Parker und der Blasrohr-Mörder Roman von Günter Dönges Josuah Parker war recht ungehalten. Er liebte es keineswegs, von ...
6 downloads
444 Views
338KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Parker und der Blasrohr-Mörder Roman von Günter Dönges Josuah Parker war recht ungehalten. Er liebte es keineswegs, von fremden Leuten belästigt zu werden. In solchen Fällen wahrte er zwar die Form, doch er brachte unübersehbar zum Ausdruck, daß er solche Verstöße gegen die guten Sitten nicht sonderlich schätzte. So auch in jener Nacht, als er von einem angetrunkenen Seemann nachhaltig belästigt wurde, als Parker eine mehr als zweifelhafte Kellerbar besuchte, um sich mit Hermy Lactons zu treffen. Der Seemann schien von Parkers Melone geradezu fasziniert zu sein. Zuerst hatte er diese in unseren Tagen selten anzutreffende Kopfbedeckung des Butlers verwundert angestarrt. Nach einigem Kichern rutschte er von seinem Barhocker herunter und trat an Parkers Tisch, der in einer Art Nische stand. Er baute sich breitbeinig auf und langte mit der rechten Hand nach der schwarzen, steifen Melone. Da er aber schon viel zu tief ins Glas geschaut hatte, konnte er die Entfernung nicht mehr richtig berechnen. Er torkelte und fingerte mit seiner Hand suchend herum. Josuah Parker ließ sich seinen Ärger selbstverständlich nicht anmerken. Sein glattrasiertes Gesicht blieb unbeweglich. Er schien den breitschultrigen Seemann überhaupt nicht zu bemerken. Steif und korrekt, wie es seinem Wesen nun einmal entsprach, blieb Parker vor seinem Kognakglas sitzen. Einige Gäste an der hohen Bartheke witterten, eine lustige Unterhaltung. Sie drehten sich alle zur Nische herum und sahen zu, was der Seemann tat. Der Breitschultrige hatte inzwischen sein Gleichgewicht verloren und landete mit dem Oberkörper auf der Tischplatte. Er rammte mit seiner kräftigen Nase die Platte und verspürte Schmerz. Er sah sofort rot und entzündete sich an Parkers Gleichmut. Wütend röhrte der Mann auf, schob sich wieder hoch und hatte plötzlich den soliden Aschenbecher in der Hand. »Das machste nich’ noch mal«, brüllte er dann los. »So ‘nen faulen Trick kannste bei mir nich’ landen!« Parkers Augen bekamen einen vorwurfsvollen Ausdruck. Er war sich keiner Schuld bewußt. Auf der anderen Seite merkte er, daß dieser breitschultrige Mann Streit um jeden Preis suchte. »Falls ich Sie inkommodiert und gestört haben sollte, bitte ich
Vergebung«, sagte er höflich. Der Seemann, der solche Worte wohl noch nie in seinem Leben gehört haben mochte, fühlte sich auf den Arm genommen. Er stutzte und wog den schweren Aschenbecher in der Hand. In der Kellerbar war es plötzlich sehr still geworden. Selbst der sonst vollkommen gleichmütige Barkeeper hinter der Theke legte sein Spülhandtuch aus der Hand und griff vorsichtig nach einem mit Blei gefütterten Gummischlauch. Wenn sich die Lage weiter zuspitzte, wollte er damit den Seemann besänftigen. Natürlich gab er einem Mann wie Josuah Parker keine Chance. Die Gäste an der Theke, meist hartgesottene Männer, maßen den Butler mit mitleidigen Blicken. Es lag für sie auf der Hand, daß dieser schwarz gekleidete Mann keine Chance hatte. Auf der anderen Seite wunderten sie sich darüber, was ein Mann wie Parker in dieser Kellerkneipe zu suchen hatte. Er mußte ja mit seinem skurrilen Aussehen böses Blut erregen. Ein Begleiter des breitschultrigen Seemanns wollte den Streit noch in letzter Sekunde verhindern. Er schob sich neben den Seemann und redete beruhigend auf ihn ein. Doch der Angetrunkene war schon nicht mehr zu bremsen. Mit einem schnellen, energischen Ruck schleuderte er seinen Begleiter gegen die Wand. Dann hob er die Hand mit dem Aschenbecher und schob sich tiefer in die Nische hinein. Damit nahm er den Zuschauern die Sicht, denn die Nische war eng und klein. »Los, sag, daß du ein alter Stinker bist«, grollte der Seemann den Butler an. »Aber mein Herr, Sie können mich doch nicht zu Äußerungen zwingen, die weder stimmen, noch meinen Beifall finden können.« Josuah Parker saß noch steifer und noch korrekter als sonst hinter dem Tisch. Er schien allerdings etwas verlegen zu sein, denn seine Finger beschäftigten sich mit einer Würzgarnitur, die Öl, Essig und Senf enthielt. »Wird’s bald?« drohte der Angetrunkene grölend. »Sag schon, daß du ein widerlicher Bursche bist!« »Ich protestiere in aller Form gegen diese Unterstellungen«, sagte Parker leise, aber doch sehr deutlich. »Ich möchte Sie ebenso dringend wie herzlich bitten, zur Theke zurückzukehren.« »Das ist doch…!« Mehr brachte der Angetrunkene nicht heraus. Er war zu dem Schluß gekommen, daß dieser schwarz gekleidete, seltsame Vogel ihn veralbern wollte. Und gerade das konnte er
nicht ausstehen. Er sog die Luft scharf und schnell ein. Dann strafften sich seine Muskeln, und er schlug mit dem schweren, tödlichen Aschenbecher zu. Wie gesagt, Butler Parker haßte es, tätlich zu werden. In diesem Fall aber ließ es sich nicht mehr vermeiden. Als der Aschenbecher Richtung auf seine schwarze Kopfbedeckung nahm, wich er schnell, geschmeidig und geschickt zur Seite. Das geschah derart fließend, daß die Gäste in der Kneipe überhaupt nichts wahrnahmen. Krachend und splitternd landete der unförmige Faustkeil auf der Tischplatte. Er löste sich in einige scharfrandige, zackige Scherben auf. Der Seemann wurde vom Schwung mit nach vorn gerissen. Da er sein Ziel verfehlt hatte, schossen seine beiden Hände wie Klauen nach vorn. Sie zielten nach Parkers Hals. Mehr sahen die Zuschauer in der Kneipe nicht. Dafür hörten sie aber Bruchteile von Sekunden später, als Parker ihrer Meinung nach bereits geliefert war, einen entsetzlichen Schrei. Zuerst glaubten sie, der Butler habe so geschrien. Doch dann löste der Seemann sich vom Tisch, richtete sich jäh auf und taumelte unter schrecklichem Gebrüll zurück in die Mitte der Kneipe. Er war von Parker geblendet worden. Seine Hände tasteten hilflos im Gesicht herum, suchten nach den schmerzenden Augen. Die Gäste waren verdutzt und überrascht. Diese Entwicklung hatten sie nicht erwartet. Dann aber löste sich das allgemeine Staunen, ein brüllendes Gelächter brandete zur niedrigen Decke hoch. Der Seemann sah auch zu komisch aus. Parker hatte ihm das Gesicht mit einer ausgiebigen Ladung Senf verziert. Er biß in den Augen des Angetrunkenen, kroch in die breite, platt geschlagene Nase und reizte die Geschmacksnerven im Mund. Der Seemann torkelte wie blind herum, geriet an einen Stuhl, stolperte und schlug zu Boden. Mit zappelnden Beinen und verkrampft wischenden Händen blieb er am Boden liegen und produzierte schrille bis grelle Schreie. Josuah Parker rührte sich nicht aus der Nische. Er schien überhaupt nichts getan zu haben. Korrekt wie ein Herzog und würdevoll wie ein Bischof saß er am Tisch und überschaute die Szene. Er hätte jetzt die Kellerbar verlassen können, doch daran dachte er nicht. Er wartete weiterhin auf Hermy Lactons und war gewillt,
würdevoll auszuharren. Diese Unterredung war von einiger Wichtigkeit für ihn. Nur ein Hermy Lactons war in der Lage, ihm Informationen über den »Blasrohr-Gang« zu liefern! Midtown Manhattan, New York. Die berühmte Skyline mit den vielen Wolkenkratzern hob sich gegen den Nachthimmel wie ein kunstvoller Schattenriß ab. Es war weit nach Mitternacht, und der Verkehr in den tiefen Straßenschluchten war eingeschlafen. Durch die Straßen fuhren Streifenwagen der Stadtpolizei. Passanten waren kaum zu sehen. Die Nachtbusse waren fast leer. Selbst die Stationen der Subway-Linien entließen kaum noch Fahrgäste. Vom Hudson her kam ein frischer, kühler Wind. Westlich, in Richtung des Stadtteils Queens, stand ein Wetterleuchten. Die Stadt schien langsamer und tiefer zu atmen. Hinter den steil aufragenden Fassaden der vielen Hotels in Midtown brannte nur noch vereinzelt Licht. Die meisten Hotelgäste schliefen bereits. Die Bars waren nur noch spärlich besucht. Die Menschen auf Manhattan bereiteten sich auf einen neuen Tag vor. Es waren nur noch wenige Stunden bis zum allgemeinen Wecken. Um diese Zeit war der Schlaf der Menschen tief und fest. In der Bowery, auf den Subway-Schächten, auf den Piers und in Barkassen drängten die Beachcomber sich zusammen und suchten Wärme. Auf den Bänken im Zentral Park hatten die Penner sich mit Zeitungen zugedeckt. Katzen strichen durch die finsteren Hinterhöfe und maunzten. Es war eine Nacht wie jede andere, eine Nacht, in der geboren und gestorben wurde, geliebt und gehastet. Im Hotel Normandie an der 45. Straße, nicht weit vom Times Square entfernt, wo sich der Broadway mit der 7. Straße trifft, herrschte in dieser Nacht eine vornehme Ruhe. Die Bar hatte vor einer halben Stunde geschlossen. Der Barkeeper schloß die Tagesabrechnung ein und verabschiedete sich von dem Hoteldetektiv, der sich müde und gelangweilt mit dem Nachtportier unterhielt. »Scheint ‘ne ruhige Nacht zu werden«, meinte er. »Genau das, was ich brauche«, sagte der Hoteldetektiv, ein 50jähriger Mann mit faltigem Gesicht und ungesund glänzenden Augen. Er drückte seine Zigarette im Ascher aus und wandte sich an den Nachtportier. »Ich werde mich für ‘ne Stunde aufs Ohr legen.« »Soll ich Sie wecken, wenn die Burschen aus Cleveland kom-
men?« »Nur, wenn sie einen fremden Gast mitbringen. Wenn sie sich beim Pokern gegenseitig das Geld aus der Tasche ziehen, ist das nicht unsere Sache. Wenn Sie sich aber von ‘nem berufsmäßigen Falschspieler ausnehmen lassen, haben wir später den Ärger.« Er nickte dem Portier und dem Barkeeper zu, gähnte ausgiebig und verschwand hinter der Tür zu seinem Büro. Der Barkeeper grinste und den Nachtportier fragend an. »Es ist immer das alte Lied mit den Leutchen aus der Provinz«, meinte der Nachtportier und beugte sich zu seiner Milchflasche hinunter. »Sie scheinen darauf zu warten, ausgenommen zu werden. Und wenn sie dann die Hosen verloren haben, beschweren sie sich bei der Direktion darüber.« »Hat er nicht erst vor zwei Tagen einen Berufsspieler aus dem Hotel geworfen?« Der Barkeeper sah zur Tür, hinter der der Hoteldetektiv verschwunden war. »Für einen, den wir rausschmeißen, kommen zwei neue«, antwortete der Portier und lachte dünn. »Wenn’s nach mir ginge, müßten diese Gimpel bis aufs Hemd ausgeplündert werden. Muß sich doch selbst in der Provinz rumgesprochen haben, was in ‘ner Stadt wie hier los ist.« »Ich werde mich auch hinlegen«, sagte der Barkeeper. Er ging zum Lift, verschwand hinter der Falttür und fuhr dann hinauf unter das Dach, wo das Hotelpersonal schlief. Der Nachtportier trank seine Milchflasche leer und setzte sich an sein Arbeitspult. Selbst wenn er hier schlief, sah es aus allernächster Nähe so aus, als mache er Eintragungen. Im Laufe der Zeit hatte er diese Art des Schlafens entwickelt. Er hoffte, nicht gestört zu werden. In dem großen Hotel war es endgültig ruhig geworden. Bis auf die neugierigen und ruhelosen Nachtschwärmer waren alle Zimmer besetzt. Bis auf wenige Hotelgäste schliefen die Menschen in diesem riesigen Steinkasten. Zu den Leuten aber, die nicht schliefen, gehörten zwei Männer, die sich in einem Hotelzimmer leise miteinander unterhielten. Während sie redeten, beschäftigten sie sich mit einer starkwandigen Glasflasche, die eine wasserhelle Flüssigkeit enthielt. Der größere der beiden Männer, er mochte 40 Jahre alt sein und war schlank und knochig gebaut, entfernte vorsichtig den Glasstöpsel der Flasche. Sofort verbreitete sich ein süßlicher, stechender Ge-
ruch, der sich auf die Lungen legte. »‘ne Gasmaske müßte man haben«, sagte der andere Mann. Er war mittelgroß, rundlich und trug eine Brille. Er nahm den Kopf zur Seite, als er seinem Partner eine Art Insektenspritze zuschob. Er hatte den Schraubverschluß des Flüssigkeitsbehälters abgeschraubt und hielt jetzt sogar den Atem an, als sein Gegenüber die wasserhelle Flüssigkeit in den Behälter der Insektenspritze einfüllte. Es dauerte einige Minuten, bis der Blechbehälter gefüllt war. »Schnell, zuschrauben…!« sagte der Knochige und ließ den Glasstöpsel in den Flaschenhals gleiten. Er ging zum Fenster und riß es weit auf. Sein rundlicher Begleiter folgte ihm. Sie warteten, bis der süßlichstechende Geruch schwächer geworden war. »Wann gehen wir los?« wollte der Rundliche wissen. »In zehn Minuten, Sammy. Bist du nervös?« »Warum sollte ich, Clive? Bisher ist doch alles programmgemäß über die Bühne gegangen.« »Eben… Unsere Methode ist sicher. Sobald wir abgestaubt haben, setzen wir uns ab.« »Noch in dieser Nacht?« »Bestimmt nicht, das würde nur auffallen. Wir warten bis gegen 9.00 Uhr. Vor Mittag werden unsere Geldgeber bestimmt nicht aufstehen.« »Wie lange werden wir diese Tour noch reiten können, Clive?« »Kommt auf uns an…! Wie ich die Hotels kenne, werden die den Mund halten. Die können sich keine Schlagzeilen leisten. Das würde nur die Gäste vertreiben.« »Und die Polizei? Die wird doch sicher davon erfahren?« »Wenn schon…! Die können doch nicht jeden Bau hermetisch abriegeln. Wir werden noch ein paar Wochen arbeiten, dann haben wir genug, um uns zur Ruhe setzen zu können. Du darfst nur nicht trinken, Sammy. Du weißt, daß du dann quasselst.« »Keine Sorge, ich bleibe trocken wie ‘ne Wüste. Wenn wir Schluß gemacht haben, kann ich ja alles nachholen.« »Na schön, dann wollen wir mal, Sammy. Ist die Spritze klar?« »Ich brauche nur noch das Rohr anschrauben.« »Das machen wir vor dem Zimmer.« Clive, der knochig aussehende Mann mit den verwaschenen grauen Augen, sah sich die Spritze noch mal genau an. Obwohl der Verschluß gut abgedichtet war, verbreitete er runde, walzenförmige Behälter unterhalb der
Spritzdüse und der Luftpumpe einen penetranten Geruch nach Chloroform. Sammy, der rundliche Gangster mit der randlosen Brille, wog ein kleines Blasrohr in der Hand. Es konnte an der Spritzdüse befestigt werden und war so dünn, daß es durch jedes Astloch oder Schlüsselloch paßte. Die beiden Gangster verließen ihr Hotelzimmer. Sie trugen über ihren Straßenanzügen Morgenmäntel. Sie sahen völlig unverdächtig aus. Nacheinander pirschten sie sich an eine Hoteltür heran und setzten dort die Spritze zusammen. Sie schienen diese Arbeit schon häufiger getan zu haben. Jeder Handgriff saß. Innerhalb weniger Sekunden war das Blasrohr an der Spritzdüse befestigt worden. Clive schob das dünne Blasrohr durch das Schlüsselloch. Sammy setzte die kleine Luftpumpe in Tätigkeit. Mit stetigem Druck preßte er das sofort gasförmig werdende Betäubungsmittel in das Hotelzimmer hinein. Außer einem feinen Quietschen, das vom Kolben herrührte, war auf dem kaum erleuchteten Korridorgang nichts zu hören. Sammy hielt ein und sah seinen Partner fragend an. Für sein Gefühl hatte er bereits genügend Chloroform versprüht. Doch Clive, der knochige Gangster, war noch nicht zufrieden. Er nickte und deutete damit an, daß Sammy weitermachen sollte. »Mann, das ist doch zuviel«, flüsterte Sammy schließlich. Ohne die Reaktion seines Begleiters abzuwarten, setzte er die Spritze ab und zog das biegsame Blasrohr aus dem Schlüsselloch. Clive sagte nichts. Er horchte in den Gang hinein, holte dann eine schmale Zange aus der Tasche und setzte sie ans Schlüsselloch an. Er umfaßte damit das Schlüsselende und drehte den Schlüssel im Schloß um. Sekunden später ließ sich die Tür bereits öffnen. Blitzschnell verschwanden sie in dem dunklen Zimmer, schlossen die Tür hinter sich und setzten sich Gasmasken auf. Wie unheimliche Wesen einer anderen Welt sahen sie darin aus. Sammy trat an das Bett und leuchtete die schlafende Frau an. Sie mochte 50 Jahre alt sein. Ihr Atem ging tief und fest. Als der Lichtschein ihre Augen traf, reagierte sie nicht. Sie hatte bereits das betäubende Chloroform eingeatmet. Die beiden Gangster arbeiteten schnell und geschickt. Sie wußten aus Erfahrung, wo Geld und Schmuck zu finden waren. Sie fanden einen Schmuckkoffer, der Perlenketten, Ringe und Armbänder
enthielt. Sie hielten sich nicht damit auf, den Wert des Schmuckes abzuschätzen. Dazu hatten sie später genügend Zeit. In der Handtasche der schlafenden Frau entdeckten sie eine Rolle Banknoten, die von einer kleinen Spange festgehalten wurden. Sammy genierte sich anschließend nicht, der schlafenden und betäubten Frau auch noch die beiden Ringe von den Fingern zu ziehen. Sie brauchten nur knapp zehn Minuten, um die Frau vollkommen auszuplündern. Als Clive bereits an der Tür war, ging der rundliche Sammy noch mal zurück und öffnete das Fenster spaltweit. Dann folgte er seinem Begleiter auf den Korridorgang. Clive schloß das Zimmer wieder ab. »Weiter, weiter«, drängte Clive. Er sah kurz auf einen Zettel, der einige Zimmernummern enthielt. Das nächste Zimmer, das sie besuchen wollten, lag am Ende des Korridors. Anschließend wollten sie noch ein drittes und viertes Zimmer auf dem Quergang ausrauben. Sie hatten sich sehr viel vorgenommen. Sie wußten aber auch, daß sich der Besuch in diesen Zimmern lohnen würde. Die Vorarbeiten waren ausgezeichnet erledigt worden. Sie konnten wie nach einem genau aufgestellten Fahrplan arbeiten. Nach knapp einer Stunde standen sie wieder in ihrem Zimmer. Clive und Sammy häuften die Beute auf dem Tisch und untersuchten sie flüchtig. »Ein toller Fischzug«, meinte Sammy anerkennend. »Nur verdammt schade, daß wir’s abliefern müssen.« »Laß die Finger davon«, warnte Clive, als er die gierigen Augen seines Partners sah. »Kann sein, daß der Chef jedes Stück kennt, das wir aus den Zimmern geholt haben.« »Glaubst du wirklich?« »Ganz sicher, Sammy. Ich möchte kein Risiko eingehen. Wir kommen ja auch so zurecht.« »Aber wer trägt das Risiko, he?« »Ohne die Tips könnten wir nicht einen einzigen, richtigen Coup landen, vergiß das nicht. Los, pack schon ein. Und vergiß die Chloroformflasche nicht.« Die dickwandige Glasflasche, die Insektenspritze, Schmuck und Bargeld verschwanden in einer großen Ledertasche. Sammy schob das dreiteilige Blasrohr zusammen, bis es nur noch die Größe eines normalen Tafelmessers hatte. Die vollgepackte Tasche bot jetzt einen unverdächtigen und harmlosen Anblick. Clive
überprüfte sie noch mal, bevor er auf die Klingel für das Zimmermädchen drückte. Nach wenigen Minuten wurde leise angeklopft. Sammy öffnete. Er grinste einer schwarzhaarigen, jungen Frau entgegen, die die übliche Hoteltracht trug. »Alles in Ordnung?« fragte sie sachlich. Als Sammy kicherte, sah sie ihn kalt und abschätzend an. »Du hast doch nicht etwa getrunken, wie?« »Nein, nein, bestimmt nicht«, antwortete Sammy schnell und fast ängstlich. »Wir haben alle Räume durchsucht«, berichtete Clive und reichte der jungen Frau die schwere Ledertasche. »Wir werden das Hotel gegen 9.00 Uhr verlassen.« »Gut, ich werde es dem Chef sagen. Wartet in der Pension auf ihn!« Ohne sich zu verabschieden, verließ sie das Zimmer. Sie war stark, denn die schwere Tasche behinderte sie nicht. Als sich die Tür hinter ihr schloß, stieß Sammy einen leisen Pfiff aus. »Sie hat Augen wie ‘ne Schlange«, sagte er gereizt. »Ich wette, die ist giftig…!« »Möglich, aber das soll unsere Sorge nicht sein.« Clive zündete sich eine Zigarette an und warf sich auf sein Bett. Dann zeigte er zur Tür. »Du könntest jetzt auch verschwinden, Sammy.« »Ich gehe ja schon.« Sammys Stimme war immer noch verärgert. Er wollte noch etwas sagen, doch er verschluckte seine Worte. Bald darauf befand er sich in einem gegenüberliegenden Zimmer. Er trat an das Fenster und sah auf die nachtleere Straße hinunter. Obwohl er doch gut verdiente und nach einem genauen Fahrplan arbeiten konnte, fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut. Vielleicht lag es daran, daß er nicht so leben konnte, wie er es gern wollte. Vielleicht hatte er aber auch nur Angst vor dem Chef, der Clive und ihn kontrollierte. Im Unterbewußtsein spürte er, daß es eines Tages zu einer Katastrophe kommen mußte…! * Der breitschultrige Seemann hatte sich den beißenden Senf aus den Augen entfernt. Seine Laune befand sich weit unter dem
Nullpunkt. Er hörte das Gelächter um sich herum und spürte, daß er hier in der Kellerbar restlos verspielt hatte. Durch seine bereits leicht entzündeten Augen suchte er nach seinem Gegner. Er entdeckte ihn in der Nische. Josuah Parker hatte keineswegs das Weite gesucht, sondern war sitzen geblieben. Der Angetrunkene beging den Kardinalfehler, das Blatt noch mal wenden zu wollen. Diesmal aber wollte er vorsichtiger sein. Er hatte keine Lust, sich noch mal mit Senf anstreichen zu lassen. Er brannte darauf, diesen schwarz gekleideten Burschen zusammenzuschlagen. Die kalte Wut in ihm war im Moment sogar stärker als die Trunkenheit. Der Mann wollte Blut sehen. Ohne sich um die prustenden und lachenden Gäste im Lokal zu kümmern, ging er breitbeinig zurück zur Nische. Josuah Parker sah wie durch Glas durch ihn hindurch. Er nahm den racheschnaubenden Mann überhaupt nicht zur Kenntnis. Er nippte gerade an seinem Getränk und stellte das Glas vorsichtig zurück auf die Tischplatte. Der Angetrunkene hielt plötzlich ein Messer in der Hand. Die breite, messerscharfe Klinge funkelte im Licht der Bar. Schlagartig wurde es still. Die übrigen Gäste begriffen, daß der Spaß vorüber war. Der Mann hinter der Theke griff erneut nach seinem mit Blei ausgegossenen Gummiknüppel. Doch er konnte nicht mehr eingreifen. Der Seemann riß den rechten Arm hoch und… schleuderte das Messer auf Butler Parker. Doch genau in diesem Augenblick hielt Parker seine schwarze steife Melone in der Hand. Das geschah wie absichtslos und ganz spielerisch. Das Wurfmesser prallte mit der Spitze gegen die Melone, drang jedoch nicht ein, sondern fiel klirrend auf die Tischplatte. Josuah Parker lächelte sanft und verweisend. Er griff mit spitzen Fingern nach dem Messer und hielt es an der Spitze hoch, als habe er ein seltsames Insekt gefunden. Der Seemann stutzte. Er konnte nicht begreifen, wieso das mit großer Wucht geworfene Messer die Melone nicht durchbohrt hatte. Er wollte sich in die Nische stürzen, doch dann starrte er den Butler fasziniert an. Josuah Parker warf das Messer hoch, fing es wieder geschickt auf und ließ es erneut in die Luft steigen. Es landete stets mit dem Heft in seiner Hand. Das alles ging derart schnell und gekonnt vor sich, daß die Zuschauer aufstöhnten.
