein ist, lässt sich vor allem anhand von Plausibilitätsüberlegungen darüber feststellen, ob und inwieweit die betrachteten Faktoren die Systemdynamik positiv oder negativ beeinflussen können. Hier sind zum Beispiel zentrale Verhandlungsergebnisse mit dem Betriebsrat zu nennen, wie erfolgreiche (Teil-)Interessenausgleiche im Vorfeld der Aufstellung von Sozialplänen. Auch der „point of no return“, also der Punkt, an dem der tiefgreifende Veränderungsprozess nicht mehr abzubrechen ist, weil zu viel in vorbereitende Arbeiten investiert wurde oder Teilprojekte bereits umgesetzt wurden, kann ein Meilenstein sein. Ein wichtiger Punkt der Dramaturgie in der Startphase ist der Zeitpunkt, an dem die Management-Agenda zum Einsatz kommt. Er markiert die Phase, ab der die Story des Changes umgesetzt wird.35 Da hierzu auch die Frage gehört, wie die Führungskräfte adäquat in die Entwicklung der Agenda eingebunden werden können, zeigt sich die gegenseitige Abhängigkeit von Change-Dramaturgie und Change-Didaktik. Die Change-Dramaturgie ist damit auch Teil des Führungsstils, indem hier partizipative Aspekte mit Blick auf „Wollen“ und „Können“ enthalten sind. Die Konzeption einer Change-Dramaturgie hat währenddessen zwei zentrale Aufgaben:
34 35
Vgl. zum Thema „Story“ Abschnitt „6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding“. Vgl. zur Management-Agenda Abschnitt „5. Mine: Keine Management-Agenda“.
32
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Erwartungsmanagement: Die Change-Dramaturgie übernimmt eine zentrale Aufgabe des Erwartungsmanagements, indem die Change-Programmatik inszeniert wird. Meilensteine des Veränderungsprozesses werden in der Vorausschau herausgearbeitet, um so einen Orientierungsbeitrag zu leisten. Dies klingt zwar banal, ist aber eine zentrale Herausforderung, da das Konfliktpotenzial der geplanten Change-Programmatik vorgedacht werden muss. Dies setzt ex ante Klarheit über zentrale Schritte des Veränderungsprozesses voraus. Bekannte Change-Ansätze wie der Merger of Equals zeigen zudem, wie konstruktivistische Kommunikation die gesamte Dramaturgie dysfunktional prägen kann.36
Glättung von Change-Reaktionsphasen: Die Dramaturgie ist zudem als ein Werkzeug dafür zu verstehen, die Auslöser für die weichen Faktoren zu identifizieren, die mit dem Voranschreiten des Changes freigesetzt werden.
3.4
Strategische Projektauswahl und Dramaturgie
Vor dem Hintergrund der Change-Dramaturgie bekommt die strategische Projektauswahl eine eigene Bedeutung. Im Folgenden werden fünf Projekttypen nach Projektnutzen und Umsetzungsdauer unterschieden, um ihren dramaturgischen Charakter und Einfluss auf die Systemdynamik näher zu beleuchten. Entsprechend sind sie als Meilensteine der Change-Dramaturgie zu berücksichtigen. Die so bestimmte strategische Projektauswahl beeinflusst den Scope des Change-Prozesses.37 Sie wird nach der folgenden Grafik erläutert:
Abbildung 16: Projektportfolio zur Prägung der Change-Dramaturgie Quelle: in Anlehnung an Lauer (2010: 168)
36
Vgl. zur konstruktivistischen Kommunikation Abschnitt „19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement“. 37 Vgl. zum Thema „Scope“ Abschnitt „4. Mine: Zielorganisation ohne Scope-Management“.
3. Mine: Change-Programmatik ohne Change-Dramaturgie
33
„Strategic Wins“: Diese Teilprojekte entscheiden langfristig über den Erfolg des Change-Prozesses mit, da sie eine erfolgskritische Rolle zur Erreichung der Zielorganisation spielen. Dies können erfolgreiche technisch-logistische Zusammenlegungen von Produktionsstandorten sein oder auch die Integration und Bereinigung der Produktpaletten zweier fusionierender Unternehmen. „Strategic Wins“ sind aus Sicht der Projektorganisation möglichst frühzeitig zu realisieren, um 1) den Fortschritt des Changes und 2) die Vorteilhaftigkeit der Zielstruktur erlebbar zu machen.
„Quick Wins“: Der Nachteil von „Strategic Wins“ besteht darin, dass sie eher langfristig angelegt sind, sie also für ihre Erreichung oft einen großen Teil der Transformationsphase beanspruchen. Damit ist ihr positives Wahrnehmungs- und Kommunikationspotenzial wenig nutzbar. Wenn möglich sind sie deshalb als Teilprojekte anzulegen – beispielsweise als Pilotprojekt an ausgewählten Standorten, die stellvertretend für die gesamte Zielorganisation stehen. So können „Strategic Wins“ in „Quick Wins“ umgewandelt werden.
„Potential Quick Wins“: Viele (Teil-)Projekte eines Changes sind in Bezug auf ihre Wahrnehmung und damit für die Change-Dramaturgie unattraktiv – sie sind rational notwendig, aber wenig aufmerksamkeitsintensiv. Somit bilden sie keine echten Meilensteine und sind aus Sicht des Change-Managements aufgrund ihrer Vielzahl bedeutend. Dazu gehören beispielsweise neue Produktideen, die zeitlich während eines Fusionsprozesses entstanden sind, aber faktisch nicht durch die neue Zusammenarbeit der zu fusionierenden Unternehmen begründet werden können. Um konstruktivistische Kommunikation zu vermeiden,38 die der Gesamtglaubwürdigkeit schadet, sind sie kommunikativ sensibel daraufhin zu bewerten, ob sie in der Dramaturgie überhaupt eine Rolle spielen sollten.
„No Wins“: Diese Projekte beanspruchen viel Zeit, versprechen aus Sicht der Change-Dramaturgie aber keinen Nutzen. Hierzu gehören beispielsweise langwierige IT-Projekte wie das technische Schnittstellenmanagement zur Umsetzung von Datenmigrations-Anforderungen, das erforderlich ist, wenn das Kundendatenmanagement zweier fusionierender Unternehmen harmonisiert werden soll. Solche Arbeiten beanspruchen vor allem in großen Organisationen viel Zeit und belasten ggf. auch andere Bereiche wie beispielsweise den Vertrieb durch eingeschränkte Datennutz- oder Supportverfügbarkeit in dieser Phase. Sie können also wichtige andere Projekte durch Kapazitätsengpässe in der IT beeinträchtigen. Wenn möglich, sollten auch hier Teilprojekte angestrebt werden, wie beispielsweise die Bearbeitung einer Modellvertriebsregion, sodass ein Leuchtturmprojekt entstehen und das Teilprojekt von einem „No Win“ in einen „Strategic Win“ umgewandelt werden kann. Schließlich gehört die gemeinsame Kundenbearbeitung mit einem durchgängigen Datenmanagement zu den erfolgskritischen Aspekten der Zielorganisation.
38
Vgl. zur konstruktivistischen Kommunikation Abschnitt „19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement“.
34
3.5
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
„Anti Wins“: Dies sind solche Projekte, die ungeliebt sind und sich nicht „positiv verkaufen“ lassen, aber im besten Fall zumindest keinen Widerstand hervorrufen. Mit ihnen ist aktiv und offen umzugehen, da sich negative Resonanz zu kritischen Themen nicht mit einer Geheimhaltungs- oder Ergebniskultur vermeiden lässt.39 Dieser offene Umgang erfordert im Change-Management ein starkes Rückgrat des Topmanagements. Solche Projekte sind, wenn möglich, im ersten Drittel der Transformationsphase zu konzentrieren, um ihre potenziell negative Multiplikatorkraft früh freizusetzen. Dies hat auch den Vorteil, mit dem Beginn der Überführung der Change-Projektorganisation in die Linienorganisation möglichst „positiv aussteigen“ zu können. Der Nachtteil besteht darin, dass die hierdurch ausgelöste negative Systemdynamik die Startphase des Change-Projekts belastet. Um diese zu mildern, ist denkbar, Anti Wins als Teil der Projektmarkenarchitektur und Teil der Change-Dramaturgie zu einem geeigneten Zeitpunkt als Marke bewusst zu demontieren.40 Damit spielt das Timing eine wichtige Rolle in der Change-Dramaturgie.41 Change-Didaktik: das Können fördern
Während die Change-Dramaturgie der Integration von Rationalität und Emotionalität und damit vor allem der Dimension des Wollens dient, zielt die Change-Didaktik auf die Dimension des Könnens ab. Die Change-Didaktik ist die konzeptionelle Vorgehensweise des Lehrens und Lernens – in Anlehnung an den griechischen Begriff der Lehrkunst – zu der im Change-Management vor allem die inhaltliche Ebene und die Inszenierung als Vermittlungsstrategie zählen. Die Change-Didaktik umfasst nicht nur Fortbildungs- und Qualifizierungsprogramme, für deren Beschreibung und Konzeptionierung auf die personalwirtschaftliche Literatur verwiesen wird. Die Change-Didaktik zielt vor allem auf jenen Teil der Herangehensweise ab, der die Beteiligten durch das stetige Verhalten von Führungskräften in ihrem „Können“ und damit im „Wollen“ unterstützt. Die Change-Didaktik umfasst also die echte Einbindung von Führungskräften und Mitarbeitern.42 Diese wird unterstützt durch die prozessorientierte Kommunikation, die die Bedeutung der Meilensteine vermittelt. Change-Didaktik und Change-Dramaturgie sind damit zwei sich gegenseitig ergänzende Aspekte des Change-Modus, der die Charakteristik des Veränderungsprozesses prägt. Die Change-Didaktik trägt zum Erwartungsmanagement bei und macht den „Sense of Urgency“ stets von Neuem bewusst.43 Maßgeblich für die Change-Didaktik ist darüber hinaus der oben erwähnte Scope. Er bestimmt die Komplexität, prägt damit die
39
Vgl. zur Geheimhaltungs- und Ergebniskultur Abschnitt „18. Mine: Geheimhaltungskultur und Ergebniskommunikation“. 40 Vgl. zur dramaturgischen Demontage von Teilprojektmarken Abschnitt „6.5 Ankerpunkte von ProjektBranding im Change“. 41 Vgl. zum Thema „Timing“ Abschnitt „17. Mine: Mangelndes Timing“. 42 Vgl. zum Thema „Einbindung“ Abschnitt „9. Mine: Unechte Mitarbeiter-Partizipation“. 43 Vgl. zum Thema „Sense of Urgency“ Abschnitt „7. Mine: Mangelnder Sense of Urgency“.
3. Mine: Change-Programmatik ohne Change-Dramaturgie
35
oben erläuterte Change-Dramaturgie und definiert so maßgeblich die verhaltensbestimmenden Dimensionen von „Sollen“, „Wollen“, „Können“ und „Ermöglichen“. Beispielmaßnahmen der Change-Didaktik Die Liste von Maßnahmen der Change-Didaktik ist fast beliebig verlängerbar, weshalb hier nur einige Beispiele genannt werden können. Wichtig ist, dass solche Lehr- und Lernmaßnahmen systematisch erfolgen und nicht punktuellen Aktionismus widerspiegeln:
Rollenverteilung: Rollen beschreiben Erwartungen bezüglich der Verhaltensund Sichtweisen, die die Mitglieder einer Organisation an einen bestimmten Funktionsträger stellen. Der Geschäftsführer/Vorstandssprecher kann zum Beispiel die Rolle des Visionärs einnehmen. Rollen sind Teil des Erwartungsmanagements und übernehmen damit eine Orientierungs- und Stabilisierungsfunktion für die Systemdynamik (vgl. Berger et al., 2008: 73 f.).44
„Sense of Urgency“: Zudem gilt es für alle Mitglieder der Organisation, die Notwendigkeit der Veränderung stets vor Augen zu haben. Daher ist die ChangeDramaturgie mit dem „Sense of Urgency“ auch ein Teil der Change-Didaktik.
Zielbild vorwegnehmen: Es bietet sich an, die Vorteilhaftigkeit der Zielorganisation kampagnenartig in die Organisation hineinzutragen. So können mithilfe von Broschüren, Intranet, Plakaten und Filmsequenzen ausgewählte Themen aus der Perspektive der Zielorganisation dargestellt werden. Dies ist durchaus möglich, indem mit Modellen, erfolgreichen Leuchtturmprojekten und/oder gespielten Szenen gearbeitet wird, die die geplanten, neuen Arbeitsweisen, Standortstrukturen, Produkte oder andere zentrale Aspekte der Zielstruktur darstellen.
Management-Agenda: Die Management-Agenda ist das Basiselement der ChangeDidaktik. Es gilt, die Change-Strategie zu Beginn des Changes in eine gemeinsame Agenda für das Führungsteam zu übersetzen.
Story: Die Story als angewendetes Wissensmanagement ist ebenso Teil der Change-Didaktik.45
44
Vgl. zum Thema „Erwartungsmanagement“ Abschnitt „19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement“. 45 Vgl. zum Thema „Wissensmanagement“ Abschnitt „6.2. Story: Die zwei Arbeitsebenen“.
36
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Leuchtturmprojekte: Mit „Leuchttürmen“ lassen sich Referenzmaßstäbe im Rahmen des Change-Projektes entwickeln. Im kleinen Rahmen werden (positive) Erfahrungen gesammelt, von denen alle Beteiligten lernen und durch die sie Motivation aufbauen können. Ähnlich verhält es sich mit „Quick Wins“, die als Leuchtturmprojekte Verwendung finden können.46
Partizipation: Durch Einbindung bekommen Führungskräfte und Mitarbeiter die Möglichkeit, ihre Vorstellungen in Bezug auf die Change-Programmatik einzubringen. Dies beinhaltet sowohl Wissensanwendung als auch Wissensaufbau.
Patenschaften: Zur Change-Didaktik gehört auch, Patenschaften zwischen Standorten/Abteilungen/Teams/Experten mit und solchen ohne Erfahrungen zu etablieren. Wenn beispielsweise ein Unternehmen mit einer Regionalstruktur verändert wird, könnten Patenschaften zwischen Teams, die bewusst zeitlich zuerst in die Zielorganisation überführt wurden, sich um Teams kümmern, denen der Wandlungsprozess noch bevorsteht. Hier greifen Change-Dramaturgie und Change-Didaktik ineinander.
3.6
Die Anwendung der Change-Dramaturgie in der Praxis
Nachdem der Change-Modus mit der Change-Dramaturgie und -Didaktik vorgestellt wurden, stellt sich die Frage, inwieweit diese Module der Change-Architektur in der heutigen Change-Management-Praxis eine Rolle spielen? Im Rahmen der Befragung der PR-Agenturen zum Thema Change Communications wurde danach gefragt, wie erfolgskritisch die Change-Dramaturgie für tiefgreifende Veränderungsprozesse ist. Der Aussage, dass sie nicht erfolgskritisch ist, stimmen fast alle Befragten weniger oder gar nicht zu (rund 90 Prozent). Die Ansichten zur Frage, inwieweit die Unternehmenskommunikation bzw. PR-Agentur die Möglichkeit hat, nötige Veränderungen am Change-Management-Prozess umzusetzen, um die Change-Dramaturgie überhaupt beeinflussen zu können, gehen hingegen auseinander. Mehr als 58 Prozent stimmen der Ansicht (sehr) zu, dass Unternehmenskommunikation/PR-Agenturen oft gar nicht die Möglichkeit haben, für eine Change-Dramaturgie die hierfür nötigen Veränderungen am Change-Management-Prozess umzusetzen. Fast 40 Prozent stimmen ihr weniger oder gar nicht zu. Die Ergebnisse der Befragung werden in folgender Tabelle dargestellt:
46
Vgl. zum Thema „Leuchttürme“ auch Abschnitt „4.3 Der Scope als harter und weicher Faktor“.
3. Mine: Change-Programmatik ohne Change-Dramaturgie
37
Die sogenannte Change-Dramaturgie aufzubauen, wird zum Teil als eine wichtige Anforderung von Change Communications gekennzeichnet. – Frage: Wie schätzen Sie Erfolgspotenzial und Gestaltungsmöglichkeiten der Unternehmenskommunikation/einer PR-Agentur hierzu ein?
stimme sehr zu
stimme zu
stimme weniger zu
stimme gar nicht zu
Die Change-Dramaturgie ist für den Erfolg eines Changes nicht erfolgskritisch.
0 (0,00 %)
4 (6,67 %)
25 (41,67 %)
30 (50,00 %)
Eine Change-Dramaturgie ist wichtig und wird häufig von der Unternehmenskommunikation etabliert.
3 (5,00 %)
33 (55,00 %)
18 (30,00 %)
3 (5,00 %)
Die Change-Dramaturgie wäre wichtig, aber die Unternehmenskommunikation/PRAgentur hat oft gar nicht die Möglichkeit, hierfür nötige Veränderungen am ChangeManagement-Prozess umzusetzen.
8 (13,33 %)
27 (45,00 %)
20 (33,33 %)
3 (5,00 %)
Abbildung 17: Die Rolle der Change-Dramaturgie im Change-Management Quelle: Studie 2, n = 60; absolute Antworten (in Prozent)
3.7
Fazit: Rolle und Bedeutung der Change-Dramaturgie
Mit der Change-Dramaturgie werden durch Change Communications Empfehlungen für die Planung von Change-Strategie und -Programmatik im Hinblick darauf ausgesprochen, wie sie mit der Einflussnahme weicher Faktoren arrangiert werden sollten. Meilensteine kennzeichnen orientierungsrelevante Wegmarken und damit systemrelevante (De-)Stabilisierungsimpulse, die den Weg der Change-Programmatik zum Ziel markieren. Die Definition von Meilensteinen ist abhängig von der jeweiligen ChangeProgrammatik. Letztlich hängt die exakte Definition von der internen und ggf. externen Bedeutung der Stakeholder des Changes ab.47 Da das Change-Management nach dem Start selbst zahlreichen Veränderungen unterworfen ist, muss die Change-Dramaturgie stetig aktiv bleiben, um etwaige neue Beeinflussungen weicher Faktoren zu vermeiden. Die ChangeStrategie wird im Kern jedoch nicht oder nur im Ausnahmefall systemlähmender Konflikte angetastet.48 Vielmehr wird ihre Programmatik systemstabilisierend angepasst, wie folgende Abbildung verdeutlicht.
47 48
Vgl. zum Thema „Gruppenbildung im Change“ Abschnitt „11.3 Change als Stakeholder-Management“. Vgl. zum Thema „Konflikte im Change-Management“ Abschnitt „16.4 Change: konzentriertes Konfliktmanagement“.
38
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Abbildung 18: Die Abhängigkeiten des Change-Prozesses Quellen: in Anlehnung an Bülow (2005: 174); Lies (2008c: 154); Schick (2007: 108)
Handlungsfeld
Aufgaben
Antizipation: Projektclusterung der Change-Strategie
geplante Maßnahmen auf Basis von Rational Choice und Teilprojekte auf „Win“-Potenziale überprüfen vorläufige Change-Programmatik mithilfe von Change-Dramaturgie inhalts- und ablaufbezogen ggf. grundlegend überprüfen
Didaktik: Vermittlung der Change-Strategie
flankierende Strategie der Change-Didaktik (Rollenverteilung, Meilensteine etc.) entwickeln
Abbildung 19: Aufgaben zur antizipativen Anpassung der Change-Programmatik Quelle: eigene Darstellung
Mine: Zielorganisation ohne Scope-Management
39
Der Einfluss auf Bandbreite und Tiefe der Change-Programmatik als Change-Erfolgsfaktor.
4. Mine: Zielorganisation ohne ScopeManagement Jan Lies Trifft man in der Praxis auf Change-Projekte, scheinen sie vor allem dem Ziel der Ganzheitlichkeit im Sinne einer möglichst organisationsumspannenden Dimensionierung zu folgen. Es werden beispielsweise Renditevorgaben und/oder Zielorganisationen beschlossen, die die gesamte Organisation oder zumindest große Teile betreffen – unabhängig davon, ob es sich um eine Fusion, eine Übernahme oder um ein kostengetriebenes Restrukturierungsprojekt handelt. Das Scope-Management wird bei dieser Vorgehensweise zentral vernachlässigt. Der Scope bezeichnet den Umfang der für die Zielerreichung nötigen Leistungs-, Struktur-, Prozess- und Kapazitätsveränderungen. Scope-Management befasst sich also mit der Anpassung der Change-Programmatik an die Change-Dramaturgie mittels der Bandbreite geplanter Maßnahmen. Der Scope ist als doppelte Schlüsselgröße für den Erfolg eines Veränderungsprozesses zu werten: Er ist erstens ein harter Faktor, indem er Kapazitäten bindet und die Multikomplexität gegenseitiger Abhängigkeiten bestimmt, indem diese mit der Größe des Scopes überproportional zunehmen. Und zweitens ist er ein weicher Faktor, indem er die Change-Dramaturgie und -Didaktik mitbestimmt.
4.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Zwei international tätige Chemieunternehmen fusionierten. Die Integration der beiden Unternehmen erforderte diverse Nachsteuerungsprojekte. Eines dieser Projekte war die Reorganisation der weltweiten Angebotskette.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Das Kernziel der Reorganisation war, der gesamten Wertschöpfungskette – die dort der Supply-Chain zugeordnet wurde – einen durchgängigen IT-gestützten Managementprozess als Rückgrat zu verleihen. Dieser sollte alle beteiligten Einheiten umfassen – vom (selbstständigen) Handel weltweit bis zu Produktion und Einkauf. Dies war eine mehrfache Herausforderung: 1) Der historisch gewachsene Konzern arbeitete in allen Bereichen der Wertschöpfung der Supply-Chain mit insulären Strukturen, vor allem in Bezug auf die IT. 2) Die gewachsenen Strukturen beeinflussten auch die unterschiedlichen Zuschnitte von Verantwortungsbereichen sowie 3) Rollendefinitionen und Funktionen innerhalb der Supply-Chain. Die Konsequenz dieses geplanten Changes war, dass weltweit einige Tausend Führungskräfte und Mitarbeiter betroffen waren, allerdings mit den unterschiedlichsten Auswirkungen. Es
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_5, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
40
Jan Lies
waren alle typischen Herausforderungen eines Changes zu berücksichtigen – von der aufwendigen Anpassung der IT-Landschaften bis zur Überzeugungsarbeit bei betroffenen Führungskräften.
Lösungsansatz: Die Kernidee sah vor, die Zielstruktur im kleinen Format zu entwickeln und dann sukzessive erst produkt- und dann bereichsweit auszudehnen. Der Scope wurde bewusst klein gehalten, um die Beteiligten nicht zu überfordern. Zudem wurden schrittweise erst die Steuerungsgremien, dann SupplyChain-Experten und dann die künftigen Nutzer an Bord genommen, sodass als Zielgruppe die Supply-Chain-Experten zeitlich vor der „internen Öffentlichkeit“ – Abteilungen wie Marketing, Verkauf und andere – einbezogen wurden. Auf jeder Ebene fanden Einbindungs- und Informationsprozesse statt, die in der Gesamtschau eine weltweite konzerninterne Kampagne zur Unterstützung der Initiative ergaben.
Erfahrungen: Das Projekt entwickelte zunächst eine Eigendynamik, mit der es sich selbst zu erdrücken drohte. Zu schnell meldeten sich Geschäftsbereiche, um von der Zielstruktur zu profitieren. Der zu schnell verbreiterte Scope erforderte mehr Unterstützung der ersten Führungsebenen als bisher, da der Überzeugungsaufwand stieg. Diese Unterstützung wurde aber nicht geleistet. Einige der Verantwortlichen durchschauten die Tragweite der Reorganisation nicht, während andere fürchteten, eigene Zuständigkeiten zu verlieren. Die zuständigen Projektsponsoren auf den oberen Führungsebenen nahmen ihre Unterstützerrolle nicht (mehr) wahr.49
Fazit: Das Projekt zeigt einerseits, dass Führungskräftekommunikation erfolgreich sein kann: Die zunächst zuständigen Gremien bewilligten auch größere Etats zur Reorganisation des Supply-Chain-Managements. Andererseits litt das Projekt zunehmend unter einem zu schwach ausgeprägten TopmanagementMandat. Nach einem vielversprechenden Start wurde das Projekt von Führungskräften der mittleren Ebene gebremst, die die erhaltenen Umsetzungsaufträge informell blockierten. Rational richtige konzeptionelle Schritte wurden also zum Teil mit mikropolitischen Taktiken bekämpft.50 Mangelndes Commitment auf den ersten Führungsebenen führte dazu,51 dass die Initiatoren und Treiber des Projekts nach und nach den Konzern verließen.
49
Vgl. zum Begriff „Sponsor“ Abschnitt „8.5 Kommunikationskaskade als Führungskräftebestätigung“. Vgl. zum Thema „Mikropolitik“ Abschnitt „12. Mine: Ausblendung von Mikropolitik“. 51 Vgl. zum Thema „Commitment“ Abschnitt „11. Mine: Mangelndes Change-Commitment“. 50
4. Mine: Zielorganisation ohne Scope-Management
4.2
41
Der Scope als Komplexitäts- und Kapazitätsmanagement
Economies of Scope werden in der Ökonomie vor allem als Kostensynergien durch Verbundeffekte diskutiert. Mit dieser Definition steht der Scope im konzeptionellen Mittelpunkt vieler tiefgreifender Veränderungen wie Fusionen und Übernahmen. In diesem Buch wird die verhaltens- und systemrelevante Bedeutung des Scopes betont. Der Scope – also die Anzahl und damit die gegenseitige Abhängigkeit von Standorten, Bereichen, Strukturen, Prozessen und betroffenen Menschen – der einen tiefgreifenden Veränderungsprozess bestimmt, beeinflusst nicht nur die zusätzliche Arbeitslast des ChangeProjekts vor und während der Transformationsphase, wodurch er eine zentrale Bestimmungsgröße für das Kapazitätsmanagement ist. Ein wachsender Scope lässt darüber hinaus auch die Komplexität der damit notwendigen Arbeitsschritte exponentiell steigen. In der Tradition der Rational Choice meint Komplexität die zunehmende Zahl von kausalen Abhängigkeiten bei einer zunehmenden Anzahl von Grundelementen, die zueinander in Beziehung stehen. Diese Grundelemente werden im herkömmlichen Management mit den Kennzahlen der Aufbau- und Ablaufstrukturen des Unternehmens beschrieben. Die Kennzahlen erfassen die unterschiedlichen betriebswirtschaftlichen Disziplinen – Kostenrechnung, Investitionsrechnung, Produktionsprogrammplanung etc. Das Ziel ist, die jeweiligen Vorgänge mittels monetärer und liquiditätsorientierter Zahlungsströme in der Buchhaltung, in der betriebswirtschaftlichen Auswertung und letztlich in der Bilanz abzubilden. Dies spiegelt den Versuch wider, eine komplexe Organisation in (mono-) kausale Zusammenhänge zu zerlegen und mithilfe harter Kennzahlen steuerungsfähig zu machen. In diesem Buch wird nun Relational Choice als zusätzlicher Faktor berücksichtigt, d. h. auch nichtmonetäre, gruppendynamische Größen wie Stimmungen und Meinungen werden betrachtet. Dies könnte auf den ersten Blick zu mehr Komplexität führen. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass Relational Choice als zusätzliche Kompetenz und Beeinflussungsgröße des Change-Managements dazu führt, die Komplexität zu senken, indem die Bandbreite des Scopes im Vorgriff auf StakeholderAnsprüche reduziert wird. Beispielsweise könnte dabei der Scope eines Change-Projekts von Beginn an reduziert werden, um von vornherein solche Friktionen zu vermeiden, die durch Überforderungsängste entstehen. Stattdessen können die gleichen Ziele mit schrittweiser Standorteinbeziehung in das Change-Projekt erreicht werden. – Anders formuliert: Der Aufwand, die relationale Kompetenz im Change-Management zusätzlich zu beachten, senkt die Komplexität (vgl. Glazinski, 2007: 43). Scope-Management kann also als Komplexitätssenkungsmanagement verstanden werden. Es ist damit auch ein Teil der Change-Dramaturgie. 4.3
Der Scope als harter und weicher Faktor
Der Scope bindet Aufmerksamkeit und Know-how, die die Linienorganisation im Tagesgeschäft benötigen würde. Damit ist der Scope selbst ein harter Faktor, nämlich ein Kapazitätsengpass, der in Maschinenbelegungs- oder freien Mitarbeiterkapazitäten gemessen werden kann. Er kann zur Vernachlässigung des Kerngeschäfts während des
42
Jan Lies
Change-Prozesses führen. „Die Praxis zeigt, dass Unternehmen in komplexen Veränderungsprozessen zu einem ausgeprägten Autismus neigen. Man ist so mit sich selbst beschäftigt, dass die Markt- und Kundenanforderungen, wenn überhaupt, dann nicht mehr mit der notwendigen Sensibilität erfasst und bedient werden.“ (Helmcke, 2007: 205) Dies kann gravierende Folgen haben, beispielsweise wenn Kapazitätsengpässe in der IT dazu führen, dass für Kunden relevante Supportfunktionen nicht mehr geleistet werden können. Dies im Blick zu behalten und rechtzeitig zu verhindern, ist Aufgabe der Change-Projektsteuerung. Der Scope ist darüber hinaus auch ein weicher Faktor. Wenn er bewusst klein, konzentriert und dramaturgisch konzeptioniert wird, ist er geeignet, Unsicherheit zu reduzieren und schnelle Erfolgserlebnisse im Kleinen zu schaffen, von denen Folgeprojekte profitieren können. Scope-Management heißt dann, die Bandbreite des Changes wo immer möglich dramaturgisch anzulegen,52 um in der Startphase die Systemdynamik mit Erfolgserlebnissen zu beleben. So lassen sich im Idealfall interne Change-Benchmarks aufbauen. Allgemein formuliert, sind Change-Benchmarks bewährte Vorgehensweisen und Erfolgskriterien, von denen andere Teilprojekte lernen können. Dies können erfolgreiche Veränderungen der Aufbau- und Ablauforganisation sein, aber auch bewährte Verhaltensweisen oder Initiativen, die als Maßstab dienen können. Solche ChangeBenchmarks übernehmen die Rolle von Pilotprojekten und werden im Idealfall als Leuchttürme oder „Projektchampions“ positioniert, mit denen alle Beteiligten motiviert werden können. – Ein großer Scope ist dagegen mit der Gefahr verbunden, dass er Widerstand generiert, da er die Betroffenen persönlich verunsichert und Aufgabenträger überfordern kann, wie die folgende Abbildung zeigt.
Abbildung 20: Ursachen von Widerstandsverhalten Quelle: Glazinski (2007: 70)
52
Vgl. zur Dramaturgie Abschnitt „3.3 Change-Dramaturgie als innere Struktur des Changes“.
4. Mine: Zielorganisation ohne Scope-Management
43
Beispiel: Eine große Versicherung plant, ihr Geschäftsmodell zu digitalisieren. Wesentliche Vorgänge – vom Versicherungsantrag bis zur Schadensmeldung und -regulierung – sollen letztlich von durchgängigen digitalen Geschäftsprozessen unterstützt werden. Dies ist nicht nur deshalb eine Herausforderung, weil das Unternehmen historisch gewachsen ist und die Organisationseinheiten über keine gemeinsame Infrastruktur verfügen. Schwierig ist darüber hinaus, den Kunden den Kontakt „aus einer Hand“ anzubieten. Denn das Versicherungsunternehmen ist mit verschiedenen Gesellschaften in verschiedenen Sparten tätig – Kranken-, Lebens-, Unfallversicherungen etc. Kunden mit mehreren Verträgen haben daher auch unterschiedliche Ansprechpartner. Angesichts der Größe des Unternehmens sowie seiner regionalen und historischen Struktur steht dieses Unternehmen einer geradezu undurchdringlichen Komplexität gegenüber. Hier ist ScopeManagement ein wichtiger Ansatz. Um die Zielorganisation zu erreichen, wäre es möglich, zuerst mit einer kleinen Einheit Strategie und Umsetzung der Change-Programmatik zu erproben. Hat sich die neue Zielorganisation „im Kleinen“ in der Praxis bewährt, wird sie dann Schritt für Schritt auf weitere Bereiche ausgedehnt. Auf Basis einer offenen Fehler- und Konfliktkultur werden dann sukzessive andere Standorte und Spartenunternehmen einbezogen.53 Die Erfahrungskurve steigt, und die Nachfolger können von den Pionieren lernen. Etwaige Fehler können im kleinen Kreis gelöst werden, um sie bei der Anwendung in der Gesamtorganisation zu vermeiden. So wird nicht nur Wissens- und Fehlermanagement betrieben, sondern es werden auch Motivationseckpfeiler gesetzt. Diese Erfolge im Kleinen stehen also stellvertretend für die Erwartungen der Gesamtorganisation. Zudem kann der Scope als Teil des Wissensmanagements auch eine Fehlerkultur fördern, indem missglückte Teilprojekte intern bekannt gemacht werden, um von ihnen als „positives Negativbeispiel“ zu lernen. 4.4
Der Scope als Aspekt des Schnittstellenmanagements
In vielen Konzepten und Beiträgen zum Veränderungsmanagement finden sich Hinweise zur „Schnittstellenproblematik“. Die Bedeutung von Schnittstellen für den Erfolg des Changes wird dabei sehr unterschiedlich bewertet. Schnittstellen treten in Change-Konzepten von der Randnotiz bis zur eigentlichen Kernherausforderung des Changes auf. „Der Begriff Schnittstelle stammt aus der Informationstechnik, wo Schnittstellen die Verbindungseinheiten an den Grenzen zwischen zwei Systemen kennzeichnen und sich auf den Informationsaustausch der verbundenen Einheiten beziehen.“ (Hawra-
53
Vgl. zum Thema „Fehler- und Konfliktkultur“ Abschnitt „16. Mine: Ja-Sager statt Fehler- und Konfliktkultur“.
44
Jan Lies
nek, 2003: 44) Im Management der Informationstechnologie geht es vor allem ergebnisorientiert um Austauschanforderungen von Systemen. Prozess- und lösungsorientiert wird darüber hinaus die durchgängige Leistungsfähigkeit zum Teil insulär gewachsener IT-Strukturen angestrebt, die ansonsten zu Ablaufbrüchen und damit Einschränkungen der Leistungsfähigkeit führen könnten. Daraus werden für das Change-Management verschiedenste „Verbindungsphänomene“ abgeleitet, die die Arbeit von Leistungsprozessen prägen und die von formellen und informellen Zielen sowie arbeitsteilig organisierten Prozessen beeinflusst oder bestimmt werden. Neue Schnittstellen betonen oftmals die ergebnisorientierte Ausrichtung eines ChangeProjekts. Abgebildet wird dies in der Organisationsstruktur der Zielplanung: Sie weist zumeist eine verringerte Komplexität durch weniger Leistungsbereiche, vereinfachte Prozesse, weniger Hierarchien und/oder geringere Führungsspannen auf. Damit soll der leistungsbezogene Koordinationsaufwand – und damit die Anzahl von Schnittstellen – gesenkt werden.
funktionaler Aspekt
dysfunktionaler Aspekt
Handlungsbedarf im Change
technischwirtschaftlich prozessualer Aspekt
weniger, neue oder andere Schnittstellen als Verbindungselement von technisch-betriebswirtschaftlichen Arbeitsschritten für eine veränderte Leistungserstellung
inkompatible und/ oder unerprobte Schnittstellen als Komplexitätskomponente, als gegenseitige Abhängigkeiten und damit als Merkmal der Fehleranfälligkeit
Identifikation und Tests neuer Prozesse und ihrer Schnittstellen
kultureller Aspekt
kulturelle Beflügelung durch innovative neue Koordinationspunkte mit anderen Abteilungen oder Teams
Schnittstellen als informelle, handlungsrelevante Impulsgeber formeller Schnittstellen
stete Kulturbeobachtung („Due Diligence“) anhand von Stimmungen
Wissensaspekt
Know-how-Kombination unterschiedlicher Wissensdimensionen zu einem Leistungsnetzwerk
Erfahrungswissen eingespielter Schnittstellen geht verloren; muss neu aufgebaut werden
Training neuer SollArbeitsweisen in der Zielstruktur erforderlich
Beobachtungsaspekt der Systemtheorie
Stakeholder (Kunden, Mitarbeiter) beobachten sichtbare Schnittstellen des relevanten Systems, sie sind also Beobachtungspunkte (Mikroebene).
Verhaltenstraining, um wahrnehmbares Handeln zu prägen
Abbildung 21: Analyseschwerpunkte von Schnittstellen in Veränderungsprozessen Quelle: eigene Abbildung
Aus systemischer Managementsicht sind Schnittstellen jedoch von weit größerer Bedeutung. Schnittstellen kennzeichnen als (neue) Verbindungseinheiten zwischen betei-
4. Mine: Zielorganisation ohne Scope-Management
45
ligten Personen die harte und weiche Kompatibilitätsnotwendigkeit arbeitsteiliger Leistungsprozesse, die gegenseitig voneinander abhängig sind. Mit der Generalisierung von Schnittstellen als harte und weiche Kompatibilitätsanforderung arbeitsteiliger Prozesse wird der Begriff der Schnittstelle einerseits interessant, andererseits ist er hoch konkretisierungsbedürftig. Schnittstellen sind im Change-Management aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, da sie auch auf verschiedenen Wegen Einfluss auf das Managementhandeln nehmen können. Dazu gehören technisch-wirtschaftliche Aspekte genauso wie kulturelle, wissensbezogene und beobachtungsrelevante. Diese Aspekte bestimmen die „Konfiguration“ – also die Gestaltung und (Ver-)Formung – der Schnittstelle. Durch die Konfiguration von Schnittstellen wird beeinflusst, wie interindividuelle Prozesse in Systemen ablaufen. Das Konstrukt der Schnittstelle wird damit als prozessuales und kulturelles Analyseobjekt so facettenreich, dass die gesamte Managementproblematik formeller und informeller arbeitsteiliger Leistungsprozesse hieran besprochen werden könnte. Hier wird aber vor allem die Betrachtung von Machtbildungsprozessen betont, die die funktionale oder dysfunktionale Systemdynamik prägen und beispielhaft zu allen 20 Minen dieses Buches führen. Für die Schnittstellenanalyse wird daher vor allem auf die Bedeutung von der Herausbildung von Machtstrukturen für das Change-Management verwiesen.54 4.5
Scope-Management als Teil von Change Communications?
Die Frage ist, inwieweit Scope-Management heute bereits ein Teil von Change Communications ist und inwieweit die Unternehmenskommunikation den Scope tatsächlich mitbestimmt. Die Antworten, die die befragten PR-Agenturen hierzu abgeben, sind sehr unterschiedlich: Mehr als die Hälfte (55 Prozent) meinen, dass der Scope von PR-Agenturen mitgestaltet werden kann, während rund 40 Prozent davon ausgehen, dass die Kommunikation auf den Scope keinen maßgeblichen Einfluss nehmen kann. Der Scope (also die Breite und Tiefe von Aufgaben eines Changes) ist maßgeblich für die Komplexität eines Changes und nimmt so beispielsweise Einfluss auf die Verständlichkeit und das Identifikationspotenzial. Bitte kennzeichnen Sie, wie groß Sie den Einfluss von Unternehmenskommunikation/PRAgenturen auf den Scope einschätzen:
54
Vgl. zum Thema „Systemmacht“ Abschnitt „13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht“.
46
Jan Lies
Antwort
Anzahl
Prozent
Der Scope ist von der Unternehmenskommunikation/PR-Agenturen mitgestaltbar.
33
55,00 %
Den Scope von Change-Prozessen bestimmt im Wesentlichen die Unternehmensführung/das verantwortliche Steering-Committee, ohne dass die Kommunikation maßgeblich Einfluss nehmen kann.
25
41,67 %
Abbildung 22: Die Mitgestaltung des Scopes durch die Unternehmenskommunikation Quelle: Studie 2, n = 60
Über die Bedeutung des Scopes für weiche Faktoren sind sich die Befragten hingegen einig: Mehr als 90 Prozent stimmen (sehr) zu, dass der Scope einen maßgeblichen Einfluss auf weiche Faktoren hat. Eine große Mehrheit (70 Prozent) stimmt (sehr) zu, dass die meisten Unternehmen Change-Management betreiben, ohne den Scope als Auslöser für weiche Faktoren zu beachten. Frage: Für wie maßgeblich halten Sie den Scope als Komplexitätsfaktor und damit für Kommunikationsziele? Bitte bewerten Sie hierfür folgende Aussagen: stimme sehr zu
stimme zu
stimme weniger zu
stimme gar nicht zu
Der Scope ist eine maßgebliche Einflussgröße auf weiche Faktoren und bestimmt damit die Erfolgswahrscheinlichkeit des Change-Prozesses.
12 (20,00 %)
43 (71,67%)
3 (5,00 %)
0 (0,00 %)
Die meisten Unternehmen betreiben Change-Management, ohne den Scope als Auslöser für weiche Faktoren zu beachten.
6 (10,00 %)
36 (60,00 %)
15 (25,00 %)
0 (0,00 %)
Den Scope im Rahmen von Change Communications zu verändern, um weiche Faktoren zu beeinflussen, wird von Kunden ernst genommen.
0 (0,00 %)
28 (46,67 %)
27 (45,00 %)
2 (3,33 %)
Abbildung 23: Die Maßgeblichkeit des Scope als Komplexitätsfaktor Quelle: Studie 2, n = 60; absolute Antworten (in Prozent)
4. Mine: Zielorganisation ohne Scope-Management
4.6
47
Fazit: Scope-Management senkt die Komplexität
Der Scope wird hier vor allem als ein kultureller Faktor verstanden. Obwohl er als zusätzliche relationale Größe die Komplexität des Change-Managements auf den ersten Blick erhöhen müsste, senkt er sie bei genauerer Betrachtung. Dies resultiert daraus, dass der Scope die Bandbreite begrenzt bzw. dramaturgisch ausrichtet und damit die Komplexität als Ursache von Widerständen senkt sowie das Potenzial für Erfolgserlebnisse steigert. Er leistet also einen Beitrag zur positiven Beeinflussung der Eigendynamik. Handlungsfeld
Aufgaben
Antizipation: Entwicklung Change-Strategie mit ScopeManagement
Anpassung der Change-Programmatik durch Skalierung des Scopes auf Basis von Plausibilitätsüberlegungen und/oder Abfragen
Antizipation: Schnittstellenanalyse
Schnittstellenanalyse der Zielorganisation als Tool der Scope-Skalierung mithilfe von Plausibilitätsüberlegungen, Abfragen und/oder Leuchtturmprojekten als Pretest
Abbildung 24: Aufgaben des Scope-Managements Quelle: eigene Darstellung
Mine: Keine Management-Agenda
49
Grundlage für Change Communications sind gemeinsame Prioritäten auf Führungskräfte-Ebene.
5. Mine: Keine Management-Agenda Jan Lies Change-Management folgt methodisch zunächst dem allgemeinen Managementkreislauf aus Zielbestimmung, Abweichungsanalyse, konzeptionellen Maßnahmen, Controlling und Nach55 steuerung. Angewendet auf das Change-Management ergeben sich typische Projektphasen wie Analyse-, Konzept-, Implementierungs- und Stabilisierungsphase. Die Phasen nach der Analyse konkretisieren die Change-Programmatik. Wieso also ist eine Management-Agenda, die man als phasenkonkretisierenden Managementfahrplan auf der Basis dieses Kreislaufs verstehen könnte, dennoch als Tretmine von Change-Projekten zu bewerten? – Die Management-Agenda ist mehr als nur die schriftlich festgehaltene geplante Vorgehensweise. Entscheidend ist, dass sie darüber hinaus der Bindung der Führungskräfte (ManagementAlignment) an eine definierte Change-Strategie dient. Nicht nur die Inhalte, sondern auch die ihnen vorangehenden und nachfolgenden Arbeitsprozesse prägen den Beitrag der Management-Agenda zum Gelingen eines Change-Prozesses.
5.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Ein international tätiges Pharmaunternehmen erhielt eine neue Geschäftsführung. Der neue Geschäftsführer regte diverse strategische Initiativen an, um die Organisation weiterzuentwickeln. Hintergrund hierfür waren zum einen ambitionierte Zielvorgaben, und zum anderen prägte eine sich leerende Produktpipeline – also weniger verfügbare Präparate kurz vor der Marktreife – die Aussichten für die mittelfristige Zukunft.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Insgesamt war die Organisation von einer Kennzahlendominanz geprägt, und so waren auch die Ziele der Kommunikation instrumentell ausgelegt. – Kommunikationsmaßnahmen galten im gesamten Konzern vor allem als Kostenträger. Der neue Geschäftsführer war strategisch hoch anspruchsvoll und setzte als kulturelles Element auf eine produktive Unruhe, um die Organisation zu beleben. Die Kehrseite dieses Füh-
55
Vgl. zum Begriff „Kreislauf“ Abschnitt „2. Kennzeichnung von Change-Management“ im einleitenden Kapitel „Wegweiser“.
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
50
Jan Lies
rungsverständnisses war eine Vielzahl strategischer Projekte, deren Prioritäten und Zusammenhänge sich für die Mitglieder der Organisation schon nach einem Jahr nicht mehr erschlossen.
Lösungsansatz: Der Ansatz bestand darin, dem Management-Team die Architektur von Kernstrategiethemen an die Hand zu geben, die die groben Zusammenhänge abbildete und damit die höchsten Prioritäten darstellte. Der Ansatz sollte so das gemeinsame Verständnis für die Vielzahl strategischer Projekte wiederbeleben: mithilfe der Management-Agenda. Ausgangspunkt war ein TopmanagementWorkshop, in dem der Geschäftsführer eine Diskussionsvorlage optimierte. Sie wurde in Form einer schematisierten Grafik (Abbildung siehe im Fazit dieses Abschnitts) visualisiert und diente als fundierter Rahmen für die Themenpriorisierung der internen Kommunikation.
Erfahrungen: Der Auftakt im Topmanagement-Workshop war ein Erfolg. Der Geschäftsführer erkannte sein Denken in der visualisierten Form der Management-Agenda wieder und stellte sie seinem Management-Team als Führungsrahmen vor. In einer kennzahlengetriebenen Organisation war dies ein Erfolg. Da die (interne) Kommunikation unter einem Akzeptanzproblem im Management litt, war sie eher als erweitertes Sekretariat und weniger als Management-Support tätig. Die Management-Agenda fungierte als Vorlage, die interne Kommunikation als Management-Supportfunktion zu positionieren.
Fazit: Die visuelle Variante der Management-Agenda erreichte die Titelseite der Mitarbeiterzeitung und wurde mittelfristig zu einem Management-Rahmen. Über ein Jahr wurde die Management-Agenda immer wieder in Meetings herangezogen, um als Leitfaden an die Prioritäten zu erinnern. Interne Kommunikation ist jedoch in diesem Konzern noch weit davon entfernt, eine akzeptierte ManagementUnterstützungsfunktion einzunehmen.
5.2
Instanz für mehr Durchsetzungskompetenz
Das herkömmliche Planungs- und Konzeptionsinstrumentarium setzt in der Tradition der Betriebswirtschaft voraus, dass die Ziele einer Organisation gegeben und damit allseits akzeptiert sind. Zielermittlung und Vorgehensweise zur Bestimmung einer Change-Programmatik sind im Kern analytische und konzeptionelle Herausforderungen, die sich auch im relationalen Change-Management stellen. Zusätzlich ist die Durchsetzung der geplanten Vorgehensweise zu leisten, da keine Zielharmonie mit Blick auf
5. Mine: Keine Management-Agenda
51
das notwendige Change-Commitment sowie die Machtinteressen vorausgesetzt werden kann.56 Die Management-Agenda ist ein Instrument zur Durchsetzung der ChangeProgrammatik. Sie expliziert die (zumindest) auf Führungsebene gemeinschaftlich verabschiedeten Vorgehensweisen und einen verbindlichen Handlungsrahmen. Die Management-Agenda ist ein Instrument, das als definiertes und zentrales Format der Führungskräftekommunikation Anlass und Rahmen bietet, um mit Führungskräften ein gemeinsames Verständnis über die Vision (langfristig ambitionierte Ziele des Changes) sowie operative Ziele (zu erreichende Zustände in definierten Zeiträumen), Vorgehensweise und Prioritäten zu erarbeiten. Das Ziel der Management-Agenda ist also, einen verbindlichen Handlungsrahmen für die Führungskräfte der Organisation im Change bereitzustellen. Die Agenda ist somit ein Eckpunkt des Kommunikations- und Verhaltensmanagements.57 5.3
Management-Agenda: Leitbildprozess für Führungskräfte
Die Notwendigkeit eines verbindlichen Handlungsrahmens für Topmanagement und Führungskräfte anzumahnen, rührt aus praktischen Erfahrungen. Vor allem Topmanagement und Führungskräfte – also nicht die Mitarbeiter – scheinen die wichtigsten Stakeholder in tiefgreifenden Veränderungsprozessen zu sein. Anders als es dem Großteil der Literatur zu entnehmen ist, sind sie oft entscheidender Teil des Problems und nicht der Problemlösung. Diese Feststellung basiert vor allem auf der Beobachtung, dass diese Parteien über den Raum und die Möglichkeiten verfügen, aufgrund von Machtinteressen mit mikropolitischen Taktiken ihre Ansprüche auch verdeckt durchsetzen zu können.58 Daher kann die Bedeutung der Management-Agenda als gemeinschaftlicher Handlungsrahmen in Kombination mit dem Timing nicht genug betont werden. Besonders der Arbeits- und der Diskussionsprozess sind hierbei entscheidend. Das Leitbild, das in der Management-Agenda enthalten ist, ist als gemeinsamer Arbeitsprozess wichtig. Die Einbindung der relevanten Führungskräfte ist damit obligatorisch. Je nach Kontext, in dem sich ein Unternehmen befindet, erarbeiten die Führungskräfte allein oder auch mit den Mitarbeitern das Leitbild, ggf. mithilfe eines neutralen Moderators (vgl. Stolzenberg/Heberle, 2009: 9 ff.). Das Ziel des (moderierten) Prozesses ist, im Diskurs, aber auch im Konsens, Antworten auf kritische Fragen des geplanten, tiefgreifenden Veränderungsprozesses zu finden. Wichtige Leitfragen sind hierbei oft: 1) Wer sind wir? (Selbstverständnis – heute und in der Zielorganisation); 2) Was treibt uns an? (Mission); 3) Was zeichnet uns aus? (Alleinstellungsmerkmale); 4) Wo wollen wir hin? (Ziele, Vision) und 5) Wie erreichen wir dieses Ziel? (Prioritäten, Meilensteine, Kompetenzen). Inhaltlich bildet das hieraus entstehende Leitbild den Kern der Management-Agenda. Die Management-Agenda
56
Vgl. zum Thema „Commitment“ Abschnitt „11. Mine: Mangelndes Change-Commitment“; zum Thema „Eigeninteressen“ Abschnitt „12.2 Mikropolitik: Relevanz für Change-Prozesse“. 57 Vgl. zum Thema „Verhaltensmanagement“ Abschnitt „20. Mine: Kommunikations- ohne Verhaltensmanagement“. 58 Vgl. zum Thema „Mikropolitik“ Abschnitt „12. Mine: Ausblendung von Mikropolitik“.
