KLEINE B I B L I O T H E K DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR -UND KULTURKUNDLICHE HEFTE
ROY ANDREWS I N
D E R
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KLEINE B I B L I O T H E K DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR -UND KULTURKUNDLICHE HEFTE
ROY ANDREWS I N
D E R
W Ü S T E
G O B I
AUF DEN SPUREN DER SAURIER
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2006.12.23 09:34:39 +01'00'
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU•MÜNCHEN•INNSBRUCK- BASEL
Vor vierzig Jahren erschloß Roy Chapman Andrews vom weltberühmten Amerikanischen Naturhistorischen Museum in New York die Wüste Gobi in Zentralasien als erster der naturgeschichtlichen Forschung. Nach umfassendem Sprachstudium, nac gründlichen Studien und Arbeiten in den Laboratorien und Instituten des berühmten Museums und nach Tierforschungsreisen in viele Länder und Meereszonen der Erde, führte ihn wahrem des ersten Weltkrieges eine Expedition zum ersten Male in jenes „Sandmeer" im Osten der Mongolei, das bis dahin fast nur von Kriegerscharen oder Handelskarawanen durchzogen worden war Der erste Einblick in diese urtümliche Landschaft hatte ihm verraten, daß hier ein Feld für vielfachste Forschungsaufgaben noch unerschlossen lag. Sein Entschluß stand fest: Die Wüste Gob sollte der Schauplatz einer großen Expedition werden, wie sie bis dahin noch von niev.and unternommen worden war. Mit diesem Ziel vor den Augen, kehrte Andrews nach New York zurück, um die amerikanische Öffentlichkeit für seinen Plan zu gewinnen. Herr Osborn ist einverstanden ,Drei Tage nach meiner Ankunft in New York', so erzählt Roy Andrews rückblickend, ,frühstückte ich mit dem Präsidenten des] Naturhistorischen Museums, Professor Osborn, in seinem Büro im j fünften Stockwerk des Museumsgebäudes. Der Professor wußte, daß! mir etwas Wichtiges im Kopfe herumging. Als der Kaffee serviert war und wir gemütlich rauchend beieinandersaßen, begann er: „Nun, lassen Sie hören. Vermutlich eine neue Expedition." „Jawohl, das ist der Grund für meine Rückkehr. Eine Expedition nach Innerasien zur Untermauerung Ihrer Theorie, daß Zentralasien die Mutter eines großen Teiles der Tierwelt Europas und Amerikas ist. Und besonders, um Zeugnisse für vorgeschichtliche Menschen zu finden. Die Wüste Gobi ist der geeignete Platz." „Gut", entgegnete der Präsident. „Wie stellen Sie sich also das Ganze vor?" Ich begann zu erklären. Nach zwei Minuten glänzten die Augen Professor Osborns. Die Pfeife war ihm ausgegangen, er blickte mich scharf an und verschlang jedes meiner Worte, als ich sagte: 2
Mehr noch, wir sollten versuchen, die ganze Geschichte des innerasiatischen Hochlandes zu rekonstruieren; seinen erdkundlichen Aufbau, seine Versteinerungen, das ursprüngliche Klima und seine Pflanzenwelt. Wir müssen die dort lebenden Säugetiere, die Vögel, Fische, Reptilien und Insekten sammeln, auch seine Pflanzen, und die unerforschten Teile der Gobi auf Karten aufnehmen. Intensive Forschung einer neuen Art, die für die Lösung eines einzigen Problems ein halbes Dutzend Fachwissenschaftler einsetzt. Die Spezialisten werden einander dabei helfen, die Funde gleich an Ort und Stelle zu unVersuchen und zu deuten. Kurz, die größte Expedition zu Lande, die die Vereinigten Staaten je verlassen hat." „Es ist natürlich ein Glücksspiel", sagte er, „wenigstens soweit es versteinerte Tiere betrifft. Die Russen haben nie welche in der Gobi gefunden. Wieso glauben Sie, wird es Ihnen besser ergehen?" „Aus dem Grunde, v/eil ihre Arbeit nur von der Politik beeinflußt war. Sie haben ein paar ordentliche Leute gehabt, aber die hatten den Auftrag, wirtschaftliche oder politische Ergebnisse zu erzielen. Zudem benützten sie ausschließlich Kamele. Ihr Tagesdurchschnitt betrug deshalb nur zehn Meilen. Wir werden Autos haben. Wir können hundert Meilen am Tage zurücklegen und sind so, wenn meine Schätzung richtig ist, imstande, in einem einzigen Sommer dasselbe zu leisten wie sie in zehn. Anstatt, wie sie es taten, zu überwintern und durch die Kälte fast zugrunde zu gehen, werden wir jeden Herbst in die Quartiere zurüdekehren, die wir uns in China besorgen wollen." „Woher wissen Sie, daß Sie in der Wüste Autos verwenden können?" fragte Osborn. „Ich weiß es selber nicht. Doch glaube ich zuversichtlich, daß es geht. Es ist hauptsächlich eine Sache der Vorbereitung. Das Gelände besteht größtenteils aus Kies, ich denke nicht, daß es viel losen Sand gibt. Wir müssen genügend Ersatzteile haben und Fachleute, die aus den Ersatzteilen, wenn nötig, einen neuen Wagen bauen können. Solche Leute gibt es. Ich kann sie mir verschaffen." „Wie stellen Sie sich die Versorgung Ihrer Wagen mit Treibstoff vor? Für weite Strecken können Sie nicht genügend mit sich führen." „Wir werden eine Hilfs-Kamelkarawane zusammenstellen. Sie 3
.wird genauso funktionieren wie ein Hilfsschiff für eine Flotte auf See. Die Kamele müssen Monate vor uns, müssen schon während des Winters aufbrechen, und wir werden sie sechs oder siebenhundert Meilen weit in der Wüste an einem bestimmten Platz treffen. Sie werden Treibstoff, Proviant und das meiste unserer Ausrüstung mit sich haben und anschließend die Sammelstücke zurückbringen." „Wie denken Sie sich Ihren wissenschaftlichen Stab", fragte mich der Präsident. „Wie wollen Sie sich die Arbeit einteilen?" „Wir müssen die ersten Leute der Welt mithaben, die alle Wissenschaften vertreten und das wird uns bei der Lösung der Probleme helfen." „Wahrscheinlich aber", warf Präsident Osborn ein, „können nicht alle am selben Ort und gleichzeitig arbeiten." „Daran habe ich auch schon gedacht. Wir werden drei oder vier Gruppen bilden, jede vollständig und in der Lage, sich mindestens vierzehn Tage unabhängig zu behaupten. Das Hauptlager wird die Ausgangsstellung bilden, und jede Gruppe wird außerhalb dieser Basis arbeiten." Osborn richtete noch viele Fragen an mich. Am Ende sagte er: „Die Sache muß möglich sein. Der Plan ist wissenschaftlich in Ordnung. Außerdem packt er die Phantasie. Die Finanzierung bildet das einzige Hindernis. Sie schätzen die Kosten auf eine Viertelmillion Dollar. Eine schöne Stange Geld, noch dazu bei der gegenwärtigen schweren wirtschaftlichen Depression. Unser Museum wird natürlich tun, was es kann, aber in Geld wird sich diese Hilfeleistung nicht sehr ausdrücken. Die Geldbeschaffung wird also Ihre Sache sein, Andrews. Haben Sie schon eine Idee in dieser Richtung?" „Meine größte Chance, glaube ich, besteht darin, ein ,Expeditionskomitee' mit einem großen Tier an der Spitze zu bilden. Sie wissen ja, wie die New Yorker Gesellschaft einem solchen als Führer nachläuft. Gibt ihnen jemand das Beispiel, so werden sie glauben, daß es ein gesellschaftliches ,Muß' bedeutet, mitzutun." „Gewiß", sagte Präsident Osborn gedankenvoll, „das könnte nicht schlecht sein, jedenfalls ist es einen Versuch wert, und ich glaubender beste Weg. Die Sache ist groß genug, um Leute zu interessieren, die in großen Linien zu denken gewohnt sind."