Der Angetrunkene wurde von einem seltsamen Gefühl der Angst beschlichen. Er sah und spürte, daß er seinen Meister gefunden hatte! Doch schnell schüttelte er diese Gedanken von sich ab. Er wollte sich gerade jetzt keine Blöße geben. Wie ein gereizter Stier setzte er sich in Bewegung. Wenn es mit dem Messer nicht klappte, wollte er diesen seltsamen Burschen hinter dem Tisch eben erwürgen. Hauptsache, er saß nicht mehr so steif und aufreizend am Tisch. Weit kam der Seemann aber nicht. Parker hielt das Wurfmesser nämlich nicht mehr in der Hand. Es befand sich bereits in der Luft. Es flog über den Tisch und bohrte sich dicht vor dem linken Fuß des Seemanns in den Holzfußboden. Zitternd und federnd blieb es im Boden stecken. Der Angetrunkene schnaufte, bückte sich nach dem Messer und wollte es zu seinem eigenen Gebrauch herausziehen. Doch er hatte die Wucht und Kraft unterschätzt, die das Messer geschleudert hatten. Selbst nach wütendem Herumschütteln gelang es dem Mann nicht, das Messer aus dem Boden zu ziehen. »Ich halte es für angebracht, daß Sie jetzt die Bar verlassen«, meinte Josuah Parker mit höflicher Stimme. »Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie Ärger suchen.« Der Seemann richtete sich wieder auf. Sein Gesicht war vor Anstrengung gerötet. Dumpf schüttelte er den Kopf. Er wollte etwas sagen, doch der Gummiknüppel des Barkeepers verhinderte das. Wie vom Blitz getroffen sackte der Angetrunkene in sich zusammen. Er blieb neben dem Messer liegen, das sich noch immer leicht bewegte. Zwei Stammgäste der Kellerbar trugen zusammen mit dem Barkeeper den Besinnungslosen aus dem Raum. Der allgemeine Friede kehrte ein. Parker scherte sich nicht um das Gemurmel der Gäste, die ihn mit nachdenklichen und neugierigen Blicken musterten. Gewiß, er war fremd hier, er befand sich in einer Gegend des Hafens, die nicht gerade als einladend bezeichnet werden konnte. Doch Angst kannte der Butler nicht. Nicht aus Nervenkitzel war er hierher gekommen, sondern er wollte Hermy Lactons sprechen, der schon seit einer knappen Viertelstunde überfällig war. Parker konnte sich diese Unpünktlichkeit nicht erklären. Lactons wußte ja schließlich genau, wie sehr Parker Wert auf Pünktlichkeit legte. Lactons, ein ehemaliger Kellner, der nach einem Unfall Gelegenheitsgeschäfte tätigte, versorgte Parker hin und wieder mit
Informationen aus der Unterwelt. Heute nun wartete der Butler auf die Beantwortung seiner Fragen, die er Lactons gestellt hatte. Daß der Mann bisher noch nicht erschienen war, brauchte nichts Schlimmes zu bedeuten. Vielleicht hatte er sich nur verspätet. Parker sah interessiert hoch, als vorn am Eingang die drei Männer erschienen, die den Seemann hinaus auf die Straße getragen hatten. Sie kamen nicht allein zurück. Sie schleppten den Seemann wieder herein. So sah es zuerst wenigstens aus. Doch als Parker dann genauer hinsah, wußte er, daß er keine Antwort mehr auf seine Fragen erhalten würde. Hermy Lactons wurde nämlich hereingetragen. Parker erkannte ihn auf den ersten Blick. Der ehemalige Kellner schien vergiftet worden zu sein, wie das gedunsene, rot-violette Gesicht zeigte. Im Mund des Toten aber stak ein Wattebausch, der penetrant nach Chloroform roch. Vorsichtig stand der Butler auf und näherte sich seinem V-Mann. Lactons hielt in der verkrampften, rechten Hand einen Zettel, der in aller Eile und ohne Sorgfalt aus einem Notizbuch herausgerissen worden sein mochte. In dünnen Buchstaben, die mit einem roten Kugelschreiber niedergeschrieben worden waren, stand zu lesen. »Der Blasrohr-Gang warnt Neugierige!« * Bevor die Polizei eintraf, war der Butler schon unterwegs. Er haßte es, der Polizei Rede und Antwort zu stehen. Er war der Ansicht, dadurch wertvolle Zeit zu verlieren. Er ließ sich stets erst dann bei den Behörden sehen, wenn er einen fertig abgeschlossenen Kriminalfall vorweisen konnte. Dann aber drang er darauf, daß sein Name in den Zeitungen nicht erwähnt wurde. Parker wünschte keine Reklame für sich. Sie hätte seine Arbeit als Amateurkriminalist nur unnötig erschwert. Obwohl er inzwischen längst eine Lizenz als Privatdetektiv besaß, suchte er sich nur solche Fälle aus, die ihn persönlich reizten. Er konnte sich das leisten, denn im Hauptberuf wollte er den Butler seines jungen Herrn, Anwalt Mike Rander, bleiben. Um keinen Preis der Welt hätte er diesen von Jugend auf erlernten Beruf aufgegeben. Parker verschwand gerade in einer Seitenstraße, als die Sirene
eines Polizei-Streifenwagens zu hören war. Der Butler ließ sich jedoch nicht aus seiner sprichwörtlichen Ruhe bringen. Steif und gemessen schritt er weiter. Sein Ziel war die kleine Kellerwohnung des ermordeten Hermy Lactons. Dort wollte er sich etwas näher umsehen. Für ihn lag es auf der Hand, daß Lactons von jenen Leuten ermordet worden war, denen er, Parker, nachspürte. Der mit Chloroform getränkte Wattebausch und der Zettel in der Hand des Toten ließen keine Zweifel aufkommen. Parker wunderte sich nur darüber, daß ein so vorsichtiger Mann wie Lactons hatte ermordet werden können. Er griff in die Tasche seines schwarzen, weit fallenden Covercoats. Er spürte den Zettel, den er dem Toten aus der Hand genommen hatte. Korrekt gehandelt war das natürlich nicht. Doch Parker wollte erst eine Fotokopie herstellen, bevor er den Zettel der Polizei in die Hand spielte. Als er weiterging, hatte er plötzlich das Gefühl, verfolgt zu werden. Er beging nicht den Fehler, nun sofort stehen zu bleiben und zu lauschen. Er tat so, als habe er überhaupt nichts gehört. Doch seine Ohren schienen sich förmlich nach rückwärts zu drehen. Ihnen entging kein Laut. Nach wenigen Sekunden fand Parker seine Vermutung bestätigt. Eine aufgescheuchte und erschreckt fauchende Katze hinter ihm verhalf ihm dazu. Sie wurde von den leisen Sohlen des Verfolgers aus dem Konzept gebracht und flüchtete sich mit einem gewaltigen Sprung auf eine Mauerkrone. Josuah Parker schätzte seine Situation genau und kalt ab. Die enge Straße war dunkel, Laternen gab es hier nicht. Das diffuse Licht der Leuchtreklamen reichte nicht aus, um die Häuserschlucht zu erhellen. Die Gelegenheit war also recht günstig, den Verfolger auflaufen zu lassen. Butler Parker griff zu seiner Methode, die ebenso bequem wie raffiniert war. Er blieb nämlich stehen und lief auf der Stelle. Er sorgte dafür, daß seine scheinbar hastigen Schritte gut zu hören waren. Und während die Sohlen seiner schwarzen Schuhe den Boden bearbeiteten, ging er in die Knie. Er wollte einem scharfen Beobachter vortäuschen, er entferne sich mit großer Schnelligkeit. Als er die Hecke erreicht hatte, wechselte er vorsichtig zur Hauswand hinüber und blieb unbeweglich stehen. Der altväterlich aus-
sehende Regenschirm aus schwarzer Seide lag griffbereit in seiner Hand. Zuerst rührte sich nichts in der engen Straße. Sekunden vertropften qualvoll langsam. Fast schien es so, als habe Parker sich getäuscht. Doch dann hörte er endlich ein saugendes, schleichendes Geräusch in der Dunkelheit. Der näherkommende Verfolger schien Schuhe mit dicken Kreppsohlen zu tragen. Und dann war der Verfolger als schwacher Schatten zu sehen. Vorsichtig wie ein schnürender Fuchs kam er die Straße herunter. Er blieb immer wieder stehen und lauschte. Der Mann war ebenfalls vorsichtig und mißtrauisch. Ob er Parkers List durchschaut hatte? »Ich möchte fast annehmen, daß Sie nach mir suchen«, meldete Parker sich da zu Wort. Kaum gesprochen, wechselte er sofort seinen Standort. Wie richtig das war, zeigte sich. Der Schatten verwandelte sich in einen orangeroten Feuerball. Das Aufpeitschen eines Schusses zerschnitt die Stille. Dort, wo Parker sich gerade noch aufgehalten hatte, zerplatzte ein Geschoß an der Hauswand. Steinsplitter sirrten umher. Parker stöhnte röchelnd auf und täuschte so seinen Gegner. Der Schütze glaubte getroffen zu haben. Mit einem schnellen Sprung erreichte er die Hauswand und… Parkers Regenschirm. Der Butler genierte sich in Anbetracht der feindseligen Handlung nicht, den bleigefütterten Griff seines Schirms auf den Kopf des Mannes zu legen. Bevor der Gegner einen zweiten Schuß anbringen konnte, ging er in die Knie. Josuah Parker ließ seine Handkante herunterfallen und traf den Nerv des Gangsters. Ohne einen weiteren Laut von sich zu geben, blieb der Gegner ohnmächtig auf dem Pflaster liegen. Wenn es sein mußte, konnte Josuah Parker auch sehr schnell sein. Solch ein Fall lag jetzt vor. Der Schuß mußte die Polizei alarmieren. Es war eine Frage von Minuten, bis sie hier in der dunklen Gasse eintraf. Blitzschnell durchsuchte der Butler seinen Gegner. Er genierte sich nicht, die Brieftasche einzustecken und eine Geldrolle verschwinden zu lassen. Hatte er sich in der Zeit verschätzt? Kaum richtete er sich auf, als unten am Eingang der Straße die Lichter eines Wagens erschienen. Die Scheinwerfer wurden voll aufgedreht und leuchteten die schmale Straße gut aus.
Parker scheute dieses Licht. Er drehte sich um und verschwand in einem Hausflur. Leider war die Tür verschlossen. Wertvolle Zeit ging verloren, als Parker nach seinem Spezialbesteck griff. Der Wagen kam sehr schnell näher. Ein zusätzlicher Suchscheinwerfer spielte an den Mauern entlang. Doch Josuah Parker besaß Nerven wie Drahtseile. Er ließ sich keineswegs aus der Ruhe bringen. Er hielt inzwischen einen Spezialschlüssel in der Hand, den er in das Schloß einführte. Leicht und mit feinfühligen Fingern tastete er die Zuhaltung des Schlosses ab. Der Motor des Wagens brüllte wie gereizt auf. Der Suchscheinwerfer erfaßte den Butler. Jede Sekunde mußte ein Warnruf oder ein Schuß zu hören sein. Der Spezialschlüssel faßte. Josuah Parker drückte die Tür leicht an. Sie ließ sich bewegen. In diesem Augenblick leckten Feuerzungen aus dem Wagen heraus. Eine Maschinenpistole ratterte häßlich und laut. Die erste Geschoßserie lag nicht besonders gut. Sie zerfetzte den Verputz rechts des Eingangs. Als der Schütze endlich sein Ziel auffaßte und Parker im Visier hatte, war es bereits zu spät. Der Butler war schon nicht mehr zu sehen. Er warf die Tür ins Schloß und verschwand hinter einem Knick im Korridorgang. Die Geschosse aus der Maschinenpistole sägten große Splitter aus der leichten Tür. Noch hielt das Schloß stand. Parker griff in seine Tasche und förderte einige erbsengroße Gegenstände ans Tageslicht. Er verstreute sie auf dem Boden des Flurs und ging weiter bis zur Hoftür. Sie war unverschlossen und ließ sich sofort öffnen. Der Butler legte eine kleine Ruhepause ein und wartete darauf, daß die Schützen ihm folgten. Er sollte nicht enttäuscht werden. Krachend barst die Tür unter dem Ansturm zweier Männer aus dem Schloß. Parker hätte nun seinerseits schießen können. Er war nämlich nicht unbewaffnet. Doch er haßte es, Blut zu vergießen. Für ihn gab es andere Mittel und Methoden, mordlüsterne Gangster zu stoppen und zu verwirren. Die beiden Männer rannten durch den langen Flur und kamen an die Stelle, die Parker mit den erbsengroßen Gegenständen dekoriert hatte. Es handelte sich um Knallkörper, die man in jedem
Scherzartikelgeschäft massenweise kaufen kann. Diese Scherze reichten vollkommen aus, die beiden Männer zu verwirren. Als sie nämlich die Knallerbsen zertraten, dröhnten eine Reihe kleinerer Explosionen auf. Aus dem harten Steinboden schienen kleine feuerspeiende Vulkane aufzubrechen. Die beiden Gangster mit der Maschinenpistole gerieten aus dem Konzept. Sie wußten mit diesen vielen kleinen Explosionen nichts anzufangen. Sie betätigten sich als mehr oder weniger perfekte Stepptänzer und brüllten sich gegenseitig Warnungen zu. Josuah Parker nutzte diesen Zwischenfall um sich in aller Ruhe abzusetzen. Wie ein Schemen verschwand er im Gewirr der Hinterhöfe, ein unheimlich seltsamer Mann, der seinen Gegnern, immer wieder neue Rätsel aufgab. * »Lactons’ Ermordung deutet darauf hin, daß er dem >BlasrohrMörder< bereits sehr nahe gewesen sein muß«, meinte Mike Rander. Der junge, sportlich trainierte Strafverteidiger hielt den Zettel in der Hand, den Parker von seinem nächtlichen Streifzug mit ins Hotel gebracht hatte. Mike Rander und sein Butler wohnten hier in New York in einem grundsoliden Hotel in der 47. Straße. Beide hatten Chikago verlassen, um hier einen rätselhaften und neuartigen Kriminalfall zu lösen. Im Hotel Flanders hatten sie sich eine kleine Zimmerflucht gemietet. Von hier aus wollten sie das Geheimnis der Hoteldiebstähle klären. Eine Art Dachverband der Hotelbesitzer hatte sich hilfesuchend an Mike Rander gewandt. Bisher waren insgesamt sechs Diebstähle vorgekommen. In allen Fällen hatten die Gangster reiche Beute machen können. In allen sechs Fällen war auch mit Chloroform gearbeitet worden, das von den Gangstern in die einzelnen Zimmer geblasen worden war. Das Neuartige dieses Verfahrens hatte Rander gereizt, den Fall zu übernehmen. Auch Josuah Parker hatte sofort zugestimmt. Er ahnte im voraus, daß dieser Kriminalfall geschickte und schnelle Arbeit erforderte, etwas, was ihn stets ansprach. »Man könnte versuchen, Sir, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf, Mr. Lactons’ Besuche kurz vor seiner Ermordung minutiös darzustellen.«
»Wie wollen Sie in dieser fremden Stadt Hinweise bekommen?« antwortete Mike Rander. Er trug einen Morgenmantel aus schwerer Seide und saß am Frühstückstisch. »Lactons war der einzige Mann hier in New York, den wir näher kennen. Er besaß die Verbindungen zur Unterwelt.« »Ist die Polizei von den Hoteliers verständigt worden?« »Bisher nicht, man will Schlagzeilen vermeiden. Nach Lactons’ Ermordung sieht das jetzt anders aus. Der >Blasrohr-Gang< scheint nun härtere Saiten aufziehen zu wollen.« »Beabsichtigen Sie, Sir, die Polizei einzuweihen?« »Ich weiß nicht recht, Parker. Im Grunde sind wir dazu natürlich verpflichtet. Haben Sie den Zettel fotokopieren lassen?« »Selbstverständlich, Sir. Ich besorgte das mit eigenen Händen. Der Inhaber der Kopieranstalt erlaubte mir die Benutzung seiner Geräte.« »Dann werden wir erst mal dafür sorgen, daß wir den Warnzettel los werden.« »Wenn Sie gestatten, Sir, werde ich das übernehmen.« Parker wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Augenblick meldete sich das Telefon. Josuah Parker ging ohne Hast oder Eile an den Apparat und nahm den Hörer ab. Er hörte einen Moment zu, um den Hörer dann an seinen jungen Herrn weiterzureichen. »Mike Rander«, meldete sich der Anwalt. Er richtete sich schon nach den ersten Worten steil auf und sah Parker bedeutungsvoll an. Die Unterhaltung war nur kurz. Nach wenigen Minuten legte Rander den Hörer aus der Hand. Parker besorgte ihn zurück auf die Gabel des Apparats. »Wenn ich Ihren Gesichtsausdruck richtig gedeutet habe, Sir, dürfte sich ein siebter Hoteldiebstahl ereignet haben«, sagte er. »Erraten«, gab Rander nachdenklich zurück. »Es passierte ganz in der Nähe, in der 45. Straße. Normandie heißt das Hotel. Eine steinreiche, alte Dame ist betäubt und ausgeraubt worden. Die Gangster erbeuteten nach grober Schätzung Schmuck im Wert von 125.000 Dollar und Bargeld. Weiß der Teufel, warum sie ihren Schmuck nicht im Hotelsafe deponierte.« »Alte Damen haben das so an sich, Sir«, erlaubte sich Parker zu bemerken. »Mich interessiert die Frage, woher die Gangster von diesem Schatz wußten.« »Die Beantwortung dieser Frage würde uns ein mächtiges Stück voranbringen«, gab Rander zu und nickte. »In allen Fällen fanden
die Blasrohr-Gangster immer die genau richtigen Zimmer. Das deutet auf ein ganz bestimmtes System hin.« »Meiner bescheidenen Meinung nach dürfte das mit den Hotelangestellten zusammenhängen«, warf Josuah Parker ein. »Bevor die Gangster mit ihrem Chloroform eingesetzt werden, dürften andere Bandenmitglieder die Hotelgäste bespitzeln. Ich möchte keineswegs Prophet sein, Sir, doch ich könnte mir vorstellen, daß zum Beispiel ein Zimmermädchen die Möglichkeit hätte, solche Informationen zu sammeln.« »Ich wette, Parker, Sie haben sich schon wieder mal eine Theorie zurechtgelegt, oder?« Mike Rander lächelte und stand auf. »Gewiß, Sir, ich würde vorschlagen, sich von den Personalchefs aller bisher betroffenen Hotels eine Liste der Personen geben zu lassen, die nach kurzer Dienstzeit kündigten. Unter diesem Personenkreis müßte sich solch ein weiblicher Spitzel befinden.« »Schön, diese Liste können wir schnell haben, Parker. Doch bis wir die Aussiebung Vorgenommen haben, könnten die >BlasrohrGangster< schon wieder zuschlagen. Das paßt mir nicht.« »Man müßte den Gangstern einen reizvollen Köder anbieten, Sir.« »Wollen Sie diese Rolle übernehmen?« »Diesmal nicht, Sir. Es könnte durchaus sein, daß die BlasrohrGangstern inzwischen wissen, wie ich aussehe. Sie könnten den Köder also verweigern.« »Soll ich mich anbieten? Gut, ich bin einverstanden, Parker.« »Sir, ich dachte mehr an Mrs. Rosy Ballden.« »Nie gehört. Wer ist denn das?« »Als ich den Vorzug hatte, für Duke of Hasterbury zu dienen, Sir, arbeitete Mrs. Rose Ballden als Köchin. Später wechselte sie ihren Beruf, wurde Warenhausdetektivin und ließ sich hier in den Staaten nieder. Hin und wieder erreicht mich ein freundlicher Kartengruß von ihr. Mrs. Rose Ballden würde uns in unserer Arbeit bestimmt unterstützen.« »Scheint eine interessante Dame zu sein, Parker.« Mike Rander grinste etwas anzüglich. »Sie wird Ihnen bestimmt gefallen.« »Und wo erreichen wir sie?« »Sie arbeitet zur Zeit in New Jersey, Sir. Sie wäre also umgehend zu erreichen.« »Und welche Rolle soll sie spielen?« »Ich würde vorschlagen, Sir, falls Sie mir zustimmen, Mrs. Rosy
Ballden als reiche, alleinstehende Witwe in ein Hotel ziehen zu lassen. Sie müßte entsprechend exaltiert auftreten und verbreiten, daß sie sehr viel Geld und Schmuck besitzt. Das wird die >Blasrohr-Gangster< dann magnetisch anziehen.« »Unter Umständen müssen wir dann Tage und Wochen warten, Parker.« »Mrs. Rosy Ballden ist nur eine von den Möglichkeiten, die ich in Betracht ziehe«, warf Parker ein. »Ich muß gestehen, daß ich bereits eine Spur auslegte, als ich von den beiden Gangstern verfolgt wurde.« »Endlich rücken Sie mit den Sensationen heraus«, meinte Parker lachend. »Ich wußte doch, daß ich noch eine echte Überraschung serviert bekomme.« »Ich verlor während der Flucht eine Zeitung, Sir, die am Rand Name und Adresse unseres Hotels trägt. Selbst die Zimmernummer schrieb ich nieder, um den Gangstern es möglichst leicht zu machen.« »Daher pfeift also der Wind.« Rander pfiff leise durch die Zähne. »Sie hoffen, daß die >Blasrohr-Gangster< zum Angriff übergehen, ja?« »In der Tat, Sir.« »Rosige Aussichten, Parker. Schon als Kind habe ich etwas gegen Chloroform gehabt. Ich kann’s nicht riechen und ausstehen.« »Dafür sorgte ich bereits vor, Sir. Ich nahm mir die Freiheit, zwei entsprechende Gasmasken zu kaufen. Es handelt sich um handliche Modelle, die betäubungsfreies Atmen garantieren werden…!« * Clive, der knochige Gangster mit den verwaschenen grauen Augen, öffnete vorsichtig die Tür seines Zimmers. Er sah die junge schwarzhaarige Frau erstaunt an, die sich ohne ein Wort der Begrüßung ins Zimmer schob. »Wie komme ich zu dieser Ehre?« fragte Clive. »Ich komme wegen Sammy«, sagte sie. Ihre Stimme klang wieder kalt und ein wenig herrisch. »Er trinkt. Es ist mir gemeldet worden.« »Dieser Idiot…!« knurrte Clive. »Ich habe ihn doch ausdrücklich
gewarnt.« »Sammy ist zu einer Gefahr für uns geworden«, sagte die junge Frau mit den schwarzen und glänzenden Haaren. »Der Chef hat angeordnet, daß Sammy ausgeschaltet wird!« »Ausgeschaltet? Was soll das heißen?« Sie lächelte und zündete sich eine Zigarette an. Sie trug ein unauffälliges graues Kostüm, doch selbst darin sah sie noch attraktiv genug aus. »Sammy soll also verschwinden?« Clive wollte es genau wissen. Seine Stimme klang unbehaglich. »Richtig. Er trinkt. Er weiß genau, daß er’s nicht soll.« »Und wann soll das über die Bühne gehen, Miß Shadow?« »Möglichst sofort. Der Chef legt größten Wert darauf, daß keine Panne passiert. Er kann sich doch auf Sie verlassen, nicht wahr?« »Klar, das sind kleine Fische für mich. Aber mit wem werde ich in Zukunft zusammenarbeiten?« »Darüber entscheidet der Chef«, erwiderte die schwarzhaarige junge Frau. »Mit der bisherigen Arbeit war er übrigens zufrieden.« »Mal eine Frage im Vertrauen, haben Sammy und ich bisher allein für ihn gearbeitet?« Clive bemühte sich, ganz beiläufig zu sprechen. »Neugierig sollten Sie besser nicht sein, Clive.« »Es ist aber doch selbstverständlich, daß einem solche Fragen kommen«, erwiderte der knochige Gangster. »Keine Zeitung in der Stadt bringt die geringste Andeutung über unsere Arbeit.« »An Ihrer Stelle wäre ich froh darüber«, gab die Frau zurück. »Publicity in unserer Branche ist lebensgefährlich. Wenn alles klappt, werden Sie den Chef in den nächsten Tagen sehen und sprechen können. Er will mit Ihnen eine neue Sache durchgehen.« »An mir soll’s nicht liegen«, Clive warf sich förmlich in die Brust und vergaß alle übrigen Fragen, die ihm noch auf der Zunge lagen. Er fühlte sich sehr geschmeichelt, daß der geheimnisvolle Chef, den er bisher überhaupt nicht kannte, sich mit ihm unterhalten wollte. Joan Shadow, wie die schwarzhaarige junge Frau hieß, ging zur Tür. Sie warf im Vorbeigehen ihre angerauchte Zigarette ins Waschbecken und drehte sich zu Clive um. Bedeutungsvoll sah sie ihn an.
»Vergessen Sie die Sache mit Sammy nicht!« sagte sie. »Nutzen Sie die erstbeste Gelegenheit, ihn mundtot zu machen! Sagen Sie ihm, der Chef möchte Sie beide sprechen. An irgendeiner Stelle des Hafens wird sich dann schon die Gelegenheit ergeben, ihn aussteigen zu lassen!« »Wo erreiche ich Sie in Zukunft, Miß Shadow?« »Nicht mehr im Hotel«, erklärte sie nachdrücklich. »Ich werde Sie gegen Abend anrufen und nachfragen, ob alles geklappt hat.« Sie nickte dem Gangster noch mal zu und verließ das einfache Zimmer. Clive trat ans Fenster und beobachtete den Ausgang. Doch er wartete vergebens. Joan Shadow ließ sich auf der Straße nicht sehen. Sie schien den Hinterausgang und die Höfe benutzt zu haben. Clive zündete sich eine Zigarette an und griff dann nach seinem 38er. Es handelte sich um einen gut gepflegten Trommelrevolver, den er genau untersuchte. Er hatte sich den Rat der schwarzhaarigen Frau zu Herzen genommen und wollte die Sache mit seinem Partner Sammy so schnell wie möglich erledigen. Gewissensbisse kannte er nicht. Er war in dieser Hinsicht wie ein gut funktionierender Roboter, der auf einen Knopfdruck hin reagiert und tätig wird! * Sammy, der rundliche Gangster mit der randlosen Brille, hob erstaunt den Kopf, als Joan Shadow ins Zimmer trat. Sie übersah die Flasche auf dem niedrigen Couchtisch und lächelte den Gangster strahlend an. Sammy hob die Beine auf den Boden und stand schwerfällig auf. »Hallo, Mädchen«, sagte er und grinste vertraulich. »Damit hätte ich niemals gerechnet.« »Ich habe nicht sehr viel Zeit«, erwiderte Joan freundlich. »Der Chef hat mich geschickt.« »Gibt’s wieder was zu tun?« »Eine ganz besondere Sache«, gab sie zurück. »Eine sehr heikle Aufgabe, die der Chef extra bezahlen wird.« »Dafür bin ich immer zu haben«, meinte Sammy. Er griff nach der Flasche, erinnerte sich dann aber, daß die Frau die Vertraute des Chefs war und setzte die Flasche behutsam zurück auf die Tischplatte. Sie sah es und schüttelte lächelnd den Kopf.
