PROLOG „Fifth Avenue Securities, Francoise Vargas am Apparat." Als Elizabeth am anderen Ende ihre Mutter hörte, stiegen ...
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PROLOG „Fifth Avenue Securities, Francoise Vargas am Apparat." Als Elizabeth am anderen Ende ihre Mutter hörte, stiegen ihr die Tränen in die Augen, doch ihre Stimme blieb ruhig. "Mom..." "Liza! Na endlich! Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Du hattest versprochen, spätestens am Mittag nach deiner Zeit anzurufen. Dein Vater hat schon drei Mal nachgefragt, ob ich etwas von dir gehört habe." "Es tut mir Leid, Mom. Nachdem ich bei Dr. Jarrod war, bin ich in den kleinen Park gegenüber der Columbia Universität gefahren und habe meditiert, bis ich wieder klar denken konnte." Am anderen Ende hörte sie ein leises Lachen. "Du bist wirklich die Tochter deines Vaters, mein Schatz." Nach einer kleinen Pause erkundigte sich Francoise: "Werde ich also im unglaublich jugendlichen Alter von neunundvierzig Großmutter?" Liza blickte an sich hinunter. Unter dem lebhaft gemusterten Pullover und der auf Figur geschnittenen Hose wuchs ein neues Leben heran. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hatten sie und Max ein Baby gezeugt. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie musste sich räuspern, ehe sie sprechen konnte. „Ja, ich bin eindeutig schwanger. Er oder sie wird um den vierundzwanzigsten August zur Welt kommen." "Liebling, ich freue mich so für dich! Deine biologische Uhr tickte bereits hörbar." Liza verdrehte die Augen, obwohl ihre Mutter sie nicht sehen konnte. "Mom, ich bin doch erst achtundzwanzig." Etwas polterte gegen die Wand in der Wohnung nebenan. Die de Marcos stritten schon wieder. "Ich muss unbedingt umziehen", sagte sie und rieb sich eine schmerzende Stelle an der Schläfe. "Dr. Jarrod hat mir erzählt, dass in seiner Nachbarschaft am Mill Works Ridge ein Haus mit drei Schlafzimmern und einem großen Garten zu verkaufen sei." Ein verträumtes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich vorstellte, wie ein Kind auf stämmigen Beinchen über den Rasen auf sie zurannte - vielleicht ein kleiner Junge mit dem unwiderstehlichen Lächeln seines Vaters. Oder ein zierliches Mädchen mit grauen Augen und schwarzen Locken. "Ein Haus? Wird das nicht sehr teuer in der Unterhaltung sein?" fragte Francoise Vargas besorgt. "Das schon, aber nachdem ich jetzt eine Familie haben werde, brauche ich mehr Platz." Eine Familie, wiederholte sie in Gedanken und war auf einmal glücklich. "Natürlich muss ich mir auch eine neue Stelle suchen. Mit einem Baby im Schlepptau kann ich nicht gut für mehrere Monate nach Europa reisen." Sie hatte Tag und Nacht gearbeitet, sich auf dem hart umkämpften Gebiet der Kunstrestauration einen Namen zu machen, doch das lag jetzt hinter ihr. Obwohl
sie sich noch nicht entschieden hatte, spielte sie mit dem Gedanken, eine Kindertagesstätte aufzumachen. "Liza, was ist mit dem Vater des Babys? Hast du ihn schon erreicht?" Liza lehnte den Kopf gegen die Sofalehne. Obwohl es erst zehn Wochen und zwei Tage her war, seit sie den geliebten Mann gesehen hatte, kam es ihr wie eine Ewigkeit vor. "Noch nicht. Ich habe eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen." Dass sie mehrfach angerufen hatte, nur um seine warme Baritonstimme auf dem Band zu hören, behielt sie für sich. "Vermutlich ist er verreist. Er hatte mich schon gewarnt, dass er in der nächsten Zeit schlecht zu erreichen sein würde." Francoise Vargas räusperte sich. "Dann hast du ihm noch gar nicht gesagt, dass er Vater wird?" "Nein. Es am Telefon zu tun wäre wirklich unromantisch. Ich will sehen, wie seine Augen aufleuchten, wenn er es erfährt." Max hatte wunderschöne graue Augen mit dichten goldblonden Wimpern und Lachfältchen drum herum. "Wie wäre es, wenn du deine Hochzeit hier feiertest? Ich brauche nur eine Woche Vorwarnung." Liza lächelte. "Ich will nichts versprechen, ohne vorher mit Max gesprochen zu haben." "Natürlich. Schließlich ist es eure Hochzeit. Trotzdem werde ich vorsichtshalber schon einmal bei Armand anrufen. Er hat das Essen für unsere letzte Weihnachtsfeier ausgerichtet und eine köstliche Leberpastete serviert. Liza dachte an den Schinken aus der Dose und die trockenen Kekse, die sie Max nach ihrer ersten Liebesnacht serviert hatte, und unterdrückte ein Lachen. "Ich gebe dir Bescheid, sobald ich mehr weiß. Gib Daddy einen Kuss von mir, und sag ihm, dass ich am Sonntag wieder anrufe." "Bis dahin alles Liebe, mein Schatz - für dich und mein Enkelkind." Nachdem sie aufgelegt hatte, ging Liza in die Küche, holte sich ein Glas Milch und kuschelte sich dann wieder auf dem Sofa zusammen. Sie und Max hatten Kakaopulver mit Milch aufgegossen, das Beste, was die Hütte zu bieten hatte. Es hatte herrlich geschmeckt. Sie hatten sich im Skiurlaub am Mount Bachelor kennen gelernt, bei ihrem ersten - und einzigen - Ausflug auf Skiern. Liza, die wesentlich mehr an der atemberaubenden Aussicht als an sportlichen Höchstleistungen interessiert war, hatte ihre Gruppe verloren und war auf einem viel zu schwierigen Hang gelandet. In ihrem Designeranorak und den Leihskiern sah sie wie eine arthritische Krabbe aus, als sie am Rand seitlich abrutschte. Der längliche Fleck weit unten war bestimmt eine Hütte. Plötzlich hörte sie ein Geräusch wie von einem heranrasenden Schnellzug. Im nächsten Moment tauchte ein großer Mann wie aus dem Nichts auf, hob sie mitsamt ihren Skiern hoch und schoss mit ihr hinter einen großen Felsen seitlich der Piste. Sie wollte protestieren, doch schon donnerte die Lawine dicht neben ihnen zu Tal.
Ganz schwindlig vor Erleichterung und Freude, noch am Leben zu sein, hatte sie ihren Retter geküsst. In diesem Moment war es auch schon passiert. Erst später begriff sie, dass sie sich in einen Mann verliebt hatte, dessen Namen sie nicht einmal kannte. Sie hatte es einfach gewusst, genau wie ihr Vater, der Bildhauer, spürte, welches Kunstwerk in einem unförmigen Tonklumpen steckte, sobald er ihn berührte. Nachdem er ihr aufgeholfen und den Schnee abgeklopft hatte, stellte er sich als Max Savage, Polizist aus Portland auf Skiurlaub, vor. Liza hörte nur mit halbem Ohr zu, so beschäftigt war sie, ihn zu betrachten - einsfünfundachtzig groß, mit dem Körper eines Sportlers und einer dunkelblonden Löwenmähne. Nachdem die Lawine ihnen den Weg ins Tal abgeschnitten hatte, blieb ihnen nichts anderes übrig, als in der Bergwachthütte Unterschlupf zu suchen, bis die Piste wieder passierbar war. Der einzige Raum war winzig, doch es gab einen funktionstüchtigen Holzofen, Regale mit Notrationen und ein schmales Bett mit warmen Decken. Als sie erwachten, tobte draußen ein Schneesturm. "Solange das nicht aufhört, können wir auf keinen Fall abfahren", erklärte Max. Miteinander zu schlafen erschien ihnen beiden als die natürlichste Sache der Welt. Max war ein wunderbarer Liebhaber - unermüdlich. Und voller Einfälle. Als er ihr sagte, er habe sich in sie verliebt, obwohl sie sich erst seit drei Tagen kannten, glaubte sie ihm. Nicht weil sie den Kopf voller Flausen hatte, wie ein abgewiesener Verehrer ihr einmal vorgeworfen hatte, sondern weil der Instinkt, der sie schon ihr ganzes Leben lang beschützte, ihr sagte, dass Max ein ehrlicher und anständiger Mann war. "Heirate mich", hatte er gedrängt, als sie endlich wieder im Dorf angelangt waren. "Jetzt, sobald wir einen Pfarrer finden." Doch sie musste zwei Tage später in London sein, um ein durch Schimmel beschädigtes Gemälde zu restaurieren, das die Tate-Galerie gerade gekauft hatte. Ihre Koffer waren bereits gepackt. Also hatten sie ihre Telefonnummern ausgetauscht, und sie hatte versprochen anzurufen, sobald sie zurück sei. Die beiden Male, als sie versucht hatte, ihn aus London zu erreichen, hatte sich nur sein Anrufbeantworter gemeldet. Jetzt war sie schon seit sechs Tagen wieder zurück, doch Max schien nach wie vor verreist zu sein. Jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, rannte sie hin, doch immer war es jemand anders. Warum hatte sie sich nur seine Adresse nicht geben lassen? "Ein Baby", flüsterte sie und berührte ihren Bauch. Er war schon immer eher rund als flach gewesen. In einigen Monaten würde sie wie ein Wasserball aussehen - und sie konnte es nicht erwarten. Liza stellte ihr Glas ab, griff nach dem Hörer und gab die Nummer ein, die sie inzwischen auswendig kannte. Mit klopfendem Herzen wartete sie auf den Klang seiner Stimme. Diesmal würde sie ihn bitten, sie anzurufen, sobald er zurückkam, auch wenn es mitten in der Nacht sein sollte.
Sie hörte ein Klicken - doch dann meldete sich eine weibliche Stimme. "Die
Nummer, die sie gewählt haben, wurde abgemeldet."
KAPITEL 1
Vier Monate später.
Während Liza auf der gynäkologischen Station des Portland General Hospital
gewesen war, um sich für die Geburt anzumelden, war die Sonne durch die
dichten Wolken gedrungen. Die Luft fühlte sich herrlich warm auf ihrer Haut an,
als sie zu ihrem Wagen auf dem Besucherparkplatz ging. Blinzelnd zog sie den
breitkrempigen Hut, den sie für alle Fälle immer in der Tasche hatte, heraus und
setzte ihn auf.
Eine mütterlich aussehende Frau, die ihr entgegenkam, verlangsamte den Schritt
und lächelte. „Falscher Alarm?" erkundigte sie sich.
Liza erwiderte das Lächeln. "Nein, nur ein Probedurchlauf."
"Keine Sorge, es wird bestimmt alles gut gehen", versicherte die Fremde, nickte
und ging weiter.
Natürlich würde es gut gehen. Sagte sie sich das nicht schon seit sechseinhalb
Monaten?
Als sie auf den Parkplatz abbog, wo sie ihren schnittigen roten Zweisitzer
abgestellt hatte, schnitt sie ein Gesicht. Ihr Wagen war zwischen einem riesigen
Lastwagen und einem der Geländefahrzeuge eingekeilt, die aussahen, als würde
sein Besitzer auf Expedition gehen. Nach zwei Minuten vergeblicher Versuche
gab sie es auf. Die Tür ihres Miata ließ sich höchstens dreißig Zentimeter weit
öffnen. Vielleicht würde ein anorektisches Supermodel hindurchpassen, aber
keinesfalls eine Frau im siebten Monat.
Sie wollte bereits nach dem Parkplatzwächter suchen, als plötzlich ein
dunkelblauer, sichtlich neuer Wagen aus einer Lücke rangierte und auf sie
zukam. Aus einem plötzlichen Impuls heraus stellte sie sich in den Weg und hob
die Hand, so dass dem Fahrer nichts anderes übrig blieb, als anzuhalten.
Der Mann hinter dem Lenkrad war groß und kräftig. Er trug eine Baseballmütze
und eine dunkle Brille.
"Entschuldigen Sie", begann Liza. "Würden Sie vielleicht so freundlich..." Im
nächsten Moment blieben ihr die Worte im Hals stecken. Max!
Max Savage bekam auf einmal keine Luft mehr.
Schwanger. Lieber Himmel, Liza war schwanger. Es konnte nur sein Kind sein.
Wenn er darüber nachdachte, hatte es ziemlich dringend geklungen, als sie ihm
zum letzten Mal eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen hatte,
aber er hatte es nicht hören wollen.
"Max, ich kann nicht glauben, dass du es wirklich bist! "Obwohl ihre leicht
heisere Stimme schwankte, konnte sie ihn immer noch bezaubern.
Zwölf Jahre als Polizist hatten Max gelehrt, sich nach allen Seiten abzusichern.
In den letzten fünf Jahren als verdeckter Ermittler im Drogenmilieu war er
häufig als Mann aus der Gosse aufgetreten. Obwohl ihm das Herz bis zum Hals
schlug, schlüpfte er jetzt automatisch in eine andere Rolle - in die eines
kaltschnäuzigen, eigensüchtigen Kerls. Eines Mannes, den Liza hassen würde.
"Hallo, Liza. Das ist ja ... eine Überraschung."
"Ich habe mehrmals angerufen." Sie runzelte die Stirn.
"Hast du die Nachrichten vielleicht nicht bekommen? Mein Anrufbeantworter
verschluckt manchmal welche."
"Doch, ich habe sie bekommen."
"Ich ... ich verstehe." Er sah, wie sie mir ihrer Enttäuschung kämpfte, und das
Herz zog sich ihm zusammen. "Hast du dir deshalb eine neue Nummer geben
lassen? Damit du nicht von einer früheren Geliebten belästigt wirst?"
Er zwang sich, mit den Schultern zu zucken. "Ich dachte, das wäre ... weniger
kompliziert."
„Schon gut, Max, ich habe verstanden." Ihre Stimme war kühl, doch Liza sah
ihn nicht an. "Ich wollte dir von dem Baby erzählen. Deinem Baby, Max."
Schützend legte sie die Hand auf den Bauch. Max musste an sich halten, sie
nicht zu berühren und an sich zu ziehen.
"Dann waren wir offenbar nicht so vorsichtig, wie wir gedacht haben."
"Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?"
"Was soll ich denn sonst sagen? Tut mir Leid, dass ich dich geschwängert
habe?"
Sie war blass geworden. "In anderen Worten, alles, was du am Mount Bachelor
über Liebe und Heiraten gesagt hast, war gelogen?"
Max umklammerte das Lenkrad fester. Verbrecher zu betrügen war ihm zur
zweiten Natur geworden. Die einzige Frau zu belügen, die ihm jemals etwas
bedeutet hatte, war eine Qual. Er zwang sich, sich zu entspannen. "Sag mir, was
die Entbindung kosten wird. Wenn du nicht versuchst, mich reinzulegen,
schreibe ich dir einen Scheck aus."
Der Schmerz in ihren Augen zerriss ihm fast das Herz. Vertrau mir, mein Engel,
flehte er stumm. Es ist nur zu deinem Besten.
"Wenn es deine Absicht war, mich zu verletzen, ist es dir gelungen." Ihre
Stimme, die ihn jede Nacht bis in seine Träume verfolgte, klang wie die von
Lauren Bacall.
"Ich will nur sichergehen, dass du begreifst, was Sache ist.“
Liza atmete tief ein. Sie strahlte eine Würde aus, die ihn zutiefst beschämte.
„Wenn das so ist, hast du sicher auch nichts dagegen, auf deine elterlichen
Rechte zu verzichten."
Max setzte eine gleichmütige Miene auf. "Absolut nichts."
„In Ordnung." Sie öffnete ihre giftgrüne Tasche und kramte nach Papier und
Bleistift. "Wenn du mir deine Adresse gibst, schicke ich dir die Papiere so
schnell wie möglich zu. Im Gegenzug hätte ich gern eine Zusammenfassung
über Krankheiten in deiner Familie."
Solange sie den Kopf gesenkt hielt, gönnte er sich den Luxus, sie ein letztes Mal zu betrachten - ihre samtige Haut, ihr welliges dunkles Haar, das ihr bis auf die Schultern fiel. Sie trug es jetzt länger als im November. Damals hatte es sich auf seiner Haut wie Seide angefühlt. "Verflixt, ich habe mein Notizbuch vergessen", sagte sie. "Hast du vielleicht ein Stück Papier bei dir?" Er unterdrückte ein Lächeln. "Schreib einfach an die Zentrale der Polizei Portland", sagte er kalt. „Als ich dich telefonisch nicht erreichen konnte, habe ich in der Personalabteilung angerufen. In drei verschiedenen Abteilungen, um genau zu sein. Drei sehr unfreundliche Beamte haben jeweils geschworen, noch nie von dir gehört zu haben." Herablassend blickte er sie, an. "Personalpolitik. Mitarbeiter der Behörde geben niemals Informationen an Zivilisten heraus." "Zivilisten, mit deren Steuergeldern dein Gehalt bezahlt wird", entgegnete sie spitz. "Ich würde sagen, das gibt uns das Recht zu erfahren, wen wir zu unserem Schutz eingestellt haben." Ungeduldig stopfte sie Broschüren über Babypflege in ihre Tasche zurück. In ihrer Entrüstung war sie unwiderstehlich. Ihr Mund konnte einen Mann alles andere vergessen lassen. Jedenfalls die meisten Männer. Voll Bitterkeit erinnerte sich Max daran, welchen Weg er gewählt hatte. Er musste von hier weg, ehe er etwas Unüberlegtes tat und die einzige selbstlose Handlung in seinem Leben zunichte machte. "Würdest du mich jetzt vielleicht vorbeilassen? Ich habe noch etwas vor." Er legte den Gang ein. "Warte!" rief sie. "Ich habe ganz vergessen, warum ich dich aufgehalten habe. Irgendein Idiot in einem Geländewagen hat mich so eingeparkt, dass ich nicht in mein Auto komme." Max musste an sich halten, um nicht zu lachen. "Wenn ich dich so betrachte, hast du tatsächlich ein Problem." „Aber du nicht. Könntest du meinen Wagen vielleicht aus der Lücke rangieren?" "Tut mir Leid." Max hasste sich und die ganze Welt. "Du musst dir einen anderen guten Samariter suchen. Ich bin schon spät dran, und die Dame hat es nicht gern, wenn man sie warten lässt." Er vergewisserte sich, dass Liza in sicherer Entfernung war, und trat dann aufs Gas, dass die Reifen quietschten. Das Heck brach aus, als er mit unverminderter Geschwindigkeit aus dem Parkplatz auf die Straße schoss. Automatisch fuhr er durch Straßen, die er seit seiner Zeit als Streifenpolizist in- und auswendig kannte, und bog schließlich nach Westen ab, bis er in einer Sackgasse über einer Schlucht zum Stehen kam. Zu seiner Erleichterung war sonst niemand da. Er stellte den Motor ab und starrte ins Grüne, doch vor seinem inneren Auge sah er nur Lizas blasses Gesicht und die Augen, aus denen jeder Glanz gewichen war.
Er hatte sie tief verletzt. Sie erwartete sein Kind, und er hatte sie kaltschnäuzig und absichtlich gedemütigt. Dass ihm nichts anderes übrig geblieben war oder dass er zu ihrem Besten gehandelt hatte, half ihm auch nicht. "Liza, mein Liebling", flüsterte er. "Es tut mir so Leid." Du wirst jemand anders finden, hätte er ihr gern gesagt. Jemand, der dich so liebt, wie du es verdienst. Jemand, der dein Kind als seines großzieht. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt, als er daran dachte, dass er sein Kind niemals auf dem Arm haben würde. Dass er sich nachts niemals an Liza würde kuscheln können, wenn ihn Erinnerungen an seine Vergangenheit wach hielten. Dass er niemals wieder den Duft ihrer Haut atmen oder ihr ansteckendes Lachen hören würde. Für jeden Mann gab es einen Punkt, an dem er nicht mehr konnte. Viele Kollegen von Max behaupteten, dass es für ihn diesen Punkt nicht gäbe. Noch vor einem halben Jahr hätte er dasselbe gesagt, jetzt wusste er es besser. Er verschränkte die Arme auf dem Lenkrad, legte den Kopf darauf und weinte.
