Sylvia Haas (Hrsg.) Niedermolekulare Heparine Bewährte Indikationen und neue Einsatzmöglichkeiten
Sylvia Haas (Hrsg.)
Niedermolekulare Heparine Bewährte Indikationen und neue Einsatzmöglichkeiten
IV
Sylvia Haas (Hrsg.) Niedermolekulare Heparine Prof. Dr. med. Sylvia Haas Institut für Exp. Onkologie und Therapieforschung TUM Ismaninger Straße 22 81675 München
ISBN-10 3-540-24503-0 Springer Medizin Verlag Heidelberg ISBN-13 978-3-540-24503-2 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2006 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Umschlaggestaltung: deblik, Berlin Satz: Hilger VerlagsService, Heidelberg Druck: Printer Trento, Trento (Italien) Gedruckt auf säurefreiem Papier
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18/5135/DK – 5 4 3 2 1 0
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Vorwort
Für die Prophylaxe und Therapie venöser Thromboembolien werden heute vor allem die niedermolekularen Heparine empfohlen. In diesem Buch wird dargelegt, auf welche wissenschaftlichen und klinischen Erkenntnisse sich diese Empfehlung bei den bereits bewährten Indikationen stützen kann. Abseits vom Themenkreis venöser Thromboembolien werden weitere Einsatzmöglichkeiten der niedermolekularen Heparine behandelt. Zur Diskussion werden auch neue, aber jetzt bereits absehbar bald zu realisierende Indikationen gestellt. So ist zum Beispiel zu erwarten, dass die niedermolekularen Heparine wegen ihrer pharmakologischen Vorzüge zukünftig auch bei weiteren Indikationen im arteriellen Bereich oder zur Überbrückung einer oralen Antikoagulation mit Kumarinderivaten bei interventionellen Eingriffen eingesetzt werden. Einleitende Kapitel zur Gerinnungsphysiologie, Pathophysiologie und Pharmakologie von niedermolekularen Heparinen sollen es den Lesern dieses Buches ermöglichen, die wesentlichen wissenschaftlichen Grundlagen für die Wirkung dieser Substanzen kennenzulernen. Abschließende Beiträge befassen sich mit den gerade heute so wichtig gewordenen Überlegungen zur Wirtschaftlichkeit des Einsatzes von niedermolekularen Heparinen. Dieses Buch beschränkt sich inhaltlich auf die Einsatzmöglichkeiten von niedermolekularen Heparinen und ist daher nur als Ergänzung zu umfassenderen einschlägigen Lehrbüchern der Hämostaseologie gedacht. Ausgewiesene Experten haben als Mitautoren ganz wesentlich zur Realisierung dieses Buches beigetragen. Ihnen darf ich für die exzellent und zeitgerecht verfassten Beiträge sehr herzlich danken. Die in den Beiträgen ausgewiesene Kompetenz wird sicherlich dazu beitragen, dass der Einsatz von niedermolekularen Heparinen sowohl derzeit als auch zukünftig, eventuell dann mit neu hinzugekommenen Indikationen, fachgerecht erfolgt. Der Firma Sanofi-Aventis sind wir für die großzügige finanzielle und organisatorische Unterstützung zu großem Dank verpflichtet. Der außergewöhnliche und unermüdliche Einsatz von Herrn Dr. Carsten Kienitz hat ganz entscheidend zur Realisierung des Buches beigetragen. Im Namen aller Mitautoren darf ich auch dem Springer Verlag unseren Dank aussprechen. Die zügige und kompetente verlegerische Betreuung dieses Buchprojekts durch Frau Diana Kraplow war von großer Hilfe. Es würde uns freuen, wenn wir mit diesem Buch unseren Kollegen und Kolleginnen Hilfestellung bei ihrer täglichen Arbeit geben, aber auch einen Ausblick auf künftige Anwendungsmöglichkeiten der niedermolekularen Heparine vermitteln können. München, im Mai 2006
Sylvia Haas
VII
Verzeichnis der Autoren
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hugo van Aken Universitätsklinik Münster Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin Albert-Schweitzer-Straße 33, 48149 Münster E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Rupert Bauersachs Medizinische Klinik IV Max Ratschow Klinik für Angiologie Klinikum Darmstadt Heidelberger Landstraße 379, 64297 Darmstadt E-Mail: rupert.bauersachs@ klinikum-darmstadt.de Dr. med. Adriana Bermes Deutsche Klinik für Diagnostik Fachbereich Kardiologie Aukammallee 33, 65191 Wiesbaden E-Mail:
[email protected] Dr. med. Bernd Brüggenjürgen Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie Charité – Universitätsmedizin Berlin Luisenstraße 57, 10117 Berlin E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Harald Darius Vivantes Klinikum Neukölln 1. Medizinische Klinik Rudower Straße 48, 12313 Berlin E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Hans Christoph Diener Universitätsklinikum Essen Klinik für Neurologie Hufelandstraße 55, 45122 Essen E-Mail:
[email protected] Dr. med. Christine Düring Universitätsklinikum Münster Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin Pädiatrische Hämostaseologie Albert-Schweitzer-Straße 33, 48149 Münster
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Verzeichnis der Autoren
Priv.-Doz. Dr. med. Wiebke Gogarten Universitätsklinik Münster Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin Albert-Schweitzer-Straße 33, 48149 Münster E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Dietrich Gulba Krankenhaus Düren gem. GmbH Abteilung für Innere Medizin I/Kardiologie Roonstraße 30, 52351 Düren E-Mail:
[email protected] Dr. med. Dr. phil. Peter Haas Normannenstraße 34a, 81925 München E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Sylvia Haas Institut für Exp. Onkologie und Therapieforschung TUM Ismaninger Straße 22, 81675 München E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Viola Hach-Wunderle Venenzentrum Frankfurt am Main Fahrgasse 89, 60311 Frankfurt/Main E-Mail:
[email protected] Dr. med. Christoph Hammerstingl St. Marien Hospital Bonn Abteilung für Innere Medizin Robert-Koch-Straße 1, 53115 Bonn E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Bettina Kemkes-Matthes Justus-Liebig-Universität Medizinische Klinik IV Zentrum für Innere Medizin Abteilung Hämatologie / Onkologie Klinikstraße 36, 35385 Gießen E-Mail:
[email protected] Dr. med. Stefan Kersting Deutsche Klinik für Diagnostik Fachbereich Kardiologie Aukammallee 33, 65191 Wiesbaden E-Mail:
[email protected]
IX Verzeichnis der Autoren
Dr. rer. nat. Carsten Kienitz Medical Manager Medical Affairs Cardiovascular and Thrombosis Sanofi-Aventis Deutschland GmbH Potsdamer Straße 8, 10785 Berlin E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Reinhard Klingel Apherese Forschungsinstitut Stadtwaldgürtel 77, 50935 Köln E-Mail:
[email protected] Dr. med. Martin Klutmann Krankenhaus Düren gem. GmbH Abteilung für Innere Medizin I/Kardiologie Roonstraße 30, 52351 Düren E-Mail:
[email protected] Dr. med. Andrea Kosch Universitätsklinikum Münster Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin Blutungssprechstunde Albert-Schweitzer-Straße 33, 48149 Münster
[email protected] Priv.-Doz. Dr. med. Knut Kröger Universitätsklinikum Essen Klinik und Poliklinik für Angiologie Hufelandstraße 55, 45122 Essen E-Mail:
[email protected] Dr. med. Harald Lethen Deutsche Klinik für Diagnostik Abteilung für Kardiologie Aukammallee 33, 65191 Wiesbaden E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Heinz Lambertz Deutsche Klinik für Diagnostik Abteilung für Kardiologie Aukammallee 33, 65191 Wiesbaden E-Mail:
[email protected]
X
Verzeichnis der Autoren
Prof. Dr. med. Helmut Landgraf Zentrum für Gefäßmedizin Vivantes Klinikum im Friedrichshain Landsberger Allee 49, 10249 Berlin E-Mail:
[email protected] Priv.-Doz. Dr. med. Edelgard Lindhoff-Last Gefäßzentrum Schwerpunkt Angiologie / Medizinische Klinik I Johann Wolfgang Goethe-Universitätsklinikum Frankfurt/Main Theodor-Stern-Kai 7, 60590 Frankfurt/Main E-Mail:
[email protected] Dr. rer. med. Helen Mani Johann Wolfgang Goethe-Universitätsklinikum Frankfurt/Main Zentrum der Inneren Medizin III, Schwerpunkt Angiologie Theodor-Stern-Kai 7, Hs 13 A, EG, 60590 Frankfurt/Main E-Mail:
[email protected] Dr. med. Bernhard Mohr Medizinische Hochschule Hannover Abteilung für Urologie und Kinderurologie Privat: Lange Straße 48, 20359 Hamburg E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Ulrike Nowak-Göttl Universitätsklinikum Münster Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin Pädiatrische Hämatologie und Onkologie Albert-Schweitzer-Straße 33, 48149 Münster E-Mail:
[email protected] Dr. med. Peter Oberst Deutsche Klinik für Diagnostik Fachbereich Kardiologie Aukammallee 33, 65191 Wiesbaden E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Heyder Omran St. Marien Hospital Innere Abteilung Robert-Koch-Straße 1, 53115 Bonn E-Mail:
[email protected]
XI Verzeichnis der Autoren
Priv.-Doz. Dr. med. W. Dieter Paar Director Medical Affairs Medical Affairs Cardiovascular and Thrombosis Sanofi-Aventis Deutschland GmbH Potsdamer Straße 8, 10785 Berlin E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. med. Hanno Riess Charité – Universitätsmedizin Berlin Campus Rudolf-Virchow-Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin E-Mail:
[email protected] Priv.-Doz. Dr. med. Lothar Rudig Leiter der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Gesundheits- und Pflegezentrum August-Bebel-Straße 59, 65428 Rüsselsheim E-Mail:
[email protected] Priv.-Doz. Dr. med. Helmut Schinzel Johannes-Gutenberg-Universität Mainz II. Medizinische Klinik und Poliklinik Langenbeckstraße 1, 55131 Mainz E-Mail:
[email protected] Priv.-Doz. Dr. med. Georg-Friedrich von Tempelhoff Gesundheits- und Pflegezentrum Rüsselsheim (GPR) Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe August-Bebel-Straße 59, 65428 Rüsselsheim E-Mail:
[email protected] Dr. med. Christoph Tillmanns Krankenhaus Düren gem. GmbH Abteilung für Innere Medizin I/Kardiologie Roonstraße 30, 52351 Düren E-Mail:
[email protected] Dr. med. Hans Peter Tries Deutsche Klinik für Diagnostik Fachbereich Kardiologie Aukammallee 33, 65191 Wiesbaden E-Mail:
[email protected]
XII
Verzeichnis der Autoren
Prof. Dr. med. Stefan N. Willich Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie Charité – Universitätsmedizin Berlin Luisenstraße 57, 10117 Berlin E-Mail:
[email protected] Dr. med. Florian Zürcher Deutsche Klinik für Diagnostik Fachbereich Kardiologie Aukammallee 33, 65191 Wiesbaden E-Mail:
[email protected]
XIII
Inhalt
I Physiologie und Pharmakologie Gerinnungsphysiologie Physiologische Bedeutung von Gerinnung und Fibrinolyse . . . . . . . . . . . Gerinnungsrelevante Strukturen und Substrate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phasen der Blutstillung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endogene Gerinnungshemmung und Thrombolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hämostatische Balance und Dysbalance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 3 4 11 14
Pathophysiologie venöser und arterieller Thrombosen 6. Venöse Thromboembolien in der operativen Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Venöse Thromboembolien in der Inneren Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Arterielle Thromboembolien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 20 29
Pharmakologie niedermolekularer Heparine Pharmakologisches Wirkprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pharmakodynamik und Pharmakokinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinisch relevante Nebenwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monitoring – wann und wie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34 36 37 39
1. 2. 3. 4. 5.
9. 10. 11. 12.
II Operative Medizin Thromboembolieprophylaxe Prophylaxe in der Allgemein- und Gefäßchirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prophylaxe in der Orthopädie, Unfall- und Neurochirurgie . . . . . . . . . . . . Prophylaxe in der Urologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prophylaxe in der gynäkologischen Chirurgie außerhalb onkologischer Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17. Prophylaxe in der Onkochirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13. 14. 15. 16.
Anästhesie unter Verwendung niedermolekularer Heparine 18. Rückenmarknahe Anästhesieverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45 48 56 60 68
76
III Innere Medizin Thromboembolieprophylaxe 19. Prophylaxe in der Inneren Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Prophylaxe im ambulanten, hausärztlichen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85 93
XIV
Inhalt
Kardiologie – Einsatzmöglichkeiten niedermolekularer Heparine 21. Therapie des akuten Koronarsyndroms – instabile Angina pectoris und Nicht-ST-Hebungsinfarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 22. Therapie des akuten Herzinfarktes mit niedermolekularen Heparinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 23. Kardioversion bei Vorhofflimmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse Therapie venöser Thromboembolien 24. Therapie der Venenthrombose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 25. Therapie der Lungenembolie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 26. Therapie der Thrombophlebitis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Niedermolekulare Heparine als Alternative bei Pausieren einer oralen Antikoagulation – Bridging 27. Problematik und Therapieoption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 28. Evidenzen für niedermolekulare Heparine und Algorithmen zur Umstellung einer oralen Antikoagulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine Nephrologie 29. Niereninsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 30. Extrakorporale Nierenersatztherapie (Hämodialyse und Hämofiltration) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Untergewichtige und adipöse Patienten 31. Prophylaxe und Therapie mit niedermolekularen Heparinen bei adipösen und untergewichtigen Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Schwangerschaft 32. Thromboembolieprophylaxe in der Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 33. Therapie der venösen Thromboembolie in der Schwangerschaft . . . . . . 175 34. Rezidivierende Spontanaborte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Onkologie 35. Besondere Aspekte der antithrombotischen Therapie bei Tumorpatienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 36. Verhinderung von Katheterthrombosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 37. Antineoplastische Effekte niedermolekularer Heparine . . . . . . . . . . . . . . . 190 Pädiatrie 38. Therapie der venösen Thrombose im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
XV Inhalt
Intensivmedizin 39. Niedermolekulare Heparine in der Intensivmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Neurologie 40. Einsatz niedermolekularer Heparine in der Neurologie . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Reisethromboseprophylaxe 41. Reisethrombose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
VI Pharmaökonomie Pharmaökonomische Betrachtungen zum Einsatz niedermolekularer Heparine 42. Auswirkungen der DRGs auf den Einsatz niedermolekularer Heparine (NMH) im ambulanten Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 43. Evidenzen für eine günstige Kosten-Nutzen-Bewertung der niedermolekularen Heparine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
VII Anhang Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
I
Physiologie und Pharmakologie
1. 2. 3. 4. 5.
Gerinnungsphysiologie Physiologische Bedeutung von Gerinnung und Fibrinolyse 3 Gerinnungsrelevante Strukturen und Substrate 3 Phasen der Blutstillung 4 Endogene Gerinnungshemmung und Thrombolyse 11 Hämostatische Balance und Dysbalance 14
Pathophysiologie venöser und arterieller Thrombosen 6. Venöse Thromboembolien in der operativen Medizin 16 7. Venöse Thromboembolien in der Inneren Medizin 20 8. Arterielle Thromboembolien 29
9. 10. 11. 12.
Pharmakologie niedermolekularer Heparine Pharmakologisches Wirkprofil 34 Pharmakodynamik und Pharmakokinetik 36 Klinisch relevante Nebenwirkungen 37 Monitoring – wann und wie? 39
3 Gerinnungsphysiologie
I
Gerinnungsphysiologie
1.
Physiologische Bedeutung von Gerinnung und Fibrinolyse Peter Haas
Die Gerinnungsfähigkeit des Bluts einerseits und antikoagulatorische Mechanismen sowie die Auflösbarkeit von Blutgerinnseln andererseits sind die Voraussetzungen sowohl für die Aufrechterhaltung einer adäquaten Blutversorgung der Organe als auch für die Reaktion auf unphysiologische Prozesse wie z. B. Verletzungen. Im physiologischen Normalfall, also ohne pathologischen gerinnungsauslösenden Einfluss, besteht im Blut ein dynamisches Gleichgewicht zwischen antikoagulatorischen, prokoagulatorischen und fibrinolytischen Abläufen. Die auch unter physiologischen Bedingungen auf niedrigem Niveau ständig ablaufende Aktivierung der Blutgerinnung wird durch die gerinnungshemmende und fibrinolytische Komponente kompensiert und damit der freie Blutfluss und die Versorgung von Geweben und Organen sichergestellt. Die Blutstillung nach der Verletzung eines Blutgefäßes wird neben der mechanisch wirksamen reflektorischen Kontraktion des Gefäßes durch die rasche Bildung eines Blutgerinnsels mittels Aktivierung der gerinnungsfördernden Abläufe erreicht. Zur Wiederherstellung physiologischer Bedingungen wird das Blutgerinnsel anschließend fibrinolytisch abgebaut. Neben der Verletzung von Blutgefäßen kann die Blutgerinnung auch durch die Verlangsamung bzw. Stase des Blutflusses, entzündliche und maligne Prozesse, Kontakt mit Fremdoberflächen sowie durch hereditäre Disposition ausgelöst werden.
2.
Gerinnungsrelevante Strukturen und Substrate Peter Haas
Gerinnung und Fibrinolyse laufen an zahlreichen Strukturen der Blutgefäße und an Substraten des Blutes ab (⊡ Abb. 2.1). Bei einer Verletzung der Gefäßwand mit Unterbrechung der Endothelbarriere werden Kollagenfasern der Basalmembran, die dadurch Kontakt mit Blut und mit den Thrombozyten bekommen, freigelegt. Außerdem wird der sog. Gewebsfaktor (»tissue factor«, TF, Thromboplastin), ein membranständiges Protein der Muskel- und Bindegewebszellen der Gefäßwand, freigesetzt. Im Endothel, im unverletzten Zustand eine Barriere zwischen Blut und Gefäßwand, greifen im Verletzungs- oder Entzündungsfall pro- und antikoagulatorische Mediatoren und membranständige Faktoren in den Gerinnungsablauf ein. Neben der Bildung des von-WillebrandFaktors (vWF) sind antithrombogene Faktoren wie Prostazyklin und Gewebsaktivatoren des Plasminogens zu erwähnen. Das entscheidende korpuskuläre Substrat der Primärhämostase sind die Thrombozyten (Blutplättchen), die auch in der plasmatischen Gerinnung durch Sekretion von Mediatoren, die Bereitstellung von prokoagulatorischen Substanzen und Rezeptoren an ihrer Oberfläche eine wichtige Rolle spielen.
4
I Physiologie und Pharmakologie
I
Gefäßwand: Gewebsfaktor, Kollagen u. a. Endothel: Barrierefunktion, pro- und antikoagulatorische Mediatoren und membranständige Faktoren u. a. Thrombozyten: Aggregation, Sekretion, prokoagulatorische Membranen u. a. Gerinnungsfaktoren als aktivierbare Proteasen oder Inhibitoren: Thrombin, Antithrombin u. a. Fibrinogen als Substrat der Koagulation
⊡ Abb. 2.1. Gerinnungsrelevante Strukturen und Substrate
Der Ablauf der plasmatischen Gerinnung wird durch die konsekutive Aktivierung verschiedener Gerinnungsfaktoren gesteuert. Dabei stehen den prokoagulatorischen Faktoren, die den eigentlichen Gerinnungsablauf steuern, antikoagulatorische Faktoren, mit denen die Gerinnungsfähigkeit des Blutes begrenzt und eine überschießende pathologische Gerinnselbildung verhindert werden kann, gegenüber. Am Ende des Gerinnungsablaufs wird Fibrinogen in Fibrin, das als Hauptbestandteil des Blutgerinnsels schließlich das Gefäß abdichtet, umgewandelt.
3.
Phasen der Blutstillung Peter Haas
Nach einer Gefäßverletzung läuft die Blutstillung und die anschließende Restitution normaler Gefäßfunktionen in mehreren Schritten ab. Im Prinzip verschiebt sich dabei das im Normalfall dynamische Gleichgewicht zwischen gerinnungsfördernden und gerinnungshemmenden Abläufen zuerst in Richtung erhöhter Gerinnungsbereitschaft, um dann durch Fibrinolyse eine Auflösung des Blutgerinnsels zu erreichen. Nach derzeitiger Konvention werden die konsekutiven, aber in Wirklichkeit nicht streng voneinander abgrenzbaren Prozesse der Bildung und der späteren Auflösung des Blutgerinnsels als Primärhämostase (korpuskuläre Gerinnungsphase), Sekundärhämostase (plasmatische Gerinnungsphase) und Fibrinolyse bezeichnet. ▬ Primärhämostase: Möglichst rasche Abdichtung der Blutungsquelle und damit Minimierung der Blutverluste, ▬ Sekundärhämostase: Verschließen der intravasalen Läsion mit Förderung der Wundheilung, ▬ Fibrinolyse: Auflösung des Blutgerinnsels im Verlauf der Wundheilung.
5 Gerinnungsphysiologie
I
Die wesentlichen Abläufe in diesen drei Phasen werden anschließend beschrieben. Zwischen den einzelnen Phasen bestehen Wechselwirkungen und Rückkopplungen, von denen einige bezüglich Bedeutung und Regulationsdynamik erst teilweise erforscht sind. Auch medikamentöse Einflüsse auf das Wechselspiel zwischen Gerinnung und Fibrinolyse, wie z. B. durch Heparine, sind noch nicht vollständig bekannt. Primärhämostase Die korpuskuläre Gerinnung läuft in mehreren Prozessen ab, die zwar schematisch als konsekutiv beschrieben werden können, aber dennoch eng miteinander verwoben sind. Als erste Abdichtungsmaßnahme erfolgt an der Stelle der Verletzung eine sofortige Vasokonstriktion durch die Kontraktion der glatten Gefäßwandmuskeln. Die eigentliche primäre Abdichtung der Gefäßläsion wird durch die initiale Anhaftung (Adhäsion) einer Schicht von Thrombozyten an die verletzungsbedingt freigelegten subendothelialen Strukturen eingeleitet. Über einen Formwandel der Blutplättchen und die Freisetzung verschiedener thrombozytärer Substrate bildet sich schließlich rasch ein noch lockeres Thrombozytenaggregat, das durch den Einbau von Fibrinogenbrücken bzw. eines Fibrinmaschenwerks stabilisiert wird. Die zentrale Bedeutung der Thrombozyten ergibt sich daraus, dass sie sowohl durch Bildung eines Gerinnsels die Einengung des Lumens oder den Verschluss des verletzten Gefäßabschnitts ermöglichen als auch durch die Sekretion zahlreicher Substrate in die Abläufe der korpuskulären und plasmatischen Gerinnung eingreifen. Sie sind kernlose Sequester der Megakaryozyten des Knochenmarks und morphologisch u. a. gekennzeichnet durch Filamente, Granula und Kanälchen. Filamente stabilisieren die Form bzw. leiten Formveränderungen ein. Die Granula, von denen man drei Arten unterscheidet, sind Organellen zur Speicherung verschiedener Substrate, die über die Kanälchen freigesetzt werden können. In der Primärhämostase durchlaufen die Thrombozyten infolge von Aktivierungsschritten verschiedene morphologische und funktionelle Transformationsphasen. Die Aktivierung erfolgt durch die Wechselwirkung mit Fremdoberflächen, Gewebestrukturen, korpuskulären Blutbestandteilen sowie plasmatischen und weiteren gewebeständigen Substanzen. Ausgelöst und gesteuert wird sie durch Rezeptoren, die an den Membranen des Thrombozyten exprimiert werden. Aktivierte Thrombozyten vermitteln verschiedene Vorgänge, wie z. B. Vasokonstriktion, Aktivierung weiterer Plättchen, Aggregation der Thrombozyten durch Fibrinogenbrücken und die Aktivierung von plasmatischen Gerinnungsfaktoren, die einerseits zu einer bestimmten Stufe der Abdichtungsmaßnahmen im Zuge der Primärhämostase führen und andererseits zur plasmatischen Gerinnung überleiten. Nachstehend werden einige wichtige Funktionen aktivierter Blutplättchen beispielhaft ausführlicher beschrieben. ▬ Durch Thromboxan A2 werden die Vasokonstriktion und Thrombozytensekretion als auch die Thrombozytenaggregation induziert und aufrechterhalten, während Prostazyklin PGI2 als Schutzfaktor an der Gefäßwand wirkt und eine übermäßige Aggregation und Thrombusbildung verhindert. Die Synthese von Thromboxan A2 und Prostaglandinen startet mit der Freisetzung von Arachidonsäure aus Phospholipiden der Plättchenmembran, die dann durch eine membranständige Cyclooxygenase in Endoperoxide übergeführt wird. Durch spezifische Synthetasen wird aus diesen u. a. in den Thrombozyten das Thromboxan A2 und in den Epithelzellen das Prostazyklin PGI2 gebildet.
6
I
I Physiologie und Pharmakologie
▬ Für die primäre Hämostase ist der an der Oberfläche der aktivierten Thrombozyten
exprimierte sog. Integrin-Glykoprotein-Rezeptor GPIIb/IIIa von besonderer Bedeutung. Er reagiert mit mehreren Liganden und vermittelt insbesondere über die Andockung an den von-Willebrand-Faktor (vWF) sowohl die Adhäsion an der verletzten Gefäßstelle als auch die Vernetzung der aggregierten Thrombozyten durch Fibrinogenbrücken. ▬ Aus den Granula der aktivierten Thrombozyten wird eine Vielzahl von Substanzen freigesetzt, wie z. B. Plättchenfaktor 4, Fibrinogen, von-Willebrand-Faktor, Plättchenwachstumsfaktoren, Serotonin, ADP, ATP, AMP, Kalziumionen, Thromboxan A2 und saure Hydrolasen. Letztere spielen eine Rolle bei der Stabilisierung der Membranen, ADP, Kalzium und Serotonin stimulieren vor allem die Aktivierung weiterer Thrombozyten. Daneben setzen aktivierte Thrombozyten durch Abschnürung Phospholipidpartikel frei, die für die Aktivierung einiger plasmatischer Gerinnungsfaktoren notwendig sind. Die nachstehend aufgeführten einzelnen Phasen der Primärhämostase und die dabei ablaufenden Prozesse können zwar als konsekutiv-strukturiert beschrieben werden, sind aber streng genommen im zeitlichen Ablauf nicht trennbar. Vasokonstriktion. Es ist nicht genau bekannt, wie die Vasokonstriktion ausgelöst wird. Man nimmt an, dass sie durch verschiedene Mediatoren, die aus Thrombozyten (Thromboxan A2, Serotonin) und freigelegten Endothelzellen freigesetzt werden, vermittelt wird. Von Bedeutung ist die Gefäßabdichtung durch Vasokonstriktion allerdings nur bei kleinkalibrigen Gefäßen. Adhäsion. Die Freilegung der subendothelialen Gefäßwandschichten (Membran mit elastischen kollagenen Fasern, Media und Adventitia mit Muskelzellen) führt zu einem thrombogenen Kontakt dieser Strukturen mit Blutbestandteilen und insbesondere mit den Thrombozyten. Zunächst haften sich Thrombozyten an die freigelegten Kollagenfibrillen an, was vorwiegend entweder über einen membranständigen Glykoproteinrezeptor (GPIa) oder über einen Rezeptorkomplex (GPIb und GPIIb/IIIa) mit dem vWF erfolgt. Der von-Willebrand-Faktor wird in den Endothelzellen gebildet und bindet sich an subendotheliale Strukturen, ist aber auch in freier Form im Plasma nachweisbar. Die Höhe der Differenz der Fließgeschwindigkeit des Blutes zwischen Gefäßwand und Gefäßmittelpunkt bestimmt die Art der Anhaftung der Thrombozyten. Bei großer Differenz überwiegt die offenbar stärkere Anhaftung über den vWF. Durch die Adhäsion der Thrombozyten an die Verletzungsstelle und an weiteren Thrombozyten bildet sich in wenigen Sekunden eine flache einlagige Plättchenschicht, wodurch eine rasche, aber noch nicht ausreichende Abdichtung des Blutgefäßes erreicht ist. Formwandel. Durch die Aktivierung ändern die Thrombozyten ihre Form, sie werden durch Kontraktion, Invagination und Bildung von Pseudopodien zu mehr kugel- und stachelförmigen Zellen. Ausgelöst wird dieser Schritt vor allem durch die intrazelluläre Freisetzung von Kalzium, das die Interaktion von Aktomyosin mit Aktinfilamenten stimuliert. Freisetzungsreaktion. Parallel mit dem Formwandel werden aus den Granula der aktivierten Plättchen zahlreiche Substanzen, von denen die wichtigsten bereits vorher erwähnt wurden, freigesetzt. Die Degranulierung wird durch einen Rückkopplungsmechanismus, der auch den Formwandel stabilisiert, in Gang gehalten. In diesem Stadium der Primärhämostase beginnt die Interaktion mit der plasmatischen Gerinnung, da die aktivierte Thrombozytenmembran
7 Gerinnungsphysiologie
I
Phospholipide abschnürt, die zusammen mit Kalzium mehrere plasmatische Gerinnungsfaktoren aktivieren, während andererseits in der plasmatischen Gerinnung die Thrombozyten über Thrombin stimuliert werden. Aggregation. An die ursprünglich einlagige Thrombozytenschicht lagern sich weitere Blutplättchen an, die mit Fibrinogen, das an die durch Thrombin aktivierten GPIIb/IIIa-Rezeptoren andockt, vernetzt werden. Diese Aggregatbildung wird durch aus den aktivierten Thrombozyten freigesetztes ADP, Thromboxan A2 und Serotonin induziert, während Prostazyklin gegenregulatorisch für die Begrenzung der Größe des Aggregats sorgt. Die Aggregate bilden einen das Lumen des Gefäßes mehr oder minder verschließenden, aber noch nicht stabilen Blutpfropf. Sekundärhämostase Auch in der Sekundärhämostase sind an den Gerinnungsvorgängen humorale, thrombozytäre und gewebeständige Substanzen beteiligt. Zu den humoralen Substraten zählen die sog. Gerinnungsfaktoren. Wie man aus der tabellarischen Übersicht (⊡ Tabelle 3.1) entnehmen kann, unterscheidet man zwischen den eigentlichen prokoagulatorischen Gerinnungsfaktoren (Nomenklatur mit römischen Ziffern) und den Faktoren, die antikoagulatorisch wirken und dadurch die Gerinnungsfähigkeit des Bluts begrenzen. Die Ziffernnotationen Faktor III für den sog. Gewebsfaktor (»tissue factor«, Gewebsthromboplastin), Faktor IV für zweiwertige Kalziumionen und Faktor VI werden heute nicht mehr verwendet.
⊡ Tabelle 3.1. Prokoagulatorisch und antikoagulatorisch wirkende Gerinnungsfaktoren Prokoagulatorische Wirkung
Antikoagulatorische Wirkung
Faktor I: Fibrinogen
Antithrombin
Faktor II: Prothrombin
Protein C
Faktor III: Gewebsfaktor
Protein S
Faktor IV: Kalziumionen
»Tissue factor pathway inhibitor«
Faktor V/VI: Proaccelerin
Thrombomodulin
Faktor VII: Prokonvertin Faktor VIII: antihämophiler Faktor Faktor IX: Christmas-Faktor Faktor X: Stuart-Faktor Faktor XI: »plasma thromboplastin antecedent« Faktor XII: Hageman-Faktor Faktor XIII: Fibrin-Stabilisierungs-Faktor
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I
I Physiologie und Pharmakologie
Die Gerinnungsfaktoren sind Glykoproteine, die im Plasma als inaktive Proenzyme (Zymogen) zirkulieren und in aktivierter Form entweder als eiweißspaltende Enzyme oder als sog. Kofaktoren wirken. Die enzymatisch wirkenden Gerinnungsfaktoren sind Serinproteinasen (Serin als aktives katalytisches Zentrum); als Kofaktoren wirken die Faktoren I, V und VIII. Mit einer Ausnahme (großmolekularer Anteil des Faktors VIII) erfolgt die Synthese der Gerinnungsfaktoren in der Leber, wobei dafür im Falle der Faktoren II, VII, IX und X (sog. Prothrombinkomplex) in den Leberzellen Vitamin K bereitgestellt sein muss. Der Faktor VIII, mit einem Molekulargewicht von über 1 Mio. das bei weitem größte Faktormolekül, besteht aus mehreren Komponenten. Ein niedrigmolekularer Anteil (Faktor VIIIc) ist am plasmatischen Gerinnungsablauf beteiligt, eine stark erniedrigte Verfügbarkeit dieses Faktors führt zur klassischen Bluterkrankheit (Hämophilie A). Der hochmolekulare Anteil ist der in den Endothelzellen synthetisierte von-Willebrand-Faktor (vWF), der eine wichtige Rolle in der Primärhämostase spielt. Die Aktivierung der Gerinnungsfaktoren, d. h. die Überführung in ihre proteolytisch wirksame Form, kann auf zwei verschiedenen Wegen ablaufen: Bei der direkten Aktivierung spaltet ein bereits aktivierter Faktor (Proteinase) einen weiteren als Proenzym vorliegenden Gerinnungsfaktor auf direktem Wege, während bei der zweiten Variante für die Spaltung des Proenzyms die enzymatisch wirkende Proteinase an Kofaktoren (plasmatische Faktoren, Kalzium, Phospholipide) gebunden sein muss. Die aktivierte Form eines Gerinnungsfaktors wird mit einem nachgestellten Buchstaben a gekennzeichnet. Die Interaktion zwischen den Gerinnungsfaktoren und deren Aktivierung läuft an den Oberflächen sowohl der aktivierten Blutplättchen als auch den Endothelzellen ab. Man nimmt an, dass im Plasma selbst keine oder eine nur unwesentliche Gerinnungsfaktorenaktivität entfaltet wird. Im Prinzip läuft die Sekundärhämostase als Folge von konsekutiv oder parallel erfolgenden Aktivierungen von Gerinnungsfaktoren ab. Schematisch wird dies durch die sog. Gerinnungskaskade dargestellt, wobei man je nach Auslösemechanismus ein exogenes (»extrinsic«) und ein endogenes (»intrinsic«) System unterscheidet (⊡ Abb. 3.1). Man muss sich jedoch vor Augen halten, dass sowohl der durch Gefäßverletzung induzierte als auch der physiologisch ständig ablaufende Gerinnungsablauf einschließlich der gegenläufigen Prozesse (Gerinnselauflösung) situationsgerecht laufend auf die jeweilige Anforderung (Ausmaß und Phase der Blutstillung, Gerinnungsbalance) abgestimmt ist. Dies erfordert eine dynamische Anpassung der stöchiometrischen Verhältnisse von nichtaktivierten, aktivierten und hemmenden Gerinnungsfaktoren. So wird z. B. das Ausmaß der Aktivierung der prokoagulatorischen Gerinnungsfaktoren u. a. durch die Größe der Läsion der Blutgefäße gesteuert, während andererseits die Thrombusbildung durch Gerinnungsinhibitoren und durch die Entfernung aktivierter Gerinnungsfaktoren mit dem Blut aus dem Thrombus und deren Abbau in der Leber limitiert werden kann. Wie man aus der Gerinnungskaskade ersehen kann, haben das endogene und exogene Gerinnungssystem, folgend auf die Aktivierung des Faktors X, eine gemeinsame Endstrecke, in der über die Bildung von Thrombin als Endergebnis ein Blutgerinnsel, bestehend aus einem Fibrinnetz mit eingelagerten korpuskulären Blutbestandteilen, gebildet wird. Nach heutigen Erkenntnissen ist eine strenge Unterscheidung zwischen endogenem und exogenem System nicht mehr angebracht, da es zwischen ihnen, im obigen vereinfachten Schema nicht dargestellt, zahlreiche weitere Querverbindungen und Rückkopplungsmechanismen gibt. Auch wurden ihre individuellen Funktionen, vor allem für die Bildung des entscheidenden Enzyms Thrombin, neu bewertet. Des Weiteren misst man heute dem Faktor XII und der Rolle der Kontaktfaktoren Präkallikrein sowie HMW-Kininogen (siehe Gerinnungskaskade) geringere
9 Gerinnungsphysiologie
exogen (Primärthrombus)
PL TF
endogen (plasmatisch)
Verknüpfung des exogenen und des endogenen Systems
XIIa
XIa
VIIa
I
Kinine, Kallikrein
XI
PL VIIIa
IXa
IX PL Xa
X Prothrombin
Va Thrombin
II Fibrinogen
Fibrin ⊡ Abb. 3.1. Gerinnungskaskade
Bedeutung zu. Zum besseren Verständnis werden hier dennoch, wie bisher üblich, beide Systeme als getrennte Abläufe mit gemeinsamer Endstrecke beschrieben. Einige der nachfolgenden Erläuterungen zur Funktion und den Querverbindungen der Reaktionsschritte sind in diesem Schema der Gerinnungskaskade nicht nachvollziehbar, da aus Gründen der Übersichtlichkeit eine vereinfachte Darstellung gewählt wurde. Exogene Gerinnungsaktivierung Der exogene Zweig der Gerinnungskaskade wird durch den In-vivo-Kontakt von Blut mit einem Membranprotein (Gewebsfaktor, »tissue factor« TF, Thromboplastin) induziert, das infolge einer Gefäßverletzung aus Muskel- und Bindegewebszellen freigesetzt wurde. Auf den gerinnungsaktiven Phospholipiden von Zelloberflächen (Endothel und im Verlauf der Primärhämostase aktivierte Thrombozyten) verbindet sich der Gewebsfaktor in Anwesenheit von Kalzium mit dem aktivierten Gerinnungsfaktor VIIa zum Komplex TF/VIIa. Die weitere Aktivierung des Faktors VII wird sowohl durch den Komplex TF/VIIa als auch durch einen Rückkopplungsmechanismus über Faktor Xa vermittelt. Der Komplex TF/VIIa kann den Faktor X direkt aktivieren, er kann aber auch, wie aus der Gerinnungskaskade ersichtlich, über eine Querverbindung zum endogenen System die Bereitstellung des aktivierten Faktors IXa und über diesen die Aktivierung des Faktors X bewirken. Der im endogenen Gerinnungssystem aktivierte Faktor XII beschleunigt infolge einer Umwandlung des Faktors VII in eine zweikettige Form indirekt die exogen induzierte Aktivierung von Faktor X. Der exogene plasmatische Gerinnungsablauf wird auf der Ebene des Faktors X durch den sog. Tissue Factor Pathway Inhibitor (TFPI) auf zwei Wegen beschränkt, nämlich durch die (reversible) Bindung des TFPI an das aktive Zentrum des Faktors Xa sowie durch die Einbindung des Gewebsfaktors in einen Komplex aus TFPI, TF und dem Faktor Xa. Man nimmt heute an, dass, im Verhältnis zur endogenen Gerinnung, infolge dieser negativen Rückkopplung im exogenen Zweig initial nur relativ geringe Mengen von Faktor Xa gebildet werden.
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I Physiologie und Pharmakologie
Endogene Gerinnungsaktivierung In vivo wird das endogene System durch den Kontakt von Blut mit negativ geladenen Oberflächen (Zellmembranen) unter Vermittlung von sog. Kontaktfaktoren, wie z. B. Kininen und Kallikrein bzw. Präkallikrein, induziert. Kinine sind in der Leber gebildete Globuline, sie sind sowohl im Plasma als auch in Blutplättchen und Endothelzellen zu finden. Präkallikrein, das Proenzym von Kallikrein, wird ebenfalls in der Leber synthetisiert, es liegt im Plasma sowohl in freier Form als auch gebunden an das High Molecular Weight Kininogen (HMWK) vor. Beide Substanzgruppen spielen eine wichtige Rolle auch in gerinnungsunabhängigen Reaktionsund Stoffwechselvorgängen. Im endogenen plasmatischen Gerinnungsablauf vermittelt HMWK u. a. die Anbindung von Präkallikrein und Faktor XI an negativ geladene Oberflächen, die Beschleunigung der Umwandlung von Präkallikrein in Kallikrein sowie (als Kofaktor) die Aktivierung der Faktoren XI und XII. In vitro kann das endogene System durch den Kontakt mit unphysiologischen Fremdflächen (Teströhrchen, Herz-Lungen-Maschine, Dialysegeräte), ausgelöst werden. Die Berührung von Blut mit Zell- oder Fremdoberflächen führt als Erstes zu einer Aktivierung von Faktor XII. Durch die negative Ladung der Kontaktoberfläche wird eine Konformationsänderung des Faktors XII bewirkt, wodurch die weitere Aktivierung dieses Faktors induziert wird. Zusätzlich kann Präkallikrein den Faktor XII direkt aktivieren, während HMWK als Kofaktor die Aktivierung nur beschleunigt. Danach erfolgt im nächsten Schritt, der allerdings nur schematisch vom vorhergehenden zu trennen ist, die enzymatische Aktivierung des Faktors XI zum Faktor XIa, wobei dies entweder direkt durch den Faktor XIIa, autokatalytisch durch bereits aktivierten Faktor XIa sowie auch durch das später gebildete Thrombin geschehen kann. Faktor XIa kann dabei auch als Kofaktor angesehen werden, da er in einem Komplex mit HMWK an negativ geladene Oberflächen gebunden ist. Die Aktivierung von weiteren Faktor-XI-Molekülen wird durch die Rückkopplung über bereits gebildeten Faktor XIa und Thrombin, das sich von den Phospholipiden gelöst und an Fibrinfilamente angelagert hat, beschleunigt. Faktor XIa führt zur Aktivierung von Faktor IX, der in seiner aktivierten Form gemeinsam mit Thrombozytenphospholipiden und Kalziumionen zur Aktivierung von Faktor X führt. Gemeinsame Endstrecke In der gemeinsamen Endstrecke der Gerinnungskaskade ist die Faktor-X-Aktivierung des endogenen Gerinnungsablaufs eng mit der Umwandlung von Prothrombin zu Thrombin verbunden. Dabei spielen aktivierte Blutplättchen eine wichtige Rolle und bilden damit eine Art Schnittstelle zwischen korpuskulärer und plasmatischer Gerinnung. Auf ihrer Oberfläche werden als Bindungsstelle für plasmatische Gerinnungsfaktoren negativ geladene Phospholipide exponiert. Diese sind für zwei wesentliche Teilschritte der endogenen Gerinnung von Bedeutung: Nach initialer Aktivierung des Faktors IX durch den Faktor XI ermöglichen sie die Anlagerung eines mehrmolekularen Verbunds, bestehend aus den Faktoren IXa, VIIIa und X (sog. Tenasekomplex), der zu einer Aktivierung des Faktors X führt. Faktor Xa wiederum bildet mit den Faktoren Va und II (Prothrombin) sowie Kalzium einen ebenfalls an die Phospholipide gebundenen sog. Prothrombinasekomplex. Durch diesen Komplex wird aus Prothrombin das aktive Enzym Thrombin abgespalten. In einem Rückkopplungsmechanismus induziert Thrombin durch Andockung an Plättchenthrombinrezeptoren eine weitere Aktivierung der Thrombozyten und greift auch regulierend in die Abläufe des Tenase- und Prothrombinasekomplexes ein.
11 Gerinnungsphysiologie
I
Der aktivierte Gerinnungsfaktor VIIIa des Tenasekomplexes beschleunigt die Aktivierung des Faktors X. Der Faktor VIII ist im Plasma in einem Komplex an den von-Willebrand-Faktor gebunden, wodurch der Faktor VIII stabilisiert und vor einem vorzeitigen und unspezifischen Abbau geschützt wird. Wenn der von-Willebrand-Faktor fehlt, wie etwa beim von-WillebrandJürgens-Syndrom, leiden die betroffenen Patienten, ebenso wie auch bei ausgeprägtem Mangel an Faktor VIII oder Faktor IX (Hämophilie A bzw. B), an erheblicher Blutungsneigung bzw. Blutstillungsstörungen. Der letzte Prozess in der gemeinsamen Endstrecke ist die Bildung eines Fibringerinnsels durch Abspaltung von Fibrinopeptiden aus dem Fibrinogen, Fibrinpolymerisation und Fibrinstabilisierung. Das so erzeugte Gerinnsel besteht aus einem engmaschigen Fibrinnetz mit eingelagerten korpuskulären Blutbestandteilen, vorwiegend Erythrozyten, weshalb es auch als roter Thrombus bezeichnet wird. Das in der Leber gebildete und im Plasma zirkulierende Fibrinogen ist ein hochmolekulares dimeres Glykoprotein, das aus je drei in einer Helix verwobenen Proteinfäden (α-, β- und γKetten) besteht. In einem ersten Schritt spaltet Thrombin Fibrinopeptide ab, und zwar zuerst das Fibrinopeptid A von der α-Kette und dann das Fibrinopeptid B von der β-Kette. Dadurch entstehen aus den Fibrinogenmolekülen Fibrinmonomere, die in einem lockeren Fibrinnetz durch End-zu-End-Polymerisation spontan zu immer längeren, aber noch löslichen Fibrinfasern aggregieren. Die Stabilisierung des Fibrins erfolgt auf mehreren Wegen. Zunächst werden, katalytisch vermittelt durch den fibrinstabilisierenden Faktor XIIIa, zwischen den α- und γ-Ketten Fibrinpolymere bzw. Fibrindimere gebildet. Die Quervernetzung der γ-Ketten erfolgt schnell und vollständig, ist jedoch für ein stabiles Fibringerinnsel noch nicht ausreichend. Erst die langsamer erfolgende kovalente Bindung zwischen den α-Ketten der Fibrinmonomere führt zu unlöslichem und damit vor vorzeitigem Abbau geschützten Fibrin. Zur weiteren mechanischen Stabilisierung und Verankerung des sich dabei zusammenziehenden Gerinnsels wird thrombozytäres Aktin und Myosin eingebaut und, durch den Faktor XIIIa vermittelt, Fibrin, das mit Kontaktfaktoren (z. B. Kollagen, Fibronektin, vWF) vernetzt ist, an die Gefäßwand gebunden. Bezüglich der spezifischen Aufgaben des exogenen bzw. endogenen Gerinnungssystems kann man nach derzeitiger Kenntnis annehmen, dass der Komplex TF/VIIa des exogenen Systems im Prinzip den Gerinnungsablauf startet, während das endogene System für die Aufrechterhaltung der Blutgerinnung und für eine angemessene Bildung des Fibringerinnsels sorgt.
4.
Endogene Gerinnungshemmung und Thrombolyse Peter Haas
Ein unlimitierter Ablauf des aktivierten Gerinnungssystems würde zu einer fortschreitenden Vergrößerung des Blutgerinnsels und damit zu einer ausgedehnten Thrombose im Gefäßsystem führen. Deshalb laufen im hämostatischen System parallel zur Gerinnungsaktivierung verschiedene antagonistische Regulationsmechanismen ab, die sowohl die Gerinnselbildung und den Wundverschluss auf den Ort der Verletzung beschränken als auch verhindern, dass aktivierte Gerinnungsfaktoren und Blutplättchen in unverletzte Gefäßabschnitte gelangen. Dabei ist im Prinzip zu unterscheiden zwischen der Modulation der Gerinnungsvorgänge durch inhibitorische bzw. inaktivierende Prozesse (biologische Gerinnungshemmung) und den für die Thrombolyse notwendigen fibrinolytischen Mechanismen.
12
I
I Physiologie und Pharmakologie
Zur biologischen Gerinnungshemmung ist u. a. das Antithrombin-Heparin-System, das Protein-C-System, der Heparin-Kofaktor II und der Tissue Factor Pathway Inhibitor (TFPI) zu zählen, die Fibrinolyse wird vor allem durch das Plasminogen-Plasmin-System ermöglicht. Im weiteren Sinne kann auch die Elimination von aktivierten Gerinnungsfaktoren durch das retikuloendotheliale System (RES) als gegenregulatorischer Mechanismus angesehen werden. Bereits beschrieben wurde die Rolle des in den Endothelzellen gebildeten und daraus freigesetzten Prostazyklins, das die Aktivierung der Thrombozyten an der unverletzten Endothelzelle inhibiert. Antithrombin-Heparin-System Antithrombin (AT), ein in der Leber synthetisiertes Glykoprotein, ist der vermutlich wirksamste plasmatische Inhibitor der Proteinasen Thrombin und Faktor Xa. In geringerem Ausmaß hemmt Antithrombin einerseits die aktivierten Gerinnungsfaktoren IXa, XIa und XIIa, andererseits aber auch das fibrinolytisch wirkende Enzym Plasmin. Die gerinnungshemmende Wirkung des AT beruht auf einer irreversiblen 1:1-Komplexbildung mit dem Zielsubstrat, wobei es zu einer Bindung zwischen dem Serin im aktiven Zentrum des aktivierten Gerinnungsfaktors und dem Arginin im AT kommt. Im Prinzip wird also im aktivierten Faktor das jeweils zu aktivierende Proenzym (z. B. Fibrinogen) durch Antithrombin ersetzt, das allerdings nicht gespalten wird, sondern sich nur kovalent an das Substrat bindet. Antithrombin kann seine inaktivierende Wirkung nur an freien Substraten entfalten, also nicht an fibringebundenem Thrombin und nicht an Faktor Xa, der an Fibrinogen oder Thrombozyten gebunden ist. AT-Thrombin-Komplexe sind im Blut etwa 15 min lang nachweisbar, sie werden in der Leber und durch Makrophagen abgebaut. Ein hereditärer Antithrombinmangel geht mit einer signifikanten Neigung zu spontan auftretenden Thrombosen einher. Die Bindung von Heparin an AT führt über eine Konformationsänderung des Antithrombins zur vollständigen Freilegung seines reaktiven Zentrums. Dadurch kann die Inaktivierung der Zielsubstrate, die durch den alleinigen Antithrombin-Substrat-Komplex nur langsam progressiv verläuft, abhängig von der Heparinkonzentration bis zu tausendfach beschleunigt werden. Im Falle des Zielsubstrats Thrombin muss dabei Heparin auch an Thrombin gebunden werden, wofür jedoch Heparinmoleküle mit längeren Saccharidketten erforderlich sind, während für die AT-vermittelte Hemmung des Faktors Xa auch kürzere Heparinbruchstücke, die noch die Sequenzen mit hoher Affinität zu Antithrombin aufweisen, ausreichen. Niedermolekulare Heparine ermöglichen daher eine relativ stärkere Hemmung des Faktors Xa. Protein-C-System Protein C ist ein als Serinprotease wirkendes Glykoprotein, das aus zwei Polypeptiden besteht und in der Leber Vitamin-K-abhängig synthetisiert wird. Im Gegensatz zu Antithrombin kann es gerinnungshemmend und profibrinolytisch nur nach seiner Aktivierung, die praktisch ausschließlich am Gefäßendothel erfolgt, wirken. Der Kofaktor Thrombomodulin, ein spezifischer Endothelrezeptor mit starker Affinität zu Thrombin, bildet mit Thrombin einen Komplex, wodurch Thrombin die Eigenschaft verliert, die Faktoren V, VIII und XI sowie Fibrinogen und Thrombozyten zu aktivieren. Der Thrombin-Thrombomodulin-Komplex kann aber Protein C sehr effizient in aktiviertes Protein C (aPC) überführen. Dieses bildet auf Phospholipidoberflächen mit dem plasmatischen Kofaktor Protein S einen Enzymkomplex, der die aktivierten Gerinnungsfaktoren Va und VIIIa inaktiviert. Da Faktor Va und Faktor VIIIa Komponenten
13 Gerinnungsphysiologie
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des Tenase- bzw. Prothrombinasekomplexes sind, wird der Fortgang der plasmatischen Gerinnung auf dieser Stufe sehr effizient unterbrochen, da damit die weitere Bildung von Thrombin verhindert wird. Außerdem fördert das aPC die Fibrinolyse, da es den Plasminogen-AktivatorInhibitor (PAI-1) durch Komplexbildung inaktivieren kann. Ein hereditärer Mangel an Protein C und/oder Protein S kann Ursache einer erhöhten Thromboseneigung sein. Auch eine angeborene Variante des Faktors V, die so genannte Faktor-V-Leiden-Mutation, führt infolge des Fehlens einer spezifischen Spaltstelle im Faktor-VMolekül dazu, dass der Faktor Va durch den aPC-Protein-S-Komplex nicht inaktiviert werden kann. Heparin-Kofaktor II Der Heparin-Kofaktor II hemmt, und zwar sehr spezifisch, nur die Serinproteasen Thrombin, Kathepsin G und Chymotrypsin. Seine inhibitorische Wirkung wird, wie im Falle des Antithrombins, durch die Bindung mit Heparin verstärkt, wobei dabei die Inaktivierung von Thrombin um den Faktor 100.000 beschleunigt werden kann. Tissue Factor Pathway Inhibitor Der Tissue Factor Pathway Inhibitor (TFPI) spielt eine auf die initiale Phase des exogenen Gerinnungsablaufs beschränkte Rolle. Er neutralisiert die Aktivität des Faktors Xa und des Aktivierungskomplexes (Gewebsfaktor/Faktor VIIa). Der Faktor Xa wird durch Bindung an den TFPI inhibiert, wobei auch diese Reaktion durch Heparin beschleunigt werden kann, und der Komplex TF/Faktor VIIa wird durch die Anbindung an den TFPI/Faktor-Xa-Komplex inaktiviert. Fibrinolyse und Thrombolyse Das Fibringerinnsel, das sich an der Verletzungsstelle gebildet hat, muss zweckmäßigerweise bis zur Wiederherstellung der Integrität der Gefäßwand bestehen bleiben. Danach kann seine Auflösung und damit die Rekanalisation der thrombosierten Gefäßstrecke erfolgen. Die dafür erforderliche Aufspaltung der vernetzten Fibrinstränge wird durch das proteolytische Enzym Plasmin bewirkt. Es kann nicht nur die polymerisierten Fibrinfäden des Gerinnsels, sondern auch Gerinnungsfaktoren, insbesondere Fibrinogen, spalten, und insofern als Gegenspieler des Thrombins angesehen werden. Plasminogen, das Proenzym von Plasmin, ist ein in der Leber gebildetes einkettiges Protein. Es wird durch zwei Aktivatoren in das enzymatisch aktive Plasmin umgewandelt, nämlich erstens durch den aus Endothelzellen verletzter Blutgefäße freigesetzten Gewebsplasminogenaktivator tPA (»tissue-type plasminogen activator«) und zweitens durch die in der Niere gebildete und im Urin ausgeschiedene plasmatische Urokinase uPA (»urokinase-type plasminogen activator«). Die Aktivität des an sich schwach wirkenden Plasminogenaktivators tPA wird durch die Anlagerung an Fibrin um etwa den Faktor 100 gesteigert, dadurch wird die Verfügbarkeit von Plasmin vorwiegend auf das aufzulösende Gerinnsel konzentriert. Die Urokinase uPA wird durch Kallikrein, das wiederum durch Faktor-XIIa-vermittelte Spaltung aus Präkallikrein entsteht, aus einer Prourokinase gebildet. Auch uPA ist im Gerinnsel an Fibrin gebunden, kann aber im Gegensatz zu tPA auch das im Plasma gelöste Plasminogen aktivieren.
14
I
I Physiologie und Pharmakologie
Die Aufspaltung von Fibrin erfolgt an spezifischen Positionen des Fibrinmoleküls, die mit den Stellen, an denen die Polymerisation erfolgte, nicht identisch sind. Durch weitere Spaltung der bereits wasserlöslichen, jedoch noch quervernetzten Fibrinbruchstücke entstehen niedrigmolekulare D-Dimere. Durch die Bestimmung ihrer Konzentration erhält man Aufschluss über die fibrinolytische Aktivität und kann damit indirekt auf ein thrombotisches Geschehen schließen. Die Thrombolyse kann auf mehreren Ebenen antagonisiert oder begrenzt werden. Der TAFI (»Thrombin-aktivierbarer Fibrinolyseinhibitor«) verzögert die Auflösung des Fibringerinnsels, indem er die Anbindung von Plasminogen an das Fibrinmolekül verhindert. Ein weiterer antifibrinolytischer Mechanismus ist die irreversible 1:1-Bindung des Plasmininhibitors α2-Antiplasmin an freies, also nicht an Fibrin gebundenes Plasmin, wodurch dessen Verfügbarkeit in aktivierter Form schlagartig verringert wird. Sehr effizient ist die Ausschaltung der Plasminogenaktivatoren t-PA und u-PA durch den Plasminogen-Aktivator-Inhibitor PAI-1, der mit tPA und uPA kovalente Komplexe bildet und diese damit neutralisiert. PAI-1 wird aus dem Endothel und weiteren Zellen (vor allem Thrombozyten und Hepatozyten) in die Blutbahn abgegeben. Neben dem PAI-1 kennt man noch den Inhibitor PAI-2, der offenbar vorwiegend an uPA bindet und interessanterweise nur während einer Schwangerschaft nachweisbar ist.
5.
Hämostatische Balance und Dysbalance Peter Haas
Auch im physiologischen Normalfall, also wenn keine Verletzung oder sonstige gerinnungsfördernde bzw. gerinnungshemmende Bedingung vorliegt, laufen im Blut auf niedrigem Niveau ständig pro- und antikoagulatorische sowie fibrinolytische Prozesse ab, die jedoch dynamisch so reguliert sind, dass ein regelrechter intravasaler Blutfluss bei gleichzeitiger Bereitschaft zur Blutstillung sichergestellt ist. Erst im Falle von pathologischen Einflüssen wird diese sog. hämostatische Balance in eine gerinnungsfördernde oder gerinnungshemmende Richtung verschoben, wobei man zwischen zeitlich beschränkten und dauernden Störungen des hämostatischen Gleichgewichts unterscheiden muss. Ein zeitlich beschränktes Überwiegen der Gerinnungsbereitschaft ist z. B. dann notwendig, wenn nach einer Verletzung ein Blutgerinnsel gebildet werden muss. Ein kurzzeitiges Ungleichgewicht liegt auch dann vor, wenn bei lokalen oder systemischen Entzündungen die Gerinnungsbalance in Richtung Prokoagulation verschoben wird. Eine dauerhafte Dysbalance der Hämostase wird vor allem durch einen genetisch bedingten Mangel oder das vollständige Fehlen der an der Gerinnung oder Fibrinolyse beteiligten Substanzen verursacht. Aus einem Mangel bzw. Fehlen von gerinnungsfördernden oder fibrinolysehemmenden Faktoren resultiert eine erhöhte spontane oder verletzungsbedingte Blutungsneigung, während im umgekehrten Fall die Neigung zu venösen und arteriellen Thrombosen sowie zu Thromboembolien zunimmt. Die Regulationsmechanismen der Primär- und Sekundärhämostase sowie Fibrinolyse sind darauf abgestimmt, sowohl die hämostatische Balance unter normalen physiologischen Bedingungen aufrecht zu erhalten als auch, wenn möglich, eine hämostatische Dysbalance auf physiologische Verhältnisse zurückzuführen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei insbesondere die Endothelzellen, da sie sowohl gerinnungshemmende als auch gerinnungsfördernde Wirkungen entfalten bzw. vermitteln können. Für die gerinnungshemmende Wirkung synthetisieren und/oder exprimieren die Endothelzellen Prostazyklin (PGI2), Gerinnungshemmer
15 Gerinnungsphysiologie
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wie Heparansulfate und Protein C und S sowie Fibrinolyseaktivatoren (tPA und uPA). Bei der gerinnungsfördernden Komponente spielen vor allem die auf Thrombozyten aktivierend wirkenden Proteine wie Thromboxan A2, PAF und vWF, die für die plasmatische Gerinnung wichtigen Substanzen Thrombin und Gewebsfaktor TF sowie der Plasminogen-AktivatorInhibitor PAI-1 eine Rolle. Intaktes Endothel entfaltet überwiegend antikoagulatorische Wirkungen. Es ist luminal mit einem Film aus Glykoproteinen (Glykokalyx) überzogen und bildet damit eine Barriere, die den Kontakt von Blutbestandteilen mit den subendothelialen Strukturen der Gefäßwand verhindert. Thrombozyten haben mit intaktem Endothel nur kurzen und praktisch inerten Kontakt. Die intakte Gefäßwand ist also unter physiologischen Bedingungen nicht thrombogen. Literatur Kap. 1–5 1. Barthels M, von Depka M (Hrsg): Das Gerinnungskompendium. Thieme, Stuttgart, 2003 2. Colman RW, Hirsh J, Marder VJ, Clowes AW, George JN: Hemostasis and thrombosis. Basic principles and clinical practice. 4th edn. Lippincott Williams and Wilkins, Philadelphia, 2001 3. Hiller E, Riess H: Hämorrhagische Diathese und Thrombose. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart, 2002 4. Kemkes-Matthes B, Oehler G: Blutgerinnung und Thrombose. Thieme, Stuttgart, 2001 5. Loscalzo J, Schafer AI (Hrsg): Thrombosis and Hemorrhage. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia, 2003 6. Müller-Berghaus G, Pötzsch B: Hämostaseologie. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, 1999 7. Pötzsch B, Madlener K (Hrsg): Gerinnungskonsil. Thieme, Stuttgart, 2002
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I Physiologie und Pharmakologie
Pathophysiologie venöser und arterieller Thrombosen
I 6.
Venöse Thromboembolien in der operativen Medizin Sylvia Haas
Zur ausreichenden Blutversorgung des Gewebes ist eine ungehinderte Blutströmung in den Gefäßen notwendig. Dafür sorgen eine intakte Gefäßwand mit antithrombogen wirkendem Endothel und ein dynamisches Gleichgewicht der im fließenden Blut ständig ablaufenden gerinnungsfördernden und fibrinolytischen Mechanismen. Im Falle der Verletzung eines Blutgefäßes (traumatisch oder entzündlich bedingt) entfällt die Schutzfunktion des Endothels und es kommt zu einem Überwiegen der thrombotischen Komponente des Gerinnungssystems. Historisch interessant ist, dass Virchow bereits im Jahr 1856 die Faktoren (Virchow-Trias), die er für die Thromboseentstehung als wesentlich erachtete, beschrieben hat [1]. Virchow-Trias ▬ Veränderungen der Gefäßwand; ▬ Verlangsamung der Blutströmung; ▬ veränderte Zusammensetzung des Blutes.
In der Chirurgie können die einzelnen Komponenten der Virchow-Trias durch zahlreiche Begleitumstände in unterschiedlichem Umfang beeinflusst werden. Operative Eingriffe führen zu einer Endothelläsion, die mechanisch, hypoxisch oder metabolisch bedingt sein kann. Auch Art und Umfang der Immobilisierung des Patienten leisten über eine Beeinflussung der Blutströmung einen Beitrag zur postoperativen Thromboseentstehung. Hinzu kommen risikofördernde Begleitumstände, die als dispositionelle Faktoren zur Erhöhung des individuellen Risikos beitragen. Chirurgische Eingriffe führen auch zu einer Aktivierung der Blutgerinnung, deren Ausmaß mit der Schwere des Gewebetraumas korreliert. Es kommt zu einem reaktiven Anstieg verschiedener Gerinnungsfaktoren im Plasma, wie z. B. Faktor VIII und Fibrinogen, und im postoperativen Verlauf zu einer Abschwächung der Fibrinolyse. Antiplasmin und Plasminogenaktivatorinhibitor steigen nach ausgedehnten operativen Eingriffen regelmäßig an (⊡ Tabelle 6.1). In eigenen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die Gerinnung bei Patienten mit elektivem Hüftgelenkersatz perioperativ maximal aktiviert wird. Zum Zeitpunkt der Implantation des Femurschaftes kommt es zur Intravasation von Knochenmarkbestandteilen mit unmittelbar einsetzender Bildung von Thrombin. Die Einschwemmung von korpuskulären Bestandteilen in den rechten Vorhof konnte mittels transösophagealer Echokardiographie nachgewiesen werden (⊡ Abb. 6.1) und der signifikante intraoperative Anstieg der Thrombin-Antithrombin Komplexe ist in (⊡ Abb. 6.2) graphisch dargestellt [2]. Ein möglicher Einfluss von intramedullärer Druckerhöhung und Intravasation gerinnungsaktivierender Substanzen auf die postoperative Thromboseentstehung wurde auch von Wenda et al. beschrieben und hieraus abgeleitet die Minimierung intramedullärer Druckerhöhung durch intraoperativen Einsatz eines Markraumsperrers und Anlage eines Bohrlochs empfohlen [3].
I
17 Pathophysiologie venöser und arterieller Thrombosen
⊡ Tabelle 6.1. Dysbalance im Gerinnungs- und Fibrinolysesystem bei chirurgischen Eingriffen Anstieg von Thrombin-Antithrombin-Komplexen Peri- und postoperativer Anstieg von Prothrombin-
Peri- und postoperative Aktivierung der Blutgerinnung
fragment 1+2 Reaktiver Anstieg von Gerinnungsfaktor VIII Reaktiver Anstieg von Gerinnungsfaktor I (Fibrinogen) Reaktive Thrombozytose nach großen Eingriffen,
insbesondere mit entzündlichen Begleitreaktionen Vermehrte Zytokinbildung bei entzündlichen Prozessen Anstieg von Antiplasmin Anstieg von Plasminogenaktivatorinhibitor
Postoperative Abschwächung der Fibrinolyse
"Schneegestöber" im rechten Vorhof
HüftgelenkersatzOperation Aktivierung der Blutgerinnung Dysbalance im Gerinnungs- und Fibrinolysesystem Blutung
Thrombose
⊡ Abb. 6.1. Nachweis der intraoperativen Einschwemmung von korpuskulären Knochenmarkbestandteilen in den rechten Vorhof mittels transösophagealer Echokardiographie bei einem Patienten mit elektivem Hüftgelenkersatz
50
TAT [µg/l]
40 30 20 10 0
1
2
3
4
Zeitpunkt der Blutentnahme
5
⊡ Abb. 6.2. Nachweis von Thrombin-Antithrombin-Komplexen (TAT) bei elektivem Hüftgelenkersatz zu verschiedenen Zeitpunkten. 1 präoperativ; 2 nach Einleiten der Anästhesie; 3 unmittelbar vor Implantation des Femurschafts; 4 Implantation des Femurschafts; 5 ca. 2 h postoperativ
18
I
I Physiologie und Pharmakologie
Risikofaktoren und Risikoabschätzung Es ist heute üblich, bei den Risikofaktoren für venöse Thromboembolien sog. dispositionelle und expositionelle Faktoren zu unterscheiden. Dispositionelle Risikofaktoren Die dispositionellen Risikofaktoren sind patientenspezifisch und primär durch ausführliche Anamnese und klinische Untersuchung zu erfassen. Das individuelle Thromboserisiko kann durch diese prädisponierenden Faktoren, insbesondere im Falle einer Akkumulation, erheblich erhöht sein. Zu den dispositionellen Risikofaktoren zählen: ▬ Thrombophilie (angeborene oder erworbene thrombophile Hämostasedefekte, z. B. Faktor-V-Leiden-Mutation, Prothrombinmutation, Mangel an Protein C, S und Antithrombin, Antiphospholipidsyndrom), ▬ venöse Thromboembolie in der Anamnese, ▬ Malignome, ▬ Schwangerschaft und Postpartalperiode, ▬ höheres Alter (> 50 Jahre; Risikozunahme mit dem Alter), ▬ Therapie mit oder Blockade von Sexualhormonen (einschließlich Kontrazeptiva und Hormonersatztherapien), ▬ chronisch venöse Insuffizienz, ▬ schwere systemisch wirksame Infektion, ▬ starkes Übergewicht (Body Mass Index > 30), ▬ Herzinsuffizienz NYHA III oder IV, ▬ nephrotisches Syndrom. Expositionelle Risikofaktoren Das expositionelle Thromboembolierisiko ist bei chirurgischen Patienten abhängig von Art und Umfang des operativen Eingriffs bzw. der Verletzung sowie von den intra- und perioperativen Umständen wie Lagerung, Immobilisierung und evtl. der Art der Anästhesie. Aus pathophysiologischer Sicht spielen der Einfluss der Immobilisierung und die unvermeidlichen Gefäßverletzungen die entscheidende Rolle. Durch die Immobilisierung wird die Blutströmung verlangsamt und dadurch die prokoagulatorische Komponente des Gerinnungssystems gefördert. Die durch den operativen Eingriff oder durch das Weichteiltrauma bzw. eine Fraktur verursachten Gefäßverletzungen führen über die Endothelläsionen zu einer Aktivierung der Blutgerinnung und, v. a. postoperativ, zur Abschwächung des gegenregulierenden fibrinolytischen Systems. Auch entzündliche Reaktionen am Operationsort und besonders eine generelle Sepsis lösen infolge der Einschwemmung von Endotoxinen eine Aktivierung des plasmatischen Gerinnungsablaufs aus. Zu einem geringeren expositionellen Thromboembolierisiko führen: ▬ kleinere chirurgische Eingriffe, ▬ kurze Operationsdauer,
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19 Pathophysiologie venöser und arterieller Thrombosen
▬ gefäß- und gewebeschonende Operationstechnik, ▬ kurze Immobilisationsdauer.
Die gesamte individuelle Thrombosegefährdung eines Patienten ist im konkreten Fall durch die Summe seiner dispositionellen und expositionellen Risikofaktoren bestimmt. Da detaillierte Angaben zu spezifischen Operationen wegen uneinheitlicher Datenlage nicht sinnvoll sind, gruppiert man als eine für den klinischen Alltag praktisch handhabbare Entscheidungshilfe für die Notwendigkeit einer Thromboseprophylaxe die individuellen Risikokonstellationen in niedriges, mittleres und hohes Risiko. Für minimal-invasive Eingriffe gilt dabei dieselbe Risikoeinschätzung wie für nicht minimal-invasives Vorgehen. In einer zweidimensionalen Darstellung wurde versucht, die grobe klinische Abschätzung des individuellen Thromboserisikos unter Berücksichtigung des expositionellen und dispositionellen Risikos zu vereinfachen. Bei der praktischen Anwendung dieses Schemas wird die Abschätzung des individuellen Thromboserisikos durch die Auftragung der Summe der dispositionellen Risikofaktoren gegen das expositionelle Risiko in einem zweidimensionalen Koordinatenkreuz vorgenommen. Das Gesamtrisiko ist dann im Schnittpunkt als hohes oder mittleres Risiko ablesbar und gibt damit dem für die Prophylaxe verantwortlichen Arzt einen Anhaltspunkt bei seiner Entscheidung für oder gegen die Durchführung einer Thromboseprophylaxe (⊡ Abb. 6.3 und ⊡ Abb. 6.4). Diese zweidimensionale Darstellung des individuellen Risikoprofils, die sowohl das dem Eingriff bzw. dem Trauma eigene Risiko als auch patientenbezogene prädisponierende Faktoren umfasst, ist als praktische Orientierungshilfe gedacht, will und kann jedoch nicht den Anspruch erheben, für alle Einzelfälle eine endgültige Antwort bereitzuhalten. Erfahrung und Urteilsvermögen des verantwortlichen Arztes werden bei der Entscheidung für oder gegen eine Thromboembolieprophylaxe und der Wahl der Modalität weiterhin eine entscheidende Rolle spielen. Die Indikationsstellung einer Thromboembolieprophylaxe erfolgt unter Berücksichtigung der expositionellen und dispositionellen Risikofaktoren [2].
Prädisponierendes Risiko Thrombophilie Anamnestische VTE Alter > 65 Jahre Malignom Östrogen (> 50µg) Adipositas (BMI > 30) Varikosis
Expositionelles Risiko Malignomchirurgische Eingriffe
Hoch 3
Länger dauernde Operationen Komplizierte Appendektomie Cholezystektomie
Mittel 2
Hohes Risiko
Mittleres Risiko
Allgemeinchirurgie < 30 min OP-Dauer Niedrig 1 Proktologische Eingriffe Venenchirurgie 0 Prädisponierendes Risiko
⊡ Abb. 6.3. Individuelle Risikobestimmung für thromboembolische Komplikationen im viszeralchirurgischen Patientengut durch Kombination des dispositionellen und expositionellen Risikos
20
I
I Physiologie und Pharmakologie
Prädisponierendes Risiko
Expositionelles Risiko Hüft-/Knie TEP Polytrauma
Thrombophilie Anamnestische VTE Alter > 65 Jahre Malignom Östrogen (> 50µg) Adipositas (BMI > 30) Varikosis
Oberschenkelfrakturen Tibiakopffrakturen Liegegips/(Gehgips) Arthoskopie
Hoch 3 Hohes Risiko Mittel 2 Mittleres Risiko
Metallentfernung Niedrig 1 Obere Extremitätenchirurgie
0 Prädisponierendes Risiko
⊡ Abb. 6.4. Individuelle Risikobestimmung für thromboembolische Komplikationen im orthopädischen/traumachirurgischen Patientengut durch Kombination des dispositionellen und expositionellen Risikos
7.
Venöse Thromboembolien in der Inneren Medizin Sylvia Haas
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Die Assoziation verschiedener akuter internistischer Erkrankungen mit einem erhöhten Thromboembolierisiko hat zur Einführung von prophylaktischen Maßnahmen im klinischen Alltag geführt, wobei jedoch oft unklar ist, welche Krankheitsbilder unbedingt eine Prophylaxe erfordern und wann darauf verzichtet werden kann. Prinzipiell kann analog zur operativen Medizin die so genannte Virchow-Trias zur Veranschaulichung der Thrombogenese herangezogen werden, da alle drei Faktoren bei Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen betroffen sein können. Wie in ⊡ Abb. 7.1 graphisch dargestellt, kann es auch in der Inneren Medizin zu Veränderungen der Zusammensetzung des Blutes im Sinne einer Hyperkoagulabilität kommen. Bei akut entzündlichen und immunologischen Krankheitsbildern führt die Bildung
Endotheliale Antithrombogenität Änderung der Gefäßwand
⊡ Abb. 7.1. Faktoren der Thrombogenese in der Inneren Medizin in Analogie zur Virchow-Trias
I
21 Pathophysiologie venöser und arterieller Thrombosen
von Zytokinen zum Verlust der endothelialen Integrität und der venöse Blutfluss ist bei strikt immobilisierten Patienten und im Falle schwerer Herzinsuffizienz infolge einer Reduktion der vis a tergo stark reduziert. Somit handelt es sich bei der Entstehung venöser Thrombosen in den konservativen Fachgebieten ebenfalls um ein multifaktorielles Geschehen. Die Indikationsstellung und Wahl der Prophylaxeform erfolgt in Abhängigkeit vom individuellen Risikoprofil des Patienten, das durch Kombination von expositionellen und dispositionellen Risikofaktoren bestimmt wird. Ob und inwieweit eine derartige Risikoabschätzung auch auf internistische Patienten übertragen werden kann, soll nachfolgend näher erörtert werden, einerseits hinsichtlich der aus klinischen Studien ableitbaren Evidenz des Thromboserisikos bei verschiedenen Krankheitsbildern (expositionelles Risiko) und andererseits unter dem Aspekt des Basisrisikos vonseiten des Patienten (dispositionelles Risiko). Expositionelles Thromboserisiko Hinsichtlich der Bewertung des Stellenwerts verschiedener Erkrankungen als Thromboserisikofaktor (expositionelles Risiko) sind plazebokontrollierte Studien am aufschlussreichsten. Die aus einigen prospektiven Studien ableitbare Evidenz wird nachfolgend diskutiert. Thromboserisiko bei Herzerkrankungen Myokardinfarkt. In einigen früheren Studien wurden tiefe Beinvenenthrombosen bei Patienten mit Herzinfarkt mit einer Inzidenz von 17–34 % festgestellt [4, 5], jedoch ist angesichts des mittlerweile routinemäßigen Einsatzes von hochpotenten Thrombozytenfunktionshemmern, Antikoagulanzien und Thrombolytika fraglich, inwieweit diese Zahlen derzeit noch Gültigkeit haben. Herzinsuffizienz: Die Arbeitsgruppen von Kierkegaard und Belch ermittelten Thrombosehäufig-
⊡ Tabelle 7.1. Häufigkeit venöser Thromboembolien bei verschiedenen akuten internistischen Erkrankungen in der MEDENOX-Studie [8] Akute medizinische Erkrankung
Plazebo Patienten mit VTE (n/N)
Häufigkeit von VTE [%]
Herzinsuffizienz NYHA Grad III NYHA Grad IV
14/96 9/73 5/23
14,6 12,3 21,7
Akute respiratorische Erkrankung
20/153
13,1
Akute Infektion*
24/155
15,5
Infektion oder respiratorische Erkrankung*
13/79
16,5
6/29
20,7
0/1
0
Rheumatische Erkrankung* Entzündliche Darmerkrankung* * plus weitere disponierende Risikofaktoren
22
I
I Physiologie und Pharmakologie
keiten von 20 bzw. 26 % bei Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz [6, 7]. Die aufschlussreichsten Daten können jedoch jüngeren Studien entnommen werden, insbesondere der MEDENOXStudie [8], die auch nach verschiedenen Schweregraden der Herzinsuffizienz unterscheidet. Eine detaillierte Darstellung der Häufigkeiten für Herzinsuffizienz NYHA III und IV ist in ⊡ Tabelle 7.1 aufgelistet. Thromboserisiko bei akuten respiratorischen Erkrankungen Auch für diese Patientenpopulation sind aus der MEDENOX-Studie wertvolle Erkenntnisse zum Thromboserisiko ableitbar. Bei Patienten, die wegen einer akuten respiratorischen Insuffizienz ins Krankenhaus aufgenommen und unter strikter Bettlägerigkeit behandelt werden, muss ohne medikamentöse Prophylaxe mit einer Thrombosehäufigkeit von 13 % gerechnet werden [8]. Unter Intensivbehandlung mit Beatmung steigt das Risiko auf 18 % [9]. Im Vergleich zur schweren Herzinsuffizienz ist der Stellenwert akuter respiratorischer Erkrankungen als Risikofaktor für das Entstehen venöser Thromboembolien jedoch geringer einzustufen, was nicht nur aus den Daten der MEDENOX-Studie abgeleitet werden kann, sondern auch aus der PRINCE-Studie hervorgeht, in der diese beiden Patientenpopulationen mit zuvor festgelegter Stratifizierung und Randomisierung eingeschlossen wurden [10]. Thromboserisiko bei aktiven malignen Erkrankungen Bei Patienten mit malignen Erkrankungen werden Thromboseraten bis zu 60 % beschrieben, wobei die Zahlen in Abhängigkeit von den Tumorarten und eingesetzten Therapiemodalitäten sehr unterschiedlich sein können [11–14]. Insbesondere Polychemotherapie mit und ohne gleichzeitige Bestrahlung kann das Thromboserisiko signifikant erhöhen [15, 16]. Neurologische Erkrankungen Das Thromboserisiko ist bei Patienten mit Schlaganfall, insbesondere bei Vorliegen von Paresen, besonders hoch. Aus gepoolten Daten verschiedener Studien lässt sich eine Häufigkeit venographisch nachgewiesener Thrombosen von bis zu 55 % ableiten, was zur generellen Empfehlung prophylaktischer Maßnahmen und deren weit verbreitetem Einsatz geführt hat [17, 18]. Andere internistische Erkrankungen Unter dem Begriff »andere internistische Erkrankungen« (»other medical conditions«) werden in der Literatur verschiedene Krankheitsbilder zusammengefasst, die als Einschlusskriterien in klinische Studien definiert waren. Wegen vergleichbarer Definitionskriterien sind in diesem Zusammenhang die Daten aus drei plazebokontrollierten Studien am aufschlussreichsten. Als mustergültiges Protokoll galt hierbei die MEDENOX-Studie, in die Patienten mit folgenden Erkrankungen eingeschlossen wurden [8]: ▬ Herzinsuffizienz (NYHA Grad III–IV) oder ▬ akute respiratorische Insuffizienz oder ▬ eine der nachfolgenden Diagnosen in Kombination mit einem oder mehreren prädefinierten dispositionellen Risikofaktoren: akute Infektion,
23 Pathophysiologie venöser und arterieller Thrombosen
14,9 % 43/288
14 12
10,5 % 34/323
10 8 6 4 2
5,0 % 73/1473
Venöse Thromoembolien [%]
16
I
0 PREVENT
ARTEMIS
MEDENOX
⊡ Abb. 7.2. Venöse Thromboembolien unter Plazebo in PREVENT, ARTEMIS und MEDENOX [8, 19, 20]. Der Thrombosenachweis erfolgte in PREVENT mittels Kompressionssonographie (Erfassung proximaler Thrombosen), in ARTEMIS und MEDENOX mittels beidseitiger Phlebographie. Anteil proximaler Thrombosen in MEDENOX: 6,6 %
entzündliche Darmerkrankung, akute rheumatische Erkrankung, akute Lumbalgie, Ischialgie oder Wirbelsäulenkompression.
In die PREVENT- und ARTEMIS-Studie wurden Patienten mit gleichen Einschlusskriterien aufgenommen [19, 20]. Die ermittelten Thrombosehäufigkeiten für die Plazebogruppe sind in ⊡ Abb. 7.2 graphisch dargestellt. Zum Verständnis der unterschiedlichen Thrombosezahlen zwischen PREVENT und den beiden anderen Studien ist die Kenntnis des unterschiedlichen Thrombosenachweises von Bedeutung. In der ARTEMIS- und MEDENOX-Studie wurden alle Patienten mittels beidseitiger Phlebographie untersucht, wohingegen zum Thrombosenachweis bzw. -ausschluss in der PREVENT-Studie die Kompressionssonographie eingesetzt wurde. Mit der in der PREVENTStudie angewandten Technik der Kompressionssonographie werden ausschließlich proximale Thrombosen diagnostiziert, die mittels Phlebographie in der MEDENOX-Studie mit einer Häufigkeit von 6,6 % und damit in ähnlicher Häufigkeit wie in PREVENT nachgewiesen wurden. Risikokategorien gemäß expositionellem Risiko In der nordamerikanischen Konsensuserklärung des American College of Chest Physicians wurden verschiedene internistische Krankheitsbilder drei abgestuften Risikokategorien zugeordnet, die in ⊡ Tabelle 7.2 zusammengefasst sind [17]. Nicht in allen Fällen kann die Eingruppierung der verschiedenen Krankheitsbilder in die entsprechenden Risikokategorien aus den in ⊡ Tabelle 7.3 angegebenen Thromboseinzidenzen nachvollzogen werden. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Zahlen teilweise aus kleineren Studien resultieren, die den heutigen Anforderungen eines biometrischen Designs nicht mehr genügen würden. Unter diesem Aspekt ist verständlich, dass die Eingruppierung der schweren Erkrankungen mit intensivmedizinischer Behandlung in die Gruppe des hohen Risikos primär nach medizinischem Konsens und nicht nach wissenschaftlicher Evidenz erfolgte.
24
I
I Physiologie und Pharmakologie
⊡ Tabelle 7.2. Risikokategorien gemäß expositionellem Risiko [17] Hohes Risiko
Mittleres Risiko
Schlaganfall mit Parese
Myokardinfarkt
Akut dekompensierte chronisch-obstruktive Lungenerkrankung mit Beatmung
Akut dekompensierte chronisch obstruktive Lungenerkrankung ohne Beatmung
Sepsis
Herzinsuffizienz NYHA III + IV
Schwer erkrankte Patienten mit intensivmedizinischer Behandlung
Infektion oder akut entzündliche Erkrankungen mit strikter Bettruhe
⊡ Tabelle 7.3. Thromboseinzidenzen bei verschiedenen Krankheitsbildern ohne prophylaktische Maßnahmen [17] Internistische Erkrankungen
Thromboseinzidenz [%]
Allgemein-internistische Erkrankungen
10–26
Schlaganfall
11–75
Myokardinfarkt
16–34
Herzinsuffizienz
15–40
Schwere internistische Erkrankungen mit intensivmedizinischer Behandlung
29–32
Dispositionelle Risikofaktoren Unter dispositionellem Risiko wird die Summe aus angeborenen oder erworbenen prädisponierenden Risikofaktoren verstanden, die eine Thromboseentstehung, oftmals auch ohne erkennbare Ursache, begünstigen, wobei die Trennschärfe zwischen expositionellem und dispositionellem Risiko im Falle chronischer Begleiterkrankungen manchmal jedoch unklar ist. Dies betrifft beispielsweise maligne Erkrankungen, die im aktiven Stadium als akuter Triggermechanismus für eine venöse Thromboembolie angesehen werden können, bei chronischem Verlauf oder nach abgeschlossener Behandlung jedoch mehr den Kriterien eines prädisponierenden Risikofaktors entsprechen. Gedanklich kann man davon ausgehen, dass der Stellenwert einer malignen Erkrankung als expositionelles Risiko durch das Ausmaß einer tumorassoziierten Hämostasestörung geprägt ist, wie z. B. Thrombozytenaktivierung, Expression inflammatorischer Zytokine und Produktion von so genannten Tumorprokoagulanzien. Auch bei der chronischen Herzinsuffizienz und dem nephrotischen Syndrom handelt es sich um Krankheitsbilder, die generell das Basisrisiko des Patienten erhöhen, denen bei Änderung des Krankheitsverlaufs allerdings ebenso der Stellenwert eines expositionellen Risikofaktors zugeschrieben werden kann.
