Herausgegeben von Ernst Baltrusch, Kai Brodersen, Peter Funke, Stefan Rebenich und Uwe Walter #■;'■!':".::
Studien zur Alten Geschichte
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Herausgegeben von Hans Beck und Hans-Ulrich Wiemer
Feiern und Erinnern GESCHICHTSBILDER IM SPIEGEL ANTIKER FESTE
VA Verlag Antike
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2009 Verlag Antike e.K., Berlin Satz Oliver Hihn, Gießen Einbandgestaltung disegno visuelle kommunikation, Wuppertal Druck und Bindung Henkel GmbH Druckerei, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany
ISBN 978-3-938032-34-3
www-verlag-aiitike.de
Inhaltsverzeichnis Vorwort Hans Beck/Hans-Ulrich Wiemer. Feiern und Erinnern - eine Einleitung
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Hans Beck. Ephebie — Ritual — Geschichte. Polisfest und historische Erinnerung im klassischen Griechenland
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Hans-Ulrich Wiemer. Neue Feste - neue Geschichtsbilder? Zur Erinnerungsfunktion städtischer Feste im Hellenismus
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Rene Pfeilschifter. Die Römer auf der Flucht. Republikanische Feste und Sinnstiftung durch aitiologischen Mythos
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RalfBehrwald: Festkalender der frühen Kaiserzeit als Medien der Erinnerung. 141 Matthäus Heil: Die Jubilarfeiern der römischen Kaiser
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Mischa Meier. Die Abschaffung der venationes durch Anastasios im Jahr 499 und die Jkosmische' Bedeutung des Hippodroms
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Register
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Über die Herausgeber und Autoren
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Vorwort Der vorliegende Band geht auf eine Sektion zurück, die von den Herausgebern auf dem 46. Deutschen Historikertag in Konstanz im September 2006 ausgerichtet wurde. In Gang gesetzt wurde das Unternehmen durch eine lebhafte Diskussion des damaligen Rahmenthemas GeschichtsBilder, die uns rasch dazu gebracht hat, diese allgemeine Vorgabe auf die Vorstellungs- und Lebenswelt der einfachen Leute herunterzubrechen. Die hier versammelten Geschichtsbilder haben deshalb nur wenig gemeinsam mit der intellektuell-reflexiven Art und Weise, wie sich ein Thukydides oder Tacitus mit der Vergangenheit und ihrer sozialen Konstruktion als Geschichte auseinandergesetzt haben. Statt dessen werfen sie Licht auf Deutungen und Lesarten von Vergangenheit, die in breiteren Kreisen zirkulierten: oft nur als mündliche Traditionen oder als mimetische Rituale und kommuniziert zwischen Menschen ohne jede elitäre Bildung, aber mit erheblicher Präsenzkraft und nachhaltigen Sinnangeboten. Der Ausnahmezustand des Festes schien uns besonders gut dazu geeignet, diese Form von antiken Vergangenheitsbildern einzufangen. Die Vorträge der Sektion wurden für die Druckfassung überarbeitet; hinzu kamen die Beiträge von Matthäus Heil und Mischa Meier, die das Thema bis in die hohe und späte Kaiserzeit hinein verfolgen. Dennoch kann und soll auch gar nicht der Anspruch erhoben werden, hier ein ganzes Millennium antiker Festkultur abzudecken. Die Studien sind als Diskussionsbeiträge gedacht, die den Zusammenhang zwischen Festen und Geschichtsbildern vom klassischen Griechenland bis in die Spätantike exemplarisch entfalten. Daß drei Jahre nach der Konstanzer Sektion nun ein Buch vorgelegt werden kann, verdanken die Herausgeber natürlich zuallererst den Kollegen und Freunden, die sich als Autoren auf das Thema eingelassen haben. Oliver Hihn hat die Manuskripte auf dem Weg zum Buch mit großer Sorgfalt bearbeitet und die Druckvorlage fast alleine erstellt. Er und Joanna Ayaita haben die Herausgeber auch beim Lesen der Korrekturen nachhaltig unterstützt. Beim Erstellen des Registers half Catherine MacPherson. Allen dreien gilt unser herzlicher Dank. Danken möchten wir schließlich auch den Herausgebern der „Studien zur Alten Geschichte", insbesondere Uwe Walter, die unser Buch in ihre Reihe aufgenommen und hilfreiche Hinweise beigesteuert haben, sowie der Gerda Henkel Stiftung, die einen namhaften Zuschuß zu den Druckkosten gewährt hat.
Montreal/Gießen, Dezember 2009
Hans Beck und Hans-Ulrich Wiemer
Feiern und Erinnern - eine Einleitung Hans Beck/Hans-Ulrich
Wiemer
I. Wozu dieser Band? Erinnerung und Gedächtnis stehen seit geraumer Zeit im Zentrum kulturwissenschaftlicher Debatten und werden in ihren vielfältigen Manifestationen gerade auch von Historikern eingehend untersucht. Die kollektive Vergegenwärtigung von Vergangenheit, ihre mediale Präsentation, sinnstiftende und handlungsleitende Funktion und ihre Verankerung in sozialen Praktiken und Diskursen, für die sich die Bezeichnung Geschichtskultur eingebürgert hat, gehören mitderweile zum Themenkanon aller historischen Disziplinen. Sie bilden nach wie vor Kernbereiche aktueller Forschungen. Inzwischen liegt eine Vielzahl von Studien zur Geschichtskultur in fast allen Epochen und Regionen der historischen Welt vor, und das Thema findet auch außerhalb der Universität große Beachtung. Von dem Stellenwert, den es erlangt hat, aber auch von dem Umfang, den die ihm gewidmeten Forschungen angenommen haben, legt die Tatsache, daß es mitderweile auch durch enzyklopädische Zusammenfassungen erschlossen wird, ein beredtes Zeugnis ab. Die in diesem Band versammelten Studien verknüpfen den erinnerungsgeschichtlichen Ansatz mit einem Themenbereich, der in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts intensiv diskutiert wurde, inzwischen aber wieder weniger Aufmerksamkeit findet: dem Fest als einer Form sozialen Handelns, Dieser Verknüpfung liegt die Überzeugung zugrunde, daß in der griechischrömischen Welt wie in allen Gesellschaften, in denen Schriftlichkeit verhältnismäßig gering entwickelt ist, ein enger Zusammenhang zwischen Feiern und Erinnern besteht, weil Feste mit Vorstellungen über eine dem Anspruch nach für alle verpflichtende Vergangenheit verbunden waren, die im gemeinsamen Vollzug regelhafter Handlungsfolgen vergegenwärtigt und verinnerlicht wurde. Das Fest überwand die Grenzen, die der individuellen Aneignung von Vor1
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Wir danken Ralf Behrwald, Christa Frateantonio, Rene Pfeilschifter, Winfried Speitkamp, Uwe Walter und David Yates für Hinweise und Kritik. Pethes/Ruchatz 2001; Erll/Nünning 2008. Die durch Harns 1989 angestoßene Debatte über Ausmaß und Eigenart von Schriftlichkeit in der griechisch-römischen Welt kann und muß hier nicht resümiert werden. Im vorliegenden Zusammenhang genüge der Hinweis, daß der Austausch von Ideen in allen antiken Gesellschaften nicht primär durch Texte vermittelt wurde.
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Stellungen über die Vergangenheit durch die Struktur des Bildungswesens gesetzt waren, indem es breite Schichten beteiligte. Zugleich schuf es eigentümliche Bedingungen für diese Aneignung, die durch emotionale Intensität und Konformitätsdruck gekennzeichnet waren. Die im Fest repräsentierte Vergangenheit ist der Kritik entzogen, solange man feiert, und prägt sich gerade darum besonders tief ein. Die folgenden Bemerkungen sollen in das Thema Feiern und Erinnern einführen, indem zunächst der wissenschaftsgeschichtliche Kontext skizziert wird: die Studien zum „sozialen" oder „kulturellen" Gedächtnis einerseits, diejenigen zur Festkultur andererseits. Daran anschließend soll der Zusammenhang zwischen Feiern und Erinnern für die griechisch-römische Welt näher betrachtet und genauer beschrieben werden.
II. Erinnerung und Gedächtnis in der Forschung Mit der Hinwendung zum Themenbereich Erinnerung und Gedächtnis greift die Geschichtswissenschaft Konzepte auf, die der französische Soziologe Maurice Halbwachs, ein Schüler Emile Durkheims, bereits in den 1920er Jahren entwickelt hatte. Halbwachs hatte in seiner 1925 publizierten Untersuchung „Les cadres sociaux de la memoire" gegen die in Frankreich damals vorherrschende Lehre des Philosophen Henri Bergson den Nachweis zu führen versucht, daß das Gedächtnis kein individuelles, sondern ein soziales Vermögen sei. Zu diesem Zweck untersuchte er die Bedingungen, die dazu führen, daß bestimmte Sinneswahrnehmungen erinnert, andere aber ausgeblendet oder vergessen werden, und gelangte zu dem Ergebnis, daß Erinnerungen stets auf einen sozialen Rahmen bezogen und daher gruppenspezifisch und gegenwartsbezogen seien. Seine These lautete, daß Individuen stets nur das erinnerten, was für das Kollektiv, dem sie angehören, von Bedeutung ist, weil Erinnerungen nicht durch selbstreflexive Bewußtseinsakte wiedergefunden oder wachgerufen, sondern durch aktives Beziehen auf die soziale Umgebung konstituiert würden.
Die Bedeutung von Emotionalität für die Analyse von Ritualen betont programmatisch Chaniotis 2006; prägnant formuliert ist dieser Aspekt bei Chaniotis 2008, 85: „Feste waren Ereignisse mit emotionaler Intensität [...] Weder Intensität noch Emotionalität sind quantifizierbare Begriffe, Althistoriker nehmen sie nur selten in den Mund. Studiert man aber die antike Religiosität und ihre Dynamik, so kann man ohne sie nicht auskommen." S. dazu jetzt auch Hans Beck in diesem Band, S. 75-78. Halbwachs 1925. Zu Halbwachs' Gedächtnistheorie vgl. jetzt Assmann 2005; Marcel/Muchielli 2008. Auf ihre philosophischen Schwächen macht Heinz 1967 aufmerksam.
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Ohne diese „sozialen Rahmen", meinte Halbwachs, gebe es keine Erinnerung, weswegen Bilder der Vergangenheit im Traum stets undeutlich blieben und sich im Zustand der Aphasie gar nicht einstellten. Das Bild der Vergangenheit aber, das im kollektiven Gedächtnis erzeugt werde, entspreche dem Bedürfnis des Kollektivs nach sozialer Kontinuität und werde daher fortlaufend umgeformt. Obwohl Halbwachs an die Möglichkeit objektiver Erkenntnis der Vergangenheit glaubte und scharf zwischen kollektiver Erinnerung und geschichtswissenschaftlicher Rekonstruktion der Vergangenheit („histoire") trennte, stellte seine Gedächtnistheorie den positivistischen Glauben, die Vergangenheit existiere unabhängig von denen, die sich mit ihr beschäftigen, nachhaltig in Frage, indem sie den Blick auf die sozialen Bedingungen für individuelle Gedächtnisleistungen lenkte. Es bedarf kaum der Hervorhebung, daß Halbwachs die Reichweite seiner Theorie überschätzte, wenn er glaubte, daß sie eine psychologische - und, wie man heute hinzusetzen muß, neurobiologische - Analyse des personalen Gedächtnisses erübrige. Für unsere Überlegungen kommt es lediglich darauf an, daß seine Studien eine neue Stufe in der Geschichte der Gedächtnisforschung markieren, hinter die nicht mehr zurückgegangen werden kann. Die Geschichtswissenschaft hat Halbwachs' Gedächtnistheorie freilich zunächst kaum Beachtung geschenkt, obwohl er zum Umkreis der um die Zeitschrift „Annales" gescharten Historiker gehörte. Marc Bloch warf Halbwachs in einer ausführlichen Besprechung vor, er verabsolutiere und verdingliche das Soziale und vernachlässige daher die Beziehungen zwischen individuellem und kollektivem Gedächtnis, und umgekehrt sah Halbwachs selbst einen prinzipiellen Gegensatz zwischen seiner Soziologie des Gedächtnisses und einer historischen Analyse der Vergangenheit. Einer Rezeption in der deutschen 6
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Halbwachs (1925,1-79) zog aus der Analyse dieser beiden Zustände das Resüme: „il n'y a pas de memoire possible en dehors des cadres dont les hommes vivant en societe se servent pour fixer et retrouver leurs Souvenirs" (79). Halbwachs 1925, 113: „Des hommes qui ne demanderaient ä la memoire que d'eclairer leur action immediate, et pour qui le plaisir pur et simple d'evoquer le passe n'existerait pas, parce qu'il se peindrait ä leurs yeux des memes couleurs que le present, ou, simplement, parce qu'ils en seraient incapables, n'auraient ä aucun degre le sens de la continuite sociale. C'est pourquoi la societe oblige les hommes, de temps en temps, non seulement ä reproduire en pensee les evenements anterieurs de leur vie, mais encore ä les retoucher, ä en retrancher, ä les completer, de facon ä ce que, convaincus cependant que nos souverurs sont exacts, nous leur communiquions un prestige que ne possedait pas la realite". Dazu aufschlußreich Revel 2005. Bloch 1925. Halbwachs 1950/1997, 130-142. Nach Halbwachs steht die Geschichtswissenschaft nicht in einem lebendigen Traditionszusammenhang und vermag es auch nicht, einen solchen zu schaffen, ist keiner sozialen Gruppe verbunden und strebt nach
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Geschichtswissenschaft der Weimarer Zeit dürfte neben der ausgeprägten Abwehrhaltung der Historikerzunft gegenüber den aufstrebenden Sozialwissenschaften auch die Tatsache hinderlich gewesen sein, daß die historistische Richtung der Geschichtsschreibung, für welche die Standortgebundenheit jeder historischen Erkenntnis eine Selbstverständlichkeit war, nach dem Ende des Kaiserreiches auch innerhalb des eigenen Fachs in die Defensive geraten war. Die in Halbwachs' Gedächtnistheorie implizit enthaltene Relativierung jedweder historischen Erkenntnis war ja gerade das, was nach Ansicht vieler deutscher Intellektueller überwunden werden mußte, damit die Geisteswissenschaften zu einer „nationalen Wiedergeburt" Deutschlands beitragen könnten. Schließlich hat auch das Lebensschicksal des Soziologen, der 1944 im Konzentrationslager Buchenwald ums Leben kam, dazu beigetragen, daß sein Werk nahezu in Vergessenheit geriet und gleichsam neu entdeckt werden mußte. Das letzte von Halbwachs selbst publizierte Buch - eine historische Studie, die der Entstehung einer christlichen Erinnerungslandschaft im spätantiken Palästina gewidmet ist - erschien 1941 und ging in den Wirren des Zweiten Weltkrieges unter. Sein erinnerungstheoretisches Spätwerk, dessen Titel „La memoire collective" heute in aller Munde ist, blieb unvollendet und wurde erst 1950, sechs Jahre nach dem Tode seines Verfassers, aus dem Nachlaß veröffentlicht. Auf Übersetzungen ins Deutsche mußte man lange warten: „Les cadres sociaux de la memoire" erschien erst 1966 unter dem Titel „Das 13
Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen", und es dauerte noch einmal 24 Jahre, bis 1991 auch das postume Hauptwerk in deutscher Sprache zugänglich gemacht wurde. Die Halbwachs-Rezeption in der Geschichtswissenschaft begann auf breiter Front erst ein halbes Jahrhundert, nachdem er seine Gedächtnistheorie erstmals publik gemacht hatte, in den 1980er Jahren. Sie stand im Zusammenhang politischer und wissenschaftlicher Debatten über die Genese, Reproduktion und Funktion kollektiver Vorstellungen über die Vergangenheit, die diesem Thema in Europa, aber auch in den Vereinigten Staaten eine weit über die akademische
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einem immer und überall gültigen, einheitlichen Bild der Vergangenheit, einer Art objektiver Universalgeschichte. Diese Opposition zwischen „memoire" und „histoire" kehrt bei Nora 1984/1997, 23-25 und bei Francois/Schuhe 2001, 14f. wieder. Einen Vergleich zwischen den Positionen von Halbwachs und Nora zieht Große-Kracht 1996. Zu Halbwachs' Leben vgl. jetzt Becker 2003. Halbwachs 1941/2008. Eine deutsche Übersetzung erschien 2003. Halbwachs 1925; dt. 1966. Seit 1992 ist das Werk auch in einer englischen Übersetzung zugänglich, die der bekannte Soziologe Lewis A. Coser besorgt hat. Halbwachs 1950/1997; dt. 1991. Eine Übersetzung ins Englische erschien bereits 1980.
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Welt hinausreichende Resonanz sicherten. Für dieses sprunghaft anwachsende Interesse an der sozialen Konstruktion von Vergangenheit stehen Titel wie der von Eric Hobsbawm und Terence Ranger herausgegebene Sammelband „The Invention of Tradition" (1983), David Lowenthals Geschichte des Umgangs mit der Vergangenheit „The Past is a Foreign Country" (1986) oder Michael Kämmens Studie „Mystic Chords of Memory. The Transformation of Tradition in American Culture" (1991), die allesamt Bestseller auf dem angelsächsischen Markt für historisch-soziologische Sachbücher wurden, aber auch Yosef Hayim Yerushalmis Buch „Zakhor: Jewish History and Jewish Memory" (1982). Die Ursachen für diesen Trend sind vielfaltig und können hier nur angedeutet werden. Ein wesentlicher Impuls ging von der Frage aus, wie das Gedächtnis der Shoah für künftige Generationen bewahrt werden könne und solle, wenn die letzten Zeugen einmal nicht mehr am Leben sein werden. Die Holocaust-Problematik war jedoch nicht der einzige Grund, weshalb man der Frage nach der sozialen Konstruktion von Vergangenheit nunmehr allgemein große Bedeutung zumaß. Kaum weniger wichtig waren intellektuelle Strömungen der 1970er und 1980er Jahre, die das überkommene Selbstverständnis der Geschichtswissenschaft nachhaltig in Frage stellten: Man entlarvte traditionelle Vorstellungen über Geschichte ideologiekritisch als Herrschaftsinstrumente, um der „Stimme der Unterdrückten" Gehör zu verschaffen; man relativierte eurozentrische oder „westliche" Geschichtsbilder im Zeichen des Multikulturalismus; oder man hegte prinzipielle Vorbehalte gegen alle großen Erzählungen und erklärte deren Dekonstruktion zur einzig legitimen Aufgabe des postmodernen Intellektuellen. Soweit die theoretischen Konzepte und die politischen Optionen, die mit ihnen einhergingen, auch divergieren mochten, in einem Punkt stimmten alle überein: Vorstellungen über die Vergangenheit spiegeln nicht einfach wider, was einmal war, sondern sind das Produkt sozialen Handelns und müssen als solche analysiert werden. In Europa hat der französische Historiker und Verleger Pierre Nora der Beschäftigung mit kollektiven Vorstellungen über die Vergangenheit nachhaltige Impulse verliehen. Nora konstatierte für das moderne Frankreich die Auflösung aller Erinnerungsgemeinschaften, die sich ihre Vergangenheit im
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Ausgezeichneter, breit angelegter Überblick, der auch verschiedene Vorläufer berücksichtigt und den Schwerpunkt auf die angelsächsische Forschung legt, die in dieser Skizze nicht angemessen gewürdigt werden kann, bei Olick/Robbins 1998; einflußreich war Connerton 1989. Ein theoretisch anspruchsvoller und empirisch fundierter Beitrag, der anthropologische und historische Perspektiven vereint, ist Fentress/Wickham 1992. Hobsbawm/Ranger 1983; Lowenthal 1986; Kämmen 1991. Yerushalmi 1982.
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Modus des kollektiven Gedächtnisses angeeignet hätten; auch die französische Geschichtswissenschaft habe aufgehört, ein Träger des nationalen Gedächtnisses zu sein, wie noch in der Dritten Republik, und stehe ihrer eigenen Geschichte inzwischen mit kritischer Distanz gegenüber. Alles Geschehene werde sogleich den Archiven überantwortet, während die Last der Erinnerung dem einzelnen aufgebürdet sei. In dieser Situation entstehe das Bedürfnis, sich die nationale Tradition Frankreichs, die nicht mehr unmittelbar präsent sei, bewußt zu vergegenwärtigen. Für das Medium, das diese Vergegenwärtigung einer als bedeutsam empfundenen Vergangenheit ermöglicht, hat er den Begriff des „lieu de memoire", des Gedächtnis- oder Erinnerungsortes, geprägt, der inzwischen zu den Schlüsselbegriffen kulturwissenschaftlicher Forschung gehört und auch in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist. Nora versteht darunter Kristallisationspunkte des kollektiven Gedächtnisses, die stets eine materielle, symbolische und funktionale Dimension besitzen. Die von ihm initiierte, siebenbändige Sammlung französischer „lieux de memoire" (1984-1992), eine Art Inventar der nationalen Symbolik Frankreichs, verschaffte dem Begriff große Publizität und regte vergleichbare Projekte in anderen Ländern an. In Deutschland erschien in den Jahren 2001/2002 die von Etienne Francois und Hagen Schulze herausgegebene, dreibändige Sammlung 22
„Deutsche Erinnerungsorte". Der Begriff selbst hat sich dabei von seinen spezifisch französischen Konnotationen gelöst und bezeichnet außerhalb 18
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Nora 1984/1997, 28: „L'etude des lieux de memoire se trouve ainsi ä la croisee de deux mouvements qui lui donnent, en France et aujourd'hui, sa place et son sens: d'une part un mouvement purement historiographique, le moment d'un retour reflexif de l'histoire sur elle-meme; d'autre part un mouvement proprement historique, la fin d'un tradition de memoire. Le temps de lieux, c'est ce moment precis oü un immense capital que nous vivions dans l'intimite d'une memoire disparait pour ne plus vivre que sous le regard d'une histoire reconstituee". Nora 1984/1997, 37: „Les lieux de memoire appartiennent aux deux regnes, c'est ce qui fait leur interet, mais aussi leur complexite: simples et ambigus, naturels et artificiels, immediatement offerts ä l'experience la plus sensible et, en meme temps, relevant de l'elaboration la plus abstraite. Ils sont lieux, en effet, dans les trois sens du mot, materiel, symbolique et fonctionnel, mais simultanement, ä des degres seulement divers [...] Ce qui les constitue est un jeu de la memoire et de rhistoire, une interaction des deux facteurs qui aboutit ä leur surdetermination reciproque". Nora 1984/1992; 1997 erschien eine gekürzte Taschenbuchausgabe, die dann auch ins Englische übersetzt wurde. Nora 1984/1997, 15: „La dispantion rapide de notre memoire nationale m'avait semble appeler un inventaire des lieux oü eile s'est electivement incarnee et qui, par la volonte des hommes ou le travail des siecles, en sont restes comme les plus eclatants symboles: fetes, emblemes, monuments et commemorations, mais aussi eloges, dictionnaires et musees". Francois/Schulze 2001/2002.
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Frankreichs in der Regel symbolische Figuren, welche das Gedächtnis sozialer Gruppen stützen, indem sie der Erinnerung einen stabilen Rahmen, Prägnanz und Anschaulichkeit verleihen. Unter den Altertumswissenschaftlern war der Ägyptologe Jan Assmann der erste, der das Thema systematisch durchdachte und zugleich empirisch erforschte. In seiner wegweisenden Studie über das „kulturelle Gedächtnis", die 1992 erstmals erschien und inzwischen vielfach neu aufgelegt und in mehrere Sprachen übersetzt worden ist, untersuchte er am Beispiel Ägyptens, Israels und Griechenlands das Verhältnis von Schrift, Erinnerung und politischer Identität in frühen Hochkulturen und unterschied dabei zwei Typen des kollektiven Gedächtnisses von unterschiedlicher Reichweite und Struktur: das auf Alltagskommunikation beruhende kommunikative Gedächtnis einerseits, das auf kultureller Kodierung beruhende kulturelle Gedächtnis andererseits. Das kommunikative Gedächtnis reicht nicht weiter als drei Generationen zurück, weil es nicht über Techniken der Tradierung verfügt, die Erinnerungen über den Tod seiner individuellen Träger hinaus konservieren könnten; jedes Geschehen, welches von der Gegenwart weiter entfernt ist als diese drei Generationen, fallt dem Vergessen anheim. Diese Art des kollektiven Gedächtnisses ist wenig strukturiert und kommt ohne die Existenz von Spezialisten aus, die für seine Bewahrung zuständig sind. Im Gegensatz dazu vermag das kulturelle Gedächtnis Vergangenheiten festzuhalten, die aus der Alltagskommunikation verschwunden sind, weil es über Speichermedien verfügt, die den einzelnen überdauern können. Diese Unterscheidung fallt mit derjenigen zwischen
Francois/Schulze 2001, 17f.: „Erinnerungsorte können ebenso materieller wie immaterieller Natur sein [...]. Erinnerungsorte sind sie nicht dank ihrer materiellen Gegenständlichkeit, sondern wegen ihrer symbolischen Funktion. Es handelt sich um langlebige, Generationen überdauernde Kristallisationspunkte kollektiver Erinnerung und Identität, die in gesellschaftliche, kulturelle und politische Üblichkeiten eingebunden sind und die sich in dem Maße verändern, in dem sich die Weise ihrer Wahrnehmung, Aneignung, Anwendung und Übertragung verändert. Wir verstehen also ,Ort' als Metapher, als Topos im buchstäblichen Wortsinn. Der Ort wird allerdings nicht als eine abgeschlossene Realität angesehen, sondern im Gegenteil stets als Ort in einem Raum (sei er real, sozial, politisch, kulturell oder imaginär)". Nora selbst stand der Übertragung des von ihm geprägten Begriffs auf andere Nationen und seiner damit verbundenen Umdeutung zunächst skeptisch gegenüber (Nora 1993), hat sie aber später gebilligt, insistiert freilich nach wie vor auf den Unterschieden zwischen den verschiedenen, national geprägten Erinnerungskulturen Europas: Nora 2002, 681-686. Zur Genese des Konzepts vgl. Harth 2008, der auch die Schwierigkeit verdeutlicht, seine Leitbegriffe ins Englische zu übertragen. Assmann 1992. Ihre Grundgedanken skizziert in programmatischer Kürze Assmann 1988a.
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schriftlosen und schriftlichen Gesellschaften keineswegs zusammen, denn das Geschichtsbewußtsein schrifdoser Völker schließt in der Regel eine Urzeit ein, für die es keine lebenden Zeugen gibt. Wo das kollektive Gedächtnis im Modus des kulturellen Gedächtnisses funktioniert, wird Vergangenheit durch Riten inszeniert oder in Texten kodiert; sie gilt als vorbildhaft und verbindlich, und bestimmte Personen wachen darüber, daß sie unverfälscht bewahrt wird. Wie das genau geschieht, ist kulturspezifisch und variiert daher außerordentlich stark. Die Spezifik des Alten Ägypten etwa liegt nach Assmann darin, daß die Vergangenheit in einem monumentalen, durch die Pyramiden gebildeten Rahmen in liturgischen Formen kommemoriert wurde, um sich der Unwandelbarkeit des Kosmos zu vergewissern, während sich das antike Judentum im Studium eines kanonischen Textes seiner Ursprünge und dadurch seiner einzigartigen Beziehung zu Gott versichert habe. Bei den alten Griechen schließlich sei eine für alle verbindliche Vergangenheit durch einen Kanon von Texten fixiert gewesen, aus denen konkurrierende Ansprüche abgeleitet werden 27
konnten. Daß die Altertumswissenschaften Assmann wesentliche Anstöße verdanken, steht außer Zweifel, auch wenn seine Ausführungen nicht ohne Kritik geblieben sind. Man hat moniert, daß er ein zu einfaches, ja verzerrtes Bild von den Formen und Modalitäten kollektiver Erinnerung im altgriechischen und jüdischen Bereich zeichne, und damit empirische Schwachstellen seines magnum opus benannt. Grundsätzlicher Art ist der Einwand, daß der Begriff kulturelles Gedächtnis, wie er ihn verwendet, eine Uniformität in den Vorstellungen über die Vergangenheit suggeriert, die in komplexen Gesellschaften kaum je gegeben ist. Dieser Einwand ist insofern nicht von der Hand zu weisen, als der Begriff kulturelles Gedächtnis das Mißverständnis nahelegt, es seien „Kulturen", die über ein kollektives Gedächtnis verfügten, während es in Wahrheit soziale Gruppen sind, die sich ein ihren Bedürfnissen entsprechendes Bild der Vergangenheit schaffen und bewahren, wie Halbwachs sehr genau wußte und auch Assmann ausdrücklich betont. Der Begriff „kollektives Gedächtnis" ist zudem mit der Vorstellung belastet, das Kollektiv sei eine aktive Substanz, das Individuum hingegen bloß deren passiver Teil. Man hat 26
Dazu grundlegend Vansina 1985. Vgl. auch Schott 1968. Assmann 1992, 163-292. Zu Ägypten auch Assmann 1988b; Assmann 1989; 1991c. 28 Olick2008,158L 29 Fentress/Wickham 1992, IX: „an important problem facing anyone who wants to follow Halbwachs in this field is how to elaborate a conception of memory which, while doing füll justice to the collective side of one's conscious life, does not render the individual a sort of automaton, passively obeying the interiorized objective will. It is for this reason (as well as to avoid the image of a Jungian collective uncon27
Feiern und Erinnern — eine Einleitung
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auf verschiedene A r t u n d Weise versucht, einem verdinglichten Verständnis der Begriffe „kollektives" bzw. „kulturelles G e d ä c h t n i s " vorzubeugen, etwa i n d e m m a n v o n „social m e m o r y " m o n i c practices"
oder „social r e m e m b e r i n g "
spricht, auf „ m n e -
abhebt o d e r d e n Plural „Erinnerungskulturen"
verwendet.
D a alle Seiten darin übereinstimmen, d a ß kollektive E r i n n e r u n g e n einerseits g r u p p e n b e z o g e n sind u n d andererseits einer kulturellen Prägung unterliegen, k ö n n e n Historiker sich in d e r Sache verständigen, auch w e n n die Begrifflichkeit uneinheitlich ist u n d aller Voraussicht nach auch bleiben wird. Seit d e n 1990er J a h r e n h a b e n F o r s c h u n g e n z u m T h e m a Gedächtnis u n d E r i n n e r u n g auch in den Altertumswissenschaften
Hochkonjunktur, u n d es
w ü r d e viel zu weit führen, alle hier einschlägigen Arbeiten anzuführen. E s m u ß genügen, einige herausragende Publikationen der letzten J a h r e zu nennen: Michael J u n g hat die g r o ß e n Landschlachten der Perserkriege in m o n o g r a phischer F o r m untersucht
u n d Angela K ü h r die thebanische Mythologie in
einer exemplarischen Studie als M e d i u m einer vergangenheitsbezogenen Identitätskonstruktion analysiert.
I m römischen Bereich hat die Arbeit v o n U w e
Walter über „Memoria u n d res publica. Z u r Geschichtskultur im republikanischen R o m " Maßstäbe gesetzt.
Fast zeitgleich h a b e n Karl-Joachim H ö l k e s k a m p u n d
Elke Stein-Hölkeskamp einen umfangreichen
Sammelband
über
römische
Erinnerungsorte herausgegeben, der n u n ein althistorisches Gegenstück zu d e n o b e n erwähnten Initiativen französischer u n d deutscher Neuhistoriker bildet.
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scious) that we shall normally use the term ,social memory' rather than ,collective memory', despite the greater recognizability of the latter phrase". So etwa Burke 1989; Fentress/Wickham 1992. So Misztal 2003. In diesem Sinne Olick/Robbins 1998; Olick 2008, 158: „upon closer examination, collective memory really refers to a wide variety of mnemonic products and practices, often quite different from another. The former (products) include stories, ritual, books, statues, representation, Speeches, Images, pictures, records, historical studies, surveys, etc.; the latter (practices) include reminiscences, recall, avowal, denial, rationalization, excuse, acknowledgement, and many others. Mnemonic practices — though occuring in an infinity of contexts and through a shifdng multiplicity of media — are always simultaneously individual and social". „Erinnerungskulturen" war das Markenzeichen eines Sonderforschungsbereiches an der Justus-Liebig-Umversität Gießen, der 2008 auslief; zu seinen theoretischen Grundlagen vgl. etwa Cornelißen 2003 oder Erll 2003.
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Jung 2006.
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K ü h r 2006. Walter 2004. Stein-Hölkeskamp/Hölkeskamp 2006. Ein Band über „Griechische Erinnerungsorte" wird 2010 folgen.
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III. Feste und Feiern in der Forschung Feste und Feiern haben seit eh und je die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden. Theologen und Religionswissenschaftler, Volkskundler und Ethnologen, Soziologen und Psychologen, Literaturwissenschaftler und Kunsthistoriker haben sich ebenso mit ihnen beschäftigt wie Vertreter der Geschichtswissenschaft. Im Zuge der verstärkten Hinwendung zu Themen der Kultur- und Alltagsgeschichte nahm die Beschäftigung mit Festen und Feiern seit Mitte der 1970er Jahre jedoch einen großen Aufschwung, auch wenn das Thema niemals eine so herausragende Stellung erlangte, wie sie die Studien zum Thema Erinnerung und Gedächtnis derzeit einnehmen. In Europa hatte die französische Forschung dabei wiederum eine Vorreiterrolle inne. Dort erschienen im Jahr 1976 gleich drei Arbeiten, die Feste im Ancien Regime und dem französischen Revolutionszeitalter zum Gegenstand hatten. Emmanuel Le Roy Ladurie veröffentlichte 1979 mit „Le Carnaval de Romans" eine Studie über ein außer Kontrolle geratenes Fest des 16. Jahrhunderts in Romans, die, in mehrere Sprachen übersetzt, zu einem der erfolgreichsten historischen Sachbücher des 20. Jahrhunderts wurde. 1983 legte Jacques Heers eine Synthese über die Feste des westeuropäischen Mittelalters vor, die ebenfalls weite Verbreitung fand. Zwischen diese beiden Daten fallt die Publikation eines Sammelbandes, der das Thema Fest vom Hellenismus bis ins 19. Jahrhundert hinein verfolgt. Im deutschsprachigen Raum wurde das Thema etwas später, dann aber entschieden aufgegriffen. Die Arbeitsgruppe „Poetik und Hermeneutik" widmete dem Fest 1989 einen Tagungsband, an dem sich vor allem Literatur- und Kunstwissenschaftler sowie Philosophen beteiligten. Wenig später setzte der deutsche Mediävistenverband das Thema auf die Agenda einer Jahrestagung. Die Philosophische Fakultät der Universität Zürich veranstaltete 1987 eine epochen- und disziplinenübergreifende Vorlesungsreihe zum Thema „Stadt und Fest", deren Beiträge in einer Festschrift zur 2000-Jahr-Feier der Stadt
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Umfangreiche, aber keineswegs vollständige Literaturangaben finden sich bei Maurer 2004b. Berce 1976; Ozouf 1976 (das Buch ist 1988 auch in englischer Übersetzung erschienen); Vovelle 1976. Le Roy Ladurie 1979; das Buch erschien im selben Jahr auch in englischer Sprache. Die deutsche Übersetzung folgte 1989. Heers 1983. Eine deutsche Übersetzung erschien 1986. Auetores varii 1981. Haug/Warning 1989. Altenburg 1991.
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Zürich gesammelt wurden, und Uwe Schultz initiierte eine Reihe von Sendungen über „Das Fest" im „Hessischen Rundfunk", die anschließend (1988) als Buch erschienen und das Thema in eine breite Öffentlichkeit trugen. 1991 zog Michael Maurer in der „Historischen Zeitschrift" eine vorläufige Bilanz dieser Arbeiten und skizzierte Fragen für künftige Forschungen. Seitdem ist eine Fülle von historischen Arbeiten zum Thema erschienen, die hier nicht vorgestellt oder auch nur aufgezählt werden können. Die theoretische Reflexion über Feste und Feiern ist lange Zeit von dem Gedanken beherrscht worden, daß diese Formen sozialen Handelns ihrem Wesen nach als Exzeß und Ekstase zu deuten seien. In diesem Punkt waren sich ansonsten so gegensätzliche Denker wie Sigmund Freud und Emile Durkheim völlig einig. Beide formulierten kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges anhand ethnologischen Materials die Auffassung, daß das Wesen des Festes in der zeitlich begrenzten Aufhebung oder Umkehrung sozialer Regeln liege. Sie stimmten auch darin überein, im Fest ein Mittel der individuellen und kollektiven Regeneration zu sehen, wenngleich sie die Art und Weise, wie sich diese Regeneration vollzieht, unterschiedlich bestimmten: Für Freud war das Fest eine Art Ventil, eine Praxis, die dazu verhilft, Triebe zu befriedigen, die im Alltag mit großer Anstrengung unterdrückt werden müssen, damit die Gruppe fortbestehen kann; es ermöglicht eine zeitweilige Aufhebung der Scheidung zwischen dem Ich, das nach grenzenloser Lust strebt, und dem Ichideal, das ersterem als Anwalt des Realitätsprinzips den Triebverzicht auferlegt.49 Durkheim dagegen betrachtete das Fest zwar ebenfalls als eine Form
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Huggerl987. Maurer 1991. Einen Eindruck von der Vielfalt neuhistorischer Beiträge aus den letzten beiden Jahrzehnten vermitteln die Bände von Hettling/Nolte 1993; Koselleck/Jeismann 1994; Schmid 1995; Friedrich 2000; Müller 2004. Zum jeweiligen biographischen und werkgeschichtlichen Kontext vgl. Gay 1998, 324-335 für Freud bzw. Lukes 1972, 450-484 für Durkheim. Freud 1913/1974, 425: „Ein Fest ist ein gestatteter, vielmehr gebotener Exzeß, ein feierlicher Durchbruch eines Verbotes. Nicht weil Menschen infolge einer Vorschrift froh gestimmt sind, begehen sie Ausschreitungen, sondern der Exzeß liegt im Wesen des Festes; die festliche Stimmung wird durch die Freigebung des sonst Verbotenen erzeugt"; Freud 1921/1974, 122: „Es wäre gut denkbar, daß auch die Scheidung des Ichideals vom Ich nicht dauernd vertragen wird und sich zeitweilig zurückbilden muß. Bei allen Verzichten und Einschränkungen, die dem Ich auferlegt werden, ist der periodische Durchbruch der Verbote Regel, wie ja die Institution der Feste zeigt, die ursprünglich nichts anderes sind als vom Gesetz gebotene Exzesse und dieser Befreiung auch ihren heiteren Charakter verdanken. Die Saturnalien der Römer und unser heutiger Karneval treffen in diesem
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außeralltäglichen H a n d e l n s , verstand es aber als Ritual, das die moralischen Grundlagen der Gesellschaft in regelmäßigen A b s t ä n d e n erneuert, i n d e m es einen Zustand kollektiver E u p h o r i e („effervescence") erzeugt, in welchem die Teilnehmer sich als Teil eines größeren G a n z e n erleben u n d sich auf die gemeinsamen Grundlagen ihrer Existenz besinnen; dieses Erlebnis festige das Zusammengehörigkeitsgefühl der G r u p p e u n d gebe d e m einzelnen Kraft u n d Selbstvertrauen. E s dürfte k a u m zu bestreiten sein, daß die u n g e b r o c h e n e Attraktivität dieses Modells darin liegt, soziologische u n d psychologische Ansätze zu vereinen, indem es die Funktion, die Feste für Individuen u n d für Kollektive erfüllen, auf unmittelbar einleuchtende A r t und Weise zu verknüpfen vermag. M a n hat in der historischen F o r s c h u n g auch deswegen gerne darauf zurückgegriffen, weil es sich mit Vorstellungen v o m Gegensatz zwischen „Volkskultur" einerseits, Obrigkeit u n d / o d e r Bürgertum andererseits verbinden u n d dadurch in sozialgeschichtliche Theorien mit umfassendem Geltungsanspruch wie etwa Sozialdisziplinierung oder Modernisierung einordnen läßt.
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wesentlichen Zug mit den Festen der Primitiven zusammen, die in Ausschweifungen jeder Art mit Übertretung der sonst heiligsten Gebote auszugehen pflegen". Durkheim 1912/1968, 547: „toute fete, alors meme qu'elle est purement laique par ses ongines, a certains caracteres de la ceremonie religieuse, car, dans tous les cas, eile a pour effet de rapprocher les individus, de mettre en mouvement les masses et de susciter ainsi un etat d'effervescence, parfois meme de delire, qui n'est pas sans parente avec l'etat religieux. L'homme est transporte hors de lui, distrait de ses occupations et de ses preoccupations ordinaires. Aussi observe-t-on de part et d'autre les memes manifestations: cris, chants, musique, mouvements violents, danses, recherche d'excitants qui remontent le niveau vital etc. On a souvent remarque que les fetes populaires entrainent aux exces, fönt perdre de vue la limite qui separe le licite et l'illiate; ll est egalement des ceremonies religieuses qui determinent comme un besoin de violer les regles ordinairement les plus respectees". Durkheim 1912/1968, 610: „II ne peut pas y avoir de societe qui ne sente le besoin d'entretenir et de raffermir, ä intervalles reguliers, les sentiments collectifs et les idees collectives qui fönt son unite et sa personnalite. Or, cette refection morale ne peut etre obtenue qu'au moyen de reunions, d'assemblees, de congregations oü les individus, etroitement rapproches les uns des autres, reaffirment en commun leurs communs sentiments; de la, des ceremonies qui, par leur objet, par les resultats qu'elles produisent, par les procedes qui y sont employes, ne different pas en nature des ceremonies proprement religieuses. Quelle difference essentielle y a-t-il entre une assemblee de chretiens celebrant les principales dates de la vie du Christ, ou de juifs fetant soit la sortie d'Egypte soit la Promulgation du decalogue, et une reunion de citoyens commemorant rinstitution d'une nouvelle charte morale ou quelque grand evenement de la vie naüonale?". Zu psychoanalytischen Ansätzen zur Erklärung des Festes vgl. auch Maurer 2004c. So etwa bei Chartier 1987.
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Der Gedanke hingegen, daß Feste vor allem der Besinnung auf überzeitliche Ordnungen und Werte dienen, verdankt seine Verbreitung philosophischen und theologischen Antrieben, der Reflexion über die Grundstrukturen und die metaphysischen Voraussetzungen menschlicher Existenz. Es waren Vertreter einer philosophischen Anthropologie wie Otto Friedrich Bollnow und Josef Pieper, die ihn in den 1950er und 1960er Jahren ins Zentrum ihrer Festtheorien stellten. Die Geschichtswissenschaft hat davon zunächst kaum Notiz genommen. Der Aspekt der Selbstreflexion trat in den historischen Disziplinen erst in dem Moment gleichberechtigt neben das Paradigma von Exzeß und Ekstase, als Sozialwissenschaftler begannen, der Frage nach der sozialen Reproduktion von „Sinn", von Normen und Symbolen also, zentrale Bedeutung beizumessen. Der Soziologe Winfried Gebhardt legte 1987 eine Festtheorie vor, die auf der mit idealtypischer Strenge getroffenen Unterscheidung zwischen Fest und Feier als zwei gegensätzlichen Formen sozialen Handelns beruht und in der deutschsprachigen Festforschung große Beachtung gefunden hat.5 Gebhardt definiert Feste und Feiern als Vergemeinschaftungs- und Vergesellschaftungsformen, „die, durch ihre Beziehung auf etwas als außeralltäglich Gedachtes, der individuellen wie kollektiven Bewältigung des Alltags dienen und zwar auf qualitativ unterschiedliche Art und Weise. Das Fest hilft, den Alltag zu bewältigen, indem es ihn aufhebt. Die Feier hilft, den Alltag zu bewältigen, indem es ihn bewußt macht, d.h. ihn als sinnvolles Geschehen ins Bewußtsein hebt". Das Fest ist dieser Theorie zufolge ein spontanes und ungeregeltes Geschehen, in welchem die Regeln des Alltagslebens zeitweise außer Kraft gesetzt werden; es sei seinem Wesen nach Exzeß und Ekstase. Es entlaste das Individuum von den Zwängen des Alltags und vermitde ihm das Erlebnis seiner Einheit; durch dieses Erlebnis stärke es zugleich das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe, der das feiernde Individuum angehört. Die Feier dagegen hebe den Alltag nicht auf, sondern reflektiere ihn, indem sie den Feiernden die Sinnhaftigkeit ihres Daseins und der Ordnungen, in denen es sich vollzieht, bewußt mache. Im Gegensatz zum Fest liege das Wesen der Feier daher in der Ruhe und Kontemplation; es vollziehe sich in strengen Formen, die auf die Überhöhung, nicht auf die Aufhebung der alltäglichen Wirklichkeit zielten. Gebhardt ist der Auffassung, daß sich mit diesen Begriffen eine historische Entwicklung beschreiben lasse, die er als Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft versteht: In der traditionalen Gesellschaft nämlich 54 55
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Bollnow 1955; Pieper 1963. Zu theologischen Festtheorien vgl. auch Leppm 2004. Wie es scheint, handelt es sich um die bislang einzige ausformulierte Festtheorie aus soziologischer Perspektive; sie wird bei Homann 2004 reproduziert. Gebhardt 1987, 53. Gebhardt 1987, 53-74.
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hätten sich Feier und Fest stets als Einheit dargestellt; zur Trennung zwischen diesen beiden Formen der Festlichkeit sei es erst gekommen, als der Glaube an die Selbstverständlichkeit einer „heiligen" und darum unverfügbaren Ordnung geschwunden sei. Das Bedürfnis nach rationaler Vergewisserung der normativen Grundlagen des Daseins habe die traditionale Einheit von Fest und Feier aufgelöst und die moderne, bewußt inszenierte Feier geschaffen. Gegen Gebhardts Festtheorie ist vorgebracht worden, daß sie im Gegensatz zum landläufigen Sprachgebrauch stehe, in welchem die Feier eine besondere Form des Festes, nicht aber seinen Gegensatz bezeichne. Dieser Vorbehalt trifft freilich nur die sprachliche Form. Aus historischer Sicht viel schwerer wiegt der Einwand, daß die von Gebhardt gebildeten Idealtypen auf viele vormoderne Gesellschaften kaum anwendbar sind, weil ihre Elemente dort, wie Gebhardt selbst einräumt, eine Einheit bilden. Idealtypen, die ungeeignet sind, die historischen Phänomene zu klassifizieren, sind jedoch wenig hilfreich. Es hat daher gute sachliche Gründe, wenn Gebhardts Begriffspaar von der Geschichtswissenschaft in der Regel nicht verwendet wird. Es war erneut Jan Assmann, der mit Nachdruck darauf hinwies, daß eine wesentliche Funktion von Festen, vor allem - aber nicht nur - unter vormodernen Bedingungen, darin besteht, an Ereignisse und Gestalten zu erinnern, die aus der Alltagskommunikation verschwunden sind. Assmann definierte das Fest daher als „Urform des kulturellen Gedächtnisses", weil es in schriftlosen Gesellschaften „der einzige, auf jeden Fall aber der zentrale Ort einer Besinnung auf die Ursprünge, die Orientierungen im Großen und die verbindenden Geschichten" sei. Weil Speichermedien fehlen, die auf Schrift beruhen, sind diese Gesellschaften auf die Inszenierung von Vergangenheit im Fest angewiesen, um Erinnerung bewahren und weitergeben zu können. Gewiß nimmt die Bedeutung von Festen für die Reproduktion kollektiver Vorstellungen über die Vergangenheit ab, wenn durch Verschriftlichung neue Speichermedien geschaffen werden, welche die Möglichkeiten eines Zugangs zur Vergangenheit vervielfältigen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß das Fest durch die Verschriftlichung kollektiver Erinnerungen jede Bedeutung als
™ Gebhardt 1987, 87-98. 59 Koch 1991, 29-40; Maurer 2004b, 37. 60 Schmid 1995, lOf. 61 Deile 2004 trägt dieser Kritik Rechnung, indem er vorschlägt, die Feier als Sonderform des Festes zu definieren. Seine Definition des Festes lautet: „Im Fest vergegenwärtigt sich eine Gemeinschaft lebensbejahend Bedeutung in besonderen äußeren Formen" (7). Die Feier sei „ein Ereignis festlichen Charakters, bei dem die Bedeutungsebene emphatisch reflektiert und betont wird" (13f.). 62 Assmann 1991b, 13.
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Medium des kollektiven Gedächtnisses einbüßt. Dieser Zustand ist auch nach den medialen Revolutionen der Postmoderne nicht eingetreten. Nationale Gedenktage etwa gehören nach wie vor zu den Praktiken des Erinnerns, auf die kein moderner Staat verzichten möchte. Die altertumswissenschaftliche Festforschung hat die Frage nach der Erinnerungsfunktion von Festen erst verhältnismäßig spät aufgenommen. Dies hängt auch mit der Beharrungskraft fachspezifischer Orientierungen zusammen. Die Feste der griechisch-römischen Welt wurden lange Zeit fast ausschließlich unter religionswissenschaftlichen Gesichtspunkten untersucht. Die großen Synthesen über griechische Feste stammen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und sind der damals herrschenden Vorstellung verpflichtet, daß der ursprüngliche, religiöse Sinn griechischer Feste bereits in klassischer Zeit in Vergessenheit geraten sei. Martin Nilsson und Ludwig Deubner haben darum Feste, die ihrer Ansicht nach rein profaner Natur waren, von der Betrachtung grundsätzlich ausgeschlossen und sich darauf konzentriert, den äußeren Ablauf und den ursprünglichen, aber später meist vergessenen Sinn griechischer Feste „religiösen Charakters" zu rekonstruieren. Diese Grundannahmen liegen auch der kalenderförmigen Darstellung attischer Feste zugrunde, die Herbert W. Parke 1977 vorlegte. Die Rolle, die Feste für die Reproduktion sozialer Gruppen spielen, war für diese Betrachtungsweise ebensowenig von Belang wie ihre Bedeutung für die Vermittlung kollektiver Vorstellungen über die Vergangenheit. Noch eine 1992 unter dem vielversprechenden Titel „Festivals and Legends: The Formation of Greek Cities in the Light of Public Ritual" publizierte Untersuchung war nicht erinnerungsgeschichtlich, sondern quellenkritisch angelegt: Sie betrachtete Feste, in denen Ereignisse und Gestalten der Vergangenheit thematisiert wurden, um nachzuweisen, daß die kultische Form der Kommemoration zu einer Verzerrung der Erinnerung an das tatsächlich Geschehene führte. Zu dieser Zeit hatte sich in der Forschung über griechische Rituale freilich bereits eine grundlegende Neuorientierung vollzogen, die mit dem Namen Walter Burkerts verbunden ist. Burkert kombinierte Konzepte der funktionalistischen Soziologie mit psychoanalytischen und verhaltensbiologischen Ansätzen und betonte die gruppendynamischen, integrativen und formierenden Wirkungen von Ritualen, während er ihrer Orientierungsleistung weniger Beachtung schenkte. Anfang der 1990er Jahre legte dann Angelos Chaniotis 63 64 65 66
Nilsson 1906; Deubner 1932. Parke 1977. Robertson 1992. Eine eingehende Würdigung des opus magnum Burkerts bietet Gladigow 1983. Die sozialen Funktionen religiöser Rituale behandelt Burkert 1977, 382-402 unter den
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die erste einer ganzen Serie von Studien vor, in denen griechische Feste unter modernen Fragestellungen interpretiert werden; sie wird seitdem kontinuierlich fortgesetzt und soll in eine Gesamtdarstellung griechischer Feste münden. Die gleiche Beharrungskraft althergebrachter Konzepte prägte die Forschung zu römischen Festen. Auch in diesem Bereich hielt man zäh an einem Dekadenzmodell fest, das die Krise der römischen Religion lange vor dem Einsetzen der literarischen Überlieferung beginnen läßt; es prägte nicht bloß Georg Wissowas klassische Darstellung der römischen Religion aus dem Jahre 1902, sondern ebenso Kurt Lattes Neubearbeitung aus dem Jahre 1960. Da die Grundlinien der Deutung feststanden, konzentrierte man sich bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein auf die Pflege der positivistischen Tugenden: Eine 1981 unter dem Titel „Festivals and Ceremonies of the Roman Republic" veröffentlichte, nach dem Kalender geordnete Beschreibung einzelner Feste — gewissermaßen das römische Pendant zu Parkes „Festivals of the Athenians" — war als Fortsetzung und Aktualisierung des 1899 erstmals publizierten Standardwerks von William Warde Fowler zum selben Thema angelegt. Eine Betrachtung religiöser Rituale als Elemente eines sozialen Systems, das stetem Wandel unterlag, weil es fähig war, sich neuen Rahmenbedingungen anzupassen, hat sich hier erst in den 1990er Jahren durchgesetzt und in dem von Mary Beard, John North und Simon Price verfaßten Handbuch „Religions of Rome" dann auch einen repräsentativen Ausdruck gefunden. Dieser An-
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Stichworten „Solidarisierung im Spiel und Widerspiel der Rollen", „Initiation" und „Knsenbewältigung"; vgl. das methodische Bekenntnis in der Einleitung: „Der psychologische und der soziologische Aspekt lassen sich in historischer Sicht zumindest prinzipiell vereinen durch die Hypothese, daß die Entwicklung der Gesellschaftsformen einschließlich der religiösen Rituale und der Seelenfunktionen in steter Wechselwirkung erfolgte, so daß von der Tradition her das eine je auf das andere abgestimmt ist" (26). Hier wie auch in einem Aufsatz über „Die antike Stadt als Festgemeinde" (Burkert 1987) wird ausdrücklich auf Durkheim verwiesen. Chaniotis 1991; seitdem etwa 1995; 2003a; 2006; 2008 (mit weiteren Verweisen). Die hellenistischen Prozessionen gewidmete Arbeit von Köhler 1996 stellt dagegen aufgrund gravierender theoretischer und methodischer Defizite und zahlreicher Detailfehler keinen Fortschntt dar; vgl. Chaniotis 1997. Wissowa 1902/1912; Latte 1960. Die entwicklungsgeschichtlichen Passagen aus Wissowas Handbuch haben dadurch, daß sie vor kurzem ins Englische übersetzt und in einen Reader zum Thema Römische Religion aufgenommen wurden (Ando 2003, 330-357), neue Aktualität erhalten. Fowler 1899/1908; ScuUard 1981. Beard/North/Price 1998 (dazu lesenswert Rives 1998 und Bendlin 2001); vgl. auch die Kurzfassung bei North 2000. Im deutschsprachigen Raum hat Jörg Rüpke diesem Ansatz zum Durchbruch verholfen (als Synthese vgl. Rüpke 2001). Einen informativen Überblick über die Forschungen zur römischen Religion in den 1990er Jahren vermitteln Belayche 2000; fortgesetzt von Belayche 2003.
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satz erhielt durch die seit einigen Jahren zu beobachtende Hinwendung zu einer kulturwissenschaftlichen Betrachtung der römischen Republik zusätzliche Impulse, die den Blick auch auf die Erinnerungsfunktion von Festen lenkten. Karl-Joachim Hölkeskamp und andere haben in jüngster Zeit nachdrücklich auf den engen Zusammenhang zwischen Kollektiverinnerung und Ritualen hingewiesen und ihn in einer Reihe von Arbeiten empirisch belegt. Die Feste der römischen Kaiserzeit fanden und finden demgegenüber auffallend geringes Interesse, wenn man von den stadtrömischen Zirkusspielen einmal absieht. Zwar wurde auch in diesem Bereich stets solide Grundlagenarbeit geleistet: Man rekonstruierte minutiös die unübersehbare Fülle oft ephemerer Kaiserfeste und ihre Rezeption in den Provinzen und erschloß durch sorgfältige Editionen und präzise Textinterpretationen neue Quellen für den Festkalender der römischen Armee und für die Festkultur griechischer Städte in der Kaiserzeit. Auch die Jahreskalender (Fasti) und Festverzeichnisse (Ferialid) des römischen Italien7 und die Akten der stadtrömischen Arval77
brüderschaft wurden in monumentalen Neuausgaben vorgelegt. Innovative Deutungsmodelle wurden jedoch erst seit den 1980er Jahren erprobt. Simon Price deutete den Kaiserkult 1984 erstmals als symbolischen Gabentausch zwischen provinzialen Eliten und dem Kaiser: Die provinzialen Eliten erwiesen dem Kaiser als Inhaber einer schlechthin überlegenen Gewalt göttliche Ehren und wurden dafür mit der Anerkennung ihrer eigenen Machtpositionen 78
belohnt. Das zu Beginn des 2. Jahrhunderts n.Chr. durch die Stiftung des Vibius Salutaris in Ephesos kodifizierte Programm für städtische Prozessionen wurde Anfang der 1990er Jahre zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht, die Festrituale als Spiegel von Vorstellungen über die kollektive Identität einer Stadt betrachtete. Eine umfassende Darstellung der Festkultur Roms zur Zeit 71
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Hier sei lediglich auf Beck 2005b, Hölkeskamp 2005 und Itgenshorst 2005 verwiesen, wo sich zahlreiche Literaturhinweise finden. Vgl. jetzt jedoch die bei Rüpke 2008a gesammelten Beiträge, in denen die Erinnerungsfunktion von Festen allerdings nicht eigens thematisiert wird. Herz 1978; Herz 2003. Editio pnnceps des berühmten Papyrus 54 aus Dura Europos, der Bruchstücke des Festkalenders der dort stationierten Cohors XX Palmyrenorum enthält, durch Fink u.a. 1940 (mit ausführlichem Kommentar). Spätere Literatur ist bei Fink 1971, 422429 Nr. 117 verzeichnet. Die Demosthenes-Süftung aus Omoanda: Wörrle 1988 (= SEG 38,1462). Degrassi 1963 (= Inscrlt XIII, 2); neuere Funde bei Rüpke 1995 und Herz 2003. Scheid 1998. Price 1984, bes. 65-77. Rogers 1991. Die Resultate sind freilich ebenso problemaüsch wie die sozialgeschichtlichen Prämissen; vgl. zu letzteren Halfmann 2001.
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der julisch-claudischen Dynastie legte 1999 Stephane Benoist vor. Schließlich ist festzustellen, daß die Entstehung und Durchsetzung christlicher Festkalender in der Spätantike nach wie vor nicht systematisch untersucht und dargestellt worden ist. Immerhin liegen inzwischen jedoch einige Studien vor, die sich mit dem Festkalender des spätantiken Rom und seiner Transformation durch den Kult der Heiligen sowie mit der Festkultur der syrischen Metropole Antiocheia am Orontes im 4. Jahrhundert n.Chr. beschäftigen. Die Forschung zur Entstehung des Weihnachtsfests hat soeben Hans Förster noch einmal zusammengefaßt und versucht, den Nachweis zu erbringen, daß es keineswegs an die Stelle eines älteren Festes für den Sonnengott getreten sei, wie seit Hermann Useners klassischer Studie aus dem Jahre 1889 allgemein angenommen wurde.
IV. Fest und Geschichte in der griechischen Welt Der Hinweis Emile Durkheims, daß Feste zur Reproduktion sozialer Gruppen beitragen, indem sie den Rahmen für die kollektive Erinnerung an eine als verbindlich gedachte Vergangenheit bilden, hat in der Forschung lange Zeit nur geringe Beachtung gefunden, da man andere Aspekte und Funktionen bevorzugt in den Blick nahm. Erst Jan Assmann hat die Erinnerungsfunktion von Festen nachhaltig betont und am Beispiel des Alten Ägypten eindrucksvoll belegt. In der Tat scheint evident, daß Gesellschaften mit gering entwickelter Schriftlichkeit auch deswegen der Feste bedürfen, damit kollektive Vorstellungen über die Vergangenheit für alle zugänglich, kommunizierbar und durch gemeinsames Erleben verinnerlicht werden. Identitätsbildung und Geschichtsbewußtsein stehen in engem Zusammenhang: Feste fungieren als Fixpunkte und als Medien der kollektiven Erinnerung und tragen dadurch zur Ausformung von Geschichtsbildern bei, die einen als bedeutsam empfundenen Konnex zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit herstellen und dadurch ihrerseits sinnstiftend und handlungsorientierend wirken. Indem Feste
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Benoist 1999. Dazu kritisch Chamberland 2003. Den stadtrömischen Festkalender des 4. Jahrhunderts n.Chr. analysiert Salzman 1990, die Transformation der Memonalkultur durch die Verehrung von Märtyrern Diefenbach 2007. Soler 2006. Usener 1889/1911; Förster 2007. Durkheim 1912/1968 unterscheidet kategorial zwischen „rites mimetiques" (501530), „ntes representatifs ou commemoratifs" (531-555) und „rites piaculaires" (556-592).
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dies leisten, stärken sie den inneren Zusammenhalt der Gruppe, die an dieser kollektiven Erinnerung teilhat. In den Forschungen zur griechischen, hellenistischen und römischen Festkultur indessen hat dieser Aspekt lange Zeit kaum eine Rolle gespielt. Die wichtigste Ausnahme bildet ein Aufsatz, den Angelos Chaniotis Festen gewidmet hat, die er als historische Gedenktage bezeichnet, weil das Ereignis oder die Person, deren man feiernd gedachte, als historisch betrachtet werden könne. Chaniotis hat in diesem Aufsatz wesentliche Elemente des Geschichtsbildes, das durch solche Feste vermittelt wurde - Personalisierung, Theologisierung, Idealisierung - , treffend herausgearbeitet und ihre im Hellenismus steigende Popularität als Reaktion auf den Verlust politischer Selbständigkeit und den Schwund kultureller Identität auf lokaler Ebene zurückgeführt, den die griechischen Bürgerstaaten auf diese Weise hätten kompensieren wollen. Es verkleinert die bahnbrechende Bedeutung dieses Aufsatzes nicht, wenn man bemerkt, daß die Argumentation in zweierlei Hinsicht auf Prämissen beruht, die heute nicht mehr konsensfähig sind: auf dem Dekadenzmodell für die Geschichte griechischer Bürgerstaaten im Hellenismus und auf der strikten Trennung zwischen historischen und religiösen Festen. Natürlich ist es gerechtfertigt und aufschlußreich, sich auf Feste zu konzentrieren, deren Einrichtung eine Reaktion auf für uns faßbare Ereignisse darstellt, wenn man untersuchen will, wie diese Ereignisse im Fest repräsentiert werden. Da die Griechen jedoch jedes Fest auf die Tat von Personen zurückführten, deren Wirken in der Vergangenheit angesiedelt wurde, ohne dabei zwischen Mythos und Geschichte grundsätzlich zu unterscheiden, kann die Rolle, die Feste für die Ausbildung von polisspezifischen Geschichtsbildern spielten, gar nicht in den Blick kommen, wenn man sich auf „historische" Feste beschränkt. Die Vergangenheit reichte im Bewußtsein der meisten Griechen zurück in eine Urzeit, in der Menschen und Götter noch persönlich miteinander verkehrten. Diese Urzeit war zwar aufgrund ihres großen zeitlichen Ab Stands zur Gegenwart allenfalls undeutlich erkennbar, aber dennoch hochbedeutsam, 85
Chaniotis 1991, bes. 140: „Die Polis, die seit der hellenistischen Epoche als Staatsform ihre historische Grenze erreicht, eingebunden zunächst in ein Netz zwischenstaatlicher Beziehungen, später in einen komplizierten Verwaltungsapparat, konnte ihren Zusammenhalt nicht durch politische Mittel verstärken, sondern in erster Linie durch die Berufung auf die Vergangenheit [...] Das tiefe menschliche Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit und Identität konnte vom ideologischen Gerüst der Weltreiche (Herrscher- und Kaiserkult, später die christliche Religion) nur zum Teil befriedigt werden. Weder in der nicht mehr vorhandenen politischen Selbständigkeit noch in der sprachlichen oder überhaupt der kulturellen Eigenart im Zeitalter des Weltbürgertums konnte es zu seinem vollen Recht kommen, doch aber im Geschichtsbewußtsein kleiner und großer Bürgergemeinden."
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weil man überzeugt war, daß die normativen Grundlagen des Zusammenlebens, nicht zuletzt der Götterkult, in ihr gelegt worden waren. 86 Nach dem „cultural turn" bedarf die Feststellung, daß die Rolle, die Feste für das Geschichtsbewußtsein einer sozialen Gruppe spielen, von vielen Faktoren abhängig ist, keiner umständlichen Begründung mehr. Diese Faktoren lassen sich nicht auf den Gegensatz Moderne versus Vormoderne reduzieren, sondern verlangen eine konkrete Analyse der kulturspezifischen Bedingungen und Formen des Feierns und Erinnerns. Für die Welt der griechischen Bürgerstaaten in klassischer und hellenistischer Zeit ist davon auszugehen, daß so gut wie jedes Fest insofern eine Art Vergangenheitsbezug aufwies, als man Geschichten darüber erzählte, wie, warum und von wem es eingerichtet worden war. Diese Geschichten erklärten und begründeten eine Praxis, indem sie ihren Ursprung auf Taten göttlicher oder menschlicher Personen zurückführten. Die in der modernen Wissenschaft geläufige — und notwendige — Unterscheidung zwischen historischen und mythischen Personen spielte dabei keine Rolle. Man unterschied zwischen Menschen, Heroen und Göttern. Die Götter waren ewig, die Menschen dagegen sterblich, es sei denn, sie existierten als Heroen oder Götter auch nach dem Tode noch fort. Die Vergangenheit reichte stets bis zu den Ursprüngen hinauf und umfaßte damit Gestalten, die noch in persönlichem Umgang mit den Göttern gestanden hatten. Nicht alle diese Geschichten, die man über den Ursprung von Festen und Kulten erzählte, wurden verschriftlicht, und nur ein Bruchteil der verschriftlichten Erzählungen ist uns überliefert. Noch weniger fanden Eingang in literarische Werke von panhellenischer Verbreitung. Diejenigen, die solche Geschichten erzählten, bildeten keinen abgesonderten Stand von Spezialisten und verfugten auch nicht über ein Monopol zur Verbreitung religiöser Lehren, weswegen ihre Erzählungen niemals den Rang einer für alle Mitglieder der Kultgemeinde verbindlichen Lehre innehatten. Die grundsätzliche Feststellung bleibt davon unberührt: Man wollte wissen, warum bestimmte Feste auf eine bestimmte Art und Weise gefeiert wurden, und man erzählte Geschichten über den Ursprung eines Festes, um dieses Bedürfnis zu befriedigen. Dies war so selbstverständlich, daß Piaton und Polybios es in bildungstheoretischem Kontext ohne weiteres voraussetzen konnten. Mit der Zeit stellte sich in den griechischen Bürgerstaaten freilich ein Bedürfnis ein, diese Geschichten zu sammeln und zu ordnen. Seit klassischer Zeit wurden Feste und Opfer darum 86 87
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Gehrke 2001; Hans Beck und Hans-Ulrich Wiemer in diesem Band. Dazu grundlegend Parker 2005, 369-379 mit einer Liste aitiologischer Mythen für attische Feste (380-383). Veyne 1983, bes. 39-68. Plat. leg. 10,887C-E; Pol. 4,20,8.
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vielfach in Werken lokalhistorischen und antiquarischen Charakters behandelt, die freilich bis auf geringe Reste verloren sind. Systematische Theorien hingegen, in denen Feste als soziales Phänomen analysiert werden, haben sich allenfalls in Ansätzen entwickelt, auch wenn der Gedanke, daß das Feiern von Festen Freude bereitet und von Alltagssorgen endastet, durchaus geläufig gewesen ist. Der Satz, daß „die Griechen ihre Riten (praktizierten), ohne sich über ihr rituelles Tun reflektierend bzw. kommentierend auszulassen", kennt nur wenige Ausnahmen. Feste galten als unantastbarer Bestandteil des Erbes, das die Vorväter hinterlassen hatten, und waren untrennbar mit den Göttern verbunden, deren Existenz und Wirksamkeit nur von wenigen Außenseitern in Frage gestellt wurde. Die Sinnstiftung durch Feste erfolgte daher stets in einem religiösen Bezugssystem. Die Feststellung, daß jedes griechische Fest der klassischen und hellenistischen Zeit einen Vergangenheitsbezug aufweist, bedarf nun freilich der Präzisierung und Modifikation. Denn dieser Vergangenheitsbezug war sehr unterschiedlich ausgeprägt. Es gab viele Feste, in denen die Vergangenheit der
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Die Reste dieser Schnftstellerei hat Tresp 1914 gesammelt. Es gab Monographien über den Festkalender einzelner bedeutender Städte wie Athen, Sparta oder Rhodos, aber auch Spezialschriften über einzelne Feste. Zum Verhältnis lokaler und universaler Konstruktionen von Zeit und Vergangenheit vgl. jetzt auch Clarke 2008. Der locus classicus ist Anstoph. Nub. 298-313; vgl Thuk. 2,38,1; Ps.-Xen. 3,8; Isokr. or. 4,46; Herakleides Kriükos 1,1 f. Eine systematische Untersuchung der Frage, wie die Griechen selbst das Fest als Form sozialen Handelns deuteten, fehlt. Henrichs 1998, 49-55 bespricht einige Stellen, die sich auf attische Feste beziehen; eine das gesamte griechisch-römische Altertum sowie den jüdisch-christlichen Bereich umfassende Problemskizze gibt Klauser 1969. Piaton betont in den „Gesetzen" die pädagogische und integrative Wirkung von Festen (vgl. Boyance 1937, 167-184; Morrow 1960, 352-398): Im zweiten Buch (653B/C) heißt es, die Götter hätten den von Mühe geplagten Menschen die wechselnde Folge der Feste zur Erholung gegeben und ihnen dabei die Musen, Apollon und Dionysos als Festgenossen beigesellt, damit sie die in der Jugend verinnerlichte Befähigung, gut und schlecht zu unterscheiden, durch Musik und Tanz sozusagen auffrischten (zur Deutung dieser häufig aus dem Zusammenhang gerissenen und darum mißverstandenen Stelle vgl. Kannicht 1989, 45f.). Das gegenseitige Kennenlernen und SichAnfreunden der Bürger wird im fünften Buch (738D/E) anläßlich der Empfehlung, Altäre und Heiligtümer einzurichten, wie die Tradition es vorsehe, als weitere wesentliche Funktion von Festen genannt. Boyance 1937, 209-224 rekonstruiert aus verstreuten Hinweisen, u.a. bei Philon und Strabon, eine peripatetische Theorie des Festes. Der von ihm beanspruchte Strabon-Text (10,3,9) wird jedoch seit Karl Reinhardt in der Regel auf Poseidonios zurückgeführt (Poseid. F 370 Theiler = FGrH 468 F 2). Henrichs 1998, 34. Drachmann 1922.
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Gruppe, die es feierte, nur eine marginale Rolle spielte, weil die Gestalten und Ereignisse, auf die man ihren Ursprung zurückführte, im Fest selbst nicht thematisiert wurden. Der Zusammenhang zwischen den Aitiologien, mit denen dieses Fest erklärt wurde, und dem Fest selbst war daher locker, und der Beitrag, den das Fest zur Reproduktion eines kollektiven Geschichtsbildes leistete, gering. In diese Klasse dürften viele alte Feste fallen, deren Programm durch die Auseinandersetzung mit natürlichen Phänomenen dominiert war, wie etwa die Thesmophorien, die Anthesterien oder die Karneien. Sie wurden zwar oftmals nachträglich mit einer oder mehreren Erzählungen verbunden, die ihre Entstehung und ihren Ablauf erklären sollten, indem sie einen Bezug zu Gestalten und Ereignissen einer als weitentfernt gedachten Vergangenheit herstellten. Diese Geschichten wurden jedoch im Fest selbst nicht thematisiert und blieben ihm daher äußerlich. In bestimmten Fällen allerdings erlangten Gestalten und Ereignisse der Urzeit für das Selbstverständnis einer sozialen Gruppe eine so große Rolle, daß die Erinnerung an sie auch die Deutung und Ausgestaltung der Feste prägte, die auf sie zurückgeführt wurden. Der Vergangenheitsbezug dieser Feste ist darum stark ausgeprägt. Sie trugen wesentlich zur Vergegenwärtigung von Vergangenheiten bei, die von konstitutiver Bedeutung für die kollektive Identität der Festgemeinde waren. Klare Beispiele dafür sind etwa das neue, penteterische Fest der Artemis Leukophryene in Magnesia am Mäander, die reformierten Mysterien von Andania in Messenien oder die späthellenistischen Theseien in Athen. Noch stärker ausgeprägt war die Erinnerungsfunktion bei Festen, die eigens zu dem Zweck eingerichtet wurden, die Erinnerung an Ereignisse der jüngsten Vergangenheit wachzuhalten; man spricht in diesem Fall auch von historischen Gedenktagen. Diese Bezeichnung ist durchaus berechtigt, denn eine Reihe von Zeugnissen belegt, daß die Perpetuierung der Erinnerung zu den proklamierten Zielen solcher neuen Feste zählte. Die Aitiologie des Festes ist in diesem Fall ein zeitgenössischer und repräsentativer Ausdruck des Selbstverständnisses der Festgemeinde, und das Fest selbst ist ein bewußt eingesetztes Mittel zur Verstetigung der kollektiven Erinnerung. Das berühmteste Beispiel ist zweifellos das Freiheitsfest (Eleutherid), das am Ort des Sieges von Plataiai begangen wurde, wenngleich die meisten überlieferten Beispiele auch hier wieder aus der hellenistischen Zeit stammen. Unter erinnerungsgeschichtlichem Aspekt sind 94
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Siehe Burkert 1977, 234-245; Parker 2005, 270-283 (Thesmophorien); 290-326 (Anthesterien). S. dazu Hans-Ulrich Wiemer in diesem Band. Deshours 2006. Bugh 1990; Kennell 1999. S. dazu Hans Beck in diesem Band.
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hier aber auch die Kulte einzuordnen, die griechische Bürgerstaaten für Wohltäter einrichteten, seien diese nun auswärtige Herrscher oder Mitbürger, denn sie perpetuierten die Erinnerung an konkrete Wohltaten für die eigene Gemeinde." Auch die Kulte griechischer Städte für römische Magistrate gehören in diese Kategorie. Die Rolle, die ein Fest für das Geschichtsbewußtsein eines griechischen Bürgerstaates spielte, hing also wesentlich davon ab, ob die Vergangenheit, auf die seine Entstehung zurückgeführt wurde, im Fest selbst thematisiert wurde. War dies der Fall, dann konnte diese Vergangenheit im Fest auf verschiedene Art und Weise inszeniert und repräsentiert werden, je nachdem, welche Medien dabei zum Einsatz kamen. Ereignisse und Figuren der Vergangenheit konnten durch das gesprochene Wort, durch symbolische Handlungen und durch Bilder evoziert werden. Das gesprochene Wort nahm dabei die Form von Kultliedern auf göttliche oder menschliche Personen an, denen ein Fest gewidmet war, oder die von Reden, die im Rahmen eines Festes, aber ohne direkten Bezug auf Kulthandlungen gehalten wurden, und natürlich konnten beide Formen kombiniert werden. Handelte es sich um ein Fest, dessen Programm musische Agone umfaßte, dann wurden kollektive Erinnerungen der Festgemeinde wohl auch bei musikalischen und theatralischen Vorstellungen aufgegriffen und erneuert. Unter den symbolischen Handlungen, die einer Zeremonie Sinn verleihen, ohne selbst aus Sprechakten zu bestehen, kommt der Prozession entscheidende Bedeutung zu. Eine Prozession folgt aber in der Regel einer bestimmten Route und verleiht dadurch bestimmten Orten eine gesteigerte Bedeutung für das Geschehen. Man sammelt sich an einem vereinbarten Punkt, passiert auf dem Weg zum Ziel bestimmte Monumente, hält wohl auch an dem einen oder anderen inne. Indem man die Route für die Prozession fixierte, markierte man Punkte im Raum, an denen die Erinnerung an Vergangenes durch Bilder oder gesprochene Worte evoziert wurde, lokalisierte dadurch die Erinnerung an bestimmte Ereignisse und Gestalten und trug so zu ihrer Stabilisierung bei. Feste konnten in der griechischen Welt aber nicht bloß einzelne Elemente polisspezifischer Geschichtsbilder vermitteln, sondern auch als Anlaß für die
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Habicht 1970; Gauthier 1985. Souveräner Überbkck bei Chamotis 2003b. Theriault2001. Wie Bowie 1986, 27-35 wahrscheinlich gemacht hat, bildeten diese Agone schon in klassischer Zeit einen institutionellen Rahmen, in welchem narrative Elegien vorgetragen wurden, die von der nahen und fernen Vergangenheit einer Polis handelten. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die durch einen Papyrus fund bekannt gewordene Plataiai-Elegie des Simonides: Text, englische Übersetzung und Interpretationen bei Boedeker/Sider 2001.
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Konstruktion und als Mittel zur Diffusion von Geschichtsbildern dienen, die ein ganzheitliches Bild der Vergangenheit zu vermitteln beanspruchten. Diese Funktion war ursächlich mit der Ausbreitung von Festen verbunden, die zwar von einzelnen Bürgerstaaten ausgerichtet wurden, aber auch Teilnehmer aus anderen Teilen der griechischen Welt anzogen. Der Wille, den Stellenwert der eigenen Gemeinschaft zu steigern, indem man Feste von überregionaler Ausstrahlung veranstaltete, läßt sich bei den Griechen schon in archaischer Zeit beobachten. Ein frühes Beispiel ist die Ausgestaltung der Panathenäen zu einem penteterischen Fest im Athen des 6. Jahrhunderts v.Chr. Seit dem frühen 3. Jahrhundert v.Chr. häuften sich diese Versuche jedoch. Eine Reihe griechischer Bürgerstaaten, vor allem in Kleinasien, versuchte nun, möglichst viele Griechen zu überzeugen, daß zumindest eines seiner Feste den vier alten gemeingriechischen Festen an Rang gleichkomme und daher unter Beteiligung aller Griechen zu feiern sei. Man schickte Gesandtschaften in alle Himmelsrichtungen, um griechische Staaten und Herrscher zur Anerkennung dieses Anspruchs zu bewegen. Dieses Unternehmen machte es erforderlich, die eigene Polis in der griechischen Welt möglichst vorteilhaft darzustellen. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Werbekampagnen war der Verweis auf Verpflichtungen, die in der Vergangenheit wurzelten, sei es auf Verwandtschaftsverhältnisse, die eo ipso zur Unterstützung verpflichteten, oder auf Verdienste, für die man sich jetzt zu revanchieren habe. Diese Feste gaben daher einen starken Impuls für die Konstruktion von Geschichtsbildern, mit deren Hilfe man die eigene Gemeinde mit Aussicht auf Erfolg als würdiges Mitglied der kulturellen Gemeinschaft aller Griechen erweisen konnte. Da das zu diesem Zweck präsentierte Geschichtsbild die für alle Mitglieder dieser kulturellen Gemeinschaft relevanten Traditionsbestände akzentuieren mußte, kam es in diesem Fall zu einer Selektion, die einerseits Gestalten und Ereignisse der Frühzeit betonte, welche als Belege griechischer Abstammung und Wesensart dienten, und andererseits Taten hervorhob, die als Leistungen für alle Griechen gelten konnten. Weil die Präsenz bestimmter Gestalten und Ereignisse der Vergangenheit unter den Bedingungen schwach entwickelter Schriftlichkeit wesentlich davon abhing, ob und wie sie mit Festen verbunden waren, die unter großer Anteilnahme der Bürgerschaft gefeiert wurden, standen Wandlungen des Festkalenders in einem engen Zusammenhang mit Veränderungen in den kollektiven Vorstellungen über die Vergangenheit. Wenn Feste im Laufe der Zeit an Attraktivität verloren, weil andere Feste, die neu eingeführt oder prächtiger ausgestaltet worden waren, mit größerem Aufwand und stärkerer Betei102
Neils 1992; Parker 2005, 253-269.
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ligung gefeiert wurden, tendierten auch die Vorstellungsinhalte, die mit diesem Fest assoziiert wurden, dazu, in den Hintergrund zu treten. Umgekehrt gilt die Regel, daß diejenigen Feste, auf deren Pflege die Bürgerschaft besonderen Wert legte, in hohem Maße mit historischer Bedeutung aufgeladen waren. Sie mußten nicht notwendig historische Gedenktage sein, in denen die jüngere oder jüngste Vergangenheit im Vordergrund stand; gerade die mit zentralen Kulten verbundenen Feste waren geeignet, den Bogen von der Gegenwart zu der Urzeit zu schlagen, die als besonders bedeutsam empfunden wurde, weil man glaubte, daß zentrale Normen des Zusammenlebens in ihr verwurzelt waren. Betrachtet man den Festkalender eines griechischen Bürgerstaates als Ganzes, enthält er die Gesamtheit der Rituale, die ihm für die Vergegenwärtigung seiner Vergangenheit zur Verfügung standen. Auch wenn das Fest für die Griechen der klassischen und hellenistischen Zeit natürlich nicht das einzige Medium der Konservierung und Repräsentation von Vergangenheit war, brachte der Festkalender insgesamt relativ kohärente Vorstellungen über die gemeinsame Vergangenheit der Bürgerschaft, mit anderen Worten: ein spezifisches Geschichtsbild zum Ausdruck. Veränderungen im Festkalender schlugen sich darum im Geschichtsbild der Bürgerschaft nieder: Bestimmte Gestalten und Ereignisse der entfernteren Vergangenheit traten allmählich an Bedeutung gegenüber anderen zurück; Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit, die mit noch lebenden Personen verbunden sein konnten, kamen neu hinzu, hielten sich freilich oft nur kurz und verschwanden dann spurlos. Kulte für Herrscher, die sich als Wohltäter und Retter erwiesen hatten, waren für ein rasches Veralten besonders anfällig, auch wenn es durchaus vorkam, daß ein Bürgerstaat den Kult für einen vergöttlichten Herrscher auch nach dessen Tod weiter pflegte. Es war schließlich nicht ohne Bedeutung für das Geschichtsbild eines griechischen Bürgerstaats, ob und in welchem Maß sein Festkalender die Vergegenwärtigung unpersönlicher Prinzipien, Qualitäten und Potenzen bewirkte, denen ewige Dauer zugeschrieben wurde. Gewiß suchte man bei allen griechischen Festen das Wohlwollen der immerseienden Götter zu gewinnen, die als Garanten der eigenen Lebensordnung verstanden wurden. Insofern waren Zeitlichkeit und Ewigkeit stets aufeinander bezogen, und man brachte dadurch die Überzeugung zum Ausdruck, daß die Polis bei aller Veränderung auf Grundlagen beruhe, die dem zeitlichen Wandel entzogen seien. Die in der klassischen Zeit beginnende kultische Verehrung abstrakter Wesenheiten, wie Eintracht (Homonoia) oder Sieg (Nike), deren Wirken den Fortbestand der eigenen Gemeinde sichern sollte, brachte jedoch ein neues Element in den 103
Thenault 1996.
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Vorstellungshaushalt, von dem griechische Bürgerstaaten zehrten: Man institutionalisierte das Gedenken an existentielle Bedrohungen der Bürgerschaft, indem man der Eintracht unter den Bürgern und dem Sieg über äußere Feinde kultische Verehrung erwies. Krisen der jüngsten Vergangenheit wurden kommemoriert, indem man ihre Bewältigung abstrakten Wirkkräften zuschrieb, die als unzerstörbar gedacht waren. Mit der Einrichtung von Kulten für den eigenen Demos erreichte diese Entwicklung eine neue Stufe: Indem man die Bürgerschaft, der man selbst angehörte, zu einem göttlichen Wesen erhob, erklärte man das politische System, das sich auf den Demos berief, für sakrosankt und entzog es damit jeder Kritik. Dieses Modell wurde schließlich auf eine auswärtige Macht übertragen, als Rom zur alleinigen Vormacht des östlichen Mittelmeerraums aufstieg. Als die griechischen Bürgerstaaten Feste für die dea Koma und den populus Komanus einrichteten, wurde ein Modus der rituellen Affirmation römischer Herrschaft etabliert, die diese in alle Zukunft projizierte, indem sie der neuen Supermacht Ewigkeit zuschrieb. Bevor der Blick auf römische Feste gerichtet wird, gilt es noch, auf einen wesentlichen, häufig nicht hinreichend beachteten typologischen Unterschied aufmerksam zu machen. Die hier angestellten Überlegungen beziehen sich auf griechische Bürgerstaaten und auf Feste, die von diesen veranstaltet wurden. Feste, die von Herrschern ausgerichtet wurden, gleichgültig, ob innerhalb oder außerhalb von Städten, sollten diesem Typ nicht subsumiert werden; sie bilden eine Kategorie für sich, weil sie nicht der Selbstdarstellung einer Bürgergemeinde, sondern derjenigen eines Herrschers oder einer Dynastie dienten. Das klassische Beispiel ist das im ägyptischen Alexandreia gefeierte Fest, das der zweite Ptolemaier zum Gedenken an seinen vergöttlichten Vater einrichtete, denn hier wurde nach einem am Hof verfaßten „Drehbuch" nicht etwa die Bürgergemeinde Alexandreia, sondern die ptolemäische Dynastie in Szene gesetzt. Das Memorialprogramm königlicher Feste brachte folglich kein städtisches Geschichtsbild zum Ausdruck, sondern ein dynastisches. Sie waren Teil einer spezifisch königlichen Erinnerungskultur, die mit anderen, insbesondere städtischen, konkurrierte. Zwar konnte es zu einer Vermischung dieser beiden Typen kommen, wenn sich in Residenzstädten eine Symbiose zwischen Herrscher und Bürgerschaft entwickelte, die auch die Inszenierung und das
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MeUor 1976; MeUor 1981. Wir kennen dieses Fest aus der bei Athenaios (5, 25-35, 196A-203B) überlieferten Beschreibung eines rhodischen Autors namens Kallixeinos (FGrH 627 F 2), die ihrerseits auf amtlichen Unterlagen fußen dürfte; vgl. dazu u.a. Rice 1983; Thompson 2000; Wiemer 2009.
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Memorialprogramm städtischer Feste prägte. Der kategoriale Unterschied bleibt davon jedoch unberührt.
V. Fest und Geschichte in Rom und im Imperium
Romanum
In der römischen Republik war der Zusammenhang zwischen Identitätsbildung, historischer Erinnerung und Festkultur nicht weniger wirkkräftig als in der Welt der griechischen Bürgerstaaten. Auch hier veranstaltete eine Bürgergemeinde Feste, die kollektiven Vorstellungen von sozialen Ordnungsprinzipien, deren Ursprüngen und Entwicklung Ausdruck verliehen; das Feiern war eine Praxis, die zum Dasein eines Bürgers gehörte und in diesem Sinne als „bürgerliche Religion" bezeichnet werden kann. In Rom war der Ablauf des gesamten öffentlichen Lebens jedoch von der spezifischen Qualität abhängig, die einzelnen Tagen zuerkannt und in einem Jahreskalender erfaßt wurde, weshalb die geschichtliche memoria noch stärker an die soziale Organisation von Zeit gebunden war, als dies im griechischen Bereich der Fall war. Schon gegen Ende des 4. Jahrhunderts v.Chr. existierte wahrscheinlich ein verschriftlichter Kalender, der eine vollständige Übersicht über potentielle Gerichtstage gegeben haben soll. Die römische Tradition hat seine Veröffentlichung durch Cn. Flavius vor allem als Preisgabe von senatorischem Herrschaftswissen und als Meilenstein auf dem Weg zum Ausgleich zwischen Patriziern und Plebejern verstanden. Der Ausweis von regulären Geschäftstagen {dies fasti) und solchen, an denen die Alltagsgeschäfte ausgesetzt wurden (nefasti), entwickelte sich in der Folge aber rasch zu einer kalendarischen Kompilation von Festtagen. Durch ihre Aufnahme in die Fasti wurden die Feste und Gedenktage Roms kanonisch, indem sie in eine stets wiederkehrende zeitliche Abfolge gestellt wurden. Der älteste im Original erhaltene Jahreskalender — die Fasti Antiates maiores^ deren Aufzeichnung wohl um 170 v.Chr. begann — beinhaltete einerseits eine Kette sakraler Feste, um die sich die „Geschichte" der frühen Republik lagerte, religiöse Zeremonien, deren Aitiologien Licht weit zurück in eine ferne Vergangenheit warfen, aber auch sogenannte „schwarze Tage" {dies atri), die an historische Unglücksfalle der Republik erinnerten. Die Einordnung dieser Gedenk- und Festtage in den Lauf des Jahres machte den Kalender wiederum 106 107
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Weitere Verweise bei Wiemer 2009. Zum römischen Kalender grundlegend Rüpke 1995; mit ähnlichen Schlußfolgerungen zuvor bereits Freyburger 1993. Humm 2000, 99-106; Beck 2005a, 178-180, beide mit allen relevanten Quellennachweisen.
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zu einer Art öffentlicher Jahreschronik, mit welcher der Bürgerschaft ihre im Fest verankerte Geschichte immer wieder aufs neue vor Augen geführt wurde. Denis Feeney hat diese feine Vernetzung von „natürlicher" Zeit und ihre Durchdringung mit politischen Ordnungskategorien jüngst ganz richtig als entscheidenden Schritt zu einer echten Historisierung von Zeit gedeutet. Der Erfolg dieser Variante eines amalgamierten Jahres- und Festkalenders, der mit der Geschichte der Bürgerschaft aufgeladen war, zeigte sich auch daran, daß sie schon in der mittleren Republik alle anderen Formen kalendarischer Darstellung verdrängte. Ovids poetische Kommentierung der Fasti markiert hier nur den letzten und freilich wichtigsten Beitrag in einer langen Reihe von kalendarischen Annäherungen an die römische Frühgeschichte und ihre Pflege im Fest.111 Unter den im Kalender ausgewiesenen Festen boten die sakralen Yjudi und die seit der Zeit der Bürgerkriege dann häufig auftretenden Gedenkspiele einen Rahmen für die Erinnerung an die Vergangenheit. So waren die am 21. August eines jeden Jahres ausgerichteten Consualia ein altes Fest zu Ehren der Götter Neptun, Mars und Consus, die allesamt mit dem Schutz der Ernte in Verbindung gebracht wurden. An den Consualia, deren Inaugurierung auf Romulus zurückgeführt wurde, hatte nach römischer Tradition auch der Raub der Sabinerinnen stattgefunden. Bei der alljährlichen Ausrichtung der Consualia wurde folglich ein einschneidender Moment in der Frühgeschichte der Stadt kommemoriert und mit diesem Verweis auch die Erinnerung an eine Reihe von grundlegenden Handlungsmotiven der politischen Kultur Roms wachgehalten: die Aufnahme fremder Bürger, das Asyl, aber auch die soziale Rolle der Ehefrauen. Für die im Circus Maximus versammelte Bürgerschaft bildeten die Consualia daher über das ephemere Erlebnis hinaus einen memorialen Fixpunkt, weil sie Jahr für Jahr an ein als historisch und in dieser Historizität als verbindlich verstandenes Ereignis erinnerten. Die verschiedenen Spiele erbrachten eine vergleichbare Erinnerungsleistung, wenngleich der Grad der historischen Konkretisierung dessen, was erinnert wurde, sehr unterschiedlich war: So boten die ludi Flebei seit ihrer Einrichtung um das Jahr 215 v.Chr. lediglich einen vagen Verweiszusammenhang für Ereignisse, die für den Stand der Plebejer formativ wurden, während durch Gedenkspiele markante Ereignisse oder später konkrete Geburts- oder Jahrestage regierender, teilweise auch verstorbener Kaiser sowie von Mitgliedern ihrer Familien gefeiert wurden. 109 110 111
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Rüpke 1995, 359. Feeney 2007. Einen Zugang zu der für Nicht-Spezialisten nicht mehr überschaubaren Literatur zu Ovids Fasten vermittelt Fantham 2002. Wissowa 1912, 202; Dumezil 1974, 168; Bernstein 1998, 34.
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Roms Aufstieg zur Herrschaft über die Mittelmeerwelt löste eine Dynamik aus, die sich nicht zuletzt in einer gewaltigen Ausdehnung der traditionellen Spiele und Feste niederschlug. Livius verstand diese Entwicklung als einen „selbst für opulente Königreiche kaum erträglichen Wahnsinn", und die ältere Forschung hat in der Regel angenommen, daß sie mit einem radikalen Sinnverlust einherging: Insbesondere die öffentlichen Spiele seien in der späten Republik zu bloßen Volksbelustigungen herabgesunken, die als Mittel zur Manipulation des Stimmvolkes dienten, aber keine für die Teilnehmer bedeutsamen Botschaften und Erfahrungen mehr vermittelten. Diese auf dem Dekadenzmodell beruhende Deutung unterstellt, daß die Zunahme von Ritualen gleichbedeutend mit ihrer Sinnentleerung sei, und verkennt, daß sie Teil eines sich verändernden Systems waren, in welchem nicht allein neue Feste auf Kosten alter an Bedeutung gewannen, sondern auch alten Festen neuer Sinn zugeschrieben wurde; gerade für die alten Feste begann jetzt eine Suche nach den Ursprüngen, die gestiegene Ansprüche an die Erklärbarkeit von Riten befriedigen sollten. Tatsächlich spricht vieles dafür, daß die ludi auch in der späten Republik Erfahrungen von großer emotionaler Intensität ermöglichten. Dies gilt namentlich für die verschiedenen Prozessionen, die zu Beginn der Festlichkeiten abgehalten wurden. Bei den frühen ludi Romani, von denen man zu Recht annimmt, daß sie anfangs lediglich eine Verlängerung des Triumphzuges darstellten, war ein solcher Zusammenhang schon in ihrer Entstehungsgeschichte angelegt. Für eine andere Form von pompa ist der für die Teilnehmer erfahrbare Sinngehalt erst vor kurzem herausgearbeitet worden. Während die vielen Zirkusprozessionen, die am Vortag von ludi abgehalten wurden, in der Vergangenheit meist als eine Art religiöses Begleitprogramm abgetan wurden, hat sich nunmehr ergeben, daß die pompa circensis eine prägende Rolle in der Umzugskultur der Republik spielte: Nach der detaillierten Beschreibung dieses Prozessionstyps, die Dionysios von Halikarnaß aus dem Werk des ältesten römischen Geschichtsschreibers, Fabius Pictor, geschöpft hat, standen die Zirkusparaden ganz im Zeichen einer versinnbildlichten Einheit des Volkes mit seinen Obermagistraten und den Göttern. Gleichzeitig wurden die Ordnungsprinzipien der
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Liv. 7,2,13: Inter aharum parva prznäpia rerum ludorum quoque prima origo ponenda Visa est, ut appareret quam ab sano initio res in hanc vix opulentis regnis tolerabilem insaniam venent. D Äußerung steht am Ende des berühmten Exkurses über die Entstehung der ludi scaema in Rom; vgl. dazu den Kommentar von Oakley 1998, 40-71, wo auch die umfangreiche Literatur angeführt wird. S. dazu Rene Pfeilschifter in diesem Band. Bernstein 1998, 51-57. Beck 2005b; Hölkeskamp 2008.
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Gesellschaft betont: soziale Hierarchie, Vermögensklassen und Vorrang des Alters. Wenn der Zug im Zirkus angekommen war, wurde den Göttern in Anwesenheit und Zeugenschaft der Bürger ein Opfer dargebracht, mit dem die Prozessionsteilnehmer noch einmal auf diese Grundlagen eingeschworen wurden. Die Zirkusumzüge wurden demzufolge von dem Motiv bestimmt, den Zusammenhalt des Bürgerverbandes und gleichzeitig seine inneren Hierarchien und normativen Fundamente zu präsentieren. Mit diesem doppelten Signal evozierten die pompae ärcenses aber vor allem auch die Vorstellung eines gesellschaftlichen Kontinuums, das sich in der römischen Vorstellung bis in die Frühgeschichte der Stadt zurückverfolgen ließ. Diese Dauerhaftigkeit wurde im Geschichtswerk Fabius Pictors ausdrücklich propagiert: Seiner Darstellung zufolge wurden die pompae ärcenses bereits seit dem frühen 5. Jahrhundert abgehalten, und die Anordnung des Zuges sei dabei immer dieselbe geblieben. Von den Zirkusparaden ging somit immer ein starkes Signal historischer Dauer aus: Erstens wurde die Kontinuität der Gesellschaftsordnung gefeiert und zweitens, damit eng verbunden, die Dauerhaftigkeit der Lebensgrundlagen der Republik.117 Die Grammatik stadtrömischer Feste mußte sich grundlegend ändern, als die Herrschaft dauerhaft in den Händen eines Mannes zu liegen begann. Der erste Princeps hat wie kein anderer versucht, seine Herrschaft im festlichen Gedenken zu verankern: Er sorgte dafür, daß die Vorstellung, sie markiere einen Neubeginn in der römischen Geschichte, durch die kalendarische Fixierung einzelner Feiern, die ihm und seiner Familie galten, stets aufs neue evoziert wurde. Während seiner Herrschaft wurde eine vorher und nachher ungekannte Fülle von Gedenktagen eingeführt, und eine große Anzahl inschriftlich erhaltener Fasti und Ferialia aus Rom und den angrenzenden Regionen Italiens beweist, daß die vom Zentrum ausgehenden Initiativen zu einer Vereinheitlichung und Kanonisierung der Erinnerung nicht ohne Resonanz blieben. Denis Feeney hat diese Kalender- und Festreformen kürzlich mit vollem Recht als zentralen Bestandteil der von Augustus eingeleiteten „cultural revolution" beschrieben. 18 Freilich hat diese „Revolution" keineswegs eine allumfassende oder gar unangefochtene Neuordnung des römischen Geschichtsverständnisses gezeitigt. Bereits in der Stadt Rom wurde die von Augustus ausgehende, im Kalender fixierte Matrix historischer Erinnerung durchaus unterschiedlich rezipiert. Auch wenn Augustus' Neuerungen auf der Ebene lokaler Kultvereine durchaus auf fruchtbaren Boden fielen, entstand unter den Bedingungen einer Großstadt-
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Fabius Pictor FRH 1 F 20; dazu Beck 2005b, 90-96. »8 Wallace-Hadrül 2008, 239-250.
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religion kein einheitliches, von allen Einwohnern Roms geteiltes Geschichtsbild. Selbst in den 265 vici der Stadt, welche die Lares Augusti seit einer vom Princeps selbst ausgehenden grundlegenden Reform kultisch verehrten, herrschte keine Uniformität, wenn es um die Festlegung der jeweiligen Ära oder die Rezeption neuer Feste zu Ehren des Augustus und seiner Familie ging.1 Man beschränkte sich zwar darauf, aus einer vorgegebenen Reihe auszuwählen, reproduzierte aber keineswegs sklavisch, was der Senat beschloß. Diese Feststellung gilt erst recht für die römischen Kolonien in Italien. Auch hier enthalten die in augusteischer Zeit als Inschrift publizierten Jahreskalender und Festverzeichnisse jeweils eine bestimmte Auswahl von Daten und Festen und geben daher einer „individuellen" Sicht der Vergangenheit Ausdruck, die sich gegen völlige „Gleichschaltung" sperrt. Aus der Rückschau erweist sich die „Geschichtspolitik" des ersten Princeps ohnehin als Durchgangsstadium: Da das von Augustus geschaffene Herrschaftssystem schon bald fest etabliert war, haben seine Nachfolger sich bei dem Versuch, neue Fixpunkte historischer Erinnerung zu schaffen, viel größere Zurückhaltung auferlegt, wenngleich Geburtstage und Regierungsjubiläen natürlich immer gefeiert wurden; die unaufhörliche Betonung eines Neuanfangs wurde unnötig und trat auch im Kalender gegenüber der Betonung der Kontinuität zurück. Wenn es schon in Italien niemals zu einer völligen Vereinheitlichung der kalendarisch fixierten Vergangenheit kommen konnte, so mußten die Divergenzen in den Provinzen des Imperium Komanum naturgemäß noch viel stärker ausgeprägt sein, denn diese brachten ganz unterschiedliche kulturelle Traditionen in das Reich ein, die von den Kaisern grundsätzlich respektiert wurden. Eine einheitliche Festkultur konnte es unter diesen Bedingungen ebensowenig geben wie eine Reichsreligion. Im römischen Ägypten wurden andere Feste gefeiert als im römischen Griechenland oder in Kleinasien, und auch innerhalb dieser Regionen variierten die Festkalender jeweils von Stadt zu Stadt bzw. von Tempel zu Tempel. Noch grundsätzlicher waren die Unterschiede zwischen den Provinzen der lateinischen Reichshälfte, wo einheimische Kulte reorganisiert und mit Hilfe römischer Vorstellungen neu interpretiert wurden, bevor sie Teil der „bürgerlichen Religion" werden konnten, und denen des griechischen Ostens, wo man die Kontinuität zur vorrömischen Kultpraxis wahrte 119 120 121
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S. dazu Ralf Behrwald in diesem Band. So jetzt noch einmal Rüpke 2008b. Zu den Festen im griechisch-römischen Ägypten Perpillou-Thomas 1993. Hinzu kommen naturlich die Feste für römische Kaiser, in denen diese nach ägyptischem Ritus als Pharaonen verehrt wurden: Grimm 1994. Zu diesem Konzept und seinen Grenzen bei der Analyse des römischen Reiches vgl. Woolfl997.
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und betonte. In den Städten des griechischen Ostens setzte die kultische Verehrung des römischen Kaisers eine Praxis fort, die seit hellenistischer Zeit etabliert war, und sie vollzog sich in Formen, die bereits seit Jahrhunderten existierten, auch wenn sie variiert und neu kombiniert wurden. Was man „Kaiserkult" zu nennen pflegt, war ein Bündel ganz unterschiedlicher kultischer Aktivitäten, unter denen Kulte, die einzelne Städte bestimmten Kaisern darbrachten, die erste Stelle einnahmen. Auf städtischer Ebene waren diese Kulte Teil eines lokal spezifischen Festkalenders, der in dieser Form einmalig war, und fügten sich daher in Geschichtsbilder ein, deren Fokus eine Polis bildete. Darüber legte sich seit Augustus nun freilich ein Ensemble von Kulten, die dem Kaiser auf provinzialer Ebene dargebracht und von eigens für ihn bestellten Oberpriestern geleitet wurden. Diese provinzialen Kaiserkulte, die für die Selbstdarstellung neuer, nicht mehr auf eine Polis fixierter Eliten große Bedeutung gewannen, stellten ein neues, stadtübergreifendes Element der Festkultur dar, das auf admiriistrativen Einheiten beruhte, die von Rom geschaffen 125
und auch immer wieder verändert wurden. In den Provinzmetropolen freilich, in denen diese von Provinzialversammlungen ausgerichteten Kaiserfeste stattfanden, dürfte der Unterschied kaum zu spüren gewesen sein, weil man diese Feste als Teil des eigenen Festkalenders empfand. Das Recht, einen (oder gar mehrere) Kaisertempel zu besitzen, war begehrt, weil ihre Anzahl den Status einer Stadt in ihrer Provinz demonstrierte. Diese Kulte konnten einen Kaiser um viele Jahrzehnte überdauern, freilich auch sehr rasch wieder verschwinden, wenn ein Kaiser der stadtrömischen damnaüo memoriae anheimfiel und damit aus dem offiziellen Gedächtnis Roms getilgt wurde. Das im Fest institutionalisierte Gedenken an verstorbene Herrscher unterlag somit stetem Wandel, weil nicht bloß mit dem Wechsel von Herrschern stets neue Feiern eingeführt, sondern immer wieder auch alte eingestellt oder abgeschafft wurden. Die regierenden Kaiser waren freilich nicht bloß in den Festen virtuell präsent, die zu ihren Ehren gefeiert wurden. Ein Gebet für den regierenden Kaiser war fester Bestandteil aller Feste, die eine Stadt in der Kaiserzeit ausrichtete, und Kaiserbilder wurden in vielen Prozessionen mitgefuhrt und am Ort des Festgeschehens ausgestellt. Wo man es sich leisten konnte, legte man sich einen Fundus an tragbaren Bildern zu, der sich nicht auf den regierenden Kaiser und Angehörige seiner Familie zu beschränken brauchte: In Ephesos 123 124 125 126 127
Chanious 2003a. Herz 1997. Mileta2008. Burrell2004. Chanious 2003a, 9f.; Edelmann 2008, 160-164.
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umfaßte er Personifikationen römischer Institutionen, Götter des städtischen Pantheons, den mythischen Stadtgründer Androklos, den Diadochen Lysimachos und Augustus, die Ephesos neu gegründet hatten, sowie Personifikationen von Institutionen der eigenen Stadt.1ZÖ Da man diese Bilder bei allen wichtigen öffentlichen Anlässen umhertrug, war dafür gesorgt, daß das kollektive Gedächtnis eine Dimension besaß, die weit in die vorrömische Zeit zurückreichte. Bei allen Divergenzen gab es einheitsstiftende Faktoren auch im religiösen Bereich. Der Export stadtrömischer Kulte in die Provinzen hielt sich freilich in engen Grenzen: Der Rechtsstatus einer colonia hatte zur Folge, daß Gemeinden, die ihn erhielten, ihre inneren Verhältnisse - nicht bloß politische Institutionen, sondern auch die öffentliche Kultpraxis - nach dem Vorbild Roms organisierten; er wurde aber nach Augustus nur noch selten verliehen. Ein anderer Weg, auf dem stadtrömische Feste sich in die Provinzen verbreiteten, war die Organisation einer Gemeinde als muniäpium^ deren Oberschicht die individuelle Mitgliedschaft im römischen Bürgerverband erlangte und sich an Rom orientierte. Da das flavische Munizipalgesetz, in welchem dieser Rechtsstatus vereinheitlicht wurde, nur fragmentarisch erhalten ist, bleibt jedoch ungewiß, in welchem Umfang er mit der Imitation religiöser Institutionen Roms verbunden 130
war. Der wichtigste Träger für die Verbreitung stadtrömischer Feste über das gesamte Reich war zweifellos das von Augustus geschaffene stehende Heer. Wie das Fenale Duranum zeigt, wurde im römischen Heer nicht bloß eine Anzahl von Kaiser festen gefeiert, sondern auch eine Reihe jener Feste, die aus republikanischer Zeit stammten. Auch wenn diese Feste schwerlich noch konkrete Vorstellungen an republikanische Institutionen transportierten, gehörten sie noch im 3. Jahrhundert n.Chr. zu den symbolischen Praktiken, die das Römertum der Soldaten definierten. Vor allem aber war das Heer diejenige Institution, die das offizielle, am Hof des Kaisers gültige Geschichtsbild in die kultische Praxis übersetzte, indem sie einer stetigem Wandel unterliegenden Auswahl von Kaisern nach zentralen Vorgaben Kult darbrachte. Auf diese Weise entstand ein für das Militär spezifisches Geschichtsbild, das sich in einer Auswahl „guter" Kaiser kristallisierte, die bis zu Caesar und Augustus zurückreichte und stets einen klaren Schwerpunkt auf der regierenden Dynastie aufwies. Von den 27 Festen, die in Dura unter Herrschaft des Alexander Severus zwischen 222 und 227 n.Chr. zu Ehren von Kaisern gefeiert wurden, 128
LEphesos 27, Z. 150-213 mit Rogers 1991, 83. Neuer Komposittext bei Gonzalez 1986 mit den Korrekturen bei Crawford 2008. 130 Beard/North/Price 1998,1, 313-363; Ando 2007. i3i Vgl. dazu neben der klassischen Studie von Nock 1952 jetzt auch Koßmann 2008. 129
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waren fünf dem regierenden Augustus und weitere sechs oder sieben Angehörigen der severischen Dynastie gewidmet; die übrigen verteilten sich auf Caesar, Augustus, Germanicus, Claudius, Nerva, Trajan, Hadrian, Antoninus Pius, Mark Aurel, Lucius Verus, Commodus und Pertinax sowie die kaiserlichen Frauen Matidia, Marciana und Faustina. Der Bestand an Kaiserfesten, der von Zivilisten in allen Teilen des Reiches gleichzeitig begangen wurde, blieb dagegen sehr gering. Unabdingbar waren wohl lediglich der Geburtstag des regierenden Kaisers und der Tag, an welchem er zur Regierung gelangt war. Die von der kaiserlichen Zentrale bei bestimmten Anlässen angeordneten Siegesfeiern dürften dagegen schon sehr viel weniger in die Tiefe gedrungen sein. Neben ihnen gewannen die Jubilarfeiern für römische Kaiser, die im ersten Jahrhundert als Gelübdezeremonien zu verstehen sind, im Laufe des 2. Jahrhunderts n.Chr. an Bedeutung. Durch ihre großangelegte, verschwenderische Inszenierung wurden die Jubilarfeiern zu Medien, mit deren Hilfe die (tatsächliche oder vermeintliche) Sieghaftigkeit des Kaisers reichsweit in Szene gesetzt wurde. Damit wurde eine Art historisches Kurzzeitgedächtnis etabliert, dem eine aufs äußerste verkürzte Erfolgsbilanz eingeschrieben war. Eine äußerste Steigerung erfuhr diese Tendenz, als das Kaisertum am Ende des 4. Jahrhunderts n.Chr. nach einer langen Zeit der Mobilität wieder seßhaft wurde, nun freilich im neuen Rom am Bosporus. Im Hippodrom von Konstantinopel veranstaltete der Kaiser Spiele, die ihn als Herrn des Kosmos erscheinen ließen und dabei zugleich Vorstellungen evozierten, die seine Herrschaft an die Königszeit Roms zurückbanden. Im Fest wurden kosmische und historische Bezüge hergestellt, die nicht bloß herrschaftslegitimierend wirkten, sondern zugleich auch integrativ, insofern sie dem Hippodrom als Ort einer spezifischen Form der Kommunikation zwischen Untertanen und Kaiser eine besondere Würde zuschrieben und diese in der entfernten Vergangenheit verankerten. Spezifisch christliche Festkalender entstanden, als sich an die wenigen Termine der Heilsgeschichte, die im Zentrum des kirchlichen Lebens standen, Gedenkfeste für diejenigen anlagerten, die der Verfolgung ihres Glaubens durch römische Statthalter und Kaiser Widerstand geleistet und dadurch Zeugnis von ihrem Glauben abgelegt hatten. Dadurch entstanden Festzyklen, die eine ganz andere Vergangenheit kommemorierten und neue Tugenden propagierten. Die christlichen Feste für Märtyrer, die nicht weniger lokalspezifisch waren als die heidnischen, haben diese auch unter den ersten christlichen Kaisern keineswegs ersetzt, sondern wurden parallel zu diesen gefeiert. Die voll-
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S. dazu Matthäus Heil in diesem Band. S. dazu Mischa Meier in diesem Band.
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ständige Verdrängung aller Feste, die sich gegen eine christliche Interpretation sperrten, war ein Prozeß, der sich über mehrere Jahrhunderte hinzog und erst im frühen Mittelalter zu einem gewissen Abschluß kam. Dieser Prozeß kann freilich in diesem Band, der nur einzelne Schlaglichter auf das Verhältnis von Feiern und Erinnern werfen soll, nicht mehr untersucht werden. Er hat seinen Zweck erfüllt, wenn er den Leser zu überzeugen vermag, daß antike Feste einen erheblichen Beitrag zur sozialen Konstruktion von Geschichtsbildern geleistet haben, der längst noch nicht erschöpfend erforscht ist.
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Markus 1990, 85-135; Diefenbach 2007, 488-538.
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Ephebie - Ritual - Geschichte* Polisfest und historische Erinnerung im klassischen Griechenland Hans Beck
Albert Schachter zum 22. August 2009
Am Anfang soll eine schematische Beschreibung der Aufgaben stehen, die die athenischen Epheben im Hellenismus zu erfüllen hatten. Die Pflichten der Jungmänner lassen sich in drei Kategorien einteilen. Erstens die militärische Seite der Ausbildung: Zur Ephebie gehörte das Training im Hoplitenkampf, Speerwurf, Bogenschießen und in anderen Waffengattungen. Hinzu kamen Unterrichtseinheiten in Kriegführung und Strategie. Zweitens der Bereich der nicht-militärischen Bildung: Aus den vielen Ephebeninschriften, die vor allem ab der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts das Bild prägen, ist bekannt, daß die jungen Männer in verschiedenen Fächern unterwiesen wurden. Sie erhielten Unterricht im Ptolemaion, Lykeion und in der Akademie; sie wurden durch Attika geführt, um Wege, Wehranlagen und Grenzen kennenzulernen; und sie besuchten die geschichtsträchtigen Orte ihrer Heimat: Marathon, Salamis, Munichia, Sunion. Überall dort wurden Kranze niedergelegt, bei Salamis auch eine Regatta abgehalten. Im Amphiareion in der Nähe von Oropos, der seit jeher umstrittenen Grenzlandschaft zwischen Attika und Boiotien, erhielten sie zudem eine Art Geschichtsunterricht. Sie gingen, wie es IG II 2 1006 heißt, „zum Amphiareion und erfuhren von der Geschichte des Heiligtums von den Anfängen an [...], opferten und zogen am gleichen Tag weiter durch die chora" . Allzu lang hat die Unterweisung in der Geschichte des Heiligtums also nicht gedauert. Die dritte und letzte Kategorie umfaßt den weiteren Horizont der Polisfeste. In ihrer Rolle als Initianden, die in das soziale und religiöse Leben der Polis eingeführt wurden, fundamentale gesellschaftliche Praktiken einübten
[Aristot.] Ath. Pol. 42,1-5. Zu den Ausbildungsfeldern der hellenistischen Ephebie in Athen s. allgemein; Reinmuth 1952; Pelekidis 1962; Roscam 1969; Reinmuth 1971; Rhodes 1980; Schröder 1986; Kah 2004; Burckhardt 2004. Das Register von Kennell 2006 erlaubt jetzt einen Überblick über die mit diesen Feldern verbundenen öffentlichen Ämter (für Athen: S. 15-30). IG II2 1006, Z.70-72: "Hyayev 8e Kai ei; [xo Äjacpidpjaov Kai iatopTiaav[x8<; XTJV y8yove]iav xoi) lepou [äno dpxJaicofv] %povcov ... K[ai] 0i$aavxe<; drcfjAßov au6T||i£pei elc, [XTJV elauxiöv xcopav.
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und ritualisierte Verhaltensnormen erlernten, nahmen die Epheben an einem breiten Spektrum von Kultfesten teil, bei denen sie Prozessionen oder Fackelzüge abhielten, Opfer durchführten, Wettkämpfe veranstalteten und Waffentänze vorführten: so etwa bei den athenischen Dionysien, den Panathenäen, den Eleusinien und den Oschophorien. Die strittige Frage, wieweit diese für den Hellenismus bezeugten Bestandteile der institutionalisierten Ephebie in die klassische Zeit zurückreichten, ist hier von untergeordneter Bedeutung. Das gilt auch für die verschiedenen Entwicklungsphasen, die die Ephebie im Hellenismus selbst durchlief. Die Umstände im späten 2. Jahrhundert unterschieden sich ja recht deutlich von denen in der Zeit unmittelbar nach der großen Ephebiereform von 336/335. Der grob zugeschnittene Überblick dient vielmehr dazu, die Ausbildungsbereiche zu benennen, die für die Erziehung und Sozialisation von Jungmännern als konstitutiv erachtet wurden. Die Bündelung dieser Bereiche und ihre Institutionalisierung in Form eines polisweiten Ephebieprogramms in vorhellenistischer Zeit sind umstritten, aber es besteht kein Zweifel daran, daß jeder einzelne Bereich für sich genommen auf eine eigene Entwicklungsgeschichte zurückblickte und auf gewissen Vorläufern basierte. Im militärischen Training wurden junge Männer in der einen oder anderen Form durch ihre Polis unterwiesen, seit es die Phalanx gab; denn ohne kollektives Training funktioniert die Phalanx nicht. Dasselbe gilt für die von der Aristokratie dominierten Kavallerie. Und wenigstens bei religiösen Polisfesten nahmen Jungmänner seit der archaischen Zeit eine prominente Rolle ein. So waren die Jugendlichen Athens bei allen Stationen der Panathenäen als eigene Statusgruppen präsent: bei der Prozession, dem Opfer, den Choraufführungen und den abschließenden Agonen. In Sparta führten die Jungmannschaften während der Gymnopaidiai einen Waffen3
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Dionysien, Panathenäen und Eleusinien: IG II2 1006; 1008; 1009; 1011; 1028; 1029; 1030; 1039; 1040; 1041; 1043. Oschophorien: Plut. Thes. 22-23; Breiich 1969, 444f.; Robertson 1992,120-133. Die Begriffe ,Ephebie' und ,Epheben' werden im folgenden nicht im technischen Sinn einer Polisinstitution gebraucht. Sie verweisen allgemein auf eine Statusgruppe von Jungmännern, die an der Schwelle vom Jugendlichen- zum Erwachsenenalter standen. Am prägnantesten kommt dies natürlich im sogenannten Ephebeneid zum Ausdruck, der aber aus späterer Zeit stammt: Tod 204 = Rhodes/Osborne 88; vgl. Stob. 43,48; PolL 8,105; Plut. Alkib. 15,7; Lyk. 76-77; Demosth. or. 19,303. S. dazu Siewert 1972 und 1977; Burckhardt 1996, 57-63; ferner die bei Rhodes/Osborne genannte Literatur. Zu denken ist nur an das berühmte Epheben-Relief von ca. 400: Shear 1971, 271 f. Die rotfigunge Schale Nordrhein-Westfalen 1 (Düsseldorf, Hetjens Museum), 196325 = Beazley ARV21625, 44, zeigt ebenfalls eine Reitstunde (um ca. 510). Vgl. Breiich 1969, 314-348; Burkert 1977/1985, 258.
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tanz auf; bei den Karneia leiteten fünf Jünglinge die Prozession. Die argivischen Varparonia beinhalteten unter anderem einen Agon der Epheben. Bei Initiationsfesten, etwa den athenischen Apatourien oder den spartanischen Hyakinthien, standen die Epheben naturgemäß sogar im Mittelpunkt des Geschehens. Die Liste ließe sich leicht verlängern und auch um solche Zeremonien erweitern, bei denen Abteilungen junger Mädchen eine privilegierte Position einnahmen. Ob ein straff durchorganisiertes Ephebieprogramm zum gängigen Repertoire öffentlicher Einrichtungen der klassischen Polis gehörte, sei dahingestellt. Sicher ist, daß die für den Hellenismus überlieferte aktive Teilnahme der Jungmannschaften an den Festen der Polis in der Tradition einer langen Entwicklung stand, die weit bis in die archaische Zeit zurückreichte. Der Festkalender trug zu einer regelmäßigen Selbstvergewisserung der Bürgerschaft und zur Pflege ihrer kollektiven Erinnerung bei. Die einzelnen Bestandteile des Festes zeichneten sich schon dadurch aus, daß ihnen ein ausgeprägter Gemeinschaftssinn zugrunde lag. Dazu gehörte die Bekränzung der FestteÜnehmer, die Prozession der Festgemeinde, das Opfer und Festmahl der versammelten Bürger, das Schwören von Eiden, gemeinsame Gebete und Choraufführungen, bei denen das Festlied gesungen wurde, sowie gymnische Wettkämpfe und dramatische Inszenierungen in Form von Waffentänzen oder nachgestellten Agonen, die wiederum unter den Festteilnehmern selbst ausgetragen wurden. Ablauf und Organisation dieser Elemente wurden von dem Gedanken bestimmt, die Festgemeinde als solche kenntlich zu machen — schon rein äußerlich signalisierten die Kränze und oft auch eine zeremonielle Gewandung der Teilnehmer ja den besonderen Status des Festtages, der einen „religiösen Kontrapunkt zum Alltag" (Jan Assmann) setzte. Gleichzeitig 8
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Karneia und Gymnopaidiai'. Nilsson 1906/1995, 118-129, 140-142; Breiich 1969, 171178; Pettersson 1992. Varparonia: Robertson 1992,179-207; Dillery 1996, 232f. Apatourien: Parke 1977, 88-92; Vidal-Naquet 1981/1986, 151-176. Hyakinthien: Nilsson 1906/1995,129-140; Breiich 1969,141-148, 179-191 passim. Z.B. bei den Adonia, Thesmophoria, Karyateia oder dem Fest der Artemis von Brauron. Der Zusammenhang ist gesehen worden, lange bevor er im Zuge des durch die Arbeiten von Jan Assmann eingeleiteten memonal turn weite Verbreitung gefunden hat. S. nur Burkert 1977/1985, 216-234, 254-260 und passim. Als bahnbrechend muß bereits Nilsson 1906/1995 gelten, dessen Zugriff auf die griechische Religion über eine Deutung der Fest- und Ritualkomplexe erfolgt. Das hermeneutische Instrumentarium zur Einordnung von Fest und Ritual fehlt natürlich noch. Die jüngere Forschung zeigt, wie fruchtbar der interkulturelle Vergleich ist: s. vor allem Haug/Wartung 1989 und zum kollektiven Mahl Dieder/Hayden 2001. Die berühmte Mysterieninschrift von Andania (hellenistische Zeit) erläßt nicht weniger als neun unterschiedliche Kleidervorschriften für verschiedene Gruppen von Festteilnehmern: Syll.3 735; vgl. Paus. 4,26,6-27,6 sowie Hans-Ulrich Wiemer in diesem Band.
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schärften Prozession, Opfer, Speisung und Gebet aber seit jeher die Kohärenz derjenigen Gruppe, die an der Schwelle zur vollwertigen Teilhabe an den Rechten und Pflichten dieser Bürgerschaft stand, indem sie ihr eine sichtbare, privilegierte Rolle im Festakt zuwies. Für die Jungmannschaften der Polis waren Fest und Ritual von formativer Bedeutung. Sie förderten die soziale Bewußtseinsbildung und die Aneignung sowie die Verinnerlichung der von der Polis als gültig erachteten Sinn- und Orientierungsmuster. Dem Fest kam eine Schlüsselfunktion bei der Übertragung der kollektiven Selbstbilder und gängigen Deutungsmuster der Welt von einer Generation auf die nächste zu. Die äußeren Bedingungen des Polisfestes machten diesen Zusammenhang noch prägnanter. Denn in der räumlich eng begrenzten und in der Regel gut überschaubaren Stadt manifestierte sich ein dichter Erinnerungsraum, in dem sich das Selbstverständnis der Gemeinde bündelte. In der face-to-face-society der Polis war die vielschichtige Vergegenwärtigung der Vergangenheit omnipräsent; sie kristallisierte sich in der Bildsprache von Tempeln, Weihungen und der monumentalen Ausgestaltung öffentlicher Räume und Plätze, die ihrerseits 13
mit Statuen und Denkmälern ausgestattet waren. Die so aufgeladene Topographie diente als städtische Bühne des Festes (bei Landbegehungszeremonien und Totenfeiern wurden entsprechend auch extraurbane und liminale Räume miteinbezogen), auf der es eine Vielzahl von Referenz- und Anknüpfungspunkten gab, die auf die ruhmvolle Vergangenheit der Polis verwiesen. Eingegrenzt war aber auch der Kreis der Teilnehmer. Bei vielen Festen waren Fremde als Zuschauer willkommen, doch war der eigentliche Teilnehmerkreis bei der allergrößten Mehrheit der Polisfeste auf die - oft nur männliche Bürgerschaft beschränkt, mit der die Festgemeinde wiederum identisch war. In dieser Festkultur wies jedes Fest einen starken Vergangenheitsbezug auf und trug zur Manifestation eines ,historischenc Bewußtseins bei. Um die Polisfeste lagerte sich ein dichtes Netz von Aitiologien und Etymologien, die von ihrer Gründung berichteten, die Anfänge einer Kultzeremonie erklärten und sie insofern ,historisierten'. Bei den athenischen Theseia und Pyanopsia wurde der Kretaexpedition des Theseus und seiner dramatischen Rückkehr nach Athen gedacht; das Fest erinnerte an eine entscheidende Station in der athenischen Gründungsgeschichte, die den Anstoß für seine Inauguration gegeben haben soll. Die boiotischen Daidala memorierten einen Ehestreit zwischen Zeus und Hera, die von ihrem Gatten nur durch einen Trick besänftigt werden konnte. Einer als Tochter des Asopos verkleideten Holzstatue, die in der Prozession mitgeführt wurde, kam dabei entscheidende Bedeutung zu. Diese aitiologische 13 14
Programmatisch: Hölscher 1998. Parke 1977, 74-82.
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Erklärung des Umgangsritus rückte die Anfänge des Festes in die Ära der boiotischen Gründerheroen. In Orchomenos hielten die Agrioma die Erinnerung an die Töchter des Stadtgründers Minyas wach. Das jährliche Ritual der symbolischen Tötung einer Minyenn sollte an den Frevel der Frauen erinnern, die mit Wahnsinn gestraft wurden, nachdem sie Dionysos Agrionios ein Opfer verweigert hatten. In Patrai scheint die nächtliche Prozession der Jungmänner beim Kultfest des Dionysos Aisymnetes gar einer „symbolische[n] Reinszenierung" des mythischen Synoikismos gleichgekommen zu sein, dem die Polis ihre Existenz verdankte. Auch diese Liste ließe sich leicht fortführen. Der Zusammenhang dürfte aber bereits deutlich sein. Die aitiologische Erklärung der Ursprünge von rituellen Praktiken und Zeremonien machte jedes Fest immer auch zum ,historischen' Fest, und der Kanon der Polisfeste entsprach der Gesamtheit der rituell vergegenwärtigten Vergangenheit, die im kollektiven Gedächtnis der Bürgerschaft gespeichert war. Der Festkalender spiegelte insofern ein einprägsames Geschichtsbild, in dem die mythische Vergangenheit und die periodische Erinnerung an sie zu einem mächtigen Sinnamalgam zusammengeschmolzen waren. In der Weitergabe und Erneuerung von aitiologischem Vergangenheit swissen lag für sich genommen eine mächtige historische Botschaft. Denn der Verweis auf die mythhistorische Vergangenheit implizierte ja eine gewisse Kontinuität der Bürgergemeinde, deren Wurzeln bis in eine heroische Zeit zurückreichten. Diese ferne Vergangenheit sanktionierte wiederum die Traditionen und Normen der Gegenwart, indem sie die gegenwärtige Ordnung der Polis als Schöpfung mythischer Gründungsväter auswies. Mithin wurde solche Ordnung auf das Wirken der Götter selbst zurückgeführt. Der Zusammenhang zwischen Ursprung und Fest ging aber noch über aitiologische Gründergeschichten hinaus. Die Griechen machten keinen kategorialen Unterschied zwischen religiösen Festen mit mythhistorischen Wurzeln und solchen, bei denen an ein konkretes Ereignis erinnert wurde. Jedes religiöse Fest war immer auch ein memoriales Fest, da an seine Anfange erinnert wurde, die ihrerseits in gängige Mythentraditionen und Gründersagen eingekleidet waren. Von
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Nilsson 1906/1995, 50-56; Schachter 1981, 245-250; Chamotis 2002; Iversen 2007. Nüsson 1906/1995, 273-274; Schachter 1981,179-181. 17 Baudy 1998,148. 18 Hauptquelle: Paus. 7,19-21; s. Baudy 1998, 147-148 und 165 zum möglichen Alter des Festes; Nilsson 1906/1995, 212-213 (Verbindung mit Artemis Tnklana); Breiich 1969, 366-376. 19 Am prominentesten das spartanische Doppelkönigtum, das auf die Tyndaridai zurückgeführt wurde: s. nur Burkert 1977/1985, 212-213. 20 Vgl. Chamotis 1991,128. "
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dieser Mythogeschichte war die Geschichte der unmittelbaren Vergangenheit durch verschiedene Zäsuren getrennt - Thukydides' Archäologie macht diese Sichtweise besonders augenfällig. Gleichzeitig schloß die Gegenwart aber unmittelbar an das mythische Stratum der heroischen Zeit an; dieses reichte wiederum über den Trojanischen Krieg bis in die Zeit von Göttern und Titanen. Einen qualitativen Unterschied zwischen mythischer und historischer Vergangenheit gab es in dieser Interpretation des Zeitstrahls bekanntlich nicht - Felix Jacoby hat dies in seinem berühmten Buch zu den lokalgeschichtlichen 22
Traditionen Athens nachdrücklich herausgestellt. Für die Analyse der historischen Sinnstiftung beim Fest macht es dagegen schon einen Unterschied, auf welchem Terrain man sich bewegt. Der großen Zahl von Polisfesten mit aitiologischem Hintergrund stand eine Gruppe von Zeremonien gegenüber, die dem Andenken an Ereignisse gewidmet war, die in die unmittelbare Vergangenheit fielen. Oft hat sich eine solche historische Kommemoration auch nachträglich in bereits bestehende Kultfeste hineingeschrieben; das Sinnangebot der Aitiologie wurde insofern um historische Inhalte erweitert. Man kann diese Varianten des historischen Polisfests unter 23
der Rubrik des Gedenktags zusammenfassen, ohne daß damit das Konzept, die mediale Präsentation und politische Intentionalität moderner Gedenktage impliziert werden (17. Juni, 20. Juli, 11. September u.a.). Die prominentesten Beispiele sind natürlich die großen Siegesfeste, mit denen an die Schlachten der Perserkriege erinnert wurde. Marathon, die Thermopylen, Salamis und Plataiai gaben hinreichend Anlaß für solche Feste. Die Perserkriege boten insofern den Referenzrahmen für eine gemeinsame griechische Geschichte, doch wurde diese ruhmreiche Vergangenheit immer auch im Rahmen der Polis, d.h. in der überschaubaren Erfahrungsgemeinschaft der Stadt, konstituiert. Die Erinnerung an die Perserkriege verdeutlicht somit bereits ein wesentliches Strukturmerkmal der griechischen Geschichtskultur im 5. und 4. Jahrhundert. Auf der einen Seite stand der kognitive Prozeß von Erfahrung und Verarbeitung von Vergangenheit, die die Griechen als Kollektiv betraf, auf der anderen die individuelle Perspektive der Polis, in der sich Vergangenheit mikroskopisch in 21 S. dazu Luraghi 2000; Tsakmakis 1995, 20-63. 22 Jacoby 1949, 111-119,128-148 und passim. 23 Chamotis 1991. 24 Zu Marathon und Plataiai s. unten; vgl. Chaniotis 1991, 124-125, mit einer Zusammenstellung der inschriftlichen Belege für alle vier. Der ThermopylenSchlacht wurde in Sparta seit der Überführung der Gebeine des Leonidas um die Mitte des 5. Jahrhunderts in Form eines jährlichen Agons und Epitaphios gedacht: Paus. 3,14,1; IG V 1, 660. An den Thermopylen selbst wurde höchstwahrscheinlich ein rituelles Totengedenken gefeiert, doch gibt es dafür keinen eindeutigen Beleg: s. jetzt Albertz 2006, 64-66.
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den Errungenschaften der Heimatstadt bündelte. Die folgenden Überlegungen zur Erinnerungsleistung von Polisfesten sollen beide Perspektiven weiter ausleuchten. Die privilegierte Rolle der Jungmannschaften beim Fest verlangt zudem nach einer genaueren Bestimmung der Funktion, die die Epheben im Prozeß der Weitergabe und Erneuerung historischen Vergangenheitswissens ausfüllten.
Schau-Platz Vergangenheit: Plataiai und konkurrierende Erinnerung Die Erinnerung an den griechischen Sieg über die Perser bei Plataiai stellt diese Zusammenhänge exemplarisch heraus. Anders als bei den Schlachten von Marathon (490) und den Thermopylen (480), an denen jeweils nur eine sehr begrenzte Anzahl hellenischer Verbündeter teilgenommen hatte, handelte es sich bei der Streitmacht von Plataiai um eine breite Koalition, die eine Vielzahl von Städten umfaßte. Der Hellenenbund war keine partielle Allianz, sondern eine groß angelegte Symmachie. Seine Mitglieder entwickelten in der Folge eine Fülle memorialer Praktiken, durch die die Erinnerung an die Ereignisse des Sommers 479 wachgehalten wurde und einen äußeren Rahmen erhielt. Die Kollektivität der Schlacht, die im Kern alle Städte des griechischen Mutterlandes betraf, spiegelt sich in einer besonderen historischen Erinnerung wider, deren Inhalte und Gegenstände zwischen gemeinsamen und individuellen Leistungen oszillieren. Auf der einen Seite stand der kollektive Erfolg des Hellenenbundes, der allenthalben gefeiert und glorifiziert wurde, auf der anderen die selbstbewußte Betonung des eigenen Beitrages zu diesem Erfolg, den die einzelnen Städte für sich reklamierten. Plutarch überliefert Einzelheiten der Kommemoration: „Hierauf [wenige Tage nach der Schlacht] fand eine allgemeine Versammlung der Griechen statt, und Aristeides stellte den Antrag, es sollten alljährlich in Plataiai von ganz Griechenland Vertreter und Festgesandte zusammenkommen, und es sollten alle vier Jahre Kampfspiele, die Eleutherien, gefeiert werden. (2) [...] die Plataier sollten für unverletzlich und heilig erklärt werden (äcrokovq Kai lepoix; acpieoBai), um dem Gott für GriechenAn der Deutung des Hellenenbundes als breit angelegter Symmachie sollte man nach wie vor festhalten, auch wenn dies immer wieder einmal in Zweifel gezogen wird: s. jetzt die umfassende Diskussion bei Jung 2006, 272-280. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zur Erinnerung an Marathon und die Thermopylen, die im Dienst der jeweiligen Hegemonieansprüche Athens und Spartas stand. Die panhellenische Dimension fehlte.
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Hans Beck land zu opfern. Nachdem das beschlossen war, übernahmen es die Plataier, für die gefallenen und in ihrem Land liegenden Griechen eine Totenfeier zu begehen. (3) Das tun sie noch heute auf folgende Weise. Im Monat Maimakterion, der bei den Boiotern der Alalkomenios ist, am 16. veranstalten sie eine Prozession, die früh morgens ein Trompeter mit kriegerischen Signalen eröffnet. Es folgen Wagen voll von Myrtenzweigen und Kränzen, ein schwarzer Stier und freie Jünglinge (vsaviGKOi etav0spoi), die Opfergaben an Milch und Wein in Krügen und Gefäße mit Öl und Salben tragen; (4) denn kein Sklave darf mit irgend etwas, das zu diesem Dienst gehört, zu tun haben, weil die Männer für die Freiheit gefallen sind. Zuletzt kommt der Archon der Plataier, dem es zu anderer Zeit nicht gestattet ist, Eisen zu berühren oder ein anderes als ein weißes Kleid zu tragen, der jetzt aber ein Purpurgewand angelegt hat. (5) Er holt einen Wasserkrug aus dem Archiv und schreitet schwertumgürtet durch die Stadt zu den Gräbern. Dann schöpft er Wasser aus der Quelle und wäscht selbst die Grabpfeiler ab und salbt sie mit Myrrhenöl, schlachtet den Stier über dem Opferherd, betet zu Zeus und Hermes, den Göttern der Erdtiefe, und ruft die tapferen Männer, die für Griechenland gefallen sind, zum Mahl und zum Blutschmaus. (6) Zuletzt mischt er einen Krug Wein, gießt ihn aus und spricht dazu: ,Ich trinke den Männern zu, die für die Freiheit der Griechen gestorben sind.' Dies halten die Plataier bis heute aufrecht." (Arist. 21,1-6, übers, von K. Ziegler/W. Wuhrmann)
Plutarch referiert zunächst den angeblichen Beschluß zum Abhalten der Totenfeiern und zur Einrichtung der Eleutherien (1-2), beides in unmittelbarem Anschluß an die Schlacht, und schildert dann das kommemorative Fest der Plataier für ihre eigenen und die anderen griechischen Gefallenen, so wie es zu seiner Zeit ausgerichtet wurde (3-6). Die detaillierte Beschreibung von Umzug, Blutopfer und Weinspende dürfte auf eigener Anschauung beruht haben. Wie viel davon in den zeitnahen Kontext der Schlacht gehört, ist schwer zu bestimmen. Immerhin behauptet Plutarch, daß der Kampf um die historische Erinnerung an Plataiai bereits am Tag nach der Schlacht begonnen habe. So soll zwischen Athenern und Spartanern ein Streit über die Errichtung eines Tropaion und, damit eng verbunden, die Zuweisung des Tapferkeitspreises entbrannt sein. Um eine weitere Eskalation zu vermeiden, einigte man sich auf Antrag der Korinther darauf, beides den Plataiern zuzuerkennen, da künftig „keine der streitenden Parteien an ihrer Auszeichnung Anstoß" nähme. Die Plataier
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Plut. Arist. 20,2.
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waren also so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich bei der Zuerkennung des Tropaion und Tapferkeitspreises verständigte. Der geschilderte Wettstreit zwischen Athenern und Spartanern ist aus allgemeinen Erwägungen heraus nicht unwahrscheinlich. Während Marathon und die Thermopylen jeweils den Hegemonieanspruch der Athener und Spartaner untermauerten, führte die Schlacht von Salamis im Herbst des Jahres 480 zu nicht unerheblichen Friktionen zwischen beiden Seiten. Umstritten war nicht nur die Frage nach dem Oberbefehl über die griechische Armada, sondern im Anschluß auch diejenige nach dem individuellen Beitrag, den die Hauptprotagonisten und ihre jeweiligen Feldherrn zum Sieg geleistet hatten. Im Sommer des Jahres 479 war es nun durchaus offen, ob der Krieg gegen die Perser nahtlos fortgesetzt oder nach einer kurzen Pause bald neu entfacht würde. Plataiai markierte aber wenigstens insofern einen Wendepunkt, als die Perser erst einmal aus Griechenland abzogen. Die Frage nach einem Resümee der Kriegsleistungen muß demnach prekär gewesen sein. Die kontroversen Anfange der Erinnerung an die Schlacht finden auch in der Plataiai-Elegie des Simonides Widerhall. Das Gedicht, von dem etwa 45 Verse fragmentarisch erhalten sind, stammt aus dem Jahr 478 oder 477. Es eröffnet damit einen einzigartigen Einblick in den zeitgebundenen Kontext und die unmittelbaren Bedingungen, unter denen sich die memona an Plataiai konstituierte. Nach dem Proömium, das die Schlacht in eine Kontinuitätslinie mit dem Trojanischen Krieg stellt, wird deutlich gesagt, was bei Plataiai auf dem Spiel stand und wer verhinderte, daß Hellas an jenem Tag unterjocht wurde: ... Ινα τις [μνη]σεται ΰ[στερον αύ άνδρώ]ν, οι Σπάρτ[ηι τε και Ελλάδι δοΰλιον ήμα]ρ [εσχον] άμυνόμ[ενοι μη τιν' ίδεΐν φανερ]ώ[ς ούδ' άρε]της έλάθ[οντο,... „... so daß man sich später wieder erinnert an die Männer, die für Sparta und für Hellas ausharrten und verhinderten, daß man den Tag der Knechtschaft sah, und die ihre Tapferkeit nicht verbargen ..." In dem Verweis auf den Trojanischen Krieg und den Freiheitsgedanken hat man zu Recht eine „Legitimationsstrategie des Hellenenbundes" gesehen, 28 29
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Hdt. 8,22-25. Der neue Simonides: P.Oxy. 3965 = Sim. frg. eleg. 11 W2; s. West 1993; Parsons 2001; Obbink 2001 (grundlegend). Sim. frg. eleg. 11 W2, 24-27.
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dem der Rückgriff auf die heroische Vergangenheit als Verweis auf eine ,historische' Präzedenz diente. Gleichzeitig bot der Troja-Bezug einen Referenzpunkt, der in der griechischen Welt allgemein anerkannt und akzeptanzfähig war und der es auch erlaubte, die Gefallenen der Schlacht in die Nähe der 32
mythischen Helden von Troja zu rücken. Diese panhellenische Agenda wird bei Simonides von dem Anspruch flankiert, die Schlacht von Plataiai als besondere Leistung der Spartaner herauszustellen. In der Elegie wird der Name Spartas nicht nur vor Hellas gestellt, sondern implizit auch das Schicksal der Griechen insgesamt mit dem der Spartaner gleichgesetzt. Die Kollektivität des panhellenischen Erfolges wird mit den hegemonialen Ansprüchen der Spartaner kombiniert, die im Hellenenbund die führende Position eingenommen hatten und nun eine exponierte Rolle im Narrativ der historischen Erinnerung für sich reklamierten. Gegen eine solche Deutungshoheit über die vergangenen Ereignisse durch die Spartaner, wie sie bei Simonides artikuliert wird, formierte sich rasch Widerstand. Die Symmachie der Griechen war sich nach der Schlacht zwar einig, den zehnten Teil der Beute den Göttern zu weihen und im Apollon-Heiligtum von Delphi ein Anathem in Form eines Dreifußes aufzustellen, zusammen mit einer Schlangensäule. Über die genaue Ausgestaltung des Weihgeschenks kam es jedoch zur Kontroverse. Denn die ursprüngliche Inschrift, die vom spartanischen König Pausanias — angeblich eigenmächtig - am Monument angebracht worden war, bezeichnete es als Weihung in seinem Namen. Offenbar war diese Lesart der Ereignisse nicht konsensfähig. Die Mehrheit der Bundesgenossen protestierte gegen die als allzu selbstherrlich empfundene Monopolisierung des Erfolges durch Sparta und verlangte eine Umformulierung. Der folgende Streit, der anscheinend im Rat der Amphiktyonen ausgetragen wurde, endete mit einem durchschlagenden Erfolg für die Verbündeten. Die Inschrift, die in die Schlangensäule gemeißelt wurde und vollständig erhalten ist, beginnt mit den schlichten, aber unmißverständlichen Worten: „Die folgenden führten den 31 32 33
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Jung 2006, 240. Vgl. Jung 2006, 227-230. Hdt. 9,81; vgl. Paus. 10,13,9. Den archäologischen Befund kommentieren Flower/Marincola 2002, 249-251. In Olympia weihte die Allianz eine zehn Ellen hohe Zeus-Statue und am Isthmos eine Poseidon-Statue, die etwas kleiner ausfiel: Hdt 9,81; Paus. 5,23,1-3; s. Gauer 1968, 28-36 zu den Einzelheiten. 'Ελλήνων αρχηγός έπε! στρατόν (βλεσε Μήδων | Παυσανίας Φοίβω μνήμ' άνέθηκε τόδε. Thuk. 1,132,2; Plut. De Herod. malign. 42; Demosth. or. 59,97. Thukydides sagt nichts vom Protest der Bündner und fuhrt die Umformulierung stattdessen auf das Zerwürfnis zwischen Sparta und seinem angeblich exzentrischen König zurück. Demosthenes verweist dagegen ausdrücklich auf den Protest der Bundesgenossen.
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Krieg". Es schließt sich eine Liste von 31 Mitgliedern der hellenischen Allianz an, angefangen mit Sparta, Athen und Korinth. Während die Spartaner erneut zuerst genannt sind, dominiert ansonsten der Kollektivitätsgedanke. Weder unternimmt es die Inschrift, auf die einzelnen Schlachten der Jahre 480 und 479 getrennt einzugehen und die jeweiligen Beiträge der Symmachoi gegeneinander aufzurechnen, noch wird eine Stadt als solche herausgestellt oder auf die Leistung ihres Heerführers rekurriert. Stattdessen ist schlicht von „dem Krieg" die Rede, und es wird auch einfach auf „die folgenden" verwiesen, die diesen Krieg führten. Die Inschrift der Schlangensäule spricht somit eine dezidiert panhellenische Sprache, genauer gesagt: Sie stellt Plataiai und die Perserkriege insgesamt ins Licht einer konzertierten Aktion all derjenigen Poleis, die sich zum Hellenenbund bekannt und die Allianz tatkräftig mit Bürgersoldaten unterstützt hatten. Bei dieser Form der medialen Erinnerung wurde insofern auf Rang und Status geachtet, als die Spartaner in ihrem Führungsanspruch des Hellenenbundes bestätigt und zuerst genannt wurden. Aber dieser Aspekt war nur sekundär gegenüber dem kollektiven Tenor, den das Anathem ansonsten anstimmte. Ohne jeden qualifizierenden Zusatz zu den Leistungen der einzelnen Bündner kommunizierte die Inschrift ein gewisses Egalitätsprinzip; die Teilnehmer der Allianz hatten nach ihren besten Möglichkeiten einen maximalen Beitrag zum gemeinsamen Erfolg geleistet. In der sprachlichen Verkürzung lag demnach eine mächtige Botschaft. Entscheidend war bei dieser inschriftlichen Präsentation der Vergangenheit, wer überhaupt unter den Bündnern aufgelistet war und wer n i c h t - darauf wird noch zurückzukommen sein. Am eigentlichen Schauplatz in Plataiai entstanden mehrere Monumente, die die Erinnerung an die Schlacht wachhielten. Die Versammlung der Kriegsteilnehmer bewilligte den Plataiern 80 Talente, mit denen der städtische Tempel der Athena wieder aufgebaut und mit neuen Statuen und Historiengemälden ausgeschmückt wurde. Ferner wurde ein Heiligtum des Zeus Eleutherios erbaut, das einen prachtvollen Altar erhielt. Die Altarinschrift, die erneut die Kollektivität des griechischen Erfolges herausstreicht und auf den Freiheitsgedanken abhebt, ist (unvollständig) bei Plutarch und (vollständig) in der „Anthologia Graeca" überliefert:38
36 37 38
Syll.3 31 = Tod 19 = ML 27 = HGIÜ 14; s. die Diskussion bei Jung 2006,248-250. Plut. Arist. 20,3. Plut Arist. 19,7; Anth. Graec. 6,50. Die Plutarch-Handschriften lassen den ersten Pentameter aus und bieten auch sonst einen leicht abweichenden Text.
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Hans Beck TÖvSe 7coG' "EXkqvsq pa>ur| %epoq epycp 'Äpeoc, euxöXuxö \|/i)xn<; A,f|uaTi rceiööuevoi, IlepGac; e^staxoavxec;, eXeuGepov fEMd5i KÖGUOV töpuaavxo Aiöc, ßcoudv 'EXevBsptoi). „Als das hellenische Volk mit der Kraft seiner Hände in Ares' Feldschlacht, im festen Vertraun auf seinen Willen und Mut, einst die Perser vertrieben, da baute es für die befreite Hellas zum Schmuck den Altar Zeus dem Befreier hier auf." (Übersetzung von H. Beckby)
Während das Heiligtum des Zeus Eleutherios in der umstrittenen Frage nach der memorialen Konstituierung der Schlacht von Plataiai eine dezidiert panhellenische Position bezog, ließen es sich die Verbündeten nicht nehmen, vor Ort jeweils eigene Denkmäler zu errichten, mit denen ihr Beitrag zum griechischen Erfolg in die Topographie des Schauplatzes hineingeschrieben wurde. Die Spartaner errichteten gleich drei solcher Grabdenkmäler (für die gefallenen Priester, Spartaner und Heloten), die Athener, Tegeaten, Megarer, Phliasier jeweils eines. Hinzu kamen mehrere Denkmäler von Städten, die überhaupt nicht an der Schlacht teilgenommen hatten und angeblich leere Grabmonumente errichteten, um so im nachhinein von ihrer als peinlich empfundenen Abwesenheit abzulenken. Die Aigineten sollen überhaupt erst zehn Jahre später ein öffentliches Grabmal errichtet haben, nach Herodot auf Betreiben ihres Proxenos in Plataiai, der darin eine wichtige Förderung aiginetischer Interessen sah. An den Nordausläufern des Kithairon entstand demnach ein hochgradig politisiertes memoriales Ensemble aus Tempel, Altar und Denkmälern, das an die Ereignisse erinnerte, die sich im Sommer 479 zugetragen hatten. Memoriert wurden der glänzende Sieg des Hellenenbundes und die individuellen Leistungen griechischer Städte im Kampf gegen die drohende Unterdrückung — auch solcher Städte, die gar nicht bei Plataiai gekämpft hatten. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden auch periodische Siegesfeste instauriert. Plutarch führt die Einrichtung dieser ,Großen Eleutherien' auf einen Beschluß des Aristeides zurück, doch schöpft sein Bericht hier höchstwahrscheinlich aus Quellen, die athenische ,Fälschungen' des 4. Jahrhunderts für bare Münze nahmen. Die Eleutherien dürften jedenfalls erst im 4. Jahrhundert eingerichtet worden sein; sie wurden alle vier Jahre am Tag der Schlacht, dem 4. Boedromion (Anfang August), gefeiert. Dazu wurde dann auch - ebenfalls erst in späterer Zeit - ein panhellenischer Kultverein eingerichtet, dem die Durch-
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Hdt. 9,85 mit Flower/Manncola 2002, 254-256.
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führung des Festes oblag. Gleichzeitig hielt die Polis Plataiai Jahr für Jahr eine Totenfeier für die gefallenen Griechen ab. Die Plataier taten das am 16. Alalkomenios, Ende Oktober oder Anfang November, also erst mehrere Wochen nach dem Jahrestag der Schlacht im August. Möglicherweise waren bei diesem Poüsfest auch vereinzelt Festgesandtschaften anderer Städte zugegen; auszuschließen ist das nicht. In erster Linie war die Totenfeier vom 16. Alalkomenios aber ein städtisches Fest. Die Plataier waren weitgehend unter sich, und primär dürfte bei den Feierlichkeiten der toten Plataier gedacht worden sein (ihr Kontingent war seinerzeit 600 Mann stark gewesen). Die von Plutarch genannte Prozession des Archonten und der Jungmänner, die Waschung der Grabstelen sowie das Stieropfer, bei dem die Jünglinge wiederum eine prominente Rolle spielten, markierten zentrale Rituale eines genuinen Polisfestes. Sie rückten die Zeremonie in die Mitte der Bürgergemeinde, die als Akteur und als Adressat des Ritus auftrat. Gleichzeitig lag der Akzent der historischen Erinnerung natürlich auf der griechischen koine. Denn die Totenfeiern standen ja im Zentrum der Kommemoration eines panhellenischen Ereignisses, sie waren ein Teil der gemeinsamen griechischen Geschichte, die alle betraf. Dem individuellen Erinnerungsbedürfnis der Bürgergemeinde stand somit ein weiterer Sinnzusammenhang gegenüber. Beide Deutungen bedingten sich gegenseitig: ohne den Blutzoll der Plataier kein griechischer Sieg, und ohne die hellenische Allianz kein Überleben für Plataiai. Es zeigt sich hier erneut dieselbe Verzahnung individueller und kollektiver memorialer Perspektiven, die auch für die anderen Medien der Erinnerung charakteristisch geworden ist. Dieselbe Konfiguration findet sich in anderen Städten. Denn natürlich feierten auch andere Poleis Siegesfeste, mit denen an Plataiai — und an ihren Beitrag zum griechischen Sieg — erinnert wurde. In Athen wurde die Schlacht am 3. Boedromion gefeiert, in Sparta im Rahmen des alljährlichen Fests des Pausanias und in Megara wurde jedes Jahr den Toten der Perserkriege insgesamt geopfert, und dies offenbar noch Jahrhunderte nach dem Ereignis. Ablauf und Ausgestaltung dieser Feste sind nur spärlich überliefert; die Feier40
41 42 43 44 45
Plut. Anst. 19,8. Nach den überzeugenden Ausführungen von Pierat/Etienne 1975 ist eine Einnchtung der Eleuthenen im 5. Jahrhundert unwahrscheinlich. Hätten sie zu dieser Zeit bereits existiert, wären sie wohl im Plädoyer der Plataier (Thuk. 3,58,4) erwähnt worden. Den angeblichen Beschlußantrag des Aristeides hat bereits Habicht 1961, 34 verworfen. Zum Kultverein s. auch Jung 2006, 281. Plut. Arist. 21,3 (oben zitiert). Hdt.9,28. Plut. De glona Athen. 7,349F. IG V I , 18+ 660; Paus. 3,14,1. IG VII 53; s. Chamotis 1988, 255f.
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lichkeiten in Plataiai sind nur deshalb so gut bezeugt, weil Plutarch sie mit eigenen Augen gesehen haben dürfte. Aber schon die verschiedenen Termine im August, im Oktober oder beim Epitaphios für Pausanias verdeutlichen, daß die Städte, die bei Plataiai gekämpft hatten, ihre ganz eigene Beurteilung dieses Ereignisses hatten, und sich diese Beurteilung auch ganz verschieden im Festkalender der Polis niederschlug. Während die Spartaner daran dachten, daß der Sieg unter dem Kommando ihres Strategen Pausanias errungen wurde, überwog für die Plataier höchstwahrscheinlich die bloße Teilnahme an der Schlacht, und zwar auf der richtigen, d.h. der griechischen Seite. Denn angesichts des anrückenden persischen Heeres war für sie ja wieder der alte Loyalitätskonflikt aufgebrochen, der die Geschichte ihrer Stadt in den letzten beiden Generationen bestimmte. Sollten sie dem Vorbild der benachbarten Thebaner folgen und mit diesen Medismos begehen, oder sollten sie ihr Heil auf der anderen Seite des Kithairon in der griechischen Allianz suchen? In dieser Schicksalsstunde schlugen die Plataier dieselbe Richtung ein, die sie seit ihrem Anschluß an Athen um das Jahr 519 verfolgt hatten. Sie blieben auf Seiten der hellenischen Symmachie>46 Die folgende Schlacht, die die kleine Polis für einen Moment ins Zentrum der griechischen Geschichte rückte, verlief dann so, daß sich ihr Entschluß in der Rückschau als eine glückliche Entscheidung herausstellte. In der spezifischen Situation, in der sich die memoria an die Schlacht der Stadt Plataiai formierte, wurde demnach nicht nur der gefallenen Plataier und Griechen gedacht und insofern an ein Stück ,Weltgeschichte' erinnert. Es wurde gleichzeitig der regionale Kontext memoriert und an die besondere Konstellation Plataiais zwischen Athen und Theben erinnert, in der sich die kleine Polis seit jeher befand. Das Polisfest der Gemeinde Plataiai war so besehen eine Zeremonie, bei der die Erinnerung an ein panhellenisches Ereignis gleich in doppelter Hinsicht auf die lokale Interpretation durch die Polisgemeinde heruntergebrochen wurde: Zum einen war das Totenfest Ausdruck des Bedürfnisses der Stadt, die Erinnerung an den Verlust ihrer Bürgersoldaten im Kontext der eigenen Schicksals- und Erfahrungsgemeinschaft zu bewältigen. Und zum anderen wurde dieser Kontext lokalpolitisch aufgeladen, indem an die historische Tradition Plataiais und seine prekäre Stellung im Grenzgebiet zwischen Attika und Boiotien angeknüpft wurde.
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Thuk. 2,73,3; 3,55,3; 3,63,2; 3,68,5; Hdt. 6,108,1; 7,132; 8,50,2; s. Amit 1973; Hammond 1992.
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Anstelle der Perserkriege: die Erinnerungsleistung der thebanischen Daphnephorien Im benachbarten Theben feierte niemand die Perserkriege. Die Thebaner hatten die entgegengesetzte Entscheidung getroffen und sich wie viele andere Städte in Boiotien und Thessalien auf die Seite der Perser gestellt. Die Perserkriege waren - und blieben - für sie ein schwieriges Stück Geschichte. In der Debatte zwischen Thebanern und Plataiern in den ersten Jahren des Peloponnesischen Krieges, die Thukydides beschreibt, tritt dies mit aller Deutlichkeit zutage. Von thebanischer Seite wird der Medismos dabei damit erklärt, daß die Stadt seinerzeit in Händen von Tyrannen gewesen sei, die versucht hätten, ihr Unrechtsregime mit persischer Unterstützung abzusichern. Die Verantwortung für den Übertritt zu den Persern wird somit auf eine nicht näher bestimmte Gruppe von Alleinherrschern abgewälzt. Im 4. Jahrhundert findet sich eine andere Rechtfertigungsstrategie. Der boiotische Lokalhistoriker Aristophanes behauptete, Herodot hätte in seinem Werk Lügengeschichten über die Thebaner verbreitet und sie mit der Ausbreitung pikanter Details zum thebanischen Medismos absichtlich diskreditiert, nur weil sich diese geweigert hätten, ihn mit Gold zu bestechen. Die Wirksamkeit solcher Strategien ist schwer zu beurteilen. Ihre bloße Existenz bezeugt immerhin, daß in Theben lange Zeit mit der Geschichte der Perserkriege gerungen wurde. Der thebanische Medismos konfrontierte die Bürgerschaft von Anfang an mit einem schwierigen memorialen Erbe. Das betraf schon das Totengedenken für die 300 gefallenen Thebaner, die auf persischer Seite gekämpft hatten. Eine periodisch wiederkehrende Kultfeier, wie sie für die auf Seiten des Hellenenbundes überliefert wird, ist nicht bezeugt. Fragt man nach der Rolle der Polisfeste im Prozeß der Herausbildung, Weitergabe und Einschärfung eines spezifischen Geschichtsbildes in Theben, scheiden Feste zu den Perserkriegen aus.
Hdt. 7,132; 8,34; 9,86-88 {Medzsmos angeblich bereits vor der Thermopylen-Schlacht; s. aber 7,202-205 zur Abordnung eines thebanischen Kontingents); Bück 1979,132134; Demand 1982, 21f.; Beck 1997, 88. Thuk. 3,53-67; Verweis auf eine angebliche thebanische Tyrannis: 3,62. FGrH 379 F 5-6, aus Plut. De Herod. malign. 31-33. Szenen wie das groß angelegte Festbankett des Attaginos für die Perser in Theben (Hdt. 9,15-17) müssen im nachhinein schwer an den Thebanern genagt haben. In der von Herodot in diesem Zusammenhang erzählten Konversation zwischen dem Orchomenier Thersander und einem persischen Befehlshaber wird die folgende Niederlage der Perser als Ergebnis gottlichen Willens hingestellt. Diese Interpretation ließ den Medzsmos Thebens noch verwerflicher erscheinen. Hdt. 9,67.
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Eines der prächtigsten thebanischen Polisfeste waren die Daphnephorien, die alle acht Jahre, wahrscheinlich im Mai, gefeiert wurden. Bei diesem Frühlingsfest wurde symbolisch der Lorbeer Apollons nach Theben gebracht und in einer Prozession durch Stadt und Umland getragen. In den Quellen lassen sich verschiedene Entwicklungsstadien der Zeremonie ablesen, denen jeweils die gleiche Intention zugrunde lag: Die Daphnephorien waren ein Fest, mit dem die Thebaner ihre Ansprüche auf die Oberhoheit über ihre weitläufige chora artikulierten. Der zum Fest gehörende Umgangsritus führte zum ältesten Tempel der Stadt, dem suburbanen Heiligtum des Apollon Ismenion südöstlich der Kadmeia in der Nähe des Elektrischen Tores, und weiter zu dem im Umland gelegenen Heiligtum für Apollon Galaxion. Die Überlieferungslage zu den Daphnephorien ist äußerst fragmentiert. Der schematische Blick auf die beim Fest gepflegte historische memona wird dadurch erschwert. Der Ablauf der Prozession ist durch Proklos bekannt, der im 5. Jahrhundert n.Chr. eine relativ detaillierte Schilderung verfaßt hat. Ein Auszug aus dessen Beschreibung ist in der Bibliothek 4 des Photios überliefert (321a-b). Dieser Bericht dürfte, wie Albert Schachter gezeigt hat, das Stadium des Festes im 4. Jahrhundert v.Chr. widerspiegeln. Nach Proklos wurde die Prozession von einem Knaben angeführt, dem Daphnephoros, der in diesem Jahr als ApollonPriester fungierte. Er hielt einen Lorbeerzweig in den Händen. Unmittelbar vor ihm trug sein nächster männlicher Verwandter einen Olivenholzstamm, der mit Lorbeerzweigen und Blumenkränzen geschmückt war. Auf dem Gebinde war oben eine bronzene Sonnenkugel aufgesteckt, an der wiederum kleinere Kugeln hingen, die Planeten und Monde symbolisierten. Im mittleren Teil waren 365 violette Bänder befestigt, die den Tagen eines Jahres entsprachen. Der Daphnepboros trug einen Goldkranz und offene Haare, ein schimmerndes Gewand, das bis auf den Boden reichte, und zeremonielles Schuhwerk. Ihm folgten ein Knaben- und ein Mädchenchor, die ebenfalls Lorbeerzweige trugen und den Festgesang rezitierten. 52
Zum Fest im allgemeinen s. Nilsson 1906/1995, 164f.; Schachter 1981, 83-85 und Schachter 2000; Kühr 2006, 242-246. 53 Schachter 2000,105-114. 54 S. dazu auch den knappen Bericht von Paus. 9,10,4. 55 Prokl. Chr. 25 = Phot. 321 a-b Bekker: Τα δε λεγόμενα Παρθένια χοροϊς παρθένων ένεγράφετο. Οις και τα δαφνηφορικά ώς εις γένος πΐπτενδάφνας γαρ εν Βοιωτία δια έννεαετηρίδος εις τα του 'Απόλλωνος κομίζοντες ιερείς εξυμνούν αυτόν δια χορού παρθένων. Και ή αιτία· των Αίολέων δσοι κατωκουν Άρνην καΐ τα ταύτη χωρία κατά χρησμόν άναστάντες εκείθεν καΐ προκαθεζόμενοι Θήβας έπόρθουν προκατεχομένας υπό Πελασγών. Κοινής άμφοΐν εορτής Απόλλωνος ένστασης άνοχάς εθεντο και δάφνας τέμνοντες οι μεν εξ Ελικώνος, οι δε εγγύς του Μέλανος ποταμού έκόμιζον τω Απόλλωνι. Πολεμάτας δέ, ό των Βοιωτών αφηγούμενος, εδοξεν δναρ νεανίαν τινά πανοπλίαν αύτω διδόναι και ευχάς ποιεΐσθαι τω Απόλλωνι δαφνηφορούντας δια έννεαετηρίδος προστάττειν.
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Dieser Befund wird durch Pindar gestützt, aus dessen Feder mehrere daphnephorische Oden fragmentarisch überliefert sind.56 Ode 94b = Parth. 2 (Race) ehrt einen Daphnephoros namens Agasikles, dessen Familie eine exponierte Rolle in der thebanischen Politik spielte. Sein Vater Pagondas kommandierte später die thebanische Kavallerie in der Schlacht vom Delion im Jahr 424. Pagondas' Vater Aioladas wird wiederum als Vorsteher eines „allseits gerühmten Hauses" (πάνδοξον σταθμόν: Ζ.8-9) gepriesen. Diese prosopographischen Beobach tungen weisen die Ode als Spätwerk Pindars aus. Sie stammt höchstwahrscheinlich aus den 440er Jahren. Die überlieferten Zeilen des parthenischen Liedes bezeugen, daß Agasikles' Schwester in eine zeremonielle Tracht gekleidet war. Sie lief in der Prozession neben ihrem Vater, unmittelbar vor dem Daphnephoros^ wobei sie selbst einen Lorbeerzweig trug. Pindars Beschreibung weicht insofern von derjenigen des Proklos ab, als der nächste männliche Verwandte des Lorbeerträgers noch von seiner Tochter begleitet wird. Ansonsten ist die Konfiguration dieselbe. In beiden Beschreibungen werden die Schlüsselrollen der Prozession von jungen Knaben und Mädchen übernommen, die den Umzug zusammen mit ihrem Vater anführen. Ihnen folgen jeweils Kohorten von Jünglingen und jungen Mädchen. Zweierlei fällt auf. In beiden Überlieferungsvarianten wird das Bild von Jungbürgern bestimmt, wobei die Tracht des Daphnephoros wahrscheinlich auf einen vorübergehenden Geschlechterwechsel anspielte. Proklos beschreibt seine Robe als Mädchengewand; der Junge war offenbar als Mädchen verklei-
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Μετά δε τρίτην ήμέραν έπιθέμενος κρατεί των πολεμίων και αυτός τε τήν δαφνηφορίαν έτέλει· και το εθος εκείθεν διατηρείται. Ή δε δαφνηφορία ξύλον έλαίας καταστέφουσι δάφναις και ποικίλοις ανθεσι και έπ' άκρου μεν χαλκη εφαρμόζεται σφαίρα, εκ δε ταύτης μικροτέρας έξαρτώσιν κατά δε το μέσον του ξύλου περιθέντες ελάσσονα της έπ' ακρω σφαίρας καθάπτουσι πορφυρά στέμματα·τά δε τελευταία του ξύλου περιστέλλουσι κροκωτω. Βούλεται δε αύτοΐς ή μεν άνωτάτω σφαίρα τον ηλιον (ω καΐ τον Απόλλωνα άναφέρουσιν), ή δε υποκείμενη την σελήνην, τα δε προσηρτημένα των σφαιρίων άστρα τε και αστέρας, τα δε γε στέμματα τον ένιαύσιον δρόμον και γαρ καΐ τζε ποιοϋσιν αυτά. Άρχει δε της δαφνηφορίας παις αμφιθαλής, και ό μάλιστα αύτω οικείος βαστάζει το κατεστεμμένον ξύλον δ κώπω καλούσιν. Αυτός δε ό δαφνηφόρος επόμενος της δάφνης εφάπτεται, τάς μεν κόμας καθειμένος, χρυσοΰν δε στέφανον φέρων και λαμπράν έσθητα ποδήρη έστολισμένος έπικρατίδας [oder ίφικρατίδας?] τε ύποδεδεμένος·ω χορός παρθένων επακολουθεί προτείνων κλωνας προς ίκετηρίαν ύμνων. Παρέπεμπον δε την δαφνηφορίαν εις Απόλλωνος Ίσμηνίου και Χαλάζιου. Parth. 1-3 = Frg. 94a-c Race. Die Familie wird auch in Parth. 1 = Frg. 94a genannt. Pagondas: Thuk. 4,91-96. Schachter 2000,100-105. Parth. 2 = Frg. 94b, Z. 6; 11 f.; 70. Parth. 2 = Frg. 94b, Z. 7£; 67-69.
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det. Dieses Outfit des Lorbeerträgers spricht für seine gesellschaftliche Stellung als Ephebe, der sich in der Übergangsphase vom Jüngling zum Mann einem Initiationsritus zu unterziehen hatte. Bestimmt repräsentierte er dabei die gleichaltrigen Jungmänner der Stadt, die in den hinteren Abteilungen der Prozession liefen. Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, daß den Daphnephorien ein Initiationsritual zugrunde lag, das Parallelen zu den besser bezeugten Initiationsfesten in Athen aufwies. Zweitens waren die Daphnephorien in einen mehrschichtigen kommemorativen Kontext eingebettet. Denn der Träger des Lorbeerzweiges sollte an den ersten Daphnephoros überhaupt erinnern, den boiotischen Strategen Polematas, der die Daphnephorien nach einem Traumbild im Krieg gelobt und eingerichtet hatte. Der Sieg des Polematas gehörte in den Kontext des Krieges der Aioler vom Berg Arne und der Pelasger gegen die Thebaner, mithin also in die mythhistorische Gründungsphase der Stadt. Der erfolgreiche thebanische Widerstand gegen das Heer von Aiolern und Pelasgern diente später als Legitimationsgrundlage für Thebens Hegemonieansprüche über seine chora und ausgedehnte Gebiete in Mittelboiotien. Die genaue Lage des Galaxion-Heiligtums ist umstritten, doch ist es sehr wahrscheinlich, daß es sich am Westrand der Tenerischen Ebene befand, einem Gebiet, das die äußerste Grenze des thebanischen Polisterritoriums markierte und gleichzeitig als Übergangszone zum amphiktyonischen Heiligtum von Onchestos galt. Die Prozession zum suburbanen Tempel des Apollon Ismenion und zum liminalen Galaxion-Heiligtum war dann sicher auch eine Landbegehungszeremonie, bei der sich die Teilnehmer die Größe ihres Polisterritoriums vergegenwärtigten. Der Verweis auf Polematas und den Krieg gegen die Aioler gehört natürlich in den Bereich der historischen Aitiologie, wie er weiter oben charakterisiert wurde. In Ode 94b findet sich aber noch ein ganz anderer historischer Reflex.
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Die schimmernde Robe reichte, wie bei Mädchengewändern üblich, bis zu den Füßen. Vgl. Schachter 2000,111; Kühr 2006, 243. Die kurze Beschreibung des Pausanias (9,10,4) scheint darauf hinzudeuten, daß eine größere Zahl von Jugendlichen an der Prozession teilnahm. Das lange Intervall zwischen zwei Daphnephorien spricht freilich gegen ein Initiationsfest im engeren Sinne. Das Altion ist bei Proklos überliefert, s. oben Anm. 55. Galaxion: Schachter 2000,110; Kühr 2006, 245. Am prägnantesten ist dies immer noch von Poügnac 1984/1995, 32-41, 98-106 und passim herausgearbeitet worden; vgl. Price 1984,110-112; Graf 1996. Vielleicht wurde mit dem Schuhwerk des Lorbeerträgers eine ähnliche Aitiologie verbunden, oder seine Sandalen waren eine unmittelbare historische Referenz: Schachter (2000, 106) liest in Proklos' Text (s. oben Anm. 55) icpix^axiöag anstelle von emxQocriSo«;. Die Schuhe wären dann leichte und offene Soldatensüefel gewesen,
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Auffällig ist der überschwengliche Ton. Unter anderem wird behauptet, daß den Thebanern kürzlich „unsterbliche Gunst" (άθανάταν χάριν: Ζ. 4) zuteil geworden sei. Gleichzeitig werden die Heldentaten der Vorfahren des Daphnepboros gepriesen. Die entsprechende Passage ist relativ gut erhalten: πιστά δ' Άγασικλέει μάρτυς ήλυθον ες χορόν 40 έσθλοΐς τε γονευσιν άμφι προξενίαισν τίμαθεν γαρ τα πάλαι τα νυν τ' άμφικτιόνεσσιν Ιππων τ' ώκυπόδων πο[λυ45 γνώτοις έπι νικαις, αις εν άιόνεσσιν 'Ογχη[στοΰ κλυ]τάς, ταΐς δε ναόν Ίτωνιας ά[μφ' ευκλε]α χαίταν στεφάνοις έκόσμηθεν εν τε Πίσα περιπ[...
Als ehrlicher Zeuge des Agasikles kam ich zum Tanz, und für seine edlen Vorfahren wegen ihrer Gastfreundschaft. Damals wie heute werden sie geehrt von ihren Mitbürgern wegen der weitbekannten Siege der geschwinden Pferde, für die bei den Gestaden des ehrwürdigen Onchestos und beim berühmten Tempel der Itonia sie ihr Haupt mit Kränzen schmückten und in Pisa ...
Sollte die Datierung der Ode zutreffend sein, dann überrascht dieser Tenor nicht. Die „weitbekannten Siege" der Thebaner wurden an den berühmtesten Heiligtümern Boiotiens gefeiert, dem Heiligtum der Athena Itonia bei Koroneia und der Amphiktyonie von Onchestos (Z. 46-7). Außerdem wurde der boiotische Sieg „in Pisa", d.h. in Olympia memoriert. Die fraglichen Ereignisse waren demnach nicht allein von lokaler Bedeutung, sondern sie hatten einen weiteren poHtisch-militärischen Kontext, der ihnen einen Platz auf der Bühne eines panhellenischen Heiligtums sicherte. Im genannten Zeitfenster von Ode 94b kommt dafür nur die Schlacht von Koroneia im Jahr 447 in Frage. Nachdem die Athener zehn Jahre zuvor weite Teile Boiotiens besetzt und in diesem Zusammenhang auch demokratische Regierungen in den meisten Poleis eingesetzt hatten, gelang den boiotischen Exulanten 447 ein fulminanter Sieg bei Koroneia, der die Athener zum Abzug aus Boiotien zwang. Der thebanischen Reiterei fiel in der Schlacht die Schlüsselrolle zu. Es folgte die Einrichtung des
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die nach dem athenischen Strategen Iphikrates Iphikratides genannt wurden (Diod. 15,44,4). Onchestos: Bück 1979, 88-90; Schachter 1986, 207-221; Tausend 1992, 27. Athena Itonia: Schachter 1981,117-127. Thuk. l,108,2f.; Diod. 11,83,1-3. Thuk. 1,113,1; vgl. 3,62,3; s. vor allem Bück 1979, 151-153, der den oligarchischen Hintergrund der Exulanten in Orchomenos beleuchtet; s. auch Beck 1997, 89f. mit Anm. 35; Mafodda 2000, 54-59.
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Boiotischen Bundes, der den Thebanern ein bis dahin ungekanntes Maß an Wohlstand, Stabilität und Sicherheit bot. Koroneia hatte die Machtverhältnisse in Mittelgriechenland mit einem Mal auf den Kopf gestellt. Die Schlacht ebnete den Weg zur Gründung eines Bundesstaates, dessen Politik zumindest in den ersten Jahren seines Bestehens vom Interessenausgleich seiner mächtigsten Mitglieder bestimmt war. Die Propagierung des Sieges in der alten boiotischen Amphiktyonie und beim Athena Itonia-Heiligtum, dem Austragungsort der panboiotischen Spiele, ist vor diesem Hintergrund um so verständlicher. Während die Landbegehungszeremonie der Daphnephorien als solche seit jeher dazu diente, die Hegemonieansprüche der Thebaner in Boiotien zu artikulieren, wurde unter dem Daphnephoros Agasikles zugleich auch des epochalen Sieges über die Athener gedacht. Die Ereignisse des Jahres 447 hatten sich in den Ritus der Daphnephorien hineingeschrieben. Und umgekehrt dürfte die Heldentat von 447 bei jeder neuen Feier periodisch wachgerufen und die Erinnerung an sie aufgefrischt worden sein. Die Kombination mit einer Landbegehungszeremonie und dem Initiationsritus der Epheben machte die geschichtliche Erinnerung an die Schlachten in der thebanischen Frühzeit und in der jüngeren Gegenwart gegen Athen wiederum besonders sinnfällig und zielte auf den Eindruck eines historischen Kontinuums. Durch die aktive Einbindung der nächsten Generation von Bürgersoldaten wurde dieser Zusammenhang zugleich als verpflichtender Leistungsansporn formuliert und in die Zukunft projiziert. Die thebanischen Daphnephorien stellten demnach ein komplexes Polisfest dar, bei dem die Erinnerung an die mythhistorische Vergangenheit zum zentralen Element der Selbstvergegenwärtigung und Selbstidentifizierung der Bürgergemeinde avancierte. Die Einbettung der historischen memoria in einen rituellen Kontext dürfte dabei eine besondere Emotions- und Erfahrungstiefe erzeugt haben. Den Epheben wurde bei den Daphnephorien ein Stück Geschichte weitergegeben, indem sie selbst in den Prozeß der Erinnerungspflege eingebunden wurden und die entscheidende Rolle bei der Inszenierung der Vergangenheit einnahmen.
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Das ist der Bund, der durch die Helkmka aus Oxyrhynchos bekannt geworden ist: Larsen 1968, 33-40; Bück 1979, 154-162; Beck 1997, 89-94; Cardedge 2000; Mafodda 2000, 89-100; Bleckmann 2006, 55-90. Darauf spielten auch die Symbolik der Sonnen- und Mondkugeln sowie die 365 violetten Bänder am Olivenholzstamm an. In dieser Bildsprache war alles auf Kontinuität und dauerhafte Ordnung angelegt.
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Fest und Geschichte: die Emotionstiefe historischer Erinnerung Der Verweis auf die Vergangenheit hatte seinen festen Platz in der Festtradition der Polis. Wie gesehen, waren religiöse Feste stets historisch motiviert, da bei ihnen immer auch der Umstände gedacht wurde, unter denen sie eingerichtet worden sein sollen. Aitiologische Gründersagen und Mythentraditionen zu den Anfangen des Festes gehörten zum Kanon des Rituals, sie begegneten in allen Stadien der Festzeremonie: dem Umzug, zumeist in Form eines Kultbildes, das mit der Gründergeschichte in Verbindung stand, dem Gebet und Festlied, den dramatischen oder szenischen Agonen, die ihrerseits auf den Mythos Bezug nahmen. Neben diesen religiösen Festen steht eine zweite Gruppe von historischen Festen und Gedenkfeiern, die der Kommemoration der unmittelbaren Vergangenheit dienten. Bei ihnen finden sich dieselben Elemente des religiösen Polisfestes, und häufig begegnen diese Elemente sogar in derselben Abfolge (Prozession, Opfer, Choraufführung, dramatische Darstellung). Die enge Anlehnung der historischen Polisfeste an die religiöse Kulttradition ist natürlich nicht verwunderlich, gerade wenn die Erinnerung beim Fest mit der Ehrung der Toten verbunden war. In diesem Fall war der Prozeß des Erinnerns in eine der wichtigsten religiösen Zeremonien der Polis überhaupt eingebettet: das Totenfest. Geschichte und Religion verhielten sich hier komplementär zueinander. Opferfeiern zu Ehren der Toten wie diejenigen in Plataiai oder die alljährliche Zeremonie beim Poljandreion in Marathon leisteten ja beides, historische Kommemoration und Ehrung der Toten durch die Gemeinde beim Fest. Beim thebanischen Totenfest für Herakles kam dieser Zusammenhang prägnant zum Ausdruck. Am Vorabend des Hauptfestes, das im Winter am Wendepunkt des boiotischen Jahres stattfand, wurde ein Totenopfer dargebracht. Empfanger dieses Opfers waren neben Herakles seine Frau Megara sowie ihre gemeinsamen Söhne, die Alkaidai, die von ihrem Vater einst im Wahnsinn erschlagen wurden. Zum Ritus gehörte, daß in der Nähe des Gymnasiums beim Elektrischen Tor fünf Altarfeuer entzündet wurden, die die ganze Nacht hindurch brannten. Wie Pindar bezeugt, stand der folgende Tag im Zeichen eines vielgerühmten Wettkampfes, der unter den Epheben der Stadt ausgetragen wurde. Das wichtigste thebanische Totenfest wurde demnach vom historischen Rekurs auf die Vergangenheit bestimmt, indem das allgemeine Totengedenken in der Stadt mit der Geschichte von Herakles und dem (tragischen) Tod seiner Söhne 72
Paus. 1,32,3-4; IG II2 1006; 1058 (maßgebliche Beteiligung der Epheben). In der Stadt wurde Pan unterhalb der Akropolis alljährlich mit Opfern und einem Fackellauf geehrt: Hdt. 6,105,3; Paus. 1,28,4; s. insgesamt Parke 1977, 172f.; Hölkeskamp 2001, 339f.; Gehrke 2003.
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verknüpft wurde. ,Geschichte' und Totenkult gingen hier erneut Hand in Hand."* Diese Affinität von gefeierter Vergangenheit und Kult der Gemeinde hatte wichtige Konsequenzen für das Geschichtsverständnis der Bürger. Denn Geschichte erhielt durch sie eine eigene Autorität. Sie wurde von einer religiösen Aura umkränzt, die ihr besondere Verbindlichkeit verlieh und eine besondere Verpflichtung für den einzelnen Politen implizierte. Anders gesagt: Die Erinnerung an die Vergangenheit wurde in dieser Variante kultisch überhöht, indem sie zum integralen Bestandteil eines umfassenden Rituals wurde. Das Stemmen von Rindern auf den Opferaltar, mit dem die Epheben bei verschiedenen Festen ihre Kraft unter Beweis zu steilen hatten, war, so besehen, nicht nur ein von der Theseus-Sage inspirierter Männlichkeitstest, sondern es rückte die geschichtliche Erinnerung an Theseus auch in den Mittelpunkt einer rituellen Choreographie. Die historische Referenz bildete für die Epheben, die die Kraftprobe vorzuführen hatten, die Klimax des Rituals. Bei den genannten Herakleia in Theben fand die Heraklesgeschichte nicht nur in der allgemeinen Affinität zu Herakles als Patron der Epheben im Gymnasium Ausdruck, der wie kein anderer heldenhaftes Kriegertum und Jugend symbolisierte, sondern auch in den bezeugten Agonen der Epheben. Zu solchen im Ritus überhöhten Praktiken der Vergegenwärtigung von aitiologischem Vergangenheitswissen zählten dann auch die Selbstgeißelung von Jungmännern, so beim Fest der Artemis Orthia in Sparta, ferner das Waschen von Grabsteinen, das Singen von Päanen und Chorliedern, der historische Waffentanz, Agone und das Nachstellen von Naumachien. Die Einbettung dieser Praktiken in eine zeremonielle Handlungskette verlieh den eigentlichen Gegenständen der Erinnerung ungeahnte Emotionstiefe, die ihrerseits die Wahrnehmungsmuster der Bürgergemeinde prägte und ihren inneren Zusammenhalt stärkte. Man kann diesen Gedanken noch weiter zuspitzen. Denn wie gesehen war diese Erinnerung ja nicht ziellos und auch nicht zufällig, sondern sie hatte eine inhärente Agenda, und dies wiederum in zweierlei Hinsicht. Erstens führte die 73
Nüsson 1906/1995, 446f.; Schachter 1986,14-30; Kühr 2006,190-194. IG II2 1006; 1008; 1011; 1028; 1029; s. Kritzas 1997. 7 5 Nilsson 1906/1995,190-194. 76 Plut. Arist 21 (zitiert S. 60f.). 77 So etwa Dithyramben (bei den Großen Dionysien, Thargelien und Panathenaen), daphnephorische Oden (s. oben) und epinikische Hymnen. Bei den Gymnopaidiai wurden Päane gesungen, in denen der Helden von Thyrea und der ThermopylenSchlacht gedacht wurde: Sosibios FGrH 595 F 5 = Athen. 15,22, 678 b-c; Suda s.v. Gymnopaidiai\ s. Nilsson 1906/1995,141. 78 S. [Aristot.] Ath. Pol. 53,4; Dem. 19,303 und schol.; Phüoch. FGrH 328 F 15-16 und F 105; s. Parke 1977, 139,168; Breiich 1969, 449-456. 74
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starke Akzentuierung der heroischen Verdienste der Vorfahren der anwesenden Bürgergemeinde vor Augen, was ein jeder zu leisten hatte. Wenigstens in diesem einen Punkt ist eine strukturelle Vergleichbarkeit der griechischen hypomnema mit der auf exempla fixierten memoria der Römer zu konstatieren, ohne daß dies freilich einen zwingenden sozialen Verhaltenskodex gezeitigt hätte, wie er für die römische Welt prägend wurde. Zweitens: Unter den Festteilnehmern läßt sich vor allem eine Gruppe namhaft machen, die der erste Adressat dieser Botschaft war, und die gleichzeitig den Zusammenhang zwischen ruhmvoller Vergangenheit und einer hoffnungsvollen Zukunft versinnbildlichte. Den verschiedentlich in das Ritual eingebundenen Jungmännern der Polis kam im komplexen Vorgang der Erneuerung und Weitergabe des Wissens um die Vergangenheit die Schlüsselrolle zu. Die Epheben standen in der Mitte der feierlich inszenierten Vergangenheit. Sie erlernten sie, und sie gaben ihr ein Gesicht: in eigenen Abteilungen der Prozession und in Chören, als Opferdiener oder als Akteure in dramatischen Darstellungen. Bei Initiationsfesten, die die Jungmänner in die kooperativen Verhaltensnormen der Bürgergemeinde einführten, beinhaltete der Kanon der Initiationsbestände (Tanz, Sjssition, Lieder) mithin auch das Wissen um die schicksalhafte Vergangenheit der Bürgergemeinde, also ihre — freilich stark selektive — Geschichte. Die Teilhabe an der historischen Erinnerung wurde zum wesentlichen Schritt in Richtung auf das Vollbürgertum, ihr Erlernen und ihre Erneuerung zur Pflicht und Aufgabe der nächsten Generation von Bürgern. Wo steuert eine solche historische Erinnerung hin, und welches Geschichtsbild wird projiziert? Die Geschichte beim Fest hatte nur wenig mit der intellektuell-reflexiven histories apodeixis Herodots gemeinsam. In gewisser Hinsicht stand sie im Gegensatz dazu: hier, bei Herodot, der händeringende Ver79
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Bei den Elaphebolien von Hyampolis in Phokis kam dies mithin am deutlichsten zum Ausdruck. Während des Fests wurde ein großer Scheiterhaufen errichtet, auf dem nach Plut Mul. virt. 2 und Paus. 10,1,6 Götterbilder, Puppen, Kleider und Schmucksachen verbrannt wurden. Damit wurde an den (historischen?) Krieg zwischen Phokern und Thessalern erinnert, in dem die Phoker vor der letzten Entscheidungsschlacht ihre gesamte Habe zurückließen und Befehl gaben, alles in Flammen aufgehen zu lassen, falls die Schlacht verloren ging. Der Ausdruck OCOXIXT) drcövoia („phokische Verzweiflung'*) wurde danach ja auch sprichwörtlich. Die Schlacht ging für die Phoker gut aus, weshalb die Elaphebolien zum Siegesfest wurden. Gleichzeitig wurde aber die bedingungslose Entschlossenheit der Vorfahren erinnert. Literatur: Nüsson 1906/1995, 221-225; Graf 1985, 412-417; Ellinger 1993. Für Graf 1985, 416 stand das Feuerritual von Hyampolis mit der Initiation von Jungmännern und ihrer Aufnahme in Knegerbünde in Verbindung. Hauptakteur und -adressat der geschichtlichen Erinnerung wären in diesem Fall erneut die Jungmänner gewesen, die beim Feueropfer die zentrale Rolle spielten.
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such einer gesamtgriechischen Betrachtung, dort eine scharfe Privilegierung der Polisgeschichte; auf der einen Seite ein ausgearbeitetes Narrativ, auf der anderen aitiologische Schlaglichter und Momentaufnahmen. Die Zersplitterung von Geschichte beim Fest liegt natürlich zuallererst am Medium der Erinnerung. Das Fest hat eine andere Grammatik als narrative Darstellungen und Deutungen. Ähnlich verhält es sich mit der Wirkung dieses Geschichtsbildes. Bilder von der Vergangenheit waren in Griechenland (im klassischen wie auch im hellenistischen) nie konkurrenzlos. Geschichte wurde innerhalb der engen räumlichen und mentalen Grenzen der Polis konstruiert, und allen Gemeinsamkeiten der hellenischen koine zum Trotz sah das Ergebnis dieser Konstruktion überall anders aus. Geschichte war dabei nicht nur der Wirkkraft eines „innate sociocentrism" ausgesetzt, d.h. einer unreflektierten Akzeptanz durch die Polisbürger, für die die eigene Lesart der Vergangenheit schon allein deshalb die richtige war, weil sie aus der Mitte der eigenen Bürgergemeinde kam und als solche nicht weiter hinterfragt wurde. Gleichzeitig war historische Erinnerung intentional angelegt. Gründergeschichten und mythische Traditionen statteten die Polis nicht nur mit Orientierungswissen über ihre eigene Vergangenheit aus, sondern sie boten auch eine robuste Basis für die Artikulierung und Durchsetzung von Machtansprüchen in der Gegenwart, ganz gleich ob diese Ansprüche weit gesponnen waren und etwa auf die Hegemonie in Griechenland abzielten, oder ob sie einfach nur im Zuge von Gebietsstreitigkeiten zwischen rivalisierenden Nachbarstädten formuliert wurden. Soziozentrismus und Intentionalität hatten wiederum zur Folge, daß schon in einem Gebiet, das so kleinräumig war wie dasjenige zwischen Theben, Plataiai, Megara und Athen, divergierende Deutungen ein- und derselben ,Geschichte' kursierten. Durch ihre Einbettung in den jeweiligen Festkalender erhielten diese Deutungen eine eigene Verbindlichkeit, und sie stifteten auch zusätzlichen sozialen Sinn, indem sie das Geschichtsbewußtsein der Bürger auf den Horizont der eigenen Stadt lenkten. So wirkkräftig diese Geschichtsbilder in der einen Stadt waren, so wenig bedeuteten sie aber in der nächsten. Auch in dieser Hinsicht waren sich die Griechen uneinig.
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Der Begriff stammt aus der „critical-thinking-theory". Er hat bislang keinen Widerhall in der Geschichtswissenschaft gefunden, ist aber gut geeignet, um ein grundlegendes Phänomen im Prozeß der Genese, Weitergabe und Aktualisierung von Geschichtsbildern zu benennen. S. dazu nur Gehrke 1994; Gehrke 2001. In Megara wurde noch im 4. Jahrhundert n.Chr. der Perserkriege gedacht, wobei der Akzent natürlich ganz auf dem meganschen Beitrag zur Rettung der Freiheit Griechenlands lag: IG VII 53 (s. oben Anm. 45).
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Neue Feste - neue Geschichtsbilder? Zur Erinnerungsfunktion städtischer Feste im Hellenismus1 Hans-Ulrich
Wiemer
1. Städtische Feste im Hellenismus Man hat oft bemerkt, daß die griechischen Bürgerstaaten im Hellenismus noch stärker als früher danach strebten, sich der ideellen Grundlagen ihrer Existenz zu vergewissern. Die Gründe liegen auf der Hand: die bedrohliche Instabilität der von großen Monarchien dominierten Staatenwelt, die gesteigerte Mobilität von Personen und der raschere Austausch von Wissen, überhaupt die dichtere und in ungeahnte Fernen ausgreifende kulturelle Vernetzung der Griechen. Ein Aspekt dieses erhöhten Bedürfnisses nach Selbstvergewisserung war eine mit erheblichem Aufwand betriebene Traditionspflege vor allem im Bereich der Erziehung und Religion. Die Zeitgenossen haben wiederholt ausgesprochen, daß das Feiern von Festen ein von den Vorvätern ererbter, verpflichtender Brauch sei, und dadurch zu erkennen gegeben, daß Feste für sie ein bewußt eingesetztes Mittel waren, die Verbindung mit den Vorfahren immer wieder neu zu bekräftigen. Zudem haben sie die Einführung neuer Feste im Hellenismus gerne mit der Absicht motiviert, auf diese Art und Weise die Erinnerung an ein als bedeutsam empfundenes Ereignis der jüngsten Vergangenheit zu konservieren. Wohlbekannt ist schließlich auch, daß der Festkalender griechischer Bürgerstaaten im Hellenismus einem beschleunigten Wandel unterlag: Man führte nicht bloß in großer Anzahl neue Feste ein und feierte alte mit größerer Pracht als zuvor. Insbesondere gab es erheblich mehr Feste von überregionaler Bedeutung, an denen viele griechische Staaten durch eigene Festgesandtschaften teilnahmen. Am Ende des 3. Jahrhunderts wurden panhellenische Feste nicht mehr bloß in Olympia und in Delphi, in Nemea und am Isthmos von Korinth gefeiert, sondern auch an vielen anderen Orten der griechischen Welt. Nun sind verallgemeinernde Aussagen über die äußerst vielgestaltige und in rascher Veränderung begriffene Welt der hellenistischen Bürgerstaaten stets
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Ich danke Jens Bartels, Hans Beck, Ralf Behrwald, Orhan Bingöl, Winfried Held, Rene Pfeilschifter, Wulf Raeck, Victor Walser und Martin Zimmermann für Hinweise und Anregungen. Vgl. dazu etwa Herrmann 1982; Chankowski 2005. Den besten Überblick vermittelt noch immer Robert 1982.
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Hans-Ulrich Wiemer
problematisch und angreifbar. Man kann diesem Problem begegnen, indem man aus einer möglichst vollständigen Auflistung bezeugter Merkmale hellenistischer Feste unter Verzicht auf regionale und chronologische Differenzierung eine Art Idealtypus des hellenistischen Festes konstruiert. Ich möchte eine stärker kontextbezogene Analyse einzelner Feste versuchen, die in griechischen Bürgerstaaten zwischen dem Ende des 3. und dem Anfang des 1. Jahrhunderts v.Chr. reorganisiert oder neu eingeführt wurden. Dabei geht es mir einerseits um die Frage, ob sich im Bereich der Festkultur ein Wandel gegenüber der klassischen Zeit beobachten läßt, andererseits aber auch um Entwicklungen innerhalb der drei Jahrhunderte, die zwischen dem Tod Alexanders und dem Sieg des Augustus über Antonius und Kleopatra liegen. Meine Beispiele stammen aus Magnesia am Mäander, Bargylia und Messene. Ich mache also Feste zum Gegenstand, die von hellenistischen Bürgerstaaten gefeiert wurden, nicht aber solche, deren Ausrichtung bei Herrschern griechisch-makedonischer Abkunft lag. Herrscherfeste, die in einer nichtgriechischen Tradition stehen, wie wir sie im ptolemäischen Ägypten oder im seleukidischen Babylon finden, bleiben folglich ebenso ausgeklammert, wie solche, die zwar nach Programm und Semantik griechisch sind — z.B. die Feste der Ptolemaier im ägyptischen Alexandreia - , aber der Selbstdarstellung von Herrschern und Dynastien und nicht der Selbstvergewisserung einer Festgemeinde dienten. 8 Von Herrschern veranstaltete Feste waren durch eine strikte Trennung zwischen professionellen Akteuren und passiven Rezipienten geprägt, weshalb ihre Prozessionen den Charakter von Paraden annahmen. Der intendierten Wirkung nach stellen sie das genaue Gegenteil der Feste dar, um die es mir im folgenden gehen wird. 4
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Chaniotis 1995. Die fehlende zeitliche Differenzierung monieren auch Gauthier 1996, 135 (dagegen wiederum Chaniotis 1998, 295, Nr. 67) und Chankowski 2005, 190f. Vgl. dazu den Überblick von Hölbl 1994, 69-110; 141-156; 228-270 sowie die Spezialstudie von Dunand 1980. Vgl. dazu Boiy 2004, 277-287. Am besten bekannt ist die von dem Rhodier Kallixeinos (FGrH 697 F 2 = Athen. 5, 196A-203B) beschriebene Dionysos-Prozession, die von Ptolemaios IL im Rahmen der 279/278 eingerichteten Ptolemaieia veranstaltet wurde; vgl. dazu Dunand 1981; Rice 1983; Hesberg 1989; Walbank 1996; Thompson 2000. Abzulesen auch an der von Athenaios in engem Anschluß an Polybios (Athen. 5, 194C-195D + Diod. 31,16,2 = Pol. 30,25,1-26,4) beschriebenen Parade, die Antiochos IV. nach dem „Sieg" über Ptolemaios VI. in Daphne veranstaltete, wahrscheinlich im Rahmen des dort gefeierten Apollon-Festes; dazu zuletzt Mittag 2006, 282-295 (mit der älteren Literatur). Ich habe diese Unterscheidung an anderem Ort näher ausgeführt: Wiemer 2009; mißachtet wird der Unterschied z.B. von Köhler 1996, dem Chaniotis 1997a, 246f.
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Bevor indessen die Sache selbst erörtert wird, ist noch ein Wort zur Quellenlage erforderlich: Die Feste der archaischen und klassischen Zeit müssen in der Regel auf der Grundlage viel späterer, häufig aus antiquarischer Gelehrsamkeit schöpfender Texte rekonstruiert werden. Anhand solcher Texte läßt sich nur selten sicher entscheiden, wann und wie lange ein Fest in der beschriebenen Form gefeiert wurde, wenngleich häufig ausdrücklich oder stillschweigend vorausgesetzt wird, es habe sich über Jahrhunderte hinweg nichts oder nur wenig geändert. Aus vielen Teilen der hellenistischen Welt hingegen, insbesondere aus Griechenland und Kleinasien, ist uns eine stattliche Anzahl von Urkunden überliefert, die sich auf die Einführung neuer oder die Reorganisation bereits bestehender Feste beziehen. Da es sich in der Regel um Beschlüsse handelt, die von einer Versammlung gefaßt wurden, die den gesamten Bürgerverband oder eine seiner Untereinheiten repräsentierte, enthalten diese Urkunden konkrete, mitunter sehr detaillierte Handlungsanweisungen und geben Aufschluß über die Gründe, mit denen die Einfuhrung oder Reorganisation von Festen motiviert wurde. Intendierte Veränderungen des Festkalenders finden hier einen unmittelbaren und zeitgenössischen Niederschlag, weshalb unsere Chancen, solche Veränderungen zu kontextualisieren, für den Hellenismus erheblich größer sind als für die vorangehenden Perioden der griechischen Geschichte. Freilich darf man die Aussagekraft dieser Quellen auch wieder nicht überschätzen. Denn von dem leidigen Umstand, daß die betreffenden Urkunden selten vollständig überliefert sind, einmal ganz abgesehen, regeln sie das Programm eines griechischen Festes niemals umfassend; vieles konnte stillschweigend vorausgesetzt werden, weil es in den hellenistischen Bürgerstaaten allgemein bekannt, zum Teil auch in schriftlichen Kodifikationen kultischer Normen niedergelegt war. Solche „heiligen Gesetze" (Hieroi Nomoi) aber wurden im Gegensatz zu Volksbeschlüssen kaum jemals auf Stein geschrieben und sind darum bis auf geringfügige Reste verloren. Im übrigen liegt auf der Hand, daß Volksbeschlüsse normative Quellen sind; sie sprechen aus, was zu einem bestimmten Zeitpunkt der Wille des Volkes war. Ob dieser Wille über längere Zeit konstant blieb und tatsächlich umgesetzt wurde, kann darum in der Regel erst dann entschieden werden, wenn eine Reihe von Zeugnissen vorliegt, die sich auf dasselbe Fest beziehen; dieser glückliche Fall ist jedoch auch im Hellenismus nur selten gegeben.
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trotz der an anderem Ort (Chamotis 1997b) geübten scharfen und berechtigten Kritik in diesem Punkt zu folgen geneigt scheint. Vgl. dazu die lehrreichen Ausführungen von Chankowski 2005, bes. 192-202. Dazu Näheres in Wiemer 2003, 271 f. mit Anm. 61.
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2. Magnesia am Mäander Wer die Bedeutung ermessen will, die Feste für das Geschichtsbewußtsein hellenistischer Bürgerstaaten hatten, kommt nicht umhin, auf das Beispiel Magnesia am Mäander einzugehen. Die Magneten hatten bereits im Jahre 221/220 versucht, dem Fest der Hauptgottheit ihrer Stadt, der Artemis Leukophryene, zu überregionaler Anerkennung zu verhelfen, indem sie für die Griechen Asiens einen Agon einrichteten, in welchem die Sieger mit Geldpreisen belohnt wurden; dieser Versuch war aber ohne rechten Erfolg geblieben. Nachdem es der Nachbarin und Rivalin Milet jedoch gelungen war, das in Didyma gefeierte Apollon-Fest in den Rang eines Kranzagons zu erheben, der nur alle vier Jahre gefeiert und von Gesandtschaften aus der gesamten Ökumene besucht wurde, unternahmen die Magneten einen neuen Anlauf. Nun sollte auch das Fest der Artemis Leukophryene alle vier Jahre in Verbindung mit einem Kranzagon gefeiert werden. Da dies jedoch voraussetzte, daß sich möglichst viele griechische Staaten und Herrscher bereit erklärten, eine eigene Delegation zu diesem Fest zu entsenden und den Siegern dieselben Privilegien einzuräumen, wie sie Sieger bei den vier traditionellen panhellenischen Agonen genossen, bedurfte es einer Werbekampagne, die mit großen Mühen und Kosten verbunden war. Die Magneten schickten im Jahre 208 nicht weniger als 20 Festgesandtschaften aus, die fast die gesamte damals von Griechen bewohnte Welt durchreisten, von Sizilien im Westen bis nach Iran im Osten, um für die Annahme der Leukophryena als panhellenisches Fest und isopythischen Kranzagon zu werben. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: Mehr als 150 Bürger- und Bundesstaaten sowie alle großen Könige erklärten sich bereit, die Leukophryena von Magnesia am Mäander im Rang den delphischen Pythia gleichzustellen. Da die Magneten einen erheblichen Teil der positiven Bescheide, die ihre Gesandten mit nach Hause brachten, auf Stein verewigen ließen, können wir 12
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Zum Namen vgl. Kern 1901, 508f. Kern leitete den Beinamen von dem Toponym Leukophrys ab, der durch Xen. hell. 3,2,19; 4,8,17 als Name des Ortes bezeugt ist, wo der alte Artemis-Tempel lag. Die Vorgeschichte ist erst durch Ebert 1982 geklärt worden, der erkannte, daß in I.Magnesia 16 = Syll.3 557 = FGrH 482 F 2, Z. 16-17 7ipa>T[ov äpyupi]JTr|v dycova OeTvat TGW KOITOIKOWEOÖV ÄaCav zu lesen ist. Herzog 1905 = Syll.3 590. Zur Datierung Rigsby 1996,174-176. Aufgelistet bei Kern 1901, 499-504. Nach wie vor grundlegend Boesch 1908. Die Antwortbriefe und -beschlüsse sowie die sogenannte Süftungsurkunde der Leukophryena (I.Magnesia 16 = Syll.3 557 = FGrH 482 F 2) liest man jetzt am besten bei Rigsby 1996, Nr. 66-131, doch fehlen dort die „Gründungsgeschichte Mag-
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noch ziemlich genau rekonstruieren, wie diese Gesandten argumentierten, als sie ihr Anliegen in der Volksversammlung griechischer Bürgerstaaten vortrugen:1 Neben der Autorität des Orakels von Delphi, auf das sie sich immer wieder beriefen, führten sie zwei stets wiederkehrende Argumente an, die die Gegenwart auf spezifische Art und Weise mit der Vergangenheit verknüpften. Zum einen nämlich betonten sie in grauer Vorzeit begründete Verwandtschaftsverhältnisse, um daraus einen Anspruch auf wohlwollende Behandlung und Unterstützung abzuleiten, etwa indem sie darauf hinwiesen, daß der von der Polis Same auf Kephallenia als Gründer verehrte Kephalos ein Neffe des Magnes, des namengebenden Vorvaters der Magneten, gewesen sei. Zum anderen aber hoben sie hervor, daß die Griechen in der jüngeren und jüngsten Vergangenheit von den Magneten Wohltaten erfahren hätten, die es nun zu erwidern gelte; in derselben Absicht wurde dort, wo dies möglich und opportun war, zusätzlich auch auf konkrete Leistungen für einzelne Staaten hingewiesen. So war der Hinweis, daß die Magneten anderthalb Jahrhunderte zuvor 300 Dareiken für die Ummauerung der neu gegründeten Stadt Megalopolis gestiftet hatten, nur in Arkadien von werbender Kraft, während die Hilfe, die sie im Jahre 279 bei der Abwehr des keltischen Angriffs auf Delphi geleistet hatten, wohl allen Griechen als rühmliche Tat galt.
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nesias" (I.Magnesia 17 = FGrH 482 F 3) und das gefälschte Dekret des Kretischen Bundes (LMagnesia 20 = FGrH 482 F 4). Zur Interpretation vgl. vor allem Gauthier 1972, 209-287; Jones 1999, 50-65. Vgl. zum folgenden bes. Curty 1995,107-129 und Gehrke 2001, bes. 287-306. Die Stellen sind zu zahlreich, um hier aufgelistet zu werden; vgl. das Register VI 1 bei O. Kern, I.Magnesia, S. 228. Die enge Beziehung der Magneten zum Gott von Delphi ist auch sonst vielfach belegt: So spielt der Gott bereits in der ältesten Gründungsgeschichte der Stadt eine zentrale Rolle (dazu unten Anm. 23). Nach Plut. de Pyth. or. 16, 402A = I.Magnesia T XXI unterstützten die Magneten den delphischen Apollon im 3. Heiligen Krieg gegen die Phoker durch die Entsendung einer Mannschaft (dvOpc&Jccov d^ap^aic,); beim Galliersturm 279 schickten sie nach eigenem Bekunden ein Hilfskorps (I.Magnesia 46 = Syll.3 560 = Rigsby 1996, Nr. 96, Z. 9; LMagnesia 215a, Z. 14f); zwischen 278 und ca. 250 holten sie ein Orakel des Gottes von Delphi ein, um die Bedeutung eines Götterzeichens zu klären, gründeten auf Apollons Geheiß ein neues Heiligtum des Dionysos und importierten dafür drei Mainaden aus Theben (I.Magnesia 215 mit Henrichs 1978, 123-137); von 203/202 bis 193/192 hatten die Magneten einen Sitz in der delphischen Amphiktyonie inne: Lefevre 1998,117f. Vgl. allgemein Wörrle 2000. I.Magnesia 35 = Rigsby 1996, Nr. 85, Z. 12-15: euxpavi^xvxcov | 5e Kairceplxac, oiKeioxaxoc, xäc, ujiapxowac, Mayvifcoic, rcoxl KecpaÄMvac, | Kaxd xdv cruyyeveiav xdp, Mdyvryroc, Kai Kecpd&ov xaö AT|{OVOC, usxd 7tdoac, (piÄx)|xiuiac,. LMagnesia 38 = Syll.3 559 = Rigsby 1996, Nr. 88, Z. 22-29. LMagnesia 46 = Syll.3 560 = Rigsby 1996, Nr. 96, Z. 8-10: em>avi£[avxec, xdv] xäc, Xpxeji[i8oc, £7ti(pdv]eiav Kai xdv yeyevr|U£v[a]v | ßodGeiav urcd x[ö]vrc[p]o[yova)va]uxcov
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U m ihrer Argumentation N a c h d r u c k zu verleihen, führten die magnetischen G e s a n d t e n ein ganzes Dossier v o n T e x t e n mit sich, das ihre keineswegs konkurrenzlose Version der magnetischen Geschichte
stützen sollte: Z u ihnen
gehörte eine Geschichte Magnesias, die der aktuellen politischen Konstellation angepaßt war,
aber auch Orakel u n d Beschlüsse griechischer Staaten, die m a n 25
z u m Teil speziell für diesen Anlaß fabriziert hatte.
So wies m a n einen
Beschluß vor, der so aussah, als sei er viele J a h r h u n d e r t e zuvor v o m Kretischen B u n d gefaßt worden, als die Magneten v o n Kreta aus in ihre neue, kleinasiatische Heimat aufbrachen;
um
i h m d e n Anschein v o n Authentizität
zu
verleihen, hatte m a n bei seiner Abfassung die typischen F o r m e l n kretischer Urkunden benutzt, wie sie im Hellenismus
gebräuchlich waren.
Wie
die
Resonanz auf die W e r b e k a m p a g n e der Magneten beweist, hat sich an solchen Ungereimtheiten damals k a u m jemand ernstlich gestört. V o r allem aber w u r d e niemals bezweifelt, d a ß sich aus einer in undeutlicher F e r n e v e r s c h w i m m e n d e n Urzeit überhaupt aktuelle A n s p r ü c h e begründen lassen: Was für uns in Mythos u n d Geschichte zerfällt, war im öffentlichen Diskurs hellenistischer Staaten n o c h i m m e r durch eine u n u n t e r b r o c h e n e Kette v o n Verwandtschaftsverhältnissen einerseits u n d gegenseitigen Verpflichtungen andererseits verknüpft, wie 27
es bereits in klassischer Zeit der Fall gewesen war.
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e[lc] TÖ Ispöv xo £v Aetap[oTcJ, viKaadvxcov £v ud/au; TOXX; ßap[ß]dp(ru<; xo[i>](; 87UGT[paT£i$]GavTa<; &ti SiapTtayfji x[(öv xo]ö [9]eoi) xp^P-dicov. Zu diesem Dossier vgl. neben F. Jacoby, FGrH Illb: Kommentar zu Nr. 297-607 (Text), Leiden 1955, 383387; dass. (Noten), Leiden 1955, 225-228 vor allem Chaniotis 1988, 34-41. In der ältesten, bei Arist. F 631 Rose = LMagnesia T XX vorausgesetzten Version der Gründungsgeschichte, die von Prinz 1979, 111-121 scharfsinnig rekonstruiert worden ist, stammten die Magneten aus dem thessalischen Pherai, wurden von König Admetos dem delphischen Apoilon geweiht und auf dessen Geheiß von Leukippos nach Kleinasien geführt; die Zwischenstation Kreta fehlte damals noch, und die Auswanderung fand vor dem Trojanischen Krieg statt. I.Magnesia 17 = FGrH 482 F 3. Die Inschrift wurde (mit grundlegendem Kommentar) erstmals herausgegeben von Kern 1894 (dazu WilamowitzMoellendorff 1895 sowie vor allem Prinz 1979, 121-137). Zum historischen Kontext vgl. Dusanic 1983, der jedoch die politische Komponente der Werbekampagne überschätzt. I.Magnesia 46 = Syll.3 560 = Rigsby 1996, Nr. 96, Z. 12-16: evecpdvi^av öe Kai xdc, eic, xovc, OXXJOXX; ["EXjAavac, yeyevrjuEvac; | eite[p]yeoiac, öid xe TCOV XOO öeofi xpr|cjucöv K a i 8WX xa>[v 7i]oirjTav Kai 5id xä>v i[a]|xop[i]aypd(pcüv xa>v cruyyeypa(p6x[cov] xdc, Mayvryccov 7rp[d£]eic,, 7iapavsyv(öaav 5e | Kai rd \)/ri(p{ouaxa xd wudpxovxa auxoic, rcapd xaic, 7i6k[£]aiv 6V oi<; rfy Kaxaye|ypauu[e]vai xiuai x[s] Kai axscpavoi elc, 5ö£av dv
K0vxa <xdi> [jc6]X[e]i. I.Magnesia 20 = FGrH 482 F 4; vgl. dazu Chaniotis 1999, bes. 61-64. In den Instruktionen der milesischen Delegation, die die Koer einlud, die Didymeia als panhellenisches Fest anzuerkennen, werden ähnliche Gesichtspunkte hervorge hoben: die heilige Hochzeit von Zeus und Leto in Didyma, die Orakel Apollons für
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Die von über 150 griechischen Staaten akzeptierte Erhebung des Festes der Artemis Leukophryene zum Kranzagon war ein eindrucksvoller Beweis für das Ansehen der Magneten und ihrer Stadtgöttin in der Ökumene griechischer Staaten und Könige. Die Erinnerung an diesen in der Geschichte der Stadt einzigartigen Erfolg, aber zugleich auch an das Geschichtsbild, das ihn ermöglicht hatte, wurde in Magnesia auf vielfaltige Weise gehütet, vor allem aber durch das Fest selbst in regelmäßigen Abständen erneuert und gefestigt. Bei der ersten Feier der neuen, penteterischen Leukophryena müssen sich in Magnesia Festgesandte aus über 150 griechischen Staaten getroffen haben. Ob es über die Jahre hinweg stets so viele waren, darf man schon wegen der wechselvollen Zeitläufte bezweifeln. Es besteht jedoch Grund zu der Annahme, daß das Fest noch um die Mitte des 2. Jahrhunderts mit Glanz gefeiert wurde, denn aus dieser Zeit datieren Dekrete, in denen drei attalidische Städte die leukophryena als isopythischen Kranzagon akzeptierten. In der Kaiserzeit standen die Leukophryena klar im Schatten der ephesischeri Artemis-Feste, wenngleich der 29
Agon noch in der Kaiserzeit bezeugt ist und das Bild der Artemis Leukophryene bis ins 3. Jahrhundert n.Chr. hinein das häufigste Motiv der lokalen Münzprägung blieb. Die Festgesandten, die nach Magnesia kamen, um die Leukophryena mitzufeiern, gingen mit in der Prozession zum Heiligtum der Artemis, durchschritten dabei das Propylon, das die Agora mit dem Heiligtum verband, und beteiligten sich an dem Opfer, das der Göttin dort an ihrem monumentalen Altar dargebracht wurde. In diesem Bereich war auch das Grab der Leukophryne zu bestaunen, von der man erzählte, sie habe dem Stadtgründer Leukippos einstmals die Ansiedlung ermöglicht, um ihn heiraten zu können. Durch das Bildprogramm des Tempelfrieses wurde der panhellenische Mythos des
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die Könige und die Wohltaten der Milesier für die anderen Griechen: Syll.3 590 mit Günther 1991,100-107. LMagnesia 85-87 = Rigsby 1996, Nr. 129-131. Drei der bislang publizierten Belege kommen von außerhalb der Stadt: IG XII1, 73, B, Z. 6 (Rhodos, frühes 1. Jh. n.Chr.); I.Didyma 97, B, Z. 4; Robert/Robert 1972, Nr. 366 (Ehreninschrift eines kaiserzeitlichen Athleten, Herkunft unbekannt). Die anderen beiden stammen aus Magnesia selbst: LMagnesia 149 = IAG 62; LMagnesia 193. Tibenus hat den Antrag der Magneten auf Gewährung einer Neokorie wegen der geringen Bedeutung der Stadt abgelehnt: Tac. ann. 4,55. Schultz 1975, 36f. Magnetische Tetradrachmen zeigen bereits um die Mitte des 2. Jahrhunderts v.Chr. das Bild der Artemis: Jones 1979. Clem. Alex. Protr. 29C (= LMagnesia T XXV), der sich auf den frühkaiserzeitlichen Grammatiker Zenon aus Myndos beruft. Die Liebesgeschichte steht bei Parthen. 5 = I.Magnesia T XXIV, wo der Name allerdings Leukophrye lautet und als Vater Mandrolytes genannt wird. Das Bild des Leukippos wurde in der Kaiserzeit auch auf städtische Münzen gesetzt: Schultz 1975, 42.
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Kampfes gegen die A m a z o n e n evoziert.
Dieser Mythos dürfte in Magnesia
indessen auch lokale Assoziationen geweckt h a b e n - für d e n aus Magnesia s t a m m e n d e n Lokalhistoriker Possis ist eine „ A m a z o n i s " in mindestens drei Büchern bezeugt - , wenngleich wir aufgrund fehlender Überlieferung nicht m e h r erkennen k ö n n e n , in welcher Weise er in das Geschichtsbewußtsein der Magneten integriert war.
Möglicherweise w u r d e n bei dieser Gelegenheit auch
E p i s o d e n aus d e m L e b e n der G ö t t i n in F o r m eines kultischen
Dramas
inszeniert, das im Westgiebel des Artemis-Tempels vor den drei dort befindlichen T ü r e n aufgeführt w u r d e . Sicher ist jedenfalls, daß der Festgemeinde auf d e n W ä n d e n einer Stoa in der Südwestecke der Agora nicht bloß an die 100 Episteln u n d Dekrete griechi-
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Herkenrath 1902; Yaylali 1976; Davesne 1982. FGrH 480 F 2. Wenn Demetnos von Skepsis bei Strab. 12,3,22, 551C gegen Possis polemisiert, hat dieser - männliche! - Amazonen bei Pygela, zwischen Ephesos, Magnesia und Priene, lokalisiert. Amazonen sind u.a. in Kyme, Sinope, Smyrna und Ephesos als eponyme Heroinen bezeugt; vgl. Blök 1997. So jetzt Held 2005, bes. 141 f.; 147ff. Ephesische Münzen zeigen Personen im Giebelfeld des dortigen Artemis-Tempels, das ebenfalls mit drei Öffnungen versehen war. - Bingöl 1999 und 2007, 67-73 nimmt dagegen an, die Giebeltüren seien bei Vollmond geöffnet worden, damit das Mondlicht die Kultstatue anstrahlte und dadurch Gläubigen, die vor der Tür des Pronaos versammelt waren, den Eindruck vermittelte, die Göttin „erscheine". Gegen diese Deutung spricht indessen eine Reihe von Gründen: Die Statue, deren Maße unbekannt sind, wäre jedenfalls nach der auf Carl Humann zurückgehenden Rekonstruktion des Tempels auch bei Vollmond allenfalls teilweise erleuchtet worden. Zudem greift die Erklärung nicht für das Artemision von Ephesos, wo das Kultbüd in einem Naiskos aufgestellt war; eine Beleuchtung vom Tempelgiebel aus ist hier ausgeschlossen. Schließlich fehlt jeder Hinweis darauf, daß kultische Handlungen für die magnetische Artemis bei Vollmond vollzogen wurden; in dem von Bingöl angeführten Volksbeschluß über das Fest des Zeus Sosipolis (I.Magnesia 98 = Syll.3 589 = LSA 32, Z. 15) wird das Opfer keineswegs auf Vollmond, sondern auf Neumond terminiert (£v xfjt voDUTjviai); obendrein geht es hier eben nicht um den Kult der Artemis Leukophryene, sondern um den des Zeus Sosipolis. Gegen die verbreitete These, man habe in der mitderen Giebeltür die Kultstatue der Göttin gezeigt (so zuerst andeutungsweise Humann 1904, 64 Anm. 1; ausgeführt von Hommel 1957, 29ff), spricht zum einen das Fehlen von Treppenanlagen im Baubefund und zum anderen die Tatsache, daß die beiden seitlichen Türen so nicht erklärt werden können. Für die von Humann postulierte Verbindung dieser symbolischen Epiphanie mit dem „Einführungsfest" fehlt ein konkreter Anhaltspunkt, weil in der Stiftungsurkunde für dieses Fest (I.Magnesia 100 = Syll.3 695 = LSA 33, Z. 12) zwar von einer göttlichen Eingebung und Erscheinung für das ganze Volk (Q&iaq 87U7rvoiac. Kai TtapaaTaaecöc, yevojLisvric. xcoi <7UU7uavTi iikr\QEi) die Rede ist, diese „Epiphanie" aber den Entschluß motiviert, den Tempel wiederherzustellen; es geht also nicht um eine alljährlich wiederholte Zeremonie.
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scher Könige und Bürgerstaaten vor Augen standen, die die Leukopbryena als panhellenisches Fest akzeptiert hatten, sondern auch ein Bericht über die Stiftung des Festes sowie ausgewählte Dokumente, darunter eine Gründungsgeschichte Magnesias, die bei der erfolgreichen Werbekampagne verwendet worden waren. Weiterhin ist davon auszugehen, daß sich auf dem ca. 18.000 m 2 großen Platz eine Vielzahl von heute verlorenen Statuen befand, die die Erinnerung an verdiente Mitbürger und auswärtige Wohltäter wachhielten, indem sie den Blick auf Ehreninschriften lenkten, die auf den Basen standen. Schließlich wurden im Rahmen des Festes zweifellos auch Reden gehalten, in denen die verwandtschaftlichen Verbindungen und glorreichen Taten der Magneten alle vier Jahre aufs neue beschworen wurden. Das im Kult der Artemis Leukophryene liegende Potential zur Konservierung und Aktualisierung von Erinnerung war damit jedoch noch nicht erschöpft. Als die Bauarbeiten an dem neuen, von dem Architekten Hermogenes entworfenen Artemis-Tempel, dem viertgrößten Kleinasiens, am Ende des 3. Jahrhunderts so weit fortgeschritten waren, daß die Kultstatue in dessen Cella aufgestellt werden konnte, beschlossen die Magneten, das Bild der Göttin, die im Aussehen der ephesischen Artemis glich, feierlich in den neuen Tempel zu überführen. Die Überführung sollte am Geburtstag der Göttin, dem 6. Artemision, stattfinden, und dieser Tag sollte künftig alljährlich als Festtag mit dem Namen Eisiteria („Einfuhrungsfest'*) begangen werden. * 36
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O. Kern, LMagnesia, S. 11-12 zu Nr. 16 sowie Abb. I + IL Zur Datierung des Tempels und seines Architekten vgl. die überzeugende Interpretation der Schriftquellen durch Kreeb 1990. Gauthier 1990, 63 Anm. 7 datiert das erste Dekret auf das Ende des 3. Jahrhunderts, das zweite auf die Jahre nach 180; ähnlich Gros 1978, 695f, der das Epitheton Nucr|cp6pog, das Artemis nur im zweiten Dekret beigelegt wird, auf den Sieg über Antiochos III. bei Magnesia am Sipylos bezieht, nach welchem die Magneten am Mäander sich dem römischen Feldherrn Lucius Scipio ergeben und dadurch eine ehrenvolle Behandlung und die Anerkennung der Asylie des Artemis-Heiligtums erlangt hatten: Liv. 37,45; Tac. ann. 3,62. Noch näher liegt wohl der Bezug auf den „Sieg" im Krieg gegen Müet (Syll.3 588), wenn dieser nach 188 anzusetzen ist, was freilich neuerdings wieder in Frage gestellt wird und derzeit wohl nicht abschließend geklärt werden kann; vgl. die gegensätzlichen Positionen von Wörrle 2004 und Habicht 2005. Die Artemis Leukophryene trug ein enges, sich nach unten verjüngendes Gewand (Ependytes), einen merkwürdigen Brustbehang und einen zylindrischen Kopfschmuck (Polos): Fleischer 1973,140-146 mitTaf. 61-63. Nach Diog. Laert. 2,44 meinten die Delier, Artemis sei am 6. Thargelion geboren; nach Procl. in Tim. 200d war der Göttin jeder sechste Tag eines Monats geheiligt. In Magnesia am Mäander dürfte ihr Geburtstag daher auf den sechsten Tag des nach ihr benannten Monats gefallen sein. LMagnesia 100A = Syll.3 695A = LSA 33A. Vgl. dazu Nüsson 1906, 248-251; Dunand 1978.
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Dieses im selben Monat wie die Eeukophryena gefeierte Fest war im Gegensatz zu letzterem eine rein lokale Angelegenheit. Während die penteterischen Leukophryena in hohem Maße der Außendarstellung der Polis Magnesia dienten, waren die Eisiteria ein Fest, bei dem die Einwohner Magnesias unter sich blieben. Sein ritueller Kern, der vermutlich viel älter war, bestand aus einer Prozession der magnetischen Frauen, die in das Heiligtum der Artemis zogen und der Göttin dort durch einen nicht näher beschriebenen „Beisitz" Ehre erwiesen; dabei fiel einem Jungfrauen-Chor die Aufgabe zu, Hymnen auf Artemis Leukophryene zu singen. An den Eisiteria hingegen, die auf dieses alte Frauenfest sozusagen aufgepfropft wurden, sollten nach dem Willen der Volksversammlung alle Einwohner der Polis teilnehmen. Aus diesem Grund durfte an diesem Tag weder prozessiert noch Unterricht erteilt werden; selbst die Sklaven und Sklavinnen sollten von der Arbeit freigestellt sein. Obwohl die Aufforderung, das Fest der Einführung der Kultstatue der Artemis in ihre neue Behausung mit zu feiern, sich ausdrücklich an alle Personen richtete, die auf dem Territorium der Polis Magnesia lebten, also Fremde und Sklaven einschloß, blieb das Fest eine Veranstaltung, die im Namen und zum Nutzen der Bürgerschaft ausgerichtet wurde. Dies muß allen Beteiligten klar gewesen sein, denn sie wurden am Festtag vor dem Rathaus und in Anwesenheit der Amtsträger der Polis aufgefordert, ein Gebet zu sprechen, in dem vom Segen der Göttin für die Magneten und ihre Frauen, aber niemanden sonst die Rede war. Wörtlich hieß es: „Möge Artemis Leukophryene den Magneten und ihren Frauen Gesundheit und Reichtum gewähren, das bestehende Geschlecht vor Unheil bewahrt und das nachgeborene glücklich werden". Als die Bürgerschaft von Magnesia den Beschluß zur Einführung der Eisiteria faßte, brachte sie den Stolz auf den vorläufigen Abschluß eines Bauprojektes, das sie über Jahrzehnte hinweg beschäftigt hatte, und die Ab-
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LMagnesia 100A = Syll.3 695A = LSA 33A, Z. 26-29. LMagnesia 100A = Syll.3 695A = LSA 33A, Z. 36-48, wo in Z. 41-42 mit Gauthier 1990 nicht uexä [TCOVrcafJScöv,sondern j^exd [<77iov]Scov zu lesen ist; das Gebet steht in Z. 43-48. Die Aufforderung, alle Einwohner sollten vor ihren Häusern und Läden Altäre errichten und darauf Opfer darbringen, wird im Regest, das dem Dossier für die inschriftliche Publikation vorangestellt wurde, wiederholt: Z. 7-10. In dem einige Zeit später fixierten Gebet, das bei der Weihe des Stiers für Zeus Sosipolis von dessen Priester gemeinsam mit der Priesterin der Artemis Leukophryene, dem heiligen Herold, dem Stephanephoren, je neun Knaben und Mädchen, deren Eltern beide noch am Leben waren, sowie den wichtigsten Amtsträgern gesprochen wurde, erflehte man Frieden, Wohlstand und reichliches Wachstum des Getreides und aller anderen Früchte und Nutztiere dagegen nicht bloß für die Bürger samt ihren Frauen und Kindern, sondern ausdrücklich auch für die anderen Einwohner der Stadt und ihrer Gemarkung: Syll.3 5 8 9 = LSA 32, Z. 21-31.
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sieht, die Erinnerung an diesen bedeutsamen Einschnitt in der Geschichte der Stadt zu verewigen, deutlich zum Ausdruck. Zugleich betonte man, daß man damit eine Verpflichtung gegenüber der Stadtienkerin Artemis erfülle und eine Tradition fortsetze, die man von den Vorvätern ererbt habe. Beides fiel für die Magneten letztlich zusammen, denn die wichtigste Lehre, die man aus der Vergangenheit zog, war eben die Verpflichtung, die ewigen Götter zu verehren. Diese hehren Grundsätze zu verkünden war nun freilich leichter, als sie Jahr für Jahr in die Tat umzusetzen. Wir wissen nicht genau, woran genau es in diesem Fall haperte. Jedenfalls kam das Thema einige Jahre, nachdem die Magneten die Einführung der Eisiteria beschlossen hatten, erneut auf die Tagesordnung der Volksversammlung. Man sah sich genötigt, den früheren Beschluß zu erneuern und seine inschriftliche Aufzeichnung zu veranlassen, und man ordnete an, daß er künftig alljährlich gleich nach der Wahl der ArtemisPriesterin und des namengebenden Jahresbeamten verlesen werden solle; für den Fall, daß dies unterblieb, drohte den zuständigen Amtsträgern eine hohe Geldstrafe. Schließlich wurden alle Haus- und Ladenbesitzer aufgefordert, am Festtag vor den Türen Altäre zu errichten und mit dem Namen der Göttin zu beschriften, freilich wagte man es nicht, bei Zuwiderhandlung mit Geldstrafen zu drohen. Die Schwierigkeit, die gesamte Einwohnerschaft für ein neues und in seiner Ausgestaltung bescheidenes Fest zu mobilisieren, ist hier mit Händen zu greifen. Offenkundig war eben längst nicht jeder bereit, für die Eisiteria Jahr für Jahr Zeit und Geld zu opfern. Daher darf man wohl vermuten, daß die Eisiteria im Laufe der Zeit zu einem Fest verkümmerten, das zwar im Namen des Volkes, aber ohne starke Beteiligung der Einwohnerschaft gefeiert wurde. Wenn dies so war, dürfte auch die Erinnerung an die feierliche Einführung der Kultstatue allmählich verblaßt und aus dem Bewußtsein breiter Kreise verschwunden sein. Was blieb, war der Geburtstag der Artemis.
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LMagnesia 100A = Syll.3 695A = LSA 33A, Z. 12-18. Daß man sich erst nachträglich bewußt wurde, daß die Eeukophryena den Eisiteria in jedem vierten Jahr Konkurrenz machten, ist nicht auszuschließen - die motivierende Präambel des zweiten Dekrets ist leider verloren -, aber doch eher unwahrscheinlich; der ursprüngliche Volksbeschluß über die Eisiteria sollte alljährlich verlesen werden. LMagnesia 100B = Syll.3 695B = LSA 33B, wo in Z. 23-24 mit Pelekidis 1956 xeov [ad TÖV l]epd>v 7i[poc6]|5(öv zu lesen ist. Zu Hausaltären vgl. Robert 1966, bes. 186f.; 190£; auch in: Robert 1990, 610f.; 614f.
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94 3. Bargylia
Bargylia, gelegen an der Küste des südwestlichen Kleinasien zwischen Iasos und Myndos, war einer der zahlreichen griechischen Bürgers taaten, die in der großen Politik der klassischen und hellenistischen Zeit niemals eine selbständige Rolle zu spielen vermochten. Dementsprechend spärlich sind unsere Kenntnisse über seine äußere Geschichte: Wir wissen, daß die Stadt makedonischen Truppen als Stützpunkt diente, als Philipp V. im Jahre 201 nach Karien kam, die erst 196 auf römischen Befehl abzogen, und daß sie nach dem Tode Attalos' III. im Jahre 133 die Römer gegen Aristonikos und seine Anhänger unterstützte. 7 Auch die Kontakte zu anderen griechischen Bürgerstaaten reichten kaum über das westliche Kleinasien hinaus. Das erhebende Gefühl, ihre Stadt sei der Mittelpunkt eines die gesamte Ökumene umspannenden Beziehungsnetzes, das den Magneten am Mäander durch die Feier der penteterischen heukophryena immer wieder vermittelt wurde, war den Bargylieten niemals vergönnt. Gleichwohl bildet auch hier ein Artemis-Kult den Fokus bürgerlicher Identität, der jedoch im Gegensatz zu Magnesia weit außerhalb der Stadtmauern an einem Ort namens Kindya gepflegt wurde, weshalb die dort verehrte Göttin Artemis Kindyas hieß. Diese Göttin war der ganze Stolz der Bargylieten. Man stellte sie sich als eine mit langem Chiton, einem engen sich nach unten verjüngenden Gewand (Ependytes) und einem kapuzenartig über den Kopf gezogenen Mantel bekleidete und über der Brust gefesselte Frau vor und schmückte die seit dem 2. Jahrhundert v.Chr. geprägten Silber- und Bronzemünzen der Stadt mit ihrem Bild. Von ihrer unter freiem
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Zur Zeit Antiochos' I. scheint Bargylia unter seleukidischer Herrschaft gestanden zu haben, wie aus dem Dekret für den Richter Tyron aus Teos (Syll.3 426 = I.Iasos 608) sowie aus Alexander-Tetradrachmen hervorgeht, die die Kultstatue der Artemis Kindyas als Berzeichen tragen: Seyng 1964. Philipp V. in Bargylia: Polyb. 16, 24; Polyain. 4,18,2. Makedonische Garnison: Pol. 18,2,3 (daraus liv. 32,33,6f.); Pol. 18,8,8f.; Liv. 33,18,18f.; Pol. 18,44,1-4; Liv. 33,30,1-3. Lentulus befreit Bargylia: Pol. 18,48,2; Liv. 33,35,lf; Plut. Titas 12,1. I.Iasos 612 mit Holleaux 1938, 179-198. Zum Anstonikos-Kneg jetzt zusammenfassend Daubner 2006. Dekrete für fremde Richter: I.Priene 47 = I.Iasos 607 (Pnene); Syll.3 426 = I.Iasos 608 (Teos); I.Iasos 609 (Samos); 610 (Kyme). Zur Lage des Ortes, der im 5. Jahrhundert noch selbständig gewesen war und dem Attischen Seebund einen höheren Tribut leistete als Bargylia, vgl. Bean/Cook 1957, 96-99. Zu ihrem Bild vgl. Jucker 1967; Fleischer 1973, 223-229 mit Taf. 89 + 91a-b. Vgl. Weiser 1985,181-185.
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Himmel stehenden, altertümlichen Kultstatue erzählte man, daß sie niemals von Regen oder Schnee benetzt werde. ~ Polybