Christine Weinbach (Hrsg.) Geschlechtliche Ungleichheit in systemtheoretischer Perspektive
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Christine Weinbach (Hrsg.) Geschlechtliche Ungleichheit in systemtheoretischer Perspektive
Christine Weinbach (Hrsg.)
Geschlechtliche Ungleichheit in systemtheoretischer Perspektive
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. . 1. Auflage Juni 2007 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frank Engelhardt Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-14364-4
Inhaltsverzeichnis
Zur Einfiihrung: Geschlechtliche Ungleichheit in systemtheoretischer Perspektive Christine Weinbach ............................................................................................... 7
Teil I: Geschlechterdifferenz und Geschlechterverh~iltnisse Gendering George Spencer Brown? Die Form der Unterscheidung und die Analyse von Unterscheidungsstrategien in der Genderforschung Katrin Wille ......................................................................................................... 15 Die Geschlechterdifferenz und die gesellschaftlichen Resonanzen zweier Gleichheitskonzeptionen der modernen Gesellschaft: AnthropologischeVerschiedenheit und Gleichstellung Ingrid Biermann ................................................................................... 51 Anima pastoris Maren Lehmann .................................................................................................. 81 Geschlecht als sozialpsychologische, sozialstrukturelle und differenzierungstheoretische Kategorie. Zur Erforschung von Geschlechtszurechnungen und ihren K o n k u r r e n t e n - mit Ergebnissen aus einer Umfrage Gerd Nollmann .................................................................................................. 109
Teil II: Ebenendifferenzierung: Interaktion, Netzwerk, Organisation, Funktionssystem Uberlegungen zu Relevanz und B e d e u t u n g der Geschlechterdifferenz in funktional g e r a h m t e n I n t e r a k t i o n Christine Weinbach ........................................................................................... 141 Netzwerk und G e s c h l e c h t - im K o n t e x t Veronika Tacke ................................................................................................. 165 G E N D E R W O R K S ? Zu Diskriminierung, F u n k t i o n und C o d i e r u n g im Geschlechterverh~iltnis Iris Koall ............................................................................................................
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Religion, Inklusion und Geschlechterungleichheit: Z u r K o m m u n i z i e r u n g des Geschlechterverh~iltnisses in Mission und ( ) k u m e n e Heidemarie Winkel ........................................................................................... 233
Zu den A u t o r I n n e n ...................................................................................... 265
Zur Einfiihrung: Geschlechtliche Ungleichheit in systemtheoretischer Perspektive Christine Weinbach
Die Beitr~ige dieses Sammelbandes beobachten die Geschlechterdifferenz mit der Luhmannschen Theorie sozialer Systeme. Sie betreiben Gender Studies, indem sie die Verwendung der Geschlechterdifferenz durch Beobachter beobachten, die sie mit Hilfe systemtheoretischer Differenzen identifizieren und voneinander unterscheiden k6nnen. Systemtheorie dient ihnen als ,,Methode der Beobachtung" (Nassehi/Saake 2002). Zugleich wird durch die Annahme, ,,dass es Systeme gibt" (Luhmann 1987: 30), welche die Geschlechterdifferenz zur Beobachtung verwenden, ,,aktive Gegenstandskonstitution" (Amann/Hirschauer 1999: 502) betrieben. Die Beitrfige dieses Bandes nehmen somit die Forderung von Gudrun-Axeli Knapp ernst, dass, wer beobachtet, wie und in welchen Kontexten die Geschlechterdifferenz Verwendung f'mdet, seinen Beobachtungsstandpunkt ,,mit B lick auf die Differenz und den Zusammenhang von Genesis und Geltung wissenschaftlichen Wissens begrtinden k6nnen" muss (Hirschauer/Knapp 2006: 28f.). Die Wurzel des pardoxen Standortes dieses Sammelbands - es werden Systeme beobachtet, die erst im Moment des Gebrauchs systemtheoretischer Unterscheidungen existieren- ist nicht der systemtheoretischen Architektur geschuldet, sondem vielmehr auf den epistemologischen Zirkel rfickffihrbar: Das erkennende Subjekt unterscheidet sich von dem, was es beobachtet, indem es eine Grenze zwischen sich und seinem Objekt zieht und beide Seiten somit erst hervorbringt. Die Systemtheorie nimmt diesen Zirkel produktiv in Gebrauch und reflektiert darauf, dass die soziologische ,,Reflexion des Faches von der Wahl einer soziologischen Theorie, die innerhalb des Faches nur eine Theorie neben anderen sein kann" abh/ingig ist (Kieserling 2000: 38). Die Luhmannsche Systemtheorie zu w/ihlen, bietet ihrem ,Benutzer' s o m i t - neben dem analytischen Potential, das sich aus ihrer Verkniipfung von Konstruktivismus und Gesellschaftstheorie e r g i b t - die autologische Verstandortung. Die Luhmannsche Systemtheorie ist eine autologische Theorie (vgl. Luhmann 1992), weil sie in sich selbst noch einmal vorkommt, indem sie sich als eine soziologische Theorie der soziologischen Fachdisziplin im Funktionssystem Wissenschaft beschreibt, die um ihren relativen Beobachtungsstandort weil3 und ihre Beobachtungser-
gebnisse als Fremdbeschreibungen begreift, die von den Beschriebenen nicht geteilt werden (miissen): ,,So kann ein externer Beobachter die T/itigkeit von Richtern als Kalorienverbrauch, als Ablenkung von Eheproblemen oder als Beitrag zur Reproduktion von Schichtung beschreiben, und all dies mag zutreffend sein. Ob die Selbstbeschreibung des Rechtssystems dem folgen kann, ist dagegen eine andere Frage" (Kieserling 2000: 42). M6glicherweise sind gewisse wechselseitige Resistenzen im Verh/ilmis von Geschlechterforschung und Soziologie auf solche Bedingungen der Selbstund Fremdbeschreibung zurtickzufiihren: Die Soziologie weigert sich, ihr epistemologisches Fundamentals Verallgemeinerung einer patriarchalen Sicht auf die Welt zu begreifen. Sie sieht in der Geschlechterdifferenz keine Grundlage far Gesellschaftstheorie, sondern h6chstens einen Untersuchungsgegenstand ohne prim/iren Strukturwert. 1 Umgekehrt orientiert sich die Geschlechterfors c h u n g - wenngleich sie sich in den letzten Jahren bewusst durch die Soziologie irritieren 1/isst2 - vornehmlich an einem politisch orientierten Beobachtungszugriff. ,,W/ihrend die Wissenschafissoziologie zu einem grogen Teil geschlechtsblind ist", so konstatiert Bettina Heintz mit verallgemeinerbarem Bezug auf die Soziologie, ,,ist die Geschlechtersoziologie weitgehend wissenschaftsblind" (2004: 20). Stefan Hirschauer begrfindet seine Forderung nach einer st/irkeren Soziologisierung der Geschlechterforschung so: Die Soziologie ,,ist eine randst/indige Disziplin, sonst k6nnte sie gar nicht sehen, was sie da sieht. Sie konstruiert abweichende Beschreibungen. Und in diesem abstrakteren S inne von Devianz ist gesteigerte Marginalit/it das Kemgeschfift aller Professionalisierung. [...] Niklas Luhmann macht auch nichts anderes als eine abweichende Perspektive zu den Selbstbeschreibungen einer Gesellschaft zu generieren" (Hirschauer/Knapp 2006: 49f.). In diesem Sinne gehen die Beitr/ige des vorliegenden Sammelbandes nicht unbesehen von einem patriarchalen Geschlechterverh/ilmis aus, sondern stellen die Gesellschaftsstrukturen, in denen die Geschlechterdifferenz relevant oder irrelevant ist, in den Vordergrund. Sie sehen modeme Geschlechterverh/ilmisse durch den K o n t e x t - Hirschauer spricht vom ,,Gewebe" - definiert, ,,in dem Vgl. z.B. Reinhard Kreckel (1991), der Geschlecht jedoch, neben Nation (Ethnizit/it), Klasse und Alter, als eines von ,,vier zentralen Organisationsprinzipien von sozialer Ungleichheit" berticksichtigt wissen will (376). Ich denke hierbei an die auf der Jahrestagung 2005 der DFG-Sektion ,,Frauen- und Geschlechterforschung" immer wieder gefiugerte Fordemng nach einer Offnung gegentiber der sogenannten ,Mainstream-Soziologie', oder auch an das Tagungsthema ,,So happy together? Soziologie und Geschlechterforschung" der Veranstalmng der Sektion ,,Feministische Theorie und Geschlechterforschung" beim Kongress ftir Soziologie der Osterreichischen Gesellschat~ fiir Soziologie (OGS), 25.-27. September2007 in Graz. Vgl. auch das Gesprfichzwischen Gurdrun-Axeli Knapp und Stefan Hirschauer (2006).
M/inner und Frauen als Ph/inomene erst aufscheinen" (Hirschauer 2003: 468). Der Kontext ,bestimmt', ob die Geschlechterdifferenz erwarmngsbildend wirkt und dies z.B. im Modus von Hierarchy oder Diversity der Fall ist. Die Geschlechterdifferenz verliert dabei ,,ihren Stares als omnirelevantes Ordnungsprinzip und wird zu einem Effekt, der zu erkl/iren ist, d.h. zu einem kontingenten Produkt spezifischer Konstellationen und Kontexte" (Heintz 2004: 12). Strukturiert nicht die Geschlechterdifferenz selbst, sondern der soziale Kontext, dem sie ihre Existenz erst verdankt, die Beobachtungen moderner Geschlechterverh/iltnisse, dann muss dieser Kontext von einem soziologischen Beobachter gesellschaftlicher Geschlechterverh/iltnisse ausdriicklich ausgewiesen sein. Die Beitr/ige des vorliegenden Sammelbandes mn dies, indem sie die Geschlechterdifferenz im Kontext systemischer Herstellungsbedingungen beoachten. Der Sammelband profitiert dabei yon der Polykontextualit/it, die sich dem systemtheoretischen Beobachter er6ffnet. Der erste Teil des Bandes ffihrt die Verschiedenheit von Geschlechterverh/iltnissen auf variierende soziale und historische Kontexte z~ariick. Der Beitrag von Katrin Wille •hrt in die Unterscheidungslogik ein, der jeder Umgang mit der Geschlechterdifferenz unterliegt. Sie bindet ihren Gebrauch strikt an die ,,Situation" und zeigt Denkm6glichkeiten jenseits des hierachischen Geschlechterverh/ilmisses auf. Dazu nimmt Wille sich die logischen Implikationen der Differenztheorie George Spencer Browns vor und kxitisiert Niklas Luhmann (1988) ffir seine in ,,Frauen, M/inner und George Spencer Brown" formulierte Behauptung, Beobachtungen mit der Geschlechterdifferenz seien aus logischen Grfinden notwendig hierarchisch strukturiert. Sie pl/idiert daffir, die konkrete Situation als Ausgangspunkt ffir den Umgang mit der Unterscheidung von Mann und Frau ernst zu nehmen. In einer diversifizierten Gesellschaft existieren viele Bedeumngen von Geschlecht, die quer zueinander stehen oder einander widersprechen k6nnen. Ingrid Biermann ffihrt vor, wie die Bedeumng geschlechtlicher Ungleichheit in historischer Perspektive variiert: Erste und zweite Frauenbewegung bezeichneten mit der Geschlechterdifferenz bekanntlich verschiedene Geschlechterverh/iltnisse. W/ihrend die erste Frauenbewegung die Wertgebundenheit des Gleichheitsposmlats am Geschlechtsk6rper fixierte, die Geschlechter auf diese Weise innerhalb einer ,objektiven' Sozialordnung zu verorten glaubte und von der natfirlichen Ungleichheit der Geschlechter und ihrer Gleichwertigkeit sprach, orientierte sich die zweite Frauenbewegung nicht 1/inger nur an (geschlechtlichen) Personen und Werten, sondem vornehmlich an Rollen und Programmen. Biermann macht damit u.a. deutlich, dass die relativierende Beob-
achmng der Geschlechterdifferenz als soziale Konstruktion erst mit der Durchsetzung funktionaler Differenzierung m6glich wurde. Dass GeschlechterverhNmisse stets auf der Basis spezifischer Sozialstrukturen existieren, zeigt Maren Lehmann am Rollenwandel der evangelischen Pfarrfrau im Kontext sich vedindemder kirchlicher Organisationsstrukturen. Im 19. Jahrhundert galt das Pfarrhaus als Schnittstelle politischer, 6konomischer und religi6ser Fragen und definierte die Beziehung der Pfarrersleute zueinander: Der Amtsinhaber verk6rperte Politik, 0konomie und Religiosit~it des ~amates, die Pfarrfrau diente der Bezeichnung der Person des Amtstdigers und verband somit Amt und Haus. Mit der st/irkeren Einbindung des Amtes in die kirchliche B/irokratie ab der zweiten H~lfte des 20. Jahrhunderts verliert dieses Geschlechterverh~ilmis allm/ihlich seine Funktion. Auch Gerd Nollmann unterscheidet verschiedene Kontexte der Geschlechterdifferenz. Relevante Kontexte sind ihm Intimbeziehungen, Organisationen und Geschlechterpolitik; wobei er diese Einsch/itzung zugleich wieder relativiert zumindest ffir die Intimbeziehung, wo Geschlecht als Zurechnungskategorie ftir Verhalten mit der Individualit/it der Partner konkurriert, und fiir Arbeitsorganisation, wo die Zuschreibung von Leistungen die Geschlechterdifferenz auf die Hinterbtihne verdr/ingt. Erst in der Geschlechterpolitik komme Geschlecht ,,als konfliktgeneralisierendes Schema voll auf seine Kosten". Die Beitr/ige im zweite Teil untersuchen aktuelle Geschlechterverh/iltnisse im Kontext der Ebenendifferenzierung sozialer Systeme in Interaktion, Netzwerk, Organisation und Funktionssystem. Der Beitrag yon Christine Weinbach widmet sich der Frage nach Bedeutung und Relevanz der Geschlechterdifferenz in funktional gerahmten Interaktionen. Im Anschluss an neuere Forschungsergebnisse, nach denen schwach standardisierte funktionale Interaktionsabl/iufe personal zugerechnete Erwartungsbildung bef6rdem, geht sie davon aus, dass funktional definierte Interaktionserwartungen mit dem stereotypisierten, interaktionsbezogenen Wahmehmungsbereich der inkludierten Bewusstseinssysteme korrelieren mtissen. Zugleich sind jedoch diese funktionalen Interaktionsbedingungen eine wichtige Bedingung der M6glichkeit ver/inderter stereotypisierter Personenwahmehmungen. Veronika Tacke meint, dass die Geschlechterdifferenz beim Zugriff auf reziproke Leistungen innerhalb von Netzwerken einen ambiguen Informationswert ffir die Gestaltung von Erwartungen bildet. Aus Sicht der Empirie stehen Netzwerke einerseits partikularistischen Zuschreibungen often und lassen sich andererseits genfigend Gegenbeispiele dazu finden. Tacke n/ihert sich diesem ambivalenten Befund durch die systemtheoretische Rekonstruktion der Netzwerk-Strukturen. So unterscheiden Netzwerke nicht dezidiert zwischen Person
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und Rolle und bef6rdem daher den ,partikularistischen Zugriff' auf die Teilnehmer. Entscheidend ffir Teilnahmechancen aber ist die Position innerhalb des Netzwerks, die vornehmlich durch die Anzahl potentieller Kontakte gebildet wird und geschlechtsstereotype Zuschreibungen neutralisiert. Der Beitrag von Iris Koall fragt, auf welche Weise Untemehmensorganisationen die Geschlechterdifferenz ftir ihre Aufrechterhalmng nutzen und was sie dabei ausblenden. Organisationen haben ein Interesse daran, ihre Kontingenzen, u.a. durch Rtickgriff auf die Geschlechterdifferenz, erwartbar zu gestalten. Solche Erwartbarkeiten schlagen sich ffir die Organisationsmitglieder in der Verteilung von Ressourcen in Form von Einkommen und Karrierechancen nieder. Sie sind Ausdruck eines parasit/iren Kommunikationssystems ,,Geschlecht", das in Interaktionen, Organisationen und Funktionssystemen Beobachtungsanweisungen bereith/ilt. Koall tiberlegt, auf welche Weise die Zumumngen dieses Systems ,,Geschlecht" in Organisationen ausgehebelt werden k6nnten. Heidemarie Winkel nimmt sich das Funktionssystem Religion vor. Mit der Umstellung der Gesellschaft auf funktionale Differenzierung muss sich Religion als System entwerfen; und zwar nicht nur im Unterschied zu anderen Funktionssystemen, sondern auch mit Blick auf ihre interne Differenzierung in verschiedene Religionen. Die Okumene ist vor diesem Hintergrund ein ,Projekt' des Christentums, das durch die Betonung der Einheit und Verschiedenheiten christlicher Religionen die gesamte Christenheit, ohne Riicksicht auf ethnische, soziale und geschlechtliche Unterschiede, durch die Leimnterscheidung von Inklusion und Exklusion, berticksichtigt wissen will. In diesem Fahrwasser k6nnen sich erstmals Forderungen nach der Gleichstellung von M/innem und Frauen allgemein h6rbar ~iuf3em u n d - mehr oder weniger erfolgreich- instimtionalisiert werden.
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Literatur Amann, Klaus/Hirschauer, Stefan (1999): Soziologie treiben. Ffir eine Kultur der Forschung, in: Soziale Welt 50, S. 495-506 Heintz, Bettina (2004): Auftakt. Wissenschaftsstruktur und Geschlechterordnung, in: Bettina Heintz, Martina Merz und Christina Schumacher, Wissenschaft, die Grenzen schaftt. Geschlechterkonstellationen im disziplinfiren Vergleich, Bielefeld, S. 19-76 Hirschauer, Stefan (2003): Wozu ,Gender Studies'?, in Soziale Welt 54, S. 461-482 Hirschauer, Stefan/Knapp, Gudrun-Axeli (2006): Wozu Geschlechterforschung? Ein Dialog fiber Politik und den Willen zum Wissen, in: Brigitte Aulenbacher et al. (Hrsg.), FrauenM/innerGeschlechterforschung. State of the Art, Mfinster, S. 22-63 Kieserling, Andr6 (2000) Die Soziologie der Selbstbeschreibung. l'.)ber die Reflexionstheorien der Funktionssysteme und ihre Rezeption der soziologischen Theorie, in: Henk de Berg und Johannes F.K. Schmidt (Hrsg.), Rezeption und Reflexion. Zur Resonanz der Systemtheorie Niklas Luhmanns augerhalb der Soziologie, FrankfiartJM., S. 38-92 Kreckel, Reinhard (1991): Geschlechtssensibilisierte Soziologie. K6nnen askriptive Merkmale eine vemfinftige Gesellschaftstheorie begnlinden?, in: Die Modemisierung moderner Gesellschaften. Verhandlungen de 25. Deutschen Soziologentages in Frankfurt am Main 1990, hrsg. im Auftrag der Deutschen Gesellschaft ftir Soziologie von Wolfgang Zapf, Frankfurt/M. und New York, S. 370-382 Luhmann, Niklas (1987): Soziale Systeme. Grundrig einer allgemeinen Theorie, Frankfurt/M. Luhmann, Niklas (1992): Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. Nassehi, Annin/Saake, Innhild (2002): Kontingenz: Methodisch verhindert oder beobachtet? Ein Betrag zur Methodologie der qualitativen Sozialforschung, in: Zeitschriit ffir Soziologie 31, S. 66-86
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Teil I Geschlechterdifferenz u n d Geschlechterverh~iltnisse
Gendering George Spencer Brown? Die Form der Unterscheidung und die Analyse von Unterscheidungsstrategien in der Genderforschung Katrin Wille
Im Zentrum der Genderforschung und der feministischen Forschung stehen zwei Unterscheidungen, n~mlich die zwischen Frauen und M/innem und die zwischen sex und gender. Die Variationsbreite der Genderforschung besteht darin, wie diese Unterscheidungen gebraucht werden oder wodurch sic ersetzt werden. 1 Gegenstand historischer und gegenwartsbezogener Analysen ist, wie die Unterscheidung zwischen Frauen und M/innem hierarchisch gewendet worden ist, wie sie Funktionsbereiche von Gesellschaften strukmriert hat und gegenw/irtig (nicht mehr) strukturiert. Die Frage, ob und wenn ja wie die Unterscheidung verschiedene Funktionsbereiche von Gesellschaften strukturieren soll, gibt Anlass ffir kontroverse Debatten. Die Geschichte des Gebrauchs der Unterscheidung zwischen sex und gender vom produktiven analytischen Instrument zur Selbstkritik am Paradigma der Gegenfiberstellung von ,,gegebenem" sex und ,,gemachtem" gender ist h~ufig dargestellt und oft wiederholt worden; sic geh6rt geradezu zu den Kerngeschichten der Genderforschung fiber sich selbst? Durch diese Reflexion wird im theoretischen Selbstverst/indnis ein dynamischer Umgang mit Unterscheidungen verankert und die Kritik an fixierten Entgegensetzungen, an Dichotomien, ist fast zum selbstverst/indlichen Credo geworden. 3 Unterscheidungen so zu verwenden, dass sie often sind ~ r Selbstkritik und dabei unbewegliche Dichotomien vermieden werden k6nnen, erfordert mehr als Darstellungen ihrer Geschichte, Appelle oder Absichtserkl/imngen- es erfordert die Reflexion auf die Bildung von Unterscheidungen selbst. In einer solchen Reflexion stellen sich Fragen wie die, ob es charakteristische Zfige gibt, die 1 2
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Als systemtheoretische Alternative zum Sex-und-Gender-Konzept versteht zum Beispiel Christine Weinbach die geschlechtsstereotypisierteForm ,,Person"; vgl. Weinbach (2003). Zum Beispiel neueren Datums: Braun/Stephan (2005: 32) oder Sch6nw/ilder/Wille (2003). Stefan Hirschauer sieht hier die differentia specifica innerhalb des weiten Feldes der Geschlechterforschung zwischen den einzelwissenschaftlichen Forschungen, die die Geschlechterunterscheidung zur Wissensproduktion einsetzen und der Geschlechtsdifferenziemngsforschung, die die Geschlechterunterscheidungzum Thema hat; vgl. Hirschauer (2003: 475). Aus der Tradition der kritischen Theorie zum Beispiel Becker-Schmidt (1998) und fiber die poststmkturalistische Aufl6sung von binfiren Oppositionen zum Beispiel Breger (2005). 15
Unterscheidungen von Nicht-Unterscheidungen unterscheiden, oder ob verschiedene Typen yon Unterscheidungen beschreibbar sind, um Alternativen zu Dichotomien zu bestimmen oder ob ein Unterscheidungsgebrauch m6glich ist, der sich im Unterscheiden selbst kritisch mitreflektieren kann. Diesen in der Dynamik der Genderforschung selbst entstehenden Fragen nachzugehen, mutet wie ein Umweg an, der von den direkten Belangen der Genderforschung wegzufahren scheint. Umwege fordern immer einen Preis; sie kosten Zeit und verlangen die Bereitschaft, das Ziel oder den ,,Output" far das vermeintlich ,,eigentliche" Anliegen nicht immer vor Augen haben zu k6nnen. Aber sie versprechen auch Gewinn, der von Frangois Jullien in seinem ,,Umweg fiber China" so beschrieben wird: ,,Man weiB, dass die Philosophie in ihren Fragen verwurzelt ist und sogar regelm/iBig in ihrer Tradition erstarrt. Um zu versuchen, in der Philosophie wieder neuen Spielraum zu finden, oder anders gesagt, um zu versuchen, wieder eine theoretische Initiative zu ergreifen, habe ich mich entschieden, mich von dem Geburtsland der Philosophie - Griechenl a n d - zu entfemen und einen Umweg fiber China zu machen: Ein strategischer Umweg mit dem Ziel, die verborgenen Vorentscheidungen der europ~ischen Vemunft neu zu befragen und bis zu unserem Nicht-Gedachten zur/ickzugehen. Die Anfangsentscheidung soll also darin bestehen, durch einen Seitensprung Abstand zu schaffen, und dadurch eine Perspektivierung des Denkens zu erm6glichen. Ein solcher Umweg ist alles andere als exotisch, er ist methodisch" (Jullien 2002: 171). Der Umweg, der mit/ihnlichen Zielen wie den von Jullien genannten hier gegangen werden soll, ist der fiber die Form der Unterscheidung, von wo aus sich eine andere Perspektivierung des Denkens in der Genderforschung ergeben kann. Die Frage nach der Form der Unterscheidung fahrt in das (Grenz-)Gebiet yon Mathematik, Logik und Philosophie, um dort Unterscheidungen auf ihre Form hin zu befragen und einen einfachen und elementaren Grundbegriff zu gewinnen, yon dem her sich ein mathematischer Kalkiil aufbauen l~isst, der die formale Logik fundieren kann und der Philosophie neue begriffiiche M6glichkeiten er6ffnet. Dies leisten die ,,Laws of Form" yon George Spencer Brown (die in der deutschen Diskussion vor allem durch Niklas Luhmanns Rezeption etwas bekannter geworden sind). Solch theoretische Initiativen wirken in andere Gebiete und Wissenschaften und bringen neue methodische Zugangsweisen mit sich. Dadurch kann deutlich werden, welche strukturellen M6glichkeiten far die Bildung von bestimmten Unterscheidungen zur Auswahl stehen, welche davon allgemeiner und oftener sind, welche spezieller und festgelegter, welche zum Beispiel der Geschlechtemnterscheidung bestimmte Bahnen vorzeichnen und andere versperren. Erst die Besch/iftigung mit Form und Strukturen der Unterscheidung bringt die Erkenntnis des Rahmens mit sich, die die Arbeit an den
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konkreten Sachfragen in erheblichem Mage lenkt und steuert und die die Ebene ist, auf der am ehesten wirksame theoretische Imnovationen und Ver~indemngen stattfinden. Darin liegt das erste Ziel des Aufsatzes, ein P1/idoyer ftir eine Formbetrachtung in der Genderforschung zu formulieren, also einen theoretischen Umweg fiber die Form zu gehen. Dieses Potential der Form der Unterscheidung ftir die Soziologie als Wissenschaft hat vor allem Niklas Luhmann gesehen. Seine Interpretation der Form der Unterscheidung hat er in einem neuen soziologischen Ansatz zum Tragen gebracht und von dort her auch die ,,soziale Bewegung" der Frauen- und Geschlechterforschung und den Umgang mit ihrer Grundunterscheidung analysiert. Der Umweg, den Luhmann fiber die ,,Laws of Form" und Ans~itze aus anderen Wissenschaften gegangen ist, entfaltet in seiner Theorie der Gesellschaft groge Kraft und ist sicher ein wichtiges Beispiel dafiir, wie sehr sich Umwege zur Arbeit an Grundbegriffen lohnen. In Luhmanns Analyse der Geschlechterunterscheidung in dem Text Frauen, Miinner und George Spencer Brown von 1988 sind viele Entwicklungen innerhalb der Feministischen Bewegung und Forschung entweder nicht rezipiert oder noch nicht absehbar gewesen. In diesem Sinne ist der Text ,,alt". Nach wie vor neu und in seinem Potential unausgesch6pft ist jedoch, eine unterscheidungstheoretische Perspektive einzunehmen. Luhmann wendet seine unterscheidungstheoretische Auffassung, dass Unterscheidungen, um operationsf'~ihig zu sein, prinzipiell asymmetrisch verfasst sein mfissen, auf die Unterscheidung zwischen Frauen und M~innem an. Als grundlagentheoretische Referenz ftir diese These werden die ,,Laws of Form" von George Spencer Brown mit ausgew/ihlten Passagen fiber die ,,Form der Unterscheidung" angeftihrt. Wird aber die Frage nach der Form der Unterscheidung gestellt, dann mn sich weit mehr Subtilit/iten und M6glichkeiten auf, als Luhmann sie in seiner Analyse der Geschlechterunterscheidung und in anderen Analysen entwickelt hat. Es soll daher im Folgenden gezeigt werden, dass Luhmann mit seiner Rezeption der ,,Laws of Form" nicht wirklich bis zur Form der Unterscheidung vorgedrungen ist, sondem mit seiner Interpretation eine komplexere, dadurch aber weniger allgemeine und somit beschr~inkter anwendbare ,,Struktur der Unterscheidung" pr~isentiert und damit die Ebenen der Form und der Struktur konfundiert hat. Die Asymmetrie der Seiten einer Unterscheidung geh6rt nicht zur Form der Unterscheidung, sondem ist eine m6gliche, aus der Form entwickelbare Unterscheidungsstruktur neben anderen m6glichen. Demnach ist eine asymmetrische Unterscheidungsstruktur auch nicht notwendig die Struktur, innerhalb derer sich die Unterscheidung zwischen Frauen und M~innern zu organisieren hat. In der Kritik an Luhmanns Asymmetrie-These und dem Aufzeigen einiger Konsequenzen fiir die Geschlechtemnterscheidung liegt das zweite Ziel dieses Aufsatzes.
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Beide hier verfolgten Ziele geben dem Titel ,,Gendering George Spencer Brown?" verschiedene Bedeutung und 16sen das Fragezeichen am Ende anders auf. Ffir den ersten Teil, in dem das erste Ziel verfolgt wird, soll Gendering in einem schwachen Sinne nur so viel bedeuten wie den unterscheidungstheoretischen Ansatz Spencer Browns ftir die Genderforschung zu nutzen, um mehr Durchsichtigkeit und Beweglichkeit in der Verwendung von Unterscheidungen zu erm6glichen. In dieser Bedeumng wird die Frage ,,Gendering George Spencer Brown?" positiv beantwortet. Ffir den zweiten Teil, in dem das zweite Ziel verfolgt wird, bedeutet Gendering in einem st/irkeren Sinne die Fixierung yon Bewertungsasymmetrien durch die Verwendung bin/irer Geschlechtsstereotype. Die Verwendung der Unterscheidung zwischen Frauen und M/innem als Leitunterscheidung der ,,Frauenforschung" und ,,Frauenbewegung" zementiere nach Luhmanns Asymmetrie-These die Strukmr von Bewertungsasymmetrien. Die Konsequenz scheint zu sein, dass das Ziel der Frauenbewegung nur verwirklicht werden kann, wenn die Geschlechterunterscheidung nicht als Leimnterscheidung verwendet wird. Dieser These, dass man mit Spencer Browns ,,Laws of Form" die (Bewertungs-)Asymmetrie von Unterscheidungen und so auch der Geschlechterunterscheidung zeigen kann, wird widersprochen und somit die Frage ,,Gendering George Spencer Brown?" in diesem Bedeutungshorizont negativ beantwortet. 4
1. Form und Geschlechterunterscheidung. - konstruktiv
Gendering George Spencer
Brown
1.1 Der Umweg iiber die Form der Unterscheidung Vor allem zwei Anliegen der Genderforschung machen den Umweg fiber die Form der Unterscheidung sinnvoll. Zum einen gibt die Kritik an Dichotomien wie K6rper/Geist, Namr/Kultur, M/inner~rauen, die h/iufig mit hierarchischen Bewermngen einhergehen, Anlass, nach anderen Arten des Unterscheidungsgebrauchs zu fragen und dabei den Unterscheidungsgebrauch selbst zu thematisieren. Zum anderen Iegen die Selbstreflexion und Selbstkritik an UnterscheidunEin ganz anderer Sinn von Gendering George Spencer Brown wird in dem Buch von Sylvia Taraba ,,Das Spiel, das nur zu zweit geht. Die Seltsame Schleife von Sex und Logik. Eine Logologik der ,Gesetze der Form' von George Spencer Brown" vorgefiihrt, indem mit der ersten Unterscheidung als Unterscheidung zwischen Frau und Mann gespielt wird, um ,Logik und Sex zu paaren' und eine seltsame Schleife zu beschreiben, nach der Logik Sex erfordere und Sex Logik erzeuge; vgl. Taraba (2005).
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gen wie der zwischen sex und gender und den damit verbundenen Unterscheidungsmustern zwischen ,gegeben' und ,gemacht' oder ,fix' und ,variabel' nahe, nach einem Umgang mit Unterscheidungen zu suchen, der solche Muster nicht impliziert. Um die n6tige Distanz zu den kulmrell tradierten dichotomen Unterscheidungen und zu den kritisierten Unterscheidungsmustem zu gewinnen, ger~it der Begriff der Unterscheidung selbst in den Blick. Damit ist der Umweg von den konkreten Anliegen der Genderforschung zu der Arbeit an dem Grundbegriff der Unterscheidung schon beschritten, und es kommt darauf an, seine Reichweite zu ermessen. Die Fragen, die hier auftauchen, sind die, was Unterscheidungen eigentlich zu solchen macht, ob es also eine Form der Unterscheidung 5 gibt, o d e r - unterscheidungstheoretisch ausgedrfickt- was Unterscheidungen unterscheidet. Die Form der Unterscheidung als das zu beschreiben, was Unterscheidungen unterscheidet, wirkt merkwfirdig selbstreflexiv. Dadurch wird pointiert, was fiir die Form der Unterscheidung kennzeichnend ist: Deskription und Operation, Ergebnis und Prozess fallen zusammen. Denn das, was bestimmt oder beschrieben werden s o l l - Unterscheidung - ist gleichzeitig o p e r a t i v - es wird unterschieden. Der Grundbegriff Unterscheidung kann also nicht anders bestimmt und gekl~irt werden als durch Verwendung eben dieser Bestimmungsmomente. In diesem Sinne ist die Form der Unterscheidung die Unterscheidung der Unterscheidung. Die Form der Unterscheidung erschlieBt sich fiber einen theoretischen Weg des Verlernens. 6 Mit ,,Verlernen" ist gemeint, dass in der reflexiven Distanzierung von herk6mmlich gemachten Unterscheidungen die Aufmerksamkeit auf den Prozess des Unterscheidens selbst verschoben wird und somit Unterscheidungen nicht mehr quasi automatisch vollzogen werden. Dies Verlernen von bestimmten Unterscheidungen kann als Verfahren der Entleerung verstanden werden, eine Entleerung yon konkreten Inhalten yon Unterscheidungen so weit und so lange, bis der B lick von dem Was? zum Wie? kippt. Ist der Ausgangspunkt die Unterscheidung zwischen Frauen und Mfinnem- wie zumeist in der Genderforschung- gilt es in dem Verfahren der Entleerung von dieser Unterscheidung abzusehen und damit auch von allen Zuschreibungen zu Frauen und zu Miinnem, von den Meinungen fiber das Verhiilmis der Geschlechter, von dem dichten Gewebe von Mikropraktiken und institutionellen Rahmungen, die die Geschlechterunterscheidung wirksam m a c h e n - oder auch nicht, von den individuellen, kollektiven oder strukturellen Motiven, diese Unterscheidung explizit 5 6
Die folgende Skizze ist aus der Exegese der ,,Laws of Form" von George Spencer Brown hervorgegangen; vgl. dazu Sch6nw~lder/Wille/H61scher(2004). Vgl. dazu ausftihrlicher: Wille/H61scher(2004). Vgl. zu dem Anspruch SpencerBrowns (1994: xxv, xxvii). 19
oder implizit zu verwenden, z.B. im Falle politischen Engagements, gegen Ungleichheit anzutreten. Das Verfahren der Entleerung bezieht alle inhaltlichen Unterscheidungen ein, auch so grundlegende wie die zwischen ,,System und Umwelt" sowie auch formale Unterscheidungen zwischen verschiedenen Symboltypen wie z.B. solchen in der Aussagenlogik far S/itze wie ,,p", ,,q" und solchen far Verknfipfungsoperationen wie z.B. ,,A" far ,,und", ,,v" far ,,oder". Auch Raum und Zeit sollen nicht als bestehende Strukturen vorausgesetzt werden und Unterscheidungen wie oben/unten, innen/auBen oder vorher/nachher sind zu verlernen. Auf diesem Weg des Verlernens wird es m6glich, den Prozess des Unterscheidens selbst zu betrachten (oder mit der Form zu beginnen, die ,,erste" Unterscheidung zu treffen), ohne vorgegebene Unterscheidungen zu verwenden, die dem Prozess des Unterscheidens noch voraus liegen und ihn bedingen. Alles, was zu dem Prozess des Unterscheidens geh6rt, muss in ihm selbst auftauchen und in Abh/ingigkeit yon dem Prozess mit entstehen. Mit der Form bzw. der ersten Unterscheidung ist ein philosophischer Anspruch erhoben, der nicht dahin geht, ein ontologisch Erstes (wie klassisch einen ersten Anfang, eine erste Ursache) auszumachen, sondern mit einer vollst/indig relationalen Gedankenbewegung zu beginnen, die durch nichts als sich selbst determiniert ist. Daraus 1/isst sich eine methodologische Maxime ableiten, die unget'fihr so lauten k6nnte: Bei der Entwicklung des Prozesses der Unterscheidung darf auf nichts zuriickgegriffen werden, was auflerhalb des Prozesses der Unterscheidung liegt. Die Theorieebene der Form der Unterscheidung ist gekennzeichnet durch maximale Entleerung und maximale Verdichtung. Entleert, und das heiBt hier maximal einfach und rein formal, ist die Form der Unterscheidung, da eben von allen inhaltlichen Bestimmungen und strukturellen Komplexit/iten abgesehen worden ist. Die theoretische Kraft solcher Entleerung liegt darin, den Prozess, die (Gedanken-)Bewegung in seiner Relationalit/it durchblicken zu k6nnen: Nichts besteht aul3erhalb dieses Prozesses und ist damit ohne jede eigene Qualit/it und Bestimmtheit und in diesem S inne leer. In der Entleerung liegt aber gleichzeitig die Verdichtung. Denn durch jede inhaltliche Bestimmung und jede Bedeutungszuweisung wfirde die Form auf einen bestimmten Bereich bezogen, festgelegt und in ihrer Anwendung auf ganz andere Bereiche m6glicherweise verhindert. Durch die Entleerung ist der M6glichkeitsraum far die Bildung konkreter Strukturen maximal often, alle diese M6glichkeiten sind gewissermagen in der Form verdichtet, ohne pr/iformiert oder durch die Form determiniert zu sein. Die Dichte der Form der Unterscheidung erfallt sich erst in der Vielfalt der m6glichen konkreten Strukturen und Differenzierungen und damit ist die Form der Unterscheidung auf die Bildung von Strukturen, die Konkretisierung und Anwendung in bestimmten Situationen bezogen. Andersherum steigen die
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Strukturbildungen, Anwendungen und Konkretisierungen erst aus der Form der Unterscheidung auf und bleiben auf diese bezogen. Denn die (Bewegung der) Form garantiert den inneren Zusammenhang der Elemente einer Struktur, die innerhalb von Strukturen als selbst/indige Aspekte auseinander zu treten scheinen, ohne den konstitutiven Beziehungen zwischen ihnen den Vorrang zu geben. Die Multiplizit/it der Deutungen und Differenzierungen, die in der Form kondensiert sind, machen die Form der Unterscheidung zu einem Drehpunkt zwischen verschiedenen Kontexten. 7
1.2 Der Prozess des Unterscheidens Im Prozess des Unterscheidens werden Trennungen und Beziige gleichzeitig hergestellt. Es werden Seiten, Zust~inde, Bereiche voneinander geschieden, getrennt, voneinander abgeschlossen. Durch Abgrenzung entsteht gewissermal3en Raum fiir etwas Neues. Erst durch die theoretische und sprachliche Erzeugung von Unterschieden ergeben sich Freir~iume und Handlungsm6glichkeiten. Zum Beispiel wurde durch die sex/gender-Unterscheidung zuniichst ein Handlungsspielraum gewonnen, durch den gesellschaftliche Ungleichheiten und benachteiligende Geschlechter-Asymmetrien ausgesprochen und Veriinderungen eingeklagt werden konnten. Trotz oder gerade wegen der Abgeschlossenheit der unterschiedenen Bereiche gegeneinander hS.ngen die unterschiedenen Seiten zusammen und stehen in einer Beziehung aufeinander. Zum Beispiel wurden aus unterscheidungstheoretischer S icht in der Kritik Judith Butlers an der sex/gender-Unterscheidung die theoretischen Gefahren einer einseitigen Beton u n g d e r Trennung der beiden Seiten aufgezeigt, dagegen die Einsicht in die Bezogenheit der beiden Seiten thematisiert und in einigen Konsequenzen entfaltet (vgl. z.B. Butler 1991). Wird diese Gleichzeitigkeit yon Trennungen und Bezfigen im Prozess des Unterscheidens genauer betrachtet, so sind vier Punkte festzuhalten: a) Trennen/Beziehen: Beides, die Trennung und die Beziehung, entstehen in Abhiingigkeit voneinander. Keines hat Vorrang, weder einen zeitlichen Vorrang, also keines ist frfiher als das andere, noch einen logischen Vorrang, keines ist Voraussetzung fiir das andere in dem Sinne, dass das eine unabhgngig gegeZu den M6glichkeiten, die dieser Riickgang zur Form birgt, schreibt der Mathematiker und Spencer Brown Interpret Louis Kauffman: ,,Once we follow a structure back into what seems to be its essential simplicity, there is a new and wider view available, and this view compounded with what we already knew, leads to a new way to hold the entire matter and more possibility to move into even deeper simplicity. [...] By moving into simplicity, we make room for a world with even greater complexity" (Kauffman2000: 92). 21
ben sein muss, damit das andere m6glich ist. Vielmehr ist beides ffireinander Voraussetzung, die Trennung far die Beziehung und die Beziehung ftir die Trennung. Aber damit kommt der Ausdruck ,,Voraussetzung" an seine Grenzen, denn Voraussetzungen meinen meist eine Abh~ingigkeit in eine Richtung. Wenn etwas Voraussetzung ftir etwas anderes ist, dann ist das andere vonder Voraussetzung abh~ingig, nicht aber die Voraussetzung von dem, woftir sie Voraussetzung ist. Auch ist es nicht sinnvoll, einen der beiden Prozesse h6her zu bewerten als den anderen, keiner ist wichtiger als der andere. Ein solcher Mal3stab fiir das Mehr oder Weniger wichtig, der die Frage: wichtiger in Bezug auf was? beantworten mtisste, wiirde aul3erdem eine inhaltliche Unterscheidung einspielen, die ja gerade nicht auf die Ebene der Form geh6rt. Merkwiirdig dabei ist, dass Trennen und Beziehen gegenl/iufige Prozesse zu sein scheinen. Entweder sind zwei Dinge getrennt oder sie sind aufeinander bezogen. Aber genauer besehen stiftet Trennung selbst eine Art von Beziehung und Beziehung braucht einen gewissen Sinn von Trennung, durch den Verschiedenes entsteht, das in Beziehung zueinander stehen kann. b) Seiten der Unterscheidung: Der Prozess des Unterscheidens erweist sich als ein solcher, der aus zwei Prozessen konstituiert ist, die in gegenseitiger Abh/ingigkeit voneinander stehen und gegenl/iufig sind. Der Prozess des Unterscheidens ist also kein einfacher Prozess, sondern einer, dessen Eigentiimlichkeit darin besteht, ein (dynamisches) Geftige oder eine Form zu schaffen aus einem Doppelprozess (Trennen/Beziehen) und den beiden voneinander abgeschlossenen, abgegrenzten, getrennten und aufeinander bezogenen Bereichen, dies miissen mindestens zwei sein. c) Medium: Mit dieser Form von getrennten- bezogenen Seiten entsteht aber auch noch der Zusammenhang, in dem die abgeschlossenen Bereiche und ihre Beziehung aufeinander m6glich sind. Ftir den Doppelprozess des Trennens und Beziehens muss ein Medium oder ein Rahmen, Raum, Ort, Kontext, Horizont oder eine Situation mit entstehen, in denen die Bedingungen fiir diesen Doppelprozess geschaffen werden. Nicht in allen Medien (Rahmen, R~iumen, Orten, Kontexten, Horizonten, Situationen) k6nnen zwei Bereiche voneinander getrennt werden, so dass sie zu Verschiedenen werden. Zum Beispiel k6nnen innerhalb einer Weltanschauung, ~ r die ein starkes Konzept von ,,natiirlicher Bestimmung" konstitutiv ist, die beiden Seiten sex und gender kaum voneinander getrennt werden. Es ist/iul3erst schwierig, das Mitentstehen dieses Mediums (Rahmen, Raum, Ort, Kontext, Horizont, Situation) der Unterscheidung so zu beschreiben, dass dabei nicht immer wieder die Perspektive des Wie? oder der Form verloren zu gehen droht. Denn dieses Moment ist nichts, was der Unterscheidung der Bereiche vorausginge und was ffir sich selbst einen Bestand hat. Das Medium (Rahmen, Raum, Ort, Kontext, Horizont, Situation) der Unter-
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scheidung wird mit den anderen Momenten der Form hervorgebracht und liefert gleichzeitig die Bedingungen des Hervorgehens der Unterscheidung. Auch hier muss wieder die gegenseitige Abh/ingigkeit bedacht werden, sonst wird ein Moment als Vorausgesetztes, ffir sich Bestehendes yon dem Prozess des Unterscheidens unterschieden, und man verliert die Perspektive des Hervorgangs der Unterscheidung und die Frage nach dem Wie? wird wieder zur Frage nach dem Was?. Die andere Herausforderung bei der Beschreibung des Mediums als eines Moments der Form der Unterscheidung ist die, dass das Medium nicht einfach als ein dritter Bereich neben den beiden voneinander unterschiedenen Bereichen zu verstehen ist. Das Medium liefert gleichsam den Hintergrund, der sich der fokussierenden Aufmerksamkeit entzieht und unterhalb der Schwelle des Wahrnehmbaren bleibt, aber in dem Prozesse m6glich sind und sich vollziehen. Erst in der konkreten Unterscheidung wird das Medium gleichsam indirekt beschreibbar und wahrnehmbar. F/Jr sich selbst kann es in seiner Funktion als Medium nicht zum Gegenstand gemacht werden, da Unterscheidungen in ihm und nicht ihm gegeniiber stattfinden. Weil dies den Bedeutungsraum des Ausdrucks ,,Medium" besonders ausmacht, wird dieser den anderen Ausdriicken, die dies Moment der Form der Unterscheidung auch beschreiben k6nnen, wie Rahmen, Raum, Ort, Kontext, Horizont oder Situation, zun/ichst vorgezogen. d) Motiv: Unterscheidungen sind nicht einfach gegeben, sondem entstehen aus dem Prozess des Unterscheidens, dessen Komplexit/it sich in der Reflexion darauf zeigt. Ein Prozess ist eine Art Bewegung und dazu geh6rt etwas, das den Prozess in Bewegung bringt und h/ilt. Dieser Beweggrund, dieses Motiv daft auf der Ebene der Form, der Sicht des Wie? wiederum nicht als dem Prozess des Unterscheidens vorg/ingig von diesem unterschieden werden, sondern muss als dem Prozess des Unterscheidens intern verstanden werden. Um die Trennung der beiden Bereiche voneinander zu vollziehen und zu halten, ist es n6tig, irgendeine Wertverschiedenheit zwischen ihnen zu sehen. Diese Wertverschiedenheit ist keine Bewertungshierarchie, ein mehr oder weniger als, besser oder schlechter als, denn dadurch w/irden wieder externe Maf3st/ibe, also andere Unterscheidungen hinein getragen. Vielmehr kann dieses Sehen einer Wertverschiedenheit als Wozu? der Unterscheidung verstanden werden, in dem ihre Praxis, ihre Wirksamkeit liegt. Dieses Wozu? der Unterscheidung entsteht mit der Unterscheidung, mit dem Unterschiedensein der Seiten voneinander und in dem Unterschiedensein der Seiten wird deren Wozu?, deren Wirksamkeit deutlich. Das Motiv ist also nicht wie eine/iugerliche Absicht, ein der Unterscheidung vorausgehender Plan zu verstehen. Die Wirksamkeit, das Wozu?, der Wert, zeigt sich im Prozess des Treffens einer Unterscheidung.
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Dies ist einerseits eine l]bung im relationalen Denken und in der Beziehungsform gegenseitiger Abh/ingigkeit. Andererseits liegt darin auch eine Alltagsplausibilitfit, denn wie oft kann man erleben, wie Absichten, P1/ine, die man sich vornimmt, nicht in Handlungen umgesetzt werden. Die Augerlichkeit der Absichten ist h/iufig geradezu sptirbar und man f'~illt in die L/icke zwischen Absicht und Handlung mitten hinein. In solchen Situationen wird der Unterschied zwischen zwei ,Intentionstypen', der/iul3erlichen Absicht, die nicht intern mit der Handlung verbunden ist und dem, was hier Motiv (das, was bewegt) genannt sein soll und was intern mit der Handlung bzw. der Unterscheidung verbunden ist, offenbar. 8 Damit ergibt sich bei diesem Moment des Prozesses der Unterscheidung eine ~ihnliche Schwierigkeit wie bei dem Moment des Mediums: Das Motiv ist fast nie aus Absichtserkl~irungen zu entnehmen, sondern erschliegt sich aus der Unterscheidung selbst und dem sie stfitzenden Netz von anderen Unterscheidungen. Die beiden Momente, Medium und Motiv (das, was bewegt), sind sehr eng miteinander verbunden. Entscheidend ftir den komplexen Prozess des Unterscheidens ist dessen konsequente Relationalit/it, die gegenseitige AbhS~gigkeit der Momente des Prozesses der Unterscheidung, also der Seiten, der Art der Trennung, die gleichzeitig die Beziehung stiftet, des Mediums und des Motivs. Um Unterscheidungen zu bilden, die in praktischen und theoretischen Kontexten verwendet und mit anderen Unterscheidungen in Beziehung gesetzt werden k6nnen, ist es n6tig, auf Momente des Unterscheidungsprozesses hinzuweisen, sie zu bezeichnen bzw. mit Namen zu versehen. Durch die Bezeichnung der Seiten der Unterscheidung treten diese hervor, die anderen Momente, die zum Prozess des Unterscheidens geh6ren, treten zur/ick und es liegt die Aufmerksamkeit auf den Seiten. Dadurch wird die relationale Form der Unterscheidung in die Konkretion gebracht, um aus ihr heraus die F/ille von Differenzierungen entstehen zu lassen, also verschiedene Formen (im Plural) aus der Form (im Singular, also der relationalen Gedankenbewegung) zu entwickeln, die dort als m6gliche Erscheinungsweisen kondensiert und verdichtet sind. In diesem Differenzierungsprozess spielen die Namensgebungen eine besondere Rolle, deren Funktion vor allem darin besteht, ein Moment aus der gegenseitigen Abh~ingigkeit von den anderen Momenten zu 16sen und damit die M6glichkeit des F/ir-Sich-SelbstVergleiche die Unterscheidung Wittgensteins zwischen dem Willen als internes Moment der Handlung selbst und dem Wunsch als empirisches Phfinomen, das der Handlung zeitlich vorangehen kann und vom Willen logisch unabNingig ist. Z.B. in den Tagebiichern, Eintrag vom 4.11.1916: ,,Wfinschenist nicht tun. Aber, Wollen ist tun... Dass ich einen Vorgang will, besteht darin, dass ich den Vorgang mache, nicht darin, dass ich etwas Anderes tue, was den Vorgang verursacht" (Wittgenstein 1984:183). 24
Stehens zu schaffen, also aus einem Moment ein Element zu machen. Durch die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die Seiten der Unterscheidung und die Betonung der Trennung der Seiten voneinander entstehen Unterschiede.
1.3 Situationen in der Form
Die Internalit/it der beiden Momente Medium und Motiv im Vollzug des Unterscheidens machen diese beiden Momente schwer greifbar und fiihren in den Beschreibungsversuchen zur Vervielf/iltigung von Ausdriicken, die zusammengenommen eine Ann/iherung an diese Momente erm6glichen. Ein Ausdruck, der das Zusammenspiel der beiden Momente verdeutlichen kann und eigene Akzente setzt, ist der der ,,Situation". Die Rede von ,,Situationen" hat in der Genderforschung zum Beispiel durch Donna Haraways ,,situiertes Wissen" (Haraway 1995: 80) einen festen Platz. Dabei wird meist der Gegensatz zwischen konkreter Situation und abstrakter Struktur aufgerufen. Welche Seite dieses Gegensatzes pr/iferiert wird, h/ingt vonder theoretischen Orientierung ab. In der feministischen Diskussion wird h/iufig gegen die Seite der abstrakten Struktur polemisiert. Luhmann spricht in seinem Text Frauen, Miinner und George Spencer Brown dagegen vom ,,Chaos der Situationen" - Situation hier als Inbegriff von Beliebigkeit und Nichtsystematizit/it verstanden. ,,Situation" geh6rt also zu den Begriffen, die theoretische Kontroversen provozieren k6nnen, dabei ist es aber wichtig, sich zwischendurch immer wieder dariiber zu verst/indigen, was d a m i t - in welcher theoretischen Situation- jeweils gemeint sein soll. Die philosophisch-ph/inomenologische Verwendung des Ausdrucks ,,Situation" kann dazu beitragen, den beiden Momenten Medium und Motiv der Form der Unterscheidung eine ihnen angemessene vage Sch/irfe zu geben. ,,Immer in Situationen zu stehen" geh6rt ftir die ph/inomenologischen Beschreibungen unaufl6slich zum Menschen und ist Konstitutionsbedingung von Selbstbewusstsein. Der Mensch, sein Ich, sein Selbst sind nicht isolierbar aus den Situationen, in denen er steht, ohne dass sich Mensch, Ich oder Selbst aufl6sen. Das ,,Immer in Situationen Stehen" steht also fiir die nicht reduzierbare Bezogenheit und Einbettung jedes Einzelnen in ,,seine" Situation(en). In der situativen Bezogenheit des Menschen bilden sich erst weitere Unterscheidungen heraus, wie zum Beispiel die zwischen einer empfundenen wie mentalen Innenwelt und einer externen Augenwelt. Dabei interessiert, wie diese hochgradige Konstruktion von innen und auJ3en in menschlichen Grundsituationen hervorgeht, modelliert wird und ineinander verschwimmt. Der Mensch steht in Situationen, bzw. in ineinander geschichteten Situationen und nicht ihnen gegeniiber. Situationen sind zeitlich (geschichtlich) und r/iumlich verfasst, haben keine
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festen Grenzen und sind in Ausschnitten erfahrbar. Sie liefern Rahmenbedingungen far die Gestalmngsspielr/iume und Gestalmngsnotwendigkeiten des Menschen. Simationen liegen deshalb unterhalb der Schwelle der Vergegenst~indlichung; es ist nicht m6glich, gegenst/indliches Wissen von ihnen zu haben. Genau wie es in den ph~inomenologischen Situationsbeschreibungen mit aller Deutlichkeit betont wird, entzieht sich auch das Medium als der Raum, in dem Unterscheidungen getroffen oder auch nicht getroffen werden k6nnen, notorisch der Vergegenstfindlichung, der M6glichkeit, darauf hinzuweisen und es mit einem Namen zu versehen. Die beiden Formulierungen Spencer Browns, ,,durchdringender Raum" (pervasive space) und ,,ungeschriebenes cross" (unwritten cross) haben die angemessene vage ScMrfe, das Moment des Mediums in seiner Pr~isenz als ,,durchdringend" und in seiner Absenz als ,,ungeschrieben" zu erinnern (vgl. Spencer Brown 1994: 7). Charakteristisch far die Verwendung des Ausdrucks Situation ist die Betonungder Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit von Simationen. Diese Bedeumngsschicht der S ingularit/it und Individualitfit muss aber im Zusam_menhang mit dem Gedanken der Implikationen von Simationen ineinander dargestellt werden, wie ,,Innensimationen" in ,,Umfassungssimationen" enthalten und S ituationen auf Situationen bezogen sind (vgl. zum Beispiel Rombach 1987: 152ff.). Dabei werden Grundsituationen des Menschen herauskristallisiert (wie Ungesichertheit, Orientiemngsbedtirftigkeit), die dann immer in individuellen, das heiBt einmaligen und unwiederholbaren Situationen erfahren und gelebt werden. Denn nur, wenn der Mensch von solchen Grundsituationen konkret betroffen ist, von ihnen angegangen wird oder ihren Aufforderungscharakter ,,empfindet" (vgl. zum Beispiel Rombach 1987: 154ff.), wird eine Situation zu ,,seiner" individuell gelebten Situation. Dadurch wird deutlich, dass Situationen nicht ~iugerliche Gegebenheiten sind, sondern in konkreten Vollziigen erst geschaffen werden. Nur wenn dieses Implikationsverhiiltnis von Grundsituationen (als strukturelle Situationstypen) und individuellen, konkreten Situationen tibersehen wird, k6nnen sich theoretische Fronten aufbauen. Denn mit dem philosophischen Situationsbegriff wird versucht, das Problem des Auseinanderfallens von Einzelnem, Individuellem auf der einen Seite und Allgemeinem, Strukturellem auf der anderen Seite durch die Anlage der S imations-Begrifflichkeit zu unterlaufen. Mit dem, was zum Beispiel der Ph/inomenologe Heinrich Rombach den ,,Angang", die ,,Betroffenheit" oder den ,,Aufforderungscharakter" der Situation nennt (Rombach 1987: 154ff.), kann das Zusammenspiel zwischen dem Medium als der Situation, in der eine Unterscheidung stattfindet und dem Motiv, mit dem eine Unterscheidung getroffen wird, erhellen. Das, was angeht, betrifft, auffor-
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d e r t - die Situation also - und der, der seine Situation erschafft, bilden einen Wirkzusammenhang. Es ist also nicht so, dass die Situation ein zuf'~illiges Geschehen ist, nach dem sich der Mensch zu richten hat, sondem dieser Aufforderungscharakter der Situation muss gewissermagen geh6rt, angenommen, beantwortet werden, so erst entsteht eine Situation. Unterscheidungstheoretisch formuliert heil3t das: Das, was bewegt, eine Unterscheidung zu treffen (das Motiv) und das Treffen einer Unterscheidung bilden einen Wirkzusammenhang. Wie bei der Situation gilt, dass das Motiv kein objektiver Anlass und auch kein unabh/ingig v o n d e r Unterscheidung gefasster Entschluss ist, sondern erst in dem Treffen der Unterscheidung als Motiv entsteht. Jedes Moment wird zu dem, was es ist, abh/ingig von den anderen Momenten im konkreten Vollzug. Diese strukturelle .XAmlichkeit erlaubt es, ,,Situation" und ,,Motiv der Unterscheidung" durcheinander zu erhellen. Die St/irke des Situationsbegriffes liegt darin, die Ebene des Strukturellen mit der Ebene der konkreten Vollzfige zu verschr/inken. Durch die Situation aktualisieren sich Strukturen und erschaffen dadurch auch erst ihre Situationen. 9 Fiir die unterscheidungstheoretische Betrachtung der vielf~iltigen Struktur e n d e r Geschlechterunterscheidung ist die Engffihrung von Motiv und Situation hilfreich. Denn da in den gesellschaftlichen Funktionszusammenh~ngen die Struktur der Geschlechterunterscheidung immer weniger oder gar nicht mehr vorgeschrieben wird, ist auch in den Interaktionen ein breiter Spielraum fiir verschiedenartige Unterscheidungsspiele entstanden. Es besteht immer mehr die M6glichkeit, auf eine Situation, in der eine Frau zum Beispiel mit einem Unterscheidungsspiel der Geschlechterhierarchie ,,angegangen" wird, mit eben dieser Struktur zu antworten (oder eben auch nicht), dadurch die Situation nicht anzunehmen und durch eine andere Unterscheidungsstruktur eine neue Situation zu schaffen. Die Chance der Gegenwart besteht also darin, mit verschiedenen Unterscheidungsstrukturen der Geschlechterunterscheidung zu experimentieren, indem gleichzeitig auf Situationen geantwortet wird und Situationen erschaffen werden.
1.4 Die Geschlechterunterscheidung und die Form der Unterscheidung Die Geschlechterunterscheidung von der Ebene der Form her zu betrachten, birgt die Chance, den Verlernprozess auch in Bezug auf diese Unterscheidung Im konkreten Vollzug von gleichzeitig gegebenen und geschaffenen Situationen liegt meines Erachtens der theoretische Ort far den Beobachter (observer), der in der Komposition der ,,Laws of Form" bewusst nicht am Anfang steht, sondem eben erst als Wiedereintritt (Betrachmng, Darstellung) in die Form der Unterscheidung hervorgeht; vgl. das 12. Kapitel der ,,Laws of Form" von George Spencer Brown (1994). 27
zu nutzen und hinter alle konkreten Bestimmungen, Regeln, Qualifiziemngen, Unterscheidungen bestimmter Art, Werte, Normen, Verbote sowie selbstverst/indliche Voraussetzungen zurfickzugehen bis zu dem einfachen Gedanken einer Unterscheidung zwischen Zust/inden. Von dort aus kann das Tun erinnert und zugleich reflektiert werden, was n6tig ist, um eine Unterscheidung wie die zwischen Frauen und Mgnnem aufzubauen. Auf diesem Weg des Aufbaus werden verschiedene Scheidewege sichtbar, anhand derer sich jeweils verschiedene Strukturen ausbilden. Also k6nnen aus der immer wieder neuen Besch/ifiigung mit der Ebene der Form neue Ideen ffir die Strukturbildung und vor allem Argumente gegen vorschnelle Festlegungen vermeintlich notwendiger Unterscheidungsstrukturen gewonnen werden. 1~Die Einbeziehung der Ebene der Form der Unterscheidung in die Geschlechterforschung hat eine verfremdende, eine analytische, eine kritische und eine selbstreflexive Dimension. Dies soll im Folgenden n/iher ausgeffihrt werden. a) Verfremdend: Die theoretische Aufmerksamkeit von den inhaltlichen Unterscheidungen auf den Unterscheidungsprozess als solchen zu verschieben, bewirkt eine Verfremdung der inhaltlichen Unterscheidungen, wie der Geschlechterunterscheidung oder der Unterscheidung zwischen sex und gender. Diese Unterscheidungen verlieren auf dem (Um)Weg zur Form der Unterscheidung ihre Selbstverst/indlichkeit, werden fremd, merkwiirdig, unwahrscheinlich. Die Kunst der Verfremdung liefert ftir viele Wissenschaften, insbesondere ftir die Philosophie und die Soziologie immer wieder zentrale Erkenntnisimpulse. Der Weg weg von den inhaltlichen Bestimmungen der Geschlechtemnterscheidung hin zu den Fragen nach den Bedingungen ihres Auftauchens und ihrer Funktionsweise 11 ist ein zentraler Schritt, um unser Alltagswissen fiber die Geschlechterunterscheidung zu verfremden. Verschiedene Spielarten dieser Kunst der Verfremdung zeigen sich zum Beispiel in soziologischen Analysen, in denen die Geschlechterunterscheidung als Unterscheidung erstaunlich wird, wie der klassisch gewordenen von Erving Goffman zur geschlechtlichen ,,Zuordnungspraxis" von Babies ,,durch das Ansehen des nackten Kinderk6rpers, insbesondere der sichtlich dimorphen Genitalien [...], die derjenigen/ihnelt, die bei Haustieren vorgenommen wird" (Goffman 2001:107). Oder auch durch Gedankenexperimente, wie z.B. das von Judith Lorber von einer Welt ohne die Kategorien Frauen und M/inner (Lorber 1999: 401ff.), kann die soziale Organisation der gegenw/irtigen Gesellschaft befremdlich wirken. Fremdheit erzeugend wirken natiirlich auch ethnologische Forschungen, die von g/inzlich anderen Umgangsweisen mit ,Geschlecht' berichten, wenn ,Geschlecht' zum Beispiel weni10 Dieswird im zweiten Teil in Bezug auf Luhmanns Formbegriffuns eine Ableitungen ftir die Geschlechterunterscheidung vorgeffihrt. 11 Ffirdie Soziologieso beschriebenz.B. bei Degele (2003:17). 28
ger zentral mittels des K6rpers gegeben, sondern durch bestimmte T/itigkeiten erworben wird. 12Die Distanzierung vonder Geschlechterunterscheidung, z.B. in dem Text von Goffman und die Aufl6sung der Geschlechterunterscheidung als soziale Kategorie, z.B. in dem Text von Lorber k6nnen als wichtige Verfremdungsschritte auf dem Weg der Entleerung von allen inhaltlichen Bestimmungen bis zum relationalen Prozess des Unterscheidens als solchem verstanden werden. b) Analytisch: Der Weg der Entleerung fiihrt zu verschiedenen Momenten des Prozesses des Unterscheidens als solchem, den Seiten der Unterscheidung (1), der Gleichzeitigkeit von Trennung und Beziehung der Seiten (2), dem Medium der Unterscheidung (3), dem Motiv der Unterscheidung (4). Diese vier Momente entstehen in wechselseitiger Abh/ingigkeit voneinander. ,,Was" dann die Seiten der Unterscheidung ,,sind", ergibt sich aus der Art, wie sie (in welchem Medium und aus welchem Motiv) voneinander abgegrenzt werden und aus der Art, wie sie (in welchem Medium und aus welchem Motiv) aufeinander bezogen werden. Die Seiten der Unterscheidung sind Ergebnis dieser doppelten Relationsbestimmung. Die Momente Medium und Motiv der Unterscheidung in den Blick zu bringen, ist schwierig und nur begrenzt m6glich, denn beide Momente entziehen sich der (vollst~indigen) Vergegenst/indlichung. Um dem Medium der Unterscheidung dennoch auf die Spur zu kommen, sind Fragen folgender Art hilfreich: Wie muss der (mediale) Raum beschaffen sein, in dem die Unterscheidung zur Erscheinung kommen kann? Und das heil3t genauer: Wie muss der (mediale) Raum beschaffen sein, in dem die unterschiedenen Seiten voneinander abgegrenzt und aufeinander bezogen werden k6nnen? Es liegt nahe, dass bei den Medien der Geschlechterunterscheidungen eher Moral und Wertsysteme, Interaktionssysteme (innerhalb derer die Geschlechterunterscheidung nach wie vor aul3erordentlich wirksam ist und ordnungsstiftende Aufgaben ert~Jllt) oder Funktionssysteme der Gesellschaft (innerhalb derer die Geschlechterunterscheidung an Bedeutung verloren hat) 13 relevant sind und nicht so sehr ,,klassische" Kandidaten fiir Medien wie Licht, Luft, Raum oder Zeit. Auch ffir das Motiv der Unterscheidung besteht die Schwierigkeit, dies der Unterscheidung interne Moment im Blick zu halten. Hierfiir k6nnen Fragen 12
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Dazu z.B. Tietz (2001) oder eine Zusammenstellung verschiedener kultureller Praktiken und Deutungen in der ,,Encyclopedia of Sex and Gender. Men and Women in the World's Cultures". Wie diese beiden Seiten zusammenpassen, die Indifferenz der gesellschafllichen Funktionssysteme gegenfiber der Geschlechterunterscheidung auf der einen Seite und die Wirksamkeit der Geschlechterunterscheidung in Interaktionssystemen auf der anderen Seite, reflektiert z.B. Armin Nassehi aus systemtheoretischer Perspektive; vgl. Nassehi (2003).
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hilfreich sein wie: Wozu wird eine Unterscheidung gemacht und gebraucht? 14 Fiir welches Problem ist die Unterscheidung eine L6sung? Was far Wirkungen sollen mit der Unterscheidung erzielt werden? Welcher Wert wird der Unterscheidung beigemessen? Was erlaubt die Unterscheidung zu sehen? Was far Handlungen erlaubt sie? Werden diese Momente im konkreten Umgang mit Unterschieden wie dem zwischen Frauen und M~innern oder sex und gender berficksichtigt, dann weitet sich die theoretische Aufmerksamkeit von den Unterschieden, also nur den Seiten der Unterscheidung, far die weiteren Momente, die zum Prozess eines jeden Unterscheidens geh6ren. Dadurch wird es m6glich, verschiedene Unterscheidungsstrukturen zu analysieren und einen Uberblick fiber das breite Spektrum von M6glichkeiten zu gewinnen. 15 Eine traditionelle, wiewohl in der Lebenswelt parallel oder gegenstrebig zu anderen Unterscheidungsstrukturen immer noch wirksame Struktur ist z.B. die, zwei Seiten, die der Frauen und die der Mfinner zu unterscheiden und die M6glichkeit von mehr als zwei Seiten durch die Art der Trennung und Beziehung der beiden Seiten zu tabuisieren oder zu abnormalisieren. Die Trennung der beiden Seiten wird durch die Zuschreibung verschiedener Wesenszfige vorgenommen und die beiden Seiten werden in eine einfache hierarchische Beziehung gesetzt. Zu dem Medium, das in einer solchen asymmetrischen Unterscheidungsstruktur sichtbar wird, ohne als Medium der Unterscheidung vollst~indig vergegenst~indlicht werden zu k6nnen, kann ein Naturbegriff geh6ren, durch den ,,Natur" als etwas jeder Gestaltung Enthobenes erscheint. Zu dem internen Motiv einer solchen Unterscheidungsstruktur z/ihlt z.B. die Zuweisung gesellschaftlicher Rangordnungen. Werden Medium und Motiv der Unterscheidung einer kritischen Reflexion unterzogen und dadurch thematisiert, entsteht eine neue Unterscheidungsstruktur, die ihr Medium und ihr Motiv im kritischen Vollzug mit entstehen l~isst. c) Kritisch: Die kritische Dimension der Form der Unterscheidung liegt vor allem in deren Relationalit~it, die das zentrale Ergebnis des Prozesses der Entleerung ist. Jedes der Momente der Unterscheidung entsteht in Abh/ingigkeit von den anderen. Diese Relationalit/it der Momente sollte nicht nur far die Auffindung der Form der Unterscheidung (vgl. Abschnitt 1.2), sondern auch far die Analyse und Kritik von Unterscheidungen sowie den Umgang mit Unterschieden methodologische Maxime sein: Keines der Momente der Unterscheidung ist per se Voraussetzung far die anderen oder unabh/ingig von den anderen Momenten. Dies ger~t durch die Bezeichnung der Seiten in unserer sprachlichen Praxis der Namensgebung leicht aus dem Blick. Werden Seiten der Unterschei14 Z.B. Judith Lorber gibt auf diese Frage eine klare Antwort: Die raison d'dtre der heutigen sozialen Institutiongender ist gender-Ungleichheit, vgl. Lorber(1999: 402). 15 Vgl.einen 13berblickfiberdie Verschiedenheitder Strukturbildungen in Wille (2007). 30
dung mit Namen versehen, wie ,,Frauen" und ,,M/inner" oder ,,sex" und ,gender", geschieht es h/iufig, dass die Seiten aus dem Bedingungs- und Entstehungsgeffige der Form der Unterscheidung gel6st und so behandelt werden, als seien sie unabh/ingig von ihrem Trennen/Beziehen, ihrem Medium und dem Motiv vorhanden. 16Der vielfach erhobene Vorwurf der Reifizierung, Essentialisierung und Naturalisierung der Zweigeschlechtlichkeit durch die Frauen/M/inner-Unterscheidung oder des biologischen Geschlechtes durch die sex/gender-Unterscheidung (vgl. Butler 1991, 1997; Hagemann-White 1984, 1988; Gildemeister/Wetterer 1992) richtet sich aus unterscheidungstheoretischer Sicht genau gegen die Fixierung eines Momentes aus der relationalen Gesamtfigur der Form der Unterscheidung. Eine Verwendung von Bezeichnungen und Namen der Seiten der Unterscheidung, die der Relationalit/it der Form der Unterscheidung Rechnung tr/igt, betont nicht so sehr die repr/isentative Funktion von Namen, sondern die performative, durch die die Seiten der Unterscheidung erst entstehen, indem sie aus dem Geftige der Form der Unterscheidung herausgehoben werden. Interessant wird dann dieser Prozess des Entstehens, der die Beziehung auf die anderen Momente der Form der Unterscheidung pr/isent h/ilt. Die kritische Dimension der Form der Unterscheidung legt nahe, diese Abh/ingigkeit der Momente der Unterscheidung voneinander immer wieder neu ins Spiel zu bringen. Dadurch werden isolierte Elemente zu Momenten der Form der Unterscheidung ,verflfissigt'. Da die Seiten der Unterscheidung ja nur sind, was sie sind in Abh/ingigkeit v o n d e r Art, wie ihre Trennung voneinander und ihre Beziehung aufeinander bestimmt werden (im geeigneten Medium und mit internem Motiv), wird jeder Unterscheidungsgebrauch einer kritischen Nachfrage unterzogen, der diesen Zusammenhang nicht transparent h/ilt und der keine Auskunft geben kann fiber die Bestimmung von Trennung und Beziehung und ihren Zusammenhang. Dichotomien zum Beispiel sind Unterscheidungen, bei denen die Art der Trennung so bestimmt werden muss, dass nicht mehr als zwei Seiten und keine l)berg/inge zwischen den beiden Seiten m6glich sind. Die Bezogenheit der Seiten aufeinander, die auch und gerade in der Betonung ihrer Getrenntheit zu der ,Grammatik' von Unterscheidungen geh6rt, wird dabei meist ausgeblendet. Bei einem dichotomen Unterscheidungsgebrauch muss in einer kritischen Reflexion sehr genau nach den internen Motiven und der Angemessenheit der Medien gefragt werden wie nach dem Moment der Beziehung, durch d a s - wieder von seiner ,Grammatik' h e r - Hin- und Herbewegungen zwischen den Seiten, also Oszillationen
16 Dies ist kein Charakteristikum von Sprachen schlechthin, sondern ist in anderen Sprachen anders, z.B. im Altchinesischen, vgl. dazu Elberfeld (2003). 31
m6glich sind und dadurch prinzipiell den Raum er6ffnen fiir Hybridbildungen oder ftir dritte oder mehr M6glichkeiten. d) Selbstreflexiv: Aus der kritischen Dimension, die Kritikm6glichkeiten an traditionellen und gegenw/irtigen Unterscheidungen bereitstellt, ergibt sich auch die selbstreflexive Dimension, durch die die Verwendung von Unterscheidungen innerhalb der eigenen Theoriebildung reflektiert werden kann. Die eigenen Unterscheidungen k6nnen zum einen auf ihre Momente hin befragt werden und zum anderen ist zu prfifen, ob im Umgang mit der Unterscheidung auch die gegenseitige Abh~ingigkeit, also die Relationalitfit der Momente transparent gehalten wird. Geschieht dies nicht, werden Unterscheidungen, wie die sex/gender-Unterscheidung gezeigt hat, kontraproduktiv. Jedes Hervorheben von einem der Momente, wie z.B. der Seiten der Unterscheidung, ist ein Prozess der theoretischen Aufmerksamkeit, die dadurch von anderen Momenten abgewendet wird. Dies ist im Gebrauch immer wieder n6tig, muss aber als Prozess der Aufmerksarnkeitsfokussierung erinnert werden.
2. Form und asymmetrische Struktur. Gendering George Spencer Brown kritisch Die Polemik yon Luhmanns Aufsatz Frauen, Miinner und George Spencer Brown hat in der Vermutung ihren Grund, dass die ,,Logik" von Unterscheidun-
gen (auch der zwischen Frauen und M~innem) diesen eine bestimmte Konsequenz und Wirksamkeit vorgebe und die Unterscheidung von Frauen und M~nnern von der ,,Frauenbewegung" und ,,Frauenforschung" einerseits weiter verwendet, andererseits die Konsequenzen derselben beklagt wfirden. Denn wenn die Asymmetrie der Seiten einer Unterscheidung zur ,,Logik" von Unterscheidungen selbst geh6rt, die durch die Verwendung der Unterscheidung produzierten Asymmetrien dann vonder ,,Frauenforschung" beschrieben, beklagt und zu ~indem eingefordert w e r d e n - und dabei die Unterscheidung selbst auf ihren Anteil bei der Produktion der Zust~inde nicht hin befragt w i r d - dann scheint das Problem der Geschlechterungerechtigkeit, wenn nicht selbst produziert, so doch stabilisiert und das Nachdenken darfiber tragisch unterkomplex. Alle Aktivit~iten k6nnen dann lediglich als Aktionismus gewertet werden, der nur dem ,,Chaos der Situationen" gehorcht. Situationen und Logik geraten in dieser Perspektive in eine scharfe Kontraposition. Ffir das Fundament seines differentialistischen Ansatzes und die Reflexion auf die ,,Logik" von Unterscheidungen w~ihlt Luhmann die ,,Laws of Form" von George Spencer Brown und arbeitet im Anschluss daran vielf'~iltig mit dem Ausdruck ,,Form der Unterscheidung". Nach den Ausffihrungen im ersten Teil des
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vorliegenden Textes geh6ren zur Ebene der Form der Unterscheidung die vier Momente und ihr relationales Verh/iltnis. Mit jeder nS~eren Bestimmung von einem der Momente wird die Ebene der Form verlassen und eine m6gliche Unterscheidungsstruktur entwickelt. Die vielen verschiedenen Arten und Weisen, die Unterscheidung zwischen Frauen und M/innem oder die Unterscheidung zwischen sex und gender zu gebrauchen, sind als (ziemlich konkrete) Unterscheidungsstrukmren analysierbar. Aber auch eine vergleichsweise viel abstraktere Beschreibung des Verh/ilmisses der (beiden) Seiten der Unterscheidung als asymmetrisches, geh6rt schon nicht mehr auf die Ebene der Form, sondem auf die der variierbaren Unterscheidungsstrukturen. Luhmann scheint also mit seiner Rede von der asymmetrischen ,,Logik" von Unterscheidungen den ffir die Form der Unterscheidung notwendigen Entleerungsprozess nicht in aller Konsequenz, n~mlich bis zur Grenze zwischen Form und Leere, mitverfolgt zu haben. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass und inwiefem Luhmann die Ebenen der Form der Unterscheidung und die der Unterscheidungsstrukturen konfundiert hat. 17
2.1 Was mit der Asymmetrie-These gemeint sein k6nnte
Zun/ichst sei Luhmanns Interpretation der Form der Unterscheidung auf ihre interpretatorischen Richtungsentscheidungen hin kritisch befragt, um die Interpretation aIs Interpretation hinter dem Anspmch sichtbar werden zu lassen, die Form der Unterscheidung sei die eine singularische ,,Logik" von Unterscheidungen, die den Umgang mit konkreten Unterscheidungen steuert. An die grundlegenden Thesen Luhmanns fiber das Verh/ilmis von Unterscheiden und Bezeichnen, die in dem Text fiber die Geschlechterunterscheidung Frauen, Miinner und George Spencer Brown und an vielen anderen Stellen sehr knapp und dadurch gewissermagen in einem hohen Tempo vorgestellt werden, und an das von ihm entwickelte Interpretationsvokabular werden Fragen gerichtet mit dem Ziel, die dahinter stehenden Entscheidungen und nicht gew/ihlten Altemativen wieder auftauchen zu lassen. Der Fokus liegt auf den allerersten und 17
Eine Merkwiirdigkeit in den systemtheoretischen Diskussionen besteht darin, dass die Luhmannsche Darstellung der Spencer Brownschen Form der Unterscheidung mit zu den unbefragten Ausgangspunkten geh6rt, die laufend wiederholt und verwendet werden. Deshalb scheint es mir geboten, einen Diskussionsstrang zu er6ffnen, der diesen Ausgangspunkt philosophisch reflektiert. Dies scheint aber nicht nur eine Systemtheorie-externe begriffiiche Forderung, sondern auch eine Systemtheorie-interne, wenn es z.B. in den transkribierten Vorlesungen von 1993 Einj~hrung in die Systemtheorie heigt, dass aus dem sehr allgemeinen Formbegriff eine sehr allgemeine Theorie entwickelt werden k6nnte, die auch fiber die Systemtheorie noch einmal hinausgehen wiirde, vgl. Luhmann (2004: 76).
