Kathia Serrano-Velarde Evaluation, Akkreditierung und Politik
Kathia Serrano-Velarde
Evaluation, Akkreditierung und ...
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Kathia Serrano-Velarde Evaluation, Akkreditierung und Politik
Kathia Serrano-Velarde
Evaluation, Akkreditierung und Politik Zur Organisation von Qualitätssicherung im Zuge des Bolognaprozesses
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15843-3
Danksagung
Eine Vielzahl lieber Menschen gebührt Dank für die Unterstützung, die sie mir in den letzten drei Jahren haben zukommen lassen. An erster Stelle möchte ich Herrn Prof. Dr. Hans-Peter Müller danken, der sich von Anfang an für mich und mein Forschungsprojekt eingesetzt hat. Er hat mich gelehrt, was es heißt, soziologisch zu arbeiten. Dafür bin ich ihm außerordentlich dankbar. Ebenso gilt mein Dank meiner Zweitbetreuerin Frau Dr. Christine Musselin und ihren Kollegen aus dem Centre de la Sociologie des Organisations, an dem ich für mehrere Monate geforscht habe. Ihre Ratschläge und Kommentare bei der Erhebung und theoriegeleiteten Auswertung des Datenmaterials waren mir eine unschätzbare Hilfe. Außerdem möchte ich mich bei den Mitgliedern des Colloquiums vom Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie der Humboldt-Universität zu Berlin, den Mitgliedern des Centre Marc Bloch und meinen Kollegen des EUREDOCS-Netzwerkes für ihre hilfreichen methodischen und inhaltlichen Hinweise bedanken. Diese Arbeit wäre ohne die Unterstützung der Berlin Graduate School of Social Sciences und die Kooperationsbereitschaft meiner Interviewpartner nicht zustande gekommen. Mein Dank gilt auch ihnen. Ich danke dem Verein für Berliner Kaufleute und Industrieller für ihre Unterstützung bei der Publikation. Herrn Dr. Henri Band sei gedankt für seine hervorragenden stilistischen Korrekturvorschläge. Ferner möchte ich mich ganz herzlich bei Herrn Dr. Hinrich Voss bedanken für seine konstruktive Kritik bei der Überarbeitung einzelner Entwürfe und seine unermüdliche, stets gut gelaunte Hilfsbereitschaft. Last but not least möchte ich mich bei meiner lieben Familie und meinen Freunden bedanken: Für ihre Rücksicht und das Verständnis, welches sie mir in den letzten Jahren entgegengebracht haben. Und für die Fürsprache und Ermunterung in den richtigen Augenblicken. Ich widme dieses Buch meiner Mutter Michèle. Kathia Serrano-Velarde
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Abkürzungen ............................................................................. 11 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen ........................................................ 13 1
Evaluation, Akkreditierung und Politik. Zur Organisation von Qualitätssicherung im Zuge des Bolognaprozesses ................................ 15
1.1 Einführung in die Forschungsproblematik .................................................. 15 1.2 Das europäische Projekt zur Realisierung einer European Higher Education Area ................................................................................ 19 1.2.1 Qualitätssicherung im Bolognaprozess: Eine Begriffsklärung ......... 19 1.2.2 Bologna als Regulierung von Wissensinhalten? Inhaltsanalyse der europäischen Richtlinien ..................................... 21 1.2.3 Das europäische Implementierungsdilemma..................................... 24 1.3 Stand der Forschung .................................................................................... 30 1.3.1 Forschungsstand zur Qualitätssicherung im europäischen Hochschulraum.................................................................................. 30 1.3.2 Situierung der Studie im Forschungskontext .................................... 37 2
Die Geschichte der Qualitätssicherung im deutschen Hochschulraum .......................................................................................... 39
2.1 Einleitung..................................................................................................... 39 2.2 Das Humboldtsche Exzellenzideal: Hochschulqualität und Staatsverständnis von 1800 bis 1970........................................................... 42 2.2.1 Die Gründung eines neuen Universitätstypus ................................... 42 2.2.2 Die Universität zwischen Exzellenzauftrag und dem Anspruch ökonomischer Verwertbarkeit ........................................................... 46 2.3 Der Staat als Garant für Hochschulqualität: Hochschulplanung in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren .................... 51 2.3.1 Hochschulideale und -realität der 1960er Jahre ................................ 51 2.3.2 Rationalisierung des Qualitätsanspruchs an deutschen Hochschulen in den 1970er Jahren.................................................... 53 2.3.3 Steuerungskrise und Debatten der 1980er Jahre ............................... 56
8
Inhaltsverzeichnis
2.4 Steuerungspolitik im Umbruch? Hochschulentwicklung in den 1990er Jahren............................................................................................... 59 2.4.1 Die Sicherung der Hochschulqualität................................................ 59 2.4.2 Europäische Beiträge zur Entwicklung nationaler Qualitätssicherung: The EU Pilot Project for Evaluating Quality in Higher Education.............................................................. 63 2.4.3 Staatliche Deregulierungspolitik und die Einführung der Akkreditierung................................................................................... 65 2.5 Qualitätssicherung als Komponente eines neuen Steuerungsmodus........... 70 2.5.1 Definition und Rolle der Qualitätssicherung im deutschen Hochschulraum: eine Synthese ......................................................... 70 2.5.2 Das Konzept der Kontextsteuerung aus der systemtheoretischen Perspektive....................................................... 72 2.5.3 Grenzen der Selbststeuerung ............................................................. 74 2.6 Fazit ........................................................................................................... 76 3
Theoretischer Bezugsrahmen ................................................................... 79
3.1 Einleitung..................................................................................................... 79 3.2 Das organisationale Feld als Analyseeinheit ............................................... 81 3.2.1 Methodologische Erläuterungen zum Feldkonzept........................... 81 3.2.2 Strukturation als Vektor organisationaler Anpassung....................... 84 3.2.3 Das organisationale Feld deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen ................................................................. 87 3.3 Ein institutionstheoretischer Erklärungsrahmen.......................................... 90 3.3.1 Qualitätssicherung als Moment deutscher „Institutionenpolitik“......................................................................... 90 3.3.2 Organisationen, Institutionen und Spielregeln: Institutionsökonomische Ansätze organisationalen und institutionellen Wandels .................................................................... 91 3.3.3 Institutionelle Spielregeln als constraints und resources.................. 96 3.3.4 Exkurs zu den informal rules des institutionellen Umfelds. Professionelle Werte im Akkreditierungs- und Evaluationsgeschäft......................................................................... 101 3.4 Methodischer Bezugsrahmen .................................................................... 102 3.4.1 Pilotstudie zur qualitativen und quantitativen Analyse des organisationalen Feldes ................................................................... 103 3.4.2 Qualitative und quantitative Methoden der Datenerhebung und -auswertung .............................................................................. 105 3.5 Fazit ......................................................................................................... 109
Inhaltsverzeichnis
4
9
Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes deutscher Qualitätssicherungsagenturen .............................................. 111
4.1 Einleitung................................................................................................... 111 4.2 Die Entstehung des organisationalen Feldes deutscher Evaluationsund Akkreditierungsagenturen .................................................................. 112 4.2.1 Organisations- und Verfahrensmodelle der Evaluation .................. 112 4.2.2 Entstehung eines nationalen Akkreditierungsmarktes .................... 123 4.2.3 Agenturgründungen und Wettbewerb in der Akkreditierungsbranche .................................................................. 127 4.2.4 Strukturmerkmale des organisationalen Feldes deutscher Qualitätssicherung ........................................................................... 136 4.3 Evaluation, Akkreditierung und Politik: Die Agenturen und das politische System ....................................................................................... 136 4.3.1 Wiederverwertung der Evaluationsergebnisse ................................ 137 4.3.2 Politische Interventionsmöglichkeiten im Akkreditierungsgeschäft.................................................................. 142 4.3.3 Emanzipierung vom politischen System? Der Diskurs der ‚Staatsferne‘ und die Realität politischer Einflussmöglichkeiten im organisationalen Feld ............................ 145 4.4 Zum konfliktgeladenen Verhältnis von Dienstleister und Kunde: Evaluation und Akkreditierung an den Hochschulen ................................ 149 4.4.1 Evaluations- und Akkreditierungsagenturen als Teil des Hochschulsystems?.......................................................................... 149 4.4.2 Wer sind die Experten des Evaluations- und Akkreditierungsverfahrens? ............................................................ 153 4.5 Einflussnahme von Interessenverbänden auf das Geschäft der Qualitätssicherung?.................................................................................... 158 4.5.1 Die Rolle der Berufsverbände im deutschen Evaluations- und Akkreditierungswesen ..................................................................... 158 4.5.2 Studentische Mitwirkung am Evaluations- und Akkreditierungsgeschehen .............................................................. 159 4.6 Evaluations- und Akkreditierungsagenturen zwischen Kooperation und Wettbewerb: Das Netzwerk deutscher Qualitätssicherungsagenturen .................................................................... 160 4.6.1 Methodische Anmerkungen zur Erhebung und Analyse der Netzwerkdaten................................................................................. 160 4.6.2 Strukturmerkmale des interorganisationalen Netzwerks................. 164 4.6.3 Kooperation und Wettbewerb im organisationalen Feld................. 172 4.7 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse ..................................... 176
10 5
Inhaltsverzeichnis
Europapolitik der Qualitätssicherung ................................................... 181
5.1 Einleitung................................................................................................... 181 5.2 Transnationale Zusammenschlüsse nationaler Evaluations- und Akkreditierungsagenturen.......................................................................... 182 5.2.1 Beschaffenheit und Funktion transnationaler Netzwerke der Qualitätssicherung ........................................................................... 182 5.2.2 Die Politisierung europäischer Netzwerke ...................................... 184 5.3 Politische Einflussmöglichkeiten auf europäischer Ebene? Mitwirkung deutscher Agenturen im ENQA-Netzwerk............................ 188 5.3.1 Koalitionen und Interessengemeinschaften im ENQANetzwerk.......................................................................................... 188 5.3.2 Kooperation und Wettbewerb zwischen deutschen Agenturen auf europäischer Ebene.................................................................... 191 5.4 Entstehung eines transnationalen Marktes der Qualitätssicherung? ......... 193 5.4.1 Gründung eines europäischen Registers für Qualitätssicherungsagenturen.......................................................... 193 5.4.2 „Closed shops“: Vom Akkreditieren im europäischen Ausland ..... 198 5.5 Fazit ......................................................................................................... 203 6
Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick .................... 205
6.1 Zwischen Staat und Hochschule................................................................ 205 6.2 Die Struktur des organisationalen Feldes: Zusammenfassung der Analyseergebnisse ..................................................................................... 207 6.2.1 Strukturation und strukturelle Merkmale des Feldes deutscher Qualitätssicherung ........................................................................... 207 6.2.2 Die vertikale Integration des organisationalen Feldes .................... 208 6.2.3 Die horizontale Integration des organisationalen Feldes ................ 210 6.3 Kritische Reflexion des theoretischen Bezugsrahmens............................. 214 6.3.1 Korrelation vertikaler und horizontaler Integration ........................ 214 6.3.2 Entwicklungspotential der Strukturationstheorie organisationaler Felder .................................................................... 215 6.4 Europapolitik der Qualitätssicherung: Grenzen eines europäischen Strukturbildungsprozesses ......................................................................... 218 6.5 Evaluations- und Akkreditierungsagenturen: Treibende oder Getriebene der staatlichen Deregulierungspolitik?.................................... 220 6.6 Schlusswort................................................................................................ 221 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 223
Verzeichnis der Abkürzungen
A-CBC
Akkreditierungsagentur für die Studiengänge Chemie, Biochemie und Chemieingenieurwesen an Universitäten und Fachhochschulen ACQUIN Akkreditierungs-, Certifizierungs- und Qualitätssicherungsinstitut e.V. AHD Arbeitsgemeinschaft für Hochschuldidaktik e.V. AHPGS Akkreditierungsagentur für Studiengänge im Bereich Heilpädagogik, Pflege, Gesundheit und Soziale Arbeit e.V. AQAS Agentur für Qualitätssicherung durch Akkreditierung von Studiengängen e.V. ASII Akkreditierungsagentur für Studiengänge der Ingenieurwissenschaften und der Informatik ASIIN Akkreditierungsagentur für Studiengänge der Ingenieurwissenschaften, der Informatik, der Naturwissenschaften und der Mathematik e.V. BDA Bund Deutscher Arbeitgeber BGB Bürgerliches Gesetzbuch BRD Bundesrepublik Deutschland CHE Centrum für Hochschulentwicklung DDR Deutsche Demokratische Republik DIHK Deutsche Industrie- und Handelskammer DKGW Deutsche Koordinierungsstelle für Gesundheitswissenschaft ECA European Consortium for Accreditation EHEA European Higher Education Area ENQA European Association for Quality Assurance for Higher Education ENWISS Evaluationsnetzwerk Wissenschaft EQUIS European Quality Improvement System ESIB National Unions of Students in Europe ESOEPE European Standing Observatory for the Engineering Profession and Education EU European Union EUA European University Association EURASHE European Association of Institutions in Higher Education Evalag Evaluationsagentur Baden-Württemberg FIBAA Foundation for International Business Administration Accreditation GDCh Gesellschaft Deutscher Chemiker HRG Hochschulrahmengesetz HRK Hochschulrektorenkonferenz IAUP International Association of University Presidents KapVO Kapazitätsverordnung
12 KMK LEU NVAO NVB OAQ OECD QAA RPO UNESCO VCI VDI WR ZEvA
Abkürzungsverzeichnis
Kultusministerkonferenz Lehrevaluation in der Universitätspartnerschaft Nederlands-Vlaamse Accreditatieorganisatie Verbund Norddeutscher Universitäten Schweizer Organ für Akkreditierung und Qualitätssicherung Organisation for Economic Co-operation and Development Quality Assurance Agency Rahmenprüfungsordnung United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization Verband der Chemischen Industrie Verein Deutscher Ingenieure Wissenschaftsrat Zentrale Evaluations- und Akkreditierungsagentur Hannover
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Abbildung 1: Wissensbasierter Produktionszyklus ........................................... 22 Abbildung 2: Anteil internationaler Studierender in Deutschland .................... 25 Abbildung 3: Das organisationale Feld deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen............................................................ 89 Abbildung 4: Politische Einflussmöglichkeiten im deutschen Akkreditierungssystem .............................................................. 144 Abbildung 5: Kooperationsnetzwerk deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen.......................................................... 162 Abbildung 6: Informationsnetzwerk deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen.......................................................... 163 Abbildung 7: Ratgebernetzwerk deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen.......................................................... 163 Abbildung 8: Dichtefunktion im Kooperations-, Informations- und Ratgebernetzwerk ...................................................................... 165 Abbildung 9: Pfaddistanzen und Kohäsion im Kooperations-, Informations- und Ratgebernetzewerk ...................................... 166 Abbildung 10: Zentralitätsmaße im Kooperations-, Informations- und Ratgebernetzwerk ...................................................................... 168 Abbildung 11: Cliquen im Kooperations-, Informations- und Ratgebernetzwerk ...................................................................... 170 Abbildung 12: Factions im Kooperations-, Informations- und Ratgebernetzwerk ...................................................................... 171 Abbildung 13: Strukturelle Äquivalenzen im Kooperations-, Informationsund Ratgebernetzwerk ............................................................... 171 Abbildung 14: Der Politzyklus Bolognas .......................................................... 187 Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3:
Anzahl der Interviews pro Akteursgruppe im Feld deutscher Qualitätssicherung ..................................................... 106 „Formal“ und „informal constraints“ deutscher Evaluationsagenturen................................................................. 178 „Formal“ und „informal constraints“ deutscher Akkreditierungsagenturen.......................................................... 179
14 Tabelle 4: Tabelle 5:
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
„Institutional constraints“ deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen auf europäischer Ebene ................... 204 Ergebnisse der quantitativen Netzwerkanalyse in Bezug auf die Strukturationsvariablen von DiMaggio und Powell ...... 211
1 Evaluation, Akkreditierung und Politik. Zur Organisation von Qualitätssicherung im Zuge des Bolognaprozesses
1.1 Einführung in die Forschungsproblematik Seit Anfang der 1990er Jahre lässt sich ein Reformtrend in der europäischen Hochschullandschaft beobachten, der die Entstehung eines neuen Dienstleistungssektors initiierte und begleitete: die Einführung von Qualitätssicherung, besser gesagt von Evaluations- und Akkreditierungsmechanismen in die nationalen Hochschulsysteme. Der Strukturbildungsprozess, der diese Reform begleitete und die Gründung nationaler Institute und Organisationen der Qualitätssicherung zur Folge hatte, weist zwei Eigenschaften auf: Zum einen wuchs das nationale Interesse an Evaluations- und Akkreditierungsleistungen als innovative Steuerungsinstrumente einer staatlichen Hochschulpolitik, deren Ex-ante-Regulierungsstrategien seit den 1980er Jahren immer mehr unter Kritik gerieten. Zum anderen wurde das Thema Qualitätssicherung im Zuge der Internationalisierung und Öffnung nationaler Hochschulmärkte als Verbraucherschutz-Policy entdeckt und in den relevanten internationalen Politikforen thematisiert (Van der Wende/Westerhejiden 2001). Diese Debatten hatten wiederum Auswirkungen auf die nationale Gestaltung der Steuerungsinstrumente. Die Organisation von Qualitätssicherung ist daher als dynamischer Prozess zu verstehen, in dem nationale und internationale Reformdiskussionen, PolicyVorlagen und Interessen aufeinander treffen, um die Gründung und Ausrichtung neuer Strukturen der Qualitätskontrolle im Hochschulbereich zu bestimmen. In Folge der Hochschulexpansion einerseits und der stagnierenden Wirtschaftslage andererseits rückten bereits Mitte der 1970er Jahre Fragen der optimalen Nutzung von Kapazitäten in den Vordergrund politischer Steuerungsabsichten. Als sich die Krise staatlicher Hochschulplanung Ende der 1980er Jahre dramatisch zuspitze, setzten sich privatwirtschaftlich informierte Reformprinzipien in der politischen Diskussion durch. New-Public-Management-Konzepte
16
1 Evaluation, Akkreditierung und Politik
der Verwaltungsmodernisierung inspirierten die Hochschulreformen west- wie osteuropäischer Länder (Csizmadia 2006; Musselin 2001; Green/Wolff/Leney 1999; Amaral 2003). Die staatliche Detailsteuerung sollte zugunsten einer Ermöglichungs- oder Kontextsteuerung aufgegeben werden, und den Hochschulen wurde eine breitere Entscheidungsautonomie zugesprochen. Die Stärkung der Hochschulautonomie ging einher mit einer neuen Form von Verantwortung, einer Verpflichtung der Hochschulinstitute zur effizienten und regulären Aufgabenbewältigung: Es genügte nicht mehr, die staatlichen Vorgaben einzuhalten und Regeln zu befolgen. Leistungsqualität sollte nachgewiesen und Rechenschaft über die Verwendung öffentlicher Gelder abgelegt werden. Allerdings konnte die Nachweisbarkeit von Leistung in Forschung und Lehre nicht länger über die staatlich koordinierte input-Steuerung erreicht werden, die in den meisten europäischen Ländern bis dahin praktiziert wurde. Sie bedurfte vielmehr der Einführung eines zusätzlichen output-orientierten Qualitätsbegriffes, der die Diskrepanz zwischen dem Ist- und Sollzustand des Hochschulangebotes und -managements zu erfassen und zu analysieren vermochte. Kurzum: Es mussten Informationsund Kontrollsysteme geschaffen werden, die 1) Daten zur realen Hochschulleistung und 2) eine Informationsgrundlage für Entscheidungsträger lieferten. Im Zuge der ansetzenden Verwaltungsmodernisierung und ihrer Deregulierungsbzw. Delegierungsstrategie, wurden diese Funktionen an professionelle Organe überantwortet, die sich der Datensammlung, -verarbeitung und der Erstellung detaillierter Gutachten widmeten: die sogenannten Evaluations- und Akkreditierungsagenturen. Evaluations- und Akkreditierungsagenturen wurden im Laufe der 1990er Jahre in nahezu allen europäischen Ländern eingerichtet. Obwohl die Steuerungsreform den Zeitgeist europäischer Hochschulpolitik widerspiegelte, verlief der Strukturbildungsprozess von Land zu Land unterschiedlich (Temple/Billing 2003; Westerhejiden 2001). Die Organisation der Qualitätssicherung wurde je nach Größe und Struktur des Hochschulsystems, je nach dem kontextspezifischen Verhältnis von Staat und Hochschule anders bewältigt. Während man z.B. in Litauen, Polen und Norwegen ein nationales Kontrollorgan ins Leben rief, das regelmäßige Evaluationen des Hochschulangebotes durchführte, wurden in den Niederlanden und Deutschland marktähnliche Systeme konkurrierender Akkreditierungsagenturen geschaffen (Schwarz/Westerheijden 2004; Berner/Richter 2001). Diese Agenturen nahmen sich der Qualitätsprüfung und Genehmigung neu eingerichteter Studiengänge an. Der Strukturbildungsprozess europäischer Qualitätssicherung enthält eine zweite, internationale Dimension, deren Besonderheit darin liegt, dass sie eben nicht vollkommen in den nationalen Reformprojekten aufgeht.
1.1 Einführung in die Forschungsproblematik
17
Seit Ende der 1990er Jahre haben Globalisierungstendenzen im Hochschulbereich die Diskussion um die Realisierung eines internationalen Netzwerkes der Qualitätssicherung ausgelöst. Ziel ist es, die Kunden der Hochschulbildung (also Studenten und potentielle Arbeitnehmer) vor unseriösen Ausbildungsangeboten zu schützen, die Liberalisierung des Hochschulmarktes durch die Einführung von Kontrollmechanismen zu regulieren und ggf. zu steuern (Van Damme 2001; OECD 2005; Knight 2002). Da, wo internationale Policy-Gremien wie die OECD und Unesco aber versagten, den Diskussionen Taten folgen zu lassen, weil sie die divergierenden Interessen der Hochschulexporteure und -importeure nicht aufeinander abzustimmen wussten, haben die europäischen Staaten erfolgreich Richtlinien zur Europäisierung nationaler Qualitätssicherungssysteme durchsetzen können: Die Qualitätssicherungsprinzipen des europäischen Reformprozesses zur Realisierung einer European Higher Education Area, dem sogenannten Bolognaprozess, stipulieren nicht nur die Einführung und Förderung nationaler Evaluations- und Akkreditierungsagenturen zur Qualitätskontrolle der Hochschullehre (wodurch mitunter der nationale Strukturbildungsprozess unterstützt wird), sie enthalten auch Angaben zur verstärkten Kooperation nationaler Agenturen und deren Partizipation am europäischen Politikprozess (Prague Communiqué 2001, Berlin Communiqué 2003, Bergen Communiqué 2005). Die Existenz eines transnationalen Netzwerkes funktionierender und aufeinander abgestimmter Qualitätssicherungssysteme wird im europäischen Reformkontext als Voraussetzung für die Koppelung nationaler Hochschulsysteme verstanden.1 Zwangsläufig muss die Organisation nationaler Qualitätssicherung beiden Momenten des Strukturbildungsprozesses Rechnung tragen: Evaluations- und Akkreditierungsagenturen sind erstens dazu angehalten, ihrer Funktion als innovatives Steuerungsinstrument nachzukommen. Sie sind Bestandteil einer reformierten staatlichen Steuerungspolitik und müssen sich dementsprechend den nationalen Prioritäten bzw. staatlichen Interessen unterordnen. 1
Hier wird auf den Kopplungsbegriff bei Humberto Maturana verwiesen, der die Integration strukturell determinierter und unabhängiger Einheiten als existentielles Interaktionsverhältnis begreift: „Lebewesen sind nach Maturana mit dem sie umgebenden Milieu strukturell verkoppelt. Das heißt, sie verwirklichen ihre Autopoiese auf eine Art und Weise, die ihren Fortbestand in dem Medium ermöglicht. Die Struktur eines Lebewesens und die Struktur der Umwelt sind in dem Sinne miteinander verträglich, sodass der Fortbestand des Lebewesens in der Umwelt möglich ist. Die Umwelt löst die Veränderung eines Lebewesens nur aus, determiniert sie aber nicht“ (Riegas/Vetter 1991: 336). In Anlehnung an Maturanas Kopplungsverständnis kann das Integrationskonzept Bolognas und seine nationalen Realisierungen auf einen externen Stimulus zurück geführt werden. Letzten Endes sind es aber die strukturell determinierte Einheit des nationalen Hochschulsystems, die systemeigenen Strukturen und Ressourcen, die den externen Stimulus aufarbeiten und umsetzen. Daher mag auch die (problematische) Vielfalt nationaler Implementierungstrategien rühren.
18
1 Evaluation, Akkreditierung und Politik
Zweitens stehen sie unter Druck, ihre Aktivitäten auf den europäischen Politikprozess abzustimmen. Die folgende Studie hat zum Ziel, den Strukturbildungsprozess und die daraus resultierenden Strukturen systematisch zu erfassen, zu analysieren und theoretisch zu reflektieren. Die Begriffe „Strukturbildungsprozess“ und „Organisation der Qualitätssicherung“ werden dabei als Synonyme für einen interaktiven Prozess verstanden, in dem unterschiedliche Interessenparteien aufeinander treffen, um über die Einführung von Qualitätssicherung und die Etablierung neuer Dienstleister zu verhandeln. Der Terminus „Organisation“ geht jedoch über den prozessualen Aspekt hinaus und beschreibt das Endprodukt einer Interaktion: ein Arrangement, besser gesagt ein mehr oder weniger dynamisches Handlungsgefüge, in dem die besagten Parteien Positionen bezogen haben und in dem die Auseinandersetzung um Qualitätssicherung ausgetragen werden kann.2 Über die letzten zehn Jahre hat sich die Evaluations- und Akkreditierungsbranche als potentieller neuer Arbeits- und Dienstleistungsmarkt entpuppt. Allein in Deutschland bietet der Markt für die Qualitätssicherung der Hochschullehre (d.h. die Evaluation und Akkreditierung von Studiengängen und Fachbereichen) rund 70 wissenschaftlichen Mitarbeitern eine Anstellung. Dabei bezieht sich diese Zahl nur auf die Angestellten unabhängiger Evaluations- und Akkreditierungsagenturen. Die Verwaltungsstellen an Universitäten und Fachhochschulen sowie die hochschulinternen Evaluationsinstitute werden also gar nicht mitgerechnet, obwohl mehrere 100 Stellen betroffen sind.3 Bislang wurde dieser rasanten Entwicklung nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Genau genommen besteht eine ernst zu nehmende Diskrepanz zwischen dem Ausmaß finanzieller Investitionen in den Strukturbildungsprozess und der öffentlichen Diskussion neuer Hochschulsteuerungsinstrumente. Die hochschulpolitische und wissenschaftliche Diskussion der Evaluations- und Akkreditierungssysteme beschränkt sich (national wie international) auf eine kleine Gruppe entscheidungsbefugter Akteure, Interessenvertreter und Insider. Der begrenzte Zugang zu Informationen über die Evaluations- und Akkreditierungspraxis und das langjährige Ausbleiben einer öffentlichen Debatte um die Ausrichtung und Funktion der neuen Hochschulsteuerungsinstrumente haben dazu geführt, dass die Deregulierung der Hochschulsteuerung vielerorts unsystematisch betrieben wurde: Im Gegensatz zum britischen Evaluationssystem, wo die Einführung des 2
3
Der Definition von Organisation als Prozess und Endprodukt soll später eine dritte Definition hinzugefügt werden. Im dritten Kapitel werden Organisationen im Sinne James Colemans (1992) als zweckrationaler Zusammenschluss von Akteuren beschrieben. Das vorliegende Projekt beschäftigt sich ausschließlich mit der Qualitätssicherung von Hochschullehre. Obwohl sich die Entstehung eines Dienstleistungsmarkts der Forschungsevaluation und des Wissenschaftsconsultings anbahnt (Kieser 2002), werden derartige Entwicklungen aus der Untersuchung ausgeklammert.
1.2 Realisierung einer European Higher Education Area
19
quality audit zur top-down-Implementierung eines neuen Handlungskodex geführt hat (Le Galès 2004, Le Galès/Scott 2005; Tapper/Salter 1992), verlief die deutsche Hochschulsteuerungsreform z.B. weniger geradlinig. Die Festlegung kohärenter Anreiz- und Sanktionsstrukturen wurde in Deutschland durch die Entscheidungsschwäche eines föderalen Politiksystems verhindert und unterliegt seitdem einer regionalen Variation. Dieser problematischen (weil unterbestimmten) Rechtssituation ist es zu verdanken, dass Evaluation Gefahr läuft, zu costcutting-Entscheidungen instrumentalisiert zu werden.4 Wie gehen die Evaluations- und Akkreditierungsagenturen mit diesen schwierigen Handlungsbedingungen um? Was für eine Rolle übernehmen sie de facto in der reformierten Steuerungspolitik? Das Forschungsprojekt „Zur Organisation von Qualitätssicherung im Zuge des Bolognaprozesses“ ist als Fallstudie des deutschen Qualitätssicherungssystems konzipiert. Am Beispiel deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen sollen die Dimensionen beleuchtet werden, die als prägende Merkmale des Strukturbildungsprozesses identifiziert wurden: die 1) steuerungs- und 2) europapolitischen Implikationen für die Organisation eines nationalen Evaluationsund Akkreditierungssystems.
1.2 Das europäische Projekt zur Realisierung einer European Higher Education Area 1.2.1 Qualitätssicherung im Bolognaprozess: Eine Begriffsklärung Versucht man die beiden Termini „Qualitätssicherung“ und „Bolognaprozess“ aufeinander zu beziehen, steht man vor einer doppelten Herausforderung: Zunächst einmal existiert keine einzige und/oder gültige Definition der Qualitätssicherung. Internationale Debatten und Konflikte verweisen immer wieder auf die komplizierte Geschichte des Qualitätsbegriffes im Hochschulbereich (Field 2003). Trotz der internationalen Diffusion der New-PublicManagement-Literatur, unterliegen die Konzipierung und Realisierung der Qualitätssicherung in der Hochschullehre also insofern einer Variation, als der Qualitätsbegriff selbst durch 1) die nationale Bildungstradition und 2) ein sozialgeschichtlich gewachsenes Verhältnis von Staat und Hochschule bestimmt ist.5 Auf 4 5
Die Auswirkungen der unklaren Rechtssituation von Evaluationen auf die Zweckentfremdung von Evaluationsergebnissen werden in Punkt 2.5 und 4.2 ausgeführt. „[The nationalization of higher education] had two major consequences. It bonded the university to the national community by nationally standardised procedures – pay scales and conditions of employment for academics (…). National legislation set (…) conditions of access and ad-
20
1 Evaluation, Akkreditierung und Politik
Ausführungen zum deutschen Begriff der Hochschulqualität und der Qualitätssicherung soll zunächst verzichtet werden, da das zweite Kapitel noch detailliert auf diesen Aspekt eingehen wird. Die nationale Eingebundenheit des Qualitätsbegriffes bzw. der Qualitätssicherung wird jedoch von der Vereinheitlichungstendenz Bolognas in Frage gestellt. Die zweite Herausforderung, die es nun zu bewältigen gilt, betrifft die unklare Begrenzung dessen, was mit dem Terminus „Bolognaprozess“ überhaupt gemeint ist. Der europäische Reformprozess wurde 1998 in Paris aus der Taufe gehoben (Sorbonne Declaration 1998). Der französische Bildungsminister Claude Allègre rief damals seine Kollegen aus Deutschland, Großbritannien und Italien auf, anlässlich des Gründungsjubiläums der Pariser Universität eine gemeinsame Erklärung zu unterschreiben, die eine Angleichung europäischer Hochschulstrukturen stipulierte und die studentische Mobilität sowie die Vergleichbarkeit akademischer Abschlüsse fördern sollte. Diese Erklärung setzte einen Reformprozess in Gang, der über die Jahre 46 Mitgliedstaaten einbezog und detaillierte Reformprinzipien zu Studienstruktur, Studienabschluss, Studienverlauf, Qualitätssicherung und Anerkennung im Hochschulbereich hervorbrachte. Die Reformen erfahren in den einzelnen Ländern eine mehr oder weniger kohärente Umsetzung, da weder Anreiz- noch Sanktionsmechanismen bestehen, die die Implementierung der Richtlinien steuern könnten.6 Ungeklärt bleibt bislang die Frage, wie sich der erfolgreiche Reformprozess analytisch am besten begreifen lässt. Handelt es sich um einen Policy-Prozess auf mehreren Ebenen, oder ist es ein internationaler Reformtrend? Sollte man nicht lieber von Bolognaprozessen – also von einer Mehrzahl von Reformprozessen – reden, um der divergierenden Art und Weise Rechnung zu tragen, mit denen die Mitgliedsstaaten das europäische Reformpensum zu bewältigen suchen? Die vorliegende Studie begreift den Bolognaprozess als bildungspolitische Plattform, im Rahmen derer Interessengruppen (darunter auch Vertreter nationaler Qualitätssicherungssysteme) in den Policy-Making-Prozess eingeschlossen
6
mission; defined the terms of accreditation; and, through the use of what is known as effectis civilis – that is, the right to confer diplomas that carried eligibility for public sector employment – reduced private establishments to marginal, if not vestigial, status. It is precisely this historic European construct of the national community as the highest level of aggregation and decision-making in higher education (…) that stands under duress (…) from the emerging supranational level“ (Neave 2003: 146). Elsa Hackl definiert den Bolognaprozess als Soft-Law-Handlungsprinzip nach Francis Snyder (1994): „If we follow Francis Snyder, who defines soft law as ‚rules of conduct which, in principle, have no legally binding force but which nevertheless may have practical effects‘, and take into account the effects of the Declaration, then it qualifies as soft law. The document [Sorbonne Declaration 1998] represents an intergovernmental statement and can be treated as public international soft law. But it is not Community soft law, since the declaration was not created by community institutions“ (Hackl 2001: 28).
1.2 Realisierung einer European Higher Education Area
21
werden und die Entwicklung europäischer Richtlinien zur Qualitätssicherung (und somit auch die Gestaltung nationaler Qualitätssicherungssysteme) nachhaltig beeinflussen.
1.2.2 Bologna als Regulierung von Wissensinhalten? Inhaltsanalyse der europäischen Richtlinien Die Erklärungen und Policy-Dokumente des Bolognaprozesses enthalten eine diffuse aber konstante sozialpolitische Komponente. Ziel dieses Abschnittes ist es, diese sozialpolitische Komponente zu explizieren und deren Einbindung und Verwirklichung in den einzelnen Reformprinzipien nachzuzeichnen.7 Im Vordergrund der hochschulpolitischen Bestrebungen steht die Einbindung des citoyen européen in ein gesellschaftspolitisches Weltbild, in dem er nur als Wissender am sozialen Wohlstand teilhaben und neue Formen der demokratischen Partizipation ausleben kann: „A Europe of knowledge is now widely recognised as an irreplaceable factor for social and human growth and as an indispensable component to consolidate and enrich the European citizenship, capable of giving its citizens the necessary competences to face the challenges of the new millennium, together with an awareness of shared values and belonging to a common social and cultural space“ (Bologna Communiqué 1999: 1).
Wissen wird demzufolge als Handlungskapazität im Sinne Stehrs (Stehr 1994) begriffen.8 Ein breiter Zugang zu Wissen als ökonomische, aber auch soziale und politische Ressource setzt eine Regulierung des Wissenserwerbs voraus. Das Individuum eignet sich Wissen an, damit es an den gesellschaftlichen Prozessen teilnehmen und seine ihm zustehenden Handlungsmöglichkeiten wahrnehmen kann. Aufgrund der stets wachsenden zugänglichen Wissensmengen sowie der dringlichen Notwendigkeit, innovatives Wissen in den Produktionsprozess ein7
8
Auf eine empirisch informierte Kritik an der Realisierung bzw. Realisierbarkeit der sozialpolitischen Dimension Bolognas wird an dieser Stelle verzichtet. Sie würde den Rahmen der Studie sprengen. Für den Soziologen Nico Stehr gewinnt Wissen an Distinktion aufgrund seiner Fähigkeit, die Wirklichkeit zu verändern: „Knowledge as capacity of action implies that access to knowledge is constitutive for the operational scope of the individual. The special importance of scientific and technical knowledge, in any modern society, derives not so much from the fact that it is at times treated as if it is essentially uncontested (or objective) but that it constitutes, more than any other form of modern knowledge, an incremental capacity for social action or an increase in the ability of ‚how to do it‘ which, moreover, may be privately appropriated, if only temporarily“ (Stehr 1994: 97).
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1 Evaluation, Akkreditierung und Politik
zubauen (zur Sicherung des Wettbewerbsvorteils), bedarf es einer Revision traditioneller Ausbildungswege. Schließlich müssen zukünftige Wissensarbeiter lernen, mit einer dynamischen Produktionsressource umzugehen. Um den Handlungs- und Produktionsspielraum vollends auszunutzen, wird die Möglichkeit des Wissenszuwachses in der Ausbildungsstruktur und im Prozess des Wissenserwerbs antizipiert. Ergo müssen nicht nur mehr Arbeiter auf den Markt kommen, die innovatives Wissen aufgrund ihrer wissenschaftlichen Hochschulausbildung rezipieren und verarbeiten können. Ihnen sollte auch die Möglichkeit zuteil werden, ihre wissenschaftliche Ausbildung, wann immer sie es für notwendig erachten, fortzusetzen und/oder auszuweiten. Daher auch das zentrale Bekenntnis Bolognas zur Förderung des lebenslangen Lernens (siehe u.a. Prague Communiqué 2001). Wissenschaftliche Neugier wird zum Wirtschaftsmotor, weil sie nicht mehr allein den Wissenschaftlern vorbehalten ist, sondern auch ein Kontinuum im professionellen Selbstverständnis europäischer Erwerbstätiger darstellt. Nur so lässt sich der wissensbasierte Produktionszyklus, d.h. der ständige Austausch zwischen Wissenschafts- und Produktionssystem (siehe Abbildung 1) schließen. Als wissenschaftlich qualifizierte Arbeitskraft ist der europäische Wissensarbeiter am Prozess der Wissensgenerierung beteiligt. Objektiviertes, produktives Wissen muss nicht länger ausschließlich aus wissenschaftlichen Kreisen stammen, um Innovationen im Produktionssystem anzustoßen – denn darauf Abbildung 1:
Wissensbasierter Produktionszyklus
1.2 Realisierung einer European Higher Education Area
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beruht der neue Wettbewerbsvorteil des sogenannten „europe du savoir“ (Sorbonne Declaration 1998). Forschungs- und bildungspolitische Stellungnahmen betonen die wachsende Bedeutung und Legitimität angewandten Wissens, von Wissen also, das außerhalb des Wissenschaftssystems, aus der Produktionspraxis heraus geboren und nachhaltig verwissenschaftlicht wird (Gibbons et al. 1994; Etzkowitz/Leydesdorff 1997). Der Übergang zwischen Wissenschaft und Produktionssystem gestaltet sich also fließend und produktiv unter der Voraussetzung, dass europäische Erwerbstätige in der Lage sind, diese Mediation durchzuführen. Um diese Herausforderung zu bewältigen, muss das Individuum konstant sein Wissen um produktionsrelevante Aspekte aktualisieren. Hierzu bedarf es einer gezielten Regulierung des Wissenserwerbs. Die Policy-Papiere des Bolognaprozesses stellen vorwiegend StandardRichtlinien zur Studienstruktur bereit. Aus diesem Grund sollte eine Unterscheidung zwischen der Regulierung von Wissensinhalten einerseits (Curriculumentwicklung) und Wissensprozessen andererseits (Studienreform) eingeführt werden. Mit dem Begriff „Wissensprozesse“ ist die intellektuelle Aneignung von Wissensinhalten gemeint: „Dinge, Fakten, Regeln zu kennen heißt, sie auf irgendwelche Art und Weise zu ‚appropriieren‘, sie in den eigenen Orientierungs- und Kompetenzbereich einzubeziehen (…). Der Wissensvorgang [sollte] vielmehr als Handlung gesehen werden, als etwas, was der Mensch tut“ (Stehr 1994: 22).
Versucht man den Bolognaprozess im Lichte dieser Erkenntnis zu analysieren, wird klar, dass die stipulierte Umgestaltung der Studienstruktur, d.h. die Sequenzierung von Lernprozessen in drei Studienzyklen und einer bestimmten Anzahl von Modulen sowie die Fixierung auf learning outcomes, eine tief greifende Veränderung akademischer Wissensprozesse begründet. Die Quantifizierung von Wissen und Wissensleistungen über das ECTS-Punktesystem bildet den Ausgangspunkt und die Grundlage der Studienreform. Wissensmengen lassen sich nun einmal besser berechnen und vergleichen als Wissensinhalte. Wissen wird dabei als schwarzer Kasten gehandhabt, das einer kontextspezifischen Variation unterliegt und lokal von Evaluations- und Akkreditierungsagenturen kontrolliert werden soll. Der Wissensprozess soll durch die einheitliche Sequenzierung des Wissenserwerbs in akkumulierbare Wissensmengen kontrolliert und gesteuert werden. Die Studienstruktur wird flexibilisiert, damit das Individuum lebenslang einen unkomplizierten Zugang zu Weiterbildungsangeboten im Wissenschaftssystem erhalten kann. Die Verwertbarkeit einer Qualifikation als provisorischer Ab-
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1 Evaluation, Akkreditierung und Politik
schluss eines Wissensprozesses wird dabei von der Anschluss- und Ausbaufähigkeit der belegten Wissenskompetenz bestimmt. Die Bildungspolitik Bolognas differenziert zwischen 1) der Homogenisierung von Wissensprozessen und 2) der operationalen Diversität von Wissensinhalten. In diesem Reformkontext erfüllen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen eine doppelte Funktion: Einerseits obliegt es ihnen, die regelgerechte Umsetzung der Studienstrukturreform zu verifizieren, die der Bolognaprozess auf nationaler Ebene angestoßen hat. Zwangsläufig fördern Evaluations- und Akkreditierungsagenturen durch die Überprüfung nationaler Studienstrukturen und ihrer Kompatibilität mit den Bologna-Vorgaben die Homogenisierung der Wissensprozesse im europäischen Hochschulraum. Andererseits setzen die Evaluations- und Akkreditierungsagenturen da an, wo Bologna halt macht: bei der Regulierung von Wissensinhalten. Durch punktuelle Qualitätskontrollen erfassen Agenturen das Hochschulangebot und setzen einen minimalen Qualitätsstandard durch.9 Institute und Organisationen der Qualitätssicherung regulieren Wissensinhalte mit, weil sie die qualitative Äquivalenz europäischer Hochschulangebote über lokale Kontrollen erfassen und sicherstellen. Die Existenz transnationaler, teilstandardisierter Verfahrensregeln (ENQA 2005b) der Qualitätssicherung soll eine internationale Anerkennung der Evaluations-/Akkreditierungsergebnisse (und somit auch des erfolgreich evaluierten/akkreditierten Studienganges bzw. der Hochschule) garantieren, ohne jedoch eine Homogenisierung der Wissensinhalte einzuleiten.
1.2.3 Das europäische Implementierungsdilemma Die Policy-Struktur Bolognas ist weltweit ein Unikat und lässt sich daher nicht vollständig in den Kategorien europäischer Integrationstheorien begreifen. Für Alec Stone Sweet und Wayne Sandholtz ist der europäische Integrationsprozess z.B. als Moment der Institutionsbildung zu verstehen, in dem transnationale Akteure supranationale Strukturen ins Leben rufen, um auf die Senkung internationaler Transaktionskosten hinzuwirken: „As transnational exchange rises in any specific domain (or cluster of related domains) so do the costs for governments of maintaining disparate national rules. As these costs rise, so do incentives for governments to adjust their policy positions in ways that favour the expansion of supranational governance“ (Sandholtz/Stone Sweet 1998: 4). 9
Diese Qualitätsstandards werden von Qualitätssicherungssystem zu Qualitätssicherungssystem unterschiedlich definiert und implementiert.
1.2 Realisierung einer European Higher Education Area
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Das Argument, europäische Integration sei das Resultat eines rationalen Kalküls der Akteure, die Kosten transnationaler Aktivitäten zu senken, indem sie die nationalen Gesetzgebungen konvergieren lassen, trifft (in beschränkter Weise) auch auf den Fall „Bologna“ zu: Im Zuge der Internationalisierung des Hochschul- und Arbeitsmarktes und der daraus entstehenden Freizügigkeit von Studenten und Absolventen ist das Bedürfnis nach einer kosteneffizienten Lösung für die Koordinierung nationaler Hochschulsysteme gewachsen.10 Abbildung 2 veranschaulicht den wachsenden Anteil ausländischer Studierender im deutschen Hochschulsystem, der seit 1970 um das Fünffache angestiegen ist (von 5 % auf 25 %). Die Graphik zum Anteil der Studierenden nach Herkunftsland verweist auf den kontinuierlichen, überproportionalen Anteil europäischer Studierender hin. 2005 waren 60 % der ausländischen Studierenden an deutschen Hochschulen Abbildung 2:
10
Anteil internationaler Studierender in Deutschland
Internationalisierung des Hochschulsystems wird im Sinne Peter Scotts am Grad der internationalen Mobilität von Studenten und akademischem Personal einerseits und an der Emergenz transnationaler Hochschulkooperationen andererseits fest gemacht (Scott 1998). Folglich wird unter dem Begriff „Internationalisierung des Arbeitsmarktes“ die steigende internationale Mobilität von Arbeitnehmern und die Emergenz transnationaler Unternehmensformen verstanden.
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1 Evaluation, Akkreditierung und Politik
Quelle: DSW/HIS 17. Sozialerhebung
europäischer Herkunft. Diese Feststellung gilt im Übrigen für nahezu alle europäischen Hochschulsysteme (OECD 2006) und mag das Bestreben der Bildungsminister erklären, eine europaweite Harmonisierung der Studienstrukturen durchzuführen. Die Generierung standardisierter Studienstrukturen sollte das komplizierte Geflecht bilateraler Kooperationsverträge und disparater Austauschprogramme im europäischen Hochschulraum vereinfachen, indem ein großer Teil der Verhandlungs- bzw. Transaktionskosten über die Anerkennung individueller Hochschulleistungen ausländischer Studierender wegfällt. Insofern kann das europäische Reformprojekt als rationales Kalkül der Regierungsvertreter verstanden werden, die Transaktionskosten studentischer Mobilität zu senken.11 Die 11
Ein alternativer Erklärungsversuch wird von Ulrich Teichler und Philipp Altbach angeführt: „Some continental European countries, especially those with strong national exchange programs, have become concerned that they are frequently not chosen as host country by students from newly emerging economies in Asia and students from other countries who tend to prefer to go to English-speaking countries. This situation, along with an effort to harmonize the academic systems of the European countries themselves, has convinced policy-makers in a number of European countries that a change of structure of study programs and degrees (…) is ne-
1.2 Realisierung einer European Higher Education Area
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Realisierung supranationaler Governance-Strukturen (im Sinne einer Erweiterung der Policy-Kompetenz europäischer Institutionen), die Alec Stone Sweet und Wayne Sandholtz als End- bzw. Nebenprodukt europäischer Integration beschreiben, blieb jedoch aus. Seit 1992 sind die Policy-Kompetenzen der Europäischen Union (EU) im Bildungsbereich eingefroren. Art. 126 und 127 des Maastricht Vertrags beschränken die Rolle der EU auf die Förderung intranationaler Kooperationen (Ertl 2003; DeWit/Verhoeven 2001). Das nationale Bildungswesen wurde zur zone interdite europäischer Regulierungsversuche erklärt: „The community shall contribute to the development of quality education by encouraging co-operation between member states and, if necessary, by supporting and supplementing their action (…). In order to contribute to the achievement of the objectives, the council (…) shall adopt incentive measures, excluding any harmonization of the laws and regulations of the member states“ (Maastricht Vertrag 1992, Art. 127).
Die Europäische Kommission war 1998 also nicht befugt, die Harmonisierung europäischer Studienstrukturen einzuleiten. Genau genommen reagierten Vertreter der Europäischen Kommission mit großer Überraschung, als sie von der Sorbonner „Erklärung zur Harmonisierung der Architektur der europäischen Hochschulbildung“ (Sorbonne Declaration 1998) erfuhren. Die Teilnahme der Europäischen Kommission an der darauffolgenden Ministerkonferenz in Bologna beschränkte sich zunächst auf einen Beobachterstatus: „1999, the European Commission was present as an observer of the Bologna process. [The EC representative was] not in the room during the debate or even when they signed the document, although five out of the six points were copy and paste from the Erasmus programme“ (Interviewpartner 27a).
Schon bald aber war auf die bildungspolitische Expertise der Kommissionsvertreter im Umgang mit transnationalen Fragestellungen nicht mehr zu verzichten.12 Schließlich hatte die Kommission schon Anfang der 1980er Jahre Erfahrungen mit Programmen zur Förderung der Studentenmobilität (wie z.B. das Erasmus- oder Comett-Programm) und stock-taking exercises gesammelt. Auf dem Hintergrund dieser Institutionalisierungsproblematik lassen sich wiederum die organisatorischen Schieflagen erläutern, die den Bolognaprozess
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cessary to attract students and to remain competitive in international education“ (Altbach/ Teichler 2001: 13). „It is the commission that has developed the know-how on almost every Bologna issue. Of course, the commission and the other community institutions can be criticised. But there are (…) huge achievements on higher education policy (excluding research)“ (Corbett 1999).
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1 Evaluation, Akkreditierung und Politik
von Anfang an begleiten: Da auf den Ausbau supranationaler Strukturen verzichtet wurde, stößt der Bolognaprozess auf Schwierigkeiten bei 1) der Verfestigung seiner Policy-Strukturen (Cerych 2002) und 2) bei der kohärenten Umsetzung seiner Policies. Ein ständiges Sekretariat des Bolognaprozesses existiert erst seit 2003. Erst seit der Berliner Konferenz im Jahre 2003 hat sich eine Bologna Follow-Up Group – ein komplexes System von Arbeitsgruppen, die die PolicyVorlagen der nächsten interministeriellen Konferenz erarbeiten – etablieren können. Der Bolognaprozess entwickelte nur langsam die „internal dynamic of institutionalisation“ (Sandholtz/Stone Sweet 1998: 11), die europäische Integrationsprozesse begleiten und laut Sandholtz und Stone Sweet eine europapolitische Eigendynamik entfalten. Für den Moment bleibt das Politikergebnis Bolognas das Produkt komplizierter, intergouvernementaler Aushandlungsprozesse. Die Implementierung obliegt dem guten Willen der Mitgliedstaaten, da diese als einzige über enforcement-Möglichkeiten verfügen.13 Das Politikforum Bologna hat sich also noch nicht von den nationalen Interessen seiner Gründer emanzipieren können. Die Begrenzung Bolognas auf bzw. durch nationalstaatliche Interessen wird insbesondere bei Fragen zur Europäisierung nationaler Qualitätssicherungssysteme deutlich: Das enjeu national der Qualitätssicherung, das an der kontextspezifischen Steuerungsfunktion von Evaluation und Akkreditierung festgemacht werden kann, verhindert nicht nur die Delegierung nationaler Regulierungskompetenzen an eine supra-nationale Instanz, sondern setzt auch der europäischen Reformagenda enge Grenzen (siehe Punkt 5.4). Für nationale Entscheidungsträger bietet Bologna zudem die Chance, Bildungsdebatten, innenpolitische Verstrickungen und institutionelle veto-points zu umgehen und nationale Reformen über die europäische Ebene einzuleiten (ohne die Europäische Kommission mit einzubeziehen). Die Richtlinien bieten genügend Gestaltungsspielraum, um die europäische Agenda auf nationale Reformprozesse abzustimmen (Aigner 2002). Jüngste Forschungsprojekte zur Geschichte und Entwicklung des Bolognaprozesses haben auf die Zweckmäßigkeit des europäischen Politikkonstrukts aufmerksam gemacht (Racké 2006; Ravinet 2005). Demnach verfolgten die vier Regierungsvertreter schon bei der Unterzeichnung des Sorbonne Declaration (1998) sehr unterschiedliche Intentionen und setzten einen Reformprozess in Gang, dessen Richtlinien später als PolicyVorlage für teilweise divergierende nationale Hochschulreformen diente: „Each one of the four ministers had his own motives for engaging in the European project and accepting the two cycle degree structure as the back bone of the document“ (Ravinet 2005: 20-25). Während der französische Bildungsminister Claude Allègre sich durch den europäischen Reformschub versprach, den nationalen 13
Für eine Definition des enforcement-Begriffs nach North siehe Punkt 3.3.
1.2 Realisierung einer European Higher Education Area
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Widerstand gegen die Einführung eines bachelorähnlichen Studienganges zu parieren (Attali 1999), war der deutsche Repräsentant darauf aus, die Implementierung der vierten Hochschulrahmengesetznovellierung (Hochschulrahmengesetz 1999) zu untermauern, welche die Einführung neuer Studiengänge an deutschen Hochschulen ermöglichte. Luigi Berlinguer, der damalige italienische Bildungsminister, erkannte das Potential einer zweigliedrigen Studienstruktur für die Bekämpfung einer enormen Studienabbruchquote. Der britische Regierungsvertreter hingegen unterschrieb die Erklärung als reine Vorsichtsmaßnahme. Schließlich waren die stipulierten Reformkonzepte für das britische Hochschulwesen harmlos. Das britische Hochschulstudium war bereits in zwei Zyklen (Bachelor und Master) gegliedert. Der Bolognaprozess erfüllte demnach schon zu Gründungszeiten keinen Selbstzweck. Er war bzw. ist an die Interessen jener Akteure gebunden, die ihn einst begründeten und auch weiterhin bestimmen: die nationalen Bildungsministerien. Policy-Richtlinien werden auf europäischer Ebene von Interessengruppen14 erarbeitet und auf nationaler Ebene rezipiert, im Lichte nationaler Reformprioritäten reflektiert, reinterpretiert und schließlich umgesetzt. So auch die Richtlinien zur Qualitätssicherung. Nationale Divergenzen in der Umsetzung der Bologna-Prinzipien zur Studienstrukturreform sind darauf zurückzuführen, dass keinerlei Strukturen existieren, welche die Kongruenz nationaler Implementierungsstrategien und europäischer Vorgaben positiv oder negativ hätten sanktionieren können. In den letzten Jahren hat sich zwar eine reguläre Berichterstattung um den Bolognaprozess herum organisiert. So erscheinen benchmarking-, stocktaking- und nationale Implementierungsberichte alle zwei Jahre anlässlich der interministeriellen Konferenz. Da die Berichte aber von den politischen Akteuren selbst redigiert werden, ist selten von offenen Dissonanzen im nationalen Implementierungsprozess die Rede. Eine zielgerichtete Kurskorrektur könnte anhand dieser Dokumente wohl kaum diskutiert, geschweige denn vorgenommen werden. Nationale Implementierungsprozesse gerieten in den letzten Jahren jedoch immer mehr in den Fokus der Wissenschaft. Soziologisch und politikwissenschaftlich inspirierte Studien lieferten detaillierte Analysen zum Bolognadiskurs auf europäischer und nationaler Ebene (Saarinen 2004), verglichen die Implementierung der Richtlinien in europäischen Regionen (Bielfeldt 2006), fokussierten auf die Frage der Konvergenz nationaler Hochschulpolitik (Witte 2006a, 2006b; Heinze/Knill 2008) oder wandten sich dem organisationalen Wandel auf 14
Zu den Interessenvertretern auf europäischer Ebene zählen u.a die European University Association (EUA) und die European Association for Quality Assurance in Higher Education (ENQA). Für detaillierte Ausführungen siehe Punkt 5.2 und 5.3.
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1 Evaluation, Akkreditierung und Politik
Hochschulebene zu (Pechar/Pellert 2004). Meist fokussierten diese Studien auf die Studienstrukturreform (d.h. die Modularisierung, die Einführung von ECTS, die drei-zyklische Struktur). Der Aspekt der Qualitätssicherung erfuhr bislang wenig Aufmerksamkeit. Dies mag der Komplexität des Analyseobjekts geschuldet sein: der Verdichtung nationaler und europäischer Richtlinien hin zu einem komplizierten Strukturbildungsprozess, der – je nach Beschaffenheit des nationalen Hochschulsystems – unterschiedlich ausfällt. Vielleicht ist das Forschungsmanko aber auch auf die problematische Datenlage zu Evaluations- und Akkreditierungsfragen zurückzuführen. Informationen und Berichte zur Gestaltung und Praxis nationaler Qualitätssicherung sind karg und in den meisten Fällen tendenziös, weil sie aus der Feder involvierter Akteure stammen. Das Forschungsmanko kann aber auch Ergebnis der dynamischen Natur eines Politikprozesses auf mehreren Ebenen sein, in dem Evaluations- und Akkreditierungsagenturen auf europäischer Ebene aktiv an der Politikformulierung beteiligt sind, während sie auf nationaler Ebene vom Entscheidungs- und Konsultationsprozess ausgeschlossen werden.
1.3 Stand der Forschung 1.3.1 Forschungsstand zur Qualitätssicherung im europäischen Hochschulraum Da Großbritannien, Nordamerika und Australien zu den Vorreitern der Hochschulevaluation und -akkreditierung zählen, ist es nicht verwunderlich, dass die angelsächsische Forschung sich bereits früh mit Fragen der Qualitätssicherung auseinandersetzte. In der Tat besteht ein differenzierter Literaturkorpus zur Evaluationsforschung (Thomas 2001; Elton 2000; Henkel 1999; Conrad/Pratt 1985; Adams/Krislov 1978; Stark/Lowther 1980; Kogan 1989), zur Struktur nationaler Qualitätssicherungssysteme (El Khawas 2001; Kogan/Hanney 2000) und zur Einführung und kritischen Reflexion einer Qualitätskultur an Hochschulen (Buckley/Hurley 2001; Strathern 2000; Power 1999). Auch wenn diese Texte interessante Einsichten in die angelsächsische Qualitätssicherungspraxis ermöglichen und theoretisch verwertbare Ansätze zur Analyse der europäischen Hochschulreform bieten, sind dem Wissenstransfer enge Grenzen gesetzt. Zum einen unterscheiden sich die Faktoren, die zur Einführung von Evaluation und Akkreditierung im europäischen Hochschulbereich geführt haben, grundlegend von den Motiven britischer, amerikanischer oder australischer Hochschulreformen und ihren Hintergründen. So wird die britische Hochschulreform der 1980er Jahre z.B. auf eine Reorganisation staatlicher Steuerungskapazitäten zurückge-
1.3 Stand der Forschung
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führt. Im Gegensatz zum Deregulierungsprogramm kontinentaleuropäischer Hochschulpolitik hat die Einführung des britischen quality audit die ReZentralisierung von Hochschulsteuerung in staatliche Händen bewirkt (Henkel 2004; Bleiklie 2004). Zum anderen ist die Organisation von Qualitätssicherung im Zuge Bolognas aufgrund der Mehr-Ebenen-Natur des Politikprozesses und der spezifischen Implementierungsproblematik als separates Forschungsobjekt zu betrachten. Noch bevor die einzelnen Forschungsansätze diskutiert werden, sollte erwähnt werden, dass ein europäischer Diskurs zu den methodologischen Voraussetzungen von Evaluations- und Akkreditierungsverfahren besteht. Aufsätze (Van Vught/Westerhejiden 1994), Sammelbände und Berichte (Westerhejiden/ Leegwater 2003; Sursock 2001; Frazer 1997) zu den verfahrenstechnischen Aspekten der Qualitätssicherung werden von europäischen Forschungszentren wie z.B. das Center for Higher Education and Policy Studies (CHEPS), internationalen Organisationen (z.B. die European University Association) und Netzwerken (z.B. die European Association for Quality Assurance in Higher Education oder die International Association of University Presidents) verbreitet und auf nationaler Ebene von Politikern, Forschern und Praktikern rezipiert. Verlässlichkeit, Generalisierbarkeit und Validität der Bewertungsstudien und ihrer Ergebnisse sind vieldiskutierte Themen der einschlägigen Literatur. Des Weiteren besteht seit 1999 eine internationale Fachzeitschrift, das Quality in Higher Education Journal, die sich auf Fragen der Konzipierung und Umsetzung von Qualitätssicherung im Hochschulbereich spezialisiert hat.15 Das Verständnis von Funktion und Finalität der Evaluation und Akkreditierung variiert aber, wie gesagt, von Land zu Land (nach Struktur und Größe des nationalen Hochschulsystems einerseits, nach Ausrichtung des politischen Reformkontexts andererseits). Spricht man also von einer europäischen Forschungsliteratur zur Qualitätssicherung, meint man daher sowohl den europäischen Diskurs als auch eine diffuse Kompilation nationaler Forschungsbeiträge und -berichte zur nationalen Implementierungsstrategie europäischer Reformen. Des Weiteren hat das Thema Qualitätssicherung in den meisten Ländern noch keinen Einzug in die Forschungsagenda der akademischen Disziplinen gehalten. Die theoretisch reflektierte und disziplingerechte Problematisierung der Qualitätssicherung und ihrer Praxis mag deshalb ausgeblieben sein, weil Wissenschaftler im Allgemeinen kein Interesse an einem Forschungsobjekt zeigen, das 15
Zweifelsohne hat die Etablierung dieser Zeitschrift zur internationalen Diskussion der Methoden und Verfahrenstechniken beigetragen, umso mehr sie den Akzent auf den internationalen Vergleich von Evaluations- und Akkreditierungspraktiken legt. Ziel ist es, den Wissens- und Erfahrungstransfer über die Ländergrenzen hinweg zu stimulieren. Der Akzent liegt bislang jedoch auf den schulinternen Praktiken und Methoden.
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1 Evaluation, Akkreditierung und Politik
sie tagtäglich wohl eher als bürokratische Bürde denn als Managementrevolution erleben (Power 1999). Es ist auch unklar, wo diese Forschungsthematik überhaupt anzusiedeln wäre. Der Aspekt des hochschulinternen Qualitätsmanagements und der Bewertung von Hochschulperformanz weist verwandte Züge zu betriebswissenschaftlichen Forschungsfeldern auf. Evaluationsforschung könnte aber auch in der Soziologie (d.h. in der Organisations- oder Bildungssoziologie), der Politikwissenschaft (als Politikfeldanalyse) oder in der expandierenden Querschnittsdisziplin der Hochschulforschung verortet werden. Die europäische Forschungsliteratur bzw. den Forschungsstand zur Qualitätssicherung im europäischen Hochschulraum vorzustellen und zu kommentieren, ist also ein schwieriges Unterfangen, umso mehr die Sprachbarrieren die Rezeption und gegenseitige Wahrnehmung nationaler Studien und Forschungsprojekte beeinträchtigen. Nachdem jedoch erste, allgemeine Aussagen zum Forschungsthema angeführt wurden, sollen nun die einzelnen, europäischen Forschungsstränge diskutiert werden. Im letzten Abschnitt wird schließlich der deutsche Forschungsbeitrag zu Fragen der Qualitätssicherung im Hochschulbereich präsentiert und kommentiert. Qualitätssicherung wird erstens als Teil eines gesellschaftlichen Transformationsprozesses thematisiert, in dem differenzierte Gesellschaftssysteme über allgegenwärtige Wissenstransfers gekoppelt werden und neuartige Synergieeffekte abwerfen. Aus diesen Synergieeffekten lässt sich nicht nur ein ökonomischer Mehrwert ziehen. Auch die Relation der Systeme zueinander, ihre Zugehörigkeit und hierarchischen Verhältnisse erfahren eine Redefinition. Die staatliche top-down-Steuerung muss zugunsten eines flexiblen Steuerungsansatzes revidiert werden, um die genannten Synergieeffekte überhaupt zu ermöglichen (Willke 1996, 1997). Das neue Gesellschaftsmodell wird als Informations- (Castells 1998; Müller 2001b) oder Wissensgesellschaft (Rodrigues 2003; Kübler 2004) beschrieben. Das Integrationsprinzip bleibt jedoch dasselbe. In den Integrationsszenarien, die von Soziologen und Betriebswissenschaftlern für den Hochschulbereich spezifiziert wurden, übernimmt Qualitätssicherung eine Steuerungsfunktion (Neave 1998; Neave/Van Vught 1991). Sie trägt dazu bei, die staatliche Detailsteuerung durch eine Kontext- oder Ermöglichungssteuerung abzulösen, indem sie die regelgerechte und systeminhärente Performanz des Hochschulsystems erfasst und für andere Teilsysteme (seien diese nun wirtschaftlicher oder politischer Natur) transparent macht. Ziel ist es mitunter, durch die gewonnene Transparenz eine möglichst effiziente Koppelung der Hochschulproduktion mit dem Wirtschaftssystem zu erreichen. Theoretische Modelle zur Wissensproduktion wie „mode 2“ (Gibbons et al. 1994) oder „triple helix“ (Etzkowitz/ Leydesdorff 1997) beschreiben z.B. die Generierung innovativer und interaktiver Zusammenschlüsse zwischen Produktions-, Wissenschaftssystem und staatlicher
1.3 Stand der Forschung
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Steuerung. Doch ist die neue gesellschaftliche Verantwortung der Hochschulen (Neave 2000) mit einer Restrukturierung des Hochschulbetriebs verbunden (Unesco 2004). In der Tat hat die Überführung privatwirtschaftlich ausgerichteter Leistungs- und Organisationsparameter in den Hochschulbereich, zu denen mitunter die Einführung einer Qualitätskontrolle zählt, und die als Conditio für die nahtlose Integration des Wissenschafts- in den Wirtschaftsbetrieb gehandelt werden, eine tiefgreifende Reorganisation wissenschaftlicher Arbeit (Clark 1998) und einen akademischen Wertewandel zur Folge (Slaughter/Leslie 1997; Hayes 2002). Zusammen mit dem breit angelegten Literaturkanon des New Public Management, welcher ausführlich in Punkt 2.4 behandelt wird, verweisen diese Ansätze schließlich auf eine ordnungsstiftende Rolle der Qualitätssicherung, die die Entwicklung der Universität 1. vom autonomen, ja autarken Handlungssystem (Parsons/Platt 1990; Luhmann 1992) zum performanzgesteuerten und interaktiven Produktionssystem (Clark 1998; Müller-Böling 2000), 2. vom anarchisch organisierten Lehr- und Forschungsbetrieb (Cohen et al. 1972) zum effizienten und effektiven Unternehmen (Kwiek 2000; Dewatripont et al. 2002; Slaughter/Leslie 1997; Hayes 2002) verwirklichen soll. Die spezifischen Wirkungsweisen und -mechanismen der Qualitätssicherung hängen wiederum vom Entwicklungsszenario ab, das die zum Teil sehr unterschiedlichen Ansätze präsentieren bzw. analysieren. Auch wenn die programmatisch anmutenden Steuerungs- und Produktionsmodelle als Folie für eine kritische Reflexion des Steuerungsinstrumentes Qualitätssicherung operationalisiert werden können, so bleibt doch fraglich, ob sie auch zur Analyse der Evaluations- und Akkreditierungspraxis taugen. Der zweite Forschungsstrang, den es zu kommentieren gilt, ist jüngeren Ursprungs. Die wachsende Bedeutung der Qualitätssicherung auf der europäischen Reformagenda (Qualitätssicherung wurde auf der Berliner Konferenz im Jahre 2003 zu einem der drei wichtigsten Reformparadigmen des Bolognaprozesses erklärt) machte Politiker und Interessengruppen auf die Intransparenz nationaler Qualitätssicherungssysteme und -praktiken aufmerksam. Folglich engagierten sich die Politikentscheider noch auf der Berliner Konferenz 2003 für die regelmäßige Durchführung von benchmarking und stocktaking exercises: „With a view to the goals set for 2010, it is expected that measures will be introduced to take stock of progress achieved in the Bologna process. A mid-term stocktaking exercise would provide reliable information on how the process is actually advancing and would offer the possibility to take corrective measures, if appropriate“ (Berliner Communiqué 2003: 7).
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1 Evaluation, Akkreditierung und Politik
Aus diesem Engagement resultierte ein stetig wachsender Korpus an Selbstberichten sowie systematischen und vergleichenden Implementierungsanalysen (Crozier et al. 2005; DiNauta et al. 2004; Eurydice 2005). Die Dokumente sollten jedoch mit Vorsicht behandelt werden. Da die Studien von den politischen Akteuren und den Interessenvertretern auf nationaler und europäischer Ebene durchgeführt wurden, muss sich der Leser stets über die Ambiguität des Textinhalts im Klaren sein, die sich an der Datenselektion und Argumentationsführung fest machen lässt. Diese Texte entstanden aus der Motivation heraus, das gegenseitige Verständnis für die Unterschiede und Gemeinsamkeiten europäischer Hochschulsysteme zu fördern. Der Fokus liegt also auf einer erklärenden Darstellung von Fakten, nicht aber auf der kritischen Reflexion des Implementierungsprozesses und der nationalen Qualitätssicherungspraxis. Daher ist es von dringender Notwendigkeit, die Ebene der Faktensammlung und systematischen Aufbereitung von Informationen zu überschreiten und eine empirisch informierte Analyse der Wirkungsmechanismen von Qualitätssicherung im europäischen Hochschulraum durchzuführen. Die Hochschulforscher des Center for Higher Education Policy Studies der Twente-Universität in den Niederlanden haben bereits Anfang der 1990er Jahre die Einführung der Qualitätssicherung in europäische Hochschulsysteme beobachtet und kommentiert. Guy Neave begreift die Einführung des quality audit z.B. als ein Bestandteil allumfassender und paradigmatischer Steuerungsreformen im Hochschulbereich: „The new stance taken by governments towards higher education (…) is accompanied by two changes. These changes concern the timing, purpose and location of evaluation in the process of policy-making in higher education. The first links routine evaluation with strategic evaluation. The second is the shift from a priori evaluation to an a posteriori evaluation. The growing interest of governments in strategic evaluation reflects, of course, their desire to see higher education itself develop strategic management capacities. (…) The second shift, from a priori to a posteriori evaluation also reflects where it does not reinforce the displacement of resource control from an ex ante mode based on input towards an ex post mode based on output“ (Neave 1991: 245).
Seine vergleichenden Studien (Neave 1988) und Sammelbände (Neave 1991, 2000) haben den Strukturbildungsprozess europäischer Hochschulsysteme begleitet und theoretisch reflektiert. Eine sozio-historisch informierte Analyse der Interessenkonstellation um die Generierung sogenannter buffer institutions16 16
Guy Neave sieht die Gründung sogenannter „buffer organisations“ (Zwischengremien) als kennzeichnend für die Entstehung eines nationalen Qualitätssicherungssystems an. Diese Zwi-
1.3 Stand der Forschung
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sowie eine empirisch belegte Studie zu Entwicklungsgeschichte und -potential nationaler Evaluations-/Akkreditierungsagenturen fehlen bislang jedoch. Die Arbeiten Don Westerhejidens versuchen dieses Manko auszugleichen und bemühen sich um eine Wirkungsanalyse der Steuerungsreform und des Strukturbildungsprozesses. Derzeit beschränken sich die Arbeiten des CHEPS-Hochschulforschers aber auf die Umsetzung und Effektivität regelmäßiger Qualitätskontrollen auf Hochschulebene (Westerhejiden et al. 2006). Aus den Ausführungen zum Forschungsstand können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden: Es gibt nur wenige empirische und zuverlässige Daten zur europäischen Qualitätssicherungspraxis. Mit einigen Ausnahmen beschränken sich die existierenden Studien entweder auf eine relativ unkritische, meist oberflächliche Deskription nationaler Qualitätssicherungssysteme oder sie fokussieren auf methodologische Aspekte des Evaluations-/Akkreditierungsverfahrens. Die Aussagen zum Forschungsstand der Qualitätssicherung im europäischen Hochschulraum lassen sich zum Teil für den deutschen Forschungskontext verifizieren. Deutschland kann als eines der wenigen Länder Europas auf eine (wenn auch junge) Tradition der Hochschulforschung zurückblicken. Seit Anfang der 1980er wird die höhere Ausbildung, die Koppelung von Schul- und Hochschulausbildung, von Hochschulausbildung und Arbeitsmarkt als differenzierte, disziplinäre Forschungsproblematik anerkannt. Die Gründung von Hochschulforschungsinstituten und Informationszentren wie z.B. die HochschulInformations-System GmbH (1975/1976), das Internationale Zentrum für Hochschulforschung Kassel (1978), das Centrum für Hochschulentwicklung (1994), das Institut für Hochschulforschung in Wittenberg (1996) oder das 2004 gegründete Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung haben die Etablierung der Hochschulforschung als wissenschaftliche Disziplin in Deutschland begleitet und gefördert. Diese Institute bilden nun eine Forschungsgemeinschaft, die sich, zusammen mit den Bildungsexperten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und einzelnen Wissenschaftlern, der Frage der Qualitätssicherung annimmt. Die Einführung von Evaluation, Akkreditierung und Audit-Praktiken wurde in Deutschland durch die Veröffentlichung von Texten und Handbüchern begleitet, die dem Leser entweder ermöglichen sollten, eine Evaluation durchzuführen oder eine Evaluation bzw. Akkreditierung erfolgreich zu bestehen (siehe u.a. Balogh 1997). Erste Publikationen dieser Art erschienen bereits Mitte der 1990er Jahre, als Politiker anfingen, sich mit Fragen der Verwaltungsmodernisierung im öffentlichen Sektor auseinanderzusetzen (Daniel 1995; Müller-Böling 1996; schengremien befinden sich in der problematischen intermediären Position zwischen dem politischen System und den Hochschulen (Neave 1992).