»Wegen mir brauchen Sie sich nicht zu genieren, Sammy«, erklärte sie und zeigte ihre schneeweißen Zähne. »Ich bin keine Anträgerin.« »Man kennt sich eben zu wenig«, sagte er verlegen. »Mit dem Chef möchte ich keinen Ärger bekommen.« »Der Chef ist schon in Ordnung«, entgegnete sie. »Er muß natürlich vorsichtig sein.« »Ich kann ‘nen ordentlichen Schluck vertragen. Ich möchte nur wissen, wer dem Chef diesen Floh ins Ohr gesetzt hat, von wegen, ich könnte nichts vertragen.« »Vielleicht ein guter Bekannter von Ihnen, Sammy.« Sie antwortete sehr anzüglich. »Clive etwa…?« schnappte Sammy sofort zu. »Ich will und darf keine Namen nennen. Aber wegen Clive bin ich hier, Sammy.« »Hat er was ausgefressen?« »Er spioniert hinter dem Chef her«, behauptete sie unverfroren. »Clive ist zu eigenwillig und zu neugierig geworden. Der Chef möchte ihn schleunigst los werden.« »Ach so…!« Sammy schluckte und griff noch mal zur Flasche. Diesmal genierte er sich nicht, sie an den Mund zu setzen. Er nahm einen kräftigen Schluck und rülpste. Er übersah den Mund der Frau, der sich angewidert verzog. »Sie, Sammy, sollen das erledigen«, redete Joan Shadow weiter. »Deutlicher brauche ich mich wohl nicht auszudrücken. Falls Clive nur ausgebootet wird, besteht die Gefahr, daß er uns an die Polizei verrät. Der Chef besteht darauf, daß Clive nicht mehr reden kann!« »Mir geht ein Licht auf. Ich soll ihn wohl umbringen wie?« »Wenn Sie sich nicht stark genüg dazu fühlen, Sammy, können Sie selbstverständlich zurücktreten.« »Unsinn, Clive schaffe ich leicht. Hauptsache, der Chef hat’s angeordnet.« »Natürlich. Und er wird Ihnen dafür auch eine Prämie zahlen.« »Er kann sich auf mich verlassen, Clive ist bereits erledigt! Wann soll ich es tun?« »Er wird im Lauf des Tages hier bei Ihnen erscheinen, Sammy, und Sie angeblich zu einer Fahrt abholen. Das ist Ihr Stichwort. Gehen Sie mit ihm. Sobald Sie in der Nähe des Piers sind, müssen Sie handeln. Sorgen Sie dafür, daß Clives Wagen benutzt wird.«
»Ich mach’ das schon, Joan. Nehmen Sie auch einen Schluck?« »Jetzt nicht, aber heute abend, wenn ich Sie abhole.« »Na prächtig, ich freu’ mich schon drauf, Joan. Sieht ja so aus, als hätten wir uns endlich was zu sagen, wie?« »Bisher mußte ich ja schon wegen Clive vorsichtig sein. Er ist so schrecklich eifersüchtig.« »Nicht mehr lange, darauf kann er Gift nehmen. Soll ich danach hier in der Wohnung auf Sie warten, Joan?« »Ja, ich komme ganz bestimmt vorbei. Und seien Sie schnell, Sammy. Sie wissen ja, daß Clive gefährlich ist. Er darf Ihnen nichts anmerken.« »Schafft er nicht, ich bin ein erstklassiger Schauspieler.« Sammy lachte breit und bediente sich noch mal aus der Flasche. Sein Lebensgefühl schoß raketenartig nach oben. Er glaubte, in den dunklen und feurigen Augen richtig zu lesen. Er hatte sich also doch nicht getäuscht! Sie interessierte sich für ihn! Sobald Clive aus dem Wege geräumt war, begann ein neuer Abschnitt seines Lebens! Er stellte ihn sich sehr reizvoll vor. Daß er dazu einen Mord an seinem Partner begehen sollte, beschwerte ihn überhaupt nicht. Es war schließlich nicht das erste Mal… * Joan Shadow ging inzwischen zur Treppe, erreichte die Straße und stieg in ihren Ford. Vom nächsten Drugstore aus rief sie an. Eine schnelle, baritonal gefärbte Stimme meldete sich. »Es klappt wie am Schnürchen«, meldete Joan’ sachlich. »Sie brennen darauf, ihre Arbeit zu erledigen.« »Gute Arbeit«, antwortete die Stimme. »Dann wirst du jetzt deinen neuen Job antreten, ja?« »Gegen Mittag fange ich im Wellington Hotel in der 55.Straße an. Ich werde mich rechtzeitig melden.« Ohne eine Antwort abzuwarten, legte sie auf und ging zurück in den Wagen. Sie rauchte sich schon wieder eine Zigarette an und schaltete das Radio ein. Eine etwas grelle Frauenstimme, die von einer Band begleitet wurde, behauptete, das Leben sei wunderbar und lohne sich zu leben!
* Der Hotellift brachte den Butler hinunter in die Tiefgarage des Hotels. Josuah Parker wollte den Besuch in der Wohnung des ermordeten Hermy Lactons’ nachholen. Er rechnete weniger damit, dort wichtige Spuren zu finden. Ihm kam es darauf an, Spuren auszulegen. Es gehörte zu seinen Arbeitsprinzipien, es den Gangstern und Verfolgern stets scheinbar leicht zu machen. Wegen der schnellen Abreise von Chikago hatte er seinen Privatwagen leider nicht mitnehmen können. Keiner bedauerte das mehr als Parker. Er hing an seinem hochbeinigen Monstrum, das mit Überraschungen aller Art vollgepackt war. Hier in Manhattan behalf er sich gezwungenermaßen mit einem recht ansehnlichen Buick, der für seine Begriffe allerdings viel zu langsam war. Doch Parker konnte auch Opfer bringen, wenn es darauf ankam. Er klinkte die Wagentür auf und wollte seinen altväterlichen Regenschirm gerade unterbringen, als er wieder das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Selbstverständlich ließ der Butler sich nichts anmerken. Er tat so, als sei alles in bester Ordnung. Ja, er nahm sich sogar noch die Zeit, die altertümliche Taschenuhr aus der Weste zu ziehen und ließ den reichverzierten Deckel aufspringen. Vom Zifferblatt aber war nichts zu sehen. Der Deckel gab nur einen kleinen Spiegel frei, mit dem Parker den ungedeckten Raum in seinem Rücken absuchte. Er hatte sich nicht getäuscht, er wurde tatsächlich beobachtet. Für den Bruchteil einer Sekunde machte er einen Schatten aus. Eine Gestalt wechselte von einem abgestellten Wagen zum anderen. Ein feines Scharren drang an sein Ohr. Nun wußte der Butler Bescheid. Er ließ die Uhr zurück in die Westentasche gleiten und… erlitt beim Besteigen des Wagens plötzlich einen Krampf. So sah es wenigstens aus. Er stöhnte und ächzte auf, griff sich ans Kreuz und rutschte an der geöffneten Wagentür herunter. Parker war ein begabter Schauspieler. Sein Trick wirkte ungemein echt. Jeder noch so kritische und mißtrauische Beobachter mußte annehmen, Parkers Ischiasnerv habe falsch reagiert. Kaum auf dem harten Betonboden der Tiefgarage angekommen, zog Parker es vor, schleunigst in Deckung zu gehen. Hinter dem
Kofferraum baute er sich auf und wartete ab. Sekunden vergingen, dann näherten sich leise Schritte. Parker richtete sich etwas auf, um besser sehen zu können. Zwischen den abgestellten Wagen tauchte ein Mann auf. Er hatte sich abgeduckt und hielt einen Revolver in der Hand. Er näherte sich genau der Stelle, an der er den Butler vermutete. Er kam gar nicht auf den Gedanken, hereingelegt worden zu sein. Josuah Parker wartete geduldig ab, bis der Mann den Buick erreicht hatte. Suchend beugte sich der Mann vor. Dann schrak er zusammen und richtete sich blitzschnell wieder auf. Er vermißte nämlich den Butler. Jetzt erst begriff er, daß er auf eine List hereingefallen war. Bevor er sich aber absetzen konnte, rief der Butler ihn an. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte er höflich. »Wenn mich nicht alles täuscht, scheinen Sie nach einem bestimmten Gegenstand zu suchen.« Der Mann beging einen zweiten Fehler. Er sah sein Opfer und glaubte, schneller zu sein. Er riß den Revolver hoch und wollte schießen. Doch der riesige, vorsintflutliche Colt in Parkers Hand, der noch aus den Zeiten der alten Goldgräber stammen mußte, spuckte Rauch und Feuer. In der Tiefgarage schien ein mächtiger Sprengkörper zu detonieren. Der Gangster stieß einen spitzen Schrei aus und vermißte den Revolver in seiner Hand. Verdutzt starrte er auf die leere, jetzt aber auch leicht blutende Hand. Mit einem wahren Meisterschuß hatte der Butler reagiert und seinen Gegner entwaffnet. »Zwingen Sie mich bitte nicht, einen zweiten Schuß anzubringen«, bat Josuah Parker eindringlich. »Ob Sie es nun glauben oder nicht, ich hasse es, zu solchen Mitteln Zuflucht nehmen zu müssen. Wenn es Ihnen weiter nichts ausmacht, empfiehlt es sich, die Hände hochzunehmen. Es handelt sich dabei um eine reine Vorsichtsmaßnahme, die Sie mir zugestehen müssen.« Der Gangster vergaß den Schmerz in seiner Hand. Er starrte den Butler wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt an. Solch eine ebenso höfliche wie umständliche Warnung hatte er bisher in seinem Leben noch nie gehört. Er war, was man so treffend fertig nennt. »Bitte, steigen Sie ein und übernehmen Sie das Steuer«, redete Parker weiter. »Ich möchte unterstellen, daß Sie an einem Ge-
spräch mit der Polizei nicht interessiert sind, oder?« Der Gangster kam wieder zu sich. Parker hatte übrigens richtig getippt. Der Mann mit der leicht blutenden Hand hielt nichts von der Polizei. Er setzte sich ans Steuer. Parker nahm neben ihm Platz. Eine knappe Minute nach dem Schuß glitt der Buick bereits über die Rampe hinauf zur Straße. »Ich schlage vor, wir fahren zu dem Witt-Clinton Park«, meinte Parker im Plauderton. »Nach einer kurzen Unterhaltung werde ich Sie dort entlassen und einem Arzt überantworten.« Der Gangster nickte automatisch. Er hatte den Butler noch längst nicht verdaut. Wie in Trance steuerte er den Wagen durch die belebten Straßen. Weit bis zum Park an der Westseite Manhattans hatten sie es nicht. Nach knapp fünfzehn Minuten schon konnte der Gangster den Wagen wieder anhalten. Sie standen jetzt in einer Parktasche am Rand des Parks. Der Gangster ließ die Hände vom Steuer sinken und wickelte sich ein Taschentuch um die geringfügige Verletzung. »Sie werden verstehen, daß ich Ihre Handlungsweise mißbillige«, begann Parker. »Sie hätte es bestimmt nicht bei einer harmlosen Verletzung belassen.« »Das – das ist ein Mißverständnis«, behauptete der Mann ohne jede Überzeugungskraft. »Sie haben zuerst geschossen. Ich sollte Sie anzeigen.« »Sie können das jederzeit nachholen. Sie wissen ja, wo ich zu erreichen bin.« Der Gangster schwieg und massierte sich das schmerzende und steif werdende Handgelenk. »Sie gehören dem >Blasrohr-Gang< an«, sagte Parker. »Sie hatten den Auftrag, mich zu ermorden. Nein, nein, ersparen Sie sich Ausreden, die ich Ihnen doch nicht abnehme. Ich weiß genau, was gespielt wird. Da ich Kontakt zu Hermy Lactons unterhielt und er mir bereits einige interessante Hinweise liefern könnte, sollte nun auch ich ermordet werden. Ihr Chef scheint ein recht ängstlicher und übervorsichtiger Mensch zu sein. Das geht für mich schon daraus hervor, daß er selbst alles tut, um aus der Gefahrenzone herauszubleiben. Ich gebe Ihnen den guten Rat, den Gang so schnell wie möglich zu verlassen, junger Mann. Der nächste Schuß wird kein Streifschuß mehr sein! Richten Sie das Ihrem Chef aus…!« »Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden«, stöhnte der Gangs-
ter. »Lassen Sie mich endlich gehen! Ich muß zu einem Arzt. Der ganze Arm wird bereits steif.« »Richten Sie Ihrem Auftraggeber ferner aus, daß sein Spiel sehr bald der Vergangenheit angehören wird. So, und nun können Sie gehen. Lassen Sie sich die Wunde umgehend desinfizieren, sonst können bösartige Entzündungen auftreten…!« Der Gangster glaubte nicht richtig gehört zu haben. Mißtrauisch sah er den Butler an, der andeutungsweise lächelte. Da nahm der Gangster sich ein Herz und drückte die Wagentür auf. Er schob die Beine nach draußen, richtete sich auf und lief zum Straßenrand. Josuah Parker sah ihm nach. Er hoffte, richtig gehandelt zu haben. Genau konnte selbst er das nie vorher beurteilen. Er mußte sich in diesen Fällen allein auf sein Gefühl verlassen. Der Gangster lief in der Reihe der abgestellten Wagen entlang, bog nach rechts ab und wollte die Straße überqueren. Doch schon nach den ersten Schritten passierte das Unglück. Auch Parker sah den schnell näherkommenden Wagen viel zu spät. Der Gangster erkannte die Gefahr. Er warf die Arme hoch und wollte sich zurückwerfen. Doch der Fahrer des Wagens reagierte augenblicklich. Er folgte der Bewegung und schien noch zusätzlich Gas zu geben. Er war schneller als der Mann. Parker schloß angewidert die Augen. Er hörte einen gellenden Aufschrei, dann einen dumpfen Aufprall. Glas splitterte und ganz in der Nähe schnitten grelle, spitze Schreie einer Frau in seinen Ohren. Der Motor des Wagens heulte wie ein Urtier auf. Parker öffnete vorsichtig die Augen. Er sah den schnell davonjagenden Wagen und auf der Straße den Gangster, der zu Tode gefahren worden war. In seltsam verkrümmter Haltung lag der Mann auf dem Asphalt und rührte sich nicht mehr. Unter seinem Körper breitete sich eine Blutlache aus. Parker wandte sich ab und verzichtete darauf, sich den Toten näher anzusehen. Deutlicher denn je war ihm gezeigt worden, daß er es mit einem mörderischen Gegner zu tun hätte, der selbst einen eigenen Mann umbrachte, nur um sein Inkognito zu wahren…! *
Etwa um diese Zeit rief die schwarzhaarige Joan Shadow in Clives Wohnung an. Selbstverständlich rechnete sie nicht damit, daß auf der Gegenseite abgehoben wurde. Um so erstaunter war sie, als sie die Stimme des knochigen Gangsters hörte. Sie unterdrückte einen Ausruf des Staunens, sie hätte sich sofort in der, Gewalt. »Hat alles geklappt?« fragte sie. »Natürlich, Sammy wird uns nicht mehr stören«, erwiderte Clive. Seine Stimme klang gepreßt und verzerrt. »Hat es Ärger gegeben?« wollte sie wissen. »Nicht viel…« »Was ist denn passiert?« »Das werde ich Ihnen hier bei mir sagen«, wich Clive aus. »Ich schlage vor, Sie kommen sofort zu mir.« »Natürlich, ich werde sofort kommen. Warten Sie auf mich!« Joan Shadow legte auf, überlegte einen Moment und rief dann ihren Chef an. Sie bekam sofort ihre Verbindung. Die baritonal gefärbte Stimme war unverkennbar. Mit wenigen Worten, die ein Nichteingeweihter überhaupt nicht verstanden hätte, klärte sie den Chef auf. »Seine Stimme klang eigenartig«, meinte sie zum Schluß. »Er wird doch nichts gemerkt haben?« »Wohl kaum, doch Vorsicht ist angebracht.« »Soll ich sofort zu ihm gehen?« »Das halte ich für richtig, Joan. Falls er etwas gemerkt hat, müssen Sie ihn beruhigen und hinhalten. Ich werde mich einschalten. Sie können unbesorgt sein.« »Wieviel Zeit geben Sie mir?« »In einer Viertelstunde bin ich an Ort und Stelle.« Joan Shadow legte auf, verließ den Drugstore, von wo aus sie angerufen hatte und betrat die Straße. Weit bis zu Clives Wohnung war es nicht. Sie brauchte nur um einen Wohnblock zu gehen. Clive öffnete vorsichtig die Tür, nachdem sie angeklopft hatte. Sein Gesicht war noch magerer als sonst, die Hautfarbe grau und ungesund. Clive trug nur eine Hose. Sein Oberkörper war nackt. In Höhe der Hüfte hatte er sich einen notdürftigen Verband angebracht, der völlig durchblutet war. »Sammy hat Lunte gerochen. Um ein Haar wäre er schneller ge-
wesen als ich«, sagte Clive. Er ging mit vorsichtigen Schritten zu einem Sessel und setzte sich langsam. Er: hatte große Schmerzen, denn sein Gesicht verzog sich dabei. »Wie ist es passiert?« »Er muß was geahnt haben«, berichtete Clive. »Wir zogen fast gleichzeitig. Ich war nur um eine Zehntelsekunde schneller. Er konnte mich aber noch anschießen.« »Wo ist es passiert?« fragte sie sachlich. »In der Nähe der White Star Piers.« »Sind Sie beobachtet oder verfolgt worden, Clive?« »No, ich hab’ Sammy in den Keller eines Neubaus geworfen und bin dann mit Mühe und Not zurückgekommen. Sehen Sie sich mal die Verwundung an, Joan. Ich glaube, ich brauche ‘nen Arzt.« »Natürlich, ich werde das veranlassen. Sie brauchen die Wohnung nicht zu verlassen. Wenn Sie ein paar Minuten warten wollen, werde ich den Arzt anrufen.« »Wird der Chef mit mir zufrieden sein?« »Natürlich. Hauptsache, Sammy kann uns nicht mehr verraten. Darauf allein kommt es doch an. Er ist doch wirklich tot, nicht wahr?« »Der macht den Mund nie wieder auf, Joan, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.« »Ich helfe Ihnen jetzt ins Bett, Clive. Dann hole ich einen Arzt, auf den wir uns verlassen können, einverstanden.« »Und wie, ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Das Geschoß muß noch in der Wunde stecken.« »Es wird Sie bald nicht mehr stören«, meinte Joan doppelsinnig und lächelte. »In spätestens einer Viertelstunde sieht die Sache schon anders aus.« Als Clive auf dem Bett lag und leise stöhnte, verließ Joan Shadow die kleine Wohnung des Gangsters und ging hinunter auf die Straße. Hier wartete sie auf die Ankunft des Chefs. Er sollte und konnte dann das nachholen, was Sammy versäumt hatte. Clive war eigentlich schon ein toter Mann. Er wußte es aber noch nicht, sondern lag stöhnend auf dem Bett und träumte trotz allem von Geld. Eine Viertelstunde war vergangen, als Joan einen Mann entdeckte, der langsam die Straße herunterkam und auf das Haus zuhielt. Er trug eine Ledertasche und sah unverfänglich und durchschnittlich aus. Dieser Mann war mittelgroß, trug eine Sonnenbril-
le und einen etwas zu weiten grauen Anzug. Er sah keineswegs wie ein Mann aus, der den Tod in der Ledertasche mit sich führte…! * Anwalt Mike Rander und Josuah Parker schliefen in ihren getrennten Zimmern, die durch eine Tür miteinander verbunden waren. Es war weit nach Mitternacht. In dem großen Hotel herrschte eine fast vollkommene Ruhe. Die Lichter in den langen Korridorgängen waren bis auf Notbeleuchtungen abgedreht worden. Um diese Zeit verschaffte sich ein Mann Zutritt, der sich im Hotel gut auszukennen schien. Auf dem Umweg über die weiträumige Hotelküche erreichte dieser Mann die breite Betontreppe, die die einzelnen Stockwerke miteinander verband und im Notfall als Feuertreppe diente. Der Mann trug einen gut geschnittenen Smoking und verströmte einen ausgeprägten Geruch von Alkohol. Er schien demnach also sehr viel getrunken zu haben. Doch dieser Eindruck täuschte. Der Eindringling bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines trainierten Sportlers. Er huschte über die Stufen hinauf in die vierte Etage. Er trug eine Ledertasche mit breiten Chrombügeln. Er hatte sich genau informiert und blieb vor dem Zimmer stehen, hinter dem Josuah Parker schlief. Der Mann sah sich die Zimmernummer genau an, bevor er die Ledertasche auf den Boden setzte und die Bügel öffnete. Er entnahm ihr eine kleine Preßluftflasche, auf deren Ventil ein dünner, etwa zwanzig Zentimeter langer Gummischlauch befestigt war. Prüfend öffnete er den Drehknopf des Ventils. Ein feines, fast giftiges Zischen war zu hören. Der Mann nickte zufrieden. Aus der Innentasche des Smokings zog er ein dünnes, biegsames Rohr und befestigte es am freien Ende des Gummischlauches. Dann beugte er sich nieder, untersuchte das Türschloß und führte das biegsame Rohrstück ein. Doch er stieß unerwartet gegen einen starken Widerstand. Es ließ sich nicht ins Zimmer schieben. Der Mann stutzte. Mit dieser Panne schien er nicht gerechnet zu haben. Er zog das Rohr wieder aus dem Schlüsselloch und leuchtete mit einer kleinen Taschenlampe hinein. Der Lichtschein wur-
de aufgehalten. Auf der Innenseite der Tür schien ein Hindernis angebracht worden zu sein. Der Eindringling unterdrückte einen wütenden Fluch. Er hatte seine unheimliche Arbeit so schnell wie möglich hinter sich bringen wollen. Und nun gab es dieses Hindernis…! Er holte einen langen Schraubenzieher aus der Ledertasche und stieß ihn durch das Schlüsselloch. Der Widerstand auf der anderen Seite gab nicht nach. Selbst mit Gewalt war da nichts zu machen. Der Mann im Smoking wußte sich aber zu helfen. Er zog das Blasrohr vom Gummischlauch und holte ein zweites aus der Jacke. Ein Ende davon war abgeplattet und ließ sich unter die Tür schieben. Das alles besorgte er mit unwahrscheinlicher Schnelligkeit. Er, mußte diese Arbeit schon häufig getan haben. Als das flache Ende unter der Tür verschwunden war, drehte der Eindringling das Ventil auf. Ein kleiner Druckmesser zeigte an, daß der komprimierte Inhalt der kleinen Stahlflasche sich ins Zimmer entleerte. Der Mann hatte nun nichts zu tun. Er richtete sich auf und kontrollierte den langen halbdunklen Korridorgang. Überraschungen wollte er möglichst ausschalten. Nach etwa fünf Minuten befaßte er sich mit dem Türschloß des benachbarten Zimmers. Hier wiederholte sich das seltsame Spiel. Wieder wurde das flache, abgeplattete Ende des Blasrohrs durch den unteren Türspalt geschoben. Dann spielte sich der Druckmesser ein und zeigte an, daß die Stahlflasche sich entleerte. Als der Zeiger zurück auf Null fiel, packte der Eindringling sein Gerät zusammen. Alles verschwand in der Bügeltasche. Ein böses Lächeln umspielte die Lippen des Mannes, als er zurück zur Feuertreppe huschte und dann nach unten stieg. Er wußte nur zu gut, warum er lächelte. Er kannte ja den komprimierten Inhalt der Stahlflasche. Er wußte, welche Wirkung es ausübte. Für das Leben der beiden Schlafenden, Mike Rander und Josuah Parker, hätte er keinen Cent mehr gegeben. Die leere Flasche garantierte ihm, daß er sich zwei aufdringliche Schnüffler vom Halse geschafft hatte. Daran zweifelte er nicht eine Sekunde. Währenddessen lagen Rander und Parker in ihren Betten. Selbst der sonst so wachsame und mißtrauische Josuah Parker war diesmal nicht alarmiert worden. Er wußte nicht, was sich ereignet