KAPITEL2 Liza war ganz verliebt in ihr kleines viktorianisches Haus auf dem Mill Works Ridge. Schon nach einem Monat hatte sie das Gefühl, von einer großen, lebhaften Familie adoptiert worden zu sein. Die vier Nachbarinnen, die sich selbst als die "Mütterbrigade" bezeichneten - Prudy Randolph, Stacy MacAuley, Ruth Paxton und Maddy Jarrod -, waren wie Schwestern zu ihr. Sie munterten Liza auf, wenn die Angst vor der Geburt sie quälte, hörten ihr zu, wenn sie traurig war, und trösteten sie, als ihr einstmals schlanker Körper zu gewaltigen Ausmaßen aufquoll. Die dazugehörigen Ehemänner schlüpften in die Rolle großer Brüder und nahmen ihr die anstrengenden Arbeiten ab. Einer baute eine überdachte Veranda, damit die kleinen Gäste ihrer Tagesstätte auch bei Regen spielen konnten, ein anderer brachte ihren Wagen in die Inspektion. Die Frauen waren ganz begeistert gewesen, als sie von Lizas beruflichen Plänen gehört hatten, denn alle vier arbeiteten außer Haus. Stacy war Lehrerin an einer Vorschule, Maddy hatte gerade als Berufsberaterin an der High School angefangen, Ruth führte ihren eigenen Buchladen in der Stadt, und Prudy arbeitete als Krankenschwester. Erst letzte Woche hatte sie Liza mit zwei Kolleginnen bekannt gemacht, die einen Platz für ihre Vorschulkinder suchten. Schon jetzt waren zehn Kinder angemeldet, und Liza wusste, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte, wie sie den Lebensunterhalt für sich und ihr Baby verdienen sollte. Wegen der Hitze stand die Tür zum Haus der Randolphs offen, doch das Gitter, das die Insekten abhalten sollte, war geschlossen. Liza drückte auf die Klingel. "Prue, ich bin's!" rief sie. "Komm einfach rein!" rief Prudy. Ihre Stimme klang gedämpft und eindeutig gestresst. "O Mist, ich hab vergessen, dass ich den Haken der Gittertür
eingehängt habe, als ich vorhin hereinkam. Moment noch, Liza, ich bin gleich da." Kurz darauf erklang Musik im Haus. Dann hörte Liza das Klappern von Prudys Sandalen auf dem Kachelboden der Waschküche. "Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat", entschuldigte sie sich. "Chloe ist auf der Geburtstagsfeier einer Freundin, und ich dachte, die Gelegenheit wäre günstig, Lilys Haare zu schneiden. Nachdem Lily es hasst, still zu sitzen, habe ich sie mit einem neuen Video geködert ... Lieber Himmel, Liza, du siehst ja fürchterlich aus!" Liza schnitt ein Gesicht. "Das ist nicht direkt das Wort, das ich gewählt hätte. Eher wie vom Donner gerührt - ein Zustand, der intelligente Erwachsene hin und wieder befällt - vor allem wenn sie überwiegend mit Kleinkindern zu tun haben." Prudy lachte, öffnete die Tür und trat zur Seite, damit die inzwischen sehr umfangreiche Liza vorbeikonnte. "Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du nicht das geringste Talent zur Lügnerin hast?" Liza seufzte. Manchmal hatte sie es so satt, immer mutig, unabhängig und gut drauf sein zu müssen. Vor allem Letzteres. "Du hast Recht, Prue. Mir geht's nicht besonders. " "Dann setz dich erst einmal hin, und leg die Füße hoch. Ich kann dir Limonade, Milch oder Traubensaft anbieten. " "Limonade, bitte." Inzwischen kannte sie sich gut genug in Prudys Haus aus, um die Gläser aus der Anrichte zu holen. "Sagst du mir freiwillig, was dir einen solchen Schock versetzt hat, oder muss ich es aus dir herausfragen?" erkundigte sich Prudy, als sie mit einem Krug zurückkam. "Hast du vielleicht Schokoladenkekse da?" entgegnete Liza, anstatt zu antworten. "Leider nicht. Carl hat meinen Geheimvorrat letzte Nacht entdeckt und restlos verputzt. Ich kann dir höchstens die kümmerlichen Reste der Butterplätzchen vom letzten Wochenende anbieten. Sie sind in der Dose da drüben. " Liza nahm sich eine Hand voll heraus. "Wo ist dein Göttergatte überhaupt?" "In der Stadt. Er hat dieses Wochenende Dienst. Wenn er es nicht vergisst, bringt er uns heute Abend etwas aus der neuen Pizzeria neben dem Revier mit." Prudy stellte den Krug mit Limonade wieder in den Kühlschrank, während Liza die Plätzchen auf einen Teller legte und zum Tisch trug. Dankbar nahm Liza das Glas entgegen, das ihre Freundin ihr reichte. "Als ich vorhin von der Voruntersuchung aus der Klinik kam, bin ich auf dem Parkplatz dem Vater meines Babys begegnet." Prudy machte große Augen. "Das musst du mir genauer erzählen." Liza stärkte sich mit einem Schluck Limonade und berichtete dann, wie sie Max aufgehalten hatte, um ihn um einen Gefallen zu bitten. "Nachdem er mir unmissverständlich erklärt hatte, dass er sich weder für mich noch für unser
Kind interessiert, fuhr er einfach davon und ließ mich einfach stehen, während sein Sohn mir von innen gegen den Bauch trat." "Nur schade, dass er nicht gegen einen Pfosten gefahren ist", meinte Prudy. "Beinahe hätte er es getan. Kein Zweifel, er wollte so schnell wie möglich weg von mir." "Was das elterliche Sorgerecht angeht - die Paxtons hatten einen sehr guten Anwalt, als sie Morgana adoptierten. Wenn ich mich recht erinnere, ist seine Kanzlei ganz in der Nähe. Raine wird dir sicher gern seine Adresse geben." "Danke. Ich gehe nachher auf dem Heimweg bei ihr vorbei." Lizas Rücken schmerzte, und sie versuchte, eine bequemere Stellung zu finden. "Hättest du nicht Lust, heute Abend auf eine Pizza herüberzukommen? Carl bringt immer mehr mit, als wir aufessen können." „Kann ich dir später Bescheid sagen? Meine Eltern sind auf Reisen und haben versprochen, heute irgendwann anzurufen. " "Aber klar." Prudy streckte die Hand aus und berührte sie am Arm. "Es tut mir Leid, dass er sich so gemein verhalten hat. Hoffentlich weißt du, dass wir immer für dich da sind. Dein Baby wird je vier liebevolle Tanten und Onkel sowie zahllose Vettern und Kusinen haben." Liza nickte. "Dafür bin ich sehr dankbar. Ich weiß auch, dass man nicht alles haben kann. Allerdings fällt es mir nicht immer leicht, mich daran zu erinnern, wenn ich euch alle sehe." "Das verstehe ich. Aber vergiss nicht - Maddy war gerade von ihrem Mann verlassen worden, als sie kurz vor der Geburt ihres Babys hierher zog. Jetzt ist sie so glücklich, dass sie mit ihren strahlenden Augen ein ganzes Zimmer erhellen könnte, und Luke geht es genauso. Manchmal ist es richtig peinlich, mit den beiden zusammen zu sein." "Er ist wirklich ganz vernarrt in sie", stimmte Liza lachend zu. „Auch für dich wird noch der Richtige kommen - du musst es nur fest genug wollen." Wollte sie es? Sechs Monate lang hatte sie auf Max gewartet. Nachts hatte sie von ihm geträumt, tagsüber darauf gehofft, dass er zur Tür hereinkam. Sie hatte sich vorgestellt, wie seine grauen Augen vor Glück leuchteten, weil sie und ihr Sohn auf ihn warteten. Manchmal hatte sie ihr Kissen umarmt und sich vorgestellt, es wäre Max. Manche Träume brauchen lange, bis sie vergehen, doch irgendwann ist es vorbei, dachte sie. "Ganz gleich, was ich tun muss - ich will Max Savage vergessen haben, bis das Baby kommt", schwor sie sich laut. Anstatt wie erwartet zu lachen, blickte Prudy Liza mit einem schwer zu enträtselnden Ausdruck in den Augen an. "Nur um sicherzugehen, dass ich dich nicht missverstanden habe - der Kerl, den wir in alle Ewigkeit hassen wollen, heißt Max Savage?" Liza nickte. "Warum schaust du denn so überrascht? Ich habe seinen Namen doch bestimmt schon einmal erwähnt. "
"Mir gegenüber bestimmt nicht. Du hast mir nur erzählt, wie ihr euch kennen gelernt habt und dass die Beziehung kein glückliches Ende genommen hat. Wir hatten alle das Gefühl, dass du nicht darüber reden wolltest, und haben dich deshalb nicht ausgefragt." "Dafür bin ich euch auch sehr dankbar." Prudy nahm ihr Glas hoch, stellte es jedoch wieder ab, ohne daraus zu trinken. "Dieser Max Savage ist nicht zufällig Polizist in Portland?" Liza erschrak. "Prue, bitte sag jetzt nicht, dass Max Carls bester Freund ist." "Nein, keineswegs", versicherte Prudy hastig. "Aber ich bezweifle, dass es bei der hiesigen Polizei zwei Männer namens Max Savage gibt." Prudy verstummte und kniff die Augen zusammen. "Irgendetwas stimmt hier nicht. Warum weißt du nicht Bescheid? Es stand doch in allen Zeitungen." "Was stand in den Zeitungen?" Prudy atmete tief ein und langsam wieder aus. "Es ist direkt nach dem Erntedankfest passiert. Max arbeitete als verdeckter Ermittler. Irgendetwas war schief gegangen, und er wurde von zwei Kugeln in den Rücken getroffen. Ich hatte Dienst, als er in die Klinik eingeliefert wurde. Er musste zwei Mal reanimiert werden." "O nein!" Liza wurde heiß und kalt zugleich. "Ich war bereits nach England abgereist. Erst am dritten Januar bin ich zurückgekommen." Prudy fügte behutsam hinzu: "Durch die Schüsse wurde sein Rückenmark verletzt. Er ist von der Hüfte abwärts gelähmt. Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, saß er im Rollstuhl. Soviel ich weiß, hat sich daran nichts geändert." Max lag keuchend auf dem Rücken und starrte auf die Hanteln, die er eben in die Halterung gewuchtet hatte. Vermutlich war es ein Fehler, noch einmal fünf Kilo draufzupacken, dachte er, als er sich mit dem um seinen Hals gewickelten Handtuch den Schweiß vom Gesicht wischte. In Brust und Armen bebte jeder einzelne Muskel. Sogar die Bauchmuskeln schmerzten. Man hatte ihn gewarnt, dass es noch schlimmer werden würde, wenn er anfing, auf Krücken zu gehen. Bei seinen langen Beinen würden die Schienen, die er tragen musste, jeweils fünf oder sechs Kilo wiegen, vielleicht sogar mehr. Die Verletzung und die nur langsam verlaufende Genesung hatten ihn unendlich viel Kraft gekostet. Trotz täglicher Therapie und Gymnastik hatte er kaum etwas dazugewonnen. Schon ein oder zwei Tage nach der Entlassung aus der Rehabilitationseinrichtung war ihm klar geworden, dass das dort Gelernte für den Alltag völlig unzureichend war. Ganz gleich, was die fast unangenehm gut gelaunten Therapeuten predigten - das Leben als Gelähmter war verflixt schwierig. Auch wenn er langsam wieder zu Kräften kam, war es immer noch eine gewaltige Anstrengung, sich von der Kraftbank hochzurappeln und in die Dusche zu gelangen. Mit zusammengebissenen Zähnen presste er eine Hand
gegen seinen schmerzenden Bauch und setzte sich auf. Er hatte seinen Rollstuhl gerade so gedreht, dass er sich hineinschwingen konnte, als es klingelte. Auf der anderen Seite der Tür schlug Lizas Herz bis zum Hals. Sie war zwei Mal um den Block gefahren, bis sie den Mut gefunden hatte, auf den Parkplatz vor Max' Wohnblock einzubiegen. Nachdem Carl ihr die Adresse gegeben und sie mit den besten Wünschen für einen glücklichen Ausgang umarmt hatte, hatte sie zwei Tage gebraucht, um sich auf das Wiedersehen vorzubereiten. Einfach würde es nicht werden. Nach allem, was Carl von Max' Kollegen gehört hatte, hatte er die Beziehungen zu allen früheren Freunden abgebrochen. Selbst zu seiner Familie in Seattle verweigerte er den Kontakt. "Er leidet, Liza", hatte Carl sie gewarnt. "Und verwundete Tiere sind gefährlich." "So wie werdende Mütter", flüsterte sie dem zappelnden Hundebaby auf ihrem Arm zu. In diesem Augenblick ging die Tür auf und gab den Blick auf einen großen Mann im Trainingsanzug frei, der finster dreinblickte. Auf den Rollstuhl war Liza gefasst gewesen. Dieser hier war dunkelblau und schnittig. Eines jener leichten Modelle, von denen sie schon gelesen hatte. Ein- und Aussteigen war angeblich sehr einfach. Dennoch war es ein Rollstuhl. Eine sichtbare Erinnerung an die Behinderung des Besitzers. Die großen Füße auf der Fußstütze steckten in dicken Sportsocken, deren Sohlen noch immer blütenweiß waren. Offenbar hatte Max gerade trainiert, denn sein dichtes blondes Haar war feucht, und die Enden ringelten sich um seine Stirn. In das geliebte markante Gesicht hatten sich Falten gegraben, die vor einem halben Jahr noch nicht da gewesen waren. Seine finstere Miene war ebenso bedrohlich wie sein Sex-Appeal. „Wag es ja nicht, mir die Tür vor der Nase zuzumachen", warnte sie, als sie seinen Blick sah. „Gib es auf, Liza." Es sollte wohl schroff klingen, doch seine Stimme wirkte nur müde. "Hier ist nichts für dich zu holen." "Dafür habe ich etwas für dich." Ehe sie den Mut verlor, setzte sie den pummeligen Schäferhundwelpen auf die Schwelle. Dieser nutzte die Gelegenheit sofort, schoss an Max vorbei und verschwand in der Wohnung. „He!" brüllte Max und drehte seinen Stuhl. "Verflixt, Liza, er ... er hat gerade auf den Boden gepinkelt." Seine Entrüstung wirkte so komisch, dass sie herausplatzte. "Es ist kein Er, sondern eine Sie. Ich habe sie Tilly genannt, aber du kannst sie natürlich umtaufen. Sie ist ein Geschenk für dich." „Das kommt gar nicht infrage. Nimm das Vieh wieder mit." Liza setzte ein fröhliches Lächeln auf. "Wenn du sie nicht willst, bring sie einfach zum Zwinger zurück. Ich bin sicher, dass man eine Woche abwartet, ob
sich ein Besitzer für die jungen Hunde findet, ehe man ... Du weißt schon." Sie fuhr sich mit der Handkante über die Kehle. Er funkelte sie an. Das Kinn hatte er trotzig gehoben. "Wenn das ein Spiel sein soll..." "Kein Spiel. Tilly ist ein Geschenk von Boomer und mir." Sie strich sich über den Bauch. Zum Glück merkte Max nicht, dass ihre Hand zitterte. Sein Blick folgte ihrer Bewegung. Ein rascher Wimpernschlag war die einzige Regung, die sie entdecken konnte. "Dein Baby wird übrigens ein Junge. Jedenfalls sieht es auf dem Ultraschall ganz danach aus. Ob er ein guter Skiläufer wird, wird sich noch zeigen, aber ein begnadeter Fußballer ist er jetzt schon. Außerdem hat er ausgesprochenes Talent für Akrobatik." Seine Miene wurde so traurig, dass es Liza schier das Herz zerriss. Beinahe verließ sie der Mut, doch dann erinnerte sie sich daran, was auf dem Spiel stand. "Tut mir Leid, dass ich nicht bleiben kann", sagte sie gleichmütig. "Boomer und ich haben noch einiges zu erledigen." Ehe er ihre Absicht erraten konnte, lehnte sie sich vor und küsste ihn auf den Mund. Er atmete hörbar aus, und seine Schultern zuckten. „Alles Gute, Max", sagte sie und richtete sich auf. „Ach, beinahe hätte ich etwas vergessen. Deinem Sohn und mir ist es völlig egal, ob du laufen kannst oder nicht. Wir lieben dich so, wie du bist." Sie wandte sieh ab und rannte zum Parkplatz, so schnell sie konnte. Hinter sich hörte sie einen Fluch und dann das Knallen einer Tür. "Das war alles?" fragte Stacy McAuley. Ihre grünen Augen unter der Baseballkappe blickten ungläubig. "Du bist einfach gegangen?" „Liza reichte dem kleinen Oliver Jarrod den Beißring, den er gerade auf den Tisch hatte fallen lassen, lehnte sich vor und tat so, als wollte sie in seine plumpen kleinen Fuß beißen. Ollie kreischte und trat gegen die Polsterung seines Hochstuhls. "Davongelaufen ist wohl treffender", meinte Liza und lehnte sich gegen das Kissen. "Ansonsten stimmt es. Ich bin in meinen Wagen gestiegen, ganz ruhig losgefahren, habe an der nächsten Tankstelle gehalten und dort alles erbrochen, was ich seit gestern gegessen hätte." Heute war der Abend, an dem sich die Männer bei den Paxtons trafen, Zigarren rauchten und einander mit den unglaublichsten Geschichten zu übertrumpfen versuchten. Die Frauen und Kinder hätten sich bei Liza versammelt. Während die Kinder einen Videofilm ansahen, taten sich die Mütter auf der Terrasse an Fastfood gütlich. "Du meinst also, ein kleiner Hund würde ihn aus seiner Depression reißen?" fragte Stacy und tauchte einen Kartoffelchip in Ruths weltberühmten Krabbendip mit Pfefferkörnern. „Das ist zumindest Teil meines Plans", antwortete Liza. „Außerdem habe ich jetzt einen Grund, ihn wieder zu besuchen. Schließlich möchte ich wissen, wie es Tilly geht. Vielleicht bringe ich ihr ein Spielzeug."
Stacy zog die Augenbrauen hoch. "Und dann?" "Kommt drauf an. Wahrscheinlich muss ich improvisieren." Liza schob sich ein Stück Tortilla in den Mund. „Verführung ist immer wirkungsvoll", steuerte Ruth mit schalkhaftem Lächeln bei. Liza stöhnte auf. Vor ihrem inneren Auge sah sie plötzlich Max' nackten Körper vor sich. "Ich frage mich, ob kalte Duschen wirklich funktionieren", sagte sie, denn ihre Haut schien plötzlich in Flammen zu stehen. Maddy lachte. "Wenn du es wirklich wissen willst nein." Als das Lachen abebbte, räusperte sich Prudy. "Es ist möglich, dass Max nicht nur seine Beine nicht mehr bewegen kann", sagte sie vorsichtig. "Hast du darüber nachgedacht, wie es sein würde, mit einem Mann verheiratet zu sein, der nicht mit dir schlafen kann?" Die Atmosphäre war plötzlich angespannt. "Seit du mir gesagt hast, was mit Max passiert ist, kann ich an nichts anderes mehr denken. Ich habe mir vorgestellt, wie ein Mann, der für die Bewegung lebte, mit dieser Einschränkung fertig wird. Ich bin so selbstsüchtig, dass ich ihn in mir spüren möchte, aber wenn das nicht möglich ist, werde ich mich nicht von ihm abwenden. Das, was er mir geben kann, wird mir genügen." "Du liebst ihn so sehr?" fragte Maddy sanft. Liza nickte. "Er ist so männlich, so ... stark. Und dennoch kann er so unglaublich sanft sein. Als ich in jener ersten Nacht in der Berghütte schreiend aufwachte, weil ich geträumt hatte, unter einer Lawine begraben zu sein, war er so lieb und zärtlich..." Sie spürte, dass ihr Tränen in die Augen stiegen und blinzelte ein paar Mal. "Es ist mir gleich, ob wir Sex haben, miteinander tanzen oder Ski fahren können. Ich will, dass er mich in die Arme nimmt und mich tröstet, wenn ich Angst habe." Ihre Stimme brach, und sie griff nach einem Taschentuch. In diesem Moment klingelte das schnurlose Telefon, das Liza im Regal aufbewahrte. Prudy, die am nächsten saß, stand auf und reichte es Liza. Diese räusperte sich und atmete tief durch. Wahrscheinlich ihr Vater. Er durfte auf keinen Fall merken, dass sie geweint hatte. "Hallo, hier ist Liza", sagte sie fröhlich. "Und hier ist der Mann, der dir den hübschen Hals umdrehen wird, wenn du nicht sofort hierher kommst und diesen so genannten Hund aus meiner Wohnung entfernst!" Ehe sie antworten konnte, hatte Max bereits wieder aufgelegt.
KAPITEL3 Es war schon fast halb neun, als Liza vor Max' Haus hielt. Sein Wagen stand auf einem der Behindertenparkplätze in der Nähe des Eingangs.
Nachdem sie den Motor abgestellt hatte, blieb sie noch eine Weile ruhig sitzen, bis sich ihre Nervosität gelegt hatte. Der Mann, der sie vor der Klinik so gedemütigt hatte, litt, hatte Angst und fühlte sich hilflos. Dennoch war er immer noch der gleiche Mann, der sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um sie, eine völlig Fremde, vor der Lawine zu retten. "Ich muss Geduld und Verständnis haben, Boomer", murmelte sie, als sie sich am Lenkrad vorbeizwängte und ausstieg. Die Sonne ging gerade hinter einer Piniengruppe zwischen diesem und dem Nachbarhaus unter, als Liza auf die Klingel drückte. „Es ist offen!" rief Max. Besonders freundlich klang es nicht. Die Arme vor der breiten Brust verschränkt, saß er in seinem Rollstuhl und beobachtete sie - ein distanzierter Fremder, der trotz seiner Reglosigkeit von einer Aura ruheloser Vitalität umgeben war. Er wirkte noch größer als in ihrer Erinnerung. Geradezu bedrohlich groß. Er hatte die Augen zusammengekniffen. Von den darin tanzenden Funken, die sie so vermisst hatte, war nichts mehr zu sehen. So, wie er sie ansah, rechnete sie damit, dass er jeden Moment sagen würde, sie habe das Recht, sich einen Anwalt zu nehmen. Ansonsten könne jedes ihrer Worte gegen sie verwendet werden. Nicht besonders viel versprechend, dachte sie, als sie die Tür hinter sich schloss. Andererseits hatte er sich inzwischen rasiert. Sein Haar war frisch gewaschen und aus dem Gesicht gekämmt. Er trug ein Polohemd und eine Baumwollhose mit messerscharfer Bügelfalte. Seine Füße steckten in ledernen Mokassins, die sie immer schon sehr sexy gefunden hatte. Was sexuelle Ausstrahlung anging, verdiente Max Savage auf einer Skala von eins bis zehn bei zurückhaltender Bewertung die Note zwanzig. "Wie befohlen, bin ich sofort gekommen, Sir", begrüßte sie ihn. Er verzog keine Miene. "Dein Geschenk ist im Bad." Wie aufs Stichwort begann der kleine Hund zu fiepen und dann zu bellen. Bemüht, ihre Enttäuschung nicht zu zeigen, sah sich Liza um. Max' Wohnzimmer war zwar nicht groß, aber geschmackvoll in Chrom und Leder eingerichtet. An den Wänden hingen schöne Drucke, die offenbar jemand mit einem Gefühl für Raum und Proportionen arrangiert hatte. Eine schöne Mischung aus Farben und Themen, dachte sie. Beruhigend, aber nicht eintönig. Liza hatte ihr ganzes bisheriges Leben mit Künstlern verbracht und dabei gelernt, dass die Vorlieben eines Menschen für Kunst viel von seiner Seele verrieten. Kein Zweifel, Max war ein tiefgründiger, romantischer Mensch mit starker Sinnlichkeit. "Wenigstens sind ihre Lungen gesund", stellte sie fest, als das Bellen lauter wurde. "Das hält sie stundenlang durch", erklärte er. Man konnte nicht direkt behaupten, dass er lächelte, weil das Grübchen in seiner Wange sich nicht zeigte, aber böse war seine Miene auch nicht gerade. Der Instinkt sagte Liza, dass er keineswegs so ungerührt war, wie er tat.