Kamelkarawane bringt Nachschub heran „Dann will ich also, da die Sache mit Ihnen all right ist, sofort anfangen — gleich morgen." Osborn lächelte. „Trotz aller Schwierigkeiten, ich bin sicher, Sie werden es schaffen." Die Reisekasse füllt sich Meine Idee, daß die Expedition als gesellschaftliche Modesache dieses Winters finanziert werden könne, erwies sich als hundertprozentig richtig. Ein Diner und ein anschließender Empfang, bei dem ich Lichtbilder aus der Mongolei vorführte, waren der Beginn einer Flut von Einladungen. Abend für Abend knüpfte ich mir den weißen Binder um und zog den Frack an und sprach in einem der großen Häuser New Yorks über die Wüste Gobi. Präsident Osborn 5
war mir ein zuverlässiger Helfer. Er stellte sein großes wissen schaftliches Ansehen und seine gesellschaftliche Position in meine Dienste und verschaffte mir zu vielen hochbedeutsamen Leuten Zutritt. Ich suchte die Wall Street, die Geldleute, heim, sprach bei Ein ladungen, ging zu Tees, hielt am Abend öffentliche Vorträge, schrieb Artikel für Zeitschriften und ein Buch. Niemals gab es einen Augenblick der Erholung. Verglichen mit diesem harten Kampf um das Geld war die Arbeit draußen in der unbekannten Natur ein Kinderspiel. Aber der Nordpolfahrer Peary und all die anderen Forscher hatten dieselbe schwere Prüfung bestehen müssen. Dieser Kampf war der Preis, den man für die Erfüllung seiner Pläne zahlen mußte. Mit einer Fünfzigtausend-Dollar-Spende Rockefellers hatte der Expeditionsfonds die Zweihunderttausend-Dollar-Grenze erreicht, und ich glaubte, daß es an der Zeit sei, eine breitere Öffentlichkeit über unsere Pläne zu informieren. Einladungen ergingen an d Redaktionen. Einundzwanzig Reporter fanden1 sich zur Pressekonfe renz ein. Der Bericht nahm die Titelseite der New Yorker Zeitungen ein und wurde über die ganze Welt gekabelt. Jedenfalls störte es mich aber in höchstem Grade, daß die Presse den Nachdruck auf die Suche nach den Überresten früherer Menschen legte, statt auf die breiteren Ziele unserer Expedition, die wir zu erreichen hofften. Doch wir konnten nichts dagegen unternehmen. Ununterbrochen boten sich uns in der folgenden Zeit Leute brieflich oder telegraphisch zum Mitkommen an, viele sprachen persönlich vor. Die Zahl stieg bis auf zehntausend, darunter dreitausend Frauen. Zwei Sekretärinnen hatten alle Hände voll zu tun. Das Tempo meiner Beschäftigung wuchs so an, daß jede Nacht vier oder fünf Stunden Schlaf das Äußerste waren. Doch als wir im März 1921 bereit waren, nach China abzusegeln, war die Viertelmillion Dollar voll gezeichnet, der Stab ausgesucht und die umfangreiche Ausrüstung verschifft. Die Tatsache, daß uns die persönlichen Wünsche des Präsidenten der Vereinigten Staaten und die des Staatssekretärs begleiteten, bot uns weitere Genugtuung. Ich war mit meinen Nerven nahezu fertig, aber der erste Teil unseres Geschäftes war glücklich erledigt. Es blieb nur die Bewährung draußen in den Weiten Asiens übrig.
Was die Verwendung von motorisierten Fahrzeugen in der Wüste angeht, so muß ich sagen, daß dieser Entschluß meines ganzen Mutes und meiner ganzen Überzeugung bedurfte. Niemand glaubte, daß es möglich sei. Es gab Voraussagen, daß wir, wenn wir überhaupt zurückkehrten, auf Kamelrücken zurückkommen würden. Keine Gesellschaft wollte unsere Wagen gegen Totalverlust versichern. Wir konnten im ersten Sommer natürlich noch nicht in der Mongolei und in der Wüste Gobi sein. Zu viele vorbereitende Schritte mußten vorher unternommen werden. Zunächst hatte ich ein passendes Haus als Haupt- und Rückzugsquartier für die Expedition zu finden, mit den chinesischen und mongolischen Regierungsstellen die verwickelten diplomatischen Geschäfte zu erledigen, Kamele zu kaufen, einen Stab von Einheimischen anzuwerben, Proviant und Ausrüstung zu verpacken und während des Winters die Karawane abzufertigen, so daß sie, wie es verabredet wurde, rechtzeitig sechshundert Meilen weit drinnen in der Wüste mit unserer motorisierten Gruppe zusammenträfe. Alle diese Dinge waren schließlich getan, und wir verließen am 17. AP"! 1922 Peking mit dem Ziele Kaigan, dem Tor zu dem großen Hochland der Mongolei. Endlich waren die Jahre der Vorbereitung, die Monate voller Spannung und Sorgen vorbei. Die eigentliche Arbeit draußen hatte begonnen. Der erste Dinosaurier Es .ist unmöglich, mehr als ein paar Vorfälle während dieser aufregenden Monate in der Wüste zu schildern, doch einzelne Bilder blieben in meinem Gedächtnis wie ein scharfes Lichtbild haften. Das eine stammt von dem Tage, an dem wir die ersten Fossilien fanden, versteinerte Reste von Lebewesen der erdgeschichtlichen Vergangenheit. Nie werde ich ihn vergessen. An einer vielversprechend aussehenden Stelle gelben Kieses, am Rande eines großen Beckens mit Salbeigesträuch, setzte ich meine Mitarbeiter, die Geologen Berkey, Granger und Morris, ab. „Sie bleiben hier", sagte ich, „und sehen sich ein wenig um. Ich werde fünf Meilen weiter, wo die Karawane für uns Treibstoff abgeladen haben soll, Lager machen." 7
Die Lagerzelte wurden am Fuße eines niedrigen, weißgrauen Felsrückens aufgeschlagen. Noch während ich dem Untergang der Sonne zusah, der den Himmel in Gold und Rot tauchte, rumpelte bereits der Wagen mit den Geologen ins Lager. Ich wußte sofort, daß sich etwas Ungewöhnliches ereignet haben müsse, denn keiner sprach ein Wort, nur Walter Grangers Augen leuchteten. Er war der Chef-Paläontologe*). Schweigend griff er in die Tasche und brachte eine Handvoll Knochenreste zum Vorschein; aus seinem Hemd zog er den Zahn eines Titanotheriums, eines ausgestorbenen, plumpen Tieres von Elefantengröße mit einem Paar aufragender Zapfen über dem Maul. Die verschiedenen Falten seines Anzuges bargen andere Fossilien. Die Geologen Dr. Berkey und Dr. Morris waren in einer ähnlichen Weise beladen. Walter streckte seine Hand aus: „Roy, es ist erreicht. Hier ist das Zeug. Wir sammelten fünfzig Pfund Knochen in einer Stunde." Da lachten wir alle, schüttelten uns die Hände, schlugen einander auf den Rücken und taten all das, was Männer tun, wenn sie sehr glücklich sind. Kein Goldwäscher hat je seine Pfanne voller Goldstaub mit größerem Interesse betrachtet als wir dieses kleine Häuflein fossiler Knochen. Das fossile Rhinozeros kannten wir gut und ebenso das Titanotherium, aber kein Titanotherium war je außerhalb Amerikas gefunden worden. Die anderen Stücke stammten von kleineren, im Augenblick nicht genau bestimmbaren Tieren. Während das Mahl zubereitet wurde, wanderte. Granger hinaus, entlang des weißgrauen Felsbrockens, der wie ein ruhendes Reptil sich westlich vom Lager hinzog. Selbst bei schon mangelndem Licht fand er ein halbes Dutzend fossiler Knochen. Wir sagten uns, daß da noch eine Ablagerungsstätte direkt vor unserer Tür lag. Am nächsten Morgen, gerade als ich zur Jagd aufbrechen wollte, kam Dr. Berkey ins Lager zurück. Für einen Geologieprofessor der an*) Die Paläontologie, die Versteinerungskunde, die Wissenschaft von den Fossilien, befaßt sich mit den Überresten von Lebewesen der. geologischen Vergangenheit, untersucht sie und ordnet sie systematisch ein. Die paläontologische Forschung will u. a. auch Auskunft geben über die Entwicklung und die Vergangenheit des Menschengeschlechtes. 8
gesehenen Columbia-Universität benahm er sich einigermaßen wunderlich, aber er wollte mir keine Erklärung geben. „Kommen Sie mit!" war alles, was er sprach. Als wir die Höhe erreicht hatten, sah ich Granger auf den Knien liegend etwas mit einem Kamelhaarpinsel bearbeiten. „Werfen Sie einen Blick hierher und sagen Sie, was man damit anfangen kann!" sagte Berkey. Ich erblickte einen mächtigen Knochen, wunderbar erhalten, wie aus dem Fels herauswachsend. Es gab keinen Zweifel. Er stammte von einem Dinosaurier, einem Vertreter jener „Dradienechsen" von eidechsen- oder känguruhartiger Gestalt und oft ungeheurer Körpergröße, die im Erdmittelalter gelebt hatten. Bis zu elf Meter hoch und bis zu 30 Meter lang bewegten sich diese Saurier auf zwei oder auf vier Füßen, wiesen meist nur einen kleinen Schädel und ein kleines Gehirn auf und lebten auf dem Lande oder in Sümpfen.
Saurierköpfe — Millionen Jahre alt 9
„Das bedeutet", sagte Dr. Berkey, „daß wir auf Ablagerungen der Kreidezeit aus dem Zeitalter der Reptilien stehen; es sind die ersten Kreideablagerungen und der erste Dinosaurier, die jemals in Asien nördlich der Himalajaberge entdeckt wurden." Für einen Nichtwissenschaftier ist es schwer, die Wichtigkeit dieser Entdeckung richtig abzuschätzen. Mit ihr hatten wir eine vollkommen neue geologische Periode dem bisherigen Wissen über das Festland Zentralasien eingefügt und einen paläntologischen Ausblick blendendster Art eröffnet. Zusammen mit dem Rhinozerosund Titanotherien-Zähnen bildete der Dinosaurier-Fuß-Knochen den ersten Hinweis darauf, daß die Theorie, derentwegen wir die Expedition organisiert hatten, auf Richtigkeit beruhen mochte: nämlich die Annahme, daß Asien das Mutterland der Lebewesen Europas und Amerikas ist. Ein paar Tage später trafen wir mit unserer Karawane zusammen, die mitten im Winter, Monate bevor wir Kaigan mit unseren Autos verlassen hatten, aufgebrochen war. Als Treffpunkt war ein Brunnenplatz, „Turin" genannt, bestimmt worden. Er lag zu Füßen eines alten Berges, in grauen Zeiten von majestätischer Höhe, aber nun von Wind und Wetter zu einem zackigen Granitmassiv abgetragen, das sich wie die Ruine einer Bergfestung aus der Ebene erhob. Um Mittag trafen wir am Fuß des „Berges" ein und sahen in einiger Entfernung eine große Karawane neben dem Wege lagern. Schon bald konnten wir die amerikanische Flagge, die auf einer der Traglasten flatterte, deutlich erkennen. Merin, der mongolische Karawanenführer, sagte, daß er erst eine Stunde vor uns angekommen sei. Es war genau der Tag, den ich vor Monaten als Tag der Begegnung festgelegt hatte. Während der ganzen Expedition funktionierte die zeitliche Abstimmung von Autos und Karawane außerordentlich gut und genauso wie geplant. Gelbe Windteufel Wir kampierten mitten auf dem Bergplateau, auf einem grasbedeckten Grund, und hatten der Karawane Auftrag gegeben, uns zu folgen. Ich erklomm gerade einen flachen Granitfelsen, als das große, weiße Leitkamel, das die amerikanische Flagge führte, hinter einem Felsblock hervorkommend, als erstes erschien. Majestä10
tisch eines hinter dem anderen traten die Tiere zwischen den Felsen hervor, eine scheinbar endlose Reihe. Bei dem Anblick lachte mir das Herz im Leibe. Die Kamele gingen schaukelnden Schrittes an den Zelten vorbei, fielen wie Soldaten in drei Reihen ab und ließen sich auf die Knie nieder, um sich ihre Lasten abnehmen zu lassen; dann rappelten sie sich unter den üblichen Schreien und Bissen wieder in die Höhe und drängten den Berghang hinunter auf die Ebene und knabberten emsig am Pflanzenwuchs. Mehr als einen Monat lang machten uns dann zu Frühlingsbeginn Sandstürme das Leben sauer. Eine Eintragung in meinem Tagebuch vom 14. Juni zeigt deutlich, was wir auszustehen hatten, bis der Juli Hitze, Luftspiegelungen und aufregende Stürme brachte. Es war eine leichte Brise gegangen, aber plötzlich trat völlige Windstille ein, die schwer und bedrückend auf uns lastete. Allmählich merkte ich, daß die Luft stärker und stärker zu vibrieren begann und mit einem andauernden, gleichmäßigen Rauschen erfüllt war, das von Sekunde zu Sekunde lauter wurde. Da verstand ich. Einer der fürchterlichsten Wüstenstürme war im Anzug. Das seichte Becken schien zu rauchen wie der Krater eines Vulkans. Gelbe „Windteufel" drehten sich in die Höhe und wirbelten über die Ebene. Vom Norden her näherte sich eine unheilschwere, gelblichgraue Wolkenbank mit der Geschwindigkeit eines Eilzuges. Ich wollte zum Lager zurücklaufen, doch fast im selben Augenblick begannen tausend kreischende Teufel mein Gesicht mit Sand und Kies zu bombardieren. Ich bekam kaum Luft, und sehen konnte ich überhaupt nichts. Ich erreichte den Rand des Beckens und versuchte, gegen den Sturm aufkreuzend, die Zelte zu erreichen. Nicht einmal der Boden zu meinen Füßen war sichtbar. Nach zehn Minuten, vielleicht war es eine halbe Stunde, stolperte ich in eine Vertiefung. Dort blieb ich liegen Und versuchte zu denken. Plötzlich erkannte ich an meiner Seite Gestalten durch den erstickenden Staub. Ich streckte den Arm aus und hielt eine von ihnen am Fuß. Es waren drei von unseren Leuten. Wir preßten einer dem anderen den Mund ans Ohr und hielten auf diese Weise eine Beratung ab. Einer dachte, daß unsere Zelte im Süden lägen. Ich selber hatte keine Ahnung. Dann klammerten wir uns 11
aneinander und krochen so durch die Dunkelheit. Schließlich rannten wir an ein schwarzes Ding an. Es war das Küchenzelt, das zwar noch stand, jedoch von jeder neuen Bö in Stücke gerissen werden konnte. Wir krochen hinein, legten uns auf den Boden und preßten unsere Gesichter in nasse Tücher. Das war die einzige Möglichkeit zu atmen. Der Orkan dauerte eine Stunde, und dann trat lautlose Windstille ein. Kein Lüftchen bewegte die Flagge, die schlapp über dem Messezelt hing, das vom Sturm fast völlig zerfetzt war. Nach dem tobenden Gebrüll des Sturmes war die Stille beinahe unheimlich. Die Ruhe dauerte jedoch nur kurze Zeit, dann erhob sich der Wind von neuem und erreichte wieder Orkanstärke. Zwei Wochen tobte er beinahe ohne Unterbrechung, bis unsere Nerven schon am Zerspringen waren. Aber wir wußten, daß er ja einmal aufhören und den heißen sonnigen Tagen weichen mußte, an denen eine Brise •willkommen sein würde. Wir entdecken das größte Säugetier der Welt Der vierte August bildete einen der Höhepunkte der Expedition, denn an diesem Nachmittag entdeckte Walter Granger Teile eines Baluchitheriums, des „Tieres von Belutschistan". Es war das gigantischste Säugetier, das jemals über die Erde ging, beschrieben war es aber bisher nur auf Grund von drei Wirbel- und einigen Fußknochen, die man in Belutschistan, einer Landschaft in Pakistan, gefunden hatte. Niemand wußte, was für ein Tier das eigentlich war. Nun konnte das Geheimnis gelüftet werden. Nur wenige paläontologische Entdeckungen haben mehr Aufregung verursacht. Granger hatte das Ende des Oberarmknochens oder den oberen Vorderbeinknochen ausgegraben und eine Seite des Unterkiefers mit Zähnen so groß wie Äpfel. Das war an und für sich eine feine Sache, doch was wir am allerdringendsten benötigten, war ein Schädel. Wir sprachen bis spät in die Nacht. Als ich mich schlafen legte, ging mir dieses größte Säugetier aller Zeiten im Kopf herum und ich träumte lebhaft, daß ich den Schädel des Tieres entdecken würde. Obwohl Granger es für sicher hielt, daß er alle freiliegenden Kno12
dien gefunden habe, entschloß ich mich doch, zu dem Platz noch einmal zurückzugehen und weiterzusuchen. • Mit Shackleford und Wang, einem chinesischen Chauffeur, machte ich mich nach dem Gabelfrühstück auf den Weg. Die beiden suchten am Boden eines Bachbettes herum, während ich die beiden Hänge inspizierte und dann und wann mit meiner Spitzhacke an auffallenden Stellen grub. In ungefähr fünf Minuten hatte ich die Höhe des Bergrückens erreicht und blickte auf die andere Seite hinunter. Ein Knochenbruchstück, das aus dem Schlemmsand herausragte, machte mich mit einem Male stutzig. Seine Farbe war unmißverständlich, deutete auf ein sehr hohes Alter. Mit einem Schrei sprang ich den steilen Hang hinunter. Als Shackleford und Wang herzukamen, fanden sie mich auf dem Boden knien und wie ein Terrier scharrren. Schon war ein großes Knochenstück ausgegraben und ein Dutzend weitere Skelett-Teile waren im Sande sichtbar. Sie waren ausgezeichnet versteinert und so hart, daß wir nicht fürchten mußten, sie zu zerbrechen. Unter fast hysterischem Gelächter gruben wir Knochenstück um Knochenstück aus, daß der Sand nur so flog. Plötzlich stießen meine Finger an einen großen Block. Shackleford folgte ihm mit der Hand bis zum anderen Ende und brachte einen Zahn zum Vorschein. Mein Traum war Wirklichkeit geworden! Es war der Schädel eines Baluchitheriums. Um sechs Uhr, als die Männer gerade ihren Morgentee tranken, stürmten wir, wie Kinder schreiend, ins Lager. Granger hatte in seiner paläontologischen Laufbahn so viele wichtige Entdeckungen gemacht, daß er nicht leicht aus der Ruhe zu bringen war, aber unsere Geschichte ließ ihn aufhorchen. Er war genauso aufgeregt wie wir anderen. Obwohl wir wußten, daß das Baluchitherium ein kolossales Tier sei, waren wir doch von der Größe dieser Knochen überrascht. Es war ein Riese selbst unter Riesen. Als die Überreste und andere, die wir später noch fanden, im Museum von Professor Osborn in New York untersucht wurden, erklärte er, daß das Tier zur Familie der Nashörner, der Rhinozerosse, gehöre, aber ohne Hörn gewesen sei. Die Schulterhöhe betrug über fünf Meter, die ..Körperlänge sieben Meter zwanzig, es hatte einen langen Hals, stelzen13