hatte. Sein Mund war leicht geöffnet und produzierte erstaunliche Schnarch- und Pfeifgeräusche, die seinem Wesen gemäß allerdings recht diskret wirkten. Mit anderen Worten, Parker und Rander atmeten die Zimmerluft, eine Mischung, die tödlich werden konnte…! * Der Mann im Smoking verließ das Hotel, ging ein Stück die Straße hinunter und blieb vor einem Chrysler stehen. Nachdem er einen schnellen, prüfenden Blick in die Runde geworfen hatte, klinkte er die Tür auf und ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder. Er nickte der jungen schwarzhaarigen Frau zu, die am Steuer saß. »Wir können starten«, sagte er lässig. »Es gab keine Schwierigkeiten. Ich habe beide Räume eingestäubt. Sie dürften jetzt schon besinnungslos sein.« »Ich habe ein ungutes Gefühl«, sagte Joan Shadow. Sie ließ den Wagen anrollen und nahm Richtung auf den Central Park. »Was paßt dir nicht?« fragte der Mann mit der baritonal gefärbten Stimme. Im grünen Licht der Armaturen sah sein glattes Gesicht bösartig und unheimlich aus. »Dieser komische Parker hat es faustdick hinter den Ohren«, stellte Joan fest. »Bisher bin ich noch mit jedem Gegner fertig geworden.« Der Mann nahm die Sonnenbrille herunter und lächelte. »Ich weiß genau, was ich will.« »Natürlich, aber warum machen wir die Polizei auf uns aufmerksam? Warum bekam Lactons diesen Zettel mit? Warum willst du die Behörden und die Öffentlichkeit auf den >Blasrohr-Gang< aufmerksam machen? Ich begreife das einfach nicht. Bisher haben wir doch in allen Städten immer unauffällig gearbeitet.« »Weil die Zeit der kleinen Beuten vorüber ist«, antwortete der Mann selbstzufrieden. »Bisher haben meine Leute Hotelzimmer ausgeräumt. Zugegeben, der Verdienst war nicht schlecht, aber einen richtigen Coup konnten wir noch nie landen. Das sieht jetzt anders aus.« »Was hast du vor?« »Ich gaukle den Behörden eine Gang vor, nämlich den >BlasrohrGang<, den es aber ab sofort nicht mehr gibt. Die Schnüffler sol-
len sich mit einem Phantom beschäftigen. Clive und Sammy haben ihre Schuldigkeit getan. Gut, daß sie nicht mehr reden können.« »Du hast meine Frage immer noch nicht beantwortet.« »Ab sofort arbeite ich nicht mehr mit Chloroform«, erklärte der Gangster nachdrücklich. »Ich werde die Hoteldirektionen unter Druck setzen. Entweder sie zahlen, oder aber sie müssen damit rechnen, daß ich ihre Hotelzimmer ausräuchere.« »Mit dem Giftgas etwa?« fragte sie bestürzt. »Richtig, mit einem Giftgas…! Wenn die Zahlungen ausbleiben, wird es in den Hotels Tote geben. Du wirst sehen, man wird uns das Geld förmlich aufdrängen. Die Hotelmanager werden sich hüten, meine Drohungen an die große Glocke zu hängen. Sie werden widerspruchslos zahlen, um nur ja keinen Skandal zu bekommen. Ich habe mir alles genau überlegt. Die Zeit der Vorbereitungen ist vorbei, jetzt bekommen wir großes Geld. Die Chloroform-Methode sollte den Hotels nur zeigen, wie wir arbeiten können, Joan.« »Willst du auf jeden Mitarbeiter verzichten?« Joan Shadows Frage klang harmlos, doch der Gangster spürte, daß es mehr als nur eine Frage war. »Wir bleiben selbstverständlich zusammen«, sagte er auflachend. »Hast du Angst, ich könnte dich ausbooten?« »Falls du es planst, würdest du wenig Freude daran haben«, gab sie kühl zurück. »Wie meinst du das?« »Nun, im Falle meines Verschwindens, würden gewisse Papiere von ganz allein reden.« »Du traust mir nicht, Joan? Ist das wahr?« »Traust du mir?« fragte sie zurück. »Ich denke, ein gewisses Mißtrauen ist ganz gesund. Du sollst nur wissen, woran du bist. Du wirst mich nicht los wie Sammy oder Clive!« »Wir sind doch immerhin mehr als nur Partner«, schmeichelte er. »Natürlich. Daran solltest du auch immer denken. Ich ließ dich niemals hängen, du weißt das. Ich habe dafür gesorgt, daß du deine Arbeiten ungestört erledigen konntest. Dafür will ich jetzt meinen Lohn haben.« »Ohne dich könnte ich nie leben«, gestand er mit leiser Stimme, die allerdings falsch und kitschig klang. »Sobald wir genügend Beute gemacht haben, werden wir uns zur
Ruhe setzen. Ich denke zum Beispiel daran, daß wir uns an der französischen Riviera ein Haus kaufen.« »Klingt gut«, meinte sie sachlich. »Wann willst du denn aufhören? Wie willst du ohne Mitarbeiter auskommen?« »Das ist doch sehr einfach«, erwiderte der Gangster. »In Zukunft werde ich nur noch mit Verzögerung arbeiten.« »Das verstehe ich nicht.« »Falls irgendein Hotel nicht zahlt, werde ich einen meiner kleinen Stahlzylinder in ein Hotelzimmer schmuggeln. Nach einer bestimmten Zeit öffnet sich das Ventil ganz automatisch und gibt das Gas frei. Um diese Zeit befinde ich mich längst in Sicherheit. Ich habe mir alles genau überlegt, es kann keine Pannen geben.« »Willst du es wirklich auf weitere Morde ankommen lassen?« Joan Shadow schien mit diesem Gedanken nicht einverstanden zu sein. »Es liegt einzig und allein an den Hoteldirektionen. Wenn sie zahlen, wird es in ihren Hotels keine Toten geben. Jahrelang bin ich wie der letzte Dreck behandelt worden. Jetzt zeige ich der Welt, wer ich wirklich bin und was ich auf dem Kasten habe!« »Ja doch!« warf sie schnell ein, denn sie wußte aus Erfahrung, daß ihr Begleiter über dieses Thema sich stundenlang verbreiten konnte. »Können uns die Killer nicht verraten, die du gestern engagiert hast?« »Die wissen überhaupt nicht, wer ich bin. Und wie gesagt, ab sofort arbeite ich allein.« »Und was habe ich dabei zu tun?« »Du wirst nur noch für mich da sein«, gab er zurück. »Du brauchst nicht mehr als Zimmermädchen zu arbeiten. Du wirst in Zukunft nur noch Geld zählen und dich dabei bestimmt überanstrengen. Ich rechne mit Geld, mit sehr viel Geld!« Er kicherte leise und unheimlich auf. Joan Shadow spürte das kalte Rieseln, das über ihren Rücken lief. Manchmal hatte sie das Gefühl, daß ihr Partner krank oder sogar irrsinnig war. * Josuah Parker ließ es sich nicht nehmen, seinem jungen Herrn das Frühstück zu servieren. Er fing den Etagenkellner an der Tür der kleinen Zimmerflucht ab und bediente Mike Rander. Es gab frischen, gebutterten Toast, verschiedene Marmeladen, Schinken,
frische Biskuitkuchen, Orangensaft und starken, heißen Kaffee. »Neuigkeiten?« fragte Mike Rander. »Gewiß, Sir, wir wurden in der hinter uns liegenden Nacht besucht.« »Tatsächlich?« Mike Rander war nur wenig beeindruckt. »Ich habe die von uns verlassene Zimmerflucht in der vierten Etage genau untersucht«, berichtete Josuah Parker. »Die Vorsichtsmaßnahme, eine Etage höher zu ziehen, erwies sich als richtig. Der Blasrohr-Morden, um bei dieser Bezeichnung zu bleiben, Sir, pumpte beide Schlafräume voll Gas.« »Sie meinen Chloroform, nicht wahr?« »Nein, Sir, es handelte sich um ein starkes Giftgas, das die Eigenschaft besitzt, das Atemzentrum lahmzulegen.« Der Anwalt ließ den gebutterten Toast auf den Teller sinken. Er sah seinen Butler aus zusammengekniffenen Augen an. »Leider stimmt es, Sir. Auch ich mache mir deswegen sehr große Sorgen. Es könnte durchaus sein, daß der >Blasrohr-Mörder< sich auf dieses Giftgas umgestellt hat.« »Du lieber Himmel, dann haben wir ja noch etwas zu erwarten!« Mike Rander hatte plötzlich keinen Appetit mehr. Er stand auf und begnügte sich mit einer Zigarette. »Sie haben sich auch wirklich nicht getäuscht, Parker?« »Ganz sicher nicht, Sir. Ich kann, wenn Sie es wünschen, Ihnen die fertige Analyse vorlesen. Ich ließ Proben des Gases chemisch untersuchen.« »Demnach sind Sie schon lange auf den Beinen, wie?« »Seit einigen Stunden, Sir. Sie wissen, daß ich nicht besonders viel Schlaf benötige. Der Mörder, anders kann ich den Gangster nicht bezeichnen, schob wahrscheinlich ein Blasrohr oder einen Gummischlauch unter den Türspalt und preßte das Gas in die beiden Räume. Einige Spuren, die ich fand, lassen diesen Schluß zu.« »Parker, es hilft nichts, wir müssen uns mit der Polizei in Verbindung setzen.« Mike Rander ging im Zimmer auf und ab. Auch er wußte, wie prekär die Situation geworden war. »Vielleicht sollte man warten, Sir, bis der >Blasrohr-Mörder< sich gemeldet hat«, schlug der Butler vor. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß er nur morden will. Er verfolgt einen bestimmten Zweck. Er will, wie alle Gangster, Beute machen. Man müßte abwarten, bis der Kerl sich näher geäußert hat.«
»Was erwarten Sie denn von ihm, he?« »Erpressung, um die Absichten des >Blasrohr-Mörders< auf einen Nenner zu bringen.« »Sie glauben, der Mann droht mit Mord, falls die Hoteldirektionen nicht zahlen?« »Gewiß, Sir, ich spüre das förmlich in den Fingerspitzen.« »Dann haben wir noch tolle Überraschungen vor uns«, meinte Mike Rander. »Wie soll man in dieser riesigen Stadt einen einzigen, bestimmten Mann finden?« »Ich möchte sagen, Sir, daß wir gar nicht verzweifelt zu suchen brauchen.« »Sie hoffen, daß der Gangster sich freiwillig vorstellen wird?« »Das erwarte ich tatsächlich, Sir. Der Mordanschlag auf Sie und meine Wenigkeit deutet darauf hin, daß der >Blasrohr-Mörder< uns fürchtet. Nach dem Giftgasanschlag wird er die Zeitungen studieren und auf die Bekanntgabe unseres Todes warten. Erfährt er aber, daß sein Mordanschlag mißglückt ist, wird er es ein zweites Mal versuchen.« »Oder er wird dahinterkommen, daß wir gar nichts über ihn wissen. Dann läßt er uns bestimmt in Ruhe.« »Es dürfte nicht dazu kommen, daß er sich sicher fühlt, Sir.« »Und wie wollen Sie das erreichen, Parker?« »Ich werde, wenn Sie gestatten, Sir, ausgiebig darüber nachdenken.« »Und ich bin sicher, daß Ihnen wieder ein mehr oder weniger fauler Trick einfallen wird, Parker.« Mike Rander lächelte und hatte plötzlich wieder Appetit. Was konnte ihm schon groß passieren, wenn Josuah Parker an seiner Seite war! * Der »Blasrohr-Mörder« wollte Klarheit haben. Bis zur Ausgabe der Mittagszeitungen konnte er einfach nicht warten. Er setzte Joan Shadow vor dem Hotel Flanders in der 47. Straße ab. Die schwarzhaarige, junge Frau sollte hier an Ort und Stelle feststellen, ob und wie das Giftgas gewirkt hatte. Sie brauchte nicht lange herumzuhören, denn als sie die Halle betrat und zur Reception ging, kamen ihr Mike Rander und Josuah Parker entgegen. Parker kannte sie, den brauchte man ihr nicht
lange zu beschreiben. Und der junge, sympathische Mann an seiner Seite mußte dieser Anwalt Rander aus Chikago sein. Joan ließ sich nichts anmerken. Sie ging nicht sofort zurück auf die Straße. Sie ließ sich in einem Sessel in der Halle nieder und verfolgte das seltsame Zweigespann mit unauffälligen Blicken. Sie konnte es einfach nicht verstehen, wieso diese beiden Männer dem starken Giftgas entkommen waren. Daß sie es geschafft hatten, war eindeutig zu sehen. Joan begriff vielleicht zum erstenmal, daß ihr Freund und Chef nicht so unfehlbar war, wie er sich gern hinstellte. Er mußte einen entscheidenden Fehler begangen haben. Sollte er in Mike Rander und Butler Parker seine Meister gefunden haben? Joan brachte es einfach nicht fertig, ruhig sitzen zu bleiben. Sie betrat die Hotelbar und ließ sich an der Theke einen GinFizz mixen. Mochte ihr Chef auch ungeduldig warten. Sie wollte für ein paar Minuten mit sich allein sein und sich alles sehr kühl durch den Kopf gehen lassen. Bisher hatte sie recht gut verdient. Bisher hatte sie auch kaum Bedenken gehabt, ahnungslose Hotelgäste auszuplündern. Ja, sie hätte diesen Trick mit der Chloroformbetäubung recht amüsant gefunden. Nun aber wechselte der Chef seine Methoden. Er hatte Morde befohlen – und im Falle Clive auch selbst begangen. Er hatte sie zu seiner Mitwisserin gemacht. Darauf stand, wenn man sehr viel Glück hatte, lebenslänglich Zuchthaus. Joan hatte nicht die geringste Lust, den Rest des Lebens hinter Gittern zu verbringen! »Soll ich mich absetzen«, fragte sie sich und nahm einen Schluck aus dem Glas. Noch könnte ich aussteigen. Das würde allerdings bedeuten, daß ich ohne Geld wegfahren müßte. Dann wäre ich zwar in Sicherheit, doch auf der anderen Seite müßte ich wieder ganz unten anfangen. Freiwillig ließ der Chef sie bestimmt nicht gehen. Dazu war er zu eifersüchtig und auch zu mißtrauisch. Lieber würde er sie umbringen, als sie gehen lassen. Joan wußte das sehr genau. Ob ich ihn hereinlegen könnte, fragte sie sich weiter. Er ahnt ja schließlich nicht, welche Gedanken ich in meinem Kopf wälze. Ich müßte mir meinen Anteil besorgen und dann schleunigst New York verlassen. Der Plan hatte allerdings einen Haken. Joan konnte sich nicht vorstellen, wie sie ihren Chef überlisten konnte. Seit fast einem
Jahr lebte sie mit ihm zusammen. Selbst während dieser Zeit hatte sie sein Mißtrauen nie überwinden können. Joan zahlte und verließ die Bar. Sie war zu keinem Entschluß gekommen. Die Gier nach ihrem Geldanteil war stärker als alle Angst. Sie kam überhaupt nicht auf den Gedanken, nach einer Trennung vom Chef irgendwo zu arbeiten, um sich so das notwendige Geld zu beschaffen. Dazu war Joan schon zu sehr verdorben. Sie befand sich auf einer stark abschüssigen Bahn, auf der es für sie kein Stoppen mehr gab. * Der »Blasrohr-Mörder«, der in einer Seitenstraße auf sie wartete, sah Joan erwartungsvoll an. Er wartete mit seinen Fragen, bis Joan neben ihm saß. »Nun rede schon endlich…!« sagte er ungeduldig. Er ließ den Wagen anrollen und fädelte sich in den Verkehr ein. »Sie leben«, sagte sie lakonisch. Es tat ihr gut, ihm diese Nachricht zu überbringen. Sie freute sich an seiner, echten Bestürzung. »Was soll das heißen?« gab er schnell zurück. »Mike Rander und Josuah Parker haben dein Giftgas überlebt«, wiederholte sie in anderer Form. »Du scheinst nicht richtig gearbeitet zu haben.« »Unsinn, die Flasche war restlos leer…!« »Ich habe die beiden Männer eben doch gesehen. Sie sahen sehr lebendig aus.« »Das verstehe ich nicht«, meinte, der »Blasrohr-Mörder«. »Ich habe mir die Zimmernummern genau angesehen.« »Glaubst du etwa, ich hätte dich belogen?« Verächtlich klang Joans Stimme. Dann wechselte sie die Tonart. Sie sprach sehr eindringlich. »Sollen wir nicht aufhören? Diese Panne ist doch eine deutliche Warnung. Noch können wir die Stadt verlassen. Wir besitzen doch Geld genug.« »Ausgeschlossen«, fuhr er ihr über den Mund. »Wir bleiben und werden jetzt erst richtig verdienen. Du brauchst deine Vorschläge nicht noch mal zu wiederholen. Warum habe ich. so getan, als hätten die Hoteliers es mit einem großen Gang zu tun, he? Das alles diente doch nur dazu, um den Boden richtig vorzubereiten.
In Wirklichkeit haben sie’s nur mit einem einzigen Mann zu tun. Der bin ich… Und ich werde sie alle bis aufs, Blut schröpfen, darauf kannst du dich verlassen, Joan, du wirst doch nicht etwa auf den Gedanken kommen, mich verlassen zu wollen, oder?« »Verrückte Idee«, sagte sie verächtlich und lachte auf. »Wir gehören zusammen. Und das weißt du auch. Wann willst du deine ersten Anrufe erledigen?« »Noch vor Mittag…!« »Und was wird aus Rander und Parker?« »Sie haben mich reingelegt«, räumte er jetzt ein. »Möglicherweise haben sie in anderen Räumen geschlafen. – Aber das bekommen wir heraus.« »Wie denn? Willst du wieder fremde Leute engagieren?« »Nein, Joan, du wirst mir die Informationen beschaffen.« »Ich soll also doch wieder als Zimmermädchen in ein Hotel gehen?« »Richtig, nur für ein paar Tage, bis wir genau wissen, wo diese Schnüffler schlafen. Dann wiederhole ich die Arbeit noch mal. Dann aber werde ich die Preßluftflasche mit Zeitventil verwenden. – Ich fühle mich erst wieder wohl, wenn diese beiden Männer tot sind.« »Vielleicht sind sie gerissener als wir denken.« »So gerissen wie ich kann kein Mensch sein«, sagte er schlicht, und meinte es auch wirklich so. Ein Zeichen dafür, daß sein Selbstwertgefühl weit über dem normal üblichen Maß lag. »Für ihren Trick werden sie büßen. Du kannst gleich deine Sachen holen und dich anstellen lassen. Wenn alles klappt, wissen wir in der kommenden Nacht Bescheid, Joan.« Die schwarzhaarige, junge Frau nickte nur. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Zum ersten Mal seit Monaten hatte sie Angst…! * Am Abend dieses Tages hielt ein Taxi vor dem Hotel Flanders. Der Fahrer stieg eilfertig aus und riß den hinteren Wagenschlag auf. Zwei Hotelboys schossen aus der Halle und nahmen den neuen Gast in Empfang. Eine Dame undefinierbaren Alters – sie konnte sowohl sechzig als auch achtzig Jahre alt sein – ließ sich aus dem Wagen helfen. Sie
trug sehr bemerkenswerte Kleidung, die aus den Jahren der Zeitwende zu stammen schienen. Ihr großer Hut war mit Reiherfedern besetzt. Durch ein Lorgnon beobachtete sie das Ausladen ihres umfangreichen Gepäcks, um ihren faltigen Hals schlangen sich Perlenschnüre. Auch die beiden Broschen und Agraffen schienen mehrere Karat schwer zu sein. Diese Frau roch nach einem süßlichen Parfüm, aber sie stank nach Geld. Entsprechend mager fielen die Trinkgelder aus. Wie ein Feldwebel dirigierte sie beide Boys und den Hausdiener. Ihre Stimme erinnerte an das Bellen eines heiseren Hundes. Die grau-grünen Augen in dem rosig angemalten Gesicht musterten aggressiv den Portier hinter der Reception. Der verkniffene Mund gab erstklassige weiße, aber leider auch falsche Zähne frei. Sie hieß Agatha Powder und sagte es laut und deutlich. Sie berief sich auf die telefonische Vorbestellung ihrer Suite. »Gewiß, Mrs. Powder«, dienerte der Empfangschef, der hinzugetreten war. »Es ist alles vorbereitet…!« »Hoffentlich auch sauber«, meinte sie kriegerisch und ließ das falsche Gebiß aufblitzen. »Ich hasse nichts mehr als Staub…!« »Madam, Sie werden sich wohl in unserem Haus fühlen.« »Das behaupten Sie, nicht ich. Lassen wir es darauf ankommen…! Ich wünsche jetzt, nach oben gebracht zu werden…!« »Wenn ich mir erlauben darf, Madam…!« »Wieso erlauben…? Es ist Ihre verdammte Pflicht, die Gäste hinaufzubringen«, schnitt sie seine höflichen Floskeln entzwei. »Hoffentlich sind die Zimmer auch ruhig… Und sicher. Ich führe meinen ganzen Schmuck mit mir.« »Darf ich vorschlagen, den Schmuck im Hoteltresor unterzubringen, Madam…?« »Sind sie wahnsinnig, junger Mann?« dröhnte sie aufgebracht. »Wollen Sie mich berauben? Ich traue keinem Hoteltresor…! Ich traue nur mir allein, merken Sie sich das…!« »Natürlich, Madam, natürlich…!« Als der Empfangschef vorausging, verdrehte er die Augen. Er hatte immer angenommen, durch nichts mehr erschüttert werden zu können. Diese Fregatte aber, wie er Mrs. Agatha Powder insgeheim nannte, war ein Sonderexemplar, das dem Faß die Krone ins Gesicht schlug! Am liebsten hätte er sie sofort wieder auf die Straße gesetzt, doch ihm war bekannt, wie immens reich Mrs. Powder war und welche erstklassigen Beziehungen sie zum Aufsichtsratsvorsitzenden un-
terhielt, der dem Hotelkonzern vorstand. Nein, hier war nichts zu machen. Man konnte nur die Zähne zusammenbeißen und versuchen, alles von der humorvollen Seite zu sehen. Dem Mann gingen die Augen über, als Mrs. Powder ihren Schmuck ausbreitete. »Ich muß ihn sehen«, verkündete sie mit der Lautstärke einer mittelstark geblasenen Trompete. »Schmuck beruhigt meine Nerven, junger Mann, doch das verstehen Sie noch nicht…! Wie ist der Tee in Ihrem Haus? Hoffentlich genießbar…!« »Bisher gab es niemals Klagen, Madam…!« »Wer kennt schon etwas von Tee?« dröhnte sie. »Worauf warten Sie eigentlich noch? Ich wünsche Tee zu trinken. Und mein Zimmermädchen zu sehen. Ich brauche eine Hilfe beim Auspacken meiner Koffer…!« »Ich werde sofort alles veranlassen«, knirschte der Empfangschef und wankte geknickt von dannen. Allein auf dem Korridor fluchte er ausgiebig und gekonnt. Er hätte diese Fregatte am liebsten sofort umgebracht oder versenkt, um bei dem Vergleich zu bleiben. Es gehörte mit zu den Zufällen, die das Leben so mit sich bringt, daß eine gewisse Joan Shadow, gerade frisch engagiert, in Mrs. Powders Zimmer geschickt wurde, um beim Auspacken zu halfen. Wie wichtig diese Begegnung war, wußten weder die streitsüchtige alte Dame, noch Joan Shadow, die plötzlich greifbar nahe vor sich einen Rettungsanker erblickte…! * Mike Rander kniff die Augen leicht zusammen, als das Tonbandgerät sich in Gang setzte. Er saß in einem tiefen Sessel des Direktionszimmers. Hinter ihm stand Josuah Parker. Straffer konnte man eigentlich schon nicht mehr stehen. Er glich einer Gestalt aus Granit. Der Manager des Hotels spielte mit einer Zigarre, die er vor lauter Erregung nicht anzuzünden vermochte. Zuerst war nur ein lautes Knacken im Lautsprecher des Gerätes zu vernehmen, doch dann klang eine Stimme auf, die im Grunde sympathisch und wohltuend klang. Doch was diese Stimme sagte, stand im krassen Gegensatz zum Ton. »Ich bin der Chef des >Blasrohr-Gang<«, war zu hören. »Bisher
haben meine Leute mit Chloroform gearbeitet. Es dürfte sich in Ihren Kreisen herumgesprochen haben, was ich meine. Ab sofort habe ich meine Arbeit umgestellt. Sie als Hotelleitung werden mir eine einmalige Summe von 20.000 Dollar zahlen. Wie Sie das Geld übergeben, bekommen Sie noch ausführlich gesagt. Falls Sie nicht zahlen, wird die Polizei in den Räumen Ihres Hauses einen Toten finden. Es wird sich um einen Gast handeln, den ich mit einem stark wirkenden Giftgas umbringen werde. Sie können diesen Betriebsunfall verhindern und damit Schaden von Ihrem Hotel abwenden. Ich denke, daß 20.000 Dollar dafür nicht zu viel sein werden. Nach Zahlung der Summe werde ich Sie nicht mehr belästigen. Es gibt hinreichend genug Hotels, die ich nach Ihnen noch abkassieren kann. Zahlen Sie nicht, wird ein zweiter oder auch ein dritter Gast in Ihrem Haus umkommen. Danach dürften Sie mit keinem einzigen Gast mehr rechnen können. Von mir aus können Sie sich ruhig an die Polizei wenden. Sie werden damit nichts erreichen. Ich empfehle Ihnen aber, den Mund zu halten und zu zahlen. In den nächsten Stunden werde ich Sie wieder anrufen und Ihnen sagen, wie Sie das Geld an mich zu zahlen haben.« Der Hotelmanager, ein schlanker, drahtiger Mann von etwa fünfzig Jahren, stellte das Gerät ab und nahm seine Brille ab. Auf seiner Stirn hatten sich dicke Schweißtropfen gebildet. Seine Hände zitterten, als er sich nun endlich die Zigarre anzündete. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, sagte er, sich an Mike Rander wendend. »Man hat den Eindruck, es mit einem Irren zu tun zu haben.« »Möglich, daß das sogar stimmt. Die Warnung würde ich allerdings nicht auf die leichte Schulter nehmen, Mr. Sheppard.« Mike Rander stand auf und entnahm dem schwarzen Lackkästchen auf dem niedrigen Tisch eine Zigarette. Josuah Parker versorgte seinen jungen Herrn mit Feuer. Mike Rander nickte dankend und sah den Butler an. »Ich schließe mich mit allem schuldigen Respekt Ihrer Ansicht an, Sir«, sagte er. »Dieser Mann blufft nicht! Seine neue Methode ist ebenso raffiniert wie mörderisch. In einem großen Hotel ist es eine Kleinigkeit für einen entschlossenen Mörder, irgendeinen Gast umzubringen.« »Sie meinen also, daß wir zahlen sollten?« Mr. Sheppard sah Mike Rander entgeistert an.
»Vorerst müssen wir den nächsten Anruf abwarten«, beruhigte der Anwalt sein Gegenüber. »Der >Blasrohr-Mörder< will ja noch mitteilen, wie das Geld übergeben werden soll.« »Aber wir können doch nicht so einfach 20.000 Dollar zum Fenster hinauswerfen?« regte sich Mr. Sheppard auf. »Wie soll ich das den Aktionären gegenüber verantworten?« »20.000 Dollar sind recht wenig für ein Menschenleben«, warf Josuah Parker ein. »Falls Sie nicht zahlen, wird ein Hotelgast sterben. Der >Blasrohr-Mörder< wird Sie so lange unter Druck setzen, bis Sie endlich gezahlt haben. Rechnen Sie mit der Presse, Sir…! Sobald bekannt wird, daß dieser Gangster in Ihrem Hotel arbeitete, wird jeder Besucher das Tafton Hotel meiden.« »Wozu werden Sie denn von unserem Verband engagiert?« erwiderte Mr. Sheppard. »Bitte, verstehen Sie das nicht persönlich…! Aber wir können uns doch nicht erpressen lassen.« »Dieser Fall gehört in die Hände der Polizei«, antwortete Mike Rander. »Ich rate Ihnen dringend, sich an die Polizei zu wenden.« »Sie wollen also aussteigen?« »Natürlich nicht, Mr. Sheppard; wir drehen nicht bei…! Aber hier geht es nicht mehr um das Ausrauben von Hotelgästen, hier droht ein Gangster mit Mord. Das verändert die Sachlage ganz gründlich!« »Sehen Sie denn keine Möglichkeit, dem Schuft das Handwerk zu legen?« »Offen gesagt, nein, Mr. Sheppard. Wir wollen Ihnen nichts vormachen. Wir besitzen kaum eine Handhabe. Es gibt eine schwache Spur, doch die überschätzen wir nicht.« »Dieser >Blasrohr-Mörder< ist ein Teufel«, schnaufte der Manager. »Er kennt genau unsere Schwächen. Er weiß, daß wir Hotels uns keinen Skandal leisten können. Er kann Haus für Haus ausplündern und dabei ein Vermögen machen. Wenn ich nur daran denke, wieviel Hotels es allein auf Manhattan gibt…!« »Ich schlage vor, Sie setzen sich mit Ihrem Dachverband in Verbindung und verhandeln wegen der zwanzigtausend Dollar«, meinte der junge Strafverteidiger. »Im Interesse der Sicherheit Ihrer Gäste müßte eine Art Notfonds gebildet werden, aus dem die einzelnen Erpressergelder gezahlt werden.« »Aber das ist doch gleichbedeutend mit einer Bankrotterklärung«, resignierte der Manager. »Sie haben recht, Mister Rander, wir brauchen eine Notkasse. Ich fürchte, wir werden nicht nur einmal
zahlen müssen.« »Malen Sie nicht den Teufel an die Wand«, beschloß Mike Rander die Unterhaltung. »Und was die Polizei angeht, so werde ich mit ihr reden. Allein kann ich die Verantwortung nun nicht mehr tragen.« »Glauben Sie, daß dieser >Blasrohr-Mörder< sich in das Hotel einschleicht?« »Natürlich, denn nur so kann er seine Drohung wahr machen.« »Ob er denn nur mein Hotel angerufen hat?« »Das werden Ihnen die Kollegen der anderen Hotels sagen können. Es würde mich nicht wundern, wenn ähnliche Anrufe in anderen Hotels registriert worden sind. Gut, daß Sie dieses Gespräch sofort auf Tonband festgehalten haben. Das kann später sehr wichtig werden. Übergeben Sie das Band der Polizei.« »Vielleicht könnte man jeden ankommenden Hotelgast diskret überwachen und sein Gepäck durchsuchen«, schlug der Manager in seiner Verzweiflung vor. »Wie wollen Sie das bewerkstelligen?« gab Mike Rander kopfschüttelnd zurück. »Denken Sie an die Zahl der täglich eintreffenden Gäste! Wollen Sie künstlich Unruhe schaffen?« »Demnach sind wir diesem Gangster also wehrlos ausgeliefert?« wiederholte der Manager noch mal. »Augenblicklich ja, machen wir uns nichts vor! Seine Drohung, einen x-beliebigen Hotelgast umzubringen, bindet uns die Hände. Tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen.« Josuah Parker hielt sich erstaunlich zurück. Er beteiligte sich kaum an der Unterhaltung. Er fixierte die gegenüberliegende Wand und schien seinen meist krausen Gedanken nachzuhängen. Seinem Gesicht war nicht zu entnehmen, ob ihm nun der rettende Einfall gekommen war…! * Der »Blasrohr-Mörder« hatte bereits sechs Hotels auf Manhattan angerufen und in panische Angst versetzt. – Ihm kam es darauf an, breit zu streuen und Grauen zu verbreiten. Er zweifelte zwar nicht am Erfolg, doch er wollte die Hoteldirektionen zusätzlich zur schnellen Zahlung antreiben. Dazu wollte er ein Exempel statuieren. Mit anderen Worten, er plante einen ersten Mord!
Zwei Möglichkeiten boten sich ihm an. Entweder gab er seinem Rachegedanken nach und ermordete Rander und Parker. Damit entledigte er sich ja gleichzeitig zweier gefährlicher Gegner, die ihn etwas nervös machten. Oder er ließ einen völlig Unbeteiligten sterben, was für ihn zumindest gefahrloser war. Noch hatte er sich nicht entschieden. Er wollte einen Anruf Joan Shadows abwarten. Falls sie genau angeben konnte, wo die beiden Männer Rander und Parker wohnten, war die Sache für ihn so gut wie entschieden. Noch hatte sie sich nicht gemeldet. Er hatte also Zeit, die ohnehin notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Der Mörder setzte sich in seinen Wagen und fuhr hinüber zur Westseite von Manhattan. Hier in unmittelbarer Nähe der riesigen und weiträumigen Kaianlagen hatte er sich eine kleine Werkstatt gemietet. Nach außen hin zeigte er sich hier, wo ohnehin kaum Fragen gestellt wurden, als Techniker für Kühlaggregate. Ein entsprechendes Firmenschild am Eingang zur Werkstatt wies darauf hin. In dem kleinen, verwahrlosten Steinbau, der in einem engen und dunklen Hinterhof stand, befanden sich tatsächlich einige ausgeschlachtete Kühlschränke und -truhen. Prospekte führender Firmen bedeckten die kahlen Wände. Das Werkzeug auf der langen Werkbank war neu und reichhaltig. Der »Blasrohr-Mörder«, brauchte solch eine Werkstatt. Es genügte nicht, ein stark wirksames; Gift zu besitzen. Er mußte auch in der Lage sein, es in Stahlzylinder abfüllen zu können. Da das Giftgas unter Druck ausströmen sollte, mußte er es komprimieren. Mit viel Improvisation und geschickten Händen hatte er sich einen kleinen Kompressor zusammengebastelt und dabei die Teile aus den ausgeschlachteten Eisschränken benutzt. Für einen erfahrenen Techniker bedeutete das keine Schwierigkeit. Er war in der Lage, bis zu vier Atmosphären Druck zu erzeugen. Mehr brauchte er nicht. Der Mörder hatte vier Stahlflaschen gefüllt und vorbereitet. Er brauchte sie nur noch in die Hotels einzuschmuggeln. Sinnreiche Ventile, die mit einfachen Uhrwerken gekoppelt waren, ließen es zu, den Austritt der komprimierten Gase auf die Genauigkeit von etwa einer Minute zu regulieren. Der mittelgroße Mann, der jetzt ohne Sonnenbrille zu erkennen war, besaß eine hohe Stirn und ein etwas fliehendes Kinn. Seine
Augen lagen tief in den Höhlen. In ihnen brannte ein gefährliches Feuer. Er sah aus wie ein Fanatiker aus dem Mittelalter. Seine Art, Selbstgespräche zu führen, deutete weiter darauf hin, daß er die Selbstkontrolle über sich verloren hatte. Er blieb vor dem Regal stehen, auf dem die vier Stahlzylinder standen. Er maß sie mit fast liebevollen Blicken. Jede Flasche war ein Vermögen wert, wenigstens in seinen Augen. Er rechnete fest damit, daß die Hoteldirektionen kapitulierten und prompt zahlten. Wegen der Übergabe der Erpressungsgelder machte der Mann sich keine Sorgen. Er wollte einfach und sicher arbeiten. In den Straßenschluchten gab es genug junge Burschen, die für ein gutes Trinkgeld bereit waren, einen kleinen Auftrag auszuführen. Sie sollten die Päckchen mit den Banknoten abholen und ihm in die Hände spielen. Der Mann dachte nicht im Traum daran, daß die Hoteldirektionen sich an die Polizei wenden würden. Taten sie es doch, so wollte er sie mit einem seiner Stahlzylinder beehren. Es gab noch zehn weitere davon, die allerdings leer waren. Der Mörder hatte sich diese druckfesten Zylinder in New Jersey besorgt, und das selbstverständlich unter falschem Namen. Er war nach allen Seiten hin abgesichert. Nachdem er die beiden Mitarbeiter Clive und Sammy ermordet hatte, gab es keine faule Stelle mehr in seinem System. Die Killer, die er Lactons und diesem Parker auf den Hals geschickt hatte, wußten von nichts. Blieb also nur Joan Shadow. Sie hatte Angst gezeigt. Er fragte sich, ob sie auch weiterhin zu ihm halten würde. Besaß sie noch die Nerven, um gerade jetzt mitzumachen? Sie selbst hatte ja zugegeben, daß sie mit Mord nichts zu tun haben wollte. Ich werde sie nicht aus den Augen lassen, sagte sich der Gangster. Sobald ich feststelle, daß sie weich wird, werde ich sie mir vom Halse schaffen! Gerade jetzt, wo ich großes Geld machen kann, werde ich doch nicht aufhören! Was sind schon die 20.000 Dollar, die ich bisher einnahm? Doch nur ein Taschengeld gegen die Summe, die ich ab sofort zugespielt bekomme. Der Mörder nahm eine elegante Ledertasche vom Regal und packte einen Druckzylinder ein. In seinem Apartment wollte er auf Joans Anruf warten. In gehässiger Vorfreude dachte er an die beiden Männer Mike Rander und Josuah Parker. Sie hatten es gewagt, sich gegen ihn zu stellen. Dafür sollten und mußten sie bezahlen!
* Mrs. Agatha Powder lag schnarchend im Bett und sah selbst jetzt noch furchteinflößend aus. Sie trug ein altertümliches Nachthemd mit sehr vielen Rüschen und hatte sich eine Schlafhaube über den Kopf gezogen. Leise und rhythmisch klirrten die Scheiben des Doppelfensters. Stunden nach Mitternacht – es ging auf 3.00 Uhr zu – wachte sie plötzlich auf. Ein feines Schnarren unter dem Kopfkissen hatte sie aufgeschreckt. Mrs. Agatha Powder öffnete fast ohne Übergang die Augen, blieb aber unbeweglich liegen. Selbst ihr Schnarchen unterbrach die stattliche, alte Dame nicht. An der inneren Tür der Doppeltür tat sich etwas, was nicht normal war. Das seltsame Schnarren unter dem Kopfkissen meldete ihr das. Ein feiner Draht, der unter dem Kopfkissen hervorkam, führte vom Bett hinüber zur Tür. Mrs. Agatha Powder, alias Rosy Ballden, die von Josuah Parker engagiert worden war, hatte ihre Vorkehrungen getroffen. Sie wunderte sich allerdings, daß ihr Alarmgerät bereits in der ersten Hotelnacht ansprach. Um besser hören zu können, durfte sie nicht mehr schnarchen. Sie motivierte diese Unterbrechung ungemein eindrucksvoll. Mrs. Powder, um bei diesem Namen zu bleiben, wälzte sich im Bett herum. Die malträtierten Federn ächzten und quietschten. Dann fand der schwere Körper seine Lage. Es wurde ruhig im Zimmer. Sie hatte den quäkenden Summer unter dem Kopfkissen abgestellt. Mrs. Powder hörte jetzt ein scharrendes Geräusch an der Tür. Und Sekunden später schnuppterte sie den typischen Geruch von Chloroform. Innerlich triumphierte die massige Frau. Das klappte ja wie am Schnürchen. Die ausgiebig gezeigten Juwelen hatten bereits gewirkt. Der »Blasrohr-Gang«, von dem ihr Bekannter Parker gesprochen hatte, war bereits am Werk. Sie ließ sich Zeit. Sie setzte sich ohne Hast oder Angst eine Gasmaske auf und hob den Revolver, Kaliber 38, vom Nachttisch. Sie entsicherte die Waffe und wartete ab! Das Zimmer wurde von der Außenreklame des Hotels spärlich erhellt, doch diese Beleuchtung fand Mrs. Powder als gerade rich-
tig. Sie faßte sich in Geduld, lüftete hin und wieder die Maske und schnupperte. Ja, der erste Eindruck war richtig gewesen. Weiteres Betäubungsgas strömte ins Zimmer. Der Geruch war schwer und süß geworden. Endlich, nach langen Minuten, senkte sich die Türklinke. Mrs. Agatha Powder machte sich bereit. Sie hätte per Telefon längst Hilfe heranrufen können. Doch dieser Gedanke kam ihr einfach nicht. Sie hatte keine Angst! Geräuschlos öffnete sich die Tür. Noch konnte Mrs. Powder nichts erkennen. Regungslos lag sie im Bett und bereitete sich darauf vor, von einer Taschenlampe angeleuchtet zu werden. Kaum gedacht, flammte hinter dem Türspalt auch schon ein grelles Licht auf. Der Strahl der Taschenlampe wanderte durch das Zimmer und blieb auf ihrem faltigen Gesicht haften. Agatha Powder zuckte mit keiner Wimper. Schwer und tief atmend lag sie im Kissen. Sie schien sich in Betäubung zu befinden. Sie bot eigentlich einen mitleiderregenden Anblick. Der Lichtschein wanderte weiter, glitt zum Toilettentisch und blieb dort einen kurzen Augenblick. Dann wurde das Licht abgeschaltet. Schnelle und leise Schritte hasteten durch das Schlafzimmer. Der Eindringling blieb für ein paar Sekunden am Bettende stehen und belauschte die scheinbar Schlafende. Dann ging er weiter zum Toilettentisch. Dort stand ein umfangreicher Schmuckkoffer: das Ziel! Mrs. Powder lachte in sich hinein. Vorsichtig richtete sie sich auf. Sie zeigte zwar die Grazilität eines Flußpferdes, aber auch die Schnelligkeit einer Pantherkatze. Diese Frau war verblüffend. Sie schaffte es, sich ohne Geräusch aufzurichten. Nun erkannte sie die Gestalt, die die Schubladen des Toilettentischchens aufzog. Mrs. Agatha Powder hob den entsicherten Revolver und machte sich, lautstark bemerkbar. »Schämen Sie sich, eine alte Frau zu erschrecken!« brüllte sie durch das Mundstuck der Maske. Blechern, hohl und unheimlich klang ihre Stimme. Dann hustete sie schrecklich auf. Sie hätte für ein paar Minuten ohne Maske bleiben müssen. Das war, als sie von dem Eindringling angeleuchtete worden war. Das Betäubungsgas kratzte in der Kehle. Das Husten aber klang wie das Scheppern zweier Bleche, die man gegeneinander schlägt. Der Eindringling am Tisch schrak fürchterlich zusammen. Er dreh-
te sich blitzschnell um. Auch er trug eine Atemmaske und sah darin wie ein Rüsseltier aus. »Rühren Sie sich nicht von der Stelle«, dröhnte Mrs. Agatha Powder weiter. Doch der Eindringling am Tisch hörte nicht darauf. Er wollte sich absetzen. Da er keine Waffe in der Hand hielt, verzichtete die alte Dame fairerweise darauf, ihren 38er sprechen zu lassen. Am Fußende des Bettes prallten sie zusammen. Der Eindringling hatte an Masse und Gewicht nichts zu bieten. Er wurde von den Massen Mrs. Powders förmlich zurückgeworfen und taumelte gegen den Kleiderschrank. Hier raffte er sich auf und riskierte einen zweiten Anlauf. Er wollte die alte, kriegerische Dame täuschen und leerlaufen lassen. Doch mit solchen Tricks durfte man Agatha Powder nicht kommen. Sie durchschaute auf Anhieb diese Kriegslist und warf sich auf den Gegner. Jetzt wurde es dramatisch. Der Eindringling schrie entsetzt auf, fiel zu Boden und wurde von Mrs. Powders Massen begraben. Er verschwand förmlich unter der alten Dame, die sich auch von Judokniffen nicht unterkriegen ließ. Ja, Mrs. Powder beantwortete diese Griffe mit anderen und besseren Tricks. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis ihr Gegner still und wie leblos unter ihr liegen blieb. »Manieren sind das…!« murmelte Agatha Powder, als sie sich erhob. Sie schaltete das Licht ein und öffnete die beiden Fenster. Frische Luft drang in den verpesteten Raum. Um den Gegner völlig wehrlos zu machen, wollte Agatha ihm die Maske abziehen, denn auch der Eindringling hatte sich gegen das Betäubungsgift geschützt. Mrs. Powder beugte sich hinunter und entfernte also die Maske. Sie öffnete erstaunt die Augen, als sie ein bleiches und blutleeres Frauengesicht erkannte. Schwarze Haare umrahmten es. Die Frau, die einen engen Kittel und schwarze Strumpfhosen trug, sah jetzt zierlich und hilflos aus. Agatha Powder trat an das Telefon und klingelte Josuah Parker aus dem Schlaf. Mit lauter Stimme, die durch das Atemstück aber gebremst wurde, teilte sie mit, was sich gerade in ihrem Zimmer ereignet hatte. Dann legte sie auf, ging zur Tür und fand hier eine Insektenspritze, an die ein Blasrohr und ein kleiner Druckluftbehälter befestigt waren…!
* Parkers Stimme war sanft wie die eines Psychiaters. Er befand sich zusammen mit Joan Shadow allein im Hotelzimmer. Mike Rander und Agatha Powder hatten sich zurückgezogen, damit der Butler seinen Charme ungestört entfalten könne. »Die Indizien, Miß Shadow, sind doch wirklich nicht zu übersehen«, meinte er geduldig, nachdem Joan unentwegt abgestritten und geleugnet hatte. »Als Amateur wären Sie gar nicht in der Lage gewesen, sich dieses Spritzgerät zu beschaffen. Sie sind ein Mitglied des >Blasrohr-Gang<.« »Ich habe die Spritze im Keller des Hotels gefunden«, antwortete sie hartnäckig und auch ein wenig müde. »Ich weiß überhaupt nicht, was dieser >Blasrohr-Gang< eigentlich ist.« Sie gähnte und litt offensichtlich noch unter den Nachwirkungen der Chloroform-Betäubung. »Sie bleiben bei der Behauptung, nichts über den Mord an Hermy Lactons zu wissen?« »Ich habe keine Ahnung…! Sie haben überhaupt kein Recht, mich hier im Hotelzimmer festzuhalten. Rufen Sie doch endlich die Polizei an!« »Ich werde Ihrem Wunsch selbstverständlich nachkommen«, erwiderte Josuah Parker höflich und zuvorkommend. »Dort wird man andere Mittel und Wege finden, Sie zum Reden zu bringen. Was versprechen Sie sich eigentlich von der Polizei…? Verwendung von Chloroform kann einem Mordversuch gleichkommen. Sie wissen doch, wie gefährlich dieses Betäubungsgift ist.« Sie schwieg und biß sich auf die Lippen. Ob sie endlich eingesehen hatte, wie gering ihre Chancen waren? Josuah Parker ließ ihr keine Zeit, sich neue Ausreden auszudenken. Er stand auf und beschäftigte sich mit einem Tonbandgerät. Er hatte es sich von dem erpreßten Manager des Tafton-Hotels ausgeliehen. Ruckartig hob Joan Shadow den Kopf, als sie eine ihr sehr vertraute Stimme hörte. Der »Blasrohr-Mörder« wiederholte auf der Tonband-Wiedergabe seine Worte. Joan rutschte förmlich in sich zusammen. Sie war fertig mit ihren Nerven. Sie hörte genau heraus, wie tödlich die Drohungen ihres Freundes und Chefs waren. So hatte sie sich das alles nicht vor-
gestellt. »Noch kennt die Polizei dieses Tonband nicht«, redete Parker weiter. »Wie werden die Polizeibehörden wohl reagieren, wenn sie diese Mordandrohungen hören, Miß Shadow? Sie sitzen in einer bösen Falle. Sie sind Mitwisserin! Man wird Ihnen unterstellen, sich an der Ermordung von Hermy Lactons beteiligt zu haben!« Sie schwieg und sah zu Boden. »Sie sind noch recht jung, Miß Shadow«, bohrte der Butler weiter. »Sie ahnen nicht, wie es hinter Gittern eines Zuchthauses aussieht…! Jeder Tag wird zu einer Hölle werden. Ihr Gewissen wird Sie ununterbrochen anklagen. Wenn Sie Glück haben – vielleicht – kommen Sie als alte und verbrauchte Frau wieder zurück in die Freiheit. Ich weiß nicht, ob das erstrebenswert ist.« »Was soll ich denn tun?« fragte sie mit leiser Stimme. »Bieten Sie sich den Behörden als Kronzeugin an«, schlug Josuah Parker vor. »Versprechen kann ich Ihnen nichts. Ich weiß nicht, wie die Polizei reagieren wird. Aber ein Geständnis dürfte Ihre Lage wesentlich erleichtern, zumal sie ja mithelfen, diesem >Blasrohr-Mörder< das Handwerk zu legen. Ich möchte Sie auf keinen Fall unter Druck setzen. Mißverstehen Sie mich bitte nicht! Sie müssen sich ganz allein und frei entscheiden!« Parker wurde von Mike Rander unterbrochen. Er stand in der halb geöffneten Tür und winkte den Butler zu sich heran. Er drückte ihm dann wortlos eine Liste in die Hand. Aus ihr ging hervor, in welchen Hotels Joan Shadow unter ihrem richtigen Namen bereits gearbeitet hatte. Die Namen dieser Hotels waren identisch mit den Häusern, in denen Hotel-Gäste mit Chloroform betäubt und dann ausgeraubt worden waren. Diese an sich unscheinbare Liste gab den letzten Anstoß. Parker ging nämlich zu der jungen schwarzhaarigen Frau zurück und drückte ihr den Bogen in die Hand. Zuerst sah Miß Shadow erstaunt hoch, dann überflog sie die Namen der Hotels. Ihre Hände zitterten plötzlich. Sie senkte den Kopf und begann hemmungslos zu weinen. Sie gab auf, das war klar zu erkennen. Sie besaß nicht mehr die Kraft, den Chef des Gangs zu verteidigen. Parker gönnte ihr einige Minuten Zeit. Dann wurde er aber sehr genau und stellte seine Fragen. Er erhielt Antworten, mit denen er nicht gerechnet hatte. Joan Shadow sagte rückhaltlos die Wahrheit…!
* »Der Versuch, Mrs. Powder auszurauben, war eine Kurzschlußhandlung«, sagte Anwalt Mike Rander zu Leutnant Stan Traggle von der Mordkommission Manhattan West. »Sie wollte sich von ihrem Chef lösen und mit dem gestohlenen Geld verschwinden. Unser Glück, daß sie an Agatha Powder geriet!« »Sie kommen reichlich spät mit Ihren Tips«, meinte Leutnant Traggle. »Wenn Sie Pech haben, wird es Ärger für Sie geben.« »Ich habe keine Angst«, antwortete Anwalt Rander und lächelte. »Wir legen Ihnen doch den fast gelösten Fall auf den Tisch. Hätten Sie die beiden Morde an Clive und Sammy so schnell aufklären können? Doch wohl kaum! Von Miß Shadow aber wissen wir jetzt, daß sie auf das Konto des >Blasrohr-Mörders< gehen!« »Nun ja, das stimmt.« Leutnant Traggle grinste und winkte ab. Er wußte nur zu gut, was Mike Rander und Josuah Parker bisher geleistet hätten. Er wog das Tonband in der Hand. Er hatte es sich vor wenigen Minuten erst vorspielen lassen. Wort für Wort kannte der Detektivleutnant nun die tödlichen Drohungen, die der »Blasrohr-Mörder« ausgestoßen hatte. Auch Leutnant Traggle spürte sofort, daß es keine leeren Drohungen waren. »Von Joan Shadow wissen wir weiter, daß der Mörder einen unbändigen Haß auf seine Mitmenschen haben muß«, berichtete Mike Rander weiter. »Er arbeitete noch vor wenigen Jahren als Techniker in einem Elektrobetrieb. Er, fühlte sich verkannt und glaubte, um die Früchte einiger seiner Erfindungen betrogen worden zu sein. Damals muß er auf den Gedanken gekommen sein, sich zu rächen und sich Geld zu beschaffen. Laut Joan plant er, weitere Erfindungen zu machen. Er will nur unabhängig sein und sich nicht mehr herumstoßen lassen.« »Demnach ist sein Name also bekannt?« »Joan kennt ihn unter dem Namen Ben Camster. Er dürfte seinerzeit in Davenswort gearbeitet haben. Sie werden schnell herausfinden, ob diese Angaben stimmen, Leutnant. Was noch wichtiger ist, Sie werden bestimmt ein Foto dieses Mörders auftreiben können. So etwas muß ja in allen früheren Personalakten vorhanden sein.« »Ich werde mich sofort darum kümmern. Und wo steckt er jetzt
hier in Manhattan? Das wird diese Shadow Ihnen doch auch verraten haben, ja?« »Sie kennt das Apartment, in dem er wohnt. Es liegt an der Westseite von Manhattan, in der Nähe der Kaianlagen. Es ist die 50. Straße, Ecke Westend-Avenue.« »Dann kann’s ja losgehen«, gab Leutnant Traggle zurück. »Ich werde den Bau sofort ausräuchern lassen.« »Hoffentlich haben wir Glück und erwischen Camster. An Ihrer Stelle, Leutnant, wäre ich sehr vorsichtig. Joan sagt, Camster sei krankhaft mißtrauisch.« »Dagegen läßt sich etwas unternehmen, Rander. Warten Sie, ich werde schnell meine Leute informieren.« Rander nickte, zündete sich eine Zigarette an und trat ans Fenster. Er war froh, sich an die Polizei gewendet zu haben. Hoffentlich hatten die Beamten Glück und konnten den »BlasrohrMörder« auf Anhieb festnehmen. Merkte dieser Mann aber, daß er verfolgt wurde, konnte er endgültig durchdrehen und zu einem reißenden Tier werden. Nach Joans Schilderung war er ganz der Typ dafür. »So, das wäre erledigt«, sagte Traggle, der seine knappen Befehle durchgegeben hatte. »Wir beschränken uns erst mal darauf, das Haus zu überwachen.« »Vielleicht führt er uns dann in seine Giftküche«, erwiderte Mike Rander. »Joan weiß nicht, wo der Mörder sein Gift braut und die Preßluftflaschen füllt.« »Ich werde mich gleich mit ihr befassen, Rander. Vielleicht ist sie mir gegenüber redseliger. Zur Zeit ist mit ihr nichts zu machen. Sie scheint so etwas wie einen Nervenzusammenbruch zu haben. Sie weint ununterbrochen.« »Das wird die Erleichterung darüber sein, daß sie von Camster losgekommen ist. Sie hat die ganze Zeit über Angst gehabt, er könnte auch sie umbringen.« »Ich verstehe nicht, wie sie sich an diesen Mann anschließen konnte.« »Zuerst war’s wohl echte Liebe, doch dann spannte er sie in seine Dienste ein und machte sie zu seiner Mitwisserin. Vor lauter Angst getraute sie sich nicht, ihn zu verlassen. Sie allein weiß ja, wie unberechenbar und gefährlich dieser Camster ist.« »Er dürfte inzwischen einen ausgewachsenen Tick bekommen haben, wie?«
»Richtig, selbst Joan Shadow glaubt inzwischen daran. Sie meint, er habe jede Selbstkontrolle über sich verloren.« »Dann wird’s höchste Zeit, daß er hinter Schloß und Riegel landet. Was werden Sie jetzt tun, Rander? Ihre Arbeit ist doch eigentlich getan.« »Ich möchte mich lieber nicht festlegen, Traggle.« »Sagen Sie, Rander, wer ist eigentlich dieser Parker? Gewiß, er ist Butler, aber der Bursche scheint es doch faustdick hinter den Ohren zu haben.« »Sie liegen richtig.« »Wo steckt er denn eigentlich?« »Bestimmt draußen auf dem Korridor. Sie haben keine Ahnung, Traggle, wie diskret er ist.« »Ein tolles Exemplar, Rander. Und er ist wirklich so ein Gangsterjäger?« »Er stellt mich glatt in den Schatten, Traggle. Er hat’s in den Fingerspitzen. In Wirklichkeit bin ich nichts anderes als sein Assistent.« »Ich möchte mich auf jeden Fall auch bei Ihnen bedanken«, meinte der Detektivleutnant. Zusammen mit Mike Rander verließ er sein Dienstzimmer. Draußen auf dem Korridor sah er sich nach dem Butler um, doch Josuah Parker war weit und breit nicht zu sehen. »Ihm scheint die Zeit zu lang geworden zu sein«, sagte Traggle und lächelte arglos. Mike Rander aber lächelte nicht. Ihm war aufgegangen, daß Josuah Parker sich abgesetzt hatte… »Ich fürchte«, meinte er nervös, »daß mein Butler sich den Fall des >Blasrohr-Mörders< nicht aus den Händen nehmen läßt.« »Was soll das heißen?« »Parker ist noch immer auf dem Kriegspfad«, erklärte Mike Rander lakonisch. »Er startet wieder mal zu einem seiner berühmten Alleingänge. Ich glaube, Traggle, wir können uns wieder auf etwas gefaßt machen. Ich kenne doch meinen Butler…!« * Ben Camster, der »Blasrohr-Mörder«, hatte die Geduld verloren. Joan Shadow hatte sich selbst nach Stunden nicht gemeldet. Er spielte mehrfach mit dem Gedanken, im Hotel anzurufen und
nach ihr zu fragen. Doch aus Vorsicht unterließ er diesen Anruf. Es graute bereits, als er sein schäbiges, einfaches Apartment an der 50. Straße verließ. Er hielt es für angebracht, seine Wohnung aufzugeben. Mißtrauisch, wie er nun einmal war, glaubte er sich von Joan verraten. In seiner ersten, jähen Aufwallung dachte er daran, Joan zu ermorden. Doch dazu mußte er zumindest in das Hotel, in dem sie arbeitete. Dieses Risiko erschien ihm zu groß. Er nahm die Bügeltasche mit der Preßluftflasche und eilte hinunter auf die Straße. Sorgfältig verstaute er die mit Gift gefüllte Flasche auf dem Nebensitz, dann setzte er sich ans Steuer und fuhr los. Er wollte vorerst in seiner Werkstatt bleiben, um von dort aus die Lage und Entwicklung zu beobachten. Die Werkstatt kannte noch nicht mal Joan. Dort war er vollkommen sicher vor jeder Überraschung. Seine Augen hoben sich immer wieder zum Rückspiegel. Er suchte die Straße hinter sich nach einem auffälligen Fahrzeug ab. Noch hatte er nichts entdeckt, doch nach der übernächsten Kreuzung entdeckte er hinter sich einen Buick, der ebenfalls hinunter zu den Piers fuhr. Das konnte ein Zufall sein. Doch Camster ging der Sache auf dem Grund. Er schlug mit seinem Wagen einige Haken und bekam sobald heraus, daß der Buick ihm tatsächlich folgte. Sein Gesicht glich jetzt einer Maske. Er biß die Zähne wie im Krampf fest zusammen. Er wußte, daß man ihm auf der Spur war. Joan mußte ihn demnach verraten und verkauft haben. Ich werde mit ihr noch abrechnen, schwor er sich! Sie wird nicht mehr lange leben. Sie soll von dem Giftgas zu kosten bekommen, sie soll daran sterben…! Nach einer Viertelstunde hatte er herausgefunden, daß in dem Buick nur eine Person saß. Wer dieser Mann war, konnte er allerdings nicht erkennen. Ihm war das im Moment auch völlig gleichgültig. Hauptsache, dieser Verfolger ging ihm in die Falle und starb. Ben Camster war schlau und gerissen. Er dachte nicht daran, seine Werkstatt anzusteuern. Da er sich hier in der Hafengegend aber auskannte, wußte er, wo er den Verfolgten außer Gefecht setzen konnte. Der Mann würde seine Nase nie wieder in fremde Angelegenheiten stecken, dafür wollte er, Ben Camster, schon sorgen. Er gab plötzlich Gas, als habe er den Verfolger erst jetzt entdeckt.
Er fuhr allerdings nicht so schnell, daß er ihn abschüttelte. Er hielt ihn an einer unsichtbaren, langen, dünnen Leine und lotste den Buick auf einen verschwiegenen Hinterhof. Hohe Werkmauern schirmten ihn zur Straße hin ab. Nur tagsüber arbeiteten hier Menschen. Jetzt, in den Stunden vor dem Aufgehen der Sonne, tummelten sich hier nur Ratten. Scharf bremste Camster den Wagen ab, stieg schnell aus und verbarg sich hinter einigen, von Unrat überquellenden, viereckigen Müllkästen. Er zog seinen Revolver und wartete. Seine Lippen preßten sich fest zusammen und bildeten nur noch einen schmalen Strich. Da bog der Buick auch schon in den Hinterhof ein, der Verfolger ging in die Falle! Der Wagen wurde angehalten, der Fahrer stieg aus. Camster fürchtete sich nicht. Jetzt durfte keine Panne passieren. Er wollte warten, bis der Verfolger ihm den Rücken zukehrte. Der Mann tat ihm den Gefallen. Seine Gestalt hob sich jetzt gegen den langsam heller werdenden Himmel ab. Die runde Melone war unverkennbar, Camster wußte sofort, daß er es mit diesem Butler Parker zu tun hatte; seinem schärfsten Feind. Suchend sah der Butler sich nach allen Seiten um. Auch er war sehr vorsichtig. Er näherte sich dem leeren Wagen auf Umwegen. Er schien zu ahnen, daß der »Blasrohr-Mörder« ihn belauerte. Nun hatte er den leeren Wagen erreicht. Er klinkte die Tür auf und warf einen Blick in das Innere. Aber noch stand er nicht so günstig, wie Camster es wünschte. Der Mörder richtete sich jetzt zwar etwas auf und… schrak zusammen, als einige Ratten in der Nähe empört quietschten und dann raschelnd davonstoben. War der Butler von allen guten Geistern verlassen? Hörte er denn nicht, daß die Ratten erschreckt worden waren? Daraus ließen sich für einen geübten Mann doch wichtige Schlüsse ziehen. Aber nein, Josuah Parker beging sogar einen zweiten Fehler. Er drehte den Müllkästen sogar noch den Rücken zu. Dümmer konnte man sich eigentlich kaum noch verhalten! Der »Blasrohr-Mörder« war damit zufrieden. Endlich stand der Butler günstig. Er hätte jetzt einen Schuß lösen können. Der Rücken des Butlers bot sich förmlich dazu an. Doch der Mörder änderte seinen Plan. Er wollte den Verfolger erst mal in seine Gewalt bringen und dann mit ihm spielen. Er wollte ihn durch alle Stadien der Todesangst jagen und hetzen. Er sollte kurz vor sei-
nem Ende noch spüren, wie gefährlich es war, ihn, Ben Camster, zu jagen. »Bleiben Sie stehen und rühren Sie sich nicht…!« rief Camster den Butler an. Gleichzeitig trat er aus seinem Versteck hervor und richtete die Waffe auf Parker. Der Butler richtete sich überrascht und steif auf. Er riskierte es nicht, sich nach Camster umzuwenden. »Strecken Sie die Hände seitlich aus«, kommandierte der Mörder weiter. »Ich habe Sie genau vor mir, Parker…!« »Ich will es nicht bezweifeln«, erwiderte Josuah Parker. Seine Stimme bemühte sich um einen gleichgültigen Klang, doch Camster hörte die Angst und Überraschung heraus. Wenigstens bildete er sich das ein. Parker kam der Aufforderung nach und streckte die Arme seitlich aus. Mit schnellen Schritten war der Gangster knapp hinter ihm. Er preßte den Lauf gegen Parkers Rückgrat. »Nicht rühren«, warnte Camster, und seine Stimme bebte vor Triumph. »Auf diesen Moment habe ich gewartet…!« »Überschätzen Sie nicht die Streckkraft meiner Arme«, erlaubte sich der Butler zu sagen. »Ein alter, verbrauchter Mann wie ich ist nicht mehr sonderlich stark…!« »Und auch nicht klug«, kicherte Camster. »Wie ein dummer Trottel sind Sie in die Falle gelaufen…!« »Jeder Mensch macht mal einen Fehler«, antwortete Josuah Parker. »Darf ich höflichst danach fragen, was Sie mit mir vorhaben? Ich liebe die Klarheit…!« »Und ich erst…!« Ben Camster, der »Blasrohr-Mörder«, hob blitzschnell den Revolver und ließ ihn auf Parkers Hinterkopf niedersausen. Die schwarze steife Melone verschob sich und konnte den harten Schlag nur in etwa abbremsen. Wie vom Blitz getroffen, sackte der Butler in sich zusammen. Er. fiel auf die Knie, stieß mit der Stirn gegen den Wagen und blieb dann regungslos auf dem schmutzigen Boden liegen. Er hörte nicht mehr das triumphierende Kichern seines Mörders…! * »Gut, Sie wollen mich also umbringen«, sagte Josuah Parker. »Ich sehe mich außerstande, dagegen etwas zu unternehmen,
möchte Sie aber bitten, sich dabei etwas einfallen zu lassen. Ich hasse es, einer Revolverkugel oder einem Messer zum Opfer zu fallen.« Ben Camster, der »Blasrohr-Mörder«, grinste dünn. Zuerst wollte er sauer reagieren, doch dann ging sein Grinsen in ein dünnes Kichern über. »Sie haben Sinn für Humor«, sagte er zu Parker. »Ich wüßte nicht, was ich im Moment sonst zu bieten hätte«, gab Josuah Parker zurück. »Ich fürchte nur, daß Ihnen nichts einfallen wird.« »Wie wäre es mit Chloroform, wie im Falle Hermy Lactons?« »Der wurde erstochen«, widersprach Parker im normalen Tonfall, als unterhalte er sich mit dem Mörder über das Wetter. »Der Wattebausch mit Chloroform war nur eine mehr oder weniger geschmackvolle Dreingabe…!« »Sie werden sich wundern, was ich für Sie plane«, sagte der Mörder. Er drehte sich um und sah die mit Giftgas gefüllten Stahlzylinder an. Parker folgte diesen Blicken. Er hatte erreicht, was er wollte. Der Mörder ließ sich Zeit. »Ich wollte Sie in dieser Nacht ohnehin umbringen«, redete Camster weiter. »Sehen Sie dort die Preßluftflaschen auf dem Regal?« »Ich nehme an, Sie sind mit Chloroform gefüllt, ja?« »Mit Giftgas…!« »Oh, richtig, ich erinnere mich Ihrer Drohung an die Hoteldirektionen.« »Jede Flasche enthält ein Ventil, das sich nach Wunsch öffnet«, dozierte der Mörder weiter. »Ich kann eine ganz beliebige Stunde einstellen.« »Solch eine Flasche soll also in das Zimmer des jeweiligen Opfers gestellt werden?« »Eine geniale Idee, nicht wahr? Während ich längst in Sicherheit bin, bleibt die Stahlflasche als eine Art Zeitbombe zurück. Zu der eingestellten Stunde öffnet sich das Ventil und läßt das Giftgas ausströmen.« »Sie haben sich sehr viel Arbeit gemacht«, räumte Josuah Parker ernsthaft ein. »Ich wette, daß die Hoteldirektionen nach dem ersten Mord zahlen werden«, begeisterte sich der Mörder. »Ich werde Geld scheffeln…! Und dann bin ich in der Lage, meine Forschungsarbeit wie-
deraufzunehmen.« »An welchem Problem arbeiten Sie denn, wenn mir diese Frage gestattet ist.« Parker war zwar an Händen und Füßen gefesselt, doch er schien das bereits vergessen zu haben. Er saß in einem alten Sessel, an dessen Rückenlehne ihn der Gangster befestigt hatte. Ein plötzliches Aufstehen und Entkommen war so gut wie ausgeschlossen. Ben Camster hatte ihn nach dem Niederschlag im Wagen hierher in die geheime Werkstatt geschafft. Damit waren alle Spuren verwischt worden. Kein Mensen außer Camster wußte, wo der Butler steckte. Und Camster war ganz sicher nicht der Mann, der dieses Versteck freiwillig preisgab. »Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet«, mahnte Josuah Parker den Gangster. »Welches technische Problem beschäftigt Sie eigentlich?« »Mein Geheimnis werde ich keinem Menschen verraten«, tat der halbirre Gangster geheimnisvoll. »Alle sind hinter mir her, um mir meine Geheimnisse abzujagen. Doch ich bin schlauer…! Ich werde die Welt eines Tages überraschen.« Ben Camster sprach nur noch leise, er schien’ sich in einer anderen Welt zu befinden. Die Augen hatten einen irren Glanz angenommen, das Gesicht zuckte. In den Mundwinkeln bildeten sich feine Speichelbläschen. Der Übergang von der mörderischen Sachlichkeit zu der phantastischen Scheinwelt, des Mannes war selbst für den Butler beklemmend. Er sah und hörte, daß Joan Schadow nicht übertrieben hatte. Ben Camster war krank. Und es war eine sehr gefährliche Krankheit, die ihn befallen hatte. »Ich werde Ihrem Wunsch nachkommen und Sie ungewöhnlich sterben lassen«, meinte Camster. »An Ihnen werde ich ausprobieren, ob meine Giftflaschen auch richtig funktionieren. Seien Sie sich dieser Ehre voll bewußt!« »Ich werde mich ehrlich bemühen«, antwortete Josuah Parker ernst. »Legen Sie Wert auf bestimmte Formen, die ich einhalten soll?« »Sie sind wohl wahnsinnig, wie?« fuhr der Mörder da hoch und schien wieder vollkommen normal zu sein. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Na, Sie werden sich wundern, wie schnell und ohne Formen Sie sterben werden…!« »Jetzt erkenne ich in Ihnen wieder den brutalen und eiskalten Mörder«, stellte Parker mit Genugtuung fest. »Eben noch bedau-
erte ich Sie fast und hielt Sie für wahnsinnig. Jetzt aber weiß ich, daß ich es mit einem abgebrühten Mörder zu tun habe…!« »Ob Mörder oder nicht, ich werde Geld scheffeln. Und allein darauf kommt es an…! Sehen Sie sich die Zeituhr am Ventil an. Ich werde sie so einstellen, daß das Gift in einer halben Stunde ausströmen wird. Dreißig Minuten lang haben Sie Zeit, sich auf den Tod vorzubereiten. Diese Zeit mag Ihnen zur Hölle werden, Sie Schnüffler…!« Parker schwieg. Natürlich war der Mann krank, daran gab es nichts zu deuteln. Er stellte eine ungeheure Gefahr für die Öffentlichkeit dar. Nach dem ersten gelungenen Mord würde dieser Mann sich steigern und maßlos werden. Das Uhrwerk knarrte, als Camster es aufzog. Er stellte die Zeit ein und stellte die Flasche auf einen Tisch. Parker war es unmöglich, sie zu erreichen. Dafür konnte er aber das kleine Zifferblatt der Uhr genau beobachten. Camster tat alles, um die dreißig Minuten qualvoll auszudehnen. »Während Sie hier sterben werden, befasse ich mich mit Ihrem Begleiter«, sagte Camster. »Ich bringe jeden um, der meine Arbeit stören will.« »Lassen Sie wenigstens das Licht brennen, damit ich das Zifferblatt beobachten kann«, bat Parker. »Ich hätte es sowieso nicht abgestellt«, lachte der Mörder. »Sobald das Ventil zischt, hat es sich geöffnet. Dann tritt das Giftgas aus. Sie werden schnell merken, wie stark es ist…!« »Noch eine Frage.« Parker legte es darauf an, daß der Gangster noch nicht ging. »Woher haben Sie das Giftgas? So etwas kauft man doch nicht in einem Drugstore, wenn ich mich nicht sehr irre…!« »Sie haben sich bereits geirrt, Parker. In jedem Drugstore gibt es Mittel gegen Ratten. Dort habe ich mich eingedeckt. Alles weitere war eine Kleinigkeit. Man braucht nur etwas Geschick dazu.« Bevor der Butler ihn mit weiteren Fragen aufhalten konnte, stellte der Mörder die Zeit ein. Er sah sich alles noch mal genau an, ging zur Tür und war plötzlich verschwunden. Parker hatte es gar nicht bemerkt. Wie in Hypnose starrte er auf die kleine, mattglänzende Stahlflasche. Er konnte es nicht vermeiden, daß ihn eine Art Gänsehaut überlief. Und das Ticken des Uhrwerks zerhackte die Zeit. Schon nach wenigen Sekunden füllte es den niedrigen Werkraum. Parker hatte
den Eindruck, als dröhne eine mächtige Glocke in seinen Ohren…! * Anwalt Mike Rander wartete in der Halle des Hotels auf seinen Butler. Er war und blieb verschwunden. An sich war das nicht besorgniserregend. Josuah Parker pflegte während seiner berühmtberüchtigten Alleingänge niemals zwischendurch anzurufen. Doch an diesem frühen grauen Morgen hatte der junge, sympathische Anwalt ein ungutes Gefühl. Er spürte es förmlich, daß sein Butler in bösen Schwierigkeiten stak. Doch ihm waren die Hände gebunden. Er wußte nicht, wie er helfen sollte. Der Empfangschef hinter der Reception beugte sich vor und hob den Zeigefinger. Mike Rander verstand, erhob sich sofort und trat an die Theke. »Ein Anruf für Sie, Sir.« Rander meldete sich. Leutnant Traggle war am Apparat. Er hatte leider keine guten Nachrichten für den Anwalt. »Das Apartment ist leer«, berichtete er. »Ben Camster scheint ausgeflogen zu sein. Vielleicht hat der Gangster Lunte gerochen.« »Haben Sie eine Spur von Parker finden können? Ich wette, daß er Camster auf der Spur ist.« »Ich muß Sie enttäuschen, Rander.« Traggles Stimme klang ernst. »Hoffentlich ist er Camster nicht ins Garn gegangen.« »Könnte ich mir kaum vorstellen. Parker ist mit allen Wassern gewaschen.« »Auch Ihr Butler wird eines Tages seinen Meister finden! Na, ich will den Teufel nicht an die Wand malen… Falls Parker sich meldet, informieren Sie mich bitte sofort.« »Kann Miß Shadow denn nicht sagen, wo Camster sich versteckt halten könnte?« »Sie weiß nur, daß er irgendwo auf Manhattan eine geheime Werkstatt besitzt. Wo die sich befindet, weiß sie nicht.« »Na gut, ich werde warten…! Vielen Dank für den Anruf. Lassen Sie Camsters Apartment weiterhin beobachten?« »Natürlich, das ist doch unsere einzige Chance…! Sollte Camster sich dort aber nicht zeigen, weiß ich nicht, wie wir ihn aufspüren sollen.« Mike Rander legte auf und wechselte hinüber in die Bar. Er
brauchte jetzt unbedingt einen harten Drink. Die Müdigkeit spürte er kaum. Er hatte auch vergessen, daß selbst die Hotelbar um diese frühe Morgenstunde geschlossen hatte. Der Empfangschef konnte aber erfreulicherweise aushelfen. Unter der Anmeldetheke hatte er eine Flasche. Er versorgte den Anwalt mit einem Glas Whisky. Mike Rander ging zurück zu seinem Sessel und trank Schluck für Schluck. Er dachte an Josuah Parker und an die Zeit, in der sie so erfolgreich zusammen gearbeitet hatten. Doch jäh schüttelte er diese trüben Gedanken wieder von sich. Ihm wurde bewußt, daß er fast so etwas wie einen Nachruf auf seinen Butler hielt. Er kam sich voreilig und fast geschmacklos vor. Er übersah den Schatten vor der geschlossenen Glastür des Hotels. Für wenige Sekunden tauchte dort nämlich ein Mann auf, der einen prüfenden und aufmerksamen Blick in die leere Halle geworfen hatte. Beim Anblick Mike Randers hatte der Mann sich blitzschnell wieder in Deckung gebracht. Mike Rander hatte sein Glas leergetrunken, stand jäh auf und nahm sich vor, hinauf in sein Zimmer zu fahren. Das Herumsitzen in der Halle war wenig geeignet, seine Nerven zu beruhigen. Der Mann vor der Glastür wurde durch diese rasche Bewegung irritiert. Er glaubte sich entdeckt. Nur aus diesem Grund stieß er die Tür spaltbreit auf, zog seinen Revolver und feuerte zwei Schüsse auf den Anwalt ab. Mike Rander hörte das häßliche Pfeifen der Geschosse, stolperte über einen Läufer und schlug der Länge nach zu Boden. Der Empfangschef hinter der Theke brüllte vor Schreck auf und war ebenfalls nicht mehr zu sehen. Er war in Deckung gegangen. Rander reagierte trotz seines Falles sehr schnell. Noch im Liegen riß er seinen 38er aus dem Holster und feuerte auf die Glastür. Glas splitterte, und Scherben klirrten zu Boden. Mike, Rander hörte einen unterdrückten Aufschrei und wenig später das Aufheulen eines Motors. Er raffte sich auf, lief zur zertrümmerten Tür und stieg über die Glasscherben hinweg. Er sah gerade noch die roten Schlußlichter eines in rasender Fahrt davonpreschenden Wagens…! *
Fünf Minuten waren bereits verstrichen, doch Josuah Parker saß immer noch wie angeschmiedet in dem alten Sessel. Ben Camster hatte sich große Mühe gegeben und die Stricke stramm und fest angezogen. Parker ließ sich aber nicht aus seiner sprichwörtlichen Ruhe bringen. Fünfundzwanzig Minuten, die ihm noch verblieben, waren eine lange Zeit. Und der altväterliche Regenschirm mit seinen vielen Überraschungen stand nur wenige Meter entfernt an der Wand. Camster hatte ihn dort achtlos abgestellt. Parker versetzte seinen Körper in hüpfende Bewegungen. Selbst dabei verlor er nichts von seiner Würde. Er schaffte es aber, den Sessel weiter zu rücken. Hartnäckig hüpfte der Butler und näherte sich dem Regenschirm, der die Rettung bedeutete. Parker hatte sich zu diesem Verfahren entschlossen, obwohl es doch eigentlich näher lag, zum Tisch zu hüpfen, auf dem der Stahlzylinder stand. Doch Parker wollte ja nicht nur die Flasche vom Tisch stoßen. Dabei konnte sich das Ventil frühzeitig öffnen und das Giftgas ausströmen lassen. Er wollte sicher gehen und das Uhrwerk abstellen. Dazu brauchte er aber seine Hände. Wie ein Jockey ritt der Butler auf dem Sessel. Es zeigte sich, welche Körperbeherrschung der Mann besaß und wie durchtrainiert seine Muskeln waren. Er hätte es bestimmt mit jedem Jüngeren aufgenommen und ihn sogar ausgestochen. Es blieben ihm noch fünfzehn Minuten, als er endlich den Regenschirm erreicht hatte. Er stieß ihn mit der Sessellehne zu Boden und ließ sich dann samt Sessel ebenfalls hinfallen. Er verzog keine Miene, als er recht unglücklich stürzte. Nun war es eine Kleinigkeit für ihn, die Tricks des Regenschirms der Reihe nach auszuspielen. Mit den Zähnen löste er den Knopf, der die lange Nadelspitze und federnde Degenklinge hervorspringen ließ. Sie benutzte er, um die Stricke an den Händen zu lösen. Noch zehn Minuten… Parkers Hände waren bereits frei. Nun folgten die Stricke, die seine Füße zusammenhielten. Nach einer weiteren Minute konnte er sich vom Boden erheben und sich der Stahlflasche widmen. Parker studierte den sinnreichen Mechanismus, stellte die Uhr ab und wog die Flasche in seiner Hand. Sie enthielt den Tod. Man konnte nicht vorsichtig genug sein. Parker hatte das Bedürfnis, sich eine seiner spezialangefertigten
Zigarren anzuzünden. Er brauchte das jetzt, um seine Nerven endgültig zu beschwichtigen. Nach kurzer Zeit schon kräuselte sich der Rauch zur Decke hoch. Parker genoß das Aroma der pechschwarzen Zigarre. Er ließ sich wieder im Sessel nieder und sah auf seine reich verzierte Taschenuhr. Wann kehrte der Gangster zurück, um sich vom Erfolg seiner Bemühungen zu überzeugen? Dreißig Minuten waren gerade verstrichen. Parker schätzte, daß der Gangster vor einer Stunde bestimmt nicht auftauchte. Oder konnte Ben Camster es doch nicht abwarten? Gierte er danach, sich am Anblick seines toten Gegners zu weiden? Der Butler wußte es nicht. Daher entschloß er sich auch, in der kleinen Werkstatt zu bleiben. Er wollte Ben Camster gebührend empfangen und ihn dann aus dem Verkehr ziehen. Es war ein zu großes Risiko, den Raum zu verlassen, um Mike Rander oder die Polizei zu verständigen. Während solch eines Anrufs konnte Camster zurückkehren. Parker sah sich in dem Werkraum genau um. Die Kompressionsanlage erregte sein Interesse. Damit also verdichtete der Gangster das Gas und füllte es in die Stahlzylinder. Da der Butler handwerklich vorgebildet war, wußte er ganz genau, wie solch ein Gerät zu zerstören war. Er besorgte das sehr gründlich, wie es seiner Art entsprach. Er fand die übrigen Stahlzylinder, stellte sie alle in eine Ecke des Raumes auf und ließ sich dann wieder im Sessel nieder. Er brachte die Nerven auf, gründlich auszuruhen, sich zu entspannen. Er wartete geduldig auf die Rückkehr Ben Camsters. Einmal mußte der Mörder ja erscheinen. Es war nur eine Frage der Zeit…! * »Kaum anzunehmen, daß Camster noch mal in die Werkstatt zurückkehren wird«, sagte Leutnant Traggle. »Fast ein ganzer Tag ist verstrichen, der Mann ist spurlos verschwunden.« »Ich bedaure das ungemein«, sagte Josuah Parker. »Entweder hat er auf eine Art und Weise, die ich nicht durchschaue, festgestellt, daß ich mich befreien konnte, oder aber er ist von Mr. Rander derart böse verwundet worden, daß er nicht mehr zurück kann.«
»Falls es Camster gewesen ist, der auf Sie geschossen hat, Rander…« Der Detektivleutnant sah Mike Rander fragend an. »Ich habe den Schützen natürlich nicht sehen können«, erwiderte Mike Rander. »Doch meiner Ansicht nach kann es nur Camster gewesen sein. Wer hier in Manhattan sollte sonst auf mich schießen…!« »Hoffen wir, daß er verwundet worden ist«, sagte Traggle mit kalter Stimme. »Von mir aus kann dieser Gangster irgendwo in einem Loch verenden wie eine Ratte…!« »Gewißheit wäre mir lieber«, leinte Anwalt Mike Rander. »Sie haben nichts festgestellt, Parker?« »Nichts, Sir, ich bedauere außerordentlich, Ihnen das sagen zu müssen. Nach Stunden des Wartens rief ich Sie an…!« »Könnte er während dieser Zeit gekommen und wieder verschwunden sein?« »Das hätte ich selbstverständlich sofort festgestellt, Sir.« Parker sah den Detektivleutnant fast vorwurfsvoll an. »Bevor ich die Werkstatt verließ, sicherte ich sie selbstverständlich ab… Der dünne Faden zwischen Tür und Rahmen wurde nicht zerrissen. Demnach kann Ben Camster auch nicht in seiner Werkstatt gewesen sein.« »Sie denken wohl immer an alles, wie?« Traggle lächelte. »Ich bemühe mich, Sir…! Darf ich fragen, was die Untersuchung der Stahlflaschen ergeben hat?« »Drei waren gefüllt, die anderen waren noch leer…!« »Die Flaschen können uns jetzt nicht mehr gefährlich werden«, stellte Mike Rander fest. »Sir, darf ich in aller Bescheidenheit darauf aufmerksam machen, daß Ben Camster eine mit Giftgas gefüllte Flasche mit sich führt? Er wollte Sie damit umbringen.« »Also, befindet sich noch eine Giftflasche in der Hand des Mörders«, wiederholte Traggle. »Hoffentlich kommt er nicht mehr dazu, sie in ein Hotel einzuschmuggeln.« »Das kommt auf den Grad seiner Verwundung an, Sir! Falls er sich schnell erholt, wird er darauf brennen, die Öffentlichkeit zu schockieren. So schätze ich Ben Camster ein.« »Sie glauben, er würde spektakulär arbeiten?« »Ich fürchte, Sir…! Er wird sich jetzt nicht mehr mit einem einzigen Opfer begnügen. Er besitzt nur noch eine Flasche. Er ist nicht in der Lage, in wenigen Tagen neue Flaschen zu kaufen und mit
Giftgas zu füllen. Seine Werkstatt scheidet aus. Also wird Camster die einzige Flasche, die er noch besitzt, spektakulär einsetzen.« »Was vermuten Sie, Parker?« »Ich scheue mich fast, es auszusprechen.« »Nun reden Sie schon, Parker.« Leutnant Traggle sah sehr nachdenklich aus. »Er könnte die Giftflasche in einer Hotelhalle, in einem Kino oder in einer Hotelbar ausströmen lassen.« »Du lieber Himmel, Parker…!« »Man sollte mit solchen Möglichkeiten rechnen.« »Parker hat recht«, schaltete sich Mike Rander ein. »Vergessen wir doch nicht, daß Camster irrsinnig ist. Er besitzt nur noch eine einzige Flasche. Er will aber Geld erpressen. Er braucht jetzt Publicity. Die wird er sich so oder so verschaffen. Er wird es darauf anlegen, die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken zu versetzen. Diese letzte Flasche muß alle anderen ersetzen. Er braucht jetzt viele Opfer, um auf sich aufmerksam zu machen.« »Mein Gott, Rander, daran darf ich überhaupt nicht denken.« Traggle sah bestürzt aus. »Wie sollen wir die Öffentlichkeit vor solch einem Anschlag schützen? Ich sehe keine Möglichkeit. Wir können die Bevölkerung von New York doch nicht auffordern, wegen eines einzigen Mörders in den Wohnungen zu bleiben.« »Selbst dort wären die Menschen ja noch nicht mal sicher«, antwortete Mike Rander. »Und was sollen wir tun?« Traggle sah den Butler beinahe hilfeflehend an. »Auch ich muß bedauern«, gab der Butler zurück. »Uns sind die Hände gebunden. Wir können nur hoffen, daß Camster schwer verwundet ist. Darin liegt die einzige Chance…« * Josuah Parker hatte sich nur zu gut in die Gedankengänge des Mörders versetzt. Ben Camster war nach dem Feuerwechsel mit Rander tatsächlich verletzt worden. Die Verwundung war allerdings nicht schwer. Es handelte sich um einen leichten Streifschuß an der Brust. Camster hatte ihn notdürftig verbunden und die Wunde oberflächlich desinfiziert. Nach seiner Flucht vom Hotel hatte er den Wagen
in einer Straße einfach stehenlassen und war in ein Taxi umgestiegen. Er wußte nicht, ob Mike Rander sich die Nummer des Wagens hatte merken können. Der Mörder hatte bis gegen Mittag in einem billigen Massenhotel verbracht und war dann in ein Privatquartier umgezogen. Er logierte jetzt in einem möblierten Raum südlich des Central Parks, in der 59. Straße, Ecke Fifth Avenue. In diesem rauchgeschwärzten Haus mit den vielen Untermietern fragte kein Mensch nach ihm. Mit der Zahlung der Miete für einen Monat im voraus hatte er sich gleichzeitig völlige Anonymität erkauft. Um ein Haar wäre er Josuah Parker in die Arme gelaufen. Nach seiner Verwundung war er zurück zur Werkstatt gefahren. Er hatte den genau richtigen Zeitpunkt gewählt und den Butler gesehen, der den Hinterhof verließ, um von einer Wäscherei aus anzurufen. Wegen seiner Verwundung hatte Camster es nicht riskiert, auf Parker zu schießen. Vielleicht war auch seine Verblüffung der Grund dafür gewesen. Noch immer konnte der halbirre Gangster sich nicht erklären, wie Parker es gelungen war, dem Giftgas zu entkommen. Nun lag Camster auf dem Bett und grübelte. Irre Vorstellungen wechselten mit eiskalter, berechnender Überlegung. Schmerzen spürte er nicht. Er hatte sich die Wunde oberflächlich mit, Whisky ausgewaschen und verbunden. Schnell und stark wirkende Mittel hielten den Schmerz nieder. Er hatte sie sich in einem Drugstore besorgt und nahm sie in großen Mengen. Er fürchtete nämlich den Schmerz. Sein Haß gegen Josuah Parker und Mike Rander kämpfte mit der Gier nach Geld. Selbst nach den Fehlschlägen fühlte der Mörder sich noch immer als Herr der Situation. Gewiß, Parker war dem Giftgas entronnen, Rander hatte den tödlichen Schuß vermeiden können. Doch das ließ sich schnell wieder in Ordnung bringen. Sie müssen sterben, ging es durch seinen wirren Kopf. Sie müssen für ihre Frechheit bezahlen, es mit mir aufgenommen zu haben. Aber ich darf auch das große Geschäft nicht aus den Augen verlieren. Ich muß dieser Stadt beweisen, wie stark und unüberwindlich ich bin. Camster richtete sich auf und wollte nach dem Trinkglas greifen. Stechender Schmerz ließ ihn aufstöhnen. Die Wirkung der schmerzstillenden Tabletten ließ nach.
Ben Camster bewegte sich jetzt nur noch sehr vorsichtig. Mit ausgestreckter Hand griff er nach der Röhre mit den Tabletten. Er ließ vier von ihnen in das noch halb gefüllte Glas rutschen und wartete ungeduldig, bis sie sich aufgelöst hatten. Dann schüttelte er den bitteren Trank in sich hinein. Aufstöhnend ließ er den Kopf zurück ins Kissen gleiten und belauschte die Schmerzen. Sie ließen sehr schnell nach und verursachten in seinem Kopf eine lähmende Müdigkeit. Camster schloß die Augen und war nicht in der Lage, konsequent und folgerichtig zu denken. Er überließ sich seinen wirren Gedanken, die sich auf das eine fürchterliche Ziel ausrichteten, Angst und Schrecken zu verbreiten. Er verliebte sich immer mehr in den Gedanken, die mit Giftgas gefüllte Stahlflasche zu einem Massensterben zu benutzen. Dieser Gedanke entzündete ihn. Er schüttelte die Lähmung von sich ab, bekam erneut Durst und trank ein halbes Glas Whisky leer. Der leichte Rausch wurde verstärkt von der Wirkung der barbiturhaltigen Tabletten. Er merkte kaum, daß er sich bereits in einem schweren Rauschzustand befand, in dem er keine Schwierigkeiten oder Hemmungen mehr hatte. Plötzlich sah alles so einfach aus. Sein Siegergefühl verstärkte sich gefährlich. Ich werde die Preßluftflasche in einem Kino oder in einem Theater wirken lassen, gaukelte er sich vor. Dann bekomme ich endlich die Schlagzeilen, die ich brauche, um Angst und Schrecken, zu verbreiten. Merken diese satten und faulen Bürger erst mal, wie stark ich bin, werden sie zahlen. Dann brauche ich in Zukunft nur noch zu drohen. Kein Mensch weiß doch in Wirklichkeit, wie viele Giftflaschen ich tatsächlich noch besitze. Er sah zur Tasche hinüber, die auf der einfachen Kommode stand. Sie enthielt die Preßluftflasche mit dem tödlichen Gift. Es war ja so einfach, sie irgendwo unterzubringen, wo sich viele Menschen versammelten. Er brauchte ja nur das Zeitventil richtig einzustellen. Nach einer bestimmten Galgenfrist entströmte dann das Gas und schuf damit alle Voraussetzungen, um die Öffentlichkeit erpressen zu können. Ben Camster konnte ohne Beschwerden aufstehen. Die Schmerzmittel betäubten das Klopfen und Ziehen in seiner Wunde. Sein Gang war zwar unsicher, doch das merkte er überhaupt nicht. Er gierte danach, den großen Schlag so schnell wie möglich zu landen!
* Es war Mittag geworden. Ben Camster ging durch die Stadt. Der Mörder suchte nach einer Gelegenheit, seine Giftgasflasche richtig unterzubringen. Er ließ sich sehr viel Zeit. Er kostete bereits im voraus, was nach dem Einstellen des Zeitventils passieren würde. In der Menge der Passanten fiel er überhaupt nicht auf. Es war ein sonniger Tag. Er trug eine Brille mit dunkel gefärbten Gläsern und hatte sich einen Kaugummi in die linke Wangentasche geschoben. Dadurch wurde sein Gesicht völlig verändert. Er kam an einigen Kinos vorbei, blieb stehen und schätzte die Menge der Besucher ab. Nein, seiner Schätzung nach waren sie zu schlecht besucht. Vor dem Kassenschalter eines Kinos blieb er sogar längere Zeit stehen. Er zählte die Personen, die sich eine Karte kauften. Nur mühsam unterdrückte er dabei ein Kichern. Sie alle wußten nicht, welche tödliche Waffe in seiner Aktentasche stak. Arglos betraten sie das Foyer des Kinos und verschwanden hinter den Pendeltüren. Plötzlich kam ihm der Gedanke. Wo hielten sich die meisten Menschen gerade um die Mittagszeit auf? Am Grand Central Terminal, dem riesigen Bahnhof von Manhattan! Dort konnte er sich ja, förmlich aussuchen, was seinen Zwecken am günstigsten war. Ben Camster winkte ein Taxi ab und ließ sich zum Grand Central bringen. Auf dein Polster lag eine zurückgelassene Morgenzeitung. Spielerisch griffen seine Hände nach dem Blatt. Als er sie. auffaltete, blieben seine Augen an einer dicken, fetten Schlagzeile hängen. Einem sensationellen Giftverbrechen auf der Spur, hieß es da. Die Freundin eines Mörders festgenommen und wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Joan Shadows Foto war deutlich zu erkennen. Sie war auf den Stufen des Gerichtsgebäudes zu sehen. Hinter ihr ernannte Camster den Mann, den er am meisten haßte: Josuah Parker. Hastig überflog er die wenigen Zeilen, die eigentlich in keinem Verhältnis zur Überschrift standen. Sie waren dem Polizeibericht entnommen worden und teilten nur lakonisch mit, die Polizei habe Joan Shadow wieder auf freien fuß setzen müssen, nachdem sie
gegen ihren Freund Ben Camster ausgesagt habe. Sie solle später als Kronzeugin der Anklage auftreten und wohne nun in einem unbekannten Haus in Manhattan. Mehr war aus dem Artikel nicht zu erfahren. Doch für Camster. sprachen diese wenigen Zeilen Bände. Joan Shadow! An sie hatte er während der vergangenen Stunden gar nicht mehr gedacht. Nun sah er sie wieder vor sich. Sie also hatte ihn verraten und an die Polizei verkauft. Nur sie allein hatte den Namen Ben Camster doch verraten können! Camster steigerte sich innerhalb weniger Sekunden in eine starke Erregung hinein. Er mußte sich ordentlich zusammennehmen, damit der Fahrer des Taxis nichts merkte. Doch seine Hände zitterten, als er sich eine Zigarette anzündete. Und plötzlich spürte er wieder Schmerzen in der Schußwunde am Brustkorb. Diese Zeitung war am Morgen verkauft worden. Nun war es längst Mittag. Ob die Mittagsblätter neue Schlagzeilen trugen? Camster ließ das Taxi halten, zahlte, stieg aus und ging mit schnellen Schritten zum nächsten Zeitungsstand. Nun, er hatte sich nicht getäuscht. Weder gab es Schlagzeilen. Und diesmal waren sie noch deutlicher und noch unmißverständlicher. Jetzt erfuhr der Mörder auch, warum Joan von der Polizei festgenommen worden war. Sie behauptete, sie sei von ihrem Freund, Ben Camster, gezwungen worden, das Zimmer eines Hotelgastes auszurauben. Sie habe sich dabei einer Fliegenspritze mit Chloroform bedienen müssen. Sie hatte ihn, Camster, im Verhör als einen irrsinnigen Gangster und Mörder bezeichnet. Obwohl mehr nicht zu lesen war, konnte Camster sich leicht ausrechnen, was Joan der Polizei noch mitgeteilt haben mochte. Vielleicht wußten die Schnüffler, wie er die Polizeibeamten nannte, nun inzwischen auch von seinen Giftflaschen. Der Mörder verzog die Lippen zu einem dünnen, bösen Grinsen. Mochte Joan ihn auch verraten haben. Dafür mußte sie bald schon zahlen. Mochten die Schnüffler wissen, in welcher Werkstatt er gearbeitet hatte, das alles half ihnen nichts. Schon in wenigen Stunden würden sie merken, wie aktiv und hart er zuschlug. Am Grand Central blieb er vor einem Stundenkino stehen, in dem nur Wochenschauen und Kurzfilme gezeigt wurden. Die Besucher dieses Kinos waren Reisende, die sich bis zum nächsten Anschluß
die Zeit vertrieben. Endlich war der Mörder mit seiner Wahl zufrieden. Er beobachtete gerade einen Schub von Zuschauern, die sich an der Kasse vorbeidrängten. Um ganz sicher zu gehen, löste sich Camster ebenfalls eine Karte und schob sich in den großen dunklen Raum. Auf der Leinwand waren Szenen eines Zeichentrickfilms zu sehen. Die Zuschauer lachten und amüsierten sich. Eine raffinierte kleine Maus führte einen Kater an der Nase herum und ließ sich immer neue Tricks einfallen. Camster wurde wider Willen von dem lustigen Spektakel auf der Leinwand ergriffen. Er blieb an der Wandvertäfelung stehen und ertappte sich dabei, daß auch er lachte. Erschreckt hielt er inne. Er kam sich albern und kindlich vor. Er rief sich energisch zur Ordnung. Der Mörder griff in die Aktentasche und fühlte nach der Preßluftflasche. Das kalte Metall ernüchterte ihn. Er besann sich darauf, weshalb er das Kino betreten hatte. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Die Sitzreihen waren dicht gefüllt. Ja, hier lohnte es sich schon, die Giftflasche zurückzulassen. Er schob sich an den Zuschauern vorbei und erreichte den Waschraum. Er blieb vor dem Waschbecken stehen, stellte hastig die Zeit am Zünder ein und schloß die Tasche. Dann hastete er zurück in den, Kinoraum und setzte sich weit vorn nieder. Er mußte den Kopf fast in den Nacken legen, um die Leinwand sehen zu können. Unter einem Klappsitz ließ er dann die Tasche stehen, stand wieder auf und verließ das Stundenkino. Kein Mensch achtete auf ihn. In der riesigen, weiträumigen Wartehalle des Grand Centrals verspürte er plötzlich wieder heftige Schmerzen in der Wunde. Ben Camster stolperte über die Treppen hinaus auf die Straße. Unterwegs fingerte er nach der Tablettenröhre. Er suchte nach einer Bar, um seinen Magen wieder mit schmerzstillenden Tabletten zu füttern. Und dann dachte er an das Zeitventil. In spätestens einer halben Stunde mußte sich das Ventil öffnen und das Giftgas ausströmen lassen. Dann sahen die Schlagzeilen aber anders aus. Dann erfuhr alle Welt, wer Ben Camster war und welche Bedingungen er der Öffentlichkeit stellte! Der irrsinnige Mörder beschloß, in der Nähe des Grand Centrals
zu bleiben. Er wollte es genießen, wenn die Rettungswagen der Polizei und der Feuerwehr mit heulenden Sirenen heranpreschten! * »Nichts, gar nichts…!« Leutnant Traggle breitete seine Arme hilflos aus. Er hatte Josuah Parker und Mike Randers gerade empfangen und ihre Fragen schon im voraus geahnt. »Ben Camster ist wie vom Erdboden verschwunden.« »Ist die Fahndung nach ihm schon angelaufen?« wollte Anwalt Rander wissen. »Mehr können wir überhaupt nicht tun«, gab Traggle zurück. »Wir haben uns Bilder von Camster besorgt. Sie befanden sich in den Personalakten der Firma, für die er seinerzeit arbeitete. Wir haben Abzüge in Massen herstellen lassen und jeden Streifenpolizisten damit versorgt. Viel Hoffnung habe ich allerdings nicht. Wie leicht kann man sein Aussehen verändern.« »Bleibt nach wie vor die Hoffnung, daß Camster schwer verwundet in einem Versteck liegt«, sagte Rander. »Ein verdammt magerer Trost«, erwiderte Traggle. »Ich komme mir vor wie auf einem Vulkan, der jeden Moment Feuer spucken kann. Dieser irrsinnige Gangster besitzt doch eine gefüllte Giftflasche. Mein Gott, welch ein Unheil kann er damit anrichten.« »Hat er sich telefonisch gemeldet? Ich meine, Hotels angerufen und Geld verlangt?« Josuah Parker schaltete sich ein. Seine Stimme klang beherrscht und zeigte keine Unruhe. »Nein, er hat sich auch per Telefon nicht mehr gerührt«, erklärte Leutnant Traggle. »Und gerade das beunruhigt mich, Parker. Das riecht nach der Stille vor dem Sturm. Dieser Wahnsinnige plant irgendeine Teufelei, ich spüre es förmlich in den Nervenenden.« »Ich weiß mir keinen Rat«, sagte Mike Rander. »Und wie sieht es mit Ihnen aus, Parker?« Leutnant Traggle wandte sich an Josuah Parker. »Ist Ihnen inzwischen eine Idee gekommen, mit der wir etwas anfangen können?« »Ich bedaure, Sir«, gab Parker steif zurück. »Meine einzige Hoffnung sind die Zeitungsberichte und die großen Schlagzeilen. Vielleicht hält Camster die Rache an Miß Shadow und an mir für wichtiger als einen Massenmord.« »Ich weiß, Sie haben sich angeboten.«
»In den, Abendausgaben kann Camster lesen, wo er Miß Shadow und Parker finden kann«, bestätigte Mike Rander. »Wir haben so etwas wie gezielte Indiskretion lanciert. Die Zeitungen spielen mit und werden recht deutlich verraten, wo Miß Shadow und Parker sich aufhalten. Jetzt kommt es darauf an, ob Camster richtig reagiert.« »Rander, seien Sie ehrlich. Wie beurteilen Sie unsere Chancen?« »Schlecht, offen gesagt, Traggle.« »Dann müssen wir also abwarten!« »Mehr können wir tatsächlich nicht tun«, beendete Josuah Parker die kurze, hoffnungslose Unterhaltung. »Wir alle sind den Launen eines Wahnsinnigen ausgeliefert!« * Ben Camster hatte die restlichen vier Tabletten zu sich genommen. Zusammen mit dem Alkohol erzeugten sie in seinem Kopf wieder das Gefühl eines schweren Rausches. Er stand dicht neben, der geöffneten Tür der Bar und beobachtete die Straße. Dreißig Minuten waren verstrichen. Jede Sekunde mußte das Geheul der Polizeisirenen zu hören sein. Camster lehnte mit dem Rücken gegen einen Pfeiler. Er fühlte sich seit einigen Minuten müde und matt. Die Schmerztabletten reichten nicht mehr aus, das wütende Klopfen in der Wunde zu übertönen. Der Schmerz steigerte sich langsam, aber unaufhaltsam. Camster, wehleidig wie die meisten Gangster, sofern es sich um den eigenen Körper handelt, hätte am liebsten gestöhnt. Doch er wollte nicht auffallen und Fragen beantworten. Gerade diese Schmerzen aber erinnerten ihn an Joan Shadow und Butler Parker. Ihnen verdankte er ja diese Verletzung. Ohne sie wäre es niemals zu diesem mißglückten Schußwechsel mit Mike Rander gekommen. Sie werden mir dafür büßen, dachte er haßerfüllt. Lange werden sie nicht mehr leben. Sobald das Kino ausgeräuchert ist, sollen sie meine Rache spüren. Noch weiß ich schließlich mit einer Schußwaffe umzugehen! Er schrak zusammen. Auf der Straße erschien ein Streifenwagen der Verkehrspolizei. Wie auf leisen Katzenpfoten schnurrte er über den Asphalt. Doch
er fuhr nur sehr langsam, schien noch nicht vom Grand Central aus alarmiert worden zu sein. Camster zog unwillkürlich den Kopf ein und wendete der Straße den Rücken zu. Ihm wurde regelrecht übel, wenn er Polizisten sah. Er griff nach dem Glas auf der Theke, doch es war leer. Der Wagen glitt weiter und verschwand in einer Seitenstraße. Camster schluckte, sah auf seine Armbanduhr und stutzte. Und noch immer gab es keinen Großalarm. Sollte sich das Öffnen des Ventils verzögert haben? Er hielt es in der Bar nicht länger aus. Er hatte bereits bezahlt und konnte sofort auf die Straße hinaustreten. Zielsicher steuerte er den riesigen Bahnhof an. Aus nächster Nähe wollte er sich davon überzeugen, was inzwischen passiert war. Nun, er wurde sehr enttäuscht. Er hatte schreiende Menschen und panische Angst erwartet. Nichts davon war zu spüren. Der Grand Central zeigte das gewohnte Bild. Camster näherte sich vorsichtig dem Stundenkino, das in einem Seitenflügel des Bahnhofs untergebracht war. Die junge Frau hinter dem Kassenschalter verkaufte immer noch Eintrittskarten. Menschen betraten, das Kino, verließen es durch einen Nebenausgang. Auch hier also das gewohnte Bild. Das Zeitventil hat nicht reagiert, sagte sich der Wahnsinnige. Ich muß einen Fehler gemacht haben. Aber das läßt sich schnell nachholen. Ich werde mir die Flasche noch mal genau ansehen. Warum mag sich das Ventil nicht geöffnet haben? Camster kaufte sich eine neue Karte und schob sich in den großen Saal. Wieder blieb er erst mal an der Wand stehen, bis seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann beobachtete er die vorderen Sitzreihen. Er unterdrückte einen Fluch. Vor einer halben Stunde war dort noch alles leer gewesen. Jetzt war jeder Platz selbst in der vordersten Reihe besetzt. Er mußte also den Zeitpunkt verschieben, um an die Tasche heranzukommen. Er ließ sich von dem Zeichentrickfilm ablenken. Diesmal wurde ein tolpatschiger, dicker Bär gezeigt, der die verrücktesten Abenteuer in den Rockies erlebte. Ben Camster kicherte und lachte bald wie die meisten Besucher. Er vergaß seine Mordgedanken und lachte über ein kleines Mädchen, das genau vor ihm saß. Es schrie vor Begeisterung und
sprang immer wieder vom Sitz hoch. Camster war auf dem besten Weg, den Massenmord aufzuschieben. Doch dann sah er in der Mittelreihe einige Besucher, die dem Ausgang zustrebten. Sie kamen von den vordersten Sitzreihen. Dort gab es jetzt also Platz. Er konnte die Aktentasche also wieder hervorholen. Der Mörder stand vorsichtig auf. Richtig, er hatte sich nicht getäuscht. Die Reihe, in der die Tasche mit der Preßluftflasche untergebracht war, konnte begangen werden. Nun gab es kein Halten mehr für ihn. Ben Camster pirschte sich an die Tasche heran. Er hörte nicht mehr das helle, begeisterte Lachen des Kindes! * »Suchen Sie was?« Camster richtete sich hastig auf und griff nach seiner Waffe. Er wurde vom Licht einer Taschenlampe geblendet. Er unterschied den Rock und die Uniformjacke einer Platzanweiserin. »Die… Tasche!« stotterte der Mörder überrascht und gegen seinen Willen. »Ach, Sie haben sie also vergessen!« Das junge Mädchen lachte leise auf. »Haben Sie ein Glück, Sir. Sie wurde vor zehn Minuten bei uns vorn an der Kasse abgegeben.« »Die Tasche?« wiederholte Camster. »Kommen Sie mit nach vorn. Wenn Sie uns sagen können, was sie enthält, bekommen Sie sie sofort wieder zurück, Sir.« Camster glaubte im ersten Moment an eine Falle. Doch dann entschloß er sich, der jungen Platzanweiserin zu folgen. Was kann mir schon passieren, sagte er sich. Ich besitze ja noch eine Schußwaffe. Man soll es nur wagen, sich mir in den Weg zu stellen. Doch es war keine Falle. Vorn, neben der Kasse, schloß die junge Platzanweiserin eine schmale und hohe Tür auf. Camster, der an das austretende Giftgas dachte, wich sofort einen Schritt zurück. Arglos beugte sich die junge Frau vor und griff nach der Tasche, die in einem Schrankfach lag. »Ist sie das?« fragte sie. »Natürlich, das ist meine Tasche!« »Und was ist in ihr?«
»Eine Preßluftflasche«, gab Camster zurück. Er hatte sich endlich wieder in der Gewalt. »Stimmt, Sir! Hier, da ist die Tasche!« Er drückte ihr ein viel zu großes Trinkgeld in die Hand, klemmte die Tasche unter den Arm und hatte es sehr eilig, zurück in die Halle zu kommen. Er wollte so schnell wie möglich nachsehen, was mit dem Ventil passiert war. In einer Toilette fand er den Fehler. Er war derart einfach, daß er sich am liebsten geohrfeigt hätte. Camster hatte vergessen, das Uhrwerk aufzuziehen. Das war der einzige Fehler. Das Ventil machte sonst einen intakten Eindruck. Soll ich noch mal zurück ins Kino gehen, fragte er sich. Es wird aber vielleicht auffallen, wenn ich mich dort schon wieder sehen lasse. Ich werde mir doch besser ein anderes Kino aussuchen. Vielleicht lasse ich die Tasche auch irgendwo in der großen Zentralhalle stehen. Aber dann ist die Wirkung des Giftgases nicht so, wie ich es erwarte. Als er die Toilette verließ, hatte er einen Entschluß gefaßt. Ben Camster wollte die Tasche nun endgültig in einem Schnellimbiß zurücklassen. Es boten sich einige Läden dieser Art an. Sie alle waren dicht besetzt. Der Mörder schritt gerade auf einen Schnellimbiß an der Ostseite des Bahnhofs zu, als er wie unter einem Peitschenhieb zusammenzuckte. Er hatte ein bekanntes Gesicht, eine bekannte Gestalt entdeckt. Schnell verbarg er sich hinter einem Pfeiler, um in aller Ruhe beobachten zu können. Nein, er hatte sich nicht geirrt. Das dort war Josuah Parker, der Mann also, dem er unversöhnliche Rache geschworen hatte! Dieser Mann hatte es geschafft, Joan Shadow zum Verrat zu treiben, ihm war es gelungen, aus der Werkstatt zu fliehen. Der Mörder änderte seine Pläne blitzschnell. Die Gelegenheit war günstig, Parker sterben zu lassen. Nein, mit der Schußwaffe konnte er das allerdings nicht riskieren. Man hätte ihn in der riesigen Halle schnell gestellt. Ich werde ihm folgen, entschied der Gangster. Er wird mich zu Joan führen. Und dann müssen sie beide sterben. Diesmal wird mir kein Fehler mehr passieren! Vorsichtig blieb er hinter Parker, der nichts ahnte und dem Ausgang zustrebte. Ben Camster blieb ihm auf den Fersen. In seinen Augen glühten der Irrsinn und wirre Mordgedanken!
Josuah Parker blieb stehen. Umständlich knöpfte er sich den schwarzen, weit fallenden Covercoat auf und dann sein Jackett. Er holte die unförmige Taschenuhr aus der Westentasche und ließ den Zierdeckel aufspringen. Statt des Zifferblatts wurde aber nur ein scharf geschliffener Spiegel freigelegt, der ihm einen Blick nach hinten gestattete. Diese Uhr gehörte mit zur Standardausrüstung des Butlers. Er schätzte es, zu wissen, was hinter seinem Rücken passierte. Schon seit einigen Minuten fühlte er, daß er hartnäckig verfolgt wurde. Nun wollte er herausfinden, wer da auf seinen Spuren wandelte. Ein aufmerksamer Blick in den Spiegel genügte. Josuah Parker erkannte Ben Camster, den »Blasrohr-Mörder«, der sich allem Anschein nach auf einen Massenmord vorbereitete. Er trug nämlich die bewußte Aktentasche unter dem Arm, von der Parker wußte, daß sie die Preßluftflasche mit Giftgas enthielt. Während des ersten Treffens in der Werkstatt des irren Gangsters hatte Camster ihn ja darauf aufmerksam gemacht. Parker überlegte blitzschnell, wie er sich jetzt verhalten sollte. Im Grunde war die Gelegenheit mehr als günstig, Camster ein für allemal auszuschalten. Doch da Camster ihn ja beobachtete, war ein plötzlicher Angriff viel zu gefährlich. Parker fürchtete selbstverständlich nicht um sein Leben. Doch Camster konnte entweder zu einer Schußwaffe greifen, oder aber die Giftgasflasche öffnen. Darauf durfte sich der Butler schon wegen der vielen Passanten auf keinen Fall einlassen. Es galt, den Mann vorsichtig in ein Gebiet zu lavieren, in dem er kein Unheil anrichten konnte. Josuah Parker ließ sich nach außen hin natürlich nichts anmerken. Gemessen und würdevoll schritt er weiter. Selbst der mißtrauische Camster kam überhaupt nicht auf den Gedanken, daß er bereits von seinem Opfer entdeckt worden war. Parker war, wenn es darauf ankam, ein meisterhafter Schauspieler, der restlos überzeugte. Der Butler verschmähte bewußt ein einzelnes Taxi. Ihm kam es darauf an, daß Camster nicht abgeschüttelt wurde. Er mußte für seinen Verfolger mitdenken und ihm ein Taxi beschaffen. An einem Taxistand fand er die gewünschte Ansammlung von Wagen. Umständlich und langsam ließ er sich in einem der Wagen nieder. Nun kam alles darauf an, ob Camster ihm folgte. Tat er es nicht, wollte der Butler das Taxi sofort wieder verlassen und alles auf eine Karte setzen. Dann wollte er sogar von sich aus das Feu-
er eröffnen, obwohl das in einem krassen Gegensatz zu seinen sonstigen Gewohnheiten stand. In diesem Fall aber glaubte er, seine Prinzipien einmal über Bord werfen zu dürfen. Schließlich handelte es sich um einen gemeingefährlichen, halbirren Gangster, der zu jedem noch so scheußlichen Verbrechen bereit war. Erleichtert atmete der Butler auf, als auch Camster in einem Wagen Platz nahm. Der Gangster brannte also darauf, mit ihm abzurechnen. Parker war damit vollkommen einverstanden. Er war stets bereit, sich als Köder und Ziel für solche Leute anzubieten, eine Taktik, die bisher immer erfolgreich gewesen war. Ob sie auch im Fall Ben Camster klappen würde, stand auf einem anderen Blatt, das Parker noch nicht kannte, auch nicht vorausberechnen konnte. Vorerst verlief die Fahrt planmäßig. Parker hatte dem Fahrer des Taxis ein Ziel genannt, das sich in der Nähe des Planetariums an der Westseite des Central Parks befand. Dort irgendwo wollte er den Gangster so isolieren, daß er ihn angreifen und ausschalten konnte. Während der Fahrt befragte der Butler wiederholt seine unförmige Uhr. Der Spiegel unter dem Schutzdeckel verriet ihm eindeutig, daß Ben Camster hartnäckig folgte. Der Gangster schien von dem einzigen Gedanken besessen zu sein, ihn, Josuah Parker, zu ermorden. Anders konnte der Butler diese Verfolgung nicht deuten. Nach dem Überqueren des Columbus Circle blieb das Taxi auf dem Broadway, um erst in Höhe der 79. Straße nach Osten abzubiegen. Nach knapp zehn Minuten – die Straße war sehr verstopft, kam der Park mit dem Planetarium in Sicht. Parker war viel zu vornehm, um auch nur innerlich zu fluchen. Doch diesmal war er nahe daran, solch ein Schimpfwort auszustoßen. Er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Auf den Kieswegen in der Nähe der Gebäude bewegten sich lange Schlangen von Schulkindern, die das Planetarium besuchten. Nein, hier konnte er sich mit dem Gangster auf keinen Fall auseinandersetzen. Parker mußte seinen Plan wieder abändern und sich etwas Neues einfallen lassen. Er gebot seinem Fahrer, hinauf nach Harlem zu fahren. Unterwegs konnte er sich mit einem neuen Plan beschäftigen. Er kam unterwegs an einem Wohnblock vorbei, der gerade halb fertig war. Ein Teil der hohen Mietshäuser war bereits bewohnt. Möbelwagen standen vor einigen Haustüren. Links am letzten
Wohnblock, der sich noch im letzten Stadium des Ausbaus befand, erstreckten sich lange, flachgedeckte Garagen. Jetzt faßte der Butler einen Entschluß. Er ließ das Taxi halten, zahlte und stieg aus. Er ging so um den Wagen herum, daß Ben Camster ihn auf keinen Fall mit einer Schußwaffe erreichen konnte. Erst als er sicher war, daß der irre Gangster ebenfalls ausstieg und ihm folgte, überquerte er die Straße und hielt auf die Garagen zu, in denen bereits Wagen abgestellt waren. Folgte ihm der Gangster dorthin, konnte kaum noch etwas passieren. Dann bekam er ihn so vor den Lauf, wie er es sich wünschte. Dann war Ben Camster mit einem gezielten Schuß schnell unschädlich zu machen. Parker wollte ihn natürlich nicht einfach niederschießen. Eine Verwundung, die die Aktivität des Mannes lähmte und die ihm vor allen Dingen die gefährliche Aktentasche aus dem Arm drückte, mußte genügen. Parker lockte den Gangster immer näher an die Garagen heran. Passanten konnten kaum noch stören. Hier gab es nur Bauarbeiter, Fahrer und aufgeregte Mieter, die sich um ihre Möbel sorgten. Der Butler wollte es besonders gut machen. Er verschwand plötzlich von dem Zufahrtsweg und betrat eine der Garagen. Sie war größer als er dachte und enthielt einige Drahtboxen, in denen Wagen standen. Der Butler lockerte den vorsintflutlichen Colt, um schnell schießen zu können. Ben Camster mußte jeden Augenblick vor dem Eingang zur Garage auftauchen. Parker wurde getäuscht. Bevor er sich auf die neue Situation einstellen konnte, wurde das Schiebetor plötzlich zugeschoben. Es war in den Rollen gut geölt und war blitzschnell geschlossen. Von außen fiel ein Überfallhaken zu, die Tür ließ sich von innen nicht mehr öffnen. Josuah Parker saß in der Falle! Der Gangster hatte ihn also doch noch überlistet. Parker lief zu dem einzigen Fenster, das allerdings vergittert war. Er hatte es noch nicht ganz erreicht, da torkelte eine Preßluftflasche in die niedrige stickige Garage. Sie fiel so unglücklich hinter einen hart an der Wand stehenden Wagen, daß Parker sie nicht sofort erreichen konnte. Dann kollerte sie über den Betonboden unter den Wagen und blieb unerreichbar für ihn. Parker hätte sie vielleicht mit seinem Universal-Regenschirm an sich ziehen können, doch ein lautes und giftiges Zischen warnte ihn. Der »Blasrohr-Mörder« hatte das Ventil weit aufgedreht und
auf jede Verzögerung verzichtet. In jedem Bruchteil einer Sekunde entströmte der Preßluftflasche tödliches Gas. Hatte es einen Sinn, ans Fenster zu laufen und sich am Griff hochzuziehen. Konnte Parker dort frische Luft atmen? Er riskierte es nicht. Ben Camster wartete bestimmt darauf, einen Schuß abzufeuern. Nein, der Butler ließ sich zu Boden fallen, hielt die Luft an und arbeitete sieh mit schlangengleichen Bewegungen an einen der abgestellten Wagen heran. Gleichzeitig zog er seinen vorsintflutlichen Colt und feuerte einige Schüsse gegen das Tor. E$ dröhnte gewaltig, und doch glaubte Parker das Zischen des Gases deutlich zu hören. Es war eine Frage von Sekunden, bis es ihn erreicht hatte…! * Ben Camster erstarrte, als die Preßluftflasche in der Garage verschwand. Ohne sich Rechenschaft über sein Tun abzulegen hatte er sie aus der Tasche gerissen, das Ventil einfach aufgedreht und dann in die Garage geworfen. Jetzt tat es ihm nachträglich leid. Ohne sie konnte er nun seinen Plan nicht mehr ausführen. Er besaß kein Druckmittel mehr, um die Öffentlichkeit zu erpressen. Fluchend, sinnlose Schreie ausstoßend, nahm er die Schußwaffe in die Hand und wartete darauf, daß Parker am vergitterten Fenster auftauchte. Er wollte sehen, wie der Butler starb. Nichts ereignete sich. Auch die Flasche wurde nicht zurück ins Freie geworfen. Parker schien bereits von den ersten Giftschwaden erwischt worden zu sein. In der Garage blieb alles unheimlich still…! Bis die Schüsse gegen das Garagentor aus Blech dröhnten. Wie ungeheure Paukenschläge klangen sie. Sie alarmierten sofort alle Menschen in der nahen Umgebung. Ben Camster sah Bauarbeiter und Packer, die die Wohnblocks und Möbelwagen verließen und zur Garage liefen. Da ergriff er in seiner panischen Angst die Flucht. Camster hörte hinter sich Rufe und Schreie. Er nahm den Kopf herum und sah die Verfolger. Gerade durch seine Flucht hatte er sie auf sich aufmerksam gemacht. Gereizt blieb er kurz stehen und feuerte einen Schuß auf sie ab. Doch die derben und hartgesottenen Männer ließen sich nicht so
leicht abschrecken. Hartnäckig blieben sie auf seinen Fersen. Die ersten Steine flogen dem irren Gangster nach. Er flüchtete in Richtung Central Park. Dort wollte er sich im Gebüsch und dichten Unterholz verstecken. Kam er erst mal auf die andere Seite des Parks, war er gerettet. In den dicht bevölkerten Stadtteilen, in denen die Puertoricaner und Italiener wohnten, konnte er leicht untertauchen. Doch war er nicht schnell genug. Einige besonders flinke Bauarbeiter schoben sich näher an ihn heran. Weitere Steine flogen dem Gangster nach. Einer traf direkt die nur oberflächlich verbundene Schußwunde. Der Gangster schrie auf. Die Luft blieb ihm fast weg. Er nahm Deckung hinter einem Baum und feuerte einige Schüsse auf die Männer ab. Doch in der Aufregung zielte Ben Camster nur schlecht. Die Geschosse richteten keinen Schaden an. Er stolperte und rannte weiter. Die Grenze des Central Parks schob sich immer näher heran. In wenigen Sekunden konnte er sich besser verbergen und die Bauarbeiter in die Irre führen. Aber er täuschte sich in den Männern. Fächerförmig schwärmten sie aus, sie schnitten ihm den Weg ab. Der Revolver in der Hand des Flüchtenden beeindruckte sie nicht. Camster kam nicht weiter. Die Beine kündigten ihm den Dienst auf. Er war ausgepumpt. Schmerztabletten und Alkohol lähmten seine Glieder. Er taumelte nur noch weiter, bis er einfach nicht mehr fähig war, auch nur einen einzigen Schritt zu tun. Ungedeckt blieb er stehen und riß die Waffe noch mal hoch. Doch bevor er einen weiteren Schuß lösen konnte, wurde er von einem wüsten Steinhagel eingedeckt. Die Bauarbeiter verstanden ihr Handwerk und fanden immer neue Munition an einem anderen Bauplatz. Ben Camster wurde mehrfach getroffen. Er sackte in die Knie, heulte wie ein Tier und fiel dann schließlich mit der Stirn auf den Boden. Dann waren die Bauarbeiter über ihm. Sie machten ihm nachdrücklich klar, daß man nicht ungestraft auf sie schoß…! * Parker hatte den ersten Autoreifen leergeatmet…! Keuchend und spuckend robbte er sich an den nächsten Reifen
heran und drehte die Ventilkappe ab. Mit der Spitze seines Taschenmessers drückte er die Ventilnadel ein und ließ die dumpf riechende und schmeckende Luft aus dem Autoreifen in seine Lungen blasen. Die Nase hielt er sich mit der linken Hand zu. Er benutzte die voll aufgepumpten Autoreifen als Preßluftflaschen. Sie versorgten ihn mit atembarer, aber nicht mit frischer Luft. Ihm war in letzter Sekunde wieder einmal der rettende Einfall gekommen. So entging er dem tödlichen Giftgas, ohne auf die dringend notwendige Luft aber verzichten zu müssen. Da sich noch mehrere Wagen in der geschlossenen und abgesperrten Garage befanden, brauchte er sich vorerst keine Sorgen zu machen. Da hörte er Geräusche an der Tür. Die zurückgebliebenen Männer wollten das Tor öffnen. Der Überfallhaken wurde bereits zurückgeklappt. Parker versorgte sich mit frischer Luft und brüllte zur Tür hin nur das eine Wort: »Giftgas…!« Die Geräusche waren plötzlich nicht mehr zu hören. Die Männer hatten verstanden und sofort geschaltet. Sie zogen sich sehr schnell zurück. Parker wiederholte seine Warnung noch einige Male. Er wollte ganz sicher gehen, daß nicht noch in letzter Sekunde ein schreckliches Unglück passierte. Doch die Männer hatten ihn richtig verstanden und halfen. Mit langen Baustangen schoben sie das Tor auf. Frische Luft konnte ungehindert eintreten, Durchzug entstand. Das Giftgas wurde verdünnt und durch den Sog, der zwischen Tor und Fenster entstand, hinausgewirbelt. Das dauerte natürlich einige Zeit. Und Parker hütete sich, zu früh aufzustehen. Er begnügte sich in gekonnter Selbstbescheidung mit der stickigen Reifenluft. Als der Wagen nur noch einen vollgepumpten Reifen besaß, riskierte Parker es, nach einem letzten Luftschnappen aufzustehen und hinauszulaufen. Die Bauarbeiter und Neugierigen hatten sich achtungsvoll zurückgezogen. Erstaunt, verblüfft und ungläubig starrten sie auf den seltsam gekleideten Mann, der jetzt würdevoll und langsam die Garage verließ und leutselig nach allen Seiten seinen Dank winkte. Er hatte es überstanden und war gerettet. Bevor er die neugierigen Fragen seiner Mitmenschen beantworten konnte, wurde er von der Besatzung eines alarmierten Polizei-Streifenwagens in Empfang genommen.
»Bevor ich nähere Erklärungen abgebe, möchte ich Sie ebenso dringend wie herzlich bitten, Leutnant Traggle zu verständigen, daß Josuah Parker hier aufgetaucht ist. Ihr Vorgesetzter weiß dann Bescheid. Im übrigen halte ich es für richtig, daß Sie sich um einen Gangster namens Ben Camster kümmern. Der >Blasrohr-Mörder<, wie er genannt wird, dürfte sich in den Central Park geflüchtet haben.« Es war den Männern der Streife nicht zu verdenken, daß sie Parker für den gesuchten Irrsinnigen hielten. Bevor Parker mit wohlgesetzten Worten protestieren konnte, saßen Handschellen an seinen Gelenken…! * »Zum Teufel, wie sind Sie nur auf den Gedanken gekommen, sich am Grand Central herumzutreiben?« wollte Mike Rander später wissen. Josuah Parker war wieder ohne Handschellen und genoß einen Kognak, den Leutnant Traggle aus der Kantine hatte besorgen lassen. »Ich ging von der Voraussetzung aus, Sir, daß Ben Camster sich einen Platz aussuchen würde, an dem viele Menschen versammelt sind. Ich besuchte zuerst den Grand Central, hätte mir aber auch noch den Bus-Terminal und ähnliche Stätten angesehen.« »Sie haben einfach ein sagenhaftes Glück«, mischte sich Traggle in die Unterhaltung. »Kaum eingetroffen, stolpern Sie schon über diesen Camster.« »Ein guter Stern führte mich, Sir…! Darf ich bei der Gelegenheit fragen, was aus Ben Camster geworden ist?« »Seine Verletzungen sind nicht besonders schwer«, erwiderte der Polizeioffizier. »Gewiß, die Männer haben ihn ordentlich durchgebeutelt, doch das wird ihm kaum schaden.« »Er befindet sich im Polizeilazarett?« fragte nun auch Mike Rander. »Die Arzte werden ihn in Tiefschlaf versetzen müssen«, gab Traggle zurück. »Camster dürfte endgültig irrsinnig geworden sein. Ich glaube nicht, daß wir ihn unter Anklage stellen können.« »Was enthielt diese Giftflasche?« »Eine gefährliche Blausäureverbindung…! Sie wäre tödlich gewesen. Sie ahnen nicht, wie froh ich bin, daß dieser Spuk vorbei ist.
Endlich kann ich wieder ruhig atmen.« »Sind die Morde an den beiden Gangstern Clive und Sammy geklärt?« »Laut Joan gehen sie auf Camsters Konto. Sie sollten sich gegenseitig umbringen. Es klappte aber nicht ganz, Camster mußte nachhelfen. Inwieweit dieser Shadow mitbeteiligt ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Sie verschanzt sich hinter Camster, dem wir kaum etwas anhängen können. Wie gesagt, dieser Mann dürfte endgültig irrsinnig geworden sein.« »Und wer ermordete unseren Bekannten Hermy Lactons? Er mußte damals schon eine wichtige Spur entdeckt haben.« »Joan Shadow behauptete nach wie vor, Camster habe dafür Berufskiller engagiert. Diese Leute versuchten auch, Ihren Butler Parker zu verfolgen und zu erschießen. Sie hatten dann ja das Pech mit den Knallerbsen. Ich muß sagen, Mr. Parker, Ihre Methoden sind verdammt ungewöhnlich.« »Aber erfolgreich«, sagte Mike Rander auflachend. »Ohne Parker hätten wir Camster bestimmt nicht so schnell erwischt.« »Oh, Sir, Sie schmeicheln mir«, reagierte Parker, doch er errötete nicht. »Werden Sie noch länger in New York bleiben?« fragte Leutnant Traggle, sich an Rander wendend. »Geht leider nicht«, antwortete der Strafverteidiger. »Wir werden in Chikago erwartet. Sobald wir die Abschlußberichte unterschrieben haben, werden wir zurückfliegen.« »Ein neuer Kriminalfall?« wollte Leutnant Traggle wissen. »Und ob…!« Mike Rander lächelte. »Ein uns bekannter Privatdetektiv ist seit einigen Tagen wie vom Erdboden verschwunden. Er sollte eigentlich nur eine harmlose Firmenermittlung durchführen. Seine Frau bat uns um Hilfe.« »Dann wünsche ich Ihnen Hals und Beinbruch«, sagte Traggle. »Endlich wieder etwas Normales, nicht wahr?« »Wir möchten uns lieber nicht festlegen, Sir.« Parker lüftete seine steife schwarze Melone, als er zur Tür schritt. »Ich rechne fest mit einem Verbrechen, das nur geschickt getarnt worden ist. Ich werde der Sache auf den Grund gehen.« »Sehen Sie, Traggle, er ist schon nicht mehr zu halten«, meinte Anwalt Randers und wies auf Parker, der bereits zum Lift schritt. »Sobald er einen neuen Fall wittert, kann man ihn nicht an die Kette legen.«
»Ein aufregender Butler«, stellte Traggle grinsend fest. »Sie untertreiben«, antwortete Mike Rander. »In Wirklichkeit ist er noch viel schlimmer. Ich habe überhaupt kein Privatleben mehr. Er schleift mich von einem Fall zum anderen. Verflucht sei der Tag, als ich ihn drüben in England engagierte. Nun werde ich ihn nicht mehr los.« Traggle lachte laut auf. Er hatte sehr richtig verstanden und sah ja mit eigenen Augen, wie der Butler und sein junger Herr sich verstanden. »Sagen Sie, hat er nicht einen Zwillingsbruder?« tippte er bei Rander an. »Solch einen Mann könnten wir hier in der Detektivabteilung gut gebrauchen.« »Parker ist einmalig«, antwortete Mike Rander. »So etwas finden Sie nicht in einer Zweitausgabe.« »Ich glaube Ihnen aufs Wort«, meinte Traggle, als er seinen Gast zum Lift begleitete. Eine weitere Unterhaltung wurde von Parker jäh gestoppt. Er hatte seine unförmige Zwiebeluhr in der Hand und deutete auf das Zifferblatt. »Jetzt wird er mich gleich in aller Form darauf aufmerksam machen, daß wir keine Sekunde mehr versäumen dürfen«, flüsterte Mike Rander dem Detektivleutnant zu. »Passen Sie auf, Traggle… Ihm brennt bereits der Boden unter den Füßen. Er will nach Chikago und den neuen Fall anpacken.« So kam es auch. Traggle staunte noch als seine beiden Gäste bereits nach unten schwebten. Solch ein Zweigespann war ihm noch nie über den Weg gelaufen…!
-ENDE-