Ernesto Laclau, Chantal M ouffe Hegem onie und rad ik ale Demokratie Zur Dekonstruktion des M arxism us
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Ernesto Laclau, Chantal M ouffe Hegem onie und rad ik ale Demokratie Zur Dekonstruktion des M arxism us
sagen Verlag
Spätestens seit dem Zusammenbruch des «realen Sozialismus“ sind demokratietheo retische Fragestellungen /u einem zentra len Feld der intellektuellen Auseinander setzung geworden. Hier gehen die Autor innen eine - wenn nicht die - entscheidende l .eerstelle linker, marxistischer Theoriebil dung an. Über eine Dekonstruktion des Marxismus, vornehmlich der 11. und lll. In ternationale, versuchen sie den Blick freizum achen für eine am i-essentialistische Konzeption des Sozialen, llabei führt ihre R adikalisiserung und Verknüpfung von Gramscis Überlegungen zur Hegemonie, Foucaults Diskursanalylik und L efo rts libertärer Polilikkonzeption zu einer neu en Artikulation von postindividualistischem Liberalismus, radikaler und pluraler Demo kratie sowie nicht-totalitärem Sozialismus. Insofern stellt dieses Buch auch einen Bei trag zur Herausbildung einer neuen Poli tik der Linken dar. F.rneslo Laclan, geboren 1935 in BuenosAires, lehrt Politik an der Universität von Essex. Chamal Mouffe, geboren 1943 in Baulet/ Belgien, lehrt Philosophie an der City Unixvrsity of London. Die Herausgeber und Übersetzer Michael Hintz und Gerd Vorwallner leben und ar beiten als Sozial- beziehungsweise Politikvrissenschaftler in Frankfurt.
E r n e s t o L a c la u , C h a n ta l M o u ffe H e g e m o n i e u n d ra d ik a le D e m o k r a tie Zur Dekonstruktion des Marxismus
Herausgegeben und übersetzt von Michael Hintz und Gerd Vorwallner Passagen Verlag
Deutsche Erstausgabe Titel der Originalausgabe; Htgemony ScxruilL« Stmtrgy. Tounrds a mdira/ drmoemtir politics. Aus dem Englischen von Michael llintz und Gerd Vurivallner
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Laclau, Ernesto: Hegemonie und radikale Demokratie: zur Dekonstruktion des Marxismus/Ernesto Laclau; Chantal MoulTe. Hrsg. und aus dem Engl, übers, von Michael Hintz und Gerd Vorwallner. 2. Aufl. - Wien : Passagen-Verl., 2000 (Passagen Politik) Einheitssacht.: Hegemony and sociaiist strateg)’
ISBN 3-85165-453-6
Alle Rechte Vorbehalten ISBN 3-85165-453-6 2., durchgesehene Auflage 2000 © 1985 der englischen Ausgabe by the authors © 1991 by Passagen Verlag Ges. m. b. H., Wien Graphisches Konzept: Ecke Bonk, Düsseldorf 1989 Satz: Passagen Verlag Ges. m. b. H., Wien Druck: Manz Crossipedia^Gmbh & Co KG, 1051^Wien
In h a lt
Vorwort der Herausgeber
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Vorwort zur deutschen Ausgabe
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Einleitung
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Hegemonie: Genealogie eines Begriffs
37
Rosa Luxemburgs Dilemmata Der Nullpunkt der Krise Die erste Antwort auf die Krise: die Formierung der marxistischen Orthodoxie Die zweite Antwort auf die Krise: der Revisionismus Die dritte Antwort auf die Krise: der revolutionäre Syndikalismus
3g 4g
Hegemonie: Das schwierige Auftauchen einer neuen politischen Logik Kombinierte Entwicklung und die Logik des Kontingenten „Das Klassenbündnis“: Zwischen Demokratie und Autoritarismus Der gramscianische Wendepunkt Sozialdemokratie: Von der Stagnation zur Planwirtschaft Das letzte Bollwerk des Essentialismus: die Ökonomie
51
72
79 80 88
100 108 112
Ktuisciincnscii
^
A
Jenseits tlet Positivitiit des Sozialen. Antagonismus m u l H e g e m o n ie G esellschaftsform ation m ul O b e rd e t e rm in ie r u n g Artikulation m ul Diskurs D ie K ategorie des „Su bjek ts“ Ani.igonisimjs u n d Objektivität
Ä quivalenz m ul D ifferenz H e g e m o n ie
Hegemonie und radikale Demokratie Die demokratische Revolution Demokratische Rewlution und neue Antagonismen Die anti-demokratische Offensive Radikale Demokratie: Alternative für eine neue Linke
Anmerkungen
Vorwort der Herausgeber
„D er Sozialismus wird demokratisch sein oder gar nicht. " (Nicos Poulantzas)
/. Der mit der Krise des keynesianisch-wohlfahrtsstaatlichen Klassenkompromisses verbundene Niedergang des sozialdemokratischen Staatsreformismus, das Scheitern der eurokommunistischen Versuche, das traditionelle Pro jekt der Linken hegemonial zu machen und die Niederlagen der linksradi kalen Erneuerungsversuche der (nach-)achtundsechziger Bewegung haben seit spätestens Mitte der siebziger Ja h re den eklatanten Mangel einer Theorie des Politischen, einer T heorie des bürgerlichen Staates deutlich werden las sen. In der Folge der krisenhaften gesellschaftlichen Umwälzungsprozesse, der Neuformierung der sozialen Strukturen/Kräfteverhältnisse im Gesamt ihrer ökonomisch-technischen, politischen und ideologischen Aspekte nicht zuletzt mit der Entstehung „neuer sozialer Bewegungen“ wie der Frau en- und Ökologiebewegung - wandelten sich nicht nur die Bedingungen, unter denen man sich traditionell die Beziehungen zwischen Theorie und Politik, Staat und Gesellschaft vorstellte grundlegend, die Form dieser Be ziehungen selbst ist radikaler Kritik unterworfen worden. Ein zentrales Moment, wie diese Beziehungen zu denken sind, ist zweifel los die im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch der osteuropäischen bürokratisch-zentralistischen Formationen erneut aufgeflammte Diskussi on um die Demokratisierung der Gesellschaft, das heißt der liberal-demokrati schen Gesellschaften westlichen Typs. In den letzten Jah ren hat es in den Vereinigten Staaten und in Europa zwei herausragende intellektuelle Strö-
mutigen gegeben, die sich beide als Antwort auf den Wohlfahrtsstaat init seiner Betonung des staatlichen Moments von Politik verstehen. Die neo konservativen mul neo-liberalen Bewegungen kritisieren den Blxzeß der Demokratie, die zunehmende „Unregierbarkeit“ der westlichen Staaten aufgrund der Vervielfältigungen demokratischer Forderungen und Rech te, sowie die Staatsintervention in die Ökonomie; eine Rückkehr zu autori tären Formen von Politik sowie zum freien Marktkapitalismus wird anvi siert. Demgegenüber gibt es zwei „linke“ Strömungen: eine neurepubli kanische Richtung, die auf der Idee der Staatsbürgerschaft basiert und die aktive Beteiligung an staatlichen Institutionen verstärken, sowie die sozia len und politischen Bürgerrechte ausdehnen will; und eine sich an den Erfahrungen Osteuropas orientierende eher anti-staatliche Richtung, die die Rolle der civilsocirty, der „zivilen Gesellschaft“, betont, die Ausdifferen zierung und Pluralisierung von Lebensräumen gegen die Vereinheit lichungstendenz staatlicher Politik. Der eigentliche Einsatz der „linken“ wie der „rechten“ Bewegungen ist die Artikulation von Demokratie und Liberalismus, das subversive Potenti al der demokratischen Idee. Es ist dieses mit dem Ereignis der demokrati schen Revolution verknüpfte Moment der Subversion., das für Ernesto Laclau und Chantal Mouffe zentral ist, um die Ausweitung demokratischer Kämp fe, die Vermehrung von Antagonismen sowie die Herausbildung neuer Sub jekte der sozialen Transformation adäquat erfassen zu können. Im vorlie genden Buch1 versuchen sie eine Konzeption von radikaler und pluraler Demokratie zu entwickeln, mit dem Ziel, das linke Projekt zu reformulieren und die Leerstellen des Marxismus/Kommunismus und der Sozialdemo kratie aufzufüllen. Dieses Projekt könnte man sowohl als „m odern“ als auch „postmodern“ definieren, da es sowohl das unerfüllte Projekt der M oder ne verfolgt als auch sich bestimmte Momente der Kritik der Postm oderne am Rationalismus und Universalismus zu eigen macht - das, was bei L aclau / Mouffe „Anti-Essentialismus“ heißt. Gegenüber Habermas, d er den Libe ralismus unter Rückgriff auf die universalistische Philosophie und damit demokratische Politik zu verteidigen versucht, wird behauptet, daß das po litische Projekt der Aufklärung verteidigt werden kann ohne in Rationalis mus und Universalismus zu verfallen. Beide Momente der Aufklärung sind zu einem bestimmten Zeitpunkt miteinander artikuliert worden und nicht notwendigerweise miteinander verbunden. Wenn man das politische Pro jekt vom epistemologischen Projekt der Aufklärung trennen kann, ist es ebenso klar, daß die Kritik am epistemologischen Projekt durch die Post-
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m oderne nicht notwendigerweise eine Verabschiedung vom politischen Projekt nach sich zieht, wie einige postm oderne Kritiker behaupten (I.yotard). Die Unterscheidung zwischen Moderne und Postmoderne ist genaugenoimnen nicht pertinent, da der Anfang der M oderne von zwei Logiken bestimmt wurde, das Prinzip der Postmoderne bereits am Anfang der Moderne präsent war. Für Laclau/M ouffe ist das Auftauchen der Moderne eng verbunden mit dem Ereignis der demokratischen Revolution. In Anlehnung an Claude Lefort wird die dem okratische Revolution als eine neue Art und Weise der Instituierung des Sozialen begriffen, worin Macht zu einer Leerstelle wird und getrennt ist von Recht und Wissen. Die Abwesenheit von Macht, ver körpert in der Person des Fürsten und gebunden an eine transzendentale Autorität, macht es unmöglich, Gesellschaft von einer einzigen universalen Logik aus zu denken. Macht, Recht und Wissen sind einer radikalen Unbe stimmtheit ausgesetzt; die Unmöglichkeit einer letzten Grundlage oder „Naht“ ist konstitutiv für die demokratische Form von Gesellschaft. Mit der Erklärung der Menschenrechte, der Einführung der demokratischen Prinzipien von Freiheit und Gleichheit wird das Moment der Negativität zur neuen Matrix des politischen Imaginären. „Demokratie erweist sich somit als die historische Gesellschaft par excellence.“2 Diese radikale Inderterm iniertheit ging jedoch einher mit der Ersetzung der traditionel len Grundlagen wie Gott und Natur durch die des Menschen und seiner Vernunft, verstanden als homogene und einheitliche Entität. Im klassischen Diskurs der Emanzipation waren die „objektiven“ Interessen der Mensch heit in bestimmten Gruppen personifiziert, die Forderungen anderer Grup pen lagen außerhalb d er Universalität des historischen Prozesses. Das Mo ment der Politik beschränkte sich darauf, die objektive Bewegung der Ge schichte auszudrücken, eine Bewegung, vor der die verschiedenen Forde rungen unterschiedlicher Gruppen gerechtfertigt werden müssen. Im Ge gensatz dazu eröffnen Laclau/M ouffe den Blick für partikulare Emanzi pationen, die die Vorstellung von als einheitliches Ganzes konstituierten Forderungen, die durch einen privilegierten Agenten der historischen Ver änderungen in einem einzigen grundlegenden Akt der Transformation die Revolution - verwirklicht werden, verwerfen. Jed er Behauptung der Universalität liegt eine Nicht-Anerkennung des Partikularen und Spezifi schen zugrunde, ein Mechanismus der Ausschließung. Wie feministische T heorien gezeigt haben, beruhen die klassischen Demokratietheorien noch in der Behauptung von Freiheit und Gleichheit auf der Ausschließung von
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Krauen.1 Radikale Deniokiatie erfordert demgegenüber d ir Anerkennung der Diffeienz. des Besonderen, all dessen, was durch den Begriff des Men schen im Abstrakten ausgeschlossen wurde. Das bedeutet jedoc h nicht, daß der Universalismus in Gänze verworfen werden muß. Wie Lefort gezeigt hat, geht es hei der Universalität der Werte der demokratischen Revolution nicht lediglich uin einen bestimmten 'Typus gesellschaftlicher O rdnung, um die Spaltung /wischen bourgeois und citoym. ln Wirklichkeit haben diese Werte den Status einet abstrakten Universalität, die in die unterschiedlich sten Richtungen ausgedehnt weiden kann. Entscheidend ist also dieser Tvpus der unbegrenzten Infragestellung, die jed er Festsetzung d er dem o kratischen Prinzipien inhärent ist. ‘ Die Refonnulierungdes demokratischen Projekts im Sinne radikaler Demokratie bedeutet demnach nur die Preis gabe eines Universalismus der Nicht-Differenzierung u nd nicht seine ein-, fache Abschaffung. „Der Universalismus wird nicht verworfen, sondernj partikularisicrt; es bedarf einer neuen Art und Weise d er Artikulation zwi schen dem Universalen und dein Partikularen.**5 Erforderlich ist deshalb, den Beitrag des Liberalismus zur „M oderne“ adäquat zu würdigen. Hier gilt es bestimmte Vorstellungen von Liberalis mus zu desartikulieren. Wie Macpherson gezeigt hat, sind das liberale und demokratische Projekt nicht notwendig miteinander verbunden, sondern erst im 19. Jahrhundert miteinander artikuliert worden. Zudem ist d er pol: litische Liberalismus nicht mit dem ökonomischen Liberalismus, dem Besitz individualismus, dem Prozeß der Modernisierung unter der H errschaft der kapitalistischen Produktionsverhältnisse gleichzusetzen. Schließlich gilt esj seine Konnotation mit einer universalistischen und rationalistischen Philo sophie in Frage zu stellen. Für Laclau/Mouffe sind die Verteidigung des Pluralismus, das Auftauchen des Individuums, die Trennung von Kirche und Staat und die Entwicklung der civil soäety alles entscheidende Elem en te der modernen Demokratie. Das Problem ist eine neue A rt und Weise der Konstruktion des öffentlichen und des Privaten, die nicht alle Differenzen und Pluralität auf das Private relegiert und nicht das Individuum dem Staats bürger opfert. Das allseitig entfaltete Individuum (Marx) findet sich weder im partizipatorischen Ideal des totalen Bürgers noch in der Vorstellung vom totalen Staat. Beide sind nur zwei Seiten derselben Medaille.6 Auf dem Spiel steht die Versöhnung von individueller und politischer Freiheit.7 Dieser Fragestellung ist Michael Walzer, einer der Hauptwortführer der ammunitariam in den USA, mit der Unterscheidung zwischen „einfacher und komplexer Gleichheit“ nachgegangen.8 Unter „einfacher Gleichheit“
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verstehe Wal/er eine Art Gleichmacherei, eine Einebnung der Unterschie de, was eine bestfindige Intervention des Staates nötig macht, um das Aufraurhen bestimmter Formen von Herrschaft zu eliminieren. Dies birgt je doch die Gefahr von totalitärer Herrschaft in sich, die beansprucht, syste matisch die Verteilung aller Güter in allen Sphären zu koordinieren. Die ser Einschränkung von Freiheit wird mit dem Begriff der „komplexen Gleichheit“ zu begegnen versucht, das Gegenstück zum Totalitarismus ein Höchstmaß an Differenzierung gegenüber einem Höchstmaß an Koor dination.9 Dies impliziert, daß gesellschaftliche Güter in Übereinstimmung mit einer Vielzahl von Kriterien verteilt werden, die die Verschiedenheit dieser Güter und ihrer sozialen Bedeutungen reflektiert. Gerechtigkeit heißt für ihn dann, daß das Prinzip der für jede Sphäre spezifischen Verteilung nicht verletzt werden darf und sichergestellt ist, daß der Erfolg in einem sozialen Bereich nicht erlaubt, Herrschaft in einem anderen auszuüben. Diese „Kunst der Differenzierung“ - die in der politischen Macht die Regu lationsinstanz für alle gesellschaftlichen Güter findet, eine Instanz also, die die Grenzen jed er Verteilungssphäre, ihre eigene eingeschlossen, ver teidigt - erlaubt so die Kritik am liberalen Individualismus und seinen epistemologischen Voraussetzungen, während der Pluralismus bewahrt und ausgedehnt wird. Es ist diese Artikulation von Liberalismus und D em o k rat tie, die Anerkennung von pluralen und partikularen Universalismen, die für Laclau/M ouffe zum Zement eines neuen Kollektivwillens in den fortge schrittenen westlichen Industriegesellschaften werden sollen.10 Eng mit einem bestimmten Universalismus verbunden stand das epistemologische Projekt der Aufklärung in permanenter Spannung zu deren politischem Projekt. Die Krise des Rationalismus/Universalismus und die postmoderne Kritik sind nur die Krise eines besonderen Projekts inner halb der Aufklärung. Diese Artikulation - von L a d a u / Mouffe als „Natura lisierung sozialer Verhältnisse“ bezeichnet - ist die Art und Weise der Kon stitution der bürgerlichen Hegemonie im achtzehnten Jahrhundert. Diese Hegemonie ist zum Gegenstand der Selbstkritik der bürgerlichen Gesell schaft geworden. Die Identität der neuen sozialen Objekte, die Formen ih rer Beziehung sowie die Formen der Politik haben ihren eindeutigen, ih ren notwendigen Charakter verloren. Hier setzt die Dekonstruktion des „linken“ Projekts der Aufklärung an, der Aufweis, daß die Wissenschaft lichkeit des Marxismus nur die Kehrseite des epistemologischen Projekts der Aufklärung und somit der bürgerlichen Hegemonie unterworfen ist: „In der Tiefe des abendländischen Wissens hat der Marxismus keinen wirkti-
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ihm Einuhnilt ci hr.u lw: Kr hat sich ohne Schwierigkeit als eine volle, ruhige, komfortable, ja lilr eine bestimmte /eit (clie seine) befriedigende Hgur ¡n eine eikenntnistheoretisihe Disposition gestellt, die ihn günstig aufgenoinmen hat (da gerade sie es war. die ihm Platz einräumte), und er hatte umge. kehrt weder das Ziel, sie zu venvirren. noch vor allem die Kraft, sie zu ver ändern, sei es auch nur um eine Daumenbreite, weil er völlig auf ihr beruhte. Dev Marxismus ruht im Denken des neunzehnten Jahrhunderts wie ein Fisch im Wasser.*11
//. Gegen den „Ökonomismus“ und „Reduktionismus“ des Marxismus der Zwei ten und Dritten Internationalen, aber - in unterschiedlichen Ausprägungen - auch des hegelianischen „westlichen Marxismus“ in der Nachfolge Lukäcs’ hatten zwar beispielsweise die Arbeiten Louis Althussers zur Entwicklung einer Theorie der Überbauten, einer Theorie der Ideologie entscheidende Ansatzpunkte geliefert, um die angesichts der neuen sozialen Objekte, der neuen Formen von Beziehung zwischen diesen Objekten und der neuen For men der Politik notwendigen Transformationen der marxistischen Theorie und Forschung voranzutreiben, doch verblieben auch sie trotz ihrer (bei al lem um eine „Neo-Orthodoxie“ bemühten Gestus) die klassische Formation „des“ Marxismus dekonstruierenden Effekte noch in der traditionellen, klassenreduktionistischen Problematik befangen. Indem sie sich gegen diese Tradition auf den Boden der sozialen Transfor mationen der entwickelten kapitalistischen Gesellschaften (Abnahme der klas sischen Arbeiterklasse; Eindringen der Formen kapitalistischer Produktions verhältnisse in immer weitere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, was neue Formen von sozialem Protest erzeugt hat), nicht zuletzt aber auch der zum allgemeinen sozialen Kollaps sich zuspitzenden Krise des bürokratischzentralistischen Sozialismus und der damit einhergehenden, ihnen entspre chenden neuen Wissensformen stellen, versuchen Laclau/Mouffe die schon von Foucault anvisierte theoretische Befreiung und distanzieren sich sowohl von der theoretischen und politischen Praxis des in den Traditionen der II. und III. Internationalen geronnenen Marxismus und Kommunismus als auch von den klassischen Formen der Sozialdemokratie. Die „Reinigung“ der marxistischen Tradition von den ihn seit M arx ent scheidend prägenden Ambiguitäten ist Teil eines umfassenderen politischen
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und intellektuellen Projektes. Der Akt der Konstitution dieses „Post-Marxis mus" ist der der Auf-/Nachzeichnung seiner Genealogie - die Geschichte eines „Präsenten“ konstruierend, nicht eine vermeintlich objektive Geschich te der Genesis aus den komplexen Diskursen einschließlich derjenigen mar xistischer Tradition, die ihn nach und nach reifen ließen. Weit entfernt, den Marxismus einfach zu verwerfen, geht es Uiclau/M ouffe darum, ihm seine Gegenwart und seine Historizität „zurückzugeben“. In einer Reihe von Arbeiten, die im vorliegenden Buch eine erste Zusam menfassung fanden, zeigten sie, wie die Formen einer positivistischen und ökonomistischen Wissenschaftlichkeit im klassischen Marxismus konstitutiv Zusammenhängen mit der Kurzsichtigkeit einer im Klassenreduktionismus und in einer nicht-hegemonialen Konzeption der sozialen Kämpfe gründen den politischen Praxis. Ihr Post-Marxismus versteht sich nun nicht als eine neue „Wahrheit“ (des zwanzigsten Jahrhunderts) der Gesellschaft, sondern als Ort einer die Befragung und Unterbrechung anderer Diskurse sowie die Konstitution neuer sozialer Subjekte ermöglichenden Sinnproduktion. Inso fern ist ihr Diskurs sowenig unschuldig und gleichgültig gegenüber der Prä senz anderer Diskurse wie jede diskursive Intervention: er kann die Bedin gungen der Denkbarkeit bestimmter sozialer Objekte nur durch die Kon struktion der Undenkbarkeit anderer Objekte konstituieren und denkt sich selbst so als Bestandteil des politisch-diskursiven Kampfes um die diskursive Konstruktion sozialer Realität. Dabei kann nach Laclau/M ouffe von „Gesellschaft“ nicht mehr als selbstver^! ständliche Totalität und Objektivität des Sozialen ausgegangen werden. Nicht nur wird die je konkrete historische Gesellschaftsformation als ein komple xes Ganzes heterogener sozialer Verhältnisse verstanden - ihre Einheit, seinlT> je spezifische Form, ist das komplexe Resultat vielfältiger politischer Artiku lationen, die sich aus den widerstreitenden hegemonialen Praxen der verstreu ten sozialen Kräfte ergeben. Im m er umkämpft, institutionalisiert diese hegemoniale Formation nichts weniger als ein Ensemble relativ stabiler so zialer Formen als Reproduktionsbedingungen eines historischen Blocks so zialer Kräfte. Die Grenzziehungen zwischen den sozialen Identitäten (der Gesellschaft wie der sozialen Subjekte und ihrer Gegenstände) sind nicht ein für allemal fixiert, sondern werden auf der Basis hegemonialer Verschie bungen/Verlagerungen immer wieder neu definiert. Die Konstruktion kol lektiver Willen und Identitäten ist radikal instabil, vergänglich und kontingent^ Dieser nicht-geschlossene Charakter relationaler Totalitäten verweist auf ein „konstitutives Außen“, das gleichzeitig Bedingung ihrer Konstitution
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ist wie deformierend auf sie wirkt, indem es die Identität des „Innen“ blo^. kiert und die Konstitution einer wirklichen „Objektivität“ verhindert. |Jjt.r wird die Differenz /wischen der traditionell im Marxismus dominierenden hegelianischen und Uu'lau/Mouffes Konzeption des Antagonismus deut. lieh: Wird im hegelianischen Verständnis der Widerspruch als ein internes Moment des Hegt i(Ts au (gefaßt, die Rationalität des Realen als Rationalität des Systems ohne irgendein (weil eben nicht „auf den Begriff zu bringen, des“) Außen - das Reale ist Form -, resultiert die Ablehnung bei Laclan/ Moiiffe demgegenüber gerade nic ht aus diesem „Innen“ der Identität, son dern, wie sie immer wieder betonen, gerade von jenem „radikalen Außen“, das nicht aut eine beiden gemeinsam zugrundeliegende Rationalität bezo gen werden kann: das „Sein" ist nicht auf das „Wesen“ zu reduzieren. Es gibt demgemäß keine Objektivität, die eine Art Ursprung bildet, von dem aus alle sozialen Praxen vollständig repetitiv wären: „Das Moment der Schaf fung ist radikal - creatio ex nihilo Ist „Gesellschaft“ selber nur ein Effekt hegemonialer Artikulation, die hegemoniale Logik somit die Logik der Konstruktion des Sozialen, so wer den auch bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsformationen als Resultat I sozialer und politischer Kämpfe denkbar, wird möglich, die Geschichte des ; Kapitalismus als Aufeinanderfolge unterschiedlicher hegemonialer Forma tionen zu begreifen. Radikale soziale Transformation meint deshalb für Laclau/Mouffe nicht die einfache Abschaffung einer Gesellschaft und ihre Ersetzung durch eine „andere". Insofern kann konsequenterweise „Sozialismus“ nicht mehr als das einfache Gegenstück zum „Kapitalismus“, als der emanzipatorische Gegenentwurf von Gesellschaft gedacht werden, mit einem klaren und ein deutigen (potentiellen) Agenten der Transformation - der Arbeiterklasse. (_Denn wenn schon die Rede vom „Kapitalismus“ nur begrenzt Sinn macht es existiert keine essentiell homogene Entität „das kapitalistische System“ mit seinen (sic!) mehr oder minder zufälligen empirischen Variationen in unterschiedlichen historischen und geographischen Kontexten0 so erst recht diejenige von „Sozialismus“: Das sozialistische Projekt als globale Eman zipation der Menschheit und einmaligem revolutionärem Akt der Instituierung einer neuen Gesellschaft ist an sein Ende gekommen. Während der klassische Sozialismus essentiell universalistisch und in diesem Sinne ab strakt war, verstehen Laclau/Mouffe Sozialismus nicht länger als „Blaupau se“ für Gesellschaft, sondern als Teil der umfassenderen demokratischen Revolution, einer radikalen Demokratisierung der sozialen Organisation,
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artikuliert mit anderen demokratischen Forderungen der Massen. Wie je der Kampf ist auch der sozialistische per definitionem ein partieller; von daher gibt es nicht mehr „den*4 Sozialismus, sondern nur noch lokale J Sozialismen mit „Familienähnlichkeiten**. Eine harmonische Gesellschaft ' ist für Laclau/Mouffe unmöglich, weil Macht die für die Existenz von Ge sellschaft notwendige Bedingung ist. In diesem Sinne ist Hegemonie „in letzter Instanz eine inhärente Dimension jeder sozialen Praxis“.“ Die Kritik des Mythos von einer transparenten Gesellschaft zielt schließ lich gegen eine bestimmte Vorstellung von Subjekt. Das Subjekt ist weder der passive Effekt der Strukturen, noch kann cs in Form von Selbstbestim mung verstanden werden. Diese Alternative verbleibt innerhalb der klassi schen Dichotomie von Subjekt und Struktur Sowohl die Fülle der Struktu ren als auch das Subjekt als positive Identität werden verworfen. Die ent scheidende Frage ist nicht, wer oder was soziale Verhältnisse transformiert, als ginge deren Identität dem Effekt der Transformation voraus. Dieser Effekt ist Teil der Konstruktion der Identität des diesen Effekt produzieren? den Agenten. Die entscheidende Frage ist dann wie etwas durch hegemoniale* I Konstruktion zum Subjekt wird.
III. Anhand der bisherigen Argumentationslinie ergibt sich das Problem, wie das Verhältnis von Staat und Gesellschaft bei Laclau/Mouffe eigentlich ge dacht werden kann. Um dieses Verhältnis denken zu können, ist es notwen dig, sich zunächst mit ihrem Begriff des Politischen auseinanderzusetzen. Soziale Verhältnisse sind bei Laclau/M ouffe kontingente und von Macht durchzogene Verhältnisse, die auf die prekären Formen jeder Objektivität verweisen und gegen die Vorstellung gerichtet sind, daß eine „freie“ Ge sellschaft frei von Machtverhältnissen wäre. Darüber hinaus werden sie be- i stimmt durch das Primat des Politischen über das Gesellschaftliche. Diese im Vergleich zur traditionellen marxistischen Theorie mit ihrer gesellschafts bezogenen Sichtweise eigentümliche Umkehrung hat den Sinn, das Mo ment des Antagonismus, wo sich der letztlich prekäre Charakter jed er Ob jektivität und der konstitutive Charakter von Machtverhältnissen zeigt, als Feld des Politischen herauszustellen. Im Unterschied zum Sozialen als dem Feld sedimentierter Formen von Objektivität (wobei die Sedimentierung seine ursprüngliche Instituierung durch Machtverhältnisse verbirgt) ist das Politische
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Was Moment de i Kraktitieiuity!. c l . t s *•»*#
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xeii, «lie Entflechtung von Wissenschaft unrl Politik selbst zur Diskussion. Knil lechtung in einem ganz bestimmten Sinne: in der vorherrschenden marxistischen Tradition war die Vorstellung von Wissenschaft eng verbun den mit einem ganzheitlichen Wissen, das auf der privilegierten Position einer Klasse beruhte, die ihrerseits wieder in die epistemologisch privilegier te Position politischer Führung transformiert wurde, was zu den wohlbe kannten autoritäten Formen von Politik führte. Demgegenüber betonen1 L a c la n / Mouffe, daß die Einheit von Wissen und Politik selbst Resultat einer spezifischen hegemonialen Konstruktion ist, jedes Wissen von kontingenter, partieller Art ist und einem Prozeß des Awhanddns unterliegt. Wenn der \ Diskurs eine materielle soziale Praxis ist, jedes Objekt des Diskurses im Kon text einer Handlung konstituiert ist, muß intellektuelle Praxis selbst als ein soziales Verhältnis gedacht werden, als ein Moment diskursiver Intervention. Diese ist, im Gegensatz zur autoritäten Praxis der Interpretation, grundlegend demokratisch, weil sie auf andere Argumente Bezug nimmt und, da der Pro zeß offen ist, immer bezweifelt werden kann. Das Problem, ob eine theoreti sche W ahrheit verallgemeinert und als universal betrachtet werden kann, findet seine Lösung im Grad der Inkorporierung dieser Wahrheit in die „Wirklichkeit“, von der sie selbst im mer ein Teil ist. Jedes Argument ist da mit wesentlich artikulatorisch und hcgemonial. Die Produktion einer neuen Objektivität und Universalität, die den von Laclau/M ouffe in diesem Buch dargelegten Ansprüchen einer radikalen und pluralen Demokratie genügen, die Ausarbeitung neuer kollektiver Lebens formen, die das Spiel der Differenzen, des Individuellen allererst ermögli chen, kann sich an keinem privilegierten Haltepunkt sichern beziehungswei se läßt sich nicht an privilegierten Orten entfalten - ein elitärer Anspruch auf Führung wäre ohne jed e Begründung. Eine bestimmte Position mag noch so „wahr“ sein, sie ist nicht, wenn sie sich nicht durchsetzt - aber sie kann sich letztlich nur durchsetzten unter essentieller Anerkennung noch des radikal Anderen. Die Ablösung des klassischen Wahrheitsbegriffs durch die »logic of verissimilitudeU|H entbindet Intellektuelle deshalb nicht von der Pflicht, aktiv zu werden, seinen/ihren Willen einzusetzen, bedeutet fü r die intellektuelle Praxis im Gegenteil umsomehr, „konkret dazu bei(zutragen), das .vorhergesehene1 Resultat zu schaffen. Die Voraussicht erweist sich folg lich nicht als ein wissenschaftlicher Akt der Erkenntnis, sondern als ein ab strakter Ausdruck der Anstrengung, einen Kollektivwillen zu schaffen.“19 Für ihre Mithilfe bei der Realisierung dieses Buch-Projektes möchten wir uns vor allem bei Boris Blaha, Hans-Peter Krebs, Zoltan Szankay und Ju tta
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l fittcrsint/ung hei dev endgültigen Fertigstellung.
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Bei seiner englischen Erstveröffentlichung 1985 sollte dieses Buch eine Inter vention sein in ein unserer Ansicht nach für linkes Denken entscheidendes Feld, ein Denken, das infolge einer Reihe bedeutender historischer Verän derungen, die seine theoretischen und politischen Grundlagen zerbrachen, eine tiefe Krise durchinachte. Fünf Ja h re später, nach den dramatischen Ereignissen von 1989 und dem Zusammenbruch der kommunistischen Re gime in Osteuropa, hat die Krise des Sozialismus eine neue und dramati sche Wendung genom m en. Die von uns befürwortete Erneuerung der Lin ken ist jetzt dringender denn je. Für jen e, die sich weigern, die „real existierenden liberalen Demokrati en“ als das Ende der Geschichte anzusehen, kann das hier entworfene Pro jekt einer radikalen und pluralen Demokratie eine Reformulierung der sozialistischen Ideale bieten, die das, was als die zentrale Lektion des Nie dergangs des Sozialismus sowjetischen Typs angesehen werden muß, mit berücksichtigt: daß es nämlich keinen Sozialismus ohne Demokratie und ohne Respekt vor den M enschenrechten geben kann und daß liberale poli tische Institutionen die notwendige Bedingung für einen wirklichen Plura lismus sind. Tatsächlich sind liberale politische Institutionen - weit davon entfernt, Klassenteilungen zu verbergen - der wirkliche Garant dafür, daß die individuellen Rechte gegen die Tyrannei der Majorität oder gegen die H errschaft der totalitären Partei beziehungsweise des totalitären Staates geschützt werden. Sicherlich haben Teile d er Linken seit langem die Wichtigkeit der Demo kratie anerkannt und ist der undemokratische Charakter der sozialistischen Regime oftmals kritisiert worden. Was jedoch weitestgehend noch immer nicht akzeptiert wird, ist die fü r die m oderne Demokratie konstitutive Rol le des Pluralismus, eines Pluralismus, der die fortwährende Existenz von Konflikt, Spaltung und Antagonismus impliziert. Der Traum von einer um einen homogenen Kollektivwillen herum ethisch versöhnten Gesellschaft ist noch im mer sehr stark und verfolgt viele Projekte partizipatorischer und
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post-liberaler IVmoktatie. Die Kiitik an dieser l'orin des politisc hen li„a. giuären bildete «Ion kern unserei Oberlegungeu - wir glauben, daß eint der bedeutendsten Aufgaben für die l.inke darin besieht, endlic h den Plu ralismus wll und ganz /u akzeptieren. Wie zn erwarten, wurde unsere Befürwortung eines Typs von Demokra tie, der sowohl ladtkal als auc h plural wäre, von den Fundamentalisten verworlen und scharf kritisiert. Abe r auch von manchen gleichgesinnten Le sern unseres Buches wurde dieser Ansatz mißverstanden, die darin entwe der eine radikale Variante des amerikanischen liberalen Pluralismus sahen oder eine Form des totalen Pluralismus, so wie er für einige postmodernc Ansätze typisch ist. Indes sollte die entscheidende Rolle, die der Begriff der „Hegemonie" in unserer Analyse spielt, solche Fehlinterpretationen eigentlich verhindert haben. Im Gegensatz zu den traditionellen liberalen Pluralisten, die sich über die Erfordernisse einig sind, die Sphäre der Rechte auszuweiten, um bisher ausgeschlossene Gruppen einzuschließen - aber diesen Prozeß als einen reibungslosen Prozeß fortschreitender Eingliede rung in eine (angeblich) neutrale Konzeption des Bürgerrechts sehen betonen wir die Zentralit.lt von Machtverhältnissen. Das heißt, daß der Aus dehnung des Pluralismus Grenzen gesetzt sind, wras von der Tatsache her rührt, daß einige existierende Rechte durch die völlige Ausschließung oder Unterordnung der Rechte anderer Kategorien konstituiert worden sind. Damit ein wirklicher Pluralismus möglich wird, müssen diese U n ter ordnungsformen zerstört werden, w'as die Bildung einer Äquivalenzkette zwischen den verschiedenen demokratischen Forderungen voraussetzt. Die Wichtigkeit, die wir Machtverhältnissen beimessen, unterscheidet un sere Auffassung von Pluralismus auch von dem extremen Pluralismus man cher postmoderner Autoren, die alle Formen der Differenz feiern, ohne die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen jenen Differenzen zu erlau ben, die genuiner Ausdruck demokratischer Rechte und jenen, die Aus druck von Unterordnungsverhältnissen sind. Letztlich teilt ein derartiger postmoderner Pluralismus mit dem liberalen Pluralismus eine gemeinsa me Blindheit gegenüber den Machtverhältnissen. In beiden Fällen ist das Politische selbst verschwenden, weil diese Vorstellungen von Pluralismus die Beseitigung des Antagonismus zur Folge haben. Im Gegensatz dazu stehen die Frage der Macht und des Antagonismus und ihr unausrottbarer Charakter im Zentrum unseres Ansatzes. Wir ha ben versucht, aus der Tatsache, daß es niemals eine totale Emanzipation, sondern nur partielle Emanzipationen gibt, alle Konsequenzen fü r eine
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radikale Konzeption von Demokratie zu ziehen. Die demokratische Gesell schaft kann nicht länger als eine Gesellschaft begriffen werden, die den
Traum von einer perfekten Harmonie in den sozialen Beziehungen ver wirklicht hätte. Ihr demokratischer Charakter kann nur dadurch gegeben werden, daß kein begrenzter sozialer Akteur sich selbst die Repräsentation der Totalität zuschreiben und auf diese Weise von sich behaupten kann, über die „Macht der Gründung“ zu verfügen. Folglich umfaßt dies eine Schwächung der ontologischen Ansprüche politischer Handlungen: der politische Kampf geht nicht länger um die (mythische) Kontrolle über den unvermeidlichen Ort der Macht. Dies schließt eine Verschiebung der traditionellen Beziehungen zwischen „Demokratie“ uncl „Macht“ ein. Für eine traditionelle sozialistische Kon zeption ist eine Gesellschaft um so demokratischer, je weniger Macht für soziale Verhältnisse konstitutiv ist. Wir hätten hier eine Stufenleiter, wor auf die Abwesenheit von Macht das Ausmaß erreichter Demokratie bestimmt. Wenn es aber keine umfassende Emanzipation gibt, dann werden Macht verhältnisse für das Soziale konstitutiv. Die wichtigste Frage demokratischer Politik lautet deshalb nicht, wie Macht zu eliminieren ist, sondern wie Macht formen zu konstituieren sind, die mit demokratischen Werten vereinbar sind. Die Existenz von Machtverhältnissen und die dringende Notwendig keit, sie zu transformieren, anzuerkennen, während man auf die Illusion, daß wir uns vollständig von Macht befreien könnten, verzichtet, genau dies macht die Spezifik des Typs einer radikalen pluralistischen Demokratie auffassung aus, die wir befürworten. Ein weiteres entscheidendes Moment unseres Ansatzes betrifft die Frage der Ent-Universalisierung politischer Subjekte. Wir versuchen mit allen Formen des Essentialismus zu brechen - nicht nur mit jenem Essentialismus, der in hohem Grade die Basiskategorien der m odernen Soziologie und des liberalen Denkens durchzieht und demzufolge jede soziale Identität im hi storischen Prozeß der Entfaltung des Seins vollkommen bestimmt ist, son dern auch mit seinem diametralen Gegensatz: der postmodernen Konzep tion einer Fragm entierung des Sozialen, die sich weigert, den Fragmenten irgendeine Art relationaler Identität zu geben. Unser Buch lehnt durchweg jede Art von Essentialismus ab - den der Totalität und den der Elemente und behauptet, daß das Sichzurückziehen des „Grundes“ sowohl die Totali tät als auch die Fragmente jed er Art von fixierter, der kontingenten und pragmatischen Form ihrer Artikulation vorausgehenden Identität beraubt. Hier findet eine zweite Verschiebung statt: politische Praxis besteht in ei-
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I net (lonioki.it ¡sche» Gesellschaft nicht ihn in, die Rechte pilft-konstitutcrier Identitäten zu verteidigen, sondern vielmehrjene Identitäten selbst in ei nem prekären und jederzeit anfechtbaren Terrain zu konstituieren. Kapitel drei unseres Buches ist ein Versuch, die Logiken und Dimensio nen des Sozialen, die auf die oben erwähnten Verschiebungen bezogen sind, zu erforschen, uni die nötigen theoretischen Werkzeuge zu entwickeln, mit denen die Spezifik der Pmbleme gedacht werden kann, vor die lins die in Kapitel vier analysierte zeitgenössische Demokratie stellt . Es ist klar, daß unser Versuch nicht bei Null beginnt, sondern eine Genealogie hat, deren Spur in einigen der wichtigsten Denkströmungen des zwanzigsten Jah r hunderts verfolgt werden kann. Die intellektuelle Geschichte dieses Jah r hunderts begann, wenn man so will, mit drei Illusionen der Unmittelbar keit - dem Referenten, dem Phänomen und dem Zeichen - und eröffnete später dann den Weg für drei Hauptdenkströmungen: analytische Philoso phie, Phänomenologie und Strukturalismus. Diese drei Denkströmungen haben bis zu einem gewissen Grade eine parallele Geschichte gehabt: an einem bestimmten Punkt löste sich die Illusion der Unmittelbarkeit auf und die Logiken, die aus diesem ständig entschwindenden und sich der Definition entziehenden Charakter des „Unmittelbaren“ auftauchten, er zeugten sowohl hinsichtlich der Parameter des diskursiven Universums, das sie eröffneten, als auch der theoretischen Bewegungen, die sie ermöglich ten, ein völlig neues intellektuelles Terrain. ln der analytischen Tradition ist dies die Bewegung, die mit der Philoso phie des späten Wittgenstein beginnt und in den verschiedenen Formen post-wittgensieinschen Denkens beibehalten und fortgesetzt wird. In der phänomenologischen Tradition ist dies der Weg, der von der Kritik der Metaphysik der Präsenz bei Heidegger und Derrida eingeschlagen wurde vermittels ihrer Dekonstruktion eines „Verweises der Dinge auf sich selbst“ die die diffemnee ausschließen würde. Schließlich ist eine ähnliche Bewe gung bei der post-strukturalisttschen Kritik der strikten Wechselbeziehung zwischen Signifikant und Signifikat anzutreffen, auf denen die strukturale Konzeption des Zeichens gegründet war. In allen drei Entwicklungen fin den wir eine vergleichbare Kritik des Seins als Präsenz, das heißt als „Ob jektivität“, die den „Dingen selbst“ angehört. Diese konvergierenden Entwicklungen konstruieren das eigentliche Ter rain, auf dem die politischen Probleme hinsichtlich der Ausdehnung der Demokratie heute gestellt werden können und ein Prinzip der Intelligibilität finden. Wie wir zuvor behauptet haben, wird jede soziale Objektivität durch j
Machthnndlungen konstituiert... Dies bedeutet, daß jede soziale Objektivität letztlich politisch ist und dii* Spuren der Akte der Ausschließung, die ihre Konstitution regiert, zeigen muß - etwas, was wir im Anschluß an Dcrrida ihr „konstitutives Äußeres“ nennen können. Aber wenn ein Objekt in sei nem wahren Sein etwas anderes als sich selbst eingeschrieben hat, wenn folglich alles als difjemnee konstituiert ist, kann sein Sein nicht als reine „Präsenz“ oder „Objektivität“ begriffen werden. Dies kann aus der Sicht der Probleme, mit denen wir uns befassen, nur bedeuten, daß das Verste hen der Logiken der Konstitution des Sozialen mit dem Objektivismus und Essentialismus, der das klassische soziologische und liberale Denken cha rakterisiert hat, unvereinbar ist. Diesen Punkt des Zusammenfließens - oder vielmehr des wechselseiti gen Zusammenbruchs - von Objektivität und Macht haben wir in unserem Buch „Hegemonie“ genannt. Das Problem so zu stellen impliziert, daß wir Macht nicht als eine äußerliche Beziehung zu denken haben, die sich zwi- / sehen zwei prä-konstituierten Identitäten abspielt, sondern vielmehr, daß ' Macht die Identitäten selbst konstituiert. Dieser Punkt ist entscheidend, denn wenn das konstitutive Äußere im Inneren als seine stets reale Möglichkeit präsent ist, wird das Innere selbst eine rein kontingente und reversible An ordnung (mit anderen Worten: die hegemoniale Anordnung kann keine andere Quelle der Gültigkeit fü r sich in Anspruch nehmen als die Macht basis, auf der sie gegründet ist). Diese Struktur der blaßen Möglichkeitjed er objektiven Ordnung, die durch ihre rein hegemoniale Natur enthüllt wird, zeigt sich in den Form en der Subversion des Zeichens (das heißt der Bezie hung Signifikant/Signifikat). Zum Beispiel ist der Signifikant „Demokra tie“ sehr verschieden, wenn er an ein bestimmtes Signifikat in einem Dis kurs, der ihn zum „Antikommunismus“ artikuliert, und wenn e r an ein anderes Signifikat in einem Diskurs, der ihn zum Bestandteil der gesamten Bedeutung des Antifaschismus macht, fixiert ist. Da es keine gemeinsame Grundlage zwischen diesen kollidierenden Artikulationen gibt, gibt es kei nen Weg, sie unter eine tiefere Objektivität zu subsumieren, die ihre wahre und tiefere Essenz enthüllen würde. Dieser letzte Punkt wird in unserem Buch durch die Behauptung des konstitutiven und irreduziblen Charakters des Antagonismus gezeigt. Eine entscheidende Konsequenz unserer Analyse ist, daß Undurchsich-j tigkeit und Nicht-Repräsentierbarkeit die wirkliche Bedingung einer de-i mokratischen Gesellschaft sind. Völlige Repräsentierbarkeit würde bedeu ten, daß die Bedeutung gesellschaftlicher Verhältnisse, daß der Grund bezie-
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lmngsweise die (¡nindung von Gesellschaft gän/lich klar und fixiert werden könnten (diese beiden let/ien Hegt iffe sind äquivalent), ln diesem Fall wür den jedoch alle kontroversen innerhalb des Sozialen auf eine einfache Fra. ge tles Wissens hinauslauten: da es einen (-rund des Sozialen vor jeder so zialen Auseinandersetzung gibt, setzt sich am Ende derjenige mit cletn rich tigen Wissen durch. Politik ist dann nicht eine Sache radikaler Konstruktiv on, sondern vielmehr die dialektisch-sokratische Betrachtungsweise dessen, was essentiell ist. Vom platonischen Philosophenkönig bis hin zum Begriff des Proletariats als der „universalen Klasse“ haben wir es mit einer ganzen Richtung in der politischen Theorie zu tun, die die Legitimität von Macht auf eine privilegierte epistcmologische Stelle zu gründen versucht. Unse rer Auffassung nach jedoch beginnt wirkliche Demokratie erst dann, wenn diese Verbindung aufgebrochen wird, das heißt, wenn die rein konstruierte Natur sozialer Verhältnisse ihre Ergänzung in den rein pragmatischen Grün den der Ansprüche auf Machtlegitimität findet. Dies impliziert erstens, daß es keine unüberbrückbare Kluft zwischen Macht und Legitimität gibt offensichtlich nicht in dein Sinne, daß jede Macht automatisch legitim ist, sondern in dem Sinne, daß a) wenn irgendeine Macht sich durchsetzen konnte, dann deswegen, weil sie in einigen Bereichen als legitim anerkannt worden ist; und b) wenn Legitimität nicht in einem aphoristischen Grund begründet ist, dann deswegen, weil sie in einer Form sich erfolgreich durch setzender Macht gründet. Dies führt uns zu unserer zweiten Schlußfolge rung bezüglich der eigentümlichen Dialektik von Macht und Demokratie: Damit Demokratie existiert, sollte kein begrenzter sozialer Agent imstande sein, irgendeine Macht über die Gründung der Gesellschaft für sich in An spruch zu nehmen. Das heißt, es muß anerkannt werden, daß es keinen sozialen Punkt gibt, wo Macht sich durch den Zusammenbruch der Unter scheidung zwischen Sein und Wissen selbst eliminieren kann. Dies bedeu tet jedoch, daß das Verhältnis zwischen sozialen Agenten nur insofern de mokratischer werden kann, als sie die Partikularität und die Begrenzung ihrer Ansprüche akzeptieren; das heißt nur insofern, als sie ihre wechselsei tigen Beziehungen als unabdingbar von Macht durchdrungen akzeptieren, Dies führt uns keineswegs zu einer Art Hobbesschen Naturzustand, weil ein solcher Zustand ein Machtgleichgewicht und folglich gerade die Abwe senheit von Macht voraussetzen würde. In einer Situation, in der jed er ein zelne allen anderen gleicht in der Möglichkeit wechselseitiger Zerstörung, hat jeder gleiche Macht - oder, was auf dasselbe hinausläuft: hat überhaupt niemand Macht. Daraus schlußfolgert Hobbes, daß die ganze Möglichkeit
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der Macht von ihrer Konzentration in den Hiinden des Herrschers abhängt. Wenn aber die Mnchtverhiiltnisse im „Anfangs“stadium nicht symmetrisch sind, werden die Machteffekte differenziert: einige soziale Agenten kön nen mehr Macht als andere haben und die letzteren dazu zwingen, gegen sie eine Form von Bündnis zu errichten. Um dies machen zu können, werden diese ihre Forderungen verteidigen (=konstruieren) müssen, indem sie die Forderungen anderer artikulieren. Auf diese Weise erlangt Macht eine be stimmte RcaliUit und soziale Existenz zwischen den beiden Extremen ihrer Aufhebung (totale Konzentration in den Händen des Herrschers oder völ liges Gleichgewicht im universalen Kampf). Das, was wir in unserem Buch die Logiken der Äquivalenz und der Differenz genannt haben, ist ein Ver such, die Formen sozialer Aggregierung zu begreifen, die aus dieser konsti tutiven und unausrottbaren Symmetrie folgen. Zwischen der Logik völliger Äquivalenz und der Logik reiner Differenz kann die Erfahrung einer radi kalen und pluralen Demokratie nur aus der Anerkennung der Vielfalt so zialer Logiken und der Notwendigkeit ihrer Artikulation bestehen. Diese Art ikulation sollte jedoch beständig neugeschaffen und neuausgehandelt werden; .es gibt keinen Endpunkt, an dem endgültig ein Gleichgewicht er reicht werden könnte. Demnach haben wir zu akzeptieren, daß die wahre Existenz der modernen Demokratie die Möglichkeit ihrer vollen Verwirkli chung ausschließt.
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Einleitung
Linkes Denken steht gegenwärtig an einem Scheideweg. Die „unzweifelhaf ten Wahrheiten“ der Vergangenheit - die klassischen Formen der Analyse und politischen Einschätzung, der Charakter der sich im Konflikt befinden den sozialen Kräfte, die besondere Bedeutung der Kümpfe und Ziele der Linken - sind von einer Lawine historischer Veränderungen, die den Boden spalteten, auf tlem diese Wahrheiten gründeten, ernstlich herausgefordert worden. Manche dieser Veränderungen hängen zweifellos mit Mißerfolgen und Enttäuschungen zusammen: Von Budapest bis Prag und zum polnischen Staatsstreich, von Kabul bis zu den Folgen des Sieges der Kommunisten in Vietnam und Kambodscha - immer schwerer lastet ein Fragezeichen über einer ganzen Art und Weise, sich vom Sozialismus und den Wegen, die zu ihm führen sollten, einen Begriff zu machen. Zugleich quälend und unver meidlich hat dies das kritische Denken von neuem an den theoretischen und politischen Fundamenten, auf denen traditionell der intellektuelle Horizont der Linken errichtet w'urde, angegriffen. Entscheidender aber ist: Eine gan ze Reihe von positiven neuen Phänomenen liegt diesen Veränderungen, die die Aufgabe theoretischer Überprüfung so dringlich gemacht haben, zugrun de: das Auftauchen des neuen Feminismus, die Protestbewegungen der eth nischen, nationalen und sexuellen Minderheiten, die anti-institutionellen, von marginalisierten Schichten der Bevölkerung geführten Kämpfe, die AntiAtom kraft-Bewegung, die atypischen Formen des sozialen Kampfes an der kapitalistischen Peripherie - all dies beinhaltet eine Ausweitung der sozialen Konf liktualität auf ein weites Feld von Gegenständen, welches das Potential (aber nicht mehr als das Potential) für einen Fortschritt hin zu freieren, de mokratischeren und egalitäreren Gesellschaften hervorbringt. Diese Vermehrung der Kämpfe stellt sich vor allen Dingen als ein „Über schuß“ der sozialen gegenüber der rationalen und organisierten Strukturen
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dcrCcsellxch.d( - Was hriÜI der sozialen „O idnung” - dar. Zahlreiche S'ii,,,. men, insh<\sondei e .ms «lein liberal-konservativen Lager, halten hartnäckig behauptet, d.di die wesfliehen Gesellschaften sich e i n e r K rise d a Rcgicrhn kcit mul einei Drohung ihrer Au/ lösung vf
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an ausgeschlossen. Wie es in einem einführenden „Manifest“ aus dem klassi schen Zeitaller heißt; muß man, wenn inan auf ein neues Gebiet vordringt, dem Beispiel von Reisenden (folgen), die, wenn sic sich im Walde verirrt finden, nicht bald hierhin, bald dorthin schweifen, noch weniger auf derselben Stelle stehen bleiben, sondern immer so viel wie möglich gerade und nach derselben Richtung fongehen müssen und diese nicht aus schwachen Rücksichten verändern dürfen, auch wenn cs anfänglich vielleicht bloß der Zufall war, der sie bestimmt hat, diese Richtung zu wählen; denn so werden sie, wenn auch nicht, wohin sie wollen, doch wenigstens an irgendein Ziel kommen, wo sie sich wahrscheinlich besser befinden werden als mitten im Walde.1 Leitfaden unserer Analyse waren die Transformationen im Hegemoniebegriff, verstanden als diskursive Oberfläche und fundamentaler Knotenpunkt mar xistischer politischer Theoriesierung. Unsere Hauptschlußfolgenmg ist, daß hinter dem Begriff der „Hegemonie“ ein wenig mehr verborgen liegt als ein Typus politischer Beziehung komplementär zu den BasLskategorien der marxi stischen Theorie. In Wirklichkeit leitet er eine Logik des Sozialen ein, die mit diesen Kategorien nicht vereinbar ist. Dem Rationalismus des klassischen Mar xismus gegenüberstehend, der Geschichte und Gesellschaft als intelligible Tot alitäten, errichtet um begrifflich entwickelbare Gesetze, darstellt, präsentiert sich die Logik der Hegemonie gleich von Anfang an als eine komplementäre wie kontingente Operation, erforderlich für konjunkturelle Ungleichgewichte in nerhalb eines evolutionären Paradigmas, dessen essentielle oder „morphologi sche“ Gültigkeit nicht für einen Augenblick in Frage gestellt war. (Es wird eine der zentralen Aufgaben dieses Buches sein, diese besondere Logik der Kontin genz zu bestimmen.) Als die Anwendungsbereiche des Begriffs von Lenin zu Gramsci weiter wuchsen, dehnte sich auch das Feld kontingenter Anikulationen aus, und die Kategorie der „historischen Notwendigkeit“ - die der Eck stein des klassischen Marxismus gewesen war - entfernte sich auf den Horizont der Theorie. Wie wir in den beiden letzten Kapiteln darlegen werden, wird uns die Ausweitung und Bestimmung der sozialen Logik, so wie sie im Begriff der „Hegemonie“ enthalten ist - in einer Richtung, die weit über Gramsci hinausgeht sowohl mit einer verläßlichen Stütze ausstatten, von der aus die zeitgenössischen sozialen Kämpfe in ihrer Besonderheit gedacht werden kön nen, als auch uns erlauben, für die Linke eine neue Politik zu skizzieren, die auf dem Projekt einer radikalen Demokratie basiert. Eine Frage muß noch beantwortet werden: Warum sollten wir diese Aufgabe durch eine Kritik und Dekonstruktion der verschiedenen diskursiven Ober-
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Mächen iles klassischen Mai xismusauls Ihpet bringen? Dazu isi /um eiri(.„ /u sagen, daß cs nicht einen Diskiu s und rin kategoi iales System gibt, duic^ die das „Reale" ohne Vermittlungen sprechen könnte. Hei der dckon„ stuiktiven Arbeit im Bereich der marxistischen Kategorien beanspruchen wir nicht, an einer „Universalgeschichte“ 211 schreiben, unseren Diskurs a|s ein Moment einer einzigen linearen Entwicklung des Wissens einzuschrej. ben. Kbemo wie die Ara normativer Epistemologien land die Ära nniversa. ler Diskurse ihr Ende. Ähnlichen politischen Schlußfolgerungen wie den in diesem Buch dargelegten, könnte von sehr unterschiedlichen diskursj. ven Formationen aus nahegekommen werden, beispielsweise von gewissen Formen des Christentums oder der sozialistischen Tradition fremden libertären Diskursen - keine von ihnen könnte den Anspruch vertreten, tfic Wahrheit der Gesellschaft zu sein (oder „die unüberschreitbare PhilosQ. phie unserer Zeit“, wie Sartre es ausdrückt). Aber aus ebendiesem Grunde ist der Marxismus <w der Traditionen, aus der heraus es möglich ist, diese neue Politikkonzeption zu formulieren. Für uns beruht die Gültigkeit dieses Ausgangspunktes ganz einfach auf der Tatsache, daß er unsere eigene Vergangenheit bildet. Indem wir die Ansprüche und das Gebiet der Gültigkeit der marxistisehen Theorie herunterschrauben, brechen wir zugleich mit etwas, was die ser Theorie zutiefst inhärent ist: nämlich ihrer monistischen Sehnsucht, mittels ihrer Kategorien das Wesen beziehungsweise die eigentliche Bedeutung der Geschichte zu erfassen. Nur wenn wir auf jegliches epistemologische, auf der ontologisch privilegierten Stellung einer universalen Klas se“ basierende Prärogativ verzichten, wird es möglich sein, ernsthaft das gegenwärtige Maß an Gültigkeit der marxistischen Kategorien zu erörtern. An diesem Punkt sollten wir ganz einfach festhalten, daß wir uns jetzt auf einem post-marxistischen Terrain befinden. Es ist nicht länger möglich, die Subjektivitäts- und Klassenkonzeption, wie sie durch den Marxismus ausgearbeitet worden ist, seine Vorstellung vom historischen Verlauf der kapitalistischen Entwicklung und selbstverständlich auch nicht seine Kon zeption des Kommunismus als einer transparenten Gesellschaft, in der die Antagonismen verschwunden sind, beizubehalten. Wenn jedoch unser in tellektuelles Projekt in diesem Buch post-marxistisch ist, dann ist es a u g e n scheinlich ebenso posi-marxistisch. Durch die Entwicklung bestimmter, in nerhalb des Marxismus konstituierter Intuitionen und diskursiver F o rm e n sowie die Verhinderung beziehungsweise Eliminierung von bestimmten an deren haben wir einen Begriff von Hegemonie konstruiert, der aus unse-
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rer Su hl ein nützliches Instrum ent im Kam pf fü r eine radikale, libertäre und plurale Dem okratie sein kann. Hier ist die (wenngleich bisweilen kriti sche) Bezugnahm e auf Giam sci von großer Bedeutung. Im Text haben wir versucht, etwas von d er Vielfalt und vom Reichtum d er m arxistischen Diskursivität aus der Zeit d er Zweiten Internationale w ieder/ubeleben, die durch die verarm te m onolithische Gestalt des „M arxism us-Leninism us“ vernichtet zu werden drohte, die, vorher rschend in d er stalinistischen und post-stalinistischen Zeit, nun fast unversehrt, jed o ch unter entgegengesetz ten Vorzeichen, von bestim m ten Form en des zeitgenössischen „Anti-M ar xism us“ wiederholt wird. W eder die Verteidiger eines großartigen, hom o genen und unanfechtbaren „historischen M aterialismus“, noch die haupt beruflichen A nti-M arxisten ä la Neue Philosophie erkennen das Ausmaß, in dem ihre Apologien od er Schm ähungen in gleicher Weise in einer nai ven und primitiven Auffassung von d er Funktion und dem Grad an Einheit einer Doktrin wurzeln, die in allen ihren wesentlichen Bestim mungen stets dem stalinistischen Im aginären Tribut zollt. Unsere eigene Herangehensweise an die m arxistischen T exte suchte deren Pluralität zurückzugewin nen, die zahlreichen, in beträchtlichem U m fang heterogenen und wider sprüchlichen diskursiven Sequenzen zu erfassen, die ihre innere Struktur und ihren Reichtum bilden und ihr Überleben als ein Referenzpunkt fü r politische Analysen garan tieren . Die Überw indung ein er großen intellek tuellen Tradition findet nicht in d er plötzlichen Art eines Kollapses statt, sondern in d er Weise, wie Flußwasser, die an einer gemeinsam en Quelle entsprungen sind, sich in verschiedene R ichtungen ergießen und mit an d eren Ström en, die von an deren Quellen h erunterfließen, vermischen. So können die Diskurse, die das Feld des klassischen M arxismus konstituier ten, helfen, das Denken ein er neuen Linken zu form en: durch Überliefern einiger ih rer B egriffe, T ran sform ieren beziehungsweise Aufgeben an derer sowie d u rch ein Sich-Verdünnen in je n e unendliche Intertextualität em anzipatorischer Diskurse, in d e r die Pluralität des Sozialen Gestalt annim m t.
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H egem onie: Genealogie eines Begriffs
Wenn wir nun dam it beginnen, die Genealogie des Begriffs „H egem onie“ nachzuzeichnen, so muß betont werden, daß dies keine Genealogie eines Begriffes sein wird, d er von A nfang an mit voller Positivität ausgestattet ist. Tatsächlich könnten wir frei nach Foucault davon sprechen, daß es unser Ziel ist, die ^A rchäologie eines Schweigens“ zu etablieren. Der Begriff der H egem onie tauchte nicht auf, um einen neuen Typus von Beziehung in seiner besonderen Identität zu definieren, sondern um eine Lücke zu schlie ßen, die sich in d er Kette d er historischen Notwendigkeit aufgetan hatte. „H egem onie“ wird au f eine abwesende Totalität sowie auf die verschiede nen Versuche zur N euzusam m ensetzung und Reartikulation hinweisen, die, indem sie diese ursprüngliche Abwesenheit überwinden, es möglich ma chen, daß Käm pfe einen Sinn bekom m en und historische Kräfte m it voller Positivität ausgestattet werden. Die Kontexte, in denen d er Begriff erscheint, sind die K ontexte ein er Verwerfung (im geologischen Sinne), einer Spalte, die au fgefü llt, ein er Kontingenz, die überwunden werden mußte. „Hege m on ie“ wird nicht das m ajestätische Entfalten ein er Identität, sondern die Antw ort au f eine Krise sein. Selbst in seinen bescheidenen U rsprüngen in d e r russischen Sozialdemo kratie, wo er nur ein begrenztes Feld politischer Effekte abdecken sollte, bezog sich d er B eg riff d e r „H egem onie“ schon auf eine A rt kontingenter Intervention, die aufgrund ein er Krise beziehungsweise eines Kollapses der „norm alen “ geschichtlichen Entwicklung erforderlich wurde. Später, mit dem Leninism us, ist er ein G rundpfeiler in der neuen Form politisch ratio nalen Kalküls, das aufgru n d d er Kontingenz d er „konkreten Situationen“, in denen sich d er Klassenkam pf im Z eitalter des Im perialism us ereignet, erford erlich wurde. Schließlich erlangt d er Ausdruck bei Gramsci eine Zen tralität ganz n eu er Q ualität, die seinen taktischen beziehungsweise strategi-
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^ hon ( U hram It
Rasa Ltaemburgs Dilemmata
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Weichen wir der Verführung aus, zu den „Ursprüngen“ zurückzugehen . schneiden wir einfach ein bestimmtes Moment in der Zeit auf und versu. chen wir, in ihm die Präsenz dieser Leere zu enthüllen, die die Logik der Hegemonie versuchen wird auszufüllen. Dieser willkürliche, in eine Vie|. zahl von Richtungen entworfene Anfang wird uns, wenn nicht den Sinn einer Bahnung, so doch wenigstens die Dimensionen einer Krise offerie. ren. ln den vielfältigen, gewundenen Reflexionen des zerbrochenen Spie, gels der historischen Notwendigkeit beginnt sich eine neue Logik des So. zialen anzudeuten, die sich selber nur denken kann, indem sie die ganze Buchstäblichkeit der Begriffe, die sie artikuliert, in Frage stellt. Im Jahre 1906 veröffentlichte Rosa Luxemburg Der Massenstreik, die poliii. sehe Partei und die Gewerkschaften. Eine kurze Analyse dieses Textes - der bereits alle Ambiguitäten und kritischen Felder, die wichtig fü r unser The ma sind, präsentiert - wird uns mit einem ersten Referenzpunkt ausstatten. Rosa Luxemburg befaßt sich hier mit einem besonderen T hem a: der Wirksamkeit und Bedeutung des Massenstreiks als einem politischen Werkzeug. Für sie beinhaltet dies jedoch die Berücksichtigung zweier fü r die soziali stische Sache entscheidender Probleme: die Einheit der Arbeiterklasse und der Weg zur Revolution in Europa. Der Massenstreik, die dominierende Kampfform während der ersten russischen Revolution von 1905, wird so wohl in seinen spezifischen Mechanismen als auch im Hinblick auf seine mögliche Übertragbarkeit auf den Kampf der Arbeiter in Deutschland be handelt. Rosa Luxemburgs Thesen sind allgemein bekannt: während sich
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die Debatte über die W irksamkeit des M assenstreiks in D eutschland m eist ausschließlich aui den politischen Streik konzentrierte, halte d ie russische E rfah ru n g eine Interaktion und gegenseitige fortw äh ren d e B efru ch tu n g /w ischen den politischen und ökonom ischen Dimensionen des Massenstreiks bewiesen. In» repressiven Kontext des zaristischen Staates konnte keine noch so seh r au f Einzelfordei uiigen au sgerichtete Bew egung au f sich selbst be schränkt bleiben: sie w urde unverm eidlich in ein Beispiel und ein Symbol des W iderstandes tran sfo rm iert und sch ü rte und erzeugte som it an d ere Bew egungen. Diese tauchten an vorher unvorstellbaren Punkten auf, d eh n ten sich aus und verallgem einerten sich in unvorhersehbaren Form en, so daß sie jenseits d er R egulierungs- und O rganisierungsfähigkeit jedw eder politischer o d er gew erkschaftlicher F ü h ru n g waren. Dies ist die B edeu tu n g von L u xem bu rgs „Spontaneism us“. Die Einheit von ökonom ischem und politischem K am pf - das heißt die wirkliche Einheit der Arbeiterklasse - ist eine Konsequenz dieser Bewegung von Rückkoppelung und Interaktion. Diese Bewegung w iederum ist nichts anderes als d er Prozeß der Revolution. Wenn wir Rußland m it Deutschland vergleichen, so stellt sich fü r Rosa L u xem b u rg die Situation ganz anders d ar. Der vorherrschende Trend ist die Fragm en tieru n g zwischen verschiedenen A rbeiterkategorien, zwischen auf u nterschiedliche Ford eru n gen hin mobilisierenden Bewegungen, zwi schen ökonom ischem und politischem K am pf. Nur in der Gewitterluft der revolutionären Periode vermag sich nämlich jeder par tielle kleine Konflikt zwischen Arbeit und Kapital zu einer allgemeinen Explosion auszuwachsen. In Deutschland passieren jährlich und täglich die heftigsten, brutal sten Zusammenstöße zwischen Arbeitern und Unternehmern, ohne daß der Kampf die Schranken der betreffenden Branche oder der einzelnen Stadt, ja Fabrik über springt. ... Kein einziger dieser Fälle schlägt... in eine gemeinsame Klassenaktion um. Und wenn sie sich selbst zu einzelnen Massenstreiks auswachsen, so entzünden sie auch dann noch kein allgemeines Gewitter.1 Diese Isolierung und Fragm entieru n g ist kein kontingentes Ereignis, viel m eh r ein stru k tu reller Effekt des kapitalistischen Staates, d e r nur in einem revolutionären Klim a überw unden wird. Die Trennung zwischen dem politischen und dem ökonomischen Kampf und die Verselbständigung beider ist nichts als ein künstliches, wenn auch geschichtlich bedingtes Produkt der parlamentarischen Periode. Einerseits wird hier, bei dem ruhigen, „normalen“ Gang der bürgerlichen Gesellschaft, der ökonomische Kampf zersplittert, in eine Vielzahl einzelner Kämpfe in jeder Unternehmung, in jedem
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I^>diiMinm/nWge .lufgetöst- Andererseits »in! der politische Kampl nicht rkurf, die» Masse selbst in einer direkten Aktion gefïlhn, sondern, don Können tics f>^,. gt rihht'n Suâtes entsprechend. auf re/»i.'iscntativein Wege, durch den Druck auf die gesetzgebenden Vertretungen/ Waren unter diesen Bedingungen die Perspektiven au f eine Revolution iir, Westen, davon ausgehend, daß die revolutionären Ausbrüche in Rußland durch solche Faktoren wie die vergleichsweise Rückständigkeit des I-andes die Abwesenheit politischer Freiheiten oder die A rm ut des russischen Pj0. letariats erklärt werden konnten, nicht a u f unbestimmte Zeit hinausgescho» heu? Hier wird Rosa Luxemburgs Antwort zögerlich und wenig tiberzeii. gend, da sie einen eigentümlichen Verlauf nimmt: näm lich d en Versuch macht, die Unterschiede zwischen dem russischen lind dem d eutsch en Pro. ietnriat zu minimieren, indem sie die Armutsregionen und das Fehlen von Organisation in verschiedenen Bereichen der d eu tsch en Arbeiterklasse ebensogut wie das Vorhandensein entgegengesetzter P h än o m en e in den entwickeltsten Bereichen des russischen Proletariats zeigt. A b er was war mit diesen Inseln der Rückständigkeit in Deutschland? W aren sie nicht Überreste, die von der kapitalistischen Expansion hinweggefegt werden würden? Und was garantierte in diesem Fall das Aufkom m en e in e r révolu* g, lionären Situation? Die Antwort auf unsere Frage - Rosa L u x e m b u rg stellt { sie an keiner Stelle in diesem Text - fällt uns abrupt und u n mißversta'nd* î Jich ein paar Seiten später zu: (Die Sozialdemokratie) muß, wie immer, der Entwicklung der Dinge vorauseilen, sie zu beschleunigen suchen. Dies vermag sie aber nicht dadurch, daß sie zur rech ten und Unrechten Zeit ins Blaue hinein plötzlich die „Losung“ zu einem Massen streik ausgibt, sondern vor allem dadurch, daß sie den breitesten proletarischen Schichten den unvermeidlichen Eintritt dieser revolutionären Periode, die dazu führenden inneren sozialen Momente und die politischen Konsequenzen klarmacht.5 Somit werden die „notwendigen Gesetze der kapitalistischen Entw icklung“ als Garanten für die zukünftige revolutionäre Situation in D eutschland auf gestellt. Nun ist alles klar: weil es in Deutschland keine b ürgerlich-dem o kratischen Veränderungen mehr zu vollenden gab («c), konnte das Auftre ten einer revolutionären Situation nur in eine sozialistische R ich tu n g auf gelöst werden; das russische Proletariat - zwar gegen den Absolutismus kämpfend, jedoch in einem historischen Kontext, der von d e r R eife des Weltkapitalismus bestimmt wird, der es daran hinderte, seine K äm pfe auf
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einer bürgerlichen Entwicklungsstufe zu stabilisieren - war so die Vorhut des europäischen Proletariats und zeigte der deutschen Arbeiterklasse ihre eigene Zukunft. Das in den strategischen Debatten des europäischen Sozia lismus von Bernstein bis Gramsci so wichtige Problem der Unterschiede /wischen Ost und West wird hier gelöst, indem es beiseite geschoben wird.* Analysieren wir die verschiedenen Momente dieser bemerkenswerten Se quenz. Hinsichtlich des konstitutiven Mechanismus der Klasseneinheit ist Rosa Luxem burgs Position k la r in der kapitalistischen Gesellschaft ist die Arbeiterklasse notwendig fragmentiert und die Wiederherstellung ihrer Ein heit tritt nur ein durch den Prozeß der Revolution selbst. Doch die Form dieser revolutionären Neuzusainmensetzung besteht aus einem spezifischen Mechanismus, der wenig mit einer mechanistischen Erklärung zu tun hat. H ier kommt der Spontaneismus ins Spiel. Man könnte meinen, daß die „spontaneistische“ T h eo rie aufgrund der Komplexität und Vielfalt seiner Form en einfach die Unmöglichkeit der Vorhersage des Ablaufs des revolu tionären Prozesses behauptet. Nichtsdestoweniger ist diese Erklärung un zulänglich. Was auf dem Spiel steht, ist nicht lediglich die Komplexität und M annigfaltigkeit, wie sie einer Verstreuung der Kämpfe - wenn diese aus dem Blickwinkel eines Analytikers od er politischen Führers gesehen wer den - inhärent sind, sondern außerdem die Konstitution der Einheit des revolutionären Subjekts au f d er Basis dieser Komplexität und Mannigfal tigkeit. Dies alles zeigt uns, daß wir uns, wollen wir versuchen, den Sinn des luxemburgistischen „Spontaneismus*4 zu bestimmen, nicht nur auf die Plu ralität der K am pfform en, sondern ebenso auf die Beziehungen konzen trieren müssen, die sie untereinander etablieren sowie auf die vereinheitli chenden Effekte, die sich daraus ergeben. An dieser Stelle wird der Mecha nismus d er Vereinheitlichung deutlich: In einer revolutionären Situation ist es unm öglich, den buchstäblichen Sinn jedes isolierten Kampfes zu fixie ren, weil die Buchstäblichkeit jedes dieser Kämpfe überflutet wird und so mit im Bewußtsein d er Massen je d e r Kam pf sich zu einem bloßen, einen globaleren K am pf gegen das System repräsentierenden Moment wandelt. Von d ah er kommt es auch, daß, während das Klassenbewußtsein des Arbei ters - als allgemeines Bewußtsein um seine „historischen Interessen“ kon stituiert - in einer Periode d er Stabilität „latent“ und „theoretisch“ ist, es in einer revolutionären Situation „aktiv“ und „praktisch“ wird. Auf diese Wei se erscheint die Bedeutung je d e r Mobilisierung in einer revolutionären Si tuation sozusagen als gespalten: neben ihren besonderen buchstäblichen Forderungen repräsentiert je d e Mobilisierung den revolutionären Prozeß
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als ganzen; tliese koalisierenden nickte werden sichtbar in der Übeid{.„ terminierung einiger Kämpfe durch andere. Hies ist jedoch nichts anderes als das bestimmende Meikmal des Symbols: das ( 1her! luten des Signjfj kanten durch das Signifikat.' />iVEinheit dn Klasse ist deshalb eine tymbnliscile Einheit, l n/weifelhaft ist dies der avancierteste Punkt in Luxem burgs Än^ lyse, der die größte Distanz zu den orthodoxen Theoretikern der Zweite,, Internationale bildet (für die die Klasseneinheit einfach in den Gesetzen der ökonomischen Basis begründet liegt). Wenn auch in vielen anderen Analysen dieser Zeit - das Moment „strukturellen“ Theorisierens überschrei, tend - dem Kontingenten eine Rolle zugewiesen wird, gehen wenige Texte so weit wie Rosa Luxemburgs, die spezifischen Mechanismen dieser Koiv tingenz zu bestimmen und den Umfang ihrer praktischen Effekte zu ev. kennen/ Nun hat die Analyse \un Rosa Luxemburg auf der einen Seite die antagonistischen Punkte und Kampfformen - die wir ab jetzt die Subjektpositionen nennen werden - bis zu dem Punkt vervielfacht, wo alle Kontroll- oder Planungsmacht über diese Kämpfe durch eine gewerkschaftliche oder poli tische Fühamg sich verflüchtigt; auf der anderen Seite hat sie die syniboli. sehe Überdeterminierung als einen konkreten Mechanismus fü r die Vereinheitlichung dieser Kämpfe vorgeschlagen. Hier beginnen jed och die Probleme, da für Rosa Luxemburg dieser Prozeß der Überdeterm inierung eine ganz klar uinrissene Einheit konstituiert: eine Klasseneinheit. Nichts in der Theorie des Spontaneismus gibt jedoch dieser Schlußfolgerung eine logische Konsistenz. Im Gegenteil scheint die ganze Logik des Spontaneis mus zu implizieren, daß der resultierende Typus eines einheitlichen Sub jekts weitgehend unbestimmt bleiben sollte. Wenn im Falle des zaristischen Staates die Bedingung der Überdeterminierung der Punkte des Antagonis mus und der verschiedenen Kämpfe ein repressiver politischer Kontext ist, warum können die Klassenschranken nicht überwunden werden und zur Konstruktion von beispielsweise teilweise vereinheitlichten Subjekten füh ren, deren wesentliche Determinierung populär beziehungsweise demokra tisch ist? Selbst in Rosa Luxemburgs Text erscheint - ungeachtet d er dog matischen Rigidität der Autorin, für die jedes Subjekt ein Klassensubjekt zu sein hat - das Überschreiten der Rassistischen Kategorien an vielen Stel len. Den ganzen Frühling des Jahres 1905 hindurch bis in den Hochsommer hinein gärte im gesamten Riesenreich ein unermüdlicher ökonomischer Kampf fast des
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gesamten Pmletariats gegen da» Kapital, ein Kampf, der nach oben hin alle klein bürgerlichen und liberalen Berufe: llandclsangestellte, Bankbeamte, Techniker, Schauspieler, Kunstberufe, ergreift, nach unten hin bis ins Hausgesinde, in das Subaliernbcamtentuin der Polizei, ja bis in die Schicht des Lumpenproletariats hineiwli ingt und gleichzeitig aus der Stadt aufs flache I^and hinausstrttmt und sogar an die eisernen lore der Militärkasernen pocht.7
Werden wir uns über den Sinn unserer Krage klar: Wenn die Einheit der Arbeiterklasse eine Gegebenheit auf der Ebene der ökonomischen Basis au ßerhalb des Prozesses revolutionärer Überdetcrminierung wäre, würde die Frage hinsichtlich des Klassencharakters des revolutionären Subjekts nicht auftauchen. Tatsächlich wären sowohl der politische wie der ökonomische Kampf symmetrische Ausdrücke eines vor den Kämpfen selber konstituier ten Klassensubjektes. Aber wenn die Einheit gerade dieser Prozeß der Oberdetertninierung üt, so muß eine eigenständige Erklärung dafür gege ben werden, warum es eine notwendige Überschneidung von politischer Sub jektivität und Klassenpositionen geben sollte. Obgleich Rosa Luxemburg eine solche Erklärung nicht gibt - tatsächlich nimmt sie nicht einmal das Problem wahr m acht der H intergrund ihres Denkens deutlich, was diese sein wür de: nämlich eine Bejahung des notwendigen Charakters der objektiven Ge setze der kapitalistischen Entwicklung, die zu einer zunehmenden Proletarisicrung der Mittelschichten und der Bauernschaft und, dementsprechend, zu einer direkten Konfrontation zwischen Bourgeoisie und Proletariat füh ren. Konsequenterweise erscheinen die innovatorischen Effekte der Logik des Spontaneismus als von Anfang an ausgesprochen beschränkt.8 Die Effekte sind ohne Zweifel deshalb so beschränkt, weil das Feld, in dem sie wirksam werden, äußerst eingegrenzt ist. Ebenso jedoch, weil, in einem zweiten und bedeutenderen Sinn, die Logik des Spontaneismus und die Lo gik der Notwendigkeit nicht als zwei distinkte und positive Prinzipien kon vergieren, um bestimmte historische Situationen zu erklären, sondern stattdessen als antithetische Logiken funktionieren, deren Interaktion nur ver mittels der reziproken Beschränkung ihrer Effekte abläuft. Wir wollen sorg fältig den Punkt untersuchen, wo sie sich unterscheiden. Die Logik des Spontaneismus ist insofern eine Logik des Symbols, als sie genau durch die Zerbrechung jed er buchstäblichen Bedeutung funktioniert. Die Logik der Notwendigkeit ist eine Logik des Buchstäblichen: sie wirkt durch Fixierun gen, die, genau weil sie notwendig sind, eine Bedeutung etablieren, die jede kontingente Variation eliminiert. In diesem Fall jedoch ist die Beziehung zwischen den beiden Logiken eine Beziehung trennender Grenzen, von Grenz-
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Fronten (/hmtimK «1io sich /.war in die eint- oder andere Richtung ausdeh. non, aber niemals den irreduziblen Dualismus. der in die Analyse eingefc,|m wurde, überwinden können. In W'ii klichkeit sind wir hier Zeuge des Auftam hens einer doppelten Leere> Aus der Sicht der Kategorie der Notwendigkeit verschmilzt die Dualität dei Logiken mit dem Gegensatz bestimmbar/unbestimmbar: das heißt, sie weist tun auf die operationalen Schranken dieser Kategorie hin. Aber dasselbe ereignet sich \v>tn Standpunkt des Spontaneismus aus: das Feld d e r „historischen Notwendigkeit” präsentiert sich als eine Grenze fü r das Funktionieren des Symbolischen. Die Grunzen (limits) sind in W irklichkeit Eingren zungen (Imitation*). Wenn die Spezifik dieser Begrenzung d er Effekte nicht sogleich evident ist, so deshalb, weil sie als ein Zusam menfluß zweier posi. tiver und unterschiedener Erklärungsprinzipen gedacht wird, von denen jedes auf seinem eigenen Gebiet gültig ist, und nicht als das, was je d e s von ihnen ist: die rein negative Umkehrung des anderen. Die vom Dualismus henorgebrachte doppelte Leere wird hierdurch unsichtbar. Indes - eine Leere unsichtbar machen, ist nicht dasselbe, wie sie aufzufüllen.