hafte Glieder und vermutlich zum Greifen geeignete Lippen, mit denen es in der Lage war, sich wie eine Giraffe das Grün von hohen Baumzweigen zu holen. Ein sehr groß gewachsener Mann hätte leicht unter seinem Bauch durchgehen können. Das „Baluch" lebte im „Oligozän", der drittältesten Epoche des Tertiärzeitalters, vor ungefähr fünfunddreißig bis vierzig Millionen Jahren, und war auf die Lebensbedingungen dieses Zeitalters so einseitig eingestellt, daß es, als Klima und Vegetation wechselten, sich nicht anpassen konnte und ausstarb, ohne jemals Zentralasien verlassen zu haben. Ein anderer bemerkenswerter Tag auf der ersten Expedition war der, als Granger und ich auf einer namenlosen Bergspitze des Altaigebirges standen, jenes Teiles der gebirgigen Nordumwallung Asiens, der auch Gobi-Altai genannt wird. Soweit unser Auge reichen konnte, unerforschtes Land, ein großer weißer Fleck auf der Landkarte. Wir genossen einen ungeheuren Rundblick über ein sich in die Ferne verlierendes, gelb leuchtendes Hügelland, durchschnitten von Schluchten und Wasserrinnen. Vom Fuße des Berges aus breiteten sich, aus dunklen Tälern kommend, riesige Fächer nacheiszeitlichen Schwemmlandes wie smaragdgrüne Teppiche bis zu einer Kette von Sanddünen am Rande eines Wüstensees hin. Weit oben im Norden lief ein merkwürdiger roter Tafelberg durch die Mitte eines langen, engen Tales, oben mit schwarzer Lava bedeckt. Am nächsten Tag gingen wir hin und betraten es durch eine felsige Klamm. Über das Südende des Tales erstreckte sich ungefähr eine halbe Meile lang in einer Schlangenlinie eine Mauer aus Lavablöcken. Unser Geologe erklärte, daß sie von irgendeinem vormongolischen Volk vor vielen Jahrhunderten erbaut sein müsse. Das östliche Ende des Tales brach jäh in ein Gewirr von Schluchten und Abgründen ab. Wir schienen in einem längst dahingegangenen Gestern zu leben. Jeden Augenblick mochten Dinosaurier aus den großen, roten Canons heraus durch unsere Zelteingänge treten. Einer unserer Leute fand das Skelett eines Dinosauriers, das völlig in Eisen verwandelt war. Es lag in einem Block von dunkelgrauem, bis schwarzem „Eisenglanz", Hämatit, und hatte sich teilweise aus dem Untergrund gelöst, konnte aber nicht geborgen werden. Das bereitete uns Tantalusqualen, denn dieser Dinosaurier stellte eine Art dar, die bisher der Wissenschaft unbekannt war. 14
Ein rätselhafter Schädel Am 30. August brachen wir unser Lager ab und machten uns ostwärts auf den Weg nach dem Brunnen „Zu den süßen Wassern", Zwischen uns und dem Brunnen war auf dem weißen Fleck der „Landkarte" nichts anderes eingezeichnet als eine Bergkette, neunzehnhundert Meter hoch. Wie die Motoren unserer Kraftwagen sie bezwingen sollten, war mir unklar. Vielleicht konnten wir einen Paß finden. Es gab aber jedenfalls keinen anderen Weg, und so bat ich unsere Geographen, nach dem Kompaß einen direkten Kurs zum Brunnen zu legen. Drei Tage lang kämpften wir uns Meile um Meile gegen Osten durch. Das Gelände war für die Wagen denkbar schlecht — nichts als Kies, Sand, Rinnen, Gräben, Felsen und Gerolle, nirgends ein Zeichen von Wasser. Die Berge gingen uns nicht aus dem Kopf, doch nicht einmal ein Hügelchen unterbrach den flachen Horizont. In der zweiten Nacht hatten die Geographen unseren Standort nach den Sternen festgestellt. Danach mußten wir die „Berge" längst hinter uns haben. Sie existierten gar nicht. Der Wassermangel machte mir große Sorge. Die großen Fässer und alle Schläuche waren leer. Der letzte Tropfen war in die Kühler der Wagen gegangen. Jedermann war durstig. Am dritten Tage, knapp vor Sonnenuntergang, waren fern gegen Süden am Wüstengrund drei bewohnte Jurten zu sehen. Wo Menschen sind, mußte es auch Wasser geben. Unser Photograph Shackleford fuhr mit mir im ersten Wagen, eine Meile vor den anderen. Ich sagte zu ihm: „Warte hier und halte die anderen auf, wenn sie nachgekommen sind. Ich werde zu den Jurten fahren und fragen, ob Wasser zu finden ist." Er stieg aus, und ich fuhr zu dem Mongolenlager. Nur ein Mann mit seinem Weib befand sich dort. Der Anblick meines Wagens hatte sie fürchterlich erschreckt. Nicht einmal im Traum war ihnen etwas Ähnliches je begegnet. Die Frau kniete sdireiend in einer Ecke des Zeltes, und als sie mich sah, bekam sie Angstkrämpfe. Der Mann versuchte davonzulaufen. Ich holte ihn ein. Zigaretten und ein paar freundliche Worte mäßigten schließlich die Furcht der beiden Leute. Ich schenkte der Frau einen Blechspiegel. Zum erstenmal erblickte sie darin ihr Gesicht. Sie schien erfreut, obwohl ich den 15
Grund hierfür nicht entdecken konnte. Der Mongole sagte mir, daß nicht weit entfernt ein Brunnen sei. Als ich zu den Wagen zurückkehrte, waren alle Männer um den Chef-Paläntologen Dr. Walter Granger versammelt. In seiner Hand hielt er ein weißes Schädelskelett, zwanzig Zentimeter lang. „Schau dir das einmal an", empfing er mich. Ich prüfte es sorgfältig. Es war von einem Reptil, wahrscheinlich von einem Dinosaurier, doch ich hatte niemals etwas Ähnliches gesehen. Aber auch nicht Granger und Professor Berkeley, unser Geologe. „Wo", fragte ich, „hast du es her?" „Shackleford fand es dort drüben." Er zeigte dabei nach Norden, wo die Umrisse eines roten Felsens am Rande der Ebene zu sehen waren. Shackleford sagte, daß er den Männern in den anderen .Wagen aufgetragen habe, auf mich zu warten, und daß er dann auf Entdeckung ausgegangen sei. Er sei an den Rand eines trockenen Beckens gekommen und ein Stückchen hinuntergeklettert, um zu sehen, ob es dort etwas gebe. Gerade vor ihm auf einer Spitze verwitterten Sandsteins habe der weiße Schädel gelegen. Er habe ihn aufgehoben und sei zu den Wagen zurückgeeilt. Shacklefords Entdeckung schien so wichtig, daß wir weitersuchen mußten. Der Mongole hatte gesagt, daß sich der Brunnen am Boden des Beckens befinde. Wir konnten dort die Nacht über lagern, Wasser nachfüllen und bis zur Dunkelheit auf Fossilien jagen. Die „Flammenden Klippen" Es war ein phantastischer Ort, eine ungeheure Schüssel, die von Wind, Frost und Regen aus der Ebene wie herausgeschnitten war. Gigantische Tafelfelsen standen wie merkwürdige vorgeschichtliche Ungeheuer aus dem Sandstein herausgemeißelt. Sie schienen wie mittelalterliche Burgen. In unserer Einbildung konnten wir uns Turmspitzen und Wachtürme vorstellen, Zugbrücken, Wälle und Mauern. Klüfte drangen tief in den Felsen, die von einem Labyrinth von Schluchten und Rinnen durchschnitten waren. Bei Sonnenuntergang schienen die Felsen in Flammen zu stehen. Wir nannten den Ort die „Flammenden Klippen". 16
Fußstapfen eines Tieres aus der Kreidezeit - Sobald wir das Lager aufgeschlagen hatten, verteilten wir uns alle über den Boden des Kessels, um nach Fossilien Ausschau zu halten. Stücke weißer Knochen lagen überall umher. Einige Männer sahen Skelette aus dem Gestein herausragen. Es blieb keine Zeit sie freizulegen, denn die Nacht stand vor der Tür. Am Morgen fiel es uns schwer, von diesem wundervollen Fleck Abschied zu nehmen. Es wäre uns noch schwerer gefallen, hätten wir geahnt, daß es sich um einen der wichtigsten bisher im Dienste der Naturwissenschaft entdeckten Ort handelte, der auf der ganzen Erde bekannt werden sollte. Doch in der Luft lag Schnee. Wir konnten eingeschlossen werden, zögerten wir auch nur wenige Stunden länger. Bald darauf brach der Schneesturm mit arktischer Gewalt los. Hunderte Schafe und Pferde verliefen sich und erfroren. Aber da hatten wir schon unsere Karawane bei dem Brunnen „Zu den süßen Wassern" erreicht und waren in Sicherheit. Von dort kehrten wir für den Winter nach Peking zurück. 17