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grundlegenden Intel~retationsentscheidungen, die die Konsequenz der asymmetrischen Struktur von Unterscheidungen verst~indlich machen. Andere Punkte, die sich anschliegen, wie die (paradoxe) Zusammengeh6rigkeit von Unterscheiden und Bezeichnen, das ,,Re-entry" k6nnen in diesem Rahmen nur angedeutet werden. Theoretischer Ausgangspunkt sind ffir Luhmann ganz allgemein Unterscheidungen, seinen Ansatz nennt er selbst differentialistisch. Denen eignet eine bestimmte (aus der Lektfire der ,,Laws of Form" gewonnene) ,,Logik", die mit der Verh/ilmisbestimmung von Unterscheiden und Bezeichnen einsetzt, welche ungef'ghr so zusammengefasst werden kann: Gegenstand der Analyse von Unterscheidungen ist zun/ichst die Operation des Unterscheidens, also das Vollziehen oder Gebrauchen einer Unterscheidung (1). Dabei werden zwei Seiten durch eine Grenze getrennt und gleichzeitig durch sie gegeben (2). Bei diesem Vollziehen oder Gebrauchen einer Unterscheidung sind zwei verschiedene Funktionen zusammengefasst, n/imlich zum einen das Unterscheiden von zwei Seiten und zum anderen das Bezeichnen von einer der beiden Seiten. Dadurch ist die Form der Unterscheidung immer eine Zweiseitenform (3). Die andere, nicht bezeichnete Seite ist durch die Operation des 13berschreitens (crossing) zug/inglich und das gilt durch die in der Ausgangsoperation bereits angelegte Asymmetrie (4). Diese hoch konzentrierten theoretischen Schritte sind in systemtheoretischen Kreisen nur allzu bekannt, TM kommen sie doch in den meisten Texten Luhmanns in leichten Variationen vor. Aber, mit Hegel gesprochen, ist nicht alles, was bekannt ist, erkannt und gerade die h/iufige Verwendung entpuppt sich manchmal als Erkenntnishindernis, wenn nicht immer wieder ffir theoretische R/iume gesorgt wird, in denen das Bekannte zwecks immer neuer Erkenntnis (die man ja in einem operationalen Ansatz nie hat, sondern immer wieder gewinnt) verfremdet werden kann. Es seien deshalb eine Reihe von Fragen nach den Implikationen und Hintergrfinden der oben nummerierten Thesen gestellt und diskutiert: Was bedeutet es, mit der Operation des Unterscheidens zu beginnen und was spricht dafiir? Theoretische Ans~itze, die Operationen oder Prozesse anstelle von Begriffen fiber theoretische Entit~iten, wie Gegenst~inde oder Unterschiede in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit rficken, gehen davon aus, dass solche theoretischen 18 Vgl.zum Beispiel die Darstellung dieses Theoriekems bei Elena Esposito (2003: 74) in Anwendung auf LuhmannsText Frauen, M?innerund George Spencer Brown. 34
Entit/iten durch Operationen generiert werden und die Begriffe der Entit/iten eben diese Operationen beinhalten. ~9 Warum wird ffir den Prozess des Unterscheidens das Unterscheiden yon zwei Seiten betont und nicht yon drei, vier oder mehr Seiten? Klar ist, dass ,,Unterscheiden" mindestens eine zweistellige Operation ist. Es macht keinen Sinn zu sagen: Ich unterscheide x, sondem die Operation ,,Unterscheiden" ist nur dann vollst/indig ausgeftihrt, wenn x mindestens von y unterschieden wird, aber eben durchaus auch von z usw. Luhmann motiviert seine Beschr/inkung auf Unterscheidungen zwischen nur zwei Seiten bzw. die Behauptung, dass ,,Unterscheidungen Zweieroppositionen, Duale sind" durch einen pragmatischen Hinweis auf informationsverarbeimngstechnische Vorziige von bin/iren Schematisierungen, die nur in weitl/iufigen Untersuchungen gekl/irt werden k6nnten und hier als bekannt vorausgesetzt werden mfissen (Luhmann 2003: 44). Plausibilisierungen fiber die Nfitzlichkeit und den technischen Erfolg bin/irer Schematisierungen oder fiber alltagssprachliche Gewohnheiten, h/iufig zwei und nicht mehr Seiten zu unterscheiden (wie zum Beispiel gut/b6se, richtig/falsch, oben/unten, wichtig/unwichtig u.v.m.) sind keine ausreichenden Argumente fiir die Entwicklung einer theoretischen Form zum Prozess des Unterscheidens als solchem. Luhmann orientiert sich an einem ohne Zweifel sehr elementaren Typ von Unterscheidung, n/imlich der ,,Unterscheidung durch Negation", wie ,Wahrheit/Un-Wahrheit', ,Eigenmm/Nicht-Eigentum' oder noch allgemeiner: ,Dies/Nicht-Dies, also alles lJbrige' oder ,Dies/nichts Anderes'. Dieser Typ von Unterscheidung ist geeignet, jeden Auswahlakt schlechthin in seiner grundlegenden Verfassung zu beschreiben und findet damit bei jedem kognitiven Akt, jeder Wahrnehmung, jeder Kommunikation Anwendung. Die Elementarit/it der Unterscheidung als ,,Unterscheidung durch Negation" scheint ein starkes Argument ffir die Zweiseitigkeit der Form der Unterscheidung zu sein. A u f der theo19 Ein in diesem Sinne operationaler Ansatz ist zum Beispiel auch der philosophische Pragmatismus, vgl. folgende Stelle bei John Dewey: ,,Der Begriff der L/inge ist also dann festgelegt, wenn die Operationen, durch welche die I.tinge gemessen wird, festgelegt sind; das heigt, der Begriff der I_tinge beinhaltet gerade so viel wie die Menge der Operationen, durch welche die L/inge bestimmt wird, und nicht mehr" (Dewey 1998:113). Spencer Browns Ausgangspunkt in den ,,Laws of Form" ist ebenfalls die Operation der Unterscheidung. Es sei auf den berfihmten Beginn des zweiten Kapitels ,,Draw a distinction" und auf die Ausffihmngen tiber seine ,,injtmktive Methode" verwiesen. Injunktionen versteht Spencer Brown als Anweisungen, theoretische Prozesse selbst zu vollziehen, um zu Wissen zu gelangen. Denn durch die Beschreibung von Sachverhalten oder die Mitteilung von Aussagen k6nne kein Wissen vermittelt werden, vgl. Spencer Brown (1994). 35
retischen E b e n e der F o r m nach Spencer B r o w n geh6rt aber selbst die Operation der N e g a t i o n (als einstellige N e g a t i o n v o n etwas) nicht zu d e m Prozess des Unterscheidens, sondern ist als eine ( w e n n auch sehr elementare) I n t e r p r e t a t i o n zu verstehen. 2~ Die W a h l dieses T y p s v o n U n t e r s c h e i d u n g steht in enger V e r b i n d u n g mit d e m n~ichsten Schritt, n~imlich dem, dass nur eine der beiden Seiten b e z e i c h n e t wird, nicht beide. Darin liegt ~ r L u h m a n n geradezu der Z w e c k v o n Unterscheidungen, dass m a n das Eine statt des A n d e r e n b e z e i c h n e n will. W a s ist mit B e z e i c h n e n g e m e i n t ? U n d aus w e l c h e n Griinden wird nur eine der b e i d e n Seiten bezeichnet? U n t e r B e z e i c h n e n kann V e r s c h i e d e n e s verstanden werden: , h e r v o r h e b e n ' , ,mit e i n e m Z e i c h e n v e r s e h e n ' , , b e n e n n e n ' , ,darauf h i n w e i s e n ' , , z u m G e g e n s t a n d der U n t e r s u c h u n g m a c h e n ' , ,die A u f m e r k s a m k e i t darauf richten' oder , g e b r a u c h e n ' . Die erste B e d e u t u n g ,mit e i n e m Z e i c h e n v e r s e h e n ' u n d dadurch , b e n e n n e n ' , scheint durch den Rekurs a u f Spencer B r o w n zun~ichst im V o r d e r g r u n d zu sein, da im z w e i t e n (semiotischen) Kapitel der ,,Laws o f F o r m " ein Z e i c h e n ~ r den H i n w e i s a u f einen Z u s t a n d vorgestellt wird. 21 Bei der L u h m a n n s c h e n Rede v o n B e z e i c h n e n schwingt sehr stark die Bedeutung v o n , g e b r a u c h e n ' , , v e r w e n d e n ' mit. Hat m a n zwei Seiten durch eine
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Auf der Ebene der Form ist nicht explizit die Rede von zwei Seiten, obwohl dies durch die Formulierung ,die eine und die andere Seite' und das Beispiel des Kreises im ersten Kapitel der ,,Laws of Form", durch den zwei Seiten voneinander unterschieden werden, nahe gelegt ist. Die Ebene der Form und auch die daraus zu entwickelnde Prim~ire Arithmetik sind aber explizit nicht-numerische, sondem die numerische Arithmetik erst erm6glichende theoretische Schxitte. Deshalb ist hier das Wichtigste, dass Seiten unterschieden werden, deren Verschiedenheit durch die Abgrenzung voneinander erschaffen wird, und nicht wie viele Seiten. Es wird im zweiten Kapitel gezeigt, dass die einfachste Art, auf zwei verschiedene Werte hinzuweisen, darin besteht, auf den einen Wert mit einem Namen und auf den anderen Wert durch die Nicht-Verwendung des Namens hinzuweisen also zwei verschiedene Arten des Hinweisens zu verwenden. Ein Hinweis, ein Name, ein Zeichen hat zwei charakteristische Beziehungen, sozusagen die vertikale Beziehung (Signifnkant- Signifikat) und die horizontale Beziehung zu den anderen Zeichen bzw. hier zu den anderen Momenten der Form der Unterscheidung. In diesem Sinne ist jedes Zeichen zum einen Ausdruckfiir, Hinweis aufund zum anderen selbst eine Unterscheidung, also immer eine Form. Wenn die horizontale Beziehung in den Vordergrund tritt, dann wandelt das Zeichen seine Funktion: Es wirkt nicht mehr als Hinweis auf, sondern als Aufforderung die Grenze zu iiberschreiten, von einer Seite, einem Zustand zu dem anderen zu gehen und den lJbergang der Zust~inde und ihre Verbindung fiber die Grenze zu realisieren. Hervorbringung und Darstellung fallen zusammen. Damit sind die ,,Laws of Form" ein Beispiel ~ r das, was heute als ,,Performativit~it formaler Sprachen" diskutiert wird (Kr~mer 2005). Die Ausdriicke des Kalldils bezeichnen nicht nur Rechenoperationen, sondern sind Rechenoperationen, es wird vollzogen, was beschrieben wird.
Grenze voneinander unterschieden, soll man nicht beide gleichzeitig gebrauchen k6nnen, sonst w/ire die Unterscheidung sinnlos. In diesem Bedeutungshorizont erscheint die Luhmannsche Betonung, dass nur eine yon beiden Seiten bezeichnet werden kann, wie eine unterscheidungstheoretische Reformulierung des Nicht-Widerspruchsprinzipes: Ffir eine Unterscheidung gilt, dass nicht beide Seiten zur gleichen Zeit ffir den gleichen Zweck verwendet werden k6nnen. 22 Wird die Bezeichnung System gebraucht, dann kann nicht zur gleichen Zeit ftir den gleichen Zweck die Bezeichnung Umwelt gebraucht werden. Wenn zwei Seiten voneinander unterschieden sind, dann k6nnen nicht beide Seiten im gleichen S inne verwendet werden. Luhmann scheint so etwas im S inn zu haben, wenn er Bezeichnen manchmal als ,gebrauchen' bestimmt und an einem Beispiel erl/iutert, dass man bei der Unterscheidung zwischen Mfinnern und Frauen in einer Verwendungssituation fragen k6nnte: ,Ist das ein Mann oder eine Frau?' Eine Antwort, die die Unterscheidung wirklich verwendet, kann immer nur eine entweder-oder Antwort sein. Dieses Beispiel deutet darauf hin, dass nicht prinzipiell eine der beiden Seiten nicht bezeichnet werden kann, sondern dass in einer Situation nicht beide zugleich bezeichnet und d.h. gebraucht werden k6nnen. Damit hiege Bezeichnen so etwas, wie ,eine der beiden Seiten aktualisieren', ,aktuell aufrufen'. Und wenn eine Unterscheidung immer nur zwei Seiten haben kann, die in einem entweder-oder Verh/iltnis gebraucht werden k6nnen, dann gilt auch das Tertium non datur (Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten). 23 Luhmann ffihrt zu diesem Entweder-Oder an einer Stelle weiter aus: Wiirde man nun in einer Situation weder die eine, noch die andere Seite verwenden, also zum Beispiel auf die Frage ,,Ist das ein Mann oder eine Frau" 22
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Vgl. den Locus Classicus ftir den Satz des Widerspruchs in der aristotelischen Metaphysik, Buch F 1005b 15ft.: ,,[U]nd das sicherste unter allen Prinzipien ist dasjenige, bei welchem Tfiuschung unm6glich ist; denn ein solches muss notwendig am bekanntesten sein, da sich ja alle tiber das t/iuschen, was sie nicht erkennen, und muss ohne Voraussetzung gelten. Denn ein Prinzip, welches jeder notwendig besitzen muss, der irgend etwas von dem Seienden erkennen soll, ist nicht Annahme (Hypothese), und was jeder erkannt haben muss, der irgend etwas erkennen soll, das muss er schon zum Erkennen mitbringen. Dass ein so beschaffenes Prinzip das sicherste unter allen ist, leuchtet ein; welches aber dies ist, wollen wir nun angeben: dass n/imlich dasselbe demselben und in derselben Beziehung (und dazu m6gen noch die anderen n~heren Bestimmungen hinzugeftigt sein, mit denen wir logischen Entwiirfen ausweichen) unm6glich zugleich zukommen und nicht zukommen kann. Das ist das sicherste unter allen Prinzipien" (Aristoteles 1989: 137). Vgl. den Locus Classicus fiir den Satz vom ausgeschlossenen Dritten in der aristotelischen Metaphysik, Buch F 101 lb 25-29.: ,,Ebensowenig aber kann es zwischen den beiden Gliedern des Widerspruchs etwas geben, sondern man muss notwendig jeweils Eines von Einem entweder bejahen oder verneinen" (Aristoteles 1989:171). Bei Spencer Brown wird das Tertium non datur nicht auf der Ebene der Form vorausgesetzt, sondern auf der Ebene der Formen, die der Form entnommen werden, also im zweiten Kapitel wird zwecks Kalldilaufbau festgesetzt, dass es nur diese beiden einfachen Ausdriicke geben soll.
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antworten: ein Mikrophon oder ein Hermaphrodit, dann gebraucht man in beiden F/illen eine neue Unterscheidung, die im letzteren Fall wie eine Mischung aus beiden Seiten klingt, wodurch aber eigentlich ein neuer Term gebildet wird, der wieder von anderem zu unterscheiden ist (vgl. Luhmann 2004: 74). Eine Verbindung der beiden Seiten, wie zum Beispiel in dem Ausdruck ,Hermaphrodit' bildet danach keine dritte Seite der Unterscheidung, sondern er6ffnet vielmehr eine neue Unterscheidung, unterschieden wird auf der elementaren Ebene zwischen ,Hermaphrodit/alles l~rige'. Diese Ausfahrungen st/itzen den Beginn mit einer Zweiseitenform, der unter Punkt zwei befragt worden ist. Wie ist es zu verstehen, dass in der Ausgangsoperation, dem Unterscheiden yon zwei Seiten und dem Bezeichnen von nur einer Seite Asymmetrie angelegt sei? Ffir die Ausgangsoperation geh6ren Unterscheidung und Bezeichnung notwendig zusammen, da sie sich gegenseitig Sinn verleihen: Die Bezeichnung hat nur im Rahmen einer Unterscheidung von zwei Seiten Sinn, w/ihrend sich andersherum der Sinn der Unterscheidung erst in der Bezeichnung erfallt, die sie vorbereitet. Durch die Asymmetrie zwischen den beiden Seiten, die durch die Bezeichnung geschaffen wird, soll die eine bezeichnete Seite der Unterscheidung erst anschlussf/ihig far weitere Operationen werden. Befragt man die bisherigen Ausfahrungen fiber m6gliche Amhaltspunkte far diese Asymmetrie der beiden Seiten der Unterscheidung, dann scheinen zwei Voraussetzungen in Frage zu kommen: Zum einen k6nnte sich die Asymmetrie aus der Wahl des Unterscheidungstyps ,,Unterscheidung durch Negation" ergeben, bei der die beiden Seiten, gerade in der allgemeinsten Form ,Dies/NichtDies (also alles Obrige) einen unterschiedlichen Grad an Bestimmtheit aufweisen, der als Asymmetrie (der Bestimmtheit) zu charakterisieren w/ire. Dieser Sinn yon Asymmetrie der Bestimmtheit wfirde auch Luhmanns Rede yon der Innen- und der Aul3enseite der Unterscheidung rechtfertigen. Zum anderen scheint mit ,Asymmetrie' einfach der implizit aufgerufene Satz des Widerspruchs artikuliert zu sein: Die beiden Seiten k6nnen nicht zur gleichen Zeit in der gleichen Hinsicht verwendet werden. Dies beides sind sehr verschiedene Sinne von Asymmetrie und in einer Spencer Brown-Exegese zeigt sich, dass der erste Sinn (Asymmetrie der Bestimmtheit) nicht auf die theoretische Ebene der Form geh6rt24 und der zweite Sinn (Asymmetrie als Nicht-Widerspruch) in den 24
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Zu dem Prozess der Unterscheidung geh6rt ein Moment, das dem Prozess als einer Art Bewegung, einer Operation im Unterschied zu einem gegebenen Unterschied Rechnung trfigt. Spencer Brown spricht vom Motiv, also gewissermaBen dem, was bewegt und dem Prozess des Unterscheidens Anlass, Richtung und Wirksamkeit gibt. Dies ist aber nicht wie eine diffuse Kraft
,,Laws o f F o r m " erst in der Kalldilentwicklung im vierten Kapitel als viertes T h e o r e m der Konsistenz (Spencer B r o w n 1994: 18ff.), das auch nur far die prim/ire Arithmetik und prim/ire Algebra gilt, eingefahrt wird. Durch diese beiden m6glichen S inne der Asymmetrie ist aber nicht ausgeschlossen, dass auf die beiden Seiten der Unterscheidung gleichermal3en in verschiedenen Hinsichten hingewiesen werden kann, also (in der Sprache Luhmanns) beide Seiten bezeichnet werden k 6 n n e n - nicht gleichzeitig und nicht zu dem selben Zweck, hier gilt der Satz v o m Widerspruch selbstredend far die B e z e i c h n u n g / V e r w e n d u n g beider Seiten gleichennal3en, aber im gleichen Zus a m m e n h a n g in verschiedenen Hinsichten. Was also kann mit Asymmetrie noch gemeint sein, w e n n diese beiden Sinne, die sich bisher ergeben, die einseitige Verwendbarkeit der Zweiseitenformen nicht erkl/iren k6nnen? Ein anderer S inn von Asymmetrie ergibt sich aus den Erl/iuterungen, dass die A s y m m e t r i e sich als leichte Pr/iferenz far die eine Seite manifestieren kann. Dieser dritte Sinn von Asymmetrie (Asymmetrie der Pr/iferenz) impliziert eine Art Skalierung von Werten. Dem, was pr/iferiert wird, wird ein h6herer Wert als dem anderen gegeben. Wie schwierig es bei bestimmten Unterscheidungsstrukturen ist, diese Asymmetrie der Pr/iferenz zu verstehen, zeigt sich an den Beispielen, die e r - far das Asymmetrie-Modell w e r b e n d - gibt (Luhmann 2003: 20): Welcher Seite der Unterscheidung ,Subjekt/Objekt' die Pr/iferenz gegeben wird, ist far philosophische Ohren vollst/indig abh/ingig v o n d e r philosophischen Richtung. In einem idealistischen Kontext w/irde der Subjekt-Seite philosophische Pr/iferenz gegeben, in einem realistischen Kontext der Objekt-Seite zu sehen, sondem entsteht aus dem ,,Sehen einer Wertverschiedenheit" (are seen to differ in value) zwischen den Seiten. Es ist bei dieser Formulierung wichtig, nicht an Bewertungen im Sinne eines Besser/Schlechter, Mehr/Weniger und auch nicht an gegebene Werte zu denken. Vielmehr geh6rt zu einer Unterscheidung das Sehen einer Verschiedenheit zwischen den beiden Seiten, die sich auf Qualit/iten, Funktionen oder Wirkungen der Seiten beziehen kann. Das Interesse an dieser Verschiedenheit macht diese Qualitfiten, Funktionen oder Wirkungen zu ,,Werten". Die Abgrenzung der Seiten voneinander konstituiert diese Wertverschiedenheit der Seiten, die den Prozess des Unterscheidens selbst wieder n/ihrt und ihn als Bewegung erm6glicht. Die Seiten ,,als von verschiedenem Wert sehen" legt das Verst/indnis nahe, dass beiden Seiten ein je verschiedener Wert zugeordnet werden kann. Es ist aber durch die Formulierung die M6glichkeit nicht ganz ausgeschlossen, dass nur einer Seite ein Wert zugeordnet wird. Dann kann man die Seiten insofern als von verschiedenem Wert sehen, als dass der einen ein Wert zukommt, der anderen nicht (wobei ganz often gelassen ist, welche Seite als von Wert gesehen wird und welche nicht, das kann aus den Seiten selbst nicht hervorgehen). Zu der Operation des Hinweisens geh6rt keine Asymmetrie, sondern die Erzeugung einer Wertverschiedenheit der Seiten, die in der Operation des Unterscheidens gesehen wird. l[rber die Qualit/iten und die Beziehung der verschiedenen Werte zueinander ist keine Aussage getroffen. Ausgeschlossen sind die M6glichkeiten, dass keiner der Seiten ein Wert zugeordnet werden kann und dass beiden Seiten der gleiche Wert zugeordnet wird, denn in beiden F~illen w/irde die Unterscheidung aufgel6st. 39
und es sind Kontexte denkbar, in denen gar keine Pdiferenz gebildet wird. ~ m lich kontextabh/ingig ist eine Pdiferenzbildung ~ r eine der beiden Seiten des zweiten Beispiels ,Zeichen/Bezeichnetes': Was soll man da pr~iferieren? Die strukturalistischen Semiotiker m6gen die Zeichen-Seite pr/iferieren, der Common Sense die Seite des Bezeichneten. Und schliel31ich erinnert im dritten Beispiel das Paar ,Herr/Knecht' eben an eine (dialektische) Figur in der Phiinomenologie des Geistes von Hegel, in d e r - wenn man so w i l l - eine Pr/iferenz gerade in die andere umschl~igt, bis sich beide zu einer neuen sozialen Interaktionsform weiterentwickeln. Ein vierter m6glicher Sinn der Luhmannschen Asymmetrie stiitzt sich auf die subtile (semiotische) Unterscheidung in Spencer Browns ,,Laws of Form" zwischen dem marked state und dem unmarked state. In den ,,Laws of Form" hat diese Unterscheidung die Funktion, einen Hinweis auf den marked state durch die Verwendung eines Namens und einen Hinweis auf den unmarked state durch die Nicht-Verwendung des (einzigen) Namens zu erlauben. Um auf zwei Zust~inde hinzuweisen, braucht es bei gr6f3tm6glicher Reduktion und Einfachheit nur einen Namen, dies ist ein Unterschied zu fast allen anderen formalen Sprachen und Kalldilen. Um eindeutig auf zwei Zust~inde hinweisen zu k6nnen, genfigt die Verwendung eines Namens und die Nicht-Verwendung eben dieses Namens. Die Nicht-Verwendung ist aber nicht eigens wieder ein Name. Es wird also nicht durch Negation ein zweiter Name gebildet, wie A und NichtA oder eben ein anderer Name eingeffihrt wie A und B. Die Verwendung des Namens ist Hinweis auf den einen Zustand, der der markierte genannt wird (marked state), die Nicht-Verwendung des Namens ist Hinweis auf den anderen Zustand, er sei nicht markierter (unmarked state) Zustand genannt. Die NichtVerwendung gibt aber keinerlei Hinweis auf die Qualit/it dieses Zustandes und das Verh/iltnis zu dem anderen Zustand. Es darf die Zeichenebene mit der Ebene der Werte der Seiten der Unterscheidung nicht konfundiert werden. Die Nicht-Verwendung ist keine Negation von etwas, kann aber auf der theoretischen Ebene der Interpretation als solche konkretisiert werden. Der Unterschied zwischen der Nicht-Verwendung eines Namens und der Verwendung einer Negation oder eines negativen Namens ist subtil, aber zentral ffir die semiotische Besonderheit der ,,Laws of Form". Ein Hinweis durch NichtVerwendung, der kein Name ist, reduziert die repr/isentative, darstellende Funktion des Hinweises und betont die hervorbringende, performative Funktion, durch die der Hinweis durch Nicht-Verwendung sein Referenzobjekt (den unmarked state) erschafft. 25 25
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Vgl. eine gewisse ~g~hnlichkeit zur Doppelfunktion der Null im Zahlensystem, einerseits als Zeichen ffir die Abwesenheit von Zeichen (und Dingen) und als Zeichen ffir eine wohl bestimmte Zahl. Diese wohl bestimmte Zahl steht aber nicht ffir eine Anzahl, sondern schafft ihr
Beide Arten von Hinweisen funktionieren ohne Zweifel sehr verschieden und vor allem der Hinweis durch Nicht-Verwendung des Namens (also gewissermagen durch Nichts auf Nichts) ist ftir unsere Tradition/iugerst ungew6hnlich. Dies jedoch als Asymmetrie zu deuten, spricht eher fiir die eigene Unvertrautheit im Umgang mit Leerstellen und fiir die Gefangenheit in der Tradition der ,,Nihilophobie", 26 die das westliche Denken insgesamt kennzeichnet. Gegen eine Beschreibung des Verh/ilmisses der beiden Hinweise als Asymmetrie steht auch, dass beide im Kalldil v611ig parallel, man k6nnte sagen symmetrisch verwendet werden. Die Art, wie Luhmann das Verh/ilmis von Unterscheidung und Bezeichnung bestimmt, ist eine M6glichkeit, die Form der Unterscheidung und den Hinweis auf zwei Werte nur mittels eines Namens zu interpretieren. Aber diese Interpretation ist nicht identisch mit der Ebene der Form, sondern wS~lt eine ihrer Konkretisierungsm6glichkeiten aus und schr/inkt sie d a d u r c h - wie jede Interpretation- ein. Luhmann legt also eine Interpretation der Form der Unterscheidung vor und entwickelt eine von verschiedenen m6glichen Unterscheidungsstrukturen. Und die Unterscheidungsstruktur nach dem elementaren Muster ,,Unterscheidung durch Negation" (,Dies/Nicht-Dies- also alles 0brige), die von ihm als Grundstruktur gew/ihlt wird, kann als asymmetrische Struktur interpretiert werden (am ehesten als Bestimmungsasymmetrie).
2.2 Die Asymmetrie-These und die Geschlechterunterscheidung Wie soll diese Grundstruktur in einer neuen Schleife ftir Unterscheidungen interpretiert werden, die gar nicht nach dem Muster ,,Unterscheidung durch Negation" (,Dies/Nicht-Dies- also alles l)brige) zu funktionieren scheinen, wie die Geschlechterunterscheidung zwischen Frauen und Mfinnem? Bei dieser Unterscheidungsstruktur ist die eine Seite ja kaum als die Negation der anderen Seite zu verstehen, vielmehr sind beide Seiten gleichermagen bestimmt und die Asymmetrie der Bestimmtheit scheint hier nicht vorzuliegen. Der zweite S inn von Asymmetrie ist als unterscheidungstheoretische Reformulierung des Satzes vom Widerspruch zu allgemein, als dass er als besonderes Strukmrmerkmal gelten k6nnte. Es bleibt also der dritte Sinn von Asymmetrie, eine leichte Pr/iferenz ftir eine der beiden Seiten, die zwar revidierbar ist, die aber die Anschlussf~ihigkeit der Unterscheidung garantieren soll. Referenzobjekt durch ihre Funktion im Zahlensystem. Der Mathematiker Brian Rotman hat diese Doppelfunktionder Null als Zeichen und Metazeichen untersucht und versucht, das ,,Gesp/ir" fiir die semiotische Schwierigkeitder Null zurtickzugewinnen;vgl. Rotman(2000). 26 Vgl.diese Wendungbei L/itkehaus (2003: 29). 41
Luhmann scheint in seinen Ausfahrungen fiber die Geschlechterunterscheidung diesen Weg zu gehen und die Unterscheidung zwischen Frauen und M/innern als Interpretation der Grundstmkmr zu nehmen, zu der dann das Strukturmerkmal der Asymmetrie der Pr/iferenz notwendig geh6rt. Der Bezug auf die theoretische Ebene der Form der Unterscheidung 1/isst aber (noch mindestens) eine andere Interpretation zu: Die Unterscheidung zwischen Frauen und M/innern ist nicht eine Interpretation der Grundstruktur ,,Unterscheidung durch Negation", sondern eine Interpretation einer anderen Grundstruktur, die sich aus der Form der Unterscheidung genauso ableiten 1/isst, bei der zwei verschiedene Namen vergeben werden, die gleichermagen bestimmt sind (,Dies/Das'). Ffir diese Grundstruktur ist Asymmetrie kein notwendiges Strukturmerkmal. Innerhalb dieser Grundstrukturen er6ffnet sich ein variabler Spielraum far die konkrete Umsetzung. Ffir die Anwendung der ersten Gmndstruktur bedeutet das, dass die Frage nach dem Wie der Asymmetrisierung im Kontext verschiedener Gesellschaftsstrukturen zur Differenzierung verschiedener Konkretisierungen fahrt. Aus deren Ffille seien zwei konkretisierte Unterscheidungsstrukturen herausgegriffen. Luhmann hat in seinen Ausfahrungen fiber die Geschlechterunterscheidung verschiedene solcher Asymmetrisierungsstrategien far die Vergangenheit und die Gegenwart konturiert und dabei einer ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Diese M6glichkeit besteht darin, die Asymmetrie fiber eine Repr/isentationsfunktion der einen Seite einzul6sen. Die Seite der M/inner wird von der Seite der Frauen unterschieden, die (mehr als leichte) Pr/iferenz gilt der Seite der M/inner, da ihr die Repr/isentation des Ganzen der Seinsordnung zugesprochen wird (Luhmann 2003: 23ff.). Diese in der traditionellen Gesellschaftsordnung sehr wirksame Struktur der Geschlechterunterscheidung 16st die Asymmetrie der ersten Grundstmktur in Form einer hierarchischen Pr/iferenzasymmetrie ein. Eine andere Konkretisiemngsm6glichkeit innerhalb der ersten Grundstrukmr findet sich in der Frauenbewegung und Frauenforschung der 70er und 80er Jahre implizit vielfach in der Suche nach der ganz eigenen und ganz anderen Identit/it ,,der Frau" oder einer spezifischen ,,women's culture". Die eine Seite der Unterscheidung ist die der Frauen und die andere Seite der Unterscheidung ist unbestimmt offen: alles l)brige, wozu auch M/inner geh6ren. Um die Seite der Frauen unabh/ingig vonder Beziehung auf den traditionell vorgegebenen Gegenpol der M/inner zu bestimmen, wird die Grundstruktur der ,,Unterscheidung durch Negation" und deren Asymmetrie der Bestimmtheit far die asymmetrische Bestimmung des Weiblichen verwendet. Verst/irkt wird diese Asymmetrie zwischen den beiden Seiten durch den dritten Sinn von Asymmetrie, die Pr/iferenz far die Seite des Weiblichen.
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Ffir die Anwendung der zweiten Grundstruktur, die nicht an der ,,Unterscheidung durch Negation" orientiert ist, sondern bei der zwei verschiedene Namen vergeben werden, die gleichermagen bestimmt sind (,Dies/Das') und keine Bewertungsasymmetrie vorliegt, gibt es auch eine Reihe von verschiedenen Konkretisierungen, die in der komplex geffihrten Diskussion fiber die Geschlechtemnterscheidung verwendet worden sind und werden. Auch hier seien einige ausgew/ihlt. Die eine ist dadurch gekennzeichnet, die verschieden bestimmten Seiten der Frauen und M~mer in ein komplement~ires Verhfilmis zu setzen. Dabei wird die Funktionsverschiedenheit und die notwendige Ergfinzung betont, durch die die Gleichwertigkeit beider Seiten begrfindet wird. Die andere Konkretisierung in der Tradition der Aufld/imng legt den Akzent auf die Gleichheit der beiden Seiten in Bezug auf Vemtinftigkeit, Wfirde und Rechte und nimmt das Vorliegen von zwei verschiedenen Seiten, der Seite der Frauen und der M/inner, eher als eine faktische Gegebenheit hin. Eine dritte m6gliche Konkretisierung im Rahmen dieser Grundstruktur deutet Luhmann als bin/ire Codierung, die Unterscheidungsstruktur, die ~ r die durch funktionale Differenzierung gekennzeichnete Gesellschaftsstruktur typisch geworden ist. 27 Allerdings fibemimmt die Geschlechterunterscheidung innerhalb der modernen Gesellschaftsstruktur funktionaler Differenziemng nur in einem einzigen Funktionsbereich die Rolle eines Codes, n/imlich in der Familie (vgl. Luhmann 2003: 5 l ff.). In allen anderen Funktionsbereichen fungiert die Geschlechterunterscheidung nicht mehr auf der Ebene von Codes. Der Frau/Mann-Code fibernimmt innerhalb von Familien immer weniger inhaltliche Steuemngsaufgaben, und wird, so k6nnte man vielleicht sagen, immer formaler, um so immer mehr Raum zu lassen fiir die Individualisierung in der Handhabung dieses Codes. Individualisierung kann hier Vervielf/iltigung der Formen des Zusammenlebens heiBen, bei der die Unterscheidung selbst in sich differenziert werden kann. Dies hat innerhalb der selbstreflexiven Dynamik der Genderforschung (vgl. Sch6nw/ilder/Wille 2003) zu neuen Unterscheidungsstrukturen gefiihrt, die hier als dritte und vierte Grundstruktur konturiert werden sollen. Die dritte Grundstruktur kennt mehr als zwei Seiten der Unterscheidung, es geh6ren also dreioder mehrgliedrige Unterscheidungsstrukturen zu dieser Grundstruktur. Innerhalb dieser Grundstruktur gibt es eine ganze Reihe von Konkxetisiemngsm6glichkeiten, z.B. Ftir eine dritte Seite, die sich durch Oszillationsbiographien oder
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Luhmanns Versuch, in dieser Unterscheidungsstmktur immer noch einen Rest von Asymmetrisiemng zu sehen, die zwar durch die ,,Erleichtemng von Crossings erheblich abgeschwficht" sei und bei der den beiden Werten (Wert und Gegenwert)fast das gleiche Gewicht gegeben werde, scheint wie ein Bemiihen, eine ganz andere Grundstruktur von Unterscheidungen auf die von ihm als einzig m6glich posmlierte zu beziehen.
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Hybridbildungen 28 ergibt, die sich eigene Szenen und Artikulationsm6glichkeiten geschaffen haben. Innerhalb der dritten Gmndstruktur er6ffnet sich der Spielraum ftir eine ,,Geschlechteralgebra h6herer Ordnung". 29 In der vierten Grundstrukmr wird das Moment des Mediums in den Vordergrund geriickt und dadurch die ganze Unterscheidungsformation ver/indert. Die bisher isolierte Unterscheidung (in Form der ersten oder zweiten oder dritten Gmndstruktur) wird mit anderen Unterscheidungen in Beziehung gesetzt, also eingebunden in andere Differenzachsen und dadurch relativiert. Konkretisiert wird dieser Grundtyp in der Genderforschung durch die systematische Verbindung der Genderdifferenz mit anderen Differenzen wie ,,class" und ,,race". 3~Dadurch soll die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Gestaltungen sichtbar bleiben und in alle Bereiche der Genderdifferenz miissen weitere Differenzen eingetragen werden. Mit diesen vier Grundstrukturen der Unterscheidung und ihren vielf~iltigen Konkretisierungsm6glichkeiten wurde und wird in Vergangenheit und Gegenwart der Lebenspraxis der Geschlechter und in der Frauen- und Genderforschung experimentiert. In der Lebenspraxis der Geschlechter sind die Strukturen und ihre Konkretisierungen in Mikropraktiken inkorporiert, einverleibt und dadurch nebeneinander wirksam. 31 Es scheint, dass der Kontext der Aufforderung: D r a w a gender-distinction.t von konkreten Situationen der Lebenswelt bestimmt wird, in denen ein Entscheidungsspielraum daftir entstanden ist, welche der Unterscheidungsstrukturen verwendet und wie diese konkretisiert werden sollen oder wo der Aufforderung einfach nicht (mehr) nachgekommen wird und keine Unterscheidung zwischen den Geschlechtem getroffen wird, wo friiher vielleicht noch eine getroffen worden w/ire. W/ihrend Luhmann an anderer Stelle in allgemeineren Ausfiihrungen entwickelt, wie aus konkreten Situationen durch Kondensierungsprozesse Strukturentwicklung m6glich wird, 32 scheinen wir es bei der Geschlech28
Mit Hybriden ist die Kombination von Attributen gemeint, die urspr/inglich voneinander differenten Gegenstandsklassen bzw. Feldern angeh6rten, jedoch in dem Mischwesen dann nicht aufgehoben werden, vielmehr simultan nebeneinanderbestehen und in ihrer Heterogenitilt damit auch erhaltenbleiben; vgl. Krfimer(2005). 29 Damitsoll die Auffassung angedeutet sein, dass Formen des Re-entry nicht nur auf der Ebene der Pmgrammierung, sondern auch auf der Ebene von Codes selbst wirksam werden k6nnen; vgl. anders Luhmann (2005). 30 Vgl. dazu z.B. die Diskussionen in dem Sammelband ,,Achsen der Differenz" hrsg. v. Knapp/Wetterer (2003). 31 Ein wichtiger Forschungszweig der Genderforschung liegt in der Beschreibung der Eigendynamiken von inkorporierten Unterscheidungsstmkturen. Vgl. zum Verh/iltnis von diskursivem und inkorporiertemWissen bzw. Ideen und Gesten Wetterer (2003). 32 ,,Wie Strukturentwicklung eigentlich stattfindet? Nicht wie die Herstellung eines Dinges, bei dem man die notwendigen Komponenten kennt und diese zusammensetzt. Die Besonderheit
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terunterscheidung mit einem umgekehrten Prozess zu tun zu haben, wo die Strukturen vervielfNtigt und mehr und mehr an die konkreten Situationen zurfickgegeben werden.
3. Schlussbemerkung Umwege fordem einen Preis, sie kosten Zeit und verlangen die Bereitschaft, das Ziel oder den ,,Output" ffir das vermeintlich ,,eigentliche" Anliegen auch einmal aus dem Auge zu verlieren. Umwege sind aber nicht ohne Interesse: Der Versuch, die Fallstricke von Dichotomien zu vermeiden und Dichotomien wie K6rper/Geist, Natur/Kultur, Mfinner/Frauen und die damit verbundenen Unterscheidungsmuster wie gegeben/gemacht oder fix/variabel aufzul6sen und andere Arten des Unterscheidens zu finden, ist eine Motivationsquelle fiir einen Umweg fiber die Form der Unterscheidung. Eine andere Motivationsquelle ist die Frage nach der M6glichkeit eines selbstreflexiven Unterscheidungsgebrauchs in der Genderforschung. Umwege versprechen Gewinn. Worin liegt der Gewinn des Umwegs fiber die Form der Unterscheidung? Wohin hat der Umweg geffihrt? Unterwegs haben sich vier Dimensionen erschlossen, die die Form der Unterscheidung ftir die Genderforschung relevant machen: die verfremdende, analytische, kritische und selbstreflexive Dimension. Diese Dimensionen er6ffnen neue Perspektivierungen des Nachdenkens fiber Unterscheidungen, wie die zwischen Frauen und M/innern oder sex und gender oder auch K6rper und Geist oder Namr und Kultur. Die wissenschaftliche Kunst der Verfremdung wird genfihrt durch das Studium der Form der Unterscheidung, das lehrt, dass zur ,,Grammatik" oder ,,Logik" von Unterscheidungen die gegenseitige Abhfingigkeit der Momente der Unterscheidung geh6rt. Werden in das Verh~iltnis der Momente der Unterscheidung andere Ordnungsmuster als das der gegenseitigen Abh/ingigkeit eingeschrieben, wie Vor- und Nachordnungen, Gewichtungen, Entgegensetzungen oder Isolierungen, sind Unterscheidungsstrukturen geschaffen. Diese Ordder Strukturbildung scheint darin zu bestehen, dass man zun~ichst einmal wiederholen muss, das heil3t, irgendeine Situation als Wiederholung einer anderen erkennen muss.... Wenn man konkret hinsieht, ist jede Situation unvergleichbar- um aber wiederholen zu k6nnen, miissen wir wieder erkennen und das heil3t erstens identifizieren und zweitens generalisieren, dass wir trotz der Andersartigkeit der Situation und trotz manchmal sehr erheblicher Abweichungen die Identitfit wieder benutzen k6nnen. Wir haben es zunfichst einmal mit einer Einschr~nkung oder einer Kondensierung auf etwas zu tun und zugleich und dadurch bedingt auch wieder mit einer Generalisiemng in dem Sinne, dass wir in ganz anderen Kontexten, in ganz anderen Situationen und oft nach vielen Jahren dieselben Menschenwieder erkennen..." (Luhmann 2004: 107). 45
nungsmuster, wie z.B. das von Dichotomien, die keine ObergS.nge zwischen zwei Seiten der Unterscheidung erlauben, werden durch die Erinnerung an die Form der Unterscheidung befremdlich wirkende und legitimationsbedfirftige l~erschreibungen der Beziehungsform gegenseitiger Abh/ingigkeit. Die verfremdende Dimension der Form der Unterscheidung leitet dazu an, Fragen an Ordnungsmuster von Unterscheidungen zu generieren und die theoretische Einstellung der Verwunderung zu kultivieren. Die analytische Dimension gibt mit der Differenzierung von vier Momenten der Unterscheidung eine Heuristik an die Hand, gewohnte Unterscheidungen in ihrer theoretischen Architektur durchsichtig werden zu lassen. Explizit behauptete oder implizit mitgeftihrte Dichotomien werden dabei auf ihre internen Motive und auf die Angemessenheit ihrer Medien hin befragt: Innerhalb welcher Medien ist es angemessen, eine Unterscheidung wie z.B. die zwischen Natur und Kultur oder die zwischen Frauen und M~innern dichotom zu konzipieren? Welcher Transfer in andere Medien ist gar nicht legitim, sondern wird erschlichen? Derartige Analysen von verschiedenen m6glichen Unterscheidungsstrukturen, z.B. ~ r die Unterscheidung zwischen Frauen und M~innern, k6nnen durch die Erstellung einer Art ,,unterscheidungstheoretischen Matrix" Oberblick fiber das Panorama von Unterscheidungsstrukturen verschaffen. Dies w~ire in einer eigenen Studie zu entwickeln. Die kritische Dimension der Form der Unterscheidung ist an einer m6glichen Unterscheidungsstruktur im zweiten Teil durchgeffihrt. Niklas Luhmann hat eine fiir seine Analysen grundlegende Unterscheidungsstruktur profiliert und auf die Unterscheidung zwischen Frauen und M/innern bezogen, in der die Beziehung zwischen den (beiden) Seiten einer Unterscheidung als asymmetrische bestimmt wird. Der theoretische Anspruch, der mit dieser Unterscheidungsstruktur erhoben wird, kann vor dem Hintergrund der Form der Unterscheidung, deren zentrales ,,Merkmal" nicht Asymmetrie sondern Relationalit~it ist, kritisiert werden. Dadurch ergibt sich ein anderer B lick auf die ,,Frauen"- bzw. Genderforschung. Durch die Vielfalt der Unterscheidungsstrukturen, die in der Theoriebildung generiert und in der Praxis beschrieben worden sind, werden eine Menge von M6glichkeiten, die sich aus der Form der Unterscheidung ergeben, exploriert. Das ftihrt dazu, dass an die Stelle der gfiltigen Unterscheidungsstruktur das Spiel mit der Pluralit~it der Unterscheidungsstrukturen tritt. ~ m l i che kritische Studien w/iren zu den viel beklagten dichotomen Unterscheidungsstrukturen durchzufiihren, mit Hilfe derer Unterscheidungen wie K6rper/Geist Natur/Kultur aber auch Frauen/M~inner h~iufig konzipiert werden, um deren Funktionen und Grenzen zu erhellen. Die selbstreflexive Dimension der Form der Unterscheidung realisiert sich nur in einer st~indigen Obung, die theoretische Einstellung der Verwunderung
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auf den eigenen Unterscheidungsgebrauch zu wenden und dadurch fiir die Analyse und Kritik zu 6ffnen. Obung bedeutet hier dreierlei: ,XXmlich wie beim beid/iugigen Sehen entsteht eine neue Dimensionalit/it, wenn mit ,,einem Auge" der Unterscheidungsgebrauch und mit dem ,,anderen Auge" die Reflexion darauf stattfindet. In einem ersten Sinne von (21bung ist die Verwendung ,,beider Augen" zu trainieren. (Jbung meint in einem zweiten Sinne, dass diese selbstreflexive Dimensionalit~it in ihrer Weiterentwicklung nicht abschliel3bar und damit nie vollst~indig ist und nur immer wieder getibt werden kann, da jede Retiexion ihre eigenen intemen Motive und Medien generiert, die nur wieder in einer erneuten Reflexion sichtbar werden k6nnen. Mehr als nur die Reflexion auf den eigenen Unterscheidungsgebrauch fordert die Arbeit mit der Form der Unterscheidung in einem dritten Sinne von Llbung st/indige Selbsterinnemng an die methodologische Maxime der Prozessualit/it und Immanenz der Form. Jedes Moment einer Unterscheidung, wie z.B. die Seite der Frauen im Falle der Geschlechterunterscheidung, erlangt seine Bedeutung in Abh/ingigkeit von den anderen Momenten. Das heil3t aber auch, dass jedes Ordnungsmuster, wie zum Beispiel das der Asymmetrie der Seiten der Unterscheidung, in die Beziehungsform der gegenseitigen Abh/ingigkeit aufgel6st werden k6nnen muss.
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Die Geschlechterdifferenz und die gesellschaftlichen Resonanzen zweier Gleichheitskonzeptionen der modernen Gesellschaft: Anthropologische Verschiedenheit und Gleichstellung Ingrid Biermann
1. Einleitung Die soziale Ungleichstellung von Frauen und MS.nnem verst6Bt gegen einen der prominentesten Werte der modernen Gesellschaft: dem der Gleichheit und der Gleichstellung. Obgleich die formale Gleichheit erreicht sei, bleibe die faktische Gleichheit aus, so die Kritik von Frauenrechtlerinnen seit den 1970er Jahren. Forderungen wie ,Malbe/Halbe" und ,,parity" sollen aufzeigen, dass die Gesellschaft in bevorrechtigte M/inner und benachteiligte Frauen geteilt ist. Die Forderung nach gleich verteilten Zugangschancen und nach Gleichstellung I/isst sich in ihrer Kompaktheit jedoch nicht durch F6rderprogramme und gesetzliche Normen realisieren. Die Herbeiftihrung gerechter, weil gleicher Teilnahmechancen durch (starre) Quoten kollidiert mit dem Anspruch auf individuelle Gleichbehandlung, d.h. der Auswahl und dem Vergleich anhand von individuell gemessenen Leismngs- und Eignungsvoraussetzungen. Quotenregelungen haben deshalb auch zu Kontroversen um ihre Verfassungsm/iBigkeit gefiihrt (vgl. Sachsofsky 1996: 411ff.; Kodr6 1998: 335ff.). Gegen den Gleichheitsstandard ist femer angeftihrt worden, dass er an Teilnahmeansprtichen und -chancen von (weiBen) Mittelschichtfrauen orientiert sei. Angeh6rige ethnischer Minderheiten und Migrantinnen profitieren davon kaum. Auf dem globalisierten Arbeitmarkt sind mit einer neuen Gruppe weiblichen Dienstpersonals auch neue Ungleichheitsstrukturen entstanden und zwar auch zwischen Frauen (vgl. SchunterKleemann 2002: 82f.). Aus unterscheidungs- und systemtheoretischer Perspektive bildet die Geschlechterdifferenz in der modemen Gesellschaft eine Unterscheidung, ,,die nur noch •r Unruhe sorgt". (Luhmann 1988: 62; vgl. Hellmann 1996: 15f.). Einerseits erzielt der Anspruch der Gleichheit und der Gleichstellung der Geschlechter ein hohes MaB an Aufmerksamkeit und gesellschaftlicher Resonanz. Er generiert Protest, der sich in der Ausbildung einer sozialen Bewegung, d.h. der Frauenbewegung, niedergeschlagen hat. Sie beansprucht eine kritische Beob-
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achtung aller Lebensbereiche der Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Ungleichbehandlung der Frauen (vgl. Hellmann 1996: 15f.). Kernforderung ist die Ausweitung der Fraueninklusion im Horizont von Parit~it. Die Frauenbewegung thematisiert mit der Geschlechterdifferenz eine ,,grundlegende Kategorie sozialer und historischer Realit~it und Wahrnehmung" (Bock 1983: 34). Aber diese Differenz bildet zugleich ihr Dilemma, weil Individuen nicht (nur) fiber ihr Geschlecht Teil der Gesellschaft und ihrer Funktionskontexte sind. Der Beitrag fragt nach den gesellschaftlichen Resonanzen und nach dem Einfluss der egalit~iren Gleichheitsauffassung auf die Fraueninklusion. Dies geschieht im Kontrast zu einem Gleichheitsverst~indnis, mit dem Frauenrechtlerinnen des 19. und frfihen 20. Jahrhunderts ~ r die Ausweitung gesellschaftlicher Teilnahmerechte yon Frauen eintraten, n~imlich zweier anthropologisch verschiedener aber gleichwertiger Geschlechter. Damit wird zugleich eine auff'~illige historische Diskontinuit~it in der Geschichte der Gleicheitsrechte nachgezeichnet. Im Folgenden wird zun~ichst die ~iltere und anschliel3end die zeitgen6ssische Gleichheitsauffassung skizziert. 1 Es wird gezeigt, dass sich die auf die Geschlechter bezogenen Gleichheitskonzeptionen mit der Unterscheidung von Frauen und M~innern auf ein Klassifikationsschema stiitzen, d.h. auf eine Differenz, mit der die Gesellschaft rigide in zwei Teile gegliedert werden kann (2). Um zu beleuchten, welche gesellschaftlichen Resonanzen diese beiden Gleichheitskonzeption hervorgerufen und in welcher Weise sie die Fraueninklusion beeinflusst haben, w~hlt der Beitrag als analytisches Instrumentarium das Luhmannsche Schema verschiedener Sinnebenen von Erwartungsbildung und Kommunikation. Es unterscheidet zwischen Personen-, Rollen-, Programm- und Wertebezfigen. (3). Zun~ichst mit Blick auf die ~iltere Gleichheitsauffassung (4) und dann die zeitgen6ssische Gleichheitsauffassung (5) wird sodann gefragt, welche dieser Beziige die Gleichheitskonzepte ,ansprechen' und verquicken, um sich zu profilieren und Teilnahmestrategien zu formulieren und wodurch dies begrenzt wird. Schlief31ich werden die Ergebnisse in einem Vergleich zusammengefasst (6).
2. Gleichheitskonzepte und Klassifikation Bereits im 19. Jahrhundert entstanden in weiten Teilen Europas erstmals Frauenbewegungen, die ffir Teilnahmerechte von Frauen an Erwerbsarbeit, h6heren Der Beitrag bezieht sich ffir die Gleichheitsauffassung verschiedener, aber gleichwertiger Geschlechter auf Schriften und Dokumente der ersten deutschen Frauenbewegung (fiberwiegend aus dem Zeitraum von 1880 bis 1930). Ffir die egalit~ireGleichheitsauffassung werden Schril~enund Dokumenteder zweiten deutschenFrauenbewegungherangezogen(1980-1995). 52
Bildungsinstitutionen und politischer Mitsprache eintraten. Sie verknfipfien diese Fordemng mit dem Anspruch, einem weiblichen Kultureinfluss in der Gesellschaft Gelmng zu verschaffen (vgl. Cott 1987). Dies galt vor allem fiir die deutsche Frauenbewegung. Grol3e Teile dieser Frauenbewegung begriindeten gesellschaflliche Teilnahmerechte fiir Frauen mit dem Argument, verschiedenartiger aber gleichwertiger Geschlechter (vgl. Greven-Aschoff 1981; Bock 1999). Die Vorstellung zweier anthropologisch verschiedener Geschlechter bildete nicht nur einen Grundzug im Denken btirgerlich-gem/igigter Frauenrechtlerinnen. Sie war auch in den anderen Fraktionen der Frauenbewegung anerkannt, d.h. bei den Vertreterinnen des fortschrittlichen Liberalismus und bei den Vertreterinnen der Arbeiterinnenbewegung, bestimmte aber nicht die Ziele und Leitlinien ihrer Frauenorganisationen. Die entlang von Schichten verlaufende Spalmng der ersten Frauenbewegung in einen biirgerlichen und einen proletarischen Teil konnte sie aber nicht aufheben (vgl. Offen 1993). Eine neue bzw. zweite Frauenbewegung bildete sich erst wieder in den 1970er Jahren aus. Sie hat aber nicht mehr an die anthropologische Konzeption zweier Geschlechtergattungen angeknfipft, sondern sich davon z.T. vehement distanziert. Ihre Verfechterinnen weisen die Vorstellung einer natfirlichk6rperlich bedingten Weiblichkeit und daraus resultierenden Frauenaufgaben ganz/iberwiegend zurfick (vgl. Beauvoir 1967; Butler 1991; Klinger 1995). Das zeitgen6ssische Gleichheitsverstiindnis geht vielmehr davon aus, dass Weiblichkeitsnormen sozial hergestellt werden. Es zielt auf die Verwirklichung individueller Chancengleichheit und die Gleichverteilung gesellschaftlich angesehener und entscheidungsbefugter Positionen zwischen den Geschlechtern ab und wirbt dafiir mit Slogans wie ,,Halbe/Halbe" (Janssen-Jurreit 1979: 267), ,,Von allem die H~lfte" (Ortner 1992: 253) und ,,Geschlechtergerechtigkeit" (Bluth 2004). Das egalit~ire, an der Gleichstellung der Geschlechter ausgerichtete Gleichheitsverst/indnis hat eine Umsetzung in materielle F6rderprogramme, Mal3nahmen der positiven Diskriminierung, wie Quotenregelungen, und in gesetzliche Diskriminierungsverbote erfahren. Gleichheit herzustellen bedeutet, Rechte und Chancen in Relation zum Bev61kerungsanteil der Frauen zu setzen, also gleichgewichtige Verteilungen anzustreben (vgl. Sacksofsky 1996). Auch das zeitgen6ssische Gleichheitsverst~ndnis zeichnet sich durch eine eingeschr/inkte Integrationskraft aus. Eine kritische Reflektion dieser Fordemng setzte in den 1990er Jahren ein. Der Ansatz einer sozialen Konstruktion der menschlichen Zweigeschlechtlichkeit wurde auch auf die Gleichstellungsforderung bezogen und ihr eine einseitige Orientierung an der Lebenssimation weif3er heterosexueller Mittelschichtfrauen attestiert. Der ,,Mainstream-Feminismus" blende die Diskriminierung nicht-weil3er, nicht-heterosexueller, nichtbfirgerlicher Frauen weitgehend aus (vgl. Reinsch 1999). In den 1990er Jahren
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ebbte auch die zweite Frauenbewegung ab. 2 Die Durchsetzung frauen- und geschlechterpolitischer Forderungen wird seitdem instimtionalisiert betrieben bzw. von Akteuren getragen, die seit den 1980er Jahren als Teil von Organisationen vor allem in der Politik und der Wissenschaft entstanden sind oder die als Netzwerke und Lobbyorganisationen agieren (vgl. Hoecker 1995). Beide Gleichheitskonzeptionen argumentieren mit dem Gewicht der H~ilfte der Gesellschaft. Die Gleichwertigkeit der Geschlechtergattungen wurde im 19. Jahrhundert von fiihrenden Frauenrechtlerinnen mit der ,,weiblichen Eigenart" bzw. dem ,,Wesen der ganzen weiblichen Gatmng" (Lange 1897: 13) begriindet. Die ,,weibliche Eigenart" zeichnete sich nach ihrer Auffassung durch ein besonderes Einfiihlungsverm6gen, miitterliche Eigenschaften und p/idagogischsoziale Kompetenzen aus (Lange 1897: 13). Zwar wurden im Hinblick aufbeide Geschlechter Abweichungen vom Gattungstypus einger~iumt, ftir die Mehrzahl der Frauen und M~inner wurde aber davon ausgegangen, dass sie ihrer Geschlechtergattung entspr/ichen (Lange 1897: 13). Entgegen der auch unter den frfihen Frauenrechtlerinnen verbreiteten Forderung, Frauen als Bfirgerinnen gleich den Mfinnem und als je individuelle Personen anzuerkennen, war deren Gleichheitsverst/indnis dennoch- und darin dem Zeitgeist entsprechend- durch ein Denken in geschlechtsspezifischen Typologisierungen und (moralisch gefassten) Charakterbildern gepr~igt? Die zeitgen6ssische Forderung nach Gleichstellung stiitzt sich auf die Kritik der Ungleichbehandlung von Gleichen und auf die Anerkennung von Frauen und M~innem als Gleichberechtigte. Nachdem die formale Gleichheit realisiert ist, bemessen sich Ausschluss und Ungleichheit an der faktischen Teilnahme von Frauen im Vergleich zu M~innern an Leismngs- und Publikumsrollen, wobei eine Vielzahl von Variablen kritisch beleuchtet wird. 4 Die Gleichheitskonzeptionen greifen mit der Unterscheidung von Frauen und Mfinnem auf eine Totalunterscheidung bzw. ein ,,Klassifikationspaar" zuriick, mit dem ,,die Gesamtheit der Menschen restlos erfasst werden kann" (Koselleck 1975: 66) und das zu Aussagen mit hohem Allgemeinheitsgrad disponiert. Die Unterscheidung von Frauen und M~innem bildet keine Punkt-ffir-Punkt Relation, so dass e s - wie bei funktionsspezifischen Codes - zu jedem Wert pr/izise einen Gegenwert gibt und
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Zum Verlauf der zweiten Frauenbewegungund ihrem Abebben in den 1990erJahren Gerhard (1998). Vgl. ffir die Herausbildung dieser Betrachtungsweise seit dem 18. Jahrhundert im Hinblick auf Rassenunterschiede: Mosse (1990). Vgl. diesbezfiglich ftir das Beispiel einer umfangreichen Datensammlung: United Nations Statistics Division: http://unstats.un.org/unsd/demographic/ww2000/index.htm.
geben muss: Diese Verallgemeinerbarkeit wird auch in Anspruch genommen, wenn die Geschlechterdifferenz im Horizont der Ungleichbehandlung der Geschlechter und der Ausweitung der Teilnahmerechte von Frauen thematisiert wird und hochrangige moderne Postulate angemahnt werden. Als Totalunterscheidung knfipft die Unterscheidung von Frauen und M/innern an die Differenz eines weiblichen und m/innlichen Geschlechtsk6rpers, d.h. an den ,,kleinen Unterschied" an (Schwarzer 1977). Darauf basiert die h/ilftige Klassifizierung, die auch die gltere wie die zeitgen6ssische Argumentation ftir die Ausweitung der gesellschaftlichen Teilnahmerechte von Frauen kennzeichnet. Welchen Sinnbezug stellen die beiden Gleichheitsauffassungen und daraus resultierende Forderungen zur Differenz der Geschlechtsk6rper her? Wie verkntipften sie diese Differenz mit Erwartungsbildung, die sich auf Individuen als Personen und Rollentr~iger bezieht? Wie verquicken sie ihn mit der Vorgabe ihrer Wertorientierungen? An wen adressieren sie diese Werte?
3. Kommunikation in der modernen Gesellschaft als Differenzierung der Sinnebenen von Erwartungsbildung
Ffir die Untersuchung dieser Fragen, greifen wir auf das Schema verschiedener S innebenen der Generalisierung von Erwartungen zuriick. Niklas Luhmann unterscheidet in seiner Systemtheorie im Hinblick auf Erwartungsbildung und Kommunikation verschiedene soziale Sinnbeziige, n~imlich auf eine konkrete Person, auf RoIlen, Programme und Werte (vgl. Luhmann 1987: 85ff.). Mit diesem Schema ist gezeigt worden, wie die moderne Gesellschaft gegeniiber vormodernen Sozialordnungen ein neues Mag an sozialer Komplexit~it autbaut. Die verschiedenen Sinnebenen von Kommunikation und Erwartungsbildung differenzieren sich in der modernen Gesellschaft gegeneinander. In modemen Kontexten miissen Erwartungen nicht mehr an der Kenntnis von individuellen Personen, ihrer Herkunft und ihrem Status oder eben auch ihrem Geschlecht festgemacht werden. Erwartungen werden typischerweise auf abstrakterem Niveau gebildet, orientieren sich an Rollen, an Programmen und formalen Kriterien. Auf diesen Ebenen der Erwartungsbildung basiert die massenhafte Inklusion von Individuen in Organisationen und Funktionskontexte der modernen Ge-
Die funktionsspezifischen Codes verftigenfiber diese Eigenschatt, weil sie Negativduplikationen sind. Etwas ist entweder rechtm~Big oder unrechtm/igig, wahr oder unwahr (vgl. dazu Lutunann 1981). 55
sellschaft (vgl. ftir weitere Anwendungsbereiche des Schemas in der Systemtheorie: Luhmann 1984:43 lff., 1989: 255ff.): Diese These ist allerdings durch Arbeiten relativiert worden, die sich mit der Bedeutung der Geschlechterdifferenz in der modernen Gesellschaft befasst haben. Sie zeigen, dass in den Aufgaben, die Frauen als Ehefrauen, Hausfrauen und Miitter zugewiesen werden, Rollenerwartungen mit Erwartungen an sie als Person verschmolzen werden (vgl. Weinbach/Stichweh 2001: 42ff.). Im Fall des ,,weiblichen Arbeitsverm6gens" und ,typischer' Frauenberufe (Ostner 1979) differenzieren die Sinnbezfige gerade nicht gegeneinander (vgl. Weinbach/Stichweh 2001: 42ff.). Diese Verquickung, die aus dem btirgerlichen Konzept der Dreifachinklusion von Frauen in die Familie als Ehefrau, Hausfrau und Mutter resultiert, ist die normative Grundlage ftir die geschlechtsspezifische Teilung der Arbeit, d.h. die Zuweisung der Erwerbsarbeit und der 6ffentlichen Sph/ire an den Mann, der Hausarbeit und der privaten Sph/ire an die Frau (vgl. Ostner 1979). Diese Differenzierungslinie gelangte im 19. Jahrhundert normativ zur Durchsetzung (vgl. Tyrell 1976, 1987), kollidiert aber seitdem mit Anforderungen moderner Inklusion, d.h. mit der Notwendigkeit der Offenheit der wichtigen Funktionssysteme und ihrer Organisationen, ftir alle die teilnehmen wollen bzw. mtissen. Arbeiten fiber soziale Bewegungen haben ebenfalls auf das oben genannte Schema Bezug genommen und gezeigt, dass fiir deren Kommunikation bzw. fiir die Mobilisierung von Protest die Sinnebenen der Person zusammen mit der Ebene der Werte von zentraler Bedeutung ist (vgl. Ahlemeyer 1995: 135ff.). Werte bzw. werthafte Formeln besetzen in der modernen Gesellschaft den Platz von ,,kommunikativen Steuerungsmedien" (Neidhardt 1985: 199). Der Wert der Gleichheit erhebt als semantisches Korrelat zur funktionalen Differenzierung universellen Giiltigkeitsanspruch. Im Hinblick auf inklusionswichtige Funktionskontexte werden mit ihm Teilnahmerechte ftir alle Individuen formuliert. Soziale Bewegungen wie die Frauenbewegung kniipfen appellativ an diese Universalit/it an. Dies begiinstigt Ans/itze ihrer Selbstdarstellung als Repr/isentantin grol3er Teile der Gesellschaft bzw. als radikale Gesellschaftskritikerin (vgl. Hellmann 1996: 15).
Dieses Typologienschemawurde in der Systemtheorie erstmals 1972 ausffihrlich ausgearbeitet und zwar, um Grundlagen ~r eine soziologischeTheorie der Rechtsbildung zu legen. Mit diesem Schema wurde die Frage behandelt, ,,mit welchem Abstraktionsgrad sich eine Erwartungsordnung am reibungslosesten einrichten l~isst" (Luhmann 1987: 85, hier wird aus der 3. Auflage des erstmals 1972 publizierten Textes zitiert). Vgl. ~r weitere Anwendungsbereiche des Schemas in der Systemtheorie: Luhmann 1984:43Iff.; 1989: 255ff.). Ansatzweise f'mden sich Teile dieses Schemas schonbei Linton (1936:113ff.). 56
Die skizzierten Gleichheitskonzeptionen zielen darauf ab, bei Frauen die Identifhkation mit ,,Frauenthemen", ,,weiblichen Aufgaben", ,,Gleichwertigkeitsansprtichen gegeniiber Mfinnern" oder ,,gerechter Chancenverteilung" herzustellen. Sie propagieren ein ,,wir Frauen" und sprechen zugleich mit der Bezugnahme auf Werte wie den der Gleichheit die kommunikative Sinnebene Person an. Was sie dabei von anderen sozialen Bewegungen wie der btirgerlichen Freiheitsbewegung oder der Arbeiterbewegung unterscheidet, ist der Umstand, dass die Bezugnahme auf die kommunikative Sinnebene Person am Frausein und damit am (weiblichen Geschlechts)K6rper festmacht. Im Luhmannschen Schema verschiedener Sinnebenen von Erwartungsbildung und Kommunikation findet der K6rper keine Beriicksichtigung. Das ist ein Manko dieses Schemas. Der K6rper hat die allgemeine Funktion, durch seine Sichtbarkeit und die Irreversibilit/it seiner Merkmale (Gr6ge, Gang, Haarfarbe, Geschlecht etc.) eine sichere Identifikation des K6rpers als eines individuellen K6rpers und damit die Identifikation yon Individuen als Personen zu erm6glichen. Erwarmngsbildung kommt ohne den K6rper nicht aus, weil er eine Unterscheidbarkeit derjenigen herstellt, die einem begegnen, mit denen man kommuniziert, denen Namen und andere Informationen zugeordnet werden (vgl. Stichweh 1995). fiber den Kb'rper erfolgt die Klassifizierung der Menschen als Frauen und M/inner und von Individuen als miinnliche oder weibliche Personen. Allerdings beziehen sich die hier untersuchten Gleichheitsauffassungen in ganz unterschiedlicher Weise auf diese Differenz bzw. auf den (Geschlechts-) K6rper. Dies fiihrt hier zur Beleuchtung der Frage, inwieweit die Bezugnahme auf den weiblichen Geschlechtsk6rper jeweils Verquickungen mit den Sinnebenen Person, Rolle, Programme und Werte erm6glicht und welche Folgen dies im Hinblick auf die Resonanzen und Inklusionswirkungen der Gleichheitskonzepte hat.
4. Die ~iltere Gleichheitskonzeption eines weiblichen Kulturanteils 4.1 Konkurrenz um Teilnahmechancen entlang von Schicht-, Konfessions- und Geschlechtszugeh6rigkeit
In dem Mage, in dem seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert eine Ausdifferenzierung vormals schichtm/il3ig verteilter und durch M/inner vertretener Bereiche voranschritt, wurde das/iltere System fester Zuordnungen zu einem Stand und zu einem Familiengeschlecht sowie die damit verbundenen Geschlechternormen zurfickgedrSmgt. Die Idee der Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder wurde neben der der Freiheit zu dem ideellen Korrelat dieser gravierenden gesell-
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schaftlichen Strukturumbriiche (vgl. Luhmann 1980, 31ff.; Parsons 1985, 102ff.). Die Transporteure dieser Ideen sind seit dem 19. Jahrhundert soziale Bewegungen, darunter die Frauenbewegung. Die Frauenbewegung des 19. und friihen 20. jahrhunderts war allerdings in Fltigel und Fraktionen gespalten. In der ersten Frauenbewegung bildeten sich soziale Unterschiede zwischen Frauen, d.h. andere gesellschaftliche Konfliktlinien und zwar entlang von Schichten sowie entlang von Konfessionen ausgepr/igt ab (vgl. Dann 1980: 236ff.). 7 Der Geschlechterkonflikt um Beteiligungschancen war ein Konflikt neben anderen sozialen Konflikten. Frauen unterschieden sich aufgrund ihrer sozialen Lage sowie aufgrund ihrer politischen und religi6sen Einstellungen. Es bestanden Ubereinstimmungen mit M/innem ihrer Schicht und ihrer Konfession. Frauen waren im 19. Jahrhundert Mittr/igerinnen anderer gesellschaftlicher Konfliktund Differenzierungslinien. Die Konkurrenz zwischen den Geschlechtern um Teilnahmechancen vor allem an der Erwerbsarbeit entstand im 19. Jahrhundert als ein historisch neues Phiinomen. Die Frauenerwerbsarbeit und die darauf bezogenen Teilnahmeforderungen (qualifizierte Ausbildung, Vertragsfreiheit, Organisationsfreiheit) wurden mit einem gesellschaftsweiten Antifeminismus beantwortet (vgl. Korotin 1993). Die Ablehnung des Engagements von Frauen ffir gleiche Zugangsrechte ging von allen Schichten der Gesellschaft aus und war in jener Zeit tendenziell gegen die Inklusionsanspriiche aller Frauen gerichtet. Der Antifeminismus speiste sich aus dem bfirgerlichen Geschlechtermodell, das in allen Schichten verbreitet war (vgl. Weiland 1983: 30; Korotin 1993: 10). Indem die ,,bi.irgerlichen Meisterdenker" (Frevert) die Rolle von Frauen als Ehefrau, Hausfrau und Mutt e r - erg~inzt durch die des m/innlichen Familienernfihrers - als einzig giiltiges weibliches Lebensmodell posmlierten, erzeugten sie zugleich die Entgegensetzung yon normalen und abweichenden weiblichen Lebensmustern. An Frauen erging die moralisch unterlegte Erwartung, gute Ehefrauen und Mfitter zu sein (vgl. Schiitze 1986; Biermann 2002). Faktisch allerdings stand der b/irgerlichen Vorstellung einer 6konomischen Absicherung der Frau durch einen mfinnlichen Familienern~hrer eine grol3e Zahl erwerbstfitiger bzw. Erwerbsarbeit suchender Frauen gegeniiber, darunter ein hoher Anteil lediger Frauen. Die Anzahl lediger Frauen im Erwachsenenalter betrug in der zweiten HNfte des 19. Jahrhunderts im Durchschnitt etwas mehr als die H/ilfte (!) der verheirateten Frauen dieser Altersgruppe (vgl. GnauckKtihne 1904: 75). Die Festlegung von Frauen auf die Rolle als Ehefrau, Hausfrau und Mutter zog die Diskriminierung lediger und kinderloser Frauen nach ,.
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Das galt im l~lbrigen auch ftir andere europ/iische Frauenbewegung in jener Zeit; vgl. dazu Phillips (1987).
sich. Ledige Frauen waren in Ermangelung wohlfahrtsstaatlicher Leismngen auf eigene Erwerbsarbeit angewiesen. Die starke Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt schtirte nicht nur Konflikte zwischen den Geschlechtern. Sie hatte auch Interessendifferenzen zwischen Frauen zur Folge, zwischen den so genannten Doppelverdienerinnen und den ledigen, nicht durch Familienaufgaben beanspruchten Frauen. Ledig und kinderlos zu sein, vmrde F r a u e n - auch von ihren Geschlechtgenossinnen- als ein Mangel an Weiblichkeit, als Anomalit~it zugerechnet (vgl. Biermann 2004). Die Entgegensetzung von normaler und abweichender Weiblichkeit wurde durch die moderne Medizin und Gyn/ikologie unterstiitzt. Darin wurde die Menstruation als verfehlte Schwangerschaft bezeichnetet und mit dem Abort gleichgesetzt. Gegentiber der Schwangerschaft geriet sie zum Anomalen (vgl. Wobbe 1989: 57). Aus dem Konglomerat unterschiedlicher sozialer Zugeh6rigkeiten und Interessenlagen von Frauen resultierte ein gespaltenes und fraktioniertes Engagement fiir Frauenrechte, das nur partiell Biindnisse einging. Es gab im 19. Jahrhundert eine Trennung zwischen bi.irgerlichem und proletarischem Engagement ffir Frauenrechte und innerhalb dieser beiden Lager weitere Spalmngen (vgl. Gerhard 1990). Jene Auffassung fiber die Gleichheit der Geschlechter, die als eine egalit/ire, auf der Vorstellung der Gleichheit aller als gleicher Glieder der Gesellschaft beruhte, war nicht darauf abgestimmt, dass Frauen aufgrund von Schicht- und Konfessionszugeh6rigkeit politisch unterschiedliche Interessen verfolgten und sich unterschiedlichen Parteien zuordneten. Im Hinblick auf das Engagement fiir Frauenrechte im 19. und friihen 20. Jahrhundert ist dies als Problem gespaltener Loyaliti~ten herausgearbeitet worden (vgl. Phillips 1987: 71ff.). Das am aufgekl/irten Namrrecht orientierte Gleichheitsverst/indnis bildete ffir den Kampf um Frauenrechte im 19. und friihen 20. Jahrhundert keine einigende Klammer. Es kollidierte mit politisch und religi6s motivierten Interessenunterschieden zwischen Frauen. Mindestens genauso schwer wog aber, dass es nicht direkt auf das unmittelbare Anliegen einer grogen Masse von Frauen ausgerichtet war, nfirnlich angesichts der Konkurrenz zwischen den Geschlechtern um Erwerbschancen dennoch einem Recht von Frauen auf Erwerbst/itigkeit Anerkennung zu verschaffen. Weite Teile der ersten Frauenbewegung setzten auf eine Gleichheitskonzeption, die von anthropologischen Unterschieden zwischen Frauen und M~innern ausging. Sie verfolgten den Anspruch, die Forderung nach weiblichen Teilnahmerechten mit Begriindungen auszustatten, die nicht auf andere Ideologien und Gleichheitskonzepte, sei es des biirgerlichen Liberalismus oder des Sozialismus, zuriickgriff. Die Frauenbewegung sollte nach ihrem Verst/indnis eine soziale Bewegung mit eigenen gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen und eigenen Werten sein (vgl. Biermann 2004: 4ff.).
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4.2 Die Geschlechterdifferenz als Gattungsdifferenz Das Gleichheitsverst/indnis weiter Teile der Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts wies mit dem Ansatz der Geschlechterverschiedenheit eine auffiillige Parallele zur btirgerlichen Geschlechterkonzeption verschiedener Rollen von Frauen und M~innern in der Familie auf. Es beanspruchte aber eine Erg/inzung der Gesellschaft durch einen ,,weiblichen Kulmranteil", d.h. die Mitwirkung von Frauen auch an 6ffentlichen Aufgaben. Das Gleichheitsverst~indnis der/ilteren Frauenbewegung basierte auf der Vorstellung der Existenz ,,zweier Gattungen der Menschheit", eines ,,Wesens der ganzen weiblichen Gattung", einer ,,weiblichen Eigenart" (Lange 1897:13) bzw. der Existenz des ,,Frauseins" als einem ,,Absoluten" und ,,Fiir-sich-Seienden" (Weber 1913:100). Die Namr statte ein Wesen nicht mit der physischen F/ihigkeit des Geb/irens aus, ohne es nicht auch emotional dazu auszuriisten, so eine allgemein verbreitete Auffassung (vgl. Gnauck-Kfihne 1904: 8). Miitterliche Halmngen und Geffihle wurden als eine natiirliche Erscheinung behandelt, dem Vorhandensein der Geschlechtsorgane vergleichbar: ,,Freilich sollte man die Tendenz (zur Miitterlichkeit) ftir so allgemein halten, als ob es andere Geschlechtsmerkmale sind" (Bleuler-Waser 1912: 68). Das auf diesem Frauenbild beruhende Engagement ftir Frauenrechte reklamierte fiir sich den gesellschaftlichen Part einer Kulturbewegung. Die auf die ,,weibliche Eigenart" gestiitzte Vorstellung einer Verschiedenheit aber Gleichwertigkeit der Geschlechter sollte bei Frauen ein ,,Selbstempfinden" als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft hervorrufen (Peters 1984: 76). Die Protagonistinnen der Konzeption einer gleichwertigen Verschiedenheit der Geschlechter behaupteten mit der ,,weiblichen Eigenart" ein ,Sosein' von Frauen, ein gegebenes ,,weibliches Prinzip". Dadurch erhielt ihre Argumentation emphatischen Charakter. Frauen wurden als Personen mit besonderen Werthaltungen angesprochen und als solche zur Teilnahme an Frauenzusammenschliissen aufgefordert. Ein anthropologisches, von l)bereinstimmungen zwischen weiblicher K6rperlichkeit und Mentalit~t ausgehendes Frauenbild erm6glichte es, von einem einheitlichen, jedenfalls grol3e Teile der Frauen umfassenden Bewusstsein auszugehen, so als wfirden die Vielen in ihren Haltungen und Wertungen fibereinstimmen. Das Konzept der Erg~nzung der Gesellschaft durch einen spezifisch weiblichen Kulmreinfluss war im Hinblick auf die Ausdifferenzierung eines kollektiven Engagements fiir Frauenrechte fiber einen 15~ngeren Zeitraum augerordentlich erfolgreich (vgl. Albisetti 1982). Diese personnahe und wertbezogene Argumentation prggte fiber drei Jahrzehnte hinweg, d.h. von den 1890er Jahren bis in die 1930er Jahre, die Leitlinien von ffinf fiberregionalen Frauenorganisa-
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tionen? Deren Engagement konturierte sich fiber die Propagierung einer ,,sozialen" bzw. ,,organisierten Mfitterlichkeit". l)ber weibliche Berufe sollte ein weiblicher Kulmranteil in der Gesellschaft realisiert werden (vgl. Stoehr 1983).
4.3 Fraueninklusion im sch ichtspezifischer , bias'
Erwerbsbereich:
Weibliche
Professionen
und
Mit der Schaffung weiblicher Professionen in den Bereichen Bildung, Erziehung, soziale Arbeit wurde der Zugriff auf den mittleren Bereich der S innebenen von Erwartungsbildung, d.h. auf den der Rollen realisiert. Damit gelang eine (Selbst-) Zuordnung von Frauen der bfirgerlichen Schichten zu Berufsbereichen des Bildungsbfirgermms, zu den so genannten Mittelschichtberufen. Die Verknfipfung von kulturellen Mitwirkungsrechten mit 6konomischen Rechten war ein schichtspezifisches Konzept und erst in dieser Kombination Motor ftir ein Engagement von Frauen ffir ein Recht auf Erwerbsarbeit. Auf diese Weise konnten bfirgerliche Frauenrechtlerinnen vor allem Frauen der eigenen Schicht gewinnen (vgl. Beyer 1933: 25). Die Erwerbsbedingungen von Arbeiterinnen fanden in diesem Konzept beruflicher Fraueninklusion kaum Beriicksichtigung. Es schloss fiberdies die Gleichrangigkeit der Erwerbsansprfiche lediger und verheirateter Frauen aus. Die/iltere Gleichheitsauffassung sah Mutterschaft und Bemfstfitigkeit als nicht miteinander vereinbar an. Die Berufst/itigkeit in den neu entstehenden qualifizierten Frauenberufen sollte vor allem ledigen Frauen vorbehalten sein. Der Anspruch lediger bemfst/itiger Frauen (der ,sozialen Mfitter'), die beruflich Einsatz f~ihigeren Frauen zu sein, zeigt an, dass Alternativen zum dominanten Bild einer natiirlichen Bestimmung der Frau zur Ehe und zur Mutterschaft sich nur behaupten konnten, wenn sie sich moralisch besonders legitimierten. Dies war zugleich Ausdmck des Mangels einer anerkannten Frauenrolle jenseits von Ehe und Familie. Der Emanzipationsansatz einer gleichwertigen Verschiedenheit von Frauen und M/innem war schichtspezifisch, d.h. an den gesellschaftlichen Teilnahmeinteressen einer bestimmten Gruppe der weiblichen Bev61kerung ausgerichtet, d.h. an denen lediger Frauen der bfirgerlichen Schichten.
Es handelte sich um den Allgemeinen Deutschen Frauenverein, den Bund Deutscher Frauenvereine, den Deutsch-Evangelischen Frauenbund, den Katholische Frauenbund Deutschlands (KFD) und den Jtidischen Frauenbund (JFB). Sie bezogen sich seit den 1890er Jahren ausdriicklich auf die Vorstellung, einer durchgfingigen k6rperlichen und seelischen Verschiedenheit der Geschlechter. Die Vereine 16ste sich in den 1930er Jahren auf oder wurden von den Nationalsozialisten verboten (vgl. Biermann2004: 98ff.). 61
Die Schaffung neuer Frauenberufen vollzog sich als Bestandteil der Ausdifferenzierung des modernen Sozialstaats und seiner Institutionen (vgl. Peyser 1958; Stoehr 1983). Dieses ,Nischenkonzept' baute auf der Argumentation weiblicher Sonderqualifikationen auf und war insofern erfolgreich, als Frauen vorbehaltene Arbeitsmarktsegmente entstanden, die qualifizierte und vergleichsweise angesehene Berufe umfassten (vgl. Olk 1991). Eine Ausweitung der Fraueninklusion wurde nicht durch ein Streitigmachen m~innlicher Arbeitsbereiche herbeigeffihrt, sondern durch die Etablierung von Leistungsrollen, die sich durch ein weibliches Gestaltungsverm6gen auszeichnen sollten und ganz wesentlich ein weibliches Publikum zum Pendant hatten.
4.4 Gesellschaftliche Sittlichkeit und die Moralisierung des Weiblichen Erfolge der erste Frauen(berufs)organisationen wie die Einffihrung von AusbildungsgS.ngen ffir Frauen, die Verbesserung der Frauenerwerbschancen sowie die Durchsetzung des Frauenwahlrechts riefen in den 1920er Jahren ein Abebben des Engagements ffir Frauenrechte hervor. Die Konzeption einer gleichwertigen Verschiedenheit der Geschlechter erfuhr durch seine Vertreterinnen eine Zuspitzung auf Fragen der gesellschaftlichen Sittlichkeit und der ,,sexuellen Ethik". In jener Phase, in der die moderne Gesellschaft zu einer demokratischen Verfassung tiberging und traditionelle Bindungsformen rnehr und mehr erodierten, wiesen sie Frauen eine besondere Verantwormng fiir die Einhaltung der biirgerlichen Sexualmoral und der Durchsetzung des Modells der monogamen Dauerehe zu. Modelle der ,,freien Liebe bzw. der ,,freien Ehe" wurden von ihnen als moralisch verwerflich abgelehnt (vgl. Biermann 1990). Die von politisch links orientierten Frauen erhobene Forderung nach der Abschaffung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs wurde nicht mitgetragen und als schichtspezifisches bzw. parteipolitisch forciertes Thema betrachtet, nicht als allgemeines Frauenthema (vgl. Saatz 1991). Damit trat deutlich hervor, dass die Forderung, Frauen als den M~innem gleichwertig anzuerkennen, in besonderer Weise an Frauen adressiert war. Sie sprach sie unmittelbar als Personen an, die ihren (Selbst-)Wert aus der Beziehung zum eigenen K6rper bzw. dem Umgang mit der eigenen Sexualit/it ableiten sollten. Die Auffassung, dass mit der Zugeh6rigkeit zum weiblichen Geschlecht auch bestimmte (Lebens-)Haltungen verbunden sein sollten, lief tendenziell auf eine moralische l)berlegenheit von Frauen gegeniiber M~innem bzw. eine Repr/isentation sittlicher Werte durch das weibliche Geschlecht hinaus. Der Anspruch einer moralischen lJberlegenheit von Frauen gegenfiber
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M/innem hatte jedoch eine real einsetzende Abl6sung von Sittlichkeitsnormen von kollektiven Vorgaben zur Gegenspielerin (vgl. Saatz 1991).
4.5 Inklusion von Frauen in das politische System
Innerhalb des politischen Systems blieb die Institutionalisierung ausschlieglich Frauen vorbehaltener Kontexte aus (vgl. Beyer 1933:1 l f.). Die Anerkennung des Frauenwahlrechts bedeutete auch ftir Frauen, an der Politik fiber die Zugeh6rigkeit zu politischen Parteien mitzuwirken. Frauenfragen wurden mit parteipolitischen Interessen und politischen Ideologien verknfipft. Politische Auseinandersetzungen unterlagen der Orientierung an der Erhaltung oder Erlangung politischer Macht, d.h. der Konkurrenz der Parteien um die Regierungsmacht. Die Forderung nach einer st/irkeren Beteiligung von Frauen im Parlament trat hinter parteipolitischen Interessen und Priorit/iten im Kampf um politische Macht zurfick (vgl. Schfiller 2000: 64ff.). Nach der Einftihrung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts 1919 erfolgte die Inklusion von Frauen in Leistungsrollen des politischen Systems entlang von Partei-, Schicht- und Milieubindungen. Im ersten demokratisch gew/ihlten Parlament (1919) betrug der Anteil der weiblichen Abgeordneten aus dem Lager der bfirgerlichen Frauenbewegung 20 Prozent. 60 Prozent der weiblichen Abgeordneten waren Sozialistinnen. 20 Prozent der Parlamentarierinnen geh6rten konfessionell orientierten Parteien an (1/4 evangelisch, 3/4 katholisch). Von 1920 bis 1930 verlagerte sich das Gewicht der politischen Vertremng von Frauen im Parlament auf Sozialdemokratinnen, Sozialistinnen und Kommunistinnen. Der Anteil von weiblichen Abgeordneten aus den konfessionell ausgerichteten Parteien blieb konstant (vgl. Beyer 1933: l lf.). Das Engagement der Parlamentarierinnen in Frauenfragen war parteipolitisch gebunden und unterlag Fraktionszw~ingen. Ffir die Erlangung eines Mandats und die Karriere als Berufspolitikerin mussten Frauen fest in ihren Parteien und deren Ideologie verankert sein (vgl. Lauterer 2002: 45ff., 147ff.; Schaser 2000:21 lff.).