"Tilly will nicht allein im Bad bleiben sondern mit dir zusammen sein." Liza stellte ihre Tasche auf einem braunen Lehnsessel aus Leder ab und ging auf ihn zu. "Dieser Wunsch ist absolut einseitig", knurrte er. "Das Vieh raubt mir den letzten Nerv." Er deutete auf den Kamin, vor dem Zeitungen ausgebreitet waren - ein Anzeichen dafür, dass er bereits versuchte, seine vierbeinige Hausgenossin stubenrein zu machen. Unter der Couch lag ein durchgekauter Laufschuh neben einem Gummispielzeug, das sie beinahe selbst für Tilly gekauft hätte. Daneben entdeckte sie verschiedene Lederfetzen. Eigenartig, der Hund hatte aufgehört zu bellen. Offenbar wusste er, dass jetzt Wohlverhalten angesagt war. Unter Max' kritischem Blick stupste Liza einen der Fetzen mit dem Fuß an. Diese Ecke hier erinnerte entfernt an einen Kragen. "Sag bloß nicht, Tilly hat deine Lieblingsjacke aufgefressen." Max nickte. "Diese Jacke war ein Geschenk meines Großvaters. Er hat sie im Krieg getragen, als er Angriffe auf Japan flog." Er sprach jedes Wort überdeutlich aus. "Man könnte sagen, sie ist unersetzlich." Liza wurde schwer ums Herz. Auch sie bewahrte einige Erinnerungsstücke in einer Hutschachtel auf, darunter eine silberne Bürste, die ihre Großmutter verwendet hatte, wenn sie ihr als Kind Zöpfe flocht, und den Rosenkranz ihrer Patentante. Wenn sie eines davon verlor, würde sie auch traurig sein. "Das tut mir wirklich Leid, Max. Tilly ist eben noch ein Baby und damit etwas ungestüm.“ Max sah die Tränen in ihren Augen und fühlte sich schäbig. Es stimmte, dass die Jacke etwas Besonderes für ihn gewesen war, aber Liza hatte Recht. Der Hund konnte nichts dafür, dass Max als Kind nie ein Tier gehabt hatte und daher auch nicht wusste, dass Tiere genauso wie Menschen zahnten. Max hatte einen ganzen Schrank voll mit Sachen, die er nie wieder brauchen konnte - zum Beispiel einen nagelneuen Baseballhandschuh. Er hatte ihn erst einen Tag bevor die Schüsse ihn trafen gekauft. Den hätte Tilly gern kauen können. Stattdessen hatte sie sich über seine Lederjacke hergemacht und ihn dann zu allem Überfluss noch in die Zehen gebissen, während er schlief. Da er seine Beine nicht fühlen konnte, hatte er ihre scharfen kleinen Zähne gar nicht gespürt. Wie schon so oft seit dem Unfall versank er in Bitterkeit. In dieser Stimmung war er eine Zumutung für andere Menschen, vor allem für diese Frau, die ihn voller Liebe ansah. So gern er es geändert hätte - der Max Savage, den Liza liebte, existierte nicht mehr. Sie wollte es nur nicht sehen, weil sie loyal, störrisch und warmherzig war. "Ich wollte meinen Zorn nicht an dir auslassen", entschuldigte er sich. "Es war einfach ein harter Tag." "Wie wäre es, wenn ich dir eine neue Jacke kaufe? Natürlich wird es nicht die gleiche sein, aber du kannst sie mit deinen eigenen Erinnerungen ausstatten und
sie dann an Boomer weitergeben, der sie irgendwann an seinen Sohn vererben wird." "Ich will keine Jacke, Liza. Darum geht es nicht." Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er war so sicher gewesen, dass sie ihn hassen würde, nachdem er sie vor dem Krankenhaus so mies behandelt hatte. Ganz bewusst blickte er auf seine Beine hinunter. Für den Rest seines Lebens würde er an diesen Stuhl gefesselt sein. Bestenfalls würde er sich auf Schienen dahinschleppen. Ein Mann, den man bemitleidete. Einige seiner früheren Freunde und Kollegen gingen ihm jetzt aus dem Weg, weil sie nicht daran erinnert werden wollten, dass ihnen jederzeit das Gleiche passieren konnte. Auch sie konnten zum Krüppel werden, der die belanglosesten Dinge neu lernen musste. Denk daran Savage, ermahnte er sich, wenn du in Versuchung gerätst, nach dem zu greifen, was Liza dir anbietet, und nie wieder loszulassen. Denk daran, wie du im Krankenhaus in die Hose gepinkelt hast, weil du nicht schnell genug auf die Toilette gekommen bist. Diese Demütigung konnte sich jederzeit wiederholen. Das durfte er nie vergessen. "Ich weiß, dass du es gut gemeint hast, Liza", sagte er", aber ein junger Hund braucht mehr Zeit, als ich ihm geben kann." „Tilly ist ein Hundemädchen", verbesserte sie automatisch und bückte sich, um die Fellpuppe aufzuheben, die ihm der Mann im Laden wärmstens empfohlen hatte zusammen mit anderen Sachen für über hundert Dollar, die der verflixte Köter beharrlich ignorierte. "Tilly ist ein sehr lieber Hund, Max", sagte sie und richtete sich unbeholfen wieder auf. "Sie ist einfach noch ein bisschen verspielt, aber..." "Nein, Liza. Tilly braucht jemand, der mit ihr spazieren geht oder Frisbee spielt. Einen gesunden Menschen, der dafür sorgen kann, dass sie nicht unter ein Auto läuft." Er zögerte und setzte hinzu: "Das Gleiche, was ein Kind braucht." "Und?" Allmählich war er mit seiner Geduld am Ende. Diese Frau war ebenso stur wie bewundernswert. "Dieser Mensch bin ich nicht. Ich bin es jetzt nicht und werde es niemals sein." "Natürlich bist du das. Nur weil du nicht laufen kannst, bist du als Mensch nicht weniger wert. Oder als Mann." Max schnaufte verächtlich und schnitt ein Gesicht. "Das glaubst du doch selbst nicht." Jetzt war er wieder in seine frühere Rolle als Mackie Messer, der verdeckte Ermittler, geschlüpft. Störrisch ist er, dachte Liza. Und stolz. Eine nicht ganz einfache Kombination. "Also gut." Geschützt durch ihren riesigen Bauch, ging sie langsam auf ihn zu. Wie zur Ermutigung versetzte Boomer ihr einen kleinen Tritt. "Obwohl du den Beweis für das Gegenteil hast, bin ich keine Frau, die auf Anhieb mit einem Mann ins Bett steigt. Mit dir habe ich es getan, weil ich mich etwa fünfzehn Sekunden nach unserer etwas stürmischen Begegnung in dich verliebt habe. Weißt du, warum? Weil ich einen Mann sah, der nicht nur schöne Augen hat, sondern anständig und gütig ist. Selbst wenn wir auf der Hütte
keinen Sex gehabt, sondern einfach so zusammen geschlafen hätten, hätte ich dich geliebt." Max schloss einen Moment die Augen und ließ die Schultern sinken. Als er sich wieder aufrichtete, war die Wut aus seinem Blick gewichen. Die Kälte, die sie jetzt darin las, war schlimmer. "Es hat keinen Zweck, Liza. Der Himmel weiß, dass ich dir nicht wehtun wollte, aber ich habe es getan." "Ich verstehe doch…“ "Nein, das tust du nicht. Niemand, der einfach aufstehen und ohne zu überlegen durchs Zimmer laufen kann versteht, wie ich mich fühle." "Dann sagen wir, ich kann es nachempfinden." Er verzog den Mund. "Dann empfinde mal Folgendes nach: Ich hasse es, so leben zu müssen. Ich hasse die Einschränkungen und die endlosen Komplikationen." Er schlug sich auf den Schenkel. "Jeden Morgen, wenn ich aufwache sage ich mir vor, dass ich heute etwas spüren werde. Heute werde ich meine Zehen bewegen oder etwas fühlen können. Irgendetwas. " "Wenn nicht heute, dann morgen", erklärte sie bestimmt. "Und wenn es nie passiert?" "Dann werden wir gemeinsam um das trauern, was du verloren hast, und uns ein neues Leben aufbauen." Er stieß ein unfeines Wort aus. "So etwas kommt nur im Märchen vor, Liza. Im wirklichen Leben beginnt der Prinz die Prinzessin zu hassen, weil sie Wünsche in ihm weckt, die nicht erfüllt werden können." "Was ist mit den erfüllbaren Wünschen? Eine Frau, der du alles bedeutest, und ein Sohn, der dich lieben wird, weil du groß und mutig bist und komische Geschichten erzählen kannst? Eine Familie, Max. Unsere Familie, genau wie wir es geplant hatten." Verzweifelt kniete sie sich vor ihn und umfasste seine Hände. "Max, bitte hör mich an. Was wir auf der Berghütte erlebt haben, war wie Magie. Wir haben nicht nur miteinander geschlafen, sondern auch unsere Seelen haben sich berührt. In diesem Augenblick, sind wir jeder ein Teil des anderen geworden. Was dir wehtut, verletzt auch mich. Wenn du traurig bist, bin ich es ebenfalls. Doch ich kann auch meinen Optimismus und meine Kraft an dich weitergeben, wenn deine nachlässt." Er schüttelte heftig den Kopf. "Nein! " rief er. "Lass mich bei dir sein. Ich will dich an meiner Seite haben, wenn unser Baby zur Welt, kommt. Wir werden uns ein Leben aufbauen." "Das sagst du jetzt, aber wie wird es in einem Jahr aussehen? Ein Jahr mit einem Mann, der nicht nur keine Kinder mehr zeugen, sondern nicht einmal mit dir schlafen kann?“ „Ich hätte lieber einen Mann der mich mit seinen Händen, seinem Mund und seinem Herzen liebt, als einen, der mich nur zur Befriedigung seiner eigenen Lust benutzt." Aus seinem Blick sprach ein Gefühl, das sie zu überwältigen drohte. "Nein, Liza, nein."
"Doch, Max. Siehst du es denn nicht? Zusammen sind wir stärker als allein.
Zusammen sind wir unbesiegbar."
Seine Brust hob und senkte sich heftig. Er zog seine Hand unter ihrer weg und
umfasste ihr Gesicht. Das Herz tat ihr weh, als sie spürte, wie diese Hand
zitterte. "Du ahnst nicht, wie sehr ich mir wünsche, ich wäre wirklich der Mann,
für den du mich hältst", stieß er hervor. "Aber ich bin es nicht. Vielleicht war ich
es nie. "
Von neuem umfasste sie seine Hand. Wie herrlich es war, seine Haut wieder zu
spüren. "Du hast Angst. Das ist verständlich, aber..."
"Verdammt, Liza, ich bin gelähmt!" rief er und zog seine Hand weg. „Ich kann
kaum selbst für mich sorgen, ganz zu schweigen von einer Frau und einem
Baby."
"Wir werden füreinander sorgen."
Seine Züge waren hart geworden. Er hatte sich wieder in den unzugänglichen
Fremden verwandelt, den sie neulich vor der Klinik erlebt hatte. "Ich wäre dir
dankbar, wenn du Tilly nehmen und gehen würdest, ehe wir etwas sagen, das
wir beide bereuen werden."
Liza spürte, wie ihre Energie schwand. Es widerstrebte ihr zwar aufzugeben,
aber der Instinkt, der ihr bisher so gute Dienste geleistet hatte, riet ihr, Max jetzt
nicht weiter zu drängen.
"Wenn du das möchtest", sagte sie und versuchte aufzustehen. Dabei verlor sie
das Gleichgewicht und wäre beinahe auf Max gefallen, wenn er sie nicht
aufgefangen hätte. "Tut mir Leid, ich bin zurzeit etwas unsicher auf den Füßen",
entschuldigte sie sieh, die Hände auf reinen Knien.
"Zum Teufel mit dir", stieß er hervor. Im nächsten Moment hatte er sie auf
seinen Schoß gezogen und hielt sie so fest, dass sie kaum noch Luft bekam.
"O Max", brachte sie gerade noch heraus, ehe er ihr den Mund mit einem Kuss
verschloss.
KAPITEL 4
Freude durchzuckte Liza. Ihr wurde heiß. Und dann erwiderte sie Max’ Küsse
verlangend und leidenschaftlich. Er stöhnte, und sie spürte wie ein Schauer ihn
durchlief. Jetzt fasste er sie fester. Mehr brauchte sie nicht, um zu wissen, dass
er sie noch liebte. Seine Liebe wirkte wie die Sonne, wärmend und heilend.
"Oh, wie ich mich nach dir gesehnt habe", flüsterte er zwischen Küssen. Sein
Begehren war fast greifbar.
"Und ich mich erst nach dir." Liza schob die Hand zärtlich in sein blondes,
dichtes Haar. "So sehr, dass es wehtut."
Er presste den Mund von neuem auf ihren und begann mit ihrer Zunge zu
spielen. Fass mich an, flehte sie stumm. Als hätte er ihren Gedanken gelesen,
ließ er die Hand über ihr Bein gleiten. Die schwielige Handfläche fühlte sich
wunderbar auf ihrer bloßen Haut an. Ein Muskel in ihrem Schenkel zuckte, als
er in ihr Spitzenhöschen griff. Jetzt spürte sie ihn in sich, und ihr wurde schwindlig. Max kannte ihren Körper, wusste genau, was sie brauchte. Er hatte es nicht vergessen. Seine Berührung war zärtlich, sanft und liebevoll. Unvermittelt erreichte sie den Höhepunkt. Sie schrie leise auf und warf den Kopf zurück. "Max, o Max", flüsterte sie. Tränen des Glücks liefen ihr über die Wangen, als sie das Gesicht gegen seine Schulter drückte. Einen Moment lang spannte er sich an, doch dann entspannte er sich wieder und strich ihr beruhigend über den Rücken. Es war wunderbar, ihm wieder Nahe zu sein. Das Pochen seines Herzens an ihrer Brust zu spüren. Den Duft seiner Haut einzuatmen. Seine Berührung zu spüren. Alles würde gut werden. Sie würden ihr Kind zusammen großziehen und einander über die Hürden hinweghelfen, die sie bestimmt erwarteten. Sie lächelte und streckte ihr rechtes Bein, das eingeschlafen war. "Hättest du etwas dagegen, Wenn wir in deinem Bett weiter machen?“ fragte sie leise. "Boomer und ich sind schon seit sechs Uhr auf." Ihre Worte rissen eine kaum verheilte Narbe wieder auf. Bring es hinter dich, befahl sich Max. "Ich schlafe jetzt allein, Liza, und es gefällt mir so." In rascher Abfolge spiegelten sich verschiedene Gefühle auf' ihrem Gesicht wider - Überraschung, Schmerz und schließlich Verständnislosigkeit. Sie befeuchtete sich die Lippen und atmete tief durch. "Soll das heißen, du wirfst mich raus?" „Ich bitte dich zu gehen. Es wäre mir lieber, wenn ich keine Gewalt anwenden müsste." Langsam stand sie auf. Ihr Kleid war zerknittert, und das Haar hing ihr in wirren Locken ums Gesicht. Ihr riesiger Bauch schien ihn zu verspotten. Gleichzeitig fühlte Max sich magisch davon angezogen. Er hatte nie eine schönere Frau gesehen. Auch, in Zukunft würde ihm keine begegnen. Liza strich sich das Haar zurück und sah ihn an. "Ehe ich gehe, wüsste ich gern, warum du mich in die Arme genommen und gestreichelt hast." Max zwang sich, sämtliche Gefühle zu unterdrücken. "Nun, sagen wir, es war ein kleiner Test", antwortete er schulterzuckend. Sie runzelte die Stirn. "Du wolltest wissen, ob du mich noch erregen kannst?“ "Nein. Mir ging es darum, festzustellen, ob ich als Mann noch funktioniere." Er blickte auf seinen Schoß und lächelte spöttisch. "Wie man sieht, ist das nicht der Fall." "Dann war diese Szene also nur ein klinisches Experiment?" "So könnte man, es ausdrücken." Sein Blick war noch kälter als seine Stimme. Der letzte Auftritt von Mackie Messer. Unter Aufbietung aller Kräfte sah er sie unverwandt an. Der Mann, der sie liebte, war hinter eine Eiswand verbannt. Das Herz hämmerte gegen seine Rippen, doch seine Hände waren ruhig. Bei einer Schießübung hätte er auch über hundert Meter Entfernung mitten ins Schwarze getroffen.
"Mit anderen Worten, du willst weder mich noch unser Baby in deinem Leben haben." Liza sprach leise, doch ihr Blick war herausfordernd. Bei dieser Frau lag Stahl unter Seide verborgen. Ganz gleich, wie lange er lebte, würde er stets voll Sehnsucht daran denken, wie sein Leben an ihrer Seite, mit ihr in seinem Bett ausgesehen hätte. "Richtig", bestätigte er. Ganz langsam wich die Ungläubigkeit in ihrem Blick und machte tiefem Schmerz Platz. „Wenn ich jetzt gehe, komme ich nicht wieder." Ihre Stimme klang belegt. Max nahm ihre Worte mit der Bitterkeit zur Kenntnis, die seine ständige Begleiterin war, seit er den Arzt gezwungen hatte, ihn über seine Heilungschancen aufzuklären. "Da es dir gelungen ist, herauszufinden, wo ich wohne, kannst du die Unterlagen wegen des Sorgerechts von deinem Anwalt ebenso gut gleich hierher schicken lassen." Ein stechender Schmerz im Rücken zwang ihn, sich eine bequemere Stellung zu suchen. "Am besten, du vergisst, dass wir uns einmal gekannt haben." Liza lachte auf und legte die Hand auf den Bauch. "Du selbstsüchtiges Ekel", flüsterte sie. "Ich will versuchen, dich nicht zu hassen, weil solche Gefühle schlecht für das Baby sind, aber glaub mir, ich würde es gern tun.“ Hoch aufgerichtet wandte sie sich ab und ging zum Bad. Der Hund kratzte bereits an der Tür, als Liza sie gerade weit genug öffnete, um eintreten zu können. Max' Badezimmer war geräumig mit einer großen Duschkabine und einem Waschbecken, unter das ein, Rollstuhl passte. Einschließlich der Handtücher war alles blütenweiß. Der einzige Farbfleck war eine flauschige Hundedecke in der Ecke. Daneben standen zwei Näpfe - einer leer, der andere voll Wasser. Als Tilly Liza erkannte, bellte sie laut und versuchte, an ihr hochzuklettern. Statt eines Halsbandes trug sie ein rotes zusammengefaltetes Tuch. Ihr Fell glänzte, als wäre As vor kurzem gebürstet worden. "Hallo, meine Kleine." Liza ließ sich auf den geschlossenen Toilettendeckel sinken und hob den kleinen Hund auf ihren Schoß. Tilly fühlte sich schwerer an als noch vor einer Woche. "Du hast zugenommen", stellte Liza fest. "Hast du mich vermisst?“ Tilly leckte ihr das Kinn und verdrehte sich dann wie ein Korkenzieher. "Du riechst nach Äpfeln", murmelte Liza und hob den Kopf, um der kleinen rosa Zunge zu entgehen. Dabei fiel ihr Blick auf das in Hüfthöhe angebrachte Sims in der Duschkabine. Neben einem Rasierspiegel und einer Klinge stand eine Flasche Shampoo mit Apfelduft. „Für einen Mann, der dich nicht haben will, hat er dich geradezu königlich behandelt", sagte sie erstickt. Ihre Tränen begannen zu fließen und tropften auf den Kopf des Hundes. Als sie nicht mehr weinen konnte, tupfte sie sich die Augen mit Toilettenpapier trocken, hob Tilly mühsam hoch und ging hinaus. Das Wohnzimmer war leer. Neben ihrer Handtasche stand eine große Einkaufstüte mit Spielzeug und eine halb volle Schachtel mit Hundefutter.
Irgendwie gelang es ihr, sich beide über die Schulter zu hängen, ohne den
zappelnden Welpen fallen zu lassen.
"Leb wohl, Max“, flüsterte sie. "Ich wünsche dir, dass du glücklich wirst.“
Nach einem Blick öffnete sie die Tür und ging.
"Das hört sich an, als würde der kleine Bursche schlafen", meinte Luke Jarrod
und nahm das Stethoskop von Lizas Bauch.
"Wahrscheinlich, weil er die ganze Nacht auf war und die Rolle rückwärts geübt
hat“, antwortete sie, während er ihr das Hemd herunterzog und ihr half, sich
aufzusetzen. "Er bringt Tag und Nacht durcheinander."
"Oliver hat das die ersten vier Monate gemacht, nachdem wir ihn geholt haben.
Wenn wir Tricia nicht gehabt hätten, wären Maddy und ich verrückt geworden."
Liza lächelte. Mit siebzehn hatte Maddy Lukes Tochter zur Welt gebracht, war
aber dann gezwungen worden, sie zur Adoption freizugeben. Zweiundzwanzig
Jahre später, nachdem sie sich erneut ineinander verliebt hatten, hatten sie ihre
Tochter wieder gefunden - und ihren dreijährigen gehörlosen Enkel. Es war für
alle Beteiligten nicht leicht gewesen, doch sie waren entschlossen, eine richtige
Familie zu werden.
"Wie geht's deiner Tochter?" fragte sie, während er etwas in ihren Mutterpass
eintrug.
"Sie hat gute und schlechte Tage. Zurzeit nimmt Mark an einem
Spezialprogramm für Gehörlose am Lewis-and-Clark-College teil. Das hilft ihr."
Luke, der eher wie ein professioneller Footballspieler als wie ein Großvater
aussah, drehte sich lächelnd zu ihr um. "Hast du dich schon für die Lamaze-
Gymnastik angemeldet?"
"Noch nicht." Liza schwang die Beine über den Rand der Untersuchungsliege.
"Ich habe noch gewartet, weil ich..." Sie verstummte.
"Weil du gehofft hast, Max würde mit dir hingehen?"
Sie hielt den Blick auf ihre Sandalen gerichtet. „Ja, aber darüber bin ich
inzwischen hinweg."
Luke schloss ihre Akte und steckte den Stift in die Brusttasche seiner gestärkten
weißen Jacke. "Max war letzte Woche hier. Er hat einen Termin aus bestanden,
den normalen Preis für eine Konsultation zu bezahlen. Meine normalerweise
unerschütterliche Sprechstundenhilfe war noch Tage später völlig durcheinander
und murmelte etwas von einer Überdosis Testosteron.“
"Aber ... Woher weiß er, dass du mein Arzt bist?"
Lukes Augen hinter der Hornbrille blitzten. „Er ist Polizist und weiß, wie man
etwas herausfindet.“
Ganz war es Liza noch nicht gelungen, ihre Gefühle zu unterdrücken, doch sie
arbeitete daran. "Was wollte er denn?" fragte sie scharf.
"Hauptsächlich wollte er wissen, ob es dir und dem Baby gut geht. Ich muss
zugeben, dass er sich umfassend über das Thema Schwangerschaft und Geburt
informiert hatte. Er hat mich gründlich ausgefragt."