Sofort als wir in unserem dortigen Hauptquartier angekommen waren sandten wir das unbekannte Reptil, das Shakleford gefunden hatte, nach New York. Nach ein paar Wochen kam ein Telegramm von Professor Osborn. Er mußte in höchster Erregung sein. „Sie haben den Stammvater des Ceratops entdeckt", lasen wir. „Nochmals zurückgehen und mehr sammeln!" Die Ceratopse, eine Gruppe von großen, gehörnten Dinosauriern, waren alte Freunde Walter Grangers. Sie lebten vor siebzig oder achtzig Millionen Jahren, und ihre Knochen erscheinen in Amerika ganz plötzlich in den oberen Schichten des Zeitalters der Reptilien. Doch woher und wann sie dorthin gekommen sein konnten, war ein wissenschaftliches Rätsel. Unser kleiner Zwanzig-ZentimeterSchädel gab die Antwort. Sie stammten hier aus der Gobi und waren von hier nach Amerika hinübergewechselt. Im nächsten Jahr kehrten wir selbstverständlich zu den „Flammenden Klippen" zurück. Über Nacht war der Sommer mit seiner glühenden Hitze gekommen. Ein Jahr lang hatte es nicht geregnet. Die Wagen fuhren über ein dürstendes Land dahin, die spärliche Pflanzenwelt war braun und eingetrocknet. Weiße Ränder von Soda deuteten das Bett früherer Wasserlachen an, die Wüste verschwamm in tollen, wogenden Luftspiegelungen. Die flutenden Hitzewellen verliehen Fels und Busch bizarre Formen; Gazellen schienen in der Luft zu tanzen und fliegende Vögel über den Boden zu laufen. Seen mit schilfbestandenen Ufern und bewaldeten Inselchen tauchten dort auf, wo wir wußten, daß es keine Seen gab, und dunkle Forste gaukelten die Kühle schattiger Bergtäler vor. Es war eine seltsame, unwirkliche Welt. Meile um Meile rollten unsere Räder. Weiße Schädeldecken von Kamelen und die Knochen von Schafen markierten den Weg. Die einzigen Zeichen, daß Menschen in diesem verlassenen Land jemals gelebt hatten, waren die kreisförmigen Marken einer Jurte, Asche von einem Feuer, eine Holzschüssel mit Resten angetrockneter Speisen und das Skelett einer Frau. Sie war in die Einsamkeit gegangen, um allein zu sterben. Geier hatten ihre Knochen vom Fleisch gereinigt. Bei einem Brunnen im „Juwelental" ereignete sich etwas Sonderbares. Wir hatten einen kleinen, hinkenden Mongolen bei uns, den 18
wir „Hopalong" getauft hatten. Seine Familie und seine Verwandten waren von einem Banditen namens Kula ermordet worden, noch gar nicht lange bevor wir ihn aufgefunden hatten. Er kannte das Land, durch das wir zogen und für das es noch keine Karte gab. Die heiße, rote Sonnenscheibe hing noch eine Stunde hoch am Himmel, als wir in das flache „Juwelental" gelangt waren. Dort gäbe es, zwei Meilen weit weg, einen Brunnen, hatte Hopalong gesagt. Es war ein sehr alter und tiefer Brunnen mit gutem Wasser. Vor ein paar Jahren hatte er mit seiner Familie den Sommer über dort gelagert. Wir schlugen unsere Zelte zehn Meter vom Brunnen entfernt auf. Stimmen in der Wüste Granger hatte sich Hopalong im Lager zu seinem besonderen Schützling auserkoren, aber die Sympathie beruhte auf Gegenseitigkeit. Hopalong hing wieder besonders an Granger. Diese Nacht weigerte er sich beharrlich, mit den anderen Mongolen zu schlafen. Ganz selbstverständlich breitete er seine Lammfelldecke zu Füßen von Walters Bettstelle aus, dicht vor dem Zelteingang. Mitternacht kam und ging. Hopalong war nicht im geringsten schläfrig. Er legte sich auf den Rücken und sah zu den Sternen auf, als sein Ohr etwas zu vernehmen glaubte. Stimmen, die eigentlich keine Stimmen waren, Laute, weder von Menschen noch von einem Tier, ansteigend und dann wieder fallend, durchbrachen die Stille der Nacht. Er wurde von Furcht gepackt. Seine Hand fuhr ins Zelt und rüttelte Granger. Sofort war Walter auf. Hopalongs Stimme zitterte, als er durch den Zeltvorhang sein Erlebnis berichtete. Granger kroch sofort aus seinem Fellsack, schnallte sich den Revolver um die Mitte und trat heraus. Ein heller Mond warf sein weißes Licht auf den Boden, von dem sich jedes Steinchen scharf abhob. Granger hätte die Linien auf seiner Handfläche zählen können. Ein kühler Wind bauschte die Flagge oberhalb des Zeltes. Fünf Minuten lang blickte er angestrengt über die Ebene, Hopalong hielt sich ängstlich an seinen Arm geklammert. Jetzt kamen von weither aus der Wüste schwache, nicht zu beschreibende Töne, unheimlich und unirdisch. Geisterstimmen aus einer anderen Welt, murmelnd und wispernd, glitten in tonlosen 19
Wellen dahin, bald sich senkend und dann wieder ansteigend. -,Es hörte sich an, als sprächen die Geister Verstorbener miteinander,' dachte Granger. Er trat ins Zelt und legte seine Hand auf meine Stirn. „Roy, wach auf! Es ist etwas los in der Wüste." „Was denn?" „Ich weiß es nicht. Laute wie Stimmen." Im Augenblick war ich draußen. Es herrschte vollkommene Stille. Dann begann aber wieder das unheimliche, leise Tönen und wuchs schließlich zitternd zu einer Höhe an, ohne Inhalt und Klangfarbe, um dann in einem schauerlichen Stöhnen abzusterben, wie das letzte Aufschluchzen einer verlorenen Seele. Ich rang nach Atem. „Um Himmels willen, was war das? Es klang unwirklich — aber ohne Zweifel, man konnte etwas hören!" Hopalongs Antlitz glich im Mondlicht einer weißen Maske. „Die Geister meiner verstorbenen Ahnen und Angehörigen kehren dorthin zurück, wo sie gelebt haben", flüsterte er. Plötzlich bildete sich ein hauchzartes Etwas, dünner als das feinste Gewebe, über dem schwarzen Brunnenloch und stieg in langen Windungen in die Luft. Zwei nahezu durchsichtige Arme lösten sich los und dehnten sich zu winkenden Fingern; schließlich saugte das Mondlicht die Erscheinung auf. Ober dem Platz aber nahmen andere Schleiergebilde die Gestalt tanzender Kinder an, die sich bei den Händen hielten. Der Wind schien sie nach vor- und rückwärts zu bewegen, bis auch sie schließlich in die Höhe schwebten und ebenfalls im Mondlicht verschwanden. Ich sah es — und ebenso Granger und Hopalong. Es waren nicht erdichtete Geschöpfe der Einbildungskraft eines einzelnen Mannes. Drei Leute konnten nicht dieselbe Erscheinung beobachten, wenn sie nicht wirklich vorhanden war. Plötzlich zerriß das Gekreisch einer großen Horneule die Stille. Als es erstarb, schien es, als ob ein Riß durch die Nacht gegangen wäre, und die Stimmen schwiegen. Mit einem einzigen Sprung war Hopalong im Zelt, duckte sich in den letzten Winkel und zog sich einen Rock über den Kopf. Walter und ich starrten auf die Stelle, 20
an der sich diese unheimlichen Erscheinungen gezeigt hatten, aber wir konnten nur das schwarze Brunnenloch und schimmernden Kies sehen. Der Wind legte sich, kaum daß er zu wehen begonnen hatte, und eine Wolke zog an der Mondscheibe vorüber. Über eine Stunde lang saßen wir vor dem Zelteingang und rauchten unsere Pfeife, aber weder die Stimmen noch die Schleiergebilde kamen wieder. Schweigende Stille, nur unterbrochen von einem in der Ferne heulenden Wolf, lag wie eine Decke über der Wüste. „Marco Polo beschrieb in seinen ,Reisen' die gleiche Erscheinung, als er die Gobi auf seinem Zug an den Hof des Kublai Khan kreuzte", brach ich schließlich das Schweigen. In seinem Bericht schreibt er, daß die ,Stimmen' Wanderer in die Wüste lockten, wo sie verdursteten. Auch Sven Hedin hat die Stimmen gehört und berichtet, daß die Mongolen sich vor diesen Tönen fürchteten. Es muß natürlich eine wissenschaftliche Erklärung dafür geben. Ich glaube nicht an Geister." Walter grinste. „Ich eigentlich auch nicht. Aber was wir gehört und gesehen haben, war schon Wirklichkeit genug."