52
Jan Lies
wird in Form der Story festgehalten, die gut konsumierbar Idee, Ziel/Vision, Handlungsfelder und Vorgehen für Führungskräfte als sogenannter „Sprech“ aufbereitet.59 Der Sprech fixiert kurz und prägnant ausformulierte Kernbotschaften, um die Idee und Vorgehensweise des Changes zu schildern. Das Ziel dabei ist, die ChangeProgrammatik als „Elevator Speech“ aufzubereiten, das heißt jede Führungskraft sollte nach dem Arbeitsprozess zur Management-Agenda die Idee, Vorteilhaftigkeit, das Leistungsversprechen und wesentliche Vorgehensweise des geplanten Changes in einer Kurzrede im Aufzug „zwischen Führungsetage und Erdgeschoss“ wiedergeben können.60 5.4
Die Vision im Change: Orientierung und Dringlichkeit
Die Vision ist ein wichtiger Teil der Management-Agenda, die aber zum Teil auf Skepsis stößt: „Wer Visionen hat, braucht einen Arzt.“ So oder ähnlich äußern sich Führungskräfte gerne despektierlich, wenn sie der Entwicklung von Visionen eines Veränderungsprozesses skeptisch gegenüberstehen. Diese Skepsis kann rationale Ursachen haben, wenn Visionen als utopische Ziele aufgefasst werden, die faktisch nie erreichbar sind. Ob dieses Visionsverständnis die entsprechende Skepsis verdient, sei dahingestellt. Denn auch wenn Visionen operativ nie erreichbar sein mögen, so geben sie doch wie Leitsterne, die auch nie erreicht werden, wertvolle Orientierung auf dem Weg zum Ziel. Visionen können aber auch als langfristige ambitionierte und damit erreichbare Ziele verstanden werden. Ihre Funktion besteht auf der Führungsebene vor allem in der Commitment-Entwicklung und auf der Mitarbeiterebene in der Orientierungsfunktion. In der Wirkung erinnern Visionen als Teil der Prozesskommunikation und des Erwartungsmanagements stetig an das Zielbild des Changes, das in der Vielzahl der Teilprojekte, ihrer Komplexität und zeitlichen Dauer ansonsten leicht aus den Augen verloren werden könnte. Idealerweise haben Visionen den Charakter natürlich gewachsener, gemeinsam interpretierter Zukunftsideen, die mit der Management-Agenda schriftlich fixiert werden. Wenn gegen solche Visionen Widerstände auf der Führungsebene auftreten, sind dies Hinweise auf ein mangelndes Change-Commitment.61 Sofern ein Change-Prozess bei den Führungskräften bisher nicht durch eine gemeinsame Vision getragen wurde, ist die Entwicklung der Management-Agenda ein ggf. diskursiver, anstrengender und vielleicht gar schmerzhafter sowie konfliktreicher Arbeitsprozess auf der Topebene. Ihn zu vermeiden bedeutet, verdeckte Konflikte mit Beginn des Changes zu akzeptieren und den hemmenden Energien der Systemmacht starker Gegenallianzen Raum zu geben. Außerdem bietet der Agenda-Prozess die Gelegenheit, Dissens herauszuarbeiten und Konflikte als Dokument unterschiedlich bewerteten Wissens zu nutzen.62
59
Vgl. zum Thema „Sprech“ Abschnitt „6.2 Story: Die zwei Arbeitsebenen.“ Vgl. zum „Change als Projektmarke“ Abschnitt „6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding“. 61 Vgl. zum Thema „Commitment“ Abschnitt „11. Mine: Mangelndes Change-Commitment“. 62 Vgl. zum Thema „Wissen und Konflikte“ Abschnitt „16.3 Konflikte als produktiv nutzbare Energiequellen“. 60
5. Mine: Keine Management-Agenda
53
Die Erarbeitung der Management-Agenda bedeutet während des Change-Projekts einen wichtigen Startpunkt für die Change-Dramaturgie. Erstens wird ein gemeinsamer Handlungsrahmen als Orientierung geschaffen. Und zweitens regelt sie das SollVerhalten von Führungskräften im Change klar und bietet so die Substanz für personalrechtliche Konsequenzen, falls dieses nicht umgesetzt wird. 5.5
Fazit: Vier Funktionen der Management-Agenda
Die Management-Agenda erfüllt insgesamt mindestens vier Funktionen: 1) Sie schafft im Ergebnis einen gemeinsamen Handlungsrahmen. 2) Sie bietet eine Methodik für Führungskräfte an, ein gemeinsames Verständnis über das Ziel und die Vorgehensweise während eines Veränderungsprozesses (Führungskräfte-Alignment) zu entwickeln. 3) Mit der erarbeiteten Management-Agenda dokumentiert die Führungsmannschaft ihr Change-Commitment. Das Topmanagement hat die Aufgabe – ob es will oder nicht – während des Changes die Funktion des Change-Agents zu übernehmen.63 4) Gleichzeitig geht es auch darum, einen dramaturgischen Beitrag mit Kommunikationsinhalten für die gesamte Organisation zu erzeugen. Voraussetzung für die konsensorientierte Erarbeitung der Management-Agenda ist, dass die für den Change verantwortliche Führungsmannschaft im Wesentlichen benannt ist. Dies berührt den Aspekt des Timings als Erfolgsfaktor für das Change-Management.64 Denn wenn die Führungsmannschaft nicht festgelegt ist und Mitglieder zur Disposition stehen, ist mit (aktivem oder passivem) Widerstand zu rechnen. Anders als bei den Mitarbeitern, bei denen das Betriebsverfassungsgesetz die Geschwindigkeit als Erfolgsfaktor oft weitreichend begrenzt, ist sie bei der Entscheidung von Führungsteams als Messlatte verwendbar (siehe hierzu auch noch Abbildungen 25 und 26 auf S. 54).
63 64
Vgl. zum Thema „Change-Agents“ Abschnitt „13.7 Change-Agents zur Stabilisierung sozialer Dynamik“. Vgl. zum Thema „Timing“ Abschnitt „17. Mine: Mangelndes Timing“.
54
Jan Lies
Abbildung 25: Die Management-Agenda eines Changes (anonymisiert) Quelle: eigene Darstellung
Handlungsfeld
Aufgaben
Partizipation: Management-Alignment
Entwicklung der Management-Agenda zusammen mit Führungskräften die Management-Agenda als auch arbeitsvertragsrechtlich bindende Handlungs- und Zielvorgabe für Führungskräfte etablieren
Didaktik: Management-Agenda visualisieren
Eingängigkeit der Management-Agenda durch schematische Visualisierung und Element der Story steigern
Abbildung 26: Aufgaben zur Etablierung Management-Agenda Quelle: eigene Darstellung
Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding
55
Change Communications erfordert gemeinsame Vorteilsargumentation.
6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding Jan Lies Ein Instrument, um auf der Führungskräfteebene Konsens über ein Change-Konzept herzustellen, ist die Story. Sie repräsentiert ein hoch verdichtetes, gemeinsames Verständnis des geplanten Veränderungsprojekts. Damit ist sie zudem ein wichtiges Dokument des ChangeCommitments (Unterstützung durch Selbstverpflichtung) vor allem auf Führungskräfte-Ebene und ein zentrales Ergebnis der Management-Agenda. Die Story transportiert das Leistungsversprechen des Changes mit eingängigen sprachlichen Bildern und bereitet damit den Übergang zur Projekt-Markenkommunikation vor. Die Anwendung des Prinzips der Marke soll Change-Projekte nicht in die schillernde Kommunikationswelt der werblichen Marketingkommunikation führen – diese ist als konstruktivistische Kommunikation zu vermeiden. Marken sind im Idealfall Wahrnehmungs- und belastbare Identifikationsflächen, die mit einem rationalen und emotionalen Leistungsversprechen Wiedererkennung, Identifikation und Emotionalisierung ermöglichen. Das heißt Marken vereinfachen komplexe Managementleistungen mit dem Ziel, die Akzeptanz des Managementhandelns zu erhöhen.
6.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Zwei Chemieunternehmen fusionierten, sodass diverse Nachsteuerungsprojekte erforderlich waren. Eines dieser Projekte umfasste die Initiative, die weltweite Angebotskette zu reorganisieren.65
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Hierbei galt es, dem Supply-Chain-Management einen durchgängigen IT-gestützten Managementprozess als Rückgrat zu verleihen. Das Projekt war von einer IT-Kultur geprägt: Vor allem Softwareexperten bestimmten die vorbereitenden Arbeiten, so dass eine entsprechend technisch geprägte Selbstdarstellung des Projekts entstand. Diese war innerhalb des Konzerns jedoch nur schwer verständlich. Über die Rational hinaus war auf der Intranet-Projektseite kaum strukturierte Kommunikation vorhanden.66 Die Projektmitglieder selbst gaben sich den Namen Apo (Name verändert: hier in Anlehnung an die relevante Software), der sich auch als gestaltetes Projektlogo auf der Website fand, was auf eine spürbare Identifikationen des Teams mit seinem Projekt schließen lässt.
65 66
Mehr zu diesem Beispiel vgl. Kapitel „Scope-Management“. Vgl. zum Begriff „Rational“ Abschnitt „6.2 Story: Die zwei Arbeitsebenen“.
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_7, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
56
Jan Lies
Lösungsansatz: Die Projektleitung entschied, mit der Story ein sprachliches und auch visuelles Bild zu entwickeln, um Verständnis für die Komplexität und den Nutzen des Umbaus der Supply-Chain aufzubauen. Gleichzeitig sollte der Name unangetastet bleiben, da das Projektteam ihn sich selbst gegeben hatte und damit eine wertvolle Binnenidentifikation herrschte. Die Idee war letztlich, den Namen des Projekts „Apo“ als Hubschrauber darzustellen. Warum nun also ein Hubschrauber?
Erfahrungen: Das sprachliche Bild lautete, mithilfe von Apo einen gemeinsamen Luftraum einzurichten. Der gemeinsame Luftraum symbolisierte die SupplyChain: Gefährlich wird es im Luftraum – und damit in der Angebotskette – nicht nur, wenn es eng wird. Engpässe und damit Warteschleifen sind dann zu vermeiden, wenn ein häufig frequentierter Luftraum mit gemeinsamen Regeln gesteuert wird. Zu den risikoreichen Situationen gehört, wenn ein Flugzeug den einen Luftraum verlässt und in den anderen eintritt. Genauso verhält es sich, wenn die Bestellinformation eines Landes in ein anderes Land übermittelt wird. Wenn die Kommunikation auf unterschiedlichen Standards basiert oder gar in unterschiedlichen Sprachen stattfindet, sind Kollisionen vorprogrammiert.
Fazit: Der „ApoCopter“ symbolisierte die Vorzüge eines gemeinsamen Luftraums, den alle nutzen können und der viel ungenutztes Potenzial erschließt, wenn sich alle an die internationalen Verkehrsregeln halten. Die reduzierte Botschaft lautete: „Zu fliegen, ist schnell und sicher. Diese Sicherheit erfordert gemeinsame Regeln, die einzuhalten sind. Dann wird das Fliegen trotz seiner Komplexität zu einer der sichersten und schnellsten Fortbewegungsarten der Welt.“ Auch die Entscheidergremien griffen diese Story auf und folgten der Bildsprache. Letztlich bewilligten sie u. a. mit Unterstützung dieses Kommunikationsinstrument die Budgets, die den Fortschritt des Projekts sicherten.
6.2
Story: Die zwei Arbeitsebenen
„Eine der wohl ebenso unvermeidlichen wie überraschenden Fehleinschätzungen von Topmanagern ist die Annahme, dass das hinter verschlossenen Türen erarbeitete, häufig von externen Beratern begleitete Sanierungskonzept, niedergelegt in 100 Master-Charts und einer komplex-kompakten Version für den Aufsichtsrat, genau das ist, was es jetzt zu kommunizieren gilt. Gewiss, das ist die Basis, aber aus Sicht der Kommunikation ist es die ‚Rohmasse’, aus der die wirkungsmächtige (…) Story erst zu entwickeln ist.“ (Reinert, 2006: 420). Die Story ist ein (bild-)sprachliches Instrument, das in vielen Management-Kontexten (Equity-Story, Marken-Story etc.) angewendet wird (vgl. Müller, 2008: 201 ff.). Sie verdichtet Aussagen zu Zielen, Aufgaben, Prioritäten und Meilensteinen eines Change-Vorhabens („Rational“ – sprich englisch: „rational“) und erklärt die Idee des Changes plakativ, einfach und anschaulich („Emotional“ – sprich englisch: „emotional“). Außer-
6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding
57
dem erfüllt sie normativ einen Beitrag zur Teambildung auf Führungsebene. Für die Story ist vorgesehen, die Idee der Veränderung plakativ auf einigen wenigen DIN-A4-Seiten zu fixieren. Dabei soll sie auf zwei Ebenen den Anlass, das Ziel und das Vorgehen eines Change-Prozesses eingängig erklären (vgl. Gundlach, 2007: 82 ff.): 1.
Ebene: Auf der rationalen Ebene soll dem Veränderungsprozess mit fokussierten Aussagen zu Zielen, Aufgaben, Prioritäten und Meilensteinen ein Fundament gegeben und eine Ausgangsplattform für alle weiteren Kommunikationsmaßnahmen geschaffen werden. Man spricht in solchen Projekten dann auch von der „Rational“, also dem Argumentarium des Projekts. Aus taktischer Sicht könnte man diesen Teil der Story als „kleinsten gemeinsamen Nenner“ einer Change-Programmatik begreifen.
2.
Ebene: Auf der relationalen Ebene soll der Veränderungsprozess anschaulich erklärt werden, am besten anhand eines sprachlichen Bildes. Storys werden hauptsächlich eingesetzt, weil sie einprägsamer als Kennzahlen sind. Sie können in entscheidenden Situationen leichter abgerufen und wiedergegeben werden. Wenn Wissen als Verfügbarkeit und Anwendbarkeit von Information definiert wird (vgl. Lies, 2008d: 155 ff.), dann ist die Story ein wissenschaffendes (Storyentwicklung) und wissenanwendendes („Storytelling“) Instrument des Wissensmanagements.
Storys sollen keine Märchen erzählen und damit künstliche oder geschönte Managementwelten erschaffen. Storys und die sie transportierenden Projektmarken folgen einer Erzählstruktur, die aus der Change-Programmatik und der Change-Dramaturgie abgeleitet wird. Sie sind von Entscheidungsträgern bei relevanten Anlässen wie bei Mitarbeiterversammlungen leichter wiederzugeben. Damit leitet die Story zum Projekt-Branding über. Die Story dient bei Mitarbeiterversammlungen, in KundenMeetings, Pressegesprächen und bei ähnlichen Anlässen als „Sprech“ für Führungskräfte,67 um die Idee der Veränderungen mit einheitlichen Erklärungsmustern und sprachlichen Bildern zu vermitteln. Die Story ist damit 1) nicht nur ein Kommunikationsinstrument, sondern 2) gleichzeitig auch Handlungsrahmen und -leitfaden für das Management. Das heißt: Die Story ist ein Hybridinstrument, das im Idealfall die Informationsbereitstellung leistet und die Koordination des gemeinsamen Verständnis beinhaltet. 6.3
Die Story: Instrument der Führungskräfteentwicklung
Die Story ist vor allem ein Teil der Führungskräfte- und Topmanagement-Entwicklung, weil sie einen Beitrag zur strategischen Konkretisierung der Change-Programmatik im Rahmen der Management-Agenda leistet. Die Story folgt inhaltlich unmittelbar aus der Mission, also dem, was das Unternehmen jeden Tag aufs Neue antreibt. Inhaltlich bereitet sie den Sense of Urgency auf und erklärt möglichst positiv die Notwendigkeit des Wandels.68 Die Dringlichkeit des Wandels positiv zu interpretieren und in einer Organisation aufzunehmen, muss kein Widerspruch in sich sein: Auch weitreichende Kos-
67 68
Vgl. zum Sprech auch Abschnitt „5.3 Management-Agenda: Leitbildprozess für Führungskräfte“. Vgl. zum Thema „Sense of Urgency“ Abschnitt „7. Mine: Mangelnder Sense of Urgency“.
58
Jan Lies
teneinsparungen dienen der Zukunftssicherung und können mit strategisch neuen Impulsen für (positive) Aufbruchstimmung sorgen. Die Story dient normativ dazu, Führungskräften eine gemeinsame Sprache zu ermöglichen. Die Praxis zeigt, dass bei der Herausforderung, die Strategie des Changes pointiert zu formulieren, oftmals strategische Schwächen und/oder Lücken des geplanten Veränderungsprozesses zutage treten.69 Ein weiterer Erfahrungswert ist, dass die Entscheider oft nicht konsens- oder teamfähig sind, wenn die Story verbindlich verabschiedet werden soll, um sie mit Überzeugung nach innen und außen zu vertreten. Es gilt daher, die Formulierung der Story in Vorstands- und/oder Führungskräfteworkshops auszuarbeiten und nicht zu delegieren. Die Story ist auch Teil der Entwicklung einer produktiven Konfliktkultur,70 indem das Management sich selbst motiviert, eine Story gemeinsam zu verabschieden, bevor der Change gestartet wird. Eine Herausforderung ist hierbei die Schwierigkeit, die dadurch geprägt ist, dass sich Führungskräfte und Mitarbeiter durch den geplanten Change angegriffen fühlen könnten: Der Change stellt faktisch die bisherigen Leistungen vor allem von Führungskräften infrage und kann als Angriff interpretiert werden. Die Story erfordert daher eine starke Fehlerkultur. Change-Management ist heute ein geradezu omnipräsentes Phänomen und Ausdruck von Stärke, wenn Führungskräfte einen Veränderungsprozess strategisch angehen. Sobald dieses Verständnis herrscht, ist die Story keine Angriffsbotschaft mehr, sondern ein Signal der systematischen Einbindung von Führungskräften und Ausdruck des Veränderungswillens. Beispiel: Die „Rational“ Fasst man die Rational des eingangs des Kapitels genannten Beispiels zusammen, etablierte Apo neue Prozesse, Werkzeuge und Verantwortlichkeiten.
Harmonisierung der divisionenspezifischen Supply-Chains auf Unternehmensebene
Die Fusion als Gelegenheit nutzen, um bestehende Planungsprozesse und -systeme zu modernisieren
Unterstützung aller weltweiten Prozesse mit einer harmonisierten Systemlandschaft, die Einfluss auf mehrere Standorte haben
Etablierung definierter Rollen und Verantwortlichkeiten aller Supply-ChainFunktionen der beiden fusionierten Unternehmen
Optimierte und effiziente Angebotsprozesse auf einer gemeinsamen Plattform
Flexibilitätssteigerungen für künftige Herausforderungen
69
Vgl. zur strategischen Schwäche des Change-Managements Abschnitt „1.2 Change: Zwischen Krisen- und Schönwettermanagement?“. 70 Vgl. zum Thema „Konflikte“ Abschnitt „16. Mine: Ja-Sager statt Fehler- und Konfliktkultur“.
6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding
59
Aus Sicht der Zielgruppen im Konzern entsteht das Problem, dass dieses Argumentarium für (fast) jedes Projektmanagement gilt. Egal ob Supply-Chain, Vertrieb oder Recruiting – stets stehen Harmonisierung, Transparenz oder eine „konsequente Zielgruppenausrichtung“ im Mittelpunkt. Aus Kommunikationssicht ergeben sich aufgrund dieses Argumentariums daher Fragen zur Relevanz und zur Emotionalisierung. Hinzu kommt auch die Problematik, Aufmerksamkeit und Wiedererkennbarkeit in einem großen Unternehmen zu generieren, in dem sehr viele Themen aktuell sind. Die Story zu dem Supply-Chain-Projekt lautete wie folgt: Beispiel – ein Flyer zu Apo: Viele Flughäfen, zunehmender Flugverkehr: Zunehmender internationaler Wettbewerb, lange Reaktionszeiten, nicht optimierte Lagerbestände, steigender Kostendruck: Das gilt für viele Märkte. Und auch dem Supply-Chain-Management (SCM) sind diese Schlagworte nicht unbekannt. Aber was heißt das eigentlich für das SCM und welche Rolle spielt hierbei Apo? Unser Mehrwert – gemeinsame Luftraumüberwachung: Im übertragenen Sinne erarbeitet Apo ein einheitliches System, das allen beteiligten Flughäfen eine gemeinsame Luftraumüberwachung ermöglicht, um den grenzübergreifenden Flugverkehr besser zu steuern. Kein internationaler Verkehrsknoten ohne nationale Flughäfen: Das heißt Apo schafft Transparenz und lässt die nationalen Tower sowie die zentralen Verkehrsknoten jederzeit wissen, wo welche Flüge unterwegs sind, welche Landungen und Starts bevorstehen und in welchem Hangar Flugkapazität frei ist. Tower, Fluglotse und Radarschirm: Damit die Radarmonitore den Fluglotsen aller beteiligten Länder die Flugbewegungen anzeigen, reicht ein gemeinsames System allein aber nicht aus. Genauso wichtig ist, dass sich die Fluglotsen ihrer Verantwortung im internationalen Verkehrsnetzwerk bewusst sind: Das heißt jeder Lotse muss seine Flugbewegungen gewissenhaft planen und melden, damit Apo einen sicheren Luftraum für alle berechnen kann. Denn erst dann kann Apo gesicherte Daten liefern, sodass jeder Tower seine Start- und Landebahnen optimal nutzen kann. Slots sind die Herausforderung der Zukunft: Die Vision von Apo ist, dass der tägliche Flugverkehr geräuschlos über die Radarmonitore gleitet und kaum Funkverkehr erfordert, sodass sich die Fluglotsen künftig auf jene Zeiten konzentrieren können, an denen ihr Luftraum besonders belegt ist oder Sonderflüge in die Saisonfahrpläne eingespeist werden müssen.
60
Jan Lies
6.4
Marke, Projekte, Change
Mit der Story wird das ursprünglich vor allem auf Produkte angewendete Konzept der Marke als nutzenbezogenes und emotionales Leistungsversprechen auf einen anderen Bereich übertragen. Von dem stabilisierenden Einfluss von Marken auf ihr Umfeld können auch Change-Prozesse profitieren. Die hohe Relevanz der Veränderungen durch ein Change-Projekt für die betroffenen Führungskräfte und Mitarbeiter betont die Notwendigkeit eines Identifikationsangebots. Die Projektmarkenidentität ist die im Inneren (innerhalb des Systems) getragene Legitimation des Change-Projekts. Change wird mit dem Konzept des Behavioral Branding, der verhaltenswissenschaftlichen Markenführung, zu einem Teil der (internen) Mitarbeiterführung, indem markengerechtes Verhalten zum Organisationserfolg beiträgt. Die Veränderungen, die ein Change-Management-Projekt herbeiführen soll, dienen im Kern dem Fortbestand oder der Verbesserung der Organisation. Dies ist das rationale Marken- oder Leistungsversprechen von Change-Projekten, das im Sense of Urgency verankert ist. Change-Projekte kommen also letztlich den Handelnden zugute – zumindest denen, die bleiben, falls Personalabbau mit der Veränderungsmaßnahme verbunden ist. Somit wird das Timing ein Erfolgsfaktor des systemischen Change-Managements,71 denn wenn das Team der Zielorganisation möglichst frühzeitig feststeht, kann die Projektmarkenkommunikation Wirkung entfalten. Schließlich ist das Leistungsversprechen der Change-Projektmarke nur für die Mitglieder der Organisation, die eine Rolle in der Zielorganisation spielen, glaubwürdig und attraktiv (vgl. Kernstock, 2009: 5 ff.). Das Leistungsversprechen des Change-Projekts, dessen Einlösung in der Story skizziert wird, muss von der Marke „Change“ (nach innen und außen) transportiert werden. Darum ist die Bildung von Projektmarken keinesfalls mit der Erschaffung schillernder oder gar künstlicher Produktmarken zu verwechseln und auch nicht mit interner Kampagnenkommunikation allein gleichzusetzen oder hierauf zu reduzieren. Vielmehr ist das Managementhandeln mit dem Erwartungsmanagement der Maßstab für die Projektmarkenbildung, sodass konstruktivistische Kommunikation zu vermeiden ist.72 Wenn es dem internen Projektmarkenmanagement gelingt, ein ungerechtfertigtes Negativimage der geplanten Veränderung zu widerlegen oder zumindest einzugrenzen, hat es erfolgreich gearbeitet. 6.5
Ankerpunkte von Projekt-Branding im Change
Aufgrund der weitreichenden Einschnitte, die ein Change-Projekt für die Betroffenen bedeuten kann, ist verständlich, dass mit Emotionen im Change anders umzugehen ist, als mit denjenigen auf Absatzmärkten. Letztere haben die Erschließung positiver Wertewelten zum Ziel. Produktmarken versprechen emotionale Mehrwerte, die rationale Leistungsversprechen ergänzen und dadurch sonst ähnliche Produkte voneinander abgrenzen. Projektmarken im Change haben demgegenüber zuerst die Vermeidung von
71 72
Vgl. zum Thema „Timing“ Abschnitt „17. Mine: Mangelndes Timing“. Vgl. zur „konstruktivistischen Kommunikation“ Abschnitt „19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement“.
6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding
61
Negativansprache zum Ziel. Folgende Ankerpunkte kennzeichnen die Besonderheiten der Markenkommunikation im Change-Management: Sense of Urgency: Im inhaltlichen Zentrum der Change-Projekt-Markenbildung steht der Sense of Urgency. Darum haben Change-Projektmarken mit der positiv emotionalisierenden Kommunikation der Werbung zu Beginn eines ChangeProjektes wenig bis gar nichts zu tun. Sie ist von der authentischen Positivkommunikation etwa für Erfolge auf dem Weg zur Zielstruktur zu unterscheiden.
Change-Dramaturgie: Produktmarken müssen sich langfristig im Konsum beweisen. Der Konsum eines Change-Prozesses als Marke ist jedoch anders angelegt als der von Produkten: Er findet in der Vorbereitung und mit Erreichen der Zielorganisation und dessen Akzeptanz statt. Je nach Change-Prozess ist das Erreichen der Zielorganisation aber nicht ein Zeitpunkt, sondern findet sukzessive statt, nämlich dann, wenn Teilprojekterfolge erzielt werden, Teilprojekte zurück in die Linie überführt werden und sich dort bewähren. Darum sind die Definition von Meilensteinen und die Change-Dramaturgie von Bedeutung. „Wow-Effekte“ können und sollen hier im kleinen, authentischen Rahmen gefeiert werden und einen realistischen Ersatz für Kauf- und Konsumerlebniswelten von Produktmarken darstellen.
Management-Agenda: Der Erlebnispunkt einer Produktmarke, zu dem der Konsument das Leistungsversprechen durch persönliches Erleben überprüft, ist zunehmend das Kauferlebnis, vor allem aber der Konsum selbst. Der Erlebnispunkt von Change-Projektmarken ist vor allem die Produktion, also der Transformationsprozess selbst. Das Erreichen der Zielorganisation – im übertragenen Sinne der Konsum – liegt oft Jahre in der Zukunft, sodass das Verhalten von Vorgesetzten und Kollegen sowie die Teilprojekterfolge auf dem Weg dorthin die relevanten Wahrnehmungspunkte bilden. Darum haben die Management-Agenda mit Mission und Vision sowie die Story einen zentralen Stellenwert. Wenn sich die Führungskräfte nicht daran halten können oder wollen, kann die Projektmarke „Change“ nicht erfolgreich sein. Die Markenwerte werden dann von der Zwangsmarken-Community – hier vor allem Führungskräfte, Mitarbeiter und Kunden – nicht wahrgenommen. Faktisch ist ein Change keine freiwillige WerteCommunity wie bei Produktmarken-Communities, sondern die Gründung einer Zwangs-Marken-Community, die im Idealfall durch den Sense of Urgency zusammengehalten wird.
Change-Allianzen: Idealerweise binden sich Kunden aber freiwillig an eine Produktmarke. Damit entsteht eine wachsende Stakeholder-Community, die im Kern das gleiche Grundinteresse an der Leistungserstellung hat. Dies ist im ChangeManagement auch durch die lange Phase zwischen Start- und Zielorganisation nicht der Fall. Der Sense of Urgency soll in dieser Phase für eine möglichst große Interessengleichheit sorgen, was mit zunehmender Annäherung an die Ziellinie des erfolgreichen Change-Prozesses Schritt für Schritt gelingt. Dieser Erfolg ist aufgrund unterschiedlicher Interessengruppen innerhalb einer Organisation aber nicht selbstverständlich: Durch die Eigeninteressen von Führungskräften und Mitarbeitern entstehen mit dem Start der Vorbereitungen zum Transformationsprozess Machtumverteilungen, deren Ansteckungseffekte – zur Vermeidung von Systemmacht durch Gegenallianzen – möglichst gering gehalten werden sollten.
62
Jan Lies
Hier gilt es vor allem zu verhindern, dass gruppendynamische Effekte in Negativeffekte umschlagen.73
Interne Change-Kampagnen als kommunikative Klammer: Tiefgreifende Veränderungsprozesse brauchen Zeit. Zudem bestehen Changes oftmals aus einer Vielzahl von Teilprojekten, die in einer größeren Projektarchitektur nicht immer auf Anhieb als Teil eines Changes erkennbar sind. Beides führt dazu, dass Changes als Projektmarken kommunikative Klammern benötigen, damit sie als Ganzes wahrnehmbar sind. Dies sind zuerst die Ergebnisse der Management-Agenda mit der Story als Handlungsrahmen. Und des Weiteren Logos und Claims, die Wiedererkennungselemente sind und als Klammer für viele Teilprojekte eines platzgreifenden Change-Prozesses dienen. Dies ist aber – wie oben ausgeführt – nicht mit der allein positiven Kommunikation werblicher Kampagnen zu verwechseln.
Der Change als Dachmarkenarchitektur: Unternehmen mit hohen Leistungsrisiken, wie zum Beispiel forschende Pharma-Unternehmen, betreiben in der Regel sehr zurückhaltende Corporate-Dachmarken-Kommunikation. Der Grund hierfür ist die Risikominimierung: Sollte eine Produktmarke durch einen Leistungsfehler in eine Krise geraten, ist die Unternehmensmarke insgesamt weniger in Gefahr, wenn die Produkt- und Unternehmensmarken visuell-sprachlich voneinander getrennt geführt werden. Eine Organisation, die mit starker Dachmarkenkommunikation arbeitet, setzt sich dem Risiko aus, dass Wahrnehmungsdefekte durch verfehlte Einzelleistungen auf die Gesamtmarke übertragen werden. Diese Erfahrung lässt sich auch auf Change-Prozesse mit vielen Teilprojekten übertragen: Es ist ggf. sinnvoll, kritische oder systematisch negative Teilprojekte entsprechend zu markieren und sie bewusst als Teil der Dramaturgie zu gegebener Zeit zu demontieren. Wenn etwa der Stellenbesetzungsprozess als Teilprojekt eines Fusionsprozesses auf Widerstände aufgrund mangelnder Transparenz der Kandidatenauswahl stößt, kann diese Change-Teilprojektmarke bewusst beendet werden. Als dramaturgisches Element einer Fehler- und Konfliktkultur kann die Demontage von Anti Wins als Teilprojektmarke intern als Befreiungsschlag gefeiert werden,74 um gemeinsam andere Wege zum Ziel zu suchen. In diesem Beispiel des Stellenbesetzungsverfahrens könnte ein Quotenverfahren als Alternative mithilfe eines partizipativen Prozesses etabliert werden. Insgesamt nehmen also auch Anti Wins eine kulturprägende Rolle in der Change-Dramaturgie ein.
Die Story und die Meilensteine der dramaturgiegeprägten Change-Markenkommunikation machen Change Communications zu einer kampagnennahen Kommunikationsform.
73 74
Vgl. zur Gegenmacht durch Gruppendynamik Abschnitt „13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht“. Vgl. zum Begriff „Anti Win“ Abschnitt „3.4 Strategische Projektauswahl und Dramaturgie“.
6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding
6.6
63
Emotion und Identifikation in Change-Prozessen
Erfahrungswerte zur Beeinflussbarkeit von Emotionen im Change-Prozess waren auch Teil der Change-Studien (Studie 2). In den Antworten lässt sich eine gewisse Widersprüchlichkeit ablesen: Einerseits stimmen die befragten Agenturen zum überwiegenden Teil mit rund 90 Prozent (sehr) zu, dass sich die Emotionen, die ein ChangeProzess auslöst, durch Kommunikation gut beeinflussen lassen. Gleichzeitig stimmen die Befragten überwiegend (sehr) zu (80 Prozent), dass die Identifikation mit einem Change-Prozess weniger von der Kommunikation als vielmehr vom gelebten Verhalten (Führungsstil, Fairness, Soziales etc.) der Organisation abhängt. Hier wäre also zu konkretisieren, wie der konzeptionelle Einsatz von Kommunikation verstanden wird. Emotionen, Identifikation und Verhalten gelten häufig als Ziele von Change Communications. Bitte bewerten Sie vor diesem Hintergrund folgende Aussagen: stimme sehr zu
stimme zu
stimme weniger zu
stimme gar nicht zu
Emotionen, die ein ChangeProzess auslöst, lassen sich mit Kommunikationsmaßnahmen gut beeinflussen.
10 (16,67 %)
44 (73,33 %)
5 (8,33 %)
1 (1,67 %)
Die Emotionen, die ein ChangeProzess weckt, sind mit denen der werblichen Kommunikation vergleichbar.
1 (1,67 %)
8 (13,33 %)
27 (45,00 %)
20 (33,33 %)
Kommunikation in Veränderungsprozessen betrifft vor allem die Information zur Erklärung und rationalen Überzeugung, aber weniger die emotionale Ansprache.
1 (1,67 %)
11 (18,33 %)
33 (55,00 %)
13 (21,67 %)
Identifikation mit einem ChangeProzess hängt weniger von der Kommunikation als vielmehr vom gelebten Verhalten (Führungsstil, Fairness etc.) der Organisation ab.
18 (30,00 %)
30 (50,00 %)
10 (16,67 %)
0 (0,00 %)
Der Einfluss von Kommunikation(skampagnen) auf Widerstände im Change wird von vielen Unternehmen überschätzt.
7 (11,67 %)
18 (30,00 %)
29 (48,33 %)
3 (5,00 %)
Abbildung 27: Die Bedeutung von Emotionen und Identifikation im Change Quelle: Studie 2, n = 60; absolute Antworten (in Prozent)
64
Jan Lies
6.7
Fazit: Story und Marke als Teil des Wissensmanagements
Die Story verdichtet die Idee der Change-Programmatik, indem sie „Rational“ (harte Ziele, Logik) und „Emotional“ (Anschaulichkeit, roter Faden, Nutzen, Emotionalisierung) in komprimierter Form darstellt. Sie macht gemeinsames Wissen verfügbar und anwendbar, sodass sie ein wissenschaffendes und -anwendendes Instrument des Wissensmanagements ist. Treten bei der Entwicklung der Story Abstimmungsschwierigkeiten auf, die offen gelassen und nicht gelöst werden, bleiben ungelöste Konflikten erhalten. So besteht bereits beim Erstellen der Story auf der Führungsebene eine gewisse Unschärfe in Bezug auf Zielsetzung, Prioritäten und konkretes Vorgehen während des gesamten Veränderungsprozesses. Dies ist ein Alarmzeichen, das weitreichende Probleme des geplanten Change-Prozesses anzeigt: Inhaltliche Abstimmungsprobleme der Story stehen für mangelnden Konsens und damit mangelndes Commitment auf der ersten Ebene. Die erfolgreiche Story-Entwicklung unterstützt die Durchsetzung von Management besser als die zum Teil komplexe sowie kanten- und konturlose Managementsprache und ist vor allem mit der Storyentwicklung Teil des Machtmanagements.75 Was die Story als hoch verdichtete Idee auf der sprachlichen Ebene leistet, leisten Markenversprechen und -design auf der visuellen Ebene. Genauer betrachtet geht es in der Projektmarken-Kommunikation weniger um die Markenbildung, die im Kern die Management-Agenda und die Story leisten, sondern um die Markenführung. Sie erfordert authentische Prozesskommunikation, mit der sie als Beitrag für das Erwartungsmanagement die Zielorganisation vorwegnehmen kann, um mit Visionen Motivationspotenzial auszuschöpfen. Handlungsfeld
Aufgaben
Partizipation: Management-Alignment
Entwicklung der Story auf Basis der ManagementAgenda zusammen mit Führungskräften
Didaktik – Information/Kommunikation: Story und Projektmarken-Management
Entwicklung eines sprachlichen/visuellen Bildes zur anschaulichen Erklärung des Changes Die Story als angewendete ProjektmarkenFührung: durchgängiges sprachliches und visuelles Bild für den Transport des Changes entwickeln
Information/Kommunikation: Projektmarken-Führungsstrategie
75
Change-Management als Markenführung vor allem nach innen: stete Überprüfung und Sicherstellung des Leistungsversprechen, das mit dem Change abgegeben wird
Vgl. zum Thema „Macht“ Abschnitt „13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht“.
6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding
65
Handlungsfeld
Aufgaben
Information/Kommunikation:
die Projektarchitektur der Change-(Teil-) Projekte als Markenarchitektur aufbereiten: Identifikationsangebote und ggf. „Blitzableiter-Teilprojekte“ etablieren
Projektmarken-Entwicklungsstrategie
Kommunikative Klammer für Teilprojekte Abbildung 28: Aufgaben zur Storyentwicklung und zum Projektmarken-Management Quelle: eigene Darstellung
Mine: Mangelnder Sense of Urgency
67
Für den Erfolg von Change Communications ist Handlungsdruck im Veränderungsprozess stetig nötig.
7. Mine: Mangelnder Sense of Urgency Jan Lies/Simon Schoop Der Sense of Urgency bezeichnet das Bewusstsein und das Verständnis für die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Veränderungen. Er ist die Basis für die Erkenntnis, dass die geplanten Veränderungen jedem Einzelnen dienen. Um diese Erkenntnis in einer Organisation zu teilen, ist wesentlich, sogenannte Komfortzonen in Organisationen möglichst aufzulösen. Aufgrund der Größe der Organisation ergeben sich vor allem in Konzernen, aber auch in Behörden, struktur- und prozessbedingte Tätigkeitsbereiche, die zu einer Marktferne führen. Diese senken die Sensibilität für den Handlungsdruck von Führungskräften und Mitarbeitern im Vergleich zu kleinen und mittleren Unternehmen. Wird dem Verständnis für die Dringlichkeit der Veränderungen ein neuer Weg geebnet, indem er mit dem Erwartungsmanagement kombiniert wird,76 kann dieser Sense of Urgency sogar das Gefühl der Bedrohung durch den Change beim Topmanagement und bei den Mitarbeitern verhindern.
7.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Die konzernweite Einführung eines neuen Intranets für 35 000 Mitarbeiter eines IT-Unternehmens wurde über einen Zeitraum von zwei Jahren vor allem technisch betrieben. Das Intranet hat in diesem Unternehmen insbesondere den Charakter eines Management-Portals, mit dem zentrale Anwendungen für das Dokumentenmanagement, aber auch für die Ressourcenplanung bereitgestellt werden. Entsprechend aufwendig war die Implementierung der notwendigen Prozesse, um die Arbeitsanforderungen unterschiedlicher Bereiche abzudecken. Es wurde ein knapp 80-köpfiges Projektteam zusammengestellt und in zwei Gruppen mit unterschiedlichen Zuständigkeiten aufgeteilt: eine Gruppe für die Schnittstelle zum Kunden, hier also alle Intranet-Nutzer, und die zweite Gruppe für die Implementierung der technischen Lösung selbst.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Die Hauptherausforderung bestand in der Schaffung eines einheitlichen Verständnisses der Zielsetzung im Projektteam. Zum einen war die Notwendigkeit des Handelns nach diversen Restrukturierungen nicht mehr bewusst. Die Anforderungen an das Intranet waren
76
Vgl. zum Thema „Erwartungsmanagement“ Abschnitt „19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement“.
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_8, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
68
Jan Lies/Simon Schoop
wohl auch deshalb bisher von den beteiligten Gruppen nicht im Konsens formuliert worden. Entsprechend wichtig war es für den Vorstand, das Topmanagement zur Unterstützung einzubinden. Zum anderen galt es, die Motivation des Projektteams stetig „hochzuhalten“. Angesichts der sehr lange dauernden Vorbereitungsarbeiten und der sehr arbeitsintensiven Zeit bis zum Intranet-Launch (hier: Neustart) stellte sich der Mangel am Sense of Urgency als eine Kernschwäche dieses Projekts heraus.
Lösungsansatz: In den zehn Monaten vor dem Launch des neuen Intranets wurde zusätzlich das Teilprojekt „Change“ aufgesetzt, für das das Konzept der „InsideOut“-Kommunikation entwickelt wurde. Es beinhaltete, dass das Projektteam selbst analysierte, welche bestehenden Konflikte und Spannungen in dieser Projektphase noch bestanden und welche Maßnahmen deshalb – auch das Projektteam selbst betreffend – einzuleiten waren. Kernbestandteil hierbei war ein teaminternes, sogenanntes „Change-Readiness-Assessment“, das die aktuelle Veränderungsbereitschaft ermitteln sollte. Da die technischen Vorbereitungsarbeiten für die zugrunde liegende Intranetumstellung weit vorangeschritten waren, galt es, mit dem Beginn des Change-Communications-Teilprojektes die aktuellen Durchsetzungsmöglichkeiten – angesichts der Widerstände und der Unterstützung in der Organisation – zu konkretisieren. Dies sollte ermöglichen, den Rollout (Einführung) möglichst geräuschlos vollziehen zu können. Der Ansatz beinhaltete, diese fortan strukturiert offenzulegen und im Dialog zwischen den Projektgruppen auszuräumen. In der Folge wurde penibel darauf geachtet, die Zielgruppen spezifisch anzusprechen und die Unterstützer aus dem Vorstand einzubinden.
Erfahrungen: Die team-interne Analyse bestehender Konflikte und Spannungen war entscheidend für den späteren Projekterfolg. Gerade in solch großen Projektteams ist es wichtig, ein einheitliches Verständnis der Ziele sicherzustellen. Es gilt dabei, deutlich zu machen, welche Beiträge welche Teilprojektteams zum Gesamterfolg beisteuern. Die Gratwanderung besteht darin, Verständnis für die Probleme der jeweils anderen Interessengruppe zu wecken sowie gemeinsame Projektbeiträge und damit auch unterschiedliche Arbeitspakete zu definieren und dennoch nach außen mit einer Stimme zu sprechen.
Fazit: Eine konzeptionell angelegte „Inside-Out“-Kommunikation als Teil des Change-Managements zeigt die Bedeutung des Sense of Urgency: Nur was im Inneren der Projektorganisation verstanden und akzeptiert wird, ist erfolgversprechend und kann glaubhaft auch nach außen vermittelt werden. Voraussetzung für den Projekterfolg in großen Projektteams ist es, sich die Zeit zu nehmen, Konsenspositionen herauszuarbeiten und diese auch konsequent herbeizuführen. Dies ist das Fundament des „Inside-Out“-Konzeptes, also dafür, dass erfolgskritische Dinge erst intern und dann öffentlichkeitswirksam besprochen werden.
7. Mine: Mangelnder Sense of Urgency
7.2
69
Konzerne: Organisationen mit Komfortzonen
Das Management der Eigendynamik einer Organisation ist nicht zuerst mit der rationalen Erklärung der logischen Konsequenzen geplanter Veränderungsziele verbunden. Mit einer schwerpunktmäßig intellektuellen Erklärung im Vorfeld oder zu Beginn eines Changes ist diese Dynamik nicht zu steuern. Vielmehr ist es die Aufgabe des Managements, den Leidensdruck stetig aufrecht zu erhalten, ohne die Organisation in Panik zu versetzen und gleichzeitig die Mitglieder der Organisation zu motivieren. Dieser sogenannte Leidensdruck eines Unternehmens – verstanden als Empfinden einer Krise oder krisennahen Situation – wird oftmals als Voraussetzung dafür verstanden, dass sich Entscheider in einer Organisation entschließen, tiefgreifende Veränderungen einzuleiten. Das rechtzeitig herbeigeführte und im Veränderungsprozess stetige Bewusstsein für diesen Leidensdruck auf Führungs- und Mitarbeiterebene ist damit ein relevanter Aspekt des Timings.77 Die Situation, dass Führungskräften und Mitarbeitern das Bewusstsein und Verständnis für die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Veränderungen (Sense of Urgency) fehlt, steigt exponentiell mit der Größe des Unternehmens. Flache Hierarchien, die räumliche Konzentration der Mitarbeiter und die Unmittelbarkeit der Geschäftstätigkeit (meist in kleineren Unternehmen anzutreffen) bringen üblicherweise eine höhere Sensibilität für den aktuellen und künftigen Geschäftserfolg mit sich. Umgekehrt verursachen Führungstiefe und -breite sowie die damit verbundenen arbeitsteiligen Prozesse, Abstimmungsprozeduren und persönliche wie räumliche Distanzen eine größere Wahrnehmungsferne zu erfolgskritischen Prozessen. Diese Ferne hemmt oder verhindert die Lern-, Innovations- und damit die Change-Fähigkeit einer Organisation. Je größer ein Konzern ist, desto geringer ist das Gefühl der persönlichen Betroffenheit seiner Mitarbeiter. Konzernstrukturen bilden aus Sicht des Change-Managements daher systematische Fehlanreize, da sie die persönliche Betroffenheit senken und die Bildung von aus Change-Sicht kontraproduktiven „Komfortzonen“ ermöglichen. Der Begriff „Komfortzone“ ist dem Drei-Zonen-Modell aus der Erlebnispädagogik entnommen (auch als „Lernzonenmodell“ oder „Komfort-Risiko-Zonenmodell“ bezeichnet) und wird in diesem Zusammenhang auf Change-Prozesse übertragen. Das DreiZonen-Modell geht davon aus, dass Lernen insbesondere dann stattfindet, wenn die „Komfortzone“ verlassen wird. Drastisch ausdrückt: „In der Komfortzone zu verbleiben, bedeutet langfristig Stillstand.“ (Rigall et al., 2005: 23)
Die Komfortzone: Führungskräfte und Mitarbeiter fühlen sich hier wohl (vom lateinischen con fors [mit Stärke]). Selbstsicherheit herrscht vor.
Die Lernzone: In diesem Bereich besteht noch kein Erfahrungswissen – hier also im Bezug auf das Management und den Prozess des Wandels.
Die Panikzone: In ihr liegt alles, was Angst macht und überfordert.
77
Vgl. zum Thema „Zeit“ Abschnitt „17. Mine: Mangelndes Timing“.
70
Jan Lies/Simon Schoop
Komfortzonen sind also gewohnte Bereiche, die Menschen benötigen, um sich psychisch und physisch wohlzufühlen. „Als Gewohnheitstier braucht der Mensch solch einen überschaubaren Bereich vertrauter Elemente, von dem aus er seiner Arbeit nachgehen kann.“ (Rigall et al., 2005: 22) Die für den Change-Prozess fruchtbare Idee der Erlebnispädagogik besteht darin, die Teilnehmer einer Aktion aus der gewohnten Komfortzone hinauszubegleiten, sodass sie sie positiv motiviert verlassen und spielerisch an neue Erfahrungen geführt werden. Schließlich bewirkt der Verbleib in der Komfortzone, dass Eigeninteressen wie die Entwicklung der eigenen Karriere und eigener Einflussmöglichkeiten vom Kerngeschäft der Organisation abgekoppelt und Energien hierauf verwendet werden.78 Zudem besteht die Gefahr, dass die Komfortzone weiter ausgebaut wird und ggf. sogar gegen den Change gerichtete Allianzen gefördert werden.79 7.3
Beteiligte aus der Komfortzone führen
Lernen – und damit die Fundamentlegung für Neues und Wandel – findet eher dann statt, wenn die individuelle Komfortzone, die Selbstsicherheit, Wissen und Routine repräsentiert, verlassen wird. In der Lernzone soll jeder Einzelne so viel Unterstützung wie nötig erhalten, um einen Lernerfolg erreichen zu können. Hier liegt das, „(…) was wir noch nicht so recht wissen und mit dem wir noch keine Erfahrungen haben. Etwas also, das wir noch besser können und demnach lernen möchten. Etwas, das aber auch Mut und Überwindung abverlangt, weil man sich eben nicht mehr so komfortabel und sicher fühlt.“ (Senninger, 2000: 26) In der Panikzone liegt demgegenüber das, was den Mitgliedern der Organisation Angst macht. Panik und Angst machen Lernen jedoch unmöglich und sorgen für Misserfolg und Frustration. Dies bedeutet gleichzeitig, dass weiche Faktoren an Relevanz gewinnen. Ein Klima der Unsicherheit oder gar Angst setzt negative Energien frei, die die Change-Programmatik be- oder verhindern können. Den Sense of Urgency richtig zu dosieren, ist eine Führungsherausforderung. Einerseits gilt es, das stete Handlungsbewusstsein wachzuhalten, andererseits ist wichtig, die Grenze der Lern- zur Panikzone nicht zu überschreiten. Die Anreizsetzung des Change-Prozesses ist dabei ein wichtiger Erfolgsfaktor,80 um Mitglieder einer Organisation aus ihrer Komfortzone zu locken und Führungskräfte stetig zu motivieren, Komfortzonen in ihrem Verantwortungsbereich möglichst klein zu halten:
78
Anreize zum Lernen: Die individuelle Neigung zum Lernen sollte gefördert werden. Dies ist mit Angeboten wie Weiterbildung und Coaching – in Kombination mit Anreizen, diese anzunehmen – möglich.
Vgl. zum Thema „Eigeninteresse“ Abschnitt „12.3 Hidden Agendas als Managementrealität.“ Vgl. zum Thema „Macht durch Gegenallianzen“ Abschnitt „13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht“. 80 Vgl. zum Thema „Anreize“ Abschnitt „10. Mine: Anreizloses Change-Management“. 79
7. Mine: Mangelnder Sense of Urgency
71
Angst vor Verlust des Vertrauten: Der Sense of Urgency ist ein Anreiz, die Komfortzone zu verlassen. Ist die Startorganisation gefährdet und verspricht die Zielorganisation neue Sicherheit, ist dies ein starkes Argument, sich in die Lernzone zu begeben.
Beispiel: Anreizorientierte Komfortzonenaufgabe Ein Industrieunternehmen mit Tradition wird innerhalb von vier Jahren zum dritten Mal umgebaut, noch während zuvor begonnene Change-Prozesse gar nicht abgeschlossen wurden. Nach diversen Restrukturierungsprogrammen, die vor allem Kosten einsparen sollten, sollen diesmal Kompetenzen neu organisiert werden. Historisch gewachsene Regionalstrukturen werden zu neuen Einheiten zusammengefasst und neuen Führungsbereichen im neu gegründeten Corporate Center zugeordnet, wo fortan Branchenkompetenzen, aber keine Regionalkompetenzen mehr gefragt sind. Das bedeutet, dass viele neue Arbeitsprozesse und damit neue Schnittstellen definiert, etabliert und verstanden sowie akzeptiert werden müssen. Auch Zuständigkeitsbereiche von Führungskräften werden neu zugeschnitten. Die Führungskräfte beschließen auf einer Tagung, die Mitarbeiter auf freiwilliger Basis zu einem verlängerten Fortbildungswochenende einzuladen, das bewusst auf einer kleineren deutschen Nordseeinsel stattfinden soll. Dort erhalten die Mitarbeiter auf einer Exkursion Einblicke in die Versorgung und Sicherheitsvorkehrungen, die eine Insel benötigt, um ihren Bewohnern das Überleben zu sichern. Analogien zu bisherigen „Inselstrukturen“ im Konzern werden dabei problematisiert – der Sense of Urgency wird mit dem Anschauungsobjekt Insel transportiert. Gleichzeitig werden die Mitarbeiter gefordert, die künftig nötigen Schnittstellen in der neuen Konzernstruktur zu diskutieren. Die Idee dieser Maßnahme ist, Freizeit, Erlebnis und notwendige Vorbereitungsarbeiten zu kombinieren, anstatt ausschließlich mit Kennzahlen-Tableaus zu arbeiten. Somit kommen die Elemente der Story und des Projekt-Brandings zum Einsatz.81 7.4
Emotionalisierende Business-Cases
Der Sense of Urgency wird zum Teil mithilfe von Business-Cases transportiert. Diese sind im Management in der Tradition der Rational Choice auf Planzahlen basierende Wirtschaftlichkeitsrechnungen, die die Vorteilhaftigkeit der Zielstruktur gegenüber dem Status quo anhand ausgewählter Kennzahlen darstellen. Ein kritischer Punkt hierbei ist, dass sie in der Praxis zu Beginn von Changes noch einen wesentlichen Teil der Argumentation und der Entscheidungsgrundlage bilden. Im Laufe des Changes verschwinden sie aber oft zunehmend von der Bildfläche. Ein
81
Vgl. zum Thema „Change als Projektmarke“ Abschnitt „6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding“.
72
Jan Lies/Simon Schoop
Grund hierfür mag sein, dass sich die geschätzte Realisierungschance oft drastisch reduziert, wenn sich das Bewusstsein für die Komplexität und Zeitintensität der notwendigen Veränderungen bei den Entscheidern sukzessive schärft. Genau dieses Vorgehen – erst bildhaft die Vorteile eines geplanten Change-Projektes ankündigen und dann die Haltung sowie Botschaft korrigieren müssen – ist jedoch zu vermeiden. Im Sinne des Erwartungsmanagements muss vielmehr die Vorteilhaftigkeit der Zielorganisation für jeden Einzelnen – im Topmanagement, auf den Führungsebenen und bei den Mitarbeitern – plausibel, eingängig und realistisch sein.82 Kennzahlen-Tableaus sind hierfür bestenfalls die Minimalanforderung, um Entscheider zu überzeugen. Denn hierbei finden die notwendigen Prozesse für den Weg zum Ziel zu wenig Beachtung. Darauf aufbauend ist die emotionalisierende Aufbereitung des Zielbildes zu leisten – auch während des Changes. Dies ist eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, da sich das Interesse, gleich für welches Thema, gewöhnlich nicht länger als ein halbes Jahr mit Kommunikation wachhalten lässt. Emotionalisierende Business-Cases sind als Baustein der Prozesskommunikation in Form meilensteingebundener (interner) Kampagnenkommunikation ein wichtiger Teil der Change-Dramaturgie und können die Story themenweise ergänzen bzw. aktuell mit Leben füllen.83 So können beispielsweise priorisierte Themen in bestimmten Arbeitsphasen durch sie begleitet werden. 7.5
Mentoring als Wissenstransfer
Das Mentoring – als Wissenstransfer durch Patenschaften – kann in vielen Bereichen des Wissensmanagements angewendet werden. Mentoring bezeichnet eine Form des formellen oder informellen Wissensmanagements, bei dem eine lebens- und berufserfahrene Führungskraft (Mentor) einem jüngeren oft in der Qualifizierungsphase befindlichen Mitarbeiter (Mentee) als Berater zur Seite steht. Ein Mentor ist ein väterlicher Freund und Berater in einer Person. Das Mentoring wird hier exemplarisch der Vermittlung und Verbreitung des Sense of Urgency zugeordnet. Ausgewählte Führungskräfte können einen Beitrag leisten, indem sie ihre Mentorenrolle mit ihrer Funktion als Change-Agents verbinden.84 Mit dieser Doppelfunktion können sie ihren Beitrag leisten, die Organisation in der Phase des Changes gegen die Systemmacht dysfunktionaler Change-Allianzen zu schützen. Beispielsweise können sie mit ihrem Erfahrungswissen Business-Cases besonders gut veranschaulichen. Mentoring erfüllt im Change-Management idealerweise zwei zentrale Funktionen: 1) kontinuierliches Wissensund Kulturmanagement, auch über die Transformationsphase hinaus, mit einem Beitrag zum Erwartungsmanagement und zur Schärfung des Sense of Urgency über die Hierarchieebenen hinweg; 2) Beitrag und Modul zur Einbindung von Führungskräften und zur Rollenfestigung.85 Mentoring entspricht dem Geist der selbststeuernden Per-
82
Vgl. zum Thema „Erwartungsmanagement“ Abschnitt „19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement“. 83 Vgl. das Beispiel der auch emotionalisierenden Story im Abschnitt „6.3 Die Story: Instrument der Führungskräfteentwicklung“. 84 Vgl. zum Thema „Change-Agent“ Abschnitt „13.7 Change-Agents zur Stabilisierung sozialer Dynamik“. 85 Vgl. zu Thema „Einbindung“ Abschnitt „8. Mine: Führungskräfte nicht systematisch eingebunden“.