Liza verspürte ein Flattern in der Magengegend. Vorsichtig, ermahnte sie sich. "Er hat tatsächlich nach dem Baby gefragt?" "Allerdings. Er hat ihn sogar Boomer genannt. Objektiv betrachtet, wirkte er richtig stolz." "Das bezweifle ich. Die Papiere bezüglich des Verzichts auf das Sorgerecht, die mein Anwalt ihm geschickt hatte, kamen gestern unterschrieben und beglaubigt zurück." "Vielleicht hat er es sich anders überlegt." Luke betrachtete eines der Familienfotos auf seinem Schreibtisch. Es war eine Aufnahme von ihm und Maddy als Teenager - jung und bis über beide Ohren verliebt. "Manchmal gerät ein Mann bei dem Gedanken daran, Vater zu werden, in Panik und läuft vor der Verantwortung davon. Wenn er schlau ist - und Glück hat -, läuft er nur so weit, dass er wieder umkehren kann." Liza wagte nicht, sich Hoffnungen zu machen, Wenn sie sich als trügerisch erwiesen, würde sie nur umso mehr leiden. "Was hast du ihm gesagt?" "Dass ich ihm als dein Arzt keine Einzelheiten über deinen Zustand verraten darf, aber dass ich mir als Freund Sorgen um dich mache. Ich habe ihm berichtet, du seiest in den letzten beiden Wochen ziemlich bedrückt gewesen, und ich habe ihn gefragt, ob er sich den Grund dafür erklären könne." Um seine Mundwinkel zuckte es. "Seine genauen Worte will ich lieber nicht wiederholen, aber er ließ keinen Zweifel daran, dass er mich persönlich dafür verantwortlich machen wird, wenn dir etwas zustößt. Als er endlich ging, war ich schweißgebadet." Er lehnte sich gegen die Theke und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ein Mann, der weiß, wie man andere einschüchtert." "Darüber hinaus ist er stur und unmöglich." "Er will für den Teil deiner Entbindungskosten aufkommen, der nicht von der Versicherung gedeckt ist - mein Honorar, eine Kinderschwester während des ersten Monats und was es sonst noch so an Extras gibt." "Ich will keine finanzielle Unterstützung von ihm. Anders ausgedrückt, ich werde sie nicht annehmen." "So wie ich dich kenne, ist ihm das vermutlich klar", meinte Luke erheitert und half ihr von der Liege herunter. "Er versucht nur, sein Gewissen zu beruhigen." "Vielleicht." Der Arzt war plötzlich ernst geworden. "Vielleicht will er einfach nur auf die bestmögliche Art für dich sorgen." "Luke, er hat mich aus seiner Wohnung geworfen." Wie schon so oft, half ihr Zorn über den schlimmsten Kummer hinweg. "Kann es nicht sein, dass er dich mit seinem eigenen Schmerz nicht belasten will?" "Also hat er mir stattdessen das Herz gebrochen?" Liza kramte ihre Sonnenbrille aus der Tasche und setzte sie auf. Luke neigte den Kopf zur Seite und musterte sie. "Liza, bitte versteh mich nicht falsch, aber ich bin sehr froh darüber, dass meine Maddy leichter verzeiht als du. Sonst hätte ich jetzt genauso dunkle Schatten unter den Augen wie Max."
"Wenn er schlecht aussieht, ist das allein seine Schuld."
Ein letztes Mal streifte Luke das Foto auf seinem Schreibtisch mit einem Blick.
"Lass es dir von einem Mann sagen, der aus eigener Erfahrung spricht - die
Hölle bleibt die Hölle, selbst wenn man sich selbst hineinmanövriert hat."
Wenn man sich Randall Torrance mit einem Ohrring vorstellte, konnte er als
Zwillingsbruder von Meister Proper durchgehen. Seit Max vor beinahe vier
Monaten aus dem Rehabilitationszentrum entlassen wurden war, war der
glatzköpfige Hüne zu seinem ganz persönlichen Plagegeist geworden.
"Wenn einer es schafft, Querschnittgelähmte wieder auf die Füße zu stellen,
dann er", hatte Max' Arzt auf die Frage versichert, wer der Beste auf dem Gebiet
sei. Jeden Montag, Mittwoch und Freitag erschien Randall pünktlich um sechs
Uhr morgens mit seiner tragbaren Massageliege, unmännlich duftenden Ölen
und einem Lächeln, das Max als puren Hohn empfand.
„... zweiundachtzig, dreiundachtzig, nicht schlappmachen, Savage. Nur
Schwächlinge und alte Frauen geben auf, ehe sie hundert geschafft haben."
"Sie können mich mal!" keuchte Max, als er sich auf die Trainingsbank fallen
ließ und die Augen schloss. Seine Bauchmuskeln fühlten sich wund an, und sein
Kopf schmerzte zum Zerspringen.
"Wir haben wohl wieder gepichelt?"
"Das geht sie einen feuchten Kehricht an."
Max hörte, wie Randall die Massageliege auseinander klappte, und unterdrückte
ein Stöhnen. Randall massierte seine Muskeln nicht nur, sondern bearbeitete sie
so lange, bis er jeden einzelnen Knoten aufgelöst hatte und Max kurz davor war,
an die Decke zu gehen.
"Als wir mit dem Programm anfingen, habe ich Ihnen deutlich auseinander
gesetzt, dass Sie die Finger vom Alkohol lassen sollen", erklärte der Hüne und
stellte die Liege auf. "Ihr dickschädeligen Laien begreift einfach nicht, dass sich
niemand aufs Training konzentrieren kann, der eine Menge Gift aus seinem
Körper schwitzt."
„Ich kann damit umgehen."
"Ach ja? Vor einem Monat haben Sie einhundert Liegestütze geschafft und
hatten immer noch Luft. Wenn es nicht am Alkohol liegt, woran dann?"
Es war eine Frage, die Max nicht beantworten wollte. Nicht einmal denken
mochte er an den vergangenen Monat. Verglichen damit musste sogar das
Fegefeuer angenehm sein. Vor allem nachdem dieser Weißkittel ihm praktisch
vorgeworfen hatte, er setze Lizas Gesundheit aufs Spiel. Und dann hatte dieser
Kerl sich geweigert, ihm zu sagen, was mit Liza nicht stimmte. Stattdessen hatte
er ihm eine Broschüre darüber in die Hand gedrückt, wie sich der seelische
Zustand einer Mutter auf ihr Baby auswirken konnte. Allein bei der Lektüre war
ihm ganz mulmig geworden. Unglaublich, was auf Grund von Stress alles
passieren konnte. Seitdem hatte er keine Nacht mehr richtig geschlafen.
"Mir fehlt Ihr kleiner Hund", bemerkte Randall und breitete ein Handtuch aus.
"Wissen Sie noch, wie Sie sich einmal um Ihre alte Socke gebalgt haben?
Damals habe ich Sie zum ersten Mal lachen hören. Wissen Sie was das hat mir
richtig Mut gemacht."
Max warf Randall einen warnenden Blick zu. "Wenn Sie sich aussprechen
möchten, suchen Sie sich einen Psychiater. Die werden fürs Zuhören bezahlt."
Randall schnaufte verächtlich. "So wie Sie sich in letzter Zeit benommen haben,
würden Ihnen ein paar Monate auf der Couch auch nicht schaden."
Max hielt ihm den gestreckten Mittelfinger entgegen, und Randall lachte.
"Allein dafür können Sie jetzt sehen, wie Sie ohne meine Hilfe auf die Liege
kommen." Grinsend ging er davon, um sich die Hände zu waschen.
Max biss die Zähne zusammen, weil er wusste, dass die Schmerzen in seinem
Bauch gleich viel schlimmer werden würden. In und aus dem Rollstuhl kam er
schon ganz gut. Aber andere Dinge, zum Beispiel den Rollstuhl und einen
Einkaufswagen gleichzeitig durch die engen Gänge im Supermarkt zu
manövrieren oder sich allein mit der Kraft seiner Arme die sechzig Zentimeter
auf die Liege zu hieven, waren nicht nur anstrengend und zeitraubend, sondern
verlangten auch sehr viel Einfallsreichtum. Am Ende eines Tages war er
meistens so erschöpft, dass er über seinem Buch einschlief.
"Warten Sie etwa auf meine Erlaubnis?" erkundigte sich Randall, als er Max
immer noch nicht auf der Liege fand.
"Halten Sie die Klappe." Max atmete tief ein, stemmte beide Hände auf die
Liege und machte einen Satz. Dabei stieß er sich die Nase an, und seine Beine
hingen herunter, aber er hatte es geschafft.
"Netter Sprung", bemerkte Randall und zog Max' Beine gerade. "Noch nicht
ganz olympischer Standard, aber bald."
Max schloss die Augen und wartete darauf, dass die Folter begann. Zum ersten
Mal seit Beginn der Therapie wartete er begierig auf den Schmerz. Wenn er
jeden einzelnen Nerv spürte, konnte er Liza vielleicht nicht mehr sagen hören,
dass sie ihn liebte.
Eine Stunde später war er schweißgebadet und todmüde. Ehe er einschlief,
vernahm er Lizas Stimme. "Wenn ich jetzt gehe, komme ich nicht wieder."
KAPITEL 5
Mill Works Ridge am Stadtrand war in den letzten Jahren ein beliebtes Wohngebiet für berufstätige Paare und vor allem für Mitarbeiter am Portland General Hospital geworden, denn die Fahrt zum Krankenhaus dauerte nicht mehr als zehn Minuten. Die Immobilienmakler nannten das Viertel scherzhaft "Pillenhügel", und die städtischen Polizisten freuten sich, wenn sie hier zum
Dienst eingeteilt wurden. Im Vergleich zum Landesdurchschnitt war die Verbrechensrate nicht der Rede wert. Max war erst einmal hier gewesen, als Berufsanfänger, der lernen sollte, sich in der Stadt zurechtzufinden. Mill Works Ridge erinnerte ihn an die Gegend, in der er aufgewachsen war - ein ruhiger Vorort mit Einfamilienhäusern der mittleren bis oberen Preiskategorie. Genau richtig, um Kinder großzuziehen. Lizas Haus war das zweite in der dritten Querstraße. Es lag zwischen einem zweistöckigen Gebäude im Süden und einem Bungalow mit grünen Leisten im Norden. Ein weißer Lattenzaun begrenzte den Garten nach hinten. Max war ziemlich aufgeregt, als er seinen Rollstuhl entlang der Ziegelmauer bis zum Gartentor bewegte. So weit, so gut, dachte er. Zumindest war er ohne größere Missgeschicke bis hierher gekommen. Die beiden Stufen von der Straße hatte er auf dem Hinterteil zurückgelegt und dann den Stuhl nachgezogen. Jetzt kam der schwierige Teil, denn er musste Liza gegenübertreten. Das Tor war von innen verriegelt. Für einen Mann von einsfünfundachtzig normalerweise kein Problem. Doch jetzt stellte es ein schier unüberwindliches Hindernis dar - zu massiv, um es aufzubrechen, zu hoch, um einfach darüber hinwegzulangen. Das hatte er jetzt davon. Mit zusammengebissenen Zähnen beugte er sich vor und hob erst einen, dann den anderen Fuß von den Stützen. Dann arretierte er den Stuhl, packte mit jeder Hand eine Latte und zog sich daran hoch. Ihm wurde schwindlig, doch zumindest schaffte er es, sich so lange mit einer Hand festzuhalten, bis er mit der anderen den Riegel zurückgeschoben hatte. Die Tür öffnete sich, und er konnte sich gerade noch rechtzeitig in den Rollstuhl fallen lassen, ehe er der Länge nach hinfiel. Kinderlachen mischte sich mit lautem Bellen, als Max in den Garten rollte. Nachdem er das Tor wieder geschlossen hatte, sah er sich erst einmal um. Der Garten war größer, als es von außen den Anschein gehabt hatte. Auf den Innenseiten säumten Azaleenbeete den Zaun. Im Schatten eines riesigen Ahornbaums spielten zwei kleine Mädchen im Sandkasten - eines hatte dunkle Zöpfe, das andere einen karottenroten Pferdeschwanz, der bei jeder Bewegung wippte. Von Liza war nichts zu sehen, obwohl ihr blumengeschmückter Sonnenhut auf dem Glastisch vor der Veranda lag. Zwei andere kleine Mädchen im Alter von fünf oder sechs Jahren saßen an einem kleinen hölzernen Picknicktisch auf der Terrasse und formten etwas aus Ton. Ein Knirps mit Ringelhemd und blauer Kappe fuhr mit einem Dreirad auf dem Zementweg zum Tor hin und her. Tilly umkreiste ihn bellend und versuchte in die Räder zu beißen. Vor der Terrasse spielten zwei etwa sechsjährige Zwillingsjungen Fußball. Als Max in seinem Rollstuhl näher herankam, holte der Junge im roten Hemd aus, trat zu – und der Ball prallte direkt auf das Kinn seines Bruders. Der Getroffene taumelte kurz, schrie dann wütend auf und ging auf den Schützen los. Nur den Bruchteil einer Sekunde später öffnete sich die Tür zum Haus, und Liza kam heraus. Auf ihrer Hüfte saß ein Baby in Windeln und einem winzigen T
Shirt. Sie war erhitzt und sah in ihren weißen Shorts und Pantoffeln so reizend aus, dass Max der Atem stockte. Ihrer funktionierte dafür noch sehr gut, denn sie schrie die beiden Kampfhähne an: "Matthew und Alexander - hört sofort mit der Prügelei auf." Keiner der beiden achtete auf sie. Stattdessen warf der Zwilling im blauen Hemd seinen Bruder auf den Rücken und setzte sich auf ihn. Mit gewisser Erleichterung stellte Max fest, dass er wenigstens das Gesicht seines Kontrahenten nicht in den Staub drückte. Er fuhr dicht an die beiden Jungen heran, packte den oberen am Hosenboden und hob ihn hoch. "Schluss jetzt", erklärte er und stellte ihn ab. Allerdings hielt er ihn vorsichtshalber am Bund fest. „Er hat angefangen! " schrie der Kleine mit rotem Gesicht. "Stimmt nicht", wehrte sein Bruder ab und rappelte sich hoch. "Du hast mich mit dem Ball getroffen." "Ich habe alles gesehen, ihr beiden." Max sprach im Ton eines Verkehrspolizisten. „Es war ein Unfall. Niemand ist schuld. " Zwei gleiche Augenpaare waren auf ihn gerichtet. Aus ihnen sprachen Neugier und Kampfeslust. "Wer bist du eigentlich?" Max unterdrückte ein Lächeln, Der Kleine hatte Mumm. "Max. Und du?" "Alex. Das ist Matt." Matt versuchte, sich aus Max' Griff zu befreien. Seine Brauen über der Stupsnase waren zusammengezogen. Max hätte darauf wetten können, dass diese Nase nach der Pubertät ein oder zwei Dellen haben würde. "Versprichst du, nicht wieder auf deinen Bruder loszugehen, wenn ich dich jetzt freigebe?" Matt nickte und schaute über Max' Schulter. "He Liza, Max ist da", rief er grinsend und rannte seinem Bruder nach, um das Fußballspiel wieder aufzunehmen. Max nahm seinen ganzen Mut zusammen und wandte sich zu ihr um. Sie hatte den Vorfall schweigend beobachtet. Das Baby auf ihrer Hüfte sah ihn aus großen braunen Augen an. "Inspektor Savage", sagte sie höflich. Die Anrede war wohl eher für die Kinder gedacht als für ihn. Max rief sich ins Gedächtnis, dass er ein erfahrener Polizist mit mehreren Tapferkeitsmedaillen war. Er hatte mehr Verbrechern gegenübergestanden, als er zählen konnte. Kerlen mit Messern, Kerlen mit Maschinenpistolen. Keinesfalls würde sich Max Savage von einer zierlichen Frau mit einem Baby auf der Hüfte und einem im Bauch ins Boxhorn jagen lassen. Er lächelte gewinnend. "Hübsch hast du's hier. Sehr gemütlich." Er blickte auf den Klettergarten zwischen den Bäumen und die weichen Sandgruben darunter. Kleine Füße hatten den Sand zu Wellen geformt. „Für Kinder das reinste Paradies." "So war es ja auch gedacht." Sie presste die Lippen zusammen. Man brauchte kein ausgebildeter Untersuchungsbeamter zu sein, um zu merken, dass sie ihm nicht einfach so vergeben würde.
"Du bist verärgert, und das kann ich dir nicht vorwerfen." Er schluckte. "Ich habe mich wie ein Schuft benommen." Sie zog eine Augenbraue hoch. "Und was ist der Grund deines Besuchs?" Er wusste nicht, ob er sie lieber küssen oder erwürgen sollte. "Ich will alles wieder gutmachen." Liza setzte das Baby auf ihre andere Hüfte und strich ihm das weiche blonde Haar aus der Stirn. Es krähte etwas und schob dann den Daumen in den Mund. "Luke hat mir erzählt, dass du für meine Entbindung bezahlen willst." Luke? Max brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass dieses heftige Gefühl, das in ihm aufstieg, Eifersucht war. Das gefiel ihm gar nicht. "Ich habe das Geld, Liza, falls du dir darum Sorgen machst." "Hier geht es nicht um Geld, sondern um Schuld." Obwohl sie ruhig blieb, schien ihr Blick ihn festzuhalten. "Oder besser gesagt um Freisprechung. Ein im Grunde anständiger Mann will einen Fleck auf seiner weißen Weste löschen, um sein Gewissen zu erleichtern. " Max schoss das Blut ins Gesicht. Das hitzige Temperament, das ihn früher oft in Schwierigkeiten gebracht hatte, ehe er es zu kontrollieren lernte, war kurz davor, überzukochen. Er atmete tief durch. "Mit der Anständigkeit hast du Recht. Den Rest kannst du dir schenken, Miss Vargas.“ Er glaubte, es um ihre Mundwinkel zucken zu sehen, doch er war nicht sicher. "Was auch immer deine Absicht war du bist aus dem Schneider." Das war schlimmer, als er es sich vorgestellt hatte. Unter den vielen verschiedenen Möglichkeiten, die er durchgespielt hatte, war diese hier nicht dabei gewesen. Um Zeit zu gewinnen, lehnte er sich zurück und sah sich noch einmal um. Die Zwillinge spielten jetzt mit Tilly, die versuchte, sie in die Ohren zu beißen. Der Kleine auf dem Dreirad hielt an, hob etwas vom Weg auf und schob es in den Mund. Es konnte sich um einen alten Kaugummi, aber auch um einen Käfer handeln. Max wandte den Blick ab. Hoffentlich, war es kein Käfer. "Also ... Bitte versteh mich nicht falsch, aber es sieht so aus, als könntest du einen Spielplatzaufseher gebrauchen." Zwischen ihren Augen stand eine kleine Falte, genau wie damals, als sie am Rand der Lawine unter ihm gelegen hatte. Ihr Mund war vor Erstaunen halb geöffnet. Damals hatte er den unwiderstehlichen Wunsch gehabt, sie zu küssen. Jetzt erging es ihm nicht anders. Nach fünfzehn schlaf losen Nächten und ebenso vielen elendigen Tagen hatte er aufgehört, sich einzureden, dass er nichts mehr für sie empfinde. Er würde alles geben, um für sie wieder zu einem ganzen Mann zu werden. "Vor zwei Wochen konntest du mich gar nicht schnell genug loswerden", sagte sie ausdruckslos. Dieser Mangel an Gefühl machte ihm Angst. "Ich könnte ein Dutzend verschiedene Entschuldigungen vorbringen - einige davon so jämmerlich, dass es dein weiches Herz zerreißen würde, doch in Wirklichkeit bin ich einfach nicht mit meinen Gefühlen zurechtgekommen." Er atmete tief durch und zwang sich, sie anzusehen. "Ein Polizist, der als
verdeckter Ermittler arbeitet, lernt, seine Gefühle zu verstecken. Das ist keine
Ausrede, sondern Tatsache. "
Sie sah ihn fragend an. "Und was empfindest du jetzt?"
Panik erfasste ihn. "Scham", gestand er. "Sorge." Sein Blick glitt über ihren
Bauch. "Stolz."
Sie schloss die Augen. Auf einmal wirkte sie sehr verletzlich. "Max, eine Szene
wie neulich würde ich nicht noch einmal durchstehen. Sag mir ganz genau, was
du von mir willst."
"Zwei Dinge. Zum ersten Vergebung."
Sie lächelte. "Ich verzeihe dir."
Erst jetzt merkte er, dass er den Atem angehalten hatte. "Zweitens möchte ich
dir wirklich helfen. Nur bis das Baby auf der Welt ist und du wieder auf den
Beinen bist."
"Und dann?"
Er wich ihrem Blick nicht aus. "Nachdem das Baby auf der Welt ist, möchte ich
zu seinem Unterhalt beitragen." Sein Ton war bestimmt, als wollte er
Widerspruch von vornherein ausschließen. Die Enttäuschung in ihren Augen tat
weh.
"Du meinst, du willst jeden Monat einen Scheck schicken?"
Er nickte. "Und ein Sparkonto fürs College anlegen."
Liza runzelte die Stirn und holte tief Luft. "Wirst du dabei sein, wenn dein Sohn
seinen Abschluss macht?"
Ein Teil von ihm verspürte tiefen Schmerz. Es war der Teil, der immer schon
gewusst hatte, dass ihm eines Tages genau die richtige Frau begegnen würde.
Die Frau, die die in seinem Herzen für Familie und Glück reservierte Lücke
ausfüllen würde. An dem Tag, als die Ärzte ihm gesagt hatten, dass seine
Chancen, jemals wieder laufen zu können, zwischen "schlecht" und "unmöglich"
standen, hatte er diesen Teil von sich auf immer versiegelt.
"Ich weiß, was du gern hören möchtest, Liza, und es würde mir sehr leicht
fallen, dich zu belügen. Aber ich habe zu viel Achtung vor dir, um dir noch
einmal etwas vorzuspielen."
Ein Licht in ihren Augen schien zu erlöschen. Bitte versteh’ mich doch, wollte
er betteln. Aber das würde er nicht tun.
Liza setzte das Baby erneut um. Es wimmerte ein paar Mal und begann dann
lauthals zu schreien. Liza half ihm, den Daumen wieder in den Mund zu
schieben, und es verstummte.
"Ich habe damit begonnen, dich aus meinem Leben zu streichen, Max. Es ist
nicht einfach, aber es muss sein. Mich einem anderen Menschen so zu öffnen,
werde ich nie wieder tun, ganz gleich ..." Sie verstummte und schnappte nach
Luft. Ihr Bauch bewegte sich.
Panik ergriff ihn, und er rollte näher heran. "Liebe Güte, Liza, bist du ...
Versucht er etwa herauszukommen?" Im gleichen Moment wurde ihm bewusst,
wie albern das klang. "Er trainiert wieder Akrobatik, nicht wahr?"
Ihre Züge wurden weicher. "Ich glaube, es passt ihm nicht, dass er immer
weniger Platz hat."
Obwohl sich der Schreck gelegt hatte, war Max immer noch etwas mulmig zu
Mute. In den Büchern war keine Rede davon, wie weit sich eine Gebärmutter
ausdehnen konnte, ohne zu reißen. Und Liza war so zartknochig. "Tut es ...
weh?" fragte er unwillkürlich.
Sie lächelte. "Nein, es ist eher beruhigend. Es sei denn, er macht es nachts um
zwei. "
Max sah sie vor sich, wie sie in einem hauchdünnen Nachthemd im Bett lag. Als
ihm klar wurde, dass er sie sich in seinem Bett vorstellte, wie er sie in den
Armen hielt und ihren Bauch streichelte, überfiel ihn der Schmerz von neuem.
"Ich kann mir denken, dass das ein Problem ist", sagte er mit belegter Stimme.
"Willst du mal fühlen?" fragte sie und machte einen Schritt auf ihn zu.