Dinosaurier — Riesendrache — aus dem Erdmittelalter 21
Beim Frühstück sprachen Granger und ich von den nächtlichen Ereignissen. Unser Geologe nickte zustimmend. „Da ist gar nichts Übernatürliches daran. Gestern betrug die Temperatur in der Sonne einhundertvierundachtzig Grad Fahrenheit. Als ich zu Bett ging, zeigte das Thermometer außerhalb meines Zeltes sechsundsiebzig Grad. Das ist ein Temperaturfall von zweiundsiebzig Grad in wenigen Stunden. Um Mitternacht muß sie noch beträchtlich niedriger gewesen sein. Als ich über die Ebene ging, bemerkte ich, daß viele Felsen scharfe Kanten von kürzlichen Brüchen zeigten, andere waren ganz auseinandergebroehen. Zweifellos ist die mörderische Hitze bei Tag und der plötzliche nächtliche Kälteeinbruch die Ursache großer Ausdehnung und Zusammenziehung. Ich bin überzeugt, daß die Geräusche, die Sie hörten und von denen Marco Polo und Sven Hedin erzählt haben, von dem Bersten zahlloser Felsen und Steine herrühren, als der kalte Wind über die überhitzte Wüste strich. Deshalb hörten Sie auch nichts mehr, als der Wind nachließ. Was nun die Gestalten betrifft, die Sie gesehen haben, so waren das ebenso natürliche Erscheinungen wie die Töne. Bei unserer Ankunft zeigte das Brunnenwasser die gewöhnliche Temperatur, fünf Grad. Die Geister und die tanzenden Mädchen waren nichts anderes als die Verdampfung aus dem kalten Brunnenschacht. Möglich, daß auch die Mondstrahlen den Augen und Ohren zugesetzt haben", schloß er mit einem verdächtigen Lächeln. Damit war also im strengen Licht der Wissenschaft alles zufriedenstellend erklärt. Doch Hopalong wird immer glauben, daß es die Geister seiner gestorbenen Angehörigen waren. Karte von einer Fata Morgana Der „Gelände-Spähtrupp" brach am nächsten Morgen eine Stunde vor den anderen auf. Sie sollten eine Karte unseres Marschweges durch das unerforschte Land anlegen, und das war eine zeitraubende Arbeit. Zehn Meilen hinter unserem Lager sah ich, wie sie ihren Wagen auf einem kleinen Hügel anhielten und wie sich der Leiter der Gruppe über ein Kartengestell beugte. Im Westen lag ein kleiner See. Er schien ungefähr eine Meile weit weg zu sein. 22
„Ich hielt es für richtig, zuerst den Umriß zu skizzieren, bevor wir zu dem See hinunterfahren", sagte er zu mir, als wir herangekommen waren. Möwen und Seeschwalben flatterten über der spiegelglatten Oberfläche, und eine Insel mit Tuli-Gras streckte sich wie ein länger Finger gegen die Seemitte hin. Ich studierte das Ganze durch meinen Feldstecher. Langsam begann es mir aufzudämmern, daß irgend etwas mit diesem See nicht in Ordnung war; das Ufer verschwamm und das grasige Eiland tanzte in höchst sonderbarer Weise umher. „Ich glaube, es wäre gescheiter, wenn Sie mit Ihrer Skizze noch ein wenig warteten. Ich will rasch hinüber", rief ich ihm zu, während ich schon den Starterknopf meines Wagens drückte. In fünf Minuten war ich an der „Küste" des „Sees" angelangt — doch gab es dort weder eine Küste noch einen See! Nicht einmal eine Andeutung von Wasser oder Gras, und die Seeschwalben waren Sandhühner. Die Köpfe der Antilopen, bis zum Nacken in Hitzewellen wandelnd, gaben die vollendete Vorstellung von Möwen. Wieder auf den Hüge! zurückgekehrt, sagte ich zu dem Leiter der Gruppe: „Sie können Ihre Skizze ruhig ,Fata-Morgana-See' nennen, denn das ist er auch. Ich wundere mich nicht, daß Sie getäuscht worden sind. Das ist die raffinierteste Luftspiegelung, die ich jemals sah. Hätte ich nicht durch mein Glas geschaut, nie wäre ich auf die Idee gekommen, daß das alles Einbildung und keine Wirklichkeit sei." Als unser Autokonvoi nachkam, war es schwer, die Leute zu überzeugen, daß sie nicht Wasser vor sich hätten. Wir entdeckten später, daß die Luftspiegelung vom Chagan-Nor, dem „Weißen See", stammte, der mehr als hundert Meilen entfernt war. Dinosauriereier Auf der Fahrt nach Westen näherten wir uns wieder bekanntem Gelände. Es bedeutete für unsere Expedition einen großen Tag, als wir unsere Zelte zum zweitenmal bei den „Flammenden Klippen" aufschlugen. Fast unmittelbar darauf begaben sich die Männer schon in den Talkessel. Bis abends hatte jeder von uns ein Dinosaurierskelett entdeckt. Der Platz schien mit fossilen Knochen geradezu 23
gepflastert. Am zweiten Tag kam um Mittag George Olsen, einer der Paläontologen, mit einer merkwürdigen Geschichte ins Lager. Er sagte, daß er einige versteinerte Eier entdeckt habe. Alle von uns hänselten ihn erst einmal. Wir dachten, daß sie sich als Steine in Eiform erweisen würden. „Lacht nur", sagte George, „es sind aber doch richtige Eier! Kommt mit mir!" Wir hatten vom Lager nur einen kurzen Weg bis zu der angegebenen Stelle zurückzulegen. Olsen deutete auf einen schmalen Felsvorsprung. Dort lagen drei Dinge, die wie Eier aussahen. Sie waren ungefähr zwanzig Zentimeter lang. Doktor Granger hob eines auf, und wir drängten uns alle um ihn herum. Das Ei war schwer, denn das Innere bestand aus festem, rotem Sandstein. Die kieselige Schale glich aufs Haar einer gewöhnlichen Eischale, nur war sie dicker. Das Ei war braun und völlig versteinert. Granger schüttelte den Kopf. „Verflixt, wenn ich mich da auskenne. Die Erdschichtung hier ist mir vertraut, aber es gibt keine Vögel aus dieser Periode, die groß genug gewesen wären, um Eier von dieser Größe zu legen. Es schaut keinesfalls wie ein Vogelei aus. Und hier gibt es nur Dinosaurierknochen. Ich frage mich, ob dies nicht ein Dinosaurierei sein könnte? Wir wissen nicht, wie sich Dinosaurier fortpflanzten. Die meisten Reptilien legen Eier, und die Dinosaurier waren Reptilien. Wahrscheinlich legten sie Eier. Doch nirgends in der Welt sind bisher welche gefunden worden. Ihr könnt es glauben oder nicht, ich vermute stark, daß wir die ersten Dinosauriereier vor uns haben, die jemals ein menschliches Auge geschaut hat." Die drei Eier waren offenbar aus dem Sandstein, neben dem sie lagen, herausgefallen. Andere Schalenstücke waren teilweise noch in den Fels gebettet, und gerade unter dem Felsvorsprung konnten wir die Spitzen von zwei weiteren Eiern herauslugen sehen. Während wir auf allen Vieren um die Fundstelle lagen, begann Olsen das lose Gestein oben auf dem Felsenrand wegzukratzen. Zu unserer Überraschung legte er das Skelett eines kleinen Dinosauriers frei, der zehn Zentimeter über den Eiern lag. Es war ein für die Wissenschaft vollkommen neuer Sauriervertreter. Er war nur etwas über einen Meter lang und, obwohl vollkommen ausgewach24
sen, zahnlos. Wir hielten ihn für einen Eiräuber, dessen Nahrung aus den Eiern anderer Dinosaurier bestand. Vielleicht war er gerade dabei, dieses Nest auszurauben, als er von einem Sandsturm überrascht wurde. Über den Eiern, die zu stehlen er gekommen war, ist er dann vom Sand begraben worden. Die Eier waren länglich und glichen in ihrer Form stark dem französischen Brotwecken. Zwei von ihnen, in die Hälfte gebrochen, ließen die weißen Knochen von kleinen, unausgebrüteten Dinosauriern erkennen. Die Erhaltung war wunderbar. Manche der Eier waren zerbrochen, aber die kieselüberzogenen Außenflächen der Schalen waren so vollkommen, als wären sie erst gestern und nicht vor siebzig oder achtzig Millionen Jahren abgelegt worden. Feiner Sand war durch die Bruchstellen gesickert, und so bestand das Innere aller Eier aus hartem Sandstein. Eine nachträgliche mikroskopische Untersuchung zeigte, daß die Luftkanäle in den Schalen in Aussehen und Anordnung ganz verschieden von denen der Eier von Vögeln sind; sie hat auch bewiesen, daß die weißen Knochen, die im Innern verschiedener Exemplare zu sehen waren, tatsächlich die Skelette unausgebrüteter Dinosaurierbabys sind. Ein paar Tage nach der ersten Entdeckung wurden fünf Eier beisammen gefunden. Albert Johnson stieß auf eine Gruppe von neun. Jedes Expeditionsmitglied wurde ein begeisterter Eijäger, und jeder hatte Erfolge. Alles zusammen wurden fünfundzwanzig Eier aufgebracht. Einige von ihnen lagen auf der Oberfläche, sie waren durch Auswaschung freigelegt worden; andere waren in das Gestein eingeschlossen, und nur ihre Spitzen sahen hervor. Ein Einest in weichem, zersetztem Sandstein konnte mit einem Besen ausgehoben werden. Das ganze Lager war unglaublich reich an interessantesten Funden. Fünfundsiebzig Schädel und Skelette von kleinen Dinosauriern wurden entdeckt, manche von ihnen in bestem Zustand. Augenscheinlich waren die „Flammenden Klippen" ein beliebter Sammelplatz der Dinosaurier während der Brutzeit gewesen. "Wie die Reptilien unserer Zeit gruben die Dinosaurier seichte Löcher und legten darin ihre Eier kreisförmig, mit den Spitzen nach innen, nieder; manchmal waren es drei Reihen von Eiern übereinander. Die Dinosaurier-Dame bedeckte ihre Eier mit einer dünnen Sandschicht und ließ sie durch die Sonnenstrahlen ausbrüten. Sie dachte 25
