Birger P. Priddat Organisation als Kooperation
Birger P. Priddat
Organisation als Kooperation
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Birger P. Priddat Organisation als Kooperation
Birger P. Priddat
Organisation als Kooperation
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17257-6
Inhaltsverzeichnis
Statt einer Einleitung: Zukunft der Unternehmen als Organisation durch Führung 1.
2.
3.
4.
Die Zukunft der Arbeit in Organisationen 1.1 Lange versus kurze Verträge 1.2 Wissen als verderbliche Ware und als Interpretationsagilität: New Knowledge Workers 1.3 Extension der Kompetenzen in Unternehmensorganisationen 1.4 Wissen: Netzwerke Arbeit als Herausforderung: Challenge. Kapitalismus als Emanzipationsversuch
9 15 17 19 23 25
30
Der Nutzen weicher Faktoren 3.1 Führung als Governance 3.2 Ökonomische Ethik 3.3 Flexibilisierung als Unternehmenskultur 3.4 Zum Nutzen diskriminierungsfreien Managements. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz als ökonomischer Faktor 3.5 Fazit
34 38 41 43
Netzwerk und Management 4.1 Governance als neues Führungsmodell in der Theory of the Firm 4.2 Theorie der unterschiedlichen Vertragsformen 4.2.1 Hybride als Netzwerke 4.3 Neue Unterscheidungen: Koordination und Kooperation 4.4 Moderne Organisationen 4.5 Management und Governance 4.6 Netzwerke als organisationale Ressourcen
55
47 52
56 59 59 60 63 64 68
6
Inhaltsverzeichnis 77
5.
Vertrauen in Organisation
6.
Theorie der Organisation: Gender-Markierung 6.1 Gender als Inkompetenzzuschreibung an Frauen 6.1.1 Gender: als Gender (I) 6.1.2 Gender: Frauen als Autoexklusionsmaschinen 6.1.3 Gender: als Gender (II) 6.2 Individualisierung als Gender-Trigger 6.3 Thesen: Genderorganisation
88 95 96 97 98 99 107
7.
Organisation und Sprache 7.1 Organisation als Organisation 7.2 Organisation als Sprachspiel: Koppel/Langlois 7.3 Polylinguistik der Organisation: Wieland 7.4 Diversity als Spannungsreichtum von Organisationen 7.5 Offene Sprachspiele und Kommunikation 7.6 Organisation als Kommunikation 7.7 Transitorische Semantik
112 112 114 117 121 123 130 132
8.
Personalentwicklung und Cultural Social Responsibility
137
9.
How much is enough? Preisbildung bei Managergehältern
150
10. Open Source als Produktion von Transformationsgütern 10.1 Open Source als Ausbildungsnetzwerk 10.2 Open Source-Elite 10.3 Open Source als Geschäft 10.4 Zur Soziologie von Open Source 10.5 Open Source als Organisationserfahrung 10.6 Open Source als Transformationsgut 10.7 Konsequenzen
157 157 159 160 162 163 166 168
11. Unternehmer als pragmatische Idealisten
170
12. Social Entrepreneurship
180
13. Verwaltungsverschiebungen. Konsequenzen der Modernisierung von Verwaltungsorganisationen 13.1 Ämtergewinn 13.2 Bürokratiestabilität durch Outsourcing
190 190 193
Inhaltsverzeichnis
7
14. Brauchen wir eigentlich noch Sekretärinnen?
196
15. Familien, organisiert
200
16. Arbeit, Information, Kommunikation: Skizze einer Theorie der Arbeit in modernen Umgebungen 16.1 Traditionelle und neue Topik der Arbeit 16.1.1 Exkurs: Bildungs-Arbeit 16.2 Vier Formen der Transformation durch Arbeit 16.2.1 Arbeit als Transformation von Leistung in Einkommen 16.3 Arbeit: Poesie 16.4 Konsum als Arbeit 16.4.1 Exkurs: Produktion/Konsumtion 16.5 Information: Kommunikation 16.6 Informationsverarbeitung? 16.7 Arbeit als Ereignis 16.8 Arbeit und Individualität
204 204 206 208 208 210 211 213 215 216 219 221
17. Work/Life-Balance als Einübung in die Arbeitslosigkeit?
224
18. Gewerkschaftsmodernisierung 18.1 Dienstleistungsunternehmen Gewerkschaft 18.2 Gewerkschaften und Arbeit 18.3 Kooperation und Mitbestimmung
227 227 233 235
Literaturverzeichnis
241
Statt einer Einleitung: Zukunft der Unternehmen als Organisation durch Führung Zukunft der Unternehmen als Organisation durch Führung
Neue Unternehmen, besonders solche mit neuen Unternehmensformen, erfordern neue Führung. Das gilt für virtual organizations und alle Netzwerkgebilde, aber auch für alle anderen Formen von joint and fast companies (joint ventures, strategic alliances, Forschungsnetzwerke etc.). Das klassische Management wird durch Schnittstellenmanagement ersetzt. Führung bedeutet nicht mehr allein, eine Organisation zu führen, sondern zwischen Organisationen: interface-management. Doch sind das erst einmal alles nur neue Begriffe. Was versteht sich darunter? An 15 Thesen soll das erläutert werden. Neue Führung lässt sich nur im Kontext von Organisationen und Organisationsänderungen definieren. 1.
2.
3.
4.
Die Zukunft des Managements entwickelt sich nicht unabhängig von der Zukunft der Arbeit und ihrer Organisation. Die Zukunft der Arbeit ist eine Ausdifferenzierungsarena, deren Pfade bereits gegenwärtig angelegt sind. Die Arbeit ändert sich, je nach dem, welche Organisations- und Geschäftsmodelle entfaltet werden. Darin ändert sich auch die Arbeit der Manager und Unternehmer: ihre Führung. Das Spektrum der möglichen Organisationsformen erweitert sich. Dieses Spektrum reicht von (a) der klassischen hierarchischen Organisation bis (o) zur virtual organization. Die meisten Entwicklungen sind Mischformen innerhalb dieses Spektrums. Mischformen heißen auch Hybride. Die Grenzen der Unternehmen öffnen sich, werden gleitender. Das muss nicht für das Eigentum am Kapital gelten, wohl aber für die Koordinationen und Kooperationen, die die Leistungsstruktur der Unternehmensorganisation ausmachen. Klassische Hierarchien bewegen sich, d.h. passen sich dynamischen Märkten an, als ‚lernende Organisation‘. Sie setzen auf lange Verträge, binden ihr human resource potential und versuchen, die Kompetenzen wie die Anforderungsagilität ihrer Mitarbeiter selber auszubilden (personal development).
10
Zukunft der Unternehmen als Organisation durch Führung
Hier bleibt Führung eher klassisch: hierarchische Führung, wenn sie auch im Rahmen von Organisationsentwicklungen an die Mitarbeiter delegiert wird, die im Kundenkontakt stehen und marktunmittelbar reagieren müssen, ohne große Rückfragen an marktferne Manager. 5. Virtuelle Organisationen – das andere Ende des Spektrum der Organisationstypen – beschränken sich auf Kompetenzkerne, sourcen den Rest out und holen sich Kompetenzen für Projekte aus dem Netzwerk anderer Unternehmen bzw. aus dem Pool der free- und e-lancers. Virtuelle Organisationen halten kein human capital auf Vorrat, sondern holen sich aus dem Markt, was sie jeweils brauchen. Sie ‚atmen‘ (‚atmende Organisation‘): mit der Konjunktur, mit den Marktmöglichkeiten. Sie binden so wenig human capital wie möglich, um sich aus dem Markt die besten Kompetenzen kurzfristig für Projekte zu engagieren. Sie setzen auf ein flexibles Management bzw. Schnittstellenmanagement kurzer Verträge. Management ist hier interface-Management: die Fähigkeit, Teams zu Hochleistungen in relativ kurzer Zeit zu bringen, die aus Leuten bestehen, die sich nicht kennen und sich z.T. erheblich konkurrent sind. Hier werden völlig andere Führungsfähigkeiten gebraucht als in klassischen Hierarchien. 6. Beide Organisationsformen stehen konträr zueinander, haben divergente Motivations-, Leistungs- und Wissensmilieus. Nicht nur unterscheiden sich die Anreizstrukturen, sondern vor allem das knowledge-handling. 7. Klassische hierarchische Organisationen bergen ein großes Potential ungenutzten Wissens (tacit knowledge); die hierarchische Struktur ist nicht oder nur mäßig in der Lage, diese knowledge-Potentiale in Leistung zu übersetzen. Typische principal/agent-Beziehungen gelten mit den Fragen: Wie viel Wissen gibt man preis (an den Vorgesetzten: den principal)? Wie viel nicht (um den Vorgesetzten von sich abhängig zu machen)? Management ist hier auf Kontrolle und Sanktion ausgelegt. Man erwartet kaum Selbständigkeit der Mitarbeiter, sondern eher Aufgabenerfüllung. 8. Virtuelle Organisationen arbeiten nach einem konträren Prinzip: alles Wissen wird, überschüssig, allen zur Verfügung gestellt. Denn nicht die Verfügung über Wissen, sondern die aus dem Wissen generierten neuen Geschäftsideen sind agens movens der virtual organisations. 9. Das setzt eine spezifische Eigenverantwortlichkeit der Tätigkeiten voraus: das Wissen in Einsatz zu bringen, Zugriff auf das Wissen aller (intra- und extra-net) ohne Störungen durch die Hierarchie, ist auf eine intrapreneurship- Konzeption gegründet. 10. ‚Intrapreneurs‘ (als agile Akteure innerhalb von Organisationen) und freeoder e-lancers (als agile Netzwerkakteure) haben andere Anforderungen an
Zukunft der Unternehmen als Organisation durch Führung
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die Kompetenzentwicklung: sie suchen sich Tätigkeiten bzw. Projekte, die, neben dem Entgelt, als Investitionen in ihr intellectual and human capital rentierlich sind. Dadurch ändert sich ihr Verhältnis zur Bildung/Ausbildung: kontinuierlich, prozessual, z.T. on the job. Neben der Wissens-Kompetenz sind soziale und kommunikative Kompetenzen gefragt, weil der Tätigkeits-/Projektwechsel ständig neue und schnelle Team-Einbindung erfordert. Um es pointiert auszudrücken: Die neue Managementfähigkeit besteht darin, Teams aus Leuten, die sich nicht kennen, nicht mögen, in kürzester Zeit dazu zu bringen, Höchstleistungen gemeinsam und kooperativ zu erbringen. Hier sind völlig neue Anforderungen gefragt: interface-competences (superversion + motivation + Übersetzung + Diplomatie). Durch die neue Dienstleistungsökonomie verstärken sich diese Anforderungen; für die Kundenintegration (prosuming) sind kommunikative Kompetenzen ebenso wichtig wie fachliche (relationsship knowledge). Mitarbeiter müssen fachliche und soziale/kommunikative Kompetenzen haben. Ein Ingenieur muss Kunden, die ‚keine Ahnung‘ haben, erklären, warum sein Produkt exzellent ist. Das muss man können. Und man muss Führungskräfte haben, die das beurteilen und fördern können. Ingenieure, die nur als Ingenieure gut sind, sind als Verkäufer schlecht. Wie sucht man sich die passenden Leute aus? Wie entwickelt man sie? Wie beurteilt man ihre Polykompetenz? Management wird zum Schnittstellenmanagement: permanente Kommunikation der relationships, Organisation der Organisation von Netzwerken und Organisationen. Manager werden verantwortlich gemacht für Leistungen von Mitarbeitern, die relativ selbständig arbeiten. Manager sind also darauf angewiesen, dass sie Mitarbeiter (und Netzwerkpartner) motivieren können. In diesen hoch diversifizierenden Organisationskulturen werden Mergers zunehmen, aber auch zunehmend schwieriger: virtual organizations haben Freiheitsgrade, die sich nicht ohne weiteres in klassische Hierarchien integrieren lassen. Umgekehrt werden viel der klassischen Organisationen, weil sie sich nicht so entwickeln können oder weil die Prozesse der ‚lernenden Organisation‘ scheitern oder zu langsam vorankommen, sich high-levelworkers aus der new economy zukaufen, indem sie die Firmen kaufen. Integrations-, diversity- und value management werden zunehmen, weil neue Kooperationsformen inkompatibler Kooperationsmentalitäten synthetisiert werden sollen. Innerhalb dieser Entwicklung entstehen auch neue Formen der gender- und ethnischen Integration.
12
Zukunft der Unternehmen als Organisation durch Führung
16. Weil es keine klassischen Regeln und Organisationskonventionen mehr geben kann, werden sich diversifizierte Regelsysteme bilden, die nicht nur die Effizienz der Organisation, sondern auch ihre Motivationsmilieus steuern. Die Formen der Kooperationen (und ihre spezifischen Effizienz/MilieuKonstellationen) definieren die Wettbewerbsfähigkeit (marketability) stärker als in der old economy. Merke: Organisation wird Organisation von Kooperationsfähigkeit. 17. Wenn Märkte sich über Preise koordinieren, 18. (Organisations-)Hierarchien über Pläne, 19. koordinieren sich Netzwerke über Absprachen; sie bilden Kooperationsstrukturen, mit hohem Kommunikationsaufwand. 20. Neue Führung schafft Rahmenbedingungen für eine Umklappung der bisherigen hierarchischen Unterscheidung zwischen reflexiven Managementaufgaben (Festlegen von Zielen, Überprüfen von Zielerreichung, Korrektur) und operativen Mitarbeiteraufgaben (Umsetzung, Realisation der Ziele) auf neue Unterscheidungen. Im Netzwerkkontext sind Management wie Mitarbeiter reflexiv tätig. (MA): Rahmenbedingungen festlegen, Reflexion initiieren; (MI): Erfahrungen zur Verfügung stellen, Konflikte austragen. Zugleich sind parallel beide operativ tätig. (MA): Sicherung des Routinebetriebes; (MI): Umsetzung, Realisierung. Zudem wird das diversity-Management bedeutsamer: wie sollen unterschiedliche Kulturen (Ethnien), unterschiedliche Alter und unterschiedliche Geschlechter kooperieren? Aber auch: welche Beziehung werden zwischen Kunden und Management neu geknüpft? Diversity-Management setzt auf Kooperation von Unterschiedlichkeit. Parallel werden aber Gemeinsamkeiten aller Mitarbeiter einer Organisation produziert oder vorausgesetzt: corporate identity und corporate integrity. Die Formen der Führung, die hier nötig werden, können als value management summiert werden. Das Werteviereck des Managements of Values bezeichnet
Leistungswerte, Kommunikationswerte, Kooperationswerte und moralische Werte.
Zukunft der Unternehmen als Organisation durch Führung
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Moderne Führung kann nicht einfach auf Anweisungen bauen, weil es die Kompetenz der Mitarbeiter zur Situationsbeurteilung und Entscheidungseinschätzung braucht. Wenn nur die Leistungswerte evaluiert werden, fühlen sich viele Mitarbeiter nicht vollständig und angemessen eingeschätzt. Die anderen Dimensionen fehlen. Modernes Management muss das einrechnen können. Denn andernfalls sinkt die Motivation, unter dieser Führung gute Leistungen zu erbringen. Die Verträge sind notorisch unvollkommen: sie definieren nicht die genaue Leistungsabgabe, sondern nur die Dispositive. Deshalb ist es eine Führungsaufgabe erster Ordnung, die Unvollständigkeit der Verträge durch Kooperationsmanagement zu kompensieren. Die Fähigkeit, Menschen a. b.
zur Kooperation, d.h. zur Zusammenarbeit im produktiven Sinne, zu bringen und unter Gewinnabsichten,
ist eine Kunst, die insbesondere dann neue Fähigkeiten erfordert, wenn die Unterschiedlichkeit in den Organisationen zunimmt. Moderne Manager sind diplomatische Beobachter von teil-selbständigen Prozessen, die sie by objective rekoordinieren. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Mitarbeiter zu relativ selbständiger Aufgabenerledigung zu bringen, damit sie von der unmittelbaren Führung entlastet sind und sich auf strategische Projekte konzentrieren können. Wer aber bildet eigentlich Manager aus in diesen neuen Formen? Wie lernt man so etwas? Und wie verhält es sich in einer Wissensgesellschaft, in der die Mitarbeiter meistens weit mehr wissen als die Manager? Und wie führt man dann? Von alledem handelt dieses Buch. Es sind Aufsätze aus den letzten fünf Jahren, die verschiedentlich schon veröffentlicht wurden, aber neu bearbeitet. Die Abschnitte 2, 5, 14, 15 und 17 sind kleine Essays zu relevanten Fragen; die anderen wissenschaftliche Abhandlungen. Zu danken habe ich dem VS Verlag für die Zusammenarbeit, Philip Kove für das Lektorat. Birger P. Priddat
Witten/Herdecke, Mai 2010
1. Die Zukunft der Arbeit in Organisationen 1. Die Zukunft der Arbeit in Organisationen
Dass wir arbeiten, halten wir, aus dem Paradies vertrieben, für lebensnotwendig. Fast das halbe Leben arbeiten wir und viele meinen, das wäre kein Leben; das finge erst nach der Arbeit an. Wir arbeiten nicht alleine, sondern in Organisationen, in arbeitsteiligen Zusammenhängen. Die Organisation ist das Milieu unseres Tätigkeitseins. Das aber ändert sich gerade. Wenn wir sagen, dass sich die Industriegesellschaft auflöst, löst sich natürlich die Industrie nicht auf, aber sie definiert nicht mehr die Wirtschaft, sie gibt nicht mehr den Ton an. Was jetzt sichtbar wird, nennen wir, vielleicht vorschnell, Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft. Jede dieser Formen hat eigene, z.T. sehr neue Spielräume für das, was wir traditionell Arbeit nennen:
die Dienstleistungsgesellschaft ist in einem Maße kundenorientierter, wie wir es in Deutschland (noch nicht) kennen; die Wissensgesellschaft stellt die Organisationen auf knowledge-ressourcing um: auf die Nutzung von Wissen, auf Management von Wissen und auf nachhaltige Bindung von high-knowledge workers.
Beide Tendenzen zusammen deuten Arbeitsvorstellungen an, die unserer industriegeprägten Welt noch fremd scheinen. Industriearbeit war Transformation von Materie: der Produktionsprozess formte das Produkt (vgl. Priddat 2000b). In der Massenproduktion gewöhnten wir uns an standardisierte Produkte. Die Form der Arbeit war (und ist) durch die Form der maschinal strukturierten Organisation dieser Massenherstellungsprozesse bestimmt. Konsumenten sind Abnehmer, nicht Kunden; sie nehmen, was geliefert wird. Die Industriewirtschaft ist eine Absatzwirtschaft: man produziert und setzt es ab; die Konsumenten nehmen es dann schon. Das Ideal dieser Wirtschaftsformation ist eine economy of scale. In der Tendenz zur Dienstleistungs- bzw. Service-Gesellschaft haben wir es allerdings nicht mehr mit vorgeformten Angeboten zu tun, sondern mit flexibler Reaktion auf die Märkte, d.h. auf das, was Abnehmer (Unternehmer, Konsumenten) wünschen. Das, was gewünscht wird, ist nicht mehr durch das bestimmt, was geliefert wird. Produktlebenszyklen beschleunigen und Leistungsanforderungen ändern sich. Im Tendenzrahmen von Kundenintegration, prosuming, mass customization und consuming on demand (vgl. Piller 2006; Hanisch 2006;
16
1. Die Zukunft der Arbeit in Organisationen
Dietrich 2007) entstehen individualisierte Produkte bzw. Leistungen (und damit hochdifferenzierte und diversifizierte Märkte und Marktdynamiken), die die Form der Arbeit ändern von der Produktion auf Kommunikation: nicht mehr die Gebrauchswerte sind zentral, sondern die Einschätzung des Nutzens einer Leistung (vgl. Jones/Hesterly/Borgatti 1997: 919 ff.). Industriewirtschaft ist – generell gesprochen – Lieferwirtschaft. Die Industrie definiert, was gebraucht wird und stellt es en masse (und kostendegressiv) her. Die Konsumenten nehmen es (d.h. nehmen das, was die Industrie absetzt), ohne in irgendeiner Form mitreden zu können. Ihre Wahl (rational choice) besteht zwischen differenten Lieferungen zu wählen: nach Preis-, Mengen- und Qualitätsdifferentialen. Das, was gebraucht wird, bildet sich über das Angebot der industriellen Lieferung. Nur der Absatz (der einzelnen Produzenten-Lieferanten) wird über die finale Wahl der Konsumenten gesteuert. Das Absetzen der Ware ist die dominante Form. Das ändert sich in einer kunden- bzw. wissensorientierten Wirtschaft der Gesellschaft. Der Nutzen changiert, wird multipel, unterliegt der wirtschaftlichen (advertizing) und gesellschaftlichen Kommunikation. Produkte bzw. Leistungen werden mehr und mehr über Themen (issues) definiert, über erlebnisgesellschaftliche Momente und nicht-konventionelle ‚feine Unterschiede‘ (vgl. generell Littmann/Jansen 2000; Bolz 2002; Priddat 2004b; Priddat 2008a).1 Wenn die Unternehmensorganisationen sich auf Kunden umstellen, ändern sie ihre Organisation. Zur Fachlichkeit der Arbeit oder Fachkompetenz kommen Organisations- und Kommunikationskompetenz als gleichwertige Kompetenzen hinzu. Die Unterscheidung Arbeiter/Angestellter verliert sich; die Mitarbeiter werden nach ihren Mitarbeits-, Kooperations- und Flexibilisierungskompetenzen bewertet. Nicht mehr die hierarchiebetonte Anweisung, sondern eine neue Form selbständiger Organisationsagilität verbreitet sich – bei zunehmender Irritation des angemessenen Managementstils (vgl. generell Aoki/Gustafsson/Williamson 1990; Baecker 2002; Baecker 2003a; Beiträge in FUGO 2004; Wieland 2004c; Osterloh/Weibel 2006; Baecker 2009). Die Unternehmen variieren ihre Organisationsmuster: Das Spektrum erstreckt sich von 1 In diesem Kontext entstehen neue Gütergattungen: Transformationsgüter. Es sind über das Toflersche prosuming hinausweisende Konsumtiva, deren Konsum zugleich eine Produktion ist: eine Produktion eines anderen Selbst, eines neuen outfits, eines anderen Menschen etc. Man kauft ein Buch, liest – und bekommt eine solch neue Anschauung der Welt, dass man – erschüttert und ergriffen – selbst jemand anderes wird, der künftig geläutert oder gebildet (die alte Intention des Bildungsromans!) neu und anderes in der Welt steht (vgl. Priddat 2009: Kap. 7). Kleine Extensionen dieser Transformation durch Konsum erleben wir bei einem neuen outfit, einem neuen styling oder durch Schönheitschirurgie, die einen anderen Menschen formt. Dazu gehören auch Bildungs- oder Erlebnisreisen, Mitgliedschaften in speziellen Szenen, Traumreisen, Sektenteilhabe, Drogenkauf etc.
1. Die Zukunft der Arbeit in Organisationen a. b.
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langsam sich bewegenden, lernenden Organisationen bis hin zu schnellen virtuellen.
Mischformen dominieren die ‚reinen‘ Ausprägungen. Hierarchien bleiben, aber sortieren sich schneller um, gehen stärker in die Moderation und Supervision von selbständigeren Arbeitsprozessen (intrapreneurship und Netzwerkinklusionen; vgl. Soukup 2002).2 Weil die Organisationen schnell und flexibel auf Kundenansprüche und deren Änderungen reagieren, müssen sie in der Lage sein, ihre Wertschöpfungsprozesse schnell zu ändern. Das sind Globalisierungsanforderungen, die aus einer neuen Komparabilität und Intensität von weltweiten Wettbewerbsprozessen entstehen. Dementsprechend müssen die Mitarbeiter Kooperationsmuster ändern können: Ausbau der change performance. Arbeitsverträge müssen offene Dispositionen haben, damit die Änderung und Flexibilisierung produktiv genutzt werden kann (governance auf der Basis von relationalen Arbeitsverträgen; vgl. Aoki/Gustafsson/Williamson 1990; Priddat 2004b; Priddat 2004c; Schlicht 2002; Schlicht 2003; Brown/Falk/Fehr 2003).
1.1 Lange versus kurze Verträge Unternehmen, die ihr Wissen behalten und ausbauen wollen, werden ihre Mitarbeiter durch lange Verträge binden. Das aber wird nicht mehr die Normalform des Arbeitsverhältnisses sein. Je stärker die Organisationen in die Virtualisierung gehen – stabile kleine Kernkompetenzkerne, umgeben von Wolken von Projektkooperationen, jeweils auf Zeit –, desto kürzer werden die Verträge (von Zeitarbeit bis zum Projektleasing), bis hin zu Netzwerken von Parallelverträgen. Der Wechsel der Vertragsformen, zudem mit freiwilligen Unterbrechungen (sabbaticals, Auszeiten, Lernphasen, d.h. lifelong learning), wird zunehmen; daneben der Wechsel der Tätigkeiten (mit selbst investiertem Lernen). Virtuelle Unternehmen kaufen sich Wissen in Form von qualifizierten free- und e-lancers vom Markt, anstatt es, über teure Personalfixkostenblöcke, im Unternehmen zu binden (vgl. Priddat 2000c; Priddat 2002a; Malone 2004). Die Zukunft der Arbeit ist ein Ausdifferenzierungsprozess, dessen Pfade bereits angelegt sind. Die Arbeit ändert sich, je nach dem, welche Organisationsund Geschäftsmodelle entfaltet werden. Das Spektrum der möglichen Organisationsformen erweitert sich. Es reicht von der 2 Vgl. dazu zudem Davenport/Prusak 1998; Osterloh/Frost 2000; Priddat 2000a; Priddat 2002; Jansen 2002; Schlicht 2002; Eikels 2003; Lies 2003; Kabalak/Priddat 2008.
18 a.. b.
1. Die Zukunft der Arbeit in Organisationen klassischen, hierarchischen Organisation bis zur virtual organization.
Die meisten Entwicklungen sind Mischformen innerhalb dieses Spektrums:
Klassische Hierarchien bewegen sich, d.h. passen sich dynamischen Märkten an als ‚lernende Organisation‘. Sie setzen auf lange Verträge, binden ihr human resource potential und versuchen, die Kompetenzen wie die Anforderungsagilität ihrer Mitarbeiter selber auszubilden (personal development). Virtuelle Organisationen beschränken sich auf Kompetenzkerne, sourcen den Rest out und holen sich Kompetenzen für Projekte aus dem Netzwerk anderer Unternehmen bzw. aus dem Pool der free- und e-lancers. Sie binden so wenig human capital wie möglich um sich aus dem Markt die besten Kompetenzen kurzfristig für Projekte zu engagieren. Sie setzen auf ein flexibles (Schnittstellen-)Management kurzer Verträge (vgl. Priddat 2002a).
Beide Organisationsformen stehen konträr zueinander, haben divergente Motivations-, Leistungs- und Wissensmilieus. Nicht nur unterscheiden sich die Anreizstrukturen, sondern vor allem das knowledge-handling (vgl. Davenport/Prusak 1998; Baecker 2000b; Osterloh 2006). Klassische hierarchische Organisationen bergen ein großes Potential ungenutzten Wissens (tacit knowledge); die hierarchische Struktur ist nicht oder nur mäßig in der Lage, diese knowledge-Potentiale in Leistung zu übersetzen (vgl. Schreyögg 2001; Becker 2004; Wieland 2004d; Osterloh 2006). Virtuelle Organisationen arbeiten nach einem konträren Prinzip: alles Wissen wird, überschüssig, allen zur Verfügung gestellt. Denn nicht die Verfügung über Wissen, sondern aus dem Wissen generierte neue Geschäftsideen sind agens movens der virtual organisation. Das setzt eine spezifische Eigenverantwortlichkeit der Tätigkeiten voraus: das Wissen in Einsatz zu bringen. Zugriff auf das Wissen aller (intra- und extranet), ohne Störungen durch die Hierarchie, ist auf eine intrapreneurship- Konzeption gegründet. Intrapreneurs (als agile Akteure innerhalb von Organisationen) und freeoder e-lancers (als agile Netzwerkakteure) haben andere Anforderungen an die Kompetenzentwicklung: sie suchen sich Tätigkeiten bzw. Projekte, die, neben dem Entgelt, als Investitionen in ihr intellectual and human capital rentierlich sind. Lifelong learning ist weniger durch Auszeiten definiert (in denen Mitarbeiter aus ihren Firmen herausgehen und in Schulen bzw. Hochschulen wieder lernen) als durch die Wahl passender Jobs, auf denen man mehr lernt als in geson-
1. Die Zukunft der Arbeit in Organisationen
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dert angebotenen Ausbildungen. Die künftige Konkurrenz der Weiterbildung sind die Unternehmen selbst. Über diese Prozesse entwickeln sich unabhängige Wissensmärkte, demnächst e-learning-based, deren Produkte von Unternehmensmitarbeitern auf eigene Rechnung gekauft werden: als Investment in das eigene human capital. Deshalb werden Bildungsmärkte Wachstumsmärkte.
1.2 Wissen als verderbliche Ware und als Interpretationsagilität: New Knowledge Workers Wegen der Änderungen des Wissens, der relativ schnellen Entwertungen etc. werden Unternehmen, die Mitarbeiter über lange Verträge binden, ins Risiko der Bindung an altes Wissen (und des Vorteils an Erfahrungen) fallen. In allen Bereichen, in denen Wissensänderungen schnell laufen – das sind beileibe nicht alle Bereiche der Wirtschaft! –, werden die Unternehmen auf kurze Verträge umstellen, weil sie nur so das Risiko senken, zu viel altes Wissen akkumuliert zu haben. Die knowledge-workers investieren auf ihr eigenes Risiko in die Entwicklung ihrer knowledge-base, erwarten aber höhere returns on their investment. Wir haben es mit einer wahrscheinlichen Korrelation von wissensgetriebenen Wertschöpfungsprozessen und virtuellen Organisationen zu tun, die den Arbeitstypus am stärksten verändern. Deshalb ist es ungenau, von einer Wissensgesellschaft zu reden, wenn nur ein Teil ihrer Mitglieder in wissensgetriebenen Organisationen und Netzwerken arbeitet; diese knowledge-workers allerdings sind anderer Art als der übliche Typus des Erwerbstätigen. Wissensorientierung der new work ist nicht von vornherein IuK-getrieben, sondern zugleich kundenorientiert. Neue Kunden- und agile Marktorientierungen erfordern situative Intelligenz und agile Opportunismen, die Umgang mit Ambiguitäten verlangen und Devaluation von Wissensschemata alter Situationen (vgl. Baecker 2000b). Die Fähigkeit, gewusstes Wissens nicht in Anschlag zu bringen, sondern aufmerksam neue Konstellationen wahrzunehmen und kunstgerecht zu reagieren, wird zu einer Kompetenz, die mit den gewöhnlichen Vorstellungen von Wissen bzw. Lernen wenig zu tun haben. Wissensorientierung ist weniger informations- als vielmehr kommunikationsoffen. Natürlich sind IuK-getriebene Prozesse wie z.B. data-based marketing (data-mining) extrem wissensintensiv, aber nur ein Teil der marktexplorativen Prozesse, die auf der anderen Seite innovationsoffen sein müssen, um so mehr, je kundenorientierter und spezifischer die Marktkommunikationen werden. Hier irritiert sich momentan die Gesellschaft mit enggeführten Begriffen der Wis-
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1. Die Zukunft der Arbeit in Organisationen
sensgesellschaft. Denn: Wissen ist nicht mehr primär das, was wir wissen (im Sinne des Archivs), sondern das, was wir wissen können (im Sinne des Zugriffs und der Fähigkeit, neue Kombinationen zu arrangieren). ‚Wissensgesellschaft‘ ist mehrfach konnotiert: über Information, über Wissen I – im Sinne von Wissenschaft – und über Wissen II – im Sinne von Netzwerkzugriffsextensionen (vgl. dazu Reuter 2010). Die Diskurse neigen dazu, Wissen als Gut (auch als öffentliches Gut ist es ein Gut) zu rubrizieren. Diese Ontologisierung des Wissens ist missweisend, weil es den Teil ausschließt, der äquivalent ist: das Noch-nicht-Wissen, auf das die theoretische Neugierde immer schon aus war. Nun aber kommt die praktische Neugierde ins Spiel. Welche Alternativen gäbe es (nicht ‚gibt es‘ – sie sind nicht ‚da‘, sondern ‚möglich‘)? Die Relation ‚Wissen und Möglichkeit‘ verweist auf epistemische Änderungen und flottierende Kommunikationen in der Gesellschaft, deren Normalform dann die Wissensgesellschaft werden wird. ‚Möglich‘ ist ein Verweisungsstand, kein Zustand. Was ‚möglich ist‘, orientiert unsere gegenwärtigen Überlegungen und Entscheidungen, etwas ‚wirklich zu machen‘. Nicht was wir wissen, ist alleine relevant, sondern wie wir mit Nichtwissen umgehen. Wie wir uns darauf einlassen, immer nicht genug oder alles zu wissen, sondern Überraschungen gewahr sein müssen, die uns auf etwas verweisen, was wir eben nicht wissen konnten (oder einfach nicht wussten). ‚Anreize des Ungewussten‘ oder ‚des Neuen‘ sind partiell hochdominant und handlungsleitend (vgl. Immenthal 2004: Kap. 9, 10). Deshalb ist die Zugriffs- oder Kommunikationskompetenz wichtiger für Wissensgesellschaften, als ihre Fähigkeit, ‚Informationen zu haben‘. Nicht die Information per se, sondern ihre Relevanz ist von Bedeutung – nicht das Archiv, sondern seine Interpretation. Neben der Kompetenz, Situationen neu und überraschend zu interpretieren, sind diese Wissensprozesse Ausbildungen in Relativierung von (vergangenen) Erfahrungen. Nicht allein Wissen-Können, sondern Nicht-Wissen-Können wird zur mentalen Ressource dieser Prozesse: Wie löst man etwas auf, von dem man überzeugt ist, es mit Sicherheit zu wissen, das aber riskant ist, weil es Neues verdeckt oder erst gar nicht zulässt? Um situationsoffen zu sein, bedarf es Nichtwissenskompetenz (Verlernen statt Lernen). Strategien des Verlernens, des Ablegens kognitiver Schemata und Wahrnehmungen, Aufnehmen von Spuren – eine neue Bereitschaft für Formen des Wissens, die bisher nicht zu Organisationswissen gehörten: Kontextwahrnehmungen (vgl. McFadden 2001). Neue Wissensformationen werden generiert: Analogiebildungen, Entfachlichung von Fragestellungen (z.B. gehen Strategieabteilungen von Konzernen kollektiv ins Kino, um Welt neu zu interpretieren), Quertreibung von Fragestel-
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lungen durch alle Fachlichkeiten etc. Neue Sensibilisierung für Nuancen, ‚feine Unterschiede‘, Atmosphären, Wechsel von der Dominanz der Kognition zur Wahrnehmung – nur so erweitert sich das Feld der Innovationen. Das radikal Neue ist selten wahrnehmbar, aber die (leichte) Differenz zu etwas Bekanntem gilt als absolut neu. Die unternehmerische Chance liegt dort, wo Dinge etwas miteinander zu tun haben könnten, die noch nichts miteinander zu tun haben (vgl. Priddat 2010c). Innovationskompetenz liegt auf der Schnittstelle Wissen/Nichtwissen. Innovationskompetenz ist keine Singularität, sondern zunehmend eine Anfordernis für alle Organisationsprozesse. Denn wo Marktagilität erfordert wird, werden alle Routinen, alle Schemata und Prozesse überprüft und innoviert werden müssen: Analyse der Wissen/Nichtwissen-Relation in Unternehmen in Marktdynamiken. Natürlich geschieht hier Innovation. Innovation ist, nicht nur seit Schumpeter, an Unternehmertum geknüpft. „Die unternehmerische Chance liegt dort, wo Dinge etwas miteinander zu tun haben könnten, die noch nichts miteinander zu tun haben“ – das ist, nach Michel Serres, ein Hybrid, der einen spezifischen, analogisierend-synthetisierenden Umgang mit Wissen zulässt: einen Umgang, der die Wanderung auf dem engen Grat zwischen Wissenssystemen meint, um überhaupt Neues intelligibel zu machen. Vor diesem Hintergrund könnte dann ein Unternehmer, der ja hier als Netzwerk bzw. kollektiver Akteur konzipiert wird, als ein ökonomisch markierter Transformationsraum verstanden werden, in dem eine Gesellschaft Innovationen, nicht nur der Wirtschaft selbst, sondern auch anderer sozialer Systeme wie der Wissenschaft, des Rechts, der Politik, der Kultur oder von Organisationen, auf Marktfähigkeit und Kapitalisierbarkeit überprüft. Der Transformationsraum wird als sozialökonomischer Möglichkeitsraum verstanden, in dem die unterschiedlichen Kommunikationen, die in den verschiedenen sozialen Systemen stattfinden, auf mögliche Innovationen hin beobachtet werden. Diese Beobachtung schließt aber nicht nur eine mögliche Innovation selbst ein, sondern auch jene Beobachtungs- und Risikofunktion, wie sie Betroffene, Verbraucher und andere Stakeholder darstellen (vgl. Möllering 2005). „Unternehmertum findet dann einerseits als simultane Beobachtung von Innovationen in den verschiedenen Kommunikationsformen einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft statt und andererseits als Beobachtung, ob es einen möglichen Markt, einen Innovationsmarkt und damit eine potentielle Wertschätzung für die beobachtet Innovation gibt, also inwiefern diese kapitalisiert werden kann. Die Kapitalisierung bezieht sich dabei auf eine mögliche Wertschätzung seitens der Kapitalmärkte, die erst eine Einführung und Durchsetzung der Innovation möglich machen. Als simultane Beobachtung eines Dritten bildet der Unternehmer somit als hybride parasitäre Kommunikationsstruktur selbst einen Interferenzraum aus, der den Über-
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1. Die Zukunft der Arbeit in Organisationen gang der Wirtschaft zu anderen sozialen Systemen ermöglichst. Unternehmertum bezeichnet dann nicht mehr nur eine bestimmte kommunizierte Beobachtung, sondern die mit ihr einhergehende Randonnée beim Übergang vom Wissen zum Nichtwissen. Unternehmertum begreift die jeweils beobachteten Systeme in einer fremden Welt und in einer genuin eigenen Perspektive. Die Beobachtung des Unternehmers lässt Unterscheidungen im Sinne der Interferenz, aber auch als konzeptuelle Metapher interagieren, um neuartige Unterscheidungen treffen zu können“ (Immenthal 2004: 344 f.).
Die neuartigen Unterscheidungen, die sich Unternehmer aneignen, um sie anderen zueignen zu können, sind keine vereinzelten Handlungen, sondern inzwischen durchgehendes Prinzip der Wirtschaft. „Dort, wo Kommunikation Produktion abgelöst hat, die Hybriden, Risiken und andere Formen des Nichtwissens oder der Ungewissheit zunehmen, dort wird sich Ökonomie auf der Ebene der Makro-, Mikro- oder Mesoebene mit mehr als der optimalen Verteilung von Gütern und von Knappheiten auseinandersetzen müssen. Denn der Einbezug des Dritten weist gleichzeitig auf eine Überflussverteilung, die ganz andere Probleme thematisiert, die aber immer schon die Kehrseite der Frage nach der gerechten Verteilung von Gütern oder der Beseitigung von Knappheiten war. Handlungstheoretisch liegt der Verteilung immer etwas Gegebenes, meist knappe Güter, voraus, für das eine eindeutige Verteilungsfunktion zu finden ist, die eine finale Entscheidung zum Guten ermöglichen soll. Der Übergang zur Ökonomie, die die Institution des Unternehmers oder des Unternehmens kommunikationstheoretisch begreift, wird jetzt eines Überflusses, insbesondere an Risiken als Medien des Nichtwissens, in diesem Zuge aber auch der Fülle der Informationen gewahr, die ebenfalls eine Problematik bzw. die Kehrseite der Knappheiten darstellen. Die Reflexion des Risikos sowohl in der Ökonomie als auch in den Sozialwissenschaften weist demnach auf einen Umschlagpunkt, der die Perspektive auf das Problem des Überflusses lenkt. Risiko und Unternehmertum werden als Begriffe selbst zu jenen Transformationsräumen im Übergang der Perspektive von Knappheiten zum Überfluss und spielen demnach eine je eigene Rolle als Dritte in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften“ (Immenthal 2004: 345 f.).
Die vorausgehenden Darlegungen dienen lediglich dazu, trivialen Einschätzungen des Wissens in der Wissensgesellschaft vorzubeugen. Wir haben es nicht mit Wissen im Sinne von eindeutiger Erkenntnis zu tun, sondern mit Möglichkeitsräumen, in die neue Projekte eingetragen werden: als unternehmerische Innovationen, bestätigt von Dritten (aus den Kapitalmärkten), konsolidiert von den potentiellen Abnehmern durch Kauf und Nachfrage. Der Knappheit der Ressourcen steht der Überfluss der Optionen gegenüber, Alternativen zu haben in der Transzendierung der Knappheitsarena. Das in Unsicherheit und Ungewissheit sich notierende Nichtwissen ist zugleich immer eine Öffnung: in neues Wis-
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sen, andere Arenen, neue Episteme. Im Nichtwissen erschließen sich andere Kontexte, andere Perspektiven. Deshalb ist Unsicherheit produktiv, wenn sie nicht darauf beharrt, das, was unsicher ist, zu beobachten, sondern sich deswegen ablenkt auf anderes. Unternehmerische Disposition ist nicht auf ‚den Unternehmer‘ begrenzt, sondern wird zum constituens moderner Organisationen, die ihre Mitglieder anleiten, aufmerksam zu werden in den Anpassungen der dynamischen Märkte, was ihnen eine micro-entrepreneurship zubilligt, mit Konsequenzen für die Hierarchie, die nun ‚loslassen‘ und motivieren können muss (vgl. Frey/Osterloh 2002).
1.3 Extension der Kompetenzen in Unternehmensorganisationen Durch lifelong learning ändert sich das Verhältnis zur Bildung/Ausbildung: kontinuierlich, prozessual, z.T. on the job. Neben der Wissenskompetenz sind soziale und kommunikative Kompetenzen gefragt, weil der Tätigkeits-bzw. Projektwechsel ständig neue und schnelle Teameinbindung erfordert (vgl. Priddat 2000c). Durch die neue Dienstleistungsökonomie verstärken sich diese Anforderungen: für die Kundenintegration (prosuming) sind kommunikative Kompetenzen ebenso wichtig wie fachliche (relationship knowledge). Management wird zum Schnittstellenmanagement: permanente Kommunikation der relationships; Organisation der Organisation von Netzwerken und Organisationen (vgl. Soukup 2002; Boltanski/Chiapello 2003; Becker 2004; Kabalak/Priddat 2008). Diese Ressourcen, Kompetenzen und Fähigkeiten sind nicht nur fachlicher Art, sondern beziehen sich auf die gesamte Verhaltensdimension des Mitarbeiters. Sprach- und Kulturkenntnisse, Teamfähigkeiten, Integrationsfähigkeit, moralischer Charakter, Loyalität, Offenheit und Flexibilität, Kommunikationsfähigkeiten, Integrität sind im Hinblick auf Unternehmenszwecke und Erfolg ebenso produktive Kompetenzen wie etwa technisches Ingenieurwissen oder instrumentelles Managementwissen (vgl. Wieland 1998; Wieland 1999b).3 Es geht um das implizite Wissen der Organisation. Dazu gehört explizit – für das Gelingen von good governance – ein moralisches Wissen (vgl. Wieland 2002a; Wieland
3 Vgl. zu diesem Aspekt auch Priddat 2004; Holman/Thorpe 2002; Beiträge in FUGO 2004; Wieland 2004a.
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2002b; Wieland 2004a; Wieland 2007). Die Ressourcen des Humankapitals sind daher anders aufgeteilt: 1. 2.
3.
4.
Professionelle Ressourcen, also etwa berufsspezifische Kenntnisse, Wissen und Fertigkeiten; Motivationale Ressourcen, also neben der klassischen Bedürfnisbefriedigung auch etwa intrinsische Motivationen wie z.B. Ehrgeiz, Arbeitsfreude oder Professionalismus; Kooperative Ressourcen, also Kommunikationsfähigkeit und der Charakter einer Person, wie z.B. Loyalität gegenüber der Gruppe, Zuverlässigkeit und Freundlichkeit; Persönliche Ressourcen, also Talente und Eigenschaften eines Menschen, wie etwa Verbindlichkeit, Charakter oder Bindungsfähigkeit.
Dieser erweiterte Begriff des Humankapitals als ein Bündel von professionellen, motivationalen, kooperativen und persönlichen Ressourcen ist die entscheidende Quelle von Wertschöpfung in der Kooperationsökonomie (vgl. Wieland 1998; Priddat 2005b). Er erweitert aber auch den Begriff der Wissensgesellschaft. In diesen hoch diversifizierenden Organisationskulturen werden Mergers zunehmen, aber auch zunehmend schwieriger: virtual organizations haben Freiheitsgrade, die sich nicht ohne weiteres in klassische Hierarchien integrieren lassen. Umgekehrt werden viele der klassischen Organisationen, weil sie sich nicht so entwickeln können oder weil die Prozesse der ‚lernenden Organisation‘ scheitern oder zu langsam vorankommen, sich high-level workers aus der new economy zukaufen, indem sie die Firmen kaufen. Integrations-, diversity- und value management werden zunehmen, weil neue Kooperationsformen inkompatibler Kooperationsmentalitäten synthetisiert werden sollen. Innerhalb dieser Entwicklung entstehen auch neue Formen der Gender- und ethnischen Integration (vgl. Priddat 2004b; Pasero/Priddat 2004). Weil es keine klassischen Regeln und Organisationskonventionen mehr geben kann, werden sich diversifizierte Regelsysteme bilden, die nicht nur die Effizienz der Organisation, sondern auch ihre Motivationsmilieus steuern (vgl. Becker 2004; Wieland 1998; Wieland 2004b; Osterloh/Weibel 2006). Die Formen der Kooperationen und ihre spezifischen Effizienz/Milieu-Konstellationen definieren die Wettbewerbsfähigkeit (marketability) stärker als früher:
Organisation wird Organisation von Kooperationsfähigkeit; Management wird die Realisation von Kooperationschancen;
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Je schärfer der Wettbewerb, je mehr unvorhergesehene Umstände, desto wichtiger wird der Mensch: in seiner vollen Wissenskompetenz, transkognitiv, wahrnehmungsreagibel; Wenn aber der Mensch in Kooperationen wichtiger wird, wird auch seine Ausbildung wichtiger. Hier haben wir momentan die gröbsten Fehlinvestitionen. Wissensbewertung, -generierung und -selektion wird zur entscheidenden Kompetenz in der Wissensgesellschaft: Transformationskompetenz; Die moderne Arena des Einübens/Trainings dieser Transformationskompetenz sind die Netzwerke in und außerhalb von Organisationen. Sie sind bzw. werden die anerkannten Transformationsfelder des Wissens.
1.4 Wissen: Netzwerke Nicht nur die virtual organizations sind über Netzwerke strukturiert; auch in normalen Organisationen arbeiten Netzwerkorganisationen als ‚Subunternehmen im dynamischen Eigenauftrag‘ (vgl. Wieland 2010). Gleichzeitig sind alle Mitarbeiter von Organisationen in Netzwerken beteiligt, die nicht zur Organisationen gehören. Netzwerke generieren Wissen für Mitarbeiter: within and outside of organizations. Sie sind Kommunikations- und Evaluationsarenen. Netzwerke sind spezifische Kooperationsformen zwischen Märkten und hierarchischen Organisationen. „Ein Unternehmungsnetzwerk stellt eine auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen zielende Organisationsform ökonomischer Aktivitäten dar, die sich durch komplex-reziproke, eher kooperative, denn kompetitive und relativ stabile Beziehungen zwischen rechtlich selbständigen, wirtschaftlich jedoch zumeist abhängigen Unternehmungen auszeichnet. Ein derartiges Netzwerk, das entweder in einer oder in mehreren miteinander verflochtenen Branchen agiert, ist das Ergebnis einer Unternehmensgrenzen übergreifenden Differenzierung und Integration ökonomischer Aktivitäten“ (Sydow 1992; zit. nach Krebs/Rock 1994: 328).
Sydow sieht solche Netzwerke als Intermediäre zwischen Markt und Hierarchie, die zwar durch die Autonomie der beteiligten Akteure nicht zentral steuerbar seien, eher heterarchisch oder polyzentrisch, aber über keine eigenen Koordinationsmechanismen verfügten, sondern bloß hierarchische und marktliche Elemente so kombinierten, „daß durch die Organisation der Netzwerkbeziehungen eine effizientere und effektivere Kopplung der Aktivitäten angestrebt und realisiert wird, zugleich aber der Markttest weiterhin anwendbar bleibt“ (Krebs/Rock 1994: 329).
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1. Die Zukunft der Arbeit in Organisationen „Netzwerke sind besonders geeignet für Situationen, die effiziente, verlässliche Informationen erfordern. Die brauchbaren Informationen sind ohnehin selten die, welche den formalen Befehlsketten einer Organisation folgen oder über Preisänderungssignale übermittelt werden. Netzwerke sind deshalb besonders brauchbar für Austauschbeziehungen, deren Wert nicht so einfach zu bemessen sind [kursiv: B.P.]. ... Sie können weder einfach im Markt gehandelt noch innerhalb der Unternehmenshierarchie kommuniziert werden“ (Powell 1996: 225; vgl. dazu auch Teubner 1992; Schmidt 2001).
Dieser ökonomischen Interpretation von Netzwerken folgen soziologische: Netzwerke sind duplexe Strukturen, wissens- sowie reputationsgenerierende Arenen. Der Arena-Begriff wird hier eingeführt, um Netzwerke erst einmal von Märkten wie von Organisationen zu unterscheiden, auch von Institutionen. Netzwerke sind meistens lose Kopplungen mit flüchtigeren Kontakten als Vereine, Clubs, Institutionen etc., die aber Frequenz genug haben um oszillationsstabile Knoten zu bilden (vgl. Lechner 2001: 83 ff.; generell Granovetter 1985; Granovetter 2004; Borgatti/Foster 2003). Netzwerke sind zugleich soziale Strukturen. Mit der Bezeichnung als Wissensarena wären sie alleine unzureichend beschrieben, da sie, als soziale Gebilde, soziale Beziehungen stiften und entstiften. Netzwerke werden über Reputationszuweisungen und Statusproduktionen (wie -entwertungen) gesteuert. „Networks in general are a specific set of linkages between a defined set of actors with the characteristic that the linkages as a whole may be used to interpret the social behaviour of the actors involved“ (Lechner 2001: 94; zit. nach Mitchell 1969; vgl. Jines/Hesterly/Borgatti 1997).
Netzwerke beobachten ihre Teilnehmer daraufhin, welche Qualitäten sie einbringen, wie tauschwillig sie sind, wie kompetent etc. Sie erweisen sich, neben den Wissens- auch Reputationsarenen, als soziale Bewertungsinstanzen. Vor allem gilt ihre Rolle als Kommunikationsarena auch für das, was sie untereinander vermitteln: Wissen ist keine fixierte Größe, sondern Netzwerke verfügen – anders als Märkte, Bewertungs- und Interpretationsagenturen, in denen Wissen direkt getauscht wird – über kein Intermediär (wie sonst über Geld). Die Beziehungen, die Netzwerke sammeln und darstellen, sind Kommunikationsgeflechte, die über die unmittelbaren Knotennachbarschaften hinaus mit allen Knoten des Netzwerkes kommunizieren können. Das Medium von Netzwerken ist nicht Geld (wie auf dem Markt) und nicht Anweisung (wie in der Hierarchie), sondern Kommunikation von Information und Wissen – unmittelbar wie mittelbar. Jeder Knoten ist eine potentielle Verweisungsadresse: jemand weiß jemanden, der etwas weiß – oder weiß selbst das, was man wissen will.
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Wissen, das auf Märkten verkauft wird, muss eindeutig bestimmbar sein; in den Kommunikationen von Netzwerken wird Wissen ständig neu bewertet und in seinen Valenzen verändert (vgl. Reichwald 2001). Netzwerke optimieren die Wissensvermittlung nicht, sondern leisten sie. Schlechte Bewertungen ändern die Knotenfrequenz. Die auf Märkten durch Preise signalisierte Knappheit wird in Netzwerken durch einen anderen Allokationsmodus beherrscht: durch Verfügbarkeit. Wissen wird nur als aktual knapp, aber als im Prinzip verfügbar angesehen – korrelierend mit dem public good-Charakter von Wissen (vgl. Shipman 2002: 64 ff.). Die Netzwerkkommunikation senkt die Transaktionskosten der Beschaffung. Nicht die Menge an Wissen ist entscheidend (wie auf Märkten etwa die Angebots- und Nachfragemengen), sondern, wegen seiner prinzipiellen Kopierbarkeit (vgl. Baecker 2001b), die Passung, d.h. die adäquate Zuschneidung von Wissen. Netzwerke generieren Wissen über Ketten: wenn Adresse A nichts weiß, weist sie weiter auf Adresse B etc. Das Wissen, das ein Arbeitnehmer seiner Firma nicht frei anbietet, wird in den Netzwerken, in denen er sich bewegt, zu seinem wertvollsten individual capital. Wollte die Firma sein Wissen aneignen, sein tacit knowledge, müsste sie ihren Arbeitnehmer so behandeln, wie er in den Netzwerken behandelt wird, d.h. nicht als Angestellten, sondern als knowledge-partner, dessen Wissen nicht allein gefragt wird, sondern gegen anderes Wissen ständig und bevorzugt getauscht wird. Ein Wissensmanagement, das in einer Organisation eingeführt werden soll, müsste diese heterarchische Struktur berücksichtigen, d.h. innerhalb einer hierarchischen Struktur Netzwerke zulassen, die nicht-hierarchisch integriert werden. Netzwerke sind Tauscharenen von Wissen, aber nicht über Verträge, wie Unternehmensorganisationen konstruiert sind, auch nicht über Transaktionen von Kauf/Verkauf via Geld, sondern über die Bereitschaft, jederzeit selber Adresse zu sein für Wissensnachfragen. Nun reicht aber die Bereitwilligkeit nicht aus; sie muss von Kompetenz begleitet sein. Netzwerkmitglieder sind jederzeit adressierbar, wie sie selber jederzeit adressieren können. Die je vorfindliche Valenz des Netzwerkknotens wird im Netzwerk selbst sofort kommuniziert. Netzwerke kommunizieren und kommunizieren zugleich die Kommunikationsfähigkeit und -valenz. Die übliche Vertragsform ‚Wissen gegen Geld‘ wird in einer Wissensgesellschaft, in der es darauf ankommt, Wissen nicht nur abzugeben, sondern ständig ‚auf dem Laufenden zu sein‘, d.h. ständig neues und vor allem relevantes Wissen zu generieren, gegen einen neuen Interaktionsmodus verschoben: Wissen gegen Wissen (und natürlich Wissen gegen Wissen und Geld). Wissen ist nicht
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nur ein Produkt, sondern parallel immer auch eine Investition, deren return on investment neues Wissen heißt. Netzwerke sind Kooperationsarenen, die ihre Kooperationsmuster variieren lassen. Sie oszillieren zwischen starken und schwachen Kopplungen (strong and weak ties; vgl. Wassermann/Faust 1994; Lomi 1997; Granovetter 1985; Granovetter 2004). Netzwerke re- und degenerieren ständig. Darin sind Netzwerke mehrdimensional ausgelegt. Sie beruhen auf 1. 2. 3.
Wissensvermittlungen; Wissensbewertungen (und Valenzänderungen), wie auf Reputationskommunikationen.
Netzwerke sind kontraktuelle Kooperationsmechanismen und soziale Reputationsgeneratoren (vgl. Wieland/Becker 2000: 45 f.; Wieland 2004d), doch darf die zweite Dimension nicht vergessen werden: ihre Wissenskommunikation, die zugleich Wissensbewertung und -innovation ist. Netzwerke sind in dieser zweiten Dimension immer auch epistemische Generatoren, dynamische Sprachspiele bzw. dynamische linguistic communities (vgl. Priddat 2004c). In ihnen finden die relevanten Kommunikationen über das, was gilt, statt, aber auch über die, die in diesem setting gelten. „White untersucht die Entstehung sozialer Organisation als höchst unwahrscheinliche, elaborierte Formen anhand von Netzwerken. Sein Analysefokus sind nicht wie üblich Personen, sondern Identitäten, deren ‚oberstes Ziel‘ der Selbsterhalt ist und die sich in Interaktionszusammenhängen mit anderen Identitäten, die durch doppelte Kontingenz gekennzeichnet sind, gegenseitig zu kontrollieren versuchen. ‚Identity and Control‘ sind daher Kern aller sozialen Interaktion und Organisation. Aus diesen ... Kontrollprojekten entstehen soziale Prozesse und Strukturen, die sich gegenseitig (beobachterabhängige) Kontexte darstellen und so soziale Räume schaffen, die weitere Handlungsmöglichkeiten erzeugen. Desweiteren formen diese Interaktionen Beziehungen zwischen den Identitäten, die das Netzwerk als Struktur hervorbringen. Identitäten in diesem Zusammenhang können Verhaltensweisen, Personen, Organisationen, Events oder Stories sein“ (Völcker 2001: 5 f.; vgl. White 1992).
Diese Sichtweise läuft konträr zu den ökonomischen, eher steuerungsoptimistischen Ansätzen: „Handlung beruht nicht auf den Intentionen rational handelnder Akteure, und darüber hinaus dienen die Aktivitäten auch in erster Linie nicht dazu, Mittel einzusetzen, um Zwecke zu erreichen, sondern viel eher dazu, nicht-antizipierte Ereignisse und Handlungen anderer, die den Fortbestand von Identitäten bedrohen, zu blockieren. Koordi-
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nierte Interaktionen und die Entstehung laborierter Strukturen sind also höchst unwahrscheinlich. Netzwerke machen diese Unwahrscheinlichkeiten wahrscheinlicher, indem sie eine Struktur darstellen, über die erfolgreiche Prozesse in selbstähnlicher Form weit streuen können. Dabei ist nicht nur die Kopplung von Identitäten kritisch, sondern ebenso die Entkopplung, die Raum schafft für neue Interpretations- und Handlungsmöglichkeiten. Tragend für Kopplungs- und Entkopplungszusammenhänge sind Stories, die Wahrnehmungen verhandeln und immer wieder Anlass zur Reinterpretation von Kontexten geben. Das Netzwerk wird so konzeptualisiert als ein hochdynamisches, komplexes und nicht zentral steuerbares Gebilde, in dem Zusammenhänge kommunikativ verhandelt und wieder aufgelöst werden und in dem sich Verbindungen und Kontexte laufend ändern“ (Völcker 2001: 6).
Netzwerke sind, so schlage ich sie zu nennen vor, agoretische Strukturen. Sie bilden stabilere Kooperationsmuster als Märkte, aber losere Kopplungen als Organisationen. Dass sie darin selber Organisationen als Modi von Kooperation und Vernetzung sind (vgl. Völcker 2001), ist ein anderer Interpretationsgang. ‚Agoretisch‘ sind Netzwerke zu nennen, weil sie, wie die athenische agora, Marktplatz der Güter und Meinungen zugleich sind. Netzwerke können innerhalb von Organisationen ihre losen Kopplungen informell entfalten – für oder wider das Unternehmen (vgl. tacit knowledge-Problematik). Sie durchziehen aber ebenso wie die Unternehmensorganisationen die Institutionen. Oder noch anderes gesagt: Organisationen ‚schwimmen‘ in Netzwerken – in ihren intra-organisationalen wie extra-organisationalen, an die ihre Mitarbeiter vielfältig angeschlossen sind. Netzwerke sind energetische Auflade- und Transformationsfelder, weil sie Kommunikationen eintragen in Organisationen, die die Organisation selber nicht steuern kann. Deshalb wird die governance-Theorie so prominent, weil sie nicht nur hierarchische Steuerung erfasst, sondern alle weiteren Kommunikations- und Moderationsprozesse, u.a. solche der Netzwerke. Es geht um Prozesse des In-Fluss-Bleibens des Wissens: knowledge fluxus. Hier begänne eine andere Kultur, in der Wissen kein Geheimnis einer Organisation, sondern ein common good wird, dessen organisationsspezifische Nutzung zum private property right wird. Nicht Wissen entscheidet, sondern seine Transformation in Güter, Leistungen etc. Darauf muss die Organisation letztlich umgestellt werden (vgl. Kabalak/Priddat 2006; Bakken/Hernes 2003).
2. Arbeit als Herausforderung: Challenge. Kapitalismus als Emanzipationsversuch 2. Arbeit als Herausforderung
Früher wurden Unternehmer und Manager durch Status belohnt – neben dem Einkommen. Die Herren Wirtschaftskapitäne hatten dicke Bäuche und Zigarren in der Hand. Sie standen, wenn sie sich photographieren ließen, in stark holzgetäfelten Herrenzimmern und hatten etwas erreicht. Das sah man. Ihre Arbeit wurde durch sozial akzeptierten Aufstieg belohnt. Die Enttäuschung über Unternehmer und Manager, die heute durch Umfragen deutlich wird, liegt daran, dass sie diesem Status-Bild nicht mehr entsprechen. Die Leute betrachten sie nach alten Kategorien. Unternehmer und Manager selber sehen sich anders: nicht mehr der Status ist wichtig, sondern, neben den erhöhten Einkommen, die Herausforderung. Hier hat sich etwas Entscheidendes geändert. Herausforderung (challenge) ist individualisierter Status. Status ist eine Gruppenzuweisung: wer Status hat, gehört einer gehobenen Gruppe an. Individualisiert der Status, bleibt die Mitgliedschaft fragil. Nur die Erfolgreichen sind Mitglied, nicht die, sie sich ihren Status hart und lange erarbeitet haben. Manager in Konkurrenz wollen zeigen, was sie individuell besser können als andere. Die Zuweisung zu einer Statusgruppe ist ihnen viel zu kollektivistisch. Sie wollen individuell glänzen. Modell des Managements ist eher das Extrembergsteigen. Man will unbekannte Steilwände erklimmen, zeigen, dass man etwas erreicht, was andere noch nicht erreicht haben. Gut und routiniert zu arbeiten ist kein Ziel mehr; das bleibt denen, die die Karrieren nicht schaffen. Sie sind der Untergrund der Unternehmensorganisationen. Man fühlt sich durch den halben Aufstieg nicht mehr belohnt, hat dadurch keinen Statusgewinn. Man ist gefühlsmäßig degradiert, hat es nicht geschafft. Solche Organisationen kennen nur ‚oben‘ als Erfolg. Sie setzen Maßstäbe der Arbeit, die viele nicht erfüllen können. Die es nicht schaffen, bleiben nicht zufrieden mit ihrem Los; sie fühlen sich als Verlierer, sind tendenziell demotiviert. In diese Lücke hinein entfaltet sich ein neues Führungsproblem. Die, die Herausforderungen bewältigen wollen, sehen nach vorne, nicht nach unten. Un-
2. Arbeit als Herausforderung
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ten muss es laufen, aber sie sorgen weniger dafür. Sie sind eher self-managers als Manager, die andere führen. Die Idee, um gut zu führen, auch die mit zu führen, die neben einem sind, ist abhanden gekommen. Neben einem sind Konkurrenten, mit denen man im Wettbewerb steht, gegeneinander. Die Arbeit vieler Manager besteht zu einem Gutteil darin, ihre Konkurrenten auszuhebeln. Nun sind Organisationen aber sui generis kollektive Veranstaltungen: Kooperationsnexus. Allein schafft keiner eine Firmenbilanz. Neue Anforderungen an die Arbeit der Unternehmen entstehen: Management als Koordination von Kooperation. Manager, die gutteils damit beschäftigt sind, sich gegenseitig Konkurrenz zu machen, um nach oben zu gelangen, sind keine guten Vorbilder für Kooperation, noch mental darauf eingestellt, das nach unten zu handhaben. Hier ist ein Maß verlorengegangen: Kooperationsmaße, Ausgleichungen, Förderungen des Unternehmensganzen. Was man von der Organisation erwartet, wird selber nicht praktiziert. Führung wird zu einem Vakuum, zumindest im Sinne von good governance. Jetzt macht sich bemerkbar, dass die Umstellung von Status auf ‚Extrembergsteigen‘ eine einschneidende Wende ist. Sie hat aber viele positive Seiten. Manager und Unternehmer lieben, mehr als zuvor, die Herausforderung. Deshalb wechseln sie auch häufig die Unternehmen, aus Unterforderung (oder um ihre Fehler anderen aufzuhalsen, die nach ihnen das bereinigen müssen). Doch hat das Wechseln auch andere Gründe. Die individualisierteren Manager leben in Netzwerkwelten. Die Netzwerke informieren sie über Herausforderungen woanders. Man bekommt ständig Angebote. Allein der Wechsel ist eine Herausforderung. Gefragt zu sein ist ein entscheidender Indikator (und man darf nicht zulange nicht antworten). Sie, diese Manager, leben in zwei Milieus: in dem ihres Unternehmens, in dem sie aktuell jeweils tätig sind und in ihren Netzwerkkontakten, die sie über Alternativen versorgen, über spannende Projekte, über Erfolge anderer etc. Die Bindung ‚an die Firma‘ ist gesunken gegenüber früher. Moderne Arbeit, vornehmlich die der high-level workers, also auch der Manager, ist netzwerkeingebettet. Das kann man nicht beklagen, sondern nur analysieren. Was ist hier anders? Moderne Arbeit ist kein Beruf mehr, den man lebenslang ausübt. Sondern eine Serie von Herausforderungen. Viele Unternehmen bieten das nicht: ihr Arbeitsangebot ist routineträchtig und linear. Gute Leute gehen. Die Alternativen sind mächtig, wenn man im aktuellen Unternehmen nicht erwarten kann, herausgefordert zu werden. Herausforderung ist nicht automatisch mit Karriere verbunden – vielmehr mit Anerkennung. Gute Mitarbeiter in Führungspositionen zu befördern, die sie nicht aushalten, weil sie exzellente Fachkräfte sind, ist ebenso fehlerhaft wie
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2. Arbeit als Herausforderung
ausschließlich die Karrierekonkurrenz zu fördern (‚Bullenrennen‘), die die Anerkennung für wenige mit der Aberkennung für viele einkauft. Hier lassen sich andere Konstellationen denken: Managern als Intrapreneurs eigene Entscheidungswelten zuerkennen, die ihnen Herausforderungen bieten, die in hierarchischen Organisationen oft nicht vorgesehen sind. Das unternehmerische Moment ist zu fördern – eine relative Freiheit im Unternehmen. Die Kultur der Herausforderung ist nicht, wie man es heute praktiziert, durch Prämien und Optionen anzureizen. Sondern durch eine governance, die die Herausforderungen anreizt und durch die Freiheit, ihnen frei zu begegnen, prämiert wird. Freiheit ist die Prämie der Anerkennung unternehmerischer Kompetenz. Die oberste Führung beschränkt sich auf Supervision und monitoring. Man lässt den kompetenten Mitarbeitern und Managern Raum, ihre Kompetenz zu entfalten. Die Hierarchie emanzipiert sich. Dann lassen sich auch die Netzwerke nutzen: man tauscht Erfahrungen aus, Kompetenzen und Wissen. Diese Freiheit muss ein Unternehmen seinen Managern und high-level workers lassen. Man bindet sie, indem man ihnen die Freiheit gibt, über die Unternehmensgrenzen hinaus zu kommunizieren. Wenn sie im Unternehmen Anerkennung bekommen für ihre Netzwerkkompetenz, entstehen Bindungen, die sie nicht sogleich wechseln lassen. Arbeit bekommt – auf diesem Level – ein anderes Profil. Es ist ein Profil der Arbeit in der Wissensgesellschaft. Um gut zu sein, bedarf es in ihr Oszillation – von innen nach außen und umgekehrt. Um nicht persönlich zu wechseln, muss man im Netzwerk sich austauschen können. Die Disposition, wechseln zu können, muss gefördert werden, um über Anerkennungen in der Organisation genau dies zu vermeiden. Erst wenn sich dies klären lässt, ist die Kooperation im Unternehmen fruchtbar. Konkurrenz, als rein individualisierter Modus, ist unproduktiv, wenn sie nicht eingebettet ist in einen Kooperationsmodus. Das aber muss ebenso anerkannt werden – nicht nur durch Lob, nicht nur durch finanzielle Prämien, sondern durch die Anerkennung der Kompetenz in praktischer Hinsicht; sie ausüben zu können ohne hierarchische Restriktionen. Das ist die größte Herausforderung an die moderne Arbeit: wieweit sie den unternehmerischen Impuls in die Organisationen aufnehmen kann, ohne ihre Führungsfähigkeit zu lädieren. Die Hereinnahme der Herausforderung in die Arbeit ist ein Moment ihrer Verlebendigung. Sie wirkt der Demotivation entgegen. Wenn man durch Arbeit nicht mehr sozial aufsteigen kann – das alte Pflichtethos, das auch die Arbeiterbewegung aufgenommen hatte –, brauchen wir eine Kultur des Wechsels aus gutem Grund: aus neuer Herausforderung.
2. Arbeit als Herausforderung
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Die neue Kultur der Arbeit ist ihre transformatorische Qualität: aus einer Sphäre in die andere etwas mitnehmen zu können, was die andere noch nicht kennt – innovative Impulse für die andere Unternehmung wie für einen selbst. Und dafür anerkannt zu werden.
3. Der Nutzen weicher Faktoren 3. Der Nutzen weicher Faktoren
Im Management haben wir es neuerdings mit neuen Themen zu tun: CSR (corporate social responsibility), corporate citizenship, corporate societal engagement, CSP (corporate social performance), gekoppelt mit CFP (certified financial planning), SROI (social return on investment), Wertemanagement, Nachhaltigkeitsmanagement, triple bottom line reporting, compliance, ethical codex, diversity management, social issue management, corporate social responsiveness etc. Diese neuen Themen zeigen eine neue Sensibilität der Unternehmen in Hinblick auf soziale Verantwortlichkeit. Es sind nicht nur neue Managementthemen, sondern der Beginn einer Neupositionierung von Unternehmen in der Gesellschaft. Dabei zeigt sich eine Erweiterung der CSR auf die umfassendere CSP (vgl. Baron/Harjoto/Jo 2008; Schreck 2009). Vor allem aber wird CSR nicht mehr unter den Aspekten window-dressing, PR und Marketing betrachtet (vgl. Orslitzky 2000), sondern als Anforderung der internen Reorganisation des Managements und partiell auch der Finanzen (vgl. Agarwal/Berens 2009). Die neuen Themen laufen parallel mit unternehmensethischen Konzeptionen (vgl. für Deutschland das ‚Forum Wirtschaftsethik‘ und die zfwu: ‚Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik‘). Es ist inzwischen geklärt, dass Wirtschaftsethik keine von außen der Wirtschaft übergestülpte moralische Anforderung ist, sondern die Analyse der Faktoren der wirtschaftlichen Transaktionen, deren Vernachlässigung Kosten erzeugt, die die Unternehmen bisher gewöhnlich gar nicht zu rechnen gewohnt sind (vgl. Wieland 2007). Mitarbeiter, Kunden, Manager, Unternehmer, Investoren stehen in ihrer Kultur und in ihren Sozialisationen; sie haben alle moralische Standards – nicht dieselben, diffus verteilt und nicht immer präsent. In Konflikten, Grenzsituationen, gesellschaftlichen Diskursen aber entfalten die moralischen Standards ihre Wirkungen und beeinflussen Märkte wie Organisationen: durch Änderungen des Kaufverhaltens sowie durch Leistungsdemotivierung. Unternehmen beginnen zu verstehen, dass sie nicht schlicht Marktakteure oder Bedarfslieferanten sind, sondern im Netzwerk der Gesellschaft stehen und nach deren Kriterien zusätzlich bewertet werden – unabhängig von ihrer ökonomischen Effizienz (vgl. Post/Preston/Sachs 2002; Cooper 2004). Umgekehrt wird die Missachtung gesellschaftlicher Bewertungen die ökonomische Effizienz beeinträchtigen. Dazu keine Haltung (d.h. corporate social performance) zu ent-
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wickeln, kann Marktpositionen kosten (vgl. dazu Jansen 2008). Nicht das, was das Unternehmen selber rechnet, ist hierfür ausschlaggebend, sondern was aus der Gesellschaft heraus ihr, der Haltung, zugerechnet wird. Im triple bottom lineAnsatz (vgl. Savetz 2006) werden neben dem ökonomischen Kapital das Sozialund das Umweltkapital eingerechnet. Die Umwelt wird im Nachhaltigkeitsansatz einberechnet (sustainability approach), die ‚weichen Faktoren‘ hingegen in den verschiedenen Ausprägungen der CSR (vgl. Beuren/Gössling 2008). Die wirtschaftsethischen Diskussionen sind längst im operativen Bereich angelangt. Das, was man die ‚weichen Faktoren‘ nennt, ist im Grunde das Härteste: gute Führung (vgl. Graf/Osterloh 2006; Baecker 2009). In der dynamischen Wissensgesellschaft werden gute Ausbildung, Kompetenz und Lernen zu dominanten Faktoren, das human capital zum wichtigsten Faktor der Unternehmensleistung. Folglich wird die Art und Weise, wie die Unternehmensführung mit ihren Mitarbeitern umgeht, nicht nur zu einem entscheidenden Faktor der Attraktivität ihrer Arbeitsplätze (Personalrecruitment), sondern beeinflusst die Leistungsabgabe und die Bereitschaft, Wissen und Kompetenz zum Einsatz zu bringen (vgl. Sveiby 1997; Davenpost/Prusack 1998; Osterloh/Frost 2000; Bauer 2004; Osterloh 2006). Der in der negativen demographischen Entwicklung sich abzeichnende Fachkräftemangel – neben dem demnächst einsetzenden Managermangel (vgl. Fertig/Schmidt/Sinning 2009) – wird die ‚weichen Faktoren‘ zu hard facts machen, weil es darum geht, nicht nur attraktiv zu sein für Bewerber (vor allem auch für ausländische), sondern um die guten Fachkräfte zu halten und die Koordination ihres Wissens und ihrer Kompetenzen gelingen zu machen. Es entstehen neue Anforderungen an die Führung, die nicht mit den gewohnten oder klassischen Führungsstilen bewältigbar sind (vgl. Kruse 2004; Graf/Osterloh 2006; Gächter/Nosenzo/Renner/Sefton 2008; Baecker 2009). Überhaupt sind die ‚weichen Faktoren‘ deswegen gemeinhin diskreditiert, weil sie in der Konsequenz eine Managementkritik darstellen, nämlich eine Überprüfung des bisherigen Führungsstils und seiner Organisation (vgl. Jansen 2002). Die Unternehmen sind im Normalfall auf (monetäre) Anreize ausgelegt, nicht auf die Förderung und Entfaltung der Leistungsmotivation (vgl. Frey 1997; Frey/ Jegen 2001; Frey/Osterloh 2002). Monetäre Anreize fördern aber wesentlich die Motivation, die Auszahlungen zu steigern, nicht aber die Leistungsbereitschaft (nach einer anfänglichen Erhöhung sinkt diese wieder). In der Frage nach der Motivation geht es vornehmlich um Anerkennung, Status, Fairness, relative Autonomie und good governance: das Kerngeschäft von Führung.1
1 Vgl. dazu Weick 1995; Fehr/Gächter 2000; Lindenberg 2001; Baurmann 2002; Frey/Osterloh 2002; Raeder/Grote 2003; Falk/Kosfeld 2004; Fink 2005; Graf/Osterloh 2006; Osterloh/Weibel 2006; Sliwak 2003; Sliwak 2007.
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3. Der Nutzen weicher Faktoren
Die Frage nach der ethischen und gesellschaftlichen Relevanz und Legitimation der Unternehmen lässt sich in zwei Abteilungen unterscheiden: 1.
2.
welche spezifischen Beziehungen wollen Unternehmen zu ihrer gesellschaftlichen Umwelt aufnehmen – darin einbeschlossen die Frage nach ihrer ökologischen Sensibilität (sustainability approach: vgl. Weber 2008) und welche spezifischen Beziehungen wollen sie zu ihren eigenen Mitarbeitern pflegen (Wertemanagement: vgl. Wieland 2005a; Unternehmenskultur: vgl. Ebers 1985; Baecker 2001c).
Die erste Frage ist auf eine neues Beziehungsmanagement zur Umgebung der Unternehmen ausgelegt, das über die gewohnten Kontakte zur Politik hinausgeht: zum einem ein neues Marketing, das die Bedeutung und Valenz der Unternehmung herausstellt an Fragen, die in der Gesellschaft diskutiert werden. Zum anderen die darüber hinausgehende Frage, welche Verantwortung Unternehmen der Gesellschaft gegenüber haben, über das, was sie normalerweise leisten, hinaus (corporate societal engagement: vgl. Weber 2008; Baron/Hajoto/Jo 2008). In der corporate governance-Diskussion meinte man geklärt zu haben, dass Unternehmen wesentlich ihren Shareholder gegenüber verantwortlich wären. Die parallel laufenden stakeholder-approaches weisen aber darauf hin, dass Unternehmen ein weitläufigeres Beziehungsnetz haben, das auch den Kunden gegenüber verpflichtet ist wie den eigenen Mitarbeitern (vgl. Post/Preston/Sachs 2002; Freeman 2004). Würde man sich einseitig nur den Anlegern bzw. Investoren gegenüber verantwortlich zeigen, wären die Kunden, die das Geschäft machen, auf eine riskante Weise vernachlässigt, was sich auf das Geschäft auswirken kann. Würde man nur den Anlegern und Kunden gegenüber sich verantwortlich zeigen, nicht aber den Mitarbeitern, geht man in das Risiko, deren Leistungsbereitschaft zu mindern. Unternehmensführung – von Unternehmern wie von Managern – erfordert die Koordination komplexer Beziehungsgefüge. Die zweite Frage erscheint nicht jedem offensichtlich, da man davon ausgeht, dass das Management der Unternehmen die Beziehung zu den Mitarbeitern geklärt und in ihrer Hand hat. Doch ist die Qualität des Managements höchst unterschiedlich (vgl. Baecker 2003a). Die Koordination funktionaler organisatorischer Gliederungen hat noch nichts mit Menschenführung zu tun, um einen klassischen Ausdruck zu verwenden. Die Fähigkeit, bei Untergebenen die Leistungsmotivation zu wecken und zu forcieren, ist nicht hochrangig ausgebildet.
3. Der Nutzen weicher Faktoren
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Man verlässt sich auf monetäre Anreize, ohne die Motivationen zu fördern.2 Viele Arbeiter und Angestellte sind demotiviert, leisten an der Untergrenze ihrer Potentiale.3 Motive wie Anerkennung, Fairness, Arbeitsethos, individuelle Karriereförderung, etc. sind keine dominanten Themen im Management.4 Das wechselseitige Vertrauen ist kaum ausgebildet (vgl. Möllering/ Bachmann/Hee Lee 2004; Osterloh/Weibel 2006; Götz 2006). Fehlerhafte Teamzusammenstellung, Anerkennungsenttäuschungen, Mobbing, unklare Einschätzung von Kompetenzen, Bevorzugung von ‚Schleimern‘ etc. werden in der Belegschaft beobachtet und erörtert. Viele reduzieren sich auf einen ‚Dienst nach Vorschrift‘. Die Arbeitsunzufriedenheit ist verbreitet. Wir sind bei einer Liste von ‚weichen Faktoren‘, die vom Management nicht prioritär angegangen werden, die aber die Produktivität der Unternehmensorganisation entscheidend beeinträchtigen. Wir haben es mit einer underperformance der Wertschöpfung des human capitals zu tun, das die Frage, wieso Management nicht in der Lage ist, die Leistungsbereitschaft stärker zu optimieren, deshalb nach hinten stellt, weil es Rückfragen an die performance des Managements erforderte. Die leichte Unwilligkeit, sich mit Fragen der Forcierung ‚weicher Faktoren‘ zu beschäftigen, ist gekoppelt an die Reflektion der Managementinkompetenzen, die dieses nicht leisten. Man hält sich bereitwillig an die ‚harten Fakten‘, weil man mit den Weichen nicht angemessen umgehen kann. Menschenführung ist das Schwerste, weshalb Zahlenführung dominiert – mit hohen Transaktionskosten der Organisationsdurchführung (vgl. Falk/Kosfeld 2004; Sliwak 2007), die nicht gerechnet werden. Da in einer Wissensgesellschaft die Kompetenzen und die Intelligenz des human capitals zunehmend bedeutsamer werden, weil die Wertschöpfung daran gekoppelt ist, welchen Wissenseinsatz wir koordinieren und in Kooperation bringen können (vgl. Osterloh/Frost 2000, Osterloh 2006), werden die ‚weichen Faktoren‘ zunehmend härter: vor allem Fragen der Kooperation (in relativer Selbständigkeit, ohne unnötige Kontrolle: vgl. Falk/Kosfeld 2004; Baecker 2001c; Baecker 2009), des diversity managements (der Koordination von ethisch, altersgemäßen und geschlechtlich gemischten Teams), der fachlichen Interdisziplinarität etc. Die Form des Managements wird sich umstellen auf Schnittstellenmanagement, mit einer größeren Sensibilität für Unterschiedlichkeit, kulturelle Differenzen und Wissensdiskrepanzen. 2 Vgl. Frey 1997; Fraey/Osterloh 2002; Baurmann 2002; Braun/Falk/Ernst 2003; Möllering/Bachmann/Hee Lee 2004; Osterloh/Weibel 2006: Kap. 6. 3 Bei einer Umfrage gaben 13% der Befragten an, sie würden engagiert und motiviert arbeiten. 67% sagten, sie machen Dienst nach Vorschrift, während 20% bereits die innere Kündigung vollzogen haben (vgl. Gallup-Umfrage zur Arbeitsmotivation, rp online 2008). 4 Vgl. Fehr/Gächter 2000; Jansen 2002; Wieland 2004; Fink 2005; Frey/Neckermann 2006.
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3. Der Nutzen weicher Faktoren
3.1 Führung als Governance Die Kernaufgaben des Managements, wie Williamson sie einführt (vgl. Williamson 1996a), sind:
die Gestaltung von Anreizstrukturen, z.B. in der Form der Vereinbarung von Vertragsstrafen etc.; die Gestaltung einer governance structure, die Konflikte vermeiden hilft und Lösungsmechanismen bereitstellt; die Einführung von Regularien, die die Neigung zu einer kontinuierlichen Beziehung unterstützen und signalisieren.
Management hat die Transaktionen so zu gestalten, dass die governance structures an Veränderungen der Umwelt anpassungsfähig sind. Der Williamsonsche governance-Begriff beruht auf zwei Komponenten: 1. 2.
auf der Unvollständigkeit von Verträgen, z.B. von Arbeitsverträgen, deren Nexus eine Organisation ausmacht; auf der Erreichung von effektiver Kooperation (vgl. Williamson 1996a).
Was die governance von eindeutiger und klarer Führung unterscheidet, ist ihre Offenheit gegenüber indirekten Formen der Steuerung und Leitung. Denn governance umfasst ein größeres Spektrum an Führung/Steuerungs-Formen, als es für stark hierarchisch ausgerichtete Organisationen Gültigkeit hat. Governance ist eine Führung, die mit den Reaktionen der zu Führenden rückkoppelt, um zu gelingen. Dazu brauchen sie eine höhere relative Autonomie in ihrer Aufgabenbewältigung. Strikt hierarchische Führungsstrukturen sehen ihre Aufgabe in der Koordination von Leistungserstellungen zu einem optimalen Gesamtergebnis. Sie fassen ihr Management gleichsam ‚logistisch‘ auf: im Sinne der Optimierung von Information und Leistungserstellung. Eher heterarchische Organisationen arbeiten mit indirekter governance, setzen gewisse Selbständigkeiten der Leistungsagenten innerhalb der Organisation voraus, steuern nur den Teil, der notwendig offen bleiben muss, weil die Selbstadaptionskompetenz der Organisation in bestimmten Marktdynamiken nicht voll entwickelt ist. Governance ist so jene Managementleistung, die komplementär steuert, d.h. das vollendet, was die Agenten der Organisation nicht mehr selbständig bewältigen können oder was ihnen an Koordinations- wie Kooperationserfahrungen noch fehlt. Governance ist dann eine Form des Steuerns des Lernens
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der Organisation, bis sie in der Lage ist, wieder relativ selbständig auf die Marktanforderungen zu reagieren. Die governance verschiebt sich von Koordination auf Kooperation. Governance ist nicht mehr mit Führung als leadership verwechselbar und damit auch nicht auf den hierarchischen Managementteil rubrizierbar, sondern weitet sich aus auf den ganzen Prozess der Kooperation. Organisationen sind ja nichts anderes als Kooperationsarenen, in denen Leistungen so miteinander verwoben werden, dass sie Wertschöpfung generieren. Wenn die Organisation gelernt hat, relative Selbständigkeit mit notwendigen (und auch mit notwendig neuen) Kooperationen zu arrangieren, wird der Managementaufwand sinken: Management wird dann eher supervision, monitoring, und by exception notwendig. Kooperationen, gerade in Organisationen, sind längerfristige Vertragsbeziehungen (vgl. Priddat 2000b). Das klassische Vertragsrecht greift hier nicht; es reicht für Arbeitsverträge z.B. nicht aus, auf juridische Kontrollinstanzen zurückzugreifen, um deren Erfüllung zu erreichen. Vertragserfüllungen in Organisationen sind Bündel relationaler Verträge, sie müssen über zusätzliche Instanzen in kooperative Resonanz gebracht werden. Neben der juridischen Instanz, die in diesem Falle aber extern fungiert, benötigt es interne Instanzen: governance structures und darin ein Management, das die governance ausführt. Folglich arbeiten die governances mit Incentive- und Motivationsentwicklung. Die Organisation definiert sich über implizite Verträge, die personengebunden sind. Jetzt wird systematisch die Rolle der soft factors deutlich, die zur harten Struktur der governance gehören (vgl. Jansen 2002). Governance ist auch deswegen ein weit ausgreifenderer Topos als eine Management-leadership-Steuerung, weil es die Objektstruktur der Organisation mit einer Subjektstruktur komplementär setzt und zwischen den ‚harten‘ wie den ‚weichen Anforderungen‘ balancierende Anreize und Motivationen schafft (vgl. Osterloh/Frost 2000; Schlicht 2002; Schlicht 2003). Es wird deutlich, wie sehr die governance auf human resources, auf deren Kompetenz und Motivation ausrichtet ist. Das sind neue Managementfähigkeiten: Vertrauenserzeugungen, um Führung zu legitimieren. Und zwar nicht formell: diese Form bleibt sowieso bestehen, sondern informell, nämlich motivationsgenerierend, und damit letztlich selbständigkeits- und leistungsforcierend. Governance structures haben formale wie informelle Aspekte; sie basieren wesentlich auf relationalen Verträgen (vgl. Williamson 1986; Williamson 1996a; Brown/Falk/Fehr 2003). Relationale Verträge sind systematisch unvollständige Verträge, die bei Williamson die Form von bilateral contracting annehmen: aber als kooperative Vereinbarungen und mit credible commitments. Der relationale Vertrag muss seine Unvollkommenheit und Öffnung durch gegenseitige Vereinbarungen zu schließen versuchen, d.h. durch Kooperationsprozesse.
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Organisationen sind Bündel von Verträgen (vgl. Aoki/Gustafsson/Williamson 1990), aber wenn man es so beschreibt, dann kommt es entscheidend darauf an: Bündel von offenen oder unvollständigen Verträgen. Denn das, wozu sich Menschen vertraglich zur Mitarbeit im Kooperationsmodus von Organisationen binden, kann wohl festschreiben, welche Dispositionen zu leisten sind, nicht aber die tatsächlichen Leistungen und Ausführungen der Arbeit, die von Markt- und Umgebungsentwicklungen abhängig sind, die man zur Vertragsschließung nicht weiß. Die Institutionenökonomie thematisiert die Unvollständigkeit von Verträgen und die methodischen Konsequenzen dieser incompletness (vgl. Saussier 2000). Eine dieser Konsequenzen ist eine erhöhte Anforderung an organisatorische und soziale Kompetenz. In dynamischen Märkten organisieren Organisationen ihre Leistungserstellung immer wieder neu – das erfordert kommunikative Kompetenz (vgl. Baecker 1999; Baecker 2003a). Die incompletness of contracts wird als Organisationsthema neu konfiguriert: als Organisation der Organisation – die eigentliche Managementaufgabe. Denn die Verhandlungen, wie die Unvollständigkeit in die Organisation flexibel eingebracht und gelöst wird, ist ureigentlich Management: aber nicht mehr als Koordination von Produktionsfaktoren, sondern als Gestaltung der offenen Beziehungen within contracts: a. b.
to manage the cooperation, values, frames etc. (= governance); Selbstorganisation (self-enforcement). Die Mitglieder der Organisation sind organisationskompetent: sie haben gelernt, sich in neuen Anforderungen selbst zu organisieren. Der re-contracting within contract verwandelt sich in eine re-organization within organization.
Beide modes of cooperation sind governance-Prozesse, die sich von Steuerung/ Management signifikant dadurch unterscheiden, dass sie keine trivialen Hierarchie-Mechanismen ausbilden, sondern komplexe principal/agent-Relationen, die leitende, steuernde wie selbststeuernde Prozessmomente in differenten Strukturen haben. Um es genauer zu sagen: die governance-structure unterscheidet sich in zwei Prozessebenen: 1. 2.
Leitung/Steuerung = management () Selbststeuerung = organizational learning ()
Die -Ebene arbeitet wesentlich mit incentives/disincentives, die -Ebene über Motivation. Dixit nennt diese Struktur, in Verschiebung zu Williamson, die governance durch commitment und constraint (vgl. Dixit 1996). Motivation ist
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selbsterhaltend (aber auch selbstverstärkend), wenn commitiale Strukturen vorliegen. Die governance hat eine Tugend/Werte-Dimension. Wieland hat eine Ethik der governance entwickelt (vgl. Wieland 2007). Das sind nicht bloß Konventionen und schlichte Regeln, sondern immer Hybride: rule-following, self-enforcement und management. Wir haben es mit einem governance-process zu tun, der zwischen der Selbstorganisation der Akteure und dem Management von leaders eine kommunikative Dimension ausfaltet, in der über die Erörterung des Sinns der Handlungen und Strategien von Organisation die Motivationen generiert werden, den im dynamischen Kontext vielfältigen und sich ändernden Anforderungen gerecht zu werden. Die Kommunikationsdimension (the core of dynamic organizations: vgl. Weick 1995) faltet sich noch wieder in Netzwerkdimensionen aus, und zwar einmal in interne Netzwerke (unmittelbare Kollegen, Kollegen anderer Abteilungen) und in externe Netzwerke: a. b. c.
Familie, Freunde, Bekannte; Kunden-/Firmenkontakte außerhalb der Organisation (ehemalige Arbeitskollegen, ehemalige Kommilitonen etc.); Öffentlichkeit (vgl. Soukup 2002).
Hier liegen die systematischen Grundlagen für die erweiterten StakeholderModelle der Organisationen. Governance unterscheidet sich von Führung als leadership im engeren Sinne dadurch, dass es nicht auf hierarchische oder Weisungs- und Machtverhältnisse ankommt, sondern immer zugleich auf Überzeugungsverhältnisse: andere sollen frei dazu gebracht werden, zu kooperieren – über Incentives und Motivationen.
3.2 Ökonomische Ethik Diese Ausrichtung auf Vertrag und Organisation sorgt dafür, dass eine exogene Entwicklung des Themas Wirtschaft und Ethik (d.h. Außensteuerung von Wirtschaft durch Ethik und/oder Ethik durch Wirtschaft) durch die governance-Ethik abgelehnt wird (vgl. Wieland 2007). Wirtschafts- und Unternehmensethik werden als Bestandteil des ökonomischen Problems entwickelt, nämlich die Knappheit von Ressourcen und Kompetenzen durch Kooperation unter Wettbewerbsbedingungen zu überwinden. In diesem Kontext sind Tugenden, ethische Überzeugungen und individuelle oder kollektive Werte moralische Ressourcen im
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Hinblick auf die Anbahnung, Durchführung und Kontrolle von wirtschaftlichen Transaktionen, die ökonomische Effekte haben. Die governance-Ethik geht davon aus, dass Organisationen, etwa Unternehmen oder auch politische Parteien, kollektive Akteure sind, die sich als solche konstituieren können und müssen. Sie bietet eine konzeptionelle Grundlage für CSR, corporate social performance, Wertemanagement etc. Unternehmen sind aus dieser Sicht globale governance-Strukturen zur Abwicklung wirtschaftlicher Transaktionen, die sich dabei lokaler governance-Strukturen bedienen. Governance-Strukturen werden dabei verstanden als formale und informale Ordnungen zur Führung, Steuerung und Kontrolle von Transaktionen. Während sich globale governance-Strukturen auf die konstitutiven Parameter einer Organisation beziehen und damit firmenspezifische Ressourcen sind (etwa ein code of ethics), sind lokale governance-Strukturen transaktionsspezifische Ressourcen (also etwa interorganisationale Verhaltensstandards). Weiterhin zählen wir alle policies and procedures einer Unternehmung zu ihren lokalen governance-Strukturen, insoweit sie auf die Identifizierung und Verarbeitung spezifisch moralischer und sozialer Problemstellungen abstellen. Um nur ein Beispiel zu nennen, sei hier eine gift giving and receiving policy angeführt, mit der sichergestellt werden soll, dass die individuellen Akteure einer Unternehmung nicht in Korruptionszusammenhänge hineingezogen werden. Hierher gehören auch Wertemanagementsysteme und Werteauditsysteme (vgl. Wieland 2004a), die die Konsistenz und Durchführbarkeit der einzelnen lokalen governance-Strukturen durch Abstimmung und Integration sicherstellen. Dabei wird es sich in der Regel sowohl um informelle (z.B. die Moralkultur einer Unternehmung) als auch um formale (z.B. Ethikmanagement- und Ethikauditsysteme) Aspekte handeln, die sich führend, steuernd und kontrollierend auf die moralischen Dimensionen wirtschaftlicher Transaktionen auswirken. Es geht dabei nicht darum, die Werte auf die Wirtschaft aufzustempeln, sondern umgekehrt: um die Geltung von Tugenden, Moral und Werten, die für die Unternehmen nutzbar gemacht werden. Sie zu ignorieren generiert Kosten, die ein Management nicht in den Blick bekommt, wenn es um diese Faktoren gar nicht weiß, nicht dafür ausgebildet ist und sie folglich ignoriert und operativ nicht handhaben kann. Josef Wieland z.B. hat die Unternehmensethik als operatives Instrument entwickelt: „Das Wertemanagementsystem beginnt mit der Kodifizierung der Grundwerte eines Unternehmens, in welchem die geschäftspolitischen Grundsätze festgeschrieben sind. Hier entscheidet sich die Identität einer Organisation und wird Antwort auf die Frage gegeben, welche Art von Geschäften ein Unternehmen überhaupt machen will. Diese Grundwerte müssen das Kriterium der Klarheit und Lebbarkeit erfüllen. Auf der zweiten Ebene müssen diese Grundsätze intern und extern kommuniziert
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werden, und zwar im Sinne eines kommunikativen Handelns. Diese zweite Ebene ist die entscheidende, da es hier darum geht, die Grundwerte praktisch umzusetzen und zu diesem Zweck in alle in Frage kommenden Arbeitsanweisungen, Arbeitsprozesse und Leitlinien einzubauen. Training und Seminare sind dazu grundlegend, aber nicht ausreichend. Dies gilt analog für die interne und externe Kommunikation. Hinzu kommen müssen alle potentiell sensiblen Bereiche, also etwa Karriereplanungen, Entgeltpolitik, Zielvereinbarungen, Lieferantenbewertungen, Umgang mit Geschenken usw. usw. Praktisch heißt das etwa, dass für Führungskräfte 20% der Boni von qualitativen Faktoren wie Kommunikation des Wertemanagements an Mitarbeiter oder auch ‚Umsetzung in der Abteilung‘ abhängig gemacht werden. Es ist möglich, Anforderungen an die Werthaltungen von Mitarbeitern in Karriereplanungen in der Form einzubauen, dass niemand in Führungspositionen aufrückt, der diese Kriterien nicht erfüllt. Auf der dritten Ebene müssen die einzelnen Maßnahmen und Instrumente so aufeinander abgestimmt und miteinander verknüpft werden, dass sie ein möglichst konfliktfreies Managementsystem ergeben. So ist es etwa ein Widerspruch in sich selbst, Entlohnungs- und Bonisysteme strikt ertrags- oder umsatzorientiert zu gestalten und gleichzeitig integeres Verhalten in schwierigen, weil von Korruption durchsetzten Märkten zu verlangen. An dieser Stelle trifft sich genau das Compliance-Programm mit einem Werteprogramm. Es ist eine Sache, die Compliance mit bestimmten Regeln zu postulieren, aber eine völlig andere, den Unternehmensalltag so zu strukturieren, dass die Befolgung auch ohne Eigenschädigung möglich wird“ (vgl. Wieland 2002a).
Andere Systeme arbeiten auf ähnlicher Basis, mit differenten Tools (z.B. SROI: vgl. Scholten 2006; Lawlor/Neitzert/Nicholls 2008). Auch hier werden Anforderungen an das Management gestellt, die die traditionellen Ausbildungen und Haltungen herausfordern: triple bottom line, accountability der ‚weichen Faktoren‘, change management, cost and time effectiveness (vgl. Lawlor/Neitzert/Nicholls 2008: 5; vgl. auch Fritz 2006; für den erweiterten CSR-Ansatz vgl. Weber 2008; Beuren/Gössling 2008).
3.3 Flexibilisierung als Unternehmenskultur In dieser Situation haben wir es mit einer Umstellung des Unternehmens auf eine bewegliche, attraktive und lernfähige Unternehmenskultur zu tun, die so entworfen wird, dass sie sich weder auf die Traditionen der Vergangenheit noch auf unsichere Aussagen über mögliche Zukünfte verlassen muss. Es hilft nur die Umstellung auf eine Unternehmenskultur, in der klar ist, worin das Selbstverständnis eines Unternehmens besteht, damit aus diesem Selbstverständnis alles andere abgeleitet werden kann. Es hilft nur die Umstellung auf eine Unternehmenskultur, die Flexibilität und Konsistenz auf einen Nenner bringt. Es hilft nur,
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mit anderen Worten, die Besinnung auf eine Unternehmenskultur, in der weder die Produkte, noch die Produktionsverfahren, noch das Personal, noch die Finanzierung, noch die Organisation festgeschrieben sind, sondern in der nichts anderes gilt als die Logik des Geschäfts, das heißt der gewinnorientierten Befriedigung von Kundenbedürfnissen und der Klärung der innerorganisatorischen Motivierung zur Leistungsbereitschaft. Diese Unternehmenskultur geht davon aus, dass Wirtschaft und Unternehmen in jedem Moment neu erfunden werden müssen, weil nichts garantiert, dass es so bleibt, wie es ist. Die Arbeit muss laufend neu erfunden werden, ebenso der Kunde, das Kapital, der Markt und die Konkurrenz, weil man andernfalls riskiert, Dinge vorauszusetzen, die schon längst nicht mehr vorausgesetzt werden können. Das ist der grundlegende unternehmerische Aspekt. Wirtschaft und Unternehmen werden zu einer intellektuellen Leistung; und hier kann nur ein Unternehmen mithalten, dessen Kultur es zur Intellektualität, zu kognitiven Leistungen der Beobachtung, Beschreibung und Mitgestaltung von Situationen befähigt. Ohne eine laufende Rückbesinnung auf die wirtschaftliche Absicht des Unternehmens werden diese kognitiven Leistungen nicht zu erbringen sein. Deswegen stehen Kultur und Intellektualität nicht wie ehedem in Opposition zur Wirtschaft, zum Unternehmen und zum Geschäft, sondern fungieren als deren wichtigste Produktivkräfte. „Wenn sich ein Unternehmen flexibel auf wechselnde Bedarfslagen, Gewinnchancen und Kundenanforderungen ausrichten können soll, dann kann diese Ausrichtung nicht von einer zentralen Planung, sondern nur vom Unternehmen selbst, das heißt: von allen seinen Stellen, vorgenommen werden. Jede Teilstruktur des Unternehmens muß sich sofort mit allen anderen Teilstrukturen des Unternehmens, mit denen es in Berührung kommt, auskennen und mit ihnen kooperieren können; und alle Ressourcen, die für diese Kooperation erforderlich sind, müssen von den beteiligten Stellen gleichsam aus dem Stand selbst entwickelt werden können. Nur in der Frage der Konditionen, das heißt der Start- und der Stoppregel von Kooperationen, müssen die einzelnen Stellen mit Hilfe von Vorgaben zur Rentabilität, zur Marktführerschaft und zum Innovationspotential fremdgesteuert werden, weil anders nicht sichergestellt werden kann, dass alle Kooperationen, die begonnen werden, auch wieder beendet werden können. Eine Unternehmenskultur kann nach dieser Überlegung nur wirtschaftlich effizient sein, wenn sie den Menschen als ihren Hauptakteur begreift, und dies in seiner Emotionalität und Intellektualität, mit seinen Sorgen, Hoffnungen und Befürchtungen, mit seiner Phantasie und seiner Begriffsstutzigkeit, mit seiner Vernunft und seiner strategischen Kompetenz, mit seinen Rücksichten und seiner Rücksichtslosigkeit. Nichts davon kann man fordern und dennoch muß man alles voraussetzen. Unsere gegenwärtigen Unternehmensorganisationen abstrahieren vom Menschen, um die Funktion der Organisation möglichst logisch und widerspruchsfrei zu formu-
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lieren, und bauen den Menschen dann im Nachhinein mit Hilfe von Stellenbeschreibungen und Personalentwicklungsmaßnahmen in diese Funktion ein. Dann darf man sich allerdings auch nicht wundern, dass er seine Rechenkünste darauf beschränkt, sich sein Schicksal in der jeweiligen Organisation auszurechnen und an der Sicherstellung und Verbesserung seiner Aussichten zu arbeiten. Die Unternehmenskultur der Zukunft wird die Zugriffe der Organisation auf den Menschen in Grenzen halten müssen und sich statt dessen auf die Individualität ihrer Mitarbeiter umstellen und einstellen, ohne zu wissen, was diese Individualität im einzelnen bedeutet, und gerade weil sie sich die Unberechenbarkeit des Menschen zunutze machen will und muß“ (vgl. Baecker 2001c).
Eine Grundregel einer wirtschaftlich effizienten Unternehmenskultur lautet daher: „Nichts ist komplizierter, also teurer, als die Substitution des menschlichen Einfallsreichtums durch formale Verfahren der Organisation; und nichts ist einfacher, also günstiger, als eine Struktur, die alles weitere diesem Einfallsreichtum überläßt“ (vgl. Baecker 2001c).
Darin entwickelt sich eine Unternehmenskultur: nicht als Dekoration, sondern als Kern intelligenter dynamischer Anpassung an neue Marktlagen durch relative Autonomie derer, die die eigentliche Arbeit sowieso bewältigen müssen. Die wissenschaftliche Diskussion des Konzepts einer corporate culture ist in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gescheitert (vgl. Ebers 1985). Festzuhalten ist allerdings, dass dieser Misserfolg des Konzepts in der Wissenschaft die unternehmerische Praxis nie davon abgehalten hat, der Grundidee treu zu bleiben, dass in einer Unternehmenskultur andere Erfolgsbedingungen eines Unternehmens enthalten sind, als sie sich eine traditionelle Betriebswirtschaftslehre und ein rein technisch und ökonomisch orientiertes Management vorstellen konnten. Und dies zu Recht. Heute sieht man, dass die scheinbaren soft facts einer Unternehmenskultur die eigentlichen hard facts der Unternehmensorganisation sind. Das klassische Industrieunternehmen hatte eine kulturelle Überzeugungsarbeit (d.h. eine ‚Sinnstiftung‘) geleistet, die an der Spitze der Hierarchie mit einem mehr oder minder offenen Ohr für die Problemwahrnehmungen auf den unteren Rängen der Hierarchie gemacht wurde. Das Unternehmen der Zukunft wird die Arbeit des sensemaking (vgl. Weick 1995) auf alle (und insgesamt weniger) Ebenen verteilen und viel stärker auf die Differenz von Innen und Außen als auf die Differenz von Oben und Unten beziehen. Der Organisationssoziologe Michel Crozier hat auf der Linie dieser Überlegungen und auf der Grundlage umfangreicher Vergleiche in der französischen
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Industrie drei Regeln vorgeschlagen, an denen sich eine wirtschaftlich effiziente Unternehmenskultur bemisst (vgl. Crozier 1994: 51 ff.):
Sie muss einfach sein; Sie muss Wert auf Autonomie legen; Sie muss so viel Führung wie möglich auf die Ebene der Kultur verlagern.
Wirtschaftlich effizient ist eine nach diesen drei Regeln gestaltete beziehungsweise sich selbst gestaltende Unternehmenskultur, weil sie den wichtigsten Kostenfaktor aktueller Unternehmensorganisationen reduziert, die von Crozier so genannten „Integrationskosten“ (Crozier 1994: 60). Integrationskosten sind umso höher, je mehr ein Unternehmen aufwenden muss, um einen bestimmten operativen und strukturellen Zusammenhang sicherzustellen, und umso niedriger, je geringer dieser Aufwand ist. Für dieses Konzept der Integrationskosten sind wir nicht auf Institutionen angewiesen, sondern wir kommen mit ‚Agenten‘ aus, wenn unter einem Agenten jede Einheit verstanden wird, die im genannten Sinne autonom und damit in der Lage ist, sich selbst zu kontrollieren. Man kann einen Schritt weitergehen und hinzufügen, dass es Kontrolle nur gibt, wo es auch einen Agenten gibt, sodass man umgekehrt Agenten autonom setzen muss, damit Kontrolle überhaupt möglich ist. In diesem Sinne ist eine Unternehmenskultur wirtschaftlich effizient, wenn Kontrollkosten nur dort anfallen, wo sie von sich selbst kontrollierenden Einheiten auch getragen werden müssen. Nur dann sind die Integrationskosten niedrig. Im Umkehrschluss ist jede Unternehmenskultur wirtschaftlich ineffizient, in der Kontrollkosten außerhalb der zu kontrollierenden Einheiten anfallen, zum Beispiel in Einheiten, die keine andere Funktion haben, als Kontrolle über andere Einheiten auszuüben. Die principal/agent-Theorie weiß das: je selbständiger die agents arbeiten, desto weniger supervisions- und monitoringAufwand muss das Management betreiben. Diese konzeptionellen Erörterungen sind nötig um zu zeigen, dass die Analyse und das Management ‚weicher Faktoren‘ kein überflüssiger Humanismus im Business ist, sondern künftig die Bedingungen herstellt, in denen Unternehmen in dynamischen Wissensgesellschaften flexibel genug werden, um ihre Anforderungen effizient bewältigen zu können.
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3.4 Zum Nutzen diskriminierungsfreien Managements. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz als ökonomischer Faktor Dass die soziale Marktwirtschaft eine Wirtschaftsordnung ist, die juridisch flankiert werden muss, scheint in Vergessenheit zu geraten. Ohne einen stimmigen Rechtsrahmen kann die soziale Marktwirtschaft ihren Ordnungsauftrag nicht erfüllen. Es gibt keine reine Marktwirtschaft; sie ist institutionell durchstrukturiert, um ihren gesamtgesellschaftlichen Auftrag zur Geltung zu bringen. Die Umsetzung von Normen bringt organisatorischen Aufwand mit sich und damit auch Kosten. Den Gesetzesfolgekosten ist in einer sozialen Marktwirtschaft stets der Nutzen gegenüber zu stellen (vgl. Dicke/Hartung 1986; Böhret 2000). Ein vieldiskutiertes Beispiel in diesem Zusammenhang ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Die ‚Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft‘ hat im Jahre 2007 eine Studie erstellen lassen, wonach das AGG die Wirtschaft mit 1,73 Mrd. Euro belastet. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gab daraufhin ein Gutachten in Auftrag mit dem Ziel, die wissenschaftliche Substanz dieses Ergebnisses untersuchen zu lassen. Dabei zeigte sich, dass die veranschlagte Zahl von 1,73 Mrd. Euro einer seriösen wissenschaftlichen Betrachtung nicht standhält. Wesentliche Kritikpunkte sind der Rückgriff auf manipulative Formulierungen bereits in den Anschreiben an die Unternehmen, auf eine fehlerhafte Skalierung, die fehlende Ausrichtung an mittelständischen Unternehmen und ein fehlender VorherNachher-Vergleich (vgl. Priddat/Wilms 2009). Die Studie der Initiative unterscheidet direkte und indirekte Kosten. Beide wurden durch eine nicht-repräsentative Umfrage ermittelt, die lediglich 501 Antworten erbrachte. Die Umfrage wurde 2007 gestartet, also zu einem Zeitpunkt, als die Unternehmen noch über keine relevanten Erfahrungen im Umgang mit dem im August 2006 in Kraft getretenen AGG verfügten. Folglich wurden Befürchtungen formuliert, die sich in der Angabe unrealistischer Kosten und Aufwendungen niedergeschlagen haben. Alle Daten der Studie sind Schätzungen, selbst die 26 Mio. Euro, die für die 501 Unternehmen seitens der Autoren der Studie als empirisch belegt ausgewiesen werden. Und schließlich fehlt eine Kosten-Nutzen-Analyse. Redlicherweise ist den Kosten der Nutzen gegenüber zu stellen: Ohne den Vergleich mit dem Nutzen ist jede errechnete Kostengröße eine politische, aber keine ökonomische. Der entscheidende Schwachpunkt der Studie ist, dass das europäisch induzierte AGG nicht daraufhin geprüft wird, welche Anregungen es der Wirtschaft geben kann (vgl. Priddat/Wilms 2009). Ziel des Gesetzes ist es, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der Weltanschauung, einer Be-
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hinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder, falls eine solche Benachteiligung bereits vorhanden ist, diese zu beseitigen (§ 1 AGG). Handelt es sich dabei wirklich um ein aus ökonomischer Sicht zu vernachlässigendes Thema? Anders gefragt: Sind alle Unternehmen ohne Tätigwerden des Gesetzgebers wirklich in der Lage, diese Themen angemessen zu handhaben? Im Zuge des diversity management ist in internationalen Unternehmen die Auseinandersetzung mit einschlägigen Benachteiligungen längst zur Regel geworden.5 Viele Firmen betreiben explizite Antidiskriminierungspolitiken, um auf den Arbeitsmärkten nachhaltig attraktiv zu bleiben. Wenn die Verwirklichung der Gleichbehandlung zur corporate integrity gehört, entsteht eine Unternehmenskultur, in der Verstöße nicht mehr geahndet werden müssen, sondern durch das Management von vornherein vermieden werden. Antidiskriminierung in Form von diversity ist daher auch ein wertbildender Faktor auf dem Kapitalmarkt. Nun haben viele Unternehmen diesen internationalen Standard noch nicht adaptiert, die betriebswirtschaftliche wie volkswirtschaftliche Relevanz ist aber unbestreitbar. Das AGG ist mithin eine strukturbildende Institution, die solche Fragen extern in das Unternehmen transportiert, wenn sie intern als Investition in das Vertrauen der Belegschaft noch nicht entwickelt sind. Das Argument, dass die Bürokratiekosten bei Einführung des AGG als Gesetz steigen, gilt für jedes Gesetz. Erörtert man jedoch nicht den Nutzen, sind die Kosten scheinbar sinnlose Ausgaben. Die Tatsache, dass Antidiskrimierungsregeln politisch per Gesetz verordnet werden, ist zu trennen von der anderen Tatsache, dass Diskriminierung ein nicht nur politisch intolerabler Tatbestand ist, sondern Managementaufwand bedeutet. Denn unabhängig davon, dass ein Gesetz es einfordert, wäre in jedem Unternehmen dafür zu sorgen, dass Diskriminierung nicht stattfindet – aus Gründen, die oben erörtert wurden: es wäre eine Verletzung der Anerkennung von Mitarbeitergruppen, mit negativen Folgen für das Leistungspotential der Firma (vgl. Falk/Kosfeld 2004; Möllering 2005; Sliwka 2007). Wenn geleugnet wird, dass es dafür eines Gesetzes bedarf, wird 1. behauptet, dass Diskriminierung in Unternehmen nicht stattfindet, oder dass 2., wenn sie stattfindet, die Unternehmen eigene Managementtools haben, sie zu beenden. Wenn 1. und 2. stimmen, würde das Gesetz keine zusätzlichen Kosten generieren, da die Aufwendungen, die dafür sorgen, dass 1. und 2. gelten, bereits getätigt wurden. Für alle anderen Fälle wäre das AGG eine notwendige Erinnerung, solche Maßnahmen zu installieren. Zu klären, warum eine Antidiskriminierungspolicy der Unternehmen für die Unternehmen notwendig ist, sieht in einem CSR-Kontext anders aus als in einem 5 Vgl. Wieland 1998; Konrad/Prasad/Pringle 2006; Fischer 2007b; Allen/Dawson/ Wheatley/White 2008.
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Wertemanagement-Kontext. Im CSR- bzw. CSP-Kontext ist die Abwehr negativer Außenwirkung dominant, vornehmlich für kundensensible Unternehmen (weniger im B2B-Bereich). Ebenfalls bedeutsam ist die Recruitment-Dimension: Welcher potentielle Nachfrageausfall ist zu verzeichnen? Wer bewirbt sich deswegen nicht? Im Wertemanagement-Kontext hingegen werden andere Überlegungen dominant, denn Diskriminierungen sind Exklusionen von potentiell relevanten Teampositionen:
multicultural teams (vgl. Gassmann 2001, Saij 2004; Köppel/Sandner 2008); gender mixed teams (vgl. Pasero 2003; Pasero 2004; Krell 2004; Pasero/ Priddat 2004; Myaskowski/Unikel/Dew 2005; Hoffmeister 2006); ethnisch gemischte Teams (vgl. Pitts 2005, Fischer 2008); kulturell gemischte Teams (vgl. Schlicht 2002; Schlicht 2003; Köppel/ Sandner 2008); altersgemischte Teams (vgl. Sporket 2008); generell.6
Deutsche Unternehmen bewegen sich längst im internationalen und europäischen Kontext. Es ist verständlich, dass die EU gewährleistet haben will, Managementstandards eingeführt vorzufinden, die europäische Zirkulation von Arbeitskräften nicht nur ermöglichen, sondern fördern. Europa kann nicht darauf warten, ob regionale Unternehmen (in diesem Fall in Deutschland) hinreichend eigene Erfahrungen mit diversity management haben oder aus regional-spezifischen Erwägungen meinen, darauf (noch) verzichten zu können. Wir sind längst ein europäischer Wirtschaftsraum, in dem allgemeine Regeln gelten, die zumindest die Mobilität europäischer workforce hinderungsfrei ermöglichen können muss. Da kann nicht im jeweiligen Ermessen der Unternehmen liegen. Folglich muss rechtlich sichergestellt sein, dass nationale Besonderheiten ausgesetzt werden. Das gilt insbesondere für die ethnische Diskriminierung. Die Geschlechter/gender- bzw. Alters/age-Themen des diversity managements sind nach anderen Gesichtspunkten zu bewerten: in wieweit geschlechtergemischte Teams produktiver sind – mit der Folge gleichen Zutritts, gleicher Bezahlung und gleichen Karrierechancen. Gerade im high level-Bereich holen die Frauen auf und gehen in größerer Zahl als bisher in die Unternehmen. Es 6 Vgl. zu verschiedenen Aspekten dieser Thematik auch Sargeant/Sue-Chan 2001; Kochan et al. 2003; Konrad/Prasad/Pringle 2006; Mas/Moretii 2006; Fischer 2007a; Fischer 2007b; Horwitz/ Horwitz 2007; Beuren/Gössling 2008.
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wird deshalb nicht nur im Rahmen der demographischen Entwicklung notwendig, die Frauen als Wissensressource neu und hoch zu bewerten, sie zeigen eine soziale Intelligenz, die sie im Kontext der Flexibilisierungsstrategien moderner Unternehmensdynamiken unersetzbar macht (vgl. Pasero/Priddat 2004). Das diversity management des Alters gründet sich auf andere Faktoren. Dass altersgemischte Teams Erfahrung und neues Wissens optimal synthetisieren, dass wir ältere Arbeitnehmer wegen des demographischen Abbruchs dringend benötigen (und im politischen Kontext die Rentengrenze hochschieben, bald über die aktuelle Altersschwelle von 67 Jahren hinaus), dass die Älteren Prozesswissen besitzen, das die Jüngeren überhaupt nicht so schnell aneignen können etc. In diesen Dimensionen – Ethnien, Gender, Age – nicht zu diskriminieren, ist 1. 2.
eine Voraussetzung für die Steigerung von Teamproduktivitäten und ein signifikanter Attraktor für das recruitment der knapper werdenden Arbeitskräfte (wie z.B. im Ingenieurbereich, weshalb jetzt verstärkt um Frauen geworben wird).
Es geht gar nicht mehr vornehmlich um Nicht-Diskriminierung, sondern um aktive Unternehmenspolitik der Werbung von ausländischen high-level workers (im Ingenieurbereich, in Informatikbereich, im Gesundheitsbereich etc.), der Werbung von Frauen und der Werbung um erfahrene ältere Arbeitskräfte (die demnächst im Alter von 60 Jahren noch neu eingestellt werden werden). Der Erfolg solcher Strategien beruht auf einer organisatorischen Attraktivität, die in ihrem diversity management die Frage der optimalen Teamproduktivität längst geklärt hat. Die bei den Erörterungen um das AGG auftretenden Rechtfertigungen einer Antidiskriminierungsgesetzgebung verhalten sich parallel zur latenten Abwehr in manchen Unternehmensbereichen, in Verkennung der Lage, die nicht nur die Nicht-Diskriminierung erfordert, sondern es umgekehrt notwendig macht, die, die man vor Diskriminierung meint schützen zu sollen, gezielt und verstärkt in die Unternehmen zu holen. Das sind Bewegungen in den Unternehmungen, die über die in den CSP-Programmen begonnenen Maßnahmen hinausgehen, weil man in den Organisationen über die Herstellung von produktiven Teams nachdenkt, die ohne diversity-Mischungen nicht erreicht würden. Hinzu kommt eine transdisziplinäre Dimension, die in vielen Teams schon selbstverständlich ist: verschiedene Fachkompetenzen in Kooperation zu bringen, weil viele Probleme nicht fachlich einseitig gelöst werden können, d.h. ‚undiszipliniert‘ sind. Agiles Management, das schnell auf neue Lagen angepasst werden kann, braucht einen Zugriff auf produktive Mischungen aller diversity-Dimensionen.
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Erinnern wir an die „Integrationskosten“ (Crozier 1994: 60, s.o.): Integrationskosten sind umso höher, je mehr ein Unternehmen aufwenden muss, um einen bestimmten operativen und strukturellen Zusammenhang sicherzustellen, und umso niedriger, je geringer dieser Aufwand ist. Das nicht-diskriminierende diversity management muss nur dann von hohen Integrationskosten ausgehen, wenn die Organisation nicht generell auf die diversity-Ressourcen eingestellt ist. Die Frage nach den Kosten des AGG entsteht folglich in Unternehmen, deren Management nicht auf die Flexibilisierungserfordernisse umgestellt ist. Dass die Umstellungskosten (des dann nötigen change managements) eine gänzlich andere Investitionsdimension darstellen, sei hier nur angemerkt (und nicht dem AGG anzulasten). Ein strategisches diversity management ändert die Atmosphäre einer Organisation: es werden Aspekte relevant, die vorher nicht in den Blick kamen; es werden personal relationship achtsam behandelt, die vorher in der Organisationsroutine unbeachtet blieben, wenn nicht missachtet wurden, es werden motivationale Faktoren evoziert, die brachliegende Leistungsressourcen mobilisieren, das corporate committment steigt. „Es werden fünf Arten von Effekten regelmäßig als angestrebte positive Wirkungen von diversity management genannt: Erstens sollen verfügbare Talente auch unter Minderheiten oder benachteiligten Gruppen stärker genutzt werden. Zweitens soll der Zugang zu Märkten verbessert sowie die Anerkennung seitens Geschäftspartnern, Auftraggebern und Kunden erhöht werden. Drittens sollen Synergieeffekte der Diversität befördert und genutzt werden – die Kombination vielfältiger Perspektiven, so die zugrundeliegende Annahme, führe zu höherer Kreativität, zu mehr Innovation und zu besseren Problemlösungen. Viertens soll eine inkludierende Arbeitsumgebung, in welcher Unterschiede Wertschätzung erfahren, die Arbeitszufriedenheit erhöhen und den Mitarbeitern ermöglichen, ihre Potenziale voll auszuschöpfen. Fünftens schließlich sollen Diskriminierung und die damit einhergehenden Kosten abgebaut werden“ (Fischer 2007b: 2).
Das AGG, als Gesetz, ist gleichsam nur die rechtlich-politische Indikation eines viel größeren Themas der Organisationsflexibilisierung und -mobilisierung. Es geht letztlich gar nicht um den Nutzen des AGG, wie man es üblicherweise rechtfertigt, sondern um die Notwendigkeit, die Organisationen so aufzustellen, dass sie die human resources auf eine neue effektive Weise flexibel zum Einsatz bringen können, d.h. das, was im AGG angemerkt ist, nicht als rechtliche Restriktion auffassen, sondern als Hinwies auf eine ungenutzte Ressource. Das Thema des AGG ist keine Fremdintervention ins Unternehmen, sondern eine organisationale Anforderung, die auch unabhängig vom AGG zu bewerkstelligen wäre.
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Solange das AGG minimalistisch als Legalitätsbedienung verstanden wird (und der Rechtsabteilung anheimfällt), wird es in der jeweiligen Unternehmung explizite nicht als Managementthema behandelt. Sollen wir daraus schließen können, dass die Unternehmen, die das AGG als unnötigen zusätzlichen Kostenfaktor zu interpretieren neigen, noch nicht in der Dimension der produktiven Flexibilität des diversity managements angelangt sind? Gleichsam als Indikator für einen noch ausstehenden change process? Dann wäre die aktuelle Kostendiskussion nur ein Vorschatten der anstehenden großen Investitionen, nur dass sie noch nicht auf der Agenda stehen. In der aktuellen Krise werden etliche radikalere Restrukturierungen und damit mögliche Organisationsentwicklungen stattfinden, die alle das Thema der Flexibilitätsdisposition haben werden. Der Nutzen des AGG besteht dann darin, rechtlich abzustützen, was als Organisations- und Managementwandelprozess sowieso ansteht. Es ist, so und genauer betrachtet, ein zeitgemäßes Gesetz, das nicht Recht gegen die Wirtschaft stellt, sondern Prozesse unterstützt, die sowieso laufen oder demnächst laufen werden. Das AGG hat eine katalytische Funktion und ist, was man von einem Recht gewöhnlich gar nicht erwartet, ein Modernisierungstreiber, indem es ex officio die Frage stellt, warum man das, was es regelt, nicht sowieso schon eingeführt hat und aktiv als diversity management betreibt. Das diversity management hat eine weitere Dimension: es fördert neue Anerkennungs- und Reputationschancen, indem Mitarbeiter in Leistungskonstellationen kommen, die vorher in der Organisation nicht vorgesehen waren. Status und Reputation sind eine in den Organisationen mitlaufende Währung, die durch Gehalt nicht alleine aufgefangen werden kann. Es geht hier um nicht-monetäre Auszahlung. Mangelnde Anerkennung senkt die Leistung. Das sind keine soft factors, sondern harte Kostenargumente. Wer klug kalkuliert, ist gut beraten, diese Dimension als Unternehmensressource mitzudenken. Hohe Ungerechtigkeit Mitarbeitern gegenüber senkt deren Leistungsbereitschaft. Umgekehrt hebt Anerkennung (durch Vorgesetzte, durch die Führung des Unternehmens) ihre Motivation. Wenn wir in Erinnerung rufen, dass viele Arbeitnehmer in deutschen Firmen nur relativ gering motiviert sind, haben wir es mit einem Kostenblock zu tun, den das Controlling nicht kalkuliert, den die Führung aber wichtig zu nehmen hätte.
3.5 Fazit Unternehmen arbeiten auf der Basis von Kooperation: Zusammenarbeit. Management ist wesentlich die Aufgabe, diese Zusammenarbeit zu optimieren, um die Gesamtleistung des Unternehmens zu steigern. Das betrifft nicht nur die eigene
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Mitarbeiterschaft, sondern auch die Zulieferer und Kunden. Dabei geht es nicht um Zahlen alleine, sondern um die Beweggründe, die vorausgesetzt werden müssen, damit die Zahlen stimmen: um die Bereitschaft der Mitarbeiter zu gemeinschaftlich koordinierter Leistungserstellung. Es geht um den lebendigen Input des Managements, die eigenen Mitarbeiter so zu stimulieren, dass sie ihre Leistung optimieren. Mit Anreizen, meist monetärer Art, ist alleine nicht alles zu bewerkstelligen; vornehmlich geht es um Motivation. Die Anerkennung der Mitarbeiter ist eine Führungsaufgabe. Wenn das obere Management dieses Wertesystem (value management) nicht ausdrücklich und vorbildlich vertritt, ist der Durchsetzungswert gering (vgl. Wieland 2007; Gächter/Nosenzo/Renner/Sefton 2008). Wirtschaft und Ethik – um das noch einmal allgemeiner zu fassen –, ist kein Thema, das fremde Moral über die Wirtschaft stülpen soll, sondern es geht um die Moral, die in der Wirtschaft – in den Unternehmen, in den Märkten – fast automatisch mitläuft. Moral ist ein Faktum, das die Wirtschaft rechnen muss. Rechnet sie es nicht, entstehen Kosten, die in eine neue Betriebswirtschaftslehre systematisch einfließen müssen (z.B. Werte, Haltungen, informelle Regeln, intangible assets, Diskriminierungsabbau etc.). Stephan A. Jansen hat die neuen Relationen in eine Netzwerkstruktur von Kapitalien übersetzt, die für die Unternehmen über ihre klassische Rechnungsweisen hinaus relevant sind: market capital / human capital / customer capital / social capital / intellectual capital / attitude capital (vgl. Jansen 2008: 86). Was wir generell als Werte thematisieren, wird bei ihm in den Kategorien social capital + attitude capital (= Haltung) subsumiert. Der Kapital-Begriff annonciert eine Investition, die sich organisatorisch/unternehmerisch auszahlt bzw., wenn sie nicht getätigt wird, Kosten generiert. Haltung differenziert er in folgende Aspekte: Sinn (Haltung für Zukunft) / Stolz / Achtsamkeit / Verantwortlichkeit (Einhaltung von Versprechungen) / Authentizität (vgl. Jansen 2008: 87 ff.). Das sind die Kriterien für die neue Haltung des Managements, das in der Lage ist, die weichen Faktoren als selbstverständliche organisatorische Ressourcen und Ziele so zu handhaben, dass die Mitarbeiter mitarbeiten, und zwar nicht, weil sie ein Vertrag verpflichtet, sondern weil sie in ihren Kompetenzen und emotionalen Erwartungen ernst genommen werden. Ob Mitarbeiter, ob Kunden, ob Konsumenten: bestimmte moralische Standards dürfen nicht unterlaufen werden, wenn man nicht Wettbewerbseinbußen oder Leistungsabfall haben will. Die Ethik der Wirtschaft ist keine Spielerei, sondern ein Teil der Wertanalyse: in der Doppelbedeutung von Werten (moralisch) und Werten (Preisen). Das ist ein relevanter Faktor. Das AGG ist letztlich nur ein Indikator in einem weitaus größeren Kontext der Neubewertung der motivationalen Leistungsmobilisation – ein Moment der Fairnessausweitung, indem Mitarbeiterkategorien, die bisher randständiger waren, integriert werden. Wir
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haben es, ökonomisch betrachtet, mit einer Erweiterung der human resource base zu tun, mit einer Ausschöpfung eines neuen Potentials, was mit den alten Managementmethoden nicht gelingen wird. Die größte Anforderung in diesem Prozess wird die Änderung des Managementverhaltens (insbesondere im middle management) sein, das von Anweisung auf Moderation umschalten muss (interface management), oder, wie Dirk Baecker anführt: auf kulturelle Führung einer Unternehmenskultur (vgl. Baecker 2001c). Bevor man anfängt, die social und soft factors zu rechnen, müssen sie überhaupt erst einmal erzeugt und durch die Führung etabliert werden. Die Bemühungen, corporate social performance zu bewerten und zu berechnen (vgl. Schreck 2009), kranken z.T. daran, dass die Tatbestände noch kaum vorhanden sind, die berechnet werden sollen (und wenn vorhanden, dann meist mehr als PR denn als organisatorische Wirklichkeit). Die unternehmerische Praxis ist divers (vgl. die case studies in Weber 2008: Kap. 4, 5, 6; Riess/Welzel/Lüth 2008) – wenn sie unter den fokussierten Managementformen betrachtet wird. Es geht aber weniger um zusätzliche Tools (vgl. die Liste zu Beginn), die das klassische Business ergänzen sollen (und aus Sicht des klassischen Business als Zusatzkosten verbucht werden), sondern um eine neue Haltung, intern wie extern, um Leistungsressourcen zu mobilisieren. It’s a challenge – eine neue Perspektive auf das, was man meint, schon zu kennen.
4. Netzwerk und Management 4. Netzwerk und Management
Birger P. Priddat und Alihan Kabalak
Der Kapitalismus ändert im Übergang des 20. zum 21. Jahrhundert einige seiner Strukturen – z.B. von hierarchischen zu neuen Formen der Organisation: heterarchischen bis netzwerkbasierten. „Imagine organizations in which bosses give employees enormous freedom to decide what to do and when to do. Imagine electing your own bosses and voting directly on important company decisions. Imagine organizations in which most workers aren’t employees at all, but electronically connected freelancers living wherever they want to. And imagine that all this freedom in business lets people get more of whatever they really want in life – money, interesting work, the chance to help others, or time with their families“ (Malone 2004; Klappentext).
Thomas W. Malones Kurzfassung ist ein manifesto des sich wandelnden Kapitalismus aus dem MIT-Labor ‚Inventing the Organization of the 21th Century‘. Er basiert auf einem Konzept ausgereifter Liberalität im US-amerikanischen Modus. Boltanskis und Chiapellos ‚neuer Geist des Kapitalismus‘ hingegen ist einer der interessanteren europäischen Versuche, sich dieser Änderungen kritisch zu vergewissern. Im Zentrum ihrer Darlegung stehen Netzwerkinterpretationen (vgl. wesentlich Boltanski/Chiapello 2003: 142-210). Die ‚projektbasierte Polis‘ ist der Versuch einer Netzwerkbeschreibung moderner Gesellschaften. Netzwerkzugehörigkeiten sind potentiell nicht begrenzbar. Aber die Projektorientierung – die ja zeitliche Limitationen einführt – begrenzt die Netzwerkmitgliedschaften. Wir bekommen somit ein allgemeines Ordnungsprinzip der Netzwerkgesellschaft, die insofern Polisqualität zugesprochen bekommt, als sie neue Gerechtigkeiten einführt durch neue Wertigkeits- und letztlich Reputationsrelationen (vgl. Boltanski/Chiapello 2003: 152). In Abgrenzung zu verschiedenen anderen Poleis – marktwirtschaftliche, Reputations-, familienweltliche und Industriepolis (vgl. Boltanski/Chiapello 2003: 177 ff.) – werden Flexibilität und Konnexivität als neue Ordnungsmerkmale der Netzwerkgesellschaft als ‚projektbasierte Polis‘ herausgearbeitet. Wir bekommen eine neue mobile Welt vorgeführt, die nicht neoliberal strukturiert ist, sondern ihre eigene soziale Dynamik ausbildet.
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Die Polis ist eine Form des Sozialen, die immer wieder neu zu gewinnen und zu gestalten ist. Der (französisch eingeführte) Polisbegriff bildet eine Schnittstelle von Politik (als Mikropolitik und politische Ökonomie) und Gesellschaft (als die soziale Form, die die Politik gestaltet; die Autoren stehen in einer gewissen Tradition der politischen Ökonomie, die diese Schnittstelle immer schon denkt – was man in Deutschland gesondert erwähnen muss). Projektbasiert ist die Polis, wenn sie, als ein Projekt, also limitiert, zumindest temporal realisiert wird – mit der Folge, immer wieder neu, in Variation, als Projekt konzipiert und realisiert zu werden. Die Kontinuität ist nicht als Ordnung gegeben, sondern muss – seriell – immer wieder neu gewonnen werden: jede Politik, jedes Unternehmen, jede Beziehung ist projektförmig. Wenn die Gesellschaft so reformuliert wird – post-post-modern –, sind alle Beziehungen Netzwerke: man bezieht sich innerhalb von Netzwerken verschieden stark aufeinander, dissoziiert wieder, bezieht sich auf andere Netzwerke etc. Die sozialen Beziehungen – innerhalb und außerhalb von Organisationen und Unternehmen –, sind flexibler, die Handlungen konnexiver. Dieser Aufsatz rekonstruiert weder das Boltanski/Chiapello-Buch noch kritisiert es dessen analytische Leistung. Vielmehr soll gezeigt werden, dass innerhalb der Ökonomie – unabhängig von soziologischen und wirtschaftssoziologischen Theorien – ähnliche Kritiken und Transformationsleistungen vorliegen. Das soll nicht kritisch eingewandt werden, sondern als Bestätigungen dienen: als unabhängige Linie, zwar nicht ähnlicher Argumentation, aber ähnlicher Resultate. Was Boltanski und Chiapello soziologisch interpretieren, wird im Folgenden ökonomisch aufbereitet; es gibt eine ökonomische Selbstbeschreibung dieser Vorgänge. Das hat wiederum Konsequenzen für die Analyse: es zeigt sich ein synthetisches Potential zwischen Ökonomie und Soziologie (vgl. auch Granovetter 2004: 47; Beckert 2003). Es geht hier nicht darum, die ökonomische Interpretation zu verteidigen, sondern sie durch soziologische Extensionen zu erweitern. Die ‚projektbasierte Polis‘ von Boltanski/Chiapello ist eine ausformulierte social network theory, die den sozialen oder community-Aspekt der Netzwerke schärfer herausarbeitet. Das für die ökonomische Theorie aufzunehmen, ist eine Herausforderung.
4.1 Governance als neues Führungsmodell in der Theory of the Firm Seit Coase 1937 fragte, warum es neben dem Preismechanismus des Marktes gesonderte Unternehmensorganisationen gibt, deren hervorstechendes Merkmal der Ausschluss des Preis- und Marktwettbewerbs ist (vgl. Coase 1996), beschäf-
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tigen sich Teile der Ökonomik mit der Frage, welche alternativen Strukturen es zum Markt gibt. Organisationen, so Coases Argument, sind eine solche Alternative: sie substituieren den Preismechanismus durch Hierarchie. Wenn die Kosten (Transaktionskosten) der Marktbenutzung höher sind (z.B. Informations-, Verhandlungs-, Sicherungskosten) als die Betreibung einer Organisation, entstehen Unternehmens-Organisationen. Organisationen sind, nach Coase, eine Antwort auf systematische Marktdefizienzen (vgl. auch Williamson 2002). Über unterschiedliche alternative Allokationsmechanismen neben dem Preismechanismus entscheiden, in dieser Diktion, die Transaktionskosten: „Transaction cost economies are realized by assigning transactions (which differ in their attributes) to governance structures … in a discriminating way. Accordingly: a. b.
The defining attributes of transactions need to be identified. The incentive and adaptive attributes of alternative governance structures need to be described“ (Williamson 1985: 41; vgl. Williamson 2002).
Es geht zum einem um property rights-Verteilungen; Williamson nimmt sie als gegeben und interessiert sich für die Frage, wie Transaktionen zu organisieren sind, d.h. wie Anreizstrukturen und Sicherungsmaßnahmen (incentives/monitoring), sogenannte governance structures, auszugestalten sind. „Transactions, which differ in their attributes, are assigned to governance structures, which differ in their organizational costs and competencies, so as to effect a discriminating (mainly transaction costs economizing) match“ (Williamson 1985: 41, 387 f.). Die in Organisationen vertraglich eingeleiteten Abhängigkeiten sind nicht vor Opportunismus gefeit. Neben der bounded rationality führt Williamson den Opportunismus ein. Wegen dieser Verhaltensannahme kann man ex ante nie sicher sein, dass Abhängigkeiten nicht ausgebeutet werden. Daher sind ex ante Sicherungsmaßnahmen gegen die Ausbeutung von Abhängigkeiten zu treffen. Solche Sicherungsmaßnahmen können drei Formen annehmen:
die Gestaltung von Anreizstrukturen, z.B. in der Form der Vereinbarung von Vertragsstrafen etc.; die Gestaltung einer governance structure, die Konflikte vermeiden hilft und Lösungsmechanismen bereitstellt; die Einführung von Regularien, die die Neigung zu einer kontinuierlichen Beziehung unterstützen und signalisieren.
In Williamsons Theorie verschiebt sich der Fokus. Es geht nicht mehr nur, wie in den neoklassischen Theorien, um die Allokation knapper Ressourcen. Dies klingt
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noch durch beim Kriterium der allokativen Effizienz bei der Ökonomisierung der Transaktionskosten. Doch mehr in den Vordergrund schiebt sich das Kriterium adaptiver Effizienz (adaptive attributes of alternative governance structures: vgl. Williamson 1985: 41). Nun sind die Transaktionen so zu gestalten, dass die governance structures an Veränderungen der Umwelt anpassungsfähig sind. Der Williamsonsche governance-Begriff (nebenbei: der prominenteste der Ökonomik), beruht auf zwei Komponenten: 1. 2.
auf der Unvollständigkeit von Verträgen, z.B. von Arbeitsverträgen, deren Nexus eine Organisation ausmacht und auf der Erreichung von effektiver Kooperation.
Beides sind nicht-selbstverständliche Komponenten von governance von Organisationen. Weil Verträge formell und nur als formelle einer third party zur supervision/monitoring übereigenbar sind, sind alle informellen oder impliziten Vertragsbestandteile durch andere Weisen und Formen der Führung/Steuerung zu klären, d.h. zu motivieren und/oder anzureizen. Williamson führt zwei alternative Modi der Organisation von Transaktion ein:
Koordination mittels Preismechanismus und Kooperation mittels Autorität.
Somit werden Markt und Organisation differente governance structures, eine Reformulierung von Coases Intention. Implizite läuft hierbei eine Unterscheidung zwischen governance structure und governance mit. Goverance structures sind Allokationsmodalitäten; governance selber ist die Leitung/Führung/Steuerung/Ordnung der jeweils spezifischen governance structure, die auch als organizational/institutional design bezeichnet werden kann. Was die governance – die auf deutsch nicht eindeutig übersetzt werden kann: sie ist ein mixtum compositum aus Führung/Leitung/Regime/Steuerung/ Ordnung – von eindeutiger und klarer Führung unterscheidet, ist – um eine erste Erklärung anzubieten – ihre Offenheit gegenüber indirekten Formen der Steuerung und Leitung. Denn governance umfasst ein größeres Spektrum an Führungs-/Steuerungsformen, als es für stark hierarchisch ausgerichtete Organisationen Gültigkeit hat. Governance ist eine Führung, die mit den Reaktionen der zu Führenden rückkoppelt, um zu gelingen.
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4.2 Theorie der unterschiedlichen Vertragsformen Governance structures haben formale wie informelle Aspekte. Williamson unterscheidet drei Vertragsarten: 1. 2. 3.
klassische Verträge; neoklassische Verträge; relationale Verträge.
Die klassischen Verträge sind vollständige und somit geschlossene Verträge: market contracts. Davon unterschieden sind neoclassical contracts, die als trilateral governance ausgebaut sind. Die neoklassischen Verträge sind nicht vollständig; es gibt Situationen, in denn sie nicht realisiert werden, so dass es einer dritten Partei bedarf, die ihre Durchsetzung gewährleisten kann: meist juridische Instanzen. Relationale Verträge sind systematisch unvollständige Verträge, die bei Williamson die Form von bilateral contracting annehmen: aber als kooperative Vereinbarungen und mit credible commitments. Diese Unterscheidungen sind bedeutsam. Wenn wir vom market contract absehen, der wesentlich für spot markets gilt, können wir
die neoklassischen Verträge mit ihrer trilateral governance als Koordinationsprozess beschreiben, während der relationale Vertrag seine Unvollkommenheit und Öffnung durch gegenseitige Vereinbarungen zu schließen versucht, d.h. durch Kooperationsprozesse.
Hier haben wir es mit einer affinen Struktur zu tun: es ist, wenn man so will, eine Williamsonsche Beschreibung einer ‚projektbasierten Polis‘, die hier angezeigt wird.
4.2.1 Hybride als Netzwerke Williamson hat seine Markt/Organisationsunterscheidung später spektral ausgeweitet, indem er Hybride einführte: die Markt/Organisations-Mischformen, für die wir inzwischen den Begriff der co-opetition haben: joint ventures, franchising, strategic alliances, mergers etc. (vgl. Picot/Dietl/Franck 1999: Kap. 5; Richter/Furubotn 2003: 350 ff.; vgl. auch Boltanski/Chiapello 2003: 180).
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Teilweise werden die Hybriden als Netzwerke identifiziert (vgl. Picot/Dietl/ Franck 1999: Kap. 5; Powell 1990; Teubner 1992). In grober Nomenklatur haben wir jetzt drei differente governance structures, mit jeweils wiederum differenten governances. Entscheidungskriterien zwischen den Modi des Organisierens sind die Transaktionskosten, jedenfalls in der Williamsonschen Variante, die Fähigkeit zum Schutz vor ausbeutbaren Abhängigkeiten sowie die adaptive Effizienz der governance structure, also der Regelungs- und Sicherungsstrukturen, die zur Sicherung von ausbeutbaren Abhängigkeiten und zur Ökonomisierung von Transaktionskosten bei der Organisation von Transaktionen aufgebaut werden. Über die Gestaltung von governance structures entscheiden die Kriterien Spezifität, Unsicherheit und Häufigkeit als Merkmale einer Transaktion – soweit die inzwischen schon klassische Konzeption der governance structure bei Williamson. Die Hybride sind all jene Formen der losen Kopplung von Akteuren, die weder den anonymen Transaktionen der (Spot-)Märkte zugeordnet werden können noch den engen Kopplungen der hierarchisch strukturierten Unternehmensorganisationen. Ihre Formen sind projektartig: man kooperiert in Projekten, über gewisse Zeiten, ohne die Eigenständigkeit aufzugeben (außer beim Merger). Die Beziehungen, die hier innerhalb und zwischen den Märkten entstehen, sind Netzwerkbeziehungen, die selbst dann, wenn man die Projekte beendet, latent bleiben für weitere spezifischen Transaktionen, Bindungen und Kooperationen. Boltanski und Chiapellos Verweis auf die Projektorientierung ist für die Reformulierung der transaktionskostenökonomischen Organisationstheorie hilfreich: wir übersetzen die ‚projektbasierte Polis‘ in die Welt relationaler Verträge (vgl. Lechner 2001: 80 ff.). In den Hybriden sind alle Unternehmen nicht lediglich Konkurrenten, wie es die ökonomischen Wettbewerbsmarkttheorien sehen, sondern zugleich ist jedes andere Unternehmen potentiell ein Partner für mögliche Projektkooperationen. Diese latente Partnerschaftlichkeit der Konkurrenten ist eine den Märkten eingewobene Netzwerkstruktur (vgl. Lechner 2001).
4.3 Neue Unterscheidungen: Koordination und Kooperation Koordination und Kooperation sind höchst unterschiedliche governance-Modalitäten. Gewöhnlich wird Koordination als ausreichende Allokationsleistung z.B. für Märkte angenommen. Das gleiche gilt auch für die Unternehmensorganisation: strikt hierarchische Führungsstrukturen sehen ihre Aufgabe in der Koordination von Leistungserstellungen zu einem optimalen Gesamtergebnis. Sie
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fassen ihr Management gleichsam ‚logistisch‘ auf: im Sinne der Optimierung von Information und Leistungserstellung. Doch hatten wir bereits darauf hingewiesen, dass die Bedeutung der governance-Theorie darin liegt, ein sehr viel weiteres Spektrum an organisatorischer Modalität einzubeziehen, vor allem Netzwerkstrukturen und eher heterarchische Organisationen, wie deren Hybride. Heterarchische Organisationen arbeiten mit indirekter governance, setzen gewisse Selbständigkeiten der Leistungsagenten innerhalb der Organisation voraus, steuern nur den Teil, der notwendig offen bleiben muss, weil die Selbstadaptionskompetenz der Organisation in bestimmten Marktdynamiken nicht voll entwickelt ist. Governance ist so jene Managementleistung, die komplementär steuert, d.h. das vollendet, was die Agenten der Organisation nicht mehr selbständig bewältigen können oder es ihnen an Koordinations- wie Kooperationserfahrungen noch fehlt. Governance ist dann eine Form des Steuerns des Lernens der Organisation, bis sie in der Lage ist, wieder relativ selbständig auf die Marktanforderungen zu reagieren. Man sieht, dass governance zu einem Prozess wird, dessen indirekte Steuerung in processu sich aufhebt bzw. transformiert in eine self-enforcing organization. Zumindest ist die möglich: Management kann als Koordination von unselbständiger Arbeit verstanden werden, wie als Anregung zur Kooperation als selbständiger Leistungsbeziehung. So verschiebt sich die governance von Koordination auf Kooperation. Governance ist nicht mehr mit Führung/leadership verwechselbar, damit auch nicht auf den hierarchischen Managementteil rubrizierbar, sondern weitet sich aus auf den ganzen Prozess der Kooperation. Organisationen sind ja nichts anderes als Kooperationsarenen, in denen Leistungen so miteinander verwoben werden, dass sie Wertschöpfung generieren. Wenn die Organisation gelernt hat, relative Selbständigkeit mit notwendigen (und auch notwendig neuen) Kooperationen zu arrangieren, wird der Managementaufwand sinken: Management wird dann eher supervision und monitoring oder erst by exception notwendig. Die Transaktionskosten sinken, aber nur solange, wie die Organisation Selbststeuerung gelernt hat. Die Managementkompetenz muss natürlich disponiert bleiben, denn in Phasen der schnellen Transformation sind hohe Lenkungsund Führungsanforderungen nötig, die in der Organisation bereits immer schon vorhanden sein müssen. Aber governance ist eine Form des Managements im wörtlichen Sinne, das über das führungsfokussierte Management als Koordination weit hinausgehen kann: governance ist der Name für einen teilweise selbstständigen Kooperationsprozess, der gar keine Führung/Steuerung im eigentlichen Sinne braucht, sie aber disponiert halten muss, um Defekte der Selbststeuerung zu moderieren und auszugleichen.
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Vor allem aber ist governance ein supervisions- und monitoring-Prozess, der relative selbständige Prozesse beobachtet, um dort Unterstützungen zu bieten, wo die Selbständigkeit versagt und dort zu intervenieren, wo sie strategische Pfade verlässt. Governance ist, grosso modo, eine Kommunikationskompetenz, mit eingelagerten Führungs- und Entscheidungsstrukturen, die aber solange zurückgenommen werden, solange andere Agenten die Prozesse im Sinne gemeinsamer Strategien tragen und forcieren. Alle Organisationen von Transaktionen basieren auf der Geltung gewisser moralischer und juridischer Grundnormen; nicht jeder Schritt kann einzeln abgesichert werden, was die Transaktionskosten prohibitiv hoch steigen ließe. Das gilt auch für die Koordinationen. Doch reicht gewöhnlich hier eine institutionelle Sicherung einer funktionierenden dritten Partei als Kontrollinstanz. Für Kooperationen allerdings ist das zu wenig; hier sind noch weitreichendere Voraussetzungen gefragt. Kooperationen, gerade in Organisationen, sind längerfristige Vertragsbeziehungen (vgl. Priddat 2000b; Priddat 2002a). Das klassische Vertragsrecht greift hier nicht; es reicht für Arbeitsverträge z.B. nicht aus, auf juridische Kontrollinstanzen zurückzugreifen, um die Erfüllung zu erreichen (was für neoklassische Markttransaktionen durchaus ausreichen mag). Vertragserfüllungen in Organisationen sind Bündel relationaler Verträge, müssen über zusätzliche Instanzen in kooperative Resonanz gebracht werden. Neben der juridischen Instanz, die in diesem Falle aber extern fungiert, benötigt es interne Instanzen: governance structures und darin ein Management, das die governance ausführt. Das klassische Vertragsrecht mit seiner third party agency transformiert zu einem Nexus relationaler Verträge, die alle unvollständig sind, und zwar aus systematischen Gründen: marktadaptive Kooperation kann ex ante nicht festgeschrieben werden. Folglich arbeiten die governances mit Incentive- und Motivationsentwicklung. Die Organisation definiert sich über implizite Verträge, die personengebunden sind. Jetzt wird systematisch die Rolle der soft factors deutlich, die – wenn wir es so paradoxal formulieren dürfen – zur harten Struktur der governance gehören (vgl. Jansen 2002; Wieland 2004a). Governance ist auch deswegen ein weit ausgreifenderer Topos als Management/leadership/Steuerung, weil es die Objektstruktur der Organisation mit einer Subjektstruktur komplementär setzt und zwischen den ‚harten‘ wie den ‚weichen Anforderungen‘ balancierende Anreize und Motivationen schafft (vgl. Osterloh/Frost 2000). „Ohne personale Identität und Integrität gibt es keine stabile Kooperation zwischen Personen. Personen, denen eine Identitätsbildung nicht gelingt, sind kooperationsunfähig“ (Wieland 1996a: 15; vgl. auch Schlicht 2002; Schlicht 2003).
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Es wird deutlich, wie sehr die governance auf human resources, auf deren Kompetenz und Motivation ausrichtet ist. Das sind neue Managementfähigkeiten: Vertrauenserzeugungen, um Führung zu legitimieren. Und zwar nicht formell: diese Form bleibt sowieso bestehen, sondern informell, nämlich motivationsgenerierend und damit letztlich selbständigkeits- und leistungsforcierend (value management: vgl. Wieland 2004a; Wieland 2005a, Wieland 2005b). Es geht nicht mehr um Optima, sondern Führung wird zu einer laufenden Kompensationsarbeit an unvollständigen Verträgen, die, über Motivierung, Leistungsüberschüsse erzeugen soll, die die Organisation flexibilisieren in Hinblick auf die immer wieder neuen Probleme und Anforderungen. Hier haben die soziologischen Organisationstheorien Analysen geliefert, die die Ökonomie wahrzunehmen beginnt (beginnend bei Chester Barnard bis zu Karl E. Weick).
4.4 Moderne Organisationen Unternehmen, obgleich in Märkten operierend, sind selbst nicht marktlich organisiert. Die Form der Organisation antwortet auf verschiedene Koordinationsund Kooperationsanforderungen verschieden. Die Organisation ökonomischer Prozesse ist mit Kosten verbunden. Märkte und Hierarchien sind, nach Coase, alternative Mechanismen zur Koordination hinsichtlich dieser Kosten. „Der Markt hat kein Ziel, sondern erfüllt eine Funktion. Unternehmen hingegen werden gegründet, um kollektive und individuelle Ziele zu verfolgen. Der Erfolg des Marktsystems beruht auf der Exklusion von Personen, der von Unternehmen auf deren Inklusion“ (Wieland 1998: 21).
Die neue Organisationsökonomik ist mikroanalytisch orientiert (statt der Firma ist die Transaktion die Basiseinheit) und verfügt über klare und realistische Verhaltensannahmen (beschränkte Rationalität und Opportunismus statt vollständige Rationalität). An die Stelle des homo oeconomicus tritt ein organizational man, der kognitiv schlechter (beschränkte Rationalität) und motivational komplexer (kalkulierender Opportunismus) ausgestattet ist. Weiterhin berücksichtigt die angestrebte Organisationstheorie den Faktor kooperationsspezifischer Investitionen (asset specifity), definiert Effizienz im Kontext komparativer und adaptiver Institutionenanalyse (statt als Maximum einer Variablen), modelliert die Firma als governance-Struktur (und nicht als Produktionsfunktion), fokussiert die Bedeutung von ex post-Vertragsproblemen und privaten Vereinbarungen zur Lösung dieser Probleme (lehnt also die universale Idee vollständiger Verträge und rechtlicher Erzwingbarkeit ab), verfügt über eine interdisziplinäre Perspektive und
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folgt der Überzeugung, dass die Ökonomisierung von Transaktionskosten der entscheidende Gesichtspunkt bei der Untersuchung von Organisationen sei.1 Unternehmen werden – als Organisation – netzwerkanalytisch erfasst: „Organisation im Sinne einer Form (und nicht im Sinne interner Arbeitsabläufe oder eines Regelwerks) wäre so etwas wie eine wohldefinierte Menge vernetzter Transaktionen und als solche Gegenstand einer vertragstheoretischen Organisationsökonomik.* Genau hier liegt dann auch ein Teil der Schnittmenge mit einer Charakterisierung der Firma als Netzwerk expliziter und impliziter Verträge oder ‚treaties‘.** Für die Neue Organisationsökonomik ist der Markt eine Koordinationsform, die ex postLeistungen auf Nachfrage zurechnet. Die Organisation hingegen ist eine Kooperationsform, die auf ex ante zugestimmte Regeln zur Erbringung einer Leistung basiert, deren beider Einhaltung ex post zum Problem werden kann“ (Wieland 1996a: 115).2
Wieland betont die Kooperationsleistung der Organisation; er erweitert die kontraktualistischen Konzepte der theory of the firm, die wesentlich anreizgesteuert arbeiten, um eine Dimension der Steuerung von Werten, soft facts und Moralen. Denn es reicht zur Erklärung der Funktion und Grenzen von Unternehmensorganisationen nicht aus, auf incentive-kompatible Koordinationen zu verweisen, weil unklar bleibt, wie die Bindungen der Mitarbeiter über längere Zeit stabil bleiben. „Versteht man das Problem der Koordination ökonomischer Aktivitäten in erster Linie als Problem der Verhaltensbindung der beteiligten Akteure, steht die Frage im Mittelpunkt, auf welche Weise die Existenz einer Unternehmung und ihrer Grenzen einerseits sowie ihre Organisationsform andererseits die Handlungen und Verhaltensweisen dieser Akteure beeinflusst und steuert. Grundsätzlich lassen sich zwei Möglichkeiten denken: Erstens, die Anreizlage wird durch eine unternehmensinterne Koordination verändert, oder zweitens, die Motive, Bewertungen und Einstellungen der Akteure werden in einer systematischen Weise beeinflusst“ (Mücke 2002: 20).
4.5 Management und Governance Jetzt lässt sich die governance structure genauer beschreiben als eine durchgehende Theorie unvollständiger Verträge und ihrer Schließungsmodalitäten: in der Form der Schließung differieren die governance structures. 1 „Knapp zusammengefasst kann man wohl sagen, dass die wesentlichen ökonomischen Beiträge zu diesem interdisziplinären Projekt die vertragstheoretische Orientierung, die kombinierten Verhaltensannahmen des Opportunismus und der beschränkten Rationalität, die Faktorspezifität, Unsicherheit und Häufigkeit von Transaktionen als entscheidende Dimensionen, und eben die Ausrichtung auf die Transaktion als Grundeinheit der Untersuchung ist“ (Wieland 1996: 115). 2 * Vgl. Williamson 1993: 484, Fn. 128; ** Vgl. Aoki/Gustafson/Williamson 1990.
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Relationale Verträge sind systematisch unvollständige Verträge. Bei Vertragsschließung (ex ante) lassen sich nicht alle Leistungsanforderungen klären; ein Teil kann nur in processu geklärt werden. Dazu bedarf es dann Instanzen je spezifischer governance structures. Die neoklassische Form unvollständiger Verträge arbeitet mit einer externen Regulation. Unklarheiten in der Vertragserfüllung werden vor externen Schiedsgerichten (bzw. Gerichten) geklärt: management by law (or by external regulation). Offensichtlich liegt keine Organisationstheorie vor, dafür aber triviale Zuschreibungen: Unternehmer/Manager koordinieren die Leistungen der Mitarbeiter. Es wird dabei davon ausgegangen, dass alle klassische Verträge haben. Das Management besteht im Management einer Produktionsfunktion. Es gibt nicht nur keinen Organisationsbegriff, auch keinen Managementbegriff. Denn alles, was an Vertragsdurchsetzung offen ist, wird nicht durch das Management, sondern extern durch die Juristen geklärt. Beschreiben wir die Konsequenzen dieser Konzeption genauer: Die Schließung neoklassischer Verträge geschieht juridisch, d.h. durch Verhandlungen extern vor Gericht (dabei ist es gleichgültig, ob außergerichtlich durch Schiedsgericht, außergerichtlich vor dem Richter oder durch das Gericht gerichtlich). Wir haben es mit einem re-contracting within the contract zu tun. Wesentlich hierbei ist die Tatsache, dass es sich um Verhandlungen handelt: bargaining, recontracting, Kommunikation. Der Übergang vom neoklassischen unvollständigen Vertrag zum relationalen Vertrag (sprich: zum spezifisch Williamsonschen unvollständigen Vertrag) lässt sich vor allem beschreiben als Übergang von externen Verhandlungen auf interne Verhandlungen (‚from choice to contract‘: vgl. Williamson 2002). Die incompletness of contracts wird als Organisationsthema neu konfiguriert: als Organisation der Organisation – die eigentliche Managementaufgabe. Denn Verhandlungen darüber, wie die Unvollständigkeit in die Organisation flexibel gelöst wird, ist ureigentlich Management – aber nicht mehr (wie beim neoklassischen Vertrag) als Koordination von Produktionsfaktoren, sondern als Gestaltung der offenen Beziehungen within contracts. Dieses Management hat zwei modes of cooperation: a. b.
to manage the cooperation, values, frames etc. = governance Selbstorganisation (self-enforcement). Die Mitglieder der Organisation sind organisationskompetent: sie haben gelernt, sich in neuen Anforderungen selbst zu organisieren. Das re-contracting within the contract verwandelt sich in eine re-organization within organization.
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Beide modes of cooperation sind governance-Prozesse, die sich von Steuerung/ Management signifikant dadurch unterscheiden, dass sie keine trivialen Hierarchie-Mechanismen ausbilden, sondern komplexe principal/agent-Relationen, die leitende, steuernde wie selbststeuernde Prozessmomente in differenten Strukturen haben. Um es genauer zu sagen, unterscheidet sich die governance structure in zwei Prozessebenen: 1. 2.
Leitung/Steuerung = management () Selbststeuerung = organizational learning ()
Die -Ebene arbeitet wesentlich mit incentives/disincentives, die -Ebene über Motivation. Dixit nennt diese Struktur, in Verschiebung zu Williamson, die governance durch commitment und constraint (vgl. Dixit 1996). Motivation ist selbsterhaltend (auch selbstverstärkend), wenn commitment-Strukturen vorliegen. Die governance hat eine Tugend/Werte-Dimension. Wieland entwickelte daran eine – institutionenökonomisch ausgelegte – Ethik der governance (vgl. Wieland 1999b; Wieland 2001; Wieland 2006). Innerhalb dieser governance von commitment-Strukturen bildet sich ein institutional capital heraus: erprobte und vertraute bzw.vertrauensbildende Institutionen, meist informeller Art, prägen sich aus, bilden Muster, Regeln, shared mental models, die die Mitarbeiter nach einer Ordnung kooperieren lassen, die sich als corporate integrity herausgebildet (vgl. Wieland 2005a; Wieland 2005b; Wieland 2006). Eine „vollständige Transaktionskostentheorie“ ist „ohne den Einbezug der Bedeutung moralischer Kommunikation für das Verhalten von Wirtschaftsorganisationen nicht zu haben. Das scheint sich … in einem besonderen Maße auf die personalen Relationen innerhalb der Firma zu beziehen. Effizienz macht hier sozusagen nur eine Hälfte des Kooperationsproblems aus, Integrität, Würde und Vertrauen die andere“ (Wieland 1996a: 116; vgl. auch Williamson 1986: 177).
Kooperationsprojekte (Unternehmen) sind durch das gemeinsame Interesse an höheren Erträgen durch die Zusammenlegung der individuellen Ressourcen und der damit zugleich existierenden Möglichkeit charakterisiert, sich die Erträge der Ressourcen des Kooperationspartners kostenlos anzueignen. Letztere Möglichkeit lässt sich nicht allein durch Kontrollmechanismen unterbinden, sondern ist angewiesen auf Merkmale personaler Identität wie Integrität, Loyalität, Arbeitsethos und Ehrlichkeit. Die Williamsonsche theory of the firm, deren Essenz wir oben entwickelt haben, greift mit ihrer ausschließlichen Koordination betrieblicher Entscheidungsprozesses durch Beherrschungs- und Überwachungssysteme zu kurz (vgl. auch Beschorner 2002: 122).
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Unpersönliche Koordinationsmechanismen „haben die immanente Tendenz, personale Identität, also Kooperation, durch Generalisierung zu verdünnen. Aber nur Personen, denen eine Identitätsbildung gelingt, sind kooperationsfähig. Diese Antinomie zu prozessieren ist das Fundamentalproblem jedes Unternehmens“ (Wieland 1998: 18).
Wir befinden uns in dem Entwicklungsprojekt der Organisationstheorie, das Dirk Baecker die „Wiederentdeckung der Organisation als soziales System“ nennt (vgl. Baecker 2003b: 102). Insbesondere die sogenannte Managementphilosophie (vgl. Tom Peters, Waterman etc.) „stellt den Grundgedanken der Betriebswirtschafts- und Führungslehre um von Rationalität ... auf Motivation“ (Baecker 2003b: 102). Auch Boltanski und Chiapellos Rekonstruktion des ‚neuen Geistes des Kapitalismus‘ aus den Managementtheorieschüben der letzten Jahrzehnte weisen in diese Richtung (mit der Konnotation der Künstlerkritik: vgl. Boltanski/Chiapello 2003: Kap. 7). „Dass der Geist des Kapitalismus … zum Zweck der Mobilisierung einer moralischen Dimension“ bedarf (vgl. Boltanski/Chiapello 2003: 518 ff.), ist für Boltanski/Chiapello, ebenso wie für Wieland, eine neue Dimension. Nur interpretieren sie es verschieden: Während Boltanski und Chiapello die Moral als eine dem Kapitalismus fremde, nicht seiner Systemlogik entsprechende Addition verstehen, die dann, wenn der Kapitalismus die so seitlich angelegten Werte nicht akzeptiert, die Kritik der Menschen evoziere (vgl. Boltanski/ Chiapello 2003: 520, 524 ff.), sieht Wieland die Moral als Instanz, die anzuerkennen die Voraussetzung ist für anhaltende Leistungsbereitschaft. Wieland argumentiert eher in human ressource-Kategorien, Boltanski/Chiapello in Kategorien der Kritik. Hier bleibt eine Differenz: Boltanski und Chiapellos Hoffnung, dass Kritik letztlich Druck auf die fehlende Ordnung des neuen Kapitalismus ausüben wird (vgl. Boltanski/Chiapello 2003: 566), ist ein normative approach, den Wieland (und die Institutionenökonomie) nicht teilen. Boltanski und Chiapello betreiben politische Ökonomie, während Wieland lediglich die Analyse neuer Veränderungspotentiale des Kapitalismus erforschen will. Organisationen sind Bündel von Verträgen (vgl. Aoki/Gustafsson/Williamson 1990), aber – wenn man es so beschreibt, dann kommt es entscheidend darauf an – Bündel von offenen oder unvollständigen Verträgen. Denn das, wozu sich Menschen vertraglich zur Mitarbeit binden im Kooperationsmodus von Organisationen, kann wohl festschreiben, welche Dispositionen zu leisten sind, nicht aber die tatsächlichen Leistungen und Ausführungen der Arbeit, die von Markt- und Umgebungsentwicklungen abhängig sind, die man zur Vertragsschließung nicht weiß. Die Institutionenökonomie thematisiert die Unvollstän-
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digkeit von Verträgen und die methodischen Konsequenzen dieser incompleteness (vgl. Saussier 2000). Eine dieser Konsequenzen ist eine erhöhte Anforderung an organisatorische und soziale Kompetenz (neben der fachlichen Kompetenz). In dynamischen Märkten organisieren Organisationen ihre Leistungserstellung immer wieder neu; das erfordert kommunikative Kompetenz (vgl. Baecker 1999; Baecker 2003a; Priddat 2005a). Deshalb benötigen Organisationen governance und management: um die Kooperationen auf wechselnde Ziele hin zu führen, aber auch die differenten Leistungslagen der Kooperationspartner neu zu motivieren, Konflikte zu klären: eben die Organisation zu organisieren. Organisation ist kein Zustand, sondern ein Prozess eigener Dynamik, eher vom oszillierenden Typus (vgl. Baecker 2003a: 29 ff.; Weick/Sutcliffe 2001; Schlicht 2003). Es geht hierbei nicht darum, die wirtschaftssoziologischen Organisationstheorien zu ersetzen, sondern umgekehrt lediglich, zu zeigen, dass innerhalb der transaktionsökonomischen Theorien netzwerktheoretische Konzeptionen existieren, die auf eine mögliche Kompatibilität hinweisen. Die Ökonomie enthält bereits ihr soziologisches Potential, um es einmal so zu formulieren. Der Schritt zu einer Netzwerkbeschreibung von Organisationen liegt nahe: Die Logik der relationalen oder unvollständigen Verträge legt ein nicht-standardisiertes und fraktioniertes Beziehungsgeflecht der Mitarbeiter einer Organisation nahe, das zwar formell geregelt sein mag, faktisch aber informell netzwerkstrukturiert funktioniert (vgl. Borgatti/Foster 2003; Baecker 2001d; Baecker 2006). Die formellen Organigramme sind phantastische Planungen über davon abweichende Wirklichkeiten. Faktisch bieten Netzwerke Freiheiten, die die formellen Organisationen nicht zulassen. So bestehen Organisationen aus Spannungen zwischen formellen Weisungsstrukturen und informellen Netzwerken, die das Leistungspotential einer Organisation kennzeichnen. Was intern bereits an Kooperationen im informellen Netzwerk gemanaged werden muss, wird durch die externen Netzwerkbeziehungen und hybriden Kopplungen mit anderen Organisationen nur potenziert.
4.6 Netzwerke als organisationale Ressourcen Netzwerke sind inner- wie außerorganisatorische Umgebungen, die alternative Kooperationspotentiale bereithalten (vgl. Priddat 2002d). Im Gegensatz zu eindeutigen und formell festgelegten Mitgliedschaften in Organisationen (und im Gegensatz zu rein anonymen und kontingenten Marktbeziehungen) sind Netzwerkbeziehungen temporär stabil, aber potentiell disponibel. Das ist ihre ‚Pro-
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jektbasierung‘: immer neue Kooperationen bilden zu können (vgl. auch Boltanski/Chiapello 2003: 157). Um es genauer zu sagen, löst die transaktionskostenökonomische Analyse, die auf der Theorie relationaler oder unvollständiger Verträge beruht, für die Ökonomie die Illusionen fester Beziehungen auf:
Organisationen sind nicht identisch mit ihrer formellen Zuschreibung; Unvollständige Verträge sind die Basis für modulierbare Beziehungen; Das Netzwerk ist – eine – logische Konsequenz.
Im nächsten Schritt geht es darum, auch die Effektivitätsbedingungen ökonomischer Interaktion offenzulegen, d.h. die Umstände zu klären, unter denen bestimmte ökonomische Strukturen spezifischen Akteuren überhaupt zugänglich sind. Das geht mit einer weiteren Einschränkung der klassischen Annahme einher,3 dass jeder Akteur jederzeit (kostenneutral) mit beliebigen anderen Akteuren jede Art von Interaktion bzw. Transaktion vollziehen könne (vgl. über Netzwerkkosten Casella/Hanaki 2006). Es kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass jede Art von Interaktion im voraussetzungslosen anonymen Rahmen möglich ist. Da es sich hierbei – soziologisch gesprochen – um Inklusionsphänomene handelt, ist das bereits ein starker Hinweis darauf, dass es in der weiteren Forschung um die theoretische Einordnung von Netzwerken gehen muss. Hier schließt die ökonomische Interpretation des neuen Kapitalismus, die wir bisher vortrugen, mit der von Boltanski und Chiapello zusammen. Netzwerke bestehen (unserer Konzeption zufolge) in erster Annährung aus Akteursgruppen, die verhältnismäßig häufig, also wiederholt und längerfristig, miteinander interagieren. Anstelle von Anonymität und standardisierter Interaktion treten persönliche Verhältnisse (oder wenigstens Bekanntschaften) und netzwerkspezifisches Rollenverhalten. Da die Verhaltensdispositionen anderer Netzwerkmitglieder erwartbare Züge bekommen,4 reduziert sich die Akteursun3 Das gilt auch für die expliziten und impliziten Annahmen der ‚neuen ideologischen Konfiguration‘ der ‚netzwerkbasierten Polis‘ bei Boltanski und Chiapello (vgl. Boltanski/Chiapello 2003: 142-210). 4 Siehe dazu Herrmann-Pillath und Lies, die Netzwerkbeziehungen von Transaktionen durch ihre triadische Struktur abgrenzen (vgl. Herrmann-Pillath/Lies 2001: 50): Transaktionen sind dyadisch ausgelegt, Netzwerke bauen auf Triaden als kleinste Einheiten auf. Ökonomische Transaktionen sind, netzwerktheoretisch gesprochen, in Netzwerke eingebettete Transaktionen (mit Bezug auf Granovetters: ‚embedding‘). Herrmann-Pillath und Lies definieren es als in Netzwerken enthaltenes ‚soziales Kapital‘, wenn zwischen zwei über ein Individuum verknüpften Transaktionen positive externe Effekte auftreten (vgl. Herrman-Pillath/Lies 2001: 50). Diese ökonomische Interpretation von Netzwerken enthält, soweit unser Hinweis, eine soziologische Öffnung, da Transaktionen über Dritte realisiert werden, entweder als Regulatoren, Richter, Manager oder als Ressourcen für die Bestim-
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sicherheit noch einmal im Vergleich zu den anonymen Interaktionen der Neoklassik und der Institutionenökonomik (vgl. ähnliche Rekonzeptionierungen bei Herrmann-Pillath 2002; Herrman-Pillath/Lies 2001). Mit der Beobachtung, dass Netzwerke aber 1. spezifische Inklusionskriterien anlegen und 2. ihren Mitgliedern Interaktionsgelegenheiten bieten, die in dieser Art außerhalb von Netzwerken nicht (oder nur zu prohibitiven Bedingungen) möglich wären, tritt die Bedeutung von Netzwerkmitgliedschaften in Hinblick auf die effektiven Interaktionsalternativen der Akteure in den Vordergrund. Bestimmte Interaktionsstrukturen, auch bestimmte Märkte, so die These, sind nur über Netzwerkmitgliedschaften zugänglich (vgl. auch Granovetter 2004; spezifisch zur Frage nach Organisation und Gender: Priddat 2004b). Wir gehen in dieser Konzeption einer Netzwerk-Sozionomik zumindest insoweit über die bisherigen ökonomischen Ansätze hinaus, als wir zusätzlich annehmen, dass Akteure, die Zugang zu einem profitträchtigen Netzwerk suchen, etwas bieten können müssen, für das sich die aktuellen Netzwerkmitglieder interessieren. Hier wären zwei Art von (sozial ererbten oder erworbenen) Akteursressourcen bzw. von Kapital zu unterscheiden:
die bereits vorhandenen Kontakte des Akteurs, also sein aktuelles Netzwerk (Sozialkapital: vgl. Lin 2003; Herrman-Pillath/Lies 2001), das er mitbringt und seine Eignung für ökonomische, politische etc. Beziehungen mit etablierten Mitgliedern, je nachdem, ob es sich um ein ökonomisches, politisches etc. Netzwerk handelt.
Die Ausstattung mit beiden Arten von Kapital ist anfangs abhängig von der sozialen Herkunft der Akteure. Hinzu muss sich ein gewisser Gestaltungswille, bzw. eine professionelle Attitüde gesellen, damit sich der Akteur des profitgenerierenden Potentials seiner bisherigen Netzwerke bewusst wird und beschließen kann, seine Kontakte für ökonomische, politische oder sonstige Zwecke zu nutzen. Sind die Bedingungen für eine Netzwerkteilnahme gegeben, erfordert und begünstigt die Nutzung der Kontakte, netzwerkspezifisches Kapital anzuhäufen. Investitionen in das Netzwerk, die allen Mitgliedern gleichermaßen, mithin dem Netzwerk selbst zugute kommen, dienen gleichzeitig als Signal der Vertrauenswürdigkeit. Es ist zu erwarten, dass über derartige Investitionen in Reputation auch innerhalb des Netzwerkes Statusunterschiede zwischen Mitgliedern erzeugt wermung, Entscheidung, Bewertung etc. in der Transaktion. In diesem Sinne sind Netzwerke immer auch der Kommunikationsraum über Relevanzen von Transaktionen (vgl. Priddat 2004b).
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den, die sich dann wiederum auf die Interaktionsmöglichkeiten der Akteure auswirken. Etablierte Akteure im Zentrum des Netzwerkes werden im Vergleich zu neuen Mitgliedern an der Peripherie kraft ihrer Position Effektivitäts- und Effizienzvorteile genießen, über die sich ihre vergangenen netzwerkspezifischen Investitionen auszahlen. Positionen im Zentrum zeichnen sich durch eine intensivere Kopplung mit anderen Mitgliedern aus und gewähren so auch einen größeren Einfluss auf Informationsströme und Kontaktanbahnungen Dritter (vgl. am Beispiel ‚Open Source‘ auch Priddat/Kabalak 2006). Die Inhomogeneität der Netzwerkbeziehungen führt zu unterschiedlich guten Gelegenheiten, das Netzwerk zu nutzen, und auch zur Möglichkeit Einiger, mit diesen guten Gelegenheiten intern zu handeln. Es reicht zur theoretischen Präzisierung nicht, Netzwerke als Akteursgruppen aufzufassen. Akteure werden im Netzwerk nicht als vollständige Personen, sondern als Rollenträger, also unter einem spezifischen Aspekt, wahrgenommen. Hier müssen wir wieder unterscheiden: die Netzwerkrolle, die jemand einnimmt, ist nur ein Teil dessen, was wir seine ‚Person‘ nennen. Man geht nicht in der Netzwerkrolle auf, wenn man in vielen Netzwerken Mitglied ist. Person, kann man hier sagen, ist die Menge aller Netzwerkbezüge. Nun sind die formellen Verträge in Organisationen unvollständig; im Netzwerk gibt es keine formellen Verträge, aber ebenso unvollständige Beziehungen zu anderen. Im Gegensatz zu den Arbeitsverträgen in Organisationen, die deren Unvollständigkeit durch Management kompensieren, sind die unvollständigen Relation (quasi-Verträge) in Netzwerken die Voraussetzungen für selbständige Relationierungen. Was in einer Transaktionswelt als Defekt verstanden werden mag, den man kompensieren muss, ist in einer Netzwerkwelt eine positiv verstandene Disposition: sich die Beziehungen Anderer zueignen zu können (wie man selbst, reziprok, sich als Beziehung anbietet). Das, was an unvollständigen Verträgen in Organisationen kompensatorisch gemanaged werden muss, muss in Netzwerken, die strukturell unvollständig sind, durch Beziehungen kompensiert werden. Dafür muss man, anders als in Organisationen, beziehungsattraktiv sein, d.h. reziprozitätskompetent. Wir haben es mit einer triadischen Öffnung gegenüber den bloß dyadischen Transaktionen zu tun (vgl. Fn. 4). Netzwerkwelten sind so eingerichtet, dass alle Beteiligten Beziehungen brauchen: wann und wie, bleibt offen, oft auch latent. Genauer gesagt: man hat mehr Beziehungspotential als aktuelle Beziehungen, muss aber, um das Potential zu behalten bzw. zu halten, selber beziehungsdispositiv bleiben, d.h. netzwerkattraktiv für andere. Organisationen sind demnach ein Nexus von relationalen Verträgen, die – wie oben schon dargelegt – zwei Komplettierungsdimensionen haben: () die Schließung unvollständiger Verträge durch Management (governance I) und ()
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die Schließung unvollständiger Verträge durch Selbstregulation (governance II). Der -Aspekt setzt Netzwerkzugriffe voraus. Netzwerke sind die Ressource für selbständige Regulation von Leistungsbeziehungen – innerhalb von Organisationen (informelle Kooperationen in internen Netzwerken) und außerhalb (Nutzung von Netzwerkkontakten für interne Leistungserbringungen).5 Hier findet sich die Koppelungsstelle zwischen ökonomischer und soziologischer Theorie. Die bounded rationality, die die Transaktionskostenökonomik als methodische Beschreibung ihrer Akteursrationalität in Anspruch nimmt, ist – hier nimmt Williamson Herbert Simons ältere Konzeption auf – eine kognitive Begrenzung der Akteure. Sie kennen nicht das gesamte Alternativenspektrum, sondern wählen innerhalb eines frames. Ob dieser frame durch informationale Kapazitätsgrenzen, durch Wissensdefizite oder durch Interpretationsfestlegungen generiert ist, kann offen bleiben. In unserem Kontext der Reformulierung der Transaktionskostenökonomik erweisen sich viele der unter bounded rationality rubrizierten Eigenschaften der Handlungssysteme als Netzwerkeigenschaften. Denn das, was ein Entscheider nur begrenzt ‚weiß‘, muss nicht automatisch seiner individuellen Limitation zugeschrieben werden, sondern kann einfach zur netzwerkspezifischen Kommunikation gehören. Netzwerke sind – als explizite oder implizite Akteurs-Relationengefüge – immer zugleich auch linguistic communities, d.h. funktional identisch mit Sprachspielgemeinschaften, die spezifische Semantiken pflegen und andere nicht (vgl. Priddat 2004c). Innerhalb dieser semantischen Felder ist bounded rationality eine Begrenzung des Vokabulars dieser Netz-Communities. Hier folgt die Kognition der Kommunikation: Was die Entscheider nicht kennen, können sie nicht wählen bzw. ihre faktischen Entscheidungen sind daran gebunden, was ihr Netzwerksprachspiel ihnen wahrzunehmen gestattet (vgl. Priddat 2007a). Natürlich sind hier neue Wahrnehmungen und Entscheidungen möglich, aber der normale Fall ist die Gebundenheit der Entscheidungen an das, was semantisch zulässig ist im relevanten sozialen Netzwerk. Netzwerke sind perennierende Kommunikationen relevanten Vokabulars zur Beschreibung der Situationen und ihrer wechselnden Relationen. Was in Netzwerken kommuniziert wird, ist nicht allein relevant, aber signifikant: es orientiert den Sinnhorizont der Netzwerkmitglieder. Die bounded rationality5 Wieland nannte die Firma ein „Netzwerk von expliziten und impliziten Verträgen“ (Wieland 1996: 115). Das lässt sich nicht so pauschal aufrechterhalten: der Begriff des Nexus oder Bündels von Verträgen ist z.T. passender (vgl. Aoki/Gustafsson/Williamson 1990). Denn für die Menge an unvollständigen Verträgen, die des Managements bedürfen (), kommen wir ohne Netzwerk aus. Netzwerke sind die Ressourcenbasis für den anderen Teil von unvollständigen Verträgen, die selbständig kooperieren (). Organisationen sind keine Netzwerke, wie Wieland missverstanden werden könnten, sondern haben Netzwerke (informelle innerorganisatorische Beziehungsnetze) und agieren innerhalb von ihren externen Netzwerken (informelle und explizite außerorganisatorische Netzwerke).
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Annahme der Transaktionskostenökonomik greift deshalb zu kurz, weil sie auf kognitiv-individuelle oder personale Eigenschaften gründet, die sozialen ausschließend.6 Man kann die bounded rationality beibehalten, wenn man sie als Netzwerkkonfiguration begreift, d.h. als eine soziale Selektion der Wahlmöglichkeiten durch kommunikative Fokussierung. Es zeigt sich, dass die Netzwerktheorien keine der ökonomischen theory of the firm fremdes Terrain beschreiben, sondern – allerdings als Weiterentwicklung der ökonomischen Theorie, die über ihre klassischen Effizienzmuster hinausgeht – integrierbar sind. Netzwerke werden zu einer Ressource von Organisationen, wenn wir die Theorie unvollständiger Verträge nicht einseitig auf hierarchische Regulation hin auslegen, sondern gleichzeitig die Potentiale selbständiger Regulation der Akteure ins Spiel bringen.7 Selbständiges Handeln in Organisationen ist keine verdeckte Form von entrepreneurship (und damit eine Überforderung für viele Organisationsmitglieder), sondern die Fähigkeit, das, was man selber nicht leisten kann, über Beziehungen mit anderen kooperativ zu erreichen (d.h. Zusammenarbeit in einem klassischen Sinne). Netzwerke sind die matrices dieser synthetischen Potentiale, die, nicht formalisierbar, auf Erfahrungen gelungener Kooperation beruhen, auf Charakter-, Zuneigungs-, Kompetenzund Tugendmischungen (vgl. Wieland 2006), die für die ökonomische Analyse so nicht leicht zugänglich sind. Das sind keine externen Zuschreibungen, sondern in der Transaktionskostenökonomik selbst enthaltene Potentiale. Die Unvollständigkeit der Verträge ist nach oben offen in Richtung managerialer Regulation und nach unten in Richtung selbständiger Kooperationsleistungen, was nur innerhalb von Netzwerken gelingen kann – als Ressourcen entweder des Wissens oder des Handelns, generell der Herstellung von Lösungen auf unsicherem Terrain. Man kann es auch als prinicipal/agent-Beziehung interpretieren: dass die Agenten mehr wissen als der vorgesetzte Prinzipal, nicht weil sie klüger sind, sondern weil sie informelle Beziehungsnetzwerke verfügen, die der Prinzipal nicht kennt noch verfügt. Netzwerke kommunizieren Handlungsstrategien, die Erfolge trotz der kontraproduktiven Interventionen von Prinzipalen bescheren etc.8 6 Herbert Simon ist ein kognitiver Psychologe; psychologische Konzeptionen passen der Ökonomie bisher besser als soziale, weil sie den methodologischen Individualismus der Akteurskonstruktionen beibehalten lassen. 7 Das ist der entscheidende Fokus der ‚projektbasierten Polis‘ bei Boltanski/Chiapello. 8 Principal/agent-Relationen sind in die Ökonomie eingewanderte soziologische Relationen. Es sind typische unvollständige Verträge, die, wenn auch problematisch, als asymmetrischer Tausch beschrieben werden können. Hierarchische Beziehungen sind in Tausch-/Transaktionswelten immer asymmetrisch, also nicht-äquivalent. Im Grunde sind principal/agent-Relationen Produktionsfunktionen im managerial-offenen Bereich der unvollständigen Arbeitsverträge in Organisationen – so eine ökonomische Interpretation. Eine soziologische Interpretation würde die principal/agent-Beziehun-
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Netzwerke sind so etwas wie soziale Versicherungen für gelingende Kooperation, ob im kleinen Maßstab einer informellen fachübergreifenden Zusammenarbeit innerhalb von Unternehmen oder im großen Maßstab der Kooperation von Unternehmen: sie signalisieren ihren Teilnehmern, dass sie es – grosso modo – mit geprüften Kandidaten zu tun haben, denen sie entweder durch Erfahrungen der guten Kooperation vertrauen oder über die sie sich das Vertrauen ‚leihen‘ können über den Zuspruch von anderen, denen man traut. Netzwerke ermöglichen Interaktionen, die angesichts von Unsicherheit und des Opportunismusrisikos in anonymen Beziehungen nicht zustande kämen. Die Mitgliedschaft im Netzwerk bietet dem Akteur Gelegenheit, Erfahrungen mit potentiellen spezifischen Partnern zu sammeln und Beziehungen einzugehen, die verlässliche Wiederholbarkeit erfordern und sich nach und nach intensivieren lassen. Dem in ökonomischen Modellen standardmäßig zugrunde gelegten Misstrauen gegen andere Akteure wird im Netzwerk über Reputationsgrößen und ein Grundvertrauen in den Inklusions-, bzw. Exklusionsmechanismus des Netzwerkes entgegengearbeitet (loyalty systems: vgl. Granovetter 2004: 42). Damit sind gute Bedingungen geschaffen, größere Risiken und Abhängigkeiten in Kauf zu nehmen und entsprechend bessere Ergebnisse bzw. Kooperationsrenten zu erzielen. Mit steigenden Abhängigkeiten intensivieren sich zudem die Vertrauensbeziehungen der Mitglieder, worüber Netzwerkbeziehungen eine selbstverstärkende Dynamik gewinnen. Darüber hinaus ist die Wissensdimension nicht zu vernachlässigen: „Eine auf der Höhe der Zeit befindliche Theorie muss die kognitive Komponente des sich selbst entwerfenden und transformierenden Unternehmens mit seinem an die organisationalen Netzwerke gebundenen Wissenspotential akzentuieren. … Der an das Unternehmen gebundene kollektive Prozess der Wissenserzeugung bleibt wie beim Markt stets gebunden an einen distribuierten Prozess der Kombination von kognitiven und handlungsbezogenen Möglichkeiten, die von den jeweils handelnden Personen unabhängig sind und ihnen weder zuzuordnen noch von ihnen anzueignen sind“ (Ladeur 2002: 180 f.).
Das Denken in Beziehungsnetzwerken, so möchte man dieses Zitat Ladeurs ergänzen, wird ein soziales Milieu, das wir fortan voraussetzen müssen bei allen
gen als einen Versuch der Beschreibung der Ambivalenzen von Netzwerkmanagement ansehen können (denn das, was der Prinzipal nicht regulieren kann, sind die informellen oder Netzwerbeziehungen der Agenten. Harte Steuerung der Agenten durch die Prinzipale zerstört die Netzwerkbeziehungen, aber auf Kosten der Leistungsbereitschaft und Motivation, woraus umgekehrt gefolgert werden darf, dass Management und informelle Netzwerkbeziehungen eine positive Korrelation bilden, die nicht durch Anweisungsattitüden gestört werden darf).
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Formen der Organisationen, der Institutionen, der Unternehmen, der Familien, jeglicher Beziehungen. Ordnung, Struktur, System bekommen neue Bedeutungen – als Netzwerkprozesse: „Organisationen stellen von der hierarchischen Leitunterscheidung ‚oben/unten‘ auf die nachbarschaftliche Unterscheidung ‚innen/außen‘ um (Grenzmanagement, Kundenorientierung, Out- und Insourcing, Supply-Chain-Management, Mergers & Acquisitions und andere). … Märkte werden von atomisierten, zufälligen, anonymen und damit zerfallenden Interaktionssystemen auf hierarchisierte und sich aktualisierende Organisationssysteme umgestellt (Netzwerke und Korporatismus). … Die Kulturdiskussion wird von Unternehmenskultur (Motivation) auf Netzwerk- und Umweltkultur (Social Capital) umgestellt. … Die Unternehmensbewertung wird von Market Capital auf Social, Intellectual und Cultural Capital umgestellt (Beziehungsund Wissensmanagement)“ (Jansen 2004b: 1).
In Vielem laufen diese Thesen (vgl. Jansen/Littmann 2000; Jansen 2004a) zu Boltanski und Chiapello parallel. Das Netzwerk erschließt nicht vollständig die Organisation, vor allem aber nicht das Kapital in seinen vielfältigen, sich gerade erweiternden Extensionen (vgl. die netzwerktheoretische Extension des social capital bei Lin 2003). Boltanski/Chiapello allerdings entfalten eine Theorie des neuen Geistes des Kapitalismus, die eher in der Tradition einer politischen Ökonomie steht, die das progressive wie das Krisenpotential des Kapitalismus untersucht. Sie stehen vor der Frage, wie der Kapitalismus es schafft, die gegen ihn gerichtet Kritik zu verarbeiten – und zwar produktiv in dem Sinne der Zunahme an individueller Autonomie. Boltanski/Chiapello betonen, dass der neue Geist des Kapitalismus nicht nur eine ideologische Nuance ist, sondern „untrennbar mit dem Akkumulationsprozess verbunden, dessen Fortbestand damit gesichert werden soll“ (Boltanski/Chiapello 2003: 553). Das analysiert die Ökonomie von vornherein als positiv, ohne sich der mentalen, moralischen und vor allem sozialen Bedingungen vergewissert zu haben, die die Theorie aufnehmen muss, um der Komplexität dieser neuen Prozesse gerecht zu werden. Nichts anderes sollte dargelegt werden: dass die ökonomische Theorie, als Theorie des Management und der governance, immer schon soziale Bedingungen voraussetzt, die als Netzwerkressourcen explizit gemacht werden können. In diesem Sinne ist Boltanskis und Chiapellos Beschreibung des modernen Kapitalismus als ‚projektbasierte Polis‘ identisch mit den ökonomischen Beschreibungen, wenn wir die Theorie der unvollständigen Verträge um die Theorie der Netzwerkressourcen erweitern.
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4. Netzwerk und Management
Wenn wir uns an Thomas W. Malones anfangs zitiertes manifesto erinnern: „Imagine organizations in which bosses give employees enormous freedom to decide what to do and when to do. Imagine electing your own bosses and voting directly on important company decisions. Imagine organizations in which most workers aren’t employees at all, but electronically connected freelancers living wherever they want to. And imagine that all this freedom in business lets people get more of whatever they really want in life – money, interesting work, the chance to help others, or time with their families“ (Malone 2004; Klappentext),
dann haben wir es mit einer ultra-liberalen Vision der Auflösung großer Organisationen in netzwerkkoordiniert kleine Firmen zu tun, die in ihrer Mischung von Autonomie, Konkurrenz und Kooperation die ‚projektorientierte Polis‘ von Boltansiki/Chiapello in einen transatlantischen Hybrid übersetzen, der die Form einer co-opetition annimmt. Das scheint eine angemessene Form moderner Sozialität zu sein: Konkurrenz und Kooperation parallel oder sequentiell oder zyklisch zu betreiben: in Projekten lose gekoppelt, immer disponiert für etwas anderes (ohne es mit Notwendigkeit anders machen zu müssen).
5. Vertrauen in Organisation 5. Vertrauen in Organisation
Organisationen sind Kooperationsarrangements zur gemeinsamen Leistungserstellung. Um diese Leistungserbringung effizient zu organisieren, wird auf kulturelle Vorleistungen zurückgegriffen: soziale Ressourcen, die weder die Organisation noch der Markt erbringen, sondern voraussetzen. Vertrauen ist eine dieser Ressourcen. Eine ökonomische Theorie der Organisation neigt dazu, auch die Ressourcen in economic terms zu transferieren. Wieweit das gelingen kann, wird zu prüfen sein. Vertrauen ist ein Kredit: ein Vertrauensvorschuss. Folglich ist Vertrauen ein zukunftsoffener Prozess: man gibt, in Erwartung, dass wiedergegeben wird. Vertrauen beruht demnach auf einem Wiedervergeltungsgrundsatz. Den mag man ‚Reziprozität‘ nennen; die Wiedervergeltungserwartung enthält ein implizites Gerechtigkeitstheorem: dass wiedervergolten wird, allerdings ohne Äquivalenzanspruch. Wenn Vertrauen darauf vertraut, dass wiedergegeben wird, kann man selber geben, d.h. eine Vorleistung erstellen ohne explizite Sicherheiten. Vertrauen ist eine implizite Sicherheit. Es geht ausdrücklich erst einmal nicht darum, dass Gleiches mit Gleichem vergolten wird. Natürlich erwartet der, der vertraut, dass er fair behandelt wird. Aber der implizite Vertrag des Vertrauens, wenn wir es so formulieren wollen, misst nicht in Äquivalenzen. Wenn man mehr gegeben hat, als man wiederbekommt, bricht das Vertrauen nicht weg: die Differenz sind die impliziten Transaktionskosten der Gewährleistung, die erwartete Gewissheit, dass man wiederbekommt. Der Nutzen dieser Versicherung lässt das Maß der Wiedervergeltung offen; wir haben es mit einem typischen unvollkommenen Vertrag zu tun. In diesem Sinne ist Vertrauen kein Tauschtheorem; es enthält eine Überschüssigkeit. Vertrauen hat einen atypischen Vertragscharakter: es ist ein protoVertrag oder Vor-Vertrag. Man darf erwarten, dass jemand anderer handeln wird, ohne dass aber bereits ein spezifischer Vertrag abgesprochen ist. Der implizite Versicherungsvertrag des Vertrauens ist eine Art von konstitutionellem Vertrag. Er sichert die Tatsache, dass künftig interagiert wird, nicht aber, was. Zugleich kann man Vertrauen als Vorleistung beschreiben, d.h. als eine Investition, die sich später, als Wiedervergeltung, auszahlen wird. Es gibt keine Maximierungsregel. Man investiert nicht in Vertrauen, um mehr wiederzube-
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kommen; es ist eher ein Gewährleistungsvertrag: dass man überhaupt bedient wird, überhaupt wiederbekommt. In diesem Sinne ist auch die Investitionsanalogie unvollständig: der return on investment erweist sich als – unvollständig beschreibbare – Rückgabe des Einsatzes. Die einfachen ökonomischen Beschreibungen tragen nicht: Vertrauen ist weder Tausch noch Investition. Auch der Kreditbegriff ist nur eine Analogie. Wir haben es mit einer sozialen oder kulturellen Vorleistung vor Transaktionen zu tun. Es ist, vor jeder ökonomischen Beschreibung, eine spezifische soziale Erwartungshaltung. Man erwartet, dass jemand sich so verhält, wie man erwartet. Oder umgekehrt: man verhält sich so, wie man glaubt, dass andere es erwarten, damit sich andere so verhalten, wie man erwartet, dass sie sich verhalten. Vertrauen ist, vor jeder Konkretion, eine spezifische Institution: eine Regelbefolgung. Für Regeln gilt, dass sie befolgt werden, weil jeder, der sie befolgt, erwarten darf, dass alle anderen sie ebenso befolgen. Institutionen sind sui generis vertrauensbasiert. Umgekehrt ist Vertrauen institutional konfundiert. Vertrauen ist so etwas wie die Erwartung sozialer Normierung, bzw. genauer: der Standardisierung von Interaktionen. Wir kennen andere Dimensionen des Vertrauens: die personale Loyalität. Sie ist ein feudales Muster der Unterwerfung: z.B. bedingungsloser Gehorsam gegenüber dem Patron. Die Mafia schließt Opportunismus durch Todesbedrohung aus. Die zuständigen Begriffe sind ‚Treue‘ und ‚Ehre‘. Diese strengen Formen formalen Vertrauens sind kulturell heute randständig geworden. Wir kennen Vertrauen vornehmlich als kulturellen Standard, der die Risiken einer Situationseinschätzung durch Delegation an ‚vertrauenswürdige‘ Prinzipale oder an Regeln/Institutionen zu minimieren versucht. Gegenüber den strengen und formalen Formen personalen Vertrauens, die eine feudale Grundstruktur haben, sind moderne Formen ergebnisoffenen. Man erwartet zwar ein bestimmtes Verhalten der Anderen, ist aber weniger enttäuscht, wenn es nicht eingehalten wird. Vertrauen wechselt von einer strategischen in eine taktische Dimension: Vertrauen ist eher eine Hypothese über Erwartungserwartungen, aber kein unverbrüchlicher, die eigene Ehre rührender Loyalitätskontext. Man vertraut, ist aber ebenso wenig opportunismusüberrascht wie selber austrittsfähig. Modernes Vertrauen hat eine exit-option, die nur schwach sanktionsbewehrt ist. Das heißt, dass wir mit modernem Vertrauen eine eher kurzfristig angelegte Erwartung verbinden, genährt aus den Erfahrungen des Wechsels und der Änderungen. Mental ist das ein großes Problem, weil viele Menschen noch alte Vertrauensmodelle hegen; interessanterweise werden in den kulturstiftende Geschichten der Filme und des TVs häufig feudale Modelle von Vertrauen erzählt: romantische Beziehungen, in denen sich Menschen wechselseitig unverbrüchlich
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die Treue halten. In den Organisationswirklichkeiten haben wir es mit unvollständigen Verträgen zu tun, deren Finale Vertrauensvorschüsse kassieren und andere Erwartungen bedienen, als man sie, vertrauensselig, hegte. Das Vertrauen ist komplexer geworden: eine Mischung zwischen feudalen Modellen und taktischen Vertrauensprozessen auf Zeit. Frau Rippberger hatte Vertrauen auf folgende Art in einen ökonomischen principal/agent-Kontext transferieren wollen: sie definiert Vertrauen als „die freiwillige Erbringung einer riskanten Vorleistung unter Verzicht auf explizite vertragliche Sicherungs- und Kontrollmaßnahmen gegen opportunistisches Verhalten in der Erwartung, dass sich der andere, trotz Fehlen solcher Schutzmaßnahmen, nicht opportunistisch verhalten wird“ (Rippberger 1998: 45).
Vertrauen erwartet nicht-opportunistisches Verhalten. Sie spricht zwar von „freiwilliger Erbringung“, aber im Zusammenhang mit einer „riskanten Vorleistung“ wird hier ein Entscheidungskalkül eingeführt: eine, wenn auch atypische, Risikoentscheidung, Vertrauen vorzuleisten. Damit weist sie dem Vertrauensmechanismus eine funktional äquivalente Rolle eines expliziten Vertrages zu. Im Gegensatz zu expliziten Verträgen, die eine Risikobegrenzung zum Ziel haben, führt Vertrauen, nach der Auffassung Frau Rippbergers, zu einer Risikoabsorption. „Die durch das unsichere Verhalten anderer Akteure bedingte Instabilität der Umwelt wird vom Vertrauenden gewissermaßen verinnerlicht. Wer vertraut, der setzt sich ganz dem Risiko aus, ihn trifft der volle Schaden, der aus solchem Vertrauensbruch resultiert“ (Rippberger 1998: 47).
Rippberger führt exemplarisch das moderne Vertrauen ein, das hypothetisch agiert, mit Vertrauensbruch rechnet. Sie argumentiert indirekt mit einem Anreizmodell: jeder, der vertraut, erwartet, dass andere diesen Opportunismusausschluss ebenfalls goutieren, aber nicht ‚vertrauensselig‘, sondern in einer gewissen Kalkulation des Risikos, dass dennoch opportunistisch von den Erwartungen abgewichen wird. Hier wird Vertrauen durch das erwartete Maß an Opportunismus bestimmt. Die Maxime lautet: Ich vertraue dir, aber nur soweit, wie ich dir dennoch misstraue. Ich nenne das semi-Vertrauen. Es entspricht einem sozial anderswo gezeigtem Verhalten: der coolness. Man ist nicht enttäuscht, wenn man enttäuscht wird. Ich halte Frau Rippbergers Definition für modern, aber in dem Sinne, in dem modernes Verhalten gelernt hat, mit Ambiguität umzugehen: man erwartet etwas, weiß aber, dass die Erwartung kontingent ist. Die Entscheidung, die Frau Rippberger als riskante Vorleistung formuliert, ist eine choice, die ihre eigene Revision mitkonzipiert. Auf dieser Basis bilden sich keine Vertrauens- und keine
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Kooperationskulturen aus, sondern mehr nur taktisch motivierte Simulationen. Wenn wir es vertragstheoretisch formulieren wollen: es sind explizite Verträge mit implizitem Revisionsvorbehalt. Solche Verträge sind nur dort gültig, wo Vertrauen als explizite Entscheidung eingeführt wird. In vielen Fällen aber wird Vertrauen nicht entschieden, sondern einfach eingegangen. Wir haben es mit einem R.A.-Heiner-Effekt zu tun: Wo Unsicherheit dominiert, geht man auf einfache Regeln zurück (rules of thumb). Dieses Theorem beruht auf kognitiver Entlastung. Seltenst sind Akteure in der Lage, eine individuelle Vertrauen/Misstrauen-Relationierung als Entscheidung zu formulieren. Sie lehnen sich an Konventionen und soziale Normen. Die einfache Regel für Vertrauen lautet dann: lehne dich zurück in eine Gefolgschaft – ein feudales Modell der principal/agent-Beziehung. Es bleibt ein Interpretationsraum. Wir hatten Vertrauen zum einen als impliziten, unvollkommenen Vertrag deklariert. Die Nicht-Äquivalenz der Vertrauensrelation beschrieben wir als Transaktionskosten der konstitutionellen oder Interaktionsgewährleistung. Zugleich aber hatten wir Vertrauen als kulturelle Ressource beschrieben, die dem Markt wie Organisationen aus der Gesellschaft zugeliefert werden. In diesem Sinne wird Vertrauen als Vorleistung vorausgesetzt, ohne in ökonomischen und organisatorischen Mechanismen selber produziert zu werden. Folglich ist Vertrauen in dieser Diktion keine ökonomische Kategorie. Das hat Konsequenzen: wenn Vertrauen eine kulturelle Vorleistung ist, sind die Entscheidungen, Vertrauen zu leisten, begrenzt. Wir erwarten dann Vertrauen als mitlaufende Qualität aller Kontrahierungen im ökonomischen Kontext, ohne sie explizit zu machen oder explizit machen zu müssen. Folglich sind ökonomische Beschreibungen, die Vertrauen als Verträge – explizite oder implizite – definieren, fragwürdig, weil sie ein Selbstbewusstsein der Akteure voraussetzen, ihre kulturelle Basis explizite zur Entscheidung zu stellen. Vertrauen als impliziten Vertrag zu definieren, erleichtert die methodische Sache, wenn wir, mit D.C. North, das als eine Beschreibung von Moral, Sitten, Gebräuchen, also dem ganzen kulturellen Arsenal verstehen können. Allerdings ist auch dieser Versuch, non-economic terms in vertragstheoretische zu übersetzen, angreifbar, weil die Tatsache, dass bestimmte kulturelle Standards gelten, keine individuelle vertragliche Entscheidung begründen kann, außer ich hätte die Wahl, diese Standards gegen andere abzuwählen. Vertrauen als kulturelle Ressource ist sui generis keiner individuellen Entscheidung fähig. Wenn wir hier von impliziten Verträgen reden, tun wir so, wie in der Hobbesschen Tradition, dass wir das vertraglich vereinbaren, was sowieso schon gilt. Dennoch macht die Redeweise von impliziten Verträgen Sinn, wenn wir Vertrauen als einen Prozess begreifen, der durch seine jeweilige Inanspruchnah-
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me bestätigt, was erst einmal – implizite – vorausgesetzt wurde. Immer dann, wenn wir uns wieder vertrauen, bestätigen wir die kulturelle Geltung im je konkreten Fall, d.h. erst von hier an produziert die Wirtschaft Vertrauen in dem Sinne, dass sie die kulturelle Ressource in ihren Prozessen spiegelt und der Gesellschaft die Geltung dieser Ressource bestätigt. Jede Inanspruchnahme von Vertrauen in economic processes reproduziert die kulturelle Voraussetzung innerhalb des ökonomischen Systems. Jetzt gilt es zu prüfen, inwieweit es spezifische Formen des Vertrauens innerhalb der Ökonomie gibt, die eine Extension der Kultur des Vertrauens bedeuten könnten. Und die nicht allein auf der kulturellen Zulieferung mehr beruhen. Wir haben es mit einer kulturellen, nicht-ökonomischen Basis zu tun, mit ökonomischen Spitzen, um die Analogie des Eisberges zu bemühen. Das ökonomische Vertrauen bleibt kulturell fundiert, eine komplexe Asymmetrie: Vertrauen ist eine kulturelle Basis von ökonomischen Transaktionen, erst das Misstrauen bringt ein ökonomisches Kalkül ins Spiel. Inwieweit darf ich, als Akteur, der kulturellen Geltung de facto vertrauen? Ökonomie versucht, ein Vertrauensmaß zu eruieren. Allgemeiner formuliert: Darf man Vertrauen vertrauen? Sie sehen, Ökonomie ist eine skeptische Wissenschaft. An Frau Rippbergers Definition hatten wir bereits gesehen, dass die entscheidende Relation eine Vertrauen/ Misstrauen-Relation ist. Erst hierüber kommen Entscheidungsbemessungen ins Spiel. Die ökonomische Explikation von Vertrauen verbindet sich mit der Variante, die wir vorhin die moderne genannt haben: die taktische und die aktive. Sie formuliert die Ambiguität, die modern dem Vertrauen entgegengebracht wird. Damit ändert sich aber der Modus: Vertrauen braucht offene Erwartung, dass es Geltung hat. Indem ich Vertrauen expressis verbis danach bemesse, ob es sich lohnt (und gar, in welchem Maße), lädiere ich die Qualität des Vertrauens. Wir beginnen, so denkend, eine kulturelle Transformation des Vertrauens. Es entstehen neue mentale Modelle (die sich natürlich, unübersichtlich, mit den alten mischen). Die Antwort lautet nicht, die alte Qualität zu retten, sondern diese Transformation von unbedingtem in bedingtes Vertrauen zu rekonstruieren. Für Organisationen stellt sich die Frage, inwieweit die Tatsache, dass Akteure nurmehr taktisch und hypothetisch vertrauen, die Kooperationsqualität beeinträchtigt. Klassisch, wenn ich so reden darf, setzen wir voraus, dass in Organisationen bestimmte kulturelle Standards wie selbstverständlich mitlaufen. Organisationen sind kulturell eingebettet: durch die Erziehung, die kulturellen und sittlichen Muster, die die Mitarbeiter aus der Gesellschaft mitbringen, durch den Glauben etc. Zu einem spezifischen Managementthema werden diese Voraussetzungen gewöhnlich erst, wenn wir es mit diversity-Problemen zu tun haben: kulturelle Heterogenität durch differente Ethnien, durch starke Alters- und
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Geschlechterdifferentiale etc. Plötzlich wird das, was selbstverständlich galt, zu einem Thema der Gestaltung. Auch macht sich die Individualisierung in der Gesellschaft organisatorisch bemerkbar: durch Erwartungsdifferenzierungen, non-standard behaviour etc. Organisation braucht von nun an Integration, Ausbildung eigener Standards, weil man sich auf die Kohärenz der kulturellen Standards nicht mehr verlassen kann. Das geht bis in triviale Dinge hinein: Ordnungssinn, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Respekt, Leistungsbereitschaft etc. Dass wir heute die Fragen der Werte im Unternehmensorganisationskontext thematisieren, ist keine Frage marginaler Moralität, sondern das Ergebnis kultureller Heterogenität innerhalb der Gesellschaft. Das Vertrauen, das wir hier erörtern, ist nur ein Beispiel. Die Werte verschwinden nicht, aber sie differenzieren sich aus. Wenn wir vordem kulturelle Standards als Zulieferung der Gesellschaft betrachten konnten, müssen wir jetzt die Standards in den Organisationen erst erzeugen. Corporate identity ist der Name für dieses Anforderungspaket, das als Prozess einer corporate integrity erst erarbeitet werden muss. Das bedeutet neue Anforderungen an das Management: governance als Führung. Wir haben es hier nicht mit Managementmoden zu tun, sondern mit einer Verschiebung der kulturellen Matrix, die nicht nur die Organisation erfasst, sondern sie dazu nötigt, das, was man früher voraussetzen musste, nunmehr selber mit zu produzieren. Organisationen wandeln, um es ein wenig apodiktisch zu sagen, von Kulturnachfrager zum Kulturanbieter. Organisationen haben noch ein spezifisches Problem: sie müssen Kooperation arbeitsteilig organisieren und managen. Dazu bedienen sie sich, neben dem klassischen Instrument der Hierarchie und Autorität, der Anreize. Anreize bilden eine spezifische ökonomische Kultur in Organisationen aus. Sie ersetzen (oder ergänzen) intrinsische Motivationen der Leistungsbereitschaft (mein Vater, ein Schriftsetzer, hätte Leistungsanreize als despektierliche Missachtung seiner Kompetenz angesehen. Er wollte ein ‚anständiges‘, d.h. faires Gehalt; für mehr Arbeit würde er nicht bezahlt bekommen wollen. Er wollte Reputation). Je stärker Anreize die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter evozieren, desto weniger werden Manager angehalten, die über Anerkennung und Reputation laufende Motivierungsarbeit zu betreiben. Folglich werden Manager selber falsch angereizt: zur Vernachlässigung kultureller Standards von Organisationen bzw. des intrinsischen oder sozialen Kapitals. Soziales Kapital ist hier der Name für die Bereitschaft von Mitarbeitern, Leistungsflexibilität ohne explizite Kompensationen zu zeigen, weil sie ihrem Unternehmen Vertrauen schenken. Dieses Vertrauen kann u.a. darin bestehen, dass sie generell fair behandelt werden, dass sie nicht leichterdings entlassen werden, dass ihre Arbeit hoch wertgeschätzt wird etc. Dominante Anreizkulturen – das signifikante Beispiel sind gerade aktuell Bankorganisationen – lädieren kulturelle Standards, auf die nicht mehr zu-
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rückgegriffen werden kann, was den Aufwand, Kooperation zu managen, erheblich erhöht. Dass die Banken sogar das Vertrauenskapital ihrer Anleger entwerten, ist eine dramatische Konsequenz, die zu einer Überprüfung z.B. der Relevanz von principal/agent-Theorien anraten lassen müsste, inwieweit sie Balancen von Anreizen und Motivationen herstellen lassen. Ich will das am Beispiel der kulturellen Ressource Vertrauen explizieren. Anstelle der obigen Unterscheidung zwischen feudalem und modernem Vertrauen setzte ich hier eine andere: zwischen passivem und aktivem Vertrauen. Rippbergers Definition enthält ein Moment des aktiven Vertrauens, das fragt: lohnt sich Vertrauen? So kann man fragen, wenn man entscheiden kann, ob man vertraut oder nicht. Konventionelles Vertrauen ist passiv: man lehnt sich in eine soziale Norm zurück, folgt hier unbedingt. So bleibt man entscheidungsfrei, delegiert seine mögliche Entscheidung an einen leader, ist aber dann auf eine Erwartungshoffnung reduziert. Der leader trägt das Risiko der Enttäuschung. Die Lage ist eher emotional denn rational. Wenn wir aktives Vertrauen unterstellen, haben wir es mit zwei Dimensionen zu tun: (a) über eine Einschätzung der Reputation dessen, dem man vertraut und (b) über eine Einschätzung der Regelgeltung. Hierzu bedarf es sozialer Kompetenz von Mustererkennungen. Fall (a) und (b) haben einen Zwischen-Fall (c): die Reputationseinschätzung kann über die Qualität eines Regelmonitoring gehen. Man schätzt jemanden hoch ein, weil er in der Lage ist, Regeln gut zu managen oder deren Einhaltung gut zu supervisionieren. Gute Regelmoderation ist eine governance-Qualität von Führung, kein Charaktermerkmal. Wir müssen hier wieder alte mentale Modell ausselegieren: als ob der, dem man vertraut, besonders guten Charakters, besonders guter Menschlichkeit etc. sei, in summa ‚vertrauenswürdig‘. Das sind psychologische Zuschreibungen, die die soziale Qualität unzureichend beschreiben. Wir brauchen vielmehr Transparenz und Kommunikation von Regelgeltung, um eine Verfahrenssicherheit zu erreichen bzw. fairness durch Verfahren. Es geht um postheroisches Management (um eine Formulierung Dirk Baeckers zu verwenden). Nicht der Charakter desjenigen, dem man vertraut, ist signifikant, sondern seine governance-Kompetenz, Regeln zu moderieren. Im Grunde geht es um organisationale Ordnungsmoderation. Vertrauen kann nicht als Ressource wie selbstverständlich vorausgesetzt werden, sondern muss ständig durch das Management prozessual erworben und kontinuiert werden. Hier kommen die Momente zum Tragen, die wir oben, allgemeiner, dargelegt hatten: Wiedervergeltung, Reziprozität, fairness. All das sind Interaktionsprozesse, die vom Management bewusst und gut gehandhabt werden müssen. Das ist die Basis guter Führung. Wir wissen ja inzwischen, dass Anreize, die die fairness verletzten, nicht greifen. Wir brauchen Manager, die die
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Anreize mit fairness in der Handhabung verbinden: denen wird vertraut, weil sie Regeln durchsetzen, und weil man erwarten darf, dass sie nachhaltig gelten. Ich halte Regelkompetenz für die wichtigste moderne organisationale Maxime (gerade und auch bei Managerwechsel). Relationale Verträge sind systematisch unvollständige Verträge. Bei Vertragsschließung (ex ante) lassen sich nicht alle Leistungsanforderungen klären; ein Teil kann nur in processu geklärt werden. Dazu bedarf es dann Instanzen: je spezifischer governance structures. Vertrauen in Organisationen erwartet good governance, d.h. eine faire und maßvolle, d.h. reputierliche Schließung der Unvollkommenheit der relationalen Verträge. Die (relationalen) Arbeitsverträge sind in diesem Sinne transjuridisch und zugleich transökonomisch. Die Unternehmensorganisation wird in einer strengen Verrechtlichungsmatrix ebenso unbeweglicher wie in einer reinen Effizienzmatrix. Reine Effizienzmatrix meint hier den Umstand, dass z.B. Angestellte einer Bankorganisation wöchentlich Leistungsziffern belegen müssen, die sie nötigen, statt Kunden auf nachhaltige Anlagebindungen hin zu beraten, ihnen ‚strukturierte‘ Produkte anzubieten, deren Risiken weder sie noch ihre Kunden, die sie eigentlich daraufhin beraten sollten, wissen. Das Dilemma der Sachbearbeiter ist ein Demotivator: Relationale Arbeitsverträge werden ständig im Organisationsfluss neu interpretiert und calibriert. Sie beruhen auf einem Prinzip dynamischer Gerechtigkeit, d.h. auf Vertrauen. Wenn dieses Vertrauen durch eine Anreizdynamik auf Tauschäquivalenz umgestellt wird, wird jede Arbeitsflexibilisierung daraufhin bewertet, ob sie monetär genau ausgeglichen wird. Im Fall der Äquivalenzverletzung, d.h. bei beobachteter unfairness, beginnt Leistungsretardierung und Demotivation. Dominieren Anreizssysteme, dezimiert sich der Vertrauensvorschuss der Mitarbeiter, Leistung ohne Kompensation zu variieren, auf Leistungsauszahlung. Statt Vertrauen arbeitet die Organisation jetzt auf der Basis von Misstrauen: man erwartet nur noch, dass Leistungen, die nicht exakt notiert und prämiert werden, nicht entgolten werden. Eine solche – offene oder latente, d.h. vom Management gar nicht beobachtbare – Misstrauenskultur entwertet das social capital bzw. das Leistungspotential der Kooperation einer Organisation. Damit schwindet aber auch der Spielraum der Manager, Mitarbeiter zu motivieren – mit der indirekten Folge des schnellen Wechsels der Manager, die ihre Karrieren nicht mehr über nachhaltige Motivation von Teams optimieren, sondern durch Flucht, bevor die Konsequenzen ihrer Handlungsbeschränkungen offenbar werden: ich nenne das de-management. Das übrigens setzt, nebenbei, voraus, dass wir es mit zeitintransigenten, d.h. über die Zeit stabilen Teams zu tun haben. In den heutigen Organisationsdynamiken hingegen sind stabile Teams nicht mehr gewährleistet, womit eine kulturelle Voraussetzung für Vertrauen entfallen kann. Man lernt sich nicht mehr
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hinreichend kennen, um diese personale Form des Vertrauens auszubilden (proximity). Umso bedeutsamer werden die institutionalen Formen. Vertrauen ist eine auf Reziprozität ausgelegte Erwartung auf der Basis einer Motivation, Vor-Leistungen zu erbringen, die später anerkannt werden bzw. den Status in der Organisation festigen oder erhöhen. Vertrauen wird folglich explizit nicht über Anreize formiert, sondern über gewährleistete Gegenseitigkeit, d.h. über Vertrauen. Wenn wir auf die Zwischenargumentation zurückkommen: Organisationen sind Bündel relationaler, d.h. unvollkommener Verträge. Die Differenz zwischen formalem oder explizitem Arbeitsvertrag und tatsächlich organisatorisch angeforderter Leistung beruht auf dem Vertrauen, über die Zeit nicht überfordert zu werden, fair behandelt zu werden, angemessen gewürdigt zu werden etc. Wenn das Management des fair gewährleistet wird, sind die Mitarbeiter bereit, ihr Wissen und ihre Intelligenz für flexible Organisationslösungen bereitzustellen. Vertrauen evoziert Wissenspotentiale, die durch Anreize nur partiell oder nur durch deren Steigerung eingesetzt werden. Vor allem forciert Vertrauen soziale Intelligenz, d.h. kooperative Lösungen. Man muss sich nicht individuell bewähren, in Konkurrenz zu anderen. Wenn alle Mitarbeiter Vertrauen haben, müssen sie sich nicht kompetitiv abarbeiten, weil sie einer allen geltenden Regel folgen können. Vertrauen, als impliziter Vertrag, hat den Modus eines contractus collectivus. Er gilt für alle gleich (und gerade auch, wenn die individuellen Reziprozitäten unterschiedlich sein werden. Er ist eben ein constitutional contract, kein individueller). Hier schließt sich die Vertrauensthematik an die des social capital an. Vertrauen ist die organisatorische Disposition für institutional verfasste Kooperationsdesigns, weil Vertrauen Reziprozität einschließt. Dass durch Vertrauen erzeugte social capital einer Organisation ist ein synergetischer Operator, der durch individuelle Anreizsteuerung selten erreichbar ist (weil dann immer das Problem der Verteilungsgerechtigkeit, der Bevorzugung einzelner, der Kriterien der Leistungsbemessung, der managerialen Willkür etc. entsteht). Komplettiert Vertrauen unvollständige Verträge? Die transaktionskostentheoretische Argumentation subsumiert Vertrauen unter jene impliziten Verträge, die kostensenkend operieren. Was man ex post so rekonstruieren mag, ist ex ante nicht von vornherein gegeben. Da Vertrauen auf Vertrauen reziprozitär aufbaut, ist die effektive Gewährleistung des Vertrauens als Verhaltensregel entscheidend. Vertrauen ist eben keine sui generis wirksame Ressource der Organisation, sondern kann nur durch Vertrauensvorschuss evoziert und durch Vertrauensbestätigung produziert werden. Folglich ist Vertrauen, als impliziter Vertrag, selber relational, d.h. unvollständig oder offen. Demnach kann der implizite Vertrag den expliziten nicht komplettieren oder vervollständigen, jedenfalls nicht automatisch. Wenn wir davon ausgehen
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dürfen, dass Organisationen Bündel von unvollständigen Verträgen sind, dann ist Vertrauen eine zusätzliche Dimension, die als sub-contract in die Organisation eingewoben wird. Vertrauen ist dann ein sub-contract, der die gewöhnlichen unvollständigen Verträge schließen hilft, obwohl Vertrauen als Prozess selber unabgeschlossen ist. Wenn wir Vertrauen in Organisationen thematisieren, müssen wir mit dieser Paradoxie umgehen. Vertrauen wird hypothetisch in Einsatz gebracht, als Vertrauensvorschuss. Diese Investition in ein social capital muss irgendwann einen return on social investment erbringen: ein social outcome. Die temporale Differenz muss überbrückt werden, als Gewährleistung des returns über die Zeit. Das ist die institutionale Bedingung der Geltung von Vertrauen (wie überhaupt erst iterative Prozesse die Geltung produzieren, ein zweiter Temporalmodus bei Vertrauensprozessen). In diesem Sinne hat Vertrauen als Reziprozitätsdesign zwei Stadien. Die Vorleistung bzw. Investition (Stadium I) und den return bzw. die Bestätigung der Angemessenheit der Vorleistung (Stadium II). Erst dann bestätigt sich das investierte Vertrauen und schlägt nicht in Misstrauen um. Erst dann geraten wir in eine Situation der Nachhaltigkeit von Vertrauen, und kommen aus der Rippbergerschen Vertrauen/Misstrauen-Abwägung heraus (die solange realistisch ist, solange Vertrauen immer nur Projektcharakter hat aber nicht empirische Geltung über Zeit). Erst dann können wir von einem fundierten social capital sprechen, als Kooperationsattraktor einer Organisation, als eine tatsächliche corporative integrity. Vertrauen ist ein atypischer unvollkommener Vertrag: er ist, als Vorschuss, ein Vertragsentwurf, der sich erst in der, über die Zeit realisierenden, iterativen Bestätigung und Reziprozität als gültig erweist. Als dieser atypische, unvollständige implizite Vertrag kompensiert Vertrauen die typischen relationalen Verträge erst dann, wenn er selber expliziert wird. Wir haben es weder mit einem Automatismus noch mit einem Instrument zu tun, sondern mit einem autoreferentiellen oder emergenten organisatorischen Mechanismus. Erst wenn Vertrauen bestätigt wird (durch Vertrauen), bildet sich eine Organisationskultur heraus, die unvollständige Verträge als notwendige Flexibilitätsbedingung des eigenen Mitarbeitens anerkennt und gegebenenfalls situationale Überforderung positiv nimmt und intelligent beantwortet. Dann sind Mitarbeiter bereit, Verantwortung zu tragen über das Maß des explizit Vereinbarten hinaus. Vertrauen kompensiert die Unvollständigkeit der relationalen Verträge nur dann, wenn es gelingt, Vertrauen aufzubauen in die Geltung fairen Managements: organisational fairness, value mangement, compliance etc., das sich als konstitutioneller Wert der Organisation bewährt. It depends. Es kommt auf die social competence of management an. Um Vertrauen stabil zu etablieren, bedarf
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es einer organizational awareness, die viele Manager sui generis nicht mitbringen und nicht ausgebildet bekommen haben. Wenn man keine Manager hat, die hier sensibel agieren, hat man das Thema bereits verspielt, bevor es Thema wird.
6. Theorie der Organisation: Gender-Markierung 6. Theorie der Organisation: Gender-Markierung
„Two important problems face a theory of economic organization – to explain the conditions that determine whether the gains from specialization and cooperative production can better be obtained within an organization like the firm, or across markets, and to explain the structure of the organization“ (Alchian/Demsetz 1972: 777).
Unternehmen, obgleich in Märkten operierend, sind selbst nicht marktlich organisiert. Die Form der Organisation antwortet auf verschiedene Koordinationsund Kooperationsanforderungen verschieden. Die Organisation ökonomischer Prozesse ist mit Kosten verbunden. Märkte und Hierarchien sind, nach Coase, alternative Mechanismen zur Koordination hinsichtlich dieser Kosten. „Der Markt hat kein Ziel, sondern erfüllt eine Funktion. Unternehmen hingegen werden gegründet, um kollektive und individuelle Ziele zu verfolgen. Der Erfolg des Marktsystems beruht auf der Exklusion von Personen, der von Unternehmen auf deren Inklusion“ (Wieland 1998: 21).
Die Inklusion von Frauen – oder, im Gender-Kontext präziser: die Inklusion der Differenz im Geschlecht – ist dann eine legitime und erfolgsgenerierende Managementaufgabe. Die neue Organisationsökonomik ist mikroanalytisch orientiert (statt der Firma ist die Transaktion die Basiseinheit) und verfügt über klare und realistische Verhaltensannahmen (beschränkte Rationalität und Opportunismus statt vollständige Rationalität). An die Stelle des homo oeconomicus tritt ein organizational man, der kognitiv schlechter (beschränkte Rationalität) und motivational komplexer (kalkulierender Opportunismus) ausgestattet ist. Weiterhin berücksichtigt die angestrebte Organisationstheorie den Faktor kooperationsspezifischer Investitionen (asset specifity), definiert Effizienz im Kontext komparativer und adaptiver Institutionenanalyse (statt als Maximum einer Variablen), modelliert die Firma als governance-Struktur (und nicht als Produktionsfunktion), fokussiert die Bedeutung von ex post-Vertragsproblemen und privaten Vereinbarungen zur Lösung dieser Probleme (lehnt also die universale Idee vollständiger Verträge und rechtlicher Erzwingbarkeit ab), verfügt über eine interdisziplinäre Perspektive und folgt der Überzeugung, dass die Ökonomisierung von Transak-
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tionskosten der entscheidende Gesichtspunkt bei der Untersuchung von Organisationen sei.1 „Organisation im Sinne einer Form (und nicht im Sinne interner Arbeitsabläufe oder eines Regelwerks) wäre so etwas wie eine wohldefinierte Menge vernetzter Transaktionen und als solche Gegenstand einer vertragstheoretischen Organisationsökonomik.* Genau hier liegt dann auch ein Teil der Schnittmenge mit einer Charakterisierung der Firma als Netzwerk expliziter und impliziter Verträge oder ‚treaties‘.** Für die Neue Organisationsökonomik ist der Markt eine Koordinationsform, die ex postLeistungen auf Nachfrage zurechnet. Die Organisation hingegen ist eine Kooperationsform, die auf ex ante zugestimmte Regeln zur Erbringung einer Leistung basiert, deren beider Einhaltung ex post zum Problem werden kann“ (Wieland 1996a: 115).2
Wieland betont die Kooperationsleistung der Organisation; er erweitert die kontraktualistischen Konzepte der theory of the firm, die wesentlich anreizgesteuert arbeiten, um eine Dimension der Steuerung von Werten, soft facts und Moralen. Denn es reicht zur Erklärung der Funktion und Grenzen von Unternehmensorganisationen nicht aus, auf incentive-kompatible Koordinationen zu verweisen, weil unklar bleibt, wie die Bindungen der Mitarbeiter über längere Zeit stabil bleiben. „Versteht man das Problem der Koordination ökonomischer Aktivitäten in erster Linie als Problem der Verhaltensbindung der beteiligten Akteure, steht die Frage im Mittelpunkt, auf welche Weise die Existenz einer Unternehmung und ihrer Grenzen einerseits sowie ihre Organisationsform andererseits die Handlungen und Verhaltensweisen dieser Akteure beeinflusst und steuert. Grundsätzlich lassen sich zwei Möglichkeiten denken: Erstens, die Anreizlage wird durch eine unternehmensinterne Koordination verändert, oder zweitens, die Motive, Bewertungen und Einstellungen der Akteure werden in einer systematischen Weise beeinflusst“ (Mücke 2002: 20).
Osterloh und Frost z.B. unterscheiden Wissen und Motivation als entscheidende Steuerungsressourcen der Unternehmung (vgl. Osterloh/Frost 2000: 205 ff.). Die Organisationsökonomik kennt das Problem bereits: als Problem des tacit knowledge. Wissen ist zu unterscheiden nach 1. individuellem Wissen der Mitarbeiter, 2. organisatorischem Wissen (die Relevanz für das glass ceiling; vgl. Osterloh/ Folini 2002). 1 Wieland formuliert: „Knapp zusammengefaßt kann man wohl sagen, daß die wesentlichen ökonomischen Beiträge zu diesem interdisziplinären Projekt die vertragstheoretische Orientierung, die kombinierten Verhaltensannahmen des Opportunismus und der beschränkten Rationalität, die Faktorspezifität, Unsicherheit und Häufigkeit von Transaktionen als entscheidende Dimensionen, und eben die Ausrichtung auf die Transaktion als Grundeinheit der Untersuchung ist“ (Wieland 1996: 115). 2 * Vgl. Williamson 1993: 484, Fn. 128; ** vgl. Aoki/Gustafson/Williamson 1990.
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6. Theorie der Organisation: Gender-Markierung „Knowledge is a fluid mix of framed experience, values, contextual information, and expert insight that provide a framework for evaluation and incorporating new experiences and information. It originates and is supplied in the mind of knowers. In organizations, it often becomes embedded, not only in documents or repositories, but also in organizational routines, processes, practices and norms“ (Davenport/Prusak 1998: 5).
Diese organisatorischen Routinen etc. sind das tacit knowledge der Organisationen; Nelson und Winter nennen sie auch „das Gedächtnis der Organisation“ (vgl. Nelson/Winter 1982: 103 ff.). Das Wissen von Organisationen ist nicht als Information aufrufbar, sondern ein Kooperationsergebnis, das nur durch Kooperation und Kommunikation in der laufenden Kooperation verfügbar wird und bleibt. Wissensökonomien, beschreibt Wieland diesen Zusammenhang, fokussieren Problemstellungen „organisatorischer Koordination und Kooperation, namentlich die der Kontrolle, Steuerung und Führung von Kooperationsbeziehungen zur Erzeugung und produktiven Nutzung von Wissen. Denn die Wissensökonomie basiert ja auf Ressourcen, eben dem individuellen und organisatorischen Wissen, dessen Erzeugung und Nutzung in kooperativen Prozessen immer auch eine moralische Seite hat, nämlich die Kooperation von Akteuren in und mittels Organisationen“ (Wieland 2002a: 7).3
Wieland geht auf ressourcenorientierte Theorien der Unternehmung zurück, die die Entwicklung nachhaltiger Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens aufgrund singulärer und unternehmensspezifischer Ressourcenbündel begründet. „Die Heterogenität von Ressourcen bildet einen wesentlichen Eckpfeiler. Heterogene Unternehmensressourcen werden jedoch erst dann zur Grundlage eines nachhaltigen Wettbewerbsvorteils, wenn sie folgende vier Eigenschaften aufweisen: 1. Generierung von Wert bzw. Nutzenstiftung, d.h. die Kunden müssen bereit sein, für den durch diese Ressource begründeten Zusatznutzen zu bezahlen, 2. Knappheit bzw. Unternehmensspezifität, 3. Nicht-Substituierbarkeit und 4. Nicht-Imitierbarkeit“ (Osterloh/Frost 2000: 201).
Wenn in modernen Märkten Wissen zur entscheidenden Ressource wird, die die Wettbewerbsvorteile nicht nur durch die Spezifität des Wissens, sondern auch durch seine interne Generierbarkeit gewährt, was voraussetzt, eine Kooperati3 Zur governance-Konzeption beachte man auch Williamson (vgl. Williamson 1985: 72 ff.), wo eine Unternehmung als System vereinheitlichter Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen (‚unified governance‘) beschrieben wird.
6. Theorie der Organisation: Gender-Markierung
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onsatmosphäre geschaffen zu haben, in der die Mitarbeiter ihr implizites Wissen motiviert einsetzen und weiterentwickeln (vgl. Osterloh/Frost 2000: 204 ff.), dann haben wir es mit anderen governance-Strukturen zu tun als im klassischen Management. Osterloh und Frost schlagen vor, das „Steuerungsrepertoire einer Organisation“ durch mindestens drei Elemente zu beschreiben:
Koordinations-, Orientierungs- und Motivationsrepertoire (vgl. Osterloh/Frost 2000: 210 ff.).
Wieland nimmt sich der Orchestrierung dieses Nexus‘ an. Eine „vollständige Transaktionskostentheorie“ ist „ohne den Einbezug der Bedeutung moralischer Kommunikation für das Verhalten von Wirtschaftsorganisationen nicht zu haben. Das scheint sich … in einem besonderen Maße auf die personalen Relationen innerhalb der Firma zu beziehen. Effizienz macht hier sozusagen nur eine Hälfte des Kooperationsproblems aus, Integrität, Würde und Vertrauen die andere“ (Wieland 1996a: 116; vgl. auch Williamson 1986: 177).
Kooperationsprojekte (Unternehmen) sind durch das gemeinsame Interesse an höheren Erträgen durch die Zusammenlegung der individuellen Ressourcen und der damit zugleich existierenden Möglichkeit, sich die Erträge der Ressourcen des Kooperationspartners kostenlos anzueignen, charakterisiert. „Letztere Möglichkeit läßt sich nicht allein durch Kontrollmechanismen unterbinden, sondern ist angewiesen auf Merkmale personaler Identität wie Integrität, Loyalität, Arbeitsethos und Ehrlichkeit“ (Wieland 1998: 18). Die Williamsonsche theory of the firm greift mit ihrer ausschließlichen Koordination betrieblicher Entscheidungsprozesses durch Beherrschungs- und Überwachungssysteme zu kurz (vgl. auch Beschorner 2002: 122). Unpersönliche Koordinationsmechanismen „haben die immanente Tendenz, personale Identität, also Kooperation, durch Generalisierung zu verdünnen. Aber nur Personen, denen eine Identitätsbildung gelingt, sind kooperationsfähig. Diese Antinomie zu prozessieren ist das Fundamentalproblem jedes Unternehmens“ (Wieland 1998: 18).
Wenn Gender in Organisationen relevant wird, ergänzen wir hier, werden Geschlechterfragen Identitätsfragen, was Organisationen insoweit tangiert, als gelingende Identitätsbildung effektivere Motivationsmuster generiert.
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6. Theorie der Organisation: Gender-Markierung
Wir befinden uns in dem Entwicklungsprojekt der Organisationstheorie, das Dirk Baecker die „Wiederentdeckung der Organisation als soziales System“ (Baecker 2003b: 102) nennt. Insbesondere die sogenannte Managementphilosophie (vgl. Tom Peters, Waterman etc.) „stellt den Grundgedanken der Betriebswirtschafts- und Führungslehre um von Rationalität … auf Motivation“ (Baecker 2003b: 102).4 In Wielands transaktionskostentheoretischer Terminologie heißt das: „Unter der Bedingung von beschränkter Rationalität, hoher Faktorspezifität und Kontingenz in langfristig angelegten Vertragsbeziehungen sind die Erträge aus antiopportunistischen Programmen (umgekehrt proportional zu den Kosten aus Opportunismus) potentiell hoch“ (Wieland 1996a: 75).
Wenn Gender in den Kommunikationen der Organisation thematisiert wird, werden Motivationsfragen an die Anerkennung von Geschlechteridentität gekoppelt. Neue Zuschreibungen entstehen: die ehedem als defekte Partien interpretierten Teile unvollständiger Verträge von Frauen werden jetzt als kompetenzspezifische Vertragsunvollkommenheiten reinterpretiert. Das ist eine Volte, die nur im theoretischen Frame der theory of the firm möglich ist, in der unvollkommene Verträge die Basis von Management und governance bilden. Wieland analysiert keine Gender-Themen. Wir nehmen nur seinen Ansatz zu Hilfe. Der Hinweis liegt in der Untersuchung verschiedener Organisationslogiken: „Die Wirtschaft ist ein informationell und semantisch geschlossenes System, ihre Organisationen sind genau das nicht“ (Wieland 1996a: 81). Folglich sind Organisationen der Gender-Frage generell offen gegenüber. Schließungen des Gender-Themas sind keine organisationspezifischen Schließungen; sie haben durchaus andere Gründe. Wenn wir die Prädikation ‚moralisch‘ auf die Frage der Interaktion von Geschlechtern herunterbrechen, haben wir mit der governance -Ethik, wie Wieland sein ausgeweitetes institutionenökonomisches Konzept einer theory of the firm nennt, eine Folie einer neuen Gender-Betrachtung innerhalb von Organisationen. „Der Sache nach geht Governanceethik davon aus, dass der moralische Aspekt einer wirtschaftlichen Transaktion entweder durch individuelle Selbstbindung (IS), informale Institutionen (IF), formale Institutionen (FI) oder organisatorische Koordinations- und Kooperationssysteme (OKK) gesteuert werden kann“ (Wieland 2002a: 7, Fn. 6).
4 Baecker führt hier zudem noch an: ‚Unternehmenskultur‘ und ‚Wissen und Lernen‘.
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Es geht nicht – um das deutlich zu sagen – um Moralisierung von z.B. GenderFragestellungen, sondern um analytische Dekonstruktion von Moral in Steuerungsfragen der Organisationen oder der Individuen. Wieland setzt andere Fokusse als Osterloh/Frost, bleibt der Institutionenökonomik näher. Wieland definiert ethische und soft-skill-Fragen als Fragen einer Kooperationsökonomik (vgl. Wieland 1998). Wir arbeiten mit einem corporate governance-Konzept, d.h. mit einer Steuerungsstruktur zur Abwicklung ökonomischer Transaktionen oder Austauschbeziehungen in, zwischen und mittels Unternehmen. „Eine solche Steuerungsmatrix setzt sich zusammen aus Regeln und organisatorischen Einrichtungen zur Führung und Kontrolle eines Unternehmens. Die Regeln können dabei sowohl formaler als informaler Natur sein. Gesetzliche Rahmenbedingungen und unternehmensspezifische Anweisungen, Leitlinien und Verfahren gehören in die erste, Unternehmenskultur und Unternehmenswerte in die zweite Kategorie“ (Wieland 2002b: 2).
Es geht in Unternehmen nicht darum, ob moralische Fragen und Werte relevant sind, sondern welche. Wir gehen die Frage der soft factors als Faktum ungeklärter Relevanz an, als Teil des tacit knowledge der Organisationen. Werte und moralische Vorstellungen sind handlungs- und verhaltenssteuernde informale Institutionen. Wielands Konzept analysiert ökonomische und moralische Anreizsysteme (vgl. Beschorner 2002: 126). „Die Handlungen von Mitgliedern einer Organisation lassen sich demnach nicht allein durch Direktion und Kontrolle, durch Anreize und Sanktionen, sondern grundlegend auch durch Werte – Einstellungen, Haltungen, Überzeugungen – steuern. Sie sind … informale Governancestrukturen jeder Unternehmung und damit Bestandteil der Corporate Governance“ (vgl. Wieland 2002b: 4 f.).5
Bei personalen Relationen macht Effizienz „nur eine Hälfte des Kooperationsproblems aus“, lasen wir bereits, „Integrität, Würde und Vertrauen die andere“ (Wieland 1996a: 116). Wieland erweitert die Basiskonzeption der theory of the firm, die er von Williamson u.a. übernimmt, über die incentive-Kompatibilität hinaus auf zusätzliche governance-Dimensionen (vgl. Beschorner 2002: 122 ff.). Er hat diese Extension systematisch entfaltet in der Analyse der offen gelassenen Rolle der 5 Wieland ergänzt: „Ich habe dafür den Begriff der Governanceethik vorgeschlagen, der deutlich machen soll, dass die Frage von Werten der Moral nicht in den Bereich des good will eines Unternehmens gehört, sondern unabtrennbarer Bestandteil der Steuerung, Führung und Kontrolle von Unternehmen ist“.
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‚Atmosphäre‘, die Williamson für Organisationen für relevant erachtet, analytisch aber nicht einlöst (vgl. ausführlich dazu Wieland 1996a). Wertemanagement, als eine Form der Steuerung von Moral in Organisationen, entwickelt eine analytisch ergiebige Theorie der soft factors, die wir für die Gender-Frage nutzen – Wieland nennt sie „atmosphärische Parameter (Kultur, Moral, Normen) wirtschaftlicher Transaktionen“ (Wieland 1999b: 33). Gender-Themen werden in diesem Rahmen als Normen- bzw. als Kulturprobleme bearbeitet. Firmen sind, über Unvollständigkeit und Unsicherheit, vertragstheoretisch rekonstruiert „als Bündel von Ressourcen, Fähigkeiten und Kompetenzen, deren Aktivierung auf impliziten Verträgen basiert“ (Wieland 1999b: 53). Wir reden fortan von einem Unternehmen als einem Netzwerk expliziter und impliziter Verträge. Managementaufgaben verschieben sich, wenn implizite Verträge bedeutsamer werden: soft facts, Atmosphäre, Werte. Doch nicht der Hinweis darauf ist bedeutsam, sondern die Reformulierung der ‚moralischen‘ oder nicht-ökonomischen Anreize, um die soft-fact-Seite allgemeiner zu beschreiben, als Teil des Kooperationsprojektes Unternehmung (vgl. Wieland 1999b: 54). Formale und informale nicht-ökonomische Regeln im weiteren Sinne und moralische Regeln im engeren Sinne sind Ressourcen der Organisation, die dann Bestandteil ihrer Kooperationsbereitschaft, ihrer Kooperationsfähigkeit und damit auch ihrer Kooperationschancen sind (vgl. Wieland 2001: 35). Damit lenkt Wieland den Blick auf Ressourcen, die im formalen Gerüst einer Betriebswirtschaftslehre nicht auftauchen. Kooperation hat zwei Komponenten: Kooperationsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit. „Kooperationsfähigkeit bezeichnet ein aktuelles Vermögen, tatsächlich und erfolgreich zu kooperieren, weil und insofern für einen Partner ein Nutzen entsteht. … Kooperationsbereitschaft bezeichnet diejenigen mentalen Faktoren, die die Kooperationsfähigkeit aktivieren“ (Wieland 1999b: 54 f.).
Ziel der Kooperationen ist es, Kooperationsrenten zu erzielen (die durch individuelle Handlungen nicht erlangbar wären). Unternehmen sind vertraglich konstituierte Kooperationsprojekte individueller Akteure zur Erwirtschaftung von Kooperationsrenten. Natürlich können Akteure die Kooperationen ausbeuten, d.h. auf Kosten der Kooperationsbereitschaft eigenen Nutzen ziehen. Dann aber endet auch die Kooperationsfähigkeit; die Kooperationsrenten werden nicht nur nicht ausgezahlt, sondern möglicherweise negativ – mit der Folge der Erhöhung der Transaktions- und Kontrollkosten der Organisationsaufrechterhaltung. Management ist die Fähigkeit, die Organisation – bei vorausgesetzten Fähigkeiten der Mitarbeiter und den entsprechenden Ressourcen – kooperationsbereit zu halten, d.h. zum einen die Transaktions- und Kontrollkosten zu senken, zum anderen aber auch neue Kopplungen offen zu halten. Und zwar nicht nur
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auf die vorhandenen Population von Kooperationspartner (den aktuellen Mitarbeitern, den aktuellen Kunden etc.) bezogen, sondern optional: anpassungsfähig, flexibel in Hinblick auf neue Kooperanden. „Damit geht es Wieland jenseits des Auslotens von Handlungsspielräumen um die Schaffung neuer Handlungsmöglichkeiten durch die Erhöhung von Kooperationschancen“ (Beschorner 2002: 135; vgl. Wieland 1999b: 35). Wenn Kooperationsbereitschaft die mentalen Faktoren bezeichnet, die die Kooperationsfähigkeit aktivieren, haben wir hier die Gender-Frage einzuspielen. Welche ideologies bzw. shared mental models (vgl. Denzau/North 1994) herrschen als informale Institutionen in der Organisation vor?
6.1 Gender als Inkompetenzzuschreibung an Frauen Organisationen sind – in der theory of the firm – über relationale oder unvollständige Verträge strukturiert. Gender ist eine spezifische Vertragsunvollständigkeit: eine Vertrauens- und eine Kompetenzasymmetrie. Frauen werden – in geschlechtlicher Differenz zu Männern – mit spezifischen Inkompetenzzuschreibungen versehen (für Deutschland vgl. explizit Osterloh/Littman-Wernli 2002). Damit werden die prinzipiell unvollständigen Verträge implizite komplettiert: was Männern an Entwicklungsund Leistungsoffenheit zugestanden wird, wird den Frauen implizit reduziert oder nicht zugestanden. Denn wenn ihnen mindere Leistungskompetenz zugeschrieben wird, wird ihr Leistungspotential als von vornherein restringiert gesehen, mit der Folge, dass die relationalen oder unvollständigen Verträge an diesem Ende relativ vervollständigt werden: in reduzierter, aber relativ abgeschlossener Form. Frauen bekommen weniger Leistungspotential, damit weniger Optionen zugebilligt. Diese Zuschreibung – gender token – entspringt nicht der Logik der Unternehmen, sondern entstammt dem gesellschaftlichen System, dem die Mitarbeiter und Manager von Firmen angehören. Zuschreibungen der allgemeinen linguistic community werden in das System Organisation der Unternehmung eingetragen und erstmal, wie selbstverständlich, in die Polylinguistik der Unternehmung (vgl. Wieland 1999b: 57 f.) eingereiht. ‚Polylinguistik der Unternehmung‘ heißt nichts anders, als dass viele Sprachspiele und Sprachkompetenzen (semantics) parallel im Unternehmen gesprochen werden, die zu übersetzen ein Teil der Managementaufgaben ist. Es geht nicht um die Herausbildung von Einheitssprachen, aber um die Herausbildung von Verstehbarkeit (auch nicht um die Herausbildung von economics als
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Einheitssprache aller Mitarbeiter: gute Fachleute denken nicht zugleich in Kostenterms). Damit wird aber auch zugestanden, dass die diversen Semantiken bestehen bleiben. Das polylinguistische System der Unternehmen ist tolerant; es ist eine bereits ausgeführte Form der diversity, ohne dass explizit ein diversity-Management eingeführt ist. Dann aber ist die Semantik der über Geschlechterdifferenz zugeschriebenen Kompetenzdiversitäten ebenso Bestandteil der Polylinguistik der Unternehmung wie andere Zuschreibungen, shared mental models und Konventionen. Im Kontext einer modernen theory of the firm ist das eine Restriktion, d.h. eine Minderung von Kooperationschancen, die die ressource base der Firma einschränkt, ohne dass der Nutzen ersichtlich ist. Denn wenn Frauen, obwohl sie als Führungskräfte in Unternehmen selten vorkommen, mindere Leistungsoptionen zugeschrieben bekommen, können sie nicht nachweisen, dass sie leistungsgleich sind. Die falschen Zuschreibungen perpetuieren – wegen mangelnden empirischen Gehaltes (vgl. Osterloh/Littmann-Wernli 2002). Wenn Frauen aber leistungsgleich oder sogar -stärker sind (dito), dann ‚verschenkt‘ das Unternehmen Kooperationspotentiale und human resources. Die Kosten der vorherrschenden shared mental models der Frauenexklusion erweisen sich als zu hoch im Verhältnis zu einer gender policy, die die Geschlechter im ranking gleich behandelt.
6.1.1
Gender: als Gender (I)
Es geht aber – im Gender-Kontext– nicht allein darum, Frauen als human resource betrachten zu lernen, sondern vor allem um die gendering-Effekte im gender-Mix der so umgestalteten Organisation. Es wäre leichtfertig, das GenderThema als Frauen-Thema zu behandeln, weil wir es längst mit Geschlechterfragen zu tun haben, die neue Management-Konzepte nötig machen, über den inzwischen konventionalisierten Set gender-Mainstreaming, diversity-Management und change-Management hinaus (vgl. Peters 2002). Gertrud Höhler schlägt neue Arrangements vor: ‚Geschlechterarrangements im Umbruch: neue Bündnisse zwischen Frauen und Männern‘ (vgl. Höhler 2002). Für ökonomisch betrachtete Organisationen geht es um Fragen der gender-mixes, die höhere Leistungsoptionen bieten. Höhlers Frage wäre dann in organizational designs neuer Kooperationschancen zu verwandeln. Dabei geht es dann nicht mehr – wie Höhler noch annimmt – darum, wie Frauen sich besser positionieren, sondern darüber hinaus um Fragen der Rekombination beider
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Geschlechter, d.h. auch um Fragen der Positionierung der Männer wie um Fragen der ‚Androgynisierung der Arbeit‘ (vgl. Baecker 2001a).
6.1.2
Gender: Frauen als Autoexklusionsmaschinen
Was Frauen als Vertrauensasymmetrie erfahren, wird von Männern als objektiver Bruch der Konkurrenzklausel gesehen: Frauen haben eine geschlechtlich definierte exit-option: Mutterschaft. Folglich sind sie, für Männer, nicht im gleichen Maße netzwerkinvestiv wie Männer. Wenn Frauen ausbrechen (und stattdessen den Organisationen anderer Männern zugehören bzw. Familienorganisationen, die für die eigenen Karrieren irrelevant sind), dann werden sie für Netzwerke unwichtig, weil man mit ihnen keine Karriereseilschaften bauen kann. Frauen sind deshalb netzwerkriskant. Sich auf sie einzulassen, ist keine Gewährleistung für späteren Netzwerknutzen. Doch der geminderte Zukunftsnutzen der Netzwerkbeziehungen läuft zu hohen Gegenwartskosten parallel. Frauen werden als Konkurrenten im laufenden gegenwärtigen Aufmerksamkeitsspiel gesehen; sie ziehen Beobachtungsressourcen ab, die Männer für ihre Konkurrenzspiele brauchen. Eine Horde von konkurrenten Karrierekandidaten wird anders beobachtet, wenn Frauen dabei sind; Frauen haben geschlechtsspezifische Attraktoren, die Männer als Verdrängungsfaktoren wahrnehmen, die sie anspornt, besonders aufzufallen, ohne besonders aufzufallen. Das gilt besonders in den gegenwärtigen Beobachtungslagen, in denen die karriererelevanten Beobachter immer Männer sind. Männer haben Angst, dass Frauen sie ausstechen, weil sie als Frauen bei den Männern, die die ganze Horde betrachten, besonders auffallen. Deshalb wird das, was als besonders auffällig erscheint (sexuelle Attribute), auf restriktive Weise bestätigt, einhergehend mit Inkompetenzvermutungen in anderen Qualitäten und Bereichen. Weil Frauen aber unechte Konkurrenten sind – jedenfalls im gewöhnlichen Erwartungsraum –, ist die fairness geringer: da sie sowieso gehen, braucht bereits jetzt auf sie keine Rücksicht genommen werden, da sie ja aktuell bereits die Aufmerksamkeit monopolisieren. Ihre Gebärfähigkeit wird zum persönlichen Motiv stilisiert, etwa ‚dass sie ja doch irgendwann gehen wollten‘, ohne Beachtung ihrer tatsächlichen Motive. Das kann einhergehen mit einer schematistischen Unterschätzung der Konkurrenzwilligkeit von Frauen, so dass die Männer tatsächlich unterliegen, was ihre Einstellung ‚zu Frauen‘ nicht gerade ändert. Frauen haben doppelte Kooperationsprobleme: Männer nehmen
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1. 2.
ihre Mitkonkurrenz nicht ernst, weil sie die exit-option der Frauen erwarten; aber nehmen die Männer die Konkurrenz wiederum sehr ernst, weil die den Frauen unterstellte Aufmerksamkeitsfokussierung die Männer in einen schlechteren Startplatz stellt.
Innerhalb dieser Paradoxie werden Frauen ambivalent beobachtet.
6.1.3 Gender: als Gender (II) Wenn die Aufmerksamkeit eine besondere Rolle spielt, wären Männer klug beraten, sich hinter Frauen zu stellen, um sie, als trigger, für eigene Karriereseilschaften zu nutzen: die Frauen führen sich und ‚ihre Männer‘ durch die Hierarchien, mit Nutzen für beide. Dieses ‚System Prinzengarde‘ würde die externe Zuschreibung der Fraueninkompetenz durch die ‚Prinzengarde‘ und ihre Kommunikationen entkräften. Das wäre eine intern erzeugte Kommunikation zur Verwandlung von Geschlechterdifferentialen in Kooperationssynergien. Wir hätten es mit einer Form einer echten gender-policy zu tun. Die tatsächlichen Entwicklungen sind hingegen durchschnittlich gender-mix policies – mit eigenen Problemen, aber auch neuen Stabilisationen. Was genderMainstreaming (eine europäische Variante von affirmative action) und diversityManagement als Diversifikationsstrategie erreichen: spezifische Entwicklungsarenen für Frauen, wird in einem gender-management-Kontext bereits neu bewertet – als Traumatisierung von Frauen als Frauen, die zwar selbstbewusster werden, aber dennoch gender-marked bleiben – nun aber auf höherem Niveau. Alle Organisationsmaßnahmen, die Frauen als Frauen besonders zu entwickeln, gehen die ressourcenpolitische Aufgabe von einem Ende an, die die geschlechtsspezifische Inkompetenzenvermutung weiter stärkt. Wer spezifische Maßnahmen nötig habe, haben sie schlicht nötig. Das mag sich ändern, wenn diversity-Management auch für das andere Geschlecht spezifisch angeboten und durchgeführt wird. Sonst bleibt die Asymmetrie: ‚Frauen haben es nötig‘, d.h. der Inkompetenzverdacht bleibt als mental model erhalten. Wenn personal development über diversity-Management-Ansätze läuft, ist die Inkompetenzvermutung auszuweiten auf den ganzen gender-Kontext: Männer wie Frauen. Denn erst dann, wenn Männer wie Frauen auf ihre Inkompetenzen hingewiesen sind, lassen sich learning- und Entwicklungsprogramme begründen. Erst dann werden teams möglich, die jetzt nicht mit perfect/imperfectrole-models besetzt sind, sondern mit – divers verteilten – imperfect men and women.
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Erst jetzt beginnt in den Organisationen eine Angleichung der Rollenzuschreibungen an die relationalen oder unvollständigen Verträge, die sowieso schon gelten: durch Relationierung der Kompetenz der Vertragspartner.
6.2 Individualisierung als Gender-Trigger „Seit Individualitätsmuster nicht mehr über Herkunft, Schicht, Ausbildung und Profession laufen, … sondern über Milieu, Anspruchsniveau und Idiosynkrasiebereitschaft, weichen die alten und verläßlichen Standards der Unterscheidung, Sortierung und Sanktionierung konformen und abweichenden Verhaltens eher chaotischen und in jedem Fall launischen Moden der Selbstdarstellung“ (Baecker 2000a: 3).
Niklas Luhmann weist darauf hin, dass die „Neubeschreibung des Menschen als Individuum ... die strukturelle Unbestimmtheit und damit zugleich die Konditionierbarkeit des individuellen Verhaltens (betont). Sie rangiert die Individuen ein in die Notwendigkeit, die für die soziale Ordnung und ihre Selbstorganisation notwendige Mikrodiversität zu reproduzieren“ (Luhmann 1997: 28).
Baecker verwendet diesen Nexus für Organisationen: „Darauf muß die Organisation sich sowohl im Umgang mit den eigenen Mitarbeitern wie den Kunden umstellen, ohne daß sie wissen kann, wie unter diesen Umständen Entscheidungsroutinen beibehalten werden können“ (Baecker 2000a: 3 f.). Die Organisation der Organisation, als hierarchische Struktur, die auf das monitoring von Entscheidungsroutinen ausgeformt war, muss sich auf kontingentere Modalitäten umstellen. „Dieses System operiert in dem Sinne nicht-trivial, als es alle eigenen Operationen nicht nur an ‚Vorgaben‘ und ‚Aufgaben‘, sondern auch an eigenen ‚Zuständen‘ orientiert, die nicht nur betriebswirtschaftlicher, sondern auch soziologischer und psychologischer Art sind. Es wird komplex und es beschreibt sich als ‚komplex‘ mit dem Ergebnis, daß es zunehmend nicht mehr als technologisch isoliertes, sondern als mit seiner gesellschaftlichen, psychischen und natürlichen Umwelt vernetztes System betrachtet werden muß“ (Baecker 2000a: 1 f.; mit Verweisen auf CzarniawskaJoerges 1992; Martin 1992; Sackmann 1997; Ulrich/Probst 1984; Baecker 1999; Luhmann 2000).
Wenn die Entscheidungsroutinen, die basalen Muster der alten Hierarchieformen von Organisation, nicht mehr beibehalten werden können,
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6. Theorie der Organisation: Gender-Markierung „scheint sich nur noch die Routine der Individualisierung zu bewähren, die es der Interaktion zwischen Mitarbeitern und Kunden überläßt, welche Entscheidungen jeweils in den engeren Bereich des Möglichen rücken“ (Baecker 2000a: 4).
‚Routine der Individualisierung‘ ist ein anderer Name für diversity-Management, oder zumindest für relevante Aspekte davon. Die Thematisierung von diversity ist eine andere Form des Diskurses zur Individualisierung. „Das ‚management of diversity‘ focussiert die produktive Nutzung von Differenz in zwei unterschiedlichen Sachverhalten: Erstens: Wenn die Beobachtung richtig ist, daß individuelle Verhaltensdispositionen bedeutende Wettbewerbsfaktoren sind, dann ist auch richtig, daß diese Individualität nur mobilisiert werden kann durch die gewollte Zulassung von Individualität“ (Wieland 1998: 28).
Diversity-Management ist die Zulassung von Individualisierung als Leistungspotential. Man weiß noch nicht genau, wie die Leistungen sich entfalten, aber man weiß, dass man dann, wenn man die Mitarbeiter nicht Individuen sein lässt, Demotivationen produziert (Ent-Leistungen). Die Einführung von Individualität als Wettbewerbsfaktor steht bei Wieland im Zentrum einer Matrix diverser Bestimmungen: „Kooperation wird auf Kosten von Koordination, Regelsteuerung durch Anreiz- und Normensteuerung gestärkt. Der Unterschied zur Marktökonomie und dem ‚scientific management‘ besteht nicht darin, daß diese Dinge jetzt neu entdeckt werden. Es ändert sich vielmehr deren Interpretation. Während die zuerst angeführten Kontexte personale Diversität als unzuverlässige und störende und daher zu minimierende Größe begreifen, wird sie jetzt als Quelle von Marktvorteilen (Flexibilität, Responsivität, Offenheit, Initiative etc.) kommuniziert. Zweitens: In globalen Teams nimmt generell die Bedeutung dieser Form der Diversität zu, speziell in Gestalt multikultureller Wertvorstellungen. Drittens: Punkt eins und zwei gelten sowohl für Interaktionen zwischen Personen in Teams und zwischen Unternehmen. Denn auch Unternehmen sind kollektive Personen mit Kompetenzen und Identitäten und ihre Verbindungen in Netzwerken steigern die Anforderungen an das ‚management of diversity‘. Ohne hier in Einzelheiten gehen zu können, sei darauf hingewiesen, daß sich diese Managementaufgabe sowohl auf die Schaffung adaptiver Governancestrukturen (Organisation) als auch auf die Stärkung von personaler oder kollektiver Identität (Kultur) beziehen muß. Akteure ohne Identität oder mit inkompatiblen Identitäten sind kooperationsunfähig, Kooperationen ohne angemessene und flexible Steuerung sind ausbeutbar und zum Scheitern verurteilt“ (Wieland 1998: 28 f.).
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Wieland liefert das entscheidende Argument 1. 2.
für die Individualisierung des Leistungspotentials und für die gender-Differenzierung: für die Differenzierung der individuellen Leistungspotentiale nach individuellen gender-Sortierungen und genderKompetenzen.
Frauen wie Männer mit in ihrer ungeklärten oder defizienten Gender-Position haben inkompatible Identitäten, d.h. sie sind nicht so individualisierbar, wie es das diversity-Management imaginiert und managen will. Gender markiert Unvollständigkeit (a) in den Verträgen, (b) in den Identitäten. Ad (a): Die gender-Unvollständigkeit in den Verträgen bezieht sich bei Frauen darauf, dass ihnen, selbst bei Nachweis von höchster Leistung und Leistungsfähigkeit, dieselbe bestritten wird – wegen der exit-option: Kinder/Familie. Unabhängig davon, ob sie die Substitutionsmöglichkeit aufgreifen oder nicht, wird ihnen die Option bereits vorgehalten. Investition in Frauen erscheint deshalb als riskant. Bei Männern besteht die Unvollständigkeit darin, dass sie ihre sozialen und kommunikativen Defizite als rollenkonform ausblenden dürfen, ohne sanktioniert zu werden. Männer werden mit Karrieren für Defizite belohnt, die eigentlich das Problem ihrer Führungsinkompetenz darstellen im Kontext von sozialer und kommunikativer Kompetenz, derer es ihnen mangelt (vgl. Simon 2000). Folglich werden sie für etwas prämiert, was ihre Inkompetenz ausmacht – und faktisch in Organisationen Management-Probleme erheblicher Art bereitet. Ad (b): Die gender-Inkompatibilität der Identität ist ein bisher als Feminismus traktiertes Problem, das sich in unserem Kontext als eine doppelte Kontingenz der Geschlechter-Zuschreibung erweist: Zum einen erfüllen Frauen/Männer ihre Stereotypen, werden deswegen gerade vom diversity-Management spezifisch und divers behandelt. Frauen werden, für ihre Karrieren, besonders fraulich (‚mit den Waffen einer Frau‘ etc.; ‚dass sie erstklassig sind, soll der Beschauer herausfinden‘; vgl. Business Bestseller 2000: 7); Männer bleiben besonders männlich (‚rational‘, ‚entschieden‘ etc.; ‚das Verhältnis zur eignen Omnipotenz ist unkompliziert‘; vgl. Business Bestseller 2000: 7). Zum anderen wird gerade die Befolgung dieser Stereotypen als defizitär erfahren. Frauen erleben sich als entscheidungsunfreudig, risikoaversiv etc.; Männer erfahren sich sozial und kommunikativ inkompetent. Gender-Inkompatibilität der Identität haben beide Geschlechter, kommunizieren es aber divers. Diversity-Management wird diese beiden Unvollständigkeiten managen müssen:
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Ad (a): Die Anerkennung der Leistungsfähigkeiten bei Frauen wie bei Männern, anstatt eine stereotpye Exklusionsformel mitlaufen zu lassen (wie umgekehrt auch die Frauen ihre mentalen Modelle insofern anpassen, als sie aufhören, Entschuldigungen bzw. Gründe zu suchen für Inkompetenz und Karriereabbruch). Ein Gutteil des glass-ceiling-Problems ist der Erfahrungslosigkeit von Männern im Umgang mit Frauen in Führungspositionen geschuldet. Weil sie Komplementaritätsvorteile nicht kennen, vermuten sie auch keine. Ad (b): Die Einübung von Komplementarität. Identität ist ein zu anspruchsvolles Konzept, scheiternsbedroht. Aber Komplementarität hat Erfolgschancen: (b1) als Komplementarität in dem Sinne, dass Frauen Männer in Organisationen gut ergänzen (‚in weiblichen Eigenschaften die Ergänzung der eigenen Stärken erkennen‘; vgl. Business Bestseller 2000: 8) und (b2) in dem Sinne, dass Frauen wie Männer Eigenschaften des jeweils anderen Geschlechts annehmen, um neue gender-mixes zu produzieren – mit anderen Worten: Androgynisierung der Geschlechter. Diversity-Management ist deshalb nicht schlicht eine neue Form, zu managen, sondern erst einmal eine Aufmerksamkeit auf Defizite bisherigen Managens. Denn dass man Demotivationen produziert (Leistungsminderungen), wenn man die Mitarbeiter als Angestellte betrachtet (die durch die Manager an ihre Arbeit gestellt werden, etwa Stellenpläne im Organigramm), statt als Individuen, die selbständig agieren, ist eine neue Selbstbeschreibung von Management. Diversity-Management stellt demnach nicht nur auf Diversität in der Organisation ab, sondern auch auf Diversität im Management. Wenn diversity-Management Individualisierung/Individualität als Ressource betrachtet, haben wir es gar nicht mit einer Novität, sondern mit der Extension einer längst bekannten neuzeitlichen Form der Arbeit zu tun, die Arbeit nicht nur als Expression, sondern als Arbeit an sich selbst (klassisch: Bildung) auffasst (vgl. Priddat 2000d: 84 ff.). Die Erörterungen und Konzeption der TeilAutonomie und größerer Selbständigkeit in dynamischen Organisationen ist eine Extension dieser ‚Arbeit an sich selbst‘, wie wir die Individualisierung übersetzt haben in den Arbeit/Organisationskontext, die die Akteure (Arbeiter) nicht lediglich als Auftragnehmer verstehen kann, sondern zugleich immer als Unternehmer dieser Aufgabe, d.h. als intrapreneur. „Wenn man Unternehmen als Kommunikationssysteme identifiziert, so wird die kommunikative Kompetenz zum entscheidenden Maßstab des Erfolges. Führungskräfte, deren Aufgabe darin besteht, die Organisation der Selbstorganisation zu sichern, brauchen ein hohes Maß an sozialer Sensibilität. Nur so sind sie in der Lage, Kommunikationen zu initiieren und zuzulassen, die zur Entwicklung einer kollektiven Intelligenz führen, die größer ist als die von Individuen“ (Simon 2000).
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Die Individualisierung, die als Wettbewerbsfaktor entdeckt wird (vgl. Wieland oben), ist aber nur wieder eine Ressource für Kooperationen, deren Synergien Wertschöpfungsprozesse erzeugen, die individuell nicht erreicht werden. Die Individualisierung ist Ressource für Kooperationen, nicht für Kompetitionen, wie sie für Märkte gelten. Innerhalb von Organisationen sind geförderte Individualisierungen Leistungspotentialentfaltungen, die erst organisatorisch, d.h. in gelingenden Kooperationen, tatsächlich wirksam werden. Nicht die Individualität entfaltet die Leistung der Organisation, sondern die Organisation der Kooperationen, die die Individualitäten so ins Spiel bringt, dass sie ihre Fähigkeiten tatsächlich einsetzen können. Individualität bedarf Organisation, um ihre Kompetenz voll zu entfalten. Das setzt sich modern fort in der work/life-balance-Thematisierung (darin: wellness) wie im life-long learning; es kommt zur Geltung im intrapreneurshipDiskurs, aber auch in allen Empfehlungen zur neuen Selbständigkeit (vgl. Laupacher 1999). Organization of self wird zur Voraussetzung für self-organization: Plastizierung der Aktoren, d.h. der Individuen, die ständig an sich arbeiten/modellieren/ lernen etc. Implizite sind damit aber die Anforderungen der neuen Organisationen an das personale Inventar genannt: flexible Spezialisierung, der Wandel wird zum Normalfall, Krisenmanagement, wachsende Komplexität, Kundenorientierung, Entwicklungsfähige und flexible Organisationen, Trend zu fließenden (z.B. projektbezogene Teams und flache Hierarchien) undvirtuellen Organisationen, Vielfalt, Unberechenbarkeit und Risiken, in offenen und riskanten Situationen adäquate Entscheidungen fällen, veränderte gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, Ziele und Strategien zunehmende Internationalisierung (vgl. Henschel 2001: 140 ff.) etc. Personal development, learning organisation etc. sind dann lediglich Namen für Reorganisations- und change-Prozesse, in denen es vordringlich nicht um Neuarrangement oder Neuaufstellung von Organisation geht, sondern zusätzlich um Reformulierungen der Mitarbeiter: ihre Kompetenzen, ihrer Beziehungen, Netzwerke etc., inklusive ihrer Individualität, die zu entwickeln oder zur Geltung zu bringen ein Teil der Reorganisation ist. Mitarbeiter- und Persönlichkeitsentwicklungen spielen hierin eine Rolle. Wenn das aber der Fall ist, dann bezeichnet Gender eine Grenze. Gender ist erst einmal eine Schranke der Individualisierung. Männer werden nicht so individuell, dass sie ihre Gender-Topik verlassen. Sie verlassen die Gender-Topik nur in Radikalisierung der Männlichkeit: als Homosexuelle. Doch überschreiten sie ihre Gender-Schranke seltenst (z.B. als Transsexuelle oder Androgyne). Ebenso bei den Frauen: sie betreiben ein elastischeres gendering, but not trans-
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cending it. Dennoch: ihre Gender-Elastizität ist größer als bei den Männern. ‚Mannsweiber‘ sind eher vorfindlich als ‚Weibsmänner‘. Oder um diese Asymmetrie noch anders zu beschreiben: Es scheint legitimer zu sein, als Frau Männer zu simulieren, als umgekehrt. Die ‚vermännlichte‘ Frau ist positiver belegt als der ‚verweiblichte‘ Mann. Diese Asymmetrie dient nicht als Beleg feministischer Doktrin, sondern als Adrogynitätshinweis: Frauen sind sozial androgyner als Männer. Sozial heißt hier: sozial zulässig und zugleich: gewohnter. Denn als Frau ‚männlich‘ zu sein bzw. als männlich zu gelten (wie in vielen Managementkontexten), ist eine Gender-Verschiebung, die wir als Androgynisierung von Geschlecht einführen; sie ist eher positiv konnotiert – insbesondere dann, wenn sie keine Vermännlichung bedeutet, sondern die Aufnahme bestimmter männlicher Attribute: als gender-mix. Wenn Gender eine Schranke der Individualisierung bezeichnet, dann ist diversity-Management, das die Individualisierung fördert, um neue Leistungspotentiale für die Organisation zu erschließen, darauf angewiesen, ein genderManagement zu betreiben, das die Schranken aufheben hilft oder verschiebt. Selbst nur eine Verschiebung von gender-Schranken bedeutet, die Stereotypen der ‚Fraulichkeit‘ bzw. ‚Männlichkeit‘ zu verlassen und Androgynisierungspotentiale zu entwickeln. Gender-mix ist eine Mischung von gender-Eigenschaften, oft durch Lernen. Gender-Verschiebungen von Männern ins Weibliche gelten dagegen als Dethematisierung des Männlichen, nicht als positives Bild (außer im Referenzbereich der Homosexualität). Umgekehrt umgekehrt. Doch was in der body/sex-Dimension als extrem erscheint, ist es in der gender/mind-Dimension nicht. Frauen werden dann als besonders kompetent bezeichnet, wenn sie als gender-mixes auftreten. „Alle Unternehmerinnen legen Wert auf ein weibliches äußeres Erscheinungsbild. Ausgerüstet sind die Untersuchten mit typisch weiblichen und typisch männlichen Eigenschaften und Verhaltensdispositionen. … Dieses zweidimensionale Ausstattung schlägt sich nieder in einer femininen und maskulinen Geschlechtsrollenidentität“ (Detmers 2000: 86 f.).
Die Liste der gender-mix-Attribute sieht wie folgt aus: leistungs- und erfolgsorientiert, konkurrenzorientiert, rational, führungswillig, autonom, selbstsicher, konfliktbereit, dynamisch, kommunikativ, einfühlsam, kooperativ, intuitiv, beziehungsorientiert, fürsorglich (vgl. Detmers 2000: 87). Androgyne Frauen fühlen „sich gesünder, (offenbaren) mehr Optimismus und Zufriedenheit mit ihrem Leben. … Androgyne … sind nicht die besseren Menschen, aber sie gestalten ihr Leben
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besser. Androgynie könnte richtungsweisend für unser gesellschaftliches Zusammenleben werden“ (Alfermann 1993: 147; vgl. auch Hans Bertram, in: Thadden 2001b: 5).
Das Androgynie-Thema ist dann, wenn es als gender-mix eingeführt wird, zukunftsweisend. Das Maß der Akzeptanz der Geschlechter wird durch Mischungen definiert, nicht durch Dichotomie. Gender diversity-Management ist dann noch unreif, wenn es lediglich clustert, d.h. Frauen zu Frauen und Männer zu Männern erklärt, um sie innerhalb ihrer Stereotypen sich entfalten zu lassen. Hier werden unangemessene Gleichstellungsgrundsätze als Sortierungsprobleme gelöst – ohne Lösung. Du darfst Frau sein, obwohl du eigentlich glaubst, Mann werden zu müssen (hier ist die Androgynisierungsanforderung hoch). Deshalb ist gender-Mainstreaming eher eine problematische Strategie: es passt Frauen als Frauen in Organisationen ein. Umgekehrt wird eine interessante und praktikable These: Für die Mitarbeit in Organisationen reicht es nicht aus, Mann + k oder Frau + k zu sein (+ k = plus Kompetenz), man muss auch genderkompetent sein, d.h. mit dem anderen Geschlecht kooperieren können. Dazu gehört aber nicht allein Sensibilität, sondern Eigenschaftserwerb: dass Männer weibliche und Frauen männliche Eigenschaften übernehmen, also gender-mix. Organisationen, die ein personales Inventar haben, das diese gender-mix competences hat, erreicht Komplementaritätsniveaus der Kooperation, die die Individualisierungsvorteile überhaupt erst nutzen können. Denn Frauen arbeiten umso besser, wenn sie nicht genötigt sind, Frauen zu spielen, sondern wenn sie frei lernen können: nämlich nur die Eigenschaften kopieren können, die einfach gut sind, karrierefördernd und wettbewerbsforcierend. Da sie meistens mit Männern zusammenarbeiten, werden sie männliche Muster lernen. Wenn wir die Organisationen als learning organizations betrachten, haben wir es systematisch mit gender-mixes zu tun, weil das, was Frauen in Organisationen lernen, natürlich männliche Muster sind. Je mehr Frauen in Organisationen arbeiten, umso mehr andere Muster kämen in den Lernprozess, aber auch bereits schon gender-mixed ones. Organisationen, die lediglich die Geschlechter addieren (z.T. in separaten Abteilungen), erreichen keine spezifische gender-Kooperationskompetenz, sondern desavouieren Leistungspotentiale, weil die Führung womöglich genderinkompetent agiert. Bei vielen Frauen in Organisationen wirkt sich der dadurch induzierte Organisationsfeminismus leistungssenkend aus (was bei der männlichen Führung die ‚rational Idee‘ fördert, dass das monitoring erhöht werden muss, die governance strenger etc. Folglich werden die Transaktionskosten der Organisation erhöht, ohne Leistungssteigerungen, und die Atmosphäre der Organisation wird lädiert; die corporate culture sinkt).
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Der gender-Kooperationslevel ist ein Maß für Flexibilität und Modernität von Organisationen (moderne Organisationen = modorgs), die höhere Operationspotentiale haben als konkurrierende Organisationen. Er ist nicht der einzige Maßstab, aber ein hinreichend guter. Der gender-Kooperationslevel bezeugt spezifische gender-mixes, d.h. ein gehobenes Androgynitätsniveau. Das Androgynitätsniveau von Organisationen definiert sich durch die Fähigkeit, geschlechtsspezifische Eigenschaften aufs andere Geschlecht zu übertragen, ohne dass die gender-Stereotypen die Transformation herausfiltern oder restringieren. Oder anders formuliert: erst wenn ‚Lernen‘ in Organisationen die Grenze des Geschlechts transzendiert, beginnt diese Organisation, ihr Androgynitätsniveau zu heben. Man beginnt, zu lernen, dass die Eigenschaften der Frauen/Männer in Organisationen möglicherweise organisationsspezifische Eigenschaften sind, keine geschlechtsspezifischen. Ein solche organisationsspezifische Eigenschaft könnte eine gender-Kooperationskomponente sein: ein bedeutsames Element einer corporate integrity. Androgynisierungsasymmetrie: bei Frauen wird sie erwartet, bei Männern desavouiert. Die Entfaltung der Gender-Thematik, als weit über eine FrauenFrage hinausweisend, ist vor allem die Zulassung der Androgynisierung von Männern – nicht als: Entmännlichung, sondern als Zulassung von Kompetenzen, die eigentlich Frauen zugeschrieben werden, Männern aber für moderne Organisationen, d.h. modorgs benötigen. Die Männer sind die Gehemmteren/Entwicklungsgehemmteren, gegenüber den Frauen. Frauen lernen längst, zu androgynisieren. Solange die Androgynisierungsasymmetrie arbeitet, sind Männer (wie Frauen) gehemmt, sich zu individualisieren. Es gibt Tabus, self-organization-Verbote etc. (bei den Frauen weniger). Das ist das entscheidende Argument: es geht nicht um Gleichstellung oder Anerkennung des anderen Geschlechts, sondern um die Entfaltung der Individualisierung, die durch gender-Schranken restringiert ist. Manager/Führungskräfte, die ihre Individualisierungspotentiale an den Geschlechtsgrenzen blockieren, sind unvollständig kompetent, insbesondere unvollständig kompetent in der Selbstorganisation ihrer Karrieren wie ihrer Manageraufgaben. Ihre unvollständige Kompetenz ist vor allem daran zu messen, dass sie nicht fähig sind, Eigenschaften zu lernen, die für sie Frauen zu kommen, obwohl der Erwerb dieser Eigenschaften hochbedeutsam ist für ihre Fähigkeit, ein Manager von modorgs zu sein. Fritz B. Simon schließt daraus, dass glass ceiling deshalb weiter fortbesteht: „Frauen sind gerade deswegen so selten in Top-Management-Positionen zu fin-
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den, weil sie gerade die Fähigkeiten besitzen, die man dort heute eigentlich braucht“ (vgl. Simon 2000). Die Fakten lassen noch darauf warten.6
6.3 Thesen: Genderorganisation 1. 2.
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Die Population einer Organisation mischt sich aus differenten und divergenten Aktoren. Diversity ist kein neues Problem von Organisationen; es kommen lediglich neue Unterscheidungen hinzu: Gender, race etc. Die alten Unterscheidungen: age, competence, loyality etc. bestimmen längst schon Konzeption wie Praxis des Managements. Competence-diversity ist in allen möglichen personal development-Konzeptionen längst analysiert und disponiert (vgl. Krell 2001a; Peters/Bensel 2002). Doch wird jetzt die Differenzierung von Kompetenzen nur zu einem Diversifikationsaspekt neben anderen diversities. Organisationsentwicklung wird, an dieser Schnittstelle der Personalentwicklung, zu einem management of mixes of competences (vgl. Brousseau/Driver/Ene-roth/Larsson 1996: 13). Management manages diversity. Diese Aussage ist insoweit nicht trivial, als dazu gehört, Unterscheidungen getroffen zu haben und ständig zu treffen bezüglich der Koordination von divergenten Operatoren. Management ist, wie Wieland treffend analysiert, das Management einer polylingualen Struktur (vgl. Wieland 1999b: 57 ff.).
6 In den 200 größten deutschen Unternehmen (ohne Finanzsektor) sind z.Zt. nur 2,5% der Spitzenpositionen von Frauen besetzt. Auch in den Vorständen der 100 größten Banken und 58 größten Versicherungen ist der Frauenanteil mit 1,9% bzw. 2,4% verschwindend gering – obwohl die meisten Beschäftigen im Finanzsektor Frauen sind. In den Aufsichtsräten der Top-200-Unternehmen (ohne Finanzsektor) sind die Frauen mit gut 9% und in den Aufsichtsräten der Banken und Versicherungen mit 15,5% bzw. 13,4% vertreten. Der überwiegende Teil der Frauen in Aufsichtsräten war allerdings nur aufgrund der bestehenden Mitbestimmungsregelungen und damit als Vertreterin der Arbeitnehmer dorthin gelangt. Weitere Befunde: Je größer die Unternehmen sind, desto geringer wird der Frauenanteil in den Führungsgremien. So ist in den 68 Vorstandspositionen der zehn umsatzstärksten Unternehmen nur eine einzige Frau vertreten: Barbara Kux bei Siemens. Sie ersetzte keinen ihrer männlichen Kollegen, sondern trat eine eigens für sie geschaffene Position an (Einkauf und Umwelt). Von den insgesamt 526 Vorstandsposten der 100 größten Unternehmen sind nur sieben von Frauen besetzt. Dies entspricht einem Anteil von 1,3%. Insgesamt sind in den Top-200-Unternehmen 2,5% Frauen in Vorständen vertreten, das entspricht 23 von 934 Sitzen. In lediglich einem Unternehmen nimmt eine Frau die Chefposition ein: Petra Hesser bei IKEA Deutschland (vgl. DWI 2009).
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Polylingualität bedeutet: viele divergente Semantiken, die nicht ohne weiteres ineinander übersetzbar sind, auf Unternehmens- und Organisationsziele hin zu koordinieren. Facharbeiter, Ingenieure, Buchhalter, Marketingleute, Einkäufer etc. zu koordinieren, bedeutet, ihnen ihre jeweilige Fachlichkeit zu lassen, um die Wirtschaftlichkeit der Kooperationen als eigenes Geschäft zu übernehmen. Die polylinguale Struktur kann nicht erfordern, für alle alles zu übersetzen, sondern für sich – für das Management – zu übersetzen, was die jeweiligen semantischen Fraktionen können/wollen. 6. Das hat für die Platzierung der Gender-Frage in Unternehmensorganisationen Konsequenzen: es geht aus der Sicht der Organisation nicht darum, Frauen gleichzustellen, sondern darum, Geschlechtsspezifika zu verstehen und einzusetzen. Management ist keine Universalisierungskommission, sondern eine Selektionsagentur, die Ressourcen und Kompetenzen, die die Organisationen brauchen, ausselegiert und in Einsatz und Kooperation bringt. 7. Dabei bestimmt nicht die Ressource, was gilt, sondern die Selektionsinstanz: das Management, und zwar nach dem Kriterium der höheren Kooperationsrenten. 8. Frauen/Männer-Unterscheidungen sind spezifische Ressourcenneudefinitionen. Organisationen führen keine geschlechtsrechtlichen Diskurse, sondern selegieren Kompetenzen, um wertschöpfende Kooperationen zu organisieren. 9. Wenn Gender neue Kompetenzdimensionen öffnet, ist es ein Managementthema: andernfalls nicht, oder nur durch externe Einflüsse (politischer, rechtlicher, betriebsrätlicher etc. Art). Es gibt keinen besonderen Grund für ein Management, auf Gender-Differenzen zu achten, wenn es ihm keine Kooperationsvorteile bietet. 10. Die Kategorie der ‚Kooperationsvorteile‘ (bzw. ‚Kooperationsrenten‘) ist keine unmittelbare Profit-Kategorie, sondern eine organisatorisch vermittelte Idee der Ressourcendifferenzierung und Ressourcenspezifizierung, die neue Niveaus der Wertschöpfung überhaupt erst möglich macht bzw. vermittelt. 11. Umgekehrt gibt es aber in Organisationen auch keinen Grund, das GenderThema herauszuhalten. Es wird wie ein anderes polylinguales Problem bearbeitet: Übersetzung der Gender-Thematik in Kooperationsmuster, die auf ihre Werthaltigkeit bzw. Profitabilität überprüft werden. 12. Doch muss sich Gender immer auf Kompetenz rubrizieren lassen: Für welche Kooperation bieten Gender-Differenzen Vorteile? Für welche nicht? Organisationen können Frauen/Männer schlicht nach Kompetenz hierarchisieren. Dass die Gender-Markierung Kompetenzen neu markiert, ist ein
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neuer Diskurs. Erst wenn er neue Kompetenzcluster bietet, fruchtet der Diskurs: Was können Frauen besser als Männer? Et vice versa. Die normativen Politiken (‚gender-Mainstreaming‘) wollen das Geschlecht prämieren, doch in Organisationen bekommen Frauen keine Prämien als Frauen, sondern nur, wenn sie sich mit organisationsspezifischen Kriterien ausweisen. Das wird im diversity-Kontext so wahrgenommen, dass Frauen spezifische Kompetenzen haben, die Männer nicht haben oder schwächer anbieten. Was als anthropologische Differenz anmutet, ist schlicht eine Frage nach dem Zweck der Gender-Differenzierung. Vernachlässigungen sind für Organisationen kein Thema, wenn nicht spezifische Kosten entstehen wegen der Beibehaltung der Vernachlässigung. Die entscheidende Frage lautet: Aus welchem Anlass wird die Nichtbeachtung der Gender-Differenz kostenträchtig? Anstelle der Vernachlässigungs-Kompensationsdiskussion führen Organisationen Kompetenz-Differenzierungsdiskussionen, die zeigen, dass Frauen genderbedingt Kompetenzen haben, die Männer nicht nur nicht können, sondern aversiv behandeln. Diversity erzeugt Konkurrenz, auch Konkurrenz, die vorher nicht bestand, oder nicht explizite bestand. Denn die Zuschreibungen, die Frauen in Organisationen bisher erfuhren, waren solche, die Männern nicht unbedingt als Konkurrenz wahrnahmen. Jetzt aber beginnen andere Invasionen: besser ausgebildete Frauen, mit zudem spezifischen Kompetenzen, machen Männern Konkurrenzen auf Gebieten, auf denen sie nicht antworten können. Folglich werden sie konventionell antworten, aber möglicherweise unterhalb der Managementebene, die die Frauen neu bewertet. Trotz allem: Gender-diversity ist nur ein Thema unter anderen. Organisationen sind nicht auf dieses Thema angewiesen, wenn nicht spezifische Kompetenzen/Gründe dafür sprechen. Die Gründe liegen nicht im Geschlecht, sondern in den Kompetenzen, die durch das Geschlecht anders definierbar werden. Hier wird von Geschlecht auf Kompetenz umgeschaltet. Wenn aber tatsächlich von Geschlecht auf Kompetenz umgeschaltet wird, werden die frauenspezifischen Ressourcenbemächtigungen unwichtiger werden. Sie sind Zwischenthemen, die Komplementarität der Frauen in Konkurrenz übersetzen werden. Und eine weitere Dynamik steht an: Wenn demographische Entwicklungen das Arbeitsangebot senken, dann werden Frauen einfach dadurch wichtiger, als ihre Einstellung in die Organisationen einen Teil des Defizites kompensieren kann. Hier wird von Kompetenz auf Ressource umgeschaltet.
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20. Es kommen einfach mehr Frauen in die Organisationen, weil sie 1. die neue Intelligenzreserve der Nation sind, und 2. zu wenige Männer die alten Aufgaben übernehmen können. Je mehr Frauen Karriere machen, desto mehr gewöhnen sich die Männer an sie, bis sie ihre spezifischen Kompetenzen zu einem Teil der corporate culture gemacht haben, sodass die Kompetenzen nicht mehr genderspezifisch sortiert werden, sondern für jeden gelten. Gender ist dann der Name gewesen für eine Umstellung der Kompetenzprofile von hard auf soft, ohne dass die soft-Markierung zuletzt an den Frauen haften bleiben muss. Ist die Umstellung vollzogen oder gelungen, wird die Gender-Differenz insofern überflüssig, als sie nicht mehr kompetenzmarkierend wirksam ist. 21. Nach der zum einen diskreditierenden, zum anderen emanzipatorischen Frauenfrage ist die Gender-Thematisierung eine Episode, die die Frage der Kompetenz-Extension noch geschlechtsmarkiert stellt, weil wir gelernt haben, spezifische Kompetenzprofile als ‚fraulich‘ zu gewichten. Aber nach der Einübung verliert sich die Gender-Sortierung und wir haben neue Kompetenzen ins frauliche wie ins männliche Profil aufgenommen, d.h. Abwehr und Ignoranz umgangen. In der Gender-Frage geht es gar nicht um GenderFestschreibungen, sondern um Gender-Auflösungen: bis in androgyne Zwischenlagen, die wir heute noch nicht ausmachen (vgl. Baecker 2003b). 22. Wenn Gender eine transitorische Bewegung ist, dann bleibt das glass ceiling-Phänomen erhalten, weil es dann keine Gewähr gibt, ob Frauen die soft-competences besser ausüben. 23. Der heute geführte Zwischendiskurs, dass Frauen spezifische Kompetenzen haben, die den Anforderungen nach soft skills entgegenkommen, ist kein trigger der Frauenkarrieren, sondern eher ein signalement auch für Männer, sich in dieser Kompetenz einzuüben, wenn sie erfolgreich werden wollen in den neuen Konkurrenzverhältnissen. Wenn aber Männer das Thema aufnehmen, können wir nicht mehr erwarten, dass Frauen privilegierte Zugänge zu soft skills haben, was ihre Chancen, Karriere zu machen in den Organisationen, normalisiert (aber nicht erhöht). 24. Nur für eine Übergangszeit können Frauen diese soft-skill-Zuschreibung karrieretaktisch nutzen. Denn es zeigt sich, dass nicht die Kaprizierung auf soft skills den Frauen Karrieren eröffnet, sondern ihr Zugriff auf hard skills, die sie vordem noch nicht aufnahmen oder gar von sich wiesen. Frauen, die sich auf soft-skill-Zuschreibungen einlassen, erleben ihre neuen Karriereblockierungen, weil sie die andere Seite ihrer Kompetenz nicht entwickeln.
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Eher umgekehrt machen Frauen Karriere: indem sie die soft-skill-Kompetenz als Investition nutzen, um daran ihre hard-skill-Kompetenzen auszubauen oder überhaupt erst präsentieren zu können. Die paradoxale Figur wird das glass ceiling – z.T. – durchstoßen können: weil Frauen mehr und mehr soft competences zugebilligt bekommen, werden andere Frauen auf diese Beihilfe verzichten und sich in die general management competences wagen, die sie nicht als Frauen, sondern als Manager auszeichnet.
7. Organisation und Sprache 7. Organisation und Sprache
7.1 Organisation als Organisation Organisationen sind Bündel von Verträgen (vgl. Aoki/Gustafsson/Williamson 1990), aber – wenn man es so beschreibt, dann kommt es entscheidend darauf an – Bündel von offenen oder unvollständigen Verträgen. Denn das, wozu sich Menschen vertraglich zur Mitarbeit binden im Kooperationsmodus von Organisationen, kann wohl festschreiben, welche Dispositionen zu leisten sind, nicht aber die tatsächlichen Leistungen und Ausführungen der Arbeit, die von Marktund Umgebungsentwicklungen abhängig sind, die man zur Vertragsschließung nicht weiß. Die Institutionenökonomie thematisiert die Unvollständigkeit von Verträgen und die methodischen Konsequenzen dieser incompletness (vgl. Saussier 2000). Eine dieser Konsequenzen ist eine erhöhte Anforderung an organisatorische und soziale Kompetenz (neben der fachlichen Kompetenz; vgl. Womack/Jones/Roos 1990: 112 ff.). In dynamischen Märkten organisieren Organisationen ihre Leistungserstellung immer wieder neu; das erfordert kommunikative Kompetenz (vgl. Baecker 2003a). Deshalb benötigen Organisationen governance und management: um die Kooperationen auf wechselnde Ziele hin zu führen, aber auch die differenten Leistungslagen der Kooperationspartner neu zu motivieren und Konflikte zu klären – eben die Organisation zu organisieren. Organisation ist kein Zustand, sondern ein Prozess eigener Dynamik, eher vom oszillierenden Typus (vgl. Baecker 2003a: 29 ff.; Sutcliffe/Weick 2001; Schlicht 2003). Weil Organisationen ein Nexus unvollständiger Verträge sind, die viele Leistungen und Verhaltensweisen nicht ex ante festlegen können noch dürfen, um Flexibilitäten und situative Opportunitäten zu nutzen, greifen sie auf soziale Ressourcen und social capital zurück, das nicht in den Organisationen selbst gebildet ist, sondern gesellschaftlich bereitgestellt wird. Nicht nur der marktliche oder Preisprozess organisiert die Organisationen, sondern organisationale Kooperation greift auch auf andere Ressourcen zurück, u.a. auch moralische. Schlicht verweist auf „the importance of business morality for incomplete contracting“ (vgl. Schlicht 2002: 2). Bowles, den Schlicht hierzu zitiert, verweist wiederum auf höchst differente Produktionsmodalitäten, wie z.B. auf „fiat, au-
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thority, age, gender, kinship, gift, theft, bargaining or markets“ (vgl. Bowles 1998: 78). Bowles’ Liste ist eine interessante englische Liste, in der alle Kategorien versammelt sind, die in der Organisationstheorie gewöhnlich nicht auftauchen. Vor allem weist die Liste auf motivationale Faktoren, die nicht durch die übliche ökonomische Anreizstruktur, nämlich die monetäre, bedient wird. Für alle Unternehmenskulturen ist die Einführung von monetären Anreizsystemen ein Risiko „that the system of social norms may be shifted away from a commitment based culture to a culture where agents expect direct rewards. Such a shift in culture may be persistent as the fraction of agents sticking to their performance commitment may be reduced and may stay at the lower level even after the incentive scheme is abandoned again. ... However, it may well lower the motivation of employees who previously felt bound to those commitments. The latter employees may learn that such a commitment is mere ‚cheap talk‘ and therefore orientate their efforts towards a lower level which is optimal from the perspective of their material self-interest“ (Sliwka 2003: 27 f.; vgl. aber auch bereits Simon 1991: 34 ff.).
Wieland spricht in solchen Fällen von ‚moralischen Anreizen‘ (vgl. Wieland 2003): „Die Handlungen von Mitgliedern einer Organisation lassen sich demnach nicht allein durch Direktion und Kontrolle, durch Anreize und Sanktionen, sondern grundlegend auch durch Werte – Einstellungen, Haltungen, Überzeugungen – steuern. Sie sind … informale Governancestrukturen jeder Unternehmung und damit Bestandteil der Corporate Governance“.1
Bei personalen Relationen macht Effizienz „nur eine Hälfte des Kooperationsproblems aus, Integrität, Würde und Vertrauen die andere“ (Wieland 1996a: 116). Wieland erweitert die Basiskonzeption der theory of the firm, die er von Williamson u.a.m. übernimmt, über die incentive-Kompatibilität hinaus auf zusätzliche governance-Dimensionen (vgl. Beschorner 2002: 122 ff.). Er hat diese Extension systematisch entfaltet in der Analyse der offen gelassenen Rolle der ‚Atmosphäre‘, die Williamson für Organisationen für relevant erachtet, analytisch aber nicht einlöst (vgl. ausführlich Wieland 1996a). Wertemanagement, als eine Form der Steuerung von Moral in Organisationen, entwickelt eine analytisch ergiebige Theorie des soft factors – Wieland nennt sie „atmosphärische 1 Zudem schreibt Wieland: „Ich habe dafür den Begriff der Governanceethik vorgeschlagen, der deutlich machen soll, dass die Frage von Werten der Moral nicht in den Bereich des good will eines Unternehmens gehört, sondern unabtrennbarer Bestandteil der Steuerung, Führung und Kontrolle von Unternehmen ist“ (Wieland 2002b: 4 f.).
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Parameter (Kultur, Moral, Normen) wirtschaftlicher Transaktionen“ (Wieland 1999b: 33). Doch ist damit noch nicht vollständig geklärt, wie Organisationen neu beschrieben werden müssen. Um die Differenz zu Marktprozessen deutlich herauszustellen, beschreibt Schlicht die Unternehmung „as an organizational unit which relies on norms and customs for coordination, rather than on market incentives. In order that such a system works, the boundaries of the firm must be recognizabel for its members because they must know whether the firm-specific norms are valid or not. This implies a perceptional theory of the firm: the firm is what the firm members perceive as a firm. This perception frames and thereby triggers their behaviour. Or, in the terminology of Issac, Mathieu & Zajac (1991), firms and other institutions provide institutional frames which activate certain types of behaviour than other“ (Schlicht 2003: 14; vgl. auch Pentland/Rueter 1994).
Das Bild der Unternehmung, das Schlicht hier ausmalt, läuft auf eine Art von shared mental model hinaus (vgl. Denzau/North 1994). Das aber ist, und hier beginnen wir den kritischen Teil, problematisch, wenn wir die Diversität des Wissens der Unternehmensmitglieder betrachten.
7.2 Organisation als Sprachspiel: Koppel/Langlois Organisationen organisieren diverse mental models (vgl. auch Arthur 2000). Roger Koppel und Richard N. Langlois analysieren diesen Fall als coordination of knowledge: „Most of the literature on knowledge management takes for granted that coordination of knowledge within a firm requires that everyone in the firm has the same interpretation of the firm, its goals and its procedures. Good knowledge management leads to a shared mental model. This view may be about right for a start-up. But it neglects the modularity of large bureaucratic enterprises. Information is hidden in modular systems. The components of each module may know different things and think different things. This cognitive diversity need not prevent the system from running smoothly. What is required for the smooth functioning of an organization is coordination of language games. This means that the various agent-practices must fit together. It does not require, however, that the various agent-theories fit together. Agent-theories may contradict one another without necessarily threatening organizational coherence“ (Koppel/Langlois 2000: 24).
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Koppel und Langlois führen in ihrer Forschung über ‚Embeddedness, Organizations and Language Games‘ eine Unterscheidung zwischen ‚agent-practices‘ und ‚agent-theories‘ ein. Die Unterscheidung ist bemerkenswert, weil sie zwischen belief-systems von Akteuren und ihren praktischen Entscheidungen durchaus unterscheiden lässt, besonders dann, wenn wir die differenten belief-systems als unterschiedliche language games notieren, wie Koppel/Langlois vorschlagen.2 Das Sprachspiel wechselt: man kommuniziert anders innerhalb der Organisation über ihre Organisation. Nebenbei wird klar: Organisationen kommunizieren (vgl. auch Schall 1983; Weick 1995; Herrmann-Pillath 2002: Kap. 5). Differente language games sind etwas anderes als nur differente beliefsystems (vgl. die kognitiv aufgeladene rational choice-theory bei McFadden 2000, oder auch Arthur 2000). „The language game is the set of rules governing action and reaction“ (Koppel/Langlois 2000: 6). Koppel/Langlois unterscheiden zwischen einer „agent-practice of the language game“, einer „agent-rhetoric of the language game“ und einer „agent-theory of the language game“ (vgl. Koppel/ Langlois 2000: 9 f.). ‚Rules of language‘ restringieren die Handlungen der Akteure: agent-practice. Sie restringieren aber auch unsere Reden: agent-rhetoric. Die Sprachspiele leiten „our thinking“: agent-theory. „The agent-theory describes the agent’s possible actions with detailed references to his thoughts and ideas. It gives a ‚subjective‘ account of them. ... The theory of language game is the ‚shared mental model‘ of Denzau and North (1994)“ (Koppel/Langlois 2000: 10).
Koppel und Langlois differenzieren fortan zwischen ‚relativ objektiven‘ Beschreibungen in ‚agent-practices‘ und zwischen ‚agent-theories‘ mit ihren „relatively subjective descriptions“ (vgl. Koppel/Langlois 2000: 14). Je nachdem, ob Akteure unter relativ strengen Systemrestriktionen arbeiten, oder unter weichen Restriktionen, spielen die Sprachspiele und ihre semantischen Variationen eine andere Rolle (vgl. Koppel/Langlois 2000: 17 f.). Das hat für Märkte andere Bedeutungen als für Organisationen. Wenn Organisationen durch Koordinationsprozesse definiert sind, heißt das nicht, dass sie eine „common ideology“ (vgl. Koppel/Langlois 2000: 26) benötigen.
2 Dazu Motluk: „We all live in the same objective world, but different languages focus on different aspects of it“ (Motluk 2002: 38). Implizite haben wir diese Unterscheidung oben bei Sliwka vorgefunden, wenn er betont, dass die Arbeitnehmer motivationale Commitments dann für cheap talk halten, wenn sie sich lediglich nur noch auf monetäre Anreize einstellen sollen. Generell aber bereits bei Schall 1983 und Weick 1995.
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7. Organisation und Sprache „What is required for the smooth functioning of an organization is coordination of language games. This means that the various agent-practices must fit together. It does not require, however, that the various agent-theories fit together. Agent theories may contradict one annother without necessarily threatening organizational coherence“ (Koppel/Langlois 2000: 24).
Anstelle einer Teilhabe an einem common language game haben wir es jetzt mit einem Prozess der Koordination diverser Sprachspiele zu tun. Unternehmensorganisation sei wesentlich Koordination von ‚agent-practices‘. Um aber die als different unterstellten ‚agent-theories‘ in einen synergetischen Koordinationsnexus zu bringen, bedarf es nach Koppel/Langlois einer spezifischen Unternehmer/Manager-Aufgabe: „Overcoming dynamic transaction costs is a matter of organizational form. Putting assets in the hands of a single individual (or small group with aligned incentives) obviates the fear of opportunism that independent asset holders might have harboured. But there is far more involved than this. As we saw, the costs of remodularization – of change in the visible design rules – are far more problems of coordination than of misaligned incentives. In our terms, the practice elements of individual language games need to be realigned, that is, they need to be made to work together in the new combination. It is the role of the entrepreneur as rhetor to inform and persuade complementary actors to cooperate in the recombination; and he or she does this by imposing on the complementary actors a common world-view or mental model. That is, the entrepreneur has to create a new, commonly shared language game in which agent-rhetoric and agent-theory complement the practice needed for the new combination“ (Koppel/Langlois 2000: 30 f.).
Eigentümlicherweise hängen Koppel/Langlois diese sprachspielgenerierenden Aufgaben des Unternehmers – „entrepreneur as rhetor“ – an Max Webers charismatische Persönlichkeit (vgl. Koppel/Langlois 2000: 31 f.), gleichsam als Erzähler einer kohärenten Geschichte der Organisation.3 Bei Koppel/Langlois wird die Organisation auf narrative Steuerung des Unternehmers umgestellt; eine unterkomplexe Variante, da sie eine spezifische governance-Form konfirmiert (über Komplexität im Metapher/Organisations-Feld; vgl. Grant/Oswick 1996) und z.B. die Differenz Unternehmer/Manager nicht auslotet. Hier gibt es längst differenziertere (und differenzierende) Analysen.4
3 Vgl. über Metaphern in Organisationen: Weick/Browning 1986; Czarniawska-Joerges/Joerges 1988; Grant/Oswick 1996. 4 Z.B. die klassischen Studien: Burawoy 1979; Schall 1983; Donellon 1986; Czarniawska-Joerges/ Joerges 1988; Brunson 1989; Orlikowski/Yates 1994; Weick 1995 und Sjöstrand 1997: 60 ff.
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7.3 Polylinguistik der Organisation: Wieland Koppel/Langlois’ Ansatz versucht, Unternehmenskultur als die Einführung von einem Sprachspiel: als ein „commonly shared language game“ zu fassen, die „a common world-view or mental model“ generieren soll. Die Diversität der vielen Sprachspiele soll, by management, in ein corporate languge game transformiert werden. Bei Schlichts ‚perceptional theory of the firm‘ fanden wir schon einen ähnlichen Ansatz, wenn auch nur implizite. Solche Monolinguistik setzt aber spezifische organisatorische Settings voraus; sie reduziert Organisations-Diversität, ohne ihr gerecht zu werden. Die Diversität der Sprachspiele wird letztlich 1. als kontraproduktiv betrachtet, die 2. deshalb reinterpretiert und re-synthetisiert werden soll. Doch holen wir uns hier eine philosophische Skepsis heran: in kritischer Würdigung von Sprachspieltheoremen (wie von Kripke), die shared meaningAnsätze bevorzugen, besteht Davidson darauf, „in claiming that the only philosophically interesting concept of meaning must derive from cases of successful communication“ (Davidson 1993: 145). Das gibt einen entscheidenden Hinweis. Es geht nicht um Sprachspielvereinheitlichung, sondern um Kommunikation – nicht darum, dass ‚Bedeutung normativ‘ aufgefasst wird, sondern um eine Organisation der Organisation, die Kommunikation forciert, um jeweils neue Bedeutungen (und ihnen folgende Handlungen) zu generieren. Natürlich sprechen die Mitglieder einer Organisation gewöhnlich eine Sprache (vgl. Baecker 2003a: 141), aber facettiert in viele verschiedene Sprachspiele (mit verschiedenen belief-systems). Lediglich Märkte sind monolingual verfasste Funktionssysteme, lesen wir bei Wieland, die nur eine Sprache – die der Preise – verstehen (vgl. Wieland 2003: 7).5 Andere Sprachen würden andere Aspekte oder Gründe für bedeutsam 5 Die Ökonomik – als Theorie des Marktes – hat sich dieser polylinguistischen Struktur enthoben. Ihre Akteure sind definitionsgemäß Akteure, die die Sprache Ö klar und eindeutig sprechen und verstehen. Dass die Ökonomie ein eigenes System bildet, zeigt sich daran, dass sie alle anderen Sprachen ignorieren kann: innerhalb des ökonomischen oder Marktsystems werden Entscheidungen aufgrund ökonomischer Codes getroffen. Die Codes des Marktes sind Preise. Die Sprache der Preise dominiert nicht die Akteure, sondern die Beobachter: die ökonomischen Theoretiker. Die Akteure stehen natürlich in polylingualen Kontexten. Bleiben wir bei der Monolinguistik des Marktes. Preise signalisieren trilaterale Transaktionen: was A und B gegeneinander bezahlen wollen, wird nicht durch sie selbst, sondern durch die Intervention Dritter entschieden: was bietet C mehr, als A und B sich schon geeinigt hatten. Alle C-Einwürfe sind relevant, weil A dann mit C transagieren wird, nicht mit B. Preise sind Signale der Durchkommunikation von Transaktionsmöglichkeiten. Aber man weiß nicht, welches das Stadium der Kommunikation erlangt ist. Wenn ein Preis erstmalig auftaucht, gibt es noch keine trianguläre Komparation. Jetzt gilt erst einmal nicht die neoklassische, sondern die hayekianische Marktbeschreibung. Eine neu angebotene Ware kann marginal bleiben, oder nachfragein-
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halten: rechtliche, ästhetische, moralische, persönliche, fachliche, religiöse etc. Wieland verweist auf diese Unterscheidung, um eine dreifache Differenzierung einzuführen: zwischen Funktionssystemen (Markt), Organisationssystemen (Unternehmen) und Akteuren (vgl. Wieland 2003: 7). In jedem dieser Systeme werden andere Sprachen gesprochen und sind Mehrsprachigkeiten zulässig.6 „Während Funktionssysteme wie der Markt monolingual verfasst sind, also nur eine Sprache – die der Preise – verstehen, sind Organisationssysteme wie Unternehmen konstitutiv auf die Fähigkeit angewiesen, polylinguale Diskurse zu generieren und zu stabilisieren“ (Wieland 2003: 7).
Anders als Koppel/Langlois insistiert Wieland auf der Erhaltung der Polylinguistik, will diese spezifische Diversität der Organisation produktiv genutzt wissen.7 Wieland hatte die ‚Polylinguistik der Organisation‘ bereits in seiner governanceEthik von 1999 entfaltet. Ihm kommt es vor allem darauf an, „genuin moralische Überlegungen in das ökonomische Entscheidungskalkül nicht nur individueller, sondern auch kollektiver Akteure einzuspeisen, und zwar als Bestandteil des ökonomischen Problems selbst“ (Wieland 2003: 7). Es geht nicht um deontologische Moral, noch um eine ökonomische Theorie der Moral, sondern es gelingt Wieland über sein Polylinguistikkonzept die Organisation als Präsenz/Ko-Präsenz von multiplen Sprachspielen einzuführen, d.h. neben dem ökonomischen Sprachspiel existieren andere, u.a. auch moralische Sprachspiele, die funktional integriert sind in die Organisation als nicht nur arbeitsteilige, sondern auch sprachteilige Organisation (wie es genauer unterschieden werden kann). „Anders als der Markt, der jedes Ereignis in Preisen codieren muss, um es kommunizieren zu können, müssen Unternehmen in der Lage sein, relevante Ereignisse in tensiv. Hier spielt der Preis noch eine untergeordnete Rolle, weil die Akteure sich zuvor vergewissern mögen, was das eigentlich ist, welche Qualität es hat, in welche life-styles es passt, welchen Status sein Kauf bezeugt etc. Der Preis ist ein fokaler Punkt in der Mitte einer Matrix aus vielen Bestimmungen, vor allem Bedeutungszuschreibungen, Relevanzen und anderen Weltbildinterpretationen (vgl. Priddat 2004c). Wo neue Güter ins Spiel kommen, gelten keine Preiskonventionen, sondern epistemische und evaluative Übungen: Was ist was wert? Und warum eigentlich? Hier dominiert Kommunikation: über Werbung sowieso, unter Freunden, Bekannten, Kollegen. Man kommuniziert, was was wert ist – und zwar in zwei Dimensionen mindestens: was ein Preis an Utilitätswert bedeutet, und was es bedeutet, dieser Utilität zu folgen für Status/Reputation in den jeweiligen peer groups oder Anerkennungsarenen (zur Differenz von Preisbestimmungen auf Märkten und in Organisationen vgl. Simon 1991). 6 Dass auch Akteure differenzierte belief-systems haben (vgl. Arthur 2000), sei hier nur erwähnt; konzentrieren wir uns auf das Organisationssystem. Differenzierte belief-systems von Akteuren bedeuten, dass sie selbst mehreren Sprachspielen angehören können. 7 Tacke spricht von Organisationen als „Multireferenten“ (vgl. Tacke 1999: 65).
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vielen Sprachspielen – Ökonomie, Technik, Recht, Bürokratie, Moral – gleichzeitig oder selektiv zu bewerten und zu verarbeiten. Der ökonomischen Codierung – Aufwand/Ertrag oder Kosten/Gewinn – kommt im Gesamt der polylingualen Ressourcen des Unternehmens eine Leitfunktion für Entscheidungen zu, weil und insofern das Marktsystem die Umwelt des Unternehmens strukturiert. Hier greift durch, dass Unternehmen Organisationen des Wirtschaftssystems sind. Alles, was daher in den Unternehmen relevant ist, hat eine ökonomische Bedeutung oder Konsequenz. Aber nicht alles in der Unternehmung ist Ökonomie“ (Wieland 1999b: 57 f.).8
Wieland weist auf eine für die arbeits- und sprachteilige Komplexion der Organisation signifikante Unterscheidung: dass die ökonomische Bewertung der Organisationsleistungen nicht automatisch einhergeht mit ökonomischer Produktivität der Produktion. ‚To manage‘ ist dann eine besondere Aufgabe (im arbeitsteiligen Kontext), die die Sprachteilung nicht mehr ausweitet, sondern reintegriert. Manager operieren im polylinguistischen Kontext der Organisation synthetisch bzw. synthetisierend. Aber sie stellen keine Einheitssprache her, sondern Übersetzungen, die voraussetzen, dass die vielen Sprachen im Unternehmen erhalten und lebendig bleiben. Die Polylinguistik setzt spezifisches diversityManagement voraus – allerdings nicht im Sinne einer zusätzlichen Managementfähigkeit, sondern als Fundamentaloperation: Managen ist identisch mit ‚Kooperationen generieren‘.9 „Organisation im Sinne einer Form (und nicht im Sinne interner Arbeitsabläufe oder eines Regelwerks) wäre so etwas wie eine wohldefinierte Menge vernetzter Transaktionen und als solche Gegenstand einer vertragstheoretischen Organisationsökonomik.* Genau hier liegt dann auch ein Teil der Schnittmenge mit einer Charakterisierung der Firma als Netzwerk expliziter und impliziter Verträge oder ‚treaties‘.** Für die Neue Organisationsökonomik ist der Markt eine Koordinationsform, die ex postLeistungen auf Nachfrage zurechnet. Die Organisation hingegen ist eine Kooperationsform, die auf ex ante zugestimmte Regeln zur Erbringung einer Leistung basiert, deren beider Einhaltung ex post zum Problem werden kann” (Wieland 1996a: 115).10
Wieland betont die Kooperationsleistung der Organisation; er erweitert die kontraktualistischen Konzepte der theory of the firm, die wesentlich anreizgesteuert arbeiten, um eine Dimension der Steuerung von Werten, soft facts und Moralen. 8 Vgl. hierzu auch Simon, der – gegen die new institutional economics – die Relevanz der „organizational mechanism“ von „authority, identification, and coordination“ hervorhebt (vgl. Simon 1991: 42). Wieland gelingt die Integration. 9 Vgl. Kooperationskompetenz als entscheidende Leistungsvariable bei Sveiby 1997 und Priddat 2000c. 10 * Vgl. Williamson 1993: 484, Fn. 128; ** Vgl. Aoki/Gustafson/Williamson 1990.
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Denn es reicht zur Erklärung der Funktion und Grenzen von Unternehmensorganisationen nicht aus, auf incentive-kompatible Koordinationen zu verweisen, weil unklar bleibt, wie die Bindungen der Mitarbeiter über längere Zeit stabil bleiben.11 Das abstrakte Bild der Polylinguistik wird sofort konkreter, wenn wir die diversen Fachlichkeiten der Tischler, Schlosser, Werkzeugmacher, aber auch Buchhalter, Vertriebsleute, Marketingabteilungen, Forschung und Ingenieure, etc. nebeneinander gelten lassen. Arbeitsteilige Produktion, die Effizienzmaschine der Industrialisierung, ist zum Großteil auch sprachteilige Produktion. Wenn man ein älteres Bild verwenden will: innerhalb moderner Produktionsorganisationen spiegeln sich die Schatten der Zünfte in den Fachsprachen und in den je eigenen mental models der Berufe, Fachlichkeiten und speziellen Kompetenzbesitzständen. Sie bewahren ihre Eigensinnigkeit, die sich nicht einfach übersetzen lässt in andere Terminologien, in andere Denkweisen – auch nicht einfach in ökonomische. Die Fachsprachen kultivieren Fachlichkeit/Kompetenz und grenzen sie gegen andere Fachlichkeit ab. Wer Fachsprache spricht, hat sie gelernt, d.h. ist spezifische Sozialisationen durchgangen, um etwas anderes zu können, als andere. Fachsprachen sind gleichsam Geheimcodes, die die Imitierbarkeit des Könnens/Wissens erschweren. Diese öffentliche, zur Sprache gebrachte Intransparenz steht noch im Schatten seiner zünftigen Herkunft. Ein Tischler denkt als Tischler, wenn er gut ist; ein Ingenieur als Ingenieur, ein Buchhalter als Buchhalter. Wenn ein Tischler als Ökonom denken soll, bricht sein Sprachspiel schon auf: was er als Tischler meint, was gut sei, wird bereits gebrochen durch ein anderes Sprachspiel, in das er sich selber übersetzt. Das erzeugt Unklarheit, Undeutlichkeit, Ambivalenz. Hier erweisen sich die Grenzen von Intrapreneurship-Konzeptionen. Eine Kosten/Nutzen-Einschätzung stört womöglich das Sprachspiel, damit aber die Folgen der Sprechen/Denken/HandelnRelation: das Handeln verirrt sich, entlässt einen Teil seiner Kompetenz. Doch bewegen sich moderne Organisationen in Sprachfeldern, die durch Managementsprachen beherrscht werden; jungen Manager, aber auch bereits andere Mitarbeiter, in den Weiterbildungsphasen, werden angelernt in einer scheinbar ubiquitären Semantik. Doch ist es wiederum nur wieder eine, wenn auch 11 Vgl. Mücke: „Versteht man das Problem der Koordination ökonomischer Aktivitäten in erster Linie als Problem der Verhaltensbindung der beteiligten Akteure, steht die Frage im Mittelpunkt, auf welche Weise die Existenz einer Unternehmung und ihrer Grenzen einerseits sowie ihre Organisationsform andererseits die Handlungen und Verhaltensweisen dieser Akteure beeinflusst und steuert. Grundsätzlich lassen sich zwei Möglichkeiten denken: Erstens, die Anreizlage wird durch eine unternehmensinterne Koordination verändert, oder zweitens, die Motive, Bewertungen und Einstellungen der Akteure werden in einer systematischen Weise beeinflusst“ (Mücke 2002: 20; vgl. Schlicht 2003).
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ausgeweitete, Fachsprache, die von Managern erlernt und gesprochen wird, also von Fachleuten der Kompetenz des Managens, die sonst keine besondere Fachlichkeit aufweisen (außer der, von der herkommend sie Manager geworden sind): Manager stehen nicht im Konflikt der Fach- zur Managementsemantik, sondern sind eindeutig auf die Managementsemantik abonniert. Es ist ihre besondere Kompetenz, Kosten/Nutzen-Bewertungen jeder Aktion in der Organisation vornehmen zu können, d.h. Fachlichkeit in economic terms zu übersetzen. Dass diverse Organisationsziele miteinander koordiniert werden müssen, ist die besondere Form von Komplexität, in der Manager sich bewegen müssen (vgl. Weick 1995; Jansen 2002; Baecker 2003a). Denn die entscheidende Qualität von effizienten Unternehmensorganisationen besteht im Management dieser Diversität. Aus der diversity-ManagementLiteratur kennen wir Differenzierungen der Art von jung/alt, Ethnien, Gender etc. Das sind neue, zusätzliche Erscheinungen in sich ausdifferenzierenden modernen Gesellschaften. Die basale Diversität haben Unternehmensorganisationen aber von Beginn an: ihre fachliche Diversität, bis in die Projektion niederer Fachlichkeit, die in Maschinerie transformiert wird. Erst durch die arbeitsteilig ausdifferenzierte Industrieunternehmung, die wesentlich auf technischen Maschinenkapitalprozessen basiert, zu denen sie relativ homogen niedrig qualifizierte Arbeit anstellt, kontrolliert und angeleitet von einer kleinen Meister- und Vorarbeiterschicht, entsteht überhaupt das Bild einer Sprachspielgleichförmigkeit (mit der einzigen signifikanten Differenz von Arbeiter/Angestellten linguistic communities).
7.4 Diversity als Spannungsreichtum von Organisationen Doch sind Unternehmensorganisationen, selbst in der hocharbeitsteilig getakteten ‚fordisierten‘ Industrie, extrem viel heterogener: der Schatten der zünftigen linguistic communities und ihrer Differenzierungen lagert ein noch in die modernsten Organisationen. Weil die Arbeitsteilung die universale Fachlichkeit des Handwerkers in der Industrieorganisation abbaute, glaubte man, auch die Zünftigkeit der Arbeiter (und ihre damit einhergehende Fachsprachenkultur) ignorieren zu können. Hinzu kommt noch die Solidaritätssprache der Gewerkschaften, die, gerade im Gründungs-Übergangsbereich, die zünftigen Sprachspiele in das Facharbeiterselbstbewusstsein als gewerkschaftliches eingetragen hatte. Wir haben es mit zwei unterschiedlichen Sprachspielformationen zu tun, die sich in Organisationen überlappen, aber nicht decken. Die erste Linie hatte Wieland wie folgt genannt: Ökonomie, Technik, Recht, Bürokratie, Moral. Davon unterscheidet sich die zweite Linie, die wir eben nachgetragen haben: die der
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Berufsdifferenzierungen. Sie bilden z.B. Sprachspielunterscheidungen innerhalb der Technik (Werkzeugmacher, Schlosser, Dreher, Elektriker, Schmied, Tischler, Modellbauer, Schweißer etc. um nur die klassischen Beispiele ausdifferenzierter Beruflichkeit mit je eigenem ‚Arbeiterbewusstsein‘ zu nennen).12 Wegen der Solidaritätssemantik der Sprachspieleinübungen der Gewerkschaften wurden in den Industrieorganisationen des 19. Jahrhunderts die zunftabkömmlichen Berufssprachspieleigenheiten beibehalten, wenn nicht gefördert, um in der Berufsidentität ein Antidotum zu haben gegen die gleichmacherische Solidarität aller Arbeiter, eine gesellschaftliche Semantik. Die strenge hierarchische Industrieorganisation nutzte die Eigenheiten und Differenzen der Berufsgruppierungen, konstruierte Semi-Zünftigkeit im hierarchischen Gefüge der Organisation (z.B. durch die Organisation der Ausbildung, Zuteilung nach Berufsgruppen, Eingruppierungen in den Verträgen etc.), um hier Teilungen nicht der Arbeit, sondern der Identitäten zu erzeugen, die über Anweisung und Kontrolle gesteuert blieben. Der – implizite – Vertrag aller Arbeit in der Solidarorganisation der Gewerkschaften (der sublunaren Konkurrenzorganisation aller Unternehmensorganisationen) blieb – bei allem Idealismusaufwand – unvollständig, weil die Arbeiter ihre Fachlichkeit (ihre Berufssemantik) nicht vollständig im universalen Arbeiterbewusstsein der gewerkschaftlichen Solidarität auflösten, sondern auf Differenz bestanden: gegen andere Arbeiterfachlichkeiten, Berufe und deren Semantiken. Das wurde durch Berufsausbildung in Deutschland verstärkt, die stark auf diese Differenzierungsleistung ausgelegt wurde (anders als z.B. in England, wo es kaum Facharbeiterausbildung gibt, sondern stärker unternehmensspezifische Ausbildungen). Je stärker die Unternehmen die Fachlichkeit und damit die je spezifischen Semantiken der Berufe ansprachen, desto eher waren sie in der Lage, spezifische Kooperationsdesigns zu entwerfen, die eine corporate integration zu leisten imstande war. Es ging auch hier um Anerkennung: vornehmlich der Sprachspielsemantik der Beruflichkeiten und ihrer Bedeutungen. Man kooperierte, weil man die gleiche Sprache sprach, d.h. ähnlich dachte und ähnliche Handlungsentwürfe hatte. Die unternehmerische Anerkennung von Förderung von Facharbeiterkompetenz war nicht nur eine hierarchische Trennung gegen ungelernte oder minder kompetente Arbeit, sondern zugleich ein impliziter Anreizmechanismus: Aufstieg, Anerkennung als Facharbeiteradel. Diesen Anreiz boten die Gewerkschaften selbst: Organisations- bis Politikkarrieren. ‚Karrieren‘ aber bedeuten Trans12 Die Solidaritätssemantik der Gewerkschaften hat, auf ihrer Seite, das gleiche Problem der Synthese der Berufssprachen in eine Arbeitersprache (die, bei genauerer Betrachtung, eine Facharbeitersprache ist, soweit ihr die Synthese gelingt). Was aber ist, um die andere Seite zu beleuchten, eine Organisations- oder Unternehmenssprache?
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kription: Umlernen in neue Sprachspiele. Hier begann die Polylinguistik der Organisation über den Schatten der eigenen zünftigen Abkömmlichkeit zu springen. Die Gewerkschaften waren nicht in der Lage, die Fachlichkeit zum Maßstab der Anerkennung zu erheben; sie boten Kompensationsverträge (im Kampf zu erringen, d.h. Redistribution, oder solidarisch komplementär selber zu leisten, d.h. Genossenschaftsorganisationen), die Gerechtigkeitslücken füllen sollten: Anerkennung als Leistungsträger des neuen Wachstums, Anerkennung als soziale Klasse, Leistungsgerechtigkeit. Das sind wichtige Unvollständigkeits-issues, aber eindeutig andere. Gewerkschaften haben eigene Sprachen, bilden eigene linguistic communities, die in Gerechtigkeitssemantiken vorwegnehmen, was sie an den unvollständigen Verträgen auf den Arbeitsmärkten kompensiert/vervollständigt haben wollen. Sie verlassen die Fachlichkeit und bringen die Arbeiter als Arbeiter in einer Arena neu zusammen, nicht aber als beruflich differenzierte. Die Kooperationsrenten, die die gewerkschaftliche Solidarität verspricht, sind keine Kompetenzrenten, sondern Renten, die der Gewerkschaft als politischer Organisation der Drohfähigkeit in bargainings entstammt. Der Arbeiter wird, als Gewerkschafter, ein homo politicus; er entfernt sich von seinem Facharbeiterbewusstsein, das auf seiner Kompetenz beruht. Hingegen pflücken sich die Industrieunternehmensorganisationen ihre Früchte, indem sie die handwerksartigen Sprachspiele in die industrielle Produktion transponieren: als Facharbeiterberufsdifferenzierungsnexus. In den Arbeitsverträgen werden Anerkennungsprämien für die je fachliche Beruflichkeit gezahlt, die den Wert der Versprechungen gewerkschaftlicher Kooperationsrenten senken. Das aber würde nicht ausreichen. Facharbeiterclans in Industrieunternehmen betreiben knowledge sharing: sie bilden ihr Wissen aus und untereinander weiter. Aus der Sicht der Führung der Unternehmensorganisationen ist dieses Wissen ein tacit knowledge, das die Arbeiter nur unter bestimmten Bedingungen in den Leistungsprozesses einspielen. Es zu nutzen, ist eine Frage des Management und seiner Motivationskünste; zuvor ist es aber in der Organisation zu halten und zu bilden. Das ist eine Frage der Unternehmenskultur: insbesondere ihrer Netzwerkstrukturen (vgl. Baecker 2002), die sich als Sprachspiele modellieren lassen.
7.5 Offene Sprachspiele und Kommunikation Sprachspiele sollen hier als Familialität oder Familienähnlichkeit des Denkens, Sprechens und Wahrnehmens eingeführt werden. Innerhalb von Sprachspielgemeinschaften werden ähnliche Bedeutungen verwendet, ähnliche Interpretationen geleistet etc. In der Nachfolge Wittgensteins kann man auch von einem Re-
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gelfolgen reden (so die Kripke-Interpretation; vgl. Kripke 1982; Puhl 1998); hier bieten sich institutionenökonomische Analogien an: institutionales Verhalten wird auch als rule-following-behaviour gedeutet. Pentland und Rueter beschreiben organisatorische Routinen als „grammars of action“ (vgl. Pentland/Rueter 1994: 489 ff.). Und so verweist Stanley Clavell auf die Konventionalität, die Wittgenstein in seiner Sprachspielphilosophie prominent gemacht hat, die eine Tiefenstruktur unserer sprachlichen und handelnden Weltbezüge aufweist, die nicht einfach änderbar ist (vgl. Nagel 2001: 25; vgl. auch Clavell 1999: 110). Nehmen wir diesen Hinweis auf und unterscheiden wir eine organisatorische Konventionalität von einer moralischen. Die organisatorischen Regeln und Konventionen sind änderbar, die moralischen eher nur aktivierbar. Deswegen ist Wielands Redeweise von der Moral als Ressource sinnvoll, denn die spezifische Implementation von Moral in die Organisation ist keine Moralisierung der Organisation, sondern die Nutzung von Moral, die die Mitglieder einbringen, für Kooperationsformen der Unternehmung.13 Deswegen ist Wielands Verwendung von Moral als Sprachspiel im polylinguistischen Kontext in einem genauen Sinne angemessen. Die in Organisationen aktivierbare Moral ist keine spezifische Unternehmensmoral, sondern ein Management von diversen Ressourcen, darunter auch von moral resources. Alle diese Ressourcen sind gesellschaftlich gebildet oder sozialisiert; Management ist dann die Kunst, aus diesen Ressourcen produktive Kooperation zu generieren. Regeln, Konventionen etc. spielen eine Rolle in diesem Prozess, aber Management kann sich nicht darauf verlassen, sondern muss weiter interventionskompetent bleiben und werden, d.h. regel-irritativ (vgl. Baecker 1999: 194). Die Regel, der man folgt, wenn man moralisch handelt, ist kein Kausalprogramm, sondern eher von der Art einer Anweisung, der wir folgen können, aber nicht mit Notwendigkeit folgen müssen (vgl. Nagel 2001: 24; oder in Pentland/Rueters Sprache: „grammars define sets of possibilities“, Pentland/Rueter 1994: 489). Wenn man nicht die Ursache dafür, wie man der Regel folgt, nennen kann, so doch die Rechtfertigung dafür, dass man so nach ihr handele (vgl. Wittgenstein 1974: § 217). Kommen Gründe und Rechtfertigungen ins Spiel, kommen die Gründe, Überzeugungen, Rechtfertigungen etc. ins Spiel, die im Sprachspiel gelten. Das schließt nicht aus, dass Varianz entsteht und dass alte Gründe ihre Geltung verlieren und neue Rechtfertigungen ins Spiel geraten (vgl. Suber 1991). Aber die Regel schlägt um von Geregeltheit in diskursive Bestätigung (in Kommunikation). 13 Ebenso Pentland/Rueter: „As Giddens (1994) and others have argued, rules, norms, schema, scripts, and other cognitive artifacts are ‚resources‘ for action, but they cannot be understood as determining action“ (Pentland/Rueter 1994: 491).
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Die moralische Regel bildet kein ‚moralisches Gesetz‘, sondern öffnet sich dem kulturellen Möglichkeitsraum rechtfertigungsfähiger Regeln. Hier gilt, was wir vorhin bereits mit Davidson zitierten: meaning meint nicht shared meaning als prägende Norm, sondern umgekehrt „meaning must derive from cases of successful communication“ (Davidson 1993: 145). Wenn Regelfolgen kein automatisches Regelexekutieren ist, dann haben wir es auch bei der Moral mit etwas Ähnlichem wie einem unvollständigen Vertrag zu tun, weil das, was moralisch gilt, nach der einen Seite kommunikationsoffen bleibt (vgl. Tietz 1995: 185 ff.; generell für den offenen Charakter der Sprachspiele bei Davidson). Die Sprachspiele sind – anders als Koppel/Langlois es einführen – kein „set of rules“ (Koppel/Langlois 2000: 6), keine fixen Institutionen, sondern variable Netzwerke (vgl. Lies 2003: 27 ff.; Herrmann-Pillath 2002: Kap. 2), oder „sets of possibilities“ (Pentland/Rueter 1994: 489), deren Geltung und Entscheidung kommuniziert werden muss. „Im Gegensatz zum strategischen Spiel [der Spieltheorie; B.P.] kann ein offenes Sprach- und Rationalitätskonzept [wie bei Davidson; B.P.] jedoch nicht durch die Gesamtheit der Spielregeln definiert werden, die es beschreiben“ (Tietz 1995: 185).
Sprachspiele sind geregelt, aber nicht regeldeterminiert; im Spielen können die Regeln geändert werden.14 „Denn hier lassen sich nicht von vornherein alle möglichen Aktionen angeben. Hinzu kommt, daß in Sprachspielen, für die Regelverletzung konstitutiv ist, in denen also neue Sinndimensionen erschlossen werden, die Beteiligten nicht nur als Entscheidungsträger auftreten, die als Spieler darüber zu befinden haben, welche Strategie aus der Menge aller auf Grund der Spielregeln definierten möglichen Strategien realisiert werden, sondern wesentlich als Produzenten von sprachlichen Innovationen. Damit ändert sich auch das, was als rational gilt“ (Tietz 1995: 185 f.).
Die Polylinguistik der Organisationen kennt viele Sprachspiele, darunter die moralischen. Wieland hebt sie besonders hervor, weil sie eine besondere Ressource für Kooperationsleistungen darstellen. Wohl bilden die moralischen Sprachspiele neben den ökonomischen, rechtlichen, bürokratischen etc. eine eigenständige Arena, aber keine, die homogen ist. Auch die moralischen Ressourcen sind kontextuell different. Die Idiosynkrasie der Ressourcen (vgl. Wieland 2003: 52) trifft für die moralischen selber zu. Doch ist es genauso legitim, wenn wir Verträge mit moralischen Ressourcen verbinden, wie wir es mit juridischen ständig zu verbinden gewohnt sind (Vertrag als Kopplung von Transaktion und der 14 Vgl. Pentland/Rueter: „Rules are resources for action, but they do not determine action“ (Pentland/Rueter 1994: 507).
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Rechtsform ‚Vertrag‘). Schlichts Feststellung über die „importance of business morality for incomplete contracting“ (Schlicht 2002: 2) ist so lange missverständlich formuliert, wie sie zu meinen zulässt, die Moral für die Schließung offener Verträge verwenden zu können. Moral ist kein komplementäres Vertragssubstitut. Moral stellt lediglich eine Ressource dar, die es ermöglichen kann, Regeln innerhalb der Organisation in Anschlag zu bringen, die die Kooperationsfähigkeit erhöhen. Denn die Organisation will nicht die – durchaus heterogenen Moralen – der Organisationsmitglieder realisieren, sondern ihre moral dispositions aktivieren zur Generierung eines Organisationssprachspiels über die Zusammenarbeit. Wenn wir uns vergewissern, dass Organisationen die polylingualen Sprachspiele nicht nur organisieren können, sondern sie konstitutiv zu ihrer eigenen Bestandserhaltung benötigen (vgl. Wieland 2003: 14), dann bedeutet das, dass nicht nur die moralischen, sondern auch die ökonomischen, rechtlichen und anderen Ressourcen ins Spiel gebracht werden, um über das Management eine interlinguistic community zu entwickeln, die die verschiedenen Bedeutungen und Kompetenzen anspricht, die in den verschiedenen Sprachspielen in der Organisation präsent sind. Management bekommt die Hüterschaft einer ‚generativen Grammatik‘, die neue Sprachspielangebote in die Organisation trägt, jeweils die vorhandenen Sprachspiele nutzend oder auf ihnen basierend. Dirk Baecker spricht von „der Sprache der Organisation“ (Baecker 1999: 183). Doch ist diese Kommunikation der Organisation keine semantische Klärung der relevanten Bedeutungen (etwa in der Idee eines corporate language games), keine Diskurstheorie, sondern auf Entscheidungen hin ausgelegt (vgl. Luhmann 2000: 64; auch Baecker 1999: 169 ff.). Entscheidungen können „nur kommuniziert werden, wenn auch die abgelegenen Möglichkeiten mitkommuniziert werden. … Dieses routinemäßige Mitpräsentieren des Abgelehnten kombiniert … Reduktion von Unsicherheit mit Zweifeln daran, ob es richtig war. Organisationssysteme verändern also nur die Form der Unsicherheit, mit der sei es zu tun haben. Sie de-ontologisieren gewissermaßen die Welt. Sie füllen ihr Gedächtnis mit Informationen über das, was nicht geschehen ist, und müssen auch diese andere Seite ihres Entscheidens mit integrieren können. Sie können also nicht einfach als Repräsentation der Welt, wie sie ist, operieren, sondern sind darauf angewiesen, ihre Einheit als eigene Leistung darzustellen, zum Beispiel durch die Semantik von Vorund Nachteil, durch Mitgliederselektion oder auch … durch Ausübung von Macht“ (Luhmann 2000: 64 f.).
Dabei entsteht eine eigene Managementsprache, die der Kommunikation der Manager nützlich zu sein scheint, ohne dass alle Mitarbeiter der Organisation in
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diesem Code reden. Die Aufgabe des Managements ist nicht die Einführung einer corporate language, wie Koppel/Langlois vorschlagen, sondern die Interpretation, Übersetzung und Regenerierung der Polylinguistik der Unternehmung in Entscheidungen. Die Phantasie, dass wenn alle Organisationsmitglieder dieselbe Sprache sprächen, die Informationsflüsse wunderbar störungsfrei liefen, unterschlägt die Produktivität der Diversitätsressourcen, unabhängig bereits davon, dass so weder die Generierung neuer Bedeutungen (semantische Varianz von Sprachspielen) verstanden würde noch die Kommunikation der Differenz von Entscheidungen/Nichtentscheidungen.15 Dirk Baecker spricht von „zwei Sprachen“, „die die Organisation informieren“ (Baecker 1999: 197), innerhalb einer Erklärung von management by complexity. „Einfache Komplexität informiert die Organisation in Hinblick darauf und aus einer Beschränkung dessen, was für sie notwendig und was für sie unmöglich ist. Einfache Komplexität ist der ‚bias‘, der eine Organisation arbeitsfähig macht, indem sie den Möglichkeitsraum strukturiert, auf den zuzugreifen sie für sinnvoll hält. Einfache Komplexität informiert eine Organisation insofern, als sie ihr eine Selektivität der eigenen Kommunikation garantiert, die sie zugleich als selektiv beobachtet. … Sie kann Selbstreferenz und Fremdreferenz unterscheiden und zwischen diesen beiden Referenzen hin und her wechseln. Sie führt ein Kontingenzbewußtsein mit sich, das als Weltbewußtsein fungiert, das heißt als Bewußtsein dessen, daß in dieser Welt (fast) nichts notwendig und (fast) nichts unmöglich ist“ (Baecker 1999: 196).
Die Kommunikation des Managements der Komplexität oszilliert: das Notwendige muss im Modus des Notwendigen, das Kontingente im Modus der Kontingenz kommuniziert werden. „Die Regelung der Modalität ist die wichtigste Maßnahme des Komplexitätsmanagement“ (Baecker 1999: 197). Die Kommunikation der Modalitäten der Kommunikation ist immer zugleich „Metakommunikation über die Möglichkeit des Wechsels zwischen den Modi der Notwendigkeit, Unmöglichkeit und Kontingenz“ (ebenda). Im Kontext dieser Überlegungen zum Komplexitätsmanagement spricht Baecker von den zwei Sprachen des Managements. Die Organisation „steuert ihre eigene Kommunikation durch die Maßgabe, den Wechsel für unmöglich und möglich zugleich zu halten. Das heißt, der Wechsel kann nur dann vorgenommen werden, wenn man entweder in der Sprache der Organisation hinreichend
15 Klamer macht deutlich, weshalb McCloskey den Ökonomen Philosophie und English zu studieren empfiehlt (neben der Ökonomik) – „to urge economists to join the human conversation“ (Klamer 2003: 89).
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7. Organisation und Sprache Gründe für den Wechsel findet oder ihn mit Verweis auf die Sprache einer ‚enacted‘ Umwelt (darunter der Wirtschaft) erzwingen kann“ (Baecker 1999: 197).
Beide Sprachen – die der Organisation und die einer ‚enacted‘ Umwelt – „informieren die Organisation. Und beide Sprachen verweisen auf einfache Komplexität, das heißt auf die Kontingenz von Notwendigkeit und Unmöglichkeit“ (Baecker 1999: 197). Baeckers Minimalmodell einer Polylinguistik der Organisation orientiert sich hier lediglich an der Differenz von Selbst- und Fremdreferenz der Organisation. Allerdings erhöht die Kommunikation von zwei Sprachen den Kontingenzraum der organisationalen Kommunikation und Entscheidungen (das Kontingenzbewusstsein weitet das Weltbewusstsein aus). Das Management gewinnt über Sprachkompetenz Kontingenzbewusstsein. Baecker leuchtet den organisationalen Innenraum nicht aus: die Differenzierung der Sprachspiele innerhalb der Organisation. Die Ausleuchtung des tacit knowledge der Organisationsmitglieder, der interne Möglichkeit- und Kontingenzraum, ist der Managementbereich, auf den Wieland besonders achtet. Hier geht es weniger um Komplexität, sondern um Kooperationsanregung. Management wird modern „Institution und Initiation der Selbstbeobachtung der Organisation“: Management „ergreift Partei, aber es ergreift Partei mit Blick auf die andere Seite der Differenz. Wenn sich die Einheit der Organisation noch irgendwo ereignet, dann im Management“ (Baecker 1999: 194). Wieland macht den performativen Akt des Managens stark. Was für die organisationale Kommunikation im Allgemeinen gilt, gilt für die moralische Kommunikation, die Wieland einführt, im Besonderen. Moral wird in Unternehmen über kodifizierte Werte kommuniziert. „Kodifizierte Werte müssen im Unternehmen (intra team), zwischen den Unternehmen (inter team) und im Hinblick auf die Gesellschaft (extra team) kommuniziert werden. Kommunikation ist das entscheidende Medium, um Verhaltensstandards mit Leben zu erfüllen. Dabei geht es weniger um deren Informationsfunktion als vielmehr um den performativen Charakter moralischer Kommunikation. Hier entscheidet sich der Grad der Glaubwürdigkeit, Erwartungssicherheit und Selbstbindungswirkung eines Ethikmanagementsystems, weil Kommunikation von Standards immer auch bedeutet, sie in das jeweilige operative Geschäft zu integrieren“ (Wieland 1999b: 94 f.).
Moralische Wertestandards werden über performative Rede eingeführt. Performative Aussagen bringen das, was sie behaupten, überhaupt erst hervor (vgl. Austin 1962) gegenüber rein konstatierenden Aussagen (vgl. auch Baecker 1999: 54). Hier wird deutlich, wie wir zwischen moralischen Ressourcen in den vorhandenen Sprachspielen unterscheiden müssen und den neuen Sprachspielen, die
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z.B. im Ethikmanagement oder Value-Management eingeführt werden. Die neuen Sprachspiele – die Polylinguistik der Organisation wird erweitert, nicht reduziert! – verwenden vielfältige Semantiken der alten moralischen Sprachspiele (durchaus in Mischung mit anderen: juridischen, ökonomischen, technischen etc. Ressourcen), aber transformiert: in einer spezifischen Organisationssprache, die eine eigene, neue linguistic community begründen will, die neue Verhaltensstandard einführt, kommuniziert, beobachtbar macht. Diese linguistic community ist nicht auf coherence of beliefs eingestellt, bildet kein shared mental model, sondern ist ein Metasprachspiel, das die Polylinguistik der Organisation nicht nur anerkennt, sondern in ihrer Diversität voraussetzt und nutzt. Das Argument der Diversität hat Wieland an der funktionalen Differenzierung entwickelt. Transaktionen sind komplexe Interaktionen. Sie lassen sich nicht auf Tausch und somit eine ökonomische Dimension reduzieren, sondern umfassen genauso andere Dimensionen: rechtliche, moralische, ästhetische etc. Folglich sind gelungene Transaktionen solche, die alle Dimensionen (und Ressourcen) integriert und/oder beachtet haben (vgl. Wieland 2003: 27 f.). Auf die Organisation übertragen, haben wir es mit einer „strukturellen Kopplung von Funktionssemantiken“ (Wieland 2003: 13) zu tun. Wieland erläutert, dass man für eine übergreifende Kommunikation strukturelle Kopplungen zwischen die Funktionssystemen braucht, „die semantisch über Kategorien laufen, die die Fähigkeit zu operationaler Geschlossenheit mit der Möglichkeit kommunikativer Offenheit kombinieren. Solche Kategorien sind operational geschlossen dann und insoweit sie sich auf den Code spezifischer Funktionssysteme beziehen; sie sind dann und insoweit offen, als sie eine semantische Brücke zu anderen Funktionssystemen schlagen“ (Wieland 2003: 13).16
Wieland entwickelt hier ein Konzept der ‚semantischen Brücke‘, das die Konzeption der Metasprache in Organisationen stützt. Die diversen Sprachspiele oder linguistic communities in Organisationen bleiben manifest, aber bekommen einige Kategorien implementiert, die die geschilderte transversale Funktion haben: in mehreren Sprachspielen viabel zu sein. Es geht nicht um Wechsel oder Austausch von Sprachen, sondern um eine Art von kategorialer Impfung: man behält die je eigenen Semantiken, hat aber transversale Kategorien, die in diversen Sprachspielen ähnlich belegbar sind. Das Anlernen neuer Managementkonzepte bedeutet ja keine Ausradierung bisheriger, sondern deren Ergänzung und Extension. Es kommt nun darauf an, Kategorien und Metaphern einzuführen, die höhere Sprachspieldiversität zulassen. 16 Zudem: „Kategorien, die solche strukturellen Kopplungen moderner Funktionssysteme ermöglichen, sind etwa Nutzen, Vertrag, Tausch und … Anreize“ (Wieland 2003: 13).
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7.6 Organisation als Kommunikation Wenn aber die Diversität oder Polylinguistik von Sprachspielen produktiv gewichtet wird, wird die Organisation von Planung auf Kommunikation umgestellt. Wir sind bei der Kommunikation der Unternehmung angelangt. Moderne Organisationen sind längst auf Kommunikation umgestellt (vgl. van Eikels Verweis auf die Extension von Rhetorik, Berichtswesen, power point presentations, performances; van Eikels 2003).17 Die systemtheoretische Organisationstheorie (vgl. Luhmann 2000; Baecker 1999; 2003a) betont dies, aus systematischen Gründen, bereits seit längerem. Systemtheoretische Organisationstheorie basiert auf einer Kommunikationstheorie (vgl. Luhmann 2000: Kap. 2; Baecker 1999: 58 ff.). „Eine kompetente Organisation ist eine … Organisation, die sich selbst darüber informiert, dass sie (a) kommuniziert, (b) Informationen eher selbständig generiert denn bloß verarbeitet und (c) dazu eine Wissen voraussetzen muss, das je nachdem einen eher impliziten oder einen expliziten Status besitzt und daher auch auf unterschiedliche Art und Weise für die Generierung von Informationen zur Verfügung steht“ (Baecker 2000b: 39).
Eine kompetente Organisation ist demnach „eine Organisation, die über Wissen verfügt, mit dessen Hilfe Informationen kommuniziert werden können, die anlässlich von Variationen in der Umwelt des Systems oder im System auf die Veränderung der eigenen Strukturen zielen“ (Baecker 2000b: 41).
Entscheidend ist die kommunikationssystematische Volte: „Eine der wichtigsten Konsequenzen der skizzierten Kommunikationstheorie besteht darin, daß sie dazu zwingt, für den Sachverhalt der Kommunikation nach einer eigenen Systemreferenz Ausschau zu halten. Nur dann macht die Rede von Eigensinn, Eigendynamik und Emergenz Sinn. Die Systemreferenz der Kommunikation ist nicht mehr die der ‚Köpfe‘, also der ‚kommunizierenden‘ Individuen, sondern es ist die eines ‚sozialen‘ Systems, das mit nichts anderem beschäftigt ist als damit, die Ambivalenz auszukosten, auszunutzen und fallweise zugunsten der einen oder anderen Möglichkeit zu entscheiden, ohne sich jemals endgültig auf die eine oder andere Möglichkeit festlegen zu können“ (Baecker 1999: 58).
17 Vgl. dazu besonders Schall 1983; Weick 1995; Szyszka 1999; Kieser 2001; Tacke 2001: 34; Westwood/Linstead 2001; Frey 2002; Soukup 2002: 89 ff.; aber auch schon Simon 1991: 41.
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Kommunikation schafft Ambivalenz, löst sie nicht (nur). Die „Ambivalenz schafft den an der Kommunikation beteiligten ‚Köpfen‘ ihre Freiheitsgrade. Denn jetzt können sie wählen, und jetzt müssen sie wählen, ob sie sich an die konstatierende oder performative Aussage, an report oder an command, an Information oder Mitteilung halten, wenn es darum geht, den eigenen Beitrag zur Kommunikation auszuwählen (für den dann wieder dasselbe gilt). Darum muß Kommunikation ‚interpretiert‘ werden. Darum hat Kommunikation ‚Sinn‘ und ‚Bedeutung‘. Denn Interpretation, Sinn und Bedeutung sind nichts anderes als Titel für die Unvermeidbarkeit von Entscheidungen zwischen verschiedenen Möglichkeiten des Verstehens, der Annahme und der Fortsetzung der Kommunikation“ (Baecker 1999: 56; vgl. auch Weick 1995: Kap. 3).
Die systemtheoretische Organisationstheorie weist auf einen kontingenten Konsensus, der allen Sprachspielen einwohnt. Sprachspiele sind semantische Basen der Kommunikation, mit gewissen als invariant angenommenen Bedeutungsfeldern. Aber Kommunikation, darauf weist Baecker hin, ist Kommunikation, d.h. kontingente Invarianz der Bedeutungen, oder genauer: ein Invarianz/VarianzProzess. „Nichts ist daher maßgebender für die Gestaltung einer kompetenten Organisation als der bezug ihres Wissens auf ihren aktuellen Entscheidungsbedarf, und dies auf eine Art und Weise, die den Entscheidungsspielraum nicht einengt oder gar festlegt, sondern es erlaubt, ihn mit Blick auf Alternativen und Konsequenzen zu strukturieren“ (Baecker 2000b: 41).
Dass wir moralische Ressourcen für Organisationskommunikationen verwenden können, um die Kooperationsfähigkeit der Organisation zu erhöhen, ist noch keine Garantie für deren Stabilität. Ökonomische Sprachspiele bringen eindeutige monetäre Anreize (und disincentives) ins Spiel, juridische Sprachspiele eindeutig juridische Anreize bzw. disincentives, z.B. Strafen. Was bringen moralische Sprachspiele ins Spiel? Gewissen und Reputation bzw. deren Verlust oder Lädierung. ‚Gewissen‘ wäre ein Sprachspiel foro interno, ‚Reputation‘ eines foro externo. Doch braucht auch ‚Gewissen‘ Kommunikation, d.h. mahnende Sprecher und Mahnung erhörende Hörer. ‚Reputation‘ muss, als Anerkennung, öffentlich kommuniziert werden. Der Reputationskommunikation geht es nicht darum, besonders kluge Reputationsinvestitionen zu machen, sondern gerade davon entlastet zu werden, durch Standards, an denen man sich einfacher bemessen kann. Es geht letztlich nicht um Reputationsgewinn, sondern um Vermeidung von Reputationsverlust. „Moralischen Anreizen kommt demnach die Funktion zu, regelkonformes Ver-
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halten sicherzustellen, indem sie den Verzicht auf nicht-regelkonformes Verhalten fördert“ (Wieland 2003: 12). Moralische Kommunikation hat spezifische Anforderungen: sie muss stabil sein, bzw. erwartungstreu. Das widerspricht der Kommunikationsinterpretation Baeckers, denn moralische Kommunikation ist hoch enttäuschbar: immer dann, wenn die Erwartungen, die moralisch aufgebaut werden, nicht eintreffen, sinkt die Motivation, die das moralische commitment begleitet. Enttäuschung ist Demotivation. Deshalb ist Kommunikation notwendig: es darf nicht den individuellen Interpretationen und Erwartungskognitionen überlassen bleiben, wie die Verhalten eingeschätzt und bewertet werden. Organisationen müssen deutlich kommunizieren (und Arenen deutlicher und offener Kommunikation einrichten), um die komplexen Urteilsprozesse immer wieder neu zu adjustieren oder in Balance kommen zu lassen. „Nicht auf Optimierungskalküle kommt es an, sondern auf Interpretationen der eigenen Geschichte“, so interpretiert Tacke James G. Marchs Organisationstheorie (vgl. Tacke 2001: 34; March 2001). Doch was leistet die Polylinguistik der Organisation letztlich?
7.7 Transitorische Semantik Moral gehört in die Motivationsdimension der Organisation, die sich ansonsten durch organisatorische Routinen auszeichnen. Diese organisatorischen Routinen sind das tacit knowledge der Organisationen; Nelson und Winter nennen sie auch „das Gedächtnis der Organisation“ (vgl. Nelson/Winter 1982: 103 ff.). Das Wissen von Organisationen ist nicht als Information aufrufbar, sondern ein Kooperationsergebnis, das nur durch Kooperation und Kommunikation in der laufenden Kooperation verfügbar wird und bleibt. Wissensökonomien, beschreibt Wieland diesen Zusammenhang, fokussieren Problemstellungen „organisatorischer Koordination und Kooperation, namentlich die der Kontrolle, Steuerung und Führung von Kooperationsbeziehungen zur Erzeugung und produktiven Nutzung von Wissen. Denn die Wissensökonomie basiert ja auf Ressourcen, eben dem individuellen und organisatorischen Wissen, dessen Erzeugung und Nutzung in kooperativen Prozessen immer auch eine moralische Seite hat, nämlich die Kooperation von Akteuren in und mittels Organisationen“ (Wieland 2002a: 7).18
18 Zur governance-Konzeption siehe auch Williamson, der eine Unternehmung als System vereinheitlichter Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen (‚unified governance‘) beschreibt (vgl. Williamson 1985: 72 ff.).
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Die organisationale Theorie des unvollständigen Nexus von Verträgen wird um eine Dimension komplettiert, die selbst unvollständig bleibt, aber andere Ressourcen ins Spiel bringt: Reputation, Status, Anerkennung, Vertrauen etc. Die Vertragsbündel werden komplexer: die organisationalen Verträge – formelle wie informelle – werden um die Leistungsdimension erweitert auf eine reputationale oder Anerkennungsdimension, die als moral frame darstellt werden kann. Doch ist dieser „moralische Anreiz“ (vgl. Wieland 2003) nur die eine Seite der Medaille; es bedarf genauso der Kompetenz und Bereitschaft zur Kooperation: eine Tugenddimension – in moral terms (vgl. Wieland 2001). Moral kann die Form einer Regel annehmen, aber damit ist nichts gewährleistet, wenn nicht zugleich der Sinn dieser Regelgeltung geklärt ist. Moral ist ‚kommunikationsanfällig‘, ihre Geltung muss immer wieder – auch und gerade in Organisationen, wegen der Sinn- und Zweckkonkurrenzen – geklärt werden. Moral komplettiert unvollständige Verträge, ohne aber selber die Struktur eines Vertrages zu haben. Moral kann die Struktur von Vertrauen, Konvention, committment annehmen: jedesmal aber ist die Geltung über andere Mechanismen einklagbar als über juridische-vertragliche. Weil wir für Moral nicht ähnlich hoch-standardisierte Institutionen wie Verträge zur Verfügung haben, müssen wir mit fragileren, flüssigeren Institutionen und Regeln umgehen lernen, deren Kommunikations- bzw. Transaktionskosten aufwendiger sind. Vertrag wird durch commitment ersetzt. Commitiale Strukturen sind kommunikative Strukturen, weil die sichernde ‚dritte Instanz‘ der Verträge, das juridische System, fehlt. Commitments müssen sich ihre Referenz selber besorgen: durch Kommunikation ihrer Geltung.19 Moral ist kein Komplementärinstitut, das die Unvollständigkeit von Verträgen in Organisationen gleichsam automatisch aufhebt, sondern – vorsichtiger gefasst – ein Komplementarisierungstendenzprozess, der wesentlich kommunikativ abläuft, also nicht von vornherein die Form einer Institution/Regel annimmt. Was als moralische Anforderung der Form einer Regel/Norm/Maxime annimmt, ist noch lange keine Regel/Norm/Maxime: hier gilt wieder der Davidsonsche Hinweis auf kommunikative Effektivität (oder ‚sensemaking‘, wie Weick es vorschlägt; vgl. Weick 1995; siehe auch Thatchenkery, in: Westwood/ Linstead 2002). Die Moral als ein Sprachspiel unter anderen einzuführen in den Organisationsnexus verschiebt die Gewährleistung von der Struktur auf den Prozess, von der Regel aufs Spiel: auf eine offene Struktur, in der effektive Kommunikation bedeutsamer ist als semantische Prädisposition. 19 Folglich: „Organisation ist demnach ein Ergebnis der Selbstreferentialität von Gruppen mit dem Ergebnis, dass die Struktur von Netzwerken selbst kontingent bezüglich der Entscheidungsprozesse von Aktoren wird“ (Herrmann-Pillath 2002: 125). Vgl. dazu auch Schalls kommunikative Erzeugung „of shared understandings of the ‚we‘“ (Schall 1983: 560).
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Hier schließen wir an den Anfang an, allerdings nun angereichert durch drei Aspekte: 1. 2. 3.
die Polylinguistik der Organisation, die als Kommunikation spezifiziert wird, um kooperationsagil und wahrnehmungs- wie änderungsoffen zu sein.
Management von Organisationen ist die Kompetenz, sich mehrsprachig in diversen Sprachspielen so zu bewegen, nicht dass sie optimal kooperieren lernen, sondern dass sie optimal nutzbar werden. Was hier optimal heißt, ist erst zu interpretieren und ständig zu regenerieren. Denn wo Optimalität eindeutig wird, haben wir es mit Routinen zu tun, die kritisch werden bei neuen Problemen und neuen Kooperationsanforderungen. Deshalb ist es von Bedeutung, dass Manager die Organisation als Kommunikationssysteme verstehen, ständig interpretieren (und reinterpretieren), was als ‚sinnvoll‘, ‚zweckmäßig‘ oder ‚optimal‘ zu gelten habe. Die Geltung dieser Aussagen gibt sich nicht aus fachlichen Bestimmungen, sondern aus den Kommunikationen, die die Organisation zulässt und führt: intern wie extern.20 „The communication activity is the organization“ (Weick 1995: 75, in Referenz zu Schall 1983). „Das alte Verständnis von Arbeitsteilung wird auf den Kopf gestellt. Die frühe Organisationstheorie ging von einem Maschinenverständnis der Organisation aus, deren Produktionsverfahren am Tisch des Ingenieurs so zu planen sind, daß sie dem Betrieb vorgegeben werden können. Arbeit im Betrieb hieß Durchführung gegebener Arbeitsteilung, mit theoretisch geringen, aber praktisch beachtlichen Variationschancen, die das tägliche Brot des Managements ausmachten. Heute hingegen deutet sich an und wird von den Managementphilosophien bereits empfohlen, daß Arbeitsteilung im Betrieb weitgehend und bei laufendem Betrieb, ja als Motor des Betriebs, allererst ausgehandelt wird. Man stellt sich vor, daß neue und alte Mitarbeiter im Betrieb in der Auseinandersetzung mit anderen immer wieder überhaupt erst herausfinden müssen, was von ihnen erwartet wird und was sie von anderen erwarten können. Mehr noch, sie müssen durch Kommunikation, also durch beobachtbare Beobachtungen der Beobachtungen anderer, andere überhaupt erst dazu bringen, von ihnen zu erwarten, daß sie an der Kommunikation teilnehmen und damit eigene Erwartungen von Erwartungen ins Spiel bringen“ (Baecker 2003a: 64 f.; mit Verweis u.a. auf Weick 1987).
Die ‚Arbeit an der Arbeit‘ (vgl. Priddat 2000d) ist deren ständige Kommunikation in Organisationen, in der die Kooperationen, d.h. die konkreten Formen der 20 Exemplarisch für Kommunikation/Netzwerkstrukturen Soukop 2002; Herrmann-Pillath 2002 und Lies 2003.
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Zusammenarbeit jeweils neu bestimmt werden. Kompetenz wird nicht mehr allein über Fachlichkeit definiert; fachliche Kompetenz wäre, wie in klassischen Hierarchien, zu koordinieren. Doch wenn zu den fachlichen soziale und organisatorische Kompetenzen hinzukommen, dann haben wir es mit Kooperationen zu tun, die emergente governances erfordern. Dann reicht es nicht mehr aus, dass die Manager die Interpretations- und Übersetzungsarbeit im polylinguistischen Gefüge der Organisation leisten. Dann beginnen die Mitarbeiter, in ihren Kooperationen: ob Teams oder andere Arenen, selbständig in Diskurs zu treten, über ihre jeweilige Sprachspielherkunft hinweg. Es entwickelt sich eine – jeweils organisationsspezifische – transitorische Semantik. Wir hatten es vorhin als linguistic community bezeichnet, aber das ist noch zu vereinheitlichend und damit missweisend bezeichnet. Transitorische Semantik weist auf Zwischensprachen, mit denen die Organisationsmitglieder neue Tugenden lernen: neue Kompetenzen, Anforderungen, Professionalisierungen, die stärker auf Transdisziplinarität ausgerichtet sind als auf die Fachsemantik des berufsständigen Sprachspiels. Sie lernen die Sprache der Organisation kontigenzbewusst. White macht darauf aufmerksam, das ‚switching‘ eine Fähigkeit ist in Netzwerkorganisationen, auf Änderungen und differente Wahrnehmungen aufmerksam zu sein. „Anthropological linguistics has brilliantly opened up, through comparative grammar ... the actual mechanisms by which new levels of meanings emerge“ (White 2002: 306). An anderer Stelle nennt er es „discourse dialectics“ und „reflexivity“ (White 2002: 306 und 307). „Change of a market from one orientation to the other requires switching in idiom (and controversly). ... A possible analogue in language is diglossia, in which speakers who are masters of two languages switch back and forth between them“ (White 2002: 306). White nimmt die gleiche Unterscheidung auf, die wir vorhin bei Dirk Baecker fanden: zwei differente Sprachen (als Minimalstandard einer Polylinguistik der Organisation). Ihm geht es auch nicht um etwas anderes: um die Kompetenz, in zwei Sprachen einen größere Möglichkeitsraum zu betreten – to switch orientations. Whites ‚to switch‘ ist fast identisch mit Baeckers Kontingenz. Wenn ich hier von transitorischer Semantik rede, meine ich eben dies: es geht um eine Kompetenz der Re-Interpretation.21 Das aber hatten wir bereits als Zunahme von Sprachspieldiversität angesprochen: dass die Akteure Kategorien haben, die in vielen Sprachspielen ähnlich verwendet werden. In der klassischen Studie zur lean production lauteten 1990 die entscheidenden Faktoren:
21 Bei White heißt es „interpretative constructions of meaning“ (White 2002: 306).
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7. Organisation und Sprache Persönlichkeit; Teamarbeit; Kommunikation; Simulation (vgl. Womack/Jones/Roos 1990: 112 ff.).
Was sich 1990 avantgardistisch las, gehört heute zum Standard. Dirk Baecker zeigt, dass sich alle Elemente diese Konzeption als Kommunikationstopoi reformulieren lassen (vgl. Baecker 2003a: 62 ff.). Sich in Teams schnell zu organisieren oder auf Kooperationen hin, die nicht aus der Fachlichkeit oder bisherigen Kompetenz bekannt sind, wird zu einer neuen Anforderung in Organisationen, in denen die Fachsprachspiele nur noch zur Hälfte wertvoll sind: als Markierung für die residualen Berufssemantiken. Kommunikationskompetenz ist keine laue soft version, sondern die Kompetenz, polylingustisch zu agieren (vgl. Frey 2002), d.h. Anforderungswechsel zu bewältigen und wechselnde frames und Perspektiven einzunehmen – und zwar professionell (vgl. auch Westwood/Linstead 2001).22 Dazu bedarf es Brückensprachen (bzw. Brückensemantiken). Die Ausbildung von Managern dieser Prozesse (also aller künftigen) erfordert dann die Umstellung von reiner Fachlichkeit auf semantische und kommunikative Agilität. Erst wenn die Mitglieder, vor allem aber die Manager der Organisation sie immer wieder neu beschreiben können, bleiben sie bei ihr bzw. bei sich.
22 Zur anderen Hälfte braucht man aber neue Sprachen, die die Kriterien einer transitorischen Semantik erfüllen. Möglicherweise ist die Einführung der global business language English eine solche transitorische Semantik (und Grammatik), die Abstand gewinnen lässt von der besonderen Berufseigentlichkeit der Sprachspiele, die man in Lehre und Studium gelernt hatte. Das oft belächelte Denglisch, ein verenglischtes Managementdeutsch (oder deutsches Englisch), das ja kein English ist, sondern ein Import vieler angloamerikanischer Vokabeln in den Managementtalk, erfüllt womöglich die Rolle einer Distanzsprache, die die Berufsständigkeit der Fachsprachen aushebelt. Sprache als soziale Distanzierungstechnik ist epistemologisch notwendig (als Deontologisierungsoperator), um in dynamischen Welten Bedeutungsbindungen und Erfahrungen aufgeben zu können – eine notwendige Voraussetzung (woanders wird sie als Kompetenz zum Nicht-Wissen thematisiert) für hohe Agilität.
8. Personalentwicklung und Cultural Social Responsibility 8. Personalentwicklung und Cultural Social Responsibility
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Drei Begriffsmontagen müssen wir unterscheiden: (a) corporate social responsibility, (b) corporate cultural responsibility, (c) cultural social responsibility. (a) Corporate social responsibility ist die Basiskonzeption. Als corporate social responsibility (CSR) wird unternehmerisches Handeln bezeichnet, welches über die eigentliche Geschäftstätigkeit eines Unternehmens hinausgeht. Für Unternehmen besteht aufgrund veränderter Umweltbedingungen (insbesondere Globalisierung, verbesserte Informations- und Kommunikationstechnologie und sich verändernde mentale Modelle) der Druck, sich zunehmend mit dieser Thematik auseinander zu setzen, da sie anderenfalls Gefahr laufen, die von der Gesellschaft benötigte licence to operate zu verlieren. Prominentes Beispiel für die Konsequenzen bei Verlust der licence to operate stellt Shell (Brent Spar) dar. Die Gesellschaft fordert von Unternehmen die Übernahme von Verantwortung. Unternehmen haben dieser Forderung in ihrem Eigeninteresse nachzugehen. Sie stehen vor der Herausforderung, angemessene Konzepte zu entwickeln. Um eine gemeinsame Annäherung an das Thema CSR zu finden schließen sich Unternehmen zu Netzwerken zusammen (z.B. econsense, CSR Europe). Allerdings ist nach wie vor weitgehend unklar, was sich genau hinter dem Begriff CSR verbirgt; er wird sowohl als Überbegriff zu corporate citizenship (CC) verstanden, wie auch umgekehrt. Meist werden unter beiden Begriffen Instrumente wie Sozial-/Umweltsponsoring, Spendenwesen, Mäzenatentum oder corporate volunteering verstanden. Auch wird oftmals der Anspruch erhoben, CSR würde ein Bestandteil im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung sein. Während im angelsächsischen Sprachgebrauch das Konzept CSR zwar die ökologische und soziale Dimension stärker betont als die wirtschaftliche, wird im Deutschen CSR zunehmend mit dem Begriff der unternehmerischen Nachhaltigkeit (d.h. eine Unternehmensführung unter ausgewogener Berücksichtigung von ökonomischen, ökologischen und sozialen Faktoren) gleichgesetzt. Allerdings erscheint es fragwürdig, ob einzelne Instrumente hierzu einen Beitrag leisten können. Vielmehr wird das
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8. Personalentwicklung und Cultural Social Responsibility Ergebnis oftmals ‚nur‘ ein ad-hoc-Projekt sein; es fehlt der professionelle Umgang mit der Thematik. Unternehmerisches Handeln soll sich auf seine Umgebung: auf den eigenen Standort, auf den Wohnort der Mitarbeiter, auf die Region erstrecken. Die Unternehmung erweist sich als sozial verantwortlich, indem sie soziale und Infrastrukturprojekte finanziert, stiftet oder co-finanziert (z.B. als PPP, d.h. private-public-partnership). Corporate citizenship ist als Spezialfall der CSR exportorientiert: das Unternehmen leistet soziale Unterstützung nach außen, in die Umwelt der Unternehmung. CSR hingegen ist allgemeiner ausgelegt. Neben einer klaren Exportfunktion kann CSR auch unternehmensinterne Projekte forcieren: Kindergärten z.B. für die mitarbeitende Frauen, besonders flexible Arbeitszeitregelungen, Unternehmenskulturförderung etc. (b) Corporate cultural responsibility (CCR) hingegen setzt andere Nuancen: es geht nicht um die Förderungen und Pflege von social capital, sondern um cultural capital. CCR hat die gleiche Funktion wie CSR, aber einen anderen Fokus: in der Exportdimension die Förderung kultureller Projekte in der Umwelt der Unternehmungen (vgl. Hutter 2004), in der Importdimension Kultur und Kunst als Modelle der Re-Organisation der Unternehmung, nach diversen Aspekten (z.B. Atmosphäre, Unternehmenskultur, Kreativitätsförderung, Motivation etc.; vgl. Mutius 2004; Wieland 2004b). (c) Eine dritte Variante: cultural social responsibility (CuSR). Hier wird die Importdimension eindeutig in den Vordergrund gehoben: inwieweit Unternehmen ihre sozialen Beziehungen kulturell moderieren. Ich will die mögliche Exportdimension nicht ausschließen: dass Kulturprojekte für die Umwelt der Unternehmung unter sozialen Gesichtspunkten betrachtet werden. Doch bleiben solche Aussagen recht allgemein und legitimieren jede Aktivität, ohne Kriterium. CuSR konzentriert sich wieder auf einen social capital-Ansatz, der mit einem cultural capital-Ansatz verbunden werden muss. Um es schematisch zu verorten: (a) CSR ist social capital-basiert; (b) CCR ist cultural capital-basiert und (c) CuSR ist social und cultural capitalbasiert. Ohne Erklärung dieser Kapital-Theoreme können wir die Ansätze nicht einschätzen. Die Konzepte des sozialen und des kulturellen Kapitals entspringen der Theorie Bourdieus. „Pierre Bourdieu zieht den Begriff des Kapitals heran, um die Privilegien zu beschreiben, die die kulturelle Elite und die feine Gesellschaft genießen. [Er] … beschreibt den Kampf um gesellschaftliche Geltung als einen Kampf um die Verteilung eines sozialen Produktes.
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10. In den Feinen Unterschieden und im Homo academicus beschreibt Bourdieu eine Klasse von Besitzenden, die über die Mittel zur Herstellung von Exklusivität verfügen. Diese Mittel könne, müssen aber nicht materieller Natur sein. Die elitäre Stellung beruht auf dem Besitz von – wie Bourdieu es nennt – kulturellem und sozialem Kapital. Kulturelles Kapital ist, was denen zur Hand ist, die den Ton angeben; soziales Kapital ist, worüber die verfügen, die die richtigen Beziehungen haben“ (Franck 2005: 68 f.). 11. Soziales Kapital ist Beziehungskapital. „In Anlehnung an die konfliktanalytische Betrachtung Bourdieus und später an die vertrauensfokussierte Lesart Putnams kann allgemein von social capital dann gesprochen werden, wenn eine Währung für Beziehungen zur beiderseitigen Effizienzsteigerung gefragt ist“ (Jansen 2004b: 1). 12. Auch Robert D. Putnam hatte die Kernidee des sozialen Kapitals darin gesehen, dass „soziale Kontakte die Produktivität von Individuen und Gruppen beeinflussen“ (Putnam 2000: 18.f.). 1993 hatte Putnam es bereits vordefiniert: „social capital ... refers to features of social organization, such as trust, norms and networks, that can improve the efficiency of society by faciliting coordinated actions“ (Putnam 1993: 167). 13. Kulturelles Kapital – nach Bourdieu das, ‚was die verfügen, die den Ton angeben‘ – ist ein schwieriger zu definierendes Kapital, da wir vielfältige und konkurrierende Kulturdefinitionen haben. Es ist kein Zugriff auf Beziehungen (social capital), sondern auf Zuschreibungen und kulturelle Konstruktionen: wenn man so will auf Beobachtungen und Interpretationen von Beziehungen und möglichen Beziehungen. 14. Kultur selegiert soziale Beziehungen über Erinnerungen (oder Vergessen). Kulturelles Kapital ist immer auch sedimentierte Sozialität, inklusive einer Reflexion auf die je aktuale Sozialität (oder der Vorgriff auf potentielle Sozialität). 15. Stephan A. Jansen schlägt vor, Kulturkapital als auf Organisationen bezogen einzuführen und zwar als ein „Portfolio von Semantiken und Codierungen, das als ‚Themenvorra‘ für interne wie für externe Kommunikationszwecke aufbewahrt wird“ (Jansen 2004b: 4). Diese Definition ist kompatibel mit institutionenökonomischen Konzeptionen, die Kultur-Institutionen als shared mental models (vgl. Denzau/North 1994) auffassen, nur dass sie zugleich eine Varietät mitbringt, die die Kompaktformel der gruppalen mental models nicht kennt. 16. Cultural capital – alle Bezugsmöglichkeiten zu den differenten Kulturdefinitionen unterschlage ich an dieser Stelle (vgl. kritisch Baecker) – muss als Kapital definierbar sein. Jansen verweist hier auf Niklas Luhmann. Das
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‚Portfolio von Semantiken und Codierungen als Themenvorrat‘ ist kein notwendig „normativer Sinngehalt, wohl aber eine Sinnfestlegung (Reduktion)“ (Luhmann 1984: 224 f.). Kultur wirkt somit als soziales Gedächtnis, als ein Filter von Vergessen und Erinnern (vgl. Luhmann 1997: 586-594). „Kapital in dem Bourdieuschen Zusammenhang ist genau aus Gründen dieses Zusammenhangs etwas Selbstverständliches, bleibt es doch immer angesammelte Vergangenheit, die als verfügbare Ressource behandelt werden kann, ohne dass die Ansammlung und das Lernen erinnert werden müssten“ (Jansen 2004b: 4). 17. Eine ‚lernende Organisation‘, um diese Volte in die Unternehmensorganisation zu schlagen, kann das Lernen nur leisten, wenn sie die Reorganisation des sozialen Kapitals – wie wir das Lernen übersetzen können –, in Rekurs auf das kulturelle Kapital der Organisation bewerkstelligt. Organisationen ‚lernen‘, wenn sie ihre Organisationsentwicklung auf ihre ‚angesammelte Vergangenheit‘ hin neu reflektieren (vgl. Müller 2004: Geschichten als Träger von Unternehmenskultur). Das kulturelle Kapital einer Organisation, das ‚Portfolio von Semantiken und Codierungen, das als Themenvorrat für interne und externe Kommunikationszwecke aufbewahrt‘ wird, hat die Funktion, „zwischen Differenzzonen und Indifferenzzonen zu unterscheiden, das heißt zwischen passenden und unpassenden, wichtigen und unwichtigen, akzeptablen und inakzeptablen Themen sowie deren korrekten oder unkorrekten Gebrauch“ (Jansen 2004b: 4). 18. Es wird deutlich, dass die Kultur, die im kulturellen Kapital einer Organisation akkumuliert ist, kein Bestand oder Vermögen ist, wie ältere Kulturbegriffe behaupten mögen, sondern ein Selektionspotential. „Wenn wir überhaupt von Kulturkapital sprechen, dann müssen wir unmittelbar von Gleichheit auf Vergleichbarkeit umstellen und die Semantik der Kultur dynamisieren. Das Gedächtnis als kulturelles Kapital schafft somit die vergessende wie erinnernde Infrastruktur für diese Vergleichbarkeiten. Es ist aber auch ein eher unbemerkter Abschied von jeglichen Einheitsphantasien, Identitätskonzepten und Gleichmacherei. Die Qualität des Gedächtnisses hat aber weniger den Fokus auf Konservierendes, wie es andere Kultursemantiken nahe legen, sondern es dient als Infrastruktur zur Selektion von Sinn, also zur Selektion der Differenz von Aktualität und Potentialität. Es wirkt als ein Immunsystem, das sich gegen zu eindeutige Vergangenheit wie auch zu bestimmte Zukünfte immunisiert. … Die Selektion wird über die Funktion von den das erinnern anmahnenden Werten (Nachhaltigkeit) und die aktualisierenden Interessen (Varietät) vermittelt. … Ein solches (kulturelles) Gedächtnis kann nur innerhalb von Grenzen immunisiert werden – das heißt für Gruppen, Organisationen, Funktionssysteme oder Gesellschaftssysteme. Grenzen, die durch die Immunisierung mit erzeugt werden. Kulturkapital ist in diesem Zusam-
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menhang die paradoxe Fähigkeit der Irritierbarkeit zum Aushalten von Widersprüchen durch Selbstkorrektur“ (Jansen 2004b: 4 f.).
19. Jansen sieht das kulturelle Kapital als Fähigkeit, Grenzprozesse einzugehen und auszuhalten. Das ist eine elaborierte Definition von Unternehmenskultur, die für die dynamischen Umwelten (Märkte) von Unternehmen deren Eigendynamisierung fordert, um adaptations-, innovations- und strategiefähig zu bleiben. Ich halte das für eine brauchbare Definition von corporate cultural responsibility (CCR). Doch spielt die soziale Dimension, die durch die Investitionen in cultural capital mitlaufenden Co-Investitionen in social capital, eine nicht ausgrenzbare Rolle. Aber welche? 20. Wie sind cultural und social capital verknüpft? Erst die Antwort darauf erlaubt uns, die letzte Variante der drei responsibility-Definitionen in Augenschein zu nehmen: cultural social responsibility (CuSR). Eindeutig schiebt sich die kulturelle Dimension des social capital in den Vordergrund der Betrachtung. Dirk Baecker hat eine Konzeption angeboten, die dieser Thematisierung von sozialer Unternehmenskultur entsprechen kann. Ähnlich wie Jansen spricht er von der „Umstellung des Unternehmens auf eine bewegliche, attraktive und lernfähige Unternehmenskultur, die so entworfen wird, daß sie sich weder auf die Traditionen der Vergangenheit noch auf unsichere Aussagen über mögliche Zukünfte verlassen muß. … Es hilft nur die Umstellung auf eine Unternehmenskultur, die Flexibilität und Konsistenz auf einen Nenner bringt“ (Baecker 2002: 59). 21. Unternehmen sind hierarchisch koordinierte Organisationen mit gemischt durchsetzten informellen Kooperationen, die aber völlig unabhängig und z.T. gegen die hierarchisch gewünschte Koordination tätig sind. Zu den expliziten Verträgen (Arbeitsvertrag etc.) kommen implizite Verträge: Erwartungen an Koordinationsleistungen und Kooperationschancen. Unternehmen sind Organisationen, die aus Netzwerken expliziter und impliziter Verträge bestehen (neben der Unternehmensverfassung, die Verhaltensstandards regelt). Explizite wie implizite Verträge definieren Handlungsbeschränkungen wie Erwartungen über kooperative Handlungsmöglichkeiten und Ressourcennutzungen. 22. Aus der Perspektive der Organisation der Organisation ist Gewinnmaximierung nur ein Anreizsystem unter anderen. Organisationen integrieren mehrere Anreiz- und Motivsysteme bzw. Sprachspiele. Die Organisation besteht aus vielen differenten Sprachspielen: Ökonomie, Recht, Technik, Macht, Bürokratie, Anerkennung, Moral, die auch differente Identitäten repräsentieren. Ein Ingenieur denkt eher technisch als ökonomisch; ein Jurist rechtlich; ein Bürokrat bürokratisch; ein Facharbeiter fachlich etc. In ihren jewei-
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8. Personalentwicklung und Cultural Social Responsibility ligen Sprachspielen können sie ihre Kompetenz ausdrücken, können sie ‚ihre Sache verstehen‘. Organisation muss diese Sprachspiele gleichzeitig bewerten, übersetzen und verarbeiten. Die Ressourcen der (Unternehmens-)Organisation sind polylingual. Da der Markt das Unternehmen strukturiert, müssen alle Ressourcen nach dem ökonomischen Code in Entscheidungen transferiert werden. Alle differenten Sprachspiele haben im Unternehmen ökonomische Bedeutung oder Konsequenzen. Aber nicht alles im Unternehmen ist Ökonomie. Das ist die eigentümliche Spannung, die Organisationen steuern müssen, weshalb die Unternehmens-Organisationen auch nicht einfach durch MarktKoordination ersetzt werden können, sondern spezifische Kooperationenformen entwickeln müssen, die ihre besondere Leistungsfähigkeit als Marktakteure ausmachen. Das eigentümliche Phänomen, dass der Markt, als absolut flexibles und nicht-hierarchisches Koordinationsorgan, durch sein Gegenteil, durch hierarchisch strukturierte Organisationen bedient und bewegt wird, zeigt uns, welche Integrationsarbeit Organisationen zu leisten haben. Sie müssen, um auf dem Markt als Marktakteure aufzutreten, sehr viele nicht-marktliche oder nicht-marktförmige Ressourcen zusammenwirken lassen. Dieses Zusammenwirken als Kooperation zu steuern, ist die Hauptaufgabe von Unternehmens-Organisation. Es ist deshalb ungenau bis verfehlt, zu behaupten, die einzige Aufgabe von Unternehmensorganisationen sei die Gewinnmaximierung. Um Gewinnmaximierung leisten zu können, muss die Organisation zuerst und vordringlich das polylinguale Ressourcenmanagement leisten, d.h. Ökonomie, Recht, Technik etc. kooperativ integrieren. Als wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen muss es nicht-wirtschaftliche Ressourcen in Kooperation bringen, und zwar nicht so, dass alle Sprachspiele ökonomische Sprachspiele werden, sondern als Ökonomie, Recht, Technik, Bürokratie, Moral etc. koagieren, um final ökonomischen Erfolg zu erzielen. Hinzu kommen die spezifischen Leistungs- und Motivlagen, Macht und die Kommunikation des Unternehmens in der Öffentlichkeit, die ebenfalls gemanaged werden müssen, um ökonomisch Erfolg zu haben. Ökonomie ist erst einmal nur eine Ressource auf dieser Liste, wenn auch die Kunst der Organisation der Organisation darin besteht, alle Ressourcen ökonomisch zu interpretieren bzw. auf ihre ökonomischen Konsequenzen hin zu betrachten. Die soziale Dimension bezieht sich nun – um wieder auf unser Thema zurückzukommen – auf die Unternehmensorganisation: sie soll beweglicher werden, d.h. ihre Beziehungspotentiale werden effizienter ausgestaltet. Die Netzwerke (formale und informale Organisation) entwickeln ihre Bezie-
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hungen, Relationen und Beziehbarkeiten neu, öffnen sich, verschränken sich neu. Da die Organisation formal eine Eigentumsgrenze hat, muss sich auch eine neue Managementform ausbilden, die diese Netzwerkprozesse weniger steuert als indirekt lenkt (governance). 27. Dirk Baecker sieht hier eine Koinzidenz von strikterer Kundenorientierung (‚gewinnorientierte Befriedigung von Kundeninteressen‘, die schnelle und flexible Organisationsleistungen verlangt) und sozialer Intelligenz im Unternehmen. Soziale Intelligenz ist eine Baeckersche Definition der Verbindung von Wissen und sozialer Kompetenz in der Organisation: intellectual and social capital. Erst diese Verknüpfung, so Baecker, kann überhaupt die geforderte Dynamisierung der Organisation bringen. „Diese Unternehmenskultur geht davon aus, daß Wirtschaft und Unternehmen in jedem Moment neu erfunden werden müssen, weil nichts garantiert, daß es so bleibt, wie es ist. Die Arbeit muß laufend neu erfunden werden, ebenso der Kunde, das Kapital, der Markt und die Konkurrenz, weil man andernfalls riskiert, Dinge vorauszusetzen, die schon längst nicht mehr vorausgesetzt werden können. Wirtschaft und Unternehmen werden zu einer intellektuellen Leistung: und hier kann nur ein Unternehmen mithalten, dessen Kultur es zur Intellektualität, zu kognitiven Leistungen der Beobachtung, Beschreibung und Mitgestaltung von Situationen befähigt. Ohne eine laufende Rückbesinnung auf die wirtschaftliche Absicht des Unternehmens werden diese kognitiven Leistungen nicht zu erbringen sein. Deswegen stehen Kultur und Intellektualität nicht wie ehedem in Opposition zur Wirtschaft, zum Unternehmen und zum Geschäft, sondern fungieren als deren wichtigste Produktivkräfte“ (Baecker 2002: 59).
28. Sozialkapital ist keine statische oder Bestandsgröße, kein Reservoir und keine Ressource, die einfach genutzt werden kann (so wie das Sozialkapital bei den Gewerkschaften manchmal konservierend verstanden wird, aber auch von vielen Unternehmern beispielsweise). Das Vorhandensein von Beziehungsnetzwerken ist in dynamischen Umgebungen auf seine Änderungskompetenz zu analysieren, nicht auf seine Bestandsgemütlichkeit (wie wir momentan in Deutschland ‚das Soziale‘ eher aufzufassen geneigt sind). Deshalb halte ich Baeckers Konnotation von sozialem und intellektuellem Kapital für angemessen, die doppelte Dynamik der äußeren wie inneren Änderungsanforderungen zu erfassen. 29. Diese soziale Intelligenz des Unternehmens fordert eine Reorganisation: denn es kann nicht mehr zentral geführt werden. Jedes Teilsystem der Organisation muss die Anpassungsfähigkeit haben, was voraussetzt, sie als Anpassungskompetenz selber entwickeln und lernen zu können. „Wenn sich ein Unternehmen flexibel auf wechselnden Bedarfslagen, Gewinnchancen und Kundenanforderungen ausrichten können soll, dann kann diese Ausrichtung
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8. Personalentwicklung und Cultural Social Responsibility nicht von einer zentralen Planung, sondern nur vom Unternehmen selbst, das heißt von allen seinen Stellen, vorgenommen werden: Jede Teilstruktur des Unternehmens muss sich sofort mit allen anderen Teilstrukturen des Unternehmens, mit denen es in Berührung kommt, auskennen und ihnen kooperieren können; und alle Ressourcen, die für diese Kooperationen erforderlich sind, müssen von den beteiligten Stellen gleichsam aus dem Stand selbst entwickelt werden. Nur in der Frage der Konditionen, der Start- und Stoppregeln von Kooperationen, müssen die einzelnen Stellen mit Hilfe von Vorgaben zur Rentabilität, zur Marktführerschaft und zum Innovationspotential fremdgesteuert werden, weil anders nicht sichergestellt werden kann, dass alle begonnenen Kooperationen wieder beendet werden könnten“ (Baecker 2002: 60).
30. Intellektuelles Kapital – die zweite Komponente in der ‚soziale Intelligenz‘ genannten Konnotation von intellectual and social capital – ist kein knowledge capital, wie wir es manchmal in Theorien des Wissensmanagements lesen, sondern eine als soziales Kapital formierte Form der intelligenten Beobachtung und Analyse der Markt- und Unternehmensentwicklung. Es geht hier nicht nur darum, das Netzwerk der Beziehungen auszuweiten oder besser zu nutzen, sondern vor allem darum, eine Selektion der Netzwerkteilhabe nach Intelligenzkriterien vorzunehmen. Dazu müssen, nach Baecker, die wirtschaftlich orientierten Unternehmenskulturen nach drei Regeln arbeiten: 1. Einfachheit, 2. Autonomie und 3. soviel Führung wie möglich auf die Ebene der Kultur verlagern. 31. Ich halte diese drei Regeln für vorbildlich zur Erklärung dessen, was cultural social responsibility (CuSR) bedeutet. Zuvor allerdings soll noch einmal deutlich werden, dass wir es nicht mit Kombinatorik zu tun, d.h. mit einer – beliebigen – Kombination von Kultur und Sozialität, sondern um eine spezifische Konnotation, die cultural and social capital als soziale Intelligenz reformiert. Nur über diese Volte können wir die epistemischen Anforderungen beschreiben, denen dynamische Organisationen in dynamischen Umwelten ausgesetzt sind. CuSR unterscheidet sich von CCR in dieser Betonung der epistemischen Kultur und ihrer spezifischen intellektuellen Anforderungen im Unternehmen. 32. Erst hier wird deutlich, was die Redeweise von der Wissensgesellschaft meinen kann: Selektion von social capital. Nicht mehr die Menge von Beziehungen ist wichtig, sondern zunehmend ihre (intellektuelle) Qualität. Das hat, worauf wir uns ja gleich stürzen wollen, eindeutige Konsequenzen für die Personalentwicklung. Wissensbeziehungen sind sui generis über die jeweilige Organisation und ihre Grenzen hinausragend, überschießend. Um das genauer beantworten zu können, klären wir noch einmal Baeckers Konzept der Unternehmenskultur.
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33. Das Netzwerk Organisation/Unternehmen ist kein festgeschriebenes, sondern kulturelle Führung meint, nach Baecker, die Fähigkeit, in der Organisation die Beziehungen herstellen zu können, die nötig sind, um die doppelte Dynamik (innen wie außen) zu bewältigen. „Ein Netzwerk ist erst dann eine Netzwerk, wenn es in der Lage ist, nicht vorwegzunehmen, wer sich aus ihm in welchen Gründen wann anschließt und wer wann wieder aus ihm ausscheidet. Nur dann bleibt es offen für die Möglichkeit, andere Kunden anzulocken und neuartige Produzenten in Anspruch zu nehmen. … Die Offenheit macht das Netzwerk in wesentlichen Hinsichten unberechenbar und unbeherrschbar. Aber genau das ist es, was die angeschlossenen Produzenten und Konsumenten mit immer wieder neuen Anlässen zu einer weiteren Informationsverarbeitung versorgt. Die Unberechenbarkeit und Unbeherrschbarkeit machen das Netzwerk beweglich, die Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit würden es stillstellen und abtöten“ (Baecker 2002: 68).
34. Kulturelle Führung betrachtet die Beziehungen in der Organisation wie die Netzwerk nach außen neu, lässt sie organisatorisch neu relationieren, und betrachtet auch Außenbeziehungen insofern neu, als man Familien als Kunden und Wissenschaftler und Künstler als Produzenten sucht. Kultur wird hier implizit, beruht auf der Vergleichbarkeit von Konsumenten und Produzenten mit neuen Konsumenten und Produzenten. 35. Das klassische Industrieunternehmen hatte eine kulturelle Überzeugungsarbeit (‚Sinnstiftung‘) geleistet, die an der Spitze der Hierarchie mit einem mehr oder minder offenen Ohr für die Problemwahrnehmung auf den unteren Rängen der Hierarchie gemacht wurde. Das Unternehmen der Zukunft wird die Arbeit des ‚sensemaking‘ im Sinne von Karl E. Weick auf alle (und insgesamt weniger) Ebenen verteilen und viel stärker auf die Differenz von innen und außen als auf die Differenz von oben und unten beziehen (vgl. Baecker 2002: 69). 36. Wir haben jetzt das Raster insoweit komplettiert, als wir uns Fragen der Personalentwicklung in einem CuSR-Konzept stellen können. Einfachheit (Transparenz), Autonomie und kulturelle Führung sind Kriterien, die neue Anforderungen an das Personal dieser Unternehmung stellen. Folglich ist CuSR – in der Baeckerschen Variante der Konnotation von Sozial- und intellektuellem Kapital – ein Selektor, der die Mitgliedschaft in der neuen Netzwerkstruktur der Organisation neu bewertet. 37. Um es noch deutlicher werden zu lassen: die Anforderung an die Mitgliedschaft dieser CuSR-basierten Netzwerkorganisationsstruktur nimmt zu. Die alte Vorstellung, Organisationen stellen Arbeitsplätze zur Verfügung, die durch Anordnung, Fleiß und Sachwissen gut ausgefüllt werden, ist hinfällig in einer Organisation der doppelten Dynamik, die ihre Verhältnis zum
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Markt und zur Gesellschaft ständig neu bewerten und ausloten muss, indem sie ihre Netzwerkmitglieder diese Auslotungen selber immer wieder neu konfigurieren und organisieren lässt. 38. Die Mitarbeiter benötigen nicht nur Sachkompetenzen, und nicht nur darüber hinaus, wie man in den human capital-Ansätzen immer wieder fordert: Organisations- und Kommunikationsfähigkeit, sondern Autonomiekompetenz: das ist mehr als relative Selbständigkeit im Organisationsrahmen. Das ist eine Anforderung an soziale Intelligenz in der Kooperations-, Koordinations- und Entscheidungsfähigkeit. 39. Unabhängig von der Frage, wie man Mitarbeiter aussucht, die diese Kompetenzen haben, oder wie man unternehmensintern solche Kompetenzen entwickelt, bleibt die ebenso bedeutsame Frage, wie man das Management umbaut, damit es in der Lage ist, die Autonomie ihrer Mitarbeiter auszuhalten. Denn eine Netzwerkkultur, wie wir sie hier als CuSR skizziert haben, markiert die Manager weder als Herren des Wissens der Organisation noch als Herren der Anweisungen, sondern als Koordinator einer governance, in der andere stakeholders mitentscheiden. Governance einer Netzwerkstruktur ist eine Art von Management by objectives und by exception. 40. Man kann es ökonomisch wie folgt erläutern: Organisationen doppelter Dynamik müssen immer wieder die Integration neuer Anforderungen und Organisationsweisen schaffen. Die Integrationskosten – anders als die Transaktionskosten – variieren abhängig von jeweiligen Kontrollaufwand. „Integrationskosten sind umso höher, je mehr ein Unternehmen aufwenden muss, um einen bestimmten operativen und strukturellen Zusammenhang sicherzustellen, und umso niedriger, je geringer dieser Aufwand ist. … [Wir stellen hier die Frage], unter welchen möglichst geringen Kosten die Integration jedes einzelnen Fraktals [Unternehmen, Abteilungen, Stelle] im Netzwerk, in dem es operationsfähig ist, sich selber kontrolliert“ (Baecker 2002: 70).
41. Die Integrationskosten steigen, wenn die Kontrolle von anderen vorgenommen wird. Die Integrationskosten sinken, „wenn die Kontrollkosten nur dort anfallen, wo sie von sich selbst kontrollierten Einheiten auch getragen werden müssen“ (Baecker 2002: 70). 42. Die Selektion von Mitarbeitern (human capital), die in der Lage sind, im Team oder durch sonst wie geeignete Formen der Kooperation die Integrationskosten zu senken, sind das bevorzugte Objekt der Personalentwicklung in den DDU (doppelt dynamischen Unternehmen). Wir haben es folglich, kaprizieren wir uns auf personale Inventar der DDU, mit zwei möglichen Strategien zu tun: 1. mit einer ‚lernenden Organisation‘, in der der vorhandenen Mitarbeiterbestand in Dynamik eingeübt werden soll und 2. mit ei-
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nem Elitenselektionsprozess, der nur solche Mitarbeiter in die Organisation einlässt, die netzwerkkompatibel flexiblen sind. Der Elitenselektionsprozess fokussiert sich nicht nur auf high-level-workers, wie wir es bisher taten, sondern auf das normale Personal, das im Durchschnitt intelligenter sein muss als die durchschnittlich heute angestellten Mitarbeiter: und zwar sozial intelligent. Eine Konsequenz lautet: weniger Manager, dafür mehr autonome Mitarbeiter. Das hat für die Karriereoptionen folgende Konsequenz: die guten Mitarbeiter dürfen keine Karrieren machen, sondern müssen so attrahiert werden, dass sie auf den autonomen Mitarbeiterplätzen bleiben. Wahrscheinlich muss es für diese Klientel eine Gehaltsentwicklung geben, die Karriereverläufen entspricht, um sie von der Karriere abzuhalten. Die Attraktion dieser Nicht-Karriere besteht darin, quasi unternehmerisch im Unternehmen arbeiten zu können (intrapreneurship). Die Alternative lautet: Managementkarriere oder Intrapreneurship-Karriere. Diese Unterscheidung wird für die doppelt dynamische Organisation (DDO) bedeutsam: es bedeutet die Rückkehr des Unternehmers in die inzwischen von Managern geleitete Organisation. Das unternehmerische Moment: die intrapreneurship, ist eine Hybrid aus Angestelltenvertrag und unternehmerischer Kompetenz (plus eigenem Budget). Damit erhöht sich der risk-taking-level innerhalb der Organisation und die Wettbewerbsmomente nehmen zu. Die intrapreneurs sind keine Eigner, sondern tatkräftige UnternehmerAngestellte, die ‚den Laden schmeißen‘. Die Ausbildung hierzu ist wahrscheinlich nicht durch Ausbildung, sondern durch intelligente Selektion möglich. Einzig dass man diese Charaktere mit intrapreneurs zusammenarbeiten lässt, damit sie kopieren und unterscheiden lernen. Es gibt wahrscheinlich keine explizite entrepreneur-Ausbildung, also auch keine für intrapreneurs. Die Manager hingegen werden mehr und mehr zu Moderatoren und supervisors von relativ autonomen Kooperations- und Koordinationsprozessen. Die Kompetenzen, die hierfür gebraucht und ausgebildet werden müssen, sind Schnittstellenkompetenz (interface-management). Manager können ausgebildet werden, indem sie von Führung auf governance umschalten, d.h. von Leitung/Lenkung auf Moderation von autonomen intrapreneurs. Natürlich sind die intrapreneurs – als Angestellten-Unternehmer – keine Solisten (wie sich Unternehmer verstehen, die sich ja gleichzeitig als Hierarchen verstehen), sondern auf intelligente Arbeitsteilung und Kooperation angewiesen. Keine hierarchische Kompetenz, sondern soziale oder Koope-
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57. Die beste Ausbildung für intrapreneurs ist der Wechsel, bis man die passende Umgebung gefunden hat. Hierfür sind gute Netzwerke die conditio sine qua non. 58. Aber auch aus anderen Gründen wird der Wechsel bedeutsamer: wenn man nur on the job lernt, ist es wichtig, den job zu wechseln und danach auszusuchen, dass man in interessante Milieus kommt, die einen intrapreneur anregen. Auch hierfür sind Netzwerke die unbedingte Voraussetzung.
9. How much is enough? Preisbildung bei Managergehältern 9. How much is enough? Preisbildung bei Managergehältern
Dass Manager, die viel leisten, viel verdienen, ist in einer Leistungsgesellschaft selbstverständlich. Nur: wie viel? How much ist enough? „Lediglich 50 bis 70 Prozent der Lohnunterschiede zur restlichen Privatwirtschaft ließen sich mit den höheren Anforderungen an das Personal in der Finanzbranche erklären. Die restlichen 30 bis 50 Prozent sind laut Studie leistungsloses Einkommen – eine ungerechtfertigte ‚Rente‘, wie es im ökonomischen Fachjargon heißt“ (Storbeck 2009, in Bezug auf Philippon/Reshef 2008). Axel Ockenfels ergänzt (aus einer Studie des Bonussystems für Manager eines großen Unternehmens): „Es zeigte sich, dass die absolute Höhe des Bonus keinen messbaren Einfluss auf Zufriedenheit oder Leistung hatte. Entscheidend war vielmehr der Unterschied zu den Boni der Kollegen“ (Ockenfels 2009: Sp. 3).
Am meisten verdienen Hedgefond-Manager, und zwar jährlich nach Umsatz. Ist das die richtige Bemessungsgrundlage? Das Risiko, das die Anleger für die angebotenen Hedgefonds eingehen, wird erst später bewertet. Die Manager nehmen die ‚Einkaufsgewinne‘ mit, die ‚Verlaufsrisiken‘ aber tragen die Anleger. Ist das angemessen? Sollten die Hedgefonds-Manager nicht erst später ausbezahlt werden, und zwar auf die effektiven Gewinne (minus der Verluste)? Sollten sie das Risiko nicht mit ihrer Klientel teilen? Das Gleiche gilt z.B. für die Dresdner-Kleinworth-Investmentbanker. Dass sie vertraglich Boni festgeschrieben bekommen haben, die völlig ignorieren, dass sie erhebliche Verluste für die Dresdner Bank einfuhren, die die Commerzbank bei ihrem Merger übernehmen musste, ist zwar vertragsrechtlich kaum anfechtbar, aber ein hochproblematischer Vertrag. Wieso wird in den Boni nicht die gesamte Transaktion bewertet, sondern nur der Einstieg? Wo bleibt die Risikobeteiligung? Wo das persönliche Haftungsrisiko für Manager, das im deutschen Arbeitsrecht (im Gegensatz zum Kaufmann und zum Prokuristen) nicht bewertet wird? „Das persönliche Haftungsrisiko gerade von leitenden Angestellten könnte der Gesetzgeber dadurch erhöhen, dass er diese vom Kündigungsschutz ausnähme“ (Aldenhoff 2009: 21, Sp. 5). Der Jurist plädiert für abgeschwächten Kündigungsschutz: „Mit dieser Gesetzesänderung würde der Gesetzgeber dafür sorgen,
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dass hochbezahlte Arbeitnehmer wie Chefärzte – oder eben auch Investmentbanker – ein Arbeitsplatzrisiko tragen müssten, das der Verantwortung ihrer Tätigkeit entspricht“ (Aldenhoff 2009: 21, Sp. 5). Es ist erst einmal nicht verständlich, weshalb Manager, die eine negative Wertschöpfung erwirtschaftet haben, trotzdem hohe Prämien oder Abfindungen erhalten. Wer die Firma schädigt, muss es verantworten, mindestens keine Auszahlung bekommen. „Auch wenn das einzelne Mitarbeiter demotivieren mag: Wenn eine Bank insgesamt Verlust macht, sollte sie keine Boni ausschütten. Vorausgesetzt, es spricht vertraglich nichts dagegen. Der Bonus ist in diesem Fall der Job“ (Christine Kuhl von der Personalberatung Ray & Berndtson, in: Löhr 2009, Sp. 6). Nur den Job zu behalten scheint aber eine Statusdegradierung zu sein. Vor allem aber: Warum werden solche Verträge konzipiert? Welcher Logik folgen Verträge, die selbst bei Verlust Boni ausschütten lassen? Hier walten andere Gründe als ökonomische, oder, wie der Privatbankier Konrad Hummler der Schweizer Bank Wegelin & Co. vermutet, dass die hohen Boni keiner erbrachten Leistung entsprechen, sondern aus der Kartellbildung der großen Banken herrühren, die sich, weil too big to fail, vom Staat eine Garantie erwirkt haben, die sie schamlos ausnutzen (Hummler 2009: Sp. 1). Das Argument, dass die hohen Gehälter notwendig seien, weil man sonst keine guten Leute bekommen würde, lässt sich umkehren: wenn man nicht so viel vertraglich versprochen hätte, hätten diese Manager statt z.B. bei der Dresdner bei anderen Banken die hohen Schäden produziert, zum Vorteil der Dresdner Bank. Interessant ist an dieser Gehaltsbegründung die Tatsache, dass sie nicht mit der Wertschöpfung argumentiert, sondern mit der Arbeitsmarktkonkurrenz für high-level workers. Die eigentliche Konkurrenz waren im Übrigen gar nicht andere Banken, sondern Hedgefonds. Die sind, bis heute, überhaupt nicht reglementiert. Das Boni-System, das früher ein bescheidener Zuschlag aufs Grundgehalt war, eine Anerkennung für geleistete Mehrarbeit, ist heute mehrfach ausdifferenziert: 1.
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Antrittsprämien (mit dem Argument, dass man die möglicherweise durch den Abgang beim vorherigen Arbeitsgeber gefährdete Abfindung kompensieren müsse); Garantieboni für das erste Jahr; laufende Jahresboni; Halteprämien.
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Die meisten dieser Prämien sind nicht für die Leistung gezahlt, sondern für die Bindung ans Unternehmen. Ob der Arbeitsmarkt für Banker tatsächlich so hoch konkurrent ist, kann man nur empirisch austesten – indem man diese Prämien kürzt und beobachtet, ob die Leute tatsächlich abwandern. Möglicherweise tun sie das, aber aus einem anderen Grund: die Prämienmaximierung beweist den Status – und nicht nur den des angestellten Managers, sondern vor allem den der Bank. Seht her, ich bin in der Lage, diese Leute zu halten! Wir dominieren diesen Arbeitsmarkt; wir sind potent. Anscheinend geht es gar nicht darum, dass gute Manager hohe Renditen erwirtschaften. Wenn es darum ginge, müsste man allerdings einrechnen, dass sie das niemals alleine tun, sondern in Kooperation mit ihren vielen Angestellten (vgl. den common pool-Ansatz bei Frey/Osterloh 2005). Die Frage, warum gerade sie einen überproportionalen Anteil an Gehalt beziehen, müsste überhaupt erst einmal besonders begründet werden. Sie sind keine Solisten. Seit sich der Staat beteiligt, sind auf einmal 500.000 Euro opportun. Das ist ein politischer, kein Marktpreis. Aber es zeigt sich, dass die bisherigen Gehälter in keiner legitimen Proportion standen. Es spielten immer andere Faktoren mit: neben dem Konkurrenz-Abwerbungs-Argument auch noch völlig andere Wettbewerbskriterien. Nur wer viel verdient, ist gut, lautet dieser Ansatz. Bisher nahmen wir an: Nur wer gut ist, darf viel verdienen. Jetzt ist es umgekehrt: Wer viel verdient, ist gut. Das ist ein völlig anderes Argument; vor allem ist es kein ökonomisches Argument. Es hat sich ein Kult zwischen hochrangigen Managern ausgebildet – ein Statuswettbewerb: Ich bin besser, weil ich mehr Geld verdiene als du. Manager beobachten andere Manager, und wollen das, was sie bei anderen als Mehrverdienst sehen, auch haben – ein Positionierungswettbewerb: Soziologie statt Ökonomie. Es gibt keinen Grund, weniger zu verdienen, weil andere mehr verdienen. Was ist hieran ökonomisch? Was noch leistungsbezogen? Haben wir es hier nicht eher mit einer Attitude zu tun, statt mit wirklicher Performance? Es ist der Preis demonstrativer Macht: Wir können das, wir können uns das erlauben, wir definieren die Situation, kein anderer. Dass die Gehälter der Manager nicht auf ihrer Leistung (performance) beruhen, ist längst erforscht (vgl. Frey/Osterloh 2004; Philippon/Reshef 2008; Bowles 2009). Der Markt für Manager funktioniert nicht nach Angebot und Nachfrage. Vielmehr „vergleichen Unternehmen ihre Gehaltsmuster mit anderen, so dass sich Gehaltssprünge fortpflanzen. Transparenzvorschriften helfen in diesem Fall nicht, vielmehr ist das Gegenteil zu erwarten, dies setzt die Spirale erst richtig in Gang“ (mas 2009: 13, Sp. 3; mit Bezug auf Noll/Volkert/Zuber 2009).
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Der Preis für die Leistung wird nicht an der Leistung bemessen, sondern daran, dass man glaubt, auch nicht schlechter als der andere zu sein, der mehr verdient. Es ist kein Preis, der auf einem freien Markt entsteht, sondern innerhalb des Clubs der höheren Manager. Sie bilden ein Netzwerk mit eigenen Regeln (denen die Aufsichtsräte oft angeschlossen sind). Genauer gesagt, beobachten sie weniger die eigenen Unternehmen als andere Manager, deren Status sie auch haben wollen. Wenn die eigenen Unternehmen aus ihrer Wertschöpfung her sich die Statuskonkurrenzgehälter nicht leisten können, wechseln sie in andere, von denn sie erwarten, dass sie es können. Das ist ein Grund, nicht der alleinige, weshalb Manager so häufig die Unternehmen wechseln. Sie betrachten die Unternehmen eher danach, wie sie ihre Karriere fördern können, deren Maßstab nicht aus der Unternehmensentwicklung kommt, sondern aus den Karriereentwicklungen anderen Manager (in anderen Unternehmen). So entsteht eine Haltung, dass Manager ihre Unternehmen, in denen sie tätig sind, danach beurteilen, was sie ihnen nützlich sind, anstatt, wie man erwarten dürfte, wie sie den Unternehmen nützlich sind. Das Unternehmen traut sich anscheinend gar nicht, die Manager nach ihrer Arbeit zu bewerten (und sie für Fehler in Haftung zu nehmen, z.B. durch Gehaltsreduktionen oder Abschläge), weil sie sie halten wollen. Dafür zahlen sie Halteprämien, d.h. hohe variable Anteile des Gehaltes. Henry Mintzberg hält dies für eine Form legaler Korruption (vgl. Mintzberg 2009). Wie kann man jemanden halten wollen, der Verlust produziert? Der Statuswettbewerb aber ist kein echter Markt: seine Steigerung ist nach oben offen, weil die Nachfrage durch andere Manager in anderen Unternehmen simuliert wird, ohne dass eine tatsächliche Nachfrage existieren muss. Der Manager kann immer argumentieren, dass er woanders mehr verdienen würde. Aber würde er? „Neben den Vermögen leidet jetzt zusehends das Ansehen der Banker. ‚Dieser Imageverlust wirkt wie eine soziale Sanktion‘, sagt Barthel [Erich Barthel, Professor für Personalführung an der Frankfurt School of Finance and Management]. Dahinter verbirgt sich die Hoffnung, die Gesellschaft möge sich in die Krise selbst korrigieren“ (Armbruster 2009: 31, Sp. 1).
Da die Selbstkorrektur der Märkte nicht funktioniert, soll die der Gesellschaft wirken? Die Gesellschaft aber ist kein Selbstkorrekturmechanismus. Barthel hat insofern Recht, als auch er von einem sozialen Phänomen redet. Gesellschaftlich sinkt das Ansehen der Banker. Dringt dieses Signal aber in den Kultclub, in das Managernetzwerk ein? Glauben sie plötzlich, nicht mehr gut zu sein, weil sie viel verdienen? Ändern sie ihr selbst konstruiertes Selbstbewusstsein?
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Wo findet der Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage tatsächlich statt? Wenn alle diese imaginären Optionen auf einmal realisiert werden müssten, bräche der Managerarbeitsmarkt zusammen. Viele würden erleben, dass sie gar nicht mehr verdienen würden: ihr Status ließe nicht mehr durch die Fiktion, er würde anderswo mehr gefragt als im aktuellen Unternehmen, verbessern. Sie müssten aufpassen, dass sie den Status, den sie schon haben, nicht gar noch verlieren. Man würde wieder Marktpreise einführen, nicht soziale Preise, wie sie im Kultclub des Managernetzwerkers gebildet werden. Die Unternehmen müssten letztlich nur erfragen, wie gut die, die wechseln wollen, tatsächlich waren, d.h. welcher Anteil an der Wertschöpfung ihnen tatsächlich zugerechnet werden dürfe. Allein, dass das kommuniziert würde, würde die Preise senken. Alle Unternehmen hätten davon Vorteil: ein Kostenblock würde reduziert – und zwar im fiktionalen Teil. Man würde die aufgebauschten Erwartungen auf die tatsächlich nachweisbaren Leistungen reduzieren. Warum betrachten die Unternehmen die Gehälter ihrer Manager eigentlich nicht betriebswirtschaftlich? Rüdiger Hossiep, ein erfahrener Wirtschaftspsychologe, nennt noch einen anderen Grund: falsche Anreize durch die Boni. Zielvereinbarungssysteme schaffen keine Mitarbeitermotivation mehr. „Die Energien der Mitarbeiter kreisen nur noch darum, zu dokumentieren, welche Ziele sie erfüllt haben. … Man konzentriert sich auf die Dokumentation von Leistung und nicht auf die Leistung selbst. … Nicht die Aufgabe steht im Zentrum, sondern die Jagd nach Belohnungen“ (Hossiep 2009: Sp. 2). Henry Mintzberg pointiert dies wie folgt: „If more executives were as creative in doing their jobs as they are in getting compensated for them, we would be in a period of boom, not bust“ (vgl. Mintzberg 2009). Piper bringt ein zusätzliches Argument: Wer von seiner Leistung überzeugt ist, solle sich Aktien seiner Firma kaufen (vgl. Piper 2010: Sp. 5). Nur so dokumentiert er, dass er an die Leistung tatsächlich glaubt, indem er mit seinem Privatvermögen haftet – und selber ein Risiko trägt. Der Bonus wird nicht direkt ausbezahlt, sondern via Aktienmarkt qua tatsächlicher Leistung. Nebenbei wird die Illusion begraben, man könnte die Teamproduktion der Firma in individuelle Leistungsspezifika ausdifferenzieren. Vor allem wäre der CEO auch für die Leistung seiner Kollegen mit verantwortlich. Management würde dann wieder Management der Arbeit aller (vgl. wieder Mintzberg 2009). Die schweizerische UBS hat ein neues System entwickelt: „Boni werden nicht sofort in voller Höhe ausgezahlt, sondern fließen teilweise auf ein Sperrkonto. Wenn die Bank oder die Abteilung in einem späteren Jahr Verluste erwirtschaftet, schrumpft der Betrag darauf. Auch zugeteilte Aktien unterliegen zunächst einer Sperrfrist“ (Löhr 2009, Sp. 6). Es ist das Modell der Bonusbank (das auch die Metro AG anwendet; inzwischen auch Goldman & Sachs). Anteile des zielvereinbarten Gehaltes werden später ausgeschüttet. Eine Malus-Regelung
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ermöglicht es, auch negative Einkommen auf das Konto einzuzahlen. Entscheidend sind hier sinnvolle Kennzahlen (z.B. economic value added, cash value added, market value added; vgl. Griebe 2009). Bebchuk/Cohen/Spamann plädieren ebenfalls für Einbehaltungen: entweder dass 75% der Boni erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgezahlt werden (wie bei Goldman & Sachs), oder jedes Jahr maximal 10% (vgl. Bebchuk/Cohen/Spamann 2009: 27). Sie überlegen zudem, ob es nicht sinnvoll wäre, Rückzahlungen zu fordern im Falle niedergehenden Geschäftes (vgl. Bebchuk/Cohen/Spamann 2009: 25). Frey/Osterloh (2004) plädieren für Festgehälter, damit sich die Manager auf das konzentrieren, was ihre eigentliche Aufgabe ist: die team production zu leiten, um die intrinsische Motivation der Mitarbeiter, ihre Zusammenarbeit (common pool) zu heben und so die Wertschöpfung zu steigern. Was eigentlich sonst? Die amerikanische Regierung erwägt, die Vergütungsstrukturen im Finanzgewerbe strenger zu kontrollieren (im Rahmen der Bankenaufsicht). Die Boni der Kreditsachbearbeiter dürfen nicht mehr unabhängig von der Qualität der Darlehen an die Höhe des von ihnen bewilligten Kreditvolumens geknüpft werden, um hohe Risiken der Kreditvergabe zu vermeiden. Geprüft werden auch gesetzliche Möglichkeiten zur Veränderung der Vergütungsstrukturen (vgl. cgt 2009). In Deutschland will der Finanzminister die Auszahlung von Boni notfalls untersagen oder beschränken, wenn die Banken die Mindestanforderungen etwa an Eigenmitteln und Liquidität nicht mehr erfüllen oder dies drohe (vgl. ham 2010: 11). Es bewegt sich etwas; die Anreize werden nach Erfolg und Risiko neu justiert. Doch scheint diese Bewegung bereits wieder in Stocken geraten zu sein: der englische Kodex fällt, nach anfänglichen stärkeren Regelungsvorschlägen, schwach aus. „So wird den Banken nur noch empfohlen, statt verbindlich vorgeschrieben, Bonuszahlungen erst mit zeitlicher Verzögerung auszuzahlen. Das Geld können so zurückgehalten werden, wenn sich herausstellen sollte, dass die honorierten Geschäfte längerfristig zu Verlusten führen“ (theu/nks/maf 2009: Sp. 1).
Auch die Amerikaner wollen Banken, die kein Staatsgeld erhalten, nur zu besserer Transparenz anregen etc. Es bleibt bei Ratschlägen. In Deutschland hat alleine die Commerzbank, wegen der Staatshilfe, eine Gehaltsrestriktion bei Vorständen: 500.000 Euro. Für alle anderen gelten weniger restriktive Regelungen: die Vergütungssysteme sollen so ausgestaltet sein, dass sie nicht dazu verleiten, unangemessene Risikoprämien aufzubauen (vgl. theu/nks/maf 2009: Sp. 4). Aber wie? The same play again? Die Regulation geht eher in Richtung der Auflösung ‚zu grosser‘ Banken (vgl. bes 2009). Dennoch bleibt das Problem der hohen Boni bestehen, wie der Nobelpreisträger George Akerlof formuliert: „Wenn die
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9. How much is enough? Preisbildung bei Managergehältern
Öffentlichkeit denkt, dass die Boni zu hoch und deshalb unfair sind, wird es auf die Dauer soziale Probleme geben“ (Akerlof 2009).
10. Open Source als Produktion von Transformationsgütern 10. Open Source als Produktion von Transformationsgütern
Birger P. Priddat und Alihan Kabalak
Open Source1 ist eine aufladbare Metapher. Der romantische Gestus einer Kooperation in einer arbeitsteiligen Globalisierungsdynamik überragt alle anderen, parallelen Bedeutungen. Deshalb soll das bis in eine Utopie einer neuen Arbeitsgesellschaft hineinragende Thema besonders behandelt werden. Doch zuvor lohnt es sich zu fragen, was Open Source unabhängig von seiner romantischen Aufladung leistet. Es gibt bzw. gab einige erfolgreiche Open Source-Netzwerke: Linux, Apache, Sendmail.
10.1 Open Source als Ausbildungsnetzwerk Wenn es heißt, hier würde Arbeit geleistet, ohne sich deren Produkt aneignen zu wollen, müssen Ökonomen der Sache erst einmal skeptisch gegenüberstehen. Dann geht es hier wohl um Verschwendung oder Ausbeutung oder bestenfalls Schenkung von Arbeitskraft? Ein weiterer Einwand drängt sich auf, wenn die Ordnungsökonomie in Spiel kommt: Wenn Entwickler auf die Eigentumsrechte an ihren Produkten – und also auf die damit erzielbaren Gewinne – verzichten, wird ihnen das Kapital für Investitionen in weitere Innovationen fehlen. Folglich leidet die Innovationsdynamik (dagegen: Osterloh et al. 2004; Brügge et al. 2004). Der erste Einwand – unbezahlte Arbeit – weist auf ‚intrinsische Motivation‘, auf Programmieren als Hobby. Wenn es eines der wichtigsten Merkmale von Open Source ist, dass bei der freiwilligen Mitarbeit von Entwicklern nicht nur Mehrwert in Form von ökonomischen Gütern geschaffen wird, sondern die Mitarbeit an Open Source selber für die Entwickler einen Nutzen stiftet (vgl. Gehring/Lutterbeck 2004), dann ist das erst einmal nichts besonderes, was sich nur und ausschließlich in der Open Source-Arena verwirklichen ließe, sondern 1 Über die Entwicklung von Open Source-Projektentwicklungen vgl. O’Reilly 1999; Behlendorf 1999; Franck 2002; Lakhani/Hippel 2000.
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10. Open Source als Produktion von Transformationsgütern
wird von vielen Tätigkeiten, insbesondere von hochwertigen Tätigkeiten (highlevel-jobs) verlangt: Projektrealisation als optimale Zweckerfüllung bei gleichzeitiger Arbeitszufriedenheit. Doch auch die besondere Form der Arbeitszufriedenheit: für den Entwickler selbst einen Nutzen zu stiften, wird von vielen high-level-jobs verlangt. Man will nicht nur gut arbeiten und Geld verdienen, sondern zugleich in solchen Projekten arbeiten, die einen selber für bessere spätere Jobs qualifizieren. Die Jobs werden unter anderem danach ausgesucht, welches training on the job sie ermöglichen. Dafür nimmt man sogar Einkommensminderungen in Kauf – weil man, wegen der Qualifikation, später höhere Einkommen realisieren kann. Die Ausbildung on the job wird als Investition in das eigene human capital verstanden (vgl. Priddat 2000c; Priddat 2002c). Human capital verstanden als die Fähigkeiten und Kompetenzen, die den eigenen Marktwert definieren2 und deren Ausbildung den Marktwert erhöht (vgl. dazu Lerner/Tirole 2001). Zudem werden auf der Basis von Open Source eigene Geschäftsmodelle entwickelt, die die non-profit-Basis in ein profitables Geschäft verwandeln – oft mit geringen Profitraten, aber erfolgreich, insbesondere in der Anpassung von Open Source-Software an vorhandenen Strukturen, um die Umrüst- und Adaptationskosten zu minimieren (vgl. Krishnamurthy 2003; Nichols/Twidale 2003; Osterloh et al. 2004). Die Open Source-Welt ist kein Gegenmarkt, sondern selber bereits ein, wenn auch differentes, Medium für Märkte (vgl. Behlendorf 1999; Henkel 2002). Inzwischen ist Open Source ein Übungsfeld für Firmen (z.B. RedHat oder MySQL), die aus ihrer Entwicklungsarbeit Expertise beziehen, die sie auf nachgelagerten Märkten profitabel einsetzen. Auch wird derzeit 95% der Entwicklungsarbeit am Linux-Kernel von bezahlten Entwicklern geleistet (OSDL). Die anfängliche Idee der ‚intrinsischen Motivation‘ der Open Source-Entwickler lässt sich angesichts dieser Entwicklungen nicht mehr halten (vgl. Bärwolff 2005). Open Source ist – unter diesem Gesichtspunkt – nichts anders als eine freiwillige Einübung in jobrelevante Fähigkeiten nach dem Prinzip der Maximierung des individuellen Humankapitals (user-to-user assistance; vgl. Lakhani/von Hippel 2000). Was dabei eingeübt wird, ist das höchste Vermögen in einer Wissensgesellschaft: Kompetenz. Das liest sich glatt, ist aber ein Prozess, der zwar vielfältig angespielt wird in den modernen Arbeitswelten, aber selten realisiert wird: der Prozess läuft über Transformation von Kompetenzen. In der eigenen Arbeit – gleichgültig erst einmal, ob angestellt oder selbständig – sich so zu transformieren, dass man anders herausgeht als man hineingegangen ist, bedeutet – um ein älteres Wort zu wählen – Bildung (vgl. generell 2 Marktwert ist das Einkommen, das das human capital auf dem Arbeitsmarkt generiert.
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Mintzberg 2005). Eine Tätigkeit, die von einem eine ständige, mitlaufende Entwicklung nicht nur fordert, sondern durch die Art ihrer Anforderungen diese Entwicklung auch anbietet und fördert, ist mehr als Arbeit, in der Routinen abgewickelt werden. Es ist die Transformation des Arbeitenden in einen höheren Entwicklungszustand seiner Kompetenz (inklusive einer Erhöhung der eigenen Chancen am Arbeitsmarkt: employability; vgl. Boltanski/Chiapello 2003: 158 ff., aber auch bereits Lerner/Tirole 2001). Ökonomisch betrachtet sind das Leistungen der Tätigkeit an den Arbeitenden (für die sie eigentlich zu zahlen haben – gleichsam ‚Lehrgeld‘). Deshalb ist Open Source eine ideale Arena für diese Transformationsprozesse, weil es sich um einkommenslose Arbeitszusammenhänge handelt, die die Frage nach den Zahlungen der Arbeitenden an ihre ‚Ausbilder‘ nicht stellen. Dass diese Art der Ausbildung überhaupt möglich ist, nämlich, dass Lehrlinge sich außerhalb von Unternehmen gegenseitig ausbilden (vgl. Lakhami/von Hippel 2000), liegt an der relativ geringen Kapitalintensität der SoftwareProduktion. Wer seinen eigenen PC als Kapital einbringt, kann mitmachen. Der Großteil der Investitionen ist Humankapital; mit der systematischen Eigenschaft positiver externer Effekte zwischen allen Investoren. Wer (und nur wer) mit investiert, profitiert vom investierten Wissen der anderen. Was romantisch als Kooperation und Gegenseitigkeit (Reziprozität) hervorgehoben wird, ist tatsächlich eine Form der Wechselseitigkeit: die aber als Investition in alles beteiligte Humankapital besser erklärt wird statt als handwerkerschaftliche Gesellung von uneigennützigen workaholics. Die Kooperationsdimension ist richtig gesehen: Open Source ist ein joint project, das nur durch arbeitsteilige Arbeitszusammenlegung, um es paradox und angemessen zu formulieren, sich so entwickeln konnte, wie es sich entwickelt. Doch ist das altruistisch-kooperative Moment natürlich auf Nutzendimensionen zu befragen: Nur wenn nachhaltige Interessen einfließen, kann ein solcher Prozess stabil gehalten werden über die Zeit. Reiner Altruismus lässt sich über längere Zeit nicht stabil halten (vgl. dazu Franck 2002: 3 ff.).
10.2 Open Source-Elite Joint project heißt: Opens Source ist eine Art von Kollektivgut. So wie niemand von der Mitarbeit auszuschließen ist, und so wie es keine Rivalität zwischen den Entwicklern gibt, so kann jeder auch, wiederum wettbewerbsfrei, die Open Source nutzen. Anders als in klassisch organisierten Märkten ist nicht vorgesehen, künstlich Konsumrivalität zu erzeugen. Die dafür notwendigen Barrieren haben sich im Softwaremarkt ohnehin als allzu schwach – und nie als dauerhaft – er-
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wiesen. Rechtlich bestehen also keine Zugangsbeschränkungen zu Konsum oder Produktion. Doch stimmt diese Zuschreibung nur in gewissem Maße: ohne Kompetenz, das System zu verstehen und es deshalb nutzen zu können, ist der Zugang verwehrt. Der Schlüssel heißt: Software-Kompetenz. Open Source ist folglich ein Elite-Projekt: Es selegiert den Zutritt über Kompetenz-Codes. Kompetenz wird durch Wissensangebote und effektive Wissensnutzungen definiert (vgl. Priddat 2002d). Das wird von den Entwicklern von Open Source nicht so gesehen, weil potentiell jeder mitarbeiten kann: Aber die Zutrittsbarriere ist hoch (was von den Entwicklern nicht so gesehen wird, weil ihr Wissen ihnen so selbstverständlich ist, dass sie Nicht-Wissens-Zustände kaum ermessen können. Das Ausmaß an Ignoranz von normalen PC-Usern wird schlicht ignoriert). Dass Open Source ein Elite-Projekt ist, das die Kompetenz voraussetzt, die es zugleich ausbildet, ist ein spezifisches Wissensnetzwerk-Zeichen. Open Source ist eine Netzwerk-community, die über spezifische Zugangskompetenzen Mitglieder selegiert. Zwar ist es gewünscht, über größere Netzwerke eine höhere gemeinsame Kompetenz (joint project-Dimension) zu erreichen, aber die notwendige Voraussetzung für diese Expansion ist: Kompetenz. Nur kompetente networkers können sinnvoll mitarbeiten. Der Selektor ‚Kompetenz‘ sichert die Ressourcen und ihre Entwicklung. Selektion wird hier zur Qualitätssicherungsinstanz. Das Netzwerk ist offen; jeder kann sich anschließen (public good-Dimension), aber faktisch anschlussfähig sind nur Experten (club good-Dimension). Öffentliche Güter (public goods) stehen allen Bürgern zur freien Verfügung. Clubgüter (club goods) sind spezifische öffentliche Güter, die den Eintritt filtern (nach spezifischen Zutrittskriterien: man kann letztlich nur kooptiert werden durch die Bestätigung derer, die bereits im Netzwerk arbeiten). Der Inklusionseffekt des Open Source-Netzwerkes ist sein Erfolgsgeheimnis: man ist Clubmitglied, gehört zur community, gleichgültig, wo man herkommt, aus welcher Klasse, Ethnie etc. Die Selektionskompetenz von Open Source ist eine wichtiger Faktor: Man beobachtet Open Source-Teilnehmer auf Signale ihrer Kompetenz, um daraus Nutzen für die Personaleinstellung zu beziehen (vgl. Lerner/Tirole 2001; über die nötigen Beobachtungsarenen vgl. Franck 2002: 8 f.).
10.3 Open Source als Geschäft Bevor wir weiter über die interne Struktur von Open Source reden, zur externen Struktur. Open Source ist als öffentliches Gut angelegt, das Rivalität (Wettbe-
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werb) ausschließen soll. Dennoch ist Open Source offen für Wettbewerb. Hier kommt die Kompetenz-Differenzierung wieder zum Tragen. Natürlich können alle Nutzer – die Open Source-commmunity unterscheidet gewöhnlich nicht nach privaten und Firmennutzern – auf die Software zugreifen, ohne einen Preis zu zahlen. Aber alle, die das nicht oder nicht ohne weiteres können, holen sich Experten, die das können. Somit kann jedes Mitglied der Open Source-community anderen, d.h. vor allem Nichtmitgliedern Open Source-Dienstleistungen anbieten, erklären, implementieren, insbesondere in vorhandene Strukturen einbauen etc. Alle, die keinen ‚natürlichen‘ Zugriff auf Open Source haben, sind auf technische Intelligenz angewiesen, die ihnen den Zugang und die Anwendung besorgt, installiert und pflegt. Damit entstehen, auf fast selbstverständliche Weise, auch um das öffentliche Gut herum, Märkte. Meist sind es sehr unprofitable Märkte, aber jede Wissensdifferenz ist ausbeutbar in Bezug auf Einkommen und Gewinne. Es sind typische ‚Hayek-Märkte‘3, in denen die Mitglieder Nischen entdecken, die sie in profitable Ereignisse transformierten. Viele scheuen sich oder bleiben ideologisch beim free good; andere aber entdecken über die Anwendungspotentiale ihre Marktchancen. Das öffentliche Gut bzw. Clubgut, das gleichsam als Nebenprodukt sich formierender Kompetenznetzwerke entsteht, bereitet den Boden für Sekundärmärkte, etwa für Nutzerberatung (vgl. Osterloh 2004). Da hier die Inklusionsbedingungen für non-profit-Produktion4 und profitable Beratung die gleichen sind, löst sich das vermeintliche Ordnungsproblem von selbst: am Sekundärmarkt internalisieren die Mitglieder des produktiven Netzwerks selbst ihre eigenen externen Effekte.5 Die Potentiale sind größer, als man bei einem freien oder öffentlichen Gut erwartet. Was für private PC-Besitzer noch eine Lernspiel sein kann, ist für Unternehmen und andere professionelle Nutzer eine Investition: denn die kostenfreie Open Source muss ja in Systeme eingebaut werden, die sich meistens noch nicht in Entwicklung befinden. Für die Open Source-Software ist es deshalb – paradoxerweise gerade am Beginn einer Open Source-Entwicklung – notwendig, sich von Experten auf das eigene, schon vorhandene System einstellen zu lassen. Wenn das Open Source-Programm dann alle Applikationen entwickelt hat, ist der Umsetzungsbedarf nicht mehr so hoch. Dann gibt es auch hier Standardisierungen.
3 Friedrich A. von Hayek hat den Markt als Entdeckungsverfahren definiert. 4 Non-profit heißt, der Wert der Leistungen wird nur nach den Kosten/Aufwendungen bemessen; ohne Profite. 5 Externe Effekte sind Wirkungen von Transaktionen auf Dritte (positiv wie negativ); Internalisierung externer Effekte ist die mit den betroffenen Dritten verhandelte Aufhebung solcher Wirkungen.
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Ökonomisch betrachtet sind Open Sources zwar im Kern freie Güter, aber ihre Umgebung kostet, und zwar umso mehr, als sie vorhandene Investitionen nicht entwerten darf, sondern in sie hinein synthetisiert werden soll. Nur für die Clubmitglieder im engeren Sinne: die internen Experten, sind die Open Sources ‚gratis‘. Alle anderen müssen zahlen: entweder direkt an Experten, die ihnen die Implementationen bewerkstelligen, oder indirekt, indem sie hohe Transaktionskosten des Scheitern der Parallelführung haben. Wenn man sich Krishnamurtys Listen von Business-Beispielen ansieht (vgl. Krishnamurty 2003: 6 ff.), wird die markterschließende Funktion von Open Source evident.
10.4 Zur Soziologie von Open Source Soziologisch betrachtet ist der Open Source-Club sozial offen, aber nicht demokratisch offen (über politische virtuelle Netzwerke vgl. Priddat 2002b), sondern expertenselektiv. Das macht seine besondere Attraktion aus: man ist gleich, aber um gleich zu werden, muss man sich durch Expertise vor anderen auszeichnen. Man erweist sich ihnen gegenüber als ungleich: Statusgewinn durch Zulassung zum Club. Der Clubbeitrag wir nicht monetär gezahlt, sondern durch die Bereitschaft, sein Wissen 1. einzugeben und 2. gratis. Man zahlt mit Kompetenz (ohne Kompetenz kann man das Netzwerk gar nicht nutzen). Erst wenn man Modifikationen einführt und tatsächlich – sichtbar für andere – an der Entwicklung beteiligt ist, beginnt die Adelung: der Sprung in den nächsten Level des Netzwerkes, heraus aus der Anonymität. In diesem Sinn ist ein Open Source-Netzwerk doppelt elitär: man grenzt sich gegenüber den Inkompetenten ‚draußen‘ ab und innerhalb kann man sich gegenüber den Anonymen abgrenzen, wenn man Leistungen zeigt, die andere akzeptieren. Der erste Statusgewinn ist die Anerkennung als Experte im Open Source-Netzwerk. Damit wird die Mitgliedschaft ausgerufen. Aber erst, wenn man als produktiver Autor am Open Source-Projekt hervortritt und andere das als ein besonderes Ereignis bestätigen, beginnt die Statushierarchie zu arbeiten: die Hochwertung gegenüber Nur-Mitgliedern.6
6 Bei Linux lautet die aktive Hierarchie von oben bis zu den Bug-Fixern an der Basis: oben Linus Thovalds als Gründer, dann ‚trusted lieutenants‘, zuletzt ‚credited maintainers‘. ‚Maintainers‘ kümmern sich um ein Modul des Programms und bewerten dafür Beiträge und bewirtschaften die Schnittstellen (vgl. Franck 2002: 8).
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Der Drei-Klassen-Club ist etabliert:
Outsiders; insiders (a) (a = average); insiders (t) (t = top).
Insider (a) und insider (t) unterscheiden sich im Status: der kreative Mitarbeiter am Open Source-Projekt erhält mehr Anerkennung als das einfache Mitglied. Beide beziehen über die Mitgliedschaft im Open Source Netzwerk-Identität. Aber die Identität ist different valent. Im Schatten der Einbildung eines Gemeinschaftsprojektes differenzieren sich Statushierarchie, Anerkenntnisprozeduren und Qualitätszuschreibungen aus, die eine kleine Klassengesellschaft etablieren, in der man durch Arbeit nach oben kommt. Das ist die Quelle der Gemeinschaftlichkeitsvermutung: man kann sich hocharbeiten – eine klassische Arbeiterbewegungsstrategie des 19. Jahrhunderts, mit Ausläufern im 20. Jahrhundert. Anstrengung lohnt sich und wird im Open Source-Netzwerk sofort kommunikativ belohnt.
10.5 Open Source als Organisationserfahrung Netzwerke sind hochkommunikativ und beobachtungsintensiv. Sie merken alles, weil alle beobachten und allen sofort Mitteilung machen. Die Identität wird kontrolliert bzw. erst über die Kontrolle wird die Anerkennung kommunizierbar (vgl. White 1992). Wer Einsatz zeigt und Kreativität, wird mit kommunikativ positiver Zuschreibung belohnt. Insofern zeigt das Open Source-Network die Qualität einer guten Organisation (oder simuliert sie). Gute Organisationen beobachten ihre Mitarbeiter und belohnen ihre Leistungen, durchaus subtil differenziert zu anderen, die weniger leisten. Und sie stellen eine positive Atmosphäre her, in der Motivation und Leistung prämiert werden: bei grundsätzlich positiven Erwartungen (Nichtleistungen werden einfach nicht kommuniziert). Insofern ist Open Source eine Art von Organisation, in der zum Teil härter, ausdauernder und erfolgreicher gearbeitet wird als in den Organisationen, in denen die meisten Netzwerkmitglieder ihre Einkommen verdienen. So wird Open Source zu einer alternativen Organisationserfahrung. Die Qualität der Entwicklung entsteht aus der Zusammenarbeit. Jeder, der etwas entwickelt hat gleichsam eine Heerschaar von Mit-Entwicklern zur Verfügung, wenn es ihm gelingt, ein interessantes Problem vorzulegen. Und alle sind erst einmal positiv
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gesonnen, kooperativ. Das Bild für diesen Prozess nennt Homa Bahrami einen ‚Vogelschwarm‘: „Mehr denn je kommt es heute darauf an, eine Fähigkeit zur Selbststeuerung zu entwickeln. Denken Sie an einen Vogelschwarm, in dem sich unzählige Individuen mit Leichtigkeit durch die Lüfte bewegen und irgendwie von einer unsichtbaren Hand geleitet zu sein scheinen“ (Bahrami 2005: 53).
Open Source ist definitiv ein geeignetes Beispiel für diese Art der Schwarmorganisation. Hier wirkt sich die non-profit-Haltung der Open Source-Netzwerke aus: es gibt keine Konkurrenz untereinander, außer dass man besser sein will als andere. Aber man weiß, dass es immer auf die Akzeptanz durch die anderen ankommt: also kann es keine egoistischen Durchmärsche geben, sondern man arbeitet in einem Kooperationsfeld. Darin lernt man Selbstorganisation. Es geht nicht um moralische Diskurse, wie man Mensch zu Mensch fügt, sondern um Kompetenzeinübungen für dynamische Welten. Bahrami, Senior Lecturer an der Haas School of Business der University of California, definiert drei Thesen: „1. Die Wirtschaft entwickelt sich zu einem Ökosystem, in dem Menschen, Informationen und Ideen auch über Unternehmensgrenzen hinweg zirkulieren. 2. Zur Existenzfrage wird die Herausforderung, die zunehmende Komplexität in diesem Ökosystem weitgehend durch Selbstorganisation zu bewältigen. 3. Dem Management kommt die Aufgabe zu, Wandlungsprozesse systematisch ins Rollen zu bringen und Unternehmen zur ‚Superflexibilität‘ zu führen“ (Bahrami 2005: 53).
Zu 1): Open Source-Netzwerke sind die praktische Einübung in Zirkulationen von Kommunikationen über die Unternehmensgrenzen hinweg. Alle Netzwerkmitglieder können die Ressource des Netzwerkes nutzen, um sich in ihren differenten Unternehmenskarrieren zu stützen, auszutauschen, zu substituieren, zu kooperieren etc. Der Mehrwert der Teilnahme an Open Source-Netzwerken ist erheblich: weit über das jeweilige Open Source-Projekt hinaus. Open Source ist selber eine Re-Source: eine Netzwerkressource. Zu 2): Einübung ins Selbstorganisation: Wo anders lernt man das besser als in Open Source-Netzwerken? Vor allem die Erfahrung changierender governance:7 mal ist der, mal ist ein anderer ‚führend‘ in einem Projekt. Mal wechselt das Projekt, mal die Kompetenz, mal die Person, mal die Führung. Die Frage: who
7 Governance ist eine Form von Führung; eher indirekt als direkt, von mehreren, die sich untereinander koordinieren etc.
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governs? ist nicht eindeutig beantwortbar, die Antwort je nach dem Stand des Projektes oft anders. Zu 3): Einübung in Superflexibilität gehört zur Netzwerkrealität. Es ändert sich z.T. alles, manchmal manches sehr schnell, manchmal gar nichts. Disponiert zu sein, immer wieder Neues aufzunehmen, gehört zu den hervorragendsten Kompetenzmerkmalen im Netzwerkzusammenhang. Boltanski und Chiapello sprechen von einer ‚projektbasierten Polis‘ vgl. (Boltanski/Chiapello 2003: 154 ff.), wenn sie moderne Netzwerke analysieren. Open Source passt in dieses Schema. Die Grenze zwischen angestellter Lohnarbeit und Selbständiger Tätigkeit verschwindet und transformiert sich in Aktivität. Man zeigt Initiative und Engagement, d.h. Flexibilität und Projektwechselfähigkeit. Solange das Netz attraktiv ist, entwickelt es sich, d.h. attrahiert neue Mitspieler. „Die Polis zerfällt, wenn sich das Netz nicht mehr ausdehnt, wenn es sich nach außen abschottet, so dass nur noch wenige davon profitieren und es nicht länger dem Allgemeinwohl dient“ (Boltanski/Chiapello 2003: 167).
Open Source ist ein offenes Netz. Aber so wie UNIX zerfiel (vgl. O’Reilly 1999), ist auch Linux potentiell fragmentiert oder fragmentierbar. Die Offenheit der Open Source ist ein aktiver Prozess, der sonst Zerfällungen unterliegt, die immer dann eintreten, wenn das öffentliche Gut privatisierbar ist (oder clubartig kollektivierbar). Monopolisierung von Wissen bildet Submärkte, die alle bisherigen Mitglieder ausschleißen (wenn sie nicht mehr zahlen). Das hat die paradoxe Folge, dass Open Source-Netze nur dann aktiv und nachhaltig arbeiten, wenn sie Mehrwerte produzieren, die nicht privatisierbar sind. Mit der Nebenfolge, immer auch Nutzen für Private zu schaffen. Der Modus ihrer Wertschöpfung muss an die public good-Charakteristik gebunden bleiben. Alle Spezialisierungen die den vielen Mitgliedern keinen Nutzen versprechen, lassen sich auf Spezialmärkten vermarkten und damit der allgemeinen Nutzung entziehen. Nicht ihre Kollektivdimension, sondern ihre Form arbeitsteiliger Kooperation ist wertschöpfend, und zwar in einem Massenmarktmaßstab. Hier greifen natürlich die üblichen Netzwerkeffekte: je mehr sich beteiligen, umso wertvoller wird das Produkt. Franck verweist deshalb auf eine spezifische Qualität von Open Source: Weil Open Source keine zuschreibbaren Eigentumsrechte (property rights) aufweist, ist sie scheinbar nicht überlebensfähig. Doch was ihr Nachteil zu sein scheint, ist möglicherweise ihr Vorteil: „Gerade durch die ‚Blockierungen‘ zukünftiger Property Rights an der Software wurden die Voraussetzungen geschaffen, Entwickler mit ganz unterschiedlichen
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10. Open Source als Produktion von Transformationsgütern Motivationsstrukturen – Rentensucher und Spender – in ein und demselben Projekt zusammenzuspannen. Diese Symbiose ist bemerkenswert, denn meist verdrängen institutionalisierte Regelungen, die Spender attrahieren sollen, die Rentensucher und umgekehrt“ (Franck 2002: 3).
Die Unterscheidung in zwei unterschiedliche Grundtypen der beteiligten Akteure ist sinnvoll:
Rentensucher sind solche Open Source-Teilnehmer, die Reputation und Status suchen und erwerben wollen in Konkurrenz zu anderen; Spender sind solche Open Source-Teilnehmer, die ihren Beitrag als Geschenk sehen, der anderen vollgültig zur Verfügung stehen soll. Sie wollen keinen privaten Nutzen generieren, sondern öffentliche Güter für jeden.
Open Source integriert beide schadlos und konkurrenzlos. Die Rentensucher tolerieren die Spender, weil sie eine Kommerzialisierung fürchten: sie kämen nicht mehr ‚hinter die Bühne‘ der Softerstellung, könnten nicht auf ihr Reputation erwerben, weil die for-profit-Unternehmen sie aus der Entwicklung ausschlössen. Deshalb sind die ‚Spender‘ für sie willkommene Agenten der NichtKommerzialisierung. Die Spender hingegen tolerieren die Rentensucher, weil ihre quasi-professionelle Kompetenz die Qualität und Dimension des öffentlichen Gutes, das sie fördern wollen, stärkt und hebt. So kooperieren beide Typen im einem Projekt, das erhebliche Synergien verwerten und nutzen kann: mehr als viele kommerzielle Projekte. Zudem arbeiten hochmotivierte Akteure am Prozess – eine Ausnahme der Leistungserstellung in Organisationen. Dabei fällt auf: Open Source ist keine Organisation, obwohl es als Netz organisationale Züge (z.B. Hierarchie, Arbeitsteilung etc.) entwickelt hat. Es ist eine Netzwerkorganisation.
10.6 Open Source als Transformationsgut Das Geheimnis von Open Source allerdings ist seine Transformationsgütereigenschaft. Open Source, hatten wir zu Anfang behauptet, generiert Transformationsgüter. Transformationsgüter sind duplexe (oder multiplexe) Güter, mit diversen Nutzen. Im Netzwerkprojekt des Open Source mitzuarbeiten, generiert keine unmittelbaren Nutzen, aber bildet die Akteure in ihrer Kompetenz aus, die sie im Open Source-Projekt oder anderswo verwenden können. Transformationsgüter ändern den Akteur: der Nutzen dieser Güter ist nicht vordringlich konsumtiv,
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sondern produktiv – eine Investition in späteren Konsum: Investment in human capital.8 Diese duplexe Struktur, zum einen aktuell bereits konsumieren zu können, und zugleich strategisch zu investieren (und zwar in sich selbst, damit die eigene aktuelle Konsumstruktur fortlaufend ändernd), ist das Besondere der Transformationsgüterökonomie. Netzwerke, die ihre Mitglieder bzw. Akteure transformieren, sind Bildungsorganisationen sui generis. Hier wird nichts Neues gefordert, sondern nur eine Struktur neu verwendet, die bereits existiert: moderne Güter sind, insbesondere dann, wenn sie Marken darstellen, Duplexe: Güter + X (vgl. Priddat 2004d). X ist ein Zeichen für die Bedeutung, die dem Gut zugeschrieben wird: durch die Marke, die story, die Legende, durch Diskurse etc. Transformationsgüter sind Güter, deren X keine Zuschreibung darstellt, sondern Zuschreibungen produziert. Das gelingt nur in Kooperation mit dem Konsumenten. Wir haben es mit einer spezifischen Variante der Toflerschen prosumtion9 zu tun: die Konsumtion gelingt nur vollständig, wenn der Konsument das Produkt mit produziert. Prosumtion heißt erst einmal nur: Mitarbeit in der Herstellung des Gutes bzw. in der finalen Montage (z.B. bei IKEA). Transformation unterscheidet sich von prosumtion durch die Verwandlung des Konsumenten: er wird nicht notwendigerweise zum Produzenten (des zu konsumierenden Gutes), sondern er wird neu produziert. Es wird nicht für den Konsum produziert; Transformation ist keine Mitarbeit, sondern die Veränderung des Konsumenten. Er produziert danach anders, vor allem sich selbst. Transformation ist eine neue Variante der Prosumtion: die Ko-Produktion, die die Prosumtion ausmacht im Sinne einer neuen Arbeitsteilung von Produzent und Konsument in der Herstellung des Gutes, wird erweitert auf den Umstand, dass das Produkt/Gut, das ko-produktiv erstellt wird, der Konsument selbst ist. Transformationsgüter sind Bildungsgüter (im klassischen Sinne: sich bilden, sich entwickeln, verändern, entfalten).
8 Investment in human capital sind die Kosten/Aufwendungen für Bildung, die sich später in höherem (oder gehaltenem) Einkommen auszahlen (als return on investment). 9 Tofler hat in den 80er Jahren diesen Begriff aufgebracht, zusammengesetzt aus production und consumtion zu prosumtion. Er bezeichnet einen Konsum, der wesentlich die Leistung selber mitproduziert (z.B. selber tanken, Möbel selber zusammenbauen, Bankautomaten bedienen etc.).
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10.7 Konsequenzen Open Source ist solange erfolgreich, solange die Mitglieder des Netzwerkes ihre Transformation betreiben können oder an Transformationen beteiligt sind. Darin gewinnen sie Bedeutung und Sinn, die sie in ihren gewöhnlichen Aktivitäten nicht bekommen. In diesem Sinne ist Open Source ein Sozialisationsprojekt: eine moderne Form der Herausbildung von civil society durch Einübung von arbeitsteiliger Kooperation. Das ist die sozialromantische Dimension, deren Berechtigung nicht abzustreiten ist. Aber für alle, für die dies nicht ausreicht, bietet Open Source an seinen Rändern Marktchancen, die zu businesses ausgebaut werden können. In individualisierteren Welten suchen die Akteure Kooperationen. Kooperationen (bzw. Kooperationschancen) werden zu knappen Gütern. Wir brauchen nicht mehr davon zu sprechen, dass Moral verfällt oder Werte entwerten. Das sind tatsächlich laufende Prozesse, aber sie beschreiben ältere Formen von Moral bzw. Werten, nicht den Wegfall von Moral und Wertbezug. Kooperation wird nicht mehr normativ bereitgestellt, sondern ist durch Beziehungsarbeit (neben der einkommensgenerierenden Arbeit) zu leisten. Open Source-Netzwerke leisten diese Beziehungsarbeit. Alle Organisationen und Institutionen, die Kooperationschancen erhöhen, werden Attraktoren der modernen Gesellschaften und Märkte. Netzwerke – auch Open Source – sind Flexibilisierungsarenen. Dabei gewinnen die einen, die anderen verlieren. „In einer vernetzten Welt, in der ein hoher Wertigkeitsstatus Beweglichkeit voraussetzt, beziehen die hohen Wertigkeitsträger einen Teil ihrer Stärke aus der Immobilität der geringen Wertigkeitsträger, deren Elend gerade auf die Immobilität zurückzuführen ist. Die weniger mobilen Akteure sind jedoch ein wichtiger Faktor für die Bildung der Profite, die die mobilen Akteure aus ihren Ortswechseln ziehen“ (Boltanski/Chiapello 2003: 401).
Was hier für die räumliche Mobilität der Netzwerkakteure behauptet wird, gilt für Open Source-Netzwerke für deren Kreativität: die Klasse der Innovateure, der Entwickler des Projektes, unterscheidet sich von der – großen – Klasse der Nutzer des Projektes. Aber nur weil die Nutzungen zunehmen, beschleunigen sich auch die Innovationen. Der Kernprozess im Inneren der Netzwerksonne bleibt hochaktiv, weil die Nutzungsausbreitung läuft; bricht sie ab, suchen sich die kreativen Akteure andere Projekte, andere Netzwerke. Die Kreativität der Open Source-Projekte braucht Resonanz und Aufmerksamkeit (die wiederum die Reputationsprämien generiert).
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In diesem Sinne benötigen Open Source-Projekte ständige Kommunikation und Wertschätzungszuschreibung, um sich und allen Beteiligten zu sagen, welche bedeutsame Aktivität hier vonstatten geht. Es läuft ein Prozess der Veröffentlichung von privater Arbeitsleistung, der neu ist gegenüber den gewöhnlichen Arbeitsprozessen: im Kontrast zur Eventkultur der Medien, die Aufmerksamkeit sui generis erzeugen, erzeugen Open Source Netzwerkkommunikationen Aufmerksamkeit auf Arbeitsleistung und Innovation – die industriegesellschaftliche Variante von virtual worlds der Netzwerke. Deshalb sind Open SourceProzesse anerkannt: sie tragen klassische Anerkennungsprämien mit sich, die die Industriegesellschaft der Gesellschaft längst eingewöhnt hatte. In diesem Sinne ist Open Source einerseits ein Auslaufmodell industriegesellschaftlicher Normen, zum anderen ein Modell arbeitsteiliger Kooperation, in der Netzwerkrelationen geübt werden. Das ist nicht nur für die Flexibilitätskarrieren nötig, sondern auch für die demokratischen Verfahren, die wir mit electronic government direktdemokratisch und unaufwendig einführen können (vgl. Priddat 2002b). Wo das nicht gelingt, gelingen immerhin Märkte. Es ist dieses doppelte Potential, das Open Source zu einer Metapher für alle Möglichkeiten moderner Kapitalismen macht: Solidarität und Wettbewerb in einer Wurzel – Open Source als komplexe mögliche Welt, in der Dinge gekreuzt werden können, die woanders noch weit auseinander liegen.
11. Unternehmer als pragmatische Idealisten 11. Unternehmer als pragmatische Idealisten
Unternehmer sind eine eigene Spezies. Etwa zu unternehmen ist riskant. Das klingt trivial, aber nur wenige trauen sich, in eine Zukunft zu investieren, deren Ergebnisse unsicher bis ungewiss sind. Unternehmer investieren in solche Zukünfte; Investitionen sind sui generis riskant. Unternehmer sind atypische Entscheider, also eine Minderheit. Die großen Erzählungen vom Unternehmer – ihre prägende Rolle in der Entwicklung des europäischen und nordatlantischen Kapitalismus – bei Weber, Sombart und Schumpeter (vgl. Immerthal 2007: Kap. 3 u. 4), die eigentümlich sekundäre Rolle der Unternehmer in der ökonomischen Theorie (vgl. Röpke 2002), ihre Neuentdeckung im Übergang zum 21. Jahrhundert (entrepreneurship; vgl. Blum/Leibbrand 2001) und die gesellschaftliche Ausweitung der Idee der entrepreneurship über die klassische Unternehmerfigur hinaus (vgl. Bröckling 2007) verdecken den Umstand, dass jede Investition bereits ein Risiko eingeht, das die meisten sozial nicht aushalten. Unabhängig davon, ob Unternehmer innovativ agieren oder nach anderen Regeln (wie Schumpeter ausführte), ist die Figur des Investors bereits ein unternehmerisches Ereignis: eine besondere soziale Form des Umganges mit Unsicherheit (über die Einführung der Unsicherheit in die Moderne vgl. die ersten Kapitel bei Esposito 2007). Der innovative Unternehmer – der ja notorisch als Investor auftritt – zeichnet sich dann zusätzlich dadurch aus, dass er in unsicheren Situationen wagt, Neues in die Welt zu setzen, d.h. in Ungewissheit zu operieren. Das macht ihn außer-gewöhnlich, d.h. zu einem Nonkonformisten. Innovatoren sind atypische ökonomische wie soziale Akteure. Unterscheiden wir den gewöhnlichen Investor, der Risiken eingeht bezüglich der erwarteten Erträge, und den innovativen Unternehmer, der zusätzlichen zu diesen Risiken in die Ungewissheit einsteigt, dass das, was er neu anbietet, nicht angenommen werden kann. Er kann potentiell scheitern. Unsicher oder riskant sind Ergebnisse, wenn man nicht weiß, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie eintreten werden. Um mit Wahrscheinlichkeiten zu arbeiten, muss man davon ausgehen können, dass die Alternativen gelten, d.h. dass die Angebote, die man durch seine Investition generiert, irgendwie akzeptabel sein werden – man weiß nur nicht, in welchem Maße. Wenn man aber hingegen nicht weiß, ob die Alternativen, die man sich vorstellt, überhaupt gelten werden,
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hat man es nicht mit einer unsicheren Situation zu tun, sondern mit einer in Ungewissheit (eine Differenzierung von Frank Knight 1921; vgl. auch Shackle 1972). Anders gesagt: Man kann nicht wissen, was in der Zukunft sich ereignen wird. Unsichere Ereignisse haben die Wahrscheinlichkeit p=0, weil man nicht weiß, ob sie je überhaupt eintreten; aber sie haben die Möglichkeit m=1. Deshalb kann man diesem potentiellen Ereignis auch keine Eintrittswahrscheinlichkeit zuordnen. Bei Ungewissheit haben wir es mit Unwahrscheinlichkeiten zu tun, mit möglichen Ereignissen, die kontingent bleiben, also auch nicht eintreten brauchen. Das ist die Welt der innovativen Unternehmer. Eigentlich ist das eine pessimistische Welt – unternehmerische Investoren, die ermessen wollen, welche Erträge sie in der Zukunft haben werden, wissen nicht, ob sie überhaupt Erträge haben werden. Doch ignorieren sie diese Möglichkeit, denn wenn sie davon ausgehen wollten, dass das, was sie erwarten, nicht eintritt, können sie ihre unternehmerische Energie nicht fokussieren. Sie reduzieren deshalb die Ungewissheit in Unsicherheit; damit versuchen sie, die Erlangbarkeit ihrer Vorstellungen zu postulieren. Wenn sie ein Szenario entwerfen, in dem sie verschiedene Ertragsmöglichkeiten (mit verschiedenen Wahrscheinlichkeitszuschreibungen) durchspielen, bewerten sie die jeweiligen Ereignisse mit Wahrscheinlichkeiten, die die Summe der erwarteten Ereignisse (etwa 0,2=20%/0,8=80%) mit p=1 ausgeben müssen. Wenn sie so vorgehen (wie ihnen die Ökonomie rät), arbeiten sie mit der Fiktion des Eintritts der von ihnen erwarteten Ereignisse, nur mit unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeiten. Sie wollen die Ungewissheit in Unsicherheit transformieren. Sie sind dann, in dem Sinne, wie sie ausschließen, dass ein erwartetes Ereignis auch unmöglich sein kann, unrealistisch, aber pragmatisch optimistisch. Sie akzeptieren die fehlende Sicherheit ihres Wissens und entwickeln Methoden zum Umgang mit ihrer Ignoranz (vgl. Taleb 2008: 25). Diese Transposition – des Ungewissen ins Unsichere – ist nicht trivial. Über ihre (Investitions-)Entscheidung definieren sie das Gelingen in der Zukunft, aber nicht, weil sie ein besonderes Wissen über die Zukunftsereignishaftigkeit haben, sondern weil sie ausschließen wollen, dass das, was sie wollen, nicht eintritt. Es geht dabei nicht um Prognostik oder Vorhersage (vgl. Beck 2009), sondern um Konstruktion: um Herstellung von Zukunft im Sinne einer self-fullfilling prophecy. Mit ihrer Investition entscheiden Unternehmer in der Gegenwart über Erträge in der Zukunft. Auch das klingt trivial. Aber da wir die Zukunft systematisch nicht kennen, sind Investitionsentscheidungen keine trivialen Entscheidungen. Sie haben den Charakter imaginativer oder expressiver Rationalität. Es gibt keine Alternativen der Zukunft – sie liegen nicht im Schicksalsfeld unsichtbar begraben vor –, sondern es gibt nur aktuelle Entscheidungen, die festlegen, was in der Zukunft als Alternativen erwartet werden soll. Investitionsentscheidungen anti-
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zipieren Erwartungen über mögliche Zukünfte, die aber erst einmal singulärprivat bleiben: reine Imagination oder Fiktion des Investors. Unterscheiden wir, mit Shackle, zwischen Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit (vgl. Shackle 1972: 14 ff.): Wahrscheinliche Ereignisse sind erwartbar, wenn auch mit unterschiedlichen Eintrittschancen (bestimmte Wahrscheinlichkeiten der gegenwärtigen Zukunft). Möglichkeiten werden über den ‚potentiellen Überraschungsgrad‘ definiert, der mit einem Szenario verbunden ist (z.B. dass das erwartete Ereignis nicht eintritt, oder ein ganz anderes; unbekannte Möglichkeiten der zukünftigen Gegenwart). Die ‚zukünftige Gegenwart‘ ist unverfügbar; die ‚gegenwärtige Zukunft‘ wird je aktuell entschieden. Das Entscheidende solcher Entscheidungen ist der Glaube, dass diese und keine andere Zukunft eintreffen wird – eine Fiktionalisierung, um daraus einen Schluss zu ziehen für die aktuellen Handlungen: sie alle in Richtung der Realisierung dieser Fiktion zu lenken. Wer sich entschieden hat, dass diese, und keine andere Investition in der Zukunft Erträge bringen wird, mobilisiert alles, um diese Fiktion wirklich werden zu lassen. Unter diesen Bedingungen ist das Arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten nützlich: es ist ein Operieren mit einer gegenwärtigen Zukunft. Man erstellt sich die Zukunft gegenwärtig so, dass sie als realisierbar erscheint (bzw. dass die zukünftigen Gegenwarten anders ausfallen können, ist für den unternehmerischen Gestaltungswillen als Wille nicht bedeutsam). Es ist diese pragmatische Einbettung der Imagination, die den Unternehmer vom Idealisten unterscheidet. Er hat eben nicht nur eine Idee, sondern zugleich eine Vorstellung ihrer Realisierung. Über diese Mobilisation: das Zeigen von Imagination und Energie, die Entfaltung eines Kraftfeldes, überzeugt er andere; erst einmal Kapitalgeber, ihm ihr Geld für die Investition (und die erwartbaren Erträge) anzuvertrauen, später potentielle Käufer. Unternehmer sind keine Realisten (die mögliche Wirklichkeit der Zukünfte ist in der Gegenwart Fiktion), sondern Realisatoren (‚Verwirklicher‘): sie stellen Wirklichkeiten her, indem sie ihrer Imagination handlungspragmatisch folgen, und alles mobilisieren, damit ihre Idee wahr wird. Sie sind pragmatisch veranlagte Idealisten. Idealisten sind sie, weil sie einer Idee folgen. Pragmatisch sind sie, weil sie die Idee pragmatisch zu realisieren versuchen, indem sie alles, was sie verfügen, in Bewegung setzen, dass ihre Idee erdet, wirklich wird. Nachträglich, wenn sie Erfolg gehabt hatten, wussten sie immer schon, dass die von ihnen inszenierte Wirklichkeit eintreffen wird. Die Erfolglosen reden nicht mehr darüber (sondern sind bereits mit einer neuen Realisation beschäftigt. Das ist möglicherweise ein Grund, weshalb über Scheitern nicht geredet wird: es nimmt die Energie für den notwendigen Pragmatismus des nächsten Projektes). Doch ist das nicht rein voluntaristisch? Unternehmer agieren im Marktkontext.
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„Wenn sie eine Entscheidung treffen müssen, dann erstellen die Akteure nach Shackle nicht zuerst eine Liste aller möglichen Szenarien, denen sie dann bestimmte Wahrscheinlichkeiten zuordnen. Sie beziehen sich auf Daten, an denen sie eine ‚Hoffnung festmachen‘ können, Daten, die auf Vermutungen und ‚reasoned imagination‘ basieren. Märkte dienen nicht (nur) dazu, gegebene Informationen zu verbreiten, sie generieren durch die gegenseitige Beobachtung der Beobachter auch neue Informationen. … Doch das ist genau die Funktion, die wir der Wahrscheinlichkeitsfiktion zugewiesen haben: Sie dient nicht zur Beschreibung der Welt, sondern sie erlaubt es zu beobachten, wie andere die Welt beobachten. Die Frage ist dann nur, wie man diese Beobachtung interpretiert“ (Esposito 2007: 91; mit Verweis auf Shackle 1972: 96).
Neben dem Voluntarismus und Enthusiasmus der innovativen Unternehmer haben wir es mit einer pragmatischen Strategie zu tun, die ständig die anderen Unternehmer beobachtet, welche Wagnisse sie eingehen oder vorbereiten. Sie sind ‚im Markt‘ präsent, in hoher Aufmerksamkeit. Der entscheidende innovatorische Schritt ist dann allerdings der, die Beobachtung der anderen so zu interpretieren, dass die eigene Innovation sich lohnt. Dies ist das Wagnis (das wiederum beobachtet wird und andere Wagnisse anderer evozieren kann). Um es noch deutlicher zu fassen: „Mit der Orientierung am Wahrscheinlichen soll die Unsicherheit nicht ausgeschaltet werden, vielmehr wird sie erst handhabbar, indem systematisch zusätzliche Möglichkeiten erzeugt werden“ (Espoito 2007: 94). Die Reflektion dessen, was als realisierbar erscheint, indem es als wahrscheinlich gedacht wird, generiert neue Möglichkeiten, die erst einmal überhaupt nicht wahrscheinlich waren, im Prozess der Überlegungen und Entscheidungen aber auftauchen und als Vorstellung mächtig werden können, weil man beobachtet, dass niemand anderer sie hat oder bereits verfolgt. Erst wenn man Alternativen daraufhin abklopft, welche wahrscheinlich eintreten werden, kommen auch Möglichkeiten (bzw. bisher nicht erwartete Alternativen) ins Spiel, die vordem als unmöglich erschienen bzw. schlicht weder gedacht noch geahnt waren. Innovation gebiert sich aus einem Spannungszustand von unsicheren Alternativen in Hinblick auf eine neue Gewissheit, die für alle anderen noch völlig ungewiss ist. Erst hier setzt der voluntaristische Akt ein: der Innovator ist sich jetzt sicher, etwas zu wissen, was niemand anderer weiß. In die Ungewissheit der anderen setzt er seine Gewissheit, die natürlich erst nur imaginiert ist. Aber die Differenz ist entscheidend – eine Art ‚Ausbeutung des Nichtwissens‘ der anderen (vgl. Shackle 1972: 98 u. 158). Der Rest ist Enthusiasmus, Anstrengung und Überzeugung. Vor allem ist die ‚Wirklichkeit der Investition‘ ein Ereignis, an dem mehr Umstände beteiligt sind als der idealistische Voluntarismus des unternehmeri-
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schen Investors. Vor allem ist der heroisierende Gedanke, der Investor alleine habe die Idee realisiert, insofern falsch, als letztlich Käufer auftreten müssen, die die durch die Investition produzierten Angebote annehmen müssen. Nur der Markt bestätigt die Investition; der Markt aber sind die Käufer und Nachfrager. Insoweit ist jede Investition immer auch eine Rhetorik, die andere überzeugen muss, das, was man sich selber als bedeutsam vorgestellt hat, auch für bedeutsam zu halten, und zwar in einem pragmatischen Sinne, der durch Zahlungen bestätigt wird. Keine Investition ist selbsterklärend. Das, worein investiert wird, eine neue Produktion, oder die Ausweitung einer alten, muss so kommunizierbar sein, dass der Markt sie bestätigt. In diesem Sinne ist jede Investition nur dann vollendbar, wenn es ihr gelingt, Interaktionen zu erzeugen, die durch die folgenden Zahlungen die Ertragserwartungen bestätigen, die sich der Unternehmer imaginiert hatte. Erst dann schließt sich der Investitions-/Erwartungszyklus. Dass Unternehmer nicht solo, sondern im Kontext von Märkten entscheiden, hat noch eine Besonderheit: der Unternehmer geht davon aus, dass andere das, worein er investiert, genauso bewerten wie er selber. Doch durch seine unternehmerische Entscheidung erzeugt er neue Unsicherheiten. „Eine Welt, in der Menschen Entscheidungen treffen, hat nicht nur eine unsichere Zukunft, die von den in der Gegenwart getroffenen Entscheidungen abhängt. In dieser Welt vervielfacht sich die Unsicherheit noch um die Zahl der Personen, die Entscheidungen treffen. Jede dieser Personen macht ihre Entscheidungen wiederum von Entscheidungen anderer Personen und den Konsequenzen dieser Entscheidungen abhängig. Und weil das natürlich alle tun, kommt es zu einer schwindelerregenden Unsicherheitsvervielfachung“ (Esposito 2007: 51 f.).
Da der Unternehmer nicht weiß, wie andere seine Entscheidung bewerten bzw. in ihre Entscheidungen einbeziehen, ist sein Versuch, Wahrscheinlichkeiten zu ermessen, potentiell unsicher, da die Entscheidungen anderer durch seine Entscheidung beeinflusst werden – er hofft, positiv im Sinne seiner Entscheidung. Aber das bleibt kontingent, zumal parallel andere auch unternehmerische Entscheidungen tätigen, die von den anderen beobachtet werden und sie beeinflussen. Welcher Einfluss letztendlich dominiert, bleibt offen und ist durch die singuläre unternehmerische Entscheidung nicht präjudizierbar. Unternehmer lernen, mit dieser Paradoxie umzugehen: einerseits ihre Reputation in die Waagschale zu werfen, indem sie riskante Entscheidungen tätigen, andererseits aber eine Aversion gegenüber den Risiken zu haben, die andere annehmen würden. Sie können als ‚Falschspieler‘ entlarvt werden (wenn alles nicht gelingt). Die Tugend besteht im souveränen Umgang mit dieser Paradoxie (vgl. Immerthal 2007: 382). Denn auch die Zeit spielt eine Rolle. Was unternehmerisch als Investition in der Gegenwart in Hinblick auf die Zukunft entschieden wird, wird von gegen-
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wärtigen Erwartungen getragen. In der Zeit ändern sich aber möglicherweise Bewertungen bei den anderen, was bedeutet, dass die ursprünglichen Erwartungen geändert werden müssen, was aber wegen des Faktums der Entscheidung nicht revidierbar ist. Folglich müsste in die Entscheidung bereits diese Kontingenz einfließen, was schwierig ist, da diese Kontingenz die Entscheidung selber gefährdet hätte. Unternehmer reagieren hier anders: durch Verstärkung der Anstrengungen, ihre Idee durchzusetzen, vor allem durch ihre Überzeugung von der Sache, die andere überzeugen soll. Sie revidieren im Prozess der Investition ihre ursprünglichen Pläne, indem sie beobachten, wie andere sie beobachten. Investitionen sind Prozesse; die primäre Entscheidung für sie definiert den Pfad, bleibt aber modulierbar. Es ist eine Phase erhöhter Aufmerksamkeit, um die intendierte Realisierung auch gelingen zu lassen. Der Umstand, die eigene Investition gelingen zu machen, obwohl die Bewertung durch andere anders ausfallen kann, als man sich vorstellen will, zwingt die Unternehmer, andere in dem Maß davon zu überzeugen, wie sie selber überzeugt sind. Sie müssen die Aufmerksamkeit anderer erregen: durch Marketing, Werbung etc. Werbung ist essentiell: sie muss nicht nur anzeigen, dass etwas auf den Markt kommt, das vordem noch nicht angeboten wurde, sondern darüber hinaus noch den potentiellen Nachfragern suggerieren, dass es für ihr Leben notwendig ist, dass es ihren life-style positiv beeinflusst, dass sie sich von anderen Nachfragern differenzieren können, Status erwerben etc. Werbung ist die moderne Aufmerksamkeitsarena, die Unternehmer gerade dann brauchen, wenn sie Neues auf den Markt bringen. Ihre Produkte sind: Produkte + Semantik + Semiotik (vgl. Priddat 2004d; Priddat 2007c). Die Investition in Produkte muss um eine Investition in Überzeugung ergänzt sein, was nur gelingt, wenn sie lifestyle-Passung erzeugt. Der Grad der Innovativität bemisst sich danach, ob es in einen vorhandenen life-style passt, oder ob ein neuer entworfen wird. Im Prinzip leben Unternehmer mit einer hohen Enttäuschungserwartung, die sie aber ausblenden. Sie verhalten sich als Unternehmer so, als ob ihre Investitionsentscheidung andere sui generis überzeugt. Sie operieren extrem voluntaristisch. Würden sie die Option, dass das, was sie wollen, nicht gelingen könne, ständig mit reflektieren, würden sie die Energien zur Realisation ihrer Vorstellungen kaum aufbringen können. Sie sind Meister im Ausblenden, Verdrängen: notorische Optimisten. Ihre Grundhaltung ist enthusiastisch. Zum Unternehmertum gehört ein Ausmaß an Nonkonformismus: nicht so zu handeln, wie andere glauben, wie man handeln sollte. Von außen betrachtet wirkt das manchmal ‚leicht verrückt‘. Es ist ein Verrücktsein aus der Sphäre des Konformen heraus. Deshalb werden vornehmlich auch nur Erfolgsgeschichten erzählt. Der, der sich traut, solch ein Wagnis einzugehen, operiert im Nimbus des erfahrenen Akteurs, der weiß, ‚was die Märkte wollen‘. Nur so können andere
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anrkennen, dass der, der scheinbar ‚leicht verrückt‘ handelt, richtig handelt, indem sie ihm Erfahrungen zuschreiben, die sie selber nicht haben, und ihm deswegen eine Einschätzungsfähigkeit zubilligen, die ihnen fehlt. Zugleich aber entfacht die Leidenschaft des Unternehmers eine enthusiastische Atmosphäre, die andere ansteckt (ein Modus, den man im interkulturellen Vergleich bei Amerikanern leichter beobachten kann als bei Europäern) – ein autopoietischer Prozess, der auf den Unternehmer positiv rückkoppelt, ihn bestätigt. Unternehmerisches Handeln erzeugt Interferenz (und überträgt sich auf das Management, die Angestelltenvariante der Führung von Unternehmen; vgl. Weick/Sutcliffe 2003). Im Wettbewerb erweisen sich Unternehmer nur dann als erfolgreich, wenn sie als Innovatoren auftreten, wie wir seit Schumpeter wissen. Innovationen sind keine Erfindungen (= Inventionen), sondern die unternehmerische Umsetzung von Inventionen. Hier greift wieder das ideell-pragmatische Muster (ähnlich wie Foucault den Menschen eine transzendental-pragmatische Doublette nannte): Nur die Ideen werden aufgegriffen, die umsetzbar scheinen. Das klingt auch wieder trivial: aber: Was ist umsetzbar? Die meisten Innovationen sind Variationen von schon Bekanntem. Nur das Wenigste ist neu. Harrison C. White sieht Unternehmer in Produzentennetzwerken, die sich untereinander beobachten und so vornehmlich ihre Handlungen koordinieren (vgl. White 1981; White 2004): mimesis statt inventio/innovatio. Das Meiste, was sie ‚innovieren‘, ist eine Variante von schon Bekanntem. Sie trauen sich nicht wirklich in einen größeren Abstand zu dem, was immer schon eingeführt ist auf den Märkten. Sie folgen, wie in einem Schwarm, dem innovativen Hering, bis sich kein Extraprofit aus der Imitation der Innovation mehr holen lässt. Wettbewerb ist erst einmal Imitationswettbewerb, in Kosten-, Qualitäts-, Vertriebs-, Marketingkonkurrenz etc. Mit diesem Verhalten wollen sie eine fundamentale Unsicherheit eliminieren: ob etwas Neues tatsächlich ankommt. Sie arbeiten mit ‚gebrauchtem Neuen‘, dessen gesellschaftliche bzw. marktliche Bedeutung längst bestätigt ist. Es geht ihnen eher um Nuancen der Differenzen, eher um Arbitragen als um Innovationen. Innovative Investitionen sind gewagter, falls der Komparativ hier passend ist. Sie gehen in eine fundamentalere Unsicherheit des ‚neuen Neuen‘. Sie wissen nicht, ob das, was sie sich als neu und profitabel vorstellen, marktlich kommuniziert wird. Sie gehen in ein Risiko ohne Wahrscheinlichkeit. Sie leisten Transformation: an sich selber und für die Nachfrager. Wenn etwas Neues angenommen wird, hat sich nicht nur die Innovation des Unternehmens ausgezahlt, sondern auch die Welt des Nachfragers bereichert. Die Innovation ist dadurch, dass er das Neue akzeptiert und in sein Leben nimmt, transformatorisch: sie ändert seine Welt und damit ihn im Verhältnis zu ihr. Die Überzeugungsarbeit des Innovators (= Werbung) ist der Versuch, den potentiellen Nachfrager in die
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Imagination des Innovators hineinzuholen. Wir haben uns in den modernen Gesellschaften so sehr daran gewöhnt, dass wir das nicht mehr als exzeptionell erleben. Fast umgekehrt erwarten wir ständig Neues (eingebettet in ein Hyperreich von Konventionalität, der Basis dessen, dass wir etwas Neues überhaupt aushalten und verarbeiten können). Das Neue ist ein Zeichen der Dynamik unserer Welt. In einem klassischen Sinne brauchen wir das nicht, aber in einem modernen Sinne sind wir auf diese Überraschungen angewiesen. Da wir nicht mehr in vollständig geordneten Welten leben, in denen unsere sozialen Rollen wohl definiert sind, sind wir, als teildefinierte Individuen, ständig auf Kompensation angewiesen, definieren uns neu durch das, was uns als Neues angeboten wird, um unsere Leben zu re-arranieren. Das unvollständige Ich wird durch die Lieferung des Neuen ständig näherungsweise komplettiert, um bereits dann schon wieder ein Defizit zu spüren, das nur durch ein nächstes Neues neu ausgefüllt zu werden scheint etc. Wir haben, um es in einem modernen ökonomischen Jargon zu beschreiben, relationale Verträge zur Welt, die ein Maß an Unbestimmheit besitzen, die wir, offen, durch Anschluss an je Neues zu schließen versuchen. Unser Ich ist ständig im re-conracting begriffen, mit abnehmender Intensität im Alter, aber grundlegend nicht vorbestimmt oder geordnet. Das, was wir kompensatorisch uns je aneignen, transormiert uns immer wieder in neue Erwartungszustände (vgl. Bröckling 2007). In diesem Sinne ist das Wagnis der Unternehmer, in etwas Neues zu investieren (= Innovation), kein heroischer Akt singulärer Weltpositionierung, sondern wird in einem hohen Maße erwartet. Es gibt eine hohe Bereitschaft für etwas Neues, fast schon eine Anforderung, die die Unternehmer bedienen (nicht innovativ zu operieren erscheint sogar als riskant). Die Konkludenz von innovativem Unternehmertum und Erwartungen moderner Gesellschaften relativiert den Heroismus des Unternehmerischen. Sie fordert hingegen eine neue soziale Intelligenz der Unternehmer, die in Innovationswettbewerb kommen. Es geht nicht mehr nur darum, wie White postuliert, dass Unternehmer nur sich gegenseitig beobachten: „Märkte sind konkrete Gruppen von Produzenten, die sich gegenseitig beobachten. Steigende Nachfrage erzeugt eine Art Spiegel, in dem sich die Produzenten selbst sehen, nicht die Konsumenten“ (White 1981: 543).
Die Umsetzung einer neuen Idee, das eigentliche innovative Geschäft, muss er jetzt besser als andere einschätzen, welche Komplementärwelt bedient werden sollte. Es geht darum, wenn wir die Unbestimmtheit des modernen Ich in Anschlag bringen, um die Konstruktion passender Bestimmtheiten, die das Ich komplettieren helfen: um life-style design. Oder, kontra White, um Beobachtung von Konsumenten und deren Welten.
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Etwas Neues lässt das Alte umwerten. Jetzt erst merkt man, dass das Alte alt ist. Die Welt relationiert sich neu (so klein auch die Innovation sein mag, aber sie stellt das, was wir bisher kannten, in ein neues Licht). Das moderne Ich erfährt sich am Neuen selber als neu, d.h. als um etwas ergänzt, was ihm zu fehlen schien (life enrichment). Es kann sich sozial neu positionieren (durch ein neues Produkt, einen neuen Essstil, durch eine life-style-kompatibles outfit, durch Beteiligung an einer Gesundheitsbewegung, durch Abenteuerevents, durch ökologische performance etc.). Lars Immerthal nennt den modernen Unternehmer einen – Serresschen – Parasiten, der die gewöhnlichen Tauschbeziehungen stört, neue Unbestimmtheiten erzeugt, indem er alte befriedigt (vgl. Immerthal 2007: Kap. 10). Unternehmer sind dynamische Attraktoren der modernen Gesellschaften, nicht nur der Märkte (oder nur sich selber). Sie liefern life-styles in einem Maße, dessen wir uns nicht mehr bewusst sind, weil wir die geschichtlichen Differenzen gar nicht mehr kennen – die Konventionalität und Kulturalität früherer Lebensstile. Das ist keine kulturkritische, sondern eine systematische Anmerkung. Trotz des latenten Antikapitalismus ist der Unternehmer begabt, so etwas wie einen Kultstatus zu bekommen, wenn er als Innovator auftritt. Er wird nicht für seine Leistung, Arbeit und Lohn zu bieten, gewürdigt – das ist die klassische Bewertung –, sondern für seine Kulturationsleistung: die Innovationen, die längst nicht mehr auf neue Technologien reduziert sind, sondern um die über diese Technologien transportierten life-styles erweitert, die mit verkauft werden (vgl. Priddat 2007c). Bildung, Familie, Klasse oder Schicht sind weniger prägend als die in der konsumistischen Revolution (vgl. Bolz 2002) angebotenen Lebensstile, die neue soziale Differenzierungen einführen, vor allem die Differenzierung der Individuen (in life-style-Klassen und kulturdifferentiell imprägnierten Netzwerken). Innovative Unternehmer sind Kulturtreiber dynamischer Gesellschaften. Paradox ist der Umstand, dass Unternehmer sich selber nicht in dieser Rolle verstehen: dass sie ihre Geschäftskompetenz höher bewerten als ihre kulturelle. Sie sind, wenn man diese spezifische underperformance in Betracht zieht, das kulturell Unbewusste moderner Gesellschaften: effektiv, aber unreflektiert. Ihnen fehlt jedes Avantgardebewusstsein; sie sind geschmeichelt, wenn man ihre Geschäftsfähigkeit lobt. Sie liefern die designs moderner life-styles mit geschäftsmäßiger Intuition – und meistern diese Paradoxien. Die kulturelle Entwicklung im 21. Jahrhundert wird stärker noch als bisher von Unternehmer geprägt sein. Warten wir, bis sich Unternehmertypen herausbilden, die das Geschäftsmäßige mit ihrem kulturellen Bewusstsein balancieren, d.h. die das Irritationspotential kultureller Entwicklung forcieren. Dirk Baecker nennt das, von Franz Liebl übernommen (vgl. Düllo/Liebl 2005), ‚cultural hacking‘: Irritation meint in erster Linie das Wagnis, neue Codes zu generieren und in bestehenden Codes zur Geltung zu bringen. Kulturarbeit heißt bei Baecker
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entweder eine Form der Programmierung und Exekution von Codes oder eine Form des Hackings, das die Codes verschiebt, mit ihnen spielt, um Lücken aufzuzeigen und Korrekturen einzuleiten (vgl. Immerthal 2007: 275; mit Bezug auf Baecker 2001a: 75). Es entwickelt sich eine Differenzierung zwischen den Typen innovativer Unternehmer: zwischen denen, die die anderen Unternehmer daraufhin beobachten, welche Innovationen sie generieren, und zwischen denen, die die Konsumenten daraufhin beobachten, welche Welten sie akzeptieren. Der zweite Typus ist ein cultural entrepreneur – der das in seinem Geschäft weiß. Wir sollten das sorgfältiger beobachten.
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Social entrepreneurship (SOE) ist eine neue Form sozialer Dienstleistungen, die sich von den gewohnten Organisationen der non-profit-economy (NPO), aber auch von den NGOs (non-governmental organizations), darin unterscheiden, dass sie sie unternehmerisch angehen. – Soweit die Definition. Wir haben es mit einem Hybrid zu tun: non-profits als Unternehmen. Doch gehen die SOEs hierin parallel mit z.B. gGmbHs: sie arbeiten beide wirtschaftlich bzw. unternehmerisch, mit der Restriktion des Gewinnverbots, positiv der Gemeinnützigkeit. Die Differenz liegt auf der Finanzierungsseite: SOEs arbeiten vornehmlich staatssubventionsunabhängig und z.T. mit intelligentem Finanzierungsmanagement. Und sie sind nicht an das Gemeinnützigkeitsgebot gebunden; sie können auch – sozial modifiziert – Preise für ihre Dienstleitungen verlangen. Sie haben – potentiell – eine Marktseite. Zum anderen zeichnen sich SOEs dadurch aus, dass sie in Nischen des Sozialbereiches gehen die von den klassischen Wohlfahrtsorganisationen nicht oder nicht mehr bedient werden. Sie sind ‚soziale Hayekakteure‘, die einerseits Wettbewerb in den Sozialbereich tragen, andererseits als ‚Entdeckungsverfahren‘: sie wollen mit neuen Ansätzen vernachlässigte soziale Probleme lösen. Oder sie entdecken neue soziale Bereiche, die die klassischen Wohlfahrtsorganisationen nicht bedienen. Nimmt man den unternehmerischen Modus der SOEs ernst, geht es nicht mehr nur um dezidiert gewinnlose Unternehmensformen, die auf Solidarität, Gemeinschaftsinn, Genossenschaftlichkeit allein bauen, sondern um managementorientierte unternehmerische Aktivitäten im Sozialen, die sich als Investitionen ins social capital verstehen, um returns on investment zu erwirtschaften. Die returns sind nicht vordringlich monetär ausgelegt, sondern in terms of efficiency and social goals: weg von der Vereinskultur, hin zu ergebnisorientierten Handlungen. In Komparation zu anderen sozialen Unternehmen will man zeigen, dass man effizienter und intelligenter ist. Und dass man neue soziale Standards generieren kann.
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Zum einen werden Wissen und Erfahrung aus dem for-profit-Bereich in die non-profit-Domäne eingeführt. Neue Akteurstypen treten auf. Neue Ressourcen werden aktiviert, insbesondere finanzielle. 7. Zum anderen entstehen Formen sozialer Intelligenz, die die klassischen Muster nicht prolongieren, sondern moderne Formen der Interaktionen aufgreifen, jenseits älterer sozialer Verbands- und Vereinsmuster. 8. Zuletzt arbeiten SOEs medienorientiert. Sie generieren Aufmerksamkeit (nach den neuen Mustern der agilen NGOs). SOEs sind in diesem Sinne eine erweiterte Form von NGOs: statt nur mediale und darüber gewonnene politische Aufmerksamkeit für Themen zu generieren (die inzwischen klassisch zu nennende NGO-Rolle, vornehmlich der international orientierten NGOs), sind SOEs effektive soziale Dienstleister. Sie erwirtschaften soziale Güter, nicht nur Themen. Aber sie sind in der Lage, ihre soziale Produktion eigenständig zu thematisieren. 9. Im Gegensatz zu sozialen Vereinen sind sie eher leistungsorientiert. Vereine leisten zwar ihre Vereinszwecke, genügen sich aber auch selbst: ein Gutteil der Vereinsarbeit ist ihre Beschäftigung als und im Verein. Sie sind sozial esoterisch veranlagt, gegenüber den exoterischen SOEs. 10. SOEs können keine Marktpreise generieren. Faktisch arbeiten sie – nicht alle! – mit Gebühren. Dieser Begriff des ‚politischen Preises‘ (den gewöhnlich Staatsbürokratien verwenden) ist nur analog zu verwenden: sie nehmen ‚soziale Preise‘, die nicht die Leistung honorieren, sondern eher den Ausschluss von free riders gewährleisten sollen. Sie organisieren ihre Finanzierung selbständig: über Förderer, über Stiftungen, über Staatssubventionen, als Kollektivgüter. In Partnerschaft mit Unternehmen. 11. Sie sind private Umverteilungsinstanzen, damit organische Instanzen der civil society. Bürger leisten soziale Dienste, die der Staat nicht, oder noch nicht, oder nicht mehr übernimmt. Sie leisten auch insbesondere dort soziale Dienste, wo die klassische non-profit-economy versagt oder nicht effizient arbeitet. Sie arbeiten in Bereichen der charity failure. 12. In diesem Sinne stehen sie in der Tradition bürgerlicher charity, Benevolenz, Stiftungen, Barmherzigkeit. Sie sind, da der Sozialstaat, jedenfalls in Deutschland, ausgebaut ist, Erscheinungen des Sozialstaatsversagens. Für die angloamerikanische Welt sind diese Organisationsformen selber klassisch; in Deutschland ist die Kultur bürgerlicher Hilfsvereine historisch diminuiert und an den Staat verlagert, bekommt aber, über den atlantischen Impuls und über das Prädikat des Unternehmerischen, neue Energie. 6.
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13. SOEs gehen nicht in Konkurrenz zu den klassischen staatlichen und parastaatlichen Institutionen, sondern in die Lücken, die diese Institutionen nicht bedienen. Oder sie gehen in die Konkurrenz, aber auf eine unternehmerische, effektivere Weise. 14. Wenn die SOEs die Balance von sozialer Dienstleistung plus Marketing allerdings eher nach der Seite des Marketings ausschlagen lassen, nähern sie sich strukturell den NGOs. Sie thematisieren ihre Leistung dann eher als dass sie sie tatsächlich leisten. Wenn sie hingegen die Balance zwischen sozialer Dienstleistung plus Marketing stärker nach der Dienstleistungsseite gewichten, geraten sie in den Bereich der for-profit-Unternehmungen (in diesem Sinne ist z.B. Ebay – um das Spektrum zu öffnen – eine SEO, wenn sie armen Leuten ermöglicht, gebrauchte Dinge, die andere weggeworfen haben, im Netz zu verkaufen, um damit eine kleine und bescheidene Form privater SOE zu bilden; eine Art netzbasierten Gebrauchtwarenhandels, der ihnen einen Vertriebskanal bietet, den sie individuell niemals hätten schaffen können). 15. SEOs knüpfen zugleich an die sozialen Bewegungen an, die die modernen Wohlfahrtsstaaten periodisch erleben. Soziale Bewegungen sind remakes solidarischen Kollektivverhaltens. Sie entstehen und vergehen (oder kristallisieren sich final in Formen klassischer sozialer Institutionen aus). SOEs sind neue Formen sozialer Bewegungen; sie nehmen den Bewegungsimpuls auf, formieren ihn aber anders: als unternehmerische Organisation. 16. Damit ist das Risiko des Zerfalls sozialer Bewegungen aufgehoben, durch die unternehmerische und Managementfokussierung. Zugleich aber entstehen neue Risiken: durch die unternehmerische oder Managementfokussierung begrenzt sich das Kollektiv, das engagiert ist. Es entsteht die Frage der Motivation derer, die noch beteiligt sind. Und es entsteht die Frage der Reichweite. 17. Die solidaristische Gemeinschaftlichkeit, die soziale Bewegungen erzeugen, getragen von kleinen Verantwortungseliten, wird in der SOE stärker auf den unternehmerischen Impuls fokussiert (oft eine Person), dem sich Aktivisten anschließen. SOEs sind von vornherein nicht auf ‚Bewegung‘, sondern auf Organisation gepolt. Ihr solidaristisches Potential ist auf Erfolg, weniger auf Gesinnung angelegt. Versagt die Führung, bricht das angehängte Kollektiv weg. SOEs sind tendenziell elitär, d.h. auf Führung ausgerichtet. 18. SOEs übernehmen von den NGOs das Aufmerksamkeitsmanagement. Nur dass bei den SOEs Aufmerksamkeit gepaart ist mit Leistungserwartungen, weit über das, was von NGOs erwartet wird, hinaus. Während NGOs wesentlich die Medien und darüber die Politik aktivieren wollen, werden SOEs
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danach überprüft, was sie tatsächlich an sozialen Diensten leisten. Wir haben es hier nicht nur mit einer symbolischen, sondern mit einer reellen Wertschöpfung zu tun. Jedenfalls im Erwartungsbereich. Viele SOEs genügen diesen Kriterien kaum, da sie nur dem Namen nach ‚unternehmerisch‘ agieren. Sie kleiden sich in eine moderne Form, betreiben aber eher klassisches soziales Vereinswesen. So agieren sie im Schatten des Erfolgsmodells NOG, ohne selber innovativ zu sein. Vor allem aber lassen sie sich schnell gründen, weil die Initiative einzelner oft ausreicht, gepaart mit medialer Präsenz. Sie bedienen sich des solidaristischen Sozialkapitals, ohne es über soziale Bewegung legitimieren zu müssen. Der Vorteil der SOEs ist ihre Schnelligkeit und Agilität, soziale thematische Lücken zu füllen. Um das einschätzen zu können, benötigen wir eine Theorie sozialer Wertschöpfung. Die Differenz besteht in erster Betrachtung in der Differenz von Kommunikations- zu Leistungsnetzwerken. NGOs sind wesentlich Kommunikations- und mediale Multiplikatorennetzwerke. SOEs sind Leistungsnetzwerke, d.h. sie verknüpfen Aufmerksamkeitskommunikation (der NGOAnteil) mit Verpflichtungsrelationen (NPO-Dimension). SOEs leisten soziale Transaktionen. Soziale Transaktionen sind effektive soziale Dienstleistungen, d.h. spezifische Transformationen des sozialen Zustandes a in den sozialen Zustand b (wobei b > a). SOE nehmen die Form einer Unternehmensorganisation an, d.h. ihre Mitglieder sind durch relationale Verträge zu Leistungen verpflichtet. Sie werden nicht oder nur rudimentär monetär entgolten. Ihre Auszahlung besteht zudem in Reputationswährungseinheiten. Oft nehmen sie Form von Netzwerken an oder gründen sich von vornherein auf Netzwerke. Das macht SOEs zu besonderen Unternehmen: sie sind auf Formen sozialer Intelligenz angewiesen. Das bedeutet, dass ihre Klientel zum Teil deshalb mitarbeitet, um an sich selbst Transformationen zu erreichen. Die genuine Form der Produktion von SEOs sind Transformationsgüter. Soziale Intelligenz ist eine Form der Selbstorganisation der Bürgergesellschaft. Bürger erwarten nicht mehr, wie bei den klassischen Wohlfahrtsorganisationen, soziale Lieferung: delivery, sondern sind zur Mitarbeit aufgefordert. Die SOE als Organisation liefert nicht an passive Klienten, sondern organisiert deren Aktivitäten. Das ist – wenn man den unternehmerischen Modus innovativ auffasst – die entscheidende Differenz: nicht allein die unternehmerische Form, sondern die Inklusion der Klientel in die Produktion der sozialen Dienstleistungen (so – in extremis – das Ebay-Beispiel).
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24. Insofern bildet die SOE ihre Klientel zur Selbsthilfe aus, mit entscheidenden unternehmerischen Impulsen, mit Startkapital etc. Aber nicht als Lieferant sozialer Güter, sondern als Ausbildung zu unternehmerischer Haltung der Belieferten. Es geht hier weniger um Solidarität, sondern mehr um soziale Individualisierung. 25. Denn nur dann ist gewährleistet, dass SOEs nicht in die Subventionsrolle der klassischen Wohlfahrtsorganisationen rückfallen, nur ein wenig effizienter. Hier die Schnittlinie zu ziehen, wäre vorschnell. Weder das Prädikat des Unternehmerischen noch des Managements ist entscheidend. Dazu reichte es aus, die klassischen parastaatlichen Wohlfahrtsinstitutionen effizienter zu designen. 26. SEOs sind neue Instanzen, die die Mitarbeit derer, die sie betreuen, zum Ziel haben, um sich – à la longue – überflüssig zu machen. SEOs sind in ihrem konzeptionellen Kern transitorische Institutionen, keine Parallelwelten zu den klassischen Wohlfahrtsinstanzen. Transitorisch sind sie insoweit, als sie den sozial Bedürftigen zeigen, dass sie nicht ausschließlich bedürftig sind, in passiver Annahmeerwartung, sondern eher – aus welchen Gründen auch immer – gehemmte Akteure, die ihre Handlungsdispositionen verlernt haben. SOEs sind institutional entrepreneurs. 27. Nur so erweisen sich SEOs als neue Instanzen: dass sie Hilfe – als soziale Dienstleistung – zur Selbsthilfe anbieten. Sie sind moderne Subsidiaritätsagenturen. Sie sind nicht von vornherein institutional angelegt, d.h. nicht vornehmlich zeitintransigent oder dauerhaft. Als SEOs sind sie Unternehmen, d.h. nachfrageabhängig und potentiell instabil. Wenn sie ihr Ziel erreicht haben, können sie sich auflösen. Oder neu gründen (wenn sie nicht nur Tarnbezeichnungen für soziale Vereine sind). 28. Hier entsteht eine neue Qualität im sozialen Bereich (die den ‚sozialen Bewegungen‘, die ja auch zeitinstabil sind, ähnelt): ihre transitorische Instanz. Der unternehmerische Impuls, der die Gründung der SEO beherrscht, verliert sich in der gelingenden Transformation. Die besondere oder neue Qualität der SEO besteht nicht allein darin, effizient zu organisieren, was sie sich vorgenommen hat, sondern vornehmlich darin, die Mitglieder dieses Prozesses so zu bilden, dass sie vom Status des Klienten in den der Koproduktion gelangen. Ob sie tatsächlich selbständig werden, d.h. das, was die SEO anbietet, künftig selber zu organisieren, muss offen bleiben. Aber dass sie sich anders als nur als Klienten verhalten, ist ein neues, transformatorisches Ziel: sie lernen, das, was andere unternehmerisch für sie organisieren, selber zu organisieren. Oder zumindest mit zu organisieren. SEOs produzieren selbstorganisatorische Referentialität.
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29. Damit unterscheiden sie sich von den klassischen sozialen Institutionen: sie lehren nicht mehr Solidarität, sondern soziale Kompetenz. Nicht mehr die gemeinschaftlichen Formen der Hilfe stehen im Vordergrund, sondern die Aktivierung der Selbsthilfe, die initial unterstützt wird, à la longue aber die Betreuten selbständig macht. SOEs sind soziale Organisationen, deren Formen einer individualisierten Gesellschaft angepasst wurden; sie sind die affinen Wohlfahrtsinstanzen einer liberalisierten Gesellschaft. 30. Damit ist nicht behauptet, dass sie ‚Unternehmer ihres sozialen Selbst‘ werden. Die Idee der Ich-AG wäre übertriebene Anforderung. Es geht nicht um eine neoliberale Etikettierung. Aber sie werden angeleitet, ihre soziale Intelligenz zu entwickeln, mit anderen zusammen. 31. Soziale Intelligenz ist ein anderes Muster als Solidarität, Gemeinsinn etc. Natürlich bleiben diese klassischen Modelle im Hintergrund existent. Soziale Intelligenz braucht Anregungen, unternehmerische Modelle, um sich selbständig entfalten zu können. SEOs sind eher solche Anregungszustände, als wiederum klassische Unternehmen (wenn nun auch sozial ausgerichtet). Soziale Intelligenz ist Kooperationserweckung – eher netzwerk- als kollektivorientiert. 32. Die Erweckung/Anregung ist nur der Initialzustand. Was sich, im Prozess der SEO, entwickelt, ist ein Kooperationsmuster, das eine eigene Dynamik hat oder bekommt. SEOs sind dann effektiv, wenn sie ihrer Klientel offenbaren, dass ihre Kompetenz, gemeinsam soziale Dienste zu arrangieren, potentiell wertvoller ist als das initiale sozialunternehmerische Engagement. 33. SEO ist kein anderer Name für private Wohlfahrtsorganisation, sondern ein neuer Modus, der über die Transformation der Erwartungen definiert wird. Dass dieser Transformationsprozess weiterhin ein Management braucht, bleibt unbenommen. Dass der Prozess aber auf Transformation ausgelegt ist, macht die entscheidende Differenz: die soziale Klientel wandelt sich in Koproduzenten. Erst hierüber gewinnen die SEOs eine Wachstumsdimension. Sie entfalten ein neues Verhaltensdispositiv. Sie werden sui generis modellhaft, kopierbar in andere Bereiche. 34. SOEs produzieren social capital. Der unternehmerische Impuls des Engagements von Einzelnen oder kleinen Verantwortungseliten, die die Führung übernehmen, arbeitet nicht mit einem ideologischen Rückgriff auf Solidaritäts- oder Gemeinsinnressourcen, sondern bildet sie – umgekehrt – erst wieder aus. SOEs sind nur von ihrer soziologischen Basis her zu verstehen: in einer modernen individualisierten Gesellschaft sind die klassischen Interaktionsmuster dezimiert, die Gemeinschaftlichkeitsressourcen verknappt, der Rückgriff auf latente Kollektivmodelle verstellt. Das heißt nicht, dass Werte
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12. Social Entrepreneurship aus der Gesellschaft verschwunden sind, aber sie sind fraktioniert, über diverse Moralfraktale individuell verteilt. Diese moralische Diversität, die individuell durch moralische Spezifität zum Ausdruck kommt, lässt moralische Kohärenz eher nur lokal ausprägen. SOEs sind moderne Impulsinstanzen für die Ausprägung lokaler Wertestandards und spezifischer sozialer Interaktionen. Deshalb müssen sie die Form unternehmerischen Engagements annehmen. Die Einzelnen oder die kleinen Verntwortungseliten, die die SOE gründen, setzen Wertestandards, die andere lokal übernehmen können, wenn sie das Thema erregt oder wenn sie den sozialen Nuten sehen. Die Initiatoren der SOEs agieren als Tugendmodelle. Tugendmodell heißt hier modern: Sie treten ‚authentisch‘ auf; ihre SOE muss anderen anbieten, über das Ziel der sozialen Unternehmung ihre eigene Authentizität entfalten zu lassen. Das Unternehmerische ist ein neues Sozialmodell (moral entrepreneurship). Wenn die SOE etabliert ist, bildet sie über ihre sozialen Standards unter ihren Mitgliedern und ihrer Klientel ein spezifisches social capital heraus. Social capital ist keine neue Beschreibung für ältere Solidaritäts- oder Gemeinsinnmuster, sondern ein der modernen sozialen Basis adäquates neues Muster: Man investiert in neue Interaktionsmodalitäten, in spezifische Reziprozitäts- und Fairnessmodelle, die nur deshalb gelten, weil alle, die in dieses social capital investieren, einen spezifischen social return erwarten, von dem sie wissen, dass er nur durch ihre Aktivitäten generiert und stabilisiert wird. Erweist sich die SOE als sozial unproduktiv, zerfällt sie. Sie ist auf effektiven sozialen Ertrag ausgelegt. Sie wird von vornherein nicht als soziale Institutionen angelegt, die über ihr shared mental model die Aktivitäten der Beteiligten regelhaft ausrichtet, sondern als Unternehmen. Ohne kontinuierliche Investition, ohne fortlaufendes soziales Engagement, verliert sie ihre Geltung und Existenz. Sie fordert die Transformation der Beteiligten: jeder muss sich als moral entrepreneur verstehen. Nur wenn es den SOEs gelingt, ihre Mitglieder zu transformieren, stellt sich der soziale Wert ein. Diese besondere Form der SOEs als social oder moral entrepreneurs arbeitet mit pragmatischen Moralen, die ideelle mit finanziellen Motiven verknüpfen. Sie finanzieren sich nicht hauptsächlich durch Spenden oder Mitgliedsbeiträge (wie die klassischen Solidaritätsmodelle), sondern bieten eine organisatorische Form an, die es Dritten erlaubt, in sie zu investieren (sog. venture philantrophy). Erst die auf Management, Unternehmertum und Effektivität gegründete Form der SOE macht sie dem Kapital- und Stiftungs-
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markt zugänglich, z.B. in der Form der Finanzierung durch CSR-Programme der Marktunternehmen. Hier bilden sich Komplementaritäten heraus; SOEs übernehmen die Organisation von CSR-Maßnahmen der Unternehmen, was den Legitimitätsgrad erhöht, da es das Unternehmen nicht selber ausführt. Im Gegensatz zu klassischen sozialen Dienstleistern gewähren die SOEs eine Transparenz ihrer Finanzen und haben strategische Ziele. SOEs sind den Unternehmen affine Strukturen, was die Kooperationschancen erhöht. Viele NGOs haben längst den Charakter von SOEs (ohne sich selber so zu nennen oder so zu betrachten). Die Unternehmensform ist ein modernes Agens der sozialen Wertschöpfung, die die klassische Form der Verpflichtung zum Sozialen in eine Investition übersetzt: in eine moderne Form des Engagements, das klarer die Ressourcen berechnen lässt, die die soziale Aufgabe erfordert. Man muss sein moralisches Engagement einschätzen lernen, seine moralische Kompetenz. Jedes ideelle Motiv der Gründung einer SOE unterliegt einer Prüfung der strategischen Chancen – und der Risiken. Erst auf der Basis eines begründeten Geschäftsmodells sind Dritte bereit, es gegebenenfalls zu finanzieren oder zu bespenden. Die Form der Moral ändert sich. SOEs verknüpfen diverse moralische oder soziale Motive zu eigenen, strategisch ausgerichteten sozialen Standards. Gelingt die Etablierung eigener sozialer Standards, bildet die SOE ihr eigenes spezifisches social capital. Das ist aber nicht als neue, lokale Wertegemeinschaft zu verstehen, sondern als Ausprägung spezifischer sozialer Erwartungen und Interaktionsmuster. Es geht nicht um ideelle Kohärenz, sondern um soziale Leistungsfähigkeit – weder aber als sozialer Idealverein noch als reiner Sozialdienstleister. Die neue Form, die sich hier ausbilden kann, hatten wir bereits als ‚soziale Intelligenz‘ benannt. Sie ist netzwerkbasiert. SOEs sind Agenturen der Ausbildung je spezifischer sozialer Intelligenz zur Lösung je spezifischer sozialer Fragen. Sie unterscheiden sich durch ihre je spezifische Kreativität in den Lösungen und Interaktionsmodalitäten. Sie erfinden neue Interaktionsformen, die nicht automatisch an die klassischen Muster der Reziprozität, Gleichheit oder Gerechtigkeit anknüpfen. Ihre moral oder social standards sind unternehmerische Lösungen sozialer Fragen, nicht automatisch soziale Lösungen sozialer Fragen. In dieser normativen Differenz unterscheiden sich SOEs von NPOs. Man muss diese Besonderheit klarstellen, um die Beurteilung empirischer SOEs leisten zu können. Vielen SOEs gelingt es nicht, den unternehmerischen Impuls durchzuhalten; sie gleiten ab in den Bereich klassischer sozia-
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12. Social Entrepreneurship ler Institutionen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Gleichheits-, Gerechtigkeits- und Reziprozitätsstandards dominant werden und die Arbeitsebene der SOEs zu beherrschen beginnen. Dann wird das unternehmerisch induzierte Moment der Ausbildung sozialer Intelligenz ausgetauscht gegen klassische wohlfahrtsinstitutionelle Muster. Z.B. ‚dass alle gleich behandelt werden‘ etc. Diese Muster sollen nicht diskriminiert werden, aber die SOEs verlieren ihre Spezifität und wandeln sich in Wohlfahrtsorganisationen alter Prägung. Im modernen ‚Markt für Philanthropie‘ sind sie nicht mehr vollständig anschlussfähig. SOEs zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht – oder nicht von vornherein – auf Staatssubvention ausgerichtet sind. Der ‚Markt für Philanthropie‘ ist ein Name für moderne soziale Finanzierungen. Man könnte sagen: SOEs zeichnen sich vor den klassischen Sozialinstitutionen dadurch aus, dass sie für Dritte attraktiv sind für Finanzierungen. Das kann die Übernahme von CSR-Aktivitäten von Unternehmen sein, aber auch eine besondere Förderungswürdigkeit durch die Bürger einer Kommune. Oder durch die Kommune selbst, die Teile ihres Sozialauftrages auslagert (social outsoucing), im Sinne einer public-private-partnership (PPP). SOEs sind netzwerkmoduliert: weder nur strenge Organisation noch sozialer Verein, leben sie, um einen unternehmerischen oder Managementkern gruppiert, als Netzwerkstruktur. Zwei Netzwerke lassen sich unterscheiden: 1. das Netzwerk derer, die die Organisation des sozialen Unternehmens im engeren Sinne bilden. Sie sind zum Teil angestellt, zum Teil loser gekoppelt in ihren Aktivitäten; 2. das Netzwerk der sozialen Klientel, das aus sozialen Kunden besteht, die eine Bindung an das soziale Unternehmen entwickeln, die sie eher zu Partnern werden lässt. Gelingt das, diffundiert das zweite Netzwerk in das erste bzw. beide Netzwerke koppeln sich lose. Beide Netzwerke stehen wiederum im Kontext medialer, 3. Netzwerke: Print-Media (3a) und Internet (3b). Das Management der SOE ist der entscheidende Treiber für das Aufmerksamkeitsmanagement, das sich im dritten Netzwerkbereich agil bewegt. Hier zeigt sich, dass die entscheidende Differenz der SOEs zu anderen Wohlfahrtsformen ihre unternehmerische Organisiertheit ist, die zwei Foki hat: (a) ihr Aufmerksamkeitsmanagement und (b) ihre Kompetenz, sozialen Bewegungen (bzw. sozialer Erregtheit: social emotions) über einen Unternehmerkern organisationale Strukturiertheit zu verleihen. Beides macht sie unternehmensfreundlich, d.h. sichert neue Zugänge zu Finanzierungen, über die klassischen des Mäzenatischen und Philanthropischen hinaus.
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50. SOEs sind, der Form nach, Marktpartner. Sie verkaufen ihre social standards, wenn sie in den Transaktionen eingehalten werden. Sie sind die legitimen Vermittler von ideellen Werten und social services, ohne ideologische Frames. 51. Vornehmlich arbeiten SEOs als Bewertungsinstanzen. Valuation spielt nach Harrison White eine zentrale Rolle in der Koordination von Handlungen. Die soziale Struktur ist durch drei Arten von Bewertungsordnungen gekennzeichnet: (a) interfaces (nach Qualitäten bzw. nach quality values ordnend), (b) arenas (nach purity values ordnend) und (c) councils (nach Prestigewerten ordnend). Was Harrison der Industrie (a), dem Markt (b) und der Politik (c) zuordnet, lässt sich allgemeiner für unsere soziale Werttheorie verwenden. 52. Die SOEs sind zweidimensional strukturiert: interfaces und councils dominieren. Vornehmlich sind die SOEs durch ihre Qualitätsbewertungen gekennzeichnet. Sie zeichnen soziale Defizite durch kompensatorische Leistung aus, indem sie die Schnittstelle sozial/unternehmerisch besetzen, bewerten sie Zustände neu, die vordem nicht oder zu wenig beachtet wurden. Die council-Dimension bewertet zum einen die Aktivitäten der SEO-Mitglieder als statusbewehrt, zum anderen erzeugen sie gesellschaftliche Aufmerksamkeit durch medialen Einsatz. Lediglich die arenas bleiben unterbewertet: es gibt kein soziales Preissystem, keinen social market in der Leistungsebene, wohl aber in der Finanzierungsebene. Nur die SOEs werden finanziert, die gute und neue Bewertungen in der interface- und in der council-Dimension bieten. Die soziale Wertschöpfung wird durch unternehmerische Bewertung von sozialen Zuständen erzeugt, die über die spezifische Qualität der SEO (oft allein schon durch eine intelligente Entdeckung von Defiziten und deren Lösungen) und über die entsprechende mediale Aufmerksamkeit geleistet werden. 53. SEOs sind attraktiv für die Finanzierung durch Unternehmen, wenn sie eine Singularität, eine unternehmerische Spezifität darstellen, die eine Art sozialer Innovation darstellt und deshalb medial besonders vermarktet werden kann. Hier wirkt, über die erzeugte Aufmerksamkeit, eine für soziale Organisationen neue Wettbewerbsdimension.
13. Verwaltungsverschiebungen. Konsequenzen der Modernisierung von Verwaltungsorganisationen 13. Verwaltungsverschiebungen
13.1 Ämtergewinn Unternehmen in Märkten erwirtschaften Gewinn, den sie investieren. So wächst die Wirtschaft über Wertschöpfung. Organisationen in non-markets, z.B. staatliche oder kommunale Verwaltungen, erhalten Ämter, die sie politisch zugewiesen bekommen haben. Die Zuweisung läuft über Budgets von außen; die Erhaltung wird von innen betrieben (Sachargumente und politische Vernetzung mit der Politik). Die Politik verabschiedet Gesetze; deren Umsetzung betreibt die Verwaltung/Bürokratie. Jedes neue Gesetz muss folglich, wenigstens implizite, die Frage mit beantworten, wer seine Umsetzung bearbeitet, d.h. wer in der vorhandenen Verwaltung die durch das Gesetz anfallende Arbeit erledigt. Da Verwaltungsleitung gewöhnlich kein Effizienzmanagement betriebt, heißt die Standardlösung: pro neuem Gesetz eine neue Verwaltung. Mindestens eine oder mehrere Stelle/n. Die vorhandene Verwaltung achtet darauf, nicht mehr belastet zu werden. Die Erhaltung des status quo ist eine Angelegenheit der Beamten/Verwaltungsangestellten (und des Personalrats). Sie wollen weder umgesetzt werden noch zusätzlich belastet werden. Verwaltung/Bürokratie arbeitet über Arbeitsverschiebung – in noch mehr Verwaltung. Die Leitung der Bürokratie hat Interesse an Karriereoptionsausweitungen. Die Erhöhung der Leitungsspanne weist mehr Macht aus. Deshalb lautet die governance-structure wie folgt: Maximiere die Aufgaben = jeweils neue Verwaltungseinheiten = maximale Macht. Die Bürokratieleitung sinnt auf Extension qua Machtausweitung; die Verwaltung selbst sinnt auf Erhaltung des status quo, was zur Folge hat, dass neue Aufgaben neue zusätzliche Verwaltungen/Stellen benötigen (was der Leitung wieder zupass kommt). Bürokratien akkumulieren Ämter, Unternehmen generieren Gewinne und akkumulieren Kapital. Ämter sind nicht kapitalisierbar, wohl aber Karrieren in Ämterbürokratien. Dazu müssen aber genügend Ämter vorhanden sein (und zwar stellenkegelhaft:
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um höhere Ämter zu vermehren, müssen untere Ämter mit vermehrt werden. Kein höheres Amt ohne proportionalen Unterbau bzw. veritable Leitungsspanne). Ämter sind die ‚Profite‘ der Bürokratien (die sie der Politik abgewinnen). Eine Bürokratie leistet zweifach: 1. das, was ihr aufgetragen ist, 2. ihre Emergenz. Dieses zweite Spiel ist ein Umverteilungsspiel: die Politik definiert Gesetze, die erfüllt werden müssen. Dazu ist Bürokratie nötig, pro neues Gesetz eine neue Bürokratie. (New public management versucht, diese Maxime zu revidieren, pro neuem Gesetz nicht unbedingt eine neue Bürokratie. Die alte müsse nur besser organisiert werden. Wer hat Interesse an der Realisation dieser neuen Maxime? Who triggers the problem?) Wenn die Politik definiert, wie viel Bürokratie zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben nötig ist, wird sie mit Reduzierungen scheitern, wenn die governance der Aufgabenerfüllung (bzw. Gesetzesimplementation) bei der Bürokratie bzw. ihrer Leitung liegt. Die Leitung der Bürokratie entscheidet die Leistungseffizienz nach bürokratischer Arbeitsteilung: pro Aufgabe ein spezifisches Set an Bürokratie (plus Leistungsfunktion). Damit erhöht sie die Menge der Karriereoptionen innerhalb der Bürokratie. In Kombination der Vernetzung der Bürokratie mit der Politik über Parteien haben die Leitungen der Bürokratie Einfluss auf das Implementationsmanagement. Umgekehrt haben die Politiker durch den Extensionsmechanismus (ein neues Gesetz = eine neue Bürokratie) wiederum Einfluss auf die Bürokratie: sie können ihr Versprechungen machen und sie erfüllen helfen (durch Nicht-Bürokratieabbau). Neue Aufgaben bedeuten: neue Ämter. Umgekehrt ist Bürokratieabbau eine Gefährdung des eingespielten Politik/Bürokratienetzwerkes. Wenn zudem viele Politiker aus Bürokratien kommen, gibt es in der Politik keinen Grund, Bürokratie abzubauen, weil die Bürokratenpolitiker wieder zurückkommen wollen (und zwar auf Karrierestellen). Politiker kämpfen ebenso um Ämter: in der Politik (in den Warteschlangen der Seilschaftsopportunismen) wie vor allem um die Seitenausgänge; um bei Versagen oder Abwahl in Ämter im Politikumfeld zu kommen: kommunal in Vereins-, Stadtwerke- etc. -Vorstände; in Verbandposten, politische Stiftungen, Politikberatungen, Aufsichtsgremien etc. Outsourcing ist eine Form, in der Politik und Bürokratie kooperieren, um 1. 2.
Stellen zu erhalten, die innerhalb der Bürokratie als Bürokratie nicht mehr zu halten sind; um neue Stellen zu schaffen (neue Leitungsstellen, Aufsichtsstellen, Koordinationsstellen).
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Möglicherweise ist public-private-partnership (PPP) kein Effizienzgenerator, sondern eine Methode der Bürokratieemergenz: je mehr Teile aus dem Staat/den Kommunen ausgegliedert werden, um so mehr höhere Ämter werden gebraucht zur Koordination/governance /monitoring /Supervision/auditing der ausgegliederten Stellen/Einheiten. Das bedeutet: 1. 2.
Outsourcing (und PPP) ist eine Form der Bürokratieemergenz, die höhere Ämter kreiert (und untere durchaus abbaut). Insbesondere ist sie eine Form, die nicht nur der Bürokratie, sondern der sie stiftenden Politik Ämter beschert, die für den Seitenausstieg notwendig sind. Politik und Bürokratie arbeiten beim outsourcing/PPP zusammen; sie bilden eine ‚natürliche Kooperation‘ in der Logik der Ämter, um die Ämteremergenz voranzutreiben.
Beispiel: auditing – nicht als temporäre Bürgerbewegung, sondern als Installation von Ämtern, außerhalb der üblichen Bürokratie. Es geht um die Schaffung unkonventionaler Ämterarenen: outspaced, aber politikfinanziert. Auditing und monitoring etc. sind informale Bürokratien, die zunehmen, weil der Koordinationsaufwand komplexer Politik zunimmt, ohne dass der Staat noch traditionell die Rolle des Managements übernehmen kann. Sie sind aber zugleich auch Medien der Ämteremergenz (nicht identisch, wenn auch strukturaffin der Bürokratieemergenz). Auditing wie monitoring können durch Behörden (Bürokratie), durch outplaced Agenturen, oder durch NGOs wahrgenommen werden. NGOs sind politikunabhängige Foren, die sich selber (durch Medienarbeit und Vereinsbeiträge) finanzieren. Ihre Logik, Aufmerksamkeit zu erzeugen, die gewisse issues politiksensibel macht, um damit Drohpotentiale in prekären Politikszenarien auszubeuten, kann dann durch Abkauf der Drohpotentiale in den gewöhnlichen politischen Finanzierungszirkus übernommen werden (gewöhnlich durch Kooperationsangebote und Ämtervergabe an die NGO-Kader). Bürokratieabbau bedeutet: Ämterverlust. Deshalb erfindet ‚Bürokratieabbau‘ als Programm eher ein ‚Amt für Bürokratieabbau’, als Bürokratie abzubauen. Deshalb wird Bürokratieabbau nicht im Kerngeschäft der Verwaltung geschehen, sondern durch outsourcing, durch Verschiebung von Verwaltungen und ihren Services in den öffentlichen Raum, vornehmlich in der Form der öffentlichen Unternehmung. Ämter kann man, mit den Pensionierungen, auslaufen lassen, weil keiner, der aktuell ein Amt hat, davon betroffen sein wird. Aber für die Leitungen bedeutet es Karrierepotentialeinschmelzung. Deshalb erfinden sie neue Ämter.
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Wenn sie keine Ämter vermehren können, erfinden sie Zwischenwelten: z.B. im outsourcing, im PPP-Bereich etc.
13.2 Bürokratiestabilität durch Outsourcing Bürokratien sind ruhige Gesetzesverwaltungen mit eigenen Organisationsmustern. Sie sind nicht effizient, indem sie ihren Output maximieren wollen, sondern gesetzestreu, indem sie die (juridischen) Konsequenzen von Gesetzen prüfen, abwägen und die Durchführung nach Regeln geschehen lassen. Die Qualität (europäischer) Bürokratie ist ihre Regelorientierung (die situationistischen Opportunismus ausschließt, damit aber auch Effizienzorientierung). Deshalb ist public management eine nicht-triviale Strategie. Public management soll die Effizienz der Verwaltung erhöhen. Wonach sich das bemessen soll (beim Fehlen von Profitraten), bleibt offen, d.h. politisch offen, also bestimmbar. Die Effizienz von Verwaltung kollidiert mit der Regeleinhaltung, sodass das public management-Ziel, 1. Servicequalität zu verbessern (mehr Output pro Stelle), mit der Anforderung, 2. mehr Stellen zu bilden (mehr Stellen pro gesteigertem Output), parallel läuft. Zudem gibt es noch 3. die Variante der Leistungskonstanz bei sinkenden Stellen. Hier sind die Kostensenkungsprogramme angesiedelt, die für Politiker sichtbare Budgetentlastung generieren. Diese Variante wird mit der outputsteigernden oft kombiniert (1, 3). Die letzte Variante, mehr Stellen zu wollen bei gleicher Leistung, ist schließlich 4. eine bürokratieinterne Tendenz, die der Statuskonkurrenz untereinander entspringt. Bürokratieabbau ist eine z.T. riskante Strategie, weil Bürokratien als regelbefolgende Organisationen nicht einfach ihre Stellen reduzieren können, indem die verbleibenden mehr produzieren (Bürokratie ist nicht auf Synthese, sondern eher auf Differenzierung gegründet). Natürlich gibt es, gerade aus der vierten Variante herrührend, Personalüberlasten. Aber ansonsten sind Bürokratien strukturierte Organisationen, die nicht einfach über einen change neu konstelliert werden können. Ihre zeremonielle Rivalität ist ein Schutz gegen Willkür und unabgestimmte Intervention. Bürokratien lassen sich nicht nach public management-Strategien ändern, sondern nur behutsam: durch Beibehaltung der Rituale, deren Muster aber modernisiert werden können. Objekt der Bürokratie ist nicht der Bürger, sondernd das Gesetz (und seine Regeln). Austausch der Objekte bringt Irritation in die Organisation, die nicht durch erhöhte Kundenserviceproduktivität aufgefangen werden kann. ‚Kunden‘ sind keine Objekte von Verwaltungen. Werden Verwaltungen ‚kundenfreundlich‘, erhöhen sie ihre Aufmerksamkeit für Randzonen der Organisation, ohne die für den Kern, die Gesetzesbefol-
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gungsarbeit, vernachlässigen zu können. Diese ‚Doppelorientierung‘ generiert organizational stress. Beide Arbeiten werden lädiert: die Kundenorientierung nicht gut vollzogen, die klassische Arbeit ‚am Gesetz‘ aber auch nicht mehr. Die Folge: Politisierung der Verwaltung, um Neutralisationskämpfe gegen die Politik zu führen, mit hohem Aufwand. Die Tendenz der Verwaltungen, politisch zu werden (wie viele Verwaltungsbeamte und -mitglieder sind in Parteien, wie viele werden durch parteipolitische Gesichtspunkte, die eigentlich verwaltungsfremd sind, orientiert?), steigert sich. Denn jede Verwaltungsmodernisierung geschieht in einem Nexus von Gesetzen, die die Verwaltungen besser zu hantieren wissen als die Politiker (und Verwaltungschefs). In der Logik der Verwaltungen sind Kundenorientierungen (um ein Moment von public management herauszugreifen) zusätzliche Arbeitsaufwendungen, weil das ‚Kerngeschäft‘, die Gesetzesbefolgung, nicht gemindert werden kann. Folglich muss, in dieser durch Modernisierung erzeugten Spannung, die Zahl der Stellen zunehmen – die klassische Antwort der Verwaltungen auf Problemlagen, die sie bisher nicht kannte. Diese klassische Antwort: ‚Erhöhe die Zahl der Stellen proportional zur Aufgabenintensität‘ kann aber im public management-Kontetx nicht gegeben werden, weil ja gleichzeitig Effizienzideale befolgt werden: Kosteneinsparungen, die zu Budgetentlastungen führen (oder Umsetzung von reduzierten Budgets). Demnach können entweder die Kundenorientierungen nicht so durchgeführt werden, wie man es sich ex ante vorstellte, oder aber das ‚Kerngeschäft‘ wird lädiert. Da die Lädierung des ‚Kerngeschäftes‘ (der Gesetzesbefolgungsarbeit) vermieden werden muss, kann nur die Ersetzung von Nicht-Kerngeschäftsarbeit in der Verwaltung angegangen werden: durch offshoring und outsourcing. Entweder wird diese Tätigkeit in den öffentlichen Raum geschoben, als öffentlichrechtliche Unternehmung, oder an private Firmen vergeben, die die öffentliche Aufgabe im Auftrag betreiben, oder die Leistung liefern. Offshoring/Outsourcing – in welcher Form erst einmal auch immer – ist die Opferung von Nicht-Kerngeschäften der Verwaltung (also von Geschäften der Verwaltung, die weniger dem Kerngeschäft der Gesetzesbefolgungsarbeit dienten, sondern der Zuarbeit hierzu: internal support), um die Kerngeschäfte zu erhalten, d.h. in ihnen die Verwaltung als Verwaltung, ohne Effizienzmodulation durch public management. Hier laufen große Verschiebungen, deren Grenzen nicht klar sind. Überhaupt ist die Grenze zwischen Verwaltung im engeren Sinne und Verwaltung im weiteren Sinne, d.h. Verwaltung als outgesourcte Leistungseinheit zwischen Staat und Markt (im öffentlichen Raum), beweglich, doch nur, wenn man genauer analysiert, außerhalb des Kerngeschäftes der Verwaltung.
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In diesem Sinne ist, bei all den Erfolgen der Verwaltungsreform und modernisierung, die Verwaltung als Verwaltung leidlich intakt, wenn auch fokussiert und konzentriert auf ihren rule governed hard core-Bereich. In Anerkennung der laufenden Entwicklungen, die ja den normativen Vorstellungen nicht ganz entsprechen, schlage ich vor, die Verwaltungsreform als Verwaltungsreform in der extensiven Form aufzugeben, eine intensive Form weiter zu betreiben, sie allerdings neu zu formieren für den öffentlichen Raum: von den öffentlichen Unternehmen bis hin zu den non-profit-organizations.
14. Brauchen wir eigentlich noch Sekretärinnen? 14. Brauchen wir eigentlich noch Sekretärinnen?
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Sekretärin ist kein Beruf, sondern eine hostesse. Das ist keine Anzüglichkeit, sondern eine Definition. Hostessen sind Gastgeberinnen, Atmosphärenverantwortliche. Sie achten auf Gastlichkeit der Arbeit; sie produzieren Atmosphäre; sie hüten die Tür (gatekeeper-function); sie notieren Sätze. Vor allem hüten sie die Zeit ihres Chefs. Secretarius: der, der die Geheimnisse der Mächtigen teilt, notiert, bewahrt. Loyalität ist Bedingung der Zusammenarbeit. Beide – Sekretärin wie Chef – sind ein Team in Form einer professionalisierten Tages-Ehe. Beide sind täglich miteinander länger zusammen als mit ihren jeweiligen Ehegespons. Rutscht ihre ‚Beziehung‘ ins Sexuelle, ist die Professionalität verdorben. Charme und Distanz sind das Geheimnis ihrer professionellen Stabilität. Hinzu kommen alle Merkmale einer quasi-Ehe: Flirten, Krach, Eifersucht, Weinerlichkeit der Männer, Bemutterung durch die Frauen, Besitzgefühle etc. Sekretärinnen sind coaches, ohne es offiziell sein zu dürfen. Sie sind work-life-partners mit gebremster Kommunikation (die halt macht vor zu großer Intimität, obwohl sie ständig hereinspielt; bis hin zur Eheberatung etc.). Der Anteil der kommunikativen, moderativen und coachenden Tätigkeiten ist hoch; der Rest ist Sortieren der Besucher, Planung der Zeit (der der Arbeit wie auch der der Freizeit), Stimmungsvermittlung in das Unternehmen wie gegenüber den clients, Atmosphärenmanagement. Der administrative Teil: das Schreiben, Ordnen, Verwahren, fügt sich hinein, mal mehr, mal weniger. Das Herstellen eines Termins am Telefon ist oft aufwendiger als die Post, etc. Soweit der Status. Aber: Wie wird die Zukunft? Zuerst: Alle vermittelnden Tätigkeiten werden mehr und mehr auf die Internet-Kommunikation verlagert. Wer diktiert heute noch? Chefs schreiben – mehr und mehr – selber auf ihren laptops. Sekretärinnen korrigieren noch und drucken aus, wenn es Briefe werden. Wenn die Bildschirmoberfläche
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einen time-organizer hat, wird auch diese Arbeit übertragen. Emails werden vielleicht vorsortiert, aber selber bearbeitet. Archive werden in Datenbanken abgelegt etc. Was bleibt? Work-life-coaching und organizing. Die vermittelnden und schreibenden, archivierenden Tätigkeiten verschwinden, der work support steigt. Was verschwindet? Wenn die time-organizers den Tag designen (evtl. mit einem offenen Tagebuch, in das jeder sich einschreiben kann in die freigegebenen Zeitblöcke), wenn der Rest über 24-Stunden-Email-Zugang kommuniziert werden kann, dann bleibt die vermittelnde Tätigkeit nur für die Gäste; aber das wird architektonisch entweder durch ein Restaurant/Cafe im Hause gelöst, oder man geht in die Bar nebenan, um sich zu besprechen. Diese Form der Sekretärin wird weniger benötigt; damit verschwindet aber auch ihr Atmosphären-Management. Was kommt? Work-life-coaching ist die persönliche Beratung eines highspeed-working-days. Chefs brauchen Partner, die Entscheidungen spiegeln, Leute einschätzen können, und ihr Motive, Abläufe im Kopf haben etc. Dafür brauchen sie Partner, die mitdenken, die Organisation und den Markt im Kopf haben und entscheidungsklug sind. Für diesen Job werden nicht nur Frauen in Frage kommen, auch Männer. Wenn es stimmt, dass Frauen eine ausgeprägtere emotionale Intelligenz haben, dann sind sie dafür geeigneter. Allemal braucht es aber eine Managementqualifikation: Sekretärinnen werden nicht mehr gebraucht, sondern high-knowledge-partners – aber nicht als Manager, sondern als deren ständige, persönliche coaches. Sie sind so etwas wie Schatten-Manager (die zugleich persönliches Auftreten, performance, Kleidungsstil und Aussehen beraten). Was kommt noch? Organizing. Die new partners – nennen wir sie, weil das Wort ‚Sekretärin‘ nicht mehr passt, assistents – müssen alles organisieren können, was die Arbeit für das Management freihält: von kleinen, schnellen Konferenzen bis hin zur Opernkarte, zum Wochenendtrip, vom Geschenk für die Ehefrau oder Geliebte zum (wieder einmal vergessenen) Geburtstag, Flüge, Reisen, Autos, schnell eine Krawatte usw. Das ist nicht neu, das machen heute Sekretärinnen bereits: aber die Intensität wird zunehmen. Vor allem zunehmen wird die Organisation des ganzen Lebens des Chefs: total life support. Er hat keine Zeit mehr, sich um die Freizeit zu kümmern; die Ehefrau arbeitet selber oder ist so emanzipiert, das sie es für ihn nicht tut. Die assistents arbeiten dann auch für die Ehefrau mit! Es kommen neu hinzu: Einkaufen, Putzfrau organisieren, evtl. einen Umzug organisieren, Bücher kaufen, Kleidung bestellen, Wäsche organisieren, das Kind versorgen etc.
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14. Brauchen wir eigentlich noch Sekretärinnen?
14. Das ehemalige ‚Sekretariat‘ splittet sich in zwei unterschiedliche, mit völlig unterschiedlichen Anforderungen versehene Tätigkeiten: work-life-coaching und organizing. Beide Tätigkeiten werden – professionalisiert – nicht mehr von einer Person gleichzeitig ausgeübt werden können. Der Rest an Schreib- und Archivarbeit wird in ein Schreibcenter gegeben (inhouse oder extern): so entsteht eine dritte Funktion (in der Form z.B. der Datenbankverwaltung und -pflege). 15. Im Grunde haben wir es mit drei verschiedenen funktionalen Differenzierungen zu tun. Außer dem work-life-coach aber, der ein persönlicher Assistent bleibt (eher wieder im alten secretarius-Stil), werden die beiden anderen Aufteilungen – organizing und Schreiben/Archivieren (Datenbankverwaltung) – nicht mehr chefbezogen persönlich bleiben, sondern als serviceunits für mehrere Manager tätig werden können. 16. Damit unterschieden sich Anforderungen wie Qualifikationen neu: der coach wird Psychologie und Management studiert haben, mehrere Sprachen sprechen, hoch kommunikativ und von hoher emotionaler Intelligenz sein, muss aber auch in der Lage sein, eine Rede zu schreiben oder ein proposal für eine Besprechung. Er muss sich fachlich auskennen und sich auf dem Laufenden halten. 17. Der Assistent muss andere Qualitäten haben: die hohe Kunst der schnellen und dennoch qualitativ hochwertige Organisation. Er muss leadership haben, um den Prozess steuern zu können. Er muss hohe Weltkenntnis haben, Trends und Adressen, Netzwerke verfügen. Ebenfalls mehrsprachig. 18. Die Schreib- und Archivarbeiten, die noch anfallen, werden in Pools erledigt, für mehrere Manager zusammen. Sie entsprechen einfacher Sekretariatsarbeit und benötigen, außer einer ständig mitlernenden IT-Kompetenz, die Qualifikationen, die heute gebraucht werden (inkl. mehrerer Sprachen). 19. Die Organisationswelt ändert sich. Virtuelle Unternehmen entstehen und vergehen. Der Wechsel wird häufiger, schneller. Man muss auf Wechsel disponiert sein. Nur die coaches begleiten ihre Chefs, wenn sie exzellent sind. Die anderen bleiben, bekommen neue Chefs. Die Professionalität muss auf diesen Wechsel ausgelegt sein. Zu große Loyalität lohnt nicht; die Investition geht verloren. Professionelle Distanz ist zweckmäßiger. Man muss so gut sein, dass andere einen abwerben. Die Größe der Abwerbungsraten definiert die eigene Qualität. 20. Nebenbei: Bisher ist ‚Sekretärin‘ ein Frauenberuf. Männer kommen nur in der Rolle des Vorstandsassistenten oder Stabsmenschen vor (also gleich ‚höherrangig‘ verortet). In der neuen Aufteilung wird die Geschlechterfrage neu durchmischt. Frauen werden nicht mehr automatisch bevorzugt: new
14. Brauchen wir eigentlich noch Sekretärinnen?
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gender-mix. Es wird konkurrent. Das hat mehrere Dimensionen: Frauen werden z.T. selbstbewusster ihre Geschlechtsqualitäten in die Konkurrenz bringen, in der Form einer new ladyness, um erfolgreich zu sein. Andererseits sind coaching und organizing Qualifikationsstrategien von Frauen, die gerade dann Karrierepotentiale bergen, wenn sie in Konkurrenz mit den Männern treten. Es geht dann nicht mehr darum, dass Frauen kommunikativer, teamfähiger, sozial kompetenter etc. sind, sondern um neue Unterscheidungen der Kooperationsfähigkeit, die für Männer genauso zutrifft und zu lernen ist. Die eigene employability muss gepflegt werden: ist es sinnvoll, selber ständig dazuzulernen und solche Jobs anzunehmen, in denen man seine Qualifikation on the job erhöht. Exzellent zu arbeiten, aber zugleich an seiner Biographie zu arbeiten, wird die leitende Doppelmaxime sein. Auf das (einseitige) Vertrauen, in das der Chef einen zieht, ist nur soweit Verlass, wie andere einen sofort übernehmen würden, wenn er geht. ‚Loyal, aber nicht verfallen‘, ist eine zweckmäßige Haltung: intime Nichtintimität (als gelebte Paradoxie). Oder noch genauer: die Qualität der Arbeit in den neuen Dimensionen ist durch die Kompetenz definiert, jederzeit wechseln zu können. Die neuen Formen sind auch als selbständige Arbeit möglich, ohne Anstellungsvertrag. Vor allem das coaching kann als beratende Tätigkeit als freelancer ausgeführt werden (wenn die zeitliche Verfügbarkeit arrangiert werden kann). Ebenso das organizing. Virtuelle Organisationen zeichnen sich durch kleine Kernmannschaften aus; den Rest leasen sie aus dem Markt (so lange sie es brauchen; die Selbständigkeit ist vorteilhafter, aber auch riskanter). Das Szenario ist eines von mehreren möglichen, aber wahrscheinlich. Andere Szenarien sind zu besprechen, Alternativen zu erwägen. Allen gemeinsam aber ist das Muster: Ausdifferenzierung, high-knowledge-Investition, Flexibilität, bis hin zur Möglichkeit der Selbständigkeit. Die Sekretärin verschwindet in ein ausgefächertes Szenario neuer kommunikativer und organisatorischer Kompetenzen. Damit verschwindet auch die halbfamiliale, halbeheähnliche Institution aus den Manager-Räumen.
15. Familien, organisiert 15. Familien, organisiert
Familien sind Organisationen. Weil wir sie nicht so betrachten, sehen wir nicht, dass sie häufig schlecht organisierte Organisationen sind. Ihre konventionelle Form reicht bei weitem nicht mehr aus, die paar Menschen, die wir heute ‚Familie‘ nennen, in modernen Umgebungen gut zusammen leben zu lassen. Denn die Qualität der Organisation ‚Familie‘ ist eine Form der intergenerationellen Kooperation, die zwar in jeder anderen Organisation vorkommt, dort aber unspezifisch bleibt. Familien sind, über monogame Geschlechterbeziehungen hinaus, Institutionen der Kinderaufzucht bzw. Erziehung. Eine Familie ist eine Mikrosozietät von mindestens drei Menschen, wovon eines ein Kind ist. Ob alleinerziehende Mütter/Väter und Kinder Familien darstellen? Sie sind Rumpffamilien, da den Kindern die vorgelebten gender-Inszenierungen fehlen. Die Arena der Rumpffamilien ist geschlechtlich einseitig bestückt, sodass wir andere Sozialisationsbedingungen anbieten, als beim gewöhnlichen gender-mix: Mutter/Vater. Hinzu kommt das Kriterium des gleichen Genpools, nicht wegen der ‚Blutsbande‘, sondern wegen der Selbstähnlichkeit, die wahrscheinlich Erziehung erleichtert, weil gleiche oder ähnliche Reaktionsweisen vorkommen. Die moderne Kleinfamilie ist organisatorisch auf den Nullpunkt. Ihre fehlen alle Ressourcen, die die früheren, clanartig strukturierten Familien besaßen: die Großeltern, die die Kinderbetreuung übernehmen konnten, die Geschwister, die ihre Geschwister koordinieren konnten, ebenso die Hausarbeit, die Onkel und Tanten, die nahe bei wohnten und für jede Sondertätigkeit zusammenkamen, aber auch, wenn wir die etwas wohlhabenderen Familien betrachten, das Dienstpersonal. Diese ‚Haushalte‘ wurden nach den Regeln der Hausväterliteratur (auf Aristoteles basierend) geleitet. Es war eher eine Führung by convention. Die Kooperation war intern hierarchisch geregelt. Moderne Kleinfamilien haben dagegen zu wenig personales Inventar, um Führung zu definieren. Frauen haben Ausbildungen und sind selber berufstätig: wer führt den Haushalt? Das Maß an Unklarheit ist in den letzten Jahren beseitigt: Frauen führen die Haushalte, organisieren die Erziehung und Aufzucht – neben ihrem Beruf. Vor allem aktivieren sie Netzwerke, in die sie reziprozitär selber involviert sind. Eine ‚Hausfrau‘ zu werden, ist keine natürliche Bestimmung mehr, sondern eine Op-
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tion unter anderen. Anscheinend wird diese Option immer noch sehr häufig gewählt, wenn auch häufiger temporär: sie wird auf die Schwangerschaft und eine nachfolgende Mutterphase gelegt. Wenn die Optionen ‚Hausfrau‘ bzw. ‚Mutter‘ gewählt wird, werden die alten Muster aktiviert. Wenn Frauen als berufstätige Frauen zugleich die Rolle der Hausfrau noch mit erledigen, werden sie zu selbständigen Unternehmerinnen der Familien-GmbH, in der die Männer marginalisierte Rollen übernehmen (symbolische Aktionen wie Müll runterbringen, am Samstag einkaufen, mal am Wochenende kochen etc.). Die Familienorganisation wird unternehmerisch angegangen, weil die berufstätige Mutter keine Chance hat, vor allem keine Zeit, sich ganz und langsam auf die Erziehung und Haushaltsführung zu konzentrieren. Zeit wird die bedeutsamste Ressource, und deshalb ist die moderne Kleinfamilie organisatorisch überfordert ohne komplementäre Infrastruktur. Denn allein familiengerechte, auf die Organisationsprobleme moderner Kleinfamilien ausgerichtete Infrastrukturen generieren die knappste Ressource: Zeit bzw. disponible Zeit. Zeit zu haben erst bedeutet für die Frauen, in der Berufskonkurrenz der Männer mitzumischen. Sie sind nicht weniger erfolgreich, weil sie Frauen sind oder weil ihnen eine ‚Rolle‘ zugeschrieben wird – hier irrt die feministische Interpretation -, sondern weil sie sich keine Zeitressourcen erobern, die erst die Entlastungen schaffen, die man für Führungskompetenz braucht. Frauen müssen, um Elitenanschlüsse zu produzieren, Zeitregime erobern, die sie so entlasten, wie die konkurrenten Männer. Deshalb sind alle Infrastrukturen in den Familienumgebungen zu überprüfen, welche Kompensationsangebote sie liefern: Schulen, Dienstleistungen, Haushaltsdienste, Verkehrssysteme, Ladenöffnungszeiten etc. Unsere Gesellschaft ist auf Dienstleistungsressourcen nicht-berufstätiger Frauen aufgebaut: alle services, die eine Gesellschaft und ihre Wirtschaft bieten kann, werden gender-spezifisch erstellt. Unter dem Vorwand, ideale Familien zu bilden, leisten Frauen services, die sie davon abhalten, von diesen services entlastet zu werden, d.h. Zeitzonen zu betreten, die sie elitenfähig machten. Die Schule ist nicht erst seit PISA ins Kritikfeld gerückt: Sie war für berufstätige Frauen immer schon ein Problem, ebenso wie die Kindergärten und Kinderkrippen. Öffnungszeiten waren auf Mütter oder teilzeitarbeitende Mütter abgestimmt, nicht aber auf full-time-professionals. Was sollen Öffnungszeiten von 8-12 Uhr bei Kindergärten oder Schulen? Das sind aberwitzige politische Konstruktionen, aber nicht kundenorientierte. Wieso sollten Schüler mittags nach Hause kommen? Wer kann es sich leisten, mittags ein Essen zu kochen (mit welcher Vorlaufzeit)? Ab wann versagen Eltern notorisch bei der Hausaufgabenaufsicht, geschweige denn -hilfe?
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Die Ganztagsschule, für deutsche Verhältnisse recht schnell in den Reformdiskurs eingespielt, würde der Organisation der Familie natürlich Entlastung und Struktur verschaffen. Zudem würde es den berufstätigen Müttern einen Teil ihres unternehmerischen Doppelmanagements nehmen können, als Zugewinn an Zeitsouveränität, wie man den neuen Adelstitel moderner Eliten nennt. Wahrscheinlich werden wir die Dienstleistungswelten, die für bürgerliche Familien des 19. Jahrhunderts noch selbstverständlich waren, nicht wiederholen können, obwohl au pair bereits immer schon der Test ist; was uns die Öffnung der EU nach Osten an Arbeitskraftangeboten bringen wird, ist noch nicht absehbar. Hier unkluge Moral walten zu lassen, verdeckt, dass die Entlastung durch kostengünstige service-workers bisher die Belastung der kostengünstigen service-workers ‚Mütter‘ bedeutete. Wir beginnen gerade eine Debatte über Spreizungen von Arbeitsmärkten, die längst noch nicht das Niveau der arbeitsmarktheoretischen Erörterungen erreicht hat. Aber das Kriterium aus der Sicht der Organisation Familie ist die Einrichtung von Komplementärinstanzen, die nicht nur – das war das bisherige Argument – die berufstätigen Frauen entlasten, damit sie zeitsouverän werden bezüglich ihrer Karrierepotentiale, sondern – und das ist ein neues Argument – dass die Kinder professioneller betreut und erzogen werden, als es (modern überlastete) Eltern können. Man muss es so pointiert formulieren, weil wir uns eine romantische Konzeption der Familie leisten, die wir uns gerade nicht mehr leisten können. Eltern sind die andere Seite des Problems, das wir als ‚Überforderung der Lehrer‘ öffentlich bereits diskutieren. Möglicherweise arbeiten wir hier mit Schuldzuweisungen, die davon ablenken, dass Eltern heutzutage, gerade wenn beide mit Karriereoptionen befasst sind, unzuverlässige Partner ihrer Kinder sind nicht by intention, aber by consequence. Ihre Zeitregime sind nicht auf die Entwicklung von Kindern ausgerichtet, mit schwerwiegenden Folgen für die soziale und kognitive Entwicklung. Die bisherige Reaktion war eine Art Besinnung, die work/life-balance neu einzustellen. Doch sind das Aufforderungen, die ein Elternteil betroffener machen als das andere. Eltern, die sich nicht ‚um ihre Kinder kümmern‘ (so inkompetent wie auch immer), werden in der deutschen Seelenlandschaft als ‚kalt‘ betrachtet. Hier haben wir unsere – bürgerliche – Geschichte fast völlig vergessen, aber auch die positiven Erfahrungen anderer Länder nicht bemerkt: Kinder können bei professionals eine bessere Ausbildung/Zuwendung haben, als bei gestressten Eltern, die ‚Liebe‘ simulieren, aber das Leben, die Rhythmen, das Zusammensein, die Hinwendungen nicht organisiert bekommen. Wenn die Lebensthemen komplex und zeitraubend sind, ist die Frage der Organisation nicht im Verzicht des einen Elter noch in ‚noch besserer Organisation‘ zu sehen, sondern in der Delegation der Organisation an kompetente pro-
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fessionals. Das mag uns, angesichts der Kompetenzressourcen in Kindergärten, Grundschulen etc., als problematisch vorkommen, aber wir dürfen die Ausbildungen, die unsere Kinderbeauftragten – die Kindergärtnerinnen –, bisher bekommen haben, nicht als Maß des Möglichen ansehen. Deutschland ist hier eine Problemzone geworden. Das liegt z.T. an unserer ‚naturalistischen‘ Haltung, dass Eltern unersetzbar sind. Zusammen mit dem sozialen Faktum, dass Eltern erziehungsuntauglich sein können, produzieren wir Verhältnisse, in denen man selber nicht aufgewachsen sein wollte. Die Organisation, die die Familie nicht mehr leistet, extern komplettiert zu bekommen, durch infrastrukturelle wie marktliche Angebote, würde eine Wachstumsbranche werden, die zudem intensive Beschäftigungseffekte hätte. Was für Schulen, Horte etc. gilt, gilt noch weiter: Lieferservice für Nahrungsmittel, Reinigung, Standardeinkäufe. Die Ansätze des e-commerce, d.h. einfache Bestellung, einfach Lieferung, sind natürlich weiter ausbaufähig. Das ist eigentlich bekannt. Doch fehlt klares Bild der möglichen Misere. Im PISA-Kontext beginnen manche es zu ahnen: Moderne Familien werden, über Stress, Desorganisation etc. immer weniger fähig, Kinder in modernen, komplexeren Welten zu erziehen, nicht einmal mehr nur zu beaufsichtigen. Die Komplementärinstitutionen entwickeln sich schwach oder gar nicht. Demnach werden unsere Kinder schlechter sozialisiert, als es die Anforderungen einer dynamischen Wissensgesellschaft eigentlich erforderten, andererseits wird das ‚Kinder haben‘ nicht angereizt noch prämiert. Singles haben nicht nur späteren Rentennutzen durch die Kinder anderer, sondern auch noch höhere verfügbare Individualeinkommen. Wir investieren zu wenig in das Humankapital unserer Gesellschaft, d.h. in die Bildung unserer Kinder an der Schwelle zu einer Wissensgesellschaft. Das betrifft aber nur z.T. die aktuellen Schul- und Hochschulinvestitionsdefizite. Der größere Teil der Humankapitalbildung geschieht in der Sozialisation in den Familien (wie später in den Unternehmen). Wenn aber die Familie als Organisation überlastet ist, und wenn ‚das Opfer‘ der Frauen nicht mehr allgemein zur Zivilreligion gehört, dann müssen wir die Ideologie der ‚Wiederherstellung der Familie‘ aufgeben, dafür die Professionalisierung der Komplementärinstitutionen vorantreiben. Weil wir unsere Gesellschaft über einen Generationenvertrag betreiben, wäre es zudem zuträglich, nicht nur Kinderzeugung zur prämieren, zudem die Organisation der Familien zu entlasten, aber drittens auch die Entlastung durch diejenigen mit finanzieren zu lassen, denen ‚Kinder zu teuer‘ sind. Leben zu wollen ohne leben zu lassen würde dann die teurere Variante unseres Wohlfahrtsstaates. Wer nicht in eigene Kinder investiert, investiert in andere – oder verzichtet auf Rentenanteile.
16. Arbeit, Information, Kommunikation: Skizze einer Theorie der Arbeit in modernen Umgebungen 16. Arbeit, Information, Kommunikation
Seit wir wissen, dass uns die Arbeit nicht ausgeht, sondern ihre Form wandelt, fehlt es nicht an Anregungen zu einer Formanalyse der Arbeit in der Informationsgesellschaft, aber ohne systematische Attitude. Der folgende Artikel ist eine Skizze zu einer Systematisierung. Er versucht – un essay – die altabendländische Topik zu verlassen, die uns hindert, die neue Welt der Arbeit in der unvoreingenommenen Radikalität zu betrachten, die die Informationsgesellschaft von uns auch anderweitig fordert.
16.1 Traditionelle und neue Topik der Arbeit Wir stellen uns – abendländisch geschult – vor, dass man arbeitet, um etwas zu leisten bzw. um etwas zu produzieren. Beide Zuordnungen haben unterschiedliche Bezugsebenen. Die Produktion ist – lateinisch: productio, griechisch: poiesis – ein Hervorbringen von etwas. Es gilt die Konnotation: Hervorbringen aus etwas, das bereits schon vorliegt. Die Leistung hingegen kann ohne Produktion erfolgen; hier gelten die Konnotationen der Verausgabung (dass man etwas geleistet oder geschafft hat) und des Dienstes am anderen. Konsequent sprechen wir von Dienstleistungen, die wir von der Arbeit der Industrie – die immer gewerblich, d.h. als industrielle Produktion verstanden wird – abgrenzen. Arbeit ist – in beiden Bezugsebenen – eine Art von Transformation: eine Veränderung oder Modifikation von Zuständen der Welt (D). Reden wir aber von Arbeit als Produktion, haben wir es mit einer spezifischen Transformation zu tun: die der Umformung von Materie. Die Transformation, die durch Dienstleistung erfolgt, ist hingegen transmaterial. Der Dienst, den wir anderen leisten, ist eine Transformation seiner Lebensumstände, Helfen/Hilfen und Handreichungen, support etc. Die einzige ‚Materie‘, wenn man so reden will, ist der andere Mensch selbst; seine Umstände sollen verändert oder verbessert werden, oder auch er selbst, z.B. durch Heilung (medizinische Dienstleistungen) oder durch Aufmunterung (entertainment) etc. Die Unterschiede zwi-
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schen einer Industrie- und einer Dienstleistungsgesellschaft lassen sich an dieser Unterscheidung zweier Modi von Arbeit erklären: Arbeit bleibt Transformation, nur die Art der Zustände, die sie ändert, ändert sich. Arbeit ist ein intentionales Handeln (auch dann, wenn es routiniert ausgeführt wird; die Intention ist dann in die Habitualisierung bzw. in die Konvention der Handlungsausführungen eingegangen). Die Transformation der Zustände muss auf eine menschliche Intention rückführbar sein. In dem Sinne ist nicht alles, was Menschen tun, Arbeit. Aber auch nicht alle Transformationen, die Zustände ändern, sind auf Intentionen rückführbar. Deshalb muss der Arbeitsbegriff präzisiert werden: (D') Arbeit ist Transformation von Zuständen der Welt, die menschlicher Intention entspringen (P1) (alle absichtslosen, spielerischen Handlungen, auch wenn sie Transformation sind, fallen aus dem Arbeitsbegriff heraus). Ebenfalls fallen alle Transformationen heraus, die zwar beabsichtigt sind, aber andere Menschen verletzen oder ihnen schaden, heraus. Von der ‚Arbeit des Mörders‘ redet man höchstens in metaphorischem Sinne, ebenso wie von der ‚Arbeit des Krieges‘. Arbeit schafft Wert (ohne dass damit gleich eine ökonomische Werttheorie, wie etwa die Arbeitswerttheorie, in Anspruch genommen werden muss). Wert heißt hier erst einmal nichts anderes, als dass eine Leistung erbracht wird, die 1. irgendjemandem nutzt, 2. niemandem schadet. Implizite verbinden wir die Arbeit, seit John Locke, mit einem Selbsterhaltungs- oder Reproduktionstheorem, d.h. mit einer Auffassung, dass Arbeit nicht destruktiv, sondern konstruktiv ist. Destruktive Arbeit halten wir für sinnlos (womit, implizite, gesagt ist, dass Arbeit Sinn machen soll). Diese Auffassung ist nicht immer kompatibel mit einer ökonomischen Interpretation. Man mag sehr viel arbeiten, aber der Markt mag die Ergebnisse der Arbeit für ungültig erklären, indem sie nicht gekauft werden. Trotzdem halten wir – alltagssprachlich – die getätigte Arbeit für sinnvoll, wenn auch die Marktbewertung sie für ‚sinnlos‘ erklärt. Wir haben es – bei der Arbeit – mit zwei verschiedenen Wertkonzeptionen zu tun. Es gibt eine nicht-ökonomische Auffassung, in der Arbeit immer Wert schafft, weil Arbeiten sui generis für sinnvoll erachtet wird. Davon zu unterscheiden sind Konzeptionen, die die soziale oder ökonomische Bewertung der Arbeitsleistungen ins Spiel bringen. Hier werden die Arbeiten in produktive und unproduktive, sinnvolle und sinnlose, effektive und ineffektive unterschieden. Nicht mehr die einzelne Arbeit, sondern ihre effiziente Organisation steht im Mittelpunkt dieser Überlegungen, ebenso wie ihre marktliche Bewertung. Ökonomisch ist Arbeit nur etwas wert, wenn jemand anderer dafür zu zahlen bereit ist. Die Verausgabung von Arbeit ist kein Wert an sich. In diesem Sinne ist Arbeit, die man für sich selber tut, nur dann bewertbar, wenn sie ange-
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ben lässt, welchen Ankauf von fremden Arbeitsleistungen man einspart. In diesem Sinne ist Arbeit nur etwas wert, wenn sie von Dritten bewertet wird. Diese Bewertung muss nicht monetär erfolgen; sie kann auch in Anerkennung etc. ‚ausgezahlt‘ werden. Auf jeden Fall muss ein social value benennbar sein. Diese Erörterungen dienen allein dazu, die Arbeit als Transformation von Zuständen der Welt insoweit zu präzisieren, als es anscheinend nicht ausreicht, die Verausgabung von Arbeit zu betrachten, sondern auch die Bewertung durch Dritte zu beachten. (D'') Arbeit als Transformation von Zuständen der Welt ist nicht nur an Intention gebunden (P1), sondern auch an eine Evaluation durch Dritte (P2). Als ein fait social ist Arbeit im arbeitsteiligen Nexus eine Form der Kooperation innerhalb der Gesellschaft – in den modernen Gesellschaften im Wesentlichen wirtschaftliche Kooperation, aber auch im non-market-Bereich (Eigenarbeit, Nachbarschaftshilfe, kommunale Arbeit, Wohlfahrtsarbeite etc.) Es reicht nicht aus, Arbeit als Expression zu betrachten noch als Transformation. Auch die Intention langt nicht, wenn nicht eine externe Bewertung hinzukommt, die der Arbeit als soziales Ereignis eine transsubjektive Anerkennung zollt.1
16.1.1 Exkurs: Bildungs-Arbeit Im 19. Jahrhundert entwickelte sich noch eine Zwischentheorie: die Arbeiter bearbeiten die Materien, zuerst ohne, dann mit Maschinen, die nurmehr die energetischen Potentiale der Materie-Transformation erhöhen. Zugleich aber bearbeiten die Arbeiter sich selber als Menschen: sie bilden sich durch Arbeit. Diese romantische, später von den Sozialisten und Kommunisten aufgenommene Konzeption, betrachtete die industriellen Arbeitsverhältnisse danach, inwieweit sie den Arbeitern neben der ‚entfremdenden‘ Arbeit der Materie-Transformation zugleich die Chance der Selbst-Bearbeitung in Hinblick auf eine höhere Erfüllung des Lebens ermöglichen, was die Entfremdung aufheben möge. Dieser Arbeitsbegriff enthält eine doppelte Konnotation einerseits zur Produktion/poiesis als Herstellung von etwas für andere, andererseits zur Praxis, d.h. zu einer Tätigkeit, die ihr Ziel in sich hat. Hierfür steht der Begriff der Bildung (und sein emanzipatorisches Telos). Arbeit wird so in den Kontext Arbeit/Leben rückgeführt. Das gilt auch für den Arbeit/Produktion-Kontext, aber auf einer anderen Ebene: Arbeit wird hier als Reproduktion zur Produktion verstanden. Reproduktion meint den notwendigen Anteil an Materie, der zur Bearbeitung von Materie gebraucht wird. Genauer 1 Es reicht manchmal aus, dass man, arbeitend, vor sich selbst Anerkennung findet. Doch ist das dann nur ein Vorgang, der, stellvertretend für andere, dieses für sich selbst vornimmt.
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gesagt: Arbeit wird, als Reproduktion, über den notwendigen Verbrauch von Lebensmitteln, d.h. über besondere Materien definiert. Der Arbeit/Produktion-Nexus verweist nur mittelbar auf das Leben der Arbeiter. Über den Lohn erwerben sie die Reproduktionsmittel ihres Lebensunterhaltes. Dagegen verweist die Arbeit/Bildung-Relation unmittelbar auf eine Arbeit/Leben-Relation. Die Arbeit der Bildung verändert und entwickelt die Qualität des eigenen Lebens. Implizite wird damit gefordert, nur solche Arbeitsformen zu bevorzugen, die zugleich bildende Qualität haben. Im 19. Jahrhundert schwang hier Handwerker-Romantik mit. Beide Relationen sind komplementär; die ‚idealistische‘ Version braucht die ‚materialistische‘ zur Basis. Marxistisch wird der lebensmitteltechnische Materialismus Smiths auf die Materie des Geistes ausgedehnt: die Emanzipation von der Lebensmittel-Reproduktion auf die zeittechnische Befreiung von der unmittelbaren Produktion/Reproduktion auf die erweiterte Reproduktion des Menschen durch Bildung wird nicht – hegelianisch – als Emanation des Geistes aufgefasst, sondern als Reproduktion auf erweiterter Stufe, die es ermöglicht, ‚freie Zeit‘ (disposable time; Marx) zu gewinnen, bei gleicher Versorgung durch weniger Arbeit. Das ist, neben der Brüderschaftlichkeit, das Mysterium des Marxschen Kommunismus. Dabei ist Bildung eine Art von zweiter Produktion, auf der Basis der Erleichterung der ersten. Die Erleichterung der ersten Produktion produziert ‚freie Zeit‘ zur Ausübung der zweiten Produktion, der Bildung. Bildung wurde als Formung des Selbst verstanden. Das ‚gebildete Selbst‘ ist das Produkt der Arbeit der Bildung. In dem Formaspekt der Bildung – die Gestaltung des Menschen nach einem Bilde (griechisch: eidos) vom Menschen – ist die Trans-Formation enthalten, die wir als ubiquitäre Qualität der Arbeit herausgestellt haben. Jetzt ist nicht mehr von der Reproduktion zur Produktion von etwas die Rede, sondern von der Reproduktion als Produktion seiner selbst, was nicht mit der Selbsterhaltung konnotiert, sondern mit der Selbstverwirklichung als Bildung (Arbeit reproduziert das Leben, nicht die Lebensmittel). In der Wissensgesellschaft, von der heute geredet wird, ist das Moment der ‚Bildung seiner selbst‘ als Anforderung neu enthalten, ständig zu lernen. Doch meint das, wie wir sehen werden, nicht dasselbe.
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16.2 Vier Formen der Transformation durch Arbeit Wir haben es mit einem kleinen Tableau dreier Teloi zu tun: 1. 2. 3.
Arbeit als Transformation von Materien = Bearbeitung eines fremden Objektes; Arbeit als Transformation der Lebensumstände anderer = Bearbeitung von anderen Menschen; Arbeit als Transformation seiner selbst (Bildung) = Bearbeitung von sich selbst als Mensch.
Die jeweils höhere Stufe enthält – bzw. kann enthalten – die nächst tiefere. Zugleich kann jede höhere Stufe als Regression auf die nächst niedere ausgeübt werden. Dienstleistungen können z.B. in der Art von (1) ausgeführt werden, d.h. dass der Dienst an den anderen als Leistung an den anderen als Objekt der eigenen Arbeit aufgefasst wird. Andererseits kann die Dienstleistung aber auch als Ausbildung seiner selbst betrachtet werden (3), z.B. als die Erfahrung der Rücknahme seiner selbst in Hinblick auf die Erfüllung der Wünsche anderer. Alle drei Arbeitsmodalitäten gelten in unseren modernen Gesellschaften parallel. Während wir aber (1) als Industriegesellschaft und (2) als Dienstleistungsgesellschaft identifizieren (immer wissend, dass beide Gesellschaftsformationen die anderen Dimension der Arbeit jeweils mit enthalten), können wir (3) nur als kommunistisches Ideal oder als by-product von (1, 2) interpretieren. Genauer gesagt, wissen wir zwar von einer modernen Arbeit ‚am Ich‘ oder ‚an sich selbst‘ zu reden, verlegen diese Tätigkeit aber in die Freizeit, d.h. in die Sphäre der Nicht-Arbeit, oder aber in eine andere Sphäre, die der Ausbildung, die wir von der Arbeit getrennt halten. That is, in consequence, very marxian. Wir sprechen zwar davon, dass wir ‚arbeiten‘, wenn wir ‚lernen‘, aber es sind damit nicht die gleichen Arbeitsbeziehungen gemeint, die wir der Industrie oder Dienstleistung zulegen. Das liegt schlicht daran, dass wir Arbeit gewöhnlich nur solche Tätigkeiten nennen, die Einkommen schaffen. Da das Einkommen aber ein Sekundäreffekt der Arbeit als Transformation von Zuständen ist, haben wir es – modern – mit einem vierten Telos zu tun.
16.2.1 Arbeit als Transformation von Leistung in Einkommen Zwar lässt sich auch hier der Effekt einer Zustandsänderung vermerken, aber kein Objekt identifizieren, das ‚bearbeitet‘ wird. Die Redeweise von der ‚Ein-
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kommenserzeugung‘ suggeriert zwar einen Akt der Produktion. Aber genauer betrachtet, ist es notorisch ein Akt der Ko-Produktion von Produkt/Leistung und Einkommen: man arbeitet, indem man etwas produziert/leistet; zugleich aber kommt es nicht darauf an, das Produkt/die Leistung zu erstellen, sondern dafür bezahlt zu werden. Diese Konnotation ist nicht so eng und selbstverständlich, wie wir meinen annehmen zu können; wir kennen Einkommenserzeugungen (genauer: -erzielungen), die ohne Arbeit gelingen (‚Kuponschneiderei‘). Umgekehrt kennen wir Arbeiten, die ohne Einkommen getätigt werden (‚Eigenarbeit‘). Wenn wir Arbeit als Transformation von Leistung in Einkommen betrachten (wie es in der Ökonomie üblich ist), ist uns die Spezifität der Leistungserbringung oder die Form der Arbeit gleichgültig. Damit gilt, dass (4), also die Transformation von Leistung in Einkommen, nur in enger Koppelung mit (1) oder (2) Bedeutung hat; (3) fällt aus diesem Kontext heraus, da wir bei der ‚Arbeit an sich‘ selbst gewöhnlich keine Einkommenswirkungen beobachten. (3) fällt unter die Rubrik ‚Eigenarbeit‘. Arbeit – so lässt sich vorerst zusammenfassen – ist mit Formen der Arbeit in den Modi (1) und (2) verknüpft und mit Einkommenserzielung im Sinne einer arbeitsvertragsrechtlichen Auszahlung. Natürlich lassen sich Opportunitätseinkommen ermitteln, die den Wert der Eigenarbeit gegen entgangenes Einkommen aus Vertragsarbeitsverhältnissen rechnen. Doch rechnen sich die Kosten der Eigenarbeit gewöhnlich nicht. Die Form ist nicht verbreitet. Und wenn sie verbreitet ist, nicht aus ökonomischen Überlegungen. Somit kommt ein weiterer Arbeitsbegriff ins Spiel: die mühevolle Tätigkeit, die kein Einkommen schafft – eine Extension von (3) in die Ebenen (1) und (2). Da sich ‚Eigenarbeit‘ nur durch die Form der Einkommenslosigkeit von der Arbeit, die wir gewöhnlich als solche bezeichnen, unterscheidet, spielt sie für die Modalitäten der Transformation der Arbeit keine herausgehobene Rolle: Eigenarbeit kann auch nur in den Formen (1), (2) oder (3) stattfinden. Es gibt anscheinend Motive, zu arbeiten, die nicht durch Einkommen angereizt werden. Die Einkommen-/Nichteinkommen-Unterscheidung für Arbeit ist für die Analyse der Beschäftigung wichtig, nicht aber für unsere Formanalyse der Änderungen der Arbeit. Unsere Formanalyse hilft uns im nächsten Schritt, wenn wir klären wollen, was die Informationsgesellschaft bedeutet. In einer Informationsgesellschaft sind Informationen Aussagen über Zustände der Welt wie Aussagen über die Änderungen dieser Zustände. Die Erstellung von Informationen wie die Wege, sie zu erlangen nennen wir ‚Informationsverarbeitung‘. Informationsverarbeitung handelt von Zuständen und Zustandsveränderungen, die wir nicht material abbilden können. Dabei kommt eine Novität ins Spiel: wir können nicht mehr trennen zwischen Zuständen, die transformiert werden und Aussagen, die die Zustände oder ihre Transformation aus-
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sagen. Aussagen über Zustände und ihre Transformationen sind bereits selber mögliche Transformationen. Indem ich jemanden über etwas informiere (oder indem ich mich über etwas informiere), transformiere ich den mental state before. Der Vorgang, über den ich meine als Arbeit zu reden, ist selber bereits ein Arbeitsvorgang, der alle Qualitäten der ‚Transformation von Zuständen der Welt‘ hat. Das Produkt wird uneindeutiger. Damit wird auch die Arbeit, von der wir klare Vorstellungen zu haben einen, uneindeutiger. Die moderne Formulierung, die manche wählen, lautet: Virtualisierung.
16.3 Arbeit: Poesie Wenn wir nicht mehr an Materien, sondern an Zuständen arbeiten, wird die alte Hintergrundkonnotation des lateinischen producere wieder virulent – das altgriechische poiein, dessen Substantivum wir als ‚Poesie‘ eingedeutscht haben. Producere wie poiein bedeuten: etwas hervorbringen. Die naturphilosophische Konnotation, dass hier ein Hervorbringen aus etwas, nämlich aus dem Schoße der fruchtbaren Natur, gemeint war, wird modern in ein Hervorbringen von etwas verschoben: in die Konstruktion von etwas. Der adäquate deutsche Ausdruck lautet ‚Herstellung‘. Im ‚Hervorbringen‘ wie im ‚Herstellen‘ wird behauptet, dass die Tätigkeit, die dieses leistet, Dinge verwendet, die bereits irgendwie vorhanden sind. Arbeit ist in eine materiale Struktur eingestellt. Das ist modern, wenn auch erst halb. Die deutsche Verwendung des griechischen poiesis als ‚Poesie‘ verweist dagegen auf einen romantischen Duktus des Weltumganges, der die literarische Konstruktion von schönen (und schrecklichen), z.T. imaginären Welten meint. Nichtimaginär ist die in der ‚Poesie‘ transportierte Vorstellung, dass die erzählte, literarische Welt Geltung bekommt: it is something like to produce or to change the mind. Ich bitte, mir zu verzeihen, wenn ich aus der romantischen Theorie der Produktion von Literatur unmittelbar auf die moderne Begrifflichkeit von Arbeit als Änderung von Zuständen der Welt zugreife. Aber Arbeit in Informationsgesellschaften ist eher vom Typus der romantischen ‚Poesie‘ als vom Typus der Transformation von Materien. Das heißt nicht, dass Arbeit im alten, materialtransformativen Sinne keine Geltung mehr hat, aber Arbeit weitet sich aus auf neue Weltumgänge. Wir sind an der Schwelle angelangt, an der das, was wir ‚Produkt‘ nennen, sekundär wird: nicht mehr das, was wir herstellen, steht im Zentrum, sondern die Anschlüsse, die mit einem Hergestellten ermöglicht werden.
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Wir befinden uns in einem Änderungsprozess dessen, was wir abendländisch für selbstverständlich gehalten hatten. Die Rede von der ‚Zukunft der Arbeit‘ bzw. der new work ist ein Indikator. Dabei ändert sich nicht, dass wir, arbeitend, tätig sind, sondern die Ausrichtung der Arbeit, die kein Objekt mehr liefert, kein Produkt im ontologisch definiten Sinne. Es kommt nicht mehr ausschließlich darauf an, dass ein ‚Arbeiter‘ ein ontologisch eindeutiges ‚Produkt‘ herstellt, sondern dass er eine Leistung vollbringt (intentionaler Aspekt, (P1) genannt, die von anderen als relevante Änderung von Zuständen wahrgenommen wird, an die sie anschließen können (evaluatorischer Aspekt, (P2) genannt). Dazu gehören vornehmlich Zustände des Wissens, der Einschätzung, des Urteils etc. Es kommt nicht darauf an, was er arbeitet, sondern wie. Arbeit solcher Art enthält einen Begriff von ‚Kultur‘ (wie sich umgekehrt die Arbeit der ‚Kulturindustrie‘ erst aus dieser Perspektive als Arbeit erschließen mag). Die modernen Arbeit, die Zustände ändert, ändert, als Dienstleistung, die Befindlichkeit, den comfort of life desjenigen, dem die Leistung zukommt, und sie ändert, bei der Produktion von Informationen, the state of mind oder, etwas abendländischer ausgedrückt, den status intellectualis desjenigen, der die Information annimmt und sie ‚verarbeitet‘.
16.4 Konsum als Arbeit Die Redeweise, dass Informationen nicht nur ‚produziert‘, sondern von dem, der sie aufnimmt, auch ‚verarbeitet‘ werden müssen, enthält zwei Gegenbilder zu unserer bisher gewohnten Arbeitsbegrifflichkeit: 1.
2.
ein Gegenbild zum reinen Konsum, der traditionell als Nicht-Arbeit aufgefasst wird. Wenn der ‚Konsum‘ von Information selber ‚Arbeit‘ ist, haben wir es mit einer Verschiebung der Arbeit in einen Bereich zu tun, der traditionell als Bereich der Belieferung durch Arbeit aufgefasst wurde. Der Status des passiven Kunden oder ‚Leistungsempfängers‘, wie uns die Sprache des Rechts belehrt, wandelt sich in einen status activus: der Konsument wird Ko-Produzent. Die hier gemeinte Ko-Produktion ist nicht trivial, fordert sie doch vom Kunden eine Leistung, die wir eigentlich im Angebot des Produzenten vollständig bereits realisiert sehen wollen; ein Gegenbild zur Vorstellung arbeitsteiliger Produktion. Arbeitsteilung beschreibt Prozesse, in denen der eine eine erste Stufe, der zweite eine zweite Stufe etc. eines Materials bearbeitet. Alle zusammen stellen das finale Produkt her, und zwar kostengünstiger, als wenn jeder es in toto bearbeitet hätte. Informationsarbeit unterliegt zum einem diesem klassischen Bild.
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16. Arbeit, Information, Kommunikation Einer ‚produziert‘ Informationen, die andere für ihre Arbeit aufnehmen. Hier haben sich die elektrotechnischen Begriffe Sender/Empfänger eingebürgert.
Man vergisst darüber, dass die Informationen, die wir gewöhnlich in Arbeitsprozessen verwenden, die Form von sprachlichen Sätzen haben, d.h. nicht nur eine syntaktische, sondern auch eine semantischen Dimension. Semantica haben die Eigenschaft, verstanden werden zu müssen. Die Bedeutung einer Aussage/Information zu verstehen, ist ein anderer Vorgang, als sie als bereits verstanden aufzunehmen oder anzueignen, wie wir das gewöhnlich von ‚Produkten‘ anderer gewohnt sind. In diesem Sinne ist der Vorgang, den wir als einseitiges Informieren anzunehmen geneigt sind, über die hermeneutische oder Verstehensoperation, ein Kommunikationsvorgang. Informationen stehen nicht einfach im Angebot, obwohl die Redeweise, Informationen seien abzurufen, das suggeriert, sondern ihre Weitergabe bedarf zweier Voraussetzungen: 1. man fragt etwas, und bekommt die Information als Antwort, und 2. sind Informationen meistens keine vollständige Antwort auf die Frage, sondern bedürfen der Nachfrage, ‚wie es zu verstehen sei‘, ‚was man damit meine‘, ‚ob das die vollständige Antwort sei‘, ‚warum man in der Antwort (der Information) nur diese und nicht eine andere Perspektive bevorzuge‘ etc. Wenn wir Informationen in Arbeitszusammenhänge einführen, können wir bei einfachen Signalsystemen (Handzeichen beim Stahlgießen oder Rangieren etc.) von Informationsvorgängen sprechen; aber auch hier sind Missverständnisse möglich, die Kommunikation darüber erfordern, was man nun tatsächlich meine etc. Man sieht, dass nicht nur alle darüber hinausreichenden Informationsprozesse als Kommunikationsprozesse denkbar sind, sondern bereits die Informationsprozesse, die wir eindeutig heißen. Die Informationsgesellschaft als Dienstleistungsgesellschaft aufgefasst, haben wir es nicht mehr mit unspezifisch auf den Markt gebrachten Produkten, sondern – tailor made, wie ich hörte, wie der Ausdruck passenderweise lauten müsse – mit spezifischen Leistungen und Problemlösungen zu tun, die eine spezifische Kommunikation voraussetzen sowie ermöglichen zwischen den Anbietern/Nachfragern. Dieses Phänomen ist eine Ko-Produktion, wenn wir die alten Termini verwenden wollen. Eine neue Verwendung des Terminus ‚Ko-Produktion‘ ist die der Zusammenarbeit in Teams, was allerdings nur für die Zusammenarbeit in Organisationen verwendet wird. Doch gibt es eine noch neuere Verwendung, die auf die Zusammenarbeit von Arbeitern und Nicht-Arbeitern, gewöhnlich Kunden, zielt. Dieses Phänomen ist deshalb das interessantere, weil es gewohnte Interaktionen auflöst und in neue Formen der Arbeit führt, die nicht mehr mit Herstel-
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lung/Lieferung und Abnahme/Konsum beschrieben werden können. Die Arbeit endet nicht mehr im Produkt, sondern im Produkt erschließt sich neue Arbeit. Der ‚Kunde‘ – hier kommen wir in die Region, die wir neuerdings als service-economy kennen und die eine besondere Facette der Dienstleistungsgesellschaft ausmacht – ist mit Notwendigkeit in die Arbeit hineingenommen, als ‚Mitarbeiter‘, um einen vertrauten Begriff neu ins Einsatz zu bringen. Die Information, die der eine dem anderen spezifisch zur Verfügung stellt, kann ihre Spezifität 1. 2.
nur durch Kommunikation gewährleisten, die durch Ko-Operation im Herstellungsakt entwickelt wird.
Wenn Arbeit modern aber als Ko-Operation praktiziert wird – der Kunde konstruiert am Display mit dem Autoverkäufer sein Automobil, oder mit dem Kleidungsverkäufer sein persönliches Textil –, dann ist die Arbeit, die sich hier vollzieht, nicht mehr ohne den Einsatz des Wissens zu bewerkstelligen, den der Kunde als ‚Mitarbeiter‘ einbringt. Faktisch müsste der Kunde als Mitarbeiter für die Ko-Operation entlohnt werden, z.B. durch Preisabschläge in Höhe seines Arbeitseinsatzes am Produkt. Oder der Kunde wird Mitglied der Unternehmung im Maße seines Einsatzes – temporärer Angestellter –, was Konsequenzen hat für die Definition der Grenze dessen, was wir bisher eindeutig als Unternehmen von seiner Umwelt abgrenzen konnten. Wenn wir oben von Informationsverarbeitung sprachen, trafen alle Merkmale zu, die wir in D' notiert hatten: Transformation von Zuständen der Welt, Intentionalität. Es fehlte aber die Evaluation (durch Dritte); D'' war nicht erfüllt. Es zeigt sich, dass das Informieren als Arbeit zu sehr auf transformation of mind und subjektive Absicht ausgelegt ist. Es fehlt die evaluatorische Komponente, die erst durch Kommunikation der Informationen hergestellt wird. Die Komponente besteht auf Fragen wie: Ist die Information richtig/angemessen? Habe ich mich vollständig informiert? etc.
16.4.1 Exkurs: Produktion/Konsumtion Es lohnt sich, bei dieser Aufhebung der Unterscheidung von Produktion/Konsumtion einen Moment zu verharren. Wenn man Arbeit schlicht als eine Tätigkeit auffasst, ist die Unterscheidung problematisch: denn auch wer konsumiert, ist tätig. Wenn man die Produktion als einen (produktiven) Konsum auffasst, z.B. von Halbzeugen, Rohstoffen, Vorprodukten, dann ist die Unterscheidung ebenfalls problematisch bzw. sie weist auf eine Transformation: Konsum ist
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Formenverzehr, Dekonstruktion. Anscheinend wird Arbeit als Konstruktion verstanden, die durch die Konsumtion dekonstruiert wird. Beides sind Tätigkeiten, aber die Konsumtion destruiert an Form, was die Arbeit – positiv – aufgebaut hat. Diese Betrachtungsweise gilt nur, wenn man Arbeit als Produktion auffasst, d.h. als Herstellung von etwas. Konsumtion ist dann Nicht-Arbeit, weil sie etwas Hergestelltes ignoriert, indem sie es zerstört. Produktionsvorgänge, die notorisch Rohstoffe, Halbzeuge, Fertigteile etc. konsumieren, werden nicht als Konsumtionsakte verstanden, solange sie die Teile im gerade herzustellenden Produkt aufbewahren bzw. enthalten lassen. Der Motor wird zwar in der Produktion von Automobilen konsumiert, aber bleibt Motor. Dosensuppen hingegen werden vollständig in die Körper ihrer Esser konsumiert. Diese Form der Konsumtion – an die wir intuitiv denken, wenn wir ‚Konsum‘ sagen – ist eine besondere Form der Produktion: sie dient der Re-Produktion. Reproduktion ist Destruktion der gegebenen Form – z.B. von Dosensuppen oder Kugelschreiberminen – zugunsten der Produktion anderer Formen, z.B. der Lebensform oder von Texten. Doch sind diese Transformationen nicht eindeutig. Wenn wir autofahren, konsumieren wir das Automobil, aber nur un peu. Als Medium des Fahrens ist das Automobil nur ein Teil des Konsumaktes; der tatsächliche Konsum ist das Fahren (von A nach B). Das Fahren hängt aber davon ab, dass wir fahren (und nicht gefahren werden; auch diese Formen gibt es; aber gewöhnlich werden Automobile nicht mit Fahrern verkauft). Indem wir fahren, sind wir tätig. Innerhalb von vertraglich verabredeten Arbeitsverhältnissen ist das Fahren Arbeit und generiert Einkommen, in der Freizeit kostet es Einkommen. Zwar nennen wir das Fahren in der Freizeit anstrengend, aber nicht sogleich Arbeit. Dabei ist es offensichtlich, dass das Automobil nur eine Disposition zur eigenen Arbeit des Fahrens ist. Ohne Ko-Produktion lässt sich ein Automobil nicht konsumieren. Wir haben mit dem Automobil ein Produkt gekauft, dessen Konsum ohne Arbeit nicht möglich ist. Ohne die Mitarbeit unseres Fahrens wäre das Automobil ein Immobil (woran sich zeigt, dass das die Bezeichnung ‚Automobil‘ täuscht; es fährt nicht selbst). Wir können die Trennung zwischen einkommensgenerierender Arbeit und freizeitlicher ‚bloßer Tätigkeit‘ nicht aufrecht erhalten, wenn wir es mit Produkten und Leistungen zu tun haben, deren Konsum nur dann realisiert wird, wenn wir ihn uns im Konsumprozess erarbeiten. Damit ist die strikte Unterscheidung von Produktion und Konsum lädiert, weil wir bereits immer schon mit vielen Konsumtiva anders umgehen. Die Arbeit, für die wir Einkommen erzielen durch Produktion und Dienstleistung, setzen wir ‚außerhalb der Arbeit‘ als Arbeit fort, wenn wir in die Ko-Produktion des Konsums gehen.
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Es zeigt sich, dass die Unterscheidung von einkommensgenerierender Arbeit und nicht-einkommensgenerierender Tätigkeit eine ökonomische bzw. (arbeitsvertrags-)rechtliche Bestimmung darstellt, die für die Formanalyse der Arbeit unzureichend ist, wenn wir die Produktion im Konsum fortsetzen. Die Konsequenz dieser Analyse wird Folgen haben für die ökonomisch bzw. (arbeitsvertrags-)rechtliche Betrachtung der Arbeit, gerade wenn wir die Informationsgesellschaft analysieren.
16.5 Information: Kommunikation Der Produzent von Information liefert dem, der die Information aufnimmt, kein Datum, das er ‚abspeichert‘, wie die technische Sprache uns suggerieren möchte, sondern eine Bedeutung, die nicht nur ‚verarbeitet‘ werden muss in den Kontext anderer Bedeutungen (verstehen, interpretieren), sondern, wegen der vielfältigen Möglichkeiten der Interpretation, zu Nachfragen nötigt, die aus den Informationsprozessen Kommunikationsprozesse machen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Informationen so eindeutig sind, dass sie nicht interpretiert, und, in praktischer Konsequenz, kommuniziert werden müssten. Damit ist Arbeit, modern als Änderung von Zuständen eingeführt, als Änderungen von states of the mind nicht mehr – um in der älteren Sprache zu bleiben – objekt-, sondern subjektzentriert. Uns nützen allerdings dieses älteren Begrifflichkeiten wenig, da die Arbeit als kommunikative Ko-Operation immer Ergebnis und Leistung der Ko-Operation ist, niemandes einzelnen: die evaluatorische Komponente. Wir können das so erklären, dass das Arbeitsergebnis nicht unabhängig davon entsteht, wie die Ko-Operateure sich darauf einigen, was sie tun und welche Bedeutung das hat, was als Ergebnis ihres Tuns entsteht. In der modernen Sprache, die sich dieser Sachverhalte versichern will, lesen wir davon, dass virtual organizations und cybercorps (cybercorporations) ‚virtuelle Produkte‘ erstellen o.ä. Die Änderung der Arbeit in die Ko-Operation im Informationszeitalter vollzieht sich in den Organisationen, dem zentralen Ort der Modernisierung der Gesellschaft. Dort wird die Arbeit nicht nur dezentralisiert, entlinearisiert und enthierarchisiert, sondern in Gruppen und in Teams neu organisiert. Die Teams wiederum interagieren in Netzwerken intra- und extraorganisationaler Art; der Oberbegriff für diese Form der Unternehmung ist die virtual organization. In den virtual organizations wird die Grenze der Unternehmung zu ihrer Umgebung geöffnet; die Teams, die vordem organisationsintern operierten, bilden Netzwerke mit anderen Teams in anderen Organisationen. Das Netz der KoOperationen ist in einem doppelten Sinne unternehmensübergreifend: So wie die
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Teams (project teams) interne Ko-Operationen neu herausbilden, bilden die Netzwerke intern/externe Ko-Operationen mit anderen Teams anderer Organisationen und mit Kunden aus. Es zeigt sich, dass der moderne Begriff der Arbeit nicht nur eine theoretische Konstruktion ist, sondern ein Versuch, die neuen Formen der Arbeit in den neuen Formen der Organisationen der Zukunft – jedenfalls der Zukunft, die wir heute zu konstruieren versuchen – zu lokalisieren. Die Lokalität der Organisationen der Zukunft ist virtuell, d.h. über Raum, Zeit und Struktur verteilt. Diese hoch elastischen neuen Verteilungen bilden aber nur die dispositive Seite der virtual organizations. Ebenso bedeutsam, wenn nicht bedeutsamer, sind die neuen Arbeiten, die nicht mehr nur als Ausführung von Organisationszwecken beschrieben werden können, sondern die die fortlaufende Relationierung der Beziehungen (zwischen Mitarbeitern, in Netzwerk, zwischen Organisationen und Netzwerken zu Kunden) betreiben. Die Arbeit transformiert nicht mehr nur Objekte, Leistungen oder ‚sich selbst‘, sondern sie transformiert ebenso die Relationen der Arbeiten zueinander: Arbeit an der Organisation der Arbeit. Wenn wir sagen, dass Arbeit immer bereits im Kontext anderer Arbeiten steht, so ist hieran neu, dass diesen Zustand zu verändern selber zum Telos von Arbeit wird. Die Arbeit, die bisher eher als Abarbeitung von Anweisungen in hierarchischen Umgebungen verstanden wurde, bekommt ein entrepreneuriales oder intrapreneuriales Moment. Neben der – weiterhin wichtigen – Bearbeitung von etwas, erhält die Arbeit die neuen Qualität der mitlaufenden Bearbeitung ihrer selbst, ihrer Änderung, Neueinschätzung und Re-Kommunikation. Die Arbeit der Re-Organisation der Arbeit als mitlaufende Qualität der new work ist mit der Metapher der Wissensgesellschaft nur ungenau beschrieben. Wissen wird hier nicht als Bestands-, sondern als Prozessqualität angefordert. Die Arbeit der Re-Organisation der Arbeit, die künftig jede Arbeit wird begleiten können müssen, ändert und entwertet Wissen, das vordem als unabdingbar galt, und produziert ständig Unwissenheit, Unsicherheit neuen Situationen gegenüber, die wieder ‚verarbeitet‘ werden müssen. Das Wissen, das für die new work nötig sein wird, wird vornehmlich aus den Kommunikationen des networking entstehen.
16.6 Informationsverarbeitung? Arbeit ist dann nicht mehr Herstellung von etwas, von dem man erwartet, dass andere es haben wollen, sondern ein Prozess der konsensuellen Festlegung von Geltung. Intention (P1) und Evaluation (P2) fallen in eins. Natürlich gibt es weiterhin Produktionsprozesse der alten, teletischen Art; aber sie werden kommuni-
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kationsgeneriert und -gesteuert. Das ‚Produkt‘ existiert nicht vor der Kommunikation, sondern wird erst durch sie geschaffen. Es geht nicht vordringlich – wie man in manchen Varianten der Wissensgesellschaft beschrieben bekommt – um einen breiteren Zugriff auf Wissen. Nicht die Akkumulation von Wissen/Informationen in Datenbanken beschreibt diese neue Gesellschaft, sondern die – noch unentwickelte – Kompetenz, das Wissen ‚verarbeiten‘ zu können. Wissens- wie Informationsverarbeitung sind Arbeiten desjenigen, der auf Wissen/Informationen zugreift, d.h. eine Transformation der ‚Daten‘ in handlungsbefähigende, reflexive oder kommunikative Kompetenz. In diesem Sinne ist das Wissen, das in Datenbanken multipräsentiert wird, verarbeitbar nur durch ein persönliches Wissen, how to do it and why. Man muss bereits wissen, was man mit dem Wissen anfangen will, um etwas mit ihm anzufangen (ohne die Anregungen missachten zu wollen, die durch die bloße Präsentation von Wissen entstehen können). Informationsverarbeitung ist kein technisch definierbarer Vorgang; es geht nicht um ein Informieren von X durch Y, auch dann nicht, wenn man ‚Informationen‘ als mediale Ressource für die Arbeit, die damit geleistet wird, definiert. Denn selbst dann, wenn Y das X informiert, ist die Tatsache, dass X von Y eine Information haben will, eine neue Information für den – scheinbar fixen – Bestand an Informationen, den Y ‚hat‘. Wenn aber das Informieren eine Rückwirkung auf die Information hat, haben wir es mit wechselseitigen Einwirkungen zu tun, die nur als Kommunikationsprozesse beschreibbar sind, auch über die sprachliche Form hinaus. Wenn aber die Arbeit des Informierens eine Transformation nicht nur der states of mind der zu Informierenden ist, sondern Rückwirkungen hat auf die Bedeutung der Information, die durch das Formieren nicht mehr in der selben Weise weitergeben wird, sondern – re-informiert – neue Informationen ausgibt, dann haben wir es mit einer doppelten Transformation zu tun: in Informationsgesellschaften ist die Arbeit eine Transformation der Zustände des Informierten (eine Änderungen seiner mental states, wenn man es kognitivistisch ausdrücken will), und zugleich eine Transformation der Zustände des Informierenden. Denn das Gelingen des Informierens hat für die Information eine andere Bedeutung als ihr Scheitern. Zudem verändert die Art und Weise, wie jemand eine Information ‚verarbeitet‘, die Information, indem der Kontext ihrer Geltung verändert wird. Wenn Information den Kontext ändert, für den sie angefragt war, ändert sich zugleich die Information der Information. Nicht nur der Informierte ändert sich (seinen Zustand: status mentalis) durch Information, sondern auch der Informierende. Diese zweifältige Transformation ist – wenn wir unser altes Tableau wieder in Anschlag bringen – mit den Modi (2) und (3) verbindbar. Eindeutig ist die Arbeitsform (1) ausgeschlossen,
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außer wir definierten Information als eine besondere ‚Materie‘. Modus (2) – als Dienstleistung – enthält eine Dimension der Informationsarbeit: dass die Information andere informiert, d.h. ihre mentalen Zustände ändert. Als zwiefältige Struktur ist die Informationsarbeit aber zugleich selbstbezüglich; der Informierende bzw. seine Information ändert sich ebenfalls. Das war im Tableau der Modus (3), dort allerdings romantisch als ‚Veränderung seiner selbst‘ bezeichnet und bildungstechnisch konnotiert. In der Informationsarbeit wird diese Selbstbezüglichkeit der Arbeitstransformation neu thematisiert, als zwiefältiger Struktureffekt. Informieren informiert nicht nur ‚die anderen‘, sondern auch den, der informiert. Gelingende/misslingende Information evoziert Kommunikation. Kommunikation ist hierbei nicht nur die austauschende Rede, sondern sehr viel weiter die Wechselwirkung, die aus dem Informieren und seiner Interpretation entsteht (und zwar nicht nur der Interpretation, die der Informierte zu leisten hat, sondern auch der, die der Informierende durch das Ankommen/Nichtankommen der Information erfährt). Interpretation ist hier nicht nur die Frage, ‚habe ich so verstanden, dass...‘, sondern bereits die Frage: ‚Was bedeutet, dass X sich informieren lässt, für meine Information?‘. Diese Selbstreferenz ist nicht nur eine Gelegenheit für die konsensuelle Festlegung, was jetzt gelten soll (die habermasianische Dimension der kommunikationsgesellschaftlichen Interpretation der Informationsgesellschaft, natürlich mit sehr pragmatischen Konsequenzen für die ‚Zusammenarbeit‘ beider Couleur: der der networkers untereinander wie der mit den Kunden), sondern zugleich auch eine Gelegenheit für die transkonsensuelle Kommunikation, die Prozesse der Beobachtung der Handlungen anderer ebenso enthält wie Prozesse der Beobachtung dieser Beobachtungen (die luhmannianische Dimension). Vergessen wir nicht den Kontext, in dem wir dies behaupten: the analysis of modern work. Doch ist zugleich darauf zu verweisen, dass der Kontext nicht vergessen, nur anders entfaltet wurde. Informationsarbeit präsentiert sich nicht nur in der zweifältigen Struktur (Information informiert den zu Informierenden ebenso wie den Informierenden), sondern entwirft ein epistemologisches Programm, demzufolge Arbeit als Transformation von Zuständen zwei neue Ebenen durchläuft: 1.
die gemeinte Transformation der Änderung von mental states, was ergänzt werden sollte um die Aussage, dass die Änderung von mental states die Generierung von (neuer) Bedeutung einschließt. Darauf hebt die Redeweise von der Wissensgesellschaft ab, die die Informationsgesellschaft anders interpretiert: z.T. als Ausweitungsgemeinschaft von Wissen/Wissenden (gleichsam als neue smithianische Ökonomie der Wissensakkumulation, eine uninteressante Variante), z.T. (die interessantere Variante) als Generie-
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rung von neuen Bedeutungen, was als Wissensakkumulation nur unzureichend beschrieben ist (denn dem Wissen-Können als Bestandsgröße geht das Verstehen als Prozessgröße vorher). Neue Bedeutungen sind nicht von vornherein addita zum ‚Bestand an Wissen‘, sondern potentiell deren Revision. Wir haben es ebenso mit Substitutionsprozessen (Dekonstruktionen) zu tun wie mit Ausweitungen; ist die gemeinte Transformation nicht mehr ohne Prozesse der Änderung der eigenen Zuständigkeit zu verstehen. Die Position des Arbeiters – der als networker oder ähnlich auftritt – wird liquide (nicht: liquidiert). Die new work ist nicht mehr zureichend mit der Transformation von Zuständen beschrieben, sondern ändert sich selbst in Richtung der Produktion von Events, denen keine ontologisch definite Eigenschaft mehr zugeschrieben werden kann: Zustände werden Ereignisse.
16.7 Arbeit als Ereignis Hier vollzieht sich ein Bruch zum Tableau der betrachteten Modi der Arbeit (1, 2, 3). Anstelle der Rede von der ‚Arbeit als Transformation von…‘ mit verschiedenen Objektzuständen haben wir in eine Richtung zu denken, die der Arbeit Ereignischarakter zuspricht. Damit ändert sich ihre poetologische Struktur. Anstatt aus einer Idee/eidos ein Material umzuformen (Transformation) – ein Prozess, der industrieorganisatorisch als Innovation aufgenommen und als Auftrag ausgegeben wird, als hierarchisch verabreichte Idee an den Arbeiter –, wird die Arbeit zum kommunikativen Ereignis der Herstellung von Ideen, deren Umsetzung in materiale Produkte eine ausdifferenzierte media-technologische Infrastruktur leistet. Die Organisation dieser Infrastruktur ist selber wiederum Resultat kommunikativer Arbeitsereignisse. Arbeit ist dann der network/Team/Kunden-Diskurs über ‚virtuelle Produkte/Leistungen‘. Die Arbeit vollzieht sich nicht mehr in der Produktion von Angeboten, die auf erwartete Nachfrage abgeschätzt werden. Arbeit vollzieht sich vielmehr im Akt der Ko-Operation im network. Das network (und seine Bereitstellung und Disposition) ist die organisatorisch-flexible Disposition dieser Ereigniskategorie der Arbeit. Organisatorisch-flexibel heißt, dass das network im Arbeitsereignis seine Organisation auf die Diskursanforderungen umstellen können kann. Jedes Produkt ist ein Projekt, das sich aus gewissen Dispositionen und aus kommunikativen Arbeitsereignissen jeweils neu konfiguriert. Hier fließen Arbeit und Innovation ineinander. Innovation ist nicht mehr – schumpeterianisch – die Kunst, eine neue Nachfragewelt zu antizipieren, um aus
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dieser – ideellen – Antizipation Investitionen und Produktionen in Gang zu setzen, die dann, wenn sie sich als erfolgreich erweisen, den Markt füllen. Innovation wird – in den modernen Wirtschaftsumgebungen – zu einem konnotativen Moment jedes Arbeitsereignisses. Sie ist dann nicht mehr getrennt vom schumpeterianischen Unternehmerkünstler, der alleine – nietzscheanisch und bergsonianisch inspiriert, quasi genialisch – die neue Idee hat, die dann sein Unternehmen und die im Unternehmen aufgebaute Arbeitsorganisation abarbeitet. Hier wird keiner Genialisierung der alltäglichen Arbeit das Wort geredet, sondern dem Umstand Rechnung getragen, dass die Informationen, die die Informationsgesellschaft verarbeitet, nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn sie zugeschnitten werden auf die individuelle Bedienung individueller Bedürfnisse. Das gilt dann allerdings nicht mehr allein für den Kunden, sondern für den Arbeitenden in den Organisationen selbst. Dieser Vorgang orientiert die moderne Dienstleistungsgesellschaft neu, die nicht mehr auf die klassischen Reservate helfender Berufe appliziert bleibt, sondern in jede Produktion/Leistung eindringt. Die telekommunikatorisch unterfütterte Informationsverarbeitung bliebe ein armseliges Ding, wenn sie nicht die Vision der bürgerlichen Ökonomie des 19. Jahrhunderts – eine andere steht, nach dem Scheitern des Sozialismusexperiments, nicht zur Verfügung –, jedem nach seinen Bedürfnissen gerecht zu werden, eine informatorisch ausdifferenzierte Finesse nachreichen wollte. Nach der Illusion der ersten Phase der Informationsgesellschaft, durch Ansammlung von data und facta mehr über die erwartete Nachfrage zu wissen, wird die Ansammlung von data und facta zwar weiterhin betrieben, aber zur ReOrganisation der organisatorischen Dispositionen für eine bedürfnissubtilisierte Produktion modernen Zuschnitts, die durch das Diskursereignis network/Kunde gesteuert wird. Arbeit lässt sich dann nicht mehr auf die Ausführung von Organisationsvorgaben reduzieren, sondern weitet sich aus auf die Änderung der Organisation selbst. Die Kunden, deren Bedürfnisse individuell bedient werden sollen, bedürfen Arbeiter/Angestellte, die in der Lage sind und Kompetenz zugewiesen bekommen haben, die ihnen die individuelle Bedienung möglich macht. In diesem Sinne ist die Arbeit in Organisationen nicht nur ein Abarbeiten der Organisationszwecke, sondern zugleich Arbeit an der Organisation, am Kontext der Arbeit. Wenn der Kontext der Arbeit, die Organisation, die Kunden zur ‚Mitarbeit‘ hineinnimmt, ändert sich nicht nur die Organisation, indem sie ihren Kontext, die Kunden, in die Organisation hineinnimmt, sondern die Arbeit der Änderung der Organisation weitet sich aus, über die Arbeiter/Angestellten, auf die Kunden. Wir haben es wieder mit einer zwiefältigen Struktur zu tun, die 1. die Ko-Operation der Produkt-/Leistungserstellung beinhaltet, 2. die Ko-Operation der durch
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ersteres nötigen Arbeit der Änderung der Organisation. Für beide Ebenen wird die Organisation Kommunikationsangebote machen müssen, um ‚Arbeitsverweigerungen‘ der Kunden zu vermeiden. Durch das Diskursereignis network/Kunde verzichtet die real economy auf Prognose – worin die Wirtschaftswissenschaft sie im Stich gelassen hat, nach den großen Erwartungen seit Beginn der Mathematisierung der economic science –, indem sie die Prognostik verwendet, die pragmatisch die beste ist: sie kommuniziert mit denen, die sie beliefern will. Prognose ist mit ‚richtiger Produktion‘ und ‚Angebotsbevorratung‘ konnotiert. Anstatt so ‚in die Zeit‘ zu wirtschaften und zu irren, stellt man heute die Organisationen radikal um, um a point zu liefern, just in time. Dies als Beschleunigung der Wirtschaft zu verzeichnen, ist eine ungenaue Analyse. Die Wirtschaft stellt sich um: von der Prognose/Vorratung auf unmittelbare Leistungsdiskurse/ad hoc-Produktion. Produktion/Leistung, damit die Arbeit, wird als construction by consent organisiert. Die Arbeit wird aus dem Bereich der Sub-Kultur präformierter Ereigniswelten in den Bereich der Kultur verschoben: als Produktion/Bedürfnis-Ereignisdiskurs konfiguriert Arbeit dann unmittelbar life-styles. Natürlich bleiben materiale Komponenten der Arbeit hoch bedeutsam; aber die Organisation dieser Prozesse dominiert die Mühewaltung der materialen Transformation. Der Katalog der Formen der Realisation von materialen Transformationen erweitert sich – durch organisationale Intelligenz – vielfältigst. Die Informationen werden zu Clustern möglicher Welten zusammengebündelt, die den Bestand möglicher Formen erhöhen, auf den im Arbeitsereignisdiskurs rekurriert werden kann.
16.8 Arbeit und Individualität Diese Redefinition moderner Arbeit ist keine Poetisierung von Arbeit in its romantic mode, sondern ist auf einer anderen Ebene zu klären: wir haben es mit einer Umklappung der Zustandsontologie definiter Arbeitswelten in einen epistemologischen Ereignisraum zu tun. Folglich müssen wir die Generaldefinition ‚Arbeit ist Transformation von Zuständen von Welt‘ noch einmal redefinieren, wenn wir das innovatorische Moment hineinnehmen wollen: Arbeit ist dann keine Transformation mehr. Transformation ist notwendig nur als Um-Formung von etwas zu verstehen. In der Arbeit als Ereignis findet keine Transformation statt, außer der der Beteiligten in ihren mental states. Die Ereignis-Arbeit ist die Konstruktion von Zuständen aus der Virtualität in Produkte und Leistungen. Epistemologisch haben wir es mit einer Konkretisierung von etwas Möglichem zu
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tun, mit einer Depotentialisierung. Die – z.T. notwendig damit einhergehenden materialen Transformationen – sind Sekundärprozesse im Ereignisdiskurs. Arbeit und – kommunikationsgeleitete – Innovation können ineinander fallen. Für jeden Kunden etwas Eigenes herstellen zu können, ist jedesmal ein Akt der Innovation, in dem persönliche Beziehungen eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Das ‚Persönliche‘ dieser persönlichen Beziehungen ist vorerst nichts anderes als eine sehr viel genauere Abstimmung zwischen Anbietern und Nachfragern. Doch ist die lapidare Redeweise von der ‚genaueren Abstimmung‘ ein Umschlagspunkt unserer Vorstellungen von Arbeit: es gibt kein Produkt mehr, das ex ante produziert wird zum Verkauf, sondern einen Abstimmungsoder konsensuellen Prozess, der die alte Qualität mittelalterlicher Kunden/Handwerkerbeziehungen wiedergewinnt, in denen der Kunde mit dem artiste aushandelt, wie das Objekt seiner Bestellung ausfallen soll. Der Verweis auf die mittelalterliche Relation ist keine romantic attitude, sondern der Hinweis auf eine Qualitätsdimension, die in der industriellen Angebotsdimension der Vorfertigtkeit von Produkten nicht mehr enthalten war. Durch die telekommunikatorische Infrastruktur werden wir in die Lage versetzt, ‚Lokalität‘ zu erzeugen, die wir, mangels anderer Bilder, als mittelalterlich erinnern. Der Unterschied zum Mittelalter besteht in der Serialität der Individualität: anstelle des Einzelstückes als Einzelstück können wir heute Einzelstücke als Serienstücke produzieren (das industrielle Serienstück musste sein Individualität simulieren, indem es zur ‚Marke‘ wurde, die anzueignen jeder sich als individuell-besondere Tat zurechnen mochte). Die Herstellung von Einzelstücken, die wir dem alten Handwerk noch als die Kunst ihres Gewerbes zurechnen (unterschieden vom ‚Kunstgewerbe‘, der industriellen Form der Herstellung von quasi-Einzelstücken), wird unter modernen Bedingungen zu einer Industrie, die Individualität und Serialität kongenial verbindet. Die Kultur dieser künftigen Industrie wird, wenn wir Abschied nehmen von den Zuordnungen, die heute der ‚Kulturindustrie‘ als Serienfertigung kultureller Events anhaften, zu einer neuen Form von Kulturindustrie. Während die Privatisierung bisher durch Eigentumsübertrag im Kauf geschah, wird sie nun einen Schritt weiter voran getrieben, indem sie durch die Form der Produktion, die hier als Ko-Operation auftritt, ein Ausmaß von Individualisierung erreichen kann, das der Dienstleistungsgesellschaft erst jene neue Form geben wird, die man angestrengt-verzweifelt – ohne weitere Idee, was es sein könnte – erhofft. Die neue Dienstleistungsgesellschaft wird keine Ausweitung der bekannten Dienstleistungsangebote sein, sondern – als service-economy – alle Bereiche der Produktion und Dienstleistung beeinflussen. Sie legt sich als Querstruktur über die bekannten Angebot/Nachfrage-Strukturen, indem sie individuell ihr Angebot auf die Nachfrage zuschneidet und somit Nachfrage bindet,
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die sich sonst auf den Märkten vagabundieren würde (Suche nach nachfragespezifischen Angeboten). Wenn dies sich verbreitert, entlasten wir die Freizeit von Konsumzeit. Anstelle der Konsumarbeit der Information durch Märkte kämen wir zu einer engen und intensiven Kommunikation mit elastischen virtual suppliers. Die Ökonomie käme in die Lage, die Kosten der Konsumtion zu senken (lean consumption). Diese Schlussfolgerung liegt nahe, wenn wir die strikte Differenz von Produktion und Konsum auflösen. Aufgelöst würde in diesem Fall die Einseitigkeit der Idee der Effizienzsteigerung der Produktion; lean consumption würde die Suchkosten (eine informationstechnische Konzeption) der Nachfrage minimieren. Die – stochastisch orientierte – Suche nach individuell akzeptablen Angeboten würde überführt in eine Kommunikation über die Herstellung von etwas, das erst in der Kommunikation von Organisation/Kunde seine Ausführungsidee erhält und konkretisiert. Die Arbeit wird dann – in ihre telekommunikationstechnische Infrastruktur eingebettet und durch die virtual organization organisiert – das operative Massengeschäft der poetischen Realisation individueller Welt.
17. Work/Life-Balance als Einübung in die Arbeitslosigkeit? 17. Work/Life-Balance als Einübung in die Arbeitslosigkeit?
Medizin wie Arbeit verbinden sich in einem Punkt: wellness. Die Körperbewegungen der Gesundheitsbewegungen der Moderne haben die Arbeit erreicht, um deren Zukunft neu zu gestalten. Wellness ist nur die Speerspitze einer neuen Motivationswelle im Arbeitsleben, sozusagen für die, die übrigbleiben bei den laufenden Rationalisierungen und Entlassungen (d.h. den Unternehmens-fitnessProgrammen), neue Beweglichkeit für neue Leistungstauglichkeit einzuführen. Es geht nicht um Massagen und work-out-rooms innerhalb der Unternehmen, auch wenn hier etliche Missverständnisse breit gefördert werden. Eher schon sind die Signale, den Mittagsschlaf einzuführen (und dann die Frage: Wo? Wo sind die Sofas? Die Ruheräume?), wie es in den USA geprobt wird (in China schon längst geübt). Es geht um neue Rhythmen: um Biorhythmik. Während die body-checks der körpertrainierenden Gesundheitsbewegungen das für Angestellte simulieren, was heute Arbeiter auch schon nicht mehr oder weniger tun: mit der Hand, mit dem Körper tätig und in Bewegung zu sein, gehen die neue Sensibilitäten für Rhythmen über die hergebrachten Anstrengungssimulationen hinaus. Der Tag ist neu zu organisieren, damit die Organisation: Wann ist es optimal zu arbeiten, wann ist die Zeit für Höchstleistungen? Wann dann aber auch für Minderleistungen? Wann sollte man besser nicht arbeiten, weil Dekonzentration und Fehler zunehmen? Biorhythmen sind zudem individuell: Wie koordiniert man eine biorhythmisch installierte Zusammenarbeit in der Unternehmung? Die Biorhythmen werden die nächste Mode werden; hier mischen sich Gesundheits-, Organisations- und Leistungsoptimierungsgesichtspunkte. Wo viele Aspekte unisono erledigt werden können, reüssieren immer einige. Organisationen werden bio- und med-checks bekommen: Evaluationen, ob sie körper-, medizin- und biogerecht sind. Medizin, Biologie, wahrscheinlich vor allem die Neurobiologie, werden Beratungseinsätze in Organisationen finden, wo bisher noch der Management-Alltagsverstand dominierte. Berater werden die ersten sein, die transdisziplinär anrücken. Doch bevor wir diese Bewegung erleben: ein neuer Beratungsmarkt mit neuen Folgen für die Organisationen, wird das work/life-balance-Thema ganz andere
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Folgen haben bzw. vorbereiten: Teilzeitorganisationen. Wenn wir von den allzu modischen Aspekten absehen, ist die Frage nach einer work/life-balance eine weitreichende Frage, die das Verhältnis von Arbeit und Leben neu ordnet, und nicht nur als midlife-crisis-Ergebnis, sondern als Frage nach der Verbesserung von Lebensqualität, mit der Folge der Verbesserung der Arbeitsqualität – aber nicht mehr linear: mehr Arbeit, bessere Leistung, sondern fluktuierend: hoch intensive Tätigkeitszeiten wechselnd mit low intensity times, in denen man nicht arbeitet, also auch nicht mehr ‚durcharbeitet‘. Ausruhen, Erholen wird ein Teil der Tätigkeit werden; gleichsam als energetische Tankstelle. Erholung ist dann nicht mehr Privatsache, sondern man zeigt seine Professionalität in high intensity jobs darin, dass man aufhören, unterbrechen und ausruhen kann. Vor allem wird sich eine neue Sensibilität gegenüber Stress entwickeln; die psychischen und in der Folge psychosozialen Folgen (neue dominante Krankheitsbilder und Therapiekosten) werden neue Anforderungsprofile für bio-/medoptimierte Organisationen schaffen. Doch wird die große Frage vorerst in kleinen Zahlungseinheiten gehandelt: Wer heute zu viel Stress hat, wird im Rahmen der work/life-balance-Diskussion aufgefordert, nachzudenken, ob er nicht teilzeitig arbeiten will. High life, low stress, allerdings mit der Nebenfolge: lower income. Work/Life-balance ist ein über ein positives body-/Gesundheitsthema lanciertes Trainingsprogramm in hochwertige Formen von Arbeitslosigkeit. Sabbaticals beispielsweise – als individualistische Arbeitszeitsouveränität eingeführt – werden zu unbezahltem Urlaub, damit Organisationen nicht kündigen müssen. Arbeitszeitflexibilität dieser Art arbeitet unterhalb der Kündigungsschutzklauseln. Der Wunsch, der in Deutschland früher undenkbar war: mehr zu leben als zu arbeiten, wird heute zu erfüllen begonnen: mehr leben als arbeiten, in neuer, legitimer Balance. Allerdings auf Kosten von Einkommen. Das sabbatical – als Auszeit zur recreation – kann dann, vom Anspruch her, auch nicht arbeitslosigkeitsversichert sein. Vor allem Frauen, die im europäisch verkündigten gender-mainstream langsam zur Gleichwertigkeit gebracht wurden, werden mit dem fitness-Thema work/life-balance an die Frage geführt, ob sie ihre mehrfachen Lebensziele: Arbeiten, Familie, und Mutterschaft, nicht optimal so ausbalancieren, dass sie weniger arbeiten, d.h. in Teilzeitpositionen auf Karrieren verzichten. Gut ausbalancierte Frauen sind schlank: lean body/lean work. So wird das work/life-balance-Thema zu einem anders gelagerten glass ceiling-Thema: Frauen stoßen an die Karrieredecke ihrer eigenen Wohlfühlplanung des Arbeit/Leben-Zusammenhangs. Work/life-balance wird zum fit for life-Programm, aber nicht zum fit for work-Programm. Die über die work/life-balance-Schiene laufende Arbeitsflexibilisierung und -individualisierung ist ein Experimentierfeld unterhalb von Tarifordnungen, wer
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welche Ansprüche an seine Arbeit, welche an sein Leben stellt. Es ist, so betrachtet, ein Testprogramm zur Leistungswilligkeit in life and fun-Umgebungen. Aber erst, wenn die Fähigkeit, zwischen Arbeit und Leben gut balanciert zu sein, von den Unternehmen bei der Einstellung als Suprakompetenz bevorzugt wird, sind wir zivilisatorisch auf dem Niveau, das das Thema jetzt schon proklamiert.
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18.1 Dienstleistungsunternehmen Gewerkschaft Die Gewerkschaften sind von dem Umbruch einer sich globalisierenden Gesellschaft besonders betroffen. Die mitbestimmungspolitischen Akteure sind heutzutage mit neuen, hoch diversifizierten Vertragsformen konfrontiert: je individualisierter die Kunde/Organisation-Beziehung, desto individueller die Mitarbeiter/Organisation-Beziehung. Tarifregeln werden allmählich nur als Rahmen, nicht als verbindlich gefordert (vgl. Gehrmann/Tenbrock 2003). Gewerkschaften sind nicht nur die größte und bedeutendste der sozialen Organisationen in der Republik, sondern vor allem marktorientiert: am Arbeitsmarkt. Damit unterscheiden sie sich erheblich von allen anderen sozialen und non-profit-Organisationen – gleich, ob mitbestimmungsorientiert oder nicht. Soziale Organisationen sind gewöhnlich Transferorganisationen: Sie leisten einseitige Transaktionen, sie ‚schenken‘ anderen etwas. Gewerkschaften sind soziale Organisationen, die eine third party function übernehmen für die Regulation und das monitoring von Arbeitsverträgen zwischen Unternehmen und Arbeitern/Angestellten. Gewerkschaften sind die einzigen sozialen und non-profit-Organisationen, die Märkte fördern, indem sie sie regulieren – und die sich dieser z.T. prekären Balance bewusst sein können. Deshalb muss man über Gewerkschaften gesondert reden: Weil sie eine marktbeherrschende Organisation sind, sind sie keine normale Transferanstalt. Ihre Mitbestimmungsdimension ist immer – ob sie es selber so sehen oder nicht – auf Co-Management ausgelegt (vgl. Priddat 2003, von Gewerkschaftsseite vgl. Klitzke/Betz/Möreke 2000). Ihre Mitbestimmung greift unmittelbar in die Wertschöpfung ein (vgl. Schank/Schnabel/Wagner 2002; Addison/Schnable/ Wagner 2003; Hirsch 2003; Addison/Belfield 2003), was besondere Verantwortlichkeit erfordert: Die Möglichkeit, Verteilungsspielräume auszunutzen, setzt voraus, die Bedingungen der Möglichkeit der Entstehung von Profitabilität zu fördern. Die Gewerkschaften sind mit neuen, hoch diversifizierten Vertragsformen konfrontiert: je individualisierter die Kunde/Organisation-Beziehung, desto individueller ist tendenziell die Mitarbeiter/Organisation-Beziehung. Tarifregeln werden als Rahmen, nicht aber als allgemeinverbindlich gefordert. Gewerkschaften werden ihre Funktion behalten, wenn sie zum coach individueller Vertrags-
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gestaltungen werden (vgl. Pyhel 2004). Die Beratungskompetenz muss dann hochprofessionell werden, um den Mitgliedern für ihren Beitrag einen Nutzen oder Mehrwert zu gewährleisten. Gewerkschaften werden selber zu professionellen Dienstleistern auf Vertrags- und Bildungsmärkten. Ihre alte Schutzclub-Funktion wird zu einer brokerage-Funktion professionalisiert: arbeits- und arbeitsvertragsbezogene Dienstleistungen, die die Mitglieder nicht per Einzelvertrag ‚kaufen‘, sondern durch Mitgliedschaft als Nutzungsrechte im Anwendungsfall vorfinanzieren (wie ein Versicherungsvertrag, mit der gleichen sozialen Ausgleichungsfunktion). Die tradierte Rolle der Gewerkschaft als kollektive Schutzorganisation wird kontraproduktiv, wenn sie nur bestimmte Vertragsformen schützt und flexible neue Formen abwehrt (so wie sie heute eine Gewerkschaft der Arbeitsplatzbesitzer ist, nicht der Arbeitslosen; vgl. Schroeder 2004). Nicht die Beibehaltung von Verträgen, ihr Schutz, sondern die Akquisition neuer Verträge, der Wechsel, wird zur gefragten Serviceaufgabe der Gewerkschaften. Zur Kompetenz, wechseln zu können, gehört es, die employability zu entwickeln: Bildung, Lernen, coachen. Die Gewerkschaften haben – aus ihrer Beharrungs- und Schutzmentalität – die Dimension der Tätigkeitswechsel noch nicht wahrgenommen und sich folglich strategisch noch nicht darauf ausgerichtet, die values ihrer Mitglieder zu heben, indem sie sie so ausbilden (oder ihre Ausbildungsinvestitionen beraten und coachen), dass diese bessere Verträge erlangen können. Aus einer rechtswahrenden Instanz wird die Gewerkschaft zu einer produktiven Instanz. Viel zu sehr steht die Tarifdimension im Fokus der Gewerkschaften (wie der Arbeitgeber). Wenn das Kostenargument hochgefahren wird, hat die Gewerkschaft keine Substitute. Doch ist diese Reduktion unangemessen: die Gewerkschaft operiert mindestens dreidimensional:
in der Tarifdimensionen; in der Weiterbildungsdimension; in der Mobilitätsdimension.
Bisher haben wir lediglich das Kerngeschäft der Gewerkschaften, die Tarifdimension, erörtert. Weiterbildung heißt: Investment in human capital, das sich später auszahlt (return on investment) als höherer Lohn oder Lohnerhalt (bei ansonsten eintretender Senkung der Löhne wegen einer über die Zeit erfolgender Dequalifikation). Gewerkschaften müssen darauf drängen, ihre Mitglieder stärker als bisher in die Weiterbildung zu bringen, weil es auf die Dauer die einzige Transformation in die Wissensgesellschaft ist: das betrifft nicht mehr nur die Kinder und Jugendlichen, sondern alle Arbeitnehmer (gerade auch die älteren,
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die künftig nur dann eine längere Arbeitszeit ausfüllen können, wenn auch sie sich weiterbilden). Ob sie dann noch ‚Gewerkschaft‘ heißen mag, bleibt offen: Sie wechselt die Form, nicht aber den Inhalt. Doch will sie den Schutz ihrer Mitglieder, aber mit anderen Mitteln. Daran neu ist, dass es keine passive Sicherungsleistungen mehr ist, sondern eine Befähigung zur Selbständigkeit. Es geht hier nicht um die Analyse von ‚Gewerkschaften‘, wie sie sich selbst verstehen und historisch entwickelt haben, sondern um die Erörterung funktionaler Äquivalente, die die Funktion von Gewerkschaft in einem new institutional design besser erfüllen als die alten Organisationen. Nicht Schutz (illusionärer Stabilitäten und Besitzstandswahrungen), sondern proaktives investment in human capital wird zu einer dominanten Gewerkschaftsaufgabe. Die Gewerkschaften werden, wenn sie diese Dimension aktivieren, zu einer dominanten non-profit-Bildungsagentur, die ihre Mitglieder so qualifiziert und entwickelt, dass sie in die neuen Märkte, in die new work und in die Wechsel der Anforderungen gehen können. Die Umstellung heißt: Schutz als Investment statt Schutz durch Drohung kollektiver Verweigerung. Denn in dynamischen Welten lässt sich Schutz nicht als Bestandswahrung, sondern eher als Fähigkeit definieren, sich aktiv auf das Neue einstellen zu können. Anstelle von Schutz starrer und geklärter Arbeitsverträge wird die Gewerkschaft zur Produktionsagentur von employability, d.h. zu einer Instanz, die ihre Mitglieder lehrt, sich selber auf dem Arbeitsmarkt besser zu ‚verkaufen‘. Sie vertritt nicht mehr nur die Kompetenz ihrer Mitglieder, sondern erzeugt sie mit. Sie ist als neue Agentur zuständig für den Faktor Arbeit in allen seinen Dimensionen. Wenn die Gewerkschaften in einer Kostensenkungslandschaft ihre traditionellen Handlungsspielräume verlieren (die sie in der außergewöhnlichen großen Wachstumsphase seit den 50er Jahren des vorherigen Jahrhunderts nutzen konnten), ist es Zeit, sich neue Verhandlungsspielräume zu eröffnen: die Gewerkschaften haben eine unausgeschöpfte Verhandlungsmacht im Bereich der Mobilität und Mobilisation von Arbeitnehmern:
Mobilisierung von Arbeitnehmern räumlich: Verhandlungen über Beschäftigungen und Anstellungen im nationalen/europäischen Raum; Mobilisierung von Arbeitnehmern in Unternehmen für change-Prozesse.
Beide Prozesse sind co-management-Prozesse: die Gewerkschaften bieten an, ihre Mitglieder zu mobilisieren, um darüber in Verhandlungen Tariflöhne/Arbeitszeiten/Weiterbildungsinvestitionen etc. herauszuholen. Das setzt voraus, umzuschwenken von Macht auf Kooperation.
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Erst jetzt lässt sich über Flexibilisierung der unteren Lohngruppen verhandeln. Man öffnet die Löhne nach unten, wenn gleichzeitig die Arbeitnehmer Weiterbildungen finanziert bekommen, die betriebsunspezifisch sind. Denn erst wenn die Arbeitnehmer sich auf den Arbeitsmärkten bewerben können, weil sie qualifiziert sind, weil ihre employability gesichert ist, sind sie unabhängiger von den Fortführungs-/Schließungsentscheidungen eines global mobilen Kapitals. Die wichtigste Verhandlungsposition wird die Übersetzung von Nachlässen im Tarif-/Kosten-Bereich zugunsten von Weiterbildungsinvestitionen. So könnte man den ‚Sperrklinkeneffekt nach unten‘ in eine neue Verhandlungssituation überführen. Mitbestimmung hat viele positive institutionelle Wirkungen, aber auch negative: es segmentiert die Arbeitsmärkte in interne/externe. Es gibt eine Einschränkung der Durchlässigkeit des internen Arbeitsmarktes durch die Orientierung der Betriebsräte an der bestehenden Belegschaft, durch mitbestimmungsinduzierte Entlassungskosten, durch innerbetriebliche Stellenausschreibungen, durch informelle Netzwerke. Die höhere Arbeitssicherheit für die Arbeitnehmer im Betrieb wird durch eine Reduktion der Flexibilität erreicht, durch höhere interne Koordinationskosten und durch die Verfestigung der Arbeitslosigkeit bei Arbeitssuchenden (closed shop-Effekt). Über eine Flexibilisierung der Lohngrenzen bzw. über eine höhere Durchlässigkeit der internen Arbeitsmärkte, bei gleichzeitiger Investition in die Bildung der Arbeitnehmer im Betrieb, wird die Arbeitssicherheit durch Qualifikation erreicht, nicht durch Vertragsinelastizität. Die Richtung der Verträge ändert sich: anstatt nachträglich (retrospektiv) über Kompensation für relativ zu geringe Löhne bei steigender Produktivität zu verhandeln, wird es jetzt sinnvoll, vorträglich über künftige (prospektiv) Einkommensmöglichkeiten zu verhandeln qua Investition in Bildung /Weiterbildung. Die Gewerkschaft wird zu einem auf Innovation drängenden Investor in human capital. Weitere service-domains der Gewerkschaften können die Altersversorgung und das Gesundheitssystem werden. Warum sollen die Gewerkschaften nicht Pensionsfonds aufbauen, die zudem die Interventionsmacht in den AGs erhöhen? Warum sollen Gewerkschaften ihren Mitgliedern nicht spezifische wellness-, Präventions- und Gesundheitsprogramme anbieten, die ihre employability forcieren? Gewerkschaften haben die Chance, spezifische agencies für das human capital investment zu werden. Warum sollen sie nicht Teile des Bildungssystems übernehmen? Innerhalb der Unternehmensorganisationen bleiben die Gewerkschaften – in der Form der Betriebsräte oder neuer Formen, die für virtuelle Organisationen noch erfunden werden müssen (Projektsprecher etc.), wichtige Kooperationspartner (vgl. Klitzke/Betz/Möreke 2000; Baecker 2004; Pyhel 2004; Schroeder
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2004; Frerichs/Pohl/Fichter/Gerster/Zeuner 2004). Das Führungsverhalten der Unternehmen ändert sich in Richtung Moderation von effektiven Kooperationsund Änderungsprozessen (vgl. Baecker 2003a; Schlicht 2003). Gewerkschaften werden als Kooperationspartner von Kooperationsmanagern auftreten. Sie brauchen change management qualities, um commitments auf Zeit einzugehen. Gewerkschafter werden cooperation managers (vgl. Priddat 2003), die die Nutzer von Arbeits- und Organisationssystemen vertreten, aber nicht aber mehr nur als Distributionsagenten, sondern als Investitionsmitgestalter, die ihre Ansprüche auf den return on investment richten, den sie selbst mit forcieren. Es entstehen neue Verantwortlichkeiten und vor allem: neue Kooperationsformen (die, bei Erfolg, auch von den Unternehmen bezahlt werden). Wenn sich die Gewerkschaften von Solidarschutz auf bildungsspezifischen Mehrwert umstellen, entfernen sie sich vom Bild der Umverteilungsagentur und werden eine human investment agency, die nicht nur die spezifischen (individuell diversifizierten) Investitionen in Bildung und Ausbildung berät und organisiert, sondern auch die Rhythmen von Arbeit/Nichtarbeit, wellness, Gesundheit und recreation optimiert. Gewerkschaften werden
in biographischen Knotensituationen zur ‚Arbeitslosigkeit‘ raten; Bildungspfade und -wege beraten; Bildung selber anbieten; Vermögensberatung und Finanzdienstleistungen übernehmen; räumliche Wechsel beraten; die Internationalisierung ihrer Mitglieder forcieren; in Krisen life-coaches werden etc.
Sie werden Experten nicht nur für den Faktor Arbeit, sondern auch für die work/life-balance, die niemand sonst thematisiert noch angemessen unterstützt. Ihr Wert wird sich danach bemessen, wie new workers bereit sind, für ihre services zu zahlen. Momentan erscheint die Gewerkschaft eher als Club der Besitzstandsvertretung ihrer älteren Mitglieder, die sich vor Änderungen schützen wollen. Das ist für bestimmte Bereiche der Arbeit durchaus sinnvoll, aber für die jungen new workers keine Perspektive. Die Gewerkschaften werden neue Themen eröffnen müssen, z.B. die gender-Thematik. Es geht nicht einseitig um Frauenfragen, sondern um die Neusortierung der Geschlechter und ihrer spezifischen Kompetenzen in den sich ändernden Organisationslandschaften (vgl. Pasero 2003b; Pasero/Priddat 2003; Pasero/Weinbach 2003). Das Thema heißt Diversität. Das Thema der diversity wird auch in einer anderen Dimension auf die Gewerkschaften – wenn sie dann
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noch so heißen – zukommen: in der Frage der Integration ausländischer Mitarbeiter. Im Rahmen der Globalisierung werden die Belegschaften, zumindest im europäischen Kontext, stärker als bisher internationalisiert werden. Gewerkschaften werden diese Integration mitgestalten (cross-culture-management), wenn sie Kooperationsmanagement in den Unternehmen betreiben. Die Gerechtigkeits- und Solidaritätsaspekte werden nicht mehr durch nationale Konventionen geprägt. Die Gewerkschaften werden ihre Handlungsspielräume erhöhen, indem sie sich zum einen zu Dienstleistern für den Faktormarkt Arbeit professionalisieren, zum anderen sich internationalisieren (was bedeutet, verschiedene Gewerkschaftskulturen anzunähern, unter der Voraussetzung, sich selber als eine spezifische Kultur betrachten zu lernen), und des Weiteren viel stärker als bisher die employability ihrer Mitglieder zum Thema machen: als Bildungs- und Weiterbildungsinstanz der Gesellschaft. Warum aber nicht mit eigenen Schulen, Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten? Aus Gründen der Qualitätssicherung. Bereits jetzt ist die Gewerkschaft im Weiterbildungsgeschäft etabliert, ohne dass daraus besonders hervorstechende Qualitätssignale sichtbar werden. Wenn die Gewerkschaften die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitglieder in einer Weise qualitativ hochwertig betreiben könnten, die diese (als Absolventen der Kurse der Gewerkschaften) auf dem Arbeitsmarkt privilegiert, wären sie einen Schritt weiter in der service- und knowledge-Ökonomie, die die größte Herausforderung für die Sozialorganisation ‚Gewerkschaft‘ darstellt. Vielfach ahnt sie das noch nicht einmal. Ihre organisatorische Macht und Kompetenz verdeckt ihr, dass die Arbeitsmärkte sich ändern. Die Wissensorientierung nötigt dazu, Qualifikation nicht mehr als Bestand, sondern als fortlaufende Investition und Re-Investition zu betrachten. So kann die Gewerkschaft gar nicht mehr als Bestandssicherung auftreten, weil das, was früher als Bestand galt, selber sich ständig ändernden Anforderungen unterstellt ist. Die non-profit-Organisation ‚Gewerkschaft‘ ist zu stark auf eine Dimension ihres Leistungsspektrums gerutscht: auf die Versicherungs- und Gewährleistungsdimension. Andere blieben vernachlässigt: die Rolle als gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungstreiber, als avantgardistische Sozial-Organisation, die nicht nur als counterveiling power Arbeitsmärkte reguliert, sondern ein höheres Maß an Selbständigkeit hat. Welche Formen an Selbstorganisation leisten sich moderne non-profitOrganisationen? Wie viele Genossenschaften, Unternehmen, Netzwerke gründen non-profit-Organisationen, um leistungsstärker zu werden? Und was leisten Gewerkschaften in dieser Richtung? Sind sie in der Lage, insolvenzgefährdete Unternehmen gegebenenfalls selber zu übernehmen?
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18.2 Gewerkschaften und Arbeit Solange sie sich auf den Gegensatz von Kapital und Arbeit gründet, ist die Gewerkschaft eine Klassenorganisation; ihr Medium ist Macht. Die Macht ist funktional begrenzbar: Gewerkschaften kompensieren traditionell die schwache Stellung der Arbeiter und Angestellten auf Arbeitsmärkten. Es ist verständlich, wenn die Gewerkschaften im Moment ihrer Reorientierung sich auf die Arbeit rückbesinnen. Da sich die Arbeit aber in einer Dienstleistungs- und beginnenden Wissensgesellschaft ändert, muss sogleich gefragt werden: was ändert sich im Verhältnis von Kapital und Arbeit? Die modernen Gewerkschaften sind Massengewerkschaften; sie haben sich organisatorisch parallel zur Industriegesellschaft ausgebildet mit ihren Massenproduktionsorganisationen (im Kontext einer economy of scale). Macht im Klassenkampf wurde über Massenorganisationen in Drohung auf mögliche Massenstreiks ausgeübt, zugleich als soziale Einübung in Konfliktfähigkeit und angemessener Umgang damit. Die Gewerkschaften war als Wertegemeinschaft organisiert (mit ‚Solidarität‘ als shared mental model). Arbeit war Massenarbeit, fordistisch arbeitsteilig organisiert, aber immer in Sichtweite, Nähe, Kommunikation. Den Kern der gewerkschaftlichen Organisation bildeten die Facharbeiter, die über hohes Selbstbewusstsein ihrer Kompetenz verfügten. Arbeit war ihr Milieu (so wie sie auch außerhalb der Arbeit in speziellen Vierteln zusammen leben). Arbeit und Leben bildeten eine gewisse Einheit; die Gewerkschaften brachten den Arbeitern Selbstbewusstsein, Respekt untereinander und Positionierung im Betrieb, was Modelle für neue Lebensformen in den Familien schuf: Modell der Achtung und des Vorankommens. In den Betrieben musste die abhängige Arbeit ausbalanciert werden mit dem Anspruch der Achtung vor autonomen Persönlichkeiten, was es dazu brachte, Profile zumutbarer Arbeit zu bilden. Das alles zusammen läuft auf folgenden Vorschlag hinaus, die gesellschaftliche Funktion von Gewerkschaften darin zu sehen, „Lohnforderungen im Kontext der Sicherung des Selbstrespekts der Arbeitnehmer aufzugreifen, zu profilieren und durchzusetzen“ (Baecker 2004: 10). Erst dann vermeidet man vorschnelle Reduktionen. Gewerkschaften müssen nicht auf ökonomische Gesetzmäßigkeiten reduziert werden, weil sie immer schon ökonomischen oder Marktgesetzmäßigkeiten Rechnung zu tragen gelernt haben, aber im Kontext dessen, was man heute das Menschliche, das Soziale etc. nennt. Ohne unnötige Moralisierung ist die Formel von der ‚Sicherung des Selbstrespektes‘ völlig angemessen: Wie erhält man den Menschen Achtung vor sich selber in Änderungsprozessen? Bei aller Reformnotwendigkeit bleiben Gewerkschaften Gewerkschaften, d.h. sie bilden eine soziale Organisation selbstbewusster Interessengemeinschaft. Daneben, dass sie dafür kämpfen, angemessene Einkommen zu erhalten, kämp-
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fen sie dafür, dass das Einkommen durch angemessene Arbeit zustande kommt. Daraus ist das Paradox zu erklären, dass Gewerkschaften immer auf der Seite der Arbeiter waren, selten aber auf der Seite der Arbeitslosen. Für Nicht-Arbeit kämpft keine Gewerkschaft; sie organisiert z.B. keine Arbeitslosenstreiks. Das Thema der Arbeitslosigkeit hat sie an die Politik delegiert. Doch hier wird man umdenken müssen:
wegen der Dynamik moderner Arbeit. Sie ist nicht stabil; was man gelernt hat, veraltet; man muss ständig lernen: on the job und extra, in zwischengeschalteten Schul- und Weiterbildungsphasen. Weil Arbeit und Wissen, Arbeit und Lernen heute und künftig zunehmend eine neue Bedeutung bekommen, ist die Arbeitslosigkeit keine gewerkschaftliche Randzone mehr, sondern disposable time zur Weiterbildung. Hier kann die Gewerkschaft völlig neue Angebote liefern: Wenn der Staat es nicht schafft und wenn die Arbeitslosen selber nicht selbstinitiativ genug sind, kann die Gewerkschaft – modellhaft und in großen Maßstab – Bildungsangebote machen, die Qualifizierungsschübe in die Gesellschaft tragen. Neue Finanzierungen erlauben es, dass die Gewerkschaften z.B. diese Bildung vorfinanzieren, und sie später vom dann erreichten Einkommen rückgezahlt bekommt. So hat die Gewerkschaft selber hinreichend Anreize, nur hochwertige Ausbildungen anzubieten. Sie wechselt von der nachfrageseitigen Politik des Arbeitsmarktes auf die Angebotsseite.
Gewerkschaften werden dienstleistungsfähiger, aber keine Dienstleister, sondern bleiben Organisationen selbstbewusster Arbeiter und Angestellter. Organisationen können ihre Mitglieder nicht durchgängig wie Kunden behandeln; sie sind als Mitglieder selber Produzenten der Dienstleistung. Das Produkt der neuen Gewerkschaften heißt: Autonomie auf dem Arbeitsmarkt durch hervorragende Ausbildung, die die Gewerkschaft entweder selber anbietet oder national/europaweit vermittelt. Wenn die Gewerkschaft die Mobilität ihrer Mitglieder erhöhen kann, d.h. wenn sie qualifizierte Mitglieder in andere Regionen vermitteln kann, trägt sie genauso zur Erhaltung des Einkommens und der Kompetenz bei. Die Achtung der Menschen vor sich selbst in den Veränderungsprozessen kann die Gewerkschaft erhalten, wenn sie ihre Autonomie stärkt, d.h. ihre Arbeitsfähigkeit erhält. Wir werden nicht mehr, wie in der langen Wachstumsphase der BRD, mit ständigen Lohnzuwächsen rechnen können; es geht künftig um die Erhaltung des Einkommensniveaus, was zweierlei an Investition nötig macht:
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Bildung und Mobilität. Verwirklicht die Gewerkschaft beides, sichert sie die Achtung und den Selbstrespekt ihrer Mitglieder. Sie ist dann ein großer und selber respektiver Investor in social capital – neben den Familien, den Schulen, und, abnehmend, den Vereinen und den Kirchen – eine Dimension, die die Gesellschaft aus dem Auge verloren hat; die Gewerkschaften manchmal selbst auch schon.
Die Bildungsdimension haben wir vorhin behandelt; hier wird das Verhältnis von Arbeit und Selbstachtung als organisationale Kompetenz behandelt; das kann man nicht allein, nicht als Individuum leisten. Deshalb sind individualistische Effizienzlösungen des Arbeitsmarktes Konzeptionen, die die Investitionsleistungen der Gewerkschaften in das social capital ihrer Mitglieder außer Acht lassen: es geht nicht nur darum, den Arbeitern und Angestellten Einkommen zu sichern helfen, sondern vor allem Achtung und Selbstrespekt, d.h. sie darin zu fördern, eine relative Autonomie zu erlangen in ihrer Kompetenz und employability. Gewerkschaften sind keine liberalen Vereine, sondern selber soziale Bildungseinheiten: um auf dem Arbeitsmarkt agieren zu können, muss sie sich selber als kollektiven Akteur ausbilden; letztlich muss die Gewerkschaft ihre Mitglieder ebenso mobilisieren und motivieren wie Manager ihre Mitarbeiter für die Kooperation im Unternehmen. Social capital heißt zu wissen, dass man die Selbständigkeit und Selbstachtung nicht alleine erreicht, sondern nur mit anderen zusammen. Das man sich zueinander verhalten lernt: kooperativ, aufmerksam, regelgebunden. Man weiß, dass Reziprozität und fairness sich wechselseitig bedingen. Nur wer in einer Wissensgesellschaft von sich sagen kann, dass er jederzeit wechseln könnte, weil seine Kompetenz ständig nachgerüstet ist, ist selbstbewusst: er weiß, was er kann und was er deshalb wert ist. Das kann aber nur sein, wenn er selber ständig neu investiert: in Bildung, Weiterbildung, die richtigen Jobs. Das kann niemand alleine, das braucht eine Organisation wie die Gewerkschaften, die sich hier als ‚Kompetenzzentrum Arbeit‘ neu etablieren kann in der Gesellschaft.
18.3 Kooperation und Mitbestimmung So bleiben die bisherigen Funktionen der Gewerkschaften nicht unberührt. Dies betrifft insbesondere die Frage der Ausweitung von Mitbestimmung. Der amerikanische Sozialforscher Francis Fukuyama hat Deutschland ein Attest ausge-
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stellt: es sei eine vertrauenswürdige Ökonomie, die auf Kooperation und Verlässlichkeit in der Kooperation beruhe (vgl. Fukuyama 1995). Das schien ihm der Kern des – 1995 noch so genannten – ‚rheinischen Kapitalismus‘ zu sein. Fukuyama meinte die korporatistische Struktur der BRD. Inzwischen wird sie ein wenig schärfer thematisiert: Sollte die vertrauensvolle Zusammenarbeit, die man bei Tariffragen zur Institution hatte werden lassen, nicht auch im Management möglich sein? Eine angemessene stakeholder-Theorie kann zu einer solchen Konzeption gelangen. Das Problem bleiben die asymmetrisch verteilten Risiken. Es geht nicht nur um Kooperation, sondern auch um ein geteiltes Risiko. Diesen zweiten Teil, die Risikoverteilung, vergisst man in einer Konsensdemokratie leicht. Um diese Dimension einfach und plausibel einzuführen: Im Falle des Gewinnrückganges müsste eine allgemeine Kostensenkung im Unternehmen auch die Löhne und Gehälter betreffen. Produktivitäts- wie Risikozunahmen müssen sich in den Beteiligungsformen abbilden. Wenn man die Gehälter unberührt lassen will, muss der Gehaltsanteil, der in Aktien oder Fondsanteilen ausgezahlt wird, gemindert werden. Mitbestimmung bezieht sich auf den Rechtsraum der Arbeitsverträge. Mitbestimmung sichert die Institution der Kontraktsicherheit. Dafür bekommen die Gewerkschaften als spezialisierte Organisation monitoring- und SupervisionsFunktionen zugesprochen. Sie prüfen, ob Kontrakte eingehalten werden oder ob bestimmte Maßnahmen kontraktkonform sind. Das sind klare institutionelle Arrangements. Betriebsräte klären offene Positionen von systematisch unvollständigen Arbeitsverträgen. Kontraktsicherung ist ein Prozess, der umso schwieriger wird, je dynamischer die Märkte sich ändern. ‚Schwieriger‘ heißt hier: für Sicherungen im dynamischen Feld müssen Risiken mit übernommen werden. Die alte Haltung – als Ergebnis von klassentheoretischen Konzepten – gewerkschaftlich-betriebsrätliche Arbeit bestünde darin, die Kapitalisten auf Recht und Ordnung zu verpflichten, wird dann riskant, wenn es nicht mehr nur um Gewährleistung geht, sondern um Investition: betriebsrätliche Arbeit wird in dynamischen Situationen funktional zum Co-Management. Die Mitbestimmung kann sich nicht mehr auf ihre ‚ausgelagerte Staatsfunktion der Rechtsaufsicht‘ zurücklehnen: sie wird Co-Investor, der für die Risiken ebenso mit verantwortlich sein muss wie für die gains and profits (vgl. Priddat 2003). Dann wird aber auch deutlich, dass jedes Co-Management, das über die Kontraktsicherung hinausgeht, neue Institutionen bildet, die im überlieferten tarifrechtlichen und erweiterten Rechtsraum der Mitbestimmung nicht konstituiert sind. Denn die Kontraktsicherung – als Fundamentalfunktion der Mitbestimmung wie der Betriebsratsfunktion – enthält selbst bereits ambivalente Mo-
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mente: Formal vollständig, sind die Verträge nämlich durch die Organisationselastizität informal unvollständig. Wegen dieser informalen Unvollständigkeit – Unternehmensorganisationen müssen sich in Märkten oft schneller bewegen als es formale Kontrakte zulassen – sind Interpretations- und Aushandlungsinstanzen nötig, die zur Schließung der incompletness of contracts die Form der Mitbestimmung gefunden haben. Ihre Qualität zeigt sich in der Fähigkeit, sich schnell an neue Anforderungen, auch informaler Art, anzupassen. Das Management fordert eine hohe Adaptivität ein, die die formale Vertragsform oft nicht zulässt. So entstehen Konflikte, die adaptionsfähige Mitbestimmungsakteure balancieren können. Die Kommunikations- und Konsensfindungskosten steigen. Hier kommt Vertrauen ins Spiel: Konfrontationen erhöhen die Kosten der Kontraktüberwachung und -erfüllung, Vertrauen kann sie senken. Es geht um eine ‚vertrauensvolle Zusammenarbeit‘, um echte Kooperation. Aber die Kooperation, die bei der ‚klassischen‘ Mitbestimmung ansteht, ist Kooperation im definierten institutionellen und legitimierten Rahmen. Sie schließt die Verteilung unternehmerischer Risiken und eine Hierarchieverantwortung aus. Ein Co-Management, das über die institutionalisierte Mitbestimmung hinausgeht, muss sich fragen lassen, welche Nutzungsrechte (property rights) eingebracht werden, welche Verbesserung der Handlungsfähigkeit erreicht wird, welche Risikoverteilung im Verlustfall. Die tarifrechtlichen Institutionen bzw. die bestehende Mitbestimmung in ihren diversen Formen sind kein Co-Management, sondern kontraktsichernde Instanzen. Wenn ein Co-Management eingeführt werden soll, muss gezeigt werden, welche zusätzlichen Investitionen getätigt werden. Die Mitbestimmungsinstanz, die Co-Manager werden soll, muss investieren, sie muss dass Kooperationskompetenz der Organisation erhöhen. Diese Co-Manager werden dann auch Teilhaber der Unternehmung, mit der Folge, dass sie einen double bind, eine doppelte Verpflichtung eingehen, die sich nicht automatisch lösen lässt, sondern als flottierende Paradoxie die Organisation begleitet. Man sieht gleich, dass der Charaktertypus für diese Position andere gedankliche Modelle und Vorstellungen (mental models) parat haben muss; die klassische Gewerkschafter- oder Betriebsratsmentalität wäre unpassend. Kapitalsicherung geht mit der Arbeitskontraktsicherung parallel. Vor allem aber sind die CoManager, die aus der Gewerkschaft oder aus den Betriebsräten kommen, nicht mehr nur für die Kontraktsicherung zuständig, sondern auch für die Leistungsausschöpfung innerhalb der Verträge. Gerade unter diesem Gesichtspunkt wäre die alte Mitbestimmungsrolle des Arbeitsdirektors in einer neuen Form des CoManagements überlegenswert: immer dann, wenn die Leistungsmotivation sinkt, wenn das implizite Wissen nicht in den expliziten Wertschöpfungsprozess gege-
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ben wird oder die Atmosphäre der Organisation unentwickelt ist. Die Betriebsräte, Arbeitsdirektoren u.a.m. wären dann für die Motivation der Teams zuständig; sie ergänzen das Management komplementär. Co-Management wäre dann ein Moment einer neuen Kooperationsökonomik; sie würde eine positive Kooperationsrente erwirtschaften. Das wäre der Einstieg in eine neue Diskussion über eine stakeholder-Ökonomie. Wenn die Gewerkschaften ihre Mitglieder dazu motivierten, in den vielfältigsten Innovationsprozessen, die Unternehmen einleiten, aktiv und fördernd mitzuarbeiten, könnten sie ein gewichtiges Hemmnis moderner Unternehmensentwicklung beseitigen und in Verhandlungen als ein asset einbringen. Hier hat die Gewerkschaft noch wenig Verständnis ausgebildet. Innovationen fördere der Staat, oder sie werden von Unternehmen eingeleitet. Dass die Gewerkschaft selber ein Moment im Innovationsprozess sein könnte, liegt noch außerhalb ihrer mental models (wenn auch nicht außerhalb der Pragmatik der Praxis vieler Betriebsräte). Die Umorientierung würde bedeuten, dass die Gewerkschaft in den Unternehmen die Gewerkschaftsmitglieder besonders innovations- und änderungsfähig machen. Dagegen spricht die bisherige Gewerkschaftsideologie, die auf Bestandwahrung und Sicherung erreichter Positionen ausgelegt war. Diese Ideologie ist nicht innovativ ausgerichtet; Innovation schien der Kapitalseite zuzugehören. Die Gewerkschaft muss sich fragen, bevor sie generell über dieses Thema verhandelt, wo sie selber innovativ ist, und zwar zweifach: 1. in ihrer eigenen Organisation, 2. in den Unternehmen, in denen sie agiert. Die Wahrnehmung für Innovationen ist nicht ausgeprägt, wenn sie in der eigenen Organisation nicht ausgeprägt ist. Gewerkschaftliche Organisationen sind eher stark hierarchisch geprägt; sie haben sich mit modernen Unternehmensorganisationen nicht immer parallel entwickelt. Deshalb ist die Frage nach der Innovation/Gewerkschaft-Beziehung zuerst eine Frage nach der Innovationsfähigkeit der Gewerkschaft als Organisation selber. Wenn es den Gewerkschaften gelänge, ihre Mitglieder in Richtung Innovation zu motivieren, würden sie einen Beitrag leisten zur Dynamik der Unternehmen, die eines der größeren Problemfelder ausmacht (vgl. Addison/Belfield 2003: 29 ff.). Das mag auf den ersten Blick befremdlich klingen; aus einer eher klassenkämpferischen Perspektive würde das ein Ausmaß an Kooperation bedeuten, das an Selbstaufgabe zu grenzen scheint. Doch ist hier nicht die Aufgabe von Machtpositionen gemeint (die ja längst rechtlich gesichert sind), sondern eine Umschwenken in Richtung Co-Management: Kooperationsfähigkeit anbieten, um Kooperation zu ernten. Denn moderne Organisation setzt auf Vertrauen (um die Kontroll- bzw. Managementkosten zu senken). Vertrauen ist besser als Kontrolle, weil Kontrolle
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Misstrauen signalisiert. Misstrauen aber ist eine Vermutung über Leistungsverweigerung, die die Mitarbeiter demotiviert, sodass sie tatsächlich nicht ihre Leistungsmöglichkeiten auszuschöpfen bereit sind. Demotivation ist ein starkes Produktivitätshemmnis in vielen Unternehmen. Moderne Organisationen setzen einen höheren Grad an Selbständigkeit und Verantwortlichkeit bei den Arbeitnehmern voraus, eine weniger hierarchisch ausgerichtete Führung. Vertrauen wird mit Motivation belohnt: wenn das Vertrauen stabil ist und gewährleistet wird (andernfalls erhöht sich das Misstrauen und die Demotivation). Kooperation ist nur eine anderer Name für Zusammenarbeit: die Hauptleistung einer Organisation, die auf Leistungen ausgerichtet ist. Fairness und Reziprozität sind Grundmuster für gelingende Zusammenarbeit. Reziprozität wird in der modernen Ökonomie erforscht und es ersetzt den eigensüchtigen Maximierer (vgl. die Forschungen von Fehr, Falk, Güth u.a.; z.B. Falk 2001, 2004). Reziprozität produziert Fairness: wie du mir, so ich dir. Das Ergebnis ist eine Kooperation (die gute Betriebsräte immer schon produzieren). Nur geht es hierbei um einen neuen, innovativen Schritt: die Gewerkschaften motivieren ihre Mitglieder, in Innovations- und change-Prozessen aktiv mitzugestalten, wenn das Management vertrauensvolle Zusammenarbeit gewährleistet. Der Nutzen für die Unternehmen ist in einem Maße hoch, dass sich das in Verhandlungen über Qualifikation, Arbeitszeitreglungen, relative Autonomie der Mitarbeiter, Prämien etc. auswerten lässt. Die Gewerkschaften gewinnen in einer Globalisierungs- und Kostendrucklandschaft neue Verhandlungsspielräume, indem sie von Druck/Drohung (Streik) auf Kooperation umschalten (mit der impliziten Drohung, bei Vertrauensbruch die Kooperation abzubrechen). Hier lassen sich neue Vertragsspielräume denken, die in Richtung Co-Management ausdeutbar sind – nicht abstrakt, sondern konkret in einer governance, die das Management nicht immer selber verfügt. „If future paths lead to workplace governance structures that take advantage of worker voice while restraining collective rent seeking, it will be in no small part a product of the productive discourse fueled by: What do Unions do?“ (Hirsch 2003: 43; vgl. Freeman/Medoff 1984). Das scheint – in vielfältigen Diskursen – ein Ergebnis zu werden: dass die Gewerkschaften evolutiver werden – nicht mehr ihr Heil in den großen, allseitigen Verträgen suchend, sondern in der Mannigfaltigkeit der kleinen, je situativ adaptierten Verträge. Und in der Mobilisation von Motivation, von Innovationsadaption, changeability etc. Hier eröffnen sich neue Handlungs- und Verhandlungsspielräume. Hier ändert sich ein Paradigma. Kompetenz und organisatorische Passung werden höher gewichtet als die Ausnutzung von Arbeitermacht zur Erhöhung des Lebensstandards. Wenn die work-quality zu einem bedeutsamen Teil des Lebensstandards wird, dann werden Disposition und Kompetenz der Arbei-
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ter/Angestellten wichtiger, parallel zum organizational setting, in das die Arbeit eingelegt wird. Die Entfaltung der knowledge society forciert diese Prozesse. Denn Kooperation – und Mitbestimmung ist eine Form von Kooperation – hat eminente Vorteile, deren Bedingungen mit eingerechnet werden müssen: starke commitments und Selbstbindungen. Hier weiter zu forschen ist von hoher Bedeutsamkeit, um die Arena auszuloten, in der wir den Sozialstaat aus seiner Korporationsform in neue Kooperationsmuster transformieren lernen: re-investment in social capital.
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