Obwohl er wusste, dass es ein Fehler war, konnte er nicht ablehnen. Nur einmal,
sagte er sich, als er die Hand auf ihren Bauch legte. Zuerst spürte er gar nichts,
doch plötzlich fühlte er einen kräftigen Tritt.
"He!" rief er überrascht. Ein Gefühl erfüllte ihn, das er nicht beschreiben konnte
- teils Freude, teils Ehrfurcht ... und eine Sehnsucht, die ihn ängstigte. Als ihm
bewusst wurde, dass er kurz davor stand, Liza auf seinen Schoß zu ziehen und
nie wieder fortzulassen, machte er einen Rückzieher. Einen kompletten
Rückzieher.
"Hör mal, das war eine dumme Idee", sagte er schroff und rollte so weit zurück,
dass er den Rollstuhl drehen konnte.
„Vergiss, dass ich hier war. Du hast offenbar alles im Griff und..."
Ein lautes Kreischen schnitt ihm das Wort ab. Diesmal kam es von dem Knirps
mit dem Dreirad. Einer der Zwillinge hatte sich draufgesetzt und weigerte sich,
es wieder herzugeben.
"Meins, meins, meins! schrie der Kleine empört. Jedenfalls verstand Max es so.
„Alex, gib Billie sein Dreirad wieder", befahl Liza.
Alex hob trotzig das Kinn. "Er ist doch gar nicht damit gefahren."
"Das reicht jetzt, Alexander. Ich habe dich gewarnt, dass es Ärger gibt, wenn du
Billie noch einmal ein Spielzeug wegnimmst. Aber du wolltest ja nicht hören."
Ehe Max sich versah, hatte sie ihm das Baby auf den Schoß gesetzt. "Kannst du
dich kurz um Ollie kümmern, während ich die Sache regle?"
Automatisch griff er zu, doch dann kam er sich wie ein Idiot vor. "He, Moment
mal…“ Ollie versetzte ihm, einen Kinnhaken und begann zu brüllen.
Liza platzte heraus: "Bravo, Ollie. Ich selbst hätte es nicht besser machen
können."
"Liza..."
"Hast du nicht eben noch behauptet, du wolltest mir helfen? Dann mach mal."
KAPITEL 6 Liza hatte die älteren Kinder zu ihrem üblichen Mittagsschlaf hingelegt und wollte Ollie aus dem Wohnzimmer holen, als sie ihn glucksend lachen hörte. Als sie vorhin gegangen war, hatten Ollie und Max auf dem Teppich, der ihren geliebten Kirschholzboden bedeckte, mit riesigen bunten Bauklötzen gespielt. Jetzt saß Max an das Sofa gelehnt. Ein Bein war angezogen. In seinem Arm lag Ollie und schien fasziniert zuzuhören, während Max ihm von Lobo Jack Coon und der Fahrradgang erzählte. Dein Daddy ist Wirklich ein Verrückter, sagte sie im Stillen zu ihrem Baby und strich über die Stelle, wo sie einen Fuß spürte. Nur Max brachte es fertig, eine Drogenrazzia zu einem Märchen umzufunktionieren und es im Ton eines Wiegenliedes zu erzählen. Als Max beschrieb, wie man einen Messerstich abwehrte, hörte Ollie verständnisvoll zu. Bald war Max' Stimme nur noch ein tiefes Brummen. An seiner Brust lag das Baby und schaute ihn unverwandt an. Es war ein zauberhaftes Bild. Ein starker Mann mit einem kleinen Jungen, der ihn voll Vertrauen anblickte. O Max, dachte sie. Siehst du denn nicht, wie es sein könnte? Wie kannst du diesem Kind in die Augen sehen und nicht wissen, was für ein Mensch du bist? Die Szene verschwamm vor ihren Augen. Rasch wandte sie sich ab und wischte sich verstohlen die Tränen weg. Max blickte auf, als sie barfuss aus dem Vorraum kam. "Das ist die haarsträubendste Bettgeschichte, die ich je gehört habe", flüsterte sie und nahm ihm das schläfrige Baby ab. "Aber sie hat funktioniert", antwortete er ebenso leise. Zum ersten Mal seit langem war das Grübchen zu sehen, das seinen markanten, unregelmäßigen Zügen etwas Jungenhaftes verlieh. „Hast du Jack Lobo wirklich das Ohr abgeschnitten?" fragte sie und setzte sich Ollie auf die Hüfte. Sein Blick war herausfordernd. "Was denkst du denn?" Liza runzelte die Stirn und studierte die Züge, die zugleich schroff und zärtlich sein konnten. "Ich glaube, ich will es lieber nicht wissen", entschied sie. "Sehr klug von dir." Einen Moment hielt sie seinem stählernen Blick stand, dann lächelte sie schalkhaft. "Du gibst den harten Kerl sehr überzeugend Savage, aber ich habe dich dabei beobachtet, wie du mit den Mädchen Puppen gespielt hast. Ich weiß, wie weich dein Herz im Grunde ist." Sie strich ihm über den Kopf und brachte Ollie in sein Faltbettchen in ihrem Schlafzimmer. Als sie zurückkehrte, lag Max ausgestreckt auf dem Boden. Seine Züge waren angespannt. An den Tagen, da er morgens Therapie hatte, redete er weniger und bewegte sich langsamer, als wären seine Muskeln verspannt. Ein- oder zweimal hatte sie beobachtet, dass sich seine Züge verzerrten, wenn er sich bewegte. Nach dem ersten Mal, als er sie angefahren hatte, weil sie vorschlug, er solle den Tag frei nehmen, hatte sie ihr Mitleid für sich behalten. Stattdessen hatte sie
behauptet, unbedingt eine Ruhepause zu brauchen, als die Kinder im Bett waren. Er hatte sie eingehend mit diesem misstrauischen Polizistenblick gemustert, bis ihr ganz flau wurde. Erst dann hatte er sich ebenfalls einen Mittagsschlaf gestattet. Stur, stolz, schwierig, dachte sie lächelnd. Dabei aber auch komisch, lieb und unglaublich tapfer - wenn er nicht gerade ihre Geduld auf eine harte Probe stellte. Wie sollte eine Frau einen Mann vergessen, der ihr Herz fest in seinen Händen hielt? Als sie sich in der Küche ein Glas Milch holen wollte, klingelte das Telefon. Sie hechtete hin, um Max nicht zu wecken. Atemlos meldete sie sich. Am anderen Ende entstand eine Pause. Dann befahl eine schroffe Männerstimme: "Hier ist Fletcher. Holen Sie Savage an den Apparat." Liza setzte bereits zu einer unfreundlichen Antwort an, als ihr einfiel, woher sie den Namen Fletcher kannte. Fletcher war Max' Vorgesetzter. Ihm zu verraten, dass sein tüchtigster verdeckter Ermittler gerade ein Nickerchen hielt, wäre unklug. "Einen Moment, bitte. Ich hole ihn. " Max hatte sich nicht bewegt. Als er ihre Schritte hörte, öffnete er die Augen. "Telefon", sagte sie und reichte ihm das schnurlose Teil. Er wartete, bis sie den Raum verlassen hatte, ehe er sprach. In der Küche trank Liza ihre Milch aus und spülte das Glas ab. Dann schenkte sie Max einen Kaffee ein und brachte ihn ihm ins Wohnzimmer. Er saß mit verschlossener Miene am Boden, die Arme um die Knie geschlungen, und starrte auf eines der Aquarelle ihres Vaters an der gegenüberliegenden Wand. "Ich dachte, du möchtest vielleicht einen Kaffee", sagte sie leise. Er brummelte irgendetwas, das wie "Danke" klang. Eigentlich hatte sie ihm die Tasse in die Hand drücken wollen, aber als sie sein Gesicht sah, stellte sie sie lieber auf den Tisch. Sie wartete, doch als er nach wie vor unverwandt auf die Szene mit dem aufgewühlten Meer blickte, ließ sie es darauf ankommen und setzte sich neben ihn. "Ich bin früher einmal mit einem Jungen namens Fletcher ausgegangen. Er hatte eine dicke Brille und spielte die Piccoloflöte. Ich liebte ihn wegen seines Geistes ... und seines 57er Thunderbirds." Es schien, als hätte es um seine Mundwinkel gezuckt. "Das ist der falsche Fletcher." Sie schmunzelte. "Das habe ich mir fast gedacht." Sein Blick ruhte nach wie vor auf dem Bild, aber Liza wusste, dass er mit den Gedanken ganz woanders war. Eine Vorahnung ließ sie frösteln. "Der Captain wollte mir die Entscheidung des obersten Bosses mitteilen", sagte er schließlich. Seine Stimme war ausdruckslos. "Zum Monatsende werde ich ganz offiziell in Pension geschickt." Sie hörte die Verzweiflung hinter den Worten und hätte ihn am liebsten in den Arm genommen. "Kannst du denn nichts dagegen machen?" Sein Kiefermuskel spannte sich an. "Das habe ich schon. Die Gewerkschaft hat durch alle Instanzen für mich gekämpft. Jetzt ist die Entscheidung endgültig."
Mein Liebster, sagte sie stumm. Ich weiß, wie weh es tut. „Wenn ich sage, dass
es mir sehr Leid tut, wirst du mir dann den Kopf abreißen?" fragte sie in dem
scherzhaften Ton, der sie schon in anderen heiklen Situationen gerettet hatte.
"Vermutlich", antwortete er.
„Ich habe geahnt, dass du so etwas sagen würdest." Liza streifte ihre Sandalen
ab, streckte die Beine aus und lehnte sich gegen das Sofa. Obwohl sie Max nicht
berührte, spürte sie die Spannung, die von ihm ausging.
"Das ist mein Lieblingsbild unter Daddys Werken." Ihr Vater hatte das Meer bei
Sonnenaufgang gemalt, als die Sonne über dem Horizont erschien und die
Wellen in die zurückweichende Nacht übergingen. Die Szene war zeitlos, stark
und mystisch. "Die wenigen Kritiker, denen er es gezeigt hat, behaupten, es sei
sein bestes Bild. Es war auch sein letztes, was es noch wertvoller macht. Das
Museum für moderne Kunst hat ihm eine sechsstellige Summe dafür geboten."
"Ein schöner Spargroschen."
"Vielleicht für meine Erben. Ich werde es jedenfalls niemals hergeben." Sie
lächelte versonnen. "Es ist die Aussicht von unserem Sommerhaus auf der Insel
Martha's Vineyard. Daddy hat das Bild in dem Jahr gemalt, als ich dreizehn
wurde. Zwei Wochen nach unserer Rückkehr nach Hause explodierte ein
Propangasofen in seinem Studio. Seitdem ist er blind."
Er zuckte zusammen. "Das muss verdammt hart gewesen sein."
"Das war es, und zwar für uns alle. Es wurde besser, als Mama ihm einen Topf
Ton brachte und ihn dazu überredete, sein Glück mit Skulpturen zu versuchen.
Wie sich zeigte, war er ein noch besserer Bildhauer als Maler. Eines seiner
Werke ist in der Tate-Galerie in London ausgestellt. "
Max verzog den Mund. "So eine Überraschung. Noch eine erbauliche
Geschichte, um einen Krüppel zu trösten, der gerade mal wieder deprimiert ist."
Seine absichtlich grausamen Worte trafen sie tief, vor allem, weil er sie
absichtlich verletzt hatte.
"Ich bewundere meinen Vater mehr als jeden anderen Menschen", sagte sie
leise. "Er ist weder groß noch körperlich kräftig. Niemals hat er es mit einem
Kerl wie Lobo Jack aufgenommen, aber er hat mehr Willenskraft, Herz und
Mut, als du jemals haben wirst."
In seinen Augen flackerte ein gefährliches Licht. "Da hast du sicher Recht",
sagte er leise und zog seinen Stuhl heran.
Liza zog die Knie an, stützte das Kinn darauf und schloss die Augen. Als sie sie
wieder öffnete, war Max fort.
Die Blumen trafen ein, während Liza, Ruth und Maddy den Zwillingen und
Maddys Enkel Mark dabei zusahen, wie sie bäuchlings in das Planschbecken
unterhalb des Klettergartens rutschten.
Es waren ein Dutzend weiße Orchideen mit violetten Hälsen.
"Habt ihr so etwas schon einmal gesehen?" fragte Ruth ehrfürchtig. "Wie
schimmernde Seide."
Liza befreite die Blumen vorsichtig aus der kunstvoll drapierten Papierhülle.
"Die sind bestimmt von meinem Vater. Er klang besorgt, als ich gestern mit ihm
sprach."
"Es liegt eine Karte dabei." Maddy lehnte sich vor und holte einen winzigen
weißen Umschlag aus der eleganten, in Gold und Silber gehaltenen Schachtel
des Blumenladens.
Liza legte die Blumen vorsichtig auf den Tisch und öffnete das Kuvert. "Daddy
möchte, dass ich das Baby in New York zur Welt bringe, aber..." Sie
verstummte und blickte auf die markante Schrift. Noch ehe sie die Worte las,
wusste sie, dass Max die Karte geschrieben hatte.
Es tut mir Leid, stand da ohne Anrede. Doch es war der nächste Satz, der Lizas
Herz schneller schlagen ließ. Können wir noch einmal von vorn anfangen?
Die Kinder tobten im Garten, als Max am Montag kurz vor zehn eintraf. Der
Himmel war blau, und die Sonne schien warm auf seiner Haut. Doch innerlich
fror er. Er hatte das gleiche Gefühl wie früher, wenn eine todsicher geglaubte
Festnahme fehlgeschlagen war.
"Max, schau her!" rief Alex vom obersten Ast des Apfelbaums an der Nordseite
der Terrasse. "Ich bin Tarzan!“
"Nein, ich bin Tarzan! " behauptete sein Zwillingsbruder und kletterte wie ein
kleiner Affe hinterher.
Max fluchte, als er im Rollstuhl über den Rasen fuhr. Auf Bäume zu klettern
war streng verboten - eine von Lizas ehernen Regeln.
"Matt und Alex, kommt sofort da runter! " befahl er im gleichen Ton, mit dem er
früher Verbrechern eiskalte Schauder über den Rücken gejagt hatte. Die
Zwillinge kümmerten sich jedoch nicht darum, sondern begannen, einander den
besten Platz auf der Baumkrone streitig zu machen.
"Matt, nein..." Doch es war bereits zu spät. Mit einem gezielten Stoß schubste
Matt seinen Bruder hinunter. Max schaffte es gerade noch, den Jungen
aufzufangen.
Ein Knie stieß schmerzhaft gegen seine Rippen, und einen Moment lang bekam
er keine Luft. Alex legte ihm die Arme um den Nacken und drückte sich fest an
ihn. Ein Blick auf das verstörte kleine Gesicht sagte Max, dass die geplante
Strafpredigt warten musste.
"Komm runter, Matt", befahl er streng. "Sofort." Er vergewisserte sich, dass
Matt ohne Hilfe herunterklettern konnte, und wandte sich dann dem auf seinem
Schoß zusammengerollten Häufchen Unglück zu.
"Ist alles in Ordnung?" fragte er.
Der Kleine nickte, blickte jedoch angstvoll auf irgendetwas hinter Max' Rücken.
"Au weh, Tante Liza ist richtig sauer", murmelte er und versteckte das Gesicht
an der Schulter seines Retters.
"Hoffentlich nicht", brummte Max und drehte seinen Stuhl um.
Für eine Frau, die in sieben Wochen ein Kind zur Welt bringen würde, bewegte
Liza sich erstaunlich schnell. Jetzt, da sie nahe genug war, sah er, dass sie zu
Tode erschrocken war, doch äußerlich wirkte sie ruhig. Die Kinder, die ihr anvertraut waren, würden ihre Panik nie zu sehen bekommen. Bei Polizisten ist es ähnlich, dachte er. Die Menschen, die sie beschützten, bekamen selten mit, was hinter den schmutzigen Fassaden und in den dunklen Ecken heruntergekommener Straßen vor sich ging. „Ihm ist nichts passiert", versicherte er ihr. "Er ist nur erschrocken. Erst jetzt stellte er fest, dass sie eine Orchidee im Haar trug. „Für euch beide gibt's zwei Tage lang kein Eis", erklärte sie streng, die Hände in die Hüften gestemmt. Sonnenlicht ließ ihr Haar glänzen und überzog ihre Haut mit einem zarten Goldschimmer. Niemals hatte ihn eine Frau so fasziniert, vielleicht gerade weil sie so voller Widersprüche war. „Wer will schon Eis! " rief Alex trotzig. „Ich habe sowieso keine Lust drauf ", behauptete Matt, sprang zu Boden und rannte mit seinem Bruder davon. Max sah den beiden nach und fragte sich, was er jetzt machen sollte. Die Orchidee war ein gutes Zeichen. Trotzdem ... Er räusperte sich. „Ein ziemlich aufregender Beginn für die Woche", meinte er und riskierte einen Blick auf sie. "Ich war in der Küche und sah zufällig aus dem Fenster. Mir ist fast das Herz stehen geblieben. Wenn du nicht da gewesen wärst, hätte Alex sich ernstlich verletzen können." Sie verschränkte die Arme vor der Brust. "Das hätte ich mir nie verziehen." Max nahm ihre Hand. Sie fühlte sich eiskalt an, und er begann sie zu reiben. Wenigstens das konnte er noch. "Liza, es war nicht deine Schuld. Schließlich kannst du nicht überall gleichzeitig sein." Sie blickte zur Krone des Apfelbaums hinauf. "Vielleicht sollte ich die Bäume alle fällen lassen", meinte sie, ehe sie sich ihm wieder zuwandte. Wie immer, wenn er sie sah, flackerte Begehren in ihm auf. Begehren und der Wunsch ihr nahe zu sein. Am liebsten hätte er sie auf der Stelle ausgezogen und jeden Zentimeter ihres Körpers liebkost. Anschließend wollte er sie fest an sich ziehen und mit ihr zusammen alt werden. Ihren gemeinsamen Sohn zu einem starken, tapferen Mann heranwachsen sehen, der wie seine Mutter war. Als er merkte, dass er sie unverhohlen anstarrte, senkte er rasch den Blick. "Danke für die Orchideen'' sagte sie leise, "Und die Entschuldigung." Max atmete tief durch. Vor Nervosität war ihm ganz flau. "Ich war zwölf Jahre lang Polizist. Etwas anderes wollte ich nie sein. Ohne meine Dienstmarke weiß ich nicht, wer ich bin." Er wagte ein Lächeln. "Das ist allerdings keine Entschuldigung dafür, dass ich mich vor lauter Selbstmitleid wie ein Ekel benommen habe." Heiterkeit funkelte in ihren Augen. Vor Erleichterung hätte er am liebsten laut gejubelt. "Du hattest gerade eine schlechte Nachricht bekommen. Dieses Mal werde ich dir also vergeben." "Danke, Liza." Er ließ es darauf ankommen und zog sie auf seinen Schoß. Sie seufzte leise und legte ihm den Arm um die Schulter. Er stand unter solcher
Spannung, dass sich seine Muskeln hart wie Stein anfühlten. "Ich habe es ernst
gemeint, Liza. Können wie noch einmal von vorn anfangen?"
Sie runzelte die Stirn. "Wo ist für dich vorn?"
"Am liebsten eine halbe Sekunde ehe du meinen Wagen auf dem
Krankenhausparkplatz aufgehalten hast. Wenn jemand anders dich so mies
behandelt hätte, würde ich für nichts garantieren."
Es war der heisere Unterton, der sie kapitulieren ließ. Sie ahnte, dass Max kein
Mann war, dem Entschuldigungen leicht fielen. Trotzdem bat er sie um
Verzeihung, dass er nicht vollkommen war. Plötzlich schämte sie sich.
"Ich denke, ich könnte dir verzeihen, wenn du mir einen Kuss gibst", meinte sie
und strich ihm das Haar aus dem Gesicht.
Über seine Augen legte sich ein Schatten, und Liza bereitete sich auf eine
Abfuhr vor. Doch dann sagte er: „Ich habe schon schlimmere Strafen überlebt"
und küsste sie.
Sie hatte das Gefühl zu zerfließen. Er stöhnte, und dann glitt seine Zunge über
ihre Unterlippe. Ihre Brustspitzen wurden hart, und sie rieb sich an ihm. Sie
spürte, wie ein Schauer ihn durchlief. Dann löste er sich von ihr und lockerte
seinen Griff . Liza war schwindlig. "Wenn du wieder einmal das Gefühl hast,
dass du dich entschuldigen willst, tu dir keinen Zwang an", sagte sie heiser.
"Ich werde daran denken." Er lächelte und zuckte plötzlich zusammen. "He, ich
habe gerade einen Tritt abbekommen." Ihre Blicke trafen sich, und plötzlich sah
er sehr verletzlich aus. "Der Kleine ist ganz schön kräftig.“
"Du solltest ihn nachts mal erleben. Ich glaube, er praktiziert jetzt Kickboxen."
Sein Kinnmuskel spannte sich an. Er ließ sie los und blickte zum Haus. "Billie
kaut wieder auf Tillys Gummiknochen herum", sagte er betont gleichmütig.
"Soll ich mich darum kümmern, oder willst du ihn ihm selbst wegnehmen?"
"Ich glaube, du bist dran." Ihr Seufzer hatte nichts mit Billies Hang zu
Hundeknochen zu tun. Ohne sie anzusehen, half er ihr aufzustehen und fuhr
dann im Rollstuhl zur Terrasse. Zwei Schritte vor und einer zurück, dachte sie,
als sie zum Sandkasten ging, um nach den Randolph Schwestern zu sehen.
KAPITEL 7
"Werden du und Tante Liza heiraten wie Onkel Luke und Tante Maddy?" fragte
Susie McAuley, als Max sich die Stufen zum Wintergarten hochhievte. Es war
Mittagszeit, und Liza schmierte Brote. Weil es aussah, als würde es regnen,
hatte sie beschlossen, das Essen drinnen zu servieren.
"Das geht dich gar nichts an", antwortete Max schmunzelnd.
"Mommy hat doch gesagt, wir sollen nicht so neugierig sein und nicht so viele
Fragen stellen", schalt ihre Schwester Tory. Sie stand am Fuße der Treppe und
hielt Max’ Rollstuhl, damit er ihn nachziehen konnte.
"Ich mag Hochzeiten", meinte Susie ungerührt. "Vor allem die vielen Kuchen."
Sie trat zur Seite, damit Max über die Schwelle konnte.
"Man heiratet doch nicht, nur um Kuchen zu essen", erklärte Tory mit der
Würde einer Sechsjährigen, die bald in die erste Klasse kommen würde.
Max unterdrückte ein Lächeln. Er war jetzt oben. Tory schob den Rollstuhl so
weit, dass er ihn greifen konnte. Während er ihn hochzog, rannte sie an ihm
vorbei und stellte sich dann so auf, dass sie ihn festhalten konnte, während er
sich wieder hineinsetzte. Sie hatte damit begonnen, nachdem sie ihn einige Male
beobachtet hatte. Es machte ihn nervös - bis Liza ihm erklärte, dass Tory ihm
auf diese Weise ihre Zuneigung zeigen wollte. Sie half auch Liza unaufgefordert
beim Tischdecken oder Abräumen. Danach hatte er die Kleine gewähren lassen.
