Renee Roszel
Mehr als ein Spiel?
Reihe: Nr. :
Romana
1311
Scanned by suzi_kay
1. KAPITEL
"Mr. Parish, heute m...
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Renee Roszel
Mehr als ein Spiel?
Reihe: Nr. :
Romana
1311
Scanned by suzi_kay
1. KAPITEL
"Mr. Parish, heute müssen Sie sich aber
wirklich eine Frau aussuchen." Izzy
Peabody legte ihrem Chef einen in Leder
gebundenen Katalog auf den Schreibtisch.
Sie ging etwas unsanft mit der Ledermap
pe um, denn Gabriel Parishs Plan begei
sterte sie nicht gerade. Und das sollte
er ruhig wissen. Sie würde ja sowieso
bald kündigen. Seit einem Monat trug sie
nun ihr Kündigungsschreiben in der
Handtasche, hatte bisher jedoch nicht
den Mut gefunden, es ihrem Chef zu
geben.
"Was sagten Sie, Peabody?" rief Gabriel
Parish aus dem Badezimmer seines Büros
in Manhattan und ließ sich kurz blicken.
Izzy stockte der Atem vor Begeisterung.
Obwohl sie ihren Chef, der fast einen
Meter neunzig maß, schon oft in dieser
Pose gesehen hatte - halb rasiert und
mit nacktem Oberkörper -, war sie immer
wieder fasziniert von seinen breiten
Schultern und seinem muskulösen Körper.
Von diesem Traummann wäre jede Frau
hingerissen gewesen.
Das schwarze Haar war zerzaust. Mit
seinen faszinierenden smaragdgrünen
Augen sah er Izzy fragend an. Es war
seit langem ihr sehnlichster Wunsch, daß
Mr. Parish mehr in ihr sah als nur seine
zuverlässig funktionierende rechte Hand,
denn Izzy hatte sich unsterblich in ihn
verliebt. Doch das ahnte er natürlich
nicht, und sie ließ sich auch nie etwas
anmerken.
"Ich habe gesagt, daß Sie sich heute
Zeit nehmen müssen, um Ihre Frau
auszusuchen", rief sie. Ihre Stimme
klang völlig gelassen.
"Meine was?" Er sah sie erstaunt mit
diesen atemberaubenden Augen an. Wäre
sie weniger niedergeschlagen gewesen,
hätte Izzy über seine Reaktion gelacht.
Es war lächerlich, daß Mr. Parish sich
eine Frau aussuchte. Er wollte gar nicht
heiraten. Warum auch? Er war ja ständig
von den schönsten Frauen umgeben.
Izzy hob die schwarze Mappe hoch. "Für
den Yum-Yum-Auftrag. Sie wissen schon."
Mr. Parish verzog das Gesicht. "Ach ja,
stimmt." Er verschwand wieder im
Badezimmer und rief: "Okay, bin gleich
da."
Sie wollte gerade gehen, als er
hinzufügte: "Ach, Peabody? Ich habe mein
Hemd vergessen. Würden Sie mir bitte ein
frisches bringen?"
Auch das noch, dachte sie. Dann muß ich
seinen verführerischen Körper auch noch
aus nächster Nähe ansehen. "Sofort,
Mr. Parish", antwortete sie mit
bebender Stimme und machte sich auf den
Weg zu seinem Kleiderschrank im
Schlafzimmer, das ihr Chef immer
benutzte, wenn es wieder einmal zu spät
geworden war, um zu seinem Anwesen auf
Long Island zurückzukehren.
Ihr erster Blick fiel auf das zerwühlte
Bett. Warum er wohl gestern Abend hier
geblieben ist? überlegte sie. Einen
Geschäftstermin hatte er nicht gehabt,
das wußte sie genau.
Sie hatte ein frisches Hemd gefunden
und kehrte zum Badezimmer zurück, um es
durch den Türspalt zu reichen. "Hier ist
das Hemd."
"Bringen Sie es mir bitte herein."
Izzy blickte an die Decke. Womit habe
ich das nur verdient? dachte sie
mißmutig. "In Ordnung, Sir."
Mr. Parish trocknete sich das Gesicht
mit einem flauschigen weißen Handtuch
ab. Sie atmete tief ein, ihr wurde
schwindlig von dem betont männlichen
Duft. Schnell versuchte sie, sich wieder
zu beruhigen.
Wände, Boden und Ablagen bestanden aus
weißem Marmor, die Armaturen waren
vergoldet. Über dem Waschbecken befand
sich ein großer Spiegel, in dem Izzy
ihren Chef sah. Selbst in diesem grellen
Licht wirkte er unglaublich sexy mit
seinem sinnlichen Mund, dem schwarzen
Haar und den dichten Wimpern, die das
faszinierende Grün seiner Augen
betonten. Izzy ließ den Blick weiter
nach unten gleiten. Als sie es bemerkte,
sah sie schnell wieder auf und
konzentrierte sich auf sein Kinn. Beim
Anblick der breiten, muskulösen Brust
war ihr wieder schwindlig geworden.
Er hängte das Handtuch auf und griff
nach dem Hemd, das sie noch immer
festhielt. Erst als er ein wenig daran
zog, erwachte sie aus ihrem Tagtraum.
"He, Peabody? Alles in Ordnung?" fragte
er. Als sie das Hemd losließ, fügte er
hinzu: "Wir könnten uns jetzt schnell
den Katalog ansehen und eine geeignete
Kandidatin aussuchen. Dann wäre das auch
erledigt, bevor um acht Uhr die
Konferenz mit den Leuten von Baxter
beginnt. Sie wissen schon, das ist der
Sportgerätehersteller."
Sie nickte, den Blick starr auf die
vergoldeten Armaturen gerichtet. Nur so
zur Sicherheit ... Die Vorstellung, im
Badezimmer gemeinsam mit ihm eine Frau
aussuchen zu müssen, mißfiel ihr sehr.
"In der Mittagspause hätten Sie aber
mehr Zeit", gab Izzy daher zu bedenken.
"Nein, ich möchte das jetzt hinter mich
bringen."
Also holte sie den Katalog des New
Yorker Begleitservice, der einen überaus
seriösen Ruf genoss. Alles gut und
schön, dachte sie, aber es ist wohl kaum
besonders seriös, eine Frau zu
engagieren, die ihn auf eine tropische
Privatinsel begleitet und vorgibt, mit
ihm verheiratet zu sein. Sie konnte sich
lebhaft vorstellen, wie die beiden aller
Welt das glückliche Ehepaar vorspielen
würden. Izzy schüttelte den Kopf. "Ich
muß diesen Job endlieh aufgeben", sagte
sie leise vor sich hin.
Als sie ins Badezimmer zurückkehrte,
hatte Mr. Parish sich zwar inzwischen
das Hemd übergezogen, es jedoch noch
nicht zugeknöpft. "Legen Sie die Mappe
auf den Waschtisch. Ich sehe sie beim
Anziehen durch."
Izzy gab dem Impuls nach, noch einen
letzten, verstohlenen Blick auf seine
nackte Brust zu riskieren, bevor sie
sich auf die Fotomappe konzentrierte.
"Auf dieser Seite ist nichts dabei.
Blättern Sie um."
Sie war mit ihren Gedanken gerade ganz
woanders gewesen und erschrak. Schnell
gehorchte sie.
Er hatte inzwischen das Hemd
zugeknöpft. "Das ist auch nichts,
Peabody."
Wie unpersönlich das klang! Wieder
schwor sie sich, bald, sehr bald zu
kündigen. Automatisch blätterte sie
wieder um. Auf jeder Seite waren vier
bildschöne Frauen abgebildet. Unter
jedem Foto befand sich eine
Kurzbiografie. Doch kein Mädchen schien
seinen hohen Ansprüchen zu genügen. Izzy
sah auf und betrachtete ihr Spiegelbild:
kastanienbraunes Haar, braune Augen und
ein cremefarbenes Kostüm, das ihre Figur
verbarg.
So kannte Mr. Parish sie seit drei
Jahren. Damals hatte sie sich um die
Nachfolge seiner ältlichen
Direktionsassistentin beworben, und ihr
war sofort bewußt geworden, daß Gabriel
Parish eine tüchtige Kraft suchte und
kein Glamourgirl.
Natürlich hatte sie sich für das
Bewerbungsgespräch sorgfältig
zurechtgemacht, doch dann hatte sie den
großen Empfangsraum, in dem ihre
Mitbewerberinnen warteten, unauffällig
verlassen und im Waschraum ihr Make-up
entfernt und ihr langes, lockiges Haar
aufgesteckt. Schon hatte sie älter als
dreiundzwanzig, tüchtig und unscheinbar
gewirkt.
Genau wie jetzt. Unglücklich sah Izzy
in den Spiegel. Es fiel ihr von Tag zu
Tag schwerer, ihre wahre Persönlichkeit
zu verbergen, denn sie war
temperamentvoll und lebenslustig. Das
Gehalt, das sie als Direktionsassisten
tin verdiente, war zwar ausgezeichnet,
doch Geld allein machte sie nicht
glücklich. Sie wollte endlich wieder sie
selbst sein und ihr Leben genießen!
"Peabody?"
Izzy sah ihn fragend an. "Ja?"
Mr. Parish band sich die Krawatte und
sagte: "Die Rothaarige sieht ganz gut
aus."
Sie betrachtete das Foto, auf das ihr
Chef zeigte. Die Frau war von atemberau
bender Schönheit, sie hatte hohe Wangen
knochen, einen sinnlichen Mund und eine
rote Lockenmähne, und sie lächelte sehr
geheimnisvoll. Er hat wirklich ein Auge
für weibliche Schönheit, dachte Izzy.
"Sir ..." Sie räusperte sich,
»Vielleicht sollten Sie noch zwei andere
Damen aussuchen. Falls sie schon gebucht
ist, meine ich."
Als er nicht gleich antwortete, sah sie
auf. Ein wissendes Lächeln umspielte
seine schönen Lippen. Bei dem Anblick
klopfte ihr Herz sofort schneller. "Was
ist daran so komisch?" fragte sie
verblüfft.
"Ich bin sicher, die Rothaarige wird es
einrichten können." In seinen Augen
blitzte der Schalk, und ihr wurde
bewußt, daß er sich über ihre Naivität
amüsierte. "Erledigen Sie das, bitte,
Peabody." Er klopfte ihr freundschaft
lich auf die Schulter und verließ das
Badezimmer. "Wenn die Leute von Baxter
kommen, sagen Sie mir Bescheid, ja?"
Izzy schluckte. "Ja, Sir." Sie berührte
die Schulter, auf die er gerade geklopft
hatte, und sah nachdenklich vor sich
hin. Ihr Chef zweifelte nicht eine Se
kunde daran, daß die bildhübsche Rothaa
rige sich auf seinen Handel einlassen
würde. Natürlich hatte er Recht. Er
würde ihr für die Woche, in der sie
seine Frau spielen sollte, mehr zahlen,
als sie sonst in einem Monat verdienen
würde. Und der Vertrag sah auch vor, daß
Gabriel Parish seine "Ehefrau" von Kopf
bis Fuß neu einkleiden würde. Außerdem
war er ausgesprochen sexy und darüber
hinaus Millionär. Keines der Katalogmäd
chen würde sich so etwas entgehen
lassen. Wahrscheinlich wären sie sogar
bereit, auf das Honorar zu verzichten.
Als ihr bewußt wurde, daß sie sich noch
immer die Schulter rieb, riß Izzy sich
ungehalten zusammen und verließ das
Badezimmer in Richtung Büro.
"Ach, Peabody?"
Sie blieb stehen und wandte sich um.
Ihr Chef zog sich gerade ein Jackett an
und kam auf sie zu. "Ja, Sir?"
"Versuchen Sie, weniger mißbilligend
dreinzublicken."
Izzy errötete verlegen. Und sie hatte
gedacht, er würde sie nur als Arbeitsma
schine betrachten, nicht als mensch
liches Wesen mit Gefühlen! Sie schluck
te, als er sich an seinen Schreibtisch
setzte und sie noch immer musterte.
"Warum sollte ich heiraten, weil ein
potentieller Kunde verlangt, daß seine
Werbekampagne von einer Agentur mit
Familiensinn gemacht wird? Das wäre doch
albern."
Er nahm einen goldenen Kugelschreiber
und zog einen Papierstapel zu sich
heran. "Ich kann auch als Junggeselle
hervor ragende Werbekampagnen konzipie
ren. Wahrscheinlich sogar bessere, als
wenn ich verheiratet wäre. Frauen können
einem ja so viele Schwierigkeiten
machen. Finden Sie nicht auch, Peabody?"
Izzy hob herausfordernd das Kinn.
Offensichtlich betrachtete er sie nicht
als Frau. Hoffentlich merkt er nicht,
wie sehr er mich mit dieser Bemerkung
verletzt hat, dachte sie. Gleichzeitig
wußte sie natürlich genau, worauf er
angespielt hatte. Sowie er eine Frau ei
ne Zeit lang mit seinem Charme bedachte,
begann sie, eifersüchtig und besitzer
greifend zu werden und zu verlangen, daß
er nur noch mit ihr zusammen sein
sollte. Izzy hatte schon einige unschöne
Szenen miterleben müssen, wenn Frauen,
mit denen er ausging, sich mehr oder
weniger zufällig in seinem Vorzimmer
begegneten.
Kein Wunder, daß er keine besonders
hohe Meinung von Frauen hatte!
Deshalb war er auch auf die Idee
gekommen, bei einem Begleitservice ein
Mädchen zu buchen, das eine Woche lang
seine Ehefrau spielen sollte. Hätte er
eine seiner Freundinnen gebeten, in
diese Rolle zu schlüpfen, hätte sie sich
vielleicht Hoffnungen auf eine
langfristige Beziehung gemacht.
"Hat es Ihnen die Sprache verschlagen,
Peabody?"
Ganz im Gegenteil, Mr. Parish, hätte
Izzy am liebsten gerufen. Ich halte es
einfach nicht mehr aus, jeden Tag Ihr
verführerisches Lächeln zu sehen, Ihre
sexy Stimme zu hören und Ihren
männlichen Duft zu atmen, während Sie
mich als Büromaschine betrachten. Ich
kündige! Und zwar noch heute!
Stattdessen riß sie sich zusammen,
straffte sich und erwiderte kühl seinen
Blick. Es mißfiel ihr, wie ihr Chef den
zurückgezogen auf einer Insel lebenden
Inhaber einer Firma für Babynahrung
hinters Licht zu führen plante. Das
hatte der arme Mr. Rufus nicht verdient.
Es spielte auch keine Rolle, da er
Gabriel Parishs Spiel wahrscheinlich nie
durchschauen würde, weil er stets auf
seiner Insel blieb. Es ging ums Prinzip.
"Soll ich vielleicht auch noch zwei
Kinder für Sie organisieren?" fragte sie
unschuldig.
Mr. Parish betrachtete sie ungerührt.
"Nein, eine Ehefrau reicht." Er wandte
sich den Dokumenten auf seinem
Schreibtisch zu. "Das wäre dann alles,
Peabody."
Izzy drehte sich um und floh aus dem
Büro. Der dicke jadegrüne Teppichboden
verschluckte ihre Schritte.
Dreizehn Tage nachdem Mr. Parish sich
die bildhübsche Rothaarige ausgesucht
hatte, die Dawn Day hieß, wurde es Zeit,
den betrügerischen Plan in die Tat
umzusetzen.
Am Morgen des 3. Mai, einem Sonntag,
standen Izzy und ihr Chef auf dem
Flughafen La Guardia im Warteraum der
ersten Klasse. Immer wieder blickte
Gabriel Parish nervös auf seine
Armbanduhr. "Sie hätte schon längst hier
sein müssen", sagte er ärgerlich. "Haben
Sie James mit der Limousine auf den Weg
geschickt?"
"Ja, Sir." Izzy klappte ihr Notizbuch
zu. Hoffentlich waren das jetzt genug
Aufträge für die kommende Woche. "Sie
wird sicher jeden Moment eintreffen."
Sie wollte gerade das Notizbuch in die
Handtasche stecken, fragte sicherheits
halber jedoch noch kurz: "Soll ich sonst
noch irgend etwas für Sie erledigen,
Sir?"
Er musterte sie mürrisch. "Haben Sie
etwas gesagt, Peabody?"
"Ich wollte nur wissen, ob das dann
alles wäre."
"Ach so." Er ließ den Blick zur Tür
gleiten, die jedoch geschlossen blieb.
"Ja."
Daraufhin verstaute Izzy das Notizbuch
in der Handtasche. Dabei fiel ihr Blick
auf den Umschlag, den sie seit Wochen
mit sich herumtrug. Jetzt wäre eigent
lich der passende Zeitpunkt, endlich zu
kündigen, dachte sie. Mr. Parish hätte
dann eine Woche Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen. "Was ist mit dem Flugticket?" Sie sah erschrocken auf und machte schnell ihre Handtasche zu. Die
Kündigung konnte auch noch eine Woche
länger warten. "Das ist ihr per Kurier
zugestellt worden. Ich habe angerufen,
und sie hat mir den Eingang bestätigt."
Gabriel Parish runzelte die Stirn. In
dem edlen schwarzen Anzug wirkte er noch
männlicher. Izzy hatte die interessier
ten Blicke der anderen Frauen im Warte
raum sehr wohl bemerkt, im Gegensatz zu
ihm.
Plötzlich öffnete sich die Tür, und
eine bildhübsche Frau mit scheinbar
endlosen Beinen, die durch die hoch
hackigen Pumps noch länger wirkten,
eilte herein. Ihr schickes gelbes Kostüm
war figurbetont, und das lange rote Haar
wirkte sehr verführerisch. Lächelnd ging
sie auf Mr. Parish zu.
Die beiden sind wirklich ein schönes
Paar, mußte Izzy zugeben. Laut sagte
sie: "Sie ist da."
"Na endlich!" Er wandte sich um und
lächelte die Frau an. Hinter ihr war
James, der Chauffeur, aufgetaucht. Er
machte einen besorgten Eindruck. Offen
sichtlich befürchtete er, man würde ihn
für die Verspätung verantwortlich ma
chen.
Die Rothaarige streckte die Hand aus.
"Mr. Parish? Ich bin Dawn Day", sagte
sie mit tiefer Stimme,
Izzy mußte sich sehr zusammenreißen, um
kühl und gelassen zu bleiben. Diese Frau
würde nun also eine Woche mit Gabriel
Parish auf einer einsamen Insel verbrin
gen.
"Entschuldigen Sie bitte die Verspä
tung. Ich hatte ein kleines Problem,
aber das hat nichts mit Ihnen zu tun."
Dawn hielt sich instinktiv die Hand an
die Wange, ließ sie aber schnell wieder
sinken, als es ihr bewußt wurde.
Merkwürdig, dachte Izzy und betrachtete
sie forschend.
Mr. Parish schüttelte ihr die Hand.
"Freut mich sehr, Sie kennen zu lernen",
sagte er mit einem strahlenden Lächeln.
Sie schien ihm zu gefallen. "Sie haben
es ja noch rechtzeitig geschafft."
Dawn erwiderte sein Lächeln, zuckte
dann aber kaum vernehmbar zusammen.
Wieder hielt sie sich flüchtig die Wange. "Alles in Ordnung?" fragte Izzy mißtrauisch und ging auf sie zu.
Dawn sah sie mit ihren großen blauen
Augen verunsichert an. "Ja, natürlich.
Kein Problem."
Doch so leicht ließ Izzy sich nicht
abspeisen. Irgend etwas stimmte nicht
mit dem Mädchen.
Dann wandte sie sich wieder Mr. Parish
zu. "Meine Bordkarte habe ich auch
schon. Von mir aus kann es losgehen."
Er nahm sie ihr ab und steckte sie zu
seiner Bordkarte in die Tasche. "Ein
paar Minuten werden wir uns noch
gedulden müssen." Er bot ihr einen Platz
an. "Setzen Sie sich doch."
Als die Rothaarige seiner Aufforderung
folgte und Izzy ihr Profil sah, bemerkte
sie, daß ihre Wange leicht geschwollen
zu sein schien. Wieder berührte Dawn die
Stelle, und Izzy schien es, als hätte
sie Schmerzen.
James berührte Izzys Schulter. "Wann
soll ich die beiden wieder abholen?"
Sie betrachtete weiterhin Dawns Profil.
"Heute in einer Woche um siebzehn Uhr."
"Soll ich jetzt fahren?"
"Warten Sie lieber, bis das Flugzeug in
der Luft ist." Sie sah den Chauffeur von
der Seite an. Er war jung und sah nett
aus. Er war neu in dem Job, machte seine
Sache aber sehr gut. "Letztes Jahr war
das Flugzeug schon auf der Rollbahn, als
der Pilot bemerkte, daß irgend etwas mit
dem Triebwerk nicht stimmte. Der Flug
mußte verschoben werden. Mr. Parish kann
es nicht leiden, seine Zeit auf
Flughäfen zu verschwenden, wenn er statt
dessen in seinem Büro arbeiten kann.
Fahren Sie also immer erst los, wenn das
Flugzeug abgehoben hat."
James nickte ernst.
Izzy lächelte ihm aufmunternd zu. "Sie
können sich übrigens jederzeit an mich
wenden, falls Sie Fragen haben." Im
nächsten Moment tat es ihr bereits Leid,
daß sie ihm das Angebot gemacht hatte,
denn ihr war eingefallen, daß sie ja
kündigen wollte.
James wirkte bereits viel gelassener.
Er beugte sich zu ihr herunter und
flüsterte verschwörerisch: "Ich glaube,
der Lady geht es nicht besonders gut."
"Genau das habe ich auch gerade
gedacht."
"Sie faßt sich immer wieder an die
Wange, und während der Fahrt hat sie
eine Schmerztablette nach der anderen
geschluckt. Als sie gemerkt hat, daß ich
sie beobachte, hat sie mich ange
schnauzt, ich solle mich gefälligst um
meine eigenen Angelegenheiten kümmern
und zusehen, daß ich zum Flughafen
komme."
"Ach, du liebe Zeit!" Sie hatte so eine
Ahnung, was mit dem Mädchen los sein
könnte. Immerhin hatte sie drei Jahre
lang während der Sommermonate in der
Zahnarztpraxis ihres Vaters ausgeholfen.
"Wenn ich Recht habe, muß sie sich
schleunigst in zahnärztliche Behandlung
begeben", sagte sie leise.
"Wenn Sie mich fragen, würde sie lieber
sterben, als sich diese Reise entgehen
zu lassen", antwortete James.
Izzy sah ihn nachdenklich an. Wahr
scheinlich hat er Recht, dachte sie.
Doch Miss Days Symptome deuteten auf
einen Abszeß hin, und der mußte
schleunigst behandelt werden, sonst
würden die Schmerzen bald unerträglich
werden.
Mr. Parishs herzliches Lachen erregte
ihre Aufmerksamkeit. Sie ließ den Blick
zu der Rothaarigen gleiten, die sich
gerade wieder die Wange hielt. Die
Wirkung der Tabletten schien bereits
nachzulassen.
Na wunderbar, dachte Izzy. Für Ersatz
war es zu spät, aber dieses Mädchen
würde nicht ins Flugzeug steigen, dafür
würde sie schon sorgen. Es wäre
unverantwortlich gewesen, es zuzulassen.
Sie sah James entschlossen an. "Ich muß
etwas tun", sagte sie. "Das arme Ding
hat ja keine Ahnung, was ihm bevor
steht."
Er zuckte die Schultern. "Ich beneide
Sie nicht um diese Aufgabe, Madam. Die
Frau hat Haare auf den Zähnen. Wenn Sie
nicht aufpassen, kratzt Sie Ihnen noch
die Augen aus."
Vielleicht sollte ich den Dingen ihren
Lauf lassen, dachte Izzy. Doch im näch
sten Moment schämte sie sich, so einen
feigen Gedanken überhaupt zugelassen zu
haben. Ihr Entschluss stand fest. "Vie
len Dank, James", sagte sie ironisch.
"Sie sind mir wirklich eine große
Hilfe." Dann straffte sie sich und ging
auf Miss Day zu. Das Schicksal war
dagegen, daß ihr Chef seinem potentiel
len Auftraggeber etwas vorspielte. Doch
wie sollte sie Miss Day dazu bringen,
ihre Schmerzen zuzugeben, wenn diese
gerade noch behauptet hatte, alles wäre
in Ordnung?
Plötzlich hatte Izzy einen Geistes
blitz. Entschlossen ging sie zu der
Ledersitzgruppe hinüber, auf der Mr.
Parish und Miss Day es sich gemütlich
gemacht hatten, und fragte höflich:
"Darf ich Ihnen etwas zu trinken
bringen?" Dann beugte sie sich über die
Rothaarige und gab vor, einen
Schmutzfleck in ihrem Gesicht entdeckt
zu haben. Sie zog eine blütenweißes
Taschentuch hervor und rieb damit Miss
Days geschwollene Wange. "So ..."
Ein entsetzter Aufschrei, und Dawn fuhr
aus dem Sessel hoch. Ihr Gesicht war
schmerzverzerrt, als sie zurückwich und
sich die Wange hielt. "Sie gemeine
Hexe?" schrie sie. In ihren blauen Augen
schimmerten Tränen. "Sie haben mir wehgetan." Mr. Parish war aufgestanden und betrachtete sie beide verwirrt. "Was, um
alles in der Welt, ist hier eigentlich
los?"
Dawn stöhnte. Tränen liefen ihr übers
Gesicht. "Es tut so weh! Das hat die
gemeine Hexe absichtlich getan."
"Haben Sie Miss Day gekniffen,
Peabody?"
"Selbstverständlich nicht, Sir."
Mitleidig beobachtete Izzy, wie Miss Day
sich in den Sessel fallen ließ, sich mit
beiden Händen das Gesicht hielt und
stöhnend vor- und zurückwiegte.
Izzy legte ihr tröstend die Hand auf
die Schulter. "Es tut mir sehr Leid,
aber Sie müssen den Zahn sofort
behandeln lassen."
Die Rothaarige sah wütend auf. "Gar
nichts muß ich. Mir geht es gut. Kümmern
Sie sich gefälligst um Ihre eigenen
Angelegenheiten!"
"Sind Sie krank?" fragte Mr. Parish
besorgt.
"Ich fürchte, Sie hat eine Wurzelent
zündung, Sir", erklärte
Izzy ruhig.
"Das stimmt nicht! Sie lügen!" rief
Dawn und stöhnte vor Schmerz auf.
"Sie können jetzt an Bord gehen, Mr.
Parish." Eine hübsche Stewardeß war zu
ihnen herübergekommen. "Kann ich irgend-
wie helfen?" fragte sie.
Mr. Parish schüttelte den Kopf. "Danke,
wir haben alles im Griff." Er rief James
zu sich und zeigte auf Miss Day. "Fahren
Sie die Lady zu meinem Zahnarzt. Seine
Privatnummer ist im Autotelefon pro
grammiert"
"Aber heute ist Sonntag, Sir", gab
James zu bedenken.
"Er ist ein guter Freund von mir. Er
wird sich um sie kümmern." Mr. Parish
reichte der Rothaarigen die Hand. "Ich
bin sehr enttäuscht, Dawn, aber ich kann
es nicht zulassen, daß Sie in Ihrem
Zustand auf Reisen gehen."
Sie sah ihn flehend an. "Aber ich
brauche den Job."
Izzy bemerkte, wie verstört er war.
"Ich werde dafür sorgen, daß Sie
angemessen entschädigt werden, Miss Day.
Und nun lassen Sie bitten den Zahn
behandeln."
Er half Dawn hoch und überließ sie der
Obhut seines Chauffeurs. Die änderen Passagiere begannen, an Bord des Flugzeugs zu gehen. Izzy beobachtete, wie ihr Chef seiner "Ehefrau" nachsah; Mit ihr entschwand
die Chance, den Etat für die Yum-Yum-
Babynahrung zu bekommen.
Als sie ihn so sah, niedergeschlagen
und offensichtlich äußerst unzufrieden
mit seinem Schicksal; tat er ihr fast
Leid. Ihr Chef hatte sich solche Mühe
gegeben, gerade diesen Kunden zu
gewinnen. "Sie werden sicher einsehen,
daß es so besser ist, Mr. Parish", sagte
sie langsam.
Er musterte sie wütend. Ein Gabriel
Parish gab niemals auf. Er brauchte die
Herausforderung, und erst wenn er sein
Ziel erreicht hatte, War er zufrieden.
Das Geld war dabei nur nebensächlich.
Und nun entging ihm diese Chance!
Einerseits war Izzy froh, daß ihr Chef
nicht mit dieser Rothaarigen auf eine
tropische Insel flog, andererseits
meldete sich aber auch ihr schlechtes
Gewissen. Aber was hätte ich denn tun
sollen? überlegte sie. Das Schicksal
hatte es anders gewollt. Sie räusperte
sich und begegnete seinem wütenden
Blick; "Ich versuche; ihr Gepäck von
Bord bringen zu lassen, Sir, aber ich
weiß nicht..."
"Nein!" Er umfaßte ihren Arm. "Peabody,
Sie werden meine Ehefrau spielen."
2. KAPITEL
Sie sollte seine Frau spielen? Wie oft
hatte sie davon geträumt, eines Tages
seine Frau zu sein. Aber für immer,
nicht nur für eine Woche!
Das war ja nun wirklich eine Ironie des
Schicksals. Izzy erholte sich nur
langsam von dem Schock, ins Flugzeug
gezerrt worden zu sein. Erst als sie die
Reiseflughöhe von dreißigtausend Fuß
erreicht hatten und in Richtung Miami
unterwegs waren, fand Izzy langsam in
die Wirklichkeit zurück. Wütend funkelte
sie ihren Chef an, der neben ihr
telefonierte und sich hervorragend zu
amüsieren schien. Sein Lachen wirkte so
ansteckend, daß andere Passagiere sich
lächelnd umdrehten.
Nur Izzy blieb ernst. Gabriel Parish
hatte ihren zornigen Blick bemerkt und
zwinkerte ihr aufmunternd zu. Das
brachte sie noch mehr auf. Wie hatte er
es wagen können, sie ins Flugzeug zu
zerren? Sie hatte ja nicht einmal eine
Zahnbürste dabei! Erwartete er wirklich,
daß sie eine Woche lang für ihn lügen
sollte?
Schließlich beendete er das
Telefongespräch. "Okay, Peabody", sagte
er. "Ich weiß, daß Ihnen das alles nicht
sonderlich gefällt." Als sie etwas
erwidern wollte, hob er die Hand und
fuhr fort: "Mir übrigens auch nicht." Er
setzte sich so, daß er sie besser sehen
konnte. "Aber immerhin erhalten Sie eine
neue Garderobe, und ich zahle Ihnen die
Überstunden." Er lächelte charmant.
Izzy verzog keine Miene, sondern hob
nur herausfordernd das Kinn und fragte
mürrisch: "Der Gedanke, daß ich diese
ganze Angelegenheit unfair finden und
mich weigern könnte mitzumachen, ist
Ihnen wohl noch nicht gekommen, oder?"
Sein Lächeln war nicht mehr ganz so
strahlend. "Doch."
"Aber Sie haben ihn gleich wieder
verworfen."
"Stimmt."
Sie wandte sich ab und sah aus dem
Fenster. Unter ihnen zogen weiße Wolken
vorbei. "Es gefällt mir nicht, daß Sie
sich meiner so sicher sind, Mr. Parish."
"Sind Sie auf eine Gehaltserhöhung aus,
Peabody?" fragte er amüsiert.
Sie fuhr herum und funkelte ihn wütend
an. "Im Leben gibt es wichtigere Dinge
als Geld, Sir."
"Gute Taktik." Gabriel Parish nickte
anerkennend. "Sind Sie mit fünf Prozent
einverstanden?"
Sie sah ihn sprachlos an. Er lachte
vergnügt. "Also gut. Sieben."
Izzy gab auf. Stöhnend ließ sie sich in
ihren Sitz zurückfallen. "Ich will keine
Gehaltserhöhung, Mr. Parish. Allein die
Vorstellung, diesen netten Mann zu
belügen, ist mir zuwider."
"Wenn Sie ihn mögen, sollten Sie bei
meinem Plan mitmachen."
"Wie bitte?"
"Er braucht mich, Peabody." Gabriel
Parish lehnte sich vor. Instinktiv
drückte sie auf einen Knopf, um die
Rückenlehne ihres Sitzes nach hinten zu
kippen. Er lächelte wissend. "Sie benehmen sich schon jetzt wie eine Ehefrau." Sie verzog das Gesicht. "Sie haben komische Ansichten von der Ehe."
"Das spielt doch hierbei überhaupt
keine Rolle."
"Doch. Ich sollte nicht hier sein und
bin es trotzdem." Sie konnte keinen
klaren Gedanken fassen, weil er ihr so
nahe war. Verzweifelt drückte sie wieder
auf den Knopf, doch der Sitz ließ sich
nicht weiter verstellen.
"Wollen Sie damit sagen, das Leben ist
unfair, Peabody, und wir müssen mit den
Karten spielen, die wir bekommen?"
Obwohl sie nicht wußte, was sie hatte
sagen wollen, nickte sie.
Gabriel Parish sah sie nachsichtig an.
"Und Sie glauben, ich würde nicht die
Karten ausspielen, die ich bekomme?"
"Genau. Sie sind ein Falschspieler."
"Das stimmt nicht, Peabody. Ich könnte
niemanden betrügen."
Izzy sah ihn einen Moment erstaunt an.
"Nein? Das wage ich zu bezweifeln."
Er lächelte verführerisch. "Ich will es
Ihnen erklären, Peabody. Man kann eine
Firma betrügen oder seine Ehefrau, aber
niemals seine Eingebungen, seine Ideen."
Gespannt wartete er auf ihre Reaktion.
"Qualität kann man nicht betrügen. Egal,
ob ich verheiratet bin oder nicht, ich
werde gute Arbeit leisten für den alten
Rufus." Er stupste sie freundschaftlich
an. "Können Sie sich wirklich vorstel
len, ich wollte den Mann betrügen?"
Izzy betrachtete ihn sprachlos. Wie
machte er das nur? Insgeheim wußte sie
natürlich, daß er exzellente Arbeit
liefern würde. Die Werbekampagne für die
Babynahrung des alten Rufus würde wie
eine Bombe einschlagen. Gabriel Parish
war sehr talentiert. Er wußte, wie man
Leute dazu brachte, etwas zu kaufen, was
sie gar nicht haben wollten. "Wer nicht
wagt, der nicht gewinnt" war sein Motto.
Okay, er meinte es also nur gut mit
Rufus. Doch das änderte nichts an der
Tatsache, daß er ihm etwas vormachte.
Schließlich war er nicht verheiratet und
tauchte doch mit einer Ehefrau auf. "Tut
mir Leid, Mr. Parish. Ich mache das
nicht mit."
Mr. Parish blickte ihr minutenlang tief
in die Augen. Sie wurde sich seiner Nähe
immer deutlicher bewut. Schließlich
wußte sie sich nicht anders zu helfen,
als ihn anzufunkeln.
Er lächelte.
Langsam geriet sie in Panik. Wenn er
sie noch eine Sekunde länger so ansah,
würde sie alles für ihn tun. "Würden Sie
..." Izzy räusperte sich. "Würden Sie
bitte so nett sein, sich zurückzulehnen,
Sir?"
Er zog eine Augenbraue hoch, lehnte
sich jedoch zurück. Offenbar war er
plötzlich tief in Gedanken versunken.
Was heckt er denn jetzt wieder aus?
überlegte sie. Ihr Chef war scharfsinnig
und bediente sich häufig ungewöhnlicher
Mittel. Er war fünfunddreißig Jahre alt
und wurde "das junge Werbegenie"
genannt. Und das wollte in New York
etwas heißen. Er war mit seinem Beruf
verheiratet. In den drei Jahren, die sie
nun für ihn arbeitete, hatte sie sich
kein einziges Mal beschwert, obwohl er
wirklich sehr viel von ihr verlangte.
Sie befürchtete, er würde ihre
Weigerung, bei seinem Täuschungsmanöver
mitzumachen, persönlich nehmen. Viel
leicht behauptete er sogar, sie würde
seine Existenz aufs Spiel setzen.
Izzy sah aus dem Fenster und seufzte.
Vielleicht blieb es ihr sogar erspart,
ihm ihr Kündigungsschreiben zu
überreichen.
Tiefe Sehnsucht erfüllte sie. Wenn Mr.
Parish doch nur wußte, wie sehr sie sich
danach sehnte, seine Frau zu sein. Seine
richtige Ehefrau, die er liebte und mit
der er glücklich sein könnte. Doch das
alles nur zu spielen überstieg ihre
Kraft. Sie könnte es nicht ertragen.
Izzy atmete tief ein und versuchte, zu
ihrer alten Gelassenheit zurückzufinden.
Für Tränen war jetzt der falsche
Zeitpunkt. Nachdem sie eine ganze Weile
aus dem Fenster geblickt hatte, begann
sie sich zu ärgern, daß Mr. Parish
einfach schwieg. Warum sagte er nicht
einfach: "Sie sind entlassen"? Aber
nein, er mußte sie mit seinem Schweigen
um den Verstand bringen!
Sie wandte sich weitere zehn Minuten
lang ab, dann hielt sie es nicht mehr
aus. Ich fange gleich an zu schreien,
wenn er nicht bald etwas sagt, dachte
sie und riskierte einen Seitenblick auf
ihren Chef.
Erstaunt bemerkte sie, daß er die
Rückenlehne nach hinten gekippt hatte
und zu schlafen schien. Selbst im Schlaf
wirkte er sexy.