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1 Evaluation, Akkreditierung und Politik
Hollerith 1997). Durch die Publikation detaillierter Berichte und Analysen zum ausländischen Evaluations- und Akkreditierungswesen sollte der internationale Wissenstransfer stimuliert werden. Renommierte Hochschulforscher arbeiteten damals vor allem die angelsächsischen Evaluationserfahrungen auf. Beliebt waren auch Praxisberichte zum niederländischen Evaluationssystem (Holtkamp 1992; Müller-Böling 1995), die die deutsche Diskussion um die Einführung von Qualitätssicherung beherrschten. Damals versuchten die Autoren darzustellen, was Qualitätssicherung überhaupt ist bzw. sein kann. Diese Texte hatten anfangs vor allem eine aufklärende Funktion: Warum sollten Hochschulleistungen und Performanz gemessen und bewertet werden? Was für Verfahren werden weltweit zur Qualitätsprüfung an Hochschulen eingesetzt? Zehn Jahre später, nachdem Akademiker direkte Erfahrungen mit Evaluation und Akkreditierung gesammelt haben, liegt der Fokus weniger auf dem „Warum“ als auf dem „Wie“ der Qualitätssicherung. Besonders debattiert werden z.B. Fragen zur Generierung von Qualitätskriterien und Standards (Hornbostel 2004a; Pasternack 2004, 2006). Eine kritische, theoretisch informierte Auseinandersetzung mit in- und ausländischen Praktiken der Qualitätssicherung blieb aber lange Zeit aus. Erst seit kurzem regt sich das Interesse an einer ersten Bilanzierung der Hochschulreform: Was haben Evaluation und Akkreditierung bislang gebracht? Hat sich die Qualität der Hochschulangebote tatsächlich verbessert? Die Evaluation von Hochschulreformen (speziell von Qualitätssicherung) hat zweierlei Studien motiviert: Qualitätssicherung wird erstens als Bestandteil einer umfassenden Hochschulreform verstanden. Analysen und Fortschrittsberichte zum Bolognaprozess werden seit der Nachfolgekonferenz in Berlin im Jahre 2003 regelmäßig veröffentlicht (Schwarz-Hahn/Rehburg 2003; Alesi et al. 2005; Teichler 2005; Krücken 2005). Der Aspekt der Qualitätssicherung in der Lehre wird vornehmlich unter der Rubrik „Akkreditierung neuer Studiengänge“ abgehandelt. Der Strukturbildungsprozess wird in den wenigsten Fällen angesprochen, weil er den Zeitrahmen der als snap-shot konzipierten Studien überschreiten würde. Die neuen Strukturen der Qualitätssicherung, ihre Arbeitsbedingungen und Wirkungen werden insofern nicht hinterfragt, als davon ausgegangen wird, dass sie ihre Funktion im reformierten System der Studienganggenehmigung erfüllen. Eine theoretische Reflexion der steuerungspolitischen Dimension deutscher Qualitätssicherung, ihrer Organisation und inhärenten Konflikte findet daher kaum statt. Seit 2004/2005 erschienen jedoch erste Aufsätze, die sich mit der Evaluation von Qualitätssicherung auseinandersetzten. Zugegebenermaßen handelt es sich dabei um ein sehr junges Forschungsfeld, das bislang nur wenige Artikel hervorgebracht und vornehmlich die Qualitätssicherungspraxis in den Hochschulen kommentiert hat. Doch dieser neue Forschungsstrang erfährt mehr und mehr wissenschaftliche und politische Aufmerksamkeit
1.3 Stand der Forschung
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(Schimank 2005; Bauer et al. 2001; Mittag 2006; Mittag et al. 2006; Bornmann et al. 2006) Die deutsche Forschungsliteratur zum Thema Evaluation und Akkreditierung weist eine letzte, nennenswerte Eigenschaft auf: Hochschulforscher unterscheiden strikt zwischen der Evaluation von Forschung einerseits und Lehre andererseits. Da die Studie „Zur Organisation von Qualitätssicherung im Bolognaprozess“ vornehmlich auf den Bereich der Lehre fokussiert, soll nicht detailliert auf das erste Forschungsfeld eingegangen werden. Es bleibt aber anzumerken, dass das Thema Forschungsevaluation eine weitaus umfangreichere öffentliche Debatte initiierte, als die Einführung von Qualitätskontrollen in der Lehre. Im Gegensatz zur Lehrevaluation wird die Forschungsevaluation direkt mit der Verteilung von Drittmitteln in Verbindung gebracht. Die steuerungspolitische Dimension der Forschungsevaluation lässt sich also an relativ klar definierten Anreiz- und Sanktionsmechanismen fest machen. Konsequenterweise erfahren die Verfahrensmethoden, Kriterien, Standards und Wirkungsmechanismen der Forschungsevaluation seit kurzem eine größere wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Mit Ausnahme der theoretisch reflektierten Arbeiten zur Steuerungsfunktion der Lehrevaluation unterschieden sich die wissenschaftlichen Fragestellungen zur Forschungsevaluation nicht grundlegend von denen der Lehrevaluation. Exemplarisch sei hier nur auf die Arbeiten Stefan Hornbostels (2004b), der Projektgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin (Simon 2004) und Hans-Dieter Daniels verwiesen (Daniel 2005; Bornmann/Daniel 2006).
1.3.2 Situierung der Studie im Forschungskontext Das Forschungsprojekt „Zur Organisation von Qualitätssicherung im Zuge des Bolognaprozesses“ ist als Fallstudie des deutschen Qualitätssicherungssystems konzipiert. Am Beispiel deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen werden jene Aspekte ausgeleuchtet, die als prägende Merkmale des europäischen Strukturbildungsprozesses definiert wurden: die steuerungspolitische Dimension nationaler Qualitätssicherungssysteme einerseits und die Europäisierung nationaler Qualitätssicherung im Zuge Bolognas andererseits. Die deutschen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen werden als output eines komplizierten und interaktiven Prozesses gedeutet, in dem Bundes- und Ländervertreter, Hochschulen und Interessengruppen über die Deregulierung deutscher Hochschulsteuerung verhandelten. Die Studie mag verwandte Züge zur Policy-Analyse aufweisen, da der Strukturbildungsprozess – wie schon bei Guy Neave (Neave 1998) – als integrativer Bestandteil einer Steuerungsreform, einer Restrukturierung der Machtverhältnisse zwischen Hochschule und Staat
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1 Evaluation, Akkreditierung und Politik
angesehen wird. Im Mittelpunkt der Analyse stehen aber die deutschen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen, die als neue Akteure in ein Handlungsgefüge eintraten, in dem die 200 Jahre währende Rollenverteilung zwischen Staat und Hochschulen dereguliert wurde: Wie und unter welchen Bedingungen haben sich die neuen Dienstleister in einem vorstrukturierten Handlungskontext gegenüber einem interventionsbefugten politischen System einerseits und einer skeptischen Hochschulklientel andererseits etablieren können? Organisationen mögen zu einem bestimmten Zweck ins Leben gerufen worden sein, doch wie bereits Philipp Selznick (Selznick 1948) bemerkte, entwickeln solche Strukturen im Laufe der Zeit ein Eigenleben, eine Eigenlogik, die sich von den primären Intentionen ihrer Gründer emanzipiert, und sind auf den eigenen Fortbestand bedacht. Inwiefern trifft diese Aussage auch auf den Fall deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen zu? Was für eine Rolle spielt die europäische Reformdimension in der Diskussion und Gestaltung des neuen Steuerungsinstruments? Die vorliegende Studie ist als theoretisch fundierte, empirische Begleitstudie eines Prozesses gedacht, dem bislang nur wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil wurde. Sie stellt daher einen wissenschaftlichen Beitrag zur relativ jungen Forschungsthematik dar, die sich der Wirkungsanalyse sogenannter public policies annimmt. Die Studie ist in sechs Abschnitte gegliedert: Im Anschluss an diese allgemeine Einleitung in die Forschungsproblematik widmet sich das zweite Kapitel der Geschichte deutscher Qualitätssicherung im Hochschulbereich. Das Kapitel geht über eine historisch reflektierte Analyse staatlicher Hochschulsteuerung hinaus, indem es die Evolution der staatlichen Steuerungsphilosophie mit einem sich weiterentwickelnden Begriff der Hochschulqualität zu diskutieren versucht. Ziel des darauf folgenden dritten Kapitels ist die Erläuterung des theoretischen und methodologischen Bezugsrahmens der Studie. Der organisationssoziologische Analyseansatz erlaubt es, die Evaluations-/Akkreditierungsagentur als Akteur in einem institutionalisierten Umfeld zu betrachten. Die Einbettung einer Organisation in das Handlungsgefüge wird dabei als das vorläufige Resultat eines kontinuierlichen Aushandlungsprozesses verstanden, in dem sich die Agentur mit den Spielregeln ihres Feldes auseinandersetzt und sich Gestaltungsmöglichkeiten erarbeitet. Das vierte und fünfte Kapitel liefern empirische Analysen zur Einbettung deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen auf nationaler und europäischer Ebene. Die Analyseergebnisse aus beiden Kapiteln werden abschließend in einem sechsten und letzten Kapitel systematisiert und auf den theoretischen Analyserahmen zurückbezogen.
2 Die Geschichte der Qualitätssicherung im deutschen Hochschulraum
2.1 Einleitung Die Anfänge der Qualitätssicherung im deutschen Hochschulraum werden von Akteuren aus dem Evaluations- und Akkreditierungsbereich meist mit einem Ereignis aus dem Jahre 1994 gleichgesetzt, als die Hochschulrektorenkonferenz mit dem EU-Pilotprojekt „Evaluating Quality in Higher Education“ zur Erprobung neuartiger Evaluationsverfahren betraut wurde. Nur wenige erinnern sich an die Vorläufer der Hochschuldidaktik in den 1970er Jahren oder an die Studienreformdebatten der 1980er Jahre, als der Wissenschaftsrat eine Stärkung der Lehre durch regelmäßige Kontrollen in die Diskussion brachte. Umso bemerkenswerter ist, dass die verbreitete Ursprungsgeschichte deutscher Qualitätssicherung an einem europäischen Ereignis festgemacht wird. Möchte man aber die Motive und Hintergründe des hochschulpolitischen Paradigmenwechsels in Deutschland verstehen, der zur Etablierung einer Ex-post-Kontrolle von Qualität als neuartiges Steuerungsinstrument führte, so kommt man nicht umhin, die historische Rekonstruktion weitaus früher anzusetzen, als zum Zeitpunkt der ersten sichtbaren Anzeichen der Institutionsbildung Mitte der 1990er Jahre. Aus diesem Grund geht die sozialgeschichtlich informierte Untersuchung im zweiten Kapitel von der Prämisse einer historischen Kontinuität qualitätsorientierter Hochschulpolitik seit der Neugründung der Universität zu Berlin im Jahre 1810 aus. Die Qualitätsorientierung der Hochschulpolitik wird im Sinne des deutschen Hochschulforschers Peer Pasternack als die inhaltliche und praktische Ausrichtung politischen Denkens und Handelns auf die Qualität im Hochschulbereich definiert (Pasternack 2001). Um die geschichtliche Evolution qualitätsorientierter Hochschulpolitik zu veranschaulichen, wird auf die Phaseneinteilung des Hochschulhistoriographen Peter Moraw (1982) zurückgegriffen. Peter Moraw löste 1982 mit seiner Dreigliederung deutscher Universitätsgeschichte, die von den traditionell geradlinigen Entwicklungsmustern geschichtlicher Hochschulforschung Abstand nahm, bundesweite Resonanz aus und gilt noch heute als Referenz für historische Bildungsforscher. Demnach ist von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis um 1800 von
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2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
einer vorklassischen Phase auszugehen, der seit dem frühen 19. Jahrhundert eine klassische Phase auf der Grundlage einer neuen Universitätsidee folgte. Diese wurde dann seit den 1960er bzw. 1970er Jahren des 20. Jahrhunderts durch eine nachklassische Phase abgelöst. Als Variablen der chronologischen Aufteilung thematisiert Peter Moraw die „institutionell-rechtliche“, die „gelehrt-wissenschaftliche“ und die „umweltbezogene“ Evolution der Universität (Moraw 1982: 4). Unter der „institutionell-rechtlichen“ Evolution versteht der Historiker die strukturelle bzw. organisatorische Entwicklung der Universität als Lehr- und Forschungsbetrieb. Der „gelehrt-wissenschaftliche“ Aspekt des Wandels betrifft vor allem Transformationen der akademischen Kultur, während die „umweltbezogene“ Hochschulentwicklung auf die sich verändernde gesellschaftliche Einbettung der Institution abhebt. In der vorliegenden Studie werden alle drei Wandlungsaspekte einbezogen, das Hauptaugenmerk gilt jedoch dem sich verändernden Verhältnis von Staat und Hochschule seit 1800 (also dem „institutionell-rechtlichen“ Aspekt des Wandels), das sich nachhaltig auf das Verständnis von und dem Umgang mit Qualität von Hochschulbildung ausgewirkt hat. Diesen Phasen wurde ein weiterer Zeitabschnitt hinzugefügt, der die Jahre seit 1990 umfasst. Bislang ist diese Phase, die sich an der Deregulierung des Steuerungsverhältnisses zwischen Staat und Hochschule festmachen lässt und mit einer gewandelten „Idee von Universität“ (Jaspers 1980) einhergeht, noch nicht abgeschlossen. Dem Leser wird kaum entgehen, dass die Phaseneinteilung unausgewogen ausfällt, da die erste hier untersuchte Phase rund 150 Jahre umfasst, die zweite Phase 30 Jahre Hochschulentwicklung thematisiert und die dritte und letzte erst 1990 einsetzt. Diese Einteilung wurde gewählt, weil die Zeitspannen aus steuerungspolitischer Perspektive eine relativ homogene Einheit bilden. Während die Hochschulen bis in die 1960er Jahre über eine relativ hohe Autonomie verfügten, wurde die Steuerung des Hochschulbereichs von 1970 bis 1990 nahezu vollkommen an den Staat übertragen. Erst in den 1990er Jahren, nachdem staatliche Planungsbestrebungen unwiderrufbar beigelegt wurden, versuchten sich Staatsvertreter an der Etablierung eines neuen, dezentralisierten Steuerungsmodells, dem auch die Entstehung des aktuellen Qualitätssicherungssystems zuzurechnen ist. Es kann also argumentiert werden, dass die zeitliche Verkürzung der drei Phasen Ausdruck einer Dynamisierung der Hochschulentwicklung ist. Der historischen Untersuchung liegen zwei Prämissen zugrunde: Zum einen wird davon ausgegangen, dass die Qualität der Hochschulbildung seit Humboldt ein primäres Anliegen der akademischen und politischen Akteure ist, dass Hochschulpolitik also schon seit dem frühen 19. Jahrhundert als „Qualitätspolitik“
2.1 Einleitung
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(Pasternack 2001) gedacht wird.17 Zum anderen geht die Einführung von Qualitätssicherung mit einem gewandelten Verständnis von Hochschule und Staat einher, das Anfang der 1990er Jahre ins Zentrum hochschulpolitischer Diskussionen rückte und in sehr kurzer Zeit einschneidende Reformen motivierte. Qualitätssicherung wird dabei als neuartiges Steuerungsinstrument begriffen, das den Hochschulen erlauben soll, sich auf effektive bzw. effiziente Art und Weise selbst zu verwalten und dadurch das politische System (d.h. die Ministerialbürokratie der Bundesländer) zu entlasten. Das Kapitel thematisiert aber nicht nur die historische Evolution des Verhältnisses von Staat und Hochschule. Vielmehr wird versucht, die Entwicklung hochschulpolitischer Steuerung und des dahinter stehenden Qualitätskonzeptes von Hochschulbildung theoretisch auszuleuchten. So wird als theoretischer Leitfaden auf systemtheoretische Steuerungskonzepte zurückgegriffen, die in einem letzten Teil – einer kritischen Analyse deutscher Steuerungspolitik im Hochschulbereich – kulminieren und die empirischen Untersuchungen in Kapitel 4 und 5 einleiten sollen. Die historische Einführung der organisationalen Feldstudie erhebt keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit. Ziel des Kapitels ist es vielmehr, die steuerungspolitische Dimension deutscher Qualitätssicherung zu verdeutlichen und historisch zu belegen. Wie bereits Peter Moraw bemerkte, ist jede Phase durch interne Brüche geprägt. Relevant werden diese Brüche für die Studie nur, insofern sie die Entwicklung des Forschungsobjektes beeinflussen. Dementsprechend werden zwar die Konsequenzen der historischen Zäsur zwischen 1933 und 1945 für die Evolution deutscher Qualitätspolitik dargestellt. Auf eine detaillierte Ausführung der hochschulpolitischen Entwicklung in diesen Jahren wird jedoch verzichtet. Des Weiteren erfolgt keine historische Untersuchung des ostdeutschen Hochschulsystems. Da der Hochschulbetrieb im Osten Deutschlands nach der Wende 1989/90 an das westdeutsche System angeglichen wurde, behandelt Punkt 2.3 vornehmlich die westdeutsche Hochschulentwicklung.18
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Pasternack versteht Qualitätspolitik „als die Summe der intentional unternommenen, dezisionistisch begründeten und ressourcenunterfütterten Handlungen zur Implementation eines strategisch angelegten Programms zur Durchsetzung qualitätszentrierter Prozessgestaltungen“ (Pasternack 2001: 34). Hier kann u.a. auf die historiographischen Darstellungen der Bildungsforscher Peer Pasternack (Pasternack 1999, 2005) und Oskar Anweiler (1990) verwiesen werden, die sich intensiv mit dem Bildungs- und Hochschulwesen der DDR auseinandergesetzt haben.
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2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
2.2 Das Humboldtsche Exzellenzideal: Hochschulqualität und Staatsverständnis von 1800 bis 1970 2.2.1 Die Gründung eines neuen Universitätstypus Die Neugründung der Berliner Universität im Jahre 1810 ist als dezidierte Abwendung von einer akademischen Bildungstradition zu deuten, deren Legitimität durch Vorwürfe der Vetternwirtschaft und Verschulung unterminiert wurde. Die mittelalterliche Universität befand sich am Ende des 18. Jahrhunderts in einer existentiellen Krise, die sich an der Schließung zahlreicher Anstalten bemerkbar machte (Durkheim 1990). Die Gründung einer neuen Universität (die heute den Namen Humboldt-Universität zu Berlin trägt) sollte daher als die Institutionalisierung neuer Ansprüche an die Hochschulleistung verstanden werden. Für eine um 1800 einsetzende, historische Rekonstruktion spricht die Tatsache, dass eben diese Neugründung zur Etablierung eines Bildungsideals beitrug, das zwei Jahrhunderte lang für Qualität bürgte und noch heute als Leitbild für Exzellenz einsteht. Überlegungen zur Gründung eines neuen Universitätstypus lassen sich bereits ab Ende des 18. Jahrhunderts nachweisen. Eine systematische Planung kann seit der Amtszeit Karl Friedrich Beymes festgestellt werden, der die Trennung einer rein akademischen Lehranstalt in Berlin von den provinziellen Ausbildungsstätten für den Staatsdienst (den alten Universitäten) forderte.19 Die Pläne wurden zunächst wegen Geldmangel aufgeschoben und erst einige Jahre später, nach der Niederlage Preußens gegen die Heere Napoleons, wieder aufgegriffen. Die Friedrichs-Universität zu Halle ging nach dem Frieden von Tilsit in den Besitz des neu gegründeten Königreichs Westfalen über, und um den Verlust der bedeutendsten Universität Preußens zu kompensieren, beauftragte der preußische König seinen Kabinettschef am 4. September 1807 mit der Errichtung einer Universität zu Berlin. Mit der klassisch gewordenen Formulierung „Der Staat muss durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren hat“, begründete Friedrich Wilhelm III. das politische Interesse an einem funktionierenden Bildungswesen. Die neu geschaffene Abteilung für Kultus und öffentlichen Unterricht wurde dem Innenministerium unterstellt und markierte den Anfang einer staatlichen Bildungs- und Kulturpolitik. Kabinettschef Beyme forderte noch im selben Jahr Gutachten für eine Neugründung an. Auch wenn die kommissionierten Texte als Gründungsschriften in die Geschichte eingingen, vertraten sie in Wirklichkeit unterschiedliche und zum Teil auch kontroverse Ansichten über die gesellschaftliche Funktion und die innere Struktur der Universität. Exemplarisch 19
Karl Friedrich Beyme war Chef des königlichen Zivilkabinetts von 1800 bis1808.
2.2 Das Humboldtsche Exzellenzideal
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sei an dieser Stelle auf Friedrich Schleiermachers „Gelegentliche Gedanken über Universitäten im deutschen Sinn“ (Schleiermacher 1808) und Johann Gottlieb Fichtes „Deducierter Plan einer zu Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt“ (Fichte 1807) verwiesen. Während Schleiermacher sich für eine Reform der Universität als weiterentwickeltes Gymnasium und Ausbildungsstätte für sogenannte Forschungsakademien aussprach, setzte sich Fichte für die Gründung einer Wissenschaftskaserne ein: Die Universität war die Institution der Selbsterziehung schlechthin, eines Entwicklungsprozesses, dem Fichte nahezu religiöse Dimensionen zusprach und der an einem Ort völliger Abgeschiedenheit zur Entfaltung kommen sollte. Die eigentliche Etablierung und Realisierung einer Universitätsidee begann mit dem Antritt Wilhelm von Humboldts als Nachfolger Karl Friedrich Beymes. In seiner Abhandlung zum Bildungsbegriff kommentiert Sven-Eric Liedmann die Humboldtsche Hochschulpolitik mit folgendem Satz: „While his thoughts about Bildung were not very original, his way of transforming them into concrete institutional arrangements was special (…). His influence was due to his rare way of combining theory and practice“ (Liedmann 1993: 82). In politisch unruhigen Zeiten setzte Wilhelm von Humboldt die Gründung einer wissenschaftlichen Lehranstalt durch, welche den formalen Charakteristiken der mittelalterlichen Universität (die Befugnis zur Verleihung akademischer Titel, die Universalität des Fächerspektrums und die Berechtigung, sich praktischen Übungen zu entziehen) entsprach. Der universitäre Betrieb organisierte sich aber nach einem innovativen Bildungskonzept, das in seinem „Organisationsplan“ und dem „Litauischen Schulplan“ aus dem Jahre 1809 expliziert wurde. Das eigentliche Novum bestand in der Verwertung von Wissenschaft als Bildungsprinzip: „Der Begriff der höheren wissenschaftlichen Anstalten (…) beruht darauf, dass dieselben bestimmt sind, die Wissenschaft im tiefsten und weitesten Sinne des Wortes zu bearbeiten, und als einen nicht absichtlich, aber von selbst zweckmässig vorbereiteten Stoff der geistigen und sittlichen Bildung zu seiner Benutzung hinzugeben“ (Humboldt 1964: 255).
Aus dieser übergeordneten Idee lassen sich drei konstitutive Prinzipien ableiten, die auf der Folie eines neu-humanistischen Menschen- und Bildungsideals zu verstehen sind: das Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre, der Einsamkeit und Freiheit und der Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden. Das übergeordnete Ziel idealistischer Bildungsbestrebungen ist die Versittlichung des Menschen im Sinne einer individuellen Vervollkommnung nach verinnerlichten Werten. Es geht um eine „normative Grundeinstimmung des Le-
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bens“ (Schelsky 1963: 79). Das Individuum stellt sich auf wandelnde Situationen ein, indem es auf die Grundsätzlichkeit und Abstraktheit dieser individuellen, normativen Grundeinstellung Bezug nimmt. „Nur so kann dem Menschen seine Selbsthandlungstätigkeit, seine Autonomie, bewusst werden, die sowohl eine umfassende Verantwortung für das Ganze; aber zugleich unendliche Freiheit des Denkens und Handelns ist“ (Schelsky 1963: 81). Bildung ist also der Prozess intellektueller Selbsterziehung, der die Freisetzung des Menschen von sozialen Zwängen und Vorurteilen voraussetzt. Der Mensch wird durch Bildung erst zu dem, was er sein kann und soll. Humboldts Definition der Wissenschaft als „etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes“ (Humboldt 1964: 191) verweist auf ein Bildungsverständnis, das Bildung als Akt spiritueller Selbstwerdung und Medium der reinen (d.h. zweckfreien) Erkenntnis konzipiert. Bildung durch Wissenschaft ist demzufolge eine soziale Existenzform, die nur an der Universität gelebt werden kann, weil sie dem Wesen nach die freie Suche an einem freien Ort voraussetzt. An der Universität wird die Organisation des wissenschaftlichen Betriebs nach dem fundamentalen Prinzip der (individuellen) Einsamkeit und Freiheit gestaltet: „Der Universität ist vorbehalten, was nur der Mensch durch und in sich selbst finden kann, die Einsicht in die reine Wissenschaft. Zu diesem SelbstActus im eigentlichsten Verstand ist nothwendig Freiheit, und hülfreich Einsamkeit, und aus diesen beiden Punkten fliesst zugleich die ganze äussere Organisation der Universität“ (Humboldt 1964: 191).
Rechte und Pflichten akademischer Freiheit verantworten das Individuum einzig und allein gegenüber der Wissenschaft, sodass hierarchische Strukturen wegfallen müssen. In ihrem Erkenntnisstreben sind Lehrende und Lernende einander gleichgestellt, sie verfügen über dieselben Verantwortungen und erkennen einander als gleichberechtigte Gegenüber an. Durch die Institutionalisierung des Humboldtschen Bildungsideals wird der universitären Ausbildung eine Funktion zugeschrieben, die sich vom traditionellen Wissenserwerb absetzt. An der Universität vollzieht sich die intellektuelle Selbsterziehung eines neuen Menschentypus: „Denn nur Wissenschaft, die aus dem Innern stammt und in’s Innere gepflanzt werden kann, bildet auch den Charakter um, und dem Staat ist ebenso wenig als der Menschheit um Wissen und Reden, sondern um Charakter und Handeln zu thun“ (Humboldt 1964: 258).
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Die Erziehung zum selbstständigen Denken und prinzipiellen Handeln stimmt den Menschen auf eine gemeinnützige und leistungsfähige Lebensführung ein. Durch aktive Erkenntnis kann das Individuum aus seiner Passivität austreten und zur Verbesserung der sozialen Umstände beitragen. Historisch gesehen enthält das institutionalisierte Ideal der Menschenbildung eine durchaus politische Dimension, denn als Repräsentant einer kulturellen und politischen Elite sollte der gebildete Mensch zum Wiederaufbau Preußens beitragen und der Nation zu neuem Glanz verhelfen. Solange die drei oben genannten Kriterien erfüllt waren, bestand kein Zweifel an der Effizienz und Güte wissenschaftlicher Elitebildung. Schließlich war das institutionelle Gefüge explizit daraufhin ausgerichtet, elitäre Qualität – d.h. Exzellenz – zu fördern. Für die formale Ausgestaltung des Universitätsbetriebes bezog sich Wilhelm von Humboldt auf Friedrich Schleiermachers Ausführungen zur Organisation von Forschung und Lehre. Nichtsdestotrotz ist eine Regulierungslücke geblieben, welche die Hochschulentwicklung noch nachhaltig prägen sollte. Sie betrifft das Verhältnis zwischen Universität und Staat. Der Übergang von der vorklassischen zur klassischen Phase ging einher mit einem neuen Legitimationsbezug zum Potentaten. Der Staat wurde als notwendiges Übel wahrgenommen, denn er garantierte die Existenzgrundlage der Universität als autonome Institution. Im Einklang mit der idealistischen Theorie des Vernunftstaates wies man die utilitaristischen Interessen des Potentaten ab, erkannte aber seine Herrschaft als Vertretung allgemeiner Interessen an: „Der Staat muss seine Universitäten weder als Gymnasien noch als Specialschulen behandeln (…). Er muss im Ganzen (…) von ihnen nichts fordern, was sich unmittelbar und geradezu auf ihn bezieht, sondern die innere Ueberzeugung hegen, dass, wenn sie ihren Endzweck erreichen sie auch seine Zwecke und zwar von einem viel höheren Gesichtspunkte aus erfüllen, von einem, von dem sich viel mehr zusammenfassen lässt und ganz andere Kräfte und Hebel angebracht werden können, als er in Bewegung zu setzen vermag“ (Humboldt 1964: 260).
Eine Aufgabenteilung zwischen Staat und Hochschule wurde niemals festgesetzt, sodass ein informelles Arrangement zustande kam. Die Universität erhielt gewisse Autonomien und Finanzzuweisungen, im Gegenzug musste sie systemkonform funktionieren und den staatlichen Apparat mit akademisch ausgebildeten Beamten unterfüttern (Bruch 1999). Eine institutionelle Autonomie bestand nur, insofern der Staat sie der Universität unter bestimmten Bedingungen zusprach. Uwe Schimank erläutert dieses Phänomen mit folgenden Worten: „Gewollte staatliche Steuerungsverzichte können darauf zurückgehen, dass man die Autonomie der Forschung respektieren will (…). Steuerungsverzichte können aber
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2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
auch deshalb gewollt sein, weil forschungspolitisches Steuerungshandeln den jeweiligen Akteuren nur von geringem Nutzen erscheint“ (Schimank 1995: 118).
Die politische Instanz verzichtete also auf externe Steuerung, weil es keinen Anlass gab, einzugreifen. Die Exzellenz universitärer Leistung war durch die innovative Organisation des elitären Lehr- und Forschungsbetriebs gesichert. Individuelle Forschungs- und Lehrfreiheit und institutionelle Autonomie waren de facto existent, auch wenn sich der Staat de jure jederzeit zwischenschalten konnte. Die „Idee der Universität“ (Jaspers 1980) war von Akademikern für Akademiker ausgearbeitet und schließlich von einem Staatsdiener, der sich selbst als Wissenschaftler definierte, über den politischen Umweg umgesetzt worden. Die neue Universität verschrieb sich der Erziehung eines neuen Menschentypus, einer gesellschaftlichen Elite, die sich beim Wiederaufbau Preußens beweisen sollte. Von Anfang an war das Humboldtsche Ideal also als Exzellenzmodell angelegt, dessen Prämissen und Ideale die deutsche akademische Tradition 200 Jahre lang dominieren und vor allem legitimieren sollte. Die Realisierung dieser akademischen Utopie wurde aber schon im Zuge des 19. Jahrhunderts von politischen und ökonomischen Fragestellungen eingeholt, wobei die Frage hochschulpolitischer Steuerung einen immer prominenteren Platz einnahm: Der Einfluss des Staates auf die Belange der Universität war seit der Neugründung im Jahre 1810 nicht geklärt worden und zog eine Regulierungslücke nach sich, die von der Politik jederzeit missbraucht werden konnte und zum Teil auch missbraucht worden ist. Die Qualität des Hochschulbetriebs wurde jedoch bis zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krisensituation Ende der 1960er Jahre nicht in Frage gestellt.
2.2.2 Die Universität zwischen Exzellenzauftrag und dem Anspruch ökonomischer Verwertbarkeit Hochschulforschung und -bildung als Produktivkraft: Hochschulpolitische Entwicklungen im zweiten Kaiserreich und der Weimarer Republik Die Beziehung von Wirtschaft und Wissenschaft wurde unter dem Eindruck der Industrialisierung und dem Vorrücken der Naturwissenschaften gegen Mitte des 19. Jahrhunderts dominant. Das Prestige des neuen Hochschulmodells als elitäre Qualifikationsstätte und die weltweite Erfolgsgeschichte deutscher Forschung legitimierten zwar die individuelle und institutionelle Autonomie im Hochschulund Wissenschaftsbereich, doch spätestens seit der Reichsgründung wurde das
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Auseinanderdriften von Ideal und Wirklichkeit offensichtlich. Die Expansion der Studentenzahl, der wissenschaftspolitische Eingriff des Staates unter dem Regierungsrat Friedrich von Althoff und die Überführung von Forschung und Lehre in eine großbetrieblich angelegte Institutsstruktur sollten der Idee der Universität und des Kulturstaates die soziale Basis entziehen und ihre „konservative, verkürzende Umdeutung“ (Offe et al. 1965: 13) einleiten.20 Diese Entwicklungen rechneten mit einem Ideal ab, das sich der zweckfreien und gemeinnützigen Suche nach der reinen Erkenntnis verpflichtet fühlte. Universitäten wurden nicht länger als Zweck, sondern als Mittel staatlicher Politik wahrgenommen und instrumentalisiert. Mit dem Ausbau eines kapitalistisch orientierten deutschen Imperiums begriff man fortan Wissenschaft als einzigartige und prestigebesetzte Produktivkraft. In zahlreichen Aufrufen und Reden während des Ersten Weltkrieges finden sich daher auch Äußerungen zum Kriegseinsatz deutscher Wissenschaft wieder (Goldschmidt 1991). Trotz der vielfachen Einschnitte im institutionellen Leben der Universität wurde weiterhin auf den Humboldtschen Prinzipien beharrt. Warum sollte man sich auch von einer bewährten Formel verabschieden? Der Name Humboldt stand für Exzellenz ein, und die Erfolge des wissenschaftlichen Systems gaben ihm Recht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts machte sich aber vereinzelt Kritik an der Expansion und Verschulung universitärer Bildung breit. Die Argumente Max Webers in seinem prominenten Vortrag „Wissenschaft als Beruf“ aus dem Jahre 1917 sind paradigmatisch für die hochschulpolitische Debatte des frühen 20. Jahrhunderts. Der Vortrag selbst wurde im Rahmen einer Konferenz gehalten, die der Freistudentische Bund veranstaltete. Die freistudentische Bewegung war gegen Ende des 19. Jahrhunderts als Protestaktion gegen die Veränderungen des deutschen Hochschulwesens entstanden und mobilisierte die akademische Gemeinschaft gegen die Umstrukturierung der Universität zum Großbetrieb (Müller 2007). Max Weber verweist in dieser Rede nicht nur auf die Spezialisierung und Ökonomisierung des Lehr- und Forschungsbetriebs, er deckt auch die Fiktion einer hochschulpolitischen Kontinuität seit Humboldt auf: „Die technischen Vorzüge [der neuen Organisationsstruktur] sind ganz unzweifelhaft, wie bei allen kapitalistischen und zugleich bürokratisierten Betrieben. Aber der ‚Geist‘, der in ihnen herrscht, ist ein anderer als die althistorische Atmosphäre der deutschen Universitäten. (…) Innerlich ebenso wie äußerlich ist die alte Universitätsverfassung fiktiv geworden“ (Weber 1917: 585).
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Friedrich von Althoff leitete von 1882 bis 1908 zunächst als geheimer Regierungsrat und später als Ministerialdirektor das Hochschulressort im preußischen Kultusministerium.
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2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
Das Krisenbewusstsein der Akteure entzündete sich Anfang des 20. Jahrhunderts an einem beobachteten Qualitätsverlust, der auf die Nichteinhaltung der Humboldtschen (d.h. der elitären und kleinbetrieblichen) Organisationsprinzipien zurückgeführt wurde. Damals wurde das Signal von der politischen Führung überhört. ‚Hochschulpolitik‘ in der Diktatur Die Mehrheit der Professoren verharrte in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in einer national-konservativen Gesinnung und lehnte die demokratischen Strukturen der Weimarer Republik ab.21 Hans-Werner Prahl kommentiert die Situation im Deutschland der 1930er Jahre mit folgenden Worten: „Weil die Hochschulintelligenz auch schon vor 1933 manche Bruchstücke der nationalsozialistischen Ideologie scheinwissenschaftlich begründet hatte, konnten viele Hochschulangehörige ihre Vorstellungen in der faschistischen Ideologie wieder finden“ (Prahl 1978: 318).
Die Gleichschaltung der Hochschulen im Zuge der Machtergreifung sollte deshalb nicht zuletzt als Ergebnis des sozialen Klimas interpretiert werden, das damals an den Universitäten herrschte. Widerstände wurden noch in den Anfangsjahren des Naziregimes gebrochen. 1933 setze eine nationalsozialistische ‚Hochschulpolitik‘ ein, die auf die Gleichschaltung des Lehr- und Forschungsbetriebs abzielte (Ellwein 1992). Die systematische Entfernung politisch missliebiger und nichtarischer Lehrpersonen beschnitt die Universität durchschnittlich um 40 % ihres Lehrpersonals, wobei es erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Universitäten gab. Weitaus katastrophaler wirkte sich jedoch der Legitimitätsverlust aus, dem regimenahe Disziplinen wie die Medizin oder Jura unterlagen. Die Suche nach einer neuen Legitimationsbasis: Wiederbelebung des Humboldtschen Hochschulmodells nach 1945 Als der Hochschulbetrieb im Wintersemester 1945/46 nach einer kurzen Unterbrechung wieder aufgenommen wurde, entwickelten sich die Hochschulsysteme der vier Besatzungszonen rapide auseinander. Während die sowjetische Besat21
Für detaillierte Ausführungen siehe u.a. Ringer (1987: 187-196). Die Weimarer Republik war überschattet durch eine ererbte und zeittypisch verschärfte weltanschauliche Polarisierung zwischen Modernisten und Orthodoxen. Während einige der größten deutschen Gelehrten, insbesondere die bekannteren Sozialwissenschaftler, bereit waren, sich mit den Aspekten des modernen gesellschaftlichen Lebens abzufinden, verfiel die orthodoxe Mehrheit an den Hochschulen einem unnachgiebigen Antimodernismus.
2.2 Das Humboldtsche Exzellenzideal
49
zungsmacht systematisch Bildungs- und Schulreformen durchführte und die Bildung eines einheitlichen, auf die Praxis ausgerichteten Hochschulsystems anstrebte, das in langfristige wirtschaftliche und gesellschaftliche Planungsstrategien eingebaut werden konnte, gingen die Alliierten ohne genauen Plan vor. Zusammen mit den amerikanischen und britischen Behörden arbeitete die progressive Minderheit an den Hochschulen in den „Schwalbacher Richtlinien“ (1947) und im „Blauen Gutachten“ (1948) Pläne für eine Demokratisierung der höheren Bildung aus. Institutionelle Erneuerung durch Stärkung der Autonomie, personelle Umbesetzung und die Revision der Lehrprogramme sollten die Basis für einen Neuanfang sicherstellen. Zu dieser Zeit entstanden in der französischen Besatzungszone die Universitäten Mainz und Saarbrücken als Ausdruck einer verstärkten binationalen Zusammenarbeit. Die Freie Universität wurde im amerikanischen Sektor Berlins als Vorposten freiheitlicher Kultur gegründet. Die reformierende Wirkung dieser Universitätsgründungen blieb allerdings begrenzt. Das Reeducation Programme der Alliierten wurde noch in den Folgejahren von der Bundesregierung aufgegeben, die sich dem Wiederaufbau einer „im Kern gesunden“ Universität verschrieb.22 Dem Humboldtschen Hochschulmodell wurde ein ungebrochener Exzellenzauftrag zugeschrieben, der den Anschluss an die goldenen Jahre vor dem nationalsozialistischen Einschnitt ermöglichen sollte. Man glaubte, an unkompromittierte und bewährte Traditionen anschließen zu können, indem man den Wiederaufbau der Universität nach den Prinzipien des Kulturföderalismus und des Humboldtschen Bildungsideals organisierte. Dietrich Goldschmidt bezeichnete die Restituierung der Hochschulen bis Mitte der 1960er Jahre deshalb als „restaurative Reform“ (Goldschmidt 1991: 74). Das Fortbestehen der vor 1933 bestehenden Sozialstruktur ließ der kleinen, progressiven Minderheit in Lehrkörper und Hochschulverwaltung keine Möglichkeit, einschneidende institutionelle und curriculare Reformen durchzuführen. Die überschaubare Größenordnung der Universitäten ermöglichte ein lebendiges und interdisziplinäres Gespräch, das sich um die Klärung von Grundsatzfragen bemühte und durch eine traditionelle Orientierung gekennzeichnet war (Turner 2000: 15). Um potentielle Übergriffe des Staates in Grenzen zu halten, wurde die Freiheit der Wissenschaft in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes verankert. Des Weiteren wurde die Stellung der Hochschulen gegenüber den Bundesländern dadurch gefestigt, dass die Länder Schwierigkeiten hatten, neue Regierungen zu bilden. Dementsprechend wuchsen die Autonomie und Gestaltungskompetenzen der Professorenschaft auf ein bis dahin noch unerreichtes Maß an (Teichler 1990: 14).
22
„Gegen die zu weit gehende Unzufriedenheit mit der Hochschule ist zu sagen, dass die Hochschule Träger einer alten und im Kern gesunden Tradition sind“ (Blaues Gutachten 1948).
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2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
Bildungskrise und Qualitätsverlust an Hochschulen: Reformbewegungen der 1960er Jahre Angesichts wachsender Studentenzahlen setzten Mitte der 1950er Jahre erste Planungsbemühungen ein. 1957 wurde in Zusammenarbeit von Bund und Ländern der Wissenschaftsrat (WR) gegründet. In seinen Empfehlungen aus dem Jahre 1960 legte dieser zum ersten Mal detaillierte Vorschläge für die quantitative Entwicklung des Hochschulwesens vor (WR 1960). Die Expansion des Hochschulwesens konnte jedoch nicht über den ausbleibenden qualitativen Strukturwandel hinwegtäuschen, der seitens der deutschen Studentenverbände für Kritik sorgte: In ihren Denkschriften setzten sich der Deutsche Studentenbund und der Verein Deutscher Studentenschaften (VDS) zu Beginn der 1960er Jahre vehement für eine Abschaffung der Ordinarienherrschaft ein. Als der Philosoph Georg Picht 1964 den Bildungsnotstand einer ganzen Nation ausrief, waren die Befürchtungen, dass die Bundesrepublik ohne den systematischen Ausbau ihres Bildungssystems wirtschaftlich zurückfallen könnte, bereits in der Öffentlichkeit weit verbreitet. „Bis zum Ersten Weltkrieg beruhten die politische Stellung Deutschlands, seine wirtschaftliche Blüte und die Entfaltung seiner Industrie auf seinem damals modernen Schulsystem und auf den Leistungen einer Wissenschaft, die Weltgeltung errungen hat. Wir zehren heute noch von diesem Kapital (…) Jetzt aber ist das Kapital verbraucht“ (Picht 1964: 16).
Mit dieser Bilanz führt Georg Picht seine Überlegungen zur Expansion eines Hochschulsystems ein, dessen elitäre Strukturen dysfunktional geworden waren und nun auch die Qualität der Hochschulleistung beeinträchtigten: „Der Qualitätsschwund ist epidemisch geworden und eine solche Epidemie lässt sich nicht durch verschärfte Prüfungsbestimmungen bekämpfen. Der billige Slogan ‚Qualität statt Quantität‘ ist selbst Symptom dieser Erkrankung, der sich offenbar keiner entziehen kann“ (Picht 1964: 29).
Die Konstatierung eines Qualitätsverlustes in der traditionellen Hochschulbildung wurde diesmal nicht länger an der Nichteinhaltung der Humboldtschen Bildungsprinzipien festgemacht, sondern an der sichtbaren Entkoppelung zwischen Hochschul- und Wirtschaftssystem. Diese hatte zur Folge, dass die Funktionsweise des Hochschulsystems überdacht und vom Gründungsideal einer als Kleinbetrieb geführten Universität Abstand genommen werden musste. Der Vorschlag Ralf Dahrendorfs aus dem Jahre 1965 (Dahrendorf 1965), Bildungspolitik mit einer Vision zu unterlegen, Bildung also als Bürgerrecht anzustreben,
2.3 Der Staat als Garant für Hochschulqualität
51
sollte eine kohärente und engagierte Reformstrategie auf allen Bildungsebenen begründen. Ralf Dahrendorfs Engagement ging über die ökonomischen Überlegungen Georg Pichts hinaus und unterstrich den moralischen Aspekt von Bildung als Konsolidierungsfaktor für die junge deutsche Demokratie. Georg Pichts Aufsätze und Ralf Dahrendorfs Aufruf zur Demokratisierung des deutschen Hochschulbetriebs begleiteten einen Stimmungswandel in der Wahrnehmung von und im Umgang mit Hochschulbildung. Humboldts Exzellenzauftrag, das ungebrochene Leitmotiv hochschulpolitischer Steuerung im 19. und 20. Jahrhundert „Bildung durch Wissenschaft“ hat sich als allseits anerkannter Garant für Exzellenz im Hochschulbereich behauptet, auch wenn der Hochschulbereich nach 1945 nur noch partiell den originären Vorstellungen Humboldts entsprach. Als wirtschaftliche Produktivkraft gewann Hochschulbildung rapide an politischer Bedeutung, sodass externe Einflussstrukturen, vor allem im Forschungsbereich, gestärkt wurden. Als man nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Nichts stand, griff man zunächst auf die altbewährte Tradition zurück und belebte Humboldts Bildungsauftrag wieder. Die universitäre Institution und die Professorenschaft verfügten über nahezu unbegrenzte Autonomie. Bund wie Länder standen der Institution relativ machtlos gegenüber, welche sich auf Grundlagenforschung und disziplinäre Traditionen zurückbesinnte. Es war die sich zuspitzende Entkoppelung zwischen Wirtschafts- und Hochschulsystem, gepaart mit einer dynamischen, gesellschaftlichen Entwicklung, die sowohl dem traditionellen Bildungsauftrag als auch den akademischen Strukturen neue Funktionen und Funktionsweisen abverlangte und die eine Wende in der staatlichen Qualitätspolitik einleitete.
2.3 Der Staat als Garant für Hochschulqualität: Hochschulplanung in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren 2.3.1 Hochschulideale und -realität der 1960er Jahre Die wachsende Einsicht in den makroökonomischen Zusammenhang zwischen dem Wirtschaftswachstum einer Gesellschaft und dem Bildungsniveau ihrer aktiven Bevölkerung führte zur Wiederbelebung der staatlichen Hochschulpolitik und bildete die Grundlage für die Expansion des Hochschulbereichs. Anfang der 1960er Jahre wurden neue Akzente in der Hochschulpolitik gesetzt, die sich an innovativen Planungsvorstellungen orientierten: Man erkannte
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2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
die Unentbehrlichkeit einer intensiven Hochschulgesamtplanung an und war bestrebt, eine breite regionale Versorgung mit Studienplätzen zu garantieren. Die wachsende Vielfalt der Motive, Qualifikationen und Berufsaussichten einer expandierenden Studentenschaft sollte durch eine formale und inhaltliche Neustrukturierung des Hochschulbereichs berücksichtigt werden. Es etablierte sich ein Planungsverständnis, das den systematischen Ausbau des Hochschulbereichs als Beitrag des Staates zur Sicherung von Wirtschaftswachstum und technischen Fortschritt interpretierte und die deutsche Hochschulpolitik bis in die 1990er Jahre prägen sollte. Obwohl sich dieser Planungsansatz zuerst auf Länderebene durchsetzte, wurde die Universität schon bald zum Gegenstand der Reform- und Planungsbestrebungen sehr unterschiedlicher Akteure: Die Jahre des Wiederaufbaus mögen sich vor allem durch die Wiederaufnahme des wissenschaftlichen Betriebs und die Generierung hochschulpolitischer Institutionen bzw. Interessenverbünde (wie z.B. die 1949 gegründete westdeutsche Hochschulrektorenkonferenz23) ausgezeichnet haben. Erst die progressiven Reformkonzepte aber, die Anfang der 1960er Jahre zur Diskussion gestellt wurden, motivierten das gesamte Spektrum hochschulpolitischer Instanzen zur Mitgestaltung des modernen Hochschulwesens. „Allgemein gesagt zeichnete sich das Ziel ab, die Universität bewußter und präziser denn zuvor als aktives Planungssubjekt in die im Gang befindliche Planung des Landes (Hochschulgesamtplan) und in die ersten Umrisse erkennbarer Planung (Rahmengesetzgebung) des Bundes einzuführen. Es war deutlich, daß dieses Ziel angesichts akuter Not und vielfältiger, weithin noch verworrener Reformbewegung vordringlich angesteuert werden mußte“ (Conze 1970: 17).
Es war schließlich die 1967 einsetzende, revolutionär anmutende Studentenbewegung, die das Reformprojekt „Hochschulbildung“ um neue Dimensionen anreicherte und zu seiner sozialpolitischen Brisanz beitrug. Vertreter aller universitären Gruppen waren bestrebt, die Institution von innen heraus zu reformieren und ein neues Universitätsgebilde zu generieren, in dem Begriffe wie Mitbestimmung, Demokratisierung und Transparenz eine zentrale Rolle spielten. Die Hochschulreform galt als Krux einer gesellschaftlichen Gesamtreform und speiste als solche auch die politische Agenda. Der politische Grundkonsens um Bundeskanzler Willy Brandt, der in seiner ersten Regierungserklärung im Jahre 1969 23
Die Rektorenkonferenz existiert bereits seit 1903. Sie diente als Ort der Zusammenarbeit zwischen Universitäten, technischen und spezialisierten Hochschulen. In der Rektorenkonferenz suchte man die länderübergreifende Vereinheitlichung der Bestimmungen und Regelungen. Vor ihrer Auflösung im Jahre 1936 durch einen Erlass des Reichsministeriums für Wissenschaft nahm sie praktisch die heutigen Funktionen der Kultusministerkonferenz (KMK) wahr.
2.3 Der Staat als Garant für Hochschulqualität
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bildungspolitische Reformen an die Spitze der Regierungsvorhaben der sozialliberalen Koalition setzte, verflog allerdings schon in der ersten Hälfte der 1970er Jahre. Realisiert wurden auf Dauer nur die Einführung erweiterter Mitbestimmungsrechte (welche durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1973 stark eingeschränkt wurden) und die Reorganisation der Fakultäten in Fachbereiche nach angelsächsischem Vorbild. Die ursprüngliche Lehrplanreform, welche die politische und soziale Verantwortlichkeit der Disziplinen zu unterstreichen suchte, musste letzten Endes pragmatischeren Fragestellungen weichen: Sie begrenzte sich auf den Versuch, Lehrinhalte zu rationalisieren und Lehrmethoden zu entwickeln, die den Größendimensionen und Funktionsweisen eines Massenbetriebs entsprachen.
2.3.2 Rationalisierung des Qualitätsanspruchs an deutschen Hochschulen in den 1970er Jahren Einstieg des Bundes in die Hochschulpolitik Die Zeit nach den Studentenunruhen war durch die Ausweitung der Bildungskompetenzen des Bundes geprägt. Dieser beteiligte sich zunächst gegen Ende der 1950er Jahre an der Forschungsförderung, bevor er Anfang der 1960er Jahre finanzielle Verpflichtungen im Bereich der Studentenförderung und des Hochschulbaus übernahm. Bis Ende der 1960er Jahre blieben seine Aufgabenfelder auf die bedingungslose Unterstützung des wissenschaftlichen Betriebs beschränkt, doch die erhebliche Co-Finanzierung des forcierten Hochschulbaus legitimierte die Übernahme von Planungskompetenzen auf Bundesebene. 1969 wurde deshalb das Ministerium für Wissenschaftliche Forschung um ein Planungsgremium erweitert und zum Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft umbenannt. Die wichtigsten Veränderungen fanden jedoch im Bereich des Hochschulrechts statt. Noch zu Zeiten der Großen Koalition wurde das Grundgesetz durch den Art. 75, Abs. 1, um die Einführung von Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern erweitert.24 Der Aufgabenbereich „Hochschule“ schien die Kompetenz und Ressourcen der finanzschwachen Bundesländer zu überfordern. Die verfassungsmäßig geforderte gesellschaftspolitische Maxime der Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet motivierte einen Bun24
In Artikel 75, Abs. 1 des Grundgesetzes wird dem Bund das Recht eingeräumt, Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder zu erlassen. Diese betreffen das Dienstrecht, das Hochschulwesen, die Presseverhältnisse, den Umweltschutz, das Melde- und Ausweiswesen sowie den Schutz des deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland.
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2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
deseingriff in Verwaltungs- und Finanzierungsfragen. Als Gemeinschaftsaufgaben im Bildungsbereich galten der Aus- und Neubau von Hochschulen, die Bildungsplanung und Forschungsförderung sowie die Regelung von Ausbildungshilfen. Der Bund erhielt im Zuge der Novellierung das Recht, verbindliche Rahmenvorschriften für die Ländergesetzgebungen – sogenannte Hochschulrahmengesetze – zu erlassen. Mit der Revision des Grundgesetzes war das Zeitalter des „kooperativen Kulturföderalismus“ angebrochen, den Hansgert Preisert und Gerhild Franheim als koordinierte Handlungsstruktur von Bund und Ländern definieren (Franheim/Preisert 1980: 40). Am 26. Januar 1976 wurde das erste Hochschulrahmengesetz erlassen, das die formale und innere Gestaltung der Hochschulen bundesweit festlegte und eine Überführung der Universitäten in ein Gesamthochschulsystem vorsah. Die Ausbildungschancen für breitere Bevölkerungsschichten sollten durch eine hochschulinterne Differenzierung der Qualifikationswege erhöht werden. Dabei sollten die Zusammenfassung der regionalen Hochschuleinrichtungen in eine integrative Struktur sowie verstärkte Bezüge zur Arbeitswelt die Kopplung zwischen dem Qualifikationssystem und dem Wirtschaftssystem einer Region wiederbeleben. Doch das Reformprojekt wurde frühzeitig durch die sich seit der Ölkrise verschlechternden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausgebremst. Wegen der drohenden Ressourcenknappheit kam die Universität unter erneuten Legitimationsdruck (Briese/Rüffert 1986), und der Ausweg wurde in staatlich koordinierten Rationalisierungsstrategien gesucht. Einführung eines quantitativ orientierten Qualitätsverständnisses Die Hochschulen galten damals als inkompetent für die großbetriebliche Aufgabenbewältigung, da sie über ineffiziente Entscheidungsstrukturen verfügten, die sich nur in kleineren Größenordnungen praktizieren ließen.25 Die Steuerungsfunktion wurde deshalb Ende der 1970er Jahre in großen Teilen an die Länderministerien abgetreten, und staatliche Planung wurde zur Rationalisierung der Hochschulaufgaben eingesetzt. Zur Durchführung dieses Reformprogramms legte das Hochschulrahmengesetz eine Kooperationsstruktur fest, welche die Zusammenarbeit von Bund und Ländern regulierte. Intermediäre Institutionen wie der Wissenschaftsrat, die Kultusministerkonferenz (KMK) oder die 1970 gegründete Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung übernahmen damals wichtige Funktionen in der überregionalen Hochschulplanung. Die traditionellen Selbstverwaltungsstrukturen wurden im Zuge 25
Zur Entwicklung ihres „garbage can models of organizational choice“ nehmen James March, Michael Cohen und Johan Olsen Bezug auf das Organisationsmodell der Universität. Die These der Ohnmacht universitärer Entscheidungsstrukturen findet also nicht nur auf politischer Seite Bestätigung. Siehe hierzu Cohen/March/Olsen (1972).
2.3 Der Staat als Garant für Hochschulqualität
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der Hochschulreform aufgebrochen. Die eigentlichen Entscheidungsprozesse liefen von nun an über die Länderministerien. Da die Finanzautonomie nahezu vollständig an die Länder abgetreten wurde, waren die Universitäten der staatlichen Prioritätensetzung ausgeliefert. Der Übergang von der Ordinarienuniversität zur Gruppenuniversität ging mit einem Autonomie- und Identitätsverlust einher, gleichzeitig aber blieben die individuellen Freiheitszugeständnisse, wie z.B. die Lehr- und Lernfreiheit, de jure intakt. Wer also konnte in dieser Phase der Umstrukturierung als Garant für die Qualität der Hochschulbildung fungieren, wenn nicht der Staat? Einzig der Staat verfügte noch über die Mittel, um für die Leistungsqualität an Hochschulen zu bürgen. Allerdings orientierte sich das staatliche Qualitätsverständnis grundsätzlich an anderen Kriterien als die ehemaligen „Ordinarienuniversitäten“: Da die Hochschulplanung nunmehr von der Studienplatznachfrage bestimmt war, basierte der staatliche Steuerungsansatz auf der Berechnung und optimalen Nutzung der Ausbildungskapazitäten. Die Länder entwickelten hierfür bereits 1974 Grundsätze für eine bundeseinheitliche Kapazitätsermittlung und -festsetzung der Vergabe von Studienplätzen, welche 1975 in die Rechtsform überführt wurde.26 Die Kapazitätenverordnung (1975) konnte jedoch nur in Verbindung mit einer inhaltlichen, d.h. rationalisierten Neugestaltung des Studiums funktionieren. Ab 1978 wurde die Standardisierung der Studien- und Prüfungsordnungen durch paritätisch zusammengesetzte Studienkommissionen überwacht. Der Staat bürgte für die Qualität des öffentlichen Hochschulsystems, indem er die wachsende Nachfrage nach Studienplätzen abdeckte27 und das Angebot über Prüfungsordnungen und Studienkommissionen ex ante kontrollierte. Der Qualitätsbegriff wurde schließlich fernab der Hochschulwirklichkeit an die makroökonomischen Erwartungen des politischen Systems geknüpft, das sich unter dem Eindruck optimistischer Wirtschaftsprognosen und bildungsökonomischer Konzeptionen des Humankapitalansatzes einer breiteren Öffnung des Hochschulzugangs verschrieb. In späteren Abhandlungen zur Hochschulentwicklung wurde diese Art der Qualitätskontrolle als input-Steuerung bezeichnet. Aufstieg und Fall der Hochschuldidaktik Die Expansion des Universitätsbetriebs und die Veränderung der Lehr- und Lernformen führten auch auf Seiten der Studentenschaft zur Entwicklung eines 26
27
Verordnung über die Grundsätze für eine einheitliche Kapazitätsermittlung und -festsetzung zur Vergabe von Studienplätzen (Kapazitätsverordnung – KapVO) vom 12. Dezember 1975 GVBl. Nach dem KMK-Beschluss zur Öffnung der Hochschulen aus dem Jahre 1977 (KMK 1977) wurden die meisten Zulassungsbeschränkungen für das Hochschulstudium abgeschafft.
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2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
Qualitätsbegriffes in der Lehre. Dieser lief auf eine Erneuerung des Humboldtschen Konzepts „Bildung durch Wissenschaft“ hinaus und sah die Integration praxisorientierter Bezüge ins Hochschulstudium vor. Die studentische Kritik am Hochschul- und Wissenschaftsbetrieb begründete bereits Anfang der 1960er Jahre das erwachende Interesse an einer hochschuldidaktischen Reflexion, das 1962 mit der Denkschrift des Verbandes Deutscher Studentenschaft (VDS) „Studenten und die neue Universität“ bundesweit publik wurde. Die politische Rezeption des hochschuldidaktischen Programms zur Modernisierung der Hochschullehre erreichte zwischen 1967 und 1971 ihren Höhepunkt, als zahlreiche hochschuldidaktische Zentren gegründet wurden. In dem Maße, in dem Politiker jedoch feststellen mussten, dass ein Großteil der Professorenschaft die Hochschuldidaktik ablehnte, sie also nicht zur Beförderung staatlicher Reformen taugte, entzogen sie ihr die Unterstützung (Webler 1991). Qualitative Auseinandersetzungen mit der Funktion und Wirkungsweise des Lehrbetriebs blieben bis Ende der 1980er Jahre eine Randerscheinung hochschulpolitischer Debatten.
2.3.3 Steuerungskrise und Debatten der 1980er Jahre Das Problem der Politikverflechtung in der Hochschulpolitik Der Wandel der hochschulpolitischen Zielsetzung zwischen 1960 und 1980 ist auf die veränderten ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen staatlicher Planung zurückzuführen, die sich zunächst unter dem Eindruck eines politischen Stimmungswandels organisierte und sich in Folge wirtschaftlicher Rezession zur Rationalisierungsstrategie weiterentwickelte. Anfang der 1980er Jahre zog man schließlich die ernüchternde Bilanz einer zwanzigjährigen Politik staatlich gesteuerter Hochschulentwicklung: Zum einen führte die Erhöhung der Bildungschancen zur Überfüllung des Akademikerarbeitsmarktes und zur endgültigen Entkoppelung von Wirtschafts- und Qualifikationssystem. Als Reaktion auf die Inflationserscheinungen im Bildungsbereich setzten erneut Diskussionen über eine stärkere Differenzierung der Studienabschlüsse ein, ohne jedoch konkrete Ergebnisse zu zeitigen. Zum anderen wurden die negativen Effekte des kooperativen Kulturföderalismus sichtbar. Die institutionalisierte Interessenvielfalt zwischen Bund, Ländern und anderen politisierten Akteuren (wie z.B. der Rektorenkonferenz) begründete ein entscheidungsstrukturelles Grundproblem, das Fritz Scharpf als „Politikverflechtungsfalle“ identifizierte: „Föderalismus wird hier als Nullsummen-Kompetenzkonflikt zwischen Bund und Gliedstaaten interpretiert. Charakteristisch für das deutsche Modell ist jedoch nicht
2.3 Der Staat als Garant für Hochschulqualität
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die Kompetenz-Trennung, sondern die Kompetenz-Verflechtung und dementsprechend die geringe Entscheidungsautonomie beider Ebenen“ (Scharpf 1985: 325).
Da Entscheidungen auf Bundesebene von Regierungen der unteren Entscheidungsebene abhängig sind und die Zustimmung der Länder nahezu einstimmig erfolgen muss, befördert diese Entscheidungsstruktur suboptimale Politikergebnisse. Vor allem in der Bildungspolitik lassen sich die Dysfunktionen eines Systems erkennen, das einen effektiven Handlungskonsens voraussetzt. Fritz Scharpf verweist diesbezüglich auf die bildungspolitische Polarisierung zwischen konservativen und progressiven Bundesländern ab Mitte der 1970er Jahre, die langwierige und oft ergebnislose Verhandlungen zur Folge hatte: „Am Ende war die Frustration auf allen Seiten so groß, daß ohne ernsthaften politischen Konflikt der Bildungsrat aufgelöst und die gemeinsame Bildungsplanung 1982 eingestellt werden konnte“ (Scharpf 1985: 328). Die steigende Diskrepanz zwischen Planungsvorstellungen und Realität führte nicht nur zur schrittweisen Einstellung der Planungsbemühungen des Bundes, sondern auch zur Infragestellung der Annahme, dass das Hochschulwesen und der Wissenschaftsbetrieb steuerbar seien. Steuerungsdebatten in der Wissenschaft28 Die Krise staatlicher Planung wurde mitunter in der Wissenschaft reflektiert und motivierte prominente, in Politikkreisen rezipierte Auseinandersetzungen: Die 1980er Jahre waren gekennzeichnet durch die wissenschaftlichen Konfrontationen zwischen Vertretern des akteurszentrierten Institutionalismus, der maßgeblich am Max-Planck-Institut in Köln entwickelt wurde, und Systemtheoretikern. Während erstere sich im Rahmen der sogenannten Implementationsforschung29 für alternative Steuerungsansätze und eine neue Rolle des Staates stark machten, zogen letztere die Möglichkeiten politischer Systemsteuerung in polyzentrischen modernen Gesellschaften in Zweifel. Für die Kölner Gruppe um Fritz Scharpf und Renate Mayntz war die Diagnose des „Vollzugsdefizits“ (Mayntz 1986: 11) ausschlaggebend für eine theoretische Reorientierung des Steuerungsansatzes. Man distanzierte sich vom unidimensionalen und statischen Steuerungskonzept der Planungspolitik, indem man den Prozess der Implementierung als Moment der Interaktion wahrnahm und den analytischen Fokus auf ein komplexes und mehrstufiges Akteurssystem richtete. Durch die Pluralisierung des Steuerungssubjektes gerieten Motivations28 29
Für detaillierte Ausführungen zur damaligen Debatten siehe Müller (2001a). Für Beispiele der Implementationsforschung im deutschsprachigen Raum siehe u.a. Mayntz (1980).
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2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
probleme in den Vordergrund der Analyse, da dem Akteur die Möglichkeit unterstellt wurde, seinen Handlungsspielraum zu nutzen und (gegen)steuernd einzuwirken. Zudem wurde das Steuerungsobjekt fortan differenziert als „gesellschaftliches Regelungsfeld“ (Mayntz/Scharpf 1995: 9) betrachtet, dessen Steuerbarkeit von seiner internen Struktur und seiner sektoralen Zugehörigkeit abhängt. Ein realitätsnahes und anwendbares Steuerungskonzept setzte also die Integration einer bottom-up-Perspektive voraus. Daraus ergab sich, dass die effektive Steuerung allein durch eine partielle und koordinierte Delegation von Verantwortung an nachgeordnete Vollzugsträger funktionieren konnte: Die politische Instanz musste auf das Steuerungsmonopol verzichten, um effizient in die Entwicklung gesellschaftlicher Prozesse eingreifen zu können. Die Einsichten der Max-Planck-Gruppe waren für die staatlichen Steuerungsabsichten der 1990er Jahre maßgebend. In seinem Artikel „Politische Steuerung – Ein Diskussionsbeitrag“, der 1985 in der Politischen Vierteljahresschrift erschien, kritisierte der Systemtheoretiker Niklas Luhmann die theoretische und analytische Unschärfe der Handlungstheorie im Umgang mit der Frage gesellschaftlicher Steuerung. Luhmann zufolge vernachlässige der akteurszentrierte Institutionalismus das soziale Moment gesellschaftlicher Entwicklung zugunsten eines mikrosoziologischen Ansatzes. Als Begründer der autopoietischen Wende in der Systemtheorie vertrat er die Ansicht, dass Teilsysteme moderner Gesellschaften per se nicht steuerbar sind. „Nach der allgemeinen Systemtheorie entwickeln, stabilisieren oder ruinieren Systeme sich selbst aus eigenen Ressourcen in selbstveranstalteten Operationen, und sie unterscheiden sich (dadurch und nur dadurch) von ihrer Umwelt“ (Haferkamp 1987: 59).30
Als Organisationsmatrix des politischen Subsystems werden die Herrschaftsansprüche des Staates über andere, ihm gleichgestellte Teilsysteme hinfällig. Die Möglichkeiten politischer Intervention oder gar Steuerung durch sogenannte Makroakteure sind fiktiv, da das System sich selbst programmiert.
30
Hans Haferkamp (1987) verweist auf die theoretischen Paralellen zwischen Handlungs- und Systemtheorie: Seiner Meinung nach bezieht sich die Luhmannsche Systemtheorie direkt auf die Arbeiten symbolischer Interaktionisten. Sie sei sich deshalb der Akteursstruktur sozialer Handlung bewusst. Die Subjektlosigkeit Luhmannscher Systemtheorie sei deshalb fiktiv und das Argument der Nichtsteuerbarkeit evolutionärer Prozesse hinfällig.
2.4 Steuerungspolitik im Umbruch?
59
Der Steuerungspessimismus der 1980er Jahre Die historische Debatte in der Politischen Vierteljahresschrift zwischen Niklas Luhmann und Fritz Scharpf spiegelt die Konfusion und den Steuerungspessimismus einer Zeit wider, in der zwar intensiv über die Erneuerung des Hochschulwesens diskutiert wurde, die Reformentwürfe aufgrund des mangelnden bildungs- und steuerungspolitischen Konsenses jedoch erst ein Jahrzehnt später umgesetzt wurden. Die erhöhten Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und die Emergenz eines staatlichen Planungsapparates verweisen auf ein revidiertes Verhältnis von Staat und Hochschule. Die Steuerungsmöglichkeiten tertiärer Bildungseinrichtungen fielen graduell an die politischen Instanzen auf Bundes- und Länderebene, die sich über die Definition von input-Kriterien als Garant für die Qualität im Hochschulbereich einsetzten. Während die 1970er Jahre von einer Ausweitung staatlicher Kompetenzen und der verstärkten, staatlich gesteuerten Koppelung von Qualifikations- und Wirtschaftssystem geprägt waren, wurden die 1980er Jahre durch eine allseits geteilte Planungsskepsis bestimmt. Die sich zuspitzende ökonomische Krise führte zur Revision der Reformideale der 1960er Jahre: Die Planungsbemühungen des Staates wurden zu Rationalisierungsmaßnahmen umfunktioniert. Ein quantitativ orientiertes Qualitätsverständnis trat zutage. Der „Kern der Universität“, d.h. die Humboldtsche Tradition, blieb jedoch insofern erhalten und identitätsstiftend (bzw. legitimierend), als der output und die Machbarkeit einer prinzipientreuen Ausbildung nicht hinterfragt wurden. Erst gegen Ende der 1980er Jahre kamen auch in diesem Punkt erste Zweifel auf, welche die Reformdynamik der 1990er Jahre nachhaltig inspirieren sollten.
2.4 Steuerungspolitik im Umbruch? Hochschulentwicklung in den 1990er Jahren 2.4.1
Die Sicherung der Hochschulqualität
Ansätze der Verwaltungsmodernisierung im öffentlichen Sektor Anfang der 1990er Jahre hielt eine weltweite Reformbewegung Einzug in die deutsche Praxis der Verwaltungsmodernisierung: das New Public Management (NPM). Als Folge der steigenden Diskrepanz zwischen dem Aufgaben-/ Ausgabenvolumen und den verfügbaren Ressourcen hatten öffentliche Verwaltungsformen ihre Leistungsgrenzen bereits Anfang der 1980er Jahre überschritten (Budäus 1994: 12). Die innovative Verwaltungstheorie vertrat einen Prob-
60
2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
lemlösungsansatz, der die Optimierung öffentlicher Verwaltungsstrukturen von der Übertragung einzelwirtschaftlicher Aspekte abhängig machte. In Anlehnung an internationale Entwicklungen bildete sich in Deutschland ein Konzept des NPM heraus, das sich – in bemerkenswert unkritischer Art und Weise – der Lehre und Praxis privatwirtschaftlicher Managementtheorien bediente.31 Die mangelnde Reflexion bei der Rezeption und Verarbeitung des NPM in Deutschland sollte erst Jahre später eine Welle der Kritik auslösen. Der Grundstein NPMorientierter Hochschulreformen war da allerdings schon gelegt. Auf der Suche nach neuen Steuerungsstrategien schienen New-PublicManagement-Konzepte eine geeignete Vorlage zur Revision des staatlichen Selbstverständnisses und der damit verbundenen Aufgaben zu bieten (Schuppert 1998: 24). Die staatliche Detailsteuerung sollte zugunsten einer Ermöglichungsoder Kontextsteuerung aufgegeben werden, welche die Autonomie nachgeordneter Behörden durch massive Dezentralisierungsstrategien auszubauen suchte. Mit dem Autonomiezuwachs korrelierte eine verstärkte Eigenverantwortung und eine Verpflichtung zur effizienten und regulären Aufgabenbewältigung. Im Hochschulbereich sollte die Stärkung der Selbstverwaltungsstrukturen eine konsequente Binnenmodernisierung nach privatwirtschaftlichem Vorbild in Gang setzen: „Restriktive Instrumente und Maßnahmen von Seiten des Staates sollen durch das Angebot einer Vielzahl von Anreizen ersetzt werden; Globalhaushalte und künstliche Märkte sollen Innovationen in und Wettbewerb zwischen den Hochschulen anregen“ (Neusel et al. 1993: 186).
Es genügte nicht mehr, die staatlichen Vorgaben einzuhalten und Regeln zu befolgen, es wurde ein Mehrwert gefordert: Leistungsqualität und Rechenschaftslegung. Die Nachweislichkeit von Leistung in Forschung, Lehre und Dienstleistung konnte demzufolge nicht mehr über die staatlich koordinierte input-Steuerung erreicht werden. Sie verlangte die Einführung eines zusätzlichen, output-orientierten Qualitätsbegriffes, der die Diskrepanz zwischen dem Ist- und Sollzustand zu erfassen und zu analysieren vermochte. Zur Umsetzung dieses neuen Konzeptes bedurfte es einerseits eines integrierten Informationssystems, das relevante und teilsstandardisierte Daten zu beiden Aspekten lieferte, und andererseits eines zielorientierten Bewertungssystems: Leistungsevaluation, Controlling und Akkreditierung bahnten sich einen Weg in die Köpfe der Ministerialbeamten auf Bundes- und Länderebene. Anfang der 1990er Jahre prägten NPM-Konzepte also einen „Reformaktionismus“, der sich gegen Ende der 1990er Jahre auch im Hochschulbereich durchsetzte: 31
Für detaillierte Ausführungen zum Thema siehe u.a. Reichard (1998).
2.4 Steuerungspolitik im Umbruch?
61
„Innerhalb von 2-3 Jahren sind wesentliche Elemente des erwähnten ‚neuen Steuerungsmodells‘ aus dem Boden gestampft worden; man konnte dabei kaum auf Vorarbeiten aufbauen. Die Hektik, die in der Praxis zu beobachten war, war beträchtlich“ (Reichard 1998: 54).
Eine alternative Erklärung zur Begründung solcher Managementkonzepte findet sich in der Professionssoziologie wieder. Demnach leiden akademische Professionen an einem Vertrauensverlust und müssen diesen durch öffentliche Rechenschaftslegung kompensieren (Enders/Kaulisch 2005; Stichweh 2004). Da das professionssoziologische Argument eingehend in Punkt 3.3.4 behandelt wird, soll an dieser Stelle auf detaillierte Ausführungen verzichtet werden. Qualitätssicherung und -steigerung in der Hochschulehre: Aktionsprogramme der Länder Obwohl die Enquete-Kommission der Bundesregierung bereits 1990 in ihrem Zwischenbericht „Zukünftige Bildungspolitik – Bildung 2000“ auf die Notwendigkeit einer Qualitätssteigerung in der Lehre aufmerksam machte, setzte sich der internationale Evaluationsboom in Deutschland nur langsam durch. Die Diagnose des Qualitätsverlustes, welche dem Enquete-Paper zugrunde lag, zog sich aber wie ein roter Faden durch die hochschulpolitischen Debatten und Reformbestrebungen der 1990er Jahre. Der deutsche Hochschulforscher Wolff-Dietrich Webler kommentiert dieses Krisenphänomen mit folgenden Worten: „Jedes Hochschulsystem richtet sich auf die von der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Ressourcen ein und entwickelt Überlebensstrategien (…). Ab und zu erreicht die historische Entwicklung aber Punkte, an denen solche bewährten Strategien ihre Wirkung verlieren, weil quantitative Verschiebungen in qualitative Änderungen umschlagen“ (Webler 1993: 236).
Hohe Studienabbruchquoten, überproportional lange Studienzeiten und die chronische Unterfinanzierung waren die Symptome sogenannter „qualitativer Änderungen“ im Hochschulsystem, die im Wintersemester 1988/89 zehntausende Studenten auf die Straßen trieben und dem Reformstau der 1980er Jahre ein Ende bereiteten. Die katastrophalen Ausmaße hochschulpolitischen Versagens waren es auch, die den damaligen Vorsitzenden des Wissenschaftsrates, Dieter Simon, 1991 zum berühmten Ausspruch veranlasste: „Die deutsche Universität ist (…) im Kern verrottet. Sie bedarf einer Neuorientierung“ und eine radikale Abwendung von der bis dahin praktizierten Politik des status quo einleitete.32 32
Für detaillierte Ausführungen zum Thema siehe u.a. Beck (1989).
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2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
Im Anschluss an die Protestaktionen beschäftigte sich eine Reihe von Tagungen und Seminaren intensiv mit der Entwicklung entsprechender Lösungsansätze. Die maßgebenden Empfehlungen im „Bielefelder Memorandum“ (AHD 1991) rückten die „Stärkung der Qualität der Lehre an den Hochschulen“ in den Mittelpunkt bildungspolitischer Bestrebungen auf Bundes- und Länderebene: Während der Bund 1992 die Gründung einer Stiftung für Qualitätssicherung plante (welche allerdings nie realisiert wurde), thematisierten Hessen, BadenWürttemberg, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Bayern die Überprüfung von Leistung im Lehrbereich als Moment regionaler Hochschulentwicklung. Sondermittel zur Aufwertung der Lehre und zu ihrer Evaluation wurden Anfang der 1990er Jahre in 10 (ausschließlich alten Bundesländern) der 16 Länder bereitgestellt. In den meisten Bundesländern wurden diese Fördertöpfe im Rahmen von Aktionsprogrammen zur Studienzeitverkürzung eingerichtet. Die neuen Bundesländer hatten mit der Umstrukturierung ihrer Hochschulsysteme nach westlichem Vorbild zunächst andere Prioritäten gesetzt und griffen erst gegen Mitte der 1990er Jahre fördernd in die Entwicklung von Qualitätsprogrammen ein. Erfahrungen mit Evaluationsverfahren hatten die Hochschulen im Osten bereits 1990–1991 gesammelt, als der Wissenschaftsrat regionale Beratungsorgane ins Leben rief: Die sogenannten Hochschulstrukturkommissionen waren die am höchsten angesiedelten Gremien zur Beratung über Ziele und Inhalte des Übergangs der ostdeutschen Hochschulen zu einem Bestandteil des vereinigten deutschen Hochschulsystems. Zu diesem Zweck entwickelten die Kommissionen quasi-evaluative Verfahren, die der Konzipierung von Empfehlungen und Stellungnahmen dienen sollten, damals aber noch konzeptlos und unsystematisch betrieben wurden. Es bleibt anzumerken, dass sich der Umgang der ostdeutschen Hochschulvertreter mit Verfahren der Leistungsbewertung weitaus unproblematischer gestaltete als im Westen, wo sich die Professorenschaft dem Eingriff in die traditionelle Lehr- und Lernfreiheit noch widersetzte. Der bias deutscher Qualitätssicherung Anfangs versuchte man, das neue Qualitätskonzept der Lehre im Aufgabenfeld der Hochschuldidaktik zu verorten, doch schon bald sollte die politische Dimension der Qualitätssicherung zu seiner Emanzipation als selbstständiges Reformprogramm beitragen.33 33
„Infolgedessen gelangt das Problem der Qualitätssicherung und -entwicklung, nachdem es seit dem Beginn der 1990er Jahre bereits im Rahmen der ‚Qualität der Lehre‘-Diskussionen behandelt worden war, auf einen Spitzenplatz der hochschulpolitischen Agenda: Denn Profilierung, Professionalisierung und hochschulinterne Mittelverteilung verlangen nach Bestimmung auch nichtquantitativer Entwicklungsziele und -wege“ (Pasternack 2000: 38).
2.4 Steuerungspolitik im Umbruch?
63
Der Begriff Qualitätssicherung wurde erst gegen Ende der 1990er Jahre auf teilweise sehr unterschiedliche Prozesse der Leistungskontrolle und -entwicklung angewandt. Das grundlegende Konzept ging dabei auf die Einsicht einer notwendigen Steigerung wissenschaftlicher Leistungsqualität zurück und war von vornherein mit einem bias behaftet: Auf der einen Seite kam in den Empfehlungen und Aktionsprogrammen Anfang der 1990er Jahre vor allem die hochschuldidaktische Dimension einer Steigerung der Lehrqualität zum Tragen. Die Lehrqualität sollte über finanzielle und symbolische Anreize, hochschuldidaktische Innovationen und regelmäßige Evaluationen durch die Hochschule selbst und in Verbindung mit staatlichen Zuschüssen gefördert werden. Auf der anderen Seite betonten New-Public-Management-Ansätze die steuerungspolitische Dimension der Leistungserfassung: „Qualitätssicherung bedeutet, dass die Hochschulen ‚Qualität‘ nachweisen müssen. Der Begriff setzt voraus, dass sowohl ökonomische und politische Gesichtspunkte als auch diejenigen des Benutzers befriedigt werden, sei dieser nun Arbeitgeber oder, wie im Falle der Studenten, Konsument“ (Neave 1991: 209f.).
Demzufolge dienten Qualitätskontrollen nicht nur der internen Effizienzsteigerung, vielmehr sollten sie als Instrument leitungsorientierter Finanzierungen und Profilierungsmechanismen fungieren. Ipso facto war Qualitätssicherung also auch ein Moment informierter Rationalisierung und wurde als solches gegen Ende der 1990er Jahre in den Hochschulgesetzen der meisten Bundesländer aufgenommen (siehe hierzu Punkt 2.5.3).
2.4.2 Europäische Beiträge zur Entwicklung nationaler Qualitätssicherung: The EU Pilot Project for Evaluating Quality in Higher Education 1994 schaltete sich die europäische Ebene in die deutsche Diskussion zum Thema Qualitätssicherung ein. Das Engagement der EU kann schon deshalb als Wendepunkt für die deutsche Qualitätssicherung gewertet werden, weil es auf die internationale Dimension des Reformkonzeptes aufmerksam machte und das europäische Interesse an funktionierenden und vergleichbaren Systemen der Qualitätssicherung begründete. Auf Grundlage der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates „Qualitätsbewertung im Bereich der Hochschulbildung“ aus dem Jahre 1991 berief die Kommission 1994 ein gleichnamiges Pilotprojekt ins Leben. Ein europaweiter Erfahrungsaustausch sollte zur Optimierung nationaler Verfahren der Qualitätsbewertung beitragen und das Bewusststein für den enjeu européen staatlicher Hochschulpolitik schärfen:
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2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
„Auf diese Weise soll[te] den Hochschulen im Rahmen einer europäischen Zusammenarbeit ermöglicht werden, auf der Grundlage objektiver und auf Gemeinschaftsebene vergleichbarer Methoden messbare Qualitätsziele festzulegen. Bei den Pilotprojekten [ging] es somit (…) um die Organisation eines Erfahrungsaustauschs über verschiedene Bewertungsmethoden, in denen eine ‚europäische Dimension‘ eingebracht werden soll[te]“ (HRK 1997: 1).
Das Projekt war auf mehreren Ebenen angesiedelt: Auf europäischer Ebene konstituierte sich eine Verwaltungsgruppe aus Vertretern aller Teilnehmerstaaten, die mit der Verfassung der Evaluationsrichtlinien betraut wurden. Aus dieser Kooperation resultierte eine Kompromissformel für ein Evaluationsverfahren, welche die best practices der bestehenden Systeme miteinander verband und ein dreistufiges Verfahren zur länderübergreifenden Bewertung unterschiedlicher Fächer postulierte. Die Abfolge und Organisation der Qualitätskontrolle, die sich 1994 in eine Phase der Selbstevaluation, der externen Begutachtung und der Redaktion eines Abschlussberichts gliederte, gilt noch heute als Standardverfahren und ist als solches auch im Berliner Communiqué aus dem Jahre 2003 aufgeführt. Die Teilnehmerstaaten hatten demgegenüber einen nationalen Ausschuss einzurichten, in dem Vertreter der akademischen Gemeinschaft und der Berufsverbände aus den betreffenden Fachbereichen zur Ernennung der Peers, zur Vorbereitung der nationalen Konferenzen und schließlich auch zur „Gewährleistung einer Weiterverfolgung der Pilotprojekte und insbesondere der weit reichenden Verbreitung der Ergebnisse dieser Erfahrung auf nationaler Ebene“ (HRK 1997: 2) zusammenkamen. Länder und Bund, die sich seit geraumer Zeit für die Steigerung der Lehrqualität einsetzten, einigten sich in einem Gespräch im Juli 1994 darauf, dass die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) den Vorsitz dieser Gruppe übernehmen sollte. Diese akzeptierte in der Hoffnung, sich über das Pilotprojekt zu profilieren. Schließlich bot ihr das Projekt die Möglichkeit, sich eigens an der Umsetzung ihrer Empfehlungen zur Evaluation zu beteiligen.34 Als Vertreter der Hochschulautonomie artikulierte die Rektorenkonferenz ein Verständnis der Qualitätssicherung, das an die vorab skizzierte Steuerungspolemik anschloss. Qualitätssicherung war demzufolge ein Instrument, das die Hochschulen in die Lage versetzen sollte, sich vom staatlichen Dirigismus loszusagen und eigene Prioritäten zu setzen. Ihre führende Rolle im Pilotprojekt behauptete die Rektorenkonferenz bereits Mitte der 1990er Jahre als Vermittler zwischen den Akteuren auf 34
„Weil nicht zu erwarten ist, dass die HRK bei Ablehnung dieses Angebots von Ländern und Bund erneut die Übernahme von Evaluationskoordinierungsaufgaben angeboten werden dürfte, wird in Absprache mit dem Präsidenten vorgeschlagen, dass die HRK das Angebot der Länder und des Bundes zur Übernahme der nationalen Koordination beim Evaluationsprojekt der Europäischen Kommission annimmt“ (HRK 1994: 3).
2.4 Steuerungspolitik im Umbruch?
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Bundes-, Landes- und Hochschulebene und trug so nachhaltig zur Diffusion einer Qualitätssicherungsdefinition als Medium interner Hochschulentwicklung bei. In ihren Empfehlungen zur Evaluation im Hochschulbereich (HRK 1995) – ein maßgebender Text zur Evaluation aus dem Jahre 1995, der im Anschluss an die Pilotstudie verfasst wurde – wird das neue Selbstverständnis der Hochschulrektorenkonferenz als nationaler Akteur der Qualitätssicherung mit folgenden Worten zusammengefasst: „Die Einrichtung einer von staatlichen Eingriffen unabhängigen und bundesländerübergreifenden Koordinierungs-/Anlaufstelle (‚Evaluationsagentur‘) erscheint sinnvoll, um zumindest den Informationsaustausch zwischen den Hochschulen zu fördern. Ihre über Informationsaustausch hinausgehenden weiteren Aufgaben bestünden darin, ein Forum für die Weiterentwicklung von Evaluationsverfahren auf internationalem Standard und ggf. ein Dach für regionale Verbünde zu bilden. Eine solche Stelle könnte – vorausgesetzt die dafür erforderlichen Mittel werden von Ländern und Bund bereitgestellt – die HRK sein“ (HRK 1995: 10).
Die HRK distanzierte sich ab 1990 von ihrer traditionellen Rolle als Bollwerk gegen jede Veränderung der deutschen Universität und begann sich als Vordenker der Modernisierung zu sehen. Aus der Erkenntnis der Interventionsnotwendigkeit resultierte eine Serie von Empfehlungen, die den deutschen Reformweg der 1990er Jahre bis 2005 markieren und zu der auch zahlreiche Publikationen zum Thema Qualitätssicherung zählen. Entscheidend war die Tatsache, dass die HRK sich über ihren Einsatz im europäischen Pilotprojekt als Mitgestalter nationaler Qualitätssicherung qualifizierte. 1998 wurde schließlich das „Projekt Qualitätssicherung“ mit finanzieller Unterstützung des BMBF ins Leben berufen. Das „Projekt Qualitätssicherung“ sollte sich in den Folgejahren als eine der wichtigsten Koordinations- und Informationsplattformen für Qualitätssicherung im deutschen Hochschulraum behaupten. Mit ihrem relativ frühen Engagement für Qualitätssicherung klinkte sich die HRK in einen Diskurs ein, der bereits Anfang der 1990er Jahre die Länder und Hochschulen für eine Politik der Leistungsqualität mobilisierte.
2.4.3 Staatliche Deregulierungspolitik und die Einführung der Akkreditierung Die Deregulierungsinitiative des Bundes: Das vierte Hochschulrahmengesetz aus dem Jahr 1998 Die für die Evolution deutscher Qualitätssicherung ausschlaggebende vierte Novellierung des Hochschulrahmengesetzes kann auf eine längere Vorgeschichte
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2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
zurückblicken, die 1991, zum Zeitpunkt des umfassenden Personalwechsels in der Ministerialbürokratie des Bundesministeriums, ansetzt. Damals verband sich die personelle Erneuerung mit einer Phase des Umdenkens. Reformpläne zur Stärkung der Hochschulautonomie gewannen klar an Bedeutung. Die 10 Thesen des Wissenschaftsrates (1993) und das „Eckwertepapier der Bund-LänderArbeitsgruppe zur Vorbereitung des vorgesehenen bildungspolitischen Spitzengesprächs“ (1993), die beide als Vorlage zur Novellierung des Hochschulrahmengesetzes fungierten, hatten die Diskussion der 1980er Jahre über eine zweite Studienreform wiederbelebt: Die 10 Thesen postulierten die Institutionalisierung eines zweigliedrigen Studienablaufs, der durch regelmäßige Evaluationen auf Studierbarkeit und Lehrqualität geprüft werden sollte. Das Eckwertepapier schloss sich den Vorgaben des Wissenschaftsrates an und bot einen umfassenden Maßnahmenkatalog zur Studienreform mit konkreten Gesetzes- und Zeitplänen. Das Papier bestärkte den von der Rektorenkonferenz eingeleiteten Paradigmenwechsel. Diese beschloss 1992, den richtungsweisenden KMK-Öffnungsbeschluss aus den 1970er Jahren nicht länger zu unterstützen, und setzte sich seitdem konsequent für die Differenzierung des Hochschulsystems (und des Hochschulstudiums) ein. Im Zuge der Differenzierungsdebatte gerieten die seit 1974 geltenden Rahmenprüfungsordnungen unter den Verdacht, die Modernisierung und Weiterentwicklung der Studiengänge durch langsame und konfliktbehaftete Verhandlungsprozesse zwischen Politik- und Hochschulvertretern zu verhindern. Erste Überlegungen zur Umgestaltung der Rahmenprüfungsordnungen wurden bereits im Eckwertepapier aufgegriffen, zu dem sich die Ministerpräsidenten vorbehaltlos bekannten. Da die Länder sich für eine rasche Umsetzung der Eckwerte einsetzten, Ende 1995 aber noch keine Ergebnisse vorlagen, nahm sich der Bund der stagnierenden Studienreform an. „Ich habe, wie sie wissen, in einer Rede vor der HRK gesagt, dass nach meiner Einschätzung Humboldts Universität tot ist. Dieser Satz ist für mich deshalb ein Schlüsselsatz, weil ich nicht glaube, dass wir in der Zukunft in Deutschland bei 326 Hochschulen (…) von einem einheitlichen Universitätsbild ausgehen können“ (Bundestag 1997a: 172).
Mit diesen Worten verteidigte Jürgen Rüttgers am 24.9.1997 den höchst polemischen Entwurf der Bundesregierung zur Novellierung des Hochschulrahmengesetzes vor dem Bundestag.35 Das Gesetz leitete eine Liberalisierung der bundeseinheitlichen Rahmenordnung ein und bot den Ländern die Möglichkeit zur Erprobung neuer Steuerungsansätze. Das übergeordnete Ziel der Hochschulpolitik, 35
Siehe hierzu die zahlreichen Auseinandersetzungen in der „Deutschen Universitätszeitung“ (DUZ) und der Zeitschrift „Forschung und Lehre“ aus dem Jahre 1998.
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die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Hochschulen zu sichern, sollte durch Deregulierungsstrategien, einer verstärkten Leistungsorientierung, Differenzierung und Wettbewerb zwischen den Hochschulen bedient werden: „Durch die Deregulierung dieser Reformkomplexe erhalten die Länder einen umfassenden Handlungsspielraum für die Umgestaltung des Managements der deutschen Hochschulen. Zum anderen wird der Grundstein für ein von Autonomie und Wettbewerb geprägtes, international konkurrenzfähiges Hochschulsystem gelegt, das in der Lage ist, flexibel und kreativ auf heute bestehende und sich künftig stellende Herausforderungen zu reagieren“ (Bundestag 1997b: 14).
Die im Entwurf vertretenen Reformkonzepte weisen erstaunliche Parallelen zur New-Public-Management-Theorie der Verwaltungsmodernisierung auf. Die Interviewpartner 12a und 13a, die mit dem Personalwechsel an das BMBF kamen und maßgeblich an der Novellierung beteiligt waren, bestätigten die direkte Einwirkung des New Public Managements auf die Redaktion des Gesetzestextes. Es sollte jedoch erwähnt werden, dass keine systematische Auseinandersetzung mit den steuerungspolitischen Ansätzen dieser Theorie stattfand. Man schien sich bei der Novellierung ganz am ‚Zeitgeist‘ und an den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu orientieren. Wie bei Rahmengesetzgebungen üblich, musste der Entwurf mit den Ländern ausgehandelt und überarbeitet werden, um die Zustimmung der zweiten Kammer sicherzustellen. Da das Hochschulrahmengesetz keine direkte Auswirkung auf die Hochschulen hat, sondern über die Ländergesetzgebung an die Hochschulen getragen wird, setzt seine effektive Implementierung ein klares Engagement der Bundesländer voraus. Theoretisch mussten die Länder 1997 also einwilligen, sich aus der Detailsteuerung der Hochschulen zurückzuziehen und sich auf die Übernahme einer Kontrollfunktion zu beschränken: „Damit die Hochschulen den für die Verwirklichung der Reformvorstellungen notwendigen Freiraum erhalten, müssen das bestehende Bundes- und Landesrecht gleichzeitig in erheblichem Maße dereguliert werden“ (Bundestag 1997b: 14). Noch bevor der Novellierungsvorschlag vor dem Bundestag vorgetragen wurde, sprach der konservative Bildungsminister seinen Gesetzesentwurf deshalb mit den BLändern (d.h. den CDU-regierten Ländern) ab und sicherte sich die Mehrheit im Bundesrat. So überlebte der abgesegnete Entwurf das juristische Hin und Her zwischen Bundestag und Bundesrat ohne größere Veränderungen.36 Selbst die 36
Zum einen vertrat der Bundesrat die Ansicht, dass das Gesetz der Zustimmungspflichtigkeit bedurfte (Bundesrat 1998). Zum anderen stellten die Oppositionsparteien drastische Änderungsvorschläge zur Debatte. Während die Grünen die Einführung von Akkreditierung in einem konkurrierenden Gesetzentwurf stipulierten (Bundestag 1997c), setzte sich die SPD in ih-
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Hochschulvertreter, die sich bis Mitte der 1990er Jahre einer weiteren Rationalisierung des Studiums widersetzten, lenkten ein, als sich die finanzielle Notlage gegen Ende der 1990er Jahre dramatisch zuspitzte und eine Reform unabdingbar wurde. Inhaltlich ermöglichte das vierte Hochschulrahmengesetz die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen (§ 19) an deutschen Hochschulen und stipulierte die Realisierung eines Leistungspunktesystems (§ 15) in Anlehnung an das ECTS-Modell der Europäischen Union. Dieses neue Instrument sollte eine Modularisierung des Studiums sowie eine grundlegende Umorganisation des Prüfungswesens fördern. Das Thema Qualitätssicherung der Hochschullehre wurde in der Diskussion zur Novellierung des Hochschulrahmengesetzes unter zwei Aspekten behandelt: Zum einen diskutierte man die Etablierung eines Akkreditierungsverfahrens. Dieser Punkt fand zwar keinen Vermerk im Gesetzestext, Akkreditierung wurde aber durch die Umformulierung des § 9 ermöglicht. In der neuen Version des Artikels zur „Koordinierung der Ordnung von Studium und Prüfungsordnungen“ wurde die Gleichwertigkeit der Abschlüsse nicht länger von Rahmenprüfungsordnungen abhängig gemacht. Alternative Kontrollverfahren waren de jure zugelassen, auch wenn diese nicht explizit genannt wurden. Zum anderen erfuhr das Moment der Evaluation, in Verbindung mit der Frage der leistungsorientierten Mittelverteilung, große Aufmerksamkeit. Lange stand zur Debatte, ob und inwiefern Evaluationsergebnisse in der Haushaltsplanung berücksichtigt werden durften. Einerseits sollten durch Lehrevaluationen Grundlagen für eine geplante staatliche Hochschulfinanzierung nach Leistungskriterien geschaffen werden. Andererseits argumentierten prominente Hochschulforscher wie Michael Daxner für die strenge methodische und praktische Trennung von Evaluation und leistungsorientierter Finanzierung. Schließlich könne man „aus einer Evaluation niemals unmittelbar finanzrelevante Indikatoren machen“ (Bundestag 1998b: 10). Man entschied sich letztlich dafür, die Frage der Anwendung von Evaluationsergebnissen offen zu lassen.37 An diesem Streitpunkt lässt sich der in Abschnitt 3.1 kommentierte bias der Qualitätssicherung illustrieren. Da das Hochschulrahmengesetz keine funktionale Definition der Evaluation lieferte, wurde dieser Part folglich den Ländern überlassen. Das hatte zur Folge, dass Evaluation je nach regionalem Kontext unterschiedlich verwirklicht bzw. instrumentalisiert
37
rem Veränderungsvorschlag für eine komplettes Verbot der Erhebung von Studiengebühren ein (Bundestag 1998a). Siehe hierzu § 6 des vierten Hochschulrahmengesetzes: „Die Arbeit der Hochschulen in Forschung und Lehre, bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie der Erfüllung des Gleichstellungsauftrags soll regelmäßig bewertet werden. Die Studierenden sind bei der Bewertung der Qualität der Lehre zu beteiligen. Die Ergebnisse der Bewertung sollen veröffentlicht werden“.
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wurde. Das vierte Hochschulrahmengesetz als auch spätere Novellierungen versäumten also, das Instrument der Evaluation funktional zu besetzen, was die Entwicklung der Qualitätsbewertung nachhaltig prägen sollte. Einführung der Akkreditierung durch die deutschen Bundesländer Mit dem KMK-Beschluss vom 3.12.1998 wurde schließlich die Basis zur Institutionalisierung eines zweigliedrigen Systems der Qualitätssicherung gelegt. Dieses System bestand aus: 1. einer als Qualitätsentwicklung konzipierten Evaluation und 2. der Akkreditierung, die sich der regelmäßigen Kontrolle von Mindeststandards widmen sollte. Die Kultusministerkonferenz nutze die in § 9 des vierten Hochschulrahmengesetzes implizierten Freiheiten und entwickelte als Alternative zur traditionellen Rahmenprüfungsordnung ein bundeseinheitliches Akkreditierungssystem. Man versprach sich von diesem neuartigen Prüfungsverfahren eine Entbürokratisierung des Studienbetriebs und, in Verbindung mit der Einführung von Bachelorund Masterstudiengängen, die Beförderung der längst fälligen Studienreform: „Ein Akkreditierungsverfahren für Bachelor-/Bakkalaureus- und Master-/Magisterstudiengängen muss (…) sowohl der gebotenen Differenzierung im Hochschulbereich als auch den erhöhten Qualitätsanforderungen in einem sich intensivierenden internationalen Wettbewerb Rechnung tragen. Es steht unter den Prämissen – Vielfalt ermöglichen, Qualität sichern und Transparenz schaffen“ (KMK 1998: 2).
Die KMK übertrug die Verantwortung der Akkreditierung an parteilose Agenturen mit einem paritätisch zusammengesetzten Rat aus Vertretern der Wirtschaft, der Politik und der Hochschulen. Akkreditierung wurde in Abgrenzung von staatlicher Genehmigung als Gewährleistung fachlich-inhaltlicher Mindeststandards und als Überprüfung der Berufsrelevanz von Abschlüssen verstanden, d.h., die Qualitätssicherung erfuhr eine zusätzliche funktionale Differenzierung. Man unterschied zwischen einer zertifizierenden Akkreditierung, deren Mindeststandards sich an ökonomisch und politisch definierten Qualifikationserwartungen orientieren sollte, und einer hochschulinternen Evaluation, deren Aufgabenfelder nicht klar definiert wurden.38 Abschließend sollte noch erwähnt werden, dass es keinerlei Korrelation zwischen der Erarbeitung und Umsetzung der Gesetzesnovellierung und der am 25.5.1998 unterschriebenen Sorbonne Declaration zur „Harmonisation of the 38
Die Frage, wie sich Evaluation und Akkreditierung als zwei nahezu verwechselbare Verfahren der Qualitätsmessung zueinander verhalten, wird ausführlich in Punkt 4.2 und 4.5 behandelt.
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Architecture of the European Higher Education System“ (Sorbonne Declaration 1998) gibt. Wie die vorliegenden Ausführungen belegen, hatte die Vorarbeit zum vierten Hochschulrahmengesetz bereits 1991 begonnen. Sie kann also nicht auf den europäischen Synergieeffekt zurückgeführt werden. Zweifellos kann aber behauptet werden, dass der 1998 einsetzende Bolognaprozess die Gesetzesnovellierung und ihre Umsetzung beschleunigt hat.
2.5 Qualitätssicherung als Komponente eines neuen Steuerungsmodus 2.5.1 Definition und Rolle der Qualitätssicherung im deutschen Hochschulraum: eine Synthese Der Humboldtsche Anspruch auf Exzellenz, der den wissenschaftlichen Betrieb bis in die 1960er Jahre des 20. Jahrhunderts dominierte, musste sich Anfang der 1970er Jahre einem quantitativ ausgelegten Leistungsverständnis fügen. In Folge einer damals unsystematisch praktizierten Politik der Hochschulexpansion und der stagnierenden Wirtschaftslage rückten Fragen der optimalen Nutzung von Kapazitäten verstärkt in den Vordergrund politischer Steuerungsabsichten. Bereits am Ende desselben Jahrzehnts musste der Staat das Scheitern seiner Planungsversuche einräumen. Die Reformdiskussionen gerieten aufgrund der sich zuspitzenden Steuerungsproblematik ins Stocken und erfuhren erst Anfang der 1990er Jahre eine Wiederbelebung, als New-Public-Management-Theorien Verwaltungsmodernisierungen auf allen Ebenen motivierten. Im Zuge der Reformen verlagerte sich das Moment der Planung vom Staat auf die ihm zu- bzw. nachgeordneten Behörden. Hochschulen sollten zu diesem Zweck mit einer begrenzten Autonomie ausgestattet werden, die mit der politischen Forderung einherging, die internen Leistungsstrukturen (d.h. Verwaltungs- und Produktionsstrukturen) nach ökonomisch inspirierten Effizienzkriterien auszurichten (Müller 2001a). Die Emergenz der Qualitätssicherungspolitik war also durch eine Reorientierung im Umgang mit der Qualität des universitären Produktionsprozesses, insbesondere des Endprodukts „Qualifikation“ gekennzeichnet: Man konzedierte den Hochschulen nicht länger die Exzellenz ihrer Leistungsstrukturen, noch schob man dem Staat die Verantwortung für die Qualität von Hochschulausbildung zu. Von nun an waren die Hochschulen für ihre eigene Leistung verantwortlich und mussten diese auch belegen. Als Instrument einer revidierten Steuerungspolitik sollte Leistungsbewertung zum einen hochschulinterne Lernmechanismen in Gang setzen, d.h. zur Leistungssteigerung motivieren. Zum anderen diente sie der öffentlichen Rechenschaftslegung und der weitaus problematischeren leistungsorientierten Mit-
2.5 Qualitätssicherung als Komponente eines neuen Steuerungsmodus
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telzuweisungen. In Abwesenheit einer stringenten Definition der Aufgaben, Ziele und politischen Rolle von Leistungsbewertung führte man funktional und methodisch sehr unterschiedliche Maßnahmen der Leistungskontrolle in den Hochschulbereich ein. Die Arbeitsmethoden unterschieden sich dabei: in der Reichweite der Verfahren innerhalb der Universitäten, in der Verteilung von Verantwortlichkeit für die Leistungsbewertung und verfahrenstechnisch. Eine Übersicht zu den damaligen Verfahren und Methoden der Leistungsmessung liefert Dietrich Müller-Böling in seinem CHE-Arbeitsbericht aus dem Jahre 1996 (Müller-Böling 1996). Die Heterogenität des Repertoires koexistierender Instrumente der Qualitätssicherung (zu der durchaus auch Rankings und Lehrberichte zählen) ist ohne Zweifel auf die für Deutschland typische chronische Unterbestimmung der Begriffe „Qualität“ und „Qualitätskontrolle“ zurückzuführen. Bislang existiert keine inhaltlich aufgeklärte, geschweige denn reliable Bestimmung oder Einschätzung von Hochschulqualität (Pasternack 2001). Wie aber sollen Verfahren der Qualitätssicherung systematisch und konsequent eingesetzt werden, wenn Gegenstand und Ziel der Qualitätspolitik ungeklärt bleiben? Während Evaluationen auf die Verbesserung der Leistungsqualität an Hochschulen ausgerichtet waren, sollten Akkreditierungen einen minimalen Qualitätsstandard an deutschen Hochschulen feststellen und sichern. Evaluation war demzufolge von Anfang an als hochschulinternes Verfahren konzipiert, während es der Akkreditierung oblag, die staatliche Studienganggenehmigung zu ersetzen und eine accountability-Funktion zu erfüllen (d.h. die Öffentlichkeit über das Verbleiben ihrer Steuergelder zu informieren). Evaluation und Akkreditierung sind also nur zwei mögliche Varianten der Qualitätssicherung – zwei Formen der Qualitätssicherung, auf die sich die Studie allerdings beschränken wird. Im Folgenden werden unter dem Begriff Qualitätssicherung der Hochschullehre vornehmlich Evaluations- und Akkreditierungsverfahren verstanden. Es sei allerdings angemerkt, dass die „Superkomplexität“ (Teichler 2003: 5) des bestehenden Systems nicht nur die Weiterentwicklung des Steuerungsinstrumentes „Qualitätssicherung“ beeinträchtigt; vor allem schmälert sie auch seine Akzeptanz auf Seiten der Hochschulen. Da von politischer Seite keinerlei Versuche unternommen wurden, das Definitionsdefizit zu beheben, sind Qualitätssicherungsmaßnahmen und Leistungsmessungen noch heute von Missverständnissen und Unsicherheiten geprägt. Obwohl sich das Prinzip einer Qualitätspolitik auf allen Ebenen durchgesetzt hat, haben die Hochschulen bislang noch keine standardisierte Praxis der Leistungsbewertung entwickelt (siehe Punkt 4.4).
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2.5.2 Das Konzept der Kontextsteuerung aus der systemtheoretischen Perspektive Es wurde bereits angedeutet, dass sich der Staat Ende der 1980er Jahre von Strategien direkter Intervention zu distanzieren suchte. NPM-Konzepte galten damals als Referenz für die Revision öffentlicher Aufgabenteilung, verfügten allerdings nicht über eine einheitliche Theorie der Kontextsteuerung, die als Vorlage zur Gesamtreform hätte dienen können. In Ermangelung dessen optierte das politische System (d.h. die Ministerialbürokratie auf Bundes- und Länderebene) für ein Verfahren selektiver Anpassung. Eine soziologisch informierte Kritik des Steuerungsinstrumentes Qualitätssicherung sollte jedoch tunlichst vermeiden, von willkürlich zusammengesetzten Theoriebruchstücken auszugehen. Aus diesem Grund wird im Folgenden Abschnitt auf Helmut Willkes Modell der Kontextsteuerung zurückgegriffen, das erstaunlich viele Parallelen zur Dezentralisierungsstrategie des New Public Managements aufweist und gleichzeitig jene analytischen Dispositionen beinhaltet, die der Managementtheorie fehlen und eine kritische Perzeption der Situation überhaupt erst ermöglichen. Als Anhänger der Systemtheorie geht Helmut Willke von der Unmöglichkeit staatlicher Intervention in ausdifferenzierten Teilsystemen aus. Im Gegensatz zu Luhmann, dessen Steuerungspessimismus faktisch auf einen Steuerungsverzicht hinausläuft, hält Willke jedoch an der Notwendigkeit von Steuerung als primäres Entwicklungsmoment moderner Gesellschaften fest.39 Willke zufolge haben sich nur die Bedingungen zielgerichteter Intervention gewandelt. Politisches Handeln kann zwar teilsystemische Entscheidungsprozesse motivieren, aber nicht kausal determinieren: „Die Chance wirksamer Steuerung liegt denn auch darin, dass Politik und Recht ihren eigenen Operationsmodus nicht anderen Bereichen mehr oder weniger aufpfropfen, sondern auf ein eigenständiges Interaktionssystem (bestehend aus den InterSystem-Beziehungen der Teile) beziehen können, welches als die Schnittmenge der gemeinsamen Umwelten dieser Teile nicht mehr Isomorphie der Operationsmodi verlangt, sondern nur noch wechselseitige Beeinflussbarkeit durch ‚strukturelle Koppelung‘ und instruktive Interaktionen“ (Willke 2001: 303).
Zentrales Instrument staatlicher Handlung ist das zweidimensionale Konzept der Kontextsteuerung. Einerseits handelt es sich bei dieser Art der Steuerung um die 39
„Die komplementären Mängel einer selbst-zerstörerischen Eigendynamik und unmöglicher Kontrolle bezeichnen ziemlich genau das Dilemma, das mit Hilfe eines brauchbaren Konzepts von Steuerung zu lösen wäre“ (Willke 2001: 7).
2.5 Qualitätssicherung als Komponente eines neuen Steuerungsmodus
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Konditionalisierung der Kontextbedingungen aller Teilsysteme mit dem Ziel, die Integration des Gesamtsystems zu fördern, andererseits um die autonome Selbststeuerung der internen Prozesse einzelner Einheiten (Willke 1996: 314). Die aktive Rolle des Staates beschränkt sich auf die erste Dimension des Steuerungsmodells. Demnach muss der Staat verstehen lernen, dass andere Systeme eine eigene, „idiosynkratische Operationsweise“ (Willke 1996: 164) realisieren, die sich autonom und selbstständig zum eigenen System verhält und auf spezifische Umweltrestriktionen antwortet. Bleibende Veränderungen dieser Operationsweise können nur systemintern induziert werden und jene Bestandteile des internen Regelwerks betreffen, die nicht zur leitenden Handlungsmatrix gehören. Das politische System kann Veränderungen systemextern anstoßen, indem es das reflexive Moment der Prozessierung systemexterner Informationen fördert, Steuerungswissen in einer wissensbasierten, netzwerkartigen Infrastruktur poolt und den Teilsystemen frei zugänglich macht: „Eine dritte Instanz in Form eines Vermittlers, Moderators oder Supervisors unterbricht den Teufelskreis bornierter Selbstreferentialität konkurrierender Akteure, indem sie die Widersacher zu den Umwegen animiert, die für neue Sichtweisen unabdingbar sind“ (Willke 1997: 112).
In Willkes Modell übernimmt der Staat also jene Koordinationsfunktionen, die ihm auch im New Public Management zugedacht werden. Der steuerungspolitische Ansatz Willkes geht allerdings über einen simplen Verzicht auf Detailsteuerung hinaus, da der Staat konsequenterweise zur Einsicht seiner eigenen Ohnmacht gezwungen wird. Erst durch die bittere Erkenntnis der Kontingenz und Vorläufigkeit seiner traditionellen Handlungsschemen kann er sich auf seine Vermittlerrolle beschränken und seine Emanzipation zum „Supervisionsstaat“ vollziehen.40 Das eigentliche Moment der Steuerung findet außerhalb der staatlichen Reichweite als systeminterne Reflexion statt. Die selektive Wahrnehmung der Umwelt wird dadurch aufgehoben, dass das System lernt, sich als Teilsystemim-System zu identifizieren und dementsprechend zu handeln. Reflexion ist eine Strategie der Selbststeuerung unter Einbeziehung negativer Externalitäten mit dem Ziel, „die Konstruktion von Wirklichkeiten [zu ermöglichen], in denen die Konstruktionen von Wirklichkeiten anderer Systeme einen Spielraum haben“ (Willke 1996: 303). Das Wissen der Selbststeuerung ist systemintern verankert 40
„Ein supervisorisches Steuerungsregime ist dadurch gekennzeichnet, daß die Richtung der Selbststeuerung weder beliebig noch pfadgebunden evolutionär ist, sondern aktiv geleitet von der Vision einer zukünftigen viableren Form von Gesellschaft. Supervision ist die Form der politischen Selbststeuerung einer sich abzeichnenden Wissensgesellschaft“ (Willke 1997: 12).
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und kann einzig und allein durch das Medium der Selbstbeobachtung und -beschreibung erhoben werden. „Über Beobachtungen als einer besonderen Operation des Systems kann das System aber Ereignisse der Außenwelt als Anlass für interne Schlussfolgerungen und Unterstellungen nehmen und (…) es kann in ‚trial-and-error‘-Verfahren und Experimenten intern aufgebaute Annahmen auf ihre Brauchbarkeit und Umweltadäquanz bzw. Umweltverträglichkeit prüfen“ (Willke 2001: 258).
Nun ließe sich Qualitätssicherung als Instrument zur Beobachtung und Generierung steuerungsrelevanten Wissens der Selbstbeobachtung zuordnen, schließlich läuft sie praktisch auf die Analyse und Beschreibung systemeigener Operationsweisen hinaus. Im Willkeschen Steuerungsmodell würde sie deshalb eine doppelte Funktion übernehmen: Sie wäre zunächst eine Komponente im Selbststeuerungsprozess, weil sie systematisch Steuerungswissen ansammelt und zur Reflexion anregt. Als Bestandteil der wissensbasierten Infrastruktur würde sie zugleich die strukturelle Koppelung zwischen Systemen fördern. Systeminterne Leistungen würden für andere Teilsysteme transparent gemacht und zum gegenseitigen Vertrauen beitragen. Spätestens mit dieser idealtypischen funktionalen Bestimmung von Qualitätssicherung stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien und zu welchem Zweck Leistung tatsächlich gemessen und bewertet wird.
2.5.3 Grenzen der Selbststeuerung Man kommt nicht um die Feststellung herum, dass die selektive Übertragung privatwirtschaftlich inspirierter Managementkonzepte die Entwicklung einer ausgereiften Steuerungspolitik im Hochschulbereich verhindert hat. Anstatt Verantwortung und Autonomie 1:1 an die Hochschulen zu delegieren, scheint sich das Delegationsprinzip auf die erste Dimension (die der Verantwortung) zu konzentrieren. Traditionelle Planungsrationalitäten, die „idealtypisch dem zweckrationalen Handeln, nach Max Weber also den Kriterien der Durchrechnung und Methodisierung, der Zweck-Mittel-Kausalität, der Stetigkeit und Berechenbarkeit“ (Willke 1996: 114) gehorchen, werden vom Staat auf die Hochschulen übertragen, ohne dass politische Sanktionsmöglichkeiten aufgegeben werden. De facto handelt es sich um die Implementierung systemexterner Handlungskriterien in die Organisations- und Operationsmatrix eines Teilsystems bei gleichzeitiger Monopolisierung der Ressourcen. Der Selbststeuerungseffekt bleibt begrenzt, denn in letzter Instanz dominieren politische Entscheidungen der Mittelvergabe systeminterne Handlungsmuster. Ein definitiver Übergang von Fremdzwang zu
2.5 Qualitätssicherung als Komponente eines neuen Steuerungsmodus
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Selbstzwang ist unter diesen Bedingungen kaum zu erwarten, da der Staat seine Steuerungsambitionen nicht aufgibt. Als Moment der Selbstbeobachtung und -steuerung besteht demzufolge die latente Gefahr, dass Qualitätssicherung die Leistungserwartungen eines anderen Systems erfasst. Mit den systematisch erhobenen Evaluationsdaten könnte Qualitätssicherung eine von außen auferlegte Operationsweise vertreten und das politische System über (finanziell) zu sanktionierende Leistungsdefizite informieren. Sie böte also einen Informationspool für ein neuartiges Modell der Detailsteuerung. Qualitätssicherung bleibt ein potentielles Opfer steuerungspolitischer Zweckentfremdung, solange sie keine funktionale Aufgabenbestimmung erfahren hat. Die risikoreiche Wiederverwertung der Qualitätssicherung im Rahmen einer staatlichen Steuerungspolitik ist der Ursprung zweier Problematiken, die in den folgenden Kapiteln noch ausführlich behandelt werden sollen: Zum einen stellt sich für die Betroffenen im Hochschulbereich die Frage, inwiefern sich ein kritischer Umgang mit der eigenen Leistung – denn darauf kommt es in der Qualitätsentwicklung an – überhaupt auszahlt, wenn das Eingestehen von Schwächen tatsächlich zu einer Reduktion staatlicher Zuweisungen führt. Bis Ende 2003 hatten 11 von 16 Bundesländern leistungsorientierte Mittelzuweisungsverfahren eingeführt. Man unterscheidet zwischen der externen leistungsorientierten Mittelverteilung, die z.B. in Hessen und Nordrhein-Westfalen eingeführt wurde und vorsieht, staatliche Ressourcen vornehmlich über Leistungsindikatoren an die Hochschulen zu verteilen, und der hochschulinternen Verteilung von Mitteln nach Leistungskriterien. Die externe Leistungsmittelverteilung betrifft noch einen relativ niedrigen Prozentsatz des jährlichen Hochschulhaushalts, die Tendenz ist jedoch steigend. Anfang des neuen Jahrtausends fanden erste Überlegungen statt, Evaluationsergebnisse in die externe Leistungsmittelverteilung einfließen zu lassen, um die Ressourcen nicht nur über quantitative Indikatoren zu distribuieren. Pläne zur Kombination von quantitativen und qualitativen Ergebnissen der Leistungsmessung bestanden u.a. in Nordrhein-Westfalen (MIWFT/NRW 2001: 134); sie wurden jedoch nicht umgesetzt. Stattdessen werden Evaluationsergebnisse verstärkt in Zielvereinbarungen zwischen Ländern und Hochschulen aufgenommen (z.B. in Hessen, NordrheinWestfalen und Brandenburg) und bieten dem Staat bei Nichteinhaltung der Vereinbarung die Möglichkeit einer informierten Sanktionierung des betroffenen Studienprogramms bzw. der betroffenen Institution. Die Koppelung von Leistungsmittelverteilung und Evaluation stellt daher ein unumgängliches Problem in der Wahrnehmung und im Umgang mit Verfahren der Leistungsmessung dar (seien diese nun quantitativer oder qualitativer Natur). Besonders betroffen sind natürlich Verfahren der Evaluation und der Akkreditierung.
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2 Die Geschichte der Qualitätssicherung
Zum anderen bleibt der Status der Agenturen im Rahmen einer revidierten Steuerungspolitik weitestgehend ungeklärt. Bislang ist die Rechtslage dieser Organisationen noch zu prekär, um (ohne empirische Belege) Rollenzuweisungen zu tätigen und Konsequenzen abzusehen. Diese Unsicherheit begründet nicht nur das Legitimitätsdefizit der Agenturen gegenüber ihrer Klientel an den Hochschulen, sondern auch ihre Angreifbarkeit gegenüber dem politischen System auf Länderebene. Derzeit weisen regionale Hochschul- und Verwaltungsreformen darauf hin, dass die Länder das Rechtsvakuum im Bereich der Qualitätssicherung mit eigenen Verordnungen aufzufüllen suchen.41 Es besteht also die begründete Gefahr einer Überregulierung der Qualitätssicherung auf Länderebene. Dies hätte zur Folge, die bereits bestehende Komplexität in der Anwendung von und im Umgang mit Qualitätssicherung auf Seiten der Hochschulen und der Agenturen zu akzentuieren, das ganze Verfahren für die Rechenschaftslegung also völlig untauglich zu machen. Die Übertragung institutioneller Autonomie bliebe auf die rhetorische Ebene begrenzt, während die Durchrationalisierung der Studiengänge im Zuge der Studienreform die individuelle Autonomie der Lernenden und Lehrenden faktisch beschränken würde. Es käme also zum Autonomieverlust auf beiden Seiten.
2.6 Fazit Das vorliegende Kapitel beruht auf der essentiellen Unterscheidung zwischen der „Qualitätspolitik“ als qualitätsorientierte Hochschulpolitik und der „Qualitätssicherung“ als Bestandteil einer neuartigen Steuerungsphilosophie und -praxis. Obwohl Humboldts Universitätsideal noch heute als Referenz für Hochschulexzellenz fungiert, hat sich das Qualitätsverständnis gewandelt. Politiker und Akteure im Hochschulwesen haben realisiert, dass ein Universitätsmodell à la Humboldt nicht mehr realisierbar ist und somit zur Ex-ante-Legitimierung des wissenschaftlichen Systems als Ganzes nicht mehr taugt. Die Aufgabenüberlastung des Staates, der unter zunehmendem Rationalisierungsdruck steht, und der Vertrauensverlust in die Profession des Hochschullehrers und Wissenschaftlers haben zur Emergenz eines neuen Qualitätskonzeptes beigetragen, das sich derzeit in der Institutionalisierungsphase befindet. Punkt 2.4 und 2.5 haben eindeutig auf die Problemlagen deutscher Qualitätssicherung hingewiesen, die sich langfristig als dysfunktional herausstellen könnten. Diese Prognose geht jedoch davon aus, dass Qualitätssicherung bzw. das organisationale Feld qualitätssichernder Agen41
Siehe u.a. Mayer (2000) und Pasternack (2000). Einen Überblick über die Gesetzeslage bietet HRK (2001b).
2.6 Fazit
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turen einseitig vom Umfeld beeinflusst wird und sich widerstandslos den Steuerungsansprüchen des politischen Systems beugt. Philip Selznick führte bereits 1949 in seiner berühmten Organisationsstudie den Beweis, dass Organisationen nicht nur auf äußere Umstände reagieren, sondern durchaus auch ein Eigenleben entwickeln (Selznick 1949). Dieses Eigenleben wird im Wandel formeller und informeller Strukturen erkennbar, mit denen Organisationen als „adaptive social structure“ ihre Reaktion auf das Umfeld dirigieren und ihre Existenz sichern. Die Beobachtung, dass sie dabei den Gegenstand ihrer Existenz – hier also Qualitätssicherung – mitgestalten, soll die Grundlage der nächsten Kapitel zur empirischen Untersuchung des sich entwickelnden Netzwerks akkreditierender und evaluierender Agenturen im deutschen und europäischen Raum bilden.
3 Theoretischer Bezugsrahmen
3.1 Einleitung Das Thema Qualitätssicherung wurde erstmals Ende der 1980er Jahre in der deutschen hochschulpolitischen Diskussion relevant. Allerdings sollte noch knapp ein Jahrzehnt vergehen, bevor es als neuartiges Steuerungsinstrument auf Bundes- und Länderebene eingeführt wurde.42 Gemäß der New-Public-Management-Philosophie war die staatliche Detailsteuerung zugunsten einer Ermöglichungs- oder Kontextsteuerung aufzugeben, welche die Autonomie nachgeordneter Behörden (d.h. der Universitäten und Fachhochschulen) durch massive Dezentralisierungs- und Deregulierungsstrategien auszubauen suchte. Qualitätssicherung sollte das existierende kosten- und zeitintensive Ex-anteKontrollsystem durch effizientere Ex-post-Evaluationen ersetzen. Im Zuge dieser Reformbewegung wurde die Aufgabe der Leistungsbewertung an professionelle Organe, sogenannte buffer institutions, überantwortet: die Evaluations- und Akkreditierungsagenturen. Die unterschwellige Problematik der Entwicklung eines Evaluations- und Akkreditierungssystems ist in der langjährigen rechtlichen Unterbestimmung von Qualitätssicherung zu suchen. In Abwesenheit einer stringenten Definition der Aufgaben, Ziele und politischen Rolle der Leistungsbewertung werden Evaluations- und Akkreditierungsergebnisse unterschiedlich instrumentalisiert (z.B. in der Haushaltsplanung der Länder oder in hochschulinternen Zielvereinbarungen). Diese Situation hat nicht zuletzt zu einer latenten Unsicherheit im Umgang mit Evaluation und Akkreditierung geführt, die 1) die Weiterentwicklung der Steuerungsinstrumente beeinträchtigte und 2) die Akzeptanz qualitätssichernder Prozeduren auf Seiten der Hochschulen und Interessenvertreter schmälerte. Da von politischer Seite bislang nur vorsichtige Versuche unternommen wurden, das Definitionsdefizit zu beheben, ist die Praxis der Leistungsmessung in Deutschland noch heute von Missverständnissen und Unsicherheiten geprägt, die zu 42
Auf Bundesebene wurde die Einführung von Qualitätssicherung im Hochschulbereich mit der Novellierung des vierten Hochschulrahmengesetzes formalisiert. Allerdings gab es bereits vor 1998 vereinzelte Versuche der Länder, Evaluationsverfahren an Hochschulen vorzuschreiben. Diese wurden dann mit der Novellierung systematisiert.
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3 Theoretischer Bezugsrahmen
beheben bzw. zu minimieren zum Ziel der Aufklärungsarbeit nationaler Evaluations- und Akkreditierungsagenturen geworden ist. Obwohl sich das Prinzip der Qualitätssicherung (als Instrument der Qualitätsentwicklung und Rechenschaftslegung) auf allen Ebenen des Hochschulsystems durchgesetzt hat, etablierte sich bislang also noch keine kohärente, geschweige denn stabilisierende Routine im Umgang der Hochschulen mit Strategien der Leistungsbewertung. Die Organisationen, die Akkreditierungs- und Evaluationsleistungen anbieten, stehen vor der Herausforderung: ihr Dienstleistungsangebot gegenüber einer Kundschaft (Hochschulen, Studenten, Fachverbände und professionelle Zusammenschlüsse) zu legitimieren, die sich über die Finalität dieser Prozeduren nicht im Klaren ist, sich mit einer politischen Mission auseinanderzusetzen, die ihnen auferlegt wurde und ihre Handlungsmöglichkeiten eingrenzt. Im Fokus der nachfolgenden Untersuchung stehen Agenturen, Verbünde und Institute, die Qualitätssicherung anbieten und über die lokale Ebene hinaus aktiv sind. Über die letzten zehn Jahre sind im deutschen Hochschulraum um die 15 Organisationen dieser Art entstanden. Sie gingen aus politischen, akademischen oder privatwirtschaftlichen Initiativen hervor und betten sich auf unterschiedliche Weise in das bestehende institutionelle Umfeld ein (siehe Punkte 4.2 und 4.3). Rückblickend auf die im ersten Kapitel skizzierte Forschungsproblematik, lassen sich drei forschungsleitende Fragenkomplexe formulieren: Wie haben die Evaluations- und Akkreditierungsagenturen sich und ihre Dienstleistung in einem komplexen und vorstrukturierten Handlungskontext behaupten können? Hat sich eine deutsche Dienstleistungsbranche „Qualitätssicherung“ samt Interessenrepräsentation herauskristallisieren können? Was für eine Rolle spielt das europäische Reformprojekt zur Gründung einer European Higher Education Area für die Weiterentwicklung der deutschen Evaluations- und Akkreditierungsbranche? Was für Schlussfolgerungen lassen sich aus der Analyse der Evaluationsund Akkreditierungsbranche für die Deregulierungspraxis im deutschen Hochschulsystem ziehen? Das theoretische Kapitel ist in drei Teile gegliedert: Im ersten Teil sollen die organisationssoziologischen Prämissen ergründet sowie die Analyseeinheit der Studie umrissen und diskutiert werden. Analytischer Ausgangspunkt der Untersuchung ist das Konzept des „organisationalen Feldes“ (DiMaggio/Powell 1991). Im Unterschied zum Marktbegriff erlaubt die Feldkategorie eine eingehende Untersuchung der Existenzbedingungen einzelner Agenturen und ihrer Relationen zueinander, ohne bereits im Vorfeld performanzgeleitete Prämissen und Entwicklungsszenarien festzulegen. In einem zweiten Schritt sollen erklärende Variablen in den Untersuchungsrahmen eingeführt werden. Bei der systemati-
3.2 Das organisationale Feld als Analyseeinheit
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schen Erläuterung organisationaler Entwicklungen sollen institutionstheoretische Argumente zum Einsatz kommen und die Interdependenz zwischen den unterschiedlichen Komponenten des organisationalen Feldes ausleuchten. Im letzten Teil sollen schließlich die methodischen Verfahren präsentiert werden, die in der empirischen Untersuchung zur Anwendung kamen.
3.2 Das organisationale Feld als Analyseeinheit 3.2.1 Methodologische Erläuterungen zum Feldkonzept Die Analyseeinheit der Studie ist das organisationale Feld, ein von Paul DiMaggio und Walter Powell (DiMaggio/Powell 1991; DiMaggio 1986) ausgearbeitetes Konzept, das Organisationen in einem interrelationalen Umfeld einbettet und eine Untersuchung auf mehreren Ebenen ermöglicht. Die Entwicklung dieser Analyseeinheit gegen Ende der 1980er Jahre steht im direkten Zusammenhang mit der Konzeptualisierung einer Interdependenzrelation zwischen einer Organisation und ihrer Umwelt: Bis in die späten 1950er Jahre galt die Organisation als geschlossene und autonome Einheit. Erst der Einfluss der Open Systems Theory hat die Aufmerksamkeit der Organisationssoziologen auf die Existenz und Implikationen einer organisationalen Umwelt gelenkt, die man in den 1970er Jahren theoretisch zu operationalisieren suchte. Vertreter der Resource Dependence Theory (Pfeffer 1972; Pfeffer/Salancik 1978), der Population Ecology (Hannan/ Freeman 1989; Astley 1985) und institutionstheoretischer Ansätze (Selznick 1948; Scott 1992) machten es sich zur Aufgabe, die konstatierte Interdependenz auszuleuchten sowie Erklärungsvariablen für Phänomene organisationalen Wandels zu liefern. Im Zuge dieser theoretischen Evolution erfuhr auch das Forschungsobjekt tiefgreifende Veränderungen. Amerikanische Forschungen zu sogenannten organizational sets, organizational populations und organizational communities trugen dazu bei, das organisationssoziologische Forschungsdesign zu überarbeiten und den Analysefokus von einer als unabhängig definierten Organisationseinheit auf das Interdependenzsystem „Organisation/Umwelt“ zu verschieben. Richard Scott kommentiert den Paradigmenwechsel mit folgenden Worten: „The history of organizational theory over the past three decades can be characterized as moving both ‚up‘ and ‚out‘ – ‚up‘ in the sense of elevating the level of analysis from focusing on a single organization to examining larger collections and wider systems of organizations, and ‚out‘ in the sense of taking into account the effect of more facets or aspects of organizations and their environments“ (Scott 1994a: 203).
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3 Theoretischer Bezugsrahmen
Das Konzept des organisationalen Feldes unterscheidet sich von früheren Organisationstheorien, indem es die Analyseansätze der Population Ecology und der Resource Dependence Theory mit einer institutionstheoretischen Perspektive zu vereinbaren sucht. Lag der Fokus der Population Ecology noch auf dem existentiellen Wettbewerbsverhältnis funktional äquivalenter Organisationen, interessierten sich die Vertreter der Resource Dependence Theory vornehmlich für das Dependenzverhältnis einer Organisation von den Ressourcen (und den damit verbundenen Bedingungen) ihres Umfelds. Lag das Augenmerk institutionalistischer Ansätze schließlich auf der Entwicklung, Diffusion und Etablierung neuer Normen und Organisationsmodelle, so ist das Feldprinzip Paul DiMaggios und Walter Powells als Versuch zu deuten, eben diese drei Herangehensweisen für die Untersuchung von Phänomenen organisationalen und institutionellen Wandels zu operationalisieren. Die neue Analyseeinheit ist flexibel, gesellschaftsumspannend und umgreift mehrere Handlungsebenen. Das organizational field ist mit Richard Scotts societal sector (siehe u.a. Scott/Meyer 1983; Scott 1994b) und Paul Hirschs industry system (Hirsch 1985) verwandt und geht, wie auch Richard Scotts und Paul Hirschs Theorieansatz, auf industriesoziologische Prämissen zurück. So beschreibt Hirsch das industry system als vielversprechende Analyseeinheit zur Bearbeitung unterschiedlicher und bis dahin separat behandelter industriesoziologischer Fragestellungen. Industry systems situieren die Organisation in einen vollständigen Produktionszyklus: „[The framework of industry systems] mandates compiling an inventory of all parties engaged in the developments, production and distribution stages of any product or service. It conceives industries as essentially input-output conversion systems, and, operationally entails taking some of the organizational resource (…) and following it through all facets of the system until it is either discarded or reaches consumers“ (Hirsch 1985: 286).
Der prozessuale Aspekt dieses Analyseansatzes, der Organisationen als (interdependente) Momente des Produktions- und/oder Diffusionsprozesses konzipiert, ermöglicht dem Forscher, der Mehrebenennatur industriesoziologischer Forschungsproblematiken Rechnung zu tragen. Im Fokus der Untersuchung steht weniger die Organisation als produktive Einheit, denn das Produkt organisationalen Handelns, dessen Entwicklung und Distribution es nachzuvollziehen gilt. Demgegenüber fokussiert das Konzept des societal sector auf Organisationen, die vergleichbare Funktionen erfüllen (z.B. sekundäre Bildungseinrichtungen), sowie auf all jene Einheiten, welche die Aktivität dieser Organisationen beeinflussen (z.B. Gewerkschaften, Elternverbände oder Kommunalverwaltungen). Im Falle des societal sector handelt es sich also nicht um die detailgetreue Wiedergabe eines Produktionszyklus, sondern darum, die Interdependenzbeziehungen
3.2 Das organisationale Feld als Analyseeinheit
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einer funktional definierten Organisationskategorie auszumachen und diese schließlich als Analyseeinheit für ambitionierte Gesellschaftsstudien einzusetzen (Ramirez et al. 2003). Paul DiMaggios und Walter Powells Feldkonzept überschneidet sich größtenteils mit der Definition Richard Scotts. Die Grundeinheit des organisationalen Feldes wird von Organisationen gestellt, die vergleichbare Funktionen erfüllen und in einem Kooperations- oder Wettbewerbsverhältnis zueinander stehen. In einem zweiten Schritt werden jene Organisationen zur Feldeinheit hinzugerechnet, die einen Einfluss auf die Existenz- und Produktionsbedingungen der Grundeinheit ausüben: „By organizational field we mean those organizations that, in the aggregate, constitute a recognized area of institutional life – key suppliers, resource and product consumers, regulatory agencies, and other organizations that produce similar products“ (DiMaggio/Powell 1991: 64f.).
Im Zentrum des Forschungsinteresses steht also die ‚horizontale‘ Vernetzung vergleichbarer Organisationen und deren ‚vertikale‘ Abhängigkeit von Akteuren, die ihre Performanz direkt oder indirekt beeinflussen. Societal sectors und organizational fields bilden in dieser Hinsicht den kritischen Übergang von der einzelnen Organisation zu gesamtgesellschaftlichen Prozessen. Unterschiede sind jedoch in der Konzeptualisierung der Felddynamik auszumachen. Während Richard Scott und John Meyer den Ursprung des „sektoriellen“ Wandels außerhalb des societal sector vermuten, gehen Paul DiMaggio und Walter Powell von einer feldinternen Dynamik aus, die in den Punkten 3.2.2 und 3.3.2 kommentiert wird. Die Analyseebene des organisationalen Feldes ist insofern ein geeigneter Ausgangspunkt für die Untersuchung deutscher Qualitätssicherung, als Evaluations- und Akkreditierungsagenturen in einem Handlungskontext situiert und Einflussstrukturen bestimmt werden sollen. Agenturen sollen also vertikal eingeordnet werden. Des Weiteren soll über die Bestimmung der interorganisationalen Interdependenzen deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen Rückschlüsse auf die Vereinheitlichung und Interessenbildung der neuen Dienstleistungsbranche gezogen werden. Hier steht wiederum die horizontale Verflechtung der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen im Vordergrund. Es wird davon ausgegangen, dass eine Korrelation zwischen vertikaler und horizontaler Integration besteht, welche im Rahmen dieser Studie ergründet wird. Das organisationale Feld ist demnach vornehmlich als Analyserahmen zu begreifen, der die Interdependenz von Fokusorganisationen (also der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen) und ihrer Umwelt als Teil eines Ganzen berücksichtigt. Im nächsten Abschnitt soll auf die formalen Aspekte der feldinternen Dynamik eingegangen
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3 Theoretischer Bezugsrahmen
werden, bevor die institutionstheoretischen Erklärungsvariablen hinzugezogen werden.
3.2.2 Strukturation als Vektor organisationaler Anpassung Die feldinterne Dynamik, die es zu untersuchen gilt, wird im Rahmen der Organisationstheorie Paul DiMaggios und Walter Powells unter den Schlagwörtern „Strukturation“ und „Isomorphismus“ behandelt (DiMaggio/Powell 1991). Die Strukturation eines organisationalen Feldes ist als Bedingung und Vorstufe des isomorphen Prozesses zu sehen, den die Soziologen als partielle Homogenisierung organisatorischer Formen und Inhalte definieren.43 Die isomorphen Mechanismen sind mit der Institutionalisierung von Handlungs- und Denkstrukturen verbunden, die sich im Zuge der Strukturation des organisationalen Feldes herauskristallisiert haben.44 In der Strukturationsphase konstituieren sich also systematische Interdependenzen, die den Akteurskomplex des organisationalen Feldes und seine inhärente Dynamik ausmachen: „The notion of field connotes the existence of a community of organizations that partake of a common meaning system and whose participants interact more frequently and fatefully with one another than with actors outside the field“ (Scott 1994a: 207f.).
Das Feld entwickelt sich in der Strukturationsphase zur exklusiven Einheit mit einer festgelegten Akteurskonstellation und mehr oder weniger rigiden Handlungsstrukturen. Das wiederum bedeutet, dass ein „Feld“ nur dann besteht, wenn Strukturation stattgefunden hat. Paul DiMaggio und Walter Powell machen Strukturation an vier formalen Kriterien fest: „an increase in the extent of interaction among organizations in the field; the emergence of sharply defined interorganizational structures of domination and patterns of coalition;
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Paul DiMaggio und Walter Powell definieren drei Arten des Isomorphismus: „(1) coercive isomorphism that stems form political influence and the problem of legitimacy, (2) mimetic isomorphism resulting from standard responses to uncertainty, and (3) normative isomorphism, associated with professionalization“ (DiMaggio/Powell 1991: 67). Institutionalisierung wird mit Ronald Jepperson als Prozess verstanden, als Stabilisierung eines sozialen Gefüges und der damit verbundenen Handlungsstrukturen: „Institutions represent a social order or pattern that has attained a certain state or property; institutionalization denotes the process of such attainment“ (Jepperson 1991: 145).
3.2 Das organisationale Feld als Analyseeinheit
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an increase in the information load with which organizations in a field must contend; and the development of a mutual awareness among participants in a set of organizations that they are involved within a common enterprise“ (DiMaggio/ Powell 1991: 65). Diese vier Kriterien erlauben es zwar, Strukurationsphänomene zu konstatieren, sagen aber noch nichts über die Hintergründe der Strukturation aus. Die Faktoren, welche das Strukturationsmoment tatsächlich erklären und die Systematik beobachteter Interdependenzen mit Sinn ausfüllen, unterliegen einer kontextuellen Variation und werden über den theoretischen Zuschnitt der Analyse bestimmt (siehe Punkt 3.3). Obwohl der Strukturationsprozess eine kritische Etappe in der Emergenz organisationaler Felder bildet, wurde ihm bislang relativ wenig Forschungsinteresse entgegengebracht. Die Strukturation eines organisationalen Feldes wird als Sonderfall soziologischer Institutionsanalyse gehandhabt, da Interessen- und Konfliktfragen in den Analysefokus geraten. Paul DiMaggio zufolge setzt sich der soziologische Neo-Institutionalismus jedoch nur begrenzt mit Fragen von „interest and agency“ (DiMaggio 1988) auseinander45, und er verweist dabei auf zwei Hauptgründe: Einerseits fokussieren neo-institutionalistische Ansätze hauptsächlich darauf, wie Institutionen das Erkennen und Ausüben von Interessen verhindern. Andererseits wird davon ausgegangen, dass Interessen, da wo sie erkannt werden, nicht effektiv in die Tat umgesetzt werden können. In der soziologischen Untersuchung organisationaler Felder werden Interessen deshalb – verkürzt – als vager Überlebensinstinkt interpretiert. Organisationen und Organisationsmitglieder sind darauf aus, ihre Existenzgrundlage zu sichern, und kommen deshalb den Anforderungen jener Akteure entgegen, von denen ihre finanzielle Absicherung und Legitimität abhängt. Dieses universelle Postulat ermöglicht es den Neo-Institutionalisten, die Akteursebene in ihre theoretischen Aussagen einzubeziehen. Paul DiMaggio warnt aber vor einer einseitig konzipierten Institutionenanalyse, welche es versäumt, Interessen als Erklärungsvariablen einzusetzen: „The neglect by researchers of structuration processes provides a one-sided vision of institutional change that emphasizes taken for granted, non-direct, non-conflictual evolution at the expense of intentional (if boundedly rational), directive, and conflict-laden processes that define fields and set them upon trajectories that eventually appear as ‚natural‘ developments to participants and observers alike“ (DiMaggio 1991: 268). 45
Für eine Klärung des Begriffes „soziologischer Institutionalismus“ siehe Hall/Taylor (1996), Immergut (1996) oder Peter (1999).
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3 Theoretischer Bezugsrahmen
In seiner Studie zur Strukturation des organisationalen Feldes nordamerikanischer Kunstmuseen (DiMaggio 1991) versucht Paul DiMaggio, seine Ansprüche an die Untersuchung des Strukturationsphänomens zu erfüllen. Er beschreibt, wie die Professionalisierung der Kuratoriumsarbeit, in Verbindung mit dem finanziellen Engagement einer philanthropischen Gesellschaft, zur Legitimierung und schließlich zur Etablierung eines neuen Verständnisses der Museumsarbeit geführt hat, indem er die Entwicklung der Interessenkonflikte bis hin zur Institutionalisierung 1) einer neuen Organisationsform von Museumsarbeit und 2) eines erweiterten Akteurssets professioneller Museumsarbeiter und Financiers nachvollzieht. Als institutionspolitisches Projekt (Lepsius 1995) ist auch die Einführung von Qualitätssicherung an deutschen Hochschulen und die Gründung deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen mit Konflikten verbunden, in denen Statusinteressen aufeinandertreffen und Handlungskompetenzen umverteilt werden müssen. Da die Punkte 3.3.1 und 3.3.2 diese Frage ausführlich behandeln, soll an dieser Stelle nur vermerkt werden, dass sich konfligierende Interessenlagen mitunter am Umgang der Agenturen mit sogenannten „institutional constraints“ (North 1990) beobachten lassen. Den Leser mag verwundern, warum bislang noch nicht auf die offenkundige Parallelität zwischen dem Strukturationsprinzip des organisationalen Feldes und der Giddensschen Strukturationstheorie (Giddens 1997) eingegangen wurde. Mit Ausnahme des entliehenen Begriffes der „Strukturation“ weisen die Texte Paul DiMaggios und Walter Powells keine expliziten Bezüge zum Werk Anthony Giddens’ auf. Es bleibt zu vermuten, dass der Terminus „Strukturation“ deshalb übernommen wurde, weil in der Strukturationsphase eines organisationalen Feldes die gegenseitige Einwirkung von Akteur und Struktur im Mittelpunkt steht. Eine Auseinandersetzung mit den methodologischen und methodischen Implikationen, die eine Operationalisierung der Giddensschen Strukturationstheorie für organisationssoziologische Studien beinhalten würde, blieb jedoch aus.46 Unter dem Begriff der Strukturation ist, nach Paul DiMaggio und Walter Powell, eine zweidimensionale Dynamik zu verstehen: Erstens ist die Strukturationsphase als Exklusionsprozess zu begreifen, in dem sich ein Akteurskomplex herauskristallisiert, der durch eine relativ hohe Interaktionsdichte gekennzeichnet ist. Dieser Punkt wird von der dritten und vierten Strukturationsthese Paul DiMaggios und Walter Powells aufgegriffen. Demzufolge findet Strukturation dann statt, wenn Interaktionsdichte und Informationsaustausch zwischen den Akteuren des Feldes ansteigen. Nehmen Interaktionsdichte und Informationsaustausch zu, so entwickelt 46
Da Punkt 6.3.2 sich noch eingehend mit dieser Frage beschäftigen wird, soll an dieser Stelle auf ausführliche Kommentare verzichtet werden.
3.2 Das organisationale Feld als Analyseeinheit
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sich nicht nur die gegenseitige Wahrnehmung der Akteure weiter (vierte Strukturationsthese). Vielmehr lernen diese, den interdependenten Zusammenhang, in dem sie stehen, auszuspielen, Koalitionsstrukturen zu bilden, um ggf. Wettbewerbsvorteile auszubauen (zweite Strukturationsthese). Zweitens handelt es sich um einen konfliktuellen Prozess, in dem Interessen aufeinandertreffen und die Institutionalisierung 1) neuer Organisationsformen und 2) eines neuen Akteurssystems begleiten. Nach welchen Kriterien sich das Feld strukturiert und was für Normen und Strukturen letzten Endes institutionalisiert werden, hängt von den Interessen und den Durchsetzungsmöglichkeiten der Akteure ab. Die Untersuchung des organisationalen Feldes deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen basiert auf der Prämisse, dass das Strukturationsmoment eines Feldes davon bestimmt wird, wie Evaluations- und Akkreditierungsagenturen mit einer komplexen Umwelt bzw. komplexen Handlungsbedingungen umgehen. Es wird davon ausgegangen, dass das organisationale Feld deutscher Qualitätssicherung sich in der Strukturationsphase befindet: In den letzten zehn Jahren sind 15 Agenturen der Akkreditierung und der Evaluation entstanden. Die Zahl scheint sich seit mehreren Jahren auf 12 aktive Evaluations- und Akkreditierungsagenturen eingependelt zu haben. Das weist auf die Existenz eines abgegrenzten und stabilen Akteurskomplexes hin. Feldübergreifende Konferenzen zum Thema Qualitätssicherung sowie die Koordinations- und Publikationsarbeit der HRK-Arbeitsgruppe „Projekt Qualitätssicherung“ lassen ein Interaktionspotential zwischen den Agenturen vermuten, das von Qualitätssicherungsexperten aus dem In- und Ausland bestätigt wird. Die Entstehung eines neuen Akteurskomplexes und eines funktional ausgerichteten organisationalen Feldes der Qualitätssicherung kann also, den Strukturationsprinzipien Paul DiMaggios und Walter Powells zufolge, empirisch nachgewiesen werden. Wie sich die Strukturation vollzieht, ist allerdings unklar und bedarf einer Aufklärung.
3.2.3 Das organisationale Feld deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen Das organisationale Feld ist, wie gesagt, eine flexible Analyseeinheit. Dem Forscher wird die Möglichkeit eingeräumt, Akteure und Akteursgruppen dem analytischen Bedarf oder der theoretischen Überzeugung entsprechend ein- oder auszuschließen. Das field binding ist ein kritischer Moment in der Konstruktion der analytischen Einheit, da zugleich das Erklärungspotential der Untersuchung abgesteckt wird (Scott 1994a).
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3 Theoretischer Bezugsrahmen
Die Studie fokussiert auf die Anbieterseite der Evaluations- bzw. Akkreditierungsleistung: Die Evaluations- und Akkreditierungsagenturen bilden also die Grundeinheit des organisationalen Feldes und werden als konkurrierende Dienstleister verstanden. In der Tat besteht ein geschichtlich gewachsenes Interdependenzverhältnis (ein komplexes Kooperations- und Wettbewerbsverhältnis) zwischen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen, das die Zusammenführung der beiden Agenturtypen in ein und dasselbe organisationale Feld legitimiert. Des Weiteren können vier weitere, mehr oder weniger homogene Akteursgruppen identifiziert werden, deren Einfluss auf die Agenturen in der Pilotstudie empirisch belegt wurde. Es handelt sich um: die regulierenden Instanzen bzw. das politische System (der Staat bzw. die Ministerialbürokratien der Länderregierungen), die Kunden der Agenturen (die Hochschulen), die Interessenverbände (Berufsverbände, Fachverbände und Studentenschaften) und schließlich die europäischen Netzwerke und Qualitätssicherungsforen. Ausgehend von dieser Akteurskonstellation (siehe Abbildung 3) soll zunächst die Einwirkung des Umfelds auf die einzelnen Agenturen untersucht werden, bevor der Strukturationsgrad des Feldes erfasst wird. Die oben definierten Akteurskategorien waren zunächst provisorischer Natur und sollten dazu beitragen, einen systematischen Zugang zum empirischen Forschungsobjekt zu schaffen. Es wurde davon ausgegangen, dass die Kategorie „Interessenverbände“ wegen ihrer heterogenen Zusammensetzung nochmals unterteilt werden muss, d.h. Berufsverbände, Fachverbände und Studentenschaften einen unterschiedlichen Zugang zu den und dementsprechend einen variierenden Einfluss auf die Agenturen haben würden. Diese Differenzierungen konnten im Voraus bedacht, jedoch nicht vorweggenommen werden. Aus diesem Grund wurde für einen offenen und flexiblen Analyserahmen optiert, der eine systematische Untersuchung des Analyseobjekts ermöglichte. Die Abbildung der Feldstruktur stellt nicht nur die Akteurskonstellation im organisationalen Feld deutscher Qualitätssicherung dar, sondern verweist auch auf die beiden feldinternen Dynamiken, die den Strukturationsprozess des organisationalen Feldes ausmachen: Die vertikale Einbettung der Agenturen in einen vorstrukturierten Handlungskontext: Die Beziehung der Agenturen zum politischen System, zu den Hochschulen, den Interessenverbänden und zu den europäischen Netzwerken soll untersucht und für eine Erklärung des Strukturationsphänomens operationalisiert werden. Die horizontale Integration des organisationalen Feldes: Aus methodischen Gründen, die eingehend in Punkt 3.4.2 erläutert werden, beschränkt sich die
3.2 Das organisationale Feld als Analyseeinheit
Abbildung 3:
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Das organisationale Feld deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen
Analyse dieser Strukturationsdynamik auf die Grundeinheit des organisationalen Feldes, d.h. auf die Einbettung deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen im interorganisationalen Netzwerk. Die Strukturation eines organisationalen Feldes sollte von der Gründungsphase seiner ihm zugehörigen Organisationen unterschieden werden. Obwohl weder Paul DiMaggio noch Walter Powell explizit auf diese Phase eingegangen sind, ist davon auszugehen, dass 1) die Art und Weise, wie sich Organisationen in einer ersten Zeit konstituieren, sowie 2) die Beschaffenheit des institutionellen Kontexts, dem sie entspringen, nachhaltige Effekte auf ihre vertikale und horizontale Einbettung haben, d.h. die Strukturation des organisationalen Feldes erheblich beeinflussen. Bereits in der Gründungs- und frühen Entwicklungsphase einer Agentur zeichnen sich Pfadabhängigkeitsproblematiken (Thelen/Steinmo 1992; Pierson 2000, 1996) ab, die es auszuleuchten gilt und die das Augenmerk auf potentielle Interessenkonflikte lenken. Eben weil diese Studie auf eine Rekonstruktion des Strukturbildungsprozesses ausgerichtet ist, ist es vonnöten, die Entwicklungspfade der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen nachzuzeichnen.
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3 Theoretischer Bezugsrahmen
3.3 Ein institutionstheoretischer Erklärungsrahmen 3.3.1 Qualitätssicherung als Moment deutscher „Institutionenpolitik“ Die Gründung eines Qualitätssicherungssystems durch Bundesgesetze und Beschlüsse der Länder Ende der 1990er Jahre markiert einen Einschnitt ins institutionelle Geflecht des deutschen Hochschulsystems. Die systematische Einführung von Evaluations- und Akkreditierungsverfahren trägt dazu bei, Handlungskompetenzen und Verantwortungen umzuschichten sowie bestehende Strukturen zu deregulieren, um eine neue Steuerungsregelung zu etablieren. Die Einführung von Qualitätssicherung im deutschen Hochschulsystem sollte daher als entscheidender Moment einer nationalen Institutionenpolitik im Sinne Rainer Lepsius’ betrachtet werden. Rainer Lepsius beschreibt die Institutionenpolitik als eine politisch induzierte Revision und Veränderung der institutionellen Ordnung, eine „bewußte Einflußnahme auf den Grad und die Richtung der Leitideen, die institutionalisiert oder de-institutionalisiert werden“ (Lepsius 1995: 400). Staatliche Modernisierungsprogramme richten sich dabei auf eine bewusste Deregulierung, aber auch auf die Ausbildung neuer Institutionen. Die Etablierung neuer Akteure in einem vorstrukturierten, institutionellen Handlungskontext ist eine konfliktreiche Prozedur, in denen Statusinteressen aufeinandertreffen sowie Handlungskompetenzen und Verantwortungsbereiche ausgehandelt werden, die die Entwicklung der neuen Ordnung nachhaltig prägen. Ist die Einführung der Qualitätssicherung im Hochschulbereich als Bestandteil eines solchen Modernisierungsprogramms zu deuten, so entpuppt sich die Gründung der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen als politische Aktion auf Seiten des Gründers. Folglich erfährt die Frage, wie sich Evaluations- und Akkreditierungsagenturen auf ihre Umwelt (speziell auch auf ihren Gründer) beziehen, durch die institutionstheoretische Reformulierung eine neue Bedeutung: Wie behaupten sich Agenturen in einem Handlungsgefüge, das vorstrukturiert ist? Es soll in Erfahrung gebracht werden, wie sich ad hoc entstandene Organisationen in einem seit 200 Jahren nahezu unveränderten Handlungskontext durchsetzen. Inwiefern bestimmen sie die Definition und Gestaltung von Qualitätssicherung unter den gegebenen Umständen mit? Wie reagiert das institutionelle Umfeld (das politische System, die Hochschulen und die organisierten Interessenverbände) auf die Einführung sogenannter buffer institutions? Inwiefern gibt die Qualitätssicherungspraxis der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen Auskunft über die Realisierung des deutschen Modernisierungs- bzw. Deregulierungsprogramms?
3.3 Ein institutionstheoretischer Erklärungsrahmen
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Auf der Grundlage dieser Fragestellung können wiederum drei Untersuchungsschritte definiert werden: In einem ersten Schritt soll der Einfluss der institutionellen Umwelt auf die Organisationen eruiert werden. Qualitative Interviews und die Analyse von Primärdokumenten geben Auskunft über die vertikale Einbettung der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen, d.h. über deren Relation zum politischen System, zu den Hochschulen, zu den Interessenverbänden und zu den europäischen Netzwerken. In einem zweiten Schritt werden Daten zur interorganisationalen Netzwerkstruktur erhoben und ausgewertet. Um dies zu bewerkstelligen, wird eine quantitative Netzwerkanalyse der Kooperationsverhältnisse deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen unternommen. Schließlich werden aus den Untersuchungsergebnissen in Schritt eins und zwei Rückschlüsse auf die Qualität der Strukturation gezogen und für eine Kritik des neuen Steuerungsmechanismus operationalisierbar gemacht.
3.3.2 Organisationen, Institutionen und Spielregeln: Institutionsökonomische Ansätze organisationalen und institutionellen Wandels Wie bereits erwähnt wurde, nimmt die Strukturationsphase eines organisationalen Feldes die Institutionalisierung neuer Handlungs- und Denkstrukturen vorweg. D.h. die Strukturation legt die Determinanten des Institutionalisierungsprozesses fest, nach denen das gesamte Feld konvergiert. Die neu gegründeten Evaluations- und Akkreditierungsagenturen lernen in dieser Phase, sich an einen bereits existierenden institutionalisierten Handlungskontext anzupassen. Sie verinnerlichen die „rules of the game“ (North 1998) und eruieren ihre Handlungsoptionen. Dieser Anpassungsprozess ermöglicht es ihnen, in das Handlungsgefüge einzutreten, sich in Koalitionsstrukturen zu fügen und so das Feld von innen zu verändern. Wie dieser Adaptations- und Veränderungsprozess vonstatten geht, der die vertikale und horizontale Einbettung der Organisationen prägt, wird an einem institutionstheoretischen Analyse- und Erklärungsmuster festgemacht, der im folgenden Abschnitt expliziert wird. Das organisationale Feld als Transaktionsstruktur Als Grundlage der Analyse soll Douglass Norths institutionenökonomischer Ansatz fungieren. Es mag zunächst befremdlich erscheinen, einen Ökonomen zur Operationalisierung der institutionellen Variable heranzuziehen, doch kann auf die interdisziplinäre Resonanz der Northschen Einsichten in die Wirkungszu-
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3 Theoretischer Bezugsrahmen
sammenhänge institutionalisierter Kontexte verwiesen werden (Brinton 1998; Trommel/Van der Veen 1997). Bereits in den 1980er Jahren rezipierte die Organisationssoziologie den institutionenökonomischen Paradigmenwechsel (Hirsch/ Lounsbury 1996), der an dieser Stelle kurz dargestellt werden soll. Als Douglass North vor mehr als 40 Jahren eine historisch informierte Untersuchung (North 1966) mit einem rigorosen neoklassischen Analyserahmen zu kombinieren suchte, erwachte sein Interesse für Phänomene der Persistenz suboptimaler Transaktionsstrukturen. Auf der Suche nach einem Erklärungsansatz, welcher der Widersprüchlichkeit der Situation Rechnung tragen konnte (schließlich gehen die neoklassischen Theorien davon aus, dass suboptimale Transaktionssituationen durch das rationale Handeln der Akteure überwunden werden müssten: über kurz oder lang würden die Verhandlungen in ein Pareto-effizientes Gleichgewicht münden), orientierte sich North an den Forschungen Ronald Coases. Dieser deckte in seinem Essay „The Problem of Social Cost“ (Coase 1960) aus dem Jahre 1960 das implizite neoklassische Postulat der zero transaction costs auf. Neoklassische Ansätze nehmen das Vorhandensein politischer, rechtlicher, moralischer und anderer Institutionen zur Kenntnis, behandeln sie aber – was ihren Einfluss auf die Wirtschaftsleistung angeht – als (allokations)neutral und ignorieren sie weitestgehend. Mit der Erkenntnis, dass jedes marktwirtschaftliche Handeln mit Kosten verbunden ist, legte Ronald Coase den Grundstein für die moderne Institutionenökonomie.47 Für Douglass North sind Transaktionskosten ein vornehmlich institutionelles Phänomen: Die Existenz positiver Transaktionskosten wird auf formelle und informelle Handlungsstrukturen zurückgeführt, die er als „rules of the game“ qualifiziert und die das Zusammenspiel der Akteure beeinflussen. Die Northsche Institutionenökonomie fokussiert deshalb weniger auf die Minimierung von Transaktionskosten (Coeurderoy/ Quelin 1994), als auf die dahinterliegende institutionelle Struktur bzw. auf die Langlebigkeit und Rückwirkung der institutionellen Matrix auf die Handlungsoptionen der Akteure: „Throughout history, institutions have been devised by human beings to create order and reduce uncertainty in exchange. Together with the standard constraints of economics they define the choice set and therefore determine transaction and production costs and hence the profitability and feasibility of engaging into economic activity. They evolve incrementally, connecting the past to the present and the future (…). Institutions provide the incentive structure of an economy; as that structure evolves, it
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Die Definition von „Transaktionskosten“ ist ein viel diskutiertes Thema der Institutionenökonomie. So definiert Douglas Allen Transaktionskosten als „costs of mainitaining property rights“ (Allen 1991: 1), während Douglass North eine breite Definition der Transaktionskosten vorschlägt, die z.B. auch Verhaltensregeln oder Normen mit einbegreift.
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shapes the direction of economic change towards growth, stagnation and decline“ (North 1991: 97).
Douglass Norths Arbeiten haben dazu beigetragen, das neoklassische Paradigma durch grundlegend soziologische Fragestellungen anzureichern: Das neoklassische Postulat aufeinanderfolgender Equilibrien wurde durch alternative Erklärungsansätze der inkrementalen und endogenen Evolution erweitert. Die Prämisse des individuellen Utilitarismus wich einer als begrenzt definierten Rationalität im Sinne Herbert Simons (Simon 1955)48: Von der Einführung positiver Transaktionskosten war es nur ein kleiner Schritt bis zur Annahme, dass Individuen über beschränkte kognitive Kapazitäten bei der Verarbeitung von Daten und der Entscheidungsfindung verfügen. Somit lassen sich Menschen der Intention nach als rational begreifen, sie sind aber nicht hyperrational im neoklassischen Sinn. Aus diesem ‚eingeschränkten‘ Rationalitätsverständnis lässt sich nun eine Definition des Interessenbegriffs ableiten. Die Interessen eines rationalen Akteurs im Sinne Herbert Simons liegen in der Wahrung und ggf. Maximierung seines Nutzens. Tritt ein neuer Akteur ins ‚Spiel‘, so muss er lernen, seinen eigenen Nutzen auf Kosten anderer zu maximieren. Die Interessen seines institutionellen Umfelds sind hingegen als Statusinteressen zu verstehen, als Interessen also, die auf die Sicherung einer bestimmten Position und der damit verbundenen Privilegien, Rechte und Freiheiten abzielen. Strategien zur Statussicherung und Nutzenmaximierung gehen demzufolge auf ein rationales Kalkül von Akteuren zurück, die jedoch über begrenzte kognitive Kapazitäten verfügen. Transaktionsstrukturen können sehr unterschiedlich modelliert sein, je nachdem, in welchem Kontext Interaktion stattfindet. Transaktionen können sowohl in einem festgelegten Rahmen immer wiederkehrender Akteure stattfinden (wie zum Beispiel in einem abgelegenen und in Autonomie lebenden Bergdorf) als auch als einmalige Interaktion zwischen unbekannten Parteien (Douglass North führt in seinem Artikel aus dem Jahre 1991 das Beispiel der Handelsseefahrten von Kolonialmächten im 16. und 17. Jahrhundert an). Trans-
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In seinem berühmten Artikel „A Behavioral Model of Rational Choice“ hat Herbert Simon 1955 ein alternatives Rationalitätskonzept zum neoklassischen Paradigma entwickelt: Das Konzept der bounded rationality geht davon aus, dass Entscheidungen in der Realität selten unter optimalen Bedingungen stattfinden, d.h. dass Akteure nicht über alles Bescheid wissen können und oft nicht Optimalität, sondern befriedigende Lösungen anstreben: „Because of the psychological limits of the organism (particularly with respect to computational and predictive ability), actual human rationality-striving can at best be an extremely crude and simplified approximation to the kind of global rationality that is implied, for example, by game-theoretical models“ (Simon 1955: 101). In seinem späten Essay aus dem Jahre 1991 sollte Herbert Simon die „Hybridisierung“ neoklassischer Theorien durch ein missverstandenes bounded rationalityKonzept kritisieren (Simon 1991).
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aktionspartner haben also nicht unbedingt mehr als einmal miteinander zu tun, und der institutionelle Kontext ist dementsprechend variabel. Im Gegensatz dazu verweist das Konzept des organisationalen Feldes auf stabile Interaktionsmechanismen. Die Stabilität des organisationalen Feldes ist dadurch bestimmt, dass das Feld institutionell verankert ist bzw. auf dem Weg ist, verankert zu werden: Zum einen entstammen die Transaktionsparteien einem spezifischen institutionellen Kontext, d.h. die institutionalisierten Handlungspostulate des politischen Systems, der Hochschulen und Interessenverbände determinieren zugleich auch ihre Interaktionsmöglichkeiten im organisationalen Feld. Zum anderen handelt es sich bei der Einführung von Qualitätssicherung und der Gründung von Agenturen um eine Institutionenpolitik, also um eine Reregulierung der Handlungsstrukturen auf lange Sicht. Die Transaktionsparteien (mitsamt der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen) werden zwangsläufig auch in Zukunft interagieren. Folglich ist das organisationale Feld als eine Unterkategorie der Northschen Transaktionsstruktur zu betrachten, in welcher die institutional constraints dem Feld inhärent sind. Ergo reguliert die institutionelle Umwelt der Agenturen die Transaktionsstruktur mit. Der neue Anbieter muss sich in ein vorstrukturiertes Handlungsgefüge einpassen. Er ist dazu genötigt, sich den bestehenden rules of the game zu beugen, sich ihnen anzupassen, um seine Existenz als Dienstleister im Hochschulbereich zu sichern. Nichtsdestotrotz können Organisationen auf das institutionelle Geflecht zurückwirken, indem sie sich der institutionellen Spielregeln bemächtigen und neue Handlungsoptionen erschließen. Das Feld entwickelt sich weiter. Ein institutionelles Umfeld ist deshalb sowohl constraint, als auch resource für die Evaluations- und Akkreditierungsagentur. Organisationen, Organisationaler Wandel und Institutionen Die Institutionenökonomie macht einen Unterschied zwischen Organisationen einerseits und Institutionen andererseits. Während Institutionen die rules of the game stellen, bilden Organisationen die eigentlichen players. Sie sind die rationalen Akteure, die sich im Spiel zurechtfinden müssen und den eigenen Nutzen zu maximieren suchen. Die Handlungsoptionen einer Organisation werden zwar von den rules of the game vorstrukturiert. Es steht ihnen aber frei, sich eben dieser Spielregeln zu bedienen, um eigene Vorteile aus der Spielsituation zu ziehen. Auf lange Sicht hat die Aneignung und Instrumentalisierung der rules of the game durch die Akteure institutionellen Wandel zur Folge:
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„Institutions, together with the standard constraints of economic theory, determine the opportunities in a society. Organizations are created to take advantage of those opportunities, and, as organizations evolve, they alter institutions“ (North 1990: 5).
Werden Organisationen als zweckrationaler Zusammenschluss von Individuen verstanden (Coleman 1992), so bilden Institutionen den übergeordneten zeitlosen Handlungsrahmen, in denen zeitlich determinierte Interaktionen stattfinden. Im Unterschied zur Systemtheorie und zur Parsonschen Handlungstheorie besteht demnach eine funktionale Aufteilung zwischen Organisationen und Institutionen. Organisationaler Wandel findet im Zuge der Auseinandersetzung einer Agentur mit den rules of the game statt: als Anpassung an die rules of the game einerseits, als Folgeeffekt der Instrumentalisierung institutioneller Spielregeln andererseits. Bevor nun die Mechanismen und Folgen der Instrumentalisierung institutioneller Spielregeln ergründet werden, bedarf das Phänomen organisationaler Anpassung einer kritischen Reflexion. Die Anpassung einer Organisation an ihr institutionelles Umfeld kann als Kooptationsprozess im Sinne Philipp Selznicks (Selznick 1948) verstanden werden. Der amerikanische Soziologe begreift Kooptation als Überlebensstrategie einer Organisation, die sich dem institutionellen Kontext anpasst, um in ihm aktiv zu werden: „Cooptation is the process of absorbing new elements into the leadership or policy determining structure of an organization as a means of averting threats to its stability or existence“ (Selznick 1948: 34). Der Anpassungsprozess kann sich in der Modifikation von Leitungsstrukturen, des Produktionsprozesses der organisatorischen Einheiten oder des Personalbestandes niederschlagen. Letztlich zählt nur, inwiefern diese mehr oder weniger formalen Änderungen den ursprünglichen ‚Charakter‘ und die ‚Rolle‘ der Organisation beeinträchtigen, d.h. ihre Mission als „cooperative system“ reformulieren. Anstatt Kooptation als sichtbaren und geradlinigen Anpassungsprozess an die rules of the game zu verstehen, empfiehlt es sich, sie als Resultat einer individuellen oder kollektiven Auseinandersetzung mit der als komplex empfundenen Umwelt zu operationalisieren. Schließlich ist die Umwelt per se nicht unsicher oder komplex, sondern wird als solche von den Akteuren in den Organisationen wahrgenommen (Hatch 1997). Die Spielregeln, welche die Interaktionsprozedur zwischen Organisation und Umwelt regulieren, müssen von den Organisationsmitgliedern rezipiert und verarbeitet werden, um Anpassungs- bzw. Problemlösungsmechanismen überhaupt erst zu motivieren. Die individuelle Interpretation der Umweltbedingungen, d.h. das Verständnis der Mitglieder einer Evaluations- oder Akkreditierungsagentur von den Spielregeln und deren Handlungsoptionen, sollte daher als Erklärungsmoment für organisationalen Wandel und Strukturationsphänomene herangezogen werden.
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3.3.3 Institutionelle Spielregeln als constraints und resources Institutional constraints Das institutionelle Umfeld kann im Northschen Ansatz entweder formell oder informell auf Organisationen einwirken und einen Anpassungsdruck auslösen: Zum einen können staatliche Regulierungen und Finanzierungsmechanismen die Handlungsoptionen der Agenturen formell eingrenzen: „We are familiar with the formal rule aspects of institutions. Laws and property rights, usually on a hierarchy ranging from constitutions at one end of the scale to specific contracts at the other, define specific exchange relationships among parties, whether political or economical“ (North 1989: 239).
Dieser Aussage muss relativierend hinzugefügt werden, dass sich der empirische Teil der Untersuchung des organisationalen Feldes deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen mit einer Marktsituation beschäftigt, in denen alle Akteure des Feldes dem non-profit-Sektor angehören.49 Die formellen Einflussstrukturen gehen also über die Definition und legale Absicherung von Eigentumsrechten hinaus und betreffen mitunter Stiftungssatzungen als auch staatlich induzierte Wettbewerbsregulierungen (siehe Punkt 4.3). Des Weiteren sollte berücksichtigt werden, dass der Handlungsspielraum der Hochschulen, d.h. der Klientel deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen, durch das politische System mitgestaltet wird. Diese Situation wirft Fragen zur indirekten Einflussstruktur formeller Regeln auf: Wie wird der Umgang mit Evaluation und Akkreditierung im Hochschulrecht der Länder festgeschrieben? Sind die Hochschulen dazu verpflichtet, regelmäßige Qualitätskontrollen durchzuführen? Mit welchen Konsequenzen? Inwiefern haben Regelungen zur Hochschulfinanzierung einen Einfluss auf die Aktivität der Agenturen? Akkreditierungs- und Evaluationsagenturen müssen sich auf die rechtliche Situation ihrer Kundschaft
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„I define a non-profit organization as a body of individuals who associate for any of the three purposes: 1) to perform public tasks that have been delegated to them by the state, 2) to perform public tasks for which there is a demand that neither the state nor for-profit are willing to fulfil, or 3) to influence the direction of policy in the state, the for profit sector, or other nonprofit sectors“ (Dobkin Hall 1987: 3). Non-profit-Organisationen sind, wie der Name sagt, enge Grenzen bei der Gewinnerwirtschaftung gesetzt. So dürfen z.B. Profite erzielt werden, sie müssen aber exklusiv für die qualitative und quantitative Verbesserung der Dienstleistung eingebracht werden. Die Bereicherung der Organisationsmitglieder ist ausgeschlossen. Des Weiteren ist mit der Übernahme öffentlicher Dienstleistungen eine staatliche Regulierung der Dienstleistungs- und Wettbewerbsbedingungen verbunden.
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einstellen und unterliegen folglich einem indirekten, wenn auch formellen Anpassungsdruck. Zum anderen können Fragen der Legitimität und des Umgangs mit Interessen- oder Statusgruppen die Anpassungsstrategien der Agenturen informell beeinflussen: „Informal constraints are more difficult to define precisely. They consist of a variety of ways by which human beings extend formal rules and apply them to specific situations [conventions or norms of behaviour]. They are socially sanctioned types of activity which are agreed upon and which are usually enforced by community sanctions; that is, other members of the society punish individuals who do not live up to those agreements. Finally, informal constraints are self-imposed codes of conducts – standards of behaviour which are ingrained in individuals, usually from learning, schooling and family life – which define how people should behave“ (North 1989: 239).
Douglass North nimmt in dieser Aussage auf die normativen und kognitiven Einflussmechanismen von Institutionen Bezug, welche im sogenannten soziologischen Neo-Institutionalismus (Trommel/Van der Veen 1997) aufgearbeitet werden.50 Auch wenn Douglass Norths Aussagen zu informellen Einflussstrukturen im Verhältnis zu soziologischen Einsichten zunächst ungenau und abstrakt erscheinen mögen, sollte nicht vergessen werden, dass das Erklärungspotential seiner informal rules im Zusammenhang mit dem enforcement-Konzept betrachtet werden sollte. Demzufolge werden informelle Einflussstrukturen erst dann relevant für Transaktionen, wenn sie über soziale Anreiz- und Sanktionssysteme abgesichert werden. Punkt 3.3.4 informiert über eine Möglichkeit, das Konzept der informal constraints für die Feldstudie zu operationalisieren. In beiden Fällen ist ausschlaggebend, inwiefern Einflussstrukturen über positive oder negative Sanktionen abgesichert werden. In der Spiel- und Transaktionstheorie werden Kooperationsstrategien erst dann in Betracht gezogen, wenn sich die Situationen für alle Parteien auszahlen. Das ist nur unter exklusiven Bedingungen der Fall: Die Akteure müssen über vollständige Informationen verfügen und das Spiel muss sich unendliche Male wiederholen. Da solche Situationen in der Realität unwahrscheinlich sind, greift North auf das enforce50
Nicht bestritten werden soll, dass die Institutionenökonomie von Douglass North, im Vergleich zu soziologischen Institutionstheorien (Zucker 1988; Meyer/Rowan 1991; Meyer et al. 1997; Giddens 1997), in verkürzter Art und Weise auf die kognitive Dimension organisationalen und institutionellen Wandels eingeht. Primäres Ziel der Studie ist es jedoch nicht, Wahrnehmungsmuster zu deuten, sondern einen systematischen Einblick in die Handlungsstrukturen eines reformierten Hochschulsystems zu gewinnen und die Position sogenannter buffer institutions zu bestimmen.
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ment-Konzept zurück. Kollektives Handeln ist möglich, wenn Kooperationsregeln feststehen und systematisch durchgesetzt werden können. Norths enforcement-Konzept ist mit Durkheims „coercition externe“ zu vergleichen (Durkheim 2004). Beiden geht es darum, den „fait social“ erst einmal sichtbar zu machen, ihn als strukturelle (und erklärbare) Besonderheit hervorzuheben, die kollektives Handeln predeterminiert: „Un fait social se reconnaît au pouvoir de coercition externe qu’il exerce ou est susceptible d’exercer sur les individus; et la présence de ce pouvoir se reconnaît à son tour soit à l’existence de quelque sanction déterminée, soit à la résistance que le fait oppose à toute entreprise individuelle qui tend à lui faire violence“ (Durkheim 2004: 11).
Die Visibilität sozialer Fakten ist ein unumgängliches Paradigma der Institutionsökonomie. „Institutions matter“ (March/Olsen 1984) insofern ihr Einfluss auf kollektive Handlungsformen empirisch nachgewiesen werden kann. Dies ist aber nur der Fall, wenn Institutionen über Mechanismen verfügen, die Konformität formell oder informell erzwingen können, d.h. eventuellen free-rider-Problemen (Olson 1978) entgegenwirken. Dabei können die Sanktionsmechanismen unterschiedliche Formen annehmen: „Enforcement comes from second-party retaliation. It can result from internally enforced codes of conduct or by societal sanctions or a coercive third party enforcement“ (North 1990: 33). Es wird davon ausgegangen, dass alle Akteure und Akteursgruppen des organisationalen Feldes deutscher Qualitätssicherung potentiell über enforcementMöglichkeiten verfügen. Die Frage, die es zu ergründen gilt, betrifft die Reichweite der Sanktionsstrukturen: Inwiefern sind die enforcement-Mechanismen der einzelnen Akteure stark genug, um eine organisationale Anpassung der Agenturen zu motivieren? Wo liegt der Unterschied zwischen den enforcementMöglichkeiten formeller und informeller Einflussstrukturen? Douglass Norths Institutionenökonomie und insbesondere sein enforcementKonzept erweisen sich als pragmatischer Analyseansatz, um die Systematik des organisationalen Feldes zu ergründen und die Einflussmöglichkeiten einzelner Institutionen auf die Handlungsoptionen der Agenturen zu beobachten. Ihre Kategorisierung in formal bzw. informal rules und die provisorische Operationalisierung in Ländergesetzgebungen und professionelle Normen, soll der empirischen Untersuchung eine flexible Erhebungssystematik zur Seite stellen, welche nach Bedarf modifiziert werden kann.
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Institutional resources „[The Organization is not at the mercy of outsiders]. The organization can and does manipulate, influence and create acceptability for itself and its activities“ (Pfeffer/Salancik 1978: 11). Wie bereits in Punkt 3.3.2 angedeutet wurde, bildet organisationaler Wandel zwecks Kooptation nur eine mögliche Antwort auf die Herausforderungen komplexer institutioneller Umwelten. Sofern Organisationen über Ressourcen und Kompetenzen verfügen, ist es ihnen möglich, sich der rules of the game zu bedienen, um sich eine Verhandlungsposition gegenüber den Hochschulen, den Interessenverbänden oder dem politischen System zu sichern: „The fact that constraint exists indicates that sufficient social support has been mustered to bring it into existence. In the social context of organizations, behind every constraint there is an interest group that has managed to have that constraint imposed. Since this is the case, the constraint is potentially removable, if it is possible to organise the social support and resources sufficient to it“ (Pfeffer/Salancik 1978: 18).
In diesem Kontext sind auch die angesprochenen Interessenkonflikte eines institutionellen Feldes zu verorten. Evaluations- und Akkreditierungsagenturen, die ihren Nutzen über die Manipulation der institutionellen Spielregeln zu maximieren suchen, tun dies auf Kosten der Statusinteressen anderer. Wie aber nehmen die Agenturen Einfluss auf das institutionelle Umfeld? Jeffrey Pfeffer und Gerald Salancik weisen auf das Handlungspotential sogenannter „collective structures“ hin. Informelle und semiformelle interorganisationelle Beziehungen koordinieren die Interessen einzelner Akteure: „Each interaction, through varying degrees in legality, represents an attempt to stabilize the transactions of organizations through some form of interfirm linkage. We call this negotiated environment of organizations“ (Pfeffer/Salancik 1978: 144). Kollektive Strukturen und Organisationsformen, wie z.B. Joint Ventures, Fusionen (Pfeffer 1972) oder interorganisationale Beiräte, bieten alternative Ansätze zu traditionellen Anpassungsstrategien, indem sie dazu beitragen, Kompetenzen und Informationen zu poolen. Gleichzeitig fördert die Schaffung von Kommunikationsplattformen und -kanälen zwischen den Organisationen die Herausbildung gemeinsamer Interessen und stärkt das Netzwerk gegenüber externen Einflüssen. Im Grunde genommen beschreiben Jeffrey Pfeffer und Gerald Salancik Netzwerkeffekte, die in Punkt 3.2 unter dem Begriff der „horizontalen Integration“ behandelt wurden. Folgerichtig wären hier die Ergebnisse der geplanten Netzwerkanalyse einzuordnen, die mitunter Daten zu Kooperationsstrukturen im organisationalen Feld erheben soll.
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Douglass North fokussiert seine Ausführungen zum beiderseitigen Einfluss von Organisation und Umwelt darauf, wie sich Organisationen die rules of the game aneignen und instrumentalisieren. Er befördert Organisationen zum Akteur institutionellen Wandels. Im institutionsökonomischen Modell ist Wandel also nicht das Resultat einer übergeordneten Politik im Sinne von Lepsius, sondern das Ergebnis eines dynamischen Negotiationsverhältnisses auf Organisationsebene. Das bedeutet nicht, dass das Konzept der Institutionenpolitik irrelevant ist, sondern dass dieses Modernisierungsprogramm eine diskussionslose und konsequente Umsetzung durch die Organisationen voraussetzt, welche für North jedoch partikulare Interessen verfolgen. Hier steht also eine principal-agentProblematik im Vordergrund.51 Im Anbetracht der in Punkt 3.2.3 dargestellten Akteurskonstellation bieten sich den Evaluations- und Akkreditierungsagenturen zwei Möglichkeiten, um systematischen Einfluss auf den institutionellen Kontext auszuüben: Evaluations- und Akkreditierungsagenturen können sich zu Koalitionen zusammenschließen, um kollektive Interessen zu verfolgen. Diese Strategie entspräche der zweiten Strukturationsthese Paul DiMaggios und Walter Powells, welche die Strukturation eines oganisationalen Feldes von der „emergence of sharply defined interorganizational structures of domination and patterns of coalition“ (DiMaggio/Powell 1991: 65) abhängig macht. Agenturen können ihre Umwelt über die internationalen Netzwerke beeinflussen, in denen sie Mitglieder sind. Ihre aktive Teilnahme an europäischen und internationalen Verbünden wie die European Association for Quality Assurance Agencies (ENQA) ermöglicht es ihnen, die europäische Bildungspolitik mitzubestimmen und so die nationale und regionale Qualitätssicherungspolitik zu beeinflussen.
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Der Vertreter (agent) handelt für den Vertretenen (principal). Wie aber kann sich der Prinzipal sicher sein, dass der Agent seine Anweisungen wie besprochen ausfüllt? Das principal-agentProblem ist ein Problem der Überwachung: Was der Prinzipal letzten Endes sieht, sind Ergebnisse. Sofern es keine exogenen Störungen gegeben hat, kann der Prinzipal eindeutig von den beobachteten Ergebnissen auf das Verhalten seines Agenten (etwa dessen Arbeitsintensität) schließen. Falls es aber exogene Störungen gab, welche die Ergebnisse beeinflusst haben könnten, hat der Agent die Möglichkeit, Ausreden für schlechte Ergebnisse vorzubringen. Der Prinzipal kann jedoch nicht eindeutig feststellen, auf welche Ursache die beobachteten Ergebnisse zurückzuführen sind (Richter/Furubotn 1996).
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3.3.4 Exkurs zu den informal rules des institutionellen Umfelds. Professionelle Werte im Akkreditierungs- und Evaluationsgeschäft Dieser Abschnitt dient der beispielhaften Erläuterung dessen, wie sich informal rules im institutionellen Umfeld bemerkbar machen und die Existenz deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen mitprägen. In Anbetracht der Struktur des organisationalen Feldes werden informal rules z.B. in Form professioneller Statusinteressen sichtbar. Professionsgruppen sind sowohl in den Hochschulen, in der Mitgliederstruktur der Agenturen und in den Interessenverbänden anzutreffen. Professionelle Werte, insbesondere die Werte der akademischen Profession, werden im Folgenden als eine mögliche Ausprägung sogenannter informal rules behandelt. Für den amerikanischen Soziologen Harold Wilensky definieren sich Professionen nicht nur über solide technische (im Sinne von Expertenwissen) und institutionelle (d.h. legale) Grundlagen, sondern auch über ein normativ geprägtes Verständnis professioneller Leistung (Wilensky 1964). Dieses Serviceideal begründet den esprit de corps einer jeden Profession und sichert ihren Zusammenhalt als geschlossene und autonome Berufs- bzw. Statusgruppe. Die Entstehung moderner Professionen ist geprägt durch deren institutionelle Einbettung in das akademische Milieu. Bereits Talcott Parsons (Parsons 1968) verweist in seinem sozialgeschichtlich inspirierten Beitrag in der International Encyclopedia of Social Sciences auf die historische und kulturelle Bedeutung der Universität als Geburtsstätte und institutioneller Entwicklungsrahmen der Professionen, allen voran des Hochschullehrerberufs. Beschäftigt man sich also mit einer Fragestellung, die das akademische Milieu als Klientel einer Dienstleistung postuliert, kann man nicht umher, die handlungsleitenden Statusinteressen und normativen Apriori dieser Klientel in die Analyse mit einzubeziehen. Die Sondermerkmale akademischer Professionen sind zum einen ihre Selbstständigkeit in der persönlichen Gestaltung und Gewichtung von beruflichen Aufgaben sowie die Vielfalt ihrer Tätigkeitsfelder. Zum anderen zeichnen sie sich durch eine geringe formalisierte Kontrolle und der problematischen Messbarkeit der von ihnen erbrachten Leistungen aus (Enders/Kaulisch 2005). Die herausragende soziale Stellung des Hochschullehrers war in den letzten Jahren einem in der Professionssoziologie vieldiskutierten Wandel unterworfen52: dem Vertrauensverlust in professionelles Handeln. Die Gründung und 52
In ihrem Handbuch zur Professionssoziologie weisen Claude Dubar und Pierre Tripier (2005) auf eine Hierarchie der Professionen hin. Die sozial angesehenen Professionen entstammen den sogenannten professions libérales und implizieren eine akademische Ausbildung. Im Gegensatz zu den corps de métier (den Handwerkszünften) verfügen sie also über wissenschaftliche Expertise.
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Expansion außeruniversitärer Forschungszentren, einschneidende Hochschulreformen und mediatisierte Debatten zur Revision des Wissenschaftsmodells unterminieren die funktionale Partikularität, das Prestige und die Legitimität des Hochschullehrerstatus als privilegierte Berufskategorie. Rudolf Stichweh betrachtet die Institutionalisierung von Evaluations- und Akkreditierungsmechanismen im Hochschulbereich als logische Konsequenz dieses offenkundigen Vertrauensverlusts: „Massenmediale Kritik [an den Professionen] führt auf die Institutionalisierung von Evaluation und Rechenprüfung, von Qualitätskontrollen hinsichtlich erbrachter professioneller Leistungen und schließlich die Entstehung von Prozessrisiken und Schadenersatzklagen gerade auch in jenen professionellen Handlungsbereichen hin, die lange von kritischer Beobachtung isoliert schienen“ (Stichweh 2004: 10).
Doch auch Juristen, Mediziner, Ingenieure sind von dieser Entwicklung betroffen, Professionsgruppen also, die sich zu Interessenverbänden zusammenschließen und eine Rolle in der Gestaltung nationaler Hochschulpolitik spielen (wollen). Sie sind in der Mitgliederstruktur der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen wiederzufinden und begleiten die Entwicklung deutscher Qualitätssicherung. In beiden Fällen (akademische und nichtakademische Professionsgruppen) gilt es zu berücksichtigen, dass Professionen ein wichtiges soziales Netzwerk bilden, welches sich in Interessenverbänden organisiert und, als Teil der Akkreditierungs- und Evaluationsklientel bzw. der Mitgliederstruktur, Druck auf die Agenturen ausüben kann. Professionen verfügen also über Interventionspotential, das ihnen eine Verhandlungsposition in Evaluations- und Akkreditierungsangelegenheiten verleiht.
3.4 Methodischer Bezugsrahmen Um dem theoretischen Zuschnitt der Studie gerecht zu werden, wurde für einen Methodenmix aus qualitativen und quantitativen Analyseverfahren optiert (Flick et al. 1991). Die empirische Studie ist in zwei Phasen gegliedert. In einem ersten Schritt sollte eine Pilotstudie Auskunft über die grobe Beschaffenheit des Feldes und erste Daten zur Operationalisierung des theoretischen Zugangs liefern. In einem zweiten Schritt wurde eine empirische Analyse durchgeführt, welche die Durchführung semi-strukturierter Interviews mit einer quantitativen Netzwerkanalyse kombiniert.
3.4 Methodischer Bezugsrahmen
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3.4.1 Pilotstudie zur qualitativen und quantitativen Analyse des organisationalen Feldes Wie bereits in den Ausführungen des ersten Kapitels deutlich wurde, ist es problematisch, über den politisch gängigen Diskurs und die existierende Forschungsliteratur zu Evaluations- und Akkreditierungsfragen einen realitätsnahen Eindruck von der Lage deutscher bzw. europäischer Qualitätssicherung zu gewinnen. Der Zugang zum Analyseobjekt ist mit viel Forschungsarbeit verbunden. Demzufolge schien es angeraten, sich bereits zu einem relativ frühen Zeitpunkt mit der empirischen Analyse auseinanderzusetzen, d.h. Daten aus verschiedenen Quellen zusammenzutragen, um relevante Fragestellungen zu entwickeln und diese dann in einem kohärenten Forschungsdesign umzusetzen. In einem ersten Schritt wurden daher Daten aus 1) 20 Interviews, 2) Primärquellen und 3) teilnehmenden Beobachtungen gewonnen und ausgewertet. In der Pilotstudie wurden 20 Interviews mit Akteuren aus politischen Kreisen, Interessenverbänden, Hochschulen, Evaluations- und Akkreditierungsagenturen aus dem Ausland und Mitgliedern europäischer Netzwerke geführt. Es handelte sich bei den Gesprächen um semi-strukturierte Experteninterviews (Meuser/Nagel 1991) von 90 bis 180 Minuten. Die Interviewpartner wurden nicht mit konkreten Fragestellungen konfrontiert, sondern sollten ihre Tätigkeiten und alltäglichen Interaktionen mit Akteuren aus dem institutionellen Umfeld beschreiben. Im Fokus der Interviews mit Hochschul- und Interessenverbänden stand das Verständnis von und der Umgang mit Qualitätssicherung und deutschen Evaluations- bzw. Akkreditierungsagenturen. Interviews mit Vertretern des Regierungsapparates lieferten Einblicke in die geschichtliche Entwicklung regionaler/nationaler Qualitätssicherungspolitik und in die gängige Qualitätssicherungspraxis. Schließlich waren die Interviews mit Vertretern ausländischer Agenturen darauf gerichtet, die Praktiken europäischer Qualitätssicherungspolitik auszuleuchten. Eine relativ offene Fragestellung und eine lockere Interviewführung sollten dem Interviewpartner erlauben, ein Vertrauensverhältnis zum Interviewer aufzubauen, das – wenn nötig – eine wiederholte Kontaktaufnahme ermöglichen würde. Des Weiteren sollte vermieden werden, die Problemsicht des Interviewers aufzuzwingen. Der Interviewpartner sollte von selbst auf jene Fragestellungen zu sprechen kommen, die er für relevant und diskussionswürdig erachtete. In Anbetracht der politischen Brisanz der Forschungsproblematik wurde also eine Interviewtechnik gewählt, die dem Befragten Freiheiten bei der Gestaltung des Interviews ließ. Zugleich war die Interviewerin durch ihr intensives Studium vorhandener Primärquellen so weit auf das Interview vorbereitet, um kompetent diejenigen Fragen auszumachen, die einer follow-up-Diskussion (Rubin/Rubin
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3 Theoretischer Bezugsrahmen
1995; Peabody et al. 1990) bedurften. Ein weiterer Aspekt, der bei der Befragung politisch sensibler Fakten zum Tragen kam, war die Zusicherung kompletter Datenanonymität. Mit Ausnahme einer Zahlenkodierung und der Markierung, ob es sich bei der Aussage um die Äußerung ausländischer Evaluateure/ Akkrediteure, Interessenverbände, Netzwerkvertreter, Hochschul- oder Regierungsvertreter handelt (Kodierung a) oder aber um die Äußerung eines deutschen Evaluateurs/Akkrediteurs (Kodierung b), sind keinerlei Identifikationsmöglichkeiten gegeben. Nur unter dieser Bedingung waren die Vertreter des organisationalen Feldes bereit, die deutsche und europäische Qualitätssicherungspraxis zu kommentieren. Die Interviews wurden in der Regel nicht vollständig transkribiert. Die ausführlichen Notizen der Interviewerin wurden gleich nach dem Interview als Word-Dokument erfasst und abgespeichert. Daraufhin wurde das aufgenommene Interview wiederholt abgehört und die Notizen komplettiert, um den Gesprächsinhalt exakt zu bewahren und dem Interviewer die Möglichkeit zu geben, sich das gewonnene Material einzuprägen.53 Des Weiteren wurde der Autorin der Zugriff auf die Archive der Hochschulrektorenkonferenz und der Kultusministerkonferenz gewährt, sodass sie über einen nahezu vollständigen Datensatz über die Realisierung des EUProjektes „Evaluating University Structure“ (1994–1996) verfügte und ausgewählte Texte zur Gründung und Entwicklung des Akkreditierungsrates einsehen konnte. Die Daten decken den Zeitraum von 1994 bis 2002 ab. Zudem konnte die Forscherin – mit Einverständnis des Bundesministeriums für Bildung und Forschung – auf unveröffentlichte Gesetzesunterlagen zum vierten Hochschulrahmengesetz zurückgreifen. Schließlich wurde an nationalen und internationalen Konferenzen zu Evaluations- und Akkreditierungsfragen teilgenommen, wo die Interaktion der unterschiedlichen Akteure (Evaluateure/Akkrediteure, Politikvertreter, Hochschulund Interessenverbände) beobachtet werden konnte. Es handelt sich dabei keinesfalls um eine Observationsstudie im engeren Sinne (Peretz 1998). Zwar wurden ausführliche Notizen zum Diskussionsverlauf gemacht. Auf ein journal de terrain oder eine systematische Auswertung der Notizen wurde jedoch bewusst verzichtet. Vielmehr sollte ein Eindruck gewonnen werden, wie sich Konferenzen, die einen deutschen oder europäischen Politikdiskurs artikulieren und mit53
Die ausführliche Beschreibung der Interviewtechnik soll den Leser für das Rollen- und das Selbstverständnis der Interviewerin sensibilisieren (Combéssie 1996). Es ist die dezidierte Auffassung der Autorin, dass Interviewdaten das Resultat einer Interaktion zwischen Interviewten und Interviewer sind (Rubin/Rubin 1995) und deshalb einer kritischen Auseinandersetzung mit der Art und Weise bedürfen, wie der Interviewer mit den ‚Forschungssubjekten‘ und deren Aussagen umgegangen ist.
3.4 Methodischer Bezugsrahmen
105
gestalten, abspielen. Außerdem bot die Teilnahme an solchen Konferenzen die Möglichkeit, den aktuellen Stand einer sich inkremental verändernden Reformpolitik mitzuverfolgen und Kontakte zu potentiellen Interviewpartnern zu knüpfen.
3.4.2 Qualitative und quantitative Methoden der Datenerhebung und -auswertung Interviewtechnik und -design Weitere semi-strukturierte Interviews mit Akteuren aus nationalen Evaluationsund Akkreditierungsagenturen, dem politischen System, Hochschulen, Interessenverbänden und Vertretern europäischer Netzwerke sollten Auskunft über die vertikale Einbettung der Agenturen in und deren Anpassung an das institutionelle Umfeld geben. Das Interviewdesign hat sich geändert, insofern die Pilotstudie und der theoretische Zuschnitt der Analyse den Blick für relevante Fragestellungen geschärft haben. Insgesamt wurden in der follow-up-Studie 50 Interviews geführt, die sich zu den bereits existierenden 20 Datensätzen addieren. Die Details lassen sich Tabelle 1 entnehmen. Der Blick auf die Tabelle mag Verwunderung über die Varianz in der Anzahl der geführten Interviews pro Kategorie erregen. Es war intendiert, das Feld (mitsamt seinen resources und constraints) aus der Perspektive der Akteure in den Evaluations- und Akkreditierungsagenturen zu rekonstruieren. Die Interviews mit Vertretern der anderen Akteursgruppen erwiesen sich jedoch als unumgänglich, um die Aussagen der Evaluateure und Akkrediteure zu erhärten, zu relativieren oder alternative Argumentationsmuster zu identifizieren. Die Durchführung semi-strukturierter Interviews bedurfte intensiver Vorarbeiten, in welcher Archivmaterial und Primärquellen (z.B. veröffentlichte Arbeitsberichte und Gesetzestexte) herangezogen wurden. Leitmotiv der Interviews war die Rekonstruktion der Gründung und Entwicklung deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen. Die Interviews in den 15 Evaluations- und Akkreditierungsagenturen wurden daher mit den Geschäftsführern und Mitarbeitern geführt, die seit mindestens drei Jahren im Betrieb arbeiteten und somit Aussagen über sich verändernde Arbeits- oder Rahmenbedingungen treffen konnten.54 Besonders wichtig waren in dieser Hinsicht die Interviews mit den Geschäftsfüh54
Obwohl nur noch 12 der 15 Organisationen aktiv sind, wurden auch Akteure aus den drei aufgelösten Evaluationsverbünden befragt. In diesen Interviews wurden nicht nur Gründung und Entwicklung der Organisation besprochen, sondern auch die Gründe für das Einstellen des Evaluationsbetriebs.
106
3 Theoretischer Bezugsrahmen
Tabelle 1: Anzahl der Interviews pro Akteursgruppe im Feld deutscher Qualitätssicherung Akteursgruppe
Anzahl geführter Interviews
Deutsche Evaluations- und Akkreditierungsagenturen
Evaluationsagenturen: 18 Akkreditierungsagenturen: 13
Politisches System
31 13
Hochschulen
9
Interessenverbände
5
Europäische Netzwerke
12
rern. Wie die empirische Untersuchung des organisationalen Feldes belegte, weist der geschäftsführende Personalbestand einer Agentur eine äußerst geringe turn-over-Rate auf, sodass die aktuellen Geschäftsführer nicht selten auch die Gründung der Agentur miterlebten und begleiteten. Der Fokus der Gespräche mit Agenturvertretern lag auf der Veränderung der Organisationsstruktur (Mitgliedschaft, Satzung, Finanzierung), der Weiterentwicklung der Evaluations- und Akkreditierungsverfahren (Leitfragebogen oder Kriterienkataloge, verfahrenstechnische Schritte) sowie dem Umgang mit Hochschulvertretern, Länderregierungen und Interessenverbänden. Ein weiterer Interviewschwerpunkt betraf die internationalen Aktivitäten einer Agentur. In Anbetracht der Fragestellung und der politischen Relevanz des Themas war es unerlässlich, pro Agentur mindestens zwei bis drei Interviews durchzuführen, um Positionen innerhalb einer Agentur zu vergleichen und zu komplettieren. In den Interviews mit Regierungsvertretern stand die Frage im Vordergrund, ob und wie Evaluations- und Akkreditierungsergebnisse in die Hochschulsteuerung des Landes einfließen. Die Interviews mit Vertretern der Hochschulen fokussierten hingegen, wie schon in der Pilotstudie, auf die Evaluations- und Akkreditierungspraxis an den Hochschulinstituten und Fachbereichen (z.B. auf die Auswahl von Akkreditierungsagenturen, den Umgang der Hochschullehrer mit den Qualitätskontrollen usw.). Schließlich liefen die Interviews mit Vertretern von Interessenverbänden auf eine Diskussion der Mitgestaltungsmöglichkeiten deutscher Qualitätssicherungspolitik hinaus. Die Interviews der follow-up-Studie wurden vollständig transkribiert und, in einem letzten Schritt, thematisch ausgewertet (Froschauer/Lueger 2003). D.h., das Analyseverfahren konzentrierte sich auf den manifesten Gehalt der Aussagen und setzte Textinterpretationen nur begrenzt ein. Für die Gruppe der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen wurden insgesamt sieben Analysekategorien
3.4 Methodischer Bezugsrahmen
107
gebildet, auf deren Grundlage eine vergleichende Analyse der unterschiedlichen Interviewtexte durchgeführt werden konnte: 1. Angaben zur Gründung und Entwicklung der Organisation, 2. Umgang der Agentur mit dem politischen System, 3. Umgang der Agentur mit den Hochschulvertretern, 4. Rolle der Interessenverbände für die Evaluation/Akkreditierung bzw. die Agentur, 5. agenturspezifische Expertise, 6. Kooperation und Wettbewerb im organisationalen Feld, 7. europäische Bildungspolitik und europäische Netzwerke. Quantitative Netzwerkanalyse deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen Paul DiMaggio und Walter Powell haben die Theorie des organisationalen Feldes zu einem Zeitpunkt konzipiert, als die rasanten Fortschritte der Netzwerkanalyse das Augenmerk auf Konzepte der Einbettung von Akteuren im Interaktionssystem (Granovetter 1973, 1985; Burt 1992), der interorganisationalen Interdependenzen (Galaskiewicz 1985) und den (wirtschaftlichen) Mehrwert flexibler Kooperationsstrukturen (Powell 1990) lenkten. Das Strukturationskonzept greift deshalb auf netzwerkanalytische Prämissen und methodische Verfahren zurück. Man braucht sich nur die ersten beiden Strukturationsthesen Paul DiMaggios und Walter Powells vor Augen zu führen, um den Einfluss netzwerkanalytischer Ansätze für die Organisationssoziologie zu erkennen. Paul DiMaggio, der in seinen frühen Studien sogar explizit auf die methodische Operationalisierung netzwerkanalytischer Ansätze für die Feldanalyse hingewiesen (DiMaggio 1988) hat, bestimmt den Strukturationsgrad des Feldes über die Interaktionsdichte (erste Strukturationsthese) und die Formation von Koalitionsstrukturen (zweite Strukturationsthese), über Phänomene also, die sich anhand netzwerkanalytischer Datenerhebungen und -auswertungen erschließen lassen. In der folgenden Untersuchung wurde die Netzwerkanalyse als Methode verwendet, um die interorganisationale Struktur der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen (d.h. der Grundeinheit des organisationalen Feldes) sichtbar zu machen. Leider wird viel zu oft vergessen, dass quantitative Netzwerkanalysen keine Erklärungsvariablen liefern, sondern diese erst über den theoretischen Zuschnitt der Studie herangezogen werden müssen. Das methodische Verfahren der Netzwerkanalyse ist im Grunde auf eine realitätsgenaue Deskription der Interaktionsstruktur ausgerichtet. Um dem Netzwerk Sinn abzugewinnen, ist es unumgänglich, die quantitativen Daten mit den Ergebnissen der qualitativen Studie zu vergleichen und theoretisch aufzuarbeiten.
108
3 Theoretischer Bezugsrahmen
Dennoch hat auch diese Methode Grenzen aufzuweisen. So würde eine quantitative Erhebung der Interaktionen des gesamten organisationalen Feldes (ergo der Interaktionen zwischen Agenturen, Bundes- und Länderregierungen, Hochschulen, Fachhochschulen und Interessenverbänden auf nationaler Ebene) die Grenzen der Reliabilität netzwerkanalytischer Verfahren überschreiten. Man stelle sich das Erhebungsverfahren wie folgt vor: Zur Debatte steht ein Netzwerk von ungefähr 400 Akteuren (davon sind 12 Agenturen, weit über 300 Hochschulen, 16 Länderregierungen, eine Bundesregierung und ca. 50 professionelle Verbände), deren Interdependenzen abgefragt werden müssen. Ein Akteur X muss sich also über seine Beziehungen (z.B. über sein Kooperationsverhältnis) zu 399 anderen Akteuren äußern. Soll das Interaktionspensum eines Akteurs in mehr als nur einer Kategorie abfragt werden, so wächst der ohnehin schon umfangreiche Fragebogen um das Doppelte, das Dreifache usw. an. Um es mit Herbert Simon zu sagen: Ein solcher Fragebogen übersteigt die kognitiven Kapazitäten der Akteure (Simon 1955). Natürlich existieren alternative Erhebungsverfahren, in denen Namengeneratoren eingesetzt werden, um Beziehungsmuster zu weiteren Organisationen, Verbünden, Netzwerken usw. zu erheben. Eine weitere Möglichkeit wäre die Anwendung qualitativer Netzwerkmethoden, in denen das EgoNetzwerk einer Agentur abgefragt wird, d.h. ihre unmittelbare Koalitionsstruktur (Hollstein 2006). In Anbetracht der Struktur des Feldes böte das erstere Verfahren höchstwahrscheinlich ein sehr fragmentiertes und wenig repräsentatives Bild des immensen Netzwerks deutscher Qualitätssicherung. Außerdem wäre unklar, wer z.B. als Ansprechpartner an den Hochschulen fungieren könnte (schließlich werden Evaluation und Akkreditierung von den Instituten und Lehrstühlen verwaltet). Auf der anderen Seite liefert ein qualitatives Vorgehen einseitige Daten, da keine Interdependenzen abgefragt werden, sondern lediglich die von einem Akteur X ausgehenden Beziehungen erhoben werden können. Stattdessen soll die quantitativ ausgerichtete Strukturationsanalyse auf den harten Kern des Feldes fokussieren: Die Netzwerkanalyse konzentriert sich auf die zwölf Evaluations- und Akkreditierungsagenturen, während die Interdependenzen der Agenturen und ihres institutionellen Umfelds qualitativ erhoben werden. Die Kombination dieser beiden Verfahren soll schließlich Auskunft über die Strukturation des gesamten organisationalen Feldes geben. Die Daten zur vertikalen Einbettung der Agenturen werden also mit den quantitativ erhobenen Daten zur horizontalen Einbettung der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen verglichen und diskutiert. Die quantitative Netzwerkanalyse wird eingesetzt, um die interorganisationale Struktur zwischen den Agenturen auf drei Phänomene hin zu untersuchen: Daten zu Kooperations-, Informations- und Ratgebernetzwerken sollen einen Eindruck des (horizontalen) Strukturationsmomentes liefern und den Ansatz für eine institutionstheoretische Erklärung des Kooperations-
3.5 Fazit
109
und Konkurrenzverhältnisses zwischen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen liefern. Als Ansprechpartner für die Netzwerkanalyse fungierte der Geschäftsführer der Agentur. Als Vertreter der Geschäftstelle sind die Geschäftsführer sowohl mit der Leitung des operativen Geschäfts als auch mit der Außenrepräsentation der Agentur betraut. Im Gegensatz zu Mitarbeitern oder Vorstandsmitgliedern verfügen Geschäftsführer über einen ausgeprägten Einblick in die unterschiedlichen Organisationsebenen. Sie sind in der Lage, über die Verortung der Organisation im Dienstleistungssektor zu informieren. Der Rücklauf der Fragbögen betrug ca. 90 %.55 Missing values konnten anhand des Interviewmaterials aufgefüllt werden. Auf der Grundlage des Interviewfragebogens wurde eine ExcelMatrize entwickelt, welche die Daten für die Netzwerkanalyse auf dem Netzwerkanalyseprogramm UCINET 6.0 (Borgatti et al. 1999) lieferte. Details zu den unterschiedlichen Operationen mit der Software von Analytic Technologies lassen sich Kapitel 4.6 entnehmen.
3.5 Fazit Ausgehend vom Konzept des organisationalen Feldes soll die institutionelle Einbettung deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen erforscht werden: Wie gehen die Agenturen mit den Spielregeln und Interessengeflechten einer institutionalisierten Umwelt um? Wie geht der Strukturationsprozess des Felds vonstatten? Was für eine Rolle spielen europäische Bildungsreformen für die Weiterentwicklung der deutschen Qualitätssicherung? Was sagt die Qualitätssicherungspraxis deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen über die nationale Deregulierungspolitik aus? Im Mittelpunkt des komplexen Mehrebenen-Strukturbildungsprozesses stehen Fragen organisationalen und institutionellen Wandels, die über einen institutionenökonomischen Ansatz für die Feldstudie operationalisiert werden.
55
Insgesamt wurden 11 der 12 Fragebögen beantwortet und zurückgeschickt.
4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes deutscher Qualitätssicherungsagenturen
4.1 Einleitung Der folgende Abschnitt soll die empirischen Untersuchungsergebnisse einer Dokumentenanalyse, 50 semi-strukturierter Interviews und einer quantitativen Netzwerkanalyse zusammenfassen, um die Entwicklungsgeschichte des organisationalen Feldes deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen zu dokumentieren.56 Das Kapitel ist nicht als Kompilation von Einzelmonographien konzipiert und verzichtet daher auf organisationsspezifische Details. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht vielmehr die Frage der Generierung und nachhaltigen Strukturierung des gesamten organisationalen Feldes: Wie haben sich die neuen Dienstleister in einem institutionalisierten Handlungsgefüge behaupten können? Unter welchen Bedingungen entstanden Evaluations- und Akkreditierungsagenturen, und wie haben sich diese Gründungsbedingungen auf die Weiterentwicklung der Agenturen ausgewirkt? Wie gehen die Agenturen mit den formal und informal constraints einer komplexen und institutionalisierten Umwelt um? Wie verhalten sich die Agenturen zueinander: Besteht etwa eine Interessengemeinschaft oder eine kollektive Identität? Qualitätssicherung wird als Bestandteil einer innovativen staatlichen Deregulierungsstrategie inszeniert, im Rahmen derer die Verantwortung über Leistungsqualität an die Hochschulen übertragen wird. Während der Staat sich also peu à peu aus dem operativen Geschäft der Fachhochschulen und Universitäten herauszieht, sollen neu gegründete Organisationen sich der stichprobenartigen Überprüfung des Hochschulangebotes annehmen. Was für eine Qualitätssicherungspraxis unter dem Stichwort „Deregulierungsstrategie“ firmiert, blieb bislang aber ungeklärt. Im Gegensatz zum britischen Evaluationssystem, wo die 56
Unter dem Begriff „Dokumentenanalyse“ ist die systematische Analyse von Primärquellen (in diesem Fall von Gesetzestexten auf Bundes- und Länderebene, organisationsspezifischen Dokumentationen wie z.B. Satzungen/Verfahrensrichtlinien und Kriterien, Sitzungsprotokolle und Tagungsdokumentationen) zu verstehen.
112
4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
Einführung des quality audit zur top-down-Implementierung eines neuen Handlungskodex geführt hat (Le Galès 2004), verlief die deutsche Steuerungsreform eher unsystematisch. Die Festlegung kohärenter Anreiz- und Sanktionsstrukturen wurde durch die Entscheidungsblockaden eines föderalen Politiksystems verhindert. Diesem Rechtsvakuum ist es zu verdanken, dass Qualitätssicherung Gefahr läuft, zu cost-cutting-Entscheidungen missbraucht zu werden (siehe Punkt 2.5.3). Des Weiteren hat die prekäre Rechtssituation des Evaluationsgeschäfts Auswirkungen auf die Einbettung gegründeter Agenturen. Da der Status der Agenturen gesetzlich unterbestimmt ist, müssen sie auf alternative Handlungs- und Verhandlungsmöglichkeiten zurückgreifen, um sich als neuer Dienstleister behaupten zu können. Die institutionstheoretisch informierte Analyse des Interaktionszusammenhangs zwischen: Agenturen und politischem System (4.3), Agenturen und Hochschulen (4.4), Agenturen und Interessenverbänden (4.5) und den Agenturen untereinander (4.6) stellt den Kern der organisationalen Feldstudie dar. Während in einem ersten Schritt der Einfluss des institutionellen Umfelds auf die Organisationen (et vice versa) eruiert wird, fokussiert Schritt Nummer zwei auf die Erhebung und Auswertung von Netzwerkdaten zum interorganisationalen Kooperations- und Wettbewerbsverhältnis. In einem dritten und letzten Schritt werden die Erkenntnisse der Organisationsstudie schließlich resümiert und auf den theoretischen Rahmen zurückbezogen.
4.2 Die Entstehung des organisationalen Feldes deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen 4.2.1 Organisations- und Verfahrensmodelle der Evaluation Erste Versuche, eine kontinuierliche Qualitätskontrolle im Lehrbereich einzuführen, fanden, wie gesagt, bereits Anfang der 1990er Jahre statt. Damals gestanden die Länderministerien den Hochschulen Sondermittel zu, um die Qualität der Hochschullehre über regelmäßige Kontrollen sicherzustellen und weiterzuentwickeln (siehe Punkt 2.4). Doch diese ersten, hochschuldidaktisch inspirierten Projekte mussten schon bald einer sich seit Ende der 1980er Jahre abzeichnenden Prioritätsverschiebung Rechnung tragen: Der Impetus der Haushaltrestriktionen rückte die Wiederverwertung der einsichtsreichen Informationsquelle „Evaluation“ in den Vordergrund und motivierte, in Ost und West, zielgerichtete Haushaltskürzungen im regionalen Hochschulsystem. Die Heterogenität regionaler
4.2 Die Entstehung des organisationalen Feldes
113
Vorgehensweisen bei der Koppelung von Evaluations- und Finanzpolitik war bemerkenswert: Jedes deutsche Bundesland erfuhr sein ihm spezifisches Evaluationstrauma. In den Ländern, in denen solche Haushaltkürzungen nicht vorgenommen wurden, sorgten die Erfahrungen der Nachbarregionen für eine widerstrebende Haltung der Professorenschaft gegenüber vermeintlichen Strategien der Qualitätssicherung (Interviewpartner 32a, 34a, 23b). Als später die ersten Evaluationsagenturen zwischen 1994 und 1995 im Norden Deutschlands gegründet wurden, standen sie daher unter dem Verdacht, staatliche Rationalisierungsentscheidungen zu informieren. Zeitgleich drängten die New-Public-Management-Philosophie und internationale Trends auf die Etablierung einer kontinuierlichen Qualitätskontrolle. Evaluation wurde nahezu bundesweit in den Landesrahmengesetzen verordnet. Die Gesetzestexte legten weder die genauen Aufgabenbereiche noch die Verantwortlichkeiten im Evaluationsverfahren fest. Aus dieser einmaligen Situation, in der ein neues Investitionsfeld der Hochschulpolitik und ein offenes Rechtssystem aufeinander trafen, hat sich in kürzester Zeit ein wild wachsendes organisationales Feld entwickelt. Evaluationsmodelle und -praktiken An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass Evaluation, im Gegensatz zur später eingeführten Akkreditierung, der hochschulinternen Verbesserung der Leistungsqualität bzw. der Qualitätsentwicklung (in Lehre, Forschung und Dienstleistung) dienen soll. Im Laufe der 1990er Jahre haben sich drei unterschiedliche Evaluationspraktiken etabliert: Evaluationssysteme können hochschulintern generiert werden; d.h., eine Hochschule baut eine Verwaltungsstelle aus, um sie mit der Evaluation ihres Studienangebotes zu betrauen. In diesem Modell werden keine Externe in die Evaluation involviert. Evaluationsergebnisse dringen nicht an die Öffentlichkeit. In sogenannten Verbundagenturen gehen Hochschulen Partnerschaften mit regionalen und/oder nichtregionalen Hochschulen ein und führen Evaluationen innerhalb des Mitgliederkreises durch. Externe werden begrenzt involviert und Evaluationsergebnisse in den wenigsten Fällen veröffentlicht. Ministerien können regionale Evaluationsagenturen ins Leben rufen und Haushaltsgelder zur Generierung neuer Strukturen bereitstellen. Alternativ können Länderministerien die Hochschulen dazu verpflichten, ihre Lehrberichte an eine Spezialkommission oder an Anlaufstellen in der Ministerialbürokratie weiterzuleiten, damit diese eine vergleichende Auswertung vornehmen. Letztere dieser beiden regionalen Organisationsformen wurde zwar
114
4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
in vielen Ländern diskutiert, jedoch nicht implementiert. Das dritte Evaluationsmodell ist darauf ausgerichtet, den Dialog zwischen Hochschule und Landesministerium mit Daten zu unterfüttern, um die politische Entscheidungsfindung zu erleichtern (diese kann unter Umständen Haushaltskürzungen involvieren). Die folgenden Ausführungen beschränken sich vornehmlich auf die letzten beiden Evaluationspraktiken, da nur diese von relativ selbstständigen Organisationen als Dienstleistung betrieben werden. Die Evaluation in Deutschland ist maßgeblich durch die beiden zuerst entstandenen Agenturen geprägt, dem Verbund Norddeutscher Universitäten (Nordverbund oder NVB) und der Zentralen Evaluationsagentur der Niedersächsischen Hochschulen (ZEvA), die das Evaluationsgeschäft Mitte der 1990er Jahre aufgenommen haben.57 Diese beiden Agenturen haben die archetypischen Organisationsmodelle eines komplizierten Kontrollsystems geliefert, an dem sich spätere Generationen von Evaluations- und Akkreditierungsagenturen orientierten. Die Gründungsgeschichten des NVB und der ZEvA sind symptomatisch für die hochschulpolitische Lage der 1990er Jahre, einer Zeit, in der die Hochschulperformanz in Kritik geriet und erste Zeitschriftenrankings den Finger auf offensichtliche Qualitätsunterschiede einer vermeintlich homogenen Hochschullandschaft legten.58 Während die breite Öffentlichkeit ihre Aufmerksamkeit auf medienwirksame Rankings konzentrierte, entstanden also – abseits des Trubels um den proklamierten Hochschulwettbewerb – die beiden ersten deutschen Evaluationsagenturen. Der Nordverbund gehört zum Typus „Verbundagentur“. Die ZEvA hingegen geht auf das dritte Evaluationsmodell der „regionalen Agentur“ zurück. Um die grundlegende Organisationsstruktur des deutschen Evaluationssystems und seine inhärenten Problematiken zu verstehen, ist ein systematischer Einblick in die Gründungsgeschichte beider Agenturen unverzichtbar. Der Verbund Norddeutscher Universitäten (Nordverbund, NVB) baute auf eine bestehende Kooperation zwischen den Universitätspräsidenten und ihres Mitarbeiterstabes auf, die sich seit 1992 regelmäßig zu hochschulpolitischen und -strategischen Fragen konsultierten.59 Der damalige Präsident der Universität Hamburg, Jürgen Lüthje, engagierte sich damals vehement für die vom Staat 57
58 59
1995 wurde die ZEvA-Agentur unter dem Namen „Zentrale Evaluationsagentur der Niedersächsischen Hochschulen“ gegründet. Der Name wurde anlässlich der Akkreditierung der Agentur im Jahre 2000 geändert in „Zentrale Evaluations- und Akkreditierungsagentur Hannover“ (ZEvA). Um Missverständnisse auszuschließen, soll die Agentur in der Organisationsstudie nur mit ihrem derzeitigen Namen (ZEvA) bezeichnet werden. Das erste Ranking wurde 1989 von der Zeitschrift Spiegel veröffentlicht. Den Verbund Norddeutscher Universitäten bilden die Universitäten Bremen, Greifswald, Hamburg, Kiel, Lübeck, Oldenburg und Rostock. Sie arbeiten eng mit der Universität Groningen (Niederlande) zusammen.
4.2 Die Entstehung des organisationalen Feldes
115
proklamierte Deregulierungsstrategie und setzte bereits Anfang der 1990er Jahre die Einführung neuartiger Managementkonzepte an der Universität Hamburg durch. Er gewann seine Kollegen aus den Partneruniversitäten dafür, sich gemeinsam des innovativen Steuerungsinstrumentes der Evaluation anzunehmen. Nach anfänglichen Überlegungen, ein finanzielles Abkommen mit dem Landesministerium einzugehen, entschlossen sich die Universitätspräsidenten, Evaluation als hochschuleigenes Projekt durchzuführen. Evaluation wurde in die Verantwortung der Universitäten übergeben und das Ministerium aus dem Evaluationsunternehmen ausgeschlossen (Fischer-Bluhm et al. 2003). Das hatte wiederum zur Folge, dass das Land keinerlei finanzielle Unterstützung zur Agenturgründung bereitstellte. Die Universität Hamburg stellte darufhin dem Verbund kurzerhand eine volle Mitarbeiterstelle zur Verfügung, um das Evaluationskonzept zu erarbeiten und die Koordinierung zu übernehmen. Der NVB wurde Anfang 1994 als Gesellschaft nach § 705 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ins Leben gerufen60: Das Evaluationsunternehmen der norddeutschen Hochschulen beruht auf einem kurzen Abkommen, das Aufgaben, Ziele und Finanzierungsoptionen skizziert. Das hochschulpolitische Projekt – denn die Gründung des NVB als exklusiver Zirkel sich selbst evaluierender Universitäten war Teil einer politischen Strategie – begründete die hochschulpolitische Prominenz des Nordens: hochschulpolitische Akteure und Hochschulforscher, die sich seit den 1980er Jahren für die Deregulierung der Hochschulsteuerung einsetzten und internationale Entwicklungen mit wachsendem Interesse verfolgten. In dieser einzigartigen personellen Konstellation fing man nun an, über Verfahrensmodelle und Konzepte nachzudenken, die dem politischen Ziel der Hochschulautonomie gerecht werden würden. Man besann sich alsbald auf das niederländische Evaluationsmodell, an dem sich auch das damalige EU-Projekt „Evaluation of University Structures“ (siehe Punkt 2.4.2) anlehnte61: „Da wir (…) zwei große Kämpfer für die Deregulierung in unserer Gruppe hatten, war klar, dass wir zum niederländischen System neigen würden, weil wir natürlich alle positiv erwartet haben, dass diese hochschulpolitischen Ziele auch irgendwann einmal bei uns verwirklicht werden. (…) Es waren also angesehene Vertreter in der 60
61
Siehe hierzu § 705 des BGB: „(…) Durch den Gesellschaftsvertrag verpflichten sich die Gesellschafter gegenseitig, die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern, insbesondere die vereinbarten Beiträge zu leisten“. Das in Deutschland als „niederländisches Modell“ bekannte Evaluationsverfahren besteht aus drei Verfahrensabschnitten: Das zu evaluierende Fach/Institut redigiert zunächst einen Selbstreport, in dem es seine Stärken und Schwächen darstellt. In einem zweiten Schritt wird ein externes Gutachterteam eingeladen. Die Peers müssen einen Bericht verfassen, der in einem dritten und letzten Schritt von einem Komitee ausgewertet wird. Auf der Grundlage dieser drei Teilgutachten werden ein Evaluationsbericht und eine Liste von Empfehlungen erstellt. Eventuell wird der Bericht veröffentlicht (Westerheijden et al. 1994).
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4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
Szene der Hochschulforscher [dabei]. Das heißt, wir hatten einen gewissen Überblick über die amerikanische und europäische Hochschulreform. (…) Evaluation war nichts, was aus dem Nichts kam. Man zog für ein Problem, das man hatte: Das Image ist beschissen, die Leute reden nicht miteinander über Lehre, die Lehrenden untereinander reden nicht über Lehre (…) – für dieses Problem musste man irgendeine Lösung finden. In der Konstellation der Menschen, die da waren, war die Lösung Evaluation“ (Interviewpartner 23b).
Das vom NVB entwickelte dreistufige Evaluationskonzept ging schon bald als unumgängliches Verfahrensparadigma in die Geschichte deutscher Qualitätssicherung ein. Sogar die regionale Evaluationsagentur des Landes Niedersachsen baute auf dem Evaluationsmodell des Nordverbundes auf. Die als „Selbsthilfeorganisation der Hochschulen“ (Interviewpartner 27b) gegründete Zentrale Evaluationsagentur (ZEvA) ging auf eine Initiative der niedersächsischen Landesrektorenkonferenz zurück, ein systematisches Evaluationsverfahren an den Hochschulen einzuführen. Die Situation kippte jedoch zugunsten einer ministerialen Intervention, als der damalige Antragsteller (der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz) mit dem Land Niedersachsen um die Bewilligung von Finanzmitteln verhandelte. In dieser asymmetrischen Verhandlungssituation hatte die Landesrektorenkonferenz ganz klar das Nachsehen und musste die Verantwortung über ihr Projekt aus finanziellen Gründen an das politische System abtreten. Das Land stieg in die Evaluationspolitik ein. Die ZEvA, die verwaltungstechnisch an einer Universität angegliedert war, deren rechtlicher Status aber bis Anfang 2007 ungeklärt blieb, wurde zum offiziellen Auftragsempfänger des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur.62 Dieses konnte der Agentur vorschreiben, wie die Evaluation, für die nun mit Sondermitteln aus dem Landeshaushalt aufgekommen wurde, auszusehen hatte. Zwar wurde für das prominente dreistufige Evaluationsmodell optiert, aber das Ministerium konnte durchsetzen, dass die Evaluationsverfahren hochschulübergreifend durchgeführt werden: In einer sogenannten Evaluationswelle sollte das gesamte Studienangebot eines Faches an den niedersächsischen Hochschulen erhoben, qualitätsgeprüft und verglichen werden. Da die Evaluationsergebnisse auch veröffentlicht wurden, war das Ministerium stets über die Qualität des Hochschulangebotes und der Hochschulperformanz informiert. Die über eine Mehrheit verfügenden Hochschulvertreter in der ZEvA-Lenkungsgruppe entschieden im Alleingang über das Evaluationsprogramm. Die Selbstbestimmung der niedersächsischen Hochschulen in Evaluationsfragen blieb fak62
Der Akkreditierungsrat drängt seit 2000 auf eine transparente Reorganisation der Agentur. Anfang 2007 ist die ZEvA deshalb zur Stiftung öffentlichen Rechts umfunktioniert worden (Akkreditierungsrat 2006).
4.2 Die Entstehung des organisationalen Feldes
117
tisch jedoch begrenzt. Obwohl den Fächern die Möglichkeit eingeräumt wurde, sich der Evaluation zu entziehen, wurde dies nicht praktiziert. Eine Nichtteilnahme hätte dahingehend interpretiert werden können, dass die betroffene Hochschulleitung sich der Minderwertigkeit der Studienqualität bewusst war und einer ‚objektiv‘ angelegten Qualitätsprüfung deshalb aus dem Weg ging (Interviewpartner 28b). Diese Abwehrhaltung hätte das Landesministerium schließlich indirekt zur Mittelkürzung motivieren können. In kürzester Zeit haben sich die niedersächsischen Hochschulen im Umgang mit staatlich verordneten Evaluationsaktionen im Sinne Foucaults „selbstdiszipliniert“ (Foucault 2004). Das niedersächsische Evaluationsangebot wurde mit impliziten Sanktionen, aber auch mit Entlohnungsmechanismen gekoppelt: Die Hochschulen erhielten z.B. bis 2005 Landeszuschüsse für den personellen Aufwand, der mit der Erstellung der Selbstreports einer Hochschule verbunden war. Ein Luxus, den sich das Land angesichts der drohenden Mittelknappheit nun nicht mehr leisten kann. Die organisierte Form der Evaluation, wie sie ab Mitte der 1990er Jahre von Agenturen praktiziert wurde, sollte den direkten Kontrollmechanismus zwischen Hochschule und Staat ersetzen. Evaluation wurde einer dritten Instanz – einer ‚professionellen‘ Agentur – überantwortet, die das jeweilige Studienangebot erfassen, auswerten und zu Verbesserungsmaßnahmen anstrengen sollte. Fiel der direkte link zwischen Hochschule und politischem System weg, so stellte sich nun die Frage, wo genau diese Art der Dienstleistung institutionell verankert werden sollte. Wer waren die Evaluateure und wem waren sie subordiniert? Was sollte mit den Evaluationsergebnissen geschehen? Welches Ziel verfolgte Evaluation überhaupt? Die Gründungsgeschichte des Nordverbundes und der ZEvA können als unterschiedliche organisationale Antworten auf diese Fragestellung verstanden werden: Die Bildung des NVB wurde von einem exklusiven Zirkel norddeutscher Universitätspräsidenten geplant und durchgeführt. Der Verbund war als Hochschulbeitrag für die vom Staat intendierte Deregulierungsstrategie angedacht, von dem sich die Universitätspräsidenten eine Rückkehr zur altbewährten Tradition der akademischen Freiheit und der Selbstbestimmung versprachen. Aus der exklusiven Verbundstruktur lassen sich zwei Charakteristika ableiten, die für die Weiterentwicklung dieses Organisationsmodells einer Evaluationsagentur nahezu symptomatisch sind: Die Exklusivität des Verbundes schließt eine Ausweitung der Dienstleistung auf weitere Mitglieder (z.B. die Fachhochschulen) aus. Des Weiteren müssen sich selbst evaluierende Verbünde stets mit der Frage der Informalität von Evaluation und deren Finalität auseinandersetzen. Evaluation könnte, da kein externer Umsetzungsdruck (d.h. enforcement-Möglichkeit) besteht, zur legitimieren-
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4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
den Routine erstarren. Das würde darauf hinauslaufen, dass Evaluation ihre ureigene Funktion der Qualitätsentwicklung nicht mehr erfüllen kann. Die Entwicklungsgeschichte der ZEvA wurde wiederum seit der Gründungsphase vom Landeministerium mitbestimmt. Als eigentlicher Financier des Hochschulprojektes setzte das Land einen Teil der Spielregeln fest, nach denen Evaluation in Niedersachsen zu funktionieren hatte. Auch wenn im ersten Evaluationszyklus keine expliziten, finanziellen Konsequenzen aus den Stärken-Schwächen-Analysen der Evaluation gezogen wurden, soll sich das im zweiten Evaluationszyklus ändern (Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2003). Auf lange Sicht soll Evaluation nämlich als Steuerungsinstrument für den niedersächsischen Hochschulhaushalt eingesetzt werden. Die Geschichte des Nordverbunds und der ZEvA wäre nicht von Bedeutung, hätte sie nicht die originären Organisationsprinzipien des gesamten organisationalen Feldes deutscher Qualitätssicherung mitgeprägt. Darauf folgende Agenturgründungen vollzogen sich auf dem Hintergrund der vorgelebten Organisationsmodelle. Interviewpartner 7b kommentierte die Vorbildfunktion der ersten Evaluationsagenturen mit folgenden Worten: „Wir haben nicht angefangen mit der Vorstellung: ‚Wir müssen etwas Neues erfinden‘. Alles was wir machen hat es vor uns schon viele Jahre woanders gegeben. (…) Wir mussten nur gucken: Was machen die anderen. Wir haben uns die Dinge herausgesucht, von denen wir denken: ‚die funktionieren‘. Den ersten Entwurf der Verfahrensrichtlinie hatte ich gemacht, da gab es noch keine Mitarbeiter“.
Die dichotome Organisation deutscher Evaluation, als Hochschulprojekt einerseits und politisches Unternehmen andererseits, begründete das Dilemma dieser Form der Dienstleistung: Gliedert sich die Evaluationsagentur an den Hochschulen an, so stehen ihr keinerlei Sanktionsmittel zur Verfügung, um das Ziel des Verfahrens, nämlich Qualitätsentwicklung/-verbesserung, umzusetzen. Die Informalität des organisatorischen Rahmens verhindert die systematische Realisierung und nachhaltige Durchsetzung rechtsgültiger Entscheidungen. Wird eine Agentur als politisches Projekt begründet, besteht wiederum das Problem der Akzeptanz von Evaluation auf Seiten der Hochschulvertreter: Einer regionalen Agentur die Schattenseiten des Hochschulbetriebs zu eröffnen, stellt ein riskantes Unternehmen dar. Zu viel Offenheit im Umgang mit Qualitätskontrollen könnte sich negativ auf zukünftige Haushaltsplanungen auswirken. In beiden Modellen besteht die latente Gefahr, dass Evaluation ihre Funktion der Qualitätsentwicklung einbüßt.
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Gründung und Entwicklung von Evaluationsverbünden Sechs der sieben in den Jahren darauf folgenden Agenturgründungen gingen auf Initiativen der Hochschulen, insbesondere der Landesrektorenkonferenzen zurück und bezogen sich explizit auf das Nordverbundmodell der Evaluation. Die Universitäten und Fachhochschulen hatten Anfang der 1990er Jahre zweifelhafte Erfahrungen mit der staatlich koordinierten Qualitätssicherung gesammelt. Deshalb bestand die Befürchtung, dass das politische Interesse an einer Agenturgründung weniger der Deregulierung, als einer neuen Form der Detailsteuerung (samt Haushaltseinschnitten) dienen sollte. Wenn das System der Hochschulsteuerung also reformiert und Evaluation als neue Form der Rechenschaftslegung und Qualitätsentwicklung etabliert werden sollte, so wollten die Hochschulen auch die volle Verantwortung übernehmen: „Das kochte ja schon. (…) Alle wollten eine staatliche Aufsicht einführen – eine stärkere staatliche Aufsicht einführen. Von daher war der Schritt: ‚Wir wollen das in Autonomie machen und nicht den Staat dazwischen haben‘ ein Wesentlicher“ (Interviewpartner 23b).
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre entstanden zwei Netzwerke und vier Verbünde.63 Wiederum wurden die Informalität der Organisationsstruktur und die Geschlossenheit der Verbünde als Conditio für eine konsequente Evaluation bzw. Qualitätsentwicklung postuliert. Die für die Evaluation unabdingbare Vertraulichkeit bestand eben nur dann, wenn das Verfahren im geschlossenen Kreis durchgeführt wurde. Nur wenn die Intervention Externer begrenzt blieb – da waren sich die Gründer einig –, konnten die Stärken und Schwächen freigelegt werden, war Qualitätsentwicklung also überhaupt erst möglich. Ein Interviewpartner kommentierte das organisatorische Spezifikum der Verbundagenturen mit folgenden Worten: „Wir haben da irgendwelche Gruppierungen, Lenkungsgremien und so. Das ist aber eigentlich gar nicht wichtig dabei. Der ganze strukturelle Kram ist eigentlich un-
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Evaluationsnetzwerke: Länderübergreifender Evaluationsverbund Darmstadt (1999–) ENWISS/Evaluationsnetzwerk Wissenschaft an der Technischen Universität in Darmstadt (2001–) Evaluationsverbünde: Hochschulevaluierungsverbund Süd-West (2003–) LEU/Lehrevaluation in der Universitätspartnerschaft Halle – Jena – Leipzig (2000–2006) Geschäftsstelle Evaluation der Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen (1997–2004) Geschäftsstelle Evaluation der Universitäten in Nordrhein-Westfalen (2000–2002)
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wichtig, weil wir es in der eigenen Verantwortung haben. Wir wissen auch gar nicht, wenn wir uns treffen, als was wir uns gerade treffen. Entscheidend ist die Idee, gemeinsam die Verantwortung für Qualitätsentwicklung zu haben“ (Interviewpartner 6b).
Die Organisationsschwäche der Verbundagenturen (in den meisten Fällen verfügen diese Evaluationsagenturen weder über eine Satzung noch über eine klare Rechtsstellung) ist zum einen der hochschulpolitischen Vision der Akteure anzurechnen, ein flexibles und kostengünstiges Verfahren aufzubauen, zum anderen aber auch der prekären Finanzgrundlage, auf der Evaluation von Beginn an stand. Verbundagenturen bauen in der Regel auf bestehende hochschulinterne Evaluationsstellen oder hochschulübergreifende Kooperationen auf (das erklärt auch die variierende Größe der Mitgliederzahl). Da Qualitätssicherung Mitte der 1990er Jahre zum Reformparadigma der deutschen Hochschulpolitik avancierte, stellte das politische System in machen Fällen sogar mehr oder weniger bereitwillig die Mittel bereit, um die bescheidenen Personalkosten der Verbundstellen zu decken. Meistens wurden die Personalkosten von der Hochschule bzw. dem Hochschulverbund getragen. Im Schnitt überschritten diese in der Anfangsphase keine zwei vollen Mitarbeiterstellen. Trotz der hochschulpolitischen Prioritätensetzung blieb die Finanzierung der Verbundorganisationen eine heikle Angelegenheit. Das politische System tätigte keine konsequenten Investitionen für die Weiterentwicklung des regionalen Evaluationsbetriebs. Auch die Hochschulen sahen sich aus Kostengründen gezwungen, die Finanzierung des Evaluationsbetriebs so niedrig wie möglich zu halten. Daher wurden Evaluationsagenturen in der Anschubphase meistens über Drittmittel subventioniert. Die knappe Projektmittelfinanzierung ließ den Agenturen aber nicht die nötige Planungssicherheit, die zur Verfestigung und Verstetigung der Organisationsform und des Dienstleistungsangebotes hätte führen können: „[Der Verbund] hat wirklich daran gekränkelt, dass es kein Kontinuum in der Personalstruktur gab. Es gab nun einmal keine sichergestellte Finanzierung. Man lebte mit der Angst, seine Stelle nicht weiter finanziert zu bekommen. Außerdem fehlte eine inhaltliche Diskussion“ (Interviewpartner 26b). „Die Stellen waren meist aus Projektmitteln finanziert. Jedes Jahr war man die Hälfte der Zeit damit beschäftigt, einen Antrag auf Projektverlängerung zu stellen und seine Position innerhalb der Universität zu begründen“ (Interviewpartner 9b).
Die Situation der Evaluationsagenturen verschlechterte sich schließlich gegen Ende der 1990er Jahre, als sich die hochschulpolitische Aufmerksamkeit auf das
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Thema Akkreditierung richtete. In drei der neun Fälle führte der Ausfall der Landesfinanzierung sogar zu einer Betriebseinstellung. Gründung und Entwicklung regionaler Evaluationsagenturen Die Mehrzahl der deutschen Landesministerien (bzw. die verantwortlichen Behörden der Ministerialbürokratie) hatten Ende der 1990er Jahre ernsthaft erwägt, eine Agentur à la ZEvA zu gründen. Nordrhein-Westfalen änderte z.B. sein Hochschulgesetz, um ein Institut zu gründen, das sich der vergleichenden Analyse der hochschulinternen Evaluationsergebnisse annehmen sollte.64 Diese Daten hätten dann, wie auch in Niedersachsen, einer informierten Budgetierung gedient. Das nordrhein-westfälische Projekt musste aus Geldmangel eingestellt werden. Nur wenige Ministerien konnten es sich Anfang des 21. Jahrhunderts noch leisten, eine kostspielige Evaluationsagentur ins Leben zu rufen und einen neuen Mitarbeiterstab einzustellen. Allein die Gründung der Baden-Württembergischen Evaluationsagentur Evalag orientierte sich konsequent am Organisationsmodell der ZEvA. Zeitzeugen berichten sogar über eine direkte Beraterfunktion der ZEvA bei den Verhandlungen zwischen dem baden-württembergischen Landesministerium und den Landesrektorenkonferenzen. Wie auch die ZEvA erhielt die Evalag eine hundertprozentige Finanzierung des Ministeriums, die die Agentur zur Zuwendungsstiftung nach baden-württembergischem Recht umfunktionierte.65 Während die Organisationsform der Evalag weitaus gefestigter ausfiel als im Falle der ZEvA, wurden die Verfahrensmethoden und -ziele sowie die institutionelle Einbettung der Evaluation im hochschulpolitischen Gefüge des Landes in großen Teilen vom ZEvA-Modell abgeleitet: Das Ministerium richtet einen Auftrag an die Agenturen, der in der Stiftungssatzung festgeschrieben ist. Die Evalag muss dem Auftrag des Stifters vorbehaltlos nachkommen, auch wenn der Stiftungsrat in der Mehrheit durch Hochschulvertreter besetzt ist. Die Evaluationen sind in der Regel hochschulübergreifend und fachspezifisch angelegt. Am Ende steht die Publikation des Gesamtberichts in Form einer vergleichenden Analyse des Stu64
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§ 8 im Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (HRK 2001b): „Zur Förderung der Reform von Studium und Prüfungen und zur Koordinierung der Reformarbeit an den Hochschulen einschließlich der Evaluation bildet das Ministerium gemeinsam mit den Hochschulen besondere Einrichtungen unter seiner Fachaufsicht und kann nähere Bestimmungen dazu erlassen“. Das baden-württembergische Recht sieht formell keine Zuwendungsstiftung vor. Bei diesem Organisationsmodell handelt es sich um eine Abwandlung der bürgerlich-rechtlichen Stiftung (vgl. § 5-21 des Stiftungsgesetzes für Baden-Württemberg in der Fassung vom 16.12.2003): Anstatt dass ein Stiftungsvermögen gespendet wird, aus dem dann die Aktivitäten der Stiftung finanziert werden, zahlt der Stifter der Stiftung einen jährlichen Etat aus.
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dienangebotes in Baden-Württemberg an. Die Konsequenzen der Evaluation werden auch in Baden-Württemberg nicht im Landesgesetz festgehalten (Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg 2005), sodass die Hochschulen bezüglich der Wiederverwertung der sensiblen Evaluationsdaten im Dunkeln gelassen werden. Entscheidend bei der Gründung der beiden regionalen Evaluationsagenturen war, dass die Finanzierung durch das Landesministerium an eine Anzahl von constraints gekoppelt wurde, die den Handlungsspielraum der Agenturen gegenüber ihrer Klientel und ihres Dienstleistungsangebotes stark und langfristig eingrenzte. Kooperation zwischen Evaluationsagenturen Seit der Gründung der ersten deutschen Evaluationsagentur im Jahre 1995 entstanden insgesamt neun Organisationen, die sich der Evaluation eines umfangreichen, meist regionalen Hochschulangebotes widmeten. Allerdings schrumpfte der Bestand deutscher Evaluationsagenturen über die Jahre auf sechs noch aktive Verbünde und regionale Agenturen. Der Rückgang ist mitunter der finanziellen Prekarität geschuldet, die diese Art der Dienstleistung von Anfang an begleitete. Evaluationsagenturen unterhielten in der Gründungsphase von 1995 bis 2000 enge Kontakte zueinander. Insbesondere die Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzenden waren daran interessiert, erste Evaluationserfahrungen auszutauschen, da es um Informations- und Erfahrungsquellen (mit Ausnahme der seit 1998 aktiven Kommunikations- und Koordinationsplattform „Projekt Qualitätssicherung“ der HRK) eher schlecht bestellt war. Doch schon bald entwickelten sich die Agenturen auseinander, was die Heterogenität aktueller Evaluationsverfahren, ihrer Verfahrensprämissen und -ziele erklären mag. Nur wenige Jahre nach Betriebsaufnahme taten sich existentielle Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Finalität und der Verfahrensmethoden von Evaluation auf, die zum Teil auf die unterschiedlichen Entwicklungsstufen und Organisationsformen der Agenturen zurückzuführen waren (wie z.B. dem Agenturtypus, die variable Mitglieder- und Mitarbeiterzahl der Agentur und dem Grad finanzieller Absicherung). Da Evaluation jeder gültigen Rechtsgrundlage entbehrte bzw. entbehrt, blieben die Konsequenzen der Evaluation, aber auch die Anfechtbarkeit der Evaluationsergebnisse ungeklärt. Die Evaluationsagenturen waren genötigt, sich in diesem ‚rechtsleeren Raum‘ gewisse Spielregeln zu erarbeiten und diese schließlich dem Hochschulklientel zu vermitteln. Während Hochschulvertreter sich gegenüber Evaluationsverfahren meist skeptisch (wenn nicht sogar verschlossen) gaben und umfangreiche Restrukturierungsmaßnahmen befürchteten, engagierte sich die breitere Öffentlichkeit (wie z.B. Berufsverbände und Studen-
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tengewerkschaften) – wenn überhaupt – nur vorsichtig in der von Landesministerien und einigen wenigen Hochschulpersönlichkeiten dominierten Reformdiskussion. War die Evaluation von Anfang an auf die Verbesserung der Leistungsqualität an Hochschulen ausgerichtet, so oblag es der 1999 eingeführten Akkreditierung, einen minimalen Qualitätsstandard im Hochschulbereich durchzusetzen. Obwohl die Verfahrensansätze und Methoden der Evaluation nahezu unverändert auf die Akkreditierung übertragen wurden, löste sich das Evaluationssystem nicht auf. Vielmehr beharrte man auf der zweigliedrigen Qualitätssicherungsstruktur, bestehend aus einem Baustein „hochschulinterne Qualitätsentwicklung“/ Evaluation und einem Baustein „Sicherung von Mindeststandards“/Akkreditierung. Aus dieser Situation sollte sich über die Jahre ein problematisches und fragiles Wettbewerbsverhältnis zwischen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen entwickeln.
4.2.2 Entstehung eines nationalen Akkreditierungsmarktes Der Markt als Notlösung? Gründungsgeschichte des deutschen Akkreditierungssystems Parallel zur Gründung deutscher Evaluationsagenturen vollzog sich eine Reformdiskussion übergeordneten Ausmaßes: Die Novellierung des Hochschulrahmengesetzes im Jahre 1998 erlaubte nicht nur die Einführung neuer Diplome an deutschen Hochschulen, sondern der umformulierte § 9 ermöglichte eine Reform der Studienganggenehmigung insgesamt. Fortan mussten neu gegründete Studiengänge nicht länger einer umständlichen Rahmenprüfungsordnung (RPO) unterworfen werden. Die RPO-Verfahrensprozedur wurde zwar nicht eingestellt, aber es bestand Freiraum für die Konzipierung und Umsetzung alternativer Genehmigungsverfahren. Wie diese auszusehen hatten, wurde im Hochschulrahmengesetz, trotz der in der Gesetzesdokumentation enthaltenen Anspielung auf die Akkreditierung, nicht festgelegt.66 Der entscheidende Schritt zur Gründung eines Akkreditierungssystems wurde von der deutschen Hochschulrektorenkonferenz getan. Angesichts ihrer internationalen Erfahrungen mit Qualitätssicherung entwickelte die HRK bereits vor der offiziellen Rahmengesetzesänderung eine Stellungnahme zur Novellierung, in der sie sich für die Einführung eines Akkreditierungsverfahrens einsetzte 66
In der Tat enthielt der novellierte Gesetzestext keinerlei direkte Verweise auf Akkreditierungsprozeduren. Diese wurden in der Gesetzeserklärung diskutiert (siehe Punkt 2.4.3).
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(HRK 1997). Im Rahmen einer gemeinsamen Arbeitsgruppe „Akkreditierung“ von HRK und KMK wurde daraufhin die Gründung einer nationalen Akkreditierungskommission diskutiert, die sich der Prüfung und Zertifizierung neuer Studiengänge annehmen sollte (KMK/HRK 1998a, 1998b). Hauptanliegen des Akkreditierungsprojektes war es, den Aufbau neuer Verwaltungsbürokratien zu vermeiden und die gesetzlich verankerten Evaluationsverpflichtungen mit den anstehenden Akkreditierungsverfahren zu verbinden (Interviewpartner 32a). Kurzfristig stand daher auch die länderübergreifende Ausrichtung der Evaluation im Fokus der Reformgespräche. Wenige Monate später wurde die Diskussion von politischen Prioritäten eingeholt. Die Kompatibilität von Evaluation und Akkreditierung wurde als organisatorische Nebensache abgestempelt und von der Reformagenda genommen. Den Länderregierungen widerstrebte es, das richtungsweisende Steuerungsinstrument einer Akkreditierungskommission als ‚Bundesagentur‘ einzurichten. Die allumfassende Studienreform sollte nicht noch weiter vom Bund bestimmt werden, als es ohnehin schon der Fall war. Eine regionalfreundliche Lösung für das Akkreditierungsproblem musste gefunden werden. Wie aber sollte ein regional organisiertes Akkreditierungssystem funktionieren? Worauf sollte sich die Akkreditierung beziehen: auf Studiengänge oder ganze Hochschulen? Wie hatte ein Akkreditierungsverfahren überhaupt auszusehen? Die Ländervertreter (in der Regel die Wissenschaftsminister der Länder) einigten sich im Rahmen der Kultusministerkonferenz auf die einfachste Lösung: Organisiert man das Akkreditierungssystem als Markt miteinander konkurrierender Agenturen, so steht man nicht vor dem Problem, einen langwierigen Verhandlungsprozess um die Finanzierung und Gestaltung der Agenturen auszulösen. Für die KMK-typische piece-meal-Politik fehlte so kurz vor Einführung der neuen Studiengänge sowohl die Zeit als auch das Geld. Eine Marktlösung würde – unter der Voraussetzung, dass eine regulierende Instanz existierte, die sich der Wettbewerbsfragen annahm und sich als ‚Verhandlungspartner‘ für die KMK eignete – eine schnelle Organisation des Akkreditierungssystems ermöglichen, ohne die ohnehin schon überstrapazierten Personalkontingente der Ministerialverwaltung weiter zu beanspruchen. So erklärte sich die Kultusministerkonferenz in ihrem Beschluss vom 3.12.1998 bereit, die Gründung von Akkreditierungsagenturen an gemeinnützige und unabhängige Agenturen zu delegieren. Die Agenturen sollten unter die Aufsicht eines von Hochschul- und Ländervertretern zusammengesellten Regulierungsorgans gestellt werden, dem Akkreditierungsrat. Der Akkreditierungsrat sollte sich nicht nur der Akkreditierung potentieller Agenturen annehmen, er arbeitete zudem verbindliche Richtlinien und allgemeine Akkreditierungskriterien für das Akkreditierungsgeschäft aus.
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Im Folgenden einigte man sich auf eine stringente Aufgabenteilung zwischen der fachlich-inhaltlichen Begutachtung, die den Akkreditierungsagenturen oblag, und einer in den Händen der zuständigen Länderministerien verbleibenden Studienganggenehmigung. Die Verantwortung für die Akkreditierung wurde den Hochschulen übertragen, denen sowohl bei der regelgerechten Konzipierung neuer Studiengänge als auch bei der Auswahl von und den Verhandlungen mit Akkreditierungsagenturen freie Hand gelassen wurde. Das letzte Wort hatten aber immer noch die Länderministerien, welche die finanziellen Mittel für die neuen Studienprogramme stellten. Schließlich blieb noch die Frage offen, wie ein Akkreditierungsverfahren auszusehen hatte und welche Anforderungen der Akkreditierungsrat an potentielle Akkreditierungsagenturen stellen sollte. Um sich ein Bild über die unterschiedlichen Optionen zu machen, konsultierte man daher die bestehenden Evaluationsagenturen mit dem Resultat, dass der evaluationstypische Verfahrensund Organisationsaufbau nahezu 1:1 auf die Akkreditierungsagenturen übertragen wurde. Die fachlichen Gutachten wurden – wie bei der Evaluation – an ehrenamtlich tätige Peers delegiert, deren Dienste von einer zentralen Geschäftsstelle koordiniert werden sollten. Die Entscheidung „Akkreditierung Ja/Nein“ blieb wiederum einer paritätisch zusammengesetzten Akkreditierungskommission vorbehalten.67 Des Weiteren besann man sich auf eine grobe Gliederung des Akkreditierungsprozesses in die drei evaluationstypischen Verfahrenschritte: 1. Selbstreport, 2. externe Begutachtung, 3. Prüfung der Gutachterberichte und Akkreditierungsentscheidung. Ziel der Akkreditierung sollte, wie gesagt, die Sicherung minimaler Standards bei der Einführung neuer Studiengänge sein. Dieser kurze historische Abriss zur Entstehungsgeschichte des marktähnlichen Akkreditierungssystems (bestehend aus einem regulierenden Organ und konkurrierenden Agenturen) hat zum Ziel, die fehlende Systematik hervorzuheben, mit der die staatlich proklamierte Deregulierung der Hochschulsteuerung vonstatten ging. Die Reformwelle, die vom vierten Hochschulrahmengesetz und dem Bolognaprozess angestoßen wurde, bot zum einen die Möglichkeit, neue Steuerungsmechanismen auszuprobieren, setzte zum anderen aber auch die Hochschulen und das politische System unter Druck, die synchronen Probleme der Einführung neuer Studiengänge und eines bislang wenig reflektierten Sys67
Ursprünglich war die Kommission folgendermaßen zusammengesetzt: „4 Wissenschaftler (…), 4 Vertreter der Berufspraxis, 2 Studentenvertreter, je 1 Rektor oder Präsident einer Universität und einer Fachhochschule, 2 Ländervertreter“ (KMK 1998: 4). Im Laufe der Jahre wurde das Gewicht der einzelnen Statusgruppen verändert. An der Mehrheit der Hochschulvertreter wurde aber festgehalten.
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tems der output-Steuerung in kürzester Zeit zu bewältigen. In einem föderalen Politiksystem der Entscheidungsfindung konnten sich die Wissenschaftsminister in der knappen Zeitspanne von Ende 1997 bis zum KMK-Beschluss zur Einführung eines Akkreditierungsverfahrens im Dezember 1998 unmöglich auf ein gemeinsames Akkreditierungsmodell einigen, sodass kurzerhand die Marktlösung herhalten musste. Als Vorlage für den Organisations- und Verfahrensaufbau galten wiederum bestehende Evaluationsagenturen. Die geschichtlich bedingte Überschneidung der Evaluations- und Akkreditierungsverfahren sollte nur wenige Jahre später eine problematische Konkurrenzsituation begründen zwischen der staatlich verordneten Akkreditierung einerseits und einer rechtlich unterbestimmten Evaluationspraxis andererseits. Einstieg der Länder in die Akkreditierungspolitik Die turbulenten Entwicklungen zwischen 1997 und 1999 setzten sich in Form einer Diskussion über die institutionelle Anbindung des Akkreditierungsrates fort. Während der ersten drei Jahre seiner Existenz war der Akkreditierungsrat an der Hochschulrektorenkonferenz angesiedelt. Die jährliche Zuwendung von 350.000 € durch den sonst im Hintergrund agierenden Stifterverband Deutscher Wissenschaft ermöglichte eine relativ freie Entfaltung des Rates in seinen ersten Betriebsjahren: Die Geschäftsstellenmitarbeiter entwickelten Verfahrensrichtlinien und Standards der Akkreditierung, während der Rat sich der Genehmigung von sechs Agenturen annahm. Kurz vor dem Auslaufen der Anschubfinanzierung stellte sich jedoch die heikle Frage der Weiterführung des Projektes: Wer sollte die Mittel für das kostenintensive Unternehmen bereitstellen? Ein Personalwechsel an der HRK verlagerte das Interesse dieser Institution auf Thematiken der Forschungspolitik und -förderung.68 Das Sekretariat der Kultusministerkonferenz hingegen wurde sich der Hinfälligkeit der eigenen Rahmenprüfungsordnungen bewusst und besann sich auf eine offensive Akkreditierungspolitik. In Anbetracht der allseits stärker werdenden Kritik an der Reformunwilligkeit der KMK (Etzold 1999) stellte die Sicherung zentraler Aufgabenbereiche ein dringendes Problem für das Überleben der ländergemeinsamen Institution und insbesondere ihrer ständigen Vertretung dar. Die Übergangszeit von der ersten (1999–2001) zur zweiten Projektphase (2002–2004) war durch die Angliederung des Akkreditierungsrates an die KMK gekennzeichnet. Die KMK übernahm 2002 sämtliche Kosten der noch unselbständigen Organisation. Der Umzug des Akkreditierungsrates vom HRK-Sitz an die Kultusministerkonferenz setzte ein markantes Zeichen der inkrementalen 68
Siehe hierzu u.a. HRK 2000a, b sowie 2001a.
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Politisierung der Akkreditierung in Deutschland.69 Erst 2004 wurden auf Anraten einer international besetzten Gutachtergruppe (Bieri et al. 2001) Maßnahmen zur Verselbstständigung und zum personalen Aufbau des Akkreditierungsrates ergriffen. Sechs Jahre nach Betriebsaufnahme wurde der Rat also zur Stiftung öffentlichen Rechts nach nordrhein-westfälischem Recht umfunktioniert (KMK 2004; Landtag Nordrhein-Westfalen 2005). Diese Organisationsform verfügt über eine klare Rechtsstellung und eine in der Satzung festgelegte finanzielle Absicherung. Allerdings optierten die Ländervertreter (in der Regel handelte es sich dabei um die Wissenschaftsminister der Länder) aus Geldmangel für ein Finanzierungsmodell per Zuwendung. D.h., der Stifter (die KMK) zahlt eine jährliche Zuwendung an den Akkreditierungsrat aus, statt ihn einmalig mit einem Stiftungsvermögen auszustatten. Ob mit diesem finanziellen Abkommen das Abhängigkeitsverhältnis der Stiftung vom Stifter modifiziert wird, blieb bislang unerforscht. Für die von Zeitzeugen als „Urgeschichte des Akkreditierungssystems“ (Interviewpartner 36a) qualifizierte Periode von 1997 bis 1999 ist bezeichnend, dass die hektischen Verhandlungen in der KMK aber auch zwischen HRK und KMK so gut wie nicht dokumentiert wurden. Die Befragung von Zeitzeugen weist jedoch darauf hin, dass die Zeit- und Kapazitätsbegrenzung eine große Rolle bei der Planung und Organisation des deutschen Akkreditierungssystems spielten. Alternativen zur Akkreditierung wurden nicht erwogen, was nicht zuletzt auf das anfangs noch begrenzte politische Interesse an Akkreditierung zurückzuführen ist. War die Marktlösung einmal lanciert, stand der nachhaltigen Regulierung des Systems nichts mehr im Wege. Spätestens seit der Angliederung des Akkreditierungsrates an die KMK konnten Länderregierungen ihre Regulierungsinitiativen über die KMK an den Akkreditierungsrat weiterleiten und somit eine aktive Rolle bei der Gestaltung des Akkreditierungssystems spielen.
4.2.3 Agenturgründungen und Wettbewerb in der Akkreditierungsbranche Die Wissenschaftsminister delegierten die Aufgabe der Agenturgründungen an bereitwillige Unternehmer. Wer aber würde sich freiwillig auf ein derartig riskantes Geschäft einlassen? Zu diesem Zeitpunkt war unklar, ob sich Bachelor und Master je auf dem deutschen Hochschul- und Arbeitsmarkt behaupten würden, ob Akkreditierung also eine Zukunft hatte (Spiewak 2000; Kerstan 2001). 69
Unter dem Begriff „Politisierung“ des Akkreditierungsrates ist die graduelle Einflussnahme des politischen Systems auf die Regulierung des Akkreditierungsmarktes zu verstehen.
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Des Weiteren sind Organisationsgründungen dieser Art in der Anfangsphase mit hohen Ausgaben verbunden: Bevor die laufenden Kosten des operativen Geschäfts durch Aufträge gedeckt werden können, müssen zuallererst Mitarbeiter eingestellt werden, die sich der Konzipierung und Realisierung der internen Organisation der Agentur, des Akkreditierungsverfahrens und der Rekrutierung von Gutachtern annehmen. Wie aber gründet man kostspielige Organisationen in einem (Hochschul-)Sektor, der kaum Geld besitzt? Welche Zielstellungen liegen einer solchen Investition zugrunde? Das deutsche Akkreditierungsgeschäft wird von sechs Akkreditierungsagenturen geführt, die zwischen 2000 und 2002 mit dem Siegel des Akkreditierungsrates ausgestattet worden sind. Drei der Agenturgründungen gingen auf Initiativen der Landesrektorenkonferenzen zurück, drei auf Initiativen von Berufsverbänden. Von diesen unterschiedlichen Gründungsbedingungen ausgehend, entwickelten sich rasch differenzierte Akkreditierungskulturen. Die Gründung fachübergreifender Akkreditierungsagenturen Wie schon bei den Verbundagenturen ging es den Hochschulvertretern der Landesrektorenkonferenzen vor allem darum, die Einrichtung einer staatlichen Agentur zu verhindern, indem sie dieser Entwicklung mit einer eigenen Agenturgründung vorauseilten. Die Entstehung der in Nordrhein-Westfalen und Rheinlandpfalz tätigen Agentur für Qualitätssicherung durch Akkreditierung von Studiengängen (AQAS), des bayerischen Akkreditierungs-, Certifizierungs- und Qualitätssicherungsinstituts (ACQUIN) und die Erweiterung der Evaluationsagentur ZEvA zum Akkreditierungsbetrieb sind auf Initiativen der Landesrektorenkonferenzen zurückzuführen: Die Agenturen sollten in der Lage sein, die für die Einführung neuer Studiengänge unabdingbaren Akkreditierungsurteile unabhängig vom politischen System zu erlangen. Des Weiteren musste eine Agentur das gesamte Studienangebot einer Hochschule abdecken können. Daher auch die offizielle Bezeichnung „fachübergreifende Akkreditierungsagentur“. Doch woher sollte das Geld für die Organisationsgründung kommen? Weder den Landesrektorenkonferenzen noch den Hochschulen stand ein eigenständiges, geschweige denn strapazierfähiges Budget zur Verfügung. Die Anschubfinanzierung musste in allen drei Fällen vom Wissenschaftsministerium gestellt werden, was kurzfristig zu einem neuen Abhängigkeitsverhältnis vom politischen System geführt hat. Die Agenturgründung war nicht mehr alleinige Sache der Hochschulen. Es kam stattdessen zu einer Verhandlungssituation zwischen den antragstellenden Hochschulvertretern (meist waren es Hochschulrektoren mit einem hohen politischen Einfluss) und dem zuständigen Landesministerium, die sich über die Rahmenbedingungen der Akkreditie-
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rung und ihrer Organisation einigen mussten. Während das ACQUIN und die AQAS von Anfang an als gemeinnützige Vereine intendiert waren und eben durch dieses Organisationsmodell (insbesondere durch den mehrheitlich durch Hochschulen besetzten Mitgliederkreis) ein natürliches Gegengewicht zu einseitigen politischen Anforderungen boten, musste die ZEvA ihrer alten Organisationsform treu bleiben: Die niedersächsische Evaluationsagentur durfte ihre Dienstleistung durch Akkreditierungsangebote ausbauen, sie blieb jedoch bis auf Weiteres eine unselbständige Teilkörperschaft der Universität Hannover und erhielt auch weiterhin Mittelzuweisungen des Landes für ihren Evaluierungsauftrag. Das Landesministerium baute die Akkreditierungsleistungen der ZEvA geschickt in die eigene Politikstrategie ein: Die hochschulpolitische Agenda Niedersachsens sah eine konsequente Umstrukturierung des regionalen Hochschulangebotes vor und machte die Einführung neuer, bolognakonformer Studiengänge von der Akkreditierung abhängig. Der unkomplizierte Zugang zu den damals wie heute ausgelasteten Akkrediteuren war also eine Bedingung für die Durchführung der niedersächsischen Internationalisierungsstrategie. Aus Gründen der anfänglichen regionalen Ausrichtung der Agenturen und ihrer Mitglieder wies die Dienstleistung fachübergreifender Akkreditierungsagenturen in der Anfangsphase eine regionale Monopolisierungstendenz auf. Die Hochschulen von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen/Rheinlandpfalz wurden lange Zeit exklusiv durch die regionalen Akkreditierungsagenturen bedient. In Niedersachsen wurden die Akkreditierungskosten der Hochschulen anfangs sogar vom Land mitfinanziert. Als Beitrag zur niedersächsischen Hochschulentwicklung akkreditierte die ZEvA Hochschulen des Landes um ein Vielfaches billiger, als es andere Akkreditierungsagenturen je hätten bewerkstelligen können. Durch die Rahmenverträge, die die AQAS mit den nordrhein-westfälischen Mitgliedshochschulen schloss, wurde auch dieser Agentur ein bervorzugter Zugang zum regionalen Akkreditierungsmarkt ermöglicht. Die Existenz einer Stammklientel und einer Anschubfinanzierung sicherten den fachübergreifenden Akkreditierungsagenturen eine belastbare finanzielle Basis. Sie konnten von Anfang an 100 % des Auftragsvolumens bewältigen und hatten auch in der Folge keine Probleme, ihren Mitarbeiterstab zu erweitern. Innerhalb von wenigen Jahren stieg in diesen Agenturen die durchschnittliche Zahl der Angestellten von 1 auf 10. Die Gründung fachspezifischer Akkreditierungsagenturen Die deutsche Akkreditierungsbranche lässt sich in drei fachübergreifende (ZEvA, ACQUIN, AQAS) und drei fachspezifische Akkreditierungsagenturen untertei-
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len. Letztere gehen auf Gründungsinitiativen prominenter Berufsverbände zurück. Die Foundation for International Business Administration Accreditation (FIBAA) nahm das Geschäft bereits 1994 auf. Das trinationale Kooperationsprojekt des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitsgeberverbände (BDA) sowie deutscher, schweizerischer und österreichischer Hochschulvertreter sah vor, das florierende Geschäft mit off-shore-MBA-Angeboten einer Qualitätsprüfung zu unterziehen: „Der ausschlaggebende Grund war eigentlich, dass Anfang der 1990er Jahre zahlreiche Unternehmen, die sich in Ausschüssen mit Wirtschaft und Hochschule befassten, zunehmend Bauchgrimmen hatten bezüglich der Einführung ausländischer Bildungsgrade hier in Deutschland. Die Unternehmen meinten damals: ‚Wir haben in diesem Bereich kein know-how. Wer sind die [Hochschulen] überhaupt, und auf was für einem Qualitätslevel befinden sich diese Institutionen?‘ Damals lief das [Akkreditierungsunternehmen] unter der Begrifflichkeit ‚Clearing Stelle‘. Man wollte also eine Stelle, die sich damit befasste, was für Institutionen das überhaupt sind. Was für Grade vergeben die? Was für eine Qualität haben diese Abschlüsse, und sind die arbeitsmarkttauglich?“ (Interviewpartner 17b).
Die FIBAA operierte in den ersten Jahren vornehmlich in Österreich und der Schweiz, da das MBA-Angebot in Deutschland vor dem Bolognaprozess eher bescheiden ausfiel. Die Reform der Rahmenprüfungsordnung und die offizielle Einführung der Akkreditierung in Deutschland erlaubte der als Schweizer Bundesstiftung organisierten Akkreditierungsagentur den Betrieb, ab 2000 auch in Deutschland aufzunehmen. Die zweite fachspezifische Akkreditierungsagentur, die das Licht der Welt erblickte, war die Akkreditierungsagentur für Studiengänge der Ingenieurwissenschaften, der Informatik, der Naturwissenschaften und der Mathematik (ASIIN). Die ASIIN ging 2002 aus der Fusion der vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) gegründeten ASII (Akkreditierungsagentur für Studiengänge der Ingenieurwissenschaften und der Informatik) und der A-CBC (Akkreditierungsagentur für die Studiengänge Chemie, Biochemie und Chemieingenieurwesen an Universitäten und Fachhochschulen) hervor, einem Akkreditierungsprojekt des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) und der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh). Da die beiden Agenturen eine wenig lukrative kleine Nische besetzten, entschlossen sich die Mitglieder beider Vereine (vorwiegend Fachgesellschaften, Verbände und der Akkreditierungsverbund für Ingenieurstudiengänge der Technischen Universitäten) zum Zusammenschluss. Die letzte Agentur, die in die Kategorie „fachspezifischer Akkrediteure“ fällt, ist die Akkreditierungsagentur für Studiengänge im Bereich Heilpädagogik,
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Pflege, Gesundheit und Soziale Arbeit (AHPGS). Die AHPGS geht auf eine Projektidee prominenter Vertreter der Bereiche Pflegewissenschaften und soziale Arbeit zurück, die sich eine Agenturgründung wünschten, jedoch über unzulängliche Kontakte und noch weniger Mittel verfügten, um dies zu verwirklichen. Daher trat man an die damals prominente Deutsche Koordinierungsstelle für Gesundheitswissenschaft (DKGW), ein durch Mittel des Stifterverbandes finanziertes Kommunikations- und Koordinationsnetzwerk für Public Health, das beides – Kontakte und Geld – besaß. Aus der Zweierkonstellation „Pflege“ und „Soziale Arbeit“ entwickelte sich dank der finanziellen und personalen Unterstützung des DKGW eine Akkreditierungsagentur, die sich auf die Zertifizierung der Studienangebote in den Bereichen Pflegewissenschaften, Public Health und Soziale Arbeit spezialisierte. Auch wenn die Agenturgründung maßgeblich durch den Fachbereichstag Soziale Arbeit und die Dekankonferenz Pflegewissenschaften angestoßen wurde, oblag die Realisierung dieser Geschäftsidee noch immer den Mitarbeitern der DKGW. Daraus entwickelte sich, im Gegensatz zur ASIIN, ein distanziertes Verhältnis zu den Interessen der Vereinsmitgliedschaft. Obwohl die Berufsverbände das Gros der Anschubfinanzierung geleistet haben, wurde das Akkreditierungsunternehmen weniger als politisches Projekt, denn als ‚Testballon‘ angesehen. Die aktive Mitwirkung von Interessenverbänden im hochschulpolitischen Geschehen ist ein junges Phänomen in der Bundesrepublik. In der Studienreform wie auch in der Politik der Qualitätssicherung engagierten sich Verbandsvertreter bislang eher zurückhaltend. Die Finanzierungsgrundlage der fachspezifischen Akkreditierungsagenturen fiel in der Anfangsphase daher weitaus prekärer aus, als bei den fachübergreifenden Akkrediteuren. Im Falle der ASIIN wurde die Anschubfinanzierung sogar in Form eines Darlehens geleistet, sodass sich die Agentur dazu verpflichtet sah, das knapp bemessene Startbudget nach einigen Jahren zurückzuzahlen. Die eigentliche Hilfestellung der Verbände lag weniger in der geleisteten Finanzierung, als in der Akquise von Kunden und Gutachtern für das Akkreditierungsgeschäft. In der Tat verfügen Ingenieurverbände sowie Wirtschaftsvertreter über einen bevorzugten Zugang zur akademischen Disziplin (als professioneller Ausbildungsweg): Zum einen ist das Berufsbild der Ingenieurwissenschaften und der Betriebs-/ Volkswirtschaftslehre ausgeprägter als in anderen Fächern, zum anderen haben Berufsverbände seit jeher einen bedeutsamen Einfluss auf die Gestaltung der nationalen Ingenieursausbildung. Der in den Ingenieurwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften reguläre Austausch zwischen Hochschule und Arbeitsmarkt schlägt sich nicht zuletzt auf die Definition der in der Akkreditierung üblichen Standards und Qualitätskriterien nieder.
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Kooperation und Wettbewerb in der Akkreditierungsbranche Es wurde bereits erwähnt, dass die Akkreditierungskultur der fachübergreifenden Akkreditierer von der fachspezifischen Akkreditierungskultur differiert. Dieser Unterschied lässt sich an zwei Erklärungsmomenten festmachen: Die Mitwirkung von Berufsverbänden bei der Gestaltung der fachspezifischen Akkreditierung (Hagerty/Stark 1989). Die langjährige Existenz europäischer und internationaler Akkreditierungsforen im Ingenieur-, Public-Health- und MBA-Bereich. Im folgenden Abschnitt soll vor allem auf die erste Erklärungsvariable eingegangen werden, da die internationale Vernetzung der Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften vornehmlich im fünften Kapitel behandelt werden soll. Es besteht ein qualitativer Unterschied zwischen der Entwicklung eines Akkreditierungsverfahrens, das eine breite Diversität von Studiengängen abdecken soll, und der Konzeption von Akkreditierungsverfahren, die sich auf eine oder mehrere verwandte Disziplinen konzentrieren. Für die fachspezifischen Akkrediteure galt es, die Qualitätskriterien einer stark kodierten und international ausgerichteten Profession im Akkreditierungsverfahren aufzunehmen. Handelt es sich bei der Qualitätsprüfung von Ingenieur- und Managementstudiengängen also um die Überprüfung (international) anerkannter Standards, so greifen fachübergreifende Akkreditierungsagenturen in der Regel auf generische Qualitätskriterien zurück. Obwohl der Akkreditierungsrat schon 1999 Minimalstandards festlegte und Richtlinien für die Entwicklung der Kriterien und Leitfäden bereitstellte, stand den Agenturen von vornherein relativ viel Spielraum für die Umsetzung eigener Prioritäten zur Verfügung (Akkreditierungsrat 1999). Das Verhältnis der Agenturen untereinander ist aber durch mehr als nur die Differenz „fachübergreifend vs. fachspezifisch“ charakterisiert. Der Wettbewerb der Agenturen um die meisten und lukrativsten Akkreditierungsaufträge weist drei Charakteristika auf, welche die Koalitionsstruktur des organisationalen Feldes nachhaltig geprägt haben: Erstens: Trotz der enormen Nachfrage nach Akkreditierungsleistungen stehen die Agenturen vor dem unumgänglichen Problem, dass ihre Klientel unter chronischem Sparzwang leidet. Akkreditierungsagenturen versuchen dieser Schieflage Rechnung zu tragen, indem sie sogenannte Sparpakete schnüren: „Clusterakkreditierungen“, „Paketakkreditierungen“ und „Rahmenverträge“ sind unterschiedliche Bezeichnungen für die Restrukturierung der Dienstleistung hin zu flexiblen und kombinierbaren Angeboten der Studiengangakkreditierung. Der Mehrwert der „Paketakkreditierungen“ liegt z.B. darin, die Akkreditierung verwandter Studiengänge ein- und derselben Hochschule miteinander zu koppeln und dadurch die Kosten für die Vor-Ort-Begehung der Fremdgutachter zu mini-
4.2 Die Entstehung des organisationalen Feldes
133
mieren. Bei Rahmenverträgen wird eine Agentur für die Akkreditierung eines größeren Anteils der Studiengänge an einer Hochschule angeworben. Bei diesem Sparpaket wird also die Loyalität des Kunden unter dem Vorwand belohnt, dass Lerneffekte an der Hochschule stattfinden und Betreuungskosten auf Seiten der Agentur entfallen. Der schier undurchdringliche Wust unterschiedlicher Sparoptionen hat dazu geführt, dass den Akkreditierungsagenturen eine gewisse Willkürlichkeit bei der Preissetzung nachgesagt wird. In Wirklichkeit existieren aber Vorgaben des Akkreditierungsrates für die Entlohnung von Akkreditierungsleistungen. Die Möglichkeit, Kostenvergünstigungen in Form von Sparpaketen anzubieten, ist in Anbetracht der Mittelknappheit der Hochschulen ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil. Nun verfügen die fachspezifischen Akkreditierungsagenturen aber bei der Zusammenstellung der Sparangebote über weniger Spielraum, als fachübergreifende Agenturen, die bei Bedarf das gesamte Fächerspektrum einer Universität prüfen können. Des Weiteren obliegt die Finanzhoheit der Hochschule immer noch der Hochschulleitung. Während die Fächer Ingenieurwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Pflegewissenschaften dazu tendieren, ihre Studiengänge von den in der Szene verankerten Fachakkreditierern begutachten zu lassen, entscheidet sich die Hochschulleitung vorwiegend für die allumfassenden Sparpakete der fachübergreifenden Akkrediteure. Daraus erwächst ein Spannungsverhältnis zwischen den fachübergreifenden Akkreditierungsagenturen (ACQUIN, AQAS und ZEvA) einerseits und den fachspezifischen Agenturen (AHPGS, ASIIN und FIBAA) andererseits. Der Wettbewerbsnachteil hat die drei Fachakkreditierer Anfang 2006 zu einer Vereinbarung veranlasst, die eine vertiefte Kooperation bei der Wahrnehmung von Aufträgen – insbesondere beim Schnüren von Sparpaketen und Austausch von Gutachtern für die Akkreditierung von Mischstudiengängen (z.B. der Ausbildung zum Rescue Engineer oder zum Wirtschaftsingenieur) – vorsieht. Zweitens: Fachübergreifende Akkreditierungsagenturen stehen unter einem höheren Konkurrenzdruck als die drei fachspezifischen Akkreditierer. Letztere besetzen mehr oder weniger lukrative Nischen, während erstere vergleichbare Dienstleistungen offerieren. Daraus resultiert ein forciertes Wettbewerbsverhältnis zwischen ACQUIN, AQAS und ZEvA, das in der Vergangenheit organisationale Veränderungen anstieß. Enthielt die interne Organisation der AQAS in den ersten Jahren noch einen wissenschaftlichen Beirat, in dem auch die Vorstandsvorsitzenden der beiden konkurrierenden Agenturen ZEvA und ACQUIN vertreten waren, so wurde dieses Organ bereits 2005 abgeschafft. An eine derartig enge Zusammenarbeit zwischen fachübergreifenden Akkreditierern war spätestens nach der Auflösung regionaler Monopole im Zuge der bundesweiten Umsetzung von Bachelor- und Masterstudiengängen nicht mehr zu denken.
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4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
Drittens und letztens trägt die konstant hohe Nachfrage nach Studiengangakkreditierungen im Zuge der Studienreform zu einer Begrenzung des Wettbewerbes zwischen Akkreditierungsagenturen (insgesamt) bei. Noch ist kein Konkurrenzkampf um knapp gewordene Akkreditierungsaufträge zu verzeichnen. Es bestehen zwar Projekte, den umständlichen Fünf-Jahres-Zyklus der Studiengangakkreditierung und Reakkreditierung durch institutionelle Akkreditierungen (ACQUIN 2001) zu ersetzen (d.h., dass eine ganze Hochschule akkreditiert wird und die Hochschulleitung im Alleingang über die Umgestaltung ihres Studienangebotes entscheiden kann), doch bleibt fraglich, inwieweit sich die Akkrediteure auf weniger gewinnbringende Varianten der Dienstleistung einlassen werden. Zumindest mittelfristig scheint es keine Alternativen zur Studiengangakkreditierung zu geben. Obwohl sich Akkreditierungsagenturen also in einer organisierten Wettbewerbssituation befinden, können Kooperationsgelegenheiten wahrgenommen werden. Möglichkeiten der Kooperation werden dadurch forciert, dass es sich bei dem Feld deutscher Qualitätssicherung um eine small world handelt70: Akkrediteure und Evaluateure kennen sich untereinander, und neue Informationen machen sehr schnell die Runde. Da die Agenturen sich formell im Wettbewerb befinden, werden Informationen meist über informelle Kanäle ausgetauscht. Der Informationsflux zwischen den Agenturen ist nicht nur hoch, sondern auch konstant. Die größeren Agenturen verfügen des Weiteren über eine stets aktualisierte Internetpräsentation, auf der sich neuere Entwicklungen und organisationsinterne Veränderungen ablesen lassen. Internetpräsentationen sind meist die einzigen Informationsquellen, über die potentielle Kunden und Interessenten (Gutachterkandidaten, Verbände, Kooperationspartner aus dem Ausland) verfügen. Obwohl die meisten Agenturen Verfahren, Kriterien und Leitfäden auf ihre Internetseite stellen, bleibt anzumerken, dass es sich beim Internetauftritt einer Agentur um eine offizielle Version der Darstellung der Agenturentwicklung handelt. Ist der Leser nicht mit den Hintergrundmotiven dieses oder jenes Bei- bzw. Austritts vertraut, lassen sich die auf der Homepage enthaltenen Informationen schwer zuordnen. Es existieren daher immer zwei Lesarten einer Internetpräsentation: die Insider-Lesart (d.h. die Lesart derjenigen, die im Informationsnetzwerk der Agenturen mit inbegriffen sind) und die Outsider-Lesart. Das Gleiche gilt für die regelmäßigen Stellungnahmen von Akkrediteuren und Evaluateuren in Fachzeitschriften wie z.B. der „Deutschen Universitätszeitung“ oder „Forschung und Lehre“. Die Diskrepanz zwischen einer proklamierten (aber wenig aussagekräftigen) Transparenz des Akkreditierungs-/Evaluationsbetriebs und den dramatischen Hintergrundentwicklungen hat die Hochschulszene oft zu irritierten Vor70
Ein small world network ist ein Netzwerk, in dem alle Akteure miteinander verbunden sind.
4.2 Die Entstehung des organisationalen Feldes
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würfen der „Hermetik“ und „mangelnden Transparenz“ deutscher Qualitätssicherung verleitet (siehe u.a. Landtag Nordrhein-Westfalen 2006). Die Vernetzung des organisationalen Feldes wird dadurch verstärkt, dass in den Leitungsfunktionen der Agenturen seit Betriebsaufnahme kaum personale Veränderungen stattfanden: „Die Gruppe derer, die sich über die Jahre mit Qualität beschäftigt haben, ist keine so große. Es gibt immer wieder Verflechtungen da drinnen. Leute lernen sich auch in unterschiedlichsten Situationen kennen. Sie werden auch verschachert untereinander. Der Eine wird der Nachfolger vom Anderen. Ganz natürlicher Weg“ (Interviewpartner 20b).
Die zugespitzte Wahrnehmung der Agenturen untereinander begründet nicht nur die isomorphistischen Tendenzen des organisationalen Feldes, die sich vor allem an der rapiden Angleichung des Dienstleistungsangebotes und der Leitfadenfragen71 festmachen lässt. Sie hat auch eine starke gate-keeping-Funktion. Die Akteure in den Leitungspositionen der Agenturen sind sich der Grenzen des organisationalen Feldes bewusst, die maßgeblich durch die Mittelknappheit des Hochschulsystems bedingt sind. Anstatt die Gründung neuer Agenturen zu unterstützen, optieren sie für den Ausbau bestehender Strukturen. Die Anzahl unbefristet angestellter Mitarbeiter schwankt je nach Agentur zwischen drei und fünf. Diese Zahlen sind in Relation zu einer Gesamtzahl von 10 bis 12 beschäftigten Angestellten zu sehen. In der Regel zählen Akkreditierungsagenturen mehr feste Mitarbeiterstellen als Evaluationsagenturen, fachübergreifende wiederum mehr als fachspezifische Agenturen. Die anderen Mitarbeiter sitzen entweder auf befristeten Arbeitsstellen (zwei bis höchstens fünf Jahre), Honorarverträgen oder Projektstellen (ca. drei Jahre). Die Agenturen können sich dank des flexibel gehaltenen Mitarbeiterstabes problemlos auf veränderte Rahmenbedingungen (z.B. der Verknappung des Antragsvolumens) einstellen.
71
Für die Selbst- und Fremdbegutachtung eines Studienganges stellt eine Agentur sogenannte Leitfäden bereit. Die Evaluateure/Akkrediteure orientieren sich an den dort aufgeführten Fragen, um das Gutachten zu erstellen. An den Veränderungen der Leitfäden lassen sich organisationale Entwicklungen (aber auch hochschulpolitische Veränderungen) nachvollziehen. Allerdings haben die meisten Agenturen die älteren Versionen der Leitfäden nicht archiviert. Eine systematische Analyse dieser interessanten Informationsquelle musste deshalb unterbleiben.
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4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
4.2.4 Strukturmerkmale des organisationalen Feldes deutscher Qualitätssicherung Die Gründungsgeschichte deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen weist drei Merkmale auf, die für die Entstehung und Entwicklung deutscher Qualitätssicherung entscheidend waren bzw. immer noch sind: Die historisch bedingte Verwachsenheit von Akkreditierung und Evaluation, die für die heutige Konkurrenzsituation zwischen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen verantwortlich ist. Die inkohärente Umsetzung einer staatlich verordneten Deregulierungsstrategie: Zeit- und Geldmangel haben auf die Etablierung eines marktähnlichen Systems der Akkreditierung gedrängt, das einer nachhaltigen und problembehafteten Regulierung bedarf. Das Problem der akuten Mittelknappheit an deutschen Hochschulen und Landesministerien. Diese Situation hat einerseits existentielle Ängste vor einer Instrumentalisierung von Evaluations- und Akkreditierungsergebnissen für cost-cutting-Entscheidungen geweckt, andererseits aber auch zur Begrenzung des Dienstleistungssektors auf eine geringe Anzahl expandierender Agenturen beigetragen. Der Umgang der Agenturen mit den ihnen auferlegten institutional constraints muss vor dem Hintergrund dieser historisch gewachsenen Strukturmerkmale des organisationalen Feldes verstanden werden.
4.3 Evaluation, Akkreditierung und Politik: Die Agenturen und das politische System Die Evaluations- und Akkreditierungsagenturen wurden in eine dynamische Akteurskonstellation hineingeboren: Das institutionalisierte Abhängigkeitsverhältnis der Hochschulen von den Planungsstellen der Landesministerien sollte zugunsten einer Kontextsteuerung aufgegeben werden, in der Evaluation und Akkreditierung die Funktion der Rechenschaftslegung übernehmen würden. Die Verantwortung über Qualitätskontrollen sollte in großen Teilen an die Hochschulen delegiert werden, die sich einer regelmäßigen Begutachtung durch Externe unterziehen sollten. Berufsverbände, die bislang eine untergeordnete Rolle in der deutschen Hochschulpolitik spielten, ließen sich nur vorsichtig auf das Projekt Qualitätssicherung ein, sicherten sich aber durch ein frühzeitiges Engagement in der Akkreditierung, insbesondere der fachspezifischen Akkreditierung, ein (begrenztes) Mitbestimmungsrecht bei der Gestaltung des neuen Steuerungsmodells.
4.3 Die Agenturen und das politische System
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Agenturgründungen wurden entweder durch Hochschulvertreter, Landesministerien oder Berufsverbände initiiert. In der Regel besteht ein außerordentliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen einer Organisation und ihrem Gründer bzw. Finanzier. Es liegt aber auch in der interaktiven Natur deutscher Qualitätssicherung, dass sie Vertreter aller drei Systeme mobilisiert. Von Anfang an mussten sich Akkreditierungs- und Evaluationsagenturen also einer Vielzahl konfligierender Interessen und Spielregeln stellen. Wie aber sehen diese Interessen und Spielregeln aus? Wie gehen die Agenturen mit ihnen um? Welche Ressourcen stehen Akkrediteuren und Evaluateuren zur Verfügung, um sich der institutional constraints zu bedienen und sie konsequent für eigene Zwecke zu nutzen?
4.3.1 Wiederverwertung der Evaluationsergebnisse Das Verhältnis der Evaluationsagenturen zum politischen System, insbesondere zum regionalen Wissenschaftsministerium, wird dominiert vom Problem der Wiederverwertung von Evaluationsergebnissen. Evaluation wird in den Hochschulgesetzen der 16 Bundesländer vorgeschrieben (HRK 2001b). Die Gesetzestexte stipulieren aber weder ein Evaluationsmodell, noch legen sie die Konsequenzen von Evaluation fest. Des Weiteren bestehen keinerlei offizielle Stellungnahmen zu evaluationsspezifischen Sanktions- und Belohnungsmechanismen, sodass der Umgang der Hochschulvertreter mit Evaluationsverfahren von existentiellen Ängsten vor möglichen Mittelkürzungen geprägt ist: Mit den systematisch erhobenen Evaluationsdaten könnte das Landesministerium über finanziell zu sanktionierende Leistungsdefizite informiert werden und ein neues System der Detailsteuerung begründen (vgl. Punkt 3.5). Da alle deutschen Evaluationsagenturen quasi in einem Rechtsvakuum operieren, obliegt es ihnen, die Bedingungen ihrer Dienstleistung mit den zuständigen Landesministerien auszuhandeln. Verbundagenturen haben dabei eine weitaus komfortablere Ausgangsposition als regionale Evaluationsagenturen: Die Geschlossenheit des Verbundes und der begrenzte Zugang Externer zum Evaluationsverfahren verwehrt Angehörigen der regionalen Ministerialbürokratie in den meisten Fällen den Einblick in die internen Vorgänge der Universitäten: „Die Berichte gehen nicht aus der Hand der Betroffenen. Das Land wird in der Regel (es sei denn auf ausdrücklichen Wunsch des Faches) nicht mit einbezogen. Bei der Evaluation des Faches Soziologie wurden die Ergebnisse z.B. von der Deutschen Gesellschaft für Soziologie diskutiert. Doch auch dann werden keine personenspezifischen oder fachspezifischen Details öffentlich gemacht. Hier gibt es eine hohe
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4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
Vertraulichkeitsregel. Sie ist die Conditio für das Funktionieren des Netzwerkes“ (Interviewpartner 4b).
Nach den gescheiterten Versuchen, Evaluationsagenturen nach dem Vorbild der ZEvA ins Leben zu rufen, sahen sich die Ministerialbehörden gezwungen, das Gründungsprojekt an die Hochschulen zu delegieren, die das Prinzip der Nichteinmischung in die hochschulinternen Qualitätskontrollen durchgesetzt haben. Das Land bzw. das zuständige Landesministerium arrangierte sich also mit der Tatsache, dass ein funktionierendes Evaluationssystem bestand, politische Ansprüche jedoch nicht geltend gemacht werden konnten. Evaluationsberichte der Verbünde werden in der Regel nicht veröffentlicht. Sie können im Höchstfall Zielvereinbarungen zwischen den Fächern und der Hochschulleitung motivieren, die wiederum selten Sanktions- und Belohnungsmechanismen festlegen. Bei aller „Vertraulichkeit“ (Interviewpartner 2b) und Informalität einer Verbundevaluation bleibt daher ungeklärt, inwiefern bzw. ob überhaupt Evaluationsempfehlungen umgesetzt werden. Ohne enforcement-Möglichkeiten obliegt die Implementierung von Evaluationsempfehlungen dem guten Willen der Hochschulleitungen. Da Gutachten dieser Art meistens an Investitionsempfehlungen gebunden sind, handelt es sich – in Anbetracht der Mittelknappheit an deutschen Hochschulen – bei der Umsetzung von Evaluationsempfehlungen um ein schwieriges Unterfangen. Evaluation unterliegt der latenten Gefahr, zum window dressing-Ritual zu verkommen: Die Hochschulen gehen mit den Landesgesetzen konform. Der Sinn der Übung – nämlich Qualitätsentwicklung – fällt aber unter den Tisch, weil keine enforcement-Möglichkeiten positiver oder negativer Natur bereit stehen, um konkrete Verbesserungsvorschläge durchzusetzen. Kommt die Evaluation ihrer primären Funktion der Qualitätsentwicklung nicht mehr nach, stellt sich über kurz oder lang die Frage des eigentlichen Nutzens von Verbundevaluationen: Ist eine doppelte Struktur Evaluation/Akkreditierung überhaupt noch sinnvoll? Könnten Akkreditierungsagenturen die Funktion der Qualitätsentwicklung nicht einfach übernehmen, Evaluation also ganz entfallen? Das Reakkreditierungsverfahren deutscher Akkrediteure bietet schließlich genügend Spielraum für eine follow-up-Evaluation der Umsetzung von Akkreditierungsempfehlungen. In der hochschulpolitischen Diskussion wird die Legitimität und Funktion von Evaluation seit der ersten Reakkreditierungswelle 2004/2005 thematisiert (HRK 2004a, 2004b, 2005). Der Geschäftsführer eines regionalen Evaluationsverbundes kommentierte die Debatte mit folgenden Worten: „Der Punkt ist folgender: Wie muss man sich platzieren, um nicht von außen überrannt zu werden? Das Problem war für uns – aber auch deutschlandweit –, dass Akkreditierung begann, den Charakter von Evaluation komplett zu torpedieren, weil Akkreditierung etwas ist, was rechtlich vorgeschrieben ist. Das müssen alle machen.
4.3 Die Agenturen und das politische System
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(…) Es war auch eine Frage des Selbstverständnisses, inwieweit Qualitäts- und Organisationsentwicklungen noch eine Rolle spielen. Inwieweit spielt nur noch Akkreditierung eine Rolle? Die Akkreditierungsagenturen begannen dann auch frühzeitig zu sagen: ‚Wir machen eigentlich auch Qualitätsentwicklung‘. D.h. es bestand und besteht die Gefahr, von Akkreditierungsagenturen oder anderen Agenturen überrollt zu werden. Dass man sagt: ‚Dann brauchen wir auch keine gesonderte Evaluationsstelle mehr‘“ (Interviewpartner 1b).
Die Hochschulen zweifelten bereits früh an der Effektivität einer diachron organisierten Qualitätssicherung, während die zuständigen Behörden in den Wissenschaftsministerien das Prinzip der Rechenschaftslegung und der Hochschulentwicklung erst in den letzten Jahren konsequent auf die Schultern der Akkreditierungsagenturen verlagert haben.72 Auch die Verbundagenturen unterliegen also einem externen Veränderungsdruck, der sie langfristig zur Revision systeminterner Verfahren und organisatorischer Prämissen im Sinne einer konsequenten Einbeziehung externer Kontrollmöglichkeiten drängen könnte. Aktuelle Debatten deuten eine Reinterpretation von Evaluation als Teil des hochschulinternen Qualitätsmanagements an (HRK 2004b). Allerdings erweist sich die Umsetzung des diffusen Managementansatzes als sehr schwierig. Angesichts der institutionellen Einbettung der ZEvA und der Evalag ist die politische Relevanz der Wiederverwertung von Evaluationsergebnissen bei regionalen Evaluationsagenturen besonders groß. Das Landesministerium hat die Finanzierung dieser Organisationen von der Erfüllung eines Auftrags abhängig gemacht. Obwohl Hochschulvertreter in die wissenschaftlichen Kommissionen regionaler Agenturen eingebunden werden, fungiert das Landesministerium als eigentlicher Garant für die Durchführung der Evaluationen. Kommt es zu Krisensituationen, wie z.B. anlässlich der Verweigerung baden-württembergischer Universitäten im November 2005, sich einer regionalen Evaluation zu unterziehen (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg 2005), ist es wiederum das Ministerium, das die Wiederaufnahme des Evaluationsgeschäftes durchsetzt, d.h. die Legitimationsbasis der Dienstleistung und des Dienstleisters stellt. Das Abhängigkeitsverhältnis regionaler Agenturen vom politischen System hat zur Folge, dass ihnen keine Handlungsspielräume zur Verfügung stehen, um politische Interventionsversuche zu parieren. Auch die 72
Es ist von Land zu Land unterschiedlich, welche Abteilung des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung sich der regionalen Koordination und Organisation von Evaluation und/oder Akkreditierung annimmt. In Nordrhein-Westfalen fallen diese Aufgabenbereiche z.B. einer Abteilung des Ressorts „Planung und Steuerung“ zu. In Bayern ist das Ressort „Forschung, Planung, Internationales“ für die Qualitätssicherung im Land zuständig. Allgemein kann gesagt werden, dass Evaluations- und Akkreditierungsproblematiken in den ministerialen Aufgabenbereich der Hochschulsteuerung fallen.
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4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
Wiederverwertung von Evaluationsergebnissen unterliegt politischen Prioritätensetzungen. Evalag ist z.B. qua Satzung (Evalag 2000) dazu verpflichtet, vergleichende Evaluationen durchzuführen und die Ergebnisse zu einem publikationsfähigen Bericht aufzubereiten. Diese Berichte werden nahezu vollständig auf der agentureigenen Homepage publiziert. Im Namen der öffentlichen Rechenschaftslegung wird allen Interessenten der Zugriff auf Datensätze gewährt, die mitunter belastende Informationen enthalten. Da 1) der Dokumentenzugang nicht reguliert wird, 2) die Konsequenzen der Evaluation nirgends festgelegt sind und 3) regionale Agenturen nicht über Ressourcen verfügen, die es ihnen erlauben würden, sich politischen Interessen entgegenzusetzen, stehen vergleichende Evaluationsberichte stets unter dem Verdacht, die Hochschulentwicklungspläne des Landes zu informieren. Die Mitarbeiterin eines Wissenschaftsministeriums kommentierte den Umgang ihres Ministeriums mit Evaluationsergebnissen wie folgt: „Der Bereich Evaluation wird sehr unkoordiniert gehandhabt. Jedes Land entwickelt Ziele für sich. Diese Ziele werden von Haushaltssituationen vorgegeben. Man kann nicht sagen, dass es sich dabei um eine bewusste Qualitätsentwicklung handelt, einer Evaluation, der ein Qualitätsbegriff unterliegt. Wir müssen gewährleisten, dass unter den gegeben Haushaltszwängen die Hochschulen nicht an Substanz verlieren. Dass sie selten so ausgestattet werden können, wie es der eigentlichen Planung entspricht, ist unumgänglich“ (Interviewpartner 33a).
Es sind also Restriktionen des Landeshaushaltes, welche die Wiederverwertung der Evaluationsdaten zum Politikum ersten Ranges machen. Seit den 1980er Jahren müssen die Hochschulen einen kontinuierlichen Rückgang ihres Budgets hinnehmen. War zunächst vor allem die materielle Ausstattung von den Mittelkürzungen betroffen (z.B. die Bibliotheken oder der Hochschulbau), so wurden im Zuge der 1990er Jahre auch umfassende Restrukturierungsmaßnahmen durchgeführt: Ganze Institute und Fächer wurden abgewickelt, Studienstandorte zusammengelegt. Im Zuge der als „Hochschulentwicklung“, „Profilierung“ und „Restrukturierung“ euphemisierten systematischen Rationalisierung der Hochschulkapazitäten war die Existenz belastbarer Informationen über die Hochschulperformanz von besonderem Nutzen für mehr oder weniger dramatische Entscheidungsfindungen. Die Mitarbeiterin einer Evaluationsagentur kommentierte dieses Phänomen mit folgenden Worten: „[Das Land] spart seit 1981. Am Anfang immer drei Prozent des Volumens. Es gab zwei Riesen-Sparwellen. Die eine war Ende der 1980er, die andere war Anfang der 1990er. Seitdem geht das regelmäßig. Wir hatten einen Riesen-Konflikt mit dem [Regierungsvertreter] hier, der eines der ersten Evaluationsergebnisse in der Informatik benutzt hat, um den Informatikern zu sagen, sie bräuchten keine Mensa, son-
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dern sollten lieber ihre Hausaufgaben aus der Evaluation machen. Das hat uns die Motivation verhagelt, was die Evaluation anging“ (Interviewpartner 23b).
Die kontinuierliche Kürzung von Haushaltsmitteln hat nicht nur bedeutende Folgen für die Gestaltung des regionalen Hochschulsystems. Auch der Ministeriumsapparat wird einem konsequenten Bürokratieabbau unterzogen. Wie diese Haushaltskürzungen im Detail durchgeführt werden, obliegt den Wissenschaftsministerien der einzelnen Länder. Die zu realisierenden Kürzungen im Bildungshaushalt werden in der Regel vom Innenministerium als Gesamtsumme vorgegeben. Dem Wissenschaftsministerium steht es hiernach frei, einen eigenen Sanierungsplan zu entwerfen. Die Länderministerien haben also nicht nur das Budget der Hochschulen gekappt, sondern auch Einsparungen im eigenen Haus vorgenommen. Durch die Delegierung weiter Aufgabenbereiche an die Hochschulen und gemeinnützige oder professionelle Agenturen konnte der Personalabbau im zuständigen Ministerium vorangetrieben werden: Die Verwaltungsmodernisierung in Niedersachsen (Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport 2005) oder die Verwaltungs- und Funktionalreform im Freistaat Sachsen (Sächsisches Staatsministerium des Innern 2005) sind nur ausgewählte Beispiele einer länderübergreifenden und langfristig angelegten Restrukturierung regionaler Verwaltungen, die seit Mitte der 1990er Jahre zur Schrumpfung der Länderministerien, inklusive der Wissenschaftsministerien, auf die Hälfte des früheren Umfangs geführt hat.73 Ist unter diesen Umständen eine Detailsteuerung des Hochschulsystems überhaupt noch möglich? Der Bürokratieabbau ist in großen Teilen bereits so weit vorangeschritten, dass die Verfügbarkeit personaler Kapazitäten für die Überprüfung der umfangreichen Evaluationsberichte auf potentielle Einsparungsmöglichkeiten in Frage gestellt ist. Angesichts dieser relativ jungen Problematik wird vermehrt auf quantitativ informierte Steuerungstechniken gesetzt: Das richtungweisende Instrument der Zielvereinbarungen zwischen Land und Hochschulen wurde bereits in Nordrhein-Westfalen (Interviewpartner 17a und 15b), Hessen (Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst 2006), Bremen (Jaeger/Lesczcensky 2005) und in den ostdeutschen Bundesländern eingeführt und an wenigen sanktionierbaren Leistungsindikatoren festgemacht.74 Die 73
74
„Im Mai wurde die erste Phase der Verwaltungsmodernisierung auf den Weg gebracht. Drei wichtige Zielvorgaben haben die Reformaktivitäten geprägt: Die Entbehrlichstellung von 6.743 Stellen, die Auflösung der Bezirksregierungen sowie die daraus folgende Neuordnung der staatlichen Mittelinstanz“ (Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport 2005: 5). Einer Zielvereinbarung liegt eine Zielformulierung zugrunde, über die eine Vereinbarung getroffen wird. Zielvereinbarung, Zielformulierung, Zielerreichung usw. sind betriebswirtschaftliche Begriffe aus der Unternehmensführung, mit denen ein Ergebnis- oder Prozessziel innerhalb einer Wertschöpfungskette bzw. im Projektmanagement definiert wird. Einige Län-
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Einführung eines unkomplizierten Indikatorensystems soll den staatlichen Behörden neue Steuerungsmöglichkeiten eröffnen. Der Fokus auf kategorische und verwertbare Entscheidungshilfen macht die Akkreditierung zum interessanten Steuerungsmodus für die Länder. Seit wenigen Jahren ist Akkreditierung zum Schlagwort der Reformdiskussion avanciert: Wenn schon keine Arbeitskapazitäten verhanden sind, um die Gutachterberichte der Agenturen zu kontrollieren, so müssen eben Dienstleister und Dienstleistung einer umfassenderen Regulierung unterzogen werden. Ergo wird der liberal anmutende Akkreditierungsmarkt ex post über KMK-Beschlüsse und Länderregelungen geregelt. Angesichts fehlender ministerialer Prüfungsmöglichkeiten ist das der einzige Weg, um sicherzustellen, dass Evaluations- und Akkreditierungsagenturen im Sinne einer regional organisierten Hochschulpolitik handeln.
4.3.2 Politische Interventionsmöglichkeiten im Akkreditierungsgeschäft Im Gegensatz zur Evaluation verfügt die Akkreditierung über ein ausgearbeitetes Regelwerk. Das deutsche Akkreditierungssystem ist als marktähnliche Struktur miteinander konkurrierender Agenturen angelegt, die von einem übergeordneten Regulierungsorgan, dem Akkreditierungsrat, kontrolliert und koordiniert werden. Trotz der liberal anmutenden Struktur des Akkreditierungswesens und der rechtlich gesicherten Unabhängigkeit der Akkreditierungsagenturen, ist die Geschichte deutscher Akkreditierung als Konfliktsituation zwischen Akkreditierungsagenturen und den zuständigen Länderbehörden zu verstehen. Die Interventionsmöglichkeiten des politischen Systems lassen sich nicht unabhängig von der Marktstruktur des Akkreditierungssystems begreifen. Als Korrelation von Nachfrage und Angebot stellt die organisierte Wettbewerbssituation zwischen Akkreditierungsagenturen einen Markt im Sinne Alfred Marshalls dar: „When demand and supply are spoken of in relation to one another, it is of course necessary that the markets to which they refer should be the same“ (Marshall 1949: 270). Institutionsökonomische Erkenntnisse haben zu einer Reinterpretation neoklassisch informierter Marktdefinitionen beigetragen. Ronald Coase (1960), Oliver Williamson (2000) und Douglass North (1990) beschreiben den Markt als kontextualisiertes Interaktionsystem, in dem sowohl die Nachfrage als auch das Angebot durch das (institutionelle) Umfeld vorstrukturiert werden. Versucht man den deutschen Akkreditierungsmarkt in diesen Kategorien zu beschreiben, so der orientieren sich bei der Einführung von Zielvereinbarungen in die Hochschulsteuerung an den Leitlinien des auf kommunaler Ebene erprobten Neuen Steuerungsmodells.
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lassen sich zwei Interventionsmöglichkeiten des politischen Systems ausmachen: Die Länderministerien können zum einen die Nachfrage strukturieren und/oder zum anderen das Angebot mitregulieren: Die Nachfrage nach qualitätssichernden Dienstleistungen wurde vom politischen System initiiert: Die Reform des Steuerungssystems hat die Verantwortung über die Qualitätskontrolle an Hochschulen aus dem Staatsapparat ausgelagert und an zertifizierte Agenturen delegiert. Die Generierung einer Akkreditierungsnachfrage und eines Akkreditierungsangebotes ist also als Teil einer Staatsreform (siehe Punkt 3.3.1) zu verstehen. So ist es kaum verwunderlich, dass die Länderministerien in einigen Fällen positive und/oder negative Sanktionen verhängt haben, um das Akkreditierungsgeschäft anzukurbeln und eine problemlose Transition von der input- zur ouput-Steuerung zu erreichen. In Niedersachsen wurden z.B. direkte Zuschüsse an die Hochschulen erteilt, wenn sie ihre Studiengänge von der regionalen Akkreditierungsagentur ZEvA prüfen ließen. Diese Situation begründete, wie gesagt, die frühe Monopolisierungstendenz des Akkreditierungsbetriebs. Bei der Angebotsregulierung gehen die Wissenschaftsministerien weitaus offensiver vor. Die Intervention der Länderministerien wird in der Kultusministerkonferenz koordiniert und schließlich über den Akkreditierungsrat an die Agenturen weitervermittelt. Aufgabe des Rates ist es, die inkrementalen und oft wenig kohärenten Beschlüsse der KMK aufzunehmen und zum verbindlichen Regelrahmen für die Agenturen zu verarbeiten. Die KMK-Beschlüsse werden in der Regel 1:1 vom Akkreditierungsrat übernommen. Im paritätisch besetzten Rat sind die Agenturen zwar durch einen Vertreter repräsentiert, dieser verfügt jedoch über keinerlei Mitbestimmungsrechte. Die Regulierung deutscher Akkreditierung ist de jure als top-down-Verfahren ausgerichtet, in dem die Agenturen den politischen Entscheidungen der KMK nachkommen müssen. Ein Agenturvertreter kommentierte den Einfluss der KMK auf das Akkreditierungsgeschäft mit folgenden Worten: „Die [Länder haben] einen großen Einfluss, weil die KMK natürlich Herr des Verfahrens ist. Es gibt zwar die eigene Stiftung [der Akkreditierungsrat]… das ist klar. Aber die Szene wird vorformuliert und vorentschieden im Rahmen der KMK. Insofern ist der Einfluss ein erheblicher. (…) Darüber hinaus spielt es auch eine Rolle, wenn die Länder mal auflisten, was ihnen im Rahmen des geschehenen Akkreditierungsverfahrens alles zu Ohren oder zu Gesicht gekommen ist. (…) Wenn denen etwas auffällt als denkbar systemisch anderes Verhalten als von der KMK eigentlich intendiert und es fällt dem Land auf, dem Land auf, dem Land auf, und sie stellen fest: Die haben eigentlich dasselbe Problem – ‚So haben wir uns das nicht vorgestellt‘ – dann ziehen sie das zusammen in der KMK und die Vorgabe ist da“ (Interviewpartner 19b).
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Da die KMK nicht nur das exklusive Policy-Making-Gremium der Bundesrepublik ist, sondern auch der alleinige Financier des Stiftungsrates (und mehr als die Hälfte des Stiftungsvorstandes stellt), ist ihr Einfluss auf den Akkreditierungsrat beträchtlich. Die Länder können ihre Regulierungsbestrebungen demzufolge über die KMK oder aber auch direkt über die Ländervertreter im Akkreditierungsrat geltend machen (siehe Abbildung 4). Dem Akkreditierungsrat und den Agenturen bleibt also nichts anderes übrig, als sich mit den ruckartigen Ex-post-Regulierungen eines politischen Systems zu arrangieren, das der Gründung von Akkreditierungsagenturen in einer ersten Phase freien Lauf ließ (die Kosten für die Gründung also an Dritte delegierte), bevor es dann das generierte System nachhaltig zu regeln suchte. Eine systematische Umsetzung des Deregulierungsprogramms wird jedoch auch Jahre nach dem KMK-Beschluss zur Einführung des Akkreditierungsverfahrens (KMK 1998) vermisst. Das Stichwort Qualitätssicherung fiel zwar mehrere Male im Rahmen der hektischen Debatte um die Föderalismusreform in den Jahren 2004 und 2005, eine kohärente deutsche Qualitätssicherungspolitik hat es seit Einführung der Akkreditierung jedoch nie gegeben. Der Policy-Making-Prozess wird Abbildung 4:
Politische Einflussmöglichkeiten im deutschen Akkreditierungssystem
4.3 Die Agenturen und das politische System
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von den Agenturen daher als Willkürakt erlebt (Interviewpartner 21b und Interviewpartner 22b). Nichtsdestotrotz verfügen sie aber auch in dieser Konstellation über gewisse Handlungsspielräume (siehe Punkt 4.3.3). Letzten Endes befindet sich der Akkreditierungsrat in der unbequemen intermediären Position zwischen einem mächtigen politischen System auf der einen und relativ unabhängigen Akkreditierungsagenturen auf der anderen Seite. Das prekäre Gleichgewicht besteht, weil die KMK momentan als enforcer für die Regulierungen des Akkreditierungsrates fungiert. Aber wie lange noch? Die einsetzende Selbstverständnisdiskussion im Rat, insbesondere zwischen Ratsvertretern und Agenturen, deutet auf ein Veränderungsbedürfnis hin: Hielt sich der Rat in den ersten Jahren noch aus dem operativen Geschäft der Agenturen heraus, verdichteten sich die KMK-Beschlüsse und Interventionen im Laufe der Zeit dermaßen, dass der Rat seit seiner Verselbständigung im Jahre 2005 seine Betreuungs- und Koordinierungsfunktion gegenüber den Agenturen ausgebaut hat. Die Agenturen weigern sich jedoch, der als inquisitionsartig empfundenen Überwachungsrolle des Rates entgegenzukommen und pochen auf ihre gesetzlich verankerte Unabhängigkeit: „Wir sind der Auffassung, dass das Verhältnis des Akkreditierungsrates zu den Agenturen alternativ entschieden werden muss: Entweder der Akkreditierungsrat betrachtet die Agenturen als eine nachgeordnete Einrichtung, die er ständig überwacht. (…) Oder der Akkreditierungsrat akkreditiert die Agenturen zeitlich befristet – sagen wir mal für acht Jahre – und überlässt dann die Agenturen in dieser Zeit sich selbst. Tatsächlich macht der Rat beides“ (Interviewpartner 27b).
Diese Diskussion hat bei den Agenturen seit einigen Jahren den Wunsch nach Selbstregulierung motiviert: Wenn es nur um die Umsetzung von KMKRegelungen geht – so die Agenturvertreter – kann das auch ohne Einmischung des Rates bewältigt werden (siehe hierzu Punkt 4.6.3).
4.3.3 Emanzipierung vom politischen System? Der Diskurs der ‚Staatsferne‘ und die Realität politischer Einflussmöglichkeiten im organisationalen Feld Selbstinszenierung als staatsferne Organisation Evaluations- und Akkreditierungsagenturen hatten seit Betriebaufnahme mit ihrem Image als „verlängerter Arm der Behörde“ (Interviewpartner 34a), als neuartige Instrumente einer verdeckten Detailsteuerung zu kämpfen. Um sich davon abzusetzen, kultivierten sie den zweiseitigen Diskurs der ‚Staatsferne‘
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einerseits und der ‚Hochschulnähe‘ andererseits. Die diskursive Distanzierung vom politischen System ist besonders stark bei regional organisierten Agenturen ausgeprägt (d.h. regionale Evaluationsagenturen und fachübergreifende Akkreditierungsagenturen), die ihre Gründung einer politischen Investition zu verdanken hatten. Hier lag der Verdacht besonders nahe, dass die Landesregierung eine Agentur für die Bedienung eigener Zwecke – die Sammlung und Verarbeitung steuerungsrelevanter (weil sanktionierbarer) Daten – ins Leben gerufen hatte. Als Beispiel für den Diskurs der ‚Staatsferne‘ sollen zwei Interviewausschnitte angeführt und analysiert werden: a.) „Aufgrund der Entstehungsgeschichte der [Akkreditierungsagentur] wollten wir deutlich machen, dass wir keine regionale Agentur sind, die sehr stark nur noch an den Hochschulen [des Landes] hängt. Deswegen wählen die Mitglieder [eines europäischen Hochschulvereins] unsere Akkreditierungskommission. Das haben wir vollständig ausgelagert, um jeden Anschein zu vermeiden, dass wir regionale Interessen haben“ (Interviewpartner 27b ist Mitarbeiter einer fachübergreifenden Akkreditierungsagentur). b.) „[Es ist ein Problem], dass die Bundesländer teilweise unterschiedliche Gesetzgebungen haben im Rahmen der Einführung des Bolognaprozesses, dass die deutsche Gesetzgebung in manchen Punkten nicht den Dingen entspricht, die auf europäischer Ebene üblich sind. (…) [Praktisch berücksichtigen wir sie nicht], weil wir uns an die nationalen und europäischen Regelungen halten. Es gibt andere Akkreditierungsagenturen, die sich sehr eng an die regionale Vorgabe ihres Bundeslandes halten“ (Interviewpartner 17b ist Mitarbeiter einer fachspezifischen Akkreditierungsagentur).
Interviewausschnitt a.) verdeutlicht, dass der Diskurs der ‚Staatsferne‘ sich zum Teil auf konkrete Handlungen zurückführen lässt. Die Agenturen versuchen sich peu à peu vom regionalen Image zu befreien, indem die Organisationsstruktur internationaler ausgerichtet wird, z.B. über die Inklusion ausländischer Hochschulen und Verbände in den Mitgliederkreis der Agenturen oder die Delegierung der Wahl einer Akkreditierungskommission an internationale Vereine (wie im oben angeführten Beispiel). Die Wirkung dieser organisatorischen Veränderungen bleibt de facto jedoch begrenzt, insofern sie meist symbolischer Natur sind: Die Delegierung der Mitgliederwahl für die Akkreditierungskommission an eine europäische Organisation in Interviewausschnitt a.) verdeckt z.B. die Tatsache, dass der europäische Verein von der Agentur selbst ins Leben gerufen worden ist. Die Mitgliedschaften der Agentur und des europäischen Vereins über-
4.3 Die Agenturen und das politische System
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schneiden sich daher zu 90 %. Von einer Europäisierung des Agenturbetriebs kann daher kaum die Rede sein. Interviewausschnitt b.) hingegen soll die diskursive Abgrenzung zwischen regionalen Agenturen und fachspezifischen Agenturen illustrieren. Eine Möglichkeit, den in Punkt 4.2.3 diskutierten Wettbewerbsnachteil zu kompensieren, besteht für die Fachakkrediteure darin, die internationale Legitimität der fachübergreifenden Akkreditierungsagenturen in Frage zu stellen: Als Produkt deutscher Kleinstaaterei seien die sogenannten ‚regionalen‘ Akkreditierungsagenturen, im Gegensatz zu den international tätigen Fachakkreditierern, für die Umsetzung des europäischen Hochschulprojektes inadäquat ausgestattet. Politische Einflussmöglichkeiten der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen Zudem gibt es eine Diskrepanz zwischen dem Diskurs der ‚Staatsferne‘ und der Realität politischer Einflussmöglichkeiten. Im organisationalen Feld deutscher Qualitätssicherung wird politischer Einfluss über persönliche Netzwerke organisiert: „Die Agenturen sind keine politischen Einrichtungen. Sie haben eine bestimmte Aufgabe, die sie wahrzunehmen haben. Dazu haben wir Vorgaben, wer dann meint, man müsste die Landschaft politisch gestalten, der muss sich andere Kanäle suchen. Da ist das Know-how der Agenturen natürlich ganz wichtig. Das machen wir natürlich auch. Politisch denkende Menschen, das sind die Mitglieder, die bei uns arbeiten … aber auch die Professoren, die das mitbekommen – als Peers. Die werden dann auch ihre Kanäle und ihre Einflussnahme geltend machen, wenn sie es für wichtig halten. Dann sagt man schon einmal dem oder jenem Verband: Hier läuft etwas aus dem Ruder“ (Interviewpartner 19b).
Dadurch, dass Evaluations- und Akkreditierungsagenturen über keine institutionalisierten politischen Einflussmöglichkeiten verfügen, ist die politische Ressource einer Agentur von den politischen Einflussmöglichkeiten ihrer Angehörigen abhängig: Der Grad politischer Einflussnahme unterscheidet sich dabei von Agentur zu Agentur, je nachdem, was für Personennetzwerke mobilisiert werden können. Ist eine Agentur als Verein organisiert, ist es ihr z.B. möglich, das „soziale Kapital“ (Bourdieu 1986) und die politischen Einflussmöglichkeiten der Vereinsmitglieder zu nutzen, um eigene Interessen durchzusetzen. Diese Art der Intervention wurde im oben aufgeführten Interviewausschnitt illustriert: Die Agenturmitglieder werden vom Interviewpartner als Interessenvertreter der Organisation wahrgenommen. Sie tragen Problemlagen an organisierte Verbände heran, in denen sie Mitglied sind, und agieren somit als Multiplikatoren der agentureigenen Einflusssphäre.
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Ein weiteres Beispiel für die Sicherung politischer Einflussmöglichkeiten bieten die Verbands- und Netzwerkaktivitäten der Evaluationsagentur ENWISS und des Evaluationsverbunds Darmstadt, Kaiserslautern, Karlsruhe. Beide Agenturen wurden auf Initiative der Universität Darmstadt (besser gesagt, des ehemaligen Universitätspräsidenten Johann-Dietrich Wörner) gegründet und sind dort angebunden. Die Technische Universität Darmstadt verfügt über eine ausgeprägte Verbands- und Netzwerkstruktur. So ist es nicht verwunderlich, dass Evaluationsfragen in vielen Interessenverbänden angebracht und polemisiert werden. Die Rolle des Universitätspräsidenten, der sich für die Gründung der beiden Evaluationsagenturen eingesetzt hat und sich maßgeblich an den Netzwerkaktivitäten beteiligt, ist ausschlaggebend. Er ist es, der die Interessen der Evaluationsagenturen in den Netzwerken repräsentiert und vermittelt. Hierzu ein Ausschnitt aus dem Interview mit dem ehemaligen Universitätspräsidenten: „Wir sind Mitglied in weiteren Verbünden, die auf nationaler Ebene vielleicht nicht so bekannt sind: CLUSTER [Consortium linking Universities in Science, Technology, Education and Research]. Die Technische Universität Darmstadt ist eines der Gründungsmitglieder. Im Moment hat CLUSTER 12 Technische Universitäten aus Europa als Vollmitglieder. CLUSTER entwickelt Strategien, Hochschulpolitik usw. CLUSTER ist aber insbesondere engagiert im Bereich themenbezogener Qualitätsaktivitäten. (…) Eine weitere Organisation ist CESAER [Conference of European Schools for Advanced Engineering and Research], von der Konstruktion her ähnlich mit CLUSTER. CESAER hat wesentlich mehr Mitglieder. Häufig kann folgender Ablauf beobachtet werden: In CLUSTER wird ein Thema bearbeitet, das Positionspapier wird CESAER zugeleitet. CESAER nimmt es auf, verarbeitet es, entwickelt es weiter und publiziert es. Bedingt durch die breite Basis der Mitgliedsuniversitäten, werden die Stimmen von CESAER und CLUSTER national und international gehört. Wir benutzen die verschiedenen Netzwerke kreativ, um möglichst viel Erfolg zu haben, einmal nach innen und nach außen in der Wirkung. CESAER hat gerade eine Position über die Frage ‚Quality Assurance with Respect to Bologna‘ erarbeitet. Dieses Papier haben wir europaweit an alle Akkreditierungsagenturen versandt und angefragt, ob sie auf Grundlage der Positionen arbeiten, die im Papier niedergelegt sind. Als Konsequenz empfehlen wir unseren Mitgliedern, sich nur von Agenturen akkreditieren zu lassen, die in Übereinstimmung mit unseren Positionen arbeiten“.
Eine Agentur ist also kein politischer Akteur. Diese Bezeichnung ist den Agenturangehörigen (d.h. dem Geschäftsführer, den Mitarbeitern und Gutachtern) vorbehalten. Evaluations- und Akkreditierungsagenturen aktivieren ihre Einflussmöglichkeiten selten im Rahmen übergeordneter hochschulpolitischer Debatten (wie z.B. zum Thema Hochschulautonomie und -finanzierung). Ziel der Einflussnahme scheint vielmehr die Absicherung des operativen Geschäfts zu
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sein, die Antizipation paradigmatischer Veränderungsmöglichkeiten. Angesichts der Willkürlichkeit des hochschulpolitischen Policy-Making in Evaluations- und Akkreditierungsfragen sind personengebundene Einfluss- und Informationsnetzwerke für die Existenzsicherung der Agenturen unumgänglich. Folglich enthält der berufliche Lebenslauf der Agenturleiter (Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzende) nicht selten mehrjährige Stationen in prominenten und einflussreichen Verbänden, Gremien oder Ministerien.
4.4 Zum konfliktgeladenen Verhältnis von Dienstleister und Kunde: Evaluation und Akkreditierung an den Hochschulen 4.4.1 Evaluations- und Akkreditierungsagenturen als Teil des Hochschulsystems? Widerstand und Resignation an den Hochschulen Die Einführung der output-Steuerung über Evaluations- und Akkreditierungsverfahren wurde an den deutschen Hochschulen mit Argwohn aufgenommen. Wie konnte man sicher gehen, dass es sich bei diesen Qualitätskontrollen nicht um verdeckte Ermittlungen der Ministerialbürokratie handelte? Folgerichtig stieß die Evaluation anfangs auf den Widerstand der Hochschulvertreter. Besonders Fachvertreter weigerten sich, auf Fragen zur Performanz des akademischen Personals und zur Mittelverwendung einzugehen, während sich die Hochschulleitungen in der Regel kooperativer verhielten. Das Präsidium einer Hochschule wollte schließlich vermeiden, sich eine negative Sanktionierung des Landesministeriums wegen Nichtbeachtung des Evaluationsgebotes einzuhandeln. Die Mitarbeiterin einer Evaluationsagentur kommentierte ihre ersten Arbeitserfahrungen wie folgt: „Der erste Besuch einer Kommission wurde abgelehnt. Z.B. waren die Zimmer nicht geputzt im Gästehaus. Peinlich. Vor der ersten Gutachterkommission bin ich vorher mit dem Staubsauger durch die Gästezimmer gezogen. Bei dem ersten Evaluationsbesuch haben wir am Sonntagabend den Rektor getroffen. Der Dekan war dabei für ein vorbereitendes Arbeitsessen. Da übermittelte der Dekan, dass die Professoren untereinander die Parole rumgeschickt hatten, am nächsten Morgen nicht dabei zu sein. Denn dieses sei ja eine Sache, die nur den Dekan etwas anginge. Wenn sie da zu toll reden, dann würde nur das Argument daraus gezogen, wie man sparen könnte. Daraufhin ist der Rektor zum Telefon und hat sie am nächsten Morgen um 9 Uhr dienstverpflichtet. Der Widerstand war irre“ (Interviewpartner 23b).
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Ein weiteres Argument, das den Widerstand der Hochschulvertreter erklären mag, ist professionssoziologischen Ursprungs: Ist die akademische Profession einerseits durch eine hohe Selbstständigkeit in der persönlichen Gestaltung und Gewichtung beruflicher Aufgaben und andererseits durch die geringe formalisierte Kontrolle und problematische Messbarkeit professioneller Performanz charakterisiert, so lässt sich leicht nachvollziehen, warum sich Akademiker dem Bewertungsurteil vermeintlich unparteiischer Dritter verschließen. Dies widerspräche nicht nur dem professionellen Selbstverständnis, sondern auch dem prominenten Humboldtschen Ideal der Lehr- und Forschungsfreiheit, an dem sich die deutsche Hochschullehrerschaft nach wie vor orientiert (Pritchard 1998). Um den Vorbehalten der Hochschulvertreter ein Stück weit entgegenzukommen, wurde im deutschen System nach international üblichen Standards verfahren und die inhaltliche Begutachtung an sogenannte „Peers“, d.h. an Kollegen aus der jeweiligen Fachgemeinschaft des evaluierten Studienganges delegiert. Die inhaltliche Qualitätsprüfung wird also professionsintern vorgenommen, während sich die Referenten der Akkreditierungsagentur der Erhebung und Analyse formaler Daten (Studierenden-Lehrer-Ratio, Finanzierungsproblematiken usw.) widmen. Doch selbst diese Maßnahme konnte den Hochschulvertretern das Evaluationsund Akkreditierungsbusiness nicht näher bringen. Der anfängliche Widerstand wandelte sich über die Jahre in eine allgegenwärtige Resignation. Dem Reformschub Bolognas und der gesetzlichen Verordnung zur regelmäßigen Qualitätskontrolle war nur wenig entgegenzusetzen. Eine fach- und hochschulübergreifende Diskussion der neuen Steuerungsinstrumente hat sich in der zehnjährigen Existenz deutscher Qualitätssicherung nie herauskristallisieren können. Der Aufklärungsversuch der Agenturen und der Hochschulrektorenkonferenz, die fehlende Debatte über Konferenzen, Workshops und Publikationen an die Hochschulen heranzutragen, konnte nur kleine Erfolge verbuchen: Wie bereits im ersten Kapitel erwähnt wurde, ergibt sich aus der bestehenden Publikationsvielfalt kein einheitliches Bild des überkomplexen Qualitätssicherungssystems. Darüber hinaus vermissen Hochschulvertreter ein anfechtbares Evaluations-/Akkreditierungsregelwerk, d.h. konkrete Sanktions- und Belohnungsmechanismen. Auszüge aus dem Protokoll der Studienreformdebatte im nordrhein-westfälischen Landtag belegen, dass unter den Universitäten und Fachhochschulen der Eindruck vorherrscht, die Ministerialbürokratie gebe sich selbst auf, indem sie ihr Steuerungsmonopol leichtfertig an Unternehmen dubiosen Ursprungs und fragwürdiger Legitimität abtrete: „Eines der größten Probleme der Akkreditierung sind nach wie vor die angeblichen Kriterien, die es gibt, und die für die Hochschulen teilweise sehr schlecht absehbaren Ergebnisse der Akkreditierung. Das heißt: die Hochschulen orientieren sich an den angeblichen Vorgaben und unterhalten sich gegebenenfalls auch mit anderen
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Hochschulen, die schon von der gleichen Agentur akkreditiert worden sind – nach dem Motto: Was haben Sie denn gemacht? (…) Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Hochschule selbständig ein Konzept über einen Studiengang erstellt“ (Landtag Nordrhein-Westfalen 2006: 27). „[Es wurde] angesprochen, dass die Akkreditierungsagenturen inzwischen Funktionen ausüben, für die man früher im Verwaltungsrecht den Terminus des beliehenen Unternehmens benutzt hätte. Sie tun das ohne jegliche Kontrolle. Sie tun das ohne jede Rechtsmöglichkeit. Gegen eine versagte Genehmigung eines Ministeriums konnte man wenigstens noch verwaltungstechnisch vorgehen. Gegen das, was Akkreditierungsagenturen machen, kann man überhaupt nicht vorgehen. (…) Hier ist eine Branche entwickelt worden, die sich bereits wie ein Interessenverband darstellt“ (Landtag Nordrhein-Westfalen 2006: 21f.).
Selbstinszenierung der Agenturen als hochschulnahe Organisation Als Reaktion auf das vorurteilsbehaftete Verhältnis ihrer Kunden haben die Agenturen unterschiedliche Legitimierungsstrategien entwickelt. Die wohl prominenteste ist diskursiver Natur: der Diskurs der ‚Hochschulnähe‘. Die diskursive Distanzierung vom politischen System geht einher mit einer diskursiven Annäherung an das Hochschulsystem. Evaluations- und Akkreditierungsagenturen versuchen, als ‚Ermöglicher‘ und Dienstleister der Hochschulen aufzutreten: „Wir sind Teil der Qualitätssicherung für Hochschulen. Das ist klar. Dennoch ist es so, dass die Hochschulen für ihre eigene Qualität verantwortlich sind. Wir sind eine Einrichtung, an die Teilbereiche dieser Aufgabe delegiert werden. Da wir auch Beratung machen, empfinden wir uns als Teil davon“ (Interviewpartner 26b).
Als selbsternannter Teil des Hochschulsystems wollen Akkrediteure und Evaluateure der Professionsethik der Akademikerwelt gerecht werden, indem sie die akademischen Professionswerte kurzerhand übernehmen: Die internationale Ausrichtung des Betriebs durch Teilnahme an europäischen Policy-Netzwerken, internationale Kooperationen mit ausländischen Agenturen und die Veröffentlichung der Evaluationsberichte werden als unmissverständliche Anzeichen für die Reliabilität, Transparenz und Vertrauenswürdigkeit des Dienstleisters gehandelt: „Es hat natürlich die Frage gegeben: Woher kommt die Legitimation. Woher kommt die Kompetenz, Studiengänge zu evaluieren und Beurteilungen zu treffen? Wir meinten: Wir weisen das in der Weise nach, dass wir alles publizieren, wie es auch für eine Wissenschaft möglich ist“ (Interviewpartner 27b).
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Es ist also von Werten die Rede, die einen gewissen Legitimationsgrad im akademischen Milieu haben und deren Übertragung auf die Agentur sich entsprechend legitimierend auf das Evaluations- bzw. Akkreditierungsgeschäft auswirken soll. Inwiefern diese Strategie tatsächlich fruchtet, sei dahingestellt. Zeitgenössische Debatten im Hochschulmilieu verweisen, wie gesagt, auf die Persistenz des Misstrauens gegenüber den Evaluateuren/Akkrediteuren. Die Angleichungsstrategie der Agenturen geht jedoch über die Übernahme akademischer Werte hinaus. Man führe sich nochmals Philipp Selznicks Definition der Kooptation vor Augen: „Cooptation is the process of absorbing new elements into the leadership or policy determining structure of an organization as a means of averting threats to its stability or existence“ (Selznick 1948: 34). Der Versuch der Agenturen, sich dem professionellen Kodex ihrer Klientel anzupassen, ihre professionsspezifischen Werte zu übernehmen, kann demzufolge als der erste Teil einer Kooptationsstrategie verstanden werden. Der zweite Teil der Kooptationsstrategie wird durch die Einbindung von Hochschulvertretern in die unterschiedlichen Gremien einer Agentur gebildet. Eine Agentur verfügt über eine komplexe interne Organisationsstruktur. Je nach Organisationsform (Verein, Verbund oder Stiftung) hat die Geschäftsstelle einer Agentur zwischen vier und acht unterschiedliche Gremien zu koordinieren (u.a. die Mitgliederversammlung, diverse Fachausschüsse, Akkreditierungskommissionen, der Vortsand und die Gutachtergruppen). Nun sind Hochschulvertreter in allen entscheidungsbefugten Gremien der Agenturen vertreten, sodass sich deren aktive Mitwirkung legitimierend auf das gesamte Akkreditierungs- und Evaluationsgeschäft auswirkt bzw. auswirken soll. Die Kooptationsstrategie besteht also darin, sich 1) den professionellen Werten seines Kunden anzupassen und 2) den Kunden selbst in das operative Geschäft der Agentur einzubinden. Nur so wird die Legitimationsgrundlage generiert, die den Eingriff in die Aktivitäten einer Hochschule ermöglicht. Umgekehrt heißt das aber auch, dass die Organisation den institutionellen Konflikt ihres Umfeldes internalisiert hat: Die in den Fachausschüssen repräsentierten Fachkulturen hegen Vorbehalte gegen die generischen Bewertungskriterien nichtfachspezifischer Entscheidungsgremien (die Akkreditierungskommission). Die Peers fühlen sich von der Supervision der Geschäftsstelle (besonders bei Vor-Ort-Begehungen) eingeengt. Zwangsläufig besteht ein chronisches Konfliktpotential zwischen den Fachausschüssen und der übergreifend arbeitenden Akkreditierungskommission einerseits und zwischen den Gutachtergruppen und der Geschäftsstelle der Agentur andererseits. Das Konfliktpotential lässt sich an der problematischen Frage festmachen, wer die eigentlichen Experten des Evaluations-/Akkreditierungsverfahrens sind.
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4.4.2 Wer sind die Experten des Evaluations- und Akkreditierungsverfahrens? Machtverhältnisse in der Akkreditierung/Evaluation Akkreditierungen und Evaluationen sind als komplexe Interaktion zu verstehen, in der Professionsangehörige Kollegen nach einem Verfahren beurteilen, das von Dritten entwickelt und überwacht wird. Um das Problem in den Worten Chris Shores zusammenzufassen: „Audit is more than a ritual of verification, it is an essential relationship of power between scrutinizer and observed: the latter are rendered objects of information, never subjects in communication“ (Shore/ Wright 2000: 59). Die Frage der Bewertungsexpertise ist für die Einschätzung der Macht- und Hierarchiebeziehungen zwischen den im Verfahren involvierten Akteuren von besonderer Bedeutung. Es lassen sich zwei Subgruppen von Akkrediteuren/ Evaluateuren ausmachen: Die Peers, die die Vor-Ort-Begehung absolvieren und den unumgänglichen Gutachterbericht erstellen. Peers sind Hochschulvertreter aus dem Fachbereich, der zur Evaluation/Akkreditierung ansteht.75 Sie sind ehrenamtlich als Gutachter für Evaluations- und Akkreditierungsagenturen tätig. Die Geschäftsstellenmitarbeiter, die für die erste Kontaktaufnahme zur Hochschule, die Beratung, Betreuung und Koordinierung des Verfahrens verantwortlich sind. Sie sind es, die das operative Geschäft einer Agentur gestalten und – anders als die Fachausschüsse und die Akkreditierungskommission – in direkte Interaktion mit den Hochschulen treten.76 Dem professionellen Selbstverständnis dieser beiden Akteursgruppen liegt eine strenge, aber fragile Aufgabenteilung zugrunde: Während die Peers eine klare und offenkundige Fachkompetenz aufweisen, besteht die Expertise der Geschäftsstellenmitarbeiter in ihrer detailgenauen Kenntnis der Verfahrensregeln, einer relativ beschränkten Rechtsexpertise77 und einem Erfahrungsmehrwert. Die 75
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Die peer-review bezeichnet ein Verfahren zur Beurteilung von wissenschaftlichen Arbeiten im Wissenschaftsbetrieb durch unabhängige, fachnahe Gutachter, die sogenannten „Peers“ (englische Bezeichnung für „Ebenbürtige“ oder „Gleichrangige“), mit dem Ziel der Qualitätssicherung. In der Regel handelt es sich dabei um Vertreter aus dem Wissenschaftssystem. Es wäre noch eine dritte Gruppe von Evaluateuren und Akkrediteuren auszumachen: die Hochschulvertreter, die in den Fach- und Akkreditierungsausschüssen der Agentur sitzen und die Akkreditierungsentscheidungen treffen. Deren Verhältnis zu den Geschäftsstellenmitarbeitern und Peers steht an dieser Stelle jedoch nicht zur Debatte. Aufgrund des methodologischen Zuschnittes der Studie wurden organisationsinterne Prozesse und Konflikte mit Ausnahme des Konflikts Peers/Geschäftsstellenmitarbeiter nicht vorrangig behandelt. Es sind die Mitarbeiter der Geschäftsstelle, die sich mit den sich ständig ändernden Gesetzgebungen auseinandersetzen müssen, um sie in das Evaluations-/Akkreditierungsverfahren ein-
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Referenten der Geschäftsstelle nehmen im Evaluations- und Akkreditierungsverfahren die Rolle des „Zeremonienmeisters“ ein: „Die haben zu mir gesagt ‚Zeremonienmeisterin‘, weil ich so sehr darauf achtete, dass die einzelnen Schritte und Beteiligungsregeln eingehalten werden, damit [die Agentur] den Ruf bekommt, ein freies, unabhängiges Verfahren durchzuführen, das letztlich den Evaluierten nützt und nicht den Hochschulleitern“ (Interviewpartner 23b).
Bei der Vor-Ort-Begehung, dem Kernstück eines jeden Evaluations- und Akkreditierungsverfahrens, übernehmen die Referenten also die Überwachung des Verfahrensablaufes, der Rollen- bzw. Arbeitsteilung und ggf. die Protokollierung. Obliegt den Peers die Begutachtung von Struktur und Qualität der Prüfeinheit, so konzentrieren sich die Geschäftsstellenmitarbeiter auf ihre Prozessverantwortlichkeit. Die Aufgabe der Referenten besteht demzufolge darin, die Objektivität und Vergleichbarkeit der Evaluation oder Akkreditierung zu garantieren, indem sie die Verfahrensstandards ihrer Agentur konsequent durchsetzen: „Wir haben da ein striktes Selbstverständnis der Aufgabe der Referenten (…). Tatsächlich ist es eine Beschränkung auf die Prozessverantwortlichkeit. Es ist nicht die fachliche Verantwortung. Da bekommen die Referenten auch Schwierigkeiten mit der Überschreitung von Grenzen“ (Interviewpartner 26b).
Das Zusammentreffen der unterschiedlichen Parteien (Geschäftsstellenmitarbeiter, Gutachter, Evaluations-/Akkreditierungskandidaten) bei Begutachtungen vor Ort verläuft daher nicht ohne Konflikte. Ist das Verhältnis der Evaluierten/ Akkreditierten zu den Evaluateuren/Akkrediteuren von Skepsis und Vorurteilen hinsichtlich der Wiederverwertung heikler Informationen geprägt, so liegt das Konfliktpotential zwischen der Gutachtergruppe und den Geschäftsstellenmitarbeitern in der Überlappung gewisser Aufgabenbereiche begründet, wie z.B. dem Vorsitz und der Moderation der Gutachtergespräche und Konsultationen. Eine Referentin beschrieb ihren Umgang mit Experten wie folgt: „Ich kann nicht höher gestellte Persönlichkeiten so moderieren, dass sie tatsächlich auch zu Entschlüssen kommen, zu Ergebnissen kommen. Ich kann die vorbereiten, anstupsen oder sonst etwas, die würden mir aber nicht erlauben, mich vorne hinzustellen und zu sagen ‚nun bist du still und lässt den sprechen‘“ (Interviewpartner 23b).
zubauen. In dieser Hinsicht haben sie eine Rechtsexpertise im Umgang mit Evaluierungs-/ Akkreditierungsfragen und der Einführung neuer Studiengänge entwickelt.
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Da die Zukunft der Dienstleistungsbranche vom guten Willen der Peers abhängt, ihre Aufgaben ehrenamtlich zu verrichten, stehen den Referenten keine Mittel zur Verfügung, um abweichendes Verhalten zu sanktionieren.78 Gutachter sind selten mehr als fünf Mal für eine Organisation tätig, sodass sich auch kein Loyalitätsverhältnis zur Agentur entwickelt. Das hierarchische Gefälle zwischen Gutachtern und Geschäftstellenmitarbeitern ist also unaufhebbar. Trotz des Kompetenzgerangels verweisen die Referenten der Geschäftsstelle auf ein Kooperationsverhältnis zwischen Akkrediteuren bzw. Evaluateuren: Es sei Aufgabe des Geschäftsstellenmitarbeiters, bei Konfliktsituationen zwischen Gutachtern und Evaluierten/Akkreditierten einzuschreiten und sich „schützend“ (Interviewpartner 17b) vor die Peers zu stellen.79 Die Frage der Expertise im Evaluations- und Akkreditierungsgeschäft Woher kommt die Expertise der Evaluateure und Akkrediteure? Mitglieder der Fachausschüsse, der Akkreditierungskommission und der Gutachergruppen werden, wie gesagt, nach ihrer Fachkompetenz und ihrem Bekanntheitsgrad in der scientific community ausgewählt. Die Qualifizierung der Geschäftsstellenmitarbeiter ist im Vergleich dazu weniger eindeutig. Ausbildungen zum Evaluateur und Akkrediteur werden erst seit kurzem angeboten.80 Im Laufe der Jahre hat sich trotzdem ein relativ einheitliches Rekrutierungsprofil für Angestellte im Qualitätssicherungsbereich herauskristallisieren können81: Die Mitarbeiter einer Agentur erfahren in der Regel keine systemati78
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Die ehrenamtliche Tätigkeit der Peers bildet eine Grundvoraussetzung für das Evaluations- und Akkreditierungsgeschäft. Obwohl mittlerweile einige Agenturen dazu übergegangen sind, ihre Gutachter zu vergüten, sind die meisten Organisationen finanziell nicht in der Lage, für die Expertise aufzukommen. Des Weiteren sei angemerkt, dass den Gutachtern nur wenige extrinsische Motivationen eröffnet werden, sich für eine Evaluation/Akkreditierung zur Verfügung zu stellen. Die Teilnahme an Evaluationen und Akkreditierungen ist weder prestigebesetzt, noch ist sie finanziell lohnenswert. Zeit und Aufwand (schließlich müssen die Gutachter eigenhändig die Evaluationsberichte verfassen) sind nur zwei der Gründe für das abkühlende Interesse an einer Gutachtertätigkeit. Eine dritte Konfliktsituation besteht zwischen den Evaluierten und den Peers: Bei Begehungen können z.B. fachinterne Streitigkeiten zum Vorschein kommen. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass sich die Evaluierten/Akkreditierten in einem Konkurrenzverhältnis zu den Heimatuniversitäten/-fachhochschulen der Peers befinden. Schließlich kann es auch zu persönlich bedingten Konflikten kommen. Um das Konfliktrisiko zu reduzieren und die Unbefangenheit der Peers zu garantieren, sind die meisten Evaluations- und Akkreditierungsagenturen dazu übergegangen, strenge Auflagen für die Zulassung als Gutachter zu formulieren. An der Universität des Saarlandes wird seit einigen Jahren z.B. ein Master of Evaluation angeboten. Es gibt sehr unterschiedliche Wege, Gutachter anzuwerben: Während einige Agenturen dazu übergegangen sind, eine aktive Akquise zu betreiben, spielen die Evaluations- und Akkreditie-
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sche Einführung in ihre Aufgaben, weil alle Arbeitskräfte vom laufenden Geschäft absorbiert werden. Ein besonderes Augenmerk wird dementsprechend auf die Berufserfahrung der Bewerber gelegt: „Das Qualifikationsprofil, nach dem wir suchen, ist (das ist mein Idealbild), erst einmal im Fachbereich gearbeitet zu haben als wissenschaftlicher Mitarbeiter, dann auf Zentralebene (in der Fakultät oder in der Hochschulzentrale) mit Qualitätssicherung befasst gewesen zu sein. Wunderbar ist es, wenn man auf Hochschulseite auch mit Akkreditierung oder Evaluation zu tun hatte. Der kommt dann zu uns und macht das von unserer Seite. Mir ist es wichtig, Leute zu gewinnen, die Qualitätssicherung, Evaluation und Akkreditierung von der Hochschulseite aus kennen und von daher auch die andere Perspektive haben“ (Interviewpartner 26b).
Seine Qualifizierung als Akkrediteur oder Evaluateur sollte sich der Geschäftsstellenmitarbeiter in anderen Organisationen (sei es direkt an der Hochschule oder in einer anderen Agentur) angeeignet haben. Im Mittelpunkt steht die soziale Kompetenz des Referenten, d.h. eine ausgeprägte Antizipationsfähigkeit im Umgang mit Professionsgruppen. War es in der Anfangsphase noch schwierig, erfahrene und qualifizierte Mitarbeiter anzuwerben, so hat sich die Situation über die Jahre gewandelt. Immer mehr ehemalige Angestellte der Hochschulverwaltung wagen den Schritt in die Qualitätssicherungsbranche. Ihre Erfahrungen im Umgang mit akademischem Personal und einer oft intransparenten Universitätsverwaltung machen sie begehrenswert für den Einsatz im Evaluations- und Akkreditierungsgeschäft. Eine letzte Beobachtung, die im Rahmen der Fragestellung Erwähnung finden sollte, betrifft die Entwicklung und Weiterentwicklung von Evaluations- und Akkreditierungsverfahren. Die meisten der agentureigenen Evaluations- und Akkreditierungsverfahren wurden entworfen, als es noch wenig Material zum Thema Qualitätssicherung gab. Dies hat in der Gründungsphase, wie gesagt, zu starken isomorphistischen Tendenzen geführt: Die Geschäftsführer und Mitarbeiter der neu gegründeten Agenturen bedienten sich der Vorlagen älterer Organisationen, um das eigene Verfahren, die eigene Verfahrensdokumentation zu entwickeln. Im Laufe der Jahre wurden die Verfahren den Bedürfnissen und Verhältnissen angepasst. Eine theoretische Reflexion der Evaluations- und Akkreditie-
rungsvereine die Mitgliederkarte aus. D.h., die Mitgliedverbände werden aufgefordert, bei der Anwerbung von Gutachtern tätig zu werden. In nahezu allen Agenturen findet jedoch ein Selektionsprozess statt. Potentielle Gutachter werden dazu aufgefordert, sich offiziell bei einer Agentur zu bewerben. Eine Agentur orientiert sich bei der Gutachterauswahl stets am eigenen Profil (für die fachspezifische Akkreditierungsagentur FIBAA sind Erfahrungen in der Privatwirtschaft z.B. wünschenswert) und an der wissenschaftlichen Reputation der Peers.
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rungsprozesse, des Verfahrensablaufes, der Ziele und Methoden fand jedoch in den wenigsten Fällen statt: „Innerhalb der Evaluation gibt es sehr unreflektierte Verfahren, die weder modellbasiert sind, noch einen wirklichen Begriff von Qualität haben. Das halte ich für äußerst problematisch. Ich glaube auch, dass die reine Verwaltung von Organisationsverfahren schlichtweg nicht ausreicht, um gute Evaluation zu leisten. (…) Im ganzen Bereich der Hochschulforschung gibt es nicht so etwas wie Wirkungsforschung. Wir sind ständig auf der Akzeptanzebene. Wie werden die Programme angenommen? Wenn man das Ganze unter dem Wirkungsaspekt analysieren will, muss man das Ganze ganz neu konzipieren“ (Interviewpartner 1b).
Die Situation unterscheidet sich nicht grundlegend für die Akkreditierungsagenturen. Die Modifikation des Fragenkatalogs für den Selbstreport, der Frageleitfäden für die Vor-Ort-Begehung oder der Qualitätskriterien ging meistens auf Adhoc-Reaktionen zurück: Wie kommen die Fragen bei den Hochschulen an? Was für Antworten kann man erhalten, und sind diese aussagekräftig? Was macht die Konkurrenz? – Das waren die Fragen, die das Lernen der Organisation im Umgang mit den eigenen Verfahren und Instrumenten leiteten. Zweifelsohne handelt es sich bei dieser Art des „intuitiven Lernens“ (Crossan et al. 1999) um einen praxisnahen Lern- und Innovationsansatz.82 Die von den Agenturen hochgehaltene Wissenschaftsnähe lässt sich aber nicht verifizieren.
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Neuere Ansätze der Lerntheorie vertreten die Ansicht, dass „organisationales Lernen“ weder intendiert noch systematisch verlaufen muss, um einen output zu generieren. Crossan et al. (1999) und George Huber (1991) fordern z.B. eine Revision traditionaler Kategorien organisationalen Wandels. Die Autoren unterscheiden nicht länger zwischen „Lernen“ (intendierter Wandel) einerseits und „Adaptation“ (unintendierter Wandel) andererseits (Hedgberg 1981; Fiol/Lyles 1985), sondern berufen sich auf behaviouristische Erkenntnisse: „An entity learns if, through its processing of information, the range of its potential behaviors is changed“ (Huber 1991: 89). Crossan et al. definieren „intuitives Lernen“ als ein Prozess der Wiedererkennung von (Handlungs-)Mustern: „At ist most basic level, individual learning involves perceiving differences – patterns and possibilities. Although there are many definitions of intuition, most involve some sort of pattern recognition“ (Crossan et al. 1999: 526).
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4.5 Einflussnahme von Interessenverbänden auf das Geschäft der Qualitätssicherung? 4.5.1 Die Rolle der Berufsverbände im deutschen Evaluations- und Akkreditierungswesen Die Nähe der Agenturen zu Interessenverbänden ist weit weniger ausgeprägt, als anfänglich angenommen. Eine Unterscheidung zwischen Berufs- und Fachverbänden, wie in Punkt 3.2.3 angedeutet wurde, findet nicht statt. Berufs- und Fachverbände haben die Gründung dreier Akkreditierungsagenturen initiiert und sind auch in der Mitgliedschaftsstruktur der Evaluations- und Akkreditierungsvereine vertreten. Nichtsdestotrotz bleibt ihre Einflussnahme (bis auf den Fall fachspezifischer Agenturen) relativ beschränkt. In der Evaluation spielen Berufs- und Fachverbände eine eher untergeordnete Rolle. Da die Evaluation in Diskussionen zur Hochschulreform als hochschulinternes Instrument der Qualitätsentwicklung dargestellt wird, sehen die Verbandsvertreter auch nicht die Notwendigkeit einer Teilnahme. Vertreter der Evaluationsagenturen verschließen sich wiederum der Mitwirkung der Berufsund Fachverbände, weil sie einen Interessenbias in der Begutachtung befürchten: „Da Berufsvertreter aber auch immer Interessenverbände sind, würde ich ihnen in der Evaluation nicht den prominenten Platz einräumen, der ihnen immerzu eingeräumt wird in der Diskussion“ (Interviewpartner 1b). Im Gegensatz dazu ist das Engagement der Berufs- und Fachverbände in der Akkreditierung im Ratsbeschluss aus dem Jahre 2005 festgeschrieben (Akkreditierungsrat 2005): Berufsvertreter müssen in der Akkreditierungskommission und in den Gutachtergruppen vertreten sein. Mit ein bis zwei Repräsentanten in den genannten Gremien fallen die Mitbestimmungsrechte der Verbände aber bescheiden aus. Die effektive Einflussnahme der Verbände hängt auch hier vom Agenturtypus „fachübergreifend“ vs. „fachspezifisch“ ab: Während fachübergreifende Agenturen ihre Mitgliedschaftspolitik auf Hochschulen im In- und Ausland konzentrieren, ist es für die fachspezifischen Agenturen von besonderem Interesse, die Mitgliedschaft renommierter deutscher und internationaler Berufs- und Fachverbände auszubauen. Bei ACQUIN, AQAS und ZEvA ist die Mitwirkung professioneller Verbände zwar erwünscht, eine zielgerichtete Akquise wird jedoch nicht vorgenommen. Verbände stellen in der Regel nicht mehr als zehn Prozent der Mitglieder fachübergreifender Akkreditierungsvereine und sind vor allem für die Werbung kompetenter Gutachter von Bedeutung. Der Geschäftsführer einer fachübergreifenden Akkreditierungsagentur kommentierte die Mitwirkung der professionellen Verbände am Akkreditierungsgeschehen mit folgenden Worten:
4.5 Einflussnahme von Interessenverbänden auf das Geschäft der Qualitätssicherung?
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„Es geht um gegenseitige Information. Z.B. ist der philosophische Fakultätentag Mitglied bei [uns]. D.h. auch Vorschläge von Gutachtern für bestimmte Verfahren, Diskussion bestimmter Themen, finden da satt. Die sind auch präsent bei der Mitgliederversammlung. Ich bin ständiger Gast bei den Finalversammlungen des philosophischen Fakultätentags. Es ist ein Partnerschaftsverhältnis“ (Interviewpartner 11b).
Die Aussage, dass ein Partnerschaftsverhältnis existiert, mag im Anbetracht der realen Einflussnahme von Berufsverbänden auf das Akkreditierungsgeschäft vielleicht übertrieben erscheinen. Auf der anderen Seite dürfte das human capital der Verbände angesichts des Gutachtermangels im organisationalen Feld zur unumgänglichen Ressource für die Agenturen werden und den Verbänden mittelfristig zu einem prominenteren Platz im Organisationsgefüge verhelfen. Im Gegensatz zu den fachübergreifenden Agenturen ist die Mitgliedschaft von Berufs- und Fachverbänden in fachspezifischen Akkreditierungsagenturen wie ASIIN und FIBAA eine Frage des Prestiges. Traditionsgemäß genießen sie hohe Anerkennung in den Natur-/Ingenieurwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften. Ihre Mitwirkung geht über finanzielle Subventionen und eine pragmatisch angelegte Gutachterrekrutierung hinaus: Kontakte zu größeren Berufsund Fachverbänden kommen zum einen bei der Kundenakquise zum Zuge, zum anderen werden sie aber auch als politische Einflussmöglichkeiten genutzt (siehe hierzu Punkt 4.3.3).
4.5.2 Studentische Mitwirkung am Evaluations- und Akkreditierungsgeschehen Im Gegensatz zur Evaluation, wo Studenten meist nur als Auskunftsquelle für die Qualität der Hochschullehre fungieren, ist die Präsenz von Studentenvertretern in der Akkreditierungskommission und im Gutachterteam der Akkreditierungsagenturen per Ratsbeschluss (Akkreditierungsrat 2005) festgelegt. Studentenvertreter erfüllen eine vornehmlich legitimierende Funktion im Akkreditierungsverfahren. Da Qualitätssicherung nicht zuletzt eine Art des Kundenschutzes darstellt bzw. darstellen soll, ist die Mitwirkung von Studenten am Akkreditierungsgeschehen unabdingbar. Ihre Rolle in der Gestaltung und strategischen Ausrichtung der Akkreditierung ist allerdings beschränkt: Obwohl der nationale Dachverband Freier Zusammenschluss der StudentInnenschaften (FZS) rigoros Stellung zu Evaluations- und Akkreditierungsfragen bezieht und sogar entsprechende Schulungsangebote anbietet, werden Studentenverbände kaum an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt. So werden z.B. die Studentenvertreter im Akkreditierungsrat von der Hochschulrektorenkonferenz vorgeschlagen (statt vom nationalen Dachverband der Studentenschaften), weil die KMK-Länder-
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vertreter davon ausgehen, dass allein die HRK die Interessen der Studentenschaft kompetent vertreten kann. Studentische Gutachter für die Akkreditierungsverfahren werden über einen studentischen Pool vermittelt, der vom FZS und den Studentenverbänden politischer Parteien gemeinsam ins Leben gerufen wurde. Agenturen treten an den Pool heran, um Studenten für ihre Begutachtungen ausfindig zu machen. Allerdings haben sich über die Jahre alternative Rekrutierungsstrategien etabliert, welche die Position des Dachverbandes zu untergraben drohen: Immer mehr Agenturen treten direkt an die Fachbereiche oder Fachbereichsverbände heran, um studentische Gutachter zu gewinnen: „Es gab das Problem, dass Agenturen sich nicht [an das FZS-Verfahren] gehalten haben. Es wurde ja auch nie per Gesetz festgeschrieben. Sie haben sich ihren eigenen Pool zusammengestellt nach dem Motto ‚Ich suche mir die Studis aus, die bei mir im Verfahren sitzen‘“ (Interviewpartner 37a).
Da eine Vielzahl von Studentenschaften im Akkreditierungsgeschäft eingebunden ist und keine von ihnen über institutionalisierte politische Einflussmöglichkeiten verfügt, entwickelt sich der Dialog zwischen den unterschiedlichen Parteien nur langsam weiter.
4.6 Evaluations- und Akkreditierungsagenturen zwischen Kooperation und Wettbewerb: Das Netzwerk deutscher Qualitätssicherungsagenturen 4.6.1 Methodische Anmerkungen zur Erhebung und Analyse der Netzwerkdaten Das Hauptproblem einer Netzwerkanalyse besteht in der Abgrenzung des Netzwerkes: Welche Akteure gehören dazu, welche nicht? Im diesem Fall war es die Definition des organisationalen Feldes, welche die Abgrenzung der Akteure von anderen Dienstleistern, Organisationen oder Institutionen begründete. In die Netzwerkanalyse wurden die 12 aktiven Evaluations- und Akkreditierungsagenturen einbezogen. Die Fragebögen waren an die Geschäftsführer der Agenturen gerichtet, mit denen zuvor auch die semi-strukturierten Interviews durchgeführt wurden. Als Vertreter der Geschäftstelle sind die Geschäftsführer sowohl mit der Leitung des operativen Geschäfts betraut als auch mit der Außenrepräsentation der Agentur. Im Gegensatz zu Mitarbeitern oder Vorstandsmitgliedern verfügen Geschäftsführer also über einen ausgeprägten Einblick in die unterschiedlichen Organisationsebenen. Sie sind in der Lage, über die Verortung der Organisation im Dienstleistungssektor zu informieren.
4.6 Kooperation und Wettbewerb
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Den Befragten wurden ein Fragebogen und eine Liste aller Netzwerkakteure vorgelegt. Sie wurden gebeten, für jeden Akteur anzukreuzen, ob sie die erfragte Beziehung unterhalten und in welcher Intensität. Die Antwortvorgaben wurden in Form einer Likert-Skala nach Häufigkeit gestufter Relationsintensitäten vorgegeben, welche die Grundlage für den Eintrag in die Rohdatenmatrix stellte. 11 der 12 Fragebögen wurden komplett ausgefüllt zurückgeschickt. Da das Analyseprogramm UCINET 6.0 jedoch nicht mit missing values umgehen kann, war es vonnöten, den letzten Fragebogen anhand des vorab geführten Interviews auszufüllen. Insgesamt wurden drei Beziehungstypen abgefragt. Gegenstand der Netzwerkanalyse war daher nicht nur ein Netzwerk, sondern mehrere Netzwerke, die verschiedene Relationen zwischen den Elementen des gleichen Kollektivs abbilden. Es wurden Daten zu interorganisationalen 1. Kooperationsverhältnissen, zu 2. Informations- und 3. zu Ratgebernetzwerken erhoben. Die jeweiligen Fragestellungen lauteten: 1. „Bitte kreuzen Sie für jede [Agentur] an, wie oft Sie bereits mit Vertretern dieser Agentur zusammengearbeitet haben (in Arbeitsgruppen, im Rahmen eines Arbeitsabkommens oder in gemeinsam organisierten Konferenzen)“. 2. „An die Mitarbeiter welcher Agentur wenden Sie sich, wenn Sie Informationen brauchen? Bitte kreuzen Sie für jede Agentur an, wie oft Sie deren Mitarbeiter schon nach Informationen gefragt haben“. 3. „Wenn Sie einen Rat brauchen, an die Mitarbeiter welcher Agentur wenden Sie sich dann? Bitte kreuzen Sie für jede Agentur an, wie oft Sie deren Mitarbeiter um Rat bitten“. Die Erhebung von gerichteten Netzwerkdaten zu Kooperationsverhältnissen, Informations- und Ratschlagaustausch sollten unterschiedliche Aspekte des Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Agenturen beleuchten und Daten zur vielschichtigen Wettbewerbssituation liefern, in der sich deutsche Evaluations- und Akkreditierungsagenturen derzeit befinden. Des Weiteren war beabsichtigt, kontextuell relevante Antworten auf Paul DiMaggios und Walter Powells Strukturationsprinzipien zu finden: Wie ist das organisationale Feld deutscher Qualitätssicherung strukturiert? Handelt es sich überhaupt um ein organisationales Feld nach netzwerkanalytischen Parametern? Im folgenden Abschnitt sollen die anonymisierten Netzwerkmatrizen vorgestellt werden, in der die Angaben der Agenturvertreter eingespeist wurden. Bestätigte ein Akteur die Verbindung zu einer anderen Agentur, so wurde eine 1 in die Matrix eingetragen. War dies nicht der Fall, wurde die fehlende Relation mit
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einer 0 vermerkt. Um das Leseverständnis zu erleichtern, wurden die Nullen aus der links aufgeführten Rohdaten-Matrix herausgenommen.83 Auf der Grundlage dieser Matrizen wurden Netzwerkgraphiken mit dem UCINET-6.0-Programm „NetDraw“ entworfen. Die graphische Darstellung eines Netzwerkes als Set von Knoten N (= Akteure) und von gerichteten Linien L (= Relation von A nach B)84 ist sparsam: All diejenigen Beziehungen, die nicht vorhanden sind, werden auch nicht in L aufgenommen. Dadurch lassen sich sehr schnell erste Einblicke in die Netzwerkstruktur gewinnen (siehe Abbildungen 5, 6 und 7). Abbildung 5:
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Kooperationsnetzwerk deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen
Die Diagonalen der Matrizen (sie repräsentieren die Relation einer Agentur zu sich selbst) wurden mit Einsen ausgefüllt, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass innerhalb der Agenturen ehemalige Mitarbeiter anderer Agenturen tätig sind. Die Agenturen verfügen also über ein aktives Informations- und Ratgebernetzwerk auf Mitarbeiterebene. Da die meisten Berechnungen die Diagonale aber nicht einbeziehen, hat diese Entscheidung kaum Einfluss auf die Ergebnisse der Netzwerkanalyse. Die Netzwerkgraphik und die Berechnungen zum Kooperationsnetzwerk basieren auf einer ungerichteten Datenmatrix. Dass es sich um ungerichtete Daten handelt, ist daran zu erkennen, dass die Rohdatenmatrix des Kooperationsnetzwerks symmetrisch ist. D.h.: EA1 ĺ AA2 = AA2 ĺ EA1.
4.6 Kooperation und Wettbewerb
Abbildung 6:
Informationsnetzwerk deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen
Abbildung 7:
Ratgebernetzwerk deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen
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4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
Schließlich wurden statistische Berechnungen zur Gesamtstruktur des Netzwerkes sowie zur Gewichtung der einzelnen Akteure im Netzwerk vorgenommen. In einem ersten Schritt wurden Maßzahlen des Gesamtnetzwerkes kalkuliert. Zu den Maßzahlen zählen Dichte, Erreichbarkeit, Kohäsion und Zentralität. Die Werte lassen sich wiederum für jeden Akteur aufschlüsseln und dienen der Berechnung struktureller Merkmale des Netzwerkes. Im Mittelpunkt des zweiten Analyseschrittes stand die Identifizierung sogenannter Koalitionsstrukturen (2. Strukturationsthese). In der Fachterminologie der Netzwerkanalyse werden Koalitionsstrukturen als „Cliquen“, „Cluster“ oder „Blöcke“ bezeichnet. Diese Konzepte bauen allerdings auf unterschiedlichen Kategorisierungsmodellen auf, die in den folgenden Abschnitten ausführlich besprochen werden sollen.
4.6.2 Strukturmerkmale des interorganisationalen Netzwerks Die Maßzahlen für Gesamtnetzwerke variieren zwischen 0 und 1: Werte nahe 0 bedeuten eine geringe Dichte oder Kohäsion. Es handelt sich um ein „weak tie“Netzwerk im Sinne Mark Granovetters (1973). Werte nahe 1 verweisen auf eine hohe Dichte-/Kohäsions- oder Zentralitätsfunktion. Je kleiner das Netzwerk, desto höher die Werte. Je größer das Netzwerk, desto unwahrscheinlicher wird es, dass alle Akteure sich untereinander kennen oder Beziehungen zueinander unterhalten, desto niedriger fallen also die Maßzahlen aus. Dichtefunktion der Netzwerke Die Dichte eines Netzwerkes entspricht dem Verhältnis der Zahl der realisierten Beziehungen zur Zahl der möglichen Beziehungen. Die Dichtefunktion eines Netzwerkes kann man bereits anhand der Netzwerkgraphik (genauer: anhand der Anzahl gerichteter Linien L) einschätzen. Das UCINET-6.0-Programm „Density“ macht zu den drei Organisationsnetzwerken folgende Angaben85:
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In den statistischen Auswertungen werden die Netzwerke fortan mit den Kürzeln „KooperationNTZ-Sym3“ (Kooperationsnetzwerk), „InformationNTZ“ (Informationsnetzwerk) und „RatgeberNTZ“ (Ratgebernetzwerk) zitiert.
4.6 Kooperation und Wettbewerb
Abbildung 8:
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Dichtefunktion im Kooperations-, Informations- und Ratgebernetzwerk
Für ein relativ kleines organisationales Feld ist die Dichte der drei Netzwerke ausgesprochen niedrig. Nur 28 % (Ratgebernetzwerk) bis 59 % (Kooperationsnetzwerk) der möglichen Beziehungen werden realisiert (siehe „Density – matrix average“). Diese ungewöhnlich kleine Maßzahl ist der hohen Standardabweichung („Standard deviation“) geschuldet, die zwischen 0.45 und 0.49 liegt. Die Standardabweichung bleibt in allen drei Netzwerken konstant hoch. Demzufolge gibt es also Netzwerkakteure, die ein hohes Maß an Außenbeziehungen pflegen. Andere nehmen wiederum periphere Netzwerkpositionen ein. Die Dichtefunktion sagt allerdings nichts über die genauen Proportionen zentraler und peripherer Akteure aus. Des Weiteren wäre anzumerken, dass die Dichtefunktion des Kooperationsnetzwerkes weitaus höher ausfällt, als die Dichte der Informations- und Ratgebernetzwerke. Diese Diskrepanz wird bei der Interpretation der Kooperationsund Wettbewerbsstruktur des Feldes noch eine bedeutende Rolle spielen. Daten zum interorganisationalen Austausch: Pfaddistanzen und Netzwerkkohäsion Die Pfaddistanzmatrix und das distanzbasierte Kohäsionsmaß mögen die Aussagen über die Dichtefunktion weiter spezifizieren. Die Pfaddistanzmatrix gibt an, ob die Akteure füreinander erreichbar sind und in was für einer Reichweite sie
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4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
voneinander liegen. Der kürzeste mögliche „Pfad“86 zwischen zwei Akteuren hat die Länge 1 (die Akteure sind also direkt miteinander verbunden). Je mehr Zwischenstationen ein Akteur einlegen muss, um einen anderen Akteur zu erreichen, desto höher die Pfaddistanz und desto loser das Netzwerk. Das „Distance“Programm der Analysesoftware UCINET 6.0 macht folgende Angaben zur Pfaddistanz und Kohäsion der Netzwerke: Abbildung 9:
Pfaddistanzen und Kohäsion im Kooperations-, Informationsund Ratgebernetzewerk
Die Pfaddistanzmatrizen (siehe die zweite Zeile der „Geodesic Distance“Tabelle) geben darüber Aufschluss, dass die Netzwerke, insbesondere das Informations- und Ratgebernetzwerk, isolierte Akteure aufweisen. Informationen und Ratschläge sind nicht für alle Akteure des Netzwerkes erreichbar. Es sind die isolates EA3 und AA4, die die Dichtefunktion der Informations- und Ratgebernetzwerke nach unten korrigieren.
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„In Graphen gibt es so genannte Wege (walks) und Pfade (paths). Einen Weg durchläuft man über durch Linien direkt verbundene Punkte. (…) Ein Pfad existiert zwischen zwei Punkten, wenn sie durch eine Reihe von Linien indirekt verbunden sind, ohne dass dabei ein Punkt mehrfach berührt wird“ (Jansen 2003).
4.6 Kooperation und Wettbewerb
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Betrachtet man jedoch den Mittelwert der Erreichbarkeit („Average Distance“) verbundener Akteure, so liegt dieser zwischen 1,4 (Kooperationsnetzwerk) und 2,4 (Ratgebernetzwerk). Mit Ausnahme von EA3 und AA4 werden also alle Akteure über relativ kurze Pfade erreicht. Im Vergleich zur Dichtefunktion liegt die distanzbasierte Kohäsion des Netzwerkes (d.h. das Verhältnis aus der Zahl realisierter gegenseitiger Wahlen zur Zahl der möglichen gegenseitigen Wahlen) dementsprechend hoch. Der dynamische interorganisationale Austausch über Kooperationsprojekte und Informations- bzw. Ratgebernetzwerke könnte die erste und vierte Variable Paul DiMaggios und Walter Powells zur Strukturierung des organisationalen Feldes verifizieren. Zentralität der Akteure Ein Zentralitätsmaß, das die Auswertungen der Erreichbarkeitsmatrizen berücksichtigt, ist die Betweenness-Zentralität. Das Konzept des Betweenness-Maßes von Linton Freeman (Freeman 1979) basiert auf der kalkulierten Wahrscheinlichkeit, dass eine Kommunikation zwischen den Akteuren A und C über Akteur B läuft. Je häufiger ein Akteur eine Mittlerrolle in Interaktionen übernimmt, desto zentraler ist dieser nach dem Betweenness-Maß. Die BetweennessZentralität misst die Abhängigkeit der Akteure voneinander. Die Frage, die im Vordergrund steht, ist, inwiefern die mediating function eines zentralen Akteurs diesen auch veranlasst, Kontroll-, Einfluss- und Profitmöglichkeiten wahrzunehmen: „Actors in the middle (…) might have control over some paths, while those at the edge might not. Or, one could state that ‚the actors in the middle‘ have more ‚interpersonal influence‘ on the others“ (Wassermann/Faust 1994: 188f.). Die Auswertungen von UCINET 6.0. („Betweenness“-Programm) hierzu finden sich in Abbildung 10. Im Informations- und Ratgebernetzwerk besteht eine Diskrepanz zwischen einer kleineren Gruppe zentraler Akteure (graphisch hervorgehoben) und einer größeren Anzahl peripherer Netzwerkakteure. Die Diskrepanz der akteursspezifischen Betweenness-Maße beider Gruppen wird mitunter durch eine hohe Standardabweichung („Std Dev“) von 7,9 und 11,5 relativ zu den Mittelwerten („Mean“) von 4,7 und 13 bestätigt. Das akteursspezifische Zentralitätsmaß reicht von 0 bis 30. Diese individuellen Maßzahlen sind relativ zur Summe aller möglichen Relationen zu verstehen, in denen ein sogenannter ‚Makler‘ interveniert (siehe Rubrik „Sum“ in der Zeile „Descriptive statistics for each measure“)87: Von den 57 Relationen, in denen ein Makler im Informationsnetzwerk zum Zuge 87
Ein Makler ist ein Akteur, der für Akteurspaare im Netzwerk auf deren kürzester Verbindungsstrecke liegt.
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4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
Abbildung 10: Zentralitätsmaße im Kooperations-, Informations- und Ratgebernetzwerk
kommt, werden alleine 28 vom Akteur AA6 mitbestimmt. AA6 deckt also rund 49 % aller intermediären Positionen im Informationsnetzwerk ab. Die schwachen Zentralitätsmaße des Gesamtnetzwerkes („Network Centralization Index“) von 14,5 % (Kooperationsnetzwerk) bis 23,3 % (Informationsnetzwerk) sind der Tatsache geschuldet, dass entweder mehr als die Hälfte des Netzwerkes ohne Makler erreicht werden kann (wie z.B. im Kooperationsnetzwerk) oder aber dass isolates das Netzwerk fragmentieren und in Teilen unerreichbar machen (Informations- und Ratgebernetzwerk). Es bleibt anzumerken, dass die drei Akkreditierungsagenturen AA2, AA5 und AA6 Mittlerrollen in allen drei Netzwerken übernehmen. Evaluationsagenturen (mit Ausnahme von EA5) nehmen in der Regel eher dezentrale Positionen im Gesamtnetzwerk ein. Die außergewöhnliche Zentralität der Evaluationsagenturen EA2, EA5 und EA6 im Ratgebernetzwerk geht darauf zurück, dass Evaluationsagenturen in dieser Konstellation vor allem eine Senderfunktion innehaben (d.h.
4.6 Kooperation und Wettbewerb
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sie bitten um Rat, werden selber aber kaum um Rat gebeten).88 Die Vermutung liegt nahe, dass sich um die zentralen Akteure Kommunikations- und Kooperationsplattformen bilden. Identifizierung von Subgruppen: Cliquen, factions und strukturelle Äquivalenzen Die Cliquenanalyse bietet die Möglichkeit, das Netzwerk aufgrund des Kohäsionsmaßes der Akteure in Teilgruppen zu zerlegen. Eine Clique besteht aus einer Gruppe von mindestens drei Akteuren, die alle direkt miteinander verbunden sind. Die Cliquenstruktur eines Netzwerkes lässt sich mit Paul DiMaggios und Walter Powells „patterns of coalition“ (DiMaggio/Powell 1991: 65) gleichsetzen: Kohäsive Subgruppen wie Cliquen weisen nämlich eine Tendenz zur gegenseitigen Angleichung und Konsensbildung auf (Friedkin 1991). Das Resultat der Cliquenanalyse mit dem UCINET-6.0-Programm „Cliques“ ist in Abbildung 11 dargestellt.89 Analyseprogramme wie UCINET 6.0 identifizieren zahlreiche, teils überlappende Subgruppen (siehe die zweite Zeile der „Cliques“-Tabelle). Die Funktion „Hierarchical Clustering“ gewährleistet deshalb einen unkomplizierten Überblick über die Cliquenstruktur des Netzwerkes, indem es die Subgruppen nach ihrem Kohäsionsindex auflistet. Die Cliquenanalyse bestätigt die Schlussfolgerungen der Zentralitätsberechnung: Die Agenturen AA2, AA5, AA6, EA2 und EA5 sind in den primären Subgruppen aller Netzwerke vertreten und nehmen deshalb eine zentrale Stellung in den Netzwerkstrukturen ein. Darüber hinaus vermittelt die Cliquenanalyse aber auch Einsichten in die Netzwerkstruktur des organisationalen Feldes insgesamt. Sind im Kooperationsnetzwerk sowohl Evaluations- als auch Akkreditierungsagenturen involviert, so wird die Cliquenstruktur der Informations- und Ratgebernetzwerke durch die Akkreditierungsagenturen dominiert. In der zweiten Zeile der Tabelle wurden die strukturtypischen Merkmale der Cliquen hervorgehoben. Mit Ausnahme der rekurrierenden Akteure EA2 und EA5 ist in den Informations- und Ratgebernetzwerken eine stärkere Abgrenzung der Akkreditierungsagenturen von den Evaluationsagenturen zu verzeichnen.
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Die Kategorisierung der Netzwerkakteure in Sender und Empfänger geht auf Wassermann und Faust (1994: 85) zurück. Sender sind Netzwerkakteure, die mehr Anfragen senden, als sie empfangen. Empfänger sind folglich Netzwerkakteure, die mehr Anfragen empfangen, als sie selber senden. Sender können mehr Einfluss auf andere Akteure ausüben. Empfänger hingegen haben das größere Prestige im Netzwerk. Die fett formatierten Akronyme stehen für die Akkreditierungsagenturen.
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4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
Abbildung 11: Cliquen im Kooperations-, Informations- und Ratgebernetzwerk
Die Aufspaltung des Netzwerkes durch die UCINET-6.0-Funktion „Factions“ ergibt zusätzlich eine klare Unterscheidung zwischen den fachspezifischen Akkreditierungsagenturen AA1, AA2, AA3 auf der einen Seite und den fachübergreifenden Akkreditierungsagenturen AA4, AA5, AA6 auf der anderen Seite. Factions sind kohäsive Subgruppen, deren Mitglieder ähnliche oder vergleichbare Beziehungsmuster aufweisen (vgl. Abbildung 12).90 Möchte man genauere Angaben zur strukturellen Position einzelner Akteure erhalten, das Strukturationsmuster der Cliquenanalyse also hinterfragen, bietet das Konzept der strukturellen Äquivalenz einen alternativen, teils aber auch komplementären Analyseansatz: „[Bei der strukturellen Äquivalenz geht es] um die Frage, ob auf einer abstrakten Ebene der Betrachtung von Sozialstrukturen bestimmte Akteure als gleichwertig, als zu einer Position oder einem Block gehörig betrachtet werden können, und ob konkrete Beziehungen zwischen den Akteuren zu einem abstrakten Rollenmuster zusammengefasst werden können“ (Jansen 2003: 212). 90
In dieser Abbildung wurden die fachübergreifenden Akkreditierungsagenturen fett und die fachspezifischen Akkreditierungsagenturen grau markiert.
4.6 Kooperation und Wettbewerb
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Abbildung 12: Factions im Kooperations-, Informations- und Ratgebernetzwerk
Vergleichbare Akteure werden sogenannten ‚äquivalenten Positionen‘ zugeordnet. Im Mittelpunkt der Analyse stehen nicht die Beziehungen der Gruppenmitglieder zueinander (wie es bei der Cliquenanalyse der Fall war), sondern deren Außenbeziehung. Als strukturell äquivalent werden also jene Akteure gekennzeichnet, die ähnliche eingehende und ausgehende Beziehungsmuster haben. Die strukturelle Äquivalenzanalyse von UCINET 6.0 ergab folgenden output: Abbildung 13: Strukturelle Äquivalenzen im Kooperations-, Informations- und Ratgebernetzwerk
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4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
Die Komposition der Cluster bestätigt die Ergebnisse früherer Strukturanalysen: Die Äquivalenzanalyse unterscheidet klar zwischen Agenturtypen. Akkreditierungsagenturen und Evaluationsagenturen weisen sehr unterschiedliche Einbindungen ins interorganisationale Netzwerk auf. Die Akteure EA1, EA3 und EA4 besetzen in allen drei Netzwerken Randpositionen. Akkreditierungsagenturen befinden sich in zentralen Positionen. EA2, EA5 und EA6 nehmen intermediäre Netzwerkpositionen ein. Sie interagieren sowohl mit EA1, EA3 und EA4 als auch mit den Akkreditierungsagenturen. Wie bereits erwähnt wurde, sind die Akteure EA2, EA5 und EA6 reine Sender. Akkreditierungsagenturen hingegen sind vornehmlich Empfänger von Anfragen zur Zusammenarbeit, von Informationen und Ratschlägen.
4.6.3 Kooperation und Wettbewerb im organisationalen Feld Die Idee, das Netzwerk deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen unter den Aspekten der Kooperation und des Wettbewerbs zu analysieren, beruht auf der Grundannahme, dass Kooperation und Wettbewerb unterschiedliche Facetten eines Abhängigkeitsverhältnisses widerspiegeln. Bei interorganisationalen Kooperationen tritt die Abhängigkeit der Agenturen voneinander direkt zutage. In einer Wettbewerbssituation hingegen ist das interorganisationale Abhängigkeitsverhältnis als Negativbild zu verstehen: Eine Organisation steht in einem Abhängigkeitsverhältnis, weil ihre Performanz kontinuierlich mit der Performanz gleichartiger Organisationen verglichen und schließlich bewertet wird. Um sich einen Wettbewerbsvorteil zu sichern, muss eine Organisation daher darauf achten, ihre Ressourcen (hier also Informationen) geschickt einzusetzen. Informationen werden nur dann ausgetauscht, wenn sie den Wettbewerbsvorteil der Organisation nicht gefährden bzw. ihn festigen. Kooperation im organisationalen Feld Das organisationale Feld weist eine ausgeprägte Kooperationsdichte auf. Die zwölf Agenturen sind miteinander vernetzt. Kooperationen finden statt: zwischen Evaluationsagenturen, zwischen Akkreditierungsagenturen und schließlich auch zwischen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen. Allerdings kann die hohe Interaktionsdichte auch ein Hinweis darauf sein, dass bislang viele Koalitionen ‚ausprobiert‘ wurden, sich jedoch keine Kooperationsstrukturen verfestigen konnten. In der Tat belegen qualitative Daten, dass trotz wiederholter Kooperationsanfragen auf Seiten der Evaluationsagenturen bislang
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keine agenturtypenübergreifenden Zusammenschlüsse oder Abkommen zustande gekommen sind: Zum einen ist die mangelnde Verstetigung gruppenübergreifender Koalitionsstrukturen darauf zurückzuführen, dass interorganisationale Zusammenarbeit u.a. mit materiellen Kosten (Schermerhorn 1975) verbunden ist – Kosten, die von den knapp bemessenen Budgets der Evaluationsagenturen in den seltensten Fällen aufgebracht werden können. Zum anderen ist die Aufspaltung des organisationalen Feldes in lose gekoppelte Evaluationsnetzwerke und relativ dichte Cluster von Akkreditierungsagenturen (siehe Zentralitätsindex des Kooperationsnetzwerks) symptomatisch für die existentielle Wettbewerbssituation, in der sich die Evaluations- und Akkreditierungsagenturen seit Ende der 1990er Jahre befinden. Die hochschulpolitische Diskussion ist seit Gründung des Akkreditierungsrats auf die Akkreditierung fixiert. Evaluation rutscht auf der Prioritätenliste der Länderministerien nach hinten, die sich durch das unkomplizierte Akkreditierungsverfahren eine kostenfreundliche und zeitökonomische Alternative zum traditionellen Steuerungssystem versprechen. Nun sollen Evaluationsergebnisse im Zuge der Reakkreditierung ins Akkreditierungsverfahren aufgenommen werden. Die Akkreditierungsagenturen gehen seit kurzem dazu über, Evaluationsleistungen in ihr Dienstleistungsangebot zu integrieren. Der Mehrwert einer unabhängigen Evaluationsleistung wird aber durch das neuartige ‚Kombi-Angebot‘ der Akkreditierungsagenturen untergraben, sodass die Weiterfinanzierung unabhängiger Evaluationsagenturen aus dem knappen Hochschuloder Landeshaushalt gefährdet ist. Die Evaluationsagenturen drängen wiederum auf eine Zusammenarbeit mit den Akkreditierungsagenturen, um ihre Dienstleistung als komplementäres Gegenstück zur Akkreditierung aufzubauen: Demzufolge würden Evaluationsagenturen den unverzichtbaren Evaluationsbericht zur Reakkreditierung stellen und die Kosten für eine befristete Studienganggenehmigung minimieren. Warum aber sollten Akkreditierungsagenturen auf die Anfragen der Evaluationsagenturen eingehen, wenn organisationsintern Kompetenzen für eine Evaluation nach agentureigenen Maßstäben aufgebaut werden? Die Mitarbeiterin einer Evaluationsagentur kommentierte das ungleiche Kooperationsverhältnis zwischen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen mit folgenden Worten: „Formell akzeptieren die Agenturen die Zuarbeit der Evaluationsgremien. Informell aber, und da hat sich [die Evaluationsagentur] kundig gemacht, werden Evaluationsberichte nicht akzeptiert, solange der Frageleitfaden nicht mit dem der Akkreditierungsagentur übereinstimmt. Faktisch läuft es darauf hinaus, den Leitfaden der Akkreditierungsagentur zu benutzen. Das ist also nur innerhalb ein und derselben Agentur der Fall, wie z.B. in der ZEvA“ (Interviewpartner 5b).
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Die Aufspaltung des Kooperationsnetzwerkes in Sender (Evaluationsagenturen) und Empfänger (Akkreditierungsagenturen) im Rahmen der strukturellen Äquivalenzanalyse bestätigt die Auswirkungen des agenturtypenübergreifenden Wettbewerbs auf die Kooperationsstruktur des organisationalen Feldes. Das Kooperationsverhältnis der Akkreditierungsagenturen ist wiederum als föderative Interaktionsstruktur im Sinne Roland Warrens zu verstehen: „[In a federative context] the units have their individual goals but there is some formal organization for the accomplishment of inclusive goals, and there is formal staff structure for this purpose. (…) The norms are for moderate commitment of the units to the inclusive leadership subsystem, but considerable unit autonomy is tolerated and expected. A moderate degree of collectivity orientation – consideration of the well-being of the inclusive organization – is expected“ (Warren 1967: 404f.).
Die ausgeprägte Zusammenarbeit der Akkreditierer wird durch die Existenz einer Regulierungsinstanz, dem Akkreditierungsrat, vorgegeben und strukturiert. Sie steht im Widerspruch zum Wettbewerbsimpetus der deutschen Akkreditierungsbranche. Da kurz- bis mittelfristig keine Verknappung der Nachfrage zu erwarten ist, tritt dieser Widerspruch noch nicht zutage. Evaluations- und Akkreditierungsagenturen im Wettbewerb Informations- und Ratgebernetzwerke sind ähnlich strukturiert: Beide weisen eine schwache Dichte, eine hohe Varianz/Standardabweichung und vergleichbare Subgruppenstrukturen auf. Die niedrige Dichtefunktion sollte jedoch nicht über die Existenz eines interorganisationalen Informationsflux hinwegtäuschen, der in der qualitativen Studie identifiziert wurde (siehe hierzu Punkt 4.2.3). Die Angaben zur Erreichbarkeitsmatrix und Kohäsionsfunktion verweisen auf kurze Pfaddistanzen, auf denen Informationen und Ratschläge relativ schnell zirkulieren können. Das Netz ist in großen Teilen erreichbar. Auch wenn EA3 und AA4 isolierte Netzwerkpositionen einnehmen, ist ihnen ein Zugang zu Rat und Information über andere Kanäle gesichert. Die statistischen Untersuchungen mit UCINET 6.0 deuten auf zwei Strukturationstendenzen des organisationalen Feldes hin: Im Vergleich zum Kooperationsnetzwerk grenzen sich Evaluationsagenturen und Akkreditierungsagenturen im Informations- und Ratgebernetzwerk stärker voneinander ab. Die Cliquenstruktur der Netzwerke weist darauf hin, dass Akkreditierungsagenturen Informationen und Ratschläge vornehmlich unter ihresgleichen nachfragen, während Evaluationsagenturen entweder Randpositionen einnehmen oder Informationen und Ratschläge bei den Akkreditierungsagenturen erbitten.
4.6 Kooperation und Wettbewerb
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Der Austausch zwischen den Akkreditierungsagenturen fällt im Informations- und Ratgebernetzwerk deutlich niedriger aus, als im Kooperationsnetzwerk. Diese Strukturationsmomente lassen sich an der doppelten Wettbewerbssituation des organisationalen Feldes festmachen: am existentiellen Wettbewerb zwischen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen einerseits, am organisierten Wettbewerb zwischen Akkreditierungsagenturen andererseits. Da die erste Strukturationstendenz bereits erläutert wurde, soll im folgenden Abschnitt auf die organisierte Wettbewerbssituation eingegangen werden. Die Vermutung liegt nahe, dass miteinander kooperierende Organisationen (d.h. Akkreditierungsagenturen) sowohl Informationen als auch Ratschläge austauschen, um sich gegenüber konkurrierenden Organisationen (d.h. Evaluationsagenturen) zu behaupten. Schließlich diskutieren Organisationstheoretiker seit Ende der 1990er Jahre die unabdingbare Vertrauensgrundlage interorganisationaler Kooperationsverhältnisse: „Although research has identified many determinants of cooperation, virtually all scholars have agreed that one especially immediate antecedent is trust“ (Smith et al. 1995: 11). Eine Erklärungsmöglichkeit für die fehlende Vertrauensgrundlage, die durch die ausgesprochen niedrige Dichtefunktion der Informations- und Ratgebernetzwerke belegt wird, mag darin liegen, dass Akkreditierungsagenturen sich der Grenzen ihrer Kooperationsoptionen bewusst sind. Kooperation zwischen Akkreditierungsagenturen ist möglich, weil noch kein Wettstreit um knapper werdende Aufträge stattfindet. Informations- und Ratgebernetzwerke weisen daher keine subgruppenspezifischen Unterteilungen der Akkreditierungsagenturen auf (in fachübergreifend vs. fachspezifische Agenturen z.B.). Die „Factions“Analyse hebt zwar Kohäsionstendenzen zwischen Fachakkreditierern auf der einen und fachübergreifenden Agenturen auf der anderen Seite hervor. Daten zu zukunftsträchtigen Koalitionen deutscher Akkreditierungsagenturen kann die quantitative Analyse der Informations- und Ratgebernetzwerke jedoch nicht liefern. Die Wettbewerbssituation drängt eben noch nicht auf die Konzipierung und Durchführung interorganisationaler Koalitionsstrategien. Da in der Akkreditierungsbranche noch keine „emergence of sharply defined interorganizational structures of domination and patterns of coalition“ (DiMaggio/Powell 1991: 65) zu verzeichnen ist, man sich aber der Vorläufigkeit von Kooperationsmöglichkeiten bewusst ist, wird mit der Diffusion potentieller Ressourcen (d.h. Informationen) im interorganisationalen Wettbewerb vorsichtig umgegangen. Im diesem undurchsichtigen Kooperations- und Wettbewerbskontext ist der Diskurs der Selbstbestimmung von Akkreditierungsagenturen zu verorten (siehe Punkt 4.3.2). Die Akkreditierungsagenturen streben durch die Überwindung der
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4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
‚Zwischeninstanz‘ Akkreditierungsrat eine „network form of governance“ im Sinne Joel Podolnys an: „We define a network form of organization as any collection of actors (N 2) that pursue repeated, enduring exchange relations with one another and, at the same time, lack a legitimate organizational authority to arbitrate and resolve disputes that may arise during the exchange“ (Podolny/Page 1998: 59).
Bei dieser Form der Autoregulierung geht es also um eine Steuerungsform, die zwischen „Markt“ und „Hierarchie“ (Powell 1990) anzusiedeln ist. Voraussetzung dafür ist aber ein erhebliches Maß an Vertrauen und die normative Ausrichtung auf dasselbe Ziel. In Anbetracht der prekären Interaktionsstruktur des Informations- und Ratgebernetzwerkes bleibt allerdings fraglich, ob diese Bedingungen gegeben sind. Die Gruppe deutscher Akkreditierungsagenturen weist diesbezüglich eher die Grundzüge einer lose gekoppelten Interessengemeinschaft als einer autoregulierten politikfähigen Koalition auf.
4.7 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse Die Generierung und Strukturierung des organisationalen Feldes deutscher Qualitätssicherung vollzog sich auf dem Hintergrund einer dramatisch setigenden Mittelknappheit im Hochschulbereich, einer widersprüchlichen Deregulierungspolitik und einer geschichtlich bedingten Verwachsenheit von Evaluations- und Akkreditierungsleistungen. Aus diesen Strukturierungsbedingungen hat sich eine Feldstruktur herauskristallisiert, die durch eine doppelte Wettbewerbssituation und die Abwesenheit institutionalisierter politischer Einflussmöglichkeiten charakterisiert wird. Abschließend sollen die Auswertungen der Feldstudie in Form zweier Tabellen synthetisiert und auf den theoretischen Rahmen zurückbezogen werden91 (vgl. Tabellen 2 und 3). Ziel der organisationstheoretisch informierten Studie war die Identifizierung der formal und informal constraints deutscher Evaluations- und Akkreditierungsleistungen. Sie sollte darüber Auskunft geben, wie und unter welchen Bedingungen sich die neuen Akteure (Evaluations- und Akkreditierungsagenturen) im reformierten Hochschulsystem als Teil eines innovativen Steuerungsmodus ha91
Während die Akkreditierungsagenturen wie bereits in der Netzwerkanalyse mit dem Akronym AA abgekürzt wurden, wurde bei den Evaluationsagenturen auf das Kürzel EA zurückgegriffen.
4.7 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
177
ben etablieren können. Die Operationalisierung des institutionellen Umfelds als constraints und resources muss der komplexen Mehrebenennatur des Reformphänomens jedoch Rechnung tragen, um ein vollständiges Bild der Funktionsund Wirkungsweise deutscher Qualitätssicherung zu ermöglichen. Das folgende Kapitel soll daher auf die internationalen Tätigkeiten deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen fokussieren und diese unter institutionstheoretischen Gesichtspunkten analysieren.
Interne Aufgabenteilung zwischen Prozessverantwortlichkeit und inhaltlicher Begutachtung
Diskurs der ‚Staatsferne‘ bzw. ‚Hochschulnähe‘
Evaluationen werden rechtlich vorgeschrieben (keine Angaben zu Prozessverlauf und Konsequenzen)
„Coping Strategies“
Asymmetrische WettbeEA drängen erfolglos auf Kooperation mit den AA werbssituation zwischen AA und EA (zugunsten AA)
Professionelle Autonomie bzw. Widerstand gegen externe Kontrolle
Anpassung des Dienstleistungsangebotes
Haushaltsrestriktionen
„Informal Constraints“
Versuch einer politischen Problematische WiederverEinflussnahme über persön- wertung von Evaluationsliche Netzwerke ergebnissen
„Coping Strategies“
Regionale Agenturen: Finanzierung gegen Auftragserfüllung
„Formal Constraints“
Tabelle 2: „Formal“ und „informal constraints“ deutscher Evaluationsagenturen
Politisches System
Hochschulen
Interessenverbände
EA/AA
178 4 Genese und Strukturierung des organisationalen Feldes
Teilnahme von Berufsvertretern am Akkreditierungsverfahren
Organisierter Wettbewerb zwischen AA
Haushaltsrestriktionen
Lose Koalitionsstrukturen zwischen AA
Einbindung von Interessenvertretern in die Mitgliedschaftsstruktur
Anpassung des Dienstleistungsangebotes (z.B. Paketakkreditierung)
Versuch einer politischen Einflussnahme über persönliche Netzwerke
Regulierung der Nachfrage durch Länderministerien
Marktregulierung über AR/KMK-Beschlüsse
„Coping Strategies“
„Formal Constraints“
Interessenverbände
EA/AA
Hochschulen
Politisches System
Einbindung der Fachverbände als Mitglieder der Akkreditierungsagentur
Interne Aufgabenteilung zwischen Prozessverantwortlichkeit und inhaltlicher Begutachtung
Diskurs der ‚Staatsferne‘ bzw. ‚Hochschulnähe‘
Akkreditierung der neuen Studiengänge ist gesetzlich vorgeschrieben
„Coping Strategies“
Asymmetrische WettbeEvaluation wird ins Dienstleistungsangebot der AA werbssituation zwischen AA und EA (zugunsten AA) aufgenommen.
Existenz standardisierter Qualitätskriterien für ausgewählte Fächer
Professionelle Autonomie bzw. Widerstand gegen externe Kontrolle
„Informal Constraints“
Tabelle 3: „Formal“ und „informal constraints“ deutscher Akkreditierungsagenturen
4.7 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
179
5 Europapolitik der Qualitätssicherung
5.1 Einleitung Die internationalen Aktivitäten deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen lassen sich unterschiedlichen Arbeitsfeldern zuordnen: Agenturen sind erstens in regionale Kooperations- und Aufbauprojekte eingebunden. Im Rahmen der EU-subventionierten Tempus-Programme haben sie von 2000–2004 z.B. am Aufbau von Audit-Verfahren in der südosteuropäischen Region mitgewirkt. Allerdings ist die Projektstruktur der Tempus-Programme in den seltensten Fällen ausbaufähig. Von Seiten der Agenturen handelte es sich also um einmalige und punktuelle Entwicklungshilfen. Deutsche Evaluations- und Akkreditierungsagenturen sind zweitens Mitglieder internationaler Qualitätssicherungsnetzwerke. Diese transnationalen Foren wurden in den 1990er Jahren gegründet und haben sich seitdem zu dynamischen Kommunikations- und Austauschplattformen, teilweise aber auch zu aktiven Politiknetzwerken entwickelt. Drittens und letztens bieten deutsche Akkreditierungsagenturen seit einigen Jahren Dienstleistungen im Ausland an. Die folgende Analyse soll vornehmlich auf die letzten beiden Aspekte der Internationalisierungsstrategie deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen eingehen. Im Gegensatz zur gelegentlich anfallenden Entwicklungsarbeit setzten die Agenturen gezielt Ressourcen für ihre Netzwerk- und Auslandsakkreditierungen ein.92 Die Motive der Agenturen, internationalen Aktivitäten nachzugehen, lassen sich auf zwei Hauptargumente reduzieren. Zum einen wirkt sich die internationale Tätigkeit einer Agentur legitimierend auf das nationale Geschäft aus:
92
Eine vierte Strategie, der sich die Agenturen bedienen, um ihre internationale Legitimität zu untermauern, betrifft die Internationalisierung der Mitgliedschaftspolitik. Es handelt sich um die kostengünstige Variante zur aktiven Internationalisierungsstrategie, die auch Evaluationsagenturen zugänglich ist. Meist können die Agenturen Personennetzwerke mobilisieren, um ausländische Agenturen als Mitglieder einzuwerben.
182
5 Europapolitik der Qualitätssicherung
„Für uns sind die ganzen internationalen Verfahren auch eine Möglichkeit, uns innerhalb des deutschen Systems zu profilieren. Das ist auch eine Frage, die die deutschen Hochschulen stark interessiert: ‚Ist das, was ihr macht, international anerkannt‘. Wenn wir dann auf [internationale] Referenzverfahren verweisen können, hilft es natürlich auch diese Basis zu stärken“ (Interviewpartner 13b).
Zum anderen bietet die Mitgliedschaft in internationalen Foren die Möglichkeit, sich als Akteur in einen komplizierten Politikprozess einzuklinken, der seit der Bologna-Konferenz im Jahre 1999 mehrere Ebenen umschließt. Die Einbettung einer Agentur im europäischen bzw. internationalen Umfeld sollte bei der organisationalen Feldanalyse berücksichtigt werden, um 1) der Mehrebenennatur des Phänomens Qualitätssicherung Rechnung zu tragen und 2) die daraus resultierenden erweiterten Handlungsmöglichkeiten einer Agentur zu bedenken. Definiert man das institutionelle Umfeld einer Organisation als komplexe Konstellation von resources und constraints, so ist davon auszugehen, dass auch die offenkundigen Vorteile eines internationalen Engagements mit formal und informal constraints (North 1989, 1990, 1991) verbunden sind. Das fünfte Kapitel ist der systematischen Erläuterung der Spielregeln gewidmet, denen sich deutsche Evaluations- und Akkreditierungsagenturen im europäischen und internationalen Ausland stellen müssen.
5.2 Transnationale Zusammenschlüsse nationaler Evaluations- und Akkreditierungsagenturen 5.2.1 Beschaffenheit und Funktion transnationaler Netzwerke der Qualitätssicherung Seit Anfang der 1990er Jahre wurden über 15 themenspezifische und transnationale Netzwerke und Zusammenschlüsse ins Leben gerufen, die sich mit Fragen der Evaluation und Akkreditierung im Hochschulbereich auseinandersetzten. Die Netzwerke zählen in der Regel 50 bis 100 Mitglieder (d.h. Evaluations- und Akkreditierungsagenturen, Vereine, Hochschulen und Institute). Sie decken entweder geografisch begrenzte Weltregionen ab (z.B. das Asia Pacific Quality Network oder das Central American Council of Accreditation of Higher Education), oder sie legen ihre Mitgliedschaft international aus (z.B. INQAHEE und der Washington Accord).93 Nur wenige dieser Netzwerke sind in der Lage, das poli93
INQAHEE: International Network for Quality Assurance Agencies in Higher Education. Im Washington Accord hat sich eine internationale Allianz von Ingenieur-Fachakkreditierungsagenturen aus Repräsentanten der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Irland,
5.2 Transnationale Zusammenschlüsse
183
tische Geschehen auf nationaler Ebene zu beeinflussen. Je größer das Netzwerk, desto unspezifischer die Politikagenda und desto diffuser die institutionalisierten politischen Einflussmöglichkeiten. Die Vorteile einer Mitgliedschaft in überregionalen Netzwerken liegen vielmehr darin, dass Trends im Qualitätssicherungsbereich zuerst in diesen Foren identifiziert und thematisiert werden, bevor sie weltweit Verbreitung finden. Der Geschäftsführer einer Akkreditierungsagentur kommentierte die Netzwerkpolitik seines Unternehmens mit folgenden Worten: „Man muss aus meiner Sicht (…) in diesen Gremien sein. Man muss nicht überall in der Leaderfunktion dabei sein, um dann zu bestimmen, wo die Reise hinführt. Man muss mindestens präsent sein, um zu wissen, was alles passiert. Es gibt sonst kein Forum. Es gibt keine Stelle, die sie abrufen können und fragen: ‚Wie sieht es denn aus‘. Es ist schon ein aufwendiges Verfahren, das mit Mitgliedschaften verbunden ist. Das kostet Geld. Es ist mit Gremienarbeit verbunden. Das kostet Zeit und Geld. Aber es ist notwenig, denn auch hierüber ergeben sich Ansätze zu gemeinsamen Arbeiten“ (Interviewpartner 19b).
Netzwerkmitgliedschaften sind also mit einem hohen Kostenaufwand verbunden. Nicht jede Agentur kann es sich leisten, einen seiner Mitarbeiter z.B. für eine viertätige INQAHEE-Konferenz nach Malaysia zu entsenden. Von der Kostenproblematik sind vornehmlich deutsche Evaluationsagenturen betroffen: Bis auf eine Ausnahme sind sie in keinem europäischen bzw. internationalen Netzwerk vertreten und daher auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen (über die Akkreditierungsagenturen; vgl. Punkt 4.6).94 Des Weiteren besteht, wie gesagt, die Unterscheidung zwischen Netzwerken mit politischer Ausrichtung und Netzwerken, die als globale Kommunikations- und Austauschplattform konzipiert sind. Diese Unterscheidung betrifft vor allem die europäische Netzwerklandschaft, da sich die European Association of Quality Assurance in Higher Education (ENQA), das größte und wichtigste Netzwerk der Europaregion, im Zuge des Bolognaprozesses zum politischen Akteur weiterentwickelte.
94
Kanada, Australien, Hong Kong, Neuseeland und Südafrika vertraglich darauf verständigt, ihre jeweiligen Qualiätssicherungssysteme und die von ihnen akkreditierten Studiengänge als gleichwertig anzuerkennen. Die regionale Evaluationsagentur Baden-Württemberg (Evalag) ist seit kurzem im europäischen Netzwerk ENQA vertreten. Da die Aufnahme Mitte 2006 abgeschlossen wurde, sind die Konsequenzen der Mitgliedschaft einer deutschen Evaluationsagentur bislang noch nicht abzusehen. Die Analyse wird sich daher auf die Netzwerkaktivitäten deutscher Akkreditierungsagenturen beschränken.
184
5 Europapolitik der Qualitätssicherung
5.2.2 Die Politisierung europäischer Netzwerke Die europäische Hochschulreform ist durch die Inklusion neuer Akteursgruppen in den europäischen Policy-Making-Prozess gekennzeichnet. Seit der Bolognaerklärung im Jahre 1999 schlossen sich transnational organisierte Interessengruppen dem europäischen Reformprozess an.95 Auch wenn diese Interessengruppen von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen bleiben, konnten sie bereits sehr früh, dank der flexiblen und offenen Policy-Struktur Bolognas, Interventionsmöglichkeiten im Rahmen der Policy-Formulierung wahrnehmen. Die Expertise und das unermüdliche Engagement der Interessengruppen bei der Erstellung der für den Reformprozess zentralen Policy-Dokumentation (u.a. die von der EUA herausgegebenen Bologna Reports Trends I im Jahre 1999, Trends II im Jahre 2001 und Trends III im Jahre 2003) haben deren Einbindung in die Policy-Diskussion unentbehrlich gemacht. Als Daten- und Ideenlieferanten bestimmen sie den inhaltlichen Zuschnitt der Politikagenda und der Reformansätze seit 2001 mit. Damals wurden europäische Interessengruppen im Rahmen der ersten Bologna Follow-Up Group aktiv. Diese informale Gruppe war aus Vertretern der deutschen Regierungsdelegation und Interessengruppen zusammengesetzt. Man traf sich in regelmäßigen Abständen zur Vorbereitung der Berliner Konferenz und des wegweisenden Communiqués. Aus der losen Kooperationsstruktur sollte alsbald eine Expertengruppe hervorgehen, die sich systematisch mit Grundsatzfragen auseinandersetzte und die Erstellung der PolicyPapiere (d.h. der Communiqués und ausgearbeiteten Reformkonzepte) in einem basisdemokratisch angelegten Diskussionsprozess bewerkstelligen sollte. Die 2003 einsetzende Verstetigung der Bologna Follow-Up Group geht auf die erkannte Notwendigkeit zurück, dem alle zwei Jahre stattfindenden und expandierenden Policy-Prozess eine organisatorische Kontinuität zu verleihen. Durch ihr frühes Engagement in der Berliner Vorbereitungsgruppe konnten sich die Interessengruppen eine wichtige Position als Bildungsexperten in der Redaktion der Policy-Papiere und Konferenztexte sichern. Das Berlin Communiqué (2003) beschreibt Form und Funktion der Bologna Follow-Up Group mit folgenden Worten: „Ministers entrust the implementation of all the issues covered in the Communiqué, the overall steering of the Bologna-Process and the preparation of the next ministeri95
Zu den Interessengruppen zählen mitunter die sogenannten „E4“: die europäische Studentenschaft ESIB (National Unions of Student in Europe), die europäische Rektorenkonferenz EUA (European University Association), die Europäische Fachhochschulrektorenkonferenz EURASHE (European Association of Institutions in Higher Education) und das ENQANetzwerk für Qualitätssicherungsagenturen.
5.2 Transnationale Zusammenschlüsse
185
al meeting to a Follow-Up Group, which shall be composed of representatives of all members of the Bologna Process and the European Commission, with the Council of Europe, the EUA, EURASHE, ESIB, and Unesco-Cepes as consultative members“ (Berlin Communiqué 2003: 8).
Die Anerkennung einer nicht auf das Regierungssystem beschränkten Form des Expertentums ist ein Trend, der sich schon seit einigen Jahren in nationalen Bildungsdebatten anbahnt und im Bolognaprozess mehr oder weniger konsequent durchgesetzt wurde. Die Entscheidung, Interessengruppen einzubinden, mag auf die im europäischen Raum verbreitete Vorstellung zurückgeführt werden, dass in einer sogenannten knowledge based society der ‚Wissende‘ Zugang zu Mitentscheidungsprozessen erhalten sollte (Rodrigues 2003). Wissen wird zur sozialen und politischen Ressource, und Expertenwissen nimmt seit der Verkündung der Lissabon-Strategie einen zentralen Platz in der Gesellschaftsplanung ein96: „Wissen im allgemeinen und Expertise als systematisiertes und organisiertes Wissen im Besonderen verändern soziale Ordnung kontinuierlich, seit die Betonung der Verteilung und Verwendung von Wissen nicht mehr auf altem, traditionalem, unvordenklichem Wissen liegt, sondern auf neuem Wissen. Die Umkehrung der Zeitorientierung von der Vergangenheit auf die Zukunft, welche die Neuzeit kennzeichnet, erfasst also auch das Medium des Wissens“ (Willke 1998: 241).
Die unmittelbare Partizipation der Interessengruppen am Policy-Prozess kann deshalb als Anzeichen für die Wertschätzung eines neu entdeckten Bildungsexpertentums interpretiert werden. Dieses Expertentum besteht aus Vertretern vornehmlich europäischer nichtstaatlicher Organisationen, die sich über die letzten zehn Jahre durch wissenschaftlich reflektierte Policy-Analysen und zahlreiche (EU-finanzierte) Projektinitiativen eine solide Reputation erarbeitet haben. Eine Interessegruppe, welche die europäische Politik der Qualitätssicherung seit 2003 erheblich mitgeprägt hat, ist der Verein europäischer Evaluations- und Akkreditierungsagenturen, die ENQA (European Association of Quality Assurance in Higher Education). Die Gründung der European Association of Quality Assurance in Higher Education war ein unmittelbares Ergebnis der Empfehlung des Europäischen Rates. Am 24. September 1998 nahm der Ministerrat die Policy-Vorlage der Kommission zur europäischen Zusammenarbeit zur Qualitätssicherung in der Hochschulbildung (Europäischer Rat 1998) an: Die Mitgliedstaaten wurden dazu 96
Die Lissabon-Strategie ist ein auf einem Sondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs im März 2000 in Lissabon verabschiedetes Politikprogramm, das zum Ziel hat, die EU innerhalb von zehn Jahren, also bis 2010, zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen.
186
5 Europapolitik der Qualitätssicherung
aufgefordert, Qualitätssicherungssysteme zu schaffen oder zu unterstützen. Die in Punkt 3.2 des Dokumentes festgelegte Realisierung eines europäischen Netzwerkes der Qualitätssicherung sollte den transnationalen Erfahrungsaustausch zwischen Hochschulsystemen stimulieren und ihre Integration befördern. Inhaltlich basierte der Text auf den Schlussfolgerungen des follow-up-Berichts zum EU-finanzierten Projekt „Evaluating University Structure“ aus den Jahren 1994 bis 1996 (vgl. Punkt 2.4.2 und European Commission 1998). Der Verfasser der Studie, Christian Thune, wurde noch 2000 zum ersten Präsidenten der ENQA ernannt und leitete die Geschicke dieser Gruppe bis zu ihrer Reorganisation im Jahre 2005. Das Netzwerk europäischer Evaluations- und Akkreditierungsagenturen war ab 2001 in die Tätigkeiten der Bologna Follow-Up Group eingebunden, ohne offiziell Mitglied zu sein. In den ersten Jahren der Betriebstätigkeit war es der ENQA deshalb nicht vergönnt, politische Einflussmöglichkeiten wahrzunehmen, umso mehr man dem EU-finanzierten Projekt nachsagte, als verlängerter Arm der Europäischen Kommission am Bolognaprozess mitzuwirken. Ein Zeitzeuge kommentierte das komplexe Verhältnis zwischen der Kommission und der ENQA mit folgenden Worten: „The Commission has the role of inducing action and creating a ground for reform by stimulating interest. There is always a testing phase, followed by a complete study with experts. If both of these moments are successful and have proven the relevance of the action programme, a recommendation is issued. In this case, the 1998 recommendation entailed already much of the bologna guidelines (…). On the basis of this recommendation ENQA has been created. The commission issued an invitation to all member states asking them to send representatives of quality assurance. In most cases, these were members of the governments – very few nations had a proper quality assurance system set up by them. (…) Slowly, the process has been launched and ENQA became professionalized“ (Interviewpartner 27a).
In der Anfangsphase hatte die Kommission demnach einen direkten und offenen Bezug zur ENQA-Gruppe, der sich jedoch im Laufe der Jahre und der Verstetigung der ENQA zu minimieren schien. Noch heute ist das Verhältnis zwischen ENQA und Kommission mit Misstrauen und Missverständnissen behaftet. Die besagte Professionalisierung der ENQA trat schon wenige Jahre nach Arbeitsaufnahme ein und kann an drei Ereignissen festgemacht werden: Erstens wurde die ENQA im Rahmen des Berlin Communiqués (2003) von den europäischen Bildungsministern beauftragt, an einem einheitlichen peerreview-Verfahren für Agenturen und europaweit gültige Standards der Qualitätssicherung zu arbeiten:
5.2 Transnationale Zusammenschlüsse
187
„At the European level, Ministers call upon ENQA through its members, in cooperation with EUA, EURASHE and ESIB, to develop an agreed set of standards procedures and guidelines on quality assurance to explore ways of ensuring an adequate peer-review system for quality assurance and/or accreditation agencies or bodies, and to report back through the Follow-Up group to the ministers. (…) The commission will support and contribute to the realisation of this mandate given by the ministers to ENQA“ (Berlin Communiqué 2003: 3).
Die Aufwertung der ENQA zum politischen Akteur ging zweitens einher mit einer konsequenten Restrukturierung des damals noch lose gekoppelten Netzwerkes. 2005 wurde ENQA nach vielen Verhandlungsjahren zum Verein nach belgischem Recht umfunktioniert (ENQA 2005a). Die jährlichen Beiträge der Mitgliedsagenturen sicherten dem Verein ein regelmäßiges Einkommen und eine finanzielle Unabhängigkeit von der Kommission. Drittens stieg die Anzahl europäischer Qualitätssicherungsagenturen im Zuge des Bolognaprozesses an: Der österreichische Akkreditierungsrat wurde z.B. 2000 gegründet, die spanische Agencia Nacional de Evaluación de la Calidad y Acreditación und die niederländische NVAO (Nederlans-Vlaamse Acreditatie Abbildung 14: Der Politzyklus Bolognas
188
5 Europapolitik der Qualitätssicherung
Organisatie) zwei Jahre später. Die Interessengemeinschaft europäischer Qualitätssicherung wuchs rapide, und die Politisierung des ENQA-Vereins bot den Mitgliedsagenturen die Möglichkeit, Mitbestimmungsrechte wahrzunehmen, die ihnen in den nationalen Politiksystemen in den meisten Fällen verwehrt blieben (siehe Abbildung 14). Nach dem Motto „If you don’t play in the game you can’t influence the game“ (Interviewpartner 20b) erhielt die Netzwerkmitgliedschaft in der ENQA die oberste Priorität in der Internationalisierungsstrategie deutscher (und europäischer) Akkreditierungsagenturen.
5.3 Politische Einflussmöglichkeiten auf europäischer Ebene? Mitwirkung deutscher Agenturen im ENQA-Netzwerk 5.3.1 Koalitionen und Interessengemeinschaften im ENQA-Netzwerk ENQA ist das einzige transnationale und themenspezifische Netzwerk der Qualitätssicherung, das in der europäischen Region politische Einflussmöglichkeiten wahrnimmt. Das Berliner Mandat zur Konzipierung eines Audit-Verfahrens für Evaluations- und Akkreditierungsagenturen sowie die Redaktion europäischer Kriterien und Standards der Qualitätssicherung (ENQA 2005b) haben ENQA zu einer federführenden Rolle im agenda-setting des Bolognaprozesses verholfen. Wohlgemerkt handelt es sich dabei um ein begrenztes Gestaltungsrecht, da die Verabschiedung der Policy-Papiere in letzter Instanz den europäischen Bildungsministern obliegt. Sie sind die eigentlichen gate-keepers des Reformprozesses. Auch wenn sie die inhaltliche Gestaltung der Policy einer komplexen Konstellation von Regierungsvertretern und Interessengruppen (in der BFUG) überantworten, so können sie die Implementierung einzelner Richtlinien binnen weniger Stunden vertagen, verhindern oder nachhaltig und unwiderrufbar reformulieren. Die Tatsache, dass die in die Bologna Follow-Up Group entsandten Regierungsvertreter im ständigen Austausch mit ihren nationalen Bildungsministerien stehen und deren Interessen im drafting-Prozess der Communiqués repräsentieren, garantiert noch lange nicht, dass die BFUG-Richtlinien tatsächlich übernommen werden. Betrachtet man die Situation aus Sicht der Agenturen, ist das europäische Policy-Making im Vergleich zum nationalen Policy-Making zwar weniger von Willkürlichkeit geprägt (sie sind schließlich an der Formulierung der Richtlinien beteiligt). Die realen Einflussmöglichkeiten auf die Ratifizierung und nationale Implementierung bleiben de facto jedoch beschränkt. Um den politischen Status der ENQA in der Gemeinschaft europäischer Evaluateure und Akkrediteure zu untermauern und somit deren Rolle als politischer Akteur im Bolognaprozess zu legitimieren, sind die deutschen Agenturen dazu überge-
5.3 Politische Einflussmöglichkeiten auf europäischer Ebene
189
gangen, die Richtlinien der ENQA (2005b) noch vor ihrer Ratifizierung durch die Bologna-Regierungskonferenz umzusetzen. Relativierend sollte hinzugefügt werden, dass die deutschen Akkreditierungsagenturen als Teil eines vergleichsweise avantgardistischen und relativ liberalen Qualitätssicherungssystems von vornherein keinem großen Anpassungsdruck ausgesetzt sind. Die Richtlinien reflektieren den kleinsten gemeinsamen Nenner unterschiedlicher Qualitätssicherungsregime und fallen deshalb abstrakt und generisch aus. In Anbetracht der Vielseitigkeit europäischer Evaluations- und Akkreditierungssysteme ist die Mitgliederstruktur der ENQA durch ein hohes Maß an Heterogenität geprägt: Polen und Litauen entsenden z.B. Vertreter des ministerialen Akkreditierungskomitees; Deutschland ist mit seinen sechs Akkreditierungsagenturen, dem Akkreditierungsrat und einer regionalen Evaluationsagentur vertreten; Großbritannien und Frankreich werden durch Mitarbeiter der nationalen Evaluationsinstitute repräsentiert. Die Größe und der rechtliche Status der Mitgliedsorganisationen unterliegen demzufolge einer hohen Varianz. Die Mitgliedschaftskriterien des Gremiums wurden im Zuge seiner Reorganisation im Jahre 2005 verschärft (alle Agenturen sollen z.B. einen rechtlich gesicherten, unabhängigen Organisationsstatus vorweisen können), aber das Problem vereinsinterner Entscheidungsfindungen blieb bislang ungeklärt: Wie gelangt man in einem derartig heterogenen und breiten Policy-Netzwerk zu politikfähigen Entscheidungen? Die Geschichte der ENQA ist durch die Herausbildung interessenspezifischer und dynamischer Subgruppen geprägt. 2002 entstand auf Initiative des deutschen Akkreditierungsratsvorsitzenden, Hans-Uwe Erichsen, das D-A-CHNetzwerk (D-A-CH 2003) deutschsprachiger Akkreditierungsagenturen.97 Im kleinen Kreis deutscher, schweizerischer und österreichischer Akkrediteure wurden erste Stellungnahmen redigiert, die nur wenige Monate später als Vorlage für das Policy-Papier der ENQA fungierten (D-A-CH 2004). Das European Consortium for Accreditation (ECA 2003) setzte ab 2003 erfolgreich die Interessen westeuropäischer Akkreditierungsagenturen innerhalb der ENQA durch: Die Leitungsfunktionen der ENQA wurden bis 2004 nämlich ausnahmslos durch Evaluateure wahrgenommen, die der Akkreditierungseuphorie europäischer Bildungsreformen skeptisch, wenn nicht ablehnend gegenüberstanden. Der aktive Lobbyismus europäischer Akkrediteure hat zu einer Reformulierung der politischen Prioritäten des ENQA-Netzwerkes hin zu einer größeren Offenheit gegenüber dem expandierenden Akkreditierungsbusiness beigetragen. Seit der 97
Das Akronym D-A-CH steht für die trinationale Mitgliedschaftsstruktur des Netzwerkes. D-ACH vereint den deutschen Akkreditierungsrat, den österreichischen Akkreditierungsrat, den österreichischen Fachhochschulrat und das Schweizer Organ für Akkreditierung und Qualitätssicherung.
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5 Europapolitik der Qualitätssicherung
Umstrukturierung der ENQA und dem damit verbundenen Personalwechsel in den Leitungsfunktionen scheinen die ECA-Aktivitäten der Akkreditierungsagenturen zugunsten einer verstärkten Einbindung in die Vereinsaktivitäten der ENQA abgenommen zu haben: „ECA ist ein Projekt, das sehr wichtig war und das gegründet worden ist, als ENQA sich nicht mit Akkreditierung befasste. Ich bezweifle auch, ob ohne die Existenz von ECA sich etwas verändert hätte. Die Tatsache, dass es eine konkurrierende Einrichtung war, spielte bestimmt eine Rolle. Nun ist das so, dass sich die ENQA auch mit Akkreditierung beschäftigt. Im Board von ENQA sind auch Akkreditierungsvertreter. Politisch gesehen ist ENQA ein Schwergewicht. ECA ist politisch sicherlich weniger relevant. Zum Anfang konnte es Wege ebnen und zu Fortschritten führen. Insgesamt ist ENQA mittlerweile einfach politisch relevanter“ (Interviewpartner 26b).
Innerhalb der ENQA bilden sich zudem themenbezogene Arbeitsgruppen heraus, die sich der Diskussion und Redaktion einzelner Richtlinien oder bolognabezogener Policy-Texte annehmen. Diese Texte werden dann in der Generalversammlung des Vereins diskutiert und verabschiedet. Das politische Gewicht einer Agentur und ihre Einflussmöglichkeiten auf den Policy-Making-Prozess innerhalb der ENQA hängen davon ab, in wie vielen Gremien und Arbeitsgruppen sie eingebunden ist. Je höher die Anzahl der Arbeitsgruppen, in denen eine Agentur involviert ist, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie Einfluss auf die Gestaltung des ENQA-Mandats (und somit auch auf die Qualitätssicherungspolitik des Bolognaprozesses) ausüben kann. Allerdings ist die Gremienarbeit wie gesagt mit hohen Kosten verbunden, sodass eine Agentur selten an mehr als ein bis zwei Arbeitsgruppen teilnehmen kann. In dieser dynamischen Subgruppen-Konstellation könnte sich die überproportionale Repräsentation deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen im europäischen Netzwerk (denn diese sind nicht nur in sämtlichen Arbeitsgruppen, sondern auch in den ECA- und D-A-CH-Netzwerken vertreten) zu ihrem Vorteil auswirken. Bestünde eine nationale Position, eine gemeinsame europäische Politikstrategie deutscher Agenturen, ließe sich „das Spiel“ (Interviewpartner 20a) zu ihren Gunsten bestimmen. Doch wie schon auf nationaler Ebene ist das interorganisationale Zusammenspiel der Agenturen auf europäischer Ebene durch Wettbewerb und lose Koalitionen geprägt.
5.3 Politische Einflussmöglichkeiten auf europäischer Ebene
191
5.3.2 Kooperation und Wettbewerb zwischen deutschen Agenturen auf europäischer Ebene Der europäische Wettbewerb zwischen deutschen Vertretern ist weniger an der Dichotomie Evaluationsagentur – Akkreditierungsagentur festzumachen (bis auf die kürzlich vollzogene Mitgliedschaft Evalags sind die deutschen Evaluateure nicht in transnationale Netzwerke eingebunden), als auf die doppelte Repräsentation nationaler Interessen durch den Akkreditierungsrat einerseits und die sechs Akkreditierungsagenturen andererseits. Mehr noch als die problematische Konsensfähigkeit miteinander konkurrierender Akteure steht die Glaubwürdigkeit des Akkreditierungsrates als legitime Vertretung und regulierende Instanz deutscher Qualitätssicherung in Frage: „Wir [der Akkreditierungsrat] sind zunächst einmal der erste Ansprechpartner bei dieser Vorstellung im internationalen Kontext. Was nicht heißt, dass nicht auch die Agenturen eine wichtige Rolle spielen. (…) Wir haben halt die Erfahrung gemacht: Wenn zu viele unterschiedliche Stimmen aus Deutschland kommen, dann sind unsere anderen europäischen Partner irritiert. In vielen anderen Ländern gibt es nur eine Akkreditierungseinrichtung“ (Interviewpartner 6a).
Die deutschen Akkreditierungsagenturen verfolgen mit ihrer (kostenaufwendigen) Teilnahme am europäischen Geschehen jedoch eigene Interessen (Profilierung, Informationsnähe, Ausfindigmachen potentieller Kooperationspartner). Die Vertretung nationaler Interessen durch den Akkreditierungsrat und die Individualstrategien der Agenturen stimmen in den seltensten Fällen überein. Das konfliktbehaftete Konkurrenzverhältnis zwischen Regulierungsinstanz und Regulierten tritt auf europäischer Ebene offen zutage, weil die nationale Hierarchiebeziehung zwischen Akkreditierungsrat und Akkreditierungsagenturen durch die Vereinsstruktur der ENQA unterlaufen wird: Akkreditierungsrat und Agenturen sind Gleichberechtigte und voneinander unabhängige Mitglieder der ENQA. Dadurch eröffnen sich wiederum Handlungsspielräume für die Agenturen, die sich in diesen Netzwerken zu profilieren suchen. Zwangsläufig reduzieren die Sprachbarrieren das Verständnis der Kollegen für nationale Qualitätssicherungsdebatten erheblich, sodass die Subtilitäten des innerdeutschen Konflikts auf europäischer Ebene vornehmlich von Vertretern deutschsprachiger Agenturen rezipiert werden. Doch auch hier wird gegenüber der Überrepräsentation deutscher Akkreditierungsagenturen mit Unverständnis reagiert, umso mehr als das komplizierte Wettbewerbsverhältnis zwischen Agenturen die Verfolgung einer eindeutigen politischen Linie verhindert:
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5 Europapolitik der Qualitätssicherung
„Die innerdeutschen Diskussionen auf europäischer Ebene nerven. Persönliche Konflikte werden auf europäischer Ebene aufgefahren und behindern die transnationale Diskussion. Es geht darum, wer den meisten Einfluss auf den Akkreditierungsrat ausübt. Es ist einfach peinlich“ (Interviewpartner 14a).
Die Zersplitterung des organisationalen Feldes auf europäischer Ebene wird zum unvermeidlichen Stolperstein deutscher Lobbyingversuche. Zweckkoalitionen deutscher Akkreditierungsagenturen zeichnen sich nur in kleineren Zusammenhängen oder Arbeitsgruppen ab. In diesen Koalitionen tritt wiederum die subgruppenspezifische Unterteilung der Agenturen in „fachübergreifend“ versus „fachspezifisch“ zutage. Fachübergreifende und fachspezifische Agenturen verfolgen unterschiedliche Internationalisierungsstrategien. Während erstere sich vorbehaltlos in transnationalen und regionalen Netzwerken engagieren (wie z.B. ECA und ENQA), um ihre politische Einflussnahme zu erhöhen, streben die Fachakkrediteure – zusätzlich zur ENQA-Mitgliedschaft – die Mitgliedschaft in internationalen Professionsnetzwerken an. Das EURACE-Netzwerk und der Washington Accord sind ausgewählte Beispiele für ein breites Spektrum international tätiger Verbände, Verbünde und Netzwerke, die sich nicht nur als Kommunikationsplattformen fachspezifischer Akkreditierungsagenturen inszenieren, sondern darüber hinaus als professionsnahe Foren fungieren, in denen die Qualitätsstandards professioneller Ausbildungswege diskutiert und (vor allem) gesetzt werden.98 Diese Netzwerke und Assoziationen besitzen ein etabliertes Prestige in den internationalisierten Fachkulturen der Ingenieur- und Verwaltungswissenschaft. Als übergeordnete Zusammenschlüsse kontrollieren sie die Expansion international tätiger fachspezifischer Akkreditierungsagenturen, indem sie die scientific community über die Seriosität der Anbieter informieren. Die Mitgliedschaft in professionsnahen Netzwerken untermauert also die Legitimität der Fachakkreditierer in den Augen deutscher und ausländischer Kunden. Die breit angelegte Netzwerkpolitik der fachspezifischen Akkreditierungsagenturen überschneidet sich dementsprechend nur in Teilen mit der Prioritätensetzung der fachübergreifenden Akkrediteure und verhindert die Realisierung eine kohärenten nationalen Interessenpolitik in den transnationalen Netzwerken und Foren.
98
Das EURACE-Projekt für die Akkreditierung von Studiengängen im Bereich der Ingenieurwissenschaften in Europa wurde unter der Schirmherrschaft des European Standing Observatory for the Engineering Profession and Education (ESOEPE) 2004 ins Leben gerufen. Es hat sich zum Ziel gesetzt, ein europäisches System für die Akkreditierung von ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen zu etablieren.
5.4 Entstehung eines transnationalen Marktes der Qualitätssicherung?
193
5.4 Entstehung eines transnationalen Marktes der Qualitätssicherung? Es liegt auf der Hand, dass die erweiterte Akteursstruktur des Policy-MakingProzesses Folgen für die Qualität europäischer Reformdiskussionen haben musste. Die aktuelle Debatte um die Einführung der Meta-Akkreditierung ist nur ein Beispiel für die Veränderung von Inhalt und Struktur der hochschulpolitischen Diskussion seit der Einbindung der Interessengruppen in den Entscheidungsprozess.99
5.4.1 Gründung eines europäischen Registers für Qualitätssicherungsagenturen100 Das Register als Verbraucherschutz-Maßnahme: Ursprung eines innovativen Politikkonzeptes Seit Beginn des europäischen Reformprojektes haben Fragen der gegenseitigen Anerkennung bzw. Vergleichbarkeit von Abschlüssen und learning outcomes Diskussionen um die Realisierung eines reliablen und transnationalen Systems der Qualitätssicherung motiviert: „Cooperation in quality assurance is an important prerequisite for mutual recognition of educational and training qualifications, which can only be achieved in the long term if the necessary trust can be created between competent agencies [of quality assurance in the respective nation states]“ (European Parliament 2004: 9).
Jüngste europäische Bemühungen in diese Richtung hatten die Gründung eines sogenannten European Registers for Quality Assurance Agencies zum Ziel. Im Rahmen des Berliner Mandats griffen die Interessengruppen ESIB, EURASHE, EUA und ENQA eine seit Jahren stagnierende internationale Hochschuldebatte wieder auf und machten sie für die Politikstrategie Bolognas fruchtbar. Evaluation und Akkreditierung haben sich seit Ende der 1980er Jahre zu einem lukrativen Geschäft entwickelt, doch die Entdeckung illegaler Akkreditierungspraktiken begründete schon frühzeitig das internationale Interesse an Gesprächen zur Einführung eines übergeordneten Kontrollorgans. Als erste nichtstaatliche Organisation griff die International Association of University Presidents (IAUP) das Thema Meta-Akkreditierung auf und beauftragte den belgi99
Unter Meta-Akkreditierung ist die Zertifizierung nationaler und international tätiger Anbieter durch eine unabhängige und übergeordnete Institution zu verstehen. 100 Punkt 5.4.1 greift auf Ausführungen in Serrano-Velarde (2008) zurück.
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5 Europapolitik der Qualitätssicherung
schen Bildungsexperten Dirk Van Damme mit der Realisierung eine Studie zur Internationalisierung der Hochschulbildung und Akkreditierung. Dirk Van Dammes Analysen aus den Jahren 1999 und 2001 hoben die dramatischen Auswirkungen der Globalisierung des Hochschulbetriebs auf die bis dahin noch nationalstaatlich definierten Systeme des Konsumentenschutzes hervor. Demzufolge sei der wachsenden Unsicherheit bezüglich der Qualität nationaler und internationaler Hochschulangebote entgegenzuwirken, indem nationale Qualitätssicherungssysteme durch ein international aktives Kontrollgremium komplementiert werden. Die Idee Dirk Van Dammes, ein „worldwide quality register for quality assurance and accreditation agencies“ (Van Damme 2001) ins Leben zu rufen, wurde kurze Zeit später von der Unesco und der OECD aufgenommen, die seit 2001 an gemeinsamen Richtlinien zur „Quality Provision in CrossBorder Higher Education“ arbeiteten (OECD 2005). Der Fokus der Unesco/ OECD-Politikagenda auf den Konsumentenschutz im expandierenden globalen Hochschulmarkt spiegelte die wachsende Sorge der Entwicklungsländer um die Qualität des importierten Hochschulangebotes wider. Allerdings musste die Registeridee aus den 2005 ratifizierten guidelines aufgrund des scharfen Widerstands der Hochschulexporteure wieder gestrichen werden. Die langjährige Registerdebatte weckte aber das Interesse des Directorate General Education and Training der Europäischen Kommission, das kurz darauf den Punkt MetaAkkreditierung für seine bildungspolitische Strategie aufgriff. Obwohl der Implementierungserfolg bislang ausblieb, avancierte das Thema zum Leitmotiv der EU-Hochschulpolitik und führte zur Verfassung einiger kontrovers diskutierter Policy-Texte (European Commission 2004). Erst das Berliner Mandat bot der Kommission die Chance, die Registerfrage wieder aufzurollen und sie den Interessengruppen zuzuspielen. Schließlich bestanden bzw. bestehen ‚privilegierte Kontakte‘ zwischen der Mandatsgruppe (die sogenannten „E4“, d.h. ESIB, EUA, EURASHE und ENQA) und deren wichtigstem Geldgeber, die Europäische Kommission. Das Berliner Mandat Die vier großen Interessengruppen EUA, ESIB, EURASHE und ENQA wurden im Mai 2003 von den europäischen Bildungsministern beauftragt, konkrete Reformkonzepte zur Qualitätssicherung zu formulieren. Im Rahmen dieses Mandats wurde die Registerfrage auf die Politikagenda Bolognas gesetzt. Es besteht zwar Unklarheit darüber, ob das EU-finanzierte ENQA-Netzwerk allein auf die Registeridee kam oder ob die Europäische Kommission über die ENQA geschickt auf die Realisierung ihrer eigenen Prioritäten hinwirkte. Nichtsdestotrotz verweisen die zeitliche und inhaltliche Parallelität der Policy-Dokumentation auf eine Kor-
5.4 Entstehung eines transnationalen Marktes der Qualitätssicherung?
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relation der hochschulpolitischen Strategien der ENQA und der Kommission. Nach zwei Jahren intensiver und oft konfliktbehafteter Debatten innerhalb der E4-Gruppe (BFUG 2003, 2004, 2005a, 2005b) sowie zwischen den E4 und der Bologna Follow-up Group, präsentierte die ENQA auf der Bergen-Konferenz 2005 ein Policy-Papier (ENQA 2005b), das eine tief greifende Restrukturierung des bestehenden Systems europäischer Qualitätssicherung vorsah: Nationale und regionale Evaluations-/Akkreditierungsagenturen sollten von einer supranationalen Kommission überprüft werden. Sollten sie sich eignen, würde ihnen Zugang zu einem Register zertifizierter Qualitätssicherungsagenturen gewährt werden. Europäische Hochschulen würden die Möglichkeit erhalten, eine beliebige Dienstleistungsagentur aus dem Register zu wählen, um ihre Studiengänge evaluieren oder akkreditieren zu lassen, ohne auf das (oftmals begrenzte) nationale Angebot zurückgreifen zu müssen. Mit dieser Aktion sollte eine Liberalisierung europäischer Qualitätssicherung, ihrer Angebots- und Nachfragestruktur erreicht werden. Die prinzipielle Gleichwertigkeit und Ersetzbarkeit europäischer Qualitätssicherungsagenturen sollten nationale Marktbegrenzungen auflösen und ein europäisch ausgelegtes Netzwerk des Konsumentenschutzes begründen. Mit der wachsenden Mobilität von Studenten und qualifizierten Arbeitern erwies sich die Internationalisierung des Konsumentenschutzes als unerlässlich für die Funktionstüchtigkeit einer integrierten European Higher Education Area. Wie erwartet wurde die Registeridee von den Bildungsministern in Bergen mit wenig Begeisterung aufgenommen: Was für Kompetenzen sollten der supranationalen Kommission zuteil werden? Wie würden sich diese Kompetenzen auf die nationale Hochschulsteuerung auswirken? Man nahm die Registeridee zur Kenntnis, „begrüßte“ (Bergen Communiqué 2005) sie sogar, ratifiziert wurde sie jedoch nicht. Ein deutscher Regierungsvertreter in der BFUG kommentierte die Position des deutschen Bildungsministeriums und seiner europäischen Pendants wie folgt: „Auf der deutschen Ebene vertritt Deutschland einen kritischen und vorsichtigen Umgang mit der Realisierung der Registeridee. Wir stehen der Idee eher reserviert gegenüber, weil die Arbeitsteilung zwischen nationaler und europäischer Ebene unklar ist. Wie genau sieht das Verhältnis zwischen beiden Ebenen aus? Wem müssen sich die Agenturen unmittelbar gegenüber verantworten? Wer bezahlt die Errichtung eines Komitees? Was sind die Konsequenzen? Das Register entbehrt jeder Funktionsbeschreibung. Die Kommission und ENQA stellen sich das Ganze sehr verbindlich vor. Darüber wurde auch viel gestritten, selbst wenn klarstand, dass das einfach mehr Ausarbeitung bedarf. Wir konnten die Idee des Registers einfach nicht so akzeptieren. (…) Deutschland hat in dieser Position Unterstützung bekommen aus Frankreich, Großbritannien und Italien. Die anderen waren eher zurückhaltend, auch wenn sich nach Bergen viel klarer Kritik abzeichnete“ (Interviewpartner 28a).
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5 Europapolitik der Qualitätssicherung
Die nationale Einstellung gegenüber der supranationalen Regulierungsinstanz hängt von der Größe des nationalen Hochschulmarktes ab. Während kleinere Länder wie z.B. Liechtenstein und Luxemburg die Existenz eines Registers befürworteten, weil sie auf externe Anbieter angewiesen sind (das Hochschulsystem ist zu klein, als dass es die kostenaufwendige Einführung eines nationalen Akkreditierungsgremiums rechtfertigen würde), reagierten größere Länder mit offenem Widerstand: Sollte man den nationalen ‚Markt‘ für Evaluations- und Akkreditierungsleistungen etwa der internationalen Konkurrenz öffnen und riskieren, dass nationale Regelungen zur Qualitätssicherung durch ein transnationales Abkommen unterlaufen werden? Was für eine Steuerungsfunktion kann Akkreditierung und Evaluation unter diesen Bedingungen überhaupt noch erfüllen? Letztendlich setzte sich die Position der Flächenländer Europas durch. Das Bergen Communiqué sieht vor, dass den Agenturen Zugang zum Register gewährt wird, wenn diese vorab eine Evaluierung durch das Bildungsministerium bestehen, dem sie ‚untergeordnet‘ sind: „We commit ourselves to introducing the proposed model for peer-review of quality assurance agencies on a national basis, while respecting the commonly accepted guidelines and criteria. We welcome the principle of a European register of quality assurance agencies based on a national review“ (Bergen Communiqué 2005: 3).
Ferner soll der Nationalstaat als einziger die Befugnis haben, den nationalen Evaluations- und Akkreditierungsmarkt 1) zu regulieren und 2) internationalen Anbietern unter seinen Bedingungen zu öffnen. Das enjeu national der Qualitätssicherung, das an der kontextspezifischen Steuerungsfunktion von Evaluation und Akkreditierung festgemacht werden kann, verhindert die Delegierung nationaler Regulierungskompetenzen an eine supranationale Instanz. Diese Beobachtung kann als die ultimative Lektion der Bergen-Konferenz angesehen werden. Im Grunde genommen ist die Meta-Akkreditierung eine Reformidee, die von Nichtstaatlichen Organisationen in die Welt gesetzt wurde und über die Interessengruppen an den Bolognaprozess herangetragen wurde. Sie ist gewissermassen ideologisch vorbelastet: Kein europäischer Regierungsvertreter würde je auf die Idee kommen, die nationale Hochschulsteuerung durch eine supranationale Kontrollkommission zu unterlaufen. Dass die Frage der Meta-Akkreditierung überhaupt Erwähnung fand und von den Ministern in Bergen diskutiert wurde, ist letztlich der offenen Policy-Making-Struktur des Bolognaprozesses zu verdanken: Interessengruppen dürfen ihr Expertenwissen im think-tank der Bologna Follow-Up Group einbringen, das Mitentscheidungsrecht wird ihnen jedoch verweigert. Die Minister haben ihre gate-keeping-Funktion wahrgenommen und zukünftige Gespräche um die Einführung einer europäischen Metaakkredi-
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tierung thematisch so eingegrenzt, dass das Subsidiaritätsprinzip europäischer Bildungspolitik nicht verletzt wird. Die Kehrtwende europäischer Reformdiskussionen hin zu einer nationalstaatlich delimitierten Definition von Qualitätssicherung, die sich auf der Konferenz in Bergen abzeichnete, hatte direkte Implikationen für die Politikstrategie der Europäischen Kommission. Während das white paper aus dem Jahr 2004 „Further European Co-operation in Quality Assurance in Higher Education“ noch auf dem Prinzip beruhte, dass registrierte europäische Agenturen einander gleichwertig waren und sich auch auf nationaler Ebene gegenseitig substituieren konnten (ein Prinzip, das von den ENQA-Richtlinien übernommen wurde), drosselten die Novellierungen des Europaparlaments nach der Bergen-Konferenz den Reformenthusiasmus der Kommission: Das Thema Qualitätssicherung fiel letztlich unter die Subsidiaritätsklausel, die die bildungspolitischen Ambitionen der Kommission seit dem Maastricht Vertrag aus dem Jahr 1992 zügelte. Die Reformulierung von Punkt I.E., der ursprünglich lautete „[member states] accept the assessments made by all quality assurance and accreditation agencies listed in the European register as a basis for decisions on licensing or funding of higher education institutions“ (Europäische Kommission 2004), in „[member states] encourage higher education institutions to work towards a complementary transnational assessment or accreditation by an agency in the European register, with a view of boosting their international reputation“ (Europäisches Parlament 2005) ist paradigmatisch für den Sinneswandel europäischer Bildungsminister, die sich einer Reallokation der Verantwortung über Qualitätssicherung verweigerten. In der Tat äußerte Dirk Van Damme bereits 1999 ernsthafte Zweifel an der Realisierbarkeit des Registerprojekts: „National governments will not be prepared to have their authority in the field of quality assurance and the monitoring of performance of their domestic higher education institutions eroded by the transfer of power to supranational institutions“ (Van Damme 1999: 33).
Seine Vorbehalte waren berechtigt. Selbst in Regionen privilegierter Handelsund Politikbeziehungen (in diesem Falle der EU und den anliegenden Staaten) wird die Qualitätssicherung im Hochschulbereich als unantastbares Vorrecht des Nationalstaates angesehen. Die funktionelle Asymmetrie zwischen der Steuerungsfunktion nationaler Qualitätssicherungssysteme und ihrer Zugehörigkeit zu einem transnational ausgelegten Netzwerk des Konsumentenschutzes wurde bislang nicht gelöst und wird die europäische Reformdebatte auch weiterhin prägen bzw. aufhalten.
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Auch wenn Qualitätssicherung zum enjeu politique europäischer Integrationsbestrebungen geworden ist, werden die Funktionen und Handlungsräume der Agenturen durch nationale Anforderungen und Erwartungen vorgegeben. Der Registervorschlag der ENQA, das europäischen Hochschulen die freie Wahl ihres Akkreditierungs- bzw. Evaluationsanbieters zuspricht, scheiterte am notorischen Veto-Punkt (Tsebelis 2002) aller Europäisierungsbemühungen im Bildungsbereich: dem Subsidiaritätsprinzip. Waren die Bolognakonferenzen vor 2003 noch von dem gemeinsamen Bemühen geleitet, europataugliche Qualitätssicherungssysteme aufzubauen und transparent zu gestalten, leitete die Bergen Konferenz eine Reformulierung der politischen Bestrebungen ein. Von nun an verweilt die Entscheidungsmacht über die Akkreditierung und Evaluierung in den Händen nationaler Bildungsministerien. Da die Gründung eines Registers europäischer Qualitätssicherungsagenturen und die Organisation eines freien europäischen Marktes für Evaluations- und Akkreditierungsagenturen vom guten Willen nationaler Regierungen abhängt, bleibt fraglich, inwiefern die europäische Reformagenda überhaupt noch Initiativen zur Liberalisierung europäischer Qualitätssicherung artikulieren kann. Kurzum: Unterliegt die europäische Reformagenda nun endgültig einer nationalen Interpretation, und was für Auswirkungen hätte dies auf den europäischen Politikprozess?
5.4.2 „Closed shops“: Vom Akkreditieren im europäischen Ausland Zu den Paradoxa Bolognas zählt zweifellos die Tatsache, dass es die Mitgliedstaaten einerseits dazu auffordert, nationale Qualitätssicherungssysteme zu generieren, andererseits aber auf die Europäisierung eben dieser nationalen Systeme drängt. Im Berlin Communiqué heißt es hierzu z.B.: „Ministers commit themselves to supporting further development of quality assurance at institutional, national and European level (…). Therefore, they agree that by 2005 national quality assurance systems should include: A definition of the responsibilities of the bodies and institutions involved. Evaluation of programmes or institutions (…). A system accreditation, certification or comparable procedure. International participation, co-operation and networking“ (Berliner Communiqué 2003: 3).
Schon im darauf folgenden Absatz des Communiqués wird das ENQA-Mandat zur Konzipierung europäischer Richtlinien und Qualitätskriterien angeführt. Die Doppeldeutigkeit bzw. Interpretationsoffenheit dieser Richtlinien war es, die die
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Koppelung eines europäisch motivierten Strukturbildungsprozess mit nationalen Reformprioritäten ermöglicht hat und die Erfolgsgeschichte Bolognas begründete. In dieser Hinsicht wurde die Bildung nationaler Qualitätssicherungssysteme zweifelsohne durch den Bolognaprozess befördert. Die Vielfältigkeit europäischer Evaluations- und Akkreditierungsmodelle ist aber als Resultat nationaler Aushandlungsprozesse zu verstehen, in denen unterschiedliche Akteure sowie deren Interessen und Reformvisionen aufeinander trafen und sich zum politischen Entschluss durchrangen, neue und kostspielige Institutionen ins Leben zu rufen (vgl. Punkt 1.1): Das europäische Reformprojekt trifft in jedem Mitgliedsland auf ein vorbelastetes bildungspolitisches Umfeld, in denen die relevanten Akteure den Bolognadiskurs nicht nur aufgreifen und umsetzen, sondern ihn sich auch aneignen. In Deutschland wurden die Bologna-Richtlinien beispielsweise in eine Reformdiskussion integriert, die sowohl die Deregulierung der Hochschulsteuerung und die Internationalisierung bzw. Profilierung der Hochschulen im internationalen Umfeld als auch die Rationalisierung der Hochschulbudgets thematisierte. Die Organisation deutscher Qualitätssicherung ist aus dieser komplizierten Konstellation heraus geboren, in der sich nationale und internationale Reformprioritäten zum transnationalen Projekt verdichteten. Die Dichotomie national/europäisch, die die Gründung der Qualitätssicherungssysteme und -agenturen begleitete, sollte sich noch nachhaltig auf die Weiterentwicklung der europäischen Bildungspolitik und die Auslandstätigkeit der Agenturen auswirken. Den deutschen Akkreditierungsagenturen stand es seit ihrer Gründung frei, Aufträge im Ausland wahrzunehmen. Besser gesagt, es existierten keine Regulierungen, weder auf Seiten der KMK noch des Akkreditierungsrates, die die Auslandstätigkeit der Agenturen hätten begrenzen oder reglementieren können. Den großen Handlungsspielraum nutzten die Agenturen in der Regel bereits kurze Zeit nach Betriebsaufnahme. Viel mehr als die Erschließung neuer Märkte interessierte die deutschen Akkrediteure damals der Aufbau eines internationalen Images, das die Etablierung und Profilierung der Agentur auf dem heimischen Markt hätte beschleunigen können. Allerdings erwies sich der europäische Markt für Akkreditierungsleistungen weitaus kleiner und fragmentierter, als es die bildungspolitische Rhetorik auf europäischer Ebene zunächst erahnen ließ. Da der Aufbau von Qualitätssicherungssystemen im Zuge des Bolognaprozesses forciert wurde, diese aber konsequent für die nationale Hochschulsteuerung eingesetzt wurden, waren Nachfrage und Angebot in den meisten Fällen vom Nationalstaat reguliert. Vor allem die fachübergreifenden Akkreditierer hatten mit dieser Markteinengung zu kämpfen, insofern ihr Angebot keinen direkten Mehrwert zur nationalen Evaluation bzw. Akkreditierung vorweisen konnte. Eine fachspezifische
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Akkreditierung hingegen konnte mit einem Prestigegewinn in der nationalen und internationalen scientific community werben, sofern die Agentur es geschafft hatte, sich in den relevanten Gremien zu etablieren. Eine Mitarbeiterin der britischen Evaluationsagentur QAA (Quality Assurance Agency for Higher Education) kommentierte den Marktzugang deutscher Agenturen in Großbritannien mit folgenden Worten: „Our institutions have little appetite for programme accreditation unless necessary. (…) Some institutions as for example in business or management studies do have international accreditation as provided by EQUIS [European Quality Improvement System]. They provide a sort of complementary legitimacy. So this is done purely for a competitive point of view. Unless they perceive the calculus of being accredited by foreign agencies (reputation and so on), universities won’t go for it. It is international reputation which is at stake. The best known label is more legitimated to get. However, this is not an alternative to the [national] evaluation“ (Interviewpartner 20a).
Obwohl der Akkreditierungsrat also keinerlei Regulierungsbefugnisse für die internationale Tätigkeit der deutschen Akkreditierungsagenturen innehat, wird der Marktzugang der Akkrediteure durch das ausländische konkurrierende (meist staatliche) Qualitätssicherungssystem eingeschränkt. International tätigen Agenturen bleibt in Ländern, in denen bereits ein Qualitätssicherungssystem existiert (und es sei nochmals angemerkt, dass die Zahl der Länder mit einem funktionsfähigen Akkreditierungs- und/oder Evaluierungssystem im Zuge des Bolognaprozesses stetig zunimmt), nichts weiter übrig, als sich der nationalen Konkurrenz zu beugen und sich in einer relativ kleinen Marktnische zu etablieren: die Akkreditierung binationaler Studiengänge. „Im europäischen Ausland werden die Begutachtungsstrukturen parallel aufgebaut. Dann arbeiten wir eher mit den ausländischen Agenturen zusammen. Wenn wir ein deutsch-britisches Programm haben, dann schauen wir uns an, was sagt QAA zum britischen Teil. Wir schauen uns dann den deutschen Teil an“ (Interviewpartner 27b).
Die Akkreditierung eines binationalen Studiengangs verläuft wiederum nach dem Prinzip der Aufgabenteilung. Die deutsche Agentur ist angehalten, den Akkreditierungsbeschluss der nationalen Agentur für den ausländischen Teil des Studienganges kritiklos hinzunehmen, ihn zu berücksichtigen und sich ausschließlich auf die Begutachtung des deutschen Studienteils zu beschränken: „Nehmen wir an, wir haben einen binationalen Studiengang, der im Partnerland [Frankreich] schon akkreditiert wurde. Dann hinterfragen wir nicht mehr die Quali-
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tät des französischen Teils. Dann wird das, was sie akkreditiert haben, akzeptiert. In den Fällen, in denen es keine Akkreditierung gibt, würden Gutachter vor Ort überprüfen, ob das nach [Agentur-]Standards arbeitet. Wenn es etwas gibt, wenn etwas vorhanden ist, dann wird das akzeptiert“ (Interviewpartner 25b).
Wie gesagt hängt die Offenheit nationaler Hochschulsysteme gegenüber ausländischen Dienstleistern von der Größe des Hochschulmarktes ab. Kleinere Hochschulsysteme sind oft nicht mit einem regulierten Qualitätssicherungssystem ausgestattet, weil sich die Investition in Anbetracht 1) der begrenzten Größe des Hochschulmarktes und 2) der in Europa chronisch knappen Hochschulbudgets nicht rentieren würde. Liechtenstein, Luxemburg, Belgien, Kroatien usw. greifen regelmäßig auf die Akkreditierungsleistungen deutscher Agenturen zurück, während die Hochschulsysteme europäischer Flächenstaaten „closed shops“ (Interviewpartner 17b) bleiben. Auf eine Akkreditierung sind die Hochschulen kleinerer Staaten trotzdem nicht angewiesen, da für die Hochschulsteuerung und -zulassung alternative Mechanismen existieren. Die Akkreditierung durch eine deutsche Agentur kann auch in diesem Fall nur zusätzlich zum traditionellen Genehmigungsverfahren durchgeführt werden. Ersetzen kann sie es nicht. Durch eine ausländische Akkreditierung erhoffen sich die Hochschulen meist einen Prestigegewinn, einen Wettbewerbsvorteil gegenüber konkurrierenden nationalen oder internationalen Institutionen: „Aber eine Entscheidung der [Agentur] für eine Akkreditierung eines Studienganges in der Schweiz hat in der Schweiz keinerlei rechtliche Wirkung, sondern rechtlich darf nur die OAQ [Organ für Akkreditierung und Qualitätssicherung der Schweizerischen Hochschulen] in der Schweiz akkreditieren. Unsere Akkreditierung ist für die Schweizer Hochschulen ein add-on gegenüber dem Kunden nachzuweisen, dass man auf einem international vergleichbaren Standard ist. Aber rechtlich ist das völlig unverbindlich“ (Interviewpartner 19b).
Ausländische Aufträge sind in sehr unterschiedlicher Weise und in unterschiedlichem Maße mit institutional constraints verbunden. Entweder sie entfallen ganz, weil Akkreditierung eben nicht Teil der nationalen Hochschulsteuerung ist und deshalb keine besonderen Auflagen erfüllen muss, oder sie sind an eine VorabEvaluierung der Agentur und ihrer Dienstleistungen gebunden. Das niederländische Qualitätssicherungssystem wird z.B. als offener Akkreditierungsmarkt gehandelt, in dem deutsche Agenturen berechtigt sind, die Begutachtung niederländischer Hochschulen zu übernehmen und die für die staatliche Genehmigung der Studiengänge unerlässliche Dokumentation zu liefern. Allerdings ist der Marktzugang extrem reguliert: Agenturen, die in den Niederlanden tätig werden wollen, müssen sich einem strengen peer-review unterziehen. Des Weiteren müssen
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sie Auflagen erfüllen, die die Gleichwertigkeit nationaler und ausländischer Akkreditierungen und Akkreditierungsdokumentationen garantieren. Die institutional constraints des niederländischen Akkreditierungsmarktes sind hoch, insofern die deutschen Akkreditierungsagenturen sich unbedingt auf die Spielregeln des Niederländischen Kontrollgremiums, der Nederlands-Vlaamse Accreditatieorganisatie (NVAO) einlassen müssen. Bisher haben drei der sechs deutschen Akkreditierungsagenturen den Antrag auf eine niederländische Zulassung gestellt. Die begrenzte Größe des Akkreditierungsmarktes und die zahlreiche Konkurrenz rechtfertigt eben nicht für alle Agenturen die Kosten, die mit dem peerreview-Verfahren und den sonstigen Auflagen verbunden sind.101 Der Einstieg in den niederländischen Markt bietet besonders Fachakkreditierern die Chance, ihre Internationalisierungsstrategie auszubauen. Im Zuge der sich abzeichnenden Reformdebatte um die Einführung der institutionellen Akkreditierung – einer zeit- und kosteneffektiveren Variante zur Studiengangakkreditierung, in der die Agenturen eine ganze Hochschule begutachten und ermächtigen, die Realisierung neuer Studiengänge hochschulintern zu verabschieden – wurden die Fachakkreditierer mit der dringenden Notwendigkeit konfrontiert, sich ein zweites, nichtnationales Standbein zu suchen. Die Auslandsstrategie der Fachakkreditierer unterscheidet sich von der Internationalisierungsstrategie der fachübergreifenden Akkreditierungsagenturen insofern, als dass diese nicht nur eine breitere Netzwerkpolitik fahren, sondern eine aktive Kundenakquise im europäischen Ausland betreiben. Die Fragmentierung und Begrenztheit des europäischen Marktes für Akkreditierungs- und Evaluationsleistungen macht die Internationalisierungsstrategie fachspezifischer Agenturen zum mühsamen Unternehmen. Zwei der drei fachspezifischen Agenturen sind dazu übergegangen, die interne Organisationsstruktur um eine Arbeitsstelle „Internationales“ zu erweitern, die die vielfältigen europäischen und außereuropäischen Aktivitäten der Agentur koordiniert. Einerseits hat Bologna den Strukturbildungsprozess nationaler Qualitätssicherungssysteme gefördert, andererseits ist es aber auch auf das europäische Reformprojekt zurückzuführen, dass der europäische Markt für Akkreditierungsund Evaluationsleistungen durch ein hohes Maß an Fragmentierung und Geschlossenheit gekennzeichnet ist. Das Steuerungspotential von Evaluation und Akkreditierung verhindert die Liberalisierung europäischer Qualitätssicherungssysteme (im Sinne einer Öffnung des nationalen Marktes gegenüber ausländischen Anbietern) und beschränkt damit auch den internationalen Handlungsspielraum der Agenturen. 101 Auch in Deutschland sind internationale Akkrediteure zugelassen. Sie müssen vom Akkreditierungsrat überprüft und akkreditiert werden, um den Betrieb aufzunehmen zu dürfen. Bislang blieb ein Ansturm auf den deutschen Markt jedoch aus.
5.5 Fazit
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5.5 Fazit Internationale Tätigkeiten, das Engagement in Netzwerken und die Erweiterung des Dienstleistungsgeschäfts auf das europäische (in einigen Fällen sogar auf das internationale) Ausland bilden eines der größten und wichtigsten Investitionsfelder deutscher Akkreditierungsagenturen. Die europäische bzw. internationale Dimension deutscher Akkreditierungsaktivitäten ist daher als erweiterter Handlungsspielraum, als komplementäres Gegenstück zum nationalen Feld und seinen ihm eigenen Spielregeln zu verstehen. So sind die Erläuterungen zum politischen Status einer Agentur z.B. unvollständig, wenn man sich auf deren nationale Einflussmöglichkeiten beschränkt: Die Policy-Struktur Bolognas bietet europäisch organisierten Interessenvertertern und mitunter auch der ENQA die Möglichkeit, sich als Bildungsexperten im politischen Prozess einzuschalten und die PolicyFormulierung auf europäischer Ebene mitzugestalten. In der Zwischenzeit ist die Mitgliedschaft der Agenturen im ENQA-Netzwerk zur absoluten Priorität avanciert, da sie ihnen alternative Möglichkeiten der Politikgestaltung eröffnet. Aber auch der europäische Handlungsspielraum hat seine Grenzen: die ENQA konnte die Liberalisierung europäischer Qualitätssicherungssysteme nicht herbeiführen. Das Registerprojekt wurde noch auf der Konferenz in Bergen abgelehnt, und es bleibt fraglich, ob sich die europäische Reformdiskussion zum Thema Qualitätssicherung je vom Subsidiaritätsprinzip lösen wird. Bis auf Weiteres werden die Auslandsaktivitäten der Agenturen wohl von einer national definierten Rolle der Qualitätssicherung (als Steuerungsinstrument) eingegrenzt bleiben. Das europäische und internationale Umfeld ist daher nicht nur resource (im Sinne eines Legitimitätszuwachses oder der Sicherung zusätzlicher Einnahmequellen bzw. politischer Einflussmöglichkeiten), sondern eben auch eine Konstellation institutionalisierter constraints (siehe Tabelle 4). Während Akkreditierungsagenturen die Handlungsspielräume auf europäischer und internationaler Ebene wahrnehmen und ausnutzen, bleibt es den Evaluationsagenturen (bis auf eine Ausnahme) aus Kostengründen verwehrt, am internationalen Geschehen zu partizipieren. Evaluationsagenturen sind auf das Informationsnetzwerk der Akkreditierungsagenturen angewiesen, um über die netzwerkinternen Debatten und Diskussionen informiert zu bleiben. Evaluationsagenturen bedienen sich aber auch der interorganisationalen und persönlichen Netzwerke ihrer Mitgliedshochschulen, um ihre Mitgliedschaftsstruktur internationaler zu gestalten und so an Prestige zu gewinnen. Die nationale strukturelle Dichotomie Evaluations- vs. Akkreditierungsagenturen fällt also auf europäischer und internationaler Ebene weg. Im Schlusskapitel werden die Erkenntnisse aus der empirischen Feldstudie wieder aufgenommen und auf das theoretische Analysemodell zurückbezogen.
Kosten-Nutzen-Kalkül, ob sich die Teilnahme am Netzwerk auszahlt
Kosten
Strenge (staatliche) Marktregulierung
Konkurrenz nationaler Qualitätssicherungssysteme
Kosten
Mitgliedschaftskriterien
Kosten
Kosten-Nutzen-Kalkül: Gegebenenfalls beugt sich die Agentur den Regeln/ der Konkurrenz und Strenge (staatliche) Markt- ergattert Nischen regulierung
Konkurrenz nationaler Qualitätssicherungssysteme
Mitgliedschaftskriterien
„Coping Strategies“
„Formal Constraints“
„Coping Strategies“
Problematisches Geltend- Lose Zweckkoalitionen machen von Einflussmöglichkeiten in einem breiten und heterogenen Netzwerk
„Informal Constraints“
Tabelle 4: „Institutional Constraints“ deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen auf europäischer Ebene
Akkreditierungsagenturen
Evaluationsagenturen
Netzwerke
Akkreditieren im Ausland
Netzwerke
Evaluieren im Ausland
204 5 Europapolitik der Qualitätssicherung
6 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick
6.1 Zwischen Staat und Hochschule Systeme zur Sicherung von Leistungsqualität kamen als integrativer Bestandteil eines staatlich initiierten Deregulierungsprogramms an die deutschen Hochschulen. Die Infragestellung und Kontrolle von Hochschulleistung korrelierte mit einer Distanzierung vom idealistischen Exzellenzkonzept, der die Qualität höherer Bildung an drei Prinzipien festmachte: 1) dem Prinzip der Einheit von Forschung und Lehre, 2) der Einsamkeit und Freiheit und 3) der Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden. Fungierte der Staat im Humboldtschen Universitätsprojekt noch als Garant für die freie Entfaltung des Lehr- und Forschungsbetriebs, so wurden ihm ab den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts als Dreh- und Angelpunkt eines expandierenden Wohlfahrtssystems gesamtgesellschaftliche Planungskapazitäten zugesprochen. In diesem Sinne übernahm der Staat die Verantwortung über die Steuerung des Forschungs- und Lehrbetriebs. In Folge einer unsystematisch praktizierten Strategie der Hochschulexpansion und einer stagnierenden Wirtschaftslage rückten bereits 1980 Fragen der effizienten Nutzung von Kapazitäten in den Vordergrund politischer Steuerungsabsichten. Der Staat versuchte seine Rationalisierungsbestrebungen, die in stetig sinkenden Ausgaben für den Hochschulbereich mündeten, mit der Minimierung seiner eigenen Aufgabenlast zu kombinieren: Der Abbau kostenintensiver Bürokratie wurde dadurch gefördert, dass weite Aufgaben- und Verantwortungsbereiche delegiert wurden. Die staatliche Detailsteuerung sollte zugunsten einer Ermöglichungs- oder Kontextsteuerung aufgegeben werden, welche die Autonomie öffentlicher Einrichtungen, so auch der Hochschulen, zu stärken suchte. Als Gegenwert für die neuen Gestaltungsfreiheiten forderte der Staat Leistungsqualität und Rechenschaftslegungen ein. Die Hochschulen sollten sich zur effizienten Aufgabenbewältigung verpflichten. Die Güte von Forschung und Lehre wurde auf dem Hintergrund eines marktwirtschaftlich inspirierten Effizienz- und Effektivitätsbegriffes reflektiert. Die neuen Leistungsanforderungen motivierten die Einführung eines output-orientierten Qualitätsbegriffes und eines Kontrollmechanismus, der die Diskrepanz zwischen dem Ist- und Sollzustand der Hoch-
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6 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick
schulqualität zu erfassen und zu analysieren vermochte. Diese Aufgabe wurde an professionelle Dienstleister abgetreten: den Evaluations- und Akkreditierungsagenturen. Evaluations- und Akkreditierungsagenturen traten also in ein Handlungsgefüge ein, in dem die 200 Jahre währende Rollenverteilung zwischen Staat und Hochschulen neu geregelt wurde. Ein institutionelles Gleichgewicht wurde aufgelöst, und Organisationen wurden ins Leben gerufen, die das in Zeiten der Mittelknappheit ohnehin schon konfliktgeladene Verhältnis von Hochschule und Staat mit heiklen Informationen unterfüttern sowie teilweise sogar Koordinationsfunktionen übernehmen sollten. Wie bereits die Hochschulforscher Guy Neave (1992) und Elaine El Khawas aufzeigten, ist die Rolle sogenannter buffer organisations, jener Organisationen also, die die Mediation zwischen Staat und Hochschule leisten, äußerst prekär: „Being in the middle is difficult. Most buffer organisations eventually move towards a role in which they serve one constituency more than the other; in that event, they abandon or dramatically truncate one side of their responsibility to act as buffer. Some become a tool of the government, and do not resist government encroachment on universities; others identify their role as one primarily seeing universities, and soften their calls for accountability“ (El Khawas 1992: 19).
Die Positionierung der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen im organisationalen Feld (DiMaggio/Powell 1991), ihr Verhältnis zu den Akteuren im politischen System, an den Hochschulen und zu Interessenvertretern kann dementsprechend als Indikator für 1) die Umsetzung der nationalen Deregulierungspolitik und 2) für das Entwicklungspotential der Dienstleistungsbranche „Qualitätssicherung“ gelten. Im Fokus der Untersuchung stand daher ein Strukturbildungsprozess, der die Gründung von Evaluations- und Akkreditierungsagenturen als Teil einer reformierten Steuerungsstrategie motivierte und begleitete. Es handelt sich um einen Strukturbildungsprozess, der nicht nur nationale, sondern auch europäische Implikationen hat, da die Einführung der Qualitätssicherung im deutschen Hochschulraum schon bald von einer Bildungsreform europäischen Ausmaßes eingeholt wurde. Seit 1999 sollte der Bolognaprozess die Transparenz, Äquivalenz und Konvergenz nationaler Hochschulstrukturen fördern, zu denen nun auch die neu gegründeten Agenturen zählten. Aufgrund der Mehr-Ebenen-Problematik des Strukturbildungsprozesses wurden drei forschungsleitende Fragen formuliert, die durch einen institutionenökonomischen Ansatz operationalisiert wurden: Wie und unter welchen Bedingungen haben sich die neuen Dienstleister in einem vorstrukturierten Handlungskontext gegenüber einem interventions-
6.2 Die Struktur des organisationalen Feldes
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befugten politischen System einerseits und einer skeptischen Hochschulklientel andererseits etablieren können? Was für eine Rolle spielt das europäische Reformprojekt zur Gründung einer European Higher Education Area für die Weiterentwicklung der deutschen Evaluations- und Akkreditierungsbranche? Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus der Analyse der Evaluationsund Akkreditierungsbranche für die Deregulierungspraxis im deutschen Hochschulsystem ziehen? Handlungsspielraum und Entwicklungspotential der Evaluations- und Akkreditierungsbranche sollte über die Identifizierung institutioneller Spielregeln im Sinne Douglass Norths (1990, 1991) eruiert werden. Letztere wurden als Sanktions- und Ermöglichungsstruktur organisationalen Handelns gedeutet.
6.2 Die Struktur des organisationalen Feldes: Zusammenfassung der Analyseergebnisse 6.2.1 Strukturation und strukturelle Merkmale des Feldes deutscher Qualitätssicherung Organisation und Strukturation des organisationalen Feldes Das organisationale Feld ist als Analyserahmen zu begreifen, in dem der Fokus auf dem Interaktionszusammenhang zwischen den Agenturen und ihrem institutionellen Umfeld liegt (DiMaggio/Powell 1991). Agenturen wurden also in einem theoretisch delimitierten Handlungskontext situiert, dessen Einflussstrukturen empirisch ergründet werden sollten. Es wurde davon ausgegangen, dass das organisationale Feld sich in der Strukturationsphase befindet. Die Strukturationsphase eines organisationalen Feldes wurde als Exklusionsprozess definiert, in dem sich das Feld zu einer geschlossenen interaktiven Akteursgruppe konstituiert. Zugleich handelt es sich aber um einen konfliktgeladenen Prozess, in dem Statusinteressen aufeinander treffen und die Institutionalisierung 1) eines neuen Organisationsprinzips (d.h. Qualitätssicherung) und 2) eines erweiterten Akteurssystems prägen. Die Untersuchung des organisationalen Feldes deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen basierte auf der Prämisse, dass das Strukturationsmoment eines Feldes davon bestimmt wird, wie einzelne Agenturen der Qualitätssicherung mit komplexen Umweltbedingungen umgehen. Die Interaktion zwischen einer Organisation und ihrem Umfeld wurde dabei als zweidimensionale Einbettung begriffen: Einerseits sollte die Beziehung der Agenturen zum politi-
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6 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick
schen System, zu den Hochschulen, den Interessenvertretern und zu den europäischen Netzwerken untersucht und für eine Erklärung des Strukturationsphänomens operationalisiert werden. Hier stand die vertikale Einbettung der Evaluations- und Akkreditierungsagenturen im Vordergrund. Andererseits sollte die Analyse der interorganisationalen Netzwerkstruktur zwischen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen Aufschluss über die horizontale Integration des Feldes geben (siehe Abbildung 3). Rahmenbedingungen des Strukturationsprozesses Die Ausführungen im zweiten Kapitel verwiesen auf die Existenz politischer und finanzieller Rahmenbedingungen, die die Gestaltung des organisationalen Feldes nachhaltig beeinflusst haben: Weder lag der staatlichen Deregulierungsstrategie ein kohärentes Programm zu Grunde, noch wurde bei der Einführung neuer Steuerungsmechanismen strategisch vorgegangen. Zeit- und Geldmangel haben auf die Etablierung eines marktähnlichen Systems der Akkreditierung gedrängt, das auf bestehende Evaluationsverfahren aufbaute und einer rückwirkenden, oft ruckartigen Regulierung bedurfte. Zudem muss das Evaluations- und Akkreditierungsgeschäft auf der Folie einer akuten Mittelknappheit an den deutschen Hochschulen und Länderministerien reflektiert werden. Diese Situation hat auf Seiten der Hochschulen existentielle Ängste vor einer Instrumentalisierung von Evaluations- bzw. Akkreditierungsergebnissen zur Kostensenkung geweckt. Darüber hinaus setzte die Mittelknappheit aber auch der Expansion des Dienstleistungssektors enge Grenzen.
6.2.2 Die vertikale Integration des organisationalen Feldes Evaluation, Akkreditierung und Politik: Die Agenturen und das politische System Das Fehlen einer systematisch angelegten staatlichen Deregulierungsstrategie hat die Entwicklung des organisationalen Feldes stark gehemmt: Prekäre Rechtsgrundlagen und ein inkohärentes Policy-Making haben vor allem Evaluationsagenturen benachteiligt, während Akkreditierungsagenturen per Gesetz über Handlungsspielräume in der Ausübung ihrer Dienstleistung verfügen. Aufgrund ihrer breit gefächerten Mitgliederstruktur sowie der gesetzlichen Regelung und Verpflichtung der Hochschulen zur Akkreditierung verfügen Akkreditierungsagenturen über einen weitaus sichereren Status als Evaluationsagenturen. Letztere weisen weder ausreichende finanzielle noch personelle Ressourcen auf, um
6.2 Die Struktur des organisationalen Feldes
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politische Einflussmöglichkeiten wahrzunehmen. Nichtsdestotrotz sorgen die institutional constraints eines föderal ausgerichteten Politiksystems bei Evaluateuren wie Akkrediteuren für Anpassungsbedarf. Den Regelungsansprüchen der Länderministerien kann nur begrenzt entgegengesteuert werden. Auch wenn der langjährige Bürokratieabbau die Steuerungskapazitäten der Länderministerien weitgehend beschnitten hat (in den meisten Fällen bleiben noch nicht einmal genügend personelle Ressourcen zur Überprüfung der Akkreditierungs- und Evaluationsberichte, um die Mittelkürzung der Hochschulhaushalte zu informieren), bleibt deren Einfluss auf die Gestaltung deutscher Qualitätssicherung beträchtlich. Bestehen in den Länderministerien keine Arbeitskapazitäten, um die Gutachterberichte der Agenturen zu überprüfen, so muss die Kontrollfunktion alternativ organisiert werden. Ergo werden Dienstleistung und Dienstleister einer umfassenden Ex-ante-Regulierung unterzogen. Agenturen verfügen über begrenzte politische Einflussmöglichkeiten, da keine direkten und institutionalisierten Mitbestimmungsmöglichkeiten existieren. Genau genommen fällt und steigt der politische Einfluss einer Agentur mit der personellen Besetzung ihrer Leitungspositionen. Die Informalität politischer Einflussmöglichkeiten über personale Netzwerke ist symptomatisch für das organisationale Feld der Qualitätssicherung, das den Zugang zur breiten Öffentlichkeit entbehren muss. Zum konfliktgeladenen Verhältnis von Dienstleister und Kunde: Evaluation und Akkreditierung an den Hochschulen Das Verhältnis der Agenturen zu den Hochschulen ist durch Interessenskonflikte und Misstrauen geprägt. Dies ist größtenteils auf die problematische Informationslage im organisationalen Feld zurückzuführen. Trotz der wachsenden Anzahl von Publikationen, Konferenzen und Workshops ist es den Vertretern der Branche noch nicht gelungen, ein einheitliches Bild deutscher Qualitätssicherung zu liefern. An dieser Schieflage ist bislang auch die Entwicklung einer öffentlichen Debatte zu Evaluations- und Akkreditierungsfragen gescheitert. Des Weiteren sind Audit-Verfahren als problematisches Interaktionsverhältnis zu verstehen, in dem Status- und Interessenfragen eine Rolle spielen. Diese Spannungen lassen sich zum einen aus dem Verhältnis Evaluierter/ Evaluateur bzw. Akkreditierter/Akkrediteur herauslesen; zum anderen lassen sie sich aber auch organisationsintern an den Kompetenzkämpfen zwischen Gutachtern (d.h. den Repräsentanten eines Fachbereichs) und den Mitarbeitern der Geschäftsstelle festmachen. Schließlich wurde beschrieben, wie Agenturen sich professionelle Werte zu eigen machen und sich als Teil der Hochschule inszenieren. Die Rhetorik der
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6 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick
Wissenschaftsnähe steht allerdings im Kontrast zu den realen Arbeitsverfahren einer Agentur. Einflussnahme von Interessenverbänden auf das Geschäft der Qualitätssicherung? Ein überraschendes Ergebnis lieferte die Analyse der Interdependenzbeziehung zwischen Agenturen und Interessenvertretern. Das Verhältnis der Agenturen zu den Berufsverbänden und Studentenschaften ist weit weniger ausgeprägt, als anfangs vermutet wurde. Natürlich ist auch hier zwischen Agenturtypen zu unterscheiden. So unterhalten Evaluationsagenturen keinerlei Kontakte zu Interessenvertretern, während Akkreditierungsagenturen Interessenvertreter für ihren Mitgliederstab einwerben. Besonders aktiv sind in dieser Hinsicht die fachspezifischen Akkreditierungsagenturen, die sich über die Mitwirkung von Ingenieurverbänden und Fachtagen nicht nur Anerkennung in der Fach-community, sondern auch politische Einflussmöglichkeiten erhoffen. Handlungs-constraints konnten nicht entdeckt werden.
6.2.3 Die horizontale Integration des organisationalen Feldes Strukturationsgrad und Strukturationsart des Feldes wurden über eine dreiteilige quantitative Analyse des interorganisationalen Netzwerkes deutscher Evaluations- und Akkreditierungsagenturen ermittelt. Nähere Angaben zu den Methoden und Verfahrensweisen lassen sich den Kapiteln 3.4.2 und 4.6 entnehmen. Die Analyse des Kooperations-, Informations- und Ratgebernetzwerkes deutscher Qualitätssicherungsagenturen ergab, dass das organisationale Feld durch ein asymmetrisches Wettbewerbsverhältnis zwischen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen geprägt ist: Akkreditierungsagenturen sitzen deutlich näher an den ausschlaggebenden Informationen als Evaluationsagenturen. Da Akkreditierungsagenturen über die notwenigen Mittel verfügen, um die kostspielige Mitwirkung an unterschiedlichen Gremien, Arbeitsgruppen und Netzwerken zu finanzieren, bekommen sie auch wichtige Informationen aus erster Hand. Dieser Wettbewerbsvorteil macht sie zu zentralen Akteuren im Informationsund Ratgebernetzwerk, was nicht zuletzt Einfluss auf isomorphe Prozesse im Feld haben könnte. Akkreditierungsagenturen könnten, dadurch, dass sie über Informationen zum Politikentscheidungsprozess auf mehreren Ebenen verfügen (es sei noch einmal angemerkt, dass Akkreditierungsagenturen auf europäischer Ebene sogar direkt am Politikprozess beteiligt werden), den feldinternen Iso-
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6.2 Die Struktur des organisationalen Feldes
morphismus steuern, den Paul DiMaggio und Walter Powell als Hauptmoment der Institutionalisierung von Feldstrukturen angeben. Bezieht man nun die Ergebnisse der quantitativen Netzwerkanalyse auf die vier Strukturationsprinzipien Paul DiMaggios und Walter Powells (1991) zurück, lassen sich folgende Aussagen treffen: Tabelle 5: Ergebnisse der quantitativen Netzwerkanalyse in Bezug auf die Strukturationsvariablen von DiMaggio und Powell Strukturationsvariablen
Auswertungen der interorganisationalen Netzwerkanalyse
1) an increase in the extent of interaction among organizations in the field;
Wenn man bedenkt, dass es sich um konkurrierende Organisationen handelt, weist das Kooperationsnetzwerk eine ungewöhnlich hohe Dichte auf.
2) the emergence of sharply defined interorganizational structures of domination and patterns of coalition;
Die Cliquen/Factions-Analyse und die Äquivalenzanalyse verweisen auf die Existenz zwei unterschiedlicher Subgruppen: a) die zentral positionierten, miteinander kooperierenden Akkreditierungsagenturen und b) die peripher situierten Evaluationsagenturen.
3) an increase in the information load with Die qualitative Studie wies auf die Zuwhich organizations in a field must nahme der Regelungsdichte, der Konfecontend; renzen, Tagungen und Publikationen zum Thema Qualitätssicherung hin. 4) and the development of a mutual awareness among participants in a set of organizations that they are involved within a common enterprise.
Auch wenn Evaluations- und Akkreditierungsagenturen einem organisationalen Feld zugeordnet sind und sich der inhärenten Wettbewerbssituationen bewusst sind, so besteht noch keine einheitliche Vision oder ein gemeinsames Projekt zur Gestaltung deutscher Qualitätssicherung.
These 1 und 3 bestätigen die hohe Interaktionsdichte im organisationalen Feld, das Paul DiMaggio und Walter Powell zur Bedingung des Strukturationsprozesses erklärt haben. Im Folgenden soll insbesondere auf die zweite und vierte Strukturationsthese eingegangen werden, die für die Korrelation vertikaler und horizontaler Integrationsdynamiken von Bedeutung sind.
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6 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick
„The emergence of sharply defined interorganisational structures of domination and patterns of coalition“ Die Evaluationsagenturen unterhielten zwar in der Gründungsphase von 1995 bis 2000 enge Kontakte zueinander. Doch schon bald entwickelten sich die Agenturen aufgrund von Meinungsunterschieden bezüglich der Finalität des Evaluationsverfahrens auseinander, was die aktuelle Heterogenität der Verfahrensansätze erklären mag. Die Evaluationsagenturen nehmen in der Regel periphere Netzwerkpositionen ein. Das Netzwerk zwischen den Evaluationsagenturen ist lose und fragmentiert, während die Beziehung der Evaluationsagenturen zu den Akkreditierungsagenturen stärker ausgeprägt ist. In der Beziehung zwischen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen nehmen die Akkreditierungsagenturen allerdings die Rolle des Empfängers ein. D.h., dass sich die Evaluationsagenturen mit ihren Kooperationsanfragen, ihren Bitten um Informationen und Rat vornehmlich an Akkreditierungsagenturen wenden. Die Relation ist zwangsläufig einseitiger Natur, da sich die Akkreditierungsagenturen mit ihrer Bitte um Kooperationen, Rat und Informationen ausnahmslos an Akkreditierungsagenturen wenden. Relativ ausgeprägte Koalitionsstrukturen existieren nur zwischen Akkreditierungsagenturen, obwohl auch hier ein klare Unterschiede in der Interaktionsdichte zwischen dem Kooperations-, Informations- und Ratgebernetzwerk zu verzeichnen sind. Das Kooperationsnetzwerk weist z.B. eine höhere Interaktionsdichte auf als das Informations- und Ratgebernetzwerk. Die Erhebung der drei Netzwerke hatte zum Ziel, unterschiedliche Interdependenzniveaus abzufragen und das problematische Verhältnis von Wettbewerb und Kooperation im organisationalen Feld zu veranschaulichen. Im Laufe der Untersuchung erwies sich, dass eine Koalitionsstruktur im Sinne Paul DiMaggios und Walter Powells sehr wohl existiert. Sie tritt im Konkurrenzverhältnis Evaluations-/Akkreditierungsagentur in Erscheinung. Allerdings handelt es sich um eine relativ lose Koalitionsstruktur, eine sogenannte Zweckkoalition oder eine „cooperation in a federative context“ im Sinne Ronald Warrens (1967). Das Datenmaterial zum Informations- und Ratgebernetzwerk deutet darauf hin, dass kein tiefer gehendes Vertrauensverhältnis zwischen Akkreditierungsagenturen existiert. Zudem wird das Kooperationsverhältnis der Akkreditierungsagenturen nicht auf europäischer Ebene, z.B. in der European Association for Quality Assurance in Higher Education (ENQA), fortgesetzt. Die Tatsache, dass sich keine stabile Koalitionsstruktur verfestigt hat, mag mitunter daran liegen, dass noch keine Konkurrenz um knapper werdende Akkreditierungsaufträge ausgebrochen ist, die mittel- bis langfristige Koalitionsstrategien motivieren könnte.
6.2 Die Struktur des organisationalen Feldes
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Bildung eines kollektiven Bewusstseins im organisationalen Feld? Kooperationsmöglichkeiten werden dadurch forciert, dass es sich bei dem Feld deutscher Qualitätssicherung um eine small world handelt: Akkrediteure und Evaluateure kennen sich untereinander, und neue Informationen machen schnell die Runde. Da die Agenturen sich formell im Wettbewerb befinden, werden Informationen meist über informelle Kanäle ausgetauscht. Das bedeutet wiederum, dass ein konstanter Informationsflux zwischen Agenturen stattfindet, der auch durch die quantitative Netzwerkanalyse bestätigt wurde. Die zugespitzte Wahrnehmung der Agenturen untereinander fördert nicht nur isomorphe Tendenzen, die sich an der rapiden Angleichung des Dienstleistungsangebotes und der Leitfadenfragen bemerkbar machen. Sie motiviert zudem eine gegenseitige Kontrolle. Die Akteure in den Leitungspositionen der Agenturen sind sich der Grenzen des organisationalen Feldes bewusst, die maßgeblich durch die Mittelknappheit des Hochschulsystems bedingt sind. Anstatt die Gründung neuer Agenturen (im Akkreditierungsrat) zu unterstützen, setzen sie sich für den Ausbau bestehender Strukturen ein. Die Akkreditierungsagenturen werden ausgebaut, das Angebot wird angereichert, z.B. mit Evaluationsangeboten (was wiederum das Konkurrenzverhältnis von Evaluations- und Akkreditierungsagenturen zuspitzt). Obwohl also die Wahrnehmung vorherrscht, zu ein und demselben Feld zu gehören und funktional vergleichbare bzw. konkurrierende Dienstleistungen zu erbringen, hat sich noch kein kollektives Bewusstsein, einer gemeinsamen Unternehmung („common enterprise“) anzugehören, herausgebildet. Wettbewerb im organisationalen Feld: Eine populationsökonomische Perspektive Bereits die Populationsökonomie hat auf die Fragilität asymmetrischer Wettbewerbssituationen verwiesen: „If two populations of organisations sustained by identical resources differ in some organizational characteristic, the population with the characteristic less fit to environmental contingencies will tend to be eliminated. The stable equilibrium will then contain only one population which can be said to be isomorphic to the environment“ (Hannan/Freeman 1987: 915).
Man definiere environmental fit als die Kompetenz der Agenturen, sich Handlungsspielräume in einem institutionellen Umfeld zu schaffen, um sich einen Einfluss auf die Gestaltung ihrer Existenzbedingungen zu sichern. Inwiefern sind
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6 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick
Evaluationsagenturen überhaupt noch in der Lage, dem stetig wachsenden Wettbewerbsdruck der Akkreditierungsagenturen zu begegnen, die im Zuge der Reakkreditierungswelle nun auch Evaluationsverfahren ins Dienstleistungsangebot aufnehmen? Kann Evaluation noch als hochschulübergreifende Dienstleistung spezialisierter Agenturen praktiziert werden? Hat die Organisation von Evaluation in Form eines hochschulübergreifenden Verbundes, eines Netzwerkes oder einer regionalen Agentur überhaupt noch eine Zukunft?
6.3 Kritische Reflexion des theoretischen Bezugsrahmens Die empirische Analyse hat die Bedeutung des Strukturationsprozesses für die daraus folgenden feldinternen Dynamiken hervorgehoben, die Paul DiMaggio und Walter Powell unter dem Schlagwort „Isomorphismus“ behandelt haben. Wie bereits erwähnt wurde, gehen wissenschaftliche Untersuchungen organisationaler Felder bislang nur verkürzt auf den Verlauf des Strukturationsprozesses und die damit verbundenen Interessenkonflikte ein. Im folgenden Abschnitt sollen die Erkenntnisse der Feldstudie auf den theoretischen Rahmen zurückbezogen werden und zu einer Diskussion des Entwicklungspotentials institutionstheoretischer Ansätze ausgearbeitet werden.
6.3.1 Korrelation vertikaler und horizontaler Integration Eine der forschungsleitenden Prämissen der Feldstudie war, dass die Art und Weise, wie sich Strukturation im organisationalen Feld vollzieht, vom Umgang der Agenturen mit den institutionellen Spielregeln ihres Umfelds abhängt. Ergo: Das Interdependenzverhältnis zwischen den Agenturen und dem politischen System, den Hochschulen und den Interessenvertretern hat einen direkten Einfluss auf die vertikale und horizontale Integration des organisationalen Feldes. Wie aber steht es um die Korrelation zwischen der horizontalen und vertikalen Interaktionsdynamik? Mit Blick auf die Forschungsergebnisse, können folgende Thesen aufgestellt werden: These 1: Je größer die institutional constraints, mit denen eine Agentur in der alltäglichen Bewältigung ihrer Aufgaben zu kämpfen hat, je geringer die Ressourcen, auf die sie zurückgreifen kann, umso isolierter ihre Position im interorganisationalen Netzwerk.
6.3 Kritische Reflexion des theoretischen Bezugsrahmens
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Der Strukturationsgrad und die Strukturationsart eines Feldes hängt demnach davon ab, ob Agenturen über genügend Ressourcen verfügen, um den institutional constraints zu begegnen, denen sie unterliegen, und Handlungsmöglichkeiten außerhalb des vertikalen Interdependenzgefüges wahrnehmen können. Diese These lässt sich an der asymmetrischen Wettbewerbssituation zwischen den peripheren Evaluations- und den zentralen Akkreditierungsagenturen verifizieren. Die Evaluationsagenturen verfügen gegenüber den Akkreditierungsagenturen über weniger Ressourcen und sind stärkeren institutional constraints (formeller und informeller Natur) ausgesetzt. Daraus resultiert eine Fokussierung auf den lokalen Kontext und eine faktische Begrenzung in der Wahrnehmung interorganisationaler Kooperationsmöglichkeiten. Ausgehend von These 1 lässt sich die folgende, zweite These formulieren: These 2: Jene Akteure, die sich im Laufe der Strukturationsphase als zentral erwiesen haben, sind in der Lage, Einfluss auf den Verlauf und die Gestaltung des feldinternen Isomorphismus zu nehmen. Die Akkreditierungsagenturen haben sich in der Strukturationsphase als zentrale Akteure des interorganisationalen Netzwerkes erwiesen. Dadurch, dass sie näher an den politischen Entscheidungsforen sitzen, verfügen sie über den besseren und schnelleren Zugang zu relevanten Informationen (z.B. bei der Modifizierung der Verfahrensprozedur oder der Komplettierung des Frageleitfadens). Sie haben also die Möglichkeit, jene Informationen zu selegieren und zu verbreiten, die für die Weiterentwicklung der Dienstleistung Qualitätssicherung von Bedeutung sind. Es sei angemerkt, dass der Einfluss zentraler Netzwerkakteure auf den isomorphen Prozess nicht empirisch aufgearbeitet wurde und zweifelsohne weiterer Forschung bedarf.
6.3.2 Entwicklungspotential der Strukturationstheorie organisationaler Felder Die institutionsökonomischen Erkenntnisse Douglass Norths boten einen geeigneten Erklärungsansatz zur analytischen Erfassung institutionellen und organisationalen Wandels. Der theoretische Fokus ermöglichte es, Ursprung, Verlauf und Resultat der Transformationsprozesse auf die Interaktion von Struktur und Akteur zurückzuführen. Mit der Wahl des theoretischen Bezugsrahmens wurde versucht, Paul DiMaggios Anliegen Rechnung zu tragen, Interessenkonflikte verstärkt in den Mittelpunkt der Strukturationsanalyse organisationaler Felder zu rücken (DiMaggio 1988). Obwohl die Institutionsökonomie einen pragmatischen
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6 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick
Ansatz zur Analyse des organisationalen Feldes stellte, sind mit der Theoriewahl auch einige Einschränkungen in Kauf genommen worden, die hier kommentiert werden sollen: Zum einen wird in institutionsökonomischen Erklärungsmustern nur verkürzt auf die kognitive Dimension kollektiven Handelns eingegangen. Bei der qualitativen Auswertung des Interviewmaterials wurde z.B. davon ausgegangen, dass institutionelle Spielregeln interpretationsbedürftig sind. Akteure in den Agenturen sind sich der Spielregeln des institutionellen Umfelds bewusst und sind in der Lage, diese in einen kohärenten Diskurs zu übertragen, der den rationalen Umgang der Agentur mit den kontextuellen Handlungsbedingungen dokumentiert. Eine Auseinandersetzung mit individuellen Deutungs- und Wahrnehmungsmustern fand jedoch nicht statt. Eine weitere Begrenzung, die mit ersterer in Verbindung steht, ist zum anderen mit der institutionenökonomischen Prämisse in Verbindung zu bringen, dass Organisationen vornehmlich als kollektive Akteure wahrgenommen werden. Es wird also davon ausgegangen, dass Organisationen eine homogene Einheit rationaler Akteure bilden, die alle dieselben Ziele verfolgen. Ein differenzierter Einblick in die organisationsinternen Interessenkämpfe und Debatten hätte z.B. die ausschlaggebende Rolle der Geschäftsführer von Evaluations- und Akkreditierungsagenturen systematischer durchleuchten können. Allerdings hätte diese Art der intraorganisationalen Untersuchung weitläufige methodische Implikationen nach sich gezogen, die nicht alle mit den Anforderungen und Prämissen einer interorganisationalen Studie im Sinne Paul DiMaggios und Walter Powells zu vereinbaren wären. Die Evaluierung einer Deregulierungs- und Qualitätssicherungspraxis aus Sicht der Anbieter hätte zweifelsohne auch anhand einer kognitiv orientierten (Douglas 1986; Zucker 1988) oder methodisch-individualistischen Vorgehensweise (Crozier/Friedberg 1977) bewältigt werden können. Allerdings wagt die Autorin zu bezweifeln, dass ein solcher Ansatz der komplexen Mehr-Ebenen-Natur des Policy-Prozesses hätte Rechnung tragen können. Die Diskussion der Grenzen und Möglichkeiten institutionsökonomischer Ansätze für die Strukturationsanalyse organisationaler Felder soll anhand der Gegenüberstellung der Northschen Institutionentheorie und der Giddensschen Strukturationstheorie exemplifiziert werden. Douglass Norths Institutionenökonomie und die Giddenssche Strukturationstheorie weisen in einigen Punkten ein verwandtes Verständnis der Konzepte sozialen Wandels, der Macht der constraints auf. Sozialer Wandel lässt sich demnach als das Produkt der Auseinandersetzung von Akteuren mit den ihnen auferlegten Handlungsstrukturen definieren. Macht tritt wiederum als Medium in
6.3 Kritische Reflexion des theoretischen Bezugsrahmens
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der aktiven Auseinandersetzung von Akteur und Struktur zu Tage: „Power is the means of getting things done and is, as such, directly implied in human condition“ (Giddens 1997: 283). Anthony Giddens’ Machtdefinition weist Parallelen zu Douglass Norths enforcement-Konzept auf, insofern beide von einem relationalen Machtverständnis (Dahl 1957, 1958, 1962) ausgehen. Auch wenn der amerikanische Wirtschaftshistoriker kein explizites Machtkonzept voraussetzt, lassen sich Machtverhältnisse in der Einflussnahme 1) von Strukturen auf das Handeln von Akteuren und 2) von Akteuren auf die Gestaltung der Strukturen festmachen. Schließlich gehen sowohl Anthony Giddens als auch Douglass North von einem zweidimensionalen Konzept struktureller constraints aus: Einerseits bilden institutional constraints reale Handlungsbegrenzungen im Sinne Emile Durkheims (2004), andererseits (und hier unterscheiden sich Douglass Norths und Anthony Giddens’ Ansätze vom Durkheimschen Konzept der coercition externe) handelt es sich um eine Ermöglichungsstruktur, die das Verschieben von Machtverhältnissen und sozialen Wandel überhaupt erst möglich macht. Die differentia specifica der Theoriestränge betrifft die sogenannte boundedness der Analyseeinheit. Im Gegensatz zu Douglass North, der seine Untersuchungen an einem geschlossenen Transaktionssystem durchführt, unterstreicht Anthony Giddens die Offenheit sozialer Systeme. Findet sozialer Wandel bei Douglass North also als endogenes Phänomen innerhalb der Transaktionsstruktur statt, würde Anthony Giddens von einem Konzept des Feldes ausgehen, das sich im ständigen Austausch mit anderen sozialen Systemen befindet. Sozialer Wandel wäre demnach nicht unbedingt an einen Ursprung im Feld zurückzuführen. Vielmehr fände er in erster Linie im Kopf der Akteure statt, die sowohl feldinterne als auch feldexterne Stimuli rezipieren und zu Verhaltensmodi ausarbeiten. Auch wenn sozialer Wandel in der Giddensschen Strukturationstheorie mit dem Ausspielen von Machtverhältnissen in Verbindung gebracht wird, sind Ursprung und Verlauf des Transformationsprozesses weitgehend ungeklärt. Dies mag an einem komplexen Verständnis des Akteurs liegen, dem eigentlichen Katalysator des Transformationsprozesses: Die Einwirkung der unterschiedlichen Bewusstseinsebenen des Individuums auf die Realisierung eines rationalen und handlungsleitenden Diskurses, das diffuse Konzept der knowledgeability und die komplexe Zeit-Raum-Relation machen die Fixierung sozialen Wandels auf bestimmte Akteure, einen Ursprung oder eine Verfahrenslogik nahezu unmöglich. Alternative Erklärungsansätze für Phänomene organisationalen Wandels stehen jedoch aus. Der Giddensschen Strukturationstheorie zufolge wäre das organisationale Feld also kein exklusives Akteurssystem. Außerdem ließen sich die isomorphen Prozesse wohl nicht mehr auf das organisationale Feld beschränken, wie es Paul DiMaggio und Walter Powell ursprünglich vorsahen. Ein Feld müsste vielmehr
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6 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick
über den Diskurs der Akteure generiert werden. Methodisch müsste daher auf induktive Untersuchungsverfahren zurückgegriffen werden. Die Frage, die sich nun stellt, betrifft die Machbarkeit einer derartigen Untersuchung: Ist es möglich, aus den Diskursen der Akteure ein Feld zu rekonstruieren, das nicht nur Europas größtes Hochschulsystem beinhaltet, sondern mehrere Handlungsebenen umfasst? Was für eine Datenmenge müsste generiert, systematisiert und ausgewertet werden, um der Fragestellung gerecht zu werden? Die institutionsökonomische Analyse hat es ermöglicht, 1) die Mehr-Ebenen-Natur des Policy-Prozesses zu berücksichtigen, die den Strukturationsprozess bereits sehr früh geprägt hat, und 2) einen systematischen Zugang zu einem bislang unerforschten und komplexen Datenmaterial zu gewinnen. Nichtsdestotrotz soll nicht ausgeschlossen werden, dass die Giddenssche Strukturationstheorie ein Potential für die Erforschung einzelner Strukturationsaspekte birgt, wie z.B. für die Analyse der sich abzeichnenden Professionalisierung der Akkreditierungsbranche.
6.4 Europapolitik der Qualitätssicherung: Grenzen eines europäischen Strukturbildungsprozesses Die Organisation von Qualitätssicherung wurde als dynamischer Prozess definiert, in dem nationale und internationale Reformdiskussionen, Policy-Vorlagen und Interessen aufeinander treffen, um die Gründung und Ausrichtung von Evaluations- bzw. Akkreditierungsstrukturen zu bestimmen. Ziel der Analyse war es unter anderem, den Einfluss des Bolognaprozesses und politisch aktiver Netzwerke auf den nationalen Strukturbildungsprozess (siehe Punkt 1.1) zu eruieren. Der Erfolg des europäischen Reformprojekts zur Realisierung einer European Higher Education Area hat alle Beteiligten überrascht. Niemand rechnete damit, dass die nationalen Bildungsminister, die noch 1992 auf die Durchsetzung einer bildungspolitischen Subsidiaritätsklausel im Maastrichter Vertrag bestanden, 1998 zur Konvergenz der Hochschulsysteme aufrufen würden (Sorbonne Declaration 1998). Für die Entwicklung nationaler Qualitätssicherungssysteme bedeutete Bologna, dass die steuerungspolitische Dimension der Qualitätssicherung mit Forderungen nach transnationaler Transparenz, Kooperation und verfahrenstechnischer Konvergenz konfrontiert wurde. Im Reformkontext Bolognas erfüllen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen eine doppelte Funktion: Zum einen kontrollieren sie die Umsetzung der Studienstrukturreform, die der Bolognaprozess auf nationaler Ebene angestoßen hat. Zum anderen erfassen die Agenturen das Hochschulangebot durch punktuelle Qualitätskontrollen und setzen einen minimalen Qualitätsstandard europaweit durch. Institute und Agenturen der Qualitätssicherung regulieren
6.4 Europapolitik der Qualitätssicherung
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Wissensinhalte mit, indem sie die qualitative Äquivalenz europäischer Hochschulangebote über lokale Kontrollen sicherstellen. Das wiederum bedeutet, dass die Verfahrensweisen der Agenturen aufeinander abgestimmt sein müssen, um eine homogene Erfüllung des Bolognaauftrags zu garantieren. In diesem Sinne haben die Bildungsminister anlässlich der Bergen-Konferenz im Mai 2005 einen Katalog sogenannter „Standards and Guidelines of Quality Assurance in the European Higher Education Area“ (ENQA 2005; Hopbach/Serrano-Velarde 2007) ratifiziert, in denen die wichtigsten Verfahrens- und Organisationsprinzipien europaweit tätiger Qualitätssicherungsagenturen festgehalten werden. Die Europapolitik der Qualitätssicherung bewegt sich also im Spannungsfeld nationaler Steuerungsabsichten und dem transnationalen Projekt, ein europaweites Netzwerk des Konsumentenschutzes ins Leben zu rufen. Als innovatives Politikforum räumt der Bolognaprozess den organisierten Interessenvertretern ein Mitgestaltungsrecht ein. Wohlgemerkt handelt es sich dabei um ein begrenztes Mitgestaltungsrecht, da die Verabschiedung der politischen Dokumente in letzter Instanz den europäischen Bildungsministern obliegt. Sie sind die eigentlichen gate-keepers des Reformprozesses. Durch die Mitgliedschaft in Netzwerken, die an der Realisierung der Policy-Dokumentation beteiligt sind, werden den deutschen Evaluations- und Akkreditierungsagenturen politische Handlungsoptionen eröffnet, die ihnen auf nationaler Ebene bislang verwehrt blieben. Insofern könnten europäische Netzwerke aus der Sicht der nationalen Qualitätssicherungsagenturen vorwiegend als Ermöglichungsstruktur verstanden werden. Doch auch die Policy-Struktur Bolognas weist klare Grenzen auf. Die Debatte um die Einführung eines Registers europäischer Qualitätssicherungsagenturen hat diesen Punkt exemplifiziert: Mit der Gründung einer supranationalen Kommission, die sich der Evaluation und Zertifizierung nationaler Agenturen annehmen sollte, wurde beabsichtigt, die Liberalisierung der europäischen Qualitätssicherung und ihrer Angebots- und Nachfragestruktur einzuleiten. Die prinzipielle Gleichwertigkeit und Ersetzbarkeit europäischer Qualitätssicherungsagenturen sollten nationale Marktbegrenzungen auflösen und ein europäisch ausgelegtes Netzwerk des Konsumentenschutzes begründen. Es war abzusehen, dass die Implementierung der Policy-Vorlage der ENQA am nationalstaatlichen Interesse scheitern würde, Qualitätssicherung als effizientes und nationales Steuerungsinstrument alleine zu bestimmen. Nun stellt sich die Frage, ob das enjeu national der Qualitätssicherung, das an der kontextspezifischen Steuerungsfunktion von Evaluation und Akkreditierung festgemacht werden kann, nicht nur die Delegierung nationaler Regulierungskompetenzen an eine supranationale Instanz verhindert hat, sondern auch der zukünftigen Politikformulierung enge Grenzen
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6 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick
gesetzt hat. Das London Communiqué (2007), das im Rahmen der interministeriellen Konferenz 2007 ratifiziert wurde, bestätigt jedoch diese Entwicklung.
6.5 Evaluations- und Akkreditierungsagenturen: Treibende oder Getriebene der staatlichen Deregulierungspolitik? Die Untersuchung der deutschen Deregulierungspraxis lenkt das Augemerk auf eine Reihe unintendierter Effekte, die zweifellos hätten vermieden werden können, hätte im Vorfeld eine systematische Auseinandersetzung mit Sinn und Ziel einer Steuerungsreform im Hochschulbereich stattgefunden. Wozu Qualitätssicherung? Auf diese Frage scheint die deutsche Hochschulpolitik noch keine befriedigende Antwort gefunden zu haben. Weder zeichnet sich eine länderübergreifende Einigung über die Ziele von Evaluations- und Akkreditierungsverfahren ab, die als Grundlage für eine kohärente Qualitätssicherungspolitik fungieren könnte, noch wurde ein gesetzliches Regelwerk hervorgebracht, das den beteiligten Parteien einen aufgeklärten Umgang mit Qualitätssicherung hätte ermöglichen und eine öffentliche Debatte zur Steuerungsreform hätte anstoßen können. Aus diesem Grund bestand z.B. lange Jahre der begründete Verdacht, dass das hoch sensible Datenmaterial, welches im Laufe der Evaluations- und Akkreditierungsverfahren generiert wurde, die Haushaltsplanung der Länderministerien informieren würde: Traditionelle Planungsrationalitäten, die „idealtypisch dem zweckrationalen Handeln, nach Max Weber also den Kriterien der Durchrechnung und Methodisierung, der Zweck-Mittel- Kausalität, der Stetigkeit und Berechenbarkeit“ (Willke 1996: 114) gehorchten, wurden vom Staat auf die Hochschulen übertragen, ohne dass politische Sanktionsmöglichkeiten aufgegeben wurden. Die Evaluationsergebnisse wurden für die staatliche Rationalisierungsstrategie zweckentfremdet (siehe Punkt 4.3.1). Ironischerweise sind die Rationalisierungsbemühungen der Ministerien schon so weit vorangeschritten, dass sie sich selbst um ein gewaltiges Steuerungspotential beschnitten haben. Die ministerialen Einsparungen, die den Abbau der kostspieligen Ministerialbürokratie über die Delegierung weiter Aufgabenbereiche an professionalisierte Organisationen (darunter an Evaluations- und Akkreditierungsagenturen) vorsah, haben dazu geführt, dass die Ministerien kaum noch über Arbeitskapazitäten verfügen, um das tägliche Evaluations- und Akkreditierungsgeschäft zu überprüfen. De facto sind die Evaluations- und Akkreditierungsagenturen allein verantwortlich für die Leistungsbewertung an Hochschulen. Als mediating agents übernehmen vor allem die Akkreditierungsagenturen einen beträchtlichen Teil der Koordinations- und Verwaltungsfunktionen, die vor der Steuerungsreform dem politischen System (d.h. der Ministerial-
6.6 Schlusswort
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bürokratie) vorbehalten waren. Diese ‚praktische‘ Gestaltungsfreiheit steht jedoch im krassen Gegensatz zu ihren minimalen politischen Mitgestaltungsrechten. Obwohl die Akkreditierungsagenturen über große Freiheiten in der Auftragserfüllung verfügen, sind sie nicht in die Lage versetzt worden, diesen Auftrag mitzubestimmen. Einerseits hat sich das Risiko der staatlichen Detailsteuerung, der Fremdregulierung (Willke 1997) also gemindert. Andererseits versucht das politische System, eben dieser Regulierungslücke durch eine kleinteilige Regulierung des Akkreditierungsgeschäfts entgegenzuwirken. Der Akkreditierungsmarkt, der zunächst für Entrepreneurs freigegeben wurde, erfährt eine nachhaltige Regulierung über strenge Gesetzesauflagen, denen die Agenturen wenig entgegenzusetzen haben. Hat diese komplexe Deregulierungsstrategie tatsächlich zur Stärkung der Hochschulautonomie geführt? Oder vollzog sich die Umschichtung und Verlagerung von Verantwortlichkeiten und Regulierungskapazitäten einzig zugunsten der neu gegründeten Agenturen? Inwiefern bewahrheitet sich Don Westerhejidens Beobachtung, dass europäische Akkreditierung nichts weiter ist, als die Ablösung einer zentral koordinierten Bürokratie durch eine dezentral koordinierte Bürokratie: „European accreditation is much more a replacement of previous bureaucratic central control by bureaucratic and academic central control. The aim of higher education policies in many countries, East and West in the 1980s and 1990s to reduce control in order to make higher education more responsive to changing needs in society through an increase of self-regulation, has led to so much more self-regulation that responsiveness may not have increased much“ (Westerheijden 2001: 69).
Im Falle der deutschen Qualitätssicherung scheint sich bislang noch kein Gleichgewicht durchgesetzt zu haben zwischen: Letztverantwortung und politischer Mitbestimmung, Delegation und Regulation sowie der steuerungspolitischen Dimension von Qualitätssicherung und der europäischen Verantwortung zur Realisierung eines transnationalen Konsumentenschutzes.
6.6 Schlusswort Ziel der Studie war es, die Bilanz eines Strukturbildungsprozesses zu ziehen, der in den letzten zehn Jahren die Gründung von Evaluations- und Akkreditierungsagenturen in Deutschland und Europa motivierte. Es wurde versucht, die Einfüh-
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6 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick
rung einer Qualitätssicherungspolitik aus einer historischen Perspektive aufzuarbeiten und die unterschiedlichen Spannungsfelder nachzuzeichnen, in denen sich die Organisation eines neuen Steuerungsmodells im Hochschulbereich vollzog. Mittelfristig, so stellte sich im Laufe der Untersuchung heraus, wird die Gestaltung der Qualitätssicherung in Deutschland auch weiterhin von einem politischen System vereinnahmt, das die zum Teil divergierenden Interessen 16 deutscher Bundesländer koordiniert. Da bislang keine Strategie im Umgang mit Evaluations- und Akkreditierungsfragen zu erkennen war, wurde die Einführung von Qualitätssicherung im deutschen Hochschulraum durch eine Reihe unintendierter, ja sogar kontraproduktiver Effekte begleitet. Das politische System wird in Zukunft danach streben müssen, einen systematischeren Policy-Ansatz ins Leben zu rufen, der die Weiterentwicklung deutscher Qualitätssicherung vom einseitigen Steuerungsinstrument zum demokratischen und liberalen Organisationsprinzip begleiten kann. Erst unter diesen Umständen könnte die Grundlage für die angestrebte Qualitätskultur an den Hochschulen geschaffen werden. Erst unter diesen Umständen würden die Hochschulen in den Mittelpunkt der Reformdiskussion rücken. Das Reformthema Qualitätssicherung erfuhr bislang wenig wissenschaftliche und mediale Aufmerksamkeit. Die hochschulpolitische und wissenschaftliche Diskussion der Evaluations- und Akkreditierungssysteme beschränkte sich bislang auf eine kleine Gruppe entscheidungsbefugter Akteure, Interessenvertreter und Insider. Der begrenzte Zugang zu Informationen über die Evaluationsund Akkreditierungspraxis war zweifelsohne ein Grund dafür, dass eine öffentliche Debatte um die Ausrichtung und Funktion der neuen Hochschulsteuerungsinstrumente lange Jahre ausblieb. Dies hat mitunter zur Tabuisierung manch zweifelhafter Praktiken geführt, die einer breiten öffentlichen Debatte bedürfen, so z.B. die Instrumentalisierung von Evaluationsergebnissen zur Sanierung des Hochschulbetriebs. Die Studie „Evaluation, Akkreditierung und Politik – Zur Organisation von Qualitätssicherung im Zuge des Bolognaprozesses“ sollte daher als Versuch betrachtet werden, die öffentliche Debatte in Deutschland mit empirischen Analysen zur Geschichte und Praxis nationaler Evaluations- und Akkreditierungsagenturen anzureichern. Sie soll eine Diskussionsbasis für die zukünftige Gestaltung von Hochschulevaluation und -akkreditierung bereitstellen.
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