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Bevor wir die wechselnden Formen dieser doppelten L e e re untersuchen, sollten wir uns für einen Augenblick in sie hineinstellen und das einzige Spiel betreiben, daß sie uns erlaubt: die Grenz-Fronten, die die beiden gegensätzlichen Logiken trennen, zu verschieben. Wenn wir das d e r histori schen Notwendigkeit entsprechende Feld erweitern, ergibt sich ein e wohlbekannte Alternative: entweder führt der Kapitalismus d u rch seine not wendigen Gesetze zu Proletarisierung und Krise, oder aber diese notwendi gen Gesetze funktionieren nicht wie erwartet ~ in diesem Fall ist, d e r eigen tümlichen Logik des luxemburgistischen Diskurses folgend, die Fragm en tierung zwischen den verschiedenen Subjektpositionen n ich t m e h r ein „künstliches Produkt“ des kapitalistischen Staates, sondern wird ein e dau ernde Wirklichkeit. Es ist das Nullsummenspiel, das allen ökonom istischen und reduktionistischen Konzeptionen eigentümlich ist. W enn wir an d erer seits die trennende Grenze in die Gegenrichtung verschieben, bis zu dem Punkt, wo die Klassennatur der politischen Subjekte ihren notwendigen Charakter verliert, taucht vor unseren Augen ein ganz und g a r n ich t imagi näres Schauspiel auf. Es sind die origin ären F o rm e n d e r Ü b e rd e terminierung von sozialen Kämpfen in der Dritten Welt, wo die K onstrukti on politischer Identitäten wenig mit strikten Klassengrenzen zu tun hat; es ist der Aufstieg des Faschismus, der die Illusion vom notwendigen C harak ter bestimmter Klassenartikulationen brutal veijagen sollte; es sind die neuen
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Kam pf form en in den entwickelten kapitalistischen L än d ern , wo wir in den letzten Jah rzeh n ten Zeuge waren, wie ständig neue Form en politischer Sub jektivität aufgetaucht sind, die zu den Kategorien der sozialen und ökono mischen Struktur (juerstehen. Der B egriff der „H egem onie“ wird genau in einem Kontext auftauchen, der von der E rfahrung der Fragm entierung und von der Unbestimmtheit der Artikulationen zwischen verschiedenen Kämp fen und Subjektpositionen beherrscht ist. E r wird eine sozialistische Ant wort in einem politisch-diskursiven Universum anbieten, das Zeuge eines Rückzugs d er K ategorie d er „Notwendigkeit“ auf den Horizont des Sozia len geworden ist. G egenüber Versuchen, die Krise eines essentialistischen Monismus d urch die V erm ehrung von Dualismen zu lösen - freier W ille/ Determinismus, W issenschaft/Ethik, Individuum /Kollektivität, K ausalität/ Teleologie - , wird die H egem onietheorie ihre Antwort auf eine Verschie bung des T errains, das die Alternative M onismus/Dualismus erm öglichte, gründen. Ein letzter Punkt, bevor wir Rosa Luxem burg verlassen: Die Beschrän kung d er Effekte, die die „notwendigen Gesetze“ in ihrem Diskurs produ zierten, funktioniert ebenso in eine andere wichtige Richtung: als eine Be grenzung der politischen Schlußfolgerungen, die aus den „zu beobachten den T endenzen“ im entwickelten Kapitalismus gezogen werden können. Die Rolle d er T h e o rie ist nicht, die zu beobachtenden Tendenzen d er Fragm entierung und V erstreuung intellektuell herauszuarbeiten, sondern d afü r Gew ähr zu leisten, daß solche Tendenzen transitorischen C harakter besitzen. Es gibt einen B ru ch zwischen T h eo rie und Praxis, d er ein deutli ches Krisensym ptom ist. Diese Krise - fü r die das Auftauchen einer m arxi stischen „O rthodoxie“ nur eine Antwort darstellt - ist d er Ausgangspunkt u nserer Analyse. Doch ist es erforderlich, daß wir uns selbst au f einen Punkt vor diesen A nfang stellen, um das Paradigm a, das in die Krise geraten ist, zu identifizieren. F ü r diesen Zweck können wir au f ein Dokument von au ßergew öhnlicher K larh eit und Systematik Bezug nehm en: Kautskys Kom m entar von 1892 zum E rfu rte r Program m , dem folgenreichen Manifest der deutschen Sozialdem okratie.9
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JV> X u llfiu n kt
drr K tisf
/V> Klasxnikamf>f\st ein typisch kautskyanist her Text, der eine uiurcmibarc Einheit \t>n Throne, Geschichte und Strategie zum Ausdruck bringt.10 \ u% unserer heutigen Perspektive erscheint er uns sicherlich extrem naiv und stark vemnfachend. Wir müssen jedoch die verschiedenen Dimensionen dieser Ein. fachheit untersuchen, damit wir sowohl die strukturellen Charakteristika des Paradigmas als auch die Gründe, die um die Jahrhundertwende zu seiner Krise fühl ten, verstehen können. Das Paradigma ist in einem ursprünglichen und buchstäblichen Sinne einlach, da Kautskv ganz ausdrücklich eine Theorie der zunehmenden Vet. emfathungdev Sozialstruktur und der Antagonismen in ihr präsentiert. Ka pitalistische Gesellschaft schreitet zu einer zunehmenden Konzentration \t>n Besitz und Vermögen in den Händen einiger Unternehmen voran, und eine rasche Proletarisierung der verschiedensten sozialen Schichten und Berufskategorien ist mit einer wachsenden Verelendung der Arbeiterklas se verbunden. Diese Verelendung und die notwendigen, sie verursachen den Gesetze der kapitalistischen Entwicklung verhindern eine wirkliche Autonomisierung der Bereiche und Funktionen innerhalb der Arbeiterklasse: der ökonomische Kampf kann nur bescheidene und prekäre Erfol ge haben, was zu einer de facto Unterordnung der Gewerkschaft unter die Parteiorganisation führt, die allein die Position des Proletariats durch die Eroberung der politischen Macht substantiell modifizieren kann. Den struk turellen Momenten beziehungsweise Instanzen der kapitalistischen Gesell schaft fehlt ebenso jede Form relativer Autonomie. Der Staat wird beispiels weise in Form des krassesten Instrumentalismus dargestellt. Somit besteht die Einfachheit des kautskyanischen Paradigmas vor allen Dingen in einer Vereinfachung des Systems der für die kapitalistische Gesellschaft konsti tutiven strukturellen Differenzen. Außerdem ist das kautskyanische Paradigma auch einfach in einem zwei ten und weniger häufig erwähnten Sinn, der allerdings von entscheidender Bedeutung für unsere Analyse ist. Der Punkt ist hier nicht so sehr, daß das Paradigma die Anzahl der pertinenten strukturellen Differenzen reduziert, sondern daß es eine jede von ihnen durch die Zuschreibung einer einzigen Bedeutung, verstanden als eine genaue Verortung innerhalb einer Totalität, fixiert. In erster Hinsicht war Kautskys Analyse bloß ökonomistisch und reduktionistisch; wenn dies jedoch das einzige Problem wäre, müßte das Korrektiv lediglich die „relativen Autonomien“ des Politischen sowie des
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Ideologischen einführen und die Analyse durch die Vermehrung von In stanzen innerhalb einer Topographie des Sozialen komplexer machen. Doch jede einzelne dieser vermehrten Instanzen oder strukturellen Momente hätte dann eine Identität, die sofixiert und einmalig wäre wie die Instanzen des kautskyanischen himdigmas. Um diese Einzigartigkeit der Bedeutung zu erläutern, wollen wir untersu chen, wie Kautsky die Beziehung zwischen ökonomischem und politischem Kampf erklärt: Man hat mitunter den politischen Kampf dein wirtschaftlichen entgegengestellt und es für notwendig erklärt, daß das Proletariat sich einseitig nur dem einen oder dem anderen zuwende, ln Wahrheit sind beide voneinander nicht zu trennen. Der wirtschaftliche Kampf erfordert die ebengenannten politischen Rechte, die aber nicht vom Himmel fallen, sondern zu ihrer Erlangung und Behauptung der ener gischsten politischen Tätigkeit bedürfen.... Der politische Kampf ist nur eine be sondere, die umfassendste und meist auch einschneidendste Form des wirtschaftli chen Kampfes." Rosa Luxem burg bekräftigte ebenfalls die Einheit der zwei Kampfarten, sie ging jedoch von einer anfänglichen Mannigfaltigkeit aus - Einheit war Vereinheitlichung, das Ergebnis einer Überdeterminierung diskreter Elemente ohne irgendwelche Formen einer fixierten, apriorischen Artikulation, Für Kautsky ist Einheit jedoch der Ausgangspunkt: die Arbeiterklasse kämpft im Feld der Politik aufgrund einer ökonomischen Einschätzung. Es ist möglich, von einem Kampf zum nächsten durch einen rein logischen Über gang überzugehen. Bei Rosa Luxemburg hatte jeder Kampf mehr als eine Bedeutung - wie wir gesehen haben, war er in einer zweiten symbolischen Dimension verdoppelt. Auch war seine Bedeutung nicht fixiert: weil er von variablen Artikulationen abhing, die, aus ihrer spontaneistischen Perspek tive, jede apriorische Determination zurückwiesen (innerhalb der von uns gezeigten Schranken). Kautsky dagegen vereinfachte die Bedeutung jedes sozialen Antagonismus oder Elements durch seine Reduzierung auf einen bestimmten, bereits durch die Logik der kapitalistischen Produktionsweise fixierten strukturellen Ort. Die in Der Klassenkampf dargelegte Geschichte des Kapitalismus besteht aus reinen Interioritätsverhältnissen. Wir können von der Arbeiterklasse zu den Kapitalisten, von der ökonomischen zur politi schen Sphäre, von der Manufaktur zum Monopolkapitalismus übergehen, ohne auch nur fü r einen Augenblick die in n ere R ation alität und Intelligibilität eines geschlossenen Paradigmas verlassen zu müssen. Zwei-
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ft'lsoluie winl uns der Kapitalismus als auf eine ihm äußerliche soziale RCaieinwii kaul präsentiert; die Rolle der lot/ieren beschränkt sich jedoch dai* sich im Kontakt mit dem ersteron nuizultiscn. Oer Kapitalismus ändert g*1?* doch diese Veränderung ist nicht inehr als das Entfalten seiner endogen^' Tendenzen und Widenspriichc. Hier ist die Logik der Notwendigkeit dur*J nichts begrenzt: dies macht den Klassenkampfzu einem Text vor der Krise Schließlich stellt sich die Einfachheit in einer dritten Dimension dar, die • die Rolle der Theorie selbst verweist. Wenn dieser frühe kautskyanische \\ mit anderen, zu einer früheren oder späteren marxistischen Tradition geh^ renden verliehen wild, finden wir, daß er ein ziemlich überraschendes Mer^ mal enthält: er präsentiert sich nicht als eine Intervention, um den der C<. schichte zugrunde liegenden Sinn zu enträtseln, sondern als die Systematisic nmg und Verallgemeinerung einer für alle sichtbaren transparenten Erfah rung. Weil es keinen sozialen Hieroglyphen zu entschlüsseln gibt, besteht einc vollkommene Übereinstimmung zwischen der Theorie und den Praxen de* Arbeiterbewegung. Hinsichtlich der Konstitution der Klasseneinheit hat Ada^ Przeworski auf die Besonderheit von Kautskys Text aufmerksam gemachtwährend Marx seit dem Elend der Philosophie die Einheit der ökonomischen Eingliederung und der politischen Organisation der Arbeiterklasse als einen unvollendeten Prozeß darlegte - dies war die Kluft, die die Unterscheidung zwischen der „Klasse an sich“ und der „Klasse für sich“ zu füllen suchte argumentierte Kautsky, wie wenn die Arbeiterklasse die Entwicklung ihrer Einheit schon abgeschlossen habe. Es scheint, daß Kautsky glaubte, daß um 1890 die Entwicklung des Proletariats zu einer Klasse einfait accompli war, sie war bereits als Klasse entstanden und würde in Zukunft als solche bestehen bleiben. Dem organisierten Proletariat blieb nichts anderes zu tun übrig, ab ihrer historischen Mission nachzugehen, und die Partei konnte sich nur an ihrer Realisierung beteiligen.“
Ähnlich scheint Kautsky, wenn er auf die wachsende Proletarisierung und Verelendung, auf die unvermeidlichen Krisen des Kapitalismus oder auf das notwendige Kommen des Sozialismus verweist, nicht von qua Analyse enthüllten politischen Tendenzen zu sprechen, sondern von empirisch beobachtbaren Realitäten in den ersten beiden und von einem baldigen Übergang im dritten Fall. Ungeachtet der Tatsache, daß die Notwendigkeit die beherrschende Ka tegorie seines Diskurses ist, ist es nicht ihre Funktion, eine Bedeutung jenseits der Erfahrung zu garantieren, sondern die Erfahrung selbst zu systematisie ren.
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Obgleich nun die Verbindung der diesem Optimismus und dieser Einfach heit zugrunde liegenden Elemente als Teil eines universalen Prozesses der Klassenkonstitution präsentiert wird, repräsentiert sic lediglich die Krönung der sehr spezifischen historischen Entwicklung der tleuLschen Arbeiterklasse. Erstens war die politische Autonomie der deutschen Arbeiterklasse das Ergeb nis eines zweimaligen Scheiterns: dem der deutscher» Bourgeoisie nach 1849, sich als die hegeinoniale Kraft einer liberal-demokratischen Bewegung zu eta blieren; sowie dem des lassalleanischen korporatistischen Versuchs, die Arbei terklasse in den Staat Bismarcks zu integrieren. Zweitens nährten die große Depression von 1873 bis 1896 und die begleitende ökonomische Unsicherheit, die alle sozialen Schichten betraf, einen allgemeinen Optimismus bezüglich des nahe bevorstehenden Kollapses des Kapitalismus und dem Aufkommen der proletarischen Revolution. Drittens hatte die Arbeiterklasse einen niedri gen Grad struktureller Komplexität: die Gewerkschaften waren noch in ihrem Anfangsstadium, darüber hinaus der Partei sowohl politisch wie finanziell un tergeordnet; zudem schienen im Kontext der zwanzig Jahre dauernden De pression die Aussichten für eine Verbesserung der Lage der Arbeiter durch gewerkschaftliches Handeln außerordentlich beschränkt. Nur mit Schwierig keit war die 1890 errichtete Allgemeine Kommission der deutschen Gewerk schaften in der Lage, vor dem Hintergrund des Widerstandes der lokalen Gewerkschaftsklüfte und des allgemeinen Skeptizismus der Sozialdemokratie ihre Hegemonie über die Arbeiterbewegung durchzusetzen.u Unter diesen Bedingungen erschienen die Einheit und Autonomie der Ar beiterklasse und der Kollaps des kapitalistischen Systems im Grunde genom men als Erfahrungstatsachen. Dies waren die Parameter der Lesart, die dem kautskyanischen Diskurs seine Akzeptabilität gaben. In Wirklichkeit war die Situation jedoch ausgesprochen deutsch - beziehungsweise bestenfalls für be stimmte europäische Länder typisch, wo die liberale Bourgeoisie schwach war - und entsprach bestimmt nicht jenen Prozessen der Entwicklung der Arbei terklasse in Ländern mit einer starken liberalen (England) oder demokratisch jakobinischen Tradition (Frankreich) oder wo ethnische und religiöse Identi täten die Herrschaft überjene der Klasse haben (die Vereinigten Staaten). Aber da ja in den marxistischen Vulgata die Geschichte zu einer immer größeren Vereinfachung der sozialen Antagonismen fortschritt, konnte der extreme Isolations- und Konfrontationskurs der deutschen Arbeiterbewegung die Gel tung eines Paradigmas erlangen, dem die anderen nationalen Situationen sich anzunähern hatten und im Verhältnis zu dem sie lediglich unzulängliche An näherungen waren.“
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Das Ende dci IVpiession brachte den Beginn der Krise dieses Pai^jinas. Der Übergang /ui« ..organisierten Kapitalismus“ und der iiarhfj gende, bis 191-1 dauernde B»w»m mac hte die Aussicht auf eine »allgcrnei,, Krise des Kapitalismus“ ungewiß. Unter den neuen Bedingungen ermn * lichte eine Welle erfolgreicher gewerkschaftlicher ökonomischer Küin^ den Arbeitern, ihre organisatorische Macht und ihren Einfluß iiiiierh^u der Sozialdemokratie zu konsolidieren. An diesem Punkt begann sich doch eine ständige Spannung zwischen den Gewerkschaften und der tischen Führung innerhalb der Partei geltend zu machen, so daß die fcj,, heit und sozialistische Bestimmung der Arbeiterklasse zunehmend prob|e matisch wurde. In allen Bereichen der Gesellschaft fand eine Autmomisier^ der Sphdmi statt - was implizierte, daß jeder Typus von Einheit nur dur<J instabile mul komplexe Formen der Reartikulation erreicht werden kon^ te. Aus dieser neuen Perspektive erschien ein ernstes Fragezeichen (¡b^ der scheinbar logischen und einfachen Sequenz der verschiedenen struktj,. rellen Momente des kautskyanischen Paradigmas von 1892. Und weil zwj. sehen Theorie und Programm eine Beziehung totaler Implikation herrsch te, wurde die politische Krise in eine theoretische verdoppelt. Thoii^ Masarvk prägte 1898 einen Ausdruck, der bald populär wurde: die „Kri.^ des Marxismus“. Diese Krise, die als Hintergrund für alle marxistischen Debatten seit der Jahrhundertwende bis zum Krieg diente, schien von zwei grundlegende* Momenten beherrscht zu sein: das neue Bewußtsein von d er Undurchsich. tigkeit des Sozialen, von den Komplexitäten und Widerständen eines zu. nehmend organisierten Kapitalismus sowie die Fragmentierung der ver. schiedenen Positionen der sozialen Agenten, die gem äß dem klassische» Paradigma hätten vereinigt sein sollen.15 ln einer berühmten Passage des Briefes an Lagardelle konstatierte Antonio Labriola zu Beginn der Revisio. nismus-Debatte: In der Tat gibt es hinter all diesem Gerede der Kontroverse ein ernstes und wesent liches Problem: die heißen, lebendigen und frühreifen Hoffnungen vor einigen Jahren - diese Erwartungen übergenauer Einzelheiten und Konturen - rennen nun gegen den komplexesten Widerstand der ökonomischen Verhältnisse und die verwickeltste Verzahnung der politischen Welt an.16 Es wäre falsch, dies als eine bloße Übergangskrise anzusehen; im Gegen teil, der Marxismus verlor zu dieser Zeit seine Unschuld. Insofern die
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paradiginatischc Sequenz seiner Kategorien „dem strukturellen Druck“ zu nehm end atypischer Situationen unterworfen war, wurde es im m er schwie riger, soziale Verhältnisse auf strukturelle, diesen Kategorien innerliche M om ente zu red u zieren . Eine V erm ehrung d er Zäsuren und Diskonti nuitäten begann die Einheit des Diskurses, d er sich selber fü r vollkommen monistisch hielt, niederzureißen. Von da an wurde es das Problem des M ar xismus, diese Diskontinuitäten zu denken und gleichzeitig Formen zu finden, die die Einheit zerstreu ter und heterogener Elem ente rehonstituieren. Die Ü bergänge zwischen verschiedenen strukturellen M omenten haben ihre u rsp rü n glich e logische T ran sparenz verloren und offenbaren eine die kontingenten und mühsam konstruierten Beziehungen betreffende U n durchsichtigkeit. Die Spezifik d er verschiedenen Antworten auf die Krise dieses Paradigm as liegt in d er Art und Weise, wie dieses relationale Mo m ent, dessen B edeu tu n g in dem Maße wuchs, wie seine Natur weniger evi dent wurde, begriffen wird. Dies müssen wir nun analysieren.
Die erste Antwort a u f die Krise: die Formierung der marxistischen Orthodoxie Die m arxistische O rthodoxie, so wie sie bei Kautsky und Plechanow be grü n det wird, ist keine einfache Fortschreibung des klassischen M arxis mus. Sie beinhaltet eine ganz eigentüm liche Abweichung, die durch die d er T h e o rie zugewiesenen neuen Rolle gekennzeichnet ist. Anstatt wie sie es in Kautskys T ext von 1892 tat - zu helfen, beobachtbare historische Ten denzen zu system atisieren, etablierte sich die T h eo rie nun selbst als Garant d afü r, daß diese Tendenzen schließlich m it dem vom marxistischen Para digm a vorgeschlagenen Typus sozialer Artikulation übereinstim men wer den. M it an deren W orten: die O rthodoxie ist auf dem Boden einer wach senden T ren nu n g zwischen m arxistischer T h eo rie und d er politischen Pra xis d er Sozialdem okratie gegründet. Es sind die von d er marxistischen Wis senschaft garan tierten Bewegungsgesetze d er Basis, die das T errain fü r die Ü berw indung dieser T rennung schaffen und sowohl den transitorischen C harakter d er existierenden Tendenzen als auch die zukünftige revolutio näre R ekonstitution d er Arbeiterklasse sicherstellen. In dieser H insicht wollen wir Kautskys Standpunkt zum Verhältnis, von P artei und Gewerkschaften, wie er in seiner Polemik m it den T heoretikern d er Gewerkschaftsbewegung zum Ausdruck kommt, untersuchen17 Kautsky ist sich völlig über die starken Tendenzen in d er deutschen Arbeiterklasse
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in Richtung Fragmentierung im klaren: der Aul stieg d er Arbcitui ai j^ tokratie; der Gegensatz wischen gewerkschaftlich organisierten und organisierten Arbeitern: die entgegengesetzten Interessen d er verschieß neu l.ohnkategorien; die bewußte Politik der Bourgeoisie, die Arbeit^ Uasse zu spalten; das Vorhandensein zahlreicher, einem kirchlichen Popl( lisnuis, der sie \x>n der Sozialdemokratie entfernt, unterworfener kathojj sehet Arbeiter, und so weiter. Er ist sich gleichermaßen der Tatsache bc wußt, daß. je mehr die wvmttelbatrn materiellen Interessen vorherrschen, ^ desto mehr Tendenzen hin auf Fragmentierung durchsetzen, und daß<ja her rein gewerkschaftliches Handeln weder die Einheit noch die Sozialist sehe Bestimmung der Arbeiterklasse garantieren kann.18 Diese können tujr konsolidiert werden, wenn die unmittelbaren materiellen Interessen (|tf Arbeiterklasse dem Endziel*, dem letzten sozialistischen Ziel, untergeor^. net werden, was die Unterordnung des ökonomischen Kampfes unter politischen Kampf und somit der Gewerkschaften unter die Partei vorauj. setzt.® Jedoch kann die Partei diese totalisierende Instanz nur insofern r*. präsentieren, als sie die Hüterin der Wissenschaft, das heißt der marxistj. sehen Theorie, ist. Die offensichtliche Tatsache, daß die Arbeiterklasse nic^ ihrer sozialistischen Orientierung folgte - das englische Gewerkschaftswes^ war ein ins Auge springendes Beispiel dafür und konnte zui Jahrhundert, wende nicht länger ignoriert werden führte Kautsky dazu, eine net* privilegierte Rolle für Intellektuelle zu bekräftigen, was einen enormen Einfluß auf Lenins Was tun haben sollte. Derartige intellektuelle Vermiß lung ist in ihren Effekten beschränkt, weil - wie die spinozistische Formel es ausdrückt - ihre einzige Freiheit darin besteht, das Bewußtsein einer Notwendigkeit zu sein. Sie zieht jedoch das Auftauchen einer artikulieren, den Verknüpfung nach sich, die nicht einfach auf die Kette einer monistisch begriffenen Notwendigkeit zurückgeführt werden kann. Der sich in der Identität der Klasse zeigende Riß, die wachsende Disso. ziation zwischen den verschiedenen Subjektpositionen der Arbeiter, konnte nur durch eine zukünftige Bewegung der ökonomischen Basis, deren Erscheinen durch die marxistische Wissenschaft garantiert wurde, überwunden werden. Folglich hängt alles von der voraussagenden Fähigkeit dieser Wissenschaft sowie vom notwendigen Charakter derartiger Voraussa gen ab. Es ist kein Zufall, daß die Kategorie der „Notwendigkeit“ mit stän dig zunehmender Virulenz bekräftigt werden muß. Es ist allgemein bekannt, wie „Notwendigkeit“ von der Zweiten Internationale verstanden wurde: als eine Natur-Notwendigkeit, die auf einer Verbindung von Marxismus und
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Darwinismus beruht. Der (larwinistischc Einfluß ist häufig als ein vulgär marxistischer Ersatz für die hegelianische Dialektik dargestellt worden; in Wahrheit aber sind in der orthodoxen Konzeption Hegelianismus und Dar winismus eine Verbindung eingegangen, um den strategischen Erforder nissen zu genügen. Der Darwinismus allein bietet keine Garantien fü r die Zukunft, weil die natürliche Auswahl nicht in einer von Anfang an vorbestimmten Richtung operiert.5® Nur wenn dem Darwinismus - der damit gänzlich unvereinbar ist - ein hegelianischer Typus der Teleologie hinzu gefügt wird, kann ein evolutionärer Prozeß als ein Garant zukünftiger Über gänge präsentiert werden. Diese Konzeption der Klasseneinheit als eine zukünftige, durch die Wir kung unabwendbarer Gesetze gesicherte Einheit hatte Auswirkungen auf mehreren Ebenen: auf den verschiedenen Subjektpositionen zugeschriebe nen Typus der Artikulation; auf die Art und Weise, mit den Differenzen umzugehen, die nicht an das Paradigma angeglichen werden konnten; und auf die Strategie zur Analyse historischer Ereignisse. Bezüglich des ersten Aspekts ist es evident, daß, wenn das revolutionäre Subjekt seine Klassen identität auf der Ebene der Produktionsverhältnisse begründet21 seine Prä senz auf anderen Ebenen nur eine der Äußerlichkeit sein kann und die Form einer „Repräsentation von Interessen“ annehmen muß. Das Terrain der Politik kann so nur ein Überbau sein, insofern es ein Terrain des Kampfes zwischen Agenten ist, deren Identität, in der Form von „Interessen“ begriffen, sich auf einer anderen Ebene bildet. Diese wesenhafte Identität war somit ein für allemal fixiert als eine unveränderliche latsache in bezug auf die verschiede nen Formen der politischen und ideologischen Repräsentation, in die die Arbeiterklasse eintrat.22 Zweitens wurden die Differenzen, die innerhalb dieser reduktionistischen Problematik nicht an ihre eigenen Kategorien angeglichen werden konnten mit zwei Argumentationsweisen angegangen, die wir das Argument von der Erscheinung sowie das Argument von der Kontingenz nennen wollen. Das Argu ment von der Erscheinung: alles, was sich als verschieden darstellt, kann auf eine Identität reduziert werden. Dies kann zwei Formen annehmen: entwe der ist die Erscheinung eine bloße List der Verbergung oder es ist eine not wendige Form der Manifestation des Wesens. (Ein Beispiel für die erste Form: „Nationalismus ist eine Maske, die die Interessen der Bourgeoisie verbirgt“; ein Beispiel für die zweite: „der liberale Staat ist eine notwendige politische Form des Kapitalismus“.) Das Argument von der Kontingenz: eine gesell schaftliche Kategorie beziehungsweise eine soziale Schicht mag nicht reduzier-
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Ivu auf die /entrale» Identitäten einer bestimmten Gesellschaftsform st.j|t in diesem lall jc'dot h erlaubt uns ihre Willig? MargiiKilität gegenübe, ^ grundlegenden Richtung dei historischen Entwicklung, sie als irrelevant ^ /uiun. (Zum Beispiel: „Weil der Kapitalismus zur Pnoletarisieruiig der telklassen mul der Nauei nxchaft führt, können wir sie ignorieren und m,S{, ie Strategie auf die Auseinandersetzung zwischen Bourgeoisie und Pinleta,^ nt konzentrieren.") Somit ist im Argument u>n der Kontingenz die Identf^ in einer diachronischen Totalität wiederentdeckt worden: eine unerbittlich Abfolge von Fmwicklungsstufen erlaubt es, die existierende soziale Reality gemaü der von jener Gesellschaft erreichten Reifestufe in notwendige oc|Ct kontingente Phänomene einzuteilen. Geschichte ist dem gem äß eine konij, nuierliche Konkretisierung des Abstrakten, eine A n n ä h e ru n g an eine paradigmatische Reinheit, die sowohl als Sinn wie Richtung des Prozess^ erscheint. Schließlich setzt das orthodoxe Paradigma ejua Analytik der Gegenwart einc Strategie des Wlfdnrrkamais \«raus. Insofern der Marxismus fü r sich in An. spiinh nimmt, den unvermeidlichen Liuf der Geschichte in seinen wesentli. fhen Determinationen zu kennen, kann das Verstehen eines aktuellen Ereig. nisses nur bedeuten, es als ein Moment in einer zeitlichen Abfolge, die a priorj fixiert ist, zu identifizieren. Daher Diskussionen wie: Ist die Revolution des Jahres x im Lind y die bürgerlich-demokintische Revolution? O d er: Welche Formen sollte der Übergang zum Sozialismus in diesem od er je n e m Land annehmen? Die drei Bereiche der oben analysierten Auswirkungen bieten ein gemeinsa mes Charakteristikum: das Konkrete wird auf das Abstrakte reduziert. Unglej. che Subjektpositionen werden zu Manifestationen einer einzigen Position re duziert; die Pluralität der Differenzen wird entweder red u ziert o d e r als kontingent abgelehnt - der Sinn der Gegenwart wird durch seine Verortung in einer apriorischen Abfolge von Entwicklungsstufen enthüllt. G enau weil das Konkrete auf diese Weise auf das Abstrakte reduziert wird, besitzen fü r die Orthodoxie Geschichte, Gesellschaft und soziale Akteure ein Wesen, das als ihr Yereinheitlichungspriiuip operiert. Und weil dieses Wesen nicht unm ittelbar sicht- j bar ist, ist es notwendig, trotz des Komplexitätsgrades im System d er Vermitt- , lungen, zwischen einer Oberfläche oder Erscheinung der Gesellschaft und ei ner zugrundfliegenden Wirklichkeit auf die der letztgültige Sinn je d e r konkreten Präsenz notwendigerweise zurückgeführt werden muß, zu unterscheiden.
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Es ist klar, welche strategische Konzeption aus dieser Vision des Verlaufs ^ des Kapitalismus hergeleitet werden konnte. Das Subjekt d ieser Strategie
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war natürlich die Partei d er Arbeiter. Kautsky lehnte nachdrücklich den revisionistischen Begriff einer „Volkspartei“ ab, weil sie seiner Auffassung nach eine Ü bertragung d er Interessen an derer Klassen in das Innere der Partei und deshalb den Verlust des revolutionären Charakters d er Bewe gung zur Folge haben würde. Seine verm eintlich radikale Position, die auf der Ablehnung jeglichen Kompromisses oder Bündnisses basierte, war je doch das I lauptstiick einer im G runde konservativen Strategie.23 Weil sein Radikalismus auf einen Prozeß, d er keine politischen Initiativen erfo rd er te, vertraute, konnte er nur zu Quietismus und Abwarten führen. O rgani sation und Propaganda waren die zwei grundlegenden - tatsächlich die ein zigen - Aufgaben der Partei. Die Propaganda war nicht auf die Schaffung eines breiteren „Volkswillens“ durch das Gewinnen neuer Schichten für die sozialistische Sache eingestellt, sondern vor allem auf das Stärken der Identität der Arbeiterklasse. Was die Organisation betrifft, hatte ihre Aus breitung keine größere politische Beteiligung an einer Reihe von Fronten, sondern die Konstruktion eines Ghettos zur Folge, wo die Arbeiterklasse eine abgesonderte und selbstbezogene Existenz führte. Diese fortschrei tende Institutionalisierung der Bewegung war gut geeignet fü r eine Per spektive, in d er die Endkrise des kapitalistischen Systems das Werk der Bourgeoisie selber war, während sich die Arbeiterklasse lediglich auf ihre Intervention zum passenden Zeitpunkt vorbereitete. Seit 1881 hatte Kautsky erklärt: „Unsere Aufgabe ist es nicht, die Revolution zu organisieren, son dern uns selbst fü r die Revolution zu organisieren; nicht, die Revolution zu machen, sondern sie zu benutzen.“'** Offensichtlich stellten fü r Kautsky Bündnisse kein grundlegendes strate gisches Prinzip d ar. U n ter konkreten Um ständen waren eine Reihe von Bündnissen auf d er Ebene em pirischer Taktiken möglich; auf lange Sicht jed och nahm die Arbeiterklasse, ebenso wie die Revolution einen rein pro letarischen C harakter haben würde, eine isolierte Position im anti-kapitali stischen K am pf ein. Kautskys Analyse d er inneren W idersprüche anderer sozialer Schichten weist genau die Unmöglichkeit nach, langfristige dem o kratische und anti-kapitalistische Bündnisse mit ihnen zu schließen. Im Falle der Bauernschaft suchte er nachzuweisen, daß sie eine in Auflösung befindliche Schicht ist, so daß eine Verteidigung ihrer Interessen durch die Arbeiterklasse eine der allgemeinen Richtung des ökonomischen Fortschritts entgegengesetzte reaktionäre Politik ist. Entsprechend sind in der kautskyanischen Analyse des Imperialismus die Mittelklassen zunehmend unter der ideologischen Vorherrschaft des Finanzkapitals und des Militarismus
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vereinigt, Charak!cris!ischc*iweise wird Kautsky auch nicht fü r einen Atj gonbhVk gewallt, daß dieser politische und ideologische Einfluß gcf;{}), lieh die Isolation dei Arbeite! henin hebt und da» die A rbeiterklasse ange> sichts doi Offensive des Kapitals mit einer Gegenoffensive antw orten s0 ||t(. um diese Mittelschichten für die anti-kapitalistische Sache a u f ihre Seite ^ ziehen. Diese Denkweise ist gesc hlossen, weil in seiner Analyse d e r zunelj. inend reaktionäre Charakter der Mittelschichten den objektiven und veiflnderlichen Prozessen entspricht. Aus dein gleichen G rund ist die Isojj, tiou der Arbeiter keine Bedrohung für den Sozialismus, weil dieser durc|, historisch gegebene Gesetze garantiert ist, die au f lange Sicht die Maclitlo. sigkeit aller bourgeoisen Machinationen beweisen werden. Ein gutes Beispiel dafür, wie Kautsky den proletarischen K am p f verstand stellt sein Begriff des ..Abnutzungskrieges“ dar. Dieser bezieht sich nicht auf eine spezielle faktik, sondern auf die Totalität d e r politischen Aktio, nen der Arbeiterklasse seit den sechziger Jahren des achtzehnten Jahrhut), derts. Der Abnutzungskrieg umfaßt drei Aspekte: Erstens d ie präkonsti. tuierte Identität der Arbeiterklasse, die die gegnerische M acht zunehmend unterminiert, jedoch durch den Verlauf des Kampfes nicht m erklich rnodi. fiziert wird; zweitens eine in gleicher Weise präkonstituierte Identität der Bourgeoisie, die ihre Fähigkeit zur Herrschaft vergrößert o d e r abbaut, unter keinen Umständen jedoch ihre eigene Natur ändert; drittens eine präfixierte Richtung der Entwicklung - wieder einmal die „unerbittlichen Gesetze“ , die dem Abnutzungskrieg eine eindeutige Richtung gibt. Diese Strategie ist mit Gramscis „Stellungskrieg“ verglichen worden25, in W irklichkeit sind die beiden jedoch völlig verschieden. Der Stellungskrieg setzt den Begriff der Hegemonie voraus, der, wie wir sehen werden, mit d er Id ee ein er linea ren, vorherbestimmten Entwicklung und vor allem m it dem präkonsti. tuierten Charakter der kautskyanischen Subjekte unvereinbar ist. Die der Theorie durch den orthodoxen Marxismus zugewiesene Rolle stellt uns vor ein Paradoxon. Auf der einen Seite wächst ihre R olle in dem Maße, wie die sich verbreiternde Kluft zwischen „gegenwärtigem Bewußt, sein“ und „historischer Mission“ der Klasse nur von außen d u rch politische Intervention überbrückt werden kann. Da auf der anderen Seite die die politische Intervention untermauernde Theorie als Bewußtsein ein er not wendigen und mechanischen Determination dargestellt wird, wird die Ana lyse immer deterministischer und ökonomistischer, so daß die Zusammenset zung der historischen Kräfte letzten Endes immer mehr von der theoretischen Ver mittlung abhängt. Dies ist bei Plechanowr noch evidenter als bei Kautsky. Die
eingeleitete Entwicklung des Kapitalismus in Rußland schaffte keine bür gerliche Zivilisation, so daß die Bedeutung der russischen Wirklichkeit mir durch einen Vergleich mit der westlichen kapitalistischen Entwicklung ent rätselt werden konnte. Für die russischen Marxisten waren deshalb die so zialen Phänomene ihres Landes Symbole eines Textes, der sie transzendier te und für eine volle und eindeutige Lesart nur im kapitalistischen Westen zugänglich war. Dies bedeutete, daß T heorie in Rußland unvergleichlich wichtiger war als im Westen: wenn die „notwendigen Gesetze der Geschich te“ nicht universell gültig waren, drohte die vergängliche Wirklichkeit ei nes Streiks, einer Demonstration oder eines Akkumulationsprozesses zu zer fließen. So konnte sich ein Reformist wie Guglielmo Ferrero2fi ironisch über den orthodoxer» Anspruch äußern, daß der Marxismus ein kohärentes und homogenes theoretisches Feld konstituiere. Schließlich, falls die Doktrin eklektisch und heteroklitisch war, betraf dies kaum die Materialität einer sozialen Praxis, die durch das Ensemble proletarischer Institutionen sank tioniert war - einer Praxis, die in der Revisionismus-Debatte ihre eigenen Beziehungen der Äußerlichkeit mit der T heorie zu etablieren begann. Dies konnte indes nicht die Position Plechanows sein, weil er Phänomenen ge genüberstand, die nicht spontan in eine klare Richtung wiesen, deren Be deutung vielmehr von ihrer Einordnung in ein interpretatives System ab hängig war. Je m ehr der Sinn des Sozialen von der theoretischen Formulie rung abhing, desto m ehr verwandelte sich die Verteidigung der Orthodo xie zu einem politischen Problem. Vor diesem H intergrund ist es nicht überraschend, daß Plechanow den Prinzipien d er marxistischen Orthodoxie eine sehr viel rigidere Formulie ru n g gab als Kautsky. Es ist beispielsweise allgemein bekannt, daß er den Ausdruck „dialektischer Materialismus“ prägte. E r war jed och ebenfalls für den radikalen Naturalismus verantwortlich, der zu solch einer strengen Tren nung zwischen Basis und Überbau führte, daß der letztere als nicht m ehr denn eine Verbindung der notwendigen Erscheinungsformen d er ersteren betrachtet wurde. Überdies erlaubte Plechanows Begriff der ökonomischen Basis keine Intervention d er sozialen Kräfte: der ökonomische Prozeß ist vollständig durch die als Technologie begriffenen Produktivkräfte deter m iniert.27 Diese rigide Determination erlaubt es ihm, Gesellschaft als eine strenge H ierarchie von Instanzen mit geringer werdenden Wirkungsgra den darzustellen:
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......... ln Sozialismus und politischst Kampf und Unsere Dij Differenzen kon/.ipi^
jede* ungleiche und kombinierte Entwicklung vom Feld der Strategie eli1Tl niert war. Alle frühen Analysen des russischen Marxismus von Peter St» „legalem Marxismus“ über Plechanow als der zentralen Figur bis zu Leninj Entwicklung des Kapitalismus in Rußland - neigten dazu, das Studium Spezifika zu entwerten und stellten sie als nichts anderes denn an der Ober fLiehe sichtbare beziehungsweise kontingente Formen einer essentiel|C|1 Realität dar; die abstrakte Entwicklung des Kapitalismus, durch die jede Gesellschaft hindurchgehen muß. Eine letzte Bemerkung über die Orthodoxie. Wie wir gesehen haben, vet. trat diese die Theorie, daß sich die wachsende Kluft zwischen dem letzte^ Ziel und den laufenden politischen Praxen zu einem zukünftigen Zeitpun^ auflösen würde, der als eine coinciaentia oppositorum, ein Zusammenfa||en der Gegensätze wirkt. Weil diese Praxis der Neuzusammensetzung jedoch nicht attsschließlich der Zukunft überlassen werden konnte, mußte doch schon in der Gegenwart irgendwie ein Kampf gegen die Fragmentierungs. tendenzen geführt werden. Aber weil dieser Kampf Artikulationsfornien erforderte, die sich zu dieser Zeit nicht spontan aus den Gesetzen des Kapj. talismus ergaben, wurde es notwendig, eine vom mechanistischen Determinismus unterschiedene soziale Logik einzuführen - das heißt einen Raum der die Autonomie der politischen Initiative wiederherstellen würde. Dieser Raum ist bei Kautsky, wenn auch nur minimal, vorhanden: er beinhaltet die Beziehungen der Äußerlichkeit zwischen der Arbeiterklasse und dem Sozialis mus, die der politischen Vermittlung der Intellektuellen bedürfen. Es gibt hier eine Verknüpfung, die nicht einfach durch „objektive“ historische Determination erklärt werden kann. Dieser Raum war notwendigerweise für jene Tendenzen breiter, die sich, um den Bruch zwischen den alltägli chen Praxen und dem Endziel zu überwinden, am meisten darum bemüh ten, mit dem Quietismus zu brechen und gegenwartsbezogene - politische Effekte zu erzielen.29 Rosa Luxemburgs Spontaneismus und, allgemeiner,
die politischen Strategien der Neuen Linken* bestätigen Orthodoxie versuchten, die Effekte der „Logik der Notwendigkeit“ zu begrenzen. Das unvermeidliche Ergebnis jedoch war, daß sie ihren Diskurs einem permanenten Dualismus ausliefer ten, der ihn aufspaltete: auf der einen Seite in einen Diskurs der „I^ogik der Notwendigkeit“, der immer weniger Effekte hinsichtlich der politischen Praxis produzierte, und auf der anderen Seite einen Diskurs der „Logik der Kontingenz“, der, weil seine Spezifik nicht bestimmt wurde, unfähig war, sich selbst zu theorisieren. Wir wollen zwei Beispiele des durch diese partiellen Versuche, „das Spiel zu öffnen“, geschaffenen Dualismus geben. Das erste ist der Begriff der morphologischen Vorhersage bei Labriola. E r erklärt: ^ Die historische Voraussicht... (im Kommunistischen Manifest) enthielt so wenig wie heute sei es eine gegebene Zeitrechnung, sei es ein verfrühtes Gemälde einer sozia len Organisation, wie die alten Offenbarungen und Weissagungen. ... Im Gegen teil, in der Lehre des kritischen Kommunismus entdeckt die ganze Gesellschaft, in einem Augenblick ihrer allgemeinen Entwicklung, die Ursache ihres verhängnis vollen Marsches, und an einer hervorspringenden Kurve klärt sie sich selbst auf, um die Gesetze ihrer Bewegung zu verkünden. Die Voraussicht des Manifestes be zog sich nicht auf die Zeitrechnung, sie war keine Verheißung und keine Weissa gung, sondern sie sah die morphologische Umbildung der Gesellschaft voraus.30
Labriola führte hier einen doppelten Kampf. Der erste war gegen dem Marxismus kritisch gegenüberstehende Tendenzen - Croce, Gentile3' - ge richtet, die, da sie die Unvorhersehbarkeit der Geschichte auf dem nicht systematischen Charakter der Ereignisse gründen, eine einheitliche Ord nung nur im Bewußtsein des Historikers fanden. Dagegen setzte Labriola seinerseits den Akzent auf den objektiven Charakter der historischen Ge setze. Diese waren jedoch morphologisch - das heißt, ihr Gültigkeitsbereich war auf gewisse grundlegende Tendenzen begrenzt. Labriolas zweiter Kampf ging gegen die Form en des Dogmatismus, die allgemeine Tendenzen in unm ittelbar erkennbare Fakten auf der O berfläche des historischen L e bens verwandelten. Es ist nun klar, daß die Art und Weise, wie dieser dop pelte Kam pf geführt wurde, einen Dualismus einführen mußte, der bei Labriola seinen Ausdruck in der Gegenüberstellung von historischer Ent wicklung als Erzählung und als M orphologie, und allgemeiner in der ab nehm enden Fähigkeit des Engelsschen dialektischen Paradigmas findet, Geschichte zu erklären.32 Überdies zeigt diese Dichotomie die gleiche dop-
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pelte Leert1, die wir hei Rosa Luxemburg fanden. Denn die „n ariatiVef)S Elemente sind den „morphologischen“ nicht als etwas Positives mit seinp,. eigenen Notwendigkeit ge ge ilil he iges teilt, sondern als das k(>nting(>ri^ Gegenteil der morphologischen Notwendigkeit, l-aut ßaclaloni kann die reale Entwicklung der Ereignisse (für Libriola) verwickelte und unvor hersehhare Wechselfölle herwi rufen. Entscheidend ist aber, daüdas Verstehen dic$tf. Wethselfälle innerhalb der genetischen I lypothese (Klassengegensatz und seine for(_ schreitende Vereinfachung) passieren sollte. Somit wird das Proletariat nicht in t.j ner unbestimmten historischen Zeit, sondern injener besonderen historischen £Cjt die duivh die Krise der bürgerlichen Gesellschaftsformation beherrscht wird, sj^ ’ ien. ” Mit anderen Worten, die „morphologische Notwendigkeit“ konstituiert eh, theoretisch-diskursives Terrain, das nicht nur sein eigenes charakteristisches Gebiet umfaßt, sondern auch das, was es aus sich ausschließt - K ontingent Wenn ein Ensemble von „Ereignissen“ als „kontingent“ konzeptionalisiert wird, ist es überhaupt nicht konzeptionalisiert, außer in seinem M angel an bestimmten, in den ihnen entgegengesetzten m orphologischen Tendenzen existierenden Kennzeichen. Weil jedoch das Leben der G esellschaft immer komplexer als die morphologischen Kategorien des m arxistisch en Diskurses ist - und diese Komplexität war Labriolas Ausgangspunkt ist die ein. k. \
zig mögliche Auswirkung, daß die Theorie ein zunehm end belangloseres Werkzeug für das Verstehen des konkreten gesellschaftlichen Prozesses wird, Um folglich zu vermeiden, in vollkommenen Agnostizismus zu verfallen, ist es notwendig, an einigen Punkten andere erklärende K ategorien einzu führen. Labriola tut dies beispielsweise in seinen konkreten Analysen, wo verschiedene soziale Kategorien nicht einfach in ihrer „Kontingenz“ konzep tionalisiert werden, sondern jede mit einer bestimmten N otw endigkeit be ziehungsweise Eigengesetzlichkeit ausgestattet ist. Wie sieht die Beziehung auszwischen diesen „faktischen“ strukturellen Komplexen und d en Struk turen, die das Objekt der morphologischen Voraussicht sind? E in e erste mögliche Lösung wäre „dialektisch“: eine monistische Perspektive aufrecht zuerhalten, die Komplexität als ein System von V erm ittlungen begreift.54 Labriola konnte indes diese Lösung nicht übernehmen, weil sie ihn dazu gezwungen hätte, die Auswirkungen der Notwendigkeit au f die O berflä che des historischen Lebens auszudehnen - gerade das Gebiet, von dem er sie verdrängen wollte. Wenn aber die dialektische Lösung abgelehnt wird, ist es nicht möglich, logisch von der morphologischen Analyse zu d e r spezi-
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rischen Gesetzmäßigkeit der Teiltotalitäten überzugehen. Der Übergang nimmt deswegen einen äußerlichen Charakter an - was bedeutet, daß die Konzept ionalisierung dieser Gesetzlichkeiten der marxistischen Theorie äu ßerlich ist. Die marxistische T heorie kann folglich nicht das „vollständige und harm onische Weltsystem“ sein, wie cs von Plcchanow dargestellt wur de und nur innerhalb eines geschlossenen Modells denkbar ist. Der Dualis mus Notwendigkeit/Kontingenz öffnet den Weg fü r einen Pluralismus der Strukturgesetzlichkeiten, deren innere Logiken und Wechselbeziehungen bestimmt werden müssen, Dies wird noch deutlicher, wenn wir den Austro-Marxismus, unser zwei tes Beispiel fü r eine „offene O rthodoxie“, untersuchen. H ier finden wir einen, im Vergleich mit Labriola wesentlich radikaleren und systema tischeren Versuch, die Ausgangspunkte zu diversifizieren, die theoretischen Kategorien zu vervielfachen sowie die Bereiche der Gesellschaft in ihren spezifischen Determinationen zu autonomisieren. Otto Bauer verwies in seinem N achruf auf M ax Adler auf den Anfang der Schule: „Waren Marx und Engels von Hegel, und die späteren Marxisten vom Materialismus aus gegangen, so sind die jü n geren Austromarxisten teils von Kant und teils von Mach her gekom m en.“95 Die Austro-M arxisten waren sich der Hinder nisse für die Einheit d er Arbeiterklasse in der Doppelmonarchie bewußt, der Tatsache, daß solch eine Einheit abhängig war von einer konstanten politischen Initiative. Von daher verstanden sie gut, was aus der ganz ande ren Perspektive der leninistischen Tradition „ungleiche und kombinierte Entwicklung“ genannt wurde. In der österreichisch-ungarischen Monarchie gibt es Beispiele für alle in Europa, einschließlich der Türkei zu findenden ökonomischen Formen ... Das Licht der sozialistischen Propaganda scheint überall inmitten dieser verschiedenen ökonomi schen und politischen Bedingungen. Dies schafft ein Bild extremer Verschieden heit ... Was in der Internationalen als eine chronologische Entwicklung existiert der Sozialismus der Handwerker, Wandergesellen, der Manufaktur-, Fabrik- und Landarbeiter, der Veränderungen durchmacht, mit dem politischen, dem sozialen oder dein intellektuellen Aspekt der Bewegung, der zu einem gegebenen Zeitpunkt vorherrscht - findet gegenwärtig in Österreich statt. 36 In diesem Mosaik sozialer und nationaler Situationen war es unmöglich, nationale Identitäten als dem „Überbau“ zugehörig beziehungsweise Klassen einheit als eine notwendige Konsequenz d er Basis zu denken. In d er Tat ist solch eine Einheit von einer komplexen politischen Konstruktion abhän-
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gig. In den Worten Otto Bauers: „Es ist eine intellektuelle Kraft, (iic (j. Einheit aulreihterh.'ilt... Der Wustm-Marxismus’ ist heute als ein Pioc{, der Einheit und eine Kraft für die Aufrechterhaltung der Einheit nicllls. die Ideologie der Einheit der Arbeiterbewegung.“57Das Moment der Klassej' einheil ist somit ein politisches Moment. Das konstitutive Zentrum dess^ was wir die irlaiiorwh' Konfigumtion oder artikulatorische Form einer (iese|| schalt nennen könnten, wird auf das Feld der Überbauten verschoben So daß die ganze Unterscheidung zwischen ökonomischer Basis und Überb3°
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verschwommen und problematisch wird. Drei hauptsächliche Arten dt. ausmvmarxistischen theoretischen Intervention sind eng mit dieser neue strategischen Perspektive verknüpft: der Versuch, den Gültigkeitsbereich der „historischen Notwendigkeit“ einzuschränken; d er Vorschlag neue,. Kampffronten, die auf der für den reifen Kapitalismus charakteristische^ Komplexität des Sozialen basieren; sowie der Versuch, die Spezifik der vo„ denen der Klasse verschiedenen Subjektpositionen in einer nicht-reduktio. nistischen Art und Weise zu denken. Der erste Interventionstypus hängt vorwiegend mit Max Ad len philosophischer Reformulierung und seiner besonderen Form von Neukantianismus zusammen. Das kantianische Neu. Denken des Marxismus produzierte mehrere befreiende Effekte: es erwei. terte das für den Sozialismus ansprechbare soziale Feld, insofern die Recht, mäßigkeit seiner Postulate in Form einer die Klassengrenzen transzendie. renden Universalität aufgeworfen werden konnte; es brach mit d er natura, listischen Konzeption der sozialen Verhältnisse und führte, indem es Be. griffe wie den des „gesellschaftlichen Apriori“ ausarbeitete, ein streng dis. kursives Element in die Konstitution der sozialen Objektivität ein; und schließlich ermöglichte es den Marxisten, die Basis als ein Terrain zu denken, dessen Struktur von Bewußtseinsformen abhing und nicht von der naturalistischen Bewegung der Produktivkräfte. Der zweite Interventions, typus stellte ebenfalls die Unterscheidung von Basis und Überbau in Frage. Bauer beispielsweise38 versuchte in der Diskussion um Kautskys Der Weg zur Macht zu zeigen, wie falsch es sei, die Ökonomie als ein homogenes, von einer endogenen Logik beherrschtes Feld zu begreifen, da in der monopo listischen und imperialistischen Phase politische, technisch-organisatori sche und wissenschaftliche Transformationen immer m ehr Teil des indu striellen Apparates wären. Seines Erachtens müßten die Gesetze der Kon kurrenz, wenn sie früher als Naturkräfte funktionierten, nun durch die Köpfe der Menschen hindurchgehen. Daher die Betonung des wachsen den Zusammenschlusses von Staat und Ökonomie, der in den zwanziger
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}nhren zur Debatte über den „organisierten Kapitalismus" führte. Die An sichten über die von der neuen ( ’.estait des Kapitalismus geschaffenen Punkte des Bruchs und des Antagonismus veränderten sich ebenso: sie wurden nun nicht mehr ausschließlich in clcn Produktionsverhältnissen verortet, sondern in einer ganzen Reihe von Feldern der sozialen und politischen Struktur. Deshalb auch die neue Bedeutung, die der Verstreuung des tag täglichen Kampfes (revolutionäre Kleinarbeit*) selbst beigemessen wurde, der weder in einem evolutionären noch reformistischen Sinne begriffen wurde,59 und die neue Bedeutung, die das Moment der politischen Artikulati on so errungen hat. (Dies spiegelt sich unter anderem in der neuen Art und Weise wider, die Beziehung zwischen Partei und Intellektuellen aufzu werfen.'0) Im Hinblick auf die neuen Subjektpositionen und den nachfol genden Bruch mit dem Klassenreduktionismus genügt es schließlich, Bau ers Arbeit über die nationale Frage und jene von Renner über Rechts institutionen zu erwähnen. Das allgemeine Muster der theoretisch-strategischen Intervention des Austro-Marxismus sollte nun klar geworden sein: insofern als die prakti sche Wirksamkeit der autonomen politischen Intervention erweitert wird, verliert der Diskurs der „historischen Notwendigkeit“ seine Relevanz und zieht sich auf den Horizont des Sozialen zurück (in genau der gleichen Weise, wie im deistischen Diskurs die Auswirkungen der Präsenz Gottes in der Welt drastisch reduziert sind). Dies erfordert umgekehrt eine Vermeh rung neuer diskursiver Formen, um das leer zurückgelassene Terrain zu besetzen. Die Austro-Marxisten erreichen den Punkt jedoch nicht, wo mit dem Dualismus gebrochen und das Moment der „morphologischen“ Not wendigkeit eliminiert wird. Im theoretisch-politischen Universum des fin • cfe-ttècfe-Marxismus wurde dieser entscheidende Schritt nur von Sorel mit seiner Gegenüberstellung von „mélange“ und „blocu vollzogen. Wir werden im weiteren darauf zurückkommen.
Die zweite Antwort au f die Krise: der Revisionismus Die orthodoxe Antwort auf die „Krise des Marxismus“ suchte die Kluft zwi schen der „Theorie“ und den „sichtbaren Tendenzen des Kapitalismaus“ zu überwinden, indem sie unnachgiebig die Gültigkeit der Theorie und den künstlichen beziehungsweise transitorischen Charakter dieser Tenden zen bekräftigte. Somit könnte die Schlußfolgerung auf der Hand liegen,
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daß die revisionistische Antwort dem einfach symmetrisch »«gegenges wiii, insbesondere, weil Hornsteinja .selber bei vielen Gelegenheiten insistierte, daß er keine größeren Meinungsverschiedenheiten mit den, gramin mul den Praxen der SPD hülfe, wie sie sich seit dem Erfurter ^ leilag realisiert hatten, und daß der einzige Zweck seiner Intervention aggiornamentn wäre, das die Theorie an die konkreten Praxen der Jic.tlr| tfüng anpassen würde. Nichtsdestoweniger würde aber eine derartige Schlei folget uug wichtige Dimensionen der Bcmsteinschen Intervention verd„ kein, insbesondere uns zu der falschen Gleichsetzung von Reformismus^ ** Rn'isiotiismiis führen.11 Die Gewerkschaftsführer, die die wahren Spre^ für eine reformistische Politik innerhalb der SPD waren, bekundeten nig Interesse an Bernsteins theoretischen Vorschlägen und blieben ¡n folgenden Kontroverse streng neutral - wenn sie nicht offen die O rtho^ xie unterstützten.,J Darüber hinaus war Bernsteins Position in den entsch ■ denden politischen Debatten über den Massenstreik45 und die H a ltu n g ^ Krieg \on denen der reformistischen Partei- und Gewerkschaftsführer ni^ nur verschieden, sondern ausgesprochen entgegengesetzt. Folglich müss wir bei dem Versuch, die genaue Differenz zwischen Reformismus ilri(j Revisionismus zu identifizieren, betonen, daß das in einer reformistischen fy, xis Wesentliche der politische Quietismus und die korpomtistische Beschränkung Arbeiterklasse ist. Der reformistische Führer versucht, die Vorteile und un mittelbaren Interessen der KJasse zu verteidigen und tendiert deshalb dazu sie als einen abgesonderten Sektor zu betrachten, dessen Identität und Gren zen roll und ganz definiert sind. Aber eine „revisionistische“ Theorie jS( dafür nicht notwendig, tatsächlich kann eine „revolutionäre“ Theorie ¡n vielen Fällen die gleiche Rolle besser erfüllen, indem sie die Arbeiterklasse isoliert und jede Infragestellung der existierenden M achtstruktur einer unbestimmten Zukunft überläßt. Wir haben schon auf den konservativen Charakter des kautskyanischen Revolutionarismus hingewiesen. Der Refof. mismus identifiziert sich mit keinem Begriff der Alternative Revision«. mus/Orthodoxie, sondern geht über beide hinaus. Der grundlegende Streitpunkt, der die revisionistischen und orthodoxen Theoretiker entzweite, war deshalb nicht die Frage des Reformismus und auch nicht das Problem des friedlichen oder gewaltsamen Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus - wozu die „Orthodoxen“ keine klare und einmütige Position hatten. Der Hauptpunkt der Meinungsverschiedenheit war, daß, während die Orthodoxie annahm, daß die Fragmentierung und die fü r das neue Stadium des Kapitalismus charakteristische Teilung durch Veränderungen in der
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Jiasis überwunden uriirden, der Revisionismus behauptete, daß dies durch autonomes politisches Handeln erreicht xuerden sollte. Die Autonomie des Politischen von der ökonomischen Basis ist das wahrhaft Neue der Bernstcinschen Argumentati on. Tatsächlich ist darauf hingewiesen worden,“ daß hinter je d e r der Bei nsteinschen Kritiken der klassischen marxistischen Theorie ein Versuch stand, die politische Initiative in bestimmten Bereichen wiederzugewinnen. Der Revisionismus repräsentierte in seinen besten Momenten einen realen Versuch, die korporative Isolierung der Arbeiterklasse zu durchbrechen. Wahr ist aber auch, daß genau in dem Augenblick, als das Politische als eine auto nome Instanz auftauchte, es dazu benutzt wurde, eine „reformistische“ Pra xis, die in hohem Grade sein Gegenteil war, zu bestätigen. Dieses Paradoxon müssen wir zu erklären versuchen. Es führt uns auf gewisse Beschränkungen in Bernsteins Bruch mit dem Ökonomismus zurück, der nur bei Gramsci rigoros überwunden werden sollte. Wir müssen also untersuchen, wie diese beiden Momente, die Autonomie des Politischen sowie seine Grenzen, struk turiert sind. Es ist wichtig zu erkennen, daß Bernstein die Veränderungen, die den Ka pitalismus ergriffen, als er in die monopolistische Ära eintrat, klarer ver stand als jed er Vertreter der Orthodoxie. In dieser Hinsicht standen seine Analysen der Problematik eines Hilferding oder Lenin näher als die ortho doxen Theorisierungen dieser Zeit.45 Bernstein erfaßte ebenfalls die politi schen Konsequenzen der kapitalistischen Reorganisation. Die drei haupt sächlichen Veränderungen - Asymmetrie zwischen der Unternehmens- und der Vermögenskonzentration; die Existenz und Zunahme der Mittelschich ten; die Rolle der ökonomischen Planung in der Verhütung von Krisen konnten nur eine totale Veränderung in den Voraussetzungen, auf denen die Sozialdemokratie bisher basiert hatte, beinhalten. Weder wurden die Mittel klassen und die Bauernschaft durch die ökonomische Entwicklung proletarisiert und die Polarisierung der Gesellschaft vergrößert, noch konnte erwar tet werden, daß der Übergang zum Sozialismus aus einem revolutionären Ausbruch als Folge einer ernsten ökonomischen Krise resultieren würde. Unter solchen Bedingungen mußte der Sozialismus sein Terrain und seine Strategie wechseln; das theoretische Schlüsselmoment war der Bruch mit der rigiden Trennung von Basis und Überbau, die jedwede Konzeptionalisierung der Autonomie des Politischen verhindert hatte. Auf diese letztere Instanz w'urde das Moment der Neuzusammensetzung und die Überwindung der Fragmentierung in der revisionistischen Analyse übertragen.
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Die Wissenschaften. Künste und fine ganze Reihe sozialer Verhältnisse sind |1(. zutage weit wenigei um dei Ökonomie abhängig als fiüher, beziehungsweise j1' mit es keine Mißverständnisse gibt, det heute eri eichte l*»inkl der Ökonomie Entwicklung liittt den ideologischen und besonders den ethischen Fakturen g,.(J r| reu Raum Kl« unabhängige Aktivität, als es früher der Fall war. Deswegen i^ (.. gegenseitige Abhängigkeit von Ursache und Wirkung /wischen der technj},^^ ökonomischen Entwicklung und anderen sozialen Tendenzen immer indirc^’ gemmlen uml die Notwendigkeiten der ersteren haben viel von ihrer Kraft, (f? Komi dei letzteren zu diktieren, verloren.4h Einzig diese Autonomisienmg des Politischen gegenüber den Diktaten dt| ökonomischen Basis erlaubt es ihm, diese Rolle der Neuzusammensctzi^ und Wieder'V erein heitlich un g gegenüber Basistendenzen zu spielen, dje sich seihst überlassen, nur zu Fragmentierung führen können. Dies kaj^ deutlich in Bernsteins Konzeption der Dialektik von Einheit und Teilu„ der Arbeiterklasse gesehen werden, ökonomisch erscheint die Arbeit,.* Masse immer mehr gespalten. Das moderne Proletariat ist nicht jene ein eignete Masse, von der Marx und Engels im Manifest schrieben: „Gerade in den modernsten Fertigungsindustrien kann man eine ganze Hierarchje differenzierter Arbeiter finden; zwischen diesen Gruppen gibt es nur ein mäßiges Identitätsgefühl.“47 Die Diversifizierung der Interessen - die englischen Fall am sichtbarsten war - war nicht einfach das Überbleibsel einer von Zünften geprägten Vergangenheit, wie Cunow argum entiert hat. te, sondern das Resultat der Errichtung eines demokratischen Staates. Wäh rend die Einheit im Kampf unter Bedingungen politischer Repression sekt oralen Interessen eine untergeordnete Bedeutung zumißt, tendieren die^ dazu, in einem freiheitlichen Kontext aufzublühen. Nun. wenn die Tendenz zur Teilung in die Struktur des m odernen Kapj. talismus selbst eingeschrieben ist. was ist dann die Quelle des entgegenge. setzten Moments, der Tendenz zur Vereinheitlichung? Laut Bernstein is, es die Partei. Demgemäß spricht er ran der Notwendigkeit eines Organs des Kiassenkampfes, das die ganze Klasse ungeachtet ihrer Fragmentierung verschiedener Beschäftigung wegen zusammenhält, und das ist die Sozialdemokratie als eine politische Partei. In ihr wird das besondere Inter esse der ökonomischen Gruppe unterdrückt zugunsten der allgemeinen Interessen derer, die von ihrem Arbeitseinkommen abhängig sind, zugunsten aller Unterprivilegierten.**
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Wie wir früher sahen, repräsentierte bei Kautsky die Partei ebenfalls das universelle Moment der Klasse; aber während bei ihm die politische Ein heit die wissenschaftliche Vorwegnahme einer realen Einheit war, die durch die Bewegungen der Basis erreicht werden sollte, konnte das Moment der politischen Artikulation bei Bernstein nicht auf derartige Bewegungen re duziert werden. Die Spezifik der politischen Verknüpfung entrinnt der Kette der Notwendigkeit; der irreduzible Raum des Politischen, der bei Kautsky aut die vermittelnde Rolle der Intelligentst» beschränkt war, erscheint hier beträchtlich erweitert. Jedoch hat sich in Bernsteins Analyse der politischen Vermittlung als der Klasseneinheit wesentlich eine kaum merkliche Ambiguität eingeschlichen, die seine ganze theoretische Konzeption beeinträchtigt. Wenn die Arbeiter klasse in der ökonomischen Sphäre zunehmend geteilt erscheint, und wenn ihre Einheit autonom auf der politischen Ebene konstruiert wird, in wel chem Sinne ist dann die politische Einheit eine /fJaumeinheit? Das Pro blem stellte sich für die Orthodoxie nicht, weil die Nicht-Übereinstimmung von ökonomischer und politischer Identität letzten Endes durch die Ent wicklung der Ökonomie selber aufgelöst werden sollte. Im Falle Bernsteins scheint die logische Schlußfolgerung zu sein, daß die politische Einheit nur durch eine Überwindung der Klassenbeschränkungen der verschiedenen Arbeiterfraktionen konstituiert werden kann, und daß es somit eine per manente strukturelle Kluft zwischen ökonomischer und politischer Sub jektivität geben sollte. Dies ist indes eine Schlußfolgerung, zu der Bern stein in seiner Analyse niemals gelangt. Auf der einen Seite insistiert er darauf, daß die Sozialdemokratie eine Partei aller Unterdrückten und nicht nur der Arbeiter sein muß, aber auf der anderen Seite begreift er diese Einheit als die eines Ensembles von Sektoren, die „den Standpunkt der Arbeiter akzeptieren und sie als die führende Klasse anerkennen“. Wie sein Biograph Peter Gay anm erkt,19 ging Bernstein niemals über diesen Punkt hinaus. Wenn dem aber so ist, gibt es in seinem Denken eine Leer stelle. Der Klassencharakter der Vereinheitlichung zwischen dem Politi schen und ökonom ischen wird in keiner der beiden Sphären produziert und die Argumentation bleibt in einer Leere hängen. Diese Schlußfolgerung mag vielleicht übertrieben sein, weil sie unterstellt, daß Bernsteins Denken sich auf der gleichen Ebene bewegt wie jenes von Kautsky und Rosa Luxemburg - daß er sich auf notwendige Subjekte eines zwangsläufigen historischen Prozesses bezieht. Die Wahrheit jedoch ist, daß Bernstein, indem er bestreitet, daß die Geschichte durch eine abstrakte
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dele* m in isti.Kí lu* I ik Im'Ihm i si hl wird, * I¿f I íebatl«’ genau voi» dir«^. ^ iu* wegu» lagen In seimr Konzeption scheint sich <*»«• /cn tra lit'ij d,., heitei statuieren aut eine historisch kontingente Aigwiiu*ntalion,s|¡nj( 1 he/iehen beispielsweise, da 11 die Arbeitorkl.is.se in Anbt*tiach| kon/cut»aiions- mul Organisationsgrades besser als an d ere Sektor^, ''' bereitet ist, die tilluendr Rolle /u übernehmen. Dorh das IVoblrm warum Bernstein diese Überlegenheiten, die bestenfalls konjunkturell* Natur wäien, als ir invisible Errungenschaften darstellte. Die gleicht' Aru^ guitiit KiÜt sieh bei Bernsteins Diktum, daß „der Weg alles und das Ziel n,',^ ist", linden. Üblicherweise ist dies als ein typisch „gradualisiischer*48|0 bet iachtel worden.vl Hoch ist der (¡radualismus bei einigen B e d e u tin ^ dieses Slogans, die sowohl theoi'etische als auch politische Effekte innerhalb ^ mwonistischen Diskurses pwduziemi, keineswegs die logische 1‘olge. Die eini ge notwendige Implikation dieser Behauptung ist, daß die A r b e i t e r ^ konkrete Vorteile innerhalb des kapitalistischen Systems erzielen kann, Ufw daß deshalb die Revolution nicht als ein absolutes M om ent im Überga|) roti totaler Enteignung zu radikaler Befreiung gedacht werden kann. impliziert nicht mtwendigeneeisedie gradualistische Konzeption der langjj men, unilinearen und irreversiblen Fortschritte, obwohl es natürlich rj^ tig ist, daß Bernsteins Argunientationslinie demokratische Fortschritte n,j( einer gradualistischen Perspektive verknüpft. Wir müssen deshalb nochei^ mal das Problem des Terrains stellen, wo diese logisch unterschieden^ strukturellen Momente sich vereinigen. Dies führt unsere Untersuchung zu den konkreten Fo rm en von Bern steins Bruch mit dem orthodoxen Determinismus sowie zu den Begriff lichkeiten, die er einsetzt, um den durch diesen Kollaps eröffn eten RaUlö zu füllen. Die Infragestellung eines allgemeinen Erklärungsmechanismu, der geschichtlichen Bewegung nimmt bei Bernstein eine eigentümlich Form an: er kritisiert nicht den von der Orthodoxie vorgeschlagenen Typ^ historischer Kausalität, sondern versucht, einen Raum zu schaffen, wo daj freie Spiel der Subjektivität in der Geschichte möglich wird. Die orthodoxe Gleichsetzung von Objektivität und mechanischer Kausalität akzeptierend versucht er lediglich, ihre Effekte zu begrenzen.51 E r leugnet nicht den wi$. senschaftlichen Charakter eines Teils des Marxismus, aber e r weigert sich, ihn bis zu dem Punkt auszudehnen, wo er ein geschlossenes System schafft, das das ganze Feld der politischen Voraussage abdeckt. Die Kritik des dog. matischen Rationalismus der O rthodoxie n im m t d ie F o rm eines kantianischen Dualismus an. Für Bernstein gibt es drei besondere Einwän-
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dt* dagegen, den Marxismus als ein geschlossenes System zu befrachten. Erstens habe der Marxismus niehl zeigen können, daß d er Sozialismus not wendig aus dem Kollaps des Kapitalismus folgt. Zweitens könne die» auch gar nicht gezeigt werden, weil die Geschichte kein einfacher objektiver Pro zeß sei: der Wille spiele in ihr ebenso eine Rolle. Deshalb könne Geschichte nur als das Resultat einer Interaktion zwischen objektiven und subjektiven Faktoren erklärt werden. Drittens könne der Sozialismus, weil er ein Partei program m und daher auf einer ethischen Dezision gegründet sei, nicht vollkommen wissenschaftlich sein, könne nicht auf objektiven Darlegun gen basieren, deren Richtigkeit oder Falschheit von allen akzeptiert wer den müßten. Demnach war die Autonomie des ethischen Subjekts die Basis für Bernsteins Bruch mit dem Determinismus. Nun kann - und dieser Punkt ist entscheidend - die Einführung des ethi schen Subjekts die Mehrdeutigkeiten, die wir in Bernsteins Denken gefun den haben, nicht auf lösen. Die freie Entscheidung des ethischen Subjekts kann bestenfalls ein Feld der Nicht-Determiniertheit in der Geschichte schaf fen^ kann jedoch nicht die Grundlage für eine gradualistische These sein. H ier interveniert ein neues Postulat - d er fortschrittliche und aufsteigende Charakter der menschlichen Geschichte -, um das Terrain bereitzustellen, auf dem das Politische und das ökonom ische sich verbinden, um jed er konkreten Errungenschaft eine richtungsweisende Bedeutung zu geben. Der Begriff der Entwicklung*5“ spielt eine entscheidende Rolle im Bernsteinschen Diskurs: tatsächlich erhält sein ganzes Schema von ihm seine Kohärenz. Die Vereinheitlichung der politischen und ökonomischen Be reiche findet nicht auf der Basis theoretisch bestimmter Artikulationen statt, sondern durch eine beiden zugrundeliegende, von den Gesetzen der Evo lution diktierte tendenzielle Bewegung. Für Bernstein sind diese Gesetze überhaupt nicht dasselbe wie im orthodoxen System-, sie beinhalten nicht nur antagonistische, sondern auch harmonische Prozesse. Doch in beiden Fällen werden sie als totalisierende Kontexte begriffen, die a priori die Bedeu tung jedes Ereignisses fixieren. Somit sind die „Fakten“, obgleich aus den essentialistischen Verbindungen befreit, die sie in der orthodoxen Konzep tion m iteinander verknüpften, später in einer allgemeinen Theorie des Fortschritts wiedervereinigt, getrennt von jedwedem bestimmbaren Mecha nismus. Der Bruch mit dem mechanistischen Objektivismus, der Klassen als transzendente Subjekte dachte, ist durch das Postulat eines neuen tran szendenten Subjekts - das ethische Subjekt - erreicht worden, das in einer zunehmend von ökonomischer Notwendigkeit befreiten Menschheit Über-
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tfewicht bekommt." Von hier aus ist es imnWiglich, /u einer Thoorfc Artikulation und Iiegemonie lortzusclueiten. ^ Oies erklärt auch, warum hoi Bernstein die Autononiisierung des p sehen mit der Akzept,mz einer reformistischen Praxis und einer gracly! V** tischen Strategie verknüpft weiden kann. Wenn jed er Fortschritt aufg, ^’4, des FntwkklungspamiUus iireversibel ist, hängt seine Konsolidierung langer \t>n einer instabilen Artikulation der Klüfte ab und hört a u f ein ^ tischrs hvbfm tu sein. Wenn aber auf der anderen Seite das Ensenib|c ^ demokratischen Fortschritte von einem kontingenten Kräfteverhältnis ** hängt, dann kann der abstrakte Hinweis auf die Rechtmäßigkeit jeder derung kein hinreichender (»rund sein, seine Fortschrittlichkeit geltend^ machen. So könnte zum Beispiel eine ultra-linke Forderung eine negat^ Neuausrichtung der Kräfte auslösen, in einer spezifischen, kritischen junktur aber auch \un seinem Gegenteil, von der Abwesenheit radikal politischer Initiativen ausgehen. Wenn aber das Ensemble der demokt^, sehen Verbesserungen einzig und alleine von einem Gesetz des Fortschrj' abhängt, dann ist der fortschrittliche Charakter jedes Kampfes oder je ^ konjunkturellen Forderung unabhängig von seiner Wechselbeziehung • anderen, zu einem gegebenen Zeitpunkt operierenden Kräften, definierj Die Tatsache, daß die Forderungen der Arbeiterbewegung als gerecht U|). fortschrittlich betrachtet und getrennt von ihrer Korrelation mit andere^ Kräften beurteilt werden, vernichtet die einzige Basis fü r die Kritik d^ korporativen Beschränkung der Arbeiterklasse. Hier liegen die Prämisse^ für eine Koinzidenz z^vischen theoretischem Revisionismus und praktisch^ Reformismus: die Verbreiterung der politischen Initiative auf eine Anzah] demokratischer Fronten tritt niemals in Gegensatz zum Quietismus u„d Korporatismus der Arbeiterklasse. Dies wird deutlich, wenn wir die revisionistische Staatstheorie betrach ten. Für die Orthodoxie war das Problem einfach: d er Staat war ein Instru ment der Klassenherrschaft und die Sozialdemokratie konnte an seinen Institutionen nur mit dem Ziel partizipieren, ihre eigene Ideologie zu ve*. breiten und die Arbeiterklasse zu verteidigen und zu organisieren. Derar tige Partizipation war von daher durch Äußerlichkeit gekennzeichnet. Bem. stein sah dieses Problem aus der entgegengesetzten Perspektive: die wach, sende ökonomische Macht der Arbeiterklasse, der Fortschritt in der Sozialgesetzgebung, die „Humanisierung“ des Kapitalismus, all das führte zur „Nationalisierung“ der Arbeiterklasse - der Arbeiter ist nicht mehr ledig, lieh Proletarier, er ist auch Staatsbürger geworden. Folglich haben, laut
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Bernstein, die Funktionen der sozialen Organisierung einen größeren Ein fluß im Staat als jen e der Klassenherrschaft; seine Demokratisierung trans form iert ihn zu einem Staat „des ganzen Volkes“. W ieder hat Bernstein besser als die O rthodoxie die grundlegende W ahrheit verstanden, daß sich die Arbeiterklasse bereits auf dem Terrain des Staates befindet und daß es unfruchtbarer Dogmatismus ist, zu versuchen, rnit ihm Beziehungen der Äußerlichkeit aufrechtzuerhallen. In seinem Diskurs wird dies jedoch un mittelbar in eine vollkommen illegitime Voraussage transformiert: näm lich, daß der Staat als eine notwendige Auswirkung der „historischen Ent wicklung“ zunehmend dem okratischer wird. Nachdem wir diesen Punkt erreicht haben, können wir nun das schon bei Rosa Luxem burg benutzte Gedankenexperiment anwenden: wir folgen den logischen Argumentationslinien Bernsteins, aber indem wir die ihre Effek te begrenzenden essentialistischen Voraussetzungen (in diesem Fall das Po stulat des Fortschritts als vereinheitlichender Tendenz) beseitigen. Daraus ergeben sich unm ittelbar zwei Schlußfolgerungen. Erstens hören demo kratische Verbesserungen innerhalb des Staates auf, kumulativ zu sein und beginnen, von einem Kräfteverhältnis abzuhängen, das nicht a priori be stimmt werden kann. Gegenstand des Kampfes sind nicht einfach punktu elle Vorteile, sondern Form en von artikulierenden Kräften, die es ermögli chen, daß diese Vorteile konsolidiert werden. Und diese Formen sind immer reversibel. In diesem Kam pf muß die Arbeiterklasse von dort aus kämpfen, wo sie wirklich ist: nämlich sowohl innerhalb wie außerhalb des Staates. Aber - und dies ist die zweite Schlußfolgerung. Bernsteins außerordentliche Scharfsichtigkeit eröffnet uns eine sehr viel beunruhigendere Möglichkeit. Wenn der Arbeiter nicht länger einfach Proletarier ist, sondern ebenso Staats bürger, Konsument und jem and, der an einer Pluralität von Positionen im kulturellen und institutionellen Apparat eines Landes teilnimmt, wenn darüberhinaus dieses Ensemble von Positionen nicht länger durch irgend ein „Gesetz des Fortschritts“ (noch, natürlich, durch die „notwendigen Ge setze“ der Orthodoxie) vereint wird, dann werden die Beziehungen zwi schen ihnen eine offene Artikulation, die keine apriorische Garantie dafür bietet, daß sie eine gegebene Form annehmen wird. Es besteht ebenso die Möglichkeit, daß sich widersprüchliche und wechselseitig neutralisierende Subjektpositionen ergeben werden. In diesem Fall wird der demokratische Fortschritt m ehr als je zuvor eine Vermehrung der politischen Initiativen auf verschiedenen gesellschaftlichen Gebieten erforderlich machen - wie vom Revisionismus verlangt, nur mit dem Unterschied, daß die Bed^fcung
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jeder Initiative wn ihrem Verhältnis zu den anderen ahhängen wird. l)je,e Verstreuung der Elemente und Punkte des Antagonismus zu denken unrj ihre Artikulation aiiüerhalh jeglichen apriorischen Vercinheitlichungs. sehetnas zu begreifen, ist etwas, das weit über das Feld des Revisionismus hinausgeht. Obwohl es die Revisionisten waren, die zuerst das Problem in seinen allgemeinsten Begriffen gestellt haben - die Aut «Inge einer adttqua. ton Antwort werden wir nur in («rainseis Konzeption des „Stellungskrieges« finden.
Dir dritte Antwort auf dir Krise: der revolutionäre Syndikalismus
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Unsere Untersuchung des Revisionismus hat uns an den Punkt gebracht, w> Bernstein paradoxerweise den gleichen Dilemmata gegenübersteht wie alle orthodoxen Strömungen (seine Erzfeindin Rosa Luxemburg eingeschlos sen): die ökonomische Basis ist nicht imstande, die Klasseneinheit in der Gegenwart zu sichern, während die Politik, das einzige Terrain, wo jene gegenwärtige Einheit konstruiert werden kann, außerstande ist, überzeu gend den Klassencharakter der einheitlichen Subjekte zu garantieren. Die se Antinomie kann im revolutionären Syndikalismus, der einen dritten Typus der Antwort auf die „Krise des Marxismus** bildete, deutlicher wahrgenotnmen werden. Bei Sorel ist die Antinomie besonders stark entwickelt, weil er sich mehr als Bernstein oder jeder orthodoxe Theoretiker im klaren war über die wahren Dimensionen der Krise und den Preis, den die Theorie zahlen mußte, um sie in einer befriedigenden Weise zu überwinden. Wir finden bei Sorel nicht nur das Postulat eines Gebietes der „Kontingenz“ und „Freiheit“, das die zerbrochenen Glieder in der Kette der Notwendig keit ersetzt, sondern ebenso einen Versuch, die Spezifik dieser „Logik der Kontingenz“ zu denken, jenes neuen Terrains, auf dem ein Feld totalisierender Effekte rekonstituiert wird. In diesem Sinne ist es aufschlußreich, auf die Schlüsselmomente seiner Entwicklung zu verweisen.54 Schon in den relativ orthodoxen Anfängen von Sorels marxistischem Wer degang zeigten sowohl die Ursprünge seiner politischen Interessen als auch die hinter seiner Analyse stehenden theoretischen Voraussetzungen eine auffällige Originalität und waren beträchtlich anspruchsvoller als diejeni gen eines Kautsky oder Plechanow. Er war weit davon entfernt, an der fest stehenden Idee eines zugrundeliegenden historischen Mechanismus fest zuhalten, der sowohl eine gegebene Form der Gesellschaft vereinheitlicht
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a l s auch die Übergänge zwischen verschiedenen Formen beherrscht, ln der •|at stand im Mittelpunkt des Sorclschen Interesses - und deshalb sein häu figer Hinweis auf Vico - der Typus moralischer Qualitäten, der es einer Gesellschaft ermöglicht, vereint und in einem Prozeß des Aufsteigens zu bleiben. Weil sie keine Garantie der Positivität besäßen, würden die sozia len Transformationen von Negativität als einem ihrer möglichen Schicksa le durchdrungen. Es sei nicht einfach so, daß eine gegebene Form der Ge sellschaft von einer anderen, positiven Form, die sie ersetzen sollte, bekämpft würde; sie sei auch mit der Möglichkeit ihrer eigenen Fäulnis, ihres Nie dergangs und ihrer Auflösung konfrontiert, wie es bei der Antike der Fall war. Was Sorel am Marxismus verlockend fand, war tatsächlich nicht eine Theorie der notwendigen Gesetze der historischen Entwicklung, sondern vielmehr die Theorie der Entstehung eines neuen Akteurs - das Proletariat der imstande wäre, als eine agglutinierende Kraft zu wirken, die um sich herum eine höhere Form der Zivilisation rekonstruieren und die im Nie dergang befindliche bürgerliche Gesellschaft verdrängen würde. Diese Dimension des Sorelschen Denkens ist von Anfang an vorhanden. In seinen Schriften vor der Revisionismus-Kontroverse ist sie jedoch mit einer Akzeptanz der von der Orthodoxie postulierten Tendenzen der kapi talistischen Entwicklung verbunden. In diesen Schriften sieht Sorel den Marxismus als eine „neue wirkliche Metaphysik“ an. Jede wirkliche Wissen schaft, argumentiert er, wird auf der Grundlage eines „Ausdrucksträgers“ konstituiert, der ein künstliches Element in die Analyse einführt. Dies kann der Ursprung utopischer oder mythischer Fehler sein, im Falle der Industrie gesellschaft aber gibt es auf dem gesellschaftlichen Terrain eine wachsende Vereinheitlichung rund um das Bild des Mechanismus. Der Ausdrucksträger des Marxismus - der gesellschaftliche Charakter der Arbeit und die Kate gorie der „Ware“, die immer mehr qualitative Unterschiede beseitigt - ist keine willkürliche Basis, weil er das formende und konstitutive Paradigma der gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Der Sozialismus repräsentiert qua kollektiver Aneignung der Produktionsmittel den notwendigen Höhepunkt der wachsenden Vergesellschaftung und Homogenisierung der Arbeit. Das zunehmende Übergewicht dieses produktivistischen Paradigmas stützt sich auf die Bewegungsgesetze des Kapitalismus, die von Sorel an diesem Punk te seines Werdegangs nicht in Frage gestellt werden. Der seiner Interessen bewußte Akteur jedoch, der die Gesellschaft auf eine höhere Stufe stellen wird, konstituiert sich nicht durch eine einfache objektive Bewegung. Hier greift ein anderes Element der Sorelschen Analyse ein: der Marxismus ist
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für ihn nicht bloß eine wissenschaftliche Analyse der Gesellschaft, sondern auch die Ideologie, die das Pioletariat vereint und seinen Kämpfen einen Orientierungssinn gibt. Die „Ausdruckstriiger“ wirken deshalb als Kleinen, le. die die historischen Klüfte, die Sorel „Blöcke" nennt, zusammenfassen und verdichten. F.s sollte klar sein, daß bereits diese Analyse das Icrrain an einem entscheidenden Punkt gegenüber dem orthodoxen Marxismus ver. schiebt: «las Feld der sogenannten „objektiven Gesetze“ verliert seinen Cha. rakter als rationales Substrat des Sozialen und wird statldessCü_das Enseny. hie der Formen, durch die eine Klasse sich als eine herrschende Kraft Jton. stituiert und ihren Willen der übrigen Gesellschaft auferlegt. Weil jedoch die Gültigkeit dieser Gesetze nicht bezweifelt wird, ist die Distanz von der Orthodoxie letztlich nicht so bedeutend.