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5. Die zeitgeniissische Gleichheitskonzeption: Gleichstellung von Frauen und M~innern
Chancengleichheit
und
5.1 De-Institutionalisierung der modernen Kleinfamilie und wohlfahrtsstaatliche Inklusionsmaflnahmen Ende der 1960er Jahren entstanden die neuen sozialen Bewegungen und mit ihnen ein erneutes Engagement fiir Frauenrechte. Der Protest gegen bfirgerliche Lebensvorstellungen und ungleiche Beteiligungschancen weiter Bev61kerungsgruppen an politischer und wirtschaftlicher Macht korrelierte mit dem Bedeutungsverlust verwandtschaftlicher und religi6ser Bindungen seit dieser Zeit. Der Monopolanspruch der Kirchen auf Vorgaben zu ,richtiger' Lebensftihrung konnte sich zunehmend weniger gegen Forderungen nach individueller Lebensgestaltung behaupten (vgl. Kaufmann 2000:113f.). Das Ende des ,,Golden Age of Marriage" (vgl. Tyrell 1988: 151) 9 wurde durch die Entwicklung hormonaler Kontrazeptiva durch die Medizin und die Vollinklusion der Bev61kerung in medizinische Versorgung flankiert. Die neue Verhtitungsmethode nahm unter den Verhfitungsmitteln rasch den ersten Platz ein (vgl. Gr/iser-Bachmann 1995: 2). Sie erm6glichte Frauen einen Biografieverlauf, bei dem im (jungen) Erwachsenenalter Priorit/iten auf (eine l~ingere) Ausbildung und volle Bemfst~itigkeit gelegt werden konnte (vgl. MacKaughan 1990). Fiir die Individualisierung weiblicher Biografien wurde aber auch ein sich durchsetzendes Verst/indnis von Familie entscheidend, das deren Einheit nicht mehr ,,oberhalb der Individuen" ansiedelte (Tyrell 1993:143). ,,Alternative Lebensformen" und ,,Wahlverwandtschaften" riickten in ihrer sozialen Anerkennung neben Ehe und Familie (vgl. Beck-Gernsheim 1994:115). Die Forderungen der neuen sozialen Bewegungen nach der Ausweimng und staatlichen Garantie gesellschaftlicher Beteiligungsrechte (vgl. Kaase 1982) hatte in den um knappe Mehrheiten ringenden Parteien resonanzf'~ihige Adressatinnen. Daffir war deren ver/indertes Selbstverst~indnis weg von Milieu- und Klientelparteien hin zu Volksparteien ausschlaggebend (vgl. Neidhardt 1985: 193ff.). Der Wert der Gleichheit erhielt fiber das Verfassungsrecht hinaus zentrale Bedeutung auch ftir das B ildungssystem und dessen Lehrprogramme sowie ffir die Politik und die Parteiprogramme. Der Staat baute die gleichberechtigte und familienunabh/ingige Partizipation an seinen Leismngen durch F6rdermal3nahmen aus. Inklusionsvermittlungen des Staates erfuhren eine Ausrichtung am Prinzip der Notwendigkeit der Inklusion aller in alle wichtigen Funktionssyste9
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In den 1950er und 1960er Jahren schlossen fiber 90 Prozent aIler Erwachsenen innerhalb der einzelnen Jahrg~ingeeine Ehe.
me der Gesellschaft. Von der allgemeinen Verbesserung gesellschaftlicher Partizipationschancen profitierten auch Frauen (vgl. Weinbach/Stichweh 2001: 37). Die Ausweitung der Bildungsangebote und Kapazit/iten von Schulen und Hochschulen stiegen in der Bev61kemng auf breite Resonanz. Die Erwerbs- und Aufstiegschancen benachteiligter Bev61kerungsschichten verbesserten sich. AuBerh~iusliche Bet/itigungsbereiche erfuhren in der Bev61kemng eine Aufwertung, und zwar auch durch Frauen (vgl. Kuhn/Tornieporth 1980:17ff.). Die 1970er Jahre markieren den Beginn einschmeidender Verfindemngen in den Einstellungen zu individuellen Rechten und staatlichen Leistungen, insgesamt einen Umbruch zur ,,zweiten Moderne" (Beck 1997: 16). Das modeme Postulat der Gleichheit erfuhr eine Ausweimng. Nunmehr wurde zwischen formaler und faktischer unterschieden und eine noch nicht erreichte soziale Gleichheit angemahnt (vgl. Hondrich 1984: 267ff.). Wohlfahrtsstaatliche Inklusionsansprtiche traten an die Stelle der schicht-, religions- und geschlechtsbezogenen Konflikte um Teilnahmechancen des 19. und friihe 20. Jahrhunderts. Unter diesen Vorzeichen bildete sich ein zweites Engagement ftir Frauenrechte heraus.
5.2 Die Geschlechterdifferenz als analytische Kategorie Die Anf'finge der zweiten Frauenbewegung waren durch die Forderung nach einem Recht von Frauen auf individuelle Selbstbestimmung gepr~igt. Zentrale Bedeutung fiir die Mobilisierung von Protest hatte anfangs der Kampf gegen die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs (vgl. Janssen-Jurreit 1979; Marx Ferree 1990: 290ff.). Die eher informell als vereinsm/il3ig organisierten Frauenzusammenschltisse betrachteten sich als ,,Gegenwelten" zur m/innlich gepr~igten Gesellschaft und als autonome Gestalmngsr~iume ftir Frauen. Das Aufgreifen provokanter und tabuisierter Themen - die Verpflichtung von Frauen auf Ehe und Mutterschaft, ihre sexuelle Unterdrfickung und das staatliche und strafrechtlich sanktionierte Verbot des Schwangerschaftsabbruch (vgl. JanssenJurreit 1 9 7 9 ) - brachte rasch jene Beobachtungsweise auf den Weg, die das zeitgen6ssische Gleichheitsverst/indnis entscheidend pr~igen sollte: die Betrachtung von Weiblichkeitsnormen als soziale Konstruktionen, als aus der physischen Differenz von Geschlechtsk6rpem abgeleitet (vgl. Butler 1991; Gildemeister/Wetterer 1992). Das zeitgen6ssische Gleichheitsverst/indnis bricht mit der Anerkennung von Erwarmngsbildung, d i e - ausgehend vom weiblichen K6rper- auf je einzelne Frauen, also auf Frauen als Personen schliegt und daraus wertbezogenes (,gutes') Verhalten ableitet. Es legitimiert sich dementsprechend nicht mehr fiber Anspriiche, einen weiblichen Kulturanteil zu verwirklichen und nicht mehr fiber weibliche Aufgaben und Rollen.
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Die Anfang der 1980er Jahre einsetzende Instimtionalisierung der Frauenforschung und der Gender Studies fiihrte zur wissenschaftlichen Bearbeitung von Themen der Frauenbewegung. Die ersten Theoriedebatten und die empirischen Untersuchungen zur Lebenssituation von Frauen regten weitere Betrachmngen und Deumngen der Gesellschaft aus der Geschlechtel~erspektive an. Unterscheidungen wie die von Haus- und Erwerbsarbeit (vgl. Osmer 1979), privater und 6ffenflicher Sph/ire (vgl. Hausen 1990: 268ff.) sowie der Begriff geschlechtsspezifische Arbeitsteilung (vgl. Beck-Gemsheim 1976) wurden zu leitenden Kategorien feministischer Gesellschaftskritik. Politisch schlug sich die Analyse einer nach Geschlechtern segregierten Gesellschaft in der Fordemng nach der Ausweitung der Teilnahmechancen von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen nieder. Die Beseitigung der Unterrepr/isentanz von Frauen in aul3erh/iuslichen Arbeits- und Entscheidungsbereichen bildete sich zum Kemstiick feministischer Politik heraus. Mit Forderungen nach Gleichstellungsgesetzen und Mal3nahmen zur Frauent'6rdemng wurden gleiche, d.h. dem Anteil der Frauen an der Bev61kemng entsprechende Verteilungen zum Leitmag ftir die Aufhebung der Benachteiligungen von Frauen, dafiir, von einer nur ,,formalen" zur ,,faktischen Gleichberechtigung" der Geschlechter zu gelangen (vgl. Stackelbeck et.al. 1989: 8; Kodr6 1998). Um Gleichstellung zu erlangen, sind staatliche F6rderprogramme und Quotenregelungen gefordert und eingeftihrt wurden. Der Zugriffspunkt der zweiten Frauenbewegung liegt hinsichtlich der S innebenen von Erwartungsbildung auf programmbezogener Kommunikation. Teilweise beruht diese Kommunikation auf kompakten Forderungen mit appellativem Charakter (,,H/ilfte/H/ilfte"), teilweise ist sie auf Grund rechtlicher Mal3nahmen (Gleichstellungs- bzw. Quotenregelungen) in Anweisungen fiir das Verwalmngshandeln umgesetzt worden. Die konkrete Anwendung von Regeln zur Gleichstellung hat allerdings often gelegt, dass die Verknfipfung der Unterscheidung von Frauen und M/innem mit der Unterscheidung von Benachteiligten und Bevorrechtigten auf das Problem einer Differenz zul/iuft, fiir die im Anwendungsfall, d.h. bei der Auswahl von Individuen ftir Leismngs- und Publikumsrollen, keine Kriterien ftir richtige oder falsche Optionen gebildet werden k6nnen. Die aus der Gleichheitsforderung entwickelten Gleichstellungsprogramme schliegen an Empfindungen von Gruppenbenachteiligungen an, berticksichtigen aber nicht den Anspruch der individuellen Gleichbehandlung. Deshalb gibt es Kollisionen mit der anderen mittleren Sinndimension von Erwartungsbildung, der der Rollen bzw. der Leismngsrollen. Die Erh6hung von Frauenanteilen wird von Funktionskontexten nicht als prim/ires Auswahlkriterium anerkannt und verst613t gegen modernes, am individuellen Fall ausgerichtetes Entscheiden (vgl. Ebsen 1994).
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In zwei Funktionskontexten haben die Forderungen der Frauenbewegung Institutionalisierungsprozesse hervorgerufen. In der Wissenschaft hat seit den 1980er Jahren die Institutionalisierung der Frauen- und Geschlechterforschung durch die Einrichtung von Lehrstiihlen, Forschungszentren und SmdiengS.ngen stattgefunden. Sie ist Teil des Bildungs- und Ausbildungssystem, iibemimmt aber auch wichtige Funktionen bei der Ausstattung politische Akteure mit Expertenwissen (vgl. Nave-Herz 1994: 95). Innerhalb des politischen Systems sind in den 6ffentlichen Verwaltungen Instanzen geschaffen und Magnahmen implementiert worden, die Gleichstellungsaktivit/iten in vielen gesellschaftlichen Bereichen ausgel6st haben. Auf europ~iischer und internationaler Ebene haben ~ihnliche Institutionalisierungsprozesse stattgefunden (vgl. Hoskyns 1996). Teile der politischen Parteien haben Regelungen zur Erh6hung des Frauenanteils in politischen Entscheidungsinstanzen verankert. Auf parlamentarischer Ebene reicht der Frauenanteil im bundesdeutschen Durchschnitt heute an die 30%-Marke heran. ~mliches gilt ffir das Europ/iische Parlament (vgl. H6cker 1995).
5.3 Unterschiede zwischen den Geschlechtern sowie Unterschiede zwischen Frauen
Das egalit~ire Gleichheitskonzept blieb innerhalb feministischer Diskurse nicht unwidersprochen. Mit der Gleichstellungsforderung wiirden mfinnliche Werte und Lebensvorstellungen weit gehend fibernommen und die Ausblendung spezifisch weiblicher F/ihigkeiten und Leismngen fortgesetzt. Diese Kritik wurde von jenen Frauenrechtlerinnen formuliert, die die Arbeit von Hausfrauen und Mfittern und das ,,weibliche Arbeitsverm6gen" als besondere gesellschaftliche Ressource anerkannt wissen wollten (Hagemann-White 1986: 38ff.). Sie wiesen darauf hin, dass die Forderung nach der Gleichstellung der Geschlechter auch die ,,positive Anerkennung der Geschlechterdifferenz einschliegen miisse" (Maihofer 1991: 38). Das Recht auf ,,Gleichheit und Differenz" (Gerhard et. al. 1990) wurde fiir kurze Zeit zu einem neuen Posmlat feministischer Diskurse. 1~ Aussagen fiber Unterschiede zwischen den Geschlechtem riefen allerdings die Beffirchtung einer Neubelebung von Vorstellungen einer natiirlichen und angeborenen Geschlechterverschiedenheit hervor und damit einer Verengung der Wahlm6glichkeiten von Frauen auf klassische Frauenrollen im Rahmen ge-
10 Nicht nur in Deutschland, sondem in den meisten Frauenbewegungen Europas (vgl. Gerhard et.al. 1990). 67
schlechtsspezifischer Arbeitsteilung. 11 Gleichstellungsforderungen wurden auch nicht mit Geschlechterunterschieden bzw. mit den positiven Merkmalen des ,,weiblichen Arbeitsverm6gen" begrfindet. Dies h~itte bedeutet, gesellschaftliche Teilnahmerechte von Frauen auf ,wertvolle' weibliche Kompetenzen und Werthaltungen zu stfitzen. Ganz im Unterschied zum 19. und frfihen 20. Jahrhundert blieb der Diskurs fiber Unterschiede zwischen den Geschlechtern programmatisch ohne Konsequenzen. Dieser Diskurs verst/irkte allerdings die Aufmerksamkeit ffir soziale Unterschiede zwischen Frauen. Das Posmlat der sozialen Konstruktion der menschlichen Zweigeschlechtlichkeit (vgl. Kessler/McKenna 1978; Butler 1991; Gildemeister/Wetterer 1992) wurde auch auf die Gleichstellungsforderung der Frauenbewegung bezogen, der eine einseitige Orientierung an der Lebenssimation weil3er heterosexueller Mittelschichtfrauen vorgehalten wurde (vgl. Reinsch 1999: 3f.). Der Einwand nicht-b/irgerlicher, farbiger und homosexueller Frauen gegen die bfirgerliche Forderung nach der Gleichstellung der Frauen lautete, dass der B lick auf Ungleichheiten im Geschlechterverhfiltnis den Blick fiir andere gesellschaftliche Konfliktlinien verstelle, ~ r Diskriminierungen, die Frauen auf Grund ihrer sozialen Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen Zugeh6rigkeit oder ihrer Homosexualit~it erfiihren (vgl. Fraser/Nicholson 1990: 27).
5.4 Weitere Wertbegriffe." Geschlechterdemokratie und Gender-Mainstreaming Die Kritik einer einseitigen Orientierung feministischen Engagements an Mittelschichtnormen wurde von den Verfechterinnen des Gleichstellungsanspruchs mit dem Hinweis zurtickgewiesen, dass das Gespfir ffir Gerechtigkeitsdefizite bzw. fiir den Einfluss der Geschlechtszugeh6rigkeit auf die Rechte von Frauen verloren zu gehen scheine (vgl. Klinger 1995: 812). Wer nach anderen sozialen Unterschieden frage, dfirfe dartiber nicht die Diskriminierungen fibersehen, die Frauen deshalb erfahren, ,,weil sie Frauen sind" (Nussbaum 1999: 450f.). Die ethisch unterlegte Argumentation mangelnder Gerechtigkeit gegentiber Frauen r/ickte die Beobachtung von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern wieder in den Mittelpunkt feministischer Diskurse. Die Forderung nach ,,Geschlechtergleichstellung" ist seit Mitte der 1990er Jahre durch den Anspruch auf ,,Geschlechtergerechtigkeit" und ,,Geschlechterdemokratie" (Lukoschat 1997: 7) erg~inzt worden. Diese Werte stehen ftir ein erweitertes Gleichheitsverst~indnis im S inne einer umfassenden Demokratisierung der Lebensverh/iltnisse zwischen Frauen und Mgnnem, fiir eine gerechte Ressourcenverteilung und ftir Gei 1 Vgl.far die Kontroverse Klinger(1995). 68
schlechterparit/it (vgl. Wedl/Bieringer 2002: 9ff.). Sie sollen durch das Konzept des ,,Gender Mainstreaming" umgesetzt werden, das organisatorische und thematische Einbeziehung geschlechterbezogener Gesichtspunkte in alle Politikfelder gew~hrleisten soll (vgl. Blickh/iuser 1999: 85). Soziale Unterschiede zwischen Frauen haben in der zweiten Frauenbewegung nicht ann/ihemd jene Abbildung in Organisationsstrukturen gefunden, wie dies im 19. und frfihen 20. Jahrhundert der Fall war. Die zweite Frauenbewegung bzw. die daraus hervorgegangenen frauenpolitischen Instimtionen haben Kommunikation in Gang setzen k6nnen, die den Wert der Gleichheit und der Gleichstellung auf die kommunikative Sinnebene Person so bezieht, dass Frauen im Ganzen zu einer benachteiligten Gruppe werden und zugleich jede Einzelne gemeint ist. Der kommunikativ mitlaufende Bezug auf kompakte modeme Wertformeln erm6glicht es, die Benachteiligung von Frauen gegenfiber M~innern als Normabweichungen zu deklarieren.
6. Abschliel~ender Vergleich Zum Schluss werden die beiden Gleichheitsauffassungen skizzenhaft gegenfibergestellt. Das hier skizzierte/iltere Gleichheitsverst/indnis baute auf der Vorstellung einer natiirlichen Unterschiedlichkeit der Geschlechter auf. Deshalb konnte es auf eine spezifisch weibliche Art und einen allgemeinen Frauentypus schliegen. Die ,,weibliche Eigenart" war nicht an die Erfahrung der Mutterschaft geknfipft, sie galt als Eigenschaft von Frauen schlechthin. Mit der Vorstellung von geschlechtsspezifischen Gattungstypen basierte diese Gleichheitsauffassung auf der Sicht einer Komplementarit/it der Geschlechter, ohne jedoch die Seite des Mannes bzw. des M/innlichen zu umreigen. Der komplement/ire Ansatz hatte ein historisch neues Ph~inomen zum Hintergrund, die Konkurrenz der Geschlechter um Teilnahmechancen vor allem im Erwerbssystem. Die Propagierung eines weiblichen Gattungstypus' bzw. Geschlechtscharakters im 19. und frfihen 20. Jahrhundert ging nicht nur auf die Schriften der m~innlichen Konstrukteure der bfirgerlichen Gesellschaft zurfick, auf seine Kopplung an die Kleinfamilie als sich etablierendem Normaltypus privaten Lebens. Sie resultierte auch aus dem Emanzipationsverst~indnis einer Frauenbewegung, die ftir die Durchsetzung weiblicher Teilnahmerechte auf ein weibliches Selbstverst/indnis von Frauen setzte. fiber diese personnahe und wertbezogene Argumentation gelang es, Frauen fiir die Mitwirkung an Organisationen der Frauenbewegung zu gewinnen. Darfiber gelang es, ffir (ledige) Frauen anerkannte Rollen, d.h. Berufsrollen und -felderjenseits von Ehe und Familie zu schaffen. Es wurde m6glich, ~ r Frauen qualifizierte berufliche Aufgaben zu erschliegen und weibliche Teilarbeits-
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m/irkte zu etablieren. Das auf Geschlechterverschiedenheit gestiitzte Engagement fiir die Fraueninklusion erzielte Erfolge im Erwerbsarbeitsbereich und zwar dort, wo ein weibliches Arbeitsverm6gen im Rahmen des Aufbaus wohlfahrtsstaatlicher Instimtionen nachgefragt wurde. Innerhalb des Bildungssystems entstanden Berufe ftir Frauen vor allem dort, wo es um die Vermittlung von Erziehung und Wissen an (weibliche) Kinder und heranwachsende Frauen ging. Der Besetzung von Leismngsrollen mit Frauen korrespondierte die Zusammensetzung des Klientels aus Frauen (vgl. Stoehr 1983). Die Qualifiziemng von Frauen ffir diese Leismngsrollen 6ffnete Frauen sukzessive die Tore zur h6heren und akademischen Bildung, zun/ichst fiber den Weg Frauen vorbehaltener Instimtionen (vgl. Heinsohn 1996). Diese Strategie war allerdings nur bedingt tauglich, die geschlechtsspezifischen Asymmetrien des Arbeitsmarktes und die (tendenzielle) Ausgrenzung der grogen Masse der Frauen aus der Erwerbsarbeit zu beseitigen, l~lberdies hat sich die Separierung der h6heren Frauenbildung in M~idchen und Frauen vorbehaltenen Schulen einschlieglich der Unterrichtung von M/idchen durch Lehrerinnen als p/idagogisches Konzept langfristig nicht halten k6nnen. Seit den 1960er Jahren ist sie der Koedukation gewichen. Die h6here Bildung von M/idchen gilt seitdem auch nicht mehr exklusiv als Frauenaufgabe (vgl. Faulstich-Wieland 1991). Die Ausweitung der Fraueninklusion durch Frauenaufgaben und-berufe hatte im Bildungsbereich nur eine begrenzte historische Reichweite. Wie eingeschrfinkt sich die Vorstellung von Frauen und M~innern als Teile zweier Menschheitsgattungen und als Differenz zweier Kulmrelemente in interne Strukturen von Funktionssystemen umsetzen liel3, zeigt sich augenf~illig an der Selbstzuordnung von Frauenrechtlerinnen zu den verschiedenen politischen (Milieu-)Parteien jener Zeit. In der Konkurrenz um politische Macht forderten die Parteien von Politikerinnen in erster Linie eine Identifikation mit ihren jeweiligen Zielen und mit ihrer Klientel. Die politische Spalmng der Frauenbewegung des 19. und frtihen 20. Jahrhunderts in parteigebundene Fliigel fand im parlamentarischen System eine Fortsetzung. Die erste Frauenbewegung gelangte in den 1930er Jahren an ihr Ende. Die auf die Idee eines weiblichen Kulmranteils gestiitzten Organisationen der Frauenbewegung verloren an Integrationskraft. Die Polarisierung zwischen dem Nationalsozialismus und den sozialdemokratischen bzw. kommunistischen Str6mungen brachte die Diskussion um Frauenrechte in den Parteien in der ersten deutschen Republik schliel31ich ganz zum Verschwinden (vgl. Gottschewski o.J.). Die Konzeption gleichwertiger, aber verschiedener Geschlechter war auch insofern nicht zukunftsfahig, als die in den 1970er Jahren neu entstehende Frauenbewegung daran nicht anknfipfte. Ganz im Kontrast dazu, ist sie von Beginn
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an jeder Herleitung von Erwartungen an Frauen entgegengetreten, die darauf bemhen, dass sie einen weiblichen Geschlechtsk6rper haben, die vom K6rper auf Verhalten von Frauen als Personen schliegen und dariiber auch geschlechtsspezifische Rollenerwarmngen begriinden. Themen, wie das Recht auf individuelle Lebensgestaltung und die Selbstbestimmung fiber den eigenen K6rper, sind als allgemeine Frauenthemen anerkannt. Der weibliche K6rper wird im gegenw/irtigen Gleichheitsverst/indnis zum Anknfipfungspunkt fiir die Kritik von Weiblichkeitsnormen und stereotypen Erwartungen an Frauen. Dieser Ausrichtung entspricht die Forderung nach anteiligen gesellschaftlichen Teilnahmerechten von Frauen. Die besondere Reichweite der gegenw/irtigen Gleichheitskonzeption liegt in der Verkmfipfung zweier universal anwendbarer Beobachtungsschemata, dem von Frauen und M/innem mit dem von gleich und ungleich. Damit ist es m6glich geworden, eine Vielzahl von Themen in den Horizont des Korrekturbedfirftigen zu rficken. Unterstiitzt durch die Aufnahme weiterer kompakter Wertebegriffe wie ,,Geschlechtergerechtigkeit" und ,,Geschlechterdemokratie" hat sich die Forderung nach der Gleichstellung der Geschlechter zur dominanten Ausrichtung der zweiten Frauenbewegung und der daraus entstandenen frauenpolitischen Institutionen und Organisationen entwickelt. Spezifische Rollen und Aufgaben fiir Frauen lassen sich mit dieser Ausrichtung nicht verknfipfen. Die Ebenen der Sinnbildung: Person, weiblicher K6rper und Werte werden im gegenwfirtigen Gleichheitsverst~indnis nicht mehr anthropologisch fundiert. Weiblichkeitsnormen werden nur noch als Konstruktionen begriffen. Die Differenzierung der Ebenen von weiblicher K6rperlichkeit und Person ist allerdings auch durch den hohen Stellenwert begfinstigt worden, den der Wert der Gleichheit seit den 1970er Jahren in wichtigen Funktionssystemen der modernen Gesellschaft- vor allem im Rechts- und im politischen System- einnimmt. Sie ist aber auch durch die ebenfalls in den 1970er Jahren einsetzende De-Institutionalisierung von Ehe und Familie entscheidend flankiert worden, die wiederum erst durch die massenhafte Verbreitung von hormonalen Kontrazeptiva m6glich wurde, d.h. durch die Inklusion der weiblichen Bev61kemng in das System medizinischer Versorgung. Das zeitgen6ssische egalitiire Gleichheitsverst/indnis pl/idiert nicht ffir eigens Frauen vorbehaltene Aufgaben und Arbeitsbereiche; es erkennt einen ausschlieglich M/innem zustehenden Zugang zu Organisationen nicht an. Indem seine Verfechterinnen bei der Analyse der modernen Gesellschaft auf geschlechtsspezifische Ausschlusslinien fokussieren sowie auf nicht eingel6ste bzw. in die Zukunft adressierte Anspriiche, geraten weder geschlechtsbezogene De-Institutionalisierungsprozesse in den Organisationen der Funktionssysteme in den Blick (Schule, Hochschule, Parteien, Betriebe etc.) noch die Pluralisie-
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rung der Lebenslagen von Frauen (vgl. Heintz/Nadai 1998: 78ff.)..~nlich wie auf die/iltere trifft auch auf die zeitgen6ssische Gleichheitsauffassung zu, von eigenen Erfolgen fiberholt zu werden. Zwei Kontexte der modemen Gesellschaft sind in besonderer Weise auf die Bezugnahme auf den K6rper bzw. die Differenz der Geschlechtsk6rper angewiesen: Intimbeziehungen und die ftir Beteiligungsrechte von Frauen eintretenden Frauenbewegungen. Ffir das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium im Rahmen von intimbeziehungen, der Liebe, ist der Bezug zur leiblichen Beteiligung am Zusammenleben durch ein Mitsymbolisieren des K6rpers spezifiziert. Es werden spezielle und dabei auch nach Geschlechtern verschiedene Erwartungen an Individuen als Personen gebildet und mit dem K6rper verknfipft. Dies geschieht im Rahmen von Exklusivit/it beanspruchenden Intimund Sexualbeziehungen. Exklusive Rollen als Intim- und EhepartnerInnen sowie als Mfitter und V/iter erm6glichen es, privat-intime und dabei auch geschlechtsspezifisch strukmrierte Beziehungen von anderen Beziehungen zu unterscheiden (vgl. Luhmann 1983:31). Das Exldusivit/itskriterium berfihrt auch in der Weise die Differenz der Geschlechtsk6rper, indem eine Pr/iferenz fiir Hetero- oder Homosexualit/it signalisiert wird. Der Kommunikation fiber Gleichheit bzw. der Generierung von Erwartungen und Normen in Richtung Geschlechtergleichstellung und gleicher Beteiligungsrechte fehlt eine solche Mitsymbolisierung durch den K6rper. Zwischen beidem kommt nur eine widerspriichliche bzw. leere Symbiose zustande. Die prek/ire Rolle des K6rpers in der Argumentation ftir die Ausweitung der gesellschaftlichen Teilnahmerechte von Frauen bleibt durch den Rekurs auf uneinge16ste Werte und deren Forcierung durch weitere Wertbegriffe allerdings verborgen.
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Anima pastoris Maren Lehmann 1
,,Der Pfarrer beobachte mehr als er handle!" (Krfinitz 1794:61)
1. Amt/Haus Literamr, die die Probleme des Pfarramts gleich welcher Konfession als Folgeprobleme des P f a r r h a u s e s bzw. dessen prek~irer, weil strikter Verknfipfung religi6ser, 6konomischer und politischer Fragen betrachtet, findet sich in Ftille. Der protestantischen Seite, vonder hier die Rede sein soll, wird das Thema im ausgehenden 19. Jahrhundert wichtig und bleibt es bis in die 1930er Jahre (vgl. Janz 1994: 399ff.). Die 1970er ffihren noch einmal halbherzig erregte Debatten, als im Zuge der trivialpraktischen Soziologisierung theologischer Debatten der Modellcharakter des Pfarrhauses erneut ausgerufen wird - wenn auch jetzt abwehrend (,,kritisch") und nicht mehr wie um die Jahrhundertwende affirmativpropagandistisch (und wohl auch, weil im Zusammenhang des konspirativen Terrorismus diskutiert wurde, ob das verbriefte Asylrecht der Kirchen auch von Pfarrh/iusem gew/ihrt werden konnte). So oder so gilt seit 150 Jahren: W e r - aus welchen Grfinden auch i m m e r - fiber bfirgerliche Hauswirtschaften und Familien schreiben wollte, hat bevorzugt das Pfarrhaus entdeckt und daraus mal einen mal sfiglich-idyllischen, mal kalt-verklemmten Anachronismus gemacht. Dieser Eindruck ist so bestimmend, dass er die Differenz zwischen den kirchenpolitischen und den familienpolitischen Diskussionen verdeckt, aus der das Thema seine Brisanz bezieht. Die Pfarrhausliteratur ist immer eine Pfarramtsliteramr. 2 Die folgenden Uberlegungen versuchen zu beschreiben, wie es zu diesem Amalgam yon Haus und Amt kam (vgl. Abschnitt 2). In allen hier verwendeten Quellentexten geht es - soziologisch kaum fiberraschend: vor dem Hintergrund von S/ikularisiemngsprozessen, die als Rfick-
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Die Autorin dankt Cornelia Breitsprecher vom Pfarrhausarchiv im Lutherhaus Eisenach ffir ihre Unterstfitzung. Daher beginnt sie sich im 18. Jahrhundel~ deutlich vonder Hausv/iterliteramr zu unterscheiden, die ihrerseits allm/ihlich verschwindet, w/ihrend die Pfarrhausliteratur um 1850 neu entsteht.
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zugsgefecht erlebt w e r d e n - u m die Suche nach einem ,,Stand" der ,,Brtider im A m t e " u n d der ,,Ahnen des Amtes ''3 (vgl. Sch6ne 1968; Tyrell 1997). Das Pfarrhaus ist immer ein Politikum. In diesem Z u s a m m e n h a n g wird der Ausdruck Geschlecht verwendet, u m auf genealogische Fragen, auf Filiationen, schlief31ich auch auf Lebensl~iufe und Karrieren und nicht zuletzt auf Netzwerke der Herstellung von ,,vacancy chains" (H. C. White) hinzuweisen. Die A h n e n des Amtes sind Kinder des Hauses, und erst das A m a l g a m dieser beiden Seiten bildet den Stand als ein Merkmal der Person, genauer: der persona im Sinne eines Rollenbegriffs (Fuhrmann 1979). Es war bis ins 16. Jahrhundert durchaus often, ob die leibhaftige Stfitzung dieser pastoralen persona irgendwelche biologisch-sexuellen Unterscheidungen treffen sollte - denn dazu mfisste diese Frage der Alltagsselbstverst~indlichkeit entzogen und theologisiert werden. A u c h Martin Luther hat die Gl~itte dieses Eises gekannt und geftirchtet. Seine Hochzeit 1525 ist jedenfalls kein theologisches, sondern ein politisches Ereignis 4 und wird deshalb zu Recht als Geburtssmnde des evangelischen Pfarrhauses gefeiert. Aus sich selbst heraus, jenseits aller Aquivalenzen und Programmatiken, ist das Pfarrhaus von Anfang an nichts als eine biirgerliche Hauswirtschaft neben vielen: eine Familie, fibrigens gegen das Klischee sehr friih schon eine verh~ilmism~il3ig kleine Familie. Aber es wird entworfen als Aquivalent ~ r ein Adelshaus (geme: eine Dynastie, manchmal auch: eine Kaste) und fiir einen kollegialen K o n v e n t und daher vermutlich (der Terminus wird peinlich gemieden) auch ftir einen Klerus. Nur deshalb b e k o m m t es das Problem der Sukzession des Amtes von Pfarrer zu Pfarrer zugeschrieben; es kann dieses Problem nur 16sen durch 13bersetzung in ein geschlechtliches, ein genealogisches Problem. D e n n o c h unterscheidet es sich auch darin nicht von anderen H~iusem in anderen Bemfsst/inden. Erst die historisierende Wiedereinfiihrung dieses iiberlebten Musters in der hier betrachteten Pfarrhausliteramr seit etwa 1850 erfmdet ,,das 3
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Unter dem Titel ,,Des Pfarrhauses Ahnenbilder" schreibt ein Pfr. Kopp aus Kuhsdorf (Deutsches Pfarrerblatt Nr. 31, 29. Jg. 1925 S. 534ff.): ,,In alten Schl6ssem schauen Enkel zu den Bildern ihrer Ahnen auf ... Vergebens wiirdest du dich in Pfarrh~iusem nach solchen Ahnenbildem umsehen ... Nichts erinnert mehr an die, die einst hier gewohnt, gelitten und gearbeitet haben. Nur der Aktenschrank bleibt ... Beamtenh/iusem, wie es ja auch die Pfarrh/iuser sind, haftet so ott etwas Ungeschichtliches an, Beamtenfamilien, wie es ja auch die Pfarrerfamilien sind, sind selten bodenstfindig, die Grfiber unserer leiblichen Ahnen sind im deutschen Lande zerstreut, und wie schwer wird es uns darum meistens, den Gemeinden die rechte Liebe und das rechte Verst~indnis entgegenzubringen. Daftir aber sind uns die Ahnen des Amtes nahe, wenn wir sie suchen, und wir heute Lebenden ftihlen uns ihnen verbunden in gemeinsamer Arbeit. / Es sei mir gestattet, den Briidem im Amt etliche meiner Pfarrhausahnen vorzuftihren; um ihnen Lust zu machen, sich auch eine solche Ahnengalerie zu schaffen, oder nfichtem gesprochen, sich mit der Geschichte ihres Pfarrhauses zu besch/ifligen" (534f.). Die Theologisierung dieser Frage wird von der anderen Seite geleistet auf dem Konzil von Trient, 1545-63.
Pfarrhaus" als ,,ecclesiola" (vgl. Hilbert 1920). Amt und Haus werden erst jetzt (und seitdem) bis zur Verwechselbarkeit ineinander kopiert, was ,,christliche Briiderlichkeit" zum Amtsprogramm gemacht (vgl. Tyrell 1997) und zu den bekannten h/iuslichen Autorit~itsstrukturen geffihrt hat. Ausgehend yon dieser Verwechslung von Amt und Haus, Kirche und Familie sind schlieBlich ecclesia und ecclesiolae selbst verwechselbar geworden. Sp~itestens in den 1970er Jahren ist damit begonnen worden, die Seite auch des Hauses mit formaler Organisation zu besetzen, d.h. die familialen und wirtschaftlichen Aspekte zu btirokratisieren (Knappheit von Publikum und Geld) und die Gemeinde- und Pastorenkirche zur Klientel- und Gremienkirche zu formen (vgl. dazu Abschnitt 3). Die Pfarrhausliteramr erlebt eine neue Bliite. Die h~iuslich geregelte Geschlechtlichkeit des Pfarrers ist wieder und immer noch genauso Politik~m wie die st~indisch oder organisatorisch geregelte Amtlichkeit des Pfarrers: Sein Alltag ist ,jaywalking auf gef'~hrlichem Gel/inde" (Luhmann 2003: 109), in der Tat. Die zur ecclesia/ecclesiola-Verwechslung generalisierte Amt/Haus-Verwechslung ist eine unersch6pfliche Ressource zur Erpressung des Amtsinhabers (oder, in v611ig gleicher Weise, der Amtsinhaberin), der dieser sich nur dadurch entziehen kann, dass er die Verwechslung als Differenz beobachtet, ohne sie - denn dadurch geriete er auf die AuBenseite der Kirche und s~ikularisierte sich gewissermaBen s e l b s t - zu asymmetrisieren. Die Symmetrie der Differenz ist der Verhaltensspielraum des Amtsinhabers. Die Komplikationen dieser Aufgabe sind Gegenstand der Pfarrhausliteramr. Wenn die Kirche Probleme mit geschlechtlicher Ungleichheit hat, dann hat sie Probleme mit ihrer Selbstbeschreibung durch die Amt/Haus-Differenz: S ie hat Schwierigkeiten mit der anima pastoris. In der Debatte um 1900 dominiert deutlich das Nachdenken fiber Professionalisiemngsschwierigkeiten (universit~ire B ildung, Ordination und Amt, lokal-parochiale 5 Laiengemeinde oder ,,funktionale" Zielgruppenklientel). Sehr deutlich wird gesehen, dass es sich beim protestantischen Pfarrhaus um ein Haus handelt, das seine Angeh6rigen 6konomisch, politisch, rechtlich, aber nicht ohne weiteres auch religi6s diszipliniert (vgl. Dahm 1971: 136). Und erstaunlicherweise bringt diese Beobachtung das Geschlecht als rasch und nachhaltig normativ wirkungsm/ichtigen Index des gesuchten Amtsadels ins Spiel. Gemeint ist die Grtindung und Bewahrung des Hausstandes nicht als bloBe Beigabe, sondem als Grundlage des Amtsstandes. Deshalb werden die reformatorischen Anf'~inge so paraphrasiert, dass die Person des Amtsinhabers in Gestalt
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Der Ausdruck ,,Parochie" bezeichnet w6rtlich das ,,bei den Hfiusem" befindliche bisch6fliche Amt bzw. den Handlungs- und Entscheidungsrahmen eines Pfarrers (Parochus), vgl. noch immer einschl~igig Holtz (1968); vgl. Pohl-Patalong (2002). Mit Verweis auf Bismarck.
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seines geschlechtlichen alter ego diskutiert werden kann 7, und dieses alter ego wird erstens dupliziert: es erfasst Frau bzw. M a n n 8 und Kinder, und zweitens mit einer Pr/iferenz far das genealogische Problem markiert (mit m6glichem ,Kippen' der Asymmetrie hin zu einer Pr/iferenz far sexuelle anstelle genealogischer Unterschiede wird stets gerechnet). In der so gewonnenen Form tr/igt das Haus als andere Seite des Amtes noch vierhundert Jahre nach Luther die Lasten und nutzt es zugleich die Chancen der Entsakralisierung der Ehe. Diese wird, weil sie in die Welt geh6rt, dem H a u s zugeordnet (vgl. Schom-Schiitte 1996: 289). D a v o n kann man sich dann doch noch religi6se Disziplinierung versprechen, soweit es gelingt, diese h/iusliche Familie der Gemeinde als deren Ideal vorzustellen und sie zugleich m6glichst vollst/indig in jene zu integrieren: eine ,,Gegenstrukmr" (Janz 1994: 400) zur Gemeinde in der Gemeinde, 9 deren Angeh6rige jetzt siimtlich zu ,Kindern Gottes' (A. H. Francke) werden. In jedem Fall wird durch die Ausdehnung der hausv/iterlichen und der mit dieser gegebenen hausmtitterlichen Verantwortung v o n d e r Familie auf die Gemeinde auch das Professionalisierungsproblem mit diesem duplizierten Geschlechtsindex versehen (vgl. Wahl 1997). Und: der Gemeindebegriff wird ebenso wie der Familienbegriff um 1900 noch einmal mit Nachdruck an das bereits tiberlebte Hausmodell gebunden. Jedenfalls verfolgen die Schriften fiber das P f a r r h a u s - seien dies historische Abhandlungen, sozialwissenschaftliche Untersuchungen, pastoraltheologische Traktate, Leserbriefdiskussionen, Romane, Gedichte - explizit den Zweck der p o s i t i v e n Auszeichnung von Ungleichheit. S ie suchen nach einer Art zugleich geborener und gemachter Elite und legen deshalb Wert vor allem auf 6konomische Schlechterstellung und bildungsm/iBige Besserstellung der Ange7
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Mit hohem argumentativemund emotionalemAufwand wird wieder und wieder die reformatorische Situation beschworen: Luthers eigene Veflegenheitsehe mit Katharina von Bora vor allem- unsere Kiithe, wie es Baur mehrfach entf~ihrt-, aber auch die von ihm zu dessen Bindung an Wittenberg und die Reformation gestiftete Ehe Melanchthons mit Katharina Krapp, die Ergreifung des StmBburgers Matth/ius Zell durch die theologisch hochambitionierte ,,Kirchenmutter" Katharina Schiitz (Selbstzeugnis 1557, zit. nach Jancke 1997) u.a. die erstaunliche H~iufung von Katharinen (jener Heiligen immerhin, die sich mit dem Christuskind verlobte und daffir ihr Martyrium eflitt) wird nirgends diskutiert. Die Lage der Bev61kemng im und nach dem II. Weltkrieg war Anlass, Frauen im Pfarramt zuzulassen; nach einem kurzen Zwischenspiel in den 1950ern brauchten das auch keineswegs immer unverheiratete und kinderlose Frauen zu sein, im Gegenteil; auch hier weht die anima pastoris: Ein Hausstand muss sein. Der einfache Stellentausch (Amt/Frau+Mann statt und neben Amt/Mann+Frau) ist protestantisch unproblematisch, wenn er die Bestfitigung der btirgerlichen Indiziemng des Amtes durch Verweis auf Elternschaft leistet (was vielleicht erkl~rt, weshalb die Zulassung der Konstellationen Amt/Mann+Mann oder Amt/Fmu+Frau, aber auch und vor allem die Zulassung z61ibat/irer Lebens- oder besser Arbeitsweisen so hartn~ckige Schwierigkeiten bereitet). Und auch: eine Gegenstmktur zum Land in der Stadt und zur Stadt auf dem Land.
h6rigen des Pfarrhauses. Sie propagieren auBerdem einen besonderen Gnadenstatus: den ,,Kindersegen". Alle drei Aspekte begrfinden auf je eigene Art das Netzwerk der Amtsahnen und Amtsbrfider (vgl. MeuB 1884: 99ff.). In Gestalt des Amtsinhabers soll sein Haus den status politicus mit dem status oeconomicus und dem status ecclesiasticus verknfipfen (vgl. Holtz 1993: 193): das ,,Pfarrhaus ist ... ein Verein yon geistlichem Amt und menschlichem Hausstand" (MeuB 1884: 290). Die sogenannte Pfarrfrau kommt deshalb nicht einfach wegen ihrer m6glichen geschlechtlichen Ungleichheit in dieses Spiel, nicht weil ihr sexuelle Interessen gelten k6nnten, und nicht weil sie den Kindersegen erfiillen k6nnte, sondem um die personale Seite des Amtes als Ausgeschlossenes einschlieBen, das heiBt einfach: bezeichnen zu k6nnen. Trotzdem kapriziert sich die Debatte nicht aus Prinzip, sondern NoB aus Alltagsplausibilit~it heraus auf die Frau im Haus (und nicht im Amt). In der Pfarrfrau und den Pfarrerskindern lobt man das Pfarramt bzw. macht sich auch tiber es lustig; ihr biologisches Geschlecht interessiert nicht, so dass sie auf dem Umweg dieser Indifferenz wie ins Haus, so ins Amt gesetzt werden k6nnen. S ie werden als Dritte der A m t ~ a u s Differenz eingesetzt, an ihnen wird die Unsicherheit fiber den aus der Konstellation des Pfarrhauses sich ergebenden moralisch-sittlichen Zustand aller Beteiligten bzw. des Hauses schlechthin diskutiert. Sie sind, wie von Dritten nicht anders zu erwarten, l~ ein Symbol ftir Turbulenz und Unordnung. Man beobachtet s i e - also das H a u s - mittels der Unterscheidung Ordnung/Unordnung; am Ende ist das Problem der Ordnung des Hauses ihr Problem. Aber damit ist auf dem Umweg durch das Haus eben auch die Ordnung des Amtes ihr P r o b l e m sie, die als Dritte der Amt~aus-Differenz ins Spiel gebracht werden, fungieren als Joker und als Parasiten; Eingeweihte im genauen Sinne. 1~ Jeder Gemeinde, jeder Kirchenleitung ist bewusst, dass dies ein Spiel des Amtsinhabers i s t - um 1900 wiederum nur aus alltagsplausiblen Griinden: des Mannes -, denn er kann im Haus amtlich und im Amt h/iuslich werden. ,,Ein auBeramtliches Leben des Geistlichen existiert fiberhaupt nicht" heil3t es daher unter der Titelzeile ,,Das auBeramtliche Leben des Geistlichen" im Pfarrhausblatt (Das Pfarrhaus 11/2, 1895: 18). Diesem Spiel versuchen Gemeinde und Kirchenleitung zu begegnen durch die Behauptung, er k6nne (manche Familie mag auch sagen: er brauche) nicht zugleich Amtsinhaber und Joker der Amt~aus-Differenz sein. Er wird vom Eis geholt und an seinen Platz gestellt. Und erst dieser Trick macht die Pfarrfrau zur umtriebigen Hausfrau und den Pfarrer zum beh~ibigen Amtmann. Belebungschancen des Amtes werden deshalb um 1900 wie auch heute von 10 Vgl. die inzwischen umfangreiche Literamr zum Problem der Beobachtung, zu Parasiten und Jokern bei von Foerster (1994), Serres (1987), Baecker (2000), Fuchs (2001); vgl. fiir die Religion Lehmann(2003). 11 In den Begriffen von Serres (1987) und Baecker (2000). 85
Resymmetrisierungen erwartet; Amt- und Hausstand werden wieder fiir alle Beteiligten verkn/ipft. Dennoch bleiben Asymmetrisierungen wahrscheinlich; dafiir steht die inzwischen konventionelle Problemmetapher des Pfarrhauses: seine ,gl/isernen W/inde' (Janz 1994: 400f.). Es geht um Verhaltensprobleme von Personen im Horizont von Stamsproblemen des Amtes. Der glass ceiling effect kippt in die Vertikale und bildet einen Raum aus innen/augen- und oben/unten-Unsicherheiten. Aber solange man keine feste Alternative beider Seiten behauptet und sich auf eine dieser Seiten zu schlagen versucht, sttitzt dieser ,,Glashimmel" (Baecker 2003: 140) das Pfarrhaus. Die Gleichzeitigkeit von ,,spielerischer Symmetrie versus unverhandelbarer Asymmetrie'- die anima pastoris- macht das Pfarrhaus zu einer Metapher ~ r Stress und zu einer Metapher ~ r Spiel (Baecker 2003: 129): zum ,,Glashaus" (Steck 1991). ~2 Der Umstand, dass Amt und Person Rollenbegriffe sind (Fuhrmann 1979; 13 Luhmann 1993: 429ff.), wird sehr genau reflektiert. Anders w/ire die h/iuslichbtirgerliche Indizierung des Amtes durch eine geschlechtliche Unterscheidung und die Ausdehnung der durch diesen Index begrtindeten famili/iren Verantwortung auf die Gemeinde, also: die Etablierung der genannten dritten Position, weder zu begriinden noch zu ertragen. Wichtig ist ja: es geht nicht um eine Komplettinklusion der Person ins Amt, sondern um ein Spiel mit der Unterscheidung selbst im Amt und im Haus. In beiden Hinsichten wird die M6glichkeit, die Amt~erson-Differenz zur ,,Totalrolle" (Janz 1994: 228) zu machen, bemerkt und problematisch gefunden. Statt dessen wird versucht, Ambiguitiit herzustellen (vgl. Leifer 2002; Baecker 2003). Die Literatur diskutiert das, wie erw/ihnt, lange Zeit nur ffir Frau und Kinder, TM sieht fiir diese aber klar: Sie ordnen ihre (nicht austauschbare) Pers6nlichkeit der Amt~aus-Differenz zwar im Haus selbst nach bzw. schliegen sich selbst von ihr aus, gewinnen aber dadurch die M6glichkeit, ihr in Bezug auf das Haus zugeordnet zu sein und vom dreifachen Stares des Amtsinhabers (politicus, oeconomicus, ecclesiasticus) zu profitieren- ein aufleramtliches Leben existiert im Rahmen der Differenz iiberhaupt nicht. Genau das macht das Leben der Pfarrfrauen und Pfarrkinder so erw/ihnenswert (vgl. Kantzenbach 1991; Sch6ne 1968). Am Spiel selbst, nicht an
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Das Beispiel des Pfarrhauses best/itigt daher die Vermutung Dirk Baeckers, dass Sozialsysteme den geschlechtlichen Index als Asymmetrisiemng aller Positionen verrechnen (mithin alle Positionen als Zweiseitenformen auffassen) und in dieser Form mit den Turbulenzen zurechtkommen k6nnen, die die Asymmetrie als Differenz selbst verursacht, vgl. Baecker (2003: insbes. 131 ); vgl./ihnlich auch Luhmann (2003). Und bereits Rheinfelder (1928), der der persona des Pfarrers ein ganzes Kapitel einrfiumt. Heute daftir fast ausnahmslos ftir den Pfarrer als den potentiell in Ehescheidung und Sorgerechtsstreit lebenden Mann.
seiner endgfiltigen Entscheidung werden Pfarramt und Pfarrhaus erkannt. ~5Alle Beteiligten betonen, dass ihre Aufgabe ,,durch sie und nur durch sie" und zugleich, dass sie durch jedermann eingel6st werden k6nne und solle (Luhmann 1993: 429). ,,H6chstpers6nlichkeit" (Tyrell 1987) im religi6s oder intim enthemmten Sinne ekstatischer Individualit/it ist deshalb in Pfarrh/iusem selten zu linden; sie wiirde immer wieder zur Asymmetrisierung der Amt/Haus-Differenz herausfordem und deren Resymmetrisierung blockieren; das Spiel w/ire unm6glich, der Stress wiirde w a c h s e n - er wiirde den gl/isemen Himmel zur H611e machen. Nennt man die Amt~aus-Differenz die Form des Pfarrhauses, dann ist das ,geschlechtliche' Dritte als ,,Seele des Hauses" Joker des Amtes: vielleicht ein ,,... leichtes, schwebendes Wesen, das tiberall helfend, lindernd, tr6stend eingreift, wo es gilt, solche Engelsdienste zu leisten, danach aber wieder verschwindet und sich still zurtickzieht", eine ,,unsichtbare Himmelsleiter" (Das Pfarrhaus 9/1893, 3:44), vielleicht aber auch ein sttirmisches, ,pfingstliches' Ereignis (vgl. Serres 1987: 66ff.); Meuf3 (1884: 299) meint, im Pfarrhaus gehe es im Unterschied zur Kirche ,,ungezwungen" zu. Ist die Familie der Gemeinde einverleibt, so stellt sich das Problem der Geschlechtlichkeit auch dort; mit anderen Worten: die Gemeinde kann immer versuchen, den Joker zu ihrem Trumpf zu machen, indem sie den Amtsinhaber auf seine F/ihigkeit zu geschlechtlicher Ambiguit/it hin t e s t e t - bemerkt er das, so weig er auch, dass damit umstandslos seine Amtsinhaberschaft auf dem Spiel steht. Krfinitz' eingangs zitierter Rat ist also ernst zu nehmen. Die a n i m a p a s t o r i s 16 (die rastlose Seele, wie Meyrink sie beschreibt 17) ist damit aber weder die ,Seele des Hauses' noch die ,Seele des Amtes' an sich, sondern die dreistellige Differenz selbst. 15
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In der Tat: ,,Ein neues Leben, ein total neues Leben beginnt mit dem Tage, da man sein Amt niederlegt" (Der Emerit soll kein Eremit sein, in: Das Pfarrhaus 21/4, 1905: 49) - ein Leben, in dem Stress und Spiel neu geordnet werden m/issen. anima lt. zeitgen6ssischer Interpretation: ,,das Hauchende, Wehende; d.h. die Luft, der Luftzug, Lut~hauch, Wind", ,,das Athmen", [/ibertrg.] ,,das (... durch den Athem bedingte) Lebensprincip, der Lebenshauch, die Lebenskrafl, der Lebensgeist, die Seele (und zwar ist anima das rein thierische, animus hingegen das geistige, vem/inflige, begehrende Lebensprincip)", ,,Seele als Grund der Selbstbewegtmg", dann aber endlich auch ,,(wie animus) die vem/inftige Seele des Menschen" (Georges 1880: Sp. 167f.). (Meyrink 1922: 88f., 91ff.): ,,,Und vonder ,Seele' reden Sie wie von etwas Erwiesenem! Ein feiner stoffiicher Wirbel soll das sein, der T~ger eines prfizisen Bewusstseins?! Und nicht nur d a s , - Ihr Meister soll eine solche Seele in diesem Glasbehfilter dort eingesperrt haben, indem er die Flasche mit dem Hertzschen Oszillator umsptilt hfilt?! - Ich kann mir nicht helfen, aber das ist doch weiB Gott hellichter . . . . . ' ,Es ist eben so; - der Meister hat durch lange Zeit in dieser Flasche eine menschliche Seele isoliert gehalten, hat die hemmenden H/illen von ihr gel6st, eine nach der andem .... hat ihre Krfifte verfeinert u n d - eines Tages war sie eben entwichen, hatte die Glaswand und das isolierende elektrische Feld durchdrungen,- war entflohen!' - - - [...] . ~
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2. Pfriindenmanagement I: Haus bei Hiiusern Martin Luther trieb ,,Des christlichen Standes Besserung" Schon kurze Zeit nach der Publikation
m e h r als a n d e r e u m .
d e r als u n i v e r s i t / i r e s A r b e i t s p a p i e r
ge-
,Allbarmherziger Gott, beschirme seine Seele ... er will die entflohene Seele aus dem Weltall zuffickzwingen.' [...] Die Jiinger umstehen des Meisters Lager, und ihrem Flehen, sich zu schonen, wehrt er mild: ,Lasset mich zu euch sprechen und gr/imt euch nicht ... Seht, da habe ich gerungen um das h6chste Wissen, habe nach einem menschlichen Wesen gesucht, um es zu t6ten, der Erforsch'ang seiner Seele wegen. Einen Menschen wollte ich opfern, der wahrhaft unntitz ist auf Erden; und ich mischte mich unter das Volk, unter M/inner und Weiber, und w/ihnte ihn leicht zu finden. Mit der Freude der Gewissheit ging ich zu Rechtsanw/ilten, zu Medizinem und Milit/ir-; unter Gymnasialprofessoren h/itte ich ihn beinahe schon g e f a g t - beinahe! Immer nur beinahe, denn stets war ein kleines, oft nur winziges heimliches Zeichen an ihnen, und zwang mich loszulassen. Dann kam die Zeit, wo ich endlich darauf stieB. Nicht auf ein einzelnes G e s c h 6 p f - nein, auf eine ganze Schicht ... Die Pastoren,weibse'! Das war es! Ich habe eine ganze Schnur yon Pastorenweibsen belauscht, wie sie rastlos sich ,n/itzlich machen', Versammlungen abhalten ,zur Aufld/irung von Dienstboten', far die armen Negerkinder, die sich der g6ttlichen Nacktheit freuen, warme scheuBliche Strfimpfe stricken, Sittlichkeit verteilen und protestantischbaumwollene Handschuhe;- und wie sie uns anne, geplagte Menschheit bel/istigen: man solle doch Stanniol sammeln, alte Korke, Papierschnitzel, krumme N/igel und anderen Dreck, d a m i t - ,nichts verkomme'! ... Eine ... hatte ich schon unter dem Messer, da sah ich, dass s i e - - gesegneten Leibes war, und Mosis uraltes Gesetz gebot mir Halt. Eine zweite ring ich ein, eine zehnte und hunderste, und irmner waren sie - - gesegneten Leibes! Da legte ich mich auf die Lauer Tag und Nacht ..., und so gelang es mir endlich, im richtigen Augenblicke eine direkt aus dem Wochenbett herauszufangen ... Neun Monate lang hielt ich sie noch eingesperrt aus Gewissensgriinden, vorsichtshalber ... In den unbewachten Stunden ihrer Gefangenschaft hat sie damals noch heimlich einen dicken Band geschrieben: ,Herzensworte als Mitgabe far deutsche T6chter bei ihrer Aufnahme in den Kreis der Erwachsenen' - - - Aber ich habe das Buch rechtzeitig erwischt ... Als ich schlieBlich ihxe Seele vom K6rper losgetrennt und in der groBen Glasflasche isoliert hielt, lieB reich eines Tages ein unerkl/irlicher Geruch ... B6ses ahnen, und ehe ich noch den Hertzschen Oszillator, der offenbar einen Augenblick versagt hatte, wieder in Ordnung bringen konnte, war das Ungl/ick bereits geschehen und die anima pastoris unwiederbringlich entwichen. Augenblicklich wandte ich wohl die stfirksten Lockmittel an ... aber alles umsonst! ... vergebens!! Eine destillierte Seele ist eben kaum zu fangen! Nun lebt sie frei im Weltenraum und lehrt die arglosen Planetengeister die infernalische Kunst der weiblichen Handarbeit. Und heute hat sie sogar um den Saturn- - - einen neuen Ring geh/ikelt! Und das war zuviel ffir mich. Ich habe wohl alles durchdacht und mein Him zermartert,- es blieben nur zwei Wege; der eine: Reizungen anwenden,- glich der Skylla, der andere, Reizungen unterlassen, war die Charybdis ... denn: Wird auf den Wesenskern der Pastorenweibse ein Reiz ausgetibt,- welcher i m m e r - s o - - h/ikelt sie, - und bleibt er u n g e r e i z t - - , des Meisters Stimme wurde leise und unirdisch ,-, s o - so vermehrt sie s i c h - - bloB.' . . . . . "
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dachten Wittenberger Thesen schrieb er im Jahre 1520 eine 25 Punkte umfassende Liste von diesbez/iglichen ,,Vorschl/igen" ,,an den christlichen Adel deutscher Nation", in der er sich selbst noch als ausgeschlossenen, nicht betroffenen Dritten betrachtet: ,,Ich sage das aufgrund meiner Narrenfreiheit frei heraus" (Luther 1520: 88; Hervorhebung M.L.). Der ,,vierzehnte Klagepunkt" (Baur 1902: 57) betrifft das Pfarrhaus, in dem ,,mancher arme Pfarrer mit Frau und Kind beladen sein Gewissen beschwert" (Luther 1520: 85; vgl. Werdermann 1935: 24ff.). Was ansteht, ist nicht die blol3e Legitimation von Frau und Kindern, TM sondern die Kopplung des Priesteramtes an die Ehe und damit an ein Haus (vgl. Brunner 1980; Holtz 1993: 187ff.). Das Legitimationsproblem wird dem einzelnen Priester bzw. Pfarrer selbst und mit ihm - da ein Haus jetzt sein Haus und als solches Haus bei Hiiusern (Parochie) i s t - seiner Gemeinde aufgebiirdet, w~ihrend Klerus und kirchliche Hierarchie davon entlastet werden. Die Trennung von Amt und geschlechtlicher Person, mithin die Trennung des Amtes v o n d e r ,,Schwachheit" beiderlei Geschlechts (Luther 1520: 88) wird zugunsten ihrer Unterscheidung aufgehoben. Indifferenz dem ,schwachen Geschlecht' gegeniiber (vgl. Wahl 1997; Holtz 1993) ist nicht mehr m6glich, Amtspersonen miissen jetzt auf ihr Geschlecht hin beobachtet werden und sich dies bieten lassen. ~9Der Versuch scheint zun/ichst auf ein laissez faire hinauszulaufen: ,,Also lernen wir von dem Apostel [Paulus, zit. 1. Tim. 3,2 und Tit. 1,6f.; M.L.] klar, dass es in der Christenheit so zugehen soll, dass eine jede Stadt aus der Gemeinde einen gelehrten, redlichen Biirger erw/ihlt, demselben das Pfarramt anvertraut und ihn aus der Gemeinde em~ihrt, es seinem freien Ermessen iiber1/il3t, verehelicht zu sein oder nicht ..." (Luther 1520: 86). Allerdings: die ,,Absicht, keusch zu leben ... [k6nnte] wohl ohne Priesterstand geschehen" (Luther 1520: 87). Dieser Hinweis versieht unter der Hand bereits das Amt mit dem Index der Ehe, denn er verschiebt die M6glichkeit geschlechtlichen Lebens im Pfarrhaus in Richtung auf eine Norm; wer keusch leben wolle, m6ge dieses Amt meiden. Luther begriindet das unverhohlen. Wer keusch lebe, der k6nne zwar einerseits ,,desto besser studieren" - aber er werde das eben auch ran, zu Lasten des Amtes. Wer keusch lebe, sei andererseits und vor allem auch ,,zu jeder Stunde zum Tod und zum Streit bereit" (Luther 1520: 86) - er beffinde sich also kaum jemals in der Hand der Gemeinde, weit weniger jedenfalls als der verheiratete. 2~Fortan bleiben ,,Karriere und Familie ... gleichberechtigte Dimensionen 18 19 20
Dazu hatten sich im Laufe der Jahrhunderte tragf~ihige L6sungen gefunden (vgl. Schmugge 1995). Aber nochmals: Die Schw/iche wird der Geschlechtlichkeit selbst (dem biologischen und dem genealogischen Problem) zugerechnet, nicht etwa der Weiblichkeit. Sehr deutlich wird etwa Paul Drews (1905: 128f.) far das 18. und auch das 19. Jahrhundert, namentlich in Preugen: ,,Bei aller ehrlichen Betonung der Religions- und Gewissensfreiheit im
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der L e b e n s w e l t " des Pfarramtsinhabers (Wahl 1997: 40). D a d u r c h ist klar: das A m t wird reformatorisch entsakralisiert und durch die ebenfalls entsakralisierte Ehe bzw. das parochiale Haus legitimiert. Z61ibat bleibt m6glich, schliel3t aber 21 v o m Pfarramt aus (vgl. Krfinitz 1794: 342ff.). Die K o p p l u n g v o n A m t und Haus m a c h t den Pfarrer politisch, 6 k o n o m i s c h und religi6s w e g e n aller m 6 g l i c h e r ,Unordentlichkeiten' erpressbar; ,,Pfriindenmanagement" (Wahl 1997: 44) wird erforderlich, und dazu braucht es einen Dritten. M a n mag es als Indiz ffir eine ,geschlechtliche Ungleichheit' im heute fiblichen S inne ansehen, w e n n seitdem (und mit b e s o n d e r e m Aufwand, wie erw/ihnt, im a u s g e h e n d e n 19. Jahrhundert) alle Lasten dieser Erpressbarkeit und eben jenes P f r i i n d e n m a n a g e m e n t der Pfarrfrau und ihren K i n d e r n aufgebiirdet u n d i m m e r neue Tugend- und Lasterkataloge ftir diese beiden entworfen und ausgefeilt werden, w~hrend gleichzeitig die A u t o r e n der betreffenden Schriften - h/iufig genug selbst P f a r r e r - sich ob eben dieser Erpressbarkeit fortgesetzt selbst bedauern. Das mehr oder w e n i g e r p r o b l e m l o s e Ersetzen einer (meist im Kindbett) gestorbenen Pfarrfrau durch eine andere, oft m e h r m a l s im L e b e n eines Pfarrers und in der Regel v o l l k o m m e n riicksichtslos gegenfiber dessen pers6nlichen Neigungen, fiberzeugt heute noch eher als die hoffnungslose Lage, in der sich die Pfarrwitwen h~iufig befanden: sei es, dass sie umstandslos aus ihren H~iusem g e w o r f e n w u r d e n und in g e m e i n d l i c h e n Armenh/iusern ihr Leben zu Ende brachten, sei es, dass sie als T r u m p f k a r t e der G e m e i n d e im E i n w e r b e n
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fridericianischen Zeitalter wird doch die Kirche unter die sch/irfste Beaufsichtigung und Oberwachung gestellt, so scharf, dass die Kirche als selbstfindige Organisation fiberhaupt zu existieren aufh6rt. Sie 16st sich im Staate auf. Sie wird zu einer ,Gesellschaft' im Staate ... der Pfarrer ... ist ein vom Staate angestellter Beamter, der als ,Religionslehrer' an eine Gemeinde gewiesen ist wie etwa heute ein Religionslehrer an eine bestimmte Klasse einer Schule ... So fagt ihn wenigstens die Aufld~imng auf; so behandelt ihn die staatliche Obrigkeit, und so beurteilt sich der Pfarrstand schliel31ich selbst. In Folge dessen geniel3t der Pfarrstand nach der einen Seite eine grol3e Freiheit: der einzelne Pfarrer kann in seiner Gemeinde eigentlich machen, was er will. Niemand hindert ihn, solange er nicht ~,rgemis giebt und Unruhe erregt ... Andererseits aber muss er sich v611ig dem Staate zu Diensten stellen, wound wann und wie dieser es will. Vor allem leidet es der Staat nicht, dass sich der Pfarrer um staatliche Dinge kfimmert und sich eine Kritik darfiber anmagt ... Gleichzeitig zieht der Staat den Pfarrer heran, wo er ihn brauchen kann, um seine Kulturaufgaben zu f'drdern" (vgl. auch Dahm 1965, Nowak 1997 und Rogge/Ruhbach 1994). Noch 1925 vermerkt das im selben Gebiet verbreitete ,Deutsche Pfarrerblatt": ,,Die wahre Bedeutung des C61ibats ftir die Hierarchie ist die F6rderung etwanigen Widerstands gegen die Staatsgewalt" (29. Jg.: 414). Genauso w i e - bei Kindeflosigkeit zu beftirchtender- ,,unordentlicher Beyschlaff' (Hochzeitspredigt 1585, zit. bei Holtz 1993: 199), wie Ehebruch oder Verweigemng- ,,wenn ein Partner sich dem andem ,in halsstarriger Weise in Leismng der ehelichen Pflicht [zur ,immerw/ihrenden Beywohnung'] entziehet'" (nach Holtz 1993: 198f.). Stets wird betont: das gefahrde das Pfarramt, wenn es gemeinde6ffentlich w e r d e - also: alles ist m6glich, solange niemand fragt; daher die Sorge wegen der ,gl~semen W~inde'.
eines neuen Pfarrers zu dienen hatten: Die Stelle bekommt, wer sie nicht NoB zu versorgen, s o n d e r n - geschlechtliches Leben im Pfarrhaus muss s e i n - sie auch zu ehelichen verspricht. Aber all das galt stets allen Beteiligten und damit beiden sexuellen Geschlechtem und mehreren famili/iren Generationen. Und es ist stets allen Beteiligten als Demiitigung bewusst gewesen. Im P f ~ n d e n m a n a g e ment werden wie im Begriff des Managements generell immer auch Duldungsund Verarbeitungsf'~ihigkeiten angesprochen. Bei deren Versch/irfung zur Erpressbarkeit handelt es sich um ein Folgeproblem der Pfarrhauskonstruktion selbst. Denn wenn es richtig ist, dass das Pfarrhaus beschrieben werden kann durch die Differenz A m t ~ a u s bzw. Amt/[Gemeinde; Familie] und das in sexueller und genealogischer Hinsicht geschlechtliche alter ego des Amtsinhabers als Joker und Parasit dieser Differenz (im Sinne von Serres 1987), dann ist die einzig profitable Position in dieser Konstruktion die des Dritten, des Managers der Differenz. Dafiir wird, der alltagsplausiblen Einfachheit halber, die Pfarrfrau eingesetzt; die Pfarrerskinder k o m m e n hinzu (der Ausdruck unter uns Pastorent6chtern wird entsprechend bis heute gebraucht). ,Profitabel' heil3t allerdings dann nicht ,pers6nlich gewinnbringend' oder dergleichen, sondern bezeichnet nur die M6glichkeit der Reproduktion einer Differenz als dreistellige, nicht zweistellige Konstellation und damit die M6glichkeit, eine Differenz als Handlungs- und Entscheidungsspielraum ernst zu nehmen (vgl. Giinther 1979; Serres 1987; Spencer Brown 1969). Man nennt das dann: Glfick. 22 Jedem Anspruch auf materiale oder hier eben geschlechtliche Gleichheit der Positionen miiBte diese M6glichkeit geopfert werden. Dieser Fall tr/ite etwa ein, wenn sich das Haus nicht nur als der Gemeinde einverleibt sehen, sondem sich mit ihr verwechseln w f i r d e - die pietistische Formel der Kinder Gottes hat bekanntlich dazu verfiihrt (vgl. Lehmann 2005). Er tr~ite auch ein, wenn Haus und Amt in Konkurrenz gerieten oder nicht mehr unterscheidbar w~iren, etwa w e n n - ein aus Finanzn6ten 23 heute tats~ichlich beliebter F a l l - ein Theologenpaar gemeinsam auf eine Pfarrstelle, das heiBt ja stets: in ein und dieselbe Gemeinde berufen wiirde; jedenfalls miissen dann beide die Turbulenzposition ihren Kindern 22 23
Es ist ,,ffir die Lage des Geistlichen erforderlich, in einem recht glficklichen Verhfiltnisse mit seiner Gattin zu leben; denn es ist ja darin ftir denselben die einzige Erholung und das einzige fiuBere Lebensglfick zu finden ..." (Pfarrerhandbuch um 1830, zit. nach Janz 1994:401). Die Eheleute teilen sich, so die Idee, die Stelle und das Gehalt. Wenn aber die Stelle eine ,,Totalrolle" bezeichnet (Janz 1994:228 s.o.), gewinnt die Gemeinde zwei Amtsinhaber fiir ein Gehalt. Fiir die Regelung dieses Falles ben6tigt z.B. das Pfarrdienstausffthrungsgesetzder EKU in w 22 erheblichen Raum; festgelegt wird u.a., dass, ,,wird die h~iusliche Gemeinschaft der Eheleute nicht nur vorfibergehend aufgehoben oder stellt einer der Ehepartner einen Antrag auf Scheidung.... [gelten] beide Pfarrer [...] damit als beurlaubt" (Recht der EKKPS, Neuwied 1997ff.: 403). 91
/iberlassen. Es scheint kein Zufall zu sein, dass die kirchliche Organisation sich um so erleichterter an Luthers lapidare Feststellung erinnert, dass die Absicht, keusch zu leben, wohl ohne Priesterstand geschehen k6nnte, je mehr solcher Doppelbesetzungen sie vomimmt: Sie entlastet sich von der Frage nach den Lebensumst/inden der Pfarrer durch die Abschaffung des Pfarramts (vgl. unten
3.). Wie auch immer: die Erpressbarkeit des evangelischen Pfarrers ist ein Folgeproblem seiner H/iuslichkeit. 24 Einen erheblichen Anteil daran hat der st/idtische Lebenshorizont, den alle Amtsinhaber sp/itestens in ihrer Universit/itszeit erfahren und der nie bruchlos ins Amt zu tibertragen ist (weswegen das Pfarrhaus nicht nur eine Metapher ist f/Jr sich selbst reproduzierenden Stress, sondern auch ftir den heute g e m so genannten ersten ,Praxisschock' des Theologen, vgl. Schom-Schtitte 1996: 287f.). Je mehr aber solcherart Btirgerlichkeit zur Norm wird, desto rigider der Verdacht, unter dem das Pfarrhaus steht 25 und unter den es sich auch selber stellt; sicherlich hat auch das die Entstehung der Pfarrhausliteratur nach 1850 bis etwa 1930 motiviert (vgl. Schom-Sch/itte 1996: 287ff.). Das Pfarrhaus soll jetzt ,,vorbildlich" sein (vgl. Drehsen 1989). Das Amt wird entsakralisiert, um es (in universit/irer Ausbildung und in interaktiver Bindung an eine Gemeinde) zu professionalisieren, und wird der Welt in Gestalt des Hauses eingeordnet. Es 1/if3t sich deshalb tiberhaupt nur fiber die Gemeinde unter Einschluss des Pfarrhauses definieren, was die geschlechtliche Frage (Sexualit/it, Elternschaft) zugleich aufwirft und 16st, aber doch auch den zweifelhaften Stares tradiert, mit dem bereits die durch die katholischen Strukmren nachtr/iglich gerechtfertigten illegitimen Kinder von weltlichen und geistlichen Adligen zurechtkommen mussten (vgl. Schmugge 1995). Die Pfarrfamilien stehen oder sehen sich nach wie vor im Ruf der Illegitimit/it, weil sie durch die eheliche Legitimierung des Amtes zum Dritten, zum Joker, aber eben wom6glich auch
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So schreibt W. Meyer im Deutschen Pfarrerblatt, 30/28, 1926: 548f. vor dem Hintergmnd einer Amtsenthebung wegen Verletzung der Aufsichtspflicht far ein Familienmitgliedfiber Die Verantwortlichkeit des Pfarrersf~r seine Familie: ,,Ich fasse zusammen: 1. Eine gewisse Verantwortlichkeit des Pfarrers far seine Familie besteht. 2. Diese Verantwortlichkeit ist beschrfink~ a) dadurch, dass jedes Familienglied eine eigenartigePers6nlichkeit ist, b) dadurch, dass jedes Familienglied nicht NoB unter dem Einflug des Vaters steht, sondern auch tausend anderen Einflfissen ausgesetzt ist. 3. Deshalb kann eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Pfarrers far seine Familie nur soweit in Frage kommen, als eine Schuld des Pfarrers nachweisbar ist. 4. Darfiber hinaus aber muss sich der Pfarrer der Verantwortlichkeit far seine Familie vor seinem eigenen Gewissenund vor Gott allezeit ernstlich bewusst bleiben". Unter politischen Verhfiltnissen, die Bfirgerlichkeit 16schen oder zu 16schen beanspruchen, kann diese Erpressbarkeit auch zu einer besonderen Souverfinitfit dem Politischen gegenfiber fahren (vgl. Klel3mann 1997; Pollack 1994; Strohm 1991). Zumindest die Kinder unterlaufen diese Souverfinitfitjedoch dadurch, dass sie zur Schule gehen.
zum Parasiten des Amtes gemacht worden sind (,,fremde Elemente"26). Folglich sehen sich alle Beteiligten einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, der sich, folgt man der Leichtigkeit von Luthers Entwurf, eigentlich h/itte erilbrigen milssen. Genau dieser Rechtfertigungsdruck kennzeichnet die Pfarrhausliteratur zwischen 1850 und 1930 und ffihrt zu ihrem mal aufgeregt-heiteren, mal klagend-resignierten, aber immer moralisierenden Tonfall. Seit der Reformationszeit, nochmals verst/irkt im Pietismus, besch/iftigt sich die ,praktische Theologie' des Pfarrhauses zuniichst hauptsiichlich mit der Frau als K o m p l e m e n t des Amtsinhabers. S ie muss mit der A m t ~ a u s - D i f f e r e n z jonglieren k6nnen, manageriale Qualitfiten haben; entsprechend sorgffiltig soll sie ausgesucht werden. ,Pfarrfrau' wird dargestellt wie ein Beruf, der erlemt werden muss, 27 und wie eine Stelle, um die man sich zu bewerben hat. Die Kriterien machen die Stadt/Land-Problematik deutlich und lassen viel fiber den Alltag des Pfarrhauses erkennen; denn sie ,,bestimmen sich theils aus demjenigen, was ein Mann in diesem Amte thun soll, theils aus seiner kilnftigen Lage". Damit gilt gleiches ffir die Frau, stellt Johann Georg Krfinitz (1794: 29) fest und erg/inzt lapidar: ,,AuBer dem allgemeinen Zwecke, Glilckseligkeit zu verbreiten, hat der Prediger auf dem Lande auch noch einen anderen Haupt-Zweck vor sich, n/ihmlich: die Moralit/it zu erwecken und zu erhalten" (27). Gerade ,,zu seiner Ruhe und Glilckseligkeit" sei ihm daher ,,M/il3igung" (57), ,,Ordnung" (59) und ,,haush/iltige Sparsamkeit" (60) empfohlen. Hat er Frau und Kinder und ,,liebt" er sie ,,von Herzen" (das heil3t: im Glauben), dann kann wenigstens er selbst dem ,,,unordentlichen Leben' ... entsagen" (Hochzeitspredigt 1585, zit. bei Holtz 1993: 196). Diese Chance wird fiber die Jahrhunderte hinweg betont. ,,Besonders m 6 g e n sich unverheirathete oder kinderlose Pfarrer vor Liebhabereien htiten. Denn die Erfahrung beweist es, dass diejenigen, welche nicht auf den von Gott gesegneten Pfaden geordneter, wahrhaft menschlicher Liebe zu Weib und K i n d e m wandeln oder wandeln k6nnen, geneigt sind, ungeordnete Liebe zu erw~ihlen. Der unedlere Mensch verf~illt alsdann auf die Liebe zu groben Silnden; der edlere auf scheinbar subtilere Irrthilmer, auf geistige Liebhaberein: 26
Vgl. nochmals Engel in Pfarrhiiusern?, in: Das Pfarrhaus 9/3, 1893: 44f. Gemeint sind neben Pfarrfrauen entweder die Dienstm/idchen,jene ,,treuen Minnas oder Trinas", und wo die fehlen: ,,die Tanten!", die Schwestem des Pfarrers oder seiner Frau, und wo schlieBlich auch diese fehlen, ,,in unsrer social zerrissenen Zeit, wo die St/inde sich immer mehr sondem: man mag zur Einigkeit mahnen, soviel man kann, wird es immer schwerer, auch ffir Pfarrl~user, fremde Elemente der geschilderten Art zu gewinnen." -,,Da miissen wir Pfarrersleute unter einander uns selbst helfen" - und einander ,,solche Engel" vermitteln. 27 Die zukiinfiige Pfarrfrau, Anzeige im Dt. Pfarrerblatt, 35. Jg., 1931, Nr. 9, S. 139: ,,Auf Anregung des Landesbischofs D. Rendtorff will die Evangelische Frauenhilfe, Landesverband Mecklenburg, geme PfalTbr/iuten Aufenthalt in Mecklenburgischen Pfarrl~usem vermitteln, wo sie Einsicht und Kenntnisse fiir ihren zuldinttigen Beruf gewinnen k6nnen." 93
beide aber siindigen dennoch vor Gott ohne grogen Unterschied" (L6he 1852: 144f.). Unabdingbare ,,Regeln der Klugheit" seien daher erstens: ,,Man thue alle seine ersten Schritte mit m6glichstem Bedacht" (KNnitz 1794: 61), zweitens: ,,Der Pfarrer beobachte mehr als er handle!" (61), und dies auch in seinem eigenen Hause (90), iiberhaupt ,,mache [er] sich, so viel m6glich, alle Observanzen jeder Parochie bekannt" (63), drittens: Zuriickhaltung, ,,dass er ja nicht gleich anfangs seine Entschlfisse, seine Vors/itze/iul3ere" (63). Auch bei der Wahl der ,,Gattin" scheint das angebracht- ,,ein interessantes Kapitel ftir alle Geistliche", mahnt Wilhelm L6he ein halbes Jahrhundert nach Krfinitz, denn ,,bis zur Unkenntlichkeit verschieden yon der Jungfrau ist oftmals dieselbe Person als Frau" (L6he 1852: 228). Man nehme ,,durchaus kein M/idchen aus der Stadt!" (Krfinitz 1794: 361), sondem ,,ein Land-M/idchen, deren Bildung bey aller 1/indlichen Erziehung nicht vers~umt ist" (366), ,,vergessen Sie ... auch nicht, ffir eine solche Gattin zu sorgen, die noch f~ihig und geneigt ist, von Ihnen Bildung anzunehmen, und biegsam genug sich nach Ihren Gmnds/itzen zu stimmen" (370), ,,w/ihlen Sie sich eine gesunde Person" (372), ,,w/ihlen Sie sich auch ... ein nicht ganz unverm6gendes M/idchen" (373), ,,endlich ... w/ihlen Sie keine Kammer-M/idchen, keine Bonnen oder Gouvernanten" (374). Also gilt ftir beide, ihn und sie, was KNnitz einleitend nur ihm zuschreibt: ,,Unter die nothwendigen Erfordemisse rechne ich nun, 1. in Ansehung des K6rpers: einen von Gebrechen freyen K6rper, eine nicht in das Zwergartige fallende Leibes-Statur, eine gesunde Constitution, eine reine fehlerfreye Aussprache, eine deutliche nicht leicht zu iiberschreyende Stimme, nicht weniger gesunde Latera, und einen mehr starken, als schw/ichlichen, Nerven-Bau ..." (10f.); ..... 2. in Absicht des Verstandes: hinreichende Beurtheilung, um das Schickliche von dem Unschicklichen unterscheiden zu k6nnen; die Gabe, mit Leichtigkeit und ohne Beschwerden eine Reihe von Gedanken dem Ged/ichtnisse einzudriicken, und ohne Mtihe dieselben wieder hervor zu bringen; ingl. die F/ihigkeit, schnell zu begreifen und genugsame Lebhaftigkeit der Einbildungskraft das Begriffene zu ordnen und Andem wieder zu entwickeln" (14f.) und die F~ihigkeit, ,,die b/iuerische B16digkeit und Schiichternheit" zu ,,unterdriicken" (19). Dariiber hinaus mtissen ,,Unerschrockenheit, Duldsamkeit, Beherrschung seiner selbst, ein vorsichtiges Betragen, und eine musterhafte Fr6mmigkeit" (19) und der ,,Besitz einigen Verm6gens" (24) erwartet werden. Damit sind zugleich die Erziehungsziele hinsichtlich der Kinder benannt. Dass die Pfarrerskinder (im Unterschied zu den P f a r r k i n d e r n - ein Ausdruck, der stets Gemeindeglieder meint, im Pietismus zumal: K i n d e r Gottes) so sehr
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ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerieten, 28 k6nnte daher wiederum dem Legitimit/itsverdacht geschuldet sein, dem der Pfarrer und sein Haus ausgesetzt sind. Die Frage ist, ob sie den reklamierten dreifachen Stares (6konomisch, politisch, kirchlich) rechtfertigen, ob sie also die Amt~aus-Differenz reproduzieren und mit ihrer Geschlechtlichkeit zurechtkommen. Das Gelingen dieses grogen Vorhabens wird aber interessanterweise vergleichsweise knapp und ohne Sorgfalt berichtet; mit der Konstatierung sich fiber Jahrhunderte fortschreibender und in zahlreiche Landeskirchen verwebender ,Pfarrerdynastien' ist es meist getan (vgl. grtindlich Dahm 1971). Ausftihrlich und detailreich geschildert wird, und zwar als gesellschaftlicher Erfolg des Pfarrhauses, das Scheitern dieses Erziehungsprojekts: die S6hne, von denen die Welt spricht, werden Kfinstler und Gelehrte, Schriftsteller vor allem, und stellen ihre Eltern haupts/ichlich vor das Problem der Disziplinierung von Turbulenz- darin gleichen sie den T6chtem (obwohl die so gut wie nie erwfihnt werden; bei Riess 1979 wird immerhin und ausgerechnet Gudrun Ensslin genannt). 29 Die Beschw6rung des Pfarrhauses als ,B/irgerlichkeit besonderer Art' (Janz) in den erw~ihnten Jahren zwischen 1850 und 1935 ordnet, wenn dies richtig ist, die Kinder auch in ihren augerh~uslichen erwachsenen Lebensl/iufen der Amt/Haus-Differenz nicht einfach auf Seiten des Amtes (Amtsnachfolge) oder des Hauses (gebildete Bfirgerlichkeit) zu, sondem nimmt sie in der Rolle des Dritten ernst, dem das Management der Differenz obliegt, weil ihm Ordnung und Unordnung zugerechnet werden k6nnen. Nur deshalb kann die Erwarmng Raum greifen, dass das Pfarrhaus (die ,,pfarrst~indische Eigenwelt", so Dahm 1971: 89) zur anima der bfirgerlichen Kulmr schlechthin tauge. 28
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Jedenfalls startet das seit 1948 in Eisenach aufbewahrte und gepflegte Pfarrhausarchiv 1934 mit den Sammlungen ,,berfihmter Pfarrerss6hne" durch den Wittenberger Pfarrer August Angermann, vgl. Angermann (1939). Ein Artikel fiber das Sprichwort ,,Pfarrers Kinder und Mfillers Kfih'" gibt 1925 zu einer Vielzahl yon Leserbriefen und Kommentaren Anlass, in: Deutsches Pfarrerblatt 29/43: 765ff., hier 766: das ,,selten oder nie" sei zugunsten der Formulierung ,,trefflich oder hie" zur/ic~weisen, ,,denn der andere ... ist nicht allein sinnlos, sondem schon mit Rficksicht auf M/illers Vieh den Tatsachen widersprechend ...", schreibt zum Beispiel Pfarrer K611ein aus Warza bei Gotha; eine Zuschrift schlugfolgert unentschlossen polemisch: ,,T6chter geraten nicht" (Pfarrer Mettel aus Contwig in der Pfalz), und ,,aus dem Schwabenland" schreibt Pfarrer Dfirr aus Bissingen bei Niederstotzingen, der Spruch laute ,,bei uns ... wenigstens ...: ,Pfarrers Kinder, Pfarrers Vieh ... geraten selten oder nie'", weil ,,noch jetzt es kein gr6geres Gaudium far eine lfindliche Gemeinde gibt, als wenn ein Pfarrer oder besonders eine Pfarrfrau sich irgend eine harmlose B16ge gibt in rusticis. Das schlieBt aber nicht aus, dass man sich herzlich liebt und ehrt. Im Gegenteil: Was sich liebt, das neckt sich. )~mlich mags sein mit dem Stich auf die Kinder des Pfarrhauses. Es ist eine kleine, aber an sich ganz harmlose Rache daftir, dass die Pfarrerskinder in lfindlicher Gemeinde besonders auch Schule meist eine gewisse Vorzugsstellung einnehmen", und Pfarrer H6hne aus J. schlieglich weist den Spruch ganz und gar den Kindern katholischer Pfarrer zu, er ist sicher, ,,dass nicht unsere Kinder gemeint sind" (Hervorhebung i.O.).
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Das Bewusstsein ffir die Unberechenbarkeit solcher animae ist mehr als deutlich ausgepr/igt. Bereits Krfinitz hatte, ausdriicklich aufgrund der Beobachtung, dass viele Pfarrerss6hne und -t6chter verdorben seien (vgl. Krfinitz 1794: 382), vor deren zu vertrautem Umgang mit Landkindem, vor Verzfirtelung einerseits und Vemachl/issigung andererseits und vor Unbesch~iftigtsein gewarnt (vgl. 387f.), weswegen der Amtsinhaber zum friihestm6glichen Zeitpunkt in die Erziehung eingreifen miisse (vgl. 390f.). Sp~ter ist man zwar der Meinung, ,,Kinderzucht" sei ,,nichts Besonderes"; allerdings k~imen im Pfarrhaus ,,vornehmlich etliche Fehler" vor (L6he 1852:243 und 244). Und noch MeuB (1884) nennt im Kapitel ,,Zur Frucht an den Kindern" zuerst die mif3ratenen und verlorenen (unter ihnen etwa G. A. Biirger und J. M. R. Lenz) und nach ihnen auch jene, die konvertiert sind, und schlieBt erst dann die tiblichen Namenreihen von (jetzt: den wohlgelittenen) Dichtern und Gelehrten an (MeuB 1884: 332ff.). Diesen deutlichen Sorgen steht die Betonung der ausgepr~igt heimeligen, innerlichen Familienkulmr des Pfarrhauses entgegen (vgl. Baur 1902:118 und passim; Janz 1994: 459ff.; skeptisch Dahm 1965: 35; Steck 1991). Wom6glich werden ,,etliche Fehler" der Pfarrerskinder erst in Verh/iltnissen offenbar, die mittels der Amt~aus-Differenz nicht zu beschreiben und daher mittels der im Pfarrhaus erlernten Managementvariante nicht zu unterlaufen sind. Und diese Verh/ilmisse lagen um die Jahrhundertwende so ausgepr/igt vor, dass sich eine ,,gleichsam atmosph/irische Unruhe im Pfarrerstand" ausbreitete (Dahm 1965: 12). ,,Meine Herren, es wackelt alles", soll Ernst Troeltsch 1896 auf einer Tagung der ,Freunde der christlichen Welt' in Eisenach zum Publikum gesagt haben (vgl. Dahm 1965:14 und 33). Diese tiefgreifende Verunsicherung motiviert die Pfarrhausliteramr der bezeichneten Zeit, und hier vor allem die seit etwa 1890 erscheinenden verschiedenen Vereinsbl/itter der Pfarrvereine. Das Amt steht mehr denn je im Lichte des Hauses, und es scheint mit ihm auch zu fallen. Der pommersche Landesbischof D. Tolzien h/ilt 1925 in Neustrelitz einen Vortrag fiber ,,400 Jahre evangelisches Pfarrhaus" (Deutsches Pfarrerblatt 29/31: 533f.), der ausfiihrlich zitiert sein soll, weil er das bisher Gesagte anschaulich btindelt. Wir haben, meint Tolzien, ,r die Zeit, viele Zeit, die der katholische Priester fiir das Amt und nur ftir das Amt hat. Welch' eine Gebundenheit ist mit dem Ehestand vermacht. Die Frau beansprucht Zeit, die Kinder beanspruchen Zeit, die damit in Zusammenhang stehende Wirtschaft beansprucht Zeit. Wie manche Arbeit tut der verheiratete Pastor unter dem Druck der Vorw/irfe seiner Frau, dass er sich zu wenig um Frau und Kinder ldimmere,- wie manche Arbeit legt er vielleicht schlieBlich bei Seite, eben unter dem Druck derselben Vorwiirfe. Wie manche Monate, Jahre verbringt er Vormittag fiir Vormittag mit dem Schulunterricht seiner Kinder und ist marode, wenn dann die Berufsarbeit anfangen kann ...
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Nicht nur iiugerlich gebunden ist der verheiratete Pfarrer, auch innerlich. Gebunden durch die Sorgen, hingenommen durch alle m6glichen schwierigen Fragen, die in einem Familienleben auftauchen k6nnen. Ich will dabei zun/ichst v611ig das unsagbare Elend ausschalten, das ein Mensch an seinem Hause haben kann, aber selbst in ganz geregelten Verh/iltnissen,- wieviel Nervenkraft erfordert die Stellung eines Familienvaters. Zweifellos, wir opfern einen Teil unserer inneren Freiheit. [...] Und schlieglich noch wieder etwas Prosaisches. Wir haben dahingegeben ein gut Teil unserer Finanzkraft. Das ist ja heute zeitgemS.g. Wie beneidenswert steht in dem Punkt die katholische Kirche da, die ihren Etat nicht zu belasten braucht mit Witwenversorgungen und ihr Gewissen nicht mit dem Gedanken an tausend darbende alternde Pastorent6chter. Wir schleppen da Ketten, und sie scheuern uns wund, die Ketten ... Gott sei Dank, dass die H/iuser dieser Erde undurchsichtig sind, und dass die W~inde nichts erz/ihlen k6nnen. Das gilt auch von den Pfarrh~iusern ... Wie, wenn die Kinder des Pastors entraten?, wenn die S6hne nichts taugen?, wenn sie ihr Unwesen treiben gar im heimatlichen Ort, in des Vaters Gemeinde? Wie, wenn die Frau des Pastors Anlass bietet zur Kritik, zum Geklatsche, ich meine gar nicht einmal durch das Schlimmste, sondern auch durch hoffiirtiges, durch unordentliches, durch zS.nkisches Wesen? ... Wie vollends als *ugerstes, wenn eben der Pastor selber Schuld hat, wenn er in dem Rufe steht, seiner Frau die Liebe nicht zu halten, oder gar nicht einmal die Treue? ... Solche Verh/iltnisse sind in allen H/iusem schlimm und traurig, aber in einem Pfarrhause sind sie doppelt, dreifach schlimm und dreifach traurig ... Geschieht ein Skandal in einem Herrenhause, so wird er hingenommen; geschieht er in einem Biirgerhause, so wird er vergessen; geschieht er aber in einem Pfarrhause, dann wird nach 50 Jahren noch davon geredet ... Ein Pastor, dessen Haus anrfichig ist, ist matt gesetzt im Amt, auch wenn er selber ganz makelfrei ist ..." Der ,,Segen des evangelischen Pfarrhauses" mfisse ,,sehr grog" sein, wenn er all diese Sorgen hinnehmbar rnache (Deutsches Pfarrerblatt 29/31: 533f.). Wir fassen kurz zusammen: das Management der aus Statusproblemen des Amtes resultierenden Verhaltensprobleme aller Angeh6rigen des Pfarrhauses bzw. das Management der Differenz A m t / H a u s - Pfrtindenmanagement- bedient sich des geschlechtlichen alter ego des Amtsinhabers als Joker und Parasit dieser Differenz, wobei ,geschlechtlich' in genealogischer und sexueller Hinsicht verstanden wird. Wenn einerseits die solcherart dreistellige Form ,Pfarrhaus' stets in Richtung des Amtes, verstanden als professionalisierter Berufsstand, asymmetrisiert wird, andererseits aber gleichzeitig die Einheit der Differenz nie das Amt, sondern immer die Gemeinde unter Einschlug des Hauses bildet (das Laienpublikum als Komplement~irrolle, vgl. Stichweh 1988), dann muss dieser Joker-Parasit die Differenz selbst in der Schwebe halten k 6 n n e n -
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anders w/iren Gemeinde und Haus nicht an das Amt zu erinnern, anders w/ire auch das Amt seines Publikums und also beide ihrer selbst nicht zu vergewissern. Jede Zuspitzung der Differenz A m t ~ a u s zu einer entweder/oderAlternative macht Pfrfindenmanagement fiir den Moment, da dies geschieht, u n m 6 g l i c h - und provoziert also dieses Management im selben Moment 3~ (Leifer 2002 zufolge ein ,,micromoment", in dem ein ,,ambiguity failure [occurs]"in dem einer Person der Fehler unterl/iuft, sich einer Identit/itszuschreibung zu beugen, anstatt sie in der Schwebe zu halten). Es 6ffnen sich also Gestaltungsspielr/iume, die aber im Horizont der Differenz selbst bleiben und am ehesten mit Gegenbegriffssubstitutionen oder auch NoB Gegenbegriffsverunsicherungen spielen. Im Moment der Zuspitzung selbst kann zum Beispiel auch der protestantisch-entsakralisierte Pfarrer Priester sein (vgl. Dahm 1992); sein Amt kann vom geschlechtlichen alter ego gel6st werden; und die Gemeinde mag deshalb in Form der Zuspitzung sich selbst gegen das Pfarrhaus in Stellung bringen. Von Seiten des Hauses k6nnte dies als Abkopplung des Hauses von der Gemeinde verstanden und erhofft werden, so dass es die Opportunit/it s/imtlicher gesellschaftlich m6glicher Familienst/inde und sexueller Lebensformen auch im Pfarrhaus verspricht; mithin mag der Amtsinhaber etwa im Falle einer Ehescheidung selbst die Zuspitzung versuchen. Von Seiten des Konventes der Amtsinhaber (also in priesterlicher Attitiide) werden andere Komplemente als die Parochialgemeinde m6glich, zum Beispiel an bestimmten Klienteln orientierte ,Funktionalgemeinden' oder ,Personalgemeinden'. In allen diesen F/illen riskiert die ,Pfarrfrau', einfach bfirgerliche Hausfrau unter anderen gleichen zu werden 31 und kann sich dadurch zugleich auf ge30
Die Pfarrhauskonstruktion - die a n i m a p a s t o r i s - besteht daher nicht nur in solchen Zuspitzungen, sondern auch im laufenden komplement~ren U n t e r t u n n e l n (Spencer Brown) jeder Zuspitzung in Erinnerung damn, dass es sich ja auch bei der Zuspitzung um eine Differenz handelt. Spencer Browns Skizze der Subversivit/it bin/irer Formen veranschaulicht diese ,Ungezwungenheit' (vgl. Meug s.o.) des zugleich ordentlichen und unordentlichen Hauses sehr plastisch, vgl. Spencer Brown (1969: 51); vgl. auch Gottfried Benns Gedicht P a s t o r e n s o h n :
t j, t , , t n . . . .
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l~, t~, Ii~ . . . .
t~, t I, ill . . . .
Vgl. v.a. Janz (1994: 398ff.) zu diesem sptitestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts namentlich in
den Stfidten htiufig eingegangenen Risiko: gibt sie das Pfrfindenmanagementals alter ego des Amtes auf, obwohl weiterhin die h/iusliche, kinderreiche Ehe Amtsvoraussetzung ist, so steht sie schlieNich vor einem Arbeitspensum, das ihr eher iibrigbleibt als zugerechnet wird und ftir dessen Bewtiltigung sie zwar nicht mehr observiert wird- vgl. Kr/initz (1794: 63) -, ftir das 98
schlechtliche Ungleichheit verwiesen s e h e n - einfach weil jetzt seitens des Amtes nicht 1/inger Anlass besteht, die Differenz ambigue zu halten. Sp~itestens dann also, wenn provokante Zuspitzungen unvermeidlich werden, stellt sich die Frage, ob die Position des Jokers nicht auch anders als geschlechtlich besetzt werden k6nnte.
3. Pfriindenmanagement II: Gremienbiirokratie V o n Beginn an ist die Differenz P f a r r a m t ~ f a r r h a u s der geistlichen wie der weltlichen Hierarchie gegenfibergestellt, nicht ihr e i n g e o r d n e t - eine Konstellation mit Modemit/itspotential, weil sie N e b e n e i n a n d e r u n d l)bereinander verknfipft und das Heterarchische (hier: das parochiale A m t ~ a u s - b e i - H ~ i u s e r n ) zum Parasiten, aber eben auch zum Joker des Hierarchischen macht. Das Pfarrhaus wird, und damit steht es in der G e m e i n d e allein, parochial ins A m t gesetzt; es ist nicht nur einfach Haus-beim-Amt, sondern Haus-bei-H~iusem und Hausi m - A m t zugleich. Die entsakralisierte, der Welt und darum der Hauswirtschaft zugeordnete Ehe der Pfarrer ist aufgrund dieses Potentials i m m e r ein Politikum gewesen. Z u m Zeitpunkt der Entstehung der Pfarrvereine und ihrer diversen Periodika zum Pfarrhaus in der zweiten H~ilfte des 19. Jahrhunderts ist die absolutistische Konstellation, die dem Pfarrhaus ein Adelshaus oder/und einen st/idtischen Magistrat fiber- und es einer Reihe von G e m e i n d e h i i u s e m zuordnet, 1/ingst der nationalstaatlichen gewichen. Heute 32 steht d e m Pfarrhaus respektive der Parochialgemeinde nur noch eine landeskirchliche V e r w a l m n g s o r g a n i s a t i o n gegenfiber. Das A m t wird jetzt nicht m e h r nur nach dem Muster der brfiderlichen Gemeinde, sondern gleichzeitig nach dem Muster der formalen Organisation entworfen (es entstehen Mitarbeiter in Teams33). A u f diesem W e g e wird es
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sie aber auch keine Anerkennung zu erwarten hat; das wird nicht erst, aber mit mehr Aufmerksamkeit diskutiert, seit viele ,Pfarrfrauen' M/inner sind; vgl. auch Schom-Schiitte 1997. In Deutschland seit 1918 mit der formellen Abschaffung des Adelsstandes und des Summepiskopats, vgl. Nowak (1997). Die Grundordnung der evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen zum Beispiel (zuletzt publ. 1998) z.B. regelt das so: ,,Alle Glieder der Gemeinde Jesu Christi sind bemfen, Gottes Mitarbeiter zu sein", n/imlich ,,alle, die haupt- oder nebenberufliche Dienste in der Kirche wahrnehmen" - und wird dann deutlich: ,,Fiir die 6ffentliche Wortverldindigung und die Verwaltung von Taufe und Abendmahl, far Seelsorge und Diakonie ... werden Mitarbeiter im Verldindigungsdienst berufen", soll heigen: damit ,,wird in der Regel der Pfarrer beauftragt. Pfarrer ist, wer zu diesem Dienst ordiniert und Inhaber einer Pfarrstelle ist" (Abschnitt II: Allgemeine Bestimmungen fiber ~nter und Dienste, Art. 10, Abs. 1 und 3, Art. 13 und Art. 14). Als Inhaber einer Pfarrstelle genieBt dieser Mitarbeiter das parochiale Kanzel- und Seelsorgerecht und unterliegt somit auch der Residenzpflicht. Er ist Amtsinhaber und ist es zugleich nicht. 99
vom Pfarrhaus als der pers6nlichen Seite des Amtsinhabers (nicht mehr: der personalen Seite des Amtes) getrennt. Der Stand des Pfarrers wird dadurch eigentiimlich ortlos, denn er mfisste sich jetzt nach seinem Stares innerhalb der kirchlichen ~anterhierarchie bemessen, der er aber durch die Berufung in ein Gemeindepfarramt gerade nicht ein-, sondem nur beigeordnet wird und die fiberdies ihrerseits zu diesem Zweck erst eigens erfunden werden muss. Dem protestantischen Ideal bleiben noch immer die Parochialpfarrer- die nach dem hergebrachten Muster als Anachronismus der Kirche leben- und der Bischof als Parochus der Landeskirche verpflichtet. In der so gerahmten F1/iche wird die neue Hierarchie errichtet als Netz aufeinander verweisender Gremien, die sich (dem protestantischen Ideal geschuldet) als Gemeindeanalogie organisieren und sich Vorsitzende, Sprecher, Leiter etc. zur Reproduktion der Amt~ausDifferenz bestimmen. Neben die traditionelle Amt~aus-Differenz der Parochialgemeinde, deren Joker die persona des Amtsirdaabers auch in Hinblick auf seine h/iuslich geregelte Geschlechtlichkeit ist, tritt auf diese Weise die Amt~aus-Differenz der Gremienkirche, deren Joker die Bfirokratie auch in Hinblick auf programmatische Indifferenz m6glicher Geschlechtlichkeit ist. Die anima pastoris selber hat also ihr heterarchisches Potential behalten; sie weht jetzt dort, wo die Differenz dieser beiden Formen in der Schwebe gehalten werden kann; Amtsinhaber werden laufend daraufhin getestet, ob ihnen die neue Rollenambiguit/it gelingt. Sicherlich hat diese Situation die Klage fiber die Gleichzeitigkeit von Entkirchlichung und Verkirchlichung motiviert, die heute noch geftihrt wird. Und sicherlich muss gesagt werden, dass sich das Pfarrhaus vielerorts (und in besagter Literatur ausnahmslos) als fiberlebender Dritter der alten Strukmren nur noch selbst pflegt. Scheinbar unproblematisch eingebettet in Diskussionen um die Folgen von Industrialisierung, Proletarisierung, Massenmigration und Individualisierung wird in der Vereinsliteratur die Re-Etablierung eines pfarramtlichen Standes nach dem Modell des Ganzen Hauses propagiert oder doch zumindest in einer Art verzweifelter Reminiszenz gepflegt. Dazu geh6rt auch die exklusive Unterscheidung von Gemeinde und Kirche (jetzt geme: ,,Amtskirche" oder ,,~anterkirche") im Sinne der Alternativsetzung von Gemeinschaft und Bfirokratie. Wer sich so im Amt behaupten will, mfisste dann die Rollenkomplementarit/it Pfarrer/Gemeinde (i.e. seine Professionalit/it) in organisationalen Auseinandersetzungen b e t o n e n - also den Joker Gemeinde gegen den Joker Bfirokratie ausspielen. Er k6nnte auch sein Haus argumentativ einsetzen und daran erinnem, dass er durch dieses Haus bei den H/iusem, i.e. bei den Leuten ist. Aber Gemeinschaft und Brtiderlichkeit sind im Spiel mit der Gleichzeitigkeit verschiedener Amt~aus-Versionen gerade keine Trfimpfe, denn sie fiihren nur zum Konflikt zwischen der Gemeinschaftlichkeit der Gemeinden (inklusive des
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Pfarrhauses) und jener der Gremien (am Ende wird letztere angenehmer sein als erstere, weil erstere gerade fiir den Parochialpfarrer zum bfirokratischen Kampfplatz wird). Die anima pastoris bringt daher auch keine Pr/iferenz fiir eine der Amt~aus-Varianten ins Spiel, sondern die Differenz selbst, gerade weil das anschlieBende Spiel die Differenz unausweichlich asymmetrisieren wird. Sie erinnert also daran, dass die Differenz Gemeinde/Kirche eine inklusive Unterscheidung ist. Jedes Pfarramt bleibt an eine lokal beschriebene Gemeinde gebunden (das gilt ja auch fiir an spezifische Klienteln gekniipfie ,,Funktionalpfarrstellen" wie Krankenhaus-, Milit~ir-, Gef~ingnis-, Schul- und Heimseelsorge, die im 19. Jahrhundert erfunden und heute, vom Anstaltsrahmen in Teilen gel6st, als Jugendund Sozialarbeit weiter gepflegt werden), und es besteht Residenzpflicht Rir den Amtsinhaber in dieser Gemeinde. Pfriindenmanagement ist also weiter erforderl i c h - aber es fmdet jetzt als andere Seite eines Managements yon Fachausschtissen, Beir~iten, Konventen und Synoden statt, so dass die Gemeinde sich in Form verschiedenster Kreise gremienanalog zu organisieren beginnt. Mit der Btirokratisierung und Spezialisierung der pastoralen Aufgaben einher gehen Versuche eindeutiger Identit~itszuschreibungen fiir ,Mitarbeiter im Verldindigungsdienst' und fiir Gemeindemitglieder, die als ,,Ehrenamtliche" beobachtet und in eine Position gebracht werden, die vonder des Pfarramts abgeleitet ist (eine ,,sekund~ire Leistungsrolle", vgl. Stichweh 1988). Nimmt man das ernst, dann bewohnen nur noch sie, nicht mehr der Pfarrer, H/iuser-bei-H~iusem, denn nur sie sind noch Amtsinhaber. Das Haus-im-Amt wird aus dem Amt herausgenommen und multipliziert, um d a n n - ungreifbar vervielfacht (vgl. nochmals Meyrink 1922) - ins Amt wieder eingesetzt zu werden. Erst dadurch und nur unter diesen H~iusem stellt sich das Problem geschlechtlicher Ungleichheit. Gremienmanagement versucht, diese seine eigenen Effekte durch die Griindung yon Gemeindekreisen und Mitarbeiterst~iben anschlussfiihig zu asymmetrisieren (das geschieht in der Regel durch Klientelpolitik). Pfriindenmanagement versucht gleichzeitig, der durch Multiplikation hervorgerufenen L6schung der herausgehobenen Stellung des Pfarrhauses durch Erinnerung an das Pfarrhaus zu begegnen (das kann durch das in der Literatur notorische Mahnen geschehen, vollzieht sich allt/iglich aber eher dadurch, dass dem Pfarrhaus zwar nicht die Entscheidung, aber die verantwortliche Durchfiihmng fiberlassen wird). Das Pfarrhaus selbst sieht sich in diese Amtskonstruktion nur als Ausgeschlossenes mit eingeschlossen und ist daher gefangen in der Gleichzeitigkeit von Einflusslosigkeit und 0ffentlichkeit: im Glashaus mit oben/unten- und innen/augen-W~inden. Die Programmatik der Ersetzung des Pfarrhauses durch seine Multiplikation wird in der Regel als Variante der seit jeher bekannten Disziplinierung des Amtsinhabers auf dem Umweg durch sein Haus durch-
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schaut. Die Verhaltensprobleme der Personen im Horizont von Stamsproblemen des Amtes werden nur versch/iftt, denn der Amtsinhaber sieht sich jetzt einer Vielzahl von Quasi-Pfarrh/iusem gegentiber, unter denen er sein eigenes nicht besonders auszeichnen, also auch in geschlechtlicher Hinsicht nicht privilegieren daft. Alle beteiligten personae werden privatisiert, auch die des Amtsinhabers. Im Spiel von Gremien- und Pfriindenmanagement vermeidet er ambiguity failures, indem er an die Differenz von Pfarrkind und Pfarrerskind, Pfarrfrau und ,,Frau des Pfarrers" (vgl. Ziemer 1990:110), Gemeinde und Kirche, Gremium und Organisation, Haus und Amt erinnert, ohne jemals eine dieser Differenzen zu entscheiden, das heigt: ohne jemals eines gegen das andere auszuspielen. Wenn sein eigenes Haus versucht, sich von der gemeinschaftlichen Selbstbeschreibung der Mitarbeiterst~ibe und Gemeindekreise abzusetzen und deshalb eine Sonderform von Intimit/it- geschlechtliche U n g l e i c h h e i t - behauptet, macht es solcherart Management unm6glich. Ausgerechnet in diesem Punkt setzt sich die Pfarrhausliteramr des 20. Jahrhunderts von jener bis ca. 1930 ab. Sicherlich erfordert der Umgang mit der anima pastoris den Verzicht auf Gelmngsanspriiche in der Gemeinde und dem Amtsinhaber gegenfiber und ist entsprechend schwer zu ertragen, und angesichts dessen mag es um das Ausspielen von ,,Selbstverwirklichung" der Pers6nlichkeit gegen die Zumumngen des Amtes gehen (Pasero/Weinbach 2003: 14). Aber diese Karte ist ,,gezinkt" (Baecker 2003: 142). Sie bietet das Pfarrhaus beiden (der Gemeinde und den Gremien) als moralischen Guckkasten an; der Amtsinhaber wird auch noch fiir seine Familie auf diesem Umweg erpressbar (vgl. nochmals Tolziens oben zit. Festrede). Erst das macht die anima pastor& zu einer bis ins L~icherliche hinein an Stereotypen der Weiblichkeit gekntipften Figur.
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Geschlecht als sozialpsychologische, sozialstrukturelle und differenzierungstheoretische Kategorie. Zur Erforschung von Geschlechtszurechnungen und ihren K o n k u r r e n t e n - mit Ergebnissen aus einer Umfrage Gerd Nollmann
1. Einleitung" Sozialtheorie und Kommunikation In der soziologischen Theorie stellt Luhmanns (1984) Kommunikationsbegriff einen einzigartigen Fortschritt dar, der bisher in der Sozialforschung weder ausreichend erkannt noch umfassend genutzt worden ist. Kommunikation konstimiert, so Luhmanns elegante und fiberraschend integrationsf~ihige L6sung, eine fortlaufende Interpretation, in der Ereignisse vorhergehende Verhaltensereignisse verstehen, indem sie diese selektiv kausal aus einem Horizont anderer M6glichkeiten in ihrer Bedeutung zurechnen. Gerade in der Selektivit/it, mit der eine zugerechnete Ursache eine mitgeteilte Information interpretiert, wird die S innhaftigkeit menschlichen Verhaltens erkennbar. Die wichtigste Differenz der Zurechnungsm6glichkeiten betrifft dabei die Frage, ob eine mitgeteilte Information intern zugerechnet wird (Handeln) oder aber extem in anderen Faktoren gesehen wird, etwa im Schicksal, der Namr, Gottgewolltheit, Simationsbedingtheit (Erleben). Diese L6sung schliegt zwanglos an Luhmanns (1970, 1973: 176f., 1984: 191ff.; 1997: 336) Diskussionen des Sinnbegriffs an. Ein einfaches Beispiel soll zun/ichst verdeutlichen, wie menschliches Verhalten mit Hilfe dieser Begriffiichkeiten expliziert werden kann: A:,,Weigt du eigentlich, wie sp/it es ist?" B: ,,Ja, ja, ich bin fast fertig, immer drS.ngelst du so, wenn wir zu deinen Eltem fahren wollen..." A: ,,Ich wollte doch wirklich nur wissen, wie sp/it es ist..."
B versteht A als Urheber einer Handlung mit konstantem Motiv ffir eine bestimmte Situation. Die Bedeutung von A's AuBerung wird durch diese selektive Reaktion erst konstituiert. B's Reaktion hebt bestimmte Ursachen aus einem Horizont anderer M6glichkeiten hervor. Es ist der Partner, nicht die Situation oder sonstiges, die das Verhalten verursacht. Die Person dr/ingelt immer und 109
nicht nur in diesem besonderen Fall. Die Person k6nnte, so ist impliziert, sich auch leicht anders verhalten, weshalb ihre Verursachung als kontrollierbar anzusehen ist. Sie h/itte auch sagen k6nnen ,,Es ist 14.30", womit die Urs/ichlichkeit gegenteilig ausgelegt worden w/ire. B s/ihe dann weniger eine Handlung von A und vielmehr eine reine Informationsfrage, die hier und jetzt einen unstrittig gegebenen Zustand der sozialen Welt (die Uhrzeit) erkundet. Dann st/inde nicht intern ein Handeln, sondem extem ein gemeinsames Erleben im Vordergrund. Die n/ichste Aul3erung von A konstimiert ein weiteres Ereignis, das das vorhergehende Ereignis versteht und die Kausallage wiederum anders beurteilt usw. Diese Typisierung folgt zun/ichst allein der Teilnehmerperspektive, die J~r sich adiiquate Kausalurteile f/illt. Sie ist wenig objektiviert. Eine wissenschaftliche Analyse k6nnte weitere sinnfremde Elemente der gesamten Kausallage identifizieren, etwa Einflfisse der Schichtzugeh6rigkeit und des Zeitpunktes im Lebensverlauf auf das Paarverhalten. Vorauszusetzen w/ire auch, dass ein solches Verhalten in messbarer Weise typisch ist, also tats/ichlich so zu verlaufen pflegt. Sinn, so zeigt das Beispiel, ist relational und entsteht im aneinander orientierten Verhalten. Er ist insofem immer auch bereits nicht-willkfirlich, sozial geformt und gehiirtet, sozial sichtbar und kann wissenschaftlich objektiv erfasst werden. Die Dimensionen der sinnhaften Selektivit/it menschlichen Verhaltens lassen sich mit Luhmann (1971, 1973a, 1984, 2000: 96) folgendermagen zusammenfassen: Abbildung 1" Selektivit/it menschlichen Verhaltens Selektivit/it 1) Konsensoder 2) Welche Zurech- 3) Welche Simanungsrichtung? tion? Welche Dissens? Beispiele Lebensphase? ,,Es hat keinen ,,Ja" oder /ihnli- ,,Wir mtissen..."; Schule, Univerwollen..."; sit/it, Berufswelt, Sinn, wenn M/id- che Reaktion auf ,,Wir chen in der eine mitgeteilte ,,Wir streben das Vorderbiihnen, Hinterbfihnen, Ziel an..." Schule mehr Information Offentlichkeiten ,,Es ist unvermeidLeistung zu brin- ,,Nein" oder (intern/extem), gen versuchen"; /ihnliche Reakti- lich..." ,,Die Globalisie- Familie, Freun,,Ftihrungskr/ifte o n . . . rung zwingt uns..." deskreis,... bringen in unse,,Die Lage erfordert rem Unternehes... men die h6chste Leismng"; ,,Frauen werden beruflich benachteiligt"
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Die Frage, inwiefern menschliches Verhalten sinnhaft sei, scheint mir mit dieser Konzeptionalisierung zuffieden stellend gel6st zu sein, so dass manche der Debatten fiber das soziologische Forschungsprogramm eigentlich abgeschlossen oder besser erst gar nicht wieder aufgerollt werden sollten, um stattdessen gegenstandsbezogene Aussagen zu verfeinern. Es kommt jetzt auf genauere, auch empirisch gestiitzte Beschreibungen und Erkl~imngen an, die das Moderne der modernen Gesellschaft pr~izisieren. Das betrifft auch Geschlecht, das, so meine im Weiteren zu erl/iutemde These, sowohl eine sozialpsychologische als auch eine sozialstrukturelle und differenzierungstheoretische Kategorie w i r d - wenn der von Luhmann entwikkelte Begriffsapparat auch ernpirisch eingesetzt werden soll. Dazu sind zun~ichst einige grunds/itzliche Erl/iutemngen notwendig. Wenn der Soziologe Beschreibungen der modemen Gesellschaft pr/izisieren will, geht es letztlich einerseits immer datum, welche sinnhaften Zurechnungen wo vor welchem Publikum anl/isslich welchen Problems tats~ichlich und durchschnittlich gezeigt werden. Andererseits ist von Interesse, unter welchen sonstigen Bedingungen solche Zurechnungen stehen und welche Folgen sie haben. Entweder der Soziologie beschreibt das Verhalten selbst oder er bezeichnet die Randbedingungen, unter denen das Verhalten steht. Dieser Unterscheidung entspricht die Differenz von Beobachter- und Teilnehmerperspektive. Aus der Teilnehmerperspektive wird der Sinn bzw. die Selektiviffit von Kommunikation kontextbezogen betrachtet (vgl. bereits Luhmann 1973: 195). Demgegenfiber fliegen Ursachen und Wirkungen, die ein wissenschaftlicher Beobachter als Randbedingungen von Kommunikation sieht, quer durch die Gesellschaft hin und her. Niemand wird bestreiten, dass moderne Kommunikation gesellschaftsweit mehr oder minder unter der Randbedingung ungleicher Verteilungen steht. Damit wird auch keinesfalls bestritten, sondern gerade betont, dass verschiedene Typen sozialer Simationen je eigenlogische, sinnhaft selektive Ereignisstr6me konstimieren, an deren Grenzen von augen einwirkende Kausaliffiten teils gebrochen, teils reduziert, teils abgelenkt, teils aber auch mehr oder minder ungebremst hereingebeten werden. Sinnfremde Kausaliffit (beispielsweise Ressourcenverteilungen) und sinnhafie Autopoiesis liegen insofern orthogonal zueinander und dfirfen nicht einfach als inkompatible Widerspriiche gehandhabt werden (vgl. Luhmann 1984: 40f.). So weit ich sehe, hat Luhmann die von Weber (1985: 546f.) zu diesem Zweck eingeftihrte Unterscheidung zwischen sinnhaften und sinnfremden Daten so nicht benutzt und stattdessen formuliert, dass die System-UmweltGrenze Kausalit/iten auf beide Seiten verteile (Luhmann 1985: 26). Es scheint mir aber genau derselbe Sachverhalt damit gemeint zu sein (vgl. Nollmann 2003). Alle weiteren Aussagen fiber Kontinuit/it und Wandel der modemen
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Gesellschaft, so ist auch hier zu betonen, miissen gegenstandsbezogen und probabilistisch angefertigt werden, weil der allgemeine sozialtheoretische Apparat mit der Bereitstellung dieses allgemeinen Kategorienger/ists seinen Dienst erffillt hat. Bevor ich genauer auf Geschlecht als sozialpsychologische, sozialstrukturelle und differenzierungstheoretische Kategorie eingehe, m6chte ich noch betonen, dass sich mit Luhmanns Sozialtheorie eine der soziologischen Lieblingsunterscheidungen aufl6st, die bis heute in Lehre und Forschung fest verankert ist: jene zwischen so genannten Akteurtheorien einerseits und Systemtheorien andererseits. Sozialtheoretisch und hermeneutisch betrachtet bezeichnet nach Luhmann ein ,,Akteur" einfach eine soziale Zurechnung von Verhalten auf intern lokalisierte Ursachen. ,,Der Partner dr~ingelt", so meint ,,B" im obigen Beispiel, und rechnet prim~irhermeneutisch (Beobachtung 1. Ordnung) einem Akteur eine Handlung zu. Systemtheoretiker weisen also lediglich darauf hin, dass diese Zurechnung einen systemischen, kommunikativen, eigenlogischen, emergenten, transintentionalen Charakter hat und nicht mit den mentalen Ereignissen in den K6pfen von Ego und Alter verwechselt werden dfirfe, weil dort bisweilen etwas ganz anderes gedacht wird. Gerade unter modernen Bedingungen ist menschliches Verhalten insofern etwas besonders sinnhaftes, a l s - wie ein Beobachter siehtdie Zurechnungen mitgeteilter Informationen mehr denn je zuvor je nach Situationstypen, je nach zuh6rendem Publikum und je nach Handlungsproblem schwanken. Der Mensch ist nicht eine stabile Einheit mit ,,wahren" Einstellungen, sondern eher ein F~ihnlein im Wind der je lokal verlangten Zurechnungen. Auch ist der Mensch nicht selten von den Reaktionen fiberrascht, die seine Mitteilungen ausl6sen, weil er eben diese systemische Selektivit~it von Kommunikation nicht immer, vielleicht sogar ziemlich selten, durchschaut, d.h. aufgrund mangelnden Wissens reflexiv erwarten kann (Nassehi 2004). Dass sich kausale Zurechnungen auf ,,Akteure" evolution~r betrachtet in der modernen Kommunikation geradezu explosiv h~iufen und dass dieser historische Wandel von Zurechnungsusancen wichtige ,,objektive" Folgen hat, ist in der Soziologie und Sozialpsychologie so oft als so genannte ,,Individualisierung" festgestellt worden, dass man daraus heute nicht noch einen fiberflfissigen Grabenkrieg ableiten sollte, der die Forschung eher behindert (Nollmann/Strasser 2004). Allerdings liegt der Grund, weshalb l~ingst veraltete Unterscheidungen wie ,,Akteur vs. System" weiterhin hochgehalten werden, sicherlich darin, dass einmal sozialisierte Wissenschaftler ungern von geglaubten Gr~iben wieder loslassen, weil wissenschaftliche Kommunikation eine Pr~iferenz fiir den Ausdruck von ,,Neins" hat. Sozialtheoretische Fortschritte sind unpopular, ja werden gar nicht wahrgenommen und geleugnet. Wer Interesse an einer
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Weiterentwicklung von Luhmanns Forschungsprogramm hat, sollte deshalb sicherlich eine Menge an Arbeit in die Didaktisierung seiner Begrifflichkeiten investieren, um diese der community verst/indlich zu m a c h e n - gerade weil das tibliche Rezeptionsniveau Luhmann als einen Spezialisten fiir gesellschaftliche Differenzierung ausweist, ohne dass sein perspektivenreicher sozialtheoretischer Apparat iiberhaupt Beachtung, ganz zu schweigen von gegenstandsbezogenen Anwendungen, findet.
2. Geschlecht und K o m m u n i k a t i o n
Wer menschliches Verhalten als sozial geregelte Zurechnung von mitgeteilten Informationen begreift, wird auch die sinnhafte bzw. sozialpsychologische Bedeumng der Geschlechtskategorie in diesem Rahmen bestimmen. Ein einfaches Beispiel kann wiederum verdeutlichen, inwiefem Geschlecht eine sinnhafte Zurechnungskategorie darstellt: A: ,,In die Gesch/iftsfiihrung des Untemehmens kommen eh nur M/inner, da haben Frauen doch iiberhaupt keine Chance." B: ,,Das finde ich nicht, die dort oben haben auch eine Menge an Leismng erbracht." A: ,,Ach ja, und warum mfissen jetzt vierhundert Mitarbeiter entlassen werden?" B: ,,Das hat doch mit den MS.nnem nichts zu ran, das liegt an der Globalisierung und der Marktschw/iche..." Diese Sequenz, die man heute wohl auf ~mliche Weise in manchem Unternehmen h6ren kann, 1/isst sich nun mit Hilfe des bisher entwickelten Begriffsrahmens einfach paraphrasieren. Schon diese kurze, banale alltfigliche Unterhaltung wird von recht weit reichenden und stark abstrahierenden Kausalzurechnungen geleitet. A nimmt zun/ichst eine Zurechnung beruflicher Karrieren vor, die im Geschlecht die Ursache ~ r mehr oder minder groBes Fortkommen entdeckt. B widerspricht dieser Selektion und stellt ,,Leistung" als alternative Kausalzurechnung in den Raum, was wiederum A - erneut widersprechend- veranlasst, die Misserfolge der Untemehmensffihrung (als Handlungszurechnung) kausal in den Vordergrund zu rficken. Die Konfliktsequenz etabliert sich und 1/isst B auch diese kausale Zurechnung bezweifeln, weil die Ursache ~ r die unerwfinschte Wirkung (Mitarbeiterentlassung) eher extern in unkontrollierbaren Umst/inden (Globalisierung, Marktschw/iche) lokalisiert wird.
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Zun/ichst muss festgehalten werden, dass von augen betrachtet jede dieser Zurechnungen einseitig und auch ,,falsch" ist, weil die gesamte Kausallage natfirlich wesentlich differenzierter analysiert werden k6nnte. Aber die Rekonstruktion sinnhafter Kommunikation dient zun/ichst dazu, ihre Selektivit/it selbst zu bestimmen und dann Annahmen fiber deren kausale Folgen zu formulieren. Darin liegt letztlich die leider nur an einigen Beispielfragen illustrierte Grundidee Webers, warum fiberhaupt so etwas wie eine sinnverstehende Soziologie notwendig und ftir die Erforschung von Kontinuit/it und Wandel hilfreich sei. ,,Verstehen" bedeutet insofem einfach den Nachvollzug der typischen Selektivit/it menschlichen Verhaltens und der Formulierung von Thesen, welche (unerwarteten) Folgen diese Selektivit/it hat. Geschlecht ordnet sich als Zurechnungskategorie in die zweite der oben genannten drei Dimensionen der Selektivit/it menschlichen Verhaltens ein. Sozial zugerechnetes Verhalten bezeichnet entweder Geschlecht als Ursache ftir einen Tatbestand oder es bestreitet explizit, dass Geschlecht eine solche Ursache fiir einen erkl/imngsbedfirftigen, ggf. strittigen Tatbestand sei. Neben diesen beiden, aus der Ja/Nein-Codierung der Sprache begrfindeten M6glichkeiten ist aber auch noch die dritte Option wichtig, die andere Ursachen aus dem Horizont von M6glichkeit und Wirklichkeit selektiert und dabei in mehr oder minder sichtbaren Wettbewerb mit der Geschlechtszurechnung tritt. Es muss keinesfalls so sein, dass, wie im oben eingefiihrten, fiktiven Beispiel, die Geschlechtszurechnung often bestritten wird. Vielmehr wird gerade in untemehmensinternen 0ffentlichkeiten Konsens ftir Leistungszurechnungen beschafft (,,Bei uns kommen die besten nach oben"), ohne dass die ,,eigentlich" auch plausible Geschlechtszurechnung (,,Hier haben Frau doch keine Chance") fiberhaupt ausgedrtickt werden kann und stattdessen auf Hinterbfihnen oder in den Feierabend abgedr/ingt wird. Damit tritt die dritte Dimension der Selektivit/it menschlichen Verhaltens in den Vordergrund: die Betrachtung des jeweiligen S ituationstyps, der den Horizont m6glicher Zurechnungen gleichsam vorab kanalisiert. Manche Hinweise aus der Forschung sprechen daffir, dass in den modemen Arbeitsorganisationen genau auf diese Weise ein ,,undoing gender", also eine mehr oder minder absichtsvolle Nicht-Zurechnung auf Geschlecht, stattfindet. Geschlechtszurechnungen, die die Ungerechtigkeit ungleicher Karrieren zwischen Mann und Frau beklagen und explizit widersprechen, werden in Hinterbfihnen verbannt. Auf den Vorderbfihnen, also in den intemen 0ffentlichkeiten, setzt sich eine privilegierte Sicht durch, die einfach behauptet, dass es in der Arbeitsorganisation gar nicht um Geschlecht gehe, sondern um die Erreichung eines Ziels und um die Bef'drderung der Leistungstr/iger. Dass diese Kausalzurechnung - von augen betrachtet- sehr einseitig ist, braucht kaum bewiesen zu werden. Aber die Soziologie soll nicht Einseitigkeiten widerlegen, sondem eher
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zeigen, was typisch einseitig an tats/ichlich vollzogenen Zurechnungen ist und welche ,,objektiven", also eher fiir den Beobachter erkennbaren Folgen (unabh/ingig von Intendiertheit oder Nicht-Intendiertheit) das hat. Die Wirkungen solchen sinnhaften Verhaltens erforscht bekanntermagen die Sozialstrukturanalyse. In ihr hat Geschlecht ganz tiberwiegend, so m6chte ich im n/ichsten Abscbmitt zeigen, eine sinnfcemde, eben nur sozialstrukturelle Bedeumng.
3. Sozialstruktur und geseUschaftliche Differenzierung Die Sozialstrukturanalyse stellt ganz iiberwiegend eine Untersuchung sinnfremder Verteilungsstrukturen dar, also Verteilungen, die gleichsam ,,von aul3en" auf Kommunikation einwirken. Der Strukturbegriff hat hier eine andere Bedeumng als jene, die er im Rahmen der Kommunikationstheorie als sinnhafte, selektive Erwarmngserwartung tr/igt (Luhmann 1984: 397ff.; vgl. Reckwitz 1997). ,,Strukturen" stehen in der Sozialstrukturanalyse far oft relativ zeitstabile Verteilungen von Geld, Ressourcen, Positionen, Berufsgruppen, Haushalten, Regionen, Lebensl/iufen, Bildungstiteln, Alter, Mobilit/it, Mortalit/it, Morbidit/it und eben auch Geschlecht. Insofem hat Geschlecht einen kausalen Doppelstams: Es steht sowohl ffir sinnhafte als auch far sinnfremde Kausalstr/inge. Beide F/ille bezeichnen Verbindungen von Ursachen und Wirkungen, also kommunikative Weltkonstruktionen. Beide Betrachtungen sind informativ und schliegen einander nicht im Geringsten aus, sondem erhellen einander gerade. Insofem gibt es auch keinen Grund, die Sozialstrukturanalyse und die Rekonstruktion der gesellschaftlichen Differenzierung von Zurechnungserwartungen als inkompatibel anzusehen. Auf der einen Seite geht es dann z. B. darum, inwiefern es geschlechtsspezifische Bedingungen von Kommunikation gibt, etwa geschlechtsspezifische Einkommensh6hen. Auf der anderen Seite stehen kommunikative, bereichs- und situationsspezifische Zurechnungsregeln des Verhaltens selbst, also Regelm/il3igkeiten der kommunikativen Zurechnung von Verhalten auf Geschlecht oder auf ,,konkurrierende" Kausalfaktoren. Nur die Verbindung beider Typen von Regelm/il3igkeiten ergeben aussagekr/iftige, sinn- und kausalad/iquate ,,soziologische Regeln", wie Weber (1980: 5f.) sie erl/iutert hat. In der soziologischen Theoriediskussion ist eigentlich nie bestritten, leider aber mit Blick auf konkrete Forschung zu selten thematisiert worden, dass es gerade darauf ankommt, sinnfremde und sinnhafte Strukturen und Verteilungen zusammen zu betrachten, weil erst dann die typisch modeme Kausallage von Kommunikation- und damit auch die gesellschaftstheoretische Bedeutung von Geschlecht- deutlich werden. Ich werde deshalb im Weiteren versuchen, diese kombinierte Betrachtungsweise am Beispiel der Berufswelt zu erl/iutem, damit
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zumindest angedeutet wird, wie sinnhafte und sinnfremde, geschlechtsbezogene Regelm/il3igkeiten sich wechselseitig erhellen und dabei die moderne Bedeutung von Geschlecht durchsichtiger machen. Bezfiglich sinnfremder geschlechtsspezifischer Verteilungen sprechen die Sozialstrukmranalysen eine eindeutige Sprache: So verdienten etwa Arbeiterinnen in der Industrie 2001 nur 71% des durchschnittlichen Bruttowochenverdienstes vergleichbarer Arbeiter" (vgl. Geil31er 2002: 374). Die Lohn- und Einkommensungleichheit hat ihre Ursachen nicht nur in den geringeren lJ-berstunden, kiirzeren Wochenarbeitszeiten, geringeren Berufsjahren, ldirzeren Betriebszugeh6rigkeiten und folglich selteneren (iiber-)tarifliche Zulagen der Frauen. Sie findet ihre Ursachen vor allem in den schlechter bezahlten Berufspositionen, Lohngruppen und -branchen, in denen Frauen h/iufiger als M/inner t/itig sind. Distributive Einkommensungleichheit 1/isst sich ferner nicht nur durch Ungleichheiten zwischen verschiedenen Berufsgruppen erkl/irt. Die gr613ten Aufspreizungen der Einkommen entstehen innerhalb einer arbeitsorganisatorischen Hierarchie (vgl. Rosenbaum 1984: 2). Gerade in Konzernen verdoppeln sich oft von einer hierarchischen Smfe zur n/ichsten die Geh/ilter. Die mit Abstand wichtigste u n d - wenn fiberhaupt- wahrscheinlichste M6glichkeit h6herer Einkommen besteht deshalb in karrieref6rmigen Aufstiegen. Doch auch die Karrierechancen sind zwischen M/innern und Frauen bis heute sehr ungleich verteilt. Nach wie vor gilt das ,,Gesetz der hierarchisch zunehmenden M/innerdominanz: Je h6her die Ebene der beruflichen Hierarchie, umso kleiner der Anteil der Frauen und umso ausgepr/igter die Dominanz der M/inner. In den Chefetagen sind die Mfinner weitgehend unter sich, und zwar selbst in Bereichen wie Gesundheit und Bildung (Geigler 2002: 376ff.). Im Management lag der Anteil der Frauen auch in den neunziger Jahren im einstelligen Prozentbereich. Diese unstrittige, sinnfremde Seite von Geschlecht muss nun mit der sinnhaften Betrachtung von Geschlecht verbunden werden, so dass sich schliel31ich beide Blickwinkel wechselseitig erl/iutern und die kausale Bedeumng von Geschlecht in der modemen Gesellschaft verst/indlich wird. Ich greife deshalb den im vorhergehenden Abschnitt entwickelten Gedankengang zur Zurechnung und Nicht-Zurechnung auf Geschlecht wieder auf. Die entscheidende Frage lautet dann: Wie sind die sinnhaften Erwartungen, die auf Geschlecht zurechnen oder nicht zurechnen, in der Gesellschaft verteilt? Inwiefern kann man von einer gesellschaftlichen Differenzierung von Geschlechtszurechnungen/NichtZurechnungen in dem S inne sprechen, dass diese Zurechnungen einer gewissen, messbaren sozialen, zeitlichen und sachlichen RegelmiiJ3igkeit folgen, also nach Gruppen, Phasen im Lebenslauf, Situationstypen und Themen verteilt sind? Sind solche Zurechnungen iiberhaupt geordnet, geregelt und erwartbar oder
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nicht vielmehr in ihrer Verteilung letztlich amorph, so dass die Soziologie diesen Gegenstand besser nicht verfolgt? Beziiglich der Regelm/igigkeitsfrage muss zun~ichst festgehalten werden, dass die Annahme begrenzter Regelm~iBigkeiten von Geschlechtszurechnungen bzw. Nicht-Zurechnungen ein notwendiges und vorab akzeptiertes Posmlat sein muss, weil sonst die Forschung erst gar nicht beginnen sollte. Diese Annahme ist zun~ichst, so auch Weber (1985: 427), eine blol3e Unterstellung, die letztlich nur empirisch eingel6st werden kann (Nollmann 2006). Sollte man nicht zeigen k6nnen, dass typische, erwartbare Geschlechtsattributionen als Ursache der vonder Sozialstrukturanalyse herausgearbeiteten Ungleichverteilungen in Frage kommen, dann hat Geschlecht far die modeme Gesellschaft in der Tat keine sinnhafte Bedeumng. Es bliebe amorph.
4. S o z i a l e r W a n d e l
von Zurechnungen
Bevor ich im folgenden Abschnitt eine genauere und schlieglich auch empirisch gest2itzte Analyse von Geschlechtszurechnungen gebe, m6chte ich zun/ichst mit Luhmann eine differenzierungstheoretische Erl/iuterung des bisher gezeichneten Programms geben. Gesellschaft ist nichts anderes als die Gesamtheit aller Kommunikationen, welche wiederum far die Zurechnungen mitgeteilter Informationen stehen. Die Differenzierungstheorie interessiert sich far Kontinuit~it und Wandel der Verteilung typischer Zurechnungen von mitgeteilten Informationen. Luhmann hat dazu mehrere Aussagen vorgelegt, die Trends formulieren und zun~ichst relativ allgemein gefasst sind: Erstens gibt es in der modernen Gesellschaft einen offenbar stabilen, fast generell zu nennenden Trend zu einer zunehmenden Intemalisierung der Weltbetrachtung, die als ,,Individualisierung" der modernen Person erscheint. Menschliches Verhalten wird unter Bedingungen von Modemit/it immer h~iufigerund in immer mehr Lebensbereichen als intern verursacht selektiv gedeutet - zumindest aus der Teilnehmerperspektive. Die sich in der Individualisierung der Selbstdarstellung ausdrtickende Freiheit eines Akteurs ist allerdings, so hat Luhmann (1965: 63) bereits frfih deutlich gemacht, nicht als Unterbrechung aller einwirkenden ZwSnge, sondem als sozial geregelte, sinnhafte Zurechnungspraxis aufzufassen. In der modernen Gesellschaft werden, so hat auch die jfingere Individualisierungsthese hervorgehoben, die Menschen gerade nach der Bildungsexpansion und der verst~irkten Erwerbst~itigkeit von Frauen immer mehr und noch mehr als zuvor gen6tigt, ihre Lebenssituation als Ergebnis ihres eigenen Handelns zu deuten (also intern zuzurechnen), anstatt sie als Ausdruck /iul3erlicher Zw~ge, Vorsehungen, Namr, Gefahren und Kollektivschicksal zu
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erleben (also extem zuzurechnen). Es ist enorm wichtig hervorzuheben, dass diese plausible, aber empirisch wenig pr/izisierte Aussage lediglich eine Rekonstruktion von S innverstehen aus der Teilnehmerperspektive betrifft und allein keinesfalls die gesamte Kausallage meint. Es bleibt vorausgesetzt, dass z.B. ein wissenschaftlicher Beobachter sehen kann, dass das auf einen individualisierten Akteur zurechnende Verhalten trotzdem durch Berufsgruppen, die soziale Herkunft, Bildungs- und Ressourcenverteilungen kausal mitbedingt bleibt. Darin liegt kein wissenschaftlicher Fehler, sondern die Kombination von Beobachterund Teilnehmerperspektive, mit der soziologische Betrachtungen beginnen. Diese Verinnerlichung der Selbstdeumng menschlichen Verhaltens ist eigentlich auch schon mit Webers Hervorhebung von Zwecken, Mitteln und Werten gemeint, die als geglaubte Beweggriinde menschlichen Verhaltens gerade deshalb ausgezeichnet werden, weil sie selbst gesetzte, individualisierte Ursachen des eigenen Verhaltens darstellen- im Gegensatz zu Deutungen, die auf exteme Ursachen wie Gott, Namr, Schicksal usw. zurechnen. Die Gemeinsamkeit dieser konstruktivistischen Sichtweise auf kausale Zurechnungen zwischen den beiden Juristen Luhmann und Weber scheint mir viel gr6ger zu sein, als im Dienste der Revierabgrenzung immer wieder behauptet wird. Zweitens hat Luhmann (1973a) in seiner empirischen Studie zum 6ffentlichen Dienst in Deutschland eine Aussage zur individualisierenden Zurechnung von Verhalten vorgelegt, die auch in der sp~iteren Mobilit/itsforschung Unterstiitzung gefunden hat. Es scheint so zu sein, dass Menschen berufliche Kommunikation auf gruppenspezifische Weise zurechnen. Gerade Bef'drderungen w e r d e n - je h6her sie die betreffende Person in der Hierarchie gefiihrt h a b e n st/irker intern zugerechnet. Sp/itere LS.ngsschnittuntersuchungen haben ebenso wie weitere sozialpsychologische Forschungen zu sozialer Mobilit/it best~itigt, dass die Neigung zu einer verinnerlichenden Betrachtung von Verhalten wohl berufsgruppenspezifisch ausgepr~igt ist und dass diese Zurechnungspr~iferenz wiederum wirklich kausale Folgen fiir Lebensverl/iufe im Sinne einer self fulfilling prophecy haben k6nnte (Mortimer 1996, Dunifon/Duncan 1998). Drittens h~ingt nach Luhmann die Zurechnung mitgeteilter Informationen vom betrachteten, funktionalen Kontext ab (Luhmann 1997: 336). Wenn etwa Forscher Theorien und Hypothesen priifen, erleben sowohl Alter als auch Ego Wahrheit der gegebenen Welt. Die Griinde ftir geglaubte Best/itigungen oder Widerlegungen von Forschungsergebnissen werden nicht in der Person des Forschenden, sondem in erlebter Wahrheit verortet. Wer sich 6ffentlich auf Wahrheit ffir pr/isentierte Forschungsergebnisse beruft, mag wohl auf Widerspruch treffen. Entscheidend ist aber die sozial vorgegebene Begriindungsrichrang, die extern in die Welt, nicht intern auf die Person zeigen muss - selbst
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wenn unter vier Augen auf Hinterb/ihnen gerade unter Wissenschaftlern bisweilen anders gesprochen wird. Demgegen/iber rechnen sowohl Alter als auch Ego im Fall politischer Macht ihre Erfahrungen als Handeln zu: Alter handelt, und Ego reagiert darauf mit eigenem Handeln. Der Grund fiir das reagierende Handeln liegt hier, anders als im Fall der Wahrheit, im Handeln einer Person. Geld erm6glicht die unwahrscheinliche Kombination, dass Alter Egos Aneignung von Dingen, die er vielleicht auch geme h/itte oder gar unbedingt br/iuchte, trotzdem unbehelligt akzeptiert, also einfach erlebt und nicht unbedingt zum Anlass ftir eigenes Handeln nimmt. Es erm6glicht eine Umlenkung der Zurechnungen. Ein Mensch wird die Grtinde ffir seine m6gliche Entt/iuschung dartiber, dass er etwas Bestimmtes nicht haben kann, anders deuten. Die kaufende Person wird nicht dafiir verantwortlich gemacht, dass man selbst nicht dasselbe oder gleiches kaufen kann, obwohl diese Zurechnung ,,eigentlich" durchaus nicht unplausibel w/ire. Die Zurechnung wird aber umgelenkt auf andere Lebensbereiche, etwa die eigene Erfolglosigkeit im Berufsleben (ftir die es wiederum andere Gr/inde gibt) oder das Schicksal, das einen selbst einer weniger wohlhabenden Familie hat entspringen lassen, oder auf den Staat, dessen K/irzungen das eigene Portemonnaie d/inner werden lassen. In jedem Fall erscheinen dem Menschen diese Lebensbereiche als gegeneinander getrennt und jeweils kausal anders zu deuten, und genau deshalb wird die Sinnhaftigkeit menschlichen Verhalten unter modernen Bedingungen so sichtbar und so wichtig fiir die wissenschaftliche Erkl/irung. Wer diese Usance im sozialen Verkehr des 21. Jahrhunderts nicht beachtet, erntet Verst/indnislosigkeit. Eine vierte Aussage zum selektiven Verstehen mitgeteilter Informationen betrifft die Unterscheidung von offiziell/6ffentlich und privat- eine Unterscheidung, die Luhmann (1964) bereits in seinem organisationstheoretischen Fr/ihwerk als Formalisierung und Informalisierung von Verhaltenserwartungen eingeffihrt hat. Man kann sich die damit zusammenhS.ngende soziale, sachliche und zeitliche Heterogenit/it sozialer Zurechnungen am Beispiel des Wertes ,,Leistung" veranschaulichen, ftir d e n - wie auch bei anderen Werten- eine erstaunliche ,,Beweglichkeit im switching zwischen adressatenspezifischen Motiven" (Luhmann 2000: 96) erforderlich ist, die am 6ffentlichen Ende des Kontinuums von privat versus offiziell im zur Show gestellten Festfrieren der Darstellung m/indet. Die Unterscheidung von 6ffentlichen versus privaten Simationstypenoft auch Vorder- und Hinterb/ihne genannt- bezeichnet die Sozial- und Zeitdimension sinnhaften Verhaltens, weil sich zwischen ihnen Zuh6rerzahl und Zeithorizonte gndem. Individualisierte, auf interne Kontrolle und Leismng abstellende Selbstbeschreibungen sind offenbar umso passender, je ,,reiner" der Simationstyp eine 6ffentliche Form annimmt. So geh6rt in der modernen Of-
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fentlichkeit, insbesondere von Arbeitsorganisationen, die Darstellung von ,,Leistung" zur Pflicht. Die Spitzenkr/ifle aus Wirtschaft, Politik und Verwalmng mfissen darlegen, dass sie die Welt als durch eigene Anstrengungen gestaltbar und kontrollierbar ansehen. Hinterb/ihnen er6ffnen demgegenfiber Raum ftir andere Kausalvorstellungen als jene, die 6ffentlich hochgehalten werden m/issen. Auf Hinterbfihnen daft mit sozialem Kapital, Sympathien, pers6nlichem Vertrauen und sozialer N~ihe statt, wie auf 6ffentlichen B/ihnen, mit Leismng und F/ihigkeit argumentiert werden. Ebenso d/irfen die Manager und die sonstigen Verantwortlichen in/iberschaubarem Kreis unter Ausschluss der 0ffentlichkeit, etwa beim Bier mit dem Kollegen, bisweilen zugeben, dass sie manche Ereignisse in der Organisation ebenfalls als schicksalhaft, unbeeinflussbar, unkontrollierbar, vielleicht gar als ungerecht ansehen- auch wenn sie schon kurz darauf in gr6geren Kreisen, etwa in der Betriebsversammlung oder vor der Presse, wieder klarstellen mfissen, dass sie an der Spitze der Organisation stehen, weil sie an Gestalmngsf'~ihigkeit und J~nderbarkeit glauben und alle anderen dazu anhalten, das ebenfalls zu ran. Es kommt immer darauf an, die richtige Zurechnung am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt glaubwfirdig darzustellen, also Sach-, Sozial- und Zeitdimension mit hermeneutischer Feinfiihligkeit auszutarieren. Die Gelmng individualisierter Werte wird dementsprechend im faktischen Verhalten simationsspezifisch, also sachlich und sozial und zeitlich segmentiert (Luhmann 1970a: 62). Im sozialen Verkehr des 21. Jahrhunderts hat der kompetente Bewohner der modernen Gesellschaft 1/ingst gelemt, auf dieser bereitgestellten Klaviatur im lokal passenden Ton zu spielen, denn es ist klar, dass man in einer Situation Werte kommuniziert, deren Realisierung man in anderen S imationen tiberhaupt nicht erwartet. Eine J~nfie Aussage zur Selektivit/it modemen Verstehens hat Luhmann (1970) bereits Anfang der siebziger Jahre in seinem leider bis heute viel zu wenig beachteten, aber fiir die Sozialtheorie immens wichtigen Aufsatz ,,S inn als Grundbegriff der Soziologie" als kurz gefasste Forschungsidee vorgetragen. Es k6nne, so Luhmann, gravierende Folgen haben, wenn in einer Ehe ein Partner immer als ,,Handlung" zurechne, was der andere als ,,Erleben" betrachte. Das oben diskutierte, erste Beispiel zeigt genau einen solchen Fall, der das Leben von Intimbeziehungen in jfingerer Zeit offenbar immer h/iufiger charakterisiert. Divergierende S innzuschreibungen erscheinen als Konflikt und fiihren zur Frage, ob das Verhalten der anderen Seite wirklich in ausreichendem Mage und verl/isslich als ,,Liebe" zugerechnet werden k6nne. Diese Idee hat sp/iter in der sozialpsychologischen Scheidungsforschung erhebliche Unterstfitzung und empirische Ausarbeimng erfahren, ohne dass eine unmittelbare Verbindung zur soziologischen Scheidungsforschung fiberhaupt entstanden ist (vgl. Hewstone/Fincham 2002: 255ff.).
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Schliel31ich hat Luhmann bereits in seinem ,,Sinn-Aufsatz" betont, dass es insgesamt darum gehe, die Regeln zu kennen, nach denen in der modernen Gesellschaft Verhalten selektiv zugerechnet wird. Schon diese Vielfalt der kontextuellen Aussagen fiber selektive Zurechnungen macht den ,,Wildwuchs" deutlich, in dem die modemen Zurechnungserwartungen sich sozial, sachlich und zeitlich ausbreiten. Das Bild vonder modemen Gesellschaft ist mehrdimensional und dynamisch. Wer das Anliegen, die moderne Gesellschaft aufgrund ihrer unvers6hnlich heterogenen Zurechnungskonstellationen zu charakterisieren, ftir die Forschung 6ffnen m6chte, muss m.E. diese Aul3emngen zur Selektivit~it modernen Verhaltens in ihrer ganzen Breite betrachten. Die bei Luhmann im Zentrum stehende sachliche Dezentrierung des Gegenstandes wird durch eine solche Betrachmng sozial geregelten Verstehens erheblich betont und vielleicht sogar radikalisiert, denn die Unkoordiniertheit der vielf'~iltigen Simationstypen erscheint in diesem Licht als noch viel gravierender. Es ist nicht nur die ,,funktionale" Sachdimension sozialer Zurechnungen, die die Zerrissenheit der modernen Gesellschaft ausmacht. Gerade die Sozial- und Zeitdimension machen die Regeln, nach denen heute sozial verstanden und zugerechnet wird, noch vielfiiltiger, heterogener und inkompatibler, weil sie die Generalisierung von Regeln fiber Situationen hinweg erschweren (Luhmann 1964: 54ff.). Moderne Situationstypen unterscheiden sich nicht nur nach den sachlichen Problemen, um die es geht. Auch werden die zu erwartenden Zurechnungen auch von der mehr oder minder grol3en Teilnehmerzahl an der Situation (privat vs. 6ffentlich) und vom Zeithorizont der Situation sowie der jeweiligen Phase im Lebenslauf mit bestimmt. Aus der Sicht der Forschung kommt es m.E. darauf an, die Differenzierung typischer Zurechnungen in allen drei Sinndimensionen gleichzeitig und mit gleichen Begriffen zu rekonstruieren. Ich m6chte diese differenzierungstheoretische Betrachtung sozialer Zurechnungen nun im n/ichsten Schritt weiterentwickeln, indem ich sie auf die sirmhafte Bedeutung von Geschlecht anwende. Genauer und ein wenig empirisch werde ich dabei Zurechnungen und Nicht-Zurechnungen auf Geschlecht in Arbeitsorganisationen ansprechen.
5. Gesellschaftliche Differenzierung von Zurechnungen
Nach dem bis zu diesem Punkt entwickelten Gedankengang hat Geschlecht sowohl eine sozialstrukturelle, sinnfremde Bedeutung, die sich in probabilistischen Kausalaussagen zu Geschlecht als unabh~ingige Variable ausdriickt (etwa ,,Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau Gesch~iftsfiihrer in einem Unternehmen wird, liegt etwa um ein zehnfaches niedriger als die eines Mannes") als auch
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eine sinnhafte Bedeumng, die sich unmittelbar auf zugerechnete Kommunikation bezieht. Wer nach der tats/ichlichen Bedeumng von Geschlecht in der modernen Gesellschaft fragt, k6nnte beide kausalen Betrachtungsweisen miteinander verbinden. Der Sprung von der kommunikationstheoretischen Betrachmngsweise sozialer Zurechnungen zu sozialstrukturellen Aussagen ist allerdings so grog, dass er faktisch eher selten gewagt worden ist. Das ist schon deshalb plausibel, weil die Forschung meist gar nicht fiber die notwendigen Daten fiber sinnhafte Zurechnungen verftigt, um einen solchen, extrem breiten Spagat zu erreichen. Luhmann selbst hat, wie im vorhergehenden Abschnitt geschildert, gegenstandsbezogene Aussagen meist m6glichst allgemein formuliert, vorsichtig aus sozialpsychologischen Forschungen adaptiert und fiir spezifische Oberpr/ifungen und Pr/izisiemngen often gehalten. Gleichwohl kann durchaus vorsichtig von vorliegenden Fallstudien generalisiert werden. Von Interesse ist, wann, unter welchen Bedingungen und warum Kommunikation die Ursachen sozialer Ungleichheit auf harm/ickige, ja renitente Weise in der Kategorie Geschlecht sucht oder im Gegenteil unterbindet und welche Folgen diese Selektivit~it von Kommunikation hat. Es geht also um die Konstitutionsbedingungen yon Ursachenzuschreibungen auf Geschlecht oder konkurrierende Richtungen, nicht um Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Interessenbedingtheit oder kulturelle Konstruiertheit von Sachaussagen fiber Mann und Frau. Geschlecht als Zurechnungskategorie bezieht sich a l s o - so hat die Geschlechterforschung klargestellt (vgl. Lenz 1996; Acker 1988)- auf mindestens drei zentrale Typen von Situationen, die bei der Kleinform dyadischer Paarbeziehungen beginnt, sich fiber arbeitsorganisatorische Formen erstreckt und in der Grol3form qua Staatsbtirgerrecht gleichgestellter Manner und Frauen endet. Diese Betonung des feldspezifischen Gehaltes der Geschlechtskategorie markiert eine bemerkenswerte Konvergenz mit gesellschaftstheoretischen Konzepten (Heintz 2001). Wendet man n/imlich die Unterscheidung von Interaktion, Organisation und Gesellschaft zeitdiagnostisch an, erscheint die Gesellschaft als asymmetrisch (Coleman 1982; Luhmann 1975): Informelle soziale Beziehungen wie Familie, Stilgruppen und weitere ,,interaktionsnahe", also vergleichsweise wenigformal geregelte Felder stehen auf der einen Seite den formal organisierten Organisationen von Wirtschaft, Staat, Verwalmng, Bildung, Gesundheit usw. auf der anderen Seite gegeniiber. Kommunikative Zurechnung findet in allen Feldem statt. Aber die sich dabei manifestierende ,,symbolische Gewalt"
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im Geschlechterverh~iltnis bedeutet in jedem Feld etwas anderes, weil die erwarteten Erwartungen die Zurechnungen auf differentielle Ursachen lenken. ~ Als Geschlechter- und Ungleichheitsforscher neigt man vielleicht dazu, fiberall ,,Manner" und ,,Frauen" zu sehen. Potentiell kann auch in jeder Situation die Ursache der bewerteten Ungleichheit im Mann- oder Frausein gesehen werden. Dass Geschlecht jedoch etwas ist, das man nicht hat, sondern tut, erkennt man in der Praxis an der selektiven Kontingenz yon Ursachenzurechnungen auf Geschlecht. 2 Etwaige Zurechnungen folgen eigenen Schemata, die in der feldspezifischen Vergesellschaftung von Geschlecht erst konstituiert werden: Dass erstens Partner in Intimbeziehungen wahrgenommene Ungleichheiten auf die ihnen gegenfiberstehende Geschlechterseite zurechnen, ist alles andere als selbstverst/indlich, wenn nicht sogar eher unwahrscheinlich, weil Intimbeziehungen so sehr mit individualisiertem Beziehungssinn fiberladen sind, dass eine Zurechnung auf die jeweilige, individualisierte Person (anstelle der Geschlechtskategorie) viel plausibler ist. Dass speziell weibliche Unterlegene in beruflichen Karriereturnieren in Arbeitsorganisationen zweitens ihre Nicht-Bef'drderung mit ihrer Geschlechtszugeh6rigkeit sich selbst deutend erkl/iren, versteht sich ebenfalls fiberhaupt nicht von selbst. Dort bieten sich viele andere Ursachen nicht nur zur Wahl an, sondern werden als gew~ihlte Erkl/irungsursachen sozial unterstfitzt, wenn nicht gar gefordert und mit unterstellbarem Konsens versehen. Nur in der Geschlechterpolitik massenmedialer und politischer Konflikt6ffentlichkeiten scheint der Geschlechterdualismus drittens als konfliktgenerierendes Schema voll auf seine Kosten zu kommen. Beobachtete Ungleichheit der Geschlechter gilt 6ffentlich mit Bezug auf kollektiv bindende Entscheidungen als problematisch und wird in den vielf~iltigen 6ffentlichen K o n f l i k t f o r e n - von der Talkshow fiber die zahllosen daily soaps bis hin zum B u n d e s t a g - als unerwfinscht thematisiert und bisweilen auch in Gleichstellungsnormen transformiert. Das Geschlechterverh/iltnis stellt demzufolge keine homogene, aus einem Guss heraus verst~indliche soziale Beziehung dar. In einer Lebensverlaufsperspektive mag Geschlecht zwar von auBen als ,,Masterstatus" erscheinen (Krfiger 1995: 141). Diese fiber die Kontinuit/it des vergeschlechtlichten Individuums 1
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Vgl. die Definition symbolischer Gewalt bei Bourdieu/Wacquant (1996: 204): ,,Die symbolische Gewalt ist ... jene Form der Gewalt, die fiber einen sozialen Akteur unter Mitt~iterschaft dieses Akteurs ausgefibt wird ... Fast immer steckt der HerrschaRseffekt in der l~ereinstimmung zwischen den Detenninanten und den Wahrnehmungskategorien, durch die sie als solche konstituiert werden". Vgl. West/Zimmerman (1995: 27): "We have claimed that a person's gender is not simply an aspect of what one is, but, more fundamentally, it is something that one does, and does recurrently, in interaction with others"; vgl. dazu auch Eickelpasch (2001). 123
transportierte diachrone Einheit des Lebenslaufes muss aber erst mit der synchronen Differenz eigenlogischer Situationstypen verbunden werden, um Kausalaussagen fiber Geschlecht in der modemen Gesellschaft machen zu k6nnen. Auf der Basis dieser lJberlegungen m6chte ich nun einige gegenstandsbezogene Aussagen fiber die kausale und die sinnhafte Bedeumng von Geschlecht in Arbeitsorganisationen machen.
6. Zurechnungen, Nicht-Zurechnungen organisationen
und ihre Folgen in Arbeits-
In Arbeitsorganisationen wird Kommunikation auf Vorderbfihnen bis heute in den meisten F/illen so zugerechnet, dass es nicht um Fragen des Geschlechterverh/iltnisses geht. Geschlecht hat als soziale Kategorie prima facie keinen Bezug zum Organisationszweck. Es wird konsensuell unterstellt, dass alle Mitglieder dem Organisationszweck untergeordnet sind. Ffir die 6ffentliche, sowohl interne als auch externe Selbstdarstellung der Arbeitsorganisation gibt es deshalb keinen Grund, das Geschlechterverh/ilmis fiberhaupt zu thematisieren. Die Geschlechterfrage wird unsichtbar gemacht (Wetterer 1992). Der damit verbundene normative Sinn reicht weiter als die blol3e Indifferenzbehaupmng. Auf Vorderbfihnen darf nicht nur eine grundlegende, geschlechtsunabh/ingige Gleichheit der Mitglieder vor dem Zweck zugerechnet werden. Vielmehr wird auch gesagt, dass Geschlecht keinen Einfluss auf die Zweckorientierung haben darf. Schon aus formal vorgegebenen Darstellungsgriinden muss jeder Personalleiter (inzwischen und vor allem in der Offentlichkeit) behaupten, dass er jederzeit unabh/ingig vom Geschlecht den/die beste/n Kandidaten/in bef'drdern/einstellen wird, der/die die gr6flte Leistung beitr/igt. Natfirlich weig jeder, dass diese Zurechnung die gesamte Kausallage nur bedingt wiedergibt. So sehr man die 6ffentliche Selbstdarstellung als nur partielle Widergabe der Realit/iten durchschauen mag, so wenig hilfreich ist es fiir die Forschung, diese Darstellungserfordernisse einfach als ,falsch' vom Tisch zu wischen. Ebenso bleibt diese Selbstdarstellung zumindest teilweise unverstanden, wenn man sie als m/innlichen ,,Klassenkampf von oben" deutet (Cyba 2000: 110), denn es fmdet ganz im Gegenteil eben kein Konflikt statt, der die Geschlechterungleichheit skandalisiert. Die durchgesetzte und durch Schweigen als Akzeptanz zugerechnete Zurechnungsverschiebung- weg vom Geschlecht, hin zur Mitgliedschaftsrolle - stellt vielmehr das in der modemen Organisationsgesellschaft am weitesten sozial, sachlich und zeitlich generalisierte Hindemis auf dem Weg zu mehr Geschlechtszurechnungen in der Arbeitswelt dar.
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Die auf Vorderbtihnen gepflegte Gleichheitsvermumng vor dem Zweck ist zwar eine wirksame Selbstdarstellung. Sie ist jedoch nicht einklagbar oder gegen die ,,Oberen" fiberpr/ifbar. Sie wird im Gegenteil nur herausgekehrt, wenn es passt, und insofern ist sie kein durchgiingig praktiziertes Situationsmerkmal der Arbeitsorganisation. So sehr man ihren Schaucharakter bemerkt, so wirksam strukturiert sie die Praxis speziell dann, wenn die Geschlechterbeziehung zu einem expliziten Thema wird (Wimbauer 1999). Ftir die Ftihrungskr~ifte erscheint eine solche Thematisierung als Kritik, denn sie widerspricht der sonst aufrecht erhaltenen Selbstauffassung. Sie k6nnen dann die Kritik zulassen und Anweisungen zur Behandlung von Geschlecht in die Formalstruktur fibemehmen. Oder sie weisen die Kritik ab und lassen sie intern einfach nicht mehr zu, so dass die Kritik sich ihren Weg unterirdisch in informellen Kan/ilen bahnen muss.
Bis heute dfirfte der letztere Weg der am h/iufigsten beschrittene sein. Dabei treffen Bemiihungen um mehr Geschlechtszurechnungen auf ein gravierendes Hindernis. Auch wenn die Formalstruktur einer Arbeitsorganisation grunds/itzlich immer nur einen Teil des faktischen Erlebens und Handelns realistisch wiedergibt, schliel3t sie Konflikte und 6ffentliche Kritik an ihr selbst zun~ichst grunds~itzlich aus (Luhmann 1964: 48ff., 239ff.). Die ausgeschlossenen, weil formalisierten Konfliktanl~isse miissen sich ihren Weg auf informellen Ausdrucksbahnen suchen. Diese Informalisierung sozialer Konflikte degradiert aber die Kritik an der Karriereungleichheit der Geschlechter auf eine Stufe mit allen sonstigen Kritiken an der Organisation. Sie kann dann leider nur fiber denselben Stares wie Kritiken an der Arbeitsiiberlasmng, an schlechten Ressortkooperationen, an der scheinbaren Inkompetenz des Managements, der schlechten Klimaanlage und an der veralteten Ausstattung der Arbeitspl/itze verftigen. Diese Degradierung hat fiir etwaige Geschlechtszurechnungen gravierende Folgen. Geschlecht gewinnt nicht die Wiirde, die andere Themen im organisationsinternen Alltag erlangen. Es wird an den Rand des harten Kanons gedr~ingt, in dessen Zentrum die zweckspezifischen Programme stehen, die die Arbeitsorganisation am liebsten behandelt. Die Frage nach der internen Bedeutung von Geschlecht erscheint als Zusatzthema, das neben den vielen anstrengenden, zeitraubenden und ,,wirklich" wichtigen Themen auch noch mitgezogen wird. Sie gewinnt den Geruch der Illegalit/it, weil die informelle Besch/iftigung mit ihr vonder ,,eigentlichen" Arbeit abh/ilt. Dieser systematisch erzeugte und durch geschickte platzierte Zurechnungen unterstiitzte Eindruck (,,Diese Krisensituation 1/isst doch einfach nicht die Zeit, schon wieder fiber Frauen zu diskutieren...") bietet den Ansatzpunkt ftir die Ausbildung der informellen ,,male substructure" der Arbeitsorganisation. Manner haben als traditionelle Inhaber der Fiihmngspositionen leichtes Spiel, das
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Geschlechterthema negativ zu konnotieren und Vorbehalte ins Spiel zu bringen selbst wenn Frauen fiber ausreichende informelle Kontakte verffigen. Durch dezente Hinweise, Austausch von Blicken und Gesten, Gemschel unter vier Augen und Plaudem auf dem Klo wird dem Chef, der mit der Faust auf den Tisch haut, Dynamik zugerechnet, w/ihrend die auf den Tisch hauende Chefm als hysterisch gedeutet wird. Frauen in Ffihrungspositionen werden informell ihrer Wiirde entkleidet (Bourdieu 2001:18f.). Die Verhinderung von Geschlechtszurechnungen liegt demgem/il3 nicht allein in der mgnnlichen Substruktur von Arbeitsorganisationen, sondem im gesteigerten Wechselspiel formalisierter und informeller Situationsauffassungen begrfindet (Luhmann 1964: 285). Auf Vorderbfihnen gibt sich das Verhalten gleichgfiltig gegenfiber der Frage, ob Mann oder Frau an ihren Schaltstellen sitzen. Da diese formale Schauseite jedoch nur einen geringen, aber deshalb umso wichtigeren, also kausal folgenreicheren Anteil aller Zurechnungen ausmacht, ebnet sie faktisch den Weg ftir das Gegenteil dessen, was sie behauptet. Diese Einsch/itzung fiber den im primarhermeneutischen Alltag wohl eher zweiten Rang von Geschlechtsrelevanzen wertet die Ungleichheit der Geschlechter nicht ab, sondem zeigt im Gegenteil das gravierende Problem, auf das Anstrengungen zu ihrer Beseitigung treffen: In der modernen Gesellschaft kann sich die grol3e Mehrheit der Mitglieder in Arbeitsorganisationen bis heute 6ffentlich auf den Standpunkt stellen, dass Geschlechterfragen an der jeweiligen Stelle einfach keine Rolle spielen. Dieser Standpunkt- so falsch er yon aufien betrachtet i s t - findet legitime Unterstiitzung. Das arbeitsorganisatorische Wechselspiel formaler und informeller Simationsauffassungen kann man auch nicht einfach abschaffen, denn wenn fiberhaupt irgendetwas zu Recht als ,,Institution" in der modernen Gesellschaft bezeichnet wird, dann geh6rt dazu die Formalitiit von Arbeitsorganisationen. Ferner steht die Frage nach mehr Geschlechtszurechnungen im Verdacht, das ehedem heikle Thema der Kommunikation yon Anspriichen auf Dauer zu stellen (vgl. Schimank 1998). Fast jede Arbeitsorganisation steht vor dem Problem, dass der von ihr produzierte allgemeine ,,Zug nach oben" ged/impft oder angehalten werden muss (Luhmann 1964:166). Das von unten nach oben verlaufende Kontinuum von sachlichen, ausftihrenden zu immer mehr sozialbezogenen, weisungsbefugten Aufgaben impliziert auf rigide Weise ungleiche Anerkennungsm6glichkeiten, auf die Frauen und M/inner mit Aufstiegswfinschen reagieren. H6here Positionen erscheinen als wichtiger, weniger austauschbar, sch6ner, interessanter, anspruchsvoller und werden mit zus/itzlichen Vorstellungen ausgeschmfickt. Folglich gibt es tendenziell immer weitaus mehr Wfinsche nach h6heren Positionen als M6glichkeiten, diese zu besetzen.
