Butler Parker 2. Auflage Nr. 220
Günter Dönges
Parker und der »Steinzeit-Narr« Butler Parker traute seinen Augen nicht...
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Butler Parker 2. Auflage Nr. 220
Günter Dönges
Parker und der »Steinzeit-Narr« Butler Parker traute seinen Augen nicht und war konsterniert. Natürlich zeigte er nicht, wie unpassend er die Kleidung seines Gegenüber einschätzte, in seinem glatten ausdruckslosen Pokergesicht bewegte sich kein Muskel. Er lüftete höflich die schwarze Melone und erkundigte sich nach einem gewissen Sir Rupert. »Sind Sie angemeldet?« fragte der große muskulöse Mann, der nur einen knappen Lendenschurz aus Schaffell trug, ansonsten aber völlig nackt war. »Lady Simpson geruht, eine Einladung anzunehmen«, antwortete Josuah Parker. Er übersah die seltsame Aufmachung des Mannes, der einer oberflächlichen Schätzung nach etwa dreißig Jahre zählte. Dieser kaum bekleidete Mann schien sich in der Nähe eines offenen Feuers aufgehalten zu haben. Parker roch frischen Rauch und hatte längst die Rußflecken am Körper des Mannes wahrgenommen. Das Haar seines Gegenüber war seit einigen Monaten mit Sicherheit nicht mehr geschnitten worden. Es reichte, verklebt und fettig, bis zu den Schultern. »Lady Agatha Simpson?« Der Nackte nickte eifrig und ging dann an Parker vorbei zu einer großen Eingangstür.
Scan, Korrektur, Layout by Larentia Mai 2003 Diese digitale Kopie ist NICHT für den Verkauf bestimmt !
Diese Doppeltür paßte harmonisch in die große Wohnhalle, die mit kostbaren Antiquitäten gefüllt war. Allein die Teppiche auf dem Parkettboden waren ein Vermögen wert. Sie befanden sich allerdings nicht gerade im Zustand peinlicher Sauberkeit. »Darf ich anregen, sich Mylady nicht in diesem Aufzug zu präsentieren?« Der Butler war dem hünenhaften Mann gefolgt und registrierte, daß die ausgeprägte Kehrseite der Gestalt kaum bedeckt war. »Natürlich.« Der Mann blieb jäh stehen, wandte sich zu Parker um und lächelte wie verlegen. »Entschuldigen Sie meine Gedankenlosigkeit. Könnten Sie Lady Simpson in die Halle führen? Ich werde Sir Rupert umgehend verständigen.« Er nickte Josuah Parker zu und griff nach einem primitiv aussehenden Steinbeil, das auf einem mächtigen Eichentisch lag, nickte noch mal und verschwand dann in der Tiefe der großen Wohnhalle. Parker begab sich zurück zur Tür und wurde erneut mit einer Situation konfrontiert, die er insgeheim als ungewöhnlich bezeichnete. Aus einer geöffneten Seitentür erschien plötzlich eine recht leicht bekleidete junge Frau. Sie trug nur ein verrutschtes Fuchsfell, das zur Bedeckung einer Brust reichte. Diese Frau, ungefähr zwanzig Jahre alt, hatte langes dunkles und ebenfalls verfilztes Haar. Sie rannte auf den Butler zu und stieß Schreie aus, die Parker als spitz und unangenehm einordnete. Sie stutzte kurz, als sie den konservativ gekleideten Mann sah, rannte dann aber auf nackten Fußsohlen weiter und verfing sich mit dem linken Fuß in einer Teppichfalte. Die Frau fiel zu Boden, und Parker sah sich veranlaßt, ihr seine hilfreiche Hand zu leihen. »Darf man höflichst fragen, ob Sie sich möglicherweise verletzt haben?« erkundigte er sich. »Verletzt?« Die Zwanzigjährige sah ihn erstaunt an und stieß unvermittelt wieder einen gellenden Schrei aus. Sie riß sich
von Parkers Hand los und deutete zur Tür, aus der sie gekommen war. Parker nahm den Kopf herum und sah sich einem Krieger gegenüber, der eine Art Lanze schwang. Dieser Mann trug nur einen Fellschurz und schleuderte seine Waffe auf die junge Frau, die geschickt zur Seite wich. Die Steinspitze der Lanze bohrte sich in den Teppich und schlitterte dann nach dem Zurückfedern weiter. Sie sprang gegen die Quader eines offenen Kamins. Die junge Frau rannte inzwischen weiter und passierte eine andere Tür. Der Krieger hetzte hinterher und nahm die Verfolgung auf, Parker lüftete höflich die schwarze Melone, als der fast nackte Krieger ihn erreicht hatte. »Verzeihen Sie meine unpassende Neugier«, schickte Parker voraus, »handelt es sich hier um eine Art Gesellschaftsspiel?« »Gesellschaftsspiel?« Der Krieger vergaß wohl für einen Moment die leicht bekleidete Frau und blieb schnaufend stehen. »Wie kommen Sie denn darauf?« »Gewisse Beobachtungen lösen in meiner bescheidenen Wenigkeit solche und ähnliche Gedanken aus«, bekannte Josuah Parker, ein etwas über mittelgroßer, fast schlanker Mann, der einen schwarzen Zweireiher und einen altmodischen Eckkragen trug. »Das ist rauhe Wirklichkeit«, antwortete der Krieger, »entschuldigen Sie, keine Zeit!« Er brachte sich wieder in Schwung und rannte hinter der Frau her, die natürlich längst nicht mehr zu sehen war. Der Butler hüstelte leicht, um seinen Gefühlen einen Notausgang zu verschaffen und schritt dann gemessen zu seinem Wagen, in dem Agatha Simpson schon recht ungeduldig auf seine Rückkehr wartete. »Wo bleiben Sie denn, Mr. Parker?« fragte die resolute Dame, die das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten hatte, die aber noch einen sehr dynamischen
Eindruck machte. »Wieso bemüht Sir Rupert sich nicht zu mir her?« »Man scheint im Landsitz einem recht ungewöhnlichen und leicht frivolen Spiel zu huldigen«, erwiderte Josuah Parker höflich, »Mylady sollten sich tunlichst auf einige Überraschungen einrichten.« »Wie schön«, gab sie zurück und verließ das ehemalige Taxi, das Parker erworben und zu einem Privatwagen gemacht hatte, »hoffentlich haben Sie mir nicht zuviel versprochen!« *** Sie war eine ungewöhnliche Frau. Groß und stattlich, Autorität ausstrahlend, beherrschte Lady Agatha Simpson die Halle des Landsitzes. Die passionierte Detektivin schaute interessiert, jedoch keineswegs mißbilligend auf den lädierten Teppich und nickte erfreut, als aus einer der Seitentüren jene Frau kam, die Parkers Interesse erregt hatte. Diesmal zeigte sie einen völlig nackten Oberkörper. Ihr Haar machte einen zerzausten Eindruck. Dicht hinter ihr lief der Speerwerfer, der sie mit einem Strick einfangen wollte. Die beiden Personen im Steinzeit-Look übersahen Lady Simpson. Diesmal hatte der Jäger mehr Erfolg. Er brauche noch nicht mal seinen Strick als Lasso einzusetzen. Er stellte seinem Opfer ein Bein. Die junge Frau schrie gellend auf und fiel zu Boden. Der Mann stürzte sich auf sie und griff mit der linken Hand in ihr Haar. Er zerrte die strampelnde Frau hinter sich her und wollte sie in jenen Raum zurücktransportieren, aus dem sie gerade erst gekommen waren. »Was sage ich denn dazu, Mr. Parker?« erkundigte sich Agatha Simpson bei Josuah parker. »Die hier gepflogenen Manieren stehen auf einem
bedauernswert tiefen Niveau«, urteilte der Butler, »wünschen Mylady ein Eingreifen meinerseits?« »Auf keinen Fall«, beantwortete Lady Agatha die Frage ihres Butlers grimmig, »mit solchen Flegeln werde ich allein fertig.« Während die junge Frau sich wehrte, strampelte und spitze Schreitöne produzierte, nahm die ältere Dame ihren perlenbestickten Pompadour in die rechte Hand und ließ ihn leicht kreisen. In diesem altertümlich aussehenden Handbeutel befand sich der sogenannte »Glücksbringer«, nämlich ein echtes Pferdehufeisen. Parker war in seiner diskret-höflichen Art zurückgetreten und beobachtete die Eingreifaktion seiner Herrin. Der Pompadour, der an langen Schnüren hing, bewegte sich inzwischen mit der Schnelligkeit eines Propellers, den man auf Hochtouren gebracht hatte. Dann ließ die ältere Dame die Schnüre los und schickte ihr Nahkampfmittel auf die Luftreise. Als eifrige Golfspielerin verfügte sie über gut entwickelte Muskeln. Entsprechend rasant war auch der Flug dieses Marschkörpers. Er zischte durch die Luft, beschrieb eine leichte Parabel und... knallte gegen die linke Gesichtshälte des Steinzeitmenschen, der sein Opfer gerade durch die Tür zerren wollte. Der Mann blieb jäh stehen und nahm den Kopf leicht hoch. Er schielte zur Kassettendecke, wurde weich in den Knien und ließ dann erst mal das Haar der jungen Frau los. Anschließend kniete der Steinzeitmensch nieder und rollte sich auf dem Parkett zusammen. Er scharrte noch ein wenig mit den Füßen über den Teppich, gab aber schon nach wenigen Augenblicken Ruhe. Die junge Frau starrte Lady Simpson an und machte durchaus keinen erleichterten Eindruck. Sie zupfte an ihrem verfilzten Haar, fingerte an dem Fell, das ihre Hüften
umschlang, und ergriff dann die linke Hand ihres Jägers, um ihn mühevoll in den benachbarten Raum zu schleifen. »Der Pompadour, Mylady«, sagte Parker, nachdem er den Handbeutel geborgen hatte. Lady Agatha nickte hoheitsvoll und nahm den Pompadour wieder an sich. »Wo bleibt Sir Rupert?« fragte sie und sah sich in der riesigen Wohnhalle um, »sind Sie sicher, Mr. Parker, daß dies hier die richtige Adresse ist?« »Durchaus, Mylady«, erklärte Josuah Parker. »Auch das mit Mylady vereinbarte Datum stimmt.« »Herzlich willkommen«, war in diesem Augenblick eine hohe, ein wenig fistelende Stimme zu vernehmen, »ich bitte um Vergebung ... Ich habe mich etwas verspätet.« »Etwas ist gut, Rupert«, grollte die Lady, »ich stehe mir hier stundenlang die Beine in den Leib ... Wo, zum Henker, haben Sie gesteckt?« »Ich mußte mich noch etwas ... herrichten«, erwiderte Sir Rupert, ein kleiner, schmaler Mann mit schlohweißem Haar und schwarzen Vogelaugen. Er trug einen schlecht sitzenden Sportanzug aus grobem Tweed und hielt einen derben Knotenstock in der linken Hand. »Was geht hier eigentlich vor?« forschte Lady Agatha, »veranstalten Sie ein Maskenfest?« »Maskenfest, Lady Agatha?« Die Stimme des Hausherrn drückte Verwunderung aus. »Hier rannten zwei recht ulkige Leute durch die Halle«, sagte die Detektivin. »Ach so.« Sir Rupert, fünfundsechzig, lächelte verzeihend und mild. »Meine Probanden haben sich vielleicht etwas verirrt.« »Probanden?« Agatha Simpson runzelte die Stirn. »Was stelle ich mir darunter vor?«
»Teilnehmer an einem Experiment, Lady Agatha«, lautete die Antwort, »aber wollen wir es uns nicht gemütlich machen? Ihr Butler wird in der Küche eine Kleinigkeit bekommen, denke ich.« »Wo denken Sie hin, Rupert? Erlauben Sie mal! Mr. Parker wird selbstverständlich ...« »Zu gütig, Sir«, schaltete sich der Butler schnell ein, bevor die ältere Dame ihren Satz beenden konnte. Er verbeugte sich in Richtung Agatha Simpson, die erstaunlicherweise sofort verstand und ihren Protest nicht wiederholte. Sir Rupert hatte sich bereits abgewendet und führte Lady Simpson zu einer Tür, die hinter dem mächtigen Kamin zu sehen war. Josuah Parker wartete, bis die Lady mit ihrem Gastgeber in einem Raum verschwunden war, dann machte er sich daran, die Küchenräume zu suchen. Er fand eine Wendeltreppe aus Stein weit hinten in der Eingangshalle, stieg nach unten und brauchte sich dann nur noch am Duft frisch aufgebrühten Tees zu orientieren. Nach wenigen Augenblicken stand er nach dem öffnen einer Tür auf einer breiten Treppe, die ins Küchengewölbe führte. »Ich möchte mir erlauben, allseits einen guten Nachmittag zu wünschen«, sagte der Butler und lüftete seine schwarze Melone, »mein Name ist Parker, Josuah Parker.« Um einen fast riesig zu nennenden Tisch herum saßen zwei Frauen und drei Männer, die den Butler überrascht anstarrten. Sie trugen teils Felle, teils sackartige Hemden aus grobem Stoff. Ihre Füße waren nackt und sahen nicht gerade klinisch rein aus. Die Personen aßen und tranken durchaus manierlich und benutzten modernes Steingutgeschirr. »Sind Sie etwa neu angeheuert worden?« fragte einer der drei Männer, der aufgestanden war und Parker entgegenkam. »Nur ein vorübergehender Gast, wenn ich so sagen darf«, antwortete der Butler, »besteht die vage Möglichkeit, eine
Tasse Tee zu bekommen?« »Setzen Sie sich.« Der Mann deutete auf eine Bank. »Sie können auch einen Happen essen. Wir haben noch kalten Braten und frisches Brot.« »Nur um Ihre Kleidung scheint es schlecht zu stehen«, stellte der Butler fest. »Unwichtig«, erwiderte der Mann lachend, »das ist nur vorübergehend. Hauptsache, die Kasse stimmt.« Parker hätte gern einige Fragen gestellt, doch in diesem Augenblick war ein dumpfes Tuten zu hören, das unheimlich hohl klang. Die Personen erhoben sich fast gleichzeitig von ihren Sitzen und beeilten sich, die Küche zu verlassen. Sie drängten auf eine Tür zu, die eindeutig in den weiträumigen Park führte. »Tut mir leid«, sagte der Mann gerade noch, der sich bisher mit Parker unterhalten hatte, »unsere Schicht beginnt ...« Josuah Parker wollte ebenfalls hinüber zur Tür, doch ein mächtiger Hund, der hinter dem Steinherd gelegen und den er übersehen hatte, baute sich vor der Tür auf und knurrte feindselig. *** »Was soll der ganze Unsinn, Rupert?« fragte Agatha Simpson unwirsch. Sie befand sich zusammen mit dem Hausherrn in einer Bibliothek, die einen völlig verwahrlosten Eindruck machte. Auf dem Teppich häufte sich trockenes Laub, waren sogar Brandflecken zu sehen. In den Bücherreihen gab es große Lücken, auf dem Boden davor lagen die entsprechenden Bücher. »Unsinn, Lady Agatha?« wunderte sich Sir Rupert, »ich arbeite an einem aufsehenerregenden Experiment. Ich werde
darüber ein Buch schreiben und die einschlägige Wissenschaft verblüffen.« »Vorerst verblüffen Sie nur mich, Rupert«, meinte die Detektivin, »haben Sie keine Hausangestellten mehr? Warum sieht hier alles so verkommen aus? Wer sind diese unmöglichen Gestalten, die halbnackt durch Ihr Haus rennen?« »Meine Steinzeitmenschen, Lady Agatha«, antwortete der Hausherr geradezu begeistert. »So benehmen sie sich auch, Rupert.« »Nicht wahr? Sie haben sich erstaunlich akklimatisiert. Es war überraschend, wie schnell der Firnis der sogenannten Kultur abbröckelte. Von Tag zu Tag immer mehr zeigen sich die Urinstinkte unserer Vorfahren. In ein paar Wochen werden sie alle den Anfang unseres Menschwerdens erreicht haben.« »Aha.« Die ältere Dame schüttelte den Kopf. »Sie wollen also ein Buch über die Steinzeit schreiben?« »Dokumentarisch belegt«, bestätigte der Steinzeit-Narr begeistert. »Und wer spielt diese Steinzeitmenschen?« fragte die Lady weiter. »Freiwillige aus allen sozialen Schichten«, berichtete Sir Rupert und geriet in Eifer, »ich habe mir meine Probanden sehr genau ausgesucht, und sie werden dafür auch gut bezahlt.« »Wie lange soll dieser Unsinn dauern?« blaffte die ältere Dame ungeniert. Was sie dachte, das sagte sie auch. »Das Experiment hat gerade erst begonnen«, erklärte Sir Rupert, »vor anderthalb Wochen habe ich den Startschuß zu diesem Experiment gegeben.« »Und Sie sind sicher, daß diese Leute nicht vorzeitig kündigen?« »Selbst wenn sie es wollen, sie können nicht«, versicherte Sir Rupert und kicherte. »Das Gelände ist hermetisch
abgesperrt.« »Durch was oder wen?« wollte Agatha Simpson wissen. »Zäune, Elektrosicherungen und Wachen«, entgegnete der Experimentator, »ein vorzeitiges Verlassen des Geländes ist nicht möglich, dafür habe ich gesorgt. Aber das alles werden Sie ja noch sehen.« »Wieso sehen? Ich denke nicht daran, Rupert ... Sie sind verrückt! Sagen Sie mir endlich, was Sie von mir wollen und warum Sie mich um Hilfe gebeten haben? Ich habe nur wenig Zeit.« »Sie haben meinen Hilferuf sofort richtig gedeutet.« Sir Ruperts schwarze und schnelle Vogelaugen musterten die ältere Dame. »Sie fühlen sich bedroht und fürchten um ihr Leben, Rupert«, antwortete Agatha Simpson, »aber diesen Eindruck habe ich jetzt nicht mehr. Sie haben mir etwas vorgemacht, wie?« »Sind Sie nicht auch der Meinung, daß ich mich etwas verändert habe?« »Ihre Stimme klingt anders.« Sie nickte und sah ihr Gegenüber forschend an. »Sie sind sehr mager geworden und scheinen etwas in sich zusammengerutscht zu sein, aber vielleicht habe ich Sie anders in Erinnerung.« »Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen, Lady Agatha?« »Das muß jetzt gut anderthalb Jahre zurückliegen, Rupert, aber das ist kein Thema für mich. Sagen Sie mir endlich, was Sie an Hilfe brauchen. Wieso fürchten Sie um Ihr Leben?« »Das wäre weit übertrieben, Lady Agatha.« »Wer bedroht Sie also?« »Eigentlich niemand. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich fühle mich ausgezeichnet.«
»Das ist unerhört!« Agatha Simpson stand auf und sah auf ihn hinunter. »Ich habe große Lust, Sie gründlich zu ohrfeigen. Irgendwie zweifle ich plötzlich, ob ich's wirklich mit Sir Rupert Farnholm zu tun habe.« »Ihr Verdacht ist gerechtfertigt, Lady Simpson«, erwiderte der Gastgeber lächelnd, »Sir Rupert bin ich nicht, aber Sie werden ihn bald sehen können, das verspreche ich Ihnen!« *** Der große Hund fletschte die Zähne, die von beachtlicher Größe waren. Seine Nackenhaare sträubten sich. Parker, der regungslos stehen geblieben war, zeigte keine Angst, hatte allerdings auch keine. Er fixierte das dunkelgraue Tier, das langsam näher kam und gefährlich knurrte. Im Zeitlupentempo hakte Josuah Parker seinen UniversalRegenschirm aus, den er mit dem bleigefütterten Bambusgriff über seinen angewinkelten linken Unterarm gehängt hatte. Der Hund bekam diese langsamen Bewegungen durchaus mit und knurrte noch intensiver, um dann unvermittelt und ohne jede Vorwarnung zu springen. Das Ziel seiner Zähne war eindeutig die Kehle des Butlers, der natürlich nicht gewillt war, sich ohne weiteres niederreißen zu lassen. Josuah Parker wich elegant zur Seite und schien das angreifende Tier dann sogar noch äußerst höflich begrüßen zu wollen. Er lüftete nämlich seine schwarze Melone und ... legte die stahlgefütterte Wölbung auf die Nase des Vierbeiners. Das Tier jaulte auf, als es sich noch in der Luft befand. Dann klatschte es schwer auf die Steinfliesen der Küche und wand sich. Parker hatte inzwischen seinen Schirm ausgehakt und machte sich bereit, mit dem Bambusgriff noch mal zuzulangen, falls der Hund einen zweiten Angriff wagte.
Das Tier verzichtete darauf. Es kroch auf allen vieren um den langen Tisch herum und verkroch sich in einer Ecke hinter einem Gewölbepfeiler. Es jaulte verhalten und beobachtete den Butler mit ausgesprochen scheuen Blicken. Parker empfand durchaus Mitleid mit dem Vierbeiner, den immerhin Menschen dressiert hatten, auf Menschen loszugehen. Parker hätte wesentlich lieber den Dresseur des Hundes mit seiner Melone begrüßt. Ungehindert konnte er jetzt zur Tür gehen und sie öffnen. Die Aussicht war enttäuschend. Er schaute in einen Parkteil, der mal recht gepflegt gewesen sein mußte. Die Taxushecken waren aber wohl seit Monaten nicht mehr nachgeschnitten worden, auf dem weißen Kies der Wege lagen Laub und kleine Äste. Der Park war offensichlich in ein Tal hineingebaut worden, das von schroffen Bergwänden eingeschlossen wurde, von Hängen, die mit Wald und Buschwerk bedeckt waren. Den genauen Verlauf dieses Tals konnte Josuah Parker nicht bestimmen, doch seiner Schätzung nach machte es einen scharfen Knick nach links und verlor sich in der Weite dieser Landschaft. Daß es sich um den Privatbesitz Sir Rupert Farnholms handelte, war ihm klar. Während der Fahrt hieher hatte Agatha Simpson ihm von diesem Mann erzählt, der als recht eigenwillig galt, den man für verschroben und exzentrisch hielt. Sir Rupert Farnholm fühlte sich als Wissenschaftler, obwohl er nicht studiert hatte. Sein Interesse galt den Verhaltensweisen der Menschen, wie man wußte. Erst vor wenigen Stunden war die Lady von diesem Sir Rupert Farnhohn angerufen worden. Es hatte sich leider um eine nur verstümmelte und recht einseitige Unterhaltung gehandelt. Sir Rupert hatte dringend um Hilfe gebeten und deutlich erklärt, er fürchte um sein Leben. Damit war das
Telefonat auch schon beendet gewesen. Agatha Simpson hatte keine einzige Frage stellen können. Unter dem Eindruck dieses Hilferufs hatte man London sofort verlassen und befand sich nun im östlichen Wales in einer gebirgigen Landschaft, die keinen besonders erschlossenen oder besiedelten Eindruck machte. Lady Simpson, Kriminalistin aus Leidenschaft, hatte sich auf einen neuen Fall eingestellt, den sie mit ihrem üblichen Elan zu lösen gedachte. Butler Parker hätte sich den vorderen Teil gern aus der Nähe angesehen, doch sein Gefühl sagte ihm, daß die ältere Dame ihn brauchte. Zudem spürte er, daß der verwildert aussehende Park einige Gefahren bot, die man keineswegs unterschätzen durfte. Er kehrte also um, warf einen Blick auf den mächtigen Hund, der sich mit seiner rechten Pfote vorsichtig die Nase putzte, und ging daneben zur Treppe hinüber, die zur Küchentür und dann zur Wendeltreppe führte. Er hatte diese Tür noch nicht ganz erreicht, als er sich plötzlich zwei Männern gegenübersah, die eindeutig aus der Steinzeit stammten, was ihre Kleidung betraf. Die automatischen Schußwaffen aber, die sie ihm zeigten, waren 20. Jahrhundert und keineswegs Attrappen! *** »Eigenartig, noch immer kein Anruf von Lady Simpson und Parker«, meinte Mike Rander und sah auf seine Armbanduhr, »sie müßten doch längst angekommen sein.« »Zumal Mr. Parker ja nicht gerade langsam fährt, Mike«, fügte Kathy Porter hinzu. »Rufen wir doch mal an«, schlug der Anwalt vor. Er war groß, schlank und erinnerte ein wenig an den James Bond
Darsteller Roger Moore. Er war allerdings noch schlaksiger und wirkte noch phlegmatischer als diese Kunstfigur. Mike Rander besaß in der Curzon Street von London eine Kanzlei, doch er hatte kaum Zeit, als Anwalt zu arbeiten. Lady Agatha hatte ihn nach seiner Rückkehr aus den USA quasi vereinnahmt und mit der Verwaltung ihres Vermögens beauftragt. Kathy Porter, die Sekretärin und Gesellschafterin der Dame, half ihm dabei. Zwischen ihr und Mike Rander bestand ein sehr enges Verhältnis, das über normale Sympathie und Freundschaft hinausging. Kathy Porter, um die fünfundzwanzig Jahre alt, griff nach dem Telefonapparat und wählte die Nummer Sir Rupert Farnholms, die sie sich vor der Abfahrt von Lady Agatha und Parker aufgeschrieben hatte. Es dauerte eine Weile, bis auf der Gegenseite abgehoben wurde. Da Kathy den Mithörverstärker eingeschaltet hatte, konnte Mike Rander das Gespräch verfolgen. »Lady Simpson und ihr Butler?« fragte eine Fistelstimme, »nein, nein, nicht hier angekommen. Ich kann mir das nicht erklären, Lady Simpson hatte ihr Kommen doch fest zugesagt.« »Hat Mylady sich gemeldet?« fragte Kathy Porter. »Nichts, Miß Porter, rein gar nichts. Und sie hätte längst hier sein müssen. Sie konnte doch die Schnellstraße bis nach Birmingham benutzen und dann die Nr. 5 bis Shrewsbury. Es wird doch nichts passiert sein?« »Mr. Parker ist ein ausgezeichneter Fahrer, Sir«, erwiderte Kathy Porter. »Dennoch, Miß Porter, Autofahren ist heutzutage mitunter reine Glückssache. Hören Sie, ich werde Lady Simpson bitten, Sie nach der Ankunft sofort anzurufen, einverstanden?« »Das wäre sehr hilfreich«, meinte Kathy Porter und legte auf. Sie wandte sich zu Mike Rander um, der skeptisch und langsam den Kopf schüttelte.