„Bist du so weit?" fragte er über die Schulter gewandt.
„Ich bin so weit“, bestätigte Tory ernsthaft.
Max griff nach den Armlehnen und wuchtete sich hoch. Der Stuhl rollte davon,
und Max fiel. Dabei stieß er sich den Ellbogen an und renkte sich die Schulter
aus. Es tat so weh, dass er laut fluchte. Liza kam angelaufen mit einem halben
Dutzend Kinder auf den Fersen. Tory brach in Tränen aus.
"Es tut mir Leid, Max", schluchzte sie. "Ich habe die Bremse vergessen." Sie
biss sich so fest auf die Lippe, dass er befürchtete, gleich Blut fließen zu sehen.
"Schätzchen, so schlimm ist es doch nicht", versuchte er sie zu beruhigen.
"Aber du hast dir wehgetan, und es ist meine Schuld“, sagte sie unglücklich.
"Ach was, ich bin einfach ungeschickt. Hier, ich werde dir mal was zeigen."
Obwohl jede Bewegung schmerzte, gelang es ihm, sein Hemd hochzuziehen und
den riesigen blauen Fleck auf seiner Seite freizulegen. "Den habe ich mir
zugezogen, als ich gestern Morgen aus dem Bett gefallen bin. Ich bin direkt auf
der Hantel gelandet, mit der ich sonst trainiere."
Tory beugte sich vor, um den Schaden genauer zu inspizieren. "Tut es sehr
weh?"
"Ein bisschen - vor allem wenn ich niese."
"Ich bin auch mal aus dem Bett gefallen", berichtete Chloe und drängte sich vor,
um den blauen Fleck ebenfalls in Augenschein zu nehmen. "Es ist allerdings
nichts passiert. Ich bin auf dem Kopf gelandet, und Daddy sagt, das ist mein
härtester Körperteil."
"Dein Daddy hat Recht." Liza legte Tory den Arm um die Schultern. "Mein
Schatz, Max hat es wirklich ernst gemeint, als er sagte, dass du nichts dafür
kannst." Sie lächelte ihm zu. "Das stimmt doch, oder?"
"Allerdings. "
Tory sah immer noch unglücklich aus. "Wenn ich dich ganz fest drücke, wird es
dann besser?"
"Ich könnte mir keine wirkungsvollere Medizin vorstellen."
„Tory trat auf Max zu und legte ihm die Arme um den Nacken. "Hat's geholfen?" fragte sie ängstlich. "Und ob", versicherte er. "Vielen Dank." "Gern geschehen." Sie lächelte schon wieder. "Ich verspreche, dass ich die Bremse nicht noch einmal vergessen werde." Liza klatschte in die Hände. "Und jetzt in die Küche mit euch allen. Das Essen ist fertig." Als sie allein waren fügte sie leise hinzu: "Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?" "Aber ja", wehrte er ab. Er kam sich vor wie ein Tier im Zoo. "Kümmere du dich um die Kinder. Ich komme schon allein klar." Auf den Rollstuhl gestützt, beugte sich Liza vor und strich ihm das Haar aus dem Gesicht, wie sie es erst vor kurzem bei Alex Paxton gemacht hatte, als der sich das Knie aufgeschlagen hatte. Max hielt ihre Hand fest. „Max, wenn du Hilfe brauchst ... " "Lass mich in Ruhe", stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Liza, ich habe es auch so schon schwer genug. Mach es mit deinem Mitleid nicht noch schlimmer.“ Er sah, dass er sie gekränkt hatte, doch sie war eine Kämpfernatur. "Tut mir Leid. Ich dachte, ich hätte es mit einem Erwachsenen zu tun", sagte sie kühl und ging davon. „Zum Teufel noch mal", murmelte er und griff nach dem Rollstuhl. „Will Max denn nichts essen?" fragte Alex gähnend. „Er wird sich schon etwas holen, wenn er Hunger bekommt", antwortete Liza und zog die Vorhänge im Gästezimmer zu, wo die Kinder auf bunten Matten ihren Mittagsschlaf hielten. "Vom Schokoladenpudding ist allerdings nichts mehr da", stellte Lily fest und zog ihre Kuscheldecke hoch. Weil sie ohne diese Decke nicht schlafen konnte, hatte ihre Mutter Prudy sie einfach in zwei Teile geschnitten und eines davon bei Liza hinterlegt. "Max ist ganz versessen auf Schokoladenpudding", murmelte Morgana Paxton schläfrig. "Ich weiß, Schätzchen. Vielleicht hatte er heute nur keinen Appetit darauf." Liza ließ die Tür angelehnt und lauschte dann noch eine Weile. Sie hörte noch einige geflüsterte Worte, ein kurzes Husten, dann war Ruhe. Zum Glück waren ihre Schützlinge heute richtig müde. Sie ging in die Küche und räumte auf. Nachdem sie einige Schranktüren zugeknallt hatte, fühlte sie sich besser. Leise summend holte sie die Tüte mit dem Hundefutter heraus. Um diese Zeit schwänzelte Tilly ihr normalerweise bereits um die Füße und verlangte ihr Fressen. Liza konnte sich auch nicht daran erinnern, dass der Hund vorhin mit den Kindern ins Haus gekommen war. Zweifellos schlief der kleine Racker unter dem Tisch auf der Terrasse. Sie lief durch die Waschküche, um nachzusehen.
Max saß immer noch an der gleichen Stelle, den Rücken gegen einen der bunten Säcke gelehnt, die die Kinder so liebten. Neben ihm lag Tilly, den Kopf auf seinem Schenkel. Beide blickten auf, als sie die Tür klappen hörten. Tilly wedelte zur Begrüßung mit dem Schwanz. "Haltet ihr gemeinsam Mittagsschlaf?" erkundigte Liza sich. "Sehr komisch, Liza", antwortete Max. Tilly, leckte seine Hand. Langsam atmete Liza aus. Vorsicht, warnte sie sich. Auch der härteste Stahl bricht irgendwann. "Willst du hier bleiben, bis du verhungerst?" fragte sie betont gleichmütig. "Oder nur, bis Weihnachten und Ostern zusammenfallen?" Er schmunzelte, und seine Züge wurden weicher. "Sag Tory nichts, in Ordnung? Aber mit meiner Schulter stimmt etwas nicht. Ich kann den Arm überhaupt nicht belasten." "Vielleicht könnte ich dich hochheben..." "Vergiss es!" Max hatte schlimme Zeiten erlebt, seit er auf der Intensivstation aufgewacht war und gemerkt hatte, dass ihm alles wehtat - bis auf seine Beine. Als er jetzt Lizas besorgten Blick sah, wurde ihm klar, dass diese Zeiten noch nicht vorbei waren. "Irgendetwas wird mir schon einfallen." Sie dachte angestrengt nach. "Moment mal. Heute ist Freitag, nicht wahr?" „Ja. Und?" „Luke hat Freitagnachmittag frei. Er und Maddy wollten ein Picknick veranstalten, aber es regnet." Ehe er protestieren konnte, lief sie schon durch den Garten zum Nachbarhaus. Max lehnte sich zurück und schloss die Augen. Ein Gefühl sagte ihm, dass die nächsten Minuten wirklich scheußlich werden würden. „Sie sind zwar nicht so schwer wie die Wildpferde, die ich früher zugeritten habe, aber Sie haben den gleichen kampflustigen Blick in den Augen", stellte Luke Jarrod fest, als er sich Max' gesunden Arm um die Schultern legte und ihn in seinen Rollstuhl hob. Max brummte etwas, das wie "Danke" klang, und beugte sich vor, um seine Füße auf die Stützen zu stellen. Als der Schmerz in seine Schulter schoss, biss er die Zähne zusammen, um nicht laut zu stöhnen. Dennoch war er schweißgebadet, als er sich wieder zurücklehnte. Nur gut, dass Liza in ihrem Zimmer war, um ihr nasses T-Shirt zu wechseln. „Ich bin zwar kein Orthopäde, aber ich vermute, dass Ihre Schulter erst einmal schlimmer wird, ehe sie heilt. Es würde helfen, wenn Sie sie in den nächsten vierundzwanzig Stunden abwechselnd mit heißen und kalten Kompressen behandeln könnten. Wenn Sie Schmerztabletten haben, sollten Sie sie nehmen." "Ich komme schon zurecht." "Das habe ich mir schon gedacht. Allerdings sollten Sie die Schulter eine Weile nicht bewegen. Eine Schlinge würde helfen, weil sie die Muskeln entlastet."
Max blickte auf den Rollstuhl. "Unter den gegebenen Umständen dürfte das gar nicht so einfach sein." „In meinem letzten Jahr beim Rodeo bin ich ziemlich böse gefallen. Ich habe neun Wochen im Krankenhaus und anschließend ein Jahr im Rollstuhl verbracht. In der ersten Zeit bin ich überall angestoßen, bis ich dahinter kam, wie man damit fährt." Max war so daran gewöhnt, Mitgefühl abzuwehren, dass er zuerst gar nicht merkte, dass Luke Jarrod ihn einfach so akzeptierte, wie er war. Dankbar und sehr erleichtert streckte er ihm die gesunde Hand entgegen. "Danke für die Hilfe. Ich bin Ihnen was schuldig." Luke Jarrod griff zu. "Zu gegebener Zeit werde ich Sie daran erinnern." An der Tür blieb er noch einmal stehen und betrachtete Max nachdenklich. In den letzten siebeneinhalb Monaten hatte Max diesen Blick sehr oft gesehen. Meistens folgte dann eine schlechte Nachricht. Seitdem begegnete er allen Ärzten mit Misstrauen. Bei Luke Jarrod musste er besonders vorsichtig sein. Um Informationen über Liza zu bekommen, musste er dem Gynäkologen gegenüber mehr von sich preisgeben als sonst einem Menschen - abgesehen von Liza. Deshalb fühlte er sich so verwundbar. „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie Liza dazu bringen könnten, weniger zu arbeiten und sich öfter auszuruhen", sagte Luke. Als ahne er die Frage, die Max stellen wollte, hob er eine Hand, die für einen Arzt viel zu kräftig aussah. "Nein, es gibt keine Probleme. Noch nicht." Max spannte sich an. "Was genau soll das heißen?" "Sagen wir mal, das Licht hier im Haus brennt abends viel zu lange. Liza behauptet zwar, dass sie gut schlafe, aber ich vermute, dass sie grübelt, anstatt zu schlafen." Max versuchte, seine Beunruhigung hinter der Maske von Mackie Messer zu verbergen. "Haben Sie eine Ahnung, worüber sie sich Sorgen macht?" "Ich nehme an, sie hat Angst vor der Geburt. Als sie das letzte Mal bei mir in der Praxis war, hat sie das Thema zwar nicht direkt angesprochen, kam aber auf Umwegen immer wieder darauf zurück." Max kniff die Augen zusammen. Luke Jarrod schien nicht der geschwätzige Typ zu sein. Also wollte er ihm etwas mitteilen. Max beschloss, ihm zu helfen. "Gibt es einen Grund, warum sie besorgt sein sollte?" "Bisher nicht. Allerdings wäre mir viel wohler, wenn sie sich für einen LamazeTrainer entscheiden und sich für den Kurs anmelden würde. Ich hatte den Eindruck, dass Liza hoffte, Sie würden ihr helfen. Wenn Sie das nicht wollen, sagen Sie es ihr lieber bald, damit sie sich einen anderen suchen kann." Max fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Woher soll ich wissen, dass die Sache dadurch nicht noch schlimmer für sie wird?" "Am schlimmsten wird es für Liza, wenn Sie nicht da sind." Luke Jarrod sah ihn bedeutungsvoll an und verschwand im Regen.
KAPITEL 8 Ruth rief um fünf an, um Bescheid zu sagen, dass sie aufgehalten worden sei und die Zwillinge und deren Schwester Morgana erst später abholen könne. Liza bot an, den Kindern Abendessen zu machen - auch für Max, wenn er noch eine Weile blieb, um die Zwillinge bei Laune zu halten. Dies war das erste Mal, dass sie ihn darum gebeten hatte. Als Ruth eintraf, um ihre drei ins Auto zu packen, damit sie alle gemeinsam Daddy am Flughafen abholen konnten, war es schon kurz vor sieben. „Armer Morgan. Die Zwillinge haben zwei Wochen lang Fragen gesammelt, die mit Rate mal' beginnen“, meinte Liza lachend und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Wegen der Hitze hatte sie das Haar hochgesteckt, doch einige vorwitzige Strähnen ringelten sich um ihr Gesicht. Der Anblick machte sie so begehrenswert, dass es Max körperlich wehtat. "Möchtest du ein Joghurteis?" fragte sie. "Mit Schokoladensplittern?" "Danke, ich bleibe lieber beim Kaffee", antwortete er. Als sie sich unvermittelt vorlehnte und ihm einen Kuss gab, flackerte Verlangen in ihm auf. "Ich wusste doch, dass das ein Fehler war", sagte er, als sie leichtfüßig zum Kühlschrank lief. "Von jetzt an bin ich ganz brav", versprach sie. Während sie eine großzügige Portion für sich in eine Schale füllte, erkundigte sie sich: "Du hast Nichten und Neffen, nicht wahr?" Nach kurzem Zögern nickte er. Max hatte in den drei Tagen, die sie zusammen verbracht hatten, viel über seine Familie gesprochen. Liza hatte eine Art, ihn auszufragen, ohne dass es ihm bewusst wurde. "Zwei Nichten und zwei Neffen. Meine ältere Schwester Mary hat gerade Zwillingsmädchen bekommen. Die Jungen gehören zu meinem großen Bruder Peter." "Du meinst den Bruder, der als Herzchirurg in San Francisco arbeitet?" fragte sie und schob sich einen Löffel Joghurteis in den Mund. Jetzt nicht mehr. Er praktiziert inzwischen zusammen mit meinem Vater und meinem Onkel in Seattle." Liza sah ihn neugierig an. "Wie viele Ärzte gibt es eigentlich in deiner Familie?" "Sechs bisher. Nächstes Jahr wird Emma, die Jüngste, fertig. Wenn sie ihre Facharztausbildung beendet hat, wird sie mit Mom und Mary in der Praxis arbeiten." „In anderen Worten, du bist als Einziger aus der Art geschlagen." "Irgendjemand musste den Job ja machen." Ihr weiches Lachen wärmte sein Herz mehr, als sie je wissen würde. Wenn sie ihn wegen gelegentlicher Ungeschicklichkeiten aufzog, tat es nicht mehr so weh. Er wollte gar nicht darüber nachdenken, wie sein Leben aussehen würde, wenn sie nicht mehr da war. Er versuchte, eine bequemere Stellung zu finden. Auf einmal war er sehr müde. "Liza, ich habe meiner Familie nicht von ... Boomer erzählt."
Sie zwang sich, die begonnene Bewegung ruhig zu Ende zu führen. Nur nichts überstürzen, ermahnte sie sich. Max musste selbst mit seinen Dämonen fertig werden. "Hast du es denn vor?" fragte sie beiläufig. Als sie aufsah, entdeckte sie ein Leuchten in seinen Augen, ehe er rasch die Lider senkte. "Ich weiß es nicht", gestand er. "Die Sache ist ziemlich kompliziert." Sie blickte ihn offen an. Die Falten in seinem Gesicht wirkten tiefer. "Es wäre schön, wenn Boomer die Familie seines Vaters kennen lernen würde." Nach kurzem Zögern fuhr sie leise fort: "Es sei denn, du willst nicht, dass sie mich kennen lernt." "Meine Leute würden euch beide sofort ins Herz schließen." Der Gedanke an den Trubel in dem großen, alten Haus, in dem er aufgewachsen war, ließ ihn schmunzeln. "Meine Mutter würde erst in Tränen ausbrechen und dann darauf bestehen, mit dir Babysachen einkaufen zu gehen. Dad würde dich umarmen, bis dir die Rippen brechen, und dann mit Boomer in den Golfclub fahren, um vor seinen Freunden mit ihm anzugeben. Meine Brüder würden dich zu einem Basketballspiel überreden, ehe du weißt, wie dir geschieht." "Klingt herrlich", sagte sie mit belegter Stimme. "Und du? Wärst du auch da?" Ein Schatten legte sich über sein Gesicht. "Liza, du wirst jemanden finden, der..." "Mich so liebt, wie ich es verdiene", beendete sie den Satz für ihn. "Ich weiß." Sie stand auf und massierte sich den schmerzenden Rücken. "Ich will aber keinen anderen, sondern dich, Max. Nachdem das offenbar nicht möglich ist, werde ich mich an ein Leben ohne dich gewöhnen müssen." "Liza..." „Schon gut, Max." Sie trug ihre Schale zur Spüle. "Ich bin erwachsen. Meine Eltern haben mich dazu erzogen, unabhängig zu sein, und das gefällt mir." Methodisch räumte sie Stück für Stück in die Spülmaschine. "Also vielen Dank für deine Hilfe mit den Kindern. Auch dein Angebot, mich mit Geld zu unterstützen, weiß ich zu schätzen. Ab sofort sind alle Schulden bezahlt. Von jetzt an sind Boomer und ich auf uns allein gestellt." "Was, zum Teufel, soll das heißen?" Liza griff nach einem Wischtuch und ließ es wieder fallen. Das heißt, ich bitte dich darum, zu gehen und nicht wiederzukommen." Max wurde blass. "Ich habe versprochen, dir zur Seite zu stehen, bis das Baby da ist. Dabei bleibt es." "Ich will es aber nicht. Ich brauche niemanden. Vor allem möchte ich nicht, dass du unseren Sohn als lästige Pflicht betrachtest." Liza wandte sich ab und ging hinaus. Als sie ihr Schlafzimmer erreichte, zitterte sie am ganzen Leib. Diesmal war sie es, die die Tür zuschlug. Vierzig Minuten später hatte sie sich ausgeweint und nach einem beruhigenden Schaumbad gerade ins Bett gelegt, als die Tür aufging und Max in seinem Rollstuhl ins Zimmer kam. Sein Haar war zerzaust, als hätte er mit beiden Händen darin gewühlt. Er saß kerzengerade.
Liza flüchtete sich in Zorn, obwohl kaum noch etwas davon übrig war. "Hatte
ich dich nicht gebeten zu gehen?"
"Ich bleibe." Er fuhr auf die andere Seite des Bettes und schlug die Decke
zurück. Seine Miene war herausfordernd. Offenbar wartete er nur darauf, dass
sie Einwände erhob.
Sie funkelte ihn zornig an. "Was machst du da?"
Er sah sie an. "Wonach sieht es wohl aus? Ich gehe zu Bett."
Vor Überraschung war sie einen Augenblick sprachlos. "Moment mal, Max
Savage. Das ist mein Bett und mein Haus. Hier schläft niemand, den ich nicht
eingeladen habe."
Max positionierte den Rollstuhl direkt neben dem Bett und stellte die Bremse
fest. Erst dann blickte er auf. "Wie du mich seit etwa sieben Wochen täglich
erinnerst, ist das mein Kind in deinem Bauch. Wenn ich Luke Jarrod richtig
verstanden habe, hast du dir noch keinen Lamaze Trainer gesucht, du schläfst
schlecht und bist nervös. Alles zusammen ist nicht gut für das Baby."
Liza erschrak, beruhigte sich jedoch schnell wieder.
Wenn Luke sich ernstlich Sorgen machte, hätte er etwas gesagt. "Ich habe schon
einen Trainer.“
"Jawohl, und zwar mich."
"Moment mal..."
Er seufzte tief. "Liza, ich bin todmüde. Meine Schulter schmerzt höllisch.
Darüber hinaus werde ich mich wahrscheinlich ziemlich ungeschickt anstellen,
wenn ich versuche, aus dem Rollstuhl in das von dir so heftig verteidigte Bett zu
kommen. Wenn du also nichts dagegen hast, würde ich die Diskussion gern auf
morgen verschieben."
Erst jetzt sah sie, wie erschöpft er war. Falten hatten sich neben seinem Mund
und auf seiner Stirn eingegraben. Es war auch nicht zu verkennen, dass er unter
Schmerzen litt. Er beharrte darauf, dass sie Hilfe brauchte. Dabei war er viel
nötiger auf Unterstützung angewiesen. Die Frage war nur, ob er diese
Unterstützung annehmen konnte oder sich ganz zurückzog, wenn sie es
versuchte.
"Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen", erklärt sie, bemüht, so entrüstet wie
möglich dreinzuschauen. "Aber du hast Recht. Es ist besser, wenn wir diese
Sache vernünftig erörtern, wie zwei reife Erwachsene, die einander achten.“
Er warf ihr einen schrägen Blick zu, ehe er sich vorbeugte, um seine Mokassins
abzustreifen.
"Hast du vor, in deinen Sachen zu übernachten?" Bei dem Gedanken, im
gleichen Bett mit ihm zu schlafen -selbst wenn nichts passieren würde-,
verspürte sie Erregung.
"Das habe ich früher schon getan. Warum? Hast du Angst, ich könnte deine
Bettwäsche schmutzig machen?"
"Wenn du es tust, kannst du sie waschen", erklärte sie.
"Keine Sorge, ich bin eine gute Hausfrau." Mit einer fließenden Bewegung zog er sich das ausgebleichte rote T-Shirt über den Kopf, und seine kräftige, sonnengebräunte Brust lag frei - die Brust, die Liza mit Händen und Mund ein Dutzend Mal erforscht hatte. Er hängte das T-Shirt über die Lehne seines Rollstuhls und sah Liza ungeduldig an. "Wenn du zuschauen willst, wie ein Krüppel seine Jeans auszieht, musst du dich noch gedulden. Für diesen Trick braucht man beide Hände." "Seher dich zum Teufel, Max", sagte sie langsam und deutlich. Um seine Mundwinkel zuckte es. "Wenn das ein Fluch sein sollte, bist du zu spät dran." „Falls du damit mein Mitleid erregen willst, hast du Pech gehabt." Vielleicht würde er sich lieber im Dunkeln vom Rollstuhl ins Bett hieven. Sie betrachtete ihn herablassend. "Ich habe spitze Ellbogen und weiß, wie man sie einsetzt. Sieh also zu, dass du auf deiner Seite des Betts bleibst. " "Keine Angst. Ich schlafe zur Zeit ziemlich ruhig", antwortete er mit einer Spur Humor, die sie erstaunte. Mit klopfendem Herzen beugte sie sich vor und knipste die Nachttischlampe aus. Ganz dunkel war es nicht im Zimmer. In einer Stadt brannte immer irgendwo Licht. Liza wandte Max den Rücken zu und gähnte überlaut. Gleich darauf hörte sie, wie er tief einatmete. Dann sank die Matratze unter seinem Gewicht ein. Er fluchte leise, als er erst ein Bein und dann das andere nachzog. Nach einer Zeitspanne, die Liza unendlich lang vorkam, lag er dann still. "Du kannst jetzt ruhig weiteratmen", sagte er zu ihrer Verblüffung. "Ich warne dich, Max Savage", fauchte sie. "Übertreib' s nicht." Sein leises Lachen war fast so gut wie ein Gutenachtkuss. Noch ehe er die Bedrohung orten konnte, war Max hellwach. Es dauerte einen Moment, bis er sich orientiert hatte. Liza lag zusammengekrümmt auf der anderen Seite des Bettes und wimmerte im Schlaf. Sie hatte die Decke abgestreift und die Hände schützend auf ihren Bauch gelegt. Ganz vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, stützte er sich auf einen Ellbogen und beugte sich über sie. Der Duft, der seine Sinne anregte, erinnerte ihn an die zarten weißen Blumen am Bogen über dem Gartentor. "Liza", flüsterte er heiser. "Wach auf, mein Schatz." Behutsam drehte er sie auf den Rücken. Sie öffnete langsam die Augen und sah ihn benommen an. "Er ist gestorben. Luke hat alles versucht, aber..." Ihre Stimme brach, und sie presste das Gesicht gegen seine Brust. Schmerz schoss in seine verletzte Schulter, als er sie an sich zog, aber er achtete nicht darauf. "Es war nur ein schlechter Traum", tröstete er sie. "Mit dir und Boomer ist alles in Ordnung." "Ich habe solche Angst, Max", gestand sie. Ihre Lippen fühlten sich weich auf seiner Haut an. "Wenn Boomer irgendetwas passieren sollte, würde ich..."