7. Mine: Mangelnder Sense of Urgency
73
sonalentwicklung (Schermuly et al. 2009: 14 f.), da die Mitarbeiter selbst durch hierarchieübergreifende Unterstützung zur Systemfestigung beitragen. Es beinhaltet aber auch die Gefahr dysfunktionaler Seilschaftenbildung, wenn Mentoren eingesetzt werden, die von einem mangelnden Change-Commitment geprägt sind. Darum empfiehlt es sich, auch hier Führungskräften Anreize für ihr Engagement im Mentoring zu geben. Zugleich gilt es im Rahmen von Befragungen der Mentees, den Erfolg dieser Maßnahme stetig zu messen, beispielsweise mit speziellen Fragen an die Mentees zum Thema „Commitment“. 7.6
Fazit: Der Sense of Urgency ist Teil der Dramaturgie
Den Sense of Urgency zu vermitteln, ist keine einmalige intellektuelle Erklärungsleistung, sondern ein tragender Teil einer gelingenden Change-Dramaturgie, genauer der Change-Didaktik.86 Die mediale Kommunikation ist hierfür nur ein Unterstützungsinstrument. Wichtig ist vielmehr, dass die Führungskräfte die Notwendigkeit des Wandels zu einem Teil ihrer Führung im Change machen, damit die Beteiligten ihre Komfortzonen verlassen. Gleiches gilt auch für die erste Führungsebene, da sich Führungskräfte selbst Komfortzonen einrichten bzw. verantwortlich dafür sind, dass Mitarbeiter sich in solchen Zonen aufhalten können. Handlungsfeld
Aufgaben
Didaktik – Partizipation: Komfortzonen auflösen
Sense of Urgency (stetig und anschaulich) erklären und zu einem Teil der Story machen ggf. Anreize etablieren, damit Führungskräfte in ihrem Bereich Referenz-Change-Projekte als Leuchtturm anbieten
Information/Kommunikation: emotionalisierende Business-Cases
den Sense of Urgency an ausgewählten Kernproblembereichen anschaulich darstellen; auch Teilprojekte des Changes in die Story einbeziehen
Didaktik – Partizipation: Mentoring-Programme
Mentoring-Programme als Element der selbststeuernden Personalentwicklung auflegen
Abbildung 29: Aufgaben zu Schärfung des Sense of Urgency Quelle: eigene Darstellung
86
Vgl. zum Thema „Change-Didaktik“ Abschnitt „3.5 Change-Didaktik: das Können fördern“.
Mine: Führungskräfte nicht systematisch eingebunden
75
Change-Management erfordert lebendige Informationskaskaden!
8. Mine: Führungskräfte nicht systematisch eingebunden Jan Lies/Simon Schoop Die Notwendigkeit für ein Change-Projekt macht deutlich, dass zumindest in Teilen ein ineffektives (richtungsfunktional falsches) Beharrungsvermögen die Führung bestimmt oder zumindest bestimmt hat. Die Konsequenz hieraus darf aber nicht sein, die Führung aus der Verantwortung für die Zukunft zu entlassen; sie muss nun umso mehr in die Pflicht genommen werden. Daher sind Führungskräfte nicht nur in die Planung des Change-Projektes, sondern auch in dessen Umsetzung einzubinden. Partizipation im Change bedeutet, die Führungskräfte handlungsfähig zu halten, indem sie in die Entwicklung von ChangeProgrammatik und Change-Dramaturgie eingebunden werden. So wird ihnen auch ein Informationsvorsprung gegenüber ihren Mitarbeitern gesichert. Dies macht die Story-Entwicklung unter Beteiligung von Führungskräften zum Startpunkt der Informationskaskade und den Startpunkt des Changes selbst zu einem konzeptionell neuralgischen Punkt der Systemdynamik. Die Anforderung der Partizipation der Führungskräfte grenzt den Handlungsauftrag externer Berater in Change-Prozessen ein.
8.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Teile des Betriebs der IT-Infrastruktur und Teile des Vertriebs eines großen Dienstleistungsunternehmens der Informationstechnologie sollten organisatorisch zu einem gemeinsamen Unternehmensbereich verschmolzen werden. Der Hintergrund war, Lösungen im Bereich des Outsourcings aus einer Hand anbieten zu können. Dem Unternehmen ging es zum Zeitpunkt des geplanten Mergers wirtschaftlich gut. Es war im Bereich von Outsourcing-Diensten jedoch eher ein kleinerer Anbieter.
Herausforderungen zur Durchsetzung des Projekts: Die Zusammenführung zweier Konzernbereiche zu einem neuen gemeinsamen Bereich namens „Outsourcing“ erfordert vergleichbare Vorgehensweisen wie eine Fusion zweier zuvor unabhängiger Unternehmen. Der Auftraggeber des Beratungsprojekts war sich im Klaren darüber, dass diese Reorganisation mehr als nur eine begleitende Kommunikation erforderlich machte. Was aber zunächst nicht klar war und auch den Beratungsauftrag nicht beinhaltete, war die veränderten fachlichen Anforderungen den Mitarbeiter zu kommunizieren. Als die beabsichtigte Verschmelzung bereits intern angekündigt worden war, gab es zudem noch keine offiziellen Kommuni-
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_9, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Jan Lies/Simon Schoop
kationskanäle zum internen Merger und auch keine Planung, wie den Mitarbeitern die benötigten Fähigkeiten vermittelt werden sollten, um im neuen Konstrukt erfolgreich sein zu können.
Lösungsansatz: Zunächst einmal galt es, das Management von der Notwendigkeit eines Trainingsprogramms zu überzeugen, damit die Mitarbeiter die benötigten Fähigkeiten erlangen konnten, die sie mit Erreichen der Zielstruktur zusätzlich benötigen würden. Vor allem bei den Kundenmanagern war es darüber hinaus wichtig, Fluktuation zu vermeiden, denn sie waren die Schlüsselpersonen der Zielorganisation. Daher wurde zunächst ein Kommunikationsplan entwickelt, der den Grundsatz der kaskadierenden Change-Kommunikation verfolgte.87 Manager wurden also grundsätzlich mindestens zwei bis drei Werktage vor ihren Mitarbeitern über den nächsten Schritt der Reorganisation informiert. So konnten sie in ihren eigenen Worten und mit ihren eigenen Kommunikationskanälen die anstehenden Veränderungen an ihre Mitarbeiter kommunizieren, ohne dass diese von einer zentral gesteuerten Kommunikation überholt wurden. Entscheidend darüber hinaus war, Führungskräfte aktiv in die Maßnahme „Train the Trainer“ einzubinden. Ausgestattet mit einem Methoden-Baukasten wurden sie befähigt, ihre neuen Mitarbeiter – wie beispielsweise die wichtigen Kundenmanager – adäquat zu schulen und ihnen die Fähigkeiten an die Hand zu geben, die sie brauchten. Durch das Trainieren der Mitarbeiter mithilfe der Führungskräfte erhielt die Veränderung eine größere Glaubwürdigkeit als dies der Fall gewesen wäre, wenn alle Trainingsmaßnahmen von externen Beratern und Trainern durchgeführt worden wären.
Erfahrungen: Die Identifikation der Kundenmanager als die wichtigste Zielgruppe war der Schlüssel zum Erfolg. Durch die persönliche Ansprache in Form von Trainingsmaßnahmen konnte das Gewicht ihres Wortes als firmeninterne Repräsentanten genutzt werden, um eine überwältigende Mehrheit der Mitarbeiter von der Sinnhaftigkeit der Verschmelzung zu überzeugen und zusätzliche Fluktuation zu vermeiden.
Fazit: Erfolgreiche Veränderungsprozesse erfordern Einbindung. Das gilt vor allem für die Führungskräfte, damit sie ihrer Führungsaufgabe gerecht werden können. Sie müssen in der Übergangsphase als Multiplikatoren gewonnen werden, was über spezielle Aufgaben und damit Rollendefinitionen geschieht. Dies steigert auch die Glaubhaftigkeit der Maßnahmen gegenüber zentralisiertem Change-Management.
87
Vgl. zum Begriff „Kaskade“ Abschnitt „8.5 Kommunikationskaskade als Führungskräftebestätigung“.
8. Mine: Führungskräfte nicht systematisch eingebunden
8.2
77
Change-Management: Bekenntnis des Scheiterns?
Die Initiierung eines Change-Projektes kann aus Sicht der Organisation als Bekenntnis des Scheiterns und damit als Verliererposition gewertet werden: „Wenn ein Change nötig ist, dann haben wir schlecht gearbeitet“, so die plausible Wahrnehmung auf allen Ebenen der betroffenen Organisation. Diese Wahrnehmung findet sich nicht nur als Klage in der Analysephase. Sie kann auch die Bewältigung der Change-Programmatik belasten, da – wenn auch unbeabsichtigt – mit der Arbeit an neuen Strukturen und Prozessen die Arbeitsleistungen und das Engagement der Vergangenheit stetig kritisiert werden. Darum können die Pläne für ein Change-Projekt als Angriffsbotschaft verstanden werden. Daraus ergibt sich zum einen die Notwendigkeit, diesen Kritikpunkt bei der Story des Changes inhaltlich zu berücksichtigen,88 womit die Story-Entwicklung zeitlich zu Beginn der Informationskaskade im Change steht. Zum anderen ist zu überlegen, ob es angesichts der Ist-Führungskultur möglich und ratsam ist, mit der aktuellen Führungsmannschaft den Change selbst auf den Weg zu bringen oder ob es sinnvoller ist, die Initialzündung mithilfe externer Berater vorzunehmen. 8.3
Change-Management: Wer gibt das Startzeichen?
Es ist von der Unternehmenskultur der jeweiligen Organisation abhängig, ob es möglich und sinnvoll ist, den Startpunkt eines Changes und damit die Formulierung des Sense of Urgency von innen heraus zu setzen, oder ob dies mithilfe externer Berater geschehen sollte. Folgende Argumente zeigen die Risiken und Chancen von ChangeProjekten auf, die von innen oder außen initiiert werden: Die Vorbreitung eines Changes kann oder sollte je nach Kultur durchaus von externen Beratern (mit-)geleistet werden. Dabei ist zu konkretisieren, welche Leistungen zur externen Beratung und/oder zum Coaching gehören (vgl. Bokler, 2004: 7 ff.):
Beratung: neutrale, professionelle und unterstützende Problemanalyse und identifikation. Sie beinhaltet optional Lösungsvorschlag und Umsetzung (Umsetzungsberatung). Die Beratungsfelder reichen von der Organisationskultur über Strategien, Prozesse und Strukturen mit Verfahren bis zu Methoden und Technologien. Sie kann von spezialisierten Einheiten innerhalb der eigenen Organisation (Inhouse Consulting) oder von außerhalb erbracht werden.
Coaching: interaktiver und personenorientierter Beratungs- und Betreuungsprozess. Coaching kann Teil der Beratung sein.
88
Vgl. zum Thema „die Story als Hybridinstrument“ Abschnitt „6.2 Story: Die zwei Arbeitsebenen“.
78
Jan Lies/Simon Schoop
Pro-Argumente, den Startpunkt „von innen“ zu setzen
Pro-Argumente, den Startpunkt „von außen“ zu setzen
starke Kultur der Selbstkritik
Einkauf von branchenübergreifendem Know-how
starke Kultur der Innovationsfreudigkeit
Möglichkeit, durch den Change berührte Machtverschiebungen von neutraler Stelle anzugehen
Aufbau eigener Change-Expertise Möglichkeit, Führungskräfte in die Pflicht zu nehmen und sie in ihrer Rolle zu bestärken starke Kultur, Berater pauschal abzulehnen und damit von Beginn an in die Opposition zu gehen
mangelnde Fehler- und Konfliktkultur Möglichkeit, notwendige Kritik von Dritten und nicht von Kollegen formulieren zu lassen Möglichkeit, Fehlentwicklungen im anstehenden Change an Berater zu binden und diese im Falle von Fehlentwicklungen auszutauschen Fehlendes eigenes Change-Know-how Fehlende Kapazitäten die Kultur, interne Propheten gar nicht oder wenig zu beachten
Abbildung 30: Wer sollte den Startpunkt „Change“ setzen? Quelle: eigene Darstellung
Für externe Unterstützung spricht vor allem das branchenübergreifende Know-how, sodass etwa Benchmarking (Orientierung an Bestleistungen definierter Vergleichsunternehmen, -branchen oder -prozesse) zur Begündung und Verdeutlichung des Sense of Urgency herangezogen werden kann. Das Startsignal selbst gibt das eigene Topmanagement. Dies folgt auch aus der Notwendigkeit, ein klares Change-Commitment in der Organisation vorzuleben.89 Ebenso ist eine Dominanz bei der Umsetzung der dann folgenden Change-Programmatik durch eine externe Beratung zu vermeiden. Dies ist vor allem der Doppelrolle der eigenen Führungskräfte geschuldet, die unten genauer erklärt wird.90 8.4
Beratung und partizipative Führung
Partizipative Führung bedeutet für das Management, Problemfelder aufzuzeigen, für die die Mitarbeiter Lösungsvorschläge erarbeiten (vgl. Hungenberg/Wulf, 2007: 347 f.). Partizipation dieser Art ist wichtig, da vor allem die Führungskräfte den Change vorantreiben und damit die Rolle der Change-Agents übernehmen.91 Sie sind es, die als systemprägende Change-Allianz das Projekt maßgeblich zum Erfolg führen. „Change-Energie kann man nicht kaufen.“ (Schleuter/Stosch, 2009: 105). Oder: „Par-
89
Vgl. zum „Commitment“ Abschnitt „11. Mine: Mangelndes Change-Commitment“. Vgl. zur „Doppelrolle“ Abschnitt „8.6 Doppelrolle von Führungskräften im Change“. 91 Vgl. zu „Change-Agents“ Abschnitt „13.7 Change-Agents zur Stabilisierung sozialer Dynamik“. 90
8. Mine: Führungskräfte nicht systematisch eingebunden
79
tizipation ist vielleicht mit der wichtigste Erfolgsfaktor für nachhaltige Veränderungen.“ (Bokler, 2004: 215) Je mehr konzeptionelle Umsetzungsberatung eine Organisation im Change-Management einbindet, desto weniger partizipative Führung ist möglich. Die Tabelle unten gibt eine Übersicht über die Argumente, die für und gegen die Einbindung von Change-Beratungen sprechen. Interpretiert man diese Argumente plakativ, besteht die Gefahr einer zu dominanten Umsetzungsberatung darin, dass die eigenen Führungskräfte in ihrer Rolle beschädigt werden. Change-Berater sollen keine Lösungsvorschläge erarbeiten und umsetzen, sondern die Organisation mithilfe von Topmanagement-Mandaten befähigen, selbst Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen. Die Entscheidung, welcher Lösungsvorschlag umgesetzt wird, behält sich das Management vor. Change-Berater können diese vorbereiten, Alternativen aufzeigen und auf operativer Ebene bei der Umsetzung unterstützen. Die defininierten Rollen von Führungskräften und Beratern bestimmen wesentlich den partizipativen Charakter des Change-Managements. Argumente für Change-Beratung
Argumente gegen Change-Beratung
Bereitstellung bewährter Change-Modelle
die ggf. geringen Fachkenntnisse der Organisation über Change-Management
Vorgabe von „neutralen Zielen“ und Coaching für die Führungsstruktur und Mitarbeiter, diese zu erreichen
Risiko, sich als Organisation gewollt oder ungewollt von Beratern abhängig machen
Unabhängigkeit von erreichten Besitzständen und emotionaler Bindung an Liebgewonnenes
Risiko, Führungskräfte in ihrer Autorität/Persönlichkeit zu beschädigen
Notwendigkeit, sich organisationsweit zu vernetzen
Risiko, dass die Organisation sich nicht mit dem Change identifiziert
Zugriff auf alle Hierarchieebenen
Risiko, dass Führungskräfte und Mitarbeiter in Opposition zur Beratung gehen – aufgrund mangelnder Identifikation und/oder fachlichen Wettbewerbs
Schranken eigener Hierarchien Chance und damit Freiheit, politische Zwänge der Organisationskultur zum Teil ignorieren zu können Chance, als Externer mit der Mandatierung des Topmanagements als zusätzlicher Change-Agent zu fungieren
Risiko, dass Führungskräfte den Change delegieren
Neutralität angesichts gewachsener Machtstrukturen Abbildung 31: Argumente für und gegen externe Change-Berater Quelle: eigene Darstellung
80
8.5
Jan Lies/Simon Schoop
Kommunikationskaskade als Führungskräftebestätigung
Ein weiteres Gewicht bekommt Partizipation im Hinblick darauf, dass Informationsvorsprünge der Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitern gesichert werden. Mit der inhaltlichen Ausarbeitung der verbindlichen Management-Agenda als Handlungsrahmen zu Beginn eines Change-Prozesses verfügen die Führungskräfte über den notwendigen Informationsvorsprung gegenüber den Mitarbeitern, der während des gesamten Changes aufrecht zu erhalten ist. Diesen Vorsprung im Zuge von Veränderungsprozessen zu sichern, ist eine Herausforderung, da das Beschaffen relevanter und belastbarer Informationen anders als im gelernten Tagesgeschäft oft erst organisiert werden muss. Da ein Change-Projekt zumeist aus einer Vielzahl von zum Teil von einander abhängigen Teilprojekten mit diversen (neuen) Schnittstellen besteht, deren Bearbeitung je nach Change-Projektorganisation nicht in der Linienstruktur und damit den Verantwortungsbereichen der Führungskräfte erfolgt, ist die Sicherung des Informationsvorsprungs keineswegs mit der Annahme gesichert, dass die Führungskräfte die Veränderungen in ihrem Verantwortungsbereich selbst vorbereiten. Im Prinzip haben Organisationen drei Möglichkeiten, Informationen intern weiterzugeben: „top down“, „bottom up“ oder horizontal. Bei partizipativen Führungsprozessen haben Bottom-up-Elemente Bedeutung.92 Sie sind beispielsweise bei der Management-Agenda und der Story-Entwicklung maßgeblich, wenn man über die Führungskräfte hinaus auch Teile der Mitarbeiter (zum Beispiel mittels hierarchieübergreifender Arbeitsgruppen) einbindet. Bei Change-Projekten mit großem Scope herrscht oftmals eine diffuse Informationslage, da der Projektfortschritt in Teilprojekten meist unterschiedlich schnell vonstattengeht. Hier ist die kaskadische Kommunikation, die vom Steuerungsgremium der Change-Organisation ausgeht, ein wichtiges Element der internen Kommunikation (Deg 2009: 140 f.). Sie sichert Führungskräften einen Vorsprung vor den Mitarbeitern, der ihnen Raum gibt, Führung und Informationsweitergabe nach eigenen Maßstäben und mit eigenen Instrumenten auszuüben. Der Vorsprung ist also kein Selbstzweck, sondern unterstützt den Führungsauftrag des Managements. Die Kommunikationskaskade war bereits bei der Frage vorschneller Pressearbeit ein Thema.93 Die Informationskaskade ist Voraussetzung, um eine sogenannte Sponsorenkaskade aufbauen zu können. Projektsponsoren – ein Begriff aus dem Projektmanagement – bezeichnen Personen oder Gremien, die eine Sache (Projekte, Produkte, Instrumente …) monetär und/oder mit persönlichem Engagement unterstützen. Damit ist hier gemeint, dass Führungskräfte als Positiv-Multiplikatoren eine erfolgskritische Rolle im Change spielen,94 deren Bedeutung für die Systemstabilität sich durch ihre Doppelrolle verstärkt.
92
Vgl. zu den Informationsmöglichkeiten Abschnitt „9.3. Partizipation bedeutet höchste Führungsanforderung“. 93 Vgl. zur Informationskaskade Abschnitt „2. Mine: Entkopplung von Change-Management und Change Communications?“. 94 Vgl. zur „Multiplikatorrolle“ Abschnitt „13.6. Multiplikatormanagement für Change-Allianzen“.
8. Mine: Führungskräfte nicht systematisch eingebunden
8.6
81
Doppelrolle von Führungskräften im Change
Die Rolle von Führungskräften im Change ist schwierig, da diese oft eine Doppelrolle übernehmen sollen oder müssen:
Führungskräfte als Betroffene: Sie sind oftmals vom Change-Prozess betroffen, da ihr Zuständigkeitsbereich nicht selten verändert wird. Im Extremfall sind nicht nur ihre Verantwortungsbereiche betroffen, sondern sie selbst als Person vom Personalabbau.
Führungskräfte als Verantwortliche: Die Führungskraft als Person oder als Leiter einer Abteilung soll oft trotz ihrer ggf. persönlichen Betroffenheit das durchsetzen, was der Veränderungsprozess vorsieht. Hier wird deutlich, dass Entscheider in Konflikte zwischen Eigen- und Organisationsinteresse geraten können.95 Darüber hinaus sind emotional schwierige Situationen zu beachten, wenn beispielsweise persönlich gut bekannte, sympathische und/oder treue Kollegen im Extremfall entlassen werden müssen.
Diese Doppelrolle von Führungskräften ist ein Grund dafür, das Timing – hier die Geschwindigkeit – als einen Erfolgsfaktor von Changes zu kennzeichnen.96 Denn es ist elementar wichtig, den Change zügig mit einer neu zugeschnittenen Zukunftsmannschaft umzusetzen. Das Anliegen ist dabei, gruppendynamischen Prozessen zuvorzukommen. Umso wichtiger ist es, den Führungskräften einen Informationsvorsprung zu sichern, den sie idealerweise nutzen, um ihrem Kommunikationsauftrag als Change-Agent zur Prägung von Systemmacht nachzukommen. 8.7
Fazit: Führungskräfte durch Einbindung stärken
Aufgrund ihrer Doppelrolle ist die Einbindung von Führungskräften zur positiven Beeinflussung der Systemdynamik von besonderer Bedeutung. Funktionierende Informationskaskaden ebnen den Weg zu Sponsorenkaskaden, die normativ wiederum die Keimzellen für Systemallianzen bilden, um damit die Eigendynamik der Organisation im Sinne der Organisationsziele zu beeinflussen.97 Unterstützt wird dies durch die Möglichkeit der adäquaten Rollenfindung in Abgrenzung und Ergänzung zu externen Beratern. Diese sollen sie lediglich befähigen, den Change-Prozess voranzutreiben, und ihre Rolle als Führungskraft so stärken.
95
Vgl. zu den Eigeninteressen Abschnitt „12.2. Mikropolitik: Relevanz für Change-Prozesse“. Vgl. zum Thema „Timing“ Abschnitt „17. Mine: Mangelndes Timing“. 97 Vgl. zum Thema „Systemmacht“ den Abschnitt „13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht“. 96
82
Jan Lies/Simon Schoop
Handlungsfeld
Aufgaben
Partizipation – Information/Kommunikation: Führung
Führungskräfte bei der Entwicklung und Umsetzung der Change-Programmatik einbinden und damit in die Pflicht nehmen Informationsvorsprünge von Führungskräften vor allem durch Einbindung sichern Funktionsfähigkeit von Sponsorenkaskaden stetig prüfen
Partizipation: externe Beratung
eingekauften Support auf das Enabling und die Motivation von Führungskräften und Mitarbeitern konzentrieren
Abbildung 32: Aufgaben zur Einbindung von Führungskräften Quelle: eigene Darstellung
Mine: Unechte Mitarbeiter-Partizipation
83
Einbindung erfordert hohe Führungsqualität.
9. Mine: Unechte Mitarbeiter-Partizipation Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe Mit echter Partizipation wird die Einbindung der Mitarbeiter und Führungskräfte einer Organisation in Analyse, Konzeption, Umsetzung und Controlling eines Change-Projekts bezeichnet. Sie bildet ein wesentliches Fundament für das Commitment (Unterstützung durch Selbstverpflichtung). Unechte Partizipation gibt dagegen Einbindung nur vor oder setzt zu spät ein. Sie ist schädlich für die Eigendynamik von Organisationen, da sie die Vertrauenswürdigkeit des Managements und damit das positive Emotionalisierungs- sowie Identifikationspotenzial beschädigt.
9.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Im Rahmen seiner mittelfristigen Strategie entschied sich das Management eines Multimedia-Dienstleisters für die Einführung eines unternehmensübergreifenden Portfoliomanagements für seine Produkte und Dienste. Hintergrund hierfür waren die gestiegenen Anforderungen des Marktes an ein klares Profil und ein eindeutiges USP (engl. „Unique Selling Proposition“, Alleinstellungsmerkmal) des Unternehmens. Hinzu kam, dass immer mehr Kunden nicht einzelne E-BusinessLeistungen, sondern integrierte Gesamtlösungen inklusive Beratungs-, Implementierungs- und Supportleistungen forderten. Die Notwendigkeit eines Portfoliomanagements zur Stärkung der Marktpositionierung war damit offensichtlich.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Das Portfoliomanagement für Dienstleistungen – insbesondere für innovative und kundenindividuelle Leistungen wie E-Business-Lösungen – stellt eine besondere Herausforderung dar. Der klassische Produktlebenszyklus ist nur bedingt auf Dienstleistungen und das Projektgeschäft anwendbar. Zu heterogen sind die Kundenprojekte und zu schnell ändern sich Markttrends, Kundenanforderungen und Technologien. Die zentrale Schwierigkeit für ein übergreifendes Portfoliomanagement ergab sich vor allem aus der Organisationsstruktur. Die Business-Units arbeiten als Profit-Center mit eigener Geschäftsverantwortung. Wie überzeugt man die Mitarbeiter also davon, ein Gesamtportfolio für das Unternehmen zu entwickeln und am Markt zu platzieren?
Lösungsansatz: Zur Einführung des Portfoliomanagements wurde eine strategische Initiative gegründet, die Mitglieder des Managements sowie Mitarbeiter aus
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_10, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
operativen Business-Units, Servicebereichen und Projekten umfasste und damit die relevanten Stakeholder frühzeitig integrierte. Aufgabe des Kernteams war, innerhalb eines Jahres ein Konzept für ein Portfoliomanagement des Gesamtunternehmens vorzubereiten und die dafür nötigen Prozesse, IT-Systeme und Organisationsstrukturen aufzusetzen.
Erfahrungen: Das Kernteam erarbeitete zunächst einen Projekt-Scope, der die Besonderheiten einer Profitcenter-Organisation berücksichtigte. Frühzeitig etablierte das Team eine offene Kommunikation im Unternehmen, die von Blogs und einem internen Wiki unterstützt wurde. Darüber hinaus wurden in regelmäßigen Abständen Reports in Management- und Mitarbeitermeetings vorgestellt. Der Informationsprozess zeigte, dass die Frage, wie viel zentrale Steuerung durch das Portfoliomanagement vorgesehen war, zu den meisten Diskussionen zwischen Geschäftsleitung und Business-Units führte.
Fazit: Es galt, einen Kompromiss zwischen den Anforderungen der einzelnen Business-Units und einem übergreifenden Portfoliomanagement zu finden. Dazu wurden Informationen für Führungskräfte und Mitarbeiter vorbereitet, Workshops im Führungskreis moderiert und deren Ergebnisse offen diskutiert, bevor finale Entscheidungen durch das Management getroffen wurden. Dieses Vorgehen war erfolgreich: Künftig arbeitet das Unternehmen mit dem gemeinsamen Portfoliomanagement. Entscheidend für den Erfolg der Initiative war dabei, dass frühzeitig alle wichtigen Stakeholder in den Prozess eingebunden wurden, sodass heute alle relevanten Bereiche die strategische Initiative mittragen können.
9.2
Funktionen der Partizipation im Change-Management
„Die konsequente und ehrliche Einbindung der Betroffenen, so früh und so umfassend wie möglich, ist der mit Abstand größte ‚Hebel’ für nachhaltiges Commitment. Grundsätzlich bringt die gängige Formel ‚aus Betroffenen Beteiligte machen’ deshalb ein elementares Prinzip erfolgreichen Change-Managements zum Ausdruck.“ (Rigall et al., 2005: 61) Die Einbindung erfüllt mehrere Funktionen: 1) Der Sense of Urgency wird durch Einbindung bereits in der Analysephase geschärft.98 2) Führungskräfte und Mitarbeiter bekommen die Möglichkeit, ihre Vorstellungen zur ChangeProgrammatik einzubringen. Somit beinhaltet Einbindung gezielte Wissensanwendung und gezielten Wissensaufbau sowie darauf basierendes Identifikationspotenzial. 3) Fragen, Bedenken und/oder Widerstände können vom Management so besser antizipiert werden, um ggf. die Change-Programmatik anzupassen. 4) Einbindung ver-
98
Vgl. zum „Sense of Urgency“ Abschnitt „7. Mine: Mangelnder Sense of Urgency”.
9. Mine: Unechte Mitarbeiter-Partizipation
85
pflichtet – wer nicht mitmacht, verwirkt das implizite Recht auf Widerspruch. Diese vier Aspekte machen Mitarbeiter-Partizipation zum Element der Change-Didaktik.99 Unterschieden werden hier echte, unechte und reaktive Partizipation, die sich auf alle vier Phasen des Change-Managements – Analyse, Konzeption, Umsetzung und Controlling – beziehen:
Die echte aktive Partizipation bindet relevante Mitarbeiter in Analyse, Konzeption, Umsetzung und Controlling der Change-Programmatik ein.
Die unechte Partizipation gibt Einbindung vor (zum Beispiel Befragungen der Mitarbeiter durch das Management, ohne Rückmeldung oder Konsequenzen nach der Auswertung) oder setzt zu spät ein; typischerweise dann, wenn die Umsetzung der Change-Programmatik ansteht oder Anzeichen auftreten, dass der Veränderungsprozess auf Widerstände stößt.
Die reaktive Partizipation ist die Einbindung, die das Management nicht beeinflussen kann. Sie findet als Ergebnis der Beobachtung des Change-Projekts, vor allem durch Führungskräfte und Mitarbeiter, aber auch durch Kunden und andere Stakeholdergruppen, in tiefgreifenden Veränderungsprozessen immer statt. Die Konsequenzen hieraus beginnen beim informellen Gespräch in der Kantine, reichen über die Gerüchtebildung – die vor allem durch eine Geheimhaltungskultur und Ergebniskommunikation begünstigt wird – bis zu aktivem oder passivem Widerstand.
Die unechte Partizipation erweckt keine ausreichende Betroffenheit und bezieht Mitarbeiter sowie ggf. Führungskräfte auch nicht in die Erarbeitung der ChangeProgrammatik ein. So wird den Mitarbeitern der Sense of Urgency nicht oder nicht hinreichend vermittelt und das Identifikationspotenzial mit dem Umbau wird nicht ausgeschöpft. Echt/aktiv Involvierte...
Unecht/passiv Involvierte…
erkennen den Zielanpassungsbedarf.
nehmen neue Ziele zur Kenntnis.
formulieren neue Ziele mit.
sind von Maßnahmen betroffen.
Beteiligen sich an Maßnahmenentwicklung zur Zielerreichung.
sollen neue Situationen und Veränderungen akzeptieren.
setzen „ihre“ Maßnahmen um und ggf. durch.
sollen sich reibungslos anpassen. sollen geplante Veränderungen umsetzen.
Abbildung 33: Funktionale Merkmale echter und unechter Einbindung im Change Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Möller (2009: 28)
99
Vgl. zur „Change-Didaktik“ Abschnitt „3.5. Change-Didaktik: das Können fördern“.
86
9.3
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Partizipation bedeutet höchste Führungsanforderung
„Weitreichende und tiefgreifende Änderungen scheitern nicht selten bereits in der Konzeptphase (…).“ (Krüger, 2009: 171) Die Frage des Change-Modus mit dem adäquaten Einbindungsgrad der Beteiligten wird hierbei als wichtige Misserfolgsursache gewertet. Der Einbindungsgrad reicht hierbei theoretisch von null bis unendlich: von der strikt direktiven Implementierung (Top-down-Ansatz) bis zur nondirektiven Methode (Bottom-up-Ansatz); möglich sind auch (anlassbedingte) Mischformen, wie zum Beispiel das Gegenstrom-Verfahren.
Abbildung 34: Varianten der Einbindung in der Konzeptphase Quelle: Krüger (2009: 172 ff.)
Partizipative Führung bedeutet im systemischen Management die arbeitsteilige Kooperation und Koordination innerhalb definierter Zielvorgaben. Partizipation überlässt also nicht den Mitarbeitern allein die Lösungskompetenz. Sie führt über Zielvorgaben und Rahmensetzung zu gruppenweitem Problembewusstsein, das widerstandsminimierte Lösungsansätze hervorbringt. Entscheidungsvorschläge werden in Gruppen erarbeitet, diskutiert und priorisiert – mit der Option des Topmanagements, begründet zu widersprechen. Dabei sollen bei der Gruppenbildung erfolgskritische Bereiche (zum Beispiel Teams, Standorte, Funktionsträger) repräsentativ abgebildet werden, sodass dem antizipativen Aspekt der Allianzenbildung als Faktor der Bildung von Systemmacht Rechnung getragen wird. Partizipation bedeutet damit nicht: „Alle mischen mit.“ Denn Einbin-
9. Mine: Unechte Mitarbeiter-Partizipation
87
dung durch Beteiligung möglichst vieler bedeutet eine neue Form der Durchsetzungsschwäche aufgrund zu großer Stimmenvielfalt. Das heißt die Formel „Betroffene zu Beteiligten machen“, hat nur mit Einschränkungen Gültigkeit. Dieser Führungsstil stellt hohe Anforderungen an die Führungskraft, da die Gratwanderung zwischen basisdemokratischen Tendenzen und damit verbundener Fehlleistungen, Überforderung der Mitarbeiter sowie Überidentifikation mit eingebrachten Vorschlägen auf der einen Seite zu leisten ist. Das heißt, wenn Mitarbeiterbefragungen, Arbeitsgruppen, Beschwerde-Systeme und andere Partizipationsinstrumente eingesetzt werden, ist immer auch das Erwartungsmanagement zu der Verwendung der hier von Mitarbeitern erarbeiteten Vorschläge zu leisten.100 Denn auf der anderen Seite ist die notwendige Zieldurchsetzung des geplanten Veränderungsprozesses ggf. auch gegen die Interessen der internen Stakeholder erforderlich. Im Idealfall entwickelt die Führungskraft ihr Team so, dass es die Lösungsvorschläge präsentiert, die sie sich vorstellt. 9.4
Vom Whistleblowing zum Mystery-Management
Die Schwäche von Analyseteams und verwandten Methoden besteht darin, dass letztlich kein Dialogangebot – und damit kein echtes interaktives Partizipationsangebot – an die Organisation gemacht, sondern lediglich ein Informationsabfrage-Instrument eingesetzt wird. Zudem geht die Initiative vom Change-Management und nicht von den Führungskräften und Mitarbeitern aus. Diesen Schwächen begegnet das Mystery-Management (vgl. Lies, 2010a: 14 f.). Der Ansatz überträgt das Mystery-Shopping auf interne Managementmaßnahmen. Mystery-Shopping (auch Silent-Shopping) ist als Instrument des Dienstleistungscontrollings bekannt. Mystery-Shopper sind beauftragte und geschulte Testkunden, die die Dienstleistungsqualität beurteilen, indem sie etwa im Verkaufsgespräch Testfragen stellen und die Qualität nach einem zuvor festgelegten Kriterienkatalog bewerten (vgl. Schmidt, 2007: 2). Mystery-Shopping wird überall dort eingesetzt, wo Unternehmen ihren Kunden begegnen, etwa im Einzelhandel, aber auch in Restaurants oder Hotels. Hierbei dient Mystery-Shopping nicht nur der Prozessqualität, sondern auch der Personalentwicklung. Da Mitarbeiter zum Teil als interne Kunden verstanden werden, ist der Ansatz naheliegend, nach Situationen Ausschau zu halten, in denen die Organisation auf „interne Kunden“ – oder besser: auf interne Stakeholder – trifft: Das MysteryManagement versteht Mitarbeiter und Kunden als solche Anspruchsgruppen. Indem die (internen) Stakeholder als „Testkäufer“ Managementhandeln etwa im Auftrag der Change-Management-Projektorganisation oder des Aufsichtsrats prüfen, besteht eine Möglichkeit für Organisationen, (interne) Stakeholder-Positionen in die ChangeProgrammatik einfließen zu lassen. Mystery-Management wird so zu einer Form des Management-Controllings, indem „Silent Employees“ – also Testmitarbeiter einer
100
Vgl. zum Thema „Erwartungsmanagement“ Abschnitt „19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement“.
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Organisation – zu definierende Zieldimensionen des Managementhandelns überprüfen. Sie arbeiten analog zum Auftrag von Mystery-Shoppern in der Einzelhandelsfiliale. Dies erfordert einige Anstrengungen, da die Schwachstellen des Organisationsverhaltens mit Krisenpotenzial für die Durchsetzung von Change-Managementprojekten nicht immer leicht zu identifizieren sind. Mystery-Shopping steht letztlich vor der gleichen Problematik, wenn auch das Dienstleistungscontrolling auf mehr Erfahrungswerte zurückgreifen kann und die Bandbreite der Szenarien auf Kaufsituationen konzentriert ist. Mystery-Management braucht daher eine konzeptionelle Konkretisierung und Priorisierung, um Testszenarien überhaupt definieren und damit eine Bewertungsbasis erarbeiten zu können. Darum sind möglichst viele Mitarbeiter und Führungskräfte einzubinden, um eine belastbare Basis und große Issues-Bandbreite einzubeziehen.101 Um dem „Mystery“-Aspekt dabei gerecht zu werden, also die nicht ersichtliche Managementtest-Situation zu gewährleisten, sind gleichzeitig Anonymisierungsaspekte zu berücksichtigen. Dies geschieht beispielsweise, indem Rotationsroutinen eingerichtet werden, sodass diese Form des Mystery-Managements nicht an bestimmte Personen in einer Organisation gebunden wird. Konzeptionell findet hier also eine anonymisierte und routinisierte Form des Whistleblowings (wörtlich: „die Pfeife blasen“) statt (vgl. Deiseroth, 2000: 188 ff.). Vom Whistleblowing spricht man vor allem, wenn Mitarbeiter sich aus gemeinnützigen Motiven gegen ungesetzliche oder ethisch zweifelhafte Praktiken wenden, die ihnen innerhalb ihrer Organisation bekannt geworden sind. Die „Alarmpfeife“ zu blasen, um auf unethisches Verhalten der eigenen Organisation aufmerksam zu machen, ist rechtlich und kulturell oftmals schwierig, wie folgendes Beispiel zeigt. Beispiel: Wenn bestimmte Mitarbeiter eines Bauunternehmens öffentlich Alarm schlagen, weil z. B. Arbeitsschutzauflagen nicht eingehalten werden, klingt dies zunächst ehrenhaft. Ungeachtet des möglichen Nutzens gibt es jedoch Auflagen, die aus kultureller Sicht „auf dem Bau verpönt sind“. Wenn bestimmte Kollegen solche Missstände unternehmensin- und -extern anprangern, besteht die Gefahr, zum Außenseiter zu werden und den Teamerfolg zu gefährden. Mitarbeiter sind rechtlich zudem dem Unternehmen verpflichtet. Um eine starke Fehlerkultur zu etablieren und damit das System „Organisation“ zur Unterstützung der Durchsetzung von Change-Managementzielen zu stabilisieren, gilt es, sich systemrelevante und erfolgskritische Hinweise nutzbar zu machen, ohne Whistleblower in kulturelle und/oder rechtliche Probleme zu bringen. Erfolgreiches Mystery-Management basiert auf folgenden Eckpfeilern, die eine kulturbildende Programmatik zur Durchsetzung gewünschter Verhaltensweisen von Managern und Mitarbeitern stützen:
101
Vgl. zum Thema „Issues“ Abschnitt „10.3 Auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung“.
9. Mine: Unechte Mitarbeiter-Partizipation
89
Routinebildung: Grundlegend ist, Mystery-Management als stetigen Prozess zu begreifen, der ein gelebtes kulturelles Element ist, das sich nicht mit punktuellem Aktionismus verträgt. So wie Sales-Reviews (Vertriebsplanungstreffen) stetig Zielvorgaben liefern, werden im Rahmen von Mystery-Management-Reviews bestimmte Managementziele – hier bestimmte Verhaltensweisen – zur Routine. Quartalsweise oder in einem anderen geeigneten Takt werden Ziele und Erfahrungswerte in die Organisation gegeben.
Kultivierung: Mystery-Management ist Ausdruck einer starken Fehlerkultur, also eines Arbeitsklimas, in dem man gerne aus Fehlern lernt.102 Dazu gehört für Führungskräfte und Mitarbeiter, mit der Kritik von „Silent Employees“ umzugehen. Mystery-Management ist keine Unterwanderung der Führungsstruktur, sondern stärkt die systemweite Akzeptanz.
Incentivierung: Analog zur Incentivierung guter Vertriebsleistungen sind auch gute Beiträge für stakeholderkonformes Verhalten zu incentivieren. Basis hierfür können Berichte des Mystery-Managements sein, die durch Mitarbeiter- und ggf. Kundenbefragungen ergänzt werden.
Subjektivierung: Der Nachteil von Mystery-Management im Vergleich zur repräsentativen Mitarbeiterbefragung ist, dass „Silent Employees“ nur ihre subjektive Wahrnehmung einbringen. Um diesem Aspekt zu begegnen, ist die Einbindung möglichst vieler Mitarbeiter nötig. Auch darum ist Anonymisierung in Kombination mit Stetigkeit und Rotation wichtig.
Anonymisierung: „Silent Employees“ zu etablieren, ist – anders als im steten Publikumsverkehr einer Einzelhandelsfiliale – eine organisationsspezifische Herausforderung. Denkbar ist, dass die Personalabteilung ein Silent-EmployeeProgramm auflegt, in dem Mitarbeiter der eigenen Organisation in einem Rotationsverfahren zeitweise als Silent Employees arbeiten. Fluktuation und Rotation sowie zunehmende Zeitarbeit vor allem in großen Unternehmen bieten weitere Ansatzpunkte, sie zu etablieren.
Mystery-Management kann als Facette des Issues-Managements betrachtet werden. Leitbildprozesse und Managementworkshops können den eigentlichen ControllingPhasen vorausgehen, um ein gemeinsames Verständnis für die Ziele des MysteryManagements in der Organisation zu etablieren, so dass es zu einem Teil des Management-Controllings wird. 9.5
Fazit: Einbindung stabilisiert Systemdynamik
Aktive Partizipation gilt als Basisanforderung des Change-Managements, wobei der ideale Grad zwischen Vorgabe und Einbindung streng genommen nicht bestimmt werden kann. Insgesamt ist allerdings nicht die Einbindung der gesamten Organisation das Ziel. Vielmehr sind mit Blick auf die mögliche Systemmacht durch Allianzenbildung und
102
Vgl. zum Thema „Fehlerkultur“ den Abschnitt „16. Mine: Ja-Sager statt Fehler- und Konfliktkultur“.
90
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
die Bedeutung des internen Multiplikatormanagements Schlüsselpersonen oder -bereiche zu identifizieren, die stellvertretend die Aufgaben der Einbindung übernehmen. Die Vorstellung, dass sich durch Geheimhaltungskultur Widerstände begrenzen lassen, ist nur in Bezug auf die Erreichung verhandlungstaktischer Meilensteine – bei geplanten Fusionen zum Beispiel mit dem jeweils anderen Unternehmen, bei Kosteneinsparprogrammen gegenüber Arbeitnehmervertretungen – begründbar. Für die Umsetzung der mit dem Change-Projekt verbundenen Ziele und die Durchsetzung der ChangeProgrammatik ist die strikt direktive Durchsetzung angesichts der Erfahrungen mit Change-Prozessen zweiter Ordnung jedoch kontraproduktiv.103 Handlungsfeld
Aufgaben
Partizipation: Etablierung von Instrumenten
In die Change-Projektorganisation sind relevante Schlüsselgruppen einzubeziehen, und es ist Erwartungsmanagement zu leisten.
Antizipation: Mystery-Management
Legitimierung von Courage mit Anreizsetzung und Institutionalisierung von Whisteblowern
Abbildung 35: Aufgaben zur Einbindung von Mitarbeitern Quelle: eigene Darstellung
103
Vgl. zum Thema „Change zweiter Ordnung“ Abschnitt „3. Change-Management als systemisches Machtmanagement“ im einleitenden Kapitel „Wegweiser“.
Mine: Anreizloses Change-Management
91
Für den Erfolg von Change Communications sind eigene Anreize notwendig.
10. Mine: Anreizloses Change-Management Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik Wenn eine Organisation einen tiefgreifenden Veränderungsprozess einleiten muss, ist dies automatisch ein Anlass, die bisherige Honorierung von Topmanagement, Führungskräften und Mitarbeitern auf Fehlanreize bzw. Anreizlücken zu überprüfen. Der Anlass des Changes kann letztendlich auch ein Ergebnis fehlgesteuerter und damit fehlgeleiteter Führungskräfte und Mitarbeiter sein. Erfolgskritisch für den Change-Prozess ist darüber hinaus, ihn mit zusätzlichen Incentivierungen zu unterstützen, da das Change-Management aufgrund seines Projektcharakters oft als zusätzlicher Workload von Führungskräften und Mitarbeitern zu leisten ist. Zudem muss 104 er oft mit persönlicher Betroffenheit motiviert vorangetrieben werden. Die auch persönliche Betroffenheit betont den interaktiven Charakter der Wertschöpfung im Change-Management, der zu besonderen Qualitätsdimensionen und Zielen führt, die es zu incentivieren gilt.
10.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Aufgrund des starken Wachstums eines Geschäftsbereiches eines Multimedia-Unternehmens in den letzten Jahren hat sich sein Management dazu entschieden, ihn aufzuspalten. Aus ursprünglich einem Geschäftsbereich mit rund 100 Projektmitarbeitern sollten drei neue Bereiche entstehen. Im Zuge der Neuorganisation sollten gleichzeitig neue Führungsstrukturen eingeführt werden, um eine geringere Führungsspanne zu erreichen.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Die Herausforderung bestand darin, die beteiligten Führungskräfte und leitenden Mitarbeiter in den anstehenden Change-Prozess einzubeziehen und ihre Ideen und Erwartungen in die Organisationsgestaltung einfließen zu lassen. Da das Unternehmen mit eigenverantwortlich arbeitenden Profit-Centern geführt wird, galt es, neue Leistungsbereiche zu identifizieren, die auf Basis eigener Zielen geführt werden konnten. Das heißt die bestehenden Anreizstrukturen waren für die (kurze) Phase zwischen Startund Zielstruktur nicht effektiv. Denn das aktuell hohe Wachstum beinhaltete keine Anreize, diese Veränderungen zu unterstützen. Die Kernherausforderung war, zu
104
Vgl. zum Thema „persönliche Betroffenheit“ Abschnitt „8.6. Doppelrolle von Führungskräften im Change“.
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_11, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik
einer strukturell neuen Abgrenzung zu gelangen, die hierarchie- und bereichsübergreifend als gemeinsamer Fortschritt gewertet würde. Die Veränderungen sollten nicht als individueller, interner Wettbewerb angesehen werden, der zu Lasten Einzelner geht. Diese Gefahr bestand deshalb, da neue Leistungsbereiche aus Sicht der bestehenden Units bedeuten könnten, dass diese ihre Marktpotenziale verringern.
Lösungsansatz: Als zusätzlicher Anreiz konnten ausgewählten Mitarbeitern neue Positionen mit mehr Gestaltungspotenzial angeboten werden: Zwei neue Bereichsleiter und mehrere Abteilungsleiter wurden benannt. Dies war nicht nur ein individueller, zusätzlicher Anreiz, sondern die neuen Führungskräfte konnten darüber hinaus als positive Multiplikatoren in ihren (neuen) Arbeitsbereichen tätig werden.
Erfahrungen: Die Vorgehensweise bestand in einem mehrstufigen Prozess, in dem zunächst vom Führungsteam der Startorganisation ein Konzept erarbeitet wurde. Daran schlossen sich Gespräche mit dem obersten Leitungsgremium an. Nachdem das inhaltliche Konzept bestätigt wurde, konnten weitere Gespräche mit potenziellen Führungskräften geführt werden. Die neuen Karriereperspektiven ermöglichten, die Beteiligten frühzeitig in die Ausgestaltung der neuen Bereiche zu involvieren. So konnten sie bei der Gestaltung ihrer zukünftigen Abteilungen mitwirken. Den Abschluss der Vorbereitungsphase bildete die Zuordnung der Mitarbeiter der alten Bereiche zu den neuen Bereichen und Abteilungen.
Fazit: Das skizzierte Vorgehen erwies sich als erfolgreich. Allerdings hätten – aus der Perspektive der Nachbetrachtung – die Anreize für alle Beteiligten noch deutlicher hervorgehoben werden können. Solche Restrukturierungen mit integrierten Kampagnen im Schulterschluss von Personalmanagement und interner Kommunikation zu begleiten, hilft, Mitarbeitermeinungen verschiedener Strömungen im Unternehmen im Sinne der angestrebten Veränderung zu lenken. Erforderlich ist hierfür das frühzeitige Commitment der Unternehmensführung, um die (belastbare) Einbindung der Führungsmannschaft und leitenden Mitarbeiter zu sichern.
10.2
Harte und weiche Wertschöpfung
Um für Topmanager, Führungskräfte und Mitarbeiter genauer zu kennzeichnen, für welche Aspekte im Change-Management es lohnenswert ist, sich zu engagieren, ist der Wertschöpfungsbegriff als konzeptionelles Fundament der Leistungsbewertung zu erweitern. Wertschöpfung wird klassischerweise als Summe der durch kombinierte Produktionsfaktoren geschaffenen Werte begriffen – also als die Gesamtleistung abzüglich der von Dritten bezogenen Vorleistungen. Die Wertschöpfung kann dabei auf der hierarchischen Koordination der Produktionsleistungen oder auf der Ausnutzung von Markt-
10. Mine: Anreizloses Change-Management
93
preisdifferenzen beruhen. Diese Kennzeichnung hilft im Change-Management auf Basis der Relational Choice bestenfalls in der Ergebnisbetrachtung weiter. Da der Erfolg des Changes von der Durchsetzung der Change-Programmatik abhängt, erfordert die Messung der Wertschöpfung einen system- und prozessorientierten Ansatz, für den Ziele und dafür förderliche Anreize gesetzt werden müssen (vgl. Becker, 2009: 300 ff.). Mit Blick auf Kundenprozesse wird von interaktiver oder emotionaler Wertschöpfung gesprochen (vgl. Reichwald/Piller, 2009: 47 ff.; Hinterhuber, 2003: 99). Interaktive Wertschöpfung findet statt, wenn ein Unternehmen in die Aufgabenlösung – die bislang intern durch bestimmte Mitarbeiter erledigt wurde – bewusst oder unbewusst Dritte inner- oder außerhalb der Organisation einbezieht. Dies gilt für tiefgreifende Veränderungsprozesse in besonderer Weise, da das Management mit den geplanten Veränderungen die Interessen Dritter beeinflusst, die wiederum wahrnehmungsabhängig sind, so dass Change-Management neben der harten auch eine weiche Form der Wertschöpfung innewohnt. 10.3
Auf dem Weg zur interaktiven Wertschöpfung
Um von einer harten zu einer weichen Wertschöpfung zu gelangen, muss also die Anpassung eigener Verhaltensweisen, welche von Stakeholdern im System beobachtet werden,105 in das Modell Eingang finden. Um die Methodik hierfür kennenzulernen, ist der Blick auf die Varianten von Unternehmensnetzwerken hilfreich, die allgemein kooperative Formen der Zusammenarbeit kennzeichnen. In der Analyse von Netzwerken wird betont, dass Unternehmenserfolg vor allem aus Kooperationsgewinnen besteht (vgl. Rolke/Jäger, 2009: 1030 ff.). Solche Erfolge entstehen in der Beziehungsdynamik zwischen Unternehmen und ihren Stakeholdern, sodass dialogisches Management und die Bewältigung von Konflikten, zum Beispiel durch Mediation, auch zur Anreizsetzung gehören. Zudem sind die didaktischen und dramaturgischen Aspekte als Leistungen des antizipativen Managements zu berücksichtigen. Diese Kooperationsgewinne bedeuten übertragen auf das Change-Management die erfolgreiche Durchsetzung der Change-Programmatik. Hier wird das ZielgruppenParadoxon im systemischen Change-Management deutlich: Es besteht darin, dass Absender (Topmanagement und Führungskräfte) – neben den Mitarbeitern – gleichzeitig auch Adressaten sind, was als besonderes Merkmal von Systemen mit dem Kennzeichen der Abgeschlossenheit interpretiert werden könnte. Durch die Untersuchung der Fragestellung „Wie kritisch nehmen zum Beispiel Führungskräfte oder Mitarbeiter das Verhalten von Topmanagern der eigenen Organisation wahr?“ ist die Antizipation von Stakeholder-Ansprüchen und daraus resultierende Anpassung von ManagementVerhalten (zum Beispiel die Anpassung der Change-Dramaturgie) ein zentraler Teil weicher Wertschöpfungsmessung.
105
Vgl. zum Thema „Stakeholder im Changeprozess“ Abschnitt „11.3 Change als Stakeholder-Management“.
94
Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik
Um Anreize hierfür zu geben, sind entsprechende Verhaltensweisen zu messen und zu belohnen (vgl. Unger/Fuchs, 2002: 286 ff.). Folgende (Qualitäts-)Ziele können festgehalten werden, um Anreize für den Interaktionsaspekt für die Förderung von Kooperationsgewinnen zu setzen:
Auftragsqualität: Wissen alle, was sie tun sollen? Sind Erwartungshaltungen des Topmanagements gegenüber den Führungskräften klar?
Informationsqualität: Werden für alle relevanten Zielgruppen alle notwendigen Informationen bereitgestellt?
Edukative Qualität: Wird das Verständnis für die Notwendigkeit des geplanten Veränderungsprozesses vermittelt? Als beispielhafte Elemente wurden in diesem Buch bereits Anreize für Patenschaften,106 Initiativen zum Verlassen der Komfortzone sowie Mentoring genannt.107
Emotionalisierende Qualität: Wird das richtige Erwartungsmanagement betrieben – ohne übertriebene „Wow-Effekte“, aber auch mit der nötigen emotionalen Ansprache – sodass alle das tun wollen, was sie sollen?108
Partizipative Qualität: Werden Führungskräfte und Mitarbeiter adäquat eingebunden, sodass sie ihre jeweiligen Rollen ausfüllen?109
Qualifizierungs- und Trainingsqualität: Werden alle Beteiligten befähigt, damit sie das tun können, was sie tun sollen?
Widerstandsbereinigungs-Qualität: Wird die Mannschaft der Zielorganisation systematisch etabliert? Werden ggf. Stellenbesetzungsquoten nach Herkunft, Qualifikation etc. vorangetrieben? Werden notorische Widerständler systematisch abgebaut?
Antizipative Qualität: Ist dem Management bewusst, dass sie mit ChangeMaßnahmen Change-Prozesse zweiter Ordnung auslösen können? Verhalten sie sich vorausschauend?
Verhaltensänderungsqualität: Haben sich die (klassischen) Zielgruppen im Verhalten geändert?
Durchsetzungsqualität: Bin ich als Topmanager aktuell in der Situation, meine Change-Programmatik durchzusetzen? Habe ich aktuell Macht?110
Ergebnisqualität: Hat die Change-Programmatik die geplanten Ziele erreicht?
Vor allem die antizipative, aber auch die partizipative Qualität sind mithilfe des (internen) Issues-Managements in das Change-Controlling einzubeziehen. Issues sind im Change-
106
Vgl. zum Thema „Edukation“ Abschnitt „3.5. Change-Didaktik: das Können fördern“. Vgl. zum Thema „Komfortzonen“ Abschnitt „7.2 Konzerne: Organisationen mit Komfortzonen“ sowie zum Thema „Mentoring“ Abschnitt „7.5. Mentoring als Wissenstransfer“. 108 Vgl. zum Thema „Erwartungsmanagement“ Abschnitt „19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement“. 109 Vgl. zum Thema „Einbindung“ die Abschnitte „8. Mine: Führungskräfte nicht systematisch eingebunden“ sowie „9.Mine: Unechte Mitarbeiter-Partizipation“. 110 Vgl. zum Thema „Durchsetzung“ Abschnitt „13.9 Fazit: Machtmonitoring als Erfolgsfaktor im Change“. 107
10. Mine: Anreizloses Change-Management
95
Management Themen, die durch Systemdynamik getragen werden – also zum Beispiel Widerstände an bestimmten Standorten oder in bestimmten Teams durch Unzufriedenheit – und die Durchsetzungsfähigkeit der Change-Programmatik durch Changes zweiter Ordnung gefährden können.111 Issues-Management erfolgt erstens durch Scanning (allgemeines Suchen nach relevanten Themen, die die Durchsetzungsfähigkeit des Change-Managements mindern könnten) und zweitens durch Monitoring (Verfolgen identifizierter Issues). Dann sind Maßnahmen einzuleiten, die das Auftreten von Issues verhindern oder die Wirkungen bereits aufgetretener Issues eingrenzen, was zur Anpassung der Change-Programmatik zurückführt.112 Für die Transformationsphase müssen daher neben den herkömmlichen Standardzielen, wie zum Beispiel Vertriebszielen, je nach Aufgabe der Change-Teilprojekte, zusätzliche und spürbare Anreize berücksichtigt werden, die zu einem phasenweise anpassungsfähigen ChangeControlling überleiten. 10.4
Balanced Scorecard als Steuerungsinstrument?
Change-Controlling bezeichnet ein System zur Planung, Koordination und Kontrolle des Wandels einer Organisation, das auch Verhaltensanreize, -anpassungen und kontrolle zur Einflussnahme auf Eigendynamik berücksichtigt (vgl. Lang, 2008: 103 ff.; Vahs/Leiser, 2003: 57).
Abbildung 36: Gestaltung eines Anreizsystems Quelle: Krüger (2009: 303) sowie Mütter/Feldmüller (2008: 133)
111
Vgl. rückblickend Abschnitt „3. Change-Management als systemisches Machtmanagement“ im einleitenden Kapitel „Wegweiser“. 112 Vgl. zur „Change-Programmatik“ Abschnitt „3. Mine: Change-Programmatik ohne Change-Dramaturgie“.
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Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik
Zum Change-Controlling gehören die Vermittlung von Informationen und Knowhow bzw. Wissen, die Akzeptanz neuer Strukturen oder Systeme, die Veränderung von Motivationen, Einstellungen, Grundwerten bzw. der Unternehmenskultur und die Antizipation von Eigendynamik. Betriebswirtschaftliche und technische Fortschritte im Transformationsprozess in Bezug auf harte Faktoren werden hier ausgeblendet, für weiterführende Informationen verweist dieser Beitrag auf die Fachliteratur. Zum Teil wird die Balanced Scorecard als Steuerungsinstrument empfohlen. Sie integriert neben finanzwirtschaftlichen Steuerungsgrößen auch andere Dimensionen, wie z. B. Kundenprozesse, interne Prozesse oder die Lernfähigkeit einer Organisation. Die ursprüngliche Idee war, vor allem finanzwirtschaftlich geführten Unternehmen den Raum für weitere Dimensionen im Zielsystem zu öffnen und so zu einer „ausbalancierten“ Unternehmensführung zu gelangen (vgl. Lies, 2008g: 79ff.). Um sie auch im Change-Management einzusetzen, muss sie um kurzfristige Steuerungsaspekte ergänzt werden, die sich aus der Antizipation und Bewältigung systemischer Dynamik ergeben. Eine Möglichkeit wäre, die Felder der Ziele-MaßnahmenPunktekarten um ein Machtfeld zu ergänzen. Es zeigt themenbezogen die vermutete und/oder durch Abfragen angezeigte Durchsetzungsfähigkeit des Managements in Bezug auf Change-Teilprojekte an. Hier werden – zum Beispiel monatlich und ggf. zusätzlich nach Bedarf – handlungskritische Themen aus Sicht der Durchsetzungsfähigkeit der Change-Programmatik erfasst, wie folgende Abbildung darstellt.
Abbildung 37: Die ergänzte Balanced Scorecard – Macht als Durchsetzungsfähigkeit im ChangeManagement Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Jossé (2005: 32)
10. Mine: Anreizloses Change-Management
97
Beispiel: Kundenzufriedenheit als zusätzliche Zieldimension Es erscheint plausibel, die Kundenzufriedenheit als zusätzliches Ziel beispielsweise im Rahmen einer Fusion zu messen. Denn die Gefahr ist groß, dass sich eine Organisation vor allem mit sich selbst beschäftigt, anstatt sich auch in dieser Phase auf den Kunden zu konzentrieren. Doch der zunächst plausibel erscheinende Indikator beinhaltet die Gefahr einer neuen Fehlsteuerung. Angenommen, ein Kundenmanager bemüht sich noch intensiver um seine Kunden und trotzdem sinkt die Kundenzufriedenheit. Dies kann zum Beispiel durch Engpässe in der Logistik verursacht werden, die ihrerseits aufgrund von Systemmigrationsarbeiten der IT entstehen. Das heißt der Kundenmanager wird in diesem nicht unwahrscheinlichen Fall bestraft, obwohl er sich mehr engagiert hat. Geschieht dies in einer gesamten Vertriebs- und/oder Account-Management-Struktur, wird die Unzufriedenheit unter den Mitarbeitern schnell wachsen und die Systemdynamik entwickelt Widerstand gegen den Change. Darum ist bei der Einführung einer zusätzlichen Steuerungsdimension auch die Bonifizierung des Topmanagements spürbar hieran zu koppeln. Wenn die interne Zufriedenheit im Umgang mit der Sicherstellung der Kundenzufriedenheit als Erfolgskriterium eingeführt und bei Mitarbeitern und Führungskräften abgefragt wird, lässt sich diese Zufriedenheit als ein Aspekt der Machtdimension im Change auffassen. Denn wenn das Absinken der internen Zufriedenheit mit der Kundenzufriedenheit in der Topmanagement-Bonifizierung spürbar ist, wird es dafür sorgen, dass z. B. der Scope der Change-Programmatik geändert wird. Prioritäten im Change werden so neu gewichtet und eine neue Dimension der erfolgskritischen Systemdynamik konnte etabliert werden. 10.5
Change Communications und Zielbildung in der Praxis
Zum aktuellen Standard in Unternehmen gehören, wie Studien zeigen, weder das Machtmanagement noch die Balanced Scorecard – schon gar nicht in punkto Kommunikation. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine der in diesem Buch betrachteten Studien. Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen setzt keine Balanced Scorecard ein, wie folgende Tabelle verdeutlicht. Wird Ihr Unternehmen insgesamt mit einer Balanced Scorecard geführt? Antwort
Anzahl
Prozent
Nein
43
51,19 %
Nein, wir denken aber darüber nach/sind in Vorbereitung.
11
13,10 %
Ja
26
30,95 %
Abbildung 38: Einsatz von Balanced Scorecards im Unternehmen Quelle: Studie 3, n = 81
98
Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik
Wenn ja: Ist die Kommunikation ein ausgewiesener Teil der Balanced Scorecard? Antwort
Anzahl
Prozent
Nein
32
38,10 %
Nein, wir denken aber darüber nach/sind in Vorbereitung.
9
10,71 %
Ja
19
22,62 %
Abbildung 39: Die Kommunikation als Teil der Balanced Scorecard Quelle: Studie 3, n = 81
Die diesem Buch zugrunde liegenden Studien ergeben, dass die Karte von knapp einem Drittel der befragten Unternehmen eingesetzt wird. Davon setzen sie rund 20 Prozent auch in der Unternehmenskommunikation ein. Insgesamt können mit Change Communications in der Praxis sehr unterschiedliche Gestaltungsoptionen der Zielgrößen im Change-Management durchgeführt werden. Die befragten Agenturen teilten sich in Bezug auf die Frage, inwieweit es ihren Erfahrungen entspricht, Zielsysteme mitzugestalten, in zwei Lager. Emotionen, Identifikation und Verhalten gelten häufig als Ziele von Change Communications. Bitte bewerten Sie vor diesem Hintergrund folgende Aussagen: stimme sehr zu
stimme zu
stimme weniger zu
Es entspricht unseren Erfahrungen, dass Organisationen ihre Zielsysteme in Change-Prozessen an die besonderen Anforderungen (zum Beispiel Motivation, Kundenzufriedenheit etc.) für die Phase der Transformation anpassen.
2 (3,33 %)
25 (41,67 %)
26 (43,33 %)
2 (3,33 %)
Dass wir mit Change Communications das Zielsystem im Change von Kunden ergänzen/verändern, ist eine akzeptierte Beratungsleistung.
0 (0,00 %)
30 (50,00 %)
26 (43,33 %)
2 (3,33 %)
Abbildung 40: weiche Faktoren als Ziele von Change Communications Quelle: Studie 2, n = 60; absolute Antworten (in Prozent)
stimme gar nicht zu
10. Mine: Anreizloses Change-Management
99
Diese Zweiteilung lässt sich dahingehend interpretieren, dass unter den befragten Agenturen sowohl strategisch als auch operativ tätige Unternehmen sind, die aufgrund ihrer Rollen im Change-Prozess mit unterschiedlichen Mandaten betraut sind. Jedoch zeigt die mangelnde Kundenakzeptanz, Zielsysteme von Unternehmen in Veränderungsphasen anzupassen, wie unterentwickelt das Management weicher Faktoren im Change sich derzeit darstellt. 10.6
Fazit: Communicative Governance in Not
Die Ziel- und Anreizdiskussion zeigt besonders deutlich, dass die Anwendung von Change Communications in der Praxis heute noch weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Umso relevanter ist der Hinweis auf anlassbezogene, kommunikationsund verhaltensorientierte Anreize für das systemische Change-Management. Von einer echten Communicative Governance ist sie in der Praxis noch weit entfernt, wenn diese Form der Governance als Durchsetzungssystem zur Sicherung von Macht mithilfe von Change Communications in dynamischen Systemen verstanden wird (vgl. Lies, 2010b: 520f.). Um so eine Governance zu etablieren, ist ein Zielsystem zur Setzung der hier beispielhaft genannten Anreize nötig mit dem Anspruch, möglichst viele Minen zu umgehen, die die Systemstabilität beeinträchtigen können. Handlungsfeld
Aufgaben
Macht:
Etablierung eines Ziel-, Mess- und Anreizsystems, das zum Beispiel monatlich die ChangeManagement-Macht als Steuerungsgröße abbildet – bezogen auf alle Handlungsfelder
Communicative Governance
stete Due Diligence für die Erfassung Abbildung 41: Aufgaben der Anreizsetzung Quelle: eigene Darstellung
Mine: Mangelndes Change-Commitment
101
Change Communications fördert die Selbstverpflichtung.
11. Mine: Mangelndes Change-Commitment Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe Wenn man Change Communications als jene Kompetenz versteht, mit der eine Organisation sich selbstmotiviert durch einen tiefgreifenden Veränderungsprozess arbeitet, dann profitiert sie vom Change-Commitment, dem Bekenntnis und der Selbstverpflichtung zur Veränderung. Denn Change-Commitment prägt die Systemdynamik einer Organisation zugunsten geplanter Veränderungen, die somit leichter durchsetzbar sind als ohne diese Selbstverpflichtung. Dieses Change-Commitment zu erreichen, ist angesichts typischer Gruppenbildungen (Bremser, Skeptiker, Widerständler, Promotoren) in tiefgreifenden Veränderungsprozessen eine der Kernherausforderungen. Es muss bei Topmanagement und Führungskräften klar erkennbar sein, sodass sich Führungskräfte ihrem Kommunikationsauftrag nicht entziehen können – die Aufgaben von Change Communications sind letztlich nicht delegierbar. Zur ManagementRealität gehört auch die Erkenntnis, dass sich Widerstände gegenüber tiefgreifenden Veränderungsprozessen nur im Ausnahmefall vollständig abbauen lassen. Dies ist für die Stabilisierung von Systemdynamik zugunsten der Change-Programmatik aber auch nicht notwendig.
11.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Ein Telekommunikationsunternehmen plante mit der Einführung einer VoIP-Lösung (Voice-over-Internet-Protokoll: Internet-Telefonie), alte Infrastrukturen abzulösen und neue Bereitstellungs- und Serviceprozesse einzuführen. Dabei wechselten auch die Zuständigkeiten für diese Technik in einen neu geschaffenen Bereich. Nicht nur die Nutzung neuer Technologien, sondern vor allem die Vielzahl von involvierten Organisationseinheiten machte dieses Vorhaben zu einem Change-Großprojekt, in dem Prozesse, integrierte IT-Systeme und bestehende Strukturen reorganisiert werden mussten. Rund 150 Personen waren an der Umsetzung beteiligt. Knapp 400 Mitarbeiter waren in den technischen Bereichen und rund 150 000 Mitarbeiter vom Rollout (Einführung) der neuen VoIPLeistungen und -Prozesse betroffen.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Der Projektmanager sah sich in diesem Projekt nicht nur mit einer technischen Neueinführung und einer Umstellung von Prozessen konfrontiert. Er musste auch Führungskräfte und Mitarbeiter von der Notwendigkeit des Changes überzeugen und sie so einbinden, dass eine Übernahme der neuen Services zeit- und budgetgerecht gewähr-
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_12, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
102
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
leistet werden konnte. Dabei waren die Organisationsstrukturen komplex und die Überführung in eine neue Struktur mit neuen Aufgaben schaffte Unmut bei den Mitarbeitern. Aus ihrer Sicht hatten sie ihre Arbeit bisher immer „im Griff“ gehabt. Es bildeten sich Allianzen, die versuchten, eine Umstellung auf die neuen Prozesse zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Diese Beharrungstendenz erforderte das belastbare Mandat des Topmanagements für die Führungskräfte, diese Veränderungen durchzusetzen.
Lösungsansatz: Um sein Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen, musste der Projektleiter die Interessen der beteiligten Einheiten erkennen, berücksichtigen und möglichst so ausgleichen, dass seine Ziele nicht gefährdet wurden. Wichtig war in diesem Beispiel die Unterstützung des Projektleiters durch sein ihm über- und nebengeordnetes Management bei der Umsetzung der Projektziele und bei der Abstimmung mit den beteiligten Einheiten, die der Projektleiter gezielt und nachdrücklich einfordern musste.
Erfahrungen: Es wurde ein Projekt-Board ins Leben gerufen, in dem alle relevanten Stakeholder vertreten waren, um gemeinsame strategische Entscheidungen im Projekt zu treffen und anschließend gemeinsam zu tragen. So wurden strittige Punkte auf den Tisch gebracht und – soweit möglich – diskutiert und entschieden. Dies ermöglichte eine hohe Transparenz über den Status des Projekts, der Mitwirkung der Betroffenen und über Probleme in der Zusammenarbeit. Letztlich konnten die Allianzen gegen das IT-Change-Projekt nicht vollständig aufgelöst werden, doch die offene Kommunikation, die Einbindung der Beteiligten und das Commitment des relevanten Managements schufen mehr Transparenz sowie Raum für Diskussionen. Sie machte dem Management deutlich, wo eigene Interessen in der Organisation so stark beeinträchtigt und daher verteidigt wurden, sodass Kompromisse in der Zielorganisation berücksichtigt werden konnten.
Fazit: Nur wenn das Management voll hinter dem Change-Projekt steht, kann ein Projektleiter im Dialog mit den betroffenen Einheiten oder Mitarbeitern überzeugend und auch mit klaren Anweisungen auftreten. Er kann projektschädigende Allianzen aufzeigen, Anlässe für klärende Diskussionen mit dem Management herbeiführen und so die Durchsetzungsfähigkeit für ein Investitionsprojekt steigern, dessen Bedeutung hier durch das neunstellige Investitionsvolumen unterstrichen wird.
11.2
Commitment von Topmanagement und Führungskräften
Das Bekenntnis zur Veränderung durch das Topmanagement erfolgt formell, indem es etwa die Rolle als Schirmherr oder Projektsponsor zu Beginn eines Change-Prozesses über-
11. Mine: Mangelndes Change-Commitment
103
nimmt.113 Dies ist aber oft eher ein Ausdruck politischer Korrektheit und entspricht nicht per se dem hier formulierten Verständnis von erlebbarem Commitment, das eine aktive Unterstützung beinhaltet. Gemeint ist eine Haltung der Selbstverpflichtung oder freiwilligen Selbstbindung. Erfolgreiches Commitment meint, dass die Führungskräfte und Mitarbeiter einer Organisation die Möglichkeit und Pflicht zur verantwortungsvollen Gestaltung im Unternehmen haben, erkennen und aktiv nutzen. Commitment setzt auf Motivation durch eigenverantwortlich gestaltbaren Freiraum (vgl. Karst et al., 2000: 1 ff.). „Die aktive und authentische Unterstützung des Topmanagements als Auftraggeber während des Verlaufs gilt als kritischer Erfolgsfaktor für umfassende (..) Veränderungsprozesse. Während ein formales Commitment eigentlich immer stattfindet, ist die wirkliche Unterstützung seitens des Auftraggebers keine Selbstverständlichkeit. Ein typisches Bild ist, dass in der Konzeptionsphase Euphorie und Unterstützung vorherrschen, die Begeisterung in der Umsetzungsphase aber stark abnimmt (…).“ (Veil, 1999: 7) In der Literatur wird oft angeführt, dass davon auszugehen ist, dass 95 Prozent der Mitarbeiter und Führungskräfte einen Change-Prozess ohne weitere Einflussnahme nicht unterstützen (vgl. Mohr/Woehe, 1998: 42f.). Die damit mögliche Widerstandshaltung ist Ausdruck von Systemdynamik und steht für die hemmende Kraft weicher Faktoren. Change-Commitment ist aufgrund der hohen Prozentzahl eine Dimension, die ohne aktives Zutun für die Organisation nur in geringem Umfang verfügbar ist. Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass es sich aber entwickeln lässt – zumindest in Grenzen. 11.3
Change als Stakeholder-Management
Die in Veränderungsprozessen große Relevanz weicher Faktoren resultiert aus der subjektiven/persönlichen Risikobewertung Einzelner, die aus ihrer Sicht geplante umfassende Veränderungsprozesse mit sich bringen. Sie geben letztlich die Grenzen für die Entwicklungsfähigkeit von Change-Commitment vor. Unterschieden werden folgende Risiken:
persönliche Risiken durch Change-Prozesse: Jobverlust, Statusverlust, weniger Geld, neue Kollegen etc.,
sachliche Risiken durch Change-Prozesse: keine Verbesserungen, keine Effizienzsteigerungen etc.
Je nach Bewertungsschema gelangen die Akteure zu unterschiedlichen Prioritäten dieser Risiken und legen darauf basierende Verhaltensweisen an den Tag. Mit diesen Kriterien persönlicher und sachlicher Risiken können vier prinzipielle Typen von Akteuren in Veränderungsprozessen unterschieden werden: Promotoren, Skeptiker, Bremser und Widerständler. Wie oben erwähnt, bedeutet diese Strukturierung, dass 95
113
Vgl. zum Begriff „Projektsponsor“ den Abschnitt „8.5 Kommunikationskaskade als Führungskräftebestätigung“.
104
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Prozent der Akteure eines Unternehmens als potenzielle Gegner von Veränderungen einzustufen sind. Die Untersuchung typischer Gruppen, die in der Akzeptanzmatrix dargestellt sind, kann als Anwendung der von Kurt Lewin geprägten Kraftfeld-Analyse („Force Field Analysis“, 1951: 256) verstanden werden. Demnach werden Menschen in ihrem Verhalten durch ein Kräftefeld analog zur Physik umgeben und beeinflusst. In Anlehnung an die Gestaltpsychologie wird menschliches Verhalten durch die Umgebung mitbestimmt.114 Dies führt zu typischen Reaktionsphasen („unfreeze“, „move“, „refreeze“), die durch individuelle Wahrnehmung und Interpretation geprägt werden: Wird eine Situation in eine andere überführt, muss in das aktuelle Kräftefeld („unfreeze“) eingegriffen werden, die Akteure müssen sich der neuen Situation anpassen („move“), und die neue Situation muss stabilisiert werden („refreeze“). Im Change-Management führt dies zu einer typischen Phasenbildung, die von Beitrag zu Beitrag unterschiedlich abgegrenzt werden, und jeweilige Kommunikationsschwerpunkte in den Phasen begründen.
Abbildung 42: Akzeptanzmatrix von Veränderungsprojekten in Unternehmen Quelle: Mohr/Woehe (1998: 43)
Maßgeblich ist hier die erwähnte typische Gruppenbildung, die Change-Management zu einer anlassbezognenen Form des Stakeholder-Managements macht (vom englischen stake
114
Vgl. das Bild der organisationalen Energie im Abschnitt „13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht“.
11. Mine: Mangelndes Change-Commitment
105
[Anspruch]). Die Herausbildung von Gruppen zeigt, dass die Change-Programmatik nicht nur Stakeholder wie Mitarbeiter und Kunden beeinflusst, sondern diese mit der Kraft ihrer Gruppen auch die Change-Programmatik (vgl. Borowicz/Mittermair, 2006: 13). Untersuchungen zeigen, dass die Anzahl der Promotoren die Erfolgswahrscheinlichkeit maßgeblich beeinflusst und diese typischen Gruppen, die sich aufgrund von Change-Prozessen herausbilden, beeinflussbar sind (vgl. Vahs/Leiser, 2004: 59).115 11.4
Widerstand ist unvermeidlich, aber eingrenzbar
Die dargestellte Gruppenbildung hat für das Change-Management weitreichende Konsequenzen. Drei genauer zu kennzeichnende Managementprobleme, die sich in der Gruppenbildung verbergen, werden im Folgenden hervorgehoben:
Gruppen als thematischer Durchschnitt: Die Zustimmung oder Ablehnung zu bestimmten Teilprojekten eines Change-Projektes ist hochdynamisch und themenspezifisch auf unterschiedliche Mitarbeiter- und Führungskräfte und ggf. auch Kunden zu beziehen. Das heißt die Grenzen der Widerstandsgruppen changieren themen-, teilprojekt- und standortbezogen, was ihre Bearbeitung aus Sicht des zentralen Managements erschwert. Darum ist die stete Due Diligence in Bezug auf Einzelthemen des Change-Projekts notwendig,116 und die Bedeutung der (dezentralisierten) Führung mittels Informationskaskaden wird betont.117
Gruppen als zeitliche Momentaufnahme: Da sich jedes Thema entlang der Change-Programmatik in der Teilprojektstruktur entwickelt, treten die Gruppen in unterschiedlichen Personen-/Themen-/Regional-Konstellationen auf. Das heißt je nach zeitlichem Teilprojektfortschritt formieren sich andere Konstellationen. Hier kommt vor allem die Bedeutung der Dramaturgie und des Timings zum Ausdruck.
Gruppen als regionale Cluster: Die Gruppenbildung ist themenabhängig; nicht jedes Change-Thema ist aber in einer Organisation gleich wichtig. Es mag Unterschiede nach Region/Zentrale, Funktionsbereich oder Hierarchie geben. Das heißt die Gruppengrenzen verlaufen nicht unbedingt organisationsweit zwischen Start- und Zielorganisation, sondern ggf. quer durch alle Entscheidungs- und Verantwortungsbereiche. Auch deshalb ist die systematische Einbindung von Führungskräften notwendig. Sie müssen in ihrer Führungsrolle eine dezentrale Einflussnahme sicherstellen, da sich die Gruppenbildung in großen Organisationen durch Partizipation und persönlicher Kommunikation nicht oder kaum zentral bearbeiten lässt.
Aufgrund der themen- und zeitabhängigen Gruppenbildung sowie -zusammensetzung sind Handlungsempfehlungen für ein zentrales Change-Management nur in engen
115
Vgl. zum Thema „Beeinflussbarkeit“ Abschnitt „13.5. Der Druck von Gruppen“. Vgl. zum Thema „Due Diligence“ Abschnitt „15. Mine: Einseitige und punktuelle Due Diligence“. 117 Vgl. zum Thema „Informationskaskade“ Abschnitt „8.5 Kommunikationskaskade als Führungskräftebestätigung“. 116
106
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Grenzen möglich. Hier zeigt sich, dass Change Commitment in Grenzen steuerbar ist. Für das Change-Management führt die lösungsorientierte Betrachtung der typischen Gruppenbildung zu den Handlungsfeldern der Beeinflussung von Systemdynamik: Systemdynamik lässt sich nicht mit zentralen Einzelmaßnahmen kontrollieren, sondern erfordert, die 20 Tretminen themenabhängig – und damit regional-, funktionsund bereichsspezifisch – zu beachten.118 Wenn im Folgenden dennoch eine gruppenbezogene Maßnahmenschematisierung angeboten wird, sind diese als Schwerpunkte auf Basis der Vereinfachung der gruppenbezogenen Darstellung zu verstehen.
Skeptiker: Die Gruppe der Skeptiker sieht in Bezug auf das Change-Projekt vor allem sachliche Risiken und ist von den Veränderungen fachlich nicht überzeugt. Wenn der Sense of Urgency vermittelt wurde und die Story zur Vorteilhaftigkeit der Zielorganisation feststeht,119 kann die Gruppe der Skeptiker mit den Schwerpunkten der Einbindung und der edukativen Kommunikation bearbeitet werden. Die These lautet hierbei: Wenn der Change zu einem strategischen Fortschritt führt, dann lässt sich diese Gruppe sachlich für die Veränderung gewinnen.
Promotoren: Sie unterstützen den Change bereits in einer frühen Phase, was jedoch nicht bedeutet, dass sie nicht beachtet werden müssten. Die Promotoren sind vor allem in Bezug auf ihre Bedeutung für die Systemmacht zu bearbeiten. Sie werden als Positiv-Multiplikatoren möglichst flächendeckend an erfolgskritischen Stellen eingesetzt und gestalten, wenn möglich, die entscheidenden neuen Schnittstellen. 120 Wenn spezifische Anreize insbesondere den Bremsern zugeordnet werden, dann darf darüber nicht vergessen werden, dass auch den Promotoren Anreize anzubieten sind, damit sie ihre Rolle aktiv ausfüllen.
Bremser: Bei der Gruppe der Bremser und Widerständler herrscht die persönliche Betroffenheit vor. Hier sind beispielsweise die Führungskräfte und Mitarbeiter einzuordnen, die zu den Verlierern des Changes gehören. Sie sind nur dann für den Change zu gewinnen, wenn ihnen ein Bindungsangebot gemacht wird, das diese persönliche Betroffenheit kompensiert. So ein Bindungsangebot kann aus neuen Aufgaben, Trainings- und/oder monetären Anreizen bestehen. Ist dies nicht möglich, sind sie im Sinne des Timings möglichst frühzeitig aus der Organisation zu entfernen.121
Widerständler: Sie glauben fachlich nicht an den Erfolg durch den Change und sehen vor allem persönliche Risiken, da sie ihren Job verlieren könnten. Die Annahme ist hier, dass sie ein besonderes Interesse daran haben, den Change durch mikropolitische Maßnahmen zu verhindern oder einzugrenzen.122 In dieser Sche-
118
Vgl. rückblickend Abschnitt „4. Beeinflussung systemischer Dynamik“ im einleitenden Kapitel „Wegweiser“. 119 Vgl. zum Thema „Story“ Abschnitt „6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding“; zum Thema „Notwendigkeit des Handelns“ Abschnitt „7. Mine: Mangelnder Sense of Urgency“. 120 Vgl. zum Thema „Schnittstellen“ Abschnitt „4.4 Der Scope als Aspekt des Schnittstellenmanagements“ und zum Thema „Multiplikatoren“ Abschnitt „13.6 Multiplikatormanagement für Change-Allianzen“. 121 Vgl. zum Thema „Timing“ Abschnitt „17. Mine: Mangelndes Timing“. 122 Vgl. zum Thema „Mikropolitik“ Abschnitt „12. Mine: Ausblendung von Mikropolitik“.
11. Mine: Mangelndes Change-Commitment
107
matisierung helfen im Extremfall keine Partizipation und keine Mediation. Deshalb gilt hier: Je früher die Mannschaft der Zielorganisation feststeht und je früher die persönlichen Risiken feststehen, desto früher sind personalrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Dabei sind Anreize wie Abfindungsprämien wichtig, damit Widerständler die Organisation schnellstmöglich verlassen. Die Gruppenbildung zeigt, dass im Extrem ausschließlich mit Kommunikation nur begrenzte Möglichkeiten zur Einflussnahme im Change bestehen. Aus psychologischer Sicht bestehen erhebliche Zweifel, ob und inwieweit Kommunikation allein Verhaltensänderungen im Change tatsächlich bewirken kann (vgl. Femers, 2008: 55f.). Zumindest Einstellungen erweisen sich in der sozialpsychologischen Einstellungsforschung als nur schwerlich veränderbar. Die instrumentelle Bandbreite von Change Communications geht auch deshalb über die eigentliche Kommunikation hinaus und reicht in das Verhaltensmanagement hinein.123 Dies wird vor allem durch die Handlungsfelder Antizipation, Partizipation und Change-Didaktik dokumentiert.
Abbildung 43: Schematisierte Change-Management-Schwerpunktmaßnahmen für Gruppentypen Quelle: eigene Darstellung
123
Vgl. zum Thema „Verhaltensmanagement“ Abschnitt „20. Mine: Kommunikations- ohne Verhaltensmanagement“.
108
11.5
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Fazit: Change-Commitment gegen Subsystembildung
Auch auf dem Handlungsfeld des Change-Commitments müssen Change Communications und das „harte Change-Management“ zusammenwirken. Weiche Faktoren entwickeln ihre erfolgskritische Kraft im Change als gruppenweite Phänomene geschlossener (psychischer) Systeme, deren Steuerungsfähigkeit stark eingeschränkt ist.124 Sie können so einflussreich werden, dass sie in der Lage sind, den Change-Prozess als Systemmacht – ausgeübt von Change-Allianzen – zu hemmen oder gar zu verhindern. Es bilden sich im System „Organisation“ Subsysteme mit Gegenmacht heraus. Damit wird der Bereich Change Communications generalisierend zu einer anlass- und themenbezogenen Form des (internen) strategischen Stakeholdermanagements, wie oben mit der Kraftfeldanalyse erklärt wurde. Für das Management führt die Entwicklung von ChangeCommitment zu typischen Diagnoseinstrumenten wie Themenradaren oder Zustimmungsbarometern.125 Handlungsfeld
Aufgaben
Timing:
Staffing (personelle Entscheidung über Stellenanzahl, Funktionen und Personalien) der Zielstruktur möglichst früh definieren und Verlierer möglichst schnell von der Organisation trennen (Tempo als Erfolgsfaktor im Vorgriff auf die typische Gruppenbildung)
Personalentscheidungen
Partizipation – Information/Kommunikation: Anreiz- und Service-Pakete
gruppenspezifische Anreiz- und Kommunikationspakete als Service für Führungskräfte, um in den jeweiligen Hierarchien mit den Gruppentypen umzugehen
Abbildung 44: Aufgaben zur Förderung von Change Commitment Quelle: eigene Darstellung
124
Die radikale Ansicht, dass geschlossene Systeme gar nicht von außen steuerungsfähig seien, ist diskussionsbedürftig. Durch die Bereitstellung von „Irritationsangeboten“ wie zum Beispiel monetären Anreizen oder dem Sense of Urgency als sachlicher Anreiz sind zumindest indirekte Steuerungsmöglichkeiten psychischer Systeme gegeben oder die Grenzbildung von Systemen mithilfe des Sinnbegriffs ist zu konkretisieren. Vgl. Abschnitt „3. Gruppenbildung als Steuerungspessimismus“ im einleitenden Kapitel „Wegweiser“. 125 Vgl. zum Thema „Diagnoseinstrumente“ Abschnitt „15.4 Vorgehen der Cultural-Due-Diligence“.
Mine: Ausblendung von Mikropolitik
109
Change Communications erfordert die Berücksichtigung und eigene Anwendung informeller Taktiken.
12. Mine: Ausblendung von Mikropolitik Jan Lies Mikropolitik bezeichnet jene Methoden, mit denen innerhalb von Organisationen Macht aufgebaut und eingesetzt wird. Macht bezeichnet hier im Ergebnis die Durchsetzungskompetenz geplanten Handelns. Für das Change-Management mit der Strategiedominanz harter Faktoren ist dies ein Handlungsfeld, das konzeptionell in der Praxis oft gar keine Berücksichtigung findet. Zur Beeinflussung der Systemdynamik zugunsten der Durchsetzungsfähigkeit des Managements ist die Beachtung der Mikropolitik aber überaus wichtig.
12.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Eine lokal tätige Bank geriet in Schieflage. Aus eigener Kraft konnte sie die Insolvenz nicht mehr abwenden. Eine größere, regional tätige Bank war in Abstimmung mit dem verantwortlichen Bankenverbund bereit, sie unter bestimmten Bedingungen zu übernehmen. Dazu gehörte, die betroffene Bank mit Unterstützung des Verbundes und der öffentlichen Hand zu entschulden. Die verantwortlichen Institutionen hatten hierzu die notwendigen Prüfungen eingeleitet, Maßnahmen beschlossen und Entscheidungen getroffen.
Herausforderungen: Teile der Lokalpolitik, der Arbeitnehmerorganisation und auch die Medien wollten die Unabhängigkeit der lokalen Bank erhalten. Man fürchtete (in Teilen zu Recht) um die Arbeitsplätze. Zudem war sich der Vorstand der Bank, die die Übernahme angeboten hatte, selbst nicht einig über das Ziel und die Vorgehensweise der notwendigen Rettung. Teile des Vorstands gingen in die interne Opposition, die Situation eskalierte. So traten gezielte Indiskretionen auf, indem beispielsweise vertrauliche Besprechungsprotokolle den Medien zugespielt wurden. Insgesamt entstand ein krisenhaftes Szenario: Vetostimmen torpedierten den Rettungsversuch einer Bank, der betriebswirtschaftlich alternativlos und drängend war. Nicht einige, sondern alle Arbeitsplätze der in Not geratenen Bank standen durch die Vetostimmen auf dem Spiel.
Lösungsansatz: Neben der akuten Krisenkommunikation, die vor allem in zurückhaltenden Informationen mit Versachlichung der Argumente gegenüber den Medien bestand, wurden zwei Hebel angesetzt: 1) Lokale und kompetente Für-
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_13, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
110
Jan Lies
sprecher wurden gebeten, als positive Impulsgeber öffentlich Stellung zur Situation zu beziehen. Denn bisher waren die Möglichkeiten der Kommunikation hier nicht vollständig ausgeschöpft; die Vetostimmen machten sich keine Mühe, Alternativen zur geplanten Vorgehensweise aufzuzeigen. 2) Das Alignment vom Vorstand der übernehmenden Bank wurde verbessert, indem den Vorstandsmitgliedern der übernehmenden Bank eine verbindliche Story erarbeitet wurde.126 Darüber hinaus wurde auf eine aktive Finanzkommunikation Wert gelegt.
Erfahrungen: Es ist besorgniserregend, wie stark ökonomische Inkompetenz das (lokale) Klima prägen kann und finanziell nicht tragfähige Strukturen konserviert werden sollen. Eine Schlüsselrolle spielten hier lokale Politiker und auch die Medien, die letztlich Populismus und Schlagzeilen über ihre Verantwortung stellten. Dieser Popularitätsmechanismus ist in der föderalen Parteiendemokratie sehr erfolgreich und wurde von der fachlichen Opposition gezielt ausgenutzt. Insgesamt wurden hier jedoch handwerkliche Solidität und Offenheit in der Finanzkommunikation entgegengesetzt, für die sich einige Vorstandsmitglieder, das Controlling und dritte Fürsprecher engagierten.
Fazit: Letztlich wurde die Fusion erfolgreich umgesetzt, wobei der Mehrwert von Kommunikation vor allem in der (internen) Führungskräftekommunikation lag. Echte Akzeptanz wurde nicht bei allen Vorstandsmitgliedern erreicht, wohl aber das Bewusstsein des notwendigen Schulterschlusses. Gleichzeitig ist der Einfluss der Krisenkommunikation aber begrenzt. Obwohl der Sense of Urgency nicht deutlicher hätte sein können,127 war es Vetospielern möglich, das Klima massiv zu prägen. Das Beispiel zeigt, dass Komfortzonen radikal verteidigt werden und Politik und Medien dies durchaus unterstützen, ohne dass Alternativszenarien angeboten werden.
12.2
Mikropolitik: Relevanz für Change-Prozesse
Mikropolitik ist nicht nur in der Praxis von Change-Prozessen geradezu omnipräsent: „In geschäftlichen Besprechungen wird gemeinhin viel geredet, aber nicht alles gesagt. Es gibt bei nahezu allen komplexen und kontroversen Themen eine Unterwelt von Motiven, Absichten, Wünschen und Befindlichkeiten, die verdeckt bleiben und, wenn überhaupt, unter falscher Flagge und bis zur Unkenntlichkeit versachlicht in die Diskussion einfließen.“ (Doppler/Lauterburg, 2005: 201).
126
Vgl. zum „Alignment“ Abschnitt „5. Mine: Keine Management-Agenda“ und zur „Story“ Abschnitt „6.3 Die Story: Instrument der Führungskräfteentwicklung“. 127 Vgl. zum „Sense of Urgency“ Abschnitt „7. Mine: Mangelnder Sense of Urgency”.
12. Mine: Ausblendung von Mikropolitik
111
Die Beispiele in der Tabelle (siehe unten) zeigen, dass die Bandbreite mikropolitischen Verhaltens fast beliebig vergrößerbar ist: „Mikropolitik ist das Arsenal jener alltäglichen kleinen (Mikro-)Techniken, mit denen Macht aufgebaut und eingesetzt wird, um den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern, Unsicherheit zu bewältigen, bedeutsame betriebliche Ressourcen verfügbar zu machen und sich fremder Kontrolle zu entziehen.“ (Stührenberg, 2003: 162). Sie bezeichnet die Instrumentalisierung von Macht für Eigeninteressen, wobei Macht im Ergebnis die Durchsetzungskompetenz geplanter Handlungen meint. Diese kann, muss aber nicht, auch den Organisationszwecken dienen. Mikropolitik sagt nichts darüber aus, ob die Methoden aus Organisationssicht und für ihre Ziele funktional oder dysfunktional sind. Beides ist denkbar. Mikropolitisches
Mikropolitische Maßnahme
Handlungsfeld Informationskontrolle
Informationsfilterung, -zurückhaltung, -überflutung, -verzerrung, -verschönerung (konstruktivistische Kommunikation), Falschmeldungen, verspätete oder lancierte Informationen, Indiskretion, Fachjargon, Gerüchte, Falschablage etc.
Situationskontrolle
Fragliches als Tatsache darstellen(Faktenschaffen), scheinbar unabsichtlich Fehler machen, sich dumm stellen, Absichten verschleiern („hidden agenda“) etc.
Handlungsdruck erzeugen
emotionalisieren, Eklats provozieren, gespielte Empörung zur Blockade von Nachfragen, Ansprüche wecken, bewusst überzogene Anforderungen stellen, Termine setzen etc.
Kontrolle von Verfahren, Regeln, Normen
Einladungen gezielt (nicht) versenden, Doppelaufträge an unterschiedliche Einheiten verteilen, Alternativen nicht nennen, dehnbare/unscharfe/widersprüchliche Formulierungen in Protokollen und anderen zentralen Dokumenten verwenden, (komplexe) Entscheidungsprozeduren gestalten etc.
Beziehungspflege
verdeckte Koalitionsbildung, Netzwerkbildung, Unzufriedenheit/Wettbewerb zwischen Teilgruppen/Einzelnen schaffen, Günstlingswirtschaft, Loyalität belohnen, interner Lobbyismus, Kontaktvermeidung, Isolation Einzelner/Teilgruppen, Einzelne ignorieren, Entzug von Privilegien etc.
Selbstdarstellung
auftreten, Kompromissbereitschaft, Show, Entscheidungen nicht treffen, (keine) Position beziehen, dialektische Positionen, Konflikten ausweichen, eigene Sichtbarkeit erhöhen/senken etc.
Abbildung 45: Mikropolitik – Handlungsfeld und Maßnahmen Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Stührenberg (2003: 164 ff.)
Dabei ist die Bewertung ambivalent, inwieweit Mikropolitik moralisch korrekt ist. Maßgeblich ist hier, ob angewendete Instrumente machtrelevant sind: Folgende Taktiken, die der Mikropolitik zugerechnet werden können, sind zumindest im aktuellen, westlichen Zeitgeist aus moralischer Sicht negativ oder positiv zu bewerten:
112
Jan Lies
Negative Taktiken: intrigieren, anderen Fehlern zuschieben, Druck ausüben, Indiskretionen, Personen öffentlich bloßstellen, Personen ignorieren, Personen nicht helfen, Personen „ins Messer laufen lassen“.
Positive Taktiken: anderen Vorteile verschaffen, „taktisches Loben“, Netzwerke durch Versetzungen zerstören, Charisma.
Diese moralische Bewertung hat aber noch keine Bedeutung dafür, inwieweit Mikropolitik professionell angewendet wird oder den Zielen der Organisation dienlich oder abträglich ist. Dies zeigt die beispielhafte funktionale Bewertung in der folgenden Tabelle: Positive Funktionen von Mikropolitik
Negative Funktionen von Mikropolitik
Sie produziert wertvolle und nutzbare Fähigkeiten.
Sie kann Unternehmensstrategien hemmen oder verhindern.
Sie fördert soziale Vernetzung.
Sie kann unnötige Ressourcen binden, wenn Machtinteressen vor Organisationsinteressen gesetzt werden.
Sie unterstützt die Netzwerkbildung. Sie kann Unternehmensstrategien fördern oder ermöglichen, die nur mit formalen Wegen nicht realisierbar wären. Sie fördert die Überlebensfähigkeit von Organisationen.
Sie kann unproduktive Konflikte fördern. Sie kann Ängste auslösen. Sie kann ausufern.
Sie stärkt die Immunabwehr. Sie forciert die Auslese. Sie dient Karrieren. Abbildung 46: Positive und negative Wirkungen von Mikropolitik Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Neuberger (2006: 40 ff.)
12.3
Hidden Agendas als Managementrealität
Mikropolitik spielt im herkömmlichen Management kaum eine Rolle. Die Betriebswirtschaft als Management mit ursprünglich sachbezogenen Führungs-, Leitungs- und Verwaltungsaufgaben ist im Kern mathematisch-physikalisch geprägt (Staehle, 1991: 66f.). Ob im Bezug auf Finanzen, Bilanzen, Kosten- und Investitionsrechnung oder Produktionsprogrammplanung, stets wird versucht, die Organisation mit Kennzahlen zu steuern. Dass dies eine Illusion ist, erkennen Manager spätestens im ChangeManagement. Sie stoßen auf den inneren Widerspruch der physikalisch geprägten Gleichgewichtstheorie, der darin besteht, dass sich selbst der „perfekte Markt“ – in der Praxis annährend der Kapitalmarkt – nicht seinem Gleichgewichtszustand annähert. Das gilt zumeist auch für andere Institutionen wie Organisationen. Das Kernproblem des Change-Managements ist, dass Mitarbeiter und Führungskräfte eigene Ziele verfolgen, also entgegen den Annahmen der klassischen Ökonomie sehr wohl Präferenzen bestehen. Diese individuellen Ziele können mit denen der Organisationen übereinstimmen, müssen es aber nicht. Zudem ist nicht sicher, dass es für das Management
12. Mine: Ausblendung von Mikropolitik
113
offensichtlich ist, wenn diese nicht übereinstimmen, da die Beteiligten sich taktisch verhalten, indem sie ihre persönlichen Ziele nicht offen verfolgen. Sie betreiben Mikropolitik und legen ihre persönliche „Hidden Agenda“ (engl.: verdeckte Tagesordnung) an. Die „Hidden Agenda“ bezeichnet die Programmatik, die Mitarbeiter und Führungskräfte verfolgen, um ihre eigenen Ziele zu verwirklichen. Diese können mit denen ihrer Organisation (zeitweise) übereinstimmen. Für Change Communications ergeben sich mindestens drei Folgen aus der Mikropolitik und der Existenz von Hidden Agendas im Change-Management: 1)
Die Mikropolitik ist eine zentrale Ursache dafür, dass dysfunktionale Systemeigendynamik auftritt, die mit Change Communications reduziert bzw. verhindert werden soll. Hierbei ist beispielsweise an Manager eines Unternehmens zu denken, die sich auf Basis mikropolitischer Maßnahmen taktisch verhalten, um Veränderungsprozessen auszuweichen oder diese gar zu verhindern. Daher haben die Management-Agenda und die Anreize im Change-Prozess einen zentralen Stellenwert:128 Die Management-Agenda setzt nachvollziehbare und sanktionierbare Maßstäbe dafür, ob Manager zielkonform handeln und die Anreize sorgen im Idealfall dafür, dass sie zum zielkonformen Handeln motiviert werden.
2)
Die Mikropolitik wird selbst zu einem Instrument von Change Communications, wenn beispielsweise Change-Agents verdeckt tätig werden.
3)
Die Mikropolitik kann die Mandatsvergabe und -bearbeitung beeinflussen – zwischen Vorstand und Unternehmenskommunikation bzw. zwischen Unternehmenskommunikation und PR-Agentur.
Beispiel Kabinettsdisziplin: Einbindung von Vetostimmen Wenn die Bundesregierung Ministern aus Bundesländern eine führende Rolle am Kabinettstisch anbietet und so versucht, Vetostimmen aus der Region durch Machtanreize, aber auch durch Verantwortungsübernahme zu unterbinden, dann ist das ein mikropolitisches Instrument. Dies lässt sich auf die Change-Organisation übertragen, indem kritischen Stimmen gut dotierte Posten in der Change-Organisation und/oder Zielorganisation angeboten werden. Auch das „Wegloben“ in unkritische Bereiche zählt hierzu. 12.4
Der Stellenwert von Mikropolitik in der Change-Praxis
Um den Stellenwert von Mikropolitik im Change-Management zu ermitteln, wurden PRAgenturen hierzu befragt. Mehr als 80 Prozent stimmen der Aussage (sehr) zu, dass Mikropolitik im Change-Management ein unterschätztes Aufgabengebiet ist. Mehr als
128
Vgl. zur „Management-Agenda“ Abschnitt „5. Mine: Keine Management-Agenda“ und zu den Anreizen Abschnitt „10. Mine: Anreizloses Change-Management.“
114
Jan Lies
70 Prozent stimmen (sehr) zu, dass Machtfragen einerseits erfolgskritisch sind, andererseits aber konzeptionell oft unberücksichtigt bleiben. Immerhin stimmt ein Drittel der befragten Agenturen (sehr) zu, dass sich Machtfragen mit Agenturkunden gut besprechen und bearbeiten lassen. 60 Prozent stimmen der Aussage (sehr) zu, dass PRAgenturen auf Machtfragen wenig oder keinen Einfluss haben, während mehr als ein Drittel dieser Aussage weniger oder gar nicht zustimmen. Diese Befragten haben also die Erfahrung gemacht, dass Machtfragen durchaus beeinflussbar sind. Frage: Mikropolitik bezeichnet machttaktische Instrumente, die Führungskräfte und Mitarbeiter einsetzen, um eigene Ziele zu erreichen. Welche Erfahrungen haben Sie mit Mikropolitik gemacht? stimme sehr zu
stimme zu
stimme weniger zu
stimme gar nicht zu
Machtfragen überlagern im ChangeProzess oft Sachfragen.
18 (30,00 %)
33 (55,00 %)
9 (15,00 %)
0 (0,00 %)
Uneinigkeit über Ziele und Vorgehensweisen des Change- Prozesses auf den ersten Führungsebenen kommt oft vor.
8 (13,33 %)
42 (70,00 %)
9 (15,00 %)
0 (0,00 %)
Machtfragen spielen im ChangeManagement eine erfolgskritische Rolle, bleiben konzeptionell aber oft unberücksichtigt.
16 (26,67 %)
29 (48,33 %)
13 (21,67 %)
0 (0,00 %)
Machtfragen spielen im ChangeManagement eine erfolgskritische Rolle und werden erfahrungsgemäß zu einer konzeptionell bearbeiteten Zielgröße.
3 (5,00 %)
8 (13,33 %)
33 (55,00 %)
11 (18,33 %)
Machtfragen sind ein unterschätztes Aufgabengebiet der Change Communications.
19 (31,67 %)
31 (51,67 %)
7 (11,67 %)
0 (0,00 %)
Machtfragen lassen sich mit unseren Auftraggebern gut besprechen/bearbeiten.
2 (3,33 %)
18 (30,00 %)
34 (56,67 %)
3 (5,00 %)
12. Mine: Ausblendung von Mikropolitik
115
stimme sehr zu
stimme zu
stimme weniger zu
stimme gar nicht zu
Die Leistung von Change Communications ist von Kundenseite gut akzeptiert, um Einigkeit auf den Führungskräfteebenen über Ziele des Change-Prozes-ses und entsprechende Vorgehensweisen herbeizuführen.
1 (1,67 %)
35 (58,33 %)
21 (35,00 %)
1 (1,67 %)
Auf Machtfragen im Change-Prozess haben PR-Agenturen/Berater/Selbstständige wenig oder keinen Einfluss.
7 (11,67 %)
30 (50,00 %)
18 (30,00 %)
3 (5,00 %)
Abbildung 47: Erfahrungen mit Mikropolitik in Unternehmen Quelle: Studie 2, n = 60; absolute Antworten (in Prozent)
Zudem wurde abgefragt, inwieweit das Auftragsverhältnis zwischen Unternehmenskommunikation und PR-Agentur von Mikropolitik beeinflusst wird. Hilfsweise wurde hierzu gefragt, inwieweit auf Agenturseite festgestellt wurde, ob sie auf Kundenseite als Konkurrent von Führungskräften wahrgenommen werden. Hier stimmen mehr als ein Drittel der befragten Agenturen der Aussage zu, dass eine entsprechende Konkurrenzsituation schnell entstehen kann. Frage: Nehmen wir an, eine PR-Agentur/Unternehmensberatung wurde mit der Umsetzungsberatung für einen Change-Prozess beauftragt. Was meinen Sie: Inwieweit wird sie von Führungskräften des Kunden als Konkurrent wahrgenommen? Antwort
Anzahl
Prozent
Nein, nach unserer Erfahrung ist diese Konkurrenzsituation unwahrscheinlich.
38
63,33 %
Ja, diese Konkurrenzsituation kann schnell entstehen.
22
36,67 %
Abbildung 48: Mikropolitik in der Auftragsbeziehung Quelle: Studie 2, n = 60; absolute Antworten (in Prozent)
12.5
Fazit: Mikropolitik – Ursache und Instrument zugleich
Mikropolitik ist eine taktische Verhaltensweise, deren Einsatz nicht immer direkt beobachtbar und daher oft erst durch ihre Wirkung auf das Management erkannt wird. Diese Verhaltensweisen sind geeignet, Change-Programmatiken zu be- oder gar verhindern. Mikropolitik nimmt also Einfluss auf die Machtpositionen des Managements.
116
Jan Lies
Von Führungskräften und Mitarbeiten eingesetzte Mikropolitik kann funktionale und dysfunktionale Auswirkungen auf das Change-Management haben. Sie ist damit Zielgröße für Change Communications, da ihre dysfunktionale Wirkung einzugrenzen ist. Mikropolitik ist zugleich aber auch ein Instrument von Change Communications: Change-Agents, die Bildung von Systemmacht durch Change-Allianzen oder andere Formen des Multiplikatormanagements mit (macht-)taktischen Verhaltensweisen machen Mikropolitik zu einem Instrument des Change-Managements. Hier ist Mikropolitik ein unterschätztes und bisher zu wenig konzeptionell beachtetes Handlungsfeld.
Handlungsfeld
Aufgaben
Mikropolitik:
Etablierung einer mikropolitischen Agenda zur Unterstützung des Changes mit eigenen mikropolitischen, moralisch unkritischen Instrumenten; beispielsweise Timing mit taktischen Beförderungen von Führungskräften, die vermutlich oder offensichtlich Widerstand leisten werden, auf unkritische Stellen und/oder Standorte
eigene Agenda der Machttaktiken
Mikropolitik: Personalentscheidungen
Promotoren, aber ggf. auch kritische Stimmen in die „Kabinettsdisziplin“ der Change-Organisation einbinden, befördern/versetzen oder freisetzen
Mikropolitik:
Macht als Aspekt der Due Diligence, beispielsweise durch Abfragen der Relevanz von Fairness oder von Vertrauen im Change als Hilfsindikatoren sowie Bewertung vor allem von Führungskräften zu solchen Indikatoren
Monitoring
Abbildung 49: Aufgaben durch Mikropolitik im Change-Management Quelle: eigene Darstellung
Mine: Unterschätzung von Systemmacht
117
Change-Management als Eingriff in formelle und informelle Machtstrukturen
13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe Weiche Faktoren stehen für hoch dynamische Machtbildungsprozesse, die die Eigendynamik von Systemen konzeptionell beschreiben und durch die 20 Minen dieses Buches konkretisiert werden. Sie liefern ausschnitthafte Momentaufnahmen der Durchsetzungsfähigkeit des Managements. Mithilfe von Simulationsmodellen solch sozialer Dynamik können umkippende Stimmungen und damit Machtverluste des Managements visualisiert werden. Dass solche Machtverluste schnell auftreten, zeigt, wie leicht sich Akteure in einer Organisation dem Druck von Gruppen beugen. Dies unterstreicht die Bedeutung des Multiplikatormanagements für das Change-Management, das anhand der Rollen von Change-Agents dargestellt werden soll.
13.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Ein Unternehmen aus der Logistik-Branche plante durch Restrukturierung seiner IT-Services und Vergabe dieser Leistungserbringung an einen externen Dienstleister Kosten zu senken. Darüber hinaus wollte es auch seine Prozesse in der Bereitstellung und im Betrieb der IT-Services – Infrastruktur-, Desktop- und Application-Services – nachhaltig verbessern.
Herausforderungen: Von diesen Prozessoptimierungen war eine Vielzahl der Mitarbeiter des Unternehmens betroffen. Führungskräfte, Mitarbeiter und zentrale Serviceeinheiten, wie der Einkauf, sollten nach Umstellung der Prozesse ihre IT-Leistungen nicht mehr mithilfe der gewohnten Arbeitsschritte bestellen. Stattdessen wurde ein neues Einkaufsportal eingeführt, über das alle IT-Leistungen bereitgestellt werden sollten und über das der Bestand gepflegt wurde. Innerhalb eines sehr engen Zeitplans von zwölf Monaten mussten die vertraglich vereinbarten IT-Leistungen für den Logistikkonzern an mehr als 2 000 Standorten im In- und Ausland durch den neuen Dienstleister aufgebaut und bereitgestellt werden. Die IT-Leistungen mussten darüber hinaus für die Mitarbeiter des Konzerns bestellbar, lieferbar und der Bestand zu verwalten sein. Insgesamt 6 000 Führungskräfte und der gesamte Einkaufsbereich waren direkt betroffen.
Lösungsansatz: Um diese Anforderungen umzusetzen, entschieden Kunde und Dienstleister sich zu einer weitreichenden Prozessoptimierung. Der bisherige,
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_14, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
118
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
nicht-integrierte Bestellprozess wurde auf einen vollständig IT-basierten und zum Teil automatisierten Prozess umgestellt. Dieser verfügte über ein Bestell- und Bestandsverwaltungsportal an der Schnittstelle zu den Mitarbeitern des Kunden.
Erfahrungen: Das Projekt konzentrierte sich in der sogenannten Transitionsphase der Prozessumstellung zunächst auf die technische Bereitstellung der notwendigen IT-Systeme und des Portals sowie auf den Aufbau der Delivery- und Serviceprozesse beim Dienstleister. Es zeigte sich schnell, dass diese Vorgehensweise allein nicht ausreichte, um eine effiziente Einführung der neuen Prozesse beim Kunden sicherzustellen. Die betroffenen Fachbereiche, wie zum Beispiel der Einkauf und die Führungskräfte, waren schlecht informiert und weigerten sich, das Bestellportal zu nutzen. Gegenmacht formierte sich. Ärger entstand vor allem, weil sich die Betroffenen nicht oder zu spät eingebunden fühlten und ahnten, dass ihre Anforderungen nicht vollständig berücksichtigt werden würden. Der Dienstleister musste reagieren, um den Projekterfolg nicht zu gefährden: Es wurden in kurzen Abständen regelmäßig Meetings mit Vertretern der betroffenen Einheiten organisiert. Dort wurden das Bestellportal und die Prozesse vorgestellt, Anforderungen aufgenommen und der Entwicklungsstand regelmäßig kommuniziert. Eine Einführungskampagne unter Einbeziehung aller relevanten Stakeholder mit Präsenztrainings an mehreren Standorten führte schließlich zum Erfolg.
Fazit: Auch wenn die ursprünglich gesetzte Frist nicht eingehalten werden konnte, wurde durch die Einbindung der Mitarbeiter in den Change-Prozess der Unmut über die neuen Systeme und Arbeitsschritte kanalisiert und letztlich verringert. Sowohl das Portal als auch die dahinterliegenden Lieferprozesse werden heute vom Dienstleister betreut. Sie schaffen deutlich mehr Transparenz in den Bereitstellungsprozessen, beschleunigen die Bearbeitung von Bestellungen und vereinfachen die Bestandsverwaltung der IT-Leistungen.
13.2
Typen der Macht
Ursprünglich war die betriebswirtschaftliche Macht vor allem eine formell zugewiesene Kompetenz in Form von Weisungsbefugnissen beispielsweise qua Jobprofil, die darüber hinaus mit Ressourcen ausgestattet sein kann (Budgets, Personal etc.). Beides ergibt eine formelle und gewollte Entscheidungskompetenz, um Management per Anweisung durchzusetzen und die Organisationsziele zu erreichen. Doch Macht ist erstens nicht ausschließlich formell und stellt zweitens insgesamt einen changierenden Begriff dar. Zu unterscheiden sind folgende Erscheinungsformen der Macht (vgl. Lieber, 2007: 153 f.):
Macht als Weisungsbefugnis und Ausstattung mit Ressourcen (absolute Machtdefinition),
13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht
119
Macht als ökonomisches Erfolgskriterium (Marktmacht als Marktanteile und damit als Ergebnis von Prozessen der Machtverteilung im Sinne realisierter wertvoller Ereignisse),
Macht als persönliches Ziel sowie Kennzeichen erfolgreicher Karrieren (Positionen als persönliche Macht),
Macht als handlungsumgebende Struktur und damit als entscheidungsrelevante Größe – bekannt als Stakeholdermacht (Macht als Durchsetzungsfähigkeit aufgrund gruppendynamischer Prozesse),
Machtausübung als handlungsauslösendes Moment, in dem das Ausmaß von Gegenmachtpositionen aus Sicht einer Organisation beschrieben wird (Bestätigung oder Verfall der Macht durch Aktivierung von Zustimmung oder Widerstand im Moment ihrer Anwendung),
Macht als sichtbare Symbolik und Bereitstellung von Reaktionsfläche in Form von Ausstattung, Routinen und Verhalten (Macht als Aura und kulturelles Phänomen).
Unterscheidet man formelle und informelle Macht, gelangt man zu einem mindestens zweigeteilten Machtbegriff für das Change-Management:
Formelle Macht: Macht ist eine Ressource. Per Jobprofil wird Entscheidungskompetenz über Budgets, aber auch Entscheidungs- und Weisungsbefugnis verliehen.
Informelle Macht: Macht ist besonders im Change zusätzlich informell. Ein Change bedeutet aus Sicht der Machtanalyse eine Vielzahl ggf. unbeabsichtigter und plötzlicher Eingriffe in das bestehende Machtgefüge, das nicht nur durch Zuordnung von Ressourcen, sondern durch gelernte Entscheidungs- und Verfügungsroutinen bestimmt wurde. Macht ist damit keine Ressource, sondern eine Mischung aus Beziehungspflege sowie empathischer, taktischer und relationaler Kompetenz, wenn beispielsweise die Symbolik einer als machtvoll empfundenen Position durch einen Change zur Disposition gestellt wird.
Diese Facetten der Macht werfen die Frage auf, wie sie wirken, wie sie in tiefgreifenden Veränderungsprozessen verändert werden und wie die Betroffenen darauf reagieren: Solche Veränderungen bedeuten die Neuverteilung von Macht vor allem für Führungskräfte. Diese sind auch aufgrund ihrer Multiplikatorrolle eine erfolgskritische strategische Stakeholdergruppe im Change-Management.129
129
Vgl. zum Begriff „Multiplikator“ Abschnitt „13.6 Multiplikatormanagement für Change-Allianzen“ und zum Thema „Stakeholder“ Abschnitt „11.3 Change als Stakeholder-Management“.
120
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
13.3
Change-Prozesse als Eingriffe in das Machtgefüge
Die Ausübung von unmittelbarer Macht via Hierarchie und Befehlskette kann zwar einen tiefgreifenden Change-Prozess wie eine Fusion oder eine Restrukturierung einleiten. Diese initiierende Macht qua Amt gibt aber keine Auskunft darüber, ob sie den initiierten Prozess auch durchsetzen kann. In einem Change-Prozess, der zu wesentlichen Neuerungen führen soll, existiert kaum eine Sachfrage, die nicht zugleich auch eine Machtfrage wird. Denn schließlich werden knappe Ressourcen neu verteilt. „Wo immer wesentliche Veränderungen ins Haus stehen, sind Interessen tangiert. Positionen und Privilegien, fein gesponnene Netzwerke und Einflusssphären sind bedroht. (…) Die Karten werden neu gemischt, Gewinner und Verlierer neu definiert, Einfluss umverteilt. (…) Machtkampf als Normalweg der Auseinandersetzung (…) beherrscht die Szene.“ (Doppler/Lauterburg, 2005: 137) Aus informeller Sicht bedeutet dies, dass ein neues Machtgleichgewicht organisiert wird. Beispiele für Macht im Change-Management
Macht kennzeichnet in der Ressourcenanalyse ein Entscheidungsunterstützungsinstrument, da sie hilft, Entscheidungen und Maßnahmen durchzusetzen. Macht als Eingriff in die Ausstattung mit Entscheidungsbefugnissen und/oder Budgets.
Macht kennzeichnet in der Prozessanalyse eine Serie von Momentaufnahmen der Wirkung sozialer Beziehungen, zum Beispiel zwischen Unternehmensführung und Mitarbeitergruppen. Macht als organisierte Streiks, Proteste oder Boykotts.
Macht kennzeichnet in der Ursachenanalyse das auslösende Moment, das durch unterschiedliche Bewertungen einer Basisbeziehung entstehen kann. Bezugspunkt sind dabei (geplante) Handlungen wie eine Change-Programmatik. Macht als Ringen um unterschiedliche Programmatiken eines Changes.
Macht kennzeichnet in der Ergebnisanalyse Momentaufnahmen der Durchsetzungsfähigkeit von geplanten Handlungen. Abstrakt kennzeichnet sie die Kontrollfähigkeit von wertvollen Ereignissen. Macht am Beispiel von Change-Management als Verhinderung oder Durchsetzung eines Changes.
13.4
Visualisierung von sozialer Dynamik als Macht
Wenn die geplante Change-Programmatik informelle Eingriffe in Machtgefüge darstellt und dadurch Gegenmacht organisiert wird oder werden kann, stellt sich für das Change-Management die Frage, wie sich informelle Macht in einem Unternehmen ausbreitet und wie sich diese durch Change-Management verhindern lässt: Welche Mechanismen muss es im System „Unternehmen“ aktivieren, wenn es Multiplikatormanagement betreibt, um informelle Machtbildungsprozesse zu beeinflussen? Die Idee des Multiplikatormanagements besteht darin, gezielt Meinungsbildner aller Hierarchieebenen einzusetzen, die positive Ansteckungseffekte auslösen. Mit ihnen versucht das
13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht
121
Management, Einfluss auf die Stimmung im Unternehmen zu nehmen und informelle (Gegen-)Macht zu begrenzen. Ein Modell zur Visualisierung von Stimmungen und den zugrunde liegenden Meinungsbildungsprozessen sind sogenannte zelluläre Automaten. Zelluläre Automaten sind ursprünglich mathematische Modelle. Sie sind für das Change-Management hilfreich, um hochkomplexe gruppendynamische Vorgänge sehr vereinfacht abzubilden. Sie erklären Prozesse dynamischer Systeme, deren Verhalten nicht unmittelbar von zugrunde liegenden Regeln abgelesen werden kann, sondern die sich selbst organisieren. Sie werden hier vorgestellt, weil sie soziale Dynamik (also die Bildung und damit auch Beeinflussungsmöglichkeiten weicher Faktoren) sowie die Schnittstellenproblematik von Change-Prozessen visualisieren.130 Diese Modelle zeigen, wie Meinungen und Stimmungen zu „lokalen Rationalitäten“ in Organisationen werden können, die das Widerstands- oder Unterstützungsverhalten an Standorten, in Abteilungen oder Teams bestimmen (vgl. Richter, 2007: 234). Zelluläre Automaten
Unternehmen
Basiseinheiten
Zellen
Akteure
Zustände der Basiseinheiten
Unterschiedliche Zustände von Zellen können aus einem Set von Vorgaben angenommen werden.
Akteure handeln rational begrenzt, interpretieren und agieren stimmungsabhängig.
Abhängigkeit
Der Zustand einer zentralen Zelle beeinflusst seine Nachbarschaft und andersherum.
Akteure beeinflussen sich gegenseitig durch Kommunikation und Information.
Lokale Beeinflussung
Effekte der Beeinflussung sind lokal bestimmt.
Akteure sind von ihrer wahrnehmbaren Umgebung im sozialen Netzwerk beeinflusst.
Überschneidungen
Nachbarschaften überschneiden sich.
Handlungsrelevante Netzwerke können sich je nach betrachteten „Ties“ (Netzwerkbeziehungen) sowie Kommunikationsund Wahrnehmungsfeldern überschneiden.
Anforderungen und Ziele
Modellierung und Entstehung von Zuständen
Erklärung von Handeln im sozialen Kontext
Erklärung von „Makro-Effekten“ durch „Mikro-Regeln“
Modellierung von dynamischen, handlungsbestimmenden Umgebungsfaktoren
Modellierung sozialer Dynamik Abbildung 50: Die konzeptionelle Verwandtschaft zellulärer Automaten und sozialer Netzwerke Quelle: Hegselmann (1998: 40)
Die Basisstruktur zellulärer Automaten bilden sogenannte Zellen, die im Kontext des Changes die Mitglieder eines Teams, einer Abteilung, eines Standortes oder eines Konzerns darstellen. Alle Zellen sind in einem Netz angeordnet, vergleichbar mit den
130
Vgl. zum Thema „Schnittstellen“ Abschnitt „4.4 Der Scope als Aspekt des Schnittstellenmanagements“.
122
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Feldern eines Schachbretts. Jede Zelle bzw. jeder Akteur ist von einer bestimmten Nachbarschaft umgeben, die ihn beeinflusst. So wird die Arbeitsweise von Schnittstellen modelliert, also die Vorgänge, die einen Change zweiter Ordnung prägen.131 Zelluläre Automaten modellieren Organisationen als soziale Netzwerke, die Entscheidungen und Handlungen bestimmen. Sie wirken – so eine häufige Kritik – zu mechanistisch, als dass sie einen Modellierungsrahmen für Positionierungsprozesse in Netzwerken bzw. die hochkomplexen Dynamikprozesse in sozialen Systemen bilden könnten. Dennoch werden sie hier verwendet, um das Management-Problem „lokaler Rationalitäten“ zu visualisieren.
Abbildung 51: Meinungsbildungsdynamik mit 10 000 Akteuren im unregelmäßigen Gitter Quelle: Flache/Hegselmann (2000)
Beispiel: Zwei Unternehmen mit einer nationalen Flächenstruktur – zum Beispiel eine Bank mit Filialen in vielen auch kleineren Städten – fusionieren. Der Stellenbesetzungsprozess auf der ersten Führungskräfteebene beginnt zwar sehr schnell, aber intransparent. Bestimmte Führungspersönlichkeiten werden in diesem Prozess nicht berücksichtigt. Ihr Ausscheiden aus dem Unternehmen wird nicht aktiv kommuniziert. Sie „verschwinden“ aus der Organisation. Aufgrund der nationalen Flächenstruktur sind viele Stellen zu besetzen, sodass hier ein Beobachtungsprozess stattfindet, der seine Zeit dauert. Die Mitglieder der übrigen Führungsebenen verhalten sich möglichst unauffällig und abwartend, da sie diese Vorgehensweise auch für die untergeordneten Führungsebenen erwarten und dem Topmanagement deshalb in dieser für sie maßgebli-
131
Vgl. zum Thema „Change zweiter Ordnung“ Abschnitt „3. Change-Management als systemisches Machtmanagement“ im einleitenden Kapitel „Wegweiser“.
13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht
123
chen Frage nicht mehr vertrauen. Da nun immer mehr Projekte des Fusionsprozesses stillstehen, entschließt sich das Topmanagement, eine Führungskräftebefragung durchzuführen. Dabei soll untersucht werden, wie das Management insgesamt den bisherigen Fusionsverlauf bewertet und wie die Zustimmungswerte lauten. Um eine regionale Abbildung dieser Zustimmungswerte darzustellen, ist lediglich eine Abfrage nach Hierarchien, Standorten bzw. Vertriebsregionen oder anderen sinnvollen Regionalisierungskriterien nötig. Während sich im unmittelbaren Umfeld des Topmanagements (also auf der ersten Ebene) weitgehend große Zustimmung zeigt (ohne Abbildung), zeichnet die regionalisierte Zustimmungsverteilung ein anderes Bild (siehe Abbildung zur Meinungsbildungsdynamik oben). Die dunkler gefärbten Flächen zeigen die große Ablehnung. Die helleren Regionen stellen untere Führungskräfte dar, die wahrscheinlich weiter von der Zentrale bzw. den Vertriebsdirektionen entfernt arbeiten und damit (noch) nicht unmittelbar von der bisher praktizierten Art der Stellenbesetzung betroffen sind. Das System „Bank“ droht aus Durchsetzungssicht des Managements (themenbezogen) „umzukippen“. Trotz berechtigter Kritikpunkte ist dieses Modell sinnvoll um zu visualisieren, wie sich Stimmungen, Meinungen und andere Ausdrucksformen weicher Faktoren eines Unternehmens ausbreiten. Durch Ansteckungseffekte können Meinungscluster die Stimmung weitflächig „umkippen“ lassen, sodass „lokale Rationalitäten“ (konstruktivistisch geltende Handlungsmaßstäbe – Herausbildung von gemeinsamen „Sinn“) gebildet werden. So bilden sich Gruppen, die durch ein gemeinsames Verständnis geprägt sind, beispielsweise die als typisch vorgestellten Widerstandsgruppen in ChangeProzessen.132 13.5
Der Druck von Gruppen
Wie prägend der Druck auch von kleinen Gruppen auf das Verhalten Einzelner sein kann, zeigt das Experiment von Solomon Asch (vgl. Asch, 1955). Es verdeutlicht, wie lokale Mehrheiten – aber ggf. organisationsweite Minderheiten – andere „anstecken“ und so ein System „umkippen“ können. In einem mehrfach wiederholten Experiment mit unterschiedlichen Teilnehmern sollte jeweils eine Gruppe mit sieben bis neun Personen angeben, welche von drei Vergleichslinien B1-3 mit einer Referenzlinie A übereinstimmte.
132
Vgl. zu den „typischen Gruppen“ Abschnitt „11.3 Change als Stakeholder-Management“.
124
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Abbildung 52: Druck von Gruppen – Versuch von Salomon Asch Quelle: Stührenberg (2003: 131)
Die drei Vergleichslinien wiesen teils deutlich unterschiedliche Längen auf, so dass Einzelpersonen – ohne Gruppenzwang – diese Aufgabe zu 99 Prozent richtig lösten. In dem Gruppenexperiment wurde beim Zusammenkommen der Teilnehmer gesagt, es handele sich bei den anderen Personen um andere freiwillige Teilnehmer. Tatsächlich aber wurden im Vorfeld – mit Ausnahme eines Gruppenmitgliedes – alle Teilnehmer angewiesen, eine falsche Referenzlinie zu nennen. „Unter dem Druck der Gruppe akzeptierten die Studenten der Minderheit durchschnittlich in 37 Prozent der Versuche falsche Urteile der Mehrheit. Von den 123 Versuchspersonen in der Minderheitenposition gaben 30 Prozent fast immer nach, auch bei Abweichungen bis zu 30 cm (!), während 25 Prozent unabhängig im Urteil blieben.“ (Stührenberg, 2003: 132) Dieses einfache Experiment zeigt also die Kraft sozialer Dynamik, die für Change-Prozesse kritisch sein kann. Für das Change-Management bedeutet dies: Rund ein Drittel der Mitglieder einer Organisation lassen sich von Gerüchten, Meinungen oder Stimmungen in ihrem Entscheidungsverhalten (maßgeblich) beeinflussen. 13.6
Multiplikatormanagement für Change-Allianzen
Die Erkenntnisse aus der Betrachtung zellulärer Automaten und dem beschriebenen Experiment zur Dokumentation der Kraft von Gruppen sind weitreichend: Es können handlungsbestimmende und damit erfolgskritische Meinungskonstellationen entstehen, indem mit dem Einfluss relativ weniger Akteure lokale Minderheiten in globale Mehrheiten umschlagen. Damit wird die Bedeutung der Einflussnahme auf Systemdynamik insgesamt deutlich. Eigeninteressen in Kombination mit Ansteckungseffekten erklären den normativ hohen Stellenwert von Change Communications als Wahrnehmungsmanagement. Dies führt zur entscheidenden Bedeutung von Promotoren für den Wandel (vgl. Kaune, 2004: 20 f.). Promotoren haben den Auftrag, Einfluss auf die Willensbarriere anderer Menschen zu nehmen und ggf. zu durchbrechen. Gelingt Promotoren die Wil-
13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht
125
lensprägung vielfach, handelt es sich um Multiplikatoren. Change-Allianzen sind Gruppen von Positiv-Multiplikatoren, die (normativ) zunächst von den Führungskräften mittels des Alignment-Prozesses der Management-Agenda gebildet werden.133 Denn sie sind qua Führungsauftrag mandatiert, Einfluss auf die Systemdynamik zu nehmen. Sie beeinflussen die Umgebung von Handlung, indem sie etwa mit der Story und dem darin enthaltenen Sense of Urgency das Bewusstsein der Mitarbeiter ihres Verantwortungsbereichs prägen.134 Manager sind damit normativ Teil der Sponsorenkaskade, also ein Glied in einer formellen Multiplikatorkette, das sie idealerweise im Rahmen ihres Führungsauftrages mit Hilfe der Kommunikationskaskade ausfüllen, und eines informellen Netzwerkes, das sie gleichzeitig auch informell beeinflusst.135 Promotoren haben eine formelle und eine informelle Aufgabe. Jeder Projektmanager ist ein Promotor durch seine fachliche Rolle, für die er qua Position mit finanziellen, technischen und hierarchischen Kompetenzen ausgestattet wird. Zudem verfügt er idealerweise darüber hinaus über die Macht, Einfluss auf Entscheidungen nehmen zu können. Hierfür ist er mandatiert, in Entscheidergremien präsent zu sein sowie sich in Netzwerken von Führungskräften zu bewegen, um Entscheidungen mit vorzubereiten, zu prägen (informelle Macht durch Präsenzmandat) und ggf. mit zu fällen (formelle Macht durch Entscheidungsbefugnis). Diese Machtausstattung wird durch empathische und andere Persönlichkeitskriterien verstärkt. Sie statten Promotoren mit einer Fähigkeit aus, auf andere Einfluss zunehmen, die als soziale Kompetenz bezeichnet wird. 13.7
Change-Agents zur Stabilisierung sozialer Dynamik
Für die Prägung von Systemdynamik durch das Change-Management wird nun die Bedeutung der Rolle von Change-Agents herausgegriffen: Change-Agents und ChangeAllianzen haben mit ihrer Arbeit die Möglichkeit, Koalitionen für einen ChangeProzess neu zu formen oder zu stabilisieren. Change-Agents sind Persönlichkeiten, die sich die Aufgaben des Changes zu eigen machen und als Botschafter für die Idee des Changes intern/extern auftreten. Sie sind damit Positiv-Multiplikatoren von Veränderungsprozessen. Der Fokus der Tätigkeit von Change-Agents kann je nach Bedarf variieren (vgl. Witte, 1999: 9ff.):
Change-Agents als Fachpromotoren: Sie zeichnen sich durch Kenntnis des Neuen aus (neue Methoden, Prozesse, Ressourcen etc.).
Change-Agents als Ressourcen-Promotoren: Sie zeichnen sich durch ihre Kompetenz qua Funktion aus (Zuweisung von Ressourcen).
Change-Agents als Machtpromotoren: Sie zeichnen sich durch Wissen über die Start- und Zielorganisation aus, sind charismatisch veranlagt („Evangelisten“,
133
Vgl. zum Thema „Alignment“ Abschnitt „5. Mine: Keine Management-Agenda“. Vgl. zum Thema „Story“ Abschnitt „6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding“; zum Thema „Bewusstsein“ Abschnitt „7. Mine: Mangelnder Sense of Urgency“. 135 Vgl. zum Thema „Kaskade“ Abschnitt „8.5 Kommunikationskaskade als Führungskräftebestätigung“. 134
126
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
„Champions“) und verbinden so die Rolle von Fach- und RessourcenPromotoren. Diese Agents stehen für die Instrumentalisierung von Mikropolitik im Change-Projekt. Change-Agents als Coach: Jeder dieser „Agenten-Typen“ ist darüber hinaus Coach in der Organisation, um anderen zu helfen.
Die Rolle eines Change-Agents anzunehmen, ist in der Praxis durchaus keine Selbstverständlichkeit. Erfahrungswerte zeigen, dass Führungskräfte sich gerne vor allem hinter repräsentative und erfolgreiche Projekte stellen, was Hand in Hand mit Ergebniskommunikation und einer gewissen Geheimhaltungskultur gehen kann.136 Der Erfolg ist aber bei Changes nicht garantiert und kann aufgrund der Doppelrolle von Führungskräften gebremst werden, wenn eine mangelnde Einbindung von Führungskräften vorliegt. Dass Führungskräfte ihre Rolle als Change-Agent zum Teil nicht annehmen, war Thema einer der drei Change-Studien (Studie 2). Ein Großteil der befragten PR-Agenturen gibt an, dass Führungskräfte ihre Rolle als Change-Agent nicht wahrnehmen. Über 50 Prozent antworten, dass Führungskräften im Wesentlichen bekannt ist, was Change-Agents sind. Diese Rolle auch auf die eigene Tätigkeit anzuwenden, ist jedoch ein weiterer Schritt, der zum Teil nicht unternommen wird. Die Ergebnisse der Studie zeigt folgende Tabelle: Change-Agents, also Persönlichkeiten, die als Fürsprecher und Multiplikatoren einen Change-Prozess unterstützen, werden oftmals als Instrument von Change Communications genannt. Bitte schätzen Sie für uns ein, inwieweit Führungskräften die Rolle und Aufgabe als Change-Agents bekannt ist. Antwort
Anzahl
Prozent
Die Aufgabe von Change-Agents ist bei Führungskräften bekannt sowie gelernt und wird im Wesentlichen angewendet.
2
3,33 %
Die Aufgabe von Change-Agents in Unternehmen ist bei Führungskräften im Wesentlichen bekannt, aber sie auf die eigene Rolle anzuwenden, passiert zum Teil nicht.
34
56,67 %
Die Aufgabe eines Change-Agents als Führungskraft selbst wahrzunehmen, ist weitgehend unbekannt.
24
40,00 %
Abbildung 53: Die Rolle von Change-Agents Quelle: Studie 2, n = 60
136
Vgl. zum Thema „Ergebniskommunikation“ Abschnitt „18. Mine: Geheimhaltungskultur und Ergebniskommunikation“.
13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht
127
Weiteres Interesse galt der Eignung von Führungskräften und Mitarbeitern für ihre Rolle als Change-Agents und ihrer hierbei erzielten Wirkung. Dazu wurde u. a. gefragt, ob Mitarbeiter aufgrund ihrer hierarchischen Stellung mithilfe von Kommunikationsmaßnahmen besser zu motivieren sind, ihre Rolle als Change Agent anzunehmen, als Führungskräfte. Dem stimmen mehr als 60 Prozent der befragten PR-Agenturen nicht oder weniger zu. Die folgende Tabelle fasst die Ergebnisse zusammen: Bitte bewerten Sie für uns Change-Agents aus Mitarbeiterebene und Führungsebene im Vergleich. stimme sehr zu Change-Agents aus dem Kreis der Mitarbeiter sind aufgrund ihrer hierarchischen Stellung mithilfe von Kommunikation besser für diese Rolle zu prägen als Führungskräfte. Als Change-Agents sind Führungskräfte wichtiger als Mitarbeiter, weil ihre Kommunikation die größere Multiplikatorwirkung hat. Wenn Führungskräfte bestimmter Verantwortungsbereiche nicht als aktive Change-Agents gewonnen werden können, werden sich in diesen Bereichen auch auf der Mitarbeiterebene keine aktiven Change-Agents mithilfe von Kommunikationsmaßnahmen aufbauen lassen.
stimme zu
stimme weniger zu
stimme gar nicht zu
3
15
35
4
(5,00 %)
(25,00 %)
(58,33 %)
(6,67 %)
10
34
12
2
(16,67 %)
(56,67 %)
(20,00 %)
(3,33 %)
10
31
16
1
(16,67 %)
(51,67 %)
(26,67 %)
(1,67 %)
Abbildung 54: Die Etablierung von Change-Agents in Organisationen Quelle: Studie 2, n = 60
Mit Blick auf die Multiplikatorkraft, die Führungskräfte im Vergleich zu Mitarbeitern entwickeln können, stimmen mehr als 40 Prozent der befragten Agenturen (sehr) zu, dass Führungskräfte als Change-Agents wichtiger sind als Mitarbeiter. – Rund 40 Prozent stimmen (sehr) zu, dass sich auf der Mitarbeiterebene keine aktiven ChangeAgents mithilfe von Kommunikationsmaßnahmen aufbauen lassen, wenn Führungskräfte bestimmter Verantwortungsbereiche zuvor nicht als aktive Change-Agents gewonnen werden konnten. Eine weitere Frage zielte darauf ab zu ermitteln, ob sich Change-Agents allein mithilfe von Kommunikation gewinnen lassen. Davon geht ein Großteil der befragten Agenturen jedoch nicht aus.
128
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Emotionen, Identifikation und Verhalten gelten häufig als Ziele von Change Communications. Bitte bewerten Sie vor diesem Hintergrund folgende Aussagen: stimme sehr zu Es kann allein mithilfe von Kommunikationsmaßnahmen in Veränderungsprozessen gelingen, Change-Agents zu gewinnen.
0 (0,00%)
stimme zu
15 (25,00%)
stimme weniger zu
30 (50,00%)
stimme gar nicht zu
11 (18,33%)
Abbildung 55: Wirksamkeit von Kommunikation in Bezug auf die Etablierung von Change-Agents Quelle: Studie 2, n = 60; absolute Antworten (in Prozent)
13.8
Promotoren-Paradoxon
Die Rolle von Change-Agents wird meist positiv bewertet. Ihr Einsatz als Promotoren ist aber auch kritisch zu betrachten. Das Promotoren-Paradoxon weist darauf hin, dass solche Förderer Konflikte auch verschärfen und damit dysfunktionale weiche Faktoren verstärken können, anstatt sie zu vermindern. Dies geschieht dann, wenn nicht beachtet wird, dass Promotoren – vor allem aus dem Kreis der Führungskräfte – in ihrer Doppelrolle eigene Bereichsinteressen zu wahren haben.137 Der Zuschnitt neuer Ressorts oder die Umverteilung von Ressourcen entfacht dann ggf. Verteilungskämpfe, die durch die Promotorenrolle transparent gemacht werden, was die Konfliktwahrnehmung multipliziert (vgl. Veil, 1999: 339). Das heißt bei der Auswahl und Bestimmung von Change-Agents (vor allem Fach- und Ressourcenpromotoren) ist darauf zu achten, dass sie ihren Platz in der Zielarchitektur haben. Es gilt zudem, sie mit entsprechenden Anreizen auszustatten, sodass sie mit Blick auf die Zielorganisation insgesamt und nicht mit Blick auf ihre Bereiche der Startorganisation denken und handeln. 13.9
Fazit: Machtmonitoring als Erfolgsfaktor im Change
Jeder tiefgreifende Veränderungsprozess bedeutet für die Systemmitglieder auch eine Veränderung formeller Macht und löst damit informelle Machtumverteilungsprozesse aus. Informelle Macht kennzeichnet (flüchtige) Durchsetzungspositionen in Systemen. Die Bedeutung von solch themenabhängigen Machtverschiebungen wurde mithilfe zellulärer Automaten und der Wirksamkeit von Gruppendruck hervorgehoben. Sie exakt zu erfassen, wird theoretisch immer problembehaftet sein, da es sich hierbei um eine personenübergreifende, gruppenbezogene und themenabhängige Dimension handelt, die streng genommen nicht messbar ist. In der pragmatischen Verkürzung ist Macht auf der Basis von Plausibilitätsüberlegungen und/oder Stakeholder-Abfragen
137
Vgl. zum Thema „Doppelrolle“ Abschnitt „8.6 Doppelrolle von Führungskräften im Change“; vgl. zum Thema „Communicative Governance“ Abschnitt „10.6 Fazit: Communicative Governance in Not“.
13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht
129
auf eine begrenzte Auswahl von Kernthemen zu reduzieren, die in bestimmten Zeitabschnitten eines Changes relevant und stellvertretend für die Durchsetzung sind, da sie das themenbezogene Organisationsumfeld prägen.
Abbildung 56: Machtmonitor: Machtcontrolling im Change-Management Quelle: eigene Darstellung
In einem beispielsweise monatlichen Monitoring sind machtrelevante Themen zu priorisieren ggf. auch nach Kernbereichen, die ein Change-Projekt aktuell bearbeitet oder in Zukunft bearbeiten wird (regional, standortbezogen, hierarchisch und/oder funktionsbezogen). Hiernach sind alle 20 Tretminen daraufhin zu prüfen, ob sie ggf. neue Relevanz für den Erfolg des Changes erlangt haben. Hier ist zum Beispiel an folgende Fragen zu denken: Sind Anreize und Partizipation bei diesen Themen angelegt? Ist das Timing beachtet? In der konzeptionellen Anwendung führt die Macht
130
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
zurück zu dem ergänzten Feld der Balanced Scorecard als Teil der Communicative Governance.138 Handlungsfeld
Aufgaben
Macht: Machtmonitor
stetes Themenmanagement in Bezug auf die Durchsetzungsfähigkeit von Teilprojekten als momentbezogene Ergebnisbetrachtung steter Cultural-DueDiligence
Macht:
Machtcontrolling ggf. mit Unterstützung visualisierender Machträume, die zeigen, wo das Management über Unterstützung verfügt bzw. wo Widerstand auftritt
Steuerungsbedarfe durch Visualisierung
Monitoring durch strukturierende Abfrage, Ergebnisse mithilfe relevanter Bezugsgrößen (z. B. Standorte, Hierarchien, Funktionsbereiche) visualisieren, um das Ausmaß von Widerstandsbereichen darzustellen Partizipation: Führungskaskaden
im Change-Prozess die Funktionsfähigkeit von Führungshierarchien (Sponsorenkaskaden) erhalten, indem in der Projektorganisation definierte Führungskräfte der Zielstruktur arbeiten
Macht:
Etablierung von Change-Agents als Multiplikatoren
Positive Systemimpulse setzen
Change-Agents mit entsprechenden Anreizen ausstatten, um Promotoren-Paradoxon zu vermeiden Abbildung 57: Aufgaben für die Machtsicherung Quelle: eigene Darstellung
138
Vgl. zum Thema „Balanced Scorecard“ Abschnitt „10.4 Balanced Scorecard als Steuerungsinstrument?“.
Mine: Keine Moderation und Mediation
131
Die Arbeit von Change Communications durch interne Clearing-Stellen unterstützen.
14. Mine: Keine Moderation und Mediation Jan Lies Veränderungsprozesse sind konfliktträchtige Phasen, da Eigeninteressen durch ggf. unbewusste Eingriffe der Change-Programmatik in (informelle) Machtstrukturen in besonderer 139 Weise berührt werden. Gleichzeitig sind Konfliktlösungswege zum Teil bereits nicht mehr verfügbar. Dies ist dann der Fall, wenn gelernte hierarchische Eskalationswege, also die Einbeziehung von Vorgesetzten, und damit Lösungswege der Startorganisation ggf. schon im Umbau befindlich bzw. die der Zielorganisation noch nicht etabliert sind. Zudem können Konfliktpotenzial und Lösungsbedarf aus der geplanten Zukunftskonstellation entstehen. In solchen Fällen können die Ist-Eskalationswege ursächlicher Teil des Problems und weniger Teil der Lösung sein. Da auch diese möglichen Konflikte zum Teil zeitnah nach einer Lösung verlangen, kann das Change-Mediations-Office helfen: eine allparteiliche Instanz, die als Konflikt-Clearingstelle im Auftrag des Change-Projektmanagements arbeitet. Wenn sie in einer Organisation eingerichtet wurde, ist ihre Inanspruchnahme für ungelöste Konflikte obligatorisch. Clearingstellen sammeln ungelöste Probleme, die aufgrund verhärteter Verhandlungsfronten innerhalb des Unternehmens auftreten und deren Lösung für den Fortschritt des Transformationsprozesses erforderlich ist. Ausstehende Entscheidungen durch ungelöste Konflikte werden so beschleunigt.
14.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Eine Einrichtung des Bundes wurde nach einigen politischen Weichenstellungen als Nachfolgeorganisation einer bestehenden Bundeseinrichtung neu gegründet. Eine PR-Agentur gewann den ausgeschriebenen Etat und wurde rund ein Jahr nach dem Start der neuen Organisation beauftragt, einen Corporate-Identity-Prozess zu initiieren.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Als die Agentur die Arbeit aufnahm, traf sie auf eine Organisation mit ungefähr 500 Mitarbeitern, die in drei Parteien gespalten waren. Dabei waren vor allem forschungsorientierte Mitarbeiter mit wissenschaftlichem Profil, die sehr kritisch mit der eigenen Arbeit und dem politischen Auftrag ihrer Organisation umgingen, obwohl dieser politi-
139
Vgl. zum Thema „Macht“ Abschnitt „13. Mine: Unterschätzung von Systemmacht“.
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_15, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Jan Lies
sche Auftrag gesetzlich geregelt war: Etwa ein Drittel der Organisation trauerte der renommierten Vorgängereinrichtung nach, die formell nun nicht mehr existierte, und verhielt sich dementsprechend. Ein weiteres Drittel stand zu dem gesetzlichen Auftrag und hielt ihn auch sachlich für richtig. Das letzte Drittel war geistig bereits dabei, die Arbeit der Organisation mit Blick auf die sich abzeichnenden internationalen Entwicklungen anzupassen. Der Kommunikationsleitung war bei der Formulierung der Ausschreibung bereits bekannt, dass wesentliche Mitglieder des Präsidiums diese Situation nicht als Führungsproblem – angesichts des politischen Auftrages der Organisation – mit rechtlicher Relevanz ansahen. Zudem war der Präsident selbst neu in seiner Position. In der Führung herrschte insgesamt die Meinung, dass vor allem das Corporate Design (Gestaltungsfragen, Logo etc.) die Kernaufgabe der PR-Agentur sein sollte. Gleichzeitig stimmte die Kommunikationsleitung sachlich nicht mit dem Präsidium überein, sodass die Agentur mit der Auftragserteilung bereits zwei relevante Kunden hatte: die Kommunikationsleitung und das Präsidium.
Lösungsansatz: Die PR-Agentur entschied sich im Kern für einen analytisch gestützten, moderierenden Ansatz, um die Corporate Identity der neuen Organisation und auf dieser Basis auch die Gestaltungselemente des Corporate Designs zu entwickeln. Auf Basis der Ergebnisse von Befragungen, beispielsweise relevanter Bundestagsmitglieder und Führungskräfte dieser Bundesorganisation, wurde eine hierarchieübergreifende Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Agentur als Mediator vor allem zeitlich durch den Arbeitsprozess steuerte. Ergänzend sollten ausgewählte Mitglieder des Präsidiums und akzeptierte Führungskräfte als Multiplikatoren die Soll-Identität unterstützen.
Erfahrungen: Einerseits war der Arbeitsprozess eine positive Erfahrung, da die Mitarbeiter der Organisation und die Mitglieder der hierarchieübergreifenden Arbeitsgruppe eine große Identifikation mit der Zielorganisation entwickelten. Das mit der Arbeitsgruppe schrittweise entwickelte Logo erzählte mit seinen Elementen und Farben geradezu eine Geschichte, die die unterschiedlichen Sichtweisen und sachlichen Akzente der Mitarbeiter der Bundesorganisation widerspiegelten. Zum Teil diskutierten die Teilnehmer engagiert und mit roten Köpfen, um ihre Ansichten zu verdeutlichen. Allerdings wurde auch die interne Kritik an der gesetzlich definierten Aufgabe der Organisation transparent. Das Unterstützungspotenzial von Kommunikation war an diesem Punkt sehr begrenzt. Im Kern war sie darauf beschränkt, der Organisation zu empfehlen, sich dialektisch zu verhalten. Diese Dialektik spiegelte letztlich auch das Logo wider, was aber „nur“ den Mitgliedern der Organisation bewusst ist. Die erste Priorität
14. Mine: Keine Moderation und Mediation
133
der Organisation musste sein, sich ohne Wenn und Aber dem gesetzlichen Auftrag zu widmen und diesen auch nach außen zu vertreten, sodass die Agentur ihre Rolle als allparteilicher Mediator hier verlassen musste. Dass gleichzeitig eine fachliche Fortentwicklung betrieben wurde, entspricht ebenfalls der wissenschaftlichen (Selbst-)Verpflichtung der Organisation. Durch die sachlichen Meinungsdifferenzen zwischen Präsidium und Kommunikationsleitung musste die Agentur immer wieder aus der Rolle des allparteilichen Mediators heraustreten, sodass sie auch Kritik auf sich zog.
Fazit: Mediation kann gelingen, wenn Lösungs- und Kompromissbereitschaft der Konfliktparteien vorliegen. Wissenschaftlich-analytisch begründete Gegenpositionen in einer Organisation sind für Kompromisse aber denkbar ungeeignet. Dennoch zeigte die erfolgreiche Logoentwicklung, dass Engagement auf Basis von Kompromissen auch in solchen Situationen möglich ist. Kompromisse bestehen dann nicht in absoluten Zielanpassungen, sondern in priorisierten und zugelassenen Handlungsfeldern, hier also in einer dialektischen Haltung, die nicht „Entweder-oder“, sondern „Sowohl-als-auch“ vor allem nach innen bedeutet.
14.2
Clearingstelle: allparteilicher Prozessbeschleuniger
Warum sind Clearingstellen als Institutionen unter Umständen hilfreich? Und wieso diskutiert man diese vor allem in Phasen von Veränderungen, weniger aber in Zeiten des „Standard-Managements“? Zunächst steigt in Phasen tiefgreifender Veränderungen das Konfliktpotenzial,140 da etablierte Konsenssituationen (zum Beispiel Budgethöhen, Vertriebswege, Zuschnitt von Verantwortungsbereichen usw.) zum Teil aufgelöst werden und damit Eigeninteressen geweckt werden.141 Da Change-Prozesse Eingriffe in Machtkonstellationen bedeuten, sind tiefgreifende Veränderungsprozesse Phasen, in denen alle Konflikttypen zugleich auftreten können, was eine Lösung erschwert. Darüber hinaus können im Change etablierte Eskalationsprozesse durch Strukturveränderungen nicht mehr genutzt werden. Change-Prozesse machen aufgrund ihrer Projektorganisation zudem oft Handeln außerhalb gelernter Eskalationshierarchiestufen nötig. Es entstehen also ggf. auch sich überkreuzende Linienverantwortlichkeiten, sodass aus Sicht hierarchischer Weisungsbefugnisse Pattsituationen erwachsen können. Clearingstellen als unterstützende Konfliktlösungsinstitutionen arbeiten daher auf zwei Ebenen: Auf der ersten Ebene bleiben sie aus hierarchischer Sicht neutral, allparteilich und entlasten die Projektführungslinie, indem sie mit Mediation von den Betei-
140 141
Vgl. zum Thema „Konflikte“ Abschnitt „16.3 Konflikte als produktiv nutzbare Energiequellen“. Vgl. zum Thema „Eigeninteressen“ Abschnitt „12.3 Hidden Agendas als Managementrealität“.
134
Jan Lies
ligten Lösungsangebote erarbeiten, bewerten und entscheiden lassen. Erst wenn dies nicht zum Erfolg führt, werden sie auf der zweiten Ebene tätig, wo Problemlösungen durch Eskalation im Steering-Committee herbeigeführt werden.142 Clearingstellen bündeln also Lösungsbedarf, der auf Konflikten basiert, sodass sie eine starke Konfliktkultur dokumentieren.143 Sie stehen für die Erkenntnis, dass sich in Transformationsphasen gelernte hierarchische Wege erst noch finden müssen und Mediation helfen kann und soll. Je nach Unternehmenskultur sind externe Berater, aber auch talentierte Mitarbeiter und Führungskräfte der eigenen Organisation geeignet, im Rahmen einer Clearingstelle im Unternehmen, entscheidungskritische Themen und Konflikte zu sammeln, um selbst zur Lösung des Problems beizutragen oder es ggf. per Problemeskalation vom Topmanagement lösen zu lassen. 14.3
Moderation und Mediation zur Energieumwandlung
Die Clearingstelle übernimmt die Rolle des Mediators, wobei die verhandelnden Parteien für den Ausgang der Problemlösung auf der ersten Ebene verantwortlich sind. Die hier angesiedelte Verantwortung ist vor allem dem Change-Commitment geschuldet.144 „Bei der Mediation handelt es sich im Grundsatz um eine Verhandlung zwischen Parteien, die einen Dritten zu ihrer Unterstützung heranziehen. Im Gegensatz zu einem Schiedsrichter oder Richter ist ein Mediator nicht dazu berechtigt, den Parteien eine Entscheidung aufzuerlegen.“ (Duve, 1999: 85) Das heißt die Parteien handeln in Bezug auf die Einigung eigenverantwortlich. Das Change-Management richtet die Clearingstelle ein, um den Aspekt der Eigenverantwortung des Verhaltensmanagements weiterzuentwickeln. Dies bedeutet auch, dass die Anreizsetzung so gewählt werden muss, dass diese Vorgehensweise einen Beitrag zur Beschleunigung des Transformationsprozesses leistet, ohne dass das Arbeitsklima hierunter durch Problemaufschub leidet oder mikropolitischen Lösungsversuchen Raum gegeben wird. So wird idealerweise die in Konflikten enthaltene Energie in Lösungen und damit in Fortschritt im Change-Prozess umgewandelt. Die Entwicklung der Mediation begann in den USA in den 1970er-Jahren, in der Bundesrepublik ab den 1980er-Jahren – vor allem im Familien- und Umweltrecht. Heute gilt die Mediation als die am weitesten verbreitete Methode der alternativen Streitbeilegung. Die Rolle der Mediation wird auch auf Unternehmen angewendet: „In Organisationen ist es Aufgabe des Führenden, Konflikte zwischen Mitarbeitern, die diese selbst nicht bewältigen können, so zu moderieren, dass der Arbeitsprozess wieder hergestellt wird. Er kann dabei nur begrenzt neutral bleiben, weil ihm an einer Einigung gelegen ist, die in erster Linie der Organisation dient, erst in zweiter Linie den streitenden Kollegen. (…) Im Unterschied zum Moderator ist der Mediator unabhängig und neutral. Er überlässt den Parteien die Verantwortung, zu einer Einigung zu gelangen.“ (Berkel, 2005: 202). Die Mediation hat sich an den amerikanischen Bun-
142
Vgl. zum Thema „Steering-Committee“ Abschnitt „1.5 Die Organisation des Changes“. Vgl. zum Thema „Konfliktkultur“ Abschnitt „16. Mine: Ja-Sager statt Fehler- und Konfliktkultur“. 144 Vgl. zum Thema „Change-Commitment“ Abschnitt „11. Mine: Mangelndes Change-Commitment“. 143
14. Mine: Keine Moderation und Mediation
135
desgerichten ebenso wie außerhalb des Gerichtssystems zum vorrangigen ADRVerfahren (ADR = alternative dispute resolution) entwickelt (vgl. Kunczik, 1993/2010: 372). 14.4
Fazit: Mediation als dialogische Managementinstanz
In Phasen neu zu ordnender Entscheidungsstrukturen ist es Ausdruck einer starken Konfliktkultur, Clearingstellen als Mediationsinstanzen einzurichten. Ihre Einrichtung institutionalisiert eine Konfliktkultur, da sie signalisiert, dass eine Transformationsphase entscheidungskritische Situationen mit sich bringt, die sich nicht immer ohne die Hilfe Dritter lösen lassen. Gleichzeitig verpflichten Clearingstellen aber auch dazu, sie zu nutzen und das dialogische Management (Dialog - wechselseitiges Gespräch mit der Option, das eigene Ziel auch an die Position des Gegenübers anzupassen) zu betreiben. Dabei bedeutet Dialog hier die wechselseitige Argumentation, die auch Kompromissfähigkeit beinhaltet, also das Abrücken von eigenen Zielen. Dialog ist somit ein Gedanke des antizipativen Managements. Engpässe durch nichteskalierte Zielkonflikte sind damit auch sanktionsfähig und gehören als ein Aspekt in die Anreizsetzung. Handlungsfeld
Aufgaben
Antizipation: Konfliktmanagement
Clearingstellen in der Change-Projektorganisation als Mediationsinstanz etablieren und deren Nutzung als verbindlich vorgeben
Abbildung 58: Aufgaben durch Mediation Quelle: eigene Darstellung
Mine: Einseitige und punktuelle Due Diligence
137
Change Communications: stetige Kulturund Stimmungsanalyse als Machtmonitor!
15. Mine: Einseitige und punktuelle Due Diligence Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik Eine Due Diligence (intensive Prüfung) beinhaltet eine Phase der Informationsbestandsaufnahme und des Informationsaustausches im Vorfeld einer geplanten Übernahme oder Fusion, aber auch eines Börsenganges. Es werden dabei vor allem rechtliche, finanzielle, steuerliche und strategische Kompatibilitäten geprüft. Darüber hinaus gilt es, mit Blick auf die Systemdynamik die Unternehmenskultur zu prüfen. Diese ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Werten, Normen, Denkhaltungen und Paradigmen, die die Mitarbeiter und Führungskräfte teilen. Sie prägt das Zusammenleben in der Organisation, die Durchsetzbarkeit von Handlungsplänen sowie den Auftritt nach außen. Bei der Cultural-Due-Diligence wird weniger untersucht, ob das neue Unternehmen in der Zielorganisation auch aus kultureller Sicht erfolgreicher ist als die autark arbeitenden Unternehmen – dies dürfte nur bei besonders ausgeprägten Inkompatibilitäten prognosefähig sein. Vielmehr findet ein steter Kulturprüfungsprozess statt, der vor dem Start des Transformationsprozesses beginnt und ihn dann begleitet. Dies soll ermöglichen, Verhaltens- und Kommunikationsmaßnahmen ableiten zu können, um die Durchsetzungsfähigkeit des ChangeProjekts zu steigern. Vor allem die stete Verhaltensanpassung des Managements scheint jedoch bis dato nicht zum Standard des Change-Managements zu gehören.
15.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Ein mittelständisch geprägtes Unternehmen der IT-Branche wurde reorganisiert: Geschäftsbereiche wurden zusammengelegt, neue gegründet.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Da das Unternehmen bereits mehrfach fortentwickelt und umgebaut wurde, sollten zwei zentrale Aspekte verbessert werden: 1) Die Organisation sollte in die Entwicklung der Strategie und Aufstellung der Zielorganisation eingebunden werden. 2) Gleichzeitig sollten das Stimmungsbild sowie seine kritischen Treiberthemen stetig erfasst werden.
Lösungsansatz: Die Geschäftsführung beauftragte ein Team mit dem Teilprojekt, eine Strategie für diese Vorgaben zu entwickeln. Ein Arbeitspaket beinhaltete die Aufgabe, ein Konzept für die Strategiekommunikation zu erarbeiten. Neben den klassischen Kanälen interner Kampagnenkommunikation – mit Instrumenten wie „offenen Stunden“ der Geschäftsführung und Videos – wurde entschieden, einem
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_16, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
138
Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik
Wiki im anstehenden Strategieprozess eine zentrale Dialogfunktion einzuräumen. Das Wiki sollte nicht nur als Arbeits- und Dokumentationsinstrument dienen, sondern gleichzeitig auch die Partizipation vieler Mitarbeiter ermöglichen und als „Kulturradar“ dienen, der vor allem Widerstand anzeigen sollte.
Erfahrungen: Das Wiki sollte zuerst als Arbeitsmedium dienen. Das heißt, dass Ergebnisse aus den Strategiemeetings direkt im Wiki dokumentiert und auch den anderen Mitgliedern der Organisation zur Kommentierung zur Verfügung gestellt wurden. Für das Unternehmen war der zentrale Einsatz eines Wikis ein Experiment. Es konnte auch nicht auf die Erfahrungen anderer Unternehmen zurückgreifen, sodass nicht bekannt war, wie die an der Strategieentwicklung beteiligten Mitarbeiter auf diesen Ansatz reagieren würden. Schließlich sollten nicht nur Dokumente oder Präsentation im Wiki abgelegt werden, sondern es sollte auch ermöglichen, sich im Dialog einzubringen. Nach ersten Irritationen wurde das Wiki jedoch sehr gut angenommen: von Mitarbeitern des Strategieteams, die die Arbeit im Wiki schnell als Arbeitserleichterung empfanden, und auch von Führungskräften und Mitarbeitern, welche die Strategieentwicklung verfolgten und den Austausch darüber als sinnvoll werteten.
Fazit: Das Wiki zu einem strategischen Instrument in einem Veränderungsprozess zu machen, ist dann erfolgreich, wenn Führungskräfte und Mitarbeiter dieses Instrument als dialogische Arbeitsumgebung werten und anwenden. Das heißt, dass Einträge im Wiki seitens des Managements zu verfolgen sind und bei Gelegenheit kommentiert werden sollten – nicht nur digital, sondern auch bei den relevanten Meetings in der Change-Projekt-Organisation. Dann arbeitet das Wiki nicht nur als Stimmungsradar, sondern ist ein wertvolles Partizipationsinstrument, das Wissen nutzbar macht. Bei der finalen Strategiekommunikation traten bei den Mitarbeitern keine „Überraschungseffekte“ auf, da sie frühzeitig über die Kernbotschaften der Strategie informiert worden waren und sich einbringen konnten.
15.2
Zweck der Cultural-Due-Diligence
Generalisierend kann die Due Diligence auf alle tiefgreifenden Veränderungsprozesse übertragen und dort angewendet werden (vgl. Balz/Arlinghaus, 2007: 99 f.). Sie dient zur Prüfung, ob Kulturverluste oder das sich verändernde Arbeitsklima als kulturbestimmte Momentaufnahmen der Durchsetzungsfähigkeit der Change-Programmatik den Erfolg der Veränderungen hemmen oder gar verhindern können. Der Zweck der Cultural-DueDiligence besteht nicht nur in einer einmaligen Diagnose des „cultural fits“, also der kulturellen Kompatibilität zweier Organisationen, dessen Aussagekraft begrenzt ist. Vielmehr soll ein stetes Kulturmonitoring durchgeführt werden, um Erkenntnisse über informative, edukative und/oder emotionale Kommunikations- und Handlungsbedar-
15. Mine: Einseitige und punktuelle Due Diligence
139
fe in die Change-Programmatik und/oder -Dramaturgie einfließen zu lassen. Studien bemängeln, dass nur in jeder achten Transaktion eine Kulturprüfung durchgeführt wird (vgl. Jansen, 2000: 35). Für das Change-Management ergibt die Kulturprüfung idealerweise Aussagen darüber,
ob Unternehmenskulturen fusionierender Unternehmen grundsätzlich zueinander passen („cultural fit“);
ob kulturell bedingte Aspekte als Eigendynamik temporär auftreten, die den Transformationsprozess hemmen oder verhindern („cultural due diligence process“) – unabhängig davon, ob es sich um eine Fusion oder einen anderen Veränderungsprozess handelt.
15.3
Prognosefähigkeit der Macht von Unternehmenskultur
Untersuchungsobjekt der Cultural-Due-Diligence ist nicht nur die Frage, welche Aspekte eine bestimmte Kultur prägen oder – im Falle einer Fusion – welche Aspekte zwei zu integrierende Kulturen prägen und kompatibel erscheinen lassen. Die kritisch zu untersuchende Frage ist hier auch, inwieweit vor einem tiefgreifenden Veränderungsprozess, wie einem Zusammenschluss oder einer Reorganisation, belastbare Aussagen darüber ermittelt werden können, ob und inwieweit Kulturen grundsätzlich zueinander passen oder ob sie gar Hinderungsgrund einer Fusion sein könnten. Um vorab zu konstatieren, ob es sich um eine Kultur handelt, die eine Fusion fördert, hemmt oder verhindert, ist entscheidend, eine möglichst ausgeglichene Gewichtung zwischen bestimmten Kulturmerkmalen im Unternehmen vorzufinden und nicht etwa starke Ausprägungen einzelner Aspekte. „Eine absolut innovative sich ständig verändernde Organisation ohne gesunde, bürokratische Stützen scheitert (...) ebenso, wie eine völlig starre, nach innen gerichtete, hierarchisch ausgerichtete Kultur.“ (Althauser/Tonscheidt-Göstl, 1999: 40.) Es stellt sich aber die Frage, ob das Kriterium der Ausglichenheit kultureller Aspekte hinreichend für die Kennzeichnung von Kulturkompatibilität ist. Der Ausspruch „Gegensätze ziehen sich an“ ist zwar umgangssprachlich und auf Liebesbeziehungen bezogen. Nimmt man diesen Gedanken ernst und bezieht man ihn auf die Kulturen zweier fusionierender Organisationen, führt er in der Ex-ante-Betrachtung des Zusammenschlusses zu schwer lösbaren konzeptionellen und empirischen Problemen. Ergänzen sich vielleicht unterschiedliche Kulturen zweier fusionierender Unternehmen zu einem harmonischen Ganzen? Oder bewirkt diese Unterschiedlichkeit gar das Gegenteil? Diese Fragen bleiben hier unbeantwortet. Maßgeblich ist, dass die Wirkung einer bestimmten Kultur subjektiv, gruppenabhängig, vom persönlichen Erfahrungswissen geprägt, dynamisch und damit nicht exakt messbar ist. Beispiel: Allfinanz – Dresdner Bank und Allianz Wenn eine Versicherung eine Bank übernimmt – so war beispielsweise von 2001 bis 2009 die Dresdner Bank ein Tochterunternehmen der Allianz –, dann erscheint dies mit Blick auf die Geschäftsmodelle von durchaus erfolgreichen Allfinanzdienstleistern in Südeuropa zunächst plausibel. Allfinanz steht für die institutionelle Verknüpfung
140
Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik
von Bank- und Versicherungsgeschäft.145 Sie beinhaltet die vertragliche, langfristige und oftmals kapitalmäßige Verbindung von Banken und Versicherungen und äußert sich in der wechselseitigen Beeinflussung verschiedenartiger Finanzdienstleistungsprodukte, die von Banken, Versicherungsunternehmen, Bausparkassen und anderen Institutionen angeboten werden. Die Meinungen zum Thema Allfinanz gehen weit auseinander. Sie reichen von „antiquierter Modeerscheinung der 1980er-Jahre“ bis zur (selektiven) Akzeptanz der heutigen Bedeutung des Lebensversicherungsvertriebs über Banken. In den meisten europäischen Ländern ist die Entwicklung der Allfinanz weit vorangeschritten. Die südeuropäischen Märkte gelten dabei als besonders „bank-assurance-lastig“, so werden in Spanien – je nach Quelle – bis zu 80 Prozent der Lebensversicherungen über Banken abgesetzt. In Deutschland sind es nur rund 20 Prozent. Für das Scheitern der Dresdner Bank unter dem Dach der Allianz wird zum Teil diese Kultur verantwortlich gemacht. Versicherung und Vorsorge scheinen sich in Bankund Versicherungsprodukten aus Vertriebskanalsicht und damit synergetisch gut zu ergänzen. Doch die Praxis sieht derzeit anders aus: Interessanterweise dominieren in Banken und Versicherungen hierzulande zum Teil sehr unterschiedliche Vertriebskulturen, die dieser gegenseitigen Ergänzung im Weg zu stehen scheinen. Auf der einen Seite Versicherer, die idealerweise langfristige Risiken der Kunden senken, auf der anderen Seite Bankberater, die im Extremfall kurzfristigen Erfolg über Risikosenkung stellen. Dies wirft die Frage auf, ob solche Kulturen in Deutschland tatsächlich inkompatibel sind oder ob es nur an Erkenntnis, Kompetenz und Geduld mangelt, das gemeinsame Vertriebspotenzial mit Kultur- und Verhaltensmanagement auszuschöpfen. Da Allfinanzkonzepte in Europa unterschiedlich erfolgreich sind (vgl. Hülsen, 2003: 120 ff.), scheint es – vor dem Hintergrund unterschiedlicher rechtlicher Rahmenbedingungen und mit Blick auf das Scheitern von Allianz und Dresdner Bank – plausibel, dass die Kultur der Märkte und ihrer Unternehmen dafür zumindest mit verantwortlich ist. 15.4
Vorgehen der Cultural-Due-Diligence
Generell gilt, dass sich eine Unternehmenskultur aus dem Zusammenspiel von Werten, Normen, Denkhaltungen und Paradigmen ergibt, die die Mitglieder der Organisation teilen und die damit ihre Arbeit prägen. Zu unterscheiden sind die Oberflächenund die Tiefenstruktur von Kultur (vgl. Bolten, 2007: 94f.; Schein, 1995: 29f.):
145
Vgl. im Folgenden Lies (2003) und die dort angegebene Literatur.
15. Mine: Einseitige und punktuelle Due Diligence
141
Oberflächenstruktur (Perceptas): die wahrnehmbare und beschreibbare Ebene;
Tiefenstruktur (Konceptas): gruppenbezogene Wahrnehmungs- und Interpretationsschemata, die das wahrnehmbare Handeln prägen.
Die folgende Tabelle verdeutlicht, was bereits durch die typische Gruppenbildung im Change bekannt ist:146 Die Kultur innerhalb eines Unternehmens ist niemals einheitlich. Das Topmanagement teilt und prägt oft ganz andere Werte als die Mitarbeiter im Vertrieb oder in der Produktion am Fließband. Kultur ist aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit in einer Organisation eher als gemeinsame Richtschnur des Handelns und weniger als verbindliche, exakte Gemeinsamkeit zu begreifen. Merkmale von Kultur Wahrnehmung Dritter
Wie nehmen Dritte das Handeln und den Auftritt einer bestimmten Organisation wahr?
Konvergentes Handeln
Wie verhalten sich bestimmte Akteure bestimmter Netzwerke im Vergleich zu anderen?
Handlungsbestimmende Merkmale
Warum handeln die Akteure einer bestimmten Organisationseinheit auf eine bestimmte Art und Weise?
Abbildung 59: Kulturebenen Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Lies (2003: 162f.)
Für die Ermittlung von handungsrelevanten Kulturimpulsen sind die Methoden der empirischen Sozialforschung anzuwenden (Umfragen bei Mitarbeitern, Führungskräften, Kunden etc.), ein anerkanntes Verfahren hierzu existiert jedoch nicht (vgl. Unterreitmeier/Schwaiger, 2006: 957ff.). In der Kulturanalyse wäre die wahrnehmungsprägende Ebene (Konceptas) in den Mittelpunkt zu stellen. Fraglich dabei ist, 1) ob die relevanten Treiber hierfür überhaupt vollständig erfasst werden können, 2) ob diese im Zeitablauf stabil sind (die relevanten Faktor selbst und ihre Ausprägung), 3) ob sie in den relevanten Clustern (Teams, Hierarchieebenen, Standorte) erfasst wurden und werden und 4) ob sie wahrheitsgemäß abgefragt werden können. Der Hinweis auf diese Komplexität und damit Anfälligkeit der Ergebnisse soll keine Absage an die Durchführung solcher Analysen sein. Vielmehr wird dadurch deutlich, dass sich handlungsrelevante Eigendynamik nicht ohne Weiteres durch (relevante) Kennzahlen ausdrücken lässt. In einer Handlungsumgebung, die von Rational Choice geprägt ist, zeigen Erfahrungswerte, dass die Analysen und die hieraus resultierenden Empfehlungen wenig Akzeptanz bei Verantwortlichen finden und auch daher zur Strategiedominanz harter Faktoren im Change führen. Pragmatisch lässt sich Kultur auf abzufragende oder zu vermutende Kernthemen reduzieren, wie folgende Grafik
146
Vgl. zum Thema „Gruppenbildung“ durch gemeinsame Bewertungsschemata Abschnitt „11.3 Change als Stakeholder-Management“.
142
Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik
verdeutlicht. Dies steigert zwar die Fehleranfälligkeit erheblich, aber immerhin werden plausible Anhaltspunkte für antizipatives Management generiert.
Abbildung 60: Ergebnisauszug einer möglichen Cultural-Due-Diligence Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Jansen (2008: 324)
15.5
Überführung von Kultur in themenabhängige Macht
Um die Kulturanalyse in Momentaufnahmen des Durchsetzungsvermögens für das Management zu überführen, sind beispielsweise auf der Basis von Führungskräfte-, Mitarbeiter-, und Kundenbefragungen relevante Themen zu identifizieren.147 Dies sind Abfrageprozesse – zum Beispiel monatliche oder quartalsweise – und keine punktuellen Maßnahmen, da die Durchsetzungsfähigkeit und damit die Handlungsfähigkeit themenbezogen stimmungsabhängig ist, wie die Analyse der Systemmacht mit hoch dynamischen, gruppenbezogenen Machtumverteilungsprozessen verdeutlicht.148 Aus Zufriedenheits- oder Zustimmungswerten bzw. direkten Verbesserungsprioritäten könnte die Identifikation anhand des Beispiels der Kulturanalyse (siehe Abbildung oben) aussehen, wie in der folgenden Tabelle dargestellt. Die Annahme ist, dass der Change-Prozess bereits begonnen hat. Die Prioritätenbewertung gibt an, für wie relevant der abgefragte Aspekt gehalten wird. Hintergrund hierfür ist, dass sich möglicherweise vermutete Schwächen in der Umsetzung zwar bestätigen, dass sie aber von dem befragten Bereich als wenig oder gar nicht maßgeblich für den Projektfortschritt bewertet werden. Die folgenden Aspekte werden hierarchie-, standort- und funktionsbezogen abgefragt. Dabei ist jeweils eine unternehmensindividuelle Spezifizierung und/oder Priorisierung zu leisten. Für das Management im systemischen Umfeld ist die Ableitung und Einleitung von Verbesserungsmaßnahmen nach solchen Abfragen
147 148
Vgl. rückblickend Abschnitt „11.5 Fazit: Change-Commitment gegen Subsystembildung“. Vgl. zum Thema „Systemmacht“ Abschnitt „13.3 Change-Prozesse als Eingriffe in das Machtgefüge“.
15. Mine: Einseitige und punktuelle Due Diligence
143
obligatorisch. Die Darstellung hat ausschnitthaften Beispielcharakter und wäre je nach Change-Managementprojekt an die machtrelevanten Themen anzupassen. Bewertung (Zustimmung/Priorität; Ablehnung/Priorität)
Thema Kundenorientierung
Die Kundenorientierung hat im Change spürbar an Kraft verloren. Durch die verstärkte Branchenorientierung spüre ich bereits bessere Marktbearbeitungsimpulse. Die neuen Schnittstellen zu anderen Branchenvertrieben haben zu neuen Marktinitiativen geführt. …
Leistungsorientierung
Der Vertrieb kann auch während unseres Umbaus ohne nennenswerte Einschränkungen auf zentrale Services (IT, Einkauf etc.) zurückgreifen. Seit Eintritt in die Change-Umsetzung beschäftigen wir uns spürbar mehr mit uns selbst als mit unseren Kunden. Der IT-Support ist in unserem Bereich auf dem Weg, ein Engpass zu werden. …
Konfliktkultur
Ungelöste Konflikte lähmen aktuell den Projektfortschritt im Bereich X. Ungelöste Probleme lassen sich mithilfe der Clearingstelle besser lösen. Die Stimmung zwischen Unternehmensführung und Arbeitnehmervertretung werte ich als Problem für den Change-Projekt-Fortschritt. …
Bedeutung von Hierarchie und Status
Aktuell ist das Stellenbesetzungsverfahren der Ebene X als fair zu bewerten. Der Zuschnitt der neuen Zuständigkeitsbereiche ist für das Unternehmen als Fortschritt zu bewerten. …
Politische Etikette
Das Topmanagement ist während der Umbauarbeiten gut für eskalationsreife ungelöste Probleme erreichbar. Der Change leidet aktuell unter Unstimmigkeiten auf den ersten Führungsebenen. …
Wertschätzende Führung
Ich bin auch seit dem Start des Unternehmensumbaus noch motiviert. Es fehlen zentrale Anreize, den Change eigeninitiativ voranzutreiben. Trotz der tiefgreifenden Veränderungen wird Fairness im Zuge des Unternehmensumbaus großgeschrieben. ...
Abbildung 61: Stetige Überführung von Kulturthemen in aktuelle Durchsetzungsfähigkeit Quelle: eigene Darstellung
144
15.6
Jan Lies/Steffen Mörbe/Ulrike Volejnik
Fazit: Kultur als Dynamik der Durchsetzungsfähigkeit
Dynamik und Subjektivität der Unternehmenskultur machen sie zu einem flüchtigen weichen Faktor, der für die Durchsetzungsfähigkeit von Change-Projekten entscheidend sein kann. Die Möglichkeit, das Scheitern eines Changes durch Kulturprüfung zu prognostizieren, ist doppelt schwierig: Handlungskritische Inkompatibilitäten sind auch im Extremfall nur schwer qualifizierbar. Und die stete Messung von Handlungsimpulsen durch Kulturmonitoring ist schon deshalb schwierig, weil die Kultur eines Unternehmens niemals einheitlich ist. Das heißt eine gruppenbezogene Kulturkompatibilitätsprüfung für kritische Handlungsbereiche in der Zielorganisation wäre nötig. Hinzu kommt die Anforderung, sie stetig zu betreiben, um handlungsrelevante Dynamik zu erkennen und auf sie zu reagieren. Trotz dieser Schwierigkeiten ist die stete Kulturund Meinungsanalyse als prozessuales internes Issues-Management nötig, um die Stabilität der Systemdynamik in Bezug auf die geplante Change-Programmatik zu sichern und mit Anreizen zu unterstützen. Handlungsfeld
Aufgaben
Partizipation: Kulturentwicklung
partizipative Kultur zu einem Managementprinzip machen, indem kritische Eckpunkte der ChangeProgrammatik als partizipative Prozesse angelegt werden
Antizipation:
stetig machtrelevante Themen erfassen
Kulturmonitoring Abbildung 62: Aufgaben des Kulturmanagements Quelle: eigene Darstellung
Mine: Ja-Sager statt Fehler- und Konfliktkultur
145
Fehler und Konflikte als Wissensressourcen nutzen.
16. Mine: Ja-Sager statt Fehler- und Konfliktkultur Jan Lies Ja-Sager sind Mitarbeiter und Führungskräfte, die offene Konflikte vermeiden. Sie richten sich in ihrem Verhalten nach dem, was Vorgesetzte hören wollen, auch wenn sie fachlich möglicherweise anderer Meinung sind. Die Analyse der Bedeutung von Ja-Sagern für Organisationen gehört zur mikropolitischen Forschung,149 da sie Ausdruck machttaktischer Verhaltensweisen sind. Vor allem in Konzernen besteht aufgrund mangelnder Fehlerkultur die Gefahr, dass schöngefärbte Kennzahlen das Projekt-Reporting prägen. Aus dieser mutmaßlich häufig auftretenden Unternehmensrealität erwächst die Notwendigkeit, den offensivkonstruktiven Umgang mit Fehlern als Erfolgsfaktor zu werten. Besonders in tiefgreifenden Veränderungsprozessen, in denen zum Teil ohne Erfahrungswerte komplexe Neuorganisationen angestrebt werden, sind Fehler unvermeidbar. Denn Veränderungen sind Innovationen und Innovationen sind fehleranfällig. Letztendlich sind Fehler zwar konfliktträchtig, aber eine Konfliktkultur kann sich fehlerinduzierte Konflikte als Energiequelle sogar zunutze machen.
16.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Zwei international tätige Chemieunternehmen (Alpha und Beta) fusionierten. Die Integration der beiden Unternehmen erforderte diverse Nachsteuerungsprojekte. Eines dieser Projekte umfasste die Initiative, die weltweite Angebotskette zu reorganisieren.150
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Das Projekt erforderte diverse Teilprojekte, deren Leiter sich wöchentlich zum Jour fixe trafen. Hier sollten Fortschritte und auch Probleme an die Gesamtprojektleitung gemeldet werden, um den Projektfortschritt steuern zu können. Die Teilprojektleiter neigten dazu, dieses Treffen zu einer Selbstdarstellungsplattform zu machen. Probleme wurden in dieser Runde nicht aktiv angesprochen – wenn überhaupt, wurden sie bei anderen Teilprojekten gesehen. Ein Ampelsystem, dessen Lichter auffällig oft auf „grün“ standen, korrespondierte in einigen Teilprojekten nicht mit be-
149
Vgl. zum Thema „Mikropolitik“ Abschnitt „12. Mine: Ausblendung von Mikropolitik“. Vgl. das Beispiel in Abschnitt „4. Mine: Zielorganisation ohne Scope-Management“ bzw. in Abschnitt „6. Mine: Keine Story, kein Projekt-Branding“.
150
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_17, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
146
Jan Lies
kannten oder sich abzeichnenden zeitlichen Verzögerungen, die aufgrund diverser technischer Herausforderungen bei Programmierungsarbeiten entstanden. Schönfärberei auf Teilprojektleiterebene drohte hier zu einem Führungsproblem zu werden: Je höher die Hierarchieebene war, der das Projekt-Reporting vorgelegt wurde, desto mehr grüne Ampeln tauchten auf, obwohl sachlich keine neuen Projektfortschritte vorlagen.
Lösungsansatz: Da die Projektkommunikation keinen Einfluss auf die Incentivierung der Teilprojektleiter hatte, konnte sie nur im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten ansetzen. Der Ansatz sah zwei Schritte vor: 1) In einem ersten Schritt vernetzten sich Projektleitung und ausgewählte Teilprojektleiter, um in Jours fixes gezielte Nachfragen an Kollegen zu stellen, die für taktische Schönfärberei bekannt waren. 2) Das Ziel war, kulturell zu einer problem- und lösungsorientierten Projektkultur zu finden und das Ampelsystem auf dieser Ebene zu einem belastbaren Steuerinstrument zu machen, das Nachfragen weitgehend überflüssig macht.
Erfahrungen: Das Vorgehen war aufwendig, da die gezielten Nachfragen gute Orientierung in den Teilprojekten erforderten. Es zeigte sich punktuell als erfolgreich, da durch die Nachfragen deutlich wurde, was das Ampelsystem für die Projektleitung leisten sollte und den Teilprojektleitern auf dieser Ebene die Sorge genommen wurde, dass Problemorientierung ein Makel sein könnte. Aber letztlich lebte die Projektleitung taktische Verhaltensweisen auch für ihr Team vor, wenn sie selbst an die ihr übergeordneten Hierarchieebenen berichtete. Taktische Ausweichmanöver der Führungsebenen über der Projektleiterebene waren an der Tagesordnung. Echte Unterstützung durch die ersten beiden Führungsebenen fehlte der Projektleitung.
Fazit: Ja-Sager und Schönfärber sind das Ergebnis einer Führungskultur, deren Mitglieder das sagen, was ihre Vorgesetzten hören wollen. Solche Phänomene sind deutliche Hinweise auf Komfortzonen,151 in denen echter Handlungsdruck von hierarchisch-politischer Komplexität der Konzernstrukturen überlagert wird. Das Projekt litt unter einer klaren Führungsschwäche oberhalb der Projektleiterebene, wo dieses Verhalten vorgelebt wurde.
151
Vgl. zum Thema „Komfortzonen“ Abschnitt „7.2 Konzerne: Organisationen mit Komfortzonen“.
16. Mine: Ja-Sager statt Fehler- und Konfliktkultur
16.2
147
Ja-Sager als Führungsproblem
Empirische mikropolitische Forschung ist schwierig, da beispielsweise in Befragungen taktisch geantwortet wird. Das heißt ehrliche Antworten wird eine Umfrage zu heiklen Fragen kaum oder nur zufällig ergeben. Diesem Problem ist zu begegnen, indem die Fragen ebenfalls taktisch gestellt werden. Darum wurden in einer der impulsgebenden Studien Fragen zu den sogenannten „Ja-Sagern“ gestellt. Diese Bezeichnung steht für eine mögliche taktische, mikropolitisch motivierte Rolle, die häufig in Unternehmen beobachtbar ist. Ja-Sager sind das Ergebnis mangelnder Konfliktkultur und Ausdruck der Bedeutung von Karriere- bzw. Überlebenstaktiken. Es wurden im Rahmen der Studie 1 Unternehmenskommunikationsabteilungen gefragt, inwieweit sie die Folgen mikropolitischen Handelns in Form von Ja-Sagern bearbeiten müssen. Gibt es in Ihrem Unternehmen viele Ja-Sager? Antwort
Anzahl
Prozent
Nein
44
55,00 %
Ja, vor allem auf Mitarbeiter-Ebene
6
7,50 %
Ja, vor allem auf Führungskräfte-Ebene
1
1,25 %
Ja, auf allen Ebenen
27
33,75 %
Abbildung 63: Befragung von Unternehmenskommunikationsabteilungen Quelle: Studie 1, n = 81
Zusätzlich sollte untersucht werden, wie sich Ja-Sager auf die Unternehmenskultur auswirken und wie mit Fehlern und Konflikten umgegangen wird. Bitte bewerten Sie folgende Aussagen, die das Arbeiten in Ihrem Unternehmen beschreiben: trifft sehr zu
trifft etwas zu
trifft weniger zu
trifft gar nicht zu
Offene Diskussionen über die Hierarchien hinweg sind bei uns üblich.
30 (37,50 %)
38 (47,50 %)
8 (10,00 %)
1 (1,25 %)
Die Einbindung von Mitarbeitern in Entscheidungen spielt in diesem Unternehmen eine große Rolle.
19 (23,75 %)
42 (52,50 %)
16 (20,00 %)
0 (0,00 %)
In unserem Unternehmen wird derjenige anerkannt, der klar Position bezieht.
17 (21,25 %)
47 (58,75 %)
13 (16,25 %)
0 (0,00 %)
148
Jan Lies
trifft sehr zu
trifft etwas zu
trifft weniger zu
trifft gar nicht zu
In unserem Unternehmen macht vor allem derjenige Karriere, der fachlich versiert ist.
31 (38,75 %)
37 (46,25 %)
6 (7,50 %)
1 (1,25 %)
In unserem Unternehmen macht vor allem derjenige Karriere, der politisch begabt ist.
6 (7,50 %)
32 (40,00 %)
33 (41,25 %)
6 (7,50 %)
Unser Unternehmen wäre erfolgreicher, wenn statt Ja-Sagern Führungskräfte mit mehr fachlichem Profil an entscheidenden Stellen tätig wären.
6 (7,50 %)
20 (25,00 %)
34 (42,50 %)
16 (20,00 %)
Abbildung 64: Befragung von Unternehmenskommunikationsabteilungen Quelle: Studie 1, n = 81
Die Umfrage gibt klare Hinweise darauf, dass taktisches Verhalten eine wichtige Rolle spielt und der jeweiligen Organisation nicht immer dienlich ist. So gibt fast ein Drittel der befragten Kommunikationsabteilungen an, dass ihr Unternehmen erfolgreicher wäre, wenn Führungsverantwortliche mehr fachliches Profil anstatt Ja-SagerQualitäten an den Tag legen würden. Ihr dysfunktionaler Einfluss auf die Eigendynamik ist daher nicht zu unterschätzen. Man muss vor diesem Hintergrund hinterfragen, wie die Antwort von 85 Prozent der antwortenden Unternehmen zu bewerten ist, dass eine „offene Diskussion über die Hierarchien hinweg üblich ist“. 16.3
Konflikte als produktiv nutzbare Energiequellen
Am Beispiel der Ja-Sager als Führungsproblem, stellt sich die Frage, wie Fehler als produktive Quelle für Organisationen zu nutzen sind. Eine für das ChangeManagement produktive Fehlerkultur liegt dann vor, wenn aufgetretene Fehler zuerst als Aufbau von Erfahrungswissen gewertet werden. Ein Fehler ist die bewusste oder unbewusste Nichterfüllung einer Anforderung. Dabei ist die Bewertung subjektiv und abhängig von der Unternehmenskultur. Also ist auch das hierin enthaltene Konflikt- und Innovationspotenzial eine Frage der gelebten Unternehmenskultur. Je nach Umgang mit aufgetretenen und festgestellten Fehlern kann daraus ein produktiver Lerneffekt entstehen – oder ein Konflikt (vgl. Hochreither, 2005: 27 ff.). Ein analoges Verständnis gilt für die Konfliktkultur: „Ein Konflikt liegt dann vor, wenn zwei Akteure (Personen, Gruppen, Organisationen) durch gegensätzliche oder unvereinbare Handlungen einander hindern oder stören. (…) Sie hemmen das zielbezogene (…) Handeln der Parteien und zwingen sie, ihre Aufmerksamkeit und Energie darauf zu richten, die Spannung aufzulösen oder zu reduzieren.“ (Berkel, 2005: 194 ff.). Konflikte sind damit zunächst alltägliche Situationen, da viele Ursachen und Konflikttypen existieren (vgl. Kurray, 2008: 17 ff.). Zudem sind sie das Ergebnis subjektiver Bewertungen:
16. Mine: Ja-Sager statt Fehler- und Konfliktkultur
149
Sachkonflikte: Sie treten auf, wenn unterschiedliche Überzeugungen in sachlichen Fragen bestehen, sodass unterschiedliche Ziele vorliegen.
Wert- und Grundsatzkonflikte: Sie treten auf, wenn zwei unterschiedliche Wertesystem aufeinanderprallen. Hier handelt es sich um schwer zu lösende Konflikte, da Werteüberzeugungen oder Glaubensinhalte Ursache des Konflikts sind.
Verteilungskonflikte: Sie treten auf, wenn keine Einigkeit über die Verteilung wirtschaftlichen Erfolges beziehungsweise Misserfolges, Risiken oder Ressourcen und Macht besteht.
Strategiekonflikte: Im Gegensatz zum Sachkonflikt wird das gleiche Ziel verfolgt, aber Uneinigkeit besteht über den Weg zum Ziel.
Grundsätzlich und neutral bewertet sind Konflikte Energien, die eine Organisation für sich nutzen kann – und muss. Dies gilt vor allem im Change-Prozess, in dem Eigendynamik die Durchsetzungskraft hemmen kann. Gleichzeitig haben Konfliktsituationen aber das Potenzial, verdecktes Wissen und Engagement aufzudecken und für die Organisation nutzbar zu machen. Besonders im Change-Management sollte dies beachtet werden, da tiefgreifender Veränderungen per definitionem fehleranfällig und damit aus sachlicher Sicht und unter Berücksichtigung von Macht konfliktträchtig sind. Konflikte sind verallgemeinernd verdichtete Spannungspunkte – bewusst herbeigeführt, unbewusst verursacht oder durch die Situation bedingt. Die unterschiedlichen Konflikttypen können unterschiedlich gut für eine Konfliktkultur genutzt werden: Eine gereifte Konfliktkultur ist dann etabliert, wenn Konflikte in einer Organisation vor allem als produktiver Faktor und nicht als politischer Tabubruch gewertet werden. Eine Konfliktkultur versteht Konflikte als sichtbar werdende Identifikation mit einer Sache und/oder der Organisation. Diese Identifikation gilt es zu nutzen. Konflikte werden unter der Bedingung bewusst sichtbar gemacht, sie funktional einer Lösung zuzuführen – beispielsweise durch Mediation. Konflikte sind dann produktiv, wenn ihre Analyse, Lösung und Beilegung als Lern- und Innovationsprozesse verstanden werden. Solange Konflikte positive Energien freisetzen, besteht hier kein Handlungsbedarf. Wenn systematisch dysfunktionale Energie freigesetzt wird und sich diese Grundkonflikte durch Mediation nicht lösen lassen, sind ggf. nur persönliche Lösungen – Versetzung, Entlassung – möglich und nötig. Sach- und Strategiekonflikte beinhalten währenddessen wichtiges Fachwissen, das es im Sinne einer Konfliktkultur zu nutzen gilt, wobei unterschiedliche Konfliktlösungswege unterschieden werden können, wie der folgende Abschnitt verdeutlicht. 16.4
Change: konzentriertes Konfliktmanagement
Die Konflikttypen treten in tiefgreifenden Veränderungsprozessen konzentriert auf, sodass hieraus unterschiedliche Handlungsfelder des Konfliktmanagements entstehen:
Zielharmonisierung: Konflikte aufgrund unterschiedlicher Ziele zu bearbeiten, bedeutet entweder, Einfluss auf die Ziele der Konfliktpartei zu nehmen, Anpassungen am eigenen Ziel vorzunehmen oder den Weg zum Ziel zu ändern. Denkbar ist, in kritischen Fällen beide Sachmeinungen zu hören und Zielsysteme mit-
150
Jan Lies
hilfe transparenter Scoring-Modelle zu entwickeln. So können Führungskräfte eingebunden und ihr Know-how genutzt werden. Dass dieses Verfahren kein Allheilmittel sein kann, ist auch mit Blick auf die Wert- und Grundsatzkonflikte verständlich.
Wert- und Grundsatzannäherung: Kosteneinsparungsziele mögen bei betroffenen Mitarbeitern und Führungskräften aus sachlicher Sicht unstrittig sein. Sie können in entsprechenden Changes jedoch auch ein unlösbarer Grundsatzkonflikt sein, der das Change-Vorhaben insgesamt hemmen kann. Dies geschieht dann, wenn die Sicherung von Renditezielen und/oder der Profitabilität den Eigeninteressen der Mitarbeiter und/oder Führungskräfte gegenübersteht. Dieser Konflikt kann zur Ursache von gruppenweiten Widerständen werden, die sich zu Systemmacht auf der Basis von (Gegen-)Allianzen auswachsen können. Ist der Sense of Urgency jedoch stetig präsent und beherrscht die Zielmannschaft die Systemdynamik,152 ist auch diese Konfliktenergie nutzbar.
Verteilungsveränderung: Konflikte durch (Um-)Verteilung machen deutlich, dass das Ziel von Change-Prozessen letztlich formelle Umverteilungsabsichten beinhaltet, indem in die Kosten- und Verteilungsstrukturen eingegriffen wird. Gleichzeitig wird über die Veränderungen von Strukturen und Prozessen auch in Machtbereiche eingegriffen. Anpassungen der Change-Programmatik und im Extremfall in der Change-Strategie können hier Konfliktlösungsbeiträge beinhalten.153
Strategiedurchsetzung: Die Change-Programmatik als Weg zum Ziel ist oft anpassbar. Strategische Anpassungen können als Wert- und Grundsatzannäherung ein Ergebnis von Mediation sein. Grundsätzliche Inkompatibilitäten müssen auch in tiefgreifenden Veränderungsprozessen nicht vorliegen, wenn der Sense of Urgency allen Beteiligten deutlich ist. Daher wird in Bezug auf die Frage der Strategiedurchsetzung erneut auf die Relevanz von Macht hingewiesen, die das Potenzial hat, Prozesse zu hemmen, umzuleiten oder gar zu stoppen und damit Strategien zu be- oder verhindern.
An der Typologie der Konflikte und deren Lösungen zeigt sich ihr produktives Potenzial. Aus psychologischer Sicht liegen all diesen Konflikten personen- oder teamgebundene Energien zugrunde, die Reibungspunkte und damit Konflikte hervorrufen. Diese Energiequellen zu identifizieren und möglichst in positive Energien umzuwandeln, ist die Aufgabe von Change Communications.
152
Vgl. zum Thema „Sense of Urgency“ Abschnitt „7. Mine: Mangelnder Sense of Urgency“. Vgl. zum Thema „Change-Programmatik und Change-Modus“ Abschnitt „3. Mine: Change-Programmatik ohne Change-Dramaturgie“.
153
16. Mine: Ja-Sager statt Fehler- und Konfliktkultur
16.5
151
Kulturmanagement als „Tool“?
Unter dem Stichwort „Kulturmanagement“ finden sich in vielen ChangeManagement-Büchern Werkzeuge, mit denen sich Organisationen ihre Kultur „zimmern“ sollen. Dazu gehören regelmäßig Kulturworkshops oder Leitbildprozesse. Diese Werkzeuge haben theoretisch mindestens drei Funktionen:
Identifikation von kulturellen Handlungsfeldern: Sie geben im Ergebnis Auskunft über identifizierte kulturelle Themen.
Ausdruck partizipativer Führung: Sie senden als hierarchieübergreifender Prozess ein – je nach wahrgenommener Ernsthaftigkeit – partizipatives Signal in die Organisation, indem sie die Beteiligten einbinden.154
(Mangelnder) Indikator der erfolgskritischen Wertschätzung von Kultur: Sie geben Auskunft darüber, ob das Topmanagement das Thema Kultur ernst nimmt.
Punkt 3 zeigt, dass der „Tool-Charakter“ von Kulturmanagement seine Wirksamkeit in Frage stellt, da sich die Kultur definitionsgemäß aus dem Zusammenspiel von Werten, Normen, Denkhaltungen und Paradigmen ergibt, die die Mitglieder einer Organisation teilen. Sie prägen so das Handeln (zum Teil unbewusst).155 Ob „Kultur-Tools“ erfolgreich sind, hängt also von der Authentizität ihrer Anwendung ab. In der Praxis trifft man jedoch häufig auf folgendes Phänomen, das auf mangelnde Authentizität und mangelndes Change-Commitment hindeutet:156 Vorstand oder Geschäftsführung mahnen die Bedeutung von Kulturworkshops oder Leitbildprozessen zwar an; sie lassen sich vielleicht sogar zum Auftaktworkshop als Eröffnungsredner einspannen. Dann setzen sie jedoch andere Prioritäten und kümmern sich nicht weiter um die „KulturTools“. Das Delegationsverhalten von Führungskräften weist darauf hin, dass diese notwendige Authentizität zum Teil nicht gegeben ist. Das heißt eine Konfliktkultur, die zum Beispiel unterschiedliches strategisches Fachwissen aufdeckt, ist auf der obersten Ebene dann bereits verwehrt. Auch Kulturworkshops, Leitbildprozesse und andere „Kultur-Tools“ entfalten ihre systemstabilisierende Kraft nur, wenn sie als systematische Führungskräfte-Einbindung und echte Partizipation wahrgenommen werden. 16.6
Fehlerkultur: Gelebter Teil des Change-Managements?
Ein Ziel von Studie 2 war herauszufinden, ob und inwieweit eine Fehlerkultur in Unternehmen vorhanden bzw. von Agenturen gestaltbar ist. Die Umfrage bei PRAgenturen zeigt deutlich, dass Unternehmen meist nicht offen mit Fehlern umgehen.157 Mehr als 80 Prozent stimmen der Aussage weniger oder gar nicht zu, dass Unterneh-
154
Vgl. zum Thema „Einbindung“ die Abschnitte „8. Mine: Führungskräfte nicht systematisch eingebunden“ und „9. Mine: Unechte Mitarbeiter-Partizipation“. 155 Vgl. zum Thema „Kultur“ Abschnitt „15.4. Vorgehen der Cultural-Due-Diligence“. 156 Vgl. zum Thema „Change-Commitment“ Abschnitt „11. Mine: Mangelndes Change-Commitment“. 157 Vgl. diese Ergebnisse als Relativierung zu den Antworten auf die Frage nach der offenen hierarchieübergreifenden Diskussion im Abschnitt „16.2 Ja-Sager als Führungsproblem“.
152
Jan Lies
men in Change-Prozessen meist offen mit Fehlern umgehen. Zweigeteilt fällt die Bewertung der Frage aus, ob es für Unternehmenskommunikations-Abteilungen bzw. PR-Agenturen ein Risikofaktor ist, Managementfehler des Unternehmens im ChangeProzess zu benennen und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Rund ein Drittel der befragten Agenturen stimmt dieser Aussage (sehr) zu. Die Antworten dokumentieren im Wesentlichen, wie viel Potenzial darin verborgen liegt, Change-Prozesse mit der Einflussnahme auf die Fehlerkultur zu unterstützen. Die Fehlerkultur bezeichnet die ungeschriebenen Regeln eines Arbeitsklimas, dass mit Fehlern in einer Organisation offen umgegangen wird, um hieraus für die Zukunft zu lernen. Fehler werden in so einer Kultur zu einem Erfolgsfaktor. Bitte bewerten Sie vor diesem Hintergrund folgende Aussagen: stimme sehr zu
stimme zu
stimme weniger zu
stimme gar nicht zu
Unternehmen gehen in Change-Prozessen meist offen mit Fehlern um.
0 (0,00 %)
9 (15,00 %)
44 (73,33 %)
6 (10,00 %)
Für Mitarbeiter lohnt es sich meist, in Change-Prozessen eigene Fehler und die anderer anzusprechen und Verbesserungsvorschläge zu machen.
0 (0,00 %)
24 (40,00 %)
32 (53,33 %)
3 (5,00 %)
Eine Fehlerkultur zu etablieren, ist mit Kommunikation möglich, auch wenn Ziele/Anreizsysteme unverändert bleiben.
1 (1,67 %)
26 (43,33 %)
23 (38,33 %)
9 (15,00 %)
Für die Unternehmenskommunikation/PR-Agentur ist es ein Erfolgspotenzial, Managementfehler des Unternehmens im Change-Prozess zu benennen und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.
3 (5,00 %)
33 (55,00 %)
17 (28,33 %)
5 (8,33 %)
Für die Unternehmenskommunikation/PR-Agentur ist es ein Risikofaktor, Managementfehler des Unternehmens im Change-Prozess zu benennen und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.
8 (13,33 %)
23 (38,33 %)
22 (36,67 %)
5 (8,33 %)
Abbildung 65: Der erlebte Umgang mit Fehlern und Konflikten Quelle: Studie 2, n = 60; absolute Antworten (in Prozent)
16.7
Fazit: Ja-Sager – menschlich angenehm, aber schädlich
Für das Change-Management ist es eine wichtige Kompetenz, Konflikte zu lösen, um Energie und Wissen für die Organisation nutzbar zu machen. Es gilt, Konflikte als
16. Mine: Ja-Sager statt Fehler- und Konfliktkultur
153
„hoffähig“ zu etablieren, damit sie zu einer Wissensressource werden und Ja-Sagern das kulturelle Fundament entzogen wird. Die Idee hierbei ist, vor allem Sach- und Strategiekonflikte als Erfolgspotenzial zu erkennen, indem die darin gebundene Energie im Idealfall nutzbar gemacht wird (Konfliktmoderation und Mediation). Handlungsfeld
Aufgaben
Mikropolitik:
Anreize für Fehler- und Konfliktbearbeitung geben.
Fehler- und Konfliktkultur entwickeln
Mut zu kantiger Führung Training für Führungskräfte, um Kritik einfordern und aushalten zu können Abbildung 66: Aufgaben zur Entwicklung einer Fehler- und Konfliktkultur Quelle: eigene Darstellung
Mine: Mangelndes Timing
155
Timing zur Vermeidung negativer Energiefreisetzung.
17. Mine: Mangelndes Timing Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe Timing bezeichnet den bewerteten Zeitbedarf im Rahmen von Handlungsplänen im Hinblick auf eine Aktion oder ein Ereignis in Bezug auf ein bestimmtes Ziel (vgl. Veil, 1999: 182). Vor diesem Hintergrund ist der Zeitbedarf nicht nur ein Kostenfaktor (Zeit als Ressource), sondern auch ein strategischer Erfolgsfaktor (Zeit als Geschwindigkeit und damit Fähigkeit im Vergleich zum Wettbewerb). Zeit wird zu einem doppelten Erfolgsfaktor, wenn man den Zeitbedarf darüber hinaus auch als Freisetzungsphase von Energien betrachtet, die die Hand158 lungsfähigkeit des eigenen Managements beeinflusst: mit funktionaler oder dysfunktionaler Wirkung. Im systemischen Change-Management kennzeichnet Timing in diesem Beitrag die Wirkung von Zeitbedarf auf die Durchsetzungskompetenz der Organisation. Mehr Zeitbedarf kann sowohl funktionale als auch dysfunktionale Konsequenzen haben. So haben Change-Projekte beispielsweise eine Vielzahl von potenziellen Verlierern, denen der Zeitbedarf für Vorbereitung und Umsetzung der Change-Programmatik Möglichkeiten für mikropolitische Maßnahmen eröffnet. Sie gewinnen Zeit, um gruppendynamische Prozesse anzustoßen und damit Einfluss auf die Systemmacht zu nehmen. Dies führt Unternehmen in einen Zwiespalt: Einerseits dürfen sie ihre Organisation nicht durch zu viele Zusatzaufgaben zur Bewältigung der Change-Programmatik überfordern. Andererseits dürfen sie sich aufgrund der Gefahr von Eigendynamik nicht zu viel Zeit lassen.
17.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: In diesem Beispiel aus der Logistikbranche stachen die Auswirkungen eines Outsourcing-Projekts bei einem Großkonzern auf die betroffenen Mitarbeiter und die Unterstützung dieses Change-Prozesses durch den Dienstleister hervor.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Die Transitionsphase des Outsourcing-Projekts in diesem Beispiel war sehr kurz. Innerhalb eines halben Jahres sollte die Verlagerung der IT-Leistungen zum neuen Dienstleister abgeschlossen sein. Neben den technischen und prozessualen Rahmenbedingungen mussten damit auch sehr schnell die Konditionen für die Übernahme der Mitarbeiter aus den IT-Bereichen des Kundenunternehmens verhandelt werden. Mög-
158
Vgl. zum Thema „Energiefreisetzung“ Abschnitt „3. Change-Management als systemisches Machtmanagement“ im einleitenden Kapitel „Wegweiser“.
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_18, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
156
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
lichst alle ausgewählten Mitarbeiter sollten zum neuen Arbeitgeber wechseln und dort motiviert ihre Arbeit fortsetzen. Know-how-Verluste in dieser Phase hätten starke Auswirkungen auf die Qualität der bereitgestellten IT-Leistungen durch den Dienstleister und auch auf die Projekt-Timeline gehabt.
Lösungsansatz: Die Change-Programmatik war in besonderer Weise vom ChangeModus und hier wiederum von der Change-Didaktik geprägt, wodurch unechte Partizipation vermieden werden sollte. Im Sinne des Timings wurden den Betroffenen frühzeitig ihre persönlichen Perspektiven in der Zielorganisation aufgezeigt.
Erfahrungen: Um einen möglichst reibungslosen Personalübergang sicherzustellen, wurde bereits früh in der Transitionsphase des Outsourcing-Projekts ein eigenes Teilprojekt mit Fachleuten aus den Human-Resource-Bereichen des Auftraggebers und des Dienstleisters gebildet, die sich über die Konditionen abstimmten, Verträge ausarbeiteten und die Verhandlungen mit den Mitarbeitern übernahmen. Entscheidend war, dass auch der Betriebsrat früh in die Verhandlungen eingebunden wurde, damit er hinter den Verträgen stand. Die Mitarbeiter wurden auf zahlreichen Veranstaltungen sowohl ihres alten als auch ihres neuen Arbeitgebers informiert. Mit jedem Mitarbeiter wurden persönliche Gespräche geführt, die Chancen beim neuen Arbeitgeber aufzeigten. Es wurde dabei auch Wert auf Weiterbildung, Aufstiegsmöglichkeiten und Integration in bestehende Teams gelegt.
Fazit: Der Erfolg eines Changes hängt entscheidend von der Bereitschaft der Mitarbeiter und Führungskräfte ab, den Change anzunehmen. Nur eine frühzeitige Einbindung, offene und wertschätzende Kommunikation durch den alten und neuen Arbeitgeber und eine effiziente Human-Resource-Abteilung als Teil des Projekts können diesen Erfolg sicherstellen. Neben den technischen und prozessualen Rahmenbedingungen müssen damit auch sehr schnell die Konditionen für die Übernahme der Mitarbeiter aus den IT-Bereichen des Kundenunternehmens geklärt und verhandelt werden. Das Timing entscheidet also über den Erfolg des Changes.
17.2
Timing als Teil des Change-Managements
Das Timing führt den Faktor Zeit in das Change-Management ein. Die Frage des Timings konzentriert sich auf die Balance zwischen …
verfügbarer Zeit je nach Dringlichkeit des Change-Anlasses (Zeit als Handlungsdruck bis zur Realisierung der Vorteile mittels der Zielorganisation),
17. Mine: Mangelndes Timing
157
rationaler Kapazitätsplanung zur Vorbereitung und Umsetzung des Changes und gleichzeitiger Fortführung des Kerngeschäfts (Wie viel Zusatzarbeit im Rahmen der Projektarbeit Change kann die Organisation leisten?),
Phasen der Energiefreisetzung durch die Systemdynamik (Wie viel Zeit brauchen die Mitarbeiter, um Vertrauen in den Wandel zu gewinnen? Wie wird diese Zeitphase genutzt, um Macht mittels Gegen-Allianzen aufzubauen? Lassen sich zum Beispiel „Anti Wins“ als Aspekt der Change-Dramaturgie vermeiden?),159
und dem stets aufrecht zu haltenden Handlungsdruck durch das Management auf das System (Sense of Urgency).
Damit führt der Timing-Begriff zu der Balance harter und weicher Faktoren, die die 20 Tretminen des Change-Managements prägen.160 Besonders deutlich wird die Größe der Herausforderung dieser themen- und gruppenabhängigen Balance, wenn man die Akzeptanzmatrix zur Analyse des Change-Commitments und verfügbare funktionale Energie,161 die einem Change voranhilft oder die ihn hemmt, zusätzlich berücksichtigt. Diese Matrix typologisiert die Gruppen, die in Veränderungsprozessen häufig auftreten: Promotoren, Skeptiker, Bremser und Widerständler. Diese Gruppenbildung verdeutlicht, dass das Timing schon bei einem spezifischen Thema sowohl die changehemmenden wie change-fördernden Energien zu berücksichtigen hat. Denn das gleiche Thema innerhalb eines Change-Prozesses erweckt unterschiedliche Wahrnehmung, Interpretation und damit Haltungen, wie diese Gruppentypen zeigen. 17.3
Zeit als Phase handlungsrelevanter Energiefreisetzung
Bezieht man die Analyse der zeitabhängigen Energiefreisetzung vereinfachend in einem ersten Schritt auf ein Thema und die Reaktion einer Gruppe, die dem Change ablehnend gegenübersteht, dann ergibt sich eine zunächst fallende und dann steigenden Kurve der Leistungsfähigkeit, die diese Gruppe der Organisation zur Verfügung stellt und die in der Abbildung unten dargestellt ist. Der Kurvenverlauf ergibt sich aus den Phasen, die bei der Betrachtung der Kraftfeld-Analyse thematisiert wurde („unfreeze“, „move“, „refreeze“).162 Überführt man die Betrachtung der Energiefreisetzung auf die Handlungsfähigkeit des Managements, gelangt man zu der Entwicklung der Macht.163 In einem zweiten Schritt wären weitere Energiefreisetzungsprozesse von weiteren Teilprojekten, die in dieser Phase betrieben werden, in Bezug auf die unterschiedlichen Themen in die Betrachtung einzubeziehen, um ein Bild der energieabhängigen Handlungsfähigkeit des Change-Managements zu erhalten, sodass das Timing an das Machtmonitoring anknüpft.
159
Vgl. zum Thema „Anti Wins“ Abschnitt „3.4 Strategische Projektauswahl und Dramaturgie“. Vgl. zu den 20 Minen das einleitende Kapitel „Wegweiser“. 161 Vgl. zum Thema „Akzeptanzmatrix“ Abschnitt „11.3 Change als Stakeholder-Management“. 162 Vgl. zur Kraftfeld-Analyse Abschnitt „11.3 Change als Stakeholder-Management“. 163 Vgl. zum Thema „Macht“ Abschnitt „13.9 Fazit: Machtmonitoring als Erfolgsfaktor im Change“. 160
158
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Das Timing kann Einfluss auf den Kurvenverlauf nehmen (vgl. Abbildung unten), da dieser durch die Change-Dramaturgie und Change-Didaktik beeinflussbar ist, wie an den Beispielen der Meilensteinbestimmung und „Quick Wins“ gezeigt wurde.164 Darüber hinaus hängt der fallende Bereich der Kurve der Arbeitsleistung auch von der Anzahl derjenigen ab, die ihre Rolle in der Zielorganisation gefunden haben.
Abbildung 67: Der Einfluss von Change Communications auf die Leistungskurve des Transformationsprozesses Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Berger et al. (2008: 350)
Das heißt, indem möglichst schnell über die Mannschaft der Zielorganisation bestimmt wird, nimmt das Change-Management Einfluss auf die Systemdynamik, um aus Akteuren mit möglichst positiver Energie frühzeitig eine Allianz für den Wandel zu formen. Da mit betriebsverfassungsrechtlichen Anforderungen wie Interessenausgleichen und Sozialplänen zum Teil zeitintensive Verhandlungsphasen für die Identifikation der Zielmannschaft nötig sind, ist bis zum Abschluss der Verhandlungen dieser Teil des Kulturmanagements nur bei den Führungskräften anwendbar – dafür hier umso empfehlenswerter. Die Doppelrolle von Führungskräften ist zusätzlich ein wichtiger Grund dafür,165 das Timing als einen Erfolgsfaktor von Changes zu kenn-
164
Vgl. zum Thema „Meilensteine als Aspekte des Timings“ Abschnitt „3.4 Strategische Projektauswahl und Dramaturgie“. 165 Vgl. zum Thema „Doppelrolle“ Abschnitt „8.6 Doppelrolle von Führungskräften im Change“.
17. Mine: Mangelndes Timing
159
zeichnen, um zügig mit einer neu zugeschnittenen Zukunftsmannschaft von Führungskräften und Mitarbeitern den Change umzusetzen und gruppendynamischen Prozessen zuvorzukommen. 17.4
Der Change-Anlass als Bestimmungsfaktor der Zeit
Die Möglichkeiten, das Timing zu gestalten, sind darüber hinaus vom Change-Anlass abhängig. Denn dieser bestimmt die Lage des Unternehmens, die Dringlichkeit des Handelns, den Grad der Betroffenheit der Entscheider, das Konfliktpotenzial und damit das hemmende Energiefreisetzungspotenzial. Dieser Zusammenhang wird in der folgenden Abbildung dargestellt. Der Anlass des Changes führt zu dem eingangs bemerkten, häufig beklagten Strategiedefizit im Change-Management.166 Je dringlicher die Change-Maßnahmen, desto weniger Zeit bleibt, sie konzeptionell-strategisch vorzubereiten: Das Timing-Paradoxon wird hier deutlich.
Abbildung 68: Die Lage des Unternehmens bestimmt Dringlichkeit und Konfliktpotenzial Quelle: Oltmanns/Nemeyer (2010: 200)
166
Vgl. zum Thema „Strategiedefizit“ Abschnitt „1.2 Change: Zwischen Krisen- und Schönwettermanagement?“.
160
Jan Lies/Ulrike Volejnik/Steffen Mörbe
Folgende zentralen Argumente lassen sich für mehr oder weniger Zeitbedarf im Change sammeln: Argumente für mehr Zeitbedarf in Change-Prozessen
Argumente für weniger Zeitbedarf in Change-Prozessen
strategisches Durchdenken der notwendigen Maßnahmen und Vorgehensweisen
je dringlicher der Change-Anlass, desto mehr Zeitdruck (Sense of Urgency)
Je komplexer die Veränderungen, desto mehr Zeit erfordert der Change-Prozess neben dem Tagesgeschäft
„Mehr Zeit“ heißt nicht unbedingt „bessere Strategie“.
sorgfältige Verhandlungen zum Beispiel zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern
Die Phase der Ungewissheit zwischen Start- und Zielorganisation wird für Mitarbeiter und auch Kunden länger.
Vertrauens- und Identifikationsprozesse erfordern Zeit
Je länger ein Change-Prozess braucht, desto länger ist die Phase der Mehrfachbelastung. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr Platz bleibt für machttaktische dysfunktionale Aktionen.
Abbildung 69: Konträre Timing-Argumente Quelle: eigene Darstellung
17.5
Fazit: Das Team der Zielorganisation schnell bestimmen
Das Für und Wider von mehr oder weniger Zeitbedarf führt hier zu der Empfehlung, erst die Change-Strategie zu formulieren. Sobald die Change-Programmatik in Eckpunkten steht und damit der Change-Prozess mit seinen Meilensteinen im Wesentlichen bestimmbar wird, gilt es, die Personalentscheidungen zumindest auf der Führungsebene zügig umsetzen, um dysfunktionale Systemmacht durch (Gegen-) Allianzenbildung auf dieser Ebene zu vermeiden. Mit der früh feststehenden Mannschaft wird dann versucht, die Zielstruktur zu erreichen. Anders formuliert: Timing als eine Phase von Energiefreisetzung bedeutet, einen Change-Prozess mithilfe von Führungskräften bewältigen zu müssen, die Veränderungen des eigenen Verantwortungsund Aufgabengebiets zu erwarten haben und deren Mitarbeiter ggf. zur Disposition stehen. Entsprechend braucht die Unternehmenskommunikation ein klares und belastbares Gestaltungsmandat von der ersten Ebene, um der Gegenmacht, die von den Führungsebenen ausgehen kann, zum Beispiel mit Veränderungen der ChangeProgrammatik mittels der Change-Dramaturgie begegnen zu können.
17. Mine: Mangelndes Timing
161
Handlungsfeld
Aufgaben
Timing:
auch zeitliche Gestaltung der ChangeProgrammatik, indem Phasen dysfunktionaler Energiefreisetzung möglichst verringert werden notwendige negative Maßnahmen ggf. an den Beginn stellen
Abbildung 70: Aufgaben des Timings Quelle: eigene Darstellung
Mine: Geheimhaltungskultur und Ergebniskommunikation
163
Prozesstransparenz gegen die Gerüchteküche.
18. Mine: Geheimhaltungskultur und Ergebniskommunikation Jan Lies/Simon Schoop In der Betriebswirtschaft wird vor allem gelehrt, ergebnisorientiert zu arbeiten, wie z. B. die Entscheidung auf Basis von Kennzahlen deutlich macht. Dies mag in der Tradition der rationalen Entscheidung begründet liegen, die klassisch-modelltheoretisch geprägt, letztlich eine oft vergangenheitsorientierte Zeitpunktbetrachtung ist. Durch zentrale Annahmen wie unendliche Reaktionsgeschwindigkeiten werden die zeitlich bedingten Komplikationen von Prozessen ausgeblendet. Zudem wird unterstellt, dass Organisation, Management und Mitarbeiter auf der Basis gleicher Ziele und Interessen tätig werden. Im Change-Management ist dieses Denken fatal: Je tiefgreifender ein Veränderungsprozess ist, desto mehr Eigeninteressen werden berührt. Je höher ein Manager aufgestiegen ist, desto mehr hat er zu verlieren. Je ausgeprägter die Geheimhaltungskultur, desto wirksamer arbeiten Indiskretionen. Letztere sind ein Instrument mikropolitischer Handlungsweisen, um – mit dem Ziel Eigeninteressen durchzusetzen – Druck auf das Topmanagement auszuüben und Einfluss auf die ChangeProgrammatik zu nehmen. Je ausgeprägter die Geheimhaltungskultur, je tiefgreifender der Change und je schlechter das Timing, desto besser sind solche Indiskretionen geeignet, die Systemdynamik zum Beispiel mit gezielt platzierten Gerüchten zu beeinflussen.
18.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Ein Unternehmen aus der IT-Branche führte zwei Unternehmensbereiche zu einem gemeinsamen Bereich zusammen. Durch die Fusion waren eine dreistellige Zahl von Führungskräften und mehrere Tausend Mitarbeiter betroffen, für die sich Arbeitsinhalte und -abläufe veränderten. Zwar wurde im Zuge des Mergers kein Stellenabbau geplant, jedoch befürchteten Teile der Mitarbeiterschaft, im neu aufgestellten Unternehmensteil entweder formell oder informell an sozialem oder materiellem Status einzubüßen.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Durch die Reduzierung der Anzahl von Führungspositionen war damit zu rechnen, dass einige Mitarbeiter Einbußen würden hinnehmen müssen. Vor allem die administrativen Tätigkeiten und hier besonders der Führungsbereich sollten die Kosten- und Flexibilitätspotenziale erschließen, die die Fusion der Unternehmensbereiche veranlasst hatten. Die Herausforderung bestand darin, den Mitarbeitern und Führungskräften im Account-Management und im Vertrieb die Sicherheit zu geben,
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_19, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
164
Jan Lies/Simon Schoop
dass sie in der fusionierten Zielstruktur gebraucht würden, obwohl nicht mehr dieselbe Anzahl an Führungspositionen existieren würde. Aufgrund der Größe der Organisation sollte die stabile und belastbare Prozesskommunikation als Begleitung des internen Mergers eine Kernaufgabe werden, um eine möglichst geringe Mitarbeiterfluktuation und hohe Motivation sicherzustellen.
Lösungsansatz: Der Lösungsansatz beinhaltete zwei Kernideen: 1) Die flankierende Merger-Kommunikation sah vor, die neu zu gestaltenden Aspekte an der Schnittstelle zum Kunden hervorzuheben. Um hierfür relevante Inhalte kommunizieren zu können, wurden frühzeitig Trainingskonzepte für jene Leistungsbereiche entwickelt, die zentrale Neuerungen für Kunden in der Zielstruktur beinhalteten. Nicht Geheimhaltung, sondern frühzeitige Einbindung prägte den Ansatz. So wurden vor allem für die Mitarbeiter relevante Inhalte der MergerKommunikation entwickelt. 2) Darüber hinaus wurden zeitliche Vorgaben für den Kommunikations-Workflow gesetzt, die es ermöglichen sollten, die Kommunikationsinhalte der Verschmelzungsphase mit Trainingsinhalten und anderen Maßnahmen zu füllen, die die angesprochene Sicherheit vermitteln sollten.
Erfahrungen: Durch die Größe des Unternehmens nahm die Planung der Personalkapazitäten bis zum Beginn der Stellenbesetzung mehrere Monate in Anspruch. So entstanden trotz des Trainingsansatzes etappenweise „Time-Lags“ zwischen einer Ankündigung und den Konsequenzen der Fusion auf der Arbeitsebene. Der Zeitbedarf für die Konzipierung und Umsetzung der Zielorganisation sollte also ausreichend bemessen und transparent gestaltet werden. Geschieht dies nicht, entstehen Phasen der Unsicherheit, die vermieden werden können. Der Flurfunk kann niemals abgeschaltet werden und er funkt besonders dann sehr stark, wenn Unsicherheit durch Unwissen entsteht.
Fazit: Mergerbegleitendes Change-Management mit der frühzeitigen Berücksichtigung der neuen Anforderungen der Zielorganisation sind wichtig, um „TimeLags“ durch Analyse, didaktischen Aufbereitung und dem Training dieser neuen Qualifikationen zu vermeiden. Timing, Offenheit und Geheimhaltung bilden ein zu optimierendes Spannungsfeld. Auch in großen Organisationen ist dies nicht unmöglich, wenn die Zielstruktur berücksichtigt wird. Das setzt voraus, das operative Ziel frühzeitig konkret unter adäquater Beteiligung der Betroffenen zu planen und den Mitarbeitern auch den Weg dorthin deutlich zu machen. Mithilfe konsequenter Trainingsmaßnahmen, die die in der Zielorganisation geforderten Fähigkeiten vermittelten, sowie einem integrierten Kommunikationsansatz gelang es hier, die Fluktuation auf dem konzernweit üblichen Niveau zu halten und keine internen Key-Player zu verlieren.
18. Mine: Geheimhaltungskultur und Ergebniskommunikation
18.2
165
Geheimhaltung: Vermeidung unbequemer Kommunikation?
Grundsätzlich bewegen sich Change-Prozesse in der Vorbereitung im Spannungsfeld zwischen den Anforderungen akkurater, ungestörter Vorbereitung und zu frühem Einstieg möglicher Vetostimmen. So findet die Vorbereitung von tiefgreifenden Veränderungen – von geplanten Fusionen bis zu strukturellen Kostensenkungsprogrammen – zum Teil in zunächst kleinen Gremien statt. Die Literatur unterstützt diese Geheimhaltungskultur zum Teil: „Dass Ergebnisse, Arbeitsschwerpunkte und Ablaufpläne strikt geheim zu halten sind, bevor nicht das letzte Detail des Veränderungsprojekts entschieden wurde, versteht sich von selbst.“ (Regber/Zimmermann, 2007: 210). Dieses Zitat macht im Vergleich zu den Anforderungen des Energiemanagements im systemischen Change-Management die unterschiedlichen Denkweisen von Rational und Relational Choice deutlich: hier die Logik rationaler Entscheidungen auf Basis harter Kennzahlen und dort die vorwegnehmende (antizipative) Berücksichtigung weicher Faktoren, die die Change-Programmatik auf Basis rationaler Entscheidungen modifiziert.167 Erstaunlich oft, so scheint es, werden Topmanager und ihre Berater durch Indiskretionen überrascht, die bei genauerer Betrachtung unter dem Blickwinkel von Relational Choice keineswegs überraschend sind: Je weiter die Veränderungspläne reichen und je mehr Verantwortungsträger eingebunden werden, desto mehr Betroffene mit eigenen Interessen existieren. Und dieses Eigeninteresse ist umso ausgeprägter, je mehr Verantwortung – und damit formelle Macht – sich ein Manager erarbeitet hat. Das Selbstverständnis von erfolgreichen Managern führt dazu, dass sie durch Change-Prozesse im Vergleich zu Angestellten relativ viel zu verlieren haben. Es geht über den Job hinaus um erreichte Einflusspositionen. Darum haben Führungskräfte und auch Mitarbeiter zum Teil ein Interesse daran, das verantwortliche Management unter Druck zu setzen, um Entscheidungen hinauszuzögern und/oder abzumildern – zum Beispiel mithilfe medialer Öffentlichkeit. Die Balance zwischen rechtzeitiger Einbindung und Fernhalten von Vetostimmen wird zusätzlich erschwert, wenn Geheimhaltung von Topmanagern instrumentalisiert und vorgeschoben wird, um sich unbequemen Informationsprozessen zu entziehen. Übertriebene Geheimhaltung wird oft damit gerechtfertigt, dass etwa „Verhandlungen mit dem Betriebsrat nicht vorgegriffen werden solle“. Verhandlungen zu betriebsverfassungsrechtlich vorgeschriebenen Interessenausgleichen werden somit zur Verschlusssache gemacht.
Rationale Begründung: Die rationale Begründung solchen Verhaltens verläuft analog zur Anbahnung des Change-Prozesses: Es sollen möglichst wenig Vetostimmen auf den Plan gerufen werden.
Emotionale Begründung: Die emotionale Begründung besteht zum Teil darin, dass Konzerne oft nicht gelernt haben, aktive Partizipation zuzulassen und mit
167
Vgl. zum Thema „Relational Choice“ Abschnitt „3. Change-Management als systemisches Machtmanagement“ im einleitenden Kapitel „Wegweiser“.
166
Jan Lies/Simon Schoop
Fehlern umzugehen.168 Zudem ist es gerade in solchen Phasen des Changes aus mikropolitischer Sicht wichtig, sich als Sieger zu positionieren. Dies ist dann am erfolgreichsten, wenn kleinteilige, fehleranfällige Verhandlungen nicht öffentlich werden und der abschließende Kompromiss als Erfolg dargestellt wird. Das heißt es ist für die Interessensgruppen in einem Change-Prozess bequemer, sich der Verlautbarung frühzeitiger Informationen zu entziehen. Noch vorteilhafter erscheint es vor dem Hintergrund dieser Einstellung, den konkreten Prozess von Verhandlungen, Genehmigungen und anderen Meilensteinen vorab nicht bekannt zu geben, sondern die Ergebnisse im Nachhinein als geschaffene Fakten in die Organisation zu geben. Die rationalen Argumente der geheim gehaltenen Vorbereitungen sind zum Teil nachvollziehbar, wenn es sich beispielsweise um Vorgänge mit kapitalmarktrechtlicher Relevanz handelt. So sind breit angelegte Veränderungsprozesse zur Kosteneinsparung geeignet, die Börsenkurse aufgrund von Erwartungen nach oben zu bewegen. Wenn ein Change dieser Art beschlossen wurde, ist er als kursrelevante Information ad-hoc-publizitätspflichtig. Allerdings werden hier auch Eigeninteressen bedient. Mit gezielt gestreuten oder wie zufällig durchsickernden Informationen kann den Erwartungen der Börsen Vorschub geleistet werden. Dass diejenigen, die solche Insidergeschäfte mit attraktivem Bereicherungspotenzial durchführen könnten, oftmals diejenigen sind, die am Verhandlungstisch sitzen, wird hier nicht weiter vertieft. Problematisch ist aus Sicht des systemischen Managements, dass sich solche Verhandlungen bei großen Konzernstrukturen über Monate hinziehen können. In dieser Phase werden Führungskräfte und Mitarbeiter – denen eben diese Verhandlungen eigentlich dienen – im Unklaren gelassen. Übertriebene Geheimhaltung gefährdet die Durchsetzungskompetenz, da das Topmanagement in Phasen der Change-Anbahnung unter verschärfter Beobachtung interner Stakeholder arbeitet. Es entsteht aus Sicht des Timings eine lange Phase oft dysfunktionaler Energiefreisetzung,169 die die Bildung von Systemmacht durch (Gegen-)Allianzen begünstigt.170 Das heißt: Die Geheimhaltungen, die Vetostimmen vermeiden sollen, begünstigen sie, was als Geheimhaltungsparadoxon bezeichnet wird. 18.3
Mangelnde Koordination, kippendes Arbeitsklima
Besonders deutlich wird das Fatale an einer Kultur der Geheimhaltung und/oder Ergebniskommunikation, wenn Teilprojektleiter im Rahmen eines Change-Prozesses ausschließlich oder schwerpunktmäßig strahlende Ergebnisse kommunizieren. Dabei werden vorbereitende Tätigkeiten im Zeichen der Geheimhaltungskultur als „nicht kommunikationsfähig“ bezeichnet. Durch dieses Verhalten können jedoch bereits kurz nach dem Aufbau der Change-Projekt-Struktur Koordinationsschwierigkeiten
168
Vgl. zum Thema „Umgang mit Fehlern“ Abschnitt „16. Mine: Ja-Sager statt Fehler- und Konfliktkultur“. Vgl. zum Thema „Timing“ Abschnitt „17. Mine: Mangelndes Timing“. 170 Vgl. zum Thema „Gegenmacht“ Abschnitt „13.4. Visualisierung von sozialer Dynamik als Macht“. 169
18. Mine: Geheimhaltungskultur und Ergebniskommunikation
167
zwischen den relevanten Teilprojektleitern entstehen. Da ein Change-Projekt per definitionem als ganzheitlicher Veränderungsprozess meist eine Vielzahl von Teilprojekten umfasst, trägt Prozesskommunikation entlang von kritischen Meilensteinen zur verbesserten Koordination bei, wenn auch die Gefahr steigt, dass Vetostimmen auftreten. Ebenso wird ergebnisorientierte Kommunikation sehr wahrscheinlich dazu führen, dass der Change schnell die Unterstützung in der Organisation verliert, da die Vielzahl der Teilprojekte und ihr Zeitbedarf selbstmotivierte Koordination der betroffenen Unternehmensbereiche erfordern. Die Organisation insgesamt erfährt im Extremfall nur von Teilprojekten, die Engpässe und andere Probleme für die Organisation produzieren, die sich nicht mehr verheimlichen lassen. Ergebnisorientierte Kommunikation in Kombination mit übertriebener Geheimhaltungskultur führt nicht nur zu Orientierungslosigkeit. Es ist auch nur eine Frage der Zeit, bis das Organisationsklima kippt. Wenn mögliche Vetostimmen durch fehlende Information formell unterbunden werden, entsteht das Phänomen, dass sich die Kommunikation verselbstständigt, beispielsweise durch Gerüchte, die wiederum das Geheimhaltungsparadoxon verstärken. 18.4
Gerüchte als Nährboden für Gegenallianzen
Ergebnisorientierte Kommunikation bedeutet, dass Phasen ohne formelle Kommunikation entstehen, die Platz für Gerüchte schaffen. „Generell (…) finden Gerüchte dort einen guten Nährboden, wo überprüfbare und autorisierte Informationen gänzlich fehlen oder unvollständig sind. (…) Eine der häufigsten Ursachen von Gerüchten ist die Ignoranz, mit der sich Manager über die Erkenntnis hinwegsetzen, dass man nicht nicht kommunizieren kann.“ (Schick, 2004: 228) Gerüchte bezeichnen die Verbreitung von Informationen, die von der Unternehmensleitung nicht öffentlich bestätigt oder dementiert wurden. Sie werden durch folgende Charakteristika geprägt: Gerüchte sind Informationen mit unklarem Wahrheitsgehalt. Sie können also wahr sein, müssen es aber nicht. Es sind Informationen ohne definierte Quellen. Gerüchte werden personenübergreifend wahrgenommen. Und zumeist werden sie negativ moralisch interpretiert. Gerüchte lassen sich aber aus Sicht der Organisation auch positiv instrumentalisieren, wie die unten stehende Tabelle verdeutlicht. Trotz ihres unklaren Wahrheitsgehalts und ihrer Quellenintransparenz sind Gerüchte geeignet, das Verhalten im Change zu beeinflussen, wenn nicht gar zeitweise zu bestimmen. Für das Change-Management ist der Umgang mit Gerüchten von Bedeutung, da sie als Phänomen gruppenweiter Prozesse Kraft entfalten können. „Hält man ein Gerücht für ein Gerücht, ignoriert man es. Aber es ist riskant, ein Gerücht für ein Gerücht zu halten, statt für eine Information. Denn unabhängig davon, ob man es selber glaubt, reicht es aus, wenn andere es glauben, um Handlungen zu ändern, Erwartungen neu zu modulieren etc. Gerüchte haben somit eine Sozialdimension: Ob man sie individuell glaubhaft findet oder nicht, ist unerheblich angesichts der Tatsache, dass andere die Gerüchte für relevant halten.“ (Priddat, 2008: 217)
168
Jan Lies/Simon Schoop
Funktionale (hier: dem Organisationsziel dienende) Wirkung von Gerüchten
Individuelle Wirkung des Gerüchts
Gruppenweite handlungsbezogene Wirkung des Gerüchts
Gruppenweite wahrnehmungsbezogene Wirkung des Gerüchts
Angstreduktion
Steigerung des Gruppenzusammenhalts
Versorgung mit inoffiziellen Informationen
Solidarität
Imagekorrektur
…
…
Angststeigerung
Panik
Imageschaden
Künstlicher Aufbau von Spannungen
Angst
Vertrauensverlust
Proteste
…
Verunsicherung
…
Spannungsmilderung, Minderung der Unsicherheit Motivation …
Dysfunktionale (hier: das Organisationsziel behindernde) Wirkung von Gerüchten
Demotivation Diffamierung …
Abbildung 71: Wirkung von Gerüchten Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Bruhn (2004: 34f.)
Das heißt Gerüchte sind in dem Moment ihres Erscheinens faktische neue Informationen und damit Innovationen, unabhängig davon, ob sie als wahr eingestuft werden oder nicht. Sie aktualisieren den handlungsrelevanten Erkenntnisstand, selbst wenn sie ggf. nur temporär relevantes Wissen darstellen. Jean-Noel Kapferer sieht in dem Gerücht eine machtvolle Beziehungsqualität: „Da es Geheimnisse enthüllt und Hypothesen vorschlägt, zwingt es Autoritäten zu sprechen. Aber es macht ihnen den Status der einzigen zum Sprechen autorisierten Quelle streitig. (…) Als eine parallele und manchmal der offiziellen Information widersprechenden Information ist das Gerücht eine Gegenmacht.“ (Kapferer, 1997: 26). 18.5
Funktionen von Gerüchten
„Gerüchte sind eine höchst ökonomische Form der Kommunikation und sollten schon deswegen nicht als ‚Teufelszeug’ angesehen werden. Mit keinem anderen Medium ist eine schnellere Verbreitung von Nachrichten möglich. (…) Einmal ausgestreut, verbreitet sich das Gerücht in Windeseile und ohne weiteres Zutun des Betreibers.“ (Piwinger, 2004: 251) Unterschieden werden funktionale, strategische und situative Erklärungsansätze dafür, warum Gerüchte verbreitet werden:
Funktionaler Ansatz: Hier ist die Verbreitung von Gerüchten Verhalten, also unbewusstes Handeln. Gerüchte gelten hier vor allem als Teil menschlicher Phantasien. Die Verbreitung von Gerüchten dient beispielsweise dem Abbau emotionaler Spannungen. Gerüchte haben also eine natürliche Funktion in psychologischen Prozessen. Der funktionale Ansatz gehört zur psychoanalytischen Debatte.
18. Mine: Geheimhaltungskultur und Ergebniskommunikation
169
Strategischer Ansatz: Im Gegensatz zum funktionalen Ansatz ist die Verbreitung von Gerüchten keine Verhaltenskomponente, sondern Teil des bewussten Handelns. Je nach Ziel desjenigen, der Gerüchte verbreitet, haben diese Gerüchte einen anderen Zweck. In der Politik beispielsweise werden Gerüchte als Teil von politischen Strategien gezielt gestreut, um eigene Vorteile zu erzielen. Die Verbreitung von Gerüchten kann somit Teil einer mikropolitischen Vorgehensweise sein.
Situativer Ansatz: Der situative Ansatz analysiert die Bedingungen, unter denen Gerüchte weitergegeben werden. Diese Analyse ist weitreichend und betrifft beispielsweise das politische System mit seiner jeweiligen Pressefreiheit. So traten in der ehemaligen UdSSR vermehrt Gerüchte auf, deren Funktion darin bestand, Informationslücken zu schließen, die durch die Zensur der Berichterstattung erzeugt wurden. In diesen Situationen arbeiten Gerüchte als korrigierendes Medium zu offiziellen Informationen.
Nimmt man – aufgrund der Bedeutung von Informationslücken in einer Kultur von Ergebniskommunikation und Geheimhaltung sowie von Eigeninteressen und Macht im Change – an, dass Gerüchte als taktisches Kommunikations- und Verhaltensinstrument dienen, finden sich folgende Ziele, sie zu streuen: Moralisch negative Ziele von Gerüchten
Neutrale oder positive Interpretation von Gerüchten
einen Dissens schüren
Informationsprozesse anstoßen
jemandem oder einer Sache schaden, jemandem etwas anhängen, in Verruf bringen
sich in Erinnerung bringen, auf sich aufmerksam machen, im Gespräch bleiben
einen Konkurrenten ausschalten, jemanden bloßstellen, jemanden aus der Deckung locken
seine eigene Position verbessern
von etwas anderem ablenken, einen Sündenbock finden
Ängste und Unsicherheiten vermindern
Misstrauen schüren
…
…
sein Renommee steigern oder erhalten Eitelkeiten bedienen
Abbildung 72: Interpretation von Gerüchten Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Piwinger (2004: 263)
18.6
Fazit: Konsequenzen für Change Communications
Management in der Tradition von Rational Choice denkt eher zeitpunktorientiert. Relational Choice des systemischen Change-Managements betrachtet die Konsequenzen von Zeit hingegen als Energiemanagement. Phasen der Nichtinformation öffnen den Raum für mikropolitisches Handeln und fördern die Gerüchtebildung. Der durch sie ausgedrückte Informationsbedarf führt zum normativen Prozesscharakter von Change Communications, der in der Literatur immer wieder betont wird. Ein klar definierter Prozess grenzt Unklarheiten, Unsicherheiten und damit Gerüchte ein. Sie stehen stellvertretend für die hemmende Kraft von Systemdynamik, die Change Communications normativ zu einer meilensteinorientierten Prozesskommunikation macht. Diese Prozess-
170
Jan Lies/Simon Schoop
kommunikation dient dazu, dysfunktionale Energie einzudämmen und speziell Gerüchten ihre Effizienz zu nehmen. Je steter die formelle Kommunikation und Aufarbeitung von Informationsbedarf, desto geringer der Spielraum, der sich taktisch für Gerüchte nutzen lässt. Handlungsfeld
Aufgaben
Information/Kommunikation:
Prozesskommunikation entlang von Meilensteinen auf der Basis funktionaler Transparenz anstatt Ergebniskommunikation
Gerüchten den Boden entziehen
Geheimhaltungskultur durch antizipative Managementkultur ersetzen Abbildung 73: Aufgaben zur Vermeidung übertriebener Geheimhaltung Quelle: eigene Darstellung
Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement
171
Der Erfolg von Change Communications erfordert funktionales Transparenzmanagement.
19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement Jan Lies „Wir fusionieren auf Augenhöhe.“ Oder: „Wir sind zuversichtlich, dass wir die Fusion schnell und geräuschlos zum Erfolg führen.“ Diese Formulierungen deuten stark darauf hin, dass die Kommunikation auf Imagebildung angelegt ist, ohne den Wahrheitsgehalt und die Wahrnehmungsfähigkeit eines Change-Managementprozesses von Stakeholdern angemessen zu berücksichtigen. Theoretischer Hintergrund und Erklärungsversuch ist der Konstruktivismus, nachdem es nicht die eine Rationalität gibt. Realität ist subjektiv und Systeme (Teams, Unternehmen, Gesellschaften etc.) schaffen sich ihre jeweiligen Wirklichkeiten. Positiv interpretiert, ist die Idee solcher Formulierungen, unter den (internen) Stakeholdern eine positive Stimmung zu verbreiten. Negativ interpretiert, liefert das Management lediglich eine unglaubwürdige Show. Inhaltlich steht solch eine Kommunikation oft für verfehltes Erwartungsmanagement. Erfahrungen aus der Vergangenheit bilden Erfahrungswissen, das in die Zukunft gespiegelt Erwartungen ergibt. Ihr Management ist vor allem in tiefgreifenden Veränderungsprozessen von Bedeutung, da Führungskräfte und Mitarbeiter hier Erfahrungswissen verlieren, was ihre Unsicherheit erhöht. Die Erwartungen so zu beeinflussen, dass Vertrauen durch erwartbares Handeln entsteht, ist das Ziel von Erwartungsmanagement. Verfehltes Erwartungsmanagement durch konstruktivistische Kommunikation vernachlässigt oder ignoriert das Potenzial dysfunktionaler Wirkungen der dadurch provozierten Systemdynamik.
19.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Die Bekanntgabe der weltweiten Fusion zweier führender Hersteller von IT-Lösungen wurde kritisch wahrgenommen. Zu ähnlich schienen beide Firmen zu sein, als dass der Mehrwert für die Führungskräfte und Mitarbeiter glaubhaft gewesen wäre. Durch die große Ähnlichkeit waren den Führungskräften und Mitarbeitern beider fusionierender Firmen klar, dass Redundanzen abgebaut werden müssten. Die vorgestellten Visionen zu einer gemeinsam gestärkten Zukunft konnten daher nicht überzeugen.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Das Projektteam, das den Merger vorbereitete, bestand aus unterschiedlichsten Führungsebenen vom Topmanager bis hin zum Sachbearbeiter. Es wurden alle Mitarbeiter, die an diesem auch intern höchst geheim gehaltenen Unterfangen beteiligt waren, von heute auf morgen „geräuschlos“ aus ihren Abteilungen heraus- und in das Merger-
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_20, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
172
Jan Lies
Projektteam hereingenommen. Einen Merger zu organisieren und dabei keine kapitalmarktrechtlich relevanten Informationen vorschnell bekanntzugeben, bedurfte sicherlich einer Geheimhaltung. Wenn jedoch Mitarbeiter einfach aus ihren Linienorganisationen verschwanden, so musste dies bei den verbleibenden Mitarbeitern viele Fragen aufwerfen. Die Gerüchteküche brodelte. Nach und nach sickerten immer mehr Details an die firmeninterne Öffentlichkeit. Die Glaubwürdigkeit des Managements sank fortwährend.
Lösungsansatz: Ein Kommunikationsmandat, die Situation mithilfe einer nachhaltigen Kommunikationsstrategie zu verbessern, gab es nicht. Das Management beließ es vor allem bei Personalmanagementmaßnahmen: Bei der Stellenbesetzung versuchte man, die in der Zielorganisationen benötigten Führungskräftepositionen gleichgewichtig mit Managern beider Unternehmen zu besetzen. Dies stoppte allerdings nicht die Diskussionen darüber, wer in welchem Geschäftsbereich unterlegen war und wer gewonnen hatte. Der nachgeschobene Lösungsansatz bestand in einem freiwilligen Personalabbauprogramm sowie in der Devise, dass die Zeit wohl alle Wunden heilen würde.
Erfahrungen: Die Kombination von konstruktivistischer Kommunikation der Strategie des „Mergers of Equals“ und der Einführung einer Geheimhaltungskultur in einem bis dahin durch Offenheit und Zusammenarbeit geprägten Unternehmen geben der gesamte Fusion einen bitteren Beigeschmack. Die Kultur des Unternehmens nahm fundamentalen Schaden. Auch wenn es im Nachhinein betrachtet eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Fusion war, hätten viele kompetente Führungskräfte gehalten werden können, die die fusionierenden Firmen letztendlich verlassen hatten.
Fazit: Einen Merger im Hinblick auf die Realisierung von Kostenpotenzialen gut zu organisieren, reicht nicht aus. Die Führungskräfte und Mitarbeiter müssen verstehen, was nach der Fusion für sie anders sein wird. Ansonsten bestehen die Zusatzkosten der Fusion in der erhöhten Fluktuation, durch die meist überproportional viele gute Mitarbeiter verloren gehen.
19.2
Merger of Equals: Konstruktivistische Kommunikation
„Obwohl der Begriff ‚Merger of Equals’ die Gleichstellung der fusionierenden Unternehmen suggeriert, ist in den meisten Fällen in der Praxis festzustellen, dass sich spätestens bei der Besetzung der Managementpositionen zeigt, dass von einer Gleichberechtigung kaum gesprochen werden kann. Es erscheint offensichtlich wichtig, dass zumindest in der Öffentlichkeit für keinen der Partner das Image des ‚Übernommenen’ entsteht. Faktisch liegt aber in vielen Fällen eine Akquisition vor.“
19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement
173
(Lucks/Meckl, 2002: 25) Damit ist der Merger of Equals (Fusion unter Gleichberechtigten) ein Beispiel für die konstruktivistische Kommunikation. Diese Bezeichnung folgt Veröffentlichungen, denen zufolge die Aufgabe (interner) Kommunikation als Konstruktion wünschenswerter Wirklichkeiten bezeichnet wird (vgl. Merten, 2008: 143). Wünschenswerte Wirklichkeiten werden konstruiert, indem Images in der Öffentlichkeit erzeugt und verfestigt werden. Dieses Vorgehen kann mit konstruktivistischer Kommunikation auch innerhalb von Unternehmen angewendet werden. Beispiel: „Wir vereinen das Beste aus zwei Welten.“ Würde man einen Satz wie diesen als Fusionsstrategie der Change-Programmatik ernst nehmen, müssten Best Practices beider Konzerne identifiziert werden, um hieraus neue Konzernstandards für die Zielorganisation zu entwickeln. Die Idee klingt zunächst gut. Faktisch verlaufen Fusionen aber selten auf diese Weise, da letztlich nicht das ergebnisoffene Analyse- und Verhandlungsprinzip eine Change-Programmatik prägt. Vielmehr wird ein Zielmodell erarbeitet, das Anpassungen in den Strukturen und Prozessen von übernehmenden und übernommenen Unternehmen nach dem Benchmark Dritter erfordert. Beispielsweise orientieren sich Zielstrukturen an Kennzahlen ausgewählter Vergleichsunternehmen. Daher ist der Merger of Equals meist ein Beispiel für konstruktivistische Kommunikation. 19.3
Unechte Integration harter und weicher Fakten
Mit dem Ansatz der „Fusion unter Gleichen“ wird von vergleichbar großen Bilanzsummen und daran gemessenen Geschäftsstrukturen auf ein ausgeglichenes kulturelles Umfeld geschlossen, das die Transformationsphase prägt. Die Annahme ist, dass Zahlenstrukturen Hinweise auf die Harmonie nach dem formellen Zusammenschluss geben. Das heißt: Es wird von harten Faktoren (Anzahl der Mitarbeiter, Umsatzvolumina etc.) auf weiche Faktoren (Kulturkompatibilität, Prinzip der Partnerschaftlichkeit als Prinzip der Integrationsphase etc.) geschlossen. Interessanterweise findet hier also eine Integration von harten und weichen Faktoren statt. Dies scheint auf den ersten Blick der Entkopplung von Change-Management und Change Communications entgegenzustehen.171 Doch handelt es sich hier um eine zweifelhafte Form des integrierten Managements, die dementsprechend umstritten ist: „Während manche die Möglichkeit eines ‚Mergers of Equals’ grundsätzlich bezweifeln, empfehlen andere, Fusionen generell partnerschaftlich anzulegen.“ (Trauth, 2005: 156). Aus zwei Gründen ist der Merger of Equals in vielen Fällen als rhetorisch galanter, aber aus Sicht der Anforderungen der PostMerger-Integration ungeeigneter Ansatz zu kennzeichnen:
171
Vgl. zum Thema „Entkoppeltes Management harter und weicher Faktoren“ Abschnitt „2. Mine: Entkopplung von Change-Management und Change Communications?“.
174
Jan Lies
Unternehmensgröße und Kulturkompatibilität: Faktisch existieren kaum Unternehmen, die in Bezug auf Größe oder Kultur gleich sind. Es wird nur zufällig eine Konstellation geben, in der sich von der formellen Größe zweier Unternehmen auf das kulturelle Prinzip der Partnerschaftlichkeit schließen lässt.
Gewinner und Verlierer: Aufgrund von Fusions- oder anderen Veränderungszielen, die oftmals mit Kostensenkungen durch Erschließung von Synergiepotenzialen verbunden sind, wird es Verlierer und damit auch Gewinner von Fusionen geben – gewollt oder ungewollt (vgl. Jöns, 2008: 301 ff.).
Daher ist es aus dem Blickwinkel des anstehenden Integrationsmanagements sachlich in vielen Fällen falsch, „Fusionen auf Augenhöhe“ zu kommunizieren. Vor allem aber ist es für die Organisation ein dramaturgisch denkbar falsches Signal. „Gerade im Bereich der Kommunikation werden (..) erfahrungsgemäß die größten Sünden begangen. (…) Meist werden Nachteile von Veränderungen verschwiegen, wodurch bei Betroffenen – die dies in der Regel ja durchschauen – dann der Eindruck entsteht, dass ihnen ein X für ein U vorgemacht werden soll.“ (Kraus et al., 2006: 166) Die Konsequenz: „Viele Mitarbeiter sind frustriert über die optimistischen ,Schönreden‘ mancher Topmanager. In solchen Reden werden Risiken von Veränderungen heruntergespielt, negiert und offensichtliche Nachteile abgewertet oder als Krimskrams abgetan. Selbst wenn die Nachteile offen zu Tage treten und für jeden sichtbar sind, wird noch so getan, als würde alles gut funktionieren.“ (Kraus et al., 2006: 55). Es zeigt sich, dass mit dem Merger of Equals die konstruktivistische Kommunikation aus den Verhandlungen zur Fusion auch als Prinzip der Integrationsphase angelegt wird. Es handelt sich also um eine unechte Integration harter und weicher Faktoren, die vor allem die Wahrnehmungsfähigkeit der Stakeholder vernachlässigt und damit die hemmende Systemdynamik provoziert. 19.4
Vor- und Nachteile konstruktivistischer Kommunikation
In einer konstruktivistischen Managementkultur, die Change-Management und Change Communications entkoppelt, ist die unechte Integration harter und weicher Faktoren durch das Management gut begründbar:
Motivations-/Visionsmanagement: Konstruktivistische Kommunikation kann als Versuch der Motivation gewertet werden, indem sie eine harmonische ChangeProgrammatik/ein positives Zielbild zeichnet.
Konfliktvermeidung: Konstruktivistische Kommunikation kann Ausdruck der Konfliktvermeidung und einer mangelnden Fehlerkultur sein, die von der (untauglichen) Idee geleitet ist, Vetostimmen möglichst auszuweichen.
Kommunikationspflicht: Konstruktivistische Kommunikation kann als Ausdruck der obligatorischen Erledigung der (als lästig empfundenen) Kommunikationspflicht gewertet werden.
Impression-Management: Konstruktivistische Kommunikation kann als Taktik der Selbstinszenierung auftreten. In Kombination mit einer Kultur der Geheim-
19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement
175
haltung und der Ergebniskommunikation trägt sie vordergründig dazu bei, Manager als erfolgreiche, strahlende Führungspersönlichkeiten darzustellen.
Mikropolitik: Konstruktivistische Kommunikation kann nicht zuletzt als Teil mikropolitischer Führung mit einer Facette der Informationszurückhaltung genutzt werden.
Im Sinne des Erwartungsmanagements ist die Integrationsstrategie des Merger of Equals jedoch in vielen Fällen ungeeignet. Eine Change-Programmatik mit der Leitlinie „Fusion unter Gleichen“ aus Sicht des systemischen Change-Managements wird aus folgenden zentralen Gründen als ineffektiv eingestuft:
Neutral formuliert, programmiert sie für die Post-Merger-Integrations-Phase einen Verhandlungsmarathon für kritische Aspekte des Zusammenschlusses, da partnerschaftlich nach einer jeweiligen Lösung zu suchen ist.
Negativ formuliert, öffnet sie die Phase der Post-Merger-Integration für mikropolitische und machttaktische Spiele. Mit dem Prinzip des Merger of Equals wird also – plakativ – ein Hauen und Stechen um die Umverteilung aller Budgets und Machtbereiche sowie um die Verteidigung aller Komfortzonen einsetzen.
Sammelt man die Argumente für und gegen das Prinzip des Merger of Equals, ergibt sich folgende Übersicht: Vorteile
Nachteile
Merger of Equals als taktisches Argument und als Imagefaktor, um die Verliererrolle als Übernommener im Verhandlungsprozess und nach der Fusion zu vermeiden
Merger of Equals als Ausdruck einer mangelnden Konfliktkultur in der Phase der Fusionsanbahnung
Merger of Equals als Prinzip für eine liquiditätsneutrale Transaktionsstrategie (Aktientausch als Finanzierungsmöglichkeit)
Merger of Equals öffnet die Phase der Post-MergerIntegration als mikropolitisches Spielfeld
Merger of Equals als höchstwahrscheinlich verfehltes Erwartungsmanagement
Merger of Equals als Versuch, Vetostimmen von Verlierern und damit verbundenen Konflikten auszuweichen Abbildung 74: Vor- und Nachteile des Merger of Equals Quelle: eigene Darstellung
19.5
Wirkungen verfehlten Erwartungsmanagements
Im Unterschied zur Situation im Change-Management treten Erwartungen in Standardsituationen des Schönwettermanagements nicht auffällig zu Tage. Die Arbeitsstrukturen sind gewachsen, das Führungsziel und der Führungsstil im Regelfall bekannt – Erwartungen werden also durch Erfahrungswissen erfüllt. Damit liegt in Standardsituationen der Unternehmens- und Mitarbeiterführung eine Umgebung erwartbaren Handelns vor. Abstrakt formuliert, herrschen relative Vertrauenspositionen.
176
Jan Lies
Das Vertrauen von Mitarbeitern in Führungskräfte muss nicht absolut groß sein, aber es ist auf ggf. niedrigem Niveau stabil. Vertrauen bedeutet hier also erwartbares Handeln von Führungskräften und/oder Mitarbeitern. Erfüllte Erwartungen sind bestätigtes Erfahrungswissen. Realistische Erwartungen zu prägen und so das relative Vertrauen zu steigern, ist die Aufgabe von Erwartungsmanagement. Vertrauen ist die Voraussetzung für eine positive Koalition des Wandels und damit für funktionale Systemmacht durch Change-Allianzen. Konstruktivistische Kommunikation bewirkt dementsprechend das Gegenteil. Phasen relativen Vertrauens verändern sich im Change: Zum einen wird die Akzeptanz für das Gelingen des Veränderungsmanagements zu einem kritischen Erfolgsfaktor. Akzeptanz gilt dabei als eine Bestimmungsgröße von Vertrauen. Zum anderen werden durch den Change Führungs- und Arbeitsroutinen durchbrochen, sodass sie neu erlernt werden müssen. Erwartbares Verhalten geht verloren, weil Routinen neu definiert werden. Ein Change kann so weitreichende Konsequenzen haben, dass sich das gesamte wirtschaftliche und soziale Umfeld fundamental verändert. Das kritische Beobachtungsinteresse von Mitgliedern der eigenen Organisation, aber auch von Dritten (Kunden, Banken etc.) steigt.172 Erwartungsmanagement erlangt so mehr Bedeutung im Vergleich zum „Nicht-Change-Management“.
Abbildung 75: Verhaltenskonsequenzen der Abkopplung von Handeln und Reden Quelle: Glatz/Graf-Götz (2007: 333)
172
Vgl. zum Thema „Beobachtungsinteresse“ Abschnitt „2.3 Kommunikationskaskade: erst intern, dann extern“.
19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement
177
Interessanterweise scheint das Erwartungsmanagement, das im Rahmen der Kapitalmarktkommunikation börsennotierter Unternehmen mithilfe von Gewinnprognosen durchaus üblich ist, im Change-Management weniger konsequent angewendet zu werden. Die Reaktion von Anlegern auf falsche Prognosen und damit enttäuschte Erwartungen ist Managern bestens bekannt. Im schlimmsten Fall wird die betroffene Aktie von Analysten mit der Folge herabgestuft, dass die Kosten für die Refinanzierung steigen. Die Erkenntnis der Konsequenzen und damit der Handlungsrelevanz enttäuschter Erwartungen im Change scheint sich dagegen noch nicht durchzusetzen, wie die Strategiedominanz harter Faktoren gezeigt hat. Systemisches Change-Management betont, dass das Management unter der kritischen Beobachtung von (internen) Stakeholdern steht, die in der Lage sind, Change-Programmatiken zu hemmen oder gar zu verhindern. Konstruktivistisches Management verstärkt dies nur unnötig. 19.6
Soll-Kommunikation im Change
Durch das gesteigerte Beobachtungsinteresse im Change und der damit verbundenen Gefahr, einen Change zweiter Ordnung auszulösen, werden Manager und Führungskräfte oft unerwartet vor neue Aufgaben gestellt, die neue Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern (vgl. Doppler/Lauterburg, 2005: 37). „Führungskräfte machen sich viele Gedanken, was sie ihren Mitarbeitern zumuten können. Zu den Tabus in Unternehmen gehört der kontrollierte Umgang mit wichtigen und ,heißen‘ Informationen. Menschen als kommunikative Wesen teilen sich mit, erzählen und berichten. Im Unternehmen wird viel zwischen den Zeilen gelesen oder durch nonverbale Kommunikation übermittelt.“ (Osterhold, 2002: 216) Systemisches Change-Management beinhaltet weder die Forderung absoluter Transparenz, wie in der kommunikationswissenschaftlichen PRDebatte häufig gefordert, noch die Idee, in künstliche „Wow-Kommunikation“ zu verfallen (vgl. Radatz, 2009: 3f.). Um systemische Energie zu optimieren, wird im Zuge von Change Communications das Management harter und weicher Faktoren mit der antizipativen Prozessanpassung kombiniert. Ein Aspekt ist hierbei die echte, aktive Partizipation. Sie erfordert, die betroffenen Mitglieder der Organisation soweit als möglich in die Entwicklung und Umsetzung der Change-Programmatik einzubinden. Dafür ist umfassende Information, aber nicht „maximale Transparenz“ nötig. In Relativierung der in der Literatur zur normativen Unternehmenskommunikation vielfach vertretenen Forderung nach Offenheit und Transparenz wird auf die pragmatische Lösung der funktionalen Transparenz verwiesen. Sie besteht darin, Transparenz in dem Maße zuzulassen, wie sie Zugewinn verspricht, drohenden Schaden abwendet oder eingetretenen Schaden eingrenzt oder bewältigt. Entsprechend könnte Unternehmenskommunikation als Transparenzmanagement gekennzeichnet werden (vgl. Szyszka, 2008: 159). Das heißt, funktionale Transparenz folgt der Idee antizipativen Managements, indem sie die Win-Win-Situation und damit den Charakter relationalen Managements betont. Die Salamitaktik als Kommunikationsform, mit der jeweils nur so viel Information bereitgestellt wird, wie die kommunizierende Organisation bekanntes Wissen bei der Zielgruppe vermutet, ist im Change ungeeignet. Sie folgt der Tradition der absenderorientierten Kommunikation, indem so viel zusätzliche Information geplant wird, wie nötig erscheint. Transparenzmanagement
178
Jan Lies
folgt hingegen der stakeholder-orientierten Kommunikation, um erfolgskritische Ansprüche von Interessengruppen an einen Change-Prozess möglichst zu vermeiden.
Abbildung 76: Modell der funktionalen Transparenz Quelle: Szyszka (2008: 161)
19.7
Fazit: Kommunikation als Transparenzmanagement
Konstruktivistische Kommunikation folgt dem Ansatz der absenderorientierten Kommunikation, indem Kommunikationsinhalte und -instrumente nach eigenen Zielen des Managements und/oder der Mehrheitsgesellschafter geplant werden. In einer systemischen Handlungsumgebung folgen aber (Teil-)systeme der Organisation eigenen Realitäten, die in die Planung eigenen Handelns einzubeziehen sind, sofern sie erfolgskritisch sein können. Im Gegensatz zur Salamitaktik der Kommunikation geht die funktionale Transparenz von dem gesteigerten Beobachtungsinteresse (potenzieller) Stakeholder aus. Um zu verhindern, dass diese die dysfunktionale Eigendynamik als Change zweiter Ordnung auslösen, geht das Change-Management kritisch mit Chancen und Risiken der Veränderungen um. Erwartungsmanagement wird so Teil der internen Krisenprävention und Systemstabilisierung, indem stetig Erwartungen und Anforderungen von Topmanagement, Führungskräften und Mitarbeitern einander angeglichen werden (vgl. Zülsdorf, 2008: 184). Ausgehend von dem Prinzip der aktiven Einbindung gehört zur funktionalen Transparenz, Erwartungsmanagement zu betreiben, um damit realistische Win-Win-Situationen durch den Veränderungsprozess zu prägen. Dazu sollte der Sense of Urgency im Rahmen der gemeinsamen Story entwickelt werden.
19. Mine: Konstruktivismus statt Erwartungsmanagement
179
Handlungsfeld
Aufgaben
Antizipation: Erwartungsmanagement
Konsequenzen des Veränderungsprojekts und darauf aufbauende Erwartungen realistisch darstellen, um mögliche Ansprüche Dritter zu prägen Diese bereits in den changevorbereitenden Verhandlungen (zum Beispiel Fusionsverhandlungen) berücksichtigen.
Didaktik: Change-Strategie
Information/Kommunikation: funktionale Transparenz
realistische Change-Strategie, zum Beispiel zielbezogen „Merger for Growing“ oder prozessbezogen „Merger for Benchmarking“ anstatt „Merger of Equals“ Transparenzmanagement statt konstruktivistischer Kommunikation
Abbildung 77: Aufgaben zur Sicherstellung des Erwartungsmanagements Quelle: eigene Darstellung
Mine: Kommunikations- ohne Verhaltensmanagement
181
Change Communications entspricht Behavioral Economics!
20. Mine: Kommunikations- ohne Verhaltensmanagement Jan Lies Mit der Aufgabe, die Kraft weicher Faktoren für Organisationen in Change-Prozessen nutzbar zu machen und ihre kontraproduktive Wirkung möglichst einzugrenzen, erfordert der Einsatz von Change Communications mehr als Kommunikation im Sinne von Mitteilungshandlungen.173 Die Bedeutung weicher Faktoren beruht auf ihrer Durchsetzungsmacht durch Gruppendynamik. Diese resultiert aus gemeinsamer Beobachtung von (internen) Stakeholdergruppen, was Change-Management zu einer anwendungsbezogenen Form von Behavioral Economics (verhaltenswissenschaftliches Management) macht. Die Anwendung von Change Communications muss also zuerst auf das Verhalten von Topmanagement und Führungskräften ausgerichtet sein, da es die Wahrnehmung aller Beteiligten zentral prägt. Entsprechend zeigt dieses Buch Ansätze für Behavioral-Change-Management mithilfe von 20 Tretminen auf, deren stete Beachtung hilft, Auslöser hemmender Eigendynamik zu umgehen.
20.1
Ein Beispiel
Ausgangspunkt: Eine Unternehmensberatung erhielt einen neuen Geschäftsführer. Die Beratung war bisher eine branchenspezialisierte Umsetzungsberatung, der neue Geschäftsführer hat aber das Ziel, das Unternehmen als Topmanagementberatung zu positionieren.
Herausforderungen bei der Durchsetzung des Projekts: Innerhalb von zwei Jahren trieb der Geschäftsführer zum Teil gegen den Widerstand des Geschäftsleitungsteams die Repositionierung voran. Der größte Teil der Mitglieder dieses Teams wurde daher inzwischen zwar ausgetauscht, aber die neue Führungsmannschaft trat nach innen immer noch nicht als Team auf. Dessen ungeachtet hat das Unternehmen inzwischen auch begonnen, seine neue Positionierung in der externen Kommunikation bekannt zu geben. Demgegenüber stand das Portfolio der Beratungsprojekte. Die Berater der Organisation waren zu einem Großteil in der
173
Vgl. zum Thema „interne Kommunikation“ Abschnitt „2.2 Kommunikationsebenen von Change Communications“.
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_21, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
182
Jan Lies
branchenbezogenen Umsetzungsberatung qualifiziert und lebten dies auch in der Beratung: Rund drei Jahre nach dem Beginn des Veränderungsprozesses herrschte noch immer Skepsis in der Organisation, ob die neue Positionierung und das damit verknüpfte neue Geschäftsmodell erfolgreich sein könnten. Die Fluktuation lag prozentual im zweistelligen Bereich. Das Arbeitsklima war insgesamt schlecht.
Lösungsansatz: Ein Kernproblem bestand in dieser Organisation in der Uneinigkeit der Geschäftsleitung, die dementsprechend nicht als Team auftrat. Formell leitete ein Geschäftsleitungsteam die Organisation, was aufgrund der Größe des Unternehmens auch nötig war, da die Führungsspanne für eine Person zu groß war. Faktisch aber trat der Geschäftsführer nach innen als Alleingeschäftsführer auf und ignorierte bzw. konterkarierte zum Teil Entscheidungen seines Führungsteams. Der konzeptionelle Ansatz sah folgendermaßen aus: 1) Um die Führungskrise zu lösen, wurde dem Geschäftsführer empfohlen, die Rollenverteilung zu überprüfen und das Führungsteam zu bestätigen oder es aufzulösen. 2) Anhand eines aktuellen, kritischen Managementprojekts der Personalentwicklung wurde empfohlen, die Funktionsfähigkeit des neuen Geschäftsmodells im Hinblick auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Berater zu überprüfen. Hier erkannte und bestätigte die Geschäftsführung Schwächen, die im Rahmen eines Überprüfungsprozesses beseitigt werden sollten.
Erfahrungen: Die Struktur des Führungsteams wurde bestätigt. Allerdings nahm der Geschäftsführer die Bedeutung der steten Unstimmigkeit des Führungsteams für seine eigene Akzeptanz und damit für seine Change-Programmatik nicht wahr oder zog zumindest keine zielführenden Konsequenzen hieraus. Seine Bestätigung, die Organisation auch weiterhin im Team zu führen, hätte eine konsequente Rollendefinition und -ausfüllung im Führungsteam erfordert. Dies geschah jedoch nicht, sodass sich faktisch nichts verändert hatte. Kommunikation und Verhalten klafften auf oberster Ebene immer noch auseinander, was wiederum die Frustration über alle Hierarchieebenen verstärkte.
Fazit: Dass Kommunikation und Verhalten zwei Seiten einer Medaille sind, zeigte dieses Beispiel sehr deutlich. Man kann und sollte sie nicht trennen. Ob es gelingen wird, das analytische und beraterische Potenzial des Unternehmens auch für die eigene Organisation anzuwenden, bleibt hier abzuwarten.
20.2
Change-Management: von Rational zur Relational Choice
Die in diesem Buch identifizierten Tretminen haben die Bedeutung und Möglichkeiten verhaltenswissenschaftlichen Managements angesichts der hohen Fehlerquote des herkömmlichen Change-Managements deutlich gemacht. Den 20 Minen auszuweichen
20. Mine: Kommunikations- ohne Verhaltensmanagement
183
macht es erforderlich, Change-Management als Behavioral Economics zu interpretieren und anzuwenden (vgl. Staehle, 1999: 541 ff.). Ausgehend von den Tretminen der Strategiedominanz harter Faktoren und der Entkopplung von Change-Management und Change Communications zeigt sich eine Fundamentalkritik an der herkömmlichen Managementausbildung. Die Kritik betrifft die für Rational Choice nötigen, restriktiven Annahmen wie der perfekten Information und der Präferenzfreiheit. Sie führen dazu, dass für den Erfolg von ChangeManagement zentrale Phänomene wie Eigeninteressen und Macht ausgeblendet werden. Diese Annahmen legen das Fundament der kulturellen Dominanz harter Kennzahlen im klassischen Management.174 Besonders deutlich wird diese Kritik durch die Beiträge der Behavioral Finance, die versuchen, das Auseinanderklaffen von theoretischen Vorhersagen und empirischer Realität an den Kapitalmärkten zu erklären (vgl. Goldberg/Nitzsch, 2004: 25ff.). Anders als in der Kapitalmarkttheorie wird den Teilnehmern an den Finanzmärkten hier nicht nur das Motiv der Gewinnerzielung zugesprochen, sondern auch psychologische Aspekte wie Risikoscheu und -freude werden als Entscheidungsdeterminanten berücksichtigt. Dies gilt ebenso für das ChangeManagement. Behavioral Change ist dabei kein Ersatz, sondern eine stete Ergänzung der Maßnahmen des herkömmlichen Change-Managements in der Tradition der Rational Choice.175 20.3
Change als Antizipation organisationaler Energie
Die Visualisierung von Stimmungen und Meinungen mithilfe der zellulären Automaten war gleichzeitig eine Visualisierung weicher Faktoren,176 die als organisationale Energie auf die Handlungsfähigkeit und damit auch auf die Erfolgswahrscheinlichkeit des Change-Managements wirken. Die organisationale Energie bestimmt im Ergebnis die Durchsetzungskraft des Managements und kennzeichnet damit das Machtgefüge. Die Energie kann funktional oder dysfunktional sein und lässt sich in drei Energietypen gliedern (vgl. Krüger, 2009: 221 ff.):
Korrosive Energie: Führungskräfte und Mitarbeiter verwenden ihre Zeit für Grabenkämpfe sowie die Entwicklung mikropolitischer Strategien und ihre Umsetzung.
Resignative Energie: Vor allem aufgrund mangelnder Partizipation lassen die Mitglieder einer Organisation den Change geschehen.
Produktive Energie: Vor allem mithilfe von Anreizen, Projekt-Branding und echter Partizipation tragen die Mitglieder der Organisation den Change mit.
174
Vgl. zum Thema „Eigeninteresse“ Abschnitt „12.3 Hidden Agendas als Managementrealität“. Vgl. zum Thema „Ergänzung von Rational Choice“ Abschnitt „3.2 Change-Modus, Change-Dramaturgie, Change-Didaktik“. 176 Vgl. zum Thema „Visualisierung weicher Faktoren“ Abschnitt „13.4 Visualisierung von sozialer Dynamik als Macht“. 175
184
Jan Lies
Angenehme Trägheit: Die Mitglieder einer Organisation haben es sich in ihren Komfortzonen eingerichtet. Der Sense of Urgency ist nicht bei ihnen angekommen.
Abbildung 78: Funktionale und dysfunktionale Energien im Change Quelle: Krüger (2009: 222)
Durch Change Communications kann eine Energiesteuerung stattfinden, indem Einfluss auf die organisationale Energie des Changes zweiter Ordnung genommen wird:
Change Communications zur „Energiemessung“: Die Anwendung von Change Communications dient der Beobachtung und Selbstbeobachtung. Es werden damit die Voraussetzungen dafür geschaffen, Veränderungen im eigenen System und bei anderen Systemen wahrzunehmen. Die Cultural-Due-Diligence dient dabei als Kulturmonitoring.
Change Communications zur „Verkabelung“: Durch den Bereich von Change Communications können Beziehungen und Schnittstellen als Basisstruktur einer Organisation geschaffen und gepflegt werden. Indem mit Behavioral-ChangeManagement und Kommunikation gearbeitet wird, kann in die Ordnungsbasis eingegriffen werden, um die Systemmacht zu prägen.
Change Communications zur „Leitfähigkeit“: Durch Change Communications wird mit kulturprägender Arbeit dafür gesorgt, dass das eigene System relevante Ordnungsveränderungen besser antizipiert. Hierfür stehen Maßnahmen wie die Story, die Management-Agenda oder der Scope. Diese Instrumente sind auch anwendbar, um relevanten Gruppen eine „funktionale Beobachtungsfläche“ der eigenen Organisation anzubieten. Diese Beobachtungsfläche entsteht, indem Story und Management-Agenda idealerweise dazu beitragen, dass das Management als Team auftritt, was die Mitarbeiter entsprechend wahrnehmen. Der Scope wiederum sorgt für die Wahrnehmung eines für die Mitarbeiter leistbaren Change-Projekts. Beides
20. Mine: Kommunikations- ohne Verhaltensmanagement
185
sorgt für verbesserte Identifikationsmöglichkeiten mit dem Management-Team und dem Change-Projekt, was wiederum zur besseren „Verkabelung“ zurückführt. Der Energiebegriff wird zu einer Metapher für die Kraft gruppendynamischen Verhaltens.177 20.4
Change als Verhaltensmanagement in der Praxis?
Wird durch Change Communications auch in der Praxis mehr als Kommunikation im Sinne von Mitteilungshandlungen geleistet? Im Rahmen der eingangs erwähnten Studie 2 wurde dies abgefragt. Nicht einmal die Hälfte der befragten PR-Agenturen gibt an, dass es ihren Erfahrungen entspricht, auch Verhaltensmanagement zu betreiben. Aber immerhin ein Drittel ist an der Gestaltung von Zielen beteiligt. Frage: Inwieweit geht die Anwendung von Change Communications in Unternehmen Ihrer Erfahrung nach über die Konzeption und Umsetzung purer Kommunikationsmaßnahmen hinaus? Antwort
Anzahl
Prozent
Die Anwendung von Change Communications konzentriert sich meist auf Kommunikationsmaßnahmen, da dies Auftrag und Kernkompetenz von Kommunikationsabteilungen/ PR-Agenturen ist.
12
20,00 %
Die Arbeit von Change Communications beinhaltet sowohl Kommunikationsmanagement (Medienarbeit, Reden, Eventorganisation etc.) als auch Verhaltensmanagement (Workshops zu Verhaltensaspekten, Trainings zum Umgang mit Kunden- und Mitarbeitern etc.).
28
46,67 %
Der Bereich der Change Communications leistet Kommunikations- und Verhaltensmanagement und ist in die Etablierung von Steuerungsinstrumenten (Zielsysteme und Anreize im Change, Einführung von Balanced Scorecards etc.) eingebunden.
20
33,33 %
Abbildung 79: Change Communications – mehr als Kommunikation? Quelle: Studie 2, n = 60
177
Vgl. zum Thema „Energiemanagement“ Abschnitt „5. Change Communications als Energiemanagement“ im abschließenden Kapitel „Theoretischer Rahmen“.
186
Jan Lies
Frage: Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass PR-Agenturen im Change-Management Verhaltensmanagementmaßnahmen empfehlen sollen und dürfen? Antwort
Anzahl
Prozent
Ja, das erwarten Unternehmen in Veränderungsprozessen.
31
51,67 %
Nein, PR-Agenturen sind Kommunikationsdienstleister und damit vor allem für mediale und Eventkommunikation zuständig.
29
48,33 %
Abbildung 80: Change Communications als Verhaltensmanagement? Quelle: Studie 2, n = 60
20.5
Fazit: Handlungsfelder und Aufgaben
Blickt man auf die Handlungsfelder und Aufgaben zurück, die vor dem Hintergrund der 20 Tretminen im Change-Management besprochen wurden, ergibt sich eine (nicht vollständige, aber richtungsweisende) Aufgaben-Liste. Sie hilft insgesamt, Verhaltensmanagement zu konkretisieren und antizipatives Machtmanagement als strategische Ergänzung zum „harten“ Change-Management zu strukturieren. Zur Erinnerung hier die Abbildung der sechs Handlungsfelder:178
Abbildung 81: Die „Change Arena“: Eckpunkte der Einflussnahme auf Systemdynamik Quelle: eigene Darstellung
Im Folgenden werden die in den Kapiteln der 20 Minen gesammelten Aufgaben in der Übersicht dargestellt:
178
Vgl. zum Thema „Handlungsfelder“ Abschnitt „4. Beeinflussung systemischer Dynamik“ im einleitenden Kapitel „Wegweiser“.
20. Mine: Kommunikations- ohne Verhaltensmanagement
187
Handlungsfeld Antizipation
Aufgaben
Antizipation: Change-Strategie
die „harte“ Change-Programmatik zum Ausgangspunkt wählen, um Anpassungsbedarf aufgrund weicher Faktoren zu ermitteln
1
Antizipation – Partizipation: Change-Management-Organisation
Es gilt, bereits mit der Organisation des Change- Projekts, harte und weiche Faktoren zu integrieren.
1
Antizipation:
Kommunikationsabteilung weiterentwickeln und positionieren, dass sie Change-Programmatiken auf Relevanz weiche Faktoren überprüfen und ggf. anpassen kann
2
Antizipation: Projektclusterung der ChangeStrategie
geplante Maßnahmen auf Basis von rational Choice und Teilprojekte auf „Win“-Potenziale überprüfen
3
Antizipation: Entwicklung Change-Strategie mit Scope-Management
Anpassung der Change-Programmatik durch Skalierung des Scopes auf Basis von Plausibilitätsüberlegungen und/oder Abfragen mittels der Schnittstellenanalyse
4
Antizipation: Schnittstellenanalyse
Schnittstellenanalyse der Zielorganisation als Tool der Scope-Skalierung mithilfe von Plausibilitätsüberlegungen, Abfragen und/oder Leuchtturmprojekten als Pretest
4
Antizipation: Mystery-Management
Legitimierung von Courage mit Anreizsetzung und Institutionalisierung von Whisteblowern
9
Antizipation: Konfliktmanagement
Clearingstellen in der Change-Projektorganisation als Mediationsinstanz etablieren und deren Nutzung als verbindlich vorgeben
14
Antizipation:
stetig machtrelevante Themen erfassen
15
Konsequenzen des Veränderungsprojekts und darauf aufbauende Erwartungen realistisch darstellen, um mögliche Ansprüche Dritter zu prägen
19
Reintegration von Kommunikation und Führung
Vorläufige Change-Programmatik mithilfe von ChangeDramaturgie inhalts- und ablaufbezogen ggf. grundlegend überprüfen
Kulturmonitoring Antizipation: Erwartungsmanagement
diese bereits in den changevorbereitenden Verhandlungen (zum Beispiel Fusionsverhandlungen) berücksichtigen
188
Jan Lies
Handlungsfeld Partizipation
Aufgaben
Partizipation: Management-Alignment
Entwicklung der Management-Agenda zusammen mit Führungskräften
5
die Management-Agenda als auch arbeitsvertrags-rechtlich bindende Handlungs- und Zielvorgabe für Führungskräfte etablieren Partizipation: Management-Alignment
Entwicklung der Story auf Basis der Management-Agenda zusammen mit Führungskräften
6
Partizipation – Information/ Kommunikation: Führung
Führungskräfte bei der Entwicklung und Umsetzung der Change-Programmatik einbinden und damit in die Pflicht nehmen
8
Informationsvorsprünge von Führungskräften vor allem durch Einbindung sichern Funktionsfähigkeit von Sponsorenkaskaden stetig prüfen Partizipation:
eingekauften Support auf das Enabling und die Motivation von Führungskräften und Mitarbeitern konzentrieren
8
Partizipation: Etablierung von Instrumenten
in die Change-Projektorganisation sind relevante Schlüsselgruppen einzubeziehen und entsprechendes Erwartungsmanagement zu leisten
9
Partizipation – Information/ Kommunikation: Anreiz- und Service-Pakete
gruppenspezifische Anreiz- und Kommunikationspakete als Service für Führungskräfte, um in den jeweiligen Hierarchien mit den Gruppentypen umzugehen
11
Partizipation: Führungskaskaden
im Change-Prozess die Funktionsfähigkeit von Führungshierarchien (Sponsorenkaskaden) erhalten, indem in der Projektorganisation definierte Führungskräfte der Zielstruktur arbeiten
13
Partizipation: Kulturentwicklung
partizipative Kultur zu einem Managementprinzip machen, indem kritische Eckpunkte der Change- Programmatik als partizipative Prozesse angelegt werden
15
externe Beratung
20. Mine: Kommunikations- ohne Verhaltensmanagement
189
Handlungsfeld Timing
Aufgaben
Timing:
Staffing (=personelle Entscheidung über Stellenanzahl, Funktionen und Personalien) der Zielstruktur möglichst früh definieren und Verlierer möglichst schnell von der Organisation trennen (Tempo als Erfolgsfaktor im Vorgriff auf die typische Gruppenbildung)
11
auch zeitliche Gestaltung der Change-Programmatik, indem Phasen dysfunktionaler Energiefreisetzung möglichst verringert werden
17
Personalentscheidungen
Timing:
notwendig negative Maßnahmen ggf. an den Beginn stellen
Handlungsfeld Mikropolitik
Aufgaben
Mikropolitik:
Etablierung einer mikropolitischen Agenda zur Unterstützung des Changes mit eigenen mikropolitischen, moralisch unkritischen Instrumenten; beispielsweise Timing mit taktischen Beförderungen von Führungskräften, die vermutlich oder offensichtlich Widerstand leisten werden, auf unkritische Stellen und/oder Standorte
12
Mikropolitik: Personalentscheidungen
Promotoren, aber ggf. auch kritische Stimmen in die „Kabinettsdisziplin“ der Change-Organisation einbinden, befördern/versetzen oder freisetzen
12
Mikropolitik:
12
Monitoring
Macht als Aspekt der Due Diligence, beispielsweise durch Abfragen nach Relevanz der Fairness oder des Vertrauens im Change als Hilfsindikatoren sowie Bewertung vor allem von Führungskräften zu solchen Indikatoren
Mikropolitik:
Anreize für Fehler- und Konfliktbearbeitung geben.
16
Fehler- und Konfliktkultur entwickeln
Mut zu kantiger Führung
eigene Agenda der Machttaktiken
Training für Führungskräfte, um Kritik einfordern und aushalten zu können
190
Jan Lies
Handlungsfeld Didaktik
Aufgaben
Didaktik: Vermittlung Change-Strategie
flankierende Strategie der Change-Didaktik (Rollenverteilung, Meilensteine…) entwickeln
3
Didaktik:
Eingänglichkeit der Management-Agenda durch schematische Visualisierung und Element der Story steigern
5
Didaktik – Information/ Kommunikation: Story und ProjektmarkenManagement
Entwicklung eines sprachlichen/visuellen Bildes zur anschaulichen Erklärung des Changes
6
Didaktik – Partizipation: Komfortzonen auflösen
Sense of Urgency (stetig und anschaulich) erklären (vgl. Story)
Management-Agenda visualisieren
die Story als angewendete Projektmarkenführung: durchgängiges sprachliches und visuelles Bild für den Transport des Changes entwickeln 7
ggf. Anreize etablieren, damit Führungskräfte in ihrem Bereich Referenz-Change-Projekte als Leuchtturm anbieten Didaktik – Partizipation: Mentoring-Programme
Mentoring-Programme als Element der selbststeuernden Personalentwicklung auflegen
7
Didaktik:
realistische Change-Strategie, zum Beispiel zielbezogen „Merger for Growing“ oder prozessbezogen „Merger for Benchmarking“, anstatt „Merger of Equals“
19
Change-Strategie
Handlungsfeld Information/ Kommunikation
Aufgaben
Information/Kommunikation: Change CommunicationsOrganisation
Change Communications ist systematisch in der ChangeProjektsteuerung verantwortlich vertreten
1
Information/Kommunikation: Kommunikationskaskaden
das Management gestaltet die Inhalte und die persönliche Kommunikation von Change Communications selbst
2
vor allem kritische Themen von Change-Teilprojekten als durchgängigen Informationsprozess von innen nach außen anlegen. An Hierarchien als Führungskaskaden ausrichten Information/Kommunikation: Pressearbeit
Pressearbeit nach der möglichst persönlichen internen Kommunikation
2
20. Mine: Kommunikations- ohne Verhaltensmanagement
191
Handlungsfeld Information/ Kommunikation
Aufgaben
Information/Kommunikation:
Change-Management als Markenführung vor allem nach innen: stete Überprüfung und Sicherstellung des Leistungsversprechen, das mit dem Change abgegeben wird
6
die Projektarchitektur der Change-(Teil-)Projekte als Markenarchitektur aufbereiten: Identifikationsangebote und ggf. „Blitzableiter-Teilprojekte“ etablieren
6
Projektmarken-Führungsstrategie
Information/Kommunikation: ProjektmarkenEntwicklungsstrategie
kommunikative Klammer um Teilprojekte ziehen Information/Kommunikation: Employer-Branding
(Teil-)Projekte des Change-Managements auf Konflikte mit Employer-Marke überprüfen
6
Information/Kommunikation:
den Sense of Urgency an ausgewählten Kernproblembereichen anschaulich darstellen; auch Teilprojekte des Changes in die Story einordnen
7
Prozesskommunikation entlang von Meilensteinen auf der Basis funktionaler Transparenz anstatt Ergebniskommunikation
18
emotionalisierende Business Cases
Information/Kommunikation: Gerüchten den Boden entziehen
Geheimhaltungskultur durch antizipative Managementkultur ersetzen Information/Kommunikation: funktionale Transparenz
Transparenzmanagement statt konstruktivistischer Kommunikation
Handlungsfeld Macht
Aufgaben
Macht:
Etablierung eines Ziel-, Meß- und Anreizsystems, dass zum Beispiel monatlich die Change-Management-Macht als Steuerungsgröße abbildet – über alle Handlungsfelder.
Communicative Governance
19
10
stete Due Diligence für die Erfassung. Macht: Machtmonitor
stetes Themenmanagement in Bezug auf die Durchsetzungsfähigkeit von Teilprojekten als momentbezogene Ergebnisbetrachtung steter Cultural-Due-Diligence.
13
192
Jan Lies
Handlungsfeld Macht
Aufgaben
Macht:
Machtcontrolling ggf. mit Unterstützung visualisierender Machträume, die zeigen, wo das Management über Unterstützung verfügt bzw. wo Widerstand auftritt.
Steuerungsbedarfe durch Visualisierung
13
Monitoring durch strukturierende Abfrage, Ergebnisse mithilfe relevanter Bezugsgrößen (z. B. Standorte, Hierarchien, Funktionsbereiche) visualisieren, um das Ausmaß von Widerstandsbereichen darzustellen. Macht:
Etablierung von Change-Agents als Multiplikatoren
Positive Systemimpulse setzen
Change-Agents mit entsprechenden Anreizen ausstatten, um Promotoren-Paradoxon zu vermeiden.
13
In diesem Buch wurden die 20 Tretminen mit ihren Handlungsfeldern und Aufgaben aufgezeigt. Darüber hinaus wurden Lösungen vor allem in Form von Vernetzung und Neuakzentuierung harter und weicher Faktoren genannt. Die Aufgaben im ChangeManagement zu berücksichtigen ist notwendig, um Macht als zentrale Größe mit zu berücksichtigen. Sie macht Change-Management zu einem zentralen Anwendungsgebiet von Behavioral Economics, dem verhaltenswissenschaftlichen Management. Es ermöglicht, die eingangs diagnostizierte Strategiedominanz harter Faktoren um die weichen Faktoren zu ergänzen und damit zu relativieren.
Theoretischer Rahmen
193
Theoretischer Rahmen Jan Lies Dieser Beitrag lenkt die Aufmerksamkeit auf die Strategiedominanz harter Faktoren im herkömmlichen Change-Management. Er weist gleichzeitig auf die Erfolgsrelevanz weicher Faktoren hin, die den Change zweiter Ordnung prägen. Wenn das Management diese Eigendynamik der Organisation für sein Handeln erkennt, ist die theoretische Suche nach alternativen bzw. ergänzenden Steuerungsmechanismen eröffnet, und Change Communications wird als vernachlässigter Erfolgsfaktor betont.
1. Die Typologisierung des Change-Managements Neuere Beiträge zur Change-Management-Debatte identifizieren drei Schulen des Change-Managements, deren methodisch-konzeptionelle Ansätze in der unten stehenden Tabelle dargestellt sind (vgl. Prammer, 2009: 9).
Die erste Schule: betont das Change-Management mit zum Teil fokussiertisolierten Ansätzen (Lean Management, Reegineering etc.) in der Tradition der Rational Choice.
Die zweite Schule: betont systemisch-selbststeuernde Veränderungsprozesse (evolutionäre Veränderung).
Die dritte Schule: resultiert streng genommen aus einer Kombination der ersten und zweiten Schule.
Die Typologisierung ist idealisierend, aber hilfreich, da sie aus heutiger Sicht oft polare Management-Verständnisse gegenüberstellt.
Logik der ChangeProgrammatik
Erste Schule:
Zweite Schule:
Dritte Schule:
Change-Management
Organisationsentwicklung
Transformationsmanagement
externe, neutrale Logik
iinterne Eigenlogik
Inhaltliche Fokussierung
Selbststeuerndes Systemverständnis
aktive Verknüpfung von interner und externer Schule
Mechanistisches Systemverständnis Impulsgeber
eher extern
eher intern
starke Beraterrolle
Berater als Umsetzungsbegleiter
sowohl extern als auch intern
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1_22, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
194
Theoretischer Rahmen
Erste Schule:
Zweite Schule:
Dritte Schule:
Change-Management
Organisationsentwicklung
Transformationsmanagement
Charakter der Veränderung
eher radikal
eher evolutionär
kombinierte Abfolge von radikalen und evolutionären Prozessen
Partizipation
soziale Aspekte bestenfalls punktuell berücksichtigt
betonte Berücksichtigung sozialer Effekte
in allen Phasen, aber Umsetzung auch gegen Betroffene
aktiv, einbindend Abbildung 82: Change-Management-Schulen Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Prammer (2009: 25)
2. Von der Kybernetik 1.0 zur Kybernetik 2.0 Die zweite Schule mit der Betonung systemisch-selbststeuernder Veränderungsprozesse vollzieht sich im theoretischen Management mit der Entwicklung des systemischen Managements erster Ordnung zum systemischen Management zweiter Ordnung bzw. mit der Kybernetik 1.0 zur Kybernetik 2.0. Die Kybernetik hat in der Betriebswirtschaft als formalwissenschaftlicher Ansatz die Tradition, Strukturen und komplexe Zusammenhänge von Systemen zu analysieren. Klassische Kybernetik (erster Ordnung) versteht sich vor allem als Steuerungstechnik, die sich mit der Betrachtung von Rückkopplungsprozessen beschäftigt. Die Fragestellung ist darauf konzentriert, wie sich Prozesse im Gleichgewicht halten. Ein Change-Prozess ist in dieser Modellwelt eine „Übergangsperiode von Gleichgewicht zu Gleichgewicht“ (Schreyögg/Noss, 2000: 36). Die Kybernetik (vom griechischen kybernetes [Steuermann]; Wortwurzel „governor“) wird als Theorie dynamischer Systeme verstanden. Als ihr Begründer gilt Ludwig von Bertalanffy (vgl. Bertalanffy, 1971: 1ff.). Die Kybernetik erster Ordnung ist vor allem eine Planungstheorie unter Zuhilfenahme beobachteter Regelkreisläufe in mechanistischen Systemen. Die Kybernetik 2.0 versteht Systeme dagegen als sich selbst organisierende, reproduzierende Organismen und erweitert die Analyseperspektive, indem ihre Wirkung auf dritte Systeme durch Beobachtung und ihre Irritationsfähigkeit auf Basis gegenseitiger Systembeobachtungen untersucht werden. Entsprechend werden Systeme als beobachtbare Handlungsräume beschrieben. Man spricht bei der Kybernetik zweiter Ordnung im Gegensatz zu den Planungs- und Regelkreisen der kybernetischen Systemdebatte erster Ordnung von einer Beobachtungstheorie. Dabei geht es weniger um die (Nach-)Steuerung von Regelkreisen, die der Input-Output-Analyse folgt, sondern um die Frage, was in Systemen auf welche Weise geschieht. Dies ist immer im Unterschied zu anderen Systemen zu sehen (Distinktionstheorie).
Theoretischer Rahmen
195
3. Gruppenbildung als Steuerungspessimismus Im systemischen Change-Management sind die Systemgrenzen durch die Wahrnehmung, Interpretation und Handlung gemeinsamer Mitglieder geprägt, die eine Change-Programmatik unterstützen oder mißbilligen. Mit der Betrachtung von Unternehmen oder Management als System folgt die Managementtheorie der Systemtheorie zweiter Ordnung, die vor allem Niklas Luhmann als Gesellschaftstheorie bekannt gemacht hat (vgl. Luhmann, 2000: 1ff.). Für das Change-Management mit der Systemmacht durch Allianzen-Bildung liefert diese Betrachtung erfolgskritische Erkenntnisse. Die Wahrnehmung und Interpretation eines Change-Projektes in den typischen Change-Gruppen kann als selbstorganisiertes Handeln aufgefasst werden.179 Durch Change Communications wird somit humanistisch-systemisches Management (=Selbststeuerung, Eigendynamik, Steuerungsskepsis) angewendet. Dass in diesen (Sub-)Systemen der eigenen Organisation auch andere Zielebenen, als diejenigen, die die Organisation vorgibt, existent sind und gar maßgeblich werden können, wird erst nach und nach in der Management-Debatte akzeptiert. Handlungen in Organisationen, die eigenen Regeln folgen, sind für die klassische Betriebswirtschaft etwas Befremdliches, da Unternehmen als Organisationen gemeinsamer Gewinnerzielung definiert werden. Wie groß sind jedoch die Einflussmöglichkeiten des Managements auf die Systemdynamik? Diese Diskussion ist bis heute nicht abgeschlossen. Die zum Teil sehr strikt gehandhabte Annahme geschlossener Systeme, die den direkten Zugriff auf Systeme ausschließt, bezieht sich mit Blick auf die Handlungsrelevanz weicher Faktoren vor allem auf die psychischen Systeme. Die psychische Systemebene, die zum Beispiel die Formierung von Widerstandsgruppen im Change-Management beschreibt, bringt den sogenannten Steuerungspessimismus zum Ausdruck. Er betont am Beispiel des Change-Managements, dass sich Widerstandsgruppen nicht durch bestimmte Zielvorgaben und dienstliche Anweisungen steuern lassen. Diesen Pessimismus teilt die Kybernetik erster Ordnung nicht. 4. Change-Management und Change Communications Die Untersuchung der Eingriffsmöglichkeiten des Managements in (geschlossene) Systeme führt unmittelbar zu den Fragen, wann solche Systeme entstehen und wie sie sich verhindern lassen. Diese Fragestellungen prägen das antizipative Change-Management, wenn es versucht, Tretminen aufzuzeigen, die von Stakeholder-Ansprüchen ausgelöst werden können. Wenn Systemgrenzen die Mitglieder einschließen, die ein „gemeinsamer Sinn“ verbindet, dann können diese Grenzen durch gezielte Anreizsetzung verschoben werden. Denn neue Anreize schaffen neuen „Sinn“ und damit neue (funktionale) Systeme aus Sicht des Managements. Mit den genannten Handlungsfeldern Partizipation, Antizipation, Anreizsetzung, Didaktik und Timing wird somit letztlich versucht, Sinngrenzen im Sinne der Unternehmensleitung zu verschieben bzw. neue Grenzbildungen zu vermeiden.
179
Vgl. zum Thema „Gruppenbildung im Change“ Abschnitt „11.3 Change als Stakeholder-Management“.
196
Theoretischer Rahmen
Eine durchgängig definierte Rolle oder ein standardisiertes Instrumentenset von Change Communications gibt es bis dato nicht. In der Diskussion wird zum Teil die hohe Bedeutung der Balance zwischen kognitiven und emotionalen Prozessen, aber auch die Relevanz mikropolitischen Verhaltens in Change-Prozessen betont, wenn etwa nach manipulativen Aspekten des Change-Managements gefragt wird (Gattermeyer/Al-Ani, 2001: 8). Hier wurde der Bereich von Change Communications als der Teil des Change-Managements verstanden, der sich auf die weichen Faktoren in Veränderungsprozessen konzentriert. Allgemein gilt: Kommunikations- und Verhaltensmanagement in Veränderungsprozessen werden erst aus machttheoretischer Perspektive zu Managementdisziplinen, da sie die Durchsetzung der im Change-Management erster Ordnung geplanten Vorgehensweisen anstreben. Die vereinzelte, vielleicht nicht konsequente und auch die nicht überzeugte Anwendung einzelner Instrumente von Change Communications ist dann wirkungslos, wenn sie weder auf die Managementmacht noch auf die hierfür notwendigen Systembildungstendenzen ausgerichtet ist. Dafür ist nicht nur eine stete Anwendung und möglichst umfassende Beachtung der 20 Hebel der Systemdynamik nötig. Vor allem ist dafür eine Vernetzung mit dem „harten Management“ erforderlich, da hier die für die Systemgrenzbildung relevante Beobachtungsfläche entsteht. Damit gelangt die Navigation durch das Minenfeld des klassischen Change-Managements zu einem kritischen Punkt, den das analytisch geprägte Management gegen das antizipative Management ins Feld führen wird: der Mangel an Mess- und Operationalisierbarkeit. Hierin besteht die Kernschwäche des systemischen Managements vor allem angesichts der dominanten Managementkultur harter Faktoren, die kennzahlenorientiert arbeitet. Die beschriebenen Machtkonstellationen sind als gruppenbezogene weiche Faktoren streng genommen nicht messbar und zudem hoch flüchtig (vgl. Lies, 2003: 92ff.). Allerdings kann dem entgegengehalten werden, dass die These der Messbarkeit klassischen Managements lediglich eine Illusion ist, wie die hohe Misserfolgsquote des ChangeManagements zeigt. Ideologische Entweder-oder-Debatten helfen nicht weiter. Gefordert ist vielmehr, die Kompetenzen harten und weichen Managements zu integrieren. 5. Change Communications als Energiemanagement Die Betonung der Eigendynamik beinhaltet automatisch den Zweifel an der Wirkung hierarchischer Steuerungsprinzipien und verdeutlicht den Bedarf an alternativen, ergänzenden Steuerungsmöglichkeiten. Diese Debatte findet sich auch an anderer Stelle der Management-Theorie: Wenn in der Managementdebatte über Netzwerkorganisationen von „verflüssigten Organisationen“ die Rede ist, wird damit der Übergang von klassischhierarchischen Konzernstrukturen zu virtuellen Netzwerkorganisationen beschrieben. Je mehr Markt eine Organisation in ihren Hierarchien zulässt, desto weiter schreitet die Dissipation fort: Markt statt hierarchischer Regeln; ein Konzern „verflüssigt“ sich (vgl. Priddat, 2000: 257 ff.). Dissipation kennzeichnet also die Verflüssigung von Organisationsstrukturen wie sie bei virtuellen Netzwerkorganisationen im Vergleich zum klassischen Konzern zu beobachten ist. Überträgt man dies auf Change-Prozesse und die hierbei hohe Relevanz weicher Faktoren, sind solche Veränderungsphasen eine temporäre Strukturverflüssigung zwischen Start- und Zielorganisation. Wenn sich also hierarchische Regeln mit zuerst vertraglich geordneten Strukturen und auch Abläufen auflösen und durch rechtlich und räumlich lose Verbindungen ersetzt werden,
Theoretischer Rahmen
197
stellt sich die Frage, welche Energiezuführungs- und -ordnungsprozesse nötig sind, um den Zusammenhalt verflüssigter Konzernstrukturen möglich zu machen. Viele Aspekte wurden in diesem Buch gesammelt und sollen nun abschließend als Dissipationsmanagement im Change dargestellt werden. Das Bild der Verflüssigung soll zunächst als Umgebung für das Energiemanagement in Organisationen in eine Übersicht gebracht werden. Die folgende Tabelle konkretisiert das Bild des Energiemanagements für das ChangeManagement (vgl. Krüger, 2009: 221 ff.). Hierfür wurde der Change zweiter Ordnung als Eigendynamik beschrieben, der die Durchsetzungsfähigkeit von ChangeProgrammatiken als Macht kennzeichnet. Macht in dynamischen Systemumgebungen – die sich selbst organisieren – zu erhalten, erfordert antizipatives ChangeManagement als Energiemanagement.180 Physikalische Merkmale der Stromversorgung
Übertragung auf die ökonomische Modellwelt: Dissipationsmanagement
Energie: Energie tritt in den unterschiedlichsten Formen auf: Wärme, Bewegungsenergie, chemische Bindungsenergie usw. Energie ist letztlich alles, was sich in Arbeit umwandeln lässt.
Macht: Organisationale Energie ist die Kraft, über die eine Organisation verfügt, mit der sie Handlungen zielgerichtet umsetzen kann. Sie speist sich aus der Motivation bzw. der Abwesenheit von Widerstand von Mitarbeitern und Führungskräften. Macht als hoch flüchtige Momentaufnahme der eigenen Handlungsfähigkeit und als Ausdruck der Durchsetzungsfähigkeit der Change-Programmatik
Strom: Bewegung von Ladungsträgern (Elektronen) in einem Material, wie etwa Kupferleitungen; ähnlich: Wasser in einem Rohr
Netzwerkdynamik: Beobachtbare gruppenweite handlungsbezogene Phänomene visualisierbar mithilfe zellulärer Automaten als Abbildung der Arbeitseinstellung eines Teams, des Boykotts einer Umweltgruppe oder als Trend in einer Markencommunity
Netz: Stromnetz mit Leitungssystem
Soziale Netzwerke als Basisstruktur von Unternehmen und Märkten mit hierarchischen Konzernstrukturen und Markt als Gegensatzpaare
Spannung (Volt): Die Kraft, die den Strom antreibt; ähnlich: Wasserdruck einer Leitung
Kultur (Tiefenstruktur): Art und Ausprägung kultureller Regeln von Kultur als Konceptas
180
Die physikalischen Merkmale der Energie sind lexikalisches Grundwissen, das hier zugunsten der plakativen Gegenüberstellung sehr verkürzt und vereinfacht dargestellt wird.
198
Theoretischer Rahmen
Physikalische Merkmale der Stromversorgung
Übertragung auf die ökonomische Modellwelt: Dissipationsmanagement
Stromstärke (Ampere): Angabe für die Strommenge – je stärker der Strom, desto mehr kann er leisten.
Gruppenbildung: Anzahl der aktiven Mitarbeiter einer Organisation, die sich überdurchschnittlich aktiv oder passiv an formalen und informalen Prozessen (Arbeitsgruppen, Vorschlagswesen, ChangeAgents, Flurfunker etc.) beteiligen
Leistung (Watt): Produkt aus Spannung und Ampere, drückt sich in der mechanischen Betätigung, Licht, Wärme, Kühlung usw. aus
Motivation als Triebkraft der Macht und als Momentaufnahme der eigenen Handlungsfähigkeit als Ausdruck der Stärke der Unternehmenskultur und Auswirkung auf Produktivität: Produktions- und andere Leistungsprozesse als Ergebnis der Leistung – die Kraft oder Kraftlosigkeit der Unternehmenskultur als Leitlinie, die Managementhandeln bestimmt
Widerstand (Ohm): „Dicke“ der Wasserleitung, die Einfluss darauf hat, wie schnell der Strom fließt – Leitfähigkeit
Veränderbarkeit der Netzwerkstruktur und Ordnung beeinflussbar durch Leitbildprozesse, individuelle oder gruppenweite Trainings etwa in der Haltung ggü. Innovation und damit Vermeidung von Widerständen
Abbildung 83: Energiemanagement in Organisationen Quelle: eigene Darstellung
6. Fazit: Change Communications als Achtklang Change-Management wird zu einer interdisziplinären Kompetenz, indem acht Management-Ansätze vereint werden. Systemisches Management, Verhaltensmanagement (Behavioral-Change-Management), relationales Management, Stakeholder-Management, Machtmanagement, antizipatives Management, Change Communications und Dissipationsmanagement werden zu sich ergänzenden Akzenten, indem sie ihre unterschiedlichen Forschungs- und Erklärungsansätze anwendungsbezogen konzentrieren, um weiche Faktoren zu beeinflussen:
Change-Management als systemisches Management: betont in der Analyse des Change-Managements die Bedeutung der Selbstorganisation von Systemen mit der Annahme der begrenzten oder gar ausgeschlossenen direkten Steuerung durch das Management. Dies leitet zur Bedeutung von Verhalten über.
Change-Management als Verhaltensmanagement: betont die wechselseitige Bedeutung der Beobachtung von Verhalten und dadurch ausgelöster Gruppendynamik (Change zweiter Ordnung). Sie leitet zum relationalen Management über.
Change-Management als relationales Management: betont die Wechselseitigkeit und den Einfluss eigenen Handels auf die Wahrnehmung und das Handeln Dritter. Dieses ist durch die systemische Idee (Systeme als Handlungsräume, deren
Theoretischer Rahmen
199
Mitglieder durch eine gemeinsame Idee verbunden sind) gleichgerichtet und damit geeignet, erfolgskritische Systemdynamik auszulösen.
Change-Management als Stakeholder-Management: betont die Bedeutung der Ansprüche Dritter (vor allem von Führungskräften und Mitarbeitern) – und damit deren eigene Interessen und Ziele. Sie treten in Form von Gruppenhandeln in tiefgreifenden Veränderungsprozessen verstärkt auf. Durch die Gruppendynamik sind diese Ansprüche zum Teil auch durchsetzbar und grenzen damit die Macht des Managements ein.
Change-Management als Machtmanagement: betont die Einschränkung der Handlungsfähigkeit des Managements durch hoch dynamische Machtrelationen vor allem in Phasen tiefgreifender Veränderungen, die das gegenseitige Beobachtungsinteresse steigern. Dies leitet zur Notwendigkeit von Antizipation über.
Change-Management als antizipatives Management: betont die Notwendigkeit und Kompetenz, dass sich das Management ggf. anders als ideal-rational geplant verhalten muss, da es auf „seine“ Systeme im Unternehmen nur begrenzt oder gar keinen Einfluss nehmen kann. Antizipation ist somit Issues-Management mit dem Ansatz, Stakeholder-Ansprüche möglichst zu vermeiden.
Change-Management als Change Communications: betont die Bedeutung weicher Faktoren und dokumentiert die Fortentwicklung der internen Kommunikation. Der Stellenwert weicher Faktoren leitet zur Bedeutung von Antizipation zurück, da durch geschlossene Systeme die Handlungsrelevanz von gegenseitiger Beobachtung hervorgehoben wird. Gleichzeitig leitet dies auch zum Dissipationsmanagement über.
Change-Management als Dissipationsmanagement: betont in der Analyse zunehmender Netzwerkstrukturen (z. B. die Bedeutung virtueller Unternehmen) den Bedarf alternativer und ergänzender Steuerungsprinzipien jenseits von Hierarchien („Verflüssigung“). Angewendet auf das Management tiefgreifender Veränderungsprozesse wird die Notwendigkeit unterstrichen, in der Transformationsphase als Ersatz für direkte Steuerung Einfluss auf die Dynamik geschlossener Systeme zu nehmen.
Grundlegend für diesen Achtklang sind das Denken in Systemen und die Akzeptanz, dass sich diese Systeme aufgrund eigener Interessen selbst organisieren. Darüber hinaus ist auch die Bedeutung von gegenseitiger Beobachtung wichtig. Kommunikation beinhaltet mehr als Kommunikation im Sinne von Mitteilungshandlungen oder „sozialer Interaktion“. Durch die Bedeutung von Beobachtung in geschlossenen Systemen ist Kommunikationsmanagement vielmehr auch Wahrnehmungsmanagement. Dies wurde durch das erhöhte Beobachtungsinteresse der relevanten Stakeholder im Change deutlich.181 Darum ist mit Paul Watzlawick („Man kann nicht nicht kommunizieren“, Watzlawick et al. 2002: 41ff.) das eigene System als Wahrnehmungsfläche zu verstehen, das
181
Vgl. zum Thema „Beobachtungsinteresse“ Abschnitt „19.5 Wirkungen verfehlten Erwartungsmanagements“.
200
Theoretischer Rahmen
bei Dritten Interpretationen auslöst und damit ein handlungsrelevantes Umfeld schafft. Daher wurde systemisches Management als antizipatives Management gekennzeichnet.182
182
Vgl. zur Bezeichnung „antizipatives Management“ Abschnitt „3. Change-Management als systemisches Machtmanagement“ im einleitenden Kapitel „Wegweiser“.
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Stichwortverzeichnis
207
Stichwortverzeichnis A Akzeptanzmatrix ......................................104 Alignment ...................................................49 Analysephase ...............................................49 antizipatives Change-Management .............. 4 Kritik ....................................................... 177 Argumentarium ..........................................57
interne Positionierung ............................... 22 mehr als Mitteilungshandlung.................. 181 Qualitätsdimensionen ................................ 94 Stakeholder .............................................. 108 Stellenwert ................................................. 21 Ziel ............................................................. 18 Zielebenen.................................................. 25 Zielgruppen-Paradoxon ............................. 93
Beharrungsvermögen..................................75
Change-Agent........................................... 125 als Coach.................................................. 126 als Fachpromotoren ................................. 125 als Machtpromotoren............................... 125 Kritik ....................................................... 128 Rollenakzeptanz ...................................... 126 soziale Dynamik ...................................... 124
Behavioral Branding ...................................60
Change-Benchmarks................................... 42
Behavioral Economics ...............................181
Change-Beratung........................................ 79
Behavioral Finance....................................183
Change-Commitment............................... 101
Benchmarking.............................................78
Change-Didaktik Definition ...................................................... 34 Leuchtturmprojekte................................... 36 Patenschaften ............................................. 36 Zielbild vorwegnehmen ............................. 35
Asch, Solomon............................................123 Autismus.....................................................42
B Balanced Scorecard......................................96
Benchmarks.................................................42 Beobachtungsinteresse ..............................176 Beobachtungstheorie.................................194 Beratung .....................................................77 Bernays, Edward..........................................20 Bertalanffy, Ludwig von.............................194 Betroffene zu Beteiligten machen als Prinzip .................................................. 84 Einschränkungen ....................................... 87 Kritik ......................................................... 12 Beziehungen..............................................120 Business-Case ..............................................71
C Change Communications als Stakeholder-Management.................... 103 Definition ...................................................... 17 Delegationsfähigkeit................................... 21 drei Kommunikationsebenen..................... 18 Erfolgsfaktor .................................................... 3
Change-Dramaturgie.................................. 30 Dachmarkenarchitektur............................. 62 und Erwartungsmanagement ..................... 32 Change-Management als antizipatives Management................... 199 als Change Communications ................... 199 als Dissipationsmanagement .................... 199 als Machtmanagement.............................. 199 als Markenversprechen............................... 60 als relationales Management..................... 198 als Stakeholder-Management.................... 199 als systemisches Management................... 198 als Veränderungsmanagement.................. 198 antizipatives ................................................. 4 Autismus .................................................... 42 Befreiungsschlag ........................................... 9 Bekenntnis des Scheiterns .......................... 77 Definition ........................................................ 2
J. Lies, et al. (Hrsg.), Erfolgsfaktor Change Communications, DOI 10.1007/978-3-8349-6473-1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
208
Stichwortverzeichnis
Demontage Marke ..................................... 62 Ganzheitlichkeit .......................................... 3 Indiskretion.............................................. 166 Kybernetik 1.0 ......................................... 194 Kybernetik 2.0 ......................................... 194 Managementphasen.................................... 49 Projektarchitektur ..................................... 13 Projektmanagement ................................... 13 Projektorganisation.................................... 12 Qualitätsdimensionen ................................ 94 Steuerungskreis .......................................... 13 strategisch..................................................... 3 strategische Eleganz? .................................... 9 strategischer Anspruch? ............................... 9 System...................................................... 194 Systemdynamik............................................ 4
Due Diligence........................................... 137
Change-Management 1. Ordnung................ 4
Erfolgsfaktor ................................................ 3
Change-Management 2. Ordnung................ 4
Erfolgspotenzial............................................ 3
Change-Modus ............................................30
Ergebniskommunikation .......................... 165
Change-Paradoxon Geheimhaltungsparadoxon ...................... 166 harte Faktoren als Kultur........................... 10 Promotoren-Paradoxon ........................... 128 Scope-Paradoxon........................................ 41 Timing-Paradoxon ................................... 159 Zielgruppen-Paradoxon ............................. 93
Erwartungsmanagement interne Krisenprävention ......................... 178 und Dramaturgie........................................ 32
Change-Programmatik................................27 Change-Strategie Definition ........................................................ 7 Clearingstellen ..........................................133 Coach ........................................................126 Coaching.....................................................77 Commitment ............................................101 Communicative Governance.......................99
Durchsetzung ............................................. 50
E edukative Kommunikation......................... 19 Eigendynamik............................................... 4 Eigenverantwortung................................. 134 Elevator Speech .......................................... 52 Enabling ..................................................... 29 Führung ..................................................... 79 Energie organisationale ......................................... 183 Energiefreisetzung Timing ..................................................... 157
Eskalation ................................................. 134
F Fachpromotoren....................................... 125 Faktenschaffen.......................................... 111 Faktoren, harte............................................. 4 Faktoren, weiche .......................................... 4 Fehler ....................................................... 148 klassischer.................................................... 1 Fehlerkultur ............................................. 148 Force Field Analysis ................................. 104
D
Führung Change-Didaktik........................................ 31 Enabling ..................................................... 79 Vertrauen ................................................. 176 vs. Management ......................................... 24
Demontage, Marke......................................62
Führung, partizipative ............................... 78
Dialog .......................................................135
Führungskräfte als Stakeholder ......................................... 120 Doppelrolle ................................................ 81 Einbindung ................................................ 75
cultural fit.................................................139 Cultural-Due-Diligence.............................137
Distinktionstheorie ...................................194 Drama .........................................................30 Dramaturgie ...............................................30 Drei-Zonen-Modell......................................69
Führungsstil ............................................... 31
Stichwortverzeichnis
209
Fundamentalkritik Gleichgewichtstheorie ............................. 112 Kritik an Rational Choice........................ 183
kaskadische Kommunikation...................... 80
Fusion unter Gleichen ..............................173
Komfortzone .............................................. 70
klassisches Management................................ 4 Komfort-Risiko-Zonenmodell..................... 69
G
Kommunikation Mitteilungshandlung ................................ 181
Ganzheitlichkeit........................................... 3
Kommunikationsebenen............................. 18
Geheimhaltungsparadoxon .......................166
Kommunikationskaskade.......................20, 80
Gerüchte ...................................................167
Komplexitätsmanagement .......................... 41
Gruppe als Change-Allianz ................................... 123 gemeinsamer Sinn .................................... 123
Konflikt .................................................... 149 Konfliktkultur.......................................... 149 Konzeptphase ............................................. 49 Kraftfeld-Analyse............................... 104, 157
H
Kritik antizipativen Managements ........... 177
harte Faktoren ............................................. 4 und Kultur ............................................... 173
Kultur....................................................... 140 Definition .................................................... 151 Konfliktkultur ......................................... 149 und Kennzahlen ....................................... 173
Hidden Agenda .........................................113
I Implementierungsphase ..............................49 Impression-Management ...........................174 Indiskretion ..............................................165
Kulturmanagement Delegationsfähigkeit................................. 151 Kulturworkshops Kritik ....................................................... 151
Informationsvorsprung...............................80
Kybernetik Gruppen im Change ................................ 194
informelle Reorganisation............................ 4
Kybernetik 1.0 .......................................... 194
Insidergeschäfte.........................................166
Kybernetik 2.0 .......................................... 194
Inszenierung ...............................................31 interne Kommunikation Stellenwert ................................................. 21 Ziel ............................................................. 18 Issues-Management .....................................94 Mystery-Management ................................ 89 Soundingboard........................................... 14
L Leidensdruck .............................................. 69 Leitbild ....................................................... 51 Leitbildprozess............................................ 51 Lernzonenmodell........................................ 69 Leuchtturmprojekt ..................................... 42
J
Lewin, Kurt............................................... 104
Ja-Sager .....................................................147
Luhmann, Niklas....................................... 195
K
M
Kabinettsdisziplin .....................................113 Kapazitätsmanagement ...............................41 Kapitalmarktkommunikation Erwartungsmanagement .......................... 177
Macht Beziehungen............................................. 120 Definition ........................................................ 3 Symbolik.................................................. 119 weitere Definitionen ................................ 118
210
Stichwortverzeichnis
Machtmanagement Definition ........................................................ 3
PR begins at home...................................... 20
Machtpromotoren .....................................125
Problemlösung Eskalation ................................................ 134
Management ................................................ 2 antizipatives ................................................. 4 dialogisch ................................................. 135 klassisches .................................................... 4 vs. Führung ................................................ 24 Management-Agenda ..................................51 Management-Alignment .............................49
Prioritäten .................................................. 51
Projektarchitektur ...................................... 13 Promotoren .............................................. 125 Promotoren-Paradoxon ............................ 128 Prozesskommunikation ..................... 165, 169
Managementkreislauf..............................2, 49
Q
Markenführung Change als... ............................................... 60
Quick Wins ................................................ 33
Qualitätsdimensionen................................. 94
Markenversprechen.....................................60 Master-Chart...............................................56
R
Mediation Eigenverantwortung ................................ 134
Rational ...................................................... 57
Meilenstein..................................................31
Rational Choice ............................................ 4 Primat von Change-Management .............. 31
Meinungsbildung ......................................123
Relational Choice ......................................... 4
Mentoring ...................................................72
Relationalität-Paradoxon............................ 41
Merger of Equals.......................................173
Reorganisation informelle..................................................... 4
Mikropolitik..............................................110 Indiskretion.............................................. 165 Mission........................................................51 Moderation ...............................................134 Motivation ..................................................18 Multiplikatoren.........................................125 Multiplikatormanagement ........................120 Mystery-Management..................................87
S Salamitaktik.............................................. 177 Sanierungskonzept ..................................... 56 Schnittstellen.............................................. 43 Scope Definition.................................................. 39 Scope-Paradoxon ........................................ 41
N
Sense of Urgency ........................................ 69
Netzwerkorganisationen ...........................196
Sinn Gruppen................................................... 123
P
Soundingboard ........................................... 14
Partizipation ...............................................83 echte, aktive ............................................... 85 reaktive ...................................................... 85 unechte....................................................... 85 von Führungskräften ................................. 78
soziale Kompetenz .................................... 125
soziale Dynamik Change-Agents ......................................... 124 soziale Netzwerke ..................................... 122 Sponsorenkaskade................................80, 125
Partizipative Führung.................................78
Sprech......................................................... 52
Patenschaften ..............................................36
Stabilisierungsphase.................................... 49
point of no return .......................................31
Staffing..................................................... 108
Stichwortverzeichnis Stakeholder Führungskräfte......................................... 120 interne...................................................... 108 Stakeholder-Management..........................103
211
V Verhalten bestimmende Dimensionen........................ 29
Steering-Committee ....................................13
Vertrauen ................................................. 176 Bedeutung im Change.............................. 176
Steuerung Illusion ......................................................... 6
Vision ......................................................... 51
Steuerungskreis...........................................13 Steuerungspessimismus .............................195 Story als Rational................................................. 57 gleich Master-Charts?................................. 56 Strategie ....................................................... 3 Strategiedefizit ............................................. 9 Symbolik ...................................................119 System.......................................................194 Systemdynamik ............................................ 4 systemisches Management .........................195 Kritik ....................................................... 177 Systemtheorie............................................195
T Themenradar.............................................108 Timing ......................................................156 Energiefreisetzung.................................... 157 Staffing ..................................................... 108 Timing-Paradoxon ....................................159 Transparenzmanagement ..........................177
U Umsetzungsberatung ..................................77 Unternehmenskultur ................................140 Urgency, Sense of........................................69
W Watzlawick, Paul ...................................... 199 Wegloben.................................................. 113 weiche Faktoren ........................................... 4 Bedeutung im Change.............................. 176 Wertschöpfung harte ........................................................... 92 weiche ........................................................ 92 Whistleblowing .......................................... 88 Widerstand dysfunktionale Systemdynamik................. 18 Wissen Definition ...................................................... 57 Wissensmanagement................................... 64
Z zelluläre Automaten ................................. 121 Zielbild vorwegnehmen.............................. 35 Ziele Change Communications .......................... 24 Definition ...................................................... 51 Partizipation .............................................. 85 Qualitätsdimensionen ................................ 94 Story........................................................... 64 Vision......................................................... 51 Zielanpassung im Change .......................... 98 Zielharmonie.............................................. 50 Zielvorgabe für Kommunikation............... 23 Zielebenen Change Communications .......................... 25 Zielgruppen-Paradoxon .............................. 93 Zustimmungsbarometer ........................... 108