»Da stimmt was nicht«, sagte er dann, »der erste Hilferuf per Telefon kam hier verstümmelt an. Sir Rupert schien unter Zeitdruck angerufen zu haben.« »Und das Gespräch brach plötzlich ab«, erinnerte Kathy Porter. »Und jetzt ein völlig normales Gespräch, eine völlig normale Verbindung«, redete der Anwalt weiter. »Also zwei grundverschiedene Anrufe, Mike?« »Würde ich behaupten«, entgegnete der Anwalt, »der erste Anruf war echt, der zweite hier getürkt.« »Dann befinden sich Lady Simpson und Mr. Parker in Gefahr, Mike?« »Nicht auszuschließen, Kathy. Kennen Sie diesen Rupert Farnholm?« »Nicht direkt. Farnholm ist sehr vermögend und exzentrisch. Er schreibt populärwissenschaftliche Bücher, die kein Verleger drucken will. Er bringt sie in einem Eigenverlag heraus und verschenkt sie großzügig.« »Worüber schreibt der alte Knabe denn?« Mike Rander lächelte. Erdachte an Lady Agathas Absicht, schriftstellerisch tätig zu werden, um eine gewisse Agatha Christie in den Schatten zu stellen. »Sir Rupert schreibt über versunkene Welten und Kulturen«, berichtete Kathy Porter inzwischen weiter, »er setzt sich dabei ziemlich großzügig über alle bekannten wissenschaftlichen Erkenntnisse hinweg und erklärt alles mit seiner Phantasie.« »Klingt doch recht sympathisch«, fand der Anwalt, »woher kennt er unsere Lady?« »Man ist sich auf verschiedenen Gesellschaften begegnet«, meinte Kathy Porter, »und dann scheint es da noch ein weitläufiges Verwandtschaftsverhältnis zu geben.« »Also, was machen wir, Kathy?« fragte der Anwalt. »Warten
wir noch ab?« »Würde ich vorschlagen«, sagte die junge Dame, »vielleicht noch eine Stunde, Mike?« »Okay, eine Stunde«, stimmte Mike Rander zu, »falls sich bis dahin immer noch nichts rührt, werden wir uns auf die Beine machen, Kathy.« »Und nach Wales fahren?« »Zum Beispiel, Kathy.« Er nickte. »Wir könnten uns aber auch mit Chief-Superintendent McWarden in Verbindung setzen. Sein Polizeiapparat müßte doch in Rekordzeit herausfinden, ob es irgendwo einen Verkehrsunfall gegeben hat.« »Das könnte ich sofort in die Wege leiten, Mike, aber ohne Polizei. Ich werde mich mit dem Königlichen Automobilclub in Verbindung setzen. Lady Simpson ist dort Ehrenmitglied.« »Bestens.« Mike Rander war sofort einverstanden. »Gehen wir's sofort an, Kathy. Es ist nicht Parkers Art, so hartnäckig zu schweigen. Hoffentlich war der Anruf dieses Sir Rupert nicht fingiert!?« *** Lady Agatha sah sich leider außerstande, ihren Pompadour einzusetzen. Der Mann, der nicht Rupert Farnholm war, hielt plötzlich eine Automatik in der rechten Hand und kicherte. »Tun Sie's lieber nicht, Lady«, sagte er, »ich würde sofort schießen.« »Dann wäre ich für Sie uninteressant«, antwortete Agatha Simpson grimmig. »Ich würde Sie natürlich nicht töten, Mylady«, redete der falsche Sir Rupert weiter, »aber Sie würden sich nach einem Schuß nicht mehr wohl fühlen.«
»Was soll dieser Unsinn?« fauchte die Detektivin und sorgte dafür, daß die Schwingungen ihres perlenbestickten Handbeutels sich beruhigten. »Geht es hier um eine Erpressung?« »Treffer«, erwiderte der Pseudo-Rupert und nickte zustimmend, »Sie sind eine stinkreiche Frau und sollen entsprechend angezapft werden.« »Und an welche Summe haben Sie so gedacht?« Lady Agatha kämpfte mühsam gegen ihr leicht cholerisches Temperament. »Wir dachten an eine Million Pfund, Mylady«, sagte der Mann fast beiläufig, »für Sie ist das ein Klacks. Wir haben uns genau informiert. Sie werden diese Summe mit der linken Hand aufbringen.« »Sie sind verrückt!« Agatha Simpson lachte in voller Lautstärke. »Verrückt auf Geld«, meinte der falsche Rupert Farnholm, »wir sind völlig sicher, daß wir das Geld bekommen werden. Es ist nur eine Frage der Zeit.« »Woher haben Sie diese verblüffende Ähnlichkeit mit Sir Rupert?« Die ältere Dame wechselte das Thema und hoffte insgeheim, daß der Butler bald erschien. »Ein paar kleine Tricks, Mylady«, erwiderte der Mann, »aber wechseln wir nicht das Thema. Sie werden zahlen! Ich kann Ihnen nur raten, nicht zu lange damit zu warten ...« »Soll das etwa eine Drohung sein?« Ihre Stimme grollte. »Eine Mahnung, Mylady«, entgegnete der Gangster, »Sie werden bald herausfinden, wie unbequem es sich in der Steinzeit leben läßt.« »In der Steinzeit, junger Mann?« Sie übersah souverän das Alter ihres Gegenüber. »Einen leichten Vorgeschmack davon haben Sie ja bereits
bekommen, Mylady«, ging die Rede weiter, »nach ein paar Tagen werden Sie sich bereits nach einem warmen Bett sehnen.« »Schnickschnack«, entgegnete sie wegwerfend, »haben Sie hier bereits andere Personen, die ebenfalls erpreßt werden sollen?« »Richtig, Mylady. Und sie alle sind inzwischen sehr kleinlaut geworden.« »Warten wir es ab, junger Mann«, grollte sie, »wie geht es dem richtigen Sir Rupert?« »Sie können ihn bald selbst fragen, Mylady. Er ist draußen in der Steinzeit.« »Sie machen mich langsam neugierig.« »Versuchen Sie keine faulen Tricks, Mylady«, warnte der Mann, »wir sind keine Anfänger!« »Ich habe es also demnach mit einer ganzen Bande zu tun, nicht wahr?« »Mit einigen Leuten, die sich in der Branche bestens auskennen«, korrigierte der kleine Mann, »noch etwas Mylady, Sie werden die Steinzeit ohne unsere Erlaubnis nicht verlassen können. Falls Sie's dennoch versuchen sollten, werden Sie sich böse Verletzungen einhandeln.« »Man wird sehen, junger Mann«, erwiderte sie grimmig, »eine Lady Simpson steckt nicht so schnell auf.« »Okay, von mir aus können Sie's ja versuchen.« Der Mann, der sich als Sir Rupert ausgegeben hatte, lächelte amüsiert, »aber warten Sie erst mal, bis Sie in der Steinzeit gelandet sind. Dann werden Sie sich noch gründlich wundern.« Die Detektivin, die einen Überraschungsangriff geplant hatte, mußte zu ihrem Leidwesen ihr Vorhaben aufgeben, denn in diesem Augenblick erschienen zwei fellbekleidete Männer, deren Muskeln optimal ausgebildet waren. Sie hielten mächtige
Steinbeile in den Händen und machten einen harten, finsteren Eindruck. »Bitte schön, Mylady«, sagte der falsche Sir Rupert und verbeugte sich ironisch, »die Steinzeit wartet auf Sie. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen in der Vergangenheit.« »Nun gut.« Die ältere Dame schien sich mit einem solchen Ausflug abgefunden zu haben, doch tatsächlich dachte sie keineswegs daran. Sie hatte noch einiges vor. *** »Wenn Sie erlauben, meine Herren, möchte ich eine Kritik vorbringen.« Josuah Parker lüftete höftlich die schwarze Melone. »Ihre Aufmachung, um es mal so auszudrücken, dürfte nicht ganz stilecht sein.« »Sicher ist sicher«, sagte der größere der beiden Männer und lächelte auf geradezu heimtückische Art, »stilecht werden Sie's in 'ner halben Stunde haben.« »Darf man Näheres über Ihre Pläne erfahren?« Parker machte einen gelassenen Eindruck wie stets. Es schien kaum, etwas zu geben, was ihn zu erschüttern oder zu beeindrucken vermochte. »Wir bringen Sie gleich in die Steinzeit«, sagte der Wortführer der beiden Waffenträger. »Wartet eine bestimmte Periode dieser Epoche auf meine Wenigkeit?« erkundigte sich der Butler. »Wie war das?« fragte der zweite Waffenträger und machte einen leicht verdutzten Eindruck. »Gemeinhin unterteilt man die Steinzeit in drei Abschnitte«, erläuterte der Butler in seiner bekannt-höflichen Art, die keineswegs penetrant belehrend wirkte, »da wäre zuerst mal das Altpaläolithikum, dann das Mittelpaläolithikum und
schließlich das sogenannte Jungpaläolithikum.« »Ach nee«, staunte der größere der beiden Männer. »Man könnte auch wie folgt sagen: Ältere Altsteinzeit.« »Uns ist das Wurscht«, sagte der Mann und winkte ab, »für uns ist Steinzeit gleich Steinzeit. Und für Sie bald auch, Parker.« »Wie darf man also die Einladung in Richtung Steinzeit deuten, meine Herren?« fragte Josuah Parker weiter. »Sie können sich da mal so richtig austoben, Parker«, antwortete der Wortführer, »und Sie können alle Tricks abziehen, die Sie kennen.« »Verfolgen Sie damit einen bestimmten Zweck, wenn man fragen darf?« »Es geht um 'ne Million Pfund, die Ihre Lady blechen wird«, lautete unverblümt die Antwort. »Könnte man möglicherweise auch sagen, daß es sich bei dieser Einladung um eine Erpressung handelt?« Parker hatte die beiden Steinzeitgestalten inzwischen eingestuft. Er war zu dem Schluß gekommen, daß die Schußwaffen für sie keine Dekoration waren. Sie wußten mit den Waffen bestimmt gut umzugehen. Ein Überraschungsangriff war im Moment seiner Einschätzung nach nicht opportun. »Ob Erpressung oder nicht, spielt keine Geige«, beantwortete der Wortführer Parkers Frage, »Hauptsache, das alte Mädchen zahlt möglichst schnell, bevor was passiert.« »Wird man Lady Simpson zwingen, in einem Fell herumzulaufen?« wollte Josuah Parker wissen. »Ich muß gestehen, daß mir solch eine Vorstellung nicht sonderlich zusagen würde.« »Nee, zu den Fellen werdet ihr schon Von allein kommen«, sagte der Mann genußvoll, »da draußen gibt's keine Betten.« »Da gibt's nichts als Steinzeit«, schaltete sich der zweite
Gangster ein. »Eine Einladung, die man nur als äußerst ungewöhnlich bezeichnen kann«, stellte Josuah Parker fest, »gehe ich recht in der Annahme, daß sie keineswegs von Sir Rupert stammt?« »Da liegen Sie richtig, Parker«, erwiderte der Wortführer, »aber den werden Sie da draußen im Freigehege schon noch treffen.« »Freigehege, meine Herren?« »Das ganze Tal ist nichts als Steinzeit«, lautete die Antwort, »unsere Kanonen aber nicht.« »Ich möchte keineswegs verhehlen, daß Ihre Einladung meine Wenigkeit durchaus zu reizen vermag«, antwortete Josuah Parker. »Stellen Sie sich die Sache nicht zu leicht vor«, meinte der Gangster und grinste wie ein Filmschurke, »wir sorgen natürlich dafür, daß unsere Gäste sich nicht auf die faule Haut legen.« »Könnten man zu diesem Hinweis nähere Erläuterungen bekommen?« »Da is' erst mal die Fresserei, Parker«, zählte der Gangster fast genußvoll auf, »alle da drüben in der Steinzeit sind Selbstversorger. Und dann rennen da auch hin und wieder Typen rum, die Stunk machen und für Ärger sorgen. Sie werden schon sehen ... Unsere Gäste werden sich bestimmt nicht langweilen.« »Wo finde ich Lady Simpson?« erkundigte sich der Butler. »In der Steinzeit«, meinte der Gangster ironisch, »hoffentlich hat sie sich nicht schon verlaufen.« »Wenn Sie erlauben, möchte ich Mylady dann folgen«, schlug Josuah Parker in seiner höflichen Art vor, »wenn Sie so freundlich sein wollen, mich einzuweisen?« Nein, er hatte keine Chance, die beiden Gangster anzugehen.
Sie ließen ihn nicht aus den Augen und waren bereit, sofort auf ihn zu schießen. Parker vermied schon im Interesse seiner Herrin, ein Risiko einzugehen. Er setzte auf seine Kunst der Improvisation. *** Es war dunkel geworden. Mike Rander saß am Steuer eines Jaguar, den er sich allerdings nur ausgeliehen hatte. Es ging ihm darum, so schnell wie möglich nach Shrewsbury zu kommen. Er hatte das erlaubte Tempolimit stets leicht überschritten und bisher Glück gehabt, daß er nicht von der Polizei erwischt worden war. Ein Anruf beim Königlichen Automobilclub hatte ergeben, daß auf der Strecke nach Birmingham ein folgenschwerer Autounfall passiert war. Lady Agatha und Butler Paker konnten also nicht mit dem Wagen verunglückt sein. Birmingham hatten Rander und Kathy Porter inzwischen umfahren, und Shrewsbury war nicht mehr weit. Das Gelände war bergig geworden, teilweise sogar abweisend schroff. Leichter Nebel kam auf, Mike Rander mußte das Tempo erheblich drosseln. Damit stieg natürlich seine Nervosität. Sein Verdacht, daß den Gesuchten etwas zugestoßen war, verstärkte sich von Minute zu Minute. Kathy Porter neben ihm gab sich schweigsam. Auch sie schien sich Sorgen zu machen. »Das kostet Zeit«, sagte er, nur um etwas zu sagen. »Wollen wir sofort zu Sir Rupert fahren, Mike?« fragte sie, ohne auf seine Bemerkung einzugehen. »Sie sind dagegen, Kathy, nicht wahr?« Er bremste leicht, als eine enge Kurve nahte. »Rein gefühlsmäßig.« Sie nickte. »Geht mir auch so, Kathy. Die beiden Anrufe stimmen nicht
überein. Einmal so 'ne Art Todesangst, dann wieder eine ganz normale Auskunft. Das paßt nicht zusammen.« »Wir könnten uns den Landsitz ja erst mal aus der Distanz ansehen, Mike.« »Wenn wir den in dieser Nacht überhaupt noch aufzuspüren vermögen. Der Nebel wird immer dichter.« »Was unser Vorteil sein kann.« »Richtig. Wie heißt das Nest eigentlich?« »Mallwyd, Mike. Es liegt bereits in den Cambrian Mountains.« »Neuland für mich, muß ich ehrlich bekennen.« »Eine sehr romantische und einsame Gegend mit wunderbaren Fischbächen, und wilden Schluchten. Nur etwas für Kenner und Leute, die gut zu Fuß sind.« Die junge Dame lächelte. »Dann kann ich ja gleich in Shrewsbury zurückbleiben«, meinte Rander seltstironisch. »Sie wissen doch, Kathy, daß ich nicht gerade eine Sportskanone bin.« »Ob wir uns in Shrewsbury ausrüsten sollten?« fragte sie nachdenklich. »Moment mal, Kathy, wir wollen doch nur herausfinden, wo Lady Simpson und Parker geblieben sind. Ich habe nicht die Absicht, 'ne Weltreise zu unternehmen.« »Sie kennen diese Cambrian Mountains nicht, Mike.« Sie lächelte erneut, wußte sehr wohl, wie hart im Nehmen Mike Rander sein konnte, wie durchtrainiert und sportlich er war. Er liebte es eben nur, stets zu untertreiben. »Das dort muß Shrewsbury sein.« Der Anwalt deutete nach vorn, »okay, das ist es sogar, Kathy. Einwände gegen eine Tasse Tee oder so?« »Ganz sicher nicht.« Sie richtete sich im Sitz auf und unterdrückte ein Gähnen. »Bei dieser Gelegenheit könnten wir
uns ja ganz vorsichtig nach Lady Simpson und Mr. Parker erkundigen.« »Und nach diesem Rupert Farnholm«, fügte der Anwalt hinzu, »so ganz unbekannt kann er ja in der Gegend nicht sein, denke ich.« Mike Rander steuerte den Wagen in die hübsche Kleinstadt und hielt vor einem Hotel, das aus der Zeit der Jahrhundertwende stammte. Er kannte die Vorliebe der älteren Dame für Häuser dieser Art, in denen man nach ihrer Auffassung noch anständig essen konnte. »Wetten, daß?« fragte er Kathy, als er ausstieg. »Natürlich hat die Lady hier eine Kleinigkeit gegessen«, meinte Kathy Porter und lachte. »Nach der Fahrt von London bis hierher dürfte ihr Kreislauf gelitten haben.« Sie betraten die Hotelhalle und übersahen einen gut gekleideten älteren Mann, der in der Lounge saß und Zeitung las. Rander und Kathy durchquerten die Halle und begaben sich sofort in das Restaurant. Der ältere Mann stand wenig später auf und betrat eine der beiden Telefonzellen hinter der Rezeption. Er wählte eine Nummer, wartete ungeduldig, bis auf der Gegenseite abgehoben wurde und teilte seinem Gesprächspartner kurz mit, der Nebel sei dichter geworden. Danach verließ er Telefonzelle und Hotel, setzte sich draußen in einen Jeep und fuhr davon. *** »Wie finde ich das alles, Mr. Parker?« sagte Agatha Simpson leicht gereizt. Sie stand neben dem Butler und schaute mißbilligend in das enge Tal, in dem dicke Nebelschwaden wallten. Man hatte den Eindruck, als koche dort eine Suppe ganz besonderer Art.
Die Licht- und Sichtverhältnisse waren miserabel. Es war dunkel geworden, man hatte sich bereits ein wenig umgesehen, bisher aber keinen Menschen getroffen. Nachdem man Lady Simpson und Parker hier ausgesetzt hatte, waren gut anderthalb Stunden verstrichen. »Ihr Einverständnis voraussetzend, Mylady, sollte man sich um eine Art Nachtquartier kümmern«, antwortete der Butler. »Sie glauben doch nicht, daß ich hier draußen kampieren werde, Mr. Parker«, gab sie erzürnt zurück, »ich verlange, daß Ihnen etwas einfällt.« »Eine Rückkehr in den Landsitz scheint nach Lage der Dinge unmöglich, Mylady. « »Sie werden diesen Draht doch wohl noch zerschneiden können, oder, Mr. Parker?« »Er ist eindeutig elektrisch gesichert, Mylady und wird bewacht. Darf ich daran erinnern, daß man überdies sofort scharf schießen wird, wie angedroht wurde?« Er spielte auf die Instruktionen an, die man ihnen erteilt hatte. Bevor die Steinzeitmenschen sie in die Frühgeschichte entlassen hatten, waren Agatha Simpson und er eingehend belehrt worden. Man hatte sie auf Gefahren aufmerksam gemacht und ihnen bedeutet, das gesamte Areal würde äußerst scharf bewacht. Fluchtversuche sollten und würden mit gezielten Schüssen beantwortet, mit ärztlicher Hilfe und Versorgung sei in keinem Fall zu rechnen. Dies alles hatte Zeit gekostet, daher war es inzwischen auch dunkel geworden. Während dieser eingehenden Instruktionen hatten weder Lady Simpson noch er, Josuah Parker, eine Möglichkeit gehabt, das Blatt zu wenden. Man hatte es mit aufmerksam, reaktionsschnellen Männern zu tun gehabt. Eine Auflehnung hätte nur scharfe Schüsse und böse Verletzungen herausgefordert. Parker war ohnehin froh darüber, daß man weder Lady
Simpson noch ihn in Felle gesteckt hatte. Sie trugen ihre normale Kleidung, aber sie brauchten für die Nacht eine Unterkunft. Parker lüftete entschuldigend die schwarze Melone und ging ein Stück voraus. Seine Herrin blieb auf dem freien Platz stehen, wo die Reste eines Feuers zu sehen waren, abgenagte Knochen und ausgerupfte Vogelfedern. Sie fuhr unwillkürlich zusammen, als sie plötzlich links von sich das Brechen eines trockenen Astes hörte. Die Detektivin wirbelte herum und brachte ihren Pompadour in leichte Schwingung. »Mr. Parker?« rief sie leise. Ihr war unheimlich zumute. Sie gestand sich ein, daß sie sich ein wenig fürchtete. Zu übergangslos war sie in die Steinzeit versetzt worden. Sie dachte an die seltsamen fellgekleideten Menschen, die sie im Landsitz des Rupert Farnholm gesehen hatte. »He, Sie!?« Die Stimme klang leise, aber eindringlich. Lady Agatha beugte sich ein wenig vor, um besser sehen zu können. »Wer ist da?« fragte sie greizter als normal, »zeigen Sie sich gefälligst!« »Haben Sie Zigaretten? Oder einfach Tabak?« fragte die Männerstimme. »Warum zeigen Sie sich nicht?« blieb die ältere Dame hartnäckig. »Sicher ist sicher«, lautete die rätselhafte Antwort, »wie ist das nun mit Tabak?« »Ich rauche nicht«, gab die Lady zurück. »Sie haben schöne Schuhe«, fuhr die Männerstimme fort. »Passen Sie auf sie auf!« »Sie benehmen sich ziemlich albern«, raunzte Agatha Simpson, »sagen Sie mir lieber, wo man hier übernachten kann.« »Weiter unten im Tal«, gab der Mann Auskunft, der nach wie vor in Deckung blieb, »hüten Sie sich vor den Kilgate-
Brüdern!« »Wo finde ich Sir Rupert?« wollte die ältere Dame dann wissen. Das anfängliche Gefühl der Bedrohung hatte sich inzwischen gelegt. »Irgendwo unten im Tal. Möglich, daß er schon nicht mehr lebt.« »Seit wann laufen Sie in dieser Steinzeit herum, junger Mann?« erkundigte sich Lady Simpson weiter. »Seit Ewigkeiten oder so«, lautete die zögernde Antwort, »hier verliert man jedes Gefühl für Zeit. Und man hat...« Er redete nicht weiter. Agatha Simpson hörte einen unterdrückten Schrei, dann ein Keuchen und anschließend hastige Schritte, die sich in der Dunkelheit verloren. Als sie sich umdrehte, fuhr sie unwillkürlich zusammen. Zwei fellbekleidete Gestalten schoben sich an sie heran. Sie erinnerten die Detektivin an Wölfe, die sich noch nicht so recht entschlossen hatten, ihr Opfer anzuspringen. *** »Ein bemerkenswerter Wissenschaftler«, sagte der Manager des Hotels und zeigte Begeisterung, »Sir Rupert hat gerade hier in unserem Haus einige beachtenswerte Vorträge über sein Steinzeit-Experiment gehalten.« Mike Rander und Kathy Porter hatten den rundlichen Mann des Severn-Hotels zu sich an den Tisch gebeten und ihn nach Sir Rupert Farnholm gefragt. »Seit wann läuft denn dieses Experiment?« fragte Kathy Porter. »Mein Partner und ich arbeiten für wissenschaftliche Fachzeitungen. Wir möchten gern darüber berichten.« »Seit wann, ja, lassen Sie mich überlegen.« Der etwa Fünfzigjährige lehnte sich zurück und schloß für einen Moment
nachdenklich die Augen. Dann schob er sich wieder ruckartig vor. »Meiner Schätzung nach sind das etwa zwei Wochen her. Damals erschienen in Shrewsbury die Teilnehmer, hier in unserem Haus. Sir Rupert hielt einen Einführungsvortrag. Wissen Sie, am liebsten hätte ich an diesem Experiment teilgenommen.« »Sir Rupert muß ja faszinierend gewesen sein, wie?« tippte Mike Rander begeistert. »Er war hinreißend«, bestätigte der Manager, »und seine Zuhörer waren begeistert.« »Wieviele Teilnehmer machen denn mit?« stellte der Anwalt die nächste Frage. »Gut zwei Dutzend Männer und Frauen«, berichtete der begeisterte Mann weiter, »das muß man sich mal vorstellen: Leben wie in der Steinzeit, ohne all die Hilfsmittel unseres technischen Zeitalters. Sehr reizvoll, wirklich.« »Und nicht gerade bequem«, warf Kathy Porter ein. »Bestimmt nicht«, pflichtete der Manager ihr bei, »die Teilnehmer müssen improvisieren und aus dem Tal heraus leben.« »Was stellt man sich darunter vor?« fragte Mike Rander. Er war froh, Einzelheiten erfahren zu können. »Nun ja, wenn Sie so wollen, muß man Kräuter und Wurzeln suchen, Wild erlegen, Feuer machen, Getreide anbauen und Haustiere züchten. Wie eben in der Steinzeit.« »Allmächtiger Gott«, seufzte Mike Rander auf, »schaffen diese Teilnehmer das denn? Werden sie nicht verhungern? « »Das Mallwyd-Tal ist ideal«, begeisterte sich der Manager weiter, »sehr wildreich. In den beiden Bächen wimmelt es nur so von Fischen. Nein, nein, ich glaube nicht, daß man Hunger leiden wird. Und für den Notfall ist ja Sir Rupert zur Stelle, aber wirklich nur für den Notfall. Darauf hat er in seinem
Einführungsvortrag besonders hingewiesen.« »Wie lange soll denn das Experiment dauern?« wollte Kathy Porter, wissen. »Ein Jahr«, lautete die Antwort, »ja, Sie haben völlig richtig gehört, ein ganzes Jahr lang, auch über den Winter hinweg.« »Hat es nicht bereits ähnliche Experimente gegeben?« fragte der Anwalt. »Immer wieder.« Der Manager des Hotels nickte. »Universitäten haben ähnliche Versuche durchgezogen, die aber in fast allen Fällen vorzeitig beendet werden mußten, weil die Teilnehmer sich zerstritten.« »Das könnte doch auch im Mallwyd-Tal passieren«, meinte Kathy Porter. »Eben«, pflichtete Mike Rander ihr bei, »die Leute brauchen doch nur zu verschwinden. Sie sind ja schließlich nicht eingesperrt.« »Eben doch, wenn auch nur im übertragenen Sinn«, antwortete der Hotelmanager, »das ist eben der Unterschied zu den bisherigen Experimenten. Die Teilnehmer können nicht so ohne weiteres aufstecken und gehen. Das ganze Tal ist eingezäunt, verstehen Sie? Sir Rupert ist da sehr konsequent. Er hat sich gerade diesen Zaun viel Geld kosten lassen. Nein, ohne seine Einwilligung kann da keiner verschwinden. Die Teilnehmer haben sich ausdrücklich damit einverstanden erklärt. Ich weiß genau, daß sie entsprechende Papiere unterschrieben haben.« »Irgendwie erinnert mich das an ein Gefängnis«, meinte Rander. »In das die Insassen aber freiwillig gegangen sind«, erwiderte der Manager, »wirklich, ich bedaure, an diesem Abenteuer nicht teilnehmen zu können. Das ist doch wenigstens noch eine echte Herausforderung, finden Sie nicht
auch?« »Waren Lady Simpson und ihr Butler auch dieser Ansicht?« fragte Mike Rander, der unvermittelt das Thema wechselte. »Lady Simpson und ihr Butler?« Der Manager zog ein erstauntes Gesicht. »Sie müssen hier ihren Tee genommen haben, wie wir wissen«, redete Rander weiter, um die beiden Personen, von denen er sprach, ausgiebig zu beschreiben. »Tut mir leid«, bedauerte der Hotelmanager prompt, »die Herrschaften waren mit Sicherheit nicht hier. Aber Sie können selbstverständlich auch noch das gesamte Personal befragen. Ich möchte mich dafür verbürgen, daß das, was ich sagte, stimmt. Gäste dieser Art wären mir sofort aufgefallen.« »Dann werden wir wohl zu Sir Ruperts Landsitz fahren müssen«, sagte Mike Rander zu Kathy Porter. »Möglichst schnell«, erwiderte sie, »verfahren kann man sich ja wohl nicht, oder?« »So gut wie ausgeschlossen«, behauptete der Hotelmanager eifrig, »ich könnte Ihnen den Weg aber auch noch ganz genau beschreiben. Es gibt da ein paar Abkürzungen.« Sie ließen sich die Abkürzungen eingehend schildern, bevor sie ihre Weiterfahrt antraten. Der Manager schüttelte den Kopf, als er den Jaguar sah, mit dem sie gekommen waren. »Damit werden Sie Schiffbruch erleiden«, sagte der Mann spontan, »sehr gut sind die Straßen gerade nicht.« »Und was schlagen Sie vor?« fragte Mike Rander, »könnte man sich hier irgendwo einen passenden Untersatz mieten?« »Wie wäre es denn mit einem Landrover?« fragte der Manager. »Klingt gut, Mr. Wanters«, antwortete Kathy Porter. »Ich kenne da einen Autoverleih«, meinte John Wanters, wie der Manager hieß, »wenn Sie erlauben, werde ich das sofort in