Aber wieso konnte er schlafen, wenn es
die Situation doch erfordert hätte, daß
er mit allen Mitteln versuchte, sie
umzustimmen? Es sah ihm gar nicht
ähnlich, sich kampflos geschlagen zu
geben. Verwundert wedelte Izzy mit der
Hand vor seinem Gesicht herum, um
festzustellen, ob er wirklich
eingeschlafen war.
"Versuchen Sie, meine Aufmerksamkeit zu
erregen, oder glauben Sie, mir wäre
heiß?"
Sie fuhr erschrocken zurück. "Ich dach
te, Sie schlafen."
Mr. Parish sah sie an. "Ich habe
nachgedacht."
"Hoffentlich über etwas Schönes."
"Ich habe über Sie nachgedacht." Er
betrachtete sie forschend. Dabei entging
ihm natürlich auch nicht, daß sie
errötet war.
Izzy saß wie erstarrt da und wußte
nicht, was sie sagen sollte.
"Wußten Sie nicht, daß ich über Sie
nachdenke?" fragte er und lächelte
jungenhaft.
Sie schüttelte den Kopf.
"Das tue ich aber." Mr. Parish umfaßte
ihre Hand. "Es tut mir Leid, daß Sie das
Gefühl haben, ich wäre mir Ihrer zu
sicher."
Es prickelte, wo er sie berührte. Erst
nur dort, gleich darauf am ganzen
Körper. Behutsam zog sie die Hand weg
und rieb sie geistesabwesend. Sowie er
sie berührte, konnte sie keinen klaren
Gedanken mehr fassen. Izzy nickte, zum
Zeichen, daß sie seine Entschuldigung
annahm. Als sie etwas sagen wollte,
brachte sie kein Wort über die Lippen.
Sie schluckte.
"Sind Sie wütend auf mich?"
Wieder schüttelte sie den Kopf.
"Gut." Er machte die Augen zu. "Jetzt
fällt mir aber ein Stein vom Herzen."
Sie sah ihn an. "Und was wird jetzt mit
der Werbekampagne für Babynahrung?"
erkundigte sie sich, bevor sie sich der
Tragweite dieser Frage bewußt wurde.
Mr. Parish antwortete nicht, sondern
saß einfach nur ruhig und mit
geschlossenen Augen da. Wie lang und
seidig seine Wimpern sind, dachte Izzy
verträumt. Ob er nun doch eingeschlafen
war? Sie bezweifelte es. Wahrscheinlich
wollte er sich nur vor einer Antwort auf
ihre Frage drücken.
Izzy wandte den Blick ab und dachte
über Mr, Rufus nach. Sie kannte den
älteren Herrn nur vom Telefon. Er war
stets gut gelaunt und ein richtiger
Schatz.
Hugo Rufus' Babynahrung war seit den
fünfziger Jahren auf dem Markt, und
seine Werbung hatte sich seitdem kaum
verändert. Inzwischen erschien sie
altmodisch und hausbacken. Was hatte Mr.
Parish vor wenigen Minuten gesagt? "Er
braucht mich." Izzy dachte darüber nach.
Ob der liebe Mr. Rufus kurz vor dem
Bankrott stand? Ob seine Privatinsel mit
Hypotheken belastet war?
Sie blickte gedankenverloren aus dem
Fenster. War die neue Werbekampagne Mr.
Rufus' letzter Versuch, seine Firma vor
dem Ruin zu bewahren?
Man die neue Elterngeneration mit neuen
Werbemitteln auf sich aufmerksam machen,
denn mit den alten Methoden ließen sich
keine Umsätze mehr erzielen, Die Spots
mußten eingängig und spektakulär sein,
denn etwas anderes verstand die "Zapping-Generation" ja nicht. Izzy ließ den Blick zu ihrem Chef gleiten. Sie hatte seine Entwürfe
gesehen und auch den Jingle gehört. Die
Erkennungsmelodie würde sich bestimmt
als Ohrwurm erweisen. Er hatte sogar
eine topaktuelle Rockband dafür gewinnen
können. Die Mitglieder der Band waren
alle vor kurzem Vater geworden, und auch
die Babys sollten in den kurzen
Werbefilmen mitspielen. Bei dieser
Werbung mußte sich die Babynahrung
einfach wieder verkaufen.
Es schien, als hätte die Firma des
netten Mr. Rufus wirklich nur noch mit
Gabriel Parishs Werbefeldzug eine
Überlebenschance. Ohne ihn würde der
Babynahrungshersteller vermutlich bald
Konkurs anmelden müssen. Dann würden
einige tausend Menschen ihren
Arbeitsplatz verlieren. Konnte sie das
wirklich riskieren? Wollte sie die
Verantwortung dafür übernehmen? Izzy
überlegte verzweifelt hin und her. Wie
sie es auch drehte und wendete, ihr
blieb nur ein Ausweg: Sie mußte bei
Gabriel Parishs Spiel mitmachen, um die
Firma von Hugo Rufus zu retten.
Izzy umfaßte die Hand ihres Chefs, zog
die Hand jedoch gleich wieder fort.
"Okay, Sir. Ich bin dabei."
Er lächelte kurz. "Ich weiß, Peabody."
Nicht einmal die Augen schlug er auf.
Izzy, die ihre Kleider sonst nur im
Kaufhaus erstand, fühlte sich in der
ungewohnten Umgebung am falschen Platz.
Sie saß auf einem kostbaren Stuhl aus
der Zeit Ludwigs XIV. in einer
exklusiven Boutique in Miami, bekam
Appetithäppchen gereicht und betrachtete
magersüchtige Models, die extra für sie
Designermoden vorführten und Mr. Parish
aufreizend zulächelten und dabei mit
falschen Wimpern klimperten. Bei den
Lippen schien jemand mit Collagen
nachgeholfen zu haben.
Von ihr schien niemand Notiz zu nehmen,
alle hatten nur Augen für den Mann an
ihrer Seite. Kein Wunder, dachte Izzy.
Mein graues Kostüm und meine flachen
Schuhe mit Gummisohlen sind natürlich
nicht gerade der letzte Schrei.
"Das nehmen wir auch", sagte Mr.
Parish.
Sie sah auf. Das Mädchen warf ihm einen
so aufreizenden Blick zu, daß man nicht
genau sagen konnte, ob er es oder die
violette Shortskombination mit farblich
dazu passenden Plateausandaletten,
Hütchen und Poloschläger meinte.
"Hoffentlich fühlen sie sich auf der
Insel nicht verpflichtet, ein Pferd
passend einzufärben", sagte Izzy leise
vor sich hin. Seit zwei Stunden ließ sie
nun geduldig die Modenschau über sich
ergehen, aber dieses lila Ding da war zu
viel! Sie hatte genug.
Mr. Parish betrachtete sie interessiert
von der Seite. "Haben Sie ein Problem
damit?"
"Womit? Mit einem lila Pferd oder dem
Outfit?"
Er beugte sich vor. "Die Farbe würde
wunderbar zu Ihren braunen Augen
passen", sagte er lächelnd.
Es überraschte sie, daß er ihre
Augenfarbe erwähnte. "Ich wußte gar
nicht, daß Sie meine Augenfarbe kennen",
antwortete sie erstaunt.
"Ich habe auf der Fahrt hierher etwas
genauer hingesehen", erklärte er und
widmete sich dem nächsten Model.
"Das wäre aber nicht nötig gewesen,
Sir. Ich hätte Ihnen auch eine
Aktennotiz zukommen lassen können." Sie
war beleidigt, weil sie nun seit drei
Jahren für ihn arbeitete und er erst vor
wenigen Stunden ihre Augenfarbe bemerkt
hatte.
Mr. Parish sah sie kurz von der Seite
an. "Soll ich Ihnen mitteilen, welche
Farbe meine Augen haben?" fragte er.
"Als meine Frau sollten Sie darüber
informiert sein."
Izzy schluckte mehrmals. Niemals würde
sie die Farbe seiner Augen vergessen
können, sosehr sie sich auch bemühen
würde. "Nein, danke, Sir, ich sehe sie
mir nachher kurz an."
Nun blickte er ihr tief in die Augen.
Er war ihr so nahe, daß sie ihn hätte
küssen können, wenn sie nur den Mund
gespitzt hätte. "Warum nicht jetzt? Was
sehen Sie?"
Ihr wurde heiß und kalt. Sie konnte dem
Impuls kaum widerstehen, ihn zu küssen.
Doch dann lehnte sie sich, so weit es
ging, in ihrem Sitz zurück und gab sich
so unbeteiligt wie möglich. "Grün, würde
ich sagen", antwortete sie heiser. "Ich
schreibe es mir auf, damit ich es nicht
vergesse." Sie sah schnell weg und
erhaschte noch einen letzten Blick auf
das Model im lila Outfit, das mit
schwingenden Hüften dem Ausgang
zustrebte. "Übrigens würde ich gern auf
Hut, Schuhe und Poloschläger des letzten
Modells verzichten."
"Entspannen Sie sich, Peabody." Mr.
Parish zwinkerte ihr amüsiert zu. Noch
immer war er ihr viel zu nahe. "Es
könnte Ihnen gefallen."
Izzy runzelte die Stirn und kämpfte
gegen die erotische Wirkung seines
Vorschlags an. "Auf diesen
halsbrecherischen Absätzen kann ich mich
nicht entspannen. Und die armen Vögel,
die ihre Federn für dieses Ungetüm von
einem Hut lassen mußten. Aber über den
Poloschläger kann ich ja noch mal nachdenken." Er lachte vergnügt und nahm ihre versteckte Drohung mit Humor. "Sie sind
müde." An die Besitzerin der exklusiven
Boutique gewandt, fügte er hinzu: "Das
genügt. Lassen Sie die Sachen bis heute
Abend in mein Hotel bringen."
Izzy war entsetzt. Erstens waren die
Sachen unglaublich teuer, zweitens
würden sie wohl eher von einer Geliebten
als von einer Ehefrau getragen werden.
Dem konservativen Hugo Rufus wären sie
ganz sicher zu gewagt. Da Izzy wußte,
daß es zwecklos war, ihren Chef
umzustimmen, griff sie zu einer kleinen
List "Mr. Parish?"
"Ja?" Er wirkte sehr selbstzufrieden,
als er sich zu ihr umdrehte.
"Ich glaube, ich sollte noch eine Weile
hier bleiben - falls einige Sachen
geändert werden müssen."
"Selbstverständlich." Er sah auf seine
Armbanduhr. "Daran hatte ich gar nicht
gedacht. Aber Sie haben natürlich Recht.
Und Sie sollen sich ja in der Kleidung
wohl fühlen, Peabody."
Izzy biß die Zähne zusammen. Und wann
soll ich all die Klamotten anziehen?
fragte sie sich. Sie wurde ja nicht
gerade täglich zu Krönungszeremonien
oder zu Gartenpartys im Weißen Haus
eingeladen. Und sie würden die kommende
Woche auch nicht auf der Luxusyacht
eines Hollywood-Schauspielers verbrin
gen, wo die Kleidung vielleicht
angemessen gewesen wäre, sondern auf der
einsamen Insel des konservativen Mr.
Rufus, dem es eher auf ein glückliches
Familienleben ankam.
"Ich muß noch einiges ausarbeiten.
Lassen Sie sich aber ruhig Zeit. Ich
schicke Ihnen die Limousine zurück."
"Danke." Sowie Mr. Parish verschwunden
war, zählte Izzy langsam bis zehn und
sprach dann die Inhaberin der Boutique
an. "Ich möchte Mr. Parishs Bestellung
etwas abändern", sagte sie nervös.
Die Inhaberin zuckte kaum mit der
Wimper. "Wie Sie wünschen, Miss. Wollen
wir gleich anfangen?"
Izzy senkte verlegen den Blick. Die
Frau wußte natürlich genau, daß sie,
Izzy, nicht mit Mr. Parish verheiratet
war. Natürlich war es nicht gerade
hilfreich gewesen, ihren Chef mit "Mr.
Parish" anzureden. Sie mußte sich daran
gewöhnen, seinen Vornamen zu benutzen.
Sie sah auf. "Ja. Zuerst streichen Sie
bitte dieses lila Polo-Ensemble von der
Liste."
Der Flug nach Tranquillity Island war
für den kommenden Morgen vorgesehen.
Nach dem langen, anstrengenden Tag war
Izzy erschöpft. Bis kurz vor acht Uhr
abends war sie in der Boutique damit
beschäftigt gewesen, Änderungen vorneh
men zu lassen und Kleidungsstücke aus
der Bestellung zu streichen. Die
Schneiderinnen machten Überstunden, um
alles termingerecht zu erledigen.
Den größten Teil der Kollektion brachte
Izzy selbst mit ins Hotel, der Rest
wurde gegen halb zehn Uhr abends
geliefert.
Izzy hatte geduscht und überlegte, ob
sie in den vielen Kartons und Taschen
nach einem Nachthemd suchen sollte. Als
ihr Bück, auf einen weißen Hotelbade
mantel fiel, beschloss sie hineinzu
schlüpfen, Dann begann sie, ihr Haar
trockenzurubbeln. Gleich darauf klopfte
es an der Tür. Das sind bestimmt die
Koffer, die Mr. Parish für mich hat
besorgen lassen, dachte sie, wickelte
das Handtuch zu einem Turban und ging
zur Tür. Da im Spion niemand zu sehen
war, schob sie den Riegel vor und
öffnete die Tür einen Spaltbreit. "Ja,
bitte?"
Wieder klopfte es, diesmal hinter ihr.
Erschrocken wirbelte sie herum. Das
Geräusch kam von der Verbindungstür zu
Mr. Parishs Hotelzimmer.
"Peabody?"
"Ja, Sir?" Sie überlegte, was Mr.
Parish zu dieser späten Stunde noch
wollte. Mußte sie sich etwa noch umzie
hen, um jetzt ein Diktat aufzunehmen?
"Ich habe uns etwas zu essen bestellt.
Sie haben doch bestimmt Hunger."
Verblüfft ließ sie sich gegen die Tür
sinken, die prompt wieder ins Schloß
fiel. "Essen?"
"Ich verstehe nicht, was Sie sagen,
Peabody. Lassen Sie mich rein."
"Einen Moment." Sie war so daran
gewöhnt, seinen Bitten nachzukommen, daß
sie zur Verbindungstür eilte und sie
weit öffnete.
Lächelnd stand er vor ihr, bekleidet
mit einer beigefarbenen Hose und einem
kurzärmeligen grünen Hemd, das die Farbe
seiner Augen betonte. Er sah einfach
phantastisch aus! "Komme ich ungelegen?"
fragte er.
Im ersten Moment wußte sie nicht, was
er meinte, doch dann fiel ihr ein, daß
sie nur mit einem Bademantel bekleidet
war und einen Frotteeturban trug. "Ich
... ich habe gerade ..." Sie zeigte aufs
Badezimmer.
"Das habe ich mir schon gedacht." Er
wies auf den gedeckten Esstisch in
seinem Zimmer. "Kommen Sie, Peabody.
Essen Sie, solange es warm ist."
Izzy ließ prüfend den Blick an sich
hinabgleiten. Der voluminöse Bademantel
reichte ihr bis zu den Füßen, die in
Frotteepantoffeln steckten. Sie war also
gut verhüllt. Erleichtert betrat sie das
Zimmer. Erst jetzt bemerkte sie, wie
hungrig sie war.
"Es war sehr nett, an mich zu denken,
Mr. Parish." Sie hatte ihn schon auf
vielen Geschäftsreisen begleitet.
Meistens aßen sie mit dem Kunden zu
Abend, wobei sie sich Notizen machte und
Mr. Parish die Unterlagen reichte, die
er benötigte. Nach dem Essen war sie
bisher immer auf ihr Zimmer gegangen und
hatte gelesen, bis ihr die Augen
zugefallen waren. Noch nie zuvor hatte
Mr. Parish vom Zimmerservice ein
Abendessen für zwei Personen bringen
lassen.
"Sie tun mir einen großen Gefallen,
Peabody. Da ist es doch wohl das
Mindeste, daß ich Ihnen wenigstens etwas
zu essen bestelle." Er rückte ihr
lächelnd den Stuhl am gläsernen Esstisch
zurecht.
Izzy fühlte sich von seinem Charme wie
geblendet und sah schnell aus dem
Fenster, um sich abzulenken.
Offensichtlich schien es ihn überhaupt
nicht zu stören, daß sie nur mit einem
Bademantel bekleidet war. Wahrscheinlich
war er an den Anblick halb nackter Damen
gewöhnt. Warum auch nicht? Schließlich
war er Junggeselle.
Die Aussicht auf Miamis gewundenen
Küstenverlauf vom zwanzigsten Stock war
selbst bei Nacht atemberaubend. Die
Lichter der Straßenlaternen am Ufer
wirkten wie eine funkelnde Krone.
Draußen auf dem Meer war die Beleuchtung
der Schiffe zu sehen, die gerade ausliefen. Ein Geräusch erregte ihre Aufmerksamkeit, und Izzy drehte sich
wieder um. Ihr Chef hatte am anderen
Tischende Platz genommen, das leider
viel zu nahe war. Sie schlug die Beine
übereinander, wobei sie mit einem Fuß
versehentlich sein Schienbein berührte.
Dabei verlor sie einen Pantoffel.
"Oh..."
"Wie?" Er war gerade mit seiner
Serviette beschäftigt und sah auf.
Izzy senkte verlegen den Blick. "Mein
Pantoffel ist ..."
Er sah zu Boden. Der weiße Pantoffel
lag genau neben seinem braunen Schuh.
"Moment." Mr. Parish bückte sich unter
den Tisch.
"Das ist nicht nötig, Mr. Pa..."
Als er ihren Fuß umfaßte, stockte ihr
der Atem, denn im selben Moment rutschte
ihr der Bademantel vom Knie und
entblößte ihr Bein. Sie konnte durch den
Glastisch alles ganz genau sehen. Und
Mr. Parish natürlich auch.
Er hielt ihren Fuß noch einen Moment
länger fest, dann zog er ihr den
Pantoffel wieder an.
Izzy überlegte, ob sie sich sein Zögern
nur eingebildet hatte. Ihr war von
seiner Berührung ganz schwindlig
geworden. Jedenfalls war sie keineswegs
so reaktionsschnell wie sonst.
Im nächsten Augenblick hatte er sie
losgelassen und richtete sich wieder
auf. Lächelnd strich er sich das Haar
aus der Stirn. "Der Pantoffel paßt,
Aschenputtel."
Izzy zog den Bademantel zurecht und
stellte die Füße fest auf den Teppichboden. "Eigentlich ist er ein wenig zu groß für mich." Mr. Parish hob die silbernen Hauben von
den Tellern und warf ihr einen
ironischen Blick zu. "Das ist wieder
ganz die alte Peabody. Immer
realistisch, keine Spur von Romantik."
Sie senkte schnell den Blick und
betrachtete das Käsesouffle. Er sollte
nicht merken, wie sehr seine Bemerkung
sie verletzt hatte und wie sehr sie sich
nach Zärtlichkeit und Romantik sehnte.
Ich bin überhaupt nicht realistisch,
dachte sie. Im Gegenteil. Nur eine
Romantikerin, die heimlich in ihren Chef
verliebt ist, hatte sich auf das
Abenteuer einlassen können, mit ihm auf
eine einsame Insel zu fliegen und
vorzugeben, mit ihm verheiratet zu sein.
Als seine Frau würde sie auch hin und
wieder mit ihm allein sein. Das
erwartete man von ihr. Izzy wurde von
Panik ergriffen. Erschrocken sah sie auf
und bemerkte, daß Mr. Parish sie ansah.
"Sie brauchen keine Angst zu haben,
Peabody", sagte er lächelnd und streckte
die Hand aus, in der er offensichtlich
etwas hielt. "Es Wird Ihnen gefallen,
Mrs. Parish zu sein." Er zwinkerte ihr
verführerisch zu und steckte ihr einen
Trauring an den Ringfinger.
3. KAPITEL
Am nächsten Morgen um acht Uhr fand
Izzy sich in einem kleinen, eleganten
Privatflugzeug mit weißen Ledersitzen
wieder. Pilot und Copilot trugen
schwarze Uniformen und machten einen
netten Eindruck. Die breiten Sitze waren
so bequem wie Sessel. Zwischen jeweils
zwei Sitzen befand sich ein Tisch. Zwei
Paare saßen bereits in der Maschine.
Izzy versuchte, ihr Erstaunen zu
verbergen, als ihr Boss ihr den Arm die
Taille legte zum Zeichen, daß sie zu ihm
gehörte.
Jetzt hatte das Täuschungsmanöver
richtig angefangen!
"Habe ich dir schon gesagt, wie hübsch
du heute bist?" flüsterte er.
Sie sah ihn starr an. "Nein." Sein
Lächeln war unglaublich warmherzig und
liebevoll. Hätte sie es nicht besser
gewußt, sie wäre tatsächlich davon
überzeugt gewesen, daß ihr Boß sie
anbetete. Ha!
"Dann sage ich es dir jetzt. Du siehst
bezaubernd aus, Liebling", sagte er,
diesmal lauter.
Izzy hob das Kinn und rang sich ein
Lächeln ab. Das Kompliment gebührte ihm,
denn er hatte das sandfarbene ärmellose
Ripsseidenkleid mit dem tropischen
Blumenmuster ausgesucht. Es hatte einen
sarongartigen, über dem Knie endendes
Rockteil. Dazu trug sie hochhackige
Sandaletten. Wie eine
Direktionsassistentin war sie jedenfalls
nicht aufgemacht. Man sah ihr nicht an,
daß sie Diktate aufnehmen und Computer
bedienen konnte.
"Danke ... mein Augenstern." Der
lächerliche Kosename kam ihr ganz
geläufig über die Lippen. Es war
wirklich unglaublich, wozu ihr Boß sie
bringen konnte! Ärgerlich fügte sie
leise hinzu: "Du weißt ja, daß ich nur
für deine Zustimmung lebe." Dabei
klimperte sie übertrieben mit den
Wimpern und bemerkte voller Genugtuung,
daß er kaum merklich die Stirn runzelte.
Trotzdem gelang es ihm, den
hingebungsvollen Gesichtsausdruck
beizubehalten.
Er geleitete sie zum Sitz und flüsterte
an ihrem Ohr: "Augenstern? Nicht
übertreiben, Peabody."
Dann half er ihr auf den etwas erhöhten
weißen Ledersitz, den er zuvor per
Knopfdruck so eingestellt hatte, daß sie
sich problemlos setzen konnte.
Sehr luxuriös, dachte Izzy. Wie lange
der gute Mr. Rufus sich wohl noch ein
Privatflugzeug leisten konnte? Ohne eine
wirkungsvolle Werbekampagne für seine
Babynahrung würde er sich wohl bald
davon trennen müssen.
Gabriel Parish setzte sich zu ihr. Nur
der kleine Tisch mit der Marmorplatte
trennte ihre Sitze. Mr. Parish hob ihre
Hand und küßte zärtlich ihre
Fingerspitzen. "Ich betrachte diese
Reise als unsere zweiten Flitterwochen,
Liebling." Er sah sie so liebevoll an,
daß sie kaum glauben konnte, sie könnte
gemeint sein. Doch in letzter Sekunde
erinnerte sie sich ihrer Rolle.
Und er ermahnt mich, nicht zu
übertreiben! dachte sie entrüstet, rang
sich aber ein Lächeln ab. Sie zog die
Hand weg und fragte: "Sollten wir uns
den anderen Passagieren nicht
vorstellen, mein Lämmchen?"
Mr. Parish lächelte ironisch über den
vorwitzigen Kosenamen, mit dem sie ihn
bedacht hatte, unterließ es allerdings,
ihre Wortwahl zu kommentieren. Die
anderen Fluggäste hätten es ja hören
können. "Du hast Recht, Liebling." Er
umfaßte wieder ihre Hand und drehte sich
um, nachdem er Izzy einen warnenden
Blick zugeworfen hatte.
Ohne sich etwas anmerken zu lassen,
wandte auch sie sich um. Dabei war sie
innerlich sehr aufgewühlt, weil er sie
ständig berührte, und zwar allein in den
vergangenen zehn Minuten öfter als in
den drei Jahren, die sie bereits für ihn
arbeitete. Sie bemerkte, daß auch die
anderen beiden Paare, seine
Konkurrenten, die Sitze nach außen
gedreht hatten, und betrachtete sie.
Schräg gegenüber auf der anderen Seite
des Ganges saßen ein Mann und eine Frau
mittleren Alters, die beide dunkelblaue
Anzüge trugen und humorlos vor sich hin
blickten.
Das andere Paar saß auf der gleichen
Gangseite wie sie und ihr Boß und schien
in dessen Alter zu sein. Die beiden
waren sonnengebräunt und waren typische
Yuppies. Vermutlich verbrachten sie
ihren Urlaub im Club Mediterranee. Die
Blondine trug eine modische Kurzhaar
frisur und schien etwas arrogant zu
sein. Vielleicht hat sie auch nur einen
steifen Nacken, dachte Izzy großmütig.
Ihr Mann hatte die Figur eines
Rugbyspielers. Sein hellblondes Haar
lichtete sich bereits, und sein Gesicht
hatte Ähnlichkeit mit dem eines Pitbull
terriers. Beide trugen kalifornische
Sommerkleidung und schienen eine
Vorliebe für Goldschmuck zu haben.
Der Terrier beugte sich vor. "Mein Name
ist Wirt. Fox McFarland Wirt. Und das
ist meine Frau Claudia." Er lächelte dem
blassen Paar auf der anderen Seite des
Ganges zu, dann ließ er den Blick zu
Izzy und Mr. Parish gleiten. "Sie können
Foxie zu mir sagen."
Claudia lächelte. Ihr Lächeln war
genauso künstlich wie das ihres Mannes.
Allen Fluggästen war bewußt, daß es sich
keineswegs um eine Vergnügungsreise
handelte. Es ging um Millionen, und da
hörte der Spaß auf.
"Nett, Sie kennen zu lernen, Foxie."
Mr. Parish lächelte dem Mann zu, dann
dessen Frau. "Hallo, Claudia." Sein
Lächeln ist offen und ehrlich, dachte
Izzy und versuchte vergeblich, es ihm
gleichzutun. "Das ist meine wundervolle
Frau ..."
Als er ihr die Hand drückte, sah sie
ihn an. Sie hatte sich schon gewundert,
warum er nicht weitersprach. Noch mehr
wunderte sie sich, als er sie an sich
zog und sie flüchtig, aber sehr
wirkungsvoll küßte. Izzy schmolz
förmlich dahin, wurde aber sehr schnell
wieder mit der Wirklichkeit konfron
tiert, als er an ihrem Ohr flüsterte:
"Wie, um alles in der Welt, heißt du mit
Vornamen, Peabody?"
Ein Wunder, daß er überhaupt reden
kann, dachte sie, denn er liebkoste sie
hingebungsvoll. Wie machte er das nur?
Obwohl ihr etwas schwindlig war und sie
sich am liebsten zärtlich an ihn
geschmiegt hätte, wurde ihr bewußt, wie
ärgerlich er war. Ach ja, er wollte
ihren Vornamen wissen. Sie räusperte
sich leise und flüsterte ihm ins Ohr:
"Izzy."
Er drehte den Kopf so, daß er ihr in
die Augen sehen konnte. Es war
eindeutig, daß er ihr einen so
schrecklichen Vornamen niemals zugetraut
hätte. Gespielt zärtlich tätschelte er
ihr die Wange, lächelte strahlend und
wandte sich den Zuschauern zu.
"Entschuldigung. Sie macht mich ver
rückt. Wovon haben wir gerade
gesprochen?"
Izzy hätte schreien mögen! Erst küßte
er sie vor aller Augen und brachte sie
halb um den Verstand, und dann fragte er
sie ärgerlich nach ihrem Namen. Dieser
Schuft! Am liebsten hätte sie ihm die
Augen ausgekratzt. Doch gleichzeitig war
sie noch wie benommen. Seine Nähe, sein
Duft, seine zärtlichen Lippen
berauschten sie wie eine Droge. Wie
liebevoll er sie ansah!
"Sie wollten gerade Ihre Frau vorstel
len", antwortete Foxie.
Izzy blinzelte. Langsam kam sie wieder
zu sich.
"Stimmt. Sie sind Foxie, oder?" fragte
Mr. Parish. "Meine Frau Isabel."
"Sie können aber ruhig Izzy zu mir
sagen", sagte Izzy und sah
ihren Pseudo-Ehemann aufsässig an.
"Mein Lämmchen liebt
diesen Spitznamen."
Sein vorwurfsvoller Blick war nur für
sie bestimmt, in der nächsten Sekunde
lächelte Mr. Parish den anderen
Fluggästen bereits wieder zu. "Und ich
bin Gabe Parish."
"Aha. Jetzt weiß ich." Foxie schnippte
mit den fleischigen Fingern. "Ich habe
nur Gutes von Ihnen gehört, Mann. Das
junge Werbegenie in New York."
"Und Sie sind der angesagteste
Werbemann in Los Angeles, Foxie."
"In Kalifornien, meinen Sie wohl."
"Klar. In Kalifornien. Pardon." Gabe
ließ den Blick zu dem humorlosen Paar in
Dunkelblau wandern, "Und wer sind Sie?"
"Wir sind Mr. und Mrs. Miles, Hedda und
Roger Miles aus Chicago von der Agentur
Miles and Unwin." Mr. Miles richtete
abweisend seine Krawatte.
"Ich habe von Ihrer Firma gehört",
antwortete Gabe, der noch immer Izzys
Hand hielt. "Sie hat einen guten Ruf."
Izzy versuchte, sich auf Mr. und Mrs.
Miles zu konzentrieren, was ihr jedoch
sehr schwer fiel, weil sie sich Gabes
Nähe nur zu bewußt war.
"Und wie Sollen wir Sie nennen?" fragte
Foxie laut. "Rog?"
Roger Miles wandte sich Foxie zu und
musterte ihn von oben herab. "Wir heißen
Roger und Hedda."
Foxie zog amüsiert die Augenbrauen
hoch. "Auch gut, Mann. Also Roger und
Hedda."
Izzy betrachtete die Konkurrenz; Mr.
und Mrs. Miles dachten offensichtlich
nicht im Traum daran, die Abneigung zu
überspielen, die sie für ihre
Mitbewerber empfanden. Jedenfalls nicht,
solange Hugo Rufus außer Sichtweite war.
Pilot und Copilot verschwanden im
Cockpit, und eine attraktive brünette
Stewardess betrat die Kabine, um sich
nach den Getränkeund Frühstücks
wünschen der Fluggäste zu erkundigen.
Gabe bestellte Mineralwasser mit einem
Schuss Limonensaft, und Izzy bereitete
sich seelisch auf den Start vor, vor dem
sie sich immer ein wenig fürchtete.
Allerdings wurde sie das Gefühl nicht
los, daß ihr in den nächsten Tagen
weitaus größere Belastungen bevorstehen
würden.
Gabe hörte nur mit halbem Ohr zu, als
Claudia und Foxie Wirt erzählten, welche
Berühmtheiten in Los Angeles zu ihrem
Bekanntenkreis zählten. Hin und wieder
lächelte er höflich. Er wußte genau, daß
die beiden ihn nur beeindrucken wollten
und viel heiße Luft dabei war. Der
eigentliche Konkurrent war Roger Miles,
der zwar steif und unnahbar wirkte,
jedoch ein ausgesprochen kreativer Kopf
war und schon viele Auszeichnungen
bekommen hatte.
Seine Werbekampagnen waren zwar
konservativ, aber außerordentlich clever
und wirkungsvoll. Außerdem war er
ungefähr so alt wie Hugo Rufus. So etwas
verband. Doch auch Fox Wirt hatte einen
guten Ruf. Gabe sah sich harter
Konkurrenz ausgesetzt.
Aus den Augenwinkeln betrachtete er
Izzy. Sie hatte die Beine übereinander
geschlagen, und ihr Rock war so weit
nach oben gerutscht, daß er ihre
Schenkel sehen konnte. Er konnte den
Blick kaum abwenden. Wieso hatte er
bisher nie bemerkt, wie hübsch ihre
Beine waren? Wahrscheinlich weil er sie
sonst nie zu Gesicht bekam. Peabody trug
ja immer lange Röcke, die alles
verdeckten. Ihre Beine waren so straff
und wohlgeformt, daß er annahm, sie
würde regelmäßig Sport treiben. Peabody
und Sport? Auch das hatte er bisher
nicht für möglich gehalten. "He, Gabe,
wo sind Sie eigentlich mit Ihren
Gedanken?" Gabe sah auf und bemerkte
Foxies Blick. "Wie bitte?" Der breite
Kalifornier lächelte anzüglich. "Sie
haben wohl nur Augen für Ihre kleine
Frau?" Er schüttelte gespielt ungehalten
den Kopf. "Es gehört sich nicht für
Männer in unserem Alter, so wild auf
unsere Frauen zu sein. Schlecht fürs
Image."
Izzy hatte zugehört und betrachtete
verwundert ihren "Ehemann". Wie immer
hatte sie das Haar aufgesteckt, jedoch
etwas lockerer als sonst, so daß duftige
Strähnchen ihr Gesicht umschmeichelten
und es weicher erscheinen ließen.
Gabe wußte, daß sie wütend auf ihn war,
weil er sie geküßt hatte. Das machte sie
nur noch entzückender. Ihre Wangen waren
rosig, und ihre Augen strahlten. Sie war
außerdem ein prima Kumpel. Nicht jede
Frau hätte sich auf so ein
Täuschungsmanöver eingelassen. Gabe hob
ihre Hand und strich sich damit über die
Wange. "Entschuldigen Sie, Foxie. Bitte
wiederholen Sie Ihre Frage. Ich
verspreche, diesmal genau zuzuhören",
sagte er lächelnd.
Der hellblonde Mann erzählte, mit
welchen Filmstars er zum Hochseefischen
gefahren war. Izzy veränderte ihre
Beinhaltung, und der Rock bedeckte
wieder ihre Schenkel. Erst jetzt wurde
Gabe bewußt, daß er die ganze Zeit starr
auf ihre Beine gesehen hatte. Verlegen
wandte er den Blick ab. Und schon wieder
war er so abgelenkt, daß er nicht wußte;
wovon Foxie inzwischen sprach. Also
wirklich, Parish, ermahnte er sich, du
hast offensichtlich
Entzugserscheinungen. Izzy Peabody wäre
entsetzt gewesen, wenn sie seine
Gedanken hätte lesen können!
Für Izzy schien der fünzigminütige Flug
nach Tranquillity Island kein Ende
nehmen zu wollen. Als der Privatjet
endlich zur Landung ansetzte, wußte sie
mehr über Foxie und Claudia Wirt, als
ihr lieb war. Das Gesicht tat ihr weh,
weil sie die ganze Zeit höflich gelä
chelt hatte. Und dabei fing die
Geschichte erst richtig an!
Beim Landeanflug verstummten die
Gespräche. Die Fluggäste sahen aus dem
Fenster. Als sie die Wolkendecke
durchbrachen, entdeckte Izzy einen
Vulkan am oberen Ende der Insel.
"Hoffentlich ist der erloschen",
murmelte sie.
"Ja, das ist er." Die Stewardeß, die
gerade das Geschirr abräumte, lächelte
ihr beruhigend zu,
"Gut." Izzy erwiderte ihr Lächeln. "Ich
habe nämlich keine Lust, im Urlaub unter
einer Tonne Vulkanasche zu verschwin
den."
"Spielverderberin", sagte Gabe neckend.
Sie sah ihn an. Genau in diesem Moment
begann die Sonne in die Kabine zu
scheinen, und seine Augen funkelten wie
kostbare Smaragde. Izzy wandte sich
schnell ab und blickte wieder aus dem
Fenster.
Unter ihr lag die sichelförmige, in
allen Grüntönen leuchtende Insel in der
Morgensonne. Doch sie war bei weitem
nicht so beeindruckend, wie die Augen
eines bestimmten Mannes waren. Die Insel
war von rosa und weiß schimmernden
Stranden gesäumt, an denen sich sanft
die Wellen des türkisfarbenen Ozeans
brachen.
Nur der untere Teil schien bewohnt zu
sein. Ein heller Landsitz erhob sich
majestätisch über gepflegtem Grün, das
von Kieswegen und kunstvoll angelegten
Gärten durchzogen war.
"Ich habe das Gefühl, in ein anderes
Jahrhundert versetzt worden zu sein",
sagte Izzy leise.
"Die Landebahn macht allerdings einen
modernen Eindruck", antwortete Gabe. "Es
sei denn, sie ist früher einmal von
Außerirdischen angelegt worden,"
Er lächelte und drückte ihr beruhigend
die Hand. Ihr Herz klopfte sofort
schneller. Gabe Parish hatte ja keine
Ahnung, was er ihr mit seinem gespielt
liebevollen Verhalten antat! Sie rang um
Fassung und sah schnell wieder aus dem
Fenster.
Links vom Anwesen war hinter einer
dichten Baumreihe ein schwarzer
Asphaltstreifen zu sehen. Zweifellos war
das die Landebahn. Am Rand bemerkte Izzy
kleine Punkte, die sich bewegten.
Menschen!
Kurz darauf landete der Privatjet und
rollte die Bahn entlang, bis er neben
der kleinen Menschengruppe zum Stehen
kam. Izzy traute ihren Augen kaum. Es
war eine Band, die ihnen ein Begrüßungs
ständchen brachte. Davor winkte ein
agiler Herr mit weißem Haarschopf den
Fluggästen herzlich zu. Ob dieser freundliche Mann ihr Gastgeber Hugo Rufus war? Izzy lächelte und winkte zurück, wobei
sie den Mann etwas genauer betrachtete.