25 Pathophysiologie venöser und arterieller Thrombosen
I
Stellenwert des Alters als Thromboserisikofaktor Zunehmendes Lebensalter gilt als Risikofaktor für venöse Thromboembolien, bedingt durch Verschiebungen der Balance im Hämostasepotential und eine stetige Zunahme erworbener Risikofaktoren. Pathogenese der Thrombose im Alter: ▬ Gefäßwandveränderungen, ▬ Faktor I ↑, Faktor V ↑, Faktor VIII ↑, ▬ Antithrombin (AT) ↓, ▬ Plasminogenaktivator Inhibitor (PAI) ↑, ▬ Viskosität von Blut und Plasma ↑, ▬ Mobilität ↓, ▬ Multimorbidität ↑. Bereits im Jahr 1991 wurde von Anderson et al. im Rahmen einer epidemiologischen Untersuchung (The Worcester DVT Study) eine exponentielle Zunahme des Thromboserisikos mit einem Alter ab ca. 60 Jahren beschrieben [21]. Die Inzidenzen venöser Thromboembolien sind für jede Lebensdekade in ⊡ Abbildung 7.3 graphisch dargestellt. Auch Kniffin et al. haben eine relative Risikoerhöhung für venöse Thromboembolien mit Zunahme des Alters beschrieben. Insbesondere die Gefahr der Lungenembolie ist bei älteren Patienten stark erhöht [22]. Stellenwert verschiedener Formen der Thrombophilie als Thromboserisikofaktor
300
TVT LE
250 200 150 100 50
>8 0
69
79 70 –
9
Alter [Jahre]
60 –
49
–5 50
29
39
40 –
30 –
9 –1 10
20 –
9
0 0–
Inzidenzen pro 100000 in der Bevölkerung
Allgemein können angeborene oder erworbene Defekte im Gerinnungs- und/oder Fibrinolysesystem, die mit erhöhtem Thromboserisiko einhergehen, als Thrombophilie bezeichnet werden. In ⊡ Tabelle 7.4 sind die an Thrombosepatienten ermittelten Häufigkeiten denen der Allgemein-
⊡ Abb. 7.3. Zunahme venöser Thromboembolien mit dem Alter [21]
26
I
I Physiologie und Pharmakologie
⊡ Tabelle 7.4. Häufigkeiten verschiedener Thrombophiliefaktoren in der Allgemeinbevölkerung und bei Patienten mit Thrombosen (mod. nach [23]) Thrombophiliefaktor
Häufigkeit bei Patienten mit Thrombosen [%]
Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung [%]
Erhöhte Faktor-VIII-Spiegel
25
11
Factor-V-Leiden-Mutation
20
4
Hyperfibrinogenämie
15
8
Hyperhomozysteinämie
10
4,8
Prothrombinmutation
6,2
2,3
Protein-S-Mangel
2,2
0,2
Protein-C-Mangel
2,1
0,3
Antithrombinmangel
1,1
0,2
bevölkerung ohne Thrombosenachweis gegenüber gestellt. Es besteht medizinischer Konsens, dass diese Faktoren das Thromboserisiko in gewissen Risikosituationen zusätzlich erhöhen. Jedoch gibt es dazu keine aus prospektiv kontrollierten Studien ableitbaren Daten zum exakten Stellenwert des jeweiligen Thrombophiliefaktors als unabhängiger Thromboserisikofaktor bei verschiedenen Erkrankungen. Man kann davon ausgehen, dass bei Vorliegen eines oder mehrerer Thrombophiliefaktoren die Schwelle zur Manifestation einer Thrombose gesenkt wird. Dies gilt v. a. für jüngere Patienten ohne zuvor erlittene Thrombose, da bei älteren angenommen werden kann, dass eine Thrombose bei Vorliegen dieser Faktoren schon früher in Erscheinung getreten wäre. Abschätzung des individuellen Thromboserisikos durch Kombination von expositionellen und dispositionellen Risikofaktoren Im klinischen Alltag ist es wünschenswert, das individuelle Risiko des Patienten einfach, aber dennoch möglichst präzise, abschätzen zu können. Diesem Wunsch entsprechend wurden zahlreiche Modelle und Schemata entwickelt, die eine Indikationsstellung zur Thromboembolieprophylaxe erleichtern sollten, wegen entweder zu komplexer oder zu vereinfachter Darstellung bisher jedoch kaum Anwendung in der Praxis gefunden haben. Unter der Annahme, dass nur schwer erkrankte Patienten stationär behandelt werden und die überwiegende Mehrzahl dieser Patienten vermutlich von einer Prophylaxe profitieren würde, wird von einem Expertengremium in den USA eine stark vereinfachte Risikoabschätzung propagiert. Demnach wird empfohlen, prinzipiell alle Patienten unter dem Aspekt der Indikation für eine Prophylaxe zu screenen und diese bei Vorliegen von Risikofaktoren und nicht bestehender Kontraindikation auch durchzuführen (DVT FREE Consensus Panel 2003, http://www.thrombosis-consult.com/VTED%20Pathway%20rev%204.pdf).
27 Pathophysiologie venöser und arterieller Thrombosen
I
In Deutschland wurde im Rahmen einer interdisziplinären Fachplattform ein einfaches, visuell schnell erfassbares Risikoschema entwickelt, das eine rasche Risikoerfassung nach klinischen Gesichtspunkten ermöglicht. In diesem Risikoschema wurde das krankheitsbedingte Thromboserisiko (expositionelle Risikofaktoren) dem prädisponierenden Risiko vonseiten des Patienten (dispositionelle Risikofaktoren) gegenübergestellt [24], wobei es sich beim expositionellen Risiko um Risikofaktoren handelt, die durch die akute Erkrankung oder deren Behandlung entstehen, wohingegen beim dispositionellen Risiko Faktoren erfasst werden, die der Patient ohne den Eintritt der akuten Krankheit bereits aufweist. Die Arbeitsgruppe von Cohen et al. hat ein ähnliches Risikoschema zur Erfassung des individuellen Thromboserisikos vorgestellt, das sich von dem oben genannten lediglich durch eine Differenzierung von evidenz- und konsensbasierten Risikofaktoren unterscheidet [25]. Als evidenzbasierte Risikofaktoren wurden aus der Kategorie des expositionellen Risikos folgende Faktoren identifiziert: ▬ ischämischer Apoplex mit Parese, ▬ akut dekompensierte chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) mit und ohne Beatmung, ▬ akuter Myokardinfarkt, ▬ Herzinsuffizienz NYHA III und IV, ▬ Sepsis, ▬ aktive maligne Erkrankung, ▬ nahezu vollständige Immobilisierung bei akuter Infektion oder akut entzündlicher Erkrankung (z. B. Darm oder Gelenke). Als konsensbasierte Risikofaktoren für das expositionelle Risiko gelten weiter: ▬ entzündliche Erkrankungen mit Immobilität, ▬ entzündliche Darmerkrankungen. Evidenzbasierte dispositionelle Risikofaktoren ▬ ▬ ▬ ▬ ▬
Alter > 75 Jahre, bekannte Thrombophilie, venöse Thromboembolie in der Eigenanamnese, maligne Erkrankung in der Anamnese, venöse Thromboembolie in der Familienanamnese. Konsensbasierte dispositionelle Risikofaktoren
▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬
Exsikkose, Thrombozytose, Stammvarikose, Hormontherapie, Adipositas, Alter > 60 Jahre, Schwangerschaft/post partum, nephrotisches Syndrom, verlängerte Immobilität.
28
I Physiologie und Pharmakologie
Dieses Risikoschema basiert auf einer 3×3-Feldertafel und ermöglicht eine einfache Erfassung des individuellen Risikos und der daraus ableitbaren Konsequenz einer Indikation zur medikamentösen Prophylaxe. Patienten mit einem evidenzbasierten expositionellen Risiko fallen automatisch in die Kategorie des hohen Risikos, was eine Indikation zur medikamentösen Prophylaxe bedeutet. Die anderen Erkrankungen stellen erst dann eine Indikation dar, wenn weitere Risikofaktoren aus den Basisrisiken additiv hinzukommen. Unabhängig von dieser Empfehlung ist es dem Arzt überlassen, aufgrund besonderer Umstände die Indikationsstellung abweichend vorzunehmen (⊡ Abb. 7.4). Im Gegensatz zu den operativen Fächern, in denen die Risikoklasseneinteilung in »hoch«, »mittel«, »niedrig« auch unterschiedliche Heparindosierungen erfordert, ist diese Einteilung bei internistischen Patienten nicht sinnvoll, weil hier allein die Hochrisikodosierung von Heparin und niedermolekularem Heparin als wirksame Prophylaxe angesehen werden kann. Es besteht Konsens, dass jede krankheitsbedingte Mobilitätseinschränkung beim internistischen Patienten zu einer routinemäßigen Bestimmung des Thromboserisikos führen sollte und in Abhängigkeit von Anzahl und Schwere der dispositionellen Risikofaktoren ebenfalls die Indikation für eine Prophylaxe gegeben sein kann.
I
individuelles Risiko = Akutrisiko + Basisrisiko
• Ischämischer Apoplex mit Parese* • Akut dekompens. COPD (mit/ohne Beatmung)* • Akuter Mykardinfarkt* • Herzinsuffizienz NYHA III/IV* • Sepsis* • Aktive Krebserkrankung unter Therapie* • Nahezu vollständige Immobilisierung
hohes Gesamtrisiko
Akutrisiko
bei akuter Infektion* bei akuter Entzündung (z. B. Darm, Gelenke)*
• Nicht vollständige Immobilisierung bei fieberhaften Infekten, bei fieberhafter Entzündung
• Liegender ZVK • Infusion venenaggressiver Lösungen bei Port
• Bei jeder Mobilitätseinschränkung des internistischen Patienten sollte routinemäßig anhand der Basisrisiken das VTE-Risiko bestimmt werden: je höher das Basisrisiko, desto großzügiger die Indikationsstellung!
• COPD: chronisch obstruktive Lungenerkrankung
• ZVK: zentraler Venenkatheter • VTE: venöse Thromboembolie *Evidenz-basiert
niedriges Gesamtrisiko
• Exsikkose • Polyglobulie • Thrombozytose • Stammvarikose • Hormonersatztherapie • Adipositas • Alter > 60Jahre
• Alter > 75Jahre* • Schwangerschaft/ p. p.** • Orale Kontrazeption • Nephrot. Syndrom • Myeloprol. Syndrom
• Bekannte Thrombophilie* • VTE in Eigenanamnese* • Tumor in der Anamnese* • VTE in Familienanamnese*
Addition der Einzelrisiken
**p.p. = post partum
Basisrisiko
⊡ Abb. 7.4. Abschätzung der Indikation zur medikamentösen Thromboembolieprophylaxe in Abhängigkeit von Akutrisiken (expositionelle Risikofaktoren) und Basisrisiken (dispositionelle Risikofaktoren) bei internistischen Patienten (mod. nach [25])
29 Pathophysiologie venöser und arterieller Thrombosen
I
Schlussfolgerung In Analogie zu chirurgischen Patienten, deren expositionelles Thromboserisiko durch Art und Umfang des chirurgischen Eingriffs bzw. erlittenem Trauma definiert wird, kann auch bei nichtchirurgischen Patienten ein expositionelles Risiko definiert werden. Das expositionelle Risiko von nichtchirurgischen Patienten ist durch Art und Ausmaß einer akuten Erkrankung geprägt, wobei Übergänge von Exposition zu Disposition durchaus möglich sind. Im Vergleich zu chirurgischen Patienten ist jedoch bei nichtchirurgischen Patienten die Trennschärfe zwischen expositionellem und dispositionellem Risiko geringer, was für die Abschätzung des Thromboserisikos nach klinischen Gesichtspunkten im klinischen Alltag jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielt. Prädisponierende Risikofaktoren können das individuelle Thromboserisiko internistischer Patienten erhöhen. Das individuelle Thromboserisiko nichtchirurgischer Patienten ist also definiert als Summe aus expositionellen (Akutrisiken) und dispositionellen Risikofaktoren (Basisrisiken), wobei mit Zunahme des Basisrisikos die Schwelle der Manifestation einer venösen Thromboembolie bei entsprechender Exposition abgesenkt wird. Das vorliegende Risikoschema nach Cohen et al. erlaubt eine flexible Anwendung und ermöglicht dem Arzt, eine fundierte »Ja/Nein«-Entscheidung hinsichtlich einer Thromboseprophylaxe treffen zu können. Es stellt sich nun die Frage, ob und inwieweit der Einsatz von Schemata zur Risikoabschätzung einen Einfluss auf die Verordnung prophylaktischer Maßnahmen hat und möglicherweise zu einer Reduktion venöser Thromboembolien führt. Diese Frage wurde von Kucher et al. beantwortet. Die in Harvard ansässige amerikanische Arbeitsgruppe hat ein Risikoschema zur Abschätzung des individuellen Thromboembolierisikos in einen elektronischen Anamnesebogen eingefügt und die Raten venöser Thromboembolien mit und ohne prophylaktische Maßnahmen bei 2506 konsekutiven Patienten untersucht. 83 % der Patienten hatten internistische Erkrankungen und wurden hinsichtlich ihres individuellen Risikoprofils für venöse Thromboembolien bei Aufnahme ins Krankenhaus überprüft. Das Ergebnis der grob-klinischen Abschätzung wurde dem Aufnahmearzt elektronisch angezeigt, woraufhin dieser subjektiv über die Indikation prophylaktischer Maßnahmen entscheiden musste, ohne dass spezifische Modalitäten vorgegeben waren. Eine konsequente Befolgung des »elektronischen Alarms« führte zu einer Reduktion venöser Thromboembolien von 8,2 % bei Patienten ohne Prophylaxe auf 4,9 % bei Patienten mit Prophylaxe (p = 0,001). Klinisch symptomatische proximale Beinvenenthrombosen wurden von 1,8 % auf 0,8 % (p = 0,024) und Lungenembolien von 2,8 % auf 1,1 % (p = 0,003) reduziert [26]. Diese Untersuchungen haben erstmalig gezeigt, dass eine computerassistierte Risikoabschätzung und die Umsetzung der hieraus resultierenden Indikation zur Prophylaxe einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Patientenversorgung leisten kann.
8.
Arterielle Thromboembolien Sylvia Haas
Die endotheliale Dysfunktion wird als initiale pathophysiologische Veränderung des Endothels in Richtung arteriosklerotische Plaquebildung angesehen. Infolge einer Permeabilitätsstörung des Endothels strömt Plasma in die Intima, deren Grundsubstanz durch ein fibrinreiches Ödem aufgelockert wird. Es kommt zu Wandveränderungen der arteriellen Gefäße durch Aufnahme von Lipiden, Infiltration durch weiße Blutzellen wie Monozyten und Lymphozyten und Bildung
30
I Physiologie und Pharmakologie
I Thrombozytenanlagerung
Rupturierte Plaque
⊡ Abb. 8.1. Pathophysiologie der Atherothrombose – Plaqueruptur mit initialer Thrombusbildung
von Schaumzellen sowie durch Invasion und Proliferation von Gefäßmuskelzellen aus der Media in die Intima und Bildung von Matrixproteinen wie z. B. Kollagen. Im weiteren Verlauf entstehen fibröse Plaques und im Falle einer Plaqueruptur kommt es zur Adhäsion und zum Teil zu einer massiven Aggregation der Thrombozyten mit Ausbildung einer Atherothrombose. Der Begriff der Atherothrombose beschreibt die Bildung eines Thrombus in einer atherosklerotisch veränderten Arterie. Die Atherothrombose stellt also eine thrombotische Komplikation der Atherosklerose dar (⊡ Abb. 8.1). In ⊡ Abbildung 8.2 ist die Entstehung der Atherothrombose einschließlich der hieraus resultierenden klinischen Symptomatik graphisch dargestellt. Die Lumina kleiner und mittelgroßer Arterien werden durch die Wandverdickung zunehmend eingeengt und je nach Lokalisation und Geschwindigkeit, mit der diese Stenosen entstehen, treten unterschiedliche Symptome auf. In der kardialen Strombahn ist die langsam fortschreitende Plaquebildung das pathologisch-anatomische Substrat der jahrelang stabilen oder gering progredienten Angina pectoris und im zerebralen Versorgungsgebiet manifestiert sich die chronische Stenose in Form von transitorischen ischämischen Attacken (TIA) sowie einem Minor Stroke. In der peripheren arteriellen Strombahn lässt sich der Schweregrad der Plaquebildung mit der Stadieneinteilung der arteriellen Durchblutungsstörung nach Fontaine korrelieren. ▬ Stadium I: keine Beschwerden (Stenosen hämodynamisch unbedeutend oder gut kollateralisiert) ▬ Stadium II: Schmerzen bei körperlicher Belastung (Claudicatio intermittens) ▬ Stadium III: Schmerzen in Ruhe (ohne Nekrosen) ▬ Stadium IV: Nekrosen, Gangrän Bei einem vollständigen Verschluss durch Thromben, die sich fast immer auf dem Boden eines rupturierten Atheroms bilden, kommt es im Versorgungsgebiet anatomischer und funktioneller Endarterien zum Infarkt bzw. zur Gangrän.
I
31 Pathophysiologie venöser und arterieller Thrombosen
Normalbefund
Fatty streak
Fibröse Plaque
Atheromatöse Plaque
Plaqueruptur und Thrombusbildung
Myokardinfarkt Ischäm. Schlaganfall
Kritische Extremitätenischämie
Asymptomatisch
Angina pectoris TIA (transiente ischäm. Attacke) Claudicatio (Schaufensterkrankheit) Vaskulärer Tod Zunehmendes Alter
⊡ Abb. 8.2. Klinische Manifestationen der Atherothrombose: Myokardinfarkt, Schlaganfall, periphere arterielle Verschlusskrankheit
Das akute Koronarsyndrom als klassisches Beispiel der Atherothrombose Der Begriff »Akutes Koronarsyndrom« beinhaltet folgende kardiovaskuläre Krankheitsbilder: ▬ instabile Angina, ▬ Nicht-Q-Wellen-Myokardinfarkt, ▬ ST-Hebungs- bzw. Q-Wellen-Myokardinfarkt. Auch der plötzliche Herztod kann die erste und einzige Manifestation eines akuten Koronarsyndroms sein. Die gemeinsame atherosklerotische Morphologie ist zumeist die instabile Plaque mit Plaqueruptur oder -erosion, selten eine Intraplaque-Hämorrhagie, mit appositionellem Thrombus und variabler Lumenreduktion bis hin zum Verschluss. Neben der Manifestation als akutes Koronarsyndrom oder plötzlichem Herztod verlaufen Plaquerupturen oder -erosionen häufig klinisch inapparent oder führen zu einer stabilen Abheilung unter Lumenreduktion ohne akutes klinisches Ereignis. Die Struktur der instabilen Plaque ist gekennzeichnet durch eine dünne fibröse Kappe, Kollagen, hohen Gehalt an Lipiden und Monozyten/Makrophagen sowie Lymphozyten, wenig glatten Muskelzellen und hoher Aktivität von die fibröse Kappe destabilisierenden Matrixmetalloproteinasen. Plaquerupturen und -erosionen werden gefördert durch Endotheldysfunktion inkl. verminderter Aktivität protektiver Vasomotionsmediatoren sowie durch mechanische Faktoren. Für eine Ruptur anfällige Plaques besitzen einen großen Lipidkern, eine geringe Dichte an glatten Muskelzellen, eine hohe Makrophagendichte, dünne fibröse Deckplatten, ungeordnetes Kollagen und eine hohe Konzentration an Gewebefaktor. Der Lipidkern bildet eine Zellmasse innerhalb der Kollagenmatrix der Plaque. Nach dem Tod der Schaumzelle kann sich der Lipidkern durch aktive Auflösung des Kollagens durch Metalloproteasen und nicht nur durch passive Akkumulation bilden. Der Lipidkern rupturanfälliger Plaques besitzt eine
32
I
I Physiologie und Pharmakologie
hohe Konzentration an Cholesterinestern mit einem hohen Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren, die nach einer Plaqueruptur rasch zur Adhäsion, Aktivierung und Aggregation der vorbeiströmenden Thrombozyten führen. Es bildet sich ein plättchenreicher Thrombus, der infolge der engen Verzahnung der thrombozytären und plasmatischen Gerinnselbildung, rasch von einem Fibrinmaschenwerk durchwoben wird. Aus gerinnungsphysiologischer Sicht besteht somit zur Prävention und Therapie des akuten Koronarsyndroms nicht nur eine Indikation für Thrombozytenfunktionshemmer mit verschiedenen Angriffspunkten, wie z. B. Acetylsalicylsäure, Clopidogrel und Glykoprotein IIb/IIIa Rezeptorantagonisten, sondern auch für die Gabe von Antikoagulanzien, wie Heparin und niedermolekulares Heparin [27, 28]. Die Vorzüge von niedermolekularem Heparin werden in den folgenden Kapiteln ausführlich besprochen. Risikofaktoren für arterielle Thrombosen Die Framingham-Studie hat gezeigt, dass gewisse Faktoren das Risiko für Schlaganfall, Herzinfarkt und andere kardiovaskuläre Erkrankungen erhöhen. Dazu gehören neben dem Alter und dem männlichen Geschlecht die Höhe des Blutdrucks (systolisch und/oder diastolisch), der Cholesterinspiegel, insbesondere die Anteile des Low-density-Lipoproteins (LDL), Nikotinkonsum, ausgeprägtes Übergewicht und Diabetes mellitus. Zu den neueren kardiovaskulären Risikofaktoren gehören das Lipoprotein(a) sowie das Homozystein. Bei gleichzeitigem Auftreten mehrerer Risikofaktoren wie Glukoseintoleranz, Lipidstoffwechselstörungen und Hypertonie spricht man von einem metabolischen Syndrom, das für die Entstehung von Thrombosen in der arteriellen Strombahn einen besonderen Stellenwert hat. Literatur Kap. 6–8 1. Virchow R. Phlogose und Thrombose im Gefäßsystem. Gesammelte Abhandlungen zur wissenschaftlichen Medicin. Berlin: von Meininger III; 1856: 458–635 2. Haas S. Thromboembolieprophylaxe in der Chirurgie. Unfallchirurg 2004; 107: 1065–88 3. Wenda K, Lauer K, Boor S. Gibt es in der Endoprothetik einen Zusammenhang zwischen intramedullärer Druckerhöhung, Knochenmarkeinschwemmungen und tiefen Beinvenenthrombosen? Orthopäde 1995; 24: 114–122 4. Handley AJ. Low-dose heparin after myocardial infarction. Lancet 1972; 2: 623–624 5. Warlow C, Beattie AG, Terry G, Ogston D, Kenmure ACF, Douglas AS. A double-blind trial of low doses of subcutaneous heparin in the prevention of deep-vein thrombosis after myocardial infarction. Lancet 1973; 2: 934–936 6. Belch JJ, Lowe GDO, Ward AG, Forbes CD, Prentice CRM. Prevention of deep vein thrombosis in medical patients by low-dose heparin. Scott Med J 1981; 26: 115–117 7. Kierkegaard A, Norgren L, Olsson C-G, Castenfors J, Persson G, Persson S. Incidence of deep vein thrombosis in bedridden non-surgical patients. Acta Med Scand 1987; 222: 409–414 8. Samama MM, Cohen AT, Darmon J-Y, et al. A comparison of enoxaparin with placebo for the prevention of venous thromboembolism in acutely ill medical patients. N Engl J Med 1999; 341: 793–800 9. Fraisse F, Holzapfel L, Coulaud J-M, et al. Nadroparin in the prevention of deep vein thrombosis in acute decompensated COPD. Am J Respir Crit Care Med 2000; 161: 1109–1114 10. Kleber F-X, Witt C, Vogel G, Koppenhagen K, Schomaker U, Flosbach CW, for THE-PRINCE study group. A randomized comparison of enoxaparin with unfractionated heparin for the prevention of venous thromboembolism in medical patients with heart failure or severe respiratory disease. Am Heart J 2003; 145: 614–621 11. Sutherland DE, Weitz IC, Liebman HA. Thromboembolic complications of cancer: epidemiology, pathogenesis, diagnosis, and treatment. Am J Hematol 2003; 72: 43–52 12. Otten HMMB, Prins MH, Smorenburg SM, Hutten BA. Risk assessment and prophylaxis of venous thromboembolism in non-surgical patients: cancer as a risk factor. Haemostasis 2000; 30 (Suppl 2): 72–76
33 Pathophysiologie venöser und arterieller Thrombosen
I
13. Clarke-Pearson DL, Synan IS, Colemen RE, Hinshaw W, Creasman WT. The natural history of postoperative venous thromboembolism in gynaecologic oncology: a prospective study of 382 patients. Am J Obstet Gynecol 1984; 148: 1051–1054 14. Marras LC, Geerts WH, Perry JR. The risk of venous thromboembolism is increased throughout the course of malignant glioma. An evidence-based review. Cancer 2000; 89: 640–646 15. Levine MN, Gent M, Hirsh J, et al. The thrombogenic effect of anticancer drug therapy in women with stage II breast cancer. N Engl J Med 1988; 318: 404–407 16. Saphner T, Tormey DC, Gray R. Venous and arterial thrombosis in patients who received adjuvant therapy for breast cancer. J Clin Oncol 1991; 9: 286–294 17. Geerts WH, Heit JA, Clagett GP, et al. Prevention of venous thromboembolism. Chest 2001; 119: 132S–175S 18. Nicolaides AN, Breddin HK, Fareed J, et al. Prevention of venous thromboembolism. International Consensus Statement Guidelines compiled in accordance with the scientific evidence. Int Angiol 2001; 20: 1–37 19. Leizorovicz A, Cohen, AT, Turpie AGG, et al. Randomized, placebo-controlled trial of dalteparin for the prevention of venous thromboembolism in acutely ill medical patients. Circulation 2004; 110: 874–879 20. Cohen AT, et al. Fondaparinux for the prevention of VTE in acutely ill medical patients. Blood 2003; 102:A42 21. Anderson FA Jr, Wheeler HB, Goldberg RJ, et al. A population-based perspective of the hospital incidence and case-fatality rates of deep vein thrombosis and pulmonary embolism. The Worcester DVT Study. Arch Intern Med 1991; 151: 933–938 22. Kniffin WD Jr, Baron JA, Barrett J, et al. The epidemiology of diagnosed pulmonary embolism and deep venous thrombosis in the elderly. Arch Intern Med. 1994;154: 861–6 23. Laffen M, Tuddenham E. Science, medicine, and the future: Assessing thrombotic risk. Br Med J 1998;317: 520–523 24. Lutz L, Haas S et al. Venöse Thromboembolie in der Inneren Medizin: Risikoeinschätzung und medikamentöse Prophylaxe. Med Welt 2002; 53: 231–234 25. Cohen AT et al. A risk assessment model for identifying medical patients who should receive thromboprophylaxis. J Thromb Haemost 2003;1 Suppl 1:OC437 26. Kucher N, Koo S, Quiroz R, et al. Electronic alerts for venous thromboembolism prophylaxis among hospitalized patients. N Eng. J Med 2005;174: 969–77 27. Cohen M, Demers C,Gurfinkel EP. A comparison of low molecular weight heparin with unfractionated heparin for unstable coronary artery disease. N Engl Med 1997;337:447–52 28. Harrington RA, Becker RC, Ezekowitz M, et al. Antithrombotic therapy for coronary artery disease. Chest 2004;126:513S–548S
34
I Physiologie und Pharmakologie
Pharmakologie niedermolekularer Heparine
I 9.
Pharmakologisches Wirkprofil Helen Mani, Edelgard Lindhoff-Last
Heparin, im Jahre 1916 von McLean entdeckt [1], ist eine körpereigene Substanz und in Verbindung mit Histamin in den Mastzellen zu finden, die besonders zahlreich in Leber, Lunge und Darmmukosa vorkommen. Kommerziell werden Heparine heute aus der Darmmukosa des Schweins extrahiert. Extraktionsmethoden beinhalten proteolytische Spaltung mittels Enzymen oder Alkali, Aufreinigung unter Verwendung quarternärer Ammoniumsalze oder eine Anionen-Austausch-Chromatographie. Heparine sind aus Mukopolysaccharid-Ketten aufgebaut, die abwechselnd aus Glukuronsäuremolekülen, Iduronsäuremolekülen und D-Glukosaminen bestehen. Bezüglich der Art der Zucker, der Kettenlänge und dem Grad der Sulfatierung weist das Heparinpolymer eine beträchtliche Variabilität auf. Entsprechend schwankt das Molekulargewicht eines unfraktionierten Heparins zwischen 3000 und 30.000 Da (mittleres Molekulargewicht: 15.000 Da) [2, 3]. Das unfraktionierte Heparin wird als Ausgangsprodukt zur Produktion von niedermolekularen Heparinen herangezogen. Die Verfahren sind präparatespezifisch, so dass je nach Hersteller die Spaltung durch Desaminierung, Heparinase, Isoamylnitrit, salpetrige Säure oder durch β-Eliminierung eines Benzylesters erreicht werden kann. Durch diese Verfahren wird ein mittleres Molekulargewicht erzielt, das zwischen 4000 und 5000 Da liegt [4]. Der Wirkmechanismus der Heparine beruht hauptsächlich auf der Aktivierung des körpereigenen Glykoproteins Antithrombin, das seinerseits Serinproteasen wie Thrombin oder Faktor X inhibiert. Die Hemmung der Gerinnungsfaktoren durch Antithrombin verläuft unter physiologischen Bedingungen nur sehr langsam ab. Durch Anwesenheit von Heparinen wird die Inhibition um etwa das 1000fache beschleunigt [5]. Wesentlich für die antithrombotische Wirksamkeit des Heparinmoleküls ist die Pentasaccharidsequenz aus Iduronsäure-Glukosamin-Glukuronsäure, verknüpft in 1-4-glukosidischer Bindung (⊡ Abb. 9.1). Als Substituenten werden gehäuft das 2-O-Sulfat der Iduronsäure, N- und 6-O-Sulfat des D-Glykosamins und das N-acetylierte D-Glykosamin gefunden, die die stark negative Ladung des Heparinmoleküls erklären. Durch die Anlagerung des Heparins an die positiv geladenen Lysingruppen des Antithrombins kommt es zu einer Komplexbindung
O SO2–
CH2-O-SO–3
COO – O
OH
O O
OH
OH
O O
OH
CH2-O-SO–3
OH
O O
NH SO–3
⊡ Abb. 9.1. Wirksame Pentasaccharid-Struktur der Heparine
COOH OH
O O
NH SO–3
OH
O NH SO–3
I
35 Pharmakologie niedermolekularer Heparine
Thrombin
Thrombin Antithrombin
Antithrombin
Niedermolekulares Heparin
Unfraktioniertes Heparin
Antithrombin
Unfraktioniertes Heparin
Faktor Xa
Antithrombin
Faktor Xa
Niedermolekulares Heparin
⊡ Abb. 9.2. Wirkung der Heparine auf Thrombin und Faktor Xa
zwischen diesen beiden Molekülen und einer darauffolgenden Konformationsänderung, die zur Aktivierung des Antithrombins führt [6]. Die bedeutende Pentasaccharidstruktur des Heparins wird High-affinity-Region genannt. Nur etwa ein Drittel des Heparinmoleküls beinhaltet diese Region. Die Regionen neben der Pentasaccharideinheit bezeichnet man als Low-affinity-Region; diese bindet an Thrombin und andere Gerinnungsproteine. Für die Hemmung des Thrombins ist die Bildung eines ternären Komplexes aus Heparin, Antithrombin und Thrombin erforderlich, der nur dann entsteht, wenn das Heparin eine Kettenlänge mit mehr als 18 Monomeren besitzt. Das Überbrückungsstück zwischen der Pentasaccharideinheit und der Thrombinbindungsstelle in der Struktur des Heparins muss dabei kürzer als 8 Einheiten sein, sonst bindet Plättchenfaktor 4, der nach Aktivierung der Thrombozyten aus den α-Granula freigesetzt wird, an diese Region, verdrängt Thrombin und hebt dadurch die Heparinwirkung auf. Für die Hemmung der Gerinnungsfaktoren Xa und IXa ist dagegen lediglich die Bindung von Heparin an Antithrombin notwendig. Pharmakologische Untersuchungen zeigen, dass mit abnehmendem Molekulargewicht der Heparine die Inhibition von Thrombin, Faktor XI und Faktor XII abnimmt, während sie für Faktor Xa unverändert bleibt. Aufgrund der speziellen Herstellungsverfahren der niedermolekularen Heparine wird die High-affinity-Region nur selten zerstört, so dass die Inhibierung von Faktor Xa bleibt, die Bindung an Thrombin aber nicht zustande kommt (⊡ Abb. 9.2) [7]. Neben Antithrombin existiert ein zweiter heparinabhängiger Inhibitor von geringerer Bedeutung. Dieser Inhibitor, Heparinkofaktor II, kann nur Thrombin, nicht aber Faktor Xa hemmen, wobei dessen Wirkungseintritt durch Heparine mit höherem Molekulargewicht und höherer Dosierung beschleunigt wird [8]. Unfraktioniertes Heparin bindet aufgrund der Größe und der polyanionischen Struktur mit einer Reihe von Kationen Komplexe und bewirkt dadurch neben der antikoagulatorischen Wirkung eine Reihe von anderen Effekten, wie die Interaktionen mit Thrombozyten und Endothelzellen oder die Inhibierung des Wachstums der glatten Gefäßmuskelzellen. In Endothelzellen
36
I
I Physiologie und Pharmakologie
bewirkt Heparin die Synthese des antikoagulatorisch wirksamen Heparansulfats und die Freisetzung des TFPI (»tissue factor pathway inhibitor«). Die erhöhte fibrinolytische Aktivität nach einer Heparingabe beruht auf einer Freisetzung von t-PA (»tissue plasminogen activator«) aus dem Endothel. Aus der Gefäßwand setzt Heparin des Weiteren die Lipoproteinlipase frei, die die Triglyzeride hydrolysiert und dadurch zum Anstieg freier Fettsäuren im Plasma beiträgt [9]. Niedermolekulare Heparine werden durch Bindung an Plättchenfaktor 4 kaum beeinflusst und binden nur schwach an das Gefäßendothel, dementsprechend aktivieren sie die Lipoproteinlipase geringer als unfraktioniertes Heparin. Bezüglich des Einflusses auf die Thrombozytenfunktion wird eine Hemmung der Plättchenaggregation nur beim unfraktionierten Heparin beschrieben [10].
10.
Pharmakodynamik und Pharmakokinetik Helen Mani, Edelgard Lindhoff-Last
Heparine werden nur in sehr geringen Mengen intestinal resorbiert und müssen daher parenteral appliziert werden. Nach subkutaner Verabreichung des unfraktionierten Heparins tritt der antikoagulierende Effekt nach etwa 1 Stunde auf und der maximale Plasmaspiegel findet sich nach etwa 3 Stunden. Die Bioverfügbarkeit des unfraktionierten Heparins liegt nur bei etwa 30 %. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit von 2 Stunden nach subkutaner Applikation ist eine 3-mal tägliche Gabe notwendig. Zur Erzielung einer sofortigen Wirkung wird Heparin intravenös appliziert. Danach kommt es zu einer schnellen Elimination von etwa 40 % der injizierten Dosis. Die Halbwertzeit, bezogen auf die Faktor-Xa- und auf die Thrombinhemmung, beträgt bei intravenöser Gabe etwa 1 Stunde [11]. Für die Elimination des unfraktionierten Heparins sind zwei Mechanismen beschrieben: zum einen der schnell ablaufende Sättigungsprozess an den Heparinbindungsstellen am Endothel und anderen Zellen, zum anderen ein langsamer Mechanismus durch renale Elimination über glomeruläre Filtration und tubuläre Sekretion. Nach intravenöser oder subkutaner Applikation von therapeutischen Heparindosen werden zunächst die zellulären Bindungsstellen des Heparins gesättigt; erst danach wird eine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung gefunden und der therapeutische Spiegel erreicht [12]. Bei den niedermolekularen Heparinen ist die Bioverfügbarkeit nach subkutaner Gabe aufgrund des niedrigeren Molekulargewichts deutlich höher und wird mit mehr als 90 % angegeben. Die Halbwertszeit liegt bei etwa 4 Stunden bezogen auf die Faktor-Xa-Hemmung und eine Stunde bezogen auf die Thrombinhemmung. Die bessere Bioverfügbarkeit der niedermolekularen Heparine wird mit dem geringen Bindungsvermögen an das Gefäßendothel und an Plasmaprotein wie Plättchenfaktor 4 erklärt. Sie müssen daher im Gegensatz zum unfraktionierten Heparin je nach Präparat nur 1 bis 2-mal täglich verabreicht werden. Bei der Pharmakokinetik der niedermolekularen Heparine ist die erste schnelle Sättigungsphase weniger ausgeprägt, und die lineare Kinetik der renalen Elimination überwiegt. Bei eingeschränkter Nierenfunktion ist die Elimination gestört und aufgrund einer dadurch bedingten Kumulationsneigung ist daher mit einer verlängerten Plasmahalbwertszeit zu rechnen [13]. Ein Vergleich der pharmakologischen Eigenschaften von unfraktioniertem Heparin und niedermolekularen Heparinen ist in ⊡ Tabelle 10.1 dargestellt.
37 Pharmakologie niedermolekularer Heparine
I
⊡ Tabelle 10.1. Vergleich von unfraktioniertem (UFH) und niedermolekularem Heparin (NMH) Eigenschaft
UFH
NMH
Mittleres Molekulargewicht
15 000 Da
5 000 Da
Bioverfügbarkeit s.c.
15–30 %
85–95 %
Halbwertszeit nach i.v.-Gabe nach s.c.-Gabe
1h 2h
2h 3–4 h
Anti-IIa- (Thrombin-)Aktivität
stark
schwach
Anti-Xa-Aktivität
schwach
stark
Bindung an Proteine
stark
schwach
Interaktion mit Thrombozyten
stark
schwach
Neutralisation durch Plättchenfaktor 4
ja
nein
Induktion von HIT-Typ II
stark
schwach
Osteoporoserisiko
ja
reduziert
Elimination
RES, renal
renal
Dosis-Wirkungs-Beziehung
hoch, variabel
konstant
Monitoring
erforderlich
nicht erforderlich*
Neutralisation mit Protamin
100 %
40 –60 %
Produktäquivalenz
ja
nein
s.c.: subkutan, i.v.: intravenös, HIT: heparininduzierte Thrombozytopenie, RES: retikuloendotheliales System * Ausnahmen: bei Niereninsuffizienz, mechanischem Herzklappenersatz, Schwangerschaft
11.
Klinisch relevante Nebenwirkungen Helen Mani, Edelgard Lindhoff-Last
Eine Therapie mit niedermolekularen Heparinen führt aufgrund des niedrigeren Molekulargewichts und der verbesserten pharmakologischen Eigenschaften seltener zu Nebenwirkungen als unfraktioniertes Heparin. Bei der Heparinbehandlung besteht wie bei allen Antikoagulanzien Blutungsgefahr [14]. Nach den Ergebnissen umfangreicher klinischer Studien wird bei kontinuierlicher Infusion mit unfraktioniertem Heparin die durchschnittliche Häufigkeit größerer Blutungen mit 1–4 % angegeben. Bei lebensbedrohlichen Blutungskomplikationen (< 0,5 %) wird das basische Polykation Protamin zur Neutralisierung eingesetzt, das über die sauren Sulfatgruppen von
38
I
I Physiologie und Pharmakologie
Heparin Komplexe bildet. Die Thrombinhemmung wird durch Protamin vollkommen aufgehoben. Auf Faktor Xa bleibt jedoch nur eine 40%ige Hemmung bestehen. Daher wirkt Protamin bei niedermolekularen Heparinen nur zum Teil als Antidot. Aus diesem Grund werden zur Antikoagulation an der Herz-Lungen-Maschine nach wie vor nur unfraktionierte Heparine eingesetzt, da diese im Gegensatz zu den niedermolekularen Heparinen vollständig mit Hilfe von Protamin antagonisiert werden können. Dabei können 100 IE Protamin 100 IE Heparin neutralisieren. Einige Stunden nach Protamingabe kann neuerlich eine Blutung auftreten. Dieser Effekt wird dadurch erklärt, dass der Protamin-Heparin-Komplex wieder dissoziieren kann bzw. Protamin im Körper abgebaut wird, so dass ein Rebound der Heparinwirkung auftreten kann. Daher kann bei schweren Blutungskomplikationen eine wiederholte Gabe von Protamin erforderlich sein [15]. Selten können zu Beginn oder im Verlauf einer Heparintherapie allergische Reaktionen vom Soforttyp (Typ-I-Allergie) wie Urtikaria, Rhinitis, Tränenfluss, Fieber, Bronchospasmus und Blutdruckabfall auftreten. Wesentlich häufiger sind kutane Reaktionen im Bereich der subkutanen Einstichstelle, die Tage bis Wochen nach Beginn der Heparintherapie auftreten können und eine T-Zell-vermittelte Typ-IV-Allergie darstellen. Eine Osteoporose tritt bei bis zu 3 % der Patienten unter einer Langzeittherapie mit unfraktioniertem Heparin auf und wird unter niedermolekularem Heparin nur selten beobachtet (< 0,01 %). Die heparininduzierte Osteoporose ist durch die Bindung von Heparin an die Osteoblasten bedingt, die zum Knochenabbau führt [16]. Inwieweit eine gleichzeitige Gabe von Kalzium und Vitamin D diese induzierte Osteoporose aufhalten kann, ist bisher noch nicht geklärt. Ein Anstieg der Transaminasen mit unspezifischer Aktivierung der Alaninamino- und der Aspartataminotransferase ist eine häufige Nebenwirkung der Heparine (7–10 %). Der Transaminasenanstieg ist jedoch immer reversibel und ohne klinische Relevanz. In sehr seltenen Fällen führt die Applikation von Heparin zu Haarausfall infolge von Mikroblutungen im Bereich der Haarbälge. Bereits kurz nachdem Heparin zur Thromboseprophylaxe beim Menschen eingesetzt wurde, zeigte sich, dass Heparin zu einem Abfall der Thrombozytenzahl führen kann. Man unterscheidet dabei zwei Formen dieser heparininduzierten Thrombozytopenie. Der Thrombozytenabfall, bedingt durch direkte, nichtimmunologische Wechselwirkung zwischen Heparin und Thrombozten wird als heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) Typ I bezeichnet. Dabei bindet unfraktioniertes Heparin die Thrombozyten direkt, niedermolekulare Heparine zeigen geringere Wechselwirkungen mit den Thrombozyten. Die HIT Typ I beginnt innerhalb der ersten 3 Tage der Therapie und zeigt sich durch einen Abfall der Thrombozyten auf etwa 100/nl. Die HIT Typ I ist von untergeordneter klinischer Relevanz, da sich bei Fortsetzung der Therapie die Thrombozytenzahlen wieder normalisieren. Im Gegensatz zur HIT Typ I ist die HIT Typ II ein immunologischer Vorgang, bei dem ein Molekül Heparin an 2 Tetramere von Plättchenfaktor 4 bindet. Diese entstandenen Komplexe bilden Neoantigene, gegen die ein Teil der Patienten eine Immunreaktion zeigen (⊡ Abb. 11.1). Lymphozyten erkennen das Neoantigen als fremd und synthetisieren vor allem Immunglobulin G. Die HIT Typ I tritt 5 bis 20 Tagenach Beginn der Heparinbehandlung auf; bei einer Reexposition von Heparin innerhalb von 3 Monaten können die Antikörper innerhalb eines kürzeren Zeitfensters von 1–3 Tagen auftreten (Booster-Effekt). Die Antikörper lagern sich an FcγRIIa-Rezeptoren aktivierter Thrombozyten an und führen zu einer Verknüpfung mit dem Neoantigen [17]. Dies bewirkt eine Thrombozytenaggregation und gleichzeitig eine massive Thrombinbildung, die die Thrombozytenaggregation verstärkt. Dadurch werden Thrombozyten verbraucht, es kommt zu
39 Pharmakologie niedermolekularer Heparine
PF4
PF4
PF4
I
Plättchenfaktor 4 IgG-Antikörper Heparin oder Heparinsulfate
PF4
PF4
Fc-Rezeptor (Fc RIIa)
PF4 PF4 PF4 PF4 PF4
aktivierter Thrombozyt
PF4
⊡ Abb. 11.1. Pathomechanismus der heparininduzierten Thromboztopenie Typ II
einem Thrombozytenabfall von mehr als 50 % im Vergleich zur Thrombozytenzahl vor Beginn der Behandlung. Blutungskomplikationen werden nicht beobachtet, jedoch kommt es bei etwa 50 % der Patienten zu schweren thromboembolischen Komplikationen wie akuten arteriellen Verschlüssen und/oder venösen Thrombosen. Die Häufigkeit der HIT Typ II ist bei unterschiedlichen Patientenkollektiven unterschiedlich hoch. Das höchste Risiko für die Entstehung einer HIT Typ II wiesen orthopädisch-chirurgische Patienten auf (für unfraktioniertes Heparin bis 3 %; für die niedermolekularen Heparine ≤ 1,0 %), während das Risiko für die Entstehung einer HIT Typ II bei internistischen und chronisch dialysepflichtigen Patienten geringer zu sein scheint. Bei dem geringsten Verdacht auf eine HIT Typ II ist die Heparintherapie sofort abzubrechen und die antithrombotische Therapie mit alternativen Antikoagulanzien weiterzuführen, da die Letalität bei bis zu 20 % liegt [18]. Zusätzlich kann eine Heparinresistenz auftreten, bei der ungewöhnlich hohe Dosen von Heparin appliziert werden, um einen therapeutischen Effekt zu erzielen. Ursachen können die hohe Bindungsneigung an Proteine oder die erhöhte Ausscheidung des Heparins, aber auch ein Antithrombinmangel und erhöhte Faktor-VIII-Werte sein [19]. Es gilt als gesichert, dass weder unfraktioniertes noch niedermolekulares Heparin die Plazentaschranke durchdringt [20].
12.
Monitoring – wann und wie? Helen Mani, Edelgard Lindhoff-Last
Ein kontinuierliches Labormonitoring wie bei den unfraktionierten Heparinen ist bei der Thrombosebehandlung mit den niedermolekularen Heparinen aufgrund ihrer guten Bioverfügbarkeit nicht erforderlich. Verwendung der niedermolekularen Heparine beim mechanischen Herzklappenersatz, bei der Niereninsuffizienz oder in der Schwangerschaft erfordern
40
I
I Physiologie und Pharmakologie
allerdings eine individuell abgestimmte Überwachung des Gerinnungsstatus der Patienten [21]. Niedermolekulare Heparine sind im Gegensatz zu den unfraktionierten Heparinen nicht mit konventionellen Gerinnungstests wie der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit oder der Thrombinzeit steuerbar. Ein Nachweis der Anti-Faktor-Xa-Aktivität im Plasma ist mit speziellen koagulometrischen Gerinnungstests, wie dem Heptest® und der »prothrombinase-induced clotting time« (PiCT) oder chromogenen Testen möglich, die mit verschiedenen Substraten die Wirkung des niedermolekularen Heparins indirekt im Plasma nachweisen. Grundprinzip der Nachweise ist, dass niedermolekulare Heparine die Inaktivierung des Faktors Xa durch Antithrombin katalysieren. Der Zusatz von Faktor Xa in bestimmter Menge zu einer Patientenprobe, die niedermolekulares Heparin enthält, führt zur Hemmung von Faktor Xa, die proportional zur Menge des Heparins in der Probe ist. Beim koagulometrischen Heptest® wird die niedermolekulare Heparinkonzentration indirekt durch Messung der Gerinnselbildungszeit bestimmt. Nach Zugabe einer calciumchloridhaltigen Lösung in das Patientenplasma wird Prothrombinase proportional zur Verfügbarkeit freien Faktors Xa gebildet. Unmittelbar nach der Entstehung erster Spuren von Thrombin wird ein Teil davon sofort gehemmt, und nur wenn die Menge von entstandenem Thrombin die antithrombinvermittelte Inhibitionsrate übersteigt, entsteht ein Fibringerinnsel. Mittels der Gerinnselbildungszeit kann die Konzentration direkt aus einer davor erstellten Kalibrationskurve ermittelt werden. Zum Unterschied zu den chromogenen Testsystemen erfassen HeptestK und PiCT in geringem Ausmaß auch die Anti-Faktor-II-Aktivität des niedermolekularen Heparins. Bei den chromogenen Testmethoden (Coatest®, Berichrom®Heparin, Rotachrom®NMH) wird dem Plasma zusätzlich zum Faktor Xa ein chromogenes Substrat zugesetzt. Dabei wird zum einem Faktor Xa durch den Heparin-Antithrombin-Komplex gehemmt, zum anderen wird eine Farbreaktion des chromogenen Substrats durch Faktor Xa ausgelöst. Die Farbreaktion wird durch die Veränderung der Extinktion verfolgt und die Konzentration der niedermolekularen Heparine indirekt durch eine zuvor erstellte Kalibrationskurve bestimmt. Bei prophylaktischer Anwendung der niedermolekularen Heparine sollte eine Peak-Aktivität von 0,2–0,4 anti-Xa IE/ml 3 Stunden nach subkutaner Gabe erzielt werden. Bei Dosierungen im therapeutischen Bereich werden Zielspiegel von 0,4–1,0 anti-Xa U/ml bei 2-maliger subkutaner Gabe und 0,8–1,5 anti-Xa U/ml bei 1-maliger Gabe 3 Stunden nach subkutaner Applikation angegeben. Literatur Kap. 9–12 1. McLean J. The thromboplastic action of cephalin. Am J Physiol 1916; 41: 250–257 2. Lasker SE, Stivala SS. Physiochemical studies of fractionated bovine heparin. Arch Biochem Biophys 1966; 115: 360–372 3. Johnson EA, Mulloy B. The molecular weight range of mucosal heparin preparations. Carbohydrate Res 1976; 51: 119–127 4. Linhardt RJ, Gunay NS. Production of low molecular weight heparins. Semin Thromb Hemost 1999; 25 (Suppl 3): 5.16 5. Rosenberg RD, Bauer KA. The heparin-antithrombin system: a natural anticoagulant mechanism. In: Colman RW (ed) Hemostasis and thrombosis: basic principles and clinical practice. 3rd edn. Philadelphia 1994; pp 837–860 6. Rosenberg RD, Lam L. Correlation between structure and function of heparin. Proc Natl Acad Sci USA 1979; 76: 1218–1222 7. Casu B, Oreste P, Torri G. The structure of heparin oligosaccharide fragments with high anti factor Xa-activity containing the minimal antithrombin-III-binding sequence. Biochem J 1981; 197: 599–609
41 Pharmakologie niedermolekularer Heparine
I
8. Tollefson DM, Majerus DW, Blank MK. Heparin cofactor II. Purification and properties of a heparin-dependent inhibitor of thrombin in human plasma. J Biol Chem 1982; 257: 2162–2169 9. Olson ST, Chuang YJ. Heparin activates antithrombin anticoagulant function by generating new interaction sites for blood clooting proteinases. Trends Cardiovasc Med 2002; 12: 331–338 10. Salzmann EW, Rosenberg RD, Smith MH. Effect of heparin and heparin fractions on platelet aggregation. J Clin Invest 1980; 65: 64–73 11. Hirsh J, van Aken WG, Gallus AS. Heparin kinetics in venous thrombosis and pulmonary embolism. Circulation 1976; 53: 691–695 12. Bjornsson TO, Wolfram BS, Kitchell BB. Heparin kinetics determined by three assay methods. Clin Pharmacol Ther 1982; 31: 104–113 13. Bara L, Billaud E, Gramond G. Comparative pharmacokinetics of low molecular weight heparin and unfractionated heparin after intravenous and subcutaneous administration. Thromb Res 1985; 39: 631–636 14. Morabia A. Heparin doses and major bleedings. Lancet 1986; 1: 1278–1279 15. Woltz M, Weltermann A. Studies on the neutralizing effects of protamine on unfractionated and low molecular weight heparin at the site of activation of the coagulation system in man. Thromb Haemost 1995; 73: 439–443 16. Bhandari M, Hirsh J, Weitz J. The effects of standard and low molecular weight heparin on bone nodule formation in vitro. Thromb Haemost 1998; 80: 413–417 17. Greinacher A, Potzsch B, Amiral J. Heparin-associated thrombocytopenia: isolation of the antibody and characterization of a multimolecular PF4-heparin complex as the major antigen. Thromb Haemost 1994; 71: 247–251 18. Lindhoff-Last E, Wenning B, Stein M, Bauersachs R, Wagner R. Risk factors and long-term follow-up of patients with the immune type of heparin-induced thrombocytopenia. Clin Appl Thromb Hemost 2002; 8: 347–352 19. Young E, Prins M, Levine MN. Heparin binding to plasma proteins: an important mechanism for heparin resistance. Thromb Haemost 1992; 67: 639–643 20. Sanson BJ, Lensing AWA, Prins MH. Safety of low-molecular weight heparin in pregnancy: a systematic review. Thromb Haemost 1999; 81: 668–672 21. Boneu B, deMoerloose P. How and when to monitor a patient treated with low molecular weight heparin. Semin Thromb Hemost 2001; 27: 519–522
II
Operative Medizin
Thromboembolieprophylaxe Prophylaxe in der Allgemein- und Gefäßchirurgie 45 Prophylaxe in der Orthopädie, Unfall- und Neurochirurgie 48 Prophylaxe in der Urologie 56 Prophylaxe in der gynäkologischen Chirurgie außerhalb onkologischer Eingriffe 60 17. Prophylaxe in der Onkochirurgie 68
13. 14. 15. 16.
Anästhesie unter Verwendung niedermolekularer Heparine 18. Rückenmarknahe Anästhesieverfahren 76
II
45 Thromboembolieprophylaxe
Thromboembolieprophylaxe
13.
Prophylaxe in der Allgemein- und Gefäßchirurgie Sylvia Haas
Die Kenntnis der Thromboseraten, die nach verschiedenen operativen Eingriffen ohne prophylaktische Maßnahmen auftreten, ist von großer Bedeutung für die Einschätzung der Notwendigkeit einer Prophylaxe im Einzelfall. Die in ⊡ Tabelle 13.1 zusammengefassten Zahlenwerte sind nur als Anhaltspunkte zu sehen, da sie einerseits auf älteren Studien beruhen und andererseits bei den chirurgischen Eingriffen von der Art der Operationstechnik und der Lagerung sowie auch insgesamt vom Ausmaß der Mobilität und vom Zeitpunkt der Diagnostik abhängen. Ohne eine spezielle Thromboembolieprophylaxe wurden früher bei allgemein- und abdominalchirurgischen Patienten mit dem sog. Radiofibrinogentest Thrombosen mit einer mittleren Häufigkeit von 25 % diagnostiziert [1]. Im historischen Vergleich zu diesen Thromboseraten wurde mit verschiedenen Methoden der physikalischen und pharmakologischen Prophylaxe eine deutliche Absenkung der Thrombosehäufigkeiten erzielt, wobei sich die Studien trotz gleicher Technik des Thrombosenachweises hinsichtlich Durchführung und Design stark voneinander unterscheiden. Insbesondere die Untersuchungen zum Einsatz der Antithrombosestrümpfe und der intermittierenden pneumatischen Kompression wurden bei relativ kleinen Patientenpopulationen durchgeführt. Die relative Risikoreduktion verschiedener prophylaktischer Maßnahmen ist in ⊡ Tabelle 13.1 zusammengefasst dargestellt [1].
⊡ Tabelle 13.1. Prävalenz von TVT* und Verminderung des relativen Risikos nach allgemeinchirurgischen Eingriffen durch verschiedene Prophylaxeschemata (nach Geerts et al. 2001) Studien [n]
Plazebo
54
4310
25 (24–27)
–
Antithrombosestrümpfe
3
196
14 (10–20)
44
Aspirin
5
372
20 (16–25)
20
Low-dose-Heparin
47
10339
8,(7–8)
68
Niedermolekulare Heparine
21
9364
6,(6–7)
76
2
132
3,(1–8)
88
Intermittierende pneumatische Kompression
Patienten [n]
TVT gesamt [%] (95 % Konfidenzintervall)
Relative Risikoreduktion [%]
Prophylaxeschema
*Daten aus plazebokontrollierten Studien mit Thrombosenachweis durch Radiofibrinogentest
46
II
II Operative Medizin
Die hohe Reduktion des thromboembolischen Risikos durch Antithrombosestrümpfe und intermittierende Kompression muss unter dem Aspekt gesehen werden, dass diese Daten aus nur wenigen und nicht doppelblind durchgeführten Studien mit einer ungenügenden Anzahl von Patienten abgeleitet wurden. Demnach kann aus den Studien nur die primäre medikamentöse Prophylaxe mit Low-dose-Heparin oder niedermolekularem Heparin, begleitet von physikalischen Methoden, als verlässlichste Wirksamkeit abgeleitet werden. Dies gilt auch für Studien mit dem primären Endpunkt der tödlichen Lungenembolie. Kakkar et al. konnten in ihrer internationalen multizentrischen Studie zeigen, dass die Rate tödlicher Embolien durch dreimal tägliche Gabe von 5000 IE Heparin im Vergleich zu Plazebo signifikant gesenkt werden konnte [2]. Haas et al. fanden in einer autopsiekontrollierten Studie an 23.078 Patienten, dass heute insgesamt mit einer niedrigeren Rate tödlicher Lungenembolien nach größeren allgemeinchirurgischen Eingriffen gerechnet werden kann als in den 70er Jahren und dass bei direktem Vergleich von dreimal täglich 5000 IE Heparin und einmal täglich niedermolekularem Heparin kein Unterschied hinsichtlich der Häufigkeit tödlicher Lungenembolien bestand [3]. In einer kürzlich publizierten Studie wurden einmal täglich 2,5 mg Fondaparinux mit einmal täglich 5000 antiXa-E-Dalteparin verglichen, wobei die erste subkutane Gabe von Fondaparinux 6 Stunden postoperativ verabreicht und die Prophylaxe mit Dalteparin 12 Stunden präoperativ begonnen wurde. Die Rate phlebographisch nachgewiesener Thrombosen war mit 4,6 % für Fondaparinux und 6,1 % für Dalteparin vergleichbar zwischen beiden Gruppen, und auch hinsichtlich der Häufigkeit schwerer Blutungen ergab sich mit 3,4 % für Fondaparinux und 2,4 % für Dalteparin kein signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen [4]. Bei der Durchführung sog. minimal-invasiver operativer Eingriffe sollte sich die perioperative Thromboembolieprophylaxe an den Empfehlungen für die nicht minimal-invasive Vorgehensweise orientieren [5]. ACCP-Empfehlungen 2004 [6] ▬ Für allgemeinchirurgische Patienten mit niedrigem Thromboembolierisiko, z. B. kleinere
operative Eingriffe bei Patienten < 40 Jahre und in Abwesenheit weiterer Risikofaktoren, wird ausdrücklich keine spezifische Form der Prophylaxe empfohlen, außer frühzeitige und anhaltende Mobilisierung (Grad 1C+). ▬ Für allgemeinchirurgische Patienten mit mittlerem Thromboembolierisiko, z. B. größere Eingriffe bei Patienten im Alter von 40 bis 60 Jahre oder mit zusätzlichen Risikofaktoren oder umfangreiche chirurgische Eingriffe bei Patienten < 40 Jahre ohne zusätzliche Risikofaktoren, wird eine Prophylaxe mit 2-mal tgl. 5000 IE Heparin oder 1-mal tgl. niedermolekularem Heparin empfohlen (jeweils Grad 1A). ▬ Für allgemeinchirurgische Patienten mit höherem Thromboembolierisiko, z. B. größere Eingriffe bei Patienten im Alter > 60 Jahre oder bei Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren, wird eine Prophylaxe mit 3-mal tgl. 5000 IE Heparin oder 1-mal tgl. niedermolekulares Heparin in Hochrisikoprophylaxedosierung empfohlen (Grad 1A). ▬ Für allgemeinchirurgische Patienten mit Hochrisikoeingriffen und mehreren Risikofaktoren wird die Kombination einer medikamentösen Prophylaxe (z. B. 1-mal tgl. 5000 IE Heparin oder 1-mal tgl. niedermolekulares Heparin in Hochrisikoprophylaxedosierung) mit Antithrombosestrümpfen und/oder intermittierender Kompression empfohlen (Grad 1C+). ▬ Für allgemeinchirurgische Patienten mit hohem Blutungsrisiko wird der Einsatz von gut angepassten Antithrombosestrümpfen oder der intermittierenden Kompression empfohlen, zumindest bis das Blutungsrisiko vorüber ist (Grad 1A).
47 Thromboembolieprophylaxe
II
▬ Für ausgewählte Hochrisikopatienten mit allgemeinchirurgischen Eingriffen, einschließlich
Patienten mit tumorchirurgischen Eingriffen, wird eine Fortsetzung der Prophylaxe nach der Entlassung aus dem Krankenhaus empfohlen (Grad 2A). Gefäßchirurgie Die Notwendigkeit der insbesondere bei größeren gefäßchirurgischen Operationen derzeit noch häufig vorgenommenen medikamentösen Thromboembolieprophylaxe kann durch die Daten aus Studien nicht nachvollzogen werden. Einige Studien ergaben zwar eine Risikoreduktion durch den Einsatz niedermolekularer Heparine, andererseits traten aber teilweise schwere Blutungskomplikationen auf [7–10]. Bei kleineren gefäßchirurgischen Eingriffen, wie zum Beispiel beim prophylaktischen epifaszialen Venenstripping, ist eine routinemäßige Thromboseprophylaxe nicht unbedingt erforderlich, obwohl auch durch diese Eingriffe das Gerinnungssystem aktiviert wird [11]. In eigenen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass es neben der postoperativen Gerinnungsaktivierung auch zur Aktivierung der Fibrinolyse kommt, insbesondere bei Operation in Blutleere und Anwendung der so genannten Lövqvist-Manschette. Unmittelbar nach Lösen der Manschette sind im abströmenden Blut maximale Werte von Thrombin-Antithrombin-Komplexen, aber auch von Plasmin-Antiplasmin-Komplexen nachweisbar (S. Haas und G. Lill, unpublizierte Daten). Trotz insuffizienter Datenlage ist in Deutschland bei venenchirurgischen Eingriffen eine perioperative Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin weit verbreitet, wobei Art und Umfang dieser Prophylaxe jedoch sehr unterschiedlich praktiziert werden. In der Literatur sind keine detaillierten spezifischen Angaben zur Prophylaxe venöser Thromboembolien in der Gefäßchirurgie zu finden. Es wird nur darauf hingewiesen, dass man die Risikoabschätzung ähnlich wie in der Allgemeinchirurgie vornehmen und bei Patienten mit einem insgesamt mittleren oder hohen Thromboserisiko eine medikamentöse Prophylaxe durchführen sollte. Auch die ACCP-Empfehlungen lauten ähnlich, nämlich keine Thromboseprophylaxe bei Patienten ohne zusätzliche Risikofaktoren und eine Prophylaxe mit Heparinpräparaten bei größeren Eingriffen sowie zusätzlichen dispositionellen Faktoren. Wegen eines besseren Nutzen-Risiko-Profils sollte hierbei vorzugsweise niedermolekulares Heparin anstelle von UFH eingesetzt werden. Literatur 1. Geerts WH, Heit JA, Clagett GP et al. Prevention of venous thromboembolism. Chest 2001; 119: 132S–175S 2. Prevention of fatal postoperative pulmonary embolism by low doses of heparin. An international multicentre trial. Lancet 1975; 2: 45–51 3. Haas S, Wolf H, Kakkar AK et al. Prevention of fatal pulmonary embolism and mortality in surgical patients: a randomized double-blind comparison of LMWH with unfractionated heparin. Thromb Haemost 2005; 94: 814–819 4. Agnelli G, Bergqvist D, Cohen AT et al. Randomized clinical trial of postoperative fondaparinux versus perioperative dalteparin for prevention of venous thromboembolism in high-risk abdominal surgery. Br J Surg 2005; 92: 1212–1220 5. Stationäre und ambulante Thromboembolie-Prophylaxe in der Chirurgie und der perioperativen Medizin. Beilage zu den Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie Heft 3/2003 (AWMF-Leitlinien-Register Nr. 003/001) 6. Geerts WH, Pineo GF, Heit JA et al. Prevention of venous thromboembolism. Chest 2004; 126: 338S–400S 7. Belch JJF, Lowe GDO, Pollock JG et al. Low dose heparin in the prevention of deep-vein thrombosis after aortic bifurcation graft surgery. Thromb Haemost 1979; 42: 1429–1433
48
II
II Operative Medizin
8. Killewich LA, Aswad MA, Sandager GP et al. A randomized, prospective trial of deep venous thrombosis prophylaxis in aortic surgery. Arch Surg 1997; 132: 499–504 9. Farcas JC, Chapuis C, Combe S et al. A randomised controlled trial of a low-molecular-heparin (enoxaparin) to prevent deep-vein thrombosis in patients undergoing vascular surgery. Eur J Vasc Surg 1993; 7: 554–560 10. Spebar MJ, Collins GJ, Rich NM et al. Perioperative heparin prophylaxis of deep venous thrombosis in patients with peripheral vasular disease. Am J Surg 1981; 142: 649–650 11. Böhler K, Baldt M, Hinterhuber G et al. Ist die routinemäßige Heparinprophylaxe in der epifaszialen Venenchirurgie gerechtfertigt? Phlebol 1996; 25: 183–186
14.
Prophylaxe in der Orthopädie, Unfall- und Neurochirurgie Sylvia Haas
Patienten der Orthopädie, Unfall- und Neurochirurgie haben oft ein hohes expositionelles Thromboserisiko und zählen daher zu den Patientenpopulationen mit der häufigsten Indikation für thromboseprophylaktische Maßnahmen. Aber auch bei kleineren operativen Eingriffen oder konservativer Behandlung von Verletzungen kann eine Prophylaxe indiziert sein, insbesondere bei Vorliegen von dispositionellen Risikofaktoren. Nachfolgend wird die aus der Literatur ableitbare Evidenz für verschiedene operative Eingriffe und Behandlungen aufgezeigt und die Indikation von Art und Umfang verschiedener Möglichkeiten der Prophylaxe besprochen, wobei schwerpunktmäßig der Einsatz von niedermolekularen Heparinen diskutiert wird. Elektiver Hüftgelenkersatz Gepoolte Daten von Studien, die bis zum Jahr 2001 bei Patienten mit elektivem Hüftgelenkersatz mit verschiedenen Prophylaxeschemata durchgeführt wurden, sind in ⊡ Tabelle 14.1 (modifiziert nach Geerts et al. [1]) zusammengestellt. Die Risikoreduktionen beziehen sich auf die unter Plazebo gefundenen Häufigkeiten von tiefen Beinvenenthrombosen, alle Ergebnisse beruhen auf phlebographischem Thrombosenachweis. Die Zusammenstellung zeigt, dass die pauschalierte Gabe von niedermolekularen Heparinen und die laboradjustierte Gabe von unfraktioniertem Heparin die Gesamtthromboserate am stärksten absenken. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass für die aPTT-kontrollierte Gabe von unfraktioniertem Heparin die in der Tabelle angeführte relative Absenkung des gesamten Thromboserisikos um durchschnittlich 74 % in nur vier kleineren Studien ermittelt wurde, während sich die Angabe der Wirksamkeit von niedermolekularem Heparin (70 % RRR) auf 30 Studien mit insgesamt 6216 Patienten stützen kann. Mittlerweile liegen auch die Ergebnisse von zwei großen Studien zur Thromboembolieprophylaxe mit Fondaparinux bei Patienten mit elektivem Hüftgelenkersatz vor. In beiden wurde Fondaparinux (einmal täglich 2,5 mg s.c. mit postoperativem Beginn) gegen Enoxaparin (40 mg s.c. einmal täglich präoperativ beginnend in der europäischen EPHESUS-Studie [2] bzw. 30 mg s.c. zweimal täglich postoperativ beginnend in der nordamerikanischen PENTATHLON2000-Studie [3] geprüft. In der EPHESUS-Studie ergab sich in der Fondaparinux-Gruppe eine relative Risikoreduktion bei den Thromboembolien gegenüber der Enoxaparin-Gruppe von 55,9 %, in der PENTATHLON-2000-Studie wurde eine relative Reduktion von 26,3 % gefunden. In beiden Gruppen war die Inzidenz von schwereren Blutungen in etwa gleich. Fondaparinux ist inzwischen in Deutschland zur Prophylaxe beim elektiven Hüftgelenkersatz zugelassen.
II
49 Thromboembolieprophylaxe
⊡ Tabelle 14.1. Häufigkeit von tiefen Beinvenenthrombosen (TVT) und relative Risikoreduktion durch verschiedene Prophylaxemethoden bei elektivem Hüftgelenkersatz (Geerts et al.) Studien [n]
Plazebo
Patienten [n]
TVT gesamt [%]
RRR [%]
TVT proximal [%]
RRR [%]
–
12
629
54,2
–
26,6
Antithrombosestrümpfe
4
290
41,7
23
25,5
4
Aspirin
6
473
40,2
26
11,4
57
11
1016
30,1
45
19,3
27
Laboradjustiertes Heparin
4
293
14,0
74
10,2
62
Niedermolekulare Heparine
30
6216
16,1
70
5,9
78
Warfarin
13
1822
22,1
59
5,2
80
Hirudin
3
1172
16,3
70
4,1
85
Danaparoid
3
441
15,6
71
4,1
85
Intermittierende Kompression
7
423
20,3
63
13,7
48
Low-doseHeparin
Eine weitere Alternative war die 6–8 Stunden postoperativ zu beginnende Prophylaxe mit Ximelagatran bzw. Melagatran [4], die wegen hepatotoxischer Wirkungen jedoch Anfang 2006 vom Markt genommen wurde. Hull et al. fanden durch den Vergleich der Ergebnisse von vier Studien zur Thromboseprophylaxe bei elektiven Hüftgelenkoperationen, dass der zeitliche Abstand des Beginns der ersten Gabe zum Zeitpunkt der Operation einen deutlichen Einfluss auf das Thromboserisiko hat. Bei der ersten Gabe von niedermolekularem Heparin 18–24 Stunden nach der Operation betrug das absolute Thromboserisiko 20,8 %, bei der Gabe am Abend vor dem OP-Tag traten Thrombosen in 13,8 % der Fälle auf. Wurde niedermolekulares Heparin zeitnah zur Operation verabreicht, ergaben sich Thromboseinzidenzen von 10,7 bis 14,6 %. Bei einer Thromboseprophylaxe mit Warfarin hatte der zeitliche Abstand zur Operation hingegen praktisch keinen Einfluss auf die prophylaktische Wirksamkeit [5]. Die ACCP-Conference 2004 [6] gibt bezüglich der Prophylaxe bei elektivem Hüftgelenkersatz folgende Empfehlungen: ▬ Niedermolekulares Heparin (als Hochrisikodosis mit Prophylaxebeginn 12 Stunden präoperativ oder 12–24 Stunden postoperativ oder beginnend mit der halben Hochrisikodosierung 4–6 Stunden postoperativ, gefolgt von der vollen Dosierung ab dem nächsten Tag); (Grad 1A).
50
II Operative Medizin
▬ Fondaparinux (2,5 mg mit Prophylaxebeginn 6 bis 8 Stunden postoperativ); (Grad 1A). ▬ INR-kontrollierte Dosierung eines Vitamin-K-Antagonisten mit Beginn präoperativ oder
am Abend des OP-Tages (INR-Zielbereich 2,0–3,0); (Grad 1A).
II
▬ Es wird keine bevorzugte Empfehlung gegeben für Fondaparinux im Vergleich zu
niedermolekularem Heparin oder Vitamin-K-Antagonisten oder für niedermolekulares Heparin im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten, weil der Verhütung venographisch nachgewiesener Thrombosen ein relativ geringer und der Minimierung von Blutungkomplikationen ein hoher Stellenwert zugemessen wird. ▬ Es wird ausdrücklich eine Empfehlung gegen eine alleinige Prophylaxe mit Aspirin, Dextran, Low-dose-Heparin, Strümpfe mit graduiertem Andruck, intermittierende pneumatische Kompression oder Fußpumpe ausgesprochen. ▬ Als Prophylaxedauer wird ein Zeitraum von 28 bis 35 Tagen empfohlen. Elektiver Kniegelenkersatz Die wesentlichen Ergebnisse der bis zum Jahr 2001 publizierten Studien zum Thromboserisiko bei elektivem Kniegelenkersatz sind aus der ⊡ Tabelle 14.2 (modifiziert nach Geerts et al. [1]) ersichtlich. Danach treten thromboembolische Komplikationen häufiger als beim Hüftgelenkersatz auf, man sollte jedoch bedenken, dass die Daten aus überwiegend sehr kleinen Studien gewonnen wurden. So ist zum Beispiel die hohe antithrombotische Wirksamkeit der intermittierenden Kompression kaum nachvollziehbar. Inzwischen liegen die Ergebnisse einer randomisierten Studie (PENTAMAKS) vor, in der Fondaparinux (1-mal täglich 2,5 mg s.c. postoperativ) gegen Enoxaparin (30 mg s.c. 2-mal täglich mit postoperativem Beginn) für eine Prophylaxedauer von 5–10 Tagen geprüft wurde. Während in
⊡ Tabelle 14.2. Häufigkeit von tiefen Beinvenenthrombosen (TVT) und relative Risikoreduktion durch verschiedene Prophylaxemethoden bei elektivem Kniegelenkersatz (Geerts et al.) Studien [n]
Patienten [n]
TVT gesamt [%]
RRR [%]
TVT proximal [%]
RRR [%]
–
15,3
–
Plazebo
6
199
64,3
Antithrombosestrümpfe
2
145
60,7
6
16,6
–
Aspirin
6
443
56,0
13
8,9
42
Low-doseHeparin
2
236
43,2
33
11,4
25
13
1740
30,6
52
5,6
63
Warfarin
9
1294
46,8
27
10,0
35
Intermittierende Kompression
4
110
28,2
56
5,6
63
Niedermolekulare Heparine
51 Thromboembolieprophylaxe
II
der Enoxaparin-Gruppe eine Häufigkeit thromboembolischer Ereignisse von 27,8 % gefunden wurde, traten diese in der Fondaparinux-Gruppe nur bei 12,5 % der Patienten auf. Somit konnte mit Fondaparinux eine weitere relative Risikominderung um 55,2 % erreicht werden. Schwere Blutungen traten in der Fondaparinux-Gruppe bei 11 Patienten auf, während unter Enoxaparin nur eine beobachtet wurde. Jedoch gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Gruppen bezüglich Blutungsfolgen wie Tod oder die Notwendigkeit einer operativen Revision [7]. Auch für den elektiven Kniegelenkersatz ist Fondaparinux jetzt in Deutschland zugelassen. Bezüglich der Thromboembolieprophylaxe bei Patienten mit elektivem Kniegelenkersatz wird in den ACCP-Empfehlungen 2004 [6] Folgendes ausgeführt: ▬ Die routinemäßige Prophylaxe sollte mit niedermolekularem Heparin mit der für eine Hochrisikoprophylaxe vorgesehenen Dosierung, mit Fondaparinux oder mit INR-kontrollierter Gabe eines Vitamin-K-Antagonisten durchgeführt werden (Grad 1A). ▬ Es wird keine bevorzugte Empfehlung gegeben für Fondaparinux im Vergleich zu niedermolekularem Heparin oder Vitamin-K-Antagonisten oder für niedermolekulares Heparin im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten, weil der Verhütung venographisch nachgewiesener Thrombosen ein relativ geringerer und der Minimierung von Blutungkomplikationen ein höherer Stellenwert zugemessen wird. ▬ Die intermittierende pneumatische Kompression mit optimierter Anwendung ist eine Alternative zur medikamentösen Prophylaxe (Grad 1B). ▬ Es wird ausdrücklich eine Empfehlung gegen eine alleinige Prophylaxe mit Aspirin, Lowdose-Heparin oder Fußpumpe ausgesprochen. Hüftfrakturoperationen Die ⊡ Tabelle 14.3 (modifiziert nach Geerts et al. [1]) listet einige Daten zu früheren Untersuchungen bei Patienten mit größeren operativen Eingriffen nach Hüftfrakturen auf. Es handelt sich zwar um kleinere Studien und man sollte, falls man die antithrombotische Prophylaxe mit Heparinen durchführen möchte, niedermolekulare Heparine der aPPT-adjustierten Prophylaxe bevorzugen, da sich alle früheren Studien nur auf eine Kurzzeitprophylaxe von wenigen Tagen beziehen und insbesondere nach Hüftfraktur eine mehrwöchige Prophylaxe indiziert ist. Inzwischen gibt es mit der Substanz Fondaparinux eine gute Alternative zu den Heparinpräparaten. In der PENTHIFRA-Studie wurde im Vergleich zum niedermolekularen Heparin Enoxaparin eine weitere Reduzierung des gesamten thromboembolischen Risikos von 56,4 % gefunden [8]. In einer weiteren Studie (PENTHIFRA plus), in der Fondaparinux gegen Enoxaparin bei Patienten mit Hüftfrakturoperationen mit 30-tägiger Prophylaxedauer geprüft wurde, wurden Thromboseinzidenzen von 35 % in der Plazebogruppe und von nur 1,4 % in der Fondaparinux-Gruppe gefunden [9]. Aufgrund dieser Ergebnisse wurde in den ACCPEmpfehlungen 2004 bei Patienten mit Hüftfrakturoperationen eine Prophylaxe vorzugsweise mit dieser Substanz vorgeschlagen [6], woraufhin Fondaparinux auch für diese Indikation in Deutschland registriert wurde. ACCP-Empfehlungen 2004 [6] für die Prophylaxe bei Hüftfrakturoperationen: ▬ Für Patienten mit Hüftfrakturen wird eine routinemäßige Prophylaxe mit Fondaparinux (Grad 1A), niedermolekularem Heparin in Hochrisiko-Prophylaxe-Dosierung (Grad 1C+), INR-kontrollierte Gabe eines Vitamin-K-Antagonisten (Grad 2B) oder Low-dose-Heparin empfohlen (Grad 1B).
52
II Operative Medizin
⊡ Tabelle 14.3. Häufigkeit von tiefen Beinvenenthrombosen (TVT) und relative Risikoreduktion durch verschiedene Prophylaxemethoden bei Hüftfrakturoperationen (Geerts et al.) Studien [n]
Patienten [n]
TVT gesamt [%]
RRR [%]
Plazebo
9
381
48
–
Aspirin
3
171
34
29
Low-doseHeparin
2
59
27
44
Laboradjustiertes Heparin
4
293
14
74
Niedermolekulare Heparine
5
437
27
44
Warfarin
5
239
24
48
II
▬ Es wird eine Empfehlung gegen eine alleinige Prophylaxe mit Aspirin ausgesprochen. ▬ Bei Aufschub des operativen Eingriffs wird empfohlen, in der Zeit zwischen Hospitalisierung
und Operation eine Prophylaxe mit Low-dose-Heparin oder niedermolekularem Heparin zu beginnen (Grad 1C+). ▬ Falls die Gabe von Antithrombotika wegen eines hohen Blutungsrisikos kontraindiziert ist, wird eine mechanische Prophylaxe empfohlen (Grad 1C+). ▬ Als Prophylaxedauer wird ein Zeitraum von 28–35 Tagen empfohlen. Neurochirurgie Gemäß der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie sind größere Eingriffe an der Wirbelsäule mit einem hohen Thromboserisiko verbunden [10]. Genauere Angaben kann man den ACCP-Empfehlungen 2004 [6] entnehmen: ▬ Bei großen neurochirurgischen Eingriffen wird eine routinemäßige Prophylaxe empfohlen (Grad 1A). ▬ Bei intrakraniellen neurochirurgischen Eingriffen wird die intermittierende pneumatische Kompression mit oder ohne Kompressionsstrümpfe mit graduiertem Andruck empfohlen (Grad 1A). ▬ Low-dose-Heparin oder niedermolekulares Heparin mit postoperativem Beginn sind akzeptable Alternativen. ▬ Für neurochirurgische Hochrisikopatienten wird die Kombination einer mechanischen Prophylaxe (z. B. Kompressionsstrümpfe mit graduiertem Andruck und/oder intermittierende pneumatische Kompression) mit einer pharmakologischen Prophylaxe (z. B. Lowdose-Heparin oder niedermolekulares Heparin) empfohlen (Grad 2B). ▬ Es werden keine generellen Empfehlungen bezüglich der Dauer der Prophylaxe gegeben.
53 Thromboembolieprophylaxe
II
Unfallchirurgie In der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie sind die naturgemäß zahlreichen Varianten unfallchirurgischer Maßnahmen pauschal umschrieben einer der drei Risikogruppen zugeordnet, woraus sich dann nach ärztlicher Einschätzung der Umfang bzw. die Art der Prophylaxe ableiten lassen [10]. Auch nur etwas ausführlicher wird auf dieses Indikationsgebiet in den ACCP-Empfehlungen 2004 eingegangen [6]: ▬ Für alle Traumapatienten mit mindestens einem Risikofaktor für venöse Thromboembolien wird empfohlen, wenn möglich eine Thromboseprophylaxe durchzuführen (Grad 1A). ▬ Wenn keine Kontraindikation vorliegt, wird eine Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin empfohlen, die begonnen werden sollte, sobald dies von Seiten der Sicherheit vertretbar ist (Grad 1A). ▬ Für alle Patienten mit akuten Wirbelsäulenverletzungen wird eine Thromboseprophylaxe empfohlen (Grad 1A). ▬ Es wird ausdrücklich eine Empfehlung gegen eine alleinige Prophylaxe mit Low-doseHeparin, Strümpfe mit graduiertem Andruck oder intermittierende pneumatische Kompression ausgesprochen. ▬ Für Patienten mit akuter Wirbelsäulenverletzung wird eine Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin empfohlen, die nach erkennbarer primärer Hämostase verabreicht werden sollte. Als Alternative wird die Kombination von intermittierender pneumatischer Kompression mit Low-dose-Heparin oder niedermolekularem Heparin empfohlen. ▬ Wenn in der frühen posttraumatischen Phase Kontraindikationen gegen eine Prophylaxe mit Antikoagulanzien vorliegen, wird der Einsatz von intermittierender pneumatischer Kompression und/oder Strümpfen mit graduiertem Andruck empfohlen (Grad 1C+). Arthroskopische Eingriffe im Kniegelenk Insbesondere therapeutische Kniearthroskopien können mit einem beträchtlichen Thromboserisiko verbunden sein [11]. Es sind derzeit nur zwei kleinere Studien bekannt, in denen die antithrombotische Wirksamkeit von niedermolekularen Heparinen gegen Plazebo geprüft wurde. Wirth et al. fanden bei einer bis 10-tägigen Prophylaxe mit Reviparin eine absolute Thrombosehäufigkeit von 1 % in der Reviparin-Gruppe gegenüber 4 % in der Plazebogruppe [12]. In der zweiten Untersuchung konnte durch eine bis zu 30-tägigen Gabe von Dalteparin eine Reduktion der Häufigkeit von Thrombosen von 16 % (Plazebo) auf 2 % erreicht werden [13]. Dennoch wird weiterhin diskutiert, ob eine routinemäßige medikamentöse Thromboembolieprophylaxe erforderlich ist. In den ACCP-Empfehlungen wird diese nur dann empfohlen, wenn die Arthroskopie wegen Komplikationen oder technischer Probleme länger als üblich dauert sowie weitere signifikante dispositionelle Risikofaktoren vorliegen. Ansonsten würde gemäß des nordamerikanischen Konsensusstatements eine frühzeitige Mobilisierung des Patienten ausreichen [6]. Thromboseprophylaxe in der Fußchirurgie Zur Inzidenz thromboembolischer Ereignisse in der Fußchirurgie gibt es nur vage Angaben und deshalb auch keine klare Stellungnahme oder offizielle Empfehlungen einer Fachgesellschaft. Die Arbeitsgruppe von Mizel et al. hat in einer prospektiven multizentrischen Studie
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II
II Operative Medizin
Untersuchungen zur Häufigkeit klinisch manifester Thrombosen in der Fuß- und Sprunggelenkchirurgie durchgeführt [14]. Die Autoren beschreiben sechs klinisch manifeste thromboembolische Ereignisse bei 2733 Patienten mit operativen Eingriffen am Fuß oder Sprunggelenk, entsprechend einer Inzidenz von 0,22 %. In diesem Zusammenhang ist jedoch erwähnenswert, dass kein routinemäßiges Thrombosesuchverfahren wie in anderen Studien zur Ermittlung der Thromboseinzidenzen eingesetzt wurde. Geht man davon aus, dass deshalb nur ca. 20 % der sonst möglicherweise nachweisbaren Thrombosen diagnostiziert wurden, ist die Thromboserate immer noch sehr gering, und man würde somit diese Patienten in die Niedrig-Risiko-Gruppe einordnen. Als besondere Risikofaktoren wurden eine unvollständige Belastbarkeit sowie eine postoperative Immobilisation von Mizel et al. beschrieben. Es empfiehlt sich, die Risikoabschätzung unter Berücksichtigung expositioneller und dispositioneller Risikofaktoren vorzunehmen und bei Patienten mit einem mittleren Thromboserisiko eine medikamentöse Prophylaxe durchzuführen. Wegen eines besseren Nutzen-RisikoProfils sollte hierbei vorzugsweise niedermolekulares Heparin anstelle von herkömmlichem Heparin eingesetzt werden. Zur Dauer der Prophylaxe können angesichts der unzureichenden Datenlage keine verbindlichen Empfehlungen ausgesprochen werden. Bei einer Mobilisation der Patienten in einem Vorfußentlastungsschuh und in Abwesenheit thrombophiler Risikofaktoren wird eine medikamentöse Prophylaxe üblicherweise nicht länger als etwa 10 Tage praktiziert. Indikation der Prophylaxe bei Teilbelastung Die Indikationsstellung einer Thromboseprophylaxe bei Teilbelastung ist wegen der Schwierigkeit der Übertragbarkeit der an klar definierten Patientenpopulationen gewonnenen Studienergebnisse auf den Einzelfall mit offenen Fragen verbunden. Es gibt deshalb hierzu auch keine aus nationalen und internationalen Leitlinien ableitbaren Empfehlungen. Individuelle Faktoren, wie besondere Schmerzhaftigkeit oder eingeschränkte Mobilität und Belastbarkeit können im Einzelfall und bei Nutzen-Risiko-Abwägung zu einer verlängerten oder auch verkürzten Prophylaxedauer führen. Fazit ▬ Die Indikationsstellung einer Thromboembolieprophylaxe erfolgt unter Berücksichtigung
expositioneller und dispositioneller Risikofaktoren. ▬ Hierbei hat sich eine Einteilung der Patienten nach klinischen Gesichtspunkten in drei
Risikokategorien bewährt. ▬ Für Patienten mit einem niedrigen Thromboembolierisiko ist die Datenlage für eine
generelle Empfehlung einer medikamentösen Prophylaxe unzureichend; eine sorgsame Nutzen-Risiko-Abwägung ist für diese Risikokategorie besonders wichtig. ▬ Patienten mit mittlerem oder hohem Thromboembolierisiko sollten jedoch unbedingt eine medikamentöse Prophylaxe erhalten, wofür sich niedermolekulare Heparine hervorragend eignen. ▬ Zur Frage der Dauer einer medikamentösen Prophylaxe gibt es jedoch nur für Patienten mit Hüftgelenkersatzoperationen und Hüftfrakturen eine ausreichend gesicherte Datenlage; bei diesen Patienten sollte eine postoperative medikamentöse Prophylaxe für vier bis fünf Wochen in Erwägung gezogen werden. Verbindliche Angaben zu Art und Dauer von physikalischen Prophylaxemaßnahmen gibt es nicht.