die Hand nehmen.« »Das wäre sehr nett von Ihnen.« Kathy sah dem davoneilenden Mann nach und drehte sich dann zu Mike Rander um. »Fragen Sie erst gar nicht, Kathy«, sagte er lächelnd, »ich traue ihm auch nicht über den Weg. Irgendwas ist faul im Staate Dänemark, um den guten alten Shakespeare zu zitieren. Haben Sie seine starren Augen beobachtet, als wir die Namen Lady Simpson und Butler Parker erwähnten? Er reagierte etwas zu harmlos. Unser Duo muß einfach hier gewesen sein!« *** Josuah Parker bewegte sich über eine Art Ziegenpfad, der steil nach unten ins Tal führte. Obwohl in einer mehr als seltsamen Situation, zeigte er Würde und Gemessenheit. Der altväterlich gebundene Regenschirm hing korrekt am angewinkelten linken Unterarm. Er war sich seit einigen Minuten klar darüber, daß er aufmerksam beobachtet wurde. Seine innere Alarmanlage hatte sich längst zu Wort gemeldet und Gefahr signalisiert. Ihm ging es darum, möglichst schnell eine passende Unterkunft für die Nacht zu finden. Der tief im Tal wallende Nebel war noch dichter geworden. Das Zwielicht wich der nächtlichen Dunkelheit. Parker befand sich auch innerlich keineswegs in einem Zustand der Panik. Situationen dieser oder ähnlichen Art waren ihm nicht fremd. Schon häufig hatte Lady Simpson und er sich in einer vergleichbaren Situation befunden. Daß es sich hier um eine Erpressung handelte, beruhigte ihn. Man hatte es demnach immerhin mit Gangstern zu tun, die handfeste Ziele verfolgten und nicht mit einem Gegner, dessen Geist verwirrt war und der sich an den Qualen seiner Opfer
ergötzen wollte. Hier ging es einzig und allein um eine Million Pfund! Parker erreichte eine Art Plateau mit dichten Büschen. Dahinter erhoben sich Bäume, die eng standen. Parker blieb stehen und roch den Rauch eines Feuers. Er spürte, daß die unsichtbaren Beobachter sich weiter näherten. Er rechnete mit einem plötzlichen Angriff und hielt es für angebracht, seinen altväterlich gebundenen Regenschirm vom linken Unterarm zu nehmen. Er hörte knapp hinter sich den dumpfen Aufprall eines Steins, aber er beging nicht den Fehler, sich umzuwenden, er wich zur Seite aus und gleichzeitig zurück. Dann sah er einen länglichen Schatten, der auf ihn zuhechtete. Man hatte ihn durch den Steinwurf ablenken und täuschen wollen. So aber konnte er dem Angreifer auf seine sehr eigenwillige Art begegnen. Der längliche Schatten verfehlte ihn nur knapp und landete auf dem harten Boden, war aber sofort wieder auf den Beinen. Parker verzichtete in Anbetracht der Umstände auf eine höfliche Frage, sondern benutzte seinen bleigefütterten Bambusgriff des Schirms als eine Art Keule. Bevor der Schatten ihn erneut angehen konnte, hatte der Butler bereits getroffen. Der Schatten stieß einen Seufzer aus und streckte sich dann auf dem Boden aus. Parker erkannte eine männliche Gestalt, die ein Lammfell trug. Dicht neben dieser Person lag eine Steinaxt, ein unförmiges Ding, mit dem man nachdrücklich zulangen konnte. Parker wich einen halben Schritt zurück und wartete ab. »Hallo«, rief eine leise Männerstimme. »Ich erlaube mir, einen relativ guten Abend zu wünschen«, erwiderte der Butler, »ließe es sich einrichten, die kleine Lichtung hier zu betreten?« Die Antwort bestand in einem Steinbrocken, der den Butler
nur um ein Haar verfehlte. Parker wartete natürlich nicht auf das zweite Wurfgeschoß, sondern schob sich in das dichte Strauchwerk. Dann harrte er geduldig der Dinge, die auf ihn zukamen. Die Gestalt rührte sich inzwischen, scharrte mit den Beinen auf dem Boden und setzte sich dann hoch. Der Mann fingerte vorsichtig nach seinem Hinterkopf und stöhnte. »Wo ist der Neue?« fragte er dann leise, aber eindringlich. Parker war klar, daß nur er gemeint sein konnte. »Achtung, da drüben in den Sträuchern«, lautete die Antwort. »Ist er abgehauen?« Der Mann fingerte erneut an der sich bildenden Beule. »Keine Ahnung«, sagte die andere Stimme, »ich glaub aber nicht.« »Wir müssen ihn finden, bevor die anderen ihn haben.« Der Mann kniete hoch und entfernte sich dann auf allen Vieren. Parker rührte sich nicht. Er wollte herausfinden, ob er es wirklich nur mit zwei Personen zu tun hatte. Er wunderte sich, daß die hier im Tal eingeschlossenen Steinzeitmenschen solch eine Aggressivität zeigten, man schien nicht zusammenzuhalten, sondern aufeinander loszugehen. Wahrscheinlich ging es hier um Sein oder Nichtsein im engsten Sinn des Wortes. Für einen Moment sah Parker dann die beiden Fellbekleideten. Sie rannten aus ihrem Versteck quer über das Plateau und warfen sich nicht weit von ihm ins Gesträuch. Am Schlagen und Brechen kleiner Äste war deutlich zu hören, daß sie sich entfernten. Parker dachte an seine Herrin. War es nicht angebracht, so schnell wie möglich zu ihr zurückzukehren? Doch warum hatten die beiden Angreifer sich so plötzlich abgesetzt? Hatten sie etwa Angst vor einem Gegner, der geschickter und härter
war als sie? Butler Parker blieb, wo er war, und rührte sich nicht. Er setzte darauf, daß die kriegerische Dame durchaus in der Lage war, sich gegen etwaige Angreifer zu behaupten. *** Sie waren mittelgroß, muskulös und lagen regungslos am Boden. Lady Agatha war versucht, eines ihrer Beine auf die Jagdbeute zu setzen. Die beiden Männer hatten sich nämlich kreuzweise übereinandergelegt und waren nicht in der Lage, gegen diese geplante Siegerpose etwas zu unternehmen. Die ältere Dame hatte mit ihrem Pompadour und dem darin befindlichen »Glücksbringer« schnell und energisch zugelangt. Mit dieser Reaktion hatten die beiden Fellbekleideten auf keinen Fall gerechnet. Sie waren voll erwischt worden. Wie war das noch gewesen? Die Stimmen aus dem Buschwerk hatten sie vor den Kilgate-Brüdern gewarnt? Waren das diese Brüder, die sie gerade so waidgerecht erlegt hatte? Agatha Simpson schob mit ihrem rechten Schuh zwei Steinbeile zur Seite, dann wartete sie, bis die beiden Männer sich endlich rührten. »Hoffentlich haben Sie sich etwas abgekühlt«, meinte sie, als die Männer endlich stöhnten. »Reißen Sie sich zusammen«, grollte die Lady dann, »so hart habe ich gar nicht zugeschlagen.« »Ich glaub', mich hat ein Pferd getreten«, sagte einer der beiden und setzte sich. »Haargenau«, bestätigte der andere Mann. Mit ihrer Vermutung lagen sie durchaus richtig, denn es war schließlich ein echtes Pferdehufeisen, das sie außer Gefecht gesetzt hatte. »Sind Sie die Kilgate-Brüder?« erkundigte sich Lady Simpson.
»Stimmt«, sagte derjenige, der an einem locker gewordenen Schneidezahn fingerte. Er sprach nicht sehr deutlich. »Sie sollen gefährlich sein?« »Stimmt«, erwiderte auch der andere und massierte seinen Unterkiefer, »ich bin Joe, das da ist Hank.« »Sie wollten also eine wehr- und hilflose Frau überfallen?« entrüstete sich die ältere Dame. »Wie haben Sie uns eigentlich geschafft?« fragte Hank, der Ärger mit seinem Schneidezahn hatte. Er nuschelte ein wenig. »Wehr- und hilflose Frau?« fragte Joe und betastete weiter seinen leicht ausgerenkten Unterkiefer. Sie musterten Agatha Simpson, die wegen der Lichtverhältnisse mehr als Schattenriß zu erkennen war. Sie saßen vor einer großen, stattlichen Frau, die keine Angst zeigte, wie sie instinktiv spürten. »Wo kann man hier übernachten?« erkundigte sich Lady Simpson dann. »Wir hätten da 'ne kleine Hütte«, meinte Joe zögernd. »Was lassen Sie dafür denn springen?« Hank nuschelte noch immer. Sein Zahn schmerzte und wackelte. »Was stellen Sie sich denn so vor?« wollte die Detektivin wissen. »Zigaretten oder Tabak«, sagte Hank. »Wir haben seit ein paar Wochen nicht mehr geraucht.« »Wie lange sind Sie bereits hier im Tal, junger Mann?« herrschte Lady Agatha Hank Kilgate an. »Weiß der Henker. Monate oder Jahre, keine Ahnung.« »Papperlapapp, junger Mann! Strengen Sie sich gefälligst an und geben Sie eine präzise Antwort!« »Gut zwei Wochen«, wurde Joe Kilgate dann genau. Er schien seinen Unterkiefer inzwischen wieder in die
ursprüngliche Form gebracht zu haben. »Bitte, es geht doch«, meinte die Detektivin ein wenig wohlwollender, »gehören Sie zu den Leuten, die man erpressen will?« »Nee, eigentlich nicht«, lautete die Antwort, »wir sollen Leben hier ins Tal bringen.« »Half doch endlich die Klappe«, mischte sich Hank nuschelnd ein. Er hatte sich entschieden, den lockeren Zahn herauszureißen. Es klappte ohne Schwierigkeiten. Er hielt ihn plötzlich zwischen Daumen und Zeigefinger und zeigte Verblüffung. »Ich werde Sie ab sofort dabei unterstützen«, stellte Lady Agatha klar. »Wieso unterstützen?« wollte Joe Kilgate wissen. »Um Leben hier ins Tal zu bringen«, redete die ältere Dame energisch weiter, »wieso tun diese Steinzeitmenschen sich nicht zusammen und brechen aus dem Gefängnis aus?« »Keine Ahnung«, nuschelte Hank und warf seinen Zahn ins Gebüsch. »Es sind wohl Lümmel wie Sie, die diese Leute daran hindern, nicht wahr?« »Unsinn«, antwortete Joe, »spielen Sie sich bloß nicht so auf. Sie werden noch erleben, was hier los ist...« Hank, der seinen Schneidezahn losgeworden war, wollte es noch mal versuchen und die Lady anspringen. Er hatte neue Kräfte gesammelt und stürzte sich aus .der Hocke heraus auf die sechzigjährige Frau. Er jaulte auf wie ein getretener Hund, als Lady Agatha sehr ungeniert mit ihrem linken Schuh zulangte. Die derbe Schuhspitze traf das Schienbein von Hank Kilgate, der daraufhin auf dem unlädierten Bein tanzte. Joe Kilgate versuchte ebenfalls sein Glück, zumal die ältere
Dame ihm den Rücken zugedreht hatte. Er wollte sie mit blitzschnellen Jagdhieb doch noch außer Gefecht setzen. Doch Lady Agatha schien solch einen Angriff erwartet zu haben. Ihr Pompadour schwenkte zurück und legte sich auf das Brustbein des Angreifers. Joe Kilgate gurgelte leicht, hatte das Gefühl, erneut von einem Pferd getroffen worden zu sein und legte sich rücklings auf einen Strauch, der unter seinem Gewicht nachgab und ihn dann verschluckte. »Ich glaube, ich werde ein wenig ärgerlich«, bekannte Lady Simpson, deren Gesicht allerdings Freude ausdrückte, »aber bitte, von mir aus können Sie's noch mal versuchen.« Joe Kilgate schob sich hustend aus dem Gebüsch und sah seinen Bruder Hank anklagend an. Die beiden Kilgate-Brüder, die für Leben im Tal sorgen sollten, wie sie es ausgedrückt hatten, warfen der älteren Dame einen scheuen Blick zu und setzten sich dann gemeinsam ab. Sie waren eindeutig zu dem Schluß gekommen, daß mit dieser Frau nicht gut Kirschenessen war. Lady Simpson verzichtete auf eine Verfolgung und wanderte ungeduldig auf der kleinen Lichtung umher. Sie wartete auf Parkers Rückkehr und auf einen Hinweis, wo und wie man die kommende Nacht verbringen konnte. Sie fuhr herum, als sie Schritte hörte, die von einem etwas aufgesetzten Räuspern begleitet und untermalt wurden. Es war Parker, der als Schattenriß auf dem freien Platz erschien und höflich seine schwarze Melone lüftete. »Darf ich mir gestatten, mich nach Myladys Wohlbefinden zu erkundigen?« fragte er dann. »Es geht mir ausgezeichnet«, erwiderte sie, »eben erst habe ich die Kilgate-Brüder in die Flucht geschlagen.« »Die Kilgate-Brüder, Mylady?« »Sie sollen für Leben unten im Tal sorgen«, redete sie weiter, »meiner Schätzung nach sind es ganz normale Subjekte,
die im Auftrag der Gangster für Angst und Schrecken zuständig sind.« »Ein trefflicher Hinweis, Mylady, wenn ich so sagen darf«, antwortete Josuah Parker, »man möchte die tatsächlichen Opfer dahin bringen, möglichst schnell die verlangten Erpressungsgelder zu zahlen.« »Von mir wird man natürlich keinen einzigen Penny bekommen«, verkündete Agatha Simpson. »Sie wissen, Mr. Parker, ich bin absolut nicht geizig, aber unter Druck setzen läßt sich eine Lady Simpson niemals!« *** »Halten wir uns an den Weg, den der Hotelmanager beschrieben hat? « fragte Mike Rander, als sie Shrewsbury hinter sich gelassen hatten. Sie saßen in dem Landrover, den sie prompt hatten mieten können. »Werden wir ihn überhaupt finden, Mike?« gab Kathy zurück. »Der Nebel wird immer dichter.« »Ich denke schon, daß wir ihn erwischen. Falls wir ihn nehmen, könnten wir schnurstracks in eine Falle laufen.« »Und falls nicht, Mike, weiß man, daß wir Verdacht geschöpft haben.« »Das würde die Sache schnell klären. Dann wissen wir, woran wir sind.« »Sie meinen, daß man sich dann schnell und gezielt mit uns befassen muß, Mike?« »Würde ich schon sagen.« Er nickte. »Gewisse Leute werden dann ihre Deckung verlassen müssen.« »Und wenn man bereits hinter uns her ist Mike?« Kathy drehte sich um und warf einen Blick auf die Fahrbahn hinter dem Heck des Landrover. Der Nebel war kompakt und nahm
jede Sicht. »Wir werden bei der nächsten Gelegenheit abbiegen und erst mal abwarten«, schlug Mike Rander vor, »ich könnte mir durchaus vorstellen, daß man uns bereits verfolgt.« Sie brauchten nicht lange zu warten, bis sie mit dem Landrover die Straße nach Welshpool verlassen konnten. Mike Rander lenkte den hochbeinigen Wagen in einen Seitenweg, schaltete die Scheinwerfer aus und verließ das Fahrzeug. Kathy Porter schloß sich ihm an. Sie waren froh, daß sie vor Antritt der Fahrt ihre Trenchcoats mitgenommen hatten. Es war kühl geworden, ein feiner Nieselregen feuchtete den Nebel an und ließ ihn immer suppiger werden. »Hören Sie, Kathy?« fragte Mike Rander plötzlich, »da schleicht doch einer auf der Straße herum.« »Dort sind die Lichter«, fügte sie hinzu und deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Sieht nach einem kleinen LKW aus.« »Der Fahrer dürfte sich auskennen.« Rander beobachtete die Lichter des erstaunlich schnell sich nähernden Wagens. Dann machten er und Kathy einen Kastenlieferwagen aus, der wie ein Schemen am Feldweg vorbeifuhr und bald darauf im Nebel verschwand. »Und jetzt zurück nach Shrewsbury«, schlug Rander spontan vor, »ich möchte mir das Gesicht dieses Hotelmanagers ansehen, Kathy.« »Gute Idee.« Sie war sofort einverstanden. »Man soll schließlich immer das tun, was man von einem gerade nicht erwartet.« Mike Rander stieß den Landrover zurück auf die Straße und fuhr wieder nach Shrewsbury. Unterwegs kam er noch mal auf einen gewissen Chief-Superintendent McWarden zu sprechen, der im Londoner Yard ein Sonderdezernat leitete.
»Er sollte wenigstens wissen, wo wir stecken, Kathy«, sagte der Anwalt. »Aber er darf sich auf keinen Fall einschalten, Mike«, warnte sie, »schon eine Anfrage bei der hiesigen Polizei könnte für Mylady und Mr. Parker gefährlich werden.« »Trauen Sie auch der Polizei nicht, Kathy?« »Eine harmlose Anfrage könnte schon zuviel sein«, meinte sie, »hier in der Provinz und auf dem Land sickert schnell etwas durch.« »Ich werde McWarden entsprechend vergattern«, versprach der Anwalt, »Shrewsbury kommt bereits in Sicht, wenn ich mich nicht sehr täusche. Wir lassen den Rover am besten in einer Seitenstraße stehen.« »Und warten, bis der Lastwagen zurückgekehrt ist, Mike?« »Würde ich vorschlagen.« Rander nickte. »Falls unsere Vermutung richtig ist, wird der Fahrer ja wohl bald aufkreuzen und Bericht erstatten.« »Werden wir dann eingreifen, Mike? Ich mache mir Sorgen.« »Besonders wohl fühle ich mich allerdings auch nicht, Kathy, doch ich setze auf Parker. Zum Teufel, bisher ist er doch noch immer mit den schwierigsten Situationen fertig geworden. Warum sollte das jetzt anders sein?« Sie fanden eine passende Gasse in der Nähe des Hotels, verließen den Landrover und gingen auf Umwegen zurück in die Nähe des Hotels. Sie bauten sich in einem günstig gelegenen Vorgarten auf und beobachteten den Eingang. Es gab nur noch wenige Passanten, die sich beeilten, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Der Nebel wurde immer dichter und war bereits mit dem Messer zu schneiden. ***
»Ich muß mich doch sehr wundern, Mr. Parker«, raunte die ältere Dame, »Sie können wirklich keinen Tee bereiten?« »Momentan, Mylady, leider nicht«, bedauerte der Butler höflich, »aber man könnte mit einem Kreislaufbeschleuniger dienen.« »Immerhin etwas«, meinte sie, »ich glaube, die ganze Aufregung hat mich doch ein wenig mitgenommen.« Parker griff in die Innentasche seines schwarzen Covercoats und holte eine Taschenflasche hervor, die in Leder gehüllt war. Er schraubte den ovalen Becherverschluß ab und konnte seiner Herrin wenig später einen französischen Kognak reichen. Sie kippte ihn gekonnt hinunter und nickte wohlwollend. »Und jetzt, Mr. Parker?« wollte sie wissen, als sie ihm den ovalen Silberbecher zurückgab. »Gehen wir hinunter ins Tal?« »Darf ich darauf verweisen, Mylady, daß das Risiko kaum abzuschätzen ist«, erwiderte Parker, »der Pfad ist steil und dürfte inzwischen rutschig geworden sein.« »Dann suchen Sie eine hübsche kleine Hütte, Mr. Parker.« »Darf es auch ein Lagerfeuer sein, Mylady?« »Ich fühle mich nicht gerade als Pfadfinderin«, erklärte sie abfällig, »obwohl ich ja eine war ... Was versprechen Sie sich von einem Lagerfeuer? Wir werden nur weitere Steinzeitsubjekte anlocken.« »Ein Effekt, Mylady, den man nur als begrüßenswert bezeichnen sollte«, erwiderte der Butler, »das Feuer dürfte sogenannte Leidensgenossen anlocken.« »Oder Strolche, die mich angreifen wollen.« »Auch solche Herrschaften dürften von Nutzen sein, Mylady.« »Tun Sie, was Sie wollen.« Sie nahm auf einem umgestürzten Baumstamm Platz und schaute zu, wie Parker
Holz sammelte. Dies dauerte nur wenige Augenblicke. Trotz der herrschenden Dunkelheit schienen ihm trockene Aste geradezu in die Hände zu springen. Anschließend entzündete Parker das Reisig, dessen Flammen schnell auf die dickeren Aste übersprangen. Schon nach wenigen Minuten war ein großes Feuer entstanden. »Sehr romantisch«, fand die ältere Dame in versöhnlichem Ton, »hoffen wir, daß wir bald Besuch bekommen.« »Aus diesem Grund sollte man sich vielleicht ein wenig abseits setzen«, schlug Parker vor, »die Absichten etwaiger Besucher könnten feindseliger Natur sein.« »Genau das wollte ich gerade vorschlagen«, behauptete die Detektivin und folgte Parker in das dichte Buschwerk. Der Butler zauberte für sie eine passable Sitzbank auf einer Böschung und bot ihr seinen Covercoat als Kälteschutz an. Sie schüttelte den Kopf und verlangte nach einem zweiten Kreislaufbeschleuniger. Parker wollte die Flasche gerade wieder hervorholen, als man das feine Brechen von kleinen Ästen und Zweigen hörte. »Diese scheußlichen Kilgate-Brüder«, sagte die Lady erstaunlich leise. »Diese Herren dürften Myladys Kampfkraft kennen und sich wesentlich vorsichtiger bewegen«, meinte der Butler, »es scheint sich um ungeübte Waldläufer zu handeln.« »Leidensgenossen, Mr. Parker?« »Mylady hätten es nicht treffender ausdrücken können.« Parker bewegte sich zur Seite und beobachtete den schmalen Pfad. Nach einer Weile waren zwei Gestalten zu erkennen, die vorsichtig an das Feuer heranschlichen. Als sie den freien Platz erreicht hatten, blieben sie wie witternde, mißtrauische Tiere stehen. Sie flüsterten leise miteinander und machten einen ängstlichen Eindruck. »Herzlichst willkommen«, grüßte Parker und trat aus seinem
Versteck hervor. Die beiden in Felle gehüllten Männer fuhren herum und wollten flüchten. Doch als Parker seine schwarze Melone lüftete, blieben sie sprungbereit stehen. »Darf ich Sie im Namen Lady Simpsons begrüßen?« Parker trat näher und schnitt ihnen den Fluchtweg in Richtung Ziegenpfad ab. »Lady Simpson?« fragte einer der beiden Männer. »In der Tat«, versicherte Parker, »und mit wem hat Mylady die Ehre?« »Clyde Alton«, stellte sich der Mann vor und deutete auf seinen Begleiter, »das hier ist Norman Maiden.« »Sollten die Herren gegen ihren erklärten Willen hier festgehalten werden?« Parker trat näher. »Das kann man wohl sagen«, antwortete Clyde Alton, ein rundlicher Mittfünfziger, der einen erschöpften Eindruck machte. »Man hat uns entführt«, fügte Norman Maiden hinzu. Er war etwa knapp fünfzig, fast schlank. »Man will von uns ein Lösegeld erpressen.« »Die Herrschaften haben Kontakt zu weiteren Steinzeitmenschen wider willen?« forschte Parker weiter. »Nur flüchtig«, erwiderte Clyde Alton, »hier im Tal geht man sich tunlichst aus dem Weg, verstehen Sie? Hören Sie, Sie sollten das Feuer klein halten. Außer uns werden es auch noch andere sehen.« »Wäre dies von Bedeutung, meine Herren?« »Hier denkt jeder zuerst mal an sich«, warnte Norman Maiden, »und dann sind da noch die Steinzeitjäger.« »Sie hetzen uns immer wieder durch das Tal«, beklagte sich Clyde Alton, »sie schlagen und prügeln ... Sie lassen uns keine Ruhe.« »Sie denken möglicherweise an die sogenannten Kilgate-
Brüder?« »Die sind besonders schlimm«, entgegnete Norman Maiden, »brutal und tückisch, aber ich will natürlich nichts gesagt haben. Seit wann sind Sie hier in der Steinzeit? Entschuldigen Sie, eine dumme Frage! Sie müssen gerade erst eingeliefert worden sein ...« »Was in der Tat der Fall ist, meine Herren«, sagte Josuah Parker, »und seit wann müssen Sie in dieser künstlichen Vergangenheit leben?« »Seit etwa einer Woche oder so ...« Norman Maiden trat nahe an das wärmende Feuer und hielt die gespreizten Hände in die Flammen. »Und wieso laufen Sie in diesem unmöglichen Aufzug herum?« war in diesem Moment die barsche Stimme der älteren Dame zu vernehmen. Sie hatte die Deckung verlassen und musterte die Männer, die sie anstarrten. »Die Jäger haben uns unsere Kleidung weggenommen«, klagte Clyde Alton, »Ihnen wird das bestimmt auch noch passieren. Sie wollen uns ganz bewußt demütigen und fertigmachen.« »Wollen Sie denn nicht zahlen?« erkundigte sich die ältere Dame weiter. »Das haben wir ja bereits«, lautete Norman Maidens Antwort, »aber wir werden erst rausgelassen, wenn alle gezahlt haben.« »Und soweit ist es noch nicht«, fügte Clyde Alton hinzu, »und es fragt sich, ob wir diese Steinzeit überhaupt lebend verlassen werden.« »Nun reißen Sie sich mal zusammen«, blaffte die Lady die beiden Steinzeitmenschen an, »nehmen Sie sich an mir ein Beispiel.« »Sie sind ja erst seit ein paar Stunden hier«, antwortete
Maiden, »sprechen wir uns in ein paar Tagen wieder, Madam. Ich bin sicher, daß Sie dann ganz anders reden werden. « Bevor Agatha Simpson antworten konnte, kam aus dem Tal ein dumpfer Laut, drohend und unheimlich. »Die Nachtvögel sind unterwegs«, flüsterte Maiden und zog unwillkürlich den Kopf ein. »Wer ist denn das?« fragte Agatha Simpson und machte sofort einen neugierig-aufgekratzten Eindruck. »Sie sind noch schlimmer als die Kilgate-Brüder«, sagte Clyde Alton leise und scheu, »keiner weiß, wer sie sind, aber sie sind überall. Sie haben das Feuer hier gesehen und werden bald hier sein.« »Wie schön«, meinte die Detektivin, »Mr. Parker, ich habe den richtigen Einfall, dagegen etwas unternehmen zu können.« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady«, versicherte Josuah Parker in seiner höflichen Art, »wenn Sie erlauben, werde ich Ihre Anregungen sofort in die Tat umsetzen.« *** »Ihm dürfte ein Licht aufgegangen sein«, sagte Mike Rander und deutete auf den Kastenlieferwagen, der aus dem Nebel kam und knapp vor dem Hoteleingang erschien. Zwei jung aussehende Männer in Overalls verließen das Fahrerhaus und verschwanden im Gebäude. Einer von ihnen hinterließ einen recht gehetzten Eindruck. »Schade, daß man nicht mehr sehen oder sogar hören kann, Mike.« Kathy deutete zum Hotel hinüber. »Ob wir uns heranpirschen können?« »Warum eigentlich nicht?« Mike Rander war sofort einverstanden. »Wissen soll ja bekanntlich Macht sein.«
Sie verließen den Vorgarten, in dem sie gewartet hatten und schoben sich an das Hotel heran. Als sie den Lastwagen erreicht hatten, kam Kathy Porter eine Idee. »Und wenn wir einsteigen, Mike?« fragte sie. »'ne bessere Idee hätte ich auch nicht haben können«, meinte er und war sofort einverstanden, »irgendwo wird man den Laster ja schließlich abstellen. Kommen Sie, Kathy!« Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der Anwalt und seine Begleiterin im Kastenaufbau verschwunden waren. Mike Rander knipste sein Feuerzeug an und orientierte sich kurz. Dann deutete er auf einen Stapel alter Decken. Rander und Kathy Porter setzten sich und warteten ab. Es dauerte nur wenige Minuten, bis sie Schritte hörten, dann Stimmen. Die beiden Wagentüren am Fahrerhaus wurden geöffnet, dann nahmen die Männer Platz. Was sie sich zu sagen hatten, konnten Kathy Porter und Mike Rander durch eine Lüftungsklappe deutlich verfolgen. »Die haben gut reden«, sagte der Fahrer, der den Motor in Gang setzte. Seine Stimme klang wütend. »Wie soll man sich in der Suppe überhaupt zurechtfinden?« »Vielleicht liegen die beiden Schnüffler längst in irgendeiner Seitenschlucht«, antwortete der Beifahrer. »Aber wir sollen sie finden«, ärgerte sich der Fahrer und ließ den Kastenlieferwagen anrollen, »ich hab' schließlich kein Radar an Bord.« »Und wenn die uns reingelegt haben?« »Ausgeschlossen, oder?« Der Fahrer hielt plötzlich an. »Mensch, daran hab' ich überhaupt noch nicht gedacht.« »Es sollen immerhin ganz raffinierte Schnüffler sein.« »Ob wir mal die Straßen absuchen? Was meinst du?« fragte der Fahrer. »Das bringt doch nichts«, widersprach der Beifahrer, »fahr