"Schsch. Nichts wird passieren", versicherte er ihr. „Jarrod ist ein guter Geburtshelfer. Der beste, wenn man den Leuten glaubt, die es wissen sollten." Max spürte, dass sie lächelte. "Er hat mir schon erzählt, dass du Erkundigungen über ihn eingezogen hast." Zum Glück konnte sie nicht sehen, dass er rot geworden war. „Kann schon sein, dass ich seinen Namen einigen Leuten gegenüber erwähnt habe." "Zum Beispiel deiner Familie?" "Man hält sich immer zuerst an Vertrautes." Sie schnaufte verächtlich, zog ihren Kopf jedoch nicht weg. "Bist du immer noch böse auf mich?" fragte Max leise. "Und wie", behauptete sie und fuhr mit ihren kurz geschnittenen Nägeln über seine Brust - "Du machst mich ganz verrückt." "Komisch, ich empfinde bei dir das Gleiche." Er ließ die Hand durch ihr Haar gleiten und sog die betörende Mischung verschiedener Düfte ein, die einzigartig für Liza war. "Davon habe ich geträumt, als ich im Krankenhaus lag. Von deinem seidigen Haar, das nach Blumen und Sonnenschein riecht." Er schmunzelte. "Die Erinnerung daran, wie wir uns auf dieser alten Militärdecke geliebt haben, hat mir über die schlimmsten Tage hinweggeholfen. Als du zu mir aufschautest, spiegelte sich der Feuerschein in deinen Augen." Seine Stimme verriet mehr, als er ahnte. "Ich habe auch keine Sekunde dieser Tage vergessen." Ihr, warmer Atem streifte seine Brust. "Weißt du noch, wie wir Schnee geschmolzen haben, um ein Bad zu nehmen?" Sie lehnte sich gerade weit genug zurück, um seinen Mund zu berühren. Langsam ließ sie die Finger über seine Unterlippe gleiten. Sein Kiefermuskel spannte sich an, als Verlangen in ihm aufstieg. "Du warst wunderbar", sagte er leise und küsste sie. Als hätte sie nur darauf gewartet, öffnete sie die Lippen und drängte sich an ihn. Aus Angst, das Baby zu drücken, rückte er zur Seite. Nicht zum ersten Mal verfluchte er seine bewegungslosen Beine. Seit seiner Lähmung war er noch nie mit einer Frau zusammen gewesen. Er hatte nie ausprobiert, was noch möglich war und was nicht. Selbst als er die Hand unter ihr Nachthemd schob, bedauerte er, mit welchem Ungeschick er sich ihr näherte. Diese Frau - seine Frau - verdiente nur das Beste, doch das konnte er ihr nicht geben. Dennoch wand sie sich in diesem Moment leise stöhnend unter ihm. Sie gab kleine kehlige Laute von sich, die ihn mitten ins Herz trafen. Beinahe ehrfürchtig schob er das Nachthemd zur Seite und liebkoste ihren Bauch erst mit den Blicken und dann mit dem Mund. Unter seinen Lippen bewegte sich das Baby. Einen Moment erschrak er, doch dann wurde er von einem unglaublichen Gefühl überwältigt: "O Liza! " rief er erstickt. "Ich ... " Er sprach die Worte nicht aus, die er nicht sagen durfte. Stattdessen küsste er die Stelle, wo sein Sohn die winzige Faust schwang. Stolz und Verlangen erfüllten ihn. "Der Kleine ist neugierig", meinte Liza verträumt. Max schloss die Augen, schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel und barg das Gesicht auf ihrem Schoß. Was er mit seinem Körper nicht mehr konnte, tat
er mit Mund und Händen. Er liebkoste und streichelte sie, bis sie erschauerte und ihr Körper sich anspannte wie eine Sehne. Seine Schulter schmerzte. Er ignorierte sie. In den Monaten, die er von Liza getrennt gewesen war, hatte er gelernt, geduldig zu sein. Jetzt gab er ihr alles, was er mit Worten nicht ausdrücken konnte. "Bitte, Max, bitte", bettelte sie. Ihr Duft hing an seinen Händen, ihr Verlangen an seinen Lippen, als er sie küsste. Er spürte, wie sie sich verspannte und den Gipfel der Lust erreichte. Doch er war noch nicht fertig. Sobald die erste Ekstase abgeebbt war, begann er von neuem, bis Liza sich von einer Seite auf die andere warf. Als sie den zweiten Höhepunkt erreichte, rief sie laut seinen Namen. Benommen und schläfrig kuschelte sie sich an ihn. Max lag reglos und wartete. Trotz der verworrenen Signale, die eine körperliche Erregung verhinderten, brannten seine Lenden vor Begehren. Wer behauptet hatte, dass die Sexualität eines Mannes nur zwischen den Beinen liege, irrte sich. Max' Verlangen nach Liza erfüllte seinen ganzen Körper. Es lag im Schlag seines Herzens und im Rhythmus seines Atems. Nur ihren Duft wollte er einatmen, wenn er nachts darum rang, sich mit seinem Schicksal abzufinden, nur ihre Haut wollte er spüren, wenn er den so dringend benötigten Trost suchte. Er dachte, sie wäre schon längst eingeschlafen, als sie plötzlich den Kopf hob. "Hast du es ernst gemeint, als du sagtest, du würdest die Lamaze-Übungen mit mir machen?" „Ja, natürlich." "Ich bin einverstanden unter zwei Bedingungen. Erstens lässt du Boyd eine Rampe für den Rollstuhl bauen. Zweitens bleibst du bis zur Entbindung hier bei Boomer und mir." Zum ersten Mal seit Monaten lächelte Max. Seine Königin bewegte sich zwar wie Schatten auf dem Wasser, aber sie hatte die Seele eines Pferdehändlers. "Mit der Rampe bin ich einverstanden. Hier einziehen kann ich nicht. Nicht weil ich es nicht will", fügte er hinzu, als ihre Augen zornig aufblitzten. "Aber mein gesamtes Trainingsgerät ist in meiner Wohnung." Es war schon schlimm genug, dass Randall Zeuge seines ungleichen Kampfes mit den Schienen war. Wenn Liza ihn dabei beobachtete, würde er gar kein Selbstvertrauen mehr haben. "Dann übernachtest du eben an den Wochenenden hier." Auf ihr Verhandlungsgeschick wäre jeder Orientale neidisch. "Und in den Nächten, wenn du am nächsten Morgen keine Therapie hast." Es wäre ein Fehler. Ein großer Fehler. Jeder intelligente Mann würde ablehnen. "Einverstanden", hörte er sich sagen. Sie küsste ihn, ehe er die Worte zurücknehmen konnte. Als es draußen bereits dämmerte, fielen beide in tiefen Schlaf.
KAPITEL 9 Liza wachte in Max' Armen auf, ihr nackter Körper an seinen gekuschelt. Bis auf Vogelgezwitscher vor dem Fenster war es ganz still. Seit Max vor einem Monat praktisch hier eingezogen war, liebte sie die Wochenenden ganz besonders, weil sie dann für sich bleiben konnten. Vorsichtig drehte sie sich so, dass sie sein Gesicht sah. Er schlief tief und fest. Seine Züge waren entspannt. Wie fast jede Nacht hatte er sie liebkost und gestreichelt, bis sie erfüllt einschlief. Doch jedes Mal, wenn sie zärtlich zu ihm werden wollte, schob er sie sanft weg. Obwohl er ihr alles gab, was eine Frau sich wünschen konnte, war er immer noch von Bitterkeit über seine angebliche Unzulänglichkeit erfüllt. Er dachte, sie merkte es nicht, doch wenn er sich unbeobachtet fühlte, sah sie es in seinen Augen. Genug ist genug, hatte sie sich schließlich gesagt und einen Termin bei einem Neurologen vereinbart, den Prudy kannte. Geh nicht zu dem Arzt, der Max behandelt hat", hatte sie geraten. "Ein Doktor, der Max nicht kennt, wird deine Fragen viel unbefangener beantworten können, weil er nicht der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt." Wie der väterlich wirkende Spezialist Liza erklärte, verfügte der menschliche Körper über ungeahnte Kapazitäten, sich selbst zu erneuern. Dies lag einfach in seiner Natur. Selbst stark beschädigte Nerven konnten unter bestimmten Bedingungen, nachwachsen. Wie Adrenalin konnte auch sexuelles Verlangen erstaunliche Prozesse in Muskeln und Nerven auslösen. Dazu waren nur die richtige Partnerin sowie Geduld und Willenskraft nötig. Direkt von Dr. Benedicts Praxis aus war Liza in Ruths Buchhandlung gegangen und mit einem Stapel Bücher wieder herausgekommen. Seitdem hatte sie in jeder freien Minute darüber nachgelesen, wie eine Frau einem Mann sexuelle Erfüllung verschaffen konnte, vor allem wenn dieser behindert war. Wie es hieß, war der frühe Morgen am günstigsten, weil ein Mann oft mit einer Erektion aufwachte. Liza rückte zentimeterweise näher und küsste Max sanft auf den Mund. "Guten, Morgen." "Heute bist du besonders kokett." Er knabberte an ihrer Nasenspitze und ließ ihr Haar durch die Finger gleiten. "Das gefällt mir." "Ich mag es, wenn deine Augen ganz silbern werden. Das passiert jedes Mal, wenn du daran denkst, mich zu verführen", flüsterte sie und strich über seinen Arm. "Daran denke ich praktisch ohne Unterlass." "Ich weiß." Sie drückte die Nase gegen seine Schulter. "Du riechst wie ein Schaumbad." "Kein Wunder, wenn du die halbe Flasche hineinschüttest." Mit der Hand zog er lässige Kreise über ihren Rücken.
"Ich genieße das Gefühl des Schaums, wenn ich meine Brüste an deinem Körper
reibe." Sie drückte sich an ihn. "Ich brauche einen Guten-Morgen-Kuss."
"Da du gerade davon sprichst - ich auch."
Sie beugte sich über ihn und streifte seinen Mund mit den Lippen. "Es macht
mir Freude, dich zu küssen, zu berühren."
"Wie es scheint, stecke ich in Schwierigkeiten", sagte er und zog sie an sich.
Sein Kuss war fordernd, und Liza erwiderte ihn voller Leidenschaft. Ihr Bauch
war gegen seinen gepresst. Immer wieder ließ er die Zunge spielerisch über ihre
Lippen gleiten, während er sie am ganzen Körper streichelte. Ungeduldig
drängte sie sich an ihn. Sie wollte ihn haben, jetzt gleich.
„Warum so eilig, du Wildkatze? Wir haben doch alle Zeit der Welt."
"Jetzt", verlangte sie. "Ich will dich jetzt." Sie hatte in seinem Haar gewühlt und
zog ihn zu sich herunter. Ihr Atem ging viel zu schnell.
Max berührte ihre Brust, und sie schrie auf. Vor Schreck hielt er inne. "Habe ich
dir wehgetan?"
„Nein, ich kann einfach nicht anders, wenn du mich berührst.“
"Das freut mich." Max nahm die aufgerichtete Brustspitze in den Mund. Liza
stöhnte und bog den Kopf zurück.
"Du bist unglaublich", flüsterte er. Sein Körper war bis zum Äußersten
angespannt. Sie wusste, dass er an all die Dinge dachte, die er nicht mehr
konnte, anstatt das zu genießen, was möglich war.
"Jetzt bin ich dran", sagte sie leise und drückte ihn in die Matratze.
"He ...“
"Still", befahl sie und küsste ihn auf die Brust. Seine Wärme hüllte sie ein.
Vorwitzig ließ sie die Zunge über seine flache Brustwarze inmitten der dichten
Behaarung gleiten. Max zuckte zusammen und hielt sie fest.
"Nicht, Liza. Du bringst mich nur dazu, mich nach Dingen zu sehnen, die ich
nicht haben kann."
"Entspann dich, und genieße es, zur Abwechslung einmal verwöhnt zu werden",
entgegnete sie ungerührt.
"Wenn du uns beide in Verlegenheit bringen willst, mach ruhig weiter." Er
klang zornig, doch seine Augen straften den Ton Lügen. Ängstlich und erregt
zugleich fachte Liza den winzigen Funken mit Zärtlichkeiten an.
Liebkosen Sie den Mann, wie er Sie liebkost, hieß es in einem der Bücher. Das, was er Ihnen gibt, wünscht er sich auch. Max überschüttete sie mit Zärtlichkeit, und die gab sie ihm nun zurück. Langsam ließ sie die Hände über sein Gesicht gleiten. Mit geschlossenen Augen erforschte sie ihn, bis sie spürte, wie er sich entspannte. Liebevoll strich sie über seine Lippen und verteilte viele kleine Küsse darauf. Als er hörbar nach Luft schnappte, triumphierte sie. Langsam setzte sie ihren Weg fort. Sie streichelte den muskulösen Hals, den Nacken und schließlich die Schultern, die sich unter dem schweren Gewicht, das sie zu tragen hatten, manchmal bogen, aber niemals beugten. Als Nächstes kamen die Arme mit dem mächtigen Bizeps, die die gesamte Mütterbrigade
aufseufzen ließen, wenn er ohne Hemd im Garten war. Seine Haut glänzte feucht, und sein Atem ging stoßweise. "Wie schön du bist", sagte sie leise und sah ihm in die Augen. Obwohl Max sich an seiner Maske der Gleichgültigkeit festklammerte, entdeckte sie dahinter ein heftiges Gefühl, über das er keine Kontrolle hatte. "Ist dieser zum Fehlschlag verdammte Versuch endlich beendet?" fragte er heiser. "Von wegen." Liza war das Verlangen deutlich anzusehen. Er versuchte, sie an sich zu ziehen, das Kommando zu übernehmen, doch sie ließ es nicht zu. "Ich bin noch nicht fertig." Max liebte sie dafür, dass sie es versuchte, doch es konnte nicht gelingen. Aber obwohl er sich bemühte, distanziert zu bleiben, zog sie ihn unmerklich in ihren Bann. Er war zum Äußersten erregt und doch unfähig, in sie einzudringen, um seinen Hunger zu stillen. Jede Berührung, jede Liebkosung steigerte sein Verlangen. Max schloss die Augen, um ihre Enttäuschung nicht sehen zu müssen. Er würde diese Strafe ertragen, weil Liza glaubte, dass sie ihm ein Geschenk machte. Ihr Duft hüllte ihn ein, und obwohl er es nicht wahrhaben wollte, hatte ihre Berührung etwas Heilendes. In allen Teilen, in denen er Gefühl hatte, bereitete sich sein Körper auf den Akt der Vereinigung vor. In allen - bis auf den einen, der zählte. "Mein schöner Krieger - so viele Narben." Sie strich über die gezackte Narbe an seiner Hüfte, ein Andenken an eine Auseinandersetzung mit einem bewaffneten Drogensüchtigen. Ich bin kein Krieger, wollte er sagen, doch er war nicht imstande, es auszusprechen. Nicht solange er ihre Hände auf seinem Körper spürte. Mit den Fingerspitzen umkreiste sie seinen Nabel und glitt dann tiefer zu der Stelle unter dem Becken, wo alle Gefühle aufhörten. Als sie ihn berührte, schnappte er nach Luft. Erstickt rief er ihren Namen, als sie begann, ihn zu streicheln. Ihre Hände waren zart und warm. Max glaubte, eine vertraute Spannung zu spüren. Offenbar spielte ihm die Erinnerung einen Streich ... Plötzlich begann sein Herz zu hämmern. Liza spürte genau, wann er merkte, was mit ihm geschah. Er öffnete die Augen. Seine Miene war schockiert. Plötzlich zuckte er heftig zusammen. "O Liza", stöhnte er. "Hör nicht auf. Bitte hör nicht auf. Es fühlt sich so wunderbar an." Sie setzte sich rittlings auf ihn und führte ihn in sich ein. Dann ließ sie sich langsam sinken und begann, sich zu bewegen. Max spürte, wie die Spannung zunahm. Das Blut rauschte in seinem Kopf. Die Wirklichkeit verschwamm, und er versuchte, sich dem altvertrauten Rhythmus anzupassen. "Liebling, es geht nicht", keuchte er. "Es ist zu lange her." Ihr Blick strafte ihn Lügen. Sie war ganz Frau, und sie hatte die Macht. Mit zurückgebogenem Kopf und dem langen Haar, das ihr über den, Rücken fiel, sah
sie aus wie eine Göttin. Dieses Bild nahm Max mit, als sich die Spannung löste
und ihn in den Strudel riss.
Max blieb in Liza, solange es ging. Er streichelte ihr Haar, ihren Rücken und
ihre Schultern. Dass Boomer ihn hin und wieder kräftig trat, machte das
Zusammensein noch schöner.
"Du siehst sehr selbstzufrieden aus", stellte er fest, als sie den Kopf von seiner
Brust hob, um ihn anzusehen.
"Ich bin mit uns beiden höchst zufrieden", verbesserte sie und lächelte
verträumt.
"Weißt du eigentlich schon, dass du wunderbar bist?" Gefühle, die er lange
verleugnet hatte, brachen sich Bahn. "Liza, ich weiß nicht, wie ich dir danken
soll."
"Das ist auch nicht nötig, mein Liebster. Ich habe dich so geliebt, wie du mich
liebst. Schwierig war nur, deinen übergroßen Stolz zu überlisten."
Er lachte leise und zog sie fester an sich. "Bin ich wirklich so schlimm?"
"Schlimmer", versicherte sie und biss ihn spielerisch ins Kinn. "Aber ich liebe
dich trotzdem."
Er schloss die Augen. "Ich liebe dich auch."
"O Max."
"Wenn du mir ein bisschen Zeit gibst .... Ich will das auch, was du gesagt hast.
Du und Boomer und ich. Eine Familie." Er wusste, dass er sich alles andere als
klar ausdrückte, doch offenbar hatte Liza ihn trotzdem verstanden, denn sie
lachte und weinte zugleich und überschüttete ihn mit Küssen. So viel Glück
habe ich gar nicht verdient, dachte er. Aber er genoss es.
KAPITEL 10
"Luke sagt, die Gebärmutter hat sich gesenkt. Wahrscheinlich kommt Boomer
genau zum errechneten Geburtstermin auf die Welt." Liza suchte unbeholfen
nach einer einigermaßen bequemen Stellung auf der Holzbank. Es war
einherrlicher Sommersonntag, und im Riverside Park wimmelte es von
Familien, die mit Picknickkörben und Holzkohlegrillen angerückt waren.
In einigen Metern Entfernung spielten die Nachbarn ihre ureigene Version von
Softball. Morgan hatte das Spiel mit Unterstützung von Boyd erfunden. Man
brauchte nur einen Plastikschläger in Kindergröße und einen flauschigen Ball,
der sich höchstens zwanzig Meter weit schlagen ließ. Heute traten die
Randolphs und McAulyes gegen die Paxtons und Jarrods an - beziehungsweise
gegen Luke Jarrod. Maddy, die gerade erst von einer Grippe genesen war, hatte
sich lieber zu Liza auf die Zuschauertribüne gesetzt.
"Machst du dir Sorgen?" erkundigte sich Maddy und legte den schlafenden Oliver in eine bequemere Stellung auf ihrem Schoß. "Nein, aber ich bin ziemlich aufgeregt." Liza schnupperte. Ganz in der Nähe grillte jemand. "Max ist die Strecke schon zwei Mal abgefahren und trainiert täglich mehrmals, möglichst schnell mitsamt seinem Rollstuhl ins Auto zu kommen. Es sind nur noch drei Minuten, aber wie du Max kennst, gibt er keine Ruhe, bis er es in zwei Minuten schafft." Sie blickte aufs Spielfeld, wo Morgan jetzt als Schlagmann dran war. Hinter der Schutzplatte zog Carl ihn gnadenlos auf, weil er den Ball hatte fallen lassen, so dass Tory ihr Team in Führung bringen konnte. Morgan hatte sich natürlich absichtlich so ungeschickt angestellt, doch das wusste außer ihm keiner. Ruth und Luke hatten so getan, als wären sie furchtbar böse mit ihm, bis Morgan von ihrem Platz kam, um ihren Vater mit einer Umarmung zu trösten. "Schlägst du jetzt bald?" erkundigte sich Max von seiner Schiedsrichterposition hinter Carl. Bei früheren Spielen hatte Liza hier gestanden, aber seit sie zu unförmig geworden war, in die Hocke zu gehen, war Max eingesprungen. "Max ist wie verwandelt", meinte Maddy, als sie sah, wohin Liza blickte. "Als ich ihn kennen lernte, hielt ich ihn für viel älter als vierunddreißig. Vielleicht weil er so schweigsam war. Jetzt lacht er häufig, wenn er dich nicht gerade auf seinen Schoß zieht und dich küsst, dass dir Hören und Sehen vergeht." Liza seufzte. "Er hat wieder Gefühl in den Schenkeln, Maddy. Im Moment ist es nur eine Art Spannung, aber das bedeutet, dass die Nerven nicht abgestorben sind." "O Liza, das ist wunderbar!" "Sagen wir, er ist vorsichtig optimistisch." Sie lachte leise und wandte sich ihm wieder zu. Er trug Shorts und ein T-Shirt, das sich über seinem muskulösen Oberkörper spannte. Wie immer stieg bei seinem Anblick Verlangen in ihr auf. "Er ist noch nicht bereit, sich festzulegen, aber das wird er tun. Ich glaube, er will nur erst eine Arbeit finden. "Schlag zu, Pax! " schrie Luke von der dritten Position. Morgan zielte, holte aus ... und schlug daneben. Durch den Schwung wäre er beinahe kopfüber in der Wiese gelandet. "Immer schön die Augen auf den Ball! " rief Maddy. Prudy auf dem Schlaghügel holte aus und warf. Diesmal traf Morgan und schlug den Ball zu den Zwillingen, die wie aufgezogen im Kreis herumliefen. Als sie zusammenstießen, lachte Liza auf. "Lauf, Luke", schrie Maddy und weckte dadurch ihren Sohn auf, der sofort laut protestierte. "Das sieht nicht schlecht aus", meinte Liza, als Carl sich hinter die Platte duckte. Keiner der beiden Männer wich auch nur einen Zentimeter. Die Kollision erfolgte mit der Wucht zweier Güterzüge. Beide verloren das Gleichgewicht und rissen dabei Max um, der sich vorgebeugt hatte, um das Spiel zu beobachten. "O nein! " rief Liza erschrocken und packte Maddy am Arm. „Ihm ist nichts passiert", versicherte Maddy. "Sieh mal, er lacht sogar."