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Teilweise werden die entstehenden Anspriiche in andere Formen- etwa auf h6heres Gehalt und sonstige Zuwendungen- umgelenkt. Grunds/itzlich liegen dabei die fiber tarifliche und arbeitsrechtliche Standards hinausgehenden Ansprtiche in Arbeitsorganisationen auf informeller Ebene. Niemand kann einen Gesch~iftsffihrer zwingen, augerordentliche Gehaltserh6hungen zu gew~ihren. Auch die Frage, ob bestimmte Positionen mit Prokura und Dienstwagen geschm/ickt werden, ist faktisch weitaus oftener als nachher dargestellt werden muss. Erf~llte Ansprfiche verdanken sich informellem, intransparentem Geben und Nehmen. Abgewehrte Ansprfiche dienen dem formal-6ffentlichen Ritual: Hier kann nicht jeder einfach alles fordern! Der Anspruch auf mehr Geschlechtergleichheit muss sich in dieses informelle Anspruchsklima einreihen. ,,Leistung" bildet nach wie vor eine wichtige, bewusst herausgekehrte kausale Zurechnung, die fiberzeugt, weil gerade nicht iiberprtift werden kann, ob sie die gesamte Kausallage wirklich gut abbildet. Geschlecht wird in Bef6rderungssituationen scheinbar eher als Supplement verwendet: Man weist darauf hin, wenn es passt. Auf Vorderbfihnen kann m a n sofern eine Frau bef'drdert w i r d - die damit erreichte bessere Gleichstellung der Geschlechter als zus/itzliche Begriindung anfiihren. Aber gerade in Unternehmen ist das verp6nt, weil die Leistungszurechnung viel erwfinschter ist. Und selbst Frauen wollen ihre Bef6rderung nicht in ihrem Geschlecht, sondern eher in ihren Leistungen begr/indet wissen. Wie auf der informellen Rfickseite der Arbeitsorganisation fiber Geschlecht gesprochen wird, bleibt unsichtbar. Es ist zu vermuten, dass die M/innerdominanz in den Ffihrungsetagen bestimmte, 6ffentlich nicht mehr kommunizierbare Zurechnungen mit sich bringt, etwa die Ansicht, dass Frauen ffir Ffihrungsaufgaben nicht ,,tough" genug seien. Auf Befragung wird niemand diese Zurechnung best/itigen, und genau darin besteht ihre Hartn~ickigkeit. Der Grat, auf dem Mann und Frau in h6here Positionen wandern, ist schon unabh/ingig von der Geschlechterfrage schmal und durch viele Absturzrisiken gezeichnet (vgl. Boltanski 1990). Bei der Besetzung h6herer Positionen in Unternehmen verhalten sich die Entscheider nicht anders als in universit/iren Berufungskommissionen: In dubio contra reum. Im Zweifelsfall ist jedes Zusatzargument willkommen, um eine/n Kandidaten/in abzuservieren. Geschlecht droht in Mobilit/itsfragen deshalb als Kampfkategorie thematisch zu werden, weil die Eroberung von Ffihrungspositionen auf dem fiblichen, bisher von M/innern beherrschten Weg nur schwierig und oft gar nicht gelingt. Die Alternative besteht dann in oftener Politik, die die Einbeziehung der Geschlechterfrage in formale Organisationsprogramme durchzusetzen versucht. Die Formalisierung von Ansprtichen auf mehr Geschlechtergleichheit in Arbeitsorganisationen trifft bis heute auf unterschiedliche Erfolgsaussichten
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(vgl. Tomaskovic-Devey/Skaggs 2001: 329). Grunds/itzlich scheim bisher eine gewisse Politikn/ihe des jeweiligen Organisationstyps vonn6ten zu sein, um Gleichstellungsprogramme fiber die ,,male substructure" hinauszutragen. Auch iiberall dort, wo Positionen in Wahlverfahren besetzt werden und 6ffentlicher Legitimationsdruck gegeniiber W~ihlem entstehen k6nnte, sieht es scheinbar so aus, als ob Programme ftir mehr Geschlechtergleichheit bessere Chancen haben (Cockburn 1991). Faktisch stehen jedoch Gleichstellungsprogramme selbst dort, wo sie in die Organisationsstruktur integriert werden, vor gravierenden Schwierigkeiten. Sie k6nnen- wie jede andere Programmierung a u c h - der Praxis nur aufgesetzt werden, deren Zurechnungen aber nicht bis in die letzten Winkel durchstrukturieren. Als konditionale Programmbestandteile k6nnen sie nur Bedingungen formulieren, bei deren Eintreffen bestimmte Handlungen einzutreten haben. Selbst diese Regeln haben nut indirekt gleichstellenden Motivgehalt. So schreiben Wissenschaftsministerien der Lander ihren Universit~iten bestimmte prozentuale Frauenquoten vor, bei deren Unterschreiten die Mittelzuweisungen geldirzt werden. Das Manko dieser Regel liegt in ihrem nur bedingten Einfluss auf die Erh6hung der Frauenanteile. Sie drgngt zwar auf die Neubesetzung von vakanten Positionen mit Frauen, kann sie aber keinesfalls erzwingen. Ein weiteres Problem formalisierter Gleichstellungsprogramme liegt in der Nicht-Formalisierbarkeit ihrer Implementation. So berichtet Meuser (1989, 1992) von den informellen Gestalmngsm6glichkeiten bei der Umsetzung der Richtlinie zur F6rderung yon Frauen im 6ffentlichen Dienst der Stadt Bremen. Die heute in vielen Stellenanzeigen des 6ffentlichen Dienstes nachzulesende Formel fiber die Bevorzugung von Frauen bei ,,gleicher Qualifikation" entpuppt sich dabei als salomonisch. Ihre Interpretation ist dem mikropolitischen ,,rnalestream" der Verwaltung ausgesetzt. Die sich im Kriterium der Qualifikationsgleichheit ausdriickende Zurechnung der leistungsorientierten K a r r i e r e - so hat z.B. Rosenbaums Theorie ungleicher Karrierechancen eindrucksvoll gezeigt (1984) - stellt selbst nur ein mobiles, variabel handhabbares Argumentationsschema dar, fiber das kein Konsens erzwungen werden kann. Die Praxis der Personalauswahl kann und will bisweilen fiber es hinweg gleiten: ,,Zwischen Menschen gibt es Absmfungen. Dann muss ich eben so lange arbeiten, bis ich diese raushole. Es gibt keine gleichen" sagte ein befragter Personalrat. Er gibt damit zu verstehen, dass seine Bereitschaft, Ungleichheit zu linden, grog ist, wenn bei der Beurteilung zweier scheinbar gleich qualifizierter Kandidaten die Gleichstellungsrichtlinie im Horizont des Entscheidungsprozesses bedrohlich aufscheint. Folglich diirfte der Haupteffekt von Gleichstellungsrichtlinien ffir eine weitergehende Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern weniger in ihrer unmittelbaren Instruktivit~it als in ihrer allgemeinen Signalwirkung liegen. Sie
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kfindigt erh6hte Aufmerksamkeitspegel ffir Geschlechterfragen an, kann den mikropolitischen, sozialkapitalistischen Dschungel der Arbeitsorganisation jedoch nicht transparent machen. Auch die heute anzutreffende Teilnahme von Frauenbeauftragten an Bewerbungsgespr/ichen dient dem 6ffentlichen Hinweis darauf, dass inzwischen genauer hingeschaut wird, wer wirklich als der am meisten geeignete Kandidat erscheint. Sie stellt jedoch gleichzeitig eine neue Legitimationsquelle von Nicht-Zurechnungen auf Geschlecht dar. Wenn sich in Bewerbungsgespr/ichen trotz der Teilnahme der Frauenbeauftragten ein mS.nnlicher Kandidat durchsetzt, hat sich die Energie der Geschlechterpolitik verbraucht. Etwaige sp/itere Kritik muss sich auf das Gegenargument einstellen, dass ftir alle Entscheidungen die vereinbarten Verfahren eingehalten worden sind und die Frauenbeauftragte ihren Segen erteilt hatte.
7. Selektive Geschlechtszurechnungen in Umfragen Ich m6chte nun diskutieren, wie rekonstruktive Kausalaussagen in Umfragen getestet werden k6nnen. Dazu muss zun/ichst festgehalten werden, dass es bisher bei hermeneutisch orientierten Forschern einen weit reichenden Pessimismus gegeniiber der Umfragemethode gibt. Der Grund daffir liegt in den Schwierigkeiten, die tats/ichliche, in der modernen Gesellschaft schillemde und vielfiiltig gebrochene Selektivit/it menschlichen Verhaltens in Umfragen einzufangen. Normativ oder kognitiv erwartete Zurechnungen werden heute eben im Regelfall nur unter bestimmten Bedingungen im Verhalten erwartet. Der SurveyMainstream, insbesondere die Wertwandelforschung, hat diesen Kontextgehalt mangels hermeneutischen Gesptirs manchmal ignoriert. Das muss aber nicht unbedingt so bleiben, welm die Selektivit~it von Verhalten zielgerichtet in Frageformulierungen umgesetzt wird. Der moderne Mensch zeichnet sich je nach Lebensphase, Handlungsproblem und Publikum durch eine hohe Erwartungselastizit~it aus (Luhmann 2000: 96). Er m u s s diese flexible Haltung zu Werten einnehmen, denn in den Kontexten des Alltags, der Familie, des Klassenzimmers, der Peers, der l)bergangssituationen, der beruflichen Vorder- und Hinterbiihnen friiher, mittlerer und sp/iter Berufsphasen und je nach Publikum und Thema gelten von aul3en betrachtet insgesamt widersprfichliche Zurechnungserwartungen. Will man diesen Kontextbezug und seine sozialstrukturellen Folgen einfangen, miissen die verwendeten Items pr/izise an den Gegenstand herangefiihrt werden. Fiir die gelingende Erforschung des Praxissinns kausaler Zurechnungen wird es deshalb zur Pflicht, die Dimensionen selektiver Zurechnungen zu deftnieren, in denen diese auftauchen. Jiingere Beitr/ige zur Umfrageforschung, die
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sich diesem Problem zu stellen versuchen, geben den Befragten deshalb spezifische Situationsdefinitionen vor und fragen Bewertungen ab, indem sie situative Dimensionen variieren (Beck/Opp 2001; Liebig/Mau 2002). Die Fragen sollen den Befragten deutlich machen, um welches Handlungsproblem das Item angeordnet ist, ja der Befragte sollte aktiv an die Hand genommen werden und gedanklich in ein f/Jr ihn erkennbar eng umrissenes Szenario hineingeffihrt werden. Die Frage sollte deshalb nicht kurz, often und pauschal, sondem ausreichend lang, eher geschlossen und auf die spezifische Situation ausgerichtet sein, damit der Praxisdruck zumindest ansatzweise erscheint. Wer ist anwesend? Worum geht es? Wie sieht der Zeithorizont der Situation aus? Worin sehen Sie die Griinde ffir ihr Verhalten? Aus der Forschung ist seit langem bekannt, dass die Spezifikationsgrade yon Einstellung und Verhalten fibereinstimmen mfissen, wenn ihre Relation aussagekr~iftig sein soll (Davidson/Jaccard 1979). Dementsprechend bestimmt der Gegenstand L~inge und Spezifit~it des Items, denn sonst hat der Befragte gar nicht die M6glichkeit, die wirkliche, unter Praxisdruck gezeigte Selektivit~it seines Verhaltens valide anzugeben, etwa wann genau er welche Variante einer Geschlechtszurechnung oder etwa einer in der Berufswelt meist konkaarrierenden Leistungszurechnung zustimmt und wann nicht. Formulierungen dfirfen also nicht, wie bisher oft iiblich, abstrakt eine Einstellung, eine Zufriedenheit oder Grade der Wichtigkeit eines Objekts abfragen. Sie mfissen vielmehr, wie etwa in jiingeren sozialpsychologisch informierten Umfragen (Kluegel/Smith 1986: 46, 77, 79, 107f., 109s Mason/Kluegel 2000: 262-272), den Befragten spezifische Kausalzurechnungen anbieten und dadurch spezifizieren, welches sinnhafte Verhalten mit welcher sozialen, sachlichen und zeitlichen Generalisierung gemeint ist. In unserer Umfrage haben wir dazu eine Auffdcherung, nicht eine Reduktion des Gegenstandsbezugs angestrebt, um zu zeigen, dass Zurechnungen tats~ichlich je nach erfragtem Handlungsproblem sehr unterschiedlich stark akzeptiert werden und dass diese differentielle Geltung wichtige sozialstrukturelle Folgen hat. Die Umfrage entstand im Rahmen eines Lehrforschungsprojekts an der Universit~it Duisburg-Essen, Campus Duisburg. Bei einer Befragtenzahl yon 261 zeigt die demografische Verteilung eine leichte 13berrepr~isentation der Angestellten, eine ad/iquate Vertretung der Selbst/indigen und der Geschlechter sowie eine leichte Unterrepr~isentation der Arbeiter. Von den insgesamt 131 Items diskutiere ich nun Fragen, die der Erfassung von Leistungs- und Geschlechtszurechnungen in der Berufswelt dienten. Dabei ist zu betonen, dass unsere Umfrage nicht prim~ir der Priifung von Geschlechtszurechnungen und Nicht-Zurechnungen in Arbeitsorganisationen diente, sondern die Geltung des Leistungswerts in verschiedenen Sozial-, Sach- und Zeithorizonten von Bildung, Beruf und C)ffentlichkeiten messen sollte. Der Gegenstandsbezug dieser Fragen
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hat bezfiglich der Geschlechtskategorie insofern nicht jene Pr/izision und Differenziertheit, die er in einer ausschlieBlich auf Geschlechtszurechnungen ausgerichteten Umfrage haben k6nnte. Die Umfrage enthielt nur diesen einen Itemblock zu Geschlechtszurechnungen. Ausgangspunkt dieser Itembatterie war die Beobachtung, dass in Arbeitsorganisationen immer noch das sozialstrukturelle Gesetz gilt, nach dem der Anteil von Frauen mit zunehmender Hierarchie dramatisch sinkt (Geigler 2002: 372). Man k6nnte fragen: Widersprechen die Frauen solchen Verteilungen? Wenn ja, w o u n d vor wem? Wenn nein, mit welchen Kausalvorstellungen und in welcher Situation? Die Hypothese lautete demgem/iB: Es kommt darauf an, wie M/inner und Frauen in der Berufswelt die Ungleichheit der Positionen je nach Situation und zuh6rendem Publikum kausal zurechnen. Das dominante, 6ffentlich hoch gehaltene Selbstverst/indnis sieht die Organisation als geschlechtsneutral an und behauptet, in ihr gehe es prim/ir um Zielerreichung unter Berufskollegen. Dass auch aus der Teilnehmerperspektive Geschlecht als Ursache ftir die Ungleichheit der Positionen tats/ichlich ~ r alle h6rbar zugerechnet wird, darf nicht ohne Priifung unterstellt werden. Zur Sicherstellung valider Ergebnisse haben wir vorab in ,,think alouds" ausfiihrlich getestet, welche spezifischen Erfahrungen diese Items bei den Befragten aufrufen im Sinne eines pr/izisen Gegenstandsbezugs der Fragen, also welche Frage etwa Erinnerungen an 6ffentliche Situationen der Berufswelt und welche Items Erinnerungen an informelle berufliche Kommunikation abriefen.
Auch aktuelle Statistiken belegen, dass Frauen nach wie vor selten in Leitungspositionen aufsteigen. Wenn Sie nun an Ihre eigenen beruflichen Erfahrungen denken, was wfirden S ie sagen, woran das liegt? 1801) Weil Frauen frfiher oder sp/iter Kinder bekommen. 1803) Das hat mit Geschlecht eigentlich nichts zu tun. 1804) Weil Traditionen nicht so leicht zu/indern sind. 1805) Weil M/inner die eigenen Reihen dicht halten. 1807) Weil M/inner intern ihre Leistungen geschickter pr/isentieren. 1813) Die Leistung, nicht das Geschlecht entscheidet fiber Karrieren. 1813 Item 1801 1803 1804 1805 '1807 2,65 (,946) 2,65 (,881) 2,77 (,850) 2,11 (,798) 2,94 2,84 M/innlich (,911) (,662) 115 112 115 115 115 113 N 2,18 (,957) 2,18 (,778) 2,55 (,803) 2,50 (,789) ;2,66 2,87 Weiblich (1,005) (,683)
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11 9 1,707 1,000 1,094 [,003 Mittelwerte; Standardabweichungen in Klammem
120 ,000
1121 1,027
Geschlechtszurechnungen und ihre Konkurrenten werden in der Praxis nicht nur von M/innern und Frauen unterschiedlich gesehen, sondern erhalten auch innerhalb der Geschlechtergruppen widersprfichliche Bewertungen, was wiederum ein Hinweis daftir ist, dass diese Items tats/ichlich Erfahrungen aus unterschiedlichen Situationen abrufen. Die Kinderfrage (1801) bejahen M/inner und Frauen gleichsinnig. Dieses Argument wird wohl in der Praxis aufgrund seiner grogen ,,Natiirlichkeit" (auch wenn es von augen betrachtet alles andere als das ist) beliebt sein, weil es die in der Berufswelt kaum zu verhindernden Ungleichheiten der Karrieren zu legitimieren vermag. Es begriindet folglich einen ffir die Beteiligten evidenten Sachverhalt, fiir den eine passende Begrtindung relativ bereitwillig akzeptiert wird. Weniger selbstverst/indlich stellt sich demgegenfiber heute das Traditionsargument dar (1804). Die M/inner sehen es immerhin neutral, die Frauen bereits deutlich ablehnend. Die Zeiten, in denen Ungleichheiten von Mann und Frau 6ffentlich durch den Hinweis auf die Kontinuit/it mehr oder minder eingelebter Traditionen begriindet werden konnten, sind vorbei. In der MikroC)ffentlichkeit der Interviewsituation kann fiir diese Zurechnung genau so wenig Konsens beschafft werden wie in der Offentlichkeit der Arbeitswelt. Interessante Differenzen ergeben die beiden Items zu Leistung und Geschlecht (1803/13), mit denen die dazugeh6rigen Kausalvorstellungen gleich doppelt getestet werden. In beiden F/illen glauben die M/inner (wohl im Einklang mit ihren tats/ichlichen intemen Inszenierungen in der Arbeitswelt) deutlich mehr an die tats/ichliche Wirksamkeit von Leistungen. Die Frauen scheinen gegeniiber dieser Frage zu schwanken. Erst die Zuspitzung von Leismng gegen Geschlecht in der Frage 1813 ~hrt die Frauen zu einer gegeniiber 1803 um 48 Basispunkte erh6hten und damit positiven Einstellung (2,66 vs. 2,18), obwohl in beiden Items die Geschlechtsunabh/ingigkeit der Karrieren behauptet wird. Die Unterstiitzung der Leismngszurechnung erfolgt bei den Frauen sozusagen erst beim deutlichen Nachfragen. Im Kontrast zu den Items 1803/4/13, die die Befragten vom Geschlecht weg und zu Leistungszurechnungen hinftihrten, rief das Item 1805 bei den Befragten Erinnerungen an informelle Cliquen und Seilschaften der M~mer und dabei eine Geschlechtszurechnung ab (,,die M/inner halten ihre Reihen dicht"). Obwohl die Befragten in den Items 1803 und insbesondere in 1813 mehrheitlich Leismng h6her als Geschlecht bewerten, stimmten die M/inner in 1805 doch der Amnahme zu, dass M/inner die eigenen Reihen dicht halten, und sahen die Frau-
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en das immerhin neutral- ein Hinweis darauf, wie widerspriichlich Deumngen innerhalb der Arbeitswelt je nach Simationstyp sind. Dieses Ergebnis sollte also, wie auch die vorab durchgefiihrten ,,think alouds" zeigten, nicht unbedingt als fehlende Robustheit der kausalen Zurechnungen, sondem eher als Abruf unterschiedlichen eigenen Verhaltens in verschiedenen S imationen interpretiert werden. Dass Manner die eigenen Reihen dichthalten, wird wohl einfach in einer anderen Situation- etwa unter vier Augen mit der K o l l e g i n - gesagt, w~ihrend die Absage an die Geschlechtsbedingtheit von Aufstiegen eher in der Offentlichkeit oder gegenfiber Externen ausgedrfickt wird, etwa wenn m a l ~ r a u sich in explizitem Konsens mit den harten Fakten der Berufwelt darstellt und darlegt, dass die ungleiche Verteilung durchaus legitime Griinde habe bzw. dieses Argument erst gar nicht aufkommen 1/isst. In diesem Kontext ist auch, wie oben bereits angedeutet, die Popularit/it des Kinderargumentes zu sehen: Es passt eben gut zur tats/ichlichen Ungleichheit und verwischt diese, weil es ein scheinbar unumst6131iches Faktum hervorkehrt. Die Suche nach Simationen, die den naiven Leismngsglauben beider Geschlechter briichig werden lassen, wurde bei der Frage nach geschickten Leismngspriisentationen ftindig. ,,Leismng geschickt pr~isentieren" (1807) ist eine Formulierung, die reflexive Zurechnungen verlangt. Sie weist die Befragten darauf hin, dass eine Leismng nicht einfach ist, was sie ist, sondern durch selektives Verhalten als solche konstimiert wird und immer auch anders dargestellt werden k6nnte. Die Frauen glauben starker, dass Manner ihr Verhalten geschickter pr~isentieren. Sie wissen wohl, dass Leismngsdarstellungen dort erwiinscht sind, stellen aber trotzdem selbst ihre Erfolge weniger als durch eigene Leistungen bedingt dar und rechnen eher extern auf Zufall, Gliick und gtinstige Umst/inde z u - wahrscheinlich mit gravierenden Folgen (Heintz et al. 1997: 238). Karrieretumiere basieren n~imlich in hohem Mage auf Fiktionen, Leismngsdarstellungen und geschickten Zurechnungen zur rechten Zeit am rechten Ort (Rosenbaum 1986). Der Weg nach oben ist s c h m a l - auch ffir die wenigen Manner, die dort ankommen. Externe Zurechnungen in der internen Offentlichkeit sind falsche Signale, die begierig aufgenommen werden um zu folgern, dass diese/r Kandidat/in nicht ftir ,,h6here" Aufgaben geeignet sei. Die sinnfremde, geschlechtsspezifische Ungleichverteilung von Karrieren wird durch diese Zurechnungsusancen verstiindlicher. In der Praxis wird karriererelevante Kommunikation eben nicht entlang der Geschlechterlinien, sondern konkurrierender Kausalfaktoren zugerechnet. Die Frage, wer aufsteigt, entscheidet sich nach dem ,,subjektiven" kommunikativen Glauben weniger durch die Geschlechterdifferenz als andere Grfinde- auch wenn das von augen anders aussehen mag. Gerade diese Differenz der Kausalbetrachtungen ist informativ.
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8. Schlussfolgerungen Geschlecht sieht fiir den Forscher zwar wie eine fibergreifende Universalkategorie menschlichen Verhaltens aus. Es wird in der Praxis aber gerade nicht als eine durchweg pr/igende Strukturkategorie gedeutet, sondern nur ausgew~ihlt und wenig konsistent nach kontextspezifischen Parametern als Ursache betrachtet. Deshalb kann und muss Geschlecht in der Forschung dreifach, n/imlich als sozialpsychologische bzw. kommunikative, sozialstrukturelle und differenzierungstheoretische Kategorie betrachtet werden, wenn seine gesellschaftstheoretische Bedeutung verst/indlich gemacht werden soll. Die heutige Forschungslage stellt ein detailliertes Wissen fiber sinnfremde geschlechtsbezogene Verteilungsstrukturen bereit. Demgegenfiber beruhen die Kenntnisse fiber Geschlecht als kommunikative Zurechnungskategorie bisher auf Studien mit kleinen Fallzahlen, von denen aus vorsichtige Aussagen fiber die gesellschaftstheoretische Bedeutung von Geschlecht entwickelt werden k6nnten. M.E. gibt es keinen Grund, weshalb kommunikations- und gesellschaftstheoretische l~erlegungen auf dieser Basis nicht enger und produktiver mit der empirischen Forschung zusammengeschlossen werden k6nnten.
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Teil II Ebenendifferenzierung: Interaktion, Netzwerk, Organisation, Funktionssystem
I]berlegungen zu Relevanz und Bedeutung der Geschlechterdifferenz in funktional gerahmten Interaktionen Christine Weinbach
Einleitung In der funktional differenzierten Gesellschaft, so die Annahme der Luhmannschen Systemtheorie, sind geschlechtsspezifisch definierte Erwartungen nicht 1/inger inklusionsregulierend. In dieser Funktion gilt die Geschlechterdifferenz daher als Residuum einer stratifizierten Sozialordnung (vgl. Weinbach/Stichweh 2001). Dem geschlechtersensibilisierten Blick offenbart sich jedoch eine gewisse Hartn/ickigkeit dieses Residuums, das auch im Rahmen funktionaler Differenzierungsbedingungen weiterhin an folgenreicher Erwartungsbildung beteiligt ist (Weinbach 2006). Bettina Heintz (2001: 16) unterscheidet vor diesem Hintergrund zwischen der De-Instimtionalisierung geschlechtsbezogener Inklusionsbedingungen auf Makro-Ebene und der Reproduktion der Geschlechterdifferenz auf Interaktionsebene. Diese Unterscheidung aufgreifend, befasst sich der vorliegende Beitrag mit der Frage nach der Funktion und Bedeumng der Geschlechterdifferenz in funktional gerahmten Interaktionen. Anfangs (Abschnitt 1.) wird konstatiert, dass, obwohl die Funktionsrollen der Funktionssysteme askriptive Personenmerkmale wie Geschlecht per Definition ignorieren, funktional gerahmte Interaktionssysteme dennoch auf solche Askriptionen rekurrieren (k6nnen). Im Anschluss an jtingere Forschungsarbeiten erweist sich der Standardisierungsgrad funktionaler Rollenerwartungen als eine wichtige Bedingung fiir die Schlief3ung und C)ffnung der Interaktion gegenfiber der Geschlechterdifferenz. Greifen Interaktionen in ,,wenig strukturierten Kontexten" (Heintz 2001:18) auf die erwarmngsgenerierende Geschlechtszugeh6rigkeit der Personen zu, aktivieren sie Geschlechterstereotype, deren makrosoziale Verankerung in speziellen ,Systemintegrationsformationen' der Institutionalisierung geschlechtlicher Arbeitsteilung dient(e) (Abschnitt 2.). Dieser Rekurs auf die Person kann funktional sein, wenn die Erwartungen, die durch Person und Rolle gebtindelt werden, in einem gewissen Rahmen aufeinander abgestimmt sind, w~ihrend entsprechende Unstimmigkeiten evenmell dysfunktional wirken. Die Interaktion versucht sich deshalb gegeniiber St6mngen u.a. durch einen spezifischen, nur den Bewusstseinssystemen zug~inglichen Wahrneh-
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mungsraum abzusichem. Mit diesem interaktionsspezifisch defmierten Wahrnehmungsraum bemfiht sich das wahrnehmungsunf'filaige Interaktionssystem um die Herstellung interaktionskompatibler Bewusstseinszust/inde; bildet das Bewusstsein als einzige unmittelbare Umwelt der Kommunikation doch zugleich deren autopoietischen Erm6glichungsraum (Abschnitt 3.1). Auch unter dem Umstand funktionaler Interaktion, bei der sich die Kommunikation an formalisierten, funktional def'mierten Rollenerwartungen und nicht an der Geschlechtszugeh6rigkeit der inkludierten, ffireinander als Personen stets wahrnehmbaren Bewusstseinsysteme orientiert, muss die kommunikative Unterscheidung von Person und Rolle auch im Wahrnehmungsbereich der inkludierten Bewusstseinssysteme in gewisser Hinsicht ,repr/isentiert' sein (Abschnitt 3.2-3.3). Die Geschlechterdifferenz bleibt somit auch dort, wo sie kommunikativ folgenlos bleibt, latent vorhanden und steht der Interaktion zur Bildung manifester Erwartungsstrukmren zumindest als Ressource zur Verffigung. Wenn sie am Ende ungleiche Inklusionschancen zeitigt, ist dies prim/Jr auf die Bedeumng der Geschlechterstereotype z u r f i c ~ N h r e n .
1. Funktional gerahmte Interaktionen Heutige Interaktionen sind h~iufig funktional gerahmt, was mit Struktur und Inklusionsmodalitgten des funktional differenzierten Gesellschaftstyps zusammenh/ingt. Nicht der soziale Status der Person bestimmt fiber Zugangsbedingungen zu funktionsorientierten Interaktionen. Zugangsbedingungen werden durch die Funktionssysteme definiert und durch Organisationen institutionalisiert. 1 Funktionale Differenzierung gibt Organisationen dabei ,lediglich' die Koordinaten vor, erlaubt ihnen ansonsten einen selbstreferentiellen und autonomen Reproduktionsmodus auf der Basis von Entscheidungen: Organisationen mfissen sich bei ihren Operationen selbst voraussetzen, sie k6nnen z.B. nicht auf gesellschaftliche Hierarchien zurfickgreifen (vgl. Luhmann 2000: 412). Die durch sie institutionalisierten, komplement/ir angelegten Leistungs- und Publikumsrollen der Funktionssysteme - wie LehrerIn/SchfilerIn, PfarrerIn/Gemeinde, PolitikerIn/W/ihlerIn e t c . - zeichnen sich durch Universalisierung (jeder Gesichtspunkt funktionaler Betroffenheit wird beriicksichtigt), Spezifikation (Unabh/ingigkeit der Publikumsrollen voneinander) und Generalisierung (funktional relevante Qualit/iten als Inklusionsbedingung) aus (G6bel/Schmidt 1998: 102f.). Solche, ~ r askriptive Merkmale weitgehend blinde 1
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Zum Stellenwert von Organisation ftir die funktionale Differenzierungsform der Gesellschaft vgl. die Beitrfigeim Sammelbandvon VeronikaTacke (2001).
Inklusionsbedingungen erlauben, dass Individuen ganz verschiedener ,Bev61kerungsschichten' aufeinandertreffen und vormals an Stratifizierung orientierte Interaktionsschranken durchbrochen werden. In diesem S inne wird die ,,feste (askriptive) Zuordnung von Personen zu bestimmten Teilsystemen der Gesellschaft ... ffir die Erwartungsbildung aufgeben" (Luhmann 1977: 236). Dementsprechend basiert eine Vielzahl heutiger Interaktionen, in denen Individuen aufeinandertreffen und durch die sie in die gesellschaftlichen Funktionsbereiche inkludiert sind, nicht 1/inger auf askriptiven Personenmerkmalen wie sozialer Schichtzugeh6rigkeit, Ethnizit/it, 2 Geschlecht oder (mit Einschr/inkungen) Alter, sondem auf funktionalen Komplement/irrollenverh/iltnissen. Mit ihrem universalen, spezifizierten und generalisierten Zuschnitt entsprechen sie dem Vollinklusionsanspruch der funktional differenzierten Gesellschaft. Systematische Exklusion findet ,erst' auf Organisations- und Interaktionssystemebene statt: Jedes Kind eines bestimmten Alters soll ins Erziehungssystem inkludiert sein, es besuchen aber nicht alle Kinder dieselbe Schule; auf dem Schulhof sind in die jeweiligen Interaktionen wiederum nur einige SchtilerInnen inkludiert. Wenn die Inklusionsbedingungen der Interaktions- und Organisationssysterne ausgeblendet werden und der Fokus ausschlieglich auf die funktionale Differenzierungsform gerichtet ist, werden moderne Inklusionsverh/ilmisse also nur unzureichend begriffen. Das gilt auch ffir die Frage nach der Relevanz und Bedeumng der Geschlechterdifferenz unter funktional differenzierten Gesellschaftsbedingungen (so auch Wobbe 2003: 17, 27, 29; Heintz 2003: 214; Heintz/Merz/Schumacher 2004: 69f.). Schaut man sich die Interaktionsebene an, zeigt hier sich bekanntlich ein widerspriichliches Bild. Denn einerseits erm6glicht funktionale Differenzierung geschlechtliche Neutralit/it: Die deutsche Bundeskanzlerin trifft sich mit der USamerikanischen Augenministerin, ohne dass ihre Geschlechtszugeh6rigkeit den strikt formalisierten Ablauf der Interaktion oder die Themenwahl tangieren wiirde. Andererseits kann der franz6sische Pr/isident die deutsche Kanzlerin mit einem Handkuss begriigen. In anderen Interaktionszusammenhfingen ist ein ,,doing gender" folgenreicher: So raten Finanzberater Frauen im Unterschied zu M/innem in Fragen der Geldanlage eher zu weniger risikoreichen, aber auch weniger eintr/iglichen Investitionen (vgl. Kuhlmann 1995: 397). Insgesamt gesehen zwingen funktionale KomplementS.rrollenverh/ilmisse die Interagierenden zwar dazu, ,,zahlreiche Differenzen, die sich im Wahrnehmungsbereich aufdr/ingen", zu ignorieren. ,,Man denke hier nur an den Unterschied der Geschlechter und an die Empfindlichkeit, mit der in heutigen Interaktionen darauf geachtet wird, dab er nicht auch noch die Kommunikation be2
EineAusnahme bildet hier bekanntlich das Politiksystem(vgl. Weinbach2005). 143
stimmt" (Kieserling 1999" 73). 3 Das heigt aber nicht, dass dieser Wahmehmungsbereich nicht auch in funktional gerahmten Interaktionen weiterhin existierte und nicht unter bestimmten Bedingungen aktualisierbar w/ire. Bettina Heintz vermutet, dass geschlechtsspezifische Erwartungen ,,vor allem in wenig strukturierten Kontexten" (Heintz 2001" 18; so auch Wobbe 2003" 2 l f.) greifen: ,,Dies legt jedenfalls die Organisationssoziologie nahe, und genau hier liegt ein wichtiger Ankn/ipfungspunkt zwischen interaktionstheoretischen Positionen und Ans/itzen, die auf der Mesoebene der Organisation ansetzen" (Heintz 2001" 18). Diese Vermumng wurde durch verschiedene Studien best/itigt. In einer Untersuchung zur Relevanz der Geschlechterdifferenz fiir wissenschaftliche Karrieren konnte ein Zusammenhang zwischen dem Geschlecht der Forschenden und disziplin/iren Eigenheiten aufgezeigt werden: Wo z.B. Methoden weniger stark standardisiert sind, r/ickt die Person als Garant ftir die Glaubw/irdigkeit der Ergebnisse in den Vordergrund- was Frauen tendentiell benachteiligt (Heintz/Merz/Schumacher 2004). Vergleichbares gilt ffir den Schulunterricht: W/ihrend des Unterrichts tiberlagem meist schulische die geschlechtlichen Inszenierungsanfordemngen (,,doing student" statt ,,doing gender"). Insgesamt jedoch er6ffnet auch hier z.B. eine eher offene Aufgabenstellung (wie das l]ben von Grammatikformen durch selbst gebildete S/itze) im Unterschied zu st/irker regulierten Aufgaben (Arbeit mit dem Mikroskop) M6glichkeiten zu ,geschlechtsrivalisierenden' Interaktionssequenzen zwischen den Sch/ilerInnen (Budde 2005). Weniger formalisierte Interaktionserwartungen, so zeigt auch das folgende, durch Alltagserfahrung ges/ittigte Beispiel, behandeln die Grenze zwischen Personen- und Rollenerwartungen fluider und sind oftener fiir Wahrnehmbares: Wer als Frau einen Mann schon einmal beim Bekleidungseinkauf begleitet hat, hat dabei vielleicht erlebt, dass sich das Verkaufspersonal w/ihrend der Anprobe gem an seine Begleiterin wendet und der eigentliche Kunde schlimmstenfalls Gefahr 1/iuft, statt zum Teilnehmer zum Thema der Kommunikation zu werden. Die Interaktionsorientierung verl/iuft hierbei entlang geschlechtsstereotypisierter Personenerwarmngen, wonach M/inner in heterosexuellen Paarbeziehungen beim Kleidungskauf auf die Untersttitzung ihrer Partnerin angewiesen sind. 4 Funktionale Rollenerwarmngen sind damit jedoch nicht auger Kraft gesetzt, kann sich der Mann doch als Kunde jederzeit Geh6r verschaffen, seine Kaufentscheidung treffen und zahlen. Das Verkaufspersonal wird sich dem auch dann nicht widersetzen, wenn seine Begleiterin der Wahl offensichtlich nicht zustimmt. Hier erm6glicht die Differenz von (geschlechtlicher) Person und (organisational instimtionalisierter) Funktionsrolle ,,Interakti3 4
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StefanHirschauer(2001) sprichthier vom ,,Vergessendes Geschlechts". ,,Dasin den Geschlechterstereotypen enthaltene Wissen impliziert Erwartungen dariiber, wie Frauen und M/innersich in einer Situationverhalten werden" (Gottburgsen2000: 82).
onsverhalten und Entscheidungsprozess laufend zugleich [zu] unterscheiden und aufeinander [zu] beziehen" (Kieserling 1999: 362). Funktional gerahmte Interaktion verl/iuft daher stets auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung (Kieserling 1999: 362). Dass der Gebrauch der Unterscheidung von Rolle und Person dabei verschiedentlich zum Einsatz kommen kann, macht das Beispiel deutlich: In der Beratungssequenz, z.B. w~ihrend der Anprobe, kann sich die Interaktion, im Unterschied zur stark standardisierten Bezahlsequenz, an wahrnehmbaren Personenmerkanalen (Geschlecht) orientieren. Das liegt sogar in gewisser Hinsicht an programmatisch verfassten Strukmrvorgaben, weil sich die Beratung bis zu einem gewissen Grad ffir die spezifischen Personenmerkmale des Kunden 6ffnen muss (Geschlecht, Kleidergr6ge, ,Typ') und deshalb nicht in gleichem MaBe formalisiert sein kann wie die Bezahlsequenz. Das Interaktionsprogramm legt den Akzent nun st/irker auf die Person, riickt die Rolle in den Hintergrund und schafft damit zugleich ein Einfallstor ffir personenbezogene Erwartungen, die, wie im Bekleidungskaufbeispiel, funktional wirken k6nnen. Dass Erwartungsbildung in Bezug auf die Geschlechterdifferenz in funktionalen Interaktionen auch dysfunktional sein kann, zeigt folgendes Zitat aus einer friihen Arbeit Luhmanns: ,,Die Bedeumng des informalen Meinungsaustausches unter Kollegen macht es verstiindlich, dab die Zulassung yon Frauen in einem m~innlichen Kollegenkreis gewisse Sorgen bereitet. Sie k6nnen nicht so leicht sich zu einem Kollegen setzen, die Pfeife anziinden und eine schwierige Sache aus gemtitlicher Distanz mit ihm durchsprechen. Es f'~illt ihnen schwerer, die Fesseln strikter Formalit/it und pedantischer Sachbezogenheit abzuwerfen, ohne damit andere Ttiren zu weit zu 6ffnen. Dass dieses Symbol freundlichinformaler Absichten Frauen im allgemeinen nicht zur Verftigung steht, wurde in einer britischen Untersuchung tiber den Staatsdienst gegen ihre Zulassung angeffihrt" (Luhmann 1964: 318). Funktionalit~it und Dysfunktionalit/it des Rfickgriffs auf die Person sind also in hohem Mal3e vom Bedeutungsverh~iltnis zwischen Person und Rolle abh/ingig. Die folgenden Ausffihrungen widmen sich daher der Art geschlechtsspezifisch definierter Personenerwartungen.
2. Geschlechtliche Personen
2.1 Anwesende Personen Eine wesentliche Bedingung ~ r das Zustandekommen von Interaktionskommunikation ist Wahrnehmung. Die Unterscheidung yon Bewusstsein und Kommunikation ist also grundlegenden fiir den hier verwendeten Interaktionsbegriff; der damit in der abendl~indischen Denktradition steht, die mit Descartes die
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Trennung von Leib und Geist vollzogen hat (dazu Hahn/Jacob 1994: 146f.): Interaktionssysteme bestehen zwar aus einem Prozess selbstreferenziell aufeinander bezogener, aus den Komponenten Information, Mitteilung und Verstehen zusammengesetzter Kommunikationselemente (vgl. Luhmann 1987: 191ff.). Damit aber ein Kommunikationsprozess in Gang kommt und aufrechterhalten bleibt, bedarf es der wechselseitigen W a h m e h m u n g mindestens zweier Bewusstseinssysteme als ,k6rperliche' Personen in einer ,r/iumlichen', meist sozial gestalteten, stets sozial defmierten Umwelt: Der Kaufinteressierte und seine Begleiterin betreten das Schuhgesch~ift, nehmen Blickkontakt mit einer Verk/iuferin auf und beide Seiten gehen aufeinander zu. Schon haben sich psychische und soziale Erwartungen herausgebildet: als Einschr/inkung von Bewusstseinszust/inden der Beteiligten und als standardisierte Erwartungserwartungen (Rollen) der Interaktion: Wechselseitige Wahrnehmung korreliert mit Anwesen-
heir. Auch Anwesenheit verbleibt im Rahmen der Differenz von Bewusstsein und Kommunikation. 6 Anwesenheit ist nicht Wahrnehmung; auch wenn ohne wechselseitige Wahrnehmung keine Anwesenheit existiert. Anwesenheit ist vielmehr die andere, die ,Kommunikations-Seite', der wechselseitigen Wahrnehmung. S ie fungiert im Interaktionssystem als dessen Prinzip der Grenzziehung und Selbstselektion (vgl. Luhmann 1987: 54; 1975a: 10f.). 7 Sie bildet dort eine grundlegende Beobachtungsform, weil sie die Grenzen der Interaktion markiert und die Erwarmngsbildung auf die als anwesend geltenden Personen einschr~inkt: Anwesende Personen sind damit nicht ,einfach' wahrgenommene Individuen, sondern nur solche, an die aus S icht der Interaktion mitgeteilte Informationen adressierbar sind und die auf den weiteren Verlauf der Interaktion strukturierend wirken. Im obigen Bekleidungskauf-Beispiel gelten weitere
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Vgl. auch Isolde Karle, die die K6rpervorstellung im Alten Testaments wie folgt beschreibt: ,,Die menschliche K6rperrealit/it ist nichts biologisch Objektivierbares, sondern ein ganzes Bfindel verschiedener Energien, psychischer Aktivit/iten und g6ttlicher Einflfisse. Insofem sind auch Kleidung und Waffen als Erweiterung des K6rpers zu interpretieren und nicht lediglich kulmrelle Artefakte auBerhalb des K6rpers" (2006:216). Dass Luhmann diese Standortgebundenheit seines Denkens reflektiert, wird in folgendem Zitat deutlich: ,,Die uns allen vertmute Differenzierung der Disziplinen Psychologie und Soziologie und mehr als hundert Jahre fachverschiedener Forschung haben zu einem nicht mehr integrierbaren Wissen fiber psychische und soziale Systeme geffihrt" (Luhmann 1995:113). Jens Loenhoff unterscheidet daher zwischen physischer, sozialer und kommunikativer Anwesenheit, mit denen ,,spezifische Formen der Mobilisiemng von Aufmerksamkeit, der Ausdruckskontrolle und des K6rperverhaltens" korrespondieren, sowie entsprechend verschiedenen ,,Zugfinglichkeitsindikatoren" (2001: 222). Weitere Ausftihrungen zur Unterscheidung von Anwesenheit und Abwesenheit als Beobachmngsform bei Luhmann (1997: 815).
wahrnehmbare Verk~iuferinnen und Kundschaft, m6glicherweise anderweitig interaktiv involviert, nicht als anwesend. Anwesenheit als Beobachtungsform der Interaktion erm6glicht deren Selbststeuerung (Kieserling 1999: 213ff.). 8 Vorausgesetzt ist der Wiedereintritt (re-entry) der Unterscheidung von Anwesenheit/Abwesenheit in das System. Jetzt steht dem Interaktionssystem die Beobachtungsform Anwesenheit zur internen Strukmrierung ihrer Kommunikation zur Verftigung und wird dazu entlang der drei S inndimensionen zeitlich, sachlich und sozial ausbuchstabiert. Der zeitliche Umgang mit der Beobachtungsform Anwesenheit erm6glicht ,Interaktionsgeschichte': Interaktionen unterliegen- z.B. im Unterschied zu Organisationen- der ,,Episodenbildung" (vgl. Luhmann 1987: 552); sie existieren eine Weile, setzen dann aus und werden an anderer Stelle weitergeffihrt. Die Interaktion kann sich erinnem, an friihere Sequenzen anknfipfen oder zuldinftige entwerfen. Die sachliche Spezifizierung yon Anwesenheit/Abwesenheit erlaubt der Interaktion Identit~itsbildung im Unterschied zu anderen Kommunikationssystemen. Sogenannte ,,Typenprogramme" (Kieserling 1999: 18) schr/inken die Themen und Handlungsm6glichkeiten ein. M6glichkeiten des Typenprogrammwechsels bleiben erhalten: ,,So kann ein Gespr/ich, das auf einer Party begonnen wurde, den Anlal3 zu einer gemeinsamen Autofahrt bieten, auf der das Gesprgch zugleich fortgesetzt wird und neuartige Themen aufnimmt" (Kieserling 1999:18). Die soziale Dimensionierung der Beobachtungsform Anwesenheit dient der Konstruktion yon Personen. Diese werden im Hinblick auf ihre aktuellen Interaktionsverpflichtungen und ihre Inklusionschancen und Rollenverpflichmngen in andere(n) Interaktionen beobachtet. Die Erwartungen, die sie btindeln, werden durch die Einheit der Differenz interaktionsinterner und interaktionsexterner Roltenverpflichtungen gebildet. So ist ,,im Begriff der Person vorausgesetzt, dass jede Person eine Vielzahl von verschiedenen Rollen spielen kann. Man hat dadurch die M6glichkeit, in jeder gerade akmellen Situation einen Blick auf m6gliche andere Rollen der Teilnehmer zu werfen und die Anwesenheit von Personen zu nutzen, um andere Rollen der Teilnehmer ins Gespr~ich zu bringen" (Luhmann 2000:91). Diese Definition der Person steht im Kontext funktionaler Differenzierung.
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Vgl. auch die weiteren Ausftihrungen Luhmanns zum Verh/iltnis von Interaktion und Gesellschaft in Luhmann(1997: 813ff.). 147
2.2 Geschlechtliche Personen Als Bedingung der M6glichkeit der Selbststeuerung von Interaktionssystemen im Rahmen funktionaler Differenzierung konstituiert die Beobachtungsform Anwesenheit als Unterscheidung interaktionsinterner und interaktionsexterner Erwartungen die Verfasstheit der Person. Personen werden, anders ausgedriickt, in der funktional differenzierten Gesellschaft notwendig anhand von Differenzen beobachtet, die auf diese Differenzierungsform zuriickzuftihren sind. Person e n - im obigen S inne (2.1) definiert als Einheit interaktionsinterner und externer Erwartungen- bfindeln in der funktional differenzierten Gesellschaft Erwartungen auf andere Weise als Personen stratifizierter Gesellschaften. Unter funktional differenzierten Bedingungen bildet die Person n~imlich nicht 15_nger die ,,Gleitschiene zur 13bertragung von Anspr/ichen aus dem einen in den anderen Bereich" (Kieserling 1999: 25): Die Person, und damit das, was als interaktionsinteme und-externe Erwarmngen gilt, ist eine Konstruktion der jeweiligen Interaktion. Entsprechend weist nicht mehr ,,die Person, sondern das Programm ... andere Rollen als beachtlich aus und l ~ t sie als in der Interaktion thematisierbar erscheinen" (Kieserling 1999: 250). Damit korrespondiert, dass die ,,strukturellen Kopplungen zwischen den Teilsystemen ... nicht mehr auf der Einheit der Person'' beruhen, Personen also nicht mehr ,,die Gesellschaft" ,,repr/isentieren" sondern ,,sich selbst" (Kieserling 1999: 252). Interaktionsinterne und -externe Rollenverpflichtungen gelten als selbstgew/ihlt9 und individualisieren die Person. 1~Daffir kann sie ,,in der Interaktion vor allem die eigenen anderen Rollen, ftir die jeder Teilnehmer Rficksichmahme erwarten und verlangen muss", gegen interaktionsinterne Erwartungen herausstellen (Luhmann 1987: 572). Mit Arbeiten aus der Stereotypenforschung l~isst sich zeigen, dass diese Fassung der modemen Person unter Berficksichtigung der Geschlechterunterscheidung weitere Unterschiede macht. Personenstereotype speichern Informationen fiber geschlechtstypische Eigenschaften, ~iuf3eres Erscheinungsbildung, Rollenverhalten und bemflichen Stares, und dienen der Herstellung und ,,Verarbeitung yon Informationen" (Brosius 1991: 285). Geschlechterstereotype sind dementsprechend ,,kognitive Strukturen, die sozial geteiltes Wissen fiber die charakteristischen Merkmale yon Frauen bzw. M~innem enthalten" (Eckes 1997, 18; herr. von mir, CW). Als solche sind sie wiederverwendbare, aber nicht 9
,,DasSuffix ,Selbst' hat Hochkonjunktur", konstatiert Markus Schroer: ,,Allenthalben ist von Selbstorganisation, Selbstpolitik, Selbststeuerung, Selbstverantwortung, Selbstsorge usw. die Rede" (2001: 448). 10 ,,DerBegriff des Individuums wird iiberhaupt erst im 18. Jahrhundert eindeutig auf Personen zugeschnitten, was zugleich den Personenbegrifftransformiert" (Luhmann 1995c: 52). 148
schematisch anwendbare Schemata, dienen der Transformation von Umweltkomplexit~it in Systemkomplexi~t und der Herstellung von .Amschlussf'~ihigkeit (vgl. Luhmann 1997: 126). Weil in der Systemtheorie nicht nur das Bewusstsein, sondem auch die Kommunikation ,erkennt', verwenden beide Systeme Personenstereotype. Ffir beide gilt daher: ,,Die Definition einer Situation wird in ihren Konsequenzen zur Realit~it, weil das System sich nach ihr richtet" (Luhmann 2000:110). Die grundlegende Differenz, die Gender Kommunikations- und Bewusstseinssystemen zur Informationsgewinnung anbietet, basiert auch heute noch auf ,,stereotype[n] Rollenvorstellungen fiber Frauen und M~inner, die auf traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern zurtickgehen" (vgl. Eckes 1997: 68; herv. von mir, CW). Im Kern werden Frauenstereotype stets in Bezug auf die durch sie symbolisch gefassten positiven oder negativen Einstellung zur traditionellen Frauenrolle unterschieden (vgl. Eckes 1997: 101); sei es durch die lSbemahme traditioneller Rollen oder durch ihre (anormale) ,Verweigerung'. Vergleichbare Einschr/inkungen im Falle m~innlicher Stereotype existieren nicht. Damit ist das zentrale Merkmal ftir die Erwartungsbildung durch mSnnliche und weibliche Personen benannt, denn weibliche Personen werden automatisch in Bezug auf bestimmte Rollenverpflichmngen hin definiert: durch Unterstellung von Verantwortlichkeiten fiir Haus und Familie; ihr ,Rollenportfolio' gilt im Unterschied zu m~.nlichen Personen in geringerem Mage selbstselegiert (vgl. Weinbach 2004a). Bei m~innlichen Personen werden Rollenfibernahmen der eigenen Entscheidungsleismng zugerechnet, weshalb auch heute n o c h - im K e r n - ,,der Mensch als selbstbezfigliches Subjekt ... mS.nnlich bestimmt ist" (vgl. Rhemann 1995: 5). Dieser Befund motiviert zu Fragen an die Theorie funktionaler Differenzierung: Greifen die Interdependenzunterbrecher in Bezug auf weibliche Personen trotz funktionaler Differenzierung der Gesellschaft nur unzureichend? Normativ gesehen zieht die l~lbernahme einer Funktionsrolle nicht automatisch die ~lbernahme eines ganzen Rollenbfindels, also Inklusionskumulationen, wie sie in stratifizierten Gesellschaften die Regel sind, nach sich. Dennoch hat, wie Bettina Heintz schreibt, die ,,Geschlechtersoziologie ... immer wieder nachgewiesen, dass es vor allem das Zusammenwirken der einzelnen Funktionssysteme ist, das die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern erzeugt. So l~isst sich z.B. die berufliche Benachteiligung von Frauen nicht allein auf die Funktionsprinzipien des Arbeitsmarktes zurfickffihren, sondern ergibt sich vor allem als Folge seiner Verschr~inkung mit anderen gesellschaftlichen Teilsystemen, insbesondere mit der Familie" (Heintz 2001: 25; vgl. auch Weinbach 2006). Sie schlussfolgert, man k6nne ,,in diesem Zusammenhang von einer ,Hyperinklusion' sprechen, indem die faktische - oder erwartete - Zust~indigkeit der Frauen ftir die Familie
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die Inklusionsm6glichkeiten in anderen Teilsystemen einschrankt oder sogar verhindert" (2001: 25). In Deutschland bricht diese Hyperinklusion sp/itestens mit der Reform des Ehe- und Familienrechts von 1977 langsam aber systematisch auf (dazu Weinbach 2002). Neuere Entwicklungen im wohlfahrtsstaatlichen Bereich dokumentieren weitere, radikale Umbr/iche im Geschlechterverst/indnis. Ein aktuelles Beispiel daftir, wie der Wohlfahrtsstaat sich bem/iht, die traditionelle Arbeitsteilung der Geschlechter in der Familie bewusst auszuhebeln, ist das neue SGBII (Hartz 4). Hier ist in Kapitel 1, w Absatz 1 die Gleichstellung von M/innem und Frauen als Generalklausel festgeschrieben und wird die geschlechtliche Arbeitsteilung nicht 1/inger als Erwerbshindernis betrachtet. Alle arbeitsf'~ihigen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft (Ehe, eingetragene Lebenspartnerschaft, eheahnliche Gemeinschaft) haben alle ihnen m6glichen Anstrengungen zu unternehmen, um frei von staatlicher Alimentierung zu leben (Kapitel 1, w Absatz 1, Satz 1): Der volle Satz des Arbeitslosengeldes II, nun nicht 1/inger Lohnersatz- sondern F/irsorgeleistung, wird nur dann ausgezahlt, werm im Falle der Erwerbslosigkeit beide erwerbsf~ihigen Partner dem Arbeitsmarkt zur Verftigung stehen bzw. alles tun, um erwerbsf~ihig zu w e r d e n - dies gilt auch fiir die wom6glich seit Jahrzehnten nicht mehr erwerbst/itige (Haus-)Frau. Ebenso wird die Betreuung von Kindem unter drei Jahren nicht mehr als Grund f/Jr den Bezug von Sozialhilfe akzeptiert (Kapitel 2, w In einem solchen Falle ist der ,,Casemanager" verpflichtet, f/Jr Betreuungsm6glichkeiten zu sorgen. Auch darf die Erwerbsf'~ihigkeit der Frau nicht 1/inger durch Verantwortlichkeiten bei der Pflege von Angeh6rigen eingeschr/inkt werden, wenn ein nicht-erwerbsfiihiger Ehemann oder Lebensparmer diese Betreuung leisten k6nnte. Ein solcher nicht-erwerbsf'~ihiger Mann muss dann alles daftir tun, um seiner Partnerin die Erwerbst/itigkeit zu erm6glichen und kann nicht 1/inger auf klassische Rollenmuster verweisen (Kapitel 3, Unterabschnitt 3, w167 31, 32). Solche Regelungen- begleitet von Vokabeln wie ,,Individual Adult Worker" oder ,,Employability" (vgl. Dingeldey 2005: 296) - sind Hinweise darauf, dass der nationale Wohlfahrtsstaat seine Reformen zunehmend an der Vorstellung von einer aus hochindividualisierten Individuen bestehenden Gesellschaft orientiert. 11 Makrosoziale Strukturbedingungen bilden demzufolge nicht nur Konstituierungsmomente der modemen Person (individualisiert als Einheit interner und externer Rollenverpflichtungen). Vielmehr spiegeln sich ,Systemintegrationsformationen' verschiedener Funktionsbereiche wie Arbeitsmarkt, Familie und Wohlfahrtsstaat in der Erwartungsbildung durch m/innliche und weibliche 11 Vgl.dazu auch die l]-bedegungenvon Theresa Wobbe, die auf gobale Magnahmenzur Durchsetzung von Gleichheitsnormenhinweist (z.B. Wobbe2001). 150
Personenstereotype wider. 12Zugleich handelt es sich dabei um ein ,gewordenes' Geschlechterverh/ilmis, das s i c h - als Zweigeschlechtlichkeit (vgl. Honegger 1991; Laqueur 1992; Rhemann 1995)- mit der Entstehung der funktional differenzierten Gesellschaft ausgebildet hat. Im Rahmen ihrer laufenden Ausdifferenzierung wird sie vermutlich zunehmend weniger der Abstiitzung durch geschlechtliche Arbeitsteilung bediirfen. Noch allerdings sind solche Geschlechterstereotype auch in funktional gerahmten Interaktionen w i r k s a m - und weil im Rahmen wechselseitiger Wahrnehmung in Bezug Kommunikation latent stets pr/isent, k6nnen sie bei Bedarf erwartungsleitend werden.
3. Interaktionsfundierung durch Wahrnehmung 3.1 Das sozialisierte Bewusstsein als autopoietischer Raum der Interaktion
Makrosoziale Systemformationen, eingelassen in Personenstereotype, ziehen sich durch die Interaktionsverh/ilmisse und nehmen auch die wechselseitige Wahrnehmung der Bewusstseinssysteme und deren Selbstwahrnehmung in Beschlag. Geschlechterstereotype wirken hier in zwei Bereichen strukturierend: im Wahrnehmungsbereich, der von den Bevmsstseinssystemen hergestellt wird und daher nur ihnen ,zugS.nglich' ist, und in der interaktiven, personenbezogenen Erwarmngsbildung. Die Synchronisation der Wahrnehmungen des Bewusstseins mit den Erwartungen der Interaktion wird durch die stereotypisierte Form ,,Person" erm6glicht. Sie fungiert als Mechanismus struktureller Kopplung, der dem Interpenetrationsverh/iltnis von Bewusstsein und Kommunikation eine spezifische Gestalt gibt (Luhmann 1997: 112). Geschlechterstereotype sind konstimtiv an dieser wechselseitigen Determinierung beteiligt, liefem Differenzen zur synchronisierten und coevolutiven Selbstbeobachmng der beiden Systemtypen und verschr/inken sie in gewisser Weise miteinander. Die Form Person daft daher nicht mit ,leibhaftigen' Individuen verwechselt werden. S ie i s t - in ihrer Eigenschaft als anwesende P e r s o n - vielmehr eine Konstruktion der Interaktion, ein ,,Eigenwert", an dem diese durch Selbstzurechnung mitgeteilter, verstehbarer Informationen ihre Grenzen erkennt und als Strukturprinzip die Antizipation weiterer Mitteilungen erlaubt. Die Person dient daher ,,ausschlieBlich der Selbstorganisation des sozialen Systems, der L6sung
12 Ich stilrmae hier Cornelia Klinger und Gudrun-Axeli Knapp (2003) zu, die die Vemachl~issigung der Makro-Ebene in der Geschlechterforschung auch deshalb beklagen, weil ihre Ausblendung ein nur unzureichendes Verst~indnisvon Mikro-Verh/iltnisseerm6glicht. 151
des Problems der doppelten Kontingenz durch Einschr~inkung des Verhaltensrepertoires der Teilnehmer" (Luhmann 1995b: 152). Sie ist aber weder eine ,,kommunikative Fiktion" noch hat sie ,,psychisch keine Bedeutung" (Luhmann 1995b: 152). Als Mechanismus struktureller Kopplung wirkt die Form Person auf das Bewusstsein vielmehr als Strukturvorgabe, durch die es sich v o n d e r Kommunikation als Person angesprochen sieht und am ,,eigenen Selbst" erf'~ihrt, ,,mit welchen Einschr~inkungen im sozialen Verkehr gerechnet wird" (Luhmann 1995b: 153f.). 13 Dies kann gelingen, weil Kommunikation das Bewusstsein ,,fasziniert" (Luhmann 1987: 566) und sich in seine Struktur und ,Vorstellungswelt' f'6rmlich eingr~ibt. Was das Bewusstsein h6rt, sieht oder liest, pr~igt sich ,,ira aktuellen Moment fast zwanghaft" ein und wirkt unmittelbar auf seine ,Bewusstseinslage' (Luhmann 1995: 43). Daher kann sich die Interaktion auf eine gewisse ,Mitteilungswilligkeit' des Bewusstseins verlassen und muss es auch; besteht doch ihr einziger Umweltkontakt, der sie zudem fundiert, ohne selbst Element yon ihr zu sein, in interaktionswilligen und -f'~ahigen (sozialisierten) Bewusstseinssystemen: ,,Man muss sich vor Augen ~ h r e n (buchst~iblich: vor Augen ffihren), was dies bedeutet: Die gesamte physikalische Welt kann einschliel31ich der physikalischen Grundlagen der Kommunikation selbst nut fiber operativ geschlossene Gehirne und diese nur fiber operativ geschlossene Bewusstseinssysteme auf Kommunikation einwirken, also auch nur fiber ,Individuen'" (Luhmann 1997:114). 14Ffir Kommunikation ist daher das ,,Bewusstsein ... der ,Raum' oder der ,Phanomenbereich'" ihrer Autopoiesis (Luhmann 1992: 44). Dieser ,,Raum" will sorgfiiltig eingerichtet, das Bewusstsein also durch Sozialisation mit den Beobachtungsweisen der Kommunikation vertraut sein.
3.2 Personenverstehen und K6rperwahrnehmung Die Sozialisation des Bewusstseins findet durch seine Teilnahme an Interaktionen statt, in die es als stereotypisierte Person inkludiert ist und andere Individuen als Personen der Kommunikation erlebt. Hier lernt das Bewusstein, seinen K6rper entsprechend den an es gerichteten Personenerwartungen zu dirigieren und als ,,Medium fiir Mitteilungen" (Hahn/Jacob 1994: 152) zu begreifen. 15 13 Dass es sich dabei um einen hochkomplexen Vorgang handelt, hat Jan Loenhoff (2001) in einer umfangreichenArbeit gezeigt. 14 Vgl.dazu die Ausftihnmgenyon Klaus Kuhm (2003). 15 Der K6rper hat einen [stereotypisierten] Sinn, ,,der Komplexit/it in sozialen Systemen als verftigbar erscheinen 1/iBt:Man sieht dann, ber/icksichtigt dann, erwartet dann ganz unmittelbar, dab er sich so oder auch anders verhalten kann. Aber diese Einheit der Komplexit/itund diese Unmittelbarkeitder Orientierung an ihr sind nicht der K6rper selbst; sie werden zur Ein152
Auch Alters K6rperverhalten beobachtet es mithilfe der Differenz von (konstanten 16) Mitteilungsweisen und (variablen) Informationen- also in Orientierung an der Beobachtungsweise der Kommunikation. Aus systemtheoretischer Sicht ist der K6rper kein sinnverwendendes System, sondern ,,Leben" bzw. ,,Biomasse" (Luhmann), und der sozial gestaltete K6rper ist bereits das Ergebnis einer hochkomplexen Verschrankung der Systeme K6rper, Bewusstsein und Kommunikation: ,,Die Einheit des K6rpers ist sozial, nicht physiologisch oder anatomisch garantiert, ist sie doch Ergebnis eines kollektiv vermittelten Selbstverhiiltnisses. Als soziale Tatsache ist der K6rper stets ein in den Spuren gesellschaftlicher Konzepte erfahrener" (Loenhoff 2001: 283; herv. von mir, CW). Dass auf den ,biologische' K6rper als soziale Tatsache und kollektiv vermitteltes Selbstverh/ilmis zugleich zuriickgegriffen wird, liegt daran, dass er zwei sinnverwendende Systemtypen, Kommunikation und Bewusstsein, fundiert, ohne selbst Element von ihnen zu s e i n . 17 Diese beobachten ihn anhand der (kommunikativen) Unterscheidung von Mitteilung und Information. Kommunikation beobachtet Mitteilungen, die ihr Substrat im interaktiven K6rpereinsatz dieser Bewusstseinssysteme haben, mithilfe der Differenz von Mitteilung und Information, und adressiert das Resultat dieses Unterscheidungsvorgangs, Verstehen, an stereotypisierte Personen mit ffir sie typischen Mitteilungsabsichten. Personen sind vor diesem Hintergrund nichts anderes als Biindel erwartbarer Mitteilungen, die den Kontext mitgeteilter Informationen bilden. Diesen wechselseitigen Konstituierungszusammenhang von Person und Verstehen hat bereits der ,,Labeling Approach" problematisiert (vgl. z.B. Becker 1963). Ihm ist deviantes Verhalten Ergebnis sozialer Bewertung ,,rein physikalischer" Handlungen in Abh/ingigkeit vom sozialen Status des Handelnden: Was beim Filmstar exzentrisch wirkt und erwartet wird, gilt beim ,Normalmenschen' als Normverstog. Die systemtheoretische Konzeption der Person lautet/ihnlich: Personenstereotype sind konstitutiv ftir das Verstehen der Mitteilungen der Person. Sie ,ist' in diesem Moment ein bestimmter Personentyp. Das Bewusstsein sozialisiert sich selbst, indem es sich bei seiner wahrnehmenden Personenbeobachtung an der Art des kommunikativen Personenverstehens orientiert: Welches wahrnehmbare K6rperverhalten spiegelt typische Mitteilungsweisen einer Person wider und welche Informationen k6nnen durch sie heit und Unmittelbarkeit erst im Schema der Differenzen, die sich aus der Interpenetration ergeben" (Luhmann 1987:341). 16 Konstantdeshalb, weil ein bestimmtes Repertoire an Mitteilungsweisen als ,typisch' ffir eine bestimmte Person gilt und gleichsamihren ,Charakter' ausmacht. 17 Der K6rper kann daher in der Systemtheorienicht, anders als z.B. bei Paula Villa, als ,,Scharnier von Struktur und Subjekt" fungieren (2006: 64). 153
mitgeteilt werden? Dabei korreliert das Bewusstsein das kommunikative Personenstehen mit der Art des mitteiiungsorientierten K6rpereinsatzes und nimmt, im Ergebnis, Miinner und Frauen wahr. Dies geschieht quasi automatisch im Moment der Wahrnehmung, und das Bewusstsein kann die Kontingenz seiner personenidentifizierende Wahrnehmung nicht sehen: ,,Kein noch so elaboriertes Wissen fiber das Mitspielen von Kultur und Sozialisation kann verhindern, dab man neben den Unterschieden der K6rpergr6Be oder der Hautfarbe, des Alters (und mehr oder weniger auch: der sozialen Stellung) immer auch solche des Geschlechts wahrnimmt" (Gottburgsen 2000:115). Denn Wahrnehmungen sind nicht reflexionsjShig: ,,In der Wahrnehmung ... wird Unterschiedenes, obwohl unterschieden, als Einheit erfasst. Die Distinktheit geht in das Wesen der Sache ein. Man sieht den Baum nur als Form, nur als begrenztes Objekt mit dem Anderssein des anderen drum herum, aber der Blick ger~it nicht ins Oszillieren, er erfagt nicht die Unterscheidung, sondern den Baum dank seines Unterschiedenseins" (Luhmann 1992: 20). Der ,Inhalt' der Stereotype, die das Bewusstsein zur Personenwahrnehmung verwendet, k6nnen daher nicht durch ,Wahrnehmungsanstrengungen', sondern allein durch Teilnahme an solcher Kommunikation vedindert werden, die ihre Personen mit anderen Personenstereotypen beobachtet. Dagegen kann Kommunikation, weil konstitutiv reflexionsfShig, unter bestimmten Systembildungsumst~inden fiber ihr Personenverstehen disponieren und andere Unterscheidungen zum Verstehen der Mitteilungen instimtionalisieren: Kommunikation ,,ist und bleibt ... immer das Prozessieren einer Unterscheidung als Unterscheidung - und zwar der Unterscheidung von Information und Mitteilung" (Luhmann 1992: 20f.). So hat die Konversationsanalyse ~ r Interaktionen gezeigt, dass die Individuen sich zum Zwecke ihrer Selbstvergewisserung wiederholt anzeigen, ,,in welches Genre, in welchen Kommunikationstyp sie gemeinsam involviert und wie ihre Rollen darin verteilt sind" (Schneider 1997: 165). Diese Reflexivit~it bildet das Potential ~ r die Institutionalisierung einer Meta-Ebene, v o n d e r aus Handlungen aus einem Horizont m6glicher Handlungen selektieren w e r d e n - und damit Entscheidungen treffen, fiber die wiederum entschieden werden kann (Luhmann 2000). Der Systemtyp Organisation hat sich auf solche Entscheidungskommunikationen spezialisiert, vermag daher auf seine ,Personenbeobachtungsmodalit~iten' zu reflektieren und diese zu ver~indem: z.B. durch die Schaffung neuer Stellen, durch die Versetzung von Mitgliedern auf andere Stellen oder eine ver~inderte Personaleinstellungspolitik im Rahmen von Gleichstellungsprogrammen. Diese kommunikative Reflexionsf'~ihigkeit und die damit verknfipfte F/ihigkeit zur voluntaristischen Implementierung rollenrelevanter Erwartungen ist der
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Grund daffir, dass Organisationen unwahrscheinliches Verhalten sicherstellen: TM Das K6rperverhalten der in funktionale Interaktionen inkludierten Bewusstseinssysteme wird in hohem Mage von organisationalen Differenzen in Form von Rollenerwartungen und Interaktionsprogrammen bestimmt. Erving Goffman hat bekanntlich verschiedentlich beschrieben, wie die Individuen in Berufsrollen ihre Professionalit/it habimell unterstreichen. H/iufig tragen sie zudem bestimmte Kleidung, um diesenfunktionsbezogenen Ausschnitt ihres K6rpereinsatzes zu unterstreichen: ,,Bei der Uniform, der Anstaltskleidung, der M6nchskutte, dem seri6sen Bankeroutfit, der Berufskleidung schafft Kleidung ... eine Indifferenzzone gegenfiber der Person. Das sich auf diese Weise prfisentierende Selbst ist eine Organisation, der Staat, die Kirche, eine Profession" (Bohn 2000: 129). Dem wahrnehmenden Bewusstsein bleibt dennoch nicht verborgen, dass die Kommunikation die Handlungspotentiale des inkludierten Individuums durch funktionale Rollenanforderungen nur begrenzt ,abruft': Der Zugriff funktionaler Kommunikation auf das Bewusstsein ist notwendig ausschnitthaft, 1/isst sich sein mitteilungsorientierter K6rpereinsatz doch nicht vollst/indig auf die verh/ilmism/il3ig wenigen kommunikativen Rezeptionen beschr/inken. Die Wahrnehmung Alters ist stets reichhaltiger als der interaktionale Zugriff. 19 In den Blick riicken dem wahrnehmenden Bewusstsein k6rperliche Merkmale wie Geschlecht und Ethnizit/it, vielleicht auch die soziale H e r k u n f t - und ergeben ein individuell zurechenbares Erscheinungsbild, das mit dem Bourdieuschen ,,Habitus" vergleichbar ist. 2~ Das Bewusstsein sieht Alter somit nicht nur als Rollentr/iger, sondem stets als soziale Person mit vielerlei m6glichen Rollenverpflichtungen. Wie die Interaktion, so beobachtet somit auch das Bewusstsein Alter mit der Unterscheidung von Person und Rolle. Dass mal Rolle und mal Person in Abhgngigkeit vom Interaktionsprogramm in den Vordergrand riicken, haben wir bereits oben in Abschnitt I. auf den Standardisierungsgrad der jeweiligen Interaktionssequenz zuriickgeftihrt: Das Bewusstsein ,geht' dabei in gewisser Hinsicht ,mit' - ist jedoch, als autopoietisches, selbstreferentielles System autonom und leicht abzulenken. In funktionalen Interaktionen diirfen Personenwahmehmungen die Kommunikation aber nicht allzu weit vom Interaktionsprogramm ablenken. Funktionale Interaktion legt es daher darauf an, einen Wahmehmungsbereich zu schaffen, in dem Rollen- und Personenerwartungen als miteinander stimmig wahrgenommen werden. Dies kann, wie das folgende Beispiel zur Darstellungsstrategie von 18 Organisationensind damit eine Grundvomussetzung~r funktionale Ordnungsbildung. 19 Um die Qualit/it dieser Unterscheidung zu betonen, habe ich an anderer Stelle die wahmehmbare Seite der ,,Person" als ,,Habitus"bezeichnet, vgl. Weinbach(2004). 20 Zur Kritik des BourdieuschenHabitus-Begriffs vgl. z.B. Bohn (1991), Weinbach(2004). 155
Professionalit/it durch Architekten zeigt, mit eindeutig geschlechtsspezifischen Implikationen geschehen und Inklusionschancen an spezifische Personeneigenschaften binden: ,,Viele dieser ,Architektenmarker' sind ausgesprochen geschlechtstypisch (z.B. Backenb/irte und kahl rasierte Sch/idel) und kommen im weiblichen Stil-Repertoire nicht vor. Auch bestimmte Gesten, mittels derer sich Professionalit/it darstellen 1/isst, wie beispielsweise das Zticken eines in der Brusttasche steckenden Feinzeichner-Bleistifts, mittels dem sich auf P1/inen und Darstellungen ad hoc Ver/inderungen anbringen lassen, stehen Frauen aufgrund ihrer k6rperlichen Verfasstheit (und der damit verbundenen Angemessenheitsvorstellungen) nicht zur Verfiigung. [...] W/ihrend m/innlichen Architekten eine disziplin/ire Kleiderordnung und ein spezifischer Gestenvorrat zur Verftigung stehen, existieren fiir Architektinnen keine vergleichbaren Codes" (Heintz/Merz/Schumacher 2004: 261). Solche indirekt wirkenden InkAusionsmechanismen, durch die Frauen in funktionalen Interaktionen weniger kompetent wirken und also bei der Verteilung organisationaler Ressourcen faktisch benachteiligt werden, obwohl ihnen im Prinzip alle Funktionsrollen offen stehen, wirken sich zudem auf die ,Verteilung' von M/innem und Frauen im sozialen Raum aus.
3.3 Personenwahrnehmung im Raum
Neben einer wahrnehmungsbezogenen Abstimmung der 13bereinstimmung von Rollen- und Personenerwartungen geh6rt auch ein angemessen gestalteter Raum inklusive der angemessenen r/iumlichen Placierung der Interagierenden zur Wahrnehmungsfundierung funktionaler Interaktionen: ,,Die Vertrautheit des Ortes erzeugt Sicherheit. Man kann in reziproker Weise Verhalten prognostizieren und hat in gewisser Hinsicht einen Anspruch darauf, dass sich der andere gem/if5 dieser Prognose verh/ilt" (Ipsen 2002: 236). Doch was ist das eigentlich: Raum? In der Systemtheorie Luhmanns macht es Sinn, den Raumbegriffe wegen der Annahme von der Ebenendifferenzierung sozialer Systeme in Interaktion, Organisation und Gesellschaft auf die Interaktionsebene zu beschr/inken: ,,Eine interaktionsf6rmige Gesellschaft ist allein schon wegen ihrer AbhS.ngigkeit von k6rpergebundener Wahrnehmung und wechselseitigem Nahkontakt sowohl r/iumlich fundiert als auch am sozial (selbst-)erzeugten Raum orientiert. Weil aber ftir die modeme Weltgesellschaft Interaktion nicht der einzige Vollzug ihrer Reproduktion und schon gar nicht ihr ad/iquates Selbstbeschreibungsprinzip ist, ist es nicht mehr sinnvoll, gesellschaftliche Strukturen mit Bezug auf Raumsemantiken zu beschreiben" (Ziemann 2003: 132). In der jiingeren Raum-
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Soziologie, die allerdings nicht strikt zwischen Bewusstsein und Kommunikation unterscheidet, hat sich vor allem ein relationaler, handlungsorientierter Raumbegriff durchgesetzt, 21 der Raum als relationale Ordnung ,,k6rperlicher Objekte abh/ingig vom Bezugssystem der BeobachterInnen" defmiert (L6w 1996: 455): ,,Raum entsteht im Handeln und Raumdenken als analytische Herstellung von Relationen ist Handeln" (L6w 1996: 459); er ist dabei aber ,,nicht nur an Handeln gekniipft, sondern institutionalisierte Raumkonstruktionen ... sind auch gesellschaftliche Strukmren, die im Handeln aktualisiert werden" (L6w 1996: 459). Den systemtheoretisch geleiteten l]berlegungen Jens Loenhoff zufolge werden solche Relationen durch die selbst- und umweltbezogenen Bewegungen des ,k6rperlich verfassten' Bewusstseins in Orientierung an Kommunikationsstrukturen verknfipft: ,,Raumstrukturen lassen sich aus dieser Perspektive als Funktionen von Bewegungsbedingungen, Bewegungsmedien und von durch Bewegung Erschlossenem begreifen" (Loenhoff 2001: 139). Der K6rper des Bewusstseins bildet ,,den Ausgangspunkt far die Orientierung ... im Raum. Von einem jeweiligen ,Hier' aus gruppieren sich alle anderen K6rper in einem je spezifischen Abstand ,dort'" (Schoer 2006: 277). Diese ,,Gruppierung" geschieht jedoch keineswegs voraussetzungslos, sondem in Orientierung an einer Interaktionsordnung, die das K61~erverhalten der Individuen nach Mal3gabe ihrer Differenzen auch im Hinblick auf ihre (Fort)Bewegungen im Raum in Beschlag nimmt. Raumstrukturen sind somit im (interaktionsdefmierten) Wahrnehmungsbereich der Bewusstseinssysteme zu verorten und auf die Konstimierung sozialer Personen hin ausgerichtet. So gesehen ist die r/iumliche Positionierung der Individuen Teilaspekt ihres wahrnehmbaren, k6rpereinsatzbasierten Mitteilungsverhaltens: ,,Die Vorlesung des Professors entfaltet keineswegs iiberall ihre Wirkung, sondern muss durch r~iumliche wie zeitliche Arrangements entsprechend vorbereitet und flankiert werden. Die Predigt des Pastors ist ebenfalls an einen bestimmten, sakralen Raum gebunden, der erst einmal geschaffen sein will" (Schroer 2006:176). Die Besetzung von Positionen im R a u m - d.h. die gestaltungsbezogenen Bewegungen- korreliert in funktionalen Interaktionen mit der sozialen Rolle. Raum wird dabei zu einem wahrnehmbaren Element der ,Personengestaltung': Der Pastor predigt von der Kanzel herab und tfiigt dabei einen Talar. Sein Mitteilungsverhalten wird den wahrnehmenden Bewusstseinssystemen durch vielf'~iltige Elemente verstehbar: durch bestimmte Inhalte und einen passenden Vortragsstil (Predigt), einen (stehend eingenommenen) bestimmten Platz in der Kirche (Kanzel) und durch seine Berufskleidung (Talar).
21 Unteranderemkritischdazu Schroer(2006: 175f.). 157
Vor dem Hintergrund dieser personenkonstimierenden Funktion von Raum in funktional gerahmten Interaktionen wird deutlich, dass geschlechtsbezogene Inklusionsmechanismen von Funktionsrollen einen wesentlichen Einfluss auf die Verteilung von Mfinnem und Frauen austiben. Unter funktional differenzierten Gesellschaftsbedingungen macht es jedoch wenig Sinn, von einer geschlechtlichen Segmentierung des gesellschaftlichen Raumes, als vielmehr von einer geschlechtstypischen Placierung von M/innem und Frauen im sozialen Raum zu sprechen. Denn anders als bei den von Pierre Bourdieu (2001) untersuchten Kabylen, einem nordafrikanischen, patriarchal organisierten Berbervolk, sind M/innem und Frauen in der modernen Gesellschaft nicht per se auf geschlechtlich definierte R/iume verweisen. Auch lassen Segregationen von st/idtischen Wohngebieten in Bezug auf schichtspezifische und migrationsbedingte Milieus (vgl. die Beitr/ige in Matthiesen 1998) nur schwerlich eine ,,Analogie mit Geschlecht" zu (L6w 2002: 20). Dennoch sind h i e r - und zwar in Abh/ingigkeit vonder Tageszeit- durchaus geschlechtstypische Zuschreibungen m6glich. 22 Denn tagsfiber bilden die ,,Wohnsiedlungen an der Peripherie ... Orte, wo die ,weibliche Normalbiographie' (Gattin, Hausfrau und Mutter) weiterhin gelebt wird und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ihren r/iumlichen Niederschlag findet" (D6rh6fer 2002: 132). Eine strikte r/iumliche Zuordnung der Geschlechter innerhalb dieser Wohnsiedlungen existiert aber nicht (D6rh6fer 2002: 128). Geschlechtstypische Rollenbeziige lassen sich eher daran erkennen, dass die Hausfrau h/iufiger in K/iche und Kinderzimmer anzutreffen ist und/oder dort andere T/itigkeiten verrichtet als der Familienemfil~er. Auch im 6ffentlichen Raum sind, mit Ausnahme von ,Merren- und Damentoiletten oder Umkleider/iumen ftir Mfinner und Frauen in Schwimmb/idern" so gut wie alle Orte ,,beiden Geschlechtern gleichermaf3en zug/inglich" (D6rh6fer 2002: 128). Nattirlich existieren auch Organisationen wie Fimess-Studios oder Kneipen mit geschlechtlich definierten Zugangsbedingungen. Hier von einer geschlechtliche Segmentierung des gesellschaftlichen Raums zu sprechen, w/ire aus systemtheoretischer Sicht jedoch deshalb nicht m6glich, weil solche Inklusionen einerseits die Individuen nicht auf bestimmte gesellschaftliche R/iume verweisen und sie andererseits (paradoxer) Ausdruck der organisationsspezifischen expliziten Exklusion sind, durch die sich die Vollinklusion der Gesamtbev61kerung in die Funktionssysteme vollzieht. Ertragreicher ist auch hier wieder der Blick auf die Positionierung im, ftir beide Geschlechter gleichermal3en zug/inglichen, Raum: ,,Das Potsdamer-Platz-Areal wurde haupts/ichlich f/ir die hypermobilen und hochqualifizierten ,Professionals' der Gesch/ifts22 Zu l)berlegungen zur rfiumlichenOrdnung in Abhfingigkeitvon der Tageszeit vgl. auch Stichweh (1998: 351). 158
welt errichtet, um in der Metropolenkonkurrenz mitzuhalten, und wie selbstverst/indlich verbindet man die ,Professionals' mit dem m~innlichen Geschlecht. Als Sekretiirinnen, Verk/iuferinnen, Kellnerinnen sind auch Frauen in solchen Gesch/iftszentren zu finden" (D6rh6fer 2002: 131). In anderen 6ffentlichen Zusammenh/ingen, mit Vorliebe auf Verkaufsmessen wie der ,,Cebit" oder Automobil-Messen, werden Frauen sogar als Raumdekoration ohne ,Anwesenheitswert' eingesetzt: Wo sich Messen prim/ir an eine m/innliche Kundschaft richten, obwohl selbstverst/indlich auch Frauen Zutritt haben, wird der Weg der Besucher nicht nur durch M6bel, Waren, Pr/isentationstafeln etc. flankiert. Auch sp/irlich bekleidete weibliche Hostessen und sonstige halbnackte Frauenk6rper sind hier gleichsam obligatorisch. Ihre wahrnehmbare Pr/isenz zielt auf die Herstellung eines Bewusstseinzustandes ab, durch den sich der Kunde zum Kauf technischer (= mSnnlicher) Waren wie Computer oder Autos animiert fiihlen soll. Der Rekurs auf die Geschlechterdifferenz dient dennoch letztlich dem Zustandekommen eines Kaufvertrags, der sich unter funktionalen, geschlechtsneutralen Bedingungen vollzieht und zur Autopoiesis einer Wirtschaflskommunikation beitr/igt, die sich durch M/irkte und Preise steuert (Luhmann 1988).
4. Schluss
Funktional gerahmte Interaktionen definieren sich durch funktionsrollenbezogene Erwarmngen, die universalisiert, generalisiert und spezifiziert sind, deshalb mit schicht- und geschlechtsspezifizierten Personenerwartungen brechen und zu ver/inderten Interaktionsbeziehungen fiihren. Die Beobachtung von Personen orientiert sich nun an der Unterscheidung von Person und Rolle und rtickt, je nach Standardisierungsgrad der Interaktionserwartungen, einmal die eine oder die andere Seite in den Vordergrund. Entscheidend ist, dass die Erwartungen, die Person und Rolle jeweils btindeln, soweit aufeinander abgestimmt sind, dass ein solcher l]bergang st6mngsfrei m6glich ist. Diese Stimmigkeit muss auch im interaktionsbezogenen Wahrnehmungsbereich der inkludierten Bewusstseinssysteme hergestellt werden; durch ihr entsprechendes, darstellungsorientiertes K6rperverhalten am richtigen Ort im sozialen Raum. An dieser Stelle k6nnen die geschlechtsspezifisch definierten, stereotypisierten Erscheinungsweisen der Rollentr/iger in funktionalen Interaktionen, trotz des formal geschlechtsneutralen Zugangs zu den verschiedenen Funktionsrollen, inklusionshemmend wirken. Damit ist nicht gesagt, dass die Geschlechtszugeh6rigkeit auch unter funktional differenzierten Gesellschaftsbedingungen weiterhin als strikter Platzanweiser fungiere: Angela Merkel ist Bundeskanzlerin. M6glich ist das einerseits auf der Folie funktionaler Gesellschaftsdifferenzierung, die in den letzten drei Jahr-
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zehnten zum sukzessiven Abbau der Festschreibung geschlechtlicher Arbeitsteilung auf der Makro-Ebene geffihrt hat. M6glich ist das andererseits auf der Folie von Organisationskommunikation, die bis dato unwahrscheinliches Verhalten entwirft, sicherstellt und den inkludierten Bewusstseinssystemen einen funktional orientierten K6rpereinsatz abverlangt, der ihr geschlechtstypisches Erscheinungsbild in gewissen Punkten revidiert. Wo die Grenzen solcher Revisionen liegen, wo das Verh/iltnis von Person und Rolle als (in)kompatibel oder weniger kompatibel wahrgenommen wird, muss vermutlich fallspezifisch analysiert werden. Dass Grenzen existieren, die prim/Jr im Zusammenhang mit der Abh~ingigkeit der Interaktion von den Wahrnehmungen des Bewusstseins festgelegt werden, haben wir aufzuzeigen versucht. Wir best/itigen damit die Einsch/itzung von Bettina Heintz, der Interaktionsebene komme vor dem Hintergrund der De-Institutionalisierung geschlechtlicher Arbeitsteilung auf der Makro-Ebene ,,ffir die Aufrechterhaltung geschlechtlicher Differenzierung und Ungleichheit eine zunehmend wichtige Rolle" zu (Heintz 2001:16).
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Netzwerk und G e s c h l e c h t - im Kontext Veronika Tacke
1. Einleitung In der Systemtheorie wird eine insgesamt abnehmende gesellschaftliche Relevanz von Geschlechterdifferenzen angenommen und beobachtet- und zwar weil der historische 0bergang von der st/indischen zur modernen, funktional differenzierten Gesellschaft mit einem radikalen Wechsel der Teilnahmebedingungen von Individuen an Gesellschaft einhergeht. Gesellschaftsstrukturell wie normativ geht mit diesem Lrbergang die Aufhebung partikularer Zugangsbeschr/inkungen und eine entsprechende Neutralisierung der Geschlechterdifferenz einher, wie sie der in Stiinde differenzierten Gesellschaft noch strukturell entsprach (Weinbach/Stichweh 2001; Heintz 2001). Beschreibungen asymmetrischer geschlechtlicher Differenzierungen stogen in der Systemtheorie damit vergleichsweise schnell an G r e n z e n - selbst wenn sie empirisch evident sind. Eine zuschreibende Aktivierung yon Geschlechterdifferenzen erscheint lediglich dort erwartbar, wo Personen relevant w e r d e n - und plausibel ist, dass dies weniger dort der Fall ist, wo sachlich defmierte (Leismngs- und Publikums-)Rollen in der Kommunikation erwartbar machen, was erwartet werden kann, sondern vor allem in Interaktionen, die yon Personen samt ihrem Geschlecht nicht absehen k6nnen (Weinbach 2003; Heintz 2003, 2006; Heintz et al. 2006). Alltagsbeobachtungen, einschlieglich des Klatsches in Organisationen, legen dagegen hgufig die Vermumng nahe, dass es nicht zuletzt ,,Beziehungsnetzwerke" sind, die in partikularistischer Weise fiir asymmetrische Zugangsund Karrierem6glichkeiten von Personen sorgen, und dies nicht zuletzt mit Bezug auf die Selektivit/it des Geschlechts. Der Frage aber, ob und in welcher Weise soziale Netzwerke zur Reproduktion geschlechtlicher Asymmetrien und Ungleichheiten in der modernen Gesellschaft beitragen k6nnen, wurde in der Systemtheorie bislang nicht systematisch nachgegangen. ~ Der Grund fiir diese Zuriickhaltung dfirfte mit dem relativ ungekl/irten Status des Netzwerkkonzepts in der Systemtheorie (Tacke 2000; Holzer 2006: 93ff.) und zugleich damit zuVgl. zur systemtheoretischenBehandlung von Geschlecht im l]berblick Hellmann (2004), zu Netzwerk und Geschlecht in Organisationssystemen:Ohlendiek(2003) sowie zum Zusammenhang von System,Netzwerkund Geschlechtbereits Tacke (2006). 165
sammenNingen, dass die Beschreibung des Problems damit in den Bereich sekundiirer gesellschaftlicher Strukturbildung zu verschieben ist. Der universale Anspruch der Theorie macht allerdings erforderlich, auch diesen Sekund~irstrukturen systematisch nachzugehen. Ausgehend v o n d e r zun/ichst erforderlichen Begrfindung der Annahme, dass sich soziale Netzwerke systemtheoretisch als eine von ,,sozialen Adressen" ausgehende partikularistische Sozialform beschreiben und als sekundS.re Form der Strukmrbildung von den Primgrsystemen der modemen Gesellschaft unterscheiden lassen (vgl. dazu Tacke 2000; Bommes/Tacke 2005, 2006) (2.), wird zun/ichst allgemein gefragt, welche Besonderheiten personale Netzwerke hinsichtlich der Aktualisierung von geschlechtlichen Zuschreibungen aufweisen. 2 Als Vergleichsgesichtskontexte dienen dabei Interaktionen und Organisationen (3.). In einem weiteren Schritt werden Potentiale der Akmalisierung bzw. Uberformung geschlechtlichter Zuschreibungen in Netzwerken mit Bezug auf kontextuelle Bedingungen betrachtet (4.). Grunds/itzlich wird bier dann angenommen, dass die Funktionssysteme der Gesellschaft, aber auch Organisationen, jene gesellschaftlichen Kontexte bilden, die zu Versachlichungen beitragen, also den netzwerkspezifischen Primat der Sozialdimension samt dem Potential far vergeschlechtlichende Zuschreibungen disziplinieren k6nnen. Weil soziale Netzwerke jedoch heterogene Sachkontexte verkntipfen, kann die Frage nach kontextuellen Bedingungskonstellationen far Versachlichungen in Netzwerken nicht im exklusiven Rekurs auf funktionale Spezifikationen der Netzwerkkommunikationen beantwortet werden. In Arbeiten von Bettina Heintz (2003, 2006; Heintz et al. 2006) zu strukturellen Bedingungskonstellationen von Vergeschlechtlichungen innerhalb der Wissenschaft findet der Text Variablen, die sich als Ansatzpunkt far Generalisierungen und netzwerkspezifische Respezifizierungen eignen. Der Schluss restimiert das Gesagte (5.). .,
2. Netzwerkbildung und Funktionsweise von Netzwerken
Die systemtheoretische Annahme, dass die moderne Gesellschaft auf einem P r i m a t funktionaler Differenzierung beruht, impliziert bereits, dass e s - neben
der prim/iren Binnendifferenzierung in Funktionssysteme, Organisationen und Interaktionen- sekundS.re Strukturbildungen und in diesem Sinne Strukmr-
Wir betrachten im Weiteren- zumal Organisationentrotz Personalisierbarkeitkein Geschlecht zugeschrieben wird- nur Netzwerke, die Individuen als Personen adressieren. Vgl. zum Unterschiexl yon Netzwerken im Organisationskontextund Organisationsnetzwerken: Tacke (2000), Bommes/Tacke (2005). 166
reichtum in der Gesellschaft gibt. 3 Mit sekundiiren Strukturbildungen sind dabei strukturelle Abweichungen von den Prim~irstrukturen der Gesellschaft bezeichnet, allerdings keine beliebigen. Denn von Sekund/irstrukturen kann nur gesprochen werden, sofem die Einsatzm6glichkeiten solcher Strukturen Regulierungen der Prim/irstruktur der Gesellschaft unterliegen (Luhmann 1997:612). 4 Bei sozialen Netzwerken handelt es sich um sekund/ire Ordnungsbildungen in diesem Sinne. Denn zun/ichst einmal heben sich soziale Netzwerke mit ihrem personenbezogenen Partikularismus und ihrer auf Reziprozit/it beruhenden Operationsweise von den universalistischen Inklusionmodi der gesellschaftlichen Prim/irsysteme ab. Zugleich sind es die Prim~strukturen der m o d e m e n Gesellschaft, die soziale Netzwerke in einem doppelten Sinne erst in ihrer m o d e m e n Form ,freisetzen', zunfichst in dem generellen Sinne einer gesellschaftstrukmrellen Freigabe von ,,sozialen Adressen" (Fuchs 1997) ffir w/ihlbare und reflexiv herstellbare Kontakte, sodann in dem engeren S inne, dass es vor allem Funktionssysteme und Organisationen sind, die die sachlichen Leismngsm6glichkeiten, Optionen und ZugLnge (je kontextspezifisch) erzeugen und bereit stellen, die soziale Netzwerke (kontexttibergreifend) kombinieren und parasit/ir ffir ihre eigene Strukturbildung nutzen. Welche heterogenen Kontexte einbezogen und kombiniert werden, kann man an Beispielen durchspielen, die allerdings nicht immer schon in der Namensgebung offenlegen, um welche spezifische Kontextkombination es geht: Migrationsnetzwerke, Korruptionsnetzwerke, Policynetzwerke, Wissenschaftlemetzwerke, Nachbarschaftsnetzwerke, Wirtschaftsf6rderungsnetzwerke, Besch/iftigungsnetzwerke, Absolventennetzwerke, Arbeitslosennetzwerke, Frauennetzwerke oder Innovationsnetzwerke.
)i,hnlich wurden ftir stfindische Gesellschatten ,sekund/ire' Strukturbildungen (Professionen) als Abweichungen vonder Differenzierungsformbeschrieben, diese dabei (nachtrfiglich) als Ph/inomene des Ubergangs zu einer anderen Form gesellschaftlicherDifferenzierung gedeutet (Stichweh 1996, 2005). Eine vergleichbare gesellschaftliche Relevanz wird Netzwerken hier nicht zugeschrieben. Man beachte im Ubrigen den Unterschied zum Verstfindnis von ,,Geschlecht" als einer ,,sekundfiren Differenziemng" (Pasero 1994: 277). Betrachtet wird nicht ,Geschlecht', sondem ,Netzwerk' als sekund/ire Form der Ordnungsbildung - in ihrer Relevanz ffir die Aktualisierungund StabilisierunggeschlechtlicherAsymmetrien. Luhmann selbst bezieht sich dabei auf Differenzierungsformen, nicht auf einzelne Sozialformen. In diesem Sinne heisst es: ,,Von Primat einer Differenzierungsform(und auch das ist keine Systemnotwendigkeit) soll die Rede sein, wenn man feststellen kann, dab eine Form die Einsatzm6glichkeiten anderer reguliert. In diesem Sinne sind Adelsgesellschattenprim~irstratifikatorisch differenziert, aber sie behalten eine segment/ireDifferenzierung in Haushalte bzw. Familien bei, um dem Adel Endogamie zu erm6glichenund Adelsfamilienvon anderen Familien unterscheiden zu k6nnen. Bei funktionaler Differenzierung findet man auch heute noch Stratifikation in der Form von sozialen Klassen und auch noch Zentrum/PeripherieUnterschiede, aber das sind jetzt Nebenprodukte der Eigendynamik der Funktionssysteme" (Luhmann 1997:612). 167
Schliel31ich wird die Entfaltung sozialer Netzwerke durch die Prim~irstrukturen der modemen Gesellschaft auch reguliert, zum einen in dem Sinne, dass die gesellschaftliche Kommunikation in den zentralen Lebensbereichen auf komplement/ire Leismngs- und Publikumsrollen hin orientiert wird, was reziprozit~tsgestfitzte Sozialbeziehungen entwertet, wenn nicht ,,ruiniert" (Holzer 2006: 12), weil sie gesellschaftsstrukturell nicht mehr unterstfitzt werden, vielmehr auf sich selbst verwiesen sind. Durch die gesellschaftliche Prim/irstruktur reguliert werden soziale Netzwerke zum anderen in dem engeren Sinne, d a s s wo sie entstehen k6nnen- die gesellschaftlichen Kon-Texte ihrer Herausbildung mit dariiber bestimmen, ob und inwieweit ihre Fortsetzung gelingen kann, ihr Partikularismus (einschlief31ich etwaigen geschlechtlichen Diskriminierungen) sich often entfalten kann oder durch Systemstrukturen fiberformt w i r d - bzw. auf Hinterbfihnen verdr~ingt wird. Auch diesbezfiglich sind die zuvor genannten Beispiele bereits informativ. Zusammenfassend ist damit gesagt, dass Netzwerkkommunikation nicht aul3erhalb, sondem stets innerhalb der Gesellschaft stattfindet, auch wenn sie von deren Strukmrvorgaben und Inklusionspostulaten abweicht. Schon an der bekannten Tatsache, dass Netzwerke, wo sie Vorgaben der Prim/irstruktur gezielt unterlaufen oder iibertreten, auf 6ffentliche Selbstdarstellung verzichten, mag man dabei ablesen, dass auch in der Netzwerkkommunikation um die beschr/inkte Legitimit/it dieser Sozialform bzw. darum gewusst wird, dass die moderne Gesellschaft prim/Jr andere Strukturen fiir Kommunikation vorsieht (vgl. Tacke 2006). Die vorangehenden Ausffihmngen haben schon angedeutet, dass mit sozialen Netzwerken keine irgendwie ,offenen' Kontaktstrukturen oder globalen ,,Adressenordnungen" (Stichweh 2000a) bezeichnet sind, sondern eine besondere Sozialform, deren Erzeugung und Erhaltung voraussetzungsvoll ist (Tacke 2000). Auf allgemeiner Ebene genauer beschreiben 1/isst sich diese Sozialform im Rekurs auf die drei basalen Sinndimensionen der Kommunikation: Soziale Netzwerke laufen kommunikativ an der Adressierung bestimmter Personen an (Sozialdimension), sie gewinnen Halt an den fiber diese sozialen Adressen mobilisierbaren und vermittelbaren kontextspezifischen Leistungen (Sachdimension) und sie stabilisieren ihr mehr oder weniger stark heterogenes Leistungsspektrum fiber den Mechanismus der Reziprozitiit (Zeitdimension) (Bommes/Tacke 2005, 2006). An dieser Stelle sollen nur einige der Implikationen dieser allgemeinen Beschreibung erl/iutert werden. Die Tatsache zun/ichst, dass soziale Netzwerke in der Sozialdimension, bei bestimmten Personen, ansetzen und sie sodann diesen Anfangspartikularismus in der Sachdimension zu einem netzwerkspezifischen
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Leistungsspektrum ausbauen, besagt, dass sie sich von den Prim/irsystemen der Gesellschaft konstitutiv durch ihren P r i m a t der sozialen Adressen 5 unterscheiden. Die prim/iren Systeme folgen demgegeniiber- auf der Grundlage der gesellschaftlichen Differenzierung von sozialem S i n n - einem P r i m a t der sachlichen Problemstellung. 6 Sie gehen von je spezifischen funktionalen oder organisatorischen Problemstellungen aus und steuern auf d e r e n - und keinen a n d e r e n Grundlagen dann Personen als Adressen und Zurechnungspunkte far Mitteilungen an. W/ihrend der sachliche Primat sinnhaft differenzierter Problemstellungen den Inklusionsuniversalismus der Prim/irsysteme begriindet, also Teilnahm e m 6 g l i c h k e i t - im P r i n z i p - far jeden vorsieht, der die sachlichen Kriterien erfallt, beruhen Netzwerke mit ihrem sozialen Primat der sozialen Adressen in einem konstimtiven Sinne auf Partikularismus. Dieser Partikularismus sozialer Netzwerkes ist keine bloBe ,,Begleiterscheinung", sondern er ist unabdingbar in dem S inne, dass diese Sozialform ihren partikularen Ausgangspunkt far ihre weitere Selbsterzeugung verwendet und sich in ihrer Selbstfortsetzung yon dieser sozialen Anfangsbedingung nicht abl6sen kann, ohne als soziales Netzwerk zu zerfallen. Im S inne der Pfadabh/ingigkeit kann die Schwelle zur Universalisierung nicht tiberschritten werden (Bommes/Tacke 2006). Es gibt zwar mehr oder weniger versachlichte soziale Netzwerke, aber es gibt gleichwohl keine universalistischen sozialen Netzwerke. Dies wird an den operativen Selbsterzeugungs- und Selbstfortsetzungsbedingungen yon sozialen Netzwerken deutlich, die sich im Prinzip nicht von den grundlegenden Bedingungen sozialer Systembildung unterscheiden (soweit damit operative Selbsterzeugung gemeint ist). Die Prim~rsysteme der Gesellschafl erreichen die M6glichkeit rekursiver SchlieBung und der Reproduktion systemeigener Operationen dadurch, dass sie fiber spezielle Einrichtungen verfagen, die den unverwechselbaren Bezugspunkt ihrer Selbstreferenz sichem. Funktionen und Codes im Falle der Funktionssysteme (Luhmann 1997: 748ff.) sowie Mitgliedschaft und Entscheidungspr/imissen im Falle von Organisationen (Luhmann 2000: 228ff.) machen m6glich, ,,die 5
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Der Vorstellung eines Primats sozialer Adressen folgen nicht zuletzt sozialtheoretische und formale Netzwerkans/itze (siehe im 15berblick: Holzer 2006). Sofem man daran dann systemtheoretisch anschlieBt, ist der Primat jedoch empirisch zu verstehen, nicht gesellschaftstheoretisch. Gesellschattstheoretisch gilt der Primat der Systemdifferenzierung- der Netzwerkbildung (mit ,,ihrem" Primat der Adressen) entsprechend als sekundfire Ordnungsbildung sichtbar macht. Vgl. ausftihrlicher: Tacke (2000). In dieser zugespitzten Formulierung mtissen Interaktionen hier einerseits ausgenommen werden, weil sie sich nicht dezidiert in der Sachdimension bilden, andererseits k6nnen sie gleichwohl als universalistisch in dem Sinne gelten, dass sie zwangslfiufigjeden einbeziehen, der in den Kontext der Wahrnehmung des Wahrgenommenwerdensgent (erst im System kommt es dann ggf. zur Behandlung Anwesenderals abwesend). 169
systemzugeh6rigen Operationen mit praktisch ausreichender Eindeutigkeit zu unterscheiden und die eigene Autopoiesis damit nach augen hin abzugrenzen" (Luhmann 1997: 748). Soziale Netzwerke verfiigen aber fiber keine vergleichbaren Einrichtungen. Operativ hervorbringen und rekursiv erhalten k6nnen auch sie sich aber grunds~tzlich nur dann und sofern es ,irgendwie' gelingt, einen selbstreferentiellen Kommunikationszusammenhang zu etablieren. Soziale Netzwerke machen (sich) dies m6glich, indem sie die Kommunikation in ihren drei S inndimensionen in bestimmter Weise einschr/inken und diese drei Einschr~inkungen wechselseitig so miteinander ,verschleifen', dass zugeh6rige Kommunikationen eben mit ,,praktisch ausreichender Eindeutigkeit" unterscheidbar werden. In der Sozialdimension bedarf es der Einschr/inkung unterhalb der Schwelle der Universalisierung von Teilnahmem6glichkeiten; in der Sachdimension bedarf es der Ausgrenzung eines netzwerkeigenen Leismngsspektrums (das spezifisch oder ,,spezifisch unspezifisch" ausfallen kann) und in der Zeitdimension bedarf es Einschr~kungen in Bezug auf die reziproke Gew/ihrung von ,,Krediten", um Zerfall zu vermeiden. Diese Einschr/inkungen sind in Bezug auf alle drei Dimensionen variabel (das macht die Vielfalt von Netzwerken aus), aber sie sind nicht verzichtbar und mtissen untereinander ausbalanciert werden. Der Bedarf zur wechselseitigen Ausbalancierung von Extensionen und Einschr~inkungen in den drei Sinndimensionen kann man hier zumindest allgemein plausibilisieren: So ist fiir den Reziprozit/itsmechanismus kennzeichnend, dass er sachlich Heterogenes und letztlich sogar Beliebiges in die Leismngskommunikation einzubeziehen erlaubt (er neigt aus sich heraus also zur Extension). Allerdings kann Reziprozit~it- zumal in der modernen Gesellschaft- nicht mehr greifen, wenn zugleich die soziale Dimension extensiv ausgelegt wird, also beliebige und beliebig viele Personen fiir entsprechende Leismngskommunikation in Frage kommen. Auch erscheint der Kredit-Horizont, der mit Reziprozit/it im zeitlichen S inne angesprochen ist, nur dehnbar, wenn nicht zugleich in sachlicher und sozialer Hinsicht alles offen bleibt. Es bedarf stets Redundanzen, damit ein Netzwerk sich erhalten kann. In diesem Sinne beruht die Selbsthervorbringung der Operationsf~ihigkeit von sozialen Netzwerken auf balancierten Einschr~inkungen beliebiger sozialer, sachlicher und zeitlicher Extension. Netzwerke vertragen zwar im Vergleich zu den Prim/irsystemen der Gesellschaft eine strukturspezifisch h6here sachliche Flexibilit~it und soziale Labilit~it ihrer Grenzziehung, und sie k6nnen auch in zeitlicher Hinsicht mit hohen Latenzen verbunden sein; die Annahme aber, soziale Netzwerke w/iren ,,offene" oder ,,grenzenlose" Verweisungen von
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Adressen auf Adressen, iibersch/itzte und untersch/itzte das Ph/inomen zugleich erheblich. Dass soziale Netzwerke mehr sind als blol3e Adressenordnungen, wird auch daran deutlich, dass fiir die netzwerktypischen ,Kontexttibergriffe' weder das Wissen um attraktive soziale Adressen noch Bekanntschaft eine ausreichende Gmndlage sind. Auch aus regelm/if3igen Kontakten resultiert eben nicht die zwanglose M6glichkeit, den Kollegen, den Arzt, den Betriebsrat, den Nachbam, die Lehrerin, den Kundenberater usw. auch fiir anderes in Anspruch zu nehmen als es die Rollen einschr/inkend vorsehen, die mit den individuellen Geschichten des Kontakts zun/ichst kontextspezifisch def'miert sind. Die mit gesellschaftlicher Differenzierung verbundene (Komplement/ir-)Rollenstmktur sorgt also daftir, dass Adressierungen in jeweils anderen Rollen und rollen/ibergreifenden Hinsichten wenn nicht ganz entmutigt werden, so doch legitim ablehnbar sind. Nur sofern es gelingt, rollenbezogene Schranken der kommunikativen Adressierbarkeit zu tiberwinden, entsprechende Ansinnen also nicht abgelehnt werden und Personen sich als individuell ,mobilisierbar' erweisen, kann es zur Herausbildung sozialer Netzwerke kommen. Der Mechanismus, der dies unterstiitzt, ist Reziprozit/it- und zwar gerade nicht im Sinne einer gesellschaftlich gedeckten Reziprozit/itsnorm, sondern im Sinne einer netzwerkintem etablierten Erwartung, die sich samt ihrer Generalisierung und Stabilisierung erst in der Zeit erweisen muss (oder vielfach eben nicht erweist). Netzwerke entstehen in diesem Sinne im selbst erzeugten Bew/ihrungskontext einer anlaufenden, reziproken Kommunikation von Netzwerkleistungen. Der Mechanismus der Reziprozit/it ist dabei zentral, nicht weil er mit dem Tausch von heterogenen Leistungen kompatibel ist, sondem weil diese Heterogenit/it stets ,,tibrig bleibende Verpflichtungen" (Luhmann 1997: 635) - und damit die Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung der Kommunikation- mitproduziert. Im Hinblick vor allem auf im Weiteren behandelte Fragen der Relevanz von geschlechtlichen Askriptionen im Netzwerkkontext bleibt ein Punkt auszufiihren. Die sachliche- und man ist geneigt zu sagen: ,instrumentelle ' 7 - Kombinatorik, die mit sozialen N e t z w e r k e n - jedenfalls in der modemen Gesells c h a f t - angesprochen ist, gewinnt ihre Grundlage und Plausibilit/it mit Bezug auf gesellschaftlich differenzierte Kommunikationskontexte und damit verbundene sachlich definierte Rollen. Fiir Netzwerkbildung attraktiv sind in diesem Sinne individuelle Inklusionsprofile, die aus Teilnahmen und Nicht-Teilnahmen in spezifischen funktionalen und/oder organisationalen Rollen resultieren. Die soziale Kombinatorik solcher rollenbezogenen Inklusionsprofile wird aber erst Die Unterscheidung instrumentell/expressivmacht Holzer (2006) in seiner Beschreibung von Netzwerken stark. Allerdings ist sie nicht deckungsgleichmit der (dort ebenfalls notierten) Differenz von Rolle und Person. 171
dadurch m6glich, dass Personen adressiert und in sozialen Netzwerken relevant werden, einerseits schon deshalb, weil nur an dieser die auch anderen Rollen abgelesen und mobilisiert werden k6nnen, andererseits weil der netzwerkspezifische Reziprozit/itsmechanismus mit riskanten Vorleistungen verbunden ist, ftir deren Deckung kein Systemvertrauen und im Konfliktfall auch kein Recht zur Verffigung steht, sondem nur pers6nliches Vertrauen einsetzbar ist. 8 Man kann also sagen, dass soziale Netzwerke einerseits um die Attraktivit/it der sachlichen Leistungsm6glichkeiten und Zugfinge zu weiteren Adressen wissen, die sich aus systemspezifischen Rollen ergeben, sie wissen aber auch, dass solche M6glichkeiten nicht beliebig zuganglich sind, die kommunikativen Einschr/inkungen, die mit der Adressierung yon Personen in Rollen unter modernen Verhfilmissen verbunden sind, vielmehr nur im kommunikativen Zugriff auf die Person und im Rekurs auf personenbezogenes Vertrauen fiberwindbar sind. Das bedeutet nicht, dass in sozialen Netzwerken die Trennung yon Person und Rolle kollabiert, sondem - ganz im Gegenteil - dass soziale Netzwerke ihre Selbstbeobachmng reflexiv entlang der Differenz von Person und Rolle vollziehen. Man k6nnte sagen: sie entfalten das Paradox der Einheit und Differenz yon Person und Rolle. Uber die Art und Weise, wie Netzwerke die Differenz von Person und Rolle handhaben, werden sie von anderen ,,pers6nlichen Beziehungen" wie Verwandtschaft, Liebe, Freundschaft oder auch bloger Bekanntschaft unterscheidbar (Holzer 2006:11). 9 Ein Vergleich mit Familien ist im vorliegenden Zusammenhang naheliegend und interessant, weil Familienrollen mit geschlechtlichen Personen besetzt werden und dies dabei so ,natiirlich' wirkt (wenn auch historisch abnehmend), dass die Unterscheidung von Person und Rolle typischerweise in Familien nicht zur Selbstbeobachtung genutzt wird. l~ .o
3. Netzwerk und Geschlecht: allgemeine Bedingungen Im empirischen Sinne ist kaum bestreitbar, dass soziale Netzwerke h~iufig vergeschlechtlicht sind und dies nicht nur, wenn sie sich als ,,Frauennetzwerke" oder ,,M/innemetzwerke" selbst bezeichnen. 11 Ebenso evident ist jedoch, dass
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Es sei noch einmal damn erinnert, dass das Konzept der Person auf die Kontinuitiit des Erwartens und entsprechende Attributionen der Einschff,inkung von Verhaltensm6glichkeiten abstellt (Luhmann 1995b: 148f.) 9 Vgl. dazu die Unterscheidung yon ,,strong ties" und ,,weak ties" bei Granovetter (1973), der allerdings die Unterscheidung von Person und Rolle nicht kennt, sondem formal argumentiert. 10 DiesenHinweis verdanke ich Christine Weinbach. 11 Vgl. zum Zusammenhang von Vergeschlechtlichung und vergeschlechtlichender Selbstbezeichnung von Netzwerken: Tacke (2006). 172
Netzwerke sich nicht primgr und prinzipiell mit Bezug auf das Geschlecht der Teilnehmer bilden. Dies ist schon angesichts der fast beliebigen Anl/isse und treibenden Motive far die Bildung von Netzwerken sowie der Vielfalt der (Rollen-)Gesichtspunkte, die an individuellen Inklusionsprofilen attraktiv far Netzwerkbildung sein k6nnen, unwahrscheinlich. Im Folgenden soll allerdings argumentiert werden, dass Netzwerke aus strukturspezifischen Grfinden in besonderer Weise dafar pr/idestiniert sind, geschlechtliche Differenzen zu akmalisieren und fortzuschreiben. Betrachtet werden in diesem Abschnitt Netzwerke allgemein (ausgenommen Organisationsnetzwerke), und als Bezugspunkt fiir Vergleiche dienen die Systemtypen der Interaktion und der Organisation. Ausgangspunkt ist die oben hervorgehobene (reflexive) Relevanz der Person fiir Netzwerke, mit der s i c h zun/ichst allgemein- die Frage der Aktivierung von Geschlechtsrollenstereotypen verbindet. Darfiber hinaus fahrt die netzwerkspezifische Bedeumng von Personen auf den Gesichtspunkt des konstitutiven Partikularismus von Netzwerken, der zwar nicht zwangl~ufig und exklusiv geschlechtlich ausf~illt, aber doch, wo er dies selektiv rot, zugleich aus strukturspezifischen Grfinden ohne Skandalisierungspotential und Konfliktchancen bleibt. Bezeichnet sind damit dann Fortsetzungschancen far geschlechtliche Asymmetrien.
3.1. Personenbezug und Geschlechtsrollenstereotype Netzwerke konstimieren sich fiber personale Adressen. Damit dfirfte ihr Potential zur Aktualisierung von Geschlechterdifferenzen mit demjenigen vergleichbar sein, das insbesondere far Interaktionen aufgewiesen wurde (vgl. Weinbach 2003, 2004, b; Heintz 2006; Heintz et al. 2006). In zweierlei Hinsichten sind aber Besonderheiten zu befiicksichtigen: Anders als Interaktionssysteme beruhen Netzwerke nicht konstitutiv auf Bedingungen der Anwesenheit, so dass nicht zwangsl/iufig jener ,,geschlechtliche Erkennungsdienst" (Tyrell 1986) an der Person vollzogen wird, wie er mit Interaktionen unter Bedingungen von Wahrnehmung und k6rperlicher Kopr/isenz stets verbunden ist. Allerdings ist sowohl fiir das Anlaufen von Netzwerken wie auch ftir die soziale Best/itigung der relevanten Netzwerkadressen Interaktion von erheblicher Bedeutung. 12Und sofern in Netzwerke (anders als in formale Organisationen, die den Umgang mit Personen fiber Mitgliedschaftsrollen versachlichen) kein prinzipieller Mecha-
12 Das zeigen Studien fiber ,,networking" via Intemet (vgl. Heintz 2000); und bekanntermaBen sind z.B. in der WissenschaftTagungen, nicht zuletzt deren Pausen und Abendprogramme,fiir die Stabilisiemngyon Netzwerkkontaktenunter Wissenschafllemyon groBerBedeutung. 173
nismus eingebaut ist, der personenbezogene Idiosynkrasien einschr~inkt, k6nnen Unterschiede, die in vorausgehenden Interaktionsgeschichten an Personen abgelesen werden, im Netzwerk zwanglos fortgeschrieben werden. Auf das Fehlen von Formalit~it als einem Mechanismus der Disziplinierung der Sozialdimension komme ich noch zurfick. Bei der Person bleibend, interessiert hier zun/ichst die Rolle von Geschlechtsstereotypisierungen in der Netzwerkkommunikation. Man k6nnte zun/ichst vermuten, dass Geschlechtsstereotypen in sozialen Netzwerken eine geringere Bedeutung zukommt als etwa in Organisationen, weil Netzwerke fiber bekannte Adressen disponieren und fiber Interaktionsgeschichten anlaufen, so dass an die Stelle von Stereotypen damit Personenkenntnis treten kann. St/irker als Interaktionen k6nnten Netzwerke daher der Tatsache Rechnung tragen, dass die Inklusionsprofile von Frauen heute faktisch immer weniger dem Global-Stereotyp ,Frau' entsprechen. Dem steht allerdings nicht nur die relative Hartn~ickigkeit gegenfiber, mit der stereotypisierende Attributionen in der Kommunikation allgemein (und wider besseres Wissen) Verwendung f'mden. Spezifisch interessanter ist hier, dass es ffir Netzwerke konstitutiv ist, Adressen im Hinblick auf spezifische Leismngsm6glichkeiten abzusuchen, die mit den anderen eigenen Rollen der Teilnehmer verbunden sind. Angesprochen ist damit nicht lediglich, dass dort, wo der Stereotyp ,Frau' zur Anwendung kommt, exteme Sozialbezfige in diffuser Weise auf Haushalt und Familie verw e i s e n - eine Einschr/inkung, die ersichtlich bereits ein differentielles Attraktivit~itsdefizit entsprechender Personen (,Frauen') ffir Netzwerke bedeutete. 13 Abstrakter beschrieben impliziert der Geschlechtsrollenstereotyp vielmehr, dass die Rollen von Frauen weniger als selbst gew/ihlt erscheinen, mit dem Resultat, dass ihnen ein geringeres Mal3 an Selektionskompetenz und Erwartungsstabilit~it zugeschrieben wird (vgl. Weinbach 2004: 139ff.): Weibliche Personen verk6rpern im Geschlechtsstereotyp eine extemale Orientierung und einen variablen Umweltbezug; sie finden ihre simationalen Selektionskriterien im Erleben anderer. M/innliche Personen verk6rpem dagegen internale Orientierung und einen konstanten Umweltbezug; ihnen wird in h6herem Mage eigenst~indige Beurteilungskompetenz unterstellt. Die durch das Geschlecht symbolisierten Erwarmngen verweisen damit auf ,Qualit/iten' bzw. ,Defizite' von Personen, die f/Jr Netzwerke einschl/igig relevant sind. Denn wenn Mfinnlichkeit im Zurechnungsmuster ,,die Herstellung yon und die Auswahl yon M6glichkeiten (bedeutet)" (Weinbach 2004: 139ff., Herv. V.T.), symbolisiert dieser Stereotyp ffir Netzwerke eine kongeniale Qualit~it entsprechend beobachteter Personen. Umgekehrt ist die mit Weiblichkeit 13 Ausgenommensolcher Netzwerke, die an genau diesem Kontext Halt gewinnen, z.B. nachbarschaftliche Untersttitzungsnetzwerke. 174
verbundene Zuschreibung von Instabilit/it- die als geschlechtsstereotype Zuschreibung der Instabilitiit yon Erfolgsmustern auch noch auf erfolgreiche ,,Karrierefrauen" durchschliigt (vgl. Weinbach 2003) - fiir Netzwerke in h6herem Mage ein Problem als etwa ffir Organisationen. Denn zum einen sind Netzwerke von Personen samt den ihnen zugeschriebenen Erfolgsmustern abhS.ngig, zum anderen ist die Stabilit/it von Netzwerken in hohem Mage prek/ir, so dass Zurechnungen der Instabilit/it von Erfolgsmustem hier im doppelter Weise als ein negativer Inklusionsfaktor erscheinen. Organisationen k6nnen dagegen Mitglieder qua Entscheidung auswechseln und auf dieser Grundlage mit ihrer eigenen Kontinuit~it r e c h n e n - unabh/ingig von den individuellen Erfolgsmustern ihrer Mitglieder.
3.2 Partikularismus der Inklusion und Invisibilisierung des ,nein" Mit der besonderen Relevanz von Personen ist im Falle von Netzwerken auch ihr konstitutiv partikularistischer Modus der Inklusion angesprochen, der sich nicht auf Geschlecht beziehen muss, aber kann - und dies folgenreich. Zun/ichst fehlen in sozialen Netzwerken, im Vergleich zu Organisationen, universalistische Inklusionskriterien. Die Teilnahme an Netzwerken beruht auf dem Prinzip der Selbsterg~inzung, also nicht auf sei es formalen oder assoziativen Prinzipien organisatorischer Mitgliedschaft (vgl. Stichweh 2000b). Weder kann man in sozialen N e t z w e r k e n - wie in V e r e i n e n - durch Beitrittserkl/imng Mitglied werden und mit Aufnahme prinzipiell rechnen, sofern man die Zwecke teilt; noch kann man sich in Netzwerken- wie in formalen Organisationen- um definierte Stellen bewerben, erwartend, dass man eingestellt wird, sofern man den Stellen- und Leistungskriterien bestm6glich entspricht. Netzwerke kennen keine Stellenausschreibungen und keine formalen Regeln der Personalauswahlund folglich auch keine ,,Frauenbeauftragten". Im Falle von Netzwerken gibt es, anders gesagt, keine strukturelle Grundlage ffir ein (universalistisches) Anmelden von Anspriichen auf Teilnahme. Dem korrespondiert, dass Inklusion in Netzwerke operativ kein expliziter Beitrittsakt ist, sondem den Einbezug in eine reziprozit~itsgestiitzte Leistungskommunikation bedeutet. Und weil sich dieser Einbezug zwangsl/iufig als Bewghmng von Reziprozit/iten in der Zeit erweist, ist ftir Netzwerke im Vergleich zu Organisationen das Fehlen expliziter Formen der Kommunikation von Relevanz und Irrelevanz typisch. W/ihrend in Organisationen Inklusionen und Exklusionen notwendig explizite und damit konfliktf'fihige kommunikative Akte (Entschei-
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dungen) sind, TM k6nnen Fragen der Inklusion und Exklusion in sozialen Netzwerken fiber weite Strecken latent b l e i b e n - und sie mfissen es, aufgrund der reziprozit~itsbezogenen ,Bew/ihrungsfristen'. Geh6rt jemand schon oder noch nicht, immer noch oder schon nicht mehr zum Netzwerk? Inklusion in soziale Netzwerke erweist sich nicht an Entscheidungen (Organisationen) oder Anwesenheitsbedingungen (Interaktion), sondem an reziproken Leistungskommunikationen- und damit zwangsl/iufig in und mit der Zeit. 15 13ber die Zeitstrukturen der Kommunikation von Reziprozit/it und den Latenzen der Teilnehmerfrage ist in Netzwerke ein Mechanismus der ,,Invisibilisierung des nein" eingebaut (Stichweh 2004). Man wird aus Netzwerken nicht explizit ausgeschlossen, Aufnahmebegehren mfissen nicht, wo sie als explizite Kommunikation vorkommen, explizit abgelehnt werden, um im Ergebnis nicht zur Inklusion in das Netzwerk zu fiihren. Zwar kann ein Netzwerk darauthin beobachtet werden, ob es kategoriale, etwa geschlechtliche Exklusion ,,betreibt", aber ftir entsprechende Konflikte gibt es in Ermangelung expliziter und zeitlich fixierbarer Inklusions- und Exklusionsereignisse keine handfesten Anhaltspunkte. Konfiikte werden schon im Ansatz entmutigt. Dazu kommt, dass Netzwerke Teilnehmer eben immer partikular und nicht kategorial einbeziehen. Gerade wo explizite Kriterien und formale Regeln des Einbezugs fehlen, k6nnen Vorwfirfe in der Kommunikation zuriickgewiesen werden, dass der NichtEinbezug einer oder mehrerer Personen auf ein bestimmtes personales Merkmal, z.B. ihr Geschlecht, zuriickzufiihren ist. ~6Weil in Netzwerken immer nur Personen im Horizont yon gegebenenfalls hoch idiosynkratischen Kontakten und Interaktionsgeschichten relevant werden, k6nnen selektive Zurechnungen von Inklusionsfragen auf Geschlechterdifferenzen im Konfliktfall als unbegrfindet zurfickgewiesen und der entsprechenden Person selbst als Fehlzurechnung attribuiert werden. Auch das Wissen darum entmutigt Konflikte. So gesehen, beruhen Netzwerke nicht nur auf partikularem Einbezug, sondem sie entziehen sich mit ihrer Strukturtypik auch generellen Erwartungen und expliziten Anspriichen, dem Inklusionsuniversalismus der Gesellschaft zu entsprechen. Netzwerke schliel3en zwar, auch wenn sie konstimtiv partikularistisch sind, Personen nicht per se unter vergeschlechtlichten Gesichtspunkten ein oder aus. Aber wo dies
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Aber auch Organisationen kennen Mechanismen der ,Invisibilisiemng des nein' - etwa die starke Zeitverz6gemng, mit der Bewerbungsabsagen auf Professuren mitgeteilt werden (vgl. Stichweh 2004). Angesprochen ist damit die stets prek~ire Stabilisierung yon Netzwerkgrenzen (vgl. Bommes/Tacke 2006). Ausnahmen sind Netzwerke, die sich explizit als ,,Frauennetzwerke" und ,,M/innemetzwerke" deklafieren- und damit eine Inklusionsbedingung markieren.
geschieht, ist nicht zu erwarten, dass dies explizit und mit Aussicht auf Korrekmr geschieht.
4. Netzwerk und Geschlecht: kontextuelle Spezifikationen Ich habe bisher ~ r Netzwerke allgemein nach Akmalisierungspotentialen von Geschlecht gefragt, m6chte dies nunmehr erg/inzen und nach der Bedeumng kontextspezifischer Konstellationen fragen. Ich nehme dabei auf Argumente und Beobachtungen von Bettina Heintz und Mitarbeiterinnen zur kontexmellen Relevanz von Geschlechterdifferenzen Bezug (Heintz/Nadei 1998; Heintz 2003, 2006; Heintz u.a. 2006). In ihren Forschungen gelten dabei vor allem Interaktionen (also nicht: Netzwerke) als zentraler, kontextspezifisch relevant oder nicht relevant werdender Reproduktionsmechanismus ffir Dynamiken des Aufbaus geschlechtlicher Asymmetrien bzw. fiir das Abschw/ichen entsprechender Unterschiede. Allgemein ist damit zun/ichst gesagt, dass es fiir die Akmalisierung von Geschlecht einen Unterschied macht, ob Interaktionen im Kontext von Funktionssystemen wie der Wissenschaft, der Wirtschaft oder der Politik, in Organisationen oder ,au trottoir' stattfinden. Analog 1/isst sich allgemein zun/ichst plausibilisieren, dass vergeschlechtliche Personalisierungen in solchen Netzwerken, die in der Sachdimension eine hohe Spezifit/it ausbilden (z.B. funktionale, professionelle, organisatorische Expertennetzwerke), st/irker zurficktreten und durch Sachgesichtspunkte iiberlagert werden als in sachlich diffusen Netzwerken (z.B. in Nachbarschaftsnetzwerken, Alumni-Netzwerken, informellen Netzwerken in Organisationen). ~7 Die Evidenz des Zusammenhangs von Netzwerkdiffusit/it und vergeschlechtlichter Personalisierung mag hier eine kuriose Beobachtung illustrieren: Die in Deutschland gr613te intemetbasierte social-networking-Plattform ,,OpenBC", die diffuse M6glichkeiten und niedrigschwellige Potentiale des networking vermarktet, erwartet von ihren Teilnehmern, dass sie sich in einem pers6nlichen ,Profil' darstellen und ein Foto ihrer Person im Netz bereitstellen. Sofem Nutzer kein Foto hochladen, wird automatisch ein vergeschlechtlichtes
17 Wir hatten dabei oben ~r Netzwerke festgestellt, dass sie sachliche, soziale und zeitliche Einschrgnkungen stets balancieren mfissen, so dass zum einen Netzwerke mit hoher Varlet/it des Leistungsspektmmsgeben kann, deren Funktionsfiihigkeitzugleichhohe Redundanzenund partikulare Einschrgnkungen in sozialer Hinsicht voraussetzt, zum anderen Netzwerke mit hoch spezifischem und vergleichsweise stark versachlichtemLeistungsspektmm,die im Hinblick auf soziale Extensionen ,unempfindlicher' sind. 177
Konterfei (Dummy) erzeugt. Noch vor dem ,Anklicken' des eigentlichen Profils wird ffir Teilnehmer so sichtbar: Mann oder Frau. Weitergehend interessant sind die Arbeiten von Heintz u.a. hier, weil sie den Bedingungskonstellationen, die den Spielraum fiir vergeschlechtlichte Personalisierungen er6ffnen oder latent halten, innerhalb der Wissenschaft als dem Extrem eines ,,sachorientierten" gesellschaftlichen Kontextes TM genauer nachgehen. Im Vergleich von Labor- und Feldwissenschaften (das bedeutet: entlang der Arbeitsweisen von verschiedenen Disziplinen) konnte gezeigt werden, dass vor allem drei Variablen die SpieMume fiir Aktualisierungen der Geschlechterdifferenz in der Wissenschaft kontextspezifisch bestimmen: die Standardisierung wissenschaftlicher Verfahren (analog zur Bfirokratisiemng von Organisationen), die Kooperationsformen und -zw~inge in den jeweiligen Disziplinen sowie die faktische Realisierbarkeit der Trennung von Person und Rolle im Rahmen von Labor- bzw. Feldforschungsarbeiten. Entscheidend fiir die Aktualisierung der Geschlechterdifferenz ist in diesen Hinsichten jeweils, inwieweit die Handlungs- und Interpretationsr/iume stark oder wenig strukturiert sind. Im Folgenden geht es um den Versuch einer Ubertragung, d.h. Generalisierung und Respezifizierung, dieser an der Wissenschaft gewonnenen Variablen hinsichtlich von Kontexten der Netzwerkbildung. Der Anspruch ist dabei kein systematischer, sondern er beschr~inkt sich darauf, zun~ichst Perspektiven fiir weitere Forschungen zu sondieren und zu entwickeln. o~
4.1 S t a n d a r d i s i e r u n g von Verfahren - oder." Paradoxien des Universalismus
Zun/ichst zum Argument der Versachlichung durch Standardisierung von Verf a h r e n - wobei an wissenschaftliche, aber auch an organisatorische Verfahren (,,Btirokratisierung") zu denken ist. Diesbeziiglich f~illt auf, dass sich das Argument im Prinzip in doppelter Weise auf Kontexte der Netzwerkbildung beziehen 1/isst. So liege sich in Kontexten mit hoher Standardisierung aufgrund der Versachlichung der Kommunikation erwarten, 19 dass die partikularistische Zuschreibung von Geschlecht innerhalb von Netzwerken eine geringere Rolle spielt;
18 Extrem,weil der Anspruch an Leistungsgerechtigkeithier sachlich und epistemischbegriindet ist. 19 Umgekehrtesk6nnte entsprechend ftir gering standardisierteKontexteangenommenwerden. 178
dass es in geringerem Mage zur Herausbildung v o n sozialen Netzwerken als partikularistischer Sozialform kommt. Schon vor jeder empirischen Erh/irtung halten diese Thesen einer kritischen Priifung ihrer Prfimissen jedoch nicht umstandslos stand? ~ Denn sofem soziale Netzwerke sich konstitutiv partikularistisch, d.h. in der Sozial- und nicht in der Sachdimension herausbilden, tendiert die erstgenannte These zum Selbstwiderspruch. Universalistisch operierende Wissenschaftskommunikation ist, weil und soweit sie eine Trennung yon Leismng und Person realisiert, von sozialer Netzwerkbildung zu unterscheiden. Erst wo fiber die Leistung hinaus auch die Person in anderen eigenen Rollen Relevanz gewinnt, entstehen soziale Netzwerke. Analog stellt sich mit Bezug auf die zweite These die Frage, in welchem Sinne gelten kann, dass hohe Versachlichung und Standardisierung in der genuinen Wissenschaftskommunikation, zugleich partikularistische Netzwerkbildung im Kon-Text wissenschaftlicher Kommunikation irrelevant macht. Immerhin konkurrieren z.B. (Sub-)Disziplinen auch in organisierten und politisierten Kontexten um den Zugang zu knappen Ressourcen, deren Zuweisung nicht nur yon den jeweils innerwissenschaftlich differenzierten Verfahren und Standards der Leistungsbeurteilung abhfingt. Es gibt, anders gesagt, wissenschaftspolitische Netzwerke, die nicht nur wissenschaftliche Leismngstr~iger, sondem auch organisatorische Stelleninhaber einbeziehen (vgl. Tacke 2006). Hier soll nicht bestritten werden, dass der Grad der Standardisierung von wissenschaftlichen sowie auch organisatorischen Verfahren mit unterschiedlichen ,,Netzwerkkulturen" einhergeht und korreliert. 21 Allerdings l~isst sich fragen, ob der Zusammenhang zwischen der Standardisierung von Kontexten und der Bildung von partikularistischen, mehr oder weniger vergeschlechtlichten Netzwerken im Kontext yon Wissenschaft schon beantwortet ist. Dagegen sprechen zumindest Beobachtungen von Personalrekrutierungen in Organisationen, die erkennen lassen, dass gerade das universalistische durch standardisierte Verfahren unterstiitzte - A b s e h e n v o n d e r P e r s o n z u r Grundlage daffir werden kann, dass soziale Netzwerke ihren personenbezogenen Partikularismus zur Geltung bringen k6nnen (vgl. Bommes 1996, Tacke 2000,
20 Sie lassen sich entsprechend auch nicht zwanglos additiv, im Sinne einer doppelt selektiven Diszipliniemng von vergeschlechtlichtem Partikularismus, auffassen, nach dem Motto: In standardisierten Kontexten bilden sich tiberhaupt weniger Netzwerke und diese sind dann in geringerem Mage vergeschlechtlicht. 21 Diesbest/itigen am Fall der Wissenschaft auch Ergebnisse von Feldstudien, die Studierende im Rahmen einer vonder Autorin betreuten Lehrforschung zu ,,Netzwerken im Organisationskontext" am Fall von Universitaten unter Beriicksichtigung von Sozial- und Naturwissenschaflen durchgeftihrt haben. 179
2006). Denn, kurz gesagt, fiihrt die standardisierte Priifung der Erfiillung von stellenbezogenen ,,Einstellungsvoraussetzungen" in Besetzungsverfahren nicht automatisch auf eine einzige in Frage kommende Person. Sofem aus Sach- und Leistungsgriinden aber am Ende mehrere Personen in Frage kommen, bedarf die Organisation einer Entlastung von jener Indifferenz und Unentscheidbarkeit, die die Versachlichung des Verfahrens erzeugt. In diese Lticke k6nnen (miissen aber nicht) soziale Netzwerke mit ihrem personenbezogenen Partikularismus einspringen und ,stillschweigend' (vgl. Bommes 1996) Ergebnisse produzieren und als Parasiten der Organisation fungieren. Stillschweigend bleiben sie, weil und soweit sie den Mechanismus der Doppelinklusion yon Individuen (als Mitglied der Organisation und als Teilnehmer am Netzwerk) latent halten und ausbeuten k6nnen, und weil sich die Organisation am Ende die Entscheidung fiber ihr Personal nur selbst zurechnen k a n n - und nicht dem Netzwerk, dass das Resultat faktisch erm6glicht hat.
4.2 Kooperationszwang- oder." Effekte der Knappheit der Zugiinge Als zweiten, auf geschlechtliche Zuschreibungen sich auswirkenden Faktor betrachten Heintz u.a. einen organisatorischen Aspekt der Durchfiihrung wissenschaftlicher Arbeit, die Angewiesenheit auf Kooperation. Die These ist, dass ,,[i]n Disziplinen, in denen die Kooperation forschungssachlich begriindet ist, eine partikularistische Personalauswahl besonders dysfunktional [ist]" (Heintz 2006: 227; vgl. Heintz u.a. 2006). 22 Was aber k6nnte Kooperationszwang - eine auf die Arbeitsweise der Wissenschaft gewonnene V a r i a b l e - mit Bezug auf die ,,Arbeitsweise" von und in Netzwerken iiberhaupt besagen? Gibt es netzwerkspezifischen Kooperationszwang? Eine Antwort erlaubt die Generalisierung der Variable, die auch als ,,mutual dependence" (Whitley 1982) bezeichnet wird, d.h. ihre Umformulierung in ein Problem der Knappheit. Spezifizieren 1/isst sich dann, dass Oberlagerungen yon Geschlechtszuschreibungen in Netzwerkkontexten in h6herem Mare dort erwartbar sind, wo Netzwerkteilnehmer knappe Zug~inge zu spezifischen Leistungen und Optionen repr~isentieren, die nicht beliebig durch andere Adres22 Und wiederum gibt es einen Gesichtspunkt, der zum Selbstwiderspruch des Arguments tendiert, weil sachlicher Kooperationszwang nicht gleichbedeutend ist mit der Substitution der Relevanz von Netzwerken: So erh6ht die Kombination aus hohem Kooperationszwang und Dysfunktionalitiit partikularistischer Personalauswahl den Bedarf an Informationen fiber qualifizierte Partner (die dabei weltweit verstreut sein k6nnen und im Falle yon Nachwuchs nicht notwendig schon durch Publikationen aufgefallen sind). Informationsbedarfdieser Art decken, wie Granovetters (1973) Studie ,,Getting a Job" zeigt, Netzwerke (,weak ties'). 180
sen substimiert werden k6nnen. Auch dieses Knappheits-Argument 1/isst sich wiederum in zweifacher Weise auf Netzwerkkontexte und ihre Vergeschlechtlichung beziehen, a.) auf die Frage der Teilnahme am Netzwerk (potentielle Teilnehmer) und b.) auf die Frage der Relevanz im Netzwerk (aktuelle Teilnehmer).23 zu a) In Kontexten, die nur auf wenige ,Spezialisten' verweisen, die sich in einer partikularen Sache durch Netzwerkbildung wechselseitig unterstiitzen k6nnen, wird es dysfunktional, Fragen der Teilnahme von Personen am Netzwerk zu vergeschlechtlichen, zumal dalm, wenn ,die eigene Sache' - etwa im Sinne von politischer Mobilisierung - von Netzwerkwachsmm abhS~gt. Zu denken ist hier an die oben thematisierten wissenschafts- und organisationspolitischen Netzwerke. 24 zu b) Im Netzwerk repr/isentieren einzelne Personen stets mehr oder weniger knappe Optionen und ZugS~ge. Dies bedeutet, dass die Aktivierung der Geschlechterunterscheidung innerhalb von Netzwerken dysfunktional dort wird, wo Personen relevante Positionen im Netzwerk besetzen. Diesbezfiglich kann hier auf formale Netzwerkans/itze zurfickgegriffen werden, die mit der Strukturvariable der Zentralit/it zentrale Positionen von Teilnehmern im Netzwerk erfassen. Zumal Netzwerke anders als Organisationen keine formal hierarchische Ordnung aufweisen, erscheinen verschiedene Mage der Zentralitiit relevant, die nicht nur unterscheidbare Gesichtspunkte von Zentralit/it erfassen (vgl. Holzer 2006: 38ff.), sondern bei genauer Betrachtung auch fi~r die Frage der Dysfunktionalit/it von Geschlechtsstereotypenaktivierungen Unterschiedliches besagen. a) degree-Zentralitiit: Gemessen durch die Zahl der Verbindungen (,Kanten') eines Teilnehmers (,Knoten') besagt sie, wer die meisten Kontakte im Netzwerk hat, d.h. die meisten Altemativen fiir Leismngskommunikationen und die geringste Abh/ingigkeit von anderen im Netzwerk aufweist. Das bedeutet: Die Dysfunktionalit/it der Aktivierung von Geschlechtsstereotypen nimmt in diesem Fall auf der Seite der degree-zentralen Knoten ab. Anders gesagt, k6nnen sich sehr kontaktreiche Teilnehmer idiosynkratische Personalisierungen aufgrund geringer Knappheit von Zugangsm6glichkeiten zu Leismngen anderer in h6herem Mage erlauben.
23 Dieser zweite Knappheitsgesichtspunkt verweist, weil er sich auf den Binnenkontext des Netzwerkes und nur vermittelt auf die Netzwerkumweltbezieht, zuriick auf die Frage nach allgemeinen Zusammenh~ingen zwischen Netzwerk und Geschlecht (Abschnitt 3). Aus darstellungstechnischen Grfinden wird der Punkt hier aber unter ,,kontextspezifischen" Bedingungen verbucht. 24 Und Ausnahmenbest/itigen auch hier wieder die Regel: Wenn ,,die eigene Sache" im Netzwerk vergeschlechtlicht definiert wird, erscheint es funktional, auch Teilnahmefragenprinzipiell geschlechtlich selektiv zu handhaben. Vgl. Tacke (2006). 181
b) betweeness-Zentralitfit: Der Zwischenstatus, gemessen durch die H/iufigkeit, mit der ein Knoten auf dem ldirzesten Wege zwischen anderen Knoten liegt, beschreibt das selektive Potential eines Teilnehmers, die Netzwerkkommunikation zu kontrollieren. In diesem Fall erscheint vergeschlechtlichte Stereotypisierung von Seiten der anderen Netzwerkteilnehmer dysfunktional, weil der Zwischenstatus im Netzwerk knappe Zug/inge zu anderen und zu entsprechenden Informationen repr/isentiert. 25
4.3 Trennbarkeit von Rolle, Person und K d r p e r - oder." Netzwerkreflexivitiit im Kontext
Als dritte und letzte Variable, die im (sub)diziplin~iren Kontext wissenschaftlicher Arbeit im Hinblick auf Fragen der l~erformung geschlechtlicher Zuschreibungen bedeutsam ist, betrachten Heintz u.a. (2006) die Trennbarkeit von Rolle und Person in der Durchf/ihrung von Forschungen, die, verldirzt gesagt, unter Bedingungen geologischer oder ethnographischer Feldaufenthalte geringer ausf~illt als im organisationsf6rmigen Rahmen eines biologischen Forschungslabors. 26 Angesprochen sind damit zun~ichst einmal Aspekte der Dekontextualisierbarkeit und Isolierbarkeit der jeweiligen Forschungsobjekte, die sodann nicht nur fiber die Standardisierbarkeit von Erhebungs- und Begriindungsverfahren und damit letztlich die ,,Wissenschaftlichkeit" von (Sub)Disziplinen entscheidet (Heintz 2003), sondern zugleich mit K6rperbeziigen korrelieren, zum einen in der Art und Weise des K6rpereinsatzes als Wahrnehmungs- und MeBinstrument, zum anderen im Sinne r~iumlicher und zeitlicher Strukturen der (Ko)Pr~isenz von Forscher/innen im jeweiligen Feld. Im Extrem: im Rahmen einer Wtistenexpedition kann nicht nur in besonderem Mage nicht mehr von Personen abgesehen werden, sondern es geht d a b e i - aufgrund vortibergehender Bedingungen der Totalinklusion- auch die Distanz zu deren Leibhaftigkeit verloren. Bei der l~ertragung der l~erlegungen auf Kontexte der Netzwerkbildung ist daran zu erinnern, dass soziale Netzwerke die Trennung von Rolle und Person stets unterlaufen, dies aber nicht als ein Kollaps zu verstehen ist, sondern als reflexiver Umgang mit der damit bezeichneten Differenz. Somit bleibt auch hier
25 Die in Verbindungsschritten gemessene N~ihe eines Knotens zu anderen Knoten (closenessZentralit/it), mit der erfasst wird, wer alle anderen im Netzwerk am schnellsten erreichen kann, erscheint im vorliegendenZusammenhangnicht spezifischaussagekrfiftig. 26 ,,ImUnterschied zu den Laborwissenschaften, in denen die Untersuchungsobjektejederzeit zur Verfiigung stehen, k6nnen Ereignisse nur dann untersucht werden, wenn sie stattfmden, und Objekte nur dort beobachtet werden, wo sie gerade sind" (Heintz 2003: 15, zit. nach dem Ms.) 182
die Frage, wie fiber Kontexte vermittelt die Person in ihrer Leibhaftigkeit ins Spiel kommt. Ich m6chte zum Zusammenhang Rolle, Person und K6rper im Netzwerkkontext nur zwei Beispiele exemplarisch anfiihren, die weitergehender Analyse bedfirfen. Das eine betrifft einen besonderen Funktionskontext, das andere liegt quer zu Funktionskontexten. Ein gesellschafilich einschl/igig relevanter Kontext, der vom K6rper nicht absieht, diesen also nicht, wie andere Funktionskontexte distanziert und abwertet, sondern in seiner Leistungsfiihigkeit und Belastbarkeit vielmehr aufwertet, ist der modeme Sport (vgl. Stichweh 1990). Soweit der Sport, der bezfiglich der Messung yon k6rperlicher Leismngsf/ihigkeit Frauen- und M/innerligen trennt, zum Kontext fiir Netzwerkbildung w i r d - und hier ist neben dem Hochleistungssport auch an den Breitensport, etwa unter Kollegen im Kontext yon Organisationen zu denken-, werden K6rperbezfige als spezifische Vergeschlechtlichungen auch in entsprechenden Netzwerken relevant (wenn auch nicht zwangsl/iufig zum Thema, vgl. Tacke 2006). Eine als regelmS_giger ,2rofessorenfussball" sich darstellende sportliche Veranstaltung, die mit Bezug auf Gremienentscheidungen in der Universit/it mitunter nicht nur als ,,Netzwerk" beobachtet, sondern auch als ,,Dusche" oder ,,Duschmafia" beschrieben wird, w/ire ein Beispiel. 27 Soweit im oben konstruierten Beispiel einer feldwissenschafilichen Wfistenexpedition der Umstand angesprochen ist, dass der Forschungskontextvorrfibergehende- Situationen der ,,Totalinklusion" der Teilnehmer bewirkt, die fiber die Rolle hinaus die vergeschlechtlichte Person zwangsl/iufig auch in ihrer Leibhafligkeit aufdrfingen, lassen sich analoge F/ille fiir Kontexte der Netzwerkbildung denken. Ein einschl/igiges und extremes Beispiel scheinen Migrationsnetzwerke zu sein. So lassen die spezifischen Kontextkonstellationen, unter denen sich vor allem illegale Migration vollzieht, nicht nur vorfibergehende Situationen erwarten, in denen die k6rperliche Verfasstheit der beteiligten Personen zentral wird (in der Bew/iltigung von globalen Distanzen und Staatsgrenzen unter Illegalit/itsbedingungen), zu denken ist vielmehr auch daran, dass Migrationsnetzwerke im lokalen Einwanderungskontext zu einer Art ,,Totalinklusion" ihrer Teilnehmer tendieren, sofern nur eingeschr/inkte M6glichkeiten bestehen, funktionale und organisatorische Leismngen (Zugang zu Arbeit und Wohnm6glichkeiten, Gesundheits- und Rechtsleistungen etc.) aul3erhalb des Netzwerkes bzw. den ,,Ausstieg" aus einem in dieser Weise totalisierenden Netzwerk zu realisieren. 27 Das Beispiel entstammt Interviews von Studierenden im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes tiber ,,Netzwerkeim Organisationskontext". 183
Ganz unabh/ingig von lealmrell beschreibbaren Formen der Akmalisierung von Geschlechterdifferenzen, an die man in diesem Zusammenhang zuerst denken mag, sind es die strukturspezifischen Kontextbedingungen, die fiir eine Totalinklusion der Beteiligten in das soziale Netzwerk und dariiber auch dafiir sorgen, dass die Leibhaftigkeit der Person und damit die Zuschreibung von Geschlecht nicht auf Distanz zu bringen ist. Dies gilt selbst dann, wenn das soziale Netzwerk spezifisch modem darin ist, dass es auf der reflexiven Beobachtung der Differenz Person und Rolle beruht, d.h. an den spezifischen Inklusionsprofilen der Beteiligten ansetzt und die damit verbundenen M6glichkeiten im Rekurs auf die Person realisiert (vgl. am Beispiel eines Migrationsnetzwerkes Tacke 2000). Die genannten Beispiele verweisen auf Kontextkonstellationen der NichtDistanzierbarkeit von vergeschlechtlichten K6rpem. Im Gegenzug lassen sich Netzwerkkontexte anffihren, die die K6rperlichkeit der Teilnehmer auf Distanz bringen. Zu denken ist an medial vermittelte Kommunikation und entsprechende Formen der Netzwerkbildung, die eine Entkopplung von Person und K6rper leisten. Das dies aber nicht bedeutet, dass die Vergeschlechtlichung der Person ausgeblendet wird, wurde oben am Fall von networking-Plattformen im Intemet deutlich.
5. Schluss
Ich habe vorgeschlagen, soziale Netzwerke als eine sekund/ire und partikularistische Sozialform zu beschreiben und auf dieser Grundlage nach allgemeinen sowie kontextspezifischen Bedingungen der Aktualisierung von Geschlechterdifferenzen gefragt. Allgemein ist das Fehlen von expliziten Inklusionsmodi sowie auch von Formalit/it und Verfahren innerhalb von sozialen Netzwerken festzuhalten, womit sich zugleich Mechanismen der ,,Invisibilisierung des ,nein'" und entsprechend eingeschr/inkte M6glichkeiten des Konflikts und des Einklagens in soziale Netzwerke verbinden. Das Schweigen der Verh/iltnisse, unter denen sich Ein- und Ausschluss in soziale Netzwerke vollzieht, dtirfte eine wichtige, weil gleichsam unangreifbare Bedingung der M6glichkeit zur Fortschreibung auch geschlechtlicher Asymmetrien in der modemen Gesellschaft bezeichnen. Dagegen kann man im modemen ,,Instrumentalismus" sozialer Netzwerke, der seinen Ausdruck in der reflexiven Handhabung der Differenz von Person und Rolle fmdet, einen Aspekt der Selbstdisziplinierung geschlechtlicher Zuschreibungen in sozialen Netzwerken entdecken, der jedenfalls dort greifen
184
k6nnte, wo Bedingungen der Knappheit mit Bezug auf Zug/inge und Optionen bestehen. Nicht zu iibersehen ist insgesamt, dass prim/ire Strukturen der Gesellschaft relevante Kontextbedingungen fiir soziale Netzwerkbildung darstellen und zu Disziplinierungen und Uberformungen des Netzwerkpartikularismus einschlieglich geschlechtlicher Zuschreibungen beitragen, wobei die ,,Brechungsst/irke" (Bourdieu) der Prim/irstrukturen einerseits davon abhS,ngt, welche spezifischen Entfalmngsm6glichkeiten sie mit ihren Strukturen fiir vergeschlechtlichte Netzwerkbildung bieten (siehe z.B. K6rperbeziige im Sport), andererseits aber auch davon, wie sich soziale Netzwerke selbst in deren Einflussbereich einklinken (auch Wissenschaftlemetzwerke entwickeln sich mit ihrem Partikularismus je individuell). Die These, dass die Standardisierung von Kontexten ein disziplinierungsstarker Mechanismus fiir die Aktiviemng von Geschlechterdifferenzen im besonderen und ftir die Bildung partikularistischer Netzwerke im allgemeinen ist, bleibt - mit Bezug auf den parasit/iren und partikmlaristischen Charakter der Sozialform des Netzwerkes- genauer zu prtifen. Mit Blick auf Thesen zur besonderen Relevanz von Interaktionen ftir die Akmalisierung und Fortschreibung von Geschlechterdifferenzen in der modernen Gesellschaft (Weinbach 2001ff.; Heintz 2001ff.) ist abschliel3end festzuhalten, dass der Sozialform des Netzwerkes ein diesbezfiglich nicht gering zu sch/itzendes Strukturpotential inh/irent ist. Es m6gen in der Gesellschaft weit mehr Interaktionen als soziale Netzwerke vorkommen, so dass mit Blick auf die entsprechende ,,Mikrodiversit/it" (Luhmann), die die Gesellschaft gleichsam ,von unten' mit weiterverwendbarem Sinnmaterial versorgt, Interaktionen bedeutsamer erscheinen als Netzwerke. Allerdings sind soziale Netzwerke im Unterschied zu Interaktionen nicht lediglich ephemere Systeme, die ihre Reproduktion einstellen, wenn die Bedingung wahrnehmbarer Kopr/isenz der Teilnehmer entf~illt. Vielmehr k6nnen Netzwerke, sofem deren prek~ire Herausbildung und Stabilisierung gelingt, vergleichsweise iiberdauernde Strukturbildungen darstellen. 28 Dabei k6nnen sie auch ortsunabhiingig operieren und eignen sich im Prinzip sogar ftir globale Strukturbildungen. Diese strukturellen Voraussetzungen ihres Operierens heben Netzwerke von den M6glichkeiten der Interaktion deutlich ab - und bringen sie mit Organisationen ,,auf Augenh6he". Gemeint ist, dass es sich in beiden F/illen um delokalisierte und zeitstabile Strukturen handelt- und dies eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Bedingung dafiir ist, dass Netzwerke Einfluss auf Organisationen gewinnen k6nnen. Interaktionen sind dazu schon aufgrund ihres ephemeren Charakters nicht oder ,o
28 Sie erreichen indes, weil sie von Personen und deren Lebensdauerabh/ingig bleiben, nicht die Lebensdauer von Organisationen. 185
nur punktuell in der Lage. Denn Einfluss bedeutet im Kontext von Organisationen nicht lediglich, eine einzelne Entscheidung oder Entscheidungssituation zu kontrollieren, sondern vielmehr Entscheidungsprozesse und-pr/imissen. Einem in diesem Sinne delokalisierten und zeitflexiblen Zusammenhang aus vielen Entscheidungen sind allenfalls Netzwerke parasitgr gewachsen. 29
29
186
DiesenZusammenhang mag man dann selbst- wie Luhmann gelegentlich- als ein ,Netzwerk' beschreiben, damit allerdings nicht - wie hier- eine auf der Kombination personaler Adressen bezogene Sozialform meinend, sondem im allgemeinen Sinne einen selektiven Verknfipfungsmodus von Systemoperationen.
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G E N D E R WORKS? Zu Diskriminierung, Funktion und Codierung im Geschlechterverh~iltnis Iris Koall
,,Most social changes begin with actions of organizations" (Hannan~reeman 1989: 5).
Vorgehensweise K6nnen Organisationen tats/ichlich- wie Harman~reeman vermuten- gesellschaftliche Prozesse zur Ver/indemng (des Geschlechterverh/ilmisses) anstogen? Die klassische Betriebswirtschaftslehre w/irde diese Fragen vemeinen, weil die Art und Weise, wie Geschlecht in Unternehmen wahrgenommen und genutzt wird, nicht im Fokus ihres Gestaltungsinteresses steht, sondem als ,,Datum" eines von vielen gegebenen sozialen Faktoren des betrieblichen Verwertungsprozesses dargestellt wird. Diese Genderblindness betriebswirtschaftlicher Forschung kann kritisiert und ihr Beitrag zur Aufrechterhalmng devaluierender Geschlechterverh/ilmisse rekonstruiert werden (Koall 2006). Aber welchen Beitrag leisten genderblinde oder gendernutzende Organisationen zur Aufrechterhalmng der Untemehmung? Oder k6nnen Organisationen der Unternehmung nicht eher als Systeme verstanden werden, die Diskriminierungsgewinne in die eigene W/ihrung umsetzten? Mit diesem Text soll gezeigt werden, welche manifesten betrieblichen Interessen es gibt, im Rahmen einer bin/iren Geschlechterdifferenz betriebliche Kontingenz erwartbar zu gestalten. Diese bin/iren Differenzierungen erm6glichen die Bestimmung von gerechten Kriterien fiir die Bewertung und Kontrolle von Personen und Arbeitsprozessen und regeln hierarchisch die Verteilung von kommunikativen und monet~iren Ressourcen (1.). Auf Basis dieser homogenisierenden Funktion bilden Organisationen Programme oder Strukturen, die diskriminierend wirken. Diese funktionalstrukturelle Konstimtion des Geschlechterverh/ilmisses kann in einem zweiten Schritt als Teil eines Kommunikationssystems ,,Geschlecht" dargestellt werden. Es soll deutlich werden, wie in Organisationen das kontexmell entlastende, bin~ire Geschlechterverh~ilmis mit 6ko-
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nomischen Codierungen verschr/inkt wird (2.). Werden bin/ire vergeschlechtlichende Codes einer kritischen Prfifung unterzogen- dazu wird die Denkfigur des Spencer-Brownschen re-entry (Luhmann 2006; Baecker 2006a) noch einmal entfaltet- kann ihre Wirkung in asymmetrischen Organisationskontexten untersucht und aus ihrer selbstverstiindlichen paradoxen Konstimtion gel6st werden. Der Rekurs auf die Geschlechterbinarit/it verdeutlicht, dass Mitarbeitende personale Ressourcen sind, deren Genderanteile auf den Grundgedanken der Kapitalverwertung reduziert werden. Personale Ressourcen sind in dem Mal3e ,,genderblind", als sie unabh/ingig von sozialen Kriterien der Zuweisung von Leismngsf~ihigkeit operieren, d.h. ,,ungest6rt" von famili/iren Verweisungen bleiben. Sie sind in dem MaBe gendernutzend, als sie die Binarit/it zur Regulierung ihrer Komplexit/it ben6tigen. Die Bildung der bin/iren Geschlechterdifferenz ist der Versuch des organisationalen Systems ein kapitalrationales Innen yon einem privatisierten Aul3en abzugrenzen (3.). Das Abgewehrte- all das Private, St6rende, Maligne, Latente, Vermiedene, Systemfremde- ist in seiner Funktionalit/it fiir den Bestand des Systems (Luhmann 1984: 459) einer Beobachtung wert, um zu verstehen, was mit der bingren Codierung im Geschlechterverh/iltnis vermieden werden soll (4.).
1. W a r u m Ungleichheit als D i s k r i m i n i e r u n g b e s chr i e be n wird ...
Die Diskriminierung von Frauen wird, Theorien fiber Organisationen zufolge, als so genannte ,,statistische Diskriminierung" wirksam. M/inner oder Frauen werden dabei auf gruppentypisierende, positivistisch ermittelte Merkmale und Kriterien reduziert (vgl. Osterloh/Wfibker 1997). Diese statistische Diskriminierung teilt die personalen Ressourcen auf. Die Besonderheit des Produktionsfaktors ,,weibliches Arbeitsverm6gen" entsteht aber prim/ir durch eine soziale Differenzierung, die eine alleinige Zust/indigkeit von Frauen ~ r Familienarbeit annimmt. Diese Unterscheidung zwischen ,,m/innlichem" und ,,weiblichem" Arbeitsverm6gen 1 reduziert die Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesse in Organisationen auf geschlechtstypisierende hierarchische Positionierungen mit der Konsequenz der geschlechtstypisierenden Einkommenschancen und Beurteilung von personalem Potenzial. Verharrt die Kritik geschlechtlicher Diskriminierung auf der Ebene dieser Typisierungen, verbleibt sie lediglich im Rahmen von Diskriminierungssemantiken. Eine andere weitere M6glichkeit- die hier verfolgt werden s o l l - w/ire es, diese Ebene der Typisierungen zu verlassen 1
192
Vgl. zum Begriff ,,weibliche Arbeimehmer" Friedel-Howe (1993) bzw. zum Begriff ,,weibliches Arbeitsverm6gen"Osmer (1992).
und die Funktionalitiit der Geschlechterdifferenz ftir Organisationen in den Blick zu nehmen.
1.1 Zur Funktion von (Geschlechter-)Homogenitiit in Organbsationen In Organisationen w i r d - so meine T h e s e - Diskfiminierung von Frauen rational, weil damit systemrelevante Funktionalit~iten erffillt werden k6nnen (Koall 2001:184f.). Geschlechterhomogenit~it - oder die Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit in Verbindung mit hierarchisierenden Prozessen (Gildemeister/Wetterer 1 9 9 2 ) perpetuiert dabei diskriminierende GeschlechterDominanz. Mit Bezug auf betriebwirtschaftliche Diskussionen (Gutenberg 1967: 257; Koall 2001: 88f.) k6nnen ftir die zentralen betrieblichen Funktionen der Bewertung, der Entscheidungsdurchsetzung und der Kontrolle homogenisierende Wirkungen ermittelt werden, die ffir die Erhalmng einer Unternehmensorganisation 2 h6chst relevant sind: Homogenit~it wird durch vereinheitlichende Kriterien der Bewertung erzeugt, die auf sozial plausibilisierten Unterscheidungen beruhen und z.B. in die Prozesse der Leistungsbeurteilung und Legitimit~it segmentierter Arbeitsteilung eingehen. Homogenit/it entsteht aus dem betrieblichen Erfordernis den Transfer von Entscheidungen sicherzustellen. Um zu gew~ihrleisten, dass die Entscheidungen yon der Spitze der Organisation in die nach- und untergeordneten Bereiche verlagert werden k6nnen, d.h. eine Umsetzung der betrieblichen ,,Rationalitiit" erfolgen kann, haben sich organisationale Hierarchien gefestigt, die an sozialen Kriterien orientiert sind. Das asymmetrische Geschlechterverhiiltnis dient als Folie ftir diese Konvergenz (Brewer 1995) yon gesellschaftlicher und organisationaler Hierarchie. Arbeitsprozesse unterliegen einer Kontrolle, die sich an elit~ir ermittelten, rationalen Standards orientiert und sich auf das sicher Erwartbare konzentriert. Eine ,,rationale" Kontrolle ben6tigt zur Abgrenzung des
In Anlehnung an Baecker (1993) sind mit Untemehmerorganisationen Organisationen in marktwirtschaftlich arbeitenden Umwelten gemeint, die entweder auf Effizienz oder Effektivitilt setzen mfissen, und sich leider zu selten auf das Abenteuer der Irritation einlassen k6nnen, indem sie beide Seiten- Organisationund Untemehmung- aktualisieren(1993:116). 193
,,Irrationalen" die Prozesse der Ein- und Ausgrenzung, die sich homogenisierender sozialer Standards bedienen. Kontrollstrukturen ergeben sich in den Formen der Arbeitsteilung, als Anweisungs- und Zuarbeitsstrukturen, die geschlechtstypisierend konnotiert werden. Ffir Organisationen des Wirtschaftssystems besteht kaum eine M6glichkeit, ,,weibliche" oder famili/ir orientierte Lebensentwfirfe 3 aul3erhalb dieser Rationalit/it zu inkludieren. Anders formuliert: Organisationen sind nicht in der Lage, Personen mit familialen und professionellen Lebensmodellen zu inkludieren, weil das ihre Mal3st/ibe yon Leistung, Kontrolle und Verteilung yon Kommunikationschancen irritieren wfirde. 4 Dies gel/inge erst, wenn die Tendenzen zur Homogenisierung aufgehoben w/iren und eine Variation des Verh/ilmisses weibliche Person und Organisation zugelassen w/ire - also nicht mehr von ,,kinder(re)produzierenden Mitarbeiterinnen" ausgegangen wiirde. Dagegen ist die Annahme der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie ein Kontinuum in der Diskussion.
1.2 Alte Unvereinbarkeitsdiskurse Diese ,,reale" Konstruktion der betrieblichen Wirklichkeit kann sich auf sozialwissenschaftliche Studien stiitzen, die eine generelle Zust/indigkeit von Frauen ffir die Haus- und Familienarbeit (oder im Genderjargon Reproduktionsarbeit) quer durch alle sozialen Milieus feststellen (Koppetsch~urkhart 1999: 203). Diese wissenschaftlichen Diskurse der kulturellen Konstruktionsbedingungen der Zust~indigkeit von Frauen fiir die Reproduktionsarbeit werden zunehmend feuilletonistisch 5 aufbereitet und gelangen so in die Alltagsdiskurse. Dabei werden (starre) MS.nnerrollen als Ursache ffir Geburtenrfickgang bis Frauendiskriminierung ,,erkannt", wobei einzig der hedonistische, diversitykompetente Metrosexual 6 rettend am Horizont eines konstatierten Genderkonfliktes erscheint. Aber diese Form der Genderdiversity bleibt im System der Privatheit und wird 3
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Die problematisierenden Diskurse der strukturellen Trennung yon familialer und professioneller Sph/ire (Knapp 1986; Beer 1990) werden heute eher mit dem Begriff ,,Work-Life-Balance" beschrieben und dabei wird die zunehmende Entgrenzung der Arbeitszeit (Metz-G6ckel 2004: 109). Ausnahmensind Untemehmen, die beispielsweise im Rahmen des ,,E-Quality Awards" ausgezeichnet wurden/werden; vgl. Equal opporOanitiesof women und men in business, science, politics and administration, www.total-e-quality.de(Stand 08/2005). Vgl. stellvertretendftir Viele: Gaschke(2005); Dietrich (2005). Zur Illustration des Begriffs metrosexual vgl. www.thomasscoville.com/metrosexual.; www.urbandictionary.com 8/2005
nicht Teil der 6ffentlichen 6konomischen Diskurse, repr/isentiert durch kulturelle Symbole. Damit kann die begrenzte Nutzbarkeit der Personalressource ,,Frau" eine betrieblich unhinterfragte, ,,empirisch vorfindbare" Tatsache bleiben. Diese typisierende Konstmktion hat die Funktion, in Organisationen die 1.5-PersonenKarrieren (zumeist fiir mgnnliche Mitarbeiter mit reproduzierender Partnerin) zu erm6glichen. Denn die Unterscheidbarkeit der Verwertung von individuellen und kollektiven Humanressourcen ist 6konomisch, d.h. ffir die Organisation h6chst relevant (Cox 1993). Im Rahmen der geschlechtstypisierenden Aufgabenverteilung wird (in Anlehnung an die alte feministische Forderung, doch ,,das Private zum Politischen zu machen") die Privatisierung dieser Konfliktl6sung somit zum 6konomisch Relevanten. Auf einer makrosozialen Ebene, Gesamtgesellschaft' gesehen basieren diese Unvereinbarkeiten von Privatem und ()konomischem auf dem problemsteigernd wirkenden ,,strukturellen Pluralismus verschiedener Funktionsbereiche" (M/inch 1991: 21). Dabei existieren scheinbar unvereinbare begriffiiche Deutungen und funktionale Beziehungen zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionsbereichen Wirtschaft und Reproduktion. So verstanden entsteht Diskriminierung aus nicht konvergierenden Systemdiskursen und dient dem (paradoxen 7) Erhalt der jeweilig abgegrenzten Systemfunktionalit/it. Dies erl/iutert beispielsweise, weshalb nur der Teil der ,,Frauenarbeit" integrierbar ist, der begriffiich vorstrukturiert als solcher betriebsintern auch gekennzeichnet wird. Gleichstellungsinitiativen in wirtschaftlichen Organisationen sind dann nur in Bezug auf Frauenarbeitspl~tze und Diskriminiemngsstrukturen denkbar. Dies bedeutet immer auch, durch Anschlussfiihigkeit an Genderstereotype die bestehenden Erwartungen resp. Strukmren der Diskriminierung zu reproduzieren (vgl. Brumlop 1993, 1994; Krell 1997).
1.3 Zur Dynamik der Ambivalenz der Person in der Organisation Diese unvereinbare Trennung von Privatem und Okonomischem wird auf der Mesoebene der Beziehung zwischen Person und Organisation deutlich, indem (mindestens) zwei unterschiedliche Bewegungen erkennbar werden: Paradoxien vermeiden, dass ein Systembeobachten muss, was es nicht sehen kann. In diesem Fall w/ire das- unter der vereinheitlichenden Interdependenz von Wirtschaft in der Gesellschaft- eine Abh/ingigkeit vonder Zuliefemng des anderen Systems ,,Reproduktionsarbeit" trotz Vorstellung des Wirtschattssystems, dass nur 6konomisch bewertbare, betriebliche Leistungen z/ihlen, also beurteilt werden kann nur die betrieblich relevante Leistung; vgl. Luhmann (2000: 128, 131). 195
einerseits die strukturelle Inertia im Geschlechterverh/ilmis, die als Erwartung an die geschlechtstypisierte Arbeitsteilung in Organisationen kontinuiert wird, und andererseits die potenzielle M6glichkeit zur Kontingentsetzung von Geschlechterkonstruktionen in Organisationen durch die Bildung funktionaler Aquivalente und der Kontexmalisierung codierter Geschlechterkommunikation (s.u.). Daraus ergibt sich eine Ambivalenz, die durch das Verh/ilmis von Individuum und Organisation gehalten und gestaltet wird. 8 Die geschieht insofem, als sich jede (mikropolitische) Interaktion immer auch auf ein organisationales System bezieht und die in der betriebswirtschaftlichen Forschung sogenannten psychophysische Subjekte oder Bewusstseinssysteme gar nicht anders agieren k6nnen als mit Blick auf die kommunikativen Prozesse der sie umgebenden Organisation. Subjekte bilden Annahmen fiber die Organisation, indem sie in ihrer Wahrnehmung und Interaktion den Raum und die Idee eines verst/indigen, nachvollziehbaren ,,Aul3en" konstruieren und im Rahmen dieser Annahmen kommunizieren (vgl. Roth 1998: 323). Und diese Kommunikationsprozesse sind zu einem Teil das Ergebnis dieser subjektiven Annahmen fiber Organisation und bestehen zum anderen aus den inh/irenten M6glichkeiten der Organisation, diese zu bemerken und bewusst damit zu arbeiten. Annahmen fiber die Geschlechterdifferenz, die innerhalb von Bewusstseinssystemen entstehen, mfissen im Rahmen der organisationalen Anforderungen gestaltet werden, um vonder Organisation bemerkt werden zu k6nnen. Ein Geschlechterverh/ilmis ist ~ r die Organisation nur als Funktionalit/it/Dysfunktionalit/it im Rahmen ihres situativen, funktionalstrukturellen Kontextes beobachtbar. Eine .Xmdemng des Geschlechterverh/ilmisses berfihrt immer die Annahmen fiber Geschlecht in Organisationen als auch die funktionalstrukmrelle Verarbeitung dieser Annahmen. Gender-Kompetenz entsteht in der Organisation dann insofern, als personale Kommunikation mit biasfrei, diversityrelevanten, wertsch/itzenden Kommunikationsanteilen (Formen, Medien, Codes) ausgestattet werden kann. Die genderkompetenten oder genderinkompetenten Personen stellen fiir Organisationen einerseits ihre Umwelt dar. Andererseits bilden organisationale Systeme zur Gestaltung und Regulierung dieser ambivalenten Beziehung zwischen Person und Organisation ihre unverwechselbaren Funktionen aus (Kieserling 2000: 176). Dieser Prozess der interdependenten personalen und organisationalen 8
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www.migration-boell.de/web/diversity/48_282.htm
Konstitution von Genderkompetenz oder Genderinkompetenz kann auch mit den Prozessen der Interpenetration 9 bzw. als Prozess des Zur-VerfiigungStellens von Strukturen zur Bearbeitung komplexer Wahrnehmungen beschrieben werden. Und das sind schon die ersten wichtigen l]-berlegungen die es m6glich machen, sich ein ,J(ommunikationssystem Geschlecht" genauer anzuschauen.
2. Zur Reflexion bin/ir codierter Geschlechterkommunikation
Homogenit/it in den sozialen Gruppen der ,Frauen' oder ,Manner' kann in Organisationen als Konstruktion der Identitiit einer Geschlechtergruppe und damit als Bildung einer iiberindividuellen Differenz konstruiert werden. Es geht um eine bin/ire gmppentypisierende Zugeh6rigkeit, d i e - durch zun/ichst biologistisch als ,,zuverl/issig" angenommene Distinktionsmerkmale- Unterschiede herstellt. Diese Unterscheidung wird im ,,Kommunikationssystem Geschlecht" dann praktisch verwendet als Frau/Mann, und muss zu ihrer Wirksamkeit mit organisationalen Funktionen argumentativ verbunden werden (vgl. Alewell/Canis 2005). Dieser bin/ire Unterscheidung liegt die Annahme zur M6glichkeit der krassen Unterscheidung von Mann -1 Frau zugrunde. Es gibt Oberlegungen, die soziale Komplexit/it angemessener beobachtbar zu machen, indem die Kontexte, die diese Unterscheidung beobachtbar machen, wieder in die vorher get/itigte Unterscheidung eingefahrt werden (Baecker 2006a: 124f.). Wenn es gelingt einen anderen als den bin/iren Stares zu erzeugen, w/ire das Projekt gelungen. Mir gelingt die l]-bung des re-entry zur Erzeugung einer ambivalenten Realit/itswahrnehmung noch nicht. Die Zweifel an der M6glichkeit zur l]bertragbarkeit in organisationale Kontexte - die eine Binarit/it zur Prozession von Ent-Scheidungen n u t z e n - iiberwiegen Die Arbeit mit diesem Zweifel ist far mich eine Bedingung zum Erreichen einer ,,vorgezogenen m6glichen Wirklichkeit" (Galtung 1978: 83), die mit Ambivalenz und Paradoxie agieren kann. Dann w/ire der reflexive Rekurs auf die Binarit/it durch Wiedereinfiihrung der Kontexmalit/it (re-entry der BeobachterIn, verwendete Differenz), vielleicht ein
Der Interpenetrationsbegriff bei Luhmann (1984: 290f.) bezieht sich zun/ichst auf die M6glichkeiten der strukturellen Kopplung von funktional differenzierten Gesellschaftssystemen. Er kann aber auch zur Beschreibung der Konstitution des Geschlechterverh~iltnisses zwischen organisationalem System und psychisch-physischem System sinnvoll sein (vgl. Koall 2001: lOlf.).
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(Stolper)Stein auf dem Weg zur Entwicklung einer intersektionellen statt bin/iren Konstitution yon Personen in Organisationen. l~ Zun~ichst aber soll ein Kommunikationssystem Geschlecht vorgestellt werden, das zwar kontextabh/ingig ,,richtig" agieren k6nnen muss, sich aber gleichzeitig ohne Riickgriff auf ontologische Kriterien als flexibel genug ~ r die Organisation des Kapitalverwertungsprozesses erweist. 2.1 Wie ist ein Kommunikationssystem Geschlecht vorstellbar?
Geschlecht kann als sinnproduzierendes und selbstreferentielles kommunikatives soziales System (oder Kommunikationssystem) vorgestellt werden, das auf den Ebenen von Interaktionssystemen, Organisationssystemen und Funktionssystemen operativ agiert. Die Grenze zu anderen sozialen, kommunikativen Systemen entsteht durch die M6glichkeit, sich als autopoietische Einheit zu pr/isentieren, wird m6glich durch eine ,,hinreichende Homogenit/it der Systemoperationen und diese definiert die Einheit einer bestimmten Systemtypik" (Luhmann 1984: 68). Diese Homogenit/it wird angeleitet durch die bin/ire Codierung und die Nutzung von komplexit/itsreduzierenden Medien. Das Kommunikationssystem Geschlecht (vgl. 2.2) prozessiert diese Geschlechterhomogenit/it auf den verschiedenen Ebenen von Interaktion, Organisation und Gesellschaft. Die Form der Unterscheidung, die zur Beobachtung benutzt wird, pr/igt die Entstehung der Binarit/it dieses Kommunikationssystems. ,,Diese Form von [konkreter] Grenze (die natiirlich nur fiir einen externen Beobachter sichtbar ist und im System einfach nur lebt) entf~illt bei Systemen, die im Medium Sinn operieren. Die Grenze eines Systems ist nichts anderes als die Art und Konkretion seiner Operation ... Erst recht gilt das fiir das Kommunikationssystem Gesellschaft ... Die Grenze dieses Systems wird in jeder einzelnen Kommunikation produziert und reproduziert, indem die Kommunikation sich als Kommunikation im Netzwerk systemeigener Operationen bestimmt ... Die Grenze des Systems ist nichts anderes als die Art und Konkretion seiner Operation, die das System individualisieren..." (Luhmann 1997: 76f.). Im Verlauf der weiteren Uberlegungen soll die Form der codierten Unterscheidung (Mann/Frau) als eine M6glichkeit beschrieben werden, diese Autopoiesis bzw. die rekursive Produktion der geschlechtstypisierenden Anschlussf/ihigkeit im Kommunikationssystem zu unterbrechen. ,o
10 Intersektionalit/it,ein Begriffvon Kimberle Crenshaw, beschreibt die ,,Kreuzung" der Gender Struktur mit der Race/Class-Dynamik und umgekehrt (http://womensplace.osu.edu/ Archives/crenshaw.pdf.) Methodologischwird Intersectionality als zuldinttige Herausforderung ftir die Genderforschung beschrieben (McCall 2005); vgl. auch: http://www.rci.rutgers.edu/ -lmccall/signs1f-ext.pdf 198
Bemerkenswert ist die ,,parasit~ire" F/ihigkeit (Nassehi 1995) des Kommunikationssystems Geschlecht, das mit Beobachtungsanweisung hinter dem Beobachter lauert (denn woher soll der Beobachtende denn das Geschlechterverh~ilmis beobachten k6nnen?) und die Einhalmng von Regeln fiberwacht und dadurch ein ,,in Beziehung-Bleiben" erm6glicht. Das Kommunikationssystem Geschlecht schafft einen kommunikativen Raum, in dem Verst/indigung fiber ,,Geschlecht" auch in sehr unfiberschaubaren und kontingenten Settings hergestellt werden kann. Dieser Prozess der Verst~indigung erscheint gleichsam so natiirlich, dass die Paradoxie der beobachterabh~ingigen Herstellung von Geschlechterbinarit/it invisibilisiert werden kann. Wie wichtig diese parasit~ire F/ihigkeit zur Herstellung und Verdeckung der Bedingungen einer verl/isslichen, kommunikativen Beziehungen ist, kann erahnt werden, wenn die Irritation spfirbar wird, die entsteht, wenn die Geschlechtergrenzen diffundieren. Die Anschlussf'~ihigkeit, die ein biniires Kommunikationssystem ,,Geschlecht" zwischen den verschiedenen Ebenen yon interaktion, Organisation und Gesellschaft erm6glicht- in der Benutzung einer binfirer Geschlechterdiffer e n z - ist ein Grund ~ r die strukturelle Inertia oder die Schwierigkeiten, Bewegung in das Geschlechterverh/iltnis zu bringen. Ein Kommunikationssystem Geschlecht ben6tigt diese organisationale Referenzen, um immer wieder an die Griinde seiner Existenz zu erinnern (Luhmann 2000: 388). Damit wird durch ein ,Nommunikationssystem Geschlecht" m6glich, sich unabhgngig vom jeweiligen Kontext und - subjektunabhS~gig im Raum konstimiert durch personale Geschlechtererwartungen- zu verst~indigen und zu verhalten, ohne sie erwghnen zu mfissen. Ein Kommunikationssystem Geschlecht stabilisiert in Organisationen das Geschlechterverh~iltnis und gestattet durch seinen funktionalen Bezug auf die Organisationsstruktur zugleich Variationen in der Geschlechtspr~isentation. Dabei mfissen stets situative und kontexmelle Sachverhalte kongruent interpretierbar sein, damit eine SprecherIn in der Organisation als kommunikativ kompetent wahrgenommen wird. Bewegung in die Geschlechterverh/iltnisses kommt fiber die Analyse der kommunikativen Inertia im Geschlechterverh~iltnis. Kontingenz im Geschlechterverh~iltnis ist dann vorstellbar als Variation des erforderlichen Zusammenhangs der Medien, Formen, Codes in der Kommunikation von Geschlecht in Organisationen. Die paradoxe Selbstverstiindlichkeit (Lorber) einer bin/ir codierten Geschlechterkommunikation kann in Beziehung zu den verwendeten Formen und Codes gesehen werden. Oder in Anwendung der Luhmannschen l]berlegungen (zum Rechtssystem vgl. Luhmann 1989: 64) auf das Geschlechterverh~iltnis, kann die Paradoxie des Geschlechterverh~iltnisses sich in einem bin/iren Code entfalten, und ist es m6glich, dass die ,,Paradoxie des Codes invisibilisiert wird, ohne dass die Operation, die dies leistet, ihrerseits sichtbar wer-
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den wiirde" (Luhmann 1989: 64). Die Paradoxie im Geschlechterverh/iltnis wird nicht als autologisches Problem des Kommunikationssystems Geschlecht wahrgenommen, sondern als ein Problem konstituiert, ,,das durch eine Orientierung an der Welt, so wie sie ist, gel6st werden kann; es wird als ein ontologisches Problem" (Luhmann 1989: 64) mit der Binarit/it von Frau/Mann der Organisationspraxis ausgeliefert. Die Dekonstruktion von B inarit~it steht dann im Zusammenhang mit diskursiven Eingriffsm6glichkeiten in Organisationen, z.B. einer feministischen Organisationsentwicklung (Flechter/BailynfBlake Bird 2006) indem auf die M6glichkeiten der Ver/inderung von Sinnbildungsprozessen Bezug genommen werden kann. Diese Spielr~iume zur Interpretation von vergeschlechtlichender Kommunikation bleiben immer im Kontext der jeweiligen Organisation. Das heigt, die personale Positionierung, die zumeist geschlechtstypisierend 11 wirksam wird, steht in funktionalem Bezug zu den (autopoietischen) Erfordernissen der jeweiligen praktisch operierenden Organisation. 12 Dabei wird die Zuschreibung yon F~ihigkeiten auf Eigenschaften einer ,,stereotyp gefasste(n) Form der Person" (Weinbach 2003:167) von den (stereotypisierten) Erwartungen zur Verwertung des Humankapitals innerhalb des Organisationskapitals 13 strukturiert. Die 6konomischen Subjekte k6nnen sich den zuschreibenden Erwartungen in den Prozessen organisationaler Kommunikation teilweise bewusst werden und sind dann in der Lage, als cross-gender Regelbrtiche durchaus abweichende Erwartungen zu produzieren. TM Gender-Lernen innerhalb wird als eine subjektivstrategische Entscheidung zum cross-gender Verhalten m6glich, innerhalb eines Rollenwechsels der irritieren will und Geschlechterordnungen verwirrt. ~5 Hier stellt sich die Frage, ob und unter welchen Bedingungen sich Organisationen von einem eher homogenisierend wirkenden Geschlechterkonzept verabschie11 12 13
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Dies geschieht in der Rolle als vergeschlechtlichte Person der Kommunikation bzw. in der ,,Form Person als geschlechtlich gefasstes Erwammgsbtindel" (Weinbach 2003:152). Vgl. Frenzel/Mtiller/Sottong (2001) zu den unterschiedlich wahrgenommen Positionierungen von Frauen und M/innern in Fiihrungsrollen. Sadowski (1991: 136) definiert Humankapital als ,,Ertragswert der verffigbaren Qualifikationen" und Organisationskapital in Anlehnung an G.S. Beckers Theorien als ,,Bestand an Regeln in einer Organisation, Informationen zu teilen, Konflikte beizulegen und Kooperationsbereitschaft zu signalisieren". Stellvertretend fiir viele Verhaltensratgeber ftir Managerinnen vgl. Nitsche (2004), die Frauen das Imitieren und Simulieren der M/innerspielregeln in Organisationen nahe legt und Geschlechterkonflikte auf unterschiedliche Stile und Sinnunterlegungen in der organisationalen Kommunikation zuriickffihrt. Mit Interesse an Gestaltungsempfehlungen und Partizipation kann auf Argyris (1999) Bezug genommen werden, der organisationales Lernen interdependent mit individuellem Lernen konstituiert; zur l)bersicht vgl. Wiegand (1996).
den k6nnen. Ein solches organisationales Lernen muss auf Gendertypisierungen verzichten und kommunikative Komplexit/it zugleich in erwartbare Bahnen lenken. Der im ,,Normalfall" interdependent funktionierende Prozess der Zuschreibung und Annahme von homogenisierend wirkenden Geschlechtstypisierungen kann kontextuell und situativ unterbrochen werden. Dies bedeutet, sich einer Reflexionslast zu unterziehen, um die binfiren Codierungen, die im Kommunikationssystem Geschlecht wirksam sind, zu re-kontextualisieren und einer kritischen l]berprtifung zug/inglich zu machen (Koall 2001:187f.). Diese kritische Rekontextualisierung muss dann in einer dem organisationalen Kontext a n g e m e s s e n e n - nicht mit Bezug auf beispielsweise famili/ire E r w a r t u n g e n m6glich sein. Im Folgenden wird die Rekontextualisierung vorgenommen, indem die funktionalstrukturelle Orientierung innerhalb des sozialen Systems der Organisation ,Unternehmung' mit der bin~iren Unterscheidung von Geschlecht in Verbindung gebracht wird.
2.2 Wie funktioniert das K o m m u n i k a t i o n s s y s t e m Geschlecht?
Das Geschlechterverh~iltnis wird im Rahmen eines kommunikativen Systems beobachterabh/ingig konstituiert. Es ist nicht lediglich durch den Anschluss an bestehende gesellschaftliche Erwartungen strukturiert, 16 sondern die natiirliche Reproduktion der Geschlechterbinarit/it wird in einer eher unwahrscheinlich gewordenen Kommunikationssituation erm6glicht und kann gleichzeitig variieren. Die Geschlechterbeziehungen werden damit aus traditionellen Bindungen gel6st und der Unsicherheit der Moderne ausgeliefert (vgl. Leupold 1983). Dieser Konstruktionsversuch entsteht aus der Kritik am Luhmannschen Denken zum Geschlechterverh/iltnis: Das Geschlechterverh/iltnis bezieht sich keinesfalls mehr lediglich auf die von Luhmann beschriebenen konventionellen 17 und damit erwartbaren sozialen Formen, beispielsweise in der traditionellen Arbeitsteilung, sondern ist in indivi-
16 Sonstwfire es tatsfichlich m6glich fiber die Ablehnung einer Erwartungszumutung eine generelle strukturelle ~gmderungdes Geschlechterverhfiltnisses einzuffihren. Diese Gestaltung der Kommunikationssituation und des Verhfiltnisses der Interaktionsteilnehmer ist dadurch sichero lich zu beeinflussen, vgl. Koall (2001:167ff.). 17 Vgl. Luhmann, der bef'mdet, dass in rfitselhafter Weise das Geschlechterverhfiltnis im Laufe der Jahrtausende im prfihistorisch sozialen Zustand der weiblichen Submission verharrt. In seiner Gesellschaftsrekonstmktionbeziehen sich die Beispiele, die das Geschlechterverhfiltnis illustrieren, vornehmlich auf traditionsgebundene Formen innerhalb von archaischen (1997: 207), antiken (1997: 697), aristokratischen (1997: 370) oder bfirgeflichen (1997: 827, Fn:417) Gesellschaftsvorstellungen. 201
dualisierten Kontexten der Last und Lust der Selbstbeschreibung der Individuen ausgesetzt. Ffir Luhmann ist das Geschlechterverh/ilmis ein vorsprachlich ermittelter Sozialzustand, der nicht im Rahmen metakommunikativer Prozesse reflektiert wird. TM Dagegen ist einzuwenden, dass das Geschlechterverh/ilmis in sozialen Kontexten reproduziert wird und auf ein Netzwerk verschiedenster, teilweise ambivalenter und codierter Verweisungen zurfickgreift, die nicht in der Interaktionssituation pr/isent sein mfissen, aber auf d i e - auch missverst/indlich - rekurriert werden kann. Ob eine ,,Frau" die Erwartungs-Erwartung eines ,,m/innlichen" Interaktionsparmers teilt, geht latent in die Bewertung ,,sich verstanden" zu haben ein und wird als ,,Geschlechts(un)typik" dann metatheoretisch thematisierbar. Luhmann beschreibt aber auch ein Geschlechterverh/ilmis, das in Interaktionssituationen immer neu gestaltet und sich dabei nicht auf die mediale oder codierte Vermittlung der Kommunikation stfitzen kann. 19 Dies zu akzeptieren wfirde bedeuten, dass gesellschaflliche Strukturen, wie die ausdifferenzierten Funktionssysteme bzw. die residualen Wirkungen stratifizierter und segmentS.rer Differenziemngsformen die einzigen Wirkungen fiir das Geschlechterverh/iltnis w/iren und alles andere interaktiv entschieden werden mfisste. Damit w/iren z.B. Machtfragen im GeschlechterverNilmis entweder nicht institutionalisiert oder mfissten als vorsprachlich intuitiv angesehen werden. Die Kritik an diesen 0berlegungen konstituiert eine theoriegeleitete Wahrnehmung eines Geschlechterverh/ilmisses, das in verschiedenen sozialen Kontexten fiber die Kenntnis der medialen Vermittlungsformen und Codes hergestellt wird und codiert verhandelt werden muss. Die folgende Abb. 1 zeigt einen 18
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..... die wohl wichtigste Vorbereitung fiir die Evolution von Sprache (ist): das Wahrnehmen des Wahrnehmens und insbesondere: das Wahrnehmen des Wahrgenommenwerdens. Das sind selbst in entwickelten Gesellschaften, selbst heute nach wie vor unentbehrliche Formen der Sozialit/it, vor allem im Geschlechterverh/iltnis ... Selbst wenn man dies als gleichsam prahistorische Gegebenheit und damit Adaptierung des sozialen Zusammenlebens an diese M6glichkeiten unterstellen kann, wird es bei diesem Sozialzustand keine Metakommunikation geben, keine auf Kommunikation bezogene Kommunikation gegeben haben, zum Beispiel keine Bestatigung des Empfangs der Mitteilung, keine Wiederholung derselben Mitteilung, kein Aufbau sequentieller, 'punktierter' Komplexit/it, bei der die Kommunikation voraussetzt, class sie mit anderen Inhalten bereits erfolgreich operiert hatte ... Wie man unter diesen Bedingungen schon von einer autopoietischen Schliel3ung eines gegenfiber dem Lebensvollzug eigenst/indigen Sozialsystems sprechen kann, das zum Beispiel den Tod ganzer Generationen fiberdauert, mfissen wir often lassen" Luhmann (1997: 207). Am Beispiel der Bildung von Prfiferenzcodes, die bereits durch ihre Nennung eine Bewertung vomehmen, weist er die M6glichkeit der Codierung, und damit die M6glichkeit zur personenunabh/ingigen Fernkommtmikation innerhalb des Geschlechterverh/iltnisses zurfick (vgl. Luhmann (1997: 370).
Systematisierungsversuch der medial vermittelten Kommunikationsbeziehungen im Geschlechterverh/iltnis. Soziales System Geschlechterverh/iltnis
Vorm
Geschlechtstypisierende Arbeitsteilung (segment/ir und hierarchisch)
Medien Sprache K6rper/Mode Liebe (Geschlechterrepr/isentationen)
Codes Bin/ire Geschlechterdifferenz: Frau/Mann , ,
,
oder Geschlechterbeziehungen (Ehe/ Partnerschaft) Familienformen (Gross-, Klein-, Patchwork-familien)
Macht (Bewertungen)
Frau/nicht-Frau Mann/nicht-Mann 6ffentlich/privat; submissiv/ permissiv; adaptiv/ komplement/ir
Organisation der Unternehmung
Legitimi/it der Sprache, Mitglied/nichtKapitalverwerGeld, Mitglied tung, Macht InteressendurchZahlen/nichtsetzung Zahlen Abb. 1" Das Geschlechterverh/iltnis als medial gekoppeltes kommunikatives System (Quelle: Koall 2001: 194) Die Form der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung muss sich als funktional fiir die Unternehmensorganisationen erweisen. Die Organisation nutzt die Einkommensdifferenzen zwischen Frauen und M/innern oder die begrenzte Einsatzf'~ihigkeit weiblichen Personals funktional zur Realisierung der Kapitalverwermng (vgl. Krell 1984). Die Geschlechterdifferenz rekurriert auf die supplement/ire Logik der unbezahlten, aber notwenigen Zuarbeit von zumeist Frauen im familialen System. Geschlechtstypisierend wirken auch die Formen, die sich aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung ergebenen und die in segmentMen und hierarchischen Strukturen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung eine M6glichkeit zum Erhalt von sozialen Differenzen bieten, die als konstitutive Bedingung zur Reproduktion von Macht in der Organisation der Unternehmung angesehen werden k6nnen (vgl. Staehle 1992: 65ff.). Butler (2003) be203
schreibt diese M6glichkeit zur Materialisierung der binfir strukturierten Diskurse in gegenderte Strukturen und Funktionen als konstitutiv ~ r die Aufrechterhaltung der Geschlechterdifferenz. Als Formen stehen der Geschlechterbeziehung (in Anlehnung an Leupold 1983) die romantische Liebe, Ehe, Parmerschaft und die geschlechtstypisierende Arbeitsteilung zur Verftigung. Die stmkturbildenden ,constraints' der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung entstehen im Rahmen der (medial vermittelten) Zuschreibungen und Bewertungen und werden mit den binarisierten Erwartungen der Arbeitsbeziehungen verbunden. Diese Strukturen der Arbeitsteilung k6nnen ,,sinnvoll" mit den gesellschaftlich erforderlichen Funktionen der Sicherstellung unbezahlter Reproduktionsarbeit und dem genannten unternehmerischen Sachzwang zur Kapitalverwertung gekoppelt werden? ~ Die Hierarchiebildung nach Geschlecht entsteht dann unabhS.ngig vom interaktionellen Kontext und ohne auf ,,Vorsprachliches" oder Intuitives zurtickgreifen zu m/issen. In dieser Perspektive besteht eine funktionale Relation zwischen dem Organisationssystem und dem Kommunikationssystem Geschlecht. Medien und Symbole der Geschlechterrepr/isentanz dienen als Pool zur Selektion der Formen. Die Formen (typisierte Arbeitsteilung, Familienformen, Paarformen) des Kommunikationssystems Geschlecht bilden einen sozialen Handlungszusammenhang, der rekursive VerweisungszusammenhSnge herstellen kann. Die medial wirkenden k6rperlichen Gesten der Geschlechterdifferenz k6nnen zwar als vorsprachliche Formen der Kommunikation des Geschlechterverh/ilmisses begriffen werden. Jedoch sind diese Repr/isentationen von Weiblichkeit und Miinnlichkeit (Mode, Tonfall, Mimik, Gestik) simativ (r/iumlich-zeitlich) bestimmbar und werden erst in Abh/ingigkeit zna Szenen (Hitzler/Pfadenhauer 2001) oder Milieus (Bourdieu 1982) sozial konnotiert. Sie werden als Spielarten zur Oberwindung konventioneller Inszenierungen beschrieben und mtissen sozial ausprobiert und codiert werden (vgl. z.B. Stauber 2001: 126). Die geschlechtstypisierenden Generalisierungen 21werden in einem kontextuellen Verweisungszusammenhang beobachtbar, best~itigt oder variiert. Der g/iltige interaktionelle Zuordnungszusammenhang und Identifikationsraum
20 ,,Trotz dieser strukturellen Schw/iche beh/ilt die Unterscheidung Frau/Mann auch in der modemen Gesellschaft ihre eigentiimliche Funktion, die Ankn/ipfung von Bezeichnungen zu dirigieren, wenngleichnur ffir F/ille, in denen es tats/ichlichum Frauen bzw. M/inner geht. Die Beobachtung der Funktionssystemeanhand dieser Unterscheidung 1/iuftdann fiber eine prinzipiell inkongruente Perspektive. Das fiihrt dazu, dass die Funktionssysteme, die unterje ihrem Code autopoietisch geschlossen operieren, die Unterscheidung von M/innem und Frauen Aufnehmen k6nnen, wenn dies in ihremFunktionskontextsinnvoll ist" (Luhmann2003: 49). 21 Zur symbolischenGeneralisierungvgl. Luhmann(1984:135). 204
(Gildemeister/Wetterer 1992; Wetterer 1993) wird von Personen erzeugt, 6ffentlich diskutiert und metatheoretisch analysiert .22 Ein medial konstituiertes Geschlechterverh/ilmis erm6glicht zu verstehen, wie die Kommunikation zum Thema Geschlecht zwar erwartbar gestaltet werden kann und dabei aber nicht den Kontingenzen iiberlassen wird und damit entlastend wirkt, andererseits aber die Flexibilit/it der sozialen Zurechnung beh/ilt und damit zwischen Kontexten und S imationen in der Gestaltung des Geschlechterverh/ilmisses unterscheiden kann. Das bin~ire Geschlechterverh/ilmis bietet die Reduktion sozial zu verarbeitender Komplexit/it als Begrenzungen des personal Erwartbaren bei gleichzeitiger situativer Anpassungsf'~ihigkeit. Sprache als Medium repr~isentiert und transportiert Geschlechterbinarit~it. Dabei wird das Geschlechterverh~ilmis durch das Wahrnehmen von (Geschlechter)Wahrnehmung konstituiert (Luhmann 1997: 207) und ben6tigt den ,,Aufbau sequentieller, ,punktierter' Komplexit/it" als eine systembildende Metakommunikation (Luhmann 1997: 207) des Geschlechtersystems. Wird dagegen von einer Metakommunikation fiber das Thema Geschlecht ausgegangen- angesichts der beobachtbaren wissenschaftlichen Beobachtungs- und Kommunikationsprozesse- kann eine punktuelle Komplexit/it zustande kommen. In diesem Kommunikationssystem Geschlecht leistet Sprache eine simationsspezifische Differenzierungsm6glichkeit in der Beziehung zwischen (lose gekoppeltem) Medium und (fest gekoppelter) Form (Luhmann 1997: 205). Die Analyse und Dekonstruktion der Diskurse zu Herstellung von Geschlechterbinarit/it sind hochrelevant flir die betriebswirtschaftliche Theoriekonstruktion (Bendl 2005). und die Verfolgung mikropolitischer Ziele (Flechter/Bailyn~lake Bird 2006) in Organisationen. Wird die Kommunikation im Medium Liebe beobachtet, k6nnen die verschiedenen Formen des Geschlechterverh/ilmisses (Arbeitsteilung, Familienformen) in den verschiedenen nonverbalen Konnotationen von Elternliebe, Empathie, Sozialkompetenz, emotional Labour (Hochschild 1990, 2002) nonverbal und verbal verdeutlicht werden. Es ist beobachtbar, wie in den unterschiedlichen Formen kontex(un)angemessen gehandelt und kommuniziert wird. Oder auch im Medium Geld kann mit den unterschiedlichen Formen des Geschlechterverh~ilmisses, agiert werden, z.B. als pekun~ire, emotionale oder soziale Kosten, und damit zum Aufbau personenunabh~ingiger, kontextrelevanter Erwartungen im Geschlechterverh/ilmis fiihren. Zeichen, als Vorbedingungen der Sprache, sind Formen. Sie markieren eine Unterscheidung von dem Bezeichnetem (der speziellen empirischen Frau) und 22 Vgl. Schwanitz (1988: 568ff.) zur Erzeugung von ,weiblicher K6rperlichkeit'. Er beschreibt die Kommunikationin den Medien der Frauenzeitschriftenbzw. ihre Generalisierungen in der Sinnform ,Di~t'. 205
dem Bezeichnenden (dem Zeichen, den Symbolen fiir ,Weiblichkeit'). Unabhfingig vom Verwendungskontext bleibt das Bezeichnete durch das Zeichen stabil (Luhmann 1997: 208). Durch die Verwendung der in der Bezeichnung inhgrenten Unterscheidung von Frau und Mann ist der empirische Hinweis auf ,Frau' in unserem kulturellen Kontext legitim. Diese Verwendung ist m6glich, indem eine ,,operative Schliel3ung des Sprache verwendenden Kommunikationssystems" (Luhmann 1997: 209) zustande kommt, mit dem Sinn generalisiert und ein selbstreferentieller Zusammenhang erzeugt werden kann (Luhmann 1997: 212ff.). Die ,reflexiven Kopplungen' der Sprache werden von den Kommunikationsteilnehmern kontrollierbar, und damit ist die Teilnahme an der Kommunikation nicht permanent, sondern das Kommunikationssystem entwickelt sich personenunabhfingig. ,,Es kommt jetzt zu einer Co-Evolution von Individuen und Gesellschaft, die etwaige coevolutive Verh/ilmisse zwischen Individuen (zum Beispiel Mutter/Kind-Beziehungen) fiberdeterminiert" (Luhmann 1997: 211). Damit wird m.E. das Geschlechterverh/iltnis fiber kommunikative Beziehungen und deren Reflexion Teil eines sozialen Systems. Es bildet Erwartungsstrukturen aus, die sich in ihrem funktionalen Bezug zur System-UmweltDifferenz der fibergeordneten oder nebengeordneten Systeme defmieren. Die Generalisierungen erm6glichen die Unabh/ingigkeit der Kommunikation vonder jeweiligen empirischen Teilnahme. Damit werden Begriffe und Bewertungen von Weiblichkeit und Miinnlichkeit in verschiedenen Kontexten ,allgemeinverstgndlich' verwendbar. Kommt es zu Verstehensbriichen durch gesellschaftliche Ver/indemngen, werden die ,Synchronisationsprobleme' der Sprache deutlich und damit Verschiebungen in den Bedeutungen m6glich (Luhmann 1997: 215). Wir werden dann mit historisch und situativ unterschiedlichen Situationen und sprachlichen Konnotationen von ,Weiblichkeit' oder ,M~innlichkeit' konfrontiert (vgl. Trettin 1993: 229), in denen ,,man den Satz (versteht), auch wenn man ihn nie geh6rt hat" (Luhmann 1997: 216). In der Bildung des Kommunikationssystems (beispielsweise fiber das Thema Geschlechterhierarchie) werden Rekursionen erzeugt und alte sprachliche Formen neuen sozialen Kontexten zugeordnet. Der entstehende Sinn entwickelt eine Eigendynamik in seinen m6glichen Anschlfissen, die lediglich dadurch begrenzt werden, das es ,,zu einer sprachabhSangigen Ordnung der Wahrnehmungsleistung des Einzelbewusstseins" (Luhmann 1997: 218) kommt, das ,verstanden' werden will. Die Konnotationen von Weiblichkeit und M/innlichkeit sind damit an bestehende sprachliche Formen und iterative Ver/inderungsm6glichkeit gebunden. Sie gelten innerhalb eines elit/ir bestimmten Rahmens als legitim, natfirlich, angemessen oder normal, und der Verstof3 gegen sie ist mit dem tradi-
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tionsbewussten Hinweis sanktionierbar: ,wenn das Jede(r) tun wfirde ...' (... versinkt die Welt im Schmutz und Chaos der lebensfrohen und unkontrollierbaren Menschen!). Immer wieder neu k6nnen diese Simationen in verschiedenen Kontexten neue Bedeutungen e r h a l t e n - fiber die dann geredet wird. 23 Durch die rekursiven Verweisungen des Kommunikationssystems entsteht ein imagin~er oder virtueller Raum von Bedeutungen. In der Reflexion werden die verwendeten Differenzen zur Bezeichnung von Subjekten und Objekten deutlich, die erst eine Rekursion auf bestehende Begriffe bewusst erm6glichen. Luhmann kennzeichnet die Tendenz der Sprache, eine Wirkung zur ,self-fullfilling-prophecy' zu haben, als konstitutives Moment der Gesellschaft ,schlechthin' (Luhmann 1997: 219). Die ,,sprach-abhS.ngige Ordnung der Wahrnehmungsleistungen des Einzelbewusstseins" (Luhmann 1997: 218)ist dabei eine sekundgre Wirkung, die aber das Problem charakterisiert, aus bestehenden Geschlechterverh/ilmissen individuelle Ausbruchsversuche zu u n t e r n e h m e n gegen die realit/itsbildende Wirkung sprachlicher Artefakte, gegen Anweisungsfonnen und-wege, gegen Geschlechterhierarchien in der Bewertung, und gegen die Kontrolle der Einhaltung von geschlechterkongruenten Pr/isentationsformen des Individuums. Eine radikale Struktur der Sprache ist der biniire Code, der far jede sprachliche Ausdrucksform eine positive und negative Fassung sowie die M6glichkeit der Sinnverweisung ,iiber-Kreuz' bereith/ilt (Luhmann 1997: 221). Ein gerne vorgenommenes alltagspragmatisches Crossing der S innverweisung (das Miinnliche in der Frau zu entdecken) ist im Geschlechterverh/ilmis problematisch, weil damit die Geschlechterhierarchie implizit mitgeffihrt und reproduziert wird. Es wird beispielsweise nicht-Mann ,normalerweise', in mfinnlich konnotierten Kontexten als ,,= Frau" wahrgenommen. Die verwendeten Negationen k6nnen sich dabei auf friihere Erfahrungen beziehen, die nur noch in der codierten Form verwendet werden (Luhmann 1997: 228). Die Verwendung von sprachlichen Codes hat zur Folge, dass implizite Unterscheidungen, die in jeder Negation angegeben werden, nicht mehr often kommuniziert werden mfissen/k6nnen. Die Situation wird durch den codierten Informationswert und die Widerspruchsm6glichkeiten zun/ichst markiert und dadurch in eine Richtung dirigiert. Die Konnotationen des bin~iren Verh/ilmisses von weiblich/m/innlich k6nnen in der Beziehung des Weiblichen zum M/innlichen bestimmt werden. In m~innlich strukturierten Wahrnehmungssituationen erscheint die Kommunikati23 Etwas,~mliches schl/igt Wetterer (1995) mit der Taktik der Geschlechterverwimmgvor, die sich der unterschiedlichen und ,falschen', also simativ unangemessenen, Reprasentationsformen yon Geschlechtbedient. Diese dekonstruierende Methode hat den gleichen evolvierenden Effekt zur Sprachentwicklungwie die Beobachtung und Kommunikationder verwendeten vergeschlechtlichendenDifferenzierungsformen. 207
on fiber Frauen dann anschlussfiihig, wenn sie beispielsweise in den Relationen
submissiv/permissiv und komplementiir/adaptiv operiert und damit die zugrunde liegende Unterscheidung, dass Manner den Frauen letztendlich iiberlegen bleiben mfissen (vgl. Baecker 2003: 131), rekursiv stabilisiert werden kann. Das Beispiel der hierarchisierten Kommunikation fiber Frauen in Organisationen soll verdeutlichen, auf welche Weise homogenisierende Kontexte codiert werden, wenn trotz sozialer Unsicherheit die Formen des Geschlechterverh/ilmisses reproduziert werden sollen. Erst die Ermittlung der mitgeffihrten Unterscheidungen erm6glicht ein dekonstruierendes Arbeiten mit diesen Formen. Die Unterscheidung submissiv/permissiv bezieht sich auf die Griinde der Abgrenzung von Frau/Mann bzw. zur miinnlichen Umwelt (oder die ,,distinction proper", Luhmann 2006: 44). Dabei wird die Gruppe der Frauen als gesellschaftlich untergeordnete bzw. zuarbeitende Personen beobachtet und konstituiert (vgl. Hartmann 1977; Beer 1990; Ostner 1992; Bendl 2005), deren legitimen gesellschaftliche Ansprfiche auf emanzipierte Teilhabe an der Ressourcennutzung und -verteilung aufgrund dieser Positionierung nicht zul/issig ist oder nicht zul/issig sein muss. Die andere Seite der Unterscheidung wird als das gesellschaftlich Durchl/issige oder Permissive konstituiert. Es ist die gmnds/itzliche M6glichkeit zur gesellschaftlichen Durchl/issigkeit und der Uberwindung von Geschlechterhierarchien, die historisch immer wieder als m6glicher Einzelfallin der Semantik der Ausnahmefrau oder Token (Moss Kanter 1977) - inszeniert werden muss, damit diese submissiven SchlieBungsprozesse funktionieren k6nnen. Mit dieser Codierung submissiv/permissiv wird die M6glichkeit zur Durchl/issigkeit dieser Grenze often gehalten und gleichzeitig strukturell geschlossen. Der Entstehungszusammenhang der Codierung ist auszublenden, obwohl der Code aufgerufen werden kann. Die Unterscheidung komplement/ir/adaptiv kann als die Bezeichnung, die Qualit/it der Unterscheidung wahrgenommen werden, die das Anpassungsverh/iltnis darstellt das von der homogenisierten Gruppe der Frauen erwartet wird. Dies bedeutet, dass sie sich entweder als komplementare ErgS~zung zum mannlichen Prinzip definieren, oder die ,normalen' Standards des Arbeitens als die eigenen annehmen. 24 In homogenisierenden und homogenisierten Strukturen in sozialen Systemen wird im Falle der unsicheren offenen Kommunikationssituation auf mediale Kopplungen zurfickgegriffen, die die Herkunft oder den Kontext der mitgeffihrten Codes (als Pr/idisponierung und Privilegierung einer Seite der Unterscheidung) verschleiern.
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Frauenarbeit wird in Relation zur M/innerarbeit konstruiert; dazu Krell (1984).
Eine Komplexit~itserh6hung wird dann m6glich, wenn der Kontext einer Unterscheidung verdeutlicht werden kann, wenn ermittelt wird, in welchen Bedingungen der Beobachtung diese Unterscheidung- z. B. Frau vs. M a n n gfiltig war. Diese Kontexteinffihrung wird als re-entry (Baecker 2006a: 125) bezeichnet. Die theoretische Rekonstruktion des re-entry wird im Folgenden vorgenommen. Das Ergebnis dieser 13berlegungen zum re-entry ist, dass Unterscheidungen immer einen Beobachter, der in einem historischen, sozialen Kontext kognitiv und emotional verortet ist, voraussetzen und mitf~hren. Die M6glichkeit, diese Kontexth~ingigkeit sichtbar zu machen, besteht in der Einnahme einer reflexiven Position, die auf Eindeutigkeit, Rationalit~its- und Objektivit~itsannahmen in Beobachtungsprozessen verzichtet. Dabei werden die Verschr~inkungen sozialer Kategorien in dem beobachteten und dem beobachtenden Subjekt sichtbar. Diese Verschr~inkungen fiihren zur Komplexit~itserh6hungen in Organisationen, wie z.B. zu beobachten und zu managen ist, dass Gender mit den Merkmalen Class oder Age verbunden wird. Wie in der Gender- und Diversityforschung mit kontextuell und intersektional codierten Merkmalen der Unterscheidung agiert wird, ist eine theoretische Herausfordemng (McCall 2005). Solange jedoch diese Abh~ingigkeit von Beobachter und Kontext latent, unbeobachtbar und damit unausgesprochen bleiben, k6nnen sie nicht Teil des kommunikativen Systems ,Geschlechterverh~iltnis' werden und damit bin~ire Codes relativieren. (Geschlechter-)Binarit~it zur Komplexit~itsreduktion ist Alltag in der Untemehmenspraxis bzw. in der Beobachtung der Untemehmenspraxis (Bendl 2006). Dagegen wiirde eine Neigung zur Kommunikation von Ambivalenzen die F~ihigkeit von sozialen und psychischen Systemen f'6rdem, Komplexit~it auszqahalten und zu bearbeiten. 25
3. Genderparadox entwirrt? Ein Versuch
Diese gezeigte hohe Flexibilit~it des Kommunikationssystems Geschlecht entsteht aufgrund der M6glichkeit zur Ambivalenz von einerseits Dehnbarkeit und andererseits Eindeutigkeit codierter Kommunikation. Lorber (1994) sieht die Stabilit~it der Konstruktion von bin~ir codierten Genderdiskursen in der unhinterfragten Verwendung selbstbeziiglicher Praktiken, so dass nur eine massive Irritation die permanente Selbstreferentialit~it erkennen l~isst. Oder wie Simon (1993: 52) es nennt: ,,Jede menschliche Erkennmis fiber menschliche Erkenntnis
25 Dabeisind supervisorischeProzesse hilfreich, die darauf vorbereiten, auf ,,Normalit~itsvorstellungen" zu verzichten und sich der Unsicherheit verschiedenster Deutungen aussetzen; vgl. Bruchhagen/Koall (2002). 209
ist selbstreferent ... Durch Selbstbez/iglichkeit k6nnen Paradoxien entstehen, welche die Grenzen der zweiwertigen Logik, unser Alltagsdenken pr/igenden Logik vor Augen ftihren". Judith Lorber (1994) pointiert den GenderparadoxieBegriff als: ,,Talking about gender for most people is the equivalent of fish talking about water" (Lorber 1994: 13). Es ist diese Selbstverst/indlichkeit einer bin/iren, codierten Geschlechterdifferenz, die in heterogenen sozialen Settings zu dieser Komplexit/itsreduktion greifen 1/isst. Aber wie kann das Selbstverst/indliche erfahrbar gemacht werden?
3.1 Wie das re-entry eine Geschlechterparadoxie entwirren soll... Paradoxien lassen sich kaum vermeiden, aber logisch verstehen. So verweist Simon (1993: 52) zun/ichst auf die von Whitehead/Russel empfohlene L6sung von Paradoxien, indem Klasse und Menge unterschieden werden sollten (fiir das Geschlechterverh/ilmis ware dann die Aussage relevant: Mensch = Mann + Frau). Simon schrankt diese M6glichkeit insofem ein, als ,,man durch sie leicht zu der Annahme verftihrt wird, dass die vom Beobachter konstruierte logische Hierarchie ein Merkmal der beobachteten Welt abbildet" (Simon 1993: 53), sie zu einem ,,man = mankind" ffihrt. Es geht dann darum, sich von der Hierarchie von wahr und falsch als Unterscheidung zu verabschieden, denn ,,eine groBe Anzahl von Gleichungen bleibe unentscheidbar, wenn man sein Denken an den gewohnten Grenzen des ,Nicht-imagingren' blockierte" (Simon 1993: 54). Simon (1993: 55f.) beschreibt auf der Basis der Annahmen von SpencerBrown, wie es m6glich ist, dieses aus der Mathematik gewonnene Kalldil (als eine Sammlung von Symbolen und Rechenanweisungen/Injunktionen) auf die Logik, Philosophie, Soziologie, Psychologie, Biologie, Kybemetik zu tibertragen. Dazu ist es erforderlich zu erkennen, wie unsere eigene Wahrnehmung strukturiert ist. Diese ,,archetypischen Strukturen" k6nnen verstanden werden, indem wir uns mit anderen darfiber austauschen und ,,Fakten" bilden und diese Bedingungen der Wahrnehmung often legen. Dadurch entsteht eine gemeinsame Grenze zwischen Innen- und Aul3enweltwahrnehmung. Die Annahme der Interdependenz von innerer-/iuBerer- innerer- ~iuBerer ... Wahrnehmung ffihrt zur Beobachtbarkeit von Wahrnehmung: durch Unterscheidungen, Grenzziehungen als System- und Umwelmnterscheidungen, Formen individueller Wirklichkeitskonstruktionen (Ich-Grenzen, Selbst-Objekt-Abgrenzung, Koh/irenzannahmen, Aufteilung eines Bedeutungsraums und seiner Bezeichnung und Bewertung) und den Regeln kognitiver oder affektiver Prozesse des Schliegens, Folgems und Handelns.
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Spencer-Brown verfolgt die Annahme, dass Erfahrung und Erkenntnis an die Befolgung von bestimmten Regeln (Injunktionen) gebunden sind. Er setzt einen Beobachter voraus, mit dem er fiber (s)ein Kalkiil (Symbole und Regeln der Wirklichkeitskonstruktion, s.o.) kommunizieren kann. Der Raum wird dazu in Innen / Augen geteilt. ,,Er zieht eine Grenze, die einen Raum so teilt, dass ein Punkt von der einen Seite der Grenze nicht auf die andere gelangen kann, ohne diese Grenze zu kreuzen ... Es kann keine Unterscheidung ohne ein M o t i v geben, das heigt, ohne dass verschiedene Werte in den unterschiedenen Inhalten gesehen werden. Es ist eine Bewertung des Beobachters, die bestimmt, wo eine Unterscheidung vorgenommen wird und welche Inhalte bezeichnet werden... Zur Bezeichnung dieser unterschiedlichen Werte kann ein N a m e gew~ihlt werden" (Simon 1993: 59). Es sind also die Motive, die eine Unterscheidung im binSxen Geschlechterverh~ilmis als Frau/Mann erm6glichen und die inh~irenten Bewermngen, die eine Diskriminierung vornehmen und sie dann mit einem (vermeintlich neutralen?) Namen bezeichnen. Auf der Ebene von Organisationen haben wires selten mit explizierten sozialen Bewertungen (M/inner sind bessere ArbeimehmerInnen, ManagerInnen, ProfessorInnen als Frauen) zu tun. Es wird auf der Basis von bin~iren Geschlechterdifferenzen fiber Rationalit~iten, Funktionalit~iten und Effizienzen kommuniziert (Hanappi-Egger 2005). Es sind die 6konomischen Funktionen von wirtschaftlich agierenden Organisationen (zunehmend auch Universit/iten), die als Normen 6ffentlich gfiltig werden und zur Definition von Unterscheidungen und abgegrenzten R/lumen herangezogen werden. Eine Unterscheidung markiert damit R~iume, Zust/inde oder Inhalte, die durch die inh/irenten Bewertungen abgegrenzt und nicht beliebig zu kreuzen sind. Jedes M e r k m a l der Unterscheidung verweist auf den Sinn der Unterscheidung und muss in einem engen Zusammenhang zur Konstruktion von Sinn als Medium der Kommunikation stehen. Die F o r m der Unterscheidung besteht aus dem Inhalt und dem inneren und/iul3eren Raum der Unterscheidung. Damit wird m6glich, dass ,,Form und Inhalt untrennbar zusammen geh6ren. Die Form umfasst immer den Inhalt. S ie umfasst aber auch die beiden Seiten- innen und augen- einer Unterscheidung" (Simon 1993:61). Die Unterscheidung geschieht auf vier verschiedenen Ebenen (Baecker 2006a: 123). Ffir das hier gew~ihlte Beispiel des Geschlechterverh~ilmisses kann erstens das Unterschiedene (Mann) zweitens von dem Kontext (nicht-Mann) getrennt werden, dann wird drittens die Markiemng oder Grenze beschrieben (hier M a n n - da nicht-Mann) und viertens eine Unendlichkeit, in die diese Unterscheidung eingefiihrt wird, angenommen. Die allt/iglich bin/ir codierte Mann/Frau Unterscheidung ist also nicht gleichzusetzen mit der Form Mann, die den Inhalt Mann/nicht-Mann meint und ist diese Form
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der Unterscheidung ist erst recht nicht gleichzusetzen mit dem Inhalt Mann/nicht-Frau. Fiir eine alltagspraktische Managementebene bedeutet dies, dass es also vermutlich nicht ohne weitere Konsequenzen m6glich ist, die bin~ire Unterscheidung Frau/Mann durch ein re-entry zu kreuzen. Denn dabei werden die verschiedenen Ebenen einer Unterscheidung verwechselt. Wie gezeigt wird, werden die im Motiv und Merkmal der Unterscheidung mitgefiihrten Bewertungen yon ,,M~innlichkeit" und ,,Weiblichkeit" mit so verschiedenen aber keinesfalls kontr~iren oder komplement~iren Inhalten und Sinnunterlegungen verknfipft. Wird die Form der Unterscheidung Frau/nicht-Frau in Bezug zum Kontext , Organisation' gesetzt (Frau 7 nicht-Frau 70rganisation) wird zun/~chst an den Inhalt ,~rau" geknfipft und in einem zweiten Schritt durch die Wiedereinffihrung des Kontextes (re-entry), in dem die Beobachtung stattfindet (geschlechterhierarchisierte Organisation) auf die damit verbundenen Bewertungen zum Aufbau yon geschlechterasymmetrischen Differenzierung verwiesen. Die latenten Motive und Bewertungen der getroffenen Unterscheidungen mfissten dann auch wiedereingefiihrt werden, aber das erscheint in der Praxis als zu komplexit/itserh6hend und muss vermieden werden. Ein beobachtetes Objekt (oder Subjekt?) ist demnach nicht lediglich durch eine zugeschriebenen Eigenschaften bestimmt, sondern durch die Form: als Inhalt und den Bedingungen zur Konstruktion des Kontextes. Wird das Merkmal einer Unterscheidung in eine andere Situation kopiert, muss es einen Namen als Zeichen des Merkmals erhalten. Damit wird also unterschieden zwischen dem Bezeichneten und dem Bezeichnenden, oder wie Simon (1993: 62) es beschreibt: ,,der Raum der Landschaft ist unterschieden von dem Raum der Landkarte". Mehrere Zeichen oder Namen von Merkmalen werden in sinnvolle Arrangements gebracht, die als Ausdruck bezeichnet werden. Der Ausdruck kann sich in unterschiedlichen Zust~inden befmden und so einen Wert erhalten. Es kann also ein unmarkierter Zustand und ein markierter, mit Werten belegter Zustand unterschieden werden. ,,Jedes Zeichen soll als eine Anweisung, die Grenze der ersten Unterscheidung zu kreuzen, verstanden werden. [...] Jedes Zeichen kann als eine Injunktion genommen werden und entsprechend der Intention dieser Anweisung Kreuz (cross), [oder geschrieben als 7 ] benannt werden. [...] Die einzige erlaubte Art von Beziehung zwischen Kreuzen ist die vollkommene Abgegrenztheit" (Simon 1993: 62). Dabei werden zwei Axiome (Nennen/Kreuzen) formuliert, die tfr das re-entry, hier also als Anwendung der Differenz auf das vorher Differenzierte, wichtig werden.
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Axiom: Law of Calling: dass ,,der Wert der durch die erneute Nennung eines Namens bezeichnet wird, derselbe Wert ist, wie er durch eine Nennung bezeichnet wird" (Simon 1993: 63). Axiom: Law of Crossing: ,,Der Wert eines erneuten Kreuzens ist nicht der Wert des erstens Kreuzens" (Simon 1993: 63). Das bedeutet der ,,ftir unser Alltagsdenken so wichtige Unterschied zwischen Handeln und Bezeichnen, zwischen Tun und Beschreiben verschwindet ... Das Bezeichnen und die Operation des Kreuzens der Grenze werden miteinander identifiziert" (Simon 1993: 63). Die Kreuzung nimmt dem Namen, dem markierten Inhalt, Zustand, Raum, Wert das vermeintlich statische, ungerichtete und macht deutlich, dass es sich dabei um einen gerichteten Prozess handelt. Diese Gerichtetheit ist abh~ingig von der Differenz, die wir verwenden. ,,Spencer Brown demonstriert eine grol3e Zahl von M6glichkeiten, die eine oder andere Seite einer Unterscheidung zu bezeichnen. Sein Kalkfil zeigt, nach welchen Gesetzen Formen aus Unterscheidungen entstehen bzw. gebildet werden k6nnen" (Simon 1993: 67).
3.2 Versuch des re-entry von Frau 7 Mann
Also erst die Nennung des Bezeichneten durch das Bezeichnende ,,Frau" bildet in dem Oszillieren der Grenze zwischen Frau und nicht-Frau ,,die Frau". Dabei beschreibt die Innenseite das Gemeinte oder den Inhalt und die Auflenseite markiert all das, was zum Kontext geh6rt und die Merkmale (der Innenseite) verdeutlicht. Also gilt: Frau 7 nicht-Frau, als all das, was Frau als Umwelt markiert, aber auch das, was nicht wahr ist. Mann 7 nicht-Mann, als all das, was Mann als Umwelt markiert, aber auch das, was nicht wahr ist.
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Da wir es mit Organisationen zu tun haben, muss der Bereich, wo diese Unterscheidung gilt auch noch zus/itzlich bezeichnet werden, weil es sonst in dem nicht-Frau Raum um die Unendlichkeit des M6glichen 26gehen wiirde, also: Frau 7 nicht-Frau 70rganisation aber keinesfalls gilt: Frau 7 nicht-Frau also Mann Mann 7 nicht-Mann also Frau oder Frau 7 nicht-Frau also Mann 7 nicht-Mann also Frau 7 nicht-Frau also Mann Diese redundante Konstruktion verweist genau auf die komplement/ire Binaritiit im allt/iglichen Geschlechterverh/ilmis. Sie verweist auf eine Ausschliel31ichkeit, die gelegentlich realit/itsm/ichtig ist. Die Konstruktion der Binarit/it erscheint als Unterscheidung zwischen Mann und Frau - und meint damit die Unterscheidung zwischen Relevantem und der als nicht relevant gekennzeichneten Umwelt des dominanten Mannes. Empirisch erfahrbar ist dies, wenn Frauen in professionellen Situationen von M/innem als nicht-Mann, also als nicht-anwesend oder als professionell irrelevant wahrgenommen werden und diese Situationen des ,,l)bergangen-Werdens" karrierebehindernd ist. Die Wiedereinfiihrung der verwendeten Differenz, oder das re-entry, wie es Simon es ausftihrt (1993: 71f.), bezieht sich dann auf die Wiedereinfiihrung des Kontextes in dem nicht-Mann gilt, aber nicht automatisch auf die Wiedereinfiihrung von Frau mit all ihren /ihnlichen und verschiedenen Anteilen und Motiven. Damit kann das Fazit gezogen werden, dass es trotz des Wunsches nach komplexit/itsreduzierender Binarit/it im Geschlechterverh/ilmis kaum m6glich ist anzunehmen, das eine Unterscheidung gilt: Mann 7 Frau. Denn dazu miisste ,,Mann" ja als Raummarkierer und ,,Frau" als die vom Beobachter getrennte Umwelt des ,,Mannes" gelten, was absurd w/ire! In diesem Falle w/ire ein Crossing der ,,Weiblichkeit" in die ,,M/innlichkeit" nur fiir die Werte, Motive, Inhalte, Eigenschaften m6glich, die in keiner Weise in der Auf3enseite auftauchen, aber zur Bew/iltigung der Paradoxie einem ,,crossing" zu26 HelmutSchauer (Universit~t Ztirich) gab mir dankenswerter Weise diesen und einige andere Hinweise ftir die Nutzung dieses Formenkalldils zur Bezeichnung des Geschlechterverh/iltnisses. 214
gefiihrt werden k6nnen. Also als existiere diese diametrale geschlechtstypisierende Opposition in den F/ihigkeiten, Ressourcen und Visionen, die ein bin/ir codiertes Geschlechterverh/ilmis nahe legen will. Und der Gewinn dieser Operation 1/ige in der komplement/iren Best/itigung der Geschlechter-Differenz zur gegenseitigen Reifikation. Denn in der binSxen Wiedereinffihrung gelingt der Prozess des Erinnems, als der Prozess mit ,,memory function": ,,der Beobachter muss sich erinnern, was er ursprfinglich tat, um die Welt so zu machen, wie sie wurde" (Simon 1997: 77). Dabei bezieht sich die gesellschaftlich gezogene Markierung des Raumes aufkulturelle Prozesse der komplement/iren Bewertung von Weiblichkeit und M/innlichkeit und der Beobachter hofft darauf, dass eine eventuell m6gliche Erkennmis dazu ffihrt, dass sein Weltbild ver/indert wird, ,,wodurch die Welt als Ganzes (Form) nicht mehr die ist, die er bezeichnet hat ... wir oszillieren zwischen Wissen und Nicht-Wissen" (Simon 1997: 78) Der Versuch ein re-entry in einer bin/iren, krassen Abgrenzung von Mann 7 Frau, in der das Augen mit ,,Frau" und das Innen mit ,,Mann" markiert wird, kann verdeutlichen, dass in der Binarit/it nichts von Frau in Mann m6glich ist. Ein re-entry bedeutet: dass ich z.B. die Differenz Mann/Frau mit Mann kreuze und sich (entsprechend des Law of Crossing, s.o.) die Form der Unterscheidung von Frau/nicht-Frau ergibt: Mann 7 Frau 7 Mann 7 = Frau 7 (nicht-Frau). In der sozialen Kommunikation der Organisation ist beobachtbar, dass versucht wird, die Binarit/it im Geschlechterverh/ilmis wirksam werden zu lassen, unabh/ingig von den logischen Schwierigkeiten, die sich aus dieser Bestimmung ergeben. Erst unter der Annahme, dass es zu keinem Erfordemis der Bezeichnung oder bin/ire Unterscheidung zwischen ,gegenderten' Menschen kommt, besttinde auch nicht die Gefahr das eine Bezeichnete Frau durch Frau/Mann Bezeichnung markiert und unterschieden wird. Personen sollten also sp/itestens dann aufhorchen, wenn sie kontext-falsch (z.B. geht es im Management nicht um sexuelle Attraktivit/it sondern um Karrieren und Rivalit/it) mit der Bewertungen von Mfinnlichkeit/Weiblichkeit belegt werden. Ein re-entry der emeuten beobachterabh/ingigen Kontextualisierung einer Unterscheidung und Bezeichnung (Mann/Frau) 1/idt also nicht zur Aufl6sung der Differenz, sondern zur Relativierung des Erkennmiswertes einer Differenz ein, also zum einen, dass alles Unterscheiden beobachterabh/ingig ist und sich auf die Werte der verwendeten Differenzierungen und Markiemngen bezieht und zum anderen, dass
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eine Form immer nur eine Beschreibung v o n d e r Wirklichkeit ist, die sich ihrer zeitlich nachtr/iglichen Beschreibung auch immer wieder entzieht, weil sie sich ver/indert (Simon 1993: 77f.). Um zu erkennen, dass in der allt/iglichen sozialen Kommunikation bin/ire Normierungen und ihre kulturellen Normalisierungsprozesse aufgewendet werden, um Paradoxien und Ambivalenz zu vermeiden, braucht es Zeit. Aber diese Zeit wird in organisationalen Bez4Jgen kaum zur Verftigung gestellt: time is money. Und diese Moral ist das benutzte M o t i v - die manifeste Funktion die Kapitalverwertung- um eine komplexit/itsreduzierende Form stabil zu halten. Und die latente Funktion ist eine begrenzte Bereitschaft, sich derartigen kostenintensiven, komplexit/itserh6henden Anstrengungen einer mehrdimensionalen Geschlechterdifferenz auszusetzen. Sie wird (noch) v o n d e r Legitimit/it zur (kostenlosen) Diskriminierung bestimmt. Sobald wir auf eine binSx konstruierte Geschlechterdifferenz als biologisches und psychisches Referenzsystem zur Bestimmung von subjektiver Diversity verzichten, k6nnen wir, wie Dirk Baecker (2006b) vorschl/igt, nach dem Raum schauen, der durch die beiden Seiten von Geschlecht als Referenz in der Gesellschaft repr/isentiert wird und ,,eigentlich" nicht mehr zur Verftigung steht. Es ist nach dem Grund ~ r die Konstitution einer Geschlechterdifferenz zu fragen, die in den Niederungen des konkreten Alltages mit Sinn belegt und variierend reproduziert wird. In Theoriediskursen verdeckt diese Geschlechterdifferenz, dass beobachtet werden kann, was Gesellschaft konstimiert. Statt ,,die Frage der Vieldeutigkeit der sich in der Differenz von M/innem und Frauen verfangenen Wirklichkeit" zu stellen, wird mit einem b i n ~ codierten Geschlechterverh/iltnis davon abgelenkt, sich mit Existenziellem auseinanderzusetzen, das ,,tats/ichlich jedoch das Schicksal des Individuums in der Gesellschaft meint, insofern es jetzt lebt, im Blick des anderen jedoch von seinem Tod erf/ihrt" (Baecker 2006b: 11). Die Geschlechterdifferenz wird zu einem Beispiel und einer M6glichkeit der Individualisierung, die ihre Abh/ingigkeit vonder gef/ihrlichen Kontingenz und unsicheren Reproduzierbarkeit einer Gesellschaft nicht mehr wahrhaben will und der die kultivierteren Formen zur Beobachmng der Verfinderung nicht (mehr) zur Verffigung stehen (Baecker 2006b: 15). Die alleinige Sexualisierung der Geschlechterdifferenz verhindert eine Entwicklung des Wissens um Kultiviertheit in Prozessen der Individualisierung. Gegens/itze- nicht nur die Geschlechterdifferenz- sind in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen erfahrbar (Organisationen, Erziehungssystem, Politiksystem) und k6nnen durch den wissenden Umgang mit den Schwierigkeiten der Differenz einer gesellschaftlichen Entwicklung zugeftihrt werden. Dabei wird erfahrbar, dass ein allgemeiner
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Standard im Wissen um erfiilltes oder ,,geistreiches" Leben (nach Hegel) nicht mehr existiert, sondem erst die Auseinandersetzung von Individuen in ihren sozialen Kontexten kultivierte Individualit/it erm6glicht. Im Privatbereich wird die Geschlechterdifferenz zu einem Referenzsystem, das eine Beobachtung zweiter Ordnung zwar erfahrbar macht, aber in ihrer Kommunikation die Grundlage der Beziehung diskreditieren k6nnte. ,,Mann/Frau" lernt zu kommunizieren, dass ,,man sieht, dass man nicht sieht, was man sieht" (Baecker 2006b: 12). Dieser allt~igliche Rekurs auf die Geschlechterdifferenz l~isst erkennen, dass ,,die Symmetrien der sozialen Dynamik der Beobachtung zweiter Ordnung nur scheinbar in die Asymmetrie von Mann und Frau, in Wirklichkeit jedoch in die Asymmetrie von Kommunikation und Leben kippen. Die Penaten (vgl. oben, Fn. 55) sind hier die Kippfigur, die auch die Differenz von Kommunikation und Leben zu resymmetrisieren verstehen, also nicht in den Status irgendeiner natiirlichen oder kulturellen Notwendigkeit abrutschen lassen, die jedoch gleichzeitig diese Resymmetrisierung zur lebendigen und kommunikativen Beobachtung einer Differenz nutzen, die ist, was sie ist, blol3e Unendlichkeit und absolutes Wissen" (Baecker 2006b: 13). Folgen wir diesen (fast poetischen) Hinweisen, erm6glicht ein re-entry der Geschlechterbinarit/it die Erinnerung an die Begrenztheit der Beobachterabh/ingigkeit, die durch ein Ausgeliefertsein an den kontingent gehaltenen Kontext entsteht. Die Geschlechterbinarit~it dient damit auch der Vermeidung von Kontingenzerfahrung - und das ist eine Disziplin(ierung), die in organisationalen Kontexten anscheinend noch erforderlich ist.
3.3 Wirkungen des re-entry auf die biniire Codierung von Geschlecht Die Festlegung, dass ein re-entry eine symmetrische Mann/Frau-Codierung voraussetzt, die theoretisch nicht haltbar ist, ist u.a. mit der ,,wissenden Beobachtung" von Dirk Baecker aufgel6st worden. Es bleibt aber die Aufgabe, mit einer Codierung von Mann/Frau in unwissenden Beobachtungskontexten umzug e h e n - beispielsweise in einer m~innlich dominierten Kulmr der Organisationdiedann immer zur Bildung von Diskriminierung neigt, weil im Rahmen von Geschlechterhierarchien nicht bestimmt werden kann, was positiv mit ,,Frau" gemeint ist (Mfiller 1998). Oder auch, wie Baecker (2003: 131) es weiter zuspitzt, weil eine Reasymmetrisierung gerade in dem Moment wieder aktualisiert wird, in dem eine Geschlechtersymmetrie entstehen bzw. eine Geschlechterasymmetrie sich umkehren k6nnte. Luhmann (1988) behandelt das re-entry mit Blick auf den Gegenstand der Geschlechterdifferenz angemessen: h6chst ambivalent schl/igt er ein re-entry der
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bin/iren Codierung Mann/Frau vor und vemeint diese M6glichkeit ebenso. 27 Aber wie kann mit dieser ,,alltagspraktischen" Codierung im Geschlechterverh/ilmis, trotz der angemeldeten Zweifel, u m g e g a n g e n werden? Zun/ichst einmal mtisste die bin~ire Unterscheidung Frau/Mann mit der gleichwertigen (aber nicht gleichen) Unterscheidung Mann/Frau operieren k6nnen, also auch eine Gleich-Gtiltigkeit in dem Wiedereintritt der anderen Differenz vorausgesetzt werden k6nnen. Das w/irde bedeuten, dass wie geschildert Mann nicht zur Umwelt von Frau erkl/irt wird, und vice versa. Nicht-Mann ist dann nicht automatisch = Frau. Ftir Organisationen w/irde dies den D u r c h b m c h zum de-gendering bedeuten, Erwartungen k6nnen vergeschlechtlicht wirksam sein, aber reflektiert ambivalent gehalten werden, ob an Frauen oder M ~ n e r gerichtet. Zweitens, tendieren Geschlechterkulturen in Organisationen ja zur Asymmetrie, und scheinbare Gleich-Gtiltigkeiten existieren nur in Bezug auf einen ausgezeichneten, dominant ermittelten Standard (Lenz 1992:113). Hier reproduziert sich also Hierarchie und nicht die erforderliche Ambivalenz. Hierarchie entlastet von der Ambivalenz die jedoch erforderlich ware, um zu beobachten, wie mit einem Crossing der Wert der Beobachtung verS~dert wird. W e r Ambivalenz zulassen will muss also in Organisationen auf den Anspruch der Gleichbehandlung verzichten. Daraus resultiert, dass mit der Wiedereinfiihrung der vemachl/issigten ,,weiblichen" Kontexes im M a n n - ware es denn m 6 g l i c h - eine bin~ire Geschlechterdifferenz lediglich reifiziert und nicht entparadoxiert wird
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,,Die vielleicht wichtigste Eigenschaft solcher Codes verdient einen besonderen Hinweis, gerade weil sie auf die Unterscheidung von Frauen und M/innem nicht (oder doch?) iibemommen werden kann. Die Codes schliegen vor allem Entscheidungen aus und ... ist das im Code ausgeschlossene Dritte, das in das durch den Code gebildete System zugleich eingeschlossen ist. Ohne Einschluss des ausgeschlossenenDritten (oder ohne Ausschluss durch Codierung des eingeschlossenen Dritten) kommt es nicht zur Systembildung" (Luhmann 1988/2003: 46f.). Diese Ambivalenz, ob die bin/ir codierte Geschlechterdifferenz einem crossing zug/inglich ist oder nicht, zieht sich m.E. durch den gesamten Text. Es ist - in meiner pers6nlichen Lesart der Versuch von Luhmann, sich der Paradoxie iterativ zu n/ihem. Ich verstehe es so: dass unter der Annahme, einen ,,Gleichheitsanspruch" aufzugeben Differentes mit Differentem verglichen werden kann ..... sie verlangt Gleichheit, ohne akzeptieren zu k6nnen, dass das Postulat seine eigene Grundlage, die Unterscheidung, verschluckt" (Luhmann 2003: 55). Und damit w~iren wir ja beim Derridaschen Differ//nzbegriffangelangt.
(s.o.). Denn es ist zu beobachten, wie das re-entry von ,,M/innlichkeit" in die Form ,,Frau" die negativ konnotierte und abzuwehrende ,,Frau" hervorbringt, die in unserer Kultur entweder als ,,phallische Frau" (Horny 1967) in ihrer aggressiven Rollenausfibung bedrohlich ist oder der ihre Zugeh6rigkeit zum ,,weiblichen" Geschlecht abgesprochen werden muss (Baecker 2003: 140; Lange 1998). Dann ist ein re-entry nach Luhmann m6glich, wenn nicht mehr auf Differenz & Gleichheit, sondem auf Paradoxie & Ambivalenz gesetzt wird. Das ist kompatibel mit der Derridaschen Denkbewegung der ,,differance" oder der Differ/inz 28, die auf die machtvoll aufgeladenen Prozesse der r/iumlichen und zeitlichen Verschiebung verweist. Das k6nnte bedeuten, sich einem Anteil an Paradoxie zu n/ihem, der Latenzen oder ,,supplement/ire" Logiken (s.u.) mit sich fiihrt und die eher zu dekonstruieren als durch Wiedereinftihrung der Differenz aufzuzeigen sind. Nehmen wir aber die Idee von Luhmann (2003: 59, insb. Fn. 44) in Bezug auf Eva Meier (1983) auf und versuchen im Rahmen einer Semiotik des Weiblichen ein crossing von Frau in Frau. Dem logischen Schritt einer Mann/Frau-Codiemng entspricht der anderen Codierung, die Differenz: Mann ungleich nicht-Mann bzw. Frau ungleich nichtFrau (Mtiller 1998). Wenn also in Dominanzkulturen nicht mehr bestimmt werden kann, was mit einer asymmetrisch wirkenden Codierung ,,Frau" in der Organisation positiv gemeint ist, k6nnen wir uns z.B. der negativen Seite einer Bestimmung n/ihern. Es geht dann nicht mehr um den Versuch der Vermeidung von Asymmetrisierungen, die im Hinblick auf Systemfunktionen erfunden, sozial plausibilisiert werden und als ,,natiirlich" oder normal behandelt werden. (Baraldi/Corsi/Esposito 1998: 21s Sondern es geht um die Denkfigur, wie innerhalb der asymmetrischen bin/iren Geschlechterdifferenz das Geschlechterverh/ilmis so zu dynamisieren ist, dass asymmetrische Verwertungschancen der Ressource ,,weibliches" Personal banal werden 29. Aufgedeckt werden dann die 28 Derrida(1988) bezieht sich in ,,Heideggers Hand" auf das durch die bin/ire Geschlechterdifferenz ausgeschlossene Dritte, was eine sexuierte, nicht-funktionalisierte, Leiblichkeit und Sinnlichkeit meint, die sich empirisch im_rnersituiert. Die Geschlechterdifferenz ist demnach k6rperlicher Ausdruck der Zenqssenheit des Daseins im Faktischen, vgl. Koall (2001: 29f.). 29 Baecker(2003: 137) schl/igt hier die Denkfigur der ,,Aufhebung der Neutralisierung" vor: ,,Die Hemmung, auf bestimmte Identit/iten, in unserem Fall die geschlechtliche, zuzurechnen, wird gehemmt und damit die Identit/it selbst zum Adressat von Kontrollattributionen",die darin be219
,,malignen", schwierigen Anteile der Geschlechterkommunikation, zwischen Konkurrenz und Diskriminierung, die durch eine solidarisierende Gleichheitssemantik vermieden werden sollten. Hier zeigt sich also, dass durch die Denkfigur der Paradoxie in Organisationen Programme entstehen, die etwas ,,bejahen "s~ mfissen, um eine bin~ir codierte Komplexit/it reduzieren zu k6nnen. Dann ist die Geschlechter-Binarit/it an eine Grenze gelangt und die begrifflichen Verschiebungen stellen sich wie in Abb. 2 in etwa so dar:
Frauen~rauen M/inner/M/inner Frauen/M/inner
Gleichheit Geschlechtsidentit/it G-Stereotype G-Spezifik Geschlechtsbinarit/it G-Neutrali/it G-Indifferenz
Differenz Geschlechtsdiversitfit G-Entsolidarisierung G-Differ//nz G-Diskriminierung G-Konkurrenz
Abb. 2: Begriffe von Gleichheit und Differenz im Geschlechterverh/iltnis 31 Das re-entry der Geschlechterdifferenz k6nnte sich also auf die Benennung all des Mitgemeinten, aber nicht Bezeichneten beziehen, das zur Stabilisierung des Aussagewertes der paradoxen Bezeichnung genannt werden muss. Eine Geschlechterparadoxie funktioniert ja nur deshalb so gut, weil sie eine Entlastung der Selbstreferentialit/it ffir dominante Diskurse erm6glicht und eine Irritation durch widerspriichliche Anteile vermeiden kann. Diejenigen, die am anderen Ende des von Codierung entlasteten, paradoxen Diskurses kommunizieren und agieren mfissen, kann diese irritierenden Nennungen des Ungesagten als befreiend erleben.
steht, die Gesehlechterdifferenzals Entlastung zu nutzen, um damit wieder in die Falle der paradoxisierenden Selbstreferentialitifitzu stolpern, bzw. Frauen stolpem in die Falle des zugewiesenen Kinderwunsches, Mfinner nutzen diese ,,ambiguity failure" mikropolitisch zur Abwehr von ,,Frauen"-Konkurrenz. 30 ,,EineGesellschal% die sich durch codierte Funktionssysteme ffthren lfisst, erzeugt wie keine zuvor einen Bedarf ~r Entscheidungen, die sie nicht legitimieren, jedenfalls nicht auf die Werte ihrer Codes zuriick~hren kann. Deshalb muss fiber ,,Geltungsansprfiche" unabsehbar verhandelt werden, deshalb wird eine Supersemantik der ,,unverletzlichen" Werte geschaffen, die die Paradoxie aufnehmen, invisibilisieren und bejahungsf~ihig zuriickstrahlen kann (Luhmann 2003: 47). 31 Nehmen wir einmal an, dass diese grafische Beschreibung einer Voraussetzung ftir ein Crossing wfire, wie Luhmann (2003: 59) meint: ,,Daffir mfisste sie (die Frauenbewegung, Anm.) selbst sich zun~ichst vonder Mann/Frau Unterscheidung distanzieren k6nnen, und zwar mit Hilfe der Unterscheidung von interner und extemer Beobachtung der Frauenbewegung". 220
Ein Verstfindnis der paradoxen Geschlechterkonstmktion in Organisationen liefert die Denkfigur des Derridaschen Supplements. 32 Ein Supplement ist eine Voraussetzung, die im Latenzbereich eines Diskurses bleibt. Die vordergrfindige Aussage ben6tigt zu ihrer Wirklichkeit eine ergSanzende, aber verdeckt gehaltene Voraussetzung, die der Normativit/it oder Logik der vordergriindigen Bedingung diametrial entgegensteht (Derrida 1974: 250; Koall 2001: 28). Die Asymmetrie in der bin/iren Codierung Mann/Frau hat nur so lange in der Organisation der Untemehmung Bestand, wie die mitgefiihrte supplementiire Logik der unbezahlten Reproduktionsarbeit (organisational oder familial) von Frauen vorausgesetzt werden karm. Sobald s i c h - jenseits btirgerlicher Lebensvorstellungendiese supplementgre Logik in der bin/iren Codierung des Verh/ilmisses von ,,Mann/Frau" ver/indert, entstehen Spielr/iume fiir ein re-entry: Die Zulieferung der Reproduktionsarbeit ftir ,,Karrieren" wird zunehmend fiber den Dienstleistungssektor (jetzt nicht mehr ganz kostenfrei) geliefert. Dieses re-entry geschieht also fiber die Codierung (Dienst aus) Liebe/Geld. Damit ver/indert s i c h - auch auf der Ebene von Codierungen- der Gegensatz Mann/Frau. In der Organisation der Unternehrnung wird nur noch das relevant, was als personale Verftigbarkeit im Rahmen betrieblicher Anforderungen entsteht, und trotzdem k6rmen wir mit den asymmetrisch wirkenden Dominanzkulturen argumentieren. Wenn, wie oben vorgeschlagen, Organisationen nur noch danach unterscheiden k6nnten, ob Personen Familienverpflichtungen haben oder nicht, k6nnen wir mit der Unterscheidung Person 7 berufst/itiger Vater oder berufst/itige Mutter agieren. Die Unterscheidung ist dann hier: Person(al) 7 Gender. Und die positive Bestimmung von Person(al) ist dann von der anderen Seite abgegrenzt, die all das enthiilt, was in der Bestimmung von Gender enthalten ist, aber im Rahmen der betrieblichen Rationalit/it nicht funktional einsetzbar ist. Das meint keinesfalls Entsexualisierung von Person(al), betrifft aber die Privatheit von Frauen und M/innem jenseits der funktionalen Anforderungen und Inklusionsm6glichkeiten: im Sinne einer beschrdnkten betrieblichen Verj~gbarkeit, die im Rahmen der kapitalrationalen Verwertung von Humanressourcen nicht positiv konnotiert werden kann. Verschw6rungstheoretisch anschlussf'~ihig ist, dass es ,,dem Kapital" immer schon egal war, wessen Geschlecht eine Person hat, die es ausbeutet. Wichtig ist nur, dass die Person zur Ausbeutung m6glichst uneingeschrgnkt zur Verfftigung steht.
32 Vgl. zu dieser poststmkturalistischen Erg/inzung auch: http://differenzen.univie.ac.at/ glossar.php?sp=l 1 221
4. Fazit & Ausblick
Jetzt wird eine andere Qualit~it der Geschlechterdifferenz deutlich, die sich in der Anbindung an Funktionalitgten auf die realen Briiche und dramatischen Fixierungen (ffir manche M~inner und Frauen, die konkret gegen diese machtvoll hergestellte Zweigeschlechtlichkeit anstfirmen) hinweist. Es geht um die Verkniipfungen von ,,praktikablen" Asymmetrisierungen mit struktureller Inertia 33 oder systemtheoretisch gesprochen, mit der positiven wie negativen Wirksamkeit yon matefialisierten Vernetzungen der Leitdifferenzen Dominanz/Emanzipation und Homogenitgt~eterogenitiit 34 in Organisationen. Dies mag auch ein Hinweis darauf sein, sich der ,,malignen" Seite systemischer Prozesse zu n/ihem, also bewertend Bewegung in ein kommunikatives System Geschlecht bfingen zu wollen. Nicht nur der produktive, konstruktive Blick auf evolutiongre organisationale Prozesse ist dann tauglich, sondern auch der Blick auf das Diabolische (vgl. Bardmann 1994: 14f.). Dieser maligne, diabolische Anteil sozialer Systeme wird allerdings zur Vermeidung der Paradoxie der BeobachterIn ausgegrenzt (Bardmann 1994: 10f.). Dieser Blick kann h6chst hilfreich sein, um nicht in die Beobachteflnnenfalle zu geraten, die affektiv auf der (modernen) Idee des Fortschreitens (akademischer Diskurse) besteht. Diese Machbarkeitsdiskurse unterschlagen dann auch die Funktionalit~t des Negativen in Systemen und behindem die Ermittlung von funktional Aquivalentem, das eben auch diese Seite in den Blick nehmen kann. Wie gezeigt wurde, ist Diskriminierung und Ausgrenzung einer sozial konstruierten Minofit/iten fiir Organisationen funktional. Die ,,praktische" Konstruktion yon (Geschlechter-)differenz erm6glicht dies, indem systemintern die Bedingungen der Verwertbarkeit von vergeschlechtlichter Arbeit wirksam wetden, bzw. nur der Teil der Personalressourcen in ihrer bin/iren Form (Personal/Frau; Personal/Mann) inkludiert wird, der weiterhin funktional fiir den Bestand der jeweiligen Wirtschaflsorganisation ist. Dabei ist die Homogenisierung yon Geschlechterrollen ffir die Organisation der Unternehmung funktional, wenn damit die inNirenten Aufgaben des Systems - wie bereits genannt als
33 FfirUntemehmensorganisationenvgl. Hannan/Freemann(1977) auf eine strukturelle Tr/igheit bzw. Inertia und eine mangelnde Anpassungsf'~ihigkeitan sich verfindemdeUmwelten hin, die begfinstigt wird durch Kapitalfestlegungen in Anlageverm6gen,Informationsdefizitefiber Ver/indemngsnotwendigkeiten und -m6gliehkeiten, verursacht durch mikropolitische Interessenblocker, ,,resistanceto change" in stabilen Erwartungshaltungenund sozialenNetzwerken. 34 Baecker(2003: 128)benennt diese Netzwerkstellenals: ,,Emanzipationder Frau, Eind/immung m/innlicher Herrschaftspraktiken, kommunikativeEntwicklung der Organisationenund Heterarchisiemng der Gesellschaft". 222
Bewertung von Leistung und Qualit/it, die Kontrolle von Personen und Abl/iufen, der Regulierung von Kommunikationswegen- erftillt werden k6nnen. Der Text hat versucht, die Kommunikation von Geschlecht in einen systemtheoretisches Zusammenhang zur stellen, und zwar als Beziehung zwischen Elementen einer bin/ir codierte Geschlechterdifferenz, ihren Formen und Funktionen der Arbeitsteilung und ihren Medien. VerS~derbar sind die Formen der Geschlechterhierarchisiemng durch die Irritation der Binarit/it der komplement/iren Codierung. Dies kann organisationale Wirkungen auf kommunikativ entstandene, materiell reifizierte Funktions-Strukturbeziehungen haben. Ein Ansatzpunkt zur Organisationsentwicklung ist hier vorgestellt worden: die impliziten normativen Annahmen einer funktional normalisierten Asymmetrie zu irritieren und beispielsweise durch die Ermittlung der sttitzenden supplement/iren Logiken, die ein Beobachter braucht, um Differenzierungen vornehmen zu k6nnen, zu dekonstruieren. 35 In einem zweiten Schritt wurde gefragt, wie es vorstellbar ist, dass Kommunikationssysteme- wie Organisationen des Wirtschaftssystems- die bin/ire Geschlechterdifferenz nicht mehr brauchen. Wie wiirde es aussehen, wenn diese bin/ire Differenz zur Organisation der sozialen Komplexit~it nicht mehr zur Verfiigung stfinde? Diese Uberlegungen letmen sich durchaus an Diskurse an, die davon ausgehen, dass Organisationen auch soziale Gebilde zur Aus/ibung von Herrschaft sind und dass die Dominanzverh/ilmisse im Geschlechterverh/ilmis eigentlich nur eine von vielen M6glichkeiten zur Dokumentation von Herrschaft sind. Dabei bleibt ,,zweifelsfrei" erfahrbar, wie das Geschlechterverh/ilmis in Organisationen von mikropolitischen- also subjektiv-strategischen - Prozessen (vgl. Ktipper/Ortmann 1988; Ortmann 1995) bestimmt und je nach Theorieposition beobachtbar ist. Die handfesten Interessen der arbeitsteiligen Geschlechterkonstruktionen (Wetterer 2001: 537) zu kritisieren und letztendlich die Definitionsmacht fiber betriebliche Rationalit/itskriterien und Entscheidungen zu verwiinschen, ist legitim, bleibt aber leider auf der Ebene der Kritik des (kontingenten) Machtspiels. Denn irritierend fiir diese Form der Kritik ist immer wieder, dass sich Rationalisierungen zwar auf ihre machtvolle Durchsetzung verlassen mfissen, sich aber meistens gegen diejenigen Minorisierten wenden, die von der ,,Notwendigkeit" zur Diskriminiemng selten ,,rational" iiberzeugt werden k6nnen und mtissen. Daraus k6nnte eine Delegitimierung von rationalen, machtvoll konstruierten Diskursen entstehen. Aber, wie am Beispiel der Geschlechterbinarit/it in Organisationen deutlich wird, hat es noch nie ausgereicht, die Diskurse politisch zu dekonstruieren, also ihre Interessengeleitetheit zu the..