weiter ... Wir halten uns haargenau an das, was man uns ins Ohr gebrüllt hat. Die ganze Sache stinkt mir ohnehin langsam.« »Geht die Sache gut?« Der Fahrer fuhr inzwischen weiter. »Was der Boß da auf zieht, war noch nie da.« »Wir setzen uns doch rechtzeitig ab, sobald die Kasse stimmt.« »Wir?« Die Stimme des Fahrers ließ deutliche Skepsis erkennen. »Und wenn der Boß allein abhaut?« »Wir müssen eben höllisch aufpassen«, riet der Beifahrer, »wir sind ja schließlich keine Anfänger.« »Die Bullen sind auch nicht gerade Laien«, sagte der Fahrer, »verdammter Nebel, man sieht so gut wie gar nichts.« »Was will die Polizei denn schon groß machen?« Der Beifahrer gab sich plötzlich sorglos. »Diese Idioten im Tal werden sich hüten, auf wild zu machen. Die wissen doch, was ihnen dann blüht.« »Was blüht ihnen?« Der Fahrer bremste jäh, und Mike Rander, der sich an der Lüftungsklappe hochgeschoben hatte, konnte seinen Körper gerade noch abfangen. Er hörte einen Fluch des Fahrers, der um ein Haar von der Straße abgekommen war. Es dauerte eine Weile, bis der Wagen wieder langsam anrollte. »Wie meinst du das? Was soll den armen Würstchen schon passieren?« wollte der Beifahrer wissen. »Ich weiß nicht«, lautete die Antwort des Fahrers, »aber hast du schon mal daran gedacht, daß der Boß sie alle durch die Bank verschwinden lassen könnte?« »Nachdem sie gezahlt haben?« »Um reinen Tisch zu machen, um alle Spuren zu verwischen«, sagte der Fahrer, »denk' doch mal an das alte Bergwerk im Tal. Wenn da mal was einstürzt, ist Sense. Dann kann es 'ne Ewigkeit dauern, bis man die Leute finden wird,
wenn überhaupt!« *** Clyde Alton und Norman Maiden, die beiden Steinzeitmenschen wider Willen, staunten. Butler Parker hatte Holz nachgelegt und das Feuer noch zusätzlich angeheizt. Ihm ging es darum, für Lady Simpson ein passables Nachtlager zu beschaffen. Aus diesem Grund traf er einige Vorbereitungen, um etwa auftauchende Nachtwölfe, wie die beiden Steinzeitmenschen sie genannt hatten, einzufangen. Parker ging von der Annahme aus, daß diese Nachtvögel durchaus komfortabel wohnten, wenn sie nicht gerade unterwegs waren. Der Butler hatte seinen schwarzen Covercoat ausgezogen und dekorierte ihn schnell und gekonnt über einige Äste, die er sich zurechtgebrochen und zusammengesteckt hatte. Nach einigen Kleinkorrekturen trennte er sich dann noch von seiner schwarzen Melone und stülpte sie über den Mantel. Die Täuschung war vollkommen! Selbst aus der Nähe hatte man den Eindruck, Parker habe sich dicht am Feuer niedergelassen, um die Wärme zu genießen. Agatha Simpson besichtigte dieses kleine Kunstwerk und nickte zustimmend. »Die Nachtwölfe«, rief Clyde Alton und sah sich ängstlich nach allen Seiten um. Der dumpfe Ruf war erneut zu hören und klang wesentlich deutlicher. Norman Maiden schob sich an einen dichten Busch und machte einen fluchtbereiten Eindruck. »Sie bleiben selbstverständlich hier«, herrschte Agatha Simpson die beiden Männer an. »Sie kennen die Nachtwölfe nicht«, warnte Norman Maiden. »Das wird sich bald ändern«, raunte sie, »Mr. Parker, ich
gehöre ebenfalls ans Feuer.« »Dazu müßten Myldady die Kostümjacke opfern und freundlicherweise auch den Hut.« »Selbstverständlich«, gab sie zurück, »diese Nachwölfe sollen sich wundern.« Sie streifte die derbe Tweedjacke ihres Kostüms ab und überreichte Parker dann auch noch ihre Hutschöpfung, eine Kreuzung aus einem Südwester und einem Napfkuchen. Der Butler, der wie die übrigen ein erneutes Rufen hörte, brauchte auch jetzt nur wenige Minuten, um Lady Simpsons Double herzustellen. Dann trat er zurück und begutachtete sein Werk. »Ein Kunstwerk ist das gerade nicht«, mäkelte die ältere Dame wie gewohnt, »Sie müssen zugeben, Mr. Parker, daß ich das besser gemacht hätte.« »Wie Mylady zu meinen geruhen«, lautete Parkers höfliche Antwort. »Aber es wird gehen«, sagte sie vermittelnd. »So, und von mir aus können diese komischen Nachtwölfe jetzt kommen.« »Sie wissen nicht, auf was Sie sich da einlassen«, meinte Clyde Alton ängstlich. »Noch könnten wir vielleicht das Feuer löschen und flüchten. Vielleicht haben wir Glück und werden nicht gefunden.« »Sie bleiben in meiner Nähe, ich werde schon auf Sie achten«, versprach Agatha Simpson den beiden verängstigten Steinzeitmenschen, »und wagen Sie es nicht, weglaufen zu wollen. Ich könnte dann sehr ärgerlich werden.« Die dumpfen Rufe waren inzwischen noch deutlicher geworden, der Nebel immer dichter. Parker, der zusammen mit seiner Herrin und den beiden Männern im Strauchwerk stand, kontrollierte noch mal optisch die beiden Gestalten am Feuer. Sie machten einen traurig-frierenden-hilflosen Eindruck. Die Neuankömmlinge in der Steinzeit schienen nur an der Wärme
des Feuers interessiert zu sein. Rauchschwaden, die vom teilweise nassen Holz aufstiegen, sorgten dafür, daß die Illusion fast perfekt war. Parker löste sich von der Gruppe und bezog oberhalb der kleinen Lichtung Posten. Er versetzte sich in die Situation und Gedankenwelt dieser sogenannten Nachtwölfe. Sie würden seiner Ansicht nach versuchen, aus der entgegengesetzten Richtung anzugreifen. Erneute Rufe, dumpf und unheimlich, kamen bereits vom Ziegenpfad her. Wahrscheinlich benutzten die Nachtwölfe irgendwelche Hörner, um möglichst unheimliche und drohende Laute zu produzieren. Parker ließ sich davon keineswegs in Angst und Schrecken versetzen. Er hatte seinen Universalschirm ausgehakt und gedachte, den bleigefütterten Bambusgriff als Schlaginstrument zu benutzen ... Und dann sah er sie! Drei Schatten tauchten knapp rechts von ihm auf. Sie schienen ganz in Fell gehüllt zu sein, das selbst ihre Köpfe umhüllte, und trugen Wolfsmasken, die gerade im Nebel besonders eindrucksvoll wirkten. Josuah Parker machte sich daran, die Wolfsjäger auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. *** Die Wolfsgestalt, die den Abschluß bildete, machte einen Satz in die Luft, nachdem Josuah Parker nachdrücklich mit dem Griff zugeschlagen hatte. Der Wolfsjäger fiel gegen seinen Vordermann und brachte ihn aus dem Gleichgewicht und auch wohl in Wut, denn dieser Typ wandte sich um und wollte seinen ungeschickten Hintermann zur Ordnung rufen. Er sah sich aber einer Gestalt gegenüber, wie sie eigentlich nur noch in einschlägiger Filmproduktion zu sehen ist, nämlich
einem hochherrschaftlichen englischen Butler, der mit seinem umgedrehten Schirm erneut zulangte. Der zweite Wolfsjäger gurgelte leicht, fiel auf die Knie und verlor dabei seine Gesichtsmaske. Er legte sich auf seinen Partner, der bereits tief und fest schlummerte.. Da er noch zu sehr mit den Beinen zappelte, verabreichte Parker diesem Jäger einen zweiten, jedoch wesentlich leichteren Schlag. Nun gab der Wolfsmensch endlich Ruhe und rührte sich nicht weiter. Der dritte Mann, der die Spitze bildete, winkte energisch nach hinten und verlangte mit dieser Geste absolute Ruhe. Er hatte die Einmündung zur kleinen Lichtung erreicht und beobachtete die beiden Gestalten am Lagerfeuer. Parker hielt jetzt mit. Er stand dicht hinter dem Nachtwolf und war beeindruckt, wie echt die beiden Figuren dort am Feuer wirkten. Der Nachtwolf schätzte die Entfernung und wog dann einen Holzknüppel in seiner Hand, mit dem er sicher brutal zuschlagen wollte. »Ich nehm' den Mann«, flüsterte er nach hinten, denn er war ja nach wie vor der festen Ansicht, daß seine beiden Begleiter noch auf den Beinen waren. »Okay!« flüsterte Josuah Parker undeutlich. »Jetzt!« Der Nachtwolf sprang nach vorn und stieß dabei einen Brüller aus, der geeignet war, durch Mark und Bein zu gehen. Er hatte seinen Knüppel hoch erhoben und ... legte sich zusammen mit ihm auf die Luft und den wallenden Nebel. Parker war nämlich so frei gewesen, mit dem Bambusgriff hinter den Knöchel des Vorspringenden zu haken. Dadurch war der Nachtwolf aus dem Tritt gekommen, hatte das Gleichgewicht verloren und mußte Bruchteile von Sekunden später erkennen, daß der Nebel ihn keineswegs zu tragen vermochte. Der Wolfsmensch hatte inzwischen eine Bruchlandung vollführt und schrammte über den Boden und
nahm Kurs auf das Lagerfeuer. Und er brüllte. Diesmal aber tat er es wohl aus Angst, weil sein Kopf sich dem Feuer näherte. Parker verließ seine Deckung und verfolgte die Rutschpartie. Der Nachtwolf segelte auf dem Bauch weiter und stieß dann mit seiner Maske in das Lagerfeuer. Funken stoben hoch, Flammen züngelten. Dann erfolgte erneut ein Brüller. Der Nachtwolf hatte im wahrsten Sinn des Wortes Feuer gefangen und bemühte sich, erste Löscharbeiten in Angriff zu nehmen. Lady Agatha verließ das Strauchwerk und sah interessiert zu. Die beiden Steinzeitmenschen schoben hingegen nur ihre Oberkörper aus der Deckung und zeigten fassungslose, erstaunte Gesichter. Sie begriffen nicht, daß einer der gefürchteten Nachtwölfe derart herumsprang. »Sehr begabt, nicht wahr?« Lady Agatha hatte sich Parker zugewendet und nickte anerkennend. »Myladys Bemerkung zielen auf die tänzerischen Bemühungen des Mannes ab?« fragte Parker. »Natürlich«, gab sie zurück, »aber in den Hüften ist er noch etwas steif.« »Auch die Beinarbeit, Mylady, ist nur als mangelhaft zu bezeichnen«, urteilte Josuah Parker gemessen. »Vielleicht dürfte dies aber mit der außergewöhnlichen Situation zusammenhängen.« Sein Hinweis traf den Kern der Sache. Das Wolfsfell, das sich als Schafsfell entpuppt hatte, brannte inzwischen. Der Nachtwolf riß und zerrte an den brennenden Fetzen und benahm sich recht undiszipliniert. Als er es endlich geschafft hatte und nur noch einen Slip moderner Machart zeigte, ließ er sich erschöpft auf dem Boden nieder und starrte Lady Simpson an. »Sie sind also einer der Nachtwölfe«, meinte sie gönnerhaft, »besonders gefährlich sehen Sie gerade nicht aus.«
Der Mann fühlte sich abgewertet und gekränkt. Er sah sich verstohlen nach seinen beiden Begleitern um, die er natürlich nicht ausmachen konnte. Dann fingerte er nach seinem Holzprügel und sammelte seine Kräfte. »Sie werden mir gleich Ihre Unterkunft zeigen«, ordnete die ältere Dame an. »Sie werden sich gleich wundern«, knurrte der Nachtwolf wütend und spannte seine Muskeln. Für einen Moment vergaß er die leichten Brandwunden. »Das will ich auch sehr hoffen«, meinte Agatha Simpson, »ich glaube, Sie haben mir eine hübsche Hütte anzubieten.« »Schön«, sagte der Nachtwolf und tat so, als habe er sich in sein Schicksal ergeben. Dann aber sprang er auf und... traf mit dem Pompadour zusammen, den die ältere Dame aus dem Handgelenk nach vorn befördert hatte. Der »Glücksbringer« im perlenbestickten Handbeutel wirkte geradezu vernichtend. Der Mann fiel rücklings und der Länge nach zurück ins Feuer und heulte auf. Er wälzte sich zur Seite und hatte ab sofort nur noch mit sich selbst zu tun. Es gab genügend Brandblasen, mit denen er sich befassen konnte. »Wagen Sie es nicht noch mal, eine alte, schwache Frau anzugreifen«, drohte die Lady, »ich kann auch energisch werden.« Die beiden Steinzeitmenschen trauten sich aus dem Strauchwerk hervor und starrten auf den gefürchteten Nachtwolf. Sie schauten auf Agatha Simpson, dann wieder auf den Mann am Boden und verstanden die Welt nicht mehr. Die Lady glich einer stattlichen Rachegöttin, die sich im Moment eine Verschnaufpause gönnte. Dann fuhren sie herum und sahen Parker, der den zweiten Nachtwolf heranschleifte. Der Butler verschwand im Nebel und kam mit dem dritten Nachtjäger zurück, der ebenfalls noch ohnmächtig war. »Gutes Schuhwerk, wenn ich darauf verweisen darf«, sagte
Josuah Parker und deutete auf die kaum abgenutzten Tennisschuhe der drei Nachtwölfe. »Sie ... Sie werden sich fürchterlich rächen«, entgegnete Norman Maiden mit gepreßter Stimme. Er zeigte auf die drei Nachtwölfe. »Nun ziehen Sie schon die Tennisschuhe über«, forderte Agatha Simpson ihn und Clyde Alton auf. »Lieber nicht«, wehrte der letztere sofort ab. »Sie lassen sich wohl alles bieten, wie?« raunzte die ältere Dame. »Sie sind neu hier«, meinte Norman Maiden, »wir aber kennen uns bereits aus. Es ist die Hölle.« »In Tennisschuhen ist sie möglicherweise besser zu ertragen«, schlug Butler Parker vor. Er machte sich daran, das Schuhwerk zu bergen und fädelte anschließend die Schnürsenkel aus den diversen Ösen. Schnell und geschickt fesselte er damit die drei Nachtwölfe. Er versorgte sie mit Knoten, die sie so schnell nicht lösen konnten. Als er seine Arbeit beendet hatte, waren die beiden von ihm niedergeschlagenen Nachtwölfe oberflächlich wieder zu sich gekommen. Der dritte Mann, der ziemlich angesengt war, hatte keinen Widerstand geleistet. »Würden Sie die Güte haben, Mylady eine angenehme Unterkunft zu zeigen?« fragte Parker dann bei den drei Männern an. »Wir gehen lieber«, sagte Clyde Alton hastig. »Reisende soll man nicht aufhalten«, bemerkte Lady Agatha spitz. »Gehen wir.« Parker richtete seine Aufforderung an die drei Nachtwölfe. »Schwierigkeiten sollten Sie tunlichst vermeiden, meine Herren, Mylady könnte sonst ein wenig unwirsch werden.«
Sie wollten sitzen bleiben und schmollen. Die Detektivin aber war bereits unwirsch geworden und verabreichte dem mit Feuer behandelten Nachwolf eine ihrer berüchtigten Ohrfeigen. Es war dies eine Maulschelle, die das Eis der Obstruktion brach. *** Der Kastenlieferwagen hielt. Die beiden Männer vorn stiegen aus und schlugen die Wagentüren laut zu. Mike Rander, der am Lüftungsgitter stand, konnte durch das grobmaschige Sieb einen Teil der Straße erkennen und einige Häuser. Seiner Schätzung nach hatte man den kleinen Ort Welshpool erreicht. Wenig später tauchten die beiden Männer auf und gingen zu einem Pub. Sie hatten eindeutig keine Lust mehr, weiter im Nebel herumzustochern und nach dem Landrover zu suchen. »Eigentlich könnten wir aussteigen, Kathy«, schlug Mike Rander vor, »hier gibt's für uns nichts mehr zu holen.« »Es dürfte klar sein, daß Lady Simpson und Mr. Parker als Geiseln festgehalten werden«, gab sie zurück, »steigen wir aus, Mike. Oder sollten wir vielleicht doch versuchen, uns ins Gelände einzuschmuggeln?« »Damit man zwei Geiseln mehr hat, Kathy?« Mike Rander schüttelte den Kopf. »Hier draußen können wir mehr erreichen.« Er öffnete vorsichtig die hintere Ladetür, spähte nach draußen und sprang auf die Straße. Er reichte Kathy die Hand, doch die junge Dame war bereits neben ihm. Rander drückte die Tür vorsichtig ins Schloß und deutete hinüber zu den Häusern. Sie brauchten nur wenige Augenblicke, bis sie im Nebel verschwunden waren und den Kastenlieferwagen nicht
mehr sehen konnten. »Ich würde uns ja gern ein nettes Hotel verschreiben, Kathy«, sagte der Anwalt, »aber wahrscheinlich würde es sich bei den Gangstern schnell herumsprechen, wo wir stecken.« »Irgendwo muß es doch eine Scheune oder so etwas geben, Mike.« »Okay, suchen wir die Nadel im Heuhaufen.« Er deutete in den Nebel. »Haben Sie Hunger, Kathy?« »Eine Kleinigkeit könnte ich schon vertragen, Mike. Ob wir's in einem Bauernhof versuchen sollten? Die Leute hier können doch unmöglich alle unter einer Decke stecken.« »Gute Idee.« Er zog sie kurz an sich. »Und wo, bitte, finden wir einen netten Bauernhof?« »Drüben, Mike, vor dem Pub.« »Wieso gerade da, Kathy?« »An der Theke stehen doch bestimmt auch ein paar Bauern. Sehen wir uns einfach die Wagen an und steigen wir um.« »Sie sammeln Pluspunkte am laufenden Band, Kathy.« Er wechselte mit ihr die Straßenseite. Sie gingen langsam auf die Kneipe zu und machten davor tatsächlich einige parkende Wagen aus. Es waren sehr einfache und meist schon bejahrte Wagen, die teilweise mit Schlamm und Dreck bespritzt waren. Sie waren eindeutig über einfache Wege und unausgebaute Nebenstraßen bewegt worden. Kathy Porter deutete auf einen Ackerschlepper, an den ein offener Pritschenwagen angekoppelt war. Auf der Ladefläche standen Säcke, über die eine Plane gedeckt worden war, die der Wind an einer Seite etwas umgeschlagen hatte. »Wie für uns hingestellt, Kathy.« Mike Rander wartete, bis seine Begleiterin unter die Plane gekrochen war. Dann folgte er ihr und zerrte die Plane zurecht. »Hoffentlich haben wir's nicht mit einem Knaben zu tun, der
Sitzfleisch hat«, flüsterte Rander und hörte gleich darauf das Zuschlagen einer Tür. Schritte näherten sich dem Ackerschlepper, dann schien der Fahrer über das Trittbrett auf seinen Sitz zu steigen. Wenige Sekunden später tuckerte der Diesel los. »Jetzt nur noch 'ne kleine Portion Glück«, meinte der Anwalt leise, »aber, zum Henker, warum sollte der Mann nicht in Mallwyd wohnen?« *** »Nun ja, man ist ja nicht gerade verwöhnt«, stellte Agatha Simpson fest und sah sich in der engen, niedrigen Blockhütte um, die sie gerade betreten hatte. Es war warm in diesem Raum, der nur ein Fenster hatte, das aber zugehängt worden war. »Mylady können in spätestens zwanzig Minuten dinieren«, verkündete der Butler gemessen, »wenn es erlaubt ist, möchte ich erst mal die drei Nachtwölfe in Verwahrung bringen.« »Schaffen Sie mir diese Lümmel aus den Augen«, erwiderte die ältere Dame angewidert. Lady Simpson, Butler Parker und die drei Nachtjäger hatten nach einem relativ kurzen Marsch die Hütte erreicht, die tief im Tal lag. Das Blockhaus befand sich in einer engen Schlucht und stand, wenn Parker nicht alles täuschte, auf einer Art Abräumhalde. Parker suchte nach einem passenden Platz für die drei Nachtwölfe und interessierte sich für eine Falltür neben dem einfachen Gußherd. Er öffnete diese Falltür und untersuchte den darunter liegenden Raum. Zum Ausleuchten benutzte er eine Petroleumlampe, die auf dem Tisch gestanden hatte. »Nun, Mr. Parker?« fragte Lady Simpson, als der Butler
wieder zurückgekehrt war. »Ich will doch hoffen, daß der Keller feucht ist und kalt.« »Beides trifft in der Tat zu, Mylady«, gab Josuah Parker zurück, »der Keller macht zudem noch einen ausbruchsicheren Eindruck.« »Worauf warten Sie eigentlich noch?« raunzte die Detektivin die drei Nachwölfe an und deutete auf die rechteckige schmale Öffnung im Fußboden aus einfachen Brettern. »Das werden Sie noch bereuen«, sagte der Wolfsmann, der nach wie vor unter Brandblasen litt. »Sie sollten Myladys Wünschen entsprechen und nachkommen«, meldete sich Josuah Parker zu Wort, »mit weiteren Ohrfeigen wäre sonst wohl fest zu rechnen.« Dieser Hinweis brachte die drei Nachtwölfe sofort in Bewegung. Sie kannten inzwischen die einmalige Qualität dieser Ohrfeigen. Unter dem Eindruck dieser negativen Streicheleinheiten hatten sie sich überhaupt dazu bequemt, die beiden Neuankömmlinge hier in der Steinzeit zur Hütte zu führen. Nacheinander stiegen die Gangster nach unten. Parker schloß hinter ihnen die einfache Falltür und legte die hölzernen Sperriegel vor. Dann sichtete er die Vorräte auf einem roh zusammengeschlagenen Wandregal und wandte sich zu Lady Agatha um. »Könnten Mylady sich in Anbetracht der Umstände mit einem leichten Rührei, mit gebratenem Speck, einigen Pfannkuchen und einem Steak samt Toast anfreunden?« erkundigte er sich dann. »Haben wir keinen Tee?« fragte sie. »Eine Standardmarke, Mylady.« »Ich bin nicht anspruchsvoll«, meinte sie wohlwollend, »ich werde mir inzwischen die Fellpritschen ansehen.«
Sie standen dich nebeneinander rechts von der Tür an der Holzwand. Es gab ausreichend Decken und sogar einige Schlafsäcke. Es gab aber auch ein paar lange, gut gefütterte Mäntel und sogar Stiefel aus nahtlosem Gummi. »Wie lange werden die Vorräte reichen?« fragte die ältere Dame. Parker stand vor dem einfachen Herd und bereitete das kleine Dinner vor. »Mylady könnten mit einer Vollverpflegung für wenigstens eine Woche rechnen«, beantwortete Parker die Frage, »doch solange dürfte man Mylady und meiner Wenigkeit kaum Ruhe gönnen.« »Wann wird man oben im Landsitz gemerkt haben, daß die Nachtwölfe nicht mehr herumziehen, Mr. Parker?« wollte sie wissen. »Möglicherweise kann dies bereits sehr schnell bemerkt werden, Mylady.« Parker hatte auf einer Kiste ein Funksprechgerät entdeckt und schaltete es sofort auf Empfang. Dann legte er Holz im Ofen nach und zauberte innerhalb kurzer Zeit ein Abendessen, das er seiner Herrin formgerecht am einfachen Tisch servierte. »Setzen Sie sich gefälligst, Mr. Parker«, raunzte sie ihn an, »ich brauche keine Bedienung.« »Mylady, als Butler bin ich ...« »Setzen Sie sich endlich und essen Sie mit«, grollte sie, »stören Sie meine gute Laune nicht!« »Wie Mylady befehlen.« Parker nahm auf einem einfachen Hocker Platz und saß kerzengerade, als habe er einen Ladestock verschluckt. Man merkte es ihm deutlich an, daß er den Wunsch der Lady mißbilligte. Nach seinem Verständnis hatte ein Butler nicht am Tisch der Herrschaft Platz zu nehmen. »Man wird versuchen, mich zu jagen«, sagte sie und ließ sich Rührei, Speck und Pfannkuchen schmecken. Das Steak
war bereits hinter ihren sehr gesunden Zähnen verschwunden. »Der falsche Sir Rupert dürfte sich in der Tat die Entwicklung anders vorgestellt haben, Mylady«, gab Josuah Parker zurück. »Er wird sich noch sehr wundern, Mr. Parker. Hoffentlich wissen Sie inzwischen, wie ich diese Steinzeit wieder verlassen werde.« »Ein Übersteigen des Sicherheitszauns dürfte ausscheiden, Mylady«, antwortete der Butler, »man sollte davon ausgehen, daß er tatsächlich äußerst scharf bewacht wird.« »Will man angeblich nicht sofort scharf schießen, Mr. Parker? Wurde so etwas nicht gesagt?« »Auch hierbei dürfte wohl kaum geblufft worden sein, Mylady.« »Dann werden wir das Eingangstor zu dieser albernen Steinzeit stürmen.« »Dazu brauchte man entsprechende Hilfsmittel, Mylady.« »Die zu besorgen ist Ihre Sache, Mr. Parker, um solche Kleinigkeiten kümmere ich mich nicht. Sagen Sie, ob es hier vielleicht Schußwaffen gibt?« »Kaum, Mylady, die drei Gangster dürften bisher ihre physische Überlegenheit genutzt haben, um die Geiseln in Angst und Schrecken zu versetzen.« Josuah Parker wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Moment schnarrte es im Lautsprecher der Funksprechanlage. Parker stand auf, nahm das kleine Gerät in die Hand und wartete auf den Ruf, der auch nicht lange auf sich warten ließ. »Adler an Nachtwolf... Adler an Nachtwolf«, kam es aus dem Lautsprecher, »Nachtwolf, melden!« »Nachtwolf«, meldete sich Parker und bemühte sich um Undeutlichkeit in seiner Stimme. »Habt ihr die Neuen erwischt?« erkundigte sich die
Gegenstelle, die sich Adler nannte. »Voll«, antwortete Parker noch undeutlicher. »Laßt sie nicht zur Ruhe kommen. Immer herumscheuchen!« »Alles klar«, sagte Parker. »Macht die schwarze Schießbudenfigur fertig«, lautete der nächste Auftrag, und Josuah Parker hatte den Eindruck, daß er gemeint war. »Geht in Ordnung«, entgegnete er jedoch. »Verpaßt ihnen Felle«, befahl die Gegenstelle. »Haben sie bereits«, behauptete Josuah Parker. »Sehr schön.« Die Stimme im Lautsprecher schien zufrieden. »Bis morgen. Meldung gegen zehn Uhr. Ende!« Parker bestätigte das »Ende« und schaltete dann das Funksprechgerät ab. »Nun, Mr. Parker, wie finde ich das?« erkundigte sich die Detektivin. »Auf der Gegenseite dürfte man inzwischen informiert sein, Mylady«, erwiderte Josuah Parker zur Überraschung seiner Herrin. »Wieso denn das?« fragte sie erneut. »Die sogenannten Kilgate-Brüder dürften sich inzwischen beschwert haben«, erklärte der Butler, »darüber hinaus möchte man Mylady und meine Wenigkeit in Sicherheit wiegen und kündigt den nächsten Funkkontakt erst für morgen vormittag an. Inzwischen aber wird man sich bemühen, Mylady doch noch in ein Fell zu stecken!« *** Parker brauchte fast fünfzehn Minuten, bis er sämtliche Lebensmittelvorräte aus der kleinen Blockhütte geschafft hatte.