55 Thromboembolieprophylaxe
II
▬ Für Patienten mit mittlerem Risiko, z. B. nach arthroskopisch durchgeführten Eingriffen
oder Ruhigstellung der unteren Extremität nach einem Trauma, konnte der Nutzen einer medikamentösen Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin ebenfalls nachgewiesen werden, jedoch kann die Frage der optimalen Dauer für diese Patienten nicht allgemein verbindlich beantwortet werden. Sie richtet sich nach Art und Umfang des operativen Eingriffs und der nachfolgenden Mobilität des Patienten. Literatur 1. Geerts WH, Heit JA, Clagett GP et al. Prevention of venous thromboembolism. Chest 2001; 119: 132S–175S 2. Lassen MR, Bauer KA, Eriksson BI et al. Postoperative fondaparinux versus preoperative enoxaparin for prevention of venous thromboembolism in elective hip-replacement surgery: a randomised double-blind comparison. Lancet 2002, 359: 1715–1720 3. Turpie AGG, Bauer KA, Eriksson BI et al. Postoperative fondaparinux versus postoperative enoxaparin for prevention of venous thromboembolism after elective hip-replacement surgery: a randomised double-blind trial. Lancet 2002; 359: 1721–1726 4. Eriksson BI, Agnelli G, Cohen AT et al. Direct thrombin inhibitor melagatran followed by oral ximelagatran in comparison with enoxaparin for prevention of venous thromboembolism after total hip or knee replacement: the METHRO III study. Thromb Haemost 2003; 89 (2): 288–296 5. Hull RD, Pineo GF, Stein PD et al. Timing of initial administration of low-molecular-weight heparin prophylaxis against deep vein thrombosis in patients following elective hip arthroplasty. Arch Intern Med 2001; 161: 1952–1960 6. Geerts WH, Pineo GF, Heit JA et al. Prevention of venous thromboembolism. Chest 2004; 126: 338S–400S 7. Bauer KA, Eriksson BI, Lassen MR et al. Fondaparinux compared with enoxaparin for the prevention of venous thromboemolism after elective major knee surgery. N Engl J Med 2001; 345: 1305–1310 8. Eriksson BI, Bauer KA, Lassen MR et al. Fondaparinux compared with enoxaparin for the prevention of venous thromboemolism after hip-fracture surgery. N Engl J Med 2001; 345: 1298–1304 9. Eriksson BI, Lassen MR, Pentasaccharide in hip-fracture surgery plus investigators. duration of prophylaxis against venous thromboembolism with Fondaparinux after hip fracture surgery: a multicenter, randomised, placebo-controlled, double-blind study. Arch Intern Med 2003; 163: 1337–1342 10. Stationäre und ambulante Thromboembolie-Prophylaxe in der Chirurgie und der perioperativen Medizin. Beilage zu den Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie Heft 3/2003 (AWMF-Leitlinien-Register Nr. 003/001) 11. Demers C, Marcoux S, Ginsberg JS et al. Incidence of venographically proved deep vein thrombosis after knee arthroscopy. Arch Intern Med 1998; 158: 47–50 12. Wirth T, Schneider B, Misselwitz F et al. Prevention of venous thromboembolism after knee arthroscopy with low-molecular heparin (reviparin): results of a randomized controlled trial. Arthroscopy 2001; 17: 393–399 13. Michot M, Conen D, Holtz D et al. Prevention of deep-vein thrombosis in ambulatory arthroscopic knee surgery: a randomized trial of prophylaxis with low-molecular heparin. Arthroscopy 2002; 18: 257–263 14. Mizel MS, Temple HAT, Michelson JD. Thromboembolism after foot and ankle surgery. A multicenter study. Clin Orthop 1998; 348: 180–185
56
II Operative Medizin
15.
Prophylaxe in der Urologie Bernhard Mohr
II
Einleitung Die Urologie ist eine chirurgische Disziplin, die sich mit den Erkrankungen des Urogenitaltraktes beschäftigt. Topographisch betrachtet liegt der Urogenitaltrakt im Retroperitoneum und im kleinen Becken und mündet dann in den äußeren Genitalorganen. Bedingt durch diese Lage ist eine enge anatomische Nachbarschaft zu der venösen und lymphatischen Abflussbahn aus der unteren Extremität gegeben, woraus sich ein prinzipiell hohes Risiko für die Entstehung von Thrombosen und Thromboembolien ergibt. Beispiel 1. Nierenzellkarzinome zeichnen sich durch ihre Tendenz zur soliden Gefäßinvasion im fortgeschrittenen Stadium aus. Der Urologe ist im Extremfall mit einem in der Vena cava bis nach supradiaphragmal in den rechten Herzvorhof gewachsenen Tumorthrombuszapfen konfrontiert, auf dessen distalen Ende sich durch die konsekutive Blutstase infrarenal ausgedehnte Appositionsthromben angelagert haben, die bis in die V. femoralis reichen können. Beispiel 2. Die hochmalignen Keimzelltumoren des Hodens metastasieren häufig in die retroperitonealen Lymphknoten, die entlang der Aorta und der V. cava verlaufen. Diese Lymphknotenmetastasen zeigen insbesondere beim so genannten »bulky disease« ein sehr schnelles Größenwachstum und können zur Kompression der V. cava führen, was häufig mit der Entstehung von Thrombosen der Becken-/Beinvenen einhergeht. Exposition, Disposition und Einteilung in Risikogruppen Exposition Urologisch-operative Interventionen stellen wie jeder chirurgische Eingriff per se ein Risiko für die Entstehung von Thrombosen dar, insbesondere wenn sie länger als 30 Minuten dauern. Zusätzlich können bei ausgedehnten Eingriffen im Retroperitoneum oder im kleinen Becken erhebliche Blutverluste auftreten, was den bereits bestehenden prokoagulatorischen Status aggravieren kann. Beispielhaft sei hierfür die radikale Beckenchirurgie bei Karzinomen der Prostata oder der Harnblase genannt. Bei transurethralen Eingriffen mit Einsatz von elektrischen Resektionsschlingen unter Verwendung von elektrolytfreier Spülflüssigkeit kann diese durch eröffnete Gefäße resorbiert werden und dadurch zu einer Hämodilution führen, was ebenfalls einen prokoagulatorischen Status begünstigt. Die typischen Lagerungen bei urologischen Operationen können das Risiko für die Entstehung von Thrombosen erhöhen. Die klassische Lagerung bei Niereneingriffen – Seitlagerung mit lateraler Abknickung – führt neben einer Herabsetzung der ventilatorischen Kapazität der Lunge zu einer Verlangsamung des venösen Rückstroms zum Herzen und begünstigt somit die Blutkoagulation. Die Rückenlagerung mit nach unten abgesenkten Beinen und angehoben-überstrecktem Becken, die bei offenen Operationen an der Prostata und Harnblase bevorzugt wird, birgt ebenfalls ein erhöhtes Thromboserisiko. Auch die Steinschnittlagerung bei endourologischen Eingriffen kann die Thromboseentstehung begünstigen (⊡ Tabelle 15.1) .
II
57 Thromboembolieprophylaxe
⊡ Tabelle 15.1. Häufigkeit der Thromboseentstehung bei verschiedenen urologischen Eingriffen Thrombose Transurethrale Resektion der Prostata (TURP)
Lungenembolie
5–15 %
0,5–2 %
27–39 %
4–11 %
Radikale Prostatektomie
> 50 %
> 20 %
Radikale Zystektomie
> 50 %
> 20 %
Offene Adenomenukleation der Prostata
Die Zahlen geben das Risiko für die Thromboseentstehung ohne Thromboseprophylaxe an und beziehen auch subklinisch verlaufende thromboembolische Ereignisse mit ein.
Disposition Das typische Patientenkollektiv in der Urologie vereint mehrere Dispositionsrisiken für die Thromboseentstehung. Dazu gehören insbesondere das Vorliegen von Malignomen und ein Lebensalter > 50 Jahre, ferner auch Immobilität, Adipositas mit einem BMI > 30, Schwangerschaft, Therapie mit Östrogenen oder Blockade von Androgenen, nephrotisches Syndrom, Urosepsis, paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie, Herzinsuffizienz NYHA III–IV, chronisch-venöse Insuffizienz, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen mit Neigung zur Fistelbildung in den Urogenitaltrakt, und schließlich die Thrombophilie, wie sie z. B. bei anamnestisch abgelaufenen thromboembolischen Ereignissen besteht. Einteilung in Risikogruppen Expositions- und Dispositionsrisiken addieren sich. Je mehr Risiken ein Patient auf sich vereinigt, desto höher ist sein Thromboserisiko. Für eine wirkungsvolle Thromboseprophylaxe müssen die Patienten in entsprechende Risikogruppen eingeteilt werden. Man unterteilt dabei die Patienten in die drei Risikogruppen «hohes Risiko«, »mittleres Risiko« und »niedriges Risiko«. Für die Hochrisikogruppe werden Wahrscheinlichkeiten für die Entstehung von distalen tiefen Venenthrombosen (TVT) von 40–80 % angenommen, für proximale TVT von 10–30 % und für fulminante Lungenembolien von > 1 %. Hochrisiko-Patienten sind z. B. urotraumatologische Patienten mit Verletzungen im Retroperitoneum oder kleinen Becken (Nierenstielabriss, Nierenruptur, Blasenruptur) ebenso wie Patienten, die sich uroonkologischen Eingriffen im Retroperitoneum oder kleinen Becken unterziehen müssen (radikale Tumornephrektomie, retroperitoneale Lymphadenektomie, radikale Zystektomie mit Anlage einer Harnableitung, radikale Prostatektomie). Auch Patienten mit hohem dispositionellen Risiko bei nur mittlerem expositionellen Risiko werden der Hochrisikogruppe zugerechnet. Der mittleren Risikogruppe hinsichtlich Entstehung von venösen Thrombosen (distale TVT in 10–40 %, proximale TVT in 1–10 %, fulminante Lungenembolie in 0,1–1 %) gehören alle Patienten an, die sich länger als 30 min dauernden Operationen unterziehen müssen oder bei denen eine längere Zeit der Immobilisation zu erwarten ist, ohne dass Kriterien für ein hohes Risiko vorliegen. Zur Gruppe des niedrigen Risikos (distale TVT < 10 %, proximale TVT < 1 %, fulminante Lungenembolie < 0,1 %) gehören Patienten ohne dispositionelles Risiko, die sich kleineren operativen Eingriffen mit nur geringer Traumatisierung unterziehen müssen.
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II Operative Medizin
Thromboseprophylaxe
II
Basismaßnahmen zur perioperativen Thromboseprophylaxe sind Krankengymnastik und Frühmobilisation. Die physikalischen Maßnahmen umfassen darüber hinaus die Anwendung von angepassten Kompressionsstrümpfen. In den USA wird oft auch die intermittierende pneumatische Kompression angewandt. Diese Methode hat zwar den Nachteil einer Erhöhung des intraoperativen Blutverlustes, vermag jedoch die postoperative Thromboserate um etwa 10 % zu senken. Physikalische Maßnahmen zur Thromboseprophylaxe sind bei Patienten mit niedrigem Risiko prinzipiell ausreichend. Bei allen anderen Patienten müssen für die wirksame Thromboseprophylaxe physikalische Basismaßnahmen mit einer medikamentösen Prophylaxe kombiniert werden. Für die medikamentöse Thromboseprophylaxe in chirurgischen Disziplinen existieren unfraktioniertes Heparin, niedermolekulares Heparin und Ersatzpräparate wie Danaparoid, Fondaparinux oder Lepirudin. Ein international etabliertes Verfahren der medikamentösen Thromboseprophylaxe ist die subkutane Gabe von unfraktioniertem Heparin 3-mal 5000 IE täglich, was jedoch mit folgenden Nachteilen verbunden sein kann: häufige Entstehung von Wundhämatomen, erhöhter perioperativer Blutverlust insbesondere bei aPTT-adjustierter intravenöser Gabe, Möglichkeit der heparininduzierten Thrombozytopenie Typ I und Typ II sowie bei Langzeitanwendung Osteoporose, Haarausfall und die Entstehung von Priapismen. Danaparoid als Ersatzpräparat kann bei Patienten mit einem HIT-Typ-II-Syndrom zur Thromboseprophylaxe eingesetzt werden. Wegen der im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin deutlich geringeren Nebenwirkungen gibt es einen ungebrochenen Trend hin zur Anwendung der niedermolekularen Heparine. Die gebräuchlichsten Substanzen sind Enoxaparin, Reviparin, Dalteparin, Nadroparin, Tinzaparin und Certoparin. Die niedermolekularen Heparine zeichnen sich durch wesentlich längere Plasmahalbwertszeiten, eine höhere Bioverfügbarkeit aus dem Subkutangewebe, eine höhere Affinität zum Gefäßendothel sowie durch die Möglichkeit zur täglichen Einmalgabe aus. Zu beachten ist bei der Anwendung von niedermolekularen Heparinen insbesondere in der Urologie die relative Kontraindikation bei bestehender Niereninsuffizienz. Die Frage, ob mit der Heparinisierung bereits präoperativ oder erst postoperativ begonnen werden sollte, wird kontrovers diskutiert. Die Heparinisierung sollte insbesondere bei Patienten mit hohem Thromboserisiko etwa bis zum 30. Tag postoperativ fortgesetzt werden, da viele tiefe Venenthrombosen erst in der späten postoperativen Phase entstehen. Bei Patienten nach radikaler Prostatektomie entstehen die meisten tiefen Venenthrombosen z. B. um den 12. Tag postoperativ. Leider werden Patienten jedoch durch zunehmenden Kostendruck und die verkürzten stationären Liegezeiten häufig in einer Phase mit hohem Thromboserisiko ohne adäquate medikamentöse Prophylaxe entlassen. Die risikoarmen niedermolekularen Heparine sind daher wegen der praktischen täglichen Einmalgabe auch in der poststationär-ambulanten Thromboseprophylaxe eine wichtige Hilfe. Literatur 1. Ahsan Z, Cartner R, English PJ. Coagulation tests in predicting haemorrhage after prostatic resection. Br J Urol 1993; 72: 201–206 2. Al-Mondhiry H, Manni A, Owen J, Gordon R. Hemostatic effects of hormonal stimulation in patients with metastatic prostate cancer. Am J Haematol 1988; 28: 141–145 3. Amling CL, Thrasher JB, Frazier HA, Dodge RK, Robertson JE, Paulson DF. Radical cystectomy for stages Ta, Tis and T1 transitional cell carcinoma of the bladder. J Urol 1994; 151: 31–35
59 Thromboembolieprophylaxe
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16.
Prophylaxe in der gynäkologischen Chirurgie außerhalb onkologischer Eingriffe Georg Friedrich von Tempelhoff, Lothar Rudig
Nach den aktuellen Richtlinien der American College of Chest Physicians (ACCP [1]) besteht für Frauen im Rahmen einer gynäkologischen Standardoperation außerhalb onkologischer Eingriffe ein mittleres Thromboserisiko, so dass entweder eine Thromboseprophylaxe mit unfraktioniertem Heparin (Evidence Level Grad 1A [EL 1A]) bzw. niedermolekularem Heparin (NMH) (EL 1C+) oder die intermittierende pneumatische Kompression (IPC) (EL 1B) der Beine empfohlen wird. In früheren plazebokontrollierten Studien lag die mittlere Thromboseinzidenz nach gynäkologischen Eingriffen wegen benigner Grunderkrankung ohne begleitende
61 Thromboembolieprophylaxe
II
Thromboseprophylaxe bei 14,3 % (95%-CI: 11–17) gegenüber einer Inzidenz von 25 % (95%-CI: 24–26) in der Allgemein- und Visceralchirurgie [2]. Ungeachtet dieser Zahlen ergibt sich das individuelle Thromboserisiko auch in der Gynäkologie aus der Kumulation expositioneller und dispositioneller Risikofaktoren. Neben Art, Dauer und Umfang der Operation bzw. Anästhesie (expositionelle Faktoren) sollten die Komorbidität, das Alter, ein hoher BMI oder – im Zusammenhang mit einer zurückliegenden Thrombose – der Nachweis hereditärer bzw. aquirierter thrombophiler Hämostasedefekte (dispositionelle Faktoren) die Indikation zu einer medikamentösen Thromboseprophylaxe veranlassen. Große Aszitesmengen, wie sie auch bei benignen Ovarialtumoren beobachtet werden, führen zur Dehydrierung und Ausbildung eines Hyperviskositätssyndroms, wodurch prinzipiell Thrombosen begünstigt werden [3]. Neben der in der Gynäkologie gebräuchlichen dorsalen Steinschnittlagerung, kann die Manipulation am gefäßreichen Becken, aber auch reaktiv die CO2-Insufflation im Rahmen der Pelviskopie zu einer Verminderung des Blutflusses in den regionalen Gefäßen führen. Insbesondere nach vaginaler Hysterektomie lässt sich regelmäßig im Absetzungsbereich des Uterus von der Scheide eine im Ausmaß variable Infektion nachweisen, die auf die angrenzenden Beckengefäße übergreifen kann und potentiell zur lokalen Hyperkoagulabilität führt. Schließlich ist die hormonelle Antikonzeption [4] oder die Hormonersatztherapie (HRT) [5], die von einem Großteil der Frauen vor Operation eingenommen werden, mit einem erhöhten Thromboserisiko vergesellschaftet. Es existieren allerdings im Zusammenhang mit der HRT postmenopausaler Frauen und dem postoperativen Thromboserisiko keine evidenzbasierten Daten [6, 7], so dass aufgrund der unzureichenden Studienlage grundsätzliche Leitlinien zur peri- und postoperativen Thromboseprophylaxe während HRT gegenwärtig nicht zur Verfügung stehen. Operationsverfahren und Thromboseinzidenz Vor Einführung der peri- und postoperativen Thromboseprophylaxe in die operative Gynäkologie lag nach rein gynäkologischen Eingriffen die mittlere Thromboseinzidenz in 10 Studien mit 1267 Patientinnen bei rund 19 % (⊡ Tabelle 16.1). In neun Studien [9–17] konnte bei insgesamt 1225 gynäkologischen Patientinnen im Rahmen eines abdominalen oder vaginalen nichtonkologischen Eingriffes durch den Einsatz einer Thromboseprophylaxe mit entweder UFH (n = 6), NMH (n = 1), Dextran 70 (n = 3), oraler Antikoagulation (n = 1) oder elastischen Kompressionsstrümpfen (n = 1) die mittlere Thromboserate auf 5,4 % (n = 66) gesenkt werden. Allerdings war in der prospektiven Erhebung von Hohl (1980) Dextran 70 bei Frauen im Alter > 40 Jahre im Zuge eines gynäkologischen Standardeingriffes mit einer extrem hohen Thromboserate von 28 % verbunden [13]. Nach der Etablierung der Low-dose-Heparin-Thromboseprophylaxe in den operativen Disziplinen, die zwischenzeitlich durch die niedermolekularen Heparine (NMH) auch in der Gynäkologie weitestgehend ersetzt wurden, hat in den zurückliegenden 30 Jahren vor allem die Umstellung auf endoskopische Verfahrensweisen die Thromboseproblematik in den Hintergrund treten lassen [18]. Aufgrund der geringeren Invasivität und der Option zum ambulanten Handling ist das endoskopischassistierte Vorgehen die Standardmethode für kleinere und – im zunehmenden Maße – auch größere Eingriffe an den Beckenorganen [19]. Die Thromboseentwicklung ist hierbei ein eher seltenes Ereignis wie auch eine Medline-Metaanalyse der Jahre 1993–2000 zeigt, in der in 14 gynäkologischen Studien mit 179.706 laparoskopisch operierten Frauen eine sehr niedrige Thromboseinzidenz von 0,1 ‰ (n = 18) ermittelt wurde [20]. Weltweit ist die Hysterektomie die am häufigsten durchgeführte gynäkologische Operation [21], der sich jährlich etwa 6/1000
62
II Operative Medizin
⊡ Tabelle 16.1. Inzidenz thromboembolischer Ereignisse nach gynäkolgischen Eingriffen ohne begleitende Thromboseprophylaxe (aus [8]) Autor
Patientinnen [n]
Thrombosen [%]
Lungenembolien [%]
Bonnar u. Walsh (1972)
140
15
0,7
Ballard et al. 1973
55
29
0
Walsh et al. 1974
262
14
2,7
Taberner et al. 1988
49
23
0
Adolf et al. 1978
75
29
0
Clarke-Pearson et al. 1983
97
12,4
1
Clarke-Pearson et al. 1984
382
12,4
1,3
Clarke-Pearson et al. 1984
12
34,6
1,9
Turner u. Brookes 1984
92
4,3
0
103
18,4
0
II
Clarke-Pearson et al. 1990
Frauen in den Vereinigten Staaten unterziehen [22]. Je nach Indikation und anatomischen Verhältnissen, z. B. Größe des Uterus, kann der operative Zugang vaginal, abdominal oder pelviskopisch erfolgen. Walsh et al. ermittelten 1974 nach vaginaler und abdominaler Hysterektomie eine Thromboseinzidenz von 7 % bzw. 12 % ohne begleitende Prophylaxe [23], und in einer von Clarke-Pearson et al. 1987 publizierten Studie lag die Inzidenz nach abdominaler Hysterektomie bei 12 % [24]. Demgegenüber ist die Zahl symptomatischer Thrombosen deutlich niedriger und die Inzidenz liegt in Studien ohne Einsatz eines Screeningverfahrens nach abdominaler oder vaginaler Verfahrensweise mehrheitlich unter 1 %. Überraschenderweise wurde in einigen Studien nach pelviskopischer Hysterektomie eine relativ hohe Zahl symptomatischer Thrombosen beobachtet, die möglicherweise zu Lasten der doch deutlich längeren Operationszeiten gegenüber den konventionellen Operationen gehen (⊡ Tabelle 16.2). Lang dauernde Operationen im kleinen Becken spielen für die Thromboseentwicklung in der gynäkologischen Chirurgie vermutlich eine herausragende Rolle. Dies geht auch aus einer retrospektiven Auswertung von mehr als 30.000 konsekutiv erfassten gynäkologischen Operationen hervor, in der die Inzidenz klinisch manifester thromboembolischer Ereignisse bei Patientinnen mit benigner Grunderkrankung nach einer Narkosedauer von weniger als 3 h unabhängig vom operativen Verfahren mit 0,3 ‰ deutlich niedriger als im Gesamtkollektiv (2,0 ‰) war [18]. Während vergleichende Studien zur postoperativen Gerinnungsaktivierung nach laparoskopischer und konventioneller Hysterektomie fehlen, bestehen vermutlich vonseiten der Rheologie – was die Blutviskosität, Plasmaviskosität und Erythrozytenaggregation anbelangt – nur geringe Unterschiede [33]. Außer nach onkologischen Eingriffen existieren keine Studien zur Thromboseinzidenz nach Brustoperation, wobei nach Mastektomie oder brusteingeschränkter Operation eines Mammakarzinoms selbst unter Studien-
II
63 Thromboembolieprophylaxe
⊡ Tabelle 16.2. Studien zur inzidenz klinisch manifester Thrombosen nach abdominaler, vaginaler und pelviskopischer Hysterektomie Besonderheiten
Autor
Operationsverfahren
Thromboseraten/n [%]
Dauer der Operation m ± SD [min]
Thromboseprophylaxe [%]
Gadonneix (1987) [25]
abdominal
22/1000 (2,2)
Keine Angabe
100
Mäkinen (2001) [26]
abdominal
1/5.875 (0,02)
86 ± 32
37,5
Garry (2004) [27]
abdominal
2/292 (0,7)*
55 (19–155) median (min–max)
Keine Angabe
Dargent (1980) [28]
vaginal
16/556 (0,3)
Keine Angabe
Keine Angabe
Mäkinen (2001) [26]
vaginal
1/1801 (0,06)
88 ± 32
47,1
Garry (2004) [27]
vaginal
0/168*
39 (14–168) median (min–max)
Keine Angabe
Giannone (1993) [29]
pelviskopisch
9/135 (6,7))
Keine Angabe
Keine Angabe
Dequesne (1996) [30]
pelviskopisch
0/107
135
Keine Angabe
Mäkinen (2001) [26]
pelviskopisch
1/2434 (0,04)
124 ± 48
21,9
O‘Shea (2002) [31]
pelviskopisch
1/21(4,8)
155 ± 56
Keine Angabe
Thiel (2003) [32]
pelviskopisch
1/66 (1,5)
Keine Angabe
Keine Angabe
ambulant
Garry (2004) [27]
pelviskopisch
1/584 (0,2)*
84 (10–325) median (min–max)
Keine Angabe
* Lungenembolien
Garry (2004) [27]
pelviskopisch
2/336 (0,6)*
72 (21–220) median (min–max)
Keine Angabe
* Lungenembolien
* Lungenembolien
* Lungenembolien
bedingungen und Einsatz eines Thrombosescreeningverfahrens die Inzidenz unter 1 % lag [8]. Demgegenüber stellen lokale Gefäßthrombosierungen im Rahmen plastischer Verfahren an der Brust – z. B. nach autologer Schwenklappenplastik – ein häufiger beobachtetes Problem dar [34].
64
II Operative Medizin
Orale Antikozeptiva, Hormonersatztherapie (HRT) und perioperative Thromboseprophylaxe
II
Die Einnahme oraler Antikonzeptiva oder östrogen-/gestagenhaltiger Hormonpräparate im Rahmen einer HRT wird mit einem erhöhten Thromboserisiko in Zusammenhang gebracht. Möglicherweise treten während der Hormontherapie Thrombosen erst in Gegenwart zusätzlicher Risikofaktoren namentlich eines höheren Alters und/oder BMI oder einer genetisch determinierten Thrombophilie auf [35–37]. Andererseits wurde der Nutzen einer Unterbrechung der Hormoneinnahme vor Operation bis dato in keiner entsprechend geeigneten Studie untersucht. Die hormoninduzierte Hyperkoagulabilität normalisiert sich etwa 4–6 Wochen nach Absetzen der Hormone [38]. Anhand der individuellen Risikokonstellation muss im Vorfeld eines elektiven größeren Eingriffes der Entschluss zum temporären Verzicht einer Ovulationshemmereinnahme bzw. einer Unterbrechung der HRT getroffen werden. Dabei sollte ein Intervall von mindestens 4 Wochen vor der geplanten Operation eingehalten werden, da die hormoninduzierte Thrombinaktivierung einen schnellen Abfall der Konzentrationen wichtiger Gerinnungsinhibitoren bzw. Fibrinolyseaktivatoren überdauern kann. Während bei der jungen, ansonsten gesunden Frau im Rahmen eines absehbar kurzen Eingriffes mit anschließender sofortiger Vollmobilisation am gleichen Tag die Ovulationshemmereinnahme nicht unterbrochen werden muss, ist eine Thromboseprophylaxe bei Vorlage weiterer Risikofaktoren dennoch indiziert. Übergangsweise kann auf die Einnahme eines reinen Gestagenpräparates (Minipille) zur Kontrazeption [39] oder einer niedrig dosierten transdermalen Estradiolanwendung im Falle gravierender klimakterischer Beschwerden zurückgegriffen werden [40]. Risikoadaptierte Thromboseprophylaxe Gegenwärtig existieren keine Studien zur operationsspezifischen Anwendung einer Thromboseprophylaxe in der Gynäkologie. In Anlehnung an die ACCP- [1] und ACOG- [41] Empfehlungen (American College of Obstetricians and Gynecologists) lassen sich jedoch die verschiedenen operativen Maßnahmen in Bezug auf das expositionelle Thromboserisiko (Art, Dauer und Umfang des Eingriffes) im Allgemeinen gut einschätzen, wobei die Einteilung nach Risikogruppen an Hand der beobachteten Inzidenzen thromboembolischer Komplikationen aus geeigneten Studien erfolgte. Während das Thromboserisiko bei jungen Frauen sehr gering ist steigt es im Alter über 40 Jahre signifikant an. Die jährliche Inzidenz beträgt in der Altersgruppe bis 30 Jahre etwa 0,5/10.000 Frauen, bei 50-jährigen 1/10.000 Frauen, bei 60-70-jährigen 1/1.000 und bei über 80-jährigen 1/100 Frauen [42]. Diesem Rechnung tragend ist das Alter ab 40 auch in der Gynäkologie eine wichtige Diskriminante des individuellen Thromboserisikos. Ungeachtet der Art des operativen Vorgehens und des Alters ist bei Patientinnen im Rahmen einer Hysterektomie eine Heparinprophylaxe zu empfehlen [43]. Insbesondere während längeren pelviskopischen Eingriffen sollte neben physikalischen Maßnahmen auch eine Heparinprophylaxe begleitend durchgeführt werden, da vermutlich selbst die IPC-Behandlung den während pelviskopischer Eingriffe in Steinschnittlagerung und nach Insufflation des Pneumoperitoneums eintretenden Abfall des systolischen venösen Blutflusses sowie temporäre Staseperioden in den Unterschenkelvenen kaum beeinflusst [44]. Die Indikation zur Thromboseprophylaxe und Besprechung der Therapierisiken muss – wie letztlich auch das Votum der Patientin für bzw. gegen eine Thromboseprophylaxe – sorgfältig dokumentiert werden. Rund die Hälfte aller Patienten mit Thrombose (inkl. asympto-
II
65 Thromboembolieprophylaxe
matischer Thrombosen [45]) entwickeln ein die Lebensqualität erheblich einschränkendes postthrombotisches Syndrom, das mit einem erheblichen Behandlungs- und Kostenaufwand verbunden ist. Angesichts der seltenen und mehrheitlich geringen Nebenwirkungen der niedermolekularen Heparine gegenüber UFH, sollte die Indikation für eine Thromboseprophylaxe im Rahmen eines gynäkologischen Eingriffes auch außerhalb des mittleren bzw. höheren Thromboserisikos großzügig gestellt werden (⊡ Tabelle 16.3).
⊡ Tabelle 16.3. Empfehlungen zur postoperativen Thromboseprophylaxe in der Gynäkologie außerhalb onkologischer Eingriffe Operationstypen
Niedriges Risiko
Kleinere Ein-
Mittleres Risiko
Hysterektomie
Hohes Risiko
Dispositionelle Risikofaktoren Keine
Expositionelle Risikofaktoren Keine
griffe am äußeren Genital, Uterus Endokopische Operationen (Pelviskopie, Hysteroskopie) Mammachirurgie außerhalb plastischer Verfahren
mit und ohne Adnektomie plastische Operationen am äußeren und inneren Genital Mammachirurgisch-plastische Verfahren Hysterektomie
mit und ohne Adnektomie plastische Operationen am äußeren und inneren Genital Mammachirurgisch-plastische Verfahren
Maßnahmen
ambulantes
Operieren: sofortige Vollmobilisation keine routinemäßige Heparinprophylaxe
> 40 Jahre keine
lange
Operationsdauer
weiteren Risiken
Kompressions-
strümpfe täglich NMH* frühe
Mobilisation
und
und
> 40 Jahre zusätzliche
Risiken
* Fortsetzung bis mindestens Vollmobilisation erreicht wurde.
lange
Operationsdauer große Traumatisierung
Kompressions-
strümpfe täglich NMH*
in Hochrisikoprophylaxedosierung frühe Mobilisation evtl. poststationäre Thromboseprophylaxe
66
II Operative Medizin
Literatur
II
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67 Thromboembolieprophylaxe
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68
II Operative Medizin
17.
Prophylaxe in der Onkochirurgie Georg Friedrich von Tempelhoff, Lothar Rudig
II
Die maligne Tumorerkrankung ist ein unabhängiger Risikofaktor für die Thromboseentwicklung [1] und geht im hohen Maße mit einer Kumulation klassischer Risikofaktoren einher. Das individuelle Thromboserisiko unterliegt im Verlauf maligner Erkrankungen einer hohen Dynamik und so ist beispielsweise das therapeutische Management (Operation, systemische Behandlung) häufig Ursache und Zeitpunkt einer Thromboseentstehung. Dies geht auch aus einer prospektiven Erfassung thrombotischer Ereignisse bei Patientinnen mit gynäkologischen Malignomen während eines 10-jährigen Zeitraumes hervor, in der rund 90 % aller Thrombosen im ersten Jahr nach Malignomdiagnose festgestellt wurden [2]. Der Altersgipfel für die Diagnose der meisten abdominalen Malignomtypen inklusive gynäkologischer Tumore liegt in der Regel in der 6. Lebensdekade oder darüber und damit ist die Wahrscheinlichkeit einer bestehenden Komorbidität hoch. Patienten mit abdominalen Malignomen weisen zudem häufig bereits vor Beginn der Tumortherapie eine tumorinduzierte Gerinnungsaktivierung und Hypofibrinolyse [3] sowie Beeinträchtigung der blutrheologischen Eigenschaften auf [4]. Im Vordergrund der Primärtherapie solider Tumore steht eine umfangreiche und zeitaufwendige Operation, die die Tumorbeseitigung und Entfernung regionaler Lymphknoten in gefäßreichen Arealen zum Ziel hat und innerhalb der abdominalen Onkochirurgie mit einem besonders hohen Thrombose- und Blutungsrisiko belastet ist [5]. Dabei besteht eine enge Korrelation zwischen der Radikalität des Eingriffs und der postoperativen Komplikationsrate [6], die prinzipell die Dauer der Immobilisation des Patienten nach Operation – und insofern auch das Thromboserisiko – mitbestimmt. Konsequenterweise ist die zügige Mobilisation der Patienten anzustreben, was aber wegen des hohen Kostendrucks im Gesundheitswesen auch einen verkürzten Krankenhausaufenthalt und i. d. R. den Abbruch der Thromboseprophylaxe nach sich ziehen kann. Angesichts dieser klinisch bedeutsamen Risikokonstellation wird in den internationalen Konsensempfehlungen [5, 7, 8] das Thromboserisiko bei Malignompatienten insbesondere während onkologischer Eingriffe auch außerhalb der Allgemeinchirurgie der höchsten Risikokategorie zugeordnet. Ohne Prophylaxe liegt die postoperative Thromboseinzidenz im stationären Bereich nach abdominal/pelvinen Eingriffen zwischen 15 und 40 % [5]. Niedermolekulare Heparine haben die klassische Low-dose-Prophylaxe mit UFH in Europa und im zunehmenden Maße den meisten westlichen Ländern weitestgehend abgelöst, zumal im Vergleich zu Plazebo eine deutliche Senkung der Inzidenz symptomatischer und asymptomatischer Thrombosen in der Allgemeinchirurgie um mehr als 70 % durch eine NMH-Prophylaxe nachgewiesen werden konnte [9]. Aufgrund des hohen Thrombose- und Blutungsrisikos wird in der Allgemeinchirurgie, Gynäkologie, Urologie und Neurochirurgie während onkologischer Eingriffe neben der Heparinprophylaxe auch der Einsatz physikalischer Maßnahmen [elastische graduierte Kompressionsstrümpfe (EKS), intermittierende pneumatische Beinvenenkompression (IPC)] empfohlen (EL Grad 1C+), wobei eine höhere Dosierung [10] und Fortsetzung der Heparinprophylaxe über den stationären Zeitraum hinaus risikoadaptiert vorzunehmen ist (EL Grad 2A) [11–13]. Thromboseinzidenz in der gynäkologischen Onkologie In älteren Studien zur postoperativen Thromboseinzidenz in der Gynäkologie liegt die mittlere Rate ohne Prophylaxe unter Verwendung des Fibrinogen-Uptake-Tests (FUT) nach onkologischer Standardoperation bei etwa 20 % (77/384) und nach abdominaler bzw. vaginaler
69 Thromboembolieprophylaxe
UFH
95% KI
47/567
Mittelwert
12/258
NMH
29/253
IPC Keine Prophylaxe
77/384 0
5
10
15
20
II
25
30
Prozent
⊡ Abb. 17.1. Studien zur Thromboseprophylaxe mit unfraktioniertem Heparin (UFH; n = 6), niedermolekularem Heparin (NMH; n = 2) oder intermittierender pneumatischer Kompression (IPC; n = 3) in der gynäkologischen Onkochirurgie (Mittelwerte und 95%-Konfidenz-Intervall)
Hysterektomie wegen benigner Grunderkrankung bei 13 % (78/579) (RR = 1,5; 95 % KI: 1,1–2,0) [14]. Nach radikaler Vulvektomie erreichte die Inzidenz in einer 1984 publizierten Studie 32 %, wobei nach Exenteration ohne Prophylaxe nur 12% der Patientinnen von einer Thrombose verschont blieben [15]. Mit verschiedenen Prophylaxemethoden konnte in 10 Studien und 1078 gynäkologischen Malignompatientinnen im Rahmen eines onkologischen Standardeingriffes die durchschnittliche Thromboseinzidenz auf 8,2 % gesenkt werden (⊡ Abb. 17.1, Übersicht in [16]). Innerhalb dieser Studien schnitt die intermittierende pneumatische Kompression (IPC) mit einer Inzidenz von 11,6 % durchschnittlich schlechter ab als eine Prophylaxe mit Lowdose-Heparin (3-mal 5000 IE/Tag UFH; 8,3 %) bzw. niedermolekularem Heparin (NMH; 4,6 %). Demgegenüber ermittelte eine 2-armige Studie aus dem Jahr 2001 am 3.–5. postoperativen Tag nach gynäkologisch/onkologischem Eingriff eine sehr niedrige Thrombosesinzidenz bei Frauen > 40 Jahre die entweder NMH (2/105; 1,9 %) oder eine alleinige IPC erhielten (1/106; 0,9 %) [17]. Die gleichen Autoren konnten in einer retrospektiven Erhebung jedoch zeigen, dass nach Maßgabe multivariater Berechnungen bei Patientinnen in Gegenwart eines Malignoms, eines Alters > 60 Jahre oder einer Thrombose in der eigenen Anamnese das Risiko, nach alleiniger IPC-Prophylaxe trotzdem eine Thrombose zu entwickeln, am höchsten ist und empfahlen, diesen Frauen eine umfangreichere Prophylaxe zukommen zu lassen [18].
Ovarialkarzinom
95% KI
23/366
Zervixkarzinom
Mittelwert
64/329
Korpuskarzinom Mammakarzinom
54/271 12/1717
benigne Erkrankung
66/1225 0
5
10
15 Prozent
20
25
30
⊡ Abb. 17.2. Phlebographisch gesicherte postoperative Thromboseinzidenz nach onkologischer Standardoperation genitaler Karzinome und des Mammakarzinoms sowie nach elektiven Eingriffen wegen einer benignen gynäkologischen Grunderkrankung (Mittelwerte und 95%-Konfidenz-Intervall). Außer Mammakarzinompatientinnen erhielten alle Patientinnen routinemäßig eine peri- und postoperative Thromboseprophylaxe entweder mit UFH oder mit NMH
70
II
II Operative Medizin
In 5 Studien in denen entweder UFH oder NMH 7–10 Tage zur peri- und postoperativen Thromboseprophylaxe bei gynäkologischen Malignomen verwendet wurde [19–23] entwickelten trotz Prophylaxe durchschnittlich 20 % der Patientinnen mit Zervixkarzinom (64/329) und Endometriumkarzinom (54/271) nach Wertheim-Operation (radikale Hysterektomie, retroperitoneale pelvine Lymphonodektomie) eine Thrombose. Dagegen lag die Thromboseinzidenz nach Standardoperation eines Ovarialkarzinoms mit 6,3 % (23/366) innerhalb der gynäkologischen Malignome am niedrigsten (⊡ Abb. 17.2). Frauen, die sich einer Primäroperation wegen eines Mammakarzinoms unterzogen (n = 1225) [20, 24] entwickelten in weniger als 1 % der Fälle eine Thrombose (0,7 %) und damit war die relative Thromboseinzidenz nach einem gynäkologischen Eingriff wegen benigner Grunderkrankung (5,4 %) mehr als 7-mal höher (RR: 7,7; 95 %KI: 4,2–14,2) . NMH zur Thromboseprophylaxe in der Onkochirurgie Randomisierte Studien, die eine peri-/postoperative Thromboseprophylaxe mit NMH gegen Low-dose-Heparin verglichen und in die auch gynäkologische Malignompatientinnen mit einbezogen wurden, fanden vergleichbare oder niedrigere Thromboseinzidenzen bei tendenziell geringeren Blutungskomplikationen nach NMH-Behandlung [10, 20, 25–29]. Allerdings mussten einzelne NMH höher dosiert werden, um bei Hochrisikopatienten effektiv Thrombosen zu verhindern. Dalteparin 5000 anti-Xa-IE/Tag zur Thromboseprophylaxe während onkologischer Eingriffe war einer Dosierung mit 2500 anti-Xa-IE/Tag in Bezug auf die Thromboseinzidenz – bei vergleichbarer Sicherheit – überlegen [10]. In diese Richtung weist auch eine Studie, in der Nadroparin (2850 anti Xa IE/Tag) mit 2500 anti-Xa-IE/Tag Dalteparin zur postoperativen Prophylaxe bei Hochrisikopatienten inkl. solcher mit Malignomen (47%) verglichen wurde und doppelt soviele Thrombosen unter Dalteparin auftraten [30]. Enoxaparin in einer Dosis von 40 mg erreichte eine deutlich niedrigere Thromboserate bei Malignompatienten als 20 mg bei Patienten, die sich einer nichtonkologischen gastrointestinalen Operation unterzogen hatten [31]. In einer Metaanalyse aus dem Jahre 1995 konnte allerdings gezeigt werden, dass in doppelblind randomisierten Studien eine hochdosierte NMH-Prophylaxe mit einem signifkant höheren Risiko für Wundhämatome gegenüber der Low-dose-Prophylaxe einherging (⊡ Abb. 17.3) [32]. Auf ein erhöhtes Blutungsrisiko nach onkochirurgischen Mammaeingriffen weisen die Ergebnisse einer dänischen Studie bei 425 konsekutiv operierten Mammakarzinompatientinnen im Zusammenhang mit einer NMH-Prophylaxe [33]. Gegenüber der alleinigen EKS-Behandlung
niedrig dosiert NMH
95% KI
Mittelwert
Alle Studien
hoch dosiert NMH niedrig dosiert NMH hoch dosiert NMH
doppelblind randomisiert
NHM besser 1,0
UFH besser
⊡ Abb. 17.3. Metaanalyse zur postoperativen Thromboseprophylaxe (Kakkar VV 32), Odds Ratio und 95%Konfidenz-Intervall: Wundhämatome nach niedriger und hoher NMH-Prophylaxe bzw. nach Low-dose-Prophylaxe
II
71 Thromboembolieprophylaxe
⊡ Tabelle 17.1. Inzidenz symptomatischer postoperativer Thrombosen vor und nach Krankenhausentlassung (poststationär) bis 91 Tage nach Operation bei Patienten mit und ohne bösartige Tumorerkrankung Patienten ohne Malignom
Malignompatienten
Thromboseinzidenz poststationär bis zum 91. Tag nach Operation [%]
Thromboseinzidenz postoperativ bis zum 91. Tag nach Operation [n/%]
Thromboseinzidenz poststationär bis zum 91. Tag nach Operation [%]
395/0,83
0,51
215/3,21
2,47
25/0,10
0,06
144/0,83
0,43
Thoraxchirurgie
1806/0,68
0,39
654/1,00
0,61
Gastrointestinalchirurgie
1177/0,38
0,20
988/1,77
0,81
Urologie
319/0,34
0,23
814/1,30
0,76
Gynäkologie
402/0,25
0,19
244/1,28
0,74
Orthopädie
4689/1,30
0,96
324/2,49
1,38
Thromboseinzidenz postoperativ bis zum 91. Tag nach Operation [n/%] Neurochirurgie Kopf/HalsChirurgie
war die NMH-Thromboseprophylaxe signifikant und unabhängig mit der Entwicklung postoperativer Hämatome (Odds Ratio: 3,13; 95 % KI: 1,4–7,1) und Nachblutungen (OR: 3,34; 95 % KI: 1,9–5,8) verbunden. In der Regel endet die konventionelle Thromboseprophylaxe am 7. bis spätestens 10. postoperativen Tag und ist damit vermutlich für Hochrisikopatienten zu kurz bemessen. Späte symptomatische Thrombosen nach Abschluss der postoperativen Thromboseprophylaxe treten nach onkologischen Eingriffen vermutlich mit der gleichen Häufigkeit auf wie während des stationären Aufenthaltes. Die Auswertung eines großen regionalen Datenregisters, in dem mit ICD-9-CM (International Classification of Disease, 9th Revision Clinical Modification) kodierte Patientendaten aus Krankenhäusern des Staates Kalifornien erfasst wurden, zeigt, dass die poststationäre Inzidenz symptomatischer Thrombosen bei Malignompatienten nach vorangegangener Operation höher ist als vor Entlassung (Ausnahme gastrointestinale Eingriffe) und beispielsweise im Anschluss an einen gynäkologischen Eingriff rund 58 % aller Thrombosen erst nach Entlassung klinisch manifest werden (⊡ Tabelle 17.1) [34]. Innerhalb einer bereits 1983 publizierten Studie entwickelten nach Abschluss der postoperativen Low-dose-HeparinProphylaxe bis zum 30. Tag nach gynäkologisch/onkologischem Eingriff 5,7 % aller Patientinnen eine Thrombose [18]. Späte Thrombosen traten in einer weiteren Studie bei 8,6 % der Frauen nach Primäroperation eines Ovarialkarzinoms zwischen dem 10. postoperativen Tag und Beginn der Chemotherapie auf [21].
72
II Operative Medizin
⊡ Tabelle 17.2. Dosierung verschiedener niedermolekularer Heparine, die gegenüber der Low-doseProphylaxe mit unfraktioniertem Heparin während allgemeinchirurgischen und gynäkologischen Operationen und hohem Anteil onkologischer Patienten mindestens vergleichbare Ergebnisse erzielten
II
Handelsname
Low dose-UFH
Dosis
Zeitpunkt und Dauer
3-mal 5000 IE/Tag
2 h päoperativ bis 7–10 Tage p.o.
Certoparin
Mono Embolex Sandoparin Embolex NM
3000 anti-Xa-IE/Tag
2 h päoperativ bis 7–10 Tage p.o.
Dalteparin
Fragmin
5000 anti-Xa IU/Tag
12 h päoperativ bis 7–10 Tage p.o.
Enoxaparin
Lovenox Clexane Decipar Thrombenox Plaucina
40 mg*
12 h päoperativ bis 7–12 Tage p.o.
Nadroparin
Fraxiparin Seleparina Ultraparina
2850 anti-Xa-IE/Tag
2 h päoperativ bis 7–10 Tage p.o.
Parnaparin
Fluxum Minidalton Lowehepa Thromboparin
3000–6400 anti-XaIE/Tag **
2 h päoperativ bis 7–10 Tage p.o.
Reviparin
Clivarin
1750 anti Xa IE/ Tag***
2 h päoperativ mind. 5 Tage p.o.
Tinzaparin
Innohep Logiparin
3500 anti-Xa-IE/Tag
2 h päoperativ bis 7–10 Tage p.o.
* 20 mg Enoxaparin war in einer Studie mit hohem Malignompatientenanteil vergleichbar sicher und effektiv wie Low-dose-UFH [27]. ** Vergleichbar hohe NMH-Dosis, wobei die ideale Dosis im Hochrisikobereich nicht sicher definiert ist. *** Eine Studie mit ~ 50 % Malignompatientenanteil: vergleichsweise niedrig dosiertes NMH-Regime, keine weiteren Studien mit höherem Malignompatientenanteil.
Die Inzidenz später Thrombosen nach onkologischen Eingriffen konnte in 2 Studien wirksam durch eine Prolongation der NMH-Prophylaxe gesenkt werden. Hierbei lag in einer dänischen Studie mit 117 Malignompatienten am 28. postoperativen Tag die Inzidenz phlebographisch gesicherter proximaler Thrombosen nach 1- bzw. 4-wöchiger NMH-Prophylaxe (Dalteparin 5000 anti-Xa-IE/Tag s.c.) in Kombination mit Kompressionsstrümpfen bei 16 % bzw. 0 % [13]. In der ENOXACAN-II-Studie erhielten 332 Patienten mit abdominalen Malignomen postoperativ entweder 9 oder 28 Tage doppelblind randomisiert 40 mg/Tag Enoxaparin oder Plazeboinjektionen, wobei die verlängerte Thromboseprophylaxe 30 Tage bzw. 3 Monate nach Operation
73 Thromboembolieprophylaxe
II
jeweils mit einer signifikant niedrigeren Inzidenz phlebographisch gesicherter Thrombosen einherging (12,0 % vs. 4,8 %; p = 0,02; 13,8 % vs. 5,5 %; p = 0,01) [12]. In beiden Studien wurde keine Zunahme der Blutungskomplikationen beobachtet. Empfehlungen zur Thromboseprophylaxe in der Onkochirurgie In den aktuellen Empfehlungen der ACCP [5] (The Seventh ACCP Conference on Antithrombotic and Thrombolytic Therapy) wird bei allen Patienten, die sich einer umfangreichen onkologischen Operation unterziehen, entweder die Low-dose-Heparin-Prophylaxe, beginnend 2 h vor Operation, und danach 3-mal 5000 IE täglich (EL Grad 1A) oder eine höher dosierte NMH-Prophylaxe (mindestens > 3400 anti-Xa-IE/Tag, EL Grad 1A) empfohlen, wobei je nach NMH am Tag vor Operation und/oder 2 h präoperativ begonnen werden kann. Alternativ hierzu kann die IPC alleine (EL Grad 1A) oder eine Kombination aus Low-dose-Heparin oder NMH mit IPC oder EKS (EL Grad 1C) eingesetzt werden. ⊡ Tabelle 17.2 gibt eine Übersicht über die in Studien erfolgreich eingesetzten Dosierungen der einzelnen NMH während onkologischer Operationen. Für Malignompatienten mit besonders hohem Thromboserisiko, beispielsweise einem Alter über 60 Jahre oder zurückliegender Thrombose, wird darüber hinaus eine Fortsetzung der Thromboseprophylaxe für 2–4 Wochen poststationär vorgeschlagen (EL Grad 2C). In Gegenwart welcher Risikofaktoren eine poststationäre Thromboseprophylaxe anzusetzen ist, bleibt letztlich der Entscheidung des Arztes überlassen, da entsprechende klärende Studien fehlen. Patientinnen mit einer präoperativ vorangegangenen Bestrahlung der Bauch/Beckenorgane [19] oder einer Zweitoperation innerhalb von 3–4 Wochen nach Primäreingriff wegen einer postoperativen Nachblutung oder inkompletter Voroperation haben ein besonders hohes Thromboserisiko [35] und sind damit auch potentielle Kandidaten für die Fortsetzung der NMH-Prophylaxe. Ungeachtet der in der Literatur beschriebenen niedrigen Thromboseinzindenz nach Operation eines Mammakarzinoms wird nach Maßgabe einer regionalen Umfrage zur Vergabe einer Prophylaxe in England von dem überwiegenden Teil der befragten Operateure (88/126; 70 %) Heparin in Kombination mit EKS angeordnet [36]. Literatur 1. Alikhan R, Cohen AT, Combe S, Samama MM, Desjardins L, Eldor A, Janbon C, Leizorovicz A, Olson CG, Turpie AGG. Prevention of venous thromboembolism in medical patients with enoxaparin: a subgroup analysis of the MEDINOX study. Blood Coag Fibrinolsysis 2003; 14: 341–346 2. Tempelhoff von G-F. Diagnostik der Hyperkoagulabilität bei gynäkologischen Malignomen und beim Mammakarzinom mittels hämorheologischer und hämostaseologischer Messgrößen und deren Bedeutung für die Thromboseinzidenz, Tumorprogredienz und Mortalität. Inaugural-Dissertation Fachbereich Medizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, 2005 3. Zacharski LR. Thrombosis and Hemostasis Issues in Cancer – Second International Conference. 19–21 September, 2003, Bergamo, Italy. Drugs 2003; 6: 1036–1038 4. Tempelhoff von G-F, Heilmann L, Hommel G, Pollow K. Impact of rheological variables in cancer. Sem Thromb Haemost 2003; 25: 499–513 5. Geerts WH, Pineo GF, Heit JA, Bergqvist D, Lassen MR, Colwell CW, Ray JG. Prevention of venous thromboembolism: the Seventh ACCP Conference on Antithrombotic and Thrombolytic Therapy. Chest 2004; 126 (Suppl 3): 338S–400S 6. Franchi M, Ghezzi F, Riva C, Miglierina M, Buttarelli M, Bolis P. Postoperative complications after pelvic lymphadenectomy for the surgical staging of endometrial cancer. J Surg Oncol 2001; 78: 232–237 7. European Consensus Statement on the prevention of venous thromboembolism. Int Angiol 1992; 11: 151–156
74
II
II Operative Medizin
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75 Thromboembolieprophylaxe
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76
II Operative Medizin
Anästhesie unter Verwendung niedermolekularer Heparine II 18.
Rückenmarknahe Anästhesieverfahren Wiebke Gogarten, Hugo Van Aken
Viele Operationen werden heutzutage bevorzugt unter einer alleinigen Regionalanästhesie oder einer Kombination aus Regionalanästhesie und Allgemeinanästhesie durchgeführt, da sowohl perioperativ als auch insbesondere in der frühen postoperativen Phase eine Vielzahl von Vorteilen für den Patienten nachgewiesen werden konnte. Hierzu gehören bei rückenmarknahen Regionalanästhesieverfahren insbesondere eine verbesserte Analgesiequalität und Frühmobilisation, eine verbesserte postoperative Lungenfunktion mit Reduktion von postoperativen Pneumonien, eine verkürzte Dauer eines postoperativen Ileus bei abdominellen Eingriffen, ein verkürzter Aufenthalt auf der Intensivstation sowie eine verbesserte kardiale Funktion [1–3]. Diese positiven Effekte werden nicht nur durch die gute Schmerzlinderung, sondern auch durch eine begleitende Sympathikolyse, Verminderung der perioperativen Stressreaktion und eine verminderte Opioidexposition erreicht. Um diese positiven Effekte nutzen zu können, ist eine segmentale Blockade der betroffenen Dermatome erforderlich, so dass rückenmarknahe Regionalanästhesien mittlerweile bevorzugt im Zentrum der betroffenen Dermatome und somit bei thorakalen und abdominellen Eingriffen im Bereich von Th4–Th10 durchgeführt werden. Risiken von rückenmarknahen Punktionen Wie jedes Verfahren sind auch rückenmarknahe Regionalanästhesien nicht frei von Nebenwirkungen oder Komplikationen. So kann es bei der Anwendung zu Hypotonien, motorischen Blockaden, postpunktionellen Kopfschmerzen, epiduralen Infektionen sowie als schwerwiegendster Komplikation zu spinalen epiduralen Hämatomen kommen. Durch die enge knöcherne Begrenzung des Epiduralraums können lokale Hämatome sehr schnell zu einer Kompression des Rückenmarks mit der Entwicklung einer Paraplegie führen. Da spinale epidurale Hämatome insgesamt sehr selten sind, existieren keine prospektiven kontrollierten Studien, sondern die Häufigkeit und die zugrunde liegenden Ursachen können nur anhand größerer Fallserien beurteilt werden. In einer 1994 veröffentlichten Serie von insgesamt 61 spinalen epiduralen Hämatomen nach rückenmarknahen Regionalanästhesien analysierten Vandermeulen et al. [4] erstmals die Risikofaktoren und wiesen darauf hin, dass insbesondere die Behandlung mit Antithrombotika oder das Vorhandensein von Koagulopathien zu den häufigsten Ursachen gehörten und bei insgesamt 68 % aller Patienten nachgewiesen werden konnten. Weitere vorwiegend punktionsbedingte Risikofaktoren beinhalteten multiple oder traumatische Punktionsversuche, die Größe der Punktionsnadel, epidurale Verweilkatheter, anatomische Besonderheiten wie der M. Bechterew sowie ein höheres Patientenalter. Auffallend war insbesondere, dass Blutungen beim Entfernen eines Epiduralkatheters mit gleicher Häufigkeit wie bei der Anlage auftraten und die Auswahl eines geeigneten Zeitpunkts zum Ziehen eines
77 Anästhesie unter Verwendung niedermolekularer Heparine
II
Katheters somit der gleichen Aufmerksamkeit wie der Punktionszeitpunkt bedarf. Die Risikofaktoren für Blutungskomplikationen wurden in zwei weiteren nachfolgenden Untersuchungen bestätigt [5, 6] und sind unten aufgeführt. Punktionsbedingte Ursachen für ein spinales epidurales Hämatom ▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬ ▬
Nadelgröße Mehrfachpunktionen Blutige oder traumatische Punktionen Anatomische Besonderheiten (M. Bechterew) Höheres Patientenalter Einführen eines Katheters Entfernen eines Katheters Blutungskomplikationen unter Antithrombotika
Ist man früher davon ausgegangen, dass Blutungskomplikationen mit einem Risiko von 1:150.000 nach Epiduralanästhesien und mit 1:200.000 nach Spinalanästhesien äußerst selten sind und häufiger spontan als nach einer rückenmarknahen Punktion auftreten [7], so ist mittlerweile anhand großer Fallserien bekannt, dass ein direkter Zusammenhang mit der gleichzeitigen Gabe von Antithrombotika und Thrombozytenaggregationshemmern besteht. Erste Berichte wurden bereits 1984 publiziert und beschrieben das Entstehen von spinalen epiduralen Hämatomen bei gleichzeitiger Gabe von unfraktioniertem Heparin und Acetylsalicylsäure. Von 342 Patienten, die sich einer diagnostischen Lumbalpunktion unterzogen, erlitten 18 Patienten radikuläre Schmerzen, 7 Patienten ein spinales epidurales Hämatom und 5 Patienten eine bleibende Paraplegie, wenn Heparin weniger als 1 Stunde nach der Lumbalpunktion verabreicht wurde [8]. Dies entspricht einer Inzidenz von 1:49. Hingegen wies kein Patient eine solche Komplikation auf, bei dem auf die anschließende Gabe von Heparin verzichtet wurde. Spätere Fallserien zeigten, dass unfraktioniertes Heparin in niedriger Dosierung im Rahmen von gefäßchirurgischen Operationen auch nach einer rückenmarknahen Punktion verabreicht werden kann, wenn wenigstens eine Stunde zwischen der Punktion und der Heparinisierung abgewartet wird [9]. Wenige Jahre nach der Markteinführung von niedermolekularen Heparinen kam es in den USA zu einer Häufung von spinalen epiduralen Hämatomen nach rückenmarknahen Punktionen und gleichzeitiger Gabe von Enoxaparin zur Thromboseprophylaxe, obwohl die Gabe von Enoxaparin erst postoperativ begonnen wurde. Die Inzidenz von spinalen epiduralen Hämatomen betrug in den USA 1998 1:40.800 nach Spinalanästhesien und 1:3100 nach Epiduralanästhesien, was zum einen das bekannte größere Risiko nach Epiduralanästhesien im Vergleich mit Spinalanästhesien widerspiegelt, aber vor allem ein nicht mehr vertretbares Risiko für Patienten darstellt [10]. Als Ursache für diese hohe Rate an Blutungskomplikationen wurde zum einen die im Vergleich mit Europa höhere Dosierung von 2-mal 30 mg Enoxaparin pro Tag angenommen, zum anderen gab es bis dahin in den USA keine Empfehlungen, welche Vorsichtsmaßnahmen bei gleichzeitiger Gabe von Substanzen zur Thromboseprophylaxe eingehalten werden sollten, insbesondere wurde das Blutungsrisiko bei der Entfernung eines Epiduralkatheters nicht berücksichtigt [11]. Moen et al. führten eine retrospektive Analyse aller Komplikationen nach rückenmarknahen Regionalanästhesien in Schweden über den Zeitraum 1990 bis 1999 durch [12]. In dieser Serie von insgesamt 1,26 Mio. Spinalanästhesien und 450.000 Epiduralanästhesien variierte die Inzidenz
78
II
II Operative Medizin
von 1:200.000 epiduralen Hämatomen in der Geburtshilfe und 1:3600 spinalen Hämatomen bei Patienten, die sich einem Kniegelenkersatz unterzogen. Die insgesamt seltenen Hämatome in der Geburtshilfe traten ausschließlich bei Patientinnen mit einer Koagulopathie im Rahmen eines HELLP-Syndroms auf, während gesunde Schwangere in der Regel eine erhöhte Gerinnungsaktivität haben und somit physiologisch geschützt erscheinen. Orthopädische Patienten sind hingegen häufig älter, weisen eine bereits beeinträchtigte Nierenfunktion auf und erhalten meist sowohl eine Thromboembolieprophylaxe als auch die Thrombozytenfunktion beeinträchtigende Analgetika. Neben den patientenbezogenen Risikofaktoren für eine Hämatomentstehung führten die Autoren die hohe Inzidenz bei orthopädischen Patienten wie in den USA darauf zurück, dass es zum Zeitpunkt der Erhebung keine schwedischen Empfehlungen zum Umgang mit Antithrombotika bei gleichzeitiger Durchführung von rückenmarknahen Regionalanästhesien gab. In den letzten Jahren wurden mehrere neue Substanzen zur Thrombozytenaggregationshemmung und zur Thromboseprophylaxe entwickelt. Diese Substanzen zeichnen sich durch eine hohe Wirksamkeit aus, wobei eine höhere Effektivität möglicherweise auch ein höheres Blutungsrisiko bergen kann. Das für Patienten mit Hüft- oder Knieoperation zugelassene synthetische Pentasaccharid Fondaparinux zeigte sich in mehreren Studien bei Hochrisikopatienten in der Thromboembolieprophylaxe im Vergleich mit niedermolekularen Heparinen als überlegen [13]. Während der empfohlene Therapiebeginn 6 Stunden postoperativ bei rückenmarknahen Regionalanästhesien von Vorteil ist, existieren bisher wenige Erfahrungen mit kontinuierlichen Regionalanästhesieverfahren. Muss ein Epiduralkatheter unter Fondaparinux entfernt werden, so werden aufgrund der langen Halbwertszeit frühestens nach 20–22 Stunden wieder Talspiegel erreicht [14]. Da Fondaparinux bei eingeschränkter Nierenfunktion erheblich akkumulieren kann, sollten die Zeitintervalle vor Entfernen eines Epiduralkatheters sicherheitshalber auf 36 Stunden ausgedehnt, d. h. eine Dosis ausgelassen werden. Im Rahmen der noch nicht publizierten EXPERT-Studie konnte nachgewiesen werden, dass das einmalige Auslassen der Gabe von Fondaparinux nicht zu einer erhöhten Rate an Thromboembolien führt und somit kein Risiko für den Patienten darstellt, die Sicherheit von Regionalanästhesien aber hierdurch erhöht werden kann. Eine weitere nicht mehr zur Verfügung stehende antithrombotische Substanz ist Melagatran und seine orale Vorstufe Ximelagatran. Hierbei handelt es sich um einen direkten Thrombininhibitor, der sowohl subkutan als auch oral verabreicht werden kann. Ximelagatran ist ebenfalls zum postoperativen Beginn einer Thromboembolieprophylaxe zugelassen, so dass zum Zeitpunkt der rückenmarknahen Punktion die Gerinnung ebenfalls nicht beeinträchtigt ist. Bei der geplanten Entfernung eines Epiduralkatheters sollte entsprechend der Pharmakokinetik ein Zeitintervall von 8–10 Stunden vor und von 2–4 Stunden nachher eingehalten werden, um das Risiko von Blutungen zu minimieren. Auch bei Ximelagatran und Melagatran ist zu beachten, dass die Substanzen bei einer eingeschränkten Nierenfunktion erheblich akkumulieren können und die Zeitintervalle entsprechend verlängert werden sollten [15]. Neben den Medikamenten zur Thromboseprophylaxe stehen seit einigen Jahren auch neue Thrombozytenaggregationshemmer zur Verfügung, deren Wirksamkeit der Acetylsalicylsäure deutlich überlegen ist. Hierbei handelt es sich vor allem um die Gruppe der Thienopyridine oder auch ADP-Antagonisten. Clopidogrel wird bevorzugt nach koronaren Stentimplantationen eingesetzt, um eine frühzeitige Reokklusion zu verhindern. Werden Thienopyridine in den ersten Wochen nach einer Stentimplantation perioperativ abgesetzt, ist das Risiko für einen Myokardinfarkt deutlich erhöht, werden sie hingegen weitergegeben, so kann es bei größeren Eingriffen zu schwerwiegenden Blutungskomplikationen kommen [16]. Da bereits erste spinale epidurale Blutungen unter Clopidogrel aufgetreten sind, ist eine Punktion wäh-
79 Anästhesie unter Verwendung niedermolekularer Heparine
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rend der Einnahme kontraindiziert. Die Thrombozytenaggregationsfähigkeit ist 7 Tage nach Absetzen von Clopidogrel normalisiert [17]. Obwohl eine erhöhte Blutungsneigung unter Thrombozytenaggregationshemmern kontrovers diskutiert wird und Acetylsalicylsäure ohne gleichzeitige Thromboembolieprophylaxe vermutlich kein erhöhtes Risiko darstellt, ist dies nicht ohne weiteres auch auf potentere Thrombozytenaggregationshemmer übertragbar. Risikoeingrenzung bei rückenmarknahen Regionalanästhesien Um das Risiko von spinalen epiduralen Hämatomen einzugrenzen, wurden mittlerweile von den meisten nationalen Fachgesellschaften Leitlinien zum Umgang mit Antithrombotika und rückenmarknahen Regionalanästhesien herausgegeben [14, 18]. Diese unterscheiden sich anhand lokaler Besonderheiten nur marginal voneinander. Gemeinsam ist allen Leitlinien, dass sie Zeitintervalle zwischen der letzten Gabe eines Antithrombotikums und der Durchführung von rückenmarknahen Punktionen angeben, die eingehalten werden sollten, um das Blutungsrisiko einzugrenzen. Diese Zeitintervalle beruhen nicht auf prospektiven Untersuchungen, sondern basieren auf den pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Besonderheiten der einzelnen Substanzen. Das Einhalten der Zeitintervalle soll gewährleisten, dass eine Punktion möglichst zum Zeitpunkt von Talspiegeln, also zum Zeitpunkt des geringsten antithrombotischen Effekts, durchgeführt wird. Die von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) empfohlenen Zeitintervalle sind in ⊡ Tabelle 18.1 aufgeführt. Dabei ist zu berücksichti-
⊡ Tabelle 18.1. Empfohlene Zeitintervalle zwischen Verabreichung von Antithrombotika und rückenmarknaher Anästhesie bzw. Katheterentfernung Vor Punktion/ Katheterentfernung
Nach Punktion/ Katheterentfernung
UFH (Prophylaxe)
4h
1h
UFH (Therapie)
4 h (aPTT-Kontrolle)
1h
NMH (Prophylaxe)
12 h
2–4 h
NMH (Therapie)
24 h
2–4 h
Fondaparinux
36–42 h
6–12 h
Kumarine
INR < 1,4
Nach Katheterentfernung
Hirudine (Lepirudin, Desirudin)
8–10 h
2–4 h
Melagatran
8–10 h
2–4 h
Acetylsalicylsäure
> 2 Tage
Nach Katheterentfernung
Clopidogrel
> 7 Tage
Nach Katheterentfernung
Ticlopidin
> 10 Tage
Nach Katheterentfernung
Modifiziert nach [14], UFH: unfraktionierte Heparine, NMH: niedermolekulare Heparine
80
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II Operative Medizin
gen, dass die meisten Antithrombotika mit Ausnahme von Argatroban bei Patienten mit einer Niereninsuffizienz akkumulieren können und somit die angegebenen Zeitintervalle nur für Patienten mit einer normalen Nierenfunktion gelten. Insgesamt geht man jedoch davon aus, dass das Vorhandensein entsprechender Empfehlungen und Leitlinien dazu beigetragen hat, dass es in den meisten europäischen Ländern mit Einführung von niedermolekularen Heparinen nicht zu einer Häufung von bleibenden Paraplegien wie nach der Markteinführung in den USA oder in Schweden gekommen ist [11, 12]. Um Komplikationen frühzeitig erkennen und einer adäquaten Diagnostik und Therapie zuführen zu können, sollten alle Patienten mit einem rückenmarknahen Regionalanästhesieverfahren engmaschig neurologisch überwacht werden. Dies beinhaltet sowohl regelmäßige Visiten durch einen Akutschmerzdienst als auch eine hohe Aufmerksamkeit aller an der Betreuung beteiligten Personen einschließlich des Patienten selbst. Die Aufrechterhaltung einer rückenmarknahen Blockade erfolgt bevorzugt mit niedrig dosierten Lokalanästhetika in Kombination mit Opioiden, um motorische Blockaden zu vermeiden und neu auftretende motorische Blockaden als Hinweis für eine epidurale Blutung werten zu können. Symptome eines spinalen epiduralen Hämatoms ▬ ▬ ▬ ▬
Rückenschmerzen an der Punktionsstelle Blasenentleerungsstörungen Fortschreitendes sensorisches Defizit Neues motorisches Defizit
Bei geringstem Verdacht auf ein spinales epidurales Hämatom sollte als Methode der Wahl sofort eine Kernspintomographie zum Ausschluss eines Hämatoms durchgeführt werden. Steht das entsprechende Verfahren nicht zur Verfügung, so wird alternativ eine Computertomographie oder eine Myelographie empfohlen, da Verzögerungen durch unnötige Patiententransporte oder Verlegungen dringend vermieden werden müssen. Die einzige wirksame Therapie besteht in einer schnellstmöglichen operativen Hämatomausräumung, die möglichst innerhalb der ersten 6 bis maximal 12 Stunden nach Symptombeginn erfolgen sollte, da das Ausmaß der neurologischen Erholung direkt abhängig vom Zeitintervall zwischen Symptombeginn und operativer Entlastung sowie vom Schweregrad des präoperativ bestehenden Defizits ist [19]. Wird eine dekompressive Laminektomie erst nach mehr als 24 Stunden durchgeführt, so ist meist keine Verbesserung der neurologischen Funktion mehr zu erwarten [4, 19]. Bei orthopädischen Patienten empfiehlt es sich unter anderem, aufgrund des beobachteten erhöhten Blutungsrisikos bevorzugt periphere Nervenblockaden anstelle von rückenmarknahen Blockaden durchzuführen, da die Folgen eines punktionsbedingten Hämatoms bei vergleichbarer Analgesiequalität weniger schwerwiegend sind. Die empfohlenen Zeitintervalle zwischen einer Antithrombotikagabe und der Durchführung einer rückenmarknahen Punktion sollten bei peripheren Nervenblockaden, wenn möglich, ebenfalls eingehalten werden, auch wenn die Folgen einer Blutung weniger schwerwiegend sind [20]. Fazit Das Risiko von spinalen epiduralen Hämatomen wird sowohl von punktionsbedingten Besonderheiten wie traumatischen oder blutigen Punktionen als auch von der gleichzeitigen Durchführung einer Thromboembolieprophylaxe oder therapeutischen Antikoagulation beeinflusst.
81 Anästhesie unter Verwendung niedermolekularer Heparine
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Bei der Gabe von Antithrombotika sollte insbesondere darauf geachtet werden, dass empfohlene Dosierungen eingehalten und Punktionen nur zu Zeiten von Talspiegeln durchgeführt werden, da die Häufigkeit von Blutungen sowohl mit der Dosierung der verabreichten Substanzen als auch mit der Zeitdauer zwischen der Gabe von Antithrombotika und einer rückenmarknahen Punktion zu korrelieren scheint. Da Blutungskomplikationen genauso häufig beim Entfernen eines Katheters auftreten können, sollten auch hier die empfohlenen Zeitintervalle eingehalten und die Patienten engmaschig neurologisch überwacht werden. Diese empfohlenen Zeitintervalle gelten allerdings nur für Patienten mit einer normalen Nierenfunktion und müssen bei einer eingeschränkten Nierenfunktion unter Umständen deutlich verlängert werden. Bei dem geringsten Verdacht auf ein spinales epidurales Hämatom sollten möglichst sofort eine Kernspintomographie und eine anschließende operative Entlastung erfolgen, um eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit einer neurologischen Erholung zu gewährleisten. Literatur 1. Ballantyne JC, Carr DB, deFerranti S, Suarez T, Lau J, Chalmers TC, Angelillo IF, Mosteller F. The comparative effects of postoperative analgesic therapies on pulmonary outcome: cumulative meta-analyses of randomized, controlled trials. Anesth Analg 1998; 86: 598–612 2. Holte K, Kehlet H. Epidural anaesthesia and analgesia – effects on surgical stress responses and implications for postoperative nutrition. Clin Nutrition 2002; 21: 199–206 3. Berendes E, Schmidt C, Van Aken H, Große Hartlage M, Wirtz S, Reinecke H, Rothenburger M, Scheld HH, Schlüter B, Brodner G, Walter M. Reversible cardiac sympathectomy by high thoracic epidural anesthesia improves regional left ventricular function in patients undergoing coronary artery bypass grafting. A randomized trial. Arch Surg 2003; 138: 1283–1290 4. Vandermeulen EP, Van Aken H, Vermylen J. Anticoagulants and spinal-epidural anesthesia. Anesth Analg 1994; 79: 1165–1177 5. Horlocker TT, Wedel DJ, Schroeder DR, Rose SH, Elliott BA, McGregor DG, Wong GY. Preoperative antiplatelet therapy does not increase the risk of spinal hematoma associated with regional anesthesia. Anesth Analg 1995; 80: 303–309 6. Wulf H. Epidural anaesthesia and spinal haematoma. Can J Anaesth 1996; 43: 1260–1271 7. Tryba M. Rückenmarksnahe Regionalanästhesie und niedermolekulare Heparine: Pro Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 1993; 28: 179–181 8. Ruff RR, Dougherty JH. Complications of lumbar puncture followed by anticoagulation. Stroke 1981; 12: 879–881 9. Rao TKL, El-Etr AA. Anticoagulation following placement of epidural and subarachnoid catheters: an evaluation of neurologic sequelae. Anesthesiology 1981; 55: 618–620 10. Schroeder DR. Statistics: Detecting a rare adverse drug reaction using spontaneous reports. Reg Anesth Pain Med 1998; 23 (Suppl 2): 183–189 11. Tryba M, Wedel DJ. Central neuraxial block and low molecular weight heparin (enoxaparine): lessions learned from different dosage regimes in two continents. Acta Anaesthesiol Scand 1997; 41 (Suppl 111): 100–104 12. Moen V, Dahlgren N, Irestedt L. Severe neurologic complications after central neuraxial blockades in Sweden 1990–1999. Anesthesiology 2004; 101: 950–959 13. Turpie AGG, Bauer KA, Eriksson BI, Lassen MR, for the Steering Committees of the Pentasaccharide Orthopedic Prophylaxis Studies. Fondaparinux vs enoxaparin for the prevention of venous thromboembolism in major orthopedic surgery. A meta-analysis of 4 randomized double-blind studies. Arch Intern Med 2002; 162: 1833–1840 14. Gogarten W, Van Aken H, Büttner J, Riess H, Wulf H, Buerkle H. Rückenmarksnahe Regionalanästhesien und Thromboembolieprophylaxe/antithrombotische Medikation. Überarbeitete Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Anaesth Intensivmed 2003; 44: 218–230 15. Wolzt M, Sarich TS, Eriksson UG. Pharmacokinetics and pharmacodynamics of ximelagatran. Semin Vasc Med 2005; 5: 245–253 16. Kaluza GL, Joseph J, Lee JR, Raizner ME, Raizner AE. Catastropic outcomes of noncardiac surgery soon after coronary stenting. J Am Coll Cardiol 2000; 35: 1288–1294
82
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II Operative Medizin
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Innere Medizin
Thromboembolieprophylaxe 19. Prophylaxe in der Inneren Medizin 85 20. Prophylaxe im ambulanten, hausärztlichen Bereich 93 Kardiologie – Einsatzmöglichkeiten niedermolekularer Heparine 21. Therapie des akuten Koronarsyndroms – instabile Angina pectoris und Nicht-ST-Hebungsinfarkt 98 22. Therapie des akuten Herzinfarktes mit niedermolekularen Heparinen 104 23. Kardioversion bei Vorhofflimmern 112
85 Thromboembolieprophylaxe
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Thromboembolieprophylaxe
19.
Prophylaxe in der Inneren Medizin Sylvia Haas Klinische Bedeutung der Thromboembolieprophylaxe bei internistischen Patienten
Venöse Thromboembolien haben nicht nur in der operativen Medizin, sondern auch bei hospitalisierten internistischen Patienten einen hohen klinischen Stellenwert hinsichtlich Morbidität und Mortalität [1–3]. Trotz effektiver Behandlungsmöglichkeiten von Thrombosen und Lungenembolien verbleibt eine zu hohe Rate an verhinderbaren Folgeerscheinungen und der Sterblichkeit [4]. Primär prophylaktische Maßnahmen werden bei chirurgischen Patienten mittlerweile routinemäßig eingesetzt, gehören jedoch bei zahlreichen Patientenpopulationen der Inneren Medizin trotz entsprechender Empfehlungen in Leitlinien noch nicht zum üblichen Standard [5, 6]. Es stellt sich deshalb die Frage, warum effiziente prophylaktische Maßnahmen nur so zögerlich im klinischen Alltag akzeptiert und eingesetzt werden. Häufig geäußerte diesbezügliche Bedenken sind die fehlende prospektive Evaluierung so genannter Risikoscores, die als Hilfe zur Indikationsstellung bei verschiedenen Patientenpopulationen eingesetzt werden können, sowie Unklarheiten zu Art und Umfang prophylaktischer Maßnahmen und undifferenzierte Argumentationen vonseiten der Arzneimittelhersteller hinsichtlich klarer Indikationsprofile. Deshalb soll nachfolgend versucht werden, diese Fragen anhand der einschlägigen Literatur zu klären. Prospektive Evaluierung der Risikoabschätzung hinsichtlich antithrombotischer Wirksamkeit von prophylaktischen Maßnahmen mittels computergestütztem Warnsystem Die Arbeitsgruppe von Kucher et al. hat ein Risikoschema zur Abschätzung des individuellen Thromboembolierisikos in einen elektronischen Anamnesebogen eingefügt und die Raten venöser Thromboembolien mit und ohne prophylaktische Maßnahmen bei 2506 konsekutiven Patienten untersucht. 83 % der Patienten hatten internistische Erkrankungen und wurden hinsichtlich ihres individuellen Risikoprofils für venöse Thromboembolien bei Aufnahme ins Krankenhaus überprüft. Das Ergebnis der grob klinischen Abschätzung wurde dem Aufnahmearzt elektronisch angezeigt, woraufhin dieser subjektiv über die Indikation prophylaktischer Maßnahmen entscheiden musste, ohne dass spezifische Modalitäten vorgegeben waren. Eine konsequente Befolgung des »elektronischen Alarms« führte zu einer Reduktion venöser Thromboembolien von 8,2 % bei Patienten ohne Prophylaxe auf 4,9 % bei Patienten mit Prophylaxe (p = 0,001). Klinisch symptomatische proximale Beinvenenthrombosen wurden von 1,8 % auf 0,8 % (p = 0,024) und Lungenembolien von 2,8 % auf 1,1 % (p = 0,003) reduziert [7] (siehe auch Kap. 7, S. 29). Diese Untersuchungen haben erstmalig gezeigt, dass eine computerassistierte Risikoabschätzung und die Umsetzung der hieraus resultierenden Indikation zur Prophylaxe einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Patientenversorgung leisten kann.
86
III Innere Medizin
Nachdem sich dieses computergestützte Warnsystem hinsichtlich der Erkennung von Thromboserisikofaktoren bei chirurgischen und nichtchirurgischen Patienten bewährt hat, soll nun im nächsten Schritt gezeigt werden, bei welchen Erkrankungen sich verschiedene Arten der medikamentösen Prophylaxe bewährt haben. Dies bedeutet, dass in Anlehnung an die Ausführungen zum expositionellen und dispositionellen Risiko, die Patienten nachfolgend gemäß ihres krankheitsbedingten Risikos kategorisiert werden.
III
Thromboseprophylaxe mit Heparin und niedermolekularem Heparin bei Patienten mit Schlaganfall und Parese Patienten mit akutem Schlaganfall, insbesondere bei begleitenden Beinparesen, haben ein hohes Risiko für Thromboembolien. Nach sehr stark differierenden Literaturangaben kann man davon ausgehen, dass tiefe Beinvenenthrombosen in bis 50 % der Fälle auftreten und Lungenembolien in bis zu 20 % dieser Patienten gefunden werden [8–11]. Letztere werden für bis zu einem Viertel der frühen Todesfälle nach Schlaganfall mit Hemiplegie verantwortlich gemacht [12]. Eine ältere offene Untersuchung bei Patienten mit Schlaganfall und Beinparese zeigte, dass die Inzidenz von Thrombosen durch eine Prophylaxe mit unfraktioniertem Heparin deutlich verringert werden kann. Mit dem Radiofibrinogentest wurden in der Heparingruppe 22 %, in der Kontrollgruppe 73 % tiefe Beinvenenthrombosen gefunden [13]. Hillbom et al. untersuchten in einer randomisiert und doppelblind angelegten Studie die antithrombotische Wirksamkeit von unfraktioniertem Heparin (5000 IE s.c. 3-mal tgl.) und von niedermolekularem Heparin (40 mg Enoxaparin 1-mal tgl.), verabreicht über 10 Tage, bei 212 Patienten mit Schlaganfall und Parese. Es wurden tiefe Beinvenenthrombosen in 25 % (UFHGruppe) bzw. in 18 % (NMH-Gruppe) der Patienten gefunden. Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant. Die Auswertung für einen kombinierten Endpunkt (tiefe Venenthrombosen, Lungenembolien, Todesfälle, intrakranielle Blutungen einschließlich hämorrhagischer Transformationen des Infarktgebiets, andere schwere Blutungen) ergab aber, dass dieser in 19,7 % der Patienten der Enoxaparin-Gruppe, aber in 34,7 % der Patienten der UFH-Gruppe auftrat. Dieser Unterschied war statistisch signifikant. Insgesamt sind 19,8 % der mit Enoxaparin und 26,4 % der mit UFH behandelten Patienten verstorben. Während der Behandlung waren es 8,5 % versus 7,5 %, aber am Ende der Beobachtungszeit war mit Häufigkeiten 11,3 % gegen 18,9 % die Mortalität in der Enoxaparin-Gruppe doch deutlich niedriger [14]. Diener et al. prüften in der prospektiv, randomisiert und doppelblind angelegten multizentrischen PROTECT-Studie eine Prophylaxe mit dem niedermolekularen Heparin Certoparin gegen eine mit unfraktioniertem Heparin. Den Schlaganfallpatienten wurde für 12–16 Tage entweder einmal täglich 3000 IE Certoparin (272 Patienten) oder dreimal täglich 5000 IE UFH (273 Patienten) gegeben. Eine Duplexsonographie der Beinvenen wurde an den Tagen 0, 4, 7 und 12, und ein Schädel-CRT an den Tagen 0 und 7 durchgeführt. In der Certoparin-Gruppe traten venöse Thromboembolien in 7 % und in der UFH-Gruppe in 9,7 % der Fälle auf. Auch diese Inzidenzen sowie die Mortalität waren gemäß dem zuvor definierten Prüfziel der »NonInferiorität« nicht statistisch signifikant unterschiedlich [15]. Man kann also davon ausgehen, dass die in den beiden letztgenannten Studien geprüften niedermolekularen Heparine thromboembolische Komplikationen bei Schlaganfallpatienten mit Paresen mindestens so wirksam reduzieren wie unfraktioniertes Heparin. In einer Cochrane-Übersichtsarbeit wurde durch die Zusammenfassung von fünf Studien mit insgesamt 705 Schlaganfallpatienten, bei denen die Prophylaxe mit UFH gegen die mit dem niedermolekularen Heparin Enoxaparin (eine Studie) bzw. Danaparoid (vier Studien) geprüft wurde,
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III
eine bessere Wirksamkeit (Odds Ratio 0,52) von Enoxaparin und Danaparoid gegenüber UFH ermittelt [16]. Die Datenlage zum Einsatz von Enoxaparin wird durch eine derzeit noch nicht abgeschlossene Studie ergänzt; in der PREVAIL-Studie werden einmal tägliche Gaben von 40 mg Enoxaparin mit zweimal täglichen Gaben von 5000 IE UFH hinsichtlich der Prävention von tiefen Beinvenenthrombosen verglichen. Thromboseprophylaxe bei Patienten mit intensivmedizinischer Behandlung Wegen der vollständigen Immobilität und der schweren Erkrankung besteht bei Patienten mit intensivmedizinischer Behandlung ein hohes Thromboembolierisiko [17]. Bisher sind aber nur wenige prospektive Studien bekannt, in denen die Wirksamkeit einer Prophylaxe mit Heparinen untersucht wurde, zumal die Aussagekraft der Studien durch die Heterogenität der Erkrankungen und Komplexität der Behandlung von Patienten auf der Intensivstation stark eingeschränkt ist. In einer älteren Studie von J.F. Cade wurde bei insgesamt 119 Patienten unfraktioniertes Heparin (5000 IE zweimal täglich s.c.) gegen Plazebo geprüft [18]. Mit dem Radiofibrinogentest wurden tiefe Beinvenenthrombosen bei 13 % der mit NMH behandelten Patienten gegenüber 29 % in der Plazebogruppe gefunden, was einer relativen Risikoreduktion von 55 % entspricht. Kapoor et al. ermittelten in einer gleich angelegten Studie mit insgesamt 791 Patienten kompressionssonographisch Inzidenzen venöser Thrombosen von 11 % in der NMH-Gruppe und 31 % in der Plazebogruppe. Lungenembolien traten in 3 % (Heparingruppe) bzw. bei 5 % (Plazebogruppe) der Patienten auf [19]. In einer weiteren plazebokontrollierten Studie wurde die Wirksamkeit des niedermolekularen Heparins Nadroparin bei insgesamt 223 Patienten, die auf der Intensivstation wegen Exazerbation einer COPD mechanisch beatmet wurden, geprüft. Nadroparin wurde in körpergewichtsadaptierter Dosis (3800 bzw. 5700 anti-Xa-Einheiten) während der Beatmungsdauer, aber längstens 21 Tage lang, verabreicht. Die durchschnittliche Dauer der Prophylaxe betrug 12 Tage. Tiefe Beinvenenthrombosen wurden mit Phlebographie in 15 % der mit Nadroparin behandelten Patienten, in der Plazebogruppe in 28 % der Patienten gefunden [20]. Eine Studie von Goldhaber et al. (325 Patienten) verglich ein niedermolekulares Heparin mit unfraktioniertem Heparin, auch in diesem Fall waren nur Patienten (insgesamt 325) eingeschlossen, die intensivmedizinisch wegen exazerbierter COPD beatmet werden mussten. Sowohl durch UFH als auch durch NMH war das Risiko für asymptomatische venöse Thrombosen, so wie auch in den anderen Studien, um etwa 50 % reduziert, wobei zwischen den beiden Behandlungsregimen kein signifikanter Unterschied bestand [21]. Auch von Geerts et al. wird in einer Übersichtsarbeit trotz heterogener Datenlage sowohl der Einsatz von unfraktioniertem Heparin als auch die Gabe von niedermolekularem Heparin zur Thromboembolieprophylaxe in der Intensivmedizin empfohlen [22]. Nach einer prinzipiellen Entscheidung, bei einem intensivmedizinisch behandelten Patienten eine Thromboembolieprophylaxe mit Heparin durchzuführen, ist es wichtig zu wissen, in welchen Fällen man UFH oder NMH einsetzen sollte. Die niedermolekularen Heparine bieten Vorteile, wie zum Beispiel die nur einmal tägliche Gabe, das etwas verminderte Blutungsrisiko und die bessere Einhaltung des therapeutischen Zielbereichs. Andererseits kann die im Verhältnis zu den UFH längere Halbwertszeit zu erhöhter Blutungsgefahr im Falle dringend notwendig gewordener operativer Eingriffe führen, insbesondere bei rückenmarknaher Anästhesie. Erschwerend kommt hinzu, dass die niedermolekularen Heparine durch die Gabe von Protamin nur unzureichend antagonisiert werden können.
88
III Innere Medizin
Thromboseprophylaxe bei akutem Myokardinfarkt
III
In einigen früheren Studien wurden tiefe Beinvenenthrombosen bei Patienten mit Herzinfarkt mit einer Inzidenz von 17–34 % festgestellt und eine Senkung der Thromboserate durch Low-doseHeparin nachgewiesen [23–25], jedoch ist angesichts des mittlerweile routinemäßigen Einsatzes von hochpotenten Thrombozytenfunktionshemmern, Antikoagulanzien und Thrombolytika fraglich, inwieweit diese Zahlen derzeit noch Gültigkeit haben. Thromboseprophylaxe bei akuten internistischen Erkrankungen mit Bettlägerigkeit Die Arbeitsgruppe von Mismetti et al. [26] hat in einer Metaanalyse die Wirksamkeit von unfraktioniertem Heparin oder niedermolekularem Heparin mit Plazebo verglichen. Für diese Metaanalyse wurden aus der Vielzahl der vor dem Jahr 2000 bei internistischen Erkrankungen (Herzinsuffizienz, Pneumonie, COPD und kritischer Allgemeinzustand) durchgeführten Studien folgende ausgewählt: vier Studien mit UFH gegen Plazebo, drei Studien mit NMH gegen Plazebo und neun Studien mit NMH gegen UFH. Mit unfraktioniertem Heparin konnte eine durchschnittliche relative Risikoreduktion von 56 % bei tiefen Venenthrombosen und von 52 % bei Lungenembolien gegenüber Plazebo erreicht werden. Die Gesamtzahl von Todesfällen konnte durch die UFH-Prophylaxe etwas verringert werden, größere Blutungen traten in etwa 20 % der Patienten auf. Mit den niedermolekularen Heparinen konnte relativ dazu das durchschnittliche Risiko für tiefe Beinvenenthrombosen um den Faktor 0,83 und das für klinisch relevante Lungenembolien um den Faktor 0,74 gesenkt werden. Diese Unterschiede waren aber statistisch nicht signifikant. Die Inzidenz schwerer Blutungen konnte durch eine NMH-Prophylaxe im Vergleich zu UFH signifikant um etwa 50 % reduziert werden. Aber die Gesamtmortalität, ermittelt vor allem in den beiden umfangreicheren Studien von Bergmann und Caulin sowie Gardlund et al., wurde durch die Thromboseprophylaxe weder mit unfraktioniertem noch mit niedermolekularem Heparin signifikant gesenkt [27, 28]. Dies ist einer der Gründe, weshalb eine Thromboseprophylaxe bei internistischen Patienten bisher nur zögerlich eingesetzt wurde. Inzwischen liegen die Ergebnisse von drei großen prospektiven Studien vor, in denen bei stationär bettlägrigen Patienten mit verschiedenen internistischen Erkrankungen die Wirksamkeit und Verträglichkeit von zwei niedermolekularen Heparinen bzw. Fondaparinux gegen Plazebo geprüft wurde. Die prospektive multizentrische MEDENOX-Studie war randomisiert dreiarmig angelegt. Bei insgesamt 866 auswertbaren Patienten wurde in den beiden Verumarmen Enoxaparin 40 bzw. Enoxaparin 20 mg gegen Plazebo, gegeben 1-mal tgl. für 14 Tage, geprüft [29]. Weitere Charakteristika der Studie sind: ▬ Einschlusskriterien: Alter ≥ 40 Jahre, zu erwartende Dauer des stationären Aufenthalts ≥ 6 Tage, vorhergehende Immobilisierung ≤ 3 Tage und Herzinsuffizienz NYHA III/IV, oder akute respiratorische Insuffizienz oder Infektion oder Knochen-/Gelenkentzündung oder entzündliche Darmerkrankung, falls einer oder mehrere der folgenden Risikofaktoren vorhanden sind: > 75 Jahre, maligne Erkrankung, venöse Thromboembolie in der Anamnese, Übergewicht, Varikosis, Einnahme von Hormonpräparaten, chronische Herz- oder Lungenerkrankung. ▬ Wirksamkeitsendpunkte: Primär zwischen den Tagen 1 und 14 mit Phlebographie (regelmäßig zwischen den Tagen 6 bis 14, sonst bei Symptomen früher) diagnostizierte tiefe Venenthrombose , Lungenembolie (Angiographie, Szintigramm, Spiral-CT oder Autopsie)
III
89 Thromboembolieprophylaxe
oder beides. Sekundäre Endpunkte waren thromboembolische Ereignisse und deren Konsequenzen bis zum Tag 110. Alle Befunde mussten von zwei unabhängigen und verblindeten Experten begutachtet werden. Weitere Endpunkte waren plötzlicher Tod, Blutungen sowie sonstige schwere Nebenwirkungen. Die Prophylaxe mit 20 mg Enoxaparin ergab keine signifikante Verringerung des thromboembolischen Risikos, aber in der Gruppe mit 40 mg Enoxaparin konnte die Rate venöser Thromboembolien auf durchschnittlich 5,5 % gegenüber 14,9 % in der Plazebogruppe gesenkt werden (RRR 63 %). Weitere wesentliche Ergebnisse sind in ⊡ Tabelle 19.1 zusammengestellt, wobei die relative Risikoreduktion für 40 mg Enoxaparin gegen Plazebo angegeben ist. Eine Subgruppenanalyse ergab, dass in der 40 mg Enoxaparin-Gruppe bei 21 Patienten mit Herzinsuffizienz Grad NYHA IV keine Thromboembolie auftrat, aber in der Plazebogruppe in fünf von 23 Patienten gefunden wurde. Bei anderen Erkrankungen wurden folgende relative Risikoreduktionen ermittelt: akute respiratorische Erkrankung 75 %, akute Infektion 59 % und akute rheumatische Erkrankung 52 %. Die Analyse bezüglich der dispositionellen Risikofaktoren zeigte, dass eine früher erlittene Thromboembolie, Immobilität (weniger als zehn Meter Gehstrecke am Ende der Behandlung), Varikosis, maligne Begleiterkrankung und ein Alter über 75 Jahre den größten Einfluss auf das Thromboserisiko hatten [30]. Die MEDENOXStudie bestätigt die wesentlichen Ergebnisse der THE-PRINCE-Studie, in der 40 mg Enoxaparin (1-mal tgl.) gegen Low-dose-Heparin (3-mal tgl. 5000 IE) bei Patienten mit akuten kardiopulmonalen Erkrankungen verglichen wurde [31]. In der THE-PRINCE-Studie konnte infolge stratifizierter Zuordnung der beiden Behandlungsgruppen außerdem gezeigt werden, dass schwere Formen der Herzinsuffizienz (NYHA III und NYHA IV) mit einem höheren
⊡ Tabelle 19.1. Thromboembolien und Mortalität in der MEDENOX-Studie Plazebo [%]
20 mg Enoxaparin [%]
40 mg Enoxaparin [%]
RRR [%}
13,9 4,9 9,4 0,7 0,7 0,0
14,6 4,5 10,5 1,0 0,0 0,0
5,5 1,7 3,8 0,3 0,0 0,0
60 65 60 57 100 –
15,6 6,5 10,3 1,5 0,8 0,4
16,7 5,3 11,8 2,3 0,0 0,4
6,2 2,2 4,4 1,1 0,0 0,7
60 66 57 27 100 –
Primäre Endpunkte TVT TVT proximal TVT distal TVT symptomatisch LE Tod wegen LE Sekundäre Endpunkte (bis Tag 110) TVT TVT proximal TVT distal TVT symptomatisch LE Tod wegen LE
TVT: Tiefe venöse Beinvenenthrombosen, LE: Lungenembolie, RRR: Relative Risikoreduktion
90
III Innere Medizin
⊡ Tabelle 19.2. Thromboembolien und Mortalität in der PREVENT-Studie Plazebogruppe [%]
DalteparinGruppe [%]
RRR [%]
4,96 0,17 0,23 0,23 0,40 3,65
2,77 0,27 0,28 0,17 0,11 1,79
44 – – 26 75 51
0,38
0,43
–
4,37 2,32
2,12 2,35
51 –
0,95 0,38 6,01
0,62 0,31 6,12
35 18 –
Primäre Endpunkte
III
TVT/LE und plötzlicher Tod Plötzlicher Tod Lungenembolie, symptomatisch TVT, distal symptomatisch TVT, proximal symptomatisch TVT, proximal asymptomatisch Sekundärer Endpunkt Tag 14 Gesamtmortalität Sekundärer Endpunkt Tag 21 TVT, symptomatisch Gesamtmortalität Sekundärer Endpunkt Tag 90 TVT, symptomatisch Lungenembolie, symptomatisch Gesamtmortalität
TVT: Tiefe venöse Beinvenenthrombosen, LE: Lungenembolie, RRR: Relative Risikoreduktion“
Thromboserisiko assoziiert sind als akute respiratorische Erkrankungen und die Thromboseprophylaxe mit einmal täglichen Gaben von 40 mg Enoxaparin sehr effizient durchgeführt werden kann [31]. In der PREVENT-Studie [32] wurde Dalteparin 5000 IE (1-mal tgl. für 14 Tage) gegen Plazebo (1-mal tgl. für 14 Tage) bei 1518 resp. 1473 Patienten mit folgenden Einschlusskriterien geprüft: Alter ≥ 40 Jahre, zu erwartende Dauer des stationären Aufenthalts ≥ 4 Tage, vorhergehende Immobilisierung ≤ 3 Tage und Herzinsuffizienz NYHA III/IV oder akute respiratorische Insuffizienz oder Infektion oder Knochen-/Gelenkentzündung oder entzündliche Darmerkrankung, falls einer oder mehrere der folgenden Risikofaktoren vorhanden sind: > 75 Jahre, maligne Erkrankung, venöse Thromboembolie in der Anamnese, Übergewicht, Varikosis, Einnahme von Hormonpräparaten, chronische Herz- oder Lungenerkrankung. Als primäre Wirksamkeitsendpunkte waren festgelegt: Am Tag 21 mit Sonographie diagnostizierte proximale tiefe Venenthrombose, symptomatische Venenthrombose und Lungenembolie sowie tödliche Lungenembolie und plötzlicher Tod innerhalb von 24 Stunden nach dem Auftreten von Symptomen. Sekundäre Endpunkte waren u. a. Gesamtmortalität an den Tagen 14, 21 und 90 sowie symptomatische Thromboembolien am Tag 90. Für die Beurteilung der Verträglichkeit waren die Kriterien Tod, Blutungen, Thrombozytopenie und sonstige Nebenwirkungen definiert.
91 Thromboembolieprophylaxe
III
Die wichtigsten Ergebnisse der PREVENT-Studie sind in ⊡ Tabelle 19.2 zusammengestellt. Auch in dieser Studie konnte die Rate von Thromboembolien um durchschnittlich 50 % gesenkt werden, aber die Gesamtmortalität wurde durch die Prophylaxe nicht beeinflusst. Eine retrospektive Subgruppenanalyse ergab, dass die Ergebnisse der Studie in etwa auch auf die Untergruppen der Patienten mit Adipositas (BMI > 30) und hohem Alter (> 75 Jahre) übertragbar sind. Bei einer Zusammenfassung aller Endpunkte zum Tag 21 wurde bei adipösen Patienten eine relative Risikoreduktion von 35 % und bei Patienten mit hohem Lebensalter von 47 % erreicht [33]. Bei der Interpretation der einzelnen Ergebnisse der PREVENT-Studie, insbesondere beim Vergleich mit der MEDENOX-Studie, muss man zwei Gesichtspunkte berücksichtigen. Erstens wurde in der PREVENT-Studie zum Nachweis von Thrombosen die Kompressionssonographie eingesetzt, womit proximale tiefe Thrombosen nachgewiesen wurden, während in der MEDENOXStudie mit der Phlebographie auch distale und damit insgesamt mehr Beinvenenthrombosen erfasst wurden. Zweitens wiesen die Patienten in der PREVENT-Studie ein durchschnittlich niedrigeres Risikoprofil auf. Man kann daher annehmen, dass auch diese Patientenpopulation von einer Prophylaxe profitieren würde. Die ARTEMIS-Studie untersuchte die thromboprophylaktische Wirksamkeit und Verträglichkeit des Pentasaccharids Fondaparinux 2,5 mg gegen Plazebo bei jeweils einmal täglicher Gabe über 14 Tage. Es wurden folgende Einschlusskriterien festgelegt: Alter ≥ 60 Jahre und zu erwartende Bettlägrigkeit ≥ 4 Tage und Herzinsuffizienz NYHA III/IV oder akute oder chronische Lungenerkrankung oder akute Infektion oder entzündliche Erkrankung. Die Auswertung der Studie erfolgte gemäß folgenden Wirksamkeitsendpunkten: Am Tag 14 durch Phlebographie diagnostizierte distale und proximale tiefe Venenthrombose, symptomatische Venenthrombose und Lungenembolie und tödliche Lungenembolie. Die Verträglichkeit der Medikation war nach den Kriterien schwere Blutungen und Tod bis zum Tag 90 zu beurteilen. Die Auswertung der Daten von insgesamt 849 Patienten ergab eine relative Reduktion des gesamten thromboembolischen Risikos von 47 % gegenüber der Plazebogruppe [34]. Eine zusammenfassende Beurteilung der drei Studien ergibt, dass die Rate der Gesamtheit der Thromboembolien durch eine Prophylaxe mit den geprüften Substanzen um etwa 50 % gesenkt werden kann. In allen Studien wurden in der Verumgruppe größere Blutungen in weniger als ein Prozent der Fälle gefunden. Die Unterschiede in der Gesamtmortalität (MEDENOX-Studie 14 % und PREVENT-Studie 6 % nach drei Monaten, ARTEMIS-Studie 6 % nach einem Monat) sind möglicherweise, wie Detailanalysen gezeigt haben, auf das unterschiedliche Morbiditätsprofil der eingeschlossenen Patienten zurückzuführen [35]. Die jüngsten klinischen Studien, insbesondere die MEDENOX-, PREVENT- und ARTEMISStudie, führen zu dem eindeutigen Schluss, dass eine Hochrisikoprophylaxedosierung von Enoxaparin, Dalteparin und Fondaparinux das Risiko venöser Thrombosen bei immobilisierten, hospitalisierten Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen hochsignifikant senkt und eine derartige Prophylaxe deshalb auch bei dieser Indikation durchgeführt werden sollte. Die optimale Dauer einer derartigen Prophylaxe ist derzeit jedoch noch unklar. Das Konzept einer längerfristigen poststationären Prophylaxe wird gegenwärtig in der EXCLAIM-Studie getestet. In dieser Studie erhalten die Patienten nach einer zehntägigen offenen Behandlungsphase mit einmal täglich 40 mg Enoxaparin randomisiert und doppelblind für weitere 28 Tage entweder die aktive Medikation oder Plazebo. Als Endpunkt wurde die mittels Kompressionssonographie nachgewiesene Rate proximaler Thrombosen definiert. Mit einer Verfügbarkeit der Ergebnisse ist im Jahr 2007 zu rechnen.
92
III Innere Medizin
Literatur
III
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93 Thromboembolieprophylaxe
III
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20.
Prophylaxe im ambulanten, hausärztlichen Bereich Sylvia Haas
In der operativen Medizin ist der Nutzen einer medikamentösen Thromboembolieprophylaxe unbestritten und auch für hospitalisierte internistische Patienten gibt es eine Reihe entsprechender Untersuchungen. Im ambulanten Bereich stellt sich die Frage, ob und inwieweit die aus diesen Studien abgeleiteten Empfehlungen für hausärztlich versorgte Patienten übernommen werden können. Zur Beantwortung dieser Frage ist wichtig zu wissen, ob es Unterschiede hinsichtlich des Risikoprofils von ambulant und stationär versorgten Patienten gibt. Wie bereits in Kapitel 7 ausgeführt, wird das individuelle Risiko des Patienten aus der Kombination von expositionellem und dispositionellem Risiko bestimmt. Im Rahmen einer interdisziplinären Fachplattform wurde in Deutschland ein inzwischen erprobtes Risikomodell für internistische Patienten entwickelt, das die in ⊡ Tabelle 20.1 und ⊡ Tabelle 20.2 aufgelisteten expositionellen und dispositionellen Risikofaktoren jeweils drei Risikokategorien zuordnet.
⊡ Tabelle 20.1. Expositionelle Risikogruppen Innere Medizin [1] Niedriges Risiko
Infektion/akut entzündliche Erkrankung mit nicht vollständiger Immobilisierung Infusion venenschädigender Lösungen bei ZVK oder Port
Mittleres Risiko
Hohes Risiko
Ischämischer Apoplex mit Parese Akut dekompensierte COPD mit Beatmung
Myokardinfarkt Herzinsuffizienz nach NYHA III und IV Akut dekompensierte COPD ohne Beatmung Sepsis Infektion/akut entzündliche mit nahezu vollständiger Immobiliserung
94
III Innere Medizin
⊡ Tabelle 20.2. Dispositionelle Risikogruppen Innere Medizin [1] Niedriges Risiko
Exsikkose Polyglobulie oder Thrombozytose Stammvarikosis Venöse Thromboembolie in der Familie Hormonersatztherapie Adipositas
Mittleres Risiko
Alter > 65 Jahre Schwangerschaft Orale Kontrazeption Nephrotisches Syndrom Myeloproliferatives Syndrom oder zwei niedrige Risiken
Hohes Risiko
Thrombophilie Venöse Thromboembolie in Eigenanamnese Florides Malignom oder mindestens drei niedrige Risiken mindestens zwei mittlere Risiken
III
Auf der Grundlage der Kategorisierung dieser Risikofaktoren wurde ein zweidimensionales Schema entwickelt, das eine Abschätzung des individuellen Risikos erlaubt und die Indikationsstellung einer Thromboembolieprophylaxe nach klinischen Gesichtspunkten ermöglicht [1]. Zahlreiche der in diesem Schema enthaltenen Faktoren wurden im Rahmen der MEDENOXStudie als unabhängige Risikofaktoren für venöse Thromboembolien bestätigt. Angesichts der zunehmenden Verlagerung der Patientenversorgung vom stationären in den ambulanten Bereich ist deshalb verständlich, dass eine adäquate Risikoabschätzung nicht nur im Krankenhaus, sondern auch bei hausärztlicher Patientenversorgung notwendig ist. Basierend auf den Ergebnissen der MEDENOX-Studie, dass bei hospitalisierten, bettlägerigen, internistischen Patienten durch die akute internistische Erkrankung und verstärkt durch zusätzliche patientenbezogene Risikofaktoren ein mittleres bis hohes Thromboembolierisiko entstehen kann, wurde in der AT-HOME-Studie (»evaluation of ambulatory thromboembolic risk in medical patients immobilized at HOME«) untersucht, ob sich die MEDENOX-Patienten in der Hausarztpraxis widerspiegeln lassen. Wie bei Registerstudien üblich, wurde dem Arzt keine Therapie vorgegeben, sondern diese musste dem Protokoll entsprechend als individuelle Therapieentscheidung dokumentiert werden. Die Dokumentation durch den behandelnden Arzt erfolgte auf einem anonymisierten Dokumentationsbogen, in dem folgende patientenspezifische Daten eingetragen wurden: ▬ Art der akuten Erkrankung, die den Hausbesuch erfordert, ▬ Grunderkrankungen des Patienten, die mit einem erhöhten Thromboserisiko einhergehen, ▬ Vorerkrankungen oder Risikofaktoren, ▬ detaillierte Angaben zur Bettlägerigkeit, ▬ bei Entscheidung für eine Thromboseprophylaxe zusätzlich: Art, Durchführung, Dauer der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe.
95 Thromboembolieprophylaxe
III
Die Auswertung von 1217 Patientendokumentationen aus 215 über die gesamte Bundesrepublik verteilte Arztpraxen zeigte, dass für die Mehrzahl der erfassten Patienten ein erhöhtes Thromboembolierisiko, sowohl für Akutrisiken als auch für Basisrisiken, vorlag und beim Hausbesuch auch erkannt wurde. Das mittlere Patientenalter betrug 67,5 Jahre, und 25 % der Patienten waren älter als 80 Jahre. 17 % hatten mit einem Body Mass Index > 30 eine Adipositas. Die durchschnittliche Dauer der Bettlägerigkeit betrug 6,5 Tage, nahezu vollständig immobilisiert waren 38 % der Patienten. Bei den expositionellen Risikofaktoren, die zur Bettlägerigkeit führten, war eine akute Infektion mit 73 % die häufigste Angabe (vorrangig: Verdacht auf Pneumonie, schwere grippale Infekte), gefolgt von Herzinsuffizienz im Stadium NYHA III/IV mit 23 %. Akut dekompensierte COPD wurde mit 14 % angegeben, ischämischer Apoplex mit 13 %, wobei Mehrfachnennungen möglich waren. Dispositionelle Risikofaktoren wurden bei 87 % der Patienten festgestellt. Die Mehrzahl der Patienten hatte bereits früher eine Thromboembolie erlitten (46 % eine Beinvenenthrombose und 11 % eine Lungenembolie), und bei 20 % war eine positive Familienanamnese hinsichtlich venöser Thromboembolie bekannt. 55 % der Patienten hatten eine Varikosis. Die Einschätzung des thromboembolischen Gesamtrisikos erfolgte auf einer Skala von 1 (geringes Risiko) bis 10 (sehr hohes Risiko). Wie der hohe Anteil an Akut- und Basisrisiken erwarten lässt, lag die Gesamteinschätzung im Mittel bei 6,5. Diesem erhöhten Thromboembolierisiko entsprechend, wurde noch während des Hausbesuchs bei 80 % der Patienten eine medikamentöse Thromboseprophylaxe verordnet. Diese wurde bei nahezu allen Patienten (957 von 967) mit niedermolekularem Heparin (NMH), im Mittel über 10 Tage, durchgeführt. Die subjektive Risikoeinschätzung durch die teilnehmenden Ärzte auf der von 1 bis 10 graduierten Skala wurde mit dem in ⊡ Abbildung 20.1 gezeigten Risiko-Score post hoc verglichen, was aufgrund der identischen Nomenklatur der Risikofaktoren im Prüfbogen und dem Score leicht möglich war. Hierbei ergab sich eine weitgehende Übereinstimmung der subjektiven Einschätzung durch den Arzt und der retrospektiven, EDV-gestützen Eintragung in den Score. Aus diesen Ergebnissen lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: ▬ Die AT-HOME-Studie belegt, dass auch bei nichtchirurgischen Hausarztpatienten ein hohes Thromboembolierisiko besteht. ▬ Daten zur Risikosituation internistischer Patienten aus klinischen Studien sind somit auf den ambulanten Bereich übertragbar. ▬ Thromboserisiken bei akut bettlägerigen internistischen Patienten werden in der hausärztlichen Versorgung gut erkannt. ▬ Bei identifizierten Risikopatienten wird eine Thromboseprophylaxe in großem Umfang durchgeführt. ▬ Die Ergebnisse von AT-HOME zeigen, dass hausärztlich tätige Allgemeinmediziner und Internisten zunehmend bestrebt sind, ihren ambulant betreuten Patienten denselben Versorgungsstandard zukommen zu lassen, den sie unter stationärer Behandlung erhalten würden. Zur Häufigkeit von Thrombosen bei Patienten in Pflegeheimen, die in ihrer Mobilität zwar stark eingeschränkt, aber nicht akut erkrankt sind, gibt es nur wenige Daten. In einer retrospektiven Kohortenstudie über eine Periode von 10 Jahren wurde von Gatt et al. die Rate klinisch symptomatischer Thrombosen von mobilen und immobilen Heimbewohnern miteinander
96
III Innere Medizin
verglichen. Im Vergleich zu 220 Bewohnern mit einer länger als drei Monate anhaltenden Immobilität konnte bei 348 mobilen Bewohnern kein statistisch signifikanter Unterschied der Thromboembolieraten ermittelt werden. Auf 1000 Patientenjahre berechnet, hatten die immobilen Bewohner eine Inzidenz von 13,9 gegenüber 15,8 bei den mobilen Bewohnern [2]. Hieraus lässt sich somit keine Langzeitprophylaxe nach einem Akutereignis, das zur Immobilität geführt hat, ableiten. Bis zum Vorliegen neuer Studienergebnisse, z. B. aus der EXCLAIM-Studie, die sich mit der Indikation einer poststationären Prophylaxe beschäftigt, erscheint nach derzeitigem Kenntnisstand eine 10- bis 14-tägige medikamentöse Prophylaxe bei Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen und strikter Bettlägerigkeit sinnvoll. Nachdem sich die Gabe einer Hochrisikoprophylaxedosierung von niedermolekularem Heparin in mehreren Studien als effektive Methode der Thromboseprophylaxe bewährt hat, sollten bei Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen und krankheitsbedingter Bettlägerigkeit keine niedrigeren Dosierungen als beispielsweise einmal täglich 40 mg Enoxaparin oder 5000 antiXa-E Dalteparin verabreicht werden. Dies gilt gleichermaßen für Patienten mit stationärer und ambulanter Versorgung.
III
individuelles Risiko = Akutrisiko + Basisrisiko
• Ischämischer Apoplex mit Parese* • Akut dekompens. COPD (mit/ohne Beatmung)* • Akuter Mykardinfarkt* • Herzinsuffizienz NYHA III/IV* • Sepsis* • Aktive Krebserkrankung unter Therapie* • Nahezu vollständige Immobilisierung
hohes Gesamtrisiko
Akutrisiko
bei akuter Infektion* bei akuter Entzündung (z. B. Darm, Gelenke)*
• Nicht vollständige Immobilisierung bei fieberhaften Infekten, bei fieberhafter Entzündung
• Liegender ZVK • Infusion venenaggressiver Lösungen bei Port
• Bei jeder Mobilitätseinschränkung des internistischen Patienten sollte routinemäßig anhand der Basisrisiken das VTE-Risiko bestimmt werden: je höher das Basisrisiko, desto großzügiger die Indikationsstellung!
• COPD: chronisch obstruktive Lungenerkrankung
• ZVK: zentraler Venenkatheter • VTE: venöse Thromboembolie *Evidenz-basiert
niedriges Gesamtrisiko
• Exsikkose • Polyglobulie • Thrombozytose • Stammvarikose • Hormonersatztherapie • Adipositas • Alter > 60Jahre
• Alter > 75Jahre* • Schwangerschaft/ p. p.** • Orale Kontrazeption • Nephrot. Syndrom • Myeloprol. Syndrom
• Bekannte Thrombophilie* • VTE in Eigenanamnese* • Tumor in der Anamnese* • VTE in Familienanamnese*
Addition der Einzelrisiken
**p.p. = post partum
Basisrisiko
⊡ Abb. 20.1. Risikomodell zur Bestimmung des Gesamtrisikos für thromboembolische Komplikationen
97 Thromboembolieprophylaxe
III
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98
III Innere Medizin
Kardiologie – Einsatzmöglichkeiten niedermolekularer Heparine
III
21.
Therapie des akuten Koronarsyndroms – instabile Angina pectoris und Nicht-ST-Hebungsinfarkt Harald Darius Einleitung
Die innovative Therapie des akuten Koronarsyndroms (ACS) in der klinischen Ausprägung der instabilen Angina pectoris und des Nicht-ST-Hebungsinfarkts (NSTEMI) ist durch eine potente antithrombotische Kombinationstherapie sowie durch frühzeitige Koronarinterventionen geprägt. Vor etwa 15 Jahren konnte die Wirksamkeit einer antikoagulatorischen Therapie mit unfraktioniertem Heparin (UFH) nachgewiesen werden. Im Gegensatz zu UFH bewirken die niedermolekularen Heparine (NMH) eine wesentlich konstantere Antikoagulation und die überlegene Wirksamkeit von Enoxaparin bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom konnte im Vergleich zu UFH in mehreren Studien bewiesen werden. Die Kombination des Enoxaparins mit Glykoprotein-IIb/IIIa-Inhibitoren führte zu einer weiteren Verringerung der Inzidenz unerwünschter kardialer Endpunkte. Beim Einsatz von Enoxaparin zur perkutanen Revaskularisationstherapie beim ACS wurde in der SYNERGY-Studie gezeigt, dass Enoxaparin dem UFH nicht unterlegen war, aber zu mehr Blutungskomplikationen führte. Dieser Effekt trat jedoch bevorzugt bei Patienten mit Therapiewechsel zwischen UFH und Enoxaparin auf, während Patienten mit konsistenter Enoxaparintherapie gegenüber UFH eine Verringerung der Ereignisrate aufwiesen. Enoxaparin ist die überlegene Substanz zur Antikoagulation bei der konservativen Therapie des ACS. Koronarinterventionen können sicher unter einer Antikoagulation mit Enoxaparin durchgeführt werden, Therapiewechsel mit UFH sind zu vermeiden. Akutes Koronarsyndrom Das akute Koronarsyndrom entsteht durch Ruptur einer atherosklerotischen Plaque der epikardialen Herzkranzgefäße mit Freisetzung von Gewebsthromboplastin (»tissue factor«) sowie Exposition prothrombotischer subendothelialer Wandbestandteile gegenüber dem Blutstrom. Dies führt zur raschen Aktivierung von Prothrombin zu Thrombin und zur massiven Thrombozytenakkumulation an der Stelle der rupturierten atherosklerotischen Plaque. Der entstehende Thrombus führt entweder zur transienten oder permanenten Okklusion des koronaren Blutflusses und zur myokardialen Ischämie, die sich klinisch in Abhängigkeit vom Ausmaß und Dauer der Perfusionsminderung als instabile Angina, Nicht-ST-Hebungsinfarkt oder ST-Hebungsinfarkt präsentiert.
99 Kardiologie – Einsatzmöglichkeiten niedermolekularer Heparine
III
Antithrombotische Kombinationstherapie des ACS Während der Akutphase des Koronarsyndroms wird die Thrombinbildung durch Gabe von Antikoagulanzien wie dem unfraktionierten Heparin, dem niedermolekularen Heparin oder mittels direkter, intravenös wirksamer Thrombininhibitoren wie dem Bivalirudin antagonisiert. Neben der Aufhebung der Thrombinwirkung stellt die Hemmung der Thrombozytenaktivität die andere ergänzende und notwendige Komponente einer erfolgreichen antithrombotischen Therapie dar. Zwischen der Gerinnungsaktivierung durch die Tissue-factor-induzierte Thrombinbildung und der Thrombozytenaktivierung besteht eine enge gegenseitige Beziehung. So katalysiert die Oberfläche aktivierter Thrombozyten den Prozess der Thrombinbildung aus Prothrombin um den Faktor 10.000 im Vergleich zu Membranen nichtaktivierter Thrombozyten. Auf der anderen Seite stellt Thrombin einen der wesentlichen biologisch aktiven Stimulatoren der Thrombozytenaktivirung in vivo dar. Die Thrombozytenaktivierung wird durch Acetylsalicylsäure zur Hemmung der thrombozytären Cyclooxygenase und damit der Thromboxan-A2-Synthese und durch Clopidogrel zur Verhinderung einer ADP-abhängigen Thrombozytenaktivierung gehemmt. Zusätzlich konnten zahlreiche klinische Studien nachweisen, dass bei Patienten mit hohem Risiko zum Beispiel mit Diabetes mellitus oder Troponinerhöhung, intravenös applizierte Glykoprotein-IIb/IIIaRezeptorantagonisten zu einer signifikanten Senkung unerwünschter klinischer Endpunkte beitragen. Diese Substanzen besetzen entweder nichtkompetitiv (Abciximab) oder als kompetitive Antagonisten, wie die synthetischen Substanzen Tirofiban und Eptifibatide, die auf den Thrombozytenoberflächen exprimierten, hochaffinen Bindungsstellen für Fibrinogen, um so die Quervernetzung der Thrombozyten über Fibrinogenbrücken komplett zu verhindern. Heparin und niedermolekulare Heparine bei der Therapie des ACS Die ersten positiven Ergebnisse für die Wirksamkeit einer antithrombotischen Therapie mit unfraktioniertem Heparin (UFH) stammen aus den Untersuchungen von P. Théroux vom Montreal Heart Institute [1]. Während Lars Wallentin et al. [2] keine Wirksamkeit für intermittierende intravenöse Injektion nachweisen konnten, zeigt die intravenöse Dauerinfusion des UFH einen positiven Effekt auf den klinischen Verlauf von Patienten mit instabiler Angina [1]. Seitdem war die aPTT-wirksame Antikoagulation mit UFH Therapiestandard, auch wenn die Empfehlungsstärke in den Leitlinien der Fachgesellschaften aufgrund der nicht sehr überzeugenden Ergebnisse der beiden Studien nur gering war. Darüber hinaus konnte auch in weiteren Untersuchungen zur Therapie des akuten Koronarsyndroms keine Korrelation zwischen der applizierten UFH-Dosis und den klinischen Effekten, zum Beispiel der Senkung der 30-Tages-Sterblichkeit, festgestellt werden [3]. Aus diesen Gründen und aufgrund der bekannten Tatsache, dass eine Antikoagulation mit subkutan appliziertem niedermolekularen Heparin (NMH) ein deutlich konstanteres Antikoagulationsniveau bewirkt im Vergleich zur intravenösen Dauerinfusion von UFH, lag die Anwendung der niedermolekularen Heparine beim akuten Koronarsyndrom nahe. Nach einigen kleineren Voruntersuchungen wurden mehrere Studien mit verschiedenen NMH durchgeführt, die die Grundlage für die Anwendung des Enoxaparins beim ACS legten, wobei vor allem das Enoxaparin und das Dalteparin untersucht wurden. Während für Dalteparin nur eine signifikante Überlegenheit gegenüber Plazebo nachgewiesen wurde, konnte für Enoxaparin in zwei unabhängigen Studien eine Überlegenheit gegenüber UFH gezeigt werden. Die ESSENCE- und TIMI-11b-Studien [4, 5] untersuchten die
100
III Innere Medizin
Tod, Myokardinfarkt und dringliche Revaskularisation nach 1 Jahr TESSMA-Analyse 25,8%
III
Patienten [%]
25
UFH 23,3%
20 Enoxaparin 15 10 5
p = 0,008
0 0
2
4
6 Monate
8
10
12
⊡ Abb. 21.1. Die TESSMA Analyse bezeichnet die Auswertung der 7081 ACS-Patienten, die in die TIMI-11B- und ESSENCE-Studien eingeschlossen worden waren, nach 1 Jahr. Insgesamt waren Einjahresdaten von über 6646 Patienten (94 %) verfügbar. Enoxaparin zeigte einen signifikanten Vorteil für den kombinierten Endpunkt mit einer Hazard Ratio von 0,88 (p = 0,008).
Wirksamkeit einer maximal 8-tägigen Therapie mit Enoxaparin in körpergewichtsadaptierter Dosis (1 mg/kg zweimal täglich), wobei nur die TIMI-11b-Studie eine intravenöse Initialdosis zur Aufsättigung von 30 mg i.v. verwandte. In den beiden Studien lag die mittlere Therapiedauer bei 2,6 bzw. 3,0 Tagen. Im Rahmen einer prospektiv definierten Metaanalyse dieser beiden gut vergleichbaren Studien mit zusammen 7081 Patienten zeigte sich eine statistisch signifikante Reduktion des kombinierten Endpunktes Tod und nichttödlicher Infarkt nach 8, 14 und 43 Tagen (p = 0,02) [6]. Dieser therapeutische Fortschritt war ohne signifikante Erhöhung von schweren Blutungskomplikationen erzielt worden. Bei der Analyse der 1-Jahres-Daten beider Studien zeigte sich eine ebenfalls statistisch signifikante Senkung des kombinierten Endpunktes Tod/Infarkt/ dringliche Revaskularisation um 12 % (⊡ Abb. 21.1). Diese Ergebnisse und zusätzliche Analysen führten dazu, dass die Therapie mit Heparin oder niedermolekularem Heparin als Klasse IA Empfehlung in die AHA/ACC-Leitlinien für die Behandlung des ACS aufgenommen wurden, und als IIA-Empfehlung wird erwähnt, dass die Therapie mit Enoxaparin einer intravenösen Therapie mit UFH vorzuziehen ist [7]. Invasive Therapiestrategie und prolongierte NMH-Therapie Eine vergleichbar gute Datenlage wie für die Wirksamkeit des Enoxaparins beim ACS liegt für die anderen NMH nicht vor, so dass in Deutschland derzeit ausschließlich das Enoxaparin für diese Indikation zugelassen ist. Aufgrund der großen klinischen Wertigkeit der Erkenntnisse muss hier allerdings die FRISC-II-Studie mit Dalteparin erwähnt werden [8]. In dieser Untersuchung wurden alle Patienten mit akutem Koronarsyndrom mit Dalteparin 120 IE/kg zweimal täglich) über 5–7 Tage behandelt und während dieser Phase einer früh invasiven oder konservativen Therapiegruppe randomisiert zugeordnet. Zusätzlich wurden die Patienten nach 5–7 Tage erneut randomisiert bezüglich einer prolongierten Therapie mit Dalteparin über 3 Monate oder Plazebo. Hier konnte erstmals nachgewiesen werden, dass die Therapiegruppe mit der früh invasiven Therapie, also rasche Katheteruntersuchung und Revaskularisation innerhalb von sieben Tagen signifikante Vorteile gegenüber einer konservativen Vorgehensweise bei diesem Patienten kollektiv hat (⊡ Abb. 21.2). Zusätzlich konnte der Vorteil einer prolongierten Therapie mit NMH über 3 Monate nachgewiesen werden, wobei diese Ergebnisse heutzutage nicht in die
101 Kardiologie – Einsatzmöglichkeiten niedermolekularer Heparine
III
Wahrscheinlichkeit für Tod oder MI
Tod oder MI 0,16 0,14
Nicht invasiv (n = 1222)
0,12 0,10
Invasiv (n = 1234)
0,08 0,06 0,04 0,02
p < 0,005
0 0
60
120
180
240
300
360
⊡ Abb. 21.2. Nachweis der Wirksamkeit einer frühen interventionellen Therapie innerhalb von 7 Tagen bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom im Hinblick auf die Inzidenz des kombinierten Endpunktes Tod und Myokardinfarkt. Beide Gruppen erhielten während der ersten 5–7 Tage eine subkutane Therapie mit Dalteparin
Praxis umgesetzt werden, da in aller Regel eine kombinierte Thrombozyteninhibitortherapie mit ASS und Clopidogrel bei diesen Patienten erfolgt, die in der FRISC-II-Studie noch nicht angewandt wurde. Im Zusammenhang mit einer prolongierten Antikoagulationstherapie ist ebenfalls eine sehr lange Fortführung der Antikoagulation mittels Vitamin-K-Antagonisten erwähnenswert. So konnte im Rahmen der WARIS-II-Studie [9] bei 3630 Patienten über 4 Jahre die Wirksamkeit der oralen Antikoagulation (INR 2,8–4,2), mit der Kombination aus oraler Antikoagulation (INR 2,0–2,5) plus ASS (75 mg/Tag) oder alleiniger ASS-Therapie (160 mg/Tag) verglichen werden. Es zeigte sich eine eindeutige Überlegenheit der beiden Therapiegruppen mit oraler Antikoagulation. Allerdings wurde auch in dieser Studie keine kombinierte Thrombozytenhemmertherapie durchgeführt, so dass auch diese Ergebnisse heutzutage nicht klinisch umgesetzt werden. Therapie mit Enoxaparin und Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten Die beiden Untersuchungen zur Etablierung des therapeutischen Effektes des Enoxaparins waren noch bei Patienten mit einer relativ geringen Angiographierate (ca. 55 %) und Revaskularisationsrate (26–35 %) durchgeführt worden. Da mit der zunehmenden Evidenz für den therapeutischen Vorteil einer frühen revaskularisierenden Therapie die Anzahl der perkutanen Koronarinterventionen deutlich zunahm, traten die Fragen nach der Durchführung von Angiographien und Koronarinterventionen unter Enoxaparin sowie kombinierten Anwendung mit GPIIb/IIIa-Inhibitoren in den Vordergrund des klinisch wissenschaftlichen Interesses. Nach den ersten Registern zur Feststellung der Anzahl von Blutungskomplikationen bei gemeinsamer Verwendung von Enoxaparin und GPIIb/IIIa-Inhibitoren (NICE-Register) wurden insgesamt 3 randomisierte Studien zu den pharmakodynamischen Interaktionen durchgeführt [10–12]. Bei diesen Interaktionsstudien lag die Rate der angiographierten Patienten bereits zwischen 59 und 62 % und die Rate der revaskularisierten Patienten zwischen 39 und 50 %, wobei ca. 30% mittels perkutaner Koronarintervention therapiert wurden. In ACUTE [10] und A-to-Z [11] (Therapie mit Tirofiban und Untersuchung Enoxaparin gegen UFH) und INTERACT [12] (Therapie mit Eptifibatide und Untersuchung Enoxaparin gegen UFH) bestätigte sich der Trend zur Überlegenheit des Enoxaparins gegenüber dem UFH, wobei nur die INTERACT als Einzelstudie eine Signifikanz zeigte mit Senkung des Endpunkte Tod und Infarkt nach
102
III Innere Medizin
Ischämieepisoden 30
Schw. Blutungen 6 p = 0,014
p = 0,0002 25,1 25 4
III
Prozent
20
3,8
14,1
15
2
10
1,1 5 0
0 UFH
Enoxaparin
UFH
Enoxaparin
⊡ Abb. 21.3. Ergebnisse der INTERACT Studie zur Blutungsrate von Patienten mit akutem Koronarsyndrom unter obligater Therapie mit dem Glykoproteinrezeptor Antagonisten Eptifibatide und entweder Enoxaparin oder UFH. Dargestellt ist die Ereignisrate für ischämische Episoden anhand der 48 Stunden EKG Auswertung mit ST-Streckenanalyse (links) und der nicht Bypass assoziierten schweren Blutungen (rechts)
30 Tagen um 46 %. Mindestens ebenso wichtig wie die Verhinderung ischämischer Endpunkte war bei diesen Untersuchungen jedoch die Blutungskomplikationsrate beim Vergleich Enoxaparin gegen UFH vor dem Hintergrund einer GPIIb/IIIa-Antagonistentherapie. Dabei war bei INTERACT sogar eine signifikant geringere Blutungsrate zu beobachten, während die anderen beiden Untersuchungen keinen signifikanten Vorteil zeigten (⊡ Abb. 21.3). Enoxaparin im Rahmen von Koronarinterventionen Die drei genannten Interaktionsstudien hatten zwar einen deutlich höheren Anteil an Patienten mit Revaskularisationen, trotzdem entsprach die Interventionsrate noch nicht der heute durch die neuen Leitlinien verlangten raschen invasiven Abklärung innerhalb von 48 Stunden und ggf. PCI- oder ACVB-Operation. Aus diesem Grunde wurde mit der SYNERGY-Studie [13] eine sehr groß angelegte Untersuchung durchgeführt, mit dem Ziel die Nichtunterlegenheit von Enoxaparin gegenüber UFH bei 9978 Patienten mit ACS und rascher invasiver Vorgehensweise entsprechend den neuen Leitlinienempfehlungen zu testen. Dabei wurden Patienten mit ACS eingeschlossen, die zwei von drei Bedingungen erfüllten: Alter über 60 Jahre, transiente ST-Hebungen oder Senkungen und/oder CK-MB- oder Troponinerhöhung. Die Patienten erhielten entweder Enoxaparin 1 mg/kg s.c. zweimal täglich oder UFH 60 IE/kg Bolus und 12 IE/kg/h zur Erreichung einer Ziel aPTT von 50–70 s. Primärer Endpunkt waren Tod oder Myokardinfarkt innerhalb von 30 Tagen. Entsprechend den Leitlinienempfehlungen wurden diese Patienten zu 92% koronarangiographiert und 46 bzw. 47 % wurden mittels PCI im Mittel nach 22 Stunden Therapie versorgt, wobei weitere 19 % der Patienten bypassoperiert wurden. Diesbezüglich handelt es sich bei SYNERGY um die ACS-Studie mit dem bisher höchsten Interventionsgrad entsprechend den neuen Leitlinien. Der primäre Endpunkt (Tod und Infarkt) war mit 14,0 % in der EnoxaparinGruppe und 14,5 % in der UFH-Gruppe nicht unterschiedlich, so dass die Nichtunterlegenheit bewiesen ist. Bei den Blutungskomplikationen wurden zwei verschiedene Bewertungsschemata angewandt. Bei der Analyse nach dem GUSTO-Schema zeigten sich keine signifikanten Unterschiede, aber mit 2,9 vs. 2,4 % schweren Blutungen ein Trend zuungunsten des Enoxaparins. Bei Verwendung des TIMI-Schemas zeigte sich bei den schweren Blutungskomplikationen
III
103 Kardiologie – Einsatzmöglichkeiten niedermolekularer Heparine
Studie
Enox [%]
UFH [%]
Odds ratio [95% CI]
ESSENCE 5,8
7,5
0,76 [0,58/1,01]
TIMI 11B
6,4
7,8
0,81 [0,60/1,10]
INTERACT 4,6
8,1
0,55 [0,28/ 1,08]
A to Z
6,9
1,06 [0,68/ 1,67]
SYNERGY 12,6
14,8
0,84 [0,68/ 1,05]
Alle
9,4
0,81 [0,70/ 0,94]
7,3
8,0
Odds ratio [95% CI]
0,2
Enoxaparin besser
1,0
2,0 UFH besser
⊡ Abb. 21.4. Metaanalyse der Enoxaparin-Studien von Petersen et al. [14] mit Analyse der Inzidenz des gemeinsamen Endpunktes Tod und Myokardinfarkt bei Patienten mit konsistenter Therapie, das heißt ohne Wechsel zwischen UFH und Enoxaparin im Studienverlauf. Neben den beiden Studien mit primär konservativem Therapieansatz (ESSENCE, TIMI-11b) und den Interaktionsstudien mit Glykoproteinrezeptor Antagonisten (INTERACT, A-to-Z) wurde auch SYNERGY mit der leitlinienorientierten sehr frühen Intervention analysiert. Das Ergebnis zeigt eine 19%ige relative Risikoreduktion für Tod und erneuten Myokardinfarkt innerhalb der ersten 30 Tage
eine signifikant höhere Rate in der Enoxaparin- (9,1 %) im Vergleich zur UFH-Gruppe (7,6 %; p = 0,008). Diese Ergebnisse waren insgesamt für die Untersucher unerwartet und standen nicht im Einklang mit den früheren Vergleichsstudien bzgl. der beiden Substanzen. Bei der genaueren Analyse der Daten anhand des vorgegebenen statistischen Auswertungsplanes konnte sehr schnell herausgearbeitet werden, dass die nichtkonsistente Therapie der Patienten zu einer höheren Ereignisrate und ebenfalls höheren Blutungskomplikationsrate geführt hatte, wenn Patienten mit Enoxaparin vorbehandelt waren und aufgrund der Randomisierung UFH erhielten und vice versa. Bei den Patienten, die konsistent d. h. ohne Substanzwechsel therapiert worden waren, zeigte sich eine signifikante Abnahme der schweren kardialen Ereignisse, die auch statistisch signifikant war (⊡ Abb. 21.4) [14]. Im Zusammenhang mit der Verwendung von Enoxaparin bei PCI ist eine weitere Untersuchung erwähnenswert, die kürzlich vorgetragen, aber noch nicht schriftlich publiziert ist. Es handelt sich um die STEEPLE-Studie, die 3528 Patienten allerdings ohne ACS während Katheterinterventionen mit Enoxaparin 0,5 mg/kg; 0,75 mg/kg oder UFH antikoaguliert hatte. Der primäre Endpunkt war die Inzidenz von nicht Bypassoperation assoziierten großen Blutungen, die in der 0,5 mg/kg und in der 0,75 mg/kg Gruppen mit je 1,2 % signifikant geringer war als in der UFH-Gruppe mit 2,8 % (p < 0,007). Dabei erreichten 78,8 bzw. 91,7 % aller Patienten der 0,5 und der 0,75 mg/kg das angestrebte Antikoagulationsniveau, während dies bei nur 19,7 % der UFH-Gruppe erfolgreich gelang. Literatur 1. Théroux P, Ouimet H, McCans J et al. Aspirin, heparin or both to treat acute unstable angina. N Engl J Med 1988; 319: 1105–1111 2. The RISC Group. Risk of myocardial infarction and death during treatment with low dose aspirin and intravenous heparin in men with unstable coronary artery disease. Lancet 1990; 336: 827–830
104
III
III Innere Medizin
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22.
Therapie des akuten Herzinfarktes mit niedermolekularen Heparinen Christoph Tillmanns, Martin Klutmann, Dietrich C. Gulba Einleitung
Dem ST-Hebungs-Herzinfarkt liegt in der Regel der gleiche Pathomechanismus zugrunde, der auch die anderen akuten nicht ST-Hebungs-Koronarsyndrome verursacht [1, 2]. Instabile Angina pectoris, NSTEMI und STEMI unterscheiden sich pathogenetisch meist nur im unterschiedlichen Schweregrad der bestehenden Koronarthrombose. Während bei der Behandlung der instabilen Angina pectoris und bei der konservativen Therapie des NSTEMI die niedermolekularen Heparine heute zum leitliniengerechten Therapiestandard gehören, ist ihr Einsatz beim akuten Herzinfarkt weniger klar definiert.
105 Kardiologie – Einsatzmöglichkeiten niedermolekularer Heparine
III
Einsatz der Heparine beim konservativ behandelten Herzinfarkt Obwohl keine verlässlichen Studien vorliegen, gehört eine i.v.-Heparin-Bolusinjektion (in der Regel 5000 IE UFH), zumindest in Deutschland, zum Standard der Erstbehandlung in der Notfallversorgung. Ziel dieser Therapie ist es, das appositionelle Wachstum des Koronarthrombus zu verhindern. Mit der zunehmenden Verbreitung der fraktionierten, niedermolekularen Heparine (NMH) im klinischen Alltag wird dieser Heparinbolus in einer zunehmenden Zahl von Notarztsystemen in Deutschland heute durch eine äquivalente s.c.-Dosis eines NMH (z. B. Enoxaparin 1 mg/kg) oder einen niedrigdosierten i.v.-Bolus (z. B. Enoxaparin 0,3 mg/kg – analog der ASSENT-3-Studie [25]) ersetzt. Die Heparintherapie wird bei rein konservativer Infarkttherapie im Allgemeinen auch noch über die Phase der Intensivtherapie in therapeutischer Dosierung aufrecht erhalten (Ziel-aPTT 60–80 s). Sie hat das Ziel, die Präzipitation von muralen Ventrikelthromben und deren konsekutive Embolisierung zu vermeiden. So wurde in der Vor-Heparin- und Vor-ReperfusionsÄra bei bis zu 40 % der Patienten über echokardiographisch nachweisbare Ventrikelthromben berichtet [3]. Bei immerhin ca. 13 % der Patienten mit Ventrikelthromben kam es innerhalb von zwei Jahren nach dem Infarktereignis zu zerebralen Ereignissen [4]. Bei Patienten ohne Ventrikelthromben ließen sich in diesem Zeitraum nur in 2% der Fälle zerebrale Ereignisse nachweisen (p < 0,01). Seit die überwiegende Zahl der Patienten einer frühen Reperfusionstherapie zugeführt wird, ist das Ausmaß der Myokardnekrose und damit die Gefahr muraler Thromben und deren Embolisierung und damit die Erfordernis einer länger dauernden Heparintherapie nach akutem Herzinfarkt vergleichsweise geringer. Das Ziel der Verhinderung muraler Ventrikelthromben und deren konsekutiver Embolisierung lässt sich auch durch subkutane Injektionen von UFH erreichen. Im SCATI-Trial ließ sich bei mit Streptokinase lysierten Patienten beispielsweise durch die zweimal tägliche Gabe von 7500 IE Calciparin die Rate linksventrikulärer Thromben von 36,5 % auf 17,7 % (p < 0,01) und die Rate zerebraler Embolien von 0,58 % auf 0,28 % halbieren [3]. Die Rate muraler ventrikulärer Thromben und konsekutiver zerebraler Embolien nach akutem Herzinfarkt konnte in der FRAMI-Studie durch Dalteparin ebenfalls von 21,9 % auf 14,2 % (p = 0,03) signifikant gesenkt werden [5]. Da die Patienten heute im Allgemeinen, zumindest während der Therapiephase auf der Intensivstation, bei größeren Infarkten – meist auch darüber hinaus – mit i.v.- und/oder s.c.-UFH oder -NMH behandelt werden, ist die Rate zerebraler Embolien nach Infarkt heute vergleichbar gering geworden. Bei den meist länger immobilisierten Patienten mit großen Herzinfarkten ist darüber hinaus mit einer Häufung von tiefen Venenthrombosen und konsekutiven Lungenembolien zu rechnen. Diese sind mit NMH, z. B. Enoxaparin [6, 7] noch wirksamer als mit UFH zu verhindern. Trotz der insgesamt noch geringen Datenbasis ist UFH aufgrund des ungünstigen pharmakologischen Profils, der schlechten Vorhersagbarkeit der klinischen Wirksamkeit und aus pharmakoökonomischen Überlegungen vielerorts durch NMH ersetzt worden. NMH zur Sekundärprävention nach Herzinfarkt Heparin und Acetylsalicylsäure (ASS) verhindern mit vergleichbarer Effizienz sekundäre kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit instabiler Angina, wobei der Heparineffekt etwas früher als der des Aspirin einsetzt [8]. Die Kombination beider Substanzen zeigte einen additiven Effekt. Einer Metaanalyse von R. Collins zufolge wird die kardiovaskuläre Sterblichkeit durch
106
III
III Innere Medizin
Heparin um ein Drittel, die Reinfarktrate um ca. 15 % gesenkt, sofern die Patienten nicht mit ASS vorbehandelt sind [9]. Bei mit ASS vorbehandelten Patienten zeigt UFH jedoch nur einen geringen, nicht signifikanten additiven Effekt. Während bei instabiler Angina pectoris und NSTEMI für NMH eine ausreichende Datenbasis besteht, die die zumindest äquivalente Wirksamkeit im Vergleich zu UFH belegt [10–12], ist der Stellenwert von NMH bei der Sekundärprävention nach konservativer Infarktbehandlung weit weniger klar. In der BIOMACS-II-Studie, einer Pilotstudie, erwies sich Dalteparin in der Sekundärprävention nach akutem Herzinfarkt als wirksam [13]. Das Ergebnis wird durch die TETAMI-Studie bestätigt, die 1224 mit 100–325 mg ASS behandelte Patienten, bei denen die Reperfusionstherapie nicht (oder nicht mehr) indiziert war, in einem 2×2 faktoriellen Design in prospektiver, randomisierter Weise mit Enoxaparin vs. UFH und mit Tirofiban vs. Plazebo behandelte [14]. Der gemeinsame Endpunkt aus Tod, Myokardinfarkt und rezidivierender Angina pectoris trat bei 15,7 % vs 17,3 % bei den mit Enoxaparin behandelten Patienten nach 30 Tagen nicht signifikant seltener als bei den mit UFH behandelten Patienten auf. Stellenwert der niedermolekularen Heparine bei der Thrombolysetherapie des akuten Herzinfarkts Durch frühzeitige Reperfusion innerhalb der ersten Stunden nach Einsetzen der Infarktsymptome lässt sich das Ausmaß der Infarktnarbe vermindern, die Rate schwerer sekundärer Infarktkomplikationen wie lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen oder die Ausbildung von Ventrikelaneurysmen senken und damit die intrahospitale und posthospitale Infarktsterblichkeit substantiell reduzieren. Insbesondere in den ersten 6–12 Stunden nach Beginn der Infarktsymptomatik ist sie erfolgreich. Eine rein konservative Therapie bleibt den heutigen Leitlinien der Infarkttherapie entsprechend den Patienten mit Kontraindikationen gegen die Reperfusionstherapie vorbehalten und sollte daher heute die Ausnahme darstellen [15]. Es stehen grundsätzlich zwei unterschiedliche Reperfusionsverfahren zur Verfügung: die pharmakologische Reperfusion mit Thrombolytika und die mechanische Reperfusion im Herzkatheterlabor [15]. Können innerhalb der ersten drei Stunden nach Beginn der Infarktsymptome beide Verfahren noch als vergleichbar effektiv gelten, ist die mechanische Reperfusion mittels primärer Angioplastie der pharmakologischen Reperfusion jenseits der Drei-Stunden-Grenze eindeutig überlegen. In den hochindustrialisierten Ländern der westlichen Welt wird die Thrombolysetherapie daher zunehmend durch die primäre Angioplastie ersetzt. Die Thrombolyse wird in diesen Ländern heute leitliniengerecht überwiegend noch in der Prähospitalphase eingesetzt, wenn die Patienten innerhalb der ersten drei Stunden nach Beginn der Infarktsymptome vom Notarzt versorgt werden können oder wenn eine primäre Angioplastie nur mit einer logisitisch bedingten Verzögerung von mehr als 90 Minuten verfügbar ist [15]. Trotz hoher Dichte von Katheterlabors ist deren Verfügbarkeit innerhalb von 90 Minuten nach erstem Patientenkontakt nur in den Ballungsgebieten sicher zu gewährleisten, so dass auch für die Zukunft damit gerechnet werden kann, dass die Thrombolysetherapie auch in der Bundesrepublik Deutschland einen wichtigen Stellenwert behalten wird. Unabhängig von der Art der Reperfusion wird die Therapie von einer Heparingabe begleitet. Sie soll die Reperfusion erleichtern, die akute Reokklusion verhindern und dient der frühen Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse. Bei der primären Angioplastie wird heute im Allgemeinen die Gabe eines UFH-Bolus von 100 IE/kg KG, gefolgt von einer aPTT-adjustierten Heparindauerinfusion (Zielbereich 50–85 s) empfohlen [16]. Um dem Risiko schwerer und
107 Kardiologie – Einsatzmöglichkeiten niedermolekularer Heparine
III
intrakranieller Blutungen zu begegnen, wird bei gleichzeitiger Gabe von Glykoprotein-IIb/IIIaAntagonisten die initiale Bolusdosis auf 60 IE/kg KG, maximal 4000 IE und eine Dauerinfusion von 120 IE/h, maximal 1000 IE/h (aPTT-Zielbereich 50–75 s) begrenzt. Bei der Thrombolysetherapie muss grundsätzlich zwischen den fibrinspezifischen Thrombolytika (Alteplase, Tenecteplase oder Reteplase) und der nichtselektiven Streptokinase unterschieden werden. Bei Einsatz von Streptokinase wird durch die quantitative systemische Fibrinogendegradation mit konsekutiver Freisetzung antikoagulatorisch hoch wirksamer Fibrinogenspaltprodukte, die adjuvante Heparintherapie als verzichtbar angesehen [17, 18]. Dennoch wird in den aktuellen ACCP-Guidelines eine adjuvante i.v.-Heparintherapie mit Ziel einer aPTT von 50–75 s (Initialdosis 5000 IE Bolus für Patienten > 80 kg: gefolgt von 1000 IE/h, für Patienten < 80 kg, gefolgt von 800 IE/h) oder eine s.c.-Therapie mit 12.500 IE UFH/12 h empfohlen [32]. Neuere Untersuchungen, in denen Streptokinase gemeinsam mit dem s.c. applizierbaren NMH Enoxaparin verabreicht wurde, zeigen jedoch eine gegenüber der alleinigen Streptokinasegabe verbesserte ST-Segment-Resolution als Hinweis auf eine verbesserte Reperfusion und eine verbesserte angiographische Infarktgefäßoffenheit (»patency«) nach fünf bis sieben Tagen als Hinweis auf geringere Reokklusionsraten sowie ein besseres klinisches Ergebnis nach 30 Tagen (Tod, Myokardinfarkt oder erneute Angina) [19]. In Deutschland werden heute überwiegend fibrinspezifische Thrombolytika eingesetzt. Hier gilt die adjuvante Heparintherapie als unverzichtbarer Bestandteil der Therapie [20, 21, 32]. Die Empfehlungen der aktuellen ACCP-Guidelines sehen eine gewichtsadaptierte UFH-Dosis von 60 IE/kg als Bolus, maximal 4000 IE und eine Erhaltungsdosis von 12 IE/kg/h, maximal 1000 IE/h vor [32]. Sie ist in der Lage, die Reperfusionsrate zu verbessern und die Reokklusionsraten zu senken [21, 22] weist jedoch nur eine sehr enge therapeutische Breite auf. Eine Begrenzung der gewichtsadaptierten Dosen wird, wie bereits zuvor erwähnt, daher empfohlen [32]. Der Einsatz des s.c. applizierten NMHs Enoxaparin beeinflusst die Reperfusionsrate darüber hinaus nur unwesentlich [23, 24]. Bei der Verhinderung früher Reokklusionen erscheint Enoxaparin dem UFH als aPTT-adjustierte i.v.-Dauerinfusion hingegen in der Wirksamkeit überlegen [22, 25, 26] und ist vergleichbar effektiv wie der GPIIb/IIIa-Rezeptorantagonist Abciximab (⊡ Abb. 22.1). Insbesondere bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und bei Patienten im Alter über 65 Jahre erscheint die verbesserte Wirksamkeit jedoch mit einer erhöhten Blutungsrate – auch schwere und lebensbedrohliche Blutungen – einherzugehen [26, 32]. Auch in der CLARITY-Studie zeigten die Patienten, die mit Enoxaparin statt mit UFH behandelt wurden, ein sehr viel günstigeres klinisches Ergebnis (6,9 % vs. 11,5 % Tod und Myokardinfarkt; 7,6 % vs. 12,6 % Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall) nach 30 Tagen Nachbeobachtungszeit [27]. Trotz ermutigender Ergebnisse mit den niedermolekularen Heparinen als adjuvante antithrombotische Therapie bei der Verwendung von fibrinspezifischen Thrombolytika werden diese in den aktuellen ACCP-Guidelines noch nicht generell empfohlen [32]. Bei den Patienten, die Enoxaparin z. B. in Kombination mit Tenecteplase erhalten, empfehlen die ACCP-Guidelines bei erhaltener Nierenfunktion einen i.v.-Bolus von 30 mg, gefolgt von 1 mg/kg s.c. alle 12 h [26, 32]. Um den Stellenwert der LMWHs als adjuvante Therapie bei der Thrombolyse endgültig festzulegen, ist die EXTRACT-TIMI-25-Studie durchgeführt worden [28, 31]. Insgesamt 20.479 Patienten mit Thrombolysetherapie bei akutem Herzinfarkt wurden unabhängig von der Wahl des Thrombolytikums randomisiert und doppelt verblindet zusätzlich mit Enoxaparin (30 mg als i.v. Bolus zuzüglich 1 mg/kg KG 2-mal täglich s.c., maximal 100 mg/Dosis) oder mit Plazebo behandelt. Der verstärkten Kumulation des Enoxaparins bei älteren Patienten und bei Patienten mit Niereninsuffizienz wurde in dieser Studie erstmals zusätzlich Rechnung getragen, indem bei Patienten >75 Jahren die Erhaltungsdosis auf drei Viertel der Standarddosis (maximal 75 mg)
108
III Innere Medizin
ASSENT-3 Primärer Endpunkt (Tod, Reinfarkt oder Reischämie nach 30 Tagen) 18 unfraktioniertes Heparin 15,4%
16 14 Prozent
III
12
Enoxaparin 11,4 %
10
Abciximab 11,1%
8 6 4 2
log-rank Test: p = 0,0001
0 0
5
10
15 Tage
20
25
30
⊡ Abb. 22.1. Die Wirkung von UFH, des NMHs Enoxaparin und des GP IIb/IIIa-Antagonisten Abciximab in der frühen Sekundärprävention nach Thrombolysetherapie. Ergebnisse der ASSENT-3-Studie [25]
reduziert war. Bei Patienten mit einer Kreatinin Clearance <30 ml/min wurde die Standarddosis (1 mg/kg KG s.c.) hingegen nur einmal täglich verabreicht. Gleichzeitig wurde bei den älteren und bei den niereninsuffizienten Patienten auf den initialen i.v. Enoxaparinbolus verzichtet [31]. Das Ergebnis der EXTRACT-TIMI-25-Studie zeigt nach 30 Tagen unabhängig vom eingesetzten Thrombolytikum einen signifikanten Vorteil zugunsten der adjuvanten Therapie mit Enoxaparin [Tod oder Reinfarkt (primärer Endpunkt): 9,9% vs. 12,0%; p < 0,0001]. Patienten mit späterer PCI im Verlauf der initialen Behandlung (relative Risikoreduktion 23% vs. 16% ohne spätere PCI) und Patienten mit zusätzlicher Clopidogreltherapie (relative Risikoreduktion 24% vs. 15% ohne Clopidogrel) profitierten dabei überproportional von der adjuvanten Enoxaparintherapie. Dieser Vorteil wurde durch eine leicht, aber signifikant höhere Zahl nicht tödlicher schwerer Blutungen (TIMI-major-Blutungen) erkauft (1,3% vs. 0,9%; p = 0,014). Damit steht nach EXTRACT-TIMI 25 nunmehr fest, dass Infarktpatienten mit Thrombolysetherapie – unabhängig vom eingesetzten Thrombolytikum und unabhängig von der weiteren Therapie – in der subakuten Behandlungsphase von einer adjuvanten Enoxaparintherapie profitieren. Die Enoxaparintherapie sollte bereits vor der Thrombolyse begonnen und dann über mehrere Tage nach der Thrombolyse aufrecht erhalten werden. Stellenwert der niedermolekularen Heparine bei der Infarktangioplastie Für die primäre und sekundäre Angioplastie des Herzinfarkts liegen keine spezifischen Studien vor. Da in der Notfallversorgung NMH, v. a. Enoxaparin, heute bereits an einer zunehmenden Zahl von Notfallstandorten zum Therapiestandard geworden sind, stellt sich diese Frage trotz unzureichender Datenbasis im klinischen Alltag. Man ist in dieser Frage daher auf den Analogiebezug der Angioplastie bei stabiler KHK und beim akuten Koronarsyndrom angewiesen. In der STEEPLE-Studie hat sich die einmalige i.v.-Gabe von 0,5 mg/kg KG oder 0,75 mg/kg KG Enoxaparin während der elektiven Koronarangioplastie als gegenüber der Standardtherapie mit UFH als vergleichbar wirksam erwiesen (Vierfachendpunkt: Tod, MI oder dringende Reangio-
109 Kardiologie – Einsatzmöglichkeiten niedermolekularer Heparine
III
Nicht Auftreten von Tod/MI nach 6 Monaten
SYNERGY 6-Monatsüberlebensrate (Tod/MI) (Intent-to-treat) 1,00
Enoxaparin UFH
0,95 0,90 0,85 0,80 0,75 HR (95% CI) = 0,978 (0,891/ 1,075)
0,70 0
30
60 90 120 150 Tage nach Randomisierung
180
⊡ Abb. 22.2. Die Wirkung von UFH vs. des NMHs Enoxaparin in der frühen Sekundärprävention bei Patienten, die bei einem Nicht-STEMI-ACS mit früher Angioplastie behandelt werden (Analyse des primären Endpunktes). (Nach The Synergy Investigators [30])
plastie nach 30 Tagen und schwere Blutung bis 48 h nach Therapie: 7,2 % und 7,9 % bei 0,5 mg/kg KG und 0,75 mg/kg KG Enoxaparin vs. 8,4 % bei UFH; Differenzen nicht signifikant). Die Therapiesicherheit war zugunsten von Enoxaparin überlegen (schwere Blutungen: 0,9 % und 1,2 % bei 0,5 mg/kg KG und 0,75 mg/kg KG Enoxaparin vs. 2,6 % bei UFH; p = 0,004 und 0,015) [29]. Diese Ergebnisse erscheinen analog für die primäre Angioplastie anwendbar, wenn der Patient innerhalb 6–8 Stunden nach der ersten Enoxaparingabe einer Koronarangioplastie unterzogen wird. Bei zunächst nichtinvasiv behandelten Patienten, die bereits eine oder mehrere s.c.-Gaben von Enoxaparin in therapeutischer Dosis (zweimal täglich 1 mg/kg KG s.c.) erhalten haben, besteht grundsätzliche Analogie zu den in der SYNERGY-Studie behandelten Patienten. Auch in dieser Studie findet sich eine vergleichbare Wirksamkeit des UFH mit dem NMH Enoxaparin (Tod und Myokardinfarkt nach 30 Tagen (n = 9978): 14,0 % Enoxaparin vs. 14,5 % UFH; p = 0,396) (⊡ Abb. 22.2) [30). Bei den mit Enoxaparin behandelten Patienten fand sich – insbesondere in der Gruppe der über 75-Jährigen – jedoch eine signifikant erhöhte Blutungsrate (inkl. schwerer und lebensbedrohlicher Blutungen). Drei Viertel der in die SYNERGY-Studie eingeschlossenen Patienten hatten jedoch bereits in der Phase vor der Randomisierung ein Heparinpräparat (UFH oder NMH) erhalten. Entsprechend wurden zahlreiche Patienten, die zunächst mit Enoxaparin behandelt wurden, im weiteren Studienverlauf planmäßig mit UFH und vice versa therapiert. In einer präspezifizierten Sekundäranalyse sind daher nur die Patienten untersucht worden, bei denen die Randomisierung die Fortsetzung der initialen Therapie (UFH oder Enoxaparin) vorsah oder denen vor der Randomisierung noch kein Heparin verabreicht worden war. In diesen »reinen« Therapiegruppen fand sich im Gegensatz zur primären Endpunktanalyse eine signifikant verbesserte Wirksamkeit der mit Enoxaparin behandelten Patienten (Tod und Myokardinfarkt (n = 6138) 13,3 % Enoxaparin vs. 15,9 % UFH; p = 0,0039) bei vergleichbarer Therapiesicherheit (⊡ Abb. 22.3). Aus diesen Daten lässt sich schließen, dass insbesondere beim Wechsel des Heparins von UFH auf NMH und umgekehrt Therapieunsicherheiten mit sowohl Unter- als auch Überdosierungen auftreten, die das Therapieergebnis verschlechtern können. Von einem Wechsel der einmal begonnenen Heparinstrategie ist daher dringend abzuraten.
110
III Innere Medizin
Wirksamkeit und Therapiesicherheit Intent-to-treat (n = 6138)
15,9
14 12
13,3
III
Patienten [%]
16
17,0
HR* = 0,82
16,9
20 18
10 8 6 4 2 0
Tod/MI 30Tage
Enoxaparin (n = 3 398)
Transfusionen
UFH (n = 2740)
*HR = hazard ratio, 95 %-Konfidenzintervall (0,72 –0,94)
⊡ Abb. 22.3. Die Wirkung von UFH vs. des NMHs Enoxaparin in der frühen Sekundärprävention bei Patienten, die bei einem Nicht-STEMI-ACS mit früher Angioplastie ausschließlich mit UFH oder Enoxaparin behandelt werden (Analyse des sekundären Endpunktes). (Nach The Synergy Investigators [30])
Bei der Infarktangioplastie wird heute im Allgemeinen die adjuvante Behandlung mit einem GPIIb/IIIa-Antagonisten (GPA) empfohlen. In der SYNERGY-Studie war die begleitende Therapie mit einem GPA ausdrücklich empfohlen worden, weshalb ca. zwei Drittel der eingeschlossenen Patienten mit einem GPA behandelt worden waren [30]. Die Ergebnisse der SYNERGY-Studie sind damit grundsätzlich auch auf die GPA-behandelten Infarktpatienten anwendbar. Bezüglich der adjuvanten GPA-Therapie bei der primären oder sekundären Infarktangioplastie muss daher bei gleichzeitiger Gabe von Enoxaparin keine Zurückhaltung empfohlen werden. Bei Kenntnis der Altersabhängigkeit der Blutungsraten unter Enoxaparin und der Abhängigkeit von der Nierenfunktion sollte die Indikation zur GPA-Therapie in diesen Patientenkohorten jedoch mit besonderer Sorgfalt gestellt und die Dosisadjustierung entsprechend den Vorgaben der EXTRACT–TIMI-25-Studie erwogen werden [28, 31].
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111 Kardiologie – Einsatzmöglichkeiten niedermolekularer Heparine
III
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112
III
III Innere Medizin
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23.
Kardioversion bei Vorhofflimmern Harald Lethen, Peter Oberst, Stefan Kersting, Adriana Bermes, Hans Peter Tries, Florian Zürcher, Heinz Lambertz Prävalenz
Die Prävalenz des Vorhofflimmerns beträgt etwa 0,4 % in der Gesamtbevölkerung. Während Vorhofflimmern in der Kindheit nur sehr selten beobachtet wird, ist es im Alter häufiger. Bei den unter 60-Jährigen liegt das Vorkommen bei weniger als 1 %, bei den über 80-Jährigen bei mehr als 6 %. Liegt eine strukturelle oder organische Herzerkrankung vor, ist die Prävalenz erhöht [1]. Kardioembolische Ereignisse Die Häufigkeit ischämischer Schlaganfälle bei Patienten mit nichtrheumatischem Vorhofflimmern beträgt annähernd 5 % pro Jahr und ist damit im Vergleich zu Patienten ohne Vorhofflimmern um das zwei- bis siebenfache höher. Ist bei bestehendem Vorhofflimmern ein rheumatischer Herzfehler assoziiert, steigt die kardioembolische Ereignisrate unbehandelter Patienten auf bis 25 % pro Jahr. Das höchste Risiko, thromboembolische Komplikationen zu erleiden, haben die Patienten mit assoziierter organischer Herzerkrankung, weshalb die Ereignisrate auch bei den älteren Patienten höher ist als bei den Jüngeren. Die meisten Thromben, die sich im Zusammenhang mit Vorhofflimmern intrakardial formieren, sind im linken Herzohr lokalisiert. Mit der transthorakalen Echokardiographie gelingt der intrakardiale Thrombusnachweis in aller Regel nicht. Das Verfahren der Wahl zur Diagnosestellung ist hier die transösophageale Echokardiographie (TEE), mit der darüber hinaus auch die Funktion des Herzohres beurteilt werden kann. Die im linken Herzohr detektierbaren
113 Kardiologie – Einsatzmöglichkeiten niedermolekularer Heparine
III
Flussgeschwindigkeiten sind beim Vorhofflimmern, im Vergleich zum Sinusrhythmus, aufgrund der fehlenden geordneten mechanischen Aktivität reduziert. Ausdruck der verminderten Flussgeschwindigkeit ist die Ausbildung von spontanem Echokontrast in unterschiedlicher Ausprägung sowie die Thrombenbildung. Kardioversion bei Vorhofflimmern Die aktuellen Behandlungskonzepte bei geplanter Kardioversion von neu aufgetretenem Vorhofflimmern basieren auf der Annahme, dass eine intrakardiale Thrombenbildung frühestens nach etwa 48-stündiger Dauer des Vorhofflimmerns eintritt. Nach elektrischer Kardioversion von Vorhofflimmern dauert die Dysfunktion des linken Vorhofes bzw. des linken Herzohres bei den meisten Patienten noch mindestens eine weitere Woche an [2–5]. Diese, trotz wiederhergestelltem Sinusrhythmus persistierende mechanische Funktionseinschränkung, wird auch atriales »Stunning« genannt. Dadurch können somit auch nach der Kardioversion intrakardiale Thromben entstehen, mit der potentiellen Gefahr eines folgenden kardioembolischen Ereignisses. Ohne adäquate antikoagulatorische Behandlung treten thromboembolische Komplikationen im Rahmen einer Kardioversion in 1 bis 7 % der Fälle auf. Um die Komplikationen durch intrakardiale Thromben im Rahmen einer geplanten elektiven, in der Regel elektrischen Kardioversion zu verhindern, wird bei der konventionellen Antikoagulationsstrategie vor bzw. bis zur Kardioversion eine mindestens drei- bis vierwöchige therapeutische Antikoagulation mittels Phenprocoumon durchgeführt. Mittels TEE konnte nachgewiesen werden, dass sich in dieser Zeit der größte Teil vorbestehender intrakardialer Thromben, die eine absolute Kontraindikation zur elektiven Kardioversion bedeuten, auflösen, so dass nachfolgend die Wiederherstellung des Sinusrhythmus angestrebt werden kann. Nach erfolgreicher Kardioversion wird die Phenprocoumonbehandlung für mindestens einen weiteren Monat fortgeführt. Ob die antikoagulatorische Behandlung nach dieser Zeit ausgesetzt werden kann, muss im Einzelfall entschieden werden. Hierbei ist neben dem Herzrhythmus auch das Vorliegen einer strukturellen oder organischen Herzerkrankung sowie die kardiale Risikokonstellation zu berücksichtigen. »ACUTE«-Studie Im Vergleich zur konventionellen Antikoagulationsbehandlung im Rahmen einer geplanten Kardioversion von länger als zwei Tage bestehendem Vorhofflimmern, konnte in der ACUTE-Studie gezeigt werden, dass eine TEE-gesteuerte Elektrokardioversion nach vorangehender Kurzzeitantikoagulation mit unfraktioniertem Heparin eine klinisch effektive und sichere Alternative darstellt [6]. In der ACUTE-Studie wurden die Patienten entweder nach fünftägiger Behandlung mit Warfarin oder nach eintägiger intravenöser therapeutischer Heparinisierung mittels TEE untersucht. Sofern ein intrakardialer Thrombus ausgeschlossen werden konnte, erfolgte anschließend die Kardioversion. Das Vorgehen nach der Kardioversion erfolgte entsprechend dem oben genannten konventionellen Kardioversionsschema (Warfarin-Therapie für einen Monat). »ACE«-Studie Vor diesem Hintergrund wurde in der ACE-Studie ein weiterer Versuch unternommen, die Antikoagulation vor geplanter Konversionsbehandlung von Vorhofflimmern zu modifizieren [7]. In dieser Studie wurde in zwei Studienarmen die subkutane Enoxaparingabe (1 mg/kg
114
III
III Innere Medizin
Körpergewicht, 2-mal täglich) mit einem Therapieschema aus unfraktioniertem Heparin in Kombination mit Phenprocoumon verglichen. In einem der Studienarme wurde die Kardioversion nach jeweils dreiwöchiger Behandlung nicht TEE-gesteuert durchgeführt, in dem anderen Studienarm TEE-gesteuert, sobald eine therapeutiche Antikoagulation erreicht und ein intrakardialer Thrombus ausgeschlossen war. Nach erfolgreicher Kardioversion wurde in beiden Studienarmen die Behandlung mit Enoxaparin bzw. Phenprocoumon für weitere 4 Wochen fortgeführt. In der ACE-Studie wurde für beide Studienarme gezeigt, dass die Behandlung mit dem niedermolekularen Heparin Enoxaparin, in Bezug auf die Prävention ischämischer und embolischer Ereignisse, Blutungskomplikationen oder Sterblichkeit, dem Therapieschema mit unfrakioniertem Heparin und überlappender bzw. nachfolgender Phenprocoumonbehandlung nicht unterlegen ist. Als vorteilhaft erwies sich die Möglichkeit der einfachen subkutanen Applikationsform von Enoxaparin, der deutlich geringere Aufwand zur Gerinnungskontrolle, der verkürzte stationäre Krankenhausaufenthalt sowie der Sachverhalt, dass mit dieser Substanz sehr rasch stabile therapeutische Antikoagulationsspiegel aufgebaut werden können [8].
TEE Enoxaparin* sc bid
Tag 0
* = 1mg/kg KG
Enoxaparin 1 x sc ja
Tag 1
TEE 1 LA-Thrombus LAA-flow < 20cm/s
nein
CV
Enoxaparin 1 x sc
PPC
Enoxaparin sc bid
Tag 2–7
Enoxaparin 1 x sc ja
Tag 8
TEE 2 LA-Thrombus LAA-flow < 40cm/s AF
Enoxaparin STOP
PPC
Tag 28
nein
TEE 3
⊡ Abb. 23.1. Studiendesign. AF Vorhofflimmern, CV elektrische Kardioversion, PPC Phenprocumonbehandlung nach konventionellem Antikoagulationsschema, TEE transösophageale Echokardiographie, LAA linkes Herzohr, s.c. subkutan, b.i.d. zweimal täglich
115 Kardiologie – Einsatzmöglichkeiten niedermolekularer Heparine
III
Aktuelles Studiendesign Auf den positiven Resultaten der ACE-Studie für das niedermolekulare Heparin Enoxaparin basierend sowie aufgrund der Tatsache, dass die TEE-gesteuerte Kardioversion das tendenziell komplikationsärmere Verfahren war, wurde ein Konzept zur weiteren Vereinfachung des Antikoagulationsregimes untersucht [9]. Hierbei wurde die Antikoagulationsbehandlung am Tag vor der elektiv geplanten Kardioversion mit Enoxaparin (1 mg/kg KG, 2-mal täglich) begonnen, nachdem die Eigeninjektion in der korrekten Dosierung eingeübt worden war. Nach der dritten Enoxaparin-Injektion kann von einer therapeutischen Antikoagulation ausgegangen werden, so dass am Folgetag, zum Zeitpunkt der dritten Enoxaparin-Gabe, die TEE durchgeführt wurde. Konnte ein intrakardialer Thrombus ausgeschlossen werden und zeigte sich bei der TEE-Flussmessung im linken Herzohr eine Geschwindigkeit von > 20 cm/s, so wurde am gleichen Tage elektrisch kardiovertiert. Nach der Kardioversion wurde die EnoxaparinTherapie für eine weitere Woche bis zur geplanten zweiten TEE fortgeführt. Konnte bei dieser eine Flussgeschwindigkeit von mehr als 40 cm/s im linken Herzohr registriert werden, wurde die Antikoagulation abgesetzt; bei einer Flussgeschwindigkeit < 40 cm/s oder bei erneutem Vorhofflimmern, wurde unter der Annahme eines erhöhten Risikos für thromboembolische Ereignisse bei eingeschränkter linksatrialer mechanischer Aktivität, überlappend mit der konventionellen Phenprocoumonbehandlung begonnen (⊡ Abb. 23.1) [10]. Ergebnisse. In dieser Untersuchung, die monozentrisch bei einer allerdings kleineren Patientenzahl durchgeführt wurde (n = 67), traten keine Komplikationen in Bezug auf die Endpunkte zerebral-ischämische oder systemische Thromboembolien, größere Blutungen oder Sterblichkeit, während einer Beobachtungsdauer von drei Monaten auf. Besonderer Vorzug dieser Vorgehensweise ist die vollständig ambulante Durchführbarkeit, die zu einer erheblichen Kostenreduktion führt, die rasche Durchführbarkeit der Kardioversion sowie die nur kurze Behandlungsdauer, die mit einer hohen Patientenakzeptanz einhergeht; nachteilig ist die Notwendigkeit der zweimaligen TEE. Interessanterweise zeigte sich, dass die Änderung der Flussgeschwindigkeit im linken Herzohr nach der Kardioversion nicht verlässlich prognostizierbar ist, weshalb auf die zweite TEE-Untersuchung nach bisherigem Kenntnisstand nicht verzichtet werden kann (⊡ Abb. 23.2) [11].
100 90 Enoxaparin STOP
80 60 50 40 30 20
PPC
V max [cm/s]
70
10 0
Tag 1
Tag 8
⊡ Abb. 23.2. Darstellung der individuellen LAA-Flussgeschwindigkeit vor und eine Woche nach elektrischer Kardioversion von Vorhofflimmern. Dargestellt sind die Ergebnisse von 43 Patienten mit Sinusrhythmus zum Zeitpunkt der zweiten TEE. PPC Phenprocumonbehandlung nach konventionellem Antikoagulationsschema
116
III Innere Medizin
Resümee
III
Insgesamt sind die vorliegenden Studienergebnisse, in denen TEE-gesteuert verkürzte bzw. vereinfachte Protokolle zur Antikoagulation bei elektiver elektrischer Kardioversion von Vorhofflimmern untersucht wurden, ermutigend, und dem konventionellen Antikoagulationsschema mit mehrwöchiger Phenprocoumoneinnahme vor und nach Kardioversion nicht unterlegen. Insbesondere niedermolekulare Heparine, die auch dem unfraktionierten Heparin in zahlreichen Eigenschaften überlegen sind, z. B. längere Halbwertszeit, hohe Bioverfügbarkeit, vorhersagbare antikoagulatorische Wirkung in Bezug auf das Körpergewicht, geringerer Monitorbedarf, selteneres Auftreten einer heparininduzierten Thrombozytopenie, Kostenersparnis durch ambulante Verabreichung, auch als Eigeninjektion applizierbar, könnten in naher Zukunft die bevorzugten Medikamente für diese Indikationsstellung werden. Literatur 1. Fuster V, Ryden LE, Asinger RW et al. ACC/AHA/ESC Guidelines for the management of patients with atrial fibrillation: executive summary. A report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines and the European Society of Cardiology Committee for Practice Guidelines and Policy Conferences (Committee to Develop Guidelines for the Management of Patients With Atrial Fibrillation) developed in collaboration with the North American Society of Pacing and Electrophysiology. Circulation. 2001; 104: 2118–2150 2. Verhorst PM, Kamp O, Visser CA, Verheugt FW. Left atrial appendage flow velocity assessment using transesophageal echocardiography in nonrheumatic atrial fibrillation and systemic embolism. Am J Cardiol 1993; 76: 192–196 3. Fatkin D, Kuchar DL, Thorburn CW et al. Transesophageal echocardiography before and during direct current cardioversion of atrial fibrillation: evidence for „atrial stunning” as a mechanism of thromboembolic complications. J Am Coll Cardiol 1994; 23: 307–316 4. Grimm RA, Stewart WJ, Maloney DJ et al. Impact of electrical cardioversion for atrial fibrillation on left atrial appendage function and spontaneous echo contrast: characterization by simultaneous transesophageal echocardiography. J Am Coll Cardiol 1993; 22: 1359–1366 5. Shapiro EP, Effron MB, Lima S, Ouyang P, Siu CO, Bush D. Transient atrial dysfunction after conversion of chronic atrial fibrillation to sinus rhythm. Am J Cardiol 1988; 62: 1202–1207 6. Klein AL, Grimm RA, Murray RD et al. Use of transesophageal echocardiography to guide cardioversion in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med. 2001; 344: 1411–1420 7. Stellbrink Ch, Nixdorff U, Hofmann T et al. Safety and efficacy of enoxaparin compared with unfractioned heparin and oral anticoagulation for prevention of thromboembolic complications for prevention of thromboembolic complications in cardioversion of non-valvular atrial fibrillation: the anticoagulation in cardioversion using enoxaparin (ACE) trial. Circulation 2004; 109: 999–1003 8. Hirsh J, Warkentin TE, Shaughnessy SG et al. Heparin and low-molecular-weight heparin: mechanisms of action, pharmacokinetics, dosing, monitoring, efficacity, and safety. Chest 2001; 119: 64S–94S 9. H. Lethen, P. Oberst, S. Kersting et al. Safety of TEE-guided short term anticoagulation strategy with enoxaparin in patients undergoing electrical cardioversion of atrial fibrillation. Eur Heart J 2005 (Abstract Suppl) 10. Mügge A, Kühn N, Nikutta P et al. Assessment of left atrial appendage function by biplane transesophageal echocardiography in patients with nonrheumatic atrial fibrillation: Identification of a subgroup of patients at increased embolic risc. J Am Coll Cardiol 1994; 23: 599–607 11. Omran H, Jung W, Rabahieh R et al. Left atrial chamber and appendage function after internal atrial defibrillation: a prospective and serial transesophageal echocardiographic study. J Am Coll Cardiol 1997; 29: 131–138
IV
Therapie thromboembolischer Ereignisse
Therapie venöser Thromboembolien 24. Therapie der Venenthrombose 119 25. Therapie der Lungenembolie 127 26. Therapie der Thrombophlebitis 133 Niedermolekulare Heparine als Alternative bei Pausieren einer oralen Antikoagulation – Bridging 27. Problematik und Therapieoption 137 28. Evidenzen für niedermolekulare Heparine und Algorithmen zur Umstellung einer oralen Antikoagulation 142
119 Therapie venöser Thromboembolien
IV
Therapie venöser Thromboembolien
24.
Therapie der Venenthrombose Viola Hach-Wunderle
Das akute Krankheitsstadium einer Venenthrombose dauert drei bis vier Wochen, dann erfolgt der kontinuierliche Übergang in das postthrombotische Frühsyndrom. Therapeutische Maßnahmen werden sofort nach Sicherung der Diagnose eingeleitet. Die therapeutische Phase nimmt fünf bis sieben Tage in Anspruch; in dieser Zeit erfolgt in der Regel eine strenge Antikoagulation zur Verhütung der Lungenembolie und der Progredienz der Thrombose. In einzelnen Fällen wird eine Thrombektomie oder eine Thrombolyse durchgeführt, mit dem Ziel, die Thromben zu entfernen und dadurch eine postthrombotische Schädigung zu vermeiden. Überlappend wird die sekundäre Prävention eingeleitet; hierbei steht die Verhütung der Rezidivthrombose und längerfristig des postthrombotischen Syndroms durch Antikoagulation und Kompressionstherapie im Vordergrund. Die Behandlung dauert mehrere Monate, mitunter auch lebenslang. Unter allen Behandlungsoptionen haben die Antikoagulanzien, vor allem die niedermolekularen Heparine (NM-Heparine) und die Vitamin-K-Antagonisten, eine vorherrschende Bedeutung erlangt. Nutzen und Gefahren der Antikoagulation müssen in jeder Behandlungsphase sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Diese Überlegungen sollten auch dem Patienten vermittelt werden. Etablierte Antikoagulation Bereits bei Verdacht auf eine Venenthrombose ist die Einleitung einer gerinnungshemmenden Therapie angezeigt. Sobald die Diagnose feststeht, ist eine suffiziente Antikoagulation erforderlich (Hull et al. 1997). Die Standardmedikation besteht in der Verabreichung von Heparin. Jede Zeitverzögerung einer Heparinisierung bei diagnostisch gesicherter Krankheit bringt den Patienten in Gefahr, denn die Thrombose kann inzwischen fortschreiten und zu einer Lungenembolie führen. Für die Behandlung der Venenthrombose sind unfraktionierte (UF-) mit einem Molekulargewicht von 10.000 bis 14.000 Dalton und niedermolekulare (NM-)Heparine mit einem Molekulargewicht von 4000 bis 6000 Dalton zugelassen (⊡ Tabelle 24.1). Heparin agiert als Kofaktor von Antithrombin. Der Heparin-Antithrombin-Komplex hemmt sowohl Thrombin als auch Faktor Xa und setzt deren gerinnungsfördernde Wirkung außer Kraft. NM-Heparine haben sich in zahlreichen randomisierten, kontrollierten Studien als mindestens genauso sicher und effektiv wie UF-Heparine erwiesen (Dolovich et al. 2000; van den Belt et al. 2000); sie sind aber einfacher in ihrer Anwendung und werden – ohne Bolusinjektion – ein- oder zweimal pro Tag subkutan verabreicht. Laborkontrollen, z. B. mittels Anti-XaTest, sind nur in Ausnahmefällen erforderlich; dazu zählen ein abnormes Körpergewicht, die Niereninsuffizienz und die Schwangerschaft. Bei einmaliger Applikation wird ein Zielbereich von 0,6–1,3 IE/ml und bei zweimaliger Applikation von 0,4–0,8 IE/ml jeweils 3–4 Stunden nach subkutaner Verabreichung angestrebt; sicherheitshalber sollten die Angaben des Herstellers des angewandten Präparats beachtet werden.
120
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
⊡ Tabelle 24.1. Antikoagulation bei akuter Venenthrombose (in Deutschland zugelassene Substanzen – Stand Mai 2006; mod. nach DGA 2005) Wirkstoff
Präparat
Hersteller
Dosierung/Zeitintervall
Certoparin
Mono-Embolex THERAPIE®
Novartis
8000 IE s.c.
2-mal tgl.
Enoxaparin
Clexane®
Sanofi-Aventis
1,0 mg/kg KG s.c.
2-mal tgl.
Nadroparin
Fraxiparin® Fraxodi®
GSK GSK
0,1 ml/10 kg KG s.c. 0,1 ml/10 kg KG s.c.
2-mal tgl. 1-mal tgl.
Tinzaparin
innohep®
LEO
175 IE/kg KG s.c.
1-mal tgl.
Reviparin
Clivarin® Clivarodi®
Abbott Abbott
0,5–0,9 ml s.c. KG-adapt. 0,6 ml s.c. bei KG >60 kg
2-mal tgl. 1-mal tgl.
Arixtra®
GSK
7,5 mg s.c. 1-mal tgl. KG: < 50 kg = 5 mg, > 100 kg = 10 mg
NM- Heparine
IV
Pentasaccharid Fondaparinux
GSK = Glaxo Smith Kline, KG = Körpergewicht Zur Therapie der Venenthrombose sind darüber hinaus die unfraktionierten Heparine (u. a. Calciparin®, Heparin-Calcium®, Heparin-Natrium®, Liquemin®) zur intravenösen oder subkutanen Applikation zugelassen; die Behandlung erfordert eine Verlängerung der APTT auf das ca. 2fache des Ausgangswerts
UF-Heparine benötigen eine Bolusinjektion; die Therapie wird dann körpergewichtsadaptiert subkutan oder intravenös fortgeführt. Laborkontrollen mittels aktivierter partieller Thromboplastinzeit (APTT) sind obligat; es wird eine Verlängerung des Ausgangswerts auf das 1,5- bis 2,5fache angestrebt. Die Qualität der laborchemisch nachweisbaren Gerinnungshemmung von UF-Heparinen ist den NM-Heparinen unterlegen (Montalescot et al. 1998). Bei der Behandlung mit Heparin sind neben den allgemeinen Risiken einer antithrombotischen Therapie auch spezielle Kontraindikationen zu beachten. Lebensgefährlich ist die heparininduzierte Thrombozytopenie vom Typ II (HIT II); sie tritt unter NM-Heparin wesentlich seltener auf als unter UF-Heparin. Darüber hinaus variiert die Häufigkeit einer HIT Typ II in unterschiedlichen Patientenkollektiven; sie ist beispielweise im internistischen Krankengut seltener als im chirurgischen (Greinacher 1999). Bei einer kurzen Behandlungsdauer von fünf Tagen – ohne Vorbehandlung mit Heparin in der Anamnese – ist keine Thrombozytenkontrolle erforderlich. Bei einer längerfristigen Therapie wird zu regelmäßigen Kontrollen in den ersten drei Wochen geraten, z. B. zweimal wöchentlich (Arzneimittelkommission 1999). Alternative Antikoagulation Das Pentasaccharid Fondaparinux bewirkt – antithrombinvermittelt – eine sehr spezifische Hemmung von Faktor Xa. Wegen der synthetischen Herstellung ist die Gefahr einer HIT Typ II ist nicht gegeben. Die Substanz zeigte in einer großen Phase-3-Studie bei mehr als 2000
121 Therapie venöser Thromboembolien
IV
Patienten mit akuter Venenthrombose bei einmaliger subkutaner Dosierung pro Tag eine dem NM-Heparin Enoxaparin gleichwertige Effektivität und Sicherheit (Büller et al. 2004a) und ist für diese Indikation zugelassen (s. ⊡ Tabelle 24.1). Wegen der renalen Ausscheidung besteht eine Kontraindikation bei schwerer Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min). Der direkte Thrombininhibitor Melagatran kam als oral zu applizierendes Prodrug Ximelagatran in einer großen randomisierten Studie bei knapp 2500 Patienten mit akuter Venenthrombose zur Anwendung und erwies sich im Vergleich zur Standardmedikation mit einem NM-Heparin und einem Vitamin-K-Antagonist als ebenso sicher und effektiv (Huisman et al. 2003). Die Substanz ist aber aufgrund gravierender Nebenwirkungen (Leberfunktionsstörungen) nicht zugelassen worden. Für die Behandlung der akuten HIT Typ II mit Venenthrombose ist der direkte Thrombininhibitor Lepirudin zugelassen. Die Substanz wird intravenös verabreicht und über die APTToder die Ecarinzeit gesteuert. Das Heparinoid Danaparoid bewirkt – antithrombinvermittelt – eine Hemmung von Faktor Xa; es bestehen jahrelange Erfahrungen im Einsatz bei bekannter HIT Typ II. Das Medikament kann intravenös oder subkutan verabreicht werden; die Therapiekontrolle erfolgt mit dem Anti-Xa-Test. Kreuzreaktionen mit Heparin treten unter der Behandlung mit Hirudin nicht, mit Danaparoid in 3–8 % der Fälle auf und erfordern deshalb eine engmaschige Kontrolle der Thrombozytenzahl. Beide Substanzen haben eine Anwendungsbeschränkung bei Nierenfunktionsstörungen; bei Danaparoid ist die lange Halbwertszeit zu beachten. Hirudin ist plazentagängig und darf deshalb in der Schwangerschaft nicht angewandt werden. Thrombolyse/Thrombektomie Thrombusbeseitigende Maßnahmen wie die Thrombolyse und die Thrombektomie werden mit dem Ziel angewandt, eine postthrombotische Schädigung des Venensystems zu verhüten. Da keine größeren randomisierten Studien vorliegen, die den Nutzen der invasiven Behandlung im Vergleich zur alleinigen Antikoagulation eindeutig belegen, ist deren Anwendung besonders kritisch zu überdenken (DGA 2005). Die Thrombolyse weist gegenüber der alleinigen Antikoagulation eine erhebliche therapiebedingte Morbidität und Mortalität auf (DGIM 2005). Darüber hinaus ist der Therapieerfolg im Sinne einer vollständigen Rekanalisierung des Venensystems mit nur etwa einem Drittel der behandelten Fälle relativ gering. Deshalb wird eine Thrombolyse nur noch in Ausnahmefällen erwogen. Dazu zählen junge Patienten (< 50 Jahre) mit einer sehr frischen (< 7 Tage) und ausgedehnten (z. B. Becken-, Oberschenkel- und Unterschenkelvenen-)Thrombose. Für die systemische intravenöse Thrombolyse mit Streptokinase (SK) und Urokinase (UK) liegen etablierte Dosierungsschemata in konventioneller Dosierung sowie in ultrahoher Dosierung vor. Die Behandlung erfolgt über einen bis mehrere Tage unter täglicher Analyse der Blutgerinnung und sonographischer Kontrolle der Thrombose. Die lokale Thrombolyse hat gegenüber der systemischen Behandlung keine eindeutigen Vorteile gebracht. Die Thrombektomie ist bei einer deszendierenden Verlaufsform der Thrombose mit gleichzeitiger chirurgischer Ausschaltung des venösen Kompressionshindernisses in Erwägung zu ziehen (Hach 2005). Eine eindeutige Indikation für die operative Entfernung der Thrombose wird bei der seltenen Phlegmasia coerulea dolens mit drohender Gangrän der Extremität gesehen. In allen anderen Fällen gilt die sorgfältige Abwägung von Nutzen und Risiko gegenüber der alleinigen Antikoagulation. Der flottierende Thrombus stellt per se keine Operationsindikation dar.
122
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
Etablierte medikamentöse Sekundärprophylaxe
IV
Sofern keine invasiven diagnostischen oder therapeutischen Verfahren geplant sind und keine Kontraindikationen vorliegen, wird die Sekundärprophylaxe mit einem Vitamin-K-Antagonisten (VKA) bei gesicherter Venenthrombose umgehend eingeleitet. Wegen des verzögerten Wirkungseintritts ist die begleitende Antikoagulation mit Heparin in körpergewichtsadaptierter Dosierung erforderlich (Brandjes et al. 1992). Die Heparinisierung wird sicherheitshalber auch nach Erreichen des Zielwerts einer International Normalized Ratio (INR) von 2,0 über weitere 1–2 Tage fortgeführt. In Deutschland wird als VKA meistens Phenprocoumon (Marcumar®, Falithrom®) eingesetzt (HWZ 105–144 h), während in den angloamerikanischen Ländern vorwiegend Warfarin (Coumadin®; HWZ 36–42 h) zur Anwendung kommt. Der therapeutische Zielbereich der INR liegt in der Regel zwischen 2,0 und 3,0. Das Blutungsrisiko unter VKA hängt vor allem von den individuellen Begleitkrankheiten und -faktoren, der Dauer und Intensität der Therapie sowie der Begleitmedikation ab. In randomisierten Studien lag die Inzidenz von großen Blutungen bei einer INR von 2,0 bis 3,0 innerhalb der ersten drei Behandlungsmonate bei 1 %. Bei längerfristiger Behandlungsdauer ergibt sich eine jährliche Inzidenz für tödliche Blutungen von 0,2–0,6 %, für große Blutungen von 2–3 % und für leichtere Blutungen von 5–15 % (Agnelli 2004). Die Dauer einer Antikoagulation sollte das individuelle Risiko des Patienten für Blutungen einerseits und für Rezidive andererseits berücksichtigen. Bezüglich des Rezidivrisikos sind vor allem die Genese der Venenthrombose (idiopathisch oder sekundär), persistierende Risikofaktoren (Malignom oder bestimmte thrombophile Defekte) und die Anzahl abgelaufener Thrombosen (Erstereignis oder Rezidiv) zu beachten (⊡ Tabelle 24.2 , Büller et al. 2004b). Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Patienten mit postthrombotischen Residuen in der Venenstrombahn ein 2- bis 3fach höheres Rezidivrisiko haben als Patienten mit normalem Venenstatus (Piovella et al. 2002; Prandoni et al. 2002). Das Risiko einer Rezidivthrombose ist darüber hinaus höher bei Patienten mit persistierend erhöhten D-Dimeren gegenüber einer normalen Blutgerinnung im Anschluss an eine mindestens dreimonatige orale Antikoagulation einer ersten Thrombose (Eichinger et al. 2003; Palareti et al. 2002). Die Intensität einer Antikoagulation mit VKA liegt in der Regel bei einer INR von 2,0 bis 3,0. Diese Einstellung erwies sich in der ELATE-Studie (Kearon et al. 2003) als effektiver bezüglich der Verhütung von Rezidivthrombosen gegenüber der Einstellung auf eine geringere
⊡ Tabelle 24.2. Dauer der Sekundärprophylaxe mit Vitamin-K-Antagonisten nach venöser Thromboembolie (TVT, LE) – modifiziert nach Büller et al. (2004b) Erste Thromboembolie bei transientem Risikofaktor (TVT proximal und distal, LE)
≥ 3 Monate
bei idiopathischer Genese oder einfacher Thrombophilie
≥ 6–12 Monate
bei kombinierter Thrombophilie oder Antiphospholipid-AK-Syndrom
≥ 12 Monate
Rezidivierende Thromboembolie oder aktive Krebserkrankung
zeitlich unbegrenzt
123 Therapie venöser Thromboembolien
IV
Intensität mit einer INR von 1,5 bis 1,9 (0,7 % vs. 1,9 % pro Jahr). Allerdings wurden auch mit dem niedrigen Dosisregime einer INR von 1,5 bis 1,9 in der PREVENT-Studie (Ridker et al. 2003) signifikant mehr Rezidivthrombosen vermieden als unter einer Plazebomedikation (2,6 % vs. 7,2 % pro Jahr). Die Studienergebnisse erscheinen vor allem für Patienten mit hohem Rezidivrisiko bedeutsam. Als seltene, jedoch schwerwiegende Komplikation der Behandlung mit VKA gilt die Cumarin-Nekrose, eine akute mikrovaskuläre Durchblutungsstörung im Weichteilgewebe. Wahrscheinlich besteht ein Zusammenhang mit einem Mangel an Protein C, das infolge seiner kurzen Halbwertszeit zu Beginn der Behandlung sehr rasch abfällt und zu einer Hyperkoagulabilität führt. Durch eine niedrige Startdosis von Phenprocoumon wird das Risiko der Nekrose möglicherweise verringert; jedenfalls ist eine problemlose Wiedereinstellung auf Phenprocoumon mit sehr geringen täglichen Dosen möglich (Hach-Wunderle u. Hach 1996). Vitamin-K-Antagonisten sind plazentagängig und sollten wegen der Gefahr einer Embryopathie im ersten Trimenon sowie einer Hepathopathie beim Föten im dritten Trimenon nach Möglichkeit in der Gravidität nicht gegeben werden. In der Stillperiode ist die Anwendung von Warfarin hingegen problemlos möglich, ggf. unter Vitamin-K-Prophylaxe des Säuglings (DGA 2005). Alternative medikamentöse Sekundärprophylaxe Bei Kontraindikationen gegen eine orale Antikoagulation, insbesondere bei hohem Blutungsrisiko (z. B. bei akuten zerebralen Ereignissen), beim Auftreten schwerwiegender Nebenwirkungen (z. B. retroperitoneale Blutung) oder zwischenzeitlich aufgetretenen Gegenanzeigen (z. B. gastrointestinales Ulkus) ist eine alternative Sekundärprophylaxe zu den Vitamin-K-Antagonisten in Erwägung zu ziehen. UF-Heparin erscheint aufgrund der kurzen Halbwertzeit, der variablen Bioverfügbarkeit bei subkutaner Gabe und der inkonsistenten Dosis-Wirkungs-Beziehung für eine längerfristige Therapie nicht geeignet. Verschiedene NM-Heparine wurden seit 1994 für diese Indikation getestet und zwar in prophylaktischer, halbtherapeutischer und volltherapeutischer Dosierung (⊡ Tabelle 24.3). Die Therapie mit NM-Heparinen erwies sich dabei als mindestens so effektiv wie mit VKA bei einer geringeren Blutungsrate; die Heterogenität der Studien lässt allerdings keine eindeutige Empfehlung zu einer optimalen Dosis zu (van der Heijden et al 2000). Unter den neu entwickelten Antikoagulanzien für eine sekundäre Prophylaxe nach Venenthrombose hat sich das oral applizierbare Prodrug Ximelagatran in der THRIVE-III-Studie (Schulman et al. 2003) als wirksam erwiesen. Im Anschluss an eine initiale Standardmedikation mit VKA über 6 Monate traten innerhalb der folgenden 18 Monate unter Plazebo 12,8 % Rezidivthrombosen gegenüber nur 2,6 % unter Ximelagatran auf. Bezüglich der Blutungsrate ergaben sich keine relevanten Unterschiede. Wegen teilweise gravierender Leberfunktionsstörungen wurde die Substanz jedoch nicht zugelassen. Die Effektivität und Sicherheit des synthetischen Pentasaccharids Idraparinux für die sekundäre Prophylaxe nach Venenthrombose wird derzeit in einer großen Studie (Van Gogh) geprüft. Aufgrund der langen Halbwertzeit von 110 Stunden genügt eine 1-mal wöchentliche Injektion der Substanz. Tumorpatienten mit Venenthrombose haben ein besonders hohes Risiko für Blutungen und Rezidivthrombosen. Verschiedene NM-Heparine wurden in ihrer Effektivität mit VKA verglichen. Unter Enoxaparin kam es in einer Dosierung von 1,5 mg/kg pro Tag signifikant seltener
124
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
⊡ Tabelle 24.3. Alternative medikamentöse Sekundärprophylaxe nach Venenthrombose – NM-Heparine versus Kumarine. Ergebnisse nach 3 Monaten Studien
IV
Pat. [n]
NMH
Rezidiv-TVT [%]
Blutungen [%]
Kumarin
NMH
Kumarin
NMH
Pini 1994
187
Enoxaparin 40
4a
6a
13
4
Das 1996
105
Fragmin P forte
2
6
10
0
Lopaciuk 1999
193
Nadroparin halbtherapeutisch
7
2
7
4
GonzalezFajardo 1999
165
Enoxaparin 40
24
10
10
1
Veiga 2000
100
Enoxaparin 40
12b
16b
12b
2b
Lopez-Beret 2000
158
Nadroparin
9a
3a
5c
0c
Kakkar 2003
378
Bemiparin
2
3
2
2
a b
TVT-Diagnostik mit Phlebographie, außer bei Pini [VVP, DD (Phlebo)] und bei Lopez-Beret (Duplex), 12 Monate Follow-up, c große Blutungen
zu einem schwerwiegenden Ereignis, definiert als große Blutung oder Rezidivthrombose (10,5 % vs. 21,1 % in 3 Monaten; Meyer et al. 2002). Für Dalteparin ergaben sich in der CLOT-Studie (Lee et al. 2003) unter einer 1-monatigen vollen therapeutischen, gefolgt von einer 5-monatigen ¾-therapeutischen Dosis, deutlich geringere Rezidivraten (9 % vs. 17 % in 6 Monaten) ohne Anstieg des Blutungsrisikos und der Mortalität. Auch für Tinzaparin liegen Erfahrungen bei Tumorpatienten vor (Mousa et al. 2004). Allerdings lässt sich aus den vorliegenden Daten noch nicht die generelle Empfehlung einer langfristigen Antikoagulation der Venenthrombose mit einem NM-Heparin bei Tumorpatienten ableiten. Kompressionstherapie Die Behandlung einer tiefen Bein- und Beckenvenenthrombose mit einem Kompressionsverband oder -strumpf hat vor allem die Verhütung der Lungenembolie und des postthrombotischen Syndroms zum Ziel. Es gibt aber keine kontrollierten Studien, die das belegen. Jedenfalls hat die Kompression einen günstigen Effekt bezüglich der Linderung der Symptome einer Thrombose. Das längerfristige Tragen eines Wadenkompressionsstrumpfes erwies sich darüber hinaus in einer kontrollierten Studie als eindeutig wirksam hinsichtlich der Verhütung postthrombotischer Veränderungen (Brandjes et al. 1997). Die Dauer einer Kompression richtet sich nach dem Ergebnis phlebologischer Kontrolluntersuchungen; bei einem persistierenden venösen Funktionsdefizit mit Ödemneigung ist eine Fortsetzung empfehlenswert.
125 Therapie venöser Thromboembolien
IV
Aktive Bewegungstherapie Die aktive Bewegungstherapie unter der Kompression und Antikoagulation wirkt sich günstig auf die Schmerzen und die Schwellungsneigung aus. Der Patient erhält die Anweisung, täglich mehrmals zu ebener Erde seine Gehübungen bis zur Schmerzgrenze durchzuführen. Dadurch erweitert sich die Leistungsbreite bereits innerhalb von 2 Tagen, und zwar unabhängig von der Ausdehnung der Thrombose. In umgekehrter Weise gilt die strenge Bettruhe als wichtiger Risikofaktor für die Entstehung und Progredienz der Thrombose. Unter fortgeführter Antikoagulation mit Heparin ergab sich bei 5-tägiger Bettruhe eine phlebographisch dokumentierte Thromboseprogredienz in 26 % der 357 Patienten gegenüber nur 1 % bei 1- bis 2-tägiger Immobilisierung (Schulman et al. 1985). Es gibt aber natürlich viele Situationen, die nach wie vor eine Immobilisation erfordern. Dazu gehören die Unfallverletzungen, der postoperative Status und schwere allgemeine Krankheiten. Hier ist die Frühmobilisation im Bett mit Atemübungen, aktiver Krankengymnastik, Bettfahrrad usw. neben der Antikoagulation angezeigt. Ambulante Therapie Der Patient mit einer Phlebothrombose hat das Anliegen, so schnell wie möglich von seinen Beschwerden befreit und wieder in das normale soziale Umfeld eingegliedert zu werden. Nur selten erfordern bestimmte Begleitkrankheiten und -faktoren heutzutage die sofortige stationäre Aufnahme eines ambulanten Patienten. Das Konzept der ambulanten Thrombosetherapie konnte sich aber erst 1996, nach der Veröffentlichung der großen randomisierten kanadischen (Levine et al. 1996) und holländischen Studien (Koopman et al. 1996) auf einer zunehmend breiteren Basis durchsetzen. Befürchtungen bezüglich gravierender Komplikationen haben sich dabei nicht bestätigt: Heute werden etwa 80 % der akuten Thrombosen ambulant behandelt; das gilt für proximale wie für distale Thrombosen und unabhängig von der Morphologie des Thrombus (»flottierend«, »wandhaftend«, »okkludierend«). Literatur 1. Agnelli G. Long-term low-dose warfarin is effective in the prevention of recurrent venous thromboembolism: no. J Thromb Haemost 2004; 2: 1038–1040 2. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Bekanntgabe zur Heparin-induzierten Thrombozytopenie. Dt. Ärzteblatt 1999; 96 (Heft 6) 3. Brandjes DPM, Büller HR, Heijboer H et al. Randomized trial of effect of compression stockings in patients with symptomatic proximal-vein thrombosis. Lancet 1997; 349: 759–762 4. Büller HR, Davidson BL, Decousus H et al. Fondaparinux or enoxaparin for the initial treatment of symptomatic deep venous thrombosis. Ann Intern Med 2004a; 140: 867–873 5. Büller HR, Agnelli G, Hull RD et al. Antithrombotic therapy for venous thromboembolic disease. The Seventh ACCP Conference on Antithrombotic and Thrombolytic Therapy. Chest 2004b; 126: 401S–428S 6. DGA. Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Bein- und Beckenvenenthrombose und der Lungenembolie. VASA 2005; 34 (Suppl 66) 7. DGIM. Rationelle Diagnostik und Therapie in der Inneren Medizin. Urban & Fischer. München Jena, 2004 8. Dolovich LR, Ginsberg JS, Douketis JD Holbrook AM, Cheah G. A meta-analysis comparing low-molecularweight heparins with unfractionated heparin in the treatment of venous thromboembolism. Arch Intern Med 2000; 160: 181–188 9. Eichinger S, Minar E, Bialinczyk C et al. D-dimer levels and risk of recurrent venous thromboembolism. JAMA 2003; 290: 1071–1074 10. Hach W (Hrsg) VenenChirurgie. Schattauer, Stuttgart New York, 2006
126
IV
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
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127 Therapie venöser Thromboembolien
25.
IV
Therapie der Lungenembolie Hanno Riess
Einleitung Die Lungenembolie ist ein vergleichsweise häufiges, lebensbedrohendes Ereignis, das klinisch oft nicht rechtzeitig vermutet und diagnostiziert wird. Pathophysiologisch zugrunde liegt eine partielle oder vollständige Verlegung der Lungenarterien durch eingeschwemmte Blutgerinnsel, ausgehend von peripheren, venösen Thromben u. U. mit konsekutiver Rechtsherzbelastung und/oder Kompromitierung des pulmonalen Gasaustausches. Klinisch lassen sich die Lungenembolien in sehr häufige und klinisch in der Regel unbedeutende, asymptomatische sowie deutlich seltenere und klinisch relevante symptomatische, insbesonders Letztere auch in solche mit oder ohne Rechtsherzbelastung unterteilen. Diagnostik Die Diagnostik der Lungenembolie basiert in aller Regel auf der klinischen Wahrscheinlichkeit, der Bestimmung der D-Dimer-Werte sowie Ergebnissen bildgebender Verfahren. Dabei stützen sich Studien zur Diagnostik wesentlich auf ambulante Patienten und kaum auf primär stationäre Patienten mit ihren komplexeren und komplikationsanfälligeren Erkrankungen [13, 27, 29, 30, 32, 34, 37, 42, 44]. In der kürzlich publizierten, interdisziplinären S2-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Lungenembolie, wurde der in ⊡ Abb. 25.1 angegebene diagnostische Algorithmus empfohlen [21]. Häufige klinische Symptome sind plötzlich einsetzende Dyspnoe, Thoraxschmerz, Synkope und Hämoptyse. Zusammen mit Anamnese und Untersuchungsbefunden sowie den im Rahmen der Basisdiagnostik erhobenen Vitalparametern, RöntgenThoraxaufnahme, EKG und Blutgasanalyse, ergibt sich die klinische Wahrscheinlichkeit, die auch mit dem Score nach Wells (⊡ Tabelle 25.1) bestimmt werden kann [42–44]. Abhängig von der klinischen Wahrscheinlichkeit werden objektive bildgebende Verfahren [7, 16, 21] oder die hohe negative Prädiktivität einer im Referenzbereich liegenden D-Dimer-Bestimmung [7, 16, 21, 27, 38] zu Diagnosesicherung bzw. -ausschluss herangezogen. Der objektive Nachweis einer tiefen Beinvenenthrombose mittels Ultraschall oder Phlebographie bzw. der Lungenarterienembolie mittels Mehrzeilenspiral-CT [6, 10, 35, 41] oder Ventilations-Perfusions-Szintigraphie [10, 40, 41] sichern die Diagnose einer venösen Thromboembolie und ziehen eine entsprechende Therapieeinleitung nach sich. Dem Ausschluss bzw. Nachweis einer rechtsventrikulären Dysfunktion mittels Echokardiographie [15, 24, 25, 18] kommt im Weiteren besondere prognostische und therapeutische Bedeutung zu (⊡ Abb. 25.1, ⊡ Tabelle 25.2). Asymptomatische Lungenembolie Systematische Untersuchungen bei Patienten mit tiefen Beinvenenthrombosen zeigen, dass abhängig von der Lokalisation der tiefen Venenthrombose in etwa 20 % (Unterschenkelvenenthrombose) bis 60 % (tiefe Venenthrombose mit Beteiligung der Beckenvenen) der Fälle durch geeignete technische Verfahren kleine Lungenembolien nachweisbar sind, ohne dass sich aufgrund der anamnestischen Angaben und klinischen Untersuchung, dafür Hinweise gefunden hatten. Diese asymptomatischen Lungenembolien bedürfen keiner, von der Behandlung der tiefen Venenthrombose abweichenden Therapie (vgl. Kap. 24).
128
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
V a. symptomatische Lungenembolie Patient instabil
Patient stabil
Sofort: transthorakales Echokardiogramm
Klinische Wahrscheinlichkeit Mittel/ hoch
IV
RV Dysfunktion
Echo nicht diagnostisch
Echo normal
negativ
positiv
Szintigraphie
Mehrzeilen-Spiral-CT ggf. Pulmonalisangiographie positiv
neg.
Kompr.neg. Sonographie
positiv positiv
D-DimerTest negativ
Bildgebung
negativ Thrombolyse! (bzw. OP/ Katheter)
niedrig
SpiralCT
positiv
pos. Nicht behandeln
negativ
unsicher
MehrzeilenSpiral-CT negativ
Nicht behandeln
Nicht behandeln
Nicht behandeln
Behandlung/Risikostratifizierung
⊡ Abb. 25.1. Diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf symptomatische Lungenembolie. (Mod. nach [21])
Symptomatische Lungenembolie Bei den symptomatischen Lungenembolien werden vier Risikogruppen differenziert (⊡ Tabelle 25.2), wobei auch für stabile Patienten das Vorliegen rechtsventrikulärer Belastungszeichen einen ungünstigen prognostischen Faktor darstellt [15, 18, 25]. Für die Akuttherapie stehen die Antikoagulation und rekanalisierende Therapieverfahren zur Verfügung. Initiale Antikoagulation Die sofortige Antikoagulation senkt Morbidität und Mortalität der Lungenembolie [1, 4, 8]. Sie sollte daher bereits bei ausreichend begründetem Krankheitsverdacht nach Abwägung von Nutzen und Risiko für den Patienten in Betracht gezogen werden. Neben der historischen Standardtherapie mit aPTT-adjustiertem, unfraktioniertem Heparin sind bei hämodynamisch stabilen Patienten, niedermolekulare Heparine und Fondaparinux mindestens ebenso wirksam und sicher wie unfraktioniertes Heparin [9, 21, 33, 34, 36]. Bei Patienten mit absoluten Kontraindikationen zur therapeutischen Antikoagulation sollte die Indikation zur Platzierung eines Cavaschirmfilters geprüft werden [2, 14].
IV
129 Therapie venöser Thromboembolien
⊡ Tabelle 25.1. Klinische Wahrscheinlichkeit einer Lungenembolie – Score-System nach Wells [43] Klinische Charakteristik
Score
Klinische Zeichen einer Venenthrombose (TVT)
3,0
LE wahrscheinlicher als eine andere Diagnose
3,0
Herzfrequenz > 100/min
1,5
Immobilisation oder OP in den vergangenen 4 Wochen
1,5
Frühere TVT oder LE
1,5
Hämoptyse
1,0
Krebserkrankung (aktiv oder in den vergangenen 6 Monaten)
1,0
Wahrscheinlichkeit für LE: gering mittel hoch
< 2,0 2,0–6,0 > 6,0
⊡ Tabelle 25.2. Therapie der symptomatischen Lungenembolie in Abhängigkeit der Schweregrade Schweregrad
Letalität [%]
Therapieempfehlung (initial)
I
Hämodynamisch stabil ohne ventrikuläre Dysfunktion
<2
Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin, Fondaparinux oder niedermolekularem Heparin
II
Hämodynamisch stabil mit rechtsventrikulärer Dysfunktion
III
IV
2–20
Antikoagulation, u. U. (fehlende Kontraindikationen, geringes Blutungsrisiko) systemische Thrombolyse
Schock (RR systolisch < 100 mmHg, Puls > 100 mm/min)
20–60
Systemische Thrombolyse mit rtPA, UK, SK; außer bei absoluter Kontraindikation, u. U. mechanische Maßnahmen
Reanimationspflichtigkeit
60–100
Systemische Thrombolyse oder mechanische Maßnahmen
Bei Verwendung von unfraktioniertem Heparin korreliert die Wirksamkeit mit dem raschen und zuverlässigen Erreichen der angestrebten aPTT-Verlängerung auf das 1,5- bis 2,5fache des oberen Referenzwertes. Dem Nachteil des wiederholten aPTT-Monitorings und der intravenösen Applikation (80 IE/kg i.v. Bolus, gefolgt von 18 IE/kg/h) mit Dosisanpassung steht als Vorteil die kurze Halbwertzeit (60 min) und die Antagonisierbarkeit mit Protamin im Falle von Blutungskomplikationen gegenüber.
130
IV
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
Fondaparinux wird einmal täglich subkutan appliziert (5 mg für Körpergewicht < 50 kg, 7,5 mg für Körpergewicht 50–100 kg, 10 mg für Körpergewicht > 100 kg). Die Halbwertzeit beträgt etwa 16 Stunden, so dass die einmal tägliche Applikation ohne Notwendigkeit des Labormonitorings zugelassen wurde und hinsichtlich venöser thromboembolischer Komplikationen und Blutungen gegenüber unfraktioniertem Heparin vergleichbar wirksam und sicher ist. Verschiedene niedermolekulare Heparine wurden auch zur Behandlung der Lungenembolie untersucht, wobei einmal bzw. zweimal tägliche Applikationen zur Anwendung kamen [33]. Es kann davon ausgegangen werden, dass niedermolekulare Heparine bei hämodynamisch stabilen Patienten zur Behandlung der Lungenembolie, dem unfraktionierten Heparin ebenbürtig sind. Bei Patienten mit schwererer Nierenfunktionseinschränkung kann es zur Kumulation von niedermolekularen Heparinen oder Fondaparinux kommen, so dass für Patienten mit einer Kreatinin-Clearance unter 30 ml/min (bzw. Kreatininwerten > 2 mg/dl) unfraktioniertes Heparin vorzuziehen ist. Die akute initiale Antikoagulation wird so lange fortgeführt, bis die meist in den ersten Tagen gestartete orale Antikoagulation den Zielbereich einer INR von 2,0–3,0 an zwei aufeinanderfolgenden Tagen erreicht hat [1, 4, 8, 9, 22, 33]. Dies dauert in der Regel 6–9 Tage. Rekanalisierende Therapieverfahren Thrombolysetherapie Als rekanalisierende Therapiemaßnahmen kommen die systemische Thrombolyse und mechanische thrombusbeseitigende Verfahren in Betracht. Etwa 40 % der hämodynamisch stabilen Patienten mit symptomatischer Lungenembolie zeigen echokardiographische Zeichen der rechtsventrikulären Dysfunktion [15, 16, 24, 25]. Die systemische Thrombolyse führt zu einer beschleunigten Wiedereröffnung der pulmonalen Strombahn und damit zur rechtsventrikulären Entlastung. An Thrombolytika sind Streptokinase (z. B. 250.000 IE/30 min gefolgt von 1,5 Mio IE/h über 6 h), Urokinase (Bolus 1 Mio. IE gefolgt von 2 Mio. IE/2 h)) und rekombinanter Gewebeplasminogenaktivator rtPA (100 mg/2 h) zugelassen [3, 8, 11, 13, 16, 17, 26]. Bei Patienten der Risikogruppe II kann die systemische Thrombolyse den klinischen Verlauf verbessern [11, 26, 39]. Da eine Reduktion der Mortaliät bisher aber nicht ausreichend belegt ist [12], andererseits die Thrombolyse mit einer höheren Komplikationsrate im Vergleich zur alleinigen Antikoagulation bezüglich schwererer (ca. 20–40 % vs. 7–12 %) und tödlicher (ca. 2–4 % vs. < 1 %) Blutungskomplikationen belastet ist [12, 17, 26, 39], beschränkt sich die Indikation auf Patienten ohne jegliche Kontraindikation zur Thrombolysebehandlung oder solche mit klinischer Verschlechterung unter initialer Antikoagulation [26]. Dagegen haben hämodynamisch instabile Patienten der Risikogruppe III ohne rasche Entlastung des rechten Ventrikels eine sehr ungünstige Prognose, so dass die systemische Thrombolyse hier regelhaft zur Anwendung kommen sollte [16, 19, 21, 39]. Der klinische Verlauf sowie die Verfügbarkeit anderer rekanalisierender Therapiemaßnahmen (s. u.) entscheiden darüber, in welchem Ausmaß mögliche Kontraindikationen zur Thrombolyse berücksichtigt werden können. Bei Patienten der Risikogruppe IV mit Reanimationspflicht ist die Wirksamkeit einer systemischen Thrombolyse durch zahlreiche Fallberichte belegt [1, 16, 21]. Aufgrund der infausten Prognose ohne rasche Rekanalisierung der pulmonal-arteriellen Strombahn, wird man sich auch über Kontraindikationen zur Thrombolysetherapie hinwegsetzen, insbesondere wenn mechanische Rekanalisierungsverfahren nicht unmittelbar zur Verfügung stehen.
131 Therapie venöser Thromboembolien
IV
Mechanische rekanalisierende Maßnahmen Als mechanische Maßnahmen zur Wiedereröffnung der pulmonal-arteriellen Strombahn, kommen die offene Operation an der Herz-Lungen-Maschine, die kathetergestützte Thrombusfragmentation, ggf. in Kombination mit lokaler Thrombolyse, Angioplastie der Pulmonalarterie und andere in Betracht [1, 13, 16, 21, 34]. Wesentliche Nachteile sind die beschränkte Verfügbarkeit und die Invasivität dieser Methoden. Sie werden v. a. bei Patienten mit hohem systemischen Blutungsrisiko unter Thrombolysetherapie und bei unmittelbarer lokaler Verfügbarkeit zur Anwendung kommen. Therapiestudien, die medikamentöse Therapieverfahren mit mechanisch rekanalisierenden Maßnahmen prospektiv vergleichen sind sehr selten, so dass aufgrund von Erfahrungsberichten und Sammelkasuistiken nur die grundsätzliche Wirksamkeit als Beleg gelten kann. Ambulante Behandlung Die Behandlung der Lungenembolie mittels subkutaner Applikation von Fondaparinux oder niedermolekularem Heparin, ohne die Notwendigkeiten des Antikoagulationsmonitorings und der Dosisanpassung eröffnet Möglichkeiten der teilstationären und ambulanten Behandlung für ausgewählte Patienten [5, 8, 13, 21]. Abhängig vom klinischen Zustand des Patienten bezüglich Mobilität bzw. Immobilität und – insbesondere kardiopulmonalen – Begleiterkrankungen sowie der Versorgungsstruktur kann somit eine verkürzt stationäre oder gänzlich ambulante Behandlung von Patienten mit symptomatischer Lungenembolie in Betracht gezogen werden. Dies gilt ausschließlich bei hämodynamisch stabilen Patienten ohne rechtsventrikuläre Dysfunktion! Andernfalls ist eine intensive mehrtägige Überwachung unter stationären Bedingungen, ggf. auch ohne strenge Bettruhe, indiziert. Für eine gänzlich oder frühzeitig ambulante Betreuung vom Patienten mit Lungenembolie sind in Analogie zum Vorgehen bei tiefer Venenthrombose (vgl. Kapitel 24) entsprechende ärztliche und pflegerische Versorgungsstrukturen zwingende Voraussetzung. Sekundäre Prophylaxe Stets schließt sich an die Akutbehandlung eine längere Phase der antikoagolatorischen Sekundärprophylaxe, meist mit Vitamin-K-Antagonisten, an [8, 13, 16, 21]. Sie wird in der Regel initial begonnen mit einer Ziel-INR von 2,0–3,0 und in ihrer Dauer analog zu Patienten mit tiefer Venenthrombose empfohlen, d. h. im Falle passagerer Risikofaktoren (z. B. postoperative venöse Thromboembolie) minimal drei Monate, in der Regel sechs Monate und im Rezidivfalle bzw. bei fortbestehenden Risikofaktoren dauerhaft (vgl. Kap. 24) [4, 8, 20, 21]. Chronische thromboembolische Hypertonie Etwa 4 % der Patienten mit symptomatischer Lungenembolie entwickeln innerhalb von zwei Jahren eine chronische thromboembolische Hypertonie [16, 21, 31], die Langzeitüberleben und Lebensqualität bedroht. Gegenwärtig ist unklar, wie diese Komplikation vermieden werden kann. Risikofaktoren sind rezidivierende Lungenembolien, junges Lebensalter, idiopathische Genese und großer Perfusionsdefekt der Lungenembolie. Liegt diesem Krankheitsbild ein persistierender thromboembolischer Verschluss bzw. eine Einengung der zentralen pulmonalen Gefäße
132
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
als Ursache zugrunde, kann die Thrombendarterektomie Hämodynamik, Leistungsfähigkeit und Langzeitüberleben der Patienten wesentlich verbessern [23, 28]. Grundsätzlich wird eine lebenslange Antikoagulation für diese Patienten und eine Mitbetreuung in einem ausgewiesenen Zentrum für pulmonale Hypertonie empfohlen. Literatur
IV
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133 Therapie venöser Thromboembolien
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26.
Therapie der Thrombophlebitis Viola Hach-Wunderle
Der Begriff »Thrombophlebitis« wird in der Literatur nicht übereinstimmend angewandt. Nach der eigenen Nomenklatur (Hach 2005) handelt es sich bei der Thrombophlebitis um eine entzündliche Reaktion in einer offensichtlich vorher gesunden oberflächlichen Vene bei unterschiedlichen Grundkrankheiten (⊡ Tabelle 26.1). Die Thrombophlebitis ist eher selten und oft im Bereich der oberen Körperhälfte lokalisiert. Bei der Varikophlebitis liegt eine entzündliche Reaktion in einer Krampfader vor, die mit einer örtlich begrenzten Thrombose einhergeht. Die Krankheit ist häufig. Sie tritt spontan oder im Rahmen einer Sklerosierungstherapie auf und betrifft die Venen der unteren Extremitäten.
134
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
⊡ Tabelle 26.1. Ursachen einer Thrombophlebitis Intravenöse Therapie (u. a. Zytostatika) Venenkatheter, Port Lokales mechanisches Trauma Autoimmunkrankheiten Vaskulitiden (u. a. Thrombangiitis obliterans)
IV
Infektionsallergische Prozesse (u. a. Borreliose) Polyglobulie und Polycythaemia vera Erkrankungen der weiblichen Brust und Brustoperationen Maligne Krankheiten Thrombophilie Idiopathische Genese
Allgemeine therapeutische Maßnahmen Bei jeder Form der Phlebitis werden lokale und systemische antiphlogistische Maßnahmen zur Schmerzlinderung empfohlen. Der klinische Nutzen wird allerdings in der Literatur kontrovers beurteilt (Decousus 2003; Bergqvist et al. 1990; Mehta et al. 1975). Spezielle Therapie der Thrombophlebitis Die Therapie der Thrombophlebitis richtet sich in erster Linie nach der Grundkrankheit (⊡ Tabelle 26.1). Eine Antikoagulation mit Heparin kommt bei schweren Krankheiten in Betracht, z. B. bei einem malignen Tumor. Über Art, Dauer und Dosierung von Heparin liegen dabei keine verbindlichen Empfehlungen vor. Spezielle Therapie der Varikophlebitis Die Varikophlebitis ist wegen des Risikos eines transfaszialen Thrombuswachstums gefürchtet. Bei der transfaszialen Varikophlebitis ist der Thrombus in das tiefe Venensystem eingewachsen und es besteht de facto eine Venenthrombose. Meistens liegt eine Stammvarikose der Vena saphena magna oder parva zugrunde; die Krankheit wird auch als transfasziale Saphenophlebitis bezeichnet (⊡ Abb. 26.1a, b). Bei der sog. Kragenknopfphlebitis wächst ein Thrombus von einer Perforansvene in die zugehörige Leitvene ein. Weitaus am häufigsten sind hierbei die Cockett-Perforansvenen und die V. tibialis posterior betroffen. Jede Varikophlebitis birgt ein mehr oder weniger hohes Risiko für transfasziales Thrombuswachstum und Embolisierung in die Lungenarterien. Vor diesem Hintergrund sind Antikoagulation und Kompressionstherapie in Erwägung zu ziehen. Bei der Thrombosierung einer Stammvene erscheint die sofortige operative Behandlung der Krampfaderkrankheit mit gleichzeitiger Exstirpation der insuffizienten und thrombosierten Venenabschnitte sinnvoll.
135 Therapie venöser Thromboembolien
a
b
IV
⊡ Abb. 26.1a,b. Transfasziale Varikophlebitis. a Klinisches Bild: Stammvarikose der V. saphena magena im Stadium III nach Hach mit phlebitischer Reaktion an der Innenseite des rechten Beins. b Phlebographie. Einwachsen des Thrombus von der V. saphena magna in die V. femoralis communis rechts (Aus: Hach-Wunderle et al. 2005 [5])
In einer randomisierten Studie haben Marchiori et al. (2002) die Effektivität von unfraktioniertem (UF-)Heparin auf die Progredienz einer nichttransfaszialen Phlebitis der V. saphena magna untersucht. Dabei erwies sich die hochdosierte Gabe von UF-Heparin (2-mal 12.500 IE/Tag über 1 Woche, gefolgt von 1-mal 10.000 IE/Tag über 3 Wochen) gegenüber der niedrigdosierten Gabe (1-mal 5000 IE/Tag über 4 Wochen) als signifikant überlegen. In dem Beobachtungszeitraum von 6 Monaten traten in der niedrigen Dosisgruppe bei 6 von 30 Patienten, in der höheren Dosisgruppe nur bei 1 von 30 Patienten venöse Thromboembolien auf. In einer randomisierten, vierarmigen Multizenterstudie wurden 427 Patienten mit einer oberflächlichen Phlebitis der unteren Extremität für 8 bis 12 Tage medikamentös behandelt (Decousus et al. 2003). Die Inzidenz venöser Thromboembolien am Tag 12 betrug unter dem niedermolekularem (NM-)Heparin Enoxaparin in hoher Dosis (1,5 mg/kg KG) 1,8 % bzw. in prophylaktischer Dosierung (40 mg) 3,7 %, unter einem oralen Antiphlogistikum 8,0 % und unter Plazebo 20,5 %. Eine Progredienz der Thrombose am Tag 12 ergab sich in den genannten Behandlungsgruppen mit einer Frequenz von 1,0 %, 0,9 %, 2,1 % und 3,6 %. Schwere Blutungen und Todesfälle wurden nicht beobachtet. Über die gute Effektivität der Kompressionsbehandlung mit festen Kurzzugverbänden bis zur Leiste berichteten Mayer und Partsch (1999) in einer Follow-up-Studie bei 53 Patienten mit Phlebitis. Innerhalb von 2 Wochen trat nur bei einem Patienten (1,9 %) eine Progredienz der Thrombose auf. Wenn die Varikophlebitis bei einer Stammvarikose der V. saphena magna oder parva auftritt, liegt es nahe, diese Komplikation gleich zum Anlass für die Sanierung der Varikose zu nehmen. Durch die chirurgische Therapie werden die Beschwerden rasch verringert, das Rezidivrisiko vermindert und die Behandlungsdauer verkürzt (DGA 2005). Allerdings fehlen valide prospektive Vergleichsstudien zur Therapie mit Antikoagulanzien. Schlussfolgerungen 1. Die Therapie der Thrombophlebitis richtet sich vor allem nach der Grundkrankheit. 2. Die Therapie der Varikophlebitis hängt von der Lokalisation und Ausdehnung ab.
136
IV
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
3. Bei einer kurzstreckigen Varikophlebitis, beispielsweise in einem Seitenast einer Stammvene, bringt die Stichinzision mit Expression der Thromben und Anlegen eines festen Kompressionsverbandes aus Kurzzugbinden eine sofortige Linderung der Beschwerden und eine rasche Abheilung. 4. Bei einer nichttransfaszialen Varikophlebitis in einer Stamm- oder Perforansvene stehen als therapeutische Optionen die Antikoagulation mit Heparin in prophylaktischer Dosierung oder/und die Gabe eines Antiphlogistikums mit begleitender Kompressionstherapie zur Verfügung. 5. Bei einer transfaszialen Varikophlebitis einer Stammvene und bei der Kragenknopfphlebitis einer Perforansvene sollte eine therapeutische Antikoagulation mit Heparin erfolgen. Die optimale Dauer ist noch nicht bekannt. 6. Bei einer transfaszialen Varikophlebitis einer Stammvene ist alternativ zu einer längerfristigen Antikoagulation die sofortige chirurgische Therapie mit Sanierung der Varikose und Exstirpation der thrombosierten Venenabschnitte in Erwägung zu ziehen. Literatur 1. Bergqvist D, Brunkwall J, Jensen N et al. Treatment of superficial thrombophlebitis. A comparative trial between placebo, hirudoid cream and piroxicam gel. Ann Chir Gynaecol 1990; 79: 92–96 2. Decousus H. A pilot randomized double-blind comparison of a low-molecular-weight heparin, a nonsteroidal anti-inflammatory agent, and placebo in the treatment of superficial vein thrombosis. Arch Intern Med 2003; 163: 1657–1663 3. DGA. Interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Bein- und Beckenvenenthrombose und der Lungenembolie. VASA 2005; 34: (Suppl 66) 4. DGIM. Rationelle Diagnostik und Therapie in der Inneren Medizin. Urban & Fischer. München Jena, 2004 5. Hach W et al. (Hrsg). VenenChirurgie. Schattauer, Stuttgart New York, 2006 6. Marchiori A, Verlato F, Sabbion P et al. High versus low doses of unfractionated heparin for the treatment of superficial thrombophlebitis of the leg. A prospective, controlled, randomised study. Haematologica 2002; 87: 523–527 7. Mayer W, Partsch H. Superficial phlebitis: a harmless disorder? Scope Phlebol 1999; 6: 36–38 8. Mehta PP. Sagar S, Kakkar VV. Treatment of superficial thrombophlebitis: a randomized, double-blind trial of heparinoid cream. Br Med J 1975; 3: 614–616
137 Pausieren einer oralen Antikoagulation – Bridging
IV
Niedermolekulare Heparine als Alternative bei Pausieren einer oralen Antikoagulation – Bridging
27.
Problematik und Therapieoption Heyder Omran, Christoph Hammerstingl, Carsten Kienitz, W.D. Paar
35
70
30
60
25
50
20
40
15
30
10
20
5
10
0
0
t. E
ar
T TV
Alter [Jahre]
80
AA
90
on a re t m z. b. TV (1 .M T on AA at ) TV + E m T bo 2. –3 lie K l . Mo ap pe nat ne rs at z
45 40
1. M
Thromboembolierisiko [%]
Patienten mit Vorhofflimmern, mechanischem Herzklappenersatz, Z.n. Thrombose oder angeborenen Gerinnungsdefekten haben ein deutlich erhöhtes Thromboembolierisiko. Eine effektive orale Antikoagulation senkt dieses Risiko signifikant. In Deutschland gibt es ca. 700.000 Patienten, die dauerhaft eine orale Antikoagulation einnehmen. Die größte Gruppe sind Patienten mit Vorhofflimmern. Die Prävalenz von Vorhofflimmern steigt mit zunehmendem Alter und beträgt in Deutschland ca. 600.000 Patienten. Das Thromboembolierisiko von Patienten mit permanenten Vorhofflimmern und begleitenden Risikofaktoren beträgt bis zu 8% pro Jahr [1] (⊡ Abb. 27.1]. Bei ausgewählten Patienten mit frischem neurologischem Ereignis beträgt das Risiko sogar bis zu 16 % pro Jahr [2]. Noch höher wird das Risiko einer Klappenthrombose oder thromboembolischer Ereignisse bei Patienten mit mechanischem Herzklappenersatz [3] (⊡ Tabelle 27.1] ohne orale Antikoagulation eingeschätzt und beträgt in Abhängigkeit des Klappentyps und der Begleiterkrankungen bis zu 25 %. Daher ist bei diesen Patienten eine sorgfältige und engmaschig kontrollierte orale Antikoagulation notwendig. Eine spezielle Situation entsteht immer dann bei Patienten mit dauerhafter oraler Antikoagulation, wenn diese im Rahmen von interventionellen oder operativen Eingriffen unterbrochen werden muss. Eine eventuelle Unterbrechung der chronischen Antikoagulation führt zu einem potentiell erhöhten Thromboembolie-
⊡ Abb. 27.1. Thromboembolierisiko bei Patienten mit permanentem Vorhofflimmern und begleitenden Risikofaktoren. TVT = tiefe Venenthrombose, AA = absolute Arrhythmie
138
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
⊡ Tabelle 27.1. Jährliche Thromboembolierate nach mechanischem Herzklappenersatz
IV
Position
Ohne Antikoagulation [%]
Mit oraler Antikoagulation (INR = 2,0–4,5) [%]
Aortenklappe
12,3
2,2
Mitralklappe
22,2
3,5
Doppelklappen
91,0
3,5
Björk-Shiley
23,0
1,7
risiko. Auf der anderen Seite kann die Fortführung einer oralen Antikoagulation zu Blutungskomplikationen im Zusammenhang mit den Eingriffen führen. Daher sollte vor jedem Eingriff das individuelle Blutungsrisiko durch den behandelnden Arzt definiert und in Abhängigkeit vom thromboembolischen Risiko eine Reduktion bzw. das Absetzen der Antikoagulation erwogen werden. Bei der Durchführung von diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen, die kein wesentlich erhöhtes Blutungsrisiko verursachen, ist das Absetzen der oralen Antikoagulation nicht erforderlich. In diesen Fällen sollte der INR-Wert auf 2,0 bis 2,5 abgesenkt werden. Im Gegensatz dazu wird von den Fachgesellschaften eine Unterbrechung der oralen Antikoagulation vor interventionellen Maßnahmen oder Operationen mit erhöhtem Blutungsrisko empfohlen [4, 5]. Aufgrund des sich hieraus ergebenden erhöhten Thromboembolierisikos wird die Unterbrechung der oralen Antikoagulation sowie als passagere und gut steuerbare Alternative eine Heparintherapie empfohlen. Dieses Vorgehen wird in der Literatur als »Überbrückungstherapie« oder »Bridging« bezeichnet. Beim Bridging soll der INR-Wert je nach diagnostischer oder therapeutischer Maßnahme in einen subtherapeutischen Bereich überführt und überlappend eine aPTT-gesteuerte Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin oder niedermolekularem Heparin durchgeführt werden. Die überbrückende Antikoagulation soll so lange fortgeführt werden, bis die orale Antikoagulation nach ihrer Wiederaufnahme volle Effektivität erreicht hat. In den USA werden jährlich ca. 250.000 Bridging-Therapien durchgeführt. Bislang wurden diese aber noch nicht standardisiert. Aktuell existieren wenige prospektive Studien, die sich mit dieser Fragestellung beschäftigen, insgesamt gibt es viele unterschiedliche Schemata, wie das Bridging durchgeführt werden sollte. Die Therapieempfehlungen basieren weitgehend auf Expertenmeinung. Eine arzneimittelrechtliche Zulassung steht noch aus. Nicht zuletzt stehen verschiedene niedermolekulare Heparine zur Verfügung, deren Einsetzbarkeit auf dem Gebiet des Bridgings unterschiedlich gut evaluiert wurde. Probleme der periinterventionellen Antikoagulation Eine Bridging-Therapie mit unfraktioniertem Heparin muss aufgrund der schlechten Bioverfügbarkeit und der kurzen Halbwertzeit der Substanz meist intravenös durchgeführt werden. Aufgrund der zusätzlich erforderlichen engmaschigen, regelmäßigen Laboruntersuchungen kann sie nicht ambulant durchgeführt werden. Im Gegensatz zu unfraktioniertem Heparin haben niedermolekulare Heparine eine bessere Bioverfügbarkeit, eine längere Halbwertszeit, und der Gerinnungseffekt lässt sich besser vorhersagen. Daher erscheint die Bridging-Therapie
139 Pausieren einer oralen Antikoagulation – Bridging
IV
mit niedermolekularen Heparinen im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin vorteilhaft. Niedermolekulare Heparine sind aufgrund ihrer einfachen Anwendbarkeit und zuverlässigen Vorhersagbarkeit des Gerinnungseffekts für den ambulanten Einsatz geeignet. Die Umstellung der oralen Antikoagulation kann daher ohne stationären Aufenthalt erfolgen und die Behandlungskosten können erheblich gesenkt werden. Die Daten einer kanadischen Studie zeigen, dass das Vorgehen bei Absetzen einer oralen Antikoagulation allerdings nicht standardisiert ist und individuell stark variiert [6]. Die Untersuchung von Douketis et al. zeigt, dass lediglich 44 % der behandelten Patienten in der Übergangsphase vor einer Operation oder Intervention einer effektiven alternativen Antikoagulation zugeführt wurden. Bei 54 % der Patienten wurde Warfarin abgesetzt und keine weitere Antikoagulationstherapie veranlasst [6]. Das nichtstandardisierte Vorgehen bei einer Überbrückungstherapie führt in bis zu 8 % zu Thromboembolien [7]. Blutungsrisiko bei interventionellen oder operativen Maßnahmen Das Blutungsrisiko hängt von einer Vielzahl verschiedener Parameter ab: ▬ Dringlichkeit des Eingriffs, ▬ Blutungsgefahr mit/unter dem Eingriff, ▬ Möglichkeiten der Blutstillung, ▬ Erfahrung des Operateurs, ▬ Nachsorge etc. In einzelnen kleineren Studien wurden die Gefahren verschiedener Eingriffe evaluiert. Zahnärztliche Eingriffe In einer Übersichtsarbeit wurden die Ergebnisse verschiedener zahnärztlicher Eingriffe, die u. a. Zahnextraktionen und Alveoektomien einschlossen, zusammengefasst [8]. Unter fortgeführter oraler Antikoagulation traten bei lediglich 12 von 2014 (0,6 %) Eingriffen ernsthafte Blutungen auf. Acht von diesen 12 Blutungen traten bei deutlich erhöhten INR-Werten auf. Auf der anderen Seite wurde bei 2 von 537 Fällen ein thromboembolisches Ereignis nach Absetzen einer oralen Antikoagulation beobachtet. Im Gegensatz dazu fanden die Autoren einer prospektiven Studie, bei der die orale Antikoagulation in 104 Fällen für zwei Tage vor einem zahnärtzlichen Eingriff abgesetzt wurde, keine Embolien [9]. Insgesamt ist das Blutungsrisiko bei den meisten zahnärztlichen Eingriffen sehr gering. Daher sollte die orale Antikoagulation nur nach Rücksprache und auf Wunsch des Zahnarztes abgesetzt werden, ggfs. kann der INR-Wert auf ca. 2,0 abgesenkt werden. Dermatologische Eingriffe Insgesamt liegen zu dermatologischen Eingriffen wenige Daten vor. In einer retrospektiven Studie an 653 Patienten schien die Gefahr klinisch relevanter Blutungen bei den meisten oberflächlichen dermatologischen Eingriffen gering zu sein [10], bei diesen Patienten muss eine orale Antikoagulation nicht zwingend pausiert werden. Dagegen wurden bei Patienten mit umschriebenen Hautexzisionen bei 4 von 12 Patienten unter fortgeführter Therapie mit Cumarinen relevante lokale Komplikationen beobachtet [11]. Die uneinheitliche Datenlage lässt hier keine eindeutige Empfehlung zu, die Fortführung einer oralen Antikoagulation scheint bei Interventionen mit geringem Blutungsrisiko, d. h. bei oberflächlichen Hautexzisionen, sicher und praktikabel.
140
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
Augenoperationen Zur Kataraktoperation liegen mehrere Studien vor [12–17]. Insgesamt scheint das Risiko klinisch relevanter perioperativer Blutungen unter fortgeführter Therapie mit Cumarinen relativ gering zu sein. Allerdings treten kleinere Blutungen gehäuft auf. Das langfristige postoperative Ergebnis wird durch eine Fortführung der oralen Antikoagulation nicht beeinflusst. Implantationen von Schrittmachern und Kardioverter-Defibrillatoren
IV
Zu der Gefahr postoperativer Blutungen bei Patienten unter oraler Antikoagulation und Schrittmacher- oder Defibrillatorimplantation liegen wenige Daten vor. In einer Studie, die insgesamt 150 Patienten umfasste, wurde kein signifikanter Einfluss einer effektiven oralen Antikoagulation auf die lokalen Blutungskomplikationen gefunden [18]. Dagegen scheint die postoperative effektive Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin mit einem erhöhten Risiko für lokale Wundhämatome einherzugehen [19]. In dieser Studie wurden bei 10 von 49 Patienten (20 %) unter postoperativer Gabe von unfraktioniertem Heparin Taschenhämatome beobachtet. Im Gegensatz dazu wurden Schrittmachertaschenhämatome nur bei 1 von 28 Patienten mit fortgeführter Cumarintherapie und bei lediglich 2 von 115 Patienten ohne Antikoagulation beobachtet. Zusammenfassend erscheint das Risiko einer Schrittmachertaschenblutung bei Fortführung einer oralen Antikoagulation relativ gering. Eine rasche aggressive Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin nach Implantation ist nicht empfehlenswert. Herzkatheter Arterielle Punktionen unter effektiver oraler Antikoagulation können mit einer erhöhten Blutungsgefahr einhergehen und bei ineffektiver Kompression zu Pseudoaneurysmata führen. In einer prospektiven Studie wurden bei 3 von 50 Patienten mit fortgeführter effektiver oraler Antikoagulation operationswürdige Hämatome beobachtet. Im Gegensatz dazu traten bei 50 anderen Patienten nach Absetzen der oralen Antikoagulation keine lokalen Komplikationen auf [20]. In den meisten Herzkatheterlaboren wird vor elektiven Eingriffen eine orale Antikoagulation pausiert und ein INR Wert < 1,7 angestrebt. Wir konnten zeigen, dass die Umstellung auf niedermolekulare Heparine in einer Gruppe von 32 Patienten effektiv und sicher war. Klinisch relevante lokale Wundkomplikationen wurden bei den mit niedermolekularem Heparin behandelten Patienten nicht beobachtet [21]. Gastroenterologische endoskopische Eingriffe Zu dem Blutungsrisiko bei endoskopischen Eingriffen liegen insgesamt wenige und teilweise widersprüchliche Daten vor. In einer retrospektiven Arbeit wurden die Verläufe von Patienten unter effektiver oraler Antikoagulation (INR 1,5–2,5) ausgewertet, die einer endoskopischen Intervention zugeführt wurden [22]. Signifikante Blutungskomplikationen traten ähnlich selten auf wie bei Patienten ohne gerinnungshemmende Therapie. Befragt man endoskopisch tätige Gastroenterologen, so verlangen diese im Vorfeld einer planbaren Untersuchung zu über 90 % die Unterbrechung einer oralen Antikoagulation, um somit ggf. notwendige Interventionen ohne ein erhöhtes Blutungsrisiko zeitgleich durchführen zu können [23].
141 Pausieren einer oralen Antikoagulation – Bridging
IV
⊡ Tabelle 27.2. Blutungsrisiko endoskopischer Untersuchungen Geringes Blutungsrisiko
Hohes Blutungsrisiko
Diagnostische ÖGD ± Biopsie Flex.sig ± Biopsie Koloskopie ± Biopsie
Polypektomie ERCP mit Papillotomie Pneumatische Bougierung/Dilatation
ERCP
PEG-Anlage
Biliärer/pankr. Stent ohne Sphinkterotomie
Feinnadelaspiration
Endosonographie ohne Feinnadelaspiration
Laserablation/-koagulation
Enterosokopie
Varizenbehandlung
Keine Umstellung erforderlich
Umstellung erforderlich
ÖGD = Ösophagogastroduodenoskopie, ERCP = endoskopisch retrograde Cholangiopankreatikographie, PEG = perkutane endoskopische Gastrostomie
Die amerikanische Gesellschaft für Gastroenterologie empfiehlt in ihren aktuellen Richtlinien [24] das Absetzen einer oralen Antikoagulation bei Untersuchungen mit einem hohen Blutungsrisiko (⊡ Tabelle 27.2). Bei Eingriffen mit einem geringen Blutungsrisiko muss keine Unterbrechung einer dauerhaften Antikoagulation erfolgen, allerdings sollte die Gerinnungshemmung nicht deutlich oberhalb des Zielbereichs der INR liegen. Urologische Eingriffe Das Blutungsrisiko urologischer Eingriffe ist dem vergleichbarer allgemeinchirurgischer Operationen gleichzusetzen. Bezüglich der Problematik des perioperativen Managements einer oralen Antikoagulation liegen derzeit keine wegweisenden Studien vor. In zwei Studien wurde nachgewiesen, dass das Blutungsrisiko bei einer transurethralen Prostataresektion [25] und Harnblasenresektion [26] unter fortgesetzter oraler Antikoagulation vergleichbar gering ist wie unter alternativer Heparingabe. Wir empfehlen, vor der Therapieplanung Rücksprache mit dem jeweiligen Operateur zu halten. Bei Eingriffen mit deutlich erhöhtem Blutungsrisiko sollte eine dauerhafte orale Antikoagulation analog zu allgemeinchirurgischen Eingriffen unterbrochen werden. Arthroskopien Die aktuelle Datenlage zu arthroskopischen Eingriffen unter dauerhafter Antikoagulation ist sehr gering. Nach Auswertung der bisherigen Studien bzw. anhand retrospektiver Datenerhebung wird nicht unbedingt die Unterbrechung einer dauerhaften oralen Antikoagulation gefordert [27]. Bei Untersuchungen mit einem hohen Blutungsrisiko (Meniskusteilresektion, Kreuzbandplastik etc.) empfehlen wir dennoch die Umstellung einer oralen Antikoagulation, aufgrund möglicher schwerwiegender bzw. langwieriger Folgeschäden bei Einblutungen in die
142
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
Gelenkhöhle. Vor elektiven und somit planbaren Eingriffen sollte Kontakt mit dem Untersucher aufgenommen werden, um die perioperative gerinnungshemmende Therapie abhängig von dessen Empfehlungen und Erfahrungen zu gestalten.
28.
Evidenzen für niedermolekulare Heparine und Algorithmen zur Umstellung einer oralen Antikoagulation Heyder Omran, Christoph Hammerstingl, Carsten Kienitz, W. Dieter Paar
IV
Hämostaseologische Untersuchungen Mindestens zwei Studien zeigen, dass beim Bridging mit niedermolekularem im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin die Antikoagulation schneller und im Verlauf der Therapie konstanter eingestellt werden kann [21, 28]. In einer prospektiven randomisierten Studie (EASE-Studie [21]) wurde von den Autoren unfraktioniertes und niedermolekulares Heparin bei der periinterventionellen Umstellung einer oralen Antikoagulation in Bezug auf die Effektivität der Antikoagulation verglichen. In die prospektive Studie wurden konsekutive Patienten mit einer dauerhaften oralen Antikoagulation bei Vorhofflimmern und/oder mit Zustand nach Herzklappenersatz eingeschlossen. Periinterventionell wurde die orale Antikoagulation abgesetzt und der INR-Wert täglich gemessen. Sank der INR-Wert unter 2,0, wurden die Patienten entweder mit gewichtsadaptiertem Enoxaparin (1 mg/kg Körpergewicht; 2-mal täglich subkutan) oder mit aPTT-gesteuertem unfraktioniertem Heparin behandelt. Der Zielkorridor der Antikoagulation bei mit Enoxaparin behandelten Patienten lag bei 0,5–1,0 IE/ml anti-Faktor-Xa-Aktivität. Der für unfraktioniertes Heparin entsprach dem 1,5- bis 2,5fachen der regulären aPTT. Die aPTT-, INR- und anti-Faktor-XaAktivität wurden periinterventionell täglich gemessen. Bei inadäquaten aPTT-Werten erfolgte eine Adjustierung der Dosis nach dem Ginsberg-Schema [29]. Die Herzkatheteruntersuchung wurde bei einer INR < 1,5 vorgenommen. Nach der Untersuchung wurde die orale Antikoagulation erneut eingeführt und die überlappende Antikoagulation mit unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin bis zum Erreichen einer INR > 2 fortgeführt. Insgesamt wurden 68 Patienten in die Studie aufgenommen. 32 Patienten erhielten niedermolekulares und 36 Patienten unfraktioniertes Heparin. Die Dauer bis zur Einstellung einer effektiven Antikoagulation war bei Patienten, die mit niedermolekularem Heparin behandelt wurden signifikant kürzer als bei solchen, die unfraktioniertes Heparin erhielten (1,1 ± 0,4 versus 3,7 ± 2,5 Tage; p = 0,0001). Ferner waren mit niedermolekularem Heparin behandelte Patienten während des periinterventionellen Therapiezeitraums besser antikoaguliert als Patienten mit unfraktioniertem Heparin. Ein effektiver Antikoagulationsbereich unter unfraktioniertem Heparin wurde lediglich an 54 % der Tage erreicht. Im Gegensatz dazu hatten mit niedermolekularem Heparin behandelte Patienten an 93 % der Tage einen therapeutischen Antikoagulationsbereich. In einer prospektiven Observationsstudie haben Montalescot et al. ähnliche Ergebnisse in Bezug auf die Effektivität der postoperativen Antikoagulation nach Herzklappenersatz erzielt [28]. In die Studie wurden 208 konsekutive Patienten eingeschlossen. 106 Patienten erhielten unfraktioniertes und 102 Patienten niedermolekulares Heparin. Die Ereignisrate embolischer Komplikationen war in beiden Gruppen mit < 1 % sehr gering. Relevante Blutungen traten mit < 3 % auf. Interessanterweise konnte eine effektive Antikoagulation unter niedermole-
143 Pausieren einer oralen Antikoagulation – Bridging
IV
kularem Heparin in 88 % der Fälle innerhalb von zwei Tagen erreicht werden. Im Gegensatz dazu waren zeitgleich lediglich 20 % der mit unfraktioniertem Heparin behandelten Patienten effektiv antikoaguliert. Dies zeigt, dass die postoperative Einstellung der Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin nur unzureichend möglich ist. Eine weitere interessante Beobachtung der Studie war, dass am Ende der Einstellungsphase der oralen Antikoagulation bis zu 50 % der mit unfraktioniertem Heparin behandelten Patienten oberhalb des therapeutischen Antikoagulationsbereichs lagen. Im Gegensatz dazu lagen mit niedermolekularem Heparin behandelte Patienten in mehr als 90 % der Fälle im korrekten Antikoagulationsbereich. Zusammenfassend weisen die Daten dieser Studie darauf hin, dass niedermolekulare Heparine in Bezug auf den Gerinnungseffekt unfraktioniertem Heparin in der Einstellungsphase einer oralen Antikoagulation nach Herzklappenersatz überlegen sind. Beide Studien zeigen zusammenfassend, dass niedermolekulare Heparine durch ihre pharmakologischen Eigenschaften zumindest aus hämostaseologischer Sicht einen besseren Schutz während einer Überbrückungstherapie bieten. Klinische Daten Große prospektive randomisierte Daten zum Bridging liegen weder für niedermolekulare noch für unfraktionierte Heparine vor. Überdies variieren die Dosierungen und Schemata zur Umstellung zwischen den einzelnen Studien. Diese Situation führt dazu, dass in Leitlinien lediglich Empfehlung mit vergleichsweise niedrigem Evidenzgrad gegeben werden können. Die ACCP-Leitlinien [4] klassifizieren die Bridging-Therapie als 2C. Klasse-2C-Empfehlungen entsprechen Expertenmeinungen, basierend auf Observationsstudien oder kleinere klinische Studien, die größtenteils geprägt sind von der individuellen Erfahrung des Therapeuten. ⊡ Tabelle 28.1 zeigt die veröffentlichten Registerdaten für unfraktioniertes Heparin. Da die meisten unfraktionierten Heparine bereits vor vielen Jahren zur Therapie zugelassen wurden, finden sich in den Fachinformationen noch vergleichsweise breit formulierte Definitionen der
⊡ Tabelle 28.1. Registerdaten UFH (mod. nach [31]) Referenz
n
Indikation
Prozedur
Outcome
Salazar
37
Schwangerschaft
–
2 fatale Fälle
Meschengieser
59
MKE
–
Signifikant mehr VTE vs. OAK
Al-Lawati
21
–
–
2 Klappenthrombosen
Katholi
235
MKE
23 große Eingriffe
Keine Komplikationen
Mehra
20
–
Dentalchirurgie
–
Total
372
–
–
–
MKE = Mitralklappenersatz, VTE= venöse Thromboembolie, OAK = orale Antikoagulation
144
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
⊡ Tabelle 28.2. Registerdaten NMH (mod. nach [31]) Autor
Wirkstoff
Spandorfer et al.
Enoxaparin
Galla et al.
n
Indikation
Eingriff
TE [%]
Große Blutungen [%]
20
MKE/AKE, AF
Endoskopie, Dentalchirurgie, Herzkatheter
0
1
Enoxaparin
60
MKE/AKE
Allgemeinchirurgie
0
3,8
Johnson u. Turpie
Enoxaparin
143
MKE/AKE, AF, VTE, Schlaganfall
Urologische, dentalchirurgische, allgemeinchirurgische u. herzchirurgische Eingriffe
0
2
Ferreira et al.
Enoxaparin
82
MKE/AKE
Herzchirurgie/ Herzkatheter, Allgemeinchirurgie
0
1
Omran et al.
Enoxaparin
362
MKE/AKE, AF
AKE, AF
0
1
Dunn et al.
Enoxaparin
260
VTE, AF
–
1,5
3,5
Turpie et al.
Enoxaparin
174
MKE/AKE
Elektive Chirurgie, invasive Eingriffe
0
2,3
Berdague et al.
Enoxaparin
15
MKE/AKE
–
0,9
5,3
Tsilimingras et al.
Enoxaparin
55
MKE/AKE, CABG
Herzchirurgie
1,8
3,6
Hammerstingl et al.
Enoxaparin
200
AF, MKE/ AKE
Interventionen mit erhöhtem Blutungsrisiko
0
0
Baudo et al.
Enoxaparin, Nadroparin
477
VTE, AF, MKE/AKE
Allgemeinchirurgie
0,6
1,7
Roijer et al.
Dalteparin
242
Kardioversion
–
0
–
Bechtold et al.
Dalteparin
100
Kardioversion
–
0
–
Tinmouth et al.
Dalteparin
24
MKE/AKE, AF, E
Herzkatheter, Zahnextraktion
0
0
IV
IV
145 Pausieren einer oralen Antikoagulation – Bridging
⊡ Tabelle 28.2. Fortsetzung Berdague et al.
Dalteparin
33
MKE/AKE
Herzklappenersatz
0,9
5,3
Wilson et al.
Dalteparin
47
MKE/AKE, AF, VTE
Endoskopie, Dentalchirurgie
4
0
Johnson u. Turpie
Dalteparin
372
MKE/AKE, AF, VTE, Schlaganfall
Urologische, allgemeinchirurgische Eingriffe
0
0,5
Nutescu et al.
Dalteparin
21
angeb. Gerinnungsstörungen, Schlaganfall
Endoskopie, ophthalmologische, dentalchirurgische Eingriffe
0
0
Kovacs et al.
Dalteparin
224
MHF, AF
Herzkatheter, urologische Eingriffe, Endoskopie
3,6
6,7
Douketis et al.
Dalteparin
650
MKE/AKE, AF, TE
Allgemeinchirurgische Eingriffe
0,4 1,8
0,7 1,8
Berdague et al.
Nadroparin
65
MKE/AKE
Herzklappenersatz
0,9
5,3
Baudo et al.
Nadroparin
394
VTE, AF, MKE/AKE, CABG
Allgemeinchirurgische Eingriffe
0,6
1,7
Santamaria et al.
Bemiparin
65
MKE/AKE, AF
Endoskopie
0
0
Total:
4082
MKE = Mitralklappenersatz, AKE = Aortenklappenersatz, AF = Vorhofflimmern, VTE = venöse Thromboembolie, TE = Thromboembolie, CABG = koronare Bypass-Anlage
Anwendungsgebiete (z. B. Prophylaxe von thromboembolischen Erkrankungen). Diese Formulierungen bedingen, dass unfraktioniertes Heparin auch ohne eigentliche Zulassungsstudien eine Zulassung in der Situation des Bridgings hat. Im Gegensatz zu unfraktioniertem Heparin liegen für niedermolekulares Heparin in der Zwischenzeit deutlich mehr Registerdaten vor. ⊡ Tabelle 28.2 fasst die derzeit veröffentlichten Daten zusammen. Immerhin liegen nun bei mehr als 4000 Patienten klinische Daten zum Bridging vor. Insgesamt liegt die Rate thromboembolischer Ereignisse während einer Überbrückungstherapie mit niedermolekularen Heparinen bei < 1 % und die Rate größerer Blu-
146
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
INR Intermediäres TE-Risiko 3,0 Hohes TE-Risiko
2,5
OP 2,0
IV
1,5
Phenprocoumon
0 –7 –6 –5 –4 –3 –2
–1
0 1 Tag
2
3
4
5
6
7 ⊡ Abb. 28.1. Bridging BraveRegister
INR
Hohes Blutungsrisiko
3,0
Niedriges Blutungsrisiko
2,5 OP 2,0
1,5
Warfarin
0 –7 –6 –5 –4 –3 –2 –1
0 1 Tag
2
3
4
5
6
7 ⊡ Abb. 28.2. Bridging Douketis 2004
tungen in Abhängigkeit von der Operation zwischen 0 und 7 % (im Mittel bei ca. 1 %). Die am häufigsten verwendeten niedermolekularen Heparine sind Enoxaparin und Dalteparin. Zu den anderen niedermolekularen Heparinen liegen sehr wenige Daten vor. Die Daten unserer Bonner Arbeitsgruppe zeigen ebenfalls, dass eine Überbrückungstherapie mit niedermolekularen Heparinen bei Patienten mit Vorhofflimmern und Risikofaktoren oder Patienten mit mechanischem Herzklappenersatz sicher durchgeführt werden kann. In das BRAVERegister wurden 417 Patienten eingeschlossen. Patienten mit mechanischem Herzklappenersatz sowie Patienten mit Vorhofflimmern und hohem thromboembolischen Risiko wurden mit einer therapeutischen Dosierung von Enoxaparin (1 mg/kg/KG 2-mal täglich) behandelt. Die übrigen Patienten wurden in einer halbtherapeutischen Dosis behandelt. ⊡ Abbildung 28.1
147 Pausieren einer oralen Antikoagulation – Bridging
INR Prophylaxe
IV
Intermediäres TE-Risiko
3,0
Hohes TE-Risiko 2,5 IV OP 2,0
1,5
Warfarin
0 –7 –6 –5 –4 –3 –2 –1
0
1
2
3
4
5
6
7
Tag
INR 3,0
⊡ Abb. 28.3. Bridging CHEST 2004
Intermediäres TE-Risiko Hohes TE-Risiko
2,5 OP 2,0
1,5
Phenprocoumon
0 –7 –6 –5 –4 –3 –2 –1
0 1 Tag
2
3
4
5
6
7 ⊡ Abb. 28.4. Bridging nach Bauersachs [31]
zeigt unser Umstellungsschema. Die Inzidenz klinisch apparenter Thromboembolien und die Sicherheit der Therapie wurden über 30 Tage beobachtet. 316 Patienten hatten Vorhofflimmern und 69 Patienten mechanische Herzklappen (Aortenklappenersatz n = 49, Mitralklappenersatz n = 12, Doppelklappenersatz n = 7, ein Patient nach Trikuspidalklappenrekonstruktion). 306 Patienten wurden als Hochrisikopatienten klassifiziert. Insgesamt wurden 142 Herzkatheter durchgeführt, 79 Herzschrittmacherimplantationen vorgenommen, 37 endoskopische Eingriffe mit Biopsie und 3 viszeralchirurgische Eingriffe. Bei einer Patientin wurde eine Hb-wirksame so genannte große Blutung mit Tranfusionsnotwendigkeit beobachtet, ein Patient entwickelte im Anschluss an eine Herzkatheteruntersuchung ein Aneurysma spurium mit Notwendigkeit zur operativen Revision. Kleinere Blutungen wurden in 8 % der Fälle beobachtet. Keiner der
148
IV
IV Therapie thromboembolischer Ereignisse
Patienten hatte ein thromboembolisches Ereignis. Bei einem Patienten wurde eine Thrombozytopenie beobachtet. Eine fortgesetzte ambulante Therapie war in 103 Fällen möglich. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass eine risikoadaptierte Therapie mit niedermolekularen Heparinen eine sichere Überbrückungstherapie ermöglicht. Bei den bisher veröffentlichten Überbrückungsschemata [29–31] (⊡ Abb. 28.2 bis 28.4) wurde das teilweise signifikant unterschiedliche Thromboembolierisiko der zu behandelnden Patienten nicht berücksichtigt. Bei der kurzzeitigen gerinnungshemmenden Therapie wird häufig ein dem Thromboembolierisiko gegenüber deutlich erhöhtes Blutungsrisiko in Kauf genommen. Vor allem bei der großen Gruppe der Patienten mit Vorhofflimmern hängt das individuelle Risiko, ein thromboembolisches Ereignis zu erleiden, von verschiedenen Einzelfaktoren ab; in diesem heterogenen Patientengut konnten bereits Untergruppen identifiziert werden, die ein sehr niedriges, ein intermediäres oder aber ein sehr hohes Thromboembolierisiko tragen, was Einfluss haben sollte auf die Intensität der prophylaktischen gerinnungshemmenden Therapie. Es steht weiterhin zur Diskussion, ob diese Unterteilung gleichfalls bei Patienten nach mechanischem Herzkappenersatz Anwendung finden sollte, abhängig vom Klappentyp, Position der Kunstklappe und begleitenden Risikofaktoren. Wir schlagen ein in unserem Register angewandtes Umstellungsschema vor, worin die periinterventionelle Thromboseprophylaxe ebenso ein wichtiger Bestandteil ist, wie eine dem individuellen Thromboembolierisiko angepasste Dosierung des überbrückend gegebenen Antikoagulans. Zusammenfassung Niedermolekulare Heparine haben für die Umstellung einer oralen Antikoagulation ein günstiges Wirkprofil. Studien haben gezeigt, dass mit niedermolekularem im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin eine Antikoagulation schneller und im Verlauf der Therapie besser eingestellt werden kann. Ferner liegen umfassende Registerdaten vor, die belegen, dass eine Umstellung mit niedermolekularen Heparinen sicher und effektiv durchgeführt werden kann. Somit sind niedermolekulare Heparine für diese Indikation eine therapeutische Alternative zu unfraktioniertem Heparin. Basierend auf bisher veröffentlichten Daten und unseren eigenen Erfahrungen empfehlen wir eine risikoadaptierte Dosierung des Antikoagulanz unter Berücksichtigung des permanenten Thromboembolierisikos des Patienten und des passageren Blutungs- und Thromboserisikos im Rahmen der geplanten Intervention. Literatur 1. Adjusted-dose warfarin versus low-intensity, fixed-dose warfarin plus aspirin for high-risk patients with atrial fibrillation: Stroke Prevention in Atrial Fibrillation III randomised clinical trial. Lancet 1996; 348: 633–638 2. European Atrial Fibrillation Trial Study Group. Secondary prevention in non-rheumatic atrial fibrillation after transient ischemic attack or minor stroke. Lancet 1993; 342: 1255–1262 3. Gohlke-Barwolf C, Acar J, Oakley C et al. Guidelines for prevention of thromboembolic events in valvular heart disease. Study Group of the working group on valvular heart disease of the European Society of Cardiology. Eur Heart J 1995; 16: 1320–1330 4. The Seventh ACCP Conference on Antithrombotic and Thrombolytic Therapy: Evidence-Based Guidelines. Chest 2004; 126 (Suppl 3) 5. ACC/AHA/ESC guidelines for the management of patients with atrial fibrillation: executive summary. J Am Coll Cardiol 2001; 38: 1–35 6. Douketis JD, Crowther MA, Cherian SS. Perioperative anticoagulation in patients with chronic atrial fibrillation who are undergoing elective surgery: Results of a physician survey. Can J Cardiol 2000; 16: 326–330
149 Pausieren einer oralen Antikoagulation – Bridging
IV
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V
Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Nephrologie 29. Niereninsuffizienz 153 30. Extrakorporale Nierenersatztherapie (Hämodialyse und Hämofiltration) 158 Untergewichtige und adipöse Patienten 31. Prophylaxe und Therapie mit niedermolekularen Heparinen bei adipösen und untergewichtigen Patienten 163 Schwangerschaft 32. Thromboembolieprophylaxe in der Schwangerschaft 166 33. Therapie der venösen Thromboembolie in der Schwangerschaft 175 34. Rezidivierende Spontanaborte 181 Onkologie 35. Besondere Aspekte der antithrombotischen Therapie bei Tumorpatienten 188 36. Verhinderung von Katheterthrombosen 189 37. Antineoplastische Effekte niedermolekularer Heparine 190 Pädiatrie 38. Therapie der venösen Thrombose im Kindesalter 193 Intensivmedizin 39. Niedermolekulare Heparine in der Intensivmedizin 199 Neurologie 40. Einsatz niedermolekularer Heparine in der Neurologie 206 Reisethromboseprophylaxe 41. Reisethrombose 211
153 Nephrologie
V
Nephrologie
29.
Niereninsuffizienz Reinhard Klingel
Im Gegensatz zum unfraktionierten Heparin (UFH) spielt bei niedermolekularen Heparinen (NMH) die Metabolisierung in der Leber eine geringere Rolle gegenüber der renalen Elimination. Daher muss eine akute oder chronische Nierenfunktionseinschränkung bei der Anwendung von NMH beachtet werden (Mosenkis u. Berns 2004). Zwischen Serumkreatinin und glomerulärer Filtrationsrate (GFR) besteht keine lineare Beziehung. Je nach Muskelmasse des Patienten liegt erst bei einer Einschränkung deutlich unter 50 % ein erhöhtes Serumkreatinin vor. Das Alter ist als wichtiger Faktor einer eingeschränkten Nierenfunktion zu betonen. Die GFR wird häufig ohne exakte Clearance-Messung mit Hilfe empirischer Formeln abgeschätzt. Verbreitet sind die Cockcroft-Gault- und die MDRD-Formel. Mit der Cockroft-Gault-Formel ist auch in der Akutsituation eine akzeptable Abschätzung der GFR möglich, die Geschlecht, Alter und Gewicht berücksichtigt (Verhave et al. 2003). Eine GFR < 60 ml/min gilt als mäßige, eine GFR < 30 ml/min als schwere Nierenfunktionseinschränkung (NKF 2002), hierbei ist die Halbwertszeit der NMH bei unveränderter Bioverfügbarkeit bis 2fach verlängert (Duplaga et al. 2001; Fareed et al. 2003). Nach wiederholter Verabreichung kommt es bei eingeschränkter Nierenfunktion zur Kumulation mit ansteigenden Spitzen- und Talspiegeln der antiXa-Aktivität (Becker et al. 2002; Duplaga et al. 2001; Sanderink et al. 2002). Die Urämie bedingt eine komplexe Gerinnungsstörung, die sowohl Blutungskomplikationen als auch eine Hyperkoagulabilität einschließt. Sicherheit von NMH bei Niereninsuffzienz Bisher galt eine schwere Niereninsuffizienz laut Gebrauchsanweisungen der NMH als Kontraindikation der Gabe zur Thromboseprophylaxe oder -therapie und bei koronaren Erkrankungen. Für Enoxaparin liegt seit 2003 durch die FDA und 2005 durch das deutsche BfArm die entsprechende Zulassung mit Empfehlung einer Dosisanpassung vor. Hintergrund ist, dass die großen randomisierten Studien, die den Einsatz von NMH bei den genannten Indikationen untersuchten, Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz ausschlossen, so dass die Studienergebnisse für solche Patienten nicht uneingeschränkt übertragbar sind (Mosenkis u. Berns 2004). In Ansätzen sind die therapeutischen Vorteile der NMH gegegenüber UFH aber auch bei Patienten mit Niereninsuffizienz bereits belegt (Collet et al. 2005). Die retrospektive Analyse von 143 Patienten der ESSENCE- und TIMI-11B-Studien, die trotz einer Kreatinin-Clearance < 30 ml/min eingeschlossen wurden, ergab keinen Hinweis auf ein höheres Risiko von Blutungskomplikationen unter Enoxaparin im Vergleich zu UFH (Spinler et al. 2003). Die Durchführung einer effektiven, evtl. kombiniert medikamentösen Antikoagulation ist bei chronischer Niereninsuffizienz sowohl bezüglich der Gesamtprognose als auch des Risikos von Blutungskomplikationen ungünstiger zu bewerten als im Normalfall, dies ist aber eine generelle Aussage und nicht spezifisch auf NMH zu beziehen (Collet et al. 2003, 2005; Santopinto et al. 2003; Thorevska et al. 2004). Bei kasuistisch mitgeteilten hämorrhagischen Komplikationen unter NMH-Gabe bei Niereninsuffizienz fällt auf, dass keine Kontrolle der antiXa-Aktivität erfolgte
154
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Enoxaparin Prophylaxe mit 40 mg s. c. bei Niereninsuffizienz Tag 1
Anti-Xa [E/ml]
0,6
Gesunde Probanden Leichte NI Mäßige NI Schwere NI
0,4
0,2
0 0
V
8
12
Tag 4
0,6 Anti-Xa [E/ml]
4
16 20 24 Zeit [Stunden]
28
32
36
Gesunde Probanden Leichte NI Mäßige NI Schwere NI
0,4
0,2
0 0
4
8
12
16 20 24 Zeit [Stunden]
28
32
36
Mittlere Anti-Xa Aktivität im Plasma in den 4 Studiengruppen • Zunahme der Eliminationshalbwertszeit mit dem Schweregrad der Niereninsuffizienz • Anti-Xa Aktivität signifikant erhöht bei schwerer Niereninsuffizienz • Anti-Xa Clearance signifikant vermindert bei schwerer Niereninsuffizienz NI = Niereninsuffizienz
⊡ Abb. 29.1. Enoxaparin-Prophylaxe bei Niereninsuffizienz [16]
(Farooq et al. 2004). Diese Fälle unterstützen, dass bei einer Kreatinin-Clearance < 30 ml/min. NMH grundsätzlich nur unter wiederholter Kontrolle der anti-Xa-Spiegel angewendet werden sollte (Sanderink et al. 2002; ⊡ Abb. 29.1). Die Herstellungsverfahren der verschiedenen NMH führen zu unterschiedlichen biochemischen und pharmakologischen Eigenschaften. Aufgrund der umfangreichen Dokumentation in der Literatur und der FDA- bzw. BfArm-Zulassung ist gegenwärtig ein bevorzugter Einsatz von Enoxaparin zu begründen, falls eine Therapie mit NMH bei eingeschränkter Nierenfunktion durchgeführt werden soll (Becker et al. 2002; Collet 2001, 2005, Kruse u. Lee 2004; Sanderink et al. 2002; Spinler et al. 2003).
V
155 Nephrologie
Vorschläge zur Dosisanpassung bei eingeschränkter Nierenfunktion Das Ziel der Dosisanpassung bei eingeschränkter Nierenfunktion ist eine effektive Thromboseprophylaxe bzw. -therapie ohne Akkumulation. Bei Patienten mit einer Kreatinin-Clearance < 30 ml/min sollte generell eine Dosisreduktion erfolgen. Im Bereich oberhalb 30 ml/min erscheint eine Dosisanpassung nicht erforderlich, die Datenlage hierzu ist aber nicht umfangreich (Sanderink et al. 2002). Es sind zwei Handlungsweisen möglich: das 12-stündige Dosierungsintervall mit Reduktion der Einzeldosis oder das 24-stündige Dosierungsintervall. Für beide Regime liegen umfangreiche Erfahrungen vor, die aber keine eindeutige Entscheidung zugunsten des einen oder anderen zulassen. Die maximale anti-Xa-Aktivität 4 Stunden nach s.c.-Injektion wird zur Beurteilung der Wirksamkeit von NMH herangezogen. Zur Prophylaxe ist ein Spiegel von 0,1–0,2 IE/ml das Ziel, zur Therapie von 0,4–1,1 IE/ml bei 12-stündiger Applikation bzw. 1,0–2,0 IE/ml bei einmal täglicher Gabe (Duplaga et al. 2001). Beim akuten Koronarsyndrom sollte ein anti-Xa-Spiegel > 0,5 IE/ml erreicht werden, um die therapeutische Wirksamkeit zu gewährleisten (Collet et al. 2003; Montalescot et al. 2004). Alternativ wurde als Parameter der Talspiegel vor der dritten Gabe vorgeschlagen, der zwischen 0,2-0,3 IE/ml anti-Xa liegen sollte (Ma et al. 2004). Bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom und Kreatinin-Clearance < 30 ml/min wurden Talspiegel unter einmal bzw. zweimal täglicher Gabe von 1 mg/kg Enoxaparin untersucht (Ma et al. 2004). Der mittlere Talspiegel bei zweimal täglicher Gabe lag bei 0,72 IE/ml, bei einmal täglicher Gabe bei 0,40 IE/ml. Die Handlungsempfehlung lautete bei Talspiegeln > 0,5 IE/ml, die einmal tägliche Gabe zu wählen. Die FDA hat im Jahr 2003 für Enoxaparin eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz für die Produktinformation zugelassen, die im Jahr 2005 durch das deutsche BfArm im Wesentlichen übernommen wurde. Bei einer Kreatinin-Clearance < 30 ml/min wird die einmal tägliche Applikation empfohlen: 3000 IE s.c. einmal täglich zur Thromboseprophylaxe, 100 IE/kg s.c. einmal täglich zur Prophylaxe bei instabiler Angina pectoris bzw. non-Q-Wave-Infarkt in Verbindung mit Acetylsalicylsäure und ebenfalls 100 IE/kg s.c. einmal täglich zur Behandlung der tiefen Venenthrombose oder Lungenembolie in Verbindung mit Marcumar (⊡ Tabelle. 29.1).
⊡ Tabelle 29.1. Dosierungsempfehlungen für Enoxaparin bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung (CrCL < 30 ml/min) gemäß Fachinformation Indikation
Dosierungsschema
Peri- und postoperative Prophylaxe bei Patienten mit niedrigem und mittlerem Risiko
20 mg s.c.
1-mal tägl.
Peri- und postoperative Prophylaxe bei Patienten mit hohem Risiko
30 mg s.c.
1-mal tägl.
Prophylaxe bei nichtchirurgischen Patienten mit mittlerem oder hohem Risiko
30 mg s.c.
1-mal tägl.
Therapie venöser Thrombosen mit und ohne LE
1 mg/kg s.c.
1-mal tägl.
Therapie der instabilen Angina und des Non-Q-wave MI
1 mg/kg s.c.
1-mal tägl.
156
V
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Bei 12-stündiger Gabe von Enoxaparin kann initial mit 1 mg/kg dosiert werden, ab der 2. bis 3. Dosis sollte eine Reduktion erfolgen (Chow et al. 2003; Kruse u. Lee 2004). Erfolgreich eingesetzt wurde die Reduktion auf 0,75 mg/kg (Kreatinin-Clearance 30–60 ml/min) bzw. 0,50 mg/kg (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min; Kruse u. Lee 2004). Die mittleren anti-Xa-Spiegel 4 Stunden nach der dritten Gabe waren 0,65 +/– 0,19 IE/ml bzw. 0,82 +/– 0,18 IE/ml. Bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom konnte eine ähnliche Strategie ebenfalls erfolgreich angewandt werden (Green et al. 2005; Hulot et al. 2005). Nach einer Initialdosis von 1 mg/kg Enoxaparin erfolgte eine Reduktion auf 0,8 mg/kg bei mittelgradiger Niereninsuffizienz bzw. auf 0,66 mg/kg bei schwerer Niereninsuffizienz. Auch mit einer Reduktion auf 0,65 mg/kg ab der initialen Dosis ließen sich bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom und Kreatinin-Clearance < 30 ml/min in fast allen Patienten die angestrebten anti-Xa-Spiegel erzielen (Collet et al. 2003). Das Risiko einer Akkumulation bei gleichzeitig erreichbaren Zielspiegeln von > 0,5 IE/ml nach s.c.-Applikation kann so für die Mehrheit der Patienten optimiert werden. Bei allen Vorschlägen ist aber zu beachten, dass bei schematischer Anwendung in 5–10 % nicht der gewünschte Dosisbereich erzielt wird. Der Hinweis auf die Notwendigkeit wiederholter anti-Xa-Bestimmungen bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist daher nochmals begründet. Nephrotisches Syndrom 70–80 % der Patienten mit nephrotischem Syndrom leiden an einer idiopathischen glomerulären Erkrankung. Eine wichtige Komplikation des nephrotischen Syndroms ist die Neigung zu Thrombosen und thromboembolischen Komplikationen, die in 10–40 % beobachtet werden. Die Nierenvenenthrombose ist hierbei besonders hervorzuheben. Bei nachgewiesenen Thrombosen oder Lungenembolien im Rahmen des nephrotischen Syndroms ist eine Antikoagulation indiziert. Der Nutzen einer generellen Thromboseprophylaxe ist prospektiv noch nicht hinreichend geklärt. Bis zur Einstellung mit Vitamin-K-Antagonisten oder alternativ ist die Antikoagulation mit NMH möglich. Der anti-Xa-Spiegel ist zu kontrollieren und an das Ausmaß der gleichzeitig bestehenden Nierenfunktionseinschränkung zu adaptieren. Thromboembolieprophylaxe und -therapie bei terminaler Niereninsuffizienz Drei Patientengruppen sind zu unterscheiden: chronische Hämodialysepatienten, Patienten, die mit Peritonealdialyseverfahren behandelt werden und Patienten nach Nierentransplantation. Der Einsatz von NMH zur Thromboseprophylaxe oder -therapie ist bei diesen Patienten ohne Frage möglich und unter den im folgenden Kapitel dargestellten Gesichtspunkten sinnvoll. Die chronische Hämodialyse findet in der Regel 3-mal/Woche statt. Die Durchführung einer Thromboseprophylaxe sollte daher unbedingt mit dem Regime der Antikoagulation zur Dialyse abgestimmt werden, um Blutungskomplikationen zu vermeiden. Beim Peritonealdialysepatienten muss der periumbilikal platzierte Peritonealdialysekatheter bei der subkutanen Injektion beachtet werden. Durch intraperitoneale Gabe ist keine effektive gerinnungshemmende Wirkung zu erzielen. Beim Nierentransplantierten ist der Begriff des funktionierenden Transplantats nicht mit einer normalen GFR gleichzusetzen. Häufiger ist die Nierenfunktion des Transplantats eingeschränkt, und es gelten die oben dargestellen Überlegungen zum niereninsuffizienten Patienten.
157 Nephrologie
V
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158
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
30.
Extrakorporale Nierenersatztherapie (Hämodialyse und Hämofiltration) Reinhard Klingel Gerinnungsaktivierung im extrakorporalen Kreislauf
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Allen extrakorporalen Blutreinigungsverfahren (akute und chronische Nierenersatztherapie, therapeutische Apherese) ist gemeinsam, dass Blut-Fremdoberflächen-Interaktionen zu einer Aktivierung der Gerinnung, von Komplement, des Kallikrein-Bradykinin-Systems sowie von Leukozyten und Thrombozyten führen, die sich gegenseitig im Sinne eines inflammatorischen Stimulus verstärken. Die Gerinnungsaktivierung erfordert eine Antikoagulation, um den extrakorporalen Kreislauf für die gewünschte Therapiedauer aufrecht zu erhalten und die Therapieeffizienz zu gewährleisten. Ein Patient mit terminaler Niereninsuffizienz ist durch die urämische Thrombozytenfunktionsstörung und die regelmäßig wiederholte Antikoagulation während der Hämodialyse vermehrt blutungsgefährdet, gleichzeitig besteht aber eine Hyperkoagulabilität, die sich in einem erhöhten Risiko von Gefäßverschlüssen und allgemeinen kardiovaskulären Komplikationen äußert. Unfraktioniertes Heparin (UFH) und niedermolekulare Heparine (NMH) Seit den Anfängen der Hämodialyse wird UFH als Standardantikoagulans eingesetzt. Nach Zulassung im Jahr 1985 war Dalteparin das erste NMH, das in größerem Umfang bei der Hämodialyse zum Einsatz kam, es folgte das Enoxaparin. Die beim chronischen Dialysepatienten erforderliche Langzeitapplikation hat die Aufmerksamkeit auf unerwünschte Wirkungen des UFH gelenkt, bei denen NMH Vorteile besitzen. Zu nennen sind die heparininduzierte Hypertriglyzeridämie insbesondere bei Diabetikern, das allgemeine Blutungsrisiko, Juckreiz, Hauteffloreszenzen und Haarausfall, die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT Typ II), Osteoporose und die Aldosteronsuppression mit dem daraus resultierenden Hyperkaliämierisiko. Zusätzlich gibt es Hinweise auf eine geringere Endothelzell- und Thrombozytenaktivierung durch NMH. In der Summe und unter dem Gesichtspunkt der chronischen Anwendung besitzen diese Vorteile klinische Relevanz. Angesichts der in Deutschland sinkenden Erstattungssätze im Bereich der chronischen Hämodialyse ist aber der Preis immer noch ein Argument zu Ungunsten des NMH. Kontrolle der Antikoagulation Die Bestimmung der anti-Xa-Aktivität stellt den Standardparameter zur Kontrolle der Antikoagulation mit NMH dar und sollte bei der erstmaligen Anwendung niemals unterbleiben. Die aktivierte Vollblutkoagulationszeit (ACT) wird in vielen Dialysezentren genutzt, um unabhängig von einem externen Labor die Antikoagulation zu überprüfen. Die Korrelation von anti-Xa mit der ACT, aber auch der aPTT ist für viele praktische Belange der chronischen Hämodialyse akzeptabel (Wilson et al. 2005). Es empfiehlt sich, individuell die Korrelation zur anti-Xa-Aktivität herzustellen.
159 Nephrologie
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Dosierung von NMH zur Antikoagulation im extrakorporalen Kreislauf Als grobe Faustregel kann bei der chronischen Hämodialyse eine bekannte Dosis von UFH auf die NMH Dalteparin oder Enoxaparin umgestellt werden, indem bezogen auf IE ca. 2/3 dieser Dosis gegeben werden (Deuber et al. 1999; Klingel u. Hafner 2000). Es sollte hierdurch ein therapeutischer Bereich von 0,4–0,8 anti-Xa-IE/ml erreicht werden, gemessen in den ersten 15–30 min nach Dialysebeginn (Klingel u. Hafner 2000; Lim et al. 2004). Da die einzelnen NMH im Hinblick auf das Herstellungsverfahren und funktionell Unterschiede besitzen, muss diese Empfehlung im Einzelfall anhand der aktuellen Herstellerangaben kritisch überprüft werden. Die initial gewählte Dosis sollte in der Folge individuell modifiziert werden. Der Blutfluss und damit die Qualität des Gefäßzugangs, die Dauer der Dialyse sowie die Größe und Art der Dialysatormembran beeinflussen die Gerinnungsaktivierung im extrakorporalen Kreislauf und sind Determinanten der individuellen Dosierung (Klingel u. Hafner 2000). Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Protokollen wird man in der täglichen Praxis eine Dosis wählen, die nicht einer Minimaldosierung entspricht, sondern das Risiko der Koagelbildung unter Berücksichtigung praktischer Fehlerquellen minimiert. Aufgrund des niedrigen Molekulargewichts von 3–8 kD könnten NMH theoretisch durch hochpermeable Membranen (High-flux-Dialyse, Hämofiltration, Hämodiafiltration) eliminiert werden. Es kann aber gezeigt werden, dass die Porengröße keinen unabhängigen Einfluss auf die Gerinnungsaktivierung besitzt (Klingel u. Hafner 2000). Die geringe Permeabilität kann sowohl mit der negativen elektrischen Ladung der NMH als auch mit der AT-III-Komplexbildung (Molekulargewicht ca. 90 kD) begründet werden. Weiterführend konnte für Enoxaparin gezeigt werden, dass die Antikoagulation nach Bolus- oder kontinuierlicher Antikoagulation für die Dialysemodalitäten High-flux-Dialyse, reine Hämofiltration und Hämodiafiltration mit gleicher Effektivität möglich ist, allerdings muss berücksichtigt werden, dass steigende Ultrafiltrationsvolumina die Gerinnungsaktivierung verstärken (Klingel et al. 2004a). Bolusantikoagulation Die aus der gegenüber UFH längeren Halbwertzeit ableitbare Möglichkeit der Einmalbolusantikoagulation mit NMH ist ein relevanter praktischer Vorteil. Die Effektivität der Einmalbolusgabe des NMH, hier in erster Linie Dalteparin und Enoxaparin, wurde für die chronische Hämodialyse umfangreich dokumentiert (z. B. Deuber et al. 1999; Klingel et al. 2004b). Nach Herstellerangaben wird zur Bolusantikoagulation bei chronischer Hämodialyse für Dalteparin eine Dosierung von 85 IE/kg, für Enoxaparin eine Dosis von 100 IE/kg empfohlen. Bei der Dokumentation von mehr als 20.000 Hämodialysen mit Enoxaparin war eine mittlere Dosis von 70 IE/kg Enoxaparin ausreichend für eine 4-stündige Hämodialyse (Klingel et al. 2004b). Unter Studienbedingungen war bereits eine Dosierung von 50 IE/kg Enoxaparin als einmaliger Bolus geeignet, eine im Mittel 4-stündige Dialysedauer sowohl unter Verwendung von Highflux- wie Low-flux-Membranen, als Hämofiltration oder Hämodiafiltration zu gewährleisten (Klingel et al. 1999, 2004a). Molekulare Charakterisierung der Antikoagulation mit NMH Auf molekularer Ebene kann die antikoagulatorische Aktivität und die parallele Gerinnungsaktivierung mit Hilfe der anti-Xa-Aktivität und der Bestimmung des Thrombin-AntithrombinIII-Komplexes (TAT) als Marker der Thrombingeneration charakterisiert werden (Klingel et al.
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V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
1993; Klingel u. Hafner 2000). Am Beispiel des Enoxaparin können die Unterschiede zwischen Bolus- und kontinuierlicher Antikoagulation verdeutlicht werden (⊡ Abb. 30.1 a–d ; modifiziert nach Klingel et al. 2004b). Die Einmalbolusantikoagulation und die kontinuierliche Antikoagulation mit vergleichbarer Gesamtdosis wiesen am Ende der Hämodialyse keine signifikant unterschiedlichen anti-Xa-Spiegel auf. Ausgedrückt als Integral unter der anti-Xa-Kurve ergab die Bolusantikoagulation aber eine signifkant höhere anti-Xa-Aktivität. Die durchschnittliche TAT-Generation war trotzdem am Ende der Dialyse bei der Bolusantikoagulation höher und folgte einem exponentiellen Anstieg. Dies war aber nicht mit makroskopischer Koagelbildung verbunden. Die Integrale unter den TAT-Kurven als Parameter der totalen TAT-Generation waren nicht signifikant unterschiedlich. Antikoagulation bei Blutungsgefahr
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Bei chronischen Dialysepatienten ergibt sich häufig die Notwendigkeit einer Dialysebehandlung unter erhöhter Blutungsgefahr z. B. nach einem operativen Eingriff. Bei der heparinfreien Hämodialyse wird ein maximaler Blutfluss mit wiederholtem Freispülen des extrakorporalen Kreislaufs verbunden. Die Dauer der Therapie ist durch die maximale Gerinnungsaktivierung limitiert und schlecht steuerbar. Als regionale Antikoagulation hat sich in erster Linie Citrat bewährt. Die regionale Heparinisierung mit UFH unter Neutralisierung mit Protamin hat den Nachteil, dass UFH im retikuloendothelialen System wieder freigesetzt wird und ein Rebound der Antikoagulation auftritt. NMH lassen sich nicht effektiv mit Protamin antagonisieren (Crowther et al. 2002). Die Strategie der Minimalheparinisierung lässt sich mit UFH und besser steuerbar mit NMH anwenden. Hierunter ist eine Dosierung des Heparins zu verstehen, die individuell minimiert wird. Man wird hier nicht mit Einmalbolus, sondern kontinuierlich antikoagulieren und möglichst biokompatible Dialysatoren mit kleiner Oberfläche verwenden (Klingel et al. 1993). Dosierungen unterhalb von 50 % der empfohlenen Dosis sind problemlos möglich. Wesentlich für eine minimale Gerinnungsaktivierung ist hierbei ein ausreichendes initiales Antikoagulationsniveau um 0,3 IE/ml anti-Xa-Aktivität. Sicherheit von NMH zur Antikoagulation bei Hämodialyse Die Antikoagulation der Dialysebehandlung mit NMH ist aufgrund der längeren Halbwertzeit prinzipiell gegenüber UFH mit einer Verlängerung des Antikoagulans-bedingten Blutungsrisikos verbunden (Guillet et al. 2003). Die Metaanalyse von insgesamt 17 kontrollierten Studien kommt zur klaren Aussage, dass NMH bzgl. des Auftretens von Blutungskomplikationen im Rahmen der Hämodialyse dem UFH gleichwertig sind (Lim et al. 2004). Eine Akkumulation wird im Rahmen der chronischen Hämodialyse nicht beobachtet. Die praktische Sicherheit der Bolusantikoagulation mit Dalteparin und Enoxaparin wurde z. B. beim Kollektiv der deutschen Dialysepatienten anhand von jeweils mehr als 20.000 Einzeldialysen dokumentiert (Deuber 1999; Klingel et al. 2004b). Die geringe Inzidenz klinisch manifester HIT II unter chronischen Hämodialysepatienten bei Verwendung von UFH und NMH kann mit dem urämischen Immundefekt in Verbindung gebracht werden.
161 Nephrologie
vor HD
15 min
0,5h
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15 min
0,5h
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0,5h
15 min
1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0
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antiXa-Aktivität [IU/ml]
a
0,5h
1h
1,5h
2h
2,5h
3h
3,5h
4h
3h
3,5h
4h
3h
3,5h
4h
3h
3,5h
4h
Dauer der Hämodialyse
TAT [Iµg/1]
b 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
antiXa-Aktivität [RJ/ml]
c
1h
1,5h
2h
2,5h
Dauer der Hämodialyse
0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 1h
1,5h
2h
2,5h
Dauer der Hämodialyse
TAT [Iµg/1]
d 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 1h
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Dauer der Hämodialyse
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⊡ Abb. 30.1. a Durchschnittliche Anti-Xa-Aktivität während einer 4-stündigen Hämodialyse nach Enoxaparin-Bolus-Antikoagulation (50 IE/kg; mittlere Gesamtdosis 3225 IE; mod. nach Klingel et al. 2004b). 15 min nach Bolusgabe wurden mediane Anti-Xa-Spiegel von 0,81 IE/ml erreicht. Am Ende der Dialysen waren die Spiegel auf 0,44 IE/l abgesunken. b Durchschnittliche TATGeneration während einer 4-stündigen Hämodialyse nach Enoxaparin-BolusAntikoagulation (50 IE/kg; mittlere Gesamtdosis von 3225 IE; mod. nach Klingel et al. 2004b). Der mediane TAT stieg von 2,9 µg/l auf 57,9 µg/l am Ende der Dialyse. c Durchschnittliche AntiXa-Aktivität während einer 4-stündigen Hämodialyse unter kontinuierlicher Enoxaparin-Antikoagulation (1200 IU Bolus, gefolgt von 400 IU/h; mittlere Gesamtdosis 2800 IE, 43 IE/kg; mod. nach Klingel et al. 2004b). 15 min nach Bolusgabe betrug die mediane Anti-Xa-Aktivität 0,36 IE/l. Bis zum Ende der Dialyse war ein leichter Anstieg auf 0,47 U/l zu beobachten. d Durchschnittliche TATGeneration während 4-stündiger Hämodialyse unter kontinuierlicher Enoxaparin-Antikoagulation (1200 IE Bolus, gefolgt von 400 IE/h; mittlere Gesamtdosis 2800 IE, 43 IE/kg; mod. nach Klingel et al. 2004b). Die medianen TAT-Werte stiegen von 2,8 auf 35,5 µg/l
162
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Literatur
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163 Untergewichtige und adipöse Patienten
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Untergewichtige und adipöse Patienten 31.
Prophylaxe und Therapie mit niedermolekularen Heparinen bei adipösen und untergewichtigen Patienten Sylvia Haas
Die primäre Thromboembolieprophylaxe mit niedermolekularem Heparin wird in der Regel ohne Adjustierung an das Körpergewicht durchgeführt und die Wahl der Dosis und Dauer der Prophylaxe richtet sich nach der grob klinischen Abschätzung des Risikoprofils des Patienten. Bei der Risikoabschätzung spielen so genannte expositionelle und dispositionelle Risikofaktoren eine wichtige Rolle, wobei die Adipositas mit einem Body Mass Index (BMI) > 30 kg/m2 einen gewissen Stellenwert hinsichtlich Risikoerhöhung hat, im Vergleich zu anderen Risikofaktoren aber eher nachrangig einzustufen ist. Die Diskussion über eine mögliche Assoziation von starkem Übergewicht und venösen Thromboembolien (VTE) ist jedoch keineswegs abgeschlossen und es stellt sich die Frage, ob Patienten mit Adipositas eine andere Art der Prophylaxe oder Therapie benötigen als normalgewichtige Patienten. In mehreren Studien wurde untersucht, ob die Adipositas einen Stellenwert als unabhängiger Risikofaktor für venöse Thromboembolien hat. Wegen unterschiedler Studiendesigns und verschiedenartiger Patientenpopulationen mit und ohne chirurgische Eingriffe und uneinheitlicher Datenlage basierend auf symptomatischen oder asymptomatischen Thrombosebefunden aus prospektiven oder retrospektiven Studien ist eine eindeutige Bewertung der Ergebnisse und Schlussfolgerung für den klinischen Alltag nur schwer möglich. Trotzdem sollen nachfolgend einige Ergebnisse aus wichtigen Studien besprochen werden, die für einen sinnvollen Einsatz von niedermolekularem Heparin relevant sein könnten. In der SIRIUS-Studie, die als Fallkontrollstudie eine Assoziation von klinisch manifester venöser Thromboembolie und verschiedenen Risikofaktoren untersuchte, konnte ein BMI > 30 kg/m2 mit einer Odds Ratio von 2,4 als unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten von Thrombosen identifiziert werden [1]. Im Rahmen einer weiteren prospektiven Studie ermittelten Goldhaber et al. durch multivariate Analyse ein 2,9fach erhöhtes Risiko für Lungenembolien bei Frauen mit einem BMI > 29 kg/m2 [2]. Jedoch konnte dies in anderen Untersuchungen nicht bestätigt werden, wie z. B. in der Heart and Estrogen/progestin Replacement Study (HERS), wo unter den Bedingungen einer randomisierten und plazebokontrollierten Doppelblindstudie bei 2763 postmenopausalen Frauen mit koronarer Herzerkrankung und blander Anamnese hinsichtlich venöser Thromboembolien keine Risikoerhöhung bei Patientinnen mit einem BMI > 27 kg/m2 nachgewiesen werden konnte [3]. Auch bei chirurgischen Patienten gibt es Studien mit gegensätzlichen Ergebnissen hinsichtlich des Stellenwertes von Übergewicht als Risikofaktor für das Entstehen postoperativer Thrombosen [4]. In verschiedenen Querschnittuntersuchungen wurden bei verschiedenem Studiendesign und unterschiedlichen Definitionen von Adipositas inhomogene Resultate erzielt. In einer Studie konnte zum Beispiel eine Assoziation eines Taillenumfangs > 100 cm mit einem erhöhten Risiko für VTE gezeigt werden [5], wogegen eine andere Fallkontrollstudie keine Risikoerhöhung bei erhöhtem BMI nachweisen konnte [6]. Bei Patienten mit elektivem Hüftgelenkersatz erwies sich ein BMI > 25 kg/m2 als Risikofaktor für eine Rehospitalisierung infolge einer symptomatischen venösen Thromboembolie [7]. Diese uneinheitliche Datenlage
164
V
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
führt zu dem Schluss, dass die klinische Bedeutung der Adipositas als unabhängiger Thromboserisikofaktor geringer einzustufen ist als die von anderen Risikofaktoren, wie z. B. anamnestisch bekannte Thromboembolien oder eine nachgewiesene Thrombophilie. Es stellt sich nun die Frage, ob Patienten mit Adipositas eine andere Art der Prophylaxe brauchen als normalgewichtige Patienten. Zur Beantwortung dieser Fragestellung gibt es keine validen Studienergebnisse. Frederiksen et al. konnten zwar eine negative Korrelation von Körpergewicht und anti-Xa-Spiegeln im Plasma nach Fixdosierung von 40 mg Enoxaparin zeigen, jedoch schränken folgende Kritikpunkte die Aussagekraft dieser Studie ein: Von 19 untersuchten Patienten hatten sechs einen kolorektal-chirurgischen Eingriff mit einer möglicherweise tumorassoziierten Hyperkoagulabilität, und 10 Patienten mussten sich einem chirurgischen Eingriff wegen der Adipositas (bariatrische Operation) unterziehen. Außerdem fehlt die Angabe des BMI; die Autoren beziehen ihre Aussage nur auf das Körpergewicht [8]. Basierend auf diesen nicht sehr aussagkräftigen Daten und zwei kleineren klinischen Studien wird von Hirsh et al. vorgeschlagen, eine gewichtsadaptierte Prophylaxe bei Adipositas in Erwägung zu ziehen [9]. In diese beiden Studien wurden jedoch wiederum nur Patienten mit bariatrischen Operationen eingeschlossen, wobei sich einmal eine Erhöhung der Dosis von Enoxaparin 40 mg einmal auf zweimal täglich 30 mg wirksamer erwies als die geringere Dosierung [10], dies in einer anderen Studie mit Nadroparin aber nicht bestätigt werden konnte [11]. Bis zur Verfügbarkeit weiterer Daten wird deshalb vorgeschlagen, die Tagesdosis von NMH zur Prophylaxe bei extremer Adipositas und bariatrischen Opeartionen um 25 % zu erhöhen, jedoch können keine Empfehlungen für andere chirurgische Eingriffe oder Patienten mit internistischen Erkrankungen gegeben werden. Eine Steigerung der Dosis von NMH zur primären Prophylaxe bei adipösen Patienten ist deshalb auf den Einzelfall zu beschränken. Die nächste Fragestellung beschäftigt sich mit der Dosierung von NMH zur initialen Therapie venöser Thromboembolien bei übergewichtigen Patienten. Das Studiendesign der bisher verfügbaren Therapiestudien war unterschiedlich. Für manche Präparate war ab einem gewissen Körpergewicht eine maximale Tagesdosis definiert, während in anderen Studien auch für Patienten mit einem Körpergewicht > 100 kg eine gewichtsadaptierte Steigerung der Dosis erfolgte. Wegen der fehlenden linearen Korrelation zwischen Körpergewicht und Intravasalraum ist leicht vorstellbar, dass es bei unbegrenzter Dosissteigerung im Falle einer Adipositas zu Überdosierungen kommen kann, andererseits aber auch Unterdosierungen bei fixen Dosisschemata auftreten können. Untersuchungen von Sanderink et al. und Wilson et al. haben gezeigt, dass es bei körpergewichtsadjustierter Dosierung von NMH zu keiner Akkumulation der anti-XaAktivität bei übergewichtigen Patienten kam [12, 13]. In einer weiteren Studie wurde andererseits auch kein unverhältnismäßiger Anstieg von Blutungskomplikationen beobachtet, wenn die Patienten mit körpergewichtsadaptierten Dosierungen behandelt wurden, wobei allerdings keine Daten für Patienten mit extremer Adipositas in ausreichendem Umfang verfügbar sind. In einer Studie mit körpergewichtsadjustierter Dosierung von Dalteparin (200 anti-Xa-E/kg KG) konnte auch bei Patienten mit einem Gewicht > 90 kg eine ambulante Thrombosebehandlung erfolgreich und ohne Blutungskomplikationen durchgeführt werden [14]. Bei einem BMI > 50 kg/m2 erscheint es jedoch sinnvoll, eine anti-Xa-Bestimmung durchzuführen und die Dosis von NMH zu reduzieren, wenn vier Stunden nach der subkutanen Gabe eine Peakaktivität > 1,0 IE/ml gemessen wird. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die anti-Xa-Spiegel für verschiedenen NMH-Präparate unterschiedlich sein können [9]. Ähnliche Empfehlungen gelten auch für extrem untergewichtige Patienten. Hier sollten insbesondere bei Fixdosierung von NMH, z. B. bei der Therapie von Thrombosen mit Certoparin, Überdosierungen durch anti-Xa-Messungen ausgeschlossen werden.
165 Untergewichtige und adipöse Patienten
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Verschiedene niedermolekulare Heparine sind nicht notwendigerweise gleichwertig, denn sie unterscheiden sich bezüglich des Herstellungsprozesses, des Molekulargewichtes, der anti-Xa-Aktivität, der Einheiten und der Dosierung. Deshalb sollten jeweils die spezifische Dosierungsanleitung und die Hinweise für die Anwendung befolgt werden. Literatur 1. Samama MM; for the Sirius Study Group. An epidemiologic study of risk factors for deep vein thrombosis in medical outpatients. The Sirius study. Arch Intern Med 2000; 160: 3415–3420 2. Goldhaber SZ, Grodstein F, Stampfer MJ et al. A prospective study of risk factors for pulmonary embolism in women. JAMA 1997; 277: 642–645 3. Grady D, Wenger NK, Herrington D et al. Postmenopausal hormone therapy increases risk for venous thromboembolic disease. The Heart and Estrogen/progestin Replacement Study. Ann Intern Med 2000; 132: 689–696 4. Edmonds MJR, Crichton TJH, Runciman WB et al. Evidence-based risk factors for postoperative deep vein thrombosis. ANZ J Surg 2004; 74: 1082–1097 5. Hansson PO, Eriksson H, Welin L et al. Smoking and abdominal obesity. Risk factors for venous thrombosis among middle-aged men: »the study of men born in 1913«. Arch Intern Med 1999; 159: 1886–1890 6. Heit JA, Silverstein MD, Mohr DN et al. Risk factors for deep vein thrombosis and pulmonary embolism: a population-based case-control study. Arch Intern Med 2000; 160: 809–815 7. White RH, Gettner S, Newman JM et al. Predictors of rehospitalization for symptomatic venous thromboembolism after total hip arthroplasty. N Engl J Med 2000; 343: 1758–1764 8. Frederiksen SG, Hedenbro JL, Norgren L. Enoxaparin effect depends on body-weight and current doses may be inadequate in obese patients. Br J Surg 2003; 90: 547–548 9. Hirsh J, Raschke R. Heparin and low-molecular-weight heparin. The Seventh ACCP Conference on Antithrombotic and Thrombolytic Therapy. Chest 2004; 126: 188S–203S 10. Scholten DJ, Hoedema RM, Scholten SE. A comparison of two different prophylactic dose regimens of low molecular weight heparin in bariatric surgery. Obes Surg 2002; 12: 19–24 11. Kalfarentzos F, Stavropoulou F, Yarmenitis S et al. Prophylaxis of venous thromboembolism using two different doses of low-molecular-weight heparin (nadroparin) in bariatric surgery: a prospective randomized trial. Obes Surg 2001; 11: 670–676 12. Sanderink G-J, Liboux AL, Jariwala N et al. The pharmacokinetics and pharmacodynamics of enoxaparin in obese volunteers. Clin Pharmacol Ther 2002; 72: 308–318 13. Wilson SJ, Wilbur K, Burton E et al. Effect of patient weight on the anticoagulant response to adjusted therapeutic dosage of low-molecular-weight heparin for the treatment of venous thromboembolism. Haemostasis 2001; 31: 42–48 14. Al-Yaseen E, Wells PS, Anderson J et al. The safety of dosing dalteparin based on actual body weight for the treatment of acute venous thromboembolism in obese patients. J Thromb Haemost 2005; 3: 100–102
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V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Schwangerschaft
32.
Thromboembolieprophylaxe in der Schwangerschaft Rupert M. Bauersachs Epidemiologie
200
150
100
9 –9 19 97
–9 6 19 94
–9 3 19 91
–9 9 19 88
–8 7 19 85
–8 4 19 82
81
50 19 79 –
Thrombosen pro 100 000
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Die venöse Thromboembolie (VTE) ist auch weiterhin die wichtigste Ursache für mütterliche Mortalität und Morbidität in der Schwangerschaft [14]. Es ist beunruhigend und eine besondere Herausforderung, dass die Häufigkeit der Thromboembolie in der Schwangerschaft in den letzten zwanzig Jahren weiter zugenommen hat [13] (⊡ Abb. 32.1). Die Häufigkeit der antenatalen Venenthrombose wird mit etwa 6 pro 10.000 Schwangerschaften bei Frauen unter 35 Jahren und mit 12 pro 10.000 Schwangerschaften über 35 Jahren angegeben [20] und liegt damit etwa 10fach so hoch wie bei nichtschwangeren Frauen der gleichen Altersgruppe. Weitere erworbene und vererbte Risikofaktoren (s. unten) können das Risiko zusätzlich verstärken. Insgesamt ist die Häufigkeit von Thrombosen während der Schwangerschaft zwar höher als post partum, da aber die postpartalen Ereignisse vor allem in den ersten 6 Wochen nach der Entbindung auftreten, ist in dieser Phase die Ereignisrate am höchsten. Etwa die Hälfte der postpartalen VTE treten erst nach der Entlassung aus der Klinik auf, so dass die hier vorliegenden Daten etwas unzuverlässiger sind. In den letzten zwanzig Jahren ist eine Verschiebung von postpartal auftretenden Ereignissen zu vermehrt antenatal auftretenden Ereignissen zu beobachten (⊡ Abb. 32.2) [23]. Risikofaktoren für das Auftreten von VTE in der Schwangerschaft sind neben vorausgegangener VTE und dem Nachweis einer Thrombophilie (s. unten), ein maternales Alter von > 35 Jahren mit einem mindestens 2fach erhöhten Risiko [20] und eine Schnittentbindung, insbesondere eine Notfall-Sectio [19]. Weitere Risikofaktoren sind in ⊡ Tabelle. 32.1 zusammengefasst.
⊡ Abb. 32.1. Zunahme der Häufigkeit von Schwangerschaftsthrombosen im Verlauf der letzten 20 Jahre (Ordinate: Inzidenz der TVT pro 100.000 Schwangere) [nach 13].
167 Schwangerschaft
90
antenatal
V
post partum
80 70 Prozent
60 50 40 30 20 10 0 1980
2000
⊡ Abb. 32.2. Verschiebung der Häufigkeit von postpartal aufgetretenen thromboembolischen Ereignissen zur vermehrten, antenatalen Ereignissen während der letzten 20 Jahre [23]
⊡ Tabelle 32.1. Risikofaktoren für das Auftreten von Schwangerschaftsthromboembolien Vorausgegangene venöse Thromboembolie (insbesondere idiopathisch oder mit Thrombophilie
assoziiert oder unter Hormoneinfluss) Nachgewiesene Thrombophilie Familiäre Thromboseneigung Sectio caesarea (besonders Notfalleingriff) Operative vaginale Entbindung Ovarielle Überstimulation Alter > 35 Jahre Adipositas (BMI > 29 kg/m²) Immobilisierung Dehydratation Hyperemesis gravidarum Schwere gynäkologische Blutung Präeklampsie Thrombophlebitis Varikosis Andere Grunderkrankungen, z. B. nephrotisches Syndrom, chronisch-entzündliche Darmerkrankung
oder Harnwegsinfekt
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V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Besonders hoch ist das Risiko für das Auftreten einer venösen Thromboembolie bei Frauen, die bereits zuvor eine VTE erlitten hatten [24, 25], vor allem, wenn es sich um ein idiopathisches Ereignis gehandelt hatte, oder beim gleichzeitigen Vorliegen einer Thrombophilie [5, 8, 25, 11]. Eine zugrunde liegende Thrombophilie kann auch gleichzeitig ein Risikofaktor für das Auftreten von Schwangerschaftskomplikationen wie habituelle Aborte, intrauterine Wachstumsretardierung, Totgeburten und Präeklampsie darstellen (s. Kapitel 34). Langzeitfolgen nach abgelaufener Schwangerschaftsthrombose
V
Ein hoher Anteil der Frauen, die eine tiefe Venenthrombose (TVT) in der Schwangerschaft erlitten haben, entwickelt ein postthrombotisches Syndrom unterschiedlichen Ausmaßes, und bei etwa 60 % der Frauen lässt sich eine sekundäre Veneninsuffizienz nachweisen [22]. Etwa 1/5 der Frauen mit einer behandelten TVT in der Schwangerschaft benötigen eine Langzeitkompressionsbehandlung [4] und bei 6 % entwickeln sich im weiteren Verlauf venöse Ulzera [4]. Bei unbehandelter TVT wurden sogar Ulkusinzidenzen von 20–30 % beschrieben [4]. Pathophysiologie Beim Entstehen einer TVT in der Schwangerschaft treffen alle drei Komponenten der VirchowTrias zusammen: So kommt es während der Schwangerschaft zu einer deutlichen Veränderung im Gerinnungssystem, die den Körper auf den abrupten Abbruch der hohen Plazentaperfusion (> 750ml/min) bei der Entbindung vorbereiten soll. Es kommt zu einem Anstieg von Gerinnungsfaktoren, insbesondere II, V und VIII, während Gerinnungsinhibitoren wie das Protein S und die APC-Response deutlich abfallen [6] (⊡ Abbildung 32.3a,b). Neben diesen ausgeprägten Veränderungen des Blutes selbst ist die Blutströmungsgeschwindigkeit im dritten Trimenon bei gleichzeitiger Venendilatation um über 70 % verlangsamt [21]. Insbesondere im Bereich der linksseitigen Beckenvene kann es durch die Überquerung der rechten Arteria iliaca und den kindlichen Druck zur mechanischen Venenwandalteration kommen; dies erklärt auch, warum es in der Schwangerschaft in etwa 90 % zu linksseitigen, deszendierenden Beckenvenenthrombosen kommt. Thrombophilie Bei den in ⊡ Abbildung 32.3 exemplarisch dargestellten Veränderungen der Blutgerinnung in der Schwangerschaft ist es plausibel, dass eine vorbestehende laborchemisch erfassbare Thrombophilie das VTE-Risiko zusätzlich erhöhen wird. Die häufigste Thrombophilie (⊡ Tabelle 32.2) ist die APC-Resistenz, die in den allermeisten Fällen auf einer Faktor-V-Leiden-Mutation beruht, und sich in der Allgemeinbevölkerung in einer Häufigkeit von etwa 5–7 % findet. Das relative Thromboserisiko ist für die heterozygote Faktor-V-Leiden Mutation etwa 5- bis 9fach erhöht [11], für die homozygote Form etwa 40- bis 80fach. Bei Frauen mit Schwangerschaftsthrombosen findet sich die Faktor-V-Leiden-Mutation in 40–50 %, im Vergleich zu nur 20 % bei nichtschwangeren Thrombosepatienten. Die Prothrombinmutation G20210A wird allgemein als milde Thrombophilie betrachtet; sie scheint allerdings in der Schwangerschaft mit einem höheren Risiko vergesellschaftet zu sein [11]. Da die beiden genannten Mutationen keineswegs selten sind, tritt die Kombinationsmutation etwa in 8 % auf und ist mit einem etwa 70fachen relativen Rezidivrisiko vergesellschaftet [11]. Ein sehr hohes Thromboserisiko in der Schwangerschaft besteht ferner beim Antithrombinmangel (20–40 %) [7], aber auch bei Protein-C-Mangel. Es
169 Schwangerschaft
V
a 200
Aktivität [%]
F VIII
150
F II
FV
100 0
12
24
36 Wochen
b 120
3,5
80 3,0
60 PS 40 APC:SR
20 0
APC-Response
Protein-S-Aktivität [%]
100
0
14
26
38
2,5
⊡ Abb. 32.3. a Anstieg der Aktivität der Gerinnungsfaktoren II, V und VIII während der Schwangerschaft [6]; b Abfall des freien Protein S (PS) (in % Aktivität) und der APC-Response (APC:SR) während der Schwangerschaft
⊡ Tabelle 32.2. Häufigkeit von thrombophilen Störungen bei Schwangerschaftsthrombosen und geschätztes Risiko für das Auftreten von Schwangerschaftsthrombosen [nach 11, 12, 23] Thrombophilie
Häufigkeit bei Patientinnen mit Schwangerschafts-VTE [%]
Geschätztes relatives Risiko für VTE (95 %-Konfidenzintervall)
F-V-Leiden-Mutation
40
9,0 (4,7–17,4)
F-II-20210-Mutation
13
10,8 (2,9–40,3)
beide
8
70
AT-Mangel
0,5–1
50
PC-Mangel
5
10
PS-Mangel
9
1–2
170
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
ist bekannt, dass Protein S in der Schwangerschaft erniedrigt ist (⊡ Abb. 32.3 b). Ob ein ProteinS-Mangel tatsächlich ein erhöhtes Thromboembolierisiko in der Schwangerschaft darstellt, ist bisher nicht eindeutig geklärt – es gibt diesbezüglich widersprüchliche Studienergebnisse. Bei Frauen mit einem erworbenen Antiphospholipidantikörpersyndrom (APS) sind bis zu 90 % Aborte beschrieben worden [26], und der Nachweis von Lupusantikoagulans geht mit einem hohen Risiko von VTE, aber auch mit dem Auftreten von arteriellen oder koronaren Ereignissen einher. Einteilung von Risikogruppen für Schwangerschafts-VTE
Kosteneffektivität [US$ pro QALY]
V
Ein bestimmender Faktor für das Auftreten von VTE in der Schwangerschaft ist eine positive Eigenanamnese. Frauen, die in der Vorgeschichte ein eindeutig sekundäres (»getriggertes«) Ereignis aufweisen, scheinen ein geringeres Rezidivrisiko zu haben. Dies wurde in einer prospektiven Untersuchung ermittelt, in der Frauen mit bereits abgelaufener VTE in einer nachfolgenden Schwangerschaft beobachtet wurden, ohne dass eine Heparinprophylaxe erfolgte [5]. Hier wiesen Frauen mit einer sekundären Thrombose die niedrigsten Rezidivraten auf (0 %, 95 % Konfidenzintervall 0,0–8,0 %; [5]). Das weite Konfidenzintervall macht deutlich, dass die Studie zu klein war, um zuverlässige Aussagen für Untergruppen zuzulassen. Ferner wurde bei den sekundären VTE nicht zwischen postoperativen Ereignissen und solchen, die unter Hormoneinfluss entstanden waren, unterschieden. Für Letztere erscheint ein erhöhtes Rezidivrisiko in der Schwangerschaft durchaus plausibel. Eine Hochrisikogruppe stellen diejenigen Frauen dar, die eine vorausgegangene idiopathische Thrombose erlitten haben oder ein Ereignis bei bekannten thrombophilen Störungen (Rezidivrisiko 5,9 %, KI 1,2–16,2 %; [5]). Auf Grundlage der genannten prospektiven Untersuchung wurde eine Kosteneffektivitätsanalyse über den Einsatz von NMH bei Frauen mit einer vorausgegangenen Thromboembolie durchgeführt [17], die auch das Blutungsrisiko einer Heparinprophylaxe, das Blutungsrisiko einer Antikoagulationsbehandlung bei stattgehabter Thrombose und das Risiko durch eine Lungenembolie berücksichtigt. Hierbei zeigte sich, dass eine Heparinprophylaxe in der Schwangerschaft speziell bei jenen Frauen kosteneffektiv ist, bei denen ein hohes Thromboembolierisiko besteht (insbesondere > 5 %) (⊡ Abb. 32.4).
300 Abwartendes 250 Management bevorzugt 200
Unselektiert: > $300000 per QALY
150 100 Niedriges Risiko
50
Hochrisiko: $39000 per QALY
0 0
1
2 3 4 5 6 7 Wahrscheinlichkeit einer antenatalen VTE [%]
8
⊡ Abb. 32.4. Kosteneffektivitätsratio (US$ pro QALY) in Abhängigkeit vom antenatalen Thromboembolierisiko (%) bei angenommenen Prophylaxekosten von 215 US$/ Woche (US-amerik. Kostendaten). Für Frauen mit hohem Thromboembolierisiko (>5%) ist eine medikamentöse Thromboseprophylaxe kosteneffektiv; bei niedrigem Thromboembolierisiko (<1,8 %) ist ein abwartendes Management zu bevorzugen [nach 17]. QALY = qualitätsadjustiertes Lebensjahr
171 Schwangerschaft
AT Typ 1
V
Keine VTE
Homozygot F V idiop. + TP
Z. n. VTE
sekundär + TP idiop./keine TP sekundär/keine TP Schwangerschaft + FV Schwangerschaft
Keine VTE
FV Normal 1
10
100 NNT [log]
1000
10000
⊡ Abb. 32.5. Effizienz einer Heparinprophylaxe in der Schwangerschaft und Numbers Needed to Treat (NNT) in Abhängigkeit von der thromboembolischen Vorgeschichte und dem thrombophilen Profil. AT Antithrombinmangel, F V FaktorV-Leiden-Mutation, VTE venöse Thromboembolie; TP Thrombophilie
Bei diesen Frauen betragen die Kosten für jedes zusätzliche qualitätsadjustierte Lebensjahr (QALY) 39.000 US-Dollar, wenn man für die Prophylaxe Kosten von 215 US-Dollar pro Woche veranschlagt (für deutsche Verhältnisse dürften die Kosten um über 80 % niedriger liegen) (⊡ Abb. 32.4). Bei Frauen mit einem niedrigeren antenatalen Thromboembolierisiko würden entsprechend ⊡ Abb. 32.4 die Kosten pro QALY ansteigen, so dass für Frauen mit Risiko unter 1,8 % ein abwartendes Managements ohne Heparinprophylaxe bevorzugt würde. Dies beträfe beispielsweise Frauen mit asymptomatischer Thrombophilie (also bisher kein thromboembolisches Ereignis) oder Frauen nach einer eindeutig sekundären (postoperativen, posttraumatischen) Thrombose vor Eintritt der Schwangerschaft. Anschaulich wird die Notwendigkeit einer Thromboseprophylaxe anhand der abgeschätzen »numbers needed to treat« (NNT), um eine Thrombose zu verhindern (⊡ Abb. 32.5) Anhand der genannten anamnestischen Daten und ggf. vorliegenden Thrombophiliebefunden läßt sich eine Risikoeinteilung vornehmen, die in ⊡ Tabelle 32.3 zusammengefasst ist. Thromboseprophylaxe Eine Herausforderung stellt die Betreuung von Schwangeren mit erhöhtem Risiko für thromboembolische Ereignisse insbesondere deshalb dar, weil es bislang keine größeren, prospektiven, multizentrischen Studien gibt, die die Behandlung in dieser komplexen Patientengruppe absichern könnten [9]. Eine wegen mangelnder Patientenrekrutierung gescheiterte plazebokontrollierte Studie [10] unterstreicht, dass es wahrscheinlich keine plazebokontrollierten Untersuchungen zu dieser Fragestellung geben wird. Dennoch lassen sich aus der im Folgenden dargestellten Evidenz von über 2700 dokumentierten mit NMH behandelten Schwangeren konkrete Behandlungsempfehlungen ableiten (⊡ Tabelle 32.3). Die Tabelle bezieht sich auf die Gabe von NMH – weitere theoretisch anwendbare Antikoagulanzien werden im Kapitel 33 diskutiert.
172
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
⊡ Tabelle 32.3. Risikoeinstufung und Risikomanagement [nach 1, 2, 5, 14, 19] Anamnese und Befund
Management
I. Gering erhöhtes Risiko 0–8 %: Beobachtung bisher keine VTE, aber positive Thrombophilie bisher keine VTE, aber LA/APA bisher keine VTE, aber mehrere RF, keine Thrombophilie Z. n. sekundärer VTE, keine Thrombophilie
Aufklärung, umgehende Diagnostik bei Beschwerden ggf. Kompressionsstrumpfhose NMH erst bei zusätzlichen RF (s. Tabelle 32.1) NMH in jedem Fall bis 2 Wochen post partum NMH Dosis wie bei Stufe II
II. Mäßig erhöht 8–20 %: Prophylaxe
V
bisher keine VTE, aber Antithrombinmangel I oder II Z. n. VTE, idiopathisch Z. n. VTE und positive Thrombophilie Z. n. VTE in der Schwangerschaft oder Ovulationshemmer Z. n. rez. sekundären VTE Z. n. 2 Frühaborten oder 1 Spätabort bei APA/LA* Z.n. 2 Frühaborten oder 1 Spätabort und positive Thrombophilie***
Beginn mit NMH bei Risikofeststellung Fortsetzung bis 6 Wochen post partum Dosis 50–100 anti-Xa IE/kg z. B. 1-mal 40 mg Enoxaparin oder 1-mal 5000 IE Dalteparin
III. Stark erhöht ca. 20–50 %: Antikoagulation Vorherige Langzeitbehandlung mit VKA Z.n. VTE bei APA/LA* Akute VTE (nach Initialphase ab 3.Woche) Z.n. VTE bei Antithrombinmangel** Akute VTE (nach Initialphase ab 3. Woche)** Künstliche Herzklappen**
Beginn mit NMH bei Risikofeststellung, ggf. präkonzeptionell Fortsetzung bis mindestens 6 Wochen post partum Dosis 100–150 antiXa IE/kg: z. B. 2-mal 40 mg Enoxaparin oder 2-mal 5000 IE Dalteparin Anti-Faktor-Xa-Aktivitäts-Bestimmung empfohlen: antiXa 0,5–1,0 IE/ml (Zweimalgabe) Mitbetreuung durch hämostaseologisches Zentrum empfohlen
VTE: venöse Thromboembolie; TP: Thrombophilie; RF: Risikofaktor; LA: Lupusantikoagulans; APA: AntiPhospholipid-Antikörper; VKA: Vitamin-K-Antagonist Wegen des niedrigen HIT-Risikos in der Schwangerschaft unter der Anwendung von NMH (< 0,1 %) erscheint eine regelmäßige Thrombozytenkontrolle verzichtbar [16]; unabhängig davon können Blutbildkontrollen angezeigt sein. * zus. Gabe von 100 mg ASS in der 12.–36. SSW, ** in Sonderfällen bis 200 anti-Xa/kg/Tag), *** Hierzu liegen bislang sehr wenige Untersuchungen vor. Frauen sollten daher vorzugsweise im Rahmen von kontrollierten Studien behandelt werden.
173 Schwangerschaft
V
Evidenz für niedermolekulares Heparin Die bislang größte Studie zur Wirksamkeit und Sicherheit von niedermolekularem Heparin als Thromboseprophylaxe in der Schwangerschaft wurde von Lepercq [18] mit Enoxaparin durchgeführt. Bei 604 Frauen wurden 624 Schwangerschaften retrospektiv erfasst: Etwa 55 % der Frauen hatten bislang noch keine VTE, aber eine familiäre Thrombosebelastung oder/und zusätzliche Risikofaktoren, 15 % hatten eine asymptomatische Thrombophilie und 30 % eine vorausgegangene VTE. 57 % der Frauen erhielten zur primären Prophylaxe 20 mg Enoxaparin, und etwa 1/3 der Frauen erhielt 40 mg Enoxaparin. Knapp 8 % der Frauen hatten ein akutes thromboembolisches Ereignis; die mittlere Behandlungsdosis lag bei etwa 100 mg Enoxaparin pro Tag. Mit diesem Management kam es zu 1,3 % VTE und 1,8 % schweren Blutungen während Schwangerschaft und Wochenbett, von denen 0,2 % mit Enoxaparin in Zusammenhang zu bringen waren, sowie 1,4 % schwere maternale Blutungen während der Entbindung, alle ohne Zusammenhang mit dem NMH. Es kam in 1,1 % zu Totgeburten und in 27,8 % zu Entbindungen vor der 37. SSW und 6,4 % vor der 32. SSW. In Kürze wird eine Metaanalyse aller von 1986 bis 2003 publizierten, zumeist retrospektiven Studien und Fallberichten über den Einsatz von NMH in der Schwangerschaft erscheinen [15]: Von insgesamt 2777 Frauen, bei denen NMH in der Schwangerschaft angewendet worden war, wurde NMH bei 1348 Frauen zur Prophylaxe eingesetzt, davon bei 59 % Enoxaparin und bei 27 % Dalteparin, während sich die weiteren 14 % auf andere NMH aufteilen. Es kam lediglich in 0,8 % (95 %-Konfidenzintervall: 0,5–1,3) zu Rezidiv-VTE, in 2,0 % (1,5–2,6) zu klinisch signifikanten Blutungen, zu 0,1 % (0,0–0,3) Thrombozytopenien, darunter keine HIT, zu 1,8 % (1,4–2,4) allergischen Reaktionen und in 0,04 % (< 0,01–0,2) zu einer symptomatischen Osteoporose. Einschränkend stellen die Autoren allerdings fest, dass eine Schwäche dieser Metaanalyse das zumeist retrospektive Design der ausgewerteten Studien sei, und daher die Komplikationszahlen einem Recall-Bias unterliegen könnten, da sie nicht systematisch prospektiv erhoben wurden. Ferner sind die berücksichtigten Studien sehr heterogen, wodurch das VTE-Risiko der untersuchten Populationen und das beobachtete Nebenwirkungsprofil weit streut [15]. Dennoch lässt sich aus dieser Metaanalyse und der oben genannten Untersuchung von Lepercq schlussfolgern, dass NMH für die Prophylaxe der venösen Thromboembolie in der Schwangerschaft mit einer hohen Wirksamkeit und Sicherheit sowie einer guten Verträglichkeit einzusetzen ist und von allen verfügbaren Antikoagulanzien die breiteste Evidenz aufweist. Aus diesen Erfahrungen lassen sich die in ⊡ Tabelle 32.3 zusammengefassten Empfehlungen für das Management in der Schwangerschaft ableiten [nach 3, 14, 19]. Literatur 1. Bates SM, Greer IA, Hirsh J, Ginsberg JS. Use of antithrombotic agents during pregnancy: the Seventh ACCP Conference on Antithrombotic and Thrombolytic Therapy. Chest 2004; 126: 627S–644S 2. Bauersachs RM. Venous thrombosis and pregnancy. Scope on phlebology and lymphology 1999; 6: 60–65 3. Bauersachs RM, EThIG Trialist Group. EThIG Studie: Risikoschwangere erfolgreich antikoagulieren. Vascular Care 2004; 6: 28–41 4. Bergqvist D, Bergqvist A, Lindhagen A, Mätzsch T. Long-term outcome of patients with venous thromboembolism during pregnancy. In: Greer IA, Turpie AGG, Forbes CD (ed) Haemostasis and Thrombosis in Obstetrics and Gynaecology. London: Chapman & Hall Medical, 1992, pp 349 5. Brill-Edwards P, Ginsberg JS, Gent M, Hirsh J, Burrows R, Kearon C, Geerts W, Kovacs M, Weitz JI, Robinson KS, Whittom R, Couture G. Safety of Withholding Heparin in Pregnant Women with a History of Venous Thromboembolism. N Engl J Med 2000; 343: 1439–1444
174
V
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
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175 Schwangerschaft
33.
V
Therapie der venösen Thromboembolie in der Schwangerschaft Rupert M. Bauersachs Besonderheiten in der Schwangerschaft
Das Management von venösen Thromboembolien in der Schwangerschaft ist durch einige Besonderheiten gekennzeichnet: Zunächst sind die Möglichkeiten zur Diagnose einer TVT im Vergleich zu nichtschwangeren Patienten eingeschränkt, zum einen, da es sich meist um deszendierende, linksseitige, oft auch isolierte Beckenvenenthrombosen handelt, wo die Aussagekraft der Kompressionssonographie limitiert ist; zum anderen, weil Reservediagnoseverfahren wie die Phlebographie oder die Computertomographie wegen der Strahlenbelastung mit großer Zurückhaltung eingesetzt werden. Auch die Aussagekraft des D-Dimer-Tests ist in der Schwangerschaft wegen der häufig positiven Testergebnisse beschränkt. Die erforderliche Software für die MR-Phlebographie mit direkter Thrombusdarstellung durch Met-Hämoglobin [20] ist vielerorts noch nicht verfügbar. Für die Lungenembolie hat die Szintigraphie eine niedrige Strahlenbelastung, ergibt aber nicht immer eindeutige Ergebnisse; die mehrzeilige Spiral-CT hat – bei einer für die Mutter vitalen Indikationsstellung – für das Kind eine akzeptable Strahlenbelastung. Nach einer Schwangerschaftsthrombose nehmen – im Gegensatz zur Thrombose außerhalb der Schwangerschaft – die thromboseauslösenden pathophysiologischen Bedingungen wie Hyperkoagulabilität, venöse Stase und Venenwandalteration im Verlauf der Schwangerschaft weiter zu, so dass auch nach der Initialphase eine intensive Antikoagulation unverzichtbar ist (siehe Sekundärprophylaxe). Eine besonders komplexe Situation ergibt sich für das Management der Antikoagulation während der Entbindung, einer klinischen Situation, die ohnehin mit einem etwa 1- bis 5-prozentigen Risiko für schwere Blutungen vergesellschaftet ist [13, 30]. Vor allem ist bei der Behandlung der akuten venösen Thromboembolie (VTE) in der Schwangerschaft stets sowohl das Wohl der Mutter als auch das des Kindes zu berücksichtigen, was entscheidend für die Wahl des verwendeten Antikoagulans ist. Antikoagulanzien in der Schwangerschaft Prinzipiell stehen Heparine (unfraktioniertes Heparin, niedermolekulares Heparin), Heparinoide (Danaparoid) und die Vitamin-K-Antagonisten (VKA) für die Behandlung der VTE zur Verfügung. Für das Pentasaccharid Fondaparinux liegen bislang wenig Erfahrungen vor [12]. Direkte Thrombininhibitoren wie Hirudin sind plazentagängig und genauso wie der orale direkte Thrombininhibitor Ximelagatran bisher in der Schwangerschaft nicht ausreichend untersucht worden. Vitamin-K-Antagonisten Die meisten Erfahrungen zum Einsatz von VKA in der Schwangerschaft liegen für Warfarin vor; das in Deutschland hauptsächlich verwendete Phenprocoumon (z. B. Marcumar®, Falithrom®) ist in der Schwangerschaft kontraindiziert. Vitamin-K-Antagonisten sind plazentagängig und können deswegen fetale Nebenwirkungen verursachen: In bis zu 2/3 der Fälle können teratogene
176
V
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Wirkungen auftreten [35], und für Vitamin-K-Antagonisten charakteristische Embryopathien sind beispielsweise nasale Hypoplasie oder Epiphysenveränderungen. Hirn- und Augenveränderungen sind für jedes Trimenon beschrieben worden [31]. Die Zeit zwischen der 6. und 10. Schwangerschaftswoche scheint dabei die gefährlichste Phase darzustellen, für die in einzelnen Studien eine Inzidenz von fast 30 % fetalen Fehlbildungen unter Warfarin berichtet wurde [19]. Die ersten 6 Wochen der Schwangerschaft sollen dagegen ein relativ sicheres Intervall darstellen. Für Phenprocoumon ist jedoch in der Frühschwangerschaft die lange Halbwertzeit von 7 Tagen zu berücksichtigen: Dies bedeutet, dass auch nach sofortigem Absetzen von Phenprocoumon bei Feststellen der Schwangerschaft die Substanz noch über die 6. Woche hinaus im Körper verbleiben kann. Deswegen muss während der Behandlung mit Phenprocoumon und im Zeitraum von 3 Monaten nach Beendigung der Einnahme wegen des erhöhten Risikos kindlicher Missbildungen das Eintreten einer Schwangerschaft sicher verhütet werden [9]. Durch die Gerinnungshemmung im Fötus oder durch die hohen mechanischen Drücke, die in der Entbindungsphase auftreten können, kann es zu fetalen intrazerebralen Blutungen kommen [15]. Nach einigen Empfehlungen können VKA im 2. Trimenon angewendet werden [8], wobei dies nicht einheitlich beurteilt wird [32]. Während des Stillens sind VKA nicht in größeren Mengen in der Muttermilch nachweisbar, so dass – gegebenenfalls unter Vitamin-KSubstitution des Säuglings – eine orale Antikoagulation mit VKA in der Stillzeit durchgeführt werden kann. Heparin Heparin ist das am häufigsten in der Schwangerschaft eingesetzte Antikoagulans für die Prophylaxe und Behandlung von VTE, da es nicht plazentagängig ist, und daher die o. g. Bedenken hinsichtlich Embryopathien nicht bestehen. Die Hauptnebenwirkungen von Heparin sind neben einer gesteigerten Blutungsneigung, allergische Reaktionen, die heparininduzierte Osteoporose und die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT). Unfraktioniertes Heparin In einer Studie mit 100 Schwangeren lag die Häufigkeit von schweren Blutungen mit verschiedenen Dosen von UFH bei 2 % [15] und damit in der Größenordnung wie bei Nichtschwangeren unter VKA-Therapie. Bereits in der normalen Schwangerschaft kann eine Osteopenie auftreten, die durch die Heparinbehandlung akzentuiert werden kann, insbesondere, wenn höhere Dosen von Heparin über einen längeren Zeitraum eingesetzt werden. In einer Studie wurden unter der Behandlung mit UFH über bis zu 2,2 % osteoporotische Frakturen berichtet [10]. Es kann davon ausgegangen werden, dass Osteoporose und Osteopenie nach Beendigung der Schwangerschaft und der Heparinexposition reversibel sind; allerdings können die möglicherweise dabei aufgetretenen neurologischen Komplikationen irreversibel bleiben. Die heparininduzierte Thrombozytopenie tritt in etwa 3–5 % bei nichtschwangeren Patientinnen auf, die mit UFH behandelt werden und ist deutlich seltener unter NMH [34]. In einer Metaanalyse von 2777 Frauen, die in der Schwangerschaft NMH erhalten hatten, war keine einzige HIT berichtet worden [17]. Danaparoid ist außerhalb der Schwangerschaft zugelassen zur Behandlung von Patienten mit HIT, und wäre damit für die seltene Situation einer HIT in der Schwangerschaft ein alternatives Antikoagulans zu den Heparinen [24]. Die Initialdosis beträgt entsprechend dem Schema von
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Magnani [25] mit Danaparoid-Bolus und nachfolgender Senkung der Infusionsrate bis auf eine Erhaltungsdosis von etwa 100–200 Einheiten pro Stunde (Details [5]). Für die Dauertherapie kann die Erhaltungsdosis etwa dosisäquivalent auf subkutane Injektionen umgesetzt werden. Da es sich bei der HIT um ein seltenes und komplexes Krankheitsbild handelt, das auch unter adäquater Therapie mit erheblichen Komplikationen vergesellschaftet ist [24], sollten die Frauen an spezialisierte Zentren überwiesen werden. Eine – in der Schwangerschaft nicht zugelassene – Alternative, stellt das Pentasaccharid Fondaparinux (Arixtra®) dar, das in einer Dosis von 7,5 mg subkutan (Körpergewicht 50–100 kg), 5 mg (< 50 kg) und 10 mg (> 100 kg) für die Behandlung der VTE außerhalb der Schwangerschaft zugelassen ist. Daten zur Akutbehandlung in der Schwangerschaft liegen nicht vor, Berichte über eine Sekundärprophylaxe mit 2,5 mg bei Frauen mit Heparinunverträglichkeit zeigen nach längerfristiger Anwendung im Nabelschnurblut zwar geringe, aber nachweisbare Spiegel [12], so dass prinzipiell eine Plazentagängigkeit besteht. Evidenz für niedermolekulares Heparin Seit ihrer Einführung haben NMH in zunehmendem Maße das UFH ersetzt, insbesondere auch in der Schwangerschaft. Die Vorteile sind zum einen die längere Halbwertzeit, die meist eine einmal tägliche Anwendung ermöglichen, und die niedrigere Nebenwirkungsrate bzgl. HIT (s. oben) und allergischen Reaktionen. Ferner konnten kleinere prospektiv randomisierte Studien belegen, dass eine Osteoporose in der Schwangerschaft unter NMH signifikant seltener auftritt als bei UFH [27] und der Einsatz von NMH mit einem niedrigeren Blutungsrisiko einhergeht [14]. In einer aktuellen Metaanalyse [17] wurden aus den Jahren 1986 bis 2003 insgesamt 9 Studien und 6 Fallberichte zusammengestellt, mit insgesamt 174 Frauen die wegen einer akuten VTE mit NMH behandelt wurden. Von diesen Frauen waren 60 % mit Enoxaparin, 28 % mit Dalteparin und 11 % mit Nadroparin behandelt worden. Initial erhielten 16 % UFH. In den meisten Fällen wurde das NMH zweimal täglich eingesetzt. Unter dieser Behandlung kam es in 1,2 % zu Rezidiv-VTE (95 %-Konfidenzintervall 0,1–4,1) und in 1,7 % (0,4–5,0) zu klinisch signifikanten Blutungen. Es gab keine Todesfälle, keine heparininduzierte Thrombozytopenie und keine symptomatische Osteoporose. Niedermolekulare Heparine haben zwar keine explizite Zulassung zur Behandlung der venösen Thromboembolie in der Schwangerschaft – dennoch sind die meisten NMH in der Schwangerschaft zumindest nicht mehr kontraindiziert. UFH hat zwar eine umfassende »Altzulassung« für die Prophylaxe und Therapie von Thromboembolien und damit auch für Indikationen, die formal nicht in Studien überprüft wurden, wie z. B. die Anwendung in der Schwangerschaft. Allerdings wurde UFH selbst für die Standardindikationen meist nicht nach heutigen »Good-Clinical-Practice-« und »Evidence-BasedMedicine«-Standards untersucht. Die dokumentierte Evidenz für UFH in der Schwangerschaft ist wesentlich geringer als für NMH. Es lohnt sich – nicht nur aus rechtlichen Gründen –, die Frauen initial ausführlich und in Ruhe über den Zulassungsstatus, die Datenlage, die pharmakologischen Eigenschaften und Nebenwirkungen des vorgeschlagenen Heparins (und ggf. weiterer verordneter Medikamente!) aufzuklären. Diese ausführliche Aufklärung ist die beste Basis für eine langfristige erfolgreiche Therapiegemeinschaft. Schwangere werden den Beipackzettel der verordneten Medikamente meist sehr kritisch lesen und nicht ausreichend besprochene Probleme umgehend thematisieren.
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V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Initiale Therapie Die heutige Standardtherapie der VTE außerhalb der Schwangerschaft besteht aus einer Initialtherapie mit NMH, gefolgt von einer überlappenden oralen Antikoagulation mit VKA zur Sekundärprophylaxe. Wegen der o. g. Problematik wird in der Schwangerschaft sowohl die Initialtherapie als auch die Sekundärprophylaxe mit NMH durchgeführt. Die Initialtherapie der VTE in der Schwangerschaft entspricht im Wesentlichen der Behandlung bei Nichtschwangeren, mit der therapeutischen Dosierung von s.c. NMH. Analog zur Therapie außerhalb der Schwangerschaft wird eine Kompressionstherapie, z. B. mit Schwangerschaftskompressionsstrumpfhosen eingeleitet. Sekundärprophylaxe
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NMH wird außerhalb der Schwangerschaft bei Kontraindikationen oder Problemen beim Einsatz von VKA zunehmend zur längerfristigen Sekundärprophylaxe eingesetzt [33]. Die dabei verwendete Dosis war in den verschiedenen Studien sehr unterschiedlich und reichte von Prophylaxedosen und ½-therapeutischen Dosen [33] über eine etwa ¾-therapeutische Dosis bei Tumorpatienten [22, 26] bis hin zur vollen therapeutischen Dosis über den gesamten Zeitraum der Sekundärprophylaxe [29]. Nach der Akutphase sinken im Normalfall das thrombogene Potential und das Rezidivrisiko nach einigen Wochen ab, was die o. g. Reduktion der NMH-Dosis in der Sekundärprophylaxe nach 2–4 Wochen rechtfertigen kann. Dagegen bestehen in der Schwangerschaft die thromboseauslösenden pathophysiologischen Faktoren fort oder verstärken sich sogar. Daher wird eine Reduktion auf eine prophylaktische oder ½-therapeutische NMH-Dosis in der Schwangerschaft – ähnlich wie bei Tumorpatienten – kritisch gesehen. Ob jedoch für die Sekundärprophylaxe tatsächlich eine volle therapeutische Dosis von NMH über die gesamte Schwangerschaft erforderlich ist [16] oder ob z. B. ab der dritten Woche eine Dosisreduktion auf 100–150 IE /kg/Tag ausreicht [4], ist derzeit noch unklar. Für eine Dosisreduktion spricht, dass es unter hochdosierter NMH-Anwendung zu einer Wirbelfraktur gekommen war [18], und unter reduzierter Dosis keine Therapieversager auftraten [18]. Trotz des niedrigeren Osteoporoserisikos bei NMH wird eine entsprechende Prophylaxe empfohlen [23], wobei zu beachten ist, dass eine über die Substitition hinausgehende Dosis von Vitamin D teratogene Wirkungen aufweisen könnte. Dauer der Sekundärprophylaxe Die Dauer der Sekundärprophylaxe richtet sich im Wesentlichen nach der Dauer, die auch bei VTE außerhalb der Schwangerschaft gewählt werden würde [1, 3], sollte aber in jedem Fall mindestens bis 6 Wochen post partum durchgeführt werden. Postpartal kann auch auf VKA umgesetzt werden, da die in die Muttermilch übertragenen Mengen von Vitamin-K-Antagonisten relativ gering sind und Vitamin K beim Säugling substituiert werden kann [6]. Besondere Situationen Peripartales Vorgehen Zum Vorgehen um die Entbindung liegen kaum detaillierte Daten vor. Im klinischen Alltag hat sich das folgende Vorgehen bewährt:
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In der Regel wird bei Beginn der Wehentätigkeit die Therapie mit NMH unterbrochen und post partum – in Abhängigkeit vom Ausmaß der Nachblutungen – wieder angesetzt. Bei einer länger andauernden Austreibungsphase oder hohem thromboembolischen Risiko gegebenenfalls Umstellung auf die intravenöse Gabe von UFH in einer Dosierung von beispielsweise 150–250 IE/kg KG/24 h (etwa 600 Einheiten pro Stunde), oder Aufteilung des s.c. NMH auf zwei Injektionen in 12-stündigem Intervall, z. B. 2-mal 20 mg Enoxaparin oder 2-mal 2500 IE Dalteparin. Dieses peripartale Regime sollte – in Abhängigkeit der zuletzt applizierten NMHDosis – nach folgenden Intervallen beginnen [nach 4]: ▬ 10–12 h nach zuletzt 20 mg Enoxaparin oder 2500 IE Dalteparin ▬ 13–15 h nach zuletzt 40 mg Enoxaparin oder 5000 IE Dalteparin ▬ 16–18 h nach zuletzt 100 mg Enoxaparin oder 10.000 IE Dalteparin Die Wiederaufnahme des präpartalen Regimes sollte in der Regel nach 3 Tagen erfolgen, frühestens jedoch 12 h post partum. Der postpartalen Gewichtsabnahme ist hierbei Rechnung zu tragen. Rückenmarknahe Analgesie/Anästhesie Zu beachten sind die in den aktuellen interdisziplinären S2-Leitlinien vorgegebenen Intervalle zur rückenmarknahen Anästhesie [2]: Für UFH in prophylaktischer Dosis 4 h, für NMH in Prophylaxedosis 10–12 h, in therapeutischer Dosis 24 h. Im Falle einer Notfallschnittentbindung kann – in Abhängigkeit von der angewendeten Dosis und dem Zeitintervall zur letzten NMHInjektion – sehr selten die Antagonisierung mit Protamin nötig werden. Venöse Thromboembolie in der Spätschwangerschaft Eine besonders problematische Situation ergibt sich, wenn die VTE erst gegen Ende der Schwangerschaft eintritt, da das Rezidiv- und Lungenembolierisiko bei einer durch die Entbindung notwendigen Unterbrechung der Antikoagulation sehr hoch ist. Hier bestehen grundsätzlich mehrere Möglichkeiten, deren Wirksamkeit und Sicherheit aber bislang in Studien nicht verglichen wurden: 1. Fortsetzung der Antikoagulation mit NMH bis zur möglichst späten vaginalen oder elektiven Schnittentbindung (wie oben beschrieben). 2. Die Einlage eines passageren Vena-cava-Filters wird vor allem bei sehr spät auftretender VTE diskutiert. Durch den Einsatz von Vena-cava-Filtern könnte das Risiko einer akuten Lungenembolie reduziert werden, eine Untersuchung bei Nichtschwangeren zeigte allerdings im Langzeitverlauf signifikant höhere Raten an postthrombotischem Syndrom (PTS) [11]. 3. Vereinzelt wird die gleichzeitige Thrombektomie zusammen mit einer Sectio Caesarea vorgeschlagen; die Langzeitergebnisse nach Thrombektomie in der Schwangerschaft sind allerdings enttäuschend: In 44 % kommt es zu einem PTS, in 3,5 % zu einem Ulcus cruris [28]. Literatur 1. Anonymous. Interdisziplinäre S2 – Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Bein- und Beckenvenenthrombose und der Lungenembolie. VASA 2005; 34: S66: 1–24 2. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Stationäre und ambulante Thromboembolie-Prophylaxe in der Chirurgie und der perioperativen Medizin. Interdisziplinäre Leitlinie S2. AWMF-Leitlinien-Register Nr 003/001 : 2003, http://awmf.org, 2003
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V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
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34.
Rezidivierende Spontanaborte Rupert M. Bauersachs Epidemiologie Rezidivierende Spontanaborte (RSA)
Spontanaborte sind ein häufiges Problem von Frauen im gebärfähigen Alter: Über 10 % der nachgewiesenen Schwangerschaften enden in einem Spontanabort, bis zu 5 % der Frauen haben zwei oder mehr Aborte und 1–2 % der Frauen erleiden sogar 3 und mehr Fehlgeburten. Man unterscheidet primäre RSA (bislang kein lebendes Kind) und sekundäre RSA (mindestens ein lebendes Kinder und im Anschluss wiederholte Aborte). Gründe für RSA sind z. B. chromosomale Veränderungen, vor allem im ersten Trimenon, anatomische Besonderheiten der Gebärmutter wie septierter Uterus, Uterus duplex oder bicornis, endokrinologische Störungen, wie Hypothyreose, Hyperprolaktinämie oder das polyzystische Ovarsyndrom, oder Autoimmunerkrankungen. Trotzdem blieb bis vor kurzem die Mehrzahl der Aborte ungeklärt. Seit langem ist bekannt, dass RSA eine typische Komplikation des Antiphospholipidsyndroms (APS) sind, und es ist naheliegend, dies mit einer Thrombose der Plazentagefäße zu erklären – entsprechend finden sich gehäuft Plazentainfarkte (s. unten). Über das APS hinaus konnte in den letzten Jahren gezeigt werden, dass thrombophile Störungen einen engen Zusammenhang zu RSA und anderen Schwangerschaftskomplikationen aufweisen [1]. Thrombophile Auffälligkeiten werden bei etwa der Hälfte bis zu zwei Drittel der Patientinnen mit RSA beobachtet, bei Frauen mit unauffälligen Schwangerschaftsverlauf nur in einem Fünftel [16]. In einer Metaanalyse zeigte sich, dass die Faktor-V-Leiden-Mutation mit einer Verdopplung des Risikos für frühe RSA, und einem noch höheren Risiko für späte RSA vergesellschaftet ist [23], aber auch mit einmalig auftretenden Spätaborten. Diese Korrelationen werden sogar noch stärker, wenn andere Gründe für Fehlgeburten ausgeschlossen werden. Auch die Prothrombin-G20210AMutation war mit einer etwa 2,5fachen Erhöhung von frühen RSA und einmaligen Spätaborten vergesellschaftet. Im Gegensatz zu früheren Studien von Kupferminc [17] ergab sich bei der Metaanalyse keine eindeutige Beziehung zum homozygoten C677T-MTHFR-Polymorphismus, dem Protein-C-Mangel oder dem Antithrombinmangel, wie dies in den Einzeluntersuchungen von
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V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Sanson [26] und Brenner [5] gefunden wurde. Zwar treten die meisten Fehlgeburten im ersten Trimenon auf, aber es scheint, dass im 2. und 3. Trimenon der Nachweis einer Thrombophilie ein noch höheres Risiko für Spätaborte und Fehlgeburten darstellt. Späte Schwangerschaftskomplikationen
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Präeklampsie, intrauterine Wachstumsretardierung (IUGR) und Abruptio placentae sind späte Schwangerschaftskomplikationen, die zu Frühgeburtlichkeit, intrauterinem Fruchtod (IUFT) sowie maternaler Morbidität führen können. Es gibt Beobachtungsstudien [9, 25], die auf eine Verbindung zwischen Thrombophilie und diesen Komplikationen hinweisen. In einer Fallkontrollstudie [13] hatten 8,9 % der Frauen mit einer schweren Präeklampsie eine Faktor-V-Leiden-Mutation, verglichen mit 4,2 % der Kontrollen [11]. In einer anderen Fallkontrollstudie [13] hatten 10,5 % der Frauen mit Präeklampsie eine Faktor-V-Leiden-Mutation, verglichen mit 2,3 % bei den Kontrollen. In einer weiteren Studie fand sich bei 122 Frauen mit Präeklampsie oder IUGR eine Prävalenz von 18 % Faktor-V-Leiden, verglichen mit 10 % bei einer gesunden Kontrollgruppe [19]. Allerdings zeigt die Zusammenschau aller vorliegenden Berichte keine klare Beziehung zwischen Thrombophilie und Präeklampsie: So ergibt sich in einer systematischen Zusammenstellung [1] eine signifikante Beziehung zwischen Präeklampsie und Faktor-V-Leiden, Prothrombinmutation und MTHFR-Polymorphismus sowie dem Protein-C- und ProteinS-Mangel. Eine andere Auswertung [20] zeigt allerdings keinen Zusammenhang. Möglicherweise lassen sich diese unterschiedlichen Ergebnisse durch die geringe Fallzahl der zugrundegelegten Berichte, durch die unterschiedlichen Diagnosekriterien und das retrospektive Design erklären. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein Zusammenhang zwischen Thrombophilie auch für späte Schwangerschaftskomplikationen besteht. Diese Korrelation ist allerdings aufgrund der Datenlage für RSA überzeugender als für IUGR, Abruptio placentae oder Präeklampsie; bei Letzterer vielleicht am ehesten für schwere Formen der Präeklampsie. Pathophysiologie Es gibt zahlreiche Hinweise, dass eine vererbbare und erworbene Thrombophilie mit Störungen der Plazenta und der fetoplazentaren Zirkulation im 2. und 3. Trimenon assoziiert sind, die sich dann als IUFT, IUGR, Präeklampsie oder Abruptio placentae manifestieren können. Histopathologische Untersuchungen von Plazenten nach Fehlgeburten zeigen gehäuft vermehrte Fibrinablagerungen im Bereich des intervillösen Systems [10, 21], thrombotische Veränderungen und Infarkte. Diese können in 50–90 % der maternalen Gefäßen bei Totgeburten nachgewiesen werden [4]. Allerdings können diese Veränderungen auch bei Frauen mit Totgeburten ohne Thrombophilie nachgewiesen werden, so dass hier möglicherweise andere – heute noch unbekannte – prothrombotische Risikofaktoren vorliegen. In einer interessanten Untersuchung [12] konnte gezeigt werden, dass die Fehlgeburtenrate bei Mäusen zwar durch Heparin reduziert wird, dass aber der Wirkmechanismus nicht auf der antikoagulatorischen Wirkung des Heparins beruhen muss, sondern auch auf der Hemmung der Komplementaktivierung. Weder Fondaparinux noch Hirudin inhibierten Komplement oder verhindern in diesem Modell Aborte, so dass die Antikoagulation allein wahrscheinlich noch keinen ausreichenden Schutz vor APS-assoziierten RSA darstellt.
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Prophylaxe von Schwangerschaftskomplikationen Für das Antiphospholipidsyndrom ist aus zahlreichen Untersuchungen die Effektivität einer Heparintherapie zur Verhinderung von RSA nachgewiesen [z. B. 18]: In der Regel wurde Aspirin mit einer Kombinationstherapie von Heparin verglichen, wodurch sich die Rate der Lebendgeburten von 40 auf 70–80 % erhöhen ließ. Aufgrund dieser hohen Erfolgsrate bei Frauen mit APS und der starken Korrelation von RSA und Thrombophilie in Fallkontrollstudien und Querschnittstudien liegt es nahe, auch bei Frauen mit hereditärer Thrombophilie eine Thromboseprophylaxe der beschriebenen plazentaren Thrombosen und damit eine Prophylaxe der RSA zu versuchen. In der Zusammenstellung von Sanson [27] zeigte sich bei Frauen nach
160 Patientinnen* mit Z. n. unerklärter Fehlgeburt nach der 10. Woche und F-V-Leiden, Prothrombin-Mutation, PS-Mangel Folsäure 5 mg präkonzeptionell
Randomisierung Enoxaparin 40 mg
ASS 100 mg
während gesamter Schwangerschaft
23 Lebendgeburten
Odds ratio 15,5 (7–34)
69 Lebendgeburten
* Voruntersuchungen und daraus abgeleitete Ausschlusskriterien waren u.a.: Ausführliche allgemeine und geburtshilfliche Anamnese. Erfassung von Infektionen während der vorausgegangenen Schwangerschaft, einschl. HIV, Erythroblastosis fetalis, Rhesus-Unverträglichkeit, ITP, FAT, schwangerschaftsassoziierter Hypertonus und seine Komplikationen, Trauma, Diabetes mellitus, Nikotinabusus, morphologische Malformationen des toten Kindes, letale fetale Defekte, fetale Blutungen. Hysterosalpingogramm, Karyotypisierung beider Eltern, OGTT, Toxoplasmoseserologie, Schilddrüsenhormonstatus, Prolaktinspiegel, Nachweis einer normalen Lutealphase von mindestens 12 Tagen, Plasmaprogesteron über 25 ng/ml, nüchtern Plasmagesamthomozystein unter 15 µm/l; Ausschluss antinukleärer Antikörper, Antiphospholipid-AK, Lupus antikoagulans, IgG und IGM-Antikörper gegen Anticardiolipin, antiβ2-Glykoprotein I, anti-Annexin V, anti-Phosphatidyläthanolamine, Antithrombin oder Protein-C-Mangel. (Eine heterozygote Faktor-V-Leiden- oder Prothrombin-G20210AMutation oder ein Protein-S-Mangel und eine ungeklärte Fehlgeburt nach der 10. SSW waren Einschlusskriterien.)
⊡ Abb. 34.1. Schwangerschaftsverlauf bei Frauen nach Fehlgeburt und bestehender Thrombophilie unter einer Prophylaxe mit Enoxaparin, verglichen mit ASS. (Nach [15])
184
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V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
RSA unter einer Prophylaxe mit NMH in 89 % ein erfolgreicher Schwangerschaftsverlauf und auch bei allen 28 Frauen mit Präeklampsie in der vorausgegangenen Schwangerschaft. Bereits 1995 konnte Gris [14] zeigen, dass eine Prophylaxe mit 20 mg Enoxaparin bei Frauen mit frühen RSA zu einer Lebendgeburtrate von 81 % führt. Brenner [7] konnte bei Frauen, die zuvor nur in 20 % erfolgreiche Schwangerschaften hatten, unter Enoxaparin eine Lebendgeburtrate von 75 % erzielt: Frauen mit 80 mg Enoxaparin 1-mal täglich hatten eine Erfolgsrate von 83 %, die Gabe von 40 mg führte zu 69 % erfolgreichen Schwangerschaften (Unterschied nicht signifikant). Carp [8] behandelte eine Gruppe von 37 Frauen mit hereditärer Thrombophilie und RSA mit 40 mg Enoxaparin und verglich sie mit einer historischen Gruppe von 48 unbehandelten Frauen: 70 % der behandelten Frauen hatte erfolgreiche Schwangerschaften verglichen mit 44 % in der unbehandelten Gruppe (p < 0,02). Der günstige Effekt wurde vor allem bei Frauen mit primären Aborten gesehen, also Frauen, die bislang noch keine Lebendgeburten hatten. Aber auch bei den Frauen mit 5 oder mehr Fehlgeburten konnte die Erfolgsrate deutlich von 18 auf 61 % erhöht werden. In der LIVE-ENOX Studie [6] ging Brenner der Frage der optimalen NMH-Dosis nach und verglich bei 180 Frauen eine Prophylaxe von 40 mg Enoxaparin/Tag mit 80 mg. Es ergaben sich weder für die Gesamtgruppe noch für die Untergruppen mit frühen und späten Aborten oder unterschiedlichen Formen der Thrombophilie Unterschiede zwischen den Dosen. Zusammenfassend zeigt die LIVE-ENOX-Studie, dass bei Frauen mit Thrombophilie und RSA sowohl 40 mg als auch 80 mg Enoxaparin gleich effektiv und sicher sind. Im Rahmen einer groß angelegten, bisher noch nicht veröffentlichten Fallkontrollstudie zur Untersuchung von Risikofaktoren für einen ersten Abort, hatten Gris et al. [14] 80 Frauen mit einem einmaligen ungeklärtem Abort nach der 10. SSW und gleichzeitiger Thrombophilie entweder mit Aspirin 100 mg oder mit Enoxaparin 40 mg ab der 8. SSW behandelt (⊡ Abb. 34.1). Alle Patientinnen erhielten zusätzlich 5 mg Folsäure. Während die Erfolgsrate in der Aspiringruppe bei 29 % lag, hatten 86 % der Frauen, die mit Enoxparin behandelt wurden, eine erfolgreiche Lebendgeburt. Die Gabe von NMH führte zu einer absoluten Risikoreduktion von 57 %, entsprechend einer NNT (»numbers needed to treat«) von 2 [1, 7]; d. h., bereits wenn zwei Frauen mit Thrombophilie und einem Spätabort mit Enoxaparin behandelt werden, lässt sich im Vergleich zu Aspirin eine Fehlgeburt verhindern. Da ein später Schwangerschaftsverlust ein häufiges Problem bei über 2 % der Schwangerschaften darstellt, sind diese ersten Ergebnisse wegweisend für die Behandlung von Frauen mit einer vorausgegangenen späten Fehlgeburt. Damit wird sowohl ein Thrombophilie-Screening wie eine NMH-Prophylaxe für diese Frauen zu diskutieren sein [24]. Therapieempfehlungen Antiphosphospholipidsyndrom Die Indikationsstellung zur antithrombotischen Prophylaxe von RSA bei Frauen mit APS sind relativ unstrittig: Hier wird bei einer Vorgeschichte von zwei oder mehr Frühaborten oder einer oder mehreren Fehlgeburten im 2. oder 3. Trimenon, einer vorausgegangenen Präeklampsie, IUGR oder Abruptio placentae eine Prophylaxe vorgeschlagen [2]. Es empfiehlt sich eine Kombination von ASS 100 mg und zusätzlich NMH. Auch wenn Dosisfindungsstudien bislang nicht vorliegen, dürfte die einmal tägliche Gabe von 40 mg Enoxaparin oder 5000 IE Dalteparin ausreichend sein. Sollten die Patientinnen zusätzlich eine Vorgeschichte einer
185 Schwangerschaft
V
VTE oder von arteriellen Ereignissen aufweisen, so sollte die NMH-Dosis erhöht werden (s. ⊡ Tabelle 32.3). Für Frauen mit APS und einer Vorgeschichte einer VTE, die unter einer Langzeitantikoagulation stehen, wird ebenfalls eine erhöhte Dosis von NMH vorgeschlagen ([2], s. ⊡ Tabelle 32.3). Hereditäre Thrombophilie Bei Fehlgeburten im Zusammenhang mit hereditären Thrombophilien ist die Datenlage keineswegs so klar wie beim APS, da lediglich eine kontrollierte Studie zum Einsatz von NMH in dieser Indikation vorliegt und die jetzt laufenden Studien noch nicht abgeschlossen sind. Daher ist der Evidenzgrad der Therapievorschläge relativ niedrig (Grad 2C) [2]. Bei der Indikationsstellung zu einer NMH-Prophylaxe bei RSA gilt es für den behandelnden Arzt, mit dem hohen Leidensdruck der Patientin verantwortungsvoll umzugehen: Die Frauen haben, gerade unmittelbar nach einer erneuten Fehlgeburt, einen hohen Behandlungswunsch und sind für jedes Behandlungsangebot – zum Teil auch unkritisch – dankbar. Daher ist es in dieser Situation unverzichtbar, die Frauen über die jetzt vorliegende Datenlage aufzuklären. Vorzugsweise sollten daher die Frauen im Rahmen von kontrollierten Studien behandelt werden. Der Studie von Gris folgend [15] wäre – wie bei Frauen mit APS – bei Frauen mit nur einem Spätabort (nach 10. SSW) ohne alternative Erklärung und Nachweis einer Thrombophilie eine Prophylaxe mit NMH erfolgsversprechend, sofern alle übrigen Abortursachen ausgeschlossen wären (s. Fußnote in ⊡ Abb. 34.1). Für Frauen mit Thrombophilienachweis und habituellen Aborten bzw. einem oder mehr Spätaborten, schwerer oder rezidivierender Präeklampsie oder Abruptio placentae wird die Gabe von ASS und NMH vorgeschlagen [2]. Besonders erfolgreich wäre die NMH-Prophylaxe – entsprechend der Studie von Carp [8] – insbesondere auch bei Frauen mit Thrombophilie und ungeklärtem primären RSA. Ob die zusätzliche Gabe von ASS bei Frauen mit hereditärer Thrombophilie tatsächlich erforderlich ist, lässt sich nach der Studie von Gris bezweifeln [15]. Vorgeschlagene Dosen für das NMH sind z. B. die einmal tägliche Gabe von 40 mg Enoxaparin oder 5000 IE Dalteparin. Dauer der Prophylaxe Bei Frauen mit RSA in der Frühschwangerschaft sollte die antithrombotische Prophylaxe bis ins letzte Trimenon fortgesetzt werden, wie die Daten von Rai und Regan [22] bei Patientinnen mit APS nahe legen. Zum Ende der Schwangerschaft sollte frühzeitig vor Entbindung (34–36 SSW) die antithrombotische Behandlung beendet werden, da hier – unabhängig von der Antikoagulation – Blutungskomplikationen auftreten können (s. oben). Wegen des erhöhten VTE-Risikos post partum sollte die Prophylaxe nach der Entbindung postpartal wieder fortgesetzt werden [3]. Für Frauen mit homozygoter MTHFR-Mutation wird eine Folsäuresubstitution, präkonzeptionell oder bei eingetretener Schwangerschaft sobald als möglich empfohlen. Für den Einsatz bei Schwangerschaftskomplikation wie Präeklampsie oder HELLPSyndrom liegen keine klaren Daten vor, so dass sich derzeit – außerhalb von Studien – hierfür keine Indikation für eine NMH-Prophylaxe ergibt.
186
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Thrombophilie-Screening
V
Für Frauen mit RSA (3 oder mehr) und Frauen mit vorausgegangener schwerer oder rezidivierender Präeklampsie, Abruptio placentae oder anderweitig unerklärtem IUFT wird ein ThrombophilieScreening und eine Untersuchung auf Antiphospholipidantikörper vorgeschlagen [2]. Állerdings zeigen die Daten von Carp [8], dass ein prokoagulatorischer Phänotyp, unabhängig von einer spezifischen Thrombophilie, einen Risikofaktor für einen Frühabort darstellt, und da es sicherlich weitere – heute noch nicht feststellbare – Formen der Thrombophilie gibt, die eine Rolle bei RSA spielen, wird auch diskutiert, ob nicht unabhängig von einem ThrombophilieScreening eine Abortprophylaxe mit NMH durchgeführt werden sollte. Die oben erwähnte, sehr niedrige NNT der Studie von Gris [15] würde aber sicher ansteigen, wenn weniger strenge Einschlusskriterien angelegt werden würden; in der Studie von Gris [15] wurden sehr detaillierte Voruntersuchungen durchgeführt, bevor eine Frau mit ungeklärtem Spätabort eingeschlossen wurde (s. ⊡ Abb. 34.1). Literatur 1. Alfirevic Z, Roberts D, Martlew V. How strong is the association between maternal thrombophilia and adverse pregnancy outcome? A systematic review. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2002; 101: 6–14 2. Bates SM, Greer IA, Hirsh J, Ginsberg JS. Use of antithrombotic agents during pregnancy: the Seventh ACCP Conference on Antithrombotic and Thrombolytic Therapy. Chest 2004; 126: 627S–644S 3. Bauersachs RM, EThIG Trialist Group. EThIG Studie: Risikoschwangere erfolgreich antikoagulieren. Vascular Care 2004; 6: 28–41 4. Brenner B. Maternal anticoagulant prophylaxis for prevention of pregnancy loss in women with thrombophilia. J Thromb Haemost 2003; 1: 416–417 5. Brenner B, Sarig G, Weiner Z, Younis J, Blumenfeld Z, Lanir N. Thrombophilic polymorphisms are common in women with fetal loss without apparent cause. Thromb Haemost 1999; 82: 6–9 6. Brenner B, Hoffman R, Carp H, Dulitsky M, Younis J. Efficacy and safety of two doses of enoxaparin in women with thrombophilia and recurrent pregnancy loss: the LIVE-ENOX study. J Thromb Haemost 2005; 3: 227–229 7. Brenner B, Hoffman R, Blumenfeld Z, Weiner Z, Younis JS. Gestational Outcome in Thrombophilic Women with Recurrent Pregnancy Loss Treated by Enoxaparin. Thromb Haemost 2000; 83: 693–697 8. Carp H, Dolitzky M, Inbal A. Thromboprophylaxis improves the live birth rate in women with consecutive recurrent miscarriages and hereditary thrombophilia. J Thromb Haemost 2003; 1: 433–438 9. de Vries JI, Dekker GA, Huijgens PC, Jakobs C, Blomberg BM, van Geijn HP. Hyperhomocysteinaemia and protein S deficiency in complicated pregnancies. Br J Obstet Gynaecol 1997; 104: 1248–1254 10. De Wolf F, Carreras LO, Moerman P, Vermylen J, Van Assche A, Renaer M. Decidual vasculopathy and extensive placental infarction in a patient with repeated thromboembolic accidents, recurrent fetal loss, and a lupus anticoagulant. Am J Obstet Gynecol 1982; 142: 829–834 11. Dizon-Townson DS, Nelson LM, Easton K, Ward K. The factor V Leiden mutation may predispose women to severe preeclampsia. Am J Obstet Gynecol 1996; 175: 902–905 12. Girardi G, Redecha P, Salmon JE. Heparin prevents antiphospholipid antibody-induced fetal loss by inhibiting complement activation. Nat Med 2004; 10: 1222–6 13. Grandone E, Margaglione M, Colaizzo D, Cappucci G, Paladini D, Martinelli P, Montanaro S, Pavone G, Di Minno G. Factor V Leiden, C > T MTHFR polymorphism and genetic susceptibility to preeclampsia. Thromb Haemost 1997; 77: 1052–1054 14. Gris JC, Neveu S, Tailland ML, Courtieu C, Mares P, Schved JF. Use of a low-molecular weight heparin (enoxaparin) or of a phenformin-like substance (moroxydine chloride) in primary early recurrent aborters with an impaired fibrinolytic capacity. Thromb Haemost 1995; 73: 362–367 15. Gris JC, Mercier E, Quere I, Lavigne-Lissalde G, Cochery-Nouvellon E, Hoffet M, Ripart-Neveu S, Tailland ML, Dauzat M, Mares P. Low-molecular-weight heparin versus low-dose aspirin in women with one fetal loss and a constitutional thrombophilic disorder. Blood 2004; 103: 3695–3699 16. Kujovich JL. Thrombophilia and pregnancy complications. Am J Obstet Gynecol 2004; 191: 412–424
187 Schwangerschaft
V
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188
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Onkologie 35.
Besondere Aspekte der antithrombotischen Therapie bei Tumorpatienten Bettina Kemkes-Matthes
V
Patienten mit malignen Erkrankungen haben ein hohes Risiko, thromboembolische Komplikationen zu erleiden. Sektionsstudien zeigten bei ca. 50 % der Patienten, die an malignen Erkrankungen verstarben, Thrombosen und/oder Embolien. Klinisch erkannt werden thromboembolische Komplikationen jedoch nur bei ca. 11 % der Tumorpatienten. Die Diskrepanz zwischen beiden Zahlen belegt, wie häufig Thromboembolien bei Patienten mit malignen Erkrankungen nicht oder fehldiagnostiziert werden. Darüber hinaus haben Patienten, die sich wegen ihrer Tumorerkrankung einem operativen Eingriff unterziehen, ein doppelt so hohes Thromboserisiko wie Patienten, bei denen ein vergleichbarer Eingriff wegen einer nichtmalignen Erkrankung durchgeführt wird. Das Thromboserisiko des einzelnen Tumorpatienten hängt nicht nur von Tumortyp, Tumorstadium und Begleiterkrankungen ab, sondern auch von therapeutischen Interventionen: Operative Eingriffe, Radio-, Chemo- oder Hormontherapie können das Thromboserisiko weiter steigern. Das hohe Thromboembolierisiko beim Tumorpatienten erfordert eine konsequente prophylaktische antithrombotische Behandlung, die beim Einzelpatienten unter Umständen ein dauerhaft bestehendes oder temporäres Blutungsrisiko berücksichtigen muss. Die Gefahr hämorrhagischer Komplikationen wird bei Patienten mit malignen Erkrankungen jedoch häufig überschätzt. Blutungsrisiken, die bei Tumorpatienten eine Kontraindikation gegen Thromboseprophylaxe mit NMH darstellen, sind selten. Es handelt sich dabei hauptsächlich um schwere Thrombozytopenien (Thrombozytenwerte unter 30.000/µl sichere Kontraindikation, unter 50.000/µl relative Kontraindikation) infolge Chemo- und/oder Radiotherapie sowie um das Vorliegen exulzerierender – insbesondere gastrointestinaler – Tumore. Bei einzelnen Patienten stellt das Vorliegen einer schweren erworbenen oder angeborenen (z. B. Hämophilie A oder B) hämorrhagischen Diathese eine Kontraindikation gegen die prophylaktische Gabe von NMH dar. Zu tumorassoziierten erworbenen hämorrhagischen Diathesen zählt z. B. eine Hyperfibrinolyse, bei der sich eine gerinnungshemmende Behandlung – welcher Art auch immer – natürlich verbietet. Hyperfibrinolyse wird besonders häufig bei Patienten mit Prostatakarzinom beobachtet, kann aber auch bei anderen Tumorarten vorkommen (⊡ Abb. 35.1). Generell überwiegt bei Patienten mit malignen Erkrankungen das Thromboserisiko ganz eindeutig über das Risiko hämorrhagischer Komplikationen. In Risikosituationen ist daher eine konsequente medikamentöse Thromboseprophylaxe besonders wichtig. Der Tumorpatient gilt dabei hinsichtlich seiner Thromboemboliegefährdung als Hochrisikopatient. Dass Patienten mit malignen Erkrankungen von einer Hochrisikothromboseprophylaxe profitieren, ist seit den Untersuchungen von Bergqvist [1] bekannt: Das relative Risiko thromboembolischer Komplikationen konnte in seiner Studie durch Verdoppelung der Dalteparin-Dosis von 2500 auf 5000 IE/Tag um 42 % verringert werden. Eine weitere Senkung des Thromboserisikos bei Tumorpatienten ist durch prolongierte Gabe von niedermolekularem Heparin möglich: Rasmussen [2] zeigte in der so genannten »FAME-Studie«, dass bei Patienten mit malignen Erkrankungen das postoperative Thromboserisiko signifikant gesenkt werden kann, wenn Heparin
189 Onkologie
V
⊡ Abb. 35.1. Haut- und Weichteileinblutungen bei einer Patienten mit Hyperfibrinolyse bei metastasiertem Mammakarzinom
über 28 Tage statt wie üblich über 7 Tage gegeben wird. Das relative Risiko bezüglich thromboembolischer Komplikationen insgesamt wurde dabei um 55 %, das Risiko bezüglich proximaler Thrombosen sogar um 78 % gesenkt. Auch in der Sekundärprophylaxe nach thromboembolischer Komplikation profitieren Tumorpatienten von niedermolekularem Heparin – dies wurde eindrucksvoll von Lee et al. im Rahmen der sog. »CLOT-Studie« [3] gezeigt: Die Wahrscheinlichkeit, ein Thromboserezidiv zu erleiden, betrug 6 Monate nach Erstereignis bei Patienten unter oraler Antikoagulation 17 % im Vergleich zu 9 % unter niedermolekularem Heparin. Alle Patienten wurden zunächst mit 200 IE Dalteparin/kg KG 1-mal täglich s.c. behandelt. Die orale Antikoagulanziengruppe erhielt zusätzlich nach 24 h die erste Dosis Warfarin – Ziel-INR 2,5. Die Behandlung mit Dalteparin in therapeutischer Dosierung wurde überlappend für insgesamt mindestens 5 Tage fortgeführt. Patienten der NMH-Gruppe wurden mit therapeutischer Dosierung Dalteparin (200 IE/kg KG 1-mal tgl. s.c.) über einen Monat behandelt und erhielten während der übrigen 5 Monate 150 IE Dalteparin/kg KG 1-mal pro Tag. Im Gegensatz zu den thromboembolischen Komplikationen unterschieden sich schwere Blutungskomplikationen zwischen den beiden Gruppen nicht signifikant: In der DalteparinGruppe traten 6 %, in der Warfarin-Gruppe 4 % schwere Blutungen auf. Betrachtet man alle Blutungsereignisse, waren Blutungen in der Warfarin-Gruppe mit 19 % häufiger als in der Dalteparin-Gruppe mit 14 %.
36.
Verhinderung von Katheterthrombosen Bettina Kemkes-Matthes
Die Inzidenz katheterassoziierter Thrombosen bei Tumorpatienten wird mit 0,3–28,3 % [4] angegeben. Das Thromboserisiko ist dabei von vielen Faktoren abhängig, z. B. von Thrombogenität der Katheteroberfläche, Katheterlumen, Art der Punktion und dabei entstehender Endothelverletzung, Endothelschaden durch infundierte Medikamente sowie vorbestehender Gerinnungsaktivierung im Patienten [5]. Nach älteren Untersuchungen ist bekannt, dass die Bildung katheterassoziierter Thromben sowohl durch Warfarin als auch durch NMH wirkungsvoll verhindert wird [6, 7].
190
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Moderne Kathetersysteme sind bei weitem nicht so thrombogen wie ältere, so dass eine generelle Indikation zur Thromboseprophylaxe bei Port- oder Hickman-Kathetern derzeit nicht gestellt werden kann. So zeigte Verso et al. [8], dass sich bei Tumorpatienten mit zentralvenösem Zugang die Rate katheterassozierter Thrombosen während 6-wöchiger Gabe von Enoxaparin (40 mg tgl.) nicht von der Plazebogruppe unterschied (14,1 % gegenüber 18,0 %).
37.
Antineoplastische Effekte niedermolekularer Heparine Bettina Kemkes-Matthes
V
Bei ersten Untersuchungen, die zum Wirkungsvergleich zwischen niedermolekularem und unfraktioniertem Heparin bei tiefer Venenthrombose durchgeführt wurden [9], ergaben sich Hinweise, dass die Gabe von NMH das Überleben von – mehr oder weniger zufällig inkludierten – Tumorpatienten günstig beeinflusst. Eine erste prospektive Untersuchung wurde diesbezüglich durch von Tempelhoff [10] durchgeführt, der die Auswirkung von 1-wöchiger perioperativer Gabe von UFH im Vergleich zu Certoparin auf das Überleben von Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren untersuchte. Es zeigte sich nach 650 Tagen ein Überlebensvorteil der mit Certoparin behandelten Patientinnen, nach 1050 Tagen ließ sich ein Unterschied nur noch bei Patientinnen mit Tumoren im kleinen Becken erkennen. Folgeuntersuchungen konnten nicht generell belegen, dass NMH Tumorpatienten allgemein einen Überlebensvorteil verschafft, allerdings zeichnet sich ein Überlebensvorteil für die Patienten ab, die in relativ frühem Tumorstadium NMH erhalten: So konnten Lee et al. [11] im Rahmen der »CLOT-Studie« zeigen, dass Patienten ohne initiale Metastasen, die NMH (200 IE Dalteparin/kg KG für 1 Monat, anschließend 150 IE Dalteparin/kg KG für 5 Monate) in der Sekundärprophylaxe nach thromboembolischer Komplikation erhalten hatten, bei Auswertung nach 1 Jahr einen Überlebensvorteil gegenüber mit oralen Antikoagulanzien (Dalteparin 200 IE/kg KG für mindestens 5 Tage, überlappend mit Warfarin – Ziel-INR 2,5 – für insgesamt 6 Monate) behandelten Patienten hatten. Die sog. »FAMOUS-Studie« [12] – an 374 Patienten mit verschiedenen fortgeschrittenen Malignomen multizentrisch, prospektiv, randomisiert und doppelblind durchgeführt – zeigt keinen Überlebensvorteil für die NMH-behandelte Patientengruppe (5000 IE Dalteparin tgl s.c., Therapiedauer 1 Jahr bzw. bis zum Tod) im Vergleich zur Plazebogruppe insgesamt, jedoch einen signifikanten Vorteil für die mit NMH behandelten Patienten mit relativ guter Prognose (Überleben > 18 Monate). Altinbas [13] konnte belegen, dass Patienten mit kleinzelligem Bronchialkarzinom, die während der Chemotherapiephase über 18 Wochen tgl. NMH (5000 IE Dalteparin) erhalten hatten, im Mittel 13 Monate überlebten im Vergleich zu 9 Monaten in der Gruppe der Patienten ohne NMH. Zu interessanten Ergebnissen kommen auch Klerk et al. [14] im Rahmen der so genannten »MALT-Studie«: Bei der Untersuchung von Patienten mit fortgeschrittenen Malignomen ohne thromboembolische Komplikationen wurde gezeigt, dass die 6-wöchige, gewichtsabhängige Gabe von Nadroparin (ca. 6300 IE für Patienten mit einem Körpergewicht zwischen 50 und 70 kg) zu einer Verbesserung der medianen Überlebenszeit von 6,6 Monaten in der Plazebogruppe auf 8,0 Monate in der Verumgruppe führte.
191 Onkologie
V
⊡ Tabelle 37.1. Untersuchungen zum Effekt niedermolekularer Heparine auf das Überleben von Tumorpatienten Autor, Studie, Jahr
Patienten [n]
Heparinbehandlung
Ergebnis
Hettiarachchi et al. 1999 [9}
Übersicht: TVT-Therapiestudien zum Vergleich NMH/UFH, Auswertung zufällig inkludierter Tumorpatienten
Tumorpatienten haben längeres Überleben, wenn ihre TVT mit NMH behandelt wurde
von Tempelhoff et al. 2000 [10)
Gynäkologische Tumoren, n = 324
Certoparin 3000 IE/Tag/UFH über 1 Woche
Überlebensvorteil Certoparin-behandelter Patientinnen nach 650 Tagen
Lee et al., CLOT-Studie, 2005 [11]
Solide Tumoren und frische TVT, n = 602
Warfarin Ziel-INR 2,5/Dalteparin 150 (initial 200) IE/kg KG über 6 Monate
Überlebensvorteil Dalteparinbehandelter Patienten ohne Metastasen. Keine Unterschiede bei metastasierten Tumoren
Kakkar et al., (FAMOUS-Studie) 2004 [12]
Solide Tumoren, n = 374
Dalteparin 5000 IE/Tag/ Plazebo über 1 Jahr
Überlebensvorteil durch Dalteparin nur bei Patienten mit guter Prognose
Altinbas et al. 2004 [13]
Kleinzelliges Bronchialkarzinom, n = 84
Die Hälfte der Patienten erhielt während der Chemotherapiephase Dalteparin 5000 IE tgl. über 18 Wochen
Überlebensvorteil Dalteparin behandelter Patienten, sowohl bei limited als auch bei »extensive disease«
Klerk et al., (MALT-Studie), 2005 [14]
Fortgeschrittene solide Tumoren, n = 202
Nadroparin gewichtsadaptiert/ Plazebo über 6 Wochen
Überlebensvorteil Nadroparin-behandelter Patienten
Diese Studien (⊡ Tabelle 37.1) machen Hoffnung, dass durch begleitende gerinnungshemmende Therapie das Überleben von Tumorpatienten verlängert werden kann. Obwohl die Daten sicher noch nicht ausreichen, bei jedem Tumorpatienten eine begleitende Behandlung mit NMH zu fordern, sollte die Indikation zur Gabe von NMH bei Tumorpatienten zunehmend großzügiger gestellt werden – zumal dadurch das Auftreten thromboembolischer Komplikationen eindrucksvoll vermindert werden kann und das Nebenwirkungsrisiko (fast) zu vernachlässigen ist. Literatur Kap. 35–37 1. Bergqvist D, Burmark US, Flordal PA, Frisell J, Hallbook T, Hedberg M, Horn A, Kelty E, Kvitting P, Lindhagen A et al. Low molecular weight heparin started before surgery as prophylaxis against deep vein thrombosis: 2500 versus 5000 XaI units in 2070 patients. Br J Surg 1995; 82: 496–501 2 Rasmussen MS, Wille-Jorgensen P, Jorgensen LN, Nielsen HD, Horn A, Mohn AC, Somoed L, Olesen B, Harvald T, Pilsgaard B, Neergaard K, Hansen, H. Prolonged thromboprophylaxis with low molecular weight heparin (dalteparin) following major abdominal surgery for malignancy. Session type: oral session. Abstract #186; Blood 2003; 16: 102
192
V
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
3 Lee AYY, Levine MN, Baker RI, Bowden C, Kakkar AK, Prins M, Rickles FR, Julian JA, Math M, Haley S, Kovacs M, Gent M. Low-molecular-weight heparin versus a coumarin for the prevention of recurrent venous thromboembolism in patients with cancer. N Engl J Med 2003; 349: 146–153 4 Linnemann B, Lindhoff-Last E. Thrombogenität verschiedener Krankheitsbilder. In: Haas S (Hrsg) Prävention von Thrombosen und Embolien in der Inneren Medizin. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio, 2005, S 59 5 Verso M, Agnelli G. Venous thromboembolism associated with long-term use of central venous catheters in cancer patients. J Clin Oncol 2003; 21: 3665–3675 6 Levine MN. Prevention of thrombotic disorders in cancer patients undergoing chemotherapy. Thromb Haemost 1997; 78: 133–136 7 Monreal M, Alastrue A, Rull M, Mira X, Muxart J, Rosell R et al. Upper extremity deep venous thrombosis in cancer patients with venous access devices – prophylaxis with a low molecular weight heparin (Fragmin). Thromb Haemost 1996; 75: 251–253 8. Verso M, Agnelli G, Bertoglio S, Di Somma FC, Paoletti F, Ageno W, Bazzan M, Parise P, Quintavalla R, Naglieri E, Santoro A, Imberti D, Sorazù M, Mosca S. Enoxaparin for the prevention of venous thromboembolism associated with central vein catheter: a double-blind, placebo-controlled, randomized study in cancer patients. J Clin Onc 2005; 23: 1–6 9 Hettiarachchi RJK, Smorenberg SM, Ginsberg J et al. Do heparins do more than just treat thrombosis? Thromb Haemost 1999; 82: 947–952 10 von Tempelhoff G-F, Harenberg J, Niemann F, Hommel G, Kirkpatrick CJ, Heilmann L. Effect of low molecular weight heparin (Certoparin) versus unfractionated heparin on cancer survival following breast and pelvic cancer surgery: A prospective randomized double-blind trial. Int J Onc 2000; 16: 815–824 11 Lee AYY, Rickles FR, Julian JA, Gent M, Baker RI, Bowden C, Kakkar AK, Prins M, Levine MN: Randomized comparison of low molecular weight heparin and coumarin derivatives on the survival of patients with cancer and venous thromboembolism. J Clin Onc 2005; 1: 23 12 Kakkar AK, Levine MN, Kadziola Z, Lemoine NR, Low V, Patel HK, Rustin G, Thomas M, Quigley M, Williamson RCN. Low molecular weight heparin, therapy with dalteparin, and survival in advanced cancer: the fragmin advanced malignancy outcome study (FAMOUS). J Clin Onc 2004; 22: 1944–1948 13 Altinbas M, Coskun HS, Er O, Ozkan M, Eser B, Unal A, Cetin M, Soyuer S. A randomised clinical trial of combination chemotherapy with and without low-molecular-weight heparin in small cell lung cancer. J Thromb Haemost 2004; 2: 1266–1271 14 Klerk CPW, Smorenburg SM, Otten H-M, Lensing AWA, Prins MH, Piovella F, Prandomi P, Bos MMEM, Richel DJ, van Tienhoven G, Büller HR. The effect of low molecular weight heparin on survival in patients with advanced malignancy. J Clin Onc 2005; 23: 2130–2135
193 Pädiatrie
V
Pädiatrie
38.
Therapie der venösen Thrombose im Kindesalter Ulrike Nowak-Göttl, Christine Düring, Andrea Kosch
Aussagekräftige kontrollierte Studien zur Behandlung von Thrombosen im Kindesalter gibt es bisher nicht. Die einzige bisher durchgeführte randomisierte Studie musste aufgrund einer international zu geringen Patientenrekrutierung abgebrochen werden. Weltweit werden daher pädiatrische Patienten weiter nach adaptierten Therapieempfehlungen für Erwachsene behandelt. Eine gesonderte Zulassung antithrombotischer Medikamente (Heparine, VitaminK-Antagonisten) gibt es bisher für Kinder nicht. Therapie der akuten Thrombose Ziel der Therapie bei Thrombosen im Kindesalter ist eine Revaskularisation des betroffenen Gefäßes, zumindest aber die Verhinderung eines weiteren Thrombuswachstums. Zur Therapie einer akuten Thrombose im Kindesalter kommen Heparine und Thrombolytika zum Einsatz. Bei allen eingesetzten Therapieformen in der Akutphase kann es zu ausgedehnten Blutungen und zum Abreißen des Primärthrombus kommen mit in der Folge auftretender Lungenembolie oder eines ischämischen Hirninfarkts beim Neugeborenen (offenes Foramen ovale). Sowohl für Fibrinolytika als auch für Heparin ist die Dosis bei Leber- und/oder Niereninsuffizienz zu reduzieren. Bei vitaler Gefährdung oder drohendem Organverlust und bei jüngeren Kindern sollte primär eine Fibrinolyse versucht werden, im Gegensatz hierzu ist bei älteren Kindern und Jugendlichen mit ausgeprägten Bein- und Beckenvenenthrombosen die therapeutische Heparinisierung in Anlehnung an die derzeitig gängige Praxis bei Erwachsenen die Therapie der Wahl. Heparine Ähnlich der Therapie im Erwachsenenalter bietet sich zum einen die Möglichkeit einer Therapie mit unfraktioniertem Heparin (UFH: ⊡ Tabelle 38.1) und zum anderen die Möglichkeit der Therapie mit einem niedermolekularem Heparin (NMH). UFH wird über die APTT oder Anti-Xa-Aktivität gesteuert, NMH kann nur über die Anti-Xa-Aktivität gesteuert werden. Bei Steuerung über die APTT sind altersabhängige Normalwerte und der laborinterne Normalwert des eingesetzten APTT-Reagens zu beachten. Im Vergleich zu UFH liegen die Vorteile von NMH in der Möglichkeit der subkutanen Injektion sowie teilweise höheren fibrinolytischen Aktivität. Für Kinder liegen für die NMHPräparate Enoxaparin (Clexane®), Dalteparin (Fragmin®) und Tinzaparin (Innohep®) erste Dosisfindungsstudien vor. Die in ⊡ Tabelle 38.2 aufgeführten Dosierungen zur Therapie einer akuten Thrombose können für Enoxaparin angewandt werden. Die Steuerung der Therapie sollte im Kindesalter nach Anti-Xa-Aktivität durchgeführt werden. Als Nebenwirkung kann auch im Kindesalter eine heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II auftreten, wobei das Risiko bei Verwendung von UFH sehr viel größer als für NMH ist. Die Therapie der Wahl ist das sofortige Absetzen von Heparin und Umsetzen auf ein Heparinoid
194
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
⊡ Tabelle 38.1. Systemische Heparingabe (UFH) und Einstellung bei Kindern (Dosierungen pro kg Körpergewicht); Cave HIT Typ II; Dosisreduktion bei Leber- und Niereninsuffizienz
V
I. Initialdosis:
50–100 IE/kg Heparin i.v. über 10 min
II. Erhaltungsdosis:
20–30 IE/kg/h Heparin bei Kindern < 1 Jahr, 20–25 IE/kg/h Heparin bei Kindern > 1 Jahr
III. Dosisanpassung:
Ziel-PTT von 60–85 s (entspricht Anti-Xa: 0,3–0,7 IE/ml; bei PTT-Reagenz Normalwert bis 40 s
PTT [sec]
Bolus [E/kg]
< 50
50
50–59
Pause [min]
Dosisänderung [%]
PTT-Kontrolle
0
+10
4h
0
0
+10
4h
60–85
0
0
0
86–95
0
0
–10
4h
96–120
0
30
–10
4h
> 120
0
60
–10
4h
nächster Tag
IV. Optimale APTT-Kontrolle: 4 h nach initialer Gabe und 4 h nach Änderung der 1. Infusionsrate, ansonsten 2- bis 3-mal täglich V. Blutzellzählung:
täglich
⊡ Tabelle 38.2. Dosisempfehlung für niedermolekulares Heparin (tägliche s.c.-Gaben pro kg Körpergewicht) Enoxaparin (Clexane) und Dalteparin (Fragmin) Kinder < 1 Jahr
Kinder > 1 Jahr
Prophylaxe
Anti-Xa-Spiegel (4 h nach Gabe) 0,2–0,4 IE/ml
Enoxaparin
1-mal 1,5 mg/kg/Tag
1-mal 1 mg/kg/Tag
Dalteparin
1-mal 50–100 E/kg/Tag
1-mal 50–100 E/kg/Tag
Therapie
(Monitoring nach Dosisfindung nicht unbedingt notwendig) 0,4–0,8 E/ml
Enoxaparin
2-mal 1,5 mg/kg/Tag
2-mal 1 mg/kg/Tag
Dalteparin
1-mal 150–200 IE/kg/Tag
1-mal 150–200 IE/kg/Tag
(Monitoring erforderlich)
Enoxaparin (Clexane®) hat 110 Anti-Faktor-Xa-Einheiten/mg; die maximale Dosis wird mit 2,0 mg/kg pro Dosis angegeben.
195 Pädiatrie
V
(Orgaran®) oder einen reinen Thrombinantagonisten (rekombinantes Hirudin: Refludan®). Für den Einsatz von Orgaran® und Refludan® im Kindesalter liegen derzeit nur Einzelfallberichte vor. Für Orgaran® beträgt der initiale Bolus 30 IE/kg und die Erhaltungsdosis 1,0–2,0 IE/kg/h. Die Kontrolle erfolgt über die spezifische Anti-Xa-Aktivität (0,4–0,8 IE/ml). Für Refludan® beträgt der Bolus 0,4 mg/kg, gefolgt von einer Infusionsrate von 0,15 mg/kg/h als Erhaltungsdosis. Die Steuerung sollte über die APTT- (1,5- bis 3fache des Ausgangswertes) oder über die EcarinGerinnungszeit erfolgen. Für beide letztgenannten Präparate ist ebenfalls eine Dosisreduktion bei Leber- und/oder Niereninsuffizienz durchzuführen. Antidot für Heparin bei Überheparinisierung ist Protaminchlorid (Protamin-Roche®: 1 ml einer 1 % Lösung neutralisiert etwa 1000 IE Heparin). NMH lässt sich schlechter durch Protaminchlorid inaktivieren als UFH. Diese Therapie sollte nur durch den hämostaseologisch erfahrenen Kollegen/Intensivmediziner durchgeführt werden (cave: nur die Heparinmenge der letzten 2 Stunden neutralisieren, überschüssiges Protamin wirkt selbst antikoagulatorisch). Thrombolytika Bei einer frischen Thrombose kann auch eine Thrombolysetherapie durchgeführt werden. Kontrollierte Studien im Kindesalter fehlen. Eingesetzt werden vorzugsweise Urokinase und rekombinant gewonnener Gewebeplasminogen-Aktivator (rt-PA: Actilyse®, Reteplas®). Streptokinase wird nur sehr selten im Kindesalter eingesetzt. In der Effektivität der einzelnen Thrombolytika bei frischen Thrombosen im 1. Lebensjahr scheint es keinen Unterschied zu geben. ⊡ Tabelle 38.3 gibt derzeit gängige Dosierungen für Urokinase, Streptokinase und rt-PA an. Die begleitende Heparinisierung sollte niedrig dosiert durchgeführt werden (100–150 IE/kg tgl.), um das Blutungsrisiko zu verringern. Monitoring über APTT, TPZ, Antithrombin, (Plasminogen im 1. Lebensjahr) und D-Dimer. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Fibrinogenbestimmung nach Clauss durch das Ansteigen der D-Dimer-Konzentrationen bei erfolgreicher Lyse durch eine Polymerisationsstörung falsch zu niedrig sein kann. Eine Reduktion der Dosis des Thrombolytikums ist erforderlich, falls die Gobaltests TPZ und APTT bei niedrig dosierter Heparinisierung deutlich pathologisch verlängert sind oder der Patient anfängt, diffus zu bluten. Niedrige Plasminogenkonzentrationen (cave Normalwerte bei Neugeborenen) können eine Thrombolyse ineffektiv werden lassen (eventuell Substitution mit Fresh-Frozen-Plasma bis zu 30 ml/kg/Tag).
⊡ Tabelle 38.3. Dosisempfehlung für die systemische Thrombolysetherapie Urokinase
Streptokinase
rt-PA
Bolus
4400 IE/kg über 10–20 min
3500–4000 IE/kg über 30 min
0,1–0,2 mg/kg über 10 min
Dauerinfusion
4400 IE/kg/h
1000–1500 IE/kg/h
0,8–2,4 mg/kg/24h*
Dauer
12–24 h
12–72 h
max. über 6 Tage
*Vorsicht wegen Blutungsrisiko bei Dosen > 2,5 mg/kg/24 h; auch hier Dosisreduktion bei Leber- und Niereninsuffizienz.
196
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Kontraindikationen für eine Lysetherapie sind eine hämorrhagische Diathese, Hirnblutung, massive Blutungen aus dem Magen-Darm-Trakt sowie ZNS-Verletzungen und Asphyxie des Neugeborenen, die weniger als 6 Monate zurückliegen. Eine relative Kontraindikation stellen operative Eingriffe (< 7 Tage) dar. Im Fall einer klinisch lokalisierbaren relevanten Blutung oder bei einem signifikanten HbAbfall unklarer Ursache unter Thrombolysetherapie muss die Thrombolyse beendet werden. Dies ist meist ausreichend, da die Halbwertszeit von Urokinase bzw. rt-PA nur wenige Minuten eträgt. Bei bedrohlichen Blutungen sollte zusätzlich Fresh-Frozen-Plasma (bis zu 30 ml/kg KG) gegeben werden. Nach Abbruch der Lysetherapie ist eine therapeutische Heparinisierung erforderlich. Sonderformen
V
Sonderformen der akuten Thrombose stellen die Purpura fulminans und die Meningokokkensepsis (Mikrothrombosierung der Endstrombahn) dar. Die akute Purpura fulminans ist bei Protein-C- und Protein-S-Mangel beschrieben und kann auch bei Trägern einer Faktor-V-Mutation auftreten. Therapie der Wahl neben kreislaufsupportiven Maßnahmen und spezifischer Therapie der Grunderkrankung die Gabe von Fresh-Frozen-Plasma oder – wenn verfügbar – Protein-CKonzentrat; auch der Einsatz von rt-PA wird von manchen Autoren beschrieben. Sekundärprophylaxe Bei jeder Therapieentscheidung muss abgewogen werden, ob der Nutzen der Thromboseprophylaxe durch die Langzeitantikoagulation die möglichen Nebenwirkungen (Blutungsrisiko), Kosten und Belastungen (durch regelmäßige Medikamenteneinnahme, Blutabnahmen) für die Kinder rechtfertigt. Über Studien zur Sekundärprophylaxe bei Kindern mit venösen Thrombosen wird nur vereinzelt berichtet. Symptomatische Kinder mit homozygotem Protein-C-, Protein-S- oder Antithrombinmangel würde man analog den Erwachsenen dauerhaft oral antikoagulieren. Pädiatrische Patienten mit einem gesicherten heterozygoten prothrombotischen Risikofaktor sollten nach einem akuten thromboembolischem Ereignis für eine Dauer von 3–6 (–12) Monaten eine Sekundärprophylaxe erhalten. Eine elektive erneute Thromboseprophylaxe ist für Situationen, die mit einem erhöhten Thromboserisiko assoziiert sind, wie Operationen oder Immobilisierung, z. B. mit NMH auf individueller Basis ebenfalls in die Überlegungen mit einzubeziehen. Die Rezidivrate einer spontanen venösen Thrombose, d. h. einer Thrombose ohne weiteren erworbenen Risikofaktor bei einem Kind mit homozygoter Faktor-V-Mutation oder mindestens zwei kombinierten Einzeldefekten nach Absetzen einer sechs Monate dauernden Sekundärprophylaxe beträgt 31,5 % innerhalb der ersten 12 Monate. Daher ist bei diesen Patienten eine längere Antikoagulation für 12 Monate oder eventuell lebenslang zu diskutieren. Die antikoagulatorische Sekundärprophylaxe kann entweder mit NMH in prophylaktischer Dosierung oder mit Vitamin-K-Antagonisten durchgeführt werden. Die antikoagulatorische Prophylaxe mit NMH wird altersabhängig z. B. mit Enoxaparin durchgeführt: Kinder < 6 Monate 1,5 mg/kg täglich subkutan und Kinder > 1 Jahr 1 mg/kg einmal täglich. Bezüglich der Vitamin-K-Antagonisten stehen in Deutschland das Phenprocoumon (Tabletten à 3 mg: Marcumar®) mit eine Halbwertzeit von ca. 72 h und das Warfarin (Tabletten à 5 mg: Coumadin®) mit einer Halbwertzeit von nur 24 h zur Verfügung. Größere Studien für Kinder liegen derzeit nur für Warfarin vor. Aus diesem Grunde werden die Dosisempfehlungen
197 Pädiatrie
V
⊡ Tabelle 38.4. Orale Antikoagulation mit Warfarin, Ziel-INR von 2,0 bis 3,0 (–3,5) bei Kindern I. Initiale Dosis an Tag 1:
Ausgangs-INR von 1,0 bis 1,3: 0,2 mg/kg Warfarin oral (Ausnahme: Leberfunktionsstörungen, Fontan-OP: 0,1 mg/kg)
II. Aufsättigungsdosis Tag 2–4 INR
Dosis
1,1–1,3
Initiale Dosis wiederholen
1,4–1,9
50 % der initialen Dosis
2,0–3,0
50 % der initialen Dosis
3,1–3,5
25 % der initialen Dosis
> 3,5
Pause bis INR < 3,5, dann Dosis um 50 % reduzieren (Dosis vom Tag zuvor)
III. Orale Erhaltungsdosis INR
Dosis
1,1–1,4
Dosis um 20 % erhöhen
1,5–1,9
Dosis um 20 % erhöhen
2,0–3,0
Dosis unverändert beibehalten
3,1–3,5
Dosis um 10 % erniedrigen
> 3,5
Pause bis INR < 3,5, dann Dosis um 20 % reduzieren (Dosis vom Tag zuvor)
hier für Warfarin angegeben (⊡ Tabelle 38.4). Eine Kontrolle der prophylaktischen Antikoagulanzieneinstellung erfolgt für Warfarin standardisiert über die Angabe der Internationalen Normierten Ratio (INR). Für Patienten mit dauerhafter Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten besteht heute zunehmend die Möglichkeit eines Heimmonitorings nach Schulung (Eltern bzw. Patient) in einem Spezialzentrum. Antidot für Vitamin-K-Antagonisten in Abhängigkeit von Klinik und (Über)Dosierung ist Vitamin K in Form von Vitamin K oral oder i.v., Fresh-Frozen-Plasma oder Faktorenkonzentraten mit den Faktoren II, VII, IX und X (cave: teilaktiviert, kann disseminierte intravasale Gerinnungsstörungen auslösen). Warfarin hat insbesondere hier einen großen Vorteil aufgrund der kürzeren Halbwertzeit: Sowohl Antagonisierung und Wiedereinstellung nach einer Therapieunterbrechung sind im Vergleich zu Phenprocoumon bedeutend einfacher durchzuführen. Primäre Thromboembolieprophylaxe Aussagekräftige, evidenzbasierte Studien zur primären Thromboembolieprophylaxe im Kindesalter gibt es kaum: Die erste international begonnene randomisierte Studie, die PROTECTStudie, musste aufgrund zu geringer Patientenrekrutierung und den dadurch bedingten Abbruch der Industrieförderung abgebrochen werden. Basierend auf den individuellen Entscheidungen
198
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
der behandelnden Kinderärzte wird eine primäre Thromboseprophylaxe heute hauptsächlich bei Kindern mit onkologischen Erkrankungen mit und ohne zentralvenösen Katheter oder bei Säuglingen und Kindern mit kardialen Interventionen durchgeführt. Weitere mögliche Indikationen wären aus unserer Sicht Geschwisterkinder von Indexpatienten mit früher Thrombosemanifestation im Kindesalter. In diesem Kollektiv sollte im Einvernehmen mit dem behandelndem Arzt des Indexpatienten und den Eltern in Risikosituationen die Möglichkeit der primären Thromboseprophylaxe individuell abgewogen werden. Für eine primäre Thromboseprophylaxe würden wir der prophylaktischen Gabe von NMH 1-mal täglich den Vorzug gegenüber UFH geben. Literatur
V
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199 Intensivmedizin
V
Intensivmedizin
39.
Niedermolekulare Heparine in der Intensivmedizin Helmut Schinzel
Niedermolekulare Heparine (NMH) stehen seit nahezu 20 Jahren als Antikoagulans zur Verfügung und haben aufgrund ihres pharmakodynamischen Profils und wegen ihrer überlegenen Pharmakokinetik das unfraktionierte Heparin (UFH) zunehmend verdrängt. Ihre Hauptindikationen sind die venöse Thromboembolieprophylaxe und -therapie im operativen und konservativen Bereich, die instabile Angina pectoris und die Antikoagulation bei der Hämodialyse und Hämofiltration. Neben diesen zugelassenen Indikationen gibt es noch zahlreiche positive Erfahrungen in Off-label-Einsätzen, so z. B. bei der Behandlung von Risikoschwangerschaften, bei der Thromboembolieprophylaxe und -therapie im pädiatrischen Bereich, zum Bridging bei Elektiveingriffen oral langzeitantikoagulierter Patienten und bei der Thromboembolietherapie atypischer Lokalisationen. Die wesentlichen Vorteile der NMH gegenüber UFH bestehen in ihrer signifikant besseren Bioverfügbarkeit nach subkutaner Applikation (> 90 % bei NMH versus 20–30 % bei UFH), der geringeren Neutralisation durch Plasmaproteine, der deutlich geringeren Entwicklung einer heparininduzierten Thrombozytopenie Typ II (HIT II), wegen des selektiveren Angriffspunkts im Gerinnungssystem und der geringeren Interaktion mit den Thrombozyten, einem tendenziell verminderten Blutungsrisiko und nicht zuletzt einer geringen Osteoporoseinzidenz bei Langzeitapplikation [2, 4, 5, 7, 16, 19]. In der Intensivmedizin werden die NMH, wie in anderen Bereichen, auch bei kreislaufstabilen Patienten subkutan zur Thromboembolieprophylaxe und -therapie eingesetzt, ferner zur Antikoagulation bei der akuten Hämodialyse und Hämofiltration [1, 17]. Positive Erfahrungen gibt es inzwischen auch bei der Antikoagulation der Plasmapheresetherapie. Neue Therapiestrategien eröffnet der intravenöse Einsatz von NMH bei kritisch kranken Patienten einer Intensivstation. Bei der medikamentösen Behandlung von kritisch kranken Patienten hat, im Gegensatz zu stabilen Patienten auf der Normalstation bzw. im ambulanten Bereich, die subkutane oder orale Applikation von Pharmaka ihre Grenzen. Es bestehen oft Kontraindikationen gegenüber einer oralen Applikation, wie z. B. bei Z. n. akuten abdominellen Eingriffen, intestinalen Resorptionsstörungen oder dem Unvermögen zu schlucken. Die orale und auch die subkutane Gabe sind wegen der Resorption an stabile Kreislaufverhältnisse geknüpft, was bei kritisch kranken Patienten oft nicht gewährleistet ist. In ⊡ Tabelle 39.1 sind die klinisch relevanten Unterschiede der diskutierten Applikationswege dargestellt. Die intravenöse Verabreichung eines Pharmakons stellt per definitionem eine Verabreichungsform dar, bei der der Wirkstoff unter Umgehung der Resorption in den Körper eingebracht wird. Man erreicht damit einen schnellen Wirkungseintritt und eine sichere Applikation mit einer 100 %igen Bioverfügbarkeit. Wenn man Pharmaka subkutan appliziert, entsteht zunächst ein Depot. Aus diesem Depot wird der Wirkstoff dann »ausgeschwemmt«. Bei instabilen Kreislaufverhältnissen mit phasenweiser Zentralisation ist diese Freisetzung völlig unkontrolliert, d. h. bei Zentralisation wird praktisch kein Pharmakon freigesetzt. Sobald nach hämodynamischer Stabilisierung die Zentralisation wieder aufgehoben ist, erfolgt eine Mobilisierung aus dem Depot. Unter derartigen Bedingungen verbietet sich im Sinne einer suffizienten Patientenversorgung jegliche subkutane Gabe von Pharmaka und damit auch die subkutane
200
V
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Verabreichung von Heparinen beispielsweise zur Thromboembolieprophylaxe. Bei hämodynamischer Instabilität müssen Pharmaka intravenös appliziert werden. Bislang wird in dieser Situation zur Blutverdünnung überwiegend UFH i.v. eingesetzt, da hierfür eine entsprechende Zulassung besteht. Kritisch muss man allerdings anmerken, dass UFH eine sehr breite Zulassung besitzt, die nur in wenigen Fällen auf evidenzbasierten Studien der Level I und II beruhen. Die breite Zulassung ist eher historisch bedingt. Für neuere Substanzen, wie die NMH, gibt es keine derart breite Zulassung mehr. Die Daten über die intravenöse Gabe von NMH, abgesehen von der Hämodialyse und der Hämofiltration, sind begrenzt [3, 8–10, 12, 13, 15, 18]. Die nachfolgenden Ausführungen beruhen daher auf den eigenen seit vielen Jahren bestehenden Erfahrungen mit intravenöser NMH-Applikation. Zugelassen sind die NMH intravenös derzeit nur zur Antikoagulation bei der akuten und chronischen Hämodialyse und der Hämofiltration. Andere Indikationen stellen eine Off-labelAnwendung dar und bedürfen einer besonderen Sorgfalt. In diesen Fällen sind stets eine akribische individuelle Nutzen-Risiko-Validierung und eine entsprechende Aufklärung vorzunehmen, wobei es legitim ist, hierbei eigene positive Erfahrungen mit einzubringen. Das Vorgehen sollte gemäß ⊡ Tabelle 39.2 erfolgen.
⊡ Tabelle 39.1. Vergleich der Applikationswege eines Pharmakons Oral
Subkutan
Intravenös
Wirkungseintritt
verzögert
verzögert
rasch
Bioverfügbarkeit
reduziert
reduziert
100 %
Resorption bei Kreislaufinstabilität
unkontrolliert
unkontrolliert
kontrolliert
Biologische Halbwertszeit
länger
länger
kürzer
Steuerbarkeit
schlecht
schlecht
besser
Konstante Plasmaspiegel
nicht möglich
nicht möglich
möglich
⊡ Tabelle 39.2. Voraussetzungen für die Off-label-Anwendung 1. Kritische individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung 2. Detaillierte Patientenaufklärung in offener und verständlicher Weise 3. Schilderung der Vor- und Nachteile des Therapieregimes 4. Darstellung und Diskussion der Alternativen 5. Einverständnis einholen entweder in schriftlicher Form oder mit Zeugen, hiervon sollte in der Patientenakte mindestens eine schriftliche Notiz fixiert werden mit entsprechenden Unterschriften
201 Intensivmedizin
V
Intravenöse NMH-Dosierung low dose
ca. 1–4 IE/kg KG pro Std.
therapeutisch
ca. 10–12 IE/kg KG pro Std. ⊡ Abb. 39.1. NMH-Dosierung bei kontinuierlicher intravenöser Applikation.
Praktisches Vorgehen bei der intravenösen Applikation von NMH Man kann die Heparine kontinuierlich oder diskontinuierlich, z. B. in Form von Bolusapplikationen geben. Die Bolusgabe hat den Vorteil, dass man keinen Perfusor benötigt und dass rasch hohe Wirkspiegel erreicht werden. Der Nachteil besteht darin, dass die, wenn auch nur passager, hohen Plasmaspiegel mit einem erhöhten Blutungsrisiko assoziiert sind. Dies ist bei blutungsgefährdeten Intensivpatienten, z. B. bei Frischoperierten nicht unproblematisch. Bei Patienten mit erhöhtem oder hohem Blutungsrisiko bietet die kontinuierliche Applikation klare Vorteile. Man erreicht damit eine gleichmäßige antikoagulatorische Wirkung unter gleichzeitiger Vermeidung hoher Plasmaspiegel. Wie bei UFH unterscheidet man auch bei den NMH zwischen einer so genannten Lowdose- und einer therapeutischen Dosierung (»high dose«) (⊡ Abb. 39.1). Welches Regime man wählt, hängt von der Indikation zur Antikoagulation und der Situation des Patienten ab. Es orientiert sich v. a. am aktuellen Thromboembolie- und Blutungsrisiko. Die Dosis wird nach diesen Kriterien unter strenger Nutzen-Risiko-Validierung festgelegt. In ⊡ Tabelle 39.3 sind Indikationen der intravenösen NMH-Applikation unter Berücksichtigung des Dosisregimes aufgeführt. Monitoring und Steuerung der intravenösen NMH-Therapie Niedermolekulare Heparine greifen im Gerinnungssystem stärker am Faktor Xa an als am Faktor II a (Thrombin). UFH hat im Vergleich zu den NMH eine höhere Anti-Thombinwirkung, weshalb zum Monitoring die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) verwendet werden
⊡ Tabelle 39.3. Indikationen zur intravenösen NMH-Gabe und Dosiseinteilung Low dose
High dose (»therapeutisch«)
Thromboembolieprophylaxe kritisch kranker Intensivpatienten, v. a. bei hämodynamischer Instabilität. Perioperativ nach chirurgischen Eingriffen an z. B. Abdomen, Herz, Hüfte, Knie, Wirbelsäule
Thromboembolietherapie (Lungenembolie, zerebrale Sinusvenenthrombose, Thrombosen atypischer Lokalisation z. B. Lebervenenthrombose, Pfortaderthrombose)
Offenhalten von Gefäßzugängen
Alternative bei Kontraindikationen gegenüber fibrinolytischer Therapie
Begleittherapie bei DIC
Komedikation bei fibrinolytischer Therapie
202
V
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
kann. Als therapeutisch gilt eine Verlängerung der aPTT auf das 1,5- bis 2,5fache des aPTTAusgangswertes. Die aPTT ist für die Überwachung und Steuerung der NMH-Therapie nicht geeignet. Verantwortlich hierfür ist die stärkere Anti-Faktor Xa-Wirkung (aXa) der NMH im Vergleich zu UFH. So führen auch höhere NMH-Dosierungen nicht zu einer relevanten aPTTVerlängerung. Tritt unter NMH-Therapie eine deutliche Verlängerung der aPTT auf, weist dies auf einen erhöhten NMH-Plasmaspiegel hin und ist als Warnhinweis auf eine Überdosierung oder Kumulation zu werten. Differentialdiagnostisch ist bei verlängerter aPTT auch an die Entwicklung einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) zu denken, die gerade bei kritisch kranken Patienten rasch auftreten kann. Ein Monitoring der NMH erfolgt durch Messungen der Anti-Faktor-Xa-Aktivität (aXa) mittels chromogenen Substrat-Assays [6, 11]. In speziellen Fällen ist die zusätzliche Bestimmung molekularer Marker wie Thrombin-Antithrombinkomplex (TAT), Prothrombinfragment 1+2 (F 1+2) oder der D-Dimere hilfreich. Sie vermitteln Informationen über den aktuellen Zustand der Gerinnungsaktivierung bzw. über die reaktive Aktivierung des fibrinolytischen Systems [14]. Ein generelles Gerinnungsmonitoring ist beim Einsatz von NMH nicht indiziert [6]. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wann ein Monitoring mittels aXa notwendig ist. Bei der intravenösen Low-dose-Applikation kann man, wie auch bei der subkutanen NMH-Gabe, auf die aXa-Bestimmung verzichten. Auch bei der körpergewichtsadaptierten NMH-Applikation zur Behandlung der tiefen Beinvenenthrombose oder der Lungenembolie ist eine aXa-Bestimmung nur in Ausnahmefällen indiziert. Dagegen ist bei der therapeutischen intravenösen NMH-Gabe eine konsequente Therapieüberwachung und -steuerung mittels aXaSpiegel im Sinne der Therapiesicherheit und Therapieoptimierung notwendig; dies auch vor dem Hintergrund, dass es sich um eine Off-label-Anwendung handelt und man zu besonderer Sorgfalt verpflichtet ist. ⊡ Tabelle 39.4 zeigt die Indikationen zur anti-Faktor-Xa-Bestimmung. Dosierungen bei der intravenösen NMH-Therapie Bei der intravenösen NMH-Gabe werden zwei Dosierungsschemata unterschieden, das Lowdose- und das High-dose-Regime.
⊡ Tabelle 39.4. Indikationen zur Gerinnungsüberwachung der NMH durch Anti-Faktor-Xa-Bestimmungen – Niereninsuffizienz – Deutlich eingeschränkte Leberfunktion – Kinder – Gravidität – Therapeutische i.v.-NMH-Gabe – Körpergewicht < 50 kg – Stark erhöhtes Körpergewicht
203 Intensivmedizin
V
Zielbereiche der Anti-Faktor-Xa-Spiegel bei der i.v. NMH-Applikation therapeutisch
low dose <0,25 IE/ml Anti-Xa
0,5–1,0 IE/ml Anti-Xa
(1,5 IE/ml Anti-Xa nur in Ausnahmen)
⊡ Abb. 39.2. Zielbereiche der Anti-Faktor-Xa-Spiegel
⊡ Abb. 39.2 zeigt die entsprechenden aXa-Zielbereiche. Zur intravenösen Low-doseApplikation erhält ein erwachsener Patient ca. 100–300 IE NMH entsprechend 1–4 IE pro kg Körpergewicht pro Stunde. Damit werden aXa-Werte von 0,25 IE/ml nicht überschritten. Eine routinemäßige aXa-Bestimmung ist in diesem Dosierungsbereich daher nicht notwendig. Bei dem High-dose-Regime sind dagegen regelmäßige aXa-Bestimmungen durchzuführen. International gibt es noch keine allgemein akzeptierte Festlegung, ab wann man von einem therapeutischen aXa-Wert sprechen kann. In den letzten Jahren hat sich ein Bereich von 0,5–1,0 IE/ml als therapeutisch herauskristallisiert und findet zunehmende Akzeptanz. In Einzelfällen sind unter strenger Nutzen-Risiko-Abwägung auch höhere aXa-Werte vertretbar, sofern kein erhöhtes Blutungsrisiko vorliegt und eine kritische Thromboembolie nach einer intensiveren Antikoagulation verlangt. Werte von 1,5 IE/ml sollten nicht überschritten werden. Um einen »therapeutischen aXa-Spiegel« zu erreichen, benötigt man bei Erwachsenen ca. 800 IE/h entsprechend ca. 10–12 IE/kg KG pro Stunde kontinuierlich i.v. Als pragmatisch hat sich bei der therapeutischen intravenösen NMH-Gabe das Vorgehen gemäß ⊡ Tabelle 39.5 bewährt. Vor Beginn der NMH-Gabe sollte man folgende Laborparameter bestimmen: Blutbild mit Thrombozyten, Serumkreatinin, globale Gerinnungsteste (INR, aPTT), Antithrombin und die Transaminasen. Mit diesem Therapieregime wird in unserer Klinik seit vielen Jahren die intravenöse NMHTherapie problemlos und effektiv bei verschiedensten Indikationen durchgeführt (⊡ Tabelle 39.3). Ein wesentlicher Vorteil der NMH gegenüber UFH ist die deutlich geringere Inzidenz der heparininduzierten Thrombozytopenie Typ II (HIT II). Gerade bei kritisch kranken Intensivpatienten gilt es, jede zusätzliche Komplikation zu vermeiden. Dies gilt auch für die überwiegend durch UFH induzierte HIT II, die zu fatalen Folgen führen kann. Wenn auch die Entwicklung der
⊡ Tabelle 39.5. Management der therapeutischen intravenösen NMH-Therapie 10.000 IE NMH werden mit physiologischer Kochsalzlösung auf ein Gesamtvolumen von 50 ml
verdünnt, 1 ml entspricht dann 200 IE NMH bei Erwachsenen beginnt man mit 4 ml, entsprechend 800 IE pro Stunde kontinuierlich i.v. die erste aXa-Kontrolle erfolgt 4 Stunden nach Therapieinitiierung (Zielbereich in der Regel
0,5–1,0 IE/ml) weitere aXa-Bestimmungen sollten ca. 4 Stunden nach jeder Dosisänderung erfolgen bei der Dosisadjustierung gilt die 2/3-Regel, d. h. man verändert die Dosis um ca. 2/3 dessen,
wie man es von den UFH her gewohnt ist
204
V
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
HIT II unter NMH ein seltenes Ereignis darstellt, muss man trotzdem bei Patienten unter NMHTherapie regelmäßige Thrombozytenkontrollen durchführen. Als Minimalanforderung gelten Bestimmungen vor Therapiebeginn, am 1. Tag nach Therapieeinleitung und dann mindestens zweimal pro Woche über insgesamt 3 Wochen. Bei kritisch kranken Patienten erfolgt die Blutbildkontrolle mindestens einmal täglich, so dass die HIT II meist rasch erkannt wird. Die HIT II tritt 5–15 Tage (selten später) nach Einleitung der Heparintherapie auf. Bei Patienten mit einer Heparinexposition innerhalb der letzten 3 Monate kann es direkt nach erneuter Einleitung einer Heparintherapie zur Entwicklung einer HIT II kommen. Insofern muss bei diesen Patienten eine Thrombozytenkontrolle vom 1. Tag an erfolgen. Die HIT II ist in der Regel gekennzeichnet durch einen Thrombozytenabfall > 50 % des Ausganswertes und dem gleichzeitigen Auftreten von Thromboembolien trotz suffizienter Antikoagulation. Aufgrund des immunologischen Mechanismus beträgt die Latenz bis zur Manifestation einer HIT II 5–15 Tage nach Beginn der Heparintherapie. Ein positiver Antikörpernachweis sichert dann zusätzlich die Diagnose. Kritisch muss man darauf hinweisen, dass positive Antikörper alleine nicht die Diagnosestellung einer HIT II rechtfertigen. Zusammenfassung Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass niedermolekulare Heparine ihren Stellenwert auf der Intensivstation haben. Subkutan können sie bei kreislaufstabilen Patienten verabreicht werden. Bei hämodynamischer Instabilität ist diese Applikationsform nicht kalkulierbar. Man muss die Pharmaka dann intravenös geben. Die Vorbehalte gegenüber der i.v.-Applikation der NMH sind unberechtigt. Sie gründen sich vorwiegend auf die derzeit noch fehlende Zulassung, die Unsicherheiten bei der Dosierung und die mangelnde Erfahrung bei der Steuerung. Bei UFH ist man seit Jahrzehnten gewohnt, das Monitoring mittels aPTT durchzuführen. Bei NMH ist dieser Parameter ungeeignet. Hier stehen chromogene Substrat-Assays zur Bestimmung der Anti-Faktor-Xa-Werte zur Verfügung. Die NMH haben sich seit einigen Jahren als Antikoagulans bei der Hämodialyse und Hämofiltration etabliert und sind hierfür explizit zugelassen. Es ist, bei den unbestreitbaren Vorteilen der NMH gegenüber UFH in den nächsten Jahren zu erwarten, dass die NMH nicht nur bei diesen extrakorporalen Verfahren intravenös eingesetzt werden, sondern zunehmend auch andere i.v.-Indikationen erschlossen werden. Die Initiierung prospektiver Studien wäre hierbei hilfreich. Literatur 1. Anastassiades E, Ireland H, Flynn A, Lane DA, Curtis JR. A low-molecular-weight heparin (Kabi 2165, „Fragmin“) in repeated use for haemodialysis: prevention of clotting and prolongation of the venous compression time in comparison with commercial unfractionated heparin. Nephrol Dial Transplant 1990; 5: 135–140 2. Bratt G, Tornebohm E, Lockner D, Bergstrom K. A human pharmacological study comparing conventional heparin and low molecular weight heparin fragment. Thromb Haemost 1985; 53: 208–211 3. Choussat R, Montalescot G, Collet JP, Vicaut E, Ankri A, Gallois V, Drobinski G, Sotirov I, Thomas D. A unique low dose of intravenous enoxaparin in elective percutaneous coronary intervention. J Am Coll Cardiol 2002; 40: 1943–1950 4. Dawes J, Bara L, Billaud E, Samama M. Relationship between biological activity and concentration of a low-molecular-weight heparin (PK 10169) and unfractionated heparin after intravenous and subcutaneous administration. Haemostases 1986; 16: 116–122 5. Harenberg J, Stehle G, Augustin J, Zimmermann R. Comparative human pharmacology of low molecular weight heparins. Semin Thomb Haemost 1989; 15: 414–423
205 Intensivmedizin
V
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206
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Neurologie
40.
Einsatz niedermolekularer Heparine in der Neurologie Hans Christoph Diener
V
Heparin und niedermolekulare Heparine spielten in der Vergangenheit eine wichtige Rolle in der Therapie des akuten ischämischen Insults [1]. Sie wurden auch zur Verhinderung tiefer Beinvenenthrombosen bei Patienten mit Paresen, sei es im Rahmen einer zerebralen Ischämie, einer zerebralen Blutung oder Immobilisation, z. B. bei Querschnittlähmung oder Guillain-BarréSyndrom, eingesetzt. Weitere Indikationen umfassen die Dissektion hirnversorgender Arterien, die Sinusvenenthrombose und in letzter Zeit periinterventionell bei der Versorgung von Aneurysmen mit Coils und beim Stenting extra- und intrakranieller Stenosen hirnversorgender Arterien. Schlaganfall Ischämischer Insult Etwa 23–25 % aller ischämischen Insulte beruhen entweder auf kardialen Embolien oder Atherothrombosen [2]. Dies führte ursprünglich zu der Vorstellung, dass durch die Gabe von Heparin oder niedermolekularen Heparinen die Schwere eines Schlaganfalls dadurch positiv beeinflusst werden könnte, dass das weitere »Wachsen« eines intrakraniellen Thrombus verhindert werden sollte [3–5]. Nachdem einige offene und nichtrandomisierte Studien die Verträglichkeit von Heparin und niedermolekularen Heparinen gezeigt hatten, wurde in vielen Ländern die PTTwirksame Vollheparinisierung zur Standardbehandlung des ischämischen Insultes. Ab Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde dann eine Reihe von prospektiven, plazebokontrollierten Studien durchgeführt, die das Konzept der Behandlung des akuten ischämischen Insultes mit Heparin und Heparinabkömmlingen untersuchten. ⊡ Tabelle 40.1 zeigt die Studien mit der Zahl der Studienteilnehmer und den eingesetzten Substanzen.
⊡ Tabelle 40.1. Plazebokontrollierte Studien zum Einsatz von unfraktioniertem Heparin (UFH), niedermolekularem Heparin (NMH) oder Heparinoiden zur Behandlung des akuten ischämischen Insultes Studie
Substanz
n
Ergebnis
International Stroke Trial [6]
UFH; 2 x 5.000, 2x15.000
19.435
Negativ
TOAST [7]
Danaparoid
1281
Negativ
Fiss bis [8]
Nadroparin
766
Negativ
Hongkong [9]
Nadroparin
308
Partiell positiv
TOPAS [10]
Certoparin
400
Negativ
TAIST [11]
Tinzaparin
1486
Negativ
207 Neurologie
V
Ist–Studie: Heparin und ASS in der Akutphase des Schlaganfalls 26 000 I. E. Heparin + ASS
2,8
26 000 I. E. Heparin
4,4
3,5
10 000 I. E. Heparin + ASS
3,2
2,1
1,6
Re-Ischämie < 14 Tage Blutung < 14 Tage
10 000 I. E. Heparin
3,2
1,1
ASS
3,2
1,0
Ø
4,4
0
2
0,6
4 Prozent
6
8
⊡ Abb. 40.1. Ergebnisse des International Stroke Trial. Blau dargestellt ist die Häufigkeit von erneuten Ischämien, grau die Häufigkeit intrakranieller Blutungen. ASS Acetylsalicylsäure
Die wichtigste Studie war IST (International Stroke Trial), in der 19.435 Patienten randomisiert entweder 2-mal 5000 Einheiten oder 2-mal 15.000 Einheiten Heparin oder keine gerinnungshemmende Behandlung erhielten [6]. In einem faktoriellen Design erhielt ein Teil der Patienten auch Acetylsalicylsäure. Bei den Patienten, die keine Antikoagulation erhielten, betrug die Häufigkeit erneuter zerebraler Ischämien innerhalb von 14 Tagen 4,4 %, und die Rate spontaner Blutungen 0,6 % (⊡ Abb. 40.1). Bei den Patienten, die mit 10.000 Einheiten Heparin behandelt wurden, betrug die Reischämierate 3,2 % und die Blutungsrate 1,6 %, bei den Patienten, die 25.000 Einheiten Heparin erhielten, lag die Reischämierate bei 3,5 % und die Blutungsrate bei 3,2 %. Die IST-Studie zeigt also, dass durch die Gabe von Heparin die Häufigkeit von Reischämien in den ersten 14 Tagen reduziert werden kann, dies aber mit einer signifikanten Zunahme zerebraler Blutungen erkauft wird und damit kein therapeutischer Nutzen von unfraktioniertem Heparin besteht. Kritisch muss allerdings angemerkt werden, dass Heparin nicht PTT-gesteuert eingesetzt wurde und dass viele Patienten kein CT zum initialen Blutungsausschluss erhielten. Ähnliche Ergebnisse erzielte die TOAST-Studie [7], die Danaparoid einsetzte, die FISS-bisStudie mit Nadroparin [8], die TAIST-Studie mit Tinzaparin [11] und die TOPAS-Studie mit Certoparin [10]. Lediglich eine kleine Studie in Hongkong mit nur 308 Patienten zeigte nach sechs Monaten einen therapeutischen Nutzen von Nadroparin, wobei die Ergebnisse nach drei Monaten keinen Unterschied zeigten [9]. Diese Studie war allerdings viel zu klein, um statistisch valide zu sein. Nimmt man alle Studien zusammen, ergibt sich kein Nutzen einer PTT-wirksamen Heparinisierung oder einer Behandlung mit niedermolekularem Heparin, um die Prognose des akuten Schlaganfalls zu verbessern. Rein theoretisch hätte eine Behandlung mit einem niedermolekularen Heparin bei Patienten mit einer kardialen Emboliequelle wie Vorhofflimmern wirksam sein müssen. Die HAEST-Studie schloss 449 Patienten mit einem ischämischen Insult und Vorhofflimmern ein, die entweder mit 160 mg Acetylsalicylsäure oder 100 IE/kg Dalteparin 2-mal täglich behandelt wurden [12]. 19 Patienten, dies entspricht 8,5 %, erlitten in der Dalteparin-Gruppe ein erneutes ischämi-
208
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
sches Ereignis, verglichen mit 17 (7,5 %) in der Gruppe mit Aspirin. Es ergaben sich auch keine Unterschiede für symptomatische Blutungen, Blutungskomplikationen insgesamt oder eine Progression des Infarkts. Tiefe Beinvenenthrombosen bei Schlaganfall
V
Ältere Studien zeigen, dass etwa ein Drittel aller Patienten mit schwerer Parese im Bein nach Schlaganfall eine tiefe Beinvenenthrombose erleiden [13] und 2 % aller Schlaganfallpatienten eine Lungenembolie [6]. Subgruppenanalysen der FISS-bis-Studie, in der Nadroparin eingesetzt wurde, und der TAIST-Studie, in der Tinzaparin benutzt wurde, ergaben eine signifikant niedrigere Rate an symptomatischen tiefen Beinvenenthrombosen bei den Patienten, die mit niedermolekularem Heparin behandelt worden waren. Beide Studien verwendeten allerdings keine Methoden, um klinisch stumme tiefe Beinvenenthrombosen zu identifizieren. Eine Studie von McCarthy aus dem Jahr 1986 verglich in einem offenen Studiendesign die Gabe von 5000 Einheiten UFH mit einer Behandlung ohne Heparin an 305 Patienten mit akutem Schlaganfall und Parese im Bein [14]. Nuklearmedizinische Untersuchungen mit radioaktiv markiertem Fibrinogen zeigten in einer Häufigkeit von 22 % tiefe Beinvenenthrombosen bei den Patienten, die Heparin erhalten hatten und 73 % bei den Kontrollen. Es gibt bisher nur zwei randomisierte Studien zur Verhinderung tiefer Beinvenenthrombosen bei Patienten mit akutem Schlaganfall, in denen ein niedermolekulares Heparin mit UFH verglichen wurde. Hilboom et al. verglichen in einer randomisierten, doppelblinden Studie an 212 Patienten mit Schlaganfall und Parese im Bein 40 mg s.c. Enoxaparin 1-mal täglich mit 5000 Einheiten Heparin s.c. 3-mal täglich über 10 Tage [15]. Bei Verdacht auf eine tiefe Beinvenenthrombose wurde eine Phlebographie angefertigt. Tiefe Beinvenenthrombosen fanden sich bei 18 % der Patienten in der Enoxaparin-Gruppe und bei 25 % in der Heparin-Gruppe. Der Unterschied war statistisch nicht signifikant. Auch bezüglich der Mortalität ergaben sich keine Unterschiede. Die PROTECT-Studie untersuchte Certoparin gegenüber einer Standardprophylaxe mit UFH [16]. Die Studie war prospektiv, randomisiert, doppelblind und multizentrisch. Die Schlaganfallpatienten erhielten entweder 3000 Einheiten Certoparin 1-mal täglich oder 5000 Einheiten unfraktioniertes Heparin 3-mal täglich über eine Dauer von 12–16 Tagen. An den Tagen 0, 4, 7 und 12 wurde eine Duplexsonographie der Beinvenen durchgeführt, am Tag 0 und 7 eine Computertomographie des Gehirns. In der Certoparin-Gruppe wurden 272 Patienten behandelt, in der Gruppe mit UFH 273 Patienten. Thromboembolische Ereignisse fanden sich in der per Protokollanalyse bei 7 % der Patienten, die Certoparin erhalten hatten, und bei 9,7 % der mit UFH behandelten Patienten. Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant. Parenchymatöse intrakranielle Blutungen traten bei je zwei Patienten in jeder Behandlungsgruppe auf. Die Mortalität war nicht unterschiedlich. Diese beiden Studien belegen, dass niedermolekulare Heparine, die einfacher zu applizieren sind, mindestens genauso wirksam sind wie UFH und bei Patienten mit Beinparesen nach Schlaganfall tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien verhindern. Eine Metaanalyse von Bath im Jahr 2000 zeigte, wie oben beschrieben, dass durch die Gabe von niedermolekularem Heparin und Heparinoiden die Sterblichkeit und der Ausgang beim Schlaganfall nicht verhindert werden kann, dass aber auch die älteren Studien eindeutig belegen, dass die Gabe von niedermolekularem Heparin tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien verhindert [17].
209 Neurologie
V
Zerebrale Blutung Auch Patienten, die eine zerebrale Blutung erlitten haben und unter einer Parese des Beines leiden, haben ein signifikant erhöhtes Risiko, eine tiefe Beinvenenthrombose und oder eine Lungenembolie zu erleiden. Die bisher durchgeführten offenen, nichtrandomisierten Studien zeigten kein erhöhtes zerebrales Blutungsrisiko bei der Gabe von niedermolekularem Heparin bei Patienten mit zerebralen Blutungen [18]. Da das Thromboserisiko hoch ist, sollten auch diese Patienten mit niedermolekularem Heparin behandelt werden. Dissektion hirnversorgender Arterien Insbesondere bei jüngeren Menschen sind Dissektionen hirnversorgender Arterien keine seltene Ursache von TIAs oder Schlaganfällen. Bei der Karotisdissektion stehen Schmerzen am Hals, ein Horner-Syndrom, Heiserkeit und neurologische Ausfälle, die dem Versorgungsgebiet der A. cerebri media zuzuordnen sind, im Vordergrund. Bei der Vertebralisdissektion kommt es zu Nackenschmerzen in Verbindung mit Schluckstörungen und Hirnstammsymptomen, wie Ataxie, Drehschwindel, Doppelbildern und Paresen. Eine Reihe von offenen prospektiven Studien hat belegt, dass durch eine PTT-wirksame Vollheparinisierung die Prognose deutlich verbessert werden kann und es unter dieser Behandlung nur zu wenigen manifesten Schlaganfällen kommt [19–21]. Ein systematischer Vergleich zwischen niedermolekularem Heparin und unfraktioniertem Heparin in dieser Indikation wurde bisher nicht durchgeführt. Sinusvenenthrombosen Sinusvenenthrombosen können spontan, bei Gerinnungsstörungen oder als Folge entzündlicher Prozesse der Nasennebenhöhlen oder des Mastoids auftreten. Durch die Thrombose kommt es zu venösen Stauungsblutungen, die zu fokal neurologischen Defiziten, wie epileptischen Anfällen, Sprachstörungen, Hemiparesen und zunehmendem Hirndruck führen. Der Nachweis der Sinusvenenthrombose erfolgt durch Kernspinangiographie oder die klassische Subtraktionsangiographie. Auch bei bestehenden Blutungen wird die Prognose durch die PTTwirksame Vollheparinisierung signifikant verbessert [22–24]. In der Indikation Sinusvenenthrombose liegen bisher keine Vergleichsstudien zwischen niedermolekularen Heparin und unfraktioniertem Heparin vor. Interventionelle Eingriffe In zunehmendem Maße werden extra- und intrakranielle hochgradige Stenosen hirnversorgender Arterien interventionell mit Stents und Ballondilatationen versorgt. Diese Eingriffe werden unter Vollheparinisierung durchgeführt, gefolgt von einer Behandlung mit niedermolekularem Heparin über drei Tage. Die Heparinisierung wird in diesen Fällen kombiniert mit der Gabe von Acetylsalicylsäure und Clopidogrel. Andere neurologische Erkrankungen Bei anderen neurologischen Erkrankungen, die mit Paresen der Beine einhergehen, wie Querschnittlähmungen, schwere Polyneuropathien oder entzündliche Nervenerkrankungen, gelten dieselben Prinzipien bezüglich der Gabe von Heparin oder Heparinoiden wie in der Intensivmedizin.
210
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Literatur
V
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211 Reisethromboseprophylaxe
V
Reisethromboseprophylaxe
41.
Reisethrombose Helmut Landgraf
Seit vielen Jahren werden Reisen, insbesondere Flugreisen als Risikofaktoren für Thrombosen diskutiert. In diesem Zusammenhang wurden mehrere Begriffe geprägt, initial war es der Begriff des »economy class syndrome« der zwischenzeitlich durch den Begriff »Reisethrombose« bzw. »travellers‘ thrombosis« ersetzt worden ist. Diese Bezeichnungen sollen ausdrücken, dass Thrombosen nicht nur auf Flugreisen, sondern auf allen Arten von Reisen, die längere Zeit andauern, auftreten können. Zu Thrombosen in bodengebundenen Transportmitteln gibt es wenig Literatur, während zur Flugreisevenenthrombose relativ viele Studien und Untersuchungen publiziert wurden. Sicher trägt auch das Echo in den Medien auf teilweise spektakuläre Todesfälle während oder nach einem Flug zu diesem Ungleichgewicht bei. Bis zum Jahr 2000 waren Publikationen über das Auftreten dieser speziellen Form der Thrombose v. a. Fallbeschreibungen bzw. pathophysiologisch orientierte Untersuchungen (Cruickshank et al. 1988; Eklof et al. 1996; Homans 1954; Landgraf et al. 1994; Ledermann u. Keshavarzian 1983, May u. Mignon 1981, Sarvesvaran 1986, Symington u. Stack 1977). In den Jahren 1999 und 2000 wurden erstmals Fallkontrollstudien zu diesen Themen publiziert und erst in den Folgejahren prospektive Kohortenstudien, die allerdings – in Anbetracht der geringen Inzidenz einer (Flug-)Reisethrombose – mit relativ kleinen Kollektiven durchgeführt wurden (Ferrari et al. 1999; Samama et al. 2000; Kraaijenhagen et al. 2000; Scurr et al. 2001; Schwarz et al. 2003; Belcaro et al. 2001; Cesarone et al. 2002). In einer retrospektiven Analyse behandlungsbedürftiger Lungenembolien nach längeren Flugreisen bei der Ankunft auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulles wurde eine Korrelation der Anzahl von Lungenembolien zu der geflogenen Distanz (entsprechend den Flugzeiten) gefunden: Unter 2500 km waren praktisch keine Embolien aufgetreten, während bei Flugstrecken von mehr als 10.000 km Lungenembolien mit einer Inzidenz von 4,77 auf 1 Mio. auftraten (Lapostolle et al. 2001). In einer prospektiven Studie aus Neuseeland wurden venöse Thromboembolien in 1 % der untersuchten Passagiere festgestellt, eine Kontrollgruppe gab es dabei allerdings nicht (Hughes et al. 2003). Mit einer Ausnahme (Scurr et al. 2001) weisen fast alle Studien auf einen zahlenmäßig nur geringen Zusammenhang zwischen der Entwicklung einer Venenthrombose und einer langen (Flug-)Reise hin. In den meisten Untersuchungen gab es Hinweise darauf, dass vor allem Patienten mit vorbestehenden Risikofaktoren gefährdet sind, eine Thrombose zu erleiden. Es muss auch festgehalten werden, dass die Mehrzahl der Thrombosen isoliert in den Muskelvenen des Unterschenkels lokalisiert waren und die klinische Bedeutung dieses Befundes derzeit noch unklar ist (Schwarz et al. 2001). In einer Übersichtsarbeit im Jahre 2004 kommen Schwarz und Mitarbeiter zu folgender Zusammenfassung: ▬ Langstreckenflüge sind mit einem geringen Thromboserisiko assoziiert. Die Inzidenz symptomatischer Lungenembolien ist sehr niedrig. Die häufigste Komplikation ist die asymptomatische, isolierte Muskelvenenthrombose von fraglicher klinischer Relevanz.
212
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
▬ Über die Thrombosegefahr bei Kurzstreckenflügen sind keine zuverlässigen Aussagen
möglich. Flüge unter 6 Stunden Dauer sind wahrscheinlich ohne Risiko. ▬ Passagiere unter 45 Jahren ohne angeborene oder erworbene Thrombophilie haben kein
oder ein vernachlässigbar geringes Risiko. Fast alle Personen mit einer flugassoziierten Thrombose haben zusätzliche Risikofaktoren.
V
Chee u. Watson (2005) kommen zu sehr ähnlichen Schlussfolgerungen, allerdings werden hier 8 Stunden als kritische Zeitgrenze angesehen. Eine Angabe, die ebenso wie die Zeit von 6 Stunden bei Schwarz und Mitarbeitern sicher nur als Orientierung dienen kann. Pathophysiologisch orientierte Untersuchungen zu den zugrunde liegenden Veränderungen haben bisher nicht zu eindeutigen bzw. unwidersprochenen Ergebnissen geführt (Bendz et al. 2000; Landgraf et al. 1994; Schobersberger et al. 2002), so dass zurzeit ein mit (Flug-)Reisen assoziierter Pathomechanismus nicht zuverlässig identifiziert werden kann. Risikostratifizierung Eine Risikostratifizierung muss die verschiedenen Risikofaktoren des Flugpassagiers in einen Zusammenhang mit dem Risikofaktor »Langstreckenreise« bringen. Hier gibt es mehrere Vorschläge in der Literatur: Auf einem Expertentreffen in Berlin 2001 (Landgraf et al. 2002) wurde die Empfehlung gegeben, individuelle Häufungen und Bedeutungen der einzelnen Risikofaktoren zu beurteilen, was allerdings Erfahrungen mit diesen Erkrankungen erfordert. Eine Konsensuskonferenz von Experten der Angiologischen und Phlebologischen Fachgesellschaften Deutschlands, Österreichs und der Schweiz empfiehlt eine schematische und damit auch einfach anzuwendende Einteilung verschiedener Risikogruppen, die sich nach den bekannten Thromboserisikogruppen richtet. Eine Prophylaxe ist damit relativ einfach durchzuführen (Partsch et al. 2001). Es werden 3 Gruppen unterschieden: ▬ Gruppe 1 – niedriges Risiko: Jede vielstündige Reise in vorwiegend sitzender Position bedingt bei Reisenden, die ansonsten keine in den weiteren Risikogruppen angeführten persönlichen Risikofaktoren haben, ein niedriges Risiko. ▬ Gruppe 2 – mittleres Risiko: Zusätzlich zu einer längeren Reisedauer sind gegeben: Schwangerschaft oder postpartale Phase oder mindestens zwei der nachfolgend aufgeführten Faktoren Alter über 60 Jahre, klinisch relevante Herzerkrankung, nachgewiesene Thrombophilie/familiäre Thromboseneigung, große Varizen, chronisch-venöse Insuffizienz, Ovulationshemmer/postmenopausale Hormonersatztherapie, Adipositas mit einem BMI > 30, Exsikkose. ▬ Gruppe 3 – hohes Risiko: Zusätzlich zur längeren Reisedauer sind gegeben: anamnestisch bekannte venöse Thromboembolien (auch länger zurückliegend), manifeste maligne oder sonstige schwere Erkrankungen,
213 Reisethromboseprophylaxe
V
gelenkübergreifende Ruhigstellung der unteren Extremitäten, kurz zurückliegender operativer Eingriff mit hohem Thromboserisiko.
Prophylaktische Maßnahmen Die im Rahmen der genannten Expertenkonferenz vorgeschlagenen Maßnahmen (Partsch et al. 2001) gelten als generelle Empfehlungen. Sie sind nicht wissenschaftlich abgesichert, sondern beruhen auf so genannter Expertenmeinung. Dies gilt insbesondere für den Einsatz von Medikamenten, für die es in diesem Zusammenhang bisher keine Untersuchungen gibt. Während allerdings der Einsatz von Heparin bzw. niedermolekularem Heparin im Rahmen der Thromboseprophylaxe bei internistischen Risikopatienten nachgewiesenermaßen effektiv ist (Bauersachs et al. 1998; Samama et al. 1999; Kleber et al. 2003), gibt es für den Einsatz von Acetylsalicylsäure in dieser Indikation überhaupt keine gesicherte wissenschaftliche Grundlage. Im Einzelnen werden folgende Maßnahmen empfohlen: ▬ Gruppe 1 – niedriges Risiko: Allgemeine Maßnahmen: Bewegungsübungen, z. B. Fußwippen; isometrische Übungen; im Auto: wiederholte Pausen einlegen und einige Schritte gehen; ausreichende Flüssigkeitszufuhr (jedoch Zurückhaltung bei Alkohol); Zurückhaltung beim Gebrauch von Sedativa und Hypnotika (cave »regungsloses« Sitzen). Allgemeine Bemerkung: Die Reisethrombose ist eine Sitzthrombose und Aufstehen daher eine logische Prophylaxemaßnahme. ▬ Gruppe 2 – mittleres Risiko: Allgemeine Maßnahmen: (s. Gruppe 1); Wadenstrümpfe im Druckbereich der Kompressionsklasse 1; bei Patienten mit venöser Insuffizienz medizinische Kompressionsstrümpfe je nach Indikation; im Einzelfall, z. B. bei Schwangerschaft oder Thrombophilie, kann niedermolekulares Heparin gegeben werden (s. Gruppe 3) ▬ Gruppe 3 – hohes Risiko: Allgemeine Maßnahmen: (s. Gruppe 1); Kompression (s. Gruppe 2); niedermolekulares Heparin; subkutane Applikation knapp vor Reiseantritt; vor jeder Reise mit erhöhtem Thromboserisiko (Definition s. oben), bei Rundreisen daher evtl. 1-mal täglich; Hochrisikodosierung (in Analogie zur Prophylaxe bei internistischen Risikopatienten). In jedem Fall muss eine individuelle Beratung des Patienten erfolgen, bei der Notwendigkeit und Dringlichkeit der Reise mit in die Beurteilung einbezogen werden sollten. Im Fall einer notwendigen medikamentösen Thromboseprophylaxe stellen niedermolekulare Heparine zum heutigen Zeitpunkt das Mittel der Wahl dar, sie verfügen über die erforderliche hohe Effektivität und Sicherheit. Problematisch ist allenfalls die Notwendigkeit, diese Medikamente subkutan zu applizieren, was aber im Einzelfall sicher gut erlernbar ist.
214
V Weitere Einsatzgebiete niedermolekularer Heparine
Literatur
V
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215 Reisethromboseprophylaxe
V
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VI
Pharmaökonomie
Pharmaökonomische Betrachtungen zum Einsatz niedermolekularer Heparine 42. Auswirkungen der DRGs auf den Einsatz niedermolekularer Heparine (NMH) im ambulanten Bereich 219 43. Evidenzen für eine günstige Kosten-Nutzen-Bewertung der niedermolekularen Heparine 225
219 Pharmaökonomische Betrachtungen
VI
Pharmaökonomische Betrachtungen zum Einsatz niedermolekularer Heparine
42.
Auswirkungen der DRGs auf den Einsatz niedermolekularer Heparine (NMH) im ambulanten Bereich Bernd Brüggenjürgen, Stefan N. Willich
Mit der Einführung der DRGs (Diagnosis Related Groups) als Entgeltsystem im stationären Bereich sind erhebliche Veränderungen in der Versorgungssituation zu beobachten. DRGs sind diagnosebezogene Fallgruppen, die zur krankheitsbezogenen Klassifikation von Patienten im stationären Bereich verwendet werden. Damit die Behandlungsfälle der richtigen DRG im System zugeordnet werden können, müssen sie vollständig und regelrecht kodiert sein. Für die Zuordnung werden die nach ICD-10 kodierten Diagnosen sowie die nach der deutschen Prozedurenklassifikation OPS-301 kodierten Leistungen herangezogen. Die Erstattung der ärztlichen Leistungen im ambulanten Bereich erfolgt dagegen auf der Basis des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM). Auch hier sind die behandelnden Ärzte durch die Einführung des EBM2000 einem erheblichen Umstellungsprozess unterworfen. Ziel der Entwickler des neuen EBM ist eine Vereinfachung der Honorierung und eine Abkehr von der Einzelleistungsvergütung. Anders als im stationären Bereich war und bleibt die Erstattung der Arzneimittel von der Honorierung der Leistungserbringer getrennt. Seit der Aufhebung des Arzneimittelbudgets unterliegt die Verordnung für Arzneimittel einer facharztspezifischen Richtgrößenvereinbarung, um einen aufgrund der aufgehobenen Budgetierung befürchteten Anstieg der Arzneimittelausgaben zu bremsen. Auswirkungen der DRGs Allgemein Allgemein werden im Rahmen der DRG verschiedene Vorteile und Nachteile diskutiert. Allerdings beruht die Diskussion kaum auf objektiv ermittelten Erkenntnissen, da die Einführung der DRGs in Deutschland ohne eine konsequente Begleitevaluation durchgeführt worden ist. Als Vorteile werden üblicherweise genannt: Verkürzung der Verweildauer, Optimierung von Abläufen, Verkürzung von Wartezeiten, Verbesserung der Transparenz von Leistungserbringung, optimierter Ressourceneinsatz und Reduktion der Kosten sowie auch eine Verbesserung der Qualität der stationären Versorgung. Die verkürzte Verweildauer wird aber immer wieder auch mit der sogenannten »blutigen Entlassung« in Zusammenhang gebracht, was durch die nunmehr überwiegende Unabhängigkeit der DRG-Pauschalen von der Länge der Aufenthaltsdauer zustande kommt. Zudem werden ein zunehmender Kostendruck, und – neben einer fehlenden Akzeptanz durch Ärzte - die enorm gestiegene Arbeitszeit und Leistungsverdichtung des an der Patientenversorgung beteiligten Personals genannt. Seit den 80er Jahren sind mit der ersten Einführung von DRGs in den USA Erfahrungen gesammelt worden. US-amerikanische Studien zeigten folgende Ergebnisse als Konsequenz der DRG-Einführung:
220
VI Ökonomie
▬ Patienten waren bei Aufnahme in das Krankenhaus kränker als vor Einführung der DRGs.
VI
Die Ursachen dieser Entwicklung sind unklar. Die Autoren diskutieren den Einfluss der sich den USA in den 80er Jahren parallel entwickelnden ambulanten Pflegeeinrichtungen, aber auch der etwa zeitgleich eingeführten Managed-Care-Systeme [1]. ▬ Die Liegedauer verkürzte sich um etwa 24 % im Vergleich der Jahre 1981/82 und 1985/86 [2]. ▬ Der Anteil der Patienten, die klinisch instabil entlassen wurden, stieg von 10 auf 15 % an. Die Beurteilung der Instabilität erfolgte dabei über einen Score, der sich aus Symptomen, körperlichen Untersuchungsbefunden und Laborwerten am Entlassungstag zusammensetzte [3]. ▬ Die Mortalität änderte sich nicht. Während die Krankenhausmortalität sogar leicht sank, blieben die 30- und 180-Tage-Mortalität unverändert [2]. ▬ Die Prozessqualität im Krankenhaus verbesserte sich. Es wurden demnach mehr körperliche Untersuchungen, mehr Labor- und apparative Untersuchungen durchgeführt. Ob diese Kriterien wirklich eine Verbesserung der Versorgungsqualität aus heutiger Sicht darstellen, muss allerdings kritisch beurteilt werden [4]. Auswirkungen auf die ambulante Versorgung Kürzere Krankenhausaufenthalte führen aufgrund der fallbezogenen Kostenpauschale zu einer Verlagerung der Behandlung in ambulante Einrichtungen. Diese Auswirkungen sind jedoch bislang nur wenig untersucht worden. Auch bei der Einführung einer adaptierten USDRG in Australien, die sozusagen die Grundlage der ersten deutschen DRGs darstellten, sind unseres Wissens derartige Studien nicht durchgeführt worden. US-amerikanische Daten zeigten eine Zunahme der Inanspruchnahme von Medicare-Pflegeeinrichtungen von 1,9 Mio. (1990) auf 3,4 Mio. (1995) [5]. Die Anzahl von Pflegediensten wuchs dabei von 5718 auf 9147. Die Intensität der Hausbesuche nahm im selben Zeitraum von 34 auf 69 Besuche pro Jahr zu [5]. Diese Zahlen werden durch die Ausgabenverlagerung der Versicherungen in den USA vom stationären in den ambulanten Sektor bestätigt: So verursachten im Jahr 1980 Krankenhäuser 67 % der Medicare-Ausgaben, 1995 war der Anteil auf 49 % gesunken [5]. Dies zeigt, dass die DRG-Einführung eigentlich auch Überlegungen zur Anpassung der derzeit getrennten Budgets für den ambulanten und stationären Bereich erforderlich macht. Allerdings wird eine derartige Diskussion bisher in Deutschland nicht geführt und entbehrt aufgrund der fehlenden Begleitforschung vermutlich auch einer objektiven Grundlage. In Deutschland werden durch den direkten Arzneimittelbezug im Krankenhaus – ggf. vom Hersteller unmittelbar – die Kosten, die im Vergleich zum ambulanten Sektor entstehen, fast halbiert, da die Distributionsaufwendungen vom Großhandel und bei den Apotheken entfallen. Die kostenlose Belieferung der Krankenhäuser mit teuren Originalen lässt im Krankenhaus anders als im stationären Bereich keinen Anreiz entstehen, preiswertere Generika zu ordern und zu nutzen. Für die deutsche Situation ist daher folgende Entwicklung zu erwarten und wird aus Sicht behandelnder Ärzte auch bestätigt: Laufende Therapien bei chronisch kranken Patienten, die zu einer ausreichenden Beherrschung des Krankheitsgeschehens geführt haben, werden während des meist deutlich verkürzten stationären Aufenthalts nicht – wie bisher üblich – umgestellt, sondern eine eingestellte Medikation wird eher weniger kritisch als vor Einführung der DRGs bestätigt, um keine Gründe für einen Wechsel zu liefern. Somit können ggf. die mitgebrachten verordneten Arzneimittel weiter eingenommen können – ohne Kosten für das Krankenhaus-
221 Pharmaökonomische Betrachtungen
VI
budget jedoch zu Lasten der ambulanten facharztspezifischen Richtgrößen. Dieser veränderte Arzneimittelzugang hat allerdings auch den Vorteil, dass die permanente – und der Compliance nicht zuträgliche – Umstellung der Therapie für Patienten zwischen Praxis und Klinik vermieden wird. Es besteht die Gefahr, dass zunehmend durch die Weiterführung der ambulanten Therapie zu Lasten der ambulanten Verordner der Wirtschaftlichkeitsdruck in den ambulanten Sektor verlagert wird. Angesichts der schnellen Entwicklung der Arzneimittelmärkte und den trägen, mehrjährigen DRG-Anpassungsprozessen, ist zu erwarten, dass insbesondere Patienten mit Hochpreistherapien, die nicht in voller Höhe in die DRG-Pauschale einkalkuliert wurden, zunehmend einen kürzeren oder mit kurzen ambulanten Zwischenaufenthalt ergänzten Krankenhausaufenthalt erfahren werden. Aspekte der Thromboseprophylaxe im stationären Bereich Die medikamentöse Thromboseprophylaxe insbesondere mit NMH stellt eine Maßnahme dar, die z. B. für operierte Patienten oder immobile Patienten klinisch notwendig ist. Dabei hat sich die reguläre Prophylaxe mit NMH unter den Rahmenbedingungen der DRGs unter einer Gesamtkostenbetrachtung als vergleichsweise kostengünstig erwiesen. So zeigten Juhra et al. folgende notwendigen Aspekte aus Sicht der DRG-Rahmenbedingungen auf [6]: Beim Kostenvergleich verschiedener Möglichkeiten der Thromboseprophylaxe dürfen nicht nur die reinen Medikamentenpreise betrachtet werden. Einbezogen werden müssen alle Kosten, angefangen von der Beschaffung, hausinternem Transport und Lagerung bis zur Applikation des Medikaments am Patienten. Dadurch kann sich der Kostenvergleich erheblich verschieben. Zu berücksichtigen sind vor allem die Personalkosten für die Applikation des Medikaments. So müssen die hochmolekularen Heparine dreimal täglich appliziert werden. Bei durchschnittlichen Personalkosten von € 0,50 pro Minute in der Pflege kann dies – je nach Größe der Station – noch einmal einen zusätzlichen Kostenfaktor bedeuten. Auf einer Station mit 30 Betten resultiert aus einer geschätzten Zeit von 2 min/Patient für die Gabe eines unfraktionierten Heparins eine zusätzliche Arbeitszeit von zwei Stunden für die Pflege pro Tag. Das je 5000-IE-Dosis günstigere Heparin verteuert sich dadurch von € 2,27 auf € 4,27. Es kostet damit mehr als niedermolekulares Heparin, das nur einmal am Tag gegeben werden muss. Hierzu müssen noch Lager-, Transport- und Bereitstellungskosten einkalkuliert werden. Gesundheitsökonomische Rahmenbedingungen des Einsatzes niedermolekularer Heparine im Versorgungsalltag Der ambulante Einsatz der NMH ist nicht von der initialen Prophylaxe in der Klinik zu trennen. Im Folgenden wird daher aus Sicht der Gesetzlichen Krankenversicherung über die Kosten für eine Kurzfristprophylaxe sowie für eine 28-Tage-Prophylaxe und über die Kosten auf Basis der im Rahmen der TOCA-Studie1 erhobenen realen Versorgungsdaten berichtet.
1
Das primäre Ziel dieser prospektiven Kohortenstudie (September 2002 bis Mai 2003, durchgeführt vom Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité Universitätsmedizin Berlin) war eine Beschreibung der Behandlung und Kosten der Prävention tiefer Beinvenenthrombosen über 3 Monate nach elektiven Hochrisikoeingriffen. Sekundäre Ziele waren die Einhaltung der klinischen Leitlinien, Auftreten von DVTs oder andere Komplikationen unter Thromboseprophylaxe sowie die Lebensqualität und Zufriedenheit der Patienten nach Hüft- und Kniegelenkersatz.
222
VI Ökonomie
⊡ Tabelle 42.1. Kosten der NMH-Standardprophylaxe für Modellszenarien mit 10 und 28 Tagen Prophylaxedauer Fraxiparin (Packungsgröße N1, 10 Fertigspritzen)
Kosten [€]
Kosten [€]
Kosten pro Packung (abzgl. Rabatte plus Zuzahlung)
62,88
124,46
Kosten pro Fertigspritze (abzgl. Rabatte plus Zuzahlung)
6,29
6,22
Kosten pro Injektion durch Pflegedienst
7,66
7,66
Kosten pro Injektion (bei 25 % assistiert durchgeführten)
1,92
1,92
Kosten pro Injektion (Material und Pflege)
8,20
8,14
24,61
170,90
Kosten für Injektionen (Material und Pflege)
VI
Kostenszenarien mit 10 bzw. 28 Tagen Prophylaxedauer Nach Raming fallen ambulant und stationär folgende Kosten am Beispiel orthopädischer Indikationen für die Durchführung der Prophylaxe mit NMH in Abhängigkeit von der verabreichten Dauer an [7]: Für die Standardprophylaxe wird eine Prophylaxedauer von zehn Tagen, für die Langzeitprophylaxe eine Dauer von 28 Tagen angenommen. Aus der Perspektive der GKV sind die Therapietage, die nicht stationär verbracht werden, relevant. Bei einer Dauer der stationären Behandlung von sieben Tagen verbleibt eine ambulante Therapiedauer von drei Tagen, bei 28 verbleiben 21 ambulante Therapietage (unter der Annahme einer ambulanten Rehabilitation), an denen jeweils eine NMH-Injektion durchgeführt wird. Es wird von 25 % durch den Pflegedienst durchgeführten NMH-Injektionen ausgegangen (⊡ Tabelle 42.1). Die Kostendifferenz zwischen Kurz- und Langzeit-NMH-Prophylaxe (inkrementelle Kosten pro Patient) beträgt € 146,29. Kostenszenarien basierend auf der TOCA-Prophylaxedauer Die Ergebnisse der TOCA-Studie haben gezeigt, dass trotz der Einführung der DRGs im Studienzeitraum eine relativ stabile Langzeitprophylaxe bei orthopädischen Elektiveingriffen an Hüfte und Knie in Deutschland durchgeführt wird.
⊡ Tabelle 42.2. Dauer der parenteralen Antikoagulation (TOCA-Studie) n
Mittelwert Tage [SD]
Range [Tage]
Hüftgelenkersatz
181
35,2 (14,4)
5–91
Kniegelenkersatz
128
41,7 (17,6)
6–91
Gesamt
309
37,8 (16,1)
5–91
VI
223 Pharmaökonomische Betrachtungen
Alle Patienten bekamen mindestens für die Dauer der stationären Akutbehandlung eine parenterale Antikoagulation mit einem NMH. Bei 255 Patienten (82,5 %) wurde die parenterale Antikoagulation auch nach der Entlassung aus dem Akutkrankenhaus fortgeführt. Die Dauer der parenteralen Antikoagulation auf Basis der TOCA-Studie ist in ⊡ Tabelle 42.2 dargestellt. 49 % der Patienten, die nach der Entlassung weiterhin eine parenterale Antikoagulation erhielten, waren in der Lage, sich die Medikation selbst zu injizieren. Von diesen hatten 119 (95,2 %) ärztliche oder pflegerische Instruktionen erhalten, drei gehörten selbst einem Heilberuf an und drei hatten Vorerfahrung mit Selbstinjektionen. Die restlichen 123 Patienten benötigten Hilfe bei der Durchführung der Injektionen. 27 Patienten (8,7 %) erhielten im Anschluss an die parenterale eine orale Antikoagulation für die Dauer von 37,6 Tagen (Range 2–60, SD 21,3). 90 % der Patienten gaben an, die Thromboseprophylaxe zuverlässig durchgeführt zu haben. Für die orthopädischen Indikationen ist kennzeichnend, dass Anschlussheilbehandlungen durchgeführt werden. Aus Kostengesichtspunkten fallen daher aus Perspektive der GKV während der Anschlussheilbehandlung keine Kosten durch NMH an. Bei einer Dauer der parenteralen Thromboseprophylaxe von im Mittel 37,8 Tagen wurden für die zwischenzeitlich nach Hause entlassenen Patienten pro Fall 11,4 ambulante NMH-Injektionen notwendig. Bei einer Häufigkeit von 9,4 %, bezogen auf das Gesamtkollektiv, bedeutet dies 1,07 veranlasste ambulante NMH-Injektionen pro Studienteilnehmer. Für die 11 % Studienteilnehmer, die nicht in die Anschlussheilbehandlung gingen, entstehen an 16,2 Tagen ambulante parenterale NMHInjektionen. Bei einer Häufigkeit von 11 %, bezogen auf das Gesamtkollektiv, bedeutet dies 1,78 veranlasste ambulante NMH-Injektionen pro Studienteilnehmer. Insgesamt fielen also pro Patient 2,85 ambulante NMH-Injektionen an, von denen 1,45 assistiert durchgeführt wurden. Somit ergeben sich die Kosten der parenteralen Antikoagulation wie in ⊡ Tabelle 42.3 dargestellt. Zudem fallen pro Studienteilnehmer mit oraler Antikoagulation die Kosten des Monitorings und der Behandlung mit Marcumar® für die Dauer von 37,6 Tagen an. Bei 8,7 % oral antikoagulierten Patienten bedeutet dies Kosten von € 0,52 pro Studienteilnehmer. Zudem verursachten 2,08 Laborkontrollen pro Patient weitere € 5,05 an Kosten. Somit summieren sich die ambulanten Kosten der Thromboseprophylaxe (Material, Pflege, Laborkontrollen) innerhalb der TOCAStudie auf € 34,62 pro Patient. Im Vergleich zu den Kosten der NMH-Standardprophylaxe im Modell (€ 24,61 pro Patient) entstehen durch die Prophylaxestrategie der TOCA-Studie inkrementelle Kosten von € 10,01 pro Patient.
⊡ Tabelle 42.3. Kosten der NMH-Prophylaxe (TOCA-Studie) Fraxiparin (Packungsgröße N1, 10 Fertigspritzen)
Kosten (€)
Kosten pro Packung (abzgl. Rabatte plus Zuzahlung)
62,88
Kosten pro Fertigspritze (abzgl. Rabatte plus Zuzahlung)
6,29
Kosten pro Injektion durch Pflegedienst
7,66
Kosten pro Injektion (bei 51 % assistiert durchgeführten)
3,91
Kosten pro Injektion (Material und Pflege)
10,19
Kosten für 2,85 Injektionen (Material und Pflege)
29,05
224
VI
VI Ökonomie
Aus Sicht der GKV ist der Mehraufwand eher gering, der von einer klinisch sinnvollen Verlängerung im Vergleich zur Kurzzeitprophylaxe verursacht wird. Auch für die Richtgrößen ist der durch die NMH verursachte Kostenanteil vergleichsweise niedrig, da im Rahmen der Elektiveingriffe der überwiegende Teil über die stationären Rehabilitationseinrichtungen abgerechnet wurde. Somit machten, selbst unter Berücksichtigung des höheren Anteils an assistiert durchgeführten Injektionen, weiterer Kosten durch orale Antikoagulation und Laborkontrollen, die zusätzlichen Kosten der Thromboseprophylaxe aus GKV-Perspektive pro Patient nur etwa € 10,– aus. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der größte Teil der Kosten der NMH-Prophylaxe in der TOCA-Studie im Krankenhaus und in der Anschlussheilbehandlung anfiel und daher mit der pauschalen Vergütung durch die GKV, bzw. im Falle der Rehabilitation ggf. durch den Rentenversicherungsträger, abgegolten war. Allerdings wird die anzustrebende Langzeitprophylaxe bei einer Zunahme der ambulanten Rehabilitation bei den Elektiveingriffen und in den Indikationen, bei denen eine stationäre Anschlussheilbehandlung nicht üblich ist, eine stärkere Kostenbelastung in Richtung der ambulanten Richtgrößenbudgets verursachen. Auswirkung auf die Thromboseprophylaxe im ambulanten Bereich Erste Erfahrungen können im Rahmen der Einführung der DRGs in Österreich berichtet werden: Als eine von möglichen Ursachen eines Anstiegs der stationären Patientenaufnahmen vermutet Afflerbach [8] den sog. »Drehtüreffekt«. Demnach werden sehr früh aus stationärer Behandlung entlassene Patienten von niedergelassenen Ärzten aufgrund teurer und/oder zeitintensiver Behandlung rasch wieder in die Kliniken eingewiesen. Die Krankenhäuser versuchen diesen Effekt wiederum zu unterlaufen, indem sie die Patienten an ihre Ambulanzen binden. So stieg in Österreich die Behandlungsfrequenz in Krankenhausambulanzen nach der DRG-Einführung um 15 % [9]. Fischer et al. vermuten für die ambulante Versorgung, dass auf deutsche Hausärzte mehr Hausbesuche zukommen werden und dass Hausärzte häufiger die ambulante Pflege von Schwerkranken und Sterbenden koordinieren werden müssen. Weiterhin werden die Verordnungen für Heil- und Hilfsmittel und von Medikamenten ansteigen (z. B. die Verordnung von niedermolekularen Heparinen zur Thromboseprophylaxe). Ein weiterer Effekt könnte die Verlagerung von nicht kodierungsrelevanter Diagnostik und Therapie in den prä- und poststationären Bereich sein [10]. Mit dem Anstieg der ambulanten Arzneimittelausgaben wird die Konkurrenz innerhalb der facharztspezifischen Arzneimittelausgaben zunehmen. Hier sind allerdings derzeit keine Anpassungen bzw. Ausgleichsbudgets vonseiten des Gesetzgebers geplant. Schlussfolgerungen Für die NMH bedingen die beschriebenen Folgen der DRG-Einführung folgende Konsequenzen: Unter der Annahme, dass die derzeit durchgeführte Therapiedauer angemessen ist, muss bei Beibehaltung des Qualitätsniveaus eigentlich von einer Verlängerung der Therapie im ambulanten Bereich ausgegangen werde. Dies hätte bei vollständiger Befolgung der Prophylaxedauer durch die niedergelassenen Ärzte und einem derzeit nicht vorhandenen Arzneimittelbudget eine Steigerung der ambulanten Kosten auf seiten der Krankenkassen zur Folge. Allerdings werden die niedergelassenen Ärzte aufgrund der Richtgrößenvereinbarungen bei allen pharmazeuti-
225 Pharmaökonomische Betrachtungen
VI
schen Wirkstoffen versuchen, ihre Gesamtmengen einzuschränken, um ihre Zielvorgaben zu erreichen. Insofern steht hier die Thromboseprophylaxe in Budgetkonkurrenz zu anderen von der Prävention völlig unabhängigen Verfahren. Literatur 1. Keeler EB, Kahn KL, Draper D et al. Changes in sickness at admission following the introduction of prospective payment system. JAMA 1990; 264: 1962–1968 2. Kahn KL, Keeler EB, Sherwood MJ, Rogers WH, Draper D, Bentow SS et al. Comparing outcomes of care before and after implementation of the DRG-based prospective payment system. JAMA 1990; 264: 1984–1988 3. Kosecoff J, Kahn KL, Rogers WH et al. Prospective payment system and impairment at discharge. JAMA 1990; 264: 1980–1983 4. Kahn KL, Rogers WH, Rubenstein LV et al. Measuring quality of care with explicit process criteria before and after implementation of DRG-based prospective payment system. JAMA 1990; 264: 1969–1973 5. Coffey RM. Casemix information in the United States: fifteen years of management and clinical experience. Casemix Quarterly, 1999, Volume 1, http://www.casemex.org/volume%201/Coffey.htm 6. Juhra C, Roeder N, Loskamp N. Thromboseprophylaxe im Zeitalter der DRGs. Vascular Care 2003; 5: 56–61 7. Raming B. Kosteneffektivität der Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin bei Hüft- und Kniegelenksersatzoperationen. Dissertation aus dem Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Medizinischen Fakultät der Charité – Universitätsmedizin Berlin, 2004 8. Afflerbach F. Was ist nach aktuellem Stand vom neuen Fallpauschalensystem zu erwarten? DMW 2002; 127: 187–188 9. Stepan A, Sommersgut-Reichmann M. Analyse des neuen leistungsorientierten Krankenanstalten-Finanzierungssystems in Österreich. http://ebweb.tuwien.ac.at/ibwl/lehre/kassel-06-2002.pdf 10. Fischer T, Popert U, Kracht K-D, Kochen MM. Welche Konsequenzen hat die DRG-Einführung für Hausärzte? Z Allg Med 2002; 78: 518–520
43.
Evidenzen für eine günstige Kosten-Nutzen-Bewertung der niedermolekularen Heparine Knut Kröger Einleitung
Das moderne Medizinmanagement geht zunehmend weg von der gewohnten Arbeitsteilung in ärztliche und pflegerische Bereiche sowie der Untergliederung in weitgehend unabhängige Fachabteilungen. Heute steht die Gesamtbetrachtung von Arbeitsprozessen im Mittelpunkt. Entscheidungen für oder gegen eine bestimmte Form der Behandlung werden daher nicht mehr allein aus Sicht einer Berufsgruppe getroffen, sondern orientieren sich am Gesamtprozess der stationären Leistungserbringung unter Berücksichtigung medizinischer und ökonomischer Aspekte. Das klassische Ziel, die Einkaufspreise für bestimmte Sachmittel zu reduzieren oder auf Alternativpräparate auszuweichen, muss heute zwingend von einer Analyse der damit einhergehenden Veränderungen der Arbeitsprozesse begleitet sein. Gerade im DRG-Zeitalter ist sicherzustellen, dass Einsparungen auf der einen Seite nicht durch Kostenverschiebungen auf eine andere Seite zunichte gemacht werden. Da die Personalkosten als größter Kostenblock im Krankenhaus auch den größten Anteil des Etats verbrauchen, steht in Zeiten zunehmenden wirtschaftlichen Drucks gerade dort die Kostenreduktion im Vordergrund. Die Optimierung und Rationalisierung von Arbeitsabläufen bietet neben der Personalreduktion, dem Outsourcing und einer optimierten Einkaufstrategie, die einzige innerbetriebliche Möglichkeit zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit eines
226
VI Ökonomie
Krankenhauses. Neben dem grundsätzlichen Ziel der Kostensenkung macht die zunehmende Arbeitsverdichtung beim ärztlichen Personal, verbunden mit der Abwanderung in klinikferne Tätigkeiten, die Erschließung möglicher Personalressourcen notwendig. Diese Veränderungen sind analog beim Pflegedienst zu beobachten. Studienlage zu niedermolekularen Heparinen
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Am Beispiel der niedermolekularen Heparine (NMH), die wegen ihrer im Vergleich zu unfraktioniertem Heparin hohen Einkaufspreise von vielen Krankenhäusern gemieden werden, ist das Problem der Kostenverschiebung bzw. der Optimierung der Arbeitsabläufe exemplarisch darzustellen. Unfraktioniertes Heparin steht seit den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts der Medizin zur Verfügung und wird seit Einführung der niedermolekularen Heparine in den 80er Jahren zunehmend verdrängt. Seitdem stehen die Einkaufspreise immer wieder im Mittelpunkt der Diskussion, obwohl eindeutig gezeigt werden konnte, dass sich der Einsatz der niedermolekularen Heparine in bestimmten Bereichen allein durch den Wegfall des Monitorings bezahlt macht. Ihre klinische Überlegenheit und eine systematische pharmakoökonomische Begleitung der Studien hat inzwischen zu einer höheren Bereitschaft geführt, niedermolekulare Heparine einzusetzen. Hinzu kommt das geringere Risiko einer heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) und relevanter Blutungskomplikationen. Diese klinisch wichtigen Aspekte werden durch eine Vereinfachung der Arbeitsabläufe begleitet. So reduziert sich der Personalaufwand im Krankenhaus und ambulante Patientenführungen werden vereinfacht. Globales und individuelles Sparpotential Das Gesundheitssystem als Einheit aller Kostenträger spart durch die schnellere Wiederherstellung der Gesundheit eines Patienten, der Vermeidung akuter Komplikationen und langfristiger Spätschäden. Einzelne Dienstleister im Gesundheitssystem sparen, indem sie von den erarbeiteten Einnahmen möglichst wenig für die Therapie des Patienten ausgeben. Ein Medikament mit einer besseren Effektivität rechnet sich daher sowohl für das Gesundheitssystem als auch für jeden Dienstleister. Chirurgie Das Paradebeispiel aller Studien zur Thromboseprophylaxe ist die Hüftersatzoperation. Hierzu publizierten Drummond et al. vom Zentrum für Gesundheitsökonomie der Universität York 1994 eine Kosten-Nutzen-Analyse und verglichen den Einsatz von Enoxaparin und unfraktioniertem Heparin (Drummond et al. 1994). Dabei wurde der Literatur für Enoxaparin eine Thrombosewahrscheinlichkeit von 12,5 % und für unfraktioniertes Heparin von 25 % entnommen. Der übrige Entscheidungsbaum war für beide Prophylaxeformen gleich. Die Autoren errechneten, dass die Prophylaxe mit Enoxaparin für das Krankenhaus zu einer Nettoeinsparung von £ 20,– pro Patient führte. Sie wiesen aber auch darauf hin, dass nur ein Teil dieser Kosten direkt im Arzneimittelbudget sichtbar wird. Der wesentliche Teil entfällt auf die Reduktion im Personalaufwand, in bildgebender Diagnostik und in der Behandlung der Thromboembolien. In Ergänzung zu diesen Einsparungen für jedes einzelne Krankenhaus ist die prolongierte Thromboseprophylaxe im Rahmen der Hüftchirurgie über den Krankenhausaufenthalt hinaus auch aus der Sicht des Gesundheitssystems wirtschaftlich sinnvoll. Detournay et al. aus Frankreich analysierten den Nutzen einer solchen Thromboseprophylaxe bei Patienten nach
227 Pharmaökonomische Betrachtungen
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hüftchirurgischen Eingriffen, die am Entlassungstag nachweislich keine Thrombose hatten (Detournay et al. 1998). Ihren Berechnungen legten sie die Ergebnisse zweier Studien zugrunde, die gezeigt hatten, dass eine dreiwöchige Enoxaparingabe nach Entlassung das Risiko einer neuen Thrombose bis zum 35. postoperativen Tag um 50 % reduziert (Planes 1996; Bergqvist 1996). Verrechnet man die gesparten Kosten für nicht nötige Diagnostik und für die Behandlung vermiedener Thrombosen und Lungenembolien mit den Kosten für die Prophylaxe (Arzneimittel, Komplikationen) ergab sich bezogen auf die französischen Daten des Jahres 1996 eine Ersparnis von 3500–5300 Euro pro vermiedenem thrombembolischen Ereignis. Innere Medizin ⊡ Tabelle 43.1 zeigt eine von den Neuseeländern Siddiqui und Wagstaff 2005 publizierte Zusam-
menstellung verschiedener Studien zur Kosteneffektivität der Thromboseprophylaxe mit dem niedermolekularen Heparin Enoxaparin bei internistischen Patienten. Den Berechnungen der Studien liegt jeweils ein Entscheidungsbaum zugrunde, an dem alle möglichen Prophylaxe- und Behandlungsoptionen durchgespielt wurden. Für den Aufbau des Entscheidungsbaums wurde für die klinischen Daten in der Regel auf die MEDENOX-Studie zurückgegriffen. De Lissovoy untersuchte in den Vereinigten Staaten die Kosten-Nutzen-Relation für eine Thromboembolieprophylaxe mit Enoxaparin bei akut erkrankten stationär behandelten internistischen Patienten, die normalerweise keine Heparinprophylaxe erhalten hätten (de Lissovoy u. Subedi 2002). Dazu wurden die Kosten- bzw. Behandlungsdaten des Jahres 1998 herangezogen und unter Verwendung der Eckdaten der MEDENOX-Studie ein pharmaökonomisches Modell für das amerikanische Gesundheitssystem entwickelt. Die Thromboseprophylaxe mit Enoxaparin machte pro Patient 1,2–2,4 % der gesamten Behandlungskosten aus. Pro vermiedene Thrombembolie ergab sich rechnerisch ein Gewinn von 1249 bis 3088 US-Dollar. Akzeptierte man bei Patienten ohne Prophylaxe eine Thromboserate von 3–4 %, finanzierte sich die Enoxaparinprophylaxe für das Krankenhaus über die Einsparungen der Behandlungskosten an vermiedenen Thrombosen. Für Deutschland gibt es eine pharmakoökonomische Betrachtung der Prophylaxe thromboembolischer Komplikationen mit Enoxaparin bei internistischen Patienten von Schädlich et al. aus dem Jahre 2004. Den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmakologie und Therapie zur Durchführung und Bewertung pharmakoökonomischer Studien folgend, entwickelten die Autoren ein Modell, in dem die Kosten, die im Krankenhaus für Personal, Arzneimittel, Material, Laboruntersuchungen und Geräteeinsatz im Zusammenhang mit der Prophylaxe venöser Thromboembolien anfallen, kalkuliert werden können. Ausgehend von einer mindestens gleichwertigen klinischen Effektivität von Enoxaparin und UFH zur Vermeidung von thromboembolischen Ereignissen wurde das Risiko für eine distale Thrombose mit 3,8 % und für eine proximale Thrombose mit 1,7 % angenommen. Auf 1000 Patienten errechnet sich für die Prophylaxe mit 40 mg Enoxaparin ein Kostenvorteil von € 55.825,–. Die etwa um den Faktor 2,5 höheren Anschaffungskosten für Enoxaparin im Vergleich zu UFH werden durch dreimal so hohe Personalkosten mehr als kompensiert. McGarry et al. (2004) analysierten den Effekt für das Gesundheitssystem generell. Sie verglichen die Kosten einer Enoxaparinprophylaxe mit der zweimal täglichen Gabe eines unfraktionierten Heparins (UFH) bzw. keiner Prophylaxe, die bis zum 30. Tag über den Krankenhausaufenthalt hinaus anfallen. Mittels Entscheidungsbaum wurden für jede Strategie das Thromboserisiko, mögliche Komplikationen und deren Behandlungen durchgerechnet. In einer Kohorte von 10.000 internistischen Patienten nahmen sie an, dass in der Gruppe mit Enoxa-
VI
Land (Kosten für das Jahr)
Zeitlicher Endpunkt
Zuwachs der Kosten-Nutzen-Relation für Enoxaparin vs. Plazebo pro vermiedener Thrombose
gewonnenen Lebensjahren
Schlussfolgerung
gerettetem Leben
de Lissovoy
US (1998)
Behandlung
US-$ 1249–3088
Enoxaparin ist kosteneffektiver, durch Vermeidung zusätzlicher Behandlungskosten
Lamy et al.
Kanada (2000)
3 Monate
Can-$ 87–174
Enoxaparin ist kosteneffektiver in tertiären u. kostensparend in kleineren Krankenhäusern
Lloyd et al.
UK (2000)
Behandlung
£ 796
Enoxaparin ist kosteneffektiver
Lloyd et al.
UK (?)
?
£ 892
Nuijten et al.
Spanien (2001)
3 Monate 1 Jahr 5 Jahr 10 Jahre Lebenszeit
€ 432 € 332 € 296 € 271 € 270
€ 71
1 Jahr Lebenszeit
US-$ 870 US-$ 813/117
US-$ 213/33
1 Jahr Lebenszeit
€ 2324 € 2243
€ 605
Nuijten et al.
Nuijten et al.
Brasilien (?)
Italy (?)
£ 262
Offord et al.
UK (2000)
Behandlung
£ 796
£ 185
Pechevis et al.
Frankreich (1998)
Behandlung
€ 35.875
€ 1350/2701
Schädlich et al.
Deutschland (?)
Behandlung
€ 1106
Enoxaparin ist kosteneffektiver € 1527 € 1212 € 1174 € 1283
Enoxaparin ist kosteneffektiver
US-$ 3073
Enoxaparin ist kosteneffektiver
€ 8284
Enoxaparin ist kosteneffektiver
In der Annahme eines höheren Risikos für erneute VTE/Mortalität
Enoxaparin ist kosteneffektiver € 8102
Enoxaparin ist kosteneffektiver Enoxaparin ist kosteneffektiver
VI Ökonomie
Studie
228
⊡ Tabelle 43.1. Übersicht zu Studien über die Kosten-Nutzen Relation von Enoxaparin zur Prophylaxe von thromboembolischen Ereignissen bei internistischen Patienten.
229 Pharmaökonomische Betrachtungen
VI
parinprophylaxe 37, in der UFH-Gruppe 53 und in der Gruppe ohne Prophylaxe 81 Patienten bis zum 30. Tag durch Lungenembolien und Medikamentennebenwirkungen versterben würden. Die Gesamtkosten für die Prophylaxe, die Diagnostik und das Management thromboembolischer Ereignisse bezifferten sie mit $ 3.502.000,– für Enoxaparin, $ 3.772.000,– für UFH und mit $ 3.105.000,– für keine Prophylaxe. Die Ergebnisse wurden auch in einer Sensitivitätsanalyse, in der für UFH und Enoxaparin die gleiche Effektivität und das gleiche Blutungsrisiko angenommen wurde, bestätigt. Die Prophylaxe mit Enoxaparin war der Prophylaxe mit UFH sowohl hinsichtlich der Effektivität als auch der Kosten überlegen. Im Vergleich zu keiner Prophylaxe kostete jedes durch Enoxaparin gerettete Leben jedoch $ 9100,–. Diese Kosten müssen zwar vom Gesundheitssystem getragen werden, sie sind aber niedriger als bei der Verwendung von UFH. Kardiologie Die therapeutische Antikoagulation ist eine Basistherapie des akuten Koronarsyndroms. In der ESSENCE-Studie wurden von 1994 bis 1996 der Effekt einer körpergewichtsadaptierten zweimal täglichen Enoxaparingabe mit einer intravenösen Antikoagulation mit einem unfraktionierten Heparin bei 3171 Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom untersucht. Bei 655 Patienten, die in Amerika in die Studie eingeschlossen worden waren, wurde zusätzlich eine Kostenanalyse durchgeführt. In den USA betrugen die Kosten für Enoxaparin im Mittel pro Patient $ 155,– und für UFH $ 80,– (Mark 1998). Addiert man die Kosten für die initiale medizinische Behandlung (Krankenhaus, Arzthonorare, Medikamente) kommt man in der Enoxaparingruppe auf $ 11.875,– und in der UFH-Gruppe auf $ 12.620,–. Betrachtet man alle Kosten bis zum 30. Behandlungstag, betrug die Differenz im Mittel $ 1172,–. Trotz dieser Einspareffekte war die Enoxaparingabe der UFH-Gabe hinsichtlich Wirksamkeit überlegen und reduzierte die 30-Tage-Mortalität von 23,3 auf 19,8 %. Thrombosetherapie In einer randomisierten schwedischen Untersuchung an 131 Patienten analysierten Backmann et al. die wirtschaftlichen Vorteile einer ambulanten Thrombosetherapie. Alle direkten medizinischen Kosten, aber auch alle nichtmedizinischen Kosten, wie Transportkosten, innerhalb einer 3-monatigen Behandlungsphase wurden berücksichtigt. Danach beliefen sich die Kosten für die Patienten, die initial im Krankenhaus behandelt wurden, auf € 1899,– verglichen mit € 1405,– bei primär ambulanter Therapie mit einem niedermolekularen Heparin. Die Autoren betonten, dass bei gleicher Versorgungsqualität die ambulante Thrombosetherapie für das Gesundheitssystem deutlich günstiger ist (Backman et al. 2004). Die Studie bestätigt damit ältere Studien aus Kanada und Amerika (Spyropoulos et al. 2002). Bridging Patienten mit einer Indikation für eine langfristige orale Antikoagulation bedürfen bei Operationen oder invasiven Prozeduren einer besonderen Betreuung. Es erfolgt eine Umstellung auf Heparin. Bei der Dosierung und Dauer der Heparinisierung ist die Indikation für die Antikoagulation und das Blutungsrisiko der Operation zu berücksichtigen. Die Heparinisierung kann als intravenöse Gabe eines unfraktionierten Heparins oder als körpergewichtsadaptierte Gabe eines niedermolekularen Heparins erfolgen.
230
VI
VI Ökonomie
In einer kleinen retrospektiven Studie berechneten Spyropoulos et al. (2004) die medizinischen und administrativen Kosten bei Patienten, die gezielt für eine Operation entweder stationär auf eine intravenöse Heparinisierung oder ambulant auf eine subkutane Applikation eines niedermolekularen Heparins umgestellt wurden. Alle Kosten in einem Zeitraum von 10 Tagen vor dem Eingriff bis 30 Tage danach wurden berücksichtigt. Der Anteil der Patienten mit unerwünschten Ereignissen wie Blutungen oder Thromben war in beiden Gruppen gleich. Bei der subkutanen Applikation eines niedermolekularen Heparins lagen die Kosten sowohl bei ambulant als auch bei stationär operierten Patienten um mehr als 50 % niedriger. Ähnliche Sparpotentiale errechneten auch Amorosi et al. (2004). Sie kalkulierten die Kosten für die so genannte Bridging-Therapie bei Patienten, die für einen operativen Eingriff eigentlich nur eine Nacht im Krankenhaus verbringen mussten. Dabei unterschieden sie Patienten, die zu Hause ein niedermolekulares Heparin selbst spritzten, von Patienten, die zu Hause von einem Pflegedienst Unterstützung erhielten, und Patienten, die im Krankenhaus intravenös Heparin erhielten. Die Kosten beliefen sich jeweils auf $ 672,–, $ 933,– bzw. $ 3816,–. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, wer bei diesem Vorgehen in Deutschland wirklich spart. Bei der Selbstapplikation von Enoxaparin zu Hause spart auf jeden Fall das Gesundheitssystem. Auch das Krankenhaus spart, da die prä- und postoperative Betreuung entfällt. Der Hausarzt, der das niedermolekulare Heparin rezeptiert, wird zwar in seinem Arzneimittelbudget belastet, Mehrkosten fallen jedoch auch für ihn nicht an. Zusammenfassung Pharmakoökonomische Betrachtungen sind heute weltweit fester Bestandteil gesundheitspolitischer Überlegungen. Die Ergebnisse sind abhängig von den spezifischen Daten, die den jeweiligen Analysen zugrunde liegen. Dabei spielen gesellschaftliche und geographische Unterschiede und deren zeitliche Variation eine große Rolle. Schon kleine Änderungen an den Basisdaten können zu unterschiedlichen bis gegensätzlichen Ergebnissen führen. Daher ist die Bewertung pharmakoökonomischer Betrachtungen nur in Kenntnis der Basisdaten und der Intention der Autoren möglich (Davidson et al. 2003). Trotz der daher gebotenen Skepsis gegenüber pharmakoökonomischen Betrachtungen sind die Daten für die niedermolekularen Heparine überzeugend. Selbst wenn man keine Überlegenheit gegenüber UFH annimmt, führen allein die niedrigere Rate an Nebenwirkungen, der geringere Arbeitsaufwand bei der Prophylaxe und das fehlende Monitoring bei der Therapie unwillkürlich zu Einsparungen, die die Anschaffungskosten ausgleichen bzw. übertreffen. Akzeptiert man dazu eine Überlegenheit gegenüber UFH, vergrößert sich die Kosten-Nutzen-Relation. Wie sich die Daten der pharmakoökonomischen Betrachtungen auf einzelne Krankenhäuser übertragen lassen, ist nur in Kenntnis der individuellen Gegebenheiten zu klären, sollte aber Gegenstand der Diskussionen der Arzneimittelkommission jedes einzelnen Krankenhauses sein. Literatur 1. Amorosi SL, Tsilimingras K, Thompson D, Fanikos J, Weinstein MC, Goldhaber SZ. Cost analysis of »bridging therapy« with low-molecular-weight heparin versus unfractionated heparin during temporary interruption of chronic anticoagulation. Am J Cardiol 2004; 93: 509–511 2. Backman K, Carlsson P, Kentson M, Hansen S, Engquist L, Hallert C. Deep venous thrombosis: a new task for primary health care. A randomised economic study of outpatient and inpatient treatment. Scand J Prim Health Care. 2004; 22: 44–49
231 Pharmaökonomische Betrachtungen
VI
3. Bergqvist D, Benoni G, Bjorgell O, Fredin H, Hedlundh U, Nicolas S, Nilsson P, Nylander G. Low-molecular-weight heparin (enoxaparin) as prophylaxis against venous thromboembolism after total hip replacement. N Engl J Med 1996; 335: 696–700 4. Planes A, Vochelle N, Darmon JY, Fagola M, Bellaud M, Huet Y.Risk of deep-venous thrombosis after hospital discharge in patients having undergone total hip replacement: double-blind randomised comparison of enoxaparin versus placebo. Lancet 1996; 348: 224–228 5. Davidson BL, Sullivan SD, Kahn SR, Borris L, Bossuyt P, Raskob G. The economics of venous thromboembolism prophylaxis: a primer for clinicians. Chest 2993;1 24: 393S–396S 6. de Lissovoy G, Subedi P. Economic evaluation of enoxaparin as prophylaxis against venous thromboembolism in seriously ill medical patients: a US perspective. Am J Manag Care. 2002;8:1082–1088. 7. Detournay B, Planes A, Vochelle N, Fagnani F. Cost effectiveness of a low-molecular-weight heparin in prolonged prophylaxis against deep vein thrombosis after total hip replacement. Pharmacoeconomics. 1998; 13 (1 Pt 1): 81–89 8. Drummond M, Aristides M, Davies L, Forbes C. Economic evaluation of standard heparin and enoxaparin for prophylaxis against deep vein thrombosis in elective hip surgery. Br J Surg 1994; 81: 1742–1746. 9. Lamy A, Wang X, Kent R, Smith KM, Gafni A. Economic evaluation of the MEDENOX trial: a Canadian perspective. Medical Patients with Enoxaparin. Can Respir J 2002; 9: 169–177 10. Lloyd AC, Anderson PM, Quinlan DJ, Bearne A. Economic evaluation of the use of enoxaparin for thromboprophylaxis in acutely ill medical patients. J Med Econ 2001; 4: 99–113 11. Mark DB, Cowper PA, Berkowitz SD et al. Economic assessment of low-molecular-weight heparin (enoxaparin) versus unfractionated heparin in acute coronary syndrome patients: results from the ESSENCE randomized trial. Efficacy and Safety of Subcutaneous Enoxaparin in Non-Q wave Coronary Events. Circulation 1998; 97: 1702–1707 12. McGarry LJ, Thompson D, Weinstein MC, Goldhaber SZ. Cost effectiveness of thromboprophylaxis with a low-molecular-weight heparin versus unfractionated heparin in acutely ill medical inpatients. Am J Manag Care. 2004; 10: 632–642 13. Nuijten MJ, Berto P, Kosa J, Nadipelli V, Cimminiello C, Spreafico A.Cost-effectiveness of enoxaparin as thromboprophylaxis in acutelly ill medical patients from the Italian NHS perspective. Recenti Prog Med 2002; 93: 80–91 14. Nuijten MJ, Villar FA, Kosa J, Nadipelli V, Rubio-Terres C, Suarez C. Cost-effectiveness of enoxaparin as thromboprophylaxis in acutely ill medical patients in Spain. Value Health 2003; 6: 126–136 15. Offord R, Lloyd AC, Anderson P, Bearne A. Economic evaluation of enoxaparin for the prevention of venous thromboembolism in acutely ill medical patients. Pharm World Sci 2004; 26: 214–220 16. Schädlich PK, Kämmerer W, Kentsch M, Weber M, Brecht JG, Huppertz E. Wirtschaftlichkeit bei Prophylaxe thrombembolischer Komplikationen mit Enoxaparin bei internistischen Patienten. Krankenhauspharmazie 2004; 25: 316–325 17. Siddiqui MA, Wagstaff AJ.Enoxaparin: a review of its use as thromboprophylaxis in acutely ill, nonsurgical patients. Drug. 2005; 65: 1025–1036 18. Spyropoulos AC, Frost FJ, Hurley JS, Roberts M. Costs and clinical outcomes associated with low-molecularweight heparin vs unfractionated heparin for perioperative bridging in patients receiving long-term oral anticoagulant therapy. Chest 2004; 125: 1642–1650 19. Spyropoulos AC, Hurley JS, Ciesla GN, de Lissovoy G. Management of acute proximal deep vein thrombosis: pharmacoeconomic evaluation of outpatient treatment with enoxaparin vs inpatient treatment with unfractionated heparin. Chest 2002; 122: 108–114.
VII
Anhang
Sachverzeichnis 235
235 Sachverzeichnis
Sachverzeichnis
A Abciximab 99 Abruptio placentae 182 ACCP-Empfehlungen 46, 107 ACE-Studie 113 Acetylsalicylsäure 77, 78, 99, 207 ACUTE-Studie 113 Adipositas 163 ADP-Antagonist 78 Aktinfilamente 6, 11 Aktomyosin 6 Allgemeinanästhesie 76 Alteplase 107 Alveoektomie 139 Aneurysma spurium 147 Angina instabile 31, 98 pectoris 104 Angioplastie 106, 108 Anschlussheilbehandlung 223 anti-Xa-Aktivität 155, 158 Antikoagulation 38, 128 alternative 120 orale 140 Antikonzeption hormonelle 61 orale 64 Antiphospholipidantikörper 170, 186 Antiphospholipidsyndrom 181 Antiplasmin 16 Antithrombinmangel 168, 181 Antithrombin (AT) 12, 34 Antithrombosestrümpfe 45 antiXa-Aktivität 153 Apoplex, ischämischer 27 aPTT-Monitoring 129 Arachidonsäure 5 ARTEMIS-Studie 23, 91 Arteria iliaca 168 Arthroskopie 141 Aspirin 105 ASSENT-3-Studie 105 AT-HOME-Studie 94 Atherothrombose 30, 31
B Beinparese 86 Beinvenenkompression, intermittierende pneumatische (IPC) 68
Beinvenenthrombose 21, 29 Bewegungstherapie, aktive 125 BIOMACS-II-Studie 106 Bioverfügbarkeit 36 Bivalirudin 99 Blockade, rückenmarknahe 80 Blut, Gerinnungsfähigkeit 3 Bluterkrankheit, s. auch Hämophilie A 8 Blutreinigungsverfahren, extrakorporales 158 Blutstase 56 Blutstillung 3 Phasen 4 Primärhämostase 4 Sekundärhämostase 4 Blutung, zerebrale 209 Blutungskomplikation 102 Blutungsrisiko 188, 201 Body Mass Index (BMI) 163 Bridging 138, 143, 229 bulky disease 56
C C677T-MTHFR-Polymorphismus 181 Calciparin 105 Certoparin 86, 164, 190, 208 Cholesterinester 32 chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) 27 Chymotrypsin 13 CLARITY-Studie 107 Claudicatio intermittens 30 Clopidogrel 78, 99 CLOT-Studie 189 Cockcroft-Gault-Formel 153 Computertomographie 80 Cumarin 139 Nekrose 123 Cyclooxygenase 5, 99
D D-Dimer 195, 202 Dalteparin 46, 70, 99, 189 Danaparoid 58, 86, 121, 175 Darmerkrankung, entzündliche 23 Dermatom 76 Diathese, hämorrhagische 188 disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) 202 Drehtüreffekt 224 DRGs (Diagnosis Related Groups) 219
A
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Anhang
E EASE-Studie 142 Echokardiographie, transösophageale (TEE) 112 Eingriff, uroonkologischer 57 ELATE-Studie 122 Endometriumkarzinom 70 Endoperoxide 5 Endothel 3 Endotoxine 18 ENOXACAN-II-Studie 72 Enoxaparin 51, 70, 77, 86, 98, 101, 108, 146, 179 EPHESUS-Studie 48 Epiduralanästhesie 77 Epiduralkatheter 76 Eptifibatide 99 Erkrankung internistische 20 rheumatische 23 ESSENCE-Studie 153, 229 EXCLAIM-Studie 91, 96 EXPERT-Studie 78 EXTRACT-TIMI-25-Studie 110
G Gangrän 30 Gefäßchirurgie 47 Gerinnung, plasmatische 4 Gerinnungsaktivierung endogene 10 exogene 9 Gerinnungsfaktoren 7 Gerinnungshemmung, biologische 11 Gerinnungskaskade 8 Gestagenpräparat 64 Gewebsfaktor 3, 7 Gewebsthromboplastin 98 Ginsberg-Schema 142 Glykokalyx 15 Glykoproteine 8 GPIIb/IIIa-Inhibitoren 101 Granula 5 alpha-Granula 35 Guillain-Barré-Syndrom 206 Gynäkologie 61
H F Faktor-V-Leiden-Mutation 13, 168, 182 Faktor-X-Aktivierung 10 Faktor XII 10 FAME-Studie 188 FAMOUS-Studie 190 3×3-Feldertafel 28 Fibrin 4 Fibrinmonomere 11 Fibrinogen-Uptake-Test (FUT) 68 Fibrinogenbrücke 5 Fibrinolyse 3, 4, 16 Fibrinolyseaktivatoren 15 Fibrinopeptide 11 Filamente 5 FISS-bis-Studie 207 Fistelbildung 57 Folsäure 184 Substitution 185 Fondaparinux 46, 48, 58, 78, 91, 120, 130, 175 Foramen ovale, offenes 193 Fraktur 18 FRAMI-Studie 105 Framingham-Studie 32 Fresh-Frozen-Plasma 195 FRISC-II-Studie 101 Frühmobilisation 58 Frühschwangerschaft 176, 185 Fußchirurgie 53
HAEST-Studie 207 Hämatom, spinales epidurales 76 Hämodialyse 199, 204 Hämofiltration 159, 199, 204 Hämophilie A 8, 11 Hämostase Balance 14 Dysbalance 14 Hautexzision 139 HELLP-Syndrom 78, 185 Hemiplegie 86 Heparin 5 Dosierung 28 Kofaktor II 12, 13, 35 Pentasaccharidstruktur 35 Polymer 34 unfraktioniertes 34 Heparin-Antithrombin-Komplex 119 heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) Typ I 38 Heparinoid 193 Hepathopathie 123 Heptest 40 Herzinfarkt 88 Herzinsuffizienz 21 Herzkatheter 140 Herzklappenersatz 142 mechanischer 137 High-affinity-Region 35 High-flux-Dialyse 159
237 Sachverzeichnis
High Molecular Weight Kininogen (HMWK) 10 Histamin 34 HIT-Typ-II-Syndrom 58 HMW-Kininogen 8 Homozystein 32 Hormonersatztherapie (HRT) 61 Hüftfraktur 51, 54 Hüftgelenkersatz 54 elektiver 48 Hyperfibrinolyse 188 Hyperkoagulabilität 20, 64, 153 Hyperviskositätssyndrom 61 Hypnotika 213 Hypofibrinolyse 68 Hypoplasie, nasale 176 Hypotonie 76 Hysterektomie 61, 69
I Idraparinux 123 Iduronsäure-Glukosamin-Glukuronsäure 34 Infarktangioplastie 110 Infarktsterblichkeit 106 Insuffizienz, akute respiratorische 22 Integrin-Glykoprotein-Rezeptor GPIIb/IIIa 6 Intensivmedizin 199 Intraplaque-Hämorrhagie 31 Ischämie, myokardiale 98 ischämischer Insult 206 Ischialgie 23 IST (International Stroke Trial) 207
Kompression, intermittierende 46 Kompressionssonographie 87, 175 Kompressionsstrumpf 58 elastischer graduierter (EKS) 68 Kompressionstherapie 124 Koronarsyndrom, akutes 31, 98, 99, 155 Koronarthrombus 105 Kosten, inkrementelle 222 Krampfaderkrankheit 134 Kreuzbandplastik 141 Kurzzugverband 135
L Labormonitoring 39 Laminektomie 80 Langstreckenflug 211 Lebendgeburtrate 184 Lepirudin 58, 121 Lipidkern 31 LIVE-ENOX Studie 184 Lövqvist-Manschette 47 Low-density-Lipoprotein (LDL) 32 Low-dose-Heparin 46 Low-flux-Membran 159 Lumbalgie 23 Lumbalpunktion 77 Lungenembolie 25, 46, 88, 127, 211 asymptomatische 127 symptomatische 128 Lysetherapie 196
M K Kallikrein 10 Kallikrein-Bradykinin-System 158 Kardioversion 113 Karotisdissektion 209 Karzinom der Harnblase 56 der Prostata 56 Kataraktoperation 140 Kathepsin G 13 Katheterthrombose 189 Keimzelltumor des Hodens 56 Kernspintomographie 80 Kinine 10 Kniearthroskopie 53 Kniegelenkersatz 78 elektiver 50 Koagulopathie 76 Komplex TF/VIIa 9
Malignom, abdominales 68 MALT-Studie 190 Mammakarzinom 62, 69, 73 Marcumar 155 Mastektomie 62 Mastzellen 34 MDRD-Formel 153 MEDENOX-Studie 21, 22, 88, 91, 227 Medicare-Pflegeeinrichtung 220 Melagatran 49, 78 Meniskusteilresektion 141 Minipille 64 Morbus Bechterew 76 MTHFR-Mutation 185 Mukopolysaccharid-Kette 34 Myokardinfarkt 21, 27 akuter 88 Myokardnekrose 105 Myosin 11
A
238
Anhang
N Nadroparin 70, 87 Nervenblockade, periphere 80 Neurochirurgie 52 NICE-Register 101 Nicht-Q-Wellen-Myokardinfarkt 31 Nicht-ST-Hebungsinfarkt 98 Nierenfunktionseinschränkung 130 Niereninsuffizienz 58, 80, 153 Nierenzellkarzinom 56 Non-Inferiorität 86 non-Q-Wave-Infarkt 155 numbers needed to treat (NNT) 184
Protamin 37, 87, 160 Protamin-Heparin-Komplex 38 Protaminchlorid 195 PROTECT-Studie 86, 197, 208 Protein-C-System 12 Protein C 123 aktiviertes 12 Prothrombin 99 Prothrombinase 40 prothrombinase-induced clotting time (PiCT) 40 Prothrombinasekomplex 10, 13 Prothrombinfragment 1+2 202 Pseudoaneurysma 140
Q O Off-label-Einsatz 199 Onkochirurgie 68 Operation, bariatrische 164 Osteoporose 38, 177 Ovarialkarzinom 70, 71
P patency 107 PENTAMAKS-Studie 50 Pentasaccharid 78 PENTATHLON-2000-Studie 48 PENTHIFRA-Studie 51 Peritonealdialyse 156 Personalkosten 221, 225 Pharmakokinetik 36 Phenprocoumon 113, 116, 122, 175, 197 Phlebitis 134 Phlebographie 87, 175, 208 Phlebothrombose 125 Plaquebildung, arteriosklerotische 29 Plaqueruptur 31 Plasmin 12 Plasminogen 13 Plasminogenaktivatorinhibitor 16 Plazentagängigkeit 177 Pneumonie 95 Polychemotherapie 22 Präeklampsie 182 Präkallikrein 8, 10 PREVAIL-Studie 87 PREVENT-Studie 23, 90, 91 Primärhämostase 4 PRINCE-Studie 22, 89 Prostatektomie, radikale 58 Prostazyklin (PGI2) 5, 14
Q-Wellen-Myokardinfarkt 31 Querschnittlähmung 206
R Radiofibrinogentest 45, 86 Regionalanästhesie 76 Reisethrombose 211 Rekanalisierungsverfahren 130 Rentenversicherungsträger 224 Reperfusionstherapie 105 Reteplase 107 Reviparin 53 Rezidivthrombose 119 Risikoabschätzung, computerassistierte 85 Risikofaktor dispositioneller 18 expositioneller 18 Risikoprofil, individuelles 29 Risikoschema nach Cohen 29 Risikoschwangerschaft 199
S Saphenophlebitis, transfasziale 134 Schlaganfall 22, 86, 208 Schrittmachertaschenhämatom 140 Schwangerschaft 166 Schwangerschaftskompressionsstrumpfhose 178 Schwangerschaftsthrombose 168 Schwenklappenplastik 63 Sekundärhämostase 4, 7 Serinproteinasen 8 Serotonin 6 Sinusvenenthrombose 209 SIRIUS-Studie 163
239 Sachverzeichnis
Sitzthrombose 213 Sklerosierungstherapie 133 Spätabort 185 Spinalanästhesie 77 Spontanabort 181 ST-Hebungsinfarkt 31, 98, 104 STEEPLE-Studie 103, 108 Streptokinase 107, 121, 130 Stunning, atriales 113 Substrat-Assay 204 Sympathikolyse 76 Syndrom nephrotisches 156 postthrombotisches 65, 168 SYNERGY-Studie 98, 102, 109 System, retikuloendotheliales (RES) 12
Thrombozytopenie, heparininduzierte (HIT) 176, 226 TIMI-11B-Studie 100, 153 Tinzaparin 124 Tirofiban 99 tissue factor, s. auch Gewebsfaktor 3, 98 Tissue Factor Pathway Inhibitor (TFPI) 9, 12, 13, 36 TOAST-Studie 207 TOCA-Studie 221 Transaminasenanstieg 38 Transitorische ischämische Attacke (TIA) 30 Trikuspidalklappenrekonstruktion 147 Troponin 102 Tumorpatient 188 Tumorprokoagulanzien 24 Typ-I-Allergie 38
U T TAIST-Studie 207 TEE-Flussmessung 115 Tenasekomplex 10 Tenecteplase 107 Testmethode chromogene 40 koagulometrische 40 TETAMI-Studie 106 THRIVE-III-Studie 123 Thrombektomie 121 Thrombendarterektomie 132 Thrombin 10 Thrombin-aktivierbarer Fibrinolyseinhibitor 14 Thrombin-Antithrombin-Komplex (TAT) 16, 159, 202 Thrombinantagonist 195 Thromboembolie, venöse 163 Thromboembolieprophylaxe 19 Thrombogenese 20 Thrombolyse 130 Thrombophilie 25 Screening 184, 186 Thrombophilie, hereditäre 184, 185 Thrombophlebitis 133, 134 Thromboplastin 3 Thrombose im Alter 25 im Kindesalter 193 Thromboseentstehung, postoperativ 16 Thromboxan-A2-Synthese 99 Thromboxan A2 5 Thrombozyten 5 Thrombozytenabfall 204 Thrombozytenaggregation 5 Thrombozytenaggregationshemmer 77 Thrombozytenaktivierung 24
Überbrückungsschema 148 Ulcus cruris 179 Unfallchirurgie 53 Urogenitaltrakt 56 Urokinase 121, 130 plasmatische uPA 13
V Varikophlebitis 134 Varikosis 95 Vasokonstriktion 5, 6 Vena cava 56 femoralis 56 Vena-cava-Filter 179 Veneninsuffizienz, sekundäre 168 Venenstripping, epifasziales 47 Venenthrombose 119 Ventrikelthrombus 105 Vertebralisdissektion 209 Virchow-Trias 16, 20 Vitamin-K-Antagonist 50, 122, 131, 175 Vitamin D 178 Vollblutkoagulationszeit, aktivierte (ACT) 158 Vollheparinisierung 206 von-Willebrand-Faktor (vWF) 3, 6 von-Willebrand-Jürgens-Syndrom 11 Vorhofflimmern 112, 137, 207
W Wachstumsretardierung, intrauterine (IUGR) 182 Wadenkompressionsstrumpf 124
A
240
Anhang
Warfarin 49, 113, 139, 189 WARIS-II-Studie 101 Weichteiltrauma 18 Wertheim-Operation 70 Wirbelsäule Kompression 23 Operation 52 Worcester DVT Study 25 Wundhämatom 140
X Ximelagatran 49, 78, 123, 175
Z Zahnextraktion 139 Zervixkarzinom 70