35 Zu den ,,Instrumenten"zur Dekonstruktion von Geschlechterdifferenz vgl. Koall (2001:2 l ff.) bzw. zur Ermittlung von funktionalen Aquivalenten zur Geschlechterhomogenitfit ebenfalls Koall (2001: 226f.). 223
matisieren. Eher gelingt es, indem systemisch immer wieder an den Fundamenten ihrer Funktionalitiit ,,gerfittelt" wird. Es sollte gezeigt werden, dass die Kenntnis der Iteration und Performanz (vgl. Koall 2001: 34f.) dieser Prozesse zur Produktion von Differenz und ihre Normalit/it eine M6glichkeit ist, um zu einer systemischen Evolution zu gelangen. Das Medium ,,1VIacht ''36 wird dann erst mit Riickgriff auf diese Kriterien der Normalit/itsproduktion sozial plausibel. Und es verwundert nicht, dass eine organisationale Bewegung, die Vielfalt als soziale Komplexit/it ,,managen" k6nnen will, ein ambivalentes Verh/ilmis zur Virilit~it der Macht braucht, um sie dekonstruieren zu k6nnen.
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,,Die Leistung (eines Kommunikationsmediums Macht, Anm. IK) ist die lJbertragung reduzierter Komplexit~it, die umso kritischer wird, je komplexer die intersubjektiv konstituierte Welt ausfiillt, und die Steigerungsbedingungen werden im Code des Mediums institutionalisiert" (Luhmann 1975:31).
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Religion, InMusion und Geschlechterungleichheit: Zur Kommunizierung des Geschlechterverh~iltnisses in Mission und Okumene eo
Heidemarie Winkel
1. Einleitung Als die Kongregation ffir die Glaubenslehre des Vatikans 2004 in Reaktion auf einige, nicht n/iher benannte ,,feministische Denkstr6mungen" ein Schreiben zur ,,Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt" ver6ffentlichte, gab es zahlreiche Reaktionen auf die darin enthaltenen AuBerungen ,,fiber die Wfirde der Frau, [...] ihre Rechte und Pflichten" (Kongregation ~ r die Glaubenslehre 2004: 1). Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann (2004: lf.), stellt fest, dass die Grundthese des Schreibens von der wesensbedingten Verschiedenheit der Geschlechter und dem daraus abgeleiteten Vorbehalt der Ordination ffir M~nner ,,nicht ganz neu" sei und ,,wie eine grundlegende Herausforderung" gelesen werden k6nne. Wie zu erwarten, manifestiert sich in einigen Stellungnahmen zum Vatikanpapier deutliches Unverst/indnis darfiber, dass das Geschlechterverh/iltnis in asymmetrischer Weise als Ungleichheitsverhiilmis konzipiert wird, wobei jene Rechte und Pflichten yon Frauen unter Verwendung von Symbolismen umschrieben und auf diese Weise ins Metaphysische verschoben werden. Diese Semantik und die darin enthaltene religi6se Symbolisierung des Weiblichen werden als der gesellschaftlichen Realit/it von Frauen entgegenstehend und als nicht mehr verstehbar zuriickgewiesen (R6dig 2004; Klinger 1995). Sie veranlasst die Kritikerinnen schlief~lich zu der Frage, wie auf das Schreiben aufbauend noch ein Dialog fiber das Geschlechterverh/iltnis in der Kirche gefiihrt werden kann. 1 Hinsichtlich der Argumentationsebene des Schreibens, seiner Intention sowie des Adressatenkreises wird n/imlich ein handfestes Kommunikationsproblem konstatiert: Weil die Glaubenskongregation die Relevanz der GenderKategorie als der ,,kulturelle(n) Dimension" von Geschlecht gegeniiber ihrer leiblichen Dimension unisono zurfickweise, k6nne es zu keinem ,,Dialog mit Vgl. dazu vor allem die Stellungnahme der Theologischen Kommission des Katholischen Deutschen Frauenbundes und AGENDA, des Forums katholischer Theologinnen (Eckholt/Heimbach-Steins2004). 233
(den) kritisierten Positionen" kommen; stattdessen vergewisserten sich in dem ausschliel31ich an die Bisch6fe gerichteten Schreiben ,,Verantwortungstr~iger der katholischen Kirche untereinander ihres Frauenbildes". F/Jr die betroffenen, aber nicht unmittelbar angesprochenen Frauen ,,dr~ingt sich der Eindruck auf, dass hier wie Don Quichote gegen die Windmtihlenflfigel gegen eingebildete Feinde gek~impft wird" ( E c k h o l t ~ e i m b a c h - S t e i n s 2004: 2f.). Die Kontroverse um das Schreiben der Glaubenskongregation ist nur ein Beispiel fiir die Wahrnehmung eines Mangels an einer gemeinsam geteilten Ebene der Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverh~ilmis in der christlichen Religion moderner Gesellschaften, in deren Focus regelm/il3ig die Frage nach der Partizipation von Frauen in kirchlichen ,gantem steht. Dies gilt beispielsweise auch fiir den Lutherischen Weltbund, 2 wo auch heute noch in 41 von 138 Mitgliedskirchen keine Frauen ordiniert werden (Lutherische WeltInformation 2005; WICAS 1998). 3 Und im weltweit organisierten Okumenischen Rat der Kirchen (ORK) 4 soll das Thema Partizipation bzw. Frauenordination zun~ichst gar nicht mehr zum Gegenstand einer offenen Auseinandersetzung gemacht werden. Es galt im ()RK von jeher als eines der Schl/isselprobleme in der Zusammenarbeit (Herzel 1981: 28; Kallis 2002), etwa im Verh/ilmis zwischen orthodoxen und protestantischen Kitchen. 5 Der ORK will das Gespr~ich fiir ,,schwierige Themen dieser Art" (Konrad Raiser 2004) zwar often halten; andererseits zieht man es vor, sich nicht mit einer Stellungnahme durch offizielle Gremien dazu zu verhalten. 6
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Dem 1947 gegfiindeten Lutherischen Weltbund geh6ren derzeit ca. 66 Millionen ChristInnen in 77 IHindeman. Dabei sind 60% der Studierenden der Theologie Frauen (Lutherische Welt-Informationen 2002). Er wurde 1948 in Amsterdam gegrfindet, hat seinen Sitz in Genf und umfasst heute mehr als 340 Denominationen; zur katholischen Kirche bestehen lest institutionalisierte Arbeitsbeziehungen. Aufgrunddes unterschiedlichen Kirchen- und Amtsverstfindnisses, wozu auch die Frage der Frauenordination geh6rt, beschloss der ORK-Zentralausschuss 2002, bei intemen ZusammenkSinften keine 6kumenischen Gottesdienste mehr zu feiem, sondem nur noch Andachten. Dazu ist im Abschlussbericht der Sonderkommission zur orthodoxen Mitarbeit (KOKID 2002) festgehalten worden: ,,Bei der Planung von gemeinsamen Andachten soll vermieden werden, in der Frage der Frauenordination auf Konfrontationskurs zu gehen." Wie Konrad Raiser (2003), der damalige Generalsekret~r des 0RK, in Reaktion auf eine Anfrage des (])kumenischenForums Christlicher Frauen in Europa (OFCFE) zu dem o.a. Vorgang in seinem Antwortschreiben am Beispiel Homosexualit~it erl~utert (Warthemann/Mrowka/Becker 2003). Zum Umgang mit der Frauenordination selbst hatte er formuliert: ,,Der ORK wird es auch in Zukunft vermeiden, aus der Frage der Frauenordination eine 6kumenische Konfrontation werden zu lassen, in der die Kirchen einander wechselseitig unter Omck setzen".
Trotz der Schwierigkeit, eine gemeinsam geteilte Ebene bzw. Semantik zur Thematisierung yon Geschlechterfragen zu f'anden, wurde gerade die Geschichte der 6kumenischen Bewegung - v o n Theologinnen und Kirchenfrauen- immer wieder als Geschichte einer fortlaufenden Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverh/ilmis in den Kirchen erlebt und tradiert. 7 Mehr noch: Die ()kumene wird als Wegbereiterin einer C)ffnung der christlichen Religion ffir eine systematisch-theologische Auseinandersetzung mit der Stellung yon Frauen in den Kirchen, also als Generator feministischer Theologie, gewertet (MeyerWilmes 1999: 19ff.). Dies vollzieht sich vor dem Hintergrund einer kontinuierlichen Mitwirkung von Frauen in der 6kumenischen Bewegung, die bereits in deren Vorl~iuferorganisationen 8 zur Zeit der weltweiten Missionsbewegung begann und 1948 bei der Griindung des ORK in der Entstehung eigenst/indiger Arbeitsstrukturen miindete; sie haben bis heute in Form des ,,Women's Desk", des Frauenreferats des ORK, Bestand (Gnanadason 2001" 98ff; ScharffenortKorenhof/Breustedt 1981: 95; Herzel 1981; Kaper 1981). Von hier aus wurden immer wieder Impulse in Form von weltweiten Konferenzen und Studienprogrammen gegeben, die bis in die einzelnen Kirchen hineinreichen. Aus dieser Perspektive erscheint die 6kumenische Bewegung als Beispiel daffir, dass es trotz kommunikativer Differenzen gelingen kann, die Geschlechterthematik in der christlichen Religion zu positionieren. Damit ist das grunds/itzliche Problem, auf welche Weise die hinsichtlich des Geschlechteraspektes divergierenden Positionen in einen gemeinsamen Kommunikationszusammenhang gestellt werden k6nnen, aber nicht obsolet. Denn die M6glichkeiten der Zurechenbarkeit yon Selektionsperspektiven ffir die Thematisierung des Geschlechterverh~ilmisses differieren gerade zwischen den einzelnen Kirchen in der Okumene so stark, dass sich die Frage stellt, ob sichergestellt werden kann, dass die Einforderung und Thematisierung von Geschlechtergleichheit nicht von Fall zu Fall neu ausgehandelt werden muss, sondem als Gegenerwartung zu der religi6sen Symbolisierung des Weiblichen in Form einer eigenst/indigen Strukturkomponente ausdifferenziert werden kann. Vgl. dazu etwa Bliss (1954), Calkins (1961), Barot (1965), World Council of Churches (1975), Herzel (1981), Crawford (1981, 1995a, 1995b), Parvey (1985), Hammar (1989), Hiller (1990), Webb (1993), Raiser~obm (2001). Hierzu geh6ren zum einen spezifische Jugendorganisationen, und zwar die weit bis in das 20. Jahrhundert hinein in 6kumenischenKreisen einflussreiche World StudentChristian Federation (WSCF) (Rouse/Neill 1957, 1963) sowie die weltweite Young Men's Christian Association (YMCA), bis 1894 die weltweite Young Women's Christian Association (YWCA) gegr/indet wurde. Die World YWCA gilt als Hauptpfeiler der 6kumenischen Frauenbewegung (KaldawiKillingback 2001: 121). Eine weitere Quelle 6kumenischerFrauenarbeit sind die Frauenmissionsgesellschaften. Sie bleiben in den einschl~igigen historischen Quellen in der Regel unbenannt und ihre Bedeutung ffir die 0kumene bleibt daher meist im Dunkeln. 235
Die Frage nach den Chancen struktureller Bewahrung ~ r Gleichheitssemantiken ist eine aus systemtheoretischer Perspektive relevante Frage, weil sie e i n - nach L u h m a n n - zentrales Problem der Religion in funktional differenzierten Gesellschaften tangiert, und zwar den Prozess der Formbildung. Im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Subsystemen bewegt er sich in der Religion stets in zweierlei Richtung: Religion muss sich einerseits zum Zweck des Bestandserhalts einen klaren, von jenen anderen Subsystemen unterscheidenden Kern bewahren, indem ein erkennbarer, differenter Code ausgebildet wird (Einschriinkung/condensation). 9 Gleichzeitig muss sich Religion ffir an den Code anschliel3ende systeminterne Differenzierungen often halten, um Variantenbildung und damit eine m6glichst weitreichende Inklusion zu erm6glichen (Erweiterung/confirmation) (Luhmann 2000: 97ff.; Maren Lehmann 2001: 4ff.). Dieser Spannung zwischen Einschr/inkung und Erweiterung des Codes widmet sich die 0kumene. S ie formiert s i c h - in Erweiterung des Codes der Religionals subsystemspezifische Programmstruktur, 1~ die, so die Hypothese, zum Zweck der Inklusion der verschiedenen christlichen Denominationen nicht nur eine Bearbeitung konfessioneller Divergenzen er6ffnet, sondern auch spezifische semantische Anschlussm6glichkeiten ftir die Thematisierung anderer Formen religi6ser Ungleichheit bereith~ilt. Dazu geh6rt auch Geschlechterungleichheit. Denn in der 0kumene werden unter dern Leitbegriff der Einheit Prozesse systemintemer Verh/ilmisbestimmung und Selbstvergewisserung angeregt, und zwar in Richmng einer weltweiten, konfessionelle und andere soziale Unterschiede iiberwindenden Konvergenz aller Christen. Die Einheitssemantik bildet den Hintergrund ffir eine Infragestellung verschiedenster sozialer Grenzziehungen, ob 6konomischer, ethnischer oder eben auch geschlechtsspezifischer Art und die ihnen zugrunde liegenden Denkschemata. Sie ist die ,idee directrice', von der ausgehend alternative, soziale Ungleichheiten thematisierende und zu iiberwinden suchende theologische Konzepte entwickelt werden wie dasjenige der feministischen Theologie (Meyer-Wilmes 1990: 24), und zwar in Richtung einer alle ungeachtet ihrer religi6sen und sonstigen sozialen Herkunft gleichermal3en inkludierenden Gemeinschaft. Hierbei wird Inklusion zum Programm (Maren Lehmann 2001; Karle 2001). Luhmanniibemimmtdiesen Begriffwie auch denjenigen der confirmation aus George Spencer Browns Laws of Form (1969), um die Entstehung von Sinn bzw. deren Formgebung zu erklfiren. 10 Dies gilt prinzipiell auch im Kontext des imerreligi6sen Dialogs: Der Begriff der 0kumene wird auch hier verwendet bzw. beschreibt er die als Notwendigkeit erlebte Einsicht, sich hinsichtlich des Verhfilmisses zueinander zu vergewissem und abzustimmen (Bechmann 2004; G6rg 2002).
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Dies vollzieht sich, so eine weitere Hypothese, vomehmlich als Kommunikation von Differenzen, wobei an der symbolischen Codierung von Religion angeschlossen wird, ohne dass dies eine inhaltliche 0bereinstimmung mit allen Strukturkomponenten impliziert. 11 So hat sich etwa in Form der feministischen Theologie eine alternative, aber gleichzeitig mit traditionellen theologischen Ans/itzen konfligierende theologische Programmstruktur ausdifferenziert. In der Folge erh6ht sich die Wahrscheinlichkeit, dass systemeigene Selektionskriterien innerhalb der Religion je nach Position als Erwartungszumutung abgelehnt werden k6nnen. So entsteht der Eindruck, dass kein ,,Dialog mit kritisierten Positionen" gefiihrt wird (EckholtJHeimbach-Steins 2004: 3). Dessen ungeachtet I/isst sich aber aus systemtheoretischer Perspektive aufzeigen, dass sich die Infragestellung der religi6sen Geschlechterordnung - fiber die verschiedenen historischen Phasen 6kumenischer Auseinandersetzung mit der Geschlechterthematik hinweg - im Kontext des Bestimmungs- und Erwarmngsbereichs der symbolischen Codierung von Religion bewegt. Hiernach ist ,,eine Kommunikation immer dann religi6s, wenn sie Immanentes unter dem Gesichtspunkt der Transzendenz betrachtet" (Luhmann 2000: 77). Die neue Programmstruktur entfaltet sich nun, indem an jene traditionellen religi6sen Standards der Kommuniziemng von Geschlecht angeknfipft wird, die das Geschlechterverh/ilmis unter Verweis auf Transzendenz als Ungleichheitsverh/iltnis konzipieren (G6ssmann 1993, 1994): Ausgehend vom Differenzkonzept wird die Aufhebung der Geschlechterasymmetrie eingefordert. Dies verbindet sich mit der Schwierigkeit, eine Gleichheitsvorstellung theologisch plausibel machen zu k6nnen, die auf dem ,,Paradox der Ununterscheidbarkeit des Unterschiedenen" (Luhmann 1988: 47) beruht. Ziel des Aufsatzes ist es in diesem Sinne auch zu zeigen, dass die Thematisierung alternativer Programmstrukturen zum Geschlechterverh/ilmis sich im Rahmen des Prozesses der Formbildung in der Religion, also in der Spannung zwischen condensation und confirmation, bewegt und bewegen muss, um alternative Programmstrukturen fiberhaupt kommunikabel machen zu k6nnen. Dies garantiert, wie am Zwist zwischen Kirchenm/innem und -frauen zu sehen ist, aber nicht automatisch die l ~ e m a h me neuer Selektionsperspektiven seitens der m/innlichen Kirchenleitungen. Um dies zu demonstrieren, wird die Okumene im Rahmen dieses Aufsatzes als Programmstruktur eingeftihrt, die vermittels der ihr zugrunde liegenden Einheits- und Inklusionssemantik die M6glichkeit ffir Anschlusskommunikationen er6ffnet, so etwa die Neubewertung der religi6sen Geschlechterordnung aus der Perspektive einer zentralen Strukturkomponente modemer christlicher Reli11
den Strukturkomponenten sozialer Systeme siehe zusammenfassend z.B. Schimank(2000: 162).
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gion, und zwar aus der Perspektive des Verh/ilmisses von Inklusion und Exklusion. Dem geht eine Einffihrung in die strukturell bedingte Entwicklung der christlichen Religion seit der Neuzeit und der damit verbundenen Ver/indemng des Geschlechterverh/ilmisses in der Religion voraus. Der Prozess der Formbildung wird dann am Beispiel der Thematisierung des Geschlechterverh/ilmisses in der Missionsbewegung des 19. Jahrhunderts und der sich hiervon differenzierenden 6kumenischen Bewegung des 20. Jahrhunderts n/iher betrachtet. Es geht darum, wie die Geschlechterordnung in beiden Bewegungen jeweils kommunikativ relevant gemacht wird. Es zeigt sich, dass die Geschlechterordnung selbst erst im Kontext der Okumene als Ungleichheitsverh/iltnis problematisiert wird, weil nun unter Ankniipfung an die Einheitssemantik die Suche nach angemessehen Fonnen der Inklusion beginnen kann. Dies vollzieht sich im Rahmen von Studienprogrammen, Konferenzen und nicht zuletzt im Zusammenhang der Durchffihrung der zehnjfihrigen Dekade der Solidaritiit der Kirchen mit den
Frauen. Die Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverh/ilmis ist ein schwieriger Prozess, weil jeder Schritt zur Erweiterung der religi6sen Programmstruktur in Richtung Realisierung einer inklusiven Gemeinschaft aufgrund der zweifachen Ausrichtung der Formbildung mit dem Code abgestimmt wird (condensation). Die Thematisierung des Geschlechterverh/ilmisses als partnerschaftliches Verh/ilmis von Gleichen steht zus/itzlich in enger AbhS.ngigkeit v o n d e r allgemeinen M6glichkeit der Verst/indigung der konfessionsverschiedenen Kirchen unter dem Aspekt von Einheit und Gemeinschaft. Je mehr dies im letzten Jahrzehnt zum Konfliktthema geworden ist, und alte innerreligi6se Grenzziehungen emeuert werden, wie etwa zwischen den protestantischen und den orthodoxen Kirchen, desto schwieriger ist es, Geschlechtergleichheit programmatisch zu verankem. Deshalb wird abschliel3end zu diskutieren sein, welche Konsequenzen dies m6glicherweise ffir bestehende Arbeits- und Kommunikationsstrukturen der Geschlechter6kumene hat.
2. ReligiSse Kommunikation und Geschlechterverh~iltnis in der Neuzeit
Die Situation der Religion in den letzten einhundert bis einhundertffinfzig Jahren ~2 steht in engem Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Ver/indemngen in der Neuzeit, die aus differenzierungstheoretischer Perspektive als Umstellung von stratifikatorischer zu funktionaler Differenzierung beschrieben werden. Die 12 DieserZeitrahmen wird gew~ihlt,weil die Entstehung der modemen6kumenischen Bewegung hier hineinf~illt.
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neue Differenzierungsform fiihrt zur nachhaltigen strukturellen Verselbst/indigung gesellschaftlicher Teilbereiche. Die Folge ist ein Rtickgang gesellschaftlicher Integration durch Religion (Luhmann 1977; Luckmann 1991; Gabriel 1992, 1996; Berger 1969, 1973, 2002). Sie ist nun ein System eigener Art in der Umwelt anderer sozialer Systeme, die ihrerseits eine Vielfalt zus/itzlicher Beobachtungsperspektiven ausbilden, so dass sich ,,Polykontexturalit/it" (Luhmann 2000: 284) als neues Strukmrprinzip etabliert hat. Dabei wird Religion selbst zum Gegenstand von Beobachtung und Vergleich. Als Folge der Vielfalt m6glicher Perspektiven auf gesellschaflliche Vorg/inge sinkt auch die ,,Bedeutung organisierter Religi6sit/it als eines Mittels sozialer Kontrolle" (Becker 1932 zit. nach Schieder 1993: 18). Dies ftihrt kirchlich verfasste Religion zu der Notwendigkeit, den eigenen Standort auf zweierlei Ebene zu tiberpriifen, und zwar im Augen- wie im B innenverh/ilmis. Im Augenverh/ilmis wird im Kontext der System-Umwelt-Differenz das Verh/ilmis zur modernen Gesellschaft mit all ihren Herausforderungen und Entwicklungen in den Blick genommen. Religion muss sich dazu verhalten, dass ihre ,,Motivkraft" (Luhmann 2000: 278) gesunken ist, weil sie im Verh/ilmis zu anderen gesellschaftlichen Subsystemen relativ desintegriert und ihr Stellenwert als Beobachter der Gesellschaft gesunken ist; Religion kann in der Moderne ,,weder wirtschaftliche noch politische noch rechtliche Disziplinierungen einsetzen, um Personen zum Anschlusshandeln zu bewegen" (Maren Lehmann 2001: 6). Aus der Perspektive der Religion wird dieser Prozess als S~ikularisiemng beschrieben .... S/ikularisiemng' fungiert (...) als Differenz- und Diskontinuit/itsbegriff, der die Gesellschaft und ihren Wandel von der Religion her ,negativ' beschreibt" (Tyrell 1996: 446). Teil dieser Beschreibung ist die wachsende Einsicht in die Notwendigkeit, sich selbst hinsichtlich seiner Gestalt und dem Verh/iltnis zur Gesellschaft klarer konmrieren zu mtissen. Einerseits, um sich ,,der Welt [zu] 6ffnen" (Luckmann 1980: 163), andererseits um fiir die eigene Selbstbeschreibung und Selbstbehauptung gegeniiber der gesellschaftlichen Umwelt ,,Bestimmtheitsgewinne" (Luhmann 2000: 282) zu erhalten. 13 Dies mtindet in die Formierung verschiedener innerchristlicher Diskurse, Bewegungen und Organisationsbildungen. Dazu geh6rt zun/ichst die ,,Selbstthematisierung des Christentums als ,vera religio'" (Tyrell 1996: 442). Sie zielt im Aul3enverh/ilmis auf die Abgrenzung von zentralen, die Neuzeit einleitenden geistigen Str6mungen (Greschat 1992). Ober den Religionsbegriff wird der Zum S/ikularisierungsbegriffsiehe Joss Casanova (2001) oder Kevin Christiano und William Swatos (1999). Die aktuelle Debatte zeigt einmal mehr, dass von S/ikularisiemngnur aus differenzierungstheoretischer Sicht gesprochen werden kann (Wohlrab-Sahr/Kriiggeler2000; Pollack 1996, 1997). Der Riickgriffauf religi6se Interpretationenund Deutungsmusterist der individuellen Wahl anheimgestellt (Knoblauch 1999;Krech 1999). 239
Anspruch auf die Existenz einer einheitlichen und wahren Religion gegeniiber der sie umgebenden gesellschaftlichen Umwelt geltend gemacht. TM Im Binnenverh/ilmis steht die Auseinandersetzung mit der infolge der Konfessionalisierungsprozesse 15 des 15. und 16. Jahrhunderts aufgebrochenen Einheitlichkeit der religi6sen Selbstpr~isentation im Mittelpunkt kirchlichen Handelns. Das neue Konfessionsgefiige von katholischer, protestantischer und reformierter Kirche zeichnet sich durch starke Polarisierung und Konkurrenz aus. Dies wird insbesondere von den verschiedenen Konfessionen in der /iugeren Mission des 19. jahrhunderts als Frage der eigenen Glaubwiirdigkeit behandelt (Kaufmann 1989: 25; Bogner/Holtwick/Tyrell 2004); die Konkurrenzsimation mtindet in der Suche nach Formen einheitlichen Auftretens. Auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene entstehen - zungchst vor allem innerhalb des protestantischen K o n t e x t e s - kirchenpolitische Bfindnisse und Zusammenschlfisse. 16 Diese religi6sen Neubildungen des 19. Jahrhunderts basieren in der Regel auf ,,der Erfahrung von umfassenden und tiefgreifenden Krisen [...]; und fiberall resultierte daraus eine neue Besinnung auf die christlichen Antworten mitsamt einer intensiven Zuwendung zu [ihren] Traditionen. Das umschloss [...] eine durchg/ingige, oft hoch emotional besetzte Wendung gegen die zeitgen6ssischen Wertvorstellungen, die nun als verhiingnisvoll und falsch erschienen, niimlich die Ideale der franz6sischen Revolution, die Zielsetzungen der Aufkl~imng und vollends ein von diesem Geist gepriigtes Christentum" (Greschat 1992: 71). Deshalb wird religi6ses Handeln wie etwa im Bereich caritativ-diakonischer T~tigkeiten mit der ausdriickAichen Vermittlung christlicher Werte und einer sittlich-religi6sen Erziehung verbunden. 17 In diesem Zusammenhang wird Frauen in Familie und Gesellschaft eine entscheidende Rolle zugewiesen, so etwa im Rahmen der sich im 19. Jahrhundert entfaltenden inneren und ~iugeren Mission (Baumann 1992: 52).
14 Entstehungund Verwendung des Religionsbegriffs sind also aufs Engste mit der christlichen Religion selbst verknfipft. Er ist ,,eine Kreation der europ/iischen Neuzeit und besonders der Aufld/imng [...] vonder kulturell-historischen Spezifik des Christentums und dessen Selbstreflexion nicht abl6sbar" (Tyrell 1996: 442). 15 Zum Begriff der Konfessionsbildung siehe Ernst Walther Zeeden (1965). 16 Dazugeh6rt auf nationaler Ebene etwa die Initiienmg des evangelischenKirchentags 1848 in Wittenberg, woes zur Griindung des Zentralausschusses ~r Innere Mission kam. Der Kirchentag selbst war eine der ersten, sich als 6kumenisch verstehenden Einrichtungen (Rouse/Neill 1958: 370f.). Und auf intemationaler Ebene ist auf die Initiierung von intemationalen Missionskonferenzen und damit einhergehenden Biindnissen zu verweisen, die 1921 in die Griindung des InternationalenMissionsrates mfindeten. 17 Die Erweckungsbewegungensind hierfdr ein eindrfickliches Beispiel (vgl. Lepsius 1996). 240
Die Neu-Orientierung religi6sen Handelns an christlichen Werten fungiert ,,als Erweis der Ntitzlichkeit des Religi6sen sowie als aufld~irerisches Bem/ihen um eine Rechristianisierung der Gesellschaft" (Kuhn 2003: 7). Hierbei handelt es sich bei aller Orientiemng an Bestandsbewahrung um eine Anpassungsleistung an die gewandelten Sozialstrukturen der Moderne (Kaufmann 1989: 27; Rouse/Neill 1958: 367; Kuhn 2003: 232). Denn erst in Reaktion auf die neuzeitlichen Entwicklungen haben sich spezifische, den Code der Religion condensierende bzw. die Form der Condensation/Einschriinkung annehmende Programmstrukturen und Organisationen ausdifferenziert. Dazu geh6ren auch die verschiedenen nationalen Frauenmissionsvereine und-komitees in der Inneren und Aul3eren Mission (Hiller 1999; Roberts 1997), und nicht zuletzt die konfessionellen Frauenbewegungen, die s i c h - bei gleichzeitiger Abgrenzung von der liberaldemokratischen Frauenbewegung - ab Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend entfalten. Sie werben fiir die P artizipation yon Frauen in caritativdiakonischen T/itigkeitsfeldern, bleiben aber in ihrer Programmatik eng an die religi6se Symbolisierung von Geschlecht und die ,vera religio' gekoppelt. Amalie Sieveking etwa, die als ,,wichtigste Pionierin der weiblichen Diakonie im Protestantismus" (Baumann 1992: 44) gilt, entwickelt ein spezifisches ,,Konzept einer besonderen Mission der christlichen Frau". Dadurch, dass die aktive Beteiligung yon Frauen eingefordert wird, hat es eine emanzipative Ausrichtung; gleichzeitig wird aber an der Unterordnung des weiblichen Geschlechts festgehalten. Dennoch entstehen auf diese Weise kirchliche Arbeitsfelder, Berufe und alternative Modelle der Lebensfiihrung fiir Frauen (Nightingale 1851; Kaufmann 1988; Hiiwelmeyer 2000; Meiwes 2002); sie bilden eine stmkturelle Weichenstellung in Richtung einer Modemisierung des Geschlechterverh~ilmisses innerhalb der Religion. Die Neuzeit war also eine Phase starker religi6ser Mobilisierung (Schieder 1993: 24; Stichweh 2001: 120), zu der Frauen beispielsweise mit vielf'~iltigen Organisationsgriindungen beitrugen und von der sie vor allem dann profitierten, wenn sie mit ihrem Engagement an vorhandenen Erwartungs- und Programmstrukturen ankmiipften. Denn auch wenn Religion sich angesichts der Frage nach ihrer eigenen Erkennbarkeit im Vergleich zur s~ikularen, weil religi6s ungebundenen Umwelt ihrer Binnenstruktur neu vergewissem muss (Luhmann 2000: 7, 278), so fiihrt dies nicht zwingend zur Abl6sung traditioneller religi6ser Grundannahmen zugunsten altemativer Positionen. Vielmehr gestaltet sich die Evolution yon neuem als ,,Reformulierung und Ausdifferenzierung des Alten" (Sch6fthaler 1983: 152). Anders formuliert: Religion ist grunds~itzlich often ~ r systeminterne Ausdifferenzierung variierender Programmstrukturen bei gleichzeitiger Aufrechterhalmng der System-Umwelt-Differenz. Der Erfolg der konfessionellen Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts verdankt sich d a h e r -
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strukturell g e s e h e n - vor allem ihrer bewahrenden, condensierenden Form, respektive ihrer konservativen Haltung (Baumann 1992: 44). In dieser Spannung zwischen confirmation und condensation ist die Einheit der Differenz ffir das Religionssystem nach Innen wie nach Augen eine mit zunehmender Modernisierung immer mehr an Bedeutung gewinnende Strukturkomponente. Mit der Ausdifferenzierung der modernen ()kurnene erh~ilt sie einen programmatischen Standort, der gleichzeitig Raum fiir Erweiterungen er6ffnet. Dazu geh6rt auch die Entwicklung neuer Perspektiven auf das Geschlechterverh~ilmis.
3.
Religion und das Problem der Einheit der Differenz
Die Suche nach Formen eines angemessenen Umgangs mit der s~ikularisierten Kultur seitens der christlichen Religion tangiert- systemtheoretisch g e s e h e n also nicht nur die System-Umwelt-Differenz zum Zweck der Bewahrung ihres religi6sen Kems. Es zeigt sich, dass die Neuformierungen christlicher Religion im 18. und 19. Jahrhundert, die, wie etwa die sich explizit als antiaufldSxerisch verstehenden Erweckungsbewegungen, unter der Leitformel der Rechristianisierung zur Erkennbarkeit der System-Umwelt-Differenz beitragen wollen, nicht ignorieren k6nnen, dass gleichzeitig die Inklusionsbedingungen zugunsten der Notwendigkeit von Kontingenzsteigerungen m6glichst niedrig gehalten werden miissen. TM In diesem Sinne kommt es im 18. und 19. Jahrhundert in Reaktion auf die S/ikularisiemng zur Binnendifferenzierung religi6ser Programmstrukturen, die auf eine m6glichst weitreichende Inklusion von Personen abzielen; so z.B. im Kontext von Armen~rsorge als Beispiel praktischer Religion (Kuhn 2003). Sie machen Inklusivit/it selbst zum Programm, denn Religion soll auch dann, wenn andere Systeme wie etwa die ()konomie, schon l~ingst extdudieren, noch Inklusion erm6glichen. Deshalb hat Isolde Karle (2001) Exklusion und Inklusion als Leitdifferenz christlicher Programmatik schlechthin bezeichnet. Im Folgenden wird es datum gehen, wie sich infolge des Inklusionsanspruchs hinsichtlich der Bewahrung der Form der christlichen Religion schrittweise immer mehr die Frage nach der Einheit der Differenz im Binnenverh/ilmis- also dem Verh~ilmis der verschiedenen Denominationen z u e i n a n d e r - als neuem Problemhorizont entfaltet.
18 Als Folge der Individualisierung von Religion (Krech 1999; Knoblauch 1999); Luhmann (1977: 8) ftihrt dies zu der Frage, ,,ob Religionnoch m6glichist". 242
3.1 Inklusion in Mission und Okumene Die Frage nach der Einheit der Differenz wird im Kontext der protestantischen Mission des 19. Jahrhunderts explizit gemacht. 19Mission richtet sich, wie schon erw/ihnt, zun~ichst darauf, der ,,[erschiitterten] Weltstellung des Christentums" und der damit verbundenen ,,Entfremdung zwischen Kirche und Welt" bei gleichzeitiger Entstehung einer umfassenden ,,Weltzivilisation" entgegenzutreten (Willem Visser't Hooft 1974: 14), und zwar vermittels einer welmmspannenden und in diesem Sinne inkludierenden Evangelisierung (Westman/Sicard 1962: 118). Mit den gesellschaftlichen Entwicklungen auf weltweiter Ebene Schritt halten zu k6nnen, setzt allerdings Einigkeit und gemeinschaftliches Vorgehen unter den konkurrierenden Missionaren voraus. Angesichts der konfessionell und theologisch ,,zersplitterten Missionskr~ifte" (Westman/Sicard 1962: 119) wird daher zwischen den Missionsgesellschaften zun~ichst auf lokaler und regionaler, und dann vermehrt auch auf internationaler Ebene nach M6glichkeiten konfessionsfibergreifender Zusammenarbeit gesucht. So entstehen in der zweiten H~ilfte des 19. Jahrhunderts nach und nach Kooperationen zwischen den konfessionsverschiedenen Missionsgesellschaften, die 1921 schliel31ich in die Instimtionalisierung des Internationalen Missionsrates miinden (Hogg 1954: 27ff.; Tyrell 2003; Bogner/Holtwick/Tyrel12004). Hierbei handelt es sich allerdings keineswegs um eine homogene, stringente Entwicklung. Zun/ichst erfNa-t ,,die gemeinsame Arbeit an der christlichen Brfiderlichkeit und organisierten Einheit der V61ker" (Schauer 1960:168) durch die beiden Weltkriege auf dramatische Weise Riickschl~ige. Vor allem aber sehen sich die an wechselseitiger Abstimmung interessierten Missionsgesellschaften mit der Problematik konfrontiert, dass es in den Herkunftsl~indem der Mission selbst kaum stabile Kontakte zwischen den verschiedenen Konfessionen gibt und die jeweilige Einstellung gegentiber der religi6sen Programmatik der Anderen von Distanz und Inakzeptanz gekennzeichnet ist. Aus Furcht, ,,in entscheidenden Fragen zu Kompromissen gen6tigt zu werden" (Rouse/Neill 1958: 2), wurde beispielsweise lieber auf die Teilnahme an gemeinsamen Weltmissionskonferenzen verzichtet. Erst als in vorbereitenden Gespr~ichen vermittelt werden konnte, ,,dass Fragen, welche die Unterschiede in Lehre und Kirchenverfassung zwischen den einzelnen christlichen K6rperschaften beriihrten, [...] weder zum Gegenstand der Diskussion noch von Resolutionen ge19 Auf die Verbindung von Mission mit nationalen Kolonialinteressen im Sinne einer politischreligi6sen Hegemonie kann nicht nfiher eingegangen werden. Es sei nur beispielhaft auf die Church of England verwiesen. Sie gilt als Vorreiterin vieler 6kumenischer Untemehmungen auf dem europfiischenKontinentund hat zahlreiche Aktivitfitenin den britischen Kolonial-und Mandatsgebieten entfaltet (Rouse/Neill 1958: 371). 243
macht werden sollen" (Rouse/Neill 1958: 3), kam es zu st~irkerer Beteiligung konfessionsverschiedener Richtungen. 2~ Die ausgesparte Frage nach dem Verh~ilmis der verschiedenen christlichen Programmatiken zueinander, die sich often in einer ,,lieblosen Haltung [...] gegen/iber den Christen anderer Denominationen" ge~iuBert hat (Rouse/Neill 1958: 5), wurde in einen eigenen Arbeits- und Diskussionskontext verlagert, und zwar in die sich 1927 konstituierende Bewegung ffir Glaube und Kirchenverfassung. 21 In den 1920ern und 1930ern verstetigte sich hier unter dem Topos von faith and order die Auseinandersetzung mit dem Binnenverh/iltnis der christlichen Religion, w/ihrend die System-Umwelt-Differenz, also das VerhNmis zur gesellschaftlichen Umwelt, anhand sozialer und politischer Problemlagen wie der Weltwirtschaftskrise separat in der Bewegung ftir praktisches Christentum 22 er6rtert wurde, bis es 1948 in Amsterdam bei der Griindung des C)RK zur Zusammenffihrung beider Str6mungen kam (Sartory 1955: 23). Systemtheoretisch gesehen ist die Schwierigkeit, ausgehend von den konfessionellen Gegens~itzen eine einheitliche Selbstbeschreibung der christlichen Religion zu realisieren, darin begr/indet, dass diese bei der Systematisierung der verschiedenen Auffassungen zum Amts- und Kirchenverst~indnis ihren Ausgangspunkt nimmt. Dabei k o m m t es zu der Paradoxie, dass die Gegens~itze nun erst deutlich hervortreten. 23 Statt mit einer einheitlichen Selbstdarstellung hat man es mit nicht integrierbaren Selbstbeschreibungen zu tun, die als Best~itigung bzw. als re-entry der systeminternen Differenz fungieren (Luhmann 2000: 345f.). In diesem Sinne ist die Realisierung einer einheitlichen Selbstbeschreibung der christlichen Religion yon vornherein nur bedingt, wenn tiberhaupt realisierbar (Luhmann 2000: 351). Dies schlief3t aber nicht aus, dass die Pro20
In der Frage der Kontaktaufnahme hat das weltweite Christian Student Forum (WSCF) eine besondere Rolle gespielt; unter den jiingeren Theologen bestanden bereits interkonfessionelle Verbindungen, die fiir die Herstellung offizieller Kontakte zwischen den Konfessionen genutzt wurden (Rouse/Neill 1958: lff.). Die Konferenz, an der diesbeziiglich der Durchbruch gelang, war die Edinburgher Weltmissionskonferenz von 1910 (Hogg 1954: 171ff.). Zur Rolle der christlichen Jugendbewegungenwie dem YMCA und YWCA sowie dem Christian World Student Forum siehe William Hogg (1954:101 ft.). 21 Die ihre erste Konferenz 1927 in Lausanne durchffihrt; in den Plan wurden alle Kirchen, orthodoxe wie auch die katholische, eingeweiht. Personell, vor allem aber auch ideell wurde an bereits bestehenden oder sich parallel herauskristallisierenden Bewegungen wie dem Weltbund fiir Freundschattsarbeit der Kirchen (1914) (Rousefl~eill 1958:141 ff.) und dem Internationale Vers6hnungsbund (1919) angekn/ipft. Aus dem Weltbund ist auch die Bewegung ftir praktisches Christentum hervorgegangen(Rouse/Neill 1958:141 ft.). 22 Sie fonmert sich 1925 unter dem label ,,Life and Work" in Uppsala. 23 Es sind in den 1920era und 1930ern zun/ichst vor allem die Gegens/itze zwischen Protestantismus und Orthodoxie, und sp/iter in Amsterdam zwischen Protestantismus und Katholizismus (Sartory 1955: 28f.); aktuell ist das Verh/iltnis zur Orthodoxie, aber auch zu den Erweckungsbewegungen spannungsreich. 244
blematik der Einheit der Differenz selbst zum Bezugspunkt gemacht werden kann, wie es ausdriicklich in der Bewegung ftir Glaube und Kirchenverfassung unter Verwendung des inkludierenden, weil auf Verh/ilmisbestimmung abzielenden Begriffs der Okumene 24geschehen ist. Schon in der Missionsbewegung wurde das Adjektiv 6kumenisch zur Kennzeichnung ihrer Aktivit/iten und Zusammenkfinfte verwendet; 1900 erscheint es erstmals im Titel einer Konferenz, 25 allerdings ,,nicht, weil jeder Zweig der christlichen Kirche [...] vertreten war, sondern ,weil der [...] geplante missionarische Vorstof3 den ganzen Kreis der bewohnten Erdkugel umspannen sollte'" (Hogg 1954: 59; vgl. auch Rouse/Neill 1958" 371). Im Missionsfeld sehen die Kirchen also nach wie vor eine Chance, den universalgesellschaftlichen Anspruch der christlichen Religion gegentiber ihrer gesellschaftlichen Umwelt zu behaupten. Parallel dazu wird aber in der Bewegung fiJr Glaube und Kirchenverfassung mit Blick auf das Binnenverh/iltnis ,,die wesenhafte Gestalt der Kirche" in den Blick genommen (Rouse/Neill 1958: 12); dies schliel3t die Befassung mit konfessionellen Unterschieden ausdriicklich ein, wobei Differenzen nicht umgangen, sondern in den Mittelpunkt der Betrachmng geriickt werden. Es geht darum, ,,die 15berzeugungen anderer Menschen besser verstehen zu lernen... [...], ffir Unterschiede Verst/indnis zu gewinnen... [...], besser als zuvor zu verstehen, worin ihre wesentlichen Unterschiede bestehen und welche neuen Seiten der Wahrheit sie darstellen..." (Rouse/Neill 1958; 45, 6). In dem Mage, in dem sich nun das ,,Bewusstsein einer m6glichen Partialitat" der eigenen Konfession entfalten kann (Sartory 1955" 15), riickt im Rahmen der Okumene unter dem Leitbegriff der Einheit die Suche nach M6glichkeiten der wechselseitigen Verh/iltnisbestimmung ins Blickfeld. Hierbei wird an der Inklusionsprogrammatik angeknfipft. So wird trotz der offensichtlichen Kontingenz, die das Verh/iltnis christlicher Konfessionen nach wie vor bestimmt und als solche ein fortdauerndes Problem der Okumene bleibt, versucht, Erwartungssicherheit dariiber herzustellen, wie die divergierenden Positionen in einen gemeinsamen Kommunikationszusammenhang gestellt werden k6nnen, indem die Einheit der Differenz selbst zum Thema gemacht wird. In diesem Sinne kommt es mit der Ausdifferenzierung der 6kumenischen Bewegung zu einem Paradigmenwechsel von einer vereinheitlichenden und auf universalgesellschaftlichem Anspruch basierenden Programmatik in der Missionsbewegung zu einer bewusst an Differenzen orientierten Weltsicht.
24 Seinem griechischen Wortsinn nach bedeutet Okumene die ganze bewohnte Erde bzw. den Erdkreis und alle, die darin wohnen(oikos= Haus, oikein= wohnen). 25 Gemeintist die New YorkerKonferenz. 245
3.2 Mission, Geschlechterdifferenz und das Inklusions-/Exklusionsverhiiltnis Weil die Frage nach der Einheit der Differenz in der ()kumene in den Mittelpunkt riickt, wird es m6glich, verschiedenste soziale Grenzziehungen, nicht nur konfessioneller, sondern auch politischer, ethnischer oder geschlechtsspezifischer Art aus der Perspektive von Inklusion und Exklusion zu iiberdenken und neu zu bestimmen; 26 dabei kommt es aber, wie schon ausgeffihrt, nicht zur Auf16sung, sondern zum re-entry der Differenz. Okumene zielt dann darauf ab zu verstehen, auf welche Weise soziale Unterschiede wie Ethnie oder Geschlecht Ursache von sozialer Exklusion werden, und wie stattdessen gesellschaftliche Teilhabe verwirklicht werden kann. In diesem Sinne hat sich der ORK z.B. in den 1970er und 1980er Jahren intensiv mit Rassismus am Beispiel des sfidafrikanischen Apartheidsystems befasst. Auch in der Auseinandersetzung mit der Geschlechterordnung ist die Frage nach den M6glichkeiten und Formen der Inklusion von Frauen ein zentrales Leitmotiv. Sie wird schon im Kontext der Frauenmissionsbewegung zu Beginn des 19. Jahrhunderts artikuliert. Angesichts des strukturellen Wandels in der gesellschaftlichen Umwelt der Religion beginnen Frauen nach ihrer Aufgabe und Funktion in der Religion zu fragen. Dabei wird das Differenzkonzept ausdrticklich zum Bezugspunkt ihrer Neuorientierung. Konkret geht es um die Suche nach einer harmonischen Verbindung von neuzeitlichen Weiblichkeitsbildern und einer spezifisch christlichen Lebensffihrung, unabh/ingig von der realen Lebenssituation, ob beispielsweise als verheirateter oder als unverheirateter Frau. 27 Diese Suche manifestiert sich in der Frage, auf welche Weise und an welchem gesellschaftlichen Ort im Sinne der Geschlechterdifferenz T~itigkeitsfelder und Handlungsoptionen ffir Frauen unabh~ingig von ihrer gesellschaftlichen Herkunft realisiert werden k6nnen, wie das Beispiel von Florence Nightingale (1851: 8) zeigt: ,,If, then, there are many women who live unmarfled, and many more who pass the third of the usual term of life unmarried, [...], what are they to do with that thirst for action, useful action, which every woman feels who is not diseased in mind or body? God planted it there. God, who has
26 Vgl. dazu auch Towler (1974: 179), der den Grundgedanken von der Infragestellung sozialer Grenzziehungen herausgestellt, aber nicht systemtheoretischausformuliert hat. 27 Wie wir aus der Geschlechtergeschichte wissen, sind seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert aus vormaligen Rechten und Pflichten des jeweiligen Geschlechts im Rahmen yon Standesdefinitionen Charaktereigenschaften bzw. Wesensmerkmale geworden (Hausen 1978). Dabei wird die moderne Auffassung yon der Frau als Geschlechtswesen mit universellen Geschlechtsmerkmalen durch die religi6se, naturrechtlich begrimdete Deutung des Geschlechterverh/iltnisses als universalgesellschaftliches Ordnungsprinzip (G6ssmann 1993, 1994) noch verst~rkt. Zur Entwicklung von Weiblichkeitsbildern siehe Ingrid Biermann (2002). 246
created nothing in vain. What were His intentions (...)? How did He mean to employ them, to satisfy them?" 2s Nightingales geradezu beseelte Suche nach einer das Religi6se integrierenden Lebensperspektive demonstriert noch einmal deutlich das Problem der Religion in der Moderne, n/imlich sich in der Spannung zwischen Bestandsbewahrung (condensation) und Binnendifferenziemng zwecks Erm6glichung von Inklusion (confirmation) bewegen zu mfissen. Was nun die Missionsarbeit in diesem Zusammenhang fiir viele Frauen so a t t r a k t i v - und fiir die mfinnlichen Repr~isentanten der christlichen Religion zun~ichst relativ u n p r o b l e m a t i s c h erscheinen l~isst, ist jene M6glichkeit der Realisierung einer gleichzeitig christlichen und geschlechtsspezifisch angemessenen Lebensfiihrung (Okkenhaug 2004). Dazu geh6rt auch die Ausbildung eines eigenen Missionskonzeptes (Roberts 1997): ,,Women's Work for W o m e n " baut auf der Geschlechterordnung und damit verbundenen Symbolisierungen von Geschlecht auf und grenzt sich von der allgemeinen, m~innlich dominierten Missiologie ab. Entsprechend k o m m t es in den Frauenmissionsgesellschafien zwar zur Konvergenz, aber nur zu einer partiellen Inklusion yon Frauen, denn aufgrund der stringenten Geschlechtertrennung ist ihnen der Zugang zu repr~isentativen, einflussreichen Positionen in den allgemeinen Missionsgesellschaften verwehrt (Hiller 1999: 60). Frauen organisieren sich d a h e r - zun~ichst noch unter Duldung der mfinnlichen K i r c h e n l e i t u n g e n - quer zu den konfessionellen Lagern auf regionaler -,vie auch auf nationaler und internationaler Ebene mit wachsendem Erfolg (Bliss 1954; Roberts 1997: 255ff.), und zwar Jahrzehnte bevor dies den allgemeinen, yon M~innern organisierten Missionsgesellschafien gelingt. 29 So wird Teilhabe am kirchlichen Leben m6glich, allerdings ohne dass dies Kon28
29
FlorenceNightingale hat sich - mit gesellschaftlichen Konventionen brechend - dem gesellschaftlich nicht anerkannten Feld der Krankenpflege zugewendet, gerade weil sie hiefin ein brachliegendes T~itigkeitsfeld sah. Pflegefische Gmndlagen eflemte sie zunfichst in Deutschland im Rahmen einer der ersten und einflussreichsten Einrichtungen der Mission, und zwar bei Theodor Fliedner in der Kaiserswerther Diakonie. Mit Kathleen Bliss (1954: 44) lassen sich hinsichtlich der Entstehung yon Frauenorganisationen im Missionsfeld zwei Phasen unterscheiden: erstens die Vereinigung lokaler Frauengmppen zu regionalen und fiberregionalenVerbfinden in der ersten Hfilfte des 19. Jahrhunderts, und zweitens die Entstehung groBer Zentralorganisationen in der zweiten Hfilfle des 19. Jahrhunderts. Zunfichst wurden innerhalb einzelner Denominationen Komitees gegrfindet. Die Frauenverbfinde suchen dann im Weiteren nach gemeinsamen Organisationsstmkturenund finden sie auf 6kumenischer Ebene: Z.B. wird 1861 in den USA die interdenominationelle ,,Woman's Union Missionary Society of Amerika" gegrfindet (Hiller 1999: 31; Bliss 1954: 63). Interkonfessionellen Zusammenschlfissen auf nationaler Ebene MiRe des 19. Jahrhunderts folgt der weltweite Zusammenschluss. 1888, also 22 Jahre vor der Weltmissionskonferenz von Edinburgh, wie Dana Roberts herausstellt (1997), und 33 Jahre vor Entstehung des lnternationalen Missionsrates, wie zu erg~inzenwfire, wurde im Zusammenhang des ersten allgemeinen Weltmissionskongresses ein Weltmissionskomiteechristlicher Frauen gegrfindet. 247
sequenzen fiir das Geschlechterverh/iltnis gehabt h/itte. Aus Furcht vor einer zu grogen Konzentration von ,r and power" (Roberts 1997: 129) in den interkonfessionellen Frauenmissionsgesellschaften entwickelt sich schlieglich vermehrt Widerstand seitens der allgemeinen Mission Boards; sie erzwingen nach und nach die Eingliederung der Frauenkomitees in ihre Reihen. Erst mit der Ausdifferenzierung der 6kumenischen Programmatik, die sich explizit der Einheit bzw. dem Verh~iltnis der Differenz als theologischer Maxime widmet, wird die Form der Geschlechterordnung selbst mehr und mehr zum Bezugsproblem, weil die Frage des Verh/iltnisses von Inklusion und Exkdusion im Geschlechterverh/iltnis nun st/irker in den Vordergrund rtickt. Demgegen/iber ist es ffir Florence Nightingale noch kein explizites Thema, wie das Engagement von Frauen in Relation zu demjenigen von M~innern- als den Repr/isentanten des S y s t e m s - in Erweiterung des Codes der Religion theologisch begrtindet werden kann. Mission hat ausschliel31ich die Bewahrung des Kerns der Religion im Blick, und dazu geh6rt ganz selbstverst~indlich die Geschlechtertrennung: ,,Evangelicalism gendered society and distinguished ,feminity' from ,masculinity'" (Okkenhaug 2004). Im 19. und in der ersten H/ilfte des 20. Jahrhunderts sind es nur wenige Frauen, die einen expliziten Zusammenhang zwischen der theologischen Bedeutung der Frauenfrage und den Organisationsformen kirchlicher Frauenarbeit herstellen (Scharffenort 1981: 7f.). Eine dieser Ausnahmen ist die in 6kumenischen Kreisen sozialisierte Henriette Visser't Hooft (Herzel 1981; Kaper 1981). 3o Ab 1934 setzt sie sich hierfiber in einem mittlerweile viel beachteten Briefwechsel mit dem protestantischen Theologen Karl Barth auseinander und ver6ffentlicht ihre Ansichten zum Geschlechterverh~iltnis in der Religion (Erhardt/ Siegele-Wenschkewitz 1993: 155). Gerade weil der renommierte Barth versucht, sie unter Hinweis auf die - v o n ihm unterstellte - biblisch begrtindete Superiorit~it des Mannes fiber die Frau in ihre Schranken zu verweisen, wird fiir sie umso deutlicher, dass der Kern der Frage im theologischen Verst~indnis vom Geschlechterverhiiltnis begriindet ist (Moltmann-Wende12005: 100). Ihr geht es deshalb um eine umfassende Theologie der Geschlechterbeziehungen, die ein ,,auf Gegenseitigkeit" basierendendes, parmerschaftliches Verh/iltnis im Blick hat (Brodbeck et al. 1998: 36f.). Sie beinhaltet eine Vorstellung von Geschlechtergleichheit, die auf jenem ,,Paradox der Ununterscheidbarkeit des Unterschiedenen" (Luhmann 1988: 47) beruht. Denn Henriette Visser't Hoofts zentrales Anliegen, so ~iul3ert ihr Ehemann Willem Visser't Hooft (1974: 437) sp/iter, ,,war, dass es den Frauen verwehrt sei, der menschlichen Gesellschaft auf 30 Dies hat seinen Hintergrund darin, dass sie im Kontext der internationalen 6kumenischen Zusammenarbeit in der ersten H/ilfte des 20. Jahrhunderts neue, die verschiedenen Konfessionen zu integrieren suchende Ans/itzekennen lernt. 248
die ihrer Wesensart entsprechende Weise zu dienen .... wir miissten von neuem lernen, dass Gott die Menschen m/innlich und weiblich geschaffen habe". Aus dieser Auffassung resultiert wiederum ein re-entry der Differenz, allerdings bei gleichzeitiger Erweiterung/confirmation der religi6sen Programmatik, denn Henriette Visser't Hooft macht im Sinne der Einheit der Differenz die Frage der Inklusion von Frauen und M/innern zu ihrem Bezugspunkt.
4. Geschlechterungleichheit und Formbildung in der ()kumene Henriette Visser't Hoofts theologisches Denken demonstriert, dass die Inklusionsprogrammatik mit der Ausdifferenzierung der Okumene im Verh/iltnis zur Mission eine neue Ausrichtung erh/ilt. Sie bewegt sich von der Frage nach der Rolle und Funktion von Frauen in der Religion im Rahmen einer hierarchisch angelegten Geschlechterordnung hin zur theologischen Neubewertung des Geschlechterverh/iltnisses im Sinne einer gegenseitigen Partnerschaft. 31 Darin liegt ihr erweiterndes, confirmierendes Potential. Dies soll im Folgenden anhand der Institutionalisierung der Geschlechterarbeit in die Arbeitsstrukturen des ()kumenischen Rates der Kirchen (ORK) verdeutlicht werden. Als sich in der Grfindungsphase des ORK far die in der 6kumenischen Bewegung aktiven Frauen die Frage stellt, wie ihre Belange in die neuen Strukturen eingebunden werden sollen, tun sie dies in dem Bewusstsein, dass sie auf ein umfangreiches und vielffiltiges Engagement von Frauen im Rahmen der Missionsarbeit oder auch in 6kumenischen Jugendorganisationen wie der weltweiten Young Christian Women's Association (YWCA) zurfickblicken k6nnen. 32 Dies untermauert das ausgehend von Konferenzen und Studienprogrammen gesammelte und publizierte MateriaP 3 fiber die Situation von Frauen in den Kirchen (Gnanadason 1992: 238). Es geht nun nicht mehr in erster Linie um die Suche nach einem angemessenen Standort far Frauen in der christlichen Religion; es riickt vielmehr die Haltung der Kirchen in den Blick, wobei diese aufgerufen sind ,,to reflect on the theological and ecclesiological structures that deny women their full participation" (Gnanadason 2001:101). ,,What we ask is that the church keep pace with the other agencies that are according to women a new status and new opportunities for development and achievement (Webb 1991 zit. nach Gnanadason 1992: 238). Frauen wie Twila Cavert, die im YWCA eine fahrende Rolle einnahm, wollten die Frauenfrage entsprechend nicht 1/inger in 31 Zum Begriffder gegenseitigen Partnerschaft siehe z.B. Janet Crawford (1988: 39). 32 Zur Rolle des YWCA fiir die Institutionalisierung der Frauenfrage im ORK siehe auch Hammar (1998: 181). 33 Dazugeh6ren etwa die Frauenstudienb/icherzur Mission (1901 - 1938), (Roberts 1997: 257). 249
einer wenn auch erfolgreichen Nische belassen, sondem die Kirchen und die 6kumenische Bewegung in die Pflicht nehmen: ,,why should the YWCA, with all the programmes it has already, deal with this? Why shouldn't the church get busy? [...] I think the World Council ought to get busy on it" (Cavert zit. nach Herzel 1981: 6f.). Was Twila Cavert hier einfordert, ist die Anwendung der 6kumenischen Leitidee von der Einheit der Differenz auf das Geschlechterverh/ilmis. Aus geschlechtsspezifischer S icht kann sich die Einheit der Kirche nur als inklusive Gemeinschaft von M/innem und Frauen konstituieren. Cavert hat Erfolg: Sie erh/ilt den Auftrag, ffir den ORK in Griindung aktiv zu werden; in einem mehr als zwei Jahre w~ihrenden Prozess wird ein Fragebogen an die Mitgliedskirchen versandt, ffir die Griindungsversammlung von 1948 ausgewertet und anschlieBend als eine der ersten Publikationen des ORK ver6ffentlicht (Bliss 1954). Spezifisch an dieser Studie ist, dass es sich nicht nur um eine Bestandsaufnahme zum Stares und dem Dienst von Frauen in den Kirchen handelt, sondem dass sie darfiber hinaus ,,beliefs and aspirations about the work of the church as a whole" erforscht (Cavert zit. nach Gnanadason 1992: 239). Hier deutet sich an, was in den n/ichsten Jahrzehnten nach und nach programmatische Entfalmng findet, n/imlich dass die Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverh/ilmis in der ()kumene als Teil einer umfassenden konzeptionellen theologischen Emeuerung der christlichen Religion angesehen wird. Zentraler Bezugspunkt ist die Leitdifferenz von Inklusion und Exklusion. 34 Hiernach ist die Realisierung kirchlicher Einheit im Binnenverh~ilmis der christlichen Religion nicht ohne Revision der Geschlechterordnung erreichbar: Ohne Geschlechtergerechtigkeit keine kirchliche Einheit. 35 Die Vision von der Gemeinschaft von M/innem und Frauen ist bis heute ein zentrales Anliegen der Frauenarbeit im ORK. Es manifestiert sich 1954, auf der zweiten Vollversammlung des ()RK in Evanston in der Einrichtung des Department on the Cooperation of Men and Women in the Church and Society (Gnanadason 2001: 100); zuvor war 1949 offiziell eine Kommission fiber Leben und Arbeit der Frauen in der Kirche eingesetzt worden. Von Beginn an stellt sich die Frage nach der Reichweite und der Ausrichtung ihrer T/itigkeit. Generalsekret/ir Willem Visser't Hooft betont zwar, dass die Einheit der Kirche nicht realisierbar ist, ,,unless women are given more responsibility in the life of their local churches" (zit. nach Herzel 1981: 12). Inwieweit dies zu programmati34 An dieser Stelle sei nochmals unter Hinweis auf Isolde Karle (2001) darauf verwiesen, dass diese Programmatik erst mit der Entfaltung der Modeme relevant wird; siehe auch Maren Lehmanns (2001) Hinweis, dass Luhmanns Religionstheorie seine erste Inklusionstheorie ist. 35 DiesesVerstfindnis ist ebenso auf andere soziale Unterschiede, wie etwa ethnischer oder 6konomischer Art anzuwenden. 250
schen Erweiterungen ftihren wird, ist ffir ihn aber eine andere Frage, weil dies im Sinne des Spannungsverh/iltnisses von confirmation und condensation mit dem Traditionsbestand abgestimmt werden muss: ,,The work of the Commission may meet with some nervousness. People may fear that we are going to make an onslaught on the whole tradition of some churches or interfere with their life. The Commission will need an immense amount of tact in getting its ideas across" (zit. nach Herzel 1981: 12). Die weitere Arbeit des Departments on the Cooperation of Men and Women wird von diesem zweifachen Prozess der Formbildung mal3geblich bestirnmt. Zus/itzlich werden die Aktivit/iten des Departments auf der Ebene der System-Umwelt-Differenz durch das enge Verh~iltnis mit der allgemeinen Frauenbewegung beeinflusst. Sehr bewusst hat bereits die erste Exekutivsekret~irin des Departments, Madeleine Barot, Kontakte mit s/ikularen Organisationen wie den Vereinten Nationen gepflegt (Gnanadason 1992: 240). Diese Linie wird von ihren Nachfolgerinnen Brigalia Bam (Herzel 1981: 62) und Barbel WartenbergPotter (1998) ebenfalls verfolgt: Die Stidafrikanerin Bam stellt aber nicht nur eine Verbindung zur siikularen Frauenbefreiungsbewegung her, sie zeigt auch die Verwobenheit geschlechtsspezifischer Diskriminierung mit anderen Formen sozialer Unterdrtickung wie Armut und Rassismus auf; die strukturelle Diskriminierung von Frauen wird in diesem Sinne auf einer in kirchlichen Kreisen hohe Resonanz erzielenden ORK-Konferenz in den 1970ern als Sexismus beschrieben (WCC 1975). Neu ist nicht nur, dass Sexismus als strukturelles Problem in Religion und Gesellschaft behandelt wird; neu ist auch, dass Frauen sich hiermit unter Ausschluss von M~innern befassen. Angesichts der Schwierigkeit, die Machtstrukturen in den Kirchen wie auch im ORK selbst zu ver/indern, grenzen sich Frauen in ihrer Arbeit in den 1970er Jahren vermehrt von M/innern ab, um die eigenen Ressourcen zu st~irken und eigene Strategien zu entwickeln (Elisabeth Raiser 2004: 3). In diesem Sinne war das Department on the Cooperation of Men and Women 1971 v o n d e r Einrichtung des Department Women in Church and Society abgel6st worden. In Verbindung damit kam es in den Folgejahren zu einem Perspektivenwechsel ,,away from partnership between women and men towards more justice for women" (Elisabeth Raiser 2004: 6). Dies lenkte den Blick verst/irkt auf die Problematik der Unterrepr/isentanz von Frauen in den Kirchen und den Arbeitsstrukturen des 0RK. Die Sexismus-Konferenz war ein wichtiger Wegweiser, weil sie deutlich machte, dass ,,the churches with their theological and ecclesiastical oppression have turned women into second-rate Christians" (Crawford 1988: 38). Es wird zur Anerkennung von Frauen als gleichberechtigten Partnerinnen in Theologie und Kirche aufgerufen, und zur Umsetzung der Forderung die DurchfiJhrung
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eines Studienprogramms zur Gemeinschaft von Frauen und M/innern in der Kirche empfohlen. Gedacht war diesmal nicht ,,an ein Programm von Frauen fiir und fiber Frauen [...], sondern von der Kirche, durch die Kirche [...] und fiir eine fundamentale Gegenseitigkeit von Frauen und M/innern in der Glaubensgemeinschaft" (Halkes 1988: 260). Dieses als Sheffield- bzw. als CommunityStudy bekannt gewordene Programm leitet eine weltweite, theologisch motivierte Auseinandersetzung mit der Thematik ein, die wiederum auf die Veranderung der Kirchen insgesamt abzielt (Parvey 1989:14 lf.). 36 Die Sheffield-Studie zeigt deutlich, dass die Partizipation von Frauen fiir die Realisierung der Einheit unter den Kirchen ein entscheidender Faktor ist. Dies demonstrieren u.a. zahlreiche Berichte aus verschiedenen L/indern fiber die Erfahrungen von Frauen mit kirchlicher Gemeinschaft nicht als inkludierende, sondern als b r o k e n c o m m u n i t y . Sie unterstreichen die Notwendigkeit einer fundamentalen Erneuerung des theologischen Verst/indnisses von Kirche selbst. So bricht die Studie endgfiltig mit der Auffassung, dass Fragen des GeschlechterverNiltnisses nichts mit theologischen Fragen nach der ELnheit der Kirche respektive mit der Inklusionsprogrammatik zu tun haben (Elisabeth Raiser 2004: 11). Dazu wird das 6kumenische Konzept von der Einheit der Kirchen durch den inkdusiven Begriff der Gemeinschaft/community erweitert; die daraus gezogenen Empfehlungen, die sich auf Themen wie die Ordinationsfrage und die Einfiihrung von Quoten beziehen, werden vom Zentralkomitee des ORK/iul3erst kontrovers und scharf diskutiert, und nur in ver/inderter Form und ohne Zustimmung der orthodoxen Kirchen verabschiedet (Crawford 1988: 38ff.). Man stimmt aber darin fiberein, ,,that this principle of equal participation between men and women be a goal towards which we move, starting with the composition of the WCC decision-making and consultative bodies" (Crawford 1988: 39). W~ihrend die Frage der gleichberechtigten Teilhabe von M~innern und Frauen, und in diesem Zusammenhang insbesondere die Ordinationsfrage, ffir einen Teil des ORK eine Gef'~ihrdung der Einheit darstellt, gilt sie einem anderen Teil als notwendige Voraussetzung zu ihrer Realisierung. Entsprechend werden das dem Einheitsbegriff gegenfibergestellte Community-Konzept und die Ordinationsfrage auf Folgekonferenzen wieder zur Debatte gestellt, bleiben
36 Dabei16st die Zuordnung des Programms z~arORK-Kommissionfiir Glaube und Kirchenverfassung anstelle zur Untereinheit Die Frau in Kirche und Gesellschaft heftige Konflikte aus, weil weder in der Kommission noch im Zentralausschuss fiJhrende Frauen an den offiziellen Entscheidungsprozessen beteiligt sind (Parvey 1989: 145). Es wird beftirchtet, kein Verstfindnis ffir die Situationvon Frauen in den Kirchen und ihre Anliegen herstellen zu k6nnen, wenn sie nicht ausreichend vertreten sind. 252
aber hoch umstritten. 37W/ihrend man sich hinsichtlich zentraler Differenzpunkte wie Taufe, Eucharistie und Dienst in den beriihmten Konvergenztexten von Lima (1982) einander annfihert, kommt es hinsichtlich der Frauenordination zu keiner Konvergenz (Elisabeth Raiser 2004: 17). 38 Dennoch ist die Geschlechterthematik aus dem Arbeitskontext des ORK nicht mehr wegzudenken; auch in den orthodoxen Kirchen nehmen sich Frauen i h r e r - unterstiitzt durch den ORK - z u n e h m e n d an (FitzGerald 1999; Behr-Siegel 1987, 1991). Die Thematisierung des Geschlechterverh/ilmisses erweist sich insgesamt als schwierig; dennoch findet die theologische Dimension der Geschlechterfrage immer wieder Betonung. Eine 6kumenische Theologie des Geschlechterverh/iltnisses soll deutlich machen, dass ,,the world is not seen as a whole if only seen and named by the male half of humanity" (Wartenberg-Potter zit. nach Elisabeth Raiser 2004: 19). Von Genf aus werden Theologinnen-Netzwerke gef'drdert und die theologische Dimension der Gerechtigkeitsfrage betont. In dem Bewusstsein dariiber, dass die Kluft zwischen den Geschlechtern in den Kirchen nach wie vor enorm ist (Busch/Vielhaus 1998), wird Mitte der 1980er Jahre in Anlehnung an das UN-Vorbild der Frauendekade die Dekade der Solidaritiit der Kirchen mit den Frauen initiiert (1988 - 1998) (Oduyoye 1990). Darunter verbirgt sich auch die Idee, ,,[to provide] the opportunity for the churches to be directly confronted so that they could crystallize in concrete action the commitments that have been made to women (...). The focus has been on the local and national church, each to create its own agenda for change" (Gnanadason 1992: 243). Die diesbezfigliche Wirkung der Dekade ist allerdings begrenzt; es zeigt sich, dass sie vor allem die Konvergenz unter Frauen verschiedener Denominationen gef'drdert hat, und zwar im S inne der Verfestigung ihrer 6kumenischen Kontakte, wfihrend die mSnnlich dominierten lokalen und nationalen Kirchenleitungen sich weltweit reserviert zeigten und nur bedingt auf eine konkrete Auseinandersetzung mit den Dekadezielen einliegen (Hammar 1989: 189). Ein unbestreitbarer Erfolg liegt wiederum darin, dass die Verbindung zwischen den Anliegen der Dekade und den allgemeinen Anliegen des ORK nach kirchlicher Einheit gezeigt werden konnte. 39 Hiemach ist eine Erneuerung der Kirche respektive die Einheit der Kirchen nicht ohne den gleichberechtigten Beitrag von Frauen herstellbar. 37 Etwa 1971 in Cartigny, 1979 in Klingenthal (Elisabeth Raiser 2004: 15f.), 1985 in Prag (Cmwford 1995: 41f.). 38 Siehezur Frage der Frauenordination im Allgemeinen sowie im Kontext 6kumenischer Organisationen wie ORK und LutherischerWeltbund Gerda N/itzel (1996). 39 DiesesAnliegen hatte mittlerweile in dem konziliaren Prozess fiir Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrtmg der Sch6pfung seinen Ausdruck gefunden. Insbesondere die Gerechtigkeitsmetapher wurde fiir Anliegen des GeschlechterverNiltnisses anschlussf'~ihig. 253
In diesem Sinne wird auch aktuell in der Frauenarbeit des ORK im Rahmen des Programms ,,Women's Voices and Visions: On Being Church" an der Frage gearbeitet, wie die zuldinftige Kirche aussehen soll (Elisabeth Raiser 2004: 32). Frauen ist es dabei im Verlauf der jahrzehntelangen theologischen Arbeit und Forschung im Rahmen der 6kumenischen Bewegung wie auch in den nationalen Kirchen gelungen, innerhalb der christlichen Religion eine zus/itzliche, die Einheitsidee hinsichtlich des Geschlechterverh/ilmisses spezifizierende Programmstrukmr zu etablieren. Dass sie so konflikttfiichtig ist, liegt an ihrer Reichweite, die sich darin auszeichnet, dass sie traditionelle theologische Programmatiken herausfordert, indem sie beansprucht, allgemein etwas fiber die Konstitution christlicher Religion als inklusiver Gemeinschaft auszusagen. Es bleibt allerdings eine offene Frage, ob jene traditionelle Geschlechterprogrammatik dereinst vollst/indig abgel6st werden kann. Denn infolge des zweifachen, sich zwischen condensation und confirmation bewegenden Prozesses der Formbildung der Religion k6nnen theologische Verfindemngen nur bei entsprechender Berficksichtigung der bestehenden Programmstrukmren entwickelt werden. Kirchenfrauen und Theologinnen werden sich deshalb darauf einstellen mfissen, dass sich auch in Zukunft traditionelle, condensierende Geschlechtertheorien und feministische, confirmierende theologische Programmstrukmren konkurrierend gegeniiber stehen.
5. Ausblick
Systemtheoretisch gesehen kann die Entwicklung theologischer Ans/itze zum Geschlechterverh/ilmis in der 6kumenischen Bewegung als Ausdifferenzierung einer fest etablierten Strukturkomponente interpretiert werden, weil innerhalb der feministischen Ans/itze die allgemeine 6kumenische Leitidee der Einheit hinsichtlich des Aspektes der Geschlechterrelation spezifiziert wird und programmatische Verankerung gefunden hat. Dies vollzog sich im Rahmen von Studienprogrammen und Konferenzen, theologischen Konsultationen und nicht zuletzt in den Gremien des ORK. So kam beispielsweise die ORKVollversammlung von Nairobi 1975 zu dem Schluss: ,,Um der Einheit der Kirche willen muss die Frauenfrage bewusst in alle Oberlegungen des C)RK einbezogen werden. [...] Solange die Frauen weitgehend von den Entscheidungen ausgeschlossen sind, k6nnen sie mit den M~innem keine vollkommene Partnerschaft verwirklichen, und die Kirche keine volle Einheit" (zit. nach Hammar 1989:182). In diesem Sinne besteht der Erfolg der 6kumenischen Arbeit von Frauen darin, dass die Einheit der Differenz im Binnenverh~ilmis der christlichen Reli-
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gion grunds/itzlich infrage gestellt ist, solange das Geschlechterverh/ilmis asymmetrisch ist. Und ihr unbestreitbarer Erfolg besteht dafin, dass nicht nur innerhalb der Arbeitsstrukturen des ORK, sondem auch dariiber hinaus in weltweiten 6kumenischen Btindnissen von Frauen 4~ sowie in einzelnen Ortskirchen die Frage nach einer geschlechtergerechten kirchlichen Realit~it programmatisch, und d.h. theologisch und organisationell, verankert werden konnte. Dessen ungeachtet besteht die Schwierigkeit fort, eine der Codiemng von Religion angemessene theologische Konzeption von Gleichheit zu realisieren, die nicht mit der religi6sen Symbolisierung von Geschlecht und dem darin verborgenen Differenzkonzept konkurrieren miisste und konfessionsiibergreifend Giiltigkeit beanspruchen k6nnte. Dies ist bisher aus zwei Griinden nicht gelungen. Zun/ichst weil sich der Prozess der Formbildung in der Religion wie gezeigt zwischen condensation und confirmation bewegt, also jede theologische Ver/inderung mit der bestehenden religi6sen Programmstrukmr abgeglichen bzw. aus dem Bestehenden heraus entwickelt werden muss. Unter Hinweis auf die ,,Andersartigkeit von theologischen und sozialen Gegenst~inden" (Sch6fthaler 1983: 142) k6nnen dann Kommunikationsschranken in Form dogmatischer Aussagen aufgebaut werden, wie etwa das Papier der Glaubenskongregation zeigt. Hinzu kommt, dass die in der ()kumene angestrebte Einheit der Kirchen auf dem reentry der Differenz basiert. Dies bedeutet, dass die Unterschiede in den konfessionsspezifischen Programmstrukturen in der ()kumene, also in Relation zu den anderen Konfessionen, besonders stark hervortreten, dabei aber nicht infrage gestellt oder revidiert werden mtissen. In der Folge reagieren verschiedene Denominationen, wie etwa die orthodoxen Kirchen, auf die Inkompatibilit/it ihrer Strukturen mit derjenigen der ()kumene nicht mit Anpassung, sondem entsprechend mit R/ickzug und Betonung ihrer jeweiligen Tradition. Positionspapiere des ORK, wie dasjenige von Nairobi, werden von diesen Kirchen nicht angenommen. Folge ist eine condensation des Codes (Thon 1999; Behr-Siegel 1987: 1991; Deicha 1999; Kallis 2002). Nichtsdestotrotz hat die Infragestellung von Geschlechterungleichheit in der christlichen Religion jenseits konfessioneller Grenzen die Entfaltung einer theologisch fundierten Suche nach einer gemeinsam geteilten Gleichheitskonzeption evoziert, indem an der Leitdifferenz von Inklusion und Exklusion angeknfipft und diese in geschlechtsspezifischer Hinsicht spezifiziert wird: Der Ausschluss von Frauen aus verschiedensten kirchlichen Bereichen ist nicht mit der Inklusionsprogrammatik vereinbar. Dies heigt aber auch, dass sich die Kommunizierung von Partizipation und Frauenordination schon Iange auf der Ebene theologischer Programmatik bewegt und in der Folge strukmrelle Spuren hin40 Wie dem YWCA,der Weltgebetstagsbewegungoder auch dem Europ/iischenFrauenforum. 255
terlassen hat. Wer nicht an dieser Ebene theologischer Argumentation anknfipfi, geht das Risiko ein, selbst nicht mehr verstanden zu werden. In diesem Sinne mfissen sich nicht die KritikerInnen der mangelnden Inklusion von Frauen um die kommunikative Anschlussfiihigkeit ihrer theologischen Aussagen sorgen, sondem vielmehr diejenigen, die an der condensation der religi6sen Codierung festhalten.
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Iris Koall, Dr., rer. oec., wissenschaftliche Mitarbeiterin der FRAUENSTUDIE N - Soziologie der Universit/it Dortmund., Trainerin & Supervisorin in den Bereichen Managing Diversity, Karriereentwicklung von Frauen in der Hochschule. Publikationen u.a.: Zum Problem von Elite und Dominanz im Managing Diversity, in: Iris Koall, Verena Bruchhagen, Friederike H6her (Hrsg.), DIVERSITY OUTLOOKS - Mananging Diversity zwischen Ethik und Business Case, Hamburg 2007; Struktur, Dilemma und Dekonstruktion der Geschlechterforschung in der Betriebswirtschaftslehre, in: Regine Bendl (Hrsg.), Betriebswirtschaftslehre und Frauen- und Geschlechterforschung. Teil 1: Verortung geschlechterkonstituierender (Re)Produktionsprozesse, Frankfurt/M. et al. 2006, S. 47-125.
Maren Lehmann, Dr. phil., Soziologin, Lehrbeauftragte ffir Soziologie an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakult~it der Universit~it Halle-Wittenberg und Habilitandin an der Universitiit Witten-Herdecke (Fakult~it ~ r das Studium Fundamentale) mit einer Arbeit zum Thema ,,Mit Individualit~it rechnen: Karriere als Organisationsproblem". Publikationen u.a.: Das ,,psychische Leben" der Gesellschaft. Zur soziologischen Problematisierung von Individualitiit, in: C. Borck/A. Sch~ifer (Hg.), Psychographien. Ztirich/Berlin: diaphanes, 2005, S. 281-300; People's Twist: Performance and Loyalty in Former Socialist Economies, in: D. J. Pauleen (Ed.), Cross-Cultural Perspectives on Knowledge Management, University of Wellington, New Zealand: Libraries Unlimited (Greenwood PubI.), 2006 (mit Gerhard Fink).
Gerd Nollmann, PD Dr., wiss. Ass. an der Universitiit Duisburg-Essen. Publikationen u.a.: Erh6ht Globalisierung die Ungleichheit der Einkommen? Determinanten von Einkommensverteilungen in 16 OECD-L~indern 1967-2000, in: K61ner Zeitschrift ff~ Soziologie und Sozialpsychologie 4, 2006; Max Webers 265
Vergleich von Rechts- und Sozialwissenschaft. Die Entwicklung seiner Kausalit~itstheorie und deren Konsequenzen ~ r Kausalaussagen in der Sozialforschung, in: Archiv fiir Rechts- und Sozialphilosophie 2006.
Veronika Tacke, Dr. rer. soc., Professorin fiir Organisationssoziologie an der Universit~it Bielefeld, Fakult/it ffir Soziologie. Publikationen u.a.: (mit Michael Bommes) Das Allgemeine und das Besondere des Netzwerkes. In: Betina Hollstein und Florian Straus (Hrsg.), Qualitative Netzwerkforschung. Konzepte, Methoden, Anwendungen, Wiesbaden 2006, S. 37-62; System, Netzwerk und Geschlecht, in: Sylvia M. Wilz (Hrsg.), Struktur, Konstruktion, Askription: Theoretische und empirische Perspektiven auf Geschlecht und Gesellschaft, Studienbrief33714, Hagen: FemUniversit/it, 2006, S. 233-264. Christine Weinbach, Dr. rer. soc., Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universit/it Bielefeld, Fakult/it ffir Geschichte und Philosophie. Publikationen u.a.: Systemtheorie und Gender. Das Geschlecht im Netz der Systeme, Wiesbaden 2004; Kein Ort fiir Gender? Die Geschlechterdifferenz in systemtheoretischer Perspektive, in: Brigitte Aulenbacher et al. (Hrsg.), FrauenM~_nerGeschlechterforschung. State of the Art, Miinster 2006, S. 82-94. Katrin Wille, Dr. phil., Philosophin, derzeit akademische Ratin (auf Zeit) im Institut ffir Philosophie der Philipps-Universit~it Marburg, Arbeit an einer Theorie der Unterscheidung. Publikationen u.a.: mit Tatjana Sch6nw~ilder, Thomas H61scher, George Spencer Brown. Eine Einf/ihrung in die ,,Laws of Form", Wiesbaden 2004; Unterscheidungsgewohnheiten, Unterscheidungsstrukturenliterarisch und philosophisch reflektiert, in: Ingrid Hotz-Davies, Schamma Schahadat (Hrsg.): Ins Wort gesetzt, ins Bild gesetzt. Gender in Wissenschaft, Kunst und Literatur, hrsg. v. Ingrid Hotz-Davies und Schamma Schahadat, B ielefeld 2007. Heidemarie Winkel, Dr., Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl fiir Geschlechtersoziologie an der Universit~it Erfurt, zurzeit Durchffihrung eines DFGgef'6rdertes Projekt zur Geschlechterordnung im arabisch-christlichen Kontext in Jerusalem. Publikationen u.a.: Selbstbestimmt Sterben. Patient(inn)enorientierung und ganzheitliche Schmerztherapie als Kommunikationskoordinaten in der Hospizarbeit. Eine systemtheoretische Perspektive, in: Hubert Knoblauch und Amold Zingerle (Hrsg.), Thanatosoziologie. Tod, Hospiz und die Institutionalisierung des Sterbens, Berlin 2005; Soziale Grenzen und M6glichkeiten der Kommunizierung von Trauer. Zur Codierung von Verluster-
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fahrungen als individuelles Leid, in: Rainer Schiitzeichel (Hrsg.), Emotionen und Sozialtheorie. Disziplin/ire Ans/itze, FrankfurffM. 2006
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