Er räumte alles aus, was der Nahrungsaufnahme dienen konnte und verbarg die Kostbarkeiten in einen provisorischen Versteck in der Nähe der Blockhütte. Nach den Eßwaren folgten Decken, Schlafsäcke und Wachmäntel. Dem Butler ging es darum, den Gangstern die Basis zu zerstören. Sie sollten nicht besser, aber auch nicht schlechter leben als die Geiseln hier im Steinzeitalter. Nachdem die Arbeit getan war, verließen Mylady und er die Hütte und richteten sich im Freien ein. Josuah Parker zauberte für die ältere Dame ein bequemes, warmes Nachtlager. Er legte sich einen der fußlangen Mäntel über die Schultern und hielt Wache. Mehr denn je war er davon überzeugt, daß man vom Landsitz aus bestens ausgerüstete Männer ins Tal und hierher zur Blockhütte schicken würde. Die Gangster konnten es unmöglich zulassen, daß man ihre absichtlich eingesetzten Unruhestifter aus dem Verkehr zog. Liebend gern wäre Parker zur Lichtung gegangen und hätte sich in der Nähe des Einganstores postiert, doch die Sicht war einfach zu schlecht, die Gefahr zu groß, sich im Tal zu verirren. Da war es schon besser, hier abzuwarten und sich auf die Leute zu konzentrieren, die kommen würden. Vielleicht ergab sich dabei sogar die Möglichkeit, ein paar handliche Waffen zu erbeuten. Agatha Simpson war übergangslos eingeschlafen, doch keineswegs vor Erschöpfung. Sie verfügte über eine beneidenswerte stabile Natur und eine robuste Gesundheit. In der Nähe ihres Butlers kannte sie so gut wie keine Angst. Parker dachte an den authentischen Sir Rupert Farnholm. Wo mochte dieser Fan der Steinzeit sich wohl aufhalten? Von wem war er wohl überrumpelt worden? Wie waren die Gangster, die sein Tal hier in Besitz genommen hatten, an die richtigen Adressen geraten, an Adressen, die viel Lösegeld versprachen? Hatte Sir Rupert diese Namen und Anschriften unter Druck nennen müssen?
Oder spielte Sir Rupert eine Art Doppelspiel? Wollte dieser Pseudo-Wissenschaftler ganz bewußt unvorbereitete Probanden in die Verhältnisse der Steinzeit befördern? Wollte er darüber hinaus vielleicht Geld erpressen, um seine Arbeiten fortführen zu können? Parker fuhr aus seinen Gedanken hoch, als er das Kollern kleiner Steine hörte. Auf dem Pfad, der zur Blockhütte führte, mußte sich wenigstens eine Person bewegen. Hatte die Gegenstelle, die sich Adler nannte, bereits eine erste Hilfsmannschaft losgeschickt? Der Butler stand vorsichtig auf, legte den langen Mantel zur Seite und machte sich einsatzbereit. Er verzichtete darauf, seine Herrin zu wecken. Ihr Übereifer war oft lebensgefährlich. Es waren zwei Personen, die Parker ausmachte. Sie gingen dicht hintereinander. Ob es sich um die Kilgate-Brüder handelte, konnte er wegen der mehr als schlechten Sichtverhältnisse nicht klären. Möglich war es allerdings, daß man sie ebenfalls per Sprechfunk alarmiert hatte. Diese beiden Brüder brannten sicher darauf, die erlittene Schlappe wieder auszugleichen. Mit Sicherheit standen auch sie per Sprechfunk mit der Hauptstelle im Landsitz des Sir Rupert in Verbindung. Parker dachte nicht daran, sich sofort mit den beiden Männern auf dem schmalen Trampelpfad zu befassen. Inzwischen mochte man Erkundigungen über Lady Simpson und ihn eingeholt haben. Den Gangstern mußte nun bekannt sein, daß sie es keineswegs mit hilflosen Opfern zu tun hatten. Darüber hinaus hatte man ja auch bereits hier einschlägige Erfahrungen gemacht. Die Kilgate-Brüder hatten Lehrgeld gezahlt, dann die Nachtwölfe. Wie richtig Parkers Vorsicht war, sollte sich bald zeigen. Die beiden Männer waren im Nebel und in der Dunkelheit verschwunden und mußten inzwischen wohl auch die kleine Blockhütte erreicht haben. Nun aber erschienen zwei weitere Männer auf dem Pfad. Sie bewegten sich lautlos, und Parker
hätte sie beinahe sogar übersehen. Diese Männer blieben ausgerechnet in Parkers Höhe stehen und machten sich bereit, im Notfall eingreifen zu können. Sie schienen sogar Schußwaffen mit sich zu führen. Parker hatte den Eindruck, daß sie doppelläufige Schrotflinten in Händen hielten. *** »Natürlich kenn‘ ich das Steinzeittal«, sagte Bert Basing, »ich kenn‘ auch Sir Rupert.« »Sie wissen, daß er in seinem Tal eine Art Experiment durchführt?« stellte Mike Rander seine nächste Frage. Rander und Kathy Porter befanden sich inzwischen in dem einfachen Bauernhaus des Mannes, der sie ungewollt auf dem Anhänger seines Traktors durch Nacht und Nebel befördert hatte. Rander und Kathy Porter hatten sich nach Beendigung der Fahrt entschlossen, sich diesem Mann zu zeigen. Sie hielten sich in dem einfachen Küchenraum des Steinhauses auf, und Basings Frau hatte starken Tee aufgebrüht. »Sir Rupert hat eigentlich schon immer komische Dinge im Kopf gehabt«, meinte Bert Basing, ein vierschrötig aussehender Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Seine Frau Martha, klein, schlank und müde wirkend, um die vierzig, stand am offenen Herdfeuer und beobachtete schweigend die Gäste. »Das Mallwyd-Tal soll inzwischen abgeriegelt worden sein«, schaltete sich Kathy Porter ein. »Stimmt«, erwiderte der Bauer, »den Wildzaun hat's ja schon früher gegeben, aber jetzt ist er geflickt und verstärkt worden.« »Und es gibt sehr viele fremde Männer, die diesen Zaun bewachen«, sagte Martha Basing, »sie sind aufdringlich und
frech. Erst heute bin ich angesprochen worden.« »Was wollten die Kerle von dir?« erkundigte sich prompt ihr Mann und zeigte Eifersucht. »Nichts«, beschwichtigte sie ihn, »sie haben mich eben angesprochen und dumme Reden geschwungen.« »Die sollen mich nur nicht wütend machen«, drohte Basing, »ich kann nicht verstehen, wieso Sir Rupert sich solche Wildhüter besorgt hat.« »Wildhüter?« staunte Mike Rander. »So nennen sie sich«, gab der Bauer zurück, »und dabei haben wir hier doch wirklich genug Leute ohne Arbeit. Seitdem die Grube geschlossen worden ist, gibt's hier bei uns in der ganzen Region kaum noch was zu verdienen.« »Eine Kohlengrube?« Mike Rander spitzte die Ohren. »Sir Rupert hat sie von seinem Vater übernommen, aber bald darauf wurde der Betrieb eingestellt. Angeblich war die Grube nicht mehr rentabel.« »Sie haben in dieser Grube gearbeitet, Mr. Basing?« fragte Kathy Porter. »Die kenn' ich wie meine Westentasche.« Bert Basing nickte. »Und darum versteh‘ ich Sir Rupert nicht: Er hätte in der Nähe doch jede Menge Wildhüter haben können.« »Sie wollen in das Tal, nicht wahr?« Martha Basing goß Tee ein. »Wir wollen mit offenen Karten spielen«, schickte Mike Rander voraus. Er hatte den Eindruck gewonnen, daß dieses Ehepaar vertrauenswürdig war. »Miß Porter und ich glauben, daß im Tal Menschen gegen ihren Willen festgehalten werden.« Kathy Porter bekam deutlich mit, daß das Ehepaar schnell einen Blick tauschte. »Wie kommen Sie denn darauf?« fragte Martha Basing
vorsichtig. »Sowas würde Sir Rupert nie tun«, sagte ihr Mann. »Wir glauben, daß diese Menschen eben nicht von Sir Rupert festgehalten werden«, redete der Anwalt weiter, »wahrscheinlich ist auch er schon ein Gefangener.« »Warum gehen Sie dann nicht zur Polizei?« fragte Bert Basing vorsichtig. »Die braucht doch nur nach Sir Rupert zu fragen, oder?« »Wir möchten nicht in Sachen reingezogen werden, die uns nichts angehen«, sorgte sich Martha Basing. »Sie sollen unsere ganze Geschichte hören«, schickte Mike Rander voraus, »ich kann Ihre Vorsicht verstehen, aber auf der anderen Seite können Sie mit einer tollen Belohnung rechnen, falls wir den Leuten da unten im Tal heraushelfen.« »Was sagst du dazu, Martha?« erkundigte sich Bert Basing bei seiner Frau. »Ich denke, wir sollten den jungen Leuten trauen«, erwiderte sie und lächelte Kathy Porter zu. »Gegen eine Belohnung wäre ja wirklich nichts einzuwenden. Wir haben ...« »Still!« Bert Basing hob den Kopf und stand schnell auf. »Da kommt ein Wagen ... Hört mal, Leute, ihr solltet euch lieber verstecken. Könnte sein, daß man euch sucht, oder?« »Könnte schon sein«, antwortete Mike Rander. »Haben Sie ein nettes Versteck?« »Kommen Sie!« Martha Basing winkte ihnen und deutete auf eine Hintertür der Küche. Kathy Porter, die sich zusammen mit Mike Rander erhoben hatte, verfügte über ein ausgezeichnetes Gehör, doch das Näherkommen eines Autos hatte sie nicht mitbekommen. Sie schaltete innerlich sofort auf Wachsamkeit und Mißtrauen um. » ***
Sie trugen tatsächlich doppelläufige Schrotflinten. Es handelte sich um die Kilgate-Brüder, wie Agatha Simpson inzwischen herausgefunden hatte. Sie stand neben dem Butler und bebte förmlich vor Freude. Der Pompadour in ihrer rechten Hand war bereits in äußerst heftige Schwingungen geraten. Die Brüder unterhielten sich leise miteinander. »Verdammt, schade, daß wir das komische Paar nicht restlos fertigmachen können«, sagte Hank, der wegen des fehlenden Schneidezahns nach wie vor nuschelte. »Später«, meinte Joe, der immer noch Ärger mit seinem Unterkiefer hatte, »im Moment sind die einfach zu viel wert.« »Die alte Schreckschraube gehört dann aber mir«, erklärte Hank nachdrücklich, »die hat mir nicht umsonst 'nen Zahn ausgeschlagen.« »Laß mir aber noch was von ihr übrig,«, bat Joe, »ich glaub' immer noch, daß mein Unterkiefer angebrochen ist.« »Hätten die da oben im Bau nicht wissen müssen, wer die beiden Neuen sind?« beschwerte sich Hank. »Du kannst dir später 'nen Zahn aus Feingold einsetzen lassen«, tröstete Joe seinen Bruder, »wie lange brauchen die eigentlich noch bis zur Hütte?« »Meiner bescheidenen Ansicht nach müßten die Herren das Ziel bereits erreicht haben«, ließ sich Josuah Parker in seiner höflichen Art vernehmen. Hank und Joe Kilgate fuhren blitzschnell herum und wollten auf ihre Art reagieren. Sie schossen auch, doch die beiden Schrotladungen pfiffen zum Nachthimmel hoch. Mit seinem Universal-Regenschirm hatte der Butler die Läufe hochgeschlagen. Was dann folgte, war bitter für die bereits angeschlagenen Kilgate-Brüder, die in diesem Steinzeittal so gefürchtet waren. Lady Agatha trat zuerst mal sehr undamenhaft und ungeniert
zu. Sie traf mit ihrem Schuh, der eine erstaunliche Größe besaß, Hanks Kniescheibe, der aufbrüllte und erst mal seine Waffe wegwarf, um intensiver nach seinem ramponierten Knochen zu greifen. Dann fiel Kilgate rücklings in einen Strauch und heulte wie ein hungriger Steppenwolf. Joe, der Bruder, wollte unbedingt einen zweiten, diesmal aber gezielten Schuß anbringen, doch die Wölbung von Parkers Melone hinderte ihn daran. Da diese Wölbung mit starkem Stahlblech gefüttert war, leistete seine Nase keinen ernsthaften Widerstand. Sie gab dem Druck nach und legte sich auf die linke Seite, als Parker höflich seine Kopfbedeckung musterte und dafür sorgte, daß die Wölbung das Riechorgan traf. Dem Gangster schossen die Tränen in die Augen. Er schluchzte betroffen, entledigte sich ebenfalls seiner Waffe und kniete nieder. Als er den Kopf senkte, ließ die ältere Dame ihren Pompadour mit dem darin befindlichen »Glücksbringer« auf den Hinterkopf des Mannes fallen. Daraufhin streckte sich Joe der Länge nach auf dem Boden aus. »Das war eine weitere gut Tat für diesen Tag«, kommentierte Lady Agatha, die als ehemalige Pfadfinderin noch durchaus wußte, wie eine der Grundregeln dieses Jugendverbandes lautete. Josuah Parker hob die beiden Schrotflinten auf und durchsuchte die so gut , wie wehrlosen Kilgate-Brüder nach Munition und weiteren Waffen. Er sammelte ein Dutzend Patronen ein und zwei kurzläufige Trommelrevolver, deren Munition vollständig war, und ließ diese beiden Handfeuerwaffen in den Taschen seines schwarzen Covercoats verschwinden. Die Schrotflinten lud er nach, mit der Rückkehr der ersten beiden Männer und vielleicht auch der Nachtwölfe war immerhin jederzeit zu rechnen. »Ich werde die Blockhütte stürmen, Mr. Parker«, erklärte Agatha Simpson, die einen animierten Eindruck machte.
»Ein wertvoller Hinweis und Vorschlag, Mylady«, erwiderte Josuah Parker, »zumal Mylady planen, dies zu einem späteren Zeitpunkt zu tun.« »Tatsächlich?« fragte sie verdutzt. »Mylady sind sich der Gefahr bewußt«, redete Parker weiter, »Mylady möchten meine bescheidene Wenigkeit keineswegs sinnlos einer Gefahr aussetzen, die momentan nicht zu berechnen ist.« »Das sage ich doch die ganze Zeit«, behauptete sie sofort, »was aber werde ich sofort machen?« »Mylady werden Verwirrung stiften und sich augenblicklich mit einem der Kilgate-Brüder zurückziehen«, lautete Parkers Antwort, »Mylady sind an weiteren Intiminformationen über die Gangster interessiert, falls ich Mylady richtig verstanden haben sollte.« »Sie haben mich richtig verstanden, Mr. Parker«, gab sie zurück, »Ihr Vorschlag, die Hütte stürmen zu wollen, war natürlich wieder mal übereilt.« »Wie Mylady meinen«, sagte Parker und entschied sich, Joe Kilgate zu der geplanten Nachtwanderung einzuladen. *** »Trauen Sie diesen Leuten über den Weg, Mike?« fragte Kathy Porter. Sie befand sich zusammen mit dem Anwalt in einem engen Versteck hinter der Küche. Es handelte sich um eine Art Räucherkammer, die aber bestimmt schon seit Jahren nicht mehr benutzt wurde. Dennoch war der penetrante Geruch nach Holz und Rauch immer noch aufdringlich. »Ich hab' zumindest kein Auto gehört«, meinte Rander. »Ich ebenfalls nicht, Mike«, gab sie zurück, »ob die Basings mit den Gangstern vielleicht unter einer Decke stecken?«
»Wir werdens' bald wissen«, antwortete der Anwalt, »aber es gibt immerhin einen Notausgang.« »Sie meinen die Esse, Mike?« »Ich werde mal hochsteigen, Kathy und einen Blick vor's Haus werfen.« »Das ist etwas für mich, ich bin schlanker.« »Überredet«, sagte er sofort, »warten Sie, Kathy, ich schiebe Sie in den Kamin.« Die junge Dame war geschmeidig wie eine Katze. Mike Rander ließ sie auf seine Hände steigen, die er vor seinem Körper zusammengelegt hatte. Wenig später schlängelte sich Kathy bereits nach oben. Sie bewegte sich fast lautlos. »Klappt's?« rief der Anwalt leise nach oben. »Es muß«, lautete die Antwort, »es wird verflixt eng hier oben, Mike.« Er stand unter der Esse und horchte in die Höhe. Und Mike Rander bedauerte es, keine von Parkers KugelschreiberTaschenlampen zu besitzen. Solch ein kleines Patentgerät hätte jetzt wertvolle Dienste leisten können. »Geschafft«, hörte er leise von oben. Rander atmete auf und ging hinüber zu der Eisentür, die Martha Basing hinter ihnen geschlossen hatte. Sie schien von außen noch zusätzlich etwas gegen diese kleine viereckige Tür geschoben zu haben, wie er gehört hatte. Dann waren da plötzlich Stimmen. Einzelheiten konnte Rander nicht ausmachen. Er hörte das Rücken von Mobiliar, einen empörten Aufschrei, dann ein Lachen und schließlich einen dumpfen Fall. Liebend gern hätte er das Versteck verlassen, doch das wäre mehr als Leichtsinn gewesen. Er mußte einfach warten, bis Martha oder Bert Basing von außen öffneten. Er sah auf seine Armbanduhr mit den Leuchtziffern.
Quälend langsam verstrichen die Minuten. Als er sich gerade entschlossen hatte, ebenfalls den Notausstieg zu versuchen, hörte er vor der Tür aus Eisenblech ein scharrendes Geräusch. Hatten die Besucher, falls es überhaupt welche gab, Verdacht geschöpft? Wollten sie einen Blick in die ehemalige Räucherkammer werfen? Rander baute sich seitlich neben der kleinen Tür auf und massierte seine rechte Handkante. Wenn er auch ein wenig phlegmatisch und versnobt aussah, so war er doch ein bestens ausgebildeter Einzelkämpfer, der hart zur Sache kam. »Mike, nicht zuschlagen«, hörte er, als ein Lichtschein durch die spaltbreit geöffnete Tür fiel, »ich bin's, Kathy.« »Alles in Ordnung?« fragte er erleichtert. »Ich denke schon«, gab sie zurück, »aber Mr. Basing hat es leicht erwischt.« »Was ist passiert?« Mike Rander bückte sich und verließ die penetrant riechende Räucherkammer. Er lächelte unwillkürlich, als er Kathy sah. Sie hatte sich eine intensive Tarnfarbe zugelegt. Ruß in der Esse hatte ihre Kleidung und ihr Gesicht geschwärzt. »Einer der beiden Männer hat Martha Basing belästigt«, beantwortete Kathy Mike Randers Frage, »als er ihr helfen wollte, hat man ihn ziemlich hart zusammengeschlagen. « »Sieht's böse aus, Kathy?« »Nein, nein, es geht schon. Seine Frau verarztet ihn gerade, Mike. Wir beide hatten uns übrigens getäuscht. Es war doch ein Wagen da. Und wie gesagt, zwei Männer durchsuchten das Haus.« »Einfach so?« wunderte sich Rander. »Sie sind angeblich hinter einem Dieb her, der in Sir Ruperts Landhaus eingedrungen sein soll. Faule Ausreden, natürlich.« »Wir dürfen die Leute hier nicht in die Sache reinziehen,
Kathy.« »Dagegen werden Sie kaum etwas machen können«, meldete sich in diesem Augenblick Bert Basing zu Wort. Er war noch ein wenig wacklig auf den Beinen und im Gesicht verpflastert, doch er machte einen sehr aggressiven Eindruck. *** »Geruhten Mylady eine passable Nacht gehabt zu haben?« fragte Josuah Parker, nachdem er sich diskret geräuspert hatte. Seine Herrin, die unter dem langen Wachmantel geschlafen hatte, richtete sich auf und sah den Butler mißbilligend an. »Es ging«, sagte sie dann, »aber mit dem Reisigbett hätten Sie sich ruhig etwas mehr anstrengen können.« »Mylady sehen meine Wenigkeit bestürzt. Darf ich mir erlauben, Mylady mit einem Tee zu erfrischen?« »Tee?« fragte sie ehrlich überrascht. »Aus Brombeer- und Hagebuttenblättern, Mylady«, stellte der Butler klar, »aus medizinischen Gründen wurde dieses Naturgetränk mit einem kleinen Schuß Kognak versehen.« »Sie hätten den Tee weglassen können«, sagte sie bissig, »aber immerhin, Mr. Parker. Und was werde ich essen?« »Gebratenes Kaninchen mit Würzkräutern, Mylady, frische Pilze, geröstete Brotscheiben und abschließend Waldhimbeeren.« »Tatsächlich?« Sie wurde munter, sah ihn aber mißtrauisch an. Dann erst roch sie das frisch gebratene Wild und wurde sehr munter. Sie warf ungeduldig den schweren, gefütterten Mantel ab und begutachtete das Lagerfeuer mit dem Kaninchen, das über dem Feuer brutzelte. Aus Gabelstöcken und einem geschälten Ast hatte Parker eine Art Grillvorrichtung gebaut, die voll ihren Dienst tat.