Er hatte ein spitzes Kinn, große Ohren
und ein gewinnendes Lächeln, und er trug
ein hellorangefarbenes T-Shirt mit der
Aufschrift: "Die Form war zerbrochen,
bevor sie mich gemacht haben".
Sie lachte leise. Wenn das Hugo Rufus
war, dann war sie beruhigt. Er war alles
andere als ein langweiliger,
verknöcherter Firmendirektor. Sie hatte
ihn sofort ins Herz geschlossen.
"Soll das T-Shirt nur witzig sein, oder
will er uns warnen?" fragte Gabe leise.
Izzy betrachtete ihn. Er blickte
angestrengt aus dem Fenster und
versuchte offensichtlich, sich ein Bild
von ihrem Gastgeber zu machen. Ein
Firmendirektor, der ein witziges T-Shirt
trug, war ihm wohl neu.
Ihre Großmutter mütterlicherseits, Dora
McBeal, war vor Jahrzehnten Tänzerin am
Broadway gewesen. Selbst jetzt gab sie
älteren Paaren noch Unterricht im
Gesellschaftstanz, zu dem sie stets in
Jeans und T-Shirts mit witzigem Aufdruck
erschien. Granny Dorie machte das Beste
aus jedem Tag, sie lachte gern und viel
und nahm das Leben nicht allzu ernst.
Nachdem sie begonnen hatte, für Gabe zu
arbeiten, der sich ständig selbst unter
Druck setzte, war Izzy bewußt geworden,
daß die Lebenseinstellung ihrer
Großmutter die einzig richtige war. In
jungen Jahren war auch Granny Dorie sehr
ehrgeizig gewesen, weil sie unbedingt
Erfolg am Broadway haben wollte. Ihre
Familie hatte sie erst später gegründet,
als sie eingesehen hatte, daß Ruhm auch
nicht alles war. Izzy ahnte, daß Hugo
die gleiche Erfahrung gemacht haben
mußte. Auch er genoß jetzt das Leben,
statt nur zu arbeiten und ohne nach
rechts und links zu sehen.
Izzy sah auf und bemerkte, daß Gabe sie
beobachtete. Wortlos bot er ihr die
Hand, um ihr vom Sitz zu helfen. Sie
straffte sich und besann sich auf ihre
Rolle. "Danke, Schatz." Sie lächelte.
"Ich kann es kaum erwarten, Mr. Rufus
kennen zu lernen." Das wenigstens war
nicht gelogen.
Foxie lachte dröhnend. "Seht euch den
Blödmann an! Und ich mache mir Sorgen,
daß meine Präsentation nicht stilvoll
genug sein könnte."
Claudia kicherte. "Der sieht vielleicht
albern aus."
Izzy biß sich auf die Lippe. Wie konnte
man nur so gemein sein! Jetzt sanken die
Wirts noch mehr in ihrer Achtung.
"Ich finde, er ist süß." Sie sah Gabe
herausfordernd an. "Findest du Mr. Rufus
nicht auch süß, Liebster?" Sie wußte
selbst nicht, was sie dazu bewog, den
älteren Herrn in Schutz zu nehmen.
Vielleicht tat sie es für Granny Dorie
und ihre Altersgenossen, die sich ihres
Lebens freuten und alles mit Humor
nahmen.
Izzy bemerkte, wie Gabe fast unmerklich
die Brauen hochzog. Offensichtlich hätte
er es nicht für möglich gehalten, daß
die gelassene Peabody sich so
temperamentvoll für jemanden einsetzte.
Ein schwaches Lächeln umspielte seine
Lippen.
Wußte er eigentlich, wie unwidersteh
lich sein Lächeln war?
Natürlich!
Gabe stand auf und half ihr hoch. "Ich
werde mich hüten, dir zu widersprechen,
noch dazu am Auftakt unserer zweiten
Flitterwochen." Er machte einen Schritt
nach unten auf den Gang, drehte sich um,
umfaßte ihre Taille und hob sie hinun
ter. Als die Stewardeß die Tür öffnete,
ließ er die Hand über ihren Rücken
gleiten und zog Izzy ein wenig näher.
Ihr war von seiner sinnlichen Bemerkung
und von seiner besitzergreifenden Geste
ganz schwindlig geworden. Kein Wunder,
daß die Frauen sich um ihn rissen! Er
war wirklich gut.
Izzy verspürte noch immer ein Prickeln,
als Gabe ihr auß dem
Flugzeug half und sie zu Hugo Rufus und
seiner vierköpfigen
Band führte.
Hugo eilte ihnen mit ausgestreckten
Armen entgegen, um sie zu begrüßen. Eine
kleine Frau mit rosigen Wangen, die ein
nostalgisches hellrosa Kleid trug,
begleitete ihn. Beide hatten
farbenprächtige hawaiische Blumenkränze
um den Hals. Die Musiker in weißen
Bermudashorts und bunten Hemden spielten
einen temperamentvollen Willkommensgruß.
Hugo ergriff die Hand seiner
Begleiterin, und diese errötete wie ein
Schulmädchen, Sie war offensichtlich
seine Frau und schien ihn über alles zu
lieben. Izzy hatte den liebevollen Blick
bemerkt, mit dem sie ihren Mann ansah,
und empfand ein wenig Neid. Gabe begann,
den Takt des Lieds auf ihrer Schulter zu
klopfen. Izzy schluckte. Wenn seine
Geste doch nur bedeuten würde, daß ...
daß Gabe Parish sie wirklich ...
Aber das war hoffnungslos.
Die Musik verstummte, als Hugo und
seine Frau die Fluggäste erreicht
hatten. "Herzlich willkommen! Ich bin
Ihr Gastgeber, und diese wunderbare Frau
hier ist meine Ehefrau Clara." Er
strahlte. "Ich weiß, daß dies nicht
Hawaii ist, aber eine meiner Köchinnen
hat viel Spaß daran, Blumenkränze zu
binden, und da habe ich ihr erlaubt,
welche für unsere Gäste zu binden."
Clara ging zum einen Ende der Gruppe,
Hugo zum anderen, um den Gästen die
Kränze um den Hals zu legen. "Ist das
nicht ein hübscher Brauch?"
Izzy erhielt zwei Kränze von Clara. Als
die ältere Frau ihr den Blumenschmuck
umlegte, fiel Izzy auf, wie entspannt
und zufrieden diese wirkte. Es war ganz
offensichtlich, wie sehr sie Hugo
liebte, trotz seines etwas exzentrischen
Auftretens. Izzy hoffte, sie würde auch
einmal so sehr geliebt werden.
Gabe ließ sie los und beugte sich zu
Clara hinunter, damit sie ihm die Kränze
Um den Hals legen konnte. Er erhielt
drei. Izzy fing einen Blick der Eheleute
Miles auf. Die beiden rangen sich ein
Lächeln ab. Ihnen war das alles offenbar
etwas zu albern.
Als alle Blumenkränze verteilt waren,
trat Hugo einen Schritt zurück, um seine
Gäste zu bewundern. "Sie sehen
phantastisch aus. Der Traum eines jeden
Fotografen." Er lachte begeistert. "Aber
ich vergesse ja meine Kinderstube!" Er
reichte Roger die Hand. "Hatten Sie
einen turbulenten Flug?" fragte er und
schüttelte dem Mann aus Chicago eifrig
die Hand. "Sie und Mrs. Miles sehen
etwas blaß aus."
"Nein." Roger hatte eine Braue
hochgezogen. "Es war ein ganz ruhiger
Flug. Danke."
"Sind Sie sicher?" Hugo machte einen
besorgten Eindruck. "Dann bekommt Ihnen
das Fliegen vielleicht nicht. Mir geht
es genauso."
"Mir geht es prima." Roger befreite
sich aus seinem Griff. "Vielen Dank."
Hugo schien Zweifel zu haben, widmete
sich dann aber der hageren Frau in
Dunkelblau. "Sie müssen Hedda sein."
Izzy beobachtete, wie die unnahbare
Frau nickte und ihm vorsichtig die Hand
schüttelte.
"Und Sie, meine Liebe? Sie wirken ein
wenig seekrank. Oder vielmehr
luftkrank." Er lachte. "Das wird bald
vergehen. Einige Tage in dieser guten
Luft und in der Sonne, und Sie werden
wieder wie neu sein."
Hedda Miles sah ihn entsetzt an. Der
Gedanke, sich der Sonne auszusetzen,
schien ihr absolut nicht zu behagen.
"Nein, nein", stritt sie schnell ab.
"Ich fühle mich prächtig."
"Wunderbar! Trotzdem werde ich Ihnen
Gingerale aufs Zimmer bringen lassen,
sowie wir im Haus sind."
Izzy sah Gabe verstohlen an. Er
amüsierte sich über Mrs. Miles, die
Hugos Händeschütteln nur widerwillig
über sich ergehen ließ: Offenbar
fürchtete sie sich vor Körperkontakt.
Wahrscheinlich hatte sie Angst, sie
könnte sich anstecken. Die arme,
neurotische Hedda!
Gabe hatte keine Angst vor
Körperkontakt. Das hatte er während des
Flugs nur zu deutlich zum Ausdruck
gebracht.
Hugo widmete sich inzwischen dem
breiten blonden Foxie und dessen perfekt
frisierter Frau. Er schüttelte den
beiden herzlich die Hand und unterhielt
sich angeregt mit ihnen. Dabei schien er
jedes Wort ernst zu meinen, Izzy konnte
keine Spur von Sarkasmus entdecken. Er
schien ein Menschenfreund zu sein und
erwartete von seinen Mitmenschen das
Gleiche. Hugo wurde ihr mit jeder Minute
sympathischer.
Als er vor Izzy stand, ergriff er ihre
Hand und sagte herzlich: "Meine liebe
Mrs. Parish, seien Sie ganz herzlich
willkommen." Er ließ den Blick über ihr
Gesicht gleiten. Sie errötete. "Sie
brauche ich nicht zu fragen, wie es
Ihnen geht. Sie strahlen ja förmlich vor
Gesundheit," Er hielt ihre Hand noch
einen Moment fest, dann ließ er sie los.
"Wie darf ich Sie anreden? Ich habe
nicht genau verstanden, was Sie zu Clara
gesagt haben."
"Izzy."
Hugo lachte fröhlich. "Der Name paßt zu
Ihnen, meine Liebe. Sie sprudeln ja
förmlich über vor Lebensfreude."
Izzy lächelte amüsiert. Der Mann war
wirklich wunderbar! "Ihr T-Shirt gefällt
mir sehr gut", sagte sie. "Meine
Großmutter hat eine ganze Sammlung
witziger T-Shirts. Eins finde ich
besonders komisch. Es trägt die
Aufschrift: ,Sag die Wahrheit, und lauf
davon'." Kaum hatte sie das gesagt,
senkte sie verlegen den Blick, denn ihr
war in diesem Moment bewußt geworden,
daß sie diesem netten Mann während der
kommenden sieben Tagen eine Lüge nach
der anderen würde auftischen müssen.
"Das muß ich haben?" rief Hugo
begeistert. In seinen dunklen Augen
blitzte der Schalk. "Ihre Großmutter ist
eine Frau ganz nach meinem Herzen."
Izzy antwortete höflich, dann wandte er
sich Gabe zu.
"Willkommen in meinem kleinen
Paradies", sagte er. "Wir werden sicher
alle viel Spaß haben. So, und nun würde
ich Sie gern alle ins Haus bitten, wo
Sie sich erfrischen und ein wenig
ausruhen können, bevor das Mittagessen
serviert wird."
Gabe legte Izzy den Arm um die
Schultern, als sie mit den anderen auf
leuchtend gelbe Golfwagen zugingen. Er
setzte sich ans Steuer und fuhr mit ihr
los. Vor ihnen war Foxie mit seiner Frau
unterwegs. "Sie sprudeln also vor
Lebensfreude, Peabody", sagte er
plötzlich und zwinkerte ihr amüsiert zu.
"Wie haben Sie das nun wieder geschafft?
Wir sind noch keine Viertelstunde auf
der Insel, und Sie sind schon sein
Lieblingsgast."
"Er findet nur meinen Namen witzig."
"Das auch, aber er hat Sie sofort ins
Herz geschlossen."
Und ich ihn in meins, dachte Izzy. Nun
war es ihr noch unangenehmer, den
sympathischen Mann zu hintergehen, doch
sie wußte, daß ihr keine Wahl blieb, als
bei dem Spiel mitzumachen.
Sie fuhren durch einen Wald, in dem es
angenehm kühl war und nach Erde roch.
"Lächeln, Peabody", sagte Gabe
unvermittelt. Er schien ihre Gedanken
erraten zu haben, denn er fügte hinzu:
"Mir ist auch nicht ganz wohl dabei,
aber wir müssen jetzt da durch." Er zog
sie an sich und streichelte mit der
freien Hand ihren Arm. "Hugo und Clara
sind hinter uns."
Izzy atmete seinen Duft ein, der sich
mit dem erdigen Geruch vermischte. Sie
fühlte sich seltsam geborgen an Gabes
Seite. Am liebsten wäre sie immer bei
ihm geblieben. Es war so schade, daß
alles nur ein Spiel war. Sie faltete die
Hände im Schoß, um nichts Unbedachtes zu
tun.
"Peabody", flüsterte Gabe an ihrem Ohr.
"Sie sollten mir jetzt die Hand auf den
Schenkel legen."
Izzy biß sich auf die Lippe.
4. KAPITEL
Izzy sah Gabe schockiert an. "Haben Sie
den Verstand verloren?"
Gabe lachte leise. "Das ist keine
sexuelle Belästigung, Peabody" sagte er.
"Es gehört zu Ihrer Rolle als meine
Ehefrau."
"Das ist mir egal. Ich denke gar nicht
daran, an Ihrem Oberschenkel herumzu
fummeln."
"Davon war auch nicht die Rede." Er
legte ihr die freie Hand aufs Knie und
drückte es leicht. "Das kompromittiert
uns doch nicht, oder?",
Izzy stockte der Atem. Sie wußte nicht,
was sie sagen sollte. Gabriel zog die
Hand wieder zurück und begann erneut,
ihre Schultern zu liebkosen. "Also?"
fragte er, den Mund an ihrem Haar.
Izzy blickte sprachlos geradeaus und
wünschte, sie wäre gegen seine
Liebkosungen gefeit.
"Rufus und seine Frau können nicht
sehen, wo ich meine Hände habe, es sei
denn, sie verfügen über einen
Röntgenblick."
Sie spürte, daß er sie von der Seite
ansah.
"Sie sind prüde, Peabody."
"Nennen Sie es, wie Sie wollen, Sir."
Izzy blickte ihn kurz an. "Aber ich bin
die einzige Ehefrau, die Sie mitgebracht
haben: in guten und in schlechten
Zeiten." Sie war überhaupt nicht prüde.
Sie hatte nur keine Lust, Zärtlichkeiten
mit einem Mann auszutauschen, für den
alles nur ein Spiel war.
"Und was passiert, wenn wir uns küssen
müssen? Geben Sie mir dann eine
Ohrfeige?"
"Wir haben uns bereits geküßt, Sir."
Izzy wandte den Blick ab. Ihr wurde
plötzlich heiß und kalt.
"Das soll ein Kuß gewesen sein?" Gabe
lachte. "Aber Peabody! Ich muß mich doch
sehr wundern." Er schüttelte den Kopf.
Als sie ihn ansah, lächelte er
verführerisch. "Wenn wir uns richtig
küssen müssen, schlagen Sie mich nicht.
Okay?"
Sie musterte ihn vernichtend. "Wenn Sie
mich nicht küssen, brauchen Sie sich
darüber auch keine Sorgen zu machen."
Gabe sah sie vergnügt an. "Trotzdem.
Bitte nicht schlagen, Peabody."
Es mißfiel ihr, daß er die Warnung
offensichtlich nicht ernst nahm. Er
schien sogar sicher zu sein, daß sie
sich bald küssen würden. Izzy wurde es
Angst. Wenn die Liebkosung im Flugzeug
kein Kuß gewesen war, was stand ihr dann
bevor? Na ja, jedenfalls mußte Gabe sich
keine Sorgen machen, daß sie ihn
ohrfeigen würde. Wenn er sie wirklich
richtig küßte, würde sie wahrscheinlich
zu seinen Füßen niedersinken. Wie er das
den anderen erklären wollte, war ihr
allerdings ein Rätsel.
"Dies ist wirklich ein hübsches kleines
Plätzchen." Sein Kommentar brachte sie
in die Wirklichkeit zurück.
Sie hatten den Waldrand erreicht.
Begeistert betrachtete Izzy den
terrassenförmig angelegten Rasen und die
paradiesischen Blumengärten. Am
imposantesten war das Wohnhaus, das in
der gleißenden Sonne dalag.
Die Mauern bestanden aus hellem Stein,
und mit seinem Fries und den Säulen
erinnerte es an die im vergangenen
Jahrhundert im Kolonialstil gebauten
Häuser im Süden der USA. Die Veranda
erstreckte sich über zwei Ebenen, der
erste Stock war von Balkonen mit
schmiedeeisernen Geländern gesäumt.
Jedes Zimmer verfügte über eine
Fensterfront. Es war ein wirklich
prächtiges Gebäude, das jedoch nicht
protzig, sondern sehr einladend wirkte.
"Es erinnert mich an Vom Winde
verweht." Der Anblick überwältigte Izzy.
"Freuen Sie sich nun doch, mitgekommen
zu sein?" fragte Gabriel leise.
"Sie müssen mich für sehr oberflächlich
halten, wenn Sie glauben, so ein Haus
könnte mich beeindrucken", antwortete
sie kratzbürstig. Insgeheim hoffte sie
allerdings, daß Hugo sein Haus niemals
würde aufgeben müssen. Mit der richtigen
Werbekampagne würde es schon zu
vermeiden sein. "Ehrlich gesagt, fühle
ich mich jetzt erst recht unwohl in
meiner Rolle", fügte sie hinzu.
Gabriel lachte. "Lächeln, Peabody!
Sonst könnte ich mich genötigt sehen,
Sie zu küssen."
Sie sah ihn an. "Wollen Sie mir etwa
drohen?"
Sein Lächeln wurde jungenhaft. "Sie
haben es erfaßt."
Sein Lächeln ging ihr so unter die
Haut, daß sie mit den Gedanken ganz
woanders war, als sie mit den anderen
das Haus betrat, und ihre Umgebung nur
nebenbei wahrnahm. Eine Wendeltreppe
führte zu den Gästezimmern. Izzy
verspürte widerstreitende Gefühle.
Einerseits sehnte sie sich nach seinen
Küssen, andererseits schreckte sie vor
seinen Liebkosungen zurück, weil sie
Angst hatte, ihre tiefe Sehnsucht zu
verraten. Gabriel wußte, daß sie sich
nicht von ihm küssen lassen wollte, und
zog sie bei jeder Gelegenheit auf, indem
er ihr drohte, sie zu küssen, wenn sie
sich nicht an die Vereinbarung halten
würde. Sie saß in der Klemme.
"Hallo, Peabody! Aufwachen!"
Gabriel klopfte ihr leicht auf die
Schulter, und Izzy erwachte aus ihrem
Tagtraum und sah sich um. Sie befanden
sich allein in einem der geräumigen
Gästezimmer.
"Alles in Ordnung?" fragte er. "Sie
waren offensichtlich gerade auf einem
anderen Stern."
Izzy senkte verlegen den Blick. "Ja,
alles okay. Sehr hübsches Zimmer." Das
war stark untertrieben. Der Raum war
ausgesprochen luxuriös. Durch die hohe
Decke und die Fensterfront wirkte er
hell und großzügig. Die englischen und
amerikanischen Mahagonimöbel bildeten
einen hübschen Kontrast zu den hellen
Wänden sowie zu der naturfarbenen
Tagesdecke und den weißen Spitzenvor
hängen des antiken Himmelbetts, das viel
schmaler war als die modernen
Doppelbetten. Beunruhigt stellte Izzy
fest, daß sich im ganzen Raum kein
einziges anderes Möbelstück befand, auf
dem ein Erwachsener hätte schlafen
können.
Sie schöpfte jedoch wieder Hoffnung,
als sie zwei Türen entdeckte. Sie eilte
auf die erste zu und riß sie auf.
Dahinter verbarg sich nur ein Kleider
schrank, und die andere führte ins
Badezimmer. Vielleicht könnte sie in der
altertümlichen Wanne schlafen. Für
Gabriel wäre sie allerdings viel zu
klein.
"Und? Inspektion beendet?" fragte er
dicht hinter ihr.
Izzy zuckte zusammen und wirbelte
herum. "Müssen Sie mich denn unbedingt
so erschrecken?"
Er zuckte die Schultern und schob die
Hände in die Hosentaschen. "Erinnern Sie
sich an mich?" fragte er und zwinkerte
ihr zu. "Ich bin Ihr Zimmergenosse."
Wie hätte sie das vergessen können?
"Soso ..."
Izzy wandte sich ab und betrachtete die
dem Bett gegenüberliegende Wand. Über
und neben einer hohen antiken
Frisierkommode hingen Fotos von Babys
und Kleinkindern in silbernen Bilder
rahmen. Sie ging hinüber, um sie sich
aus der Nähe anzusehen. "Du liebe Güte",
sagte sie und rückte ein Bild zurecht,
das schief gehangen hatte. "Das können
doch nicht alle Hugos und Claras Kinder
sein."
Gabriel kam näher und blieb neben ihr
stehen. "Falls doch, meine Hochachtung
für Hugos Ausdauer."
"Hut ab vor Claras Ausdauer, meinen Sie
wohl."
Er sah sie von der Seite an. "Sie haben
natürlich Recht."
Als ihr ein Hauch seines Aftershaves in
die Nase stieg, wandte sie sich schnell
ab. Der Duft war einfach zu betörend.
Kurz darauf öffnete sie die Balkontür
und betrat den Balkon. Eine leichte
Brise wehte ihr das Haar ins Gesicht,
das ihre Wangen kitzelte. Izzy atmete
tief die würzige Seeluft ein und
versuchte, sich zu fangen.
Trotz der wunderschönen Umgebung war
ihre Stimmung auf den Tiefpunkt
gesunken. Beim Anblick des Betts war ihr
die Situation, in der sie sich befand,
erst richtig bewußt geworden. In den
kommenden sieben Tagen und Nächten
würden sie und Gabe sich das Zimmer
teilen. Wie oft hatte sie davon
geträumt, mit Gabe Parish gemütlich im
Bett zu liegen? Aber der Gabe Parish
ihrer Träume hatte nur liebevolle und
leidenschaftliche Blicke für sie. Der
wahre Gabe sah sie hingegen kaum an und
nannte sie immer noch Peabody.
Als jemand an die Tür klopfte, drehte
Izzy sich erwartungsvoll um. Im nächsten
Moment stand Hugo bereits mit ihren
Koffern im Zimmer. "Ich hoffe, das
Zimmer gefällt Ihnen", sagte er fröhlich
und etwas atemlos.
Sie war so schockiert, daß ihr Gast
geber das Gepäck selbst heraufbringen
mußte, daß sie ihn nur schweigend
ansehen konnte.
Gabe hatte sich schneller gefangen. Er
eilte zur Tür, um Hugo die schweren
Koffer abzunehmen. "Entschuldigen Sie
bitte. Ich wußte ja nicht, daß Sie unter
Personalmangel leiden."
"Aber nicht doch, mein Junge. Ich helfe
gern." Hugo zog etwas aus seiner
Hosentasche und hielt es Izzy entgegen.
Es war eine wunderschöne apricotfarbene
Blüte. "Für Sie, Izzy." Er verbeugte
sich galant, als sie die tropische Blume
entgegennahm. "Es ist die Farbe Ihrer
Wangen. In Zukunft heißt die Blume für
mich nur noch Izzy." Er salutierte
übermütig und zog sich wieder zurück.
"So, nun können Sie sich beide etwas
entspannen und erfrischen. Mittagessen
gibt es in einer Stunde."
Im nächsten Moment fiel die Tür hinter
ihm ins Schloß. Sie waren wieder allein.
Instinktiv atmete Izzy den süßen,
betäubenden Duft der zarten Blüte ein
und sah auf. Gabriel beobachtete sie
amüsiert und schüttelte lächelnd den
Kopf. "Ich glaube, Hugo hat sich in Sie
verguckt, Peabody."
Izzy ließ die Blume sinken und war
plötzlich sehr traurig. Sie ging auf den
Balkon und lehnte sich an die Brüstung.
Auch Gabriel wurde ernst.
"Was ist los?" fragte er besorgt.
"Es kann doch nicht sein, daß Sie das
nicht selbst wissen."
"Ich mag diese doppelten Negationen
nicht, Peabody. Könnten Sie sich bitte
etwas deutlicher ausdrücken?"
"Dieser liebenswerte arme Mann mußte
unser Gepäck selbst heraufbringen. Es
muß ihm finanziell noch schlechter
gehen, als ich befürchtet hatte."
Gabe blickte vor sich hin. "Ja, das war
allerdings ein Schock."
Izzy seufzte deprimiert. Hugos
finanzielle Schwierigkeiten waren nicht
ihre einzige Sorge. Zögernd ließ sie den
Blick zum Himmelbett gleiten.
"Bedrückt Sie sonst noch etwas?"
Sie zuckte zusammen. Dann beschloß sie,
gleich mit der Wahrheit herauszurücken,
und sah ihn an. "Wo werden Sie
schlafen?"
Er erwiderte erstaunt ihren Blick.
"Wieso?" fragte er, als er sich von der
Überraschung erholt hatte. "Im Bett natürlich. Mit dir, Liebling." Gabriel sah auf die Uhr. Um acht sollten sie sich zum Abendessen
einfinden, und bis dahin waren es nur
noch wenige Minuten. Izzy war vor einer
geschlagenen Stunde im Badezimmer
verschwunden. Selbst als Junggeselle
wußte er, wie lange einige Frauen zum
Anziehen brauchen konnten. Er hätte es
allerdings nicht für möglich gehalten,
daß auch Izzy zu diesen Frauen gehörte.
Eigentlich hatte er sich gar keine
Vorstellung gemacht.
Da ihr Gastgeber vorgeschlagen hatte,
in Freizeitkleidung zum Abendessen zu
erscheinen, hatte Gabe sich für ein
graues Leinensakko und eine cremefarbene
Gabardinehose entschieden und hoffte, es
wäre lässig genug.
Die zurückliegende halbe Stunde hatte
er damit verbracht, sich in einem
kleinen Notizbuch Ideen für die
Werbekampagne aufzuschreiben. Rastlos
stand er schließlich von der Bettkante
auf und schob das Notizbuch in die
Brusttasche. Es war ihm immer schwer
gefallen, sich zu entspannen, er mußte
ständig etwas zu tun haben. Manche Leute
betrachteten das wohl als
Charakterfehler, doch wäre er, wo er
heute war, wenn er auf der faulen Haut
liegen würde?
Ungeduldig sah er wieder auf die Uhr,
ging zum Badezimmer und klopfte an die
Tür. "Sagen Sie, Peabody, nähen Sie Ihr
Kleid?"
"In einer Sekunde bin ich so weit,
Sir."
Er schüttelte den Kopf, "Das habe ich
schon mal gehört. Aber ich hätte nie
gedacht, daß Sie das einmal sagen
würden."
Izzy schwieg.
"Brauchen Sie jeden Morgen so lange?
Das kann ich mir kaum vorstellen. Dann
müßten Sie ja um vier Uhr aufstehen,"
Keine Reaktion.
"Wenn Sie Hilfe mit dem Reißverschluß
oder mit den Knöpfen brauchen, können
Sie es mir ruhig sagen."
Nichts.
Gabe betrachtete frustriert die
verschlossene Tür. Dann klopfte er
wieder. "Peabody, leben Sie noch?"
Er hörte ein Geräusch und bemerkte, daß
sich der Türgriff bewegte. Izzy verließ
das Badezimmer so eilig, daß Gabe
verblüfft zurückwich.
"Ich bin so weit."
"Das Haus steht nicht in Flammen. Wir
brauchen nicht zu rennen."
Sie war bereits an der Tür. Dort drehte
sie sich um und sagte: "Ich dachte, Sie
hätten es eilig."
Er musterte sie kritisch. Sie trug das
Haar offen. Es um schmeichelte ihr
Gesicht und fiel ihr in duftigen Wellen
über die Schultern. Erst jetzt wurde ihm
bewußt, wie voll ihr Haar war. Sie trug
einen Seitenscheitel, und es fiel ihr
auf der Seite ins Gesicht, was etwas
aufreizend wirkte.
Izzy strich sich das Haar aus dem
Gesicht, doch es fiel sofort wieder
zurück. Sie blinzelte instinktiv, und
das wirkte so verführerisch, daß er
zusammenzuckte. Er wußte selbst nicht,
was mit ihm los war, und beschloß, sich
auf ihre Kleidung zu konzentrieren. Die
Kombination war ihm neu. Sie bestand aus
einem ärmellosen, figurbetonten weißen
Top und einer schwarzen Hose mit
durchbrochenem Spitzenmuster, die so
weit geschnitten war, daß man sie für
einen Rock halten konnte.
Gabe zog eine Augenbraue hoch. "Wieso
kenne ich dieses Outfit nicht?"
Izzy schluckte. "Gefällt es Ihnen
nicht?"
"Das steht nicht zur Debatte. Was ist
mit den Sachen, die ich für Sie
ausgesucht habe?"
Sie hob herausfordernd das Kinn. "Ach,
die hat wahrscheinlich Madonna
inzwischen gekauft."
Er musterte sie überrascht. Wie hatte
er nur ihren trockenen Humor vergessen
können? "Wollen Sie damit andeuten, ich
habe keinen Geschmack?"
"Nein, Sir." Sie atmete tief durch.
"Ich will damit nur sagen, daß Hugo
Rufus die Sachen bei einer verheirateten
Frau wahrscheinlich etwas gewagt
gefunden hätte."
Gabe ließ erneut forschend den Blick
über sie gleiten. Sicher hatte sie
weiche Knie. Er lächelte schwach und
legte die Hand auf ihre, die noch immer
den Türgriff umfaßt hielt. "Wahrscheinlich haben Sie Recht, Peabody." Izzy zog die Hand fort, und das verletzte ihn. Was hat sie nur gegen
mich? überlegte er beleidigt. "Sind Sie
so lange im Badezimmer geblieben, weil
Sie Angst vor meiner Reaktion hatten?"
fragte er.
"Nein, Sir." Ihre Haltung war sehr
gerade, und ihre Wangen schimmerten
rosig, als Izzy ihn anfunkelte. "Ich
habe mich lediglich für den Abend
zurechtgemacht. Vielleicht überrascht
Sie das, aber ich brauche genauso lange
wie jede andere richtige Frau."
Peabody hat ja richtig Temperament,
dachte Gabe amüsiert. Er verbeugte sich
galant und entschuldigte sich für seine
Bemerkung, bevor er die Tür öffnete.
"Dann wollen wir jetzt zum Abendessen
gehen, Einverstanden ... Liebling?"
Als sie nicht gleich reagierte, schob
er sie in Richtung Flur. "Nun gehen Sie
schon, Peabody", forderte er sie neckend
auf. "Zwingen Sie mich nicht, Sie zu
küssen."
Das wirkte. Nach einem ärgerlichen
Seitenblick eilte sie hinaus. Gabe hätte
beinah laut gelacht. Nur mit Mühe gelang
es ihm, ernst zu bleiben.
Izzy fiel es schwer, sich auf ihre
Umgebung zu konzentrieren, denn seine
Nähe lenkte sie ab. Gabe hatte ihr den
Arm um die Taille gelegt und geleitete
sie die Wendeltreppe hinunter.
Geistesabwesend hielt sie sich am
Rosenholzgeländer fest und betrachtete
das luxuriöse Interieur des Landsitzes.
Erlesene Mahagoni- und Rosenholzmöbel,
chinesische Teppiche, Marmor und
Kristall, so weit das Auge reichte. Am
Nachmittag hatte Clara Rufus ihre Gäste
stolz herumgeführt und die Herkunft des
Mobiliars erklärt.
Hugo erwartete sie bereits, erkundigte
sich nach ihrem Befinden und versorgte
sie mit Getränken. Izzy schloß den
gutmütigen, großzügigen Mann immer mehr
ins Herz.
Das Esszimmer, das von der
Eingangshalle zu erreichen war, war ein
großer, beeindruckender Raum mit Blick
auf den Ozean. Die kleine Band, die sie
bereits am Flugzeug begrüßt hatte,
spielte leise im Hintergrund.
Hugo trug ein buntes Hemd und violette
Shorts. Izzy unterhielt sich angeregt
mit ihm. Wenigstens wurde sie durch das
interessante Gespräch von Gabriels Berührung abgelenkt. Kurz darauf nahmen sie am festlich gedeckten Tisch Platz. Roger und Hedda
Miles saßen ihnen gegenüber und verzogen
keine Miene, als Izzy ihnen lächelnd
einen guten Abend wünschte. Die Band
spielte "Havin' a Heat Wave".
Izzy ließ den Blick durch den Raum
gleiten. Die Wände waren von weißen
ionischen Säulen durchsetzt und mit
Bildern alter Meister dekoriert. An
einer Wand hingen Kinderfotos in
Silberrahmen. Sie nahm sich vor, Hugo
nach all diesen Kindern zu fragen.
Hugo setzte sich an die Tafel. "Ich
hoffe, Sie hatten alle einen gemütlichen
Nachmittag." Er gab zwei Frauen, die
beide Sarongs trugen, ein Zeichen, daß
sie das Essen auftragen sollten.
Ihr Anblick erfreute Izzy. Wenigstens
war Hugo offensichtlich doch nicht ganz
ohne Personal. "Die Führung durchs Haus
war sicher sehr anstrengend und
langweilig. Aber Sie haben ja alle
durchgehalten." Er zwinkerte vergnügt.
Izzy lächelte amüsiert. Wieder einmal
erinnerte Hugo sie an ihre lebenslustige
Granny Dorie. Die beiden mußten sich
unbedingt kennen lernen. Bei diesem
Gedanken wurde ihr schmerzlich bewußt,
daß es dazu niemals kommen würde, denn
sie spielte ja nur eine Rolle.
"So, Gabe", sagte Hugo und führte die
Gabel zum Mund. "Nun erzählen Sie doch
mal von sich und Ihrer Familie."
Izzy horchte auf. Das interessierte sie
auch. Nun arbeitete sie seit drei Jahren
für ihren Chef und wußte so gut wie
nichts über sein Privatleben. Er hatte
nur einmal eine ältere Schwester erwähnt
und daß seine Eltern ihren Ruhestand in
South Carolina verbrachten.
Sie lächelte geduldig, als würde sie
seine Lebensgeschichte in- und auswendig
kennen, und hörte zu.
"Ich bin das schwarze Schaf", erklärte
er und lächelte verlegen. "Meine Eltern
und meine Schwester sind alle
Gefäßchirurgen, es war also ein
ziemlicher Schock für sie, daß ich mich
der Werbebranche zugewandt habe." Er
lachte ansteckend. "Sie nennen mich den
Abtrünnigen."
"Tatsächlich?" Izzy biß sich auf die
Lippe. O je, das hätte sie nicht sagen
sollen! Schnell versuchte sie, ihren
Fehler wieder gutzumachen. "Ja,
tatsächlich, das haben sie wirklich
gesagt." Sie lachte gekünstelt.
Glücklicherweise nahmen Clara und Hugo
den Unterton nicht wahr und lachten
herzlich. Izzy faßte neuen Mut. "Können
Sie sich das vorstellen?" fragte sie.
"Da habe ich tatsächlich mein eigenes
kleines schwarzes Schaf zu Hause."
Jetzt verstand sie, warum Gabriel
nichts als Arbeit im Sinn hatte. Wenn
man einer so erfolgreichen, viel
beschäftigten Familie entstammte, war es
offensichtlich natürlich, sich ganz und
gar auf den Beruf zu konzentrieren.
Gabriel sah sie von der Seite an und
strich ihr zärtlich eine Strähne aus der
Stirn. "Ich liebe deine kleinen Scherze,
Liebling." Sein Lächeln war
überwältigend.
Er ist wirklich ein Charmeur, dachte
sie.
Hugo widmete sich seinem
Avocadosouffle, und Izzy tat es ihm
gleich, denn sie hatte großen Hunger.
"Liebe, zauberhafte Mrs. Parish", sagte
er. "Ich hoffe, Sie und Gabe wünschen
sich Kinder."
Izzy verschluckte sich. Es dauerte
einige Sekunden, bevor sie wieder Luft
bekam. Mit Tränen in den Augen sah sie
ihn an und rang sich ein Lächeln ab. Was
sollte sie nur sagen? Am besten das, was
sie sich selbst wünschte. "Ja, ich ..."
Sie räusperte sieh und atmete tief
durch. "Ich hätte gern Kinder."
"Das ist ja wundervoll." Hugo strahlte.
"Sie werden bestimmt eine phantastische
Mutter sein. Das sagt mir meine
Menschenkenntnis."
Izzy lächelte schüchtern. Sie sehnte
sich sehr nach einer eigenen Familie.
Fehlte nur noch ein geeigneter Daddy.
Sorgsam mied sie Gabriels Blick. Es
hatte ja keinen Zweck, Träumen
nachzuhängen, die doch nie in Erfüllung
gehen würden, Um so schnell wie möglich
von sich abzulenken, zeigte sie auf die
vielen Kinderfotos. "Da wir gerade von
Kindern sprechen: Wer sind all diese
Kinder auf den Fotos?"
Hugo verging das Lächeln einen Moment
lang. Oder bildete sie es sich nur ein?
"Das sind alles meine, meine Liebe." Er
hob das Glas. "Auf meine Familie." Nachdem sie alle darauf getrunken hatten, erklärte Hugo: "Im Lauf der Jahre haben mir stolze Eltern viele
hundert Fotos von Kindern geschickt, die
mit meiner Babynahrung groß und stark
geworden sind. Ich betrachte sie alle
als meine eigenen Kinder."
Izzy sah ihn forschend an. Es schien
ihm tatsächlich ernst zu sein. Sonst
hätte er ja auch nicht im ganzen Haus
die Fotos aufgehängt. "Das ist rührend",
sagte sie leise vor sich hin.
Als Foxie ihm eine Frage stellte, ließ
Izzy den Blick über die vielen
Kinderbilder gleiten. Ob Hugo auch
eigene Kinder hatte? Bestimmt. Ein so
liebevoller Mann ...
Gabriel drückte ihr unter dem Tisch
unauffällig die Hand und begann, ihr
etwas ins Ohr zu flüstern. Es fiel ihr
in seiner Nähe sehr schwer, gelassen zu
bleiben. Eigentlich war es sogar
unmöglich. Doch sie mußte eine gute
Schauspielerin sein, denn sie ließ sich
nichts anmerken, als er leise sagte:
"Die Lüge über das Kinderkriegen war
wirklich genial." Er lächelte, ihr
anerkennend zu.
"Das war nicht gelogen", flüsterte sie
zurück. "Ich wünsche mir wirklich viele
Kinder."
Er sah sie ungläubig an. "Sicher",
sagte er ironisch. "Und wann wollen Sie
sich um die kümmern, wenn Sie meine
Assistentin sind?"
"Was hat dieses Tuscheln zu bedeuten?"
fragte Hugo amüsiert. "Haben Sie
Geheimnisse?"
Izzy sah schuldbewußt auf.
"Entschuldigen Sie bitte. Gabe wollte
nur gerade ..." Sie hatte keine Ahnung,
was sie sagen sollte. Sie war eben
einfach nicht ans Lügen gewöhnt.
"Wir haben uns über Babys unterhalten",
erklärte Gabriel.
Nanu? Izzy betrachtete ungläubig ihren
vermeintlichen Mann. Wieso sagte er
plötzlich die Wahrheit? Was hatte das zu
bedeuten?
Bei seinem strahlenden Lächeln empfand
sie eine tiefe Sehnsucht. "Sie hat mich
gerade daran erinnert, daß sie sich eine
große Familie wünscht."
"Erinnern" ist gut, dachte sie. "In
Kenntnis setzen" wäre wohl die
angemessenere Bezeichnung.
Gabriel begann zärtlich, ihren Nacken
zu streicheln. Izzy wurde heiß und kalt.
Hugo zwinkerte ihnen vergnügt zu. "Dann
darf ich wohl davon ausgehen, daß der
Nachwuchs nicht mehr lange auf sich
warten lassen wird?" fragte er
hoffnungsvoll.
Gabriel lachte leise und liebkoste ihr
Ohr. "Ich hätte nichts dagegen."
Izzy wußte überhaupt nicht, wie ihr
geschah. Atemlos blickte sie von einem
zum anderen.
"Wie aufregend", rief Hugo und
klatschte begeistert in die Hände.
"Vielleicht sind die tropischen Nächte
auf unserer Insel genau das Richtige."
"Davon gehe ich aus." Gabriel lachte
und fuhr fort, ihren Nacken zu
streicheln.
Ob er ahnt, was er mir antut? überlegte
Izzy, die seinen Zärtlichkeiten wehrlos
ausgeliefert war. Ach, es war alles
schrecklich unfair. Sie umklammerte ihre
Gabel, mit der sie Gabriel am liebsten
bearbeitet hätte, weil er so grausam
war. Doch das wäre den anderen
Anwesenden natürlich sehr verdächtig
vorgekommen. Also entschied sie sich für
Plan B und trat ihm kräftig vors
Schienbein, damit er spürte, was sie von
ihm hielt. Zufrieden hörte sie ihn leise
stöhnen.
"Bitte informieren Sie uns, wenn der
Geburtstermin feststeht", bat Clara und
strahlte aufgeregt.
Izzy schluckte.
"Gern. Sehr lieb, daß Sie so viel Anteil nehmen", antwortete Gabriel leicht angestrengt. Offensichtlich schmerzte ihn das Bein.
Hugo und Clara schienen sich wie die
Kinder darauf zu freuen, daß sie und
Gabriel bald ein Baby bekommen würden.
Am liebsten wäre Izzy schreiend
hinausgerannt. Wie sie diese ständigen
Lügengeschichten haßte! Fing man erst
einmal an, verstrickte man sich in einem
wahren Netz von Unwahrheiten, so wie
Gabriel, der mit seiner
Kinderwunschgeschichte allem die Krone
aufsetzte.
Gabriel hörte auf, ihren Nacken zu
streicheln, und küßte sie statt dessen
auf die Schläfe. "Lächeln?" flüsterte er
dabei.
Automatisch gehorchte sie.
Liebevoll legte er den Arm um sie und
erklärte: "Es ist Izzy etwas unangenehm,
darüber in der Öffentlichkeit zu
sprechen." Zärtlich strich er ihr das
Haar aus dem Gesicht. "Laß uns das Thema
wechseln, Liebling."
Kein Problem! Wie war's mit
"Möglichkeiten, .seinen .Ehemann'
möglichst elegant in die Wüste zu
schicken"? dachte sie. Doch sie behielt
die Nerven und lächelte weiter. "Wie du
möchtest, mein Lämmchen. Ich lasse mir
etwas einfallen." Sie war errötet. Die
anderen dachten sicher, sie wäre
verlegen, doch in Wirklichkeit war sie
fast außer sich vor Zorn.
Glücklicherweise fand sich im nächsten
Moment ein anderes Gesprächsthema.
Außerdem wurde das Dessert serviert.
Doch daran konnte Izzy sich nicht recht
erfreuen. Sie war viel zu wütend, ließ
es sieh allerdings nicht anmerken.
Nach dem Abendessen führten Hugo und
Clara ihre Gäste in den eleganten Salon.
Kaum hatten sie den großzügigen Raum
betreten, tauchten auch schon Diener
auf, die den Perserteppich aufrollten
und den Blick auf Parkettboden
freigaben.
Gabe versuchte, normal zu gehen. Doch
Izzys Fußtritt schmerzte noch immer so
sehr, daß er ganz leicht humpelte.
Dieses verrückte Frauenzimmer, dachte er
und sah Izzy von der Seite an. Nur er
bemerkte, wie wütend sie war. Wenn
Blicke töten könnten, dachte er, als sie
in seine Richtung sah.
Die Band begann, die Musikinstrumente
zu stimmen.
"Auch das noch", stöhnte Gabe leise.
"Jetzt sollen wir wohl tanzen."
Izzy beachtete ihn gar nicht, sondern
nickte Foxie zu. Erst als Gabe ihre Hand
umfaßte, bedachte sie ihn mit einem
weiteren blutrünstigen Blick. "Wollen
wir uns setzen?" fragte er ungerührt und
zeigte auf ein ägyptisch anmutendes rot
goldenes Sofa.
Sie lächelte zuckersüß. "Warum nicht?"
Er verzog das Gesicht, wartete, bis sie
Platz genommen hatte, und setzte sich zu
ihr. "Mein Bein tut fürchterlich weh,
Peabody."
Lächelnd antwortete sie laut, so daß es
jeder hören konnte: "Das freut mich ganz
außerordentlich, mein Lämmchen."
Als Hugo sich ihnen lächelnd zuwandte,
winkte sie fröhlich.
Gabe legte ihr den Arm um die Schultern
und zog sie näher zu sich heran. "Warum
sind Sie so wütend?" flüsterte er an
ihrem Ohr.
"Wie konnten Sie ihnen nur weismachen,
daß wir uns über Babys unterhalten
haben?" fragte sie leise zurück, wobei
sie die ganze Zeit angestrengt lächelte.
"Weil es die Wahrheit war."
"Sonst behalten Sie die Wahrheit doch
auch für sich."
Plötzlich fand Gabe die Situation sehr
amüsant, "Sie haben mit der Behauptung
angefangen, Sie wünschten sich viele
Kinder."
"Das stimmt ja auch."
Die Band begann, einen Walzer zu
spielen, und Gabe und Izzy sahen auf.
Hugo zog Clara an sich und tanzte mit
ihr zu den Walzerklängen. Überrascht
beobachtete Gabe das ältere Ehepaar. Er
hätte es nie für möglich gehalten, daß
Hugo so ein guter Tänzer war. Bisher
hatte er den Eindruck gewonnen, daß Hugo
eher tolpatschig war.
"Was ist, lieber Freund?" rief Hugo
begeistert. "Wollen Sie uns nicht Gesellschaft leisten auf dem Tanzparkett? Clara und ich nehmen regelmäßig Unterricht im Gesellschaftstanz und geben gern ein
wenig an mit unseren Fähigkeiten."
Izzy warf Gabe einen mißgünstigen Blick
zu, dem er mit einem jungenhaften
Lächeln begegnete.
"Was ist denn so komisch?" fragte sie
pikiert.
"Sie können sich doch nicht ernsthaft
Kinder wünschen,
Peabody. Sie sind viel zu gut in Ihrem
Job. Ein Ehemann und
Kinder würden nur stören. Der Gedanke
ist wirklich lächerlich."
Sie setzte sich gerade hin.
"Lächer...?" Gerade noch rechtzeitig biß
sie sich auf die Lippe und schwieg. Vor
Empörung hatte sie nämlich viel zu laut
gesprochen. Um dies zu überspielen, gab
sie vor, sich verschluckt zu haben. Gabe
klopfte ihr besorgt auf den Rücken, wie
es sich für einen guten Ehemann gehört
hätte. Sie räusperte sich und sagte
leise in wütendem Tonfall: "Unterstehen
Sie sich, mich so herablassend zu
behandeln, Sir! Wenn Sie die absurde
Vorstellung haben ..." Wieder bremste
sie sich gerade noch rechtzeitig und
wandte sich abrupt ab.
Er spürte, wie wütend sie war, konnte
sich jedoch nicht erklären, worüber.
Verwirrt folgte er ihrem Blick und
beobachtete Hugo und Clara beim Tanz.
Foxie und Claudia waren ebenfalls auf
der Tanzfläche. Gleich stürmt sie davon,
dachte Gabe ahnungsvoll und musterte sie
beunruhigt. Doch je länger sie Hugo und
Clara zusah, desto entspannter wurde
sie. Schließlich senkte sie den Blick.
In dem Moment wußte er, daß sie es sich
anders überlegt hätte.
Erneut begann er, ihr den Nacken zu
massieren. Er liebte es, wenn ihr
seidiges Haar seine Hand kitzelte. Als
Izzy kurz aufsah, zwinkerte er ihr
verschwörerisch zu. Doch ihr Lächeln
wirkte gekünstelt.
"Ich wollte Ihnen schon lange etwas
sagen, Sir."
Gabe betrachtete sie genauer.
Schimmerten etwa Tränen in ihren Augen?
"Wieso tanzen Sie nicht?"
Gabe reagierte nicht gleich auf Hugos
Frage. Er war viel zu sehr mit Izzy
beschäftigt. War sie wirklich traurig,
oder spielte ihm das Licht einen
Streich? Ohne aufzusehen, sagte er:
"Meine Frau tanzt nicht."
"Tut sie doch", widersprach Izzy und
sah Hugo an. "Ich würde gern mit Ihnen
tanzen."
Gabe beobachtete verblüfft, wie Izzy
aufstand.
Hugo lachte schadenfroh und schüttelte
den Kopf. "Wieso weiß Ihr Mann nicht,
daß Sie gern tanzen?"
"Wahrscheinlich weil er mich noch nie
gefragt hat", antwortete sie und sah
Gabe herausfordernd an. Im nächsten
Moment tanzte sie mit Hugo davon.
Gabe ließ sie keine Sekunde lang aus
den Augen. Daß ihr die Tränen gekommen
waren, mußte er sich eingebildet haben,
denn Peabody tanzte so hingebungsvoll
und ausgelassen, daß er seinen Augen
kaum traute und sich vorbeugte, um
besser sehen zu können. War dieses
fröhliche, temperamentvolle Wesen
wirklich seine vernünftige, tüchtige
Peabody, die er eher für eine graue
Büromaus gehalten hatte?
Verwirrt lehnte er sich zurück. Wie war
eine solche Verwandlung möglich? Erneut
wirbelte Hugo sie herum, daß ihre
hübschen Locken nur so flogen. Es machte
ihr so viel Spaß, mit Hugo zu tanzen,
daß sie fröhlich und ungezwungen lachte.
Wie erotisch und verführerisch es klang!
Gabe war fassungslos. Verblüfft rieb er
sich den Nacken, der plötzlich zu
prickeln begonnen hatte.
5. KAPITEL
Izzy machte gute Miene zum falschen
Spiel ihres stets amüsierten falschen
Ehemanns, bis sich die Tür ihres
Gästezimmers hinter ihnen schloß. Dann
jedoch wirbelte sie herum und stellte
sich in Positur, um Gabriel Parish
unmißverständlich mitzuteilen, was sie
davon hielt, Hugo gegenüber zu
behaupten, sie wären ganz wild darauf,
endlich Kinder in die Welt zu setzen.
Doch Izzy brachte kein Wort heraus, denn
Gabriel zog sie an sich.
"Peabody!" Er umarmte sie stürmisch.
"Ich hatte ja keine Ahnung, daß Sie wie
Ginger Rogers tanzen und Hugo wie Fred
Astaire. Sonst hätte ich von Anfang an
darauf bestanden, Sie mit auf diese
Insel zu nehmen."
Sie spürte seinen heißen Atem.
"Der Mann ist völlig vernarrt in Sie.
Ich könnte seine Babynahrung schlecht
machen und eine Affäre mit seiner Frau
anfangen, und er würde mir trotzdem den
Auftrag erteilen. Das habe ich nur Ihnen
zu verdanken."
Izzy lag wie verzaubert an seiner
Brust. Jeder Gedanke, Gabriel für sein
unverschämtes Verhalten abzustrafen, war
verflogen. Sie hörte, wie sein Herz
kräftig und stetig klopfte, ganz anders
als ihr eigenes, das zu rasen schien.
Als er sie flüchtig aufs Haar küßte,
bekam sie weiche Knie. "Sie stecken
voller Überraschungen", sagte er, und
sie sah auf.
Izzy spürte seine erotische
Anziehungskraft. Sie war völlig machtlos
dagegen. Seine Energie, seine Tatkraft
verliehen ihr auf wundersame Weise neue
Kräfte. Nun konnte sie ruhig seinen Blick erwidern. Ein Kribbeln, im Bauch war ihre instinktive Reaktion auf sein verän dertes Verhalten. Ernst und eindring
lich, ja, bewundernd sah er sie an. Und
dann neigte er den Kopf, als hätte er
vor, sie zu küssen.
Ein Kuß?
Wie oft hatte sie davon geträumt, seine
sinnlichen Lippen auf ihren zu spüren,
sich besitzergreifend und verlangend von
Gabriel küssen zu lassen, bis sie fast
den Verstand verlieren würde. Ihr Herz
klopfte aufgeregt. Sie wollte diesem
verführerischen Mann noch näher sein,
wenn ihr Verstand auch dagegen war und
sie warnte, sie würde es bereuen, wenn
sie sich diesem Frauenschwarm wider
spruchslos hingab. Sie wäre nur eine
weitere Eroberung für ihn, die er schon
bald vergessen haben würde.
Verblüfft bemerkte sie, daß er plötz
lich unruhig zu werden schien - ein ganz
ungewohnter Anblick! Gabriel räusperte
sich und schob sie ein wenig von sich.
"Das war ein guter Auftakt, würde ich
sagen." Er lächelte verführerisch und
ließ sie los. "Exzellente Arbeit,
Peabody." Er klopfte ihr anerkennend auf
die Schulter, dann wandte er sich ab und
ging zum Kleiderschrank.:"Ich glaube,
wir sollten jetzt schlafen gehen. Nach
diesem anstrengenden Tag müssen Sie ja
völlig erschöpft sein."
Erleichtert; und traurig zugleich sah
Izzy zu, wie er sein Sportsakko in den
Schrank hängte. Sie atmete tief durch
und wandte sich ab. Ja, sie war
erschöpft. Aber nicht vom Tanzen, das
hatte ihr sehr viel Spaß gemacht,
sondern emotional. Das ständige Hin- und
Hergerissensein, ob sie bei Gabriel
Parish bleiben oder ihm endlich ihre
Kündigung aushändigen sollte, war sehr
kräftezehrend. Es wäre am besten, diesen
Mann endlich hinter sich zu lassen und
sich mit der Tatsache abzufinden, daß
ihr Traum, Gabriel Parish zu heiraten,
niemals wahr werden, würde. Und warum
schaffte sie es nicht, ihm das
Kündigungsschreiben zu überreichen?
Schweren Herzens ging sie zur Kommode
und holte ihre Nachtsachen aus einer
Schublade. "Wann wirst du endlich
vernünftig, Isabel Peabody?" murmelte
sie und flüchtete sich ins Badezimmer.
Gabe zog sich aus und schlüpfte in
grüne Boxershorts. Eigentlich war er es
gewohnt, nackt zu schlafen, doch das
konnte er Peabody wohl nicht antun.
Gegen seine Shorts würde sie sicher
nichts haben.
Er schlenderte auf den Balkon und
atmete tief die würzige Seeluft ein.
Merkwürdig, wie er sich in seiner
tüchtigen kleinen Assistentin getäuscht
hatte. Er lächelte verträumt. Dabei hät
te er immer gedacht, er würde sie in-
und auswendig kennen. Und plötzlich
entpuppte sie sich als fabelhafte,
temperamentvolle Tänzerin mit perfekter
Figur und wunderschönem, seidigem Haar.
Und wie verführerisch ihr Lachen
geklungen hatte! Er hätte nie gedacht,
daß er einmal Verlangen nach ihr
verspüren würde. Wieder prickelte es in
seinem Nacken. Gabe wurde ernst und
fluchte unterdrückt. Peabody war nicht
irgendeine Frau für ihn. Frauen waren
austauschbar. Aber Peabody war unver
zichtbar. So eine Assistentin würde er
niemals wieder finden.
Gabe ballte die Hände zu Fäusten. "Ich
denke nicht daran, unser wunderbares
Arbeitsverhältnis aufs Spiel zu setzen,
weil Peabody so verführerisch lacht..."
Er zuckte zusammen und rieb sich den
Nacken. Wieso der ihn plötzlich plagte,
war ihm ein Rätsel. Wahrscheinlich bin
ich einfach zu angespannt, dachte er.
Kein Wunder nach dem Flug und bei der
harten Konkurrenz.
Als Gabe sich umdrehte, fiel sein Blick
aufs Bett. Bis jetzt hatte er sich
nichts dabei gedacht, das Bett mit
Peabody zu teilen. Doch inzwischen war
er sich nicht mehr so sicher, ob es eine
gute Idee war. Ihm wurde heiß. Ich
benehme mich wie ein dummer Schuljunge,
dachte er verdrießlich. Aber
wahrscheinlich war sein Verhalten unter
den gegebenen Umständen ganz natürlich.
Er hatte in der letzten Zeit hart
gearbeitet und gar kein Privatleben mehr
gehabt. Seine letzte Beziehung lag eine
halbe Ewigkeit zurück. Doch das war sein
Problem. Peabody war seine rechte Hand,
seine tüchtige, loyale Mitarbeiterin und
kein Mädchen für eine Nacht, vielleicht
auch zwei Nächte voller Leidenschaft.
Die Badezimmertür öffnete sich, und er
ließ den Blick über Peabody gleiten, die
ein schwarzes Neglige mit einem dazu
passenden Morgenrock trug. Der Stoff war
fast undurchsichtig. Als sie allerdings
im Lichtkegel der Nachttischlampe stand,
waren ihre weiblichen Kurven nur allzu
deutlich zu sehen.
Gabe schloß die Augen und betete um
innere Stärke. Seine treue Peabody war
zu schade für das, was ihm durch den
Sinn ging.
Izzy hatte Gabriel zunächst gar nicht
wahrgenommen. Als sie ihn auf dem Balkon
entdeckt hatte, war sie stehen
geblieben. Wie verführerisch sein Körper
war! Sie mußte einfach den Blick über
seine breiten Schultern, die schmalen
Hüften, die langen Beine gleiten lassen,
ob sie wollte oder nicht. Dann rief sie
sich zur Ordnung und konzentrierte sich
schnell auf sein Gesicht. Seine Augen
waren geschlossen, anscheinend litt er
unter Kopfschmerzen. Tut mir Leid, aber
die werden gleich noch schlimmer, dachte
sie. Ihr Entschluß stand fest. Keine
Sekunde länger könnte sie diese
Situation ertragen!
"Mr. Parish?"
Gabriel machte die Augen auf und schien
zusammenzuzucken. Ja, er hatte definitiv
Kopfschmerzen. Izzy öffnete ihre
Handtasche und nahm die Kündigung
heraus. Dann ging sie auf den Balkon und
reichte sie ihm. "Hier. Ich kündige."
Er runzelte die Stirn, als meinte er,
sich verhört zu haben. Schließlich ließ
er den Blick von dem Dokument zu ihr
gleiten, sagte aber kein Wort.
Da sie seinen Blick nicht länger
ertragen konnte, ließ sie den Brief zu
Boden fallen und wandte sich halb ab.
"Dieses betrügerische Spiel geht mir
gegen den Strich." Den wahren Grund für
ihre Kündigung hätte sie niemals
zugegeben. "Ich muß mein Leben ändern,
Sir. Und diese Farce, die wir hier
abziehen, um Hugo Rufus' Auftrag zu
bekommen, ist der Tropfen, der das Faß
zum Überlaufen gebracht hat."
Es war so still, daß Izzy das Rauschen
des Ozeans und das leise Rascheln der
Palmwedel im Wind hören konnte. Sonst
hatte es eine eher beruhigende Wirkung
auf sie, doch in diesem Moment wurde sie
davon nur noch nervöser. Sie schluckte
und wünschte, Gabriel würde endlich
etwas sagen. Irgend etwas. Selbst Wut
wäre besser als gar keine Reaktion.
"Sie nehmen mich auf den Arm",
flüsterte er schließlich, machte aber
keinen sonderlich amüsierten Eindruck.
Izzy schüttelte den Kopf. Als sie
Gabriel auf sich zukommen hörte, zuckte
sie zusammen.
Im nächsten Moment hielt er ihre Arme
umfaßt und drehte sie zu sich herum.
Ernst sah er ihr in die Augen. "Es ist
doch nur zu Hugos Bestem, Peabody.
Begreifen Sie das denn nicht? Er ist auf
meine Werbekampagne angewiesen." Er
lächelte aufmunternd und legte den Arm
um sie. "Wir beide haben den alten Herrn
ins Herz geschlossen. Wenn er uns den
Auftrag erteilt, werden wir alle davon
profitieren." Er zog sie flüchtig an
sich, doch wohl eher, um seine Worte zu
unterstreichen als aus Zuneigung. "Sie
wollen doch auch, daß er glücklich ist,
Peabody."
Izzy musterte ihn mißtrauisch. Sie
ahnte, daß er sie umstimmen wollte.
"Ich habe Ihnen mein Konzept für die
Werbekampagne doch gezeigt." Gabriel
lächelte, als sie aufsah, und begann,
ihr seine Pläne zu erläutern. Und Izzy
hörte fasziniert zu. Er war so
begeistert von seinem Konzept, daß es
ihr von Minute zu Minute schwerer fiel,
bei ihrer Kündigung zu bleiben. Sie
wußte, daß es Gabriel weder um Geld noch
Ansehen ging, sondern einzig und allein
darum, sein Konzept umzusetzen.
Er liebte seine Arbeit genauso sehr,
wie sie sich danach sehnte, Kinder zu
haben. Und genau deshalb mußte sie alles
daransetzen, auf ihrer Kündigung zu
beharren. Wenn sie sich jetzt überreden
lassen würde, weiterhin für Gabriel
Parish zu arbeiten, dann würde sie
irgendwann in fünfundzwanzig Jahren
aufwachen und sich bewußt werden, daß
sie immer noch am gleichen Punkt wäre
wie jetzt; als seine treue Assistentin,
für die der Kinderwunsch immer unerfüllt
bleiben würde.
Entschlossen befreite Izzy sich aus
seinem Griff, eilte auf den Balkon und
hob den Brief auf, den sie ihrem Chef
reichte. "Es ist mir ernst, Sir."
Seine Miene verfinsterte sich. Als Izzy
an ihm vorbeigehen wollte, hielt er sie
fest. "Ihre Sturheit ärgert mich
langsam, Peabody." Er zerknüllte den
Brief und warf ihn auf den Fußboden.
"Kommen Sie, schreien Sie mich ruhig an,
wenn es Ihnen hilft. Und wenn Sie sich
wieder beruhigt haben, werden Sie schon
wieder zur Vernunft kommen."
"Ich bin völlig ruhig." Izzy befreite
sich erneut aus seinem Griff, ging zum
Bett und schlug die Decke zurück. "Mehr
habe ich dazu nicht zu sagen." Sie
machte den Fehler, ihn anzufunkeln. Ihr
Herz klopfte sofort schneller, als sie
ihn ansah. Auch er war wütend, hatte die
Hände in die Hüften gestemmt und
funkelte sie angriffslustig an. Wie ein
Indianer auf dem Kriegspfad.
Die Abendbrise spielte mit seinem
dunklen Haar, und Izzy war versucht,
Gabriel eine vorwitzige Strähne aus der
Stirn zu streichen. Wie sehr sehnte sie
sich danach, wieder in seinen Armen zu
liegen!
Schließlich wandte sie den Blick ab und
kroch unter die Bettdecke. Dann machte
sie die Augen zu und versuchte, nicht
mehr an ihn zu denken.
"Peabody."
Izzy zuckte zusammen. Gabriel kniete
neben dem Bett und sah sie geduldig an.
"Welche Veränderungen müssen Sie denn
unbedingt in Ihrem Leben vornehmen?" Er
umfaßte zärtlich ihre Hand. "Vielleicht
kann ich Ihnen dabei helfen. Dann
könnten Sie bei mir bleiben."
Sie zog die Hand weg und versteckte sie
unter der Bettdecke. "Sie können gar
nichts tun." Er war ihr so nah, daß sie
seinen warmen Atem spüren konnte. Wie
sollte sie da einen klaren Gedanken
fassen?
Wahrscheinlich würde er einen Lachan
fall bekommen, wenn er die Wahrheit
erfahren würde. Und dann würde er ihre
Kündigung annehmen. Diese Erniedrigung
könnte sie nicht ertragen. "Oder würden
Sie mir Kinder schenken?" Entsetzt biß
sie sich auf die Lippe. Das hatte sie
nun wirklich nicht sagen wollen.
Hoffentlich hat er nicht zugehört,
dachte sie verzweifelt.
Er musterte sie erstaunt. "Was?"
Sein Blick war so verblüfft, daß es
Izzy kalt über den Rücken lief.
Wenigstens wußte sie nun, daß ihm diese
Vorstellung völlig fremd war. "Ich meine
damit, daß ich einen Ehemann und Kinder
haben möchte. Eine Familie. Solange ich
für Sie arbeite, kann ich kein
Privatleben führen. Sie arbeiten achtzig
Stunden in der Woche, und es macht Ihnen
Spaß. Aber ich bin nur Ihre Assistentin,
das füllt mich nicht aus."
Gabriel rang sich ein Lächeln ab.
"Machen Sie sich doch nicht lächerlich,
Peabody. Werbung liegt Ihnen im Blut.
Sonst könnten Sie nicht so hervorragende
Arbeit leisten."
"Sie irren sich. Und versuchen Sie ja
nicht, mich umzustimmen. Ich muß fort."
Er sah sie nachdenklich an. Zum ersten
Mal schien ihm bewußt zu werden, daß er
sie diesmal vielleicht nicht überzeugen
könnte. "Bitte nicht, Peabody. Was würde
ich denn ohne Sie tun?"
Die Ironie der Situation wurde Izzy
erst in diesem Moment bewußt. Da kniete
er nun an ihrem Bett und klang wie ein
Ehemann, dessen geliebte Frau
beschlossen hatte, ihn zu verlassen. Es
gab nur einen einzigen Unterschied: Er
nannte sie Peabody, nicht Liebling oder
Izzy. Sie wandte sich verletzt ab.
"Diese Woche bleibe ich noch bei Ihnen,
Mr. Parish", sagte sie unglücklich.
"Aber keinen Tag länger."
Während der nächsten beiden Tage mußten
Izzy und Gabriel immer wieder das
glückliche, verliebte Paar spielen, was
gar nicht so leicht war, wenn man so
wütend aufeinander war wie sie beide.
Izzy war mit den Nerven am Ende.
Gabriels ständige Nähe brachte sie noch
um den Verstand, zumal ihr nur zu bewußt
war, daß für ihn wirklich alles nur ein
Spiel war, während es ihr fast das Herz
zerriß. Und für Gabriel war die
Situation auch nicht ganz einfach, denn
es ärgerte ihn sehr, daß seine treue,
tüchtige Peabody ihn verlassen wollte.
Gerade von ihr hätte er das nie gedacht.
An Schlaf war kaum zu denken, Izzy
hatte das Bett zwar für sich, denn
Gabriel hatte es vorgezogen, bis in die
frühen Morgenstunden an seiner
Präsentation zu arbeiten, und nickte
dann meistens im Sessel ein. Sehr bequem
konnte es nicht sein. Und trotzdem
machte er jeden Morgen einen ausgeruhten
Eindruck. Der Mann war ein Phänomen.
Offensichtlich kam er mit vier Stunden
Schlaf aus.
Am Mittwoch traf die Gruppe sich zu
einem Picknick in einer geschützten
Bucht. Die Sonneninsel Tranquillity
Island verfügte über wunderschöne weiße
Sandstrände und unberührten Regenwald
und war umgeben vom türkisfarbenen
Ozean. Im Hintergrund erhoben sich
Ausläufer des erloschenen Vulkans.
Bizarre Granitformationen schufen ein
magisches Spiel von Licht und Schatten.
Hugo gefiel sich in der Rolle des
perfekten Gastgebers, schenkte Eistee aus und widmete sich dem Grillen saftiger Steaks. Jetzt saß er im Schatten und flocht einen Strohhut für
Izzy. Vor Ablauf der Woche sollte jeder
Gast einen Strohhut haben. Hedda und
Roger Miles trugen ihre bereits.
Wahrscheinlich hatte Hugo gedacht, wegen
ihrer hellen Haut bedürften sie
besonderen Schutzes.
Izzy beobachtete Hugo lächelnd bei der
Arbeit. Er summte fröhlich vor sich hin
und sprang von Zeit zu Zeit auf, um die
Gläser seiner Gäste erneut zu füllen.
Die Wirts machten abfällige Bemerkungen
hinter seinem Rücken, und das Ehepaar
Miles fühlte sich sichtlich unwohl in
der ungewohnten Umgebung, doch Izzy
amüsierte sich köstlich über die
Schrullen des humorvollen alten Herrn.
Ihre gute Laune wurde nur durch Gabriel
getrübt.
Er hatte mal wieder sein Notizbuch
aufgeschlagen und notierte sich neue
Einfälle für seine Präsentation, die er
am Tag darauf machen sollte.
Izzy wurde aus ihren Gedanken gerissen,
als Clara sich zu ihr in einen
Korbsessel setzte und ihr gebackene
Kokosnuss anbot. "Köstlich, danke",
sagte sie und griff begeistert zu. Clara
war eine so, sanfte, liebenswerte Frau,
daß es Izzy noch schwerer fiel, sie
hinsichtlich ihrer wahren Identität zu
täuschen.
Clara lächelte. "Sie sehen wunderbar
gesund aus mit diesen rosig schimmernden
Wangen."
Dabei war sie aus purem
Schuldbewußtsein errötet! Izzy biß in
den Kokosnussschnitz und sah Gabriel
verstohlen an. Er blickte auf den Ozean
hinaus, war mit seinen Gedanken aber
offensichtlich ganz woanders bei
seiner Arbeit, um die sich alles drehte.
Clara beugte sich zu ihr herüber und
flüsterte verschwörerisch: "Sie haben
meinen Hugo sehr gern, oder?"
Izzy betrachtete den alten Herrn, wie
er dort mit gekreuzten Beinen im
Schatten saß, vor sich hin summte und
den Strohhut flocht. Sie lächelte
vergnügt. Hugo trug weite Shorts und ein
knallgelbes T-Shirt mit einem Smiley.
Sein Strohhut war so weit aus dem
Gesicht geschoben, daß er fast wie ein
Heiligenschein wirkte. "Ja, er ist ein
ganz wunderbarer Mensch." Sie sah Clara
an. "Etwas ganz Besonderes. So offen,
herzlich und liebevoll."
Clara errötete verlegen. "Er war mal
ein völlig anderer Mensch."
"Tatsächlich?" Izzy musterte sie
verblüfft. "Das kann ich mir gar nicht
vorstellen."
Ihre Gastgeberin wurde ernst. "Nach dem
Tod meines Mannes begann ich, bei Hugo
zu arbeiten. Vor der Geburt meiner Söhne
war ich Sekretärin. Als Raymond starb,
waren meine beiden Jungen auf der
Universität, und ich brauchte einen Job.
Hugo suchte gerade eine Sekretärin. Er
zahlte sehr gut, stellte aber auch sehr
hohe Ansprüche. Er war ein richtiger
Tyrann und hatte nur seine Firma im
Kopf."
"Das gibt es doch gar nicht." Izzy
betrachtete Hugo, der fröhlich und
gelassen vor sich hin summte.
"Doch. Er hat jeden Tag zwanzig Stunden
gearbeitet und stellten die gleichen
Ansprüche an sein Personal."
"Unglaublich." Izzy verzog verwirrt das
Gesicht. "Was hat ihn denn so verändert?" "Sein Herzinfarkt." Clara sah ihren Mann liebevoll an. "Der hätte ihn fast
umgebracht. Ich war die Einzige, die
Hugo im Krankenhaus besucht hat. Sie
müssen wissen, daß ich zu meinem
grenzenlosen Erstaunen festgestellt
hatte, daß ich sehr an ihm hing.
Gleichzeitig war mir bewußt, daß es mich
umbringen würde, mich privat mit ihm
einzulassen; In seinem Leben war kein
Platz für Privates."
Izzy hatte den Eindruck, Clara würde
von Gabriel reden. Genauso war sein
Leben.
"Als ich ihn eines Tages am Krankenbett
besuchte und ihm mein Lieblingsgedicht
vorlas, strich er mir plötzlich
liebevoll über die Wange und bedankte
sich lächelnd für meine Fürsorge.
So ein Ungeheuer wie er hätte das gar
nicht verdient, sagte er.
Als ich widersprechen wollte, erklärte
er mir, er hätte seit seinem siebten
Lebensjahr arbeiten müssen, hätte nie
eine Kindheit gehabt und keine Zeit
gehabt, selbst eine Familie zu gründen.
Ich werde diesen Augenblick niemals
vergessen. Er weinte und sagte: ,Clara,
ich will nicht sterben, ohne je richtig
gelebt zuhaben. Willst du meine Frau
werden?'"
Tränen schimmerten in Claras Augen, und
auch Izzy war gerührt. "Wie... wie
wunderbar!" Die Parallelen zwischen
Claras und Hugos früherem Leben und
ihrem eigenen waren unübersehbar.
Clara blinzelte. "Von dem Tag an war
Hugo wie ausgewechselt. Er delegierte
die meisten Aufgaben an seine
Mitarbeiter. Unsere Flitterwochen
dauerten ein Jahr. Wir sind um die Welt
gereist. So haben wir auch diese Insel
gefunden." Sie Umfaßte Izzys Hand. "Als
ich eines Tages beim Aufräumen in der
Firma einen ganzen Aktenschrank voller
Babyfotos entdeckte, die man ihm über
die Jahre hinweg zugeschickt hatte,
bestand Hugo darauf, sie alle in unserem
Haus aufzuhängen. Er hatte sie nie zuvor
gesehen und war sehr gerührt." Sie
trocknete sich die Tränen und schüttelte
den Kopf. "Er hätte zu gern eigene
Kinder gehabt."
Nun verstand Izzy, warum sich überall
im Haus Babyfotos befanden. Für Hugo
waren all diese Kinder seine "Familie".
"Und wie geht es seinem Herzen jetzt?"
fragte sie schließlich und sah Clara
besorgt an. "Eigentlich macht er einen
ganz gesunden Eindruck."
"Ja, er hat sich ausgezeichnet erholt
und ist sehr glücklich. Ohne den Streß
geht es ihm prima. Und er behandelt
meine Söhne und Enkel, als wären sie
seine eigenen. Alle vier Enkelkinder
verbringen jedes Jahr den ganzen Juli
bei uns auf der Insel." Clara ließ
nachdenklich den Blick zu Gabriel
gleiten, der sich eifrig Notizen machte.
"Sie haben einen überaus talentierten
und charmanten Ehemann, Izzy. Ich hoffe
nur, ihm ist bewußt, wie wichtig es ist,
eine Familie zu haben. Er scheint nur
seine Arbeit im Kopf zu haben."
Clara war sehr einfühlsam. Sie spürte,
daß Gabriel sich so verhielt wie Hugo
vor seinem Herzinfarkt. Auch er lebte
nur für seine Arbeit und war sich gar
nicht darüber im Klaren, daß das Leben
an ihm vorbeiging. Auch sie, Izzy, hatte
drei Jahre gebraucht, um sich darüber
bewußt zu werden, wie leer ihr Leben
war. Bevor sie angefangen hatte, für
Gabriel zu arbeiten, hatte sie das
Hausfrauendasein ihrer Mutter verachtet.
Erst jetzt ahnte sie, wie erfüllt das
Leben ihrer Mutter im Gegensatz zu ihrem
war. Offensichtlich hatte sie damals auf
Granny Dorie gehört, ihrer Tochter
jedoch nicht vermitteln können, worum es
im Leben ging. Vielleicht hatte sie,
Izzy, auch einfach nicht richtig
zugehört, weil sie entschlossen war,
ihren eigenen Weg zu gehen.
Izzy schluckte und sah Clara an. Sie
wußte nicht recht, was sie sagen sollte.
Und eigentlich übte sie auch gar keinen
Einfluß auf Gabriel aus.
Die ältere Dame tätschelte ihr
aufmunternd die Hand und lächelte.
"Verhindern Sie, daß er die nächsten
dreißig Jahre nur arbeitet und eines
Tages aufwacht und sehen muß, daß seine
Familie ihm fremd geblieben ist und er
keine Freunde hat."
Izzy malte sich aus, daß Gabriel in
dreißig Jahren einen Herzinfarkt hatte
und niemand bei ihm war. Ein stechender
Schmerz durchzuckte sie bei der
Vorstellung. Und in diesem Augenblick
wußte sie, daß sie Gabriel von seiner
Arbeitswut kurieren mußte, bevor es zu
spät wäre. Sie liebte ihn so sehr, und
sie wollte ihm Hugos Schicksal ersparen.
Verstohlen betrachtete sie ihn. Er
schien wirklich nichts von seiner
zauberhaften Umgebung wahrzunehmen,
sondern konzentrierte sich voll und ganz
auf die bevorstehende Präsentation. Hin
und wieder hatte er eine neue Idee, die
er schnell zu Papier brachte.
Izzy hatte plötzlich einen Einfall, und
sie wandte sich schnell Clara zu.
"Würden Sie mich bitte entschuldigen?
Ich glaube, mein Mann könnte etwas
Abwechslung vertragen."
Clara nickte lächelnd. "Sie üben einen
guten Einfluß auf ihn aus, meine Liebe,
Das habe ich gleich bemerkt."
Als Izzy aufstand, schwor sie sich, daß
Clara Recht behalten sollte. Ich habe
zwar nicht mehr viel Zeit, dachte sie,
als sie auf dem Weg zu seinem Korbsessel
war, aber ich werde ihm beibringen, daß
Spaß haben kein Schimpfwort ist.
Sie lächelte frech, als sie vor ihm
stand. "Hallo, Schatz."
Gabriel blinzelte und sah
geistesabwesend auf. Izzy nutzte die
Gelegenheit, nahm ihm das Notizbuch aus
der Hand und lief zum Meer, "Fang mich,
Süßer!" Sie lachte übermütig und
schwenkte das Buch. "Es wird naß, wenn
du mich nicht fängst."
Sein verblüffter Gesichtsausdruck war
ein köstlicher Anblick. Der Ärmste
schien sich zu fragen, ob sie, Peabody,
nun völlig verrückt geworden war.
Im Gegenteil, dachte sie. Ich versuche
nur, dir auf die Sprünge zu helfen.
Als Gabriel sich von seiner ersten
Verblüffung erholt hatte, sprang er auf
und lief mit großen Schritten hinter ihr
her. Ihr Herz klopfte aufgeregt. Sie
lief ins Meer. Bald reichte ihr das
Wasser bis zu den Schenkeln, und sie kam
nur noch langsam voran.
Natürlich hatte sie keineswegs vor,
sein Notizbuch zu zerstören oder zu
verlieren, er sollte nur etwas Spaß
haben. Nun hatte sie sich jedoch weit
ins Wasser gewagt und wußte nicht, wohin
damit. Sie trug ja lediglich einen
Badeanzug. Sobald Gabriel sie eingeholt
hatte, würde er es ihr abnehmen, und der
Spaß wäre vorbei. "Gib mir das Buch ... Liebling." Gabriel konnte seinen Ärger kaum verbergen. "Nein." Sie steckte es sich in den
Rückenausschnitt ihres Badeanzugs. "Ich
will spielen."
"Soso, spielen willst du." Er lächelte
sarkastisch. "Was ist denn plötzlich in
dich gefahren, Peabody?"
"Ich gehe jetzt tauchen."
Gabriel hielt sie fest. "Kommt nicht in
Frage."
"Versuch mal, mich daran zu hindern."
"Du bleibst schön hier." Er umfaßte
ihre Hüften und hob sie hoch, so daß sie
ihn mit den Schenkeln umklammern mußte,
sonst wäre sie hintenüber gekippt. Im
nächsten Moment wurde ihr bewußt, was
sie da tat. Verlegen senkte sie den
Blick.
Gabriel lachte triumphierend. "Soll ich
es mir holen, Peabody?"
Izzy ärgerte sich über seine
siegesgewisse Miene. "Und was passiert,
wenn ich es nicht herausrücke? Bin ich
dann gefeuert?"
"Was ich tun würde, um an mein Notizbuch zu kommen, könnte dich schockieren." Er zog drohend eine Augenbraue hoch. Izzy lächelte frech. Sie wußte genau,
daß ihr Boß ein Gentleman war und ihr
niemals etwas tun würde. Impulsiv zog
sie das Notizbuch hervor und schob es
sich ins Dekollete. Dann lächelte sie
übermütig und legte ihm die Arme um den
Nacken. "Na, was sagst du nun ...
Liebling?"
Erstaunt ließ Gabriel den Blick dahin
gleiten, wohin sein Notizbuch
verschwunden war, dann sah er ihr in die
Augen. In seinem dunklen Haar und in
seinen Wimpern hingen glitzernde
Wassertropfen. Izzy war hingerissen von
seiner männlichen Schönheit und seinem
muskulösen Körper.
Am liebsten hätte sie ihrer tiefen
Sehnsucht nachgegeben und ihn geküßt.
Doch das ging wohl etwas zu weit. Sie
beschloß, sich lieber von ihm zu lösen,
und bewegte die Beine.
"Nein!" Er verstärkte seinen Griff.
"Nein?" Sie war verwirrt und plötzlich
außer Atem. Was hat er vor? überlegte
sie.
Der Ausdruck in seinen Augen war
undurchdringlich. Und doch lag etwas in
seinem Verhalten, das ihr einen
erwartungsvollen Schauer über den Rücken
laufen ließ.
"Peabody ..." flüsterte Gabriel rauh.
"Ich glaube, wir sollten uns jetzt
küssen."
6. KAPITEL
Küssen? Nein, das durfte sie nicht
zulassen! Die Erinnerung daran würde sie
niemals vergessen können. Und was sollte
dann aus ihr werden? Izzy schob Gabriel
energisch von sich und stieß sich ab,
wobei sie sorgfältig darauf achtete, daß
alles möglichst spielerisch wirkte.
Kaum hatte sie wieder einigermaßen
festen Boden unter den Füßen, zog sie
das Notizbuch aus ihrem Dekollete und
schleuderte es ans trockene Ufer. Dann
wandte sie sich um und stürzte sich in
die Fluten, um so schnell wie möglich
aus Gabriels Reichweite zu gelangen. Das
Wasser fühlte sich eisig an auf ihrem
erhitzten Körper. Wie von Dämonen
gehetzt, durchpflügte sie das Meer.
Gabriel sollte sie nicht einholen. Es
kam nicht in Frage, daß er sie in aller
Öffentlichkeit küßte. Das ging einfach
zu weit!
Erschrocken schrie sie auf, als jemand
sie am Fuß fest hielt, und geriet unter
die Wasseroberfläche. Sie wurde
zurückgezogen. Da sie die Augen im
Salzwasser nicht öffnen wollte, konnte
sie nicht sehen, wer oder was sie fest
hielt, allerdings ahnte sie es.
Mit aller Kraft versuchte sie, sich zu
befreien - vergeblich. Sie tauchte auf,
öffnete die Augen und sah sich um. Und
wie befürchtet, war es tatsächlich
Gabriel, der ihr Bein umfaßt hielt und
ihr übermütig zulächelte.
Izzy strampelte vergeblich, um sich zu
befreien. "Was soll das?"
"Ich spiele mit meiner Frau. Das
wolltest du doch, oder?"
Er zog sie zu sich, und prompt ging sie
unter. Mit dem freien Fuß tastete sie
verzweifelt nach festem Boden, doch das
Wasser war zu tief. Keuchend und hustend
und mit brennenden Augen tauchte sie
wieder auf. "Ich dachte ... du wolltest
...dein Notizbuch."
"Das ist ja jetzt in Sicherheit."
"Da bin ich aber froh." Wieder begann
sie zu strampeln und spritzte ihn naß.
"Laß mein Bein los."
Die Fontäne hatte ihn ins Gesicht
getroffen. Gabriel rieb sich die Augen
und hustete, weil er Salzwasser
geschluckt hatte. "Kommt nicht in
Frage." Er lächelte frech. "Das gehört
zum Spiel... Liebling."
Verzweifelt wehrte Izzy sich, als er
auch das andere Bein umfaßte. Doch
Gabriel war zu stark für sie. Er zog sie
an sich, bis ihre Beine seine Taille
umschlungen hielten.
"Diese Position hat mir vorhin sehr gut
gefallen", sagte er anzüglich.
Beunruhigt ließ sie sich mit dem
Oberkörper ins Wasser zurückfallen. Wohl
oder übel mußte Gabriel sie loslassen,
sonst hätte es noch Zerrungen oder gar
Knochenbrüche geben können. Er ließ also
ihre Füße los, umfaßte statt dessen ihre
Taille und zog sie an sich, so daß sie
mit dem Rücken an seiner Brust lag.
Izzy schrie erschrocken auf. Doch die
anderen an Land dachten wahrscheinlich,
sie hätte ihren Spaß mit Gabriel. Und
den hatte sie insgeheim auch, denn als
sie auftauchte, lächelte sie vor sich
hin und versuchte dann lachend
auszureißen.
Gabriel flüsterte ihr etwas ins Ohr.
"Dieses Spiel war eine wunderbare Idee,
Peabody. Dadurch wird alles viel
glaubwürdiger."
Izzy erschauerte, als sie seinen warmen
Atem spürte. Deshalb behielt sie auch
für sich, daß ihr Spiel nicht dazu
gedacht war, ihre Gastgeber weiter
hinters Licht zu führen.
"Warum durfte ich dich nicht küssen?"
Er liebkoste ihr Ohr, und wieder liefen
ihr wohlige Schauer über den Rücken.
"Weil ich etwas dagegen habe", stieß
sie hervor. Er hielt sie noch immer fest
im Arm, und sie war von seiner Nähe
einfach überwältigt. Selbst wenn sie
sich hätte befreien können, hätte sie
wohl nicht die Willenskraft dazu gehabt.
"Du solltest dich aber mit dem Gedanken
anfreunden, mich zu küssen, Liebling."
Wieder liebkoste er verführerisch ihr
Ohr. "Früher oder später wird es
geschehen."
"Wage es ja nicht!" Vergeblich
versuchte sie, ihn abweisend zu mustern,
denn die ganze Zeit konnte sie das
Lachen kaum unterdrücken.
"Es ist doch nur Theater, Peabody. Ich
glaube, es ist notwendig."
"Nein, ist es nicht." Diesmal gelang es
ihr, einen energischen Tonfall
anzuschlagen. "Laß mich runter!"
"Was bekomme ich dafür?"
"Du bekommst etwas, wenn du es nicht
tust." Gabriel wollte sich ausschütten vor Lachen. Dieser gemeine Kerl! "Willst du mir drohen, Peabody?" Izzy wand sich und strampelte, daß Gischt aufspritzte, doch all ihre Bemühungen, sich zu befreien, waren
vergeblich. "Zwing mich nicht,
handgreiflich zu werden." Sie lachte.
"Du?" Gabriel musterte sie amüsiert.
"Aber genau das möchte ich ja!" Er zog
sie enger an sich und begann, ihren Hals
zu liebkosen. Izzy schmiegte sich an
ihn. "Oh ..." sagte sie verträumt.
Er lachte und verstärkte seine
Zärtlichkeiten.
"Bitte nicht?" bat sie atemlos und
versuchte; sich umzudrehen, um ihm in
die Augen sehen zu können.
Gabriel blickte auf. Er war ernst
geworden. Izzy nahm ihn nur verschwommen
wahr. Sie blinzelte, um seinen
Gesichtsausdruck erkennen zu können.
Nach einem kurzen unterdrückten Fluch
ließ er sie tatsächlich los. Sie hatte
plötzlich wieder festen Boden unter den
Füßen, doch ihre Beine gaben nach, und
sie ließ sich ins Wasser sinken. Nur
Kopf und Schultern schauten heraus.
Gabriel lächelte verlegen, als er vor
ihr auf die Knie ging. "Darf ich
zwischen deine Beine gleiten?"
"Wie?" Sie sah ihn ungläubig an.
Er lachte. "Ich meine, hast du etwas
dagegen, dich auf meine Schultern zu
setzen? Wenigstens würde es dann so aussehen, als hätten wir Spaß miteinander." Izzy nickte ergeben. "Vergiß nicht, daß es deine Idee war,
Peabody." Frustriert ließ er den Blick
über sie gleiten. Bevor sie reagieren
konnte, tauchte er unter und kam wenige
Sekunden später mit ihr auf den
Schultern wieder hoch. Mit großen
Schritten durchpflügte er das Wasser in
Richtung Ufer. "Lachen, Peabody",
flüsterte er ihr beschwörend zu. "Die
anderen sollen doch denken, daß wir uns
köstlich amüsieren."
Er lachte herzlich. Es klang völlig
natürlich, nur sie wußte, daß es
aufgesetzt war.
Einen Tag später glaubte Gabe zu
wissen, warum er darauf bestanden hatte,
Izzy zu küssen. Er hatte sich
stundenlang den Kopf darüber zerbrochen,
dann war er zu dem Ergebnis gekommen,
daß es notwendig gewesen war, um den
anderen ihre Zuneigung zueinander besser
zu vermitteln. Ja, genau das war der
Grund. Der einzige Grund!
Und es irritierte ihn auch nicht, daß
Izzy sich so energisch widersetzt hatte.
O nein! Aber so, wie sie sich gebärdet
hatte, hätte man ja annehmen können, er
hätte sie an einen Harem verkaufen
wollen!
"Was sagten Sie gerade, Gabe, mein
Junge?"
Gabe sah auf. Er stand an der Tafel und
versuchte gerade, Hugo die Werbekampagne
zu erläutern, die er für die Babynahrung
entwickelt hatte. "Wie?"
"Habe ich mich verhört, oder haben Sie
mich gerade gebeten, Sie zu küssen?"
Hugo zwinkerte vergnügt. "Ich habe Sie
wirklich gern, Junge, aber das geht dann
doch zu weit."
Das darf doch nicht wahr sein! dachte
Gabe und biß die Zähne zusammen. Wo war
er nur mit seinen Gedanken? Selbst
mitten in seiner Präsentation, die ihm
unglaublich viel bedeutete, dachte er an
Peabody, Er meinte, noch immer ihren
warmen, seidigen Körper zu spüren, ihre
weibliche Figur. Seine Hände prickelten
bei der Erinnerung an ...
Gabe räusperte sich. "Entschuldigen
Sie, Hugo." Er rang sich ein Lächeln ab.
"Ich fürchte, ich habe gerade an meine
kleine ... Izzy gedacht." Er wußte, daß
ihm nur noch die Wahrheit helfen konnte,
so unglaublich sie auch war.
Offensichtlich war die Erklärung
zufriedenstellend, denn Hugo strahlte.
"Sie ist eine wirklich bemerkenswerte
Frau", sagte er und nickte bekräftigend.
"Kein Wunder, daß Sie ständig an sie
denken müssen, mein Junge." Er zeigte
auf die Tafel. "Und was passiert nun,
nachdem die Rockband die neue
Erkennungsmelodie für meine Babynahrung
gespielt hat?"
Gabe fuhr fort mit seiner Präsentation
und nahm sich vor, in Zukunft
hundertprozentig bei der Sache zu sein.
Er wollte diesen Auftrag unbedingt
hereinholen. Die Millionen, die sich
damit verdienen ließen, waren nicht zu
verachten. Seine Gedanken an Peabody,
die zu seiner grenzenlosen Überraschung
mit jedem Tag sinnlicher wurde, mußte er
wirklich zurückstellen, so schwer es ihm
auch fallen mochte. O nein, Gabriel
Parish, reiß dich zusammen! ermahnte er
sich.
Es war absolut nicht nötig, Peabody zu
küssen. Offenbar hatte er zu lange in
der Sonne gelegen, oder er war noch
gestreßter, "als er gedacht hatte.
Vielleicht machte sich auch der Schlafmangel langsam bemerkbar. Und das war alles! Als Izzy später mit Gabriel zum Abendessen im Eßzimmer eintraf, bemerkte
sie sofort, daß Hugo bedrückt war. Besorgt flüsterte sie Gabriel zu: "Irgend etwas stimmt hier nicht." Gabriel nickte kaum merklich, sagte
jedoch nichts dazu. Ein Diener geleitete
sie zu ihren Plätzen an der reich
gedeckten Tafel. An diesem Abend saßen
sie einander gegenüber statt Seite an
Seite. Die Eheleute Miles saßen auf
Izzys Seite, Foxie und Claudia Wirt
neben Gabriel, Hugo hatte am Kopfende
der Tafel Platz genommen und Clara ihm
gegenüber.
Nachdem sie sich gesetzt hatte, nickte
Izzy den Wirts und den Miles freundlich
zu. Die beiden Paare rangen sich ein
Lächeln ab. Sie wurde nervös und legte
die Hände in den Schoß.
Als sie aufsah, begegnete sie Gabriels
Blick, und plötzlich war sie wieder ganz
die Ruhe selbst. Sie wunderte sich
selbst darüber.
Verstohlen ließ sie den Blick zu Hugo
gleiten. Der sonst so lebhafte Mann saß
reglos auf seinem Platz. Merkwürdig,
dachte sie. Was mag das nur zu bedeuten
haben? Kam die Werbekampagne zu spät?
War seine Firma nicht mehr zu retten? Er
machte einen so verzweifelten Eindruck.
Izzy wandte den Kopf und sah Clara
forschend an. Auch sie hielt den Blick
gesenkt und schien sich nicht recht wohl
in ihrer Haut zu fühlen.
Izzy schluckte. Ihr Mund war wie
ausgetrocknet. Doch obwohl die
Wassergläser gefüllt waren, wagte sie es
nicht, etwas zu trinken, denn sie
befürchtete, das Glas könnte ihr aus der
Hand rutschen. Sie atmete tief durch.
Hoffentlich ist Hugos Firma noch zu
retten, dachte sie. Es wäre schrecklich,
wenn viele tausend Menschen ihren
Arbeitsplatz verlieren würden. Sie war
den Tränen nahe.
Als Hugo mit einem Silberlöffel an sein
Wasserglas klopfte, sah sie auf. "Ich
bitte einen Moment um Aufmerksamkeit."
Noch einmal ertönte der helle Klang von
Silber auf Kristall.
Schließlich war Hugo sich der
Aufmerksamkeit aller Gäste bewußt,
räusperte sich und ließ den Blick über
die Tafel gleiten. Es schien ihn viel
Kraft zu kosten. Izzy biß sich auf die
Lippe. Hoffentlich teilt er uns nicht
mit, daß er bankrott ist, dachte sie
verzweifelt. So ein Schicksalsschlag muß
diesem wundervollen Mann unbedingt
erspart bleiben.
"Meine Damen und Herren ..." Seine
Stimme bebte. "Ich habe unangenehme
Neuigkeiten." Wieder betrachtete er die
Anwesenden nacheinander, dann senkte er
den Blick. "Mir ist heute eine
Information zugespielt worden, die mich
sehr betroffen gemacht hat und die ich
kaum akzeptieren kann."
Izzy sah ihn gebannt an. Was hätte sie
darum gegeben, diesem Mann das
Geständnis zu ersparen, daß er
gescheitert sei!
"Es scheint, als hätten wir einen
Betrüger in unserer Mitte."
Ihr stockte der Atem. Ein Betrüger! War
Gabriel damit gemeint? Und sie selbst?
Sie hätte es nicht ertragen, von Hugo,
diesem gutherzigen, großzügigen Mann,
enttarnt zu werden. Wahrscheinlich
verachtete er sie jetzt. Ihr wurde
schwarz vor Augen. Als sie sich vom
ersten Schreck erholt hatte, sah sie
entsetzt auf und begegnete Gabriels
ungerührtem Blick.
Gabriel schien sie beschwören zu
wollen, die Situation mit Würde und
Anstand zu meistern.
Natürlich hatte er Recht. Sie würde
sich in aller Form entschuldigen und die
Insel dann ohne Aufsehen mit ihm
verlassen. Es war schlimm genug, als
Betrüger enttarnt zu werden, da wollte
sie lieber ruhig und gelassen den
Rückzug antreten, statt einen großen
Wirbel zu veranstalten.
Izzy hielt seinem Blick stand, als Hugo
erneut in die Runde sah. "Vor einer
Stunde erhielt ich einen Anruf von einer
Frau, die sich als Mrs. Wirt vorstellte.
Sie verfolgt die Spur ihres Ehemanns,
der von ihr getrennt lebt und den
Unterhaltszahlungen für seine Kinder
nicht nachkommt." Hugo betrachtete
Foxie, der dunkelrot geworden war und
verlegen auf seinem Stuhl hin und her
rutschte. "Man hat mir unmißverständlich
erklärt, daß Sie nicht mit Claudia
verheiratet sind." Er ließ kurz den
Blick zu der Blondine gleiten, bevor er
sich wieder Foxie zuwandte. "Sie haben
die Ehe gebrochen, leisten keine
Unterhaltszahlungen für Ihre Frau und
Ihre Kinder und sind unter Vorspiegelung
falscher Tatsachen mit Ihrer Geliebten
Gast auf meiner Insel."
Izzy traute ihren Ohren kaum. Sie war
grenzenlos erleichtert, daß sein Zorn
sich nicht gegen sie und Gabriel richtete. Die Schuldgefühle blieben allerdings. Nur am Rande nahm Izzy wahr, daß
Claudia aufsprang und weinend aus dem
Eßzimmer stürzte. Foxie versuchte
zunächst, sich herauszureden, verließ
dann jedoch ebenfalls den Raum, nachdem
Hugo ihm unmißverständlich zu verstehen
gegeben hatte, daß er ihn und Claudia
nicht mehr auf der Insel sehen wolle. Im
Morgengrauen hätten sie mit dem Postboot
zu verschwinden.
Nach diesem Zwischenfall versuchte
Hugo, seine Gäste zu unterhalten, wie
sie es von ihm gewohnt waren. Doch es
war ihm anzumerken, wie sehr es ihn
getroffen hatte, hintergangen worden zu
sein.
Izzy war so schockiert, daß sie den
schmackhaften Schweinebraten auf ihrem
Teller kaum anrührte und den
Tischgesprächen immer nur wenige
Sekunden lang folgen konnte. Ihre
Schuldgefühle wurden unerträglich.
Gabriel und sie waren keinen Deut besser
als Claudia und Foxie. Sie hatten
einfach nur mehr Glück gehabt, sonst
wäre ihr Schwindel wahrscheinlich auch
schon aufgeflogen.
Als Izzy aufsah, begegnete sie Gabriels
Blick. Gabriel zog die Augenbrauen hoch
und lächelte ihr beschwörend zu. Sie
wußte, was er ihr sagen wollte:
"Lächeln!" Doch das fiel ihr sehr
schwer, denn erst jetzt war ihr richtig
bewußt geworden, wie schäbig Gabriel und
sie sich Hugo und Clara gegenüber
verhielten.
"Ist Ihnen nicht gut, Kind?" fragte
Hugo besorgt und umfaßte ihre Hand.
Izzy rang sich ein Lächeln ab. Sein
Mitgefühl machte alles nur noch
schlimmer. Da sie wußte, daß es mit
ihrer Haltung bald vorbei wäre, nickte
sie. "Nein, leider nicht. Ich habe
schreckliche Kopfschmerzen." Das war
nicht einmal gelogen. Ihr dröhnte
tatsächlich der Schädel.
"Liebling?" Gabriel stand auf und sah
seinen Gastgeber bedauernd an. "Bitte
entschuldigen Sie uns, Hugo. Ich muß
mich jetzt um meine Frau kümmern."
Hugo und Roger erhoben sich höflich,
als Gabriel Izzy vom Stuhl half, ganz
der besorgte Ehemann.
"Hoffentlich geht es Ihnen bald besser,
meine Liebe", sagte Clara. "Wenn Sie
später Hunger haben, sagen Sie uns bitte
Bescheid."
"Ja, vielen Dank."
Gabriel legte ihr den Arm um die Taille
und geleitete Izzy hinaus. Ihr war abwechselnd heiß und kalt, und sie schämte sich schrecklich. Sowie sie allein in ihrem Gästezimmer
waren, wirbelte Izzy zu Gabriel herum,
um ihm die Meinung zu sagen, doch die
richtigen Worte wollten ihr einfach
nicht einfallen. Daher wandte sie sich
wieder ab, marschierte zum
Kleiderschrank, holte ihren Koffer
heraus und warf ihn aufs Bett.
"Was soll das?"
Ohne ihn zu beachten, begann sie,
Kleidungsstücke in den Koffer zu werfen.
Doch plötzlich hielt sie mitten in der
Bewegung inne. "Eigentlich ist das eine
gute Frage", sagte sie leise. "Die
Sachen gehören ja gar nicht mir, sondern
Mrs. Parish."
"Was soll dieser Unsinn, Peabody?"
Sie zog das Nachthemd wieder heraus,
das ebenfalls im Koffer gelandet war,
und wandte sich Gabriel zu. "Ich
verschwinde morgen früh mit den anderen
Betrügern. Viel Glück noch." Im nächsten
Moment war sie im Badezimmer
verschwunden. Nicht eine Minute länger
wollte sie dieses hinterhältige Spiel
treiben. Gabriel verdiente Hugos Auftrag
ebenso wenig wie Foxie. Sollte Roger
Miles die Werbekampagne doch
durchziehen. Er war vielleicht etwas
streng, aber seine Erfolgsraten sprachen
für sich.
Izzy zog sich aus und nahm eine
eiskalte Dusche. Als sie plötzlich ein
metallisches Geräusch hörte, drehte sie
sich um. Die Tür zur Duschkabine wurde
aufgerissen. "Verflixt, Peabody, Sie
dürfen jetzt nicht verschwinden", rief
Gabriel aufgebracht. "Ich habe es im
Gefühl, daß wir ..." Er verstummte
plötzlich. Als Izzy versuchte, ihre
Blöße zu bedecken, wurde er noch röter,
als er es ohnehin schon war. "Ich ...
ich ..."
"Ich weiß", rief sie dazwischen. "Sie
sind so egoistisch, so besessen von dem
Gedanken an diese Werbekampagne, daß
Ihnen nicht einmal bewußt ist, daß ich
nackt unter der Dusche stehen könnte und
Sie meine Intimsphäre verletzen." Sie
musterte ihn vernichtend. "Hinaus, Mr.
Parish! Ich kann Ihren Anblick nicht
mehr ertragen." Wenn es doch nur wahr
wäre, dachte sie gleichzeitig.
Erst jetzt wurde Gabriel bewußt, was er
sich geleistet hatte.
Sie beobachtete, wie er flüchtig den
Blick über ihre Brüste gleiten ließ.
Trotz ihrer Wut lief ihr ein Schauer
über den Rücken. Und das machte sie noch
zorniger - auf sich selbst. "Raus!"
"Ich ... ich ... Es tut mir so Leid",
sagte Gabriel schließlich leise,
schluckte und trat den Rückzug an.
Izzy ließ sich zu Boden gleiten, denn
die Beine versagten ihr plötzlich den
Dienst. Eiskaltes Wasser prasselte auf
sie herab, als sie wie ein Häuflein
Elend auf dem gefliesten Boden der
Dusche saß und sich die Augen ausweinte.
"Mistkerl", brachte sie hervor und
schluchzte. "Wieso merkst du nicht, daß
ich eine Frau bin? Warum behandelst du
mich wie ein Möbelstück?" Sie fühlte
sich schrecklich allein, dumm und
irgendwie ... unsichtbar.
Ihre Sehnsucht nach Gabriel Parish
wurde immer unerträglicher. Hätte ich
doch nur schon vor Monaten gekündigt,
dachte Izzy verzweifelt. Ich bin ein
solcher Feigling! Sie barg das Gesicht
in den Händen und weinte und weinte.
Gabe hatte auf unsicheren Beinen das
Badezimmer verlassen. Er fühlte sich
schrecklich und ließ sich kraftlos aufs
Bett fallen. Was hatte er nur wieder
angerichtet? Wo war er mit seinen
Gedanken gewesen? Für sein Verhalten gab
es keine Entschuldigung. Auch nicht die,
daß er Peabody schon so lange so gut
kannte. Nun standen sie kurz vor dem
Ziel, und Peabody wollte Hals über Kopf
verschwinden. Er wollte nur ... Er mußte
doch
Gabe fluchte unterdrückt und rieb sich
den Nacken, der wieder einmal prickelte;
"Wie konntest du sie nur in der Dusche
überraschen?" fragte er sich
verständnislos. Bei der Erinnerung an
die zitternde, verletzliche, liebliche
Peabody wurde er von heißen Wogen
durchflutet. Er stöhnte auf und rieb
sich die Schläfen. "Es tut mir so
schrecklich Leid, Izzy", sagte er leise
er vor sich hin. "Du hast völlig Recht.
Ich habe wirklich nur an mich gedacht."
Gabe ließ den Blick zur Badezimmertür
gleiten. Die Dusche lief noch immer. Er
wurde das Gefühl nicht los, daß Izzy
weinte. Wie sollte er das je wieder
gutmachen? Wie sollte er sie zum Bleiben
überreden? Es stimmte, daß er Hugos
Auftrag unbedingt haben wollte, aber er
wollte auch Izzy behalten. Er brauchte
sie. Wieso sah sie das nicht ein? Wieso
war ihr nicht bewußt, wie wichtig sie
für seine Firma war und daß es ihre
Berufung war, als seine Assistentin zu
arbeiten?
Nun würde er den Rest der Woche damit
verbringen müssen, sie umzustimmen,
nicht zu kündigen und keine Familie zu
gründen. Lächerlich! Izzy Peabody und
Familie. Welch eine Verschwendung! Er
würde schon dafür sorgen, daß sie ihre
Karriere nicht aufs Spiel setzte!
Gabe richtete sich wieder auf. Sein
Entschluß stand fest. "Kommt nicht in
Frage, meine kleine Izzy", schwor er
sich. "Mich verläßt du nicht für ein
Leben mit einem Maurer mit geregelter
Arbeitszeit und einer Familienkutsche
voller Kinder - weder morgen noch sonst
irgendwann!"
7. KAPITEL
Als die Dusche nach geraumer Zeit
endlich abgestellt wurde, hatte Gabe
einen Plan ausgearbeitet. Schließlich
wußte er am besten, was gut für Izzy
war. Er mußte ihr etwas vormachen und
ihr Schuldgefühle einreden, dann würde
die Sache schon klappen. Natürlich war
es etwas unfair, aber was blieb ihm denn
anderes übrig? Und es geschah ja nur zu
ihrem Besten.
Wahrscheinlich würde es noch eine Weile
dauern, bis sie aus dem Badezimmer
herauskam falls sie überhaupt
auftauchte. So, wie er ihr Schamgefühl
verletzt hatte!
Hoffentlich lässt sie nicht zu lange
auf sich warten, dachte er. Ich will
endlich meinen Plan in die Tat umsetzen.
Gabe beschloss, sich in der
Zwischenzeit umzuziehen. In der ganzen
Aufregung war ihm erst jetzt bewußt
geworden, daß er noch immer die Sachen
trug, die er beim Abendessen angehabt
hatte. Er legte die Krawatte ab und
knöpfte sein Hemd auf.
Wahrscheinlich geschah es ihm ganz
recht, daß die Badezimmertür genau in
dem Moment geöffnet wurde, als er
splitterfasernackt war. Glücklicherweise
stand er mit dem Rücken zur Tür vor der
Kommode, in der er seine Kleidung
verstaut hatte. Gabe hielt mitten in der
Bewegung inne. Er hielt gerade ein Paar
Boxershorts in der Hand. Als er keinen
Laut hörte, riskierte er einen Blick
über die Schulter.
Izzy stand an der Tür und trug wieder
das undurchsichtige schwarze Nachthemd
und den Morgenmantel. Auf ihrem Gesicht
malte sich Erstaunen. Ihre Augen waren
gerötet.
Um sie aufzumuntern, sagte Gabe:
"Irgendwie kommt mir diese Situation
bekannt vor." Er lächelte verlegen. "Nur
sind die Rollen jetzt vertauscht." Er
winkte mit den Shorts, um anzudeuten,
daß er sie anziehen wollte. "Einen
Augenblick, bitte."
Izzy schluckte. "Oh, Entschuldigung.
Tut mir Leid, ich werde ..."
"Nein, bleiben Sie!" In Windeseile
hatte er sich die Shorts übergestreift.
"Okay? Jetzt bin ich wieder bekleidet.
Für eine Calvin-Klein-Anzeige habe ich
sogar zu viel an."
Sie konnte über seinen Anflug von Humor
nicht lachen. Immerhin flüchtete sie
sich nicht wieder ins Badezimmer,
sondern ging zum Bett und schlüpfte
unter die Decke. Es schien ihr gar nicht
aufzufallen, daß ihr Koffer vom Bett
verschwunden war. Aber vielleicht
interessierte es sie auch gar nicht, was
damit passiert war, denn die Kleidung,
die er, Gabe, ihr gekauft hatte, wollte
sie ja sowieso nicht behalten.
Er schluckte seine Verstimmung
hinunter, denn er wollte Izzy ja zum
Bleiben überreden und nicht das
Gegenteil erreichen. Auf Zehenspitzen
ging er zum Bett und kniete sich davor.
"Izzy?" flüsterte er. "Hugo ist
bankrott."
Die Reaktion war überwältigend. Izzy
fuhr hoch und musterte ihn entsetzt. Das
läuft ja prima, dachte Gabe zufrieden.
"Was?" Sie hielt sich die Bettdecke
vor. "Das kann nicht sein! Ich weiß, daß
er dringend den Umsatz steigern muß,
aber als so aussichtslos hätte ich die
Lage nicht eingeschätzt." In ihren
verweinten Augen schimmerten erneut
Tränen.
Gabe schämte sich jetzt fast, sie so zu
belügen. Doch er konnte nicht mehr
zurück. "Er hat es mir vorhin bei der
Präsentation erzählt", log er. "Diese
Werbekampagne ist ein letzter Versuch,
die Firma zu retten." Er sah sie ernst
an.
Sie biß sich auf die Lippe. Eine Träne
kullerte ihr über die Wange. Gabe
verfluchte sein Handeln. Was bin ich
doch für ein Mistkerl, dachte er.
"Und warum hat er es Ihnen erzählt?"
fragte Izzy mit beben der Stimme.
Gabe zuckte die Schultern, als wäre er
ratlos. "Ich weiß es auch nicht. Er hat
es mir nach der Präsentation verraten."
Sie blinzelte. Die nächste Träne begann
zu kullern.
Izzy muß jetzt selbst entscheiden, was
richtig ist, dachte er. Oder wenigstens
sollte sie glauben, daß sie ganz allein
die Entscheidung traf. Er schüttelte
gespielt bedauernd den Kopf. Wohl war
ihm bei der ganzen Geschichte allerdings
nicht.
"Aber was ist mit diesem Haus, dem
Flugzeug? Wie kann er...?"
"Auf dem Haus lasten Hypotheken, und
alles andere ist auch beliehen." Gabe
seufzte tief auf. "Hugo ist so ein
lieber, netter Gentleman. Es ist
wirklich ein Jammer, daß ihm das
passieren mußte." Langsam begann er, bis
zehn zu zählen. Gleich würde Izzy ihm in
die Falle gehen.
Acht, neun ...
"Meinen Sie, er hat Ihnen alles
erzählt, weil er instinktiv gespürt hat,
daß Ihre Werbekampagne doch noch alles
zum Guten wenden könnte?" Ein
Hoffnungsschimmer schwang in ihrem
Tonfall mit.
Bingo!
"Jetzt, da Sie das sagen ..." Gabe
wiegte nachdenklich den Kopf.
"Wahrscheinlich haben Sie Recht." Er
rang sich ein Lächeln ab, um ihr den
Eindruck zu vermitteln, daß er sie für
brillant hielt. Dann wurde er wieder
ernst. "Es ist wirklich schade, daß Hugo
so unnachgiebig ist, was Ehe, Treue und
Lügen betrifft."
Izzy trocknete sich mit dem Handrücken
die Tränen und stützte sich auf. "Ja",
stimmte sie traurig zu. "Eine wirklich
alberne Bestimmung, auf der er da
besteht. Die Ehe, meine ich. Mit der
Treue ist es etwas anderes. Da stimme
ich ihm natürlich zu."
Gabe schwieg und sah sie nur mitfühlend
an.
"Wenn ich ihm doch nur helfen könnte",
sagte Izzy schließlich leise.
Er war fast am Ziel, aber das durfte er
sich nicht anmerken lassen. "Sie wollen
doch verschwinden", gab er zu bedenken.
Izzy sah auf. Ihr Blick war
nachdenklich. "Ach ja." Gabe ließ sie
keine Sekunde aus den Augen. Gleich sitzt sie in der Falle, dachte er frohlockend. "Das geht jetzt wohl nicht mehr." Sie
schüttelte wehmütig den Kopf und wirkte
so verloren, daß ihm ganz komisch zu
Mute wurde. "Ich glaube, er hat sich
Ihnen anvertraut, weil er gespürt hat,
daß seine Firma und all die
Arbeitsplätze nur mit Ihrer
Werbekampagne zu retten sind."
Gabe sah sie gespielt erstaunt an. "Das
kann gut sein."
"Natürlich ist es so!" Izzy senkte den
Blick. "Also gut, um Hugos willen bleibe
ich bis zum Ende der Woche." Sie sah ihn
kurz an. "Aber gern tue ich es nicht."
Er versuchte, seinen Triumph zu
überspielen, nickte ernst und stand auf.
"Wenn Sie das für die beste Lösung halten." Izzy ließ sich in die Kissen zurückfallen. "Aber bei meiner Kündigung
bleibt es."
Gabe sah sie frustriert an, hielt sich
jedoch zurück. Ihm war bewußt, daß er
eine Schlacht gewonnen hatte, nicht
jedoch den Krieg. Noch nicht. "Ich
verstehe." Er drehte sich um und ging
auf den Balkon. Erst jetzt gestattete er
sich ein verstohlenes Lächeln und atmete
die klare Nachtluft ein. Er hatte seine
Galgenfrist also bekommen. Jetzt würde
Hugo ihm auch den Auftrag erteilen,
dessen war er sich ganz sicher. Und bis
Montagmorgen würde er Izzy auch
überzeugt haben, daß sie bei ihm blieb.
Siegessicher zwinkerte Gabe dem Mond
zu. Es war fast Vollmond, und er bildete
sich ein, ein wütendes Funkeln gesehen
zu haben. "Rede mir ja keine
Schuldgefühle ein, Mann im Mond",
flüsterte er gut gelaunt. "Ich habe
richtig gehandelt."
Izzy fand erst im Morgengrauen Schlaf,
weil sie die ganze Nacht hin und her
überlegt hatte, ob ihr Entschluß auch
wirklich richtig war. Doch sie konnte
Hugo und Clara einfach nicht im Stich
lassen. Sie hatte die beiden auf den
ersten Blick ins Herz geschlossen, und
immerhin hingen auch viele tausend
Arbeitsplätze am seidenen Faden. Ohne
Gabriels Werbekampagne würden sie für
immer verloren gehen. Davon war Izzy
überzeugt. Wie sie allerdings seine Nähe
weiterhin ertragen sollte, war ihr ein
Rätsel. Es fiel ihr schon jetzt unsagbar
schwer, ihre wahren Gefühle für ihn zu
verbergen.
Als sie schließlich aufwachte, fiel ihr
erster Blick auf Gabriel, der, nur mit
einem Handtuch bekleidet, aus dem
Badezimmer gekommen war. MUß er
eigentlich so unglaublich sexy aussehen?
fragte sie sich und schloß schnell
wieder die Augen.
"Alles in Ordnung, Izzy?"
Sie machte die Augen wieder auf und
beschloß, schnell aufzustehen, bevor er
näher kam. "Es scheint ein strahlend
schöner Morgen zu sein", sagte sie.
"Es freut mich, daß Sie heute besser
gelaunt sind."
Izzy sah auf. Gabriel hatte wirklich
einen phantastischen Körper, das mußte
man neidlos anerkennen. Einfach
überwältigend. Sie riss sich zusammen
und sah ihm streng in die Augen. "Ist
Ihnen klar, daß Sie nur mit einem
Handtuch bekleidet sind?"
Gabriel betrachtete das Handtuch, dann
erwiderte er ihren Blick. "Ja." Er
lächelte frech. "Hätten Sie es gern?" Er
tat, als wollte er es lösen.
"Wenn Sie das tun, schreie ich das
ganze Haus zusammen!"
Gabriel lachte amüsiert. "Das sagen Sie
bestimmt zu allen Männern, Miss
Peabody."
Sie errötete. "Ich bin nicht prüde,
falls Sie mir das unterstellen wollen."
Er ging gelassen zur Kommode und zog
Unterwäsche, Hemd und Shorts aus der
Schublade. Als er sich wieder umdrehte,
sagte er lächelnd: "Ich mag prüde
Mädchen eigentlich ganz gern."
"Als Hauptgericht oder zum Nachtisch?"
"Als Mitternachtsimbiß." Vergnügt
zwinkerte er ihr zu. "Sie sind köstlich,
besonders mit Schokoladensoße."
Izzy errötete noch tiefer, was ihn so
belustigte, daß er herzlich lachte. Als
er sich etwas erholt hatte, zeigte er
aufs Badezimmer. "Ich bin sofort
zurück."
"Muß das sein?" Dieser gemeine Kerl!
Sie derart in Verlegenheit zu bringen!
Gabe betrachtete sich im
Badezimmerspiegel. Du liebe Zeit, er
hatte tatsächlich mit Izzy geflirtet!
Peabody, korrigierte er sich schnell.
Sie heißt Peabody. Abstand halten, alter
Junge! Frustriert spritzte er sich
kaltes Wasser ins Gesicht. Sie ist nicht
eine deiner Wochenendbekanntschaften,
sondern deine beste Mitarbeiterin.
Vergiß das nicht!
Gabe richtete sich auf und betrachtete
den Fremden im Spiegel. "Ich brauche
eine Frau", sagte er leise. "Aber nicht
ausgerechnet meine Assistentin." Es
galt, noch zweiundsiebzig Stünden
durchzuhalten. Dann war er wieder in New
York und konnte sich ein Mädchen fürs
Wochenende aussuchen. In seinem kleinen
schwarzen Notizbuch standen genug Namen
und Telefonnummern. Er atmete tief
durch. Wieder prickelte es in seinem
Nacken. Was war das nur ständig?
Ein unglücklicher Mann sah ihm aus dem
Spiegel entgegen. Gabe spritzte sich
erneut kaltes Wasser ins Gesicht. Er
wurde das Gefühl nicht los, daß vor ihm
die längsten zweiundsiebzig Stunden
seines Lebens lagen.
Nach einem Krocketspiel auf dem Rasen
kehrten Izzy und Gabriel nachmittags in
ihr Zimmer zurück, um sich auszuruhen
und fürs Abendessen umzuziehen. Hugo
hatte ihnen für den Abend eine
"klitzekleine" Überraschung versprochen.
Was mag er damit meinen? überlegte Izzy
neugierig. Hoffentlich hatte er sich
nicht in Unkosten gestürzt, um seine
Gäste zu unterhalten.
Als sie allein waren, seufzte Izzy
schwer. "Ich hoffe nur, er hat nicht zu
viel Geld für seine Überraschung
ausgegeben."
Gabriel hob einen Geschenkkarton mit
einer großen roten Samtschleife hoch,
den er auf dem Bett gefunden hatte, und
reichte ihn ihr. "Das werden wir sicher
gleich herausfinden." Dann, widmete er
sich einem kleineren Karton, der seinen
Namen trug. "Die kleine Schachtel ist
für mich. Ich wußte ja, daß Hugo Sie
lieber mag als mich." Lächelnd zwinkerte
er ihr zu.
Neugierig zog Izzy die Schleife auf,
hob den Deckel hoch und sah in den
Karton. Als sie den Inhalt entdeckte,
lachte sie entzückt. Es waren ein
Blütenkranz aus rosa Orchideen und ein
Hula-Rock mit dazu passendem Oberteil.
"Er mag Sie wirklich lieber", sagte
Gabriel trocken und öffnete seinen
Karton. Er enthielt ebenfalls einen
Kranz aus Orchideen, der aber so klein
war, daß er offenbar als Kopfschmuck zu
tragen war. Gabriel Parish mit einem
Orchideenkranz auf dem Kopf? Izzy konnte
kaum das Lachen unterdrücken. Behutsam
nahm sie ihm den Blumenschmuck aus der
Hand und einen geblümten Stofffetzen aus
dem Karton.
"Bitte sagen Sie, daß das eine
Serviette ist", meinte er.
Izzy schüttelte lachend den Kopf. "Das
wird Ihnen ganz ausgezeichnet stehen",
stieß sie hervor, als sie sich etwas
beruhigt hatte.
"Es ist also keine Serviette?"
"Aber nein! Das ist ein lavalava",
erklärte sie. "Den tragen Männer auf
Hawaii und Samoa traditionell zu
feierlichen Anlässen."
Gabriel sah sie forschend an. "Sie
finden das wohl sehr komisch, oder?"
"Sehr sogar." Der gute alte Hugo! Sie
selbst hätte sich keine bessere
Möglichkeit ausdenken können, Gabriel
davon zu überzeugen, wie viel Spaß das
Leben machen konnte, selbst wenn man
nicht rund um die Uhr arbeitete.
Hoffentlich überlebe ich Gabriels
Anblick im Lendenschurz, dachte sie und
ließ sich erschöpft aufs Bett sinken.
"Alles in Ordnung?" fragte Gabriel
sofort besorgt.
"Ja, danke. Ich glaube, ich werde mir
jetzt die Haare waschen." Eine kalte
Dusche würde vielleicht die erotischen
Gedanken vertreiben, die sich bei der
Vorstellung von Gabriel mit Lendenschurz
sofort eingestellt hatten.
"Ihr Haar sieht sehr hübsch aus, wie es
ist."
Izzy sah auf. Gabriel stand an der
Balkontür und sah einfach überwältigend
sexy aus. Sie schluckte. Ach, warum
konnte er nicht wirklich ihr Mann sein?
Warum waren die netten Komplimente, die
er ihr in den vergangenen Tagen gemacht
hatte, nicht ernst gemeint gewesen?
Sie stand auf. "Sie brauchen mir keine
Komplimente zu machen, wenn wir unter
uns sind, Mr. Parish", sagte sie und
flüchtete ins Badezimmer, wo sie sich
auf einen Hocker setzte und verzweifelt
den Kopf in die Hände stützte.
8. KAPITEL
Der Abend wurde noch viel lustiger, als
Izzy je erwartet hätte. Allerdings war
ihr der Vollmond etwas zu romantisch.
Jedenfalls freute es sie, daß Gabriel
sich auch zu amüsieren schien.
Was Hugo sich dabei gedacht hatte,
Gabriel nur mit einem Lendenschutz und
einem Haarkranz aus Orchideen
auszustatten, war ihr ein Rätsel. Ihr
Boß sah so unendlich sexy aus, daß sie
von den gewagtesten Phantasien verfolgt
wurde: Gabriel hob sie einfach hoch und
entführte sie in eine romantische
Strandhütte, wo sie sich
leidenschaftlich liebten.
"Möchten Sie etwas Fischpastete?" riß
Hugo Izzy aus ihren Tagträumen. Er hielt
ihr ein Silbertablett hin, auf dem
kleine Häppchen mit graubraunem
Aufstrich angerichtet waren.
Sie lächelte. Hugo sollte nicht merken,
daß sie Mitleid mit ihm hatte. Er gab
sich völlig unbeschwert. Man mußte ihn
wirklich bewundern! "Danke, Hugo. Die
sind einfach köstlich. Aber ich kann
mich doch selbst bedienen. Setzen Sie
sich lieber, und amüsieren Sie sich."
"Das tue ich doch, liebes Kind." Er
ging weiter, um Roger und Hedda etwas
anzubieten. Aber die beiden winkten
angewidert ab, als sie sahen, was er
ihnen servieren wollte.
Die Eheleute Miles, die sonst nur
braune und dunkelblaue Kleidung trugen,
wirkten an diesem Abend besonders
deprimiert. Roger schien sich im
Hawaiihemd und weißen Shorts genauso
unwohl zu fühlen wie Hedda sich in dem
psychedelisch anmutenden muumuu, das
Hugo für sie ausgesucht hatte.
Izzy dagegen gefiel der Grasrock
ausnehmend gut. Er kitzelte so erotisch
an den Beinen, wenn sie sich bewegte.
Hugo, Clara, Gabriel und sie waren
barfuß, nur die Eheleute Miles trugen
robuste Straßenschuhe und boten einen zu
komischen Anblick. Andererseits hatte
Izzy fast ein wenig Mitleid mit den
beiden, denn man merkte deutlich, wie
unwohl sie sich in ihrer Aufmachung
fühlten. Selbst den köstlichen
Spießbraten rührten sie kaum an.
Wahrscheinlich konnten sie es nicht
erwarten, endlich wieder nach Hause zu
fliegen.
"He, Izzy", rief Hugo ihr zu und
streckte die Hand aus. "Jetzt wollen wir
beiden Hübschen Hula tanzen."
Nach kurzem Zögern stand Izzy auf und
ging auf ihn zu. "Gem."
Hugo trug auch nur einen Lendenschurz,
allerdings einen breiteren als Gabriel,
sechs Blumenkränze und eine Krone aus
rosa Orchideen. Lächelnd gab Izzy ihm
die Hand und ließ sich ans Ufer führen,
so daß die anderen ihnen zusehen
konnten.
"So, meine Damen und Herren, jetzt
bietet Ihnen das beste Hula-Tanzpaar der
Welt seine ultimative Bühnenshow." Er
hob ihre Hand hoch. "Nach der
Vorstellung dürfen Sie uns gern Münzen
zuwerfen." Dann flüsterte er Izzy zu:
"Sie sind wirklich ein prima Kumpel,
Kind. Ich werde so tun, als wüßte ich,
wie man Hula tanzt, während Sie zur
Ablenkung temperamentvoll die Hüften
schwingen. Dann achtet niemand auf
mich."
Sie lachte. "Sie erwarten aber ganz
schön viel von meinem Hüftschwung."
Hugo lachte ebenfalls herzlich. "Ich
kenne mich da aus." Dann warf er ihr
eine Kußhand zu und gab der Band ein
Zeichen, Der Schlagzeuger gab den
Rhythmus vor, und nach wenigen Takten
begannen auch die anderen Musiker zu
spielen. Es klang sehr hawaiisch.
Nachdem Izzy tief durchgeatmet hatte,
um Mut zu fassen, begann sie, die Hüften
zu schwingen und pantomimische
Handbewegungen zu machen. Ihre Cousine
Lou Anne wohnte auf Hawaii und hatte ihr
die Grundbegriffe polynesischer Tänze
beigebracht. Allerdings war das schon
einige Jahre her. Izzy war selbst
überrascht, wie viel sie behalten hatte.
Dank Hugo hatte sie die Freude am Tanzen
wieder entdeckt.
Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, daß
Gabriel an einer Palme lehnte und Hugo
und sie nicht aus den Augen ließ. Sie
beobachtete, wie er sich hin und wieder
den Nacken rieb.
Nach einigen Minuten überließ Hugo ihr
die Bühne. Als Izzy sich dessen bewußt
wurde, wollte sie auch aufhören zu
tanzen, doch davon wollte er nichts
wissen. "Sie tanzen göttlich, Izzy.
Bitte machen Sie weiter." Sie errötete
und gehorchte.
Gabe beobachtete ihren sexy
Hüftschwung. Der Grasrock hüpfte auf und
ab und umspielte erotisch ihre Schenkel.
Er rieb sich nachdenklich den Nacken.
Verflixt! Er sah ihre Schenkel doch
nicht zum ersten Mal! In den vergangenen
Tagen hatte er ausgiebig Gelegenheit
gehabt, ihre hübschen Beine zu
bewundern, wenn Izzy Shorts oder nur
einen Badeanzug getragen hatte.
Aber dies war etwas anderes. Dieser
provozierende Hüftschwung regte seine
Phantasie über die Maßen an. Nein,
solche Gedanken gehörten sich nicht.
Schließlich war Izzy seine Angestellte!
Wieder ließ sie das Becken kreisen und
schwang die Hüften. Gabe pfiff
anerkennend, doch so leise, daß es
niemand hörte. Dann rieb er sich wieder
den Nacken.
Endlich hörte die Band auf zu spielen,
und Izzy ging nach einer kleinen
Verbeugung zu ihrem Korbsessel zurück.
Gabriel saß im Sessel daneben. Sie hatte
den Applaus der anderen Zuschauer kaum
beachtet. Sie hatte nur Augen für
Gabriel, der sie bewundernd und charmant
anlächelte. Doch in seinem Blick las sie
auch noch etwas anderes, sie wußte
allerdings nicht recht, wie sie es
deuten sollte. Aber immerhin war es
echte Bewunderung, die sich in seiner
Miene spiegelte.
Gabriel war aufgestanden. Er hörte auf
zu applaudieren und umfaßte Izzys Hände.
"Das war phantastisch", sagte er leise.
"Du bist phantastisch."
Überrascht bemerkte Izzy sein
verschwörerisches Zwinkern, Dann beugte
er sich vor und küßte sie leicht auf die
Lippen.
Eigentlich war der Kuß nur als dankbare
Geste dafür gedacht, daß Izzy ihn auch
weiterhin unterstützte. Doch sowie Gabe
ihre Lippen spürte, wollte er mehr, und
zwar sofort. Er ließ die Hände höher
gleiten und zog sie an sich. Wieder
fanden sich ihre Lippen, nur diesmal
küßte er sie mit einer Leidenschaft, die
er seit langem nicht mehr - vielleicht
sogar noch nie - empfunden hatte. Das
Gefühl war unglaublich! Er zog sie noch
enger an sich und spürte, wie erhitzt
sie war. Das hätte er seiner loyalen,
tüchtigen Assistentin gar nicht zugetraut. Plötzlich wurde er sich leichter Gegenwehr bewußt und bemerkte, daß sie
die Hände gegen seine Brust gestemmt
hatte. Kaum vernehmbar schluchzte Izzy
einmal kurz auf.
Du liebe Zeit! Was hatte er nun wieder
angerichtet? Gabe löste sieh von ihr.
Izzy schlug die Augen auf und lehnte
sich an seine Brust. Es wirkte wie eine
zärtliche Geste, doch es war nur Show.
Er hatte den verletzten Ausdruck in
ihren Augen gesehen und spürte, wie
angespannt sie war. Mit einem verlegenen
Lächeln wandte er sich den verblüfften
Zuschauern zu. "Entschuldigen Sie bitte,
ich hatte ganz vergessen, wo wir sind."
Hugo und Clara applaudierten
begeistert. Gabe legte Izzy den Arm um
die Schultern und drückte sie flüchtig
an sich, um sich zu entschuldigen. Er
würde sie später richtig um Verzeihung
bitten.
Hugo versetzte ihm einen spielerischen
Kinnhaken: "Ihr seid wirklich die
reinsten Turteltäubchen", sagte er gut
gelaunt, bevor er herzhaft gähnte und
hinzufügte: "Ich bin müde. Sollen wir
für heute Schluß machen?" Er zwinkerte
ihm vielsagend zu. Gabe wußte sofort,
daß Hugo noch nicht müde war, sondern
Izzy und ihm lediglich die Gelegenheit
bieten wollte, sich zum Liebesspiel in
ihr Zimmer zurückzuziehen.
Gabe zwinkerte verstohlen zurück,
obwohl er sich in seiner Haut überhaupt
nicht wohl fühlte. Schließlich wußte er
genau, daß es kein Liebesspiel, sondern
nur vernichtende Blicke aus
wunderschönen braunen Augen geben würde.
Auf dem Rückweg zum Haus konnte Izzy
keinen klaren Gedanken fassen. Gabriel
hatte ihre Hand umfaßt und ging einen
Schritt vorweg. Ein Diener mit einer
Fackel begleitete sie, so daß sie
Gabriel sowieso nichts Privates hätte
sagen können.
Wahrscheinlich war es auch besser so.
Wer wußte schon, was geschehen wäre,
wenn kein Außenstehender bei ihnen
gewesen wäre. Vielleicht wäre sie in
Tränen ausgebrochen, hätte Gabriel
geohrfeigt oder sich an ihn geschmiegt
und um seine Liebe gebettelt. Bei dem
Gedanken zuckte sie zusammen. Ich muß
jetzt aber wirklich wieder zu mir
kommen, dachte sie entsetzt.
Sie ließ den Blick zu Gabriels Hand
gleiten, die ihre noch immer umfaßt
hielt. Das Vortäuschen von Vertrautheit
gehörte zu ihrer Rolle, ob es ihr nun
paßte oder nicht. Wenigstens wurde sie
geführt und konnte die Augen schließen,
wenn die Scham sie beim Gedanken an
Gabriels Kuß überkam.
Doch sowie Izzy die Augen zumachte,
wurde die Erinnerung an seine
Liebkosungen übermächtig - die heißen
Wogen, die sie durchflutet hatten, als
Gabriel sie zärtlich und verlangend
zugleich geküßt hatte. Und sie war
machtlos dagegen gewesen. Wie lange
hatte sie sich nach diesem Kuß gesehnt!
Und als es geschah, war sie völlig
hilflos gewesen. Sie hatte das Gefühl
gehabt zu schweben. Es war einfach
wunderbar gewesen.
Sie konnte nichts tun, wollte auch gar
nichts tun, als sich ganz seinen
Zärtlichkeiten hinzugeben, sich an ihn
zu schmiegen, das tiefe Verlangen zu
verspüren, das sein sinnlicher Kuß in
ihr auslöste.
Bei der Erinnerung an die
überwältigende Reaktion ihre Körpers
bekam Izzy weiche Knie und stolperte
prompt.
"Ist dir etwas passiert?" fragte
Gabriel so besorgt, als wäre er wirklich
ihr liebender Ehemann.
Izzy schüttelte den Kopf, mied aber
seinen Blick. Der Diener war stehen
geblieben und kam jetzt zurück, um neben
ihr zu gehen, damit sie nicht noch
einmal stolperte, Sie straffte sich und
begann, lautlos das Alphabet aufzusagen.
Sie mußte sich von Gabriel und seinen
Küssen ablenken!
Sowie sich die Zimmertür hinter ihnen
geschlossen hatte, ließ Gabriel Izzys
Hand los. "Ich verspreche, daß so etwas
nicht mehr vorkommen wird." Er umfaßte
sanft ihre Schultern und sah Izzy in die
Augen. "Ich hätte dich nicht küssen
dürfen. Das war ein Fehler." Es sah so
aus, als wollte er noch etwas
hinzufügen, doch er schien es sich
anders überlegt zu haben. Statt dessen
runzelte er die Stirn und breitete die
Arme aus. "Hier bin ich. Schlag mich,
wohin du willst."
Izzy musterte ihn starr. Es tat ihm
Leid, sie geküßt zu haben. Sie war
völlig am Boden zerstört und brachte
nicht einmal eine wegwerfende Bemerkung
zu Stande, weil ihre Stimme ihr den
Dienst versagte. Daher drehte Izzy sich
schweigend um.
"Izzy..."
Sie blieb stehen, doch da er nichts
mehr sagte, griff sie nach ihrem
Nachthemd und flüchtete ins Badezimmer.
Als Izzy geraume Zeit später wieder aus
dem Bad kam, hatte Gabriel das Licht
ausgeschaltet und saß in seinem Sessel.
Sie konnte ihn im Mondschein, der durch
die offene Balkontür fiel, genau
erkennen. Als er aufsah, senkte sie
schnell den Blick und verschwand unter
der Bettdecke. Sie spürte, daß er sie
beobachtete.
"Izzy ..." Izzy erschrak und hielt sich
den Mund zu, um einen Aufschrei zu
unterdrücken. "Es ist verrückt, den
Morgenmantel im Bett zu tragen. Das ist
doch viel zu heiß."
Sie gab keine Antwort, schloß die Augen
und wünschte sich den Schlaf herbei,
doch sie war viel zu angespannt.
"Ich weiß, daß ich mich in den
vergangenen Tagen nicht gerade wie ein
edler Ritter benommen habe, aber ich bin
kein Unhold." Gabriel schwieg
vorübergehend, um ihre Reaktion
abzuwarten. Als die ausblieb, seufzte er
und fuhr fort: "Selbst wenn du nackt
unter der Decke liegen würdest, würde
ich dich nicht anrühren."
Wunderbar, dachte sie deprimiert. Das
macht alles nur noch schlimmer.
"Schließlich verbringe ich Nacht für
Nacht in diesem unbequemen Sessel. Das
spricht doch wohl für sich", fügte er
aufgebracht hinzu.
"Allerdings", sagte sie und drehte sich
auf die Seite. Sie hatte keine Lust,
sich auf eine Diskussion einzulassen.
"Dann zieh endlich den albernen
Morgenmantel aus. Leg ihn meinetwegen
ans Fußende, damit du ihn im
Morgengrauen wieder anziehen kannst. Ich
verspreche, nicht mitten in der Nacht
über dich herzufallen."
"Mach dich nicht lustig über mich."
Er lachte humorlos. "Nichts läge mir
ferner."
"Das glaube ich nicht."
"Ach, das führt doch zu nichts.
Jedenfalls bist du der letzte Mensch,
mit dem ich ein bequemes Bett teilen
würde."
Izzy war den Tränen nahe. Wußte er
eigentlich, wie sehr er sie mit seinen
Bemerkungen verletzte? Sie war doch kein
Ungeheuer! Andererseits hätte sie
eigentlich erleichtert sein müssen, daß
er nicht in ihrem Bett schlafen wollte.
Es fiel ihr schon schwer genug, den KUSS
von vorhin zu vergessen!
"Übrigens schlafe ich jetzt sogar ganz
gern in diesem Sessel. Wahrscheinlich
würde ich nicht einmal in dem Bett da
schlafen, wenn du mich darum bitten
würdest."
"Keine Sorge, das werde ich ganz
bestimmt nicht tun. Gute Nacht." Sie
hoffte, er würde nun endlich ruhig sein,
doch weit gefehlt.
"Zieh den Morgenmantel aus, Izzy!"
Diesen energischen Tonfall kannte sie
nur zu gut. Gabriel duldete keinen
Widerspruch. Izzy seufzte mißmutig.
"Versprichst du ruhig zu sein, wenn ich
es tue?" Sie mußte zugeben, daß ihr
tatsächlich entsetzlich heiß war.
"Ja"
Also stand sie auf und streifte den
Morgenmantel ab, um ihn ans Fußende zu
legen. Dann schlüpfte sie wieder unter
die Decke.
"Gute Nacht, Izzy."
Sie dachte gar nicht daran, ihm zu
antworten. Und sie würde auch nie, nie,
nie zugeben, daß sie sich ohne den
Morgenmantel viel wohler fühlte.
"Danke ..." flüsterte Gabriel.
Stunden später schreckte Gabe hoch und
wäre fast vom Sessel gefallen. Er strich
sich durchs Haar und versuchte herauszufinden, was ihn aufgeweckt hatte.
Dann hörte er einen unterdrückten
Aufschrei. Izzy! Er ließ den Blick über
die Gestalt gleiten, die mitten im Bett
lag. Als Izzy eingeschlafen war, hatte
sie am Bettrand gelegen. Wieder schrie
sie verzweifelt auf und hob bittend die
Hand. Offensichtlich hatte sie einen
Alptraum.
Da Gabe fürchtete, sie würde das ganze
Haus aufwecken, stand er auf und ging
zum Bett. "Izzy?" fragte er ratlos.
Sie warf sich auf die Seite, dann zurück auf den Rücken. Ihr Gesichtsausdruck war gehetzt. Schließlich schrie sie wieder auf, lauter, durchdringender richtig
herzzerreißend.
Gabe fürchtete, die anderen Gäste
würden jeden Moment an die Tür klopfen
und sich besorgt erkundigen, was los
wäre. Um das zu verhindern, schlüpfte er
ins Bett und zog Izzy an sich. Tröstend
sprach er auf sie ein. Wahrscheinlich
war er allein an ihrem Alptraum schuld.
"Ganz ruhig, Izzy. Ist ja alles gut",
flüsterte er beruhigend und strich ihr
zärtlich übers Haar. Sie wimmerte und
klammerte sich an ihn.
"Bitte ..." weinte sie leise. "Bitte
nicht..."
Dann brachte sie nur noch
Unverständliches hervor. Gabe küßte sie
impulsiv auf die Stirn. "Alles wird gut,
Izzy. Nicht weinen. Es tut mir so Leid."
Er fühlte sich schrecklich schuldig.
Sanft streichelte er ihr die Wange.
Ich schulde ihr so unendlich viel,
dachte er. Ich habe sie ausgenutzt. Kein
Wunder, daß sie kündigen will. Mit aller
Macht würde er versuchen, sie
umzustimmen. Er würde ihr ein
Aktienpaket anbieten, ihr Gehalt
verdoppeln und sie nie wieder in seine
Machenschaften hineinziehen. Sie war
einfach zu anständig und ehrlich dafür.
Langsam schien sie sich zu beruhigen,
doch als er Anstalten machte, sich von
ihr zu lösen, protestierte sie
instinktiv. Er strich ihr beruhigend
übers Haar und zog sie enger an sich.
Nur noch fünf Minuten, dachte er, dann
stehe ich auf.
Es war so ein wunderbares Gefühl, sie
im Arm zu halten. Fast schien es, als
würde sie dort hingehören. Und sie war
sehr begehrenswert. Doch er hatte sich
geschworen, nichts mit ihr anzufangen.
Frauen gab es wie Sand am Meer, aber so
eine herausragende Assistentin fand man
nur selten. Er wollte nichts riskieren.
Verzweifelt ballte er die Hände zu
Fäusten und schwor sich, in einigen
Minuten zu seinem Sessel zurückzukehren.
9. KAPITEL
Es gelang Izzy nur langsam, sich aus
Morpheus' Armen zu lösen. So gut hatte
sie schon lange nicht mehr geschlafen,
und daher wollte sie den Moment des
Wachwerdens noch etwas hinauszögern.
Schlaftrunken schlug sie langsam die
Augen auf.
Sie sah Lippen vor sich. Einen
sinnlichen Männermund. Das mußte der
stimulierendste visuelle Eindruck sein,
mit dem sie je erwacht war. Der Mund kam
ihr bekannt vor. Er gehörte Gabriel!
Wieso ...? Sie blinzelte schlaftrunken,
machte die Augen zu, dann wieder auf und
lehnte sich zurück, traf jedoch auf
Widerstand. Von wegen Morpheus' Arme!
Sie lag in Gabriels Armen! Er hatte sie
ganz fest an sich gezogen und ein Bein
über ihre gelegt, so daß sie fast bewegungsunfähig war. Plötzlich war Izzy hellwach und versuchte, Gabriel wegzuschieben. "Was
fällt dir eigentlich ein?"
Sie sah ihn forschend an und wartete
auf seine Reaktion. Er schlief
seelenruhig weiter. Langsam, aber sicher
wurde sie wütend. Hatte er nicht am
Vorabend behauptet, er würde nicht
einmal das Bett mit ihr teilen, wenn sie
ihn anflehen würde? Und nun fand sie
sich in seinen Armen wieder! Der hat
Nerven, dachte sie und schob ihn mit
aller Kraft von sich.
Ohne aufzuwachen, rollte er sich auf
den Rücken. Endlich konnte sie sich
wieder bewegen. Sie war so
durcheinander, daß sie sich rittlings
auf seinen muskulösen Bauch setzte und
sich vorbeugte.
Wütend wartete sie, bis er endlich die
Augen aufschlug. Er hob die Hand, als
wollte er sich das zerzauste Haar aus
der Stirn streichen. Schlaftrunken sah
er noch unwiderstehlicher aus.
Verblüfft hielt er mitten in der
Bewegung inne, als ihm bewußt wurde, daß
sie auf ihm saß. Sie hatte sich
vorgebeugt, und ihre Nasen berührten
sich fast.
"Was geht hier eigentlich vor?" fragte
sie und funkelte ihn zornig an.
Die Frage schien ihn zu verwirren, er
fing sich jedoch schnell, und sein
Gesichtsausdruck verriet Belustigung.
"Keine Ahnung. Aber es gefällt mir, so
aufgeweckt zu werden."
Diese schlagfertige Antwort erzürnte
Izzy erst recht. Sie wußte allerdings
nicht, was sie zorniger machte - die
Tatsache, daß Gabriel in ihrem Bett lag,
oder der Umstand, daß er nichts daraus
gemacht hatte. "Das darf ja wohl nicht
wahr sein!" Wütend hielt sie ihm die zur
Faust geballte Hand vor die Nase. "Soll
ich dir eine verpassen, Gabriel Parish?
Antworte endlich! Was tust du in meinem
Bett?"
"Momentan diene ich als Sitzkissen."
Gabriel schien sich wunderbar zu
amüsieren.
"Untersteh dich, dich auch noch über
mich lustig zu machen!"
Gabriel konnte sich kaum halten vor
unterdrücktem Lachen. "Hör mal, Izzy
..." Er hielt ihre Hand fest. "Du
brauchst mich gar nicht zu schlagen, um
mir Schaden zuzufügen." Er sah sie
vielsagend an. "Tu mir einen Gefallen,
und zieh den Morgenmantel über."
Sekundenschnell hatte sie erfaßt, was
er meinte. Entsetzt blickte sie an sich
hinunter. In der hellen Morgensonne war
ihr Nachthemd fast durchsichtig. Sie
stöhnte und griff nach dem Morgenmantel,
dessen Ärmel natürlich auf der falschen
Seite waren, so daß es noch länger
dauerte, bis sie ihn endlich angezogen
hatte. Wütend musterte sie Gabriel
schließlich wieder. Sie wartete noch
immer auf eine Antwort von ihm.
Er hatte sich inzwischen aufgerichtet
und begegnete furchtlos ihrem Blick.
"Ich warte, Gabriel!" Izzy hatte die
Arme verschränkt und wirkte sehr
angriffslustig. "Hast du mir nichts zu
sagen?"
Gabriel rieb sich das Kinn und senkte
den Blick. Dann sah er wieder auf. "Es
ist nicht so, wie du denkst."
Jetzt war sie völlig verwirrt. Über
zwei Dinge war sie sich im Unklaren:
Warum hatte er sich zu ihr ins Bett
gelegt? Welche Absicht unterstellte sie
ihm seiner Ansicht nach? Wenigstens
traute er ihr eine Meinung zu. In
Wirklichkeit war sie so durcheinander,
daß sie am liebsten geschrien hätte, um
ihrem Frust Ausdruck zu verleihen.
Izzy versuchte, sich nichts anmerken zu
lassen, und verlangte unnachgiebig:
"Dann sag mir, wie es ist."
Er war ernst geworden und sah sie
beschwörend an. "Ich habe noch nie eine
so tüchtige Direktionsassistentin wie
dich gehabt, Izzy. Und ich würde es mir
nicht im Traum einfallen lassen, unser
ausgezeichnetes Arbeitsverhältnis durch
einen unbedachten Moment zu gefährden."
Izzy musterte ihn beunruhigt.
Offensichtlich wollte er einfach nicht
wahrhaben, daß sie gekündigt hatte.
"Unser Arbeitsverhältnis ist mit dem
morgigen Tag beendet." Sie hob das Kinn.
"Was du sagst, ergibt also überhaupt
keinen Sinn."
Gabriel wurde rot. Wahrscheinlich
ärgert er sich, daß ich auf der
Kündigung bestehe, dachte sie. "Gabriel
..." Sie räusperte sich, weil ihre
Stimme heiser klang. "Du kannst doch
nicht allen Ernstes glauben, daß ich
meine Kündigung zurückziehe. Besonders
nach dieser ... dieser ..." Sie zeigte
auf ihn.
Er stand auf. "Du hast das alles völlig
falsch verstanden." Mißmutig schüttelte
er den Kopf. "Du hattest einen Alptraum
und hast geweint. Da ich Angst hatte, du
würdest das ganze Haus aufwecken, hielt
ich es für die beste Lösung, dich zu
beruhigen. Tut mir Leid, daß ich
eingeschlafen bin. Aber es ist immerhin
eine Weile her, seit ich in einem Bett
gelegen habe"
Er war so überzeugend, daß Izzy ihm
sofort glaubte. Sie war schrecklich
verletzt und enttäuscht. Er will
wirklich nichts von mir, dachte sie
traurig. Offensichtlich hat er mich nur
trösten wollen und ist darüber
eingeschlafen. Um ihren Schmerz zu
verbergen, wandte sie sich ab, stand auf
und war im nächsten Moment im Badezimmer
verschwunden.
Nach geraumer Zeit sah Gabe auf dem
Balkon auf die Uhr. Es war fast acht
Uhr, Zeit fürs Frühstück, und Izzy war
noch immer im Badezimmer. Er ärgerte
sich über sie und über sich selbst.
Warum war er in der Nacht nicht sofort
aufgestanden, als sie sich wieder
beruhigt hatte? Es war schließlich nicht
nötig gewesen, bei ihr zu bleiben, sie
an sich zu ziehen, den Duft ihres Haars
einzuatmen, sich daran zu erfreuen, wie
anschmiegsam sie in seinen Armen lag und
... "Ach, halt den Mund, du Narr!"
"Mit wem sprichst du?"
Gabe zuckte zusammen. Natürlich mußte
Izzy ausgerechnet in diesem Moment
herauskommen. Er atmete tief durch und
wandte sich um. Sie trug ein eng
anliegendes Top mit Spitzeneinsatz und
weite Shorts. Das Haar hatte sie
aufgesteckt, nur einige duftige Strähnen
umrahmten ihr hübsches Gesicht. Gebannt
beobachtete er, wie die sanfte Brise mit
ihren Locken spielte. Izzy wirkte
unendlich verführerisch.
Das darf nicht wahr sein! dachte er.
Verflixt! Was war nur in ihn gefahren?
Am liebsten hätte er sie hochgehoben,
zum Bett getragen und den ganzen Morgen
mit ihr ... Er fluchte unterdrückt und
ging schnurstracks ins Badezimmer, das
er in Rekordzeit wieder verließ. "Komm,
wir gehen frühstücken", sagte er
schlecht gelaunt und umfaßte Izzys Arm.
"Au!"
Er verdrehte die Augen und zählte im
Stillen bis zehn. "Entschuldige. Ich bin
heute Morgen nicht besonders gut drauf."
"Wem sagst du das?" Izzy versuchte,
sich aus seinem Griff zu befreien. "Du
tust mir weh."
Gabriel lockerte den Griff sofort und
versuchte, sich nonchalant zu geben.
"Ich weiß gar nicht, was mit mir los
ist. Schließlich habe ich zur Abwechslung gut geschlafen." Izzy rang sich ein Lächeln ab. "Wahrscheinlich eignest du dich nicht
zum Tröster."
Er lächelte ironisch. "Du könntest
Recht haben. Aus hehren Gründen mit
Frauen zu schlafen bekommt mir nicht."
"Es wird dir sicher nicht wieder
passieren." Ihr Blick war verächtlich.
Sie ist noch hübscher, wenn sie wütend
ist, dachte Gabe. Wieso ist mir das noch
nie aufgefallen? Vermutlich weil sie in
der Regel kühl und gelassen ist. Er rieb
sich den Nacken, der schon wieder
prickelte. Was soll ich nur tun, um sie
zum Bleiben zu überreden? überlegte er
verzweifelt. Irgend etwas mußte er sich
einfallen lassen, oder er würde sie an
irgendeinen anderen Mann verlieren, der
es gar nicht erwarten konnte, Kinder mit
ihr zu haben. Eifersucht durchzuckte
ihn, doch er ließ sich nichts anmerken.
"Wollen wir gehen, Liebling?"
Izzy nickte und wandte den Blick ab.
Gabe fühlte sich plötzlich verloren. Sie
durfte ihn nicht verlassen! Vor seinem
geistigen Auge sah er, wie ein
grobschlächtiger Arbeiter mit rauhen
Händen sie streichelte, ihr Kinder
machte und ... Nein! Verzweifelt
verdrängte Gabe diese Bilder und zog sie
aus dem Zimmer. Du willst Izzy als
Angestellte behalten, beschwor er sich.
Fang jetzt nicht an, in ihr die Frau zu
sehen!
Wie an jedem Tag war auch dieser
Spätnachmittag dazu gedacht, zu ruhen
und sich aufs Abendessen vorzubereiten.
Doch Izzy hatte keine Lust, das Zimmer
stundenlang mit Gabriel zu teilen, zumal
er sich den ganzen Tag wie ein
gefangener Löwe aufgeführt hatte,
ständig auf und ab marschiert und völlig
geistesabwesend gewesen war. Den anderen
war auch schon aufgefallen, daß irgend
etwas mit ihm nicht stimmte.
Wahrscheinlich konnte er das Ende dieser
Reise kaum noch erwarten. Den Auftrag
hatte er fast in der Tasche, er wollte
sich neuen Herausforderungen stellen. Er
war nicht der Typ, der sich auch einmal
auf seinen Lorbeeren ausruhte. Schade!
Izzy entschuldigte sich also am Fuß der
Wendeltreppe und behauptete, noch einen
Spaziergang unternehmen zu wollen.
Gabriel sah sie zwar verwundert an,
enthielt sich aber eines Kommentars und
ließ sie ziehen. Vielleicht war auch er
froh, zur Abwechslung einmal allein zu
sein.
Ziellos schlenderte sie über den
gepflegten Rasen und befand sich wenig
später am Waldrand. Geistesabwesend
umrundete sie eine Palme und kam sich
schrecklich verloren vor. Sie hatte das
Gefühl, daß sie kläglich versagt hatte
in dem Bestreben, Gabriel dazu zu
bringen, sich zu entspannen.
Wahrscheinlich dachte er in diesem
Moment schon an den nächsten Kunden, mit
dem er am Montag das erste Gespräch
führen würde. Dabei wäre es viel besser
gewesen, wenn er sich zur Abwechslung
auch einmal an der schönen Pflanzenwelt
dieser idyllischen Insel erfreut hätte.
Ein lautes Flattern über ihrem Kopf
erschreckte sie. Als sie aufsah,
entdeckte sie über sich einen großen
blaugelben Vogel. Seine Schönheit
verzauberte sie. Entzückt verfolgte sie
seinen Flug durch das Blattwerk. Der
Papagei flog ziemlich niedrig und war
daher gut zu beobachten. Sie ging ihm
nach.
Als er schließlich auf einem Zweig
landete und sie ansah, als wollte er
sagen: "Komm mit!" ließ Izzy es sich
nicht zweimal sagen. Sie folgte ihm
durch den kühlen, schattigen Wald.
Kurz darauf flog der muntere Vogel in
strahlend helles Licht, Als Izzy die
Stelle erreicht hatte, fand sie sich am
Waldrand wieder und blickte auf eine
idyllische Bucht hinaus. Große, in der
Sonne glänzende Granitfelsblöcke türmten
sich vor ihr auf, an denen sich die
Wellen brachen. Das Spiel von Licht und
Schatten, Wind und Wasser war
faszinierend.
Izzy war begeistert von der Schönheit
dieser Idylle. Als ihr gefederter Freund
sich höher in die Lüfte erhob, winkte
sie ihm fröhlich zu, setzte sich auf
einen der warmen Felsen und genoß die
friedliche Atmosphäre, die ihren
angespannten Nerven wohl tat. Wie ruhig
es war, wie friedlich! Ihr schien es,
als wäre sie wie durch Zauberkraft zu
diesem magischen Plätzchen geführt
worden. Es war ihre Bestimmung gewesen,
diese Lagune zu finden. Hier konnte sie
sich erholen und über ihre Zukunft
nachdenken. Eine Zukunft ohne Gabriel
Parish.
Zum ersten Mal seit geraumer Zeit
fühlte Izzy sich frei und selbstbewußt.
Sie wußte wieder genau, was sie wollte.
Sie zog sich Top und Shorts aus und
hüpfte, nur mit einem hellblauen BH und
Slip bekleidet, ins Wasser.
Es war warm und belebend und fühlte
sich wunderbar an. Sie genoß es, in
ihrem kleinen Paradies Kraft für einen
Neuanfang zu schöpfen.
Nach einiger Zeit - sie hatte keine
Ahnung, ob eine Stunde oder sogar noch
mehr Zeit vergangen war - entdeckte sie
ihren gefiederten Freund wieder. Der
Papagei hatte sich auf einem der großen
Felsen niedergelassen. Izzy, die bis zur
Brust im Wasser stand, winkte und rief
fröhlich: "Hallo, da bist du ja wieder."
Der Vogel schwang sich erneut in die
Lüfte und verschwand hinter dem riesigen
Stein. Weit konnte er nicht sein,
jedenfalls konnte sie ihn nirgends
entdecken. Als sie den Felsen genauer
betrachtete, sah sie, wie zerklüftet er
vom Wasser war.
Oberhalb der Wasserlinie ersparte sie
eine Spalte, durch die Sonnenlicht fiel.
Vielleicht sonnte der Papagei sich
jenseits des Felsens. Neugierig watete
sie auf die Öffnung zu, die sich
ungefähr einen halben Meter über ihr
befand. Als eine leichte Brise sie
umschmeichelte, sah Izzy lächelnd auf.
Der Wind fühlte sich wunderbar kühl an.
Vorsichtig lugte sie durch die Öffnung
im Felsen, die so groß wie ein Bullauge
war, und entdeckte tatsächlich ihren
gefiederten Freund. Als sie erfreut
auflachte, erschrak der Vogel, kreischte
schrill und schlug mit den Flügeln. Sie
schob sich weiter nach oben. "Du hattest
wohl gedacht, hier würde ich dich nicht
entdecken, oder? Huch!"
Eh sie sich's versah, war sie auf dem
feuchten Felsen ausgerutscht, konnte
sich jedoch geistesgegenwärtig fest
halten und so einen bösen Sturz
vermeiden. Mit dem Fuß hing sie
allerdings in einer Felsspalte fest.
Als sie sich von dem ersten Schrecken
erholt hatte, lächelte sie dem bunt
gefiederten Vogel zu. "Ich dachte schon,
mit mir war's jetzt aus."
Der Papagei blinzelte ihr mit einem so
unverschämten Ausdruck zu, daß sie einen
Moment lang stutzte. Dann mußte sie über
sich selbst lachen. "Es ist doch nur ein
Vogel, Izzy", sagte sie zu sich, bevor
sie ihm noch einmal zuwinkte. "War nett
mit dir, aber jetzt muß ich leider
zurück. Sonst komme ich zu spät zum
Abendessen."
Wieder kreischte der Papagei und hob
ab, als würde er verstehen, daß es nun
Zeit war, sich voneinander zu
verabschieden. Das ist natürlich Unsinn,
dachte Izzy und schüttelte über sich
selbst den Kopf. Dann wandte sie sich
ab, um vom Felsen zu klettern.
Das war leichter gesagt als getan, denn
sie konnte den Fuß nicht aus der
Felsspalte ziehen. Beunruhigt beugte sie
sich vor und sah nach, warum sie
feststeckte. Ein flacher Stein war vom
Felsen abgesplittert, hatte sich wie ein
Deckel halb über die Spalte gelegt, in
die ihr Fuß gerutscht war, und sich
verkeilt.
Zunächst versuchte sie, den "Deckel"
wegzuschieben, doch der ließ sich nicht
bewegen, sosehr sie sich auch
anstrengte. Verzweifelt zog sie das Bein
ruckartig an, doch auch das brachte
nichts und tat nur unnötig weh. Sie
wußte, daß sie ganz ruhig bleiben mußte
und nicht in Panik geraten durfte. Je
mehr sie an dem eingeklemmten Fuß zog
und zerrte, desto mehr würde er
schmerzen und anschwellen. Dann würde
sie sich erst recht nicht befreien
können.
Izzy lehnte sich an den warmen
Felsvorsprung und überlegte, was sie tun
sollte. Irgendeine Lösung mußte sie sich
einfallen lassen, sonst wären ihre Tage
gezählt. Und das ausgerechnet zu einem
Zeitpunkt, da sie sich entschlossen
hatte, ein neues Leben anzufangen.
Es kostete sie eine enorme
Willenskraft, ruhig zu bleiben und nicht
zu versuchen, den Fuß mit Gewalt aus der
Spalte zu ziehen. Zu schade, daß sie
nicht rein zufällig etwas Motorenöl oder
Haargel mitgebracht hatte!
Sie wandte sich halb um und ließ den
Blick übers Meer wandern. Die Sonne war
im Begriff unterzugehen. Wahrscheinlich
war es viel später, als sie dachte.
Eigentlich hätte sie sich längst zum
Abendessen umziehen müssen. Gabriel
fragte sich bestimmt schon, wo sie
steckte. Vielleicht machte er sich sogar
auf die Suche nach ihr.
O je! Nicht auszudenken, wenn er sie
finden würde. Sie war ja nur mit einem
BH und einem winzigen Slip bekleidet.
Diese Erniedrigung würde sie nicht
überstehen. "Mach dich nicht
lächerlich", ermahnte sich Izzy.
"Hauptsache, du wirst überhaupt aus
dieser mißlichen Lage befreit." Trotzdem
wäre es ihr denkbar unangenehm,
ausgerechnet von dem Mann gerettet zu
werden, in dessen Armen sie offenbar die
ganze Nacht verbracht hatte.
Sie stöhnte und verdrängte den Gedanken
daran ganz schnell. Ärgerlich zog sie
kräftig an ihrem Bein und zuckte vor
Schmerz zusammen. Trotzdem versuchte sie
es gleich noch einmal. "Au", schrie sie.
"Jetzt komm doch endlich heraus, du
dummer Fuß!"
"Brauchst du Hilfe?"
Izzy verharrte mitten in der Bewegung,
als sie die Stimme erkannte. Sie war ihr
nur allzu gut bekannt. Langsam drehte
Izzy sich um. Ihr wurde heiß und kalt.
Da stand er breitbeinig, mit
Smokinghose und glänzenden schwarzen
Schuhen bekleidet. Das Smokinghemd
steckte im Bund, war jedoch nur halb
zugeknöpft. Mußte er unbedingt so sexy
aussehen? Wie ein griechischer Gott auf
dem Weg zu einer eleganten
Abendgesellschaft auf dem Olymp oder zu
seiner Lieblingsgöttin. Es kam darauf
an, ob er sich fertig anziehen oder
alles ausziehen würde. Er hatte eine
Augenbraue hochgezogen, als würde er
sich fragen, was, um alles in der Welt,
sie, Izzy auf dem Felsen tat. Gleichzeitig schien er sich zu amüsieren. Izzy zog das freie Bein an, um ihre
Blöße, so gut es ging, zu verdecken, und
verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr
Herz klopfte zum Zerspringen. Um ihre
Verlegenheit zu überspielen, funkelte
sie Gabriel wütend an. "Wage es ja
nicht, mich auszulachen."
"Das würde mir nicht im Traum
einfallen." Er nickte ihr zu. "Was tust
du da oben?"
"Ich sitze fest."
Gabriel schluckte und räusperte sich.
Izzy war sicher, daß er ein Lachen
überspielen wollte. "Ach."
"Wie hast du mich überhaupt gefunden?"
Warum ausgerechnet du? hätte sie fast
hinzugefügt.
"Ich habe mir Sorgen gemacht, als du
überhaupt nicht mehr wiedergekommen
bist. Der Gärtner hat dich in diese
Richtung gehen sehen."
Izzy biß sich auf die Lippe. Konnte der
Gärtner sich nicht um seine eigenen
Angelegenheiten kümmern? Allerdings
hätte sie dann noch länger hier
festgesessen. Doch sie war momentan
nicht in der Stimmung, logisch zu
denken, denn sie war den Tränen nahe.
Aber sie riß sich zusammen. "Aha. Du
hast dir für deine Detektivarbeit das
Frauenaufspürabzeichen verdient."
Gabriel hielt sich schnell den Mund zu.
Izzy stöhnte. Dieser gemeine Kerl lachte
sie tatsächlich aus! "Verschwinde, ich
brauche deine Hilfe nicht", sagte sie
wütend.
Er räusperte sich wieder und begann,
seine Hose auszuziehen.
"Was soll das denn werden?"
"Ich denke nicht daran, mir die
Smokinghose zu ruinieren. Schließlich
muß ich sie zum Abendessen tragen."
Gabriel legte sie sorgfältig auf einen
flachen Felsen.
"Du willst doch wohl nicht etwa
herkommen?"
"Ich spiele mit dem Gedanken, ja." Er
streifte das Hemd ab und legte es auf
die Hose. Dann setzte er sich hin und
zog Schuhe und Strümpfe aus.
Izzy versuchte verzweifelt, ihn
aufzuhalten. "Aber du mußt zuerst ein
Brecheisen organisieren oder wenigstens
Fett oder Schmiere. Außerdem habe ich
kaum etwas an."
"Das habe ich mir gedacht."
Warum muß er nur so unglaublich sexy
aussehen? überlegte sie verzweifelt.
Selbst grünweiß gestreifte Boxershorts
taten seiner erotischen Ausstrahlung
keinen Abbruch.
"Ich brauche keine Hilfsmittel", sagte
er.
"Nein? Wie willst du mich dann
befreien? Na ja, du könntest dem Felsen
befehlen nachzugeben."
Gabriel lachte und ging ins Wasser.
Nach einigen kräftigen Schwimmzügen
stand er vor ihr. Der eingeklemmte Fuß
befand sich auf gleicher Höhe wie seine
Brust.
"Nein!" Sie zog das freie Bein an. "Geh
weg!"
"Sei still, Izzy!" Gabriel sah nicht
einmal auf, sondern konzentrierte sich
ganz auf den Fuß. Dann umfaßte er den
flachen Stein, der sich in der
Felsspalte verkeilt hatte, und begann,
daran zu ziehen.
Izzy beobachtete fasziniert das Spiel
seiner Muskeln. "Du ... du kannst doch
nicht... Es ist zu ..."
Ein Knirschen ließ sie verstummen. Der
Stein begann, sich zu bewegen.
"Bekommst du deinen Fuß jetzt heraus?"
fragte Gabriel undeutlich.
Sie versuchte es. Zuerst dachte sie,
sie würde noch immer feststecken, doch
dann zog sie etwas stärker und kam dann
so plötzlich frei, daß sie den Halt
verlor und ins Wasser fiel - oder, um
genau zu sein, direkt in Gabriels Arme.
Izzy schrie erschrocken auf. Als ihre
Blicke sich trafen, sah sie an seiner
Miene, daß Gabriel genauso schockiert
war wie sie.
"Alles in Ordnung?" fragte er. "Kannst
du schwimmen?"
"Natürlich kann ich schwimmen!" Ihre
nasse Wäsche überließ nichts der
Phantasie. Verzweifelt versuchte Izzy,
ihre Blöße zu bedecken. "Immerhin bin
ich hergeschwommen, oder etwa nicht?"
"Ja. Ich meine natürlich, ob du mit dem
Fuß schwimmen kannst." Seine Stimme klang seltsam rauh. "Er sieht etwas lädiert aus." Izzy folgte seinem Blick. "Ach was."
Sie sah ihn schnell an: "Es wird schon
gehen. Lass mich runter! Ich bin völlig
in Ordnung."
Sowie er sie losließ, schwamm sie so
schnell wie möglich ans Ufer. "Das kann
man wohl sagen", schien Gabriel zu
sagen, als sie davonschwamm. Aber
vielleicht hatte sie sich auch verhört.
"Bleib, wo du bist?" rief sie, als sie
das Ufer erreicht hatte.
Gabriel reagierte nicht. Neugierig
riskierte sie einen Blick über die
Schulter. Er betrachtete den hohen
Felsen. "Dreh dich nicht um!"
"Keine Sorge." Er hielt den Felsen mit
beiden Händen umklammert. "Zieh dich
an."
So schnell wie möglich schlüpfte sie in
Shorts und Top und zog ihre Sandaletten
an. "Ich gehe jetzt zurück", rief sie,
als sie fertig war. "Du kannst kommen."
Gabriel rieb sich den Nacken. "Ja, gern
geschehen", rief er mürrisch. "Kein
Problem."
Sein ironischer Tonfall entging Izzy
natürlich nicht. Sie konnte es Gabriel
nicht verdenken. Erst hatte er sie
suchen, dann retten müssen, und
schließlich lief sie auch noch davon,
ohne sich zu bedanken.
Andererseits war es ihr gutes Recht, so
aufgelöst zu sein. Es war ihr
schrecklich unangenehm gewesen, ihm so
leicht bekleidet gegenüberzustehen.
Dabei war er mehr daran interessiert
gewesen, seinen Smoking nicht zu
ruinieren, als sie zu retten.
Izzy lachte freudlos und eilte zum Haus
zurück.
Ihr neues Leben - ohne Gabriel Parish
fing ja gut an!
10. KAPITEL
Niemand bemerkte, daß Izzy sich nur
schnell die Haare frottiert hatte, als
sie alle abends beim festlichen
Abschiedsessen am Tisch saßen.
Izzy war die ganze Strecke von der
Lagune zum Haus gelaufen und hatte eine
Blitzdusche genommen. Gabriel war kurz
darauf eingetroffen und war nach ihr ins
Badezimmer gegangen. Im Schlafzimmer
hatte sie sich dann ein eng anliegendes
blaues Chiffonkleid übergezogen, das mit
Silberfäden durchwirkt war und bei jeder
Bewegung glitzerte.
Als Gabriel das Badezimmer verließ und
sein Smokinghemd zuknöpfte, war sie
gerade in silberfarbene hochhackige
Pumps und eine leichte Jacke geschlüpft,
die mit dem Chiffonkleid ein Ensemble
bildete.
Sie hatte genau gemerkt, daß Gabriel
sich über ihren Wirbelwindauftritt
amüsierte, und war ihm dankbar, daß er
sich darüber hinaus jeden Kommentar
sparte.
Es fiel Izzy schwer, sich auf das
erlesene Mahl zu konzentrieren. In
Gedanken war sie noch immer bei den
Ereignissen, die nur eine Stunde
zurücklagen. Sie war äußerst spärlich
bekleidet gewesen, Gabriel hatte sie aus
einer sehr mißlichen Lage befreit, und
sie hatte an seiner Brust gelegen.
Zu allem Überfluß erwartete man nun
auch noch von ihnen, daß sie miteinander
tanzten. Sie mußte Gabriel ansehen, war
sich jedoch nicht sicher, ob sie es sich
zutraute, nach allem, was passiert war.
Die Gesellschaft begab sich nach dem
Essen in den Salon, wo Izzy in einer
dunklen Ecke auf einem Zweisitzer Platz
nahm und hoffte, von Gabriel und ihrem
Gastgeber übersehen zu werden. Hatte
dieser Alptraum denn nie ein Ende? Sie
sehnte sich nach New York zurück.
Irgendwo auf Long Island wollte sie für
ein mittelständisches Unternehmen
arbeiten, möglichst weit entfernt von
Gabriels Büroturm in Manhattan. Am
liebsten wäre ihr ein gelassener, nicht
zu .anstrengender Chef, der nach
Büroschluß um siebzehn Uhr zu Frau und
Kindern heimkehrte. Dann könnte sie sich
ganz darauf konzentrieren, ein neues
Leben anzufangen.
"Da bist du ja."
Sie erschrak, als sie Gabriels Stimme
hörte. Er bot ihr die Hand. "Komm, wir
sollten jetzt tanzen," Er machte eine
unmissverständliche Kopfbewegung in
Richtung Tanzfläche. "Hugo zuliebe. Er
hat sich wieder einmal alle erdenkliche
Mühe gegeben. Wir sollten ihm den
Gefallen tun."
Izzy sah unsicher auf. "Mir ist nicht
nach Tanzen zu Mute."
"Tut dir der Fuß weh?" Gabriel setzte
sich zu ihr auf das kleine Sofa. Ihre
Schenkel berührten sich. Izzy versuchte,
das Gefühl zu ignorieren.
"Hast du große Schmerzen?"
Er konnte ihre Füße nicht sehen, da das
Kleid bodenlang war und sie die Beine
abgewinkelt hatte. "Nein, es ist alles
in Ordnung." Sie ließ den Blick zu Hugo
gleiten, der bei der Band stand. "Ich
will nur möglichst wenig mit dir zu tun
haben, wenn du es unbedingt wissen
willst."
"Wegen heute Nachmittag?"
Izzy zuckte zusammen. Natürlich wegen
heute Nachmittag. Bist du so dumm, oder
tust du nur so? dachte sie aufgebracht,
dann fragte sie ironisch: "Wie kommst du
denn darauf?" Frustriert ballte sie die
Hände zu Fäusten. "Es liegt in meiner
Natur, mich in kaum bekleidetem Zustand
an Felsen zu klammern und mich von
Männern lüstern angaffen zu lassen."
"Gaffen?" flüsterte er. "Ich kann mich
nicht erinnern, dich angegafft zu
haben."
Izzy musterte ihn erbost. "Du kannst
dich nicht erinnern? Das darf ja wohl
nicht wahr sein." Sie wandte sich wieder
ab. "Dein Gedächtnis scheint es dir ja
sehr leicht zu machen."
"Ich habe dich wirklich nicht
angegafft, Izzy."
"Wer's glaubt."
"Wie hätte ich dich retten sollen, ohne
dich anzusehen?"
Sie biß sich auf die Lippe und musterte
ihn kurz von der Seite. Darauf hatte sie
keine Antwort. Natürlich hatte Gabriel
Recht, doch sie würde sich hüten, es
zuzugeben.
"Sehr aufschlußreich, wirklich", sagte
er ironisch. "Nächstes Mal verbinde ich
mir die Augen, damit deine Gefühle nicht
verletzt werden."
Izzy errötete heftig. "Mach dich nur
lustig über mich."
Gabriel stöhnte mißmutig auf. "Ich
mache mich nicht über dich lustig. Es
tut mir Leid, was passiert ist. Es tut
mir Leid, daß ich dich befreien mußte,
als du zufällig gerade kaum etwas
anhattest. Es tut mir Leid, dich
überhaupt mit dieser ganzen
Angelegenheit belästigt zu haben, zumal
ich dich allein mit meiner Anwesenheit
zu belästigen scheine." Obwohl er
flüsterte, verstand sie jedes Wort nur
zu deutlich. "Unglücklicherweise müssen
wir den heutigen Abend auch noch
halbwegs anständig hinter uns bringen.
Wenn du also keine Probleme mit dem Fuß
hast, dann tanz jetzt gefälligst mit
mir. Das erwartet man von uns." ,
"Sehr charmant! Wie kann ich da Nein
sagen?"
Er fluchte unterdrückt. "Also gut,
bitte tanz mit mir."
Das klang noch immer wie ein Befehl.
Was der kann, kann ich schon lange,
dachte Izzy und antwortete: "Bitte scher
dich zum Teufel!"
Aus den Augenwinkeln sah sie Hugo näher
kommen. Die Eheleute Miles drehten sich
ungeschickt zu Walzerklängen auf dem
Tanzparkett, und Gabriel lächelte ihr
zu. Sein Lächeln wirkte erstaunlich
natürlich. Izzy sah auf, als Hugo vor
ihr stand un.d ihr die Hand bot. "Ich
hoffe, es geht Ihnen gut, meine Liebe.
Sie wirken heute Abend etwas abgehetzt."
Sie nahm seine Hand und stand auf.
Wenigstens hatte sie nun eine
Entschuldigung, Gabriel zu entkommen.
"Mir geht es wunderbar, Hugo."
Zu ihrer grenzenlosen Überraschung zog
er sie nicht in seine Arme und tanzte
mit ihr davon, sondern forderte Gabriel
auf, ebenfalls aufzustehen. "Kommen Sie,
tanzen Sie miteinander."
Sowie Gabriel aufgestanden war, legte
Hugo ihre Hand in Gabriels und drückte
sie freundschaftlich, bevor er sie
losließ. "Ich möchte mich gern für Ihre
Bereitschaft bedanken, diese Woche auf
meiner Insel zu verbringen. Es hat mir
viel Freude bereitet, Sie und das
Ehepaar Miles kennen zu lernen. Ich
werde mich in den nächsten vierzehn
Tagen bei Ihnen melden, um Ihnen
mitzuteilen, wen ich mit der
Werbekampagne für meine Babynahrung
beauftragen möchte." Er streichelte Izzy
zärtlich die Wange. "Es würde mich sehr
freuen, Sie und Gabe wieder hier
begrüßen zu dürfen. Am liebsten, wenn
Sie eine kleine Familie sind." Er
lächelte jungenhaft. "Lassen Sie mich
nicht zu lange warten. Ich weiß, wovon
ich spreche. Leider habe ich kostbare
Jahre vertan." In seinen Augen schienen
Tränen zu schimmern.
Izzy empfand tiefes Mitgefühl für
diesen wunderbaren älteren Herrn. Durch
seine unermüdliche Arbeitswut hatte er
so unglaublich viel versäumt. Sie konnte
es nicht ertragen, ihn weiterhin zu
belügen, und war drauf und dran, ihm zu
erzählen, daß Gabriel und sie keineswegs
daran dachten, eine gemeinsame Familie
zu gründen. "O Hugo, wir sind gar
nicht..."
"Herzlichen Dank für Ihre freundliche
Einladung, Hugo", sagte Gabriel schnell
dazwischen. "Und danke für den guten
Ratschlag." Er ließ schnell den Blick zu
Izzy gleiten und sah sie drohend an.
Natürlich wußte er genau, was sie beinah
angerichtet hätte.
Hugo lächelte, offensichtlich war ihm
das wortlose Gefecht zwischen Izzy und
Gabriel entgangen. "Entschuldigen Sie
bitte, daß ich mich einmische, aber ich
bilde mir ein, dazu berechtigt zu sein,
denn ich hege väterliche Gefühle für Sie
beide." Er klopfte Gabriel auf die
Schulter. "So, und nun sehen Sie zu, daß
Sie aufs Tanzparkett kommen!"
Sowie Hugo davonschlenderte, um seiner
Frau Gesellschaft zu leisten, begann die
Band, eine langsame, sinnliche Melodie
zu spielen. Izzy zuckte zusammen, als
Gabriel ihr die Hand um die Taille
legte. Sie musterte ihn vernichtend. "Er
will, daß wir ihn mit unserer Familie
besuchen", sagte sie vorwurfsvoll.
Gabriel wurde ernst, als er sie an sich
zog. "Tanz ... Liebling." Er küßte sie
flüchtig aufs Ohr, bevor er flüsterte:
"Tanz einfach!"
Sie spürte seinen warmen Atem im Haar
und seine Hand im Rücken. Ganz locker
und leicht hielt er sie im Arm und
bewegte sich mit ihr im Takt der Musik,
die für Liebende gedacht war. Ihr brach
es fast das Herz bei dem Gedanken, daß
alles nur gespielt war.
Verzweifelt schloß sie die Augen und
hielt den Atem an, als sie den Kopf an
Gabriels Schulter lehnte. Sie wollte
seinen Duft nicht einatmen, weil sie
befürchtete, dann dahinzuschmelzen.
Seine zärtliche Berührung war schon
aufregend genug. Und dann noch diese
sinnliche Musik!
Natürlich konnte Izzy die Luft nicht
ewig anhalten. Nach einer Minute mußte
sie kräftig einatmen, und natürlich
stieg ihr dabei sein Duft in die Nase.
"Was ist los?" fragte Gabriel, der
gespürt hatte, wie sie tief eingeatmet
hatte.
"Ich hatte die Luft angehalten", gab
sie zu. Warum sie die Wahrheit sagte,
wußte sie selbst nicht genau.
Wahrscheinlich lag es am vorübergehenden
Sauerstoffmangel.
"Warum, um alles in der Welt?" Er
lehnte sich zurück, damit er ihr in die
Augen sehen konnte. "Versuchst du, in
Ohnmacht zu fallen, um dich zurückziehen
zu können?"
Izzy mied seinen Blick und lehnte sich
statt dessen an seine Brust. "Schon gut.
Es war eine dumme Idee."
"Das kann man wohl sagen", schimpfte
er. "Was hast du dir nur dabei gedacht?"
"Ich möchte nicht darüber sprechen."
"Bist du allergisch gegen mein Eau de
Cologne?"
"Schön wär's."
"Wie?"
"Nichts."
"Komm, sag schon. Hat es mit mir zu
tun?"
"Ja", flüsterte sie. "Bist du nun
zufrieden?"
Diesmal schob er sie so weit von sich,
daß er sie forschend betrachten konnte,
"Du liebe Zeit, Izzy." Er wirkte
verblüfft. "Du haßt mich, oder?"
Izzy war traurig und wütend zugleich.
Sie wünschte, sie könnte ihn belügen und
behaupten, daß sie ihn tatsächlich nicht
leiden konnte, doch sie brachte es nicht
übers Herz, weil er wirklich beunruhigt
zu sein schien. Er hatte dies alles
nicht gewollt. Er schätzte sie sehr
als Angestellte. Sein bekümmerter
Gesichtsausdruck brach ihr fast das
Herz. Heftiges Begehren erfasste sie. Am
liebsten hätte sie Gabriel an sich
gezogen und ihm gestanden, wie sehr sie
ihn liebte.
Für Gabriel hatte es immer nur seine
Arbeit gegeben. Dadurch hatte er sich
jede Chance auf eine ernste
Liebesbeziehung verbaut. Für ihn gab es
nur kurze Affären, die ihn nicht allzu
sehr von seinem Beruf ablenkten. Zum
Partner eignete er sich nicht. Izzy
senkte den Blick und hoffte, Gabriel
hatte ihr nicht angesehen, was sie
gerade gedacht hatte. "Nein", antwortete
sie schließlich mit bebender Stimme.
"Ich hasse dich nicht. Aber ich muß
meinen Job bei dir aufgeben. Bitte
versteh mich doch, und finde dich damit
ab", fügte sie beschwörend hinzu.
Als nur langes Schweigen folgte, sah
sie auf. Gabriel beobachtete sie mit
verschlossener Miene. Izzy senkte den
Blick. Sie spürte, daß er zu ergründen
suchte, was in ihr vorging. Verzweifelt
versuchte sie, ihre Gefühle zu
überspielen, damit er die Wahrheit nicht
erahnen konnte.
"Verstehe", sagte er schließlich und
verzog das Gesicht.
Izzy spürte, daß er offenbar endlich
begriffen hatte, warum sie nicht mehr
für ihn arbeiten konnte. Bevor sie etwas
sagen konnte, zog er sie wieder an sich
und tanzte seelenruhig weiter, als wäre
überhaupt nichts geschehen.
Im weiteren Verlauf des Abends war Izzy
melancholisch und verlegen zugleich,
wenn Gabriel ihr liebevoll tief in die
Augen sah und sich auch sonst wie ein
liebender Ehemann benahm. Es brach ihr
fast das Herz.
Am nächsten Morgen wechselten Izzy und
Gabriel kaum ein Wort miteinander. Als
sie im gelben Golfwagen zur Landebahn
fuhren, legte er Izzy den Arm um die
Schultern. "Man könnte annehmen, wir hätten uns gestritten", sagte er an ihrem Ohr. "Lächeln, Izzy! Und du könntest mich auch gern küssen." Sie musterte ihn verblüfft, dann
lächelte sie abweisend. "Kommt nicht in
Frage."
Er ließ sich nicht anmerken, wie sehr
ihre Sturheit ihn ärgerte, und küßte sie
flüchtig auf den Mund. Izzy wurde
schwindlig.
"In meinem ganzen Leben hat es mir noch
keine Frau so schwer gemacht, sie zu
küssen", sagte er leise vor sich hin.
Izzy schmiegte sich an ihn. "Wenn wir
wieder in New York sind, wirst du
bestimmt mehr Glück haben", flüsterte
sie atemlos.
"Hoffentlich."
Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie
Gabriel andere Frauen küßte. Es tat ihr
sehr weh. Verzweifelt versuchte sie, die
tiefe Eifersucht zu unterdrücken, die
sie empfand. Entschlossen atmete sie
tief durch, straffte sich und blickte
stur geradeaus. Was geht es mich an?
dachte sie. Soll er doch tun und lassen,
was er will. Solange ich nicht eine
seiner Geliebten werde! Und das ist
höchst unwahrscheinlich, zumal ich
spätestens morgen aus seinem Leben
verschwunden sein werde.
Zwischen den Bäumen schimmerte die
Landebahn. "Dem Himmel sei Dank",
murmelte Izzy erleichtert.
Gabriel musterte sie forschend, sagte
aber nichts.
Die kleine Band spielte ein
Abschiedslied, als sie die Landebahn
erreicht hatten. Hugo und Clara legten
ihren Gästen mindestens ein halbes
Dutzend Blumenkränze um den Hals. Izzy
wußte, daß Hugo sie alle ins Herz
geschlossen hatte, unabhängig davon, wen
er schließlich mit der Werbekampagne
beauftragen würde.
Ob die Eheleute Miles seine Gefühle
erwidern würden, wenn sie eine Absage
erhielten, war eine andere Frage. Izzy
wagte es zu bezweifeln. Und Gabriel hatte sowieso keine Zeit für Freundschaften. Und sie konnte den Kontakt zu Hugo und Clara auch nicht
aufrechterhalten, weil sie nicht mehr
bei Gabriel arbeiten würde. Außerdem war
ja sowieso alles eine einzige Lüge. Als
Hugo ihr die Blumenkränze um den Hals
legte, drückte Izzy ihn daher spontan an
sich und empfand tiefes Bedauern
darüber, daß sie ihn niemals wieder
sehen würde.
Hugo umfaßte gerührt ihre Hände. "Ach,
Izzy? Clara und ich würden gern bald
wissen, wie Sie Dir erstes Kind nennen
wollen. Ich habe nämlich vor, meiner
Universität eine Kunsthalle zu stiften,
und die würde ich gern nach Ihrem
Kindchen benennen."
Izzy war verstört, nicht nur, weil es
kein Baby geben würde, sondern auch,
weil Hugo noch immer vorgab, im Geld zu
schwimmen. Dabei war er doch fast
mittellos! "Ach bitte ..." Sie war den
Tränen nahe. "Schon gut, Hugo. Ich weiß
von Ihren Geldsorgen. Sie können ganz
offen sein."
"Meine was?" Er musterte sie verblüfft.
"Wer hat Ihnen denn diesen Bären
aufgebunden, Kindchen? Lesen Sie denn
nicht Forbes? Ich will ja nicht angeben,
aber Bill Gates und mich trennen nur
vier andere Milliardäre."
Izzy blinzelte verwirrt. Er mußte doch
wissen, daß es sich ohne weiteres
überprüfen ließe! Merkwürdig war nur,
daß er tatsächlich verblüfft zu sein
schien. "Wirklich?" fragte sie unsicher.
Hugo lachte. "Wirklich! Babys müssen
nämlich ernährt werden, meine Liebe. Und
dankenswerterweise haben sich viele
Eltern für meine Babynahrung
entschieden." Er kniff sie spielerisch
in die Wange. "Also, nicht vergessen,
Izzy, ich möchte gern den Namen Ihres
Babys wissen. Versprochen?"
Na warte, Gabriel Parish! dachte sie
wütend, bevor sie lächelnd zu Hugo Rufus
sagte: "Versprochen." Es war ihr
schrecklich unangenehm, diesen
liebenswerten älteren Herrn wieder
anzuschwindeln. Doch was blieb ihr
anderes übrig?
"Eine Kunsthalle?" rief Izzy, als sie
einige Zeit später in der ersten Klasse
des Linienflugs nach New York saßen, und
funkelte ihn anklagend an.
Gabe wurde noch wütender auf sich
selbst und verachtete sich für seinen
Egoismus. "Woher sollte ich denn wissen,
daß Hugo so etwas Idiotisches vorhat?"
Er schüttelte ratlos den Kopf und sah
aus dem Fenster.
"Ich weiß nicht, ob ich dir die Lüge
verzeihen kann, Hugo sei bankrott."
Gabe fuhr sich verzweifelt durchs Haar.
Was sollte er sagen? Daß es ihm Leid
tue? Tat es aber nicht. Er hatte dafür
sorgen müssen, daß Izzy auf der Insel
blieb, nicht zuletzt, um sie von dem
Entschluß abzubringen, ihre Stelle zu
kündigen. Das war leider mißlungen.
Trotzdem tat es ihm nicht Leid, was er
getan hatte, denn er hatte die Tage mit
Izzy gebraucht. Er wollte ...
"Du hast mich genauso gemein
hintergangen, wie du es mit Hugo getan
hast", sagte sie. "Wahrscheinlich wird
er dir sogar den Auftrag für die
Werbekampagne erteilen." Sie seufzte.
"Es ist alles so unfair."
Gabe schloß die Augen. Unfair? Von
wegen! Die Welt war leider nur zu
gerecht. Oder zahlte er etwa nicht teuer
für seine Schandtaten? Verließ Izzy ihn
oder etwa nicht?
"Ich wünsche Ihnen viel Glück, Mr.
Parish."
Ihr Sarkasmus verletzte ihn. "Nenn mich
nicht so."
"Warum nicht?"
Gabe sah sie an. "Weil du meine Frau
..." Er verstummte. Was redete er da für
einen Unsinn? Das Spiel war doch vorbei.
"Ich meine, nachdem wir einander nackt
... also, nachdem wir zusammen
geschlafen haben ..." Er wußte nicht
weiter. "Verflixt! Ich will sagen, daß
Frauen, die mit mir geschlafen haben,
mich Gabe nennen."
"Wenn das die Voraussetzung für die
Mitgliedschaft im ,Ich habe mit Gabriel
Parish geschlafen'-Club ist, dann
verzichte ich gern darauf. Außerdem
haben wir nicht miteinander geschlafen,
Mr. Parish."
Was soll ich nur tun? dachte er
verzweifelt. Sie denkt gar nicht daran,
weiter für mich zu arbeiten. "Das ist
mir egal. Hauptsache, du redest mich
nicht mit ,Mr. Parish' an."
"Schrei doch noch lauter! Die
Passagiere im Heckbereich möchten sicher
auch wissen, was du zu sagen hast."
Gabe schloß wieder verzweifelt die
Augen. Was ist nur mit mir los?
überlegte er. Es sah ihm nicht ähnlich,
Szenen zu machen. Und er stritt sich
auch nicht mit Angestellten. Außerdem
war er kein Verlierer! Er zählte im
Stillen langsam bis zehn. Wie erschöpft
er war! "Ich will mich nicht mir dir
streiten, Izzy." Er sah sie flüchtig von
der Seite an. "Ich schätze es sehr, was
du alles für mich getan hast. Und ich
möchte, daß du glücklich bist, wie auch
immer du dich entscheidest." Hoffentlich
entschließt sie sich doch noch, bei mir
zu bleiben, dachte er. Das war sein
größter Wunsch.
"Das ist von dir doch sowieso nicht
ernst gemeint", behauptete Izzy.
Gabe betete um Stärke, dann begegnete
er ihrem Blick. In ihren Augen
schimmerten Tränen. Sie wirkte so
unglaublich verloren und schutzlos, daß
er sie am liebsten tröstend an sich
gezogen hätte. Er hatte sie so tief
verletzt, sie ihrer Illusionen beraubt,
daß sie kein Vertrauen mehr zu ihm
hatte. Könnte er es ihr verdenken? Wann
war er das letzte Mal aufrichtig zu ihr
gewesen? Vor einer Woche? Vor einer
Ewigkeit? War es ein Wunder, daß sie ihn
verachtete?
Natürlich hätte er es niemals
zugegeben, doch insgeheim war er sich
bewußt, daß Izzy etwas Besseres verdient
hatte, als sechzehn Stunden am Tag für
einen Arbeitswütigen zu schuften - der
sie über alle Maßen schätzte.
"Doch, ich meine es ernst, Izzy", sagte
Gabe schließlich und umfaßte ihre Hand.
"Ich möchte, daß du glücklich bist." Er
küßte ihre Hand. "Ehrlich." Doch würde
er es wirklich über sich bringen, sie
gehen zu lassen?
Kaum stand das Flugzeug in New York am
Terminal, eilte Izzy auch schon davon.
Sie spürte Gabriels Blick im Rücken. Da
sie nicht vorhatte, das Gepäck in
Empfang zu nehmen, ging sie direkt zum
Ausgang. Gabriel hielt sie fest. "Hier
entlang."
Sie befreite sich energisch aus seinem
Griff. "Ich will zum Taxistand."
Als er sie verblüfft ansah, fügte sie
hinzu: "Das Gepäck gehört mir nicht.
Mach damit, was du willst."
Gabriel schien verzweifelt zu
überlegen, wie er sie umstimmen könnte.
"Aber du bleibst, doch noch zwei Wochen
bei mir, damit ich Zeit habe, einen
Ersatz zu finden, Izzy?"
Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Er
wußte doch genau, daß sie sofort
wegwollte. Nun versuchte er mit allen
Mitteln, sie zum Bleiben zu bewegen.
Während der zwei Wochen würde er sie mit
seinem Charme einzuwickeln versuchen,
dann würde er sie bitten, weitere zwei
Wochen zu bleiben, und dann ...
Izzy biß sich auf die Lippe. Es war
schrecklich, wie viel Macht er über sie
hatte. Vergeblich versuchte sie, seinem
eindringlichen Blick auszuweichen. Nach
einigen Sekunden höchster Anspannung sah
sie, wie er zu lächeln begann.
Gabriel nahm ihre Hand. "Wunderbar!
Gutes Mädchen!" Er zog sie zur
Gepäckausgabe, während er die ganze Zeit
beschwörend auf sie einredete und ihr
den Eindruck zu vermitteln suchte, er
würde sie nach Ablauf der beiden Wochen
tatsächlich gehen lassen. Aber sie sei
es ihm einfach schuldig, bis dahin noch
bei ihm zu bleiben. Das sei nur fair.
Fair? dachte Izzy. Ganz im Gegenteil.
Es war ausgesprochen unfair. Nun mußte
sie noch länger warten, bevor sie
endlich ein neues Leben anfangen konnte.
Das kommt überhaupt nicht in Frage,
befand sie. Sie dachte gar nicht daran,
sich wieder von ihm einwickeln zu
lassen.
"Nein!" Izzy befreite sich aus seinem
Griff. "Das mache ich nicht mit. Ich
gehe jetzt." Sie drehte sich auf dem
Absatz um und strebte dem Ausgang zu.
Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Es war
ihr egal. Ich will endlich wieder ich
selbst sein, dachte sie entschlossen.
Und ich möchte einen Mann finden, der
mich liebt und mit dem ich Kinder haben
kann. Warum darf ich nicht endlich
glücklich sein?
"Izzy." Seine Stimme klang tief und
rauh.
Er braucht mich wirklich, dachte Izzy
erstaunt. Aber nur als Assistentin.
"Bitte verlaß mich nicht."
Sie stolperte. Wie gern hätte sie ihrem
Gefühl nachgegeben und sich umgedreht,
doch ihr Verstand ließ es nicht zu.
Gabriel spielt mir wieder etwas vor,
dachte sie. In Wirklichkeit ist er so
tiefer Gefühle gar nicht fähig. Und doch
klang er richtig verzweifelt. Er ist und
bleibt ein guter Schauspieler, überlegte
sie und ballte die Hände zu Fäusten. Ich
darf jetzt nicht nachgeben, beschwor sie
sich. Er darf mich nicht noch einmal
einwickeln. Diesmal bleibe ich stark.
Izzy begann zu laufen - aus dem
Flughafengebäude und aus Gabriel Parishs
Leben.
11. KAPITEL
Gabe rieb sich die Augen und streckte
sich, bevor er sich in seinem bequemen
Chefsessel zurücklehnte. Er runzelte die
Stirn und klopfte sich nachdenklich mit
dem Zeigefinger auf den Mund. Wieso nur
konnte er sich einfach nicht
konzentrieren? Seit Izzy ihn vor zwei
Wochen verlassen hatte, brachte er
nichts Vernünftiges mehr zu Stande. Zum
Glück hatten seine Kunden es noch nicht
bemerkt. Es gelang ihm noch immer, jeden
mit seinem Charme einzuwickeln.
Gabe atmete tief durch. Nur bei Izzy
hatte er versagt. Irgendwann hatte er zu
zählen aufgehört, wie viele Nachrichten
er auf ihren Anrufbeantworter gesprochen
hatte. Was hatte er ihr nicht alles
angeboten, wenn sie nur zu ihm
zurückkäme. Doch sie hatte sich nicht
gemeldet.
Nicht ein einziges Mal!
Gabe lächelte vor sich hin. Izzy
Peabody war wirklich sehr eigenständig
und unabhängig. Jedenfalls konnte er
sich nicht vorstellen, daß sie jemals
mit einer anderen Frau um ihn kämpfen
würde. Er war zweimal Zeuge eines
solchen Vorfalls geworden, und es war
wirklich kein schöner Anblick gewesen.
Und doch wünschte er sich im Moment
nichts sehnlicher, als daß Izzy Peabody
auf eine Nebenbuhlerin losginge, nur
weil diese ihm einen aufreizenden Blick
zugeworfen hatte.
Das darf ja wohl nicht wahr sein,
dachte er. Reiß dich gefälligst
zusammen, Gabriel Parish! Er ließ den
Blick über das zerknüllte Papier
gleiten, das überall auf dem
Schreibtisch herumlag. Ihm fiel einfach
nichts Originelles ein.
Dann bemerkte einen gepolsterten
Briefumschlag. Er wußte genau, was sich
darin befand, und ärgerte sich, daß er
sich dessen nicht schon längst entledigt
hatte. Gabe ließ den Inhalt in seine
Hand gleiten. Nachdenklich betrachtete
er den goldenen Ring, den er Izzy vor
ihrer Ankunft auf Tranquillity Island
angesteckt hatte. Sie hatte ihn
kommentarlos zurückgeschickt.
Was hatte er denn erwartet? Sie waren
ja kein richtiges Paar gewesen, sondern
hatten nur eine Show abgezogen.
Der Ring fühlte sich kalt in seiner
Hand an. So kalt und abweisend, wie Izzy
ihn behandelt hatte.
"Bist du verrückt, Parish?" Wütend ließ
Gabe den Ringen der obersten
Schreibtischschublade verschwinden.
"Konzentrier dich aufs Geschäft. Sie ist
passe. Gewöhn dich daran!"
"Sir?"
Er sah erschrocken auf. Izzys
Nachfolger, Bill Beacroft, stand
plötzlich vor ihm. Er hatte die Figur
eines Footballspielers, war um die
dreißig Jahre alt und außerordentlich
tüchtig. Er, Gabe, war sehr zufrieden
mit ihm. Leider war er nicht Izzy. Sie
fehlt mir so schrecklich, dachte er
traurig.
"Was ist denn, Beacroft?" fragte er
müde.
"Es ist Mr. Rufus auf Leitung eins. Sie
haben doch schon auf seinen Anruf
gewartet."
Gabe fühlte sich leicht unbehaglich.
Der Moment der Wahrheit war gekommen.
"Danke, Beacroft." Er reichte seinem Assistenten einen Stapel Computerausdrucke. "Hier sind meine Änderungen. Bitte geben Sie sie in die
Datei ein, bevor Sie Feierabend machen."
"Gern, Sir."
Als Beacroft das Büro verlassen hatte,
betrachtete Gabe das Telefon. Er fühlte
sich seltsam leer. Er wußte, daß Hugo
ihm den Auftrag für die Werbekampagne
erteilen würde, konnte sich jedoch
überhaupt nicht darüber freuen. Lustlos
nahm er den Hörer ab. "Hallo, Hugo. Wie
geht es Ihnen?"
"Bestens, mein Junge, bestens."
Gabe lehnte sich zurück. Er wünschte,
er wäre auch so guter Laune wie Hugo.
Doch leider war er seit zwei Wochen
gedrückter Stimmung. "Das hört man,
Hugo."
"Ja, danke, mein Junge. Sie hören sich
allerdings erschöpft an."
Gabe schloß die Augen und dehnte seine
Nackenmuskeln. "Das liegt sicher an der
Leitung", behauptete er.
"Dann bin ich ja beruhigt."
Es trat eine kurze Gesprächspause ein.
Nun mach schon, Hugo, dachte Gabe.
Bringen wir es hinter uns.
"Sie ahnen sicher, warum ich anrufe?"
fragte Hugo schließlich.
"Ja." Gabe verspürte ein dumpfes Pochen
in den Schläfen -das sichere Anzeichen
für heftige Kopfschmerzen. "Hören Sie,
Hugo..."
"Sie haben den Auftrag, mein Sohn",
unterbrach Hugo ihn aufgeregt. "Ich muß
Ihnen ein großes Kompliment machen. Wenn
die Eltern sich meine Babynahrung jetzt
nicht förmlich aus den Händen reißen,
dann werfe ich meine T-Shirts mit den
witzigen Slogans weg."
"Das wäre sehr schade", antwortete Gabe
müde. Warum muß der Mann so fröhlich
sein? überlegte er. Wieso ist er sich so
sicher, daß ich ein ehrenwerter
Geschäftsmann bin? Ehrenwert! Daß ich
nicht lache. Er schüttelte mißmutig den
Kopf.
"Was passiert nun, mein Junge? Wann
fangen Sie mit der Werbekampagne an?"
Gabe rutschte unruhig auf seinem
Chefsessel hin und her. "Hören Sie,
Hugo, ich muß Ihnen etwas sagen."
"Ja?" fragte Hugo leicht beunruhigt.
"Es ist doch hoffentlich nichts mit
Izzy."
Gabe verzog das Gesicht. Es war alles
noch schlimmer, als er es sich
vorgestellt hatte. "Ich muß Ihnen reinen
Wein einschenken, Hugo. Ich bin nicht
mit Izzy verheiratet und war es auch
nie." Er atmete tief durch. "Izzy trifft
keine Schuld. Ich habe sie da mit
hineingezogen. Sie hat sich mit Händen
und Füßen gewehrt. Izzy ist
grundanständig." Er lächelte humorlos.
"Ich bin der Lügner und Betrüger, und
deshalb kann ich Ihren Auftrag auch
nicht annehmen." Er schluckte. "Roger
wird seine Sache sicher auch gut
machen."
Die Gesprächspause, die nun eintrat,
dauerte so lange, daß Gabe schon
befürchtete, Hugo könnte tot umgefallen
sein. "Hugo?" fragte er besorgt, "Sind
Sie noch da?"
"Ja", antwortete der ältere Herr ernst
und traurig. "Ich bin noch da."
Das wiederum war ihm auch ein Rätsel.
Warum hatte Hugo nicht einfach
aufgelegt? Vielleicht will er mir eine
Gardinenpredigt halten, überlegte Gabe.
Auch gut, verdient habe ich es ja.
"Was bedeutet Izzy Ihnen?" Die Frage traf Gabe völlig unvorbereitet. "Sie ist ... sie war meine Direktionsassistentin." "War?"
"Sie hat gekündigt."
Minutenlanges Schweigen. "Warum?"
"Warum?" Was war denn das für eine
Frage? Wieso beschimpfte Hugo ihn nicht,
statt sinnlose Fragen zu stellen? Ach
so, jetzt verstand er, was Hugo meinte.
"Sie war wütend auf mich wegen der
Vorspiegelung falscher Tatsachen."
"Das tut mir Leid."
Gabe zuckte die Schultern. Was tat Hugo
Leid? Daß Izzy und er, Gabe, nicht
verheiratet waren? Daß sie gekündigt
hatte? Das er ein Lügner war? Oder daß
nun Roger den Auftrag bekommen würde?
Eigentlich war es auch egal. "Ja, mir
auch", antwortete er daher müde.
"Es wäre aber keine schlechte Idee,
mein Junge. Jedenfalls habe ich diesen
Eindruck gewonnen."
Nun war Gabe völlig verwirrt. Die
Kopfschmerzen wurden zudem immer
stärker. "Wie bitte?"
"Es wäre keine schlechte Idee, mit ihr
verheiratet zu sein." Sprach's und legte
den Hörer auf.
Gabe war fassungslos. "Hugo? Hallo?"
Nichts.
Also legte auch er den Hörer auf die
Gabel. Was war das denn gerade gewesen?
Hugo schien verstörter über die Tatsache
gewesen zu sein, daß Izzy und er nicht
verheiratet waren, als darüber, daß er
ihm eine Komödie vorgespielt hatte. Dann
habe ich den Auftrag wohl noch immer in
der Tasche, dachte Gabe.
Der Mann war wirklich exzentrisch! Es
wäre keine schlechte Idee, mit ihr
verheiratet zu sein ... Haha! Hugo Rufus
mußte verrückt sein. Hatte er etwa
andeuten wollen, daß er, Gabe, und Izzy
ineinander verliebt waren? Klar, sie
macht sich so viel aus mir wie aus
kaltem Kaffee, du alter Narr!
Gabe lehnte sich zurück und preßte die
zu Fäusten geballten Hände gegen die
pochenden Schläfen.
Izzy hätte es mit ihrem neuen Job nicht
besser treffen können.
Mr. Castle war ein liebenswerter,
rundlicher, stets gut gelaunter Chef,
der sehr an seiner Frau und seinen vier
Töchtern hing und darauf bestand, daß
all seine Angestellten pünktlich um fünf
Uhr Feierabend machten. .
Das mittelständische
Maschinenbauunternehmen befand sich in
einem zweigeschossigen Gebäude mitten
auf Long Island und lag nur fünfzehn
Minuten von ihrer Wohnung entfernt.
Plötzlich hatte sie mehr Freizeit als je
zuvor und wußte kaum, was sie damit
anfangen sollte.
In der Firma hatte sie verschiedene
nette Männer kennen gelernt, die sie
bereits eingeladen hatten. An diesem
Abend dinierte sie mit einem von ihnen,
John Geary, in einem eleganten
Restaurant am Times Square in Manhattan.
Es war erst sieben Uhr, doch sie hatten
beschlossen, früh zu Abend zu essen,
weil sie anschließend eine Vorstellung
am Broadway ansehen wollten.
Eigentlich hätte sie überglücklich über
die Entwicklung der Dinge sein müssen.
Doch leider war sie es nicht. Izzy rang
sich ein Lächeln ab. Der gut aussehende,
amüsante John bemühte sich sehr um sie.
Er erzählte eine humorvolle Anekdote
nach der anderen. Offensichtlich hatte
er sich vorgenommen, sie im Sturm zu
erobern.
So einfach ist das leider nicht, dachte
Izzy traurig und sah aus dem Fenster. Es
wurde noch einige Zeit dauern, bis sie
Gabriel Parish endgültig vergessen
hatte. Es war ja erst einen Monat her,
seit sie ihren Job bei ihm gekündigt
hatte.
"Schmeckt Ihnen das Huhn Moghlai mit
Korianderchutney nicht?"
Izzy sah erschrocken auf. Erstaunlich,
daß John sich die Bezeichnung ihres
Hauptgangs gemerkt hatte!" Sie hatte
bereits vergessen, daß es sich um Huhn
handelte. "Doch, es ist ganz köstlich."
Sie nahm eine Gabel voll und kaute
genüßlich.
Als John fortfuhr, seine Anekdote zu
erzählen, bemühte Izzy sich, eine
aufmerksamere Zuhörerin zu sein. Dabei
malte sie sich aus, wie ihr Begleiter
wohl in fünf oder zehn Jahren sein
würde. Wahrscheinlich ein Snob, der sich
etwas auf seine Weinkenntnisse
einbildete und moderne Kunst sammelte.
Momentan war er ja ganz amüsant, aber
verlieben könnte sie sich nicht in ihn.
"Entschuldigung! Ich glaube, die gehört
dir."
Ein kalter Schauder lief ihr über den
Rücken. Diese Stimme kannte sie nur zu
gut! Sie atmete tief durch und wandte
sich um. Ihr Herz klopfte sofort
schneller. Er war es tatsächlich!
Gabriel Parish stand an ihrem Tisch und
hielt ihr die Serviette hin, die ihr
offensichtlich vom Schoß geglitten war.
Izzy war überwältigt von seinem
Anblick. Es war fast kriminell, so
unendlich attraktiv zu sein! Hingerissen
ließ sie den Blick über ihn gleiten.
Seine - wie immer untadelige - Kleidung
bestand aus einem beigen Jackett mit
Fischgrätmuster und einer braunen Hose.
Dazu trug er ein blütenweißes Hemd und
eine Krawatte von der Farbe seiner
Augen. Izzy betrachtete ihn in stummer
Bewunderung. Es wollte ihr einfach nicht
gelingen, den Blick von ihm zu
abzuwenden.
"Hallo, Izzy", sagte er und sah ihr
tief und ernst in die Augen.
Beim Klang seiner wunderbaren sonoren
Stimme kam sie wieder zu sich. "Oh ...
hallo ... Gabe." Ihre Hand zitterte, als
Izzy ihm die Serviette abnahm. "Vielen
Dank."
Gabriel nickte und ließ den Blick zu
ihrem Begleiter schweifen. "Willst du
uns nicht vorstellen?"
Izzy sah ihren Kollegen an. Sie hatte
ihn völlig vergessen. "Doch, natürlich
... selbstverständlich." Sie räusperte
sich, um Zeit zu gewinnen. Wie hieß der
Mann doch gleich? Sie hatte keine
Ahnung. Dabei hatte sie sich gerade noch
an seinen Namen erinnert. Plötzlich ließ
ihr Gedächtnis sie im Stich. Sie
lächelte unsicher und räusperte sich
wieder. Das Lächeln ihres Begleiters
wurde langsam etwas angestrengt.
"Gabriel Parish, ich möchte dir gern
..." Izzy hüstelte. Verflixt, wie hieß
der Mann nur? Bill? Bob? John? John!
"Ja, also, ich möchte dir gern John
vorstellen." Ihr erleichterter Tonfall
verriet, daß sie sich gerade erst in
dieser Sekunde an den Namen erinnert
hatte. "Ja, John", wiederholte sie. Als
sie seinen Nachnamen hinzufügen wollte,
fiel ihr wieder nichts ein. Sie zuckte
entschuldigend die Schultern.
Ihr Tischpartner schien nicht besonders
entzückt über ihre Vorstellung, machte
jedoch gute Miene zum bösen Spiel und
reichte Gabriel die Hand. "Geary",
stellte er sich vor. "John Geary."
"Tut mir schrecklich Leid, John", sagte
Izzy. Der Vorfall war ihr furchtbar
peinlich, zumal der arme Mann sich sogar
an die Bezeichnung ihres Abendessens
erinnert hatte, und ihr fiel nicht
einmal sein Name ein. "Ich bin nur etwas
..."
"Vergeßlich?" schlug Gabriel kurz
angebunden vor. Plötzlich schien sie es
sich mit beiden Männern verdorben zu
haben. "Ich habe dir einige Male auf den
Anrufbeantworter gesprochen, Izzy. Warum
hast du dich nie gemeldet?"
Sie lächelte ihrem Begleiter
entschuldigend zu. "Gabriel ist... er
war mal mein Chef", erklärte sie John,
bevor sie sich wieder Gabriel zuwandte.
Sicherheitshalber mied sie jedoch seinen
Blick, als sie sagte: "Vielen Dank für
das Interesse, aber ich habe schon einen
neuen Job gefunden."
Als er nicht gleich reagierte, sah sie
auf. Er lächelte, doch in seinem Blick
spiegelte sich Feindseligkeit.
"Hauptsache, du bist glücklich."
"Ja, sehr", behauptete Izzy viel zu
schnell. "Ich habe um fünf Uhr
Feierabend, und ich brauche nur fünfzehn
Minuten bis zu meinem neuen
Arbeitsplatz." Bitte geh endlich! fügte
sie im Stillen hinzu. Warum mußt du hier
herumstehen und mir den Kopf verdrehen,
Gabriel Parish?
"Meinen Glückwunsch." Gabriel wandte
sich ihrem Begleiter zu. "War nett, Sie
kennen gelernt zu haben, John. Bis
dann."
Sekundenlang sahen Izzy und Gabriel
sich an, dann war er verschwunden. Nur
der Duft seines Bau de Gologne hing noch
in der Luft. Obwohl Izzy sich
strengstens ermahnte, sich nicht
umzudrehen, um festzustellen, mit
welcher Schönheit er sich die Zeit
vertrieb, tat sie es doch. Zu ihrer
grenzenlosen Erleichterung setzte
Gabriel sich an einen Tisch, an dem nur
Männer saßen. Sie atmete auf. Erst jetzt
bemerkte sie, daß sie die Luft
angehalten hatte. Und in diesem Moment
wurde sie sich der furchtbaren,
schmerzlichen Wahrheit bewußt: Sie würde
Gabriel Parish weder in sechs Monaten
noch in sechs Jahren, wahrscheinlich
nicht einmal in sechzig Jahren vergessen
haben!
Diese Erkenntnis traf sie wie ein
Blitzschlag. Izzy wurde heiß und kalt,
sie bekam kaum Luft, und das Restaurant
erschien ihr plötzlich eng und stickig.
Wie, um alles in der Welt, sollte sie
ein neues Leben beginnen, wenn Gabriel
Parish ihr das Herz gestohlen hatte?
Es war hoffnungslos. Deprimiert wandte
sie sich wieder ihrem Begleiter zu.
Trotzdem gelang es ihr, sich ein Lächeln
abzuringen. Seinem gequälten Blick
entnahm sie, daß John es aufgegeben
hatte, sie für sich zu gewinnen. Aber
das war ihre geringste Sorge.
Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als
Izzy den breitschultrigen Mann vor dem
Aufzug der Maschinenbaufirma stehen sah.
Als sie näher kam, drehte der Mann sich
halb um, und sie mußte enttäuscht
feststellen, daß er im Profil kaum noch
Ähnlichkeit mit Gabriel Parish hatte.
Jedesmal, wenn sie Evan Page von hinten
sah, der einer der Projektmanager in
ihrer neuen Firma war, verspürte sie ein
Kribbeln. Sie ärgerte sich selbst
darüber, aber von hinten sahen Gabriel
und er sich wirklich zum Verwechseln
ähnlich.
Inzwischen war eine Woche vergangen,
seit sie Gabriel im Restaurant getroffen
hatte. Die Woche hatte sich schier
endlos in die Länge gezogen und war
alles andere als erfreulich gewesen.
Izzy hatte verzweifelt zu überspielen
versucht, wie sehr die Begegnung mit
Gabriel sie aufgewühlt hatte. Doch ihre
Gedanken kreisten fast ständig um ihn.
Evan schien gespürt zu haben, daß er
beobachtet wurde, und drehte sich um.
Sein etwas grob geschnittenes Gesicht
hatte keinerlei Ähnlichkeit mit
Gabriels. Außerdem trug er einen
Schnurrbart, der seinen Mund verbarg.
Nun lächelte Evan ihr entgegen. "Hallo,
Iz. Sind Sie bereit für die wöchentliche
Sitzung?"
Izzy versuchte verzweifelt, sich lässig
zu geben. "Klar. Ich mußte nur noch
einige Unterlagen für die Teilnehmer
kopieren."
Als Evan einen Blick auf seine
Armbanduhr warf, bemerkte Izzy, wie
muskulös seine Arme waren.
Offensichtlich besuchte er regelmäßig
ein Fitneßcenter. Er hatte wirklich eine
gute Figur. Leider war er nicht ein
gewisser Gabriel Parish.
Die Aufzugtür öffnete sich, und Izzy
und Evan fuhren in den zweiten Stock, wo
der Konferenzraum lag. Sie gingen an
vielen kleinen Büros vorbei, bis sie das
Sitzungszimmer erreicht hatten, das
unmittelbar neben Mr. Castles Zimmer lag
und Platz für acht Abteilungsleiter,
Izzy und den Boß der Firma bot.
Mr. Castle leitete die wöchentliche
Sitzung, bei der die unterschiedlichen
Projekte besprochen wurden, mit viel
Humor. Izzy schätzte ihn sehr, und die
Sitzungen machten ihr nichts aus, selbst
wenn sie stets an einem Freitag
stattfanden. An diesem Freitag jedoch
wollte sie so schnell wie möglich nach
Hause. Sie hatte sich vorgenommen, das
Badezimmer neu zu tapezieren. Diese
Aufgabe würde sie zumindest eine Weile
von ihrer Sehnsucht nach einem gewissen
Gabriel Parish ablenken.
Izzy sah auf ihre Armbanduhr. Es war
halb fünf. Mr. Castle würde die Sitzung
sicher pünktlich um fünf Uhr beenden.
Schließlich hatte er das bisher immer
getan.
"Izzy Peabody?"
Sie sah auf. Seltsam, sie hätte
schwören können, Gabriels Stimme gehört
zu haben. War es wirklich schon so weit
mit ihr gekommen?
Mr. Castle räusperte sich. "Miss
Peabody", sagte er ruhig. "Sie haben
Besuch."
Verwirrt sah sie ihren Chef an. Er
machte eine Kopfbewegung in Richtung
Tür. Es war mucksmäuschenstill im
Sitzungszimmer. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Alle Anwesenden sahen zur Tür. Izzy wandte sich langsam um. Ihr Herz
begann, schneller zu klopfen. Er kann
gar nicht hier sein, dachte sie. Ich muß
seine Stimme verwechselt haben. Was
sollte er denn in Mr. Castles Firma
machen? Noch dazu um diese Uhrzeit?
Höchst unwahrscheinlich! Und trotzdem
sah sie sich hoffnungsvoll um.
Sie traute ihren Augen kaum. An der Tür
stand ein Mann, der genauso aussah wie
Gabriel Parish - von vorn! Er war wie
einer der Angestellten ihrer neuen Firma
gekleidet und trug eine cremefarbene
Hose und ein grünes Polohemd. Die Hände
hatte er in die Hosentaschen geschoben,
und er sah sie forschend an - mit grünen
Augen. Gabriel hatte auch grüne Augen.
"Was können wir für Sie tun, Mr.
Parish?"
Izzy zuckte zusammen, als ihr Chef den
Namen erwähnte. Dann sah sie also keine
Gespenster? Mr. Castle hatte ihn
erkannt. Anscheinend wußten alle
Anwesenden, wer der Besucher war.
Gabriel war ja auch bekannt genug. Aber
was wollte er hier? War er darauf aus,
eine Werbekampagne für das
Maschinenbauunternehmen zu entwickeln?
Wohl kaum. Mr. Castle würde sich
Gabriels Honorar nicht leisten können.
"Ich würde gern mit Miss Peabody
sprechen. Unter vier Augen, wenn es
möglich ist."
Izzy atmete tief durch. Konnte es denn
sein, daß ...? Nein, völlig unmöglich.
Das wäre ja verrückt.
"Mit mir?" fragte sie mit bebender
Stimme.
Gabriel nickte und lächelte verlegen.
"Unter vier Augen."
"Selbstverständlich." Mr. Castle stand
auf und ging um den mit Unterlagen
übersäten Tisch herum. "Das ist
überhaupt kein Problem, Mr. Parish. Wir
waren sowieso fast fertig." Er umfaßte
ihre Hand und zog Izzy hoch. "Gehen Sie
ruhig, Miss Peabody. Wir kommen sicher
vorübergehend ohne Sie zurecht."
Izzy konnte Gabriel nur verwirrt
ansehen. Erst jetzt fiel ihr auf, daß er
zwar Schuhe trug, jedoch keine Socken.
Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich! So
gelassen wie möglich fragte sie: "Warum
bist du nicht im Büro?"
Er kam langsam auf sie zu. Wie sehr sie
seinen Gang liebte! Als Gabriel nur noch
einen Schritt von ihr entfernt stand,
wich sie zurück. Weit kam sie nicht,
denn der Tisch stand im Weg.
"Ich möchte dich gern um einen Gefallen
bitten", sagte er leise.
Sie atmete seinen Duft ein und hätte
sich am liebsten in seine Arme
geschmiegt. Um ihre Gefühle zu
überspielen, fragte sie burschikos: "Was
ist los? Brauchst du mal wieder eine
Ehefrau für eine Woche?"
Gabriel ließ langsam den Blick über sie
gleiten, betrachtete ihr lockiges Haar,
das Sommerkleid, die Sandaletten. Dann
sah er ihr in die Augen und kam noch
einen Schritt näher. "Ich fürchte, ja."
Bevor sie richtig erfassen konnte, was
passierte, lag sie schon in seinen
Armen. "Und auch für die darauf folgende
Woche ..." flüsterte er zwischen Küssen.
Izzy war hin- und hergerissen zwischen
überwältigender Freude und Angst, doch
sie konnte seinen Liebkosungen einfach
nicht widerstehen. Sie hatte sich so
lange danach gesehnt, von ihm geküßt zu
werden, seine zärtlichen Berührungen zu
spüren. Wie viele Nächte hatte sie wach
im Bett gelegen und sich danach
gesehnt...
"Nein!" Izzy schob ihn von sich. So
schwer es ihr auch fiel, sie mußte stark
bleiben. "Kommt nicht in Frage. Noch
einmal lasse ich mich nicht einwickeln.
Und wenn es um den größten Werbeetat der
Welt gehen würde." Sie versuchte, sich
aus seiner Umarmung zu befreien. "Laß
mich los!"
"Würdest du es dir anders überlegen,
wenn meine Bitte auch Haus, Kinder und
einen Ehemann umfassen würde, der nicht
mehr ohne dich leben kann?"
"Ach, laß mich doch in Ruhe mit deinen
falschen ..." Izzy verstummte und
runzelte die Stirn. Der Ausdruck in
seinen Augen hatte sich völlig
verändert. Sein Blick wirkte auf einmal
sanft und verletzlich. Sie versuchte zu
erfassen, was Gabriel gerade gesagt
hatte. Das ergab doch keinen Sinn! Was
war das? Ein Haus, Kinder, ein Mann, der
nicht mehr ohne dich leben kann?
Merkwürdig, das klang ja fast wie eine
... Nein, das war ganz und gar unmöglich. Oder konnte es doch wahr sein? Ein kleiner Hoffnungsschimmer glomm in
ihr. Sicherheitshalber fragte sie noch
einmal nach. "Was ... was hast du gerade
gesagt?"
Gabriel begann zu strahlen. "Ich
möchte, daß du meine Frau wirst, Izzy",
sagte er leise. "Diese Woche, nächste
Woche und alle anderen Wochen. Bitte
heirate mich. Ich möchte bei dir sein,
wenn unsere Kinder aufwachsen und unsere
Enkelkinder und unsere Urenkel."
Izzy sah ihn fassungslos an. Sie hatte
seine Worte gehört, konnte sie jedoch
nicht erfassen, denn sie war völlig
verwirrt. Sie schüttelte den Kopf. Was
war nur mit ihr los? Warum konnte sie
nicht klar denken? Was hatte Gabriel
gesagt?
"Izzy, ich weiß seit Jahren, daß du
unentbehrlich für mich bist. Mir war nur
nicht bewußt, wie unentbehrlich: Bis du
mich verlassen hast." Er küßte sie
zärtlich. "Ich liebe dich."
Die Männer am Konferenztisch flüsterten
miteinander. Izzy bemerkte es gar nicht.
Sie war viel zu überwältigt.
Ich liebe dich. Hatte er das wirklich
gesagt?
"Du ... du hast es tatsächlich gesagt",
flüsterte sie ergriffen. "Laut und
deutlich. Und vor Zeugen."
Gabriel sah ihr tief in die Augen.
"Heißt das, du sagst Ja?"
Nun endlich schmiegte Izzy sich
zärtlich an ihn. Sie atmete tief durch.
"Ja. Ja, Liebster. Ich liebe dich schon
so lange."
Sein Lächern war überwältigend. "Dann
sollten wir jetzt gehen. Wenn ich mich
recht entsinne, möchtest du eine große
Familie haben."
Im nächsten Moment hob er sie hoch und
ging mit ihr davon. Im Weggehen rief er
Mr. Castle noch zu: "Miss Peabody
kündigt. Ich schicke Ihnen eine
Vertretung. Der Mann leistet
ausgezeichnete Arbeit."
Neun Monate und drei Tage später
erblickte Izzys und Gabriels erste
Tochter an einem sonnigen Märznachmittag
das Licht der Welt. Wenige Monate später
wurde die Kunsthalle eröffnet, die Hugo
seiner Universität gespendet hatte. Sie
trug den Namen Dora Isabel Parish. Nach
der feierlichen Eröffnung flog die
kleine Dorie mit ihren Eltern auf die
paradiesische Insel ihres Patenonkels
und ihrer Patentante. Und nach ihr ihre
vier kleinen Geschwister. Sie alle waren
ausgesprochen muntere, glückliche,
gesunde Babys.
Und schließlich begriff auch Gabriel
den wahren Sinn des Lebens. Für ihn
bestand er in seiner geliebten Frau,
seinen entzückenden Kindern und in der
tiefen Liebe, die sie füreinander empfanden. -ENDE