Die Trennung beginnt, als Sorel, ausgehend von der Revisionismus-De batte, (*n blot Bernsteins und Croces Kritik des Marxismus akzeptiert, um allerdings ganz andere Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. Was an Sorel beeindruckt, ist die Radikalität mit der er die Konsequenzen der „Krise des Marxismus“ akzeptiert. Anders als Bernstein macht er nicht den gering sten Versuch, den orthodoxen historischen Rationalismus durch eine alter native evolutionistische Sichtweise zu ersetzen, und die Möglichkeit, daß eine Zivilisationsform zerfallen kann, blieb in seiner Analyse stets offen. Die Totalität als grundlegendes rationales Substrat ist aufgelöst worden, was jetzt existiert ist melange. Wie kann man unter diesen Umständen die Mög lichkeit eines Prozesses der Neuzusammensetzung denken? Sorels Antwort stellt die sozialen Klassen in den Mittelpunkt, die nicht mehr die Rolle struktureller Verortungen in einem objektiven System spielen, sondern viel mehr Pole der Reaggregierung sind, die er „Blöcke“nennt. Die Möglichkeit der Einheit in einer Gesellschaft ist somit auf den Willen bestimmter Grup pen verwiesen, ihre Konzeption von ökonomischer Organisation durchzu setzen. Sorels Philosophie, beeinflußt durch Nietzsche und insbesondere Bergson, ist tatsächlich eine Philosophie der Tat und des Willens, in der die Zukunft nicht vorhersehbar ist und vom Willen abhängt. Ferner ist die Ebene, auf der die sich im Kampf befindenden Kräfte ihre Einheit finden, die Ebene eines Ensembles von Bildern oder „Sprachfiguren“, die die Theo rie des Mythos ankündigen. Die Konsolidierung der Klassen als histori sche, durch eine „politische Idee“ zementierte Kräfte ist auf ihrer Kon frontation mit gegnerischen Kräften aufgebaut. Wenn sich ihre Identität nicht mehr auf einen Prozeß der basalen Einheit gründen läßt (auf dieser Ebene gibt es nur melange) ist die Arbeiterklasse auf einen Bruch mit der
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Kjjpitalistcnklasse angewiesen, der nur im Kampf gegen sie vollendet werden kann. Fiii Sorel wurde der „Krieg“ somit die Bedingung der Arbeiterk l a s s r n i d e n t i t i i t , und die Suche nach mit der Bourgeoisie gemeinsamen (lehictcn kann nur zu ihrer eigenen Schwächung führen. Dieses Bewußt e n eines Bruchs ist ein juridisches Bewußtsein - Sorel begreift die Kon struktion revolutionärer Subjektivität als einen Prozeß, in dem das Proleta riat einer Reihe von Rechten gewahr wird, die cs dem Klassengegner ent gegensetzt und eine Reihe von neuen Institutionen etabliert, die diese Rechte festigen werden.“ Sorel, ein glühender Dreyfusard, sieht jedoch keinen nutwendigen Widerspruch zwischen der Pluralität der Arbeiterklassen positionen innerhalb des politischen und ökonomischen Systems: er ist ein Parteigänger der Demokratie und des politischen Kampfes des Proletariats und berücksichtigt sogar die Möglichkeit, daß die Arbeiterklasse, obwohl sie in keiner Weise ökonomisch mit den Mittelschichten verknüpft ist, ein Pol ihrer politischen Umgruppierung werden könnte. Wir sehen ein deutliches Muster in Sorels Entwicklung: wie alle Tenden zen, die gegen den Quietismus der Orthodoxie kämpfen, ist er gezwungen, das konstitutive Moment der Klasseneinheit auf die politische Ebene zu verschieben; weil sein Bruch mit der Kategorie der „historischen Notwen digkeit“ jedoch radikaler als der anderer Tendenzen ist, fühlt er sich auch genötigt, die grundlegenden Bande der politischen Einheit zu bestimmen. Dies kann noch klarer gesehen werden, wenn wir zur dritten Entwicklungs stufe seines Denkens fortschreiten; sie entspricht der großen Desillusionie rung, die dem Triumph der Dreyfusarden-Koalition folgt. Der Millerandsche Sozialismus ist ins System integriert worden; die Korruption sproß; es gibt einen fortwährenden Verlust von proletarischer Identität; und Energie wurde von der einzigen Klasse abgezogen, die in Sorels Augen die Mög lichkeit einer heroischen Zukunft hat, die die im Niedergang begriffene bürgerliche Zivilisation umgestalten wird. Daraufhin wird Sorel ein ausge sprochener Feind der Demokratie, die er als den Hauptschuldigen für die se Verstreuung und Fragmentierung der Subjektpositionen ansieht, mit denen sich der Marxismus um die Jahrhundertwende herumzuschlagen hat. Es war deshalb um jeden Preis notwendig, die Spaltung der Gesell schaft wiederherzustellen und die Arbeiterklasse als einheitliches Subjekt neu zu konstituieren. Wie allgemein bekannt, führt dies Sorel zur Preisga be des politischen Kampfes und zur Bekräftigung des syndikalistischen My thos des Generalstreiks.
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«Wir wissen) m der lat. «Iail
Oer syndikalistische „(Vncmlstreik“ (oder die „Revolution“ bei Marx) ist ein Mvthos, insofern er als ein auf der Basis der Verstreuung der Subjektpositionen gebildeter ideologischer Vcrdichtungspunkt für die proletarische Identität funktioniert. Er ist der einzige Typus der neuzusaminensetzenden Verknüpfung der übrigbleibt, wenn enst einmal der politische Kampf aufgegeben worden ist und man denkt, daß die Ökonomie der Monopole und des Imperialismus was nach Sorel einen Prozeß der Refeudalisierung zur Folge hat - die Tenden zen in Richtung Zerfall vertieft. Allgemeiner erkennt man das alle Thema der anti-physis in Sorels Bekräftigung wieder, daß Gesellschaften eine „natürliche" Tendenz zum Niedergang besitzen und das die Tendenz zur Größe „künst lich“ ist. Somit Ist Gewalt die einzige Kraft, die den durch Marx beschriebenen Antagonismus am Leben halten kann. Wenn eine kapitalistische Klasse energisch ist, bekräftigt sie beständig ihren Verteidigungswillen; ihre freimütig und ehrlich reaktionäre Haltung trägt in minde stens dem gleichen Maße wie die proletarische Gewalt dazu bei, die Spaltung der Klas sen kenntlich zu machen, die die Grundlage jedes Sozialismus ist.®
Aus dieser Perspektive macht es wenig aus, ob der Generalstreik realisiert wer den kann oder nicht: seine Rolle ist die eines regulativen Prinzips, das dem Proletariat erlaubt, die mélange der sozialen Verhältnisse als um eine klare De markationslinie organisiert zu denken; die Kategorie der Totalität, als objekti ve Beschreibung der Realität beseitigt, wird als ein mythisches, die Einheit des Bewußtseins der Arbeiter etablierendes Element wiedereingeführt. Wie de Paola ausführte,58 ist der Begriff des „kognitiven Instruments“ - beziehungsweise „Ausdrucksträgers“ -, dessen Künstlichkeit von Anfang an anerkannt wurde, erweitert worden, um auch Fiktionen einzuschließen.
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Für Sorel ist also die Möglichkeit einer dichotornen Teilung der Gesell schaft nicht als ein Datum der sozialen Struktur vorausgesetzt, sondern eine Konsti uktion auf der Ebene der „moralischen Faktoren“, die den Konflikt der gesellschaftlichen Gruppen beherrschen. Hier stoßen wir wieder auf das Problem, das sich immer dann ergibt, wenn eine marxistische Strö mung versucht, mit dem Ökonomismus zu brechen und die Klasseneinheit auf irgendeiner anderen Ebene zu etablieren. Warum muß dieses politisch oder mythisch rekonstituierte Subjekt unbedingt ein Klassemutyekt sein? Aber wo die Inadiiquanz von Rosa Luxemburgs oder Labriolas Bruch mit dem Ökonomismus die Bedingungen für die Unsichibarkeit der doppel ten Leere, die in ihren Diskursen auftauchte, schufen, macht im Falle Sorels die äußerste Radikalität seines Anti-Ökonomismus diese Leere deutlich sicht bar. So sehr, daß m anche seiner Nachfolger, die die Hoffnung auf eine revolutionäre Rückgewinnung d er Arbeiterklasse aufgegeben hatten, sich auf die Suche nach irgendeinem Ersatzmythos machten, der imstande wäre, den Kampf gegen die bürgerliche Dekadenz zu sichern. Es ist bekannt, daß sie ihn im Nationalismus fanden. Dies war der Weg, durch den ein Teil von Sorels intellektuellem Vermächtnis zum Aufstieg des Faschismus beitrug. Dementsprechend konnte sein Schüler Edouard Birth im Jah re 1912 be haupten: In der Tat ist es notwendig, daß die zweiseitige, nationalistische und syndikalistische Bewegung, parallel und synchron zugleich, zur vollständigen Vertreibung des König reichs des Goldes und zum Triumph der heroischen Werte über den schändlichen bürgerlichen Materialismus, in dem das gegenwärtige Europa erstickt, führt. Mit ande ren Worten: es ist notwendig, daß dieses Erwachen von Kraft und Blut gegen das Gold - dessen erste Anzeichen von Pareto enthüllt und dessen Signal von Sorel in seinen Reßexions sur la violence und von Maurras in Si le coup deforce est possible gegeben worden sind - mit der absoluten Niederlage der Plutokratie enden sollte.50 Selbstverständlich ist dies nur eine mögliche Herleitung aus Sorels Analyse; es wäre historisch falsch und analytisch unbegründet, zu schlußfolgern, daß dies ein notwendiges Ergebnis sei.60Historisch falsch, weil Sorels Einfluß in vielfacher Hinsicht spürbar war - er war beispielsweise entscheidend in der Herausbildung von Gramscis Denken. Analytisch unbegründet, weil eine derartige teleologische Interpretation annimmt, daß der Übergang von der Klasse zur Nation notwendig durch die Struktur des Sorelschen Denkens selbst bestimmt war, während sein spezifischstes und originellstes Moment genau d er nicht-determ inierte, nicht-apriorische Charakter des mythisch
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konstituierten Subjekts war. AuLUrdem isi dir Nit ht Dctrnninicitlieit kcj. ne Schwäche dei I hroi ie, weil sie bekräftigt. daß die gesellschaftliche Wj, |(. lichkeit seihst mcht-detoiminieit ist imrltingr) mul jede Veieinheitlichiing von den neu /usammonsef/enden Praxen eines Mocks abhangt. In dieser TTiiisiehl gibt es keinen throirttsihm ( •rund, warum die mythische Rekonsti tution nicht in die Richtung des Faschismus gehen sollte, aber gleichet niy. ßen keinen, ihre Entwicklung in eine andere Richtung auszuschließen wie beispielsweise den Bolschewismus, den Sorel enthusiastisch begrüßte, Der entscheidende Punkt ist - und dies macht Sorel zum tiefschürfendsten und originellsten Denker der Zweiten Internationale daß die Identität der sozialen Akteure selbst unbestimmt wird und daß jegliche „mythische“ Fixierung derselben ton einem Kampf abhängt. Der Begriff der „Hegemo nie". wie er in der russischen Sozialdemokratie auftauchte (der, wie wir gesehen haben, ebenfalls eine Logik der Kontingenz voraussetzte), war un ter diesem Gesichtspunkt weit weniger radikal. Weder Lenin noch Trotzki w^ar imstande, die Xoturndigkrit in Frage zu stellen, daß die sozialen Akteu re Klassencharakter besitzen. Einzig bei Gramsci in seinem Begriff des „hi storischen Blocks**, wo der von Lenin herrührende Begriff der „Hegemo nie" mit dem sich Sorel verdankenden Begriff des „Blocks“ eine neue Syn these eingeht, konvergieren die beiden Traditionen.
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H egem onie: Das schwierige Auftauchen einer neuen politischen Logik
An diesem Punkt ist es notwendig, die Beziehung zwischen der doppelten Leere, die im essentialistischeri Diskurs der Zweiten Internationalen auf tauchte, und der eigentümlichen Verwerfung der Entwicklungsstufen, auf die die Hegemonieproblematik eine politische Antwort bilden wird, zu klä ren. Wir wollen mit der Spezifizierung jener Merkmale dieser doppelten Leere beginnen, die ihren Vergleich mit der hegemonialen Naht' möglich m achen. Erstens erscheint diese Leere in der Form eines Dualismus: der sie stiftende Diskurs versucht nicht, unterschiedliche Grade der Wirksam keit innerhalb einer Topographie des Sozialen zu bestimmen, sondern die Umfassungs- und Bestimmungskapazität jeder topographischen Struktu rierung zu begrenzen. Deshalb solche Formulierungen wie: „die Basis de term iniert nicht alles, weil das Bewußtsein oder der Wille ebenfalls in die Geschichte eingreift“ oder „die allgemeine Theorie kann keine konkrete Situation erklären, weil jede Vorhersage morphologischen Charakter hat“. Dieser Dualismus wird durch eine Hypostasierung des Nicht-Determinierten qua Nicht-Determiniertem konstruiert: Entitäten, die der strukturellen Determinierung entgehen, werden als die negative Kehrseite der letzteren verstanden. Dies macht den Dualismus zu einer Beziehung von Grenz-Fronten. Bei näherem Hinsehen bricht diese Antwort jedoch keineswegs mit dem strukturellen Determinismus: sie läuft lediglich auf eine Eingrenzung seiner Effekte hinaus^Es ist beispielsweise durchaus möglich, sowohl zu behaupten, daß es ausgedehnte Gebiete des sozialen Lebens gibt, die sich dem ökonomischen Determinismus entziehen, wie, daß in dem eingegrenz ten Gebietx-in dem seine Effekte wirksam sind, der Einfluß der Ökonomie gemäß einem deterministischen Paradigma verstanden werden muß. Nichts destoweniger gibt es ein offensichtlidres Probknrnii7dieser^Aigument: um zu bekräftigen, daß etwas absolut determiniert ist, und um eine klare Linie der Unterscheidung vom Nicht-Determinierten zu ziehen, reicht es
nicht hin, die Spezifik Avr Determination nachzuwcisen, darilbei hinaus muß auch ihi notxi'endiger Chamkter erklärt worden. Aus diesem G rund ist rlt.,. vermeintliche Dualismus ein Pseudo-Dualismus: seine beiden Pole bei in, den sich nicht auf der gleichen Ebene. Das Determinierte setzt die Ein. Kreuzungen der Variation des Nicht-Determinierten, indem es seine Spezifik als notwendige durchsetzt. Das Nii ht-Detci niinierie wird so auf ein bloßes Supplement des Determinierten reduziert. Zuvitens antwortet, wie wir gesehen haben, dieser scheinbare Dualismus auf die Ihtsaehe, daß die strukturelle Determination nicht das Fundament für eine politische Logik liefert, in der hier und jetzt ein K am pf gegen Fragmentierungstendenzen geführt werden kann. Es ist jed och unm itte|. b;n einleuchtend, daß das einzige Terrain, das die Spezifik einer solchen Logik zu denken erlaubt, aus dem Bild getilgt wurde: da je d e t heoretisch bestimmbare Spezifik auf das Terrain der Basis und das daraus resultieren, de Klassensvstem zurückgeführt wird, verschwindet jedwede andere Logik auf dem allgemeinen Terrain kontingenter Variation beziehungsweise ist auf sich jeder theoretischen Bestimmung entziehende Entitäten wie Wille oder ethische Entscheidung verwiesen. Drittem und letztens stützte sich im Diskurs der Zweiten Internationale die Klasseneinheh der sozialen Agenten auf die immer schwächere Basis eines Spiegelspiels: die ökonomische Fragmentierung war unfähig, die Klasseneinheit zu konstituieren und verwies uns auf die politische Neu zusammensetzung; doch die politische Neuzusammensetzung war unfähig, den notu>endigen Klassencharakter der sozialen Agenten zu begründen.
Kombinierte Entwicklung und die Logik des Kontingenten Wir wollen jetzt dieses im theoretischen Diskurs der Zweiten Internationa len vorhandene Ensemble von Rissen mit den Verwerfungen vergleichen, die der Begriff der Hegemonie zu nähen versucht. Perry Anderson 3 hat das Auftauchen des Hegemoniebegriffs in der russischen Sozialdemokratie untersucht (die Theoretiker der Komintern übernahmen ihn von dort und durch sie erreichte er Gramsci); die Ergebnisse seiner Forschung sind klar: der Hegemoniebegriff füllt einen durch eine Krise dessen, was nach Plechanows Konzeption der „stufenförmigen Entwicklung“ eine normale historische Entwicklung gewesen sein sollte, vakant gelassenen Raum. Aus diesem Grund gehört die Hegemonisierung einer Aufgabe beziehungswei
se eines Ensembles politischer Kiiiftc zum Terrain historischer K o n tin g e n z .
Indei europäischen Sozialdemokratie war das Hauptproblem die Verstreuung von Ai bciicrklassenposirioiien sowie die Zertrümmerung der zwischen diesen von der marxistischen Theorie postulierten Einheit. Der hohe E n t wicklungsgrad d **1 bürgerlichen Zivilisation spiegelte seine strukturelle Ordnung innerhalb der Arbeiterklasse wider, was die Einheit d er letzteren u n te rg ru b . Im Gegensatz dazu zwangen in der Hegemonietheorie, wie sie im russischen Kontext aufgeworfen wurde, die Begrenzungen einer unge n ü g en d entwickelten bürgerlichen Zivilisation die Arbeiterklasse, aus sich herauszugeben und Aufgaben zu übernehmen, die nicht ihre eigenen wa ren. Das Problem war also nicht länger, die Klasseneinheit zu sichern, son dern die politische Wirksamkeit des Arbeiterklassenkampfes auf einem historischen Terrain zu maximieren, wo Kontingenz aus der strukturellen Schwäche der Bourgeoisie, ihre eigenen Aufgaben wahrzunehmen, erwuchs. Wir wollen untersuchen, wie die Schritte, die zum Auftauchen des Be griffs der „Hegem onie“ führten, strukturiert waren. In den Schriften von Plechanow und Axelrod wurde der Terminus „Hegemonie“ eingeführt, um den Prozeß zu beschreiben, durch den die Ohnmacht der russischen Bour geoisie, ihren „norm alen“ Kampf für politische Freiheit durchzuführen, die Arbeiterklasse zwang, entscheidend einzugreifen, um die politische Frei heit zu erreichen. Es gab also einen Bruch zwischen der Klassennatur der Aufgabe und dem historischen Agenten, der sie ausführte. Dies schuf ei nen Raum der Nicht-Determ iniertheit, dessen Dimensionen beträchtlich variierten - sie waren minimal bei Plechanow und dehnten sich auf ein Maximum bei Trotzki aus. A uf jeden Fall aber wird dieser Raum d er ent scheidende Punkt sein, von dem aus sich die verschiedenen revolutionären Orientierungen spalteten. Die russische Revolution - die Revolution „ge gen das K a p i t a l wie Gramsci sie nannte - mußte ihre Strategie dadurch rechtfertigen, daß sie den fü r den Kampf um Hegemonie charakteristi schen Raum der Nicht-Determ iniertheit auf ein Maximum erweiterte. Kon sequenterweise erwuchs ein Gegensatz zwischen einem notwendigen Inneren (entsprechend den Aufgaben der Klasse bei einer „normalen“ Entwicklung) und einem kontingenten Äußeren (das Ensemble der Aufgaben, die d er Klassennatur d er sozialen Agenten, die sie zu einem gegebenen Zeitpunkt zu erfüllen hatten, frem d waren). I Es gibt signifikante U nterschiede zwischen diesen historischen Verwer fungen des orthodoxen Paradigmas und jenen, die wir im Falle Westeuro pas fanden. In beiden Fällen produzierte die Verwerfung eine Verschie-
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eint* Ymrhiehung der Fbenen \vmder ökonomischen zur politischen nach sieh 70g, war die Versehiebung in Rußland viel größer, weil sie sich z\vj. sehen verschiedenen Klassen ereignete. In Westeuropa waren wir - mit Aus. nähme des Austromarxismus, wo sieh eine Vielfalt nationaler Situationen als eine Verwertung der Entxmkiungxstii/rn äußerte - mit einer Dissoziation der strukturellen Momente eines synchronen Paradigmas konfrontiert. Folglich konnte das Denken der Dissoziation nicht, die Form einer Erzäh. lung annehmen wie in der russischen Sozialdemokratie. W ährend schließ, lieh in den anderen Füllen die Verwerfung und Krise des Paradigm as ein negatives Phänomen war, wurde sie in Rußland ein positives Phänomen: die Disharmonie zwischen den bürgerlichen Aufgaben und d er Fähigkeit de» Bourgeoisie, sie auszuführen, war das Sprungbrett für die politische Machtergreifung des Proletariats. Aus demselben Grund konnten die euro päischen Formen der Verwerfung rein durch den Bezug auf negative Kate, gorien (Vergänglichkeit und Kontingenz), die überwunden w eiden muß. ten, konzeptualisiert werden; im russischen Falle jedoch wurde es, da die Verwerfungen sich als positive, den Vormarsch der Arbeiterklasse erlaub ende Konjunkturen offenbarten eine bestimmte Art und Weise, sich in die Geschichte einzuschleusen notwendig, den neuen Typus von Beziehung zwi. sehen der Arbeiterklasse und den fremden Forderungen, die sie zu einem gegebenen Zeitpunkt zu übernehmen hatte, zu beschreiben. Diese anor male Beziehung wurde „Hegemonie“ genannt. Wir müssen nun die Besonderheit der hegemonialen Beziehung im Diskurs der russischen Sozialdemokratie untersuchen. Tatsächlich bezeichnet „Hegemonie“ hier mehr als eine Beziehung, sie bezeichnet einen Raum, der durch die Spannung zwischen zwei sehr unterschiedlichen Beziehun gen beherrscht wird: (a) jener der hegemonisierten Aufgabe und ihres „na türlichen“ Klassenagenten, und (b) jener der hegemonisierten Aufgabe und der sie hegemonisierenden Klasse. Wenn die Koexistenz dieser zwei Bezie hungen unter ungenauen begrifflichen Formen ausreicht, um d em Term i nus der „Hegemonie“ einen referentiellen Raum zu geben, so ist die präzi se Bestimmung ihrer logischen Artikulation eine sine qua non fü r die Um wandlung von „Hegemonie“ in eine theoretische Kategorie. Es genügt, die beiden Relationen aufmerksam zu betrachten, um zu erkennen, daß sie sich an keinem Punkt logisch artikulieren. Zuallererst, im Kampf gegen den Absolutismus, deutete keine Analyse der russischen Sozialdemokratie daraufhin, daß die bürgerlichen Aufga82
heu u ufhörtu , bürgerlich zu sein, wenn sic durch das Proletariat übernom men werden. Klassenidcutität wird auf der Basis der Produktionsverhält nisse kon su m ier!: fü r die O rthodoxie entspringt der Antagonismus zwi schen A rbeiterklasse und Bourgeoisie innerhalb jener primären Struktur. Diese organisiert sieh selber wie eine Erzählung - wir können sie erste Erlahlung nennen da ihre Bewegung widersprüchlich ist und auf ihre Selbst* auflüsung hinausläiift. ln d er Strukturierung dieser Erzählung sind die Gesetze d er kapitalistischen Entwicklung die Handlung, während als Figu ren mit völlig festgelegten Rollen die proletarische und die kapitalistische Klasse auftreten. Nun wird die Klarheit dieser Geschichte durch das Auf treten einer A nom alie beeinträchtigt: die bürgerliche Klasse kann ihre Rol le nicht erfüllen , die von d er anderen Figur übernommen werden muß. Wir können diesen Rollentausch die zweite Erzählung nennen - mit den Worten Tiotzkis: die perm anente Revolution. Wie sieht die strukturelle Be ziehung zwischen diesen beiden Erzählungen aus? Es reicht aus, sich kurz die strategische Debatte zu vergegenwärtigen, um sich davon zu überzeu gen, daß ihre A rtikulation sich auf einem theoretischen Terrain ereignet, das durch die Dom inanz d er ersten Erzählung gekennzeichnet ist. Drei Überlegungen genügen, um diesen Punkt zu überprüfen: Erstens. Die Ord nung des Auftretens dieser Figuren wird durch die zweite Erzählung nicht verändert: wenn die Bourgeoisie unfähig ist, „ihre“ Aufgaben zu erfüllen, fallen diese notwendigerweise dem Proletariat zu - doch ist die Notwendig keit dieser Ü b ertragu n g nur evident, wenn man die Totalität des auf der Ebene der ersten Erzählung konstituierten evolutionären Schemas für selbst verständlich erachtet. Zweitens. Der Klassencharakter der Aufgaben wird durch die Tatsache, daß sie von der einen oder der anderen Klasse über nommen werden, nicht verändert - die demokratischen Aufgaben bleiben bürgerlich, selbst wenn ihr historischer Agent die Arbeiterklasse ist. Drit tens. Selbst die Identität d er sozialen Agenten wird durch ihre strukturel len Positionen in d er ersten Erzählung bestimmt. Demnach besteht zwi schen den beiden Erzählungen ein ungleiches Verhältnis: hegemoniale Be ziehungen supplementieren Klassenbeziehungen. Eine Unterscheidung Saussures gebrauchend könnten wir sagen, daß hegemoniale Beziehungen im mer Tatsachen d er parole sind, während Klassenbeziehungen Tatsachen der langue sind. Der Sinn und die Identität d er hegemonialen Aufgabe wie der Agenten, die sie ausführen, sind, wie oben definiert, gänzlich in Beziehung (a) ent halten. Die Beziehung zwischen den beiden Komponenten der Beziehung
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(b) kann deshalb nur eine der Äußerlichkeit!sein. Nun kann eine Bezichin^ der Äußerlichkeit unter zwei Aspekten bemu htet werden: als eine Bezj(, hung der Äußerlichkeit und als eine Baiehungder Äußerlichkeit. |)**r e r ^ Aspekt sielli keine Schwierigkeit dar: eine Beziehung ist eine Beziehung dei Äußerlichkeit, wenn die Identität ihrer Komponenten völlig außerball) dieser Beziehung konstituien wird. Was das relationale M om ent betrifft, damit die Beziehung eine Beziehung strikter Äußerlichkeit sein kann, jst es notwendig, dati keine begriffliche Spezifik ihr zuzuschreiben ist. (Ar,, derntalls würde eine derartige Spezifik ein strukturell definierbares M0_ ment werden. l ’nd da dies eine besondere Theorie ih rer Artikulation*, formen mit anderen strukturellen Momenten, die die Klasse als solche konstituieren, erfordern würde, würde die Identität der Klasse unvermeidlich modifiziert.) Mit anderen Worten: die Beziehung der Äußerlichkeit kann nur als rtine Kontingenz gedacht werden. Dies erklärt, warum sich d er ¡m Diskus der Zweiten Internationale aufzufindene Pseudo-Dualismus aus denselben Griinden in der Theorie der Hegemonie wiederholt. Beziehung (a) und Beziehung (b) können nicht begrifflich artikuliert w erden, einfach deshalb, weil die letztere überhaupt keine positive begriffliche Spezifik be sitzt und auf ein kontingent abweichendes Terrain d er Beziehungen zwi schen außerhalb seiner selbst konstituierten Agenten reduziert ist. Es könnte jedoch argumentiert werden, daß es in der russischen Sozialdemokratie von Plechanow und Axelrod bis Lenin und Trotzki eine positive und immer komplexere Theorie der Hegemonie gab. Das ist zwar richtig, ab er kein Einwand gegen unsere Argumentation. Denn eine derartige Positivität und Komplexität bezieht sich auf die Typologie der Situationen, die hegemoniale Beziehungen zwischen Klassen möglich machen, sowie auf die Vielfalt der Beziehungen zwischen in einer gegebenen Konjunktur agierenden sozialen Gruppen. Doch die Besonderheit der hegemonialen Verknüpfung als solcher wird niemals diskutiert, vielmehr wird sie durch einen raffinierten Trick un sichtbar gemacht. Um zu sehen, wie dieser Trick vor sich geht, sollten w'ir uns nicht au f jene Ansätze konzentrieren, für die die „normalen“ Formen d er Entwicklung den Gang der Geschichte beherrschen und das hegemoniale M om ent ei nen deutlich marginalen Platz innehat. (Dies ist bei Plechanow d er Fall, der die Intervention durch die Arbeiterklasse als ein Mittel ansah, die Bourgoisie zu zwingen, ihre eigenen Aufgaben zu erfüllen.) Aufschlußreicher sind jene anderen Ansätze, bei denen die hegemoniale Übertragung von Aufga ben die eigentliche Substanz der Revolution konstituiert, so daß die Spezifik 84
der hegemonialen Verknüpfung vergleichsweise schwieriger unsichtbar zu m achen ist. In dieser Hinsicht sind Trotzkis Texte von beispielhafter Klar heit, weil sie nachdrücklich die Besonderheiten der russischen im Gegen satz zur westeuropäischen Kntwicklung des Kapitalismus betonen. Wie all gem ein bekannt, w arf Troizki in einer Reihe von vor und nach der russi schen Revolution von 1905 veröffentlichten Schriften' gegenüber d er menschewistischen Perspektive auf eine auf den Zusammenbruch des Za rismus folgende bürgerlich-demokratische Republik und der bolschewisti schen Vorstellung von einer Arbeiter- und Bauernregierung, die ihre Re formen auf einen bürgerlich-demokratischen Charakter beschränken wür de, die Möglichkeit einer Regierung der Arbeiterklasse auf, die einen di rekten Übergang zum Sozialismus zustande bringen würde. Diese Mög lichkeit war in die eigen tü m lich en Besonderheiten d er historischen Entw icklung Rußlands eingeschrieben: Schwäche der Bourgeoisie und der städtischen Zivilisation; unverhältnismäßige Größe des Staates als eines von den Klassen sich verselbständigenden militärisch-bürokratischen Appara tes; aus dem „Privileg d er Rückständigkeit“ resultierende Einführung ent wickelter Formen des Kapitalismus; die Lebendigkeit des russischen Prole tariats in fo lg e d er Abwesenheit von Traditionen, die es in eine komplexe Zivilgesellschaft e in b in d e n ; und so w eiter. Weil die Bourgeoisie zu spät auf trat, um d ie historischen Aufgaben des Kampfes gegen den Absolutismus zu übernehmen, wurde das Proletariat zum entscheidenden Agenten ihrer Realisierung. Diese Verlagerung im Stufenparadigma und die Verdrängung der daraus resultierenden hegemonialen Übertragung bildeten die eigent liche Achse von Trotzkis Revolutionstheorie. Man sollte glauben, daß d er hegemonialen Beziehung keine größere Zen tralität gegeben werden könnte als gerade die Möglichkeit der sich um sie drehenden Revolution. W ir sollten jedoch näher auf die Formen schauen, die diese Zentralität in Trotzkis Diskurs annimmt. An zwei grundlegenden Punkten stößt seine Analyse auf die Spezifik der sozialen Beziehungen, die dem Klassenreduktionismus - das heißt dem notwendigen Charakter von Beziehung (a) - zu widerstehen scheinen, und bei beiden Punkten weicht er vor einem theoretischen Fortschritt, der diese Spezifik bestimmen wür de, zurück. Der erste Punkt betrifft die Wechselbeziehung zwischen der strukturellen Schwäche d er Bourgeoisie und der außergewöhnlichen Rol le, die der Staat in d er historischen Entstehung der russischen Gesellschaft spielte. Konfrontiert m it d er von dem bolschewistischen Historiker Pokrowski aufgeworfenen theoretischen Herausforderung, der von einem kru-
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d e ö ko n om istisch en Standpunkt aus d a i.m l b e b a u t , «laß d e m S ta a t <.j„c solcho B ed eu tu n g zuzumessen h eiß e, ihn von se in e n K lasscM ig ru n d lag ,^ abzu lösen. unterläßt es Ib itz k i, m it e in e r th e o re tis c h e n A n a ly s e d e r i ven A u to n o m ie d e s S ta a te s in u n t e r s c h i e d l i c h e n
k a p ita lis tis c h ^
(»csellschaftsfb rm ationen zu antw orten mul b e ru ft s ich s ta m le s s e n a u f c|a¡5 G riin des Lebens gegem'ihei dem (»rau d e r 1 h e o r ie :
Das Denken des Gen«visen l’okrowski ist in einen Schraubstock rigider sozialer K;t. tegorien eingespannt, die er an die Stelle lebendiger historischer Kräfte setzt. Wo (rs keine .besonderen Merkmale“ gibt, gibt es keine Geschichte, sondern nur eine j\It pseudo-materialistische Geometrie. Anstatt die lebendige und sich verändernde Materie der ökonomischen Kntwit klung zu studieren, ist es genug, ein paar äußer, liehe Symptome wahr/unehmen und sie an einige vorgefertigte Clichés anzupas. sen.'
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Damit wird das durch die Verselbständigung des Staates von den sozialen Klassen konstituierte „besondere Merkmal“ auf ein Terrain gestellt, das von Anfang an seine Effekte strikt begrenzt: wir haben es nun mit Umstän den zu tun, die zu einer in hohem Maße faktischen Ordnung gehören und zu einer Geschicktt zusammengefaßt werden können (von daher der über wiegend narrative Ton von Trotzkis Analyse), begriff lieh jedoch nicht zu fassen sind. Das wäre nicht notwendigerweise negativ, wenn alle sozialen Determina tionen der gleichen Behandlung unterworfen wären, weil Trotzki dann auf derselben Ebene russischer Besonderheiten - auch die Prozesse zu er zählen hätte, durch die die Ökonomie all die anderen sozialen Verhältnisse in letzter Instanz determinieren kann. Dies geschieht jedoch nicht: obgleich es eine Erzählung der „Besonderheiten“ gibt, werden die Merkmale, die als jeder kapitalistischen Gesellschaftsformation gemeinsame angesehen werden, nicht einer erzählenden Behandlung unterworfen. Daß die Öko nomie in letzter Instanz den Geschichtsprozeß bestimmt, ist für Trotzki auf einer genauso außerhistorischen Ebene gegründet wie bei Pokrowski, und in einer ebensolchen dogmatischen Art und Weise. Eine Ordnung von „Wesenheiten“ tritt zwangsläufig einer Ordnung der „Umstände“ gegen über, und beide werden in denselben sozialen Agenten reproduziert. Was in ihnen historischer Variation ausgesetzt ist, ist auf ein Ensemble von Ei genschaften reduziert, die sie von einem normalen Paradigma abweichen läßt - die Schwäche der Bourgeoisie in Rußland, die Lebendigkeit des Pro letariats, und so weiter- Diese „besonderen Merkmale“ unterminieren je86
(lot I» in keinster Weise die Gültigkeit des Paradigmas: dieses produziert weiterhin se in e Effekte, insofern d ie sozialen Agenten ihre gru n d leg en d e l'lentilüf •»>> Vcrliiiltnis zu ihm b estim m en und insofern die „besonderen M erkm ale“ sich le d ig lic h a ls empirische Vor- beziehungsw eise Nachteile für die E r r e ic h u n g der auf der Ebene d er „Wesenheiten“ prä-etablierten Klassenziele p r ä s e n tie r e n .
Dies zeigt sich deutlich im zweiten grundlegenden Punkt, wo Iiotzkis Analyse die Grenzen der reduktiomstischen Klassenkonzeption berührt: in der Analyse der Hegemonie. Wie wir oben sahen - und dies kann ebenso auf Trotzkis Analyse Anwendung finden gibt cs einen Bruch zwischen dem „natürlichen“ Klassenagenten einer historischen Aufgabe und dem konkreten Agenten, der sie ausfiihrt. Aber wir sahen auch, daß für den Agenten, der sie übernimmt, die Klassennatur einer Aufgabe nicht durch diesen Bruch verändert wird. Der Agent identifiziert sich demgemäß nicht mit der übernommenen Aufgabe; sein Bezug zu dieser Aufgabe verbleibt auf der Ebene einer durch die Umstände bedingten Einschätzung - selbst wenn dies „Umstände“ von epochalen Dimensionen betreffen würde. Die Spaltung der Aufgabe ist ein empirisches Phänomen, das seine Natur nicht berührt; die Verbindung des Agenten mit der Aufgabe ist ebenfalls empi risch und es entwickelt sich eine permanente Spaltung zwischen einem „In neren“ und einem „Äußeren“ der Identität des Agenten. Nicht einmal im Ansatz finden wir bei Trotzki die Vorstellung, daß die demokratische und anti-absolutistische Identität der Massen eine spezifische Subjektposition konstituiert, die verschiedene Klassen artikulieren können, und daß, in dem sie dies tun, sie ihre eigene Natur modifizieren. Die unerfüllten de mokratischen Aufgaben sind nur ein Sprungbrett für die Arbeiterklasse, um sie zu ihren reinen Klassenzielen vorwärtszubringen. Auf diese Weise werden nicht nur die Bedingungen dafür geschaffen, daß die Spezifik der hegemonialen Verknüpfung systematisch hinweggezaubert wird (da ihr fak tischer beziehungsweise zufälliger Charakter jede begriffliche Konstrukti on scheut), sondern auch dafür, daß ihr Verschwinden unsichtbar gemacht wird. In der Tat scheint die Einfügung der hegemonialen Beziehung in eine Erzählung von Berichtigungen und Neuzusammensetzungen, in eine Abfolge, die nicht unter das Prinzip der Wiederholung subsumiert werden kann, dieser begrifflich flüchtigen Präsenz eine Bedeutung zu geben. Daher spielt die historisch-narrative Form, in der die russischen Besonderheiten vorgestellt werden, eine zweideutige Rolle: wenn sie auf der einen Seite die Besonderheiten auf das Terrain des Zufälligen beschränkt, gibt diesen auf 87
der anderen Seite die Tatsache. daß sie, wenn auch bloß in der schwachen Form einer Erzählung. gedacht werden können, ein Organisationsprinzip, cjn(, gewisse diskwvh* Pniseni. Allerdings ist dies eine äußerst ephemere Pilsen* weil die Saga der Hegemonie sehr schnell endet: es gibt weder für Trotzki noch für Lenin eine Spezifik, die das Überleben eines Sowjetstaates sichert, wenn nicht in Eiitxtpa eine Rexuluiion aushricht und die siegreichen Arbeiterklassen der entwickelten Industrieländer den russischen Rcwlutionären zu Hilfe kom. men. Hier xerknüpft sich die .Anomalie“ der Verwerfung der Entwicklung^ stufen in Rußland mit der .normalen“ Entwicklung des Westens: was wir eine „zweite Erzählung* genannt haben, ist in die „erste Erzählung“ reintegriert; „Hegemonie“' findet rasch ihre Grenzen.
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der sie, wenn die „bürgerlich-demokratische“ Entwicklungsstufe einmal been det ist, wieder abschaffen würde. An diesem Punkt ist es wichtig, die Ambiguität und die widersprüchli chen Effekte, die von der Zentralität der Hegemonie im leninistischen Dis kurs herriihren, fcst/.uhalten. Aul der einen Seite ist der Begriff unzweifel haft mit den stärker autoritären und negativen Tendenzen der leninisti schen Tradition verbunden, denn er postuliert eine klare Trennung inner halb der Massen zwischen den führenden und den geführten Sektoren. (Diese Trennung ist offensichtlich in der revolutionären Strategie der kautskyanischen Orthodoxie abwesend, in der eine vollständige Koinzidenz zwischen politischer Führung und sozialer Basis keine Notwendigkeit für hegemoniale Neuzusammensetzungen übrigläßt.) Auf der anderen Seite jedoch erfordert das hegemoniale Verhältnis eine Politikkonzeption, die potentiell demokratischer ist als alles, was in der Tradition der Zweiten In ternationale gründet. Aufgaben und Forderungen, die im klassisttschen Ökonomismus unterschiedlichen Entwicklungsstufen entsprochen hätten, werden nun als in derselben historischen Konjunktur koexistierend ange sehen. Dies hat zur Folge, daß einer Pluralität von Antagonismen und Bruch punkten aktuelle politische Relevanz zugebilligt wird, so daß die revolutio näre Legitimität nicht länger ausschließlich in der Arbeiterklasse konzen triert ist. Zwischen „Massen“ und „Klassen“ taucht somit eine strukturelle Verwerfung auf, da die Linie, die die ersteren von den dominanten Sekto ren trennt, sich nicht einfach mit der Klassenausbeutung überschneidet. Die kombinierte und ungleiche Entwicklung wird das Terrain, das dem Marxismus zum ersten Mal erlaubt, seine Konzeption der Natur sozialer Kämpfe komplexer zu machen. Wie sollen wir dann folgendes Paradoxon erklären: daß sich im gleichen Augenblick, als die demokratische Dimension des Massenkampfes ausge dehnt wurde, eine noch stärker avantgardistische und anti-demokratische Konzeption in der sozialistischen politischen Praxis durchsetzte? Ganz ein fach durch die Tatsache, daß das der Arbeiterklasse vom Marxismus verlie hene ontologische Privileg von der sozialen Basis auf die politische Füh rung der Massenbewegung übertragen wurde. In der leninistischen Kon zeption transformieren die Arbeiterklasse und ihre Vorhut ihre Klassenidentität nicht, indem sie sie mit den mannigfaltigen demokratischen For derungen, die durch die hegemonialen Praxen politisch umgestaltet wer den, verschmelzen; stattdessen betrachten sie diese Forderungen als Ent wicklungsstufen, als notwendige, aber zugleich transitorische Schritte bei 89
dor Verfolgung ihrer eigenen M.isseu/iclr. t/utrr diesen ingcn iriiJs scn die lieziehuugon /wisdun „Vodmr' und „Massen*’ einfach rin rn vorwie gt'ndäußerlu hon und m.mipul.ttnen ( 'har.ikur haben. Folglich muß riiic Vor luic, die mc h wviterhin mit den „objektiven foierossen dci Arlx'iit'rkki.ssc“ iden tifiziert, die kluli zwischen ihrei eigenen Identität mul der Identität j cn,,r Sektoivn. die sic /u führen sucht. in dom Malle muiier mehl verbreitern, u.jc, die demokratischen fonfemngen ungleicher weiden uml das Terrain d^ Massenkampfes komplexer wird. Gerade die Expansion des demokuitischen • Potentials der Massenbewegung mit in einer sirenj» klassistischen Konzeption (jeine zunehmend autoritärere jx»liiist he Praxis henor. W ährend die Dein«, kratisierung des Massenkampfes aul einer Vermehrung w>n Bruchpunkten Tliedie klassengren/en überfluten. Muht, taucht der politische Autoritarisrnus indem Augenblickauf. wenn, um die Notwendigkeit einer ATawvwhegernonie zu begründen, eine l ’ntewheidung wischen Führet'n und Gef iihrten in den , Massenbewegungen getivfTen wird. Wenn diese Unterscheidung au f einer gi-5 . Üeren praktischen Fähigkeit zur Selbstorgaiusiening im K am pf fü r von der gesamten Bewegung geteilte Ziele gegründet wäre, wären die Konsequenzen nicht notwendigerweise autoritär. Wie wir jedoch gesehen haben, wird sie tat. sächlich in sehr unterschiedlichen Begriffen aufgestellt: ein Sektor kennt die zugnindeliegende Bewegung der Geschichte und kennt von dah er den tempo rären Charakter der die Massen als Ganzes einigenden Forderungen. Die der ^
Arbeiterklasse zugeschriebene Zentralität ist keine praktische, sondern eine ontologischeZentralität, die gleichzeitig der Sitz eines epvttemologischen Privilegs ist; als die „universelle“ Klasse ist das Proletariat - beziehungsweise vielmehr seine Partei - die Hüterin der Wissenschaft. An diesem Punkt wird die Spal tung zwischen Klassenidentität und der Identität der Massen dauerhaft. Die Möglichkeit dieser autoritären Wendung war in mancher Hinsicht seit den An fängen der marxistischen Orthodoxie gegeben; das heißt von d em Augenblick an, als ein eingegrenzter Akteur - die Arbeiterklasse - auf den Status einer .universellen Klasse“ gehoben wurde. Wenn keiner der T h eoretik er d e r Zwei ten Internationale diese autoritäre Richtung einschlug, dann deswegen, weil für sie die politische Zentralität der Arbeiterklasse mit d er Proletarisierung der anderen sozialen Schichten zusammenfallen mußte und es folglich keinen Platz für eine Spaltung zwischen Klasse und Massen gab. Alles, was fü r die autoritäre Wendungjedoch notwendig war, um unvermeidlich zu werden, war, daß die Machtergreifung als ein Akt der Massen, breiter als die Arbeiterklasse, begriffen weiden sollte, während die politische Zentralität d e r letzteren als Prinzip in klassischen Begriffen aufrechterhalten wurde^j 90
W ii wollen mm vei s< hiedene ( .lieder unserer Argumentation z u sa in iiie n lilhren. I s isl klaiei geworden, waiuiu die Spannung /wischen den beiden muh I legem oniehcgi ilf erfaßten Relationen - das Verhältnis zwischen der hegeinonisiertcii Aul gäbe mul dei sie hegernonisierenden Klasse sowie das Verhältnis /wischen der hegemonisierten Aufgabe und der Klasse, die ihr „natürlicher“ Agent ist - niemals in einer erfolgreichen begrifflichen Arti kulation aufgelöst werden konnte. Die Bedingung für die Aufrechterhal tung der Kiiiheit und Identität der Arbeiterklasse auf dem lerrain des ökonotnistisc hen Stufenmoclells - das einzige Terrain, das sie als eine „univer selle Klasse“ konstituieren kann - war, daß die hegeinonisierten Aufgaben die Identität d er hegeinonialen Klasse nicht transformieren, sondern eine lediglich extern e und faktische Beziehung mit ihr eingehen sollten. Über dies bestand d er einzige Weg, den äußerlichen Charakter dieses Verhältnis ses zu bekräftigen, darin, die Bande zwischen der hegemonisierten Aufga be und ihrem „natürlichen“ Agenten zu verstärken. Das Terrain hegemonialer Verhältnisse war deshalb ein Terrain von im wesentlichen pragmati schen Diskursen. Alle term inologischen Innovationen, die der Leninismus und die K om intern in den Marxismus einführen, gehören zum militäri schen Vokabular (taktisches Bündnis, strategische Richtlinie, soundsoviele Schritte vorwärts und soundsoviele Schritte zurück); keine bezieht sich auf die Strukturierung d er sozialen Verhältnisse selbst, der sich später Gramsci mit seinem B egriff des historischen Blocks, des integralen Staates und so weiter widmen sollte. Nun ist diese Spannung zwischen den beiden vom Hegemoniebegriff er faßten Relationen nicht von der Ambiguität unterschieden, die wir zwi schen einer dem okratischen und einer autoritären Praxis der Hegemonie lokalisiert haben. Das Verhältnis zwischen einer hegemonialen Klasse und einer demokratischen Aufgabe beziehungsweise Forderung setzt einen äu ßerlichen, manipulativen Charakter nur insofern voraus, als diese Aufgabe mit einer anderen Klasse sowie einer notwendigen Entwicklungsstufe in nerhalb eines evolutionistischen Paradigmas verbunden ist. Umgekehrt kann das demokratische Potential nur entwickelt werden, wenn diese Bande zer brochen ist, wenn die Bedingungen verschwinden, die das Auftauchen ei ner rigiden Trennung zwischen Führer und Geführten innerhalb der Mas sen zuließen. An dieser Stelle müssen wir die Bedingungen darlegen, die erlauben würden, die ursprüngliche Ambiguität in einer entweder demo kratischen oder autoritären Praxis der Hegemonie zu überwinden. Demokratische Pmxis. Wie wir festgestellt haben, beinhaltet das Terrain
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hrgemonialei NVii/usamimnset/ung ein I't>lenf»al für dieatis* |u. Erweitenmg und Vertiefung dersozialistischen politischen Praxis. Oht,(. Hegemonie kann so/ialisti« h e Praxis sich nur auf die Forderungen u,l(j Interessen der Arbeitet Masse konzentrieren. Insoweit die Verwerfung de, Entwicklungsstufen die Arbeiterklasseaberdazu zwingt, auf einem A/au^,. terrain nt agieten, muß sie ihr Klassenghetto auf geben und sich in dt „ Artikulator einer Vielfalt um Antagonismen und Forderungen transfoi. mieten. die über sie hinausgehen. Aus allem, was wir gesagt haben, wird evident, daß die Vertiefung einer massendemokratischen Praxis, die eine avantgardistische Manipulation und äußerliche Charakterisierung des Ver. hältnisses /wischen Klassenhegemonie und demokratischen Aufgaben vermeidet, nur erreicht werden kann, wenn anerkannt wird, daß diese Aufga. ben keinen notwendigen Klassencharakter besitzen, und wenn auf den Etappismus durchgängig verzichtet wird. Es ist notwendig, mit der Auffas. sung zu brechen, daß demokratische Aufgaben an eine bürgerlichen F.nt. wicklungsstufe gebunden sind - nur dann wird das Hindernis fü r eine per. manente Artikulation zwischen Sozialismus und Demokratie beseitigt sein. Daraus ergeben sich vier grundsätzliche Konsequenzen. Erstens wird die Identität der Klassen selbst durch die von ihnen übernommenen hege, monialen Aufgaben transformiert: die rigide Demarkationslinie zwischen dem Inneren und dem Äußeren ist gefallen. Zweitens schließt das Feld der Hegemonie, sofern die demokratischen Fordeningen der Massen ihren notwendigen Klassencharakter verlieren, nicht mehr eine Maximierung der auf einem Nulisummenspiel zwischen den Klassen basierenden Effekte ein* der Begriff des „Klassenbündnisses“ ist also offensichtlich unzureichend, weil Hegemonie die Konstruktion der Identität der sozialen Agenten selbst und nicht einfach eine rationalistische Entsprechung der „Interessen“ zwi schen bereits konstituierten Agenten unterstellt. Drittens kann man, unter der Voraussetzung, daß die sogenannte „Repräsentation“ die N atur dessen was repräsentiert wird, modifiziert, die Politik nicht länger als „Repräsen tation von Interessen“ verstehen. (Tatsächlich wird der ganze Begriff der Repräsentation als Transparenz unhaltbar. Was hier eigentlich in Frage gestellt wird, ist das Basis/Überbau-Modell selbst.) Insofern die Identität der sozialen Agenten nicht mehr ausschließlich durch ihre Eingliederung in die Produktionsverhältnisse konstituiert, sie vielmehr zu einer prekären Artikulation zwischen einer Reihe von Subjektpositionen wird, ist schließ lich implizit die Identifikation zwischen sozialen Agenten und Klassen'angegriffen.
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Autoritäre Praxis. IIirr sind die Bedingungen genau umgekehrt. Hie Klasscniiatur jed er Kordei uiig oder Aufgabe muß a piiori fixiert sein. Es gibt bü»gerluh-dernoki arische Forderungen, kleinbürgerliche Fordeningen, und so weite»; ihre jeweilige relative Eoits< hiililichkeit wird durch ein poli tisches k;iiklil begründet, das jede Konjunktur in Form des traditionellen Modells der Entwicklungsstufen und der Veränderungen, die durch ihre ungleiche Kombinierung cingef (ihi l werden, analysiert. Es gibt offensicht lich eine vollständige Trennung zwischen der» hegeinonialen Aufgaben dei Arbeiterklasse und ihrer Klusscnirientität. Die militärische Politikkonzeption beherrscht das gesamte Feld der strategischen Einschätzungen. Aber da ja die real existierende Ai beiterklasse weit von einer vollen Identifizierung mit ihren „historischen Interessen“ entfernt ist, wird die Dissoziation der Materialität der Klasse von der politischen Instanz, die ihre „wahre Identi tät“ »epräsentiert, perm anent. Diese Demarkationslinie wird von Lenins H'as tun bis zur Bolschewisierung der kommunistischen Parteien unter der Komintern zunehmend rigider und spiegelt sich in der wachsenden autori tären Wendung der kommunistischen Politik wider. Es ist wichtig zu klä ren, was diese Wendimg unvermeidlich machte. Wir versuchen nicht, den Bedarf an politischer Vermittlung in der sozialistischen Bestimmung der Arbeiterklasse zu bestreiten; noch weniger, ihr mit einem „workerism“, der auf dem Mythos einer spontan sozialistischen Bestimmung der Klasse ba siert, entgegenzutreten. Entscheidend jedoch ist, wie die Natur dieser poli tischen Verknüpfung veistanden wird; und der Leninismus macht offen sichtlich keinerlei Versuch, eine nicht durch irgendein notwendiges Gesetz der Geschichte vorherbestimmte Massenidentität durch den Kampf zu kon struieren. E r hält im Gegenteil daran fest, daß ein „für sich“ der Klasse nur für die aufgeklärte Vorhut erreichbar ist - deren Haltung gegenüber der Arbeiterklasse ist deshalb rein pädagogisch. Die Wurzeln der autoritären Politik liegen in dieser V erflechtung von Wissenschaft und Politik. Als Konsequenz gibt es kein Problem m ehr damit, die Partei als Stellvertreterin der Klasse zu betrachten - nicht der Klasse aus Fleisch und Blut natürliche sondern von je n e r Entelechie, die von ihren „historischen Interessen“ kon stituiert wird. W ährend die demokratische Praxis der Hegemonie die Trans parenz des Repräsentationsprozesses immer m ehr in Frage stellt, hat die autoritäre Praxis den Boden d afü r bereitet, daß das Repräsentationsvei hältnis der grundlegende politische Mechanismus wird. Sobald jedes politische Verhältnis als Repräsentationsverhältnis aufgefaßt wird, haben wir es mit einem zunehmenden Substitutionalismus zu tunjjdie Klasse wird
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von der Partei (Repräsentation der objektiven Interessen des i’iolct:ii »ats) und die Partei mm Sowjetstaat substituiert (R epräsentation d e r \\V|tv interessen der kommunistischen Bewegung). Kine k» iegerische Konzeption des Klassenkampfes endet aufdiese Weise in einem eschatologisohen Kpf,s Wie wir gesehen haben, gehen die Ursachen dieser Ü bertragu n g de, Klasseneinheit aut'die politische Sphäre zurück aut die* O rth od oxie d^ Zweiten Internationalen. Im Leninismus wie im Kautskyanisnnis macht der konstitutive Charakter des politischen Moments es nicht erforderlich , daß den Oberbauten eine größere Rolle zugescln ieben wird, weil das d er Parte,’ eingeräumte Privileg nicht .topographisch“, sondern „epistem ologisch“ ¡sl; es stützt sich nicht aut die Wirksamkeit der politischen Ebene, soziale Ver hältnisse zu konstruieren, sondern auf das ihr aufgrund einer bestimmten Klassenperspektive zukommende wissenschaftliche M onopol. Dieses M0. nopol garantiert auf einer theoretischen Ebene die Überwindung des Bruchs zwischen den sichtbaren Tendenzen des Kapitalismus und seiner zu gm n. deliegenden Entwicklung. Die Differenz zwischen Kautskyanisnnis und Le ninismus ist, daß für den erstcren dieser Bruch rein tem p orär und der Klasse innerlich sowie der Prozeß seiner Überwindung in die endogenen Tendenzen der kapitalistischen Akkumulation eingeschrieben ist, während für den Leninismus der Bruch das Terrain einer strukturellen Verwerfung zwischen .Klasse“ und «Massen“ ist, die die Bedingungen des politischen Kampfes im imperialistischen Zeitalter permanent bestimmt.j Dieser letzte Punkt ist entscheidend: hegemoniale Aufgaben werden im. mer zentraler für die kommunistische Strategie, weil sie mit den Entwick lungsbedingungen des kapitalistischen Weltsystems selbst verbunden sind. Für Lenin ist die Weltökonomie nicht eine lediglich ökonom ische Tatsa che, sondern eine politische Realität: sie ist eine imperialistische Kette. Die Bruchpunkte erscheinen nicht an jenen Gliedern, die vom Standpunkt des Widerspruchs zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen aus die entwickeltsten sind, sondern stattdessen an jenen, wo sich die größte Anzahl von Widersprüchen akkumuliert hat und wo die größte A nzahl von (aus orthodoxer Sicht zu unterschiedlichen Etappen gehörenden) Tenden zen und Antagonismen zu einer Einheit des Bruchs verschm elzen .6 Dies impliziert jedoch, daß der revolutionäre Prozeß nur als eine politische Arti kulation von ungleichen Elementen verstanden werden kann: es gibt keine Revolution ohne eine soziale Komplexität, die dem einfachen Antagonis mus zwischen Klassen äußerlich ist; es gibt, mit anderen W orten, keine Re volution ohne Hegemonie. Dieses Moment der politischen Artikulation wird 94
iniituM grundlegender. seit man auf d a Stufe des Monopolkapitalismus einer wachsenden Auflösung allerSolidaritäten und einer allgemeinen Politisierung
,|t » sozialen Verhältnisse begegnet. Lenin erkennt Idar den Übergang zu einer neuen - von ihm als Lloyd (Jecugisnius7 Ixveiciincten - bfngerlichen Massen politik, die die Arena flcs Klassenkampfes gilindlich transformierte. Die Mög lichkeit ungeahnter Artikulationen, die die zulässigen und sogar denkbaren so zialen und politischen Identitäten verändert, löst die Offensichtlichkeit der logi schen Kategorien des klassischen Phascninodells zunehmend auf. Tiot/.ki zieht daraus die Schlußfolgerung, daß die kombinierte und ungleiche Entwicklung die historische Bedingung unserer Zeit ist. Dies kann nur eine unaufhörliche Ausdehnung der hegeinonialen Aufgaben bedeuten - als den reinen Klassenaufgaben entgegengesetzt, deren Terrain schrumpft wie die Haut eines Wild esels. Aber wenn es keinen historischen Prozeß gibt, der nicht eine „unorihodoxe“ Kombination der Elemente beinhaltet, was ist dann eine normale Entwick lung? Der kommunistische Diskurs wurde selbst immer mehr vom hegemonialen Charakter beherrscht, den jede politische Initiative auf dem neuen historischen Terrain des imperialistischen Zeitalters erwarb. Die Folge war jedoch, daß er die Tendenz zeigte, auf eine widersprüchliche Art und Weise zwischen einer demo kratischen und einer autoritären Praxis der Hegemonie hin und her zu schwan ken. ln den zwanziger Jahren herrschte überall das ökonomistische Phasenmodell und als die Aussichten der Revolution schwanden, wuchsen die Klassengrenzen noch rigider. Weil die europäische Revolution rein in der Form der Zentralität Her Arbeiterklasse begriffen wurde und weil die kommunistischen Parteien die ^historischen Interessen“ der Arbeiterklasse repräsentierten, war die einzige Funktion dieser Parteien, das revolutionäre Bewußtsein des Proletariats in Op position zu den integrationistischen Tendenzen der Sozialdemokratie zu halten. In Perioden „relativer Stabilisierung“ war es daher notwendig, die Klassen barrieren mit noch gr ößerer Intransigenz zu verstärken. Daher gab man 1924 das Schlagwort von der Bolschewisierung der kommunistischen Parteien aus. Sinowjew erklärte es folgendermaßen:
Bolschewisierung bedeutet einen starken Willen, für die Hegemonie des Proletariats zu kämpfen, bedeutet einen leidenschaftlichen Haß gegen die Bourgeoisie, gegen die kon terrevolutionären Führer der Sozialdemokratie, gegen den Zentrismus und die Zentristen, gegen die Halb-Zentristen und Pazifisten, gegen all die Mißgeburten der bürgerlichen Ideologie... Bolschewisieixing ist Marxismus in Aktion, ist Hingabe an die Idee von der Diktatur des Proletariats, an die Idee des Leninismus.8
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Weil eine Erneuerung des revolutionären Prozesses unvermeidlich auf ein,, sich verschlinunernde ökonomische Krise folge« würde, war die politisch«* Periodisierung ein bloßer Reflex dei Ökonomie: die einzige An (gäbe, d{e den kommunistischen Parteien in Perioden «lev Stabilisierung blieb, Kiiifte um eine gänzlich klassistische und auf »de« Bruch“ bezogene leien, tität zu sammeln, die. wenn die Krise einlr.it, de« Wog zu einer neuen rey(,. lutionären Initiative eröffnen wüule. (Charakunist ¡scher weise wurde die „Einheitsfmnr-Polmk als Einheitsfront von unten und als eine günstige Gelegenheit, die Sozialdemokratisthen Führer zu entlarven, reinterpi etien ) Unter diesen Bedingungen nnißieein manipulatives Verhalten gegenüber anderen sozialen und politischen Kräften einfach die Oberhand gewinnen Oer Bruch mit dieser reduktionistischen und manipulativen Konzeption - beziehtingsu'ei.se die Anfänge eines Bruchs, weil sie in der koinmunistj. sehen Tradition niemals überwunden worden ist - war mit der Erfahrung des Faschismus in Europa und dem Zyklus der anti-kolonialen Revolutio. nen verbunden. Im ersten Fall forderte die Krise des liberal-deinokratj. sehen Staates und das Auftauchen radikal-populaier Ideologien der Rech ten die Konzeption der demokratischen Rechte und Freiheiten als von Na. tur aus „bürgerliche“ heraus, und zur selben Zeit schuf der antifaschistj. sehe Kampf eine populäre und demokratische Massensubjektivität, die potentiell mit einer sozialistischen Identität verschmolzen werden konnte, ln unserer Terminologie: die Verknüpfung, die die hegenionisierte Aufga. be mit ihrem „natürlichen“ Klassenagenten vereinte, begann sich aufzulö. sen und es wurde möglich, diese Aufgabe mit der Identität der hegemonialen Klasse zu verschmelzen, ln dieser neuen Perspektive wurde Hegemonie als die demokratische Rekonstruktion der Nation um einen neuen Klassen kern verstanden. Diese Tendenz sollte später durch die verschiedenen Er fahrungen des Nationalen Widerstandes gegen die Nazi-Okkupation ver stärkt werden. Der Wechsel in der kommunistischen Politik begann jedoch mit Dimitrovs Bericht an den siebten Weltkongreß der Komintern, wo die „Klasse gegen Klasse“-Linie der dritten Periode formell preisgegeben und die Volksfrontpolitik erstmals eingeführt wurde.9 Während d er Begriff der Hegemonie implizit als ein lediglich äußerliches Klassenbündnis beibehalten wurde, begriff die neue Strategie Demokratie als gemeinsamen Boden, der keine ausschließliche Absorption durch irgendeinen sozialen Sektor zuließ. Unter diesen Bedingungen w'urde es immer schwieriger, eine strik te Trennung zwischen hegemonialen Aufgaben und Klassenidentität beizubehalten. Eine Reihe von Formulierungen - von Maos „neuer Demokra96
lie*'1 bis zu Ibgliattis „fortschrittlicher Demokratie“ und seinen „nationalen Aufgaben der Arbeiterklasse“ - versuchien, sich auf einem lerrain zu vemrten. das innerhalb marxistischer Parameter theoretisch schwierig zu bestimmen war, weil das „Populäre“ und das „Demokratische“ zwar greif bare Realitäten auf der Ebene des Massenkampfes waren, aber nicht auf fine strikte Klassenzugehörigkeit zui ückgefiihi t werden konnten. Die Re volutionen in der sogenannten Dritten Welt, die unter kommunistischer Kührung stattfanden, bescherten uns ein ähnliches Phänomen: von China bis Vietnam oder Kuba war die populäre Massenidentität anders und brei ter als die Klassenidentität. Die strukturelle Spaltung zwischen „Massen“ und „Klasse“, die sich, wie wir sahen, von den Anfängen der leninistischen Tradition her andeutete, produzierte hier die Totalität ihrer Effekte. An diesem Punkt war der kommunistische Diskurs mit zwei entscheiden den Problemen konfrontiert. Wie sollte man diese Pluralität der Antagonis men charakterisieren, die auf einem von dem der Klassen unterschiedenen 'lerrain der Massen auftauchen? Und wie könnte die hegemoniale Kraft einen strikt proletarischen Charakter bewahren, wenn sie die demokrati schen Forderungen der Massen in ihre eigene Identität eingegliedert hat te? Als wichtigste Antwort auf die erste Frage wurde eine Reihe diskursiver Strategien durchgeführt, wodurch die zwischen den Klassen etablierte Be ziehung über ihren spezifischen Klassencharakter hinausging, während sie formal auf einem klassistischen Terrain verblieb. Betrachten wir beispiels weise den Gebrauch der Enumeration in kommunistischen Diskursen. Sie ist niemals eine unschuldige Tätigkeit, beinhaltet vielmehr bedeutende Sinn verschiebungen. Die kommunistische Enumeration ereignet sich innerhalb eines dichotomischen Raumes, der den Antagonismus zwischen herrschen den und popularen Sektoren etabliert; beider Identität ist auf der Basis der Enumeration ihrer konstitutiven Klassensektoren konstruiert. Zum Beispiel hätten wir auf der Seite der popularen Sektoren: die Arbeiterklasse, die Bauernschaft, das Kleinbürgertum, fortschrittliche Fraktionen der natio nalen Bourgeoisie, und so weiter. Diese Enumeration bekräftigt indes nicht bloß die getrennte und buchstäbliche Präsenz bestimmter Klassen oder Klassenfraktionen auf dem popularen Pol, sondern behauptet ebenso ihre Äquivalenz in der gemeinsamen Konfrontation mit dem herrschenden Pol. Ein Äquivalenzverhältnis ist keine Identitätsbeziehung zwischen Objekten. Äquivalenz ist niemals tautologisch, weil die Substituierbarkeit, die sie zwi schen bestimmten Objekten etabliert, nur für determinierte Positionen in nerhalb eines gegebenen strukturellen Kontextes gültig ist. In diesem Sin97
ne venschieht die AquiYa/enz die Identitiit, die sie tuttglii h m .u h l, von cfoi, Objekten selbst /u Won Kontexte» ihres Erscheinens b ezieh u n gsw eise ¡hn .t Piiiscnr Dies bedeutet jedoch, daß im .{(¡u ind en yxerhü hn is die Jtletnitfi des Objektes gespalten ist: auf der einen Seite behält cs s e in e n eigene,, „burhstäbhVhen“ Sinn bei; auf der anderen Seite sym bolisiert es die Jc0li. texiuelle Position, für die es eiti substituierbnres E lem en t ist. Genau die* passiert Ihmder konununhstischen Enumeration: von einem s tre n g klassjs. tische» Standpunkt aus gibt es überhaupt keine Identität /.wischen den Sek. toren des populären Pols, da jeder dieser Sektoren dif feren zierte und s0. gar antagonistische Interessen hat; doch die zwischen ih n en etablierte Aquivalenduviehung konstruiert im Kontext ihrer O p position zum herrsehenden Pol eine „populäre“ diskursive Position, die nicht a u f Klassen. Positionen reduzier'bar ist. Im marxistischen Diskurs d e r Zw eiten Interna, tionale gab es keine äquivalentielle Enumeration. F ü r K autsky besetzte j e_ der Klassensektor eine spezifische differentielle Position in n erh alb d er Lo gik der kapitalistischen Entwicklung; eines der konstitutiven M erkm ale des marxistischen Diskurses war genau die Auflösung des „Volkes“ als einer amorphen und ungenauen Kategorie sowie die Reduktion je d e s Antagonismus auf eine Klassenkonfrontation, die sich ohne irg en d ein e äquiva. lentielle Dimension in ihrer eigenen Buchstäblichkeit ersch ö p fte. Was den ^
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Diskurs der „ungleichen und kombinierten Entw icklung“ b etrifft, haben wir gesehen, daß die Verwerfung der Entwicklungsstufen u nd die hegemonialen Neuzusammensetzungen lediglich als eine kom p lexere Bewegung zwischen Klassen gedacht wurden, deren faktischer C h a ra k te r d en Raum öffnete für eine Erzählung der Ausnahmen, nicht jedoch fü r ein e Konzeptionalisierung der Besonderheiten. Bei Rosa Luxem burg sind w ir schon nä her bei einer symbolisch-äquivalentiellen Spaltung, die den buchstäblichen Sinn jedes konkreten Kampfes untergräbt; wie wir je d o c h sah en , setzt sie eine rigide Schranke, indem sie dem resultierenden sozialen A gen ten ei nen notwendigen Klassencharakter zuschreibt, d e r sich ausdehnenden Aquivalenzenlogik. Nur in den enumerativen Praxen d e r V olksfrontperiode taucht, am Anfang zögerlich, das „Volk“ - dieser fü r d ie p olitisch en und sozialen Kämpfe des neunzehnten Jahrhunderts zentrale A k teu r - im Feld der marxistischen Diskursivität auf. Aus dem, was wir gesagt haben, wird klar, daß die B e d in g u n g fü r das Auftauchen des „Volkes“ als einem politischen Akteur im komm unistischen Diskurs das Äquivalenzverhältnis gewesen ist, das die Id en tität d e r Klassen aufspaltet und dadurch einen neuen Typus der P olarisieru ng konstituiert. 98
Dieser lYozeß findet vollkommen innerhalb des Felde» der hegemonialen Praxen statt. Die kommunistische Enumeration ist nicht die Bestätigung einer gegebenen Situation, sondern hat performativen Charakter. Die Ein heit eines Ensembles von Sektoren ist nichts Gegebenes: sie ist ein Projekt, das politisch aufgebaut werden inuü. Die Hegcmonisierung eines solchen Ensembles beinhaltet deswegen keine einfache konjunkturelle oder momen tane Übereinkunft; cs muß eine strukturell neue, von den Klassenverhält nissen unterschiedene Beziehung aufgebaut werden. Dies zeigt, daß der Begriff des „Klassenbiindnisscs“ genauso inadäquat ist, ein hegemoniales Verhältnis zu charakterisieren, wie es die bloße Aufzählung von Steinen wäre, um ein Gebäude zu beschreiben. Nichtsdestoweniger kann das Äquivalenzverhälinis, seine innere Logik vorausgesetzt, seine Präsenz nicht ein fach durch die beiläufige Substituierbarkeit seiner Begriffe entfalten; es muß ein „allgemeines Äquivalent“ hervorrufen, in dem das Verhältnis sich als solches symbolisch kristallisiert. An diesem Punkt des von uns unter suchten politischen Falls tauchen national-populare oder popular-demokratische Symbole auf, um Subjektpositionen, die von denen der Klasse verschieden sind, zu konstituieren; das hegemoniale Verhältnis verliert dann endgültig seinen faktischen und episodischen Charakter, wird stattdessen ein fester Bestandteil je d e r politisch-diskursiven Formation. In dieser Hin sicht kommt Maos Analyse des Widerspruchs abgesehen von seinem gegen Null gehenden philosophischen Wert das große Verdienst zu, das Terrain der sozialen Kämpfe als eine Vermehrung von Widersprüchen darzulegen, die nicht alle auf das Klassenprinzip rückverweisen. Die andere Reihe von Problemen, vor denen der kommunistische Dis kurs steht, hängt mit d er Frage zusammen, wie die Klassenidentität des hegemonialen Sektors aufrechtzuerhalten ist. Allgemein formuliert, ist die Kernfrage die folgende: Wenn in der neuen Konzeption das hegemoniale Verhältnis die Identität des hegemonialen Sektors transformiert, und wenn im imperialistischen Zeitalter die Bedingung sozialer Kämpfe zur Folge hat, daß diese sich auf einem immer komplexeren, von neu zusammenset zenden Praxen beherrschten Terrain ereignen, folgt daraus nicht, daß die Klassenidentität d er hegemonialen Subjekte in Frage gestellt ist? Bis zu welchem Punkt können wir weiterhin auf einen Klassenkern als dem arti kulierenden Prinzip d er verschiedenen Subjektpositionen verweisen? Zwei Antworten - od er vielmehr: zwei Wege, zu einer Antwort zu kommen - sind hier möglich. Und am Ende hängen sie von den zwei Hegemoniekonzep tionen ab, die wir früher beschrieben haben - der demokratischen und der 99
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autoritären. Für die eint*, die den größten leil der kommunistischen ha<|j tion charakterisiei t. ist die l ösung in einer Ausdehnu ng des Repräsentation* modells ad rwusram begründet. Jede Instanz ist die Repräsentation ein^ anderen, bis ein letzter Klassenkern erreicht ist. der vermeintlich der gail zen Reihe Sinn gibt. Diese Antwort leugnet offensichtlich jede Undurch, sichtigkeit und Dichte der politischen Verhältnisse, als handele es sich urn eine leere Hühne, auf der jenseits von ihnen konstituierte Figuren - (|je Klassen - ihren Kampf ausfechten. Des weiteren kann die auf diese Art und Weise repräsentiere Klasse nichts anderes als die Klasse „für sich“ sein, die finalistische Perspektive, die in der „wissenschaftlichen“ Weitsicht der Partei inkarniert ist; das heißt, der ontologisch privilegierte Akteur. Auf diese Weise sind alle mit der Praxis der Repräsentation Zusammenhängen, den konkreten Probleme einfach beseitigt. Die andere Antwort akzeptier die strukturelle Mannigfaltigkeit der Verhältnisse, in denen soziale Akten, re eingebettet sind, und ersetzt das Prinzip der Repräsentation durch das der Artikulation. Die Einheit zwischen diesen Akteuren ist dann nicht der Ausdruck eines gemeinsam zugrundeliegenden Wesens, sondern das Re. sultat politischer Konstruktion und politischen Kampfes. Wenn die Arbei terklasse als hegemonialer Agent eine Anzahl demokratischer Forderun gen und Kämpfe um sich herum artikulieren kann, dann liegt das nicht an irgendeinem a priori strukturellen Privileg, sondern an einer politischen" Initiative von seiten der Klasse. Demnach ist das hegemoniale Subjekt nur in dem Sinne ein Klassensubjekt, als auf der Basis von Klassenpositionen eine bestimmte hegemoniale Formation praktisch artikuliert wird; in die sem Fall jedoch handelt es sich um konkrete Arbeiter und nicht um die durch ihre „historischen Interessen“ konstituierte Entelechie. In der W elt der Dritten Internationalen gab es nur einen Denker, bei dem die Auffassung der Politik und der Hegemonie als Artikulation einen - mit allen seinen Mehrdeutigkeiten und Beschränkungen - theoretisch entwickelten Ausdruck fand. Wir beziehen uns natürlich auf Antonio Gramsci.
Der gmmscianische Wendepunkt Die Spezifik des gramscianischen Denkens wird gewöhnlich auf zwei verschie dene und scheinbar sich widersprechende Weisen dargestellt. In der einen Interpretation war Gramsci ein vornehmlich italienischer Theoretiker, dessen begriffliche Innovationen auf die besonderen Bedingungen der Rückständig-
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koi! Italiens bezogen waren: Scheitern ries Projekten des Risorgim ento, einen oinlieiili« heu Nationalstaat zu konstruieren; starke regionale Spaltung zwischen industriellem Norden und agrarischem Me/.y.«giorno; mangelnde Integration der katholischen Massen in das politische l.eben des l-andes als eine Folge der Vatikanfrage; ungenügende und widersprüchliche Entwicklung des Kapita
lismus, und so weiter. Kurz: Granisci war ein origineller Theoretiker und ein politischer Stratege cler „ungleichen Entwicklung“, nur sind seine Begriffe für die B edingungen des entwickelten Kapitalismus kaum von Bedeutung. Eine zweite, divergierende Lesart stellt ihn als Theoretiker der Revolution im Westen dar ,10dessen strategische Konzeption auf der Komplexität fortgeschrittener industrieller Zivilisationen und der Dichte ihrer gesellschaftli chen und politischen Verhältnisse beruhte. Einer seiner Interpreten geht so weit, ihn als den T heoretiker der kapitalistischen Restrukturierung, die auf die Weltkrise von 1929 folgte, sowie der Komplexität, die durch den Kampf der Massen innerhalb des Kontextes einer wachsenden Verflechtung von Po litik und Ökonomie erlangt wurde, zu sehen." In Wirklichkeit befindet sich Grainscis theoretische Innovation jedoch auf einer allgemeineren Ebene, so daß beide Lesarten möglich und teilweise berechtigt sind. Mehr als jeder andere Theoretiker seiner Zeit erweiterte Gramsci das Terrain der politi schen Neuzusammensetzung und der Hegemonie, indem er eine Theorisierung der hegemonialen Verknüpfung anbietet, die deutlich über die le ninistische Kategorie des „Klassenbündnisses“ hinausgeht. Da sich die Be dingungen des politischen Kampfes sowohl in den fortgeschrittenen indu striellen Ländern als auch in der kapitalistischen Peripherie immer weiter von den Bedingungen, die sich das orthodoxe Phasenmodell vorstellte, ent fernte, lassen sich die gramscianischen Kategorien gleichermaßen auf beide Fälle anwenden. Ihre Relevanz sollte deshalb auf der Ebene der allgemeinen Theorie des Marxismus situiert werden und kann nicht auf spezifische geo graphische Kontexte zurückgeführt werden. Der Ausgangspunkt war jedoch ein ausgesprochen leninistischer Ansatz. In Einige Gesichtspunkte der Frage des Südens ( 1926), dem ersten Text Gramscis, in dem der Begriff der Hegemonie verwendet wird, bemerkt er: Das Proletariat kann in dem Maße zur führenden und herrschenden Klasse werden, wie es ihm gelingt, ein System von Klassenbündnissen zu schaffen, das ihm gestattet, die Mehrheit der werktätigen Bevölkerung zu mobilisieren; und das bedeutet in Ita lien, unter den real bestehenden Klassenverhältnissen, in dem Maße, wie es ihm ge lingt, die Zustimmung der breiten, bäuerlichen Massen zu erlangen.12
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^Die Voraussetzung dieser führenden Rolle ist, daß die Arbeiterklasse nicht j auf die enge Verteidigung ihrer korporativen Interessen beschrankt bleiben, , sondern sich jene der anderen Schichten zu eigen machen sollte. Die Logi^ ist jedoch noch immer nur eine Logik pra konstituierter sektoraler Interes sen, die mit dem KegvilT eines Klassenbiindnisscs vollkommen vereinbar ist. Wie bei Lenin ist Führung lediglich politisch und nicht „moralisch und in. tellektuell”. In dieser Bewegung von der „politischen“ zur „intellektuellen und inora. lischen“ Ebene findet der entscheidende Übergang zu einem Begriff dev Hegemonie jenseits van „Klassenbündnissen** statt. W ährend nämlich po|j. tische Führung auf einer konjunkturellen Interessenkoinzidenz beruht, in der die beteiligten Sektoren ihre separate Identität beibehalten, verlangt moralische und intellektuelle Führung, daß ein Ensemble von „Ideen“ und „Werten“ wn einer Anzahl von Sektoren geteilt wird - o d er, um unsere eigene Terminologie zu gebrauchen, daß bestimmte Subjektpositionen eine Anzahl wn Klassensektoren übergreifen. Intellektuelle und moralische Füh rung bildet Gramsci zufolge eine höhere Synthese, einen „Kollektivwillen“, der durch die Ideologie zum organischen Zement wird, d er einen „histori schen Block." vereinheitlicht. All dies sind neue Begriffe, die einen Effekt der Verschiebung bezogen auf die leninistische Perspektive haben: die rela tionale Spezifik der hegemonialen Verknüpfung ist nicht länger verbor gen, sondern wird im Gegenteil gänzlich sichtbar und theorisiert. Die Ana lyse bestimmt begrifflich eine neue Reihe von Beziehungen zwischen den Gmppen, die ihre strukturelle Lokalisierung im revolutionären und rela tionalen Schema des Ökonomismus vereitelt. Gleichzeitig wird die Ideolo gie als das exakte Terrain verstanden, auf dem diese Beziehungen konsti tuiert werden. Alles hängt somit davon ab, wie Ideologie begriffen w ird .13 H ier bewirkt Gramsci zwei neue und grundlegende Verschiebungen im Hinblick auf die Rassistische Problematik. Die erste besteht in seiner Konzeption d er Materia lität der Ideologie. Ideologie wird nicht mit einem „Ideensystem “ oder mit dem „falschen Bewußtsein“ sozialer Akteure gleichgesetzt; sie ist stattdessen ein organisches und relationales Ganzes, verkörpert in Institutionen und Apparaten, das einen historischen Block um eine Anzahl grundlegen der artikulatorischer Prinzipien zusammenschweißt, was die Möglichkeit einer Lesart des Ideologischen als Überbau ausschließt. In d er Tat führt uns durch die Begriffe des historischen Blocks und d er Ideologie als orga nischem Zement eine neue totalisierende Kategorie über die alte Basis/ 102
Oln'i bau-UntcrScheidung hinaus. Dies reic ht jedoch nicht aus, weil morali sche und intellektuelle Fü h ru ng immer noch als ideologische Einschärfung eines ganzen Bereichs untergeordneter Sektoren durch eine hegemoniale Klasse verstanden werden könnte. In diesem Fall gäbe cs keine klassen(ibergreifende Subjektpositionen, denn jede Position, die diesen Anschein erweckte, wäre in Wirklichkeit eine, die der herrschenden Klasse zugehö ren würde, und ihre Präsenz in anderen Sektoren könnte nur als ein Phä nomen falschen Bewußtseins verstanden werden. An diesem entscheiden den Punkt führt Gramsci seine dritte und bedeutendste Verschiebung ein: den Bruch mit d er rcduktionistischen Ideologieproblematik. Für Gramsci sind politische Subjekte strenggenom m en keine Klassen, sondern komple xe „Kollektivwillen“; entsprechend haben die ideologischen Elemente, die durch eine hegem oniale Klasse artikuliert werden, keine notwendige Klas senzugehörigkeit. Hinsichtlich des ersten Aspekts ist Gramscis Position ein deutig: der Kollektivwille ist ein Resultat der politisch-ideologischen Arti kulation verstreuter und fragm entierter historischer Kräfte. Davon läßt sich die Wichtigkeit, die das „kulturelle Moment“ auch in der prakti schen (kollektiven) Tätigkeit hat, ableiten: jede historische Aktion kann nur vom „Kollektivmenschen“ ausgeführt werden, das heißt setzt die Erreichung einer „kul turell-sozialen“ Einheit voraus, weswegen sich eine Vielzahl zerstreuter Willen mit heterogenen Absichten für dasselbe Ziel auf der Basis einer (gleichförmigen) und gemeinsamen Weltanschauung zusammenschweißen.14 Nichts ist von diesem „für dasselbe Ziel zusammengeschweißten Kollektiv menschen“ weiter entfernt als d er leninistische Begriff des Klassenbünd nisses. Im Hinblick au f den zweiten Aspekt ist es ebenso offensichtlich, daß die organische Ideologie fü r Gramsci keine rein klassistische und geschlos sene Weltanschauung darstellt; sie wird stattdessen durch die Artikulation von Elementen gebildet, die, an sich betrachtet, keine notwendige Klassen zugehörigkeit besitzen. Untersuchen wir in diesem Zusammenhang die fol gende kritische Passage: Worauf es ankommt, ist die Kritik, der ein solcher ideologischer Komplex von den ersten Repräsentanten der neuen historischen Phase ausgesetzt wird: durch diese Kritik erhält man einen Prozeß der Unterscheidung und Veränderung in dem rela tiven Gewicht, das die Elemente der alten Ideologien besaßen: das, was sekundär und untergeordnet oder sogar zufällig war, wird als wesentlich aufgenommen, wird der Kern eines neuen ideologischen und theoretisch-kulturellen Komplexes. Der
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Wit können folglich «len /cm 1.»Ion Punkt ausmachen, der (.»ramsci von ai,. deren anii-tikononustisihch Positionen, tlio in dei kommunistischen liewe. gung dieser Periode foumilieU wurden, abgicn/t. Zum Beispiel dimensio, nierten sow\>hl l.ukäcs als au» h Korsch das klassisc h den Überbauten zuge. schriebene 'lerrain new; sie taten dies jedoch innerhalb d er Parameter ei. net Massen reduktionist ¡sehen Perspektive, die das revolutionäre Subjekt mit der Arbeiterklasse identifizierte, so daß Hegemonie im Sinne von Artikula. tion völlig undenkbar wir. Genau die Einführung dieses letzteren ßegriffs durch Gramsei untergrub radikal die ursprünglichen Bedingungen für das Aultauchen des Dualismus der Zweiten Internationale und seiner Repro, duktiou auf erweiterter Stufenleiter im Diskurs der Dritten Internationale Einerseits hat das Feld der historischen Kontingenz die sozialen Verhält, nisse gründlicher als in irgendeinen) der früheren Diskurse durchzogendie sozialen Segmente haben jene wesentlichen Verbindungen, die sie ¡n Momente des Phasenparadigmas verwandelten, verloren; und ihre eigene Bedeutung hing von hegemonialen Artikulationen ab, deren Erfolg durch kein Gesetz der Geschichte garantiert war. Im Sinne u nserer früheren Ana lyse könnten wir sagen, daß die verschiedenen „Elem ente“ od er „Aufga ben" nicht länger eine von ihrem Verhältnis zu der sie hegemonisierenden Kraft getrennte Identität besaßen. Andererseits begannen diese Formen einer prekären Artikulation, Namen zu bekommen, theoretisch gedacht zu werden, und wurden in die Identität der sozialen A genten selbst einge baut. Dies erklärt die Wichtigkeit, die Gramsci dem „National-Populären“ und der Formulierung eines Begriffs wie dem des „integralen Staates" bei maß, in dem der dominante Sektor seine ganze N atur und Identität durch die Praxis der Hegemonie modifiziert. Für Gramsci ergreift eine Klasse nicht die Staatsmacht, sondern wird Staat. Man sollte glauben, daß hier alle Bedingungen fü r das, was wir die de mokratische Praxis der Hegemonie genannt haben, vorhanden sind. Nichts-
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ilotmvi-iiigri Im-iuIiI die g.in/e Konsfi nkiion auf einer iet/iliih inkohäien ich Kmi/epiion, die nicht imsiaiif!<* ist, den I hhtlismtes fies klasjmt lien Mar\isimis vollständig /u überwinden. I-tii Giairisci muß et, selbst wenn die vnsi liieilenen sozialen Flemente eine lediglic !i H-Iatiouale, d iurh artikula loiisiln f'iaxen eiworbenc Identität besitzen, in jeder hegeinonialen fo iiitation initiier rin rttiitges vereinheitlichendes Prin/ip geben, mul flies kann imi eine Iundauieniale Klasse sein. Demgemäß sind zwei Prinzipien dei sozialen Onlnmig - die Kin/igarfigkeil des vereinheitlichenden Piin/ips und sein noiwendigei Klassencharakter - nicht das kontingente Resultat eines hegeinonialen Kampfes, sondern der notwendige strukturelle Rah men für jeden Kampf. Klassenhegemonie ist nicht ein gänzlich praktisches Resultat des Kampfes, sondern hat eine letzte ontologische Grundlage. Die ökonomische Basis mag nicht den endgültigen Sieg der Aibeiterklasse si cherstellen, da dies von deren Fähigkeit zur hegeinonialen Führung abhängi. Indes kann auf ein Scheitern der Hegemonie der Arbeiterklasse mir eine Rekonstitution der Hegemonie der Bourgeoisie folgen, so daß der politische Kampf am Ende stets ein Nullsummenspiel zwischen Klassen ist. Dies ist der verborgene essentialistische Kern, der im Denken Gramscis j inaner noch lebendig ist und der dekonstruktiven Logik der Hegemoniei Schranken setzt. Jedoch zu behaupten, daß Hegemonie immer einer fun damentalen ökonomischen Klasse entsprechen muß, bedeutet nicht bloß, die Determination in letzter Instanz durch die Ökonomie wieder zu be kräftigen, sondern auch zu sagen, daß, insofern die Ökonomie für das Po tential einer Gesellschaft zur hegemonialen Neu/usammenset/.ung eine un überwindbare Schranke bildet, die konstitutive Logik des Ökonomischen Raumes selbst nicht hegemonial ist. Hier erscheint das naturalistische Vor urteil, das die Ökonomie als einen durch notwendige Gesetze vereinheit lichten Raum ansieht, wieder mit all seiner Gewalt. Diese grundlegende Ambiguität ist deutlich im gramscianischen Begriff des „Stellungskrieges“ erkennbar. Wir haben bereits die Funktion d er mili tärischen Metaphern im klassischen marxistischen Diskurs vermerkt, und es wäre keine Übertreibung zu sagen, daß die marxistische Konzeption von Politik von Kautsky bis Lenin auf einem Imaginären beruhte, das Clausewitz sehr viel zu verdanken hat.17 Die Hauptwirkung war, was inan einen Sigrcga/tomeffekt nennen könnte - denn, wenn man die Beziehungen zu anderen gesellschaftlichen Kräften als militärische Beziehungen begreift, dann wird man immer seine eigene separate Identität behalten. Von Kautskys „Zermürbungskrieg“ bis zum extremen Militarismus der Bolschcwisierungs-
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katnpagne und dom «Klassegegen Klasse" wurde die F.i i i< hiimg einer siii^ ; »cu Trennungslinie als die wahre Hedingung von Polii ik angesehen - J»0^ tik“ einfach als eines de? Termins des Mi-twikanipfs. Mir Giamsci schließ der -Stellungskrieg* im Gegensatz, dazu den fortschreitenden Zerfall eh)e, Zivilisation und die Konstruktion einer anderen um einen neuen Klassen, kern ein. Somit ver;inde?t sich, weit dau>n entfernt, von Anfang an fixiert zu sein, die Identität dei Gegner beständig im Prozeß. Es ist klar, claßdjcs mit dem „Stellungskrieg" im streng militärischen Sinne, wo die feindlichen Kiiilte nicht lortwährend zur anderen Seite übergehen, wenig zu tun hat. Tatsächlich ist die Militiu inetapher hier in die entgegengesetzte Richtung metaphorisiert: wenn es im Leninismus eine Militarisierung der Politik gab, gibt es bei Gramsci eine Kntinilitarisienuigdes Krieges.18Nichtsdestoweniger erreicht dieser Übergang iu einer nicht-militärischen Konzeption der Politik genau an dem Punkt eine Grenze, wo behauptet wird, claß der Klassenkern der neuen Hegemonie * und natürlich auch der alten - den ganzen Prozeß hindurch konstant bleibt, ln dieser Minsicht gibt es ein Element der Kontinuität in der Konfrontation, und die Metapher von den beiden Armeen im Kampf kann zum Teil ihre Produktivität behalten. Folglich verunklart eine grundlegende Ambiguität hinsichtlich des Status der Arbeiterklasse das Denken Gramscis und führt es letzten Endes zu einer widei’sprüchlichen Position. Einerseits hat die politische Zentralität der Arbei terklasse einen historisdien, kontingenten Charakter, was erfordert, daß die Klasse aus sich herausgeht, ihre eigene Identität durch ihre Artikulation mit einer Pluralität von Kämpfen und demokratischen Forderungen transformiert. Andererseits hat es den Anschein, daß ihr diese artikulatorische Rolle durch die ökonomische Basis zugeschrieben wird, die Zentralität deshalb einen not wendigen Charakter besitzt. Man wird das Gefühl nicht los, daß der Übergang von einer morphologischen und essentialistischen Konzeption ä la Labriola zu einer radikal historistischen Konzeption19 nicht kohärent zustande gebracht worden ist. Jedenfalls, wenn wir Gramscis Denken mit den verschiedenen klassischen Tendenzen des Marxismus der Zweiten Internationale vergleichen, tritt die radikale Neuheit seines Hegemoniebegriffs ganz deutlich hervor. Nach dem Krieg formulierte Kautsky20 eine demokratische Konzeption des Übergangs zum Sozialismus, die sich der bolschewistischen Erfahrung als Gegenmodell bediente - seines Erachtens verantwortlich für diktatorische Praxen, die unver meidlich wären, wenn man einen Übergang zum Sozialismus nach Art der rückständigen russischen Bedingungen zuwege bringen wollte. Die von ihm 106
voi geschlagene Aller-native war jedoch, zu warten, bis die mythischen Gesetze der kapitalistischen Entwicklung die sozialen Antagonismen vereinfacht hät ten: dann bestünden die Bedingungen für das Verschwinden der Verwerfung zwischen „Massen“ und „Klassen“ und jedes möglichen Bruchs zwischen Füh rern und Geführten. Die gramscianische Theorie der Hegemonie akzeptiert im Gegensatz dazu soziale Komplexität als die eigentliche Bedingung des poli tischen Kampfes und legt durch ihre dreifache Verschiebung der leninisti schen Theorie der „Klassenbündnisse“ die Grundlage für eine demokratische Praxis der Politik, die mit einer Pluralität historischer Subjekte vereinbar ist.21 Was Bernstein anbelangt, so teilt Gramsd seine Bekräftigung des Primats der Politik und seine Anerkennung einer auf keine Klassenzugehörigkeit reduzierbaren Pluralität von Kämpfen und demokratischen Forderungen. Aber anders als Bernstein, für den diese separaten Kämpfe und Forderun gen nur auf einer epochalen Ebene, durch die Intervention eines allgemei nen Fortschrittsgesetzes, vereinigt werden, hatGrainsci keinen Platz für ein Prinzip d er Entwicklung. Kämpfe gewinnen ihre Bedeutung aus ihrer"1 hegemonialen Artikulation, und ihr - von einem sozialistischen Standpunkt aus - progressiver Charakter ist nicht im voraus garantiert. Geschichte wird nicht als ein aufsteigendes Kontinuum demokratischer Reformen betrachtet, sondern als eine diskontinuierliche Folge hegemonialer Formationen oder historischer Blöcke. In den Begriffen einer früher von uns getroffe nen U nterscheidung: Gramsci dürfte mit Bernstein seinen „Revisionismus“, aber sicherlich nicht seinen „Gradualismus“ teilen. Im Hinblick auf Sorel ist die Situation komplizierter. Zweifelsohne bricht Sorel in seinen Begriffen des „Blocks“ und des „Mythos“ mit der essentialistischen Vision ein er zugrundeliegenden Morphologie der Geschichte radikaler als Gramsci. In dieser und nur in dieser Hinsicht bedeutet Gramscis Begriff des historischen Blocks einen Schritt zurück. Zugleich markiert Gramscis Perspektive jed och einen eindeutigen Fortschritt gegenüber Sorel; denn seine T h eo rie d er Hegemonie als Artikulation führt weiter zur Idee von demokratischer Pluralität, während der Sorelsche Mythos einfach dazu bestimmt ist^die Einheit der Klasse wiederherzustellen. Nachfolgende Ver sionen dieses Mythos versuchten eine radikale Trennlinie innerhalb der Gesellschaft zu befestigen und niemals einen neuen integralen Staat durch einen Prozeß hegem onialer Reaggregierung zu konstruieren. Die Vorstel lung eines „Stellungskriegs“ wäre der Perspektive Sorels grundlegend fremd gewesen.
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SoziaMt'moknUit': Von
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Die politische und theoretische Leere, die die Wende /u einer liegeniouialci) Politik aus/ufülleu suchte, läßt sieh auch in der Praxis d e r Sozialdemokratie sehen Parteien nach dem Krsten Weltkrieg finden, ln ihrem Hill hatte die Verwerfung/wischen strikten Klassenaufgabrn und den neuen politischen Aufgaben der Bewegung eine charakteristische Form an gen om m en : ctie eitu'-s Widerspruchs/wischen einer begrenzten Liste von Fo rd eru n g en unrj Yorcchlägen aus der Arbeiterbewegung und tler Vielfältigkeit und Koin. ploxitiit der politischen Probleme, mit denen eine Sozialdem okratie konfrontiert war, die, als Resultat der Nachkriegskrise, an die M acht geworfen wurde. Diese neue und eigentümliche Form einer „ungleichen und konibi. nierten“ Entwicklung mußte paralysierende politische A usw irkungen auf jene sozialen Klüfte haben, die, unter der Bedingung, daß dies sie nur dann, wenn die „objektiven Bedingungen“ gereift wären, an die M acht bringen würde. \v>ll und ganz auf die fortschrittliche Entwicklung d e r Produktiv kräfte gesetzt hatten. Die enge Rassistische Mentalität d er Sozialdemokrat^ sehen Parteien sollte hier alle ihre negativen Konsequenzen erzeu gen . Dies wurde deutlich in der begrenzten Fähigkeit der sozialdem okratischen P a rteien, das breite Feld der demokratischen Forderungen und Antagonismen, die aus der Nachkriegskrise resultierten, zu hegemonisieren.
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Seit derJahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs waren die europäisehen sozialistischen Bewegungen, unter dem Deckmantel einer revolutionären Partei, nichts anderes als ein parlamentarisches Instrument des Gewerkschaftswesens. Ihre wirkliche Aktivität war beschränkt auf gewerkschaftliche Probleme, ihre kon struktive Aktion auf Fragen der Löhne und Arbeitszeit, soziale Absicherung, Tarif probleme und. am meisten, auf eine Wahlrechtsreform. Der Kampf gegen den Militarismus und die Verhinderung des Krieges waren, so wichtig dies auch war, «nebensächlich“ für die Hauptarbeit der Partei.22 Diese Mentalität beherrschte die sozialdemokratische Aktivität insgesamt zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Großen D epression. In Deutschland bezogen sich zum Beispiel seit November 1918 die m eisten der vom Sozialistischen Rat der Volkskommissare erlassenen D ekrete ausschließ lich auf gewerkschaftliche Forderungen und Reform en im W ahlrechts system; keinerlei Versuch wurde gemacht, den politischen u nd Ökonomi schen Schlüsselproblemen zu begegnen. Diese enge klassistische Mentali tät spiegelte sich ebenfalls wider in der totalen Abwesenheit ein er Politik 108
radikaler Demokratisierung in den Gesellschaften, wo die Sozialdemokra ten an die Regierung kamen. Die klassistische Mentalität - egal oh reformi stisch oder revolutionär - versperrte den Weg zur Konstruktion eines Kolleklivvvillens, der eine Vielzahl demokratischer Forderungen und Antagonis men in einem neuen populären hegemonialen Block artikuliert. Weder die Armee noch die Bürokratie wurde irgendeiner Reform unterzogen. Und was die Außenpolitik anbetrifft, so haben sich die sozialdemokratischen Regierungen - und vor allem sozialistische Minister, die an Kabinetten tcilnahmen, die von anderen politischen Klüften dominiert wurden - darauf beschränkt, den vorherrschenden Tendenzen zu folgen, ohne irgendwel che politischen Alternativen zu formulieren. Im rein ökonomischen Bereich bestand die dominierende Politik der Nachkriegssozialdemokratien aus einer Politik der Verstaatlichung („Sozia lisierungen“ genannt). In Der Weg zum Sozialismus° schlug Otto Bauer eine abgestufte Folge von Verstaatlichungen zusammen mit einem demokrati schen Management der Unternehmen vor. Verstaatlichungsprojekte tauch ten auch in einer Reihe anderer Iünder auf und in einigen wurden Kom missionen eingesetzt, um Sozialisierungspläne zu untersuchen, so Deutsch land, England und Schweden. Bei diesen Aktivitäten kam jedoch nichts heraus. Obwohl Sozialdemokraten in mehreren ländern Regierungen gebildet hatten oder an ihnen beteiligt waren, war das Gesamtresultat dieser ersten Versuche zur Sozia lisierung gleich Null: mit Ausnahme der französischen Rüstungsindustrie imJahre 1936 wurde während der gesamten Zwischenkriegsperiode keine einzige Firma in Westeuropa durch eine sozialdemokratische Regierung verstaatlicht,24 Nach dem Sozialisierungsfiasko hatte die Sozialdemokratie bis zur Großen Depression nicht das kleinste alternative ökonomische Projekt. Es gibt verschiedenen Gründe für dieses Versagen, sie laufen aber alle auf zwei Hauptfaktoren hinaus. Erstens fehlte ein hegemoniales Projekt: ~ nacli3erh man auf jeden Versuch, eine breite Front demokratischer Kämp fe zu artikulieren, verzichtet hatte und stattdessen lediglich danach strebte, A rb d tm n teressen_zu vertreten, fand sich die Sozialdemokratie zu macht los, die soziale und politische Logik der Staatsapparate zu verändern. An diesem Punkt tauchte deutlich eine Option auf: entweder an bürgerlichen Kabinetten teilzunehmen, um eine maximale Anzahl von Sozialmaßnahmen zum Vorteil der Sektoren der Arbeiterklasse zu erreichen, oder aber in die Opposition zu gehen und dadurch seine eigene Ohnmacht zu verdoppeln.
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Der „pressure-gnnipM'harakier von Gewei kschal isinteresscn, so wie er l(i,. die Sozialdemokratie typisch war, drängte fast immer zur ersten Alteriiatj. ve. F.s gab indes einen /weiten Grund für
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und reduktionisiischcii Version des Marxismus auftauchcn sahen, sind bei De Man Vertreter»: die Kritik an der rationalistischen Konzeption der Subjek tivität, die auf Ökonomischen „Interessen“ basiert - er war einer der ersten Sozialisten, die ernsthaft Psychoanalyse studierten; die Kritik des Klassenreduktionismus; die Notwendigkeit eines Massenblocks, der breiter ist als die A rb eiterk la sse; das Bedürfnis, den Sozialismus als „nationale“ Alternative zur Geltung zu bringen, als eine organische Rekonstitution der Nation auf einer neuen Basis; das Erfordernis eines Mythos - im Sorelschen Sinne der die verschiedenen Komponenten eines sozialistischen Kollektivwillens zementieren sollte. Der „Plan“ war insofern nicht ein einfach ökonoinistisches Instrument; er war die eigentliche Achse für die Rckonstittiierung eines historischen Blocks, der es möglich machen sollte, den Verfall der bürgerlichen Gesellschaft zu bekämpfen und dem Vormarsch des Faschis mus zu begegnen. (Die pro-faschistische Position, die De Man persönlich nach 1938 annahm und die ähnliche Entwicklung der Sozialisten um Mar cel Deal in Frankreich sollte uns die Bedeutung der Planwirtschaft als einer wirklichen Anstrengung, die politische Initiative im veränderten sozialen Klima, das dem Krieg und der Depression folgte, wiederzugewinnen, nicht vergessen lassen. Viele ihrer Themen wurden nach 1945 allgemeines Erbe der Sozialdemokraten - besonders ihre ökonomisch-technokratischen Aspek te, während ihre radikaleren und erneuernden politischen Einsichten größ tenteils beiseite geschoben wurden.) In dieser Hinsicht ist es lehrreich, sich einer häufig bemerkten Ambigui tät28 zu erinnern, die auf den Nerv der Beschränktheiten sozialdemokrati scher Politik nach dem Zweiten Weltkrieg zielt. Das Projekt der linksge richteten Verfechter der Planwirtschaft war, eine gemischte Ökonomie zu schaffen, in der der kapitalistische Sektor allmählich verschwinden würde; es war also eigentlich ein Weg für den Übergang zum Sozialismus. Für eine mehr technokratische Variante ging es jedoch lediglich dämm, einen Be reich staatlicher Intervention aufzubauen, der - insbesondere durch Kon trolle der Kredite - das Ungleichgewicht, das dem Verlauf des Kapitalis mus eigentümlich ist, korrigieren würde. Die Begriffe dieser Alternative zeigen sehr deutlich, daß sich beide, die linke wie die rechte Alternative, auf eine ökonomische Politik bezogen, während die Projekte zur radikalen Demokratisierung und die Konstruktion eines neuen Kollektivwillens ent weder nicht vorhanden oder unbedeutend waren. Vor 1945 war es der hart näckige Klassismus der sozialdemokratischen Bewegungen, der jeden Ver such zu hegemonialer Artikulation versperrte. Nach 1945 - mit dem Auf111
bau des Wohlfahrtsstaates - ließ dieser klassisinus beträchtlich nach, natüi. lieh nicht in Richttingeinei Vertiefung des demokratische» Prozesses, sou. dern einfach durch die Expansion des koynosianischen Staates, in dem die Interessen der verschiedenen Sektoren nicht länger entlang eindeutige Klassengrenzen bestimmt wurden. ln diesem Sinne wurde die Sozialdemo, kratie eint' politisch-ökonomische Alternative innerhalb einer gegebenen Staatsform und nicht eine radikale Alternative zu dieser Form. (Hier nieinen wir natürlich nicht eine „revolutionäre“ Alternative, die den gewaltsamen Sturz des bestehenden Staates einschließt, sondern eine Vertiefung und Artikulation einer Vielzahl von Antagonismen sowohl im Staat als auch in der civil societv. die einen „Stellungskrieg“ gegen die dominierenden hegemonialen Formen erlaubt.) Als Ergebnis dieses Fehlens einer hege monialen Alternative reduzierte sich die Sozialdemokratie selbst auf eine Kombination \on auf der einen Seite privilegierten pragmatischen Bezie hungen zu den Gewerkschaften, und auf der anderen Seite auf eine mehr oder weniger linksgerichtete technokratische Politik, die in jedem Fall alles abhängig machte um auf staatlicher Ebene durchgeführten Lösungen. Dies ist die Wurzel der absurden Auffassung, nach der der Grad an „Linksheit“ eines Programmes abhängig ist von der Zahl der Unternehmen, die es zu verstaatlichen beabsichtigt^
Das letzte Bolhi'erk des Essentialismus: die Ökonomie Unsere bisherige Analyse kann aus zwei verschiedenen Perspektiven gese hen werden, die strenggenommen komplementär sind. Von einem ersten Standpunkt aus zeigt das von uns vor Augen geführte Bild einen Prozeß der Spaltungen und Fragmentierungen, durch den die Auflösung des or thodoxen Paradigmas stattfand. Aber der Raum, der von diesem Paradig ma besetzt war, bleibt nicht leer: von einem zweiten Standpunkt aus kann derselbe Prozeß als das Auftauchen und Ausdehnen der neuen artikulatorischen und neuzusammensetzenden Logik der Hegemonie gesehen werden. Wir sahenjedoch, daß diese Expansion an eine Grenze stieß. Ob die Arbei terklasse als der politische Führer in einem Klassenbündnis (Lenin) oder als der artikulatorische Kern eines historischen Blocks (Gramsci) betrach tet wird - ihre fundamentale Identität ist auf einem anderen als dem Ge biet konstituiert, wo die hegemonialen Praxen operieren. Es gibt folglich eine Schwelle, die keiner der strategisch-hegemonialen Konzeptionen über 112
winden kann. Wenn die Gültigkeit dt*s ökoriomistischen Paradigmas in ei nem bestimmten Fall beibehalten wird - letztlich ist die Ökonomie natür lich doch entscheidend, weil sie ja das rationale Substrat der Geschichte ist wird einer Notwendigkeit zuges timmt, so daß hegemoniale Artikulatio nen nur als bloße Kontingenz gedacht wei den können. Diese letzte rationa le Schicht, die allen historischen Prozessen einen tendenziellen Sinn gibt, hat eine spezifische Verortung in der Topographie des Sozialen: auf der ökonomischen Ebene. Die ökonomische Ebene muß jedoch drei sehr präzise Bedingungen er füllen, um diese Rolle, die Subjekte hegemonialcr Praxen zu konstituieren, spielen zu können. Erstens müssen ihre Bewegungsgesetze strikt endogen sein und alle Unbestimmtheit, die aus politischen oder anderen äußeren Einflüssen herrühren, ausschließen - andernfalls könnte sich die konstitu tive Funktion nicht ausschließlich auf die Ökonomie beziehen. Zweitens muß die Einheit und Homogenität der auf der ökonomischen Ebene konstitu ierten sozialen Agenten aus den besonderen Bewegungsgesetzen dieser Ebene resultieren (jede Fragmentierung und Auflösung von Positionen, die eine der Ökonomie äußere Instanz der Neuzusammensetzung erfor dert, ist ausgeschlossen). Drittem muß die Position dieser Agenten in den Produktionsverhältnissen sie mit „historischen Interessen“ ausstatten, so daß die Präsenz derartiger Agenten auf anderen sozialen Ebenen - durch Mechanismen der „Repräsentation“ oder „Artikulation“ - letzten Endes auf der Basis ökonomischer Interessen erklärt werden muß. Die letzteren sind deshalb nicht auf einen bestimmten sozialen Bereich beschränkt, sondern die Verankerung für eine globalisierende Sicht auf die Gesellschaft. Selbst jene marxistischen Strömungen, die am härtesten für die Über windung des Ökonomismus und Reduktionismus gekämpft haben, haben auf die eine oder andere Weise jene essentialistische Konzeption der Struk turierung des ökonomischen Raumes beibehalten, die wir gerade beschrie ben haben. Demgemäß war die Debatte zwischen ökonomistischen und antiökononiistischen Strömungen innerhalb des Marxismus notwendigerweise auf das sekundäre Problem reduziert, welches Gewicht den Überbauten bei der Bestimmung von historischen Prozessen beigemessen werden sollte. Noch die „überbauigste“ Konzeption behielt ein naturalistisches Bild der Ökonomie bei - selbst wenn sie versuchte, das Feld ihrer Wirkungen einzu grenzen. Im restlichen Teil dieses Kapitels wollen wir diese letzte Festung des orthodoxen Essentialismus untersuchen. Indem wir uns auf bestimmte zeitgenössische Debatten beziehen, wollen wir versuchen zu zeigen, daß der 113
Raum der Ökonomie selbst als ein politischer Raum strukturiert ist und daß in ihm wie auf jeder anderen „Ebene“ der Gesellschaft jene Praktiken die wir als hcgemonial gekennzeichnet haben, voll wirksam sind. Bevor \vj, mit dieser Arbeit beginnen, ist es jedoch notwendig, zwei ganz verschiede, ne Probleme zu unterscheiden, die häufig in der Kritik cles ökonomisnms verwechselt wurden: das erste bezieht sich auf die Natur und Konstitution des ökonomischen Raumes: das zweite, das überhaupt keine Verbindung z1ltn ersten hat. betrifft das relative Gewicht des ökonomischen Raumes in der Determination ihm äußerlicher sozialer Prozesse. Das erste Problem ist das entscheidende und bildet die Grundlage für einen radikalen Bruch mit essentialistischen Paradigmen. Das zweite Problem kann, aus Gründen, die wir versuchen wollen, in diesem Buch zu klären, nicht auf der Ebene einer allgemeinen Theorisiemng des Sozialen bestimmt werden. (Zu behaupten daß das, was in einer gegebenen Konjunktur auf allen Ebenen der Gesellschaft stattfindet, absolut durch das determiniert ist. was auf der Ebene der Öko nomie passiert, ist - strenggenomnien - logisch nicht unvereinbar mit ei ner anti-ökonomistischen Antwort auf unsere erste Frage.) Unsere drei Bedingungen für die grundlegende Konstitution hegemonialer Subjekte durch die ökonomische Ebene entsprechen drei Grund* thesen der klassischen marxistischen Theorie: die Bedingung bezüglich des endogenen Charakters der Bewegungsgesetze der Ökonomie korrespon diert mit der These der Neutralität der Produktivkräfte; die Bedingung der Einheit der sozialen Agenten auf der ökonomischen Ebene mit der These der wachsenden Homogenisierung und Verelendung der Arbeiter klasse; und die Bedingung, daß die Produktionsverhältnisse der Ort der „historischen Interessen“ sein sollte, die den ökonomischen Bereich tran szendieren, mit der These, daß die Arbeiterklasse ein fundamentales In teresse am Sozialismus hat. Wir werden nun zu zeigen versuchen, daß diese drei Thesen falsch sind. Unter der Voraussetzung, daß „die vergangene Entwicklung der Produk tivkräfte den Sozialismus möglich und ihre zukünftige Entwicklung den Sozialismus notwendig macht“,29spielt die Entwicklung der Produktivkräf te für den Marxismus die Schlüsselrolle in der historischen Evolution hin zum Sozialismus. Sie sind der Grund für die Entstehung eines immer zahlreicheren und ausgebeuteteren Proletariats, dessen historische Mission es ist, von den höchst vergesellschafteten und entwickelten Produktivkräf ten Besitz zu ergreifen und sie kollektiv zu verwalten. Gegenwärtig bilden die kapitalistischen Produktionsverhältnisse ein unüberwindbares Hinder* 114
nis für den Fortschritt dieser Produktivkräfte. Der Widerspruch zwischen [ J o u r g e o s i c und Proletariat ist deshalb der soziale und p o l i t i s c h e Ausdruck eines primiir ökonomischen Widerspruchs, der ein allgemeines Gesetz der Entwicklung der Produktivkräfte mit den der kapitalistischen Produktions w e i s e eigentümlichen Entwicklungsgesetzen verbindet. Aus dieser Sicht hat G e s c h ic h te einen Sinn und ein rationales Substrat nur aufgrund des allge meinen Gesetzes der Produktivkraftentwicklung. Die Ökonomie kann da her als ein Mechanismus der Gesellschaft verstanden werden, der sich nach o b je k tiv e n , von menschlichem Handeln unabhängigen Phänomenen richDamit dieses allgemeine Gesetz der Entwicklung der Produktivkräfte nun volle Gültigkeit erhalten kann, ist es notwendig, daß alle Elemente, die auf den Produktionsprozeß Einfluß nehmen, seinen Determinationen unter worfen werden. Um dies sicherzustellen, mußte der Marxismus Zuflucht zu einer Fiktion nehmen: er stellte sich die Arbeitskraft als Ware vor. Sam Bowles und Herben Gintis haben gezeigt, wie diese Fiktion den Marxismus blind machte gegenüber einer ganzen Reihe von Charakteristika der Ar beitskraft als einem Element des kapitalistischen Produktionsprozesses. Von den anderen notwendigen Elementen der Produktion unterscheidet sich die Arbeitskraft dadurch, daß der Kapitalist mehr tun muß, als sie einfach nur kaufen: er muß sie auch dazu bringen zu arbeiten. Dieser wesentliche Aspekt entgeht jedoch der Auffassung von Arbeitskraft als einer Ware, de ren Gebrauchswert Arbeit ist. Wenn sie lediglich eine Ware wie die ande ren wäre, könnte ihr Gebrauchswert offensichtlich vom Augenblick des Kaufs an automatisch effektiv gemacht werden.
Die Bestimmung der Arbeit als Gebrauchswert der Arbeitskraft für das Kapital verdunkelt die absolut fundamentale Unterscheidung von produktiven Inputs, die in zu sozialen Praxenfähigen Menschen verkörpert sind, und all jenen übrigen Inputs, für die der Besitz durch das Kapital hinreichend ist, den „Konsum“ ihrer produk tiven Dienste zu erreichen.30 Ein großer Teil der kapitalistischen Organisation der Arbeit kann nur ver standen werden als ein Ergebnis der Notwendigkeit, Arbeit aus der vom Kapitalisten gekauften Arbeitskraft herauszupressen. Die Entwicklung der Produktivkräfte wird unverständlich, wenn diese Notwendigkeit für den Kapitalisten, seine Herrschaft mitten im Herzen des Arbeitsprozesses auszuiiben, nicht begriffen wird. Dies stellt allerdings die gesamte Idee der Produktivkraftentwicklung als einem natürlichen, spontan progressiven Phä-
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nomen in Krage. Wir können daher sehen, daß sich beide Elemente Ökonomist ischen Standpunktes - Arbeitskraft als Ware und 1 loduktivkijijj entwicklung als neutraler Prozeß - wechselseitig verstärken. Es verwunden wnig, daß das Studium der Arbeitsprozesse innerhalb der marxistischen Tradition lange Zeit get inggeschätzt wurde. Die Veröffentlichung wn Bravermans Die Arbeit im modernen Produkt pmzfJP löste schließlich die Debatte aus. Es verteidigt die These, daß fjas Leitprinzip der Technologie im Kapitalismus die immer entwertetem untj „entqualifiziertere" Arbeit herrorbringende Trennung von Planung Un(J Ausführung ist. Der Iavlorismus ist das entscheidende Moment in diesem Kampf der Kapitalisten, die Arbeiter zu beherrschen und den Arbeitspro. zeß zu kontrollieren. Braverman postuliert, daß hinter dem Bedürfnis des Kapitals, die Kontrolle über den Arbeitsprozeß von den direkten Produ. zenten an sich zu reißen, das Gesetz der Kapitalakkumulation steht; er schafft es jedoch nicht, eine wirkliche Erklärung dafür zu geben, warum dies durch eine unaufhörliche Anstrengung, die Kenntnisse der Arbeiter zu zerstören und sie zu rein Ansfiihrenden zu reduzieren, zum Ausdruck kommt. Vor allem präsentiert er diese Herrschaftslogik als eine omnipotente, äugenscheinlich ohne Fesseln operierende Kraft, wie wenn die dem Kapital zu Verfügung stehenden ökonomischen Kräfte es der Arbeiterklasse nicht erlaubten, zu widerstehen und die Richtung der Entwicklung zu beeinflus. sen. Hier produziert der alte Begriff von Arbeitskraft als gänzlich von der Logik des Kapitals abhängiger Ware weiterhin seine Effekte. Im Gegensatz zu Bravermans Argumentation ermöglicht uns die Kritik am Begriff der Arbeitskraft als Ware, deren Gebrauchswert die Arbeit ist das Bedürfnis des Kapitals zu verstehen, den Arbeitsprozeß zu kontrollie ren. Tatsache ist. daß wenn die Arbeitskraft einmal gekauft ist, das Maxi mum an möglicher Arbeit aus ihr herausgepreßt werden muß. Infolgedes sen kann der Arbeitsprozeß nicht ohne eine Reihe von Herrschafts verhältnissen existieren. Und deshalb mußte die kapitalistische Organisati on der Arbeit auch schon lange vor dem Erscheinen des Monopolkapitalis mus beides sein: eine Technik der Produktion und eine Technik der Herr schaft. Dieser Aspekt ist in einer Reihe von Arbeiten hervorgehoben wor den, unter anderem wn Stephen Marglin und Katherine Stone,32 die be haupten, daß die Fragmentierung und Spezialisierung der Arbeit in kei nerlei Zusammenhang stehen mit einem angenommenen Bedarf an Effizi enz, sondern stattdessen die Auswirkung des Kapitalbedürfnisses sind, sei ne Herrschaft über den Arbeitsprozeß auszuüben. Da der Arbeiter zu so-
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zialen Praxen fähig ist, könnte er den au ferl egten K ontrollm echanism en widerstehen und den Kapitalisten zwingen, andere Techniken zu verwen den. Demnach ist es keine reine Kapitallogik, die die Entwicklung des Ar beitsprozesses bestimmt; letzterer ist nicht nur der Orl, wo das Kapital sei ne Herrschaft ausübt, sondern der Ort eines Kampfes. Eine Anzahl jüngerer Untersuchungen in Westeuropa und den Vereinig ten Staaten haben die Entwicklung des Arbeitsprozesses vom Standpunkt des Kräfteverhältnisses zwischen Arbeitern und Kapitalisten sowie des Wi derstandes der Arbeiter analysiert. Sie zeigen das Vorhandensein einer „Po litik der Produktion“ und bestreiten, daß die Entwicklung des Kapitalis mus einzig der Effekt der Gesetze der Konkurrenz und der Akkumulations anforderungen sei. Richard Edwards unterscheidet in Contested Terrain33drei Hauptforinen der Kontrolle: einfache, auf Wachsamkeit basierende Kon trolle; technische, der Unterordnung des Arbeiters unter den Rhythmus der Maschine (wie beim Fließband) entsprechende Kontrolle; und schließ lich bürokratische, sich durch die Institutionalisierung von hierarchischer Macht manifestierende Kontrolle, durch die Kontrolle nicht länger, wie im vorherigen Fall, von der physikalischen Struktur des Arbeitsprozesses, son dern von seiner sozialen Struktur abhängt. Er behauptet, daß der Wider stand der Arbeiter das Bedürfnis des Kapitals erklärt, mit neuen Formen zu experimentieren. Ähnlich isoliert Jean-Paul Gaudemar im Falle Frank reichs vier Zyklen technologischer Herrschaft: einen „panoptischen “ Zyklus; einen Zyklus extensiver Disziplinierung (innerhalb und au ßerhalb der rabri kJ;-einen Zyklus, defauf einem doppelten Prozeß gründet, der die Internalisierung von Disziplin innerhalb eines auf Mechanisierung umgestalteten Arbeitsprozesses einschließt, und den ich vorschlage, Zyklus der mechanistischen Diszi plin zu nennen; schließlich einen Zyklus vertraglicher Disziplin, in dem die Internalisierung von Disziplin durch formale und reale Formen teilweiser Delegierung von Macht von statten geht.54 Die italienische Bewegung des opemismo der sechziger Jahre zeigte ihrer seits, wie die Kapitalentwicklung, weit davon entfernt, blind ihre Logik der Arbeiterklasse aufzuerlegen, dem Kampf der letzteren untergeordnet ist. Mario Tronti55 macht darauf aufmerksam, daß die Kämpfe der Arbeiter klasse das Kapital gezwungen haben, seine innere Zusammensetzung eben so wie seine Herrschaftsformen zu modifizieren - durch die Verhängung einer zeitlichen Begrenzung des Arbeitstages zwangen sie das Kapital, vom absoluten zum relativen Mehrwert überzugehen. Dies führt Panzieri zu der 117
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I hese, daß die Produktion ein „politischei Mechanismus ist mul <J;i/i <>s notwendig ist, „die lechnologic und die A r b e it s o r g a n is a t io n als htalj|j(.. rung eines Kiäfievoih.’ilinisses /wischen Massen“11’ /»• analvsiei en. Die cli*.. sen Arbeiten gemeinsame lilee ist, daß die spe/if ¡sehen histoi ischen Foi*. inen der kapitalistischen Konirollo i*ls 1‘eil der allgemeinen sozialen Vei. hiiltnisse untersucht werden müssen, da die sich verändernden Organisati. onsfonnen des Arbeitsprozesses nicht nur in der lonn der Differenz z\vj. sehen ahsolntem und relativem Mehrwert verstanden werden können. Über dies enthüllt eine vergleichende historische Analyse wichtige Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern. Die Stärke der englischen Gewerkschütten hatte zum Beispiel einen größeren Widerstand gegen Verände rungen möglich gemacht als anderswo. Arbeiterkämpfe, so verstanden, können offensichtlich nicht durch eine endogene Logik des Kapitalismus erklärt werden, da ihre starke Dynamik, nicht unter die „\Varen“form der Arbeitskraft subsumiert werden kann. Aber wenn dieser Bruch zwischen einer Logik des Kapitals und einer Lo gik des Arbeiterwiderstands die Organisation des kapitalistischen Arbeits prozesses beeinflußt, muß er sich auch entscheidend auf den Charakter und Rhythmus der Expansion der Produktivkräfte auswirken. Folglich ist die These, daß die Produktivkräfte neutral sind und ihre Entwicklung als natürlich und unlinear begriffen werden kann, vollkommen unbegründet. Dies entzieht auch den einzigen Boden, auf dein die Ökonomie als ein au tonomes und selbstregulatives Universum verstanden werden konnte. Deshalb ist die erste Bedingung, nämlich das der ökonomischen Sphäre in der Konstitution der sozialen Agenten eingeräumte Privileg, nicht erfüllt. Diese Schlußfolgerung sollte uns bereits vermuten lassen, daß auch die zweite Bedingung nicht erfüllt ist, weil die Ökonomie schwerlich Subjekte konstituieren kann, die durch eine einzige Logik, die sie selbst nicht be sitzt, vereinheitlicht werden. Nichtsdestoweniger ist es wichtig, die vielge staltige Dezentrierung der verschiedenen Positionen des „Arbeiterklassen“ subjekts zu untersuchen. Erstens verdeckt gerade der Begriff von Arbeiter klasse bei Marx zwei eigenständige Verhältnisse mit je eigenen Bewegungs gesetzen: das durch den Verkauf der Arbeitskraft etablierte Lohnverhältnis, das den Arbeiter in einen Proletarier verwandelt, sowie jenes, das aus der Verortung des Arbeiters im Arbeitsprozeß resultiert und das ihn zu einem Handarbeiter macht. Diese Dichotomie untermauert die von Michael Burawoy37getroffene geistreiche Unterscheidung von Verhältnissen-^EioduktiQa.und,Verhältnissen ¿o der Produktion. Wenn die Unterscheidung 118
Itli Marx nicht evident ist, so nicht mir, we il diese beiden Arten von Verhäl tnissen da/u neigten, in seiner unmittelbaren historischen Erfahrung zus a in n ic n z u fa llc n , sondern auch deshalb, weil er, die Arbeitskraft als eine einfache Ware ansehend, dazu neigte, jegliche Autonomie und Jiedcutung aus den im Arbeitsprozeß errichteten Verhältnissen zu entfernen. Ks bleibt jedoch unbestreitbar, daß sich beide Verhältnisse auf verschiedene Weise entwickelt haben, was das gemeinsame Etikett „Arbeiterklasse“, das sie ver einte, problematisch weiden ließ: während die lohnfoim im entwickelten Kapitalismus verallgemeinert wurde, hat die Klasse der Industriearbeiter 'an Zalll.uud Bedeutung abgenpmnien. .Diese Asymmetrie ist der Grund f ü r die Ambiguitäten, diejiie jüngsten Debatten um die Eingrenzung der Arbeiterklasse beherrscht haben. Als die Verelentlungstheörie sich als ein spezifischer Mechanismus für die Konstitution der Einheit der Arbeiterklasse nicht mehr halten ließ, wurden zwei neue Versuche unternommen, eine ökonomische Basis für eine solche Einheit zu finden: die eine stellte das Phänomen der „Dequalifizierung“ in den Mittelpunkt (Braverman), während die andere einen noch weiter eingeschränkten Kern von Arbeitern auszuweisen suchte, der die „wahre“ Arbeiterklasse konstituieren würde (Poulantzas). Ausgehend von seiner Analyse des Taylorismus behauptet Braverman, daß die aus der Tren nung zwischen Planung und Ausführung resultierende Entwertung der Arbeit immer breitere Schichten von Arbeitern - ob sie nun in den warenproduzierenden Sektoren angestellt sind oder nicht - innerhalb der Kategorie der proletarisierten Arbeiterklasse hervorbringt.58 Ihm zu Folge erfüllt sich nun die von Marx vorhergesehene Polarisierung, und die vor anschreitende Entwertung ihrer Arbeitsbedingungen w'ii d die Arbeiterklasse drängen, sich selbst zu organisieren und politisch gegen das System zu kämpfen. Allerdings teilen nur wenige Studien über die nordamerikani sche Arbeiterklasse Bravermans Homogenisierungsthese. Im Gegenteil ist die allgemeine Tendenz eher die Betonung der Teilung und Fragmentierung der Arbeiterklasse. Die Arbeiten von Edwards, Gordon und Reich39 zeigen beispielsweise, wie die Formen der Kontrolle im Arbeitsprozeß zusammen mit Rassismus und Sexismus eine Segmentierung des Arbeitsmarktes er zeugt haben, die sich in der Fraktionierung der Arbeiterklasse kristallisier te.40 Ähnliche Arbeiten in Westeuropa41 widerlegten ebenfalls die These einer fortschreitenden Vereinfachung der Gesellschaftsstruktur und bestä tigten, daß die augenblickliche allgemeine Tendenz in Richtung auf eine Polarisierung zwischen zwei Sektoren der Ökonomie geht: einem gut be119
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imqualifi/ierton odri angelernten Arbeitern. Iii«' d*«* keinerlei existiert. Wenn wir als drillen Bereich den der strukturell Ai britsloSeri deren Zahl konstant wächst, hmzuuchinen, wird es olfensichtlich,
P o n la n t/ a s /u untersuchen.'5 Poulantzas zufolge ist die pioduktive Arbeit
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doch keine C.egrlvnheit der sozialen Struktur: sie war ein Veienilu*it|j, |,. ungs/w:*# resultierendausdoi Veieleiidungimd P m le ta risie n tn g , die in I land mit der Entwickln!»}? der hxHlukiivkriilie ging. B rav ertiian s 1|0 |1U). genisierungduivh l\ y u ttli}rJenitig gehört /m gleit hi n I .i kla» »ingsebene. [)j(, obpkthrn lnteiessen waren insofern hisfomche In teressen , a/s s ic w ri eiiit., rationalen und notwendigen, fü» wissenschaftliches W issen zugänglichen
Bewegung der (»eschiehte ahhingen. Man kann nicht die eschatologischj. Konzeptioi» \\>n (.ieschichte prcisgeljen und einen BegtiU des »objektiven Interesses“ heihehalten, der nur innerhalh der erstem» Sinn macht. Sowohl Poulantzas als auch Wright scheinen zu unterstellen, daß die Fragmentierung de» Arbeiterklasse eine Fragmentierung von Positionen zivischen verschiede■ nm sozialen Agenten ist. Reine» schenkt einer wesentlicheren Realität, die den» klassischen Marxismus sehr Ikwuüt war. Beachtung: daß nämlich eine Fragmentierung der Positionen innerhalb der sozialen Agenten selber exi stiert und es ihnen daher an einer letzten rationalen Identität mangelt. Die Spannung ¿wischen ökonomischen» und politischem Kampf ebenso die theo retischen Analysen der „Verbürgerlichung“ der Arbeiteiklasse oder Bei nsteins Behauptung, daß durch den Fortschritt der Demokratie der Arbeiter aufhört. ein Proletarier zu sein und ein Bürger wird, und so weiter - iinplj. ziert, daßdie Arbeiterklasse von einer Vielzahl schwach integrierter und häufig widersprüchlicher Subjektpositionen beherrscht wird. Hier ist die Alternati ve klar: entweder besitzt man eine Geschichtstheorie, gemäß der diese wider sprüchliche Pluralität beseitigt und eine vollkommen vereinte Arbeiterklasse im Augenblick des proletarischen Chiliasnius’ sich selbst transparent wird in diesem Fall können ihre „objektiven Interessen“ von Anfang an bestimmt werden: oder aber man verzichtet auf diese Theorie und damit auf jedwede Basis, bestimmte Subjektpositionen gegenüber anderen in der Bestimmung der „objektiven” Interessen des Agenten als ganzem zu privilegieren - in diesem Fall wird dieser letztgenannte Begriff sinnlos. Aus unserer Sicht ist es notwendig, um in der Bestimmung der sozialen Antagonismen voranzukom men, die Pluralität der verschiedenen und häufig sich widersprechenden Positionen zu analysieren und die Idee von einem vollkommen einheitlichen und homogenen Agenten wie der „Arbeiterklasse“ des klassischen Diskurses aufzugeben. Die Suche nach der „wahren“ Arbeiterklasse und ihren Gren zen ist ein falsches Problem, und als solches fehlt ihm jede theoretische und politische Relevanz. Offensichtlich impliziert dies nicht, daß die Arbeiterklasse und der Sozia lismus unvereinbar sind, vielmehr die ganz andere Behauptung, daß grund 122
legende Interessen am Sozialismus nicht logisch aus bestimmtcii Positionen im ökonomischen Prozeß deduziert werden können. Die entgegengesetzte Sich t weise - daß solch eine Verknüpfung durch die Arbeiten interessen, die kapitalistische Einverleibung des ökonomischen Mehrwerts zu verhindern, besorgt wird - wäre nur dann gültig, wenn mau weiterhin annähme, (a) daß der Arbeiter ein homo oeconomicmist, der versucht, den ökonomischen Mehr wert in gleichem Maße wie der Kapitalist zu maximieren; oder (b), daß er ein spontan kooperatives Wesen ist, das nach sozialer Verteilung seines A r b e its p r o d u k te s strebt. Und selbst dann jedoch würde keine dieser kaum plausiblen Hypothesen den erforderlichen Beweis liefern, da es überhaupt keine logische Verbindung zwischen den Positionen in den Produktions verhältnissen und der Mentalität der Produzenten gibt. Der Widerstand der Arbeiter gegen bestimmte Herrschaftsformen wird davon abhängen, welche Position sic innerhalb des Ensembles der sozialen Verhältnisse ins gesamt besetzen, und nicht nur innerhalb der Produktionsverhältnisse. An diesem Punkt wird augenfällig, daß unsere letzten beiden Bedingungen, nach denen die Agenten der Hegemonie ausschließlich durch die ökonomische Sphäre konstituiert werden - daß sie als Subjekte völlig innerhalb dieses Rau mes konstituiert werden und mit von ihren Klassenpositionen herrührenclen „historischen Interessen“ ausgestattet sein sollten -, ebenfalls nicht er füllt sind.
Konsequenzen Wir wollen die Schlußfolgerungen ziehen. Weder ist das Feld der Ökonomie ein selbst-regulierter, endogenen Gesetzen unterworfener Raum, noch exi stiert hier für soziale Agenten ein konstituierendes Prinzip, das in einem letzten Klassenkern fixiert werden kann, noch sind Klassenpositionen die Yjiotwendige Verortung der historischen Interessen. Aus diesem Punkt erge ben sich schnell die Folgerungen. Seit Kautsky wußte der Marxismus, daß jdiesozialistische Bestimmung der Arbeiterklasse nicht spontan entsteht, son dern von der politischen Vermittlung der Intellektuellen abhängt. Solche Vermittlung wurde jedoch nicht als Artikulation gedacht - das heißt als eine politische Konstruktion von ungleichen Elementen. Sie hatte eine epistemologische Basis: sozialistische Intellektuelle lasen ln der Arbeiterklasse deren objektive Bestimmung. Bei Gramsci schließlich wird Politik als Artikulation begriffen, sein Begriff des historischen Blocks führt eine gründliche und 123
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radikale Komplexität in die I heoiisienmg des Sozialen ein. Doch seihst ihk |, für (iitunsci ist der let/te Kern der Identität des hegenionialeii Subjekt* a,i einem Punkt konstituiert, der dem Kanin, in dem es artikuliert wird, diiBet lj(|, ist: die l.ogik de» Hegemonie entfallet nicht all ihre dekonsti uktiven Effekt? auf dem theoretischen lerniin des klassischen Marxismus. Wir waren jedoch Zeuge des Falls dieses letzten Bollwerks des klassenrcduktiomsmus, insofern die wahre Einheit und Homogenität dei Klassensubjekre in eine Reihe von unsicher integiieiten Positionen auseiuandergefallen ist, die, wenn die These win neutralen l'haraktet der Punlukrix k»äfte aufgegeben wird, nicht auf ¡¡. gendeinen notwndigen hinkt zukünftiger Vereinheitlichung bezogen wer den können. Oie Logik der Hegemonie bestimmt nun als eine Logik der Artj. kulation und Kontingenz selbst noch die Identität der hcgeniouialen Subjekte, Hieraus folgt eine Reihe um Konsequenzen, die ebensoviele Ausgangspunkte für unsere folgende Analvse darstellen. Erstens. Unfixiertheit ist die Bedingung jeglicher sozialer Identität gewor den. Die Fixiertheil jedes sozialen Elements in den ersten Theorisiemngen der Hegemonie ging, wie wir gesehen haben, von der unauflösbaren Verknüp fung zwischen hegemonisierter Aufgabe und der Klasse, die für ihren natürli chen Agenten gehalten wurde, aus, während die Bindung zwischen der Auf. gäbe und der sie hegemonisierenden Klasse lediglich faktisch beziehungswei se kontingent war. Insoweitjedoch die Aufgabe aufgehört hat, irgendeine notuntdigr Verknüpfung mit einer Klasse zuhaben,.ist ihr ihre Identität nur durch ihre Artikulation innerhalb einer hegemonialen Formation gegeben. Ihreldentität ist daraufhin rein relational geworden. Und weil dieses System von Relationen aufgehört hat. Fixiert und stabil zu sein, dadurch hegemoniale Praxis ermöglicht, erscheint der Sinn einer jeden sozialen Identität beständig aufgeschoben/verschoben. Der Augenblick der „letzten“ Naht kommt nie. Damit fällt allerdings nicht nur die eigentliche Kategorie der Notwendigkeit, son dern es ist auch nicht länger möglich, sich die hegemonialen Verhältnisse in Form reiner Kontingenz zu erklären, weil der Raum, der die Opposition von Notwendigkeit und Kontingenz intelligibel machte, sich aufgelöst hat. Die Idee, daß die hegemoniale Verknüpfung durch ein rein narratives Manöver theore tisch erfaßt werden könnte, hat sich als ein Trugbild erwiesen. Stattdessen muß die Verknüpfung in Form neuer theoretischer Kategorien definiert werden, deren Status insoweit ein Problem darstellt, als sie einen Typus von Relation zu begreifen versuchen, der niemals identisch mit sich selbst sein kann. Zweitens. Wir wollen kurz auf die Dimensionen hinweisen, in denen diese Unfixiertheit des Sozialen ihre Effekte produziert. Die erste gehört zum Ter124
,.tin der politischen Subjektivitilf. Wir haben gesehen, daß bei Rosa Lu xemburg die die versc hiedeneii Antagonismen und politischen Brufhpunkte verknüpfende symbolische Dimension die Matrix neuer sozialer Kräfte war . diejenigen, die Gi aimci „Kollektivwillen“ nennen sollte. Diese Logik Her ,symbolischen Konstitution des Sozialen stößt auf genau angebbare Gren zen, die von der Hartnäckigkeit einer auf morphologischer Ebene ökonomistischen Konzeption von Geschichte herrühren. Sobald diese Logik je doch aufgelöst ist, kann das Überf luten der Klassengrenzen durch die viel fältigen Können sozialen Protestes frei operieren. (Das heißt frei von jegli chem apriorischen Klassencharakter der Kämpfe oder Forderungen - of fensichtlich nicht in dem Sinne, das jede Artikulation in einer gegebenen Konjunktur möglich ist.) Wenn dies allerdings der Fall ist, lassen sich für unsere Analyse drei wichtige Konsequenzen abieiten. Die erste bezieht sich a u f die Verknüpfung zwischen Sozialismus und konkreten sozialen Agenten. Wir haben gezeigt, daß es kein logisches und notwendiges Verhältnis zwi schen sozialistischen Zielen und den Positionen der sozialen Agenten in den Produktionsverhältnissen gibt und daß die Artikulation zwischen diesen äu ßerlich ist und nicht von ihrer natürlichen Bewegung, sich miteinander zu vereinen, h errührt. In anderen Worten: ihre Artikulation muß als eine hegemoniale Relation betrachtet werden. Daraus folgt, daß, vom sozialisti schen Standpunkt aus, die Richtung des Kampfes der Arbeiter nicht gleich bleibend fortschrittlich ist: dies hängt, wie bei jedem anderen sozialen Kampf auch, von seinen Artikulationsformen in einem gegebenen hegemonialen Kontext ab. Aus demselben Grund kann auf einer gleichberechtigten Basis mit Arbeiterforderungen eine Vielzahl anderer Bruchpunkte und demokratischer Antagonismen zu einem sozialistischen „Kollektivwillen“ artikuliert werden. Die Ära „privilegierter Subjekte“ - in einem ontologischen, nicht praktischen Sinne - des antikapitalistischen Kampfes ist endgültig abgelöst worden. Die zweite Konsequenz bezieht sich auf die Natur der „neuen sozialen Bewegun gen“, über die während des letzten Jahrzehnts so viel diskutiert wurde. Hier sind die beiden dominierenden Denkrichtungen mit unserer theoretischen Position unvereinbar. Die erste geht die Natur und Wirksamkeit dieser Be wegungen innerhalb einer Problematik des privilegierten Subjekts der sozia listischen Veränderung an: demgemäß werden sie entweder als marginal be ziehungsweise peripher in Bezug auf die Arbeiterklasse (dem aus orthodoxer Sicht fundamentalen Subjekt) oder als ein revolutionärer Ersatz für eine in das System integrierte Arbeiterklasse betrachtet (Marcuse). Alles, was wir bis jetzt gesagt haben, läßt jedoch-erkennen, daß es keine privilegierten Punkte
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fii» die Fteisemmg einer sozialistischen IVaxis g i o r ; um.-« ^...... . •• ' nit-iji „Kollektiuviileir ab, der mühsam wn einer Anzahl ungleicher Punkte kn„. stniiert wiitl. Wir können deswegen auch nicht mit der anderen dominier^, den Richtung in der Diskussion OIkt neue so/iale Bewegungen ühercinsfim. men, die in einer apriorischen Aflinnation ihrc'r fortschrittlichen Natur 1^. sieht. Die politische Bedeutung einer Bürgerinitiative, eines ökologischen Kamples, einer sexuellen Minderheitenlx'uegimg, ist nicht wn Anfang an gehen: sie hängt entscheidend wn ihrer hegenioniaien Artikulation mit ande ren kämpfen und Forderungen ab. Dit drillt Kotwqtii'in bezieht sich auf die Form, wie das Verhältnis zwischen WTSchiedenen Subjektpositionen. die unsere Analyse zu detotalisieren suchte, lx*gritYen wird. Wäre die Dezentriemngsarbeit jedoch an diesem Punkt abge. schlossen. hätten wir nur erreicht, eine neue Form von Fixierthcit zu bekräftj. gen:diedenera:hiedenende/entrierten Subjektpositionen. Wenn diese selbst nicht fixiert sind, ist klar, daß eine Logik der Detotalisierung die Getimntkeit der verschiedenen Kämpfe und Forderungen nicht einfach bekräftigen kann, und daß die Artikulation nicht lediglich als die Verkettung von ungleichen und vollständig konstituierten Elementen begriffen werden kann. Hier wird uns die Radikalisierungdes Begriffs der „Überdeterminierung“ den Schlüssel zur spezifischen Logik sozialer Artikulationen geben. Drittens. Ls könnte den Anschein haben, die Logik unserer Analyse würde darauf hinauszulaufen, daß der Begriff der „Hegemonie“ selbst in Frage ge stellt weidensollte. Diediskursiven Felder des Auftauchens und der Gültigkeit dieser Kategorie waren ursprünglich auf das theoretische Feld einer Spaltung begrenzt. Eine auf der Ebene von Wesenheiten konstituierte Klasse wurde mit historischen Kontingenzen konfrontiert, die sie zwangen, ihrer eigenen Natur fremdeAufgaben zu übernehmen. Wir habenjedoch auf der einen Seite gese hen, daßdiese Spaltungden Kollaps der Unterscheidung zwischen diesen bei den Ebenen nicht überleben konnte, und auf der anderen Seite, daß insofern, alseseinen Fonschritt ineine demokratische Richtung gab, die hegemonisierte Aufgabe die Identität des hegenioniaien Subjekts veränderte. Bedeutet dies, daß „Hegemonie“ lediglich ein Übergangsbegriff, ein Moment in der Auflö sung des essentialistischen Diskurses war, und ihn nicht überleben kann? In den nächsten beiden Kapiteln wollen wir versuchen zu zeigen, daß dies keine adäquate Antwort ist und daß die Spannungen, die dem Begriff der Hegemo nie innewohnen, auchjeder politischen und, streng genommen, jeder sozialen Praxis inhärent sind.
Jenseits der Positivität des Sozialen: Antagonismus und Hegemonie
YVii wollen nun die theoretische Konstruktion des Begriffs der Hegemonie angehen. Unsere bisherige Analyse hat uns mit etwas mehr und etwas weni ger denn eine präzise diskursive Verortung ausgestattet, von der wir ausge hen können. Etwas mehr, insofern der Raum der Hegemonie nicht bloß der Raum eines lokalisierten „Ungedachten“ ist: vielmehr eröffnet sich der Raum gerade dadurch, daß eine rationale Erfaßtheit des Sozialen ausein anderbricht, die auf einer Intelligibilität beruht, die ihre distinkten Mo mente auf die Interiorität eines geschlossenen Paradigmas reduziert. Etwas weniger, insofern die verschiedenen Oberflächen des Auftauchens des hegemonialen Verhältnisses nicht harmonisch Zusammenkommen, um eine theo retische Leerstelle zu bilden, die ein neuer Begriff füllen muß. Im Gegen teil scheinen einige von ihnen Oberflächen der Auflösung des Begriffs zu sein, denn der relationale Charakter jeder sozialen Identität impliziert eine Aufhebung sowohl der Differenzierung von Ebenen als auch der Ungleich heit zwischen Artikulierendem und Artikuliertem, auf denen die hegemoniale Verknüpfung beruht. Den Begriff der Hegemonie zu konstruie ren, erfordert deshalb nicht eine einfache spekulative Anstrengung inner halb eines kohärenten Kontextes, sondern eine komplexere strategische Bewegung, die ein Aushandeln zwischen sich wechselseitig widersprechen den diskursiven Oberflächen erfordert^ Aus dem Bisherigen folgt, daß der Begriff der Hegemonie ein theoreti sches Feld voraussetzt, das durch die Kategorie der Artikulation bestimmt wird, und daß deshalb die artikulierten Elemente separat identifiziert wer den können. (Wir werden später untersuchen, wie es möglich ist, „Elemen te“ unabhängig von artikulierten Totalitäten zu bestimmen.) Wenn Artiku lation eine Praxis und nicht nur der Name eines gegebenen relationalen Kom plexes ist, muß sie auf jeden Fall irgendeine Form separierter Präsenz der 127
Elemente beinhalten, die diese Praxis artikuliert oder wieder neu zusa0|. mensetzt. ln dem nun zu analysierenden IVpus des Fheo) isietens waieil die Elemente, auf die die artiknlaioi ¡sehen Praxen wirken, uvsprihigü^ als Fragmente einer verlorenen stnikturalen odci 01 ganischen l'ofalitüt |)t._ stimmt. Im achtzehnten Jahrhundert nahm die Generation der Deutsch^, Romantik die Erfahrung der Fragmentierung und Spaltung zum Ausgangv
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punkt ihrer theoretischen Reflexion. Seit dem siebzehnten Jahrhundert führte der Zusammenbruch der Vorstellung vrnn Kosmos als einer bedeu tungsvollen Ordnung, innerhalb der der Mensch einen präzisen und fest, gelegten Platz einnahm und die Krsetzung dieser Vorstellung durch eine selbstbestimmende Konzeption des Subjekts als ein Wesen, das Verhältnis, seder Äußerlichkeit mit dem Rest des Universums unterhält (die Webersche Entzauberung der Welt) - die Romantische Generation des Sturm undDtttng* zu einer leidenschaftlichen Suche nach der verlorenen Einheit, nach einer neuen Svnthese, die es erlauben würde, die Spaltung zu überwinden. Dei Begriff des Menschen als Ausdruck einer integralen Totalität versucht mit allen Dualismen, wie sie seit dem siebzehnten Jahrhundert durch den Ra. tionalismus errichtet worden waren (Leib/Seele, Vernunft/Gefühl, Den ken/Sinne und so weiter), zu brechen.1 Es ist allgemein bekannt, daß die Romantiker diese Erfahrung der Trennung in engem Zusammenhang sa hen mit der funktionalen Ausdifferenzierung und Aufspaltung der Gesellschaft in Klassen sowie der wachsenden Komplexität eines bürokratischen Staates, der äußerliche Beziehungen zu den anderen Sphären des gesellschaftlichen Lebens etabliert. Da die zu reartikulierenden Elemente als Fragmente einer verlorenen Ein heit bestimmt waren, war es klar, daß jede Wieder-/Neuzusammensetzung im Gegensatz zu der griechischen Kidtur eigentümlichen natürlichen orga nischen Einheit einen künstlichen Charakter haben würde. Hölderlin stellte fest: Es gibt zwei Ideale unseres Daseins: einen Zustand der höchsten Einfalt, wo unsere Bedürfnisse mit sich selbst, mit unseren Kräften, und mit allem, womit wir in Ver bindung stehen, durch die bloße Organisation der Natur, ohne unser Zutun, gegensei tig zusammenstimmen, und einen Zustand der höchsten Bildung, wo dasselbe statt finden würde bei unendlich vervielfältigten Bedürfnissen und Kräften, durch die Organisation„die mr uns selbst zu geben im Stande sind'2 Alles hängt nun davon ab, wie wir diese „Organisation, die wir uns selbst zu geben im Stande sind“ und die den Elementen eine neue Form der Einheit 128
gibt, begreifen: entweder ist diese Organisation kontingent, und folglich den Fragmenten selber äußerlich, oder aber sowohl die Fragmente als auch die Organisation sind notwendige Momente einer sic transzendierenden Totalität. F.s ist klm-, daß nur der erste Typus von „Organisation“ als eine Artikulation begriffen werden kann, während der zweite strenggenommen eine Vermittlung ist. Aber ebenso ist evident, daß in philosophischen Dis kursen die Distanzen zwischen dem einen und dem anderen meist eher als nebulöses Gebiet von Mehrdeutigkeiten denn als klare Trennungslinie dar gestellt worden sind. Aus unserer heutigen Sicht ist cs genau diese Ambiguität, die Hegels Denken in seiner Auffassung der Dialektik von Einheit und Differenz zeigt.. Sein Werk ist zugleich die höchste Entwicklungsstufe des deutschen Roman tizismus und die erste moderne, das heißt nach-aufklärerische Reflexion über die Gesellschaft. Es ist keine Kritik der Gesellschaft von einer Utopie aus und auch keine Beschreibung und Thcorisierung der Mechanismen, die es ermöglichen, eine Ordnung als feststehend und gegeben zu akzep tieren; vielmehr geht die Hegelsche Überlegung aus von der Undurchsich tigkeit des Sozialen gegenüber jenen schwer bestimmbaren Formen von Rationalität und Intelligibilität, die nur unter Berufung auf eine List der Vernunft zu erm itteln sind, die die Trennung wieder zur Einheit zurück führt. Hegel scheint sich somit an einem Wendepunkt zwischen zwei Epo chen zu befinden. In einer Hinsicht repräsentiert er den höchsten Punkt des Rationalismus: das Moment, wo er im Feld der Vernunft auf nicht-dua listische Weise das Universum der Differenzen in seiner Totalität zu umfas sen versucht. Geschichte und Gesellschaft haben demzufolge eine rationale und intelligible Struktur. In anderer Hinsicht jedoch enthält diese Synthe se alle Keime ihrer Auflösung, da die Rationalität der Geschichte nur um den Preis der Einführung des Widerspruchs ins Feld der Vernunft behaup tet werden kann. Es würde deshalb genügen, die Unmöglichkeit dieses Unterfangens zu zeigen, das die beständige Verletzung der von ihm selbst postulierten Methode erfordert - wie dies bereits im neunzehnten Jahr hundert Trendelenburg3 gezeigt hatte -.damit der Hegelsche Diskurs zu etwas ganz anderem wird: einer Reihe kontingenter und nicht logischer Übergänge. Genau darin besteht Hegels Modernität: für ihn ist Identität niemals positiv und in sich geschlossen, sondern als Übergang, Verhältnis und Differenz k onstitu iert. Wenn jedoch Hegels logische Beziehungen zu kontingenten Übergängen werden, können die Verbindungen zwischen ihnen nicht als Momente einer zugrundeliegenden oder genähten Totalität
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Iixieri werden. was bedeutet, daN es sich um Artikulationen handelt, In marxistischen Tradition entfaltete sich dieser Bereich der Antliiguit.lt ¡„ den widersprüchlichen Verwemhmgen tlt*s Begriffs der „Dialektik“, l‘jn
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Identitäti\vr Klemmte selber hcibehalten würden. Eine Konzeption, die jede Betrachtungsweise sozialer Verhältnisse verwirft, muß auch den prekären Charakter jeder Identität und die Unmöglichkeit der Festle gung einer ein für allemal gültigen, buchstäblichen Bedeutung der „Ele mente“ erklären.** Nur durch den Gegensatz zu einem ihre Einheit postu lierenden Diskurs ersc heint ein Ensemble von Elementen als fragmentiert oder verstreut. Außerhalb jeglicher diskursiven Struktur ist es offensicht lich unmöglich, von Fragmentierung zu sprechen, noch lassen sich Ele mente spezifizieren. Indes ist eine diskursive Struktur keine bloß „kogniti ve“ oder „kontemplative“ Entität, sondern eine artikulatorische Praxis, die soziale Verhältnisse konstituiert und organisiert. Wir können deswegen von einer w ach sen d en Komplexität und Fragmentierung der fortgeschrittenen lndustriegesellschaften reden - nicht in dem Sinn, daß sie mbspeci aeternilalis komplexer sind als frühere Gesellschaften, sondern daß sie um eine funda mentale Asymmetrie herum konstituiert sind. Diese Asymmetrie besteht zwischen der wachsenden Vermehrung von Differenzen - ein BedeutungsÜberschuß des Sozialen - und den Schwierigkeiten, auf die jeder Diskurs stößt, dev versucht, jene Differenzen als Momente einer stabilen artikulatorischen Struktur zu fixieren. Wir müssen deshalb d am it beginnen, die Kategorie der Artikulation zu analysieren, die unseren Ausgangspunkt für die Ausarbeitung des Begriffs der Hegemonie bildet. Die theoretische Konstruktion dieser Kategorie be darf zweier Schritte: Erstens des Nachweises der Möglichkeit, diejenigen Elemente genauer zu spezifizieren, die in das artikulatorische Verhältnis eingehen, und zweitens der Bestimmung der Eigentümlichkeit des relatio nalen Moments, das diese Artikulation beinhaltet. Obwohl diese Aufgabe von verschiedenen Punkten aus angegangen werden könnte, wollen wir mit einem Umweg beginnen. Wir werden zunächst ausführlich diejenigen theo retischen Diskurse analysieren, in denen einige der auszuarbeitenden Be griffe zwar schon vorhanden sind, in denen jedoch ihre Entwicklung noch durch Grundkategorien eines essentialistischen Diskurses verhindert wird. Betrachten wir in diesem Sinne die Entwicklung der Althusser-Schule: In dem wir einige ihrer Themen in einer Weise radikalisieren, daß sich ihre o s s e n lin lis U K rlie
** An dieser Stelle fehlt in der englischen Ausgabe folgender Satz: „Dies gibt uns schließlich einen Hinweis darauf, in welchem Sinn wir über .Fragmentierung* sprechen können.“ Den Hinweis verdanken wir Zoltan Szankay.
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(’lundbegi ¡flt* als unhalrlvu erweisen. werden wir versuchen, eine Grundlage für die Konstruktion eines adäquaten Begriffs \t>n „Artikulation zu bilden,
CfseUschafi^mnatim und OhnHetermhurrung
Althusser begann seine theoretische Bahnung mit dem Versuch, seinen Begriff der Gesellschalt als einem „komplex strukturierten Ganzen“ von der Hegelschen Vorstellung wn Totalität grundlegend zu unterscheiden. Die Hegelsche Totalität kann sehr komplex sein, ihre Komplexität ist jedoch im. mer die einer Pluralität \on Momenten eines einfachen Prozesses der SelbstEntfaltung. Die Htgrkchf TbtolUäi ist die entfremdete Entwicklung einer einfachen Einheit, eines einfachen Prinzips, das selbst ein Moment der Entwicklung der Idee ist: Sie ist also streng genommen die Erscheinung, die Selbstmanifestation dieses einfachen Prinzips, das in allen seinen Manifestationen fortbesteht, also selbst in der Entfremdung, die seine Wiederherstellung vorbereitet.^
Diese Konzeption, die das Reale auf den Begriff reduziert, indem sie alle Dif ferenzen mit den notwendigen Vermittlungen in der Selbstentfaltung eines Wesens identifiziert, ist von ganz anderer Ordnung als die Althussersche Kom plexität, die einem Prozeß der Überdetenniniemng inhärent ist. In Anbetracht deswahllosenundungenauen Gebrauchs, der später von diesem Althusserschen Schlüsselbegriff gemacht wurde, ist es notwendig, seine ursprüngliche Bedeu tung und die theoretischen Effekte, die er im marxistischen Diskurs produzie ren sollte, getrennt voneinander zu bestimmen. Der Begriff kommt aus der Psychoanalyse und sein Bedeutungsumfang geht über eine bloß oberflächli che Metaphorik hinaus. In dieser Beziehung ist Althusser sehr deutlich: Ich habe diesen Begriff nicht geprägt Wie schon bemerkt, habe ich ihn zwei bereits existierenden Disziplinen entliehen: der Linguistik und der Psychoanalyse. Er besitzt dort eine objektive dialektische und, besonders in der Psychoanalyse, formal mit dem Inhalt, den er hier bezeichnet, hinreichend verwandte „Konnotation“, um diese Entleihung nicht willkürlich erscheinen zu lassen.5
Für Freud ist Überdeterminierung kein gewöhnlicher Prozeß des „Verschmel zens“oder „Vereinigens“ - sie wäre dann bestenfalls eine in Analogie zur phy sikalischenWelt gebildete Metapher und mit jeder Form von Multikausalität
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yri-irüglifft- MC isi im (.Gegenteil cm sehr präziser Typus von Verschmel zung. de» eine symbolische Dimension erfordert und eine Pluralität von
lU’tU'Ulungen mit sich bringt. Der Begriff der Überdeierminierung ist im leid des Symbolischen konstituiert und hat außerhalb davon überhaupt keine Bedeutung. Infolgedessen liegt die weitreichendste potentielle Bedeu tung von Althussers Aussage, ilaß alles, was im Sozialen existiert, überdeterminiert ist, in der Behauptung, daß das Soziale sich als symbolische Ordnung konstituiert. Der symbolische, das heißt Überdeterminierte Cha rakter der gesellschaftlichen Verhältnisse impliziert deshalb, daß sie keine letzte Buchstäblichkeit besitzen, die sie auf zwangsläufige Momente eines immanenten Gesetzes reduzieren würde. Es gibt nicht zwei Ebenen, eine des Wesens und eine andere der Erscheinung, da es keine Möglichkeit gibt, einen letzten buchstäblichen Sinn zu fixieren, für den das Symbolische eine zweite und abgeleitete Ebene der Bedeutung wäre. Die Gesellschaft und die sozialen Agenten haben kein Wesen, und ihre Regelmäßigkeiten beste hen lediglich aus den relativen und prekären Formen der Fixierung, die die Errichtung einer bestimmten Ordnung mit sich bringt. Diese Analyse schien die Möglichkeit der Ausarbeitung eines neuen Be griffs von Artikulation zu eröffnen, der sich aus dem überdeterminierten Charakter gesellschaftlicher Verhältnisse herleitet. Dies geschah allerdings nicht. Der Begriff der Überdeterminierung verschwand zusehends aus dem Aldnisserschen Diskurs und eine wachsende Schließung führte zur Instal l i e r u n g einer neuen Variante von Essentialismus. Dieser Prozeß, der bereits in Über die materialistische Dialektik begann, sollte in Das Kapital lesen kulmi nieren. Wenn der Begriff der Überdeterminierung nicht die Gesamtheit seiner dekonstruktiven Effekte innerhalb des marxistischen Diskurses produzie ren konnte, dann deswegen, weil von Anfang an versucht wurde, ihn mit einem anderen zentralen Moment im Althusserschen Diskurs verträglich zu machen, das genau genommen mit dem ersten Moment unverträglich ¡st, nämlich der Determination in letzter Instanz durch die Ökonomie. Be trachten wir die Implikationen dieses Begriffs. Wenn diese grundlegende Determination eine fü r jede Gesellschaft gültige Wahrheit wäre, würde sich die Beziehung zwischen dieser Determination und den sie ermöglichen den Bedingungen nicht durch kontingente historische Artikulation ent wickeln, sondern eine apriorische Notwendigkeit darstellen. Es ist wichtig anzumerken, daß das zur Diskussion stehende Problem nicht darin besteht, daßdie Ökonomie selbst Bedingungen ihrer Existenz haben sollte. Das ist 133
eine Tautologie, denn wenn etwas existiert, dann deswegen, weil gegebene Bedingungen seine l-'.xistenz ermOgliehen. Das Pmbleui ist, daß, wenn die «Ökonomie" für jeden Tvpu.\ von Ct'\ellsehnjt in letzter Instanz determinie rend ist. sie unabhängig um jeden» sjxvil isehen Ivpiis von Gesellschaft dcli. »»iert weiden muß. IXunil müßten daun ab«'» atu h die Existenzbedingungen der Ökonomie getrennt von jeder konkrete»» sozialen Beziehung definiert weixlen. In diesen» Fall bestünde jedoch die einzige Realität jener Existenz bedingungen in der Sichemng de» Existenz mul deierminierenden R0j|e der Ökonomie - sie wäien mit anderen Worten ei»» inneres Moment der Ökonomie als solcher: die DiUeren/ wäre nicht konstitutiv.6 Es geht indes noch um etwas autle»es: Althusser hegiimt mit der Unter. Streichung der Notwenigkeit, das Abstrakte »licht zu hypostasieren, davon ausgehend, daß es keine Realität gibt, die nicht überdeterminiert ist. ln die sem Sinne nahm er zustimmend Bezug sowohl auf Maos Analyse des Wideispruchs als auch auf die Marxsche Zurückweisung von Abstraktionen wie zum Beispiel „Produktion“ aus der Einleitung von 1857, die nur bezöge»» auf ein konkretes System gesellschaftlicher Verhältnisse Bedeutung haben. Nur verfiel Althusser in denselben Fehler, den er kritisierte: Es gibt ein abstrak tes universales Objekt, nämlich die „Ökonomie“, die konkrete Effekte proclu* zien (die Determination in letzter Instanz hier und jetzt). Darüber hinaus gibt es ein andeies, gleichermaßen abstraktes Objekt (die Existenz bedingungen), dessen Formen zwar historisch variieren, die aber durch die prä-etablierte wesentliche Rolle der Siche»-ung der Reproduktion der Öko nomie vereinheidicht werden. Schließlich eröffnet sich, da die Ökonomie und ihre Zentralität Invariablen jeder möglichen gesellschaftlichen Ano»dnung sind, die Möglichkeit einer Definition von Gesellschaft. Hier wird die Analyse völlig zirkulär. Wenn die Ökonomie ein Objekt ist, das jeden Typus von Gesellschaft in letzter Instanz determinieren kann, heißt das, daß wir es, zumindest in Bezug auf diese Instanz, mit einer einfachen Determinierung und nicht mit Übeideterminiening zu tun haben. Wenn eine Gesellschaft eine letzte Instanz hat, die ihre Bewegungsgesetze determiniert, dann müssen die Beziehungen zwischen den überdeterminierten Instanzen und der letzten Instanz als einfache, einseitige Determinierung durch die letztere verstanden werden. Wir können da»aus schlußfolgern, daß das Feld der Überdeterminierung äußerst begrenzt ist: es ist das Feld kontingenter Variationen im Unterschied zu we sentlicher Determination. Und wenn es in einer Gesellschaft eine letzte, es sentielle Determination gibt, ist die Differenz nicht konstitutiv und das So ziale wird im genähten Raum eines rationalistischen Paradigmas vereinheit 134
licht. Somit schon wir uns mit genau demselben Dualismus konfrontiert, den tvii seil KnrU* ucun/ehnten Jahrhunderts auf dem Feld der m arxisti schen Diskursivit.'it immer wieder aufs Neue reproduziert finden. ,Yn diesem l’unkl setzt die Desa» tikulation des Althusseisehen Rationalis mus an. Es ist wic htig /u bemerken, daß dieser inkonsistente Dualismus des Ausgangspunkts auf gerade jene theoretischen Formen übertragen wird, die die Auflösung des ursprünglichen Schemas beherrschen. Im wesentli chen ergaben sich zwei Möglichkeiten: die erste bestand darin, alle Impli kationen des Begriffs der Überdeterminierung zu entwickeln, die Unmög lichkeit eines solchen Begrif fs wie „Determination in letzter Instanz durch die Ökonomie“ aufzuzeigen und den prekären und relationalen Charakter jeder Identität zu bekräftigen. Die zweite Möglichkeit war, die logische Inkotuistenz von notwendigen Verbindungen, die zwischen den Elementen der gesellschaftlichen Totalität postuliert ivurden, darzulegen und folglichauf anderem Wege die Unmöglichkeit des Objekts „Gesellschaft“ als einer ra tional einheitlichen Totalität zu zeigen. Tatsächlich wurde die letztere Rich tung eingeschlagen. Infolgedessen fand die Kritik des anfänglichen Ratio nalismus auf einem Terrain statt, das die analytischen Voraussetzungen des Rationalismus akzeptierte, während es die Möglichkeit einer rationalisti schen Konzeption des Sozialen verwarf. Das Resultat dieser dekonstruktiven Eskalation war, daß der Begriff der Artikulation völlig undenkbar wurde. Die Kritik an dieser Argumentationslinie wird uns zu einer anderen Grund lage für die Konstruktion unseres Begriffs der Artikulation führen. Der Versuch, die logischen Verbindungen zwischen den verschiedenen Momenten des Althusserschen rationalistischen Paradigmas aufzubrechen, begann mit einer Selbstkritik Balibars7 und wurde in bestimmten Strömun gen des britischen Marxismus8 zur äußersten Konsequenz getrieben. Die Anlage der Balibarschen Selbstkritik brachte das Einführen von Lücken an verschiedenen Stellen von Das Kapital lesen m it sich - Lücken, in denen der Scheincharakter der logischen Übergänge sichtbar wurde. Balibar schloß zwar diese Lücken, jedoch um den Preis einer Diversifikation der Entitäten, die den Übergang vom Abstrakten zum Konkreten bewirken sollten. So erforderte das Verständnis des Übergangs von einer Produktionsweise zu einer anderen die Ausdehnung des Terrains des Klassenkampfes, dessen U ngleichzeitigkeit seine Reduktion auf die einfache Logik einer einzigen Produktionsweise v e rh in d e rte . Es w urde behauptet, daß die Reproduktion Überbauprozesse bedürfte, die nicht auf diese Logik reduziert werden könn ten, und daß die Ungleichzeitigkeit der verschiedenen Aspekte einer Kon135
juuktur in Form einer Kombination verstanden weiden müßte, in dn sh |, die abstrakte Einheit der beteiligten Elemente auf lösen will de. Ks liegt j,., doch auf der Hand, daß dei artige Analysen mu dir StImiei igkeiu-n dei anfänglichen Formulierung auf ei weiterterStufenleiter »eprodii/.iet ten. Was sind eigentlich diese Klassen, deren Kämpfe die Übrrgiingspi ozcs.se erklä ren müssen? Wenn es sieh um soziale Agonien handelt, deren Konstitution sich um auf die Pioduktionsverhälinisse he/ogenen Interessen herum aus bildet, können die Rationalität ihm Handlung und die Können ihres politischen Kalküls durch die l.ogik der Pmduktionsweise bestimmt werden. Wenn allerdings dadurch die Identität der Klassen nicht erschöpfend er klärt werden kann, w» wird ihre Identität dann konstituiert? Ebenso führt uns das Wissen, daß die Überbauten in den Prozeß der Reproduktion inter venieren, nicht sehr weit, wenn wir ebenfalls von Anfang an wissen, daß sie überbauten sind, daß sie einen Platz einnehmen, der ihnen in der Topogra phie des Sozialen zugewiesen wird. Ein weiterer Schritt entlang dieser dekonstruktiven Linie läßt sich im Werk von Barn Hindess und Paul Hirst finden, wo die Begriffe „Determination in letzter Instanz" und „stnikturale Kausalität“ einer vernichtenden Kritik unterzogen wurden. Aus dem Nachweis des nicht-notwendigen Charakters der Entsprechung von Produktivklüften und Produktionsverhältnissen schlossen sie, daß der Begriff der Produktionsweise als legitimes Objekt des marxistischen Diskurses aufgegeben werden müßte. Wenn jede totalisierende Perspektive verworfen worden war, konnte der in einer konkreten Gesellschaftsformation existierende Typus der Artikulation folgenderma ßen bestimmt werden: DieGesellschaftsformation ist keine Totalität, die durch ein Ordnungsprinzip, die Detennination inletzter Instanz, diestnikturale Kausalität oder was auch immer, beherrscht wird. Siesollteals etwas verstanden werden, das aus einem bestimmten Set von Produk tionsverhältnissen sowie von ökonomischen, politischen und kulturellen Formen, in denen ihre Existenzbedingungen gesichert werden, besteht. Aber es gibt keine Not wendigkeit der Sicherungjener Existenzbedingungen und keine notwendige Struktur der Gesellschaftsformation, in der jene Verhältnisse und Formen kombiniert werden müssen. Was die Klassen betrifft, ... wenn sie als ökonomische Klassen verstanden werden, ab Kategorien ökonomischer Agenten, die bestimmte Positionen des Besitzes an oder der Trennung vonden Produktionsmitteln und den Produktionsbedingungen einnehmen, dann könnensie nicht auch als politische Kräfte und ideologische Formen gedacht beziehungsweise durch diese repräsentiert werden.9
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N’ii h a b e n h i n
Itfstimmfei
e i n e K o n z e p t i o n v o n G e s e l ls c h a f t s f o r m a t i o n v o r »m s, d i e
> l » je k t o d e s k l a s s i s c h e n m a r x i s t i s c h e n D is k u r s e s s p e / ifi/ ie » t - P |0*
,| t ik iin » is v c r h iilto is s e , I V o d u k t i v k r ä f i e
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w e ite r - iiiid d ie d ie
A» l i k u l a -
i¡o it / .w isch e n j e n e n O b j e k t e n b e z o g e n a u i d ie „ S ic h e i im g i h r e r E x i s t e n z b e d i n g u n g e n “ r e k o n z .e p t u a l i s i e r t . W ir w e r d e n v e r s u c h e n zu b e w e is e n , d a ß e r s te n s d i e s e s K r i t e r i u m z u r g e n a u e r e n B e s t i m m u n g d e r O b je k t e u n z u lä s sig is t, u n d z w e i t e n s e i n e K o n z e p t u a l is i e r u n g d e s V e r h ä ltn is s e s z w is c h e n ih n e n in F o r m e in e » w e c h s e l s e i t i g e n „ S i c h e r u n g ih i e r E x is te n z b e d in g u n g e n “ k e in e n B e g r i f f v o n A r t i k u l a t i o n l i e f e r t .
Zum ersten Punkt: Cutle» et al. beginnen mit der unbezweifelbaren Fest stellung» daß es unmöglic h ist - es sei denn, wir verfielen in den dogmati schen rationalistischen Versuch, auf der begrifflichen Ebene einen allge meinen Mechanismus der Reproduktion von Gesellschaftsformationen zu bestimmen -, aus eleu Existenzbedingungen einer bestimmten, begrifflich spezifizierten Beziehung die Notwendigkeit abzuleiten, daß jene Bedin gungen erfüllt sind, beziehungsweise daß jene spezifische Formen ange nom m en haben. Dies folgte jedoch aus der völlig unzulässigen Behaup tung, daß die Produktionsverhältnisse einer gegebenen Gesellschaftsfor m ation getrennt vo n den konkreten, ihre Existenzbedingungen sichernden Form en angegeben werden können. Untersuchen wir das Problem genau er. Die Existenzbedingungen kapitalischer Pioduktionsverhältnisse - zum Beispiel die rechtlichen Regelungen zum Schutz des Pi'ivateigentums - sind logische Existenzbedingungen, insofern es widersprüchlich wäre, die Mög lichkeit cler Existenz jen er Produktionsverhältnisse zu behaupten, wenn solche Bedingimgen nicht erfüllt wären. Es ist ebenfalls ein logische?-Schluß, daß aus dem Begr iff der „kapitalistischen Pioduktionsverhältnisse“ nicht gefolgert werden kann, daß diese ihre eigenen Existenzbedingungen si chern müssen. In der Tat, auf der Ebene desselben Diskurses, der die er sten als Objekt konstituiert, folgt, daß die letzteren auch äußerlich gesichert weiden könnten. Aber genau deswegen ist es unangemessen zu sagen, daß man nicht wüßte, wie diese Produktionsverhältnisse injedem einzelnen Fall zu sichern sind, da die Unterscheidung zwischen Pioduktionsverhältnissen und Existenzbedingungen eine logische Unterscheidung in einein Diskurs über den abstrakten Begriff des Produktionsverhältnisses ist, d e r sich nicht in eine Vielfalt konkreter Fälle diversifiziert. Somit wird mit d e r Feststel lung, daß in England die Existenzbedingungen der kapitalistischen Pro duktionsverhältnisse durch diese oder jene Institutionen gesichert w erden, eine doppelt u n z u lä s s ig e diskursive Umstellung ins Spiel gebracht. Einer-
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F
seits wird behauptet, »laßgewisse konkrete Diskurse um! tustitutioneile |*, xen die Existenzbedingungen einer abstrakten Entitiil - der kapitalistischen Pmduktionsverhälfnisse - sichet n. einer Kntit.'it, die einer anderen disktir siven Ordnung angehört; andererseits macht das l leranzieheu des abstrak. ton Begriffs „kapitalistische Pu»dukt ionsweise“ zur Bezeichnung der I‘i0. duktionsverhälinisse in England evident, daliein in einem bestimmten Dis kurs näher bestimmtes Objekt als ein \'
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gai iiit'hl existieren.) Wenn wir andererseits die Beziehungen - und «ich* einfach die logische Verträglichkeit - zwischen einem Objekt und der Instiinz oder zwischen den Instanzen bei rächten, die seine Existenzbedingun gen sichern, so ist evident, daß jene Beziehungen nicht dadurch begriff lieh gefaßt werden können, daß diese Instanzen die Existenzbedingungen des Objekts sichern - einfach deswegen, weil das Sichern keine Beziehung IconstituticTt. Infolgedessen muß man das Terrain wechseln, wenn man die S p e z ifik der Artikulationsbeziehung erfassen will. Mirst und Wooley be haupten: j.| (Althussci) b e g r e if t s o z ia le V e r h ä ltn is s e als Totalitäten, als von ein em einzigen determinierenden P r in z ip b e h e r r s c h te s G an ze s. D ieses G anze muß in sich selbst konsistent se in un d a l l e A g e n t e n und B e z ie h u n g e n in sein em W irkungskreis »einen
Effekten u n te r w e r fe n . W ir d a g e g e n b e tr a c h te n soziale B ezieh u n g en als A n h äu fu n gen von In stitu tion en , O r g a n is a tio n s fo r m e n , P rax en und A g enten , die weder e i nem e in fa c h e n k a u s a le n P r in z ip n o c h e in e r lx>gik d e r K onsistenz g eh o rch en , die sich in d e r F o r m u n t e r s c h e id e n (k ö n n e n ) u n d fü r e in a n d e r n ich t essentiell sin d .“
Dieses Zitat enthält alle Probleme, die eine rein logizistische Dekonstruktion aufwirft. Der Begriff der Totalität wird hier verworfen durch den Hinweis aut’ den nicht-essentiellen Charakter derjenigen Verbindungen, die die Ele mente der vorausgesetzten Totalität vereinheitlichen. Darüber bestehen keine Meinungsverschiedenheiten. Sobald jedoch Elemente wie „Institu tionen“, „Organisationsformen“ oder „Agenten“ spezifiziert worden sind, taucht unmittelbar eine Frage auf: Wenn diese Anhäufungen - im Gegen satz zur Totalität - als legitime Objekte sozialer Theorisierung betrachtet werden, müssen wir daraus folgern, daß die Beziehungen zwischen den inneren Bestandteilen eines jeden von ihnen wesentlich und notwendig sind? Wenn wir dies bejahen, sind wir offensichtlich von einem Essentialismus der Totalität zu einem Essentialismus der Elemente übergegangen; wir ha ben bloß Spinoza durch Leibniz ersetzt, außer, daß die Rolle Gottes nicht mehr darin besteht, Harmonie zwischen den Elementen herzustellen, son dern nur deren Unabhängigkeit zu bewahren. Wenn dagegen die Bezie hungen zwischen jenen inneren Elementen weder wesenhaft noch notwen digsind, dann sind wir, abgesehen von der Aufgabe, die Natur der auf rein negative Art und Weise charakterisierten Beziehungen zu spezifizieren, gezwungen zu erklären, warum diese nicht-notwendigen Beziehungen zwi schen den inneren Bestandteilen der „legitimen“ Objekte nicht zwischen legitimen Objekten selbst existieren können. Sollte sich dies als möglich erwei
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s e n . k ö n n te e in b e s tim m te r H e g tiff u m
l o t a lit ä t w ie d e r o i n g c l t l l m
wer-
d e n , m it d o m U n te rs c h ie d . d a ß o r n ir h i m e in e in z u g i u n d e l ¡e g e n d e s , dir- G e s e l l s c h a f t “ v e r e in h e itlic h e n d e s P r in z ip b e i n h a l t e t , s o n d e r n e i n K n setiib lo to ta lis ie r e u d e r F lic k te in e in e m o ff e n e n r e l a t i o n a l e n K o m p l e x . A b e r w e n n w ir u n s e in z ig u n d a lle in in d e r A lte r n a tiv e „ w e s e n t li c h e V e r h ä ltn is s e o d e r n ic h t-r e la tio n a le Id e n titä te n " b e w e g e n , w ird j e d e (.le s e llsc h a ft.sa n a ly .s e a u s e i n e r Jag d n a ch d e m in s U n e n d lic h e e n t s c h w in d e n d e n
IV u g b ild n ich t
w e ite r t e ilb a r e r lo g is c h e r A to m e b e s te h e n .
Das Problematische an dieser ganzen Debatte über die 7fc?i#i »inzwischen Elementen und Objekten ist, daß sie bisher einer vordringlichen und grund sätzlichen Krage ausgewichen ist: der des Ta mim, auf dem die Trennung stattfindet. Auf diese Weise hat sich eine sehr klassische Entgegensetzung heimlich in die Analyse eingeschlichen: entweder werden die Objekte als begrifflich diskrete Elemente «ineinander geschieden (in diesem Kall han delt es sich um eine logische Trennung) oder aber sie sind als empirisch gegebene Objekte getrennt - in diesem Fall ist es unmöglich, sich der Kate gorie der „Erfahrung“ zu entziehen. Folglich fallen wir, in Ermangelung einer näheren Bestimmung des Terrains, auf dem sich die Einheit oder Trennung zwischen den Objekten vollzieht, wieder in die Alternative „Ra. rionalismus oder Empirismus“ zurück, die die Hindess/Hirst-Ströniung unter allen Umständen vermeiden wollte. Genau genommen war diese un befriedigende Situation von Anfang an angelegt, nämlich von dem Augen blick an. als die Kritik am Rationalismus Althussers die Form einer Kritik an den zwischen den verschiedenen Elementen der „Totalität“ postulierten logischen Verbindungen annahm. Denn eine logische Dekonstruktion kann nur durchgeführt werden, wenn die getrennten „Elemente“ begrifflich be stimmt und fixiert sind. Das heißt aber gerade, ihnen eine volle und un zweideutige Identität zuzuschreiben. Der einzige dann noch offen stehen de Weg ist eine logische Pulverisierung des Sozialen, verbunden mit einem theoretisch agnostischen Deskriptionismus „konkreter Situationen“. In der ursprünglichen Althusserschen Formulierung deutete sich indes noch ein ganz anderes theoretisches Unterfangen an: Mit dem orthodoxen Essentia lismus galt es nicht durch die logische Auflösung seiner Kategorien zu bre chen - mit dem sich daraus ergebenden Fixieren der Identität aufgelöster Elemente sondern durch die Kritik an jedem Typus von Fixiertheit sowie durch die Bejahung des unvollständigen, offenen und politisch aushandel baren Charakters jeder Identität. Genau dies bedeutete die Logik der Überdeterminierung. Für sie ist der Sinn jeder Identität insofern überdete140
, „liniert, als jede Buchstäblichkeit als immer sc hon untergraben und übc*rsi-hriltfn erscheint; weit davon entfernt, cincc-.ssentialististhe Tolaliüentngwk'r
«ine nie lit weniger essentialistische Srfianerung/wischen Objekten zu sein, verhindert die Präsenz der einen Objekte in den anderen, daß irgendeine ilm*r Identitäten fixiert wird. Die Objekte erscheinen aitikuliert, nicht wie Teile in einem Uhrwerkmechanisnius, sondern weil die Priisen/ einiger von ihnen in den anderen cias Nähen der Identität eines jeden von ihnen verhin dert. So gesehen hat unsere Untersuchung der Geschichte des Marxismus ein ganz anderes Schauspiel gezeigt als jenes, das von dein naiven Positivisimis des „wissenschaftlichen“ Sozialismus dargestcllt wurde: Wir sind weit davon entfernt, von einem rationalistischen Spiel auszugehen, in dem soziale Agenten, die vollständig um Interessen konstituiert sind, einen von transpa renten Parametern bestimmten Kampf führen. Vielmehr haben wir die Schwierigkeiten der Arbeiterklasse gesehen, sich als historisches Subjekt zu konstituieren, die Verstreuiing und Fragmentierung ihrer Positions bestim m u ng en , das Auftauchen von Formen sozialer und politischer Reaggregierung - „historischer Block“, „Kollektivwille“, „Massen“, „populäre Sektoren“ die neue Objekte und neue Logiken ihrer Formierung definie ren. Auf diese Weise sind wir auf dem Feld der Überdeterminierung der einen Entitäten durch andere und der Verbannung jeder Form paradigmatischcr Fixiertheit an den äußersten Horizont der Theorie. Diese spezifi sche Logik der Artikulation gilt es nun zu bestim m en.
^Artikulation und Diskurs Im Kontext dieser Diskussion bezeichnen wir als Artikulationjede Praxis, die eine Beziehung zwischen Elementen so etabliert, daß ihre Identität als Re sultat einer artikulatorischen Praxis modifiziert wird. Die aus der artikulatorischen Praxis hervorgehende strukturierte Totalität nennen wir Diskurs. Die differentiellen Positionen, insofern sie innerhalb eines Diskurses artikuliert erscheinen, nennen wir Momente. Demgegenüber bezeichnen wir jede Diffe renz, die nicht diskursiv artikuliert ist, als Element. Um richtig verstanden zu werden, erfordern diese Unterscheidungen drei wesentliche Spezifizierun gen: im Hinblick auf die charakteristische Kohärenz der diskursiven Forma tion, im Hinblick auf die Dimension und Ausdehnung des Diskursiven und im Hinblick auf die Offen- beziehungsweise Geschlossenheit, die von der diskursiven Formation an den Tag gelegt wird.
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Zum ersten Punkt: Fine diskursive Formation wird weder durch die logj. sehe Kohärenz ihrer Elemente noch durch das Apriori eines tram/endentalen Subjektes, noch durch ein sinnst ifiendes Subjekt A la I hisserl oder durch die Einheitlichkeit der Erfahrung vereinheitlicht. Her Typus von Ko härenz. den wir einer diskursiven Formation /uschreihen, ist - mit den spä ter noch aufzuzeigenden Unterschieden - eng mit dem verwandt, was den von Foucault geprägten Begriff der „diskursiven Formation charakterisiert: Regelmäßigkeit in der VeiMreuuug. In der Archäologie des Wiwns verwirft Foucault vier Hypothesen bezüglich des vereinheitlichenden Prinzips einer diskursiven Formation - Referenz auf ein und dasselbe Objekt, gemeinsa mer Stil in der Produktion von Aussagen. Konstanz der Begriffe und Refe renz auf ein gemeinsames Thema. Stattdessen macht er die Verstreuung selbst zum Prinzip der Einheit, insofern sie von Formationsregeln, von den komplexen Existenzbedingungen der verstreuten Aussagen beherrscht wird." An dieser Stelle ist eine Bemerkung notwendig. Eine von Regeln geleitete Verstreuung kann von zwei symmetrisch entgegengesetzten P er spektiven her betrachtet werden. Erstens als Verstreuung; dies erfordert die Bestimmung eines Bezugspunktes, auf den bezogen die Elemente als ver streute gedacht werden können. (Im Falle Foucaults kann man offensicht lich durch die Referenz auf den Typus der abwesenden Einheit, die um das gemeinsame Objekt, den Stil, die Begriffe und das Thema konstituiert wird, von Verstreuung sprechen.) Aber die diskursive Formation kann auch aus der Perspektive der Regelmäßigkeit in der Verstreuung gesehen und in die sem Sinne als ein Ensemble differentieller Positionen gedacht werden. Die ses Ensemble ist nicht der Ausdruck irgendeines zugrundeliegenden, sich selbst äußerlichen Prinzips - es kann zum Beispiel weder durch eine hernieneutische Lektüre noch durch eine strukturalistische Kombinatorik er faßt werden -, sondern konstitutiert eine Konfiguration, die in bestimmten Kontexten der Äußerlichkeit als eine Totalität bezeichnet werden kann. Da unser Hauptinteresse den artikulatorischen Praxen gilt, interessiert uns ins besondere dieser zweite Aspekt. In einer artikulierten diskursiven Totalität, in der jedes Element eine diffe rentielle Position besetzt - in unserer Terminologie: in der jedes Element auf ein Moment dieser Totalität reduziert worden ist - ist jede Identität rela tional und alle Relationen haben einen notwendigen Charakter. Benveniste beispielsweise stellt mit Bezug auf das Saussuresche Wertprinzip fest:
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fu behaupten, die Werte seien „relativ“, bedeutet, daß sie unterrimndtr relativ sind. |
Notwendigkeit leitet sich deswegen nicht von einem zugrundeliegenden intelligiblen Prinzip her, sondern von der Regelmäßigkeit eines Systems struktureller Positionen. In diesem Sinne kann kein Verhältnis kontingent oder äußerlich sein, da ja die Identität seiner Elemente dann außerhalb des Verhältnisses selbst bestimmt wäre. Dies hieße aber nichts anderes als zu behaupten, daß in einer auf diese Art und Weise konstituierten diskursivstrukturalen Formation eine artikulatorische Praxis unmöglich wäre. Die Praxis der Artikulation betrifft das Bearbeiten von Elementen, während wir hier nur mit Momenten einer geschlossenen und völlig konstituierten Tota lität konfrontiert wären, in der jedes Moment von Anfang an dem Prinzip der Wiederholung unterworfen ist. Wie wir noch sehen werden, kann es Kontingenz und Artikulation geben, weil keine Diskursformation eine ge nähte Totalität und die Iransformation der Elemente in Momente niemals abgeschlossen ist. Zum zweiten Punkt: Unsere Analyse verwirft die Unterscheidung zwi schen diskursiven und nicht-diskursiven Praxen und behauptet, daß zum einen sich jedes Objekt insofern als Objekt eines Diskurses konstituiert, als kein Objekt außerhalb jeglicher diskursiver Bedingungen des Auftauchens gegeben ist und zum anderen jede Unterscheidung von gewöhnlich als lin guistisch und behavioristisch bezeichneten Aspekten gesellschaftlicher Praxis entweder eine falsche Unterscheidung ist oder als eine Differenzierung in nerhalb der sich in verschiedene diskursive Totalitäten strukturierenden gesellschaftlichen Sinnproduktion verortet werden sollte. Foucault, der un serer Meinung nach eine inkonsistente Unterscheidung zwischen diskursi ven und nicht-diskursiven Praxen beibehalten hat,13 versucht zum Beispiel die relationale Totalität, die die Regelmäßigkeit der Verstreuungen diskur siver Formationen begründet, zu bestimmen, kann diesjedoch nur in Form einer diskursiven Praxis tun: 143
(K lin isch e Medizin muß betrachtet werden] als das In -B e z ie h u n g -S e tz e n (innerhalb d e s ä m lic h e n Diskurses) einer bestim m ten Zahl von u n te r s c h ie d lic h e n Elem enten w n d en en die einen den Status d er M ediziner, a n d e r e d e n in s titu tio n e lle n un(| tech n isch en O rt. um dem aus sie sprachen , a n d e re ih re P o s itio n a ls w ahrnehinci». de, beobachtende, beschreibende, u n te rrich ten d e S u b je k te b e tr a le n . M an kann sag en . daß daN ln-Be/iehung-Set/en m u v ersch ied en en E le m e n te n , w in d en en bf. stim m te neu. a m leie schon \v>rher existent sin d, d u rch d e n k lin is c h e n Diskurs be wirkt wird: F.r als Praxis stellt /wischen ih n en ein B e z ie h u n g s s y s te m h e r , das nicht .w irk lich “ gegeben, noch im Vorhinein k o n stitu ie rt ist; u n d w en n e r e in e Einheit hat, w n n die M odalitäten der Ä ußerung, d ie e r ben u tzt o d e r d e n e n e r Kaum gibt nicht einfach durch eine Folge w n h istorisch en B e r ü h r u n g e n n e b e n e in a n d e r gel stellt sind, dann liegt das daran, daß er jenes B ü n d el von B e z ie h u n g e n a u f konstan.
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tc Weise a n w n d e t.M
Zwei Aspekte müssen hier hei vorgehoben weiden. Erstens: Wenn diesogenannten nicht-diskursiven Komplexe - Institutionen, Techniken, Ökono mie und so weiter - analysiert werden, werden wir lediglich mehr oder weniger komplexe Formen differentieller Positionen unter den Objekten finden, die nicht ron einer Notwendigkeit herrühren, die dem sie struktu rierenden System äußerlich ist und nur deshalb als diskursive Artikulatio nen betrachtet werden können. Zweitens: Gerade die Logik des Foucaultsehen Arguments hinsichtlich der arukulatorischen Natur des klinischen Diskurses impliziert, daß die Identität der artikulierten Elemente z u m in dest teilweise durch diese Artikulation modifiziert sein muß. Die Kategorie der Verstreuung erlaubt folglich nur zum Teil, die Spezifik der Regelmä ßigkeiten zu denken. Der Status der verstreuten Entitäten wird in e in er Zwischenregion zwischen den Elementen und den Momenten konstituiert.15 Wir können hier nicht auf alle Komplexitäten einer Theorie des Diskur ses, so wie wir sie verstehen, eingehen, wollen jedoch zumindest auf die folgenden grundsätzlichen Punkte hinweisen, um den häufigsten Mißver ständnissen vorzubeugen. A. Die Tatsache, daß jedes Objekt als Objekt des Diskurses konstituiert ist, hat überhaupt nichts zu tun mit dem Gegensatz von Realismus und Idea lismus oder damit, ob es eine Welt außerhalb unseres Denkens gibt. Ein Erdbeben oder der Fall eines Ziegelsteins sind Ereignisse, die zweifellos in dem Sinne existieren, daß sie hier und jetzt unabhängig von meinem Wil len stattfinden. Ob aber ihre gegenständliche Spezifik in der Form von „natürlichen Phänomenen- oder als „Zornesäußerung Gottes“ konstruiert wird, hängt von der Strukturierung des diskursiven Feldes ab. Nicht die Existenz von Gegenständen außerhalb unseres Denkens wird bestritten,
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sondern die ganz andere Behauptung, daß sie sich außerhalb jeder diskur siven Bedingung des Auftauchcns als Gegenstände konstituieren könnten.
11. Hinter dem obigen Vorurteil steckt die Annahme eines geistigen Cha rakters des Diskurses. Demgegenüber werden wir den materiellen Charakter jeder diskursiven Struktur bekräftigen. Das Gegenteil behaupten hieße, die ganz klassische Dichotomie /wischen einem objektiven Feld, das außerhalb jeder diskursiven Intervention konstituiert ist, und einem Diskurs, der aus dem reinen Ausdruck des Denkens besteht, zu akzeptieren. Dies ist genau die Dichotomie, die mehrere Strömungen des zeitgenössischen Denkens aufzubrechen suchten.16 Die Theorie der Sprechakte beispielsweise hat de ren performativen Charakter unterstrichen. Bei Wittgenstein enthalten Sprachspiele innerhalb einer unauflöslichen Totalität sowohl Sprache als auch die mit ihr wechselseitig verbundenen Handlungen: A führt e in e n B a u a u f a u s B a u s t e in e n : e s s in d W ü r fe l, S ä u le n , P la u en un d B a lk en vorhanden. B hat ih m d ie B a u s te in e z u z u r e ic h e n , u n d zw ar n a ch d e r R e ih e , wie A sie b ra u ch t. Z u d e m Z w e ck b e d ie n e n s ie s ic h e in e r S p r a c h e , b e ste h e n d aus d e n W ö rtern „ W ü r fe l“ , „ S iiu le “, „ P la t te “ u n d „ B a lk e n “ . A ru ft s ie aus; - B b rin g t d en Stein, d e n e r g e l e r n t h a t, a u f d ie s e n R u f zu b r in g e n .* 7
Die Schlußfolgerung ist unvermeidlich: „Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das ‘Sprachspiel’ nennen.“18 Es ist evident, daß selbst die materiellen Eigenschaften der Ge genstände Teil dessen sind, was Wittgenstein ein Sprachspiel nennt. Dieses wiederum ist ein Beispiel für das, was wir Diskurs nennen. Was eine diffe rentielle Position und deshalb eine relationale Identität mit bestimmten sprachlichen Elementen konstituiert, ist nicht die Idee eines Bausteins oder einer Platte, sondern der Baustein oder die Platte als solche. (Die Verbin dung von Ideen eines „Bausteins“ hat bisher - soviel wir wissen - nicht zum Bau irgendeines Gebäudes ausgereicht.) Die sprachlichen und nicht-sprach lichen Elemente werden nicht bloß nebeneinander gestellt, sondern konsti tuieren ein differentielles und strukturiertes System von Positionen, das heißt einen Diskurs. Die differentiellen Positionen enthalten deshalb eine Verstreuung ganz verschiedener materieller Elemente.19 Es könnte geltend gemacht werden, daß in diesem Fall die diskursive Ein heit die teleologische Einheit eines Projektes sei - dem ist jedoch nicht so. Die gegenständliche Welt ist in relationalen Sequenzen strukturiert, denen nicht notwendigerweise ein finalistischer Sinn zukommt und die in den meisten Fällen tatsächlich überhaupt keiner Bedeutung bedürfen: es ge-
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*v,
niigt, Hall gewisse Regelmäßigkeiten für uns differentielle Positionen ,.,a blieren. um wn eine» diskursiven Formation sprechen zu können. I)arn„s ergeben sieh zwei wichtige Schlußfolgerungen. Oie erste ist, (laß der ninie. rielle Charakter eines Hiskurscs nicht in der Ki lahrung oder dem Bewußt sein eines begründenden Subjekts\creinheitlicht werden kann; im Gegen, teil erscheinen verschiedene Subjrkt/Hiütionen innerhalb einer diskursiven Formation verstreut. Hie /weite Folgerung ist, daß die Praxis der Ariiku|a. tion als Fixierung/’\erläget ung eines Systems von Differenzen nicht bloß aus rein sprachlichen Phänomenen bestehen kann; sie muß vielmehr die gesamte materielle Dichte der mannigfaltigen Institutionen. Rituale und Praxen durchdringen, durch die eine Diskursiormation strukturiert wird Die Anerkennung diese» Komplexität und ihres diskursiven Charakters konnte sich auf dem 'lerrain der marxistischen Theorisierung zunächst nur einen verborgenen Weg bahnen. Seine charakteristische Form war die von Graimci bis Althusser wachsende Bekräftigung des materiellen Cha rakters ron Ideologien, insofern diese nicht einfache Ideensysteme dai-stellen, sondern in Institutionen, Ritualen und so weiter verkörpert sind. Was jedoch zum Hindernis für die vollständige theoretische Entfaltung dieser Intuition wurde, war die Tatsache, daß sie in allen Fällen dem Feld der Ideologien zugeordnet war, das heißt zu Formationen, deren Identität mit dem Begriff des „Überbaus“ gedacht wurde. Gegenüber der Verstreuung ihrer Materialität war er eine apriorische Einheit, so daß ein Rückgriff entweder auf die vereinheitlichende Rolle einer Klasse (Gramsci) oder auf die funktionalen Erfordernisse der Reproduktionslogik (Althusser) erforder lich wurde. Aber sobald diese essentialistische Annahme fallengelassen wird bekommt die Kategorie der Artikulation eine andere theoretische Geltung; Artikulation ist nun eine diskursive Praxis, die keine Konstitutionsebene vor oder außerhalb der Verstreuung der artikulierten Elemente besitzt. C. Schließlich müssen wir die Bedeutung und Produktivität jener Zentra lität betrachten, die der Kategorie des Diskurses zukommt. Durch diese Zentralität erhalten wir eine beträchtliche Erweiterung des Feldes der Ob jektivität und werden auch die Bedingungen geschaffen, die uns erlauben die zahlreichen Verhältnisse, die wir in den vorhergehenden Kapiteln be handelten, wiederaufzunehmen und weiter/neu zu denken. Angenommen wir versuchten, soziale Verhältnisse auf der Basis des Typus von Objektivi tät zu analysieren, der durch den Diskurs der Naturwissenschaften kon struiert wird: dies setzte unmittelbar strenge Grenzen sowohl für die Ge genstände, die innerhalb dieses Diskurses konstruiert, als auch für die Be146
/jelnmgen, «l*4*/wischen ihnen etabliert werden können. Bestimmte Bezie hungen und bestimmte Gegenstände würden so im voraus ausgeschlossen. Dit- Metapher beispielsweise wäre als objektive Beziehung zwischen zwei Entitäten unmöglich. Dies schlösse jedoch die Möglichkeit aus, weite Be reiche von Beziehungen zwischen Gegenständen auf sozialem und politi schem Gebier begrifflich zu spezifizieren. Was wir als „kommunistische Enumeration“ charakterisierten, beruht auf einem ÄquivalenzvcrhäUnis zwischen unterschiedlichen Klassensektoreii innerhalb eines in zwei ant agonistische Lager gespaltenen sozialen Raums. Aber diese Äquivalenz setzt die Wirkung eines Analogieprinzips zwischen von im buchstäblichen Sinne verschiedenen Inhalten voraus - und was ist das anderes als eine metapho rische Transposiiion? Es ist wichtig zu bemerken, daß die durch die kom munistische Enumeration konstituierte Äquivalenz nicht der diskursive Ausdruck einer außerhalb des Diskurses konstituierten realen Bewegung ist; dieser aufzählende Diskurs ist im Gegenteil eine reale Kraft, die zur Kon stitution und Formung sozialer Verhältnisse beiträgt. Etwas ähnliches ge schieht mit dem Begriff des „Widerspruchs“, auf den wir weiter unten zurückkommen werden. Soziale Verhältnisse schließen in der Perspektive eines naturalistischen Paradigmas den Widerspruch aus. Eine diskursive Konstruktion sozialer Verhältnisse jedoch ermöglicht den Widerspruch. Im Gegensatz zum klassischen, den Widerspruch ausschließenden Begriff des „Realobjekts“ kann es ein Widerspruchsverhältnis zwischen zwei Gegen ständen des Diskurses geben. Die wichtigste Konsequenz aus einem Bruch mit der Dichotomie diskursiv/außerdiskursiv ist die Preisgabe des Gegen satzes von Denken und Wirklichkeit und in der Folge eine bedeutende Er weiterung des Feldes jener Kategorien, die für die Erklärung sozialer Ver hältnisse in Betracht kommen, Synonymie, Metonymie und Metapher sind keine Gedankenformen, die einer ursprünglichen, konstitutiven Buchstäb lichkeit sozialer Verhältnisse einen zweiten Sinn hinzufügen; vielmehr sind sie selbst Teil des ursprünglichen Terrains, auf dem das Soziale konstitu iert wird. Die Ablehnung der Dichotomie von Denken und Wirklichkeit muß mit einem Überdenken und der wechselseitigen Durchdringung der bisher nur als sich gegenseitig ausschließend betrachteten Kategorien ein hergehen. Drittens. Der Übergang zu einer relationalen Totalität, die wir „Diskurs“ genannt haben, könnte wiederum kaum unsere anfänglichen Probleme lö sen, wenn die relationale und differentielle Logik der diskursiven Totalität ohne jegliche Beschränkung vorherrschen würde, in diesem Fall fänden
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" i r reine Notwcmtigkeitshczichungcn vor und jede Artikulation wlirt«, ^.j wir gezeigt haben, unmöglich, da ja alle „!• lemente“ <’.v dtjinitione „Mi >11^ te“ wären. Diese Schlußfolgerung kann sich jedoch nur dann au fd rängen wenn wir zulassen, daß sich die relationale Logik des Diskurses ohne Ut.' schr^nkung durch ein Äußeres bis zur letzten Konsequenz durchsetzt.»* Wenn wir demgegenüber akzeptieren, daß eine diskursive Total it.1t nierna|H in der Form einer einfach gegebenen und ahgegmnten Positivität existiert wird die relationale Logik utmillständig und von Kontingenz durchdrim. gen. Oer Übergang von den „Klementen“ zu den „Momenten“ ist niemals gänzlich wllzogen. Somit kommt ein Niemandsland zum Vorschein, c|as die artikulatorische Praxis erst möglich macht. Von daher gibt es keine ge. sellschaftliche ldentit.lt, die völlig geschützt ist vor einem diskursiven Au. ßeren. das sie nmformt und verhindert, daß sie völlig genäht wird. S o w o h l die Identitäten als auch die Beziehungen verlieren ihren zwangsläufigen Charakter. Als systematisches, strukturelles Ganzes sind die Beziehungen nicht in der Lage, die Identitäten zu absorbieren. Da aber clie Identitäten rein relationale sind, ist dies nur eine andere Art und Weise zu sagen, daß es keine Identität gibt, die wUkommen konstituiert werden kann. Wenn dem so ist, wird jeder Diskuns der Fixierung metaphorisch: die Buchstäblichkeit ist genaugenommen nur die erste der Metaphern. Wir kommen hier zu einem entscheidenden Punkt in unserer Argumen tation. Der unvollständige Charakter jeder Totalität führt uns notwendi gerweise dazu, als Terrain der Analyse die Prämisse von „Gesellschaft als einer genähten und selbstdefinierten Totalität aufzugeben. „Gesellschaft“ ist kein gültiges Objekt des Diskurses. Es gibt kein einfaches Grundprinzip, das das ganze Feld der Differenzen fixiert und deshalb konstituiert. Die unauflösliche Spannung zwischen Interiorität und Exteriorität ist die Be dingung jeder sozialen Praxis: Notwendigkeit besteht nur als partielle Be schränkung des Feldes der Kontingenz. Genau auf diesem Terrain, wo we der eine totale Interiorität noch eine totale Exteriorität möglich ist, wird das Soziale konstituiert. Aus dem gleichen Grund, aus dem das Soziale nicht auf die Interiorität eines fixierten Systems von Differenzen reduziert wer den kann, ist auch reine Exteriorität unmöglich. Um total einander äußer lich zu sein, müßten die Entitäten bezogen auf sich selbst total innerlich sein, also eine vollkommen konstituierte Identität haben, die von keinem Äußeren untergraben wird. Aber genau dies haben wir eben verworfen. Dieses Feld von Identitäten, die niemals völlig fixiert werden können, ist das Feld der Überdeterminieni ng.
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Ihnigemiiß ist also weder absolute Fixiet theit n
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W e n d e n w ir u n s n u n dom zw eiten Aspekt zu. D ie l 'tu u ö g lit h k e it e in e r eiu|. g ü ltig e n F ix ie n h e ii \v>n ItcdeiiM in g im p liz ie rt, d a ß es p a r t i e l l e i'ix ie n m . g e n g e h e n n u iß - a n so n ste n w äre d as F lie ß e n d e r D iffe r e n z e n seihst unm ö g lic h . G e ra d e um sieh zu u n te rs c h e id e n , u m B e d e u tu n g e n zu u n t e ig ia. b e n , m u ß es
sine B e d e u tu n g
g e h e n . Auch w enn d as S o z ia le s ic h n ich t in den
in te llig ih le n u n d in s titu ie rte n F o im e n e in e r
Gesellschaft zu
f ix i e r e n verm ag,
so e x is tie rt es d o ch nui als A n stre n g u n g , «fieses u n m ö g lic h e O b je k t zu kons tr u ie r e n . Je d w e d e r D isku rs k o n s titu ie r ! s ic h a ls V e r s u c h , d a s F eld der D isku rsiv ität zu h e h e irs c h e n , d as F ließ en d e r D ilT e re n / e n a u fz u h a lte n , ein Z e n tru n i zu k o n stru ie re n . W ir w erd en d ie p r iv ile g ie r te n d is k u r s iv e n Punk te d ie s e r p a rtie lle n F ix ie ru n g
Knotenpunkte n e n n e n . ( L a c a n ßoints de capiton -
e lle n F ix ie ru n g e n m it sein e m B e g r if f d e r
h a t d ie s e parti S te p p -P u n k te -
h e rv o rg e h o b e n , d as heiß t p r iv ile g ie rte r S i g n if i k a n t e n , d ie d i e B e d eu tu n g e in e r S ig n ifik a n te n k e tte fix ie r e n . D iese B e s c h r ä n k u n g d e r Prod uktivität d e r S ig n ifik a n te n k e tte erzeu g t je n e P o s itio n e n , d ie A u s s a g e n m ö g lic h ma ch e n - ein D isku rs, d e r k ein e F ix ie r th e it von B e d e u t u n g e r z e u g e n k a n n , ist d e r D iskurs des P sv ch o tik ers.)
Saussures Analyse betrachtete Sprache als ein System von Differenzen ohne positive Bestimmungen. Der Schlüsselbegriff ist der des Werts, demzufolge die Bedeutung eines Begriffs rein relational ist und nur durch sei nen Gegensatz zu allen anderen bestimmt wird. Dies zeigt uns jedoch, daß wir die Möglichkeitsbedingungen eines geschlossenen Systems präsentiert be kommen: nur innerhalb eines solchen ist es möglich, derart die Bedeutung jedes Elements zu fixieren. Als das linguistische Modell in das allgemeine Feld der Humanwissenschaften eingeführt wurde, war dieser Effekt von Systematizität vorherrschend, so daß der Strukturalismus zu einer neuen Form von Essentialismus wurde: zu einer Suche nach den zugrundeliegen den Strukturen, die das inhärente Gesetz jeder möglichen Variation bil den. Die Kritik am Strukturalismus beinhaltete einen Bruch mit dieser Auffassung eines vollständig konstituierten, strukturellen Raumes. Da sie aber auch jede Rückkehr zu einer Konzeption von Einheiten verwarf, de ren Begrenzung ähnlich einer Nomenklatur durch ihre Referenz auf einen Gegenstand gegeben war, war die daraus resultierende Konzeption die ei nes relationalen Raumes, der unfähig war, sich selbst als solcher zu konsti tuieren - die eines Feldes, das von dem Begehren nach einer letzten Endes immer abwesenden Struktur beherrscht wurde. Das Zeichen ist der Name eines Risses, einer unmöglichen Naht zwischen Signifikat und Signifikant.® Wir haben jetzt alle notwendigen analytischen Elemente, um den Begriff 150
|t,,..A rtik u lation g e n a u e r zu b e s tim m e n . Da je g l ic h e Id e n titä t r e la t io n a l is t sc|bst wenn d as S y s te m d e r R e la tio n e n n ich t d e n P u n k t e r r e ic h t , a ls » ta b i-
l(>s System von D iffe r e n z e n fi x ie r t zu sein
u n d je d e r D is k u rs von e in e m
¡|,n über•flu tenden l e id d e r D isk u rsiv itiit u n te rg ra b e n w ird , k a n n d e r Ü b c r n n g von ..E le m e n te n " zu „ M o m e n te n “ n ie m a ls v o llstä n d ig g e lin g e n . D e r Status d e r „ E le m e n te “ is t d e r von flo t tie r e n d e n S ig n ifik a n te n , d ie n ic h t •¡,,/litli zu einer d isk u rsiv ei» K e tte a rtik u lie rt w erden k ö n n e n . D ie s e r f lo t t i e r
ende C h in a kt ei d u r c h d r in g t letz tlich je d e d isk itrsiv e (d as h eiß t so z ia le ) fd e n ¡tjji. Wenn wir je d o c h d e n u n v o lls tä n d ig e n C h a ra k te r je d e r d isk u rsiv e u F i xierung akzeptieren u n d z u g le ic h d e n re la tio n a le n C h a ra k te r je d e r Id e n titä t behaupten, kann d e r m e h r d e u tig e C h a r a k te r d e s S ig n if ik a n te n , s e in e N ich t* Fixierung auf ein S ig n ifik a t, n u r in s o fe rn e x is tie r e n , als es e in e V e r m e h r u n g von Signifikaten gibt. N ic h t d e r M a n g e l a n S ig n ifik a te n , s o n d e r n im G e g e n teil deren P o ly se m ie d e s a r tik u lie r t e in e d isk u rsiv e S tr u k tu r . E b e n d ie s e t a
bliert die ü b e r d e t e r m in ie r te , s y m b o lis c h e D im e n s io n e in e r je d e n s o z ia le n Formation. D ie G e s e lls c h a ft k a n n n ie m a ls m it sich se lb s t id e n tisc h s e in , d a jeder K n o te n p u n k t in e in e r ih n ü b e r flu te n d e n in te r te x tu a litä t k o n s titu tie r t
Die Praxis der Artikulation besteht deshalb in der Konstruktion von Knotenpunk ten, die Bedeutung teilweise fixieren. Der partielle Charakter dieser Fixierung geht ausder Offenheit des Sozialen hervor, die ihrerseits wieder ein Resultat der beständigen Überflutung einesjeden Diskurses durch am Unendlichkeit des Feles der Diskursivität ist.
ist.
Jed e soziale P r a x is ist d e s h a lb - in e in e r ih r e r D im e n s io n e n - a r t ik u la t o risch. Da sie n ic h t d a s in n e r e M o m e n t e in e r s e lb s td e f in ie r te n T o ta litä t is t, kann sie n ich t e in fa c h d er A u sd ru ck von etw as b e re its E r w o r b e n e m s e in , k a n n sie nicht
gänzlich u n te r
d a s P r in z ip d e r W ie d e r h o lu n g s u b s u m ie r t w e rd e n ;
vielmehr b e s te h t s ie im m e r a u s d e r K o n s tr u k tio n n e u e r D if fe r e n z e n . D a s Soziale ist insow eit A r tik u la tio n , als „ G e s e lls c h a ft“ u n m ö g lic h is t. W e i t e r o b e n stellten w ir f ü r d as S o z ia le fe s t, d a ß N o tw e n d ig k e it n u r als p a r d e lle A n s t r e n gung zur B e g r e n z u n g v on K o n tin g e n z e x is tie r t. D ies im p liz ie r t, d a ß d ie R e lationen zw isch en „ N o tw e n d ig k e it“ u n d „ K o n tin g e n z “ n ic h t a ls R e la t io n e n zwischen zwei G e b ie te n b e g r if fe n w e rd e n k ö n n e n , d ie a b g e g r e n z t u n d e i n a n der äu ß erlich sin d w ie z u m B e is p ie l b e i L a b rio la s m o r p h o lo g is c h e r V o r a u s sage
weil das K o n t in g e n t e n u r in n e r h a lb d e s N o tw e n d ig e n e x is tie r t. D ie s e
Präsenz des K o n tin g e n te n im N o tw e n d ig e n ist d a s, was w ir o b e n U n t e r g r a
ben nannten, u n d m a n ife s tie r t sich als S y m b o lis ie r u n g , M e ta p h o r is ie r u n g und P arad o xon , w as d e n b u c h s tä b lic h e n C h a r a k te r je g l i c h e r N o tw e n d ig k e it umformt und in F ra g e s te llt. N o tw e n d ig k e it e x is tie r t d e s h a lb n ic h t in d e r
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I o»
m t im s
u n d e lie g e n d e n IN in/»|*s, e i n e s (•» u n d r s , s o m i t i n .ils t n j V , ,
s u ch d n V rrh iK h st.tb lh In n ig , d e r d ie D iM e ic n / r n t i n r s n - l .u i o i i . i l r n -S y sin ,^ I k i e i t . D ie N o tw e n d ig k e it d e s S o / ta lc n is( r i n e d e n n in i< la ti< > n a le u M rin i i.'ite n e ig e n tü m lu h e N o tw e n d ig k e it
w ie im lin g u i s t i s i h e n I ’ i i i t / i p d e s W i-ris“
nit l\« fine natiiilu he .Notwendigkeit“ oder die Notwendigkeit eines analy. tischen l «teils. tu diesem Sinne ist N otw endigen“ einfach gleithhedm. tond mit einem ,.S\ stern dillerentiellei Positionen in einem genähten Kaum".
Augenscheinlich enthält diese I lei angehenswei.se an das Problem der Ai. tikulatiou alle notwendigen Flemente, um die sichtbaren Antinomien auf/ulösen. mit denen uns du l.ogik der I legemonie konfrontierte: Einerseits erlaubt der offene und unvollständige Charakter jeder sozialen Identit'j, ihre Artikulation /u versc hiedenen historisch-diskursiven Formationen, da* heißt m „Blocken“ im Sinne Soiels und Cnunscis; andererseits ist die Identi tät deraitikulatorisi lun Kt al t ausschließlich auf dem allgemeinen Feld der Diskursix ität konstituiert, dies eliminiert jede Referenz auf ein transzendentalesoder m^prüngliche.s Subjekt. Doch bevor wir unseren Begriff der Hegemonie formulieren, müssen wir zwei weitere Fragen in Angriff neh men: die erste betrifft den genauen Status der Kategorie des Subjekts in unserer Anahse; die zweite betrifft den Begriff des Antagonismus, dessen Wichtigkeit WH der Tatsache herrührt, daß als eine ihrer Schlüsseldimen sionen die Spezifik einer hegemonialen ariikulatorischen Praxis in ihrer Entgegensetzung zu anderen artikulatorischen Praxen antagonistischen Charakters liegt.
Die Kategorie des „Subjekts" Die Diskussion dieser Kategorie erfordert es, zwei völlig verschiedene Pro bleme zu unterscheiden, die in neueren Debatten häufig miteinander ver wechselt worden sind: das Problem des diskursiven oder prädiskursiven Cha rakters der Kategorie des Subjekts und das Problem des Verhältnisses zwi schen verschiedenen Subjektpositionen. Dem ersten Problem wurde eine beständigere Aufmerksamkeit gewid met, was zu einer wachsenden Infragestellung der „konstitutiven“ Rolle geführt hat, die sowohl der Rationalismus als auch der Empirismus den „menschlichen Individuen“ zuschreiben. Diese Kritik zielte im wesentlichen auf drei Dinge: auf die Auffassung des Subjekts als sowohl rationalem als auch sich selbst transparentem Agenten; auf die angebliche Einheit und 152
Ilomogr/iiiät
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g o r i e d e s S u b je k ts a ls e in h e it lic h e m u iu l v e r e i n h e i t l i c h e n d e m W e s e n wj<. d e r e i n f ü h r t e . \'on h iet .m s w ar c s n u r n o c h e in S c h r i t t , u m «liest*
ung d e r
S u b je k tp o s itio n e n in eint* w ir k lic h e
tr a n s f o r m ie r e n , In d e s r u h d ie
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Vir.\heu.
/w ist Im » ihnen / lt
IV a u s fo rm a tio n d e r V e r s t i e m i n g in
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n u n g o ff e n s ic h tlic h a lle d ie je n ig e n a n a ly tis c h e n P r o b l e m e l i e r v o r , a u f < ij(. w ir w eitet o b e n s c h o n a u fm e r k s a m m a c h te n - v o r n e h m l i c h je n e d e r E rset z u n g d e s K sse n tia lisin u s d e i
l o t a lit ä i d u r c h e in e n E s s e n t ia l is m u s d e r EU*,
m e n te . W en n je d e S u b je k tp o s itio n e i n e d is k u r s iv e P o s i t io n is t, k a n n die A n a lv se n ic h t au t d ie r ö n n e n d e r Ü b e r d e t e t m i n i e r u n g e i n i g e r P o s itio n e n d u r c h a n d e r e v e rz ich te n - F o r m e n d e s k o n t in g e n t e n C h a r a k t e r s j e d e r N ot w e n d ig k e it, d ie , w ie w ir g e s e h e n h a b e n , j e d e r d is k u r s iv e n D if f e r e n z in h ä r e n t ist.
Betrachten wir zwei Fälle, die unlängst wichtige Diskussionen hervorrie fen: jenen, der sich auf den Status von scheinbar abstrakten Kategorien (vor allein „der Mensch“) bezieht, und jenen hinsichtlich des „Subjekts“ des Feminismus. Der erste Fall steht im Zentrum der gesamten neueren Debat te über den Humanismus. Wenn der Status des „Menschen“27der eines Wesens wäre, so wäre die Yerortung des ersteren bezogen auf andere Charakteristika „menschlichen Seins“ in eine vom Abstrakten zum Konkreten aufsteigen den logischen Stufenleiter eingeschrieben. Dies würde den Weg für alle bekannten Tricks einer Analyse der konkreten Situationen nach der Art der „Entfremdung" und des „falschen Bewußtseins“ freimachen. Wenn „Mensch“ dagegen eine diskursiv konstruierte Subjektposition ist, nimmt ihr mutmaßlich abstrakter Charakter keineswegs die Form ihrer Artikulati on mit anderen Subjektpositionen vorweg. (Der Spielraum hier ist unend lich und fordert die Vorstellungskraft jedes „Humanisten“ heraus. Zum Beispiel ist bekannt, wie in den Kolonialländern die Äquivalenz zwischen „Menschenrechten“ und „europäischen Werten“ eine häufige und effekti ve Form war, die Annehmbarkeit imperialistischer Herrschaft diskursiv zu konstruieren.) Die von E.P. Thompson in seinem Angriff auf Althusser erzeugte Verwirrung1* beruht genau auf diesem entscheidenden Punkt. Thompson glaubt, daß sich der Bezug auf den „Humanismus“ aller histori schen Gültigkeit beraubt, wenn dabei den humanistischen Werten ein wesenhafter Status bestritten werde. In Wirklichkeit jedoch ist der Versuch wichtig zu zeigen, wie der „Mensch“ in der Moderne produziert worden ist, wie das „menschliche“ Subjekt - das heißt der Träger unterschiedsloser menschlicher Identität - in bestimmten religiösen Diskursen auftaucht, in juristischen Praxen verkörpert und in anderen Bereichen wiederum an154
! !
1,‘is.uiig konstruiert ist. Das Nachvoll/iehen dieser Vmimumg kann uns iK'llt'H' Zerbrechlichkeit der „humanistischen“ Wette selbst in den Griff iK'kouunen, tlie Möglichkeit ihrer Ent-Stcllmig durcheineäquivalentielle \iiikulati°ii mit anderen Werten und ihre Einschränkung auf bestimmte K a U . g o r i e n der Bevölkerung - beispielsweise auf die besitzende Klasse oder dir m ä n n l i c h e Bevölkerung. Weit davon entfernt zu denket», daß dem „Menscheu" Wesenhaftigkeit zukormnt vermutlich als ein Gesehenk des Him mels -» kann uns eine solche Analyse die historischen Bedingungen seines A u f t a u c h e n s uncl clie (irüncie für seine augenblickliche Anfechtbarkeit zei gen und uns somit befähigen, wirksamer und ohne Illusionen für die Ver eidigung humanistischer Werte zu kämpfen. Aber es ist ebenso offensicht lich, daß die Analyse nicht einfach beim Moment der Ver.tireuung stehenb l e i b e n kann, wenn „menschliche Identität“ nicht nur ein Ensemble ver s t r e u t e r Positionen m i t sich bringt, sondern ebenso die Formen der zwi s c h e n ihnen existierenden Überdetei minierung. „Der Mensch“ ist ein fun d a m e n t a l e r Knotenpunkt, von dem aus seit dem achtzehnten Jahrhundert jjc „Humanisierung“ zahlreicher sozialer Praxen vorangetrieben werden k o n n t e . Auf der Verstreuung der Positionen zu bestehen, von denen aus der „Mensch“ produziert worden ist, bildet jedoch nur ein erstes Moment; i n einem zweiten Schritt ist es notwendig, die zwischen ihnen etablierten B e z i e h u n g e n der Überdeterminierung und Totalisierung aufzuzeigen. Eben d i e Nicht-Fixierung beziehungsweise Offenheit des Systems diskursiver D i f f e r e n z e n e r m ö g l i c h t diese Effekte der Analogie und wechselseitigen D u r c h d r in g u n g .
Etwas ähnliches kann vom „Subjekt“ des Feminismus gesagt werden. Die Kritik am feministischen Essentialismus ist insbesondere durch die engli sche Zeitschrift w/yVoi gebracht worden: Eine Anzahl bedeutender Studien hat dort die Vorstellung von einer präkonstituierten Kategorie „Frauen unterdrückung“ - einerlei, ob ihre Ursache in der Familie, der Produk tionsweise oder anderswo liegt - verworfen und Studien über „den be sonderen historischen Moment, die Institutionen und Praxen, durch die die Kategorie der Frau produziert wird“,29 unternommen. Wird erst ein mal bestritten, daß es einen einfachen Mechanismus von Frauenunterdrükkung gibt, eröffnet sich für feministische Politik ein immenses Aktions feld. Von da kann man die Bedeutung von punktuellen Kämpfen gegen jede unterdrückende Form der Konstruktion von Geschlechter-Differenzen verstehen, sei es auf dem Gebiet des Rechts, der Familie, der Sozial politik oder der vielfältigen kulturellen Formen, durch die die Kategorie
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des „Weiblichen“ Ivstiindig jm>du/iei r wird. Wir hal»«*n es drmiiaf h »nit lelileinerVetNfiosmom'n /u ft**». £>« Inviei igkeiten /jeidtV. se» IIcrangehensweise rithren jedorh von der einseitigen Betonung des Monientcs de* Verstreuung her - doiart einseitig, daß uns nur ein heterogenes 8« wingeschlechtsspozifischen Untei schieden übvigbU'iht, das durch unfereinat». de* Inviehungslose lYaxen konstruiert wird. WMInend das Infrageste/fen der Idee eine» urspulnglichen, sich im Nachhinein in den sozialen Praxen darstellenden Geschlechter- liennung völlig berechtigi ist, ist cs gleichfalls notwendig aimiei kennen, dali eine Überdetcrnnnierimg zwischen den verschicdenen Geschlechter-DilTeren/en einen systematischen Effekt geschlechtsspezifischer Ttmiung produziert.wJede Konstruktion geschlechtsspczifischer Untei'schiede, wie vielfältig und heterogen sie auch immer sein mögen, kon sumiert das Weibliche ausnahmslos als einen dem Männlichen untergeordne ten Pol. Aus diesem Gnmd können wir von einem Gefüge von biologischem Geschlecht und sozialer Geschlechteridentität (sex/gemUrsystem) sprechen.’” Das Ensemble sozialer Praxen, Institutionen und Diskurse, die das weiblichc Ge schlecht als eine Kategorie produzieren, sind nicht vollständig voneinander isoliert, sondernverstärken und beeinflussen sich wechselseitig. Das heißt nicht, daßes eine einfache Ursache weiblicher Unterordnung gibt. Wenn weibliches Geschlecht (fentak sex) sich mit gesellschaftlicher Frauenrolle ( feminine gender) mit spezifischen Eigenschaften konnotiert, produziert diese „imaginäre Signifaktion" unserer Meinung nach konkrete Effekte in den verschiedenen gesellschaftlichen Praxen. Somit gibt es eine enge Korrelation zwischen „Un terordnung“ als einer allgemeinen, das Ensemble der Signifikationen, die die „Weiblichkeit“ {¡eminity) konstituieren, durchdringenden Kategorie, und der Autonomie und der ungleichen Entwicklung der verschiedenen Praxen, die die konkreten Formen von Unterordnung konstruieren. Letztere sind nicht der Ausdruckeines unveränderlichen weiblichen Wesens; in ihrer Konstruktion spieltjedoch der mit der Stellung des Weiblichen in einer gegebenen Gesell schaft verknüpfte Symbolismus eine ursprüngliche, außerordentliche Rolle. Die verschiedenen Formen konkreter Unterordnung wirken dann ihrerseits wieder zurück, indem sie zur Beibehaltung und Reproduktion dieses Symbo lismus beitragen.® Es ist deshalb möglich, die Idee eines ursprünglichen, für dieGeschlechter-Trennungkonstitutiven Antagonismus zwischen Männern und Frauen zu kritisieren, ohne dabei bestreiten zu müssen, daß es in den unter schiedlichen Konstruktionsweisen von „Weiblichkeit“ ein gemeinsames Ele ment gibt, das stark überdeterminierende Effekte hinsichtlich der Geschlechter-Trennung hat.
(U'Ih’H w *** wcirtM u n d b e tra c h te n m m die verschiedenen Form en, die die ßtsiiiiinuiug von s o z ia le n u n d p o litisc h e n Subjekten innerhalb der m arxisti-
l,t.r, Tradition angenommen hat. Ausgangspunkt und ständiges Leitmotiv sind klar: die Subjekte sind soziale Klassen, deren Einheit sich um Interessen
herumbildet, die wieder durch ihre Stellung in den Pioduktionsverhältnissen ^-stimmt sind. Anstatt auf diesem Gemeinplatz zu insistieren, halten wir cs allerd ings für wichtiger, präzise die Wege nac hzuzeichnen, in denen der Mar xismus politisch und theoretisch für die verschiedenartigen Ausgestaltungen ,111(1Verstreuungen der Subjektpositioneri bezogen auf die paradigmatischen formen ihrer Einheit Antworten suchte. F.in erster - der elementarste - Typus der Antwort bestellt in einem illegitimen Durchgang durch den Referenten. Es sch ließt beispielsweise die Behauptung ein, daß der politische und der öko nom ische Kampf der Arbeiter durch einen konkreten, beide Kämpfe führen den sozialen Agenten - die Arbeiterklasse - vereinheitlicht werden. Dieser D enktypus (der nicht nur im Marxismus, sondern auch in weiten feilen der Sozialwissenschaften üblich ist) beruht auf einem Fehlschluß: Der Ausdruck „Arbeiterklasse" wird auf zwei unterschiedliche Weisen gebraucht - einmal zur Bestimmung einer spezifischen Subjektposition in den Produktionsverhältnis sen und zum anderen zur B e n e n n u n g deijenigen Agenten, die diese Subjekt position innehaben. Aufgrund der daraus resultierenden Doppeldeutigkeit kann sich die logisch gesehen illegitime Schlußfolgerung einschleichen, daß die anderen Positionen, die durch diese Agenten besetzt werden, auch als „Ar beiterklassenpositionen“ erscheinen. (Sie sind offensichtlich „Arbeiterklasse“ imzweiten, nicht aber notwendigerweise im ersten Sinne.) Die implizite An nahme der Einheit und Transparenz des Bewußtseins jedes sozialen Agenten dient dabei nur zur Verstärkung der Doppeldeutigkeit - und deshalb der Kon fusion. Diese Täuschung kann jedoch nur gelingen, wenn man eine Einheit zwi schen empirischgegebenen Positionen zu behaupten sucht; es gelingtjedoch nicht, wenn man - wie es in der marxistischen Tradition sehr oft der Fall war - die grundlegende Heterogenität gewisser Positionen im Verhältnis zu den ande ren zu erklären versucht (die für die charakteristischen Risse des „falschen Bewußtseins“ stehen). Wie wir gesehen haben, wird in diesem Falle die Einheit der Arbeiterklasse als eine Einheit in der Zukunft verstanden; diese Einheit** ** Im spanischen O rig in a l h eiß t es an dieser Stelle: „die gegenwärtige Form dieser Einheit“. D iesen H inw eis v erdanken wir Zoltan Szankay.
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manifestieit sich durch die Kategorie der Repiäsentatiou, als»» durch 4|ie Aufspaltung in ieale Arbeiter und ihre objektiven Interessen, wesnvgct die letzteren durch die Avanigardepartei repräsentiert werden müssen. ¡Sj(ll| beruht jedoch jedes Rcpräsentatiousvei hältnis auf einer Fiktion: der einer Präsenz \xm etwas auf einer bestimmten Ebene, auf der es genau genommen abwesend i s t . Aber weil es zugleich eine Fiktion und ein Prinzip »st, das wirkliche soziale Verhältnisse organisiert. ist Repräsentation
**
A n d ie s e r S t e lle
f e h l t i n d e r e n g l i s c h e n A u s g a b e f o l g e n d e r S a t z : „ E s g e h t a ls o
d a r u m , d ie A r t d e r B e z ie h u n g in A u g e n s c h e in
z u n e h m e n , d i e d i e s e s .je m a n
d e n f ü r e tw a s g e w in n e n * u n d s e in e V e r k n ü p f u n g m it d e m T e r r a in , d a s d a s F e ld d e r R e p r ä s e n t a t io n v e r d a n k e n w ir Z o h a n S z a n k a y .
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g l a t t e n , u n s ic h e r e n
b ild e t, im p liz ie r t . “ D ie s e n
H in w e is
Wenn dit* Iimtologie eines einfachen, sowohl das Repräsentierte als auch den Repräsentanten konstituierenden Diskurses aufgegeben wird, muß man folgern, daß Repräsentiertes mul Repräsentant auf verschiedenen Ebenen lionstiHiiert werden. F.ine erste Versuchung bestünde: dann darin, diese Tren nung der Ebenen total zu machen und die Unmöglichkeit der Repräsenlationsbe/.ielning aus seinem fiktiven Charakter herzuleitcn. So wurde c*rklürt: D e n Ö k o n o m is m u s a b le h n e n p o lit is f li- id e o lo g is e b e n d a ß p o litis c h e
u n d
b e d e u t e t , d i e k l a s s i s c h e K o n z e p t i o n d e r Ö k o n o m is c li-
K in h c it v o n
id e o lo g is c h e
K la s s e n z u v e rw e rfe n , b e d e u te t zu b e h a u p te n ,
K ä m p fe
n ic h t a ls K ä m p f e ö k o n o m is c h e r K la s s e n
b e g r if f e n w e r d e n k ö n n e n . E s g i b t k e in e n M i t t e l w e g . . . K la s $ c n „ in t e r e s * e n " w e r d e n d e r P o lit ik u n d d e r Id e o lo g ie
n i c h t d u r c h d i e Ö k o n o m i e g e g e b e n . S ie e n t s t e h e n in
d e r p o l i t i s c h e n P r a x i s u n d w e r d e n a ls e in E f f e k t b e s t im m t e r p o lit is c h e r P r a x is fo r m e n b e s t im m t . P o l i t i s c h e
P r a x is e r k e n n t k e in e
K la s s e n i n t e r e s s e n u n d r e p r ä s e n t ie r t s ie
s p iit e r : s i e k o n s t i t u i e r t j e n e I n t e r e s s e n , d i e s i e r e p r ä s e n t i e r t . ”
Diese B e h a u p t u n g könnte jedoch nur aufrechtcrhalten werden, wenn die po litisch e Praxis e in vollkommen abgegrenztes Feld wäre, dessen GrenzFronten z u r Ö k o n o m ie more geomelricogezogen werden könnten - wenn wir also p r in z ip ie ll j e d e Überdeterminierung des Politischen durch das öko nom ische oder umgekehrt ausschließen würden. Wir wissen jedoch, daß diese Trennung nur a priori in einer essentialistischen Konzeption herge stellt w e rd e n kann, die eine reale Trennung zwischen Elementen aus einer b e g r ifflic h e n Trennung herleitet, die die begriffliche Spezifizierung einer Identität in eine vollständige und absolut differenzierte diskursive Position transformiert. Wenn wir aber den überdeterininierten Charakterjeder Iden tität akzeptieren, verändert sich sofort die Situation. Es gibt einen anderen Weg, der - auch wenn wir nicht wissen, ob es ein Mittelweg ist - auf jeden Fall ein dritter Weg ist. Das „Gewinnen sozialer Agenten für ihre histori schen Interessen“ bedeutet ganz einfach eine artikulato rische Praxis, die einen Diskurs konstruiert, worin die konkreten Forderungen einer Gruppe - der Industriearbeieter - als Schritte zur totalen Befreiung verstanden wer den, die die Überwindung des Kapitalismus einschließt. Zweifellos gibt es keine essentielle Notwendigkeit, daß diese Forderungen auf diese Art arti kuliert werden. Aber ebenso gibt es auch keine essentielle N o t w e n d i g k e i t dafür, daß sie in irgendeiner anderer Weise artikuliert werden, da, wie wir gesehen haben, eine Artikulationsbeziehung keine Notwendigkeitsbe ziehung ist. Der Diskurs der „historischen Interessen“ ist nichts anderes als
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d ie
ht'grmoutale
h iu h in d u n g b e stim m ter l o jd e i im g e n . In d ie s e m Punkt h;i
bei» ( 'u tle r et al. absolut rech t: d ie p o ln is c h e P ra x is k o n s tr u ie r t «lit* Iiitrj,^ sei», d ie sie rc p r.ls e n tie ii. Wem» wir a lle rd in g s g e n a u H in se h e n , w eid en \vj| b e m erk e n , d aß hie» bei d ie T rennung/ w isch en d e in Ö k o n o m is c h e n und t|et]) P o litisch en , wxMtahvnn je g lie h e r K o n s o lid ie ru n g ,
eliminiert w ird .
D en n ejin-
so zialistisch e l .esan un m irtelbaie» ö k o n o m is c h e r K ä m p fe a r t ik u lie r t das p«,. I i tische und das Ö k o n o m i s c h e diskursiv und b e s e i t i g ! so gerade die zwisclie,, beiden bestehende Äußerlichkeit. Pie Alternative ist klar: entweder findet die tiemiimg /wischen den» Politischen und dem ökonomischen auf eiuer außerdiskursiven Fhene statt, die sie a priori befestigt, oder aber diese Tren. nung ist das Resultat diskursiver Praxen, womit es ist nicht möglich wäre, sie a priori gegen jeden ihre Einheit konstruierenden Diskurs zu immunisieren. Wenn die Verstreuung von Positionen eine Bedingung für jede artikulatorische P»-a\is ist, gibt es keinen Grund, warum diese Verstreuung nohuen. digenefised ie Form einer Trennung zwischen der politischen und der ö k o n o mischen Identität der sozialen Agenten annehmen sollte. Wenn ökononii. sehe und politische Identität genäht wären, verschwänden augenscheinlich alle Bedingungen für ein Repiüsentationsverhältnis. Wir wären zu dertauto. logischen Situation zurückgekehrt, in der Repräsentant und Repräsentiertes Momente einer einfachen relationalen Identität sind. Akzeptieren wir stattdessen, daß weder die politische noch die ökonomische Identität der Agenten sich als differentielles Moment eines einheitlichen Diskurses verfestigt und daß das Verhältnis zwischen ihnen die prekäre Einheit einer Spannung ist. Wir wissen bereits, daß dies die Subversion einesjeden der Begriffe durch eine Polysemie bedeutet, die ihre stabile Artikulation verhindert. Von daher kann man sagen: Das ökonomische ist und ist nicht im Politischen präsent und umgekehrt; die Beziehung ist nicht eine buchstäblicher Differenzierun gen. sondern instabiler Analogien zwischen beiden Begriffen. Diese Form der Präsenz durch metaphorische Transposition versucht nun die fictio iuris der Repräsentation zu denken. Repräsentation ist in der Folge nicht als ein bestimmter Typus einer Beziehung begründet, sondern als das Feld einer instabilen Oszillation, deren Fluchtpunkt, wie wir sahen, entweder die Verbuchstäblichung der Fiktion mittels Bruch aller Verbindungen zwischen Repräsentant und Repräsentiertem oder das Verschwinden der getrennten Identitäten beider durch ihre Absorption als Momente einer einfachen Iden tität ist. All dies zeigt uns, daß die Spezifik der Kategorie des Subjekts weder durch die Verabsolutierung einer Verstreuung von „Subjektpositionen“ noch durch
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die ebenso absolut istische Vereinheitlic hung dieser Positionen um ein „lians/eiulentnles Subjekt“ etabliert werden kann. Die Suhjcktkategoric wird von demselben vieldeutigen, unvollständigen und polysemischen Charakter durchdrungen, den die (Jberdetei minierung jeder diskursiven Identität /uschi eibl. Aus diesem (¿rund kann das Moment der Schließung einer diskursiven Totalität, welc hes nicht auf der „objektiven“ Ebene dieser Totalität gegeben ist, auch nicht durch ein „sinnstiftendes Subjekt" etabliert werden, da ja die Subjektivität dieses Agenten von der gleichen Unsicherheit und Abwesenheit einer Naht durchdrungen wird, wie sie auch an jeder ande* ich Stelle der diskursiven Totalität, von der sic Teil ist, ersichtlich ist. „Ob jektivismus“ und „Subjektivismus“, „Ilolisinus“ und „Individualismus“sind symmetrische Ausdi ucksweisen des Begehrens nach einer Fülle, die per manent aufgeschoben bleibt. Infolge dieser völligen Abwesenheit einer endgültigen Naht kann die bloße Vcrstreuung von Subjektpositionen keine Lösung bilden: Wenn sich letztlich keine dieser Positionen als getrennte Posi tion konsolidieren kann, gibt es ein Spiel der Überdeterminieriingzwischen ihnen, das den Horizont einer unmöglichen Totalität wiedereinführt. Ge nau dieses Spiel ermöglicht die hegemoniale Artikulation.
Antagonismus und Objektivität Die Unmöglichkeit der Schließung (das heißt die Unmöglichkeit von „Ge sellschaft“) ist bis zu diesem Punkt als Unsicherheit jeder Identität darge stellt worden, die sich als kontinuierliche Bewegung von Differenzen mani festiert. Wir müssen uns nun jedoch fragen, ob es nicht gewisse „Erfahrun gen“, gewisse diskursive Formen gibt, in denen das, was manifestiert wird, nicht länger der kontinuierliche Aufschub des „transzendentalen Signifikats“ ist, sondern gerade die Nichtigkeit dieser Aufschiebung, die endgültige Un möglichkeit einer stabilen Differenz und folglichjeglicher „Objektivität“. Die Antwort istja. Diese „Erfahrung“ der Grenze aller Objektivität hat eine Form präziser diskursiver Präsenz den Antagonismus. Antagonismen sind in der historischen und soziologischen Literatur um fassend untersucht worden. Vom Marxismus bis hin zu den verschiedenen Formen der „Konflikttheorie“ hat es eine ganze Reihe von Erklärungen dar über gegeben, wie und warum in der Gesellschaft Antagonismen auftauchen. Diese theoretische Vielfalt offenbart jedoch ein gemeinsames Merkmal: die Diskussion hat sich beinahe ausschließlich auf die Beschreibung von Antago 161
nismen mul ihrer ursprünglichen Ursachen konzentriert. Ntii selten ist tl(M Versuch gemacht wurden, den Kern unseres Problems anzuspiec hen: Was jsl ein antagonistisches Verhältnis? Welchen 1\pus der Beziehung /wischen du, Objekten setzt es \oraus? Beginnen wir mit einer der wenigen Diskussionen die diese Frage angeschniiien haben, nämlich mit jener, die durch l.iu j0 Collettis Anah se dei Spezif ik sozialer Antagonismen und der Ansprüche die die Kategorien ..Realopposition“ und „Widerspruch“ zur Erklärung die ser Spezifik geltend machen können, in Gang gesetzt wurde.11 Colletti geht wn der Kantschen Unterscheidung zwischen Realopposition {Reahrfntgtianz*) und logischem Widerspruch aus. Die Realopposition deckt sich mit dem Prin/ip der Gegensätzlichkeit und entspricht der Formel *A Bwobei jedes der beiden Glieder unabhängig von seiner Relation zum an deren seine eigene Positivität besitzt. Der logische Widerspruch ist die uns bekannte Kategorie des Widerspruchs und entspricht der Formel „A - nicht A", wobei die Relation eines jeden Gliedes zum anderen beider Realität erschöpft. Der Widerspruch kommt auf dem Terrain der Proposition vor, exi. stiert nur auf einer logisch-begriff lichen Ebene. Der erste Typus des Gegen satzes kommt dagegen auf dem Terrain realer Objekte vor, in dem kein reales Objekt seine Identität in seinem Gegensatz zu einem anderen Objekt erschöpft; jedes besitzt seine eigene Realität, unabhängig von diesem Gegensatz.55Colletti folgert nun hieraus, daß, während Hegel als idealistischer Philosoph, der die Realität auf den Begriff reduziert, den Widerspruch in das Reale einführen konnte, ein solches Unterfangen mit einer materialistischen Philosophie wie dem Marxismus, der von dem außergeistigen Charakter des Realen ausgeht, unvereinbar ist. Entsprechend dieser Ansicht fiel der Marxismus in ein er bärmliches Durcheinander, indem er Antagonismen als Widersprüche be trachtete. Collettis Programm besteht darin, sie in Form von Reaioppositionen neu zu interpretieren. Achten wir darauf, daß Colletti von einer ausschließlichen Alternative ausgeht: entweder ist etwas eine Realopposition oder ein Widerspruch. Dies folgt aus dem Faktum, daß seine Welt nur für zwei Wesenstypen Platz hat, nämlich für Realobjekte und Begriffe, und daß der Ausgangspunkt und die permanente Voraussetzung seiner ganzen Analyse die Trennung von Denken und Realität ist. Hieraus ergeben sich zahlreiche Konsequenzen, die, wie wir zeigen werden, die Tragfähigkeit sowohl der „Realopposition“ • als auch des „Widerspruchs“ als Kategorien, die Antagonismen erklären können, zerstören. Zuallererst ist klar, daß ein Antagonismus keine RealO p p o s i t i o n ist. Es gibt nichts Antagonistisches bei einem Zusammenstoß 162
/u'istlui« zwei Fahrzeugen: cs handelt s i c h um eine materielle Tatsache, d i e jH»sitiven physikalischen Gesetzen gehorcht. Dasselbe Prinzip auf das soziale leiiaiu an/uwenden, wäre mit der Behauptung gleichbedeutend, daß das A n t a g o n i s t i s c h e im Klassenkainpf in dein physischen Akt besteht, in dein ein P o l i z i s t einen militanten Arbeiter schlügt, oder im Geschrei einer Pariainentariei gruppe, mit dem ein Mitglied aus dem Oppositionslager am Spre c h e n gehindert wird. „Opposition“ ist hierein Begriff der physikalischen Welt, der metaphorisch auf die soziale Welt ausgedehnt worden ist - oder vice versa. Es hat j e d o c h offensichtlich wenig Sinn, s o zu tun, als ob es einen gemeinsa men Bedeutimgskern gibt, der zur Erklärung des in beiden Fällen implizier ten Typs von Beziehung ausreicht. Dies wird noch deutlicher, wenn wir, um uns auf das Soziale zu beziehen, „oppositionelle Kräfte“ durch „feindliche Kriifte* ersetzen - denn in diesem Fall hat eine metaphorische Transposition auf die physikalische Welt, zumindest in einem nachhomcrischen Universum, nicht stattgefunden. Es mag eingewendet weiden, daß nicht der physische, son dern nur der außerlogische Charakter des Gegensatzes zählt. Aber es ist noch weniger klar, wie eine Theorie der Spezifik sozialer Antagonismen auf nichts als den Gegensatz zum logischen Widerspruch gegründet werden kann, der einem Konflikt zweier sozialer Kräfte und einem Zusammenstoß zweier Steine gemeinsam ist.36 Ferner werden, wie Roy Edgley57 und Jon Elster* aufgezeigt haben, in die sem Problem zwei verschiedene Behauptungen miteinander vermengt: zum einen, daß das Reale widersprüchlich ist, zum anderen, daß Widersprüche in der Realität existieren. Hinsichtlich des ersten kann kein Zweifel sein, daß die Aussage völlig sinnlos ist. Poppers berühmte Kritik der Dialektik® ist von die sem Standpunkt aus einwandfrei. Die zweite Behauptung Lstjedoch unbestreit bar: es ist eine Tatsache, daß es in der Realität Situationen gibt, die nur in der Form eines logischen Widerspruchs beschrieben werden können. Propositio nen sind ebenfalls Teil des Realen und offensichtlich existieren, insofern wi dersprüchliche Propositionen empirisch existieren, Widersprüche im Realen. Die Leute argumentieren und es gibt, in dem Maße, wie zahlreiche soziale Praxen - Codes, Meinungen und so weiter - eine propositionale Struktur an nehmen können, keinen Grund, warum sie keine widersprüchlichen Proposi tionen hervorrufen sollten. (In diesem Punkt verfällt Edgley jedoch dem of fensichtlichen Irrtum zu glauben, daß die Möglichkeit der realen Existenz von widersprüchlichen Propositionen die Richtigkeit der Dialektik beweist. Die Dialektik ist eine Lehre über die wesentlich widersprüchliche Natur des Rea len, nicht über die empirische Existenz von Widersprüchen in der Realität.)
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Ks hat somil «Ich Anschein. clall die Kategorie des Widcrspi in liS gesicherten Platz im Realen hat mul dir Basis üli dir Erklärung so/i;,),.' Antagonismen liefert. Ahn cs genügt eine Ühci Irgnng, um lins /», zeugen, daß dom nicht so ist, N'it haben alle au einer Anzahl wcchselsehj sieh widersprechender Glauhenssvsteme feil und doch taucht kein Antag,, nismus aus diesen Widrr.spi üchcn auf. Per Widerspruch beinhaltet dt<$ halb nicht notwendigerweise ein antagonistisches Verhältnis.'“ Wein, \vjr jedoch sowohl die „Realopposition" als auch den „Widerspruch“ als Kate gorien /ui Frkläumg des Antagonismus ausgeschlossen haben, könnte Cs scheinen, daß die Spezifik des letzteren nicht erlaßt werden kann. l)ie tj^jj chen Beschreibungen von Antagonismen in der soziologischen oder histo rischen Literatur bestätigen diesen Kindruck: sie erklären die ^dingung^ die Antagonismen möglich machen, nicht aber die Antagonismen als sol che. (Die Beschreibung verfährt nach derartigen Redensarten wie „die* pmwtiertt eine Reaktion“ oder „in dieser Situation sah sich X oder Z ge, zwungen zu reagieren.“ Es gibt mit anderen Worten einen plötzlichen Sprung von der Erklärung hin zu einem Appell an unseren gesunden Meil. schenverstand beziehungsweise an unsere Erfahrung, die Bedeutung des Textes zu vollenden, das heißt die Erklärung wird unterbrochen/versperrt.) Versuchen wir, die Bedeutung dieser Unterbrechung aufzudröseln. Zuerst müssen wir uns fragen, ob die Unmöglichkeit, den Antagonismus der Realopposition oder dem Widerspruch anzugleichen, nicht die Unmög. lichkeit ist, ihn an etwas anzugleichen, das diesen Beziehungstypen selbst eigen ist. Sie haben in der Tat etwas gemeinsames und das ist die Tatsache daß sie objektive Verhältnisse sind - Verhältnisse zwischen begriff liehen Ob jekten im zweiten und zwischen realen Objekten im ersten Fall. Aber in beiden Fällen ist es etwas, das die Gegenstände bereits sind, was die Bezie hung intelligibel macht, das heißt in beiden Fällen handelt es sich um volle Identitäten. Im Fall des Widerspruchs ist, weil A in vollständiger Weise A ist, das Nicht-A-Sein ein Widerspruch - und daher eine Unmöglichkeit. Im Fall der Realopposition produziert die Beziehung von A zu B deswegen einen objektiv bestimmbaren Effekt, weil A ebenfalls völlig A ist. Im Fall des Antagonismus stehen wir jedoch vor einer anderen Situation: Die Prä senz des „Anderen“ hindert mich daran, gänzlich Ich selbst zu sein. Das Verhältnis entsteht nicht aus vollen Totalitäten, sondern aus der Unmög lichkeit ihrer Konstitution. Die Präsenz des Anderen ist keine logische Unmöglichkeit: es existiert ja; also handelt es sich nicht um einen Wider spruch. Der Antagonismus ist jedoch auch nicht als ein positives differenti-
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,.||cs Moment einer Kausalkette subsuinierbar, denn in diesem Fall wäre die Beziehung durch das, was jede Kraft ist, gegeben und es gilbe keine Negation diese» Seins, (Eben weil eine physikalische Kraft eine physikali sche Krall ist, führt eine andere identische und ausgleichcnde Kraft zum Stillstand. Im Kontrast dazu existiert, gerade weil ein Dauer kein Hauer sein kann, ein Antagonismus gegenüber dem Grundbesitzer, der ihn von sei nem Land vertreibt.) Insofern es einen Antagonismus gibt, kann ich für mich selbst keine vollständige Präsenz sein. Aber auch die Kraft, die mich antagonisiet t, ist keine solche Präsenz: ihr objektives Sein ist ein Symbol meines Nicht-Seins und wird auf diese Art und Weise von einer Pluralität von Bedeutungen überflutet, die verhindern, daß es als volle Positivität fixiert wird. Realopposition ist ein objektives, also bestimmbares und defi nierbares Verhältnis zwischen Dingen; Widerspruch ist ein ebenso definier bares Verhältnis zwischen Begriffen; Antagonismus hingegen konstituiert die G re n z en jed er Objektivität, die sich als partielle und prekäre Objektivie r u n g enihiiWt. Wenn Sprache ein System von Differenzen ist, so ist der Ant agonismus das Scheitern der Differenz: in diesem Sinne richtet er sich in nerhalb der Begrenzungen der Sprache ein und kann nur als ihre Zerspal tung existieren - also als Metapher. Wir können somit verstehen, warum soziologische und historische Erzählungen sich selbst unterbrechen und sich an eine ihre Begrifflichkeit transzendierende „Erfahrung“ wenden müssen, um ihre Lücken zu füllen: jede Sprache und jede Gesellschaft sind durch Unterdrückung des Bewußtseins der sie durchdringenden Unmög lichkeit konstituiert. Der Antagonismus entzieht sich der Möglichkeit, durch Sprache erfaßt zu werden, da ja Sprache nur als Versuch einer Fixierung dessen existiert, was der Antagonismus untergräbt. Der Antagonismus, weit davon entfernt, ein objektives Verhältnis zu sein, ist ein Verhältnis, worin die Grenzen jeder Objektivität gezeigt werden - im Sinne Wittgensteins, daß das, was nicht gesagt, so doch gezeigt werden kann. Aber wenn das Soziale, wie wir dargelegt haben, nur als partieller Versuch existiert, Gesellschaft zu konstruieren - das heißt ein objektives und ge schlossenes System von Differenzen - ist der Antagonismus als Zeuge der Unmöglichkeit einer endgültigen Naht die „Erfahrung“ der Grenze des Sozialen. Genaugenommen existieren Antagonismen nicht innerhalb, son dern außerhalb der Gesellschaft; beziehungsweise sie konstituieren die Gren zen der Gesellschaft und deren Unmöglichkeit, sich vollständig zu konsti tuieren. Diese Behauptung mag paradox erscheinen, doch nur dann, wenn wir heimlich bestimmte Annahmen einführen, die sorgfältig aus unserer
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theoretischen Perspektive ausgeschlossen werden müssen. Insbesondere zu«; solcher Annahmen würden unsere 1 hese hinsichtlich der theoretischen Lokalisierung von Antagonismen ad absurdum führen. Hie erste besteht in der Idcntifizienmg um „Gesellschaft“ mit einem Ensemble physisch existierender sozialer Agenten, die innerhalb eines bestimmten Territorium* leben. Wenn dieses Kriterium akzeptiert wird, ist cs offensichtlich, daß Am. agonismen ¿irischen jenen Agenten anftreten und ihnen nicht äußerlich sind. Aber aus der .empirischen" Koexistenz der Agenten folgt nicht notwendigerweisc, daß sich die Verhältnisse zwischen ihnen nach einem objektiven und intcUigiblcn Muster gestalten. („Gesellschaft“ kann nur um den Preis mit dem Referenten gleichgeset/t werden, wenn man sie allen rational angebbaren Inhalts beraubt.) Wenn wir dagegen akzeptierten, daß „Gesell, schaft" ein intelligibles und objektives Ganzes ist, würden wir eine andere, mit unserer Analyse ebenfalls unvereinbare Annahme einführen, die darin besteht, dieser rationalen Totalität den Charakter eines zugrundeliegenden Prinzips des Sozialen zuzuschreiben, das als eine empirische Totalität begrif. fen wird. Denn dann gäbe es keinen Aspekt der empirischen Totalität mehr, der nicht als ein Moment der rationalen Totalität wieder aufgesaugt wer den könnte, ln diesem Fall müßten die Antagonismen, wie alles andere auch, positive interne Momente der Gesellschaft sein, und wir wären zur Hegelschen List der Vernunft zuriickgekehi t. Wenn wir aber unsere Kon zeption des Sozialen als ungenähtem Raum aufrechterhalten, als einem Feld, auf dem jede Positivität metaphorisch und untergrabbar ist, dann gibt es keine Möglichkeit mehr, die Negation einer objektiven Position auf eine ihr zugrundeliegende, sie erklärende Positivität zurückzuführen - sei sie nun zufällig oder wn irgendeiner anderen Art. Der Antagonismus als die Negation einer gegebenen Ordnung ist ganz einfach die Grenze dieser Ordnung und nicht das Moment einer umfangreicheren Totalität in bezug auf die die beiden Pole des Antagonismus differentielle - das heißt objekti ve - partielle Instanzen bildeten. (Wohlverstanden: die einen Antagonis mus ermöglichenden Bedingungen können als Positivitäten beschrieben werden, aber der Antagonismus als solcher ist nicht auf diese reduzierbar.) Wir müssen diese „Erfahrung“ der Grenze des Sozialen von zwei verschie denen Gesichtspunkten aus betrachten. Zum einen als eine Erfahrung des Versagens: W'enn das Subjekt mittels Sprache konstruiert wird, als eine par tielle und metaphorische Eingliederung in eine symbolische Ordnung, so muß jede Infragestellung dieser Ordnung notwendigerweise eine Idemitätskrise darstellen. Zum anderen bedeutet diese Erfahrung des Versagens
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jedoch keinen Zugang zu einer andersartigen ontologischen Ordnung, zu einem Ktwas jenseits der Differenzen, einfach weil... es kein Jenseits gibt. Die Grenze des Sozialen kann nicht als eine trennende Grenze z w i s c h e n z w e i Territorien aufgespürt werden, weil die Wahrnehmung e i n e r Grenze die Wahrnehmung von etwas Jenseitigem voraussetzt, das objektiv und po s i t i v sein müßte - das heißt eine neue Differenz wäre. Die Grenze des Sozia len muß innerhalb des Sozialen selbst gegeben sein, a l s etwas, das es unter gräbt, seinen Wunsch nach voller Präsenz zerstört. Gesellschaft kann nie mals vollständig Gesellschaft sein, weil alles in ihr von ihren Grenzen durch d r u n g e n ist, die verhindern, daß sic sich selbst als objektive Realität konsti tuiert. Wir müssen jetzt die Art und Weise betrachten, in der diese Subver s i o n diskursiv konstruiert wird. Wie wir gesehen haben, verlangt dies von uns die Bestimmung derjenigen Formen, die durch die Präsenz des Ant agonistischen als solchem gebildet wurden.
Äquivalenz und Differenz Wie geschieht diese Subversion? Wie wir gesehen haben, ist die Bedingung für eine volle Präsenz die Existenz eines geschlossenen Raums, wo jede differentielle Position als ein spezifisches und unersetzbares Moment fi xiert ist. Folglich ist die erste Bedingung für die Subversion dieses Raumes, für die Verhinderung seiner Schließung, daß die Spezifik jeder Position a u f g e l ö s t werden sollte. An diesem Punkt erlangen unsere früheren Be merkungen über das Äquivalenzverhältnis ihre ganze Bedeutung. Nehmen wir ein Beispiel. I n einem kolonisierten Land wird die Präsenz der herr s c h e n d e n Macht jeden Tag durch e i n e Reihe von Inhalten wie Unterschie de in der Kleidung, der Sprache, der Hautfarbe, bei den Sitten und Ge bräuchen, evident gemacht. Da ein jeder dieser Inhalte mit den anderen durch ihre gemeinsame Unterscheidung vom kolonisierten Volk äquiva lent ist, verliert er seinen Zustand eines differentiellen Moments und be kommt den flottierenden Charakter eines Elements. Somit erzeugt die Äqui valenz eine zweite Bedeutung, die die erste, obwohl sie von ihr zehrt, unter gräbt: die Differenzen heben sich einander gegenseitig auf, insofern sie etwas ihnen allen zugrundeliegendes Identisches ausdrücken. Das Problem ist, den Inhalt dieses „identischen Etwas“ zu bestimmen, das in den ver schiedenen Gliedern der Äquivalenz anwesend ist. Wenn durch die Äqui valenzkette alle differentiellen objektiven Bestimmungen ihrer Glieder ver
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loren wurden, dann kann Identität nur entweder durel» eine ihnen a||t.n zugrundeliegende positive Bestimmung oder dm» h ihn* gemeinsame |(t. ferenz auf etwas Äußeres gegeben werden. Hie erste dieser Möglichkeiten ist ausgeschlossen, da eine gemeinsame positive Bestimmung jn aul direk. lern Weg ausgedrückt wird, ohne daß ein Aquivaleuzverhältnis gebiaud,, wird. Die gemeinsame äußerliche Referenz kann jedoch nicht aus et\Vils Positivem bestehen, denn in diesem Kall könnte das Verhältnis zwischen den beiden Polen el>enso auf direkte und positive Art und Weise* konstruier weiden, was die vollständige Aufhebung der Differenzen, die ein Verhält,iis totaler Äquivalenz mit siel» bringt, unmöglich machen würde. Dies ist beispielsweise bei Marxens Analvse der Äquivalentform der Fall. Die Nicht-Stoff, liehkeil von Arbeit als Wensubstanz wird durch die Äquivalenz zwischen stoff. lieh versc hiedenen Wat en ausgedrückt. jedoch sind die Stofflichkeit der Waren und die N i c h t - S t o f f l i c h k e i t des Werts einander nicht äquivalent. Genau <Je s. wegen kann die Unterscheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert in Form differentieller und deshalb positiver Positionen begriffen werden. Wenn aber alle differentiellen Merkmale eines Gegenstandes äquivalent geworden sind, ist es unmöglich, etwas Positives übe« diesen Gegenstand auszudrücken. Dies kann nur bedeuten, daß durch die Äquivalenz etwas ausgedriiekt wird, was der Gegenstand niclu ist. Demgemäß schafft ein Äquivalenzverhältnis, das alle positiv en Bestimmungen des Kolonisators im Gegensatz zu den Kolo, nisierten absorbiert, kein System positiver differentieller Positionen zwischen beiden, einfach weil siejede Positivität auflöst: der Kolonisator wird diskur siv als der Nicht-Kolonisierte konstruiert. Mit anderen Worten: die Identität ist rein negativ geworden. Gerade weil eine negative Identität nicht auf di rekte Art und Weise, also positiv repräsentiert werden kann, kann sie nur indirekt, durch eine Äquivalenz zwischen ihren differentiellen Momenten repräsentiert werden. Deswegen diejede Äquivalenzbeziehung durchziehende , Ambiguität: um äquivalent zu sein, müssen zwei Begriffe verschieden sein ansonsten wäre es eine einfache Identität. Andererseits existiert die Äquivalenz -s nur durch die Subversion des differentiellen Charakters jener Begriffe. Ge nau an diesem Punkt untergräbt, wie bereits ausgeführt, das Kontingente das Notwendige, indem es dieses daran hindert, sich vollständig zu konstitu ieren. Diese Nicht-Konstitutivität oder Kontingenz - des Systems von Diffe renzen wird in der Nicht-Fixiertheit, die die Äquivalenz einführt, enthüllt Der endgültige Charakter dieser Nicht-Fixiertheit, die endgültige Unsicherheit jeder Differenz, zeigt sich folglich in einem Verhältnis totaler Äquivalenz, in dem die differentielle Positivität A ihrer Begriffe aufgelöst ist. Dies ist genau
(|jc Formel des Antagonismus, der sich somit als die Grenze des Sozialen erweist- Wir sollieti bemerken, daß hier nicht ein als Positivität definierter l»ol einem negativen Pol gegenüberstehf: da a//r differentiellen Bestimmun gen des einen Polen sich durch ihre negariv-äquivalentielle Referenz auf den anderen Pol auf gelöst haben, zeigt ein jeder von ihnen ausschließlich das, was er nicht ist. B e t o n e n wir noch einmal nachdrücklich: etwas zu sein, heißt immer, etwas a n d e r e s nicht zu sein (A sein impliziert, nicht B sein). Auf diese Banalität wolle» wir natürlich nicht hinaus, denn sie liegtauf einem logischen Terrain, das gänzlich vom Prinzip des Widerspruchs beherrscht wird. Das hieße näm lich: etwas nicht zu sein, ist bloß die logische Konsequenz davon, etwas anderes zu sein - die Positivität des Seins würde die Totalität des Diskurses beherr schen. Wir behaupten dagegen etwas ganz anderes: daß nämlich bestimmte diskursive Formen durch die Äquivalenz jede Positivität des Gegenstandes auslöschen und der Negativität als solcher eine reale Existenz geben. Diese Unmöglichkeit des R e a l e n - die Negativität - hat eine Form von Präsenz erlangt. Da das Soziale \on N e g a t i v i t ä t , also vom Antagonismus, durchdrungen wird, erlangt es nicht den Status der T ransparenz, vollständiger Präsenz, und die Objektivität sei ner Identitäten wird permanent untergraben. Von hier an ist die unmögli che Beziehung von Objektivität und Negativität für das Soziale konstitutiv g e w o r d e n . Doch die Unmöglichkeit des Verhältnisses bleibt: aus diesem Grund muß die Koexistenz seiner Glieder nicht als objektives Verhältnis von GrenzF r o n t e n begriffen werden, sondern als wechselseitige Subversion ihrer In halte. Dieser letzte Punkt ist von großer Wichtigkeit: wenn Negativität und Ob jektivität nur durch ihre wechselseitige Subversion existieren, dann läßt sich weder der Zustand totaler Äquivalenz noch jener totaler differentieller Ob jektivitätje ganz erreichen. Die Bedingung für totale Äquivalenz ist, daß sich der diskursive Raum strikt in zwei Lager aufteilt - der Antagonismus läßt kein tertium quid zu. Der Grund ist leicht einzusehen. Wenn wir nämlich die Äquivalenzenkette im Hinblick auf etwas anderes als auf das von ihr Be kämpfte differenzieren könnten, könnten ihre Begriffe nicht ausschließlich negativ definiert werden. Wir hätten ihr eine besondere Position in einem System von Relationen zugesprochen, was nichts anderes heißt, als sie mit einer neuen Objektivität auszustatten. Die Logik der Subversion von Diffe renzen hätte hier eine Grenze gefunden. Aber ebenso wie die Logik der Differenz niemals einen völlig genähten Raum bilden kann, erreicht dies auch die Logik der Äquivalenz nie. Die Auflösung des differentiellen Cha-
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r a k te r s d e r P o s it io n e n
d i s s o z ia le n
A ge n te n
d i c h t u n g is t n i e m a l s w > l l s t ä n d i g . W e n n is t . s o is t s i e a u c h
n ic h t g ä n z li c h
S c h lu ß f o lg e r u n g fo r m u lie r e n :
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ä q u i v a l e n t ¡ e ile W j .
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d e r A n t a g o n is m u s n ic h t w il lk o m m e n t r a n s p a r e n t , d a S o z ia le n n ic h t g ä n z lic h a u f l ö s e n
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O b j e k t i v i t ä t de$
kann.
An diesem Punkt müssen wir zur Strukturierung politischer Räume von den jeweiligen (iesichtspunkten der entgegengesetzten Logiken der Äqui valenz und Differenz übergehen. Nehmen wir beispielsweise bestimmte einander entgegengesetzte Situationen, in denen die eine oder die andere Lo gik \\Mherrscht. Ein extremes Beispiel für eine Äquivalenzlogik finden wi, in den millenaristischen Bewegungen. Hier zerf ällt die Welt durch ein Sy. stem panwaktischer Äquivalenzen in zwei Lager: in die ländliche Kultur, die die Identität der Bewi'gung repräsentiert, und in die städtische Kultur, die das Böse verkörpert. Die zweite ist die negative Kehrseite der ersten. Ein Höchstmaß an Trennung ist erreicht worden: kein Element im ÄquivalenzSystem geht andere als in Opposition zu den Elementen des anderen Sy. stems stehende Beziehungen ein. Es gibt nicht eine, sondern zwei Gesellschäften. Wenn also die millenaristische Rebellion stattfindet, ist der Sturm auf die Stadt heftig, total und wahllos: es gibt keine Diskurse, die imstande wären, Differenzen innerhalb einer Äquivalenzkette zu etablieren, in der alle undjedes ihrer Elemente das Böse symbolisiert. (Die einzige Alternative be steht in der massiven Auswanderung in ein anderes Land, um das R eich Gottes zu errichten, das sich gegenüber der Verderbnis der Welt total ab schottet.) Betrachten wir nun als Gegenbeispiel die Politik Disraelis im neunzehnten Jahrhundert. Disraeli war als Romanschriftsteller von der Konzeption zweier Nationen ausgegangen, das heißt einer klaren Aufspaltung der Gesellschaft in die beiden Extreme Armut und Reichtum. Dem müssen wir die ebenso deutliche Aufspaltung des europäischen politischen Raums in die „ancien regimes“ und in das „Volk“ hinzufügen. (Die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war unter den kombinierten Wirkungen der industriellen und der demokratischen Revolution eine Ära frontaler Äquivalenzketten.) Diese Situation wollte Disraeli verändern. Sein erstes Ziel war die Überwindung der parataktischen Teilung des sozialen Raumes, also der Unmöglichkeit der Konstitution von Gesellschaft. Er formulierte es klar und deutlich: „Eine Nation“. Um dies zu erreichen, war es notwendig, das System der Äqui-
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vali’tizt'n a u f / u b r c c h e n , rlie clic popular-rcvnlulionäre Subjektivität bildeten u n d v o m Republikanisinus bis hin zu einem bunten Ensemble sozialer und p o l i t i s c h e r Forderungen reichten. Die Methode dieses ßruchs war d i e diffe«•Mlielle A u l nähme von Forderungen, die sic von ihren Äquivalenzketten i n d e r p o p u l ä r e n Kette absonderte und in objektive Differenzen innerhalb des S y s t e m s , also in „Positivitäten“ transformierte. Somit verschob sich die Spaltungslinie cles Antagonismus hin zur Peripherie des Sozialen. Diese Kon stituierung eines reinen Raumes von Differenzen würde eine Richtschnur sein, d i e sich später init der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates ausweitete und verstärkte. Dies ist das Moment der positivistischen Illusion, derzufolge d a s Ganze des Sozialen i n das intelligible und geordnete Gefüge der Gesell s c h a f t aufgenoinmen w e i d e n kann. Wir sehen also, daß die Logik der Äquivalenz eine Logik der Vereinfa chung des politischen Raumes ist, während die Logik der Differenz eine l.ogik seiner Erweiterung und zunehmenden Komplexität ist. Nehmen wir ein vergleichbares Beispiel aus der Linguistik, so könnten wir sagen, daß die Logik der Differenz darauf hinausläuft, den syntagmatischen Pol der Sprache zu erweitern, die Anzahl der Positionen, die eine öeziehungder Verknüpfung und deshalb auch der Kontinuität miteinander eingehen. Da gegen erweitert die Logik der Äquivalenz den paradigmatischen Pol - also die einander substituierbaren Elemente - und reduziert dadurch die An zahl der Positionen, die möglicherweise verbunden werden können. Bisher haben wir der Einfachheit halber vom Antagonismus im Singular gesprochen. Es ist jedoch klar, daß der Antagonismus nicht notwendiger weise an einer einzigen Stelle auftaucht: jede Position in einem System von Differenzen kann, sofern sie negiert wird, der Ort eines Antagonismus wer den. Deshalb gibt es im Sozialen eine Vielfalt möglicher Antagonismen, von denen viele im Gegensatz zueinander stehen. Das wesentliche Problem besteht darin, daß sich die Äquivalenzketten entsprechend dem jeweiligen Antagonismus radikal verändern, und daß sie auf widersprüchliche Art und Weise die Identität des Subjekts selbst beeinflussen und durchdringen können. Dies führt uns zu folgender Schlußfolgerung: Je instabiler die ge sellschaftlichen Verhältnisse, desto weniger erfolgreich wird ein bestimm tes System von Differenzen bleiben und desto mehr werden sich die Orte des Antagonismus vermehren. Diese Vermehrung erschwert die Konstruk tion jeder Zentralität und infolgedessen die Errichtung einheitlicher Äquivalenzketten. (Dies ist in etwa die Situation, die Gramsci mit dem Be griff der „organischen Krise“ beschrieb.)
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Fs hat somit den Anschein, daß unser Problem bei der Analyse jt.„C| politischen Räume, die die Grundlage um Antagonismen sind, darauf ,p. du/iert weirlen kann, die Buichpunkte und ihre möglichen Artikulation*, weisen zu bestimmen. Aber hie» betreten wir ein gefähi liebes ierrain, auf dem auch nin leichte Verschiebungen in unserer Argumentation zu grünt), logend falschen Schlußfolgerungen führen können. Wir werden deshalb u>n einer inipi cssionisi tschen Beschreibung ausgeben und dann versuchen die Bedingungen derStiimnigkeit dieses deskriptiven Bildes zu bestimmen Fs scheint, daß eine wichtige differentielle Eigentümlichkeit zwischen fort, geschrittenen Indnstnegesellschaften und der Peripherie der kapitalisti schen Welt hergestellt werden kann: ln den erstcren erlaubt die Vermeh rung von Orten des Antagonismus die Vervielfachung demokratischer Kämpfe; diese Kämpfe führen jedoch, ihre Verschiedenheit vorausgesetzt, nicht zur Konstitution eines „Volkes“, das heißt nicht zu ihrer Äquivalenz und zur Spaltung des politischen Raumes in zwei antagonistische Lager. Im Gegensatz dazu führen imperialistische Ausbeutung und die Vorherr, schaft brutaler und zentralisierter Herrschaftsformen in den Ländern der Dritten Welt wn Anfang an dazu, den populären Kampf mit einem Zen trum, mit einem einzigen und klar definierten Feind auszustatten. Hier ist die Spaltung des politischen Raumes in zwei Lager von Anfang an präsent, wohingegen die Verschiedenheit der demokratischen Kämpfe noch sehr gering ist. Wir werden den Begriff der populären Subjektposition verwenden, um uns aufjene Position zu beziehen, die auf der Basis einer Spaltung des politischen Raumes in zwei antagonistische Lager konstituiert wird, und den der demokratischen Subjektposition, um uns auf den Ort eines klar abgegrenzten Antagonismus zu beziehen, der die Gesellschaft nicht auf diese Weise spaltet. Diese deskriptive Unterscheidung konfrontiert uns nun mit einer ern sten Schwierigkeit. Denn wenn es im demokratischen Kampf keine Auftei■ lung des politischen Raumes in zwei Lager, in zwei parataktische Reihen von Äquivalenzen gibt, so folgt daraus, daß der demokratische Antagonismus eine präzise Stelle in einem System von Beziehungen mit anderen Eiementen besetzt, daß ein System positiver Beziehungen zwischen ihnen etabliert ist und daß es eine Verminderung der dem Antagonismus anhaftenden negativen Ladung gibt. Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der Behauptung, daß demokratische Kämpfe - Feminismus, Antirassismus, Schwulenbewegung et cetera - zweitrangige Kämpfe sind und daß der Kampf uin die „Machtergreifung“ im klassischen Sinne der einzig wirklich radika172
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le K.mipl ist, da er gerade eine derartig« Spaltung des politischen Raums in /nri l.agn unterstellt. Die Schwierigkeit rührt jedoch von der Tatsache |K-r, daß dem Begriff des „politischen Raumes“ in unserer Analyse keine p , ji/ise Definition gegeben worden ist, so daß es so scheint, wie wenn er mit der empirisch gegebenen (Gesellschaftsformation zusammenfallen würde. Dies ist natürlich eine unerlaubte Gleit hset/.ung. Jeder demokratische Kampf taucht innerhalb eines Ensembles von Positionen auf, innerhalb ei nes re la tiv genähten politischen Raumes, der durch eine Vielfalt von Pra xen gebildet wird, die die referentielle und empirische Realität der Agen ten, die einen Bestandteil von ihnen bilden, nicht erschöpfen. Die relative Abgeschlossenheit dieses Raumes ist für die diskursive Konstruktion des A n ta g o n ism u s notwendig - unter der Voraussetzung, daß die Begrenzung ein er bestimmten Interiorität erforderlich ist, um eine Totalität zu kon struieren, die eine Spaltung dieses Raumes in zwei Lager erlaubt. In die sem Sinne ist die Autonomie sozialer Bewegungen etwas mehr als ein Er fo rd e rn is für die ungehinderte Entwicklung bestimmter Kämpfe: sie isl eine Voraussetzung für das Auftauchen von Antagonismen als solchen. Der politische Raum des feministischen Kampfes wird innerhalb des Ensem bles von Praxen und Diskursen, die die verschiedenen Formen der Unter ordnung von Frauen erzeugen, konstituiert; der Raum des antirassistischen Kampfes innerhalb des überdeterminierten Ensembles von Praxen, die die Rassendiskriminierung bilden. Die Antagonismen in einem jeden dieser relativ autonomisierten Räume spalten diese jedoch in zwei Lager. Dies erklärt die Tatsache, daß gesellschaftliche Kämpfe sich in Schwierigkeiten befinden, wenn sie nicht gegen Objekte gerichtet sind, die innerhalb ihres eigenen Raumes konstituiert wurden, sondern gegen einfache empirische Referenten - zum Beispiel Männer oder „Weiße“ als biologische Referen ten. Denn solche Kämpfe ignorieren die Spezifik der politischen Räume, in denen die anderen demokratischen Antagonismen auftauchen. Nehmen wir zum Beispiel einen Diskurs, der Männer qua biologischer Realität als Feind darstellt. Was wird mit einem Diskurs dieser Art passieren, wenn es notwendig ist, Antagonismen wie den Kampf für Meinungsfreiheit oder den Kampf gegen die Monopolisierung ökonomischer Macht zu entwikkeln, die sowohl Männer wie Frauen betreffen? Für das Terrain, wo diese Räume sich gegeneinander autonomisieren, gilt, daß es zum Teil durch die Diskursformationen, die verschiedenen Unterordnungsformen institutio nalisiert haben, konstituiert wird, zum Teil aber auch das Resultat der Kämp fe selbst ist. 173
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Milben wir einmal das theoretische lenain konsmiieri, das eine Kiity. rnng des radikalen antagonistischen Charakters demokratischer Kîinipfc erlaubt, was bleibt dann noch um der Spezifik des „populären“ Laders (ib. vig: lieht die Nicht-Kntsprochung /wisthon „politischem Raum" und sellschaft“ als einem empirischen Refoi einen nicht das einzige Unteischej. dungsmerkmal /wischen „dom Populären“ und „clem Demokratischen“ auf? Die Antwxm ist, daß der politische Raum des Populären in jenen Sitnaiionon auftaucht, wo eine politische Logik dazu tendiert, die Kluit zwischen politischem Raum und der Gesellschaft als einem empirischen Referenten mittels demokratischer Xquivalenzenketten zu überbrücken. So gedacht, kommen populäre Kämpfe nur im Fall von Relationen extremer Äußer, lichkeit /wischen den herrschenden (Gruppen einerseits und dem Rest der Gemeinschaft andererseits wr. Im Fall des bereits angeführten Millénarisme ist die Sache evident: Zwischen der ländlichen, bäuerlichen und der herr schenden städtischen Gemeinschaft gibt es praktisch keine gemeinsamen Ele mente; alle Merkmale städtischer Kultur können auf diese Weise Symbole der Gegen-Gemeinschaft sein. Wenn wir uns clem Zyklus von Expansion und Konstitution populärer Räume in Westeuropa zuwenden, können wir beob achten. daß alle derartigen Fälle mit dem Phänomen der Äußerlichkeit oder des Äußerlich-werdens der Macht zusammengefallen sind. Die Anfänge des populistischen Patriotismus in Frankreich wurden während des Hundertjäh rigen Krieges sichtbar, das heißt inmitten einer Spaltung des politischen Raumes, die aus etwas so Äußerlichem wie der Anwesenheit einer fremden Macht resultierte. Die symbolische Konstruktion eines nationalen Raumes durch die Tat einer plebejischen Figur wie Jeanne d ’Arc ist in Westeuropa einer der ersten Momente des Auftauchens des „Volkes“ als einem historisehen Akteur. Im Fall des Anden Regime und der Französischen Revolution ist die Grenz-Front des Populären zu einer im Inneren trennenden Grenze geworden, deren Bedingung die Separierung und das Schmarotzertum des Adels und der Monarchie gegenüber dem Rest der Nation ist. Die Vervielfa chung und „ungleiche Entwicklung“ demokratischer Positionen seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in den Ländern des entwickelten Kapitalis mus haben jedoch durch den von uns dargelegten Prozeß ihre einfache und automatische Einheit um einen populären Pol zunehmend abgeschwächt. Teilweise führen demokratische Kämpfe gerade wegen ihres großen Erfol ges immer weniger dazu, als „populäre Kämpfe“ vereinheitlicht zu werden. Die Bedingungen des politischen Kampfes im vollentwickelten Kapitalismus unterscheiden sich zunehmend von dem Modell einer klaren „Politik tren-
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iH'iuler Grenzen“ im neunzehnten Jahrhundert und neigen dazu, alliniihlirli lU'iic Muster anzunchinen, die wir im nächsten Kapitel zu analysieren versuchen. Die Produktion von „Spaltungseffekten“, die die Expansionshcdingimg
Hegemonie Wir müssen nun sehen, wie sich unsere verschiedenen theoretischen Kate gorien v e r k n ü p fe n u n d den Begriff der „Hegemonie“ produzieren. Das allgem eine Feld des Auftauchens d e r Hegemonie ist das der artikulatorisehen Praxen, das heißt eines Feldes, auf dem sich die „Elemente“ nicht zu „Momenten“ kristallisiert haben. In einem geschlossenen System relatio naler Identitäten, in dem die Bedeutung jedes Momentes absolut fixiert ist, gibt es für eine hegemoniale Praxis überhaupt keinen Platz. Ein voll kommen erfolgreiches System von Differenzen, welches jeden flottierenden S ig n ifik an te n ausschließen würde, würde keine Artikulation ermöglichen; das Prinzip der Wiederholung würde jede Praxis innerhalb dieses Systems beherrschen und es gäbe nichts zu hegemonisieren. Gerade weil Hegemo nie den unvollständigen und offenen Charakter des Sozialen voraussetzt, kann sie nur auf einem von artikulatorischen Praxen beherrschten Feld stattfinden. Daraus ergibt sich jedoch sofort die Frage, wer das artikulierende Subjekt ist? Wir wissen bereits, welche Antwort der Marxismus der Dritten Interna tionale auf diese Frage gab: Von Lenin bis Gramsci wurde - mit allen Nu* aneen und Differenzen, die wir vorher analysierten - behauptet, daß der elementare Kern einer hegemonialen Kraft aus einer fundamentalen Klas se besteht. Der Unterschied zwischen hegemonialen und hegemonisierten Kräften wird als ontologische Differenz zwischen ihren jeweiligen Konstitu175
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tionsebeneu ausgegeben, I legemonialc Hezielumgeu sind svutaktisi he j\,._ Ziehungen. die auf moi phologis* heu Kategorien hetuhen, welche jn ,(>n vorausgehen. Ks ist jedoch kla», daß dies nicht unsere Antwoii sein kau,, denn unsere ganze vorherige Analyse versuchte genau diese Untetschei. duug in Ebenen aul/ulösen, lat säi'ldich werden wir noch einmal mit dei Entgegensetzung von Intcriorität und Fxterioritär konl mutiert und mii (j(
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meinen Krisegesellschaftlicher Identitäten. Histutisrhen Mock nannte (iia,,, sei einen gesellschaftlichen mul politischen Raum, der iltirrh die Bildung wn Knotenpunkten uiul durch die Konstitution von tendmzieH rclation;i len Identitäten vereinheitlicht witd. Der Ivpiis der Verknüpfung, der dirverschiedenen Elemente des historischen Blocks verbindet - keine Kinhcij in Form eines historischen Apriori, sondern einer Regelmäßigkeit in de, Yerstreuung - deckt sich mit unserem Begriff der Diskursforination. lns0. fern wir »len historischen Block unter den» Gesichtspunkt eines antagoni. stischen Terrains betrachten, auf dein er sich konstituiert, werden wir ihn hegrmpnialr Formation nennen. Insofern schließlich die hegemoniale Formation ein Phänomen von tren nenden Grenzen impliziert, offenbart der Begriff des Stellungskrieges seine ganze Bedeutung. Durch diesen Begriff erzielt Gramsci zwei wichtige theoretische Effekte. Her erste besteht darin, die Unmöglichkeit jedweder Schlic^ ßung des Sozialen zu bekräftigen: Da die trennende Grenze dem Sozialen innerlich ist, ist es unmöglich, die Gesellschaftsformation als empirischen Referenten unter die intelligiblen Formen von Gesellschaft zu subsumie ren. Jede „Gesellschaft" konstituiert ihre eigenen Formen von Rationalität und Intelligibilität, indem sie sich spaltet, das heißt durch Verbannungje. des sie untergrabenden Bedeutungsüberschusses aus sich. Insofern sich aber andererseits diese trennende Grenze mit den Schwankungen im „Stellungskrieg“ verändert, wechselt auch die Identität der miteinander konfrontier ten Akteure, und es ist deshalb unmöglich, in ihnen eine endgültige Veran kerung zu finden, die uns von keiner genähten Totalität geboten wird. Wir sagten bereits, daß der Begriff des Stellungskrieges zu einer Demilitarisierung des Krieges führt. Tatsächlich leistet er noch mehr: E r führt nämlich in das Soziale eine radikale Vieldeutigkeit ein, die es darin hindert, in ei nem transzendenten Signifikat fixiert zu werden. Hier offenbart allerdings der Begriff des Stellungskrieges seine Schranken. Stellungskrieg hat die Spaltung des sozialen Raums in zwei Lager zur Voraussetzung und stellt die hegemoniale Artikulation als eine Logik der Beweglichkeit der sie tren nenden Grenze dar. Es ist jedoch evident, daß diese Voraussetzung nicht statthaft ist: Die Existenz zweier Lager kann in bestimmten Fällen ein Effekt der hegemonialen Artikulation sein, nicht aber ihre apriorische Bedingung - denn wenn dem so wäre, wäre das Terrain, auf dem die hegemoniale Artikulation operiert, nicht selbst Produkt dieser Artikulation. Der gramscianische Stellungskrieg unterstellt den Typus von Spaltung des politischen Raumes, den wir zuvor als für populäre Identitäten spezifisch charakteri178
'¡erteil. St*in Vorteil gegenüber der Konzeption des „Volkes" im neunzehn|tn )aht liiindei i besteht in der Tatsache, daß f ü r Gramsci eine solche p o p u l ä r e I d e n t i t ä t nicht länger etwas einfach Vorzufindendes ist, sondern k o n s t r u i e r t werden muß - daher d i e artikulatorisrhe Logik der Hegemo nie. Von d e r alten Konzeption bleibt jedoch noch immer die Idee, daß eine s o lc h e K o n s t r u k t i o n immer auf d e r Basis einer Erweiterung der Grenze innerhalb eines diehotoniisch gespaltenen politischen Raumes operiert. An diesem Punkt w i r d d i e gramscianische Sichtwcise unannehmbar. Wie wir w e i t e r o b e n zeigten, b i l d e n die Vermehrung dieser politischen Raume und die K o m p l e x i t ä t u n d Schwierigkeit ihrer Artikulation e i n Hauptmerkmal der fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaftsformationen. Wir wer den daher von der Auffassung Gramscis d i e Logik der Artikulation und die politische Zentralität der Spaltungseffekte beibehalten, aber die Annahme e i n e s einfachen politischen Raumes als notiuendigen Rahmen f ü r die Entste h u n g jener Phänomene streichen. Wir werden folglich dann von demokrati schen Kämpfen sprechen, wenn diese eine Pluralität politischer Räume im plizieren und von populären Kämpfen, wo bestimmte Diskurse tendenziell die Spaltung eines einfachen politischen Raumes in zwei entgegengesetzte Felder konstruieren. Klar ist jedoch, daß der Grundbegriff der des «demo kratischen Kampfes“ ist und daß populäre Kämpfe bloß spezifische Konjunk turen sind, die sich aus der Vervielfachung von Äquivalenzeffekten zwi schen den demokratischen Kämpfen ergeben. Aus dem Obigen geht klar hervor, daß wir uns von zwei Schlüsselaspekten in Gramscis Denken entfernt haben: zum einen von seinem Festhalten, daß hegemoniale Subjekte notwendigerweise auf der Ebene der fundamenta len Klassen konstituiert werden; und zum anderen von seinem Postulat, daß mit Ausnahme von Interregna organischer Krisen jede Gesellschafts formation sich um ein einfaches hegemoniales Zentrum herum struktu riert. Wie gesehen sind dies die beiden letzten essentialistischen Elemente, die im gramscianischen Denken fortbestehen. Eine Folge des Verzichts auf sie ist jedoch, daß wir uns zwei aufeinanderfolgenden Problemreihen stel len müssen, die sich für Gramsci nicht stellten. Das erste Problem betrifft die Trennung der Ebenen, das äußerliche Mo ment, das die Hegemonie wie jedes artikulatorische Verhältnis voraussetzt. Wir haben gesehen, daß dies für Gramsci insofern kein Problem darstellt, als in seiner Analyse der letztliche Klassenkern eines „Kollektivwillens“ nicht das Resultat hegemonialer Artikulationen ist. Aber wie sieht es aus, wenn sich einmal das ontologische Privileg dieses letzten Kerns aufgelöst hat? 179
Wenn, wie im l all eine« eiTolgivichrn Hegemonie, die ;it tikiilat«>t iHcht'ii Praxen ein strukturales Svstt'tn um Dilleieiizen nnd relationalen Mentiuj. len konsti nieren konnten, verschwindet dann nicht gleichfalls dir Mulicrlj. eheC'haiaktei der hegemonialen Krall? Wird sie nicht zu einer neuen bif. leren/ im historischen Block? Die Antwort muß zweifellos ja lauten. Kine Situation, in der ein Svstom um Differenzen so zusainmengeschweißt wor. den wäre, hätte das Ende der hegemonialen Form von Politik zur Folge. |u diesem Falle gäbe es /war Unterordnungs- oder Machtverhältnisse, aber genaugenommen keine hegemonialen Verhältnisse, weil mit dem Verschwinden der Trennung der Ebenen, des Moments der Äußerlichkeit, auch das Feld der artikulatorischen Praxen verschwunden wäre. Die hegemoniale Dimension um Politik entfaltet sich nur in dem Maße, wie der offene, nichtgenähte Charakter des Sozialen zunimmt. In einer mittelalterlichen bäuerliehen Gemeinschaft ist der für differentielle Artikulationen zugängliche Bereich minimal, deshalb existieren keine hegemonialen Formen der Arti kulation: Wenn sich die Gemeinschaft bedroht fühlt, gibt es einen abrup. len Übergang von sich ständig wiederholenden Praxen in einem geschlos senen System von Differenzen zu frontalen und absoluten Äquivalenzen. Genau deshalb wird die hegemoniale Form von Politik erst zu Beginn der Moderne dominant, wenn die Reproduktion der verschiedenen sozialen Bereiche unter sich permanent verändernden Bedingungen stattfindet, die beständig die Konstruktion neuer Differenzsysteme erfordern. Deshalb hat sich der Beveich artikulatorischer Praxen enorm erweitert. Folglich gehen die Bedingungen und die Möglichkeit reinen Fixierens von Differenzen zurück; jede soziale Identität wird zum Schnittpunkt für eine Vielzahl arti kulatorischer Praxen, von denen viele antagonistisch sind. Unter diesen Umständen ist es nicht möglich, eine vollständige Interiorisierung zu er reichen, die die Kluft zwischen Artikuliertem und Artikulierendem völlig überbrückt. Es ist jedoch - dies muß betont werden - auch nicht möglich, daß die Identität der artikulierenden Kraft gesondert und unveränderlich bleibt. Beide sind einem beständigen Prozeß der Subversion und Neudefinition ausgesetzt. Dies schließt auch den Fall ein, daß nicht einmal ein Äquivalenzensystem gegen die Gefahr gefeit ist, in eine neue Differenz trans formiert zu werden: Es ist bekannt, wie die Fundamentalopposition vieler Gruppen gegen ein System aufhören kann, ihm äußerlich zu sein und ein fach zu einer zwar widersprüchlichen, nichtsdestoweniger inneren Stelle innerhalb dieses System wird - also zu einer anderen Differenz. Eine hegemoniale Formation umfaßt auch das, was sich ihr entgegensetzt, inso-
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1,111 die entgegengesetzte Kraft das System der grundlegenden Artikulalioiu*,, diese) Formation als das von ihr Negierte akzeptiert, der Ort der Ration jedoc h durch die inneren Parameter der Formation selbst defi niert ist. So erklärt die theoretische Bestimmung der Bedingungen des Unifi-gangs der hcgemonialen Form von Politik auch die Gründe für die be ständige Ausdehnung dieser Form in der Moderne. Das /weite Problem betrifft die Einmaligkeit des hcgemonialen Zentrums. Haben wir einmal die ontologische Ebene verworfen, die Hegemonie als Zentrum des Sozialen und deshalb als ihr Wesen einschreiben würde, ist cs offensichtlich unmöglich, die Idee von der Einmaligkeit des hegemonialen K notenpunktes aufrechtzuerhalten. Hegemonie ist ganz einfach ein politi scher Typus von Beziehung, eine Form, wenn man so will, von Politik, aber keine bestimmbare Steile innerhalb einer Topographie des Gesellschaftli chen. In einer gegebenen Gesellschaftsformation kann es eine Vielzahl hegemonialer Knotenpunkte geben. Von diesen werden offensichtlich ei nige in hohem Maße überdeterminiert sein: Sie können Verdichtungspunkre einer Anzahl sozialer Beziehungen bilden und somit zum Brennpunkt ei ner Vielzahl totalisierender Effekte werden. Insofern das Soziale jedoch ein unendlicher Raum ist, der auf kein ihm zugrundeliegendes einheitli ches Prinzip reduziert werden kann, macht die bloße Vorstellung eines Zen trums des Sozialen überhaupt keinen Sinn mehr. Sobald der Status des H e g e m o n ie b e g riffe s und die charakteristische Pluralität des Sozialen in diesen Begriffen neudefiniert worden ist, müssen wir uns nach den For men der zwischen ihnen existierenden Beziehung fragen. Diese irreduzi ble Pluralität des Sozialen ist häufig als Autonomisierung von Sphären und K a m p ffo rm e n b e g r if f e n worden, was erfordert, daß wir kurz einige der mit dem Begriff der „Autonomie“ verbundenen Probleme analysieren. In den vergangenen Jah ren gab es eine wichtige Diskussion über beispielsweise den Begriff der „relativen Autonomie des Staates“,41 die aber weitgehend in Begriffen g e f ü h r t worden ist, die sie in eine Sackgasse führten. Im allge meinen fa n d e n solche Erklärungsversuche der „relativen Autonomie des Staates“ in einem Rahmen statt, der die Annahme einer genähten Gesell schaft akzeptierte - beispielsweise durch die Determination in letzter In stanz durch die Ökonomie womit das Problem der relativen Autonomie, sei es des Staates oder irgendeiner anderen Entität, unlösbar wurde. Denn entweder erklärt der durch grundlegende Detenninierungen der Gesellschaft konstituierte strukturelle Rahmen nicht nur die Schranken der Autonomie, sondern darüber hinaus auch die Natur der autonomen Entität, wodurch
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diese Entität jedoch nur eine weitet r .strukturelle Dein niinit'iting f|(.s ^ stems und der begriff «lei ..Autonomie" überflüssig isf; oder aber dieauu». nome Entität wird nicht dun h das System determiniert - in diesem Kall ¡$t(.s notwendig zu erklären, m> sie konstituiert wird, und die Prämisse einer ge. nähten Gesellschaft müUte ebenso aulgegeben werden. Gerade der Wunsch diese Prämisse mit dem damit unvereinbaren Begriff der Autonomie zu kom. binieren. hat die zeitgenössische marxistische Diskussion über den Staat stark beeinträchtigt - insbesondere die Arbeiten wn Poulantzas. Wenn wir jedoch die Hypothese einer endgültigen Schließung des Sozialen aufgeben, ist c$ notwendig, um einer Pluralität politischer und sozialer Räume auszugehen die sich nicht auf eine letzte einheitliche Grundlage beziehen. Pluralität isl nicht das zu erklärende Phänomen, sondern der Ausgangspunkt der Analy. se. Wenn jedoch, wie wir gesehen haben, die Identität eines jeden diese, Räume immer prekär ist, ist es nicht möglich, einfach Autonomie und VerStreuung gleichzuset2en. Wedei totale Autonomie noch totale Unterordnung ist deshalb eine plausible Lösung. Dies deutet klar darauf hin, daß dieses Problem nicht auf dem Terrain eines stabilen Diffei enzensysteins gelöst werden kann. Sowohl Autonomie als auch Unterordnung - und ihre unterschiedliehe Relativität - erlangen ihre Bedeutung nur auf dem Feld ai tikulatorischer Praxen und, insofern erstere auf politischen Feldern operieren, die kreuz und quer von Antagonismen durchzogen wei den, hegemonialer Pra xen. Artikulatorische Praxen finden nicht nur innerhalb gegebener sozialer und politischer Räume statt, sondern zwischen ihnen. Die Autonomie des Staates als einem Ganzen hängt - wenn wir für einen Moment annehmen daß wir von ihm als einer Einheit sprechen können - von der Konstruktion eines politischen Raumes ab, der nur das Resultat hegemonialer Artikulatio nen sein kann. Etwas Ähnliches kann für den Grad an Einheit und Autono mie gesagt werden, der zwischen den verschiedenen Abteilungen und Apparaten des Staates existiert. Das heißt, die Autonomisierung gewisser Sphären ist nicht der notwendige strukturelle Effekt von irgend etwas, sondern viel mehr das Resultat präziser artikulatorischer Praxen, die diese Autonomie konstruieren. Autonomie, weit davon entfernt, unvereinbar mit Hegemonie zu sein, ist eine Form hegemonialer Konstruktion. Etwas ähnliches kann f ü r den anderen wichtigen Gebrauch gesagt w erden der vom Begriff der Autonomie in jüngerer Zeit gemacht wurde: A u to n o mie, die mit dem Pluralismus verknüpft ist, der durch die Ausweitung der neuen sozialen Bewegungen erforderlich wurde. Hier sind wir in der gleichen Situation. Wenn die autonom werdende Identität der Subjekte oder der 182
gesellschaftlichen Kräfte ein für allemal konstituiert würen, würde sich das Problem nurim Sinne der Autonomie stellen. Wenn diese Identitäten jedoch vt>n bestimmten präzisen sozialen und politischen Existenzbedingungen abIllingen, kann Autonomie selbst nur in Form eines umfassenderen hegeiiionialcn Kampfes verteidigt und entwickelt werden. Die feministischen oder Ökologischen politischen Subjekte zum Beispiel sind bis zu einem gewissen Punkt wirjede andere soziale Identität flottierende Signifikanten, und es ist eine gefährliche Illusion zu meinen, daß sie ein für allemal gesichert sind und dasTei rain, das ihre diskursiven Bedingungen des Auftauchens bildete, nicht untergraben werden kann. Die Frage einer Hegemonie, die die Autonomie bestimmter Bewegungen bedrohen würde, ist deswegen ein schlecht gestell tes Problem. Genangenommen würde diese Unvereinbarkeit nur dann exi stieren, wenn die sozialen Bewegungen voneinander losgelöste Monaden wä ren. Wenn aber die Identität jeder Bewegung niemals ein für allemal er r e i c h t weiden kann, kann es nicht gleichgültig sein, was außerhalb von ihr stattfindet. Daß unter bestimmten Umständen die politische Klassensub jektivität weißer Arbeiter in England von rassistischen oder antirassistischen Einstellungen überdeterminiert ist, ist für den Kampf der Arbeitsimmi grantinnen offensichtlich bedeutsam. Dies hat auf bestimmte Praxen der Ge werkschaftsbewegung Einfluß, die ihrerseits wieder für manche Aspekte staat licher Politik Konsequenzen haben und letztlich auf die politische Identität der Arbeitsimmigrantinnen selbst zurückfallen. Zweifellos gibt es hier inso fern einen hegemonialen Kampf, als die Artikulation zwischen der gewerk schaftlichen Militanz weißer Arbeiter und dem Rassismus oder Antirassismus nicht von Anfang an festgelegt ist; aber die Formen dieses von antirassistischen Bewegungen unternommenen Kampfes werden teils durch die Autonoinisierung bestimmter Tätigkeiten und Organisationsformen, teils durch Bündnissysteme mit anderen Kräften sowie durch die Konstruktion von Äquivalenzsystemen zwischen den Inhalten der verschiedenen Bewegungen geprägt. Denn nichts kann antirassistische Kämpfe mehr konsolidieren als die Konstruktion stabiler Formen der Überdeterminierung zwischen solchen Inhalten wie Antirassismus, Antisexismus und Antikapitalismus, die, sich selbst überlassen, nicht notwendigerweise zur Konvergenz führen. Noch einmal: Autonomie ist der Hegemonie nicht entgegengesetzt, sondern ein inneres Moment einer umfassenderen hegemonialen Unternehmung. (Offensicht lich durchläuft diese Tätigkeit nicht zwangsläufig die „Partei-Form, nimmt nicht eine einzelne institutioneile Form oder irgendeinen anderen Typus einer apriorischen Anordnung an.) 183
Wenn Hegemonie ein fwlitischrr /U Ziehung »»• i*'“ l ^eiit topoj,,.,^ seiSt-|Uljj Imwn , der sich aus einei Verschiebung ergihi. (Zum Beispiel können ein,. Gewerkschaft oder eine religiöse ( >rganisution in einer Geincinschafi nisaiotische Funktionen übernehmen, die über die traditionellen, ihnen zugeschi ¡ebenen Praxen hinansgehen und von oppositionellen KrjUif,, txkämpit werden.) Dieses Moment der Verlagerung ist für jede hegcinonia|c Praxis unentbehrlich: Wir haben es seit dem bloßen Auftauchen des griffs in der russischen Sozialdemokratie erlebt, nämlich in der Form der Äußerlichkeit der Klassenidentität gegenüber den hegemonialen Aufga. ben. Unsere Schlußfolgerung ist. daß eine soziale Identität niemals voll, ständig erreicht wird - eine Tatsache, die dem artikulatorisch-hegemonialen Moment das ganze Ausmaß seiner Zentralität gibt. Die Bedingung dieser Zentralität ist deswegen der Zusammenbruch einer klaren Demarkation^, nie zwischen dem Inneren und dem Äußeren, zwischen dem Kontingenten und dem Notwendigen. Dies führt jedoch zu einer unausweichlichen Schluß, folgerung: Keine hegemoniale Logik kann die Totalität des Sozialen begründen und ihr Zentrum bilden, denn in diesem Fall wäre eine neue Naht produziert worden und der Begriff der Hegemonie selbst hätte sich elimi niert. Die Offenheit des Sozialen ist somit die eigentliche Voraussetzungjt. der hegemonialen Praxis. Dies führt notwendigerweise zu einer zweiten Schlußfolgerung: Die hegemoniale Formation, wie w?ir sie begreifen, kann nicht auf die besondere Logik einer einzigen sozialen Kraft zurückgefühn werden.Jeder historische Block oderjede hegemoniale Formation wird durch eine Regelmäßigkeit in der Verstreuung konstruiert, und diese Verstreuung schließt eine Vermehrung ganz verschiedener Elemente ein: Systeme von*? Differenzen, die teilweise relationale Identitäten definieren; Äquivalenzen-! ketten, die zwar die letzteren untergraben, nichtsdestoweniger transforma-lt torisch insofern zurückgewonnen werden können, als der Ort des Gegen-'" satzes selbst regelmäßig wird und so eine neue Differenz bildet; Formen der überdeterminiening, die entweder Macht oder die verschiedenen Form en von Widerstand gegen sie konzentrieren, und so weiter. Der entscheidende Punkt ist, daß jede Form der Macht auf pragmatische Art und Weise und dem Sozialen innerlich durch die entgegengesetzten Logiken von Äquivalenz und Differenz konstruiert wird - Macht ist niemals grundlegend. Das Problem
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((t*i Mai hl ^ ‘,,n deswegen nicht iin Sinne einer Sur he narh der Klasse oder {\m dominanten Sektor gestellt werden, die oder der das Zentrum einer hogemonialen Formation bildet, da sich uns ein solches Zentrum def »niiionsgfiiiiiU immer out ziehen wird. Aber es ist ebenso falsch, entweder vom Plura lismus oder der völligen Auflösung der Macht im Sozialen als Alternative a i i s z u g c h e n , da «lies die Analyse f ü r die Präsenz von Knotenpunkten und die partiellen Machtkon/.entrationen, die in jeder konkreten Gesellschafts f o r m a t i o n existieren, blind machen würde. An diesem Punkt können viele B e g r i f fe aus der klassischen Analyse - „Zentrum“, „Macht“, „Autonomie", et cetera - wieder eingef ührt werden, wenn ihr Status neu definiert wird. Sie sind alle kontingente soziale Logiken, die als solche ihre Bedeutung in präzi sen konjunkturellen und relationalen Zusammenhängen erlangen, in denen sie immer durch andere - oft widersprüchliche - Logiken beschränkt sein werden. Keine von ihnen besitzt aber absolute Gültigkeit im Sinne des Definierens eines Raumes oder eines strukturellen Moments, der oder das nicht seinerseits untergraben werden könnte. Es ist deshalb unmöglich, zu einer Theorie des Sozialen auf der Basis der Verabsolutierung irgendeines jener Begriffe zu kommen. Wenn Gesellschaft nicht durch eine einzige ein heitliche und positive Logik genäht ist, kann unser Verständnis von ihr nicht diese Logik liefern. Eine „wissenschaftliche“ Herangehensweise, die das „We sen" des Sozialen zu bestimmen versucht, wäre tatsächlich der Gipfel des Utopismus. Ein wichtiger Punkt zum Abschluß. In der vorhergehenden Argumentation sprachen wir von der „Gesellschaftsformation“ als einem empirischen Refe renten und von „hegemonialer Formation“ als einer artikulierten 'Totalität von Differenzen. Derselbe Begriff - „Formation“ - wird folglich in zwei völlig ver schiedenen Bedeutungen gebraucht und wir müssen versuchen, die sich erge bende Doppeldeutigkeit zu beseitigen. Das Problem in seiner allgemeineren Form kann wie folgt formuliert werden: Wenn (im Fall einer Gesellschafts formation) ein Ensemble empirisch gegebener Akteure oder (im Fall einer hegemonialen Formation) ein Ensemble von diskursiven Momenten in jener Totalität, die mit dem Begriff der Formation impliziert ist, enthalten sind, dann deswegen, weil es durch diese Totalität möglich ist, sie im Hinblick auf etwas ihr selbst Äußerlichem zu unterscheiden. Somit wird eine Formation gerade auf der Basis ihrer eigenen Grenzen {Limits) als eine Totalität geformt. Wenn wir das Problem der Konstruktion dieser inneren Grenzen im Fall einer hegemonialen Formation aufwerfen, werden wir zwei Ebenen unterscheiden müssen: diejenige der abstrakten Möglichkeitsbedingungen e i n e r jeden
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.Formation“ und diejenige der spezifischen Differenz, die die Logik der Hegemonie in sie einführt. Beginnen wir mit dem inneren Raum einer Formation als einem relativ stabilen System von Differenzen. Es isi klar daß die Logik der Differenz nicht zur Herausbildung von inneren Grerj* zen ausreicht. Wenn diese nänilich ausschließlich herrschte, bildete das jenseits win ihr Liegende nur andere Differenzen und deren Regelmäßig, keil würde sie zu einem Bestandteil der Formation selbst transformieren Wenn wir auf dem Feld der Differenzen bleiben, bleiben wir auf detn Feld eines unendlichen Raumes, der es unmöglich macht, irgendeine Grenz-Front zu denken und der infolgedessen den Begriff der „Forrnatj. on" auflöst. Innere Grenzen existieren also nur insofern, als ein systema tisches Ensemble von Differenzen als Totalität im Hinblick auf etwas, das jenseits von ihnen ist, herausgeschnitten werden kann - nur durch diesen Schnitt konstituiert sich die Totalität als Formation. Aus dem Gesagten ist klar, daß dieses Jenseitige nicht aus etwas Positivem - aus einer neuen Differenz - bestehen kann, es kann nur aus etwas Negativem bestehen. Wir wissen freilich bereits, daß die Logik der Äquivalenz die Negativität in das Feld des Sozialen einführt. Dies schließt mit ein, daß eine Formation nur sich selbst bezeichnen kann (das heißt, sich als solche konstituieren kann), indem sie die inneren Grenzen in trennende Grenzen transformiert, indem sie eine Äquivalenzkette hervorbringt, die das, was jenseits der inneren Grenzen ist, als das konstruiert, was sie nicht ist. Nur d u rch Negativität, Spaltung und Antagonismus kann sich eine Formation alsein totalisierender Horizont konstituieren. Die Logik der Äquivalenz istjedoch nur die abstrakteste und allgemeinste Existenzbedingung jeder Formation. Um von hegemonialer Formation sprechen zu können, müssen wir einen anderen Umstand einführen, der durch unsere vorherige Analyse geliefert wurde: nämlich diese fortwäh rende Neudefinition der sozialen und politischen Räume und jene be ständigen Prozesse der Verschiebung der inneren Grenzen, die die für gegenwärtige Gesellschaften eigentümliche soziale Spaltung formen. Nur unter diesen Bedingungen erlangen die durch die Logik der Äquivalenz gebildeten Totalitäten hegemoniaien Charakter. Aber dies scheint zu im plizieren, daß die Kategorie der Formation selbst bedroht wird, insofern diese Unsicherheit zur Instabilität der inneren Grenzen des Sozialen führt. Und genau dies passiert auch: Wenn jegliche Grenz-Front verschwindet, bedeutet dies nicht einfach, daß die Formation schwieriger zu erkennen ist. Da die Totalität nichts Gegebenes, sondern eine Konstruktion ist, tut
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die Totalität im Falle eines Bruches ihrer konstitutiven Äquivalenzketten etwas m ehr als sich zu verbergen: Sie löst sich auf. Pai aus folgt, claß der Begriff der „Gesellschaftsformation“ sinnlos ist, wenn er einen Referenten bezeichnet. Soziale Akteure konstituieren als Re ferenten keine Form ation. Wenn beispielsweise der Begriff der „Gesellschafts formation“ auf scheinbar neutrale Art und Weise die in einem bestimmten Territorium lebenden sozialen Agenten zu bezeichnen versucht, stellt sich sofort das Problem d er Grenzen dieses Territoriums. Und hier ist es notwen dig, politische Grenzen festzulegen - also Konfigurationen, die auf einer anderen Ebene konstituiert werden als die der einfachen referentiellen Entität der sozialen A genten. H ier gibt es zwei Optionen: Entweder werden die poli tischen Grenzen als eine einfache äußerliche Gegebenheit betrachtet (in die sem Fall bezeichneten derartige Begriffe wie „französische Gesellschafts formation“ od er „englische Gesellschaftsformation“ kaum mehr als „Frank reich“ oder „England“ und der Begriff der „Formation“ wäre zweifellos an maßend) oder aber die sozialen Agenten würden in die verschiedenen, sie konstituierenden Formationen reintegriert (in diesem Fall gäbe es keinen Grund, warum diese mit den nationalen Grenzen zusammenfallen sollten). Bestimmte artikulatorische Praxen lassen diese mit den Grenzen der Forma tion als solchen zusammenfallen. In beiden Fällen handelt es sichjedoch um einen offenen Prozeß, d er von den vielfältigen hegemonialen Artikulationen abhängen wird, die einen gegebenen Raum bilden und in ihm zur gleichen Zeit tätig sind. In diesem Kapitel haben wir an mehreren Stellen unserer Argumentation die Offenheit und Unbestimmtheit des Sozialen zu zeigen versucht, die der Negativität und dem Antagonismus einen primären und begründenden Cha rakter gibt und die Existenz artikulatorischer und hegemonialer Praxen sichert. W ir werden nun noch einmal unseren politischen Argumen tationsgang d er ersten beiden Kapitel aufnehmen und zeigen, wie die Unbe stimmtheit des Sozialen und die aus ihr folgende artikulatorische Logik es erlauben, die Frage d er Beziehung zwischen Hegemonie und Demokratie in neuen Begriffen zu stellen.
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Hegemonie und radikale Demokratie
Im November 1937 beendete Arthur Rosenberg im Exil in New York seine B etra ch tu n g en über die zeitgenössische europäische Gcschichte seit der französischen Revolution.1 Diese Reflexionen, die sein Leben als militanter Intellektueller abschlossen, kreisten um ein grundlegendes Thema: um das Verhältnis zwischen Sozialismus und Demokratie oder besser, um das Schei tern der Versuche, zwischen beiden organische Formen der Einheit zu bil den. Dieses doppelte Scheitern - der Demokratie und des Sozialismus erschien ihm als Prozeß zunehmender Entfremdung, bestimmt durch ei nen radikalen Bruch. Anfangs ist „Demokratie“, verstanden als Feld popu lärer Handlungen, der große Protagonist in den historischen Konfrontatio nen, die das europäische Leben zwischen 1789 und 1848 bestimmen. Es ist das „Volk“ (eher im Sinne von plebs als von populus die kaum organisierten und differenzierten Massen, das die Barrikaden von 1789 und 1848, die ch artistisch e Bewegung in England und die Mobilisierungen Mazzinis und Garibaldis in Italien beherrscht. Der entscheidende Bruch findet erst spä ter, in den langen Jahren der Reaktion in den fünfziger Jahren des neun zehnten Jahrhunderts statt; n a ch deren Ende und der Erneuerung des populären Protestes haben die Protagonisten gewechselt. Es werden die Ge w erkschaften oder die auf kommenden sozialdemokratischen Parteien sein, zuerst in Deutschland und England und dann im Rest Europas, die sich im letzten Drittel des Jahrhunderts mit zunehmender Festigkeit etablieren. Dieser Bruch ist oft als Übergang zu einem Moment höherer politischer Rationalität auf Seiten der beherrschten gesellschaftlichen Bereiche inter pretiert worden: in der ersten Hälfte des Jahrhunderts machte der amor phe Charakter der „Demokratie“, ihre mangelnde Verankerung in der öko nomischen Basis der Gesellschaft, sie in hohem Maße verwundbar und in stabil und verhinderte, daß sie sich zu einem festen und permanenten Schüt zengraben im Kampf gegen die etablierte Ordnung konstituierte. Nur durch 189
die Auflösung dieses amorphen „Volkes“ und sein 1.i set/en durch <|j(. de soziale Basis der Arbeiterklasse hätten populäre Bewegungen die erlangt, die ihnen einen langf ristigen Kampf gegen die herrschenden sen auf/unehmen erlaubte, Für Rosenberg konnte dieser mythische fj^'S gang /u einem höheren Stadium gesellseludtlieber Reife, die aus der hid* strialisierung lesultierte. und /u einer höheren Ebene politischer \Vj,| samkeit, in der die anarchischen Ausbrüche des „Volkes“ durch die nalität und Festigkeit der Klassenpolitik ersetzt wurden, nur als schlecht, Witz erscheinen - er schriebsein Buch, während Spanien in Flammen stai1(j Hitler den Anschluß* vorbereitete und Mussolinis Invasion gegen Äihiopj’ en rollte. Für Rosenberg machte im Gegenteil diese Einschließung entlaß der Klassenlinien die gnWJe historische Sünde der europäischen Arbeit^ bewegung aus. Die Unfähigkeit der Arbeiter, das „Volk“ als historisch^ Agenten zu konstituieren, war für ihn dei wesentliche Fehler der Sozial^ mokratie und der Ariadneladen, der ihm erlaubte, die Gesamtheit des vcr, schlungenen politischen Pmzesses zu enthüllen, der 1860 begann. Weit dav^ entfernt, einfacher zu werden, wurde die Bildung eines einheitlichen populären Poles vielmehr zunehmend schwieriger, wie die wachsende Kom. plexität und Institutionalisierung der kapitalistischen Gesellschaft - Bt)je Schützengräben und Befestigungen der societä civile“, von denen Gramsci sprach - zu korporatistischen Strukturen und zur Separierung jener Sekto ren führte, die im Idealfall „im Volk“ hätten vereinigt sein sollen. Dieser Prozeß wachsender gesellschaftlicher Komplexität trat bereits zwischen 178g und 184S in Erscheinung: 1789 bestand die Aufgabe der Demokratie darin, den Kampf der abhängigen Bauern gegen die adligen Grundherren und den Kampf der armen Städter gegen das Kapiial einheitlich zusammenzufiihren. Das war damals viel leichter als eine entsprechen de Aktion imJahre 1848. Denn inzwischen hatte das industrielle Proletariat, wennes auch meistens in kleinen Betrieben arbeitete, so an Bedeutung zugenommen, daß jede ernste politische Frage sich auf den Gegensatz Proletariat oder Kapitalisten zuspitzte... Es war schon eine ganz besondere taktische Geschicklichkeit der demokra tischen Partei erforderlich, um die Bewegung der Arbeiter und der Bauern zusam menzufassen. Wollte man jedoch über die Köpfe der bäuerlichen Besitzer hinwegan die Masse der Kleinpächter und Landarbeiter herankommen, so war dazu erst recht eine durchaus realistische und schwierig durchzuführende Taktik nötig. Auf diese Weise war die Aufgabe der sozialen Demokratie in dem halben Jahrhundert nach Robespierre immer schwerer und zur selben Zeit war die geistige Fähigkeit der De mokraten. mit den Problemen fertig zu werden, immer geringer geworden.2
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lind selbstverständlich hatten die wachsenden Schwierigkeiten, einen popu lären Pol Regen das System zu bilden, nach 1848 nur noch weiter /.ugenomnieii. 'Iht sächlich versuchte Rosenberg, sich auf einem neuen Terrain zu o rie n tie re n , das von einer radikalen, ihm selbst nur halb bewußten Verän derung beherrscht war; von d e m Niedergang einer Politikform, fü r die die Teilung «les Gesellschaftlichen in zwei antagonistische Lager eine ursprüng liche und unveränderliche Tatsache vorjeder hegemonialen Konstruktion3 ist, und dein Übergang zu einer neuen Situation, die durch die grundlegende In s ta b ilitä t der politischen Räume charakterisiert wird, in denen gerade die Id entität der Kräfte im Kampf andauernden Verschiebungen unterworfen ist und nach einem unaufhörlichen Prozeß der Neudefinition verlangt. Mit an d eren Worten: Rosenberg beschreibt uns in zugleich weitsichtiger und zau d ern d er Weise den Prozeß der Verallgemeinerung der hegemonialen Form von Politik - die sich als eine Bedingung für das Auftauchen jeder kollektiven Identität durchsetzt, sobald artikulatorische Praxen das Prinzip der gesellschaftlichen Teilung bestimmen - und zeigt uns gleichzeitig die Nichtigkeit der Bestrebung, daß der „Klassenkampf“ sich automatisch und a priori auf der Grundlage dieses Prinzips konstituieren sollte. In aller Schärfe: der Gegensatz zwischen Volk und ancien régime war der letzte Moment, an dem sich die antagonistischen Grenz-Fronten zwischen zwei Formen der Gesellschaft - mit der bekannten Einschränkung - in der Form klarer und empirisch gegebener Demarkationslinien darstellten. Von da an wurde die Demarkationslinie zwischen dem Inneren und dem Äuße ren, die Trennungslinie, von der aus der Antagonismus in Form zweier ge gensätzlicher Äquivalenzsysteme gebildet wurde, immer zerbrechlicher und ambivalenter, und ihre Konstruktion wurde zum entscheidenden Problem der Politik. Das heißt, von da an gab es keine Politik mehr ohne Hegemo nie. Dies erlaubt uns, das Eigentümliche der Marxschen Intervention zu verstehen: seine Überlegungen wurden zu einem Zeitpunkt angestellt, als die Spaltung des politischen Raums in Form der Dichotomie Volk/ancien régime ihre Produktivität erschöpft zu haben schien und gar nicht imstan de war, eine Vision des Politischen zu konstruieren, welche die Komplexi tät und Pluralität wieder einholen würde, die dem Sozialen in Industrie gesellschaften eigentümlich sind. Marx versucht daher, die primäre Tatsa che der gesellschaftlichen Teilung auf der Basis eines neuen Prinzips zu denken: der Konfrontation zwischen Klassen. Das neue Prinzip wird je doch von Anfang an von einer radikalen Unzulänglichkeit untergraben, die daher rührt, daß der Klassengegensatz nicht imstande ist, die Totalität
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des GesellsrhaftsUirpers in zwei antagonistische 1-igor zu teilen nnrj ^ automatisch als eine Demarkationslinie in det politischen Sphäre /u iCp|ü duzieren. Aus diesem Grund mußte die Behauptung «.los Klassenkaiu^ als Grundprinzip der politischen Peilung immer mit zusätzlichen thesen verknüpft werden, die seine volle Anwendbarkeit der Zukunft m)(.r wiesen; /um einen historisch-soziologische Hypothesen - die Vei einfachun der So/ialstruktur, die zum Zusammenfallen der realen politischen Kiinip IV und der Kämpfe zwischen Klassen als Akteure, die sich auf der Rbet^ der Pmduklionsvorhiiltnisse konstituieren, führen würde, zum anderen ||y pothesen, die das Bewußtsein der Akteure betreffen - den Übergang vo„ der Klasse an sich zur Klasse für sich. Wichtig dabei ist, daß in jedem Fall dieser Wandel, der durch den Marxismus in das politische Prinzip der ge. sellschaftlichen Teilung eingeführt wird, unverändert eine wesentliche Kon), ponente desjakobinischen Imaginären beibehält: die Annahme eines grun(|. legenden Moments des Bruchs und eines einzigen Raumes, in dem das p0|j. tische sich konstituiert. Nur die zeitliche Dimension hat sich geändert, als diese sowohl gesellschaftliche als auch politische Teilung in zwei Lager ¡n die Zukunft verwiesen wird und wir gleichzeitig mit einer Reihe soziologj. scher Hypothesen versorgt werden, die den zu einer solchen Teilung ftjj,. renden Prozeß betreffen. ln diesem Kapitel verteidigen wir die These, daß es dieses Moment der Kontinuität wischen jakobinischem und marxistischem politischen hnaginären ist, das durch das Projekt für eine radikale Demokratie in Frage gestellt werden muß. Die beiden wesentlichen Voraussetzungen für die Kon struktion eines neuen politischen Imaginären, das radikal libertär und in seinen Zielen unendlich anspruchsvoller als das der klassischen Linken ist sind die Ablehnung von privilegierten Bruchpunkten und der Vorstellung des Zusammenfließens der Kämpfe zu einem einheitlichen politischen Raum sowie im Gegensatz dazu die Anerkennung der Pluralität und Unbestimmt heit des Sozialen. Dies erfordert in erster Linie eine Beschreibung des hi storischen Terrains, auf dem das Feld dessen, was wir die „demokratische Revolution“ nennen, in Erscheinung trat.
Die demokratische Revolution Die von uns dargestellte theoretische Problematik schließt nicht nur eine Konzentration des sozialen Konflikts auf a priori privilegierte Akteure aus,
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sondern auch d en Bezug auf irgendein allgemeines Prinzip oder Substrat ¡uidiropologist her Natur, das, indem es verschiedene Subjektposifionen vereinheitlicht, zugleich dein Widerstand gegen die verschiedenen Formen der Unterordnung einen Charakter der Unvcnneidlichkeit zuschreiben wür de. Fs K'bt folglich nichts Unvermeidbares oder Natürliches in den ver schiedenen Kämpfen gegen die Macht, und es ist notwendig, in jedem ein zelnen Fall die Gründe für ihr Auftauchen und die verschiedenen Modi, die sie annehmen können, zu erklären. Der Kampf gegen die Unterord nung kann nicht das Resultat der Situation der Unterordnung selbst sein. Obwohl wir Foucault darin zustimmen, daß immer dort, wo cs Macht gibt, auch Widerstand gibt., muß ebenso zugegeben werden, daß die Formen des Widerstandes äußerst verschieden sein können. Nur in bestimmten Fällen nehmen diese Widerstandsformen politischen Charakter an und werden zu Kämpfen mit dem Ziel, die Unterordnungsverhältnisse als solche zu be enden. Durch die Jahrhunderte hindurch hat es vielseitige Widerstands formen von Frauen gegen die Männerherrschaft gegeben, aber nur unter bestimmten Bedingungen und spezifischen Formen konnte eine feministi sche Bewegung mit der Forderung nach Gleichheit entstehen (zuerst Gleich heit vor dem Gesetz, dann in anderen Bereichen). Wenn wir hier vom „po litischen“ Charakter dieser Kämpfe sprechen, dann zweifellos nicht im re striktiven Sinne von Forderungen auf der Ebene der Parteien und des Staa tes. Wir beziehen uns auf einen Handlungstyp, dessen Ziel die Transfor mation eines sozialen Verhältnisses ist, das ein Subjekt in einem Verhältnis der Unterordnung konstruiert. Bestimmte zeitgenössische feministische Praxen zum Beispiel versuchen, das Verhältnis zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit ohne irgendeine Vermittlung durch Parteien oder Staat zu transformieren. Natürlich wollen wir nicht leugnen, daß bestimmte Praxen eine Intervention des Politischen im restriktiven Sinne erfordern. Was wir hervorheben wollen ist, daß Politik als eine Praxis des Erzeugens, der Re produktion und Transformation sozialer Verhältnisse nicht auf einer be stimmten Ebene des Gesellschaftlichen verortet werden kann, da das Pro blem des Politischen das Problem der Einrichtung des Sozialen ist, das heißt der Definition und Artikulation sozialer Beziehungen auf einem kreuz und quer von Antagonismen durchzogenen Feld. Unser zentrales Problem besteht darin, die diskursiven Bedingungen für das Auftauchen einer kollektiven Handlung ausfindig zu machen, die ge gen Ungleichheiten kämpft und Unterordnungsverhältnisse in Frage stellt. Wir könnten auch sagen, daß unsere Aufgabe darin besteht, die Bedingun
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gen zu identifizieren. in denen ein l huenmlnungsvei hühnis zu einem l j,1( drüt kungsverhältnis wird und sich dadurch /um Ort eines Aniagonj. konstituiert. Wn betreten hier ein lei min, das durch zahheiche Uunj, *' logische Verschiebungen konstituiei t ist, ilie schließlich zu einer Syu0 *' mie /wischen „Unterordnung“, „Unterdrückung“ und „Herrschaft“ fm len. Das diese S\nonomie ei möglichende Fundament ist ganz ol'Fensic|^' lieh die anthropologische Annahme einer „menschlichen Natur“ und ei einheitlichen Subjekts: wenn wir a priori das Wesen eines Subjekts hesti^ men können, wird jedes Umcrordnungsverhältnis, das sich damit nicht Vct einbaren läßt, automatisch ein Unterdrückungsverhältnis. Aber wenn *}* diese essentialistische Perspektive verwerfen, müssen wir ..Unterordiu,n , \t>n „Unterdrückung" unterscheiden und die genauen Bedingungen eil^ ren. in denen Unterordnung zur Unterdrückung wird. Wir verstehen Un ter einem Unterordnungsverhältnis die Unterwerfung eines sozialen Agen ten unter die Entscheidungen eines anderen - beispielsweise die Unter\ver. fung eines Arbeiters unter die Entscheidung eines Unternehmers, oder ¡„ bestimmten Formen der Familienorganisation die der Frau unter die RntScheidungen des Mannes und so weiter. UnterdriUkungsverhältnisse nennen wir im Gegensatz dazu jene Unterordnungsverhältnisse, die sich zu Orten von Antagonismen transformiert haben. Schließlich bezeichnen wir als Herrschaftsi'erhäUnissr die Reihe jener Unterordnungsverhältnisse, die vor» der Perspektive oder im Urteil eines sozialen Agenten, der außerhalb ihrer steht, als illegitim betrachtet werden und die folglich mit den in einer be stimmten Gesellschaftsformation tatsächlich existierenden Unterdrückung*. V erhältnissen zusammenfallen können oder auch nicht. Das Problem be steht deshalb darin zu erklären, wie sich aus Unterordnungsverhältnissen Unterdrückungsverhähnisse konstituieren. Es ist klar, warum Unterord nungsverhältnisse an sich betrachtet keine antagonistischen Verhältnisse sein können: ein Unterordnungsverhältnis errichtet nur eine Reihe differentiel ler Positionen zwischen den sozialen Agenten, und wie wir bereits wissen, kann ein System von Differenzen, das jede soziale Identität als Positivitai konstruiert, nicht nur nicht antagonistisch sein, sondern würde die idealen Bedingungen für die Beseitigung aller Antagonismen bewirken - wir wä ren mit einem genähten sozialen Raum konfrontiert, von dem jede Äquivalenz ausgeschlossen wäre. Nur in dem Maße, wie der positive diffe rentielle Charakter der untergeordneten Subjektpositionen untergraben wird, kann ein Antagonismus auftauchen. „Leibeigener“, „Sklave“ und so weiter bezeichnen nicht an sich antagonistische Positionen; nur in den Be-
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grillen einer anderen diskursiven Formation, wie zum Beispiel der Behaup tung „angeborener Rechte eines jeden Mrnschcn“, kann die differentielle positiviliü dieser Kategorien untergraben und Unterordnung als Unterdrükkiing konstruiert werden, bas bedeutet, daß es kein Unterdrückung*Verhältnis ohne die Präsenz eines diskursiven „Äußeren“ gibt, von wo der Diskurs det l Interordinmg unterbrochen* werden kann. Demnach verschiebt die Logik der Äquivalenz die Effekte gewisser Diskurse auf andere Diskur se. Solange das Ensemble der Diskurse zum Beispiel die Frauen bis ins sieb zehnte Jahrhundert als Subjekte ausschließlich in einer untergeordneten Position f ixierte, konnte der Feminismus als eine Bewegung des Kampfes gegen Frauenunterdrückung nicht zum Vorschein kommen. Unsere These ist, daß erst ab d em Moment, als der demokratische Diskurs in der I-agc war, die verschiedenen Widerstandsformen gegen die Unterordnung zu artikulieren, die Bedingungen der Möglichkeit des Kampfes gegen die ver schiedenen Typen von Ungleichheit existierten. Im Fall der Frauen kön nen wir als Beispiel die Rolle anführen, die Mary Wollstonecraft in Eng land spielte, deren 1792 erschienenes Buch Vindication of lhe Rights of Women das Aufkommen des Feminismus durch den in ihm gemachten Gebrauch des demokratischen Diskurses bestimmte. Denn so wurde der demokrati sche Diskurs vom Feld der politischen Gleichheit zwischen Bürgern auf das der Gleichheit zwischen den Geschlechtern verschoben. Aber um derart mobilisiert werden zu können, mußte sich zuerst das de mokratische Prinzip der Freiheit und Gleichheit als neue Matrix des sozia len Imaginären durchsetzen beziehungsweise, in unserer Terminologie, einen fundamentalen Knotenpunkt in der Konstruktion des Politischen bilden. Diese entscheidende Veränderung im politischen Imaginären west licher Gesellschaften fand vor zweihundert Jahren statt und kann dahinge hend bestimmt werden, daß die Logik der Äquivalenz in das grundlegende Instrument der Produktion des Sozialen transformiert wurde. Diese Verän derung bezeichnen wir in Anlehnung an einen Ausdruck von Tocqueville als „demokratische Revolution“. Damit bezeichnen wir das Ende einer Ge sellschaft hierarchischen und nicht-egalitären Typs, die von einer theolo gisch-politischen Logik regiert wurde, in der die soziale Ordnung ihre Be gründung im göttlichen Willen hatte. Der Gesellschaftskörper wurde als Ganzes begriffen, in dem die Individuen in differentielle Positionen fixiert erschienen. Denn solange eine solche holistische Art und Weise der Ein richtung des Sozialen vorherrschte, konnte Politik nicht mehr sein als die Wiederholung hierarchischer Verhältnisse, die denselben Typus des unter
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geordneten Subjekts reproduzierten. Das entscheidende Moment in (|{< Anfängen der demokratischen Revolution kann in der französischen lution gefunden werden, da ihre Bekräftigung der absoluten Macht d,.s Volkes etwas wirklith Neues auf der Ebene des gesellschaftlichen Iniagj,,^' ren einführte, wie Francois Furet gezeigt hat. Furet zufolge liegt hier (jje wahre Diskontinuität - in der Errichtung einer neuen Legitimität, in t|t>| Erfindung demokratischer Kultur: „Die Französische Revolution ist e^ei) keine Übergangsphase, sondern ein Ursprung, sowie das Trugbild cinej Ursprungs. Das Einmalige an ihr macht sie historisch interessant, und (¡(j. rigens ist gerade dieses .Einmalige* allgemeingültig geworden: Es ist di<. erste Erfahrung mit der Demokratie.“5 Wenn, wie Hannah Arendt gesagj hat, „die Französische und nicht die Amerikanische Revolution die Welt jn Brand setzte"*, dann deswegen, weil sie es war, die sich auf keine andere Legitimität als das Volk gründete. Wie Claude Lefort gezeigt hat, leitete sie somit eine neue Art und Weise der Instituierung des Sozialen ein. Dieser Bruch mit dem ancien régime, symbolisiert durch die Erklärung der MCn. schenrechte, liefert ihm zufolge die diskursiven Bedingungen der Möglich, keit, die verschiedenen Formen der Ungleichheit als illegitim und wider. natürlich hinzustellen. Dadurch werden diese verschiedenen Formen ein. ander äquivalent gemacht und so zu Formen der Unterdrückung. Hier läge die tiefe subversive Macht des demokratischen Diskurses, der die Ausweitung von Gleichheit und Freiheit auf immer größere Bereiche erlauben und deshalb als Ferment in den verschiedenen Formen des Kampfes gegen Unterordnung wirken würde. Viele Arbeiterkämpfe im neunzehnten Jahr hundert konstruierten ihre Forderungen diskursiv auf der Basis von Kämp fen für politische Freiheit. Im Falle des englischen Chartismus beispielweise haben die Studien von Gareth Stedman Jones7die fundamentale Rolle der Ideen des von der französischen Revolution tief geprägten englischen Radikalismus in der Konstitution der Bewegung und Bestimmung seiner Ziele enthüllt. (Von daher die zentrale Rolle der Forderung nach allgemei nem Wahlrecht, die in den Interpretationen des Chartismus als Phänomen von wesentlich sozialem Charakter kaum berücksichtigt wird - ein Ausdruck des Klassenbewußtseins des neuen industriellen Proletariats.) Die verschiedenen sozialistischen Diskurse bewirken eine Verschiebung von der Kritik der politischen Ungleichheit auf die Kritik ökonomischer Ungleichheit, die zur Infragestellung anderer Formen von Unterordnung und zur Forderung nach neuen Rechten führt. Die sozialistischen Forde rungen müssen deshalb als ein inneres Moment der demokratischen Revo 196
angesehen w e r d e n und sind nur auf der Basis der von ihr errich te ten Ät|uivalciv/.logik verständlich. Und die Ausstrahlungseffekte vervielfachen sieh in alle m ö g l i c h e n Richtungen. Im Fall des Feminismus ging cs fiii die trauen zuerst darum, Zugang zu politischen Rechten zu erreichen, später zu ökonomischer Oieichheit - und heim heutigen Feminismus zu G le ich h e it im Bereich der Sexualität. Wie Tocqneville zeigte: „Selbstver stä n d lich durchdi ingt die Gleichheit schließlich das politische wie das üb rige Leben. Die Menschen können unmöglich in einer einzigen Hinsicht immer ungleich, in allen ändern gleich sein; eines Tages werden sie sich in jeder Hinsicht angleichen.W H Auf jeden Fall ist es die Unmöglichkeit, Unterordnungsverhältnisseals geschlossenes System von Differenzen zu konstituieren, die dem Unterdrück ungsverhältnis zugrunde liegt - eine Unmöglichkeit, die eher die Äußerlichkeil der Identitäten des Unterordnenden und des Untergeordneten zuein ander, denn ihre Absorption in ein System durch ihre Positionen impli ziert. In dieser Hinsicht ist es instruktiv, die Transformationen zu betrach ten, die durch das antagonistische Potential der Arbeiterkämpfe deutlich wurden. Es gab ohne Zweifel im neunzehnten Jahrhundert radikal anti kapitalistische Kämpfe, nur waren sie keine Kämpfe des Proletariats - wenn wir unter „Proletariat“ eher den Arbeitertyp verstehen, der durch die Entwicklung des Kapitalismus produziert wurde, als jene Handwerker, de ren Qualifikationen und Lebensweisen durch die Etablierung des kapitali stischen Produktionssystems bedroht waren. Der stark antagonistische Cha rakter der Kämpfe dieser - in einer Redewendung von Craig Calhoun „reaktionären Radikalen“, ihr Infragestellen des Ganzen des kapitalistischen Systems, werden durch die Tatsache erklärt, daß diese Kämpfe Widerstand gegen die Zerstörung handwerklicher Identitäten und den mit ihnen ein hergehenden Verbund sozialer, kultureller und politischer Formen aus drückten. Von daher rührte die totale Ablehnung der neuen Produktions verhältnisse, die vom Kapitalismus allmählich durchgesetzt wurden. Diese völlige Äußerlichkeit, die zwischen den beiden Systemen sozialer Organi sation existierte, erzeugte die Teilung des sozialen Raumes in zwei Lager, die wir als Bedingung für jeden Antagonismus bestimmt haben. Calhoun hat in seiner Kritik an E. P. Thompsons Die Entstehung der englischen Arbeiter klasse überzeugend dargelegt, daß Thompson sehr heterogene soziale Grup pen unter dem Etikett „Arbeiterklasse“ subsumiert, ohne die tiefe Diffe renz zwischen „alten“ und „neuen“ Arbeitern in ihren Zielen und Formen der Mobilisierung hinreichend zu würdigen. Laut Calhoun
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k iim p iie n ( Arbeiterklasse-.'*
Um die Mitte des neunzehnte»! Jahrhunderts in England und gegen Ende des Jahrhunderts im restlichen F.uixipa entsteht eine Arbeiterbewegung die ausschließlich als Produkt des Kapitalismus betrachtet werden kann Diese Arbeiterbewegung versucht jedoch immer weniger, die inzwischen auf solider Basis stehenden kapitalistischen Produktionsverhältnisse als solche anzuzweifeln und konzentriert sich auf den Kampf für die Transfer, mation der Verhältnisse in der Produktion. Jene Kämpfe, die die marxisti sche Tradition .reformistisch“ nennen und im Vergleich zu vorangegange. neu Kämpfen als einen Schritt rückwärts betrachten würde, entsprechen in Wirklichkeit mehr dem Modus, den die Mobilisierungen des industriellen Proletariats angenommen hat, als die radikaleren Kämpfe früher. Die UnierOrdnungsverhältnisse zwischen Arbeitern und Kapitalisten wurden also bis zu einem gewissen Grade als legitim e differentielle Positionen in einem einheitlichen diskursiven Raum absorbiert. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit einer anderen Periode radikaler Arbeitermobilisierungen zuwenden - der der Arbeiterrätebewegungen in Italien und Deutschland am Ende des Ersten Weltkriegs sehen wir, daß auch sie das Resultat überdeterminierter Umstände sind: des Zusammenbruchs der Nachkriegsordnung, der Militarisierung der Fabriken, der Anfänge der Taylorisierung, der Transformation der Rolle der Facharbeiter in der Pix), duktion. All diese Bedingungen waren entweder mit einer organischen Krise, die die hegemoniale Fähigkeit der Logik der Differenz reduzierte, oder mit Transformationen verbunden, die die traditionellen Formen von Arbeiteridentität in Frage stellten. Wir sollten beispielsweise nicht die zen trale Rolle der Facharbeiter in diesen Kämpfen vergessen - eine Rolle, die zwar allgemein anerkannt, aber unterschiedlich erklärt wird.10 Für einige ist es eine Frage der Verteidigung von Fertigkeiten gegen die bereits vor handene Gefahr der Taylorisierung; für andere brachte die im Krieg ge wonnene Erfahrung diese Arbeiter dazu, an die Möglichkeiten der Selbst* Organisation des Produktionsprozesses zu denken und trieb sie so zu einer Konfrontation mit ihren Unternehmern. In beiden Fällen jedoch ist es die Verteidigung einer bestimmten Identität, die die Arbeiter erworben hatten
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(¡In f Fertigkeiten oder ihre organisatorischen Funktionen in der Produkti on), die sie zur Rebellion veranlaßt. Wir können deswegen eine Parallele zu ,|en oben erwähnten „radikalen Reaktionären“ ziehen, da auch sie einen bedrohten Typus von Identität verteidigten. Es wäre jedoch falsch, diese Äußerlichkeit von Macht rein „stufenför mig“ zu verstehen, als ob die Tatsache der Zugehörigkeit zu einer bestimm ten Phase, die dabei ist, überwunden zu werden, die notwendige Bedin gung für Radikalität in einem Kampf wäre - wäre dies der Fall, würde ein derartiger Radikalismus nur für defensive Kämpfe gelten. Wenn die oben erwähnten „anachronistischen“ Kämpfe jene Äußerlichkeit der Macht, die eine Bedingung für jeden Antagonismus ist, gut illustrieren, können ande rerseits bestimmte soziale Transformationen neue Formen radikaler Sub jektivität ausbilden, und zwar indem Unterordnungsverhältnisse, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht in Frage gestellt worden waren, als äußerlicherZwang und deshalb als Formen von Unterdrückung diskursiv konstruiert werden. An diesem Punkt, kommt die Äquivalenzverschiebung, die dem demokrati schen Imaginären eigentümlich ist, ins Spiel. Die Vorstellung, daß radikale Kämpfe Angelegenheiten der Vergangenheit seien, ist völlig unrealistisch. Sie rührt zu einem guten Teil von der neo-kapitalistischen Euphorie der beiden Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg her, die eine unbegrenzte Fähigkeit für eine transformistische Absorption seitens des Systems aufzu weisen schienen und eine lineare Tendenz zu einer homogenen Gesellschaft zeigten, in der jedes antagonistische Potential aufgehoben und jede kollek tive Identität in einem System von Differenzen fixiert wäre. Demgegen über wollen wir die Komplexität und die zahlreichen widersprüchlichen Aspekte dieses Expansionsprozesses zeigen, da allerdings gerade die Be friedigung vieler sozialer Forderungen in der Blütezeit des Wohlfahrtsstaats, weit davon entfernt, die unbeschränkte Integration der herrschenden hegemonialen Formationen sicherzustellen, oft den willkürlichen Charak ter einer ganzen Reihe von Unterordnungsverhältnissen enthüllte. Auf die se Weise ist das Terrain geschaffen worden, das eine neue Ausdehnung egalitärer Äquivalenzen und dadurch die Ausweitung der demokratischen Revolution in neue Richtungen möglich macht. Auf diesem Terrain sind jene neuen Formen politischer Identität entstanden, die in neueren Debat ten häufig unter dem Namen „neue soziale Bewegungen“ zusammengefaßt wurden. Wir sollten deshalb sowohl das demokratische Potential und die Ambiguitäten dieser Bewegungen als auch den historischen Kontext stu dieren, in dem sie aufgetaucht sind.
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Drnuiktntisthr ¡invlution um! neue Antagonismen
Die Aquivalen/venschiebung zwischen verschiedenen Suhjektpositionni die eine Bedingung für das Auftauchcu eines Antagonismus ist - kann siel» in zwei grundlegenden Varianten darstellen. Erstens kann sie eine Frage v o n b e r e i t s e x i s t i e r e n d e n Pntenmliumgsverhältnissen sein, die dank e i n e r Verschiebung des demokratischen Imaginären, als Unterdrückung«. V e r h ä l t n i s s e r e a r t i k u l i e r t werden. Um noch einmal das Beispiel des Femj. nismus aufzugreifen: weil den Frauen als Frauen e i n Recht verweigere wird, das die demokratische Ideologie i m P r i n z i p allen Bürgern zuerkennt, er scheint hier ein Riß in der Konstruktion des untergeordneten weiblichen Subjekts, aus dem ein Antagonismus entstehen kann. Dies trifft auch auf die ethnischen Minderheiten z u , die ihre Bürgerrechte fordern. Aber der Antagonismus kann auch unter anderen Umständen entstehen - wenn bei spielsweise erworbene Rechte angezweifelt w e r d e n oder soziale Verhältnisse, die nicht in der Form der Unterordnung konstruiert wurden, unter dem Druck gewisser sozialer Transformationen allmählich so konstruiert wer den. ln diesem Fall kann eine Subjektposition zum Ort eines Antagonis mus werden, weil sie durch Praxen und Diskurse negiert wird, die neue Formen von Ungleichheit hervorbringen. Was die Formen des Widerstands zu kollektiven Kämpfen werden läßt, ist aber in jedem Fall die Existenz eines Diskurses, der von außen her die Stabilisierung von Unterordnung als Differenz verhindert. Der unbefriedigende Begriff „neue soziale Bewegungen“ faßt eine Reihe höchst unterschiedlicher Kämpfe zusammen: urbane, ökologische, anti autoritäre, anti-institutionelle, feministische, anti-rassistische sowie ethni sche, regionale oder sexuelle Minderheiten. Ihr gemeinsamer Nenner wäre ihre Unterscheidung von Arbeiterkämpfen als nKlassen“-kämpfen. Es ist sinnlos, auf der problematischen Natur dieses letzteren Begriffs zu beste hen: Er verschmelzt eine Reihe ganz unterschiedlicher Kämpfe auf der Ebe ne der Produktionsverhältnisse, die sich von den „neuen Antagonismen“ dadurch unterscheiden, daß sie nur allzu deutlich das Beharren eines Dis kurses enthüllen, der auf dem privilegierten Status der „Klassen“ beruht. Was uns also bei diesen neuen sozialen Bewegungen interessiert, ist nicht die Vorstellung ihrer willkürlichen Zusammenfassung zu einer der Kate gorie der Klasse entgegengesetzten Kategorie, sondern die neue Rolle, die sie in der Artikulation dieser schnellen Verbreitung sozialer Konfliktualität auf immer zahlreichere Verhältnisse spielen, die für fortgeschrittene Indus-
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(, j r g e s e l l s c h a l t e n h e u t e charakteristisch ist. Genau dies wollen wir durch dir o b e n dai gestellte theoretische Problematik analysieren, die uns diese lU w e g u n g e n als eine Ausdehnung der demokratischen Revolution auf eine R e i h e ganz neuer sozialer Verhältnisse begreifen läßt. Ihre Neuheit ist auf dit* Tatsache bezogen, daß sie neue Formen der Unterordnung in Frage stellen. Wir sollten zwei Aspekte dieses Verhältnisses von Kontinuität/Dis k o n tin u itä t unterscheiden. Der Aspekt der Kontinuität berührt grundle gend die Tatsache, daß die Umwandlung der liberal-demokratischen Ideo logie zum „common sense“ westlicher Gesellschaften die Grundlage für diese immer weiter gehende Herausforderung des hierarchischen Prinzips bildete, die Tocqueville „Angleichung der Bedingungen“ nannte. Es ist die P e r m a n e n z dieses egalitären imaginären, das uns erlaubt, eine Kontinuität zwischen den Kämpfen des neunzehnten Jahrhunderts gegen die durch das ancien régime überlieferten Ungleichheiten und den sozialen Bewe gungen der Gegenwart herzustellen. Aber von einem zweiten Gesichtspunkt aus können wir von Diskontinuität sprechen, da ein guter Teil der neuen politischen Subjekte durch ihre antagonistische Beziehung zu neueren For men von Unterordnung konstituiert worden ist, die sich der Konsolidie rung und Ausdehnung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse sowie d e r wachsenden Intervention des Staates verdanken. Diesen neuen Unter ordnungsverhältnissen und den in ihnen konstituierten Antagonismen wollen wir uns nun zuwenden. Im Kontext der nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefundenen Reorgani sation erschienen eine Reihe von Veränderungen auf der Ebene sozialer Verhältnisse und eine neue h e g e m o n ia le Formation wurde konsolidiert. Die letztere artikulierte Modifikationen auf der Ebene des Arbeitsprozesses, der Staatsform und der herrschenden Weisen kultureller Verbreitung, die eine grundlegende Transformation in den existierenden Formen des sozialen Umgangs bewirken sollten. Wenn wir das Problem vom ökonomi schen Standpunkt aus untersuchen, lie g t die entscheidende Veränderung in dem, was Michel Aglietta als den Übergang von ein em extensiven zu einem intensiven Akkumulationsregime bezeichnet hat. Dieses wird charakterisiert durch die Ausdehnung kapitalistischer Produktionsverhältnisse auf alle sozialen Verhältnisse und ihre Unterordnung u n ter die Logik der Profitproduktton. Nach Aglietta ist das grundlegende Moment dieses Übergangs die Einführung des Fordismus, den er als „das Prinzip e in er A rtiku lation zwischen Produktionsprozeß und Konsumtionsweise“ 11 be schreibt. Präziser: er ist die Artikulation zwischen einem um das halbau-
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tomatische Klicßhand hemm organisierten Arbeitsprozeß um! eine» Konsum, tionsweise, die durch den individuellen Erwerb vo»» NVaren, die im große,, Umfang fii» tlie private Konsumtion ¡muht/iert werden, charakterisiert wir«!. Dieses Anfang des Jahrhunden.s in Gang gesetzte mul seil den vierziger Jahren in gesteigertem Maße erfolgende Vordringen kapitalistischer Produktj. onsverhältnisse sollte die Gesellschaft in einen gewaltigen Markt verwandeln in den» unaufhörlich neue „Bedürfnisse“ geschaffen und immer mehr Pro. tlukte menschlicher Arbeit in Waren verwandelt wurden. Diese „Kornmodifiziening“ des sozialen l.ehens zerstörte ältere soziale Verhältnisse, die sie durch Warenvrrhältnisse ersetzte, wodurch die Logik der kapitalistischen Akkumulation in immer zahlreichere Beieiche eindrang. Heutzutage ist das Individuum nicht nur als Verkäufer von Arbeitskraft dem Kapital unterge. ordnet, sondern auch durch seine oder ihre Eingliederung in eine Vielzahl anderer sozialer Verhältnisse: Kultur, Freizeit, Krankheit, Erziehung, Ge schlecht und sogar Tod. Es gibt praktisch keinen Bereich cles individuellen oder kollektiven Lebens, der sich kapitalistischen Verhältnissen entzieht. Aber diese „Konsumentengesellschaft“ hat nicht zum Ende der Ideologie geführt, wie Daniel Bell verkündete, auch nicht zur Erzeugung eines eindimen sionalen Menschen, wie Marcuse befürchtete, Im Gegenteil, zahlreiche neue Kämpfe haben Widerstand gegen die neuen Formen der Unterordnung ausge drückt, und zwar aus dem Inneren der neuen Gesellschaft selbst. So ist die Ökologiebewegung aufgrund der Verschwendung natürlicher Ressourcen, der Verschmutzung und Zerstörung der Umwelt, der Konsequenzen des Produktivismus entstanden. Andere Kämpfe, Manuel Castells nennt sie „städ tisch“,,s drücken verschiedene Widerstandsformen gegen die kapitalistische Besetzung des gesellschaftlichen Raumes aus. Die allgemeine Verstädterung, die das ökonomische Wachstum begleitet hat, die Verlagerung populärer Klassen auf die städtische Peripherie beziehungsweise ihre Abschiebung in die verödeten Innenstädte und der allgemeine Mangel an kollektiven Gü tern und Dienstleistungen haben eine Reihe neuer Probleme verursacht, die sich auf die Organisation des gesamten sozialen Lebens außerhalb der Arbeit auswirken. Deshalb die Vielfalt sozialer Verhältnisse, von denen Antago nismen und Kämpfe ausgehen können: Wohnen, Konsum, vielfältige Dienst leistungen können ein Terrain für die Kämpfe gegen Ungleichheiten und für die Forderung nach neuen Rechten bilden. Diese neuen Forderungen müssen ferner im Kontext des Keynesianischen Wohlfahrtsstaats gesehen werden, dessen Errichtung zu einer weiteren we sentlichen Tatsache der Nachkriegszeit gehört. Er ist ohne Zweifel ein zwei
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deutiges mul komplexes Phänomen. Denn einerseits war dieser neue Staat.si y p notwendig, um eine Reihe von Funktionen auszuflihren, die von dem n e u e n kapitalistischen Akkutnulatjonsregirrie verlangt wurden, andererseits ist e i auch das Resultat dessen, was Bowl es und C.intis „eine Übereinkunft zwischen Kapital und Arbeit nach dein Zweiten Weltkrieg“1* genannt ha ben, und folglich auch das Resultat von Kämpfen gegen die vorn Kapitalis mus erzeugten Veränderungen in den sozialen Verhältnissen. Es ist zum Beispiel die Zerstörung des Netzwerkes traditioneller Solidarität kommunitären oder familiären T y p s (der, das sollte man nicht vergessen, auf der Unterordnung von Frauen beruht), die den Staat gezwungen hat, in ver schiedenen „sozialen Dienstleistungen“ für die Kranken, die Arbeitslosen, die Alien und so weiter zu intervenieren. Anderswo hat der Staat unter dem Druck von Arbeiterkämpfen interveniert, um eine neue Arbeitspolitik zu garantieren (Mindestlohn, Länge des Arbeitstags, Unfall* und Arbeits losenversicherung und Soziallohn). Auch wenn wir mit Benjamin Coriat" akzeptieren können, daß diese staatliche Planung in die Reproduktion der Arbeitskraft interveniert, um sie den Bedürfnissen des Kapitals unterzu ordnen - dank der Praxis des Kollektivvertrags und der ausgehandelten Vereinbarungen, welche die Lohnerhöhungen an Produktivitätssteigerun gen koppeln sind dies doch auch Steigerungen, die den Arbeitern reale und bedeutende Vorteile gebracht haben. Aber diese sich auf immer mehr Ebenen gesellschaftlicher Reproduktion ausweitende Staatsintervention war mit einer wachsenden Bürokratisierung ihrer Praxen verbunden, die zusammen mit der Kommodifizierung zu ei ner der wesentlichen Quellen von Ungleichheiten und Konflikten gewor den ist. In allen Bereichen, in denen der Staat interveniert hat, ist eine Politisierung sozialer Verhältnisse die Basis für zahlreiche neue Antagonis men. Diese doppelte Transformation sozialer Verhältnisse, die sich zum einen aus der Ausdehnung kapitalistischer Produktionsverhältnisse und an dererseits aus den neuen bürokratischen Staatsformen ergibt, findet man in unterschiedlichen Kombinationen in allen fortgeschrittenen Industrie ländern. Ihre Effekte verstärken sich im allgemeinen wechselseitig, obwohl dies nicht immer so ist. Claus Offe hat zum Beispiel gezeigt, wie die Vorsor ge durch den Dienstleistungsstaat in Verbindung mit einem Soziallohn Effekte zeitigen kann, die in Richtung „Dekommodifizierung“ gehen .15 Dieses Phänomen kann die Interessen der kapitalistischen Akkumulation in dem Maße nachteilig beeinflussen, wie ein Betätigungsfeld, das bisher Quelle von Profit sein konnte, nach und nach durch den öffentlichen Sek
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tor versorgt wird. Kür Orte ist dieses Phänomen im Zusammenhang mii der „Entproletarisierung" (eine Folge der vetsrhiedenen Zuwendungen, <|j{. den Arbeitern ein Oberleben erlauben, ohne ihre Arbeitskräfte um jeden Preis verkaufen zu müssen) ein wichtiger Faktor in der gegenwärtigen Krj. se der kapitalistischen Ökonomien. Für uns jedoch ist hier entscheidend die Konsequenzen dieser den neuen Antagonismen zugrundeliegenden Bürokratisierung herauszufinden. Die wesentliche Tatsache besieht in der Auferlegung vielfältiger Formen der Überwachung und Regulierung jc. ner sozialen Verhältnisse, die vormals als formierender Anteil cles Privaten betrachtet wurden. Diese Verschiebung der Demarkationslinie zwischen dem „Öffentlichen" und dem „Privaten“ hat zweideutige Effekte. Einerseits dient sie dazu, den politischen Charakter (im weiten Sinne) der sozialen Verhält nisse und die Tatsache zu enthüllen, daß diese immer das Resultat von Institutionsweisen sind, die ihnen ihre Form und ihren Sinn geben. Ande rerseits wird angesichts des bürokratischen Charakters der Staatsintervention diese Erzeugung „öffentlicher Räume“ nicht in der Form wirklicher Demo kratisierung bewerkstelligt, sondern durch die Auferlegung neuer Formen von Unterordnung. An diesem Punkt müssen wir nach dem Terrain su chen, auf dem zahlreiche Kämpfe gegen bürokratische Formen staatlicher Macht auftauchen. Dies sollte uns jedoch nicht gegen zahlreiche andere Aspekte blind machen, die in die entgegengesetzte Richtung weisen und dem Wohlfahrtsstaat seine charakteristische Ambiguität geben: das Auf tauchen eines als „positive Freiheiten“ bezeichneten neuen Rechtstypus hat ebenfalls den herrschenden common sense grundlegend transformiert und dadurch einer ganzen Reihe von Forderungen nach ökonomischer Gleich heit und dem Insistieren auf neue soziale Rechte nun Legitimität verlie hen. Bewegungen wie beispielsweise die von Piven und Cloward16 unter suchte „Welfare Rights Movement“ in den USA sind ein Beispiel für diese Erweiterung der Forderungen an den Staat, ist seine Verantwortlichkeit für das Wohl der Bürger einmal akzeptiert. Es ist der Begriff des Bürger rechts selbst, der mit dem Sozialstaat transformiert worden ist, weil den Bürgern jetzt „soziale Rechte“ beigemessen werden. Als Folge davon wur den die Kategorien von „Gerechtigkeit“, „Freiheit“, „Unparteilichkeit“ und „Gleichheit“ umdefiniert und der liberal-demokratische Diskurs durch diese Erweiterung der Rechtssphäre tiefgreifend modifiziert. Man kann die gegenwärtige Ausdehnung des Feldes sozialer Konfliktualität und das daraus folgende Auftauchen neuer politischer Subjekte nicht verstehen, ohne beide im Kontext der Kommodifizierung und Bürokrati-
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sicrung sozialer Verhältnisse einerseits und andererseits der Reformulierung t|t*r liberal-demokratischen Ideologie - die aus der Ausdehnung der Kämp fe um Gleichheit resultiert - zu verölten. Aus diesem Grund haben wir yoigeschlagen, daß diese Vervielfältigung der Antagonismen und diese I n f r a g e s t e l l u n g von Unterordnungsverhältnisseri als ein Moment der Ver t i e f u n g der demokratischen Revolution betrachtet werden sollte. Sie wurde auch durch den dritten wichtigen Aspekt in der Veränderung sozialer Verhältnisse bewirkt, die die hegemoniale Formation der Nachkriegszeit c h a r a k t e r i s i e r t h at: näm lich durch die mit der Ausdehnung der M a s s c n k o i T i m u n i k a t i o n s m i t t e l verbundenen neuen kulturellen Formen. Die se sollten eine neue Massenkultur ermöglichen, die traditionelle Identitä ten völlig erschüttern würde. Noch einmal: die Effekte hier sind zweideu tig, da diese Medienkultur zusammen mit den unbestreitbaren Effekten der Vermassung und Uniformisierung auch s t a r k e Elemente für die Sub version von Ungleichheiten enthält. Die herrschenden Diskurse in der Konsumentengesellschaft stellen diese in dem Maße als sozialen Fortschritt und Vormarsch der Demokratie dar, wie sie der ungeheuren Mehrheit der Bevölkerung Zugang zu einer immer größer werdenden Reihe von Gütern erlaubt. W ährend Baudrillard zwar recht hat, daß wir „von der Gleichheit vor den Gütern weiter entfernt denn je sind“,17 erlaubt der vorherrschende Schein der Gleichheit und die kulturelle Demokratisierung, die eine un vermeidliche Folge des Einflusses der Medien ist, die Infragestellung von auf älteren Statusformen beruhenden Privilegien. Indem sie als Gleiche in ihrer Eigenschaft als Verbraucher angesprochen sind, werden immer zahl reichere Gruppen dazu gedrängt, die weiterhin bestehenden realen Un gleichheiten zurückzuweisen. Diese „demokratische Konsumentenkultur“ hat zweifellos zum Auftauchen neuer Kämpfe beigetragen, die eine wichti ge Rolle bei der Ablehnung alter Unterordnungsformen gespielt haben, wie zum Beispiel in den USA der Kampf der schwarzen Bürgerrechtsbewe gung. Das Phänomen der Jugend ist besonders interessant und man muß sich nicht darüber wundern, daß sie eine neue Achse für das Auftauchen von Antagonismen konstituieren sollte. Um neue Bedürfnisse zu schaffen, wird sie zunehmend als eine spezifische Verbraucherkategorie konstruiert, die sie dazu treibt, einen finanziellen Spielraum zu suchen, den ihr zu ge ben die Gesellschaft nicht in der Lage ist. Im Gegenteil erschweren ökono mische Krise und Arbeitslosigkeit ihre Situation. Wenn wir dann bei jenen „neuen Subjekten“, die die Wucht einer allgemeinen Infragestellung der existierenden Hierarchien erfahren haben, die Auflösung der Familie als
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Keimzelle und ihre wachsende Reduktion auf reim* Knnxuinfunklioiu.,) hinzufügen, was einhergehl mit dem Nicht-vorhnndensein von sozialen lntegr.uionsformen, dann verstehen wir leicht die unterschiedlichen Foj. men der Rebellion der Jugend in den Industricgescllschaiten. Die Tatsache, daß diese „neuen Antagonismen“ der Ausdruck von Wider, standsformen gegen Koinmodifizierung, Btlwkratisierung und zunehinen. de Homogenisierung des sozialen Lebens selbst sind, erklärt, warum sje sich oft durch eine Vermehrung von Partikularismen offenbaren und zj, einer Forderung nach Autonomie selbst kristallisieren werden. Auch aus diesem Grund gibt es eine erkennbare Tendenz zur Aufwertung von „l)if. ferenzen“ und Bildung neuer Identitäten, mit der Neigung, „kulturelle“ Kriterien hervomiheben (Kleidung. Musik, Sprache, regionale Traditionen und so weiter). Insoweit von den beiden großen Them en des demokra tischen Imaginären - Gleichheit und Freiheit - die Gleichheit traditionell vorherrschte, verleihen nun die Forderungen nach Autonomie der Freiheit eine immer zentralere Rolle. Aus diesem Grund manifestieren sich viele dieser Widerstandsformen nicht in kollektiven Kämpfen, sondern über einen zunehmenden Individualismus. (Die Linke ist natürlich schlecht vor bereitet, diesen Kämpfen Rechnung zu tragen. Sie neigt heute sogar dazu, sie als „liberal“ abzutun. Deshalb besteht die Gefahr, daß sie von einem Diskurs der Rechten, der Verteidigung von Privilegien, artikuliert weiden können.) Aber auf jeden Fall und was auch immer die politische Orientie rung ist. durch die sich der Antagonismus kristallisiert (dies wird von den Äquivalenzketten abhängen, die ihn konstruieren): die Form des Antagonis mus als solche ist in allen Fällen identisch. E r besteht also im m er in der Konstruktion einer sozialen Identität - einer überdeterminierten Subjekt position - auf der Basis einer Äquivalenz zwischen einer Reihe von Ele menten oder Werten, die jene anderen, denen sie entgegengesetzt sind, ausschließen oder nach außen verlagern. Wieder sind wir mit der Spaltung des sozialen Raumes konfrontiert. Die jüngste dieser „neuen sozialen Bewegungen“, und zweifelsohne die zum gegenwärtigen Zeitpunkt aktivste, ist die Friedensbewegung. Uns scheint, daß sie perfekt in den theoretischen Rahmen paßt, den wir hier aufgestellt haben. Mit der Ausbreitung dessen, was E.P. Thom pson die „Lo gik des Exterminismus“ genannt hat, fühlt eine wachsende Zahl von Men schen, daß das grundlegendste aller Rechte, das des Lebens, in Frage ge stellt worden ist. Außerdem erzeugt die Aufstellung von fremden Atom waffen in zahlreichen Ländern, deren Einsatz nicht der nationalen Kon-
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(rolle* untersteht, neue Forderungen nach einer Erweiterung der Prinzipien der demokratischen Kontrolle auf die nationale Verteidigung, auf deren Aus übung die Bürger im politischen Feld Anspruch haben. Der Diskurs der Vor teidigungs politik - traditionell das abgeschlossene Reich von der Geheim haltung unterliegenden militärischen und politischen Eliten - wird somit un t e r g r a b e n . da sich das demokratische Prinzip der Kontrolle in seinem inner sten fcstsetzl. Der Hauptgedanke, den wir bis jetzt verteidigt haben, ist, daß die neuen Kämpfe - und die Radikalisierung früherer Kämpfe wie derjenigen der Frau en oder von ethnischen Minderheiten - aus einer doppelten Perspektive verstan den werden sollten: einerseits als Transformation der sozialen Verhältnisse, die für die neue hegemoniale Formation der Nachkriegszeit charakteristisch ist und andererseits als Effekte der Verschiebung des um den liberal-demokra tischen Diskurs konstituierten egalitären Imaginären in neue Bereiche des so zialen Lebens. Dies hatte den Rahmen geliefert, der für die Infragestellung der unterschiedlichen Unterordnungsverhältnisse und der Forderung nach neuen Rechten notwendig ist. Daß das demokratische Imaginäre seit den sechziger Jahren eine fundamentale Rolle für den Ausbruch neuer Forderun gen gespielt hat, wird von den amerikanischen Neokonservativen genau ver standen, die den „Exzeß der Demokratie“ und die Welle des „Egalitarismus“ denunzieren, was in ihren Augen eine Überlastung in den politischen Syste men des Westens verursachte. Samuel Huntington behauptete 1975 in seinem Bericht an die Trilaterale Kommission, daß in den sechziger Jahren in den Vereinigten Staaten die Kämpfe um mehr Gleichheit und Partizipation eine „demokratische Woge“ provoziert hätten, die die Gesellschaft „unregierbar“ gemacht hätte. Er schlußfolgerte, daß „die Stärke des demokratischen Ideals ein Problem für die Regierbarkeit der Demokratie darstellt“.'8 Die immer zahlreicheren Forderungen nach wirklicher Gleichheit haben den Neo konservativen zufolge die Gesellschaft an den Rand des „egalitären Abgrunds“ geführt. Genau hierin sehen sie die Ursprünge der doppelten Transformati on, die die Idee der Gleichheit nach ihrer Meinung durchgemacht hat: sie isr von der Chancengleichheit zur faktischen Gleichheit und von der Gleichheit zwischen Individuen zur Gleichheit zwischen Gruppen übergegangen. Daniel Bell meint, daß dieser „neue Egalitarismus“ das wahre Ideal von Gleichheit gefährdet, dessen Ziel nicht die faktische Gleichheit sein kann, sondern eine „gerechte Meritokratie“ .19 Die gegenwärtige Krise ist folglich, sieht man sie als Resultat einer „Wertekrise“, die Konsequenz aus dem Entstehen einer „Gegen kultur“ und der „kulturellen W idersprüch e des Kapitalismus“.
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Bis jetzt haben wir das Auftauchen neuer Antagonismen und politische, Subjekte als mit der Ausdehnung und Verallgemeinerung der dernokratj. sehen Revolution verknüpft dargestcllt. Mit dem gleichen Recht kann es jedoch ebenso als eine Verlängerung verschiedener anderer Bereic he p<,Ij. tischer Effekte angesehen werden, auf die wir in unseren Analysen oft ge. stoßen sind. Insbesondere läßt uns die Vervielfältigung dieser Antagonjs. men das Problem der Fragmentierung „einheitlicher“ Subjekte der sozia len Kämpfe, dem sich der Marxismus im Gefolge seiner ersten Krise ain Ende des letzten Jahrhunderts gegenübergestelll sah, in neuem Licht erscheinen. Die ganze Diskussion über Strategien für die Neuzusaniinensetzung der Einheit der Arbeiterklasse ist, perspektivisch gesehen, nichts anderes als der erste - zugegeben widerwillige - Akt der Anerkennung der Pluralit.lt des Sozialen und des ungenähten Charakters jed er politischen Identität. Wenn wir die Texte von Rosa Luxemburg, Labriola und selbst von Kautsky gegen den Strich lesen, werden wir sehen, daß dieses nicht assimilierbare Moment der Pluralität auf irgendeine Art und Weise in ih rem Diskurs präsent ist und die Kohärenz ihrer Kategorien unterminiert. Es ist klar, daß diese Vielförmigkeit nicht notwendigerweise ein negatives Moment der Fragmentierung oder die Widerspiegelung einer aus der Lo gik des Kapitalismus resultierenden künstlichen Spaltung war, wie die Theoretiker der Zweiten Internationale dachten, sondern genau das Ter rain, das die Vertiefung der demokratischen Revolution möglich machte. Wie wir sehen werden, wird diese Vertiefung noch in den Doppeldeutig keiten und Schwierigkeiten enthüllt, denen sich jede Praxis der Artikulati on und Rekomposition stellen muß. Der Verzicht auf die Kategorie des Subjekts als einer einheitlichen, transparenten und genähten Entität öffnet den Weg für das Erkennen der Besonderheiten der Antagonismen, die sich auf der Basis unterschiedlicher Subjektpositionen herausbilden, und da mit auch für die Möglichkeit zur Vertiefung einer pluralistischen und de mokratischen Konzeption. Die Kritik der Kategorie des einheitlichen Sub jekts und das Erkennen der diskursiven Verstreutheit, innerhalb der jede Subjektposition sich konstituiert, schließt deshalb etwas mehr als die For mulierung einer allgemeinen theoretischen Position ein: Sie sind das sine qua non für das Denken der Vielfalt, aus der Antagonismen in Gesellschaf ten auftauchen, in denen die demokratische Revolution eine bestimmte Schwelle überschritten hat. Dies eröffnet uns ein theoretisches Feld, auf dessen Basis der Begriff der radikalen und pluralen Demokratie - der von nun an für unsere Erörterung zentral sein wird - allererst begriffen werden
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Itatin. Nur wenn akzeptiert wird, daß die Subjektpositionen nicht auf ein positives und einheitliches Grundprinzip zurückgeführt werden können nur dann kann der Pluralismus radikal gedacht werden. Der Pluralismus ist nur in dein Maße radikal, als jedes Glied dieser Pluralität von Identitäten in sich selbst das Prinzip seiner eigenen Geltung findet, ohne daß dies in e i n e r transzendenten oder zugrundeliegenden positiven Basis für ihre Be deutungshierarchie und als Quelle und Garantie ihrer Legitimität gesucht w erde n muß. Und demokratisch ist dieser radikale Pluralismus in dem Maße, als die Selbstkonstituierung jedes seiner Glieder das Resultat von Verschie b u n g ^11des egalitären Imaginären ist. In einem grundlegenden Sinne ist das Projekt einer radikalen und pluralen Demokratie deshalb nichts anderes als der Kampf urn ein Höchstmaß an Autonomisierung von Bereichen auf der Basis der Verallgemeinerung der äquivalentiell-egalitären Logik. Dieser Ansatz erlaubt uns, die Arbeiterkämpfe neu zu dimensionieren und richtig zu würdigen, deren Charakter verzerrt wird, wenn sie den Kämp fen der „neuen politischen Subjekte“ en bloc gegenübergestellt werden, So bald die Konzeption d er Arbeiterklasse als „universaler Klasse“ abgelehnt wird, wird es möglich, die Pluralität von Antagonismen, die auf dem will kürlich unter dem Etikett „Arbeiterkämpfe“ zusammengefaßten Feld statt finden, sowie die unschätzbare Bedeutung der überwiegenden Mehrzahl von ihnen für die Vertiefung des demokratischen Prozesses anzuerkennen. A rb e ite rk ä m p fe gab es viele und sie haben eine außergewöhnliche Formen vielfalt angenommen als eine Funktion der Transformationen der Rolle des Staates, der Gewerkschaftspraxen unterschiedlicher Arbeiterkategorien, der Antagonismen innerhalb und außerhalb der Fabriken und der existie renden hegemonialen Gleichgewichte. Ein exzellentes Beispiel liefern uns die sogenannten „neuen Arbeiterkämpfe“, die in Frankreich und Italien Ende der sechziger Jah re stattfanden. Sie zeigen genau, wie die Kampf formen innerhalb der Fabrik von einem viel größeren diskursiven Kontext als dem einfacher Produktionsverhältnisse abhängen. Der evidente Einfluß der Kämpfe und Slogans der Studentenbewegungen, die die maßgebliche Rolle von jungen Arbeitern, deren Kultur sich radikal von der ihrer älteren Kollegen unterschied, die Bedeutung von Einwanderern in Frankreich und die Frage des Südens in Italien - all dies zeigt uns, daß die anderen sozialen Bezüge, in die Arbeiter eingebunden sind, die Art und Weise bestimmen, in der sie im Inneren der Fabrik reagieren, und daß folglich die Pluralität dieser Verhältnisse nicht auf magische Weise ausgelöscht werden kann, um so die Arbeiterklasse zu konstituieren. Und d ann können Arbeiterforder 209
ungen auch nicht aut einen einzigen Antagonismus reduziert werden, f|
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gie anti-kapitalistisch, anti-industrialistisch, autoritär, libertär, sozialistisch, reaktionär und so weiter sein. Die Formen der Artikulation eines Antago nismus, weit davon entfernt, vorherbcstiinint zu sein, sind deshalb das Resul tat eines hegenionialen Kampfes. Diese Behauptung hat bedeutende Konse qu enzen , da sie impliziert, daß diese neuen Kümpfe nicht not wendiger weise einen fortschrittlichen Charakter haben und es deshalb ein Irrtum ist, daß sic u n v erm itte lt im Kontext linker Politik stattfinden, wie viele meinen. Viele haben sich seit den sechziger Jahren der Suche nach einem neuen privile gierten revolut ionären Subjekt gewidmet, das die Arbeiterklasse ersetzen sollte, weil diese in ihrer historischen Mission der Emanzipation versagt hätte. Die ökologischen Bewegungen, die Studentenbewegungen, der Feminismus und die Randgruppen waren die populärsten Kandidaten, diese neue Rolle zu übernehmen. Aber es ist klar, daß ein derartiger Ansatz der traditionellen P rob lem atik nicht entkommt, sondern sie nur verschiebt. Es gibt keine einzig artig' privilegierte Position, aus der eine gleichförmige Kontinuität von Ef fekten folgt, die mit der Transformation der Gesellschaft als Ganzer endet. Alle Kämpfe, ob jene der Arbeiter oder anderer politischer Subjekte, haben, auf sich selbst gestellt, einen partiellen Charakter und können mit ganz un te rsc h ie d lich e n Diskursen artikuliert werden. Diese Artikulation ist es, die ihnen ihren Charakter gibt, und nicht der Ort, von dem sie herkommen. Folglich gibt es kein Subjekt - und darüber hinaus auch keine „Notwendig keit“ -, das absolut radikal und von der herrschenden Ordnung nicht wieder eingliederbar ist, also einen absolut gesicherten Ausgangspunkt für eine to tale Transformation bildet. (Gleichermaßen gibt es nichts, was permanent die Stabilität einer etablierten Ordnung gewährleistet.) Auf diesen Aspekt bezogen sind wir der Meinung, daß bestimmte, höchst interessante Analysen wie zum Beispiel die von Alain Touraine und Andre Gorz in ihrem Bruch mit der traditionellen Problematik nicht weit genug gehen.20 Beispielsweise kehrt Gorz, indem er der „Nichtklasse von Nichtarbeitern“ dasjenige Privi leg zuschreibt, das er dem Proletariat verweigert, die marxistische Position einfach nur um. Immer noch ist der Platz auf der Ebene der Produktionsver hältnisse der bestimmende, selbst wenn bei Gorz das revolutionäre Subjekt durch die Abwesenheit von eben dieser Einordnung definiert ist. Was Tou raine angeht, so zeigt seine Suche nach derjenigen sozialen Bewegung, die in der „programmierten Gesellschaft“ die Rolle spielen kann, die von der Ar beiterklasse in der industriellen Gesellschaft gespielt wurde, eindeutig, daß auch er nicht die Idee der Einzigartigkeit der sozialen Kraft, die einen radi kalen Wandel in einer bestimmten Gesellschaft bewirken kann, in Frage stellt. 211
Daß die Wideist.indsfinmeu gegen neue l ’nlen >uhiimgsfom»«,H |H»lvsetmVh sind und wllkonuiien in einem anti-demokratischen Diskuis artikuliert wer den können, wird zweifellos durt h den Vormarsch d er „Neuen Rechten“ in den letzten Jahren bewiesen. Deren Neu heil liegt tu ih re r erfolgreichen Artikulation einer Reihe \\>n demokratischen Widerstünden gegen die 'Irans* (ormation sozialer Verhältnisse mit dem neo-liberalen Diskurs. Die allge meine l •uterstiHzung für Reagans und Thatchers Projekte, den Wohlfahrts staat zu demontieren, wird durch die lätsaehc erklärt, daß es ihnen gelun gen ist, eine ganze Reihe von Widerstünden gegen den bürokratischen Charakter der neuen Tonnen von Staatsorganisation und som it gegen den Wohlfahrtsstaat zti mobilisieren. Daß die Ä q n v ialeiizk etten , die jed e hfgcmoniale Artikulation konstituiert, höchst untersch ied lich er N atur sein können, wird durch diesen neo-konservativen Diskurs offen k u n d ig darge legt: Die Antagonismen, die um die Bürokratisierung k onstitu iert sind, werden zur Verteidigung traditioneller Ungleichheiten von G eschlecht und Rasse artikuliert. Die Verteidigung erworbener, au f weißer m än n lich er Vor herrschaft beruhender Rechte, die der konservativen Reaktion als Nährbo den dient, erweitert dadurch den Bereich ihrer h egem on ialen Effekte. Ein Antagonismus wird so zwischen zwei Polen konstruiert: a u f d e r einen Seite dem „Volk", das all jene einschließt, die traditionelle W erte und Uniernehmensfreiheit verteidigen, und auf der anderen sein em G eg n er, dem Staat und allen Subversiven (FeministInnen, Schw arze, ju n g e L e u te und „Anti-autoritäre" aller Art). Es wird somit ein Versuch g e m a ch t, einen neu en historischen Block zu konstruieren, in dem eine Vielzahl ök onom isch er, sozialer und kultureller Aspekte artikuliert werden. S tu a rt H all hat zum Beispiel gezeigt, wie der Populismus Thatchers „die g ro ß en alten T hem en der Tories - Nation, Familie, Pflicht, Autorität, V orbild er, Traditionalismus - mit den aggressiven Themen eines w iedererw ach ten N eoliberalis musverbindet - Eigennutz, Konkurrenz-Individualismus, A nti-D irigism us.“a Im Falle der Vereinigten Staaten zeigt Allen H u n ter, daß d e r A n g riff der Neuen Rechten auf den Wohlfahrtsstaat der Punkt ist, an d e m sich die kul turellen und ökonomischen Kritiken treffen, B eid e b e h a u p te n , daß sich der Staat in die ökonomischen und ethischen Grundzüge des Marktes im Namen eines trü gerischen Egalitarismus einmischt. Ferner attackieren sie den Wohlfahrtsliberalismus, weil er eine Staatsiniervention bewirkt hat, die in das Privatleben der Menschen wie in die moralische Struktur der Gesellschaft (beispielweise die Sozialisation von Kin dern und das Verhältnis zwischen den Geschlechtern) eingreift.*2
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Wie wii gesehen haben, macht genau dieser polynomische Charakter jedes Ari(;,gonisinus seine Bedeutung von einer hcgcmonialcn Artikulation insoweit ihhlingig. als sich das Terrain hegcinonialer Praxen aus der grundlegenden Ambiguität des Sozialen heraus konstituiert, aus der Unmöglichkeit, die Be deutung irgendeines Kampfes eindeutig zu etablieren - ob isoliert betrachtet oder mittels seiner Fixienmg in einem relationalen System. Wie wir schon oben gesagt haben, gibt es hcgenionialc Praxen, weil diese radikale Unfixiertheit es unmöglich macht. den politischen Kampf als ein Spiel anzusehen, in dem die Identität der opponierenden Kräfte von Beginn an konstituiert ist. Dies bedeutet, daß jede Politik mit hegemonialen Ambitionen sich niemals als WieErholung betrachten kann, als etwas, das in einem als reine Innerlichkeit abgegienzten Raum stattfindet, sondern sicli immerauf einer Vielzahl von Ebenen einsetzen muß. Wenn die Bedeutung jedes Kampfes nicht von Anfang an fest steh t, zeigt dies, daß sie - teilweise - nur in dem Maße fixiert ist, wieder Kampf aus sich herausgebt und sich durch Äquivalenzketten strukturell mit anderen Kämpfen verbindet, jeder frei sich selbst überlassene Antagonismus ist ein flottierender Signifikant, ein „wilder“ Antagonismus, der die Form nicht vor herbestimmt, in der er mit anderen Elementen in einer Gesellschaftsformation artikuliert werden kann. Dies erlaubt uns, eine radikale Differenz zwischen den gegenwärtigen sozialen Kämpfen und jenen vor der demokratischen Re volution herzustellen. Letztere fanden immer im Kontext der Ablehnung gege bener und relativ stabiler Identitäten statt; folglich waren die Grenzen des Ant agonismus klar und deutlich sichtbar und brauchten nicht konstruiert zu wer den - eine hegemoniale Dimension der Politik war daher nicht vorhanden. Aber in den heutigen Industriegesellschaften führt die außerordendiche Ver mehrung ganz unterschiedlicher Bruchpunkte, der prekäre Charakter einer jeden sozialen Identität auch zu einem Verwischen der Grenz-Fronten. Auf grund ihrer größeren Instabilität kommt infolgedessen der konstruierte Cha rakter der Demarkationslinien deutlicher zum Vorschein und die Verschie bung der Grenz-Fronten und inneren Teilungen des Sozialen werden radika ler. Auf diesem Gebiet und aus dieser Perspektive gewinnt das neo-konservati ve Projekt all seine hegemonialen Dimensionen.
Die anti demokratische Offensive Die neo-konservative oder neo-liberale „Neue Rechte“ stellt den Typus der Artikulation in Frage, der den demokratischen Liberalismus zur Rechtferti-
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gungderStaatsintorxeniion im Kampf gegen Ungleichheiten mul /ui K|ri führung des Wohlfahrtsstaates hrxvog. l>ie Ki itik au dieser Hansloi niaij0ll ist nicht neu. Schon W-H unternahm Hayek in Ih r Hfy- zur Knerht\i'haft einen scharfen Auguft gegen den Intervent innsstaut und die verschiedeneu. 7 ii dieser Zeit praktizierten Können ökonomischer Planung. F,r vor kündete, dal! die westlichen Gesellschaften dabei seien, kollektivistisch 2l| werden. mul somit unterwegs iu Kichtuug Totalitarismus xviireu. /hm Zll. folge wird tlie Schwelle zum Kollektivismus dort überschritten, wo das Ge setz statt ein Mittel der Kontrolle der Verxvaltung zu sein, von ihr beuutzt wird, um sich neue Macht zu verschaffen und die Ausdehnung der Büro kratie zu fördern. Von da an ist es unvermeidlich, daß die Macht des Geset zes abnehmen und die der Bürokratie zunehmen wird, ln Wirklichkeit stellt diese neo-liberale Kritik die im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts voll zogene Artikulation zwischen Liberalismus und Demokratie selbst zur De batte.21 Diese „Demokratisierung“ des Liberalismus, die das Resultat man nigfaltiger Kämpfe war, sollte schließlich einen starken Einfluß auf die Form haben, in der die Idee von Freiheit selbst begriffen wurde. Von der tradi tionellen liberalen Definition bei Locke - „Freiheit bedeutet, vom Zwang und der Gewalt anderer frei zu sein“ - waren wir mit Joh n Stuart Mill zur Akzeptanz der „politischen“ Freiheit und demokratischen Partizipation als einem wichtigen Bestandteil der Freiheit übergegangen. Im sozialdemo kratischen Diskurs bedeutete Freiheit noch vor kurzem die „Fähigkeit“, eine bestimmte Wahl zu treffen und eine Reihe realer Alternativen offenzuhal ten. ln der Folge werden heutzutage Armut, Mangel an Erziehung und große l Tngleichheiten in den Lebensbedingungen als Angriff gegen die Freiheit betrachtet. Diese Transformation will nun der Neoliberalismus in Frage stellen. Hayek ist ohne Zweifel derjenige, der sich am energischsten der Reformulierung der Prinzipien des Liberalismus gewidmet hat, um jene Bedeutungsverschiebungen zu bekämpfen, die eine Erweiterung und Vertiefung von Freihei ten ermöglichten. Er schlägt vor, die „wahre“ Natur des Liberalismus wie der als diejenige Lehre zu bekräftigen, die die Macht des Staates auf ein Minimum zu reduzieren sucht, um das politische Hauptziel zu maximie ren: die individuelle Freiheit. Diese wird noch einmal negativ definiert als jener „Zustand der Menschen, in dem Zwang auf einige von seiten anderer Menschen so weit herabgemindert ist, als dies im Gesellschaftsleben mög lich ist.“*1 Politische Freiheit bleibt angeblich von dieser Definition unbe rührt. Hayek zufolge ist Demokratie „wesentlich ein Mittel und ein von der
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¡sjíU/liclikeit diktiertes Instrument für die Wahrung des inneren Friedens mul der individuellen Freiheit.“25 Dieser Versuch einer Rückkehr zur tradi tionellen Konzeption von Freiheit, die als Nichteinmischung in das Recht unbeschrankter Aneignung und in die Mechanismen der kapitalistischen Maiktvvii tschaft charakterisiert wird, ist darum bemüht, jede „positive“ Konzeption von Freiheit als potentiell totalitär zu diskreditieren. Er stellt die Behauptung auf, daß eine liberale politische Ordnung nur iin Rahmen einer kapitalistischen freien Marktwirtschaft existieren kann. In Capitalism and Freedom erklärt Milton Friedman, daß dies der einzige Typ sozialer O r ganisation ist, der das Prinzip individueller Freiheit respektiert, da er das einzige ökonomische System bildet, das imstande ist, die Aktivitäten einer großen Anzahl von Menschen ohne Rückgriff auf Zwang zu koordinieren. Jede Staatsintervention wird als ein Angriff auf die individuelle Freiheit betrachtet - mit Ausnahme jener Angelegenheiten, die nicht durch den Markt zu regeln sind. Die Vorstellung von sozialer und umverteilender Ge rechtigkeit ist eine der Lieblingszielscheiben der Neo-Liberalen, insofern sie zur Rechtfertigung von staatlicher Intervention herangezogen wird. Hayek zufolge ist diese Vorstellung in einer liberalen Gesellschaft völlig unverständlich, da „in einem solchen System, wo jeder sein Wissen für sei ne eigenen Absichten gebrauchen darf, ... der Begriff .soziale Gerechtig keit' notwendig leer und ohne Bedeutung (ist), weil hier niemandes Wille die relativen Einkommen der verschiedenen Leute bestimmen oder ver hindern kann, daß sie teilweise vom Zufall abhängig sind .“26 Aus einer „libertären“ Perspektive hat Robert Nozick in gleicher Weise die Idee angezweifelt, daß es so etwas wie eine vom Staat bereitgestellte Verteilungsgerechtigkeit geben kann .27 Seines Erachtens besteht die einzi ge mit der Freiheit kompatible Funktion des Staates darin, unseren legiti men Besitz zu schützen, während er nicht das Recht hat, Steuern durchzu setzen, die über das hinausgehen, was für die Entfaltung der Verwaltungs tätigkeiten erforderlich ist. Im Gegensatz zu den amerikanischen Ultralibertären, die jede Staatsintervention verwerfen,28 rechtfertigt Nozick die Existenz des Minimalstaates - das heißt Recht und Ordnung. Aber ein Staat, der über das hinausginge, wäre nicht zu rechtfertigen, da er dadurch die Rechte von Individuen verletzen würde. In jedem Fall, so Nozick, gäbe es nichts, was vom Staat legal verteilt werden könnte, da alles im Besitz von Individuen oder unter ihrer legitimen Kontrolle wäre. Eine andere Art und Weise, die subversiven Effekte der Artikulation zwi schen Liberalismus und Demokratie zu attackieren, besteht darin, nach Art
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der Nookonsci vativenden Begriff der lVmokratK*selbst so unmidefinieien, daß sein Anwendungsbereich begrenzt und politische Partizipation auf ein immei engeres Gebiet Ix'schninkt wird. So schliigt Brz.ezinski vor, „das politi. sehe System zunehmend \xmder Gesellschaft zu irennen und beide allmählic h als separate Entitäten zu lx'greifenV'1 Das Ziel ist. Öffentliche Entscheidungen immer mehr der politischen Kontrolle zu entziehen und sie zur ausschließli. chen Verantwortlichkeit von Experten zu machen. ln einem solc hen Fall wäre der Effekt eine IVpoliiisierung grundlegender Entscheidungen* sowohl auf ökonomischer als auch auf sozialer und |x>litischer Ebene. Seines Erachtens wäre eine solche Gesellschaft demokratisch „in einem libertären Sinne - nicht hinsichtlich einer grundlegenden Entscheidbarkeit der Richtung der Politik, sondern im Sinne der Aufrechterhaitung bestimmter Bereiche der Autono mie für die individuelle Selbst Verwirklichung“.*1 Obwohl das demokratische Ideal nicht offen attackiert wird, wird hier der Versuch unternommen, es all seiner Substanz zu entleeren und eine neue Definition von Demokratie Voran schlägen, die faktisch dazu dienen würde, ein Regime zu legitimieren, in dem politische Partizipation eigentlich nicht existieren kann. Bei den Theoretikern der Neuen Rechten in Frankreich hat es eine weitaus dreistere und frontalere Kritik der Demokratie gegeben. Alain cle Benoist, ihr hauptsächlicher Wortführer, erklärt offen, daß die Französische Revolution eine der wesentlichen Stufen der Degeneration westlicher Zivilisation markiert - eine Degeneration, die mit dem Christentum, dem „Bolschewismus der An tike“. beginnt. Ferner behauptet er, daß der Geist der Erklärung der Men schenrechte von 1789 selbst verworfen werden muß. Indem er geschickt eine Reihe libertärer Themen aus der 68er Bewegung zurückerobert, zieht Alain de Benoist in Betracht, daß die Demokratie, indem sie dem allgemeinen Wahl recht eine fundamentale Rolle beimißt, alle Individuen auf das gleiche Niveau stellt und es daher nicht schafft, die wichtigen Differenzen unter ihnen anzu erkennen. Von daher leitet sich eine Uniformierung und Vermassung der Bürger her, denen eine einzige Norm aufgezwungen wird, was den notwendig totalitären Charakter der Demokratie zeigt. Angesichts der Äquivalenzkette Gleichheit = Identität = Totalitarismus proklamiert die Neue Rechte das „Recht auf Differenz“ und behauptet die Sequenz Differenz = Ungleichheit = Frei heit. De Benoist schreibt: „Ich nenne .rechts’ das Verhalten, das die Verschieden• heit der Welt und deshalb Ungleichheiten als ein Gut und die fortschreitende Homogenisierung der Welt, die durch den zweitausendjährigen Diskurs der totalitären Ideologie begünstigt und bewirkt wurde, als ein Übel betrachtet “Sl Es wäre ein Fehler, die Bedeutung dieser Versuche, solche Begriffe wie „Frei-
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luii“. „Gleichheit“, „Gerechtigkeit“ und „Demokratie“ umzudefinieren, zu tinterschJitzen. Der traditionelle Dogmatismus der Linken, der Problemen iin Zentrum der politischen Philosophie untergeordnete Bedeutung beimaß, basierte selbst auf dem „Überbau“«harakter solcher Probleme. Schließlich interessierte sich die Unke nur für eingegrenzte, mit der Basis und den in ihr konstituierten Subjekten verbundene Problembereiche, während das riesige Fehl der Kultur und der auf ihrer Basis erstellten Definition der Realität. also die gesamte Anstrengung hegemonialer Reartikulation der verschiedenen diskursiven Formationen ungehindert der Initiative der Rech ten überlassen wurde. Und tatsächlich: Wenn die ganze liberal-demokratische, mit der Rechten eng verbundene Konzeption des Staates einfach als Oberbau form bürgerlicher Herrschaft gesehen wurde, so war es schwierig, einen anderen Standpunkt für möglich zu halten, ohne in krassen Oppor tunismus zu verfallen. Sobald wir jedoch die Unterscheidung zwischen Basis und Überbau aufgegeben und die Auffassung verworfen haben, daß es pri vilegierte Punkte gibt, von denen eine emanzipatorische politische Praxis in Gang gesetzt werden kann, ist es klar, daß die Konstitution einer hegemunialen linken Alternative nur von einem komplexen Prozeß der Konver genz und der politischen Konstruktion herkommen kann, für den keine der in jedem Bereich der sozialen Realität konstruierten hegemonialen Artikulationen gleichgültig sein kann. Die Form, in der Freiheit, Gleich heit, Demokratie und Gerechtigkeit auf der Ebene der politischen Philoso phie definiert werden, kann auf einer Vielzahl anderer Diskursebenen be deutende Konsequenzen haben und entscheidend zur Formung des common sense der Massen beitragen. Natürlich können diese Ausstrahlungseffekte nicht als bloße Übernahme eines philosophischen Standpunkts in der Sphäre der „Ideen“ betrachtet werden, sondern sollten eher als eine komplexere Reihe diskursiv-hegemonialer Operationen gesehen werden, die eine Viel falt von sowohl institutioneilen als auch ideologischen Aspekten umfassen, durch die bestimmte „Themen“ in Knotenpunkte einer diskursiven For mation (das heißt eines historischen Blocks) transformiert werden. Wenn neo-liberale Vorstellungen eine fraglos politische Resonanz gewonnen ha ben, dann deswegen, weil sie die Artikulation von Widerständen gegen die oben angesprochene wachsende Bürokratisierung sozialer Verhältnisse er möglicht haben. So ist es dem neuen Konservatismus gelungen, sein Pro gramm der Demontage des Wohlfahrtsstaats als eine Verteidigung indivi dueller Freiheit gegen den Unterdrückerstaat zu präsentieren. Damit aber eine Philosophie zur „organischen Ideologie“ wird, müssen zwischen dem
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von ihr konstruierten Subjekmp und den auf »Irr Fbrnr anderer sozial,*, Verhältnisse konstituierten Subjektpositionen gewisse Analogien bestehen. Wenn das l heina der individuellen Freiheit so wirkungsvoll eingesetzt werden kann, dann auch deswegen, weil der l.iheialisinus, trotz seiner Artiku lation mit dem demokiat¡sehen Imaginären, weiterhin den „lie.sitzindividualismus“ (Ma< pherson) als eine Matrix der Produktion des Indivi duums beibehält. Oieser konstruiert die Rechte von Individuen als solche, die bereits \w der und oft in Opposition zur Gesellschaft bestehen. In dem Maße, wie immer mehr Subjekte diese Rechte im Rahmen der französi schen Re\v>lution forderten, war es unvermeidlich, daß die Matrix des Besitzindividualisnuis zerbrechen würde, da die Rechte einiger mit den Rechten anderer kollidierten. Genau in diesem Kontext der Krise des demokrati schen Liberalismus muß jene Offensive lokalisiert werden, die das subversi ve Potential der Artikulationen zwischen Liberalismus und Demokratie zu zersetzen versucht und erneut die Zentralität des Liberalismus behauptet als die Verteidigung individueller Freiheit gegen jede Einmischung seitens des Staates und im Gegensatz zur demokratischen Komponente, die auf gleichen Rechten und Volkssouveränität beruht. Dieser Versuch, das Ter rain des demokratischen Kampfes zu beschränken und die in vielen sozia len Verhältnissen existierenden Llngleichheiten zu bewahren, erfordert je doch die Verteidigung eines hierarchischen und anti-egalitären Prinzips, das durch den Liberalismus selbst gefährdet worden war. Aus diesem Grund nehmen die Liberalen zunehmend zu einer Reihe von Them en aus der konservativen Philosophie Zuflucht, in der sie die notwendigen Elemente finden, die Ungleichheit zu rechtfertigen. Wir erleben somit das Auftau chen eines neuen hegemoniaien Projekts: das des liberal-konservativen Dis kurses, der die neo-liberale Verteidigung der freien Marktwirtschaft mit dem äußerst anti-egalitären kulturellen und sozialen Traditionalismus des Konservatismus zu artikulieren versucht.
Radikale Demokratie: Alternativefür eine neue Unke Die konservative Reaktion hat folglich einen deutlich hegemoniaien Cha rakter. Sie strebt nach einer tiefgreifenden Transformation der Termini des politischen Diskurses und der Bildung einer neuen „Definition von Realität- , die unter dem Deckmantel der Verteidigung der „individuellen Freiheit“ Ungleichheiten legitimieren und die hierarchischen Verhältnis-
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die die Kümpfe früherer Jahrzehnte zerstört hatten, erneuern soll. In Wirklichkeit steht hier die Schaffung eines neuen historischen Blocks auf dein Spiel. Ein in eine organische Ideologie umgewandelter Liberal-KonSci vatismus würde eine neue hcgcmoniale Artikulation mittels eines Sy stems von Äquivalenzen konstruieren, die vielfältige Subjektpositionen um eine individualistische Definition von Rechten und eine negative Konzepti on von Freiheit herum vereinen würde. Wir haben cs hier erneut mit der Verschiebung der Grenz-Front des Sozialen zu tun. Eine Reihe von Subjekfpositionen, die als legitime Differenzen in einer dem Wohlfahrtsstaat entspre chenden hegemonialen Formation akzeptiert waren, werden aus dem Feld sozialer Positivität ausgeschlossen und als Negativität konstruiert - die Pa rasiten der sozialen Sicherheit (Frau Thatchers „Schnorrer“), eine eng mit Gewerkschaftsprivilegien verbundene Ineffizienz, staatliche Subventionen und so weiter. F.s ist deshalb offensichtlich, daß eine linke Alternative nur aus der Kon struktion eines anderen Äquivalenzensystems bestehen kann, das die sozia le Spaltung auf einer neuen Basis etabliert. Angesichts des Projekts für die Rekonstruktion einer hierarchischen Gesellschaft sollte die Alternative der Linken darin bestehen, sich selbst vollständig auf dem Feld der demokrati schen Revolution zu verorten und die Äquivalenzketten zwischen den ver schiedenen Kämpfen gegen Unterdrückung zu erweitern. Die Aufgabe der Unken kann deshalb nicht darin liegen, auf die liberal-demokratische Ideologie zu verzichten, sondern hat sie im Gegenteil in Richt ung auf eine radikale und plurale Demokratie zu vertiefen und auszuweiten. Wir werden die Dimensionen dieser Aufgabe auf den folgenden Seiten erklären, aber allein schon die Tatsache, daß sie möglich ist, rührt daher, daß der Sinn des liberalen Diskurses über individuelle Rechte nicht ein für allemal fixiert ist; und ebenso wie diese Nichtfixiertheit seine Artikulation mit Elementen des konservativen Dis kurses erlaubt, so erlaubt sie auch verschiedene Formen der Artikulation und Umdefinition, die das demokratische Moment betonen. Wie jedes an dere soziale Element erscheinen die den liberalen Diskurs ausmachenden Elemente also niemals als kristallisiert, sondern können selbst das Feld ei nes hegemonialen Kampfes sein. Nicht in der Preisgabe des demokrati schen Terrains, sondern im Gegenteil gerade in der Ausdehnung des Fel des demokratischer Kämpfe auf die ganze civil society und den Staat liegt die Möglichkeit für eine hegemoniale Strategie der Linken. Es ist nichtsde stoweniger wichtig, das radikale Ausmaß der Veränderungen zu verstehen, die im politischen Imaginären der Linken notwendig sind, wenn sie mit
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dem Aufbau einet' politischen Praxis lifolg haben will, die sic h gän/lit |j auf dem Feld der demokratistheu Revolution vermiet mul sich der Tieft, und Mannigfaltigkeit hegemonialer Ai tikulationen bewußt ist, die die gegen, wiirtige Konjunktur erfordert. Das wesentliche lliiulernis bei dieser Auf. gäbe, auf das wir von Beginn dieses Buches au aufmerksam gemacht ha ben, ist der essentialistist lie Apriorismus,
Vollst lu itts ist. Dev klassische Begriff der Revolution implizierte aber viel mehl als das: er implizierte den grundlegenden Charakter des revolutionä11*11 Akts, nämlich die Institution eines Punktes der Konzentration der Macht, von dein aus die Gescllschalt „rational“ reorganisiert werden könnte. Dies ist eine Perspektive, die mit der Pluralität und der Öffnung, deren eine r a d i k a l e Demokratie bedarf, unvereinbar ist. Wenn wir noch einmal be stim m te Begriffe Gramscis radikalisieren, erlangen wir die theoretischen In stru m e n te , die uns erlauben, den revolutionären Akt selbst neu zu di m e n sio n ieren . Der Begriff des „Stellungskriegs“ impliziert genau den ProzeßCharakter jeder radikalen Transformation - der revolutionäre Akt ist ein fach ein inneres Moment dieses Prozesses. Die Vervielfachung politischer R äum e und das Verhindern von Machtkonzentration an einem Punkt sind dann Voraussetzungen jed er wirklich demokratischen Transformation der Gesellschaft. Die klassische Konzeption des Sozialismus nahm an, daß aus dein Verschwinden des Privatbesitzes an Produktionsmitteln eine Kette von Wirkungen folgen würde, die über eine ganze historische Epoche zur Ab sch a ffu n g aller Form en von Unterordnung führen würde. Heute wissen wir, daß dem nicht so ist. Zum Beispiel gibt es keine notwendigen Verbin dungen zwischen Antisexismus und Antikapitalismus und eine Einheit zwi schen beiden kann nur das Resultat einer hegemonialen Artikulation sein. Da raus folgt, daß eine Konstruktion dieser Antagonismen nur auf der Grund lage separater Kämpfe möglich ist, die ihre jeweilig äquivalentiellen und überdeterminierenden Effekte nur in ganz bestimmten Bereichen des Sozia len geltend machen. Dies bedarf der Autonomisierung von Kampfsphären und der Vervielfachung politischer Räume, die mit einer Konzentration von Macht und Wissen unvereinbar sind, die der klassische Jakobinismus und seine verschiedenen sozialistischen Varianten impliziert. Selbstverständ lich beinhaltet jedes Projekt für eine radikale Demokratie eine sozialisti sche Dimension, da es notwendig ist, die kapitalistischen Produktionsver hältnisse abzuschaffen, die die Quelle zahlreicher Unterordnungverhältnisse sind. Aber der Sozialismus ist einer der Bestandteile eines Projekts für radi kale Demokratie, nicht umgekehrt. Gerade aus diesem Grund muß man, wenn man von Vergesellschaftung der Produktionsmittel als einem Element in der Strategie für eine radikale und plurale Demokratie spricht, darauf bestehen, daß dies nicht nur Arbeiterselbstverwaltung heißen kann, da die wahre Partizipation aller Subjekte an Entscheidungen über das, was produ ziert, wie es produziert und über die Formen, in denen das Produkt verteilt werden soll, auf dem Spiel steht. Nur unter solchen Bedingungen kann es 221
eine gesefbchaftliche Aneignungtlvr Produktion geben. Die Kernfrage auf ein Problem von Aibeilerselbstvei waltung zu reduzieren, bedeutet, die lätsache zu ignorieren, daß Arbeiterjnieressen" auf verschiedene Weisen kon struiert werden können - daß sie beispielsweise ökologische Forderungen oder Forderungen anderer Gruppen nicht berücksichtigen, die, ohne selbst Produzenten zu sein, wn den auf dem Gebiet der Produktion getroffenen Entscheidungen berührt werden.* Vom Standpunkt einer hegemonialen Politik besteht dann die entschei dende Beschränkung der traditionellen linken Perspektive darin, daß sie versucht, a priori Agenten der Veränderung, Grade d er Wirksamkeit auf dem Feld des Sozialen und privilegierte Punkte sowie Momente des Bruchs zu bestimmen. Der gemeinsame Nenner all dieser Hindernisse ist die Wei gerung. auf die Vorstellung von einer genähten Gesellschaft zu verzichten. Sobald dies jedoch aufgegeben wird, entsteht eine ganze Reihe neuer Pro bleme, die wir nun in Angriff nehmen wollen. Sie können zu drei Fragen zusammengefaßt werden, die wir der Reihe nach ansprechen werden. Er stens: Wie bestimmen wir die Oberflächen des Auftauchens uncl die Artikulationsformen der Antagonismen, die ein Projekt radikaler Demokratie umfassen sollte? Zweitens: Bis zu welchem Grad ist der Pluralismus, cler einer radika len Demokratie entspricht, mit den Äquivalenzeffekten vereinbar, die, wie wirgesehen haben, für jede hegemoniale Artikulation charakteristisch sind? Drittens: Bis zu welchem Grad genügt die in den Verschiebungen des de mokratischen Imaginären implizierte Logik für die Definition eines hege monialen Projektes? Beim ersten Punkt ist es offensichtlich, daß es, ebenso wie sich der in einer Topographie des Gesellschaftlichen implizierte Apriorismus als un haltbar erwiesen hat, genauso unmöglich ist, a priari die Oberflächen zu definieren, auf denen die Antagonismen konstituiert werden. Folglich gibt es, obwohl mehrere linke Politiken in bestimmten Kontexten begriffen und spezifiziert werden können, nicht eine Politik der Linken, deren Inhalte iso liert von aller kontextuellen Referenz bestimmt werden können. Aus die sem Grund sind alle Versuche, eine solche Bestimmung a priori vorzuneh men, notwendigerweise einseitig und willkürlich gewesen und hatten in sehr vielen Fällen keine Gültigkeit. Das Explodieren d er Eindeutigkeit der Bedeutung des Politischen, das mit dem Phänomen der kombinierten und ungleichen Entwicklung zusammenhängt, zerstört jed e Möglichkeit, das Signifikat in Form einer Teilung zwischen links und rechts zu fixieren. Angenommen wir versuchten, einen endgültigen Inhalt von „links“ zu de-
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finicrcn, der allen Kontexten, in denen das Wort gebraucht worden ist, zugrunde liegt: wir würden keinen finden, bei dem es nicht Ausnahmen gilbe. Wir befinden uns exakt auf dem Feld von Wittgensteins Sprachspielen: Das genaueste, was wir bekommen können, ist, „Familienähnlichkeiten“ zu finden. Untersuchen wir einige Beispiele. In letzter Zeit ist viel über die dringende Notwendigkeit geredet worden, die Trennungslinie zwischen Staat und civil society zu vertiefen. Es ist jedoch nicht schwierig einzusehen, daß dieser Vorschlag die Linke nicht mit einer Theorie der Oberfläche des Auftauchens von Antagonismen ausstattet, die über eine beschränkte An zahl von Situationen hinaus verallgemeinert werden kann. Es hätte den Anschein, als wäre jede Herrschaftsform im Staat verkörpert. Aber es ist klar, daß die civil society ebenso der Sitz zahlreicher Unterdrückungs verhältnisse und infolgedessen von Antagonismen und demokratischen Kämpfen ist. Theorien wie Althussers Analyse „ideologischer Staatsappa rate“ versuchen mit mehr oder weniger Klarheit in ihren Resultaten ein Begriffssystem zu entwickeln, mit dem diese Phänomene der Verschiebung auf dem Feld der Herrschaft zu denken sind. Im Falle des feministischen Kampfes ist der Staat ein bedeutendes Mittel, um in der Gesetzgebung, häufig gegen die civil society, einen Fortschritt im Kampf gegen den Sexis mus zu erzielen. In zahlreichen unterentwickelten Ländern ist die Ausdeh nung der Funktionen des Zentralstaates ein Mittel, um im Kampf gegen extreme Formen von Ausbeutung durch Grundbesitzeroligarchien eine Grenz-Front zu errichten. Der Staat ist ferner kein homogenes von der civil society durch einen Graben getrenntes Medium, sondern eine ungleiche Anordnung von Abteilungen und Funktionen mit einer nur relativen Inte grierbarkeit durch die in ihm stattfindenden hegemonialen Praxen. Vor allem sollte nicht vergessen werden, daß der Staat in dem Maße Sitz zahl reicher demokratischer Antagonismen sein kann, wie eine Reihe von beispielweise fachlichen oder technischen Funktionen innerhalb seiner selbst in antagonistische Beziehungen gegenüber bestimmten Machtzentren tre ten können, die diese Funktionen zu beschränken und umzuformen versu chen. Natürlich heißt das keineswegs, daß es in bestimmten Fällen nicht möglich ist, daß die Teilung zwischen Staat und civil society die wesentliche politische Demarkationslinie bildet: das geschieht dann, wenn der Staat zu einem bürokratischen Auswuchs transformiert worden ist, der dem Rest der Gesellschaft gewaltsam aufgezwungen wurde - wie in Osteuropa oder im Nicaragua Somozas, das eine vom Militärapparat aufrechterhaltene Dik tatur war. Jedenfalls ist es offensichtlich unmöglich, a priori entweder den 22S
Staat oder die civil society als die Oherl'läche des Auftauchens demokrati scher Antagonismen /u idenliri/ieren. Das gleiche kann gesagt werden, wenn es vom politischen Standpunkt der l inken aus darum geht, den positiven oder negativen Ohara kirr bestimmter organisatorischer Formen zu bestinimen. Betrachten wir /tun Beispiel die „ParteiM form. Die Partei als eine po litische Institution kann unter gewissen Umstünden eine Instanz bürokra tischer Versteinerung sein, die auf Massenbewegungen als Bremse wirkt; aber untei anderen Umständen kann sie der Organisator verstreuter und politisch unerfahrener Massen sein und somit als Instrument für die Aus dehnung und Vertiefung demokratischer Kämpfe dienen. Der wesentliche Punkt ist, daß insofern, als das Feld der „Gesellschaft im allgemeinen“ als gültiger Rahmen politischer Analyse verlorengegangen ist, auch die Mög lichkeit, eine allgemeine Theorie der Politik auf der Basis topographischer Kategorien 2u etablieren, verschwunden ist - das heißt von Kategorien, die die Bedeutung bestimmter Inhalte als Differenzen, die innerhalb eines relationalen Komplexes lokalisierbar sind, dauerhaft fixieren. Aus dieser Analyse ist die Schlußfolgerung zu ziehen, daß es unmöglich ist, a priori Oberflächen des Auftauchens von Antagonismen anzugeben, weil es keine Oberfläche gibt, die nicht beständig durch die überdeterminierenden Effekte anderer untergraben wird und weil es infolgedessen eine beständige Verschiebung der sozialen Logiken, die für bestimmte Be reiche charakteristisch sind, zu anderen Bereichen hin gibt. Dies ist unter anderem jener „Demonstrationseffekt“, den wir im Fall der demokratischen Revolution am Werk gesehen haben. Ein demokratischer Kam pf kann einen gewissen Raum, in dem er sich entwickelt, autonomisieren und Äqui valenzeffekte mit anderen Kämpfen in einem anderen politischen Raum produzieren. Es ist diese Pluralität des Sozialen, mit der das Projekt für eine radikale Demokratie verknüpft ist. Dessen Möglichkeit ergibt sich un mittelbar aus dem dezentrierten Charakter der sozialen Agenten, aus der sie als Subjekte konstituierenden diskursiven Pluralität und aus den inner halb dieser Pluralität stattfindenden Verschiebungen. Die anfänglichen Formen demokratischen Denkens waren mit einer positiven und einheitlichen Konzeption menschlicher Natur verknüpft und tendierten dazu, ei nen einzigen Raum zu konstituieren, worin diese Natur die Effekte ihrer radikalen Freiheit und Gleichheit manifestieren sollte: so konstituierte sich ein öffentlicher, mit der Idee des Bürgerrechts verbundener Raum. Die Unterscheidung zwischen öffentlich und privat konstituierte die Trennung zwischen einerseits einem Raum, in dem Differenzen durch die universale
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Äquivalenz, clcr Bürger aiisgclöscht wurden, und andererseits einer Plurali tät privater Räume, in denen die volle Wirksamkeit jener Differenzen bei nhalten wurde. An diesem Punkt beginnt die Überdeterminierung von mit der demokratischen Revolution verbundenen Effekten die Demarkati onslinie zwischen dem öffentlichen und dem Privaten zu verschieben und die sozialen Verhältnisse z.u politisieren, das heißt die Räume, in denen die neuen Äquivalenzlogiken die differentielle Positivität des Sozialen auflösen, zu vervielfältigen: jen er langwierige Prozeß, der sich von den Arbeiterkärnpfen des neunzehnten Jahrhunderts bis zum Kampf der Frauen, von diversen rassischen und sexuellen Minderheiten, verschiedenen Randgrup pen und den neuen anti-institutionellen Kämpfen in diesem Jahrhundert erstreckt. Was dadurch auseinanderbrach, war die Idee und die Realität eines einheitlichen Raumes der Konstitution des Politischen selber. Wir erleben eine Politisierung, die viel radikaler als jede uns bisher bekannte ist, weil sie dazu tendiert, die Unterscheidung zwischen dem öffentlichen und dem Privaten aufzulösen - nicht im Sinne des Eingriffs in das Private durch einen einheitlichen öffentlichen Raum, sondern im Sinne einer Ver mehrung radikal neuer und verschiedener politischer Räume. Wir sind mir dem Auftauchen einer Pluralität von Subjekten konfrontiert, deren Formen von Konstitution und Verschiedenheit nur denkbar sind, wenn wir auf die Kategorie des Subjekts als einem einheitlichen und vereinheitlichenden Wesen verzichten. Steht diese Pluralität des Politischen jedoch nicht im Widerspruch zu der Vereinheitlichung, die aus den äquivalentiellen Effekten resultiert, die nach unseren bisherigen Überlegungen die Bedingung von Antagonismen sind? Oder mit anderen Worten: gibt es nicht eine Unvereinbarkeit zwischen der Vermehrung politischer Räume, die einer radikalen Demokratie angemes sen sind, und der Konstruktion kollektiver Identitäten auf der Basis der Äquivalenzenlogik? Wir haben es hier wieder mit der offensichtlichen Di chotomie Autonom ie/H egem onie zu tun, auf die wir bereits im vorigen Kapitel verwiesen haben, und deren politische Implikationen und Effekte wir nun betrachten werden. Wir wollen die Fragen von zwei Perspektiven aus angehen: zum einen vom Gesichtspunkt des Termins her, auf dem sich die Dichotomie als wechselseitig ausschließend darstellen kann; und zum anderen vom Gesichtspunkt der Möglichkeit und der historischen Bedin gungen des Auftauchens dieses Terrains der Ausschließung her. Beginnen wir mit dem Terrain der Unvereinbarkeit zwischen äquivalen tiellen Effekten und Autonomie. Zuerst zur Logik der Äquivalenz. Wir ha
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bei» bereits darauf hingewiesen, daß insofern, als der Antagonismus nic|n nur in dem ihn konstituierenden dichotomisiei ten Kaum entsteht, sondern in gleichem Maße auch auf dem (Jebiet einer Pluralität des Sozialen, die diesen Raum immer überflutet, die Identität der beiden Pole des Antago nismus nur dadurch konsolidiert wird, daß er aus sich herausgeht und äu* ßerliehe Elemente hegenionisiert. Die Verstärkung bestimmter demokrati scher Kämpfe erfordert deshalb die Ausdehnung von Äquivalenzketten hin zu anderen Kämpfen. Die äquivalentielle Artikulation zwischen Anti rassismus, Antisexismus und Antikapitalismus beispielsweise erfordert eine hegemoniale Konstruktion, die unter gewissen Umständen die Bedingung für die Konsolidierung jedes einzelnen dieser Kämpfe sein kann. Die Lo gik der Äquivalenz würde dann in letzter Konsequenz die Auflösung der Autonomie der Räume implizieren, worin jeder einzelne dieser Kämpfe konstituiert ist; aber nicht notwendigerweise deshalb, weil jed er Kampf anderen Kämpfen untergeordnet wird, sondern weil sie genaugenommen alle äquivalentielle Symbole eines einheitlichen und unteilbaren Kampfes geworden sind. Der Antagonismus hätte somit in dem Maße die Bedingun gen totaler Transparenz erreicht, wie alle Ungleichheit eliminiert und die differentielle Besonderheit der Räume, in denen jed er der demokratischen Kämpfe konstituiert wurde, aufgelöst worden wäre. Zweitens zur Logik der Autonomie, jeder dieser Kämpfe behält bezüglich der anderen Kämpfe sei ne differentielle Besonderheit bei. Die politischen Räume, in denen jeder von ihnen sich konstituiert, sind verschieden und nicht imstande, mitein ander zu kommunizieren. Es ist aber leicht zu sehen daß diese offensichtlich libertäre Logik nur auf der Basis einer neuer Geschlossenheit aufrechter halten wird. Denn wenn jeder Kampf das Moment seiner Besonderheit in ein absolutes Prinzip der Identität transformiert, kann die Reihe dieser Kämpfe nur als ein absolutes System von Differenzen begriffen werden - und dieses System kann nur als eine geschlossene Totalität gedacht werden. Das heißt, daß die Transparenz des Sozialen einfach von der Eindeutigkeit und Intelligibilität eines Systems von Äquivalenzen auf die Eindeutigkeit und Intelligibilität eines Systems von Differenzen übertragen wurde. In beiden Fällen jedoch haben wir es mit Diskursen zu tun, die das Soziale mittels ihrer Kategorien als eine Totalität zu beherrschen versuchen. In beiden Fäl len hört das Moment der Totalität deshalb auf, ein Horizont zu sein und wird zu einer Grundlage. Nur in diesem rationalen und homogenen Raum widersprechen sich die Logik der Äquivalenz und die Logik der Autono mie, weil nur dort soziale Identitäten als bereits erworben und fixiert darge-
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gtt'llt werden und deshalb finden nur hier zwei sich letztlich widersprechen de sozial Logiken ein Terrain, auf dem sich diese letzten Effekte vollstän dig en tw ick eln können. Da dieser letzte Moment jedoch per definitionem niemals cintritt, verschwindet die Unvereinbarkeit zwischen Äquivalenz lind Autonom ie. Beider Status ändert sich; es handelt sich nicht länger um Gmndlagen (*er sozialen Ordnung, s o n d e rn um soziale Logiken, die in unterschied lichem Maße in die Konstitution jeder sozialen Identität intervenieren und teilweise ihre wechselseitigen Effekte beschränken. Daraus können wir eine g ru n d leg en d e Voraussetzung für eine radikal libertäre Konzeption von Po litik ableiten: die Weigerung - intellektuell oder politisch - jede vorausge setzte „letzte Grundlage“ des Sozialen zu beherrschen. Jede Konzeption, die sich auf ein Wissen dieser Grundlage zu stützen versucht, sieht sich früher oder später dein Rousseauschen Paradoxon gegenübergestellt, dem zufolge Menschen gezw ungen werden sollten, frei zu sein. Diese Veränderung im Status bestimmter Begriffe, die das, was vorher G ru nd lagen waren, in soziale Logiken transformiert, erlaubt uns, die Viel falt an Dimensionen zu verstehen, auf der eine demokratische Politik be ruht. Es erlaubt uns, vor allen Dingen genau die Bedeutung und die Gren zen dessen festzustellen, was wir das „Prinzip der demokratischen Äqui valenz“ nennen m öchten. Die Bedeutung können wir deshalb bestimmen, weil es deutlich wird, daß die bloße Verschiebung des egalitären Imaginä ren nicht ausreicht, um eine Transformation in der Identität derjenigen G ruppen zu erzielen, auf die diese Verschiebung wirkt. Auf der Basis des G le ic h h e itsp rin z ip s kann eine korporativ konstituierte Gruppe ihre Rechte auf Gleichheit zusammen mit anderen Gruppen fordern; dies führt aber in dem Maße nicht zu einer realen Äquivalenz zwischen den verschiedenen demokratischen Forderungen, als die Forderungen unterschiedlicher Grup pen verschieden und in vielen Fällen untereinander unvereinbar sind. Die ses Resultat ist in all jenen Fällen unvermeidlich, in denen die Problematik des Besitzindividualismus als Produktionsmatrix der Identität unterschied licher Gruppen beibehalten wird. Zu einer „demokratischen Äquivalenz“ bedarf es noch etwas anderem: der Konstruktion eines neuen „common sense“, der die Identität der verschiedenen Gruppen so verändert, daß die Forderungen je d e r einzelnen Gruppe mit jenen der anderen äquivalent artikuliert werden - in M arx’ Worten, „daß die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung fü r die freie Entwicklung aller sein sollte“. Äquivalenz ist also im m er insofern hegemonial, als sie nicht bloß eine „Allianz“ zwi schen gegebenen Interessen bildet, sondern gerade die Identität der in die-
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sei Allianz eugagiciien Kräfte modifiziert. IMmii «li«* Verteidigung von Arheitorinteresson nicht auf Kosten \on Frauen-, fnunigianien- «.»n einer radikalen und plumten Demokratie sprechen können. Eine radi kale und nicht-plurale Demokratie würde einen einzigen Raum von Gleich heit auf der Basis unbegrenzter Wirksamkeit der Äquivalenzenlogik kon stituieren und das irreduzible Moment der Pluralität von Räumen nicht anerkennen. Dieses Prinzip der Trennung von Räumen ist aber die Basis der Forderung nach Freiheit. Diesem wohnt das Prinzip des Pluralismus inne und von dort her kann sich das Projekt für eine plurale Demokratie mit der Logik des Liberalismus verbinden. Es ist nicht der Liberalismus als solcher, der in Frage gestellt werden sollte - denn als ein ethisches Prinzip, das die Freiheit des Individuums zur Verwirklichung seiner oder ihrer menschlichen Fähigkeiten verteidigt, ist er heutzutage gültiger als je zuvor. Aber auch wenn diese Dimension der Freiheit für jedes demokratische und emanzipatorische Projekt konstitutiv ist, sollte sie uns als Reaktion auf ge wisse „holistische“ Exzesse nicht dazu verleiten, rein und einfach zur Ver teidigung des „bourgeoisen“ Individualismus zurückzukehren. Es geht um die Herausbildung eines anderen Individuums, eines Individuums, das nicht länger aus der Matrix des Besitzindividualismus konstruiert W'ird. Die Vor stellung „natürlicher“, vor jeder Gesellschaft existierender Rechte - und in der Tat, die ganze falsche Dichotomie Individuum/Gesellschaft - sollte aufgegeben und durch eine andere Art und Weise ersetzt werden, sich dem Problem der Rechte zu widmen. Es ist niemals möglich, individuelle Rech te isoliert zu definieren, sondern sie können nur im Kontext sozialer Ver hältnisse festgelegt werden, die bestimmte Subjektpositionen definieren.
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betriff « die Frage von Kechten immer andere Subjekte, die an dem sozialen Verhältnis leilnehmen. Der Begriff der „demokratischen Rechte“ mutt in diesem Sinn verstanden werden, da dies Rechte sind, die m ir kollektiv wahrgenommen werden können, und die Existenz gleicher Rrrhic f ür andere voraussetzen. Die Räume, die f ür die verschiedenen so zialen Verhältnisse konstitutiv sind, können enorm variieren, je nachdem, ob cs sich bei den betreffenden Verhältnissen um die der Produktion, des Bürgerrechts, der Nachbarschaft, der Paare und so weiter handelt. Die For men von Demokratie sollten deshalb ebenfalls plural sein, insofern sie den jeweiligen sozialen Räumen angeglichen werden müssen - direkte Demo kratie kann, da sie nur für reduzierte soziale Räume geeignet ist, nicht die einzige Organisationsfoi m sein. Es ist deswegen notwendig, den Bereich der Ausübung demokratischer Rechte über das beschränkte traditionelle Feld des „Bürgerrechts“ hinaus zu erweitern. Was die Ausdehnung demokratischer Rechte vom klassischen „politischen“ Bereich auf den der Ökonomie betrifft, so ist dies das Terrain des spezifisch anti-kapitalistischen Kampfes. Gegen jene Verfechter des ökonomischen Liberalismus, die behaupten, daß die Ökonomie der Bereich des „Privaten“, der Sitz von Naturrechten sei, und daß die Kriterien der Demokratie selbst keine Begründung hergäben, warum diese dort ange wandt werden sollte, verteidigt die sozialistische Theorie das Recht des so zialen Agenten auf Gleichheit und Partizipation nicht nur als Bürger, son dern eben auch als Produzent. Einige Fortschritte sind in dieser Richtung von Theoretikern der pluralistischen Schule wie Dahl und Lindblom33 er zielt worden, die heutzutage anerkennen, daß es sinnlos ist, in der Ära multinationaler Konzerne von der Ökonomie als dem Bereich des Privaten zu sprechen, und daß es deshalb notwendig ist, bestimmte Formen von Ar beiterbeteiligung an der Unternehmensleitung zu akzeptieren. Unsere Per spektive ist sicherlich ganz anders, da wir die Vorstellung, daß es einen natürlichen Bereich des „Privaten“ gibt, gerade in Frage stellen wollen. Die Unterscheidungen öffentlich/privat, bürgerliche/politische Gesellschaft sind nur das Resultat eines bestimmten Typs hegemonialer Artikulation und ihre Grenzen verändern sich gemäß den jeweils existierenden Kräfte verhältnissen. Es ist zum Beispiel offensichtlich, daß der neo-konservative Diskurs gegenwärtig darum bemüht ist, den Bereich des Politischen zu be schränken und das Feld des Privaten wieder zu bekräftigen angesichts der Reduzierung, die dieses Feld in den letzten Jahrzehnten unter der Einwir kung verschiedener demokratischer Kämpfe erfahren hat. Folglich
selben
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Wir wollen an diesem Punkt noch einmal unser Argument hinsichtlit h der wechselseitigen und notwendigen Begrenzungen zwischen Äquivalenz und Autonomie au ('greifen. Oie Konzeption einer Pluralität politischer Räu me ist nur unter der Voraussetzung eines geschlossenen Systems mit der Logik der Äquivalenz unvereinbar. Sobald man diese Voraussetzung jedoch aufgegeben hat. ist es ausgeschlossen, von der Vermehrung der Räume und der letztlichen Unbestimmtheit des Sozialen auf die Lfnmöglichkcit einer Gesellschaft zu schließen, die sich als eine Totalität bezeichnet - und folg lich sich als solche denkt oder auf die Unvereinbarkeit dieses totalisicrenden Moments mit dem Projekt für eine radikale Demokratie. Die Kon struktion eines politischen Raumes mit Äquivalenzetfekten ist nicht nur nicht unvereinbar mit dem demokratischen Kampf, sondern in vielen Fäl len seine Bedingung. Die Konstruktion einer Kette demokratischer Äqui valenzen ist zum Beispiel angesichts der neo-konservativen Offensive unter den gegenwärtigen Umständen eine der Bedingungen des Kampfes der Linken um Hegemonie. Die Unvereinbarkeit liegt deshalb nicht in der Äquivalenz als einer sozialen Logik. Sie tritt nur in dein Moment auf, wo dieser Raum von Äquivalenzen nicht mehr als ein politischer Raum unter anderen betrachtet wird, sondern als Zentrum gesehen wird, das alle ande ren Räume unterordnet und organisiert. Sie entsteht also in dem Fall, wo nicht nur die Konstruktion von Äquivalenzen auf einer bestimmten Ebene des Sozialen stattfindet, sondern auch die Transformation dieser Ebene in ein vereinheitlichendes Prinzip, das alle anderen auf differentielle Momente im Innern seiner selbst reduziert. Wir sehen, daß paradoxerweise gerade die Logik der Offenheit und der demokratischen Subversion d er Differen zen in den heutigen Gesellschaften die Möglichkeit einer viel radikaleren Geschlossenheit als in der Vergangenheit schafft: In dem Maße, wie der Widerstand traditioneller Differenzsysteme gebrochen ist und die Unbe stimmtheit und Ambiguität noch mehr Elemente der Gesellschaft in „flot tierende Signifikanten“ verwandeln, entsteht die Möglichkeit, die Einrich tung eines Zentrums zu versuchen, das radikal die Logik der Autonomie eliminiert und um sich herum die Totalität des Gesellschaftskörpers rekonstituiert. Wenn im neunzehnten Jahrhundert die Grenzen jedes Ver suchs radikaler Demokratie im Überleben alter Formen von Unterordnung quer durch weite Bereiche sozialer Verhältnisse gesehen wurden, sind jene Grenzen in der Gegenwart durch eine neue Möglichkeit gegeben, die auf dem Terrain der Demokratie selbst entsteht: durch die Logik des Totalita rismus.
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('laude Lefort hat gezeigt, wie die „demokratische Revolution“ als ein neues T errain , das eine grundlegende Veränderung auf symbolischer Ebe ne vorausseizt, eine neue Form der Institution des Sozialen impliziert, ln früheren Gesellschaften, die gemäß einer theologisch-politischen Logik or ganisiert waren, war Macht in der Person des Fürsten verkörpert, der der Stellvertreter Gottes war - das heißt von höchster Gerechtigkeit und höch ster Vernunft. Gesellschaft wurde als ein Körper gedacht und die Hierar chie seiner M it-glicder beruhte auf dem Prinzip uneingeschränkter, bedin gungsloser O rdnung. Nach Lcfort besteht die radikale Differenz, die die demokratische Gesellschaft einführt, darin, daß der Ort der Macht zu ei ner Leerstelle wird; der Bezug auf einen transzendenten Garanten verschwin det und m it ihm die Repräsentation der substantiellen Einheit von Gesell schaft. Als Folge treten Risse zwischen den Instanzen der Macht, des Wis sens und des Rechts auf und ihre Grundlagen sind nicht länger gesichert. Die Möglichkeit eines unendlichen Prozesses der Infragestellung tut sich so auf: Kein Recht, das fixiert werden kann, dessen Gesetze nicht einer Auseinanderset zung unterliegen oder dessen Grundlagen nicht in Frage gestellt werden können mit einem Wort, keine Repräsentation eines Zentrums der Gesellschaft: Einheit kann nicht länger die soziale Zerteilung auslöschen. Die Demokratie eröffnet die Erfahrung einer Gesellschaft, die nicht erfaßt oder kontrolliert werden kann, in der das Volk zum Souverän erklärt wird, in der seine Identität aber niemals endgültig festgelegt sein wird, sondern latent bleiben wird.*1 ln diesem Zusam m enhang muß nach Lefort die Möglichkeit des Auftau chens des Totalitarismus begriffen werden, die aus dem Versuch besteht, die Einheit wiederherzustellen, die die Demokratie zwischen den Orten der M acht, des Rechts und des Wissens zerschlagen hat. Sobald alle Be züge au f außergesellschaftliche Mächte durch die demokratische Revoluti on zerstört worden sind, kann eine rein soziale Macht auftauchen, die sich als total darstellt und ausschließlich aus sich selbst das Prinzip des Rechts und des Wissens herleitet. Beim Totalitarismus versucht die Macht weniger, sich als einen leeren O rt zu bezeichnen, sondern eher, sich in einem Organ zu verkörpern, das sich anmaßt, der Repräsentant eines einheitlichen Volkes zu sein. U nter dem Vorwand, die Einheit des Volkes zu erlangen, wird dem zufolge die soziale Teilung geleugnet, die durch die Logik der Demokratie sichtbar wurde. Diese Verleugnung konstituiert das Zentrum der totalitaristischen Logik und vollzieht sich in einer doppelten Bewegung: „der Au-
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ßerkr.itisot/ung aller Zeit hen »'¡ihm lieunui^ /wist l im S i . m i und t lesells» li;if| mul jcnei dei iniH'K'ii teilung dei GeselK« halt. Ui«*?* impli/iei I ibt n irh i länger lel/te K riterien des Rn lus mul .uu h nicht drs Wissens, dir «m der Macht getrennt sind.“ 1'1 Im I .ü h t e unsrin Problematik ist es möglich, dirse Analysen mit dem /u \erbinden, was wir als das Feld hegemonialer Praxen charakterisiert haben. Weil es keine grsirhrrien Gmndlagen. die aus einer transzendenten Ord nung hei \orgehm. und kein Zentrum mehr gibt, «las Macht, Recht und Wis sen /usammenhindet, wird es möglich und notwendig, bestimmte politische Räume durch hegeinomale Auikulafioncn zu vereinheitlichen, Diese Arti kulationen werden jedoch, da es keinen höchsten Garanten m ehr gibt, im. mei partiell und umkämpft sein, jeder Versuch, eine endgültige Naht zu etablieren und den radikal offenen Charakter des Sozialen zu verneinen, den die Logik der Demokratie einrichtet, führt zu dem, was Lcfort als „To talitarismus“ bezeichnet, zu einer Logik der Konstruktion des Politischen, die darin besteht, einen Ausgangspunkt zu setzen, von dem aus Gesellschaft vollkommen gemeistert und gewußt werden kann. Daß dies eine politische Logik und kein Tvpus sozialer Organisation ist, wird durch die Tatsache bewiesen, daß sie keiner besondern politischen Orientierung zugeschrie ben werden kann: sie kann das Resultat „linker“ Politik sein, nach der jeder Antagonismus eliminiert und Gesellschaft vollkommen transparent gemacht werden kann, oder, wie im Fall des Faschismus, das Resultat eines autoritä ren Fixierens der sozialen Ordnung in vom Staat etablierte Hierarchien sein. Aber in beiden Fällen erhebt sich der Staat auf den Status des einzi gen Besitzers der Wahrheit der sozialen Ordnung, ob im Namen des Prole tariats oder der Nation, und sucht, alle Netze der Soziabilität zu kontrollie ren. Angesichts der radikalen Lhibestimmtheit, die die Demokratie eröff net, bedeutet dies einen Versuch, wieder ein absolutes Zentrum einzufüh ren und die Geschlossenheit wiederherzustellen, die die Einheit wieder einsetzt. Wenn es auch keinen Zweifel gibt, daß eine der Gefahren, der die Demo kratie ausgesetzt ist, in dem totalitären Versuch besteht, über den konstitu tiven Charakter des Antagonismus hinauszugehen und Pluralität zu vernei nen, um Einheit wiederherzustellen, gibt es auch die symmetrisch entge gengesetzte Gefahr eines Mangels jeglicher Bezugnahme auf eine solche Einheit. Denn obw'ohl sie unmöglich ist, bleibt sie ein Horizont, der unter der Voraussetzung der Abwesenheit einer Artikulation zwischen sozialen
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Vcihälnussen notwendig ist, um eine Implosion des Sozialen und eine Ab
jeglichen gemeinsamen Referenzpunktes zu verhindern. Dieses dmrli die Zerstörung des symbolischen Rahmens verursachte Auftrennen der sozialen Struktur ist eine andere Form des Verschwindens des Politi schen. Im Gegensatz zur Gefahr des lotalitarismus, der auf autoritäre Art und Weise unveränderliche Artikulationen durchsetzt, ist das Problem hier die Abwesenheit jener Ai likulatinnen, die eine Etablierung von B edeutun gen erlauben, auf die sich die verschiedenen sozialen Subjekte beziehen, /wischen einer Logik völliger Identität und einer reiner Differenz muß die Erfahrung d er Dem okratie aus der Anerkennung der Vielfalt sozialer Logiken und der Notwendigkeit ihrer Artikulation bestehen. Diese Artiku lation muß jedoch beständig neu geschaffen und neu ausgehandelt werden - es gibt keinen Schlußpunkt, an dem ein für allemal ein Gleichgewicht e r r e i c h t sein wird. Dies führt uns zu unserer dritten Frage, der des Verhältnisses zwischen demokratischer Logik und hegemonialem Projekt. Aus all dem, was wir bis her gesagt haben, ist es offensichtlich, daß die Logik der Demokratie nicht für die Formulierung eines hegemonialen Projekts ausreicht . Deswegen nicht, weil die Logik d er Demokratie bloß die äquivalentielle Verschiebung des ega litären Imaginären auf immer umfassendere soziale Verhältnisse und als sol che nur eine Logik der Eliminierung der Verhältnisse der Unterordnung und Ungleichheit ist. Die Logik der Demokratie ist keine Logik der Posidvität des Sozialen und ist deshalb nicht imstande, irgendeinen Knotenpunkt zu begründen, um den herum die soziale Struktur rekonstituiert werden kann. Wenn allerdings das subversive Moment der Logik der Demokratie und das positive Moment der Institution des Sozialen nicht mehr durch eine anthro pologische Grundlage vereint werden, die die beiden Momente in die Vorder beziehungsweise Rückseite eines einzigen Prozesses transformiert, so folgt daraus klar, daß jede mögliche Form der Einheit zwischen beiden kontingent und deshalb selbst das Resultat eines Artikulationsprozesses ist. Wenn das der Fall ist, kann aber kein hegemoniales Projekt ausschließlich auf einer demokratischen Logik beruhen, sondern muß auch aus einer Reihe von Vorschlägen fü r die positive Organisation des Sozialen bestehen. Wenn die Forderungen einer untergeordneten Gruppe rein als negative, für eine be stimmte Ordnung subversive Forderungen vorgebracht werden, ohne mit einem lebensfähigen Projekt für die Rekonstruktion spezifischer Bereiche der Gesellschaft verbunden zu sein, besitzt sie von vornherein keine Fähig keit zu hegemonialem Handeln. Dies ist die Differenz zwischen dem, was w e se n h e it
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eine „Strategie derOpposition” mul eine „Snatrgie der Konstruktion einer neuen Ordnung“ genannt werden könnte. Im ersten Falle herrscht das Ele ment der Negation einer bestimmten sozialen oder politischen Ordnung vor. Dieses Klemeut der Negativität gehl jedoch nicht mit einem ernsthaf ten Versuch einher, andere Knotenpunkte zu etablieren, von tienen aus ein Prozeß einer anderen und positiven Rekonstruktion der sozialen Struktur eingerichtet werden könnte - folglich ist diese Strategie zur Marginaliüit verdammt, was bei den verschiedenen Spielarten der „Enklavenpolitik“ der Fall ist, seien sie nun ideologisch oder korporativ. Im Fall der Strategie der Konstruktion einer neuen Ordnung herrscht dagegen das Elem ent sozialer Positivit.1 t vor; gerade diese Tatsache jedoch erzeugt ein instabiles Gleich gewicht und eine beständige Spannung mit der subversiven Logik der De mokratie. ln einer hegemoniaien Situation hätten die Verwaltung der Positivität des Sozialen und die Artikulation der verschiedenen demokrati schen Forderungen ein Höchstmaß an Integration erreicht - während die entgegengesetzte Situation, in der die soziale Negativität eine Auflösung jedes stabilen Systems von Differenzen bewirkt, einer organischen Krise entspräche. So können wir sehen, in welcher Bedeutung wir vom Projekt einer radikalen Demokratie als einer Alternative für die Linke sprechen können: Es kann nicht in der Behauptung einer Reihe von anti-systemischen Forderungen, von Positionen der Marginalität aus bestehen; es muß sich im Gegenteil auf die Suche nach einem Ort des Gleichgewichts zwischen einem maximalen Voranbringen der demokratischen Revolution in mög lichst vielen Bereichen und der Fähigkeit zur hegemoniaien F ü hrun g und zur positiven Rekonstruktion dieser Bereiche seitens der untergeordneten Gruppen stützen. Jede hegemoniale Position beruht deshalb auf einem instabilen Gleich gewicht: Die Konstruktion geht von der Negativität aus, ist aber nur in dem Maße konsolidiert, wie es ihr gelingt, die Positivität des Sozialen zu konsti tuieren. Diese beiden Momente werden nicht theoretisch artikuliert: sie umreißen den Raum einer widersprüchlichen Spannung, die die Beson derheit der verschiedenen politischen Konjunkturen ausmacht. (Wie wir gesehen haben, impliziert der widersprüchliche Charakter dieser beiden Momente keinen Widerspruch in unserer Argumentation, da die Koexi stenz zweier verschiedener und sich widersprechender sozialer Logiken, die in der Form einer wechselseitigen Beschränkung ihrer Effekte existie ren, vom logischen Standpunkt aus durchaus möglich ist.) Wenn diese Plu ralität sozialer Logiken jedoch für eine Spannung charakteristisch ist, er
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f o r d e r t sic* auch eine Pluralität von Räumen, worin die sozialen Logiken konstituiert werden können. Im Fall der Strategie der Konstruktion einer neuen Ordnung werden die Veränderungen, die in eine soziale Positivität cingefnhrt werden können, nicht nur von dem mehr oder weniger demo kratischen Charakter jener Kräfte abhängen, die diese Strategie verfolgen, s o n d e r n auch von einer Reihe struktureller Grenzen, die von anderen Lo giken auf der Ebene der Staatsapparate, der Ökonomie und so weiter er richtet wurden. Hier ist es wichtig, nicht in die verschiedenen Formen von Utopismus zu verfallen, der die Vielfalt der Räume zu ignorieren neigt, die jene strukturellen Grenzen konstituieren, oder von Apolitizismus, der das traditionelle Feld des Politischen angesichts des begrenzten Charakters der Veränderungen verwirft, die in ihm durchgeführt werden können. Gleich zeitig ist es aber auch von allergrößter Bedeutung, das Feld des Politischen nicht auf die Verwaltung der sozialen Positivität zu begrenzen und nur jene Veränderungen zu akzeptieren, die gegenwärtig durchgeführt werden kön nen, indem jede Dynamik einer über sie hinausgehenden Negativität ver worfen wird. I n den letzten Jahren ist beispielsweise viel von der Notwen digkeit einer „Verweltlichung der Politik“ gesprochen worden. Wenn man darunter eine Kritik am Essentialismus der traditionellen Unken versteht, die nach wie vor von absoluten Kategorien wie Bdie Partei“, „die Klasse“ oder „die Revolution“ ausging, gäbe es keinen Dissens. Aber häufig bedeu tete solche „Verweltlichung“ etwas ganz anderes: den totalen Ausschluß der Utopie aus dem Feld des Politischen. Aber ohne Utopie, ohne die Möglich keit der Negation einer Ordnung über jenen Punkt hinaus, an dem wir in der Lage sind, sie ernsthaft zu bedrohen, gibt es überhaupt keine Möglich keit der Konstitution eines radikalen Imaginären - sei es nun demokratisch oder irgendeiner anderen Art. Die Präsenz dieses Imaginären als ein Set symbolischer Bedeutungen, die eine bestimmte soziale Ordnung als Nega tivität zusammenfassen, ist für die Konstitution jeden linken Denkens ab solut wesentlich. Wir haben bereits darauf hingewiesen, daß die hegemonialen Formen von Politik immer ein instabiles Gleichgewicht zwischen diesem Imaginären und der Verwaltung der sozialen Positivität vorausset zen; nichtsdestoweniger sollte diese Spannung als eine der Formen, worin sich die Unmöglichkeit einer transparenten Gesellschaft manifestiert, be hauptet und verteidigt werden. Jede radikale demokratische Politik sollte beide Extrem e vermeiden, die sowohl im totalitären Mythos eines idealen Staates als auch im positivistischen Pragmatismus der Reformisten ohne Projekt repräsentiert sind.
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Jedes Projekt fili eine r.idik.ile Demokiatie sollte sich vornehmen, dieses Moment der Spannung, der Offenheit. das drin ( ’.esellschall liehen seinen grundlegend unvollständigen mul prekären Charakter gibt, zu institutio nalisieren. Hie institutionelle Verschiedenheit und Komplexität, die eim* demokratische Gesellschaft charakterisiert, sollte ganz anders als die Vor. schiedenartigkeit der Funktionen, die für ein komplexes bürokratisches System angemessen sind, aufgefaßt werden. Bei letzterer geht es immer ausschließlich um die Ver waltung des Sozialen als Positivität und jede Verschicdenartigkeit findet infolgedessen innerhalb einer Rationalität statt, die die gesamte Anordnung der Bereiche und Funktionen beherrscht. Die hegelianische Konzeption der Bürokratie als einer universalen Klasse ist die perfekte theoretische Kristallisation dieser Perspektive. Sie ist insofern auf die soziologische Ebene übertragen worden, als im Anschluß an eine funkiionalistische, strukturalistische oder irgendeine andere ähnliche Per spektive - die Yerschiedenartigkeit der Ebenen innerhalb des Sozialen mit einer Konzeptionierungjeder dieser Ebenen als konstituierende Momente einer intelligiblen Totalität verbunden ist, die sie beherrscht und ihnen ihre Bedeutung gibt. Im Fall des für eine radikale Demokratie eigentümli chen Pluralismus ist jedoch die Venchienartigkeit in Verschiedenheit transformiert worden, da all diese verschiedenen Elemente und Ebenen nicht mehr der Ausdruck einer sie transzendierenden Totalität sind. Die Vervielfachung \on Räumen und die sie begleitende institutionelle Verschiedenartigkeit bestehen nicht mehr aus einer rationalen Entfaltung von Funktionen und gehorchen auch keiner untergründigen Logik, die das rationale Prinzip aller Veränderung bildet, sondern drücken genau das Gegenteil aus: durch den irreduziblen Charakter dieser Verschiedenheit und Pluralität konstru iert die Gesellschaft ihre eigene Gestalt und die Verwaltung ihrer eigenen LJnmöglichkeit. Der Kompromiß, der prekäre Charakter jeder Anordnung sowie der Antagonismus sind die primären Wirklichkeiten, während das Moment der Positivität und seine Verwaltung nur innerhalb dieser Instabi lität stattfinden. Ein Projekt für radikale Demokratie voranzutreiben, be deutet deshalb, den Mythos einer rationalen und transparenten Gesellschaft dazu zu zwingen, sich nach und nach an den Horizont des Sozialen zurück zuziehen. Dieser wird so ein „Un-Ort“, das Symbol ihrer eigenen Unmög lichkeit. Aus eben diesem Grund ist freilich auch die Möglichkeit eines einheitli chen Diskurses der Linken beseitigt. Wenn die vielfältigen Subjektpositionen sowie die verschiedenen Antagonismen und Bruchpunkte eine Verschieden•
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I„>il utift keine Verst.hiedenarligheit bilden, ist cs klar, daß sie nicht auf einen P u n k t mriiekgef iihi t werden können, von dem aus sie alle von einem einzi gen Diskurs umfaßt und erklärt werden könnten. Diskursive Diskontinuität wird primär und konstitutiv. Der Diskurs radikaler Demokratie ist nicht länger der Diskurs des Universalen; die epistemologische Nische, aus der „universale“ Klassen und Subjekte sprachen, wurde ausgemerzt und ist durch eine Polyphonie der Stimmen ersetzt worden, von denen jede ihre eigene i r r e d u z i b l e diskursive Identität konstruiert. Dieser Punkt ist entscheidend: es gibt keine radikale und plurale Demokratie ohne den Verzicht auf den Diskurs des Universalen und seiner impliziten Behauptung eines privile gierten Zugangspunktes zu „der Wahrheit“, die nur von einer begrenzten Zahl von Subjekten erreicht werden kann. Politisch heißt dies, daß es eben so, wie es keine Oberflächen gibt, die a priori für das Auftauchen von Anta gonismen privilegiert sind, auch keine diskursiven Regionen gibt, die das Programm einer radikalen Demokratie a priori als mögliche Kampfbereiche ausschließen sollte. Rechtsinstitutionen, das Erziehungssystem, Arbeitsbe ziehungen, die Diskurse des Widerstands marginaler Gruppen konstruie ren eigenständige und irreduzible Formen sozialen Protestes und tragen dadurch alle zur diskursiven Komplexität und Reichhaltigkeit bei, auf die sich das Programm einer radikalen Demokratie stützen sollte. Der klassi sche Diskurs des Sozialismus war von ganz anderer Art. Er war ein uni versalistischer Diskurs, der bestimmte soziale Kategorien in Orte der Ver wahrung politischer und epistemologischer Privilegien transformierte. Er war ein apriorischer Diskurs hinsichtlich der unterschiedlichen Ebenen der Wirksamkeit im Sozialen - und als solcher reduzierte er das Feld der diskur siven Oberflächen, auf denen er es für möglich und legitim hielt zu wir ken. Schließlich war er ein Diskurs über die privilegierten Punkte, von de nen historische Veränderungen in Gang gesetzt wurden - die Revolution, der Generalstreik oder die „Evolution“ als eine vereinheitlichende Katego rie des kumulativen und irreversiblen Charakters partieller Fortschritte. Wie gesagt enthält jedes Projekt für radikale Demokratie notwendigerweise eine sozialistische Dimension (die Abschaffung kapitalistischer Produkti onsverhältnisse); es verwirft jedoch die Vorstellung, daß aus dieser Ab schaffung notwendig die Beseitigung anderer Ungleichheiten folgt. Infol gedessen sind die Dezentrierung und die Autonomie der verschiedenen Diskurse und Kämpfe, die Vervielfachung von Antagonismen und die Kon struktion einer Pluralität von Räumen, in denen sie sich bekämpfen und entwickeln können, die Bedingungen sine qua non der Möglichkeit, daß die
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verschiedenen Komponenten des klassischen Ideals des Sozialismus - das ohne Zweifel ausgebaut und reforniulieri werden sollte - erreicht werden können. Und wie wir auf diesen Seiten zur Genüge bewiesen haben, ver neint diese Pluralität der Räume die Oberdeterminierung ihrer Effekte auf bestimmten Ebenen und die konsequente hegemoniale Artikulation zwi schen ihnen nicht, sondern erfordert sie vielmehr. Kommen wir zu einer Schlußfolgerung. Dieses Buch ist um den Wandel des Hegenomiebegriffs. uin die neue, diesem implizite Logik des Sozialen und um die „epistemologischen Mindernisse“ konstruiert worden, die von Lenin bis zu Gramsci ein Verstehen seines radikalen politischen und theo retischen Potentials verhinderten. Nur wenn der offene, ungenähte Cha rakter des Sozialen gänzlich akzeptiert, wenn der Essentialismus der Totali tät und der Elemente verworfen wird, wird dieses Potential klar erkennbar und kann „Hegemonie“ ein wesentliches Werkzeug für eine politische Ana lyse der Linken sein. Diese Bedingungen entstehen ursprünglich auf dem Feld dessen, was wir als „demokratische Revolution“ bezeichnet haben, er lauben aber das Höchstmaß ihrer dekonstruktiven Effekte nur im Projekt für eine radikale Demokratie oder in anderen Worten in einer Politikform, die sich nicht auf die dogmatische Annahme einer „Essenz des Gesellschaft lichen“ stützt, sondern im Gegenteil auf die Behauptung d er Kontingenz und Ambiguität jedes „Wesens“ und auf den konstitutiven Charakter der sozialen Spaltung und des Antagonismus. Behauptung eines „Grundes“, der nur weiterlebt, indem er seinen grundlegenden Charakter negiert; ei ner „Ordnung“, die nur als partielles Begrenzen der Unordnung existiert; einer „Bedeutung“, die angesichts der Bedeutungslosigkeit nur als Exzeß und Paradox konstruiert ist - in anderen Worten: das Feld des Politischen als der Raum für ein Spiel, das ganz und gar kein „Nullsummenspiel“ ist, weil die Regeln und die Spieler niemals völlig bestimmt sind. Dieses Spiel, das sich dem Begriff entzieht, hat zumindest einen Namen: Hegemonie.
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Anmerkungen
Vorwort der Herausgeber * Ein Sternchen bedeutet durchgehend: Im Original deutsch. (A.d.Ü.) 1 Die Arbeiten von LACLAU/MOUFFE sind im deutschen Sprachraum vor al
lem im Urnield der Zeitschrift „Das Argument“ sowie von Alex DEMIROVK^ (siehe insbesondere seinen Aufsatz „Der Staat als Wissenspraxis. Hegemonietheoretische Überlegungen zur intellektuellen Produktion von Politik und Staat“ in: kultuRRevolution Nr. 22, 1990) rezipiert worden. Siehe auch den Aufsatz der Herausgeber dieses Buches in: kultuRRevolution Nr. 17/18, 1988: Marxis mus als radikaler Relationalismus“. 2 Claude LEFORT, Democracy and Political Theory, Cambridge 1988, 16. 3 Siehe Carol PATEMAN, The Disorder of Wornen, Cambridge 1989. 4 Siehe Claude LEFORT, „Menschenrechte und Politik“, in: Ulrich RÖDEL (Hg.), Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie, Frankfurt am Main 1990, 262. 5 Chantal MOUFFE, „Radical Democracy: Modern or Postmodern?“, in: The Subject in Democracy 1-1988, 13. Dies richtet sich vor allem gegen den poten tiell undemokratischen Charakter eines kommunikationstheoretisch reformulierten Universalismus, eine Art Kommunikationspolizei, die die Teilnehmer innen am praktischen Diskurs von den Fesseln des Partikularismus zu befrei en versucht, um die Rationalität des Ergebnisses sicherstellen zu können. 6 Siehe Norberto BOBBIO, Die Zukunft der Demokratie, Berlin 1988. 7 Das Problem der Versöhnung von Liberalismus und Demokratie und ihre Ar tikulation mit dem Sozialismus ist neuerdings ausführlich bei Frank CUNNINGHAM, Democratic Theory and Socialism, Cambridge 1987, diskutiert worden. „Die Frage eines pluralistischen Sozialismus ist die bedeutendste Aufgabe für einen demokratisch-sozialistischen Theoretiker.“ Ebenda, 186. 8 Michael WALZER, Spheres of Justice, Oxford 1983. 9 Ebenda, 316. 10 Zum Problem des Universalismus/Partikularismus siehe den Aufsatz von Alex DEMIROVIÖ, „Marx und die Aporien der Demokratietheorie“, in: Das Argu ment 172, 1988, wo ausgehend von der radikalen Historizität des Sozialen die Ausbildung eines gesellschaftlichen Allgemeinwillens im Zusammenhang der Kritik der kapitalistischen Arbeitsteilung diskutiert wird. 11 Michel FOUCAULT, Ordnung der Dinge, Frankfurt am Main 1971, 320.
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12 F.rnestn LACl.Al7, New Reflections ui the Revolution ot Om Time, London 1990. 184. 13 „Es gihi deshalb keinen .Kapitalismus’, sondern vielmehr unterschiedliche Formen kapitalistischer Verhältnisse, die Teil höchst verschiedener struktureller Komplexe sind.“ Ebenda, 26. 14 Ebenda, 212. 15 Ebenda, 35. 16 Der Begriff des Horizonts ist keine feststehende, lokalisierbare Entität, son dern eine Art Leerstelle, durch die jede soziale Praxis ihre Einheit dadurch manifestiert, daß sie sich von anderen Praxen unterscheidet und Grenzen er richtet, Praxen der Ausschließung; er ist nichts anderes als das Symbol ihrer eigenen Unmöglichkeit. Siehe Ernesto l^ACl^AU, „Politics and the Limits of Modernity“, in: The Subject in Democracy 1-1988,35. 17 Michel FOUCAULT, Der Staub und die Wolke. Bremen 1982. 30. 18 Ernesto LAC LAI1, Neu Reflections, 184. 19 Antonio GRAMSC1, Philosophie der Praxis, Frankfurt am Main 1967, 221.
Einleitung 1 René DESCARTES, Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftge brauchs, Stuttgart 1988, 24.
Hegemonie: Genealogie eines Begriffs 1 R. LUXEMBURG, Massenstreik, Partei und Gewerkschaften, in: Ges. Werke, Bd. 2, Berlin 1972, 129. 2 Ebenda. 155. 3 Ebenda. 146. Hervorhebungen im Original. 4 Wichtig ist, daß sich BERNSTEINS Intervention in die deutsche Debatte über den Massenstreik (Der Politische Massenstreik und die politische Lage der Sozialde mokratie in Deutschland) auf zwei grundlegende Differenzen zwischen dem Osten und dem Westen bezieht - die Komplexität und den Widerstand der bürgerli chen Gesellschaft im Westen und die Schwäche des Staates in Rußland -, was später zentral für GRAMSCIS Argumentation sein wird. Für einen Überblick über diese Debatte siehe M. SALVADORI, „La socialdemocrazia tedesca e la rivoluzione russa del 1905.11 dibattito sullo sciopero di massa e sulle differenze fra Oriente e Occidente“, in: E.J. HOBSBAWM et al. (ed.), Storia del marxismo, vol. 2, Milano 1979, 547-594. 5 Siehe T. TODOROV, Théories du symbole, Paris 1977, 291. „Man könnte sa gen, daß es immer dann eine Verdichtung gibt, wenn ein einzelner Signifikant uns dazu führt, mehr als ein Signifikat zu verstehen; oder einfacher: jedesmal, wenn das Signijikat, , reicher' vorhanden ist als der Signifikant. Bereits der große deutsche Mythologe CREUZER definierte das Symbol wie folgt: durch ‘die
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In a d ü q u a n / von Sein u n d Form, u n d d u rch d a s Ü b e r flu t e n d e r Inhalts v e rg li chen m it se in e m Ausdruck’.“
,i Obgleich Rosa LUXEMBURGS Arbeit der Höhepunkt in der theoretischen Aus a r b e i t u n g des Mechanismus des Massenstreiks ist, wurde dieser als die grund legende Form des Kampfes von der ganzen Nemn Linken ausgegeben. Siehe beispielsweise A. PANNEKOF.K, „Marxistische Theorie und revolutionäre Pra xis“, in: Ders. und II. CJORTF.R: Organisation und Taktik der proletarischen R e v o lu tio n , Frankfurt am Main 1969, 49-69. 7 W XF.MBURG, 111. 8 Unlängst haben eine Reihe von Studien den fatalistischen beziehungsweise nicht-fatalistischen Charakter des luxemburgislischen Spontaneismus disku tiert. Unserer Auffassung nach haben sie jedoch übertriebenes Gewicht auf ein vergleichsweise zweitrangiges Problem gelegt, wie zum Beispiel die Alter native zwischen automatischem Kollaps und bewußter Intervention der Klasse. Die Behauptung, daß der Kapitalismus automatisch zusammenbricht, ist so absurd, daß, soweit wir wissen, niemand sie aufgestellt hat. Stattdessen ist das entscheidende Problem zu wissen, ob das Subjekt des anti-kapitalistischen Kampfes seine ganze Identität innerhalb der kapitalistischen Produktionsver hältnisse konstituiert oder nicht; und in dieser Hinsicht ist Rosa LUXEMBURGS Position eindeutig bejahend. Aus diesem Grunde sind Aussagen bezüglich der Unvenneidbarkeit des Sozialismus nicht einfach Zugeständnisse an die Rheto rik der Zeit oder das Resultat eines psychologischen Bedürfnisses, wie Norman GERAS behauptet (siehe N. GERAS, Rosa Luxemburg. Kämpferin für einen emanzipatorischen Sozialismus, Berlin 1979, 3Üf.), sondern vielmehr der Kno tenpunkt, der ihrer ganzen theoretischen und strategischen Struktur Bedeu tung verleiht. Wenn laut Rosa LUXEMBURG das Aufkommen des Sozialismus vollständig auf der Basis der Logik der kapitalistischen Entwicklung erklärt werden muß, kann das revolutionäre Subjekt allein die Arbeiterklasse sein. (Über LUX EMBURGS dogmatisches Festhalten an Marxens Verelendungstheorie als die Grundlage für die revolutionäre Bestimmung der Arbeiterklasse siehe G. BADIA, „L’analisi dello sviluppo capitalistico in Rosa Luxemburg“, Feltrinelli Institut, Annali, Milano, 252.) 9 K. KAUTSKY, Das Erfurter Programm. In seinem grundsätzlichen Teil erläu tert, Berlin/Bonn® 1980. 10 „Das Ziel seines (Kautskys) ganzen Kampfes gegen den Revisionismus war, eine bestimmte Idee vom Programm zu bewahren, nicht als einem Komplex von politischen Einzelforderungen - dazu bestimmt, die politische Initiative der Partei in diesen oder jenen Phasen des Kampfes zu etablieren, und insofern von Zeit zu Zeit modifizierbar sondern als einem unauflösbaren Block von Theorie und Politik, innerhalb dessen diese ihren je autonomen Status verlie ren und der Marxismus die endgültige Ideologie des Proletariats würde.“ (L. PAGGI, Intellettuali, teoria e partito nel marxismo della seconda Internazionale. Einführung zu M. ADLER, II socialismo e gli intellettuali, Bari 1974.) 11 KAUTSKY, 211. 12 A. PRZEWORSKI, „Proletariat into a Class. The Process of Class Formation
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fi om K.ol h.m islV s ffH Cf,iw Strugglr in R»«* ni < »inti<»t 1 '¡i«V\ in: Polilits ,m«l N»m iel\. I lelt 7 -1**77. Beispielsweise pioiesiieile 1 l l-ll N .uil »lein Ko Iium l\»nigiel.l »lei SPD IHM gegen l iklam ugen ilt \ limisnf», laut »lenen „dei h.impl um tlit- politische M.uhl /u |» d» in /t'itpim ki »Um wichtigste bleibt, wählend »Um ük«>iiomisc he k.mipl tlii- Aibeitri immei tiel sp.ilt«*t, und »li» Spaltung »lesto st hat lei mul si li.'UUit Ium wild, je hoi hmugsiosei »lit* Situation ist. Del Kampf in kleinem Rahmen hätte zweifellos am h seine Yoi teile. diese wären jedo» h von zwritiangigei Bedeutung tih »las l udziel dei Paiiei." I FGIIvN h ag le: „Sind diese A r gumente aus einem Paiteiorgan geeignet, unentschlossene Ai beiter für die Bewegung /n gewinnen- Ich luvweitele es ern sth alt.“ Zitiert nach der Antho logie Min Dokumenten über die Beziehung zwischen Part im’ und CiewtM kst hal lt n \nii N. Hl N\ I NI I I. Pai tito e Sindicati in G erm ania: 1 8 8 0 -H)M, Milan») 1081, 701 Diese An mul Weise, «las Problem der klasseneinheit an /u geh en , wonach Ab weichungen von einem Paiadigma in Form kontingenter „Ilin dernisse“ und „Behinderungen“ Im seine volle Gültigkeit kon/eptualisierl werden, dominier 1 bestimmte histotiographische Traditionen auch weiterhin. In einem anregen den und hoch interessanten Artikel („Why the US Working ( ’lass js Different“, in: New l.eft Review 1123, Sept.-Okt. 1980) kon/epiualisiert Mike DAVIS /um Beispiel die Spe/ilika der Entwicklung der amerikanischen Arbeiterklasse als Abweichungen von einem normalen Muster, »las sich zu irgendeinem Zeit punkt in der Geschichte schließlich selbst auldrängt. Wenn wir von „Fragmentierung“ oder „Verstreuung" sprechen, so im m er mit Bezug auf einen Diskurs, der die Einheit der verstreuten und fragmentierten Elemente als gegeben voraussetzt. Wenn diese „Elem ente“ ohne Bezug zu ir gendeinem Diskurs berücksichtigt werden, fehlt der Verwendung solcher Be zeichnungen wie „Verstreuung“ oder „Fragm entierung“ überhaupt jeglicher Sinn. A. l.ABR10l*A, Saggi sul materialismo storico, Roma 1968, 302. KAUTSKYS wichtigste Schriften in dieser Sache sind in der Anthologie von BEN VEN m tsiehe Anmerkung 13) enthalten. „Der Charakter der Gewerkschaften ist deshalb nicht von Anfang an bestimmt. Sie können ein Instrument, allerdings auch eine Fessel cles Klassenkampfes werden.“ KAUTSKY in BEN VEN U TI, 186. „Die Partei versucht... ein Endziel zu erreichen, das ein fü r allemal die kapita listische Ausbeutung beseitigt. Hinsichtlich dieses Endziels kann die gewerk schaftliche Aktivität, abgesehen von seiner Wichtigkeit und Unentbehrlich keit. mit gutem Grund als eine Sisyphusarbeit bezeichnet werden, nicht im Sinne einer nutzlosen Tätigkeit, sondern einer, die niemals beendet ist und immer wieder von neuem angegangen werden muß. Aus all diesem folgt, daß, wo eine starke sozialdemokratische Partei existiert, mit der man rechnen muß, diese eine größere Möglichkeit als die Gewerkschaften besitzt, die notwendige Linie für den Klassenkampf zu etablieren, und folglich auch die Richtung anzugeben, die die einzelnen proletarischen Organisationen, die nicht direkt
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/m P.iili'i gehören, einst hlagen sollen. Aul fliese Weise kann die unverzirht j.ire Einheit des klav*enkamples gesichert werden.“ K.AU I SKY in BENVENU I I. 19n. «jo Vgl. die Bemerkungen von Lucio (.'.OLLE I I I in: Irarnonto dell ideologia, Roma 1980. 17:^17li. Jacques MONO!) macht geltend, „da» auch Marx und Engels in dci Ahsithl. das ( iebüude ihrer ( iesellschallslehre aul die Gesetze d e r Natur /ti gtünden, /tu .animistisi lien Projektion' Zuflucht genommen haben, viel deutli( hei und überlegter noch als Spencer. ... Hegels Postulat, daß die allgemeinsten ( i r s e l / e , die die Welt in ihrer Entwicklung regieren, dialektischer Natur seien, ist in einem System am Platze, das nur dem ( ieisi dauerhaf te und authentische Wirk lichkeit /uct kennt. ... Diese subjektiven , ( i e s e t / e * aber so, wie sie sind, zu nehmen und daraus die (ieset/e einet rein materiellen Welt /u machen - das bedeutet, in aller Deutlichkeit und mit allen Konsequenzen die animistisrhe Projektion zu voll ziehen, angelangen mit der Aufgabe des Ohjektiviiätspostulats." Zufall und Not wendigkeit. Philosophische Fragen tler modernen Biologie, München 1971, 4Gf. ‘21 Dies widerspricht nicht unserer früheren Behaupt ung, daII für KAUTSKY un mittelbare materielle Interessen nicht die Einheit und Identität der Klasse konsti tuieren können. Die Sache hier ist die, daß die „wissenschaftliche" Instanz als ein gesondertes Moment die Gesamtheit der Implikationen der Einschreibung der Arbeiter in den Produktionsprozeß bestimmt. Demgemäß erkennt Aw Wissenschaft jene Interessen, von denen die verschiedenen Klassenfragmente in ihrer Vorein genommenheit kein vollständiges Bewußtsein haben. 22 ln einer Situation, in der die Klarheit und Transparenz der Interessen das Strategie problem auf die idealen Bedingungen einer „rationalen Wahl“ reduziert, verein facht dies das Problem der Einschätzung offensichtlich. Unlängst konstatierte Michel DE CERTEAU: „Als .Strategie’ bezeichne ich die Einschäizungjener Kräf teverhältnisse, die von dem Zeitpunkt an möglich sind, wo ein Willemsubjekt (ein Eigentümer, ein Unternehmen, eine Stadt, eine wissenschaftliche Einrichtung) von einer .Umgebung' isoliert ist ... Politische, ökonomische und wissenschaftli che Rationalität ist nach diesem strategischen Modell aufgebaut. Im Gegensatz dazu bezeichne ich als .Taktik* eine Einschätzung, die nicht auf etwas von sich selbst, noch folglich auf eine Grenze, die den Anderen als eine sichtbare Totalität unterscheidet, zählen kann.“ L’invention du quotidien. Paris 1980, Band l, 20f. Im Lichte dieser Unterscheidung ist es klar, daß, insofern die „Interessen“ der Kautskyschen Subjekte transparent sind, jede Einschätzung von strategischer Na tur ist. 23 Vgl. E. MÄ1THLAS, Kautsky e il kautskismo, Roma 1971, passiin. 24 Symmachos (Karl KAUTSKY), „Verschwörung oder Revolution?“ ln: Der Sozial demokrat Nr. 8 , 20.Febr. 1881 25 Siehe Perry ANDERSON, Antonio Gramsci. Eine kritische Würdigung, Westberlin 1977. 26 Guglielmo FERRERO, L’Europa giovane. Studi e viaggi nei paesi des Nord, Mila no 1897,95. 27 Vgl. Andrew ARATO, „L’antinomia del marxismo classico: jnarxismo e filosofia“, in: HOBSBAWM et al., vol. 2. 190. 28 G. PLECHANOW , Die Grundprobleme des Marxismus, Westberlin 1973, 81.
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Kclonnismii.s glrichges
50 Früher unterschieden wir /wischen Reformismus und Revisionismus. Wir müssen ' nun eine zweite Unterscheidung zwischen Reformismus und Gradualismusetablie ren. Der grundlegende Punkt dieser Differenzierung ist, daß der Reformismus eine politische und gewerkschaftliche Praxis ist, während es sich beim Gradualismus um eine Theorie über den Übergang zum Sozialismus handelt. Von bei den ist der Revisionismus ins«)fern zu unterscheiden, als er eine auf der Autonomisierung des Politischen basierende Kritik des klassischen Marxismus ist. Diese llnterscheidungen sind wichtig, weil jede dieser Bezeichnungen nicht notwen dig die anderen impliziert und ein Feld theoretischer und politischer Effekte besitzt, die in sehr verschiedene Richtungen führen können. 51 Deswegen seine Übernahme eines naiven und technizistischen Begriffs der Öko nomie, der in letzter Instanz mit jenem von Plechanow herrührenden identisch ist. Vgl. C O LLET TI, 63ff. 52 Zu Bernsteins Begriff der Entwicklung* siehe Vernon L. LIDTKE, „Le premesse teoriche del socialismo in Bernstein“, Annali 1973 (15. Jahrgang), 155-158. 53 Unsere Kritik sollte nicht mißverstanden werden. Wir bezweifeln nicht die Not wendigkeit ethischer Urteile in der Begründung einer sozialistischen Politik Kautskys absurde Ablehnung und sein Versuch, das Festhalten ain Sozialismus auf ein bloßes Bewußtsein seiner historischen Notwendigkeit zu reduzieren, ist einer vernichtenden Kritik unterworfen worden. Unser Argument ist, daß aus der Präsenz ethischer Urteile nicht folgt, daß diese einem transzendentalen Sub jekt zugeschrieben werden sollten, das außerhalb jeder diskursiven Bedingung des Auftauchens konstituiert ist. 54 Unter den modernen Arbeiten über SOREL fanden wir die folgenden beson-
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dors nüt/lith; Muhrle I .i foi ina/ii>fir i l * ' l l i n l'i.incia, ll.tr i ly77: Michel ( IIA R /A I, (.tuim-s Soul .1 l.i levolution an X \ r »¡«>« •**. Paris iy77; Jatques |( 11 I ARIK Fernand lVlIouiiei et l«s oiiginesdii syudiralisim. d ’action tlirtvio. Paris 1971; (iregoiio 1»F. PAOI.A. „(in n g es Soiel, «lall» metalisica ul mim", in: 11OBS BAU M et al.. vol. 2. r»ti2-li92; sowie, uiil schwerwiegenden Vorbehalten. Zerv S I KRNIIKI 1-. Ni droite ni gauchr. I.*Ideologie fasciste eil l i ,uitf. r.u i\ lyns. 55 Sicht* Shlomo SAN IV „Lutir de t lasses e t . oiiscience juridiqe «laus la prnsee ch* Soiel\ in: Fsprit X Mär* IW.*». 20-35. 56 G. SORKI.. i'bei die Gewalt. Frankfurt am Main HWI, 145. 57 Ebenda, 2H>. 58 DK PAOI.A, 6 K8 . 5*.» Zitier« nach S I KRM IFl.I.. 105. HU Dies schwächt .Sternhells Analyse Ni dwite ni /jauche ungeachtet ihres Reichtums an Information. Oie von ihm präsentierte Geschichte scheint lim eine an lieroi deutlich einfache Ideologie organisiert zu sein, gemäü der jeder Bruch mit einer materialistischen oder positivistischen Sichtweise nur als ein Vorhin* ler des Faschismus betrachtet werden kann.
Hegemonie: Das schwierige Au/tauchen einer neuen politischen Logik 1 Der Begriff der „Naht“, den wir oft gebrauchen werden, ist der Psychoanalyse entnommen. Seine explizite Form ulierung wird Jacques-A lain Mlld.F.R („Suture elemenis of the logic of rhe signifier“, in: Screen, Winter 1977/78, vol. 18. no. 4, 2 4 -3 4 ) zugeschrieben, obgleich er implizit in d er ganzen Lacanschen Theorie am Werk ist. Er pflegt die Produktion des Subjekts auf der Basis der Kette seines Diskurses zu bezeichnen, das heißt der Nicht-Ent sprechung zwischen dem Subjekt und dem Anderen - das Symbolische die die Abgeschlossenheit des letzteren als eine volle Präsenz verhindert. (Deshalb die Konstitution des Unbewußten als Rand, wo sich die Verbindung/Trennung zwischen dem Subjekt und dem Anderen bewirkt.) „Naht benennt die Bezie hung des Subjekts zu der Kette seines Diskurses; wir werden sehen, daß es hier als das Element, das fehlt, in der Form eines Vertretern auftaucht. Denn, wäh rend es fehlt, ist es nicht schlicht und einfach abwesend. ,N aht’ bezeichnet die allgemeine Beziehung eines Mangels zu der Struktur, von der sie ein Element ist, insofern sie die Position des ,Platz-des-(Mangels, E .d.Ü )-einnehmen’ be inhaltet“ (Miller, 25f). Dieses Moment eines Mangels ist jedoch nur ein Aspekt. Jn einem zweiten Aspekt beinhaltet „Naht“ ein A u ffüllen /E rgän zen . Wie Stephen HEATH zeigt, „benennt Naht nicht nur eine Struktur eines Mangels, sondern auch ein Vorhandensein des Subjekts, eine gewisse Schließung ... Es verwundert daher nicht..., daß Lacans eigene Verwendung des B eg riffs,suture’ ... diesem den Sinn einer .Pseudo-Identifikation’ gibt, ihn als ,Funktion des Imaginären und des Symbolischen’ definiert ... Der Einsatz ist klar: das ,Ich’ ist eine Spaltung, verbindet sich aber trotzdem, das Vertreten ist d er Mangel in
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der Si ni kl ur, nichtsdestoweniger jedoch gleichzeitig die Möglichkeit einer Kohärenz. (1rs Auffiillem/'Ergänzen*.“ (MILLER. „Notes on Suture**, in: Screen, v o l . I K , i n * . I , r>5i .) Wir wolien genau versuchen, diese doppelte Bewegung i n u n s e i e r Ausdehnung des Begriffs der Naht auf das Feld der Politik zu beto nen. I legemoniale l’raxen »nahen- , insofern ihr Wirkungsfeld durch die O f f e n h e i t «les Sozialen, durch den letztlich unfixierten Charakter jede* Signifi k a n t e n bestimmt ist. Dieser ursprüngliche Mangel ist genau da*, was die hegenionialen l'raxen aufzufüllen/zu ergänzen suchen. Eine total genähte Ge sellschaft wäre eine, wo diese* Auffüllen/Ergänzen seine äußersten Wirkun gen erreicht hätte und sich deshalb mit der Transparenz einer geschlossenen symbolischen Ordnung identifizieren könnte. Solch eine Abgeschlossenheit (-Ende) des Sozialen ist, wie wir sehen werden, unmöglich. ln dem Sinn, in dem Jacques DEKRIDA von einer „Logik des Supplements“ spricht. Das Supplementäre des „Nicht-Dcierminierten“ verschwindet natür lich, wenn die Verknüpfung zwischen der Spezifik und der Notwendigkeit des „ D e te r m in ie r te n “ gebrochen ist. Wir haben gesehen, daß dies mit dem Mythos Sorels geschieht. In diesem Fall jedoch verschwindet auch das einzige Terrain, das das Auftauchen des Dualismus möglich machte. ANDERSON, Gramsci, 20ff. Bezüglich der ersten Formulierung von Trotzkis These von der permanenten Revolution siehe A. BROSSAT „Aux origines de la révolution permanente: la pensée politique du jeune Trotsky“, Paris 1974; und Michael Löwy, „The Poli tics of Cornbined and Uneven Development“, London 1981, Kapitel 2. Leo TROTSKY, 1905, London 1971. 333, 339. „Wunder gibt es weder in der Natur noch in der Geschichte, aber jede schroffe Wendung der Geschichte, darunter auch jede Revolution, offenbart einen sol chen Reichtum an Inhalt, entfaltet so unerwartet eigenartige Kombinationen der Kampfformen und der Kräfteverhältnisse der Kämpfenden, daß dem spieß bürgerlichen Verstand vieles als Wunder erscheinen muß.“ LENIN, „Briefe aus der Ferne, Brief 1. Die erste Etappe der ersten Revolution“, in: Lenin Wer ke Band 23, 311. „Wenn die Revolution so rasch und - dem Anschein nach, bei erster, oberflächlicher Betrachtung - so radikal gesiegt hat, dann nur deshalb, weil sich dank einer außerordentlich originellen historischen Situation völlig verschiedene Ströme, völlig ungleichartige Klasseninteressen, völlig entgegengesetz te politische und soziale Bestrebungen vereinigten, und zwar bemerkenswert .ein mütig'vereinigten“. Ebenda, 316 „Die Mechanik der politischen Demokratie wirkt in der gleichen Richtung. Ohne Wahlen geht es in unserem Zeitalter nicht; ohne die Massen kommt man nicht aus, die Massen aber können im Zeitalter des Buchdrucks und des Parla mentarismus nicht geführt werden ohne ein weitverzweigtes, systematisch an gewandtes, solide ausgerüstetes System von Schmeichelei, Lüge, Gaunerei, das mit populären Modeschlagworten jongliert, den Arbeitern alles mögliche, be liebige Reformen und beliebige Wohltaten verspricht - wenn diese nur auf den revolutionären Kampf für den Sturz der Bourgeoisie verzichten. Ich möchte dieses System Lloyd-Georgeismus nennen, nach einem der maßgebendsten und
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gesch ickiesten V cu ietev dieses System s in (k m M ats}« lien I.am i d ei ,bOi get lic lu n A rb eiterp artei*, n a ih dem en g lisch en M inistei I loyd G eo rg e. Als eistklassig e r hiiigerli» h er ( i1 Rednor, d er cs veiNteht, Iteliebige, sogar re v o lu tio n ä ie R ed en vor ein e m Ai b eite r au d ito riu m /u h allen , dei im stan d e ist, t ill fo lgsam e A rb eitet ziem lich b e iiik hllifh e A lm osen in lo r m von sozialen R efo rm e n (V ersich eru n g usw.) zu erw iik en . dient Llovd G eo rg e del B o m g e o isie ausgezeich net und dient ih r g e ra d e u/ifrrden A rlieitern . setzt den F.inl lull dev B o u rg eo isie grnutr int P m letariat d u reli, d o it, wo es am notw endigsten und am schw ersten ist, sieh d ie M assen m o ralisch unter/uo rd n e n .“ I KN IN . „D er Im perialism us und d ie S p a ltu n g d es S o zialism u s“, in: L E N IN . W eike B an d 23.1141
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V ^
S IV;«vi vseinirnvi Kongress Komunisticheskogo Internalsionala. 17 iuniya-8 ¡uliya 1024 g. Stenogra 1ic heskii«>tehet. Moskau-Leningrad 1925, Band 1, 4821. Zitiert in: M. HAjF.K, „l-a bolsceviz/az.ione dei partiti conninisti“, in: E.J. f IOBSBAWM u.a. (llg.). Storia, Turin 1980, Band 3, 468. 9 Vgl. E. 1_\CLAU, Politik und Ideologie im Marxismus, Berlin 1981. 10 Vgl. insbesondere Christine BUCI-GLUCKSMANN, Gramsci und der Staat. Für eine materialistische Theorie der Philosophie, Köln 1981. 11 Bagio DE GIOVANNI, „Lenin and Gramsei: State, Politics and Party“, in: Chantal MOUFFE (Hg.), Gramsci and Marxist Theory, London 1979, 259-288. Für eine Kritik an DE GIOXANNIS Konzeption siehe Chantal MOUFFES Einleitung zu jenem Band. 12 A. PRZEWORSK1, „Proletariat into a Class. The Process of Class Formation from Karl Kautskv’s The Class Struggle to Recent Controversies“, in: Politics and Society 7-197 7. 13 Im Hinblick auf die Beziehung zwischen Hegemonie, Ideologie und Staat bei GRAMSCI siehe Chantal MOUFFE, „Hegemony and Ideology’ in Gramsci“, in: GRAMSC.l and Marxist Theory. 168-204; sowie Chantal MOUFFE, „Hegemony and the Integral State in Gramsci: Towards a New Concept of Politics“, in: G. BRIDGES und R. BRUNT (Hg.), Silver Livings: Some Strategies for the Eighties, London 1981. 14 Antonio GRAMSCI. Quaderni dal Carcere, Hg. Valentino GERRATANA, Turin 1975, Band 2, 349. 15 Ebenda. 1058. 16 Ebenda, Band 3. 1875. 17 Siehe die in deni Band „Clausewitz en el pensamiento marxista“, Mexiko 1979, enthaltenen Essays, insbesondere die Arbeit von Clemente ANCONA, „La influenca de ,De la Guerra* de Clausewitz en el pesamiento marxista de Marx a Lenin“, 738. Diese Essays beziehen sich jedoch mehr auf die Beziehung zwischen Krieg und Politik als auf die politische Metaphorisierung militärischer Begriffe. 18 In einein buchstäblichen Sinn, der bewaffnete Konfrontationen selbst einschließt. Von MAO an wird der „Volkskrieg“ als ein Prozeß der Konstitution eines Massen „Kollekth-willens“ begriffen, worin die militärischen den politischen Aspekten untergeordnet sind. Der „Stellungskrieg“ geht deshalb über die Alternative be wail neter Kampf/friedlicher Kampf hinaus.
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|t) Al I II l'SSF.R hat de n grnmscianischen „absoluten Historizismus** fälschlicherKrise mit (Im anderen Formen von „Linksoricnticrung“ der Zwanzigerjahre, wie /um Beispiel die Arbeiten von LUKACS und KORSCM, gleit hgesetzt. An anderer Stelle haben wir g e z e i g t , daß diese Gleichsetzung auf einem Mißver ständnis beruht, insofern das, was Gramsci „absoluten Historizismus“ nennt, genau die radikale Ablehnung jedes Essentialismus und jeder a priorischen Teleologie und deshalb mit dem Begriff des „falschen Bewußtseins“ unverein bar ist. Über die Spezifik der Intervention Gramsci* in dieser Hinsicht siehe BUOI-GLUOKSMANN, Gramsci. 0 20 Kine angemessene Studie der Positionen, die KAUTSKY sich nach dem Krieg zu eigen machte, insbesondere hinsichtlich der Oktoberrevolution, kann bei A. BKRGOUNIOÜX, B. MANIN, La social-d£inocratie oti lecompromis, Paris 1979, 73-104 gefunden werden. 21 Genau deswegen ist die von Massimo SALVADORI („Gramsci and the PCI: Two Conceptions of Hegemony“, in: Gramsci and Marxist Theory, 237-258) an den Theoretikern der italienischen Kommunistischen Partei geübte Kritik so wenig überzeugend. Dieser Kritik zufolge könnte der Eurokommunismus nicht legitimerweise die gramscianische Tradition als die Quelle seiner demo kratischen Strategie für sich in Anspruch nehmen, denn das Denken GRAM SCIS würde dem Moment des Bruchs und der Machtergreifung weiterhin we sentliche Bedeutung beimessen. Gramsci würde so das höchste Moment eines an die Bedingungen Westeuropas angepaßten Leninismus bilden. Auch wenn es keinen Zweifel gibt, daß der „Stellungskrieg“ für GRAMSCI bloß ein Vor spiel zum „Bewegungskrieg“ ist, so rechtfertigt dies doch nicht die Rede von einem „strukturellen Leninismus“ bei GRAMSCI. Dies wäre nur dann gerecht fertigt, wenn die Alternative Reform/Revolution, friedvoller/gewaltsamer Weg die einzige relevante Unterscheidung wäre; wie wir jedoch gesehen haben, bewegt sich die Totalität des gramscianischen Denkens in die Richtung der Zurücknahme der Bedeutung und Eliminierung des absoluten Charakters die ser Alternative. In den entscheidenden Aspekten ist weder die gramscianische Konzeption politischer Subjektivität noch ihre Form der Konzeptualisierung der hegemonialen Verknüpfungen mit der leninistischen Theorie des „Klassen bündnisses“ vereinbar. 22 A. STURMTHAL, The Tragedy of European Labour. 1918-1939, London 1944, 23. Dieses frühe Werk ist ein höchst scharfsinniger Versuch, eine Beziehung zwischen den Schranken sozialdemokratischer Politik und der korporativen Mentalität der Gewerkschaften herzustellen. 28 Wien 1919. 24 Andrew PRZEWORSKI, „Social Democracy as a Historical Phenomenon“, in: New Left Review, no. 122, Juli-August 1980, 48. 25 STURMTHAL, Tragedy, 39f. 26 PRZEWORSKI, „Social Democracy“, 52. 27 Vgl. insbesondere „Au-delä du marxisme“ (1927) und „L’Idee socialiste“ (1933). 28 Siehe beispielweise A. BERGOUNIOUX, B. MANIN, 118-120. 29 G.A. COHEN, Karl Marx’s Theory of History, Oxford 1978, 206.
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30 Samuel BOW I. KS, Herbert GIN I'lS. „Stimmte ami P i.n tiir in the labour I heorv of Value", in: Review of Radical Politic
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dabei unmittelbar die stofflichen Elemente reproduziert, die dem AusbeutungsV e rh ältn is als Substrat dienen: also diejenige, die unmittelbar in die materielle Pro duktion eingreift und dabei (ielrrauchswerte frrodxuiert, die die materiellen Reichtümer erhöhen.1* F.benda, 1851. 15 W RIGHT, 48. 46 Die Kriterien für die Zugehörigkeit /um Proletariat sind: 1) Abwesenheit der Kontrolle (Iber die Produktionsmittel; 2) Abwesenheit der Kontrolle über In vestitionen und den Akkumulationsprozeß; 3) Abwesenheit der Kontrolle über anderer Leute Arbeitskraft. Die Bourgeoisie ist im Gegensatz dazu durch die Ausübung der Kontrolle Über diese drei Punkte bestimmt, während das Klein bürgertum Investitionen, Akkurnulationsprozeß und die Produktionsmittel kontrolliert - es übt keine Kontrolle über anderer Leute Arbeitskraft aus.
Jenseits der Positivität des Sozialen: Antagonismus und Hegemonie 1 Charles TAYLOR, Hegel, Frankfurt am Main 1978,41 und allgemein das erste
Kapitel. 2 HÖLDERLIN, Fragment von Hyperion, zitiert bei TAYLOR. 58. 3 A. TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen, Hildesheim 1964 (Erst
ausgabe 1840). 4 Louis ALTHUSSER, Für Marx, 149.
5 Ebenda, 152 (Fußnote). (Korrigierte Übersetzung nach dein franz. Original, A.d. Ü.) 6 Unsere Kritik stimmt, wie bemerkt werden kann, in manchen Punkten mit der der Hindess/Hirst-Schule in England überein. Wir haben jedoch einige grund legende Meinungsverschiedenheiten mit ihrem Ansatz, auf den wir später im Text zurückkommen wollen. 7 Etienne BALIBAR, „Über historische Dialektik. Kritische Anmerkungen zu Lire le Capital“, in: Urs JAEGGI, Axel HONNETH (Hg.), Theorien des Histo rischen Materialismus, Frankfurt am Main 1977, 293-343. 8 Barry HINDESS und Paul Q. HIRST, Vorkapitalistische Produktionsweisen, Frankfurt am Main/Berlin 1981; HINDESS und HIRST, Mode of Production and Social Formation, London 1977; Antony CUTLER, HINDESS, HIRST und A. HUSSEIN, Marx’s Capital and Capitalism Today, London 1977, 2 Bän de. 9 CUTLER u.a., Band 1, 222, 10 HIRST und E. WOOLEY, Social Relations and Human Attributes, London 1982, 134, 11 Michel FOUCAULT, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1981, 48ff. 12 Emile BENVENISTE, Probleme der allgemeinen Sprachwissenschaft, Mün chen 1974, beziehungsweise Frankfurt am Main 1977, 68 . 13 In einer aufschlußreichen Studie über die Grenzen der Foucaultschen archäo logischen Methode bemerken B. BROWN und M. COUSINS („The linguistic fault: the case of Foucault’s archaeology“, in: Economy and Society, August
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1980. vol. 9, no. S): ..(Koumult) macht keim- l'nicitrilung dei Phänomene in zwei Seinskalegoi ien, Diskuisund Niehl Diskni-siws. Kill ihn geht cs immer um die Krage dev Identität In simdi u i DiskuiNformationen. Was aus einer besonde ren Diskmslorm.ition hetausfällt, fällt hall aus ihr heraus, Ks niti dabei nicht in den Rang einer allgemeinen Korm des Seins, des Nicht-Diskursiven.“ Dies ist /weilelsolme richtig he/ogett aut eine mögliche „Unteneil«ng der Phänomene in zwei Seinskategorien“, das heißt mit Blick auf einen Diskurs, der regionale leilungen innerhalb einei lötalität errichten würde. Dies beseitigt jedoch nicht das Pntblem hinsichtlich der Korm. wie inan das Diskursive begreift. Die Auerkenmmg nicht-diskursivei Entitäten hat nicht mir topographische Bedeutung, sie ino
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d e n , m it d em Lssentialism us zu b rech en , d er allen Formen d es D ualism us inhäie n t ist.
17 Ludwig VVI I I ( »F.NSTF.IN, „Philosophische Untersuchungen“, in: Werkausgabe Band I, Frankfurt am Main 1984, 23H. IH Ebenda, 241. 19 Gegen den Kinwand eines bestimmten Typs von Marxismus, der behauptet, eine derartige Auffassung vom Primat des Diskursiven würde den „Materialis mus“ in Frage stellen, empfehlen wir einfach einen flüchtigen Blick in die Marx’schen Texte, insbesondere ins Kapital: Nicht nur die berühmte Passage über die Biene und den Architekten am Anfang des Kapitels über den Arbeitsprozess, sondern ebenso die ganze Analyse der Wertform, wo die Logik des Prozesses der Warenproduktion selbst - die Grundlage der kapitalistischen Akkumulation - als eine strikt soziale Logik dargestellt wird, die sich durch die Errichtung eines Äquivalenzverhältnisses zwischen stofflich verschiedenen Gegenständen durchsetzt. Das wird von der ersten Seite an festgestellt - zum Beispiel als kritische Bemerkung gegen BARBONS Behauptung: „.Dinge ha ben einen intrinsik vertue’ (dies bei Barbon die spezifische Bezeichnung für Gebrauchswert) ,der überall gleich ist, so wie der des Magnets, Eisen anzuzie hen’ (I.e. p.6 ). Die Eigenschaft des Magnets, Eisen anzuziehen, wurde erst nützlich, sobald man vermittelst derselben die magnetische Polarität entdeckt hatte.“ (MEW Band 23, 50) 20 Mit diesem „Äußeren“ führen wir nicht wieder die Kategorie des Außer diskursiven ein. Das Äußere wird durch andere Diskurse konstituiert. Gerade die diskursive Natur dieses Äußeren ermöglicht die Anfechtbarkeit jeden Dis kurses, da ihn nichts endgültig vor Deformation und Destabilisierung seines Systems von Differenzen durch andere diskursive Artikulationen, die außer halb von ihm agieren, schützt. 21 Jacques DERR1DA, Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main 1972, 424. 22 Eine Reihe neuerer Arbeiten hat diese Konzeption hinsichtlich der Unmög lichkeit der Vernähung und folglich der grundlegenden innerlichen Intelligibilität jedes relationalen Systems selbst auf das System ausgeweitet, das tra ditionell als ein Modell einer reinen strukturalen Logik dargestellt wurde, das heißt, der Sprache. F. GADET und M. PECHEUX haben beispielsweise hin sichtlich Saussure gezeigt: „Gegenüber Theorien, die die Poetik als Ort spezi eller Effekte vom Ensemble der Sprache isolieren, macht das Werk von Saus sure ... die Poetik zu einem jeder Sprache inhärenten Gleiten: Was Saussure etabliert, ist weder eine Eigenschaft saturnischer Verse noch der Poesie, son dern eine Eigenschaft der Sprache als solcher.“ {La langue introuvable, Paris 1981, 57). Vgl. GADET, „La double faille“, in: Actes du Colloque de Sociolinguistique de Rouen, 1978; C. NORMAND, „L’arbitraire du signe comme phénomène de déplacement“, in: Dialectiques, no. 1/2-1972; J.C . M1LNER, L’amour de la langue, Paris 1978. 23 Vgl. unsere obigen Ausführungen hinsichtlich BEN VENISTES Kritik an SAUS SURE.
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24 Vgl. l-OUCAl !1T, Ordnung ‘b*i l^nge, l'iankfui t am Main, insbesondere 377 II . 25 Vgl. diesbezüglich Ben NRIAVN I I R, >,1-Vtishisin in Cajnta!und lirtuting <'nftilat't in: F.conomv and Societv, 1976. vol. 5, no. 3, sowie P. I MRS I, „Althussei ;md ihe Theorv of Ideolog\“, in: F.conomy and So< iety, 1976, vol 5. no. I. 26 Vgl. ebenda. 27 Die ans dem Gebrauch des „Man“ entstehende Zweideutigkeit, damit nämlich sowohl „human lieings" als auch „male memhers of fhe species“ zu bezeichnen, ist für die diskursive Ambiguität, die wir zu zeigen versuchen, symptomatisch. (Allerdings iritlt diese Spezifik nur für das Angelsächsische zu. in romanischen Sprachen und im Deutschen ist die Überschneidung anders. A.d. Ü) 28 Edward l‘. ITIOMPSON, The Poverty of Thcory, London 1978 (Der für die Auseinandersetzung mit ALl'HUSSF.R zentrale Essay wurde ins Deutsche über setzt; Das F.lend der Theorie. Zur Produktion geschichtlicher Erfahrung, Frank furt am Main 1980; A .d .O . Wir sollten jedoch nicht vorschnell schlußfolgern, daß THOMPSON AITHUSSF.R einfach falsch gelesen hat. Das Problem ist er heblich vielschichtiger. Wenn nämlich THOMPSONS falsche Entgegensetzung zwischen einem „Humanismus“, der auf dem Postulat eines menschlichen Wer sens beruht, und einem Antihumanismus, der sich auf die Negation des letzte ren stützt, vorschlügt, so ist es ebenso wahr, daß ALTHUSSERS Betrachtungs weise des Humanismus wenig Raum übrigläßt für etwas anderes als dessen Ver bannung auf das Feld der Ideologie. Geschichte besitzt hier nämlich eine intelligible Struktur, die durch die Aufeinanderfolge von Produktionsweisen gegeben ist, und wenn genau diese Struktur für eine „wissenschaftliche“ Praxis zugänglich ist. kann dies nur mit einem auf der Ebene der Ideologie konstitu ierten Begriff ran „Humanismus“ verbunden sein. Damit ist eine Ebene ange sprochen. die, obwohl nicht als falsches Bewußtsein begriffen, von einem Me chanismus sozialer Reproduktion, der durch die Logik der Produktionsweise etabliert wird, ontologisch verschieden und ihm untergeordnet ist. Der Weg aus der Sackgasse, zu der diese beiden, um den „Menschen“ und die „Produktions weise“ konstituierten Essentialismen führen, besteht darin, eine Differenzierung der Ebenen, mittels der Unterscheidung von Erscheinung und Wesen aufzulö sen. In diesem Fall geben wir dem humanistischen Diskurse einen Status, der weder a priori privilegiert noch anderen Diskursen untergeordnet ist. 29 m /f, 1978. no. 1, Editorial. 30 Vgl. C. MOUFFE „The Sex/Gender System and the Discursive Construction of Women’s Subordination“ in: S. HÄNINEN, L. PALDAN (eds.), Rethinking Ideology: A Marxist Debate. Berlin 1983. Eine historische Einführung in femi nistische Politik aus dieser Sicht ist zu finden bei Sally A LEXAN D ER, „Women, Class and Sexual Difference“. in: History Workshop 17, Spring 1984. Über die allgemeinere Frage der Politik des Geschlechtlichen siehe Jeffrey W ICKS, Sex, Politics and Society, London 1981. 31 Dieser Begriff ist entwickelt worden von Gayle RUBIN, „The Traffic in Women: Notes on the .Political Economy* of Sex“, in: R.R. R EITER (ed,), Toward an Anthropology of Wornen, New York/London 1975, 157-210. 32 Dieser Aspekt wird von den Herausgeber Innen von m /f m ehl völlig ignoriert. So
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bemerken I*. ADAMS und J . MINSON: „F,sgibt bestimmte Formen der .Univer die die Vielfalt sozialer Beziehungen eher verhüllt. Der artige Personen werden f ür die .Verantwortung’ im allgemeinen herangezogen, im Gegensatz zu der Vielfältigkeit jeweiliger Einschätzungen (die für .unverant wortlich* gehalten werden). Aber wie diffus diese .Universal’-Verantwortlichkeit auch zu sein scheint, sie ist nichtsdestoweniger stets der Befriedigung bestimm ter sozialer Bedingungen unterworfen. Folglich muß diese .Universal’-Verant wortung als heterogene Bündelung von gesellschaftlichen Lagen analysiert wer den.“ „ I he .Subject’ of Feniinism“. in: m /f, 1978, no. 2, 53. b A. CUTLF.R et al. vol. 1. L. C O L I.E T T I, „Marxism and the Dialectic", in: New Left Review, September/ Oktober 1975, no. 93, 3 -2 9 (deutsch: ders., Marxismus und Dialektik, Frank furt/M ain 1977, 5-41) und ders., Tramonto dell’ideologia, 87-161. Kant faßt in den folgenden vier Prinzipien die Eigenschaften der Realopposition in seiner Differenz zum Widerspruch zusammen: „Die einander widerstreitenden Bestimmungen müssen erstlich in eben demselben Subjekte angetroffen werden. Denn gesetzt, es sei eine Bestimmung in einem Dinge und eine andre, welche inan will, in einem ändern, so entspringet daraus keine wirkliche Entgegen setzung. Zweitem, es kann eins der opponierten Bestimmungen bei einer Real entgegensetzung nicht das kontradiktorische Gegenteil des ändern sein; denn alsdenn wäre der Widerstreit logisch und wie oben gewiesen worden unmög lich. Drittens, es kann eine Bestimmung nicht etwas anders verneinen, als was durch die andre gesetzt ist; denn darin liegt gar keine Entgegensetzung. Vier tens, sie können, in so ferne sie einander widerstreiten, nicht alle beide vernei nend sein, denn alsdenn wird durch keine etwas gesetzt, was durch die andre aufgehoben würde. Demnach müssen in jeder Realentgegensetzung die Prädi kate alle beide positiv sein, doch so, daß in der Verknüpfung sich die Folgen in demselben Subjekt gegenseitig aufheben. Auf solche Weise sind Dinge, deren eins als die Negative des ändern betrachtet wird, beide vor sich betrachtet posi tiv, allein, in einem Subjekte verbunden, ist die Folge davon das Zero.“ (Imma nuel KANT, „Versuch, den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen“, in: Vorkritische Schriften bis 1768, Werke Band 2, Wiesbaden I960, 788f.) Die Positivität seiner beiden Glieder ist somit das bestimmende Merkmal der Realopposition. Es ist interessant, daß Hans Kelsen in seiner Polemik gegen Max Adler bereits die dringende Notwendigkeit sah, aus der ausschließlichen Entgegensetzung von Realopposition und Widerspruch dadurch herauszukommen, indem man Ant agonismen als zur sozialen Welt gehörend beschreibt. Vergleiche dazu die Zu sammenfassung der Position KELSENS in: R. RACINARO, „Hans Kelsen e il dibatto su deinocrazia e parlamentarismo negli anni Venti-Trenta“, Einführung in H. KELSEN, Socialismo e Stato. Una ricerca sulla teoría política del marxismo, Bari 1978, C XXII-C XXV . R. EDGLEY, „Dialectic: the Contradictions of Colletti“, in: Critique, 1977, Nr. 7 J . ELSTER, Logik und Gesellschaft. Widersprüche und mögliche Welten, Frank furt am Main 1981. s a l ’* Verantwortlichkeit,
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3 9 P O IT K R . „W Ikii in n».»h>uir?’\ in: C o n jc c tm r s ;»nd R rlu la lio n s . L on d o n 1969,
312-Mf.
40 An diesem Punkt unterscheidet sitli nnsen- Auflassung \ou der, <1it* von rinem der Autoren dieses Nu» lies in einem liühcicu Wcik ge.'ittUert wurde, in dom dei Ht’^ iil»* des Antagonismus di-ni des Wideispiuchs angeglit lien wild (I-AC. I Ai;, „Populistist hei Niuch und Diskms“, in: Politik und Ideologie* im Marxismus. Kapitalismus-- Faschismus - Populismus, Westberlin 1981, 176-185). Beim Cbei denken uuscrci früheren Position haben sich tlit* krilis*, hen Koni* mentare, die von Emilio de Ipola in einer Reihe von Gesprächen gemacht wurden, ak .lullerst nützlich erwiesen. H Hinsicht lieh tier verschiedenen Betrachtungsweisen des Problems der relati ven Autonomie ties Staates in den verschiedenen zeitgenössischen marxisti schen Chemisierungen siehe Bob J ESSO P. Ehe Capitalist State, New York/ London 1982.
Hegemonie und mdikale Demokratie
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1 Arthur ROSENBERG, Demokratie und Sozialismus. Zur politischen Geschichte der letzten 150 Jahre. Frankfurt am Main 1962. 2 Ebenda, llOf. 3 Genaugenommen ist diese Behauptung natürlich untertrieben. Die Neuausrichtungder Kräfte während der Französischen Revolution erforderten eben falls hegemoniale Operationen und brachten bestimmte Veränderungen von Bündnissen mit sich: man denke nur an derartige Episoden wie die Vendée. Nur aus einer historischen Perspektive und im Vergleich mit der Komplexität der hegemonialen Artikulationen, die nachfolgende Phasen der europäischen Geschichte charakterisieren, kann man die relative Stabilität des Gefüges der grundlegenden Teilungen und Gegensätze im Lauf der Französischen Revolu tion behaupten. 4 Zum Begriff der „Unterbrechung“ siehe D. SILVERMAN, B. TORODE, The Material Word. London 1980, 1. Kapitel. 5 Francois FURET, 1789 - Jenseits der Revolution, Hamburg 1989, 96. 6 Hannah ARENDT. Über die Revolution, München3 1986, 6 8 . 7 Gareth STEDMAN JONES, Klassen, Politik und Sprache. Für eine theorieorientierte Sozialgeschichte, Münster 1988. 8 Alexis DE TOCQUEV1LLE. Über die Demokratie in Amerika, München 1976, 61. 9 C. CALHOUN. „The Question of Class Struggle“, Chicago 1982, 140. Eine ähnliche Argumentation findet sich bei L. PARAMIO, „Por una interpretación revisionista de la historia del movimiento obrero europeo“, in: En Teoria 8 /9 , Madrid 1982. 10 Siehe zu diesem Thema C . SIRIANI, „Workers Control in the Era of World War I*4, in: Theory and Society, 1980. vol. 9, no, 1, und C . SABEL, Work and Politics, Cambridge (England) 1982, Kapitel 4.
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11 Michel ACilll*. I I A, A 1’hcory of Capitalist Regulation, London 1979, 117. 12 Vgl. Mirhrl CAS'I F.LLS, La question urbaine, Paris 1972. i;j Sam BOWLES, Herbert GINTIS, „ ITie crisis of Liberal Democ ratic Capitalism“, in: Politics and Society, 1982, vol. 2., no, 1. |*1 Benjamin COR IA I, IJatelier et le chionornf-tre, l’aris 1979, 155. ID Claus OFFE, Contradic tions of the Welfare State, hg. von J. KF.ANE, lx>ndon 1984, 203. |(j Vgl. F. PIVF.N, R. CLOWAKD, Poor People’s Movements, New York 1979. 17 jean BAIIDRILLARD, Das Ding und das Irh, Wien 1974, 191. 18 Samuel 11 UN I ING I ON, „’I lie Democratic Distemper“, in: N. CLAZF.R, I. KR1STOI. illg.), The American Commonwealth, New York 1976, 37. 19 Daniel BELL, „On Meritocracy and Equality“, in: The Public Interest., Fall 1972. 20 Vgl. Alain TOURAINE, L*apres-.?ocialisme Paris 1980; Andr£ GORZ, Abschied vom Proletariat, Frankfurt am Main 1980. Eine interessante Auseinanderset zung mit Touraine findet sich bei J,L . COHEN, Class and Civil Society: The Limits of Marxian Critical Theory, Amherst 1982. 21 Stuart HALL, M. JACQUES (Ilg.), The Politics of Thatcherism, London 1983, 29. Auf die Art und Weise, wie der Sexisrnus dazu eingesetzt worden ist, eine populäre Basis für den Thatcherismus zu schaffen, hat B. CAMPBELL, Wigan Pier Revisited: Poverty and Politics in the ’80s, London 1984, hingewiesen. 22 Allen HUNTER, „The Ideology of the New Right“, in: Crisis in the Public Sector. A Reader, New York 1981, 324. Eine aufmerksame Analyse der gegen wärtigen politischen Konjunktur in der amerikanischen Politik leistet D. PLOTKE, „The United States in Transition: Towards a New Order“, in: Socialist Review, no. 54, L980, und „The Politics of Transition: The United States in Transition“, in: Socialist Review, no. 55, 1981. 23 Diese Artikulation ist von C .B. MACPHERSON in: Nachruf auf die liberale Demokratie, Frankfurt am Main 1983, analysiert worden. 24 F. HAYEK, Die Verfassung der Freiheit, Tübingen 1983, 13. 25 HAYEK, Der Weg zur Knechtschaft, München 1971, 99. 26 HAYEK, Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Band 2, München 1982, 101. 27 Vgl. Robert NOZICK Anarchie, Staat, Utopia, München 1976. 28 Eine Darstellung ihrer Position bietet M.N. ROTHBARD, For a New Liberty. The Libertarian Manifesto, New York 1973. 29 Zbiegniew BRZEZINSKI, zitiert bei P. STEINFELDS, The Neo-Conservatives, New York 1979, 269. 30 Ebenda, 270. 31 Alain de BENOIST, Les indees ä l’endroit, Paris 1979, 81. 32 Abgesehen von der Tatsache, daß unsere Überlegungen in einer ganz anderen theoretischen Problematik angesiedelt sind, unterscheidet sich unser Ansatz von demjenigen der Theoretiker einer „partizipatorischen Demokratie“, mit denen wir nichtsdestoweniger viele wichtigen Sachen teilen, dadurch, daß wir das Bedürfnis, eine Pluralität von Formen von Demokratie entsprechend ei ner Vielfalt von Subjektpositionen zu artikulieren betonen. Zur „partizi-
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patoii.srht'n IVmokiHli«'“ vrI. (M i. MA( :i*lIl*!HS( )N, Nu« In ul* Kapin*l S, und I’ATKMANN. 1'at tii ipation and IVnio« mtii l li«-«« y, Caiiiliiúlgí* (K urlan d) 11*70. .S.8 Vjjl. R. 1W III., Dilemmas oi rim a liit Dmini iat y, New H¡iv«*n/I ondon 1982, und (Jh. K. I INlUil. OM, Jenseits von Markt mul Slum. Kirie Kritik d«*i politischcn und ökonom itilu n Sysltiiif, K ianklurt/M ain l‘)8 S. ,8-1 C laudr I . F F ORI , l.’invem ion df'iixuiaiic|Uc*, Paris lî»8 J, 17H. S5 Khondn. 100.