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Davis J.Harbord
Eine Jolle namens „Little Isabella“
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Davis J.Harbord
Eine Jolle namens „Little Isabella“
Der Mann, der an diesem Nachmittag im Vormars der spanischen Kriegsgaleone „Santa Ana“ die Ausguckwache ging, hieß Diego Ordaz. Die „Santa Ana“ war das Flaggschiff des Generalkapitäns Don Gaspar de Amoro, und darum segelte sie an der Spitze des Flottenverbandes, der außer der „Santa Ana“ aus zwei weiteren Kriegsgaleonen und zwei Kriegskaravellen bestand. Diego Ordaz bemerkte als erster die merkwürdige Verfärbung des Wassers voraus. Es waren braune, rotbraune und gelbschwarze Felder in der See, und sie erstreckten sich von Osten nach Westen. Die „Santa Ana“ lief mit Südkurs und Wind aus Nordosten auf sie zu. „Verfärbtes Wasser voraus!“ brüllte Diego Ordaz zum Deck hinunter, denn er mußte als Ausguck alles melden, was er sichtete. Welche Bedeutung allerdings das „verfärbte Wasser“ hatte, das wußte er nicht, denn es war seine erste Reise in die Karibik ... Die Hauptpersonen des Romans: Don Gaspar de Amoro - segelt zum ersten Male in die Karibik - und gleich mit seinem Flaggschiff auf ein Riff. Jean Ribault - gewinnt eine Wette gegen den Wikinger und stellt sich als Segellehrer für die Kinder des Bundes zur Verfügung. David Smoky und Edwin Shane O'Flynn - segeln dem Teufel beide Ohren ab und melden beim Bund „Feind in Sicht“. Thyra und Thurgil- das Zwillingspärchen des Wikingers ist für jeden Schabernack. gut und verbüßt für den letzten Streich Kammerarrest. Thorfin Njal - der Wikinger hat zwar eine rauhe Schale, aber vor zwei Sündern nimmt er sogar seinen Helm ab.
1. Die „Santa Ana“ und die ihr folgenden vier spanischen Kriegsschiffe hatten vor einer Stunde die Nordspitze der Bahamainsel Cat Island gerundet und waren auf Südkurs gegangen. Sechs Wochen hatten sie für die Fahrt über den Atlantik gebraucht. Von Sevilla waren sie mit Ziel Havanna auf Kuba ausgelaufen. Don Gaspar de Amoro - er hielt sich für besonders klug - war der Route des Christoph Kolumbus gefolgt, die dieser auf seiner ersten Reise westwärts gewählt hatte. Die erste Insel, auf die Kolumbus bei seiner Suche nach dem sagenhaften Indien gestoßen war, hieß Guanahani, und er hatte sie San Salvador getauft. Don Gaspar unterlief der folgenschwere Fehler, Cat Island für San Salvador zu halten. Weder er noch sein Erster Offizier
hatten den Äquatorialstrom berücksichtigt, von dem alle fünf Schiffe nach Norden versetzt worden waren. Bei Sichtung von Salvador hatte Don Gaspar frohgelockt und befohlen, die Insel an Backbord zu lassen und nach Passieren der Nordspitze auf Südkurs zu gehen, wie es auch Kolumbus getan hatte. Als der Ausguck das „verfärbte Wasser voraus“ meldete, wandte sich Don Gaspar keineswegs alarmiert an den Ersten Offizier und, fragte nach dem Sinn dieser Meldung. „Der Kerl will sich nur wichtig tun“, sagte der Erste geringschätzig. und zuckte mit den Schultern. „Ständig melden diese Idioten irgendwelchen Firlefanz, um damit zu verkünden, daß sie nicht schlafen.“ Auch der Erste bereiste zum erstenmal die Karibik und war sich nicht darüber klar,
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was die Verfärbungen des Wassers verrieten. Als er jetzt das Spektiv ans Auge setzte und nach voraus spähte, erklärte er sogar noch: „Das Wasser voraus sieht dunkler als üblich aus -ein typisches Zeichen dafür, daß es dort tiefer wird.“ „Aha“, sagte Don Gaspar. Weder er noch der Erste oder sonst jemand wußte, daß sie auf ein gefährliches Riffgebiet zusegelten, das sich vor ihnen über eine Breite von etwa zwei Meilen erstreckte, ein Gebiet, das aus Plateaus und Riffen verschiedenartiger Korallenarten bestand, die sich dicht unter der Wasseroberfläche befanden. Der Färbung des Wassers entsprach der Vielfalt der gelbschwarzen, braunen und rotbraunen Korallen, deren Farben das Hell des Wassers tatsächlich dunkler erscheinen ließen. Von einem „typischen Zeichen“ für tieferes Wasser konnte hier allerdings keine Rede sein – im Gegenteil, es signalisierte dem Karibikfahrer, schleunigst und radikal eine Kursänderung vorzunehmen. Bei dem Nordost-Passat hätte die „Santa Ana“ – sie segelte über Steuerbordbug – anluven können, wäre dann allerdings auf die nördliche West- oder Leeküste von Cat Island zugelaufen. Oder sie hätte halsen müssen – was am schnellsten gegangen wäre. – Dann wäre sie an der Riffbarriere ostwärts in tieferes Wasser und auf die Südspitze der Bahamainsel Fleuthera zugesegelt. In Unkenntnis der gefährlichen Situation tat der Senor Generalkapitän weder das eine noch das andere. Er strich sich lediglich über den recht beachtlichen Bauch und dachte dabei an das abendliche Mahl. Von dem lebend an Bord mitgeführten Federvieh waren einige Hühner geschlachtet worden, die an diesem Abend, knusprig gebraten, serviert werden sollten. Nach der Rangordnung würde der Senor Generalkapitän die Hühnerbrüstchen verspeisen, seinen Offizieren blieben die Schenkel und was sonst noch abfiel. Die
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Decksleute und Seesoldaten würden sich lediglich mit dem Bratenduft begnügen müssen. Ihre Mahlzeit bestand aus einer lieblos zusammengekochten Pampe gedörrter Bohnen und vergammelten Pökelfleisches, zu der es eine Scheibe Schiffszwieback gab. Die weißen Maden in dem Zwieback konnte man herausklopfen oder mitessen. Eßbar war der steinharte Zwieback auch nur, wenn man ihn in der Pampe aufweichte. Don Gaspar wäre nie in den Sinn gekommen, in der unterschiedlichen Bordverpflegung für Offiziere und Mannschaften ein Mißverständnis zu sehen oder gar die von Gott gewollte Ordnung anzuzweifeln, die besagte, daß es zweierlei Menschen gäbe: die Herrschenden und die Dienenden. Wer herrschte, hatte auch das Recht, besser zu leben, meinte Don Gaspar. Schließlich trug er ja schwer an der Verantwortung für fünf Kriegsschiffe der spanischen Krone. Sieben Minuten nach der Sichtmeldung des Diego Ordaz bäumte sich der Bug der Galeone knirschend auf, und die „Santa Ana“ schob sich fast bis in Höhe des Besanmastes auf ein Korallenplateau – dieses alles unter einer Geräuschkulisse, die vom Schrammen des Kiels über einen harten Untergrund bis zum Knarren und Ächzen des gequälten Riggs reichte. Diese gräßlichen Geräusche vermischten sich mit dem Geschrei und Gebrüll der Männer über und unter Deck. „Was – was ...“, stammelte Don Gaspar schreckensbleich und hielt sich an der Querbalustrade des Achterdecks fest, weil er seltsam weiche Knie hatte. Der Rudergänger am Kolderstock, ein alter Fahrensmann, knurrte: „Wir sind aufgebrummt, Senor Generalkapitän. Hoffentlich kracht uns jetzt keiner auch noch achtern rein.“ Der Hinweis war richtig, aber weil keiner der Senores auf dem Achterdeck darauf reagierte, verließ der Rudergänger den Ruderstand, wo er jetzt ohnehin nichts mehr zu tun hatte, sprang ans Heckschanzkleid, winkte und brüllte: „Ein
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Riff! Abdrehen nach Steuerbord! Sofort, verdammte Scheiße!“ Auf der Kriegsgaleone hinter der „Santa Ana“, der „Almeria“, war man nicht so schlafmützig wie auf dem Flaggschiff. Der Kommandant gab den Befehl zum Halsen und gleichzeitig das entsprechende Ruderkommando. An die fünfzig Yards hinter dem Heck der aufgelaufenen „Santa Ana“ drehte die „Almeria“ mit einer Halse nach Steuerbord, luvte an, entfernte sich von der Riffbarriere mit Nordwestkurs und ging schließlich nördlich der kleinen Insel Little San Salvador, die den westlichen Abschluß der Barriere bildete, vor Anker. Dem Beispiel der „Almeria“ folgten die drei anderen Schiffe – die Kriegsgaleone „San Josefe“ sowie die beiden Kriegskaravellen „Adelante“, was soviel wie „Vorwärts“ bedeutete, und „Flecha“, was mit „Pfeil“ zu übersetzen war. Inzwischen ließ der Bootsmann auf der „Santa Ana“ die Segel bergen, was mit Hängen und Würgen vonstatten ging, denn der Nahost stand weiterhin auf dem Tuch, blähte es zu prallen Blasen und krängte das Flaggschiff nach Steuerbord. Die Senores auf dem Achterdeck waren immer noch wie versteinert und offenbar unfähig, das Geschehene zu verarbeiten oder Maßnahmen zu ergreifen. Das überließ man dem Schiffsvolk. Don Gaspars Verantwortung für fünf Kriegsschiffe war nichts weiter als eine Schimäre, ein Hirngespinst, ein Trugbild, das sich in der Stunde der Bewährung zu einem Nichts auflöste. Der Schiffszimmermann erschien japsend auf dem Achterdeck und meldete, er habe nach einer ersten schnellen Untersuchung noch keinen Wassereinbruch festgestellt Ob der Vorsteven möglicherweise beschädigt sei, müsse er noch nachprüfen. „Wie? Jaja!“ sagte der Senor Generalkapitän reichlich zerstreut, beziehungsweise er hörte gar nicht zu, weil sich das Karussell seiner Gedanken um etwas ganz anderes drehte. Mit der Sorge eines verantwortlichen Schiffsführers für sein Schiff hatten diese Gedanken allerdings nichts zu tun.
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O nein, er ließ den Schiffszimmermann einfach stehen, nahm sich den Ersten Offizier vor und keifte: „Sagten Sie nicht, das dunklere Wasser voraus wäre ein typisches Zeichen für mehr Tiefe?“ Mit diesem Vorwurf hatte der Erste Offizier bereits gerechnet, woraus zu ersehen war, daß sich auch dieser Mann mehr um sich selbst kümmerte als um das Wohl seines Schiffes. Ziemlich impertinent erwiderte er: „Das ist richtig, Senor Generalkapitän, und Sie nahmen meinen Hinweis ja auch zur Kenntnis – zumindest waren Sie nicht gegenteiliger Ansicht, nicht wahr?“ Und geradezu höhnisch fügte er hinzu: „Sonst hätten Sie ja befehlen können, einen Kurs zu steuern, der nicht auf die Untiefe zuführt. Sie sind der Befehlshaber des Verbandes und dieses Schiffes –nicht ich, wie ich bescheiden anmerken möchte.“ Es ging hier also um Schuldzuweisungen, um nichts anderes. Und das Schiffsvolk konnte zwischenzeitlich zusehen, wie es mit der Situation fertig wurde. Die Erkenntnis, daß alle Mann, die in einem Boot sitzen, anpacken müssen, wenn sie überleben wollen, war hier auf den Kopf gestellt. Der Schiffszimmermann räusperte sich und fragte: „Haben Sie irgendwelche Befehle, Senor Generalkapitän?“ Auch die Antwort Don Gaspars auf diese Frage war zumindest erstaunlich. Er schrie: „Holen Sie den Ausguck vom Vormars her!“ „Jawohl“, sagte der Schiffszimmermann und verschwand vorn Achterdeck. Ihm war inzwischen klargeworden, daß die Schiffsführung einen Prügelknaben suchte und nicht die Absicht hatte, demnächst am derzeitigen Zustand der „Santa Ana“ etwas zu verändern. * „Er heißt?” schnauzte Don Gaspar den Ausguck vom Vormars an. „Ordaz, Diego Ordaz, Senor Generalkapitän“, erwiderte der stämmige Decksmann trotzig. Der
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Schiffszimmermann hatte ihn gewarnt: Man könne ihn möglicherweise für das Auflaufen der „Santa Ana“ zur Verantwortung ziehen. Darauf müsse er sich einstellen. Aber Diego Ordaz war nicht der Mann, der sich über einen Tisch ziehen ließ. „Er hat nicht gemeldet“, zeterte Don Gaspar, „daß vor uns eine Untiefe liegt! Was hat er dazu zu sagen?“ Diego Ordaz hob das Kinn. „Ich habe verfärbtes Wasser gemeldet, Senor Generalkapitän. Was sich darunter verbirgt, war nicht erkennbar.“ „Natürlich eine Untiefe!“ erklärte jetzt der Erste Offizier von oben herab. „Das weiß sogar der dümmste Seemann!“ Die Stimme, die jetzt dazwischenfuhr, gehörte dem Rudergänger, der als erster Fahrensmann zugleich Decksältester im Vorschiff war. Diese Stimme barst vor Empörung und wandte sich an den Ersten Offizier. „Als Ordaz das verfärbte Wasser meldete“, fauchte der Rudergänger, „erklärten Sie, der Kerl wolle sich nur wichtig tun. Und Sie sprachen von Idioten, die irgendwelchen Firlefanz meldeten, um damit zu verkünden, daß sie nicht schliefen. Und das dunklere Wasser wurde auch von Ihnen nicht als Untiefe erkannt! Ordaz hat das gemeldet, was er sah, nicht mehr und nicht weniger. Ihm daraus einen Strick zu drehen, grenzt verdammt an den Versuch, sich selbst aus der Affäre zu ziehen, Senor Capitan!“ „Profos!“ brüllte der Erste Offizier. „Der Mann ist in Eisen zu legen – dieser Ausguck genauso!“ Und an den Senor Generalkapitän gewandt, stieß der Erste Offizier hervor: „Ich nehme nicht hin, daß sich diese Kreaturen erdreisten, an der Schiffsführung Kritik zu üben, Don Gaspar. Hier muß energisch eingeschritten werden, um einer Meuterei vorzubeugen. Ich bitte Sie, meine Maßnahmen zu unterstützen.“ „Profos!“ schrie Don Gaspar. „Walten Sie Ihres Amtes!“ Don Gaspar hatte sehr schnell die Fronten gewechselt – in der weisen Einsicht, daß
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sein Erster Offizier, der Capitan Don Pedro de Sarmiento, der Neffe des derzeitigen Gouverneurs von Kuba war, des Don Miguel de Sarmiento, also jenes Mannes, der bei der Krone dringend Kriegsschiffe angefordert hatte, um dem berüchtigten El Lobo del Mar das schmutzige Seeräuberhandwerk zu legen. Es war daher ratsam, diesen Ersten Offizier nicht zum Feind zu haben. Der konnte bei seinem Onkel gegen ihn, den Generalkapitän, intrigieren, und dem wollte sich Don Gaspar nicht aussetzen. Er bereute schon jetzt, seinen Ersten Offizier angefahren zu haben. Zu dumm! Damit hätte er selbst diese peinliche Situation heraufbeschworen. Daß Recht in Unrecht verkehrt wurde, interessierte Don Gaspar herzlich wenig – und es mangelte ihm auch an der Einsicht, daß er sich in diesem Fall seinem Ersten Offizier in die Hand gegeben hatte, statt energisch dafür einzutreten, daß die Schuld für das Auflaufen weder dem Rudergänger noch dem Ausguck anzulasten war. Wenn überhaupt, dann dem Ersten Offizier – und ihm selbst. Aber das verdrängte Don Gaspar de Amoro, wie es überhaupt in seiner Art lag, seine Flagge nach dem Wind zu richten oder Unannehmlichkeiten in einem weiten Bogen zu umsegeln. Damit war er bisher auch ausgezeichnet gefahren. Genau das war er – ein „Klarfahrer“, wie bestimmte Seeoffiziere jene Kameraden nannten, die ein merkwürdiges Geschick dafür hatten, berufliche Klippen mit Eleganz zu umschiffen und nirgendwo anzuecken. Der Profos erschien, begleitet von vier Seesoldaten. „Zwanzig Peitschenhiebe!“ ordnete Don Gaspar an. „Alle beide! Der Ausguck wegen falscher Sichtmeldung, der Rudergänger wegen aufrührerischer Reden und frechen Verhaltens gegenüber dem Ersten Offizier. Anschließend werden beide acht Tage lang in die Vorpiek gesperrt und in Eisen gelegt.“ „Das darf ja doch wohl nicht wahr sein“, knurrte der Rudergänger, der sogar der Gefechtsrudergänger der „Santa Ana“ war.
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„Weil Sie und Ihr Erster versagt haben, sollen Ordaz und ich ausgepeitscht und eingesperrt werden? Ah, ich verstehe! Sie brauchen zwei Sündenböcke, nicht wahr? Falls das Marineamt von Ihnen Rechenschaft verlangt, wie es hatte passieren können, daß die ,Santa Ana` aufbrummte ...“ „Schluß jetzt!“ schrie der Erste Offizier. „Profos! Ab mit den Kerlen auf die Kuhl. Bindet sie zum Auspeitschen an die Großwanten, damit das ganze Pack sieht, was denen blüht, die es wagen, eine Meuterei anzuzetteln!“ „Meuterei?“ fauchte der Rudergänger. „Wo denn? Ich seh keine. Ich sehe nur einen Kommandanten und seinen Ersten, denen wichtiger ist, zwei unschuldige Männer zu bestrafen, als sich um ihr Schiff zu kümmern, das sie haben aufbrummen lassen!“. Es war die Wahrheit, aber das nutzte dem Rudergänger nichts. Einer der Seesoldaten schlug ihn von hinten mit dem Musketenkolben nieder. Und Diego Ordaz passierte das gleiche, als er den Profos anspringen wollte. Ein paar Minuten später waren sie an die Backbord-Großwanten gefesselt, die Arme schräg hochgereckt, den Rücken der Kuhl zugewandt. Mit ein paar Eimern Seewasser wurden sie in die Wirklichkeit zurückgeholt. „Damit sie auch was davon haben“, geruhte der Erste Offizier höhnisch kundzutun. Und sein Kommandant pflichtete ihm bei: „Sehr richtig, sehr richtig, mein Lieber. Das Pack muß endlich Zucht und Ordnung lernen. Wir haben uns bisher viel zu milde gezeigt, was dieser Pöbel sofort ausnutzt.“ Zu milde gezeigt! Es war schierer Hohn. Denn auf der überfahrt war mindestens einmal pro Woche ein armer Schlucker aus dem Schiffsvolk, das der Kommandant mit „Pöbel“ und „Pack“ bezeichnete, ausgepeitscht worden. Die geringsten „Unbotmäßigkeiten“ hatten barbarische Strafen nach sich gezogen. Es war vor allem der Erste Offizier, Capitan de Sarmiento, der geradezu darauf
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lauerte, einem „Schiffsknecht“ was am Zeuge flicken zu können. Der Mann, der in der letzten Woche ausgepeitscht worden war, hatte lediglich gegrinst, als dem Ersten bei einer Bö der hübsche Federhut davongeflogen war. Er hatte aber nicht wegen dieser Lappalie gegrinst, sondern deswegen, weil sich eine Möwe auf den Hut gestürzt und ihn kreischend zerfleddert hatte. Das Grinsen war dem Schiffsvolk längst vergangen – schon deshalb, daß allabendlich aus der Achterdeckskombüse verlockende Bratendüfte verrieten, was den hochwohlgeborenen Senores in der Offiziersmesse serviert wurde. Mit der Pampe für das Schiffsvolk hatte das nichts gemein. Die Auspeitschung der beiden „Meuterer“ war in vollem Gange, als das Kommandantenboot der „Almeria“ an Steuerbord längsseits ging und gefragt wurde, ob der Kommandant an Bord kommen dürfe. Er durfte. Capitan Juan de Zarate, der Kommandant der „Almeria“, enterte an der Jakobsleiter auf und trat durch die Pforte im Steuerbordschanzkleid. Verblüfft blieb er einen Augenblick stehen, und sein Mund wurde schmal, als er sah, was sich drüben, auf der Backbordseite abspielte. O nein, sie schrien nicht, diese beiden Männer, obwohl ihre Rücken bluteten. De Zarate straffte sich, ging über die Kuhl und stieg aufs Achterdeck –ein schlanker Mann mit breiten Schultern, grauen Haaren und einem kantigen, von Wind und Wetter gegerbten Gesicht. Den Jahren nach war er der älteste – und erfahrenste Kommandant dieses Verbandes. Ein „Klarfahrer“ war er nie gewesen, dazu war er viel zu geradlinig. Er grüßte höflich, aber ohne devot zu sein, und fragte den Generalkapitän: „Kann ich Ihnen behilflich sein, Don Gaspar? Brauchen Sie Schiffszimmerleute ...“ „Wir haben keine Schäden“, unterbrach ihn Don Gaspar schroff und winkte ab. „Wie schön für Sie“, sagte Capitan de Zarate mit einem Schuß Ironie in der
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Stimme. „Dann habe ich mich wohl umsonst hierher bemüht. Haben Sie irgendwelche Befehle für die Kommandanten? Sollen wir helfen, Ihr Schiff von der Untiefe abzubringen?“ „Das werde ich Sie noch wissen lassen“, erwiderte Don Gaspar von oben herab. „Wie ich die Situation beurteile, handelt es sich um eine Bagatelle. Wir sind Manns genug, uns selbst zu helfen.“ Er wandte sich an den Ersten. „Nicht wahr, Don Pedro?“ „Selbstverständlich, Senor Generalkapitän“, sagte der Erste und wirkte genauso blasiert wie sein Kommandant. „Wie Sie meinen“, sagte de Zarate mit steinernem Gesicht, verbeugte sich knapp und ging zum Niedergang. 2. Dort drehte er sich jedoch noch einmal um und sagte ganz beiläufig: „Ich riet Ihnen vor vier Tagen, vom Westkurs abzugehen und Südwestkurs zu steuern, Don Gaspar. Sie lehnten das allerdings ab. Nun gut, das war Ihre Entscheidung. Dennoch möchte ich darauf hinweisen, daß Ihr Auflaufen hier ursächlich auf diese Entscheidung zurückzuführen ist ...“ „Wieso das?“ brauste Don Gaspar auf. Ruhig erwiderte Capitan de Zarate: „Nach dem nautischen Material, das uns vorliegt – Sie wissen das ja wohl –, biegt die Strömung, die uns westwärts geführt hat, weit vor diesen Inseln nach Norden ab. Daher empfahl ich den Südwestkurs. Die Insel dort drüben an Backbord Ihres Schiffes ist nicht San Salvador, sondern die Cat-Insel ...“ Wieder wurde der Capitan unterbrochen. „Unsinn!“ schnauzte Don Gaspar. „Völliger Unsinn!“ Sein Erster Offizier setzte noch einen drauf: „Eine geradezu absurde Behauptung, die nur verrät, daß Ihre navigatorischen Kenntnisse mehr als mangelhaft sind, Senor Capitan!“ „Hätten Sie die Nordspitze von San Salvador umsegelt“, sagte Capitan de
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Zarate völlig unbeeindruckt von dem Vorwurf, „und wären dort auf Südkurs gegangen, dann hätte Ihnen keine Korallenbarriere den Weg verlegt. Dort ist nämlich keine – im Gegensatz zu dieser hier.“ „Das wußten Sie?“ fragte Don Gaspar lauernd. Capitan de Zarate blickte ihn aufmerksam an und wußte, was der Generalkapitän mit dieser Frage bezweckte: Er wollte ihm einen Strick drehen. Aber auf eine so plumpe Falle fiel er nicht herein. Er zuckte mit den Schultern und erwiderte: „Nach Ansicht Ihres Ersten Offiziers sollen meine navigatorischen Kenntnisse ja mehr als mangelhaft sein, nicht wahr? Immerhin verstehe ich mich auf das Lesen von Seekarten. Bevor ich mich zu Ihnen pullen ließ, schaute ich mir die Seekarte über dieses Gebiet an. Das Barriereriff, auf dem Sie sitzen, liegt westlich querab der Nordspitze der Cat-Insel. Das Eiland dort westlich“, er deutete nach Steuerbord, „begrenzt die Barriere und wird Klein-SanSalvador genannt. Sie können das auf Ihrer Seekarte ja nachprüfen. Demnach habe ich keine absurde Behauptung aufgestellt, wie Ihr Erster Offizier zu bemerken geruhte, und ich rede auch keinen Unsinn. Und Ihrem Ersten Offizier empfehle ich das Studium von Seekarten, bevor er reichlich unverfroren die navigatorischen Kenntnisse eines rangälteren Offiziers und Kommandanten kritisiert. übrigens: nicht wir sind aufgebrummt, sondern Sie – dies nur als Hinweis darauf, wie vorzüglich Ihre navigatorischen Kenntnisse sind. Ich möchte noch anmerken, daß Sie von Ihrem Vormars-Ausguck – wie ich durch das Spektiv beobachten konnte – auf das Barriereriff hingewiesen wurden. Allerdings schien Sie das nicht zu interessieren, denn Sie blieben auf Kurs. Und ich möchte mich bei Ihrem Rudergänger für die Warnung bedanken, die er uns zurief, unmittelbar nachdem Sie aufgelaufen waren. Irre ich mich, oder handelt es sich bei den beiden Männern, die Sie gerade auspeitschen ließen, um
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eben jenen Ausguck und den Rudergänger?“ „Das geht Sie gar nichts an!“ schnappte Don Gaspar. „Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Pflichten und Aufgaben.“ „Gern“, sagte Capitan de Zarate, „eine meiner Aufgaben – so wurde mir vom Marineamt in Sevilla mitgeteilt – besteht darin, den Hafen von Havanna abzuschirmen. Da Sie meine Hilfe nicht brauchen, bitte ich darum, weitersegeln zu dürfen.“ „Sie bleiben hier!“ beschied Don Gaspar schroff. Capitan de Zarate zog die Augenbrauen hoch und wurde zum ersten Male scharf: „Ihnen ist genau bekannt, wie die Order des Marineamts lautet. Sie lautet, die Fahrt nach Havanna unverzüglich anzutreten und ohne Aufenthalt durchzuführen – abgesehen von einer kurzen Unterbrechung auf den Kanarischen Inseln, um Trinkwasser und Proviant zu ergänzen. Die Schiffe werden in Havanna dringend gebraucht. Ich sehe nicht ein, mit welchem Recht Sie mich hier festhalten, zumal Sie auf meine Hilfe verzichtet haben. Daß Sie selbst Maßnahmen einleiteten, um sich aus Ihrer derzeitigen Lage zu befreien, konnte ich bisher nicht feststellen. Stattdessen beschäftigen Sie sich offenbar lieber damit, Männer auspeitschen zu lassen. Und das in dieser Situation! Dafür fehlt mir allerdings jegliches Verständnis. Damit Sie es wissen: Ich werde diese Vorgänge in meinem Logbuch schriftlich fixieren – vor allem die Tatsache, daß Sie aus eigenem Verschulden hier aufgelaufen sind! Denn nach der Sichtmeldung Ihres Ausgucks hatten Sie noch genügend Zeit, der Riffbarriere auszuweichen. Aber Sie segelten einfach drauflos ...“ „Schweigen Sie!“ brüllte Don Gaspar, hochrot im Gesicht. „Oder ich lasse Sie in Eisen legen!“ „Sie doch nicht“, sagte Capitan de Zarate verächtlich, drehte sich um und stieg den Niedergang zur Kuhl hinunter. „Profos!“ brüllte Don Gaspar. „Der Capitan ist festzunehmen!“
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Aber der Profos war nicht da, auch die Seesoldaten nicht. Denn sie waren zu diesem Zeitpunkt damit beschäftigt, die beiden ausgepeitschten Männer in die Vorpiek zu schleppen und in Eisen zu schließen. Der Capitan grinste nur hart, als er über die Kuhl zur Pforte schritt und zu seinem Kommandantenboot abenterte. Niemand hielt ihn auf. Die Mannen auf der Kuhl taten alle so, als seien sie schwer beschäftigt. Taub waren sie noch dazu, auch wenn ihr dicker Generalkapitän vor Wut fast aus den Stiefeln sprang. Aber sie waren gar nicht taub. Sie hatten sogar aufmerksam zugehört, was der Kommandant der „Almeria“ alles gesagt hatte. Es entsprach genau dem, was sie selbst dachten. Oh, er hatte es diesen beiden Bastarden gegeben! Vor allem dem Ersten, diesem Hundesohn, der so versessen darauf war, die Mannschaft zu schikanieren, wo er nur konnte. Und diesen feinen Capitan sollten sie festhalten und entwaffnen? Doch nicht mit uns, Senor Generalkapitän! Plötzlich war die Kuhl wie leergefegt. Nur vorn auf der Back fummelten noch drei, vier Männer herum, aber deren Ohren mußten auch verstopft sein, weil sie auf die Befehle Don Gaspars nicht reagierten. Das Kommandantenboot legte von der Steuerbordseite der „Santa Ana“ ab und wurde zügig mit exakten sauberen Schlägen hinüber zur ,Almeria“ gepullt. Sie mußten das Heck der anderen Kriegsgaleone, der „San Josefe“, passieren. Dort beugte sich der Kommandant über das achtere Schanzkleid und rief grinsend: „Na, Juan? Hat's Ärger gegeben?“ Die beiden Kommandanten waren miteinander vertraut. Jeder wußte, daß er sich auf den anderen verlassen konnte. De Zarate ließ die Jolle stoppen und rief nach oben: „Kann man wohl sagen. Ich sollte festgenommen werden!“ Jetzt grinste er auch. „War aber keiner da, der Wert darauf legte, den Befehl auszuführen. Im übrigen hält Don Gaspar das Auflaufen für eine Bagatelle. Mein Hilfsangebot wurde abgelehnt – man sei selbst Manns genug,
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sich zu helfen. Ich bat darum, nach Havanna weitersegeln zu dürfen, was Don Gaspar ebenfalls abschmetterte. Daraufhin sagte ich ihm einige Liebenswürdigkeiten, die ihn in Harnisch brachten. Sollten sie ja auch. Vielleicht fängt er jetzt endlich an, darüber nachzudenken, wie er seinen Kahn vom Riff bringt.“ „Er hat zwei Männer auspeitschen lassen?“ „Ja, verdammt. Den Ausguck, der ihm die Sichtmeldung gab, auf die er nicht zu reagieren geruhte, und den Rudergänger, der uns alarmierte. Da ist irgendwas faul. Ich schätze, er sucht nach Sündenböcken für den Mist, den er sich selbst eingebrockt hat.“ „Glaube ich auch“, sagte der Kommandant der „San Josefe“. „Was jetzt?“ „Abwarten“, erwiderte Capitan de Zarate lakonisch. „Zum Teufel! Wir werden in Havanna gebraucht! Und zwar dringend!“ „Hab ich ihm gesagt“, entgegnete de Zarate. „Aber das interessiert ihn offenbar nicht.“ Der andere Kommandant, Don Antonio de Caetano, schmetterte die rechte Faust auf den Handlauf des Schanzkleids und sagte zornig: „So, es interessiert ihn nicht! Und wenn es uns nicht interessiert, daß er aufgebrummt ist? Wenn wir die Fahrt nach Havanna fortsetzen?“ „Und ihn allein lassen?“ fragte de Zarate. „Klar. Er lehnt unsere Hilfe ab, also soll er zusehen, wie er sein Schiff vom Riff bringt.“ „Es geht nicht um die Person des Don Gaspar“, sagte de Zarate bedächtig und mit Ernst. „Es geht um das Schiff und seine Besatzung von etwa einhundertfünfzig Männern. Die läßt man nicht im Stich, auch wenn ihr Kommandant ein blutiger Narr ist.“ „Mann, Mann“, knurrte de Caetano, „da werden wir wohl noch viel Spaß haben.“ „So ist es, mein Freund“, sagte Capitan de Zarate. *
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Sie hatten wirklich „viel Spaß“. Nicht nur die beiden Kommandanten der Kriegsgaleonen „Almeria“ und „San Josefe“, sondern auch die Kommandanten der beiden Kriegskaravellen. Denn bis zum Abend dieses Tages, an dem die „Santa Ana“, das Flaggschiff, aufgelaufen war, tat sich überhaupt nichts. In der Nacht auch nicht. Am nächsten Morgen wurden“ auf der „Santa Ana“ die beiden Beiboote ausgesetzt. Eins an Backbord, eins an Steuerbord. Sie übernahmen Schleppleinen, wurden hinter das Heck der „Santa Ana“ gepullt und begannen unter viel Gebrüll seitens der Bootsführer mit dem Versuch, das Flaggschiff über den Achtersteven vom Riff zu ziehen. Die beiden Schleppleinen strafften sich und peitschten aus dem Wasser. Und die Kerle in den beiden Beibooten pullten und pullten – allerdings auf der Stelle. Die „Santa Ana“ bewegte sich um kein Fitzelchen. Sie ruhte satt und behäbig mit dem Kiel auf dem Plateau darunter, das – welche Gnade – von fast ebener, geradezu abgeschliffener Oberfläche war, nur bewachsen von Algen, Muscheln und Schwämmen. Die Bootsgasten pullten und rucksten sich die Seele aus dem Leib und rührten das Wasser mit ihren Riemen um. Es war ein völlig hoffnungsloses und noch dazu kräftezehrendes Unternehmen. Die „Santa Ana“ rührte sich nicht. Die beiden Jollen waren mit je neun Mann an den Riemen besetzt. Achtzehn Männer sollten also mit Muskelkraft die schwere Kriegsgaleone von dem Korallenplateau ziehen – ein Unternehmen, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Don Gaspar auf der „Santa Ana“ sah das allerdings ganz anders und verstieg sich zu der Behauptung, das Pack sei wie immer zu träge, zu faul und außerdem arbeitsscheu. Der Erste Offizier, Don Pedro de Sarmiento, beeilte sich, diese Ansicht zu bestätigen und sich zusätzlich darüber zu ereifern, daß das Gesindel viel zu satt und vollgefressen sei.
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Nun, umgekehrt hätte es gestimmt: die, miserable Verpflegung war die Ursache dafür, daß die Männer weniger leisteten. Aber abgesehen davon, sie hätten es auch bei voller Körperkraft nicht geschafft, die „Santa Ana“ von dem Plateau abzubringen. Nicht mal die Kraft von achtzehn Ochsen hätte das zustande gebracht. Nach einer halben Stunde härtester Schinderei hingen die achtzehn Bootsgasten keuchend und röchelnd und schweißüberströmt über ihren Riemen und konnten nicht mehr. „Weiter – weiter!“ schrie Don Gaspar wütend. „Hier wird nicht gefaulenzt!“ Einer der beiden Bootsführer drehte sich um und rief: „Achtzehn Männer reichen nicht aus, die ,Santa Ana` vom Riff zu schleppen, Senor Generalkapitän! Das ist zwecklos. Lassen Sie ...“ Er wollte sagen: Lassen Sie die Galeone leichtern und achtern einen Anker zum Verwarpen ausbringen! Aber Don Gaspar unterbrach ihn. Er brüllte: „Er hat hier keine Reden zu halten, sondern einen Befehl auszuführen, und dieser Befehl lautet: die ,Santa Ana` von der Barriere zu ziehen! Verstanden?“ Der Bootsführer drehte sich wieder den Männern in der Jolle zu, murmelte „Leck mich am Arsch!“ und fügte hinzu: „Ruder an! Aber mit langsamem Schlag! Ihr braucht euch nicht mehr anzustrengen!“ Der Bootsführer in der anderen Jolle grinste und befahl das gleiche. Es wurde also wieder gepullt, aber keineswegs so, daß die Riemen in den Rundseln krachten und das Wasser aufschäumte. Es war ein gemütlicher Riemenschlag, den man stundenlang durchhalten konnte, ohne sich zu verausgaben. Natürlich war es sinnlos, ein Boot zu pullen, das gewissermaßen hinten festgehalten wurde und somit auf der Stelle verharrte. Es war nicht nur sinnlos, sondern so ziemlich der Gipfel der Stupidität, aber immerhin noch besser, als sich für nichts und wieder nichts abzurackern. Auf den vier Ankerliegern standen die Männer an Deck, ebenso Offiziere und Kommandanten, und beobachteten das Schauspiel, das ihnen geboten wurde. Die
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Meinung war einhellig, ohne daß man sich von Schiff zu Schiff darüber zu verständigen brauchte: Bei dem Generalkapitän Don Gaspar de Amaro mußte es sich - was seine Seemannschaft betraf - um einen Schwachsinnigen handeln. Anders war jedenfalls sein Versuch nicht zu erklären, von ganzen achtzehn Männern in zwei Jollen die „Santa Ana“ von dem Riff ziehen zu lassen. Capitan de Zarate auf dem Achterdeck der „Almeria“ hatte das Spektiv am Auge, sah, daß sich die Bootsgasten kein Bein mehr ausrissen, und dachte: Na endlich, Freunde! Was bleibt euch auch anderes übrig, als passiv Widerstand zu leisten! Aber das wird dem Dicken nicht gefallen seinem Ersten auch nicht, diesem aufgeblasenen Nichtskönner. So war es. „Schneller - schneller!“ schrie Don Gaspar. Da war es wieder, das Syndrom der verstopften Ohren. Sie pullten unverdrossen ihren Rundschlag, nicht schneller und nicht langsamer, da mochte der Senor Generalkapitän noch soviel zetern und hochhüpfen, wie er wollte. Es brachte ihm rein gar nichts ein. „Ich lasse alle auspeitschen!“ schrie Don Gaspar. Auch dieser Drohung war kein Erfolg beschieden. In der Realität war sie sogar fragwürdig. Zwanzig Männer - die Bootsführer mitgerechnet -auspeitschen zu lassen, da brauchte der Profos etliche Helfershelfer und eine entsprechende Menge neunschwänziger Katzen. Oder das Verfahren mußte in Form der Einzelabfertigung vorgenommen werden, was dann aber auch dem Peitschenschwinger einiges abverlangt hätte. Es war der Zweite Offizier der „Santa Ana“, der sich jetzt einmischte, obwohl er sich sonst durch Schweigsamkeit auszeichnete, ein Mann Ende der Dreißig, der sich vom Seemann über den Steuermann und Navigator bis zum Teniente hochgedient hatte und längst bereute, bei der spanischen Marine
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geblieben zu sein. Mit seinen seemännischen und navigatorischen Kenntnissen hätte er jetzt Kapitän einer Handelsgaleone sein können. Er hieß Manuel Buarcos und war nicht von adeliger Herkunft. Er sagte: „Mit Verlaub, Senor Generalkapitän, die Kraft von achtzehn Männern reicht nicht aus, um die ,Santa Ana` von der Barriere zu ziehen. Das Schiff ist zu schwer und sitzt zu weit auf fast bis in Höhe des Besanmastes. Ich empfehle, das Schiff zu leichtern und die anderen Kommandanten um Hilfe zu bitten ... „Ich habe Sie nicht um Ihren Rat gefragt“, unterbrach ihn Don Gaspar barsch. „Was fällt Ihnen überhaupt ein? Außerdem können Sie die Situation gar nicht beurteilen!“ „Natürlich nicht“, knurrte der Zweite, „ich fahre ja auch erst seit fünfundzwanzig Jahren zur See und habe mein Offizierspatent beim Würfelspiel gewonnen!“ „Unverschämtheit!“ zischte der Erste Offizier. „Wie reden Sie denn mit dem Senor Generalkapitän, Sie Flegel?“ Manuel Buarcos musterte ihn aus eisigen Augen. „Wenn ich ein Flegel bin, Senor Capitan, dann raten Sie mal, wer hier an Bord der größte Klugscheißer ist. Und wenn Sie sich jetzt beleidigt fühlen, stehe ich Ihnen für ein Duell gern zur Verfügung. Die Waffen dürfen Sie selbst aussuchen. Vielleicht die Neunschwänzige, die Ihnen so ans Herz gewachsen ist?“ O ja, er ging hart ran, der Zweite. Ihm stand der ganze Betrieb auf diesem Schiff bis Oberkante Oberlippe. Das Maß dessen, was ein Mann zu ertragen vermochte, war voll. Er hatte zu lange geschwiegen: von jenem Tag vor zehn Wochen an, als den Posten des Ersten Offiziers an Bord der „Santa Ana“ – der damalige Erste war abkommandiert worden –der Capitan de Sarmiento übernommen hatte, obwohl er, der Teniente Buarcos, hatte nachrücken sollen, mit gleichzeitiger Beförderung zum Capitan. Das war jedenfalls die
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Empfehlung des damaligen Kommandanten der „Santa Ana“ gewesen, der ebenfalls abkommandiert worden war. Das Marineamt hatte anders entschieden – aus welchen Gründen auch immer. Don Gaspar hatte die „Santa Ana“ übernommen und seinen Ersten Offizier gleich mitgebracht. Seitdem herrschte an Bord kein guter Geist mehr. Zwei Offiziere, ein Generalkapitän und ein Capitan hatten es binnen kürzester Frist geschafft, die „Santa Ana“ in ein Pulverfaß zu verwandeln, das jederzeit explodieren konnte. Bei den Worten des Zweiten Offiziers war der Erste zurückgewichen, und sein Gesicht hatte eine ungesunde Farbe angenommen – nicht wegen der Beleidigung, ein Klugscheißer zu sein. Keineswegs. Vielmehr befürchtete er, sich einer Duellforderung stellen zu müssen. Und da zitterten ihm jetzt bereits die Knie. Zum Glück hatte inzwischen Don Gaspar über die Empfehlungen des Zweiten Offiziers nachgedacht und zumindest eine in Erwägung gezogen. Den Disput zwischen dem Ersten und dem Zweiten hatte er dabei geflissentlich überhört. Nunmehr sagte er in quengeligem Ton: „Das Schiff soll geleichtert werden! Warum muß ich alles selbst veranlassen? Bitte sehr, Don Pedro, leiten Sie in die Wege, daß alle schwere Lasten von Bord entfernt werden. Sofort, nicht wahr?“ „Jawohl, sofort“, sagte der Erste hastig. „Und wohin sollen die schweren Lasten entfernt werden?“ „Zu der kleinen Insel an Steuerbord“, sagte der Zweite Offizier trocken. „Wohin denn sonst? Das ist der nächste Weg. Oder wollen Sie die Lasten versenken?“ Nach Ansicht Don Gaspars hatte es sich um eine „Bagatelle“ gehandelt, die „Santa Ana“ wieder flottzukriegen. Die Wirklichkeit sah anders aus. 3. In diesem Monat Februar des Jahres 1600 erfüllte sich der Wunsch des kleinen David – des Sohnes von Smoky und Gunnhild –, den er hatte äußern dürfen, nachdem es
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ihm gelungen war, mit einer Steinschleuder den Angriff eines Falken auf eine Brieftaube des Bundes abzuwehren. Hesekiel Ramsgate, der Schiffsbaumeister des Bundes der Korsaren auf der Bahamainsel Great Abaco mit Stützpunkt an der Cherokee-Bucht, hatte mit seinen Gesellen innerhalb einer knappen Woche ein Boot gebaut, das den Kindern des Bundes zum Wriggen, Rudern und Segeln zur Verfügung stehen sollte. Natürlich hatten die Kinder beim Bau mitgeholfen, allen voran Klein David, genannt Dave, der ja die Idee zu dem Boot gehabt hatte und außerdem der „Häuptling“ oder „Admiral“ der KinderCrew des Bundes war. Zudem war er Anfang Januar sechs Jahre alt geworden und somit der „Senior“ in der Crew, zu der noch Thyra und Thurgil zählten, das Zwillingspärchen von Gotlinde und Thorfin Njal, sowie Edwin Shane, der Sohn von Mary und Old Donegal O'Flynn. Die kleine Mary-Gotlinde-Gunnhild, Tochter von Taina und Don Juan de Alcazar, zählte noch nicht dazu. Sie war im Juni 1599 geboren worden und würde noch ein Weilchen brauchen, bis sie auf der Jolle anheuern durfte. An diesem Februartag sollte Bootstaufe und Stapellauf sein, ein feierlicher Akt, wie sich das für Seefahrer gehörte. Das Volk des Bundes der Korsaren war an der Werft versammelt, wo das Boot auf einem Slipwagen stand, einem Gefährt, das Hesekiel Ramsgate konstruiert und gebaut hatte, um die Boote des Bundes über eine Rampe bequem aus dem Wasser ziehen zu können – wenn Reparaturen anfielen – und später wieder zu Wasser zu lassen. Rampe und Slipwagen hatten sich bisher bestens bewährt. Die Jolle ruhte auf drei Klampen, die vorn, mittschiffs und achtern auf dem Gefährt angebracht waren. Diese Klampen entsprachen jenen Hölzern, auf denen auch an Bord der Schiffe die Beiboote seefest verzurrt waren. Klar, daß die Mannen des Bundes den Neubau augenzwinkernd und schmunzelnd
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begutachteten, untersuchten und von vorn bis achtern abklopften. Was ihr besonderes Interesse erregte, das war der Kiel dieses Bootes. Den hatten die Beiboote und Jollen der Schiffe des Bundes zwar auch, aber er ragte aus der Beplankung nur wenig hervor. Hier war das anders. Hesekiel Ramsgate hatte der Jolle einen Kiel verpaßt, der fast wie eine Flosse wirkte und von seiner Unterkante bis zum Jollenboden an die drei Handbreiten maß. Die Unterkante war mit Kupfer beschlagen. „Was soll das denn?“ erkundigte sich der Wikinger in seiner gewohnt poltrigen Art und mit gerunzelter Stirn. Hesekiel Ramsgate lächelte fein. „Rate doch mal, Thorfin.“ Und schon ging das Grinsen um, denn prompt geschah das, was alle erwarteten: der Wikinger hob die rechte Hand und kratzte sich am Kupferhelm. Das Grinsen übersah der Wikinger – oder er wollte es übersehen. Er sagte: „Bestimmt ist das wieder so'n neumodischer Kram. Soll wohl so 'ne Art Flosse sein, eh?“ „So könnte man es nennen“, sagte Hesekiel Ramsgate. „Was meinst du, was sie für einen Zweck hat?“ Der Wikinger grinste. „Damit die Küken merken, wenn sie aufbrummen. Das Ding ragt ja weit genug ins Wasser.“ „Für diese Fälle habe ich die Unterkante mit Kupfer beschlagen“, sagte Hesekiel Ramsgate trocken. „Und natürlich auch dafür, daß die Flosse nicht beschädigt wird, wenn man die Jolle auf den Strand zieht. Aber das ist nicht der Zweck des vergrößerten Kiels.“ „Sondern?“ knurrte der Wikinger. „Ich schätze“, erwiderte Hesekiel Ramsgate, „daß die Jolle am Wind mehr Höhe laufen wird als unsere üblichen Jollen.“ Ein Geraune wurde laut. Der Wikinger hingegen lachte schallend. Offenbar hielt er das, was Hesekiel Ramsgate gerade gesagt hatte, für einen besonders gelungenen Witz.
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Dann schüttelte er das behelmte Haupt und tönte: „Nimm's mir nicht übel, mein Alter, aber was du da eben behauptet hast, ist nun wirklich eine ganz dicke Seekuh, deren Euter statt mit Milch mit Rum gefüllt sind!“ Ein Vergleich war das wieder! „Na, na“, sagte Gotlinde und stupste ihren Poltermann mit dem Ellbogen an. „Ich glaube, du steuerst jetzt den falschen Kurs, Thorfin.“ „Ich doch nicht!“ verkündete der Wikinger mit breiter Brust. „Ich sage, daß diese Küken-Jolle weitaus weniger Höhe laufen wird als unsere Jollen. Und das werde ich beweisen! Nach der Taufe und dem Stapellauf trete ich mit der kleinen Jolle des Schwarzen Seglers gegen Hesekiels Bötchen an. Da wird sich sehr schnell herausstellen, welche Jolle mehr Höhe läuft – nämlich meine Jolle!“ Es war wieder mal die Vollmundigkeit des Wikingers, die Jean Ribault reizte und auf den Plan rief. Allerdings war ihm auch völlig klar, daß jene Schiffe, die Hesekiel Ramsgate bisher konstruiert und gebaut hatte, vermutlich die Spitze der derzeitigen Schiffsbaukunst darstellten. Die „Isabella IX.“ der Arwenacks, die er, Jean Ribault, in den letzten Monaten als Kapitän geführt hatte, war das beste Beispiel für das geniale Können dieses Schiffbaumeisters, der sich dem Bund der Korsaren angeschlossen hatte, weil er in dem sturen England nicht für voll genommen, ja, sogar angefeindet worden war. Darum sagte Jean Ribault jetzt mit sehr viel hinterhältiger Freundlichkeit: „Wenn es genehm ist – darüber haben auch die künftigen Eigner und Nutzer der neuen Jolle zu entscheiden, nämlich Dave und seine Crew –, dann trete ich gegen Thorfin an und führe die Jolle, um ihn davon zu überzeugen, daß unserem Hesekiel Ramsgate zum wiederholten Male ein hervorragender Wurf gelungen ist. Und ich bin fair genug, dich zu warnen, Thorfin! Ein ins Wasser vergrößerter Kiel – das solltest du eigentlich wissen – vermindert die Abdrift auf Kreuzkursen. Nach meinem
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Verständnis wird die Jolle ungleich mehr an Höhe laufen als alle unsere Beiboote.“ „So ein Quatsch!“ beschied der Wikinger, pumpte sich auf und dröhnte: „Ich wette drei Fässer Rum, daß meine Jolle mehr Höhe läuft – und dabei auch schneller ist!“ Gotlinde Njal räusperte sich sehr nachhaltig, mehr nicht. Ihr Räuspern war als Warnung aufzufassen, denn sie kannte ihren Poltermann nur allzu gut. Wenn er wettete, dann segelte er meistens in die Binsen, und zwar vierkant. Jean Ribault indessen lächelte, zwinkerte dem kleinen Dave zu und sagte: „Was meinst du, Söhnchen, nehmen wir die Wette an?“ Es zeigte sich, daß David, genannt Dave, ein würdiger Sohn seines Vaters Smoky war, dessen Wettlust den Arwenacks schon manchen Spaß bereitet hatte. Mit blitzenden Augen erwiderte Dave: „Wenn du die Jolle segelst, Mister Ribault, nehmen wir die Wette an. Und wenn Mister Njal verliert, muß er Thyra, Thurgil, Eddy Shane und mir gebratene Hühnerschlegel spendieren!“ „Ho-ho, ho-ho!“ dröhnte der Wikinger. „Und was spendiert ihr mir, wenn euer Mister Ribault verliert?“ Dave war um keine Antwort verlegen. Schlagfertig erwiderte er: „Wir polieren dir deinen Helm auf Hochglanz und bürsten mal deine Felle aus, Mister Njal!“ Eine Lachsalve dröhnte über die Bucht. Erst wollte der Wikinger aufbrausen, dann lachte er aber mit, vor allem, weil sein Eheweib Gotlinde so herzlich lachte. Als wieder Ruhe einkehrte, sagte Jean Ribault: „Also gut, die Wette gilt. Der Verlierer verpflichtet sich, dem Gewinner drei Fässer Rum zu spendieren. Zusätzlich erhalten Dave und seine Crew gebratene. Hühnerbeinchen, wenn Thorfin verliert. Einverstanden, Thorfin?“ „Einverstanden“, erklärte der Wikinger. „Und damit wir in Gang kommen, schlage ich jetzt vor, daß Thyra das Boot tauft. Das hat Dave so gewünscht, und ich finde das in Ordnung. Es muß ein weibliches Wesen sein, das die Zeremonie durchführt. Euch Knirpsen sei hier noch einmal gesagt:
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Pflegt euer Boot, wie sich das gehört. Haltet es sauber und überzeugt euch vor jeder Fahrt über den einwandfreien Zustand des laufenden und stehenden Gutes. Bis auf weiteres bleibt euer Revier begrenzt, und zwar dürft ihr nur hier in unserer Bucht zur See fahren. Solltet ihr dieser Anweisung zuwider handeln, gibt es was, Mister Dave Smoky?“ „Popoklatsche, Mister Njal“, erwiderte der Bursche. „Das walte Thor!“ dröhnte der Wikinger. „Thyra, du bist dran. * Thyra trat vor und an die Jolle, blond, schlank und mit den klaren, ebenmäßigen Gesichtszügen ihrer Mutter Gotlinde. In der rechten Hand hielt sie einen kleinen Tonkrug, der mit Rum gefüllt war. Diesen Rum goß sie schwungvoll über den Bug der Jolle und rief mit heller Stimme: „Ich taufe dich auf den Namen ,Little Isabella' und wünsche dir allezeit drei Handbreiten Wasser unter dem Kiel!“ Und Jean Ribault schmetterte: „Der ,Little Isabella' und ihrer Crew ein dreifaches Hipp-hipp-hurra! Hipp-hipp-hurra! Hipphipp-hurra!“ Alle fielen mit ein, und der Hochruf dröhnte über die Bucht. Als er verklang, rief Hesekiel Ramsgate: „Laßt sie zu Wasser, Männer!“ Seine Mannen von der Werft schoben den Slipwagen an, und er rollte mit der „Little Isabella“ über die abschüssige Rampe dem Wasser. zu. Links und rechts der Rampe standen die Zuschauer Spalier und jubelten, als der Slipwagen im Wasser verschwand und die Jolle plötzlich aufschwamm, gehalten an einer langen Vorleine, mit der einer der Männer Hesekiel Ramsgates zu dem benachbarten Steg eilte, die Jolle heranzog und die Vorleine belegte. Mit einer anderen Vorleine, die sich beim Zuwasserlassen abgewickelt hatte, wurde der Slipwagen wieder über die Rampe zur Werft gezogen. Nunmehr in ihrem Element, wirkte die Jolle von der Seite gesehen im Längsriß
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fast elegant. Das mochte daran liegen, daß Hesekiel Ramsgate auch in diesem Fall etwas Neuartiges geschaffen hatte: der Vorsteven war nicht senkrecht und gerade wie bei den anderen Beibooten, sondern verlief schräg und in einer löffelartigen Form. Verstärkt wurde der elegante Eindruck durch den Deckssprung, der zum Bug hin anstieg. Das Dreieck im Vorschiff war bis zum Pfahlmast hin abgedeckt, so daß dort ein kleiner Unterschlupf war. Dahinter in der offenen Pflicht befanden sich zwei Querduchten, eingerichtet als Ruderbänke. Die Achterducht im Spitzgattheck war umlaufend, so daß der Rudergänger die Pinne bequem sitzend von beiden Seiten bedienen konnte. Die Jolle war geklinkert. Für die Beplankung hatte Hesekiel Ramsgate abgelagertes Mahagoniholz genommen. Im Stevenholz des Spitzgatthecks waren Fingerlinge eingelassen; in welche das Ruderblatt eingehängt wurde. Es hatte die gleiche Tiefe wie die Flosse unter dem Kiel. Die Besegelung bestand aus einer Dreiecksfock vorn und einem rechteckigen Sprietsegel am Großmast. Die Spriet verlief unten vom Hals des Segels schräg nach oben zum Spriethorn oder der Piek und spreizte das Großsegel aus. Das Vorliek des Segels wurde mit einer Reihleine am Mast gehalten. Am Schothorn, der hinteren unteren Ecke des Segels, war eine robuste Kausch eingenäht, die zum Anschlagen der Großschot diente. Die Fock trimmte man je nachdem mit der Fockschot an Backbord oder der an Steuerbord. Die Schot wurde wie beim Großsegel am Schothorn angeschlagen. Wie geplant, war die „Little Isabella“ zum Pullen und Wriggen eingerichtet. Vier Riemen standen dafür zur Verfügung, ein fünfter diente zum Wriggen. In diesem Fall wurden Ruder und Pinne ausgehängt. Als Widerlager für den Wriggriemen diente ein Zepter, das von oben senkrecht in das achtere Stevenholz gesteckt wurde. Gleiche Löcher für die Zepter befanden
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sich an Backbord und Steuerbord in Höhe der beiden Ruderduchten. Zur weiteren Ausrüstung der Jolle gehörten natürlich ein kleiner Anker mit Ankerleine, eine Öskelle aus Holz sowie Ersatztauwerk. Um die Pflicht herum verlief ein etwa handbreites Dollbord, so daß nicht so schnell Wasser eindringen konnte, wenn die Jolle auf Kreuzkursen mit Schräglage krängte. Hesekiel Ramsgate hatte die Jolle für die Kinder auf Sicherheit gebaut – dem entsprachen denn auch die Korkplatten, die vorn und achtern sowie unter den Duchten und seitlich unter dem Dollbord angebracht waren. Diese Korkplatten stammten aus dem Beutegut eines Raids und hatten bisher mangels Verwendung im Magazin gelegen. Die Idee mit den Korkplatten hatte der Wikinger gehabt – aus der einfachen Überlegung heraus, daß sie der Jolle Auftrieb verleihen und damit eine gewisse Kentersicherheit geben müßten. Daß diese Überlegung richtig gewesen war, bewies jetzt einer der Männer Hesekiel Ramsgates, der sich auf das Vordeck der Jolle stellte, sich am Mast festhielt und zu schaukeln begann, das heißt, er versuchte abwechselnd, das Boot nach Backbord oder Steuerbord zu krängen. Das Ergebnis war verblüffend: Der schwergewichtige Mann, er hieß William Sharp und war der Vormann der Werftleute, hatte Mühe, die „Little Isabella“ überhaupt bis zur Außenkante des Dollbords zu neigen. Weiter schaffte er es nicht. Er grinste zu Hesekiel Ramsgate hinüber und rief: „Scheint eine feine Sache zu sein, Mister Ramsgate! Wir sollten vielleicht auch die anderen Jollen mit Kork ausrüsten, genug von dem Zeug haben wir ja!“ „Na bitte“, sagte der Wikinger und strich sich wohlgefällig den mächtigen Bart. „Hätten wir darüber gewettet, wären mir einige Fässer Rum schon jetzt sicher gewesen.“ „Haben wir aber nicht, mein Guter“, sagte Jean Ribault, „außerdem hätte ich nicht
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dagegengehalten, weil mir die Sache mit dem Kork als Auftrieb logisch erschien. Was ist jetzt mit unserer Wette? Wollen wir's anpacken?“ „Natürlich! Oder willst du kneifen?“ „Keineswegs. Ich habe nur das sichere Gefühl – wenn ich mir die kleine elegante Dame so betrachte –, daß du die Hühner für Dave und seine Crew schon mal schlachten lassen und für mich die drei Fässer Rum ordern solltest – weil du nämlich die Wette verlierst.“ Der Wikinger schnaubte verächtlich und donnerte: „Eike! Stör! Riggt unsere kleine Jolle auf und holt sie an den Steg!“ „Holt sie an den Steg!“ wiederholte der Stör und biß sich gleich darauf auf die Lippen, weil er wieder in seinen alten Fehler verfallen war, die letzten Worte seines Kapitäns wie ein Papagei nachzuplappern. Aber er war heute etwas durcheinander. Die unmittelbare Nähe, Gotlindes, die er still und beharrlich verehrte, irritierte ihn. Eike zerrte ihn schleunigst mit sich, um ihn aus dem Gefahrenbereich des Wikingers zu bringen, der wegen der Eigenart des Störs manchmal zu merkwürdigen Reaktionen neigte. Aber die Hast war überflüssig. Der Wikinger hatte gar nicht hingehört, weil er viel zu sehr mit der bevorstehenden Wette beschäftigt war. „Wo tragen wir unsere Wette aus?“ fragte er Jean Ribault. Der schlanke Franzose mit dem verwegenen Gesicht blickte prüfend über die Bucht und erwiderte: „Ich schlage vor – draußen, vor unserer Küste. Die Bucht liegt zu geschützt, so daß wir dort nicht viel Wind haben. Er weht aus Nordosten. Was hältst du davon, wenn wir südlich von unserer Halbinsel mit Kurs nach Osten in den Atlantik starten?“ „Kein Einwand.“ Der Wikinger nickte. „Fragt sich nur, wer in Luv und wer in Lee startet.“ Jean Ribault lächelte. „Ich überlasse dir die Luvposition.“ Der Wikinger runzelte die Stirn. „Warum so großzügig?“
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Jean Ribault schüttelte den Kopf. „Nicht großzügig, Thorfin. Nur fair.“ Der Wikinger fluchte. „Mann, du machst mich wild mit deiner Sicherheit! Bildest du dir ein, mich aus der Leeposition heraus schlagen zu können? Wenn ich dich abdecke, hast du überhaupt keine Chance.“ „Mein lieber Thorfin“, sagte Jean Ribault freundlich, „was an deinem letzten Satz verkehrt ist, weißt du wohl selbst. Oder?“ „Was denn?“ polterte der Wikinger. „Das kleine Wort am Anfang – nämlich ‚Wenn' „, erwiderte Jean Ribault. „Du sagtest: 'Wenn' ich dich abdecke. ‚Wenn' drückt eine Möglichkeit aus, die also keineswegs sicher ist ...“ „Papperlapapp!“ fuhr der Wikinger dazwischen. „In der Luvposition decke ich dich ab – basta! Und damit habe ich unsere Wette schon so gut wie gewonnen.“ „Wie schön für dich, mein Alterchen“, sagte Jean Ribault grinsend. „Hast du was dagegen, wenn ich Dave als Moses mit an Bord nehme? Schließlich geht es bei ihm und seiner Crew um gebratene Hühner. Außerdem brauche ich jemanden, der die Fock bedient.“ „Au fein!“ schrie Dave begeistert. „Habe nichts dagegen!“ tönte der Wikinger. „Tut mir nur leid für ihn, daß er unmittelbar miterleben muß, wie sich seine gebratenenen Hühnerbeine in Luft auflösen.“ Der kleine Bursche schluckte tapfer und sagte: „Dann ist das eben so, Mister Njal. Man muß auch mal verlieren können, hat meine Mom gesagt.“ Und trotzig fügte der Kleine hinzu: „Kann ja aber auch sein, daß sich Ihre drei Fässer Rum in Luft auflösen, Mister Njal, Sir.“ Der Wikinger schaute verdutzt drein. Bevor er aber erneut lospoltern konnte, sagte Jean Ribault: „Noch etwas zum Start selbst, Thorfin, damit wir unter gleichen Bedingungen lossegeln. Wir legen uns südlich unserer Halbinsel mit aufgefierten Schoten hin, Bug nach Osten gerichtet. Du in Luv, ich in Lee, Abstand der Boote voneinander etwa zehn Yards, die beiden Vorsteven auf gleicher Höhe. Startzeichen ist ein Pistolenschuß am Südufer. Erst dann
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dürfen wir die Schoten dichtholen und lossegeln. Ferner schlage ich vor, daß wir dann einen bestimmten Punkt ansteuern, der nordöstlich liegen sollte, etwa zwei Seemeilen von der Küste entfernt. Den Punkt könnte eins unserer ,Empress`Schiffe markieren, das dort vor Treibanker liegt. Wir umsegeln das Schiff, das wir an unserer Backbordseite lassen, und kehren vor dem Wind zum Start zurück. Gewinner ist das Boot, das zuerst beim Start wieder eintrifft. Wir segeln somit einen Kreuzkurs und einen Vorwind-Kurs ab. Was hältst du davon?“ „Einverstanden“, knurrte der Wikinger. 4. Die „Empress of Sea II.“ unter Führung ihres Bootsmanns Martin Correa – in Abwesenheit Old Donegals unterstand ihm die kleine Karavelle – lag vor Treibanker auf ihrer Position nordöstlich des Stützpunktes an der Cherokee-Bucht. Natürlich befanden sich „Zaungäste“ an Bord, die unmittelbar sehen wollten, wie die Wette zwischen dem Wikinger und Jean Ribault verlaufen würde. Hesekiel Ramsgate hatte sich auf der „Empress“ ebenso eingeschifft wie Edmond Bayeux, Oliver O'Brien, Jerry Reeves, Karl von Nutten und sogar Gotlinde Njal. Die Rote Korsarin, Siri-Tong, hatte sich bereit erklärt, den Startschuß mit der Pistole abzufeuern. Sie stand auf einer Düne am Südende jener Halbinsel, die wie ein gekrümmter Haken die CherokeeBucht nach Osten, Süden und Südwesten umschloß und den Stützpunkt der Korsaren an der Innenbucht abschirmte. Unterhalb des Südendes der Halbinsel hatten die beiden Jollen ihre Startposition bezogen, genauso wie Jean Ribault vorgeschlagen hatte. Als der Franzose mit Dave in der „Little Isabella“ zum Startpunkt gesegelt war, hatte er eins sofort festgestellt: diese Jolle war tatsächlich ein Meisterwerk Hesekiel Ramsgates. Sie sprang beim leisesten Windhauch an und reagierte äußerst sensibel auf Ruderbewegungen. Wer hier
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an der Pinne saß, der mußte eine sichere und ruhige Hand haben, um sie zu führen. Phantastisch, dachte Jean Ribault, an dieser Pinne werden unsere Küken zu exzellenten Rudergängern ausgebildet. Er hatte Dave bereits auf alles hingewiesen, was zum Trimmen der Fock wichtig war. Der Bursche hatte eine schnelle Auffassungsgabe und war zum Erstaunen Jean Ribaults mit vielen Begriffen der Seemannschaft längst vertraut. Dave hatte nämlich beobachtet, was sich tat, wenn die Schiffe des Bundes in der Bucht ankerauf gingen und die Segel setzten. Und wie die Segel bei verschiedenen Windrichtungen gestellt werden mußten, um ein Schiff in Fahrt zu bringen. War ihm etwas unerklärlich gewesen, dann hatte er einfach gefragt und sich auf diese Weise ein seemännisches Wissen angeeignet, das ganz beachtlich war. Jetzt glühte der Junge vor Eifer —und zappelte vor Ungeduld. „Dave!“ mahnte Jean Ribault. „Zu einem guten Seemann gehört vor allen Dingen, daß er in jeder Situation die Ruhe behält. Wenn du herumturnst, überträgt sich das auf die Jolle. Sie muß, um schnelle Fahrt zu laufen, ganz ruhig im Wasser liegen. Jedes Schaukeln verringert oder vermindert ihre Fahrt. Klar?“ „Aye, aye, Sir!“ Jean Ribault grinste in sich hinein. Diese englische Redewendung für eine Bestätigung war dem Kleinen also auch schon bekannt oder besser gesagt: geläufig, als fahre er seit Jahren zur See. „Paß auf, Dave“, sagte Jean Ribault. „Wenn der Startschuß gefallen ist, reißt du die Fockschot nicht sofort dicht, sondern wartest, bis mein Segel gut voll steht. Erst dann holst du langsam die Schot dicht — mit Gefühl, bist du merkst, daß auch die Fock richtig zum Wind gestellt ist. Wenn du sie zu lose fährst, killt sie. Wenn du sie zu dicht holst, strömt ihr Abwind auf die Leeseite des Großsegels. Das siehst du daran, daß sich dort im Tuch eine Art Beule bildet. Diese Beule verhindert dann auf der Luvseite des Großsegels ein glattes
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Entlangströmen des Windes, was zu einer Fahrtverminderung führt. Man sagt, das Segel zieht nicht richtig, weil es nämlich eine gewellte Anströmfläche darstellt. Ist das für dich verständlich, mein Junge, oder rede ich in Rätseln?“ „Ich glaube, ich hab's kapiert, Sir“, erwiderte Dave eifrig. „Gut so“, sagte Jean Ribault lächelnd. „Dann schlage ich noch vor, daß du mich nicht mehr mit ,Sir` oder ,Mister Ribault' ansprichst, sondern einfach mit Jean. Alles klar?“ „Aye, aye, Sir!“ schmetterte das Bürschchen und verbesserte sich hastig: „Ich meine natürlich — Jean!“ „Na denn“, sagte Jean Ribault heiter und spürte, daß ihn etwas anzurühren begann, ein Gefühl von Freude oder Glück, das mit diesem Jungen da vorn zusammenhing. Mein lieber Vater Smoky, dachte er, wenn du wüßtest, was dir hier entgeht! Du würdest, wenn du Flügel hättest, alles sausen lassen, hierher fliegen und meinen Platz einnehmen. Ja — wenn! Da war es wieder, dieses verdammte Wort. „Schot lose, Dave“, sagte er zu dem Jungen und fierte gleichzeitig die Großschot auf. Mit auslaufender Fahrt steuerte er die „Little Isabella“ in die Leeposition zur Jolle des Wikingers, der breit und wuchtig auf der Achterducht seines Bootes saß und etwas verkniffen zu ihnen starrte. Hatte der Nordmann schon gemerkt, daß diese neue Jolle etwas ganz Besonderes darstellte und seinem Boot vermutlich überlegen war? Die „Little Isabella“ war etwas kleiner und schmaler als die Jolle des Schwarzen Seglers, die gleichfalls mit einem Sprietsegel – allerdings ohne Fock – getakelt war. Aber ihr Sprietsegel war größer, so daß sich das mit der Fock der „Little Isabella“ wieder ausglich. Die Segelflächen der beiden Boote waren in etwa gleich. Von Land her erklang die Stimme SiriTongs: „Seid ihr klar zum Start, Freunde?“ Der Wikinger hob die linke Hand, Jean Ribault ebenso.
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„Jean!“ rief die Rote Korsarin. „Du kannst noch gut ein halbes Yard vorrücken, ihr liegt noch nicht gleichauf!“ „Das halbe Yard schenke ich unserem verehrten Wettgegner!“ rief Jean Ribault zurück. „Wir haben sowieso gleich die Nase vorn!“ „Du Angeber!“ maulte der Wikinger. „Es geht los!“ schrie die Rote Korsarin, stieß die Pistole senkrecht in die Luft und feuerte den Schuß ab. Der Wikinger zerrte mit einem Ruck seine Schot dicht. Jean Ribault holte die Schot langsam durch – und schon sprang die „Little Isabella“ an und glitt los. „Jetzt die Fockschot, Dave!“ flüsterte Jean Ribault und warf einen kurzen Blick über die linke Schulter nach Luv zum Wikinger. Dessen Jolle stand, beziehungsweise trieb nach Steuerbord gekrängt leewärts. Als sie Fahrt aufzunehmen begann, hatte die „Little Isabella“ nicht nur „die Nase vorn“, sondern zog bereits hoch am Wind über Steuerbordbug vor der Jolle des Wikingers ostwärts. Und sie gewann immer mehr Höhe. Von Land her ertönte Jubelgeschrei. Im Grunde war das Rennen bereits entschieden. Der Wikinger hockte wie vernagelt auf seiner Ducht, starrte der „Little Isabella“ hinterher und verstand die Welt nicht mehr. Bis er glaubte, seine Jolle richtig in Fahrt zu haben, lag die „Little Isabella „ bereits anderthalb Bootslängen vor ihm in Luv und ging auf und davon. Er selbst befand sich im Verwirbelungsbereich der von der „Little Isabella“ abgelenkten Winde und in deren Kielwasser, das mit seinen Strudeln ebenfalls fahrthemmend auf seine Jolle wirkte. Jean Ribault winkte ihm freundlich-lässig zu und grinste bis zu den Ohren. „Da soll doch Thors Hammer reinfahren!“ dröhnte der Wikinger. Aber Thor war derzeit abwesend und hatte auch kein Einsehen mit der Not des Nordmanns, der schon beim Start der Blamierte gewesen war, obwohl er die Luvposition innegehabt hatte.
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Zähneknirschend mußte er feststellen, daß die „Little Isabella“ am Wind nicht nur mehr Höhe, sondern dabei auch noch schneller als die Jolle des Schwarzen Seglers lief. Jean Ribault brauchte die Jolle nicht mal zu kneifen, das heißt, auf Höhe zu zwingen. Sie segelte mühelos höher am Wind als die Jolle des Wikingers. Dabei lag sie elegant im Wasser, nur etwas nach Steuerbord gekrängt. Widerwillig mußte der Wikinger einsehen, daß hier ein Rennen zwischen einem Windhund und einem Mops stattfand. Letzterer war schon etwas verfettet und keuchte hinterher. Nein, nein, hinterher schon gar nicht, denn das würde bedeuten, daß der Mops auf der Spur des Windhundes lief. Aber das tat er nicht. Die Fährte der beiden Renner klaffte auseinander und bildete einen Winkel von mindestens zwölf Grad. Ja, und die Wette! Thorfin Njal fluchte vor sich hin, daß er sich darauf eingelassen hatte. Er war sich seiner Sache zu sicher gewesen. Dabei hatte sich Gotlinde laut und deutlich geräuspert, wie sie es immer tat, wenn sie ihn auf etwas hinweisen oder ihn warnen wollte. Er hatte es in den Wind geschlagen. In den Wind – ha-ha! Das paßte sogar, denn gegenüber der „Little Isabella“ konnte man den Eindruck gewinnen, als stehe die Jolle des Schwarzen Seglers im Wind. * Als die „Little Isabella“ die als Bahnmarke dienende „Erpress of Sea II.“ etwas achterlicher als Backbord querab hatte, wendete Jean Ribault auf den Backbordbug und hatte richtig geschätzt: er konnte die „Empress“ gut mit einem Schlag anliegen. Zu diesem Zeitpunkt krebste der Wikinger mit seiner Jolle immer noch über Steuerbordbug ostwärts und war weit abgeschlagen. Bis er ebenfalls wendete, um die „Empress“ anzulegen und später zu runden, würde die „Little Isabella“ bereits auf Vorwind-Kurs die Ziellinie ansteuern. Auf der „Empress“ herrschten Jubel, Trubel, Heiterkeit – Gotlinde nicht
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ausgenommen. Sie war weit davon entfernt, für ihren Poltermann eine Lanze zu brechen oder nach Gründen zu suchen, um ihn zu verteidigen. Er hatte sich diese Niederlage selbst eingebrockt und würde zum Schaden in Form von drei verspielten Rumfässern auch noch den Spott ertragen müssen. Ja, er hatte die Rumfässer verspielt. Und es war ja auch nur ein Spiel, das allerdings nicht von dem seemännischen Können der beiden Bootsführer entschieden wurde, das sicherlich als gleichwertig gelten konnte. Nein, Jean Ribault und Dave waren die Sieger, weil sie das bessere und schnellere Boot segelten. Und der dritte Sieger war Hesekiel Ramsgate, der diesen Jollentyp entworfen und gebaut hatte. Lächelnd sagte sie zu dem Schiffsbaumeister: „Gratuliere, Hesekiel! Diese Wettfahrt ist der Beweis dafür, daß unsere alten Jollen müde Kähne sind. Es liegt an der Flosse unter dem Kiel, nicht wahr?“ Der alte Ramsgate nickte, schränkte aber ein: „Zumindest segelt die ,Little Isabella' mehr Höhe. Daß sie dabei auch noch schnell ist, überrascht mich selbst, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Auffallend beim Start war, wie schnell sie ansprang und davonsegelte, bevor Thorfin seine Jolle überhaupt in Gang gebracht hatte. Mir scheint, daß wir da ein recht sensibles Boot gebaut haben.“ „Sensibel gleich gefährlich?“ fragte Gotlinde aufmerksam. Hesekiel Ramsgate schüttelte den grauhaarigen Kopf. „Du denkst an die Kinder, nicht wahr? Nein, nein, keine Sorge. Die ,Little Isabella' ist dank der Korkplatten – und das war die Idee deines Mannes – weniger kentergefährdet als unsere anderen Jollen. Mir ist aufgefallen, daß sie aufrechter segelt als Thorfins Jolle. Auch das dürfte mit den Korkplatten zusammenhängen.“ Er zupfte an seiner Nase und fügte nachdenklich hinzu: „Könnte sein, daß sie wegen der aufrechteren Lage schneller als die andere Jolle ist. Ein Schiff, das sich zur Leeseite neigt, bietet dem Wind weniger
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Segelfläche als ein aufrechtes Schiff. Folglich muß das krängende Schiff langsamer sein.“ „Klingt einleuchtend“, sagte Gotlinde. Die „Little Isabella“ zischte heran, einen weißen Schnauzbart am Bug. Fock und Großsegel standen prächtig. Achtern brodelte das Kielwasser und fächerte auseinander. „Hesekiel!“ brüllte Jean Ribault. „Die feinste Jolle, die ich je segelte! Die drei Rumfässer gehören dir und deinen Werftmannen!“ Der Junge schrie: „Ju-huu!“ Und schon waren sie vorbei, fierten die Schoten und gingen auf den Vorwind-Kurs nach Südwesten. Als die „Little Isabella“ genau vor dem Wind lag, holte Dave die Fock auf die Steuerbordseite, während das Großsegel auf der Backbordseite blieb. Zwei Flügel waren es jetzt, welche die Jolle südwestwärts trugen – schneller noch als beim Amwind-Kurs. Gotlinde wechselte den Blick und schaute zu ihrem Poltermann. Der hatte gerade gewendet und segelte jetzt über Backbordbug auf die „Empress of Sea II.“ zu. Sie spähte schärfer hin und stellte fest, daß diese Jolle tatsächlich sehr viel weniger aufrecht segelte als zuvor die „Little Isabella“. Dabei hatte sich Thorfin Njal bereits auf das Luvdollbord gesetzt, und der Riese brachte ja einiges an Gewicht auf die Kante und konnte somit der Krängung nach Lee entgegenwirken. Auch Dave und Jean Ribault hatten auf demselben Kurs auf ihren Duchten an Steuerbord gesessen, nicht auf dem Dollbord! Was für ein Unterschied! Fast war sie jetzt soweit, ihren Nordmann zu bemitleiden. Ganz nüchtern betrachtet: er hatte überhaupt keine Chance gehabt, nicht mal den Hauch einer Chance. „Du verdammt sturer Kerl“, murmelte sie vor sich hin. „Wie?“ fragte Hesekiel Ramsgate erstaunt und betroffen. „Meinst du mich?“ „Nicht doch, Hesekiel Ramsgate“, erwiderte Gotlinde lachend. „Ich meinte Thorfin. Wenn der mit seinem verrückten
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Helm durch die Wand will, hält ihn nichts und niemand.“ „Es ist gut, daß es solche Männer gibt“, entgegnete Hesekiel Ramsgate sehr entschieden. „Sie sind mir lieber als jene Kerle, die ihr Fähnchen ständig nach dem Wind hängen und danach Ausschau halten, auf welcher Seite die stärkeren Bataillone stehen.“ „So kann man das natürlich auch sehen“, sagte Gotlinde und seufzte. „Nur bist du mit Thorfin Njal nicht verheiratet.“ „Zum Glück!“ Der alte Ramsgate grinste. „Wir würden wahrscheinlich jeden Tag Krach haben.“ „Siehst du“, sagte Gotlinde. „Und wenn Thorfin an der ,Empress` vorbeisegelt, wirst du bemerken, was er für eine stinkige Laune hat. Da genügt nur ein Wort, und er schmeißt dir seinen verdammten Helm an den Kopf!“ Sie irrte sich, die große und schöne Gotlinde mit der stolzen Kopfhaltung. Als der Wikinger vorbeisegelte, brüllte er grinsend: „Gotlinde, trautes Weib! Sieh zu, daß die Hühner geschlachtet werden! Und gräm dich nicht! Denk daran, was der kleine Dave gesagt hat: Man muß auch mal verlieren können! Hesekiel! Du hast das beste Boot gebaut, das je vom Stapel gelaufen ist! Herzlichen Glückwunsch, du alter Holzwurm!“ Und damit ging auch der Wikinger auf den Vorwind-Kurs südwestwärts, ohne noch einen Gegner vor sich zu haben. Denn die „Little Isabella“ hatte die Ziellinie bereits durchsegelt, wieder angeluvt und steuerte in die Cherokee-Bucht. „Treibanker einholen!“ befahl Martin Correa. Das besorgten die vier Mannen des Wikinger – Eike, Arne, Olig und der Stör, die sich mit an Bord der „Empress“ befanden. „Wie war das doch?“ wandte sich Hesekiel an Gotlinde. „Sagtest du nicht, er hätte eine stinkige Laune?“ „Die Welt ist wirklich voller Überraschungen“, murmelte Gotlinde ein klein wenig erschüttert, wurde aber dann energisch und setzte hinzu: „Aber so ist
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das mit dem Kerl! Wenn du denkst, daß er dir was an den Kopf wirft, dann säuselt er dir was vor und flötet in den lieblichsten Tönen, daß du meinst, von Engeln umschwebt zu werden.“ Hesekiel Ramsgate schaute verdattert drein. Er konnte sich den behelmten und mit Fellen bekleideten Riesen Thorfin Njal nun wirklich nicht als schwebenden und liebliche Töne flötenden Engel vorstellen. Da versagte seine Phantasie. „Glaubt du mir nicht?“ forschte Gotlinde streng. „Doch, doch“, versicherte Hesekiel Ramsgate hastig und räusperte sich mehrmals. „Na also“, äußerte Gotlinde, drehte sich zu Martin Correa um, der an der Pinne stand, und sagte: „Wir müssen uns beeilen, Martin! Du hast gehört –ich muß mich um die Hühner kümmern!“ „Geht klar, Ma'am“, erwiderte Martin Correa lächelnd. „Aber du weißt: „Vorfreude ist die beste Freude. Und hinterher schmeckt es umso besser. Das gilt auch für unsere Kinder.“ „... unsere Kinder“, murmelte der Stör gegen jede Regel, weil er sonst nur die Worte seines Kapitäns wiederholte. Aber er war an diesem Tag wirklich arg durcheinander. Eike puffte ihm die Faust in die Rippen zischte: „Reiß dich zusammen, du Clown! Und wenn du Gotlinde weiter so dämlich anglotzt, schmiere ich dir eine, daß dir das Glotzen vergeht. Kapiert?“ „Jawohl, Sir“, sagte der Stör und zeigte damit an, wie sehr seine Gemütslage aus den Fugen geraten war. Seinen Kampfgenossen Eike mit „Sir“ anzureden, war der Beweis für seine derzeitige Verfassung. Allerdings hatte Gotlinde scharfe Ohren und alles mitgehört. „Laß den Stör zufrieden, Eike!“ sagte sie streng. „Sonst kriegst du es mit mir zu tun, verstanden? Ich habe nichts dagegen, wenn mich ein Mann anschaut. Denn auch wir Frauen betrachten euch Männer und versuchen, eure Verhaltensweisen zu beurteilen. Manche von euch würden sich
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wundern, wie unser Urteil ausfällt. Der Stör schneidet dabei ausgezeichnet ab, mein Freund!“ Der Stör fiel fast in Ohnmacht, als er das hörte. Jedenfalls segelte er auf Wolken davon. Zur Zeit war es Eike, der die Welt nicht mehr verstand. Die Mannen an Bord der „Empress“ grinsten still in sich hinein, als wüßten sie sehr genau, daß sie von fraulicher Seite betrachtet, gar nicht so schlecht abschnitten. Oder bildeten sie sich das nur ein? 5. Die Fachsimpelei nahm an diesem Tag kein Ende und wurde bis nahezu Mitternacht in der „Rutsche“ Old Donegals fortgeführt. Aber da lagen Dave und seine Crew längst in der Falle, satt und zufrieden und überglücklich. Denn „ihr Schiff“, die „Little Isabella“, hatte ihre Jungfernfahrt mit Glanz und Gloria bestanden. Der kleine Dave träumte in dieser Nacht bereits von tollkühnen Entdeckerfahrten und wilden Abenteuern. Für Hesekiel Ramsgate war es ein stolzer Tag gewesen - so ähnlich wie jene Tage, als die „Isabella IX.“ oder die beiden „Empress“-Karavellen von Stapel gelaufen waren. Kein Wunder also, daß Hesekiel und seine Mannen von der Werft mit den anderen in der „Rutsche“ feierten und ihre Kehlen mit jenem Rum befeuchteten, den der Wikinger hatte herausrücken müssen. Es blieb nicht aus, daß den Kerlen von dem Rumgeist wieder mal einiges in den Kopf stieg, was eine zweite Wette zur Folge hatte. Später wußte keiner mehr, wer sie eigentlich vorgeschlagen hatte. Jedenfalls bildeten sich zwei Parteien - und es ging wieder einmal um die „Little Isabella“. Die eine Partei behauptete, die Jolle wäre zum Kentern zu bringen, wenn sich fünf Mann an Backbord oder Steuerbord auf die Kante stellten. Die Vertreter dieser Partei waren die Schrats von der „Le Griffon II.“ mit ihrem Kapitän Edmond Bayeux.
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Die andere Partei wurde von Jean Ribault und seiner Crew gebildet. Sie hielten dagegen, daß mindestens acht Männer erforderlich seien, um die „Little Isabella“ umzukippen. Und der Preis für die Gewinner-Partei? Na, was wohl? Sie wollten den Einsatz um das Doppelte des Vormittags erhöhen, nämlich auf sechs Rumfässer, was jedoch daran scheiterte, daß die Rote Korsarin energisch dazwischenging und resolut erklärte, sie sollten mal die Kirche im Dorf lassen. Schließlich würden die Kerle dann ein paar Tage lang sinnlos betrunken sein, und da spiele sie nicht mehr mit. So einigte man sich „bescheiden“ auf ein Faß Rum, das der Verlierer der Wette zu berappen hätte. Der Wikinger übte bei dieser Wetterei vornehme Zurückhaltung. Es reichte ihm, an diesem Tag eine Wette und damit drei Fässer Rum verloren zu haben. Zwar stichelte Jean Ribault, aber das focht den Nordmann nicht an. Auch Hesekiel Ramsgate ergriff keine Partei, denn der Auftrieb der Korkplatten war für ihn eine unberechenbare Größe, mit der er sich nie befaßt hatte. Daher war er umso gespannter auf das Ergebnis des Versuchs. Roger Lutz und Mel Ferrow aus Jean Ribaults Crew holten die Jolle vom Werftsteg und pullten sie über die Bucht zur „Rutsche“, die als Pfahlbau errichtet war und auf der Südseite. der Bucht lag. Die Kerle drängelten sich bereits auf der Außenterrasse, die um das mächtige Blockhaus herumführte. Zum Glück war sie mit einem Schanzkleid als Geländer versehen, sonst hätten sich gleich einige erfrischen können. Roger Lutz und Mel Ferrow legten an der Wasserleiter der Außenterrasse an, wo auch üblicherweise die Boote der in der Bucht ankernden Schiffe vertäut wurden. Sie stiegen angeheitert nach oben und überließen fünf Schrats der „Le-Griffon“Crew die weitere Beweisführung. Von diesen fünf Kerlen maß keiner unter sechs Fuß. Entsprechend waren sie mit Kreuzen ausgestattet, deren Breite ausreichte, daß sich zwei Leute mit
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normaler Statur dahinter verstecken konnten. Sie enterten die „Little Isabella“ ab, lösten die Vorleine und paddelten stehend ein Stück von der „Rutsche“ weg. Das ging unter viel Gequassel und Gelächter vonstatten. Alsdann stieg einer nach dem anderen auf das Dollbord der Backbordseite, wobei der erste noch das Glück hatte – es war das „Stöpselchen“ mit sieben Fuß Körperlänge –, daß er sich am Mast festhalten konnte. Dafür hielt sich der zweite, nämlich das „Füchslein“, das sechsdreiviertel Fuß Länge maß, beim „Stöpselchen“ fest – und so setzte sich das fort, bis auch der letzte wackelnd auf der Kante herumbalancierte und sich vor Lachen kaum noch einkriegte. Die Reihe der fünf Riesen schwankte hin und her, die „Little Isabella“ krängte zwar, aber sie schlug nicht um. Dafür ergab sich jedoch etwas anderes - sie lief voll Wasser, das über das schiefe Dollbord in die Pflicht schoß. Sie sackte weg, blieb aber auf ebenem Kiel, und die fünf Schrats standen plötzlich bis zur Brust im Wasser, als die Jolle auf dem Sandgrund aufsetzte. Blasen blubberten hoch. Dann brandete Gelächter über das Wasser. Als die Schrats „von Bord“ gingen, schwamm die „Little Isabella“ wieder auf, nicht ganz zwar, aber immerhin so, daß Dollbord und Deck wieder zu sehen waren. „Gekentert habt ihr sie nicht!“ schrie Jean Ribault lachend. „Nee“, brummelte das „Stöpselchen“ und zog die „Little Isabella“ hinter sich her zum Strand, um sie auszuösen. „Nur unter Wasser getreten - sozusagen.“ Über den langen Steg, der von der „Rutsche“ zum Land führte, polterten die Kerle, um dem Bootsmann der „Le Griffon II.“, dem „Stöpselchen“, behilflich zu sein und weiter zu fachsimpeln. Bevor sie sich in die Haare gerieten, ob jetzt noch acht Kerle in die Jolle steigen sollten, um sie zu kentern, sagte Hesekiel Ramsgate: „Die Wette bleibt unentschieden. Wenn jetzt acht Männer einsteigen, passiert das gleiche: die Jolle läuft voll und sackt weg. Ab einem
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bestimmten Krängungswinkel ist das nicht zu vermeiden. Aber dagegen werde ich etwas tun. Um den Freibord zu erhöhen und die Nicht gegen überkommendes Wasser zu schützen, werde ich eine Innenumrandung an das Dollbord setzen, nämlich das sogenannte Waschbord, eine Art Süll, wie wir es auch bei Luken und Niedergängen haben.“ „Gute Idee, mein Alter“, sagte Jean Ribault. „Insofern hat unsere Wette doch etwas gebracht, nämlich mehr Sicherheit für unsere Jüngsten, und darauf sollten wir noch einen kleinen Schluck trinken. Oder seid ihr schon alle abgefüllt?“ Dem war nicht so. Um sich das Ausösen zu sparen, stemmten die Schrats mit ihren urigen Kräften die „Little Isabella“ einfach hoch, drehten sie um - den Mast hatten sie herausgenommen - und ließen das Wasser ab- laufen. Klar, daß sie die Jolle wieder reinigten und zum Werftsteg zurückbrachten. Anschließend wurde in der „Rutsche“ weitergefeiert - wie gesagt bis kurz vor Mitternacht, und man hätte meinen können, an diesem Tag sei ein riesiges Schiff getauft worden und von Stapel gelaufen. Dabei war es nur eine kleine Jolle, aber die hatte es eben in sich. Und da waren nicht wenige unter den harten Kerlen, die an jene Zeit dachten, als sie so alt gewesen waren wie Dave und seine Mannschaft. Nein, mit Mißgunst hatte das nichts zu tun. Im Gegenteil, sie freuten sich darüber, daß sie wenigstens diesen Kindern etwas bieten konnten, was ihre Altersgenossen in England oder Frankreich oder den anderen Küstenländern der Alten Welt nicht hatten. Ja, auch das war ein Teil ihrer Freiheit, die sie sich hier geschaffen hatten niemandem untertan, frei von Zwängen, frei von despotischen Herrschern, von Polizeibütteln, von Ketzergerichten und Inquisition, von Repressalien und Willkür. Freilich waren sie nie sicher. Und einem Zwang waren sie doch unterworfen: sie mußten wachsam sein. Aber das war für sie eine Selbstverständlichkeit, die sie nicht als Last empfanden. Stets befand sich
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eines ihrer Schiffe auf Patrouillenfahrt im Seegebiet um Great Abaco, eine Maßnahme, die nicht nur ihrem Schutz diente, sondern auch die Kenntnisse über ihr „Revier“ ständig verbesserte. Zur Zeit war die Karavelle „Golden Hen“ mit dem Hugenotten Gustave Le Testu und einer zehnköpfigen Crew unterwegs. Diese Patrouillenfahrten hatten Philip Hasard Killigrew eingeführt –mit der gleichzeitigen Auflage, alles navigatorisch Wissenswerte über die Inseln, Riffe und Gewässer der Bahamas aufzuzeichnen und auf eigenen Karten einzutragen. Da waren besonders geschützte Buchten ebenso vermerkt wie die ausgeloteten Wassertiefen oder die Strömungsverhältnisse vor allem im Bereich der nördlichen Florida-Straße. Bevor die Mannen auseinandergingen, hatten sie sich darauf geeinigt, daß Jean Ribault die seemännische Ausbildung der Jüngsten-Crew übernehmen sollte. SiriTong hatte das vorgeschlagen, denn ihr war nicht entgangen, wie geschickt der Franzose seinen kleinen „Fockaffen“ Dave angeleitet hatte. Der Wikinger brummelte zwar herum, daß er sich auch um die „Erziehung“ des Nachwuchses kümmern müsse, zu mal er der Vater von Thyra und Thurgil war, aber das hatte die Rote Korsarin diplomatisch abgefangen. Der Nordmann bevorzugte nämlich, was seine sogenannte „Erziehung“ betraf, die rauhe Methode, und die lehnte Siri-Tong ab. Sie hielt absolut nichts davon, Kindern mit Kopfnüssen und Maulschellen etwas einbläuen zu wollen. * Am nächsten Morgen schoß Dave aus dem kleinen Blockhaus, das er mit seiner Mutter Gunnhild bewohnte. Noch vor dem Frühstück wollte er nach der „Little Isabella“ sehen, die durch seine nächtlichen Träume gegeistert war. Ihn traf fast der Schlag, und er blieb wie angenagelt stehen, die Augen weit aufgerissen.
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Die „Little Isabella“ lag nicht mehr am Werftsteg. Sie war verschwunden. Hatte sie jemand geklaut? „Diebe! Räuber!“ brüllte er und stürmte los – erst mal zum Steg, wo sie gelegen hatte. Vielleicht fand er dort irgendeinen Hinweis. Das Tor zur Werft flog knarrend auf, und Hesekiel Ramsgate eilte nach draußen. „Jemand hat die Jolle geklaut!“ brüllte Dave und raste an dem Schiffsbaumeister vorbei. „Ja – ich!“ rief ihm Hesekiel hinterher und hatte Mühe, ernst zu bleiben. Der Junge stoppte und wirbelte herum. „Aber – aber warum denn?“ fragte er keuchend. „Dürfen wir sie nicht behalten?“ Jetzt schwang schon Angst in Daves Stimme mit. „So ein Unsinn“, sagte Hesekiel Ramsgate energisch. „Ich habe mir erlaubt, eure Jolle noch mal in die Werft zu holen, um ihr ein Waschbord zu verpassen.“ „Waschbord?“ „Ja, Waschbord“, erwiderte Hesekiel Ramsgate. „Komm mit, ich zeig's dir. Wir sind gerade dabei, es anzubringen.“ Fast hörte man den Stein poltern, der Dave von seinem Herz fiel. „Und ich dachte wirklich schon, die ,Little Isabella' habe irgend so'n Schurke geklaut“, sagte er erleichtert. „Bei uns gibt's keine Schurken“, erklärte Hesekiel Ramsgate kopfschüttelnd. „Und fremde Schurken haben keinen Zutritt. Sie müßten an unseren Schiffen vorbei, und auf denen wird Ankerwache gegangen, wie du weißt.“ „Ach so“, murmelte Dave, „das hatte ich ganz vergessen.“ Er folgte Hesekiel in die Werft, wo vier Männer an der aufgebockten Jolle arbeiteten und das Waschbord anpaßten. Hesekiel erklärte ihm den Zweck dieses Sülls und erzählte, daß sie in der Nacht Kenterversuche unternommen hätten. Aber die „Little Isabella“ sei nicht umgeschlagen, sondern aufgrund der künstlich herbeigeführten Krängung vollgelaufen,
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Nachdenklich sagte Hesekiel Ramsgate: „Die ,Little Isabella' tatsächlich umzuschmeißen, dazu muß es wirklich pusten. Aber ich schätze, daß sie eher zuviel Wasser übernimmt. Für den Zweck solltet ihr außer der Öskelle auch noch eine Pütz an Bord haben.“ William Sharp, der Vormann, hob die Hand und rief: „Schon besorgt, Mister Ramsgate! Liegt im Schapp unter der achteren Ducht!“ „Danke, Will“, sagte Hesekiel Ramsgate. „Du kannst wohl Gedanken lesen, wie?“ „Hab mir so was gedacht. Die Jolle ist in einer halben Stunde fertig. Dann können wir sie wieder zu Wasser lassen.“ William Sharp zwinkerte Dave zu. „Ihr seid sicher schon scharf drauf, eh?“ „Und wie!“ Dave strahlte. Die Welt . war wieder in Ordnung – fast. Mutter Gunnhild erschien in der Werft und stemmte die Fäuste in die Hüften. Ihre Augen funkelten. „Was sind denn das für Manieren, Mister Smoky!“ ranzte sie ihren Sohn an. Wenn sie energisch wurde, nannte sie ihn immer „Mister Smoky“. Dann wußte Dave, was die Glocke geschlagen hatte. „Ist das jetzt üblich, morgens gleich aus dem Bett und zum Steg zu sausen, statt sich zu waschen, anzuziehen und den Tisch zum Frühstück zu decken?“ Dave blickte an sich hinunter. Er hatte noch das Nachthemd an. „Ich – ich dachte, unsere ,Little Isabella' sei geklaut . ..“ „Gestohlen!“ fauchte Gunnhild. „Gewöhn dir bloß eine bessere Sprache an, Mister Smoky, sonst hat's gescheppert. Marsch, ins Haus, Freundchen! Und glaube ja 'nicht, daß ich dir deine Pflichten abnehme.“ Dave trottete aus der Werft, den Kopf gesenkt. Hesekiel Ramsgate hatte so ein gewisses Zucken um die Mundwinkel. Als Gunnhild es bemerkte, mußte sie selber lächeln. „Kleine Standpauke, Hesekiel!“ sagte sie. „Damit die Bäume nicht in den Himmel schießen.“ Hesekiel Ramsgate schmunzelte. „Schon klar. Aber du hättest ihn mal sehen sollen.
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Er hätte fast geheult, als die Jolle verschwunden war. Das beweist, daß er sich um sie kümmern wird.“ „Abwarten“, entgegnete Gunnhild. Da platzte Edwin Shane O'Flynn, genannt Eddy, in die Werft, sehr aufgeregt, aber immerhin nicht im Nachthemd und auch schon gewaschen, wie sein blitzblankes Gesicht verriet. „Die ,Little Isa` ist weg!“ schrie er. „So?“ sagte Hesekiel Ramsgate gemütlich. „Ich dachte, dort steht sie.“ Er drehte sich um und zeigte zu der Jolle, die auf zwei niedrigen Böcken stand, seitlich von dreieckigen Klötzern abgestützt. „Oohhh!“ stieß Eddy hervor. „Ist sie kaputt?“ „Wir bauen noch Waschborde ein, Eddy“, sagte Hesekiel Ramsgate und erklärte zum zweiten Male, welchen Zweck sie erfüllen sollten. „Verstehe, Mister Ramsgate, Sir“, sagte Eddy gewichtig, als sei er Reeder und begutachte den Bau eines Kauffahrers. „Hast du schon gefrühstückt, Eddy?“ fragte Gunnhild. „Noch nicht, Ma'am, aber Mom hat mir erlaubt, mal eben nach der ,Little Isa` zu schauen. Ist der Admiral schon auf ?“ „Admiral?“ Gunnhild runzelte die Stirn. „Dave.“ „Aha! Dave.“ Gunnhild wechselte einen Blick mit Hesekiel Ramsgate, dessen Mundwinkel schon wieder zuckten. „Kann man mal erfahren, wieso du von Dave als Admiral sprichst?“ „Wir nennen ihn so, Ma'am. Weil er unser Boß ist.“ „Dann nennt ihn doch Boß“, schlug Gunnhild vor. Eddy schüttelte energisch den Kopf und erklärte: „Boß ist unseemännisch, Ma'am. Admiral klingt viel besser und ist auch mehr. Denn Thurgil ist Kapitän. Und ich bin der Erste Offizier.“ „Und Thyra?“ erkundigte sich Gunnhild. „Thyra ist der Kutscher.“ „Du meine Güte“, murmelte Gunnhild erschüttert. „Wieso ist sie der Kutscher?“ „Sie ist unser Koch und unser Feldscher, ganz einfach. Wie der Kutscher bei den
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Arwenacks. Wenn wir verwundet werden, muß uns unser Kutscher ein Bein absägen oder so was: Thyra wartet schon auf den Kutscher, damit er ihr das alles erklärt.“ „Nennt ihr sie auch Kutscher?“ fragte Gunnhild. „Natürlich. Wenn wir an Bord der ,Little Isa` sind, wird jeder mit seinem Rang angeredet.“ „Kutscher ist aber kein Rang, Eddy.“ „Das nicht, Ma'am“, sagte Eddy geduldig, obwohl er meinte, daß Missis Gunnhild ein bißchen viel fragte. „Aber er ist ein bedeutender Mann, nicht wahr? Ohne den Kutscher läuft bei den Arwenacks überhaupt nichts. Sie müßten Hunger leiden, und keiner würde ihnen was absägen.“ Gunnhild schaute zu Hesekiel Ramsgate und bemerkte, daß der sich auf die Lippen biß und wegdrehte. Jetzt zuckten seine Schultern. „Ja, ja, verstehe“, sagte Gunnhild hastig, „natürlich müßt ihr auch einen Kutscher haben, sonst wäre die Crew nicht komplett. Also, Dave, ich meine der Admiral, hat noch nicht gefrühstückt. Ihr könnt euch ja nachher hier treffen und Mister Ramsgate helfen, die Jolle wieder zu Wasser zu bringen. Wie ich hörte, wird Mister Ribault heute miteurer seemännischen Ausbildung anfangen.“ „Au fein! Danke, Ma'am!“ Eddy salutierte und flitzte aus der Werft. „Ideen haben diese Burschen“, murmelte Gunnhild. „Möchte mal wissen, wer von ihnen das ausgeheckt hat.“ „Ich schätze“, sagte Hesekiel Ramsgate, „daß dein Sohn dabei keine unwichtige Rolle gespielt hat. Von allen vieren hat er die meiste Phantasie.“ „Das gefällt mir gar nicht“, erklärte Gunnhild etwas aufgebracht. „Man kann sich nicht Admiral nennen lassen, wenn man's gar nicht ist. Ich finde das überheblich. Wenn mich etwas wütend werden läßt, dann ist das Großkotzigkeit.“ „Mein Gott, Gunnhild“, sagte der alte Ramsgate, „das sind doch Kinder, die etwas spielen, was sie aus der Welt der Erwachsenen übernehmen. Dave ist nun
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mal ihr Anführer, und ich finde das gut so. Er ist der Älteste, und die Führerrolle steht ihm zu, ganz davon abgesehen, daß er sie keineswegs beansprucht. Von Großkotzigkeit kann überhaupt nicht die Rede sein. Ich habe ihn beim Bau der Jolle beobachten können und in keiner Weise bemerkt, daß er sich den anderen gegenüber aufspielt oder sie herumkommandiert. Sie haben sich sozusagen Kriegsnamen gegeben, und das solltest du respektieren.“ „Danke, Hesekiel“, sagte Gunnhild, lächelte ihn an und fügte dann hinzu: „Dann will ich mich mal darum kümmern, daß der Admiral nicht verhungert.“ 6. Um kurz nach neun Uhr an diesem Morgen saßen der Admiral und seine Crew auf den Duchten ihrer Jolle und Jean Ribault auf der Achterducht. Die „Little Isabella“ lag wieder am Werftsteg, versehen mit einem umlaufenden Waschbord, das vor dem Mast als Wellenbrecher in einem spitzen Dreieck zusammenstieß. „So, Leute“, sagte Jean Ribault, „dann wollen wir mal. Aber bevor wir in See gehen, muß ich euch ein bißchen mit Fragen zwiebeln, um zu erfahren, was ihr alles schon wißt. Denn Begriffe wie Backbord und Steuerbord, geklinkerte Planken, Pinne und derlei habt ihr ja bereits beim Bau der ,Little Isa` gelernt.“ „Haben wir“, bestätigte Dave. „Gut“, sagte Jean Ribault, „das erleichtert mir vieles. Erste Frage: Was muß man wissen, bevor man überhaupt die Segel setzt, ob auf einem Boot oder einer Galeone, spielt keine Rolle. Na? Schon mal darüber nachgedacht?“ Sie schauten sich an, und Thurgil sagte: „Ob alle an Bord sind, Sir.“ Jean Ribault lächelte. „Ich hab mich schon mit Dave geeinigt, Thurgil. Den ‚Sie lassen wir sausen. Ich heiße Jean. Zurück zu meiner Frage. Es ist richtig, daß man wissen muß, ob alle an Bord sind, bevor man die Segel setzt. Aber bei einem Boot übersieht man das mit einem Blick. Bei der
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Crew einer Galeone muß man das natürlich feststellen, sonst bleibt womöglich einer an Land zurück. Aber das hatte ich mit meiner Frage nicht gemeint.“ „Ob genug Trinkwasser und Proviant an Bord sind!“ platzte Thyra heraus. „Oh! Das ist auch wichtig, sehr wichtig sogar“, sagte Jean Ribault. „Aber der Schwerpunkt meiner rage liegt auf dem Segelsetzen. Fällt auch dazu was ein?“ Sie dachten nach, sehr ernsthaft und die Stirnen in Falten gelegt. „Mann, Mann“, murmelte Eddy O'Flynn. „Was kann das wohl sein?“ „Ich hab's!“ stieß Dave hervor. „Na? Laß hören!“ „Man muß prüfen, aus welcher Richtung der Wind weht, Jean.“ „Hm-hm. Warum muß man das prüfen, Dave?“ „Weil davon das Ablegemanöver abhängt“, erwiderte der Admiral. „Zum Beispiel in einem Hafen. Oder hier in unserer Bucht.“ „Genau richtig. Und wenn wir auf der ,Little Isa` hier am Steg die Segel setzen, dann muß sie im Wind liegen. Was ist damit gemeint, Eddy?“ „Im Wind liegen heißt, daß ihr Bug gegen den Wind gerichtet ist“, sagte Eddy eifrig, „so wie unsere Schiffe in der Bucht. Die liegen vor Anker immer im Wind.“ „Fabelhaft! Thurgil, wo ist bei unseren ankernden Schiffen Luv und wo Lee?“ „Luv vorn am Bug und Lee achtern am Heck“, antwortete Thurgil wie aus der Pistole geschossen. „Luv ist die dem Wind zugekehrte Seite und Lee die dem Wind abgekehrte Seite.“ „Leute, ihr wißt schon mehr, als ich ahnte“, sagte Jean Ribault fast etwas erstaunt, obwohl er bereits bei Dave festgestellt hatte, wie gut es bei dem Jungen um die seemännischen Kenntnisse bestellt war. „Thyra, noch eine Frage: Aus welcher Himmelsrichtung weht zur Zeit der Wind?“ „Aus Nordosten.“ „Sehr gut.“ Jean Ribault strahlte. „Ich habe den Eindruck, hier sitzen eine künftige Admiralin und drei Admirale vor mir.“ „Admiralin gibt's nicht“, meinte Thurgil.
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„Da bin ich mir gar nicht so sicher“, entgegnete Jean Ribault, „zumal ich eine Lady kenne, die ohne weiteres Admiralin sein könnte. Wer wohl?“ Thurgil klatschte sich an den Kopf und rief: „Natürlich! Unsere Rote Korsarin, nicht wahr?“ „Genau die“, sagte Jean Ribault. „So, Freunde, dann habe ich nichts dagegen, wenn ihr mir mal zeigt, wie ihr die Segel setzt. Mister Ramsgate berichtete mir, daß ihr das bereits in der Werft geübt hättet. Mit welcher Strippe wird die Fock gesetzt und mit welcher das Großsegel?“ „Fockfall und Großfall!“ krähte Eddy. „Das Großfall wird auf der Backbordseite vom Mast gefahren, das Fockfall auf der Steuerbordseite. Die Fallen laufen über Scheiben im Masttopp und werden unten am Mast auf den entsprechenden Klampen belegt. Die Fallen müssen gut durchgesetzt werden, sonst hängen die Segel durch ...“ „Langsam, langsam“, unterbrach Jean Ribault ächzend. Der Bursche war kaum zu bremsen. „Hat uns alles Mister Ramsgate beigebracht“, sagte Dave stolz, während Thyra und Thurgil bereits die Fock setzten und Eddy den Kopf des Großsegels, wo sich ein Legel, also ein Auge aus Tauwerk befand, an das Großfall anschlug. Jean Ribault blieb stumm und beobachtete. Was sollte er sagen? Der gute Hesekiel Ramsgate hatte ihm einen sehr großen Teil seines Unterrichtsstoffes bereits abgenommen, und die Jüngsten-Crew des Bundes der Korsaren schien das Einmaleins der Seemannschaft wie ein Schwamm aufgesogen zu haben. Zum ersten Male in seinem ErwachsenenDasein ertappte sich Jean Ribault in seinen diesbezüglichen Überlegungen dabei, daß er diese vier Kinder ganz gewaltig unterschätzt hatte – zumindest war ihm nie so richtig klar geworden, wie schnell Kinder lernen konnten. Sie hatten spielend gelernt. Der Bau der Jolle mußte ein Spiel für sie gewesen sein. Und wahrscheinlich war Hesekiel Ramsgate ein guter Lehrer, keiner, der den Rohrstock benutzte und
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vergessen hatte, daß er selbst einmal ein Kind gewesen war. Eddy heißte das Großsegel langsam vor, während Dave jetzt die Reihleine um den Mast führte, mit der das Vorliek oder Mastliek des Großsegels am Mast fixiert oder gehalten wurde. Offenbar waren Eddy und Dave für das Großsegel zuständig und Thyra und Thurgil für die Fock. Nein, doch nicht, denn als das Großsegel vorgeheißt war, griff Thurgil wie selbstverständlich nach dem Sprietbaum, steckte dessen oberes Ende in das Auge an der Piek des Segels, schob die Spiere in die Höhe und führte ihren Fuß in einen Stropp ein, der sich unten am Mast befand. Die von der Piek zum Hals des Großsegels diagonal verlaufende Spiere spreizte das Tuch aus. Thyra indessen war schon damit beschäftigt, die Fockschot am Schothorn des Vorsegels anzuschlagen und dann die Backbord- und Steuerbordpart durch die entsprechenden Leitösen zu führen. Beide erhielten an ihrem Ende einen Achtknoten, damit sie nicht ausrauschen konnten. Dave schlug die Großschot am Schothorn des Großsegels an und hängte achtern das Ruder ein. „Klar zum Ablegen, Jean!“ meldete er. „Ausgezeichnet, Leute“, sagte Jean Ribault anerkennend. „Seid ihr so eingespielt, daß jeder auch den Part des anderen übernehmen könnte?“ „Das haben wir geübt“, erwiderte Dave. „Mister Ramsgate hat das so gewünscht und uns unsere Rollen vertauschen lassen. Dann hat er sogar die Fenster verhängt, so daß wir bei Dunkelheit die Segel setzen und wieder bergen mußten. Ihr müßt das alles auch blind können, hat er gesagt.“ Jean Ribault pfiff durch die Zähne. „Alle Achtung. Da hat euch unser Schiffsbaumeister mehr beigebracht, als ich erwartet habe.“ Er grinste. „Hat er euch auch gesagt, wie man rückwärts segelt?“ Sie schauten ihn verblüfft an, und Dave sagte: „Rückwärts? Das geht doch gar nicht. Jetzt verkohlst du uns aber, Jean.“ Jean Ribault schüttelte den Kopf. „Ganz bestimmt nicht, Dave. Das wäre von mir
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auch nicht fair euch gegenüber. Tatsächlich gibt es eine –wenn auch beschränkte – Möglichkeit, über den Achtersteven zu segeln. Stellt euch vor, wir lägen hier in einem engen Schlauch und hätten keinen Raum nach beiden Seiten, um das Boot oder das Schiff zu drehen. Vor uns ist Land wie auch hier. Die freie See liegt hinter uns, die wir erreichen wollen. Unsere Jolle könnten wir natürlich rückwärts aus dem Schlauch staken oder paddeln. Bei einem großen Schiff, etwa einer Galeone, wäre das schon schwieriger. Aber, wie gesagt, da gibt es einen Weg – allerdings nur, wenn der Wind aus dem Sektor vor uns in den Schlauch weht. Wir setzen das vordere Rahsegel – ich spreche jetzt von einer Galeone –, und der Wind beginnt uns über den Achtersteven aus dem Schlauch zu treiben – wir segeln rückwärts. Jetzt müssen wir aber noch steuern, und auch das funktioniert, weil unser Ruderblatt vom Wasser angeströmt wird. Wenn wir es bei Rückwärtsfahrt etwas nach Backbord legen, drückt das Wasser gegen das Blatt und schiebt unser Heck nach Backbord, und Ruderlage nach Steuerbord bewirkt ein Drehen des Hecks nach Steuerbord. Bei unserer ,Little Isa` nehmen wir als Antriebsmittel die Fock und halten sie back, also gegen den Wind. Auf geht's, Leute, ich zeige euch das!“ * Die „Little Isabella“ lag im Wind aus Nordosten am Werftsteg, und zwar mit der Vorleine an einem pollerartigen Pfosten vertäut. Thurgil warf sie los, stieg vom Vorschiff zurück und hielt die Fock nach Steuerbord back. Jean Ribault hatte natürlich die Pinne übernommen – und segelte lächelnd rückwärts. Die Jolle glitt über den Achtersteven nach Südwesten. Die Jüngsten-Crew hatte große Kulleraugen. „Toll!“ sagte Dave begeistert. Als die Jolle etwa vierzig Yards vom Steg entfernt war, sagte Jean Ribault: „Jetzt haben wir die freie See erreicht und nach
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beiden Seiten viel Platz zum Drehen. Ich will auf den Backbordbug gehen, was bedeutet, daß ich die Pinne nach Backbord legen muß, so daß das Ruderblatt nach Steuerbord zeigt. Wenn der Bug nach Backbord schwenkt, muß Thurgil die Fock nach Backbord holen. Ihr werdet sehen, wie schnell die Jolle reagiert. Paßt genau auf!“ Nur etwas drückte Jean Ribault die Pinne nach Backbord. Sofort drehte das Heck nach Steuerbord, der Bug wanderte nach Backbord. „Fock über, Thurgil!“ rief Jean Ribault. „Und Schot durchholen, bis die Fock steht!“ „Aye, aye, Jean!“ Im Nu lag die Jolle auf Raumschotskurs und rauschte über Backbordbug südwärts durch die Bucht. Die Großschot führte Jean Ribault selbst. Sie lief durch einen Augbolzen mittschiffs in der Achterplicht. Man holte - oder fierte - sie also von unten und hatte die jeweils andere Hand für die Pinne frei. Diese Umlenkung der Zugrichtung erleichterte das Durchholen der Schot,. wie Jean Ribault schon beim Wettsegeln bemerkt hatte. „Habt ihr mitgekriegt, wie schnell die Jolle aus der Rückwärtsfahrt heraus beim Drehen nach Backbord auf Vorausfahrt umgesprungen ist?“ Sie nickten mit blitzenden Augen, und Eddy sagte: „Ruck-zuck ging das.“ „Wie segeln wir jetzt, Eddy?“ fragte Jean Ribault. „Raumschots über Backbordbug“ ,erwiderte der Jüngste der Crew sofort. „Und wenn du weiter abfällst, dann liegen wir platt vorm Laken und haben den Wind genau von achtern.“ „Perfekt, Eddy!“ lobte Jean Ribault. „Und jetzt eine Frage an Thyra. Wenn ich aus diesem Kurs abfalle und auf den anderen Bug gehe, den Steuerbordbug, was tue ich dann?“ „Dann fährst du eine Halse“, antwortete Thyra. „Das heißt, du drehst das Heck durch den Wind - im 'Gegensatz zur Wende, bei der man mit dem Bug durch den Wind geht.“
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„Hat euch Mister Ramsgate das Segeln etwa auch schon beigebracht, Leute?“ fragte Jean Ribault augenzwinkernd. „Vielleicht im Werftschuppen?“ „Er hat uns das genau aufgezeichnet“, sagte Thyra. „Und dann haben wir geübt.“ „Geübt?“ fragte Jean Ribault verdutzt. „Wie das denn?“ „Ganz einfach“, sagte Thyra eifrig. „Mister Ramsgate hat kleine Holzboote mit Mast und Segel gebaut - so klein“, sie hielt Daumen und Zeigefinger etwas auseinander, „und dann hat er eine Windrichtung bestimmt, und wir mußten jeder mit einem Boot zu einem ebenfalls bestimmten Ziel segeln, also aufkreuzen mit Wenden oder segeln mit halbem, mit raumern oder mit achterlichem Wind.“ Sie lächelte. „Wir haben den ganzen Werkschuppen kreuz und quer durchsegelt, auch bei Sturm. Da sind wir nur mit der Fock gesegelt. Ankermanöver haben wir auch gefahren - mit Aufschießer in den Wind, Anker fallen lassen und zurücksacken, bis der Anker greift.“ „Und Mann über Bord!“ fügte Thurgil hinzu. Die Kulleraugen hatte jetzt Jean Ribault – und den Mund offen. Ja, er war sprachlos. Dieses Schlitzohr von Hesekiel! Und nichts hatte er davon gesagt, dieser Segelschulmeister. Die lieben Kinder hatten auch geschwiegen. Jetzt grinsten sie und sahen aus wie Posaunenengel. Thyra kicherte. „Wir sollten dir nichts sagen – um dich zu überraschen!“ Jean Ribault spähte über die Schulter zurück. Natürlich! Er hatte richtig getippt. Da stand das alte Schlitzohr am offenen Werfttor und peilte durch ein Spektiv zu ihnen. Wenn er, Jean Ribault, sich nicht irrte, grinste der Kerl bis zu den Ohren. Um mit dem Wikinger zu reden: Da sollte doch gleich Thors Hammer dreinfahren! Und dann lachte Jean Ribault. Er lachte so, daß er fast die Pinne verriß. Und die Jüngsten-Crew lachte mit. Die „Little Isabella“ war zu diesem Zeitpunkt ein sehr fröhliches Schiffchen mit einer durch und durch heiteren Besatzung.
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„Leute!“ sagte Jean Ribault ächzend und prustend. „Diese Überraschung ist euch vollauf gelungen. Und ich wunderte mich schon, wie gut Dave Bescheid wußte, als wir gegen Mister Njal segelten. Da habt ihr mich aber geleimt–bis auf das Rückwärtssegeln!“ „Das muß Mister Hesekiel glatt vergessen haben“, sagte Dave. „Wenigstens etwas.“ Jean Ribault überlegte und fragte dann: „Hat er euch auch verraten, woran man das Herannahen einer Bö erkennt? Und wie man darauf reagiert?“ „Wie man darauf reagiert, ja“, erwiderte Dave. „Man muß anluven, kann aber auch die Segel fieren. Besser ist, anzuluven, um Höhe zu gewinnen. Wenn man die Segel fiert, verliert man Fahrt. Bei einer Jolle, hat Mister Ramsgate gesagt, kann man auch sein Gewicht auf die Luvkante bringen, um dem Krängen nach Lee entgegenzuwirken.“ „Stimmt mal wieder. Aber wie man die Bö erkennt, hat er auch vergessen, eh?“ Sie nickten. „Was für ein Glück für mich, daß ich euch auch noch etwas beibringen, darf“, äußerte Jean Ribault voller Heiterkeit. „Also, man erkennt es daran, daß der plötzlich stärkere Wind, der sich von Luv nähert, die Wasseroberfläche sozusagen zum Flirren oder Flattern bringt und sie dunkler färbt. Sie verändert sich also und sieht deutlich unruhiger aus als das andere Wasser. Die Bö ist in ihrer Breite ja begrenzt, wodurch sie eben ein anderes Bild auf dem Wasser hervorruft. Wenn man lange genug auf See ist, bekommt man dafür einen sicheren Blick. Na gut, ich schlage vor, daß wir jetzt halsen und zurückkreuzen. Der Ernst des Seglers beginnt: Wer geht als erster an die Pinne?“ „Der Admiral!“ trompetete Eddy. Jean Ribault runzelte die Stirn. „Na schön, der Admiral. Und wer ist der Admiral?“ „Dave!“ „Aha!“ Jean Ribault reagierte anders als Mutter Gunnhild – er spielte mit. „Da haben wir also einen richtigen Admiral an Bord.“ Er wandte sich an Dave. „Sir,
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würden Sie bitte die Pinne übernehmen? Schiff steht gerade vor der Halse, dann neuer Kurs über Steuerbordbug am Wind mit Ziel Werftsteg. Dort bitte einen Aufschießer und am Steg vertäuen. Alsdann übernimmt ein anderer die Pinne.“ „Geht klar“, sagte Dave mit Würde. Jean Ribault rückte zur Seite, und Dave packte Pinne und Schot. „Klar zur Halse, Leute“, sagte der Admiral, brachte die Jolle vor den Wind, indem er abfiel, und rief „Rund achtern!“, als das Heck durch den Wind drehte. Bei „Rund achtern!“ holte Thyra die Fock auf die Steuerbordseite und langsam dicht, während Dave, der das Großsegel gleichfalls auf die Steuerbordseite gebracht hatte, anluvte, bis die Jolle über Steuerbordbug am Wind lag und auf das gegenüberliegende Ufer der Bucht zulief, also auf die West- oder Innenseite der wie ein Haken gekrümmten Halbinsel zu, deren Ost- oder Außenseite dem Atlantik zugekehrt war. „Hat gut geklappt, Admiral“, lobte Jean Ribault. „Aber du bist jetzt etwas zu hoch am Wind – die Fock killt schon ein bißchen, und somit laufen wir nicht volle Fahrt.“ Dave nickte mit schmalen Lippen. Er fiel ein klein wenig ab, und schon stand die Fock wieder voll. Deutlich war ein Geschwindigkeitszuwachs zu spüren. „Beim Segeln am Wind“, dozierte Jean Ribault, „gilt es, Höhe zu gewinnen. Das darf aber nicht dazu verleiten, zu hoch an den Wind zu gehen, was nämlich Fahrtverlust bedeuten würde. Andererseits verschenkt man Höhe, wenn man zu voll fährt, also weniger hoch am Wind segelt. Es gilt, den goldenen Mittelweg zu finden. Dazu gehört, daß man ständig versuchen muß, die Windrichtung zu ertasten. Ja, es handelt sich um ein Tasten, und zwar mittels der Pinne, mit der man sich gewissermaßen an den Wind heranmogelt und dabei immer kontrolliert, ob die Segel noch gut ziehen, beziehungsweise voll stehen. Das, Leute, ist eine Sache der Übung. Aber immer muß die Windrichtung beobachtet werden. Der Wind kann
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schralen oder raumen. Wenn er schralt, fällt er vorlicher ein, und man muß abfallen. Raumt er dagegen, dann fällt er achterlicher ein, und man kann anluven und wieder Höhe gewinnen. Admiral, wir sollten jetzt wenden!“ 7. Die Jolle glitt rasch auf das gegenüberliegende Ufer zu. Durch das kristallklare Wasser war der Seegrund zu sehen – Sand, über den Schwärme bunter, kleiner Fische huschten, die davonstoben, sobald sie den Rumpfschatten der Jolle bemerkten. „Klar zur Wende, Leute!“ befahl Dave und stieß die Pinne hart nach Steuerbord. Die „Little Isabella“ reagierte augenblicklich, schwang nach Backbord und blieb mit killenden Segeln im Wind stehen. „Fock back halten!“ rief Jean Ribault sofort und verkniff sich ein Grinsen. Thurgil packte die Fock am Schothorn und hielt sie schräg nach Steuerbord voraus dem Wind entgegen. Langsam drehte der Bug nach Backbord. „Jetzt über die Fock!“ rief Jean Ribault. „Und gleich die Schot dicht holen!“ Das besorgte Thyra, bis die Fock voll stand. Die Jolle nahm wieder Fahrt auf. „Admiral, schlaf nicht!“ mahnte Jean Ribault. „Mit der Fock allein kreuzt es sich schlecht Du verlierst nämlich Höhe. Also dicht das Großsegel, wenn ich bitten darf!“ Hastig holte Dave die Schot durch, bis auch das Großsegel wieder gut stand und die Jolle über Backbordbug am Wind nach Norden lief. Der Werftsteg auf der nördlichen Seite der Bucht lag - von der Mittschiffsrichtung aus gesehen - etwa zwei Striche Steuerbord voraus, war also mit diesem Schlag nicht zu erreichen. Erst mit einem weiteren Schlag über Steuerbordbug und dann einem kurzen Schlag über Backbordbug würde Dave den Steg anliegen können. „Also, Leute“, sagte Jean Ribault lächelnd, „diese Wende ist, wie ihr selbst bemerkt habt, voll in die Hose gegangen. Der
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Fehler des Admirals war, daß er zu hart Ruder gelegt hat. Hartruderlagen - das ist bei allen Schiffen so - verursachen einen unheimlichen Fahrtverlust, bei einer Jolle noch mehr als zum Beispiel bei einer Galeone, die durch ihre Masse immer noch eine Menge Eigenschwung mitbringt. Aber eine Jolle kann man durch Hartruderlage beim Wenden sozusagen tot drehen, so daß sie im Wind stehenbleibt. Mit dem Backhalten der Fock haben wir sie gezwungen, den Bug nach Backbord zu schwenken, so daß der Wind wieder greifen konnte. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, sich bei gleichzeitiger Ruderlage nach Steuerbord zurücksacken zu lassen - ich erinnere an das Rückwärtssegeln! -, was ebenfalls den Bug nach Backbord gebracht hätte. Ich habe aber deshalb darauf verzichtet, weil wir dann wieder Höhe verloren hätten. Also noch mal: Ich warne vor Hartruderlagen, Leute, vor allem beim Jollensegeln. Dazu ist noch zu bemerken, daß eine Ruderwirkung nur dann zu erzielen ist, wenn sich ein Schiff in Fahrt befindet. Diese Fahrt muß bei der Wende gut ausgenutzt werden, um jene Augenblicke zu überbrücken, in denen das Schiff durch den Wind dreht und die Segel keine Vortriebskraft erzeugen. Das heißt, wir müssen mit viel Schwung durch die Wende gehen, und das gelingt uns nur, wenn wir das Ruder sanft bedienen. Der Bogen, den wir dann beschreiben, bringt uns sogar noch Höhe. Der Admiral hingegen wollte hart um die Ecke, und prompt blieb die ,Little Isa` stehen. Habt ihr das kapiert, Leute?“ „Aye, aye, Sir!“ schmetterten sie. Jean Ribault ließ den „Sir“ durchgehen - er drückte Respekt vor dem Lehrer aus. „Admiral, was meinst du, kannst du den Steg anliegen?“ fragte er. Dave schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube, wir brauchen noch einen Steuerbord- und dann einen Backbordschlag.“ „Das schätze ich auch“, meinte Jean Ribault. Er warf einen Blick zu den in der Bucht ankernden Schiffen des Bundes der
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Korsaren. Nein, sie würden keins „auf die Hörner“ nehmen. An den Schanzkleidern standen die Kerle und beobachteten die „Little Isabella“. Der Wikinger thronte auf seinem „Sesselchen“ auf dem Achterdeck von „Eiliger Drache über den Wassern“ und plierte durch ein Spektiv zu ihnen. „Fock etwas dichter, Kutscher!“ befahl Dave plötzlich. Tatsächlich, die Fock konnte dichter gefahren werden. Dave hatte aufgepaßt, und Thyra holte die Schot durch. Erst einen Augenblick später wurde Jean Ribault bewußt, daß Dave „Kutscher“ gesagt hatte. Wieso -Kutscher“? Oder hatte er sich verhört? „Sagtest du gerade ‚Kutscher', Admiral?“ erkundigte er sich. „Ja“, bestätigte Dave. „Thyra heißt Kutscher.“ Jean Ribault blickte nicht sehr begeistert drein. Dann fragte er vorsichtig: „Hat der Name etwas mit dem Kutscher der Arwenacks zu tun?“ „Aye, Sir“, erwiderte jetzt Eddy, weil Dave gerade die Großschot etwas dichter holte. „Der Kutscher, also Thyra, ist unser Koch und Feldscher. Thurgil heißt Kapitän, und ich bin der Erste Offizier.“ „Aha! So ist das.“ Jean Ribault hatte Mühe, den nötigen Ernst zu wahren. „Dann besteht eure Crew also aus dem Admiral, dem Kapitän, dem Ersten Offizier und dem Kutscher.“ „Aye, Jean“, sagte Eddy. „Und über wichtige Entscheidungen stimmen wir ab, wie es auch die Arwenacks tun.“ „Wir stimmen im Bund immer ab“, erinnerte Jean Ribault. „Das schon“, sagte Eddy, „aber das habt ihr von den Arwenacks gelernt, nicht wahr? Jedenfalls hat mir das Mom erzählt, und die hat es von meinem Dad. Und ich weiß auch, daß du früher bei Kapitän Killigrew an Bord gefahren bist, stimmt's?“ Jean Ribault nickte. „Stimmt, Eddy - ich meine, Erster.“
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Der Admiral meldete sich mit energischer Stimme: „Ich glaube, wir sollten jetzt wenden.“ Jean Ribault peilte zum Steg, nickte und sagte: „Einverstanden, Admiral. Denk aber daran, was ich euch erklärt habe.“ „Aye, aye, Sir! Klar zur Wende, Leute!“ Dieses Mal klappte es vorzüglich. Dave schob die Pinne vorsichtig nach Backbord und stoppte die Bewegung sofort ab, als der Bug der Jolle nach Steuerbord drehte. „Ree!“ rief Dave, als die „Little Isabella“ durch den Wind ging. Sie rutschten alle auf die neue Luvseite, und Thurgil – er saß mit seiner Zwillingsschwester Thyra auf der vorderen Ducht – holte die Steuerbord-Fockschot dicht. Auch Dave trimmte mit der Großschot das Großsegel auf den neuen Kurs über Steuerbordbug ostwärts. Die Jolle hatte einen eleganten Bogen beschrieben und dabei nichts an Höhe verloren. „Prächtig!“ sagte Jean Ribault anerkennend. „Das war schon so, wie ausgepichte Bootssteurer mit ihrer Crew es nicht besser können.“ Sie strahlten alle, und der Admiral hatte rote Ohren. Daß er geschickt mit Pinne und Schot umging, hatte Jean Ribault bereits registriert und sich daran erinnert, wie dämlich er sich selbst angestellt hatte, als er, vierzehnjährig, zum ersten Mal an der Pinne einer größeren Jolle gesessen hatte, die aus Brest, der Hafenstadt an der bretonischen Küste, zu einem Kauffahrer auf der Reede segeln sollte. Er hatte noch nicht mal gewußt, wo Luv und wo Lee war! „Merde!“ hatte der Jollenführer geflucht und ihm eine gescheuert, daß er fast über Bord gegangen wäre. Ja, damals ... Jean Ribault schreckte aus den Gedanken auf, denn eine Stimme röhrte über die Bucht – die des Wikingers, der sogar aufgestanden war und jetzt am Schanzkleid lehnte. „Bravo, David Smoky!“ brüllte Thorfin Njal. „Diese Wende hast du hingekriegt wie ein alter Gefechtsrudergänger!“
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„Danke, Sir“, murmelte Dave vor sich hin, fast verwirrt, daß ihm der poltrige Nordmann ein Lob gespendet hatte. Und auch die nächste Wende auf den Backbordbug klappte exakt. Auf den Schiffen wurde geklatscht. Jetzt segelte die „Little Isabella“ v auf den Werftsteg zu. „Klar zum Anlegen, Leute“, sagte Dave. „Wenn ich in den Wind schieße, bitte Fockschot loswerfen und die Vorleine klarhalten.“ „Aye, aye, Admiral!“ tönte Thurgil. Und die Jolle segelte auf den Steg zu – mit ziemlicher Braßfahrt. Jean Ribault warf Dave einen raschen Blick zu. Der hatte die Lippen zusammengepreßt und eine steile Falte über der Stirn. Die Augen, etwas schmal, spähten zu dem Steg. Das geht nicht gut! fuhr es Jean Ribault durch den Kopf. Das wird kein Aufschießer, sondern eine Ramming! Er hat viel zuviel Fahrt drauf, dieser verdammte Admiral! Der segelt Steg und Jolle zu Bruch, daß es nur so raucht! Jean Ribault meinte, es bereits krachen zu hören. Er hatte sich selten derart geirrt. Wie bei der ersten Wende, fast brutal, stieß Dave die Pinne nach Backbord. Die Jolle schoß in den Wind – und blieb eine knappe Handbreite vor dem Steg stehen. Thurgil huschte auf die Stegplanken und warf das Auge der Vorleine über den Pfosten. Jean Ribault wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Hartruderlage“, sagte der Admiral, „nimmt die Fahrt aus dem Schiff.“ Und er grinste. Er grinste noch mehr, als das Beifallsgebrüll über die Bucht dröhnte. Ja, sie hatten alle zugeschaut und den Atem angehalten, eine Ramming vorausahnend. Aber dieses blonde Kerlchen hatte gezaubert ... * Sie segelten Stunde um Stunde, Tag für Tag. Sie segelten rückwärts, sie segelten am Wind, mit halbem Wind, raumschots und mit achterlichem Wind. Sie halsten
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und kreuzten. Sie fuhren Mann-über-BordManöver, sie ankerten, sie pullten und wriggten. Sie legten am Steg an und wieder ab. Es gab nur noch eins: Segeln von früh bis spät – am liebsten die ganze Nacht durch. Aber da wurden die Mütter energisch, und darum musste das ausfallen. Sie waren schon braun gewesen, aber jetzt wurden sie tiefbraun und ihre Haare weißblond, sogar bei Eddy, der die roten Haare seiner Mutter hatte. Nach fünf Tagen erklärte Jean Ribault vor versammelter Runde in der -Rutsche“, daß er dieser „Teufels-Crew“ nichts mehr beibringen könne. Sie sei, schlicht ausgedrückt, „perfekt“. Und darum schlage er vor, sie nunmehr sich selbst zu überlassen, denn allmählich käme er sich wie ein Großvater vor, der versuche, Fünfjährigen das Laufen beizubringen, das sie längst beherrschten, während ihn bereits die Gicht plage. Sie waren einhellig dafür, seinem Vorschlag zuzustimmen. Wie geschickt diese vier Kinder mit der Jolle „Little Isabella“ umzugehen verstanden, hatten sie selbst beobachtet. Ja, einige waren selbst mit an Bord gewesen – Siri-Tong, Karl von Hutten, Martin Correa, Edmond Bayeux. Sie konnten nur bestätigen, was Jean Ribault berichtete. Und auch sie waren andererseits erstaunt gewesen, was für eine hervorragende Jolle Hesekiel Ramsgate mit seinen Männern gebaut hatte. So geschah es, daß der Admiral und seine Crew ab dem sechsten Tag allein durch die Bucht kurven durften –sie waren j a nicht eben klein. Und aufgrund ihrer geschützten Lage war sie kein Gewässer, das den Kindern gefährlich werden konnte. Zum Lernen war sie geradezu ideal. Bei Dave, dem Admiral, begann ein gewisser Plan zu keimen. Die Drohung des Wikingers, ein gewisses Körperteil betreffend, so man es wage, die Bucht zu verlassen, verflüchtigte sich wie Frühnebel bei Morgensonne. Und das Abenteuer lockte. Es lockte umso stärker, je mehr sich die Sicherheit der Crew, ihre Jolle so zu beherrschen, vervollkommnete. Dabei war
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es eine ganz natürliche Sache, daß jemand, der etwas gelernt hatte, sein Können auch erproben wollte. Natürlich spielte auch die Faszination eine Rolle, sich dem Wind anzuvertrauen und sich von ihm über das Wasser tragen zu lassen. Die Einfahrt in die Cherokee-Bucht – oder ihr Ausgang – war nur etwa vierzig Yards breit. Westlich begrenzte der herrliche Sandstrand der Insel, der weit nach Süden hinunterreichte, diese Passage. östlich war es die Spitze der Halbinsel, welche die Form eines Hakens, besser gesagt einer Sichel hatte. Jedesmal, wenn die Jolle beim Herumsegeln in der Bucht an die Passage gelangte, war Dave versucht, sie einfach zu ignorieren und aus ihrem vorgeschriebenen Revier auszubrechen. Diesbezügliche Bemerkungen fanden keinerlei Widerspruch seitens seiner Crew. Allen vieren juckte das Fell, und man beschloß, „demnächst“ das Segelrevier auf eigene Faust zu erweitern. Hätten die Erwachsenen aufgepaßt, dann wären ihnen die heimlichen Aktivitäten ihrer Jüngsten-Crew kaum entgangen. So verschwand aus dem großen Blockhaus des Wikingers ein Spektiv, aus dem Magazin, über das Don Antonio de Quintanilla wachte, ein kleiner Bootskompaß, und aus dem Geschirrbestand der „Rutsche“ ließ Eddy einen Topf mit Deckel sowie vier Mucks mitgehen. Später gesellten sich noch allerlei praktische Sachen hinzu – Messer, eine Axt, Flintsteine und Zunder, sogar Wolldecken und eine Persenning sowie zwei kleine Fäßchen zur Aufnahme von Trinkwasser. Die Beute wurde in einem geheimen Lager versteckt. Dann passierte allerdings die Sache mit den Landkrabben. Das Merkwürdige an dieser Geschichte war, daß Thyra und Thurgil offenbar den unbezähmbaren Drang verspürten, ihren rauschebärtigen Vater zwar nicht auf böse Weise zu ärgern, aber doch auf seine Kosten Schabernack zu betreiben. Natürlich liebten sie ihren Vater. Aber das
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hielt sie dennoch nicht davon ab, ihn ein bißchen zu necken. Vielleicht hing das damit zusammen, daß er sich so sonderbar kleidete und sie allzu oft Zeuge jener ehelichen Dispute wurden, bei denen Mutter Gotlinde den Helm des Nordmannes aufs Korn nahm. Er vergaß häufig, ihn abzusetzen – zum Beispiel beim gemeinsamen Mahl im Blockhaus. Oder wenn er sich danach zum Nickerchen hinlegte. Oder wenn er in dem riesigen Waschzuber badete. Mutter Gotlinde focht einen unermüdlichen Kampf gegen diesen Helm – auch gegen die absurde Angewohnheit ihres Gemahls, sich am Helm zu kratzen. Und vielleicht würde sie eines Tages Siegerin sein, was aber bedingen würde, daß er nicht mehr zur See fuhr. Denn immer wenn er mit dem Schwarzen Segler unterwegs gewesen war, wurde der Kampf besonders heftig, weil er sich wieder an das Tragen dieser wunderlichen Kopfbedeckung gewöhnt hatte. Kurz und gut, der neue Streich der Zwillinge bestand darin, ein Geschwader von Landkrabben einzusammeln, jene Art von Krustentieren, die in ungeheurer Menge die westindischen Inseln bevölkerten und zum Beispiel vom Kutscher als Delikatesse zubereitet wurden. Sie praktizierten die Tiere ins väterliche Bett, kurz bevor er sich dort zum Mittagsschlaf hinlegte. Es wurde einerseits ein voller Erfolg. Statt der meist sofort einsetzenden Schnarchtöne erklang ein Gebrüll, das die Wände zum Wackeln brachte und die ganze kleine Siedlung. hochscheuchte, als sei irgendein Feind im Anmarsch. Die beiden Missetäter flitzten aus dem Haus, natürlich kichernd, und versteckten sich hinter der Werft. Trotzdem bekamen sie mit, aus ihrem Versteck lugend, wie der Vater tobend auf der Terrasse des Blockhauses erschien, von oben bis unten mit Krabben behangen. Zwei hatten sich sogar im Rauschebart festgeklammert, wozu ja ihre Scheren hervorragend geeignet waren. Und auch die Fellkleidung
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war vorzüglich geeignet, um sich festzuhalten. „Uaahhh!“ röhrte der Vater, hüpfte herum und versuchte, sich von den Plagegeistern zu befreien. Mutter Gotlinde tauchte hinter ihm auf und verbarg den Mund, der in verdächtiger Weise zuckte, hinter der linken Hand, während sie mit der Rechten versuchte, die Krabben vom breiten Kreuz ihres geliebten Nordmannes zu pflücken, was gar nicht so einfach war. Und der Nachwuchs des Bundes versammelte sich vor der Terrasse, zuerst staunend, um zu sehen was sich dort tat, dann jedoch - wie konnte es anders sein! ging das Gelächter los und hörte so schnell nicht mehr auf. Dies um so mehr, als sich eine der beiden Bartkrabben höher arbeitete und plötzlich mit einer Schere in den Nasenlöchern des Wikingers hing.' Ein Helm mit Nasenschutz wäre jetzt angebracht gewesen, aber einen solchen hatte der Nordmann nicht. Dafür hatte er die rettende Idee, loszurennen und sich ins Wasser zu stürzen. Landkrabben sind keine Wassertiere, leben aber am Strand oder in Strandnähe. Als der Nordmann prustend wegtauchte, lösten sich die Tierchen aus ihrer Verklammerung. Wo sie abblieben, war Thorfin Njal herzlich gleichgültig. Dafür war ihm klar, wer ihm diesen Streich gespielt hatte. „Thyra! Thurgil!“ rief er dröhnend, als er triefend an Land watete und das Wasser aus seinem Bart quetschte. Sie erschienen gesenkten Hauptes neben der Werft und tappten ihrem Vater entgegen - in der Gewißheit, nunmehr das in Empfang nehmen zu müssen, was Admiral Dave mit „Popoklatsche“ bezeichnet hatte. Aber ihr Vater hatte sich längst eine andere Strafe ausgedacht, die nicht auf dem Hinterteil schmerzte, sondern ganz woanders. War der Streich einerseits ein voller Erfolg gewesen, so erwies er sich andererseits als totale Pleite.
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„Ab sofort“, dröhnte er, „habt ihr bis auf weiteres Stubenarrest! Segeln, rudern und wriggen ist gestrichen - bis auf weiteres! Marsch in die Kammer, ihr freches Schelmenvolk!“ Und der ausgestreckte mächtige Arm des Wikingers deutete zum Blockhaus. Die beiden „Schelme“ waren wirklich bestraft. Mit dieser ungeheuerlichen Strafe hatten sie nicht gerechnet. Dagegen verblaßte die „Popoklatsche“ zu einem bedeutungslosen Nichts. Sie drehten sich stumm um und schlichen mit Hängeohren zum 'Blockhaus, wo Mutter Gotlinde mit gestrenger Miene stand, obwohl sie am liebsten laut gelacht hätte. Sie nahm die Sünder in Empfang und bugsierte sie in die Kammer, wo sie „bis auf weiteres“ darüber nachdenken konnten, ob es sich lohnte, den Vater nochmals so zu ärgern. 8. Die nächsten Tage segelten der Admiral und sein Erster Offizier allein mit ihrer „Little Isabella“ kreuz und quer über die Bucht. Thyra und Thurgil fehlten ihnen, denn sie waren wirklich schon zu einer verschworenen Crew geworden. Und jedesmal, wenn sie den Wikinger sichteten, stieg ihnen die Galle hoch. War ganz schön hart, wegen der lächerlichen Krabben Thyra und Thurgil einzusperren! „So eine Gemeinheit“, sagte der Admiral erbittert, als sie am vierten Tag wiederum allein über die Bucht segelten. Auch Eddy war verärgert und meinte ebenfalls, daß der Wikinger die beiden viel -zu hart bestraft hatte. So erbosten sie sich wechselseitig über den Urheber ihrer traurigen Zweisamkeit, bis der Admiral eine Idee hatte. „Wir müssen die Sache besprechen“, sagte er orakelhaft. „In aller Ruhe, und wo uns keiner zuhört.“ Das tat zwar keiner, weil sie ja allein in der Jolle waren, aber es betonte das große Geheimnis der „Sache“. In der Nähe der Passage warfen sie den Anker und holten die Segel ein. Eddy war
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bereits gespannt wie ein Langbogen Batutis oder Big Old Shanes, als er sich auf die Mittelducht setzte und seinen Admiral anstarrte, der sich grübelnd auf der Achterducht niedergelassen hatte. Der Admiral sagte mit dumpfer Stimme: „Wir zahlen es ihm heim!“ Mit „ihm“ war natürlich der Nordmann gemeint, das wußte Eddy sofort. „Wir hauen einfach ab!“ fügte der Admiral hinzu. Der Erste Offizier erstarrte ein bißchen. „Ohne den Kapitän und den Kutscher?“ „Ohne!“ bestätigte der Admiral mit harter Stimme. „Nur wir beide. Damit dieser Mensch merkt, daß wir ihn verachten und seine Drohungen lachend in den Wind schlagen. Wir lassen ihn büßen, daß er es gewagt hat, unseren Leuten Hausarrest zu verpassen – schon vier Tage schmachten sie dort!“ Und der Admiral schüttelte die rechte Faust in Richtung des Schwarzen Seglers. Als er sie wieder gesenkt hatte, setzte er hinzu: „Laß uns jetzt abstimmen, Erster. Wer dafür ist, daß wir in See gehen und es dem Feind heimzahlen, der hebe die rechte Hand!“ Sie hoben beide die Rechte, und somit war die Sache besiegelt. Diese Verschwörung war mit Sicherheit nicht bemerkt worden, denn die beiden segelnden Jungen gehörten bereits zum gewohnten Bild in der Bucht. Daß sie zwischendurch auch mal ankerten, war nicht ungewöhnlich, sondern ein selbstverständlicher Teil ihres Spiels. Jetzt schüttelten sich die beiden Jungen die Hände. Ein Lauscher hätte gehört, daß sie sich unverbrüchliche Treue schworen und verpflichteten, niemandem ihr Geheimnis zu verraten. „Auf Ehre!“ sagte der Admiral. „Auf Ehre!“ sagte auch der Erste Offizier. Mit diesem „Auf Ehre!“ – das gehörte zu ihren Bräuchen – besiegelten sie immer den Beschluß zu einer gemeinsamen Aktion. Von dem Begriff „Ehre“ hatten sie allerdings nur verschwommen Vorstellungen. Zumindest wußten sie, daß „Ehre“ etwas Gutes sein mußte. Außerdem hatten Thyra und Thurgil einmal gehört, wie Mutter Gotlinde über Philip Hasard
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Killigrew, den Seewolf, gesprochen und ihn einen „Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle“ genannt hatte. Und Sir Hasard war nun mal das große Vorbild der Jüngsten-Crew. Nach der Ehrenformel bewies der Erste Offizier, daß er ein praktischer Denker war, denn er stellte die Kernfrage: „Aber wie verschwinden wir mit unserem Schiff, ohne daß es jemand merkt? Du weißt, daß auch nachts auf jedem Schiff ein Mann Ankerwache geht, Admiral.“ „Weiß ich“, knurrte der Admiral. „Die gleiche Frage gilt für uns selbst, denn schon deine Mom und meine Mom dürfen nicht merken, daß wir ausgeflogen sind. Wir können erst nach Mitternacht verschwinden, wenn die beiden fest schlafen. Am besten, wir steigen durch unsere Kammerfenster nach draußen. Wie gut wir uns dann an den Schiffen vorbeimogeln, hängt davon ab, ob der Himmel bewölkt ist. Wenn Mond und Sterne verdeckt sind, schaffen wir das. Außerdem haben wir jetzt Sichelmond, der scheint sowieso nicht so hell.“ „Wollen wir schon heute nacht abhauen?“ fragte der Erste Offizier mit funkelnden Augen. „Je früher, je besser, ja, heute Nacht“, erwiderte der Admiral energisch. „Proviant und Trinkwasser?“ fragte der Erste Offizier. „Wir nehmen eins von unseren Fässern mit und füllen es heute abend an der Quelle auf“, sagte der Admiral. „Proviant besorgen wir aus unseren Vorratskammern – Käse, Brot und Hartwurst. Aber nicht in Massen, Erster, damit's nicht sofort auffällt. Heute nachmittag holen wir schon mal Kokosnüsse vom nördlichen Strand, mit denen wir sowieso auch auf der Fahrt immer unseren Proviant ergänzen können.“ Eddy, der Erste Offizier, der, wie gesagt, praktisch dachte, schlug vor, auch ihr Angelzeug mitzunehmen. Sie verfügten über Blinker mit Haken und hatten von der Terrasse der „Rutsche“ aus schon manchen kapitalen Fisch aus dem Wasser gezogen, der dann der allgemeinen Versorgung zugute gekommen war. Natürlich hatten
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sie inzwischen auch gelernt, wie Fische ausgenommen und zubereitet wurden. „Und wohin segeln wir?“ erkundigte sich der Erste Offizier erwartungsvoll. „Südwärts“, entschied der Admiral, überlegte und fragte dann: „Hat deine Mom in der ‚Rutsche' nicht eine Seekarte von unserem Gebiet um Great Abaco?“ Der Erste nickte. „Hat sie, damit sich alle immer gleich orientieren können, wenn sie einen Raid planen. Brauchen wir die Seekarte, Admiral?“ „Wäre gut, wenn wir sie hätten“, sagte Dave. „Geht klar, Admiral“, äußerte der Erste Offizier. „Ich besorge sie.“ Er spähte zu den Hütten, entdeckte dort seine Mom, die mit Frau Gotlinde auf der Terrasse des Njal-Blockhauses saß und fügte schnell hinzu: „Vielleicht sollten wir das sofort erledigen, die Gelegenheit ist günstig, Admiral! Meine Mom ist nicht in der ‚Rutsche'. Da könnte ich auch gleich dort in der Vorratskammer Proviant besorgen.“ In den Augen des Admirals blitzte es auf. „Segel setzen und Anker hieven!“ sagte er entschlossen. Ein paar Minuten später segelten sie auf die „Rutsche“ zu, jenen wuchtigen Pfahlbau auf der Südseite der Bucht, den Old Donegal Daniel O'Flynn hatte errichten lassen und der zum Mittel- und Treffpunkt des Bundes der Korsaren geworden war, wenn man sich zum abendlichen Umtrunk zusammensetzte oder eine Beratung abhielt. Der Admiral und sein Erster Offizier demonstrierten ein sauberes Anlegemanöver, Eddy enterte auf die umlaufende Terrasse und verschwand in dem Blockhausbau. Der Admiral mimte am Großfall Geschäftigkeit und peilte gleichzeitig unauffällig hinüber zu den ankernden Schiffen sowie zu den Hütten am Ostrand der Bucht. In gewissen Kreisen, denen Gauner und Diebe angehörten, nannte man diese Art Tätigkeit „Schmiere stehen“. Hätte ja sein können, daß sich jemand plötzlich dafür interessierte, was die Zweimann-Crew der „Little Isabella“ da trieb.
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Aber der Admiral konnte beruhigt sein. Niemand schaute zu, als ihm sein Erster Offizier eine Rolle ins Boot reichte und dann einen gut gefüllten Segeltuchsack. Rolle und Sack verschwanden im Nu im Vorschiff, jenem abgeschotteten Raten, den man als Schapp oder Vorpiek bezeichnen konnte. Ein ähnlicher Raum, etwas kleiner, befand sich unter der gesamten Achterducht, also nicht nur im Bereich des Hecks, sondern auch auf den beiden Seiten, wo der Rudergänger jeweils nach Krängungslage des Bootes saß. Diese Räume hatte der praktische Hesekiel Ramsgate sozusagen als Backskisten gebaut, das heißt, die Sitzflächen konnten wie Deckel hochgeklappt werden. Auf diese Weise hatte die „Little Isabella“ eine Menge Stauraum, zumal sich unter den Dollborden beidseits auch Schwalbennester befanden – offene Borde mit Still zur Ablage von kleineren Gegenständen, die man schnell zur Hand haben wollte. Die beiden Jungen grinsten sich an, als sie wieder die Segel setzten und von der „Rutsche“ ablegten. Als sie quer über die Bucht törnten, jetzt saß Eddy am Ruder, sagte der Admiral wie beiläufig: „Der Seesack war ziemlich schwer, Erster.“ „Hab zwei Buddeln Rum mitgehen lassen“, erklärte der Erste lässig. „Gute Sache“, beschied der Admiral und feixte bis zu den Ohren. Hier wiederum – was den Rum betraf hätte man feststellen können, daß kein Apfel weit vom Stamm fällt. Sowohl Smoky, der Decksälteste der Arwenacks, als auch Old Donegal –die Väter dieser beiden Früchtchen –waren gute Zecher vor dem Herrn, insbesondere keine Kostverächter von Rum. Nahm man beim Ersten noch die beiden Vornamen hinzu – Edwin Shane –, dann konnte man getrost sagen, daß sich der Kreis schloß, dieses vor allem beim Namen des Taufpaten Edwin Carberry, der zwar nicht zur Trunksucht neigte, aber auch noch keiner Rumflasche aus dem Wege gegangen war, ganz im Gegenteil.
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Nach Mitternacht dieses Tages der Vorbereitung – in den Abendstunden hatten sie auch das Faß mit Trinkwasser verstaut – stiegen die beiden Jungs leise und verstohlen aus den Fenstern ihrer Kammern und schlichen wie Diebe in der Nacht zum Werftsteg. Das Sprichwort, daß Glück Kindern und Narren hold sei, fand in dieser Stunde nach Mitternacht seine Bestätigung. Der Himmel war bedeckt, von den Gestirnen fiel kein Licht auf die Bucht. Sie lag in Dunkelheit und war nur dort erhellt, wo das Ankerlicht einen trüben Kreis aufs Wasser warf, einen Kreis von nur etwa zwei bis drei Yards Durchmesser. Ein lauer Wind aus Nordosten strich über die Bucht. Erst außerhalb des Schutzes der Halbinsel würde er etwas stärker sein, aber keineswegs gefährlich. Einmal entschlossen zur abenteuerlichen Tat, kannten die beiden Ausreißer kein Zögern mehr. Sie setzten nur die Fock, lösten die Vorleine und glitten am Westufer der Bucht entlang südwärts zur Passage. Klar, daß sie scharf lauerten – vor allem, als sie an dem Schwarzen Segler vorbeizogen, der von allen Schiffen am weitesten auf der Westseite der Bucht ankerte. Ausgerechnet an dem Schiff ihres „Todfeindes“ mußten sie am dichtesten vorbei. Auch hier stimmte, das Sprichwort. Die Hundewache von Mitternacht bis vier Uhr früh hatte Robinson, genannt Muddy, die dreckigste Ratte an Bord des schwarzen Viermasters. Genauso, wie dieser Mann sein Äußeres vernachlässigte, so hielt er es mit seinen Pflichten: er pennte stehenden Fußes, den Rücken an den vorderen Mast gelehnt. Männer wie Muddy waren die Schwachstelle im Bund der Korsaren. Auf jenem Weg, den die beiden Jungen segelten, hätten auch die Boote eines Gegners in die Bucht eindringen können, ohne wahrgenommen zu werden.
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Der Admiral und sein Erster durchsegelten die Passage und hätten am liebsten ihren Triumph laut herausgebrüllt. Aber sie waren diszipliniert genug, es nicht zu tun. Erst zwei Meilen weiter südlich ging der Admiral in den Wind, damit sie jetzt auch das Großsegel setzen konnten. Und dann rauschte die „Little Isabella“ südwärts, raumschots über Steuerbordbug und immer in Sichtweite des Ostufers von Great Abaco. Die beiden Jungen empfanden es als Befreiung, nichts hätte sie zurückhalten, niemand sie zurückrufen können. Es war, als hätten sie alle Brücken hinter sich abgebrochen. Jetzt zählte nur noch ihr Abenteuer, ihr Wille, das Unbekannte hinter der Kimm zu erreichen und zu erforschen. Um fünf Uhr morgens hatten sie die Südspitze von Great Abaco Steuerbord querab. Der Admiral luvte an und ging auf Südostkurs. Er hatte am Nachmittag des vergangenen Tages lange über der Seekarte gegrübelt und alles das erwogen, was er über Navigation wußte. Das Ergebnis seiner Überlegungen war gewesen, daß sie an der Südspitze von Great Abaco auf Südostkurs gehen müßten, um die Nordküste der nächsten Insel zu erreichen: Fleuthera. Dort so plante er, würden sie auf der Westseite der Insel in Lee bleiben und mindestens an dieser Küste entlang bis zur Südspitze segeln. Nach Kenntnis der Seekarte, die der Erste aus der „Rutsche“ genommen hatte, wußte der Admiral, daß sie sich jetzt auf die „freie See“ wagten, das heißt, zum ersten Male verließen sie die Sicherheit einer Küste, die ja immer auch ein navigatorischer Anhaltspunkt war, und würden rings um sich herum nur noch Wasser haben, begrenzt von einer Kimm, hinter der Endlosigkeit sein konnte. Dem Admiral war etwas beklommen zumute – dies noch mehr, als er sich einmal umdrehte und feststellte, daß er die Südspitze von Great Abaco nicht mehr sehen konnte. Allmählich wurde es auch heller, und voraus, an Backbord und
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Steuerbord sowie achteraus war nur noch die See – die Unendlichkeit, wie es schien. In etwa vier Stunden, das hatte Dave ausgerechnet, mußte vor ihnen Land auftauchen, die Nordspitze von Fleuthera. Wenn nicht, dann mußte er irgendeine falsche Berechnung angestellt haben, und genau das war der Punkt, der ihm fast Übelkeit bereitete. Äußerlich ließ er sich nichts anmerken. Zu Eddys Pflichten als Erster Offizier gehörte es, daß er sich um die Sanduhr kümmerte. Sie war für eine Stunde geeicht und mußte daher jede Stunde umgedreht werden. Dave hatte sie aus dem Arsenal Don Antonios mitgehen lassen. Und Eddy hatte sie in dem Moment in Betrieb genommen, als sie vom Werftsteg ablegten. Das mußte gegen ein Uhr gewesen sein, denn da war auf einem der Schiffe, der „Isabella IX.“, zweimal geglast worden. Bis zur Südspitze von Great Abaco hatten sie etwa vier Stunden gebraucht – eine Zeit, die Dave auch veranschlagt hatte. Etwa die gleiche Zeit, vielleicht etwas mehr, würde verstreichen, um den Nordwest-Providence-Kanal zu durchqueren und Fleuthera zu erreichen. In diesem Kanal war die See kabbeliger, und der Wind hatte zugelegt. Zum Glück wehte er nicht in Böen, sondern ganz gleichmäßig. Eddy hatte die Fockschot auf Slip belegen können. Auch Dave fuhr die Großschot auf Slip, so daß er sie jederzeit loswerfen konnte. Er konnte sich auf seine Pinne und den kleinen Bootskompaß konzentrieren und steuerte haargenau Südostkurs. Die „Little Isabella“ lag gut in der See und nahm kaum Spritzer über. Sie tanzte sozusagen über die Wellen. Beide Jungen trugen noch ihre Segeltuchjacken. Eddy pusselte jetzt in der Vorpiek herum, holte eine bereits gespaltene Kokosnuß heraus, schnitt mit dem Messer zwei handige Stücke zurecht, schälte die harte Haut vom Fleisch und reichte ein Stück dem Admiral. „Backen und Banken“ brummelte er, obwohl es dafür noch reichlich früh war.
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Aber der Admiral nahm das Stück dankbar in Empfang. Tatsächlich hatte er jetzt Hunger. Sie kauten genüßlich, grinsten sich an und hielten sich für ganz tolle Kerle. Waren sie müde? Noch nicht, eher aufgedreht, weil ihnen der Ausbruch aus der Bucht gelungen war. „Wann die wohl merken, daß wir abgehauen sind“, sagte der Erste Offizier. „Sobald es hell ist“, sagte der Admiral. „Da werden sie feststellen, daß die ,Little Isa` verschwunden ist. Wenn der Wikinger das erfährt, wird er sich erst mal am Helm kratzen.“ Der Erste nickte eifrig. „Bestimmt.“ Er überlegte und fragte dann: „Was meinst du, werden sie uns suchen?“ „Glaub schon“, erwiderte der Admiral. „Aber wir haben jetzt einen Vorsprung von über sechs Stunden. Außerdem wissen sie nicht, wo sie uns suchen sollen.“ „Meine Mom wird traurig sein“, sagte der Erste. „Meine auch“, sagte der Admiral etwas verbissen. „Willst du lieber wieder umkehren, Erster?“ „Nein, kommt nicht in Frage!“ Das klang sehr entschieden. „Nur schade, daß der Kapitän und der Kutscher nicht mit an Bord sind.“ „Sie Wären es, wenn ihr Vater sie nicht eingekerkert hätte“, äußerte der Admiral mit grimmiger Miene. „Ich hatte schon überlegt, ob wir sie befreien sollen. Aber das wäre zu riskant gewesen.“ „Wenn wir irgendwann wieder einlaufen“, sagte der Erste, „wird der Teufel los sein. Vielleicht werden wir dann auch eingekerkert und dürfen überhaupt nicht mehr mit der ,Little Isa` segeln.“ „Dann brechen wir wieder aus“, erklärte der Admiral. „Aber wir werden ihnen sagen, wir hätten nur mal versucht, ihnen zu beweisen, daß ihre nächtlichen Ankerposten nichts taugen. In einer dunklen Nacht kann jeder in die Bucht eindringen – wir haben das auf dem umgekehrten Weg bewiesen. Das sollte ihnen eigentlich genügen. Sie müßten uns sogar noch dankbar sein.“
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Dem stimmte der Erste zu. So betrachtet, hatten sie dem Bund der Korsaren sogar einen nützlichen Dienst erwiesen. Das böse Gewissen konnten sie vergessen. Kurz nach neun Uhr – die nächtlichen Wolken hatten sich verzogen, und die Sonne befand sich bereits auf ihrer Bahn – peilte der Erste durchs Spektiv voraus und entdeckte Land, einen Küstenstreifen, der sich von Nordosten nach Südwesten hinzog. Es mußte der Nordteil von Eleuthera sein, der auf der Seekarte Ähnlichkeit mit der Schwanzflosse eines Fisches hatte. „Land, Admiral!“ brüllte der Erste. Dem Admiral polterte ein Stein von der Seele. „Hurrraaahh!“ brüllte er. Vielleicht war es vor über hundert Jahren genauso gewesen, als der Ausguck von Kolumbus die Insel Guanahani sichtete, die dann San Salvador und noch später Watling's Island genannt wurde. 9. Es war ausgerechnet Jean Ribault, der an diesem Morgen das Fehlen der Jolle „Little Isabella“ als erster bemerkte. Er hatte an Bord der „Isabella IX.“ geschlafen und war gegen acht Uhr an Deck erschienen, um wie üblich nach dem Wetter zu schauen und einen Rundblick zu nehmen. Da rieb er sich über die Augen, als er den leeren Steg entdeckte. Sollten die beiden Burschen etwa schon wieder segeln? Aber keine Jolle war in der Bucht zu sehen. Merkwürdig. Befand sich die Jolle möglicherweise in der Werft? Mel Ferrow, der die Morgenwache von vier Uhr bis acht Uhr gehabt hatte und jetzt von Roger Lutz abgelöst wurde, trat zu ihm und runzelte die Stirn, als er sah, wohin sein Kapitän starrte. Jean Ribault drehte den Kopf und blickte ihn an. „Wo ist die ,Little Isa, Mel? Hat Hesekiel sie in die Werft geholt?“ „Nicht daß ich wüßte“, erwiderte Mel Ferrow unbehaglich. Er hatte, als es hell wurde, überhaupt nicht darauf geachtet, ob
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die Jolle noch am Steg lag. Eine peinliche Sache. Der Schuß erfolgte auch sofort. „Gepennt, wie?“ fragte Jean Ribault scharf. „So was fällt doch auf, verdammt noch mal!“ Er hatte kaum ausgesprochen, da stürmte Gunnhild aus ihrer Blockhütte, starrte zum leeren Werftsteg und hastete dann zur Werft. Dort verschwand sie. „Mein lieber Mann“, murmelte Jean Ribault, denn ihm schwante etwas – nichts Gutes. Ohne noch mehr zu sagen, enterte er in die längsseits liegende Jolle ab, pullte hinüber zum Werftsteg, vertäute dort und eilte ebenfalls zur Werft, wo gerade Hesekiel Ramsgate und Gunnhild aus der Tür traten. „Dave ist verschwunden!“ rief Gunnhild. „Und die ,Little Isabella“, fügte Hesekiel Ramsgate grimmig hinzu, „denn bei mir in der Werft ist sie nicht.“ Nur fünf Minuten später stand fest, daß auch Eddy O'Flynn verschwunden war. Der Admiral hatte richtig getippt: Der Wikinger kratzte erst mal an seinem Helm, als er von Jean Ribault alarmiert wurde. Waren auch Thyra und Thurgil verschwunden? Nein, die pennten noch in der von außen abgeriegelten Kammer – in ihrem „Kerker“, wie es der Admiral formuliert hatte. Wieder draußen vor dem Blockhaus pumpte sich der Wikinger auf und begann zu toben. Er habe gleich gesagt, daß die Rotznasen eines Tages einfach abhauen würden, aber da sei er insbesondere von dem Klugscheißer Jean Ribault und der neunmalklugen Roten Korsarin angestänkert worden und habe sich allerlei anhören müssen. „Und jetzt?“ brüllte er. „Jetzt können wir zusehen, wo wir sie wiederfinden! Und wissen nicht mal, wo wir suchen müssen!“ „Du brauchst ja nicht mitzusuchen“, entgegnete Jean Ribault kühl. „Setz dich in dein Sesselchen und dreh Däumchen. Und zwischendurch erkundige dich mal, wer bei dir die Hundewache gegangen ist. Denn die beiden Burschen müssen ziemlich dicht an deinem Viermaster
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vorbeigesegelt sein, der am weitesten westlich in der Bucht ankert.“ „Wer sagt denn, daß die Lümmel auf der Westseite getürmt sind?“ tobte der Wikinger. „Mein Verstand sagt mir das“, erwiderte Jean Ribault weiterhin kühl. Die Rote Korsarin – alle waren inzwischen alarmiert – stimmte zu und sagte: „Was die beiden Jungen geschafft haben, scheint mir insofern interessant und bedenkenswert zu sein, als auch ein Gegner auf diesem Weg in die Bucht hätte eindringen können. Dave und Eddy haben unsere Sicherheitsmaßnahmen durchkreuzt, und das buche ich positiv ein. Daß sie das Verbot, die Bucht als ihr Segelrevier nicht zu verlassen, mißachtet haben, steht auf einem anderen Blatt. Vorrangig ist jetzt, daß wir sie sofort suchen. Ich schlage vor, daß die Suche von den beiden ,Empress`Karavellen übernommen wird, und zwar deswegen, weil ich glaube, daß Dave und Eddy auf die Leeseite unserer Insel gesegelt sind, wo Hunderte von Inselchen zur Erkundung reizen. Und dort brauchen wir Schiffe mit wenig Tiefgang. Ist jemand anderer sieht?“ Jean Ribault schüttelte den Kopf. „Nein. Klingt logisch, was du sagst: Ich tippe auch darauf, daß sie sich drüben auf der anderen Seite herumtreiben. Fragt sich nur, ob sie Great Abaco im Norden oder im Süden gerundet haben.“ „Im Süden“, sagte die Rote Korsarin mit Bestimmtheit. „Das .ist der kürzere Weg, den sie außerdem raumschots segeln konnten. Gut, ehe wir noch lange herumreden: ich übernehme die ,Empress II.' mit Martin Correa, dem Boston-Mann und Barry Winston.“ „Und ich übernehme die ,Empress III.' mit Karl von Hutten, Fred Finley und Donald Swift“, erklärte Jean Ribault. „Ich möchte mitsegeln“, sagte Mary O'Flynn mit ihrer Reibeisenstimme und sehr viel Entschiedenheit. „Ich auch“, sagte Gunnhild nicht minder energisch. „Mary bei Siri-Tong und ich bei dir, Jean?“
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Beide waren einverstanden – natürlich, denn vor allen anderen hatten die beiden Mütter das Recht und die Pflicht, nach ihren Sprößlingen zu suchen. „Du bewachst unseren Stützpunkt, Thorfin“, sagte die Rote Korsarin freundlich. „Wir haben da nämlich vor allem nachts eine schwache Stelle, nicht wahr?“ Eine halbe Stunde später verließen die beiden „Empress“-Karavellen die Cherokee-Bucht und segelten südwärts. * Die beiden Jungen fraßen regelrecht die Meilen, als sie an der Leeküste der Insel Fleuthera entlang südwärts segelten, Stunde um Stunde. Die Südspitze war ihr Ziel, das sie sich in den Kopf gesetzt hatten. Als sie es am Abend erreichten, schlüpften sie in eine winzige geschützte Bucht, nahmen die Segel weg, ließen die „Little Isabella“ auf dem weißen Sandstrand auflaufen, stiegen aus und zogen sie noch etwas höher. Der erste Landfall! Vor ihnen lagen hohe Dünen, bewachsen mit Kokospalmen und Strandhafer. Dahinter erstreckte sich das weite Meer. Aber sie waren viel zu müde, um jetzt mehr zu erkunden oder noch über die Dünen zu klettern. Sie holten ihren Proviant aus der Vorpiek – und futterten. Und zum ersten Male genehmigten sie sich ein paar Schlucke Rum, allerdings sehr verdünnt mit der Milch von drei Kokosnüssen – ein herrliches Getränk, das sie genüßlich aus den Mucks schlürften. Natürlich fühlten sie sich stark, auch wenn ihnen fast die Augen zufielen. Der Erste Offizier war es, der die Idee hatte, unter einem „Dach“ zu schlafen. Eddy dachte eben praktisch. Er baute ein Zelt über der Plicht der „Little Isabella“. Dazu nahm er die Spiere, mit der das Sprietsegel ausgespreizt wurde. Er dirkte ihr Ende an das Großfall, vorn blieb es am Mast angeschlagen.
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Der Admiral, satt im Sand sitzend, schaute ihm verwundert zu. „Kannst du mir mal sagen, was das soll, Erster?“ fragte er. Der Erste grinste, holte die Persenning aus der Vorpiek, schlug sie auseinander und warf sie über die Spiere. Sie war groß genug, daß sie seitlich über die beiden Bordwände hing. „Ein Zelt!“ verkündete Eddy stolz. „Da drunter können wir pennen.“ Und er fügte hinzu: „Findig muß der Seemann sein!“ Der Admiral staunte. Wirklich, das war ein prächtiges Zelt, dessen Giebel von der Spiere gebildet wurde. Der Erste wurde gelobt und hätte jetzt befördert werden müssen. Aber die nächste Stufe war der Kapitän, und diesen Rang hatte bereits Thurgil. Der Admiral ernannte daher seinen Ersten zum „Oberzeltmeister“. Der war zwar jetzt am Gähnen, bedankte sich aber artig für die Beförderung. Sie bereiteten in der Plicht ihr Nachtlager und krochen unter ihr Bootszelt. Gemütlich war's. Ein paar Minuten später waren sie eingeschlafen. Die Sanduhr lief ab, und kein Erster Offizier drehte sie mehr um. Es war acht Uhr am Abend. Sie schliefen fest und traumlos – den Schlaf der Gerechten, die auf Gottes Pfaden wandelten, nichts Böses und nur ihre Pflicht taten. Als sie am nächsten Morgen aufwachten, war es längst hell, und die Sonne stand im Osten über den Dünen. Sie reckten und streckten sich und waren zu neuen Taten bereit. Ja, der Admiral spielte bereits mit dem Gedanken, auch den nächsten Sprung zu wagen und nach Cat. Island hinüberzusegeln. Aber zunächst war Backen und Banken angesagt. Sie schlugen ihr Bootszelt ab, und Eddy stieg zu den Dünen hoch, um ein paar Kokosnüsse einzusammeln. Als er den Kamm erreicht hatte, traf ihn fast der Schlag. Sekunden später lag er platt auf dem Bauch und spähte ostwärts. „Dave!“ rief er keuchend und so aufgeregt, daß er glatt vergaß, wie ein Admiral anzureden war.
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„Was ist los, Erster?“ fragte der Admiral gemessen und überging die Despektierlichkeit der Anrede. „Schiffe!“ stieß der Erste hervor. „Und gar nicht so weit weg!“ Der Admiral war überlegt genug, das Spektiv mitzunehmen. Dann flitzte er die Düne hoch und warf sich neben Eddy in den Sand. Als er die fünf Schiffe sah, blieb ihm zunächst die Spucke weg. „Dons!“ sagte der Erste mit gepreßter Stimme. „Kriegsschiffe – drei Kriegsgaleonen und zwei Kriegskaravellen!“ „Ja, Dons“, sagte der Admiral, und seine Stimme klang heiser. Er peilte durch den Kieker. „Eine Galeone ist aufgebrummt und krängt etwas nach Steuerbord. Die anderen ankern. Sie sind mit Booten dabei, die aufgebrummte Galeone zu leichtern und das Zeug zu der kleinen Insel zu bringen – Little San Salvador. Ein paar Mann sind auch dabei, die Kanonenrohre abzufieren.“ „Laß sehen!“ zischte der Erste. Der Admiral reichte ihm den Kieker, und jetzt peilte Eddy hinüber zu den spanischen Schiffen. „Ich gehe jede Wette ein“, sagte der Admiral, „daß es sich bei den fünf Torfkähnen um jene Kriegsschiffe handelt, die der Gouverneur von Kuba angefordert hat.“ „Die Wette gewinnst du“, knurrte der Erste. „Wir müssen weg und unsere Leute warnen, Admiral!“ „Dann los“, sagte der Admiral entschlossen. Sie schoben sich zurück, fegten den Dünenhang hinunter und machten ihre „Little Isabella“ wieder seeklar. Alles wurde verstaut, und der Admiral beschäftige sich mit der Seekarte, während der Erste noch ein paar Kokosnüsse einsammelte. Dann wuchteten sie die Jolle zurück ins Wasser, kletterten hinein, stakten vom Strand weg, bis es tiefer wurde, und setzten die Segel; *
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Sie segelten auf Biegen und Brechen oder auf Teufel komm raus. Der Wind – und das war günstig – hatte auf Osten gedreht und wehte stärker als am Vortag. Sie brauchten nicht zu kreuzen, sondern konnten mit halbem Wind über Backbordbug segeln. Die „Little Isabella“ stürmte nur so dahin, zumal die See in Lee von Eleuthera relativ ruhig war. Am Abend erreichten sie die kleine Insel Current, die vor der Nordwestspitze von Eleuthera liegt. Sie landeten noch einmal, aber nicht, um zu rasten oder sich die Füße zu vertreten. Auch das war die Idee des Ersten gewesen. „Wir müssen uns abpolstern“, sagte er, bevor sie auf Current zuliefen. Der Admiral war zerstreut, weil er sich bereits auf den Schlag über den freien Kanal konzentrierte. Er würde nicht Nordwestkurs, sondern Nordnordwestkurs segeln, fast direkt auf die Cherokee-Bucht zu, um die Strecke etwas abzukürzen. „Was sagst du?“ fragte er. „Wir müssen uns abpolstern“, wiederholte der Erste. „Wie? Was abpolstern, verdammt?“ „Den Hintern, Admiral“, erklärte der Erste sachlich. „Ob wir nun den Feind gesichtet haben oder nicht, bleibt Jacke wie Hose. Der Wikinger wird. uns verkloppen. Aber ich habe keine Lust, mich verkloppen zu lassen, daß ich hinterher nicht mehr sitzen oder liegen kann. Daher schlage ich vor, daß wir unsere Achtersteven mit Seegras abpolstern.“ „Hervorragend, Erster!“ lobte der Admiral. „Eine sehr sehr gute Idee!“ Ihm war nämlich auch schon klar geworden, daß die Stunde der Wahrheit immer näherrückte. Und der Erste hatte völlig recht. Der Nordmann würde keinerlei Hemmungen haben, das durchzuführen, was er ihnen versprochen hatte, wenn sie das Segelrevier unerlaubt verließen. Popoklatsche! Aber ihn anzuschmieren war eine gute Sache, ja geradezu ein Gebot, wenn man diese Klippe der Schmerzen unbeschadet umschiffen wollte.
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Darum also steuerten sie die Ostspitze von Current an, ließen die „Little Isabella“ auf den Sandstrand laufen, stiegen an Land, bewaffnet mit Messern, und säbelten Seegras ab. Natürlich grinsten sie, als sie die Hosen hinunterließen und jene Stelle polsterten, auf der man zu sitzen pflegt. Zwar würde ihr Hinterteil gewölbter als sonst sein, aber wenn sie jetzt noch ein paar Stunden draufsaßen, drückte sich die Polsterung flacher, würde aber dennoch ihren guten Zweck erfüllen. Ja, ja, findig muß der Seemann sein! Und der Erste war ein hervorragender Seemann, alle Achtung! Sie legten wieder ab, durchsegelten die Passage zwischen Current und der Nordwestspitze von Eleuthera und stießen in den Kanal vor – Nordnordwestkurs über Backbordbug und Wind aus Osten. Er war ihnen treu geblieben und hatte nicht auf Nordosten zurückgedreht, was sie zum Kreuzen gezwungen hätte. Zwischen vier und fünf Uhr morgens – nach über neun Stunden seit Verlassen von Current – zischten sie durch die Passage der Cherokee-Bucht. Aber diesmal wurde auf dem Schwarzen Segler aufgepaßt. „Halt! Wer da?“ brüllte eine Stimme auf dem Achterdeck des Viermasters. Wessen Stimme? „Ach, du dickes Ei“, murmelte der Admiral, holte Luft und brüllte: „ ,Little Isabella', Sir – von Erkundungsfahrt zurück! Haben Feind gesichtet – höchste Alarmstufe!“ Es war wie immer. Er saß groß und wuchtig auf seinem „Sesselchen“ und kratzte sich verdutzt am Helm. Dann sprang er auf, stürzte ans Schanzkleid an Backbord und röhrte: „Verbitte mir diesen Quatsch, du Rotznase! Und was euch jetzt blüht, wißt ihr ja wohl!“ „Aye, aye, Sir!“ schrie der Admiral wütend. „Aber Kinder verkloppen kann jeder, der so groß ist wie du!“ Dem Wikinger verschlug's fast die Sprache. Dann donnerte er: „Auch noch frech werden, wie? Na warte!“ „Ich sag's, wie's ist!“ schrie der Admiral.
Davis J.Harbord
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„Jawohl!“ schrie jetzt auch der Erste. „Wenn wir so groß wären wie du, würden wir dir schon zeigen, was 'ne Faust ist!“ Und damit brausten sie auf den Werftsteg zu. Ihr Anlegemanöver war exakt wie immer. Überall auf den Schiffen war der Teufel los. Auch bei den Hütten begann es zu rumoren. Wenn der Wikinger mit seiner Donnerstimme einmal losbrüllte, dann schreckte auch der tiefste Schläfer hoch. Auf dem Schwarzen Segler enterte der Wikinger in die Jolle ab. „Die beiden ,Empress`-Schiffe sind weg“, sagte der Admiral etwas erstaunt. Sie standen jetzt beide auf dem Werftsteg, nachdem sie die Jolle vertäut hatten. „Sie suchen uns“, sagte der Erste und tastete nach seinem Hosenboden. Doch ja, die Polsterung saß gut. Da konnte man dem Unausweichlichen getrost entgegensehen. Die Jolle des Schwarzen Seglers schäumte heran, gepullt von Eike und dem Stör. Der Wikinger thronte wie ein Rachegott auf der Achterducht, den Blick starr auf die beiden Gestalten auf dem Steg gerichtet. „Na denn“, murmelte der Admiral und straffte sich, als die Jolle an den Steg bumste. Der Wikinger war mit einem Satz oben, schnappte sich den Admiral, legte ihn in der Luft flach und verwamste ihm den Hosenboden. Und dann war der Erste dran. Genau wie sein Admiral gab er keinen Mucks von sich. Als er wieder auf den Füßen stand, schaute er zu dem Wikinger hoch und sagte trotzig: „Wenn du dich ausgetobt hat, Sir, können wir ja wohl endlich melden, was wir gesichtet haben. Oder ist das unwichtig, daß drei spanische Kriegsgaleonen und zwei Kriegskaravellen an der westlichen Nordspitze von Cat Island liegen, eine von den drei Galeonen aufgebrummt ist und jetzt geleichtert werden muß, um sie wieder vom Riff zu ziehen?“ Der Wikinger stierte auf den Kleinen hinunter und sagte gefährlich leise: „Du hast wohl noch nicht genug, du Lümmel? Erst bei Nacht und Nebel abhauen und uns
Eine Jolle namens „Little Isabella“
dann noch Lügenmärchen auftischen, wie?“ „Das sind keine Lügenmärchen, Sir“, sagte der Admiral mit einer sonderbaren Schärfe und er blickte dem Wikinger vierkant und furchtlos in die Augen. „Wenn du uns nicht glauben willst, dann ist das deine Sache. Uns als Lügner zu bezeichnen, weise ich zurück. Wir haben gestern früh genau das gesichtet, was Eddy berichtet hat. Da kannst du dich auf den Kopf stellen oder uns weiter verprügeln. Es ist so, und dafür lege ich meine Hand ins Feuer.“ „Du willst behaupten“, schnaubte der Wikinger, „daß ihr bis hinunter an die Südspitze von Eleuthera gese-¬ gelt seid?“ „Ich behaupte es nicht, ich sage es“, erwiderte der Admiral. Inzwischen waren fast alle vom Bund der Korsaren – mit Ausnahme der beiden Mannschaften für die „Empress“Karavellen – um die beiden Jungen versammelt und hörten zu. „Ich glaube ihm“, sagte jetzt Edmond Bayeux, Der Kapitän der „Le Griffon II.“, und er sagte es sehr entschieden. „Auch Eddy lügt nicht. Es muß stimmen, was sie berichten. Auf der nördlichen Westseite von der Cat-Insel zieht sich eine Korallenbarriere nach Westen bis zu der kleinen Insel San Salvador. Dort kann sehr gut eine Galeone auflaufen. Sich eine solche Geschichte auszudenken, wäre reichlich absurd. Wir sollten den beiden Jungen dankbar sein, daß sie aus- gerissen sind und das Glück hatten, die fünf spanischen Schiffe zu sichten. Außerdem haben sie eine seemännische und navigatorische Leistung vollbracht – und das mit einer kleinen Jolle! –, daß ich nur mit Respekt und Anerkennung meinen Hut ziehen kann. Die Jungen deswegen zu verprügeln, ist ein schlechter Dank für eine Feindmeldung, mein lieber Thorfin, ob Revierüberschreitung oder nicht – sie haben bewiesen, daß sie ganze Kerle sind, daß sie ihre Jolle beherrschen und die Berechtigung haben, nunmehr auch woanders zu segeln als nur hier in der Bucht. Und vielleicht sollten sie demnächst auf dem einen oder anderen unserer
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Schiffe als Moses anheuern, um noch mehr zu lernen. Ich bin jedenfalls bereit, sie zu mir an Bord zu nehmen – so sie wollen!“ „Sofort, Sir!“ krähten die beiden Sünder und strahlten. Der Wikinger räusperte sich und sagte: „In Ordnung, Edmond. Ich schließe mich dir an und ziehe meinen Helm!“ Und tatsächlich nahm er seinen Helm ab und deutete eine kleine Verbeugung vor dem Admiral und seinem Ersten an. „Ihr seid zwei prächtige Kerlchen“, sagte er und fügte etwas leiser hinzu: „Aber gesorgt habe ich mich trotzdem um euch Schlingel. Mit der Kloppe sind wir wieder quitt, einverstanden?“
Eine Jolle namens „Little Isabella“
„Aye, aye, Sir!“ schrien die beiden. Drüben auf der Westseite der Insel auf einer hohen Düne wurde ein Feuer entzündet – Rückrufsignal für die beiden „Empress“-Karavellen unter Jean Ribault und Siri-Tong. Das war so vereinbart worden, wenn die beiden Jungen unerwartet zurückkehren sollten. Das Signal wurde gesichtet. Gegen Mittag segelten die beiden kleinen Karavellen in die Cherokee-Bucht –mit zwei Müttern, die vor Erleichterung weinten, als sie ihre winkenden Sprößlinge entdeckten. Und dann wurde beraten – wegen der fünf spanischen Kriegsschiffe...
ENDE