nicht daran, wie eine Henne auf ihnen zu sitzen. Die Deckschicht mußte lose und porös sein, um Wärme und Luft Zutritt zu gestatten, und es ist wahrscheinlich, daß der außergewöhnlich feine Sand an diesem Ort sich besonders für seine Rolle als Brutapparat eignete. Während eines Sturmes mochte vor Millionen Jahren viele Fuß hoher Sand sich über manchem der Nester angehäuft haben. So wurden die Eier niemals ausgebrütet. Mit der Zeit sammelte sich immer mehr Sand an. Schließlich wurde er so schwer, daß die Schalen brachen. Der flüssige Inhalt rann aus, Sand rieselte in die Eimuschel nach und formte und verhärtete sich im Laufe der Zeit zu einer festen Masse. Sie hielt die Eier in ihrer Originalform. Nach vielen tausend Jahren preßte sich der Sand über den Eiern zu Gestein zusammen. Das war die ganze Geschichte. Die große Dinosaurier-Auktion Dinosauriereier! Dinosauriereier! Nichts anderes hörte ich während acht Monaten, als ich nach Amerika zurückgekehrt war. Von dem Ausdruck war nicht loszukommen. Vergeblich versuchte ich über die anderen, weit wichtigeren Entdeckungen unserer Expedition zu sprechen. Keinen interessierte das, keiner hörte mir auch nur zu. Überdies, die Sache hatte auch ihre gute Seite. Ich war zurückgekehrt, um für weitere Forschungsaufgaben eine Viertelmillion Dollar, also weit über eine Million Mark, aufzutreiben, und da war Publizität schon von großem Nutzen. Ich konnte ebensogut daraus Vorteile ziehen. Wie man das macht? Ich wohnte damals bei Professor und Museumspräsident Osborn, und eines Morgens sagte ich beim Frühstück zu ihm: „Ich bin überzeugt, die große Öffentlichkeit würde gerne eine neue Expedition in die Gobi finanzieren helfen, aber die Leute glauben, daß kleine Beiträge unerwünscht sind. Sie meinen, das wäre nur eine Sache für die Reichen. Wenn wir ein Dinosaurierei zugunsten der Expeditionskasse versteigern lassen könnten, wäre das schon eine ganz schöne Reklame. Jeder Zeitungsbericht könnte einen Hinweis enthalten, daß kleine Beiträge mehr als willkommen sind." Der Professor hielt gerade seine Kaffeetasse in der Hand. Er setzte sie hastig nieder. 26
„Roy, das ist eine großartige Idee, sozusagen das Ei des Kolumbus. Das machen wir!" Und so startete die „Große Dinosaurier-Auktion". Die Zeitungsleute wurden an einem der nächsten Tage telephonisch für vier Uhr in mein Büro gebeten. Vierzig oder mehr erschienen. Ich sagte ihnen frank und frei, was wir vorhätten, und bat sie um ihre Unterstützung. „Wir werden das Ei dem Höchstbietenden zuschlagen. Der Erlös fließt der Expeditionskasse zu. Unterstreichen Sie bitte in allen Ihren Artikeln, daß es von der Öffentlichkeit abhängt, ob wir imstande sind, unsere Forschungsarbeiten in der Wüste fortsetzen zu können. Jeder Beitrag ist willkommen. Ich werde Ihnen täglich über die einlaufenden Angebote Bericht erstatten. Das wird, glaube ich, guten Stoff geben." Die Reporter leckten sich im Geiste die Lippen. Sie wußten, daß ein reißender Absatz garantiert sei. Am Tage nach der ersten Veröffentlichung drahtete die bekannte Zeitschrift „Illustrated London News" ein Angebot von zweitausend Dollar für das Ei. Die Nationale Geographische Gesellschaft überbot mit dreitausend Dollar. Ein Museum in Australien bot dreitausendfünfhundert. Die Yale Universität viertausend. Der öffentliche Widerhall war kolossal, und die Zeitungsleute verbanden, getreu ihrem Versprechen, ihre Artikel immer mit der Bitte um Spenden. Jede Post brachte neue Schecks. Zehn, fünfundzwanzig, fünfzig, hundert Dollar. Manche lauteten nur auf einen Dollar; einer war darunter auf zehntausend! Als die Auktion endete und Mr. Austin Colgate das Ei für fünftausend Dollar als Spende für die Colgate Universität erstanden hatte, befanden sich fünfzigtausend Dollar aus öffentlichen Beiträgen in unserer Kasse. Es war ein erfreuliches Ergebnis. Es erwies sich aber auch als Bumerang. Nichts Unglückseligeres war der Expedition bisher passiert. Bis jetzt hatten uns die Chinesen und Mongolen als Wissenschaftler und nicht als Händler betrachtet. Nun aber dachten sie, daß wir aus unseren Entdeckungen wirkliches Kapital schlügen. Wir hatten ungefähr dreißig Eier gefunden. Wenn eines um fünftausend Dollar verkauft wurde, mußte der ganze Haufen einhundertfünfzigtausend wert sein. Dann hatten sie noch von den anderen Sammelstücken gehört, 27
die wir nach den USA gebracht hatten — Dinosaurier, Titanotherien und das Baluchitherium! Wahrscheinlich würden die auch noch dank unseres Geschäftssinnes in Geld umgesetzt werden. Warum also sollten die Mongolen und Chinesen uns solch unvergleichliche Schätze um nichts überlassen. Während der ganzen kommenden Expeditionsjahre hatte ich gegen dieses Vorurteil der Chinesen anzukämpfen. Ihre Einstellung war ganz natürlich, glaube ich. Sie konnten einfach nicht verstehen, daß fünftausend Dollar ein nur angenommener Wert waren, hervorgerufen durch das öffentliche Tamtam. Überdies richtet sich der Marktwert jedes rein wissenschaftlichen oder künstlerischen Objektes nach dem Preis, den einer zahlen kann, wenn er besonderen Grund hat, das Sammelstück besitzen zu wollen. Die Eier waren natürlich gleich untersucht worden und das Ergebnis wurde veröffentlicht. Dr. Viktor von Strallen in Brüssel, der bedeutendste Fachmann für fossile Eier in der ganzen Welt, leistete gründliche Arbeit. Sofort sank ihr Preis etwas, denn der wissenschaftliche Rahm war abgeschöpft. Und tatsächlich, als ich ein Jahr später den Direktor des Britischen Museums in London fragte, was er für ein Ei zahlen würde, antwortete er: „Nun, ich würde es mir überlegen, mehr als hundert Pfund zu bieten. Die Eier wurden bereits begutachtet. Sie haben jetzt hauptsächlich Museumswert. Sie waren so freundlich, uns einen Abguß zu überlassen, der sich von dem Original ohne genaueste Prüfung kaum unterscheidet. Nein, ich glaube wirklich, daß ich nicht mehr als hundert Pfund geben kann." Was er sagte, stimmte natürlich nicht ganz, es lag aber doch ein Körnchen Wahrheit darin. Nach derselben Methode kann einer auch annehmen, daß die Kopie eines von Shakespeare geschriebenen Briefes genausoviel wert wäre wie das Original. Aber vielleicht hatte sich der Direktor gedacht, ich benötigte Geld, und hatte gehofft, einen Gelegenheitskauf zu machen. Es ging uns aber nicht nur um Geld. Ich darf hier erwähnen, daß wir Abgüsse der Eier an die meisten der großen Museen auf der ganzen Welt als Geschenke unserer Expedition verteilt hatten. Kurz nach meiner Rückkehr nach New York wurde ich hinsichtlich der Eier noch in eine schreckliche Versuchung geführt. Einer der 28
größten Erzeuger von Werbeartikeln kam mit einem Einführungsschreiben eines New Yorker Bankmannes zu mir ins Büro. „Ich habe", fing er an, „einen wunderbaren Plan. Er wird uns beiden eine Menge Geld einbringen." Ich war verständlicherweise gespannt, was er vorzutragen hatte. „Wir werden Abgüsse der Dinosauriereier machen", erklärte er. „Die lassen sich als Briefbeschwerer, Schreibtischgarnituren usw., verwenden und sollen unten mit Ihrem Namenszug versehen sein. Das originelle Osterei. Ist das eine Idee? Die erste Serie wird eine Million Stück betragen. Die ganze Welt werde ich mit meinen Vertretern überschwemmen. Sie bekommen Ihre Prozente. Wir werden sie billig verkaufen, um — sagen wir, fünfundsiebzig Cents. Wie heiße Semmeln werden sie gehen. Das vermute ich nicht nur, ich weiß es. Zu wissen, was geht, gehört zu meinem Geschäft. Sie werden eine Viertelmillion Dollar einheimsen, oder ich bin ein Chinese. Hier ist der Vertrag. Zeigen Sie ihn Ihrem Rechtsanwalt, und an dem Tag, da Sie ihn unterschreiben, gebe ich Ihnen zwanzigtausend Dollar als Vorschuß. Alles muß Schlag auf Schlag gehen. In zwei Wochen müssen wir mit der Produktion beginnen!" Ich konnte kaum Atem schöpfen. Vielleicht war der Gedanke ganz reizvoll, aber gleich vom ersten Augenblick an konnte es mir nicht gefallen. Das Geld würde natürlich zur Fortsetzung unserer Forschungen dienen, aber jeder würde glauben, daß es in meine Taschen wanderte. Obendrein würde die Expedition in den Augen der Welt zu einem krämerischen Abenteuer gestempelt werden. Geschäft als Wissenschaft maskiert. Professor Osborn stimmte mit mir überein. Ich fühlte mich nachher immer wieder froh, daß ich das Angebot ausgeschlagen hatte. In diesem Winter hielt ich in achtzig Tagen beinahe in jedem Staate der Union fünfundachtzig Vorträge. Am Ende fühlte ich mich nicht nur so, sondern sah auch so aus wie eine ausgepreßte Zitrone. Auf alle Fälle befanden sich aber mehr als dreihunderttausend Dollar in der Reisekasse, als ich mich wieder nach China begab. Wieder in der Gobi Die Expedition im Jahre 1925 war unsere größte und hatte sich am meisten vorgenommen. Alles in allem nahmen an ihr fünfzig Menschen teil, acht Autos und einhundertfünfzig Kamele. Ich 29
brauchte für diese große Gesellschaft so viel Proviant, so viel Ausrüstung und so viele Wagen, daß darunter unsere Beweglichkeit litt. Trotzdem erwies sich unsere diesmalige Forschungsarbeit als besonders erfolgreich. Wieder wurde neues Land erforscht, von neuen Gebieten wurden Karten angelegt, Lagerstätten von neuen Fossilien freigelegt. Größere Schwierigkeiten aus der geänderten politischen Lage erforderten zuweilen Takt und energisches Auftreten. Banditen verursachten uns Ärger und Plage, doch bei den zwei oder drei wirklich ernsten „Zwischenfällen" hatten wir keinerlei Verluste an Menschenleben. Die Zahl der in unsere Forschungsarbeit eingeschlossenen wissenschaftlichen Gebiete war auf sieben angewachsen. Die klimatischen Verhältnisse in der Mongolei während der aufeinanderfolgenden geologischen Zeitalter hatten unser größtes Interesse erweckt, und wir wollten die Zusammenhänge kontrollieren. Osborns ursprüngliche These, daß Zentralasien ein großer Mittelpunkt für Ursprung und Verbreitung tierischer Lebewelt im Norden sei, wurde deutlich bewiesen. Doch auch andere wichtige Tatsachen kamen zum Vorschein. Das zentralasiatische Hochland bildete das älteste ständig trockene Land auf der Welt. Einhundertfünfzig Millionen Jahre lang hatte es sich stets gehoben, während Europa und Amerika sich abwechselnd gehoben und im Meer versunken waren. Daher lieferte Zentralasien ununterbrochenes Zeugnis von tierischem Leben, wie es nirgends sonst auf der Welt existiert. Die Mongolei hatte auch niemals, wie Europa und Amerika, eine Eiszeit zu überstehen gehabt. Es hatte nur einen Wechsel von trockenen und nassen, nassen und trockenen Zeitaltern gegeben. Die „Dünenmenschen" Bei den „Flammenden Klippen" fanden wir noch mehr Dinosauriereier — die größer und noch besser erhalten waren. Zwei Wochen hindurch waren wir außer uns vor Freude, als eine neue m2nschliche Kultur in dem nicht einmal eine halbe Meile von un-erem Lager entfernten Becken entdeckt wurde. Flugsand hatte dort Dünen gegen die Stämme verkrümmter Tamariskenbäume zusammengetragen. Wie gemeißelt aussehende rote Steilhänge bezeichneten 30
dort, wo der Wind die losen Ablagerungen weggefegt hatte, den Eingang zu mehreren flachen Tälern, deren Boden Sandstein bildete. Auf der reinen, harten Oberfläche des Felsens lagen verstreut wie frisch gefallener Schnee • spitzige Steinchen, winzige runde Kratzer, vorzüglich gearbeitete Bohrer und Pfeilspitzen aus rotem Jaspis, aus Schiefer und Kalzedon. Dazwischen fanden sich Stückchen von Dinosauriereierschalen, in die saubere runde Löcher gebohrt waren — augenscheinlich für die Verwendung als Halskette einer primitiven Schönen — und Stücke roher Töpferware. Es war ein seltsames Durcheinander von Funden. Die einen deuteten auf eine Kultur der älteren Steinzeit, andere schienen wieder aus viel späterer Zeit zu sein. Zwei Wochen lang vertieften sich alle Wissenschaftler unserer Expedition in dieses Problem. Nacht für Nacht saßen wir um das Lagerfeuer aus Tamariskenzweigen und sprachen über jede Einzelheit und das Für und Wider jeder Theorie. Schließlich fand sich eine klare Lösung, aber die Archäologen allein wären nicht daraufgekommen. Es war ein prächtiges Beispiel für den Wert des Zusammenarbeitens an Ort und Stelle. Die Lösung war nun diese: Der Platz war von menschlichen Wesen ohne Unterbrechung viele Tausende von Jahren hindurch bewohnt worden. Ein Problem bildete es, zu entscheiden, wie unser Mensch in das Mosaik europäischer Frühmenschen paßte, wenn das überhaupt der Fall war. Tatsächlich waren sie noch am nächsten verwandt mit Mittelsteinzeitmenschen Frankreichs und Spaniens. Wir nannten sie die „Dünenmenschen". Vor zehn- oder zwanzigtausend Jahren durchstreiften sie die ganze Mongolei. In Felle gekleidet, wahrscheinlich unter primitiven Schirmen aus Tierhäuten oder Zweigen hausend, jagten, kämpften und liebten sie so ähnlich wie die primitiven Eingeborenen Australiens und Tasmaniens von heute. Später wurden Geräte der Dünenmenschen in Alaska gefunden, unter anderem auf dem Gelände der Universität von Alaska. Dieses Volk muß also über die Beringstraße nach Amerika eingewandert sein und dürfte zu den ältesten Bewohnern dieses Landes gehören. Während des Sommers 1925 gab es aber noch eine andere große Entdeckung bei den „Flammenden Klippen". In unserer Sammlung des ersten Jahres hatte Granger einen kleinen Schädel als von einem „nichtdeutbaren Reptil" stammend, bezeichnet, denn die Fundstelle 31
lag in einer Kreideschicht des ausgehenden Zeitalters der Reptilien. Schließlich wurde der Schädel vom Gestein gereinigt, und es stellte sich nun heraus, daß er von einem der ältesten Säugetiere stammte. In mehr als hundert Jahren, seit man sich mit Paläontologie beschäftigt, war nur ein einziger unvollständiger Schädel eines Säugetieres aus dem Zeitalter der Reptilien entdeckt worden. Es war das „Trylodon" in Südafrika. Das Britische Museum hatte seinerzeit diesen Einzelschädel als den größten paläontologischen Schatz auf der ganzen "Welt bezeichnet. Bei den „Flammenden Klippen" fanden wir sieben Schädeldecken und Skeletteile dieses frühesten Säugetieres. Es waren kleine Geschöpfe, nicht größer als eine Ratte, die vor siebzig oder mehr Millionen Jahren, zu Ende des Reptilienzeitalters, zwischen den Füßen der Dinosaurier herumkrochen und sich vermutlich auch über die Sauriereier hermachten. Wir verließen die „Flammenden Klippen" mit Bedauern. Sie hatten uns mehr geschenkt, als wir uns in unseren kühnsten Träumen von der gesamten Gobi erwarten durften: Dinosauriereier, ungefähr hundert Schädelknochen und Skelette unbekannter Dinosaurier, sieben früheste Säugetiere und die neue DünenmenschenKultur, ganz zu schweigen von kleineren Entdeckungen. Als mein Wagen den steilen Abhang am Ostrande hinaufkletterte, hielt ich für einen letzten Blick auf das weite, rote Becken. Niemals würde ich es mehr sehen. „Niemals" ist ein großes Wort, doch ich wußte, daß meine Karawane sich zum letzten Male ihren Weg über die verlassenen Weiten der Gobi zu dieser Schatzkammer der Weltgeschichte gebahnt hatte.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky L u x - L e s e b o g e n 314 (Naturkunde) H e f t p r e i s 25 Pfg. Natur- und kulturkundliehe Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig. — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg. — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München. — Herausgeber: Antonius Lux.