Vor Erleichterung wurde Liza ganz schwach, als Max sich aufsetzte und Luke
etwas zurief, der sein blutiges Knie inspizierte. Erst als Carl Max' Rollstuhl
aufrichtete, bemerkte sie, dass durch den Aufprall die Achse an einem Rad
gebrochen war. Damit konnte Max bis auf weiteres nicht fahren.
Liza saß auf der Bettkante und presste eine Hand gegen ihren schmerzenden
Rücken, während Max seine Sachen in eine Reisetasche stopfte. "Max, das ist
doch lächerlich", flehte sie. "Nur weil du ein bisschen Hilfe gebraucht hast..."
"Es ist vorbei, Liza. Ich hätte es besser wissen müssen, aber ..."
Mit verzerrtem Gesicht packte er weiter. Nachdem Morgan ihn aus dem Auto
ins Haus getragen hatte, hatte er sofort Randall angerufen. Kurz darauf brachte
der kahlköpfige Hüne einen Rollstuhl, den Max benutzen konnte, bis seiner
repariert war. Im Gegensatz zu dem wendigen Sportmodell, an das Liza
gewöhnt war, war dieses hier hässlich und unhandlich mit Armlehnen, die das
Ein- und Aussteigen erschwerten.
"Das war's also? Nur weil ein Freund dich aus dem Auto hereintragen musste,
bist du zu dem Entschluss gekommen, dass du unserem Sohn kein Vater sein
kannst. "
"Ich kann und will es nicht." Max warf das letzte Stück Unterwäsche in die
Tasche und zog den Reißverschluss zu.
"Du und dein verdammter Stolz", flüsterte sie. Von ihrem eigenen war nicht
mehr viel übrig geblieben. Außer sich an ihn anzuketten, hatte sie alles getan,
um ihn daran zu hindern, sie von neuem zu verlassen.
"Ich habe mit Prudy gesprochen. Sie wird dir während der Entbindung bei den
Atemübungen helfen." Sein Blick war ausdruckslos, doch er musste die Lippen
aufeinander pressen, damit sie nicht bebten.
„Ich will aber dich! Du hast es versprochen.“
Max schlug mit der Faust auf die Annlehne. "Verdammt, ich kann es nicht!
Verstehst du mich denn nicht? Als Morgan mich wie ein hilfloses Baby vom
Spielfeld trug, merkte ich, wie die Kinder mich ansahen. Wie... " Er verstummte.
"Ich könnte es nicht ertragen, dass Boomer mich so ansieht. Es würde mich
umbringen."
"Die Mädchen hatten Angst, Max. Sie dachten, du wärst verletzt. Das ist alles."
"Es war ihnen peinlich, Liza. Tory macht seitdem einen Bogen um mich." Er
ließ sich in den Rollstuhl zurücksinken. So mutlos hatte Liza ihn noch nie erlebt.
"Du musst ihr Zeit lassen."
"Nein, es ist vorbei. Ich gehe nach Hause, wo ich hingehöre.“
"Bedeutet es dir denn gar nichts, dass ich dich liebe?"
Sein Blick war ungeduldig. "Es bedeutet mir alles. Aber es genügt nicht."
"Mir würde es genügen." Sie blinzelte, weil ihr plötzlich Tränen in die Augen
stiegen. "Solange du bei mir bist, werde ich mit allem fertig."
In seinen Augen lag ein Ausdruck von Bitterkeit. "Du bist die stärkste Frau, die
ich kenne, Liza. Und die tapferste. Ich ... Ich werde immer stolz darauf sein,
dass du mich geliebt hast." Er blickte auf seine Hand, die zur Faust geballt auf
der Armlehne ruhte. "Du hast wieder einen Mann aus mir gemacht. Dafür werde ich dir immer dankbar sein." "Ich will keine Dankbarkeit, verdammt, sondern dich!“ Sie rappelte sich hoch und breitete die Arme aus. "Dies ist dein Zuhause. Du gehörst hierher, in dieses Zimmer, an meine Seite, wenn wir unser Baby ins Bett bringen." Er zuckte zusammen und sah sie gequält an. "Lass mich gehen. Bitte mach es nicht schwerer, als es ohnehin schon ist." Sein Schmerz schien unendlich zu sein - ebenso unendlich wie ihre Verzweiflung. Sie wusste, dass sie ihn verloren
hatte.
"Wenn du das willst", sagte sie erstickt.
"Es muss sein."
Sie nickte und räusperte sich. "Wirst du wenigstens einmal vorbeikommen,
wenn das Baby auf der Welt ist? Du willst deinen Sohn doch sicher sehen."
Er, schüttelte den Kopf. "Ich verlasse Portland für immer."
"Ohne eine Adresse zu hinterlassen?"
Du hast den Namen meines Anwalts, und Luke hat die Krankengeschichte
meiner Familie. Ich werde meinen Angehörigen von dir und Boomer erzählen.
Wenn du möchtest, dass er sie kennen lernt, habe ich nichts dagegen.“
„Danke.“
„Pass auf dich auf ", sagte er heiser. "Und auf Boomer.“
Sein Blick auf ihrem Bauch war wie eine Liebkosung. "Leb wohl, Liza."
Stumm und unglücklich sah sie zu, wie er die Tasche auf seinen Schoß hob, den
Rollstuhl wendete und davonfuhr. Diesmal würde er nicht zurückkommen.
KAPITEL 11 Liza versuchte, sich auf den schiefen Tonengel auf dem Tisch neben dem Bett zu konzentrieren. Schon während des Lamaze-Kurses, den sie mit Max gemacht hatte, war dieser Engel ihr Angelpunkt gewesen. Sie hatte ihn ausgesucht, weil Max ihn an einem regnerischen Tag für sie gemacht hatte, als die Kinder nicht im Garten spielen konnten und sie unter Kopfschmerzen litt. Er hatte keine Ruhe gegeben, bis sie sich hinlegte, und dann die geplante Bastelstunde selbst gehalten. Wie sich zeigte, hatte er als Bildhauer nicht das geringste Talent, aber diese schiefe kleine Figur war ihr ebenso kostbar wie das letzte Bild ihres Vaters. Diesen Engel in der Hand zu halten, ihn morgens als Erstes und abends als Letztes zu betrachten, hatte ihr als Licht in der Dunkelheit gedient. Als Erinnerung an den liebevollen, wunderbaren Mann, den die Bitterkeit überwältigt hatte. Während der langen, einsamen Stunden, wenn sie nachts wach lag, klammerte sie sich an die Hoffnung, dass dieser Mann eines Tages zu ihr zurückfinden würde. Doch jetzt hatte sie auch diese Hoffnung verlassen.
Boomer erwies sich als ebenso störrisch wie sein Vater.
Anstatt mit dem Kopf zuerst zur Welt zu kommen, schien er entschlossen, es mit
dem Hinterteil voraus zu versuchen. Luke, der einen Kaiserschnitt nur
vornehmen wollte, wenn es absolut nicht anders ging, hoffte, dass das Baby sich
doch noch drehen würde. In der Zwischenzeit beobachtete er die Herztöne
sorgfältig. Bisher stand es unentschieden zwischen dem Arzt und dem Baby,
doch Liza spürte, wie ihre Kräfte nachließen, als eine Wehe nach der anderen
ihren Körper quälte.
Verschwommen nahm sie Stimmen wahr. Prudys ruhige Anweisungen, wann sie
atmen sollte. Die spröden Stimmen von zwei Krankenschwestern. Gelegentlich
vernahm sie Lukes Bass. Der Monitor, der stundenlang vor sich hin gesummt
hatte, brummte plötzlich laut. Liza blickte auf den Bildschirm. "Was ist los?"
keuchte sie.
"Kann sein, dass es dem Kleinen etwas eng wird." Lukes Gesicht war wie aus
dem Nebel aufgetaucht. "Möglicherweise müssen wir ihm ein bisschen helfen."
Er und Prudy wechselten einen Blick. Liza erschrak. Es war genau wie in ihrem
Albtraum.
"Bitte lasst ihn nicht sterben", flehte sie voll Angst.
„Tut, was ihr tun müsst." Die Kräfte verließen sie, und sie sank in die Kissen
zurück.
Max, wo bist du? fragte sie stumm, während ihr Tränen über die Wangen liefen.
"Du machst das sehr gut", sagte Prudy beruhigend und tupfte ihr das Gesicht mit
einem Tuch ab. Jetzt musst du nur noch ein bisschen durchhalten."
Das wollte sie ja gern. Aber sie war so müde.
"Doktor?" Die Stimme war klarer als die anderen und drang sofort zu ihr durch.
Durch die Nebelschwaden, die im Raum zu schweben schienen, versuchte Liza,
etwas zu erkennen. Die Krankenschwester machte Luke ein Zeichen. "Da
draußen ist ein Mann, der darauf besteht, Miss Vargas zu sehen." Ihre Miene
war empört. "Er sagt, er würde eine Tür nach der anderen aufbrechen, bis er sie
findet."
Lizas Herz setzte einen Schlag aus, und ihre trockenen Lippen verzogen sich zu
einem Lächeln. "Das kann nur Max sein." Prudy nickte.
Luke sah sie fragend an. „Ja oder nein?"
Freude erfüllte sie. "Ja", sagte sie. "O ja.“
Noch keine zwölf Stunden alt, hatte Maxwell Joseph Vargas Savage seine Eltern
bereits um den winzigen Finger gewickelt. Mit über neun Pfund, breiten
Schultern und langen Beinen war er das größte Baby auf der Entbindungsstation.
Ein Mordskerl, hatte Luke Jarrod festgestellt, als das Neugeborene in seine
Hände glitt - vollkommen geformt und trotz der langen Geburt sehr kräftig.
Während der letzten Stunde heftiger Wehen, ehe Boomer endlich bereit war,
sein warmes Nest zu verlassen, war Max Lizas Anker gewesen. Sie würde
seinen Gesichtsausdruck niemals vergessen, als Luke ihm seinen Sohn in den
Arm legte.
Tränen standen in seinen Augen, als er auf das zerdrückte rote Gesicht blickte.
Als er zu ihr schaute, sah sie Liebe und Bewunderung in seinen Zügen. Durch
dieses Erlebnis waren sie eins geworden. Ob verheiratet oder nicht, sie waren
jetzt Mann und Frau.
„Er hat dein Kinn“, murmelte Liza benommen, den Blick auf das in seinen
Armen schlafende Baby gerichtet.
Max lachte leise. "Ist das gut oder schlecht?"
„Sagen wir mal, ich betrachte es als Herausforderung." Sie drehte sich so, dass
er sie küssen konnte. Es war ein sanfter Kuss, der gleichsam Leidenschaft
verhieß. "Ich kann immer noch nicht glauben, dass du da bist."
Ein Schatten legte sich über sein Gesicht. "Ich bin fast verrückt geworden, als
ich zu deinem Haus kam und niemand da war. Ruth hat wohl einen ziemlichen
Schock bekommen, als plötzlich ein Irrer auf deiner Veranda saß und sie mit
Fragen bombardierte."
Liza lachte leise und strich über die kräftige Hand, die den Rücken des Babys
stützte. "Ruth und Stacy springen eine oder zwei Wochen bei der
Kinderbetreuung ein, bis ich wieder auf den Beinen bin."
"Einen Monat", verbesserte er. "Mindestens." Sein Ton duldete keinen
Widerspruch. "Anschließend sehen wir weiter."
Liza kuschelte sich an seine Brust. "Du könntest mich ja vertreten", scherzte sie.
"Das könnte ich", stimmte er zu, "aber nur, bis das Herbstsemester an der
Portland State Universität anfängt."
"Du willst wieder auf die Uni?"
"Wenn ich die Aufnahmeprüfung bestehe", schränkte er ein.
"Weißt du schon, welches Fach?"
Er zögerte einen Moment. "Ich wollte es mal mit Medizin versuchen.
Kinderheilkunde. Um die Winzlinge zu behandeln, muss man nicht laufen
können."
Zugleich erstaunt und erfreut blickte sie zu ihm auf. Er wirkte unsicher. "Du
würdest einen wunderbaren Kinderarzt abgeben", sagte sie bestimmt.
Er lächelte. "Vielleicht schaffe ich es nicht, Liza. Das Studium macht mir
weniger Sorgen als die Assistenzzeit mit den ewigen Nachtdiensten. Wenn ich
dann immer noch in diesem Stuhl sitze..."
Sie verschloss ihm den Mund mit einem Kuss. Anschließend waren sie beide
benommen. "Max, denk doch mal nach. Glaubst du wirklich, die Assistenzzeit
könnte anstrengender sein als ein Haus voller Kinder zwischen eins und sechs?"
Zuerst bildeten sich Lachfältchen um seine Augen. Dann begann er zu
schmunzeln. "Wahrscheinlich ist es eine gute Übung."
Ihr wurde warm. "Übung wofür?" erkundigte sie sich unschuldig.
"Für unsere eigene Familie. Wenn du nichts dagegen hast, hätte ich als Nächstes
gern ein kleines Mädchen mit deinen Augen. Natürlich erst, wenn du dich von
diesem Racker hier erholt hast."
Liza lächelte unter Tränen und war überglücklich. "O Max, ich liebe dich so
sehr."
"Und ich liebe dich." Er zog sie fester an sich. "Du hat test Recht, Liza. Vor lauter Stolz habe ich nicht sehen wollen, was wirklich zählt. Ich habe zwei Wochen gebraucht, um einzusehen, dass nichts so wichtig ist, wie mit dir zusammen zu sein. Mit meiner Familie." Ihr Lächeln war verträumt. Als ihr die Augen zufielen, glaubte er, vor Glück zu zerspringen. "Entschuldige", murmelte sie gähnend. "Schlaf ruhig, Liebste", flüsterte er. "Boomer und ich werden hier sein, wenn du aufwachst." Liza seufzte leise. Max blickte auf die beiden Menschen hinunter, die sein ganzes Leben und seine Rettung waren.
KAPITEL 12 "Daddy ist vielleicht eine Schlafmütze!“ Max, der nach einem ausgedehnten Liebesspiel mit der ihm seit einem Jahr und fünf Tagen angetrauten Frau immer noch schläfrig war, spürte, wie das Bett sich senkte und sein Sohn auf seine Brust kletterte. Er öffnete die Augen und glaubte in einen Spiegel zu sehen. „Dada!" krähte Joey und hopste auf und ab. Außer der Windel, die seine Mutter eben um seinen runden Po befestigt hatte, war er nackt. Joey war gerade zwei Tage alt gewesen, als seine Eltern noch in der Klinik geheiratet hatten. Sämtliche Nachbarn einschließlich der Kinder waren dabei gewesen. "He, Boomer, lass deinen alten Vater noch ein bisschen ausruhen. Er hat gerade die letzten Prüfungen hinter sieh und ist völlig fertig." "Bestanden hat er sie auch", warf Liza ein und lehnte sich vor, um ihm einen Kuss zu geben, der mehr verhieß. "Mein Held." Er ließ die Hand über ihre festen Schenkel gleiten. Im vergangenen Jahr hatte er sich manchmal gefragt, ob man noch glücklicher sein konnte als er. "Vor ein paar Tagen hast du noch ganz anders geredet." "Darf eine Ehefrau etwa nicht schmollen, wenn ihr Mann den ersten Hochzeitstag vergisst?" "Ich habe ihn nicht vergessen, sondern wusste nur nicht mehr genau, an welchem Tag er war." Liza fand seinen betretenen Gesichtsausdruck unwiderstehlich. "Ich vergebe dir, weil du mitten in den Prüfungen stecktest, aber nächstes Jahr erwarte ich eine große Feier." "Einverstanden, solange du nicht, verlangst, dass ich mit dir tanzen gehe." Er hatte jetzt wieder Gefühl in den Beinen und konnte sie ungehindert bewegen. Zurzeit arbeitete er mit Randall daran, die Muskeln zu kräftigen, damit er bald ohne die verhassten Schienen auskam.
"Tanzen gehen wir erst am dritten Hochzeitstag", zog sie ihn auf und bekam
Joey gerade noch an seiner Windel zu fassen, ehe er aus dem Bett fiel.
Festgehalten zu werden passte diesem gar nicht, und er begann zu strampeln.
Lachend setzte sie ihn neben Max' Schienen auf den Boden. Da Tilly immer
noch alles anknabberte, was aus Leder war, und Joey es ihr nachgetan hatte, als
er die ersten Zähne bekam, waren die Manschetten bereits ziemlich ramponiert.
„Hast du schon gepackt?" Max hob die Arme über den Kopf und streckte sich
genüsslich. Tags darauf wollten sie für eine Woche zu seiner Familie fahren.
Obwohl solche Besuche meistens sehr turbulent verliefen, fand Liza es herrlich,
Teil dieses großen Clans zu sein.
"Meine Sachen schon. Joeys muss ich noch herrichten. Und du, geliebter
Ehemann, kannst deinen Koffer selbst packen.“
"Kein Problem. Jeans und ein paar T-Shirts, und schon bin ich fertig." Er griff
nach ihrer Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. "Habe ich dir in letzter
Zeit eigentlich gesagt, dass ich ganz verrückt nach dir bin?"
"Nicht seit gestern Nacht", schmunzelte sie. "Neben einigen anderen höchst
erotischen Dingen."
"Was denn zum Beispiel?"
Sie beugte sich vor und flüsterte sie ihm ins Ohr. Das Blut schoss ihm in die
Wangen, und sie lachte. "Ich kann immer noch nicht glauben, dass ein Mann,
der so leicht rot wird wie du, so viele Jahre auf der Straße überlebt hat."
Seine Augen funkelten. "Du bist die Einzige, die mich zum Erröten bringen
kann, mein Schatz." Er zog sie zu sich herunter, damit er ihr noch einen Kuss
geben konnte. "Wann verrätst du mir eigentlich, welche Überraschung du dir als
Belohnung für die bestandenen Prüfungen ausgedacht hast?"
Sie lächelte verträumt. "Mach die Augen zu."
Max blickte zu seinem Sohn. Joey spielte mit dem Kipper, den Ollie Jarrod ihm
zum ersten Geburtstag geschenkt hatte. "Pass auf, dass Mommy mir nichts an
den Kopf wirft, ja?"
Joey schaute auf und griente. Er hatte die gleichen Grübchen wie seine Mutter.
"Augen zu", befahl Liza streng.
Gehorsam lehnte Max sich zurück und schloss die Augen. Liza nahm sich die
Zeit, die entspannten Züge des Mannes zu betrachten, den sie von Tag zu Tag
mehr liebte. Trotz gelegentlicher dunkler Stunden, wenn seine Behinderung ihn
quälte, war er ein wunderbarer Ehemann, bei dem sie sich geliebt und geborgen
fühlte. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie nach seiner Hand griff und sie
gegen ihren Bauch drückte. "Jetzt darfst du sie wieder aufmachen."
Einen Moment lang sah er sie verständnislos an, doch dann begann er zu
strahlen. "Du bist schwanger?"
"Seit sechs Wochen. Diesmal habe ich ein Mädchen bestellt. "
"Komm her", flüsterte er und zog sie zu sich herunter. In seinem Kuss lag
unendlich viel Liebe.
"Dada! "
Wie ertappte Schulkinder fuhren sie auseinander und blickten auf ihren Sohn, der neben Max' Trainingsbank stand und sehr mit sich zufrieden wirkte. Seit einiger Zeit konnte er aufstehen, wusste aber nicht so recht, wie es dann weitergehen sollte. "Das sieht gar nicht so schlecht aus, Tiger", meinte Max schmunzelnd. Joey lachte und streckte beide Hände aus. Er hob das Kinn, runzelte die Stirn und machte plötzlich einen schwankenden Schritt nach vorn. Liza wollte aufspringen, doch Max hielt sie zurück. "Das muss er allein schaffen", sagte er leise. "So ein großer, starker Junge!" lobte sie. Sie hatte einen Kloß im Hals. "Mama ist so stolz auf dich." Joey schaffte noch zwei Schritte, bevor er auf seinem Hosenboden landete. Einen Moment wirkte er verblüfft, dann begann er zu weinen. "Jetzt kannst du ihn trösten", sagte Max und ließ sie los. „Ein Kuss und eine liebevolle Umarmung genügten, um den Knirps wieder lachen zu lassen. "Wollen wir in die Küche gehen und Pfannkuchen für Daddy machen?" fragte sie und küsste ihn auf die kitzlige Stelle im Nacken, die er mit seinem Vater gemeinsam hatte. Er kicherte und deutete auf seinen Vater. "Dada!" Liza drehte sich um und sah Max neben dem Bett stehen. Nur die Unterarmkrücken stützten ihn. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. "Ich kann es doch nicht zulassen, dass mein Sohn mich in den Schatten stellt", sagte er, als er Lizas besorgten Blick bemerkte. Mit angehaltenem Atem sah sie zu, wie er sich aufrichtete. Die Hände, die die Griffe umklammert hielten, waren weiß, und seine Oberarmmuskeln traten hervor. Langsam setzte er ein Bein vor, dann das andere. Drei Schritte schaffte er bis zum Fußende, ehe er auf die Matratze sank. Er war nass geschwitzt, doch in seinen Augen stand Triumph. "So ein großer, starker Junge", wiederholte sie ihre Worte von eben. Ihre Stimme war heiser. "Ich liebe dich unendlich." Max' Blick wurde weich. "Traust du dich auch, mir das aus der Nähe zu sagen?" fragte er und streckte die Hand aus. Zwei Sekunden später war sie in seinen Armen. Joey, der nicht beiseite stehen wollte, drängte sich dazwischen. Max umarmte seine Familie fest und drückte das Gesicht ins Haar seiner Frau. Zum zweiten Mal als Erwachsener weinte er - diesmal vor Glück. - ENDE –