»Waren Sie etwa auch Pfadfinder, Mr. Parker?« erkundigte sie sich. »Unorganisiert, Mylady«, antwortete Parker und deutete auf einen Behelfstisch, den er bereits gedeckt hatte. Große und frisch gepflückte Blätter einer Wasserpflanze ersetzten das Gedeck. Aus kleinen Hölzern hatte der Butler sogar gabelähnliche Instrumente geschnitzt. »Wenn Mylady Platz nehmen wollen?« Er deutete auf einen Sitz. »Ich hätte es nicht besser machen können«, lobte sie widerwillig, »aus Ihnen könnte vielleicht noch ein guter Pfadfinder werden.« »Mylady lassen meine Wenigkeit erröten«, behauptete Josuah Parker und wartete, bis die ältere Dame Platz genommen hatte. Dann servierte er formvollendet das Frühstück. Und Agatha Simpson konnte sogar nach einer Tasse greifen. »Aus der niedergebrannten Blockhütte, Mylady«, sagte Parker, als er ihren fragenden Blick sah, »aus diesen Trümmern stammt auch der Teekessel.« »Die Holzhütte ist niedergebrannt worden?« wunderte sie sich und zeigte dann skeptisch auf die Pilze. »Sind sie eßbar?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady«, gab Josuah Parker zurück. »Was die Hütte betrifft, so brannte sie während Myladys Schlaf nieder.« »Ich habe nicht geschlafen, ich habe das Feuer höchstens übersehen«, korrigierte sie grollend, »das Fleisch ist annehmbar ...« »Mylady machen mich glücklich. Was die Gangster betrifft, Mylady, so scheint man sich in Richtung Landsitz erst mal zurückgezogen zu haben.« »Das möchte ich diesen Lümmeln auch geraten haben«,
raunzte die Detektivin, »und wo sind die Steinzeitmenschen?« »In der Nähe, Mylady, angelockt vom Duft des Bratens«, antwortete Josuah Parker, »die Herrschaften trauen sich jedoch nicht näher heran, wie man vermuten darf.« »Sie sollen sich Zeit lassen«, fand sie, »erst möchte ich eine Kleinigkeit essen. Wo steckt übrigens dieser Jammerlappen, den ich überwältigt habe?« »Dort, Mylady, an einem Baum.« Parker deutete diskret in die entsprechende Richtung. Mylady, die an einer Kaninchenkeule knabberte, wandte sich um und musterte Joe Kilgate, der einen hungrigen Eindruck machte. »Ich werde ihn anschließend verhören«, entschied die Detektivin, »er wird ja wohl wissen, wer der Lümmel ist, der die Leute hier gefangen hält, nicht wahr?« »Mylady werden mit Sicherheit mehr Erfolg haben als meine bescheidene Wenigkeit«, erwiderte Josuah Parker absichtlich recht laut, damit Joe Kilgate auch jedes Wort verstand. »Mylady sollten aber aus Gründen der Humanität diesmal auf die Feuerfolter verzichten, wenn ich so darum bitten darf.« Die Lady hatte sofort verstanden und winkte verärgert ab. »Natürlich werde ich mit Feuer arbeiten«, sagte sie grimmig, »aber diesmal werden Sie rechtzeitig weggehen, Mr. Parker, sonst werden Sie wieder ohnmächtig wie seinerzeit, als ich dieses Unterweltssubjekt verhörte.« »Nur zu gern, Mylady«, entgegnete Parker und deutete eine knappe Verbeugung an, »vorher aber sollte man Mr. Joe Kilgate nachhaltig knebeln. Sein Geschrei könnte sonst möglicherweise bis hinauf zum Landsitz gehört werden.« Joe Kilgate, der an sich schon Ärger mit seiner schiefen Nase hatte, wurde sichtlich weich in den Knien und verfärbte sich. Was er da hörte, nahm er für bare Münze.
*** »Sie müssen Rupert sein«, sagte Agatha Simpson und nickte einem kleinen Mann zu, der schlohweißes Haar und schwarze Vogelaugen hatte. Dieser Mann war, wie seine Begleiter, in einem körperlichen Zustand, den man nur als erbärmlich bezeichnen konnte. Sir Rupert und vier Männer, die hinter ihm standen, trugen alle Fellkleidung und waren unrasiert. Das Haar war strähnig und schmutzverklebt. »Ich bin Rupert«, erwiderte der kleine Mann mit müder Stimme, »und Sie sind Lady Agatha, nicht wahr?« »Mr. Parker«, sagte die ältere Dame und deutete auf den Butler, »das ist mein Schüler, wie ich ohne Übertreibung sagen kann.« »Sie sind erst seit gestern hier im Steinzeittal, ja?« fragte Sir Rupert und schielte nach den Resten des Kaninchens. »Falls es nicljt aufdringlich erscheint, Sir, möchte ich mir erlauben, den Herrschaften einen kleinen improvisierten Imbiß anzubieten«, schaltete sich der Butler ein. Er hatte hungrige Blicke auch der übrigen vier Männer richtig gedeutet. Denn nach dieser Einladung vergaßen die Männer erst mal gründlich ihre möglicherweise gute Erziehung und stürzten sich förmlich auf den Kaninchenbraten. Sie hockten wie echte Steinzeitler ans Feuer und rissen das Fleisch von den Knochen des Wildtiers. »Was sage ich dazu, Mr. Parker?« fragte Lady Simpson. »Mylady wünschen, daß man noch zusätzlichen Tee kocht«, erwiderte der Butler. »Aber ohne Kognak«, sorgte sie sich, »Alkohol wäre jetzt Gift für die armen Teufel.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker griff nach dem Teekessel aus Gußeisen und ging zum nahen Bach. Nach wenigen Minuten
war er wieder zurück und fachte das Feuer neu an. Sir Rupert und seine vier Begleiter hatten die Knochen bereits abgenagt und saßen im hohen Gras. Sie sahen abgespannt und müde aus. »Nun reißen Sie sich mal zusammen, mein lieber Rupert«, meinte Lady Simpson sehr munter, »wie konnte das alles passieren? Wer hat Sie hereingelegt?« »Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte Sir Rupert. »Dann fassen Sie sich gefälligst kurz«, raunzte seine Gesprächspartnerin. »Ich bin eigentlich von den Teilnehmern am geplanten Experiment hereingelegt worden«, meinte der kleine Mahn, der eine täuschende Ähnlichkeit mit jenem Mann besaß, der sich oben im Landsitz als Sir Rupert ausgegeben hatte. »Plötzlich waren ganz andere Probanden da als die, die ich engagiert hatte, verstehen Sie?« »Was dachten denn Sie, Rupert. Wie hatten Sie denn ihre Probanden interessiert?« »In Fachzeitschriften«, lautete die Antwort, »ich hatte über dieses Experiment geschrieben und um Meldungen gebeten. Ich wollte ein Leben in der Steinzeit simulieren, verstehen Sie? Und ich fand auch gute Leute, die sich an diesem Langzeitexperiment beteiligen wollten. Doch dann erschienen ganz andere Personen und überwältigten mich.« »Gibt es bereits so etwas, was man ein Steinzeitdorf nennen könnte, Sir Rupert«, schaltete sich der Butler ein. »Natürlich«, lautete die Antwort, »dieses Dorf liegt hinter dem Talknick. Ich hatte bereits einige Rundhäuser vorbereiten lassen, damit die Teilnehmer am Experiment wenigstens einen ersten Einstieg hatten.« »Dieses Dorf will ich mir ansehen«, entschied Lady Simpson, »und wie sind Ihre Begleiter in dieses Tal gelockt worden?«
»Man muß mein Adreßbuch eingesehen haben«, erklärte Sir Rupert, »es sind alles ehrenwehrte Herrschaften, die man raffiniert hierher nach Mallwyd gelockt hat. Dann wurden sie überwältigt und ins Tal abgeschoben. Sie wissen inzwischen wohl schon, daß es sich hier um Erpressungen handelt, oder?« »Ich bin ja nicht schwerhörig«, sagte die Detektivin grimmig, »von mir erwartet man eine Million Pfund. Lächerlich! Ich werde natürlich keinen Penny zahlen...« »Sie werden zahlen, Lady Agatha«, prophezeite Sir Rupert müde, »die meisten hier haben bereits die geforderten Summen gezahlt. Sie warten nur darauf, daß auch noch der Rest die geforderten Gelder überweist. Früher oder später wird hier jeder weich.« »Darf man davon ausgehen, daß man untereinander dafür sorgt?« fragte Josuah Parker. »Wie meinen Sie das?« wollte Sir Rupert wissen. »Man setzt jene Geiseln unter Druck, die noch nicht zu zahlen bereit sind, Sir.« »Doch, das geschieht«, räumte Sir Rupert ein, »darum gibt es unter uns ja auch offene Feindschaften.« »Die Leute, die bereits gezahlt haben gegen jene, die noch nicht zahlen wollen, Sir Rupert?« wollte die ältere Dame wissen. »So ist es leider«, gestand Sir Rupert, »aber es ist ja auch verständlich. Die Verhältnisse hier sind scheußlich, glauben Sie mir. Hunger, Kälte, Nässe, keine sanitären Einrichtungen. Wenn wir essen wollen, müssen wir Kleinwild jagen oder nach Wurzeln graben.« »Wie in der Steinzeit, ja?« Agatha Simpson lächelte ironisch. »Das kann man wohl sagen«, seufzte Sir Rupert, »in jener Zeit muß das Leben schrecklich gewesen sein.«
»Weil Sie hier nicht improvisieren können«, tadelte die ältere Dame, »unter meiner Anleitung hat Mr. Parker sich bereits mit dieser Form der Steinzeit gut abgefunden.« »Und dann die unentwegten Brutalitäten«, berichtete Sir Rupert mit leiser Stimme weiter, »da sind erst mal die KilgateBrüder ... Sie hetzen und jagen uns wie Wild. Und dann die Nachtwölfe! Sie schlagen und quälen uns, sie nehmen uns die Beute weg, rauben uns die Nachtruhe und brennen uns sogar noch die Rundhäuser nieder. Wir leben in einer einzigen Panik.« »Warum tun Sie sich nicht zusammen und wehren sich?« erkundigte sich Lady Simpson kopfschüttelnd. »Wir haben es mit Gangstern zu tun«, verteidigte Sir Rupert sich, während seine vier Begleiter nickten, »und dann sind da auch noch die Frauen, die mit diesem Leben überhaupt nicht fertig werden. Es ist die Hölle hier.« »Das wird jetzt alles anders«, entschied die Lady, »ich werde die Sache in die Hand nehmen, nicht wahr, Mr. Parker?« »Unter Myladys Leitung werden die Verhältnisse sich grundlegend ändern«, stellte Butler Parker höflich fest, »an ein Verlassen des Steinzeittals ist nicht zu denken?« »Ich selbst habe ja diesen verrückten Jagdzaun bauen lassen«, klagte Sir Rupert sich an, »ich selbst habe ja für die elektronische Überwachung gesorgt. Ich konnte ja nicht ahnen, daß dies alles mißbraucht werden würde.« »Was könnte passieren, Sir, falls man sich diesem Ihrem Zaun nähert?« fragte der Butler weiter. »Es wird scharf geschossen«, lautete die Antwort, »wir haben bereits ein paar Verletzte, die wir nur notdürftig behandeln können. Kein Mensch traut sich inzwischen mehr in die Nähe dieses Zauns. Es ist einfach zu gefährlich.« »Wer ist nun dieser falsche Sir Rupert?« wollte Lady
Simpson wissen, »die Ähnlichkeit zwischen ihm und Ihnen, Rupert, ist verblüffend.« »In der Tat, Sir«, warf Parker ein. »Ich kenne diesen Mann nicht, aber er muß mir wirklich sehr ähnlich sehen, wie man mir sagte«, erwiderte Sir Rupert, »aber wie gesagt, ich kenne diesen Mann nicht.« »Sie haben nicht zufällig einen Zwillingsbruder, Rupert?« fragte die Detektivin. »Nein, nein, ganz sicher nicht«, widersprach der Talbesitzer, »und ich selbst spiele auch kein Doppelspiel, wie man hier sogar annimmt.« »Wie darf man solch eine Unterstellung interpretieren, Sir?« erkundigte sich der Butler. »Manche Geiseln hier glauben, daß ich mal als Gangsterchef, dann wieder als Opfer auftrete«, setzte Sir Rupert ihm auseinander, »aber das ist absolut abwegig. Nein, nein, man hat mich kopiert! Der Gangster oben in meinem Haus muß eine vorzügliche Maske angelegt haben...« »Das kann man wohl sagen«, stellte Lady Simpson grimmig fest, »aber nun genug der Konversation. Ich möchte mir das Steinzeitdorf endlich mal aus der Nähe ansehen. Anschließend werde ich die Verteidigung und den Ausbruch organisieren.« »Machen Sie sich keine Hoffnungen, Lady Agatha«, wehrte Sir Rupert müde ab, »wir haben keine Chancen. Wie wollen wir gegen die Bewaffnung der Gangster ankommen? Sie können uns jederzeit zusammenschießen. Anderthalb Wochen leben wir jetzt hier in der Steinzeit. Hätte ich Narr nur gewußt, was ich da provozierte! Niemals hätte ich solch ein Experiment vorbereitet.« »Sie verfügen bereits über einschlägige Erfahrungen, Sir«, schaltete sich Josuah Parker ein, »womit ist Ihrer Ansicht nach jetzt zu rechnen?«
»Man wird uns jagen, hetzen und zusammenschlagen«, faßte Sir Rupert zusammen, »ich mache mir da keine Illusionen. Wir sollten alle möglichst schnell die verlangten Summen zahlen. Nur so haben wir überhaupt eine Chance, mit dem Leben davonzukommen!« *** Das sogenannte Steinzeitdorf bestand aus einer Ansammlung von primitiven Rundhütten, deren Seitenwände mit Lehm verschmiert waren. Die Spitzdächer, mit Stroh bedeckt, waren bereits nachhaltig beschädigt und nicht repariert worden. Einige Rundhütten jenseits eines Holzzauns, der mehr als einfach war, waren niedergebrannt worden. »Das geht auf das Konto der Nachtwölfe«, behauptet Sir Rupert, »man will uns systematisch entnerven.« »Und scheint es bereits geschafft zu haben«, sagte die Detektivin, grimmig, »warum haben Sie sich gegen diese Subjekte nicht zur Wehr gesetzt?« »Wir sind normale Durchschnittsbürger, die mit solchen Verhältnissen einfach nicht klarkommen«, erklärte Clyde Alton, der rundliche Mittfünfziger, der sich zusammen mit seinem Partner Norman Maiden inzwischen eingefunden hatte, »ich, um nur ein Beispiel zu nennen, bin Börsenmakler. Mr. Maiden hier ist der Inhaber einiger Restaurants. Wie sollen wir uns gegen Gangster zur Wehr setzen? Die anderen Herrschaften kommen ebenfalls aus selbständigen Berufen. Es sind Unternehmer, die sich in der Steinzeit bestimmt nicht auskennen.« »Wohlhabende Unternehmer, wie man unterstellen sollte, nicht wahr?« warf der Butler ein. »Das kann man wohl sagen«, bestätigte Sir Rupert, während
die anderen Männer zustimmend nickten, »dieser Coup zahlt sich mit Sicherheit aus. Die Gangster werden mit Millionen rechnen können.« »Und nach welchen Modalitäten, wenn man fragen darf, werden die Zahlungen abgewickelt?« fragte Josuah Parker weiter. »Ganz normale Überweisungen an eine Schweizer Bank«, entgegnete Norman Maiden, »und von dort aus geht das Geld dann wahrscheinlich an ein anderes Konto, um dann zu versickern. Banktechnisch ist das alles sehr einfach.« »Ich werde diesen Subjekten das Handwerk legen«, versprach die ältere Dame, die nur beiläufig zugehört hatte, »jetzt werde ich erst mal eine Steinzeit-Bürgerwehr organisieren. Mr. Parker, übernehmen Sie die unwichtigen Details, ich werde mich mit dem strategischen Konzept befassen.« »Wie Mylady wünschen«, entgegnete der Butler, ohne mit der Wimper zu zucken. Agatha Simpson, Sir Rupert und die beiden Männer Alton und Maiden durchwanderten das kleine Steinzeitdorf, während Parker eine genaue Inspektion vornahm und sich mit den Insassen des schäbigen Dorfes bekannt machte. Er bedauerte die Frauen, die so gar nicht mit der Primitivität zurecht kamen. Sie alle sahen ungepflegt aus, waren ängstlich, nervös und wirkten eingeschüchtert. Junge Frauen waren verständlicherweise nicht darunter. Die Ehefrauen entsprachen altersmäßig in etwa ihren Ehemännern. Sie klagten über Hunger, Kälte und dann auch über die Entschlußlosigkeit ihrer Männer, etwas gegen diese Situation zu unternehmen. Parker erfuhr, daß die Männer nicht in der Lage waren zu jagen oder zu fischen. Man hatte sich bisher fast nur von Wildfrüchten ernährt. Nur hin und wieder war man in der Lage gewesen, ein paar leichtsinnige Fische aus dem Wasser zu
holen. Mißtrauen, Neid und sogar offene Feindschaft herrschten untereinander. Und diejenigen Geiseln, die bisher eine Lösegeldzahlung verweigerten, hatten sich abgesetzt und irgendwo im Tal versteckt. Sie waren von den übrigen Geiseln massiv unter Druck gesetzt worden. Man hatte sie zwingen wollen, die Lösegelder zu zahlen, um so den gemeinsamen Aufenthalt im Steinzeittal abzukürzen. Parker gestand sich ein, daß die Gangster oben im Landsitz des Sir Rupert geschickt arbeiteten. Die Feindschaft und Uneinigkeit im Tal erleichterte es ihnen, die Geiseln festzuhalten. Mit einer geschlossenen Gegenwehr brauchten wirklich nicht zu rechnen. Männer, die im Geschäftsleben mit Sicherheit über ein großes Durchsetzungsvermögen und über Härte verfügten, versagten kläglich. Und die Frauen, normalerweise von Angestellten umgeben, kamen hier nicht zurecht. Als der Butler sich weiter umsehen wollte und sich von den Frauen trennte, da wußte er, daß mit dem Ausbruch einer Massenhysterie fest zu rechnen war. Er besuchte die verwundeten Geiseln, die sich dem hohen Jagdzaun genähert hatten. Bösartige Verletzungen konnte Parker bei drei angeschossenen Geiseln zwar nicht entdecken, doch die Verwundungen waren unangenehme Fleischwunden, die sich inzwischen entzündet hatten. Drei raffiniert gezielte Schüsse hatten ausgereicht, die Nähe des Zauns in eine TabuZone zu verwandeln. »Ich habe gerade mein strategisches Konzept entwickelt«, sagte die Detektivin, als Parker sich ihr näherte. »Damit, Mylady, war fest zu rechnen«, antwortete Josuah Parker in seiner höflichen Art. »Ich werde dieses Dorf in eine Festung verwandeln, die uneinnehmbar sein wird«, erläuterte sie begeistert. »Und die leer sein wird, Mylady«, antwortete der Butler, »wenn es erlaubt ist, möchte ich diese List als ein Meisterstück
der Psychologie bezeichnen.« »Eine leere Festung?« staunte Agatha Simpson unsicher. »Die die Gangster anziehen und verwundbar machen wird, Mylady«, redete Parker weiter, »während sie dieses Fort belauern, könnte man die ahnungslosen Gangster Person für Person aus dem ziehen, was man gemeinhin und salopp als Verkehr bezeichnet.« »Richtig, Mr. Parker. Genau das schwebt mir vor«, meinte sie schnell, »Sie lernen erfreulich schnell.« *** »Das hier ist ein alter Lüftungsschacht«, sagte Bert Basing und deutete auf dicke, verwittert aussehende Holzbohlen, die über einer Art Brunnenschacht lagen. »Und wohin führt er?« fragte Mike Rander. »Runter in die alte Kohlengrube«, sagte der Bauer, »ich möchte wetten, daß die Stollen durch die Bank noch in Ordnung sind.« »Man könnte also von hier aus hinüber ins Tal kommen?« »Klar, Sir«, antwortete Bert Basing, »aber ungefährlich ist das natürlich nicht. Ich weiß nicht, wie's unten in den Stollen aussieht. Ich bin schon seit Jahren nicht mehr unten gewesen.« »Das ganze Leben ist ein einziges Risiko«, meinte der Anwalt. »Warum gehen Sie nicht zur Polizei, Sir?« wollte der ehemalige Grubenarbeiter und jetzige Bauer wissen. »Das ist eine komplizierte Geschichte«, schickte Mike Rander voraus, »damit könnte man unter Umständen eine Mordlawine auslösen. Mal abgesehen davon, daß es verflixt schwer ist, einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen. Unsere
Richter sind da erfreulich zurückhaltend.« »Also, wenn's sein muß, würd' ich mit Ihnen runtergehen«, bot Bert Basing seine Hilfe an. »Prachtvoll, alter Knabe«, fand Rander lächelnd, »und wie hagelt man sich da runter?« »Es gibt Eisenleitern.« »Die können ja nicht alle durchgerostet sein, oder?« »Kaum«, sagte Basing, »das ganze Leben ist ja ein Risiko, wie Sie eben gesagt haben.« »Falls Sie mir 'ne genaue Beschreibung geben, mache ich's auch allein.« »Sie würden sich mit Sicherheit verlaufen, nein, nein, ich komme mit. Ich hab' mit den Kerlen noch 'ne Rechnung zu begleichen.« »Okay, versuchen wir also unser Glück. Und wo im Tal kommt man wieder ans Tageslicht?« »Die offizielle Einfahrt ist vernagelt und zugeschüttet«, meinte Bert Basing, »aber ich kenne da ein paar Schlupflöcher.« »Verständigen wir die Frauen«, sagte Mike Rander, »und besorgen Sie so was wie Lichter.« Die beiden Männer setzten sich in den kleinen Personenwagen, der altersschwach und verrostet war. Basing hatte ihn aus Gebrauchtteilen anderer Wagen zusammengebastelt. Es war erstaunlich, wie gut dieser Wagen lief. - »Hören Sie, Sir«, erklärte Bert Basing während der Rückfahrt, »Sie haben da von einer Belohnung gesprochen. Also, die können Sie streichen. Inzwischen ist das alles für mich 'ne sehr persönliche Sache geworden. Sie wissen schon, man wollte sich an meine Frau ranmachen.« »Über dieses Thema reden wir später noch mal«, schlug der Anwalt vor, »sorgen wir erst mal dafür, daß wir ins Tal
kommen. Wie lange werden wir durch die Stollen kriechen müssen?« »Etwa anderthalb Kilometer, Sir. Der Lüftungsschacht da liegt sehr günstig. Wir können einen ganzen Knick einsparen.« Kathy Porter sah die beiden Männer erwartungsvoll an, als sie aus dem Wagen stiegen. Mike Rander berichtete ihr kurz, was geplant und wie groß das Risiko war. »Das klingt aber alles sehr gut«, meinte Kathy Porter, »ich habe hier im Haus inzwischen eine Schrotflinte gefunden. Das heißt, Mrs. Basing hat sie mir gezeigt.« »Offiziell hab' ich sowas aber nicht«, schränkte Bert Basing lächelnd ein. »Offiziell werden wir sie auch nicht benutzen«, meinte Rander, »das Ding werden wir mitnehmen.« »Richtig«, sagte Kathy Porter, »ich freue mich schon jetzt auf das Gesicht Lady Simpsons.« »Wie soll ich das verstehen?« Rander runzelte die Stirn. »Selbstverständlich werde ich mitkommen«, sagte sie wie selbstverständlich, »Sie wissen doch, Mike, wie gut ich mich durch Engpässe schlängeln kann.« »Ich versuche erst gar nicht, Ihnen das auszureden, Kathy.« »Es wäre auch sinnlos«, meinte sie lächelnd, »ich möchte doch aus nächster Nähe erleben, wie Lady Simpson und Mr. Parker mit der Steinzeit fertig werden.« *** Josuah Parker lustwandelte durch das hintere Tal. Er achtete darauf, daß er nicht etwa durch einen Fernschuß oben vom Talrand außer Gefecht gesetzt werden konnte. Seiner bescheidenen Ansicht nach warteten die Gangster nur darauf,
Mylady und ihn aus dem Weg zu räumen. Seitdem sie im Tal waren, lief bei diesen Leuten nicht mehr alles so, wie sie es sich wohl vorgestellt hatten. Der Butler hatte längst herausgefunden, wie gut geeignet dieses Tal war, um das Steinzeit-Experiment durchzuführen. Die meisten Hänge waren steil und dicht mit Dorngestrüpp bewachsen. Natürlich wären sie zu besteigen gewesen, doch ein Stadtmensch ließ sich von dieser Wildnis mit Sicherheit abschrecken. Durch das Tal floß ein kristallklarer Bach, in dem es viele Fische gab. Wild war in diesem Tal ebenfalls ausreichend vorhanden, vor allen Dingen Kaninchen. Er selbst hatte solch ein Tier mit Leichtigkeit erlegt und dafür nur seine Patentschleuder einsetzen müssen. Die Probanden und jetzt die Geiseln brauchten also nur etwas Energie und Erfindungsgabe aufzuwenden, um zu überleben. Doch sie alle befanden sich im Streß und hatten Angst, von den sogenannten Nachtwölfen gejagt zu werden. Parker schritt um einen vorspringenden Hang herum und sah sich plötzlich zwei Männern und einer Frau gegenüber, die ihn vermutlich erwartet hatten. Sie hielten Knüppel in ihren Händen und Steine. Sie machten einen äußerst aggressiven Eindruck und trugen natürlich Felle. »Einen guten Tag erlaube ich mir zu wünschen«, sagte Parker und lüftete die schwarze Melone. »Wer sind Sie?« herrschte ihn ein untersetzter Mann an. »Parker mein Name, Josuah Parker«, erwiderte der Butler, »darf ich darauf verweisen, daß auch meine Wenigkeit eine Geisel ist, die man in die Steinzeit rückversetzt hat« »Sie wollen eine Geisel sein?« fragte der andere Mann, der groß und schlank aussah. »Es ist gewissen Herrschaften bisher nicht gelungen, meiner Wenigkeit ein Fell anzupassen«, meinte der Butler. »Darf ich unterstellen, daß Sie zu jenen Herrschaften gehören, die es
bisher abgelehnt haben, ein Lösegeld zu zahlen?« »Stimmt«, sagte der erste Mann knapp. »Und dabei bleibt es auch« fügte der zweite Mann hinzu. »Sollte es noch weitere Verweigerer geben, Sir?« wollte Parker wissen. »Die gibt es.« Der Schlanke nickte. »Und wir lassen uns nicht unter Druck setzen«, erklärte die Frau. Sie mochte vierzig sein und sah füllig aus. »Daran dürfte jetzt nicht mehr zu denken sein«, erwiderte Parker, »Mylady und meine Wenigkeit organisieren inzwischen so etwas wie Widerstand.« »Mylady und Sie?« fragte die füllige Frau. »Seit gestern hier im Tal«, berichtete Parker, »inzwischen kam es bereits zu intensiven Kontakten mit den KilgateBrüdern und den Nachtwölfen.« »Danach sehen Sie aber nicht aus«, staunte die füllige Frau mißtrauisch. »Aber die erwähnten Herren«, entgegnete der Butler, »sie mußten das zahlen, was man gemeinhin Lehrgeld zu nennen pflegt.« »Ich glaube Ihnen kein Wort«, sagte der Untersetzte, »Sie gehören doch bestimmt zu den Kerlen, die uns hierher gelockt haben.« »Dann wäre ich nicht allein«, meinte Josuah Parker, »und Sie würden wahrscheinlich belästigt werden.« Die drei Personen tuschelten miteinander, und Parker bekam genau mit, daß man ihn ganz bewußt ablenken wollte. Sein scharfes Gehör hatte längst registriert, daß seitlich und hinter ihm weitere Fellbekleidete im Buschwerk standen. Er ließ sich natürlich nichts anmerken, griff nach einem seiner Patentkugelschreiber und nahm ihn unauffällig in die Hand.
»Sind Sie möglicherweise zu einem Resultat gekommen?« erkundigte sich Parker endlich. »Sind wir«, sagte derUntersetzte, »wir werden Sie erst mal mitnehmen, Mann! Machen Sie keinen Unsinn, Sie sind umzingelt!« »In der Tat«, entgegnete Josuah Parker, »dies ist meiner Wenigkeit nicht entgangen. Darf ich Sie von der Harmlosigkeit meiner Person überzeugen?« »Das können Sie gar nicht«, antwortete die Füllige. »Los, Leute«, rief der Schlanke mit erhobener Stimme, »fangt den Kerl ein!« Wie Parker gehört hatte, erschienen vier weitere Personen auf der Bachwiese. Sie brachen wie Urmenschen aus dem Dickicht und schwangen Holzknüppel. Josuah Parker, der auf solch einen Angriff vorbereitet war, warf seine Geheimwaffe zu Boden, hielt dann sicherheitshalber den Atem an und schloß die Augen. *** Dort, wo er gestanden hatte; schoß eine kompakte Nebelsäule zum Himmel, die sich sofort ausbreitete. Die Angreifer, die sich bereits in Bewegung gesetzt hatten, liefen in diesen Nebel hinein und bremsten zwar ihren Schwung ab, konnten es aber nicht vermeiden, den Nebel einzuatmen. Da sie ihre Augen nicht geschlossen hatten, wirkte das Reizmittel, das der Nebel enthielt, ungehindert auf die Tränendrüsen. Das Resultat war frappierend. Die sechs Männer und die füllige Dame husteten augenblicklich und vergossen Tränen. Sie schlugen verzweifelt mit den Händen um sich und trachteten danach, sich in
Sicherheit zu bringen, gerieten jedoch außer Atem. Sie nahmen wider Willen auf dem Rasen Platz und waren derart mit sich beschäftigt, daß sie den Butler vergaßen. Josuah Parker, der die Wirkung des Reizgases nur zu gut kannte, hatte sich in Sicherheit gebracht. Er befand sich jenseits der Nebelschwaden und begab sich zum Bach, um vorsorglich eine Augenspülung vorzunehmen. Dennoch wirkten seine Augen leicht gerötet, mußte er diskret hüsteln. Er wartete, bis der im Tal herrschende leichte Wind die Nebelschwaden zerstreut und aufgelöst hatte. Dann begab er sich zurück zu den Urzeitmenschen, die völlig irritiert waren. »Ich bedaure außerordentlich, meine Damen und Herren, daß ich mich gezwungen sah, zu solchen Mitteln zu greifen«, entschuldigte er sich, »aber aus verständlichen Gründen konnte ich nicht daran interessiert sein, mich von Ihnen in ein Gespräch Ihrer Wahl verwickeln zu lassen.« Sie sahen ihn aus tränenden Augen an und husteten erst mal gründlich weiter. »Nach den bisher gesammelten Erfahrungen dürfte sich der Reiz in etwa zehn Minuten völlig gelegt haben«, redete der Butler weiter, »diese Zeit möchte ich nutzen, Ihnen von Mylady und meiner Wenigkeit zu berichten.« Parker lieferte die Stichworte, die die Männer und die Frau brauchten, um sich ein Bild von der momentanen Lage machen zu können. Sie hüstelten bereits verhaltener und hörten zu. Als Parker seinen Bericht beendete, winkte der Muskulöse beschwichtigend ab. »Ich glaube, wir können Ihnen trauen«, sagte er dann mühsam und hustete zwischendurch, »was haben Sie uns da eben vorgesetzt?« »Ein Mittel zur Dämpfung etwa auftretender Aggressionen«, beantwortete Josuah Parker die Frage, »darf ich meinen Rat erneuern und zur Zusammenarbeit aufrufen?«
»Haben Sie auch noch andere Waffen?« fragte der Schlanke. »In der Tat«, bekräftigte Parker, »darüber hinaus ließen sich mit wenigen Mitteln noch andere Abwehrgeräte herstellen.« »Sie wissen doch, daß wir nicht nur von den Gangstern, sondern auch von diesen Schlappschwänzen gejagt werden, die längst gezahlt haben, oder?« Der Muskulöse hatte sich bereits gut erholt und konnte reden, ohne von Hustenanfällen geplagt zu werden. »Emotionen jeder Art sollte man jetzt und hier tunlichst vermeiden«, schlug Josuah Parker vor, »mit einem massiven Gegenschlag seitens der Geiselnehmer ist in aller Kürze zu rechnen.« »Dagegen haben wir keine Chancen«, sagte der Schlanke, »da hilft nur Wegtauchen. Sie dürfen uns einfach nicht finden.« »Gibt es hier im Tal ausreichend Verstecke?« fragte Josuah Parker, »Sie dürften das hintere Landende besetzt haben, wenn ich die Lage richtig deute.« »So fragt man Dumme aus«, erwiderte die füllige Frau spitz. »Es gibt also solche Verstecke«, stellte Josuah Parker lakonisch fest, »handelt es sich dabei um das alte Bergwerk?« »Bergwerk?« Der Muskulöse tat erstaunt. »Gewisser Abraum, wenn inzwischen auch überkrautet und überwuchert, ist keineswegs zu übersehen«, meinte Josuah Parker, »aber wollen Sie tatsächlich in einen Stollen gedrängt und dann darin festgehalten werden? Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte dies kaum komfortabel sein, zumal man Sie leicht aushungern könnte.« »Sie rechnen sich wirklich Chancen aus?« fragte der schlanke Mann. »Falls man zusammenhält und an dem zieht, was man einen Strang nennt«, gab Josuah Parker zurück. »Darüber müssen wir erst mal nachdenken«, sagte der
Schlanke. »Übereilen Sie nichts«, schlug der Butler vor, »falls Sie zu einem positiven Resultat gekommen sein sollten, finden Sie meine Wenigkeit im Steinzeitdorf.« Er lüftete seine schwarze Melone und schritt dann zurück. Er hinterließ Verblüffung und Irritation. Seine Erscheinung hier im Steinzeittal paßte keineswegs in das gewohnte Bild. *** »Hier geschieht etwas, was mir überhaupt nicht gefällt, Mr. Parker«, sagte die ältere Dame, als der Butler sich wieder im Dorf befand. Lady Simpson hatte ihn zur Seite gewinkt. Das Duo aus London befand sich außerhalb des Zauns und konnte sich ungestört unterhalten. »Mylady haben Gründe für Ihr Mißtrauen?« erkundigte sich der Butler. »Sir Rupert und die beiden Burschen Alton und, Maiden waren für einige Zeit weg«, berichtete die Detektivin, »als sie dann zurückkehrten, haben sie sich heimlich mit den übrigen Steinzeitlern unterhalten.« »Verfügen Mylady noch über Joe Kilgate?« wollte der Butler wissen. »Er liegt dort drüben in einer Rundhütte«, antwortete die Detektivin, »sagen Sie mir endlich, was ich von dieser Verschwörung zu halten habe.« »Mylady rechnen mit einer Verschwörung?« »Genau diesen Eindruck habe ich«, redete sie weiter, »warum tuschelt man miteinander und tut harmlos, sobald ich auftauche?« »Die Gangster könnten sich mit Sir Rupert und den übrigen Geiseln auf irgendeine Weise in Verbindung gesetzt haben,
Mylady.« »Auf irgendeine Weise?« Agatha Simpson schnaubte. »Durch eine Drohgebärde, die Mylady übersehen haben könnten.« »Und was könnten die Gangster im Schild führen?« »Sie könnten die Auslieferung von Mylady und meiner Wenigkeit verlangt haben.« »Das wäre doch!« Sie grollte. »Eine Vorstellung, Mylady, die sich förmlich aufdrängt«, redete Josuah Parker weiter, »man verspricht den Geiseln eine baldige Befreiung oder eine Erleichterung der augenblicklichen Situation. Im Tausch dagegen verlangt man eine Auslieferung.« »Das soll man nur wagen, Mr. Parker!« Ihre Augen blitzten. »Aus Angst oder Hunger könnte man diese bedauernswerten Menschen dazu bringen, gegen die zwingende Logik zu verstoßen.« »Das wäre doch der Gipfel, Mr. Parker.« »Darf man fragen, wo Mylady die beiden Schrotflinten untergebracht haben?« »In der Hütte dort drüben.« Sie deutete über den Zaun auf eine Rundhütte. Und genau vor dieser Hütte standen die Steinzeitmenschen und unterhielten sich eindringlich. Sir Rupert schien dabei die Diskussionsleitung übernommen zu haben. »Seine Ähnlichkeit mit dem falschen Sir Rupert im Landsitz ist immer wieder beeindruckend«, stellte Josuah Parker fest. »Was wollen Sie damit andeuten? Daß ich es mit einem Gauner zu tun habe, der doppelgleisig fährt, Mr. Parker? Sie wissen, dieser Gedanke ist mir bereits gekommen. Sir Rupert oben im Landsitz, Sir Rupert hier unten als Steinzeitmensch und bedauernswerte Geisel.«
»Eine Vorstellung, Mylady, die man nicht verdrängen sollte.« »Holen wir uns erst mal die beiden Schrotflinten«, sagte sie, »ich traue diesen Waschlappen nicht mehr über den Weg. Haben Sie etwas entdeckt?« »Eine Gruppe, Mylady, die man als Opposition bezeichnen könnte«, gab der Butler zurück, »es handelt sich um Herrschaften, die zu Lösegeldbezahlungen nicht bereit sind.« »Das hört sich schon besser an, Mr. Parker.« Sie nickte wohlwollend. »Sehen sie doch, dieser richtige oder falsche Sir Rupert will was von mir.« Sir Rupert hatte sich von der Gruppe gelöst und stieg schwerfällig über den einfachen Zaun. Dann kam er auf Lady Simpson und Butler Parker zu. Er räusperte sich, als er das Duo erreicht hatte. »Was haben Sie da heimlich ausgeheckt, Rupert?« fragte die ältere Dame ohne Umschweife. »Wir spielen nicht mit, Lady Agatha«, äußerte sich Sir Rupert, »wir wollen kein Risiko eingehen, verstehen Sie?« »Sie wollen lieber hungern, nicht wahr?« »Wir wollen leben und uns nicht abschlachten lassen. Wir halten uns an die Abmachungen. Sobald jeder von uns gezahlt hat, werden wir wieder freigelassen. Warum sollte man uns auch umbringen? Wir kennen die Gangster ja nicht, können sie also auch nicht verraten. Und die Gangster werden hier nie einen Massenmord begehen.« »Mit anderen Worten, Sir?« fragte Parker. »Sie werden sich ab sofort von uns trennen«, schlußfolgerte Rupert, »wir wollen mit Ihnen nichts mehr zu tun haben.« »Okay, Rupert, Sie Waschlappen, dann geben Sie uns die Flinten«, verlangte die ältere Dame, »anschließend werden Mr. Parker und ich dann eben gehen.« »Die beiden Schrotflinten haben wir unbrauchbar gemacht«,
antwortete Sir Rupert, »die Patronen schwimmen bereits im Bach. Wir wollen hier keine Schießerei.« »Und Joe Kilgate?« Parker konnte, wenn es sein mußte, sehr konzentriert und knapp fragen. »Der ist bereits freigelassen worden«, lautete die verblüffende Antwort, »warum sollen wir hier einen Kleinkrieg führen, wenn wir in ein paar Tagen ohnehin wieder frei sind?« »Und die Herrschaften, die nicht zu zahlen bereit sind, Sir?« fragte Josuah Parker. »Die werden wir schon dazu bringen, verlassen Sie sich darauf!« Rupert Farnholm machte plötzlich einen entschlossenen Eindruck. »Darf man fragen, Sir, ob Sie wirklich der wahre Sir Rupert sind?« erkundigte sich Parker, »oder präziser gefragt, sind Sie identisch mit jenem Sir Rupert, der Mylady und meine Wenigkeit oben im Landsitz empfing?« »Selbstverständlich bin ich der wirkliche Sir Rupert«, reagierte der Angesprochene gereizt. »Treiben Sie ein Doppelspiel, Rupert?« fügte die Detektivin hinzu. »Unsinn«, brauste Sir Rupert auf, »ich bin eine Geisel wie die anderen Personen hier im Tal. Oben im Landsitz haust ein Gangster, der vor nichts zurückschreckt. Und darum wollen wir uns auch von Ihnen trennen.« »Sind Sie sicher, Sir, daß man Mylady und meine Wenigkeit nicht auszuliefern gedenkt?« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. »Wie kommen Sie denn darauf?« staunte Sir Rupert und tat harmlos. »Weil Ihre Mitgeiseln sich unauffällig nähern und die beiden Schrotflinten verstecken«, antwortete der Butler, »man könnte fast annehmen, daß Waffengewalt angewendet werden soll.«
»Also gut!« Sir Rupert reckte sich auf. »Geben Sie auf! Wir schaffen Sie hinauf zum Plateau und übergeben Sie den Geiselnehmern. Wir können nicht anders, wenn man uns nicht der Reihe nach umbringen soll.« »Was sage ich dazu, Mr. Parker?« fragte Lady Agatha. »Was werde ich dagegen unternehmen?« »Mylady werden für eine umgehende Verschlechterung der Sicht Sorge tragen«, entgegnete der Butler und setzte einen weiteren Patentkugelschreiber ein, der die Lage schlagartig besserte. *** »Ich glaube, daß ich sehr verärgert bin«, sagte Agatha Simpson und wischte sich Tränen aus den Augenwinkeln. »Mylady haben allen Grund dazu«, antwortete der Butler. »Sie brauchten nicht gerade mich außer Gefecht zu setzen«, räsonierte die ältere Dame, »ich habe fast die ganzen Reizschwaden abgekriegt«, beschwerte sie sich, »und ich glaube, Sie haben das absichtlich getan.« Sie übertrieb maßlos wie stets. Die Reizung ihrer Augen war nur oberflächlich gewesen, gehustet hatte sie kaum. Sie befand sich mit Parker im Mittelteil des tief eingeschnittenen Tals. Das Duo hatte sich auf einer kleinen Lichtung behelfsmäßig eingerichtet und war hier erst mal sicher. Zu Schüssen war es wegen des Reiznebels nicht gekommen, doch Parker traute dem Frieden nicht. Die Steinzeitmenschen, die bereits gezahlt hatten und im Dorf wohnten, würden seiner Ansicht nach alles versuchen, Mylady und ihn einzufangen und den Gangstern auszuliefern. Sie standen unter schwerem psychologischen Druck, hatten schreckliche Angst und wollten sich so das Wohlwollen der Gangster und damit auch ihre
Freiheit erkaufen. »Spielt dieser Rupert nun ein Doppelspiel oder nicht?« fragte Agatha Simpson nachdenklich. »Ich habe mich noch nicht entschieden.« »Mylady stehen in der Tat vor einer sehr schwierigen Entscheidung«, räumte Josuah Parker ein. »Mylady glauben nach wie vor, daß Statur und Aussehen des Sir Rupert oben im Landhaus dem wahren Sir Rupert entsprechen?« »Du lieber Gott«, seufzte sie auf, »ich habe diesen Mann mehrmals aber nur flüchtig gesehen. So etwas übersieht man doch im Grund. Falls das dort oben im Landhaus der falsche Rupert ist, so frage ich mich, wie man an ein Double des richtigen Sir Rupert gekommen sein könnte.« »Eine Frage, die man als entscheidend betrachten sollte.« »Ich kann mir nicht helfen, ich glaube an ein Doppelspiel, Mr. Parker.« »Eine Rolle, die Sir Rupert möglicherweise gegen seinen erklärten Willen spielen muß, Mylady.« »Was meine ich denn damit schon wieder?« wollte sie verständlicherweise Wissen. »Man könnte Sir Rupert erpressen, Mylady. Man könnte ihn zwingen, diese Doppelrolle zu spielen.« »Und warum sollte man diesen Weichling als Steinzeitmensch dann hierher ins Tal schicken?« Die ältere Dame sah den Butler triumphierend an. Sie rechnete fest damit, daß Parker keine Antwort geben konnte. »Ein Sir Rupert als Geisel im Tal, Mylady, könnten den Gangstern stets einen genauen Bericht über die allgemeine Stimmung und Situation geben, und darüber hinaus für gewisse Beeinflussungen sorgen.« »Sehr schön«, lobte sie gegen ihren Willen, »genauso etwas habe ich mir natürlich längst schon gedacht, Mr. Parker.«
»Dies, Mylady, war vorauszusehen«, gab Parker zurück. In seinem Gesicht regte sich kein Muskel. »Myladys Weitblick sind immer wieder geeignet, allgemeine Verblüffung auszulösen.« »Man wird mich jetzt hetzen wie ein rankes Wild«, redete sie weiter, »Sie natürlich auch, Mr. Parker, doch erst in zweiter Linie.« »Mylady wird es immer wieder gelingen, sich solchen Nachstellungen zu entziehen«, wußte Parker im vorhinein. »Mylady werden sich mit jenen Personen zusammentun, die bisher eine Lösegeldzahlung verweigerten?« »Das weiß ich noch nicht genau.«.Sie sah den Butler abwartend an. »Im Augenblick dürfte dazu allerdings keine Zeit verbleiben, Mylady«, erklärte Parker, der das Vorfeld genau beobachtete, »meiner bescheidenen Ansicht nach ist mit einem Angriff zu rechnen.« »Diese Weichlinge versuchen also wirklich, mich einzufangen«, entrüstete sie sich prompt. »Es könnte sich auch um die Geiselnehmer handeln, Mylady«, warnte der Butler, »die Personen, die sich anpirschen, bewegen sich recht profihaft, wenn ich so sagen darf.« »Sehr schön.« Sie stand auf. »Ich habe es gern mit wirklichen Gegner zu tun, Mr. Parker. Sorgen Sie dafür, daß ich diesen Subjekten eine gebührende Abfuhr erteilen kann.« *** Die Gangster begingen einen entscheidenden Fehler. Nachdem Lady Simpson und Butler Parker überlistet und in ihrer Gewalt war, begnügten sie sich damit, die beiden nach
regulären Waffen abzuklopfen, wobei sie selbstverständlich nichts fanden. Zu diesem Zeitpunkt war ihnen noch nicht klar, mit wem sie es zu tun hatten. Darum schenkten sie dem Universal-Regenschirm des Butlers keine Beachtung und übersahen auch völlig die zusammenlegbare Gabelschleuder. Sie lächelten sogar über die vielen Kugelschreiber und besonders mokant über die nicht gerade teuer aussehenden Zigarren, die sich in einem abgeschabten Lederetui befanden. Der Pompadour der Lady war für sie ohne jede Bedeutung, desgleichen die beiden überlangen Hutnadeln, die ihren skurrilen Hut im Haar festhielten. Für sie war dieses Duo aus London so etwas wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, mit dem man schnell fertig wurde. Inzwischen wußten die Gangster natürlich mehr, darum pirschten sie sich auch sehr vorsichtig an die kleine Lichtung heran. »Wie viele Gangster wollen sich mit mir anlegen?« fragte die Detektivin, die sich wieder geduckt hatte. »Es müßte sich um drei Personen handeln, Mylady«, erwiderte der Butler, »diese Männer wissen inzwischen, wie wehrhaft Mylady sind.« Parker hatte die Gabelschleuder zusammengesetzt und holte aus einer seiner Westentaschen eine kleine Stahlkugel. Normalerweise benutzte er Geschosse dieser Art selten. Ihre Wirkung war einfach zu stark, auch gefährlich. In Anbetracht der Lage aber wollte er jedes unnötige Risiko ausschalten. Die Gangster verfügten über echte Schußwaffen und hatten sicher keine Bedenken, sie auch gezielt einzusetzen. Josuah Parker hatte die Lage richtig eingeschätzt. Plötzlich wurde ein Schuß abgefeuert. Eine Ladung Schrot prasselte durch das Buschwerk und fetzte kleine Aste und Laub durch die Luft. Ein zweiter Schuß folgte unmittelbar darauf. »Das ist eine Frechheit«, empörte sich die ältere Dame prompt, obwohl beide Schüsse mehr aus Verlegenheit
abgefeuert worden waren. Parker hatte herausgefunden, daß die Gangster nicht wußten, wo Mylady und er sich versteckt hielten. Die beiden Schrotladungen sollten sicher nur dazu dienen, Nervosität zu erzeugen. Doch dann erspähte der Butler eine Gestalt. Sie bewegte sich links von ihm im dichten Unterholz und baute sich gerade neben einem dünnen Baumstamm auf. Mit dem Gewehrlauf winkte diese Gestalt nach rechts hinüber. Es handelte sich um eine Aufforderung an seine Partner, einen weiten Bogen zu beschreiben und eine Art Zangenbewegung durchzuführen. In der Lederschlaufe der Gabelschleuder befand sich eine Stahlkugel von der Größe einer kleinen Ton- oder Glasmurmel. Parker strammte die beiden starken Gummistränge, zielte kurz und schickte dann sein Spezialgeschoß auf die Luftreise. Das Resultat war fast schon bestürzend. Der Gangster wurde an der linken Schulter getroffen, die nur von einem Sporthemd bedeckt war. Der Mann fuhr wie unter einem elektrischen Schlag zusammen und warf förmlich seine Schrotflinte zu Boden. Dann krümmte er sich und tauchte weg. »Wenn Sie erlauben, Mylady, möchte ich mich für einen Moment entschuldigen«, sagte Parker. Erwartete diese Erlaubnis nicht ab, tauchte unter im dichten Gebüsch und arbeitete sich an den Getroffenen heran. Dabei bewegte sich Josuah Parker mit der Geschicklichkeit eines erfahrenen Waldläufers. Unter seinen schwarzen derben Schuhen knickte kein Ast. Laub bewegte sich so gut wie gar nicht. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis Parker den Gangster erreicht hatte. Der Mann saß auf dem Boden und tastete die getroffene Stelle ab. Er hatte sich das Hemd am Hals aufgerissen und suchte mit seinen Fingern an der Beuge unterhalb des Schlüsselbeins. Diese Körperpartie war bereits angeschwollen
und blutunterlaufen. Der Arm ließ sich nicht bewegen, wie deutlich auszumachen war. Parker blieb in Deckung. Er hörte Schritte, dann einen Ruf. Einen Augenblick später erschien ein zweiter Gangster, der ebenfalls eine Schrotflinte trug. »Was ist los?« fragte er leise und kniete nieder. »Keine Ahnung«, antwortete der erste Mann und stöhnte, »irgendwas hat mich erwischt... Das war wie'n Dolchstich.« »Laß mal sehen.« Der zweite Gangster untersuchte die Schwellung, die sich erstaunlich schnell vergrößerte, nahm den Kopf hoch und machte einen ratlosen Eindruck. »'ne blaue Bohne war das nicht«, sagte er dann, »hast du nichts gehört?« »Nichts«, stöhnte der Getroffene, »Mann, ich glaube, ich setz' mich erst mal ab. Das ist ja nicht zu ertragen.« Josuah Parker hatte die Spitze seines UniversalRegenschirms hochgenommen und visierte den noch Unverletzten an. Dann drückte er auf einen versteckt angebrachten Auslöseknopf und verschoß einen seiner berüchtigten Pfeile. Der Schirmstock war hohl und nichts anderes als eine Art Blasrohr, durch das er stricknadellange, bunt gefiederte Pfeile befördern konnte. Angetrieben wurden diese präparierten »Geschosse« von komprimierter Preßluft oder Kohlensäure, die sich in einer kleinen Stahlpatrone befanden, wie man sie von modernen Sahnespendern her kennt oder von Luftpistolen. Der Pfeil zischte durch die luft und bohrte sich in den Rücken des Mannes, der sein Gewehr noch tragen konnte. Nachdem der Pfeil in seiner rechten Schulter gelandet war, jaulte der Gangster auf, warf sein Gewehr weg und stöhnte. »Was ist denn?« fragte der Gangster, der von der Stahlkugel erwischt worden war.
»Mich hat's erwischt«, erwiderte der Angesprochene und drehte sich langsam um, »sieh' mal nach.« »Verdammt, ein Indianerpfeil«, stellte sein Partner fest, »ein Pfeil, ein Blasrohrpfeil ... Der ist bestimmt vergiftet.« »Indianerpfeil?« Der Gangster sprang auf. »Vergiftet?« »Komm', ich zieh' das Ding raus«, sagte der Partner, »und dann nichts wie weg.« »Ich hab' die Schnauze voll«, bekannte der Pfeilbesitzer erregt, »ich brauch nen Arzt... Los, komm' schon!« »Darf ich ungewöhnliche Eile empfehlen?« ließ sich Josuah Parker vernehmen, »Sie dürften noch etwa zwanzig Minuten Galgenfrist haben.« Sie langten nicht nach ihren Schrotflinten, fuhren herum, gerieten in Panik und setzten sich dann unter Zurücklassung ihrer Schußwaffen ab. Ja, sie brachen wie aufgescheuchtes Wild durch das dichte Buschwerk und hatten nur den einen Gedanken, sich so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen. Parker hatte inzwischen seinen Standort gewechselt. Nach seiner Beobachtung gab es noch eine dritte Person. Für die Waffe dieses Mannes wollte er sich nicht als Ziel anbieten. Parker pirschte zurück in Richtung Lichtung und sah dann, daß seine Herrin sich in einer äußerst prekären Lage befand. Vor ihr stand dieser dritte Mann. Den Doppellauf seiner Flinte hatte er auf die Lady gerichtet, die erstaunlicherweise ihre Hände hinter Kopf und Hut verschränkt hatte. Agatha Simpson schien überrascht worden zu sein und auch erkannt zu haben, daß dieser Gangster eigentlich nur darauf wartete, einen Schuß abfeuern zu können. Eine falsche Bewegung ihrerseits würde genügen, den Gangster zum Mörder werden zu lassen ...
*** »Mein Herz«, sagte sie mit schwacher Stimme, »mein Herz.« »Keine Zicken, altes Mädchen«, drohte der Gangster, »auf faule Tricks fall' ich nicht rein.« »Lümmel«, erwiderte sie mit schwacher Stimme, »Flegel!« Sie sagte es wirklich ohne jeden Nachdruck, schwankte, verdrehte die Augen und hielt sich dann an einem schlanken Baumstamm fest. An ihm rutschte Lady Agatha langsam auf die Knie. »Mach keine Zicken«, drohte der Gangster erneut. Er war nervös, schaute sich verstohlen um und wartete wohl auf das Erscheinen seiner beiden Partner. Parker war nicht in der Lage, helfend einzugreifen. Er sah den gekrümmten Zeigefinger des Gangsters, der sich um den Stecher spannte. Wurde dieser Mann von einem Pfeil oder von einer Stahlkugel getroffen, so würde er mit letzter Gewißheit doch noch eine Schrotladung lösen können. »Luft«, japste die ältere Dame, »mein Fläschchen...« »Was ist denn?« Der Gangster schien irritiert, und Josuah Parker applaudierte insgeheim. Die Vorstellung, die Lady Simpson gab, war ausgezeichnet. »Meine Herztropfen.« Sie hatte einen roten Kopf, warf den Pompadour müde zu Boden und verdrehte noch mal die Augen. »Wenn das'n Trick ist, ist der Teufel los«, drohte der Gangster, »ich laß mich nicht aufs Kreuz legen.« Er bückte sich nach dem Pompadour und kam so in die Nähe der Lady, die er verständlicherweise für waffenlos hielt. Ihm war im Gegensatz zu Josuah Parker entgangen, daß die ältere Dame beim Herunternehmen ihrer Hände eine der beiden langen Hutnadeln hervorgezogen hatte. Sie lag jetzt parallel zu
ihrem Arm und war nicht auszumachen. Der Gangster langte nach dem perlenbestickten Handbeutel und ... brüllte entsetzt auf, als Agatha Simpson ihren Stachel in den Unterarm des Gangsters trieb. Zimperlich war die Detektivin nicht. Was sie tat, besorgte sie stets gründlich. Die lange präparierte Hutnadel bohrte sich durch den Ärmel des Pullovers und durch die Haut des Unterarms tief ins Muskelfleisch. Der Gangster ließ die Schrotflinte fallen und stierte auf die lange Nadel. »Sie Lümmel«, grollte die ältere Dame, »haben Sie etwa geglaubt, eine wehrlose Frau nötigen zu können?« »Mein Arm«, stöhnte der Gangster. Auf solch unkonventionelle Art war er bisher noch nicht behandelt worden. Es war weniger der Schmerz, der ihn lahmte, es war die lange Hutnadel, die in seinem Unterarm steckte. »Die Spitze ist natürlich vergiftet«, meinte die Detektivin, griff nach der Schrotflinte und rammte den Kolben in die Magenpartie des Gangsters, der zurückfiel und auf dem Rücken landete. »Ich werde Ihnen jetzt Manieren beibringen«, kündigte Agatha Simpson freudig an, Sie werden mir jetzt sagen, wer dieser Sir Rupert oben im Landsitz ist.« »Mein Arm ... Mein Arm«, keuchte der Gangster. Er war nicht in der Lage, die lange Hutnadel aus dem Unterarm zu ziehen. Zudem litt er unter Magenschmerzen. »Also?« Agatha Simpson hielt ihre zweite Hutnadel in der Hand. Sie näherte sich dem Gangster, der die Beine unwillkürlich anzog und wegkriechen wollte. »Also?« wiederholte die Lady nachdrücklich. »Wer ist dieser Sir Rupert da oben im Landsitz?« »K... Keine Ahnung«, stotterte der entsetzte Gangster, »ich kenn' nur Stevie Leamers. Das is' unser Boß. Mehr weiß ich
nicht.« »Stevie Leamers«, wiederholte die ältere Dame, die im Gegensatz zu Parker mit diesem Namen nichts anzufangen wußte. »Und wo ist Sir Rupert?« »Den Schwachkopf meinen Sie?« Der Gangster war kreidebleich im Gesicht. »Sir Rupert«, wiederholte Agatha Simpson. »Diesen Steinzeit-Narren haben wir runter ins Tal gescheucht«, lautete die Antwort. »Ist die Nadel tatsächlich vergiftet?« »Das Gift der Kobra«, schwindelte Lady Simpson genußvoll, »Sie werden bald einen Arzt und ein entsprechendes Serum brauchen. Beeilen Sie sich also! Wie viele Strolche Ihrer Couleur treiben sich herum?« »Wie war das?« Der Gangster schluckte vor Angst und Panik. »Mit wieviel Gangstern habe ich es insgesamt zu tun?« erläuterte die ältere Dame ihre ursprüngliche Frage. »Stevie hat die ganze Gang mitgebracht«, erwiderte der Gangster mit schwacher Stimme, »wir sind so'n rundes Dutzend. Lady, lassen Sie mich abhauen, sonst geh' ich drauf.« »Zuerst die Nadel«, verlangte sie und... riß ruckartig ihre erste Hutnadel aus dem Unterarm. Der Gangster brüllte, raffte sich auf und trabte los. Er schwankte sichtlich. Agatha Simpson hatte nicht geschwindelt. Die Spitze der Hutnadel war vergiftet, doch es handelte sich natürlich nicht um das Gift der Kobra, sondern um ein Präparat, das die Muskeln entspannte und schlaffördernd wirkte. »Darf man sich erkühnen, Mylady zu beglückwünschen?« Parker trat auf die kleine Lichtung und lüftete seine schwarze Melone. »Ich habe heute meinen friedlichen Vormittag«, antwortete
die Detektivin, »an sich hätte ich wesentlich tiefer stechen sollen. Nun, man kann nicht immer in Höchstform sein.« *** »Wie deute ich dieses Geräusch?« fragte die Lady und sah Josuah Parker streng an. »Es dürfte sich meiner bescheidenen Ansicht nach um eine kleine Hundemeute handeln«, erwiderte der Butler, »mit dem gezielten Einsatz solcher Vierbeiner war zu rechnen.« »Man will mich also mit allen Mitteln stellen«, sagte sie erfreut. »Oder Mylady in die Tiefe des Tals abdrängen«, entgegnete Parker, »es könnte durchaus sein, daß man sich auch abzusetzen gedenkt, wenn ich es mal vulgär ausdrücken darf.« »Absetzen, Mr. Parker? Sie glauben doch nicht, daß die Strolche flüchten wollen!?« »Myladys Reaktionen haben das Konzept der Geiselnehmer nachhaltig beeinflußt und gestört«, redete der Butler weiter, »vielleicht will man sich mit der bisherigen Beute begnügen.« »Das würde mir aber gar nicht gefallen«, lautete ihre Antwort, »ich möchte mich in jedem Fall noch mit Sir Rupert unterhalten.« Josuah Parker und Agatha Simpson hatten die Lichtung verlassen und bewegten sich durch die Wildnis in Richtung Talausgang. Ihr Ziel war der Steilhang vor dem Landsitz. Den Gangster, den die ältere Dame mit ihrer Hutnadel bearbeitet hatte, ließ man zurück. Parker wollte sich in seiner Bewegungsfreiheit nicht einschränken lassen. Er und seine Herrin verfügten allerdings über drei doppelläufige Schrotflinten, die geladen waren. Lady Agatha hatte eine dieser Flinten geschultert und glich einer majestätisch aussehenden
Amazone. Das Gebell einer kleinen Hundemeute war nun deutlicher zu vernehmen. Parker dachte an den großen, dunkel-grauen Hund, den er mit der Wölbung seiner schwarzen Melone zurechtgewiesen hatte. Da er und Lady Agatha nun über wirkungsvolle Schußwaffen verfügten, brauchten sie anstürmende Vierbeiner nicht weiter zu fürchten. »Sie glauben wirklich, die Gangster könnten sich absetzen?« wiederholte sie ihre Frage noch mal und blieb stehen. »Die bisherige Beute dürfte bereits beachtlich sein. Man könnte aus Sicherheitsgründen darauf verzichten, Mylady zur Zahlung zu zwingen.« »Dann könnte ich diesen Sir Rupert ja nicht zurechtweisen«, sorgte sie sich. »Nur schwer, Mylady.« »Warum bringe ich diesen Sir Rupert nicht in meine Gewalt, Mr. Parker?« fragte sie, »ich muß schließlich noch herausfinden, ob er echt ist oder nicht, oder er ein Doppelspiel treibt oder nicht.« »Am Einganstor zum Steinzeittal, Mylady, dürfte man den Herrn möglicherweise stellen können.« »Sagte Ihnen der Name dieses Strolches etwas, den der Gangster nannte, Mr. Parker?« »Mylady meinen einen gewissen Stevie Leamers.« Parker nickte andeutungsweise. »So heißt er wohl.« Agatha Simpson bog einige Zweige zur Seite und konnte ungehindert hinunter auf das Steinzeitdorf mit seinen Rundhütten blicken. Die Bewohner hatten sich zusammengerottet und wurden von Männern bedrängt, die normale Kleidung trugen. Auch Parker beobachtete die Szene, sagte aber nichts. »Mr. Stevie Leamers, Mylady, ist ein Gangster, der Chef
einer kleinen in London beheimateten Bande«, erläuterte er, »besonders hervorgetreten ist Leamers bisher nicht.« »Womit stahl er bisher sein Geld zusammen?« fragte die Detektivin weiter. »Kleinere Diebstählen, Erpressungen und das Vermieten von Schlägertrupps waren die Grundlagen seiner Einnahmen, Mylady.« »Könnte der richtige Sir Rupert diesen Leamers engagiert haben?« »Schwer vorstellbar, Mylady, aber der wahre Sir Rupert könnte von Stevie Leamers überrumpelt worden sein.« »Ich werde es bald genau wissen«, sagte sie, »sagen Sie mir, was sich da unten abspielt?« »Man dürfte die Steinzeitmenschen dazu gebracht haben, nach Mylady und meiner bescheidenen Wenigkeit zu suchen«, erwiderte Josuah Parker. Er registrierte die Tatsache, daß die Bewohner inzwischen fast fluchtartig das Steinzeitdorf verließen und in das sich verjüngende Tal liefen. Dabei schwärmten sie nach allein Seiten aus. Hinter ihnen hetzte eine Meute von vier Hunden, dann folgten die Normalgekleideten, die mit Gewehren ausgerüstet waren. »Man will mich also aufstöbern«, sagte die ältere Dame zufrieden, »und diese Weichlinge in Fellen sollen den Schutzschild für die Gangster bilden.« »Eine Feststellung und Deutung, Mylady, der nichts hinzuzufügen ist«, antwortete Josuah Parker. »Hoffentlich bringen sich die Leute in Sicherheit, die bisher noch nicht gezahlt haben«, redete Lady Agatha weiter. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, erwiderte Josuah Parker, »ich darf in diesem Zusammenhang auf die alte Kohlengrube verweisen, von deren Existenz und Lage diese Herrschaften mit Sicherheit wissen.«
»Wie weit habe ich noch?« Sie setzte sich wieder in Bewegung und pflügtemit ihrer stattlichen Figur das dichte Buschwerk. »Die Hälfte der Strecke an sich dürfte Mylady bereits hinter sich gebracht haben«, schätzte der Butler. »Hoffentlich halten Sie durch, Mr. Parker«, meinte sie und blieb wieder stehen. »Mylady hegen Zweifel?« erkundigte sich der Butler. »Sie machen einen leicht erschöpften Eindruck«, behauptete sie und schnappte nach Luft. Es war klar, daß sie eine kleine Pause brauchte. »Myladys Beobachtungsgabe sind immer wieder bestürzend«, meinte Josuah Parker sofort, »ich möchte gestehen, daß der Weg meinen Beinen nicht gerade freundlich gesonnen ist.« »Dann werde ich Ihnen eine Verschnaufpause gönnen.« Die Lady ließ sich ins Gras plumpsen und war dankbar, als Parker ihr kurz darauf einen Kreislaufbeschleuniger aus der Taschenflasche servierte. Während die Detektivin trank, lauschte der Butler ins Tal. Das Gebell der Hundemeute hatte sich entfernt. Es konnte jedoch nicht mehr lange dauern, bis die Vierbeiner die frische Fährte aufgenommen und die Gangster entdeckt hatten, welche Richtung Mylady und er eingeschlagen hatten. Sie standen in Funkverbindung mit dem Landsitz. Die Gangster brauchten also nur einen entsprechenden Hinweis zu geben, damit man Agatha Simpson und ihm den Weg abschnitt. Nach Parkers Ansicht trieben die Dinge einer harten Entscheidung entgegen. ***
Josuah Parker hatte sich von Mylady getrennt und ihr die drei Schrotflinten sicherheitshalber zurückgelassen. Er wollte so schnell wie möglich in die Nähe des Tores gelangen, um die Pläne der Gangster zu durchkreuzen. Die ältere Dame hatte er nicht lange zu überreden brauchen. Sie war der festen Überzeugung, seinen Alleingang decken zu müssen und kam sich vor wie ein Einzelkämpfer, von dem der erfolgreiche Ausgang einer Schlacht abhing. Sie hatte hinter einem kleinen Erdwall Posten bezogen und wartete ungeduldig darauf, die Schrotpatronen abschießen zu können. Josuah Parker war schnell auf seinen angeblich müden Beinen. Obwohl es stetig und steil bergan ging, behielt er sein Tempo bei. Gerade jetzt zeigte sich wieder, in welch bestechender körperlicher Verfassung sich dieser Mann befand. Und dennoch, von seiner gewohnten Würde ging dabei nichts verloren. Parker schien sich auf einem flachen Parkett zu bewegen. Sein Gesicht war kaum gerötet, selbst von der Andeutung feinster Schweißperlen war nichts zu sehen. Nach zwanzig Minuten hatte Parker sein Ziel erreicht. Er orientierte sich kurz, bog scharf nach rechts ab, bewegte sich über ein Stück Steilhang nach unten und sah dann plötzlich den schmalen Ziegenpfad unter sich. Parker blieb neben der Wurzel eines umgestürzten Baums stehen und prüfte die Funktionsfähigkeit seiner Gabelschleuder. Wenn er den Kopf reckte, konnte er sogar den freien Platz knapp vor dem Drahttor einsehen. Dieses Tor war fest verschlossen, und zwei Männer saßen jenseits auf einer Art Rasenbank und rauchten. Weit unten im Tal waren Schüsse zu hören, die aber keineswegs von Lady Simpson stammen konnten. Wahrscheinlich hatte die Großmeute aus Hunden, Steinzeitmenschen und Gangstern Kontakt mit den Geiseln bekommen, die bisher nicht gezahlt hatten. Die beiden Gangster standen plötzlich auf.
Parker bewegte sich ein wenig zur Seite, stieg auf einen kleinen Felsvorsprung und erkannte einen dritten Mann, der vom Landsitz sich dem Tor näherte. Er war von normaler Größe, sah muskulös aus und trug einen Sportanzug. Dieser Mann mußte Stevie Leamers sein, denn die beiden Torwächter zeigten Respekt. Leider konnte Parker nicht verstehen, worüber die Männer sich unterhielten, doch der Mann, den er für Stevie Leamers hielt, hob ein kleines Funksprechgerät ans Ohr und nahm einen Spruch in Empfang. Danach wies er die beiden Wachen an, das Tor auf zuschließen und zu öffnen. Es dauerte nicht lange, bis Parker Schritte unter sich hörte. Er beobachtete den schmalen Ziegenpfad und war nicht sonderlich überrascht, Sir Rupert auszumachen. Der kleine Mann mit den schwarzen schnellen Vogelaugen war in Fell gekleidet. Er keuchte über den Ziegenpfad nach oben, war allein, blieb stehen, schnappte immer wieder nach Luft und mühte sich dann weiter in Richtung Tor, das er von seinem Standort aus noch nicht sehen konnte. Umgekehrt war dies natürlich auch der Fall. Die Gangster am Tor konnten diesen Teil des Pfades nicht überblicken. Josuah Parker legte eine Stahlkugel in seine Gabelschleuder, spannte die beiden Gummistränge und setzte ein Spezialgeschoß ab. Er wollte verhindern, daß dieser Sir Rupert das Tor erreichte. Über die Rolle dieses Mannes war er sich noch nicht ganz klar geworden. Sir Rupert, der gerade wieder weitergehen wollte, wurde seitlich am HinterKopf getroffen und zeigte sofort Wirkung. Es riß ihm die Beine unter dem Körper hinweg. Er warf die Arme hoch in die Luft, kippte zur Seite und landete in einem dichten Strauch, dessen Zweige ihn jedoch festhielten. Parker kümmerte sich nicht weiter um Sir Rupert. Er bewegte sich vorsichtig und lautlos weiter in Richtung
Tor und legte hier eine Pause ein. Die drei Gangster konnte er jetzt deutlich ausmachen. Sie standen bereits vor dem Tor, von Parker aus gesehen, und warteten offensichtlich ungeduldig auf Sir Rupert. Der Mann, der wohl Stevie Leamers war, scheuchte die beiden Torwachen in Richtung Ziegenpfad. Er machte einen nervösen Eindruck, zündete eine Zigarette an und beschäftigte sich dann mit seinem Funksprechgerät. Dieses Verhalten hing wohl mit den Schüssen weit unten im Tal zusammen. Josuah Parker wartete, bis die Gangster auf dem Ziegenpfad verschwunden waren. Es konnte nur Minuten dauern, bis sie Sir Rupert entdeckt hatten. Parker benutzte noch mal seine Patentschleuder, um eine weitere Stahlkugel auf die Reise zu schicken. Stevie Leamers wurde voll erwischt, blieb wie erstarrt stehen, verlor sein Funksprechgerät und fiel seitlich zu Boden, als sei er erst jetzt von einem Blitz getroffen worden. Josuah Parker nutzte dies, um das Steinzeittal zu verlassen. *** »Sie hirnverbrannter Idiot«, sagte Leamers zu dem fellbekleideten Sir Rupert, »Sie haben fast alles vermasselt.« »Wie konnte ich wissen, wer diese Lady und ihr Butler sind«, verteidigte sich der Angegriffene wütend. »Wir müssen hier abhauen«, redete Leamers weiter, »das Tal ist jetzt nicht mehr zu halten.« »Sie tun ja so, als seien Agatha Simpson und ihr Butler Übermenschen«, sagte Sir Rupert verärgert, »in einer halben Stunde haben wir sie aufgespürt und ausgeschaltet. Ich habe alle Leute da unten auf die beiden Schnüffler angesetzt.« »Das bringt nichts, Sir Rupert«, erwiderte Leamers nervös,
»wir müssen abhauen.« »Das käme einem Eingeständnis meiner Mittäterschaft gleich«, sagte Rupert Farnholm aufgebracht, »ich werde weiter als Geisel fungieren. So kann man mir später nichts anhaben.« »Und wie sieht's mit der Beute aus?« fragte Stevie Leamers. Er war allein mit Sir Rupert und hatte die beiden Torwachen weiter hinunter ins Steinzeittal geschickt. »Wir teilen wie vereinbart«, antwortete Rupert, »das Geld ist auf einem Schweizer Bankkonto. Ich werde später dorthin fahren und Sie auszahlen.« »Das möchte ich Ihnen auch geraten haben«, meinte der Gangster drohend, »mich legen Sie nicht aufs Kreuz, klar? Ich lasse Sie sonst hochgehen und sag den Bullen, welch raffinierte Doppelrolle Sie hier gespielt haben.« »Ich halte mich an unsere Abmachungen«, lautete die Antwort, »wie war das mit dem Schlag, den Sie eben bekommen haben?« »Keine Ahnung, was das gewesen sein könnte«, antwortete der Gangster und faßte unwillkürlich nach der geschwollenen Stelle am Kopf, »plötzlich schlug es ein, und ich kippte einfach weg.« »Das sieht nach diesem Butler aus«, meinte Sir Rupert, »ich fürchte ohnehin, daß er meine Doppelrolle durchschaut hat. Diesen Mann müssen wir erwischen, Leamers, nur dann kann uns nichts passieren.« Bevor der Gangsterboß antworten konnte, krachten Schüsse. Sie wurden in schneller Reihenfolge abgefeuert, kamen aus dem oberen Drittel des Tals und stammten wohl von Lady Agatha, die endlich ihr Feuergfecht führen konnte. Josuah Parker, der aus nächster Nähe die intime Unterhaltung verfolgt hatte, schritt zur Tat, um seiner Herrin eventuell helfen zu können. Bevor die beiden Ehrenmänner
überhaupt begriffen, wie ihnen geschah, stand Parker seitlich neben ihnen und langte mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms zu. Leamers und Sir Rupert gingen wortlos zu Boden und breiteten sich im Gras aus. Parker zog die beiden Männer ins nahe Unterholz und holte aus einer seiner vielen Westentaschen einen Patentkugelschreiber hervor. Er zog die Schutzhülle ab und schob die Spitze dieses Kugelschreibers in das linke Nasenloch von Sir Rupert. Dann drückte der Butler auf den Halteclip dieses seltsamen Schreibgerätes und blies damit eine Dosis Betäubungsgas in das Atmungssystem. Mit dem Gangsterboß verfuhr er ebenso. Der Butler konnte sicher sein, daß die beiden Männer vorerst keine Schwierigkeiten bereiteten. Sie würden eine halbe Stunde fest schlafen. Parker kannte die Zusammenhänge. Sir Rupert hatte tatsächlich ein doppeltes Spiel getrieben. Einmal hatte er seine Geiseln als Sir Rupert eingeladen und sich dann später im Steinzeitdorf selbst als bedauernswerte Geisel dargestellt. Tatsächlich aber hatte er die ganze Zeit über Sprechfunk nach oben seinem Partner Stevie Leamers Situationsberichte durchgegeben. Das bisher erbeutete Lösegeld befand sich also auf einer Schweizer Bank. Nun, dort würde es mit Sicherheit nicht lange bleiben. Dieser Steinzeit-Narr, wie er genannt wurde, würde bis auf den letzten Penny alles wieder zurückerstatten müssen. Parker, der sich die Automatik von Stevie Leamers geborgt hatte, machte sich auf den Weg, Lady Simpson seine stützende Hand zu leihen. Das wilde Feuergefecht war einer unheimlichen Ruhe im Steinzeittal gewichen, doch der Butler machte sich keine Sorgen. Er kannte die Wehrhaftigkeit seiner Herrin. Parker benutzte den Ziegenpfad, schritt schnell aus und ... hörte plötzlich seitlich über sich ein feines Geräusch. Er blieb
stehen und wollte sich ducken, doch dazu war es bereits zu spät. Etwas, das wie ein kleiner Sack aussah, war bereits dicht vor seinem Gesicht. Er konnte gerade noch an einen gewissen perlenbestickten Pompadour denken, dann schlug es bei ihm ein. Er hatte den Eindruck, ein unsichtbares Pferd habe ausgekeilt. Dann hoben seine Füße sich vom Pfad, und Parker landete flach auf einem dichten Busch... *** »So etwas kann auch nur Ihnen passieren«, sagte die Lady und sah ihren Butler kopfschüttelnd an. »Mylady mögen verzeihen«, antwortete Parker, dem der Kopf nachhaltig brummte. »Ich hielt Sie für einen Gangster«, sagte die resolute Dame. »Leidet meine bescheidene Wenigkeit möglicherweise an einer leichten Verwirrung der Sinne?« erkundigte sich Parker und richtete sich auf, »sehe ich tatsächlich Miß Porter und Mr. Rander?« »Leicht angekohlt, Parker«, meinte der Anwalt und lächelte. »Wir sind durch brüchige Stollen der Kohlengrube ins Tal gekommen«, fügte Kathy Porter hinzu, »Mr. Basing war so freundlich, uns zu führen.« »Wie geht es Ihnen, mein lieber Mr. Parker?« fragte die ältere Dame. »Mylady waren umwerfend gut. Und das im wahrsten Sinn des Wortes!« »Die Gangster und die Steinzeitmenschen treiben sich noch unten im Tal herum«, unterrichtete Mike Rander, »aber das wird sich bald ändern. Eigentlich müßte die Polizei bereits hier sein.«
»Haben Mylady bereits Sir Rupert und Stevie Leamers gefunden?« fragte Parker und tastete vorsichtig nach jener Stelle, die von Myladys >Glücksbringer< getroffen worden war. »Diese Strolche sind verschnürt und gebunden«, erwiderte die ältere Dame energisch, »ich habe Sir Rupert noch mal ins Gebet genommen. Er hat ein volles Geständnis abgelegt.« »Sprach er sich auch über den Grund dieser Massengeiselnahme aus, Mylady?« fragte der Butler und blieb endlich aufrecht sitzen.« »Geldknappheit für weitere Experimente«, erläuterte die Detektivin, »die eigentliche Idee hatte dieses Subjekt namens Leamers, doch Sir Rupert machte nur zu gern mit.« »Die beiden Gauner haben bereits gut eine Million Pfund zusammenbekommen«, schaltete sich Mike Rander ein. »Und dann den Kardinalfehler begangen, eine Lady Simpson erpressen zu wollen«, fügte die schadenfrohe Sechzigerin hinzu. »Ich möchte nicht versäumen, mich für Ihren Einsatz zu bedanken«, antwortete Parker und nickte Kathy Porter und Mike Rander sehr vorsichtig zu. Er wollte seinen dröhnenden Kopf nicht unnötig bewegen. »Es war ein verrücktes Abenteuer«, meinte Kathy Porter und lachte, »ohne Mr. Basing hätten wir es nie geschafft.« »Aber wir kamen einfach zu spät«, erklärte der Anwalt, »Mylady hatten bereits das Feuergefecht eröffnet und die angreifenden Gangster in die Flucht geschlagen.« »Wie konnten Sie Mylady so schnell finden?« wollte Parker wissen. Er war froh, noch sitzen zu können. »Wir warteten, bis die flüchtende Meute uns passierte«, berichtete der Anwalt, »alles weitere reimten wir uns zusammen. Wer schafft es schon, solch eine Streitmacht in die
Flucht zu schlagen? So etwas schafft nur eine Lady Simpson!« »Allerdings«, sagte sie bescheiden, »entweder man hat's, meine Lieben, oder man hat es nicht... Wollen Sie nicht endlich, aufstehen, Mr. Parker? Ich finde, Sie benehmen sich ziemlich wehleidig.« »Vielleicht könnte Mr. Parker einen Kreislaufbeschleuniger gebrauchen, Mylady«, tippte Kathy Porter an. Sie holte die bekannte Flasche aus der Innentasche von Parkers Zweireiher, schraubte den Verschluß ab und füllte ihn. Dann reichte sie ihn Parker, der allerdings nicht schnell genug zulangte, wie sich zeigte. Die ältere Dame war schneller. Oder wollte sie Butler Parker erfrischen? Sie nahm den ovalen Verschlußbecher in die Hand und nickte Josuah Parker zu. Dann aber kippte sie den Kognak gekonnt in ihren Mund und seufzte wohlig. »Alkohol schadet nur«, sagte sie, »vor allen Dingen bei einer kleinen Gehirnerschütterung.« »Wie Mylady meinen«, antwortete der Butler, erhob sich und bemühte sich um Haltung. »Sehen Sie, es geht auch ohne Kognak«, meinte Agatha Simpson, »man muß nur wollen. So, und jetzt zurück ins Landhaus. Mr. Parker, ich möcht einen kleinen Imbiß einnehmen, ich fühle mich doch ziemlich erschöpft.« »Stets zu Diensten, Mylady«, erwiderte Josuah Parker, »man könnte darüber hinaus noch für die Geiseln ein Essen vorbereiten.« »Alles zu seiner Zeit«, gab sie zurück, »wir wollen doch nicht gleich übertreiben. Erst bin ich mal an der Reihe, denn ich habe diese Steinzeitmenschen schließlich wieder in die Gegenwart zurückgeholt, nicht wahr?« »Mylady waren bewunderungswürdig«, versicherte Josuah Parker und folgte steifbeinig seiner Herrin. Der Pompadour
samt > Glücksbringer < wirkte noch sichtlich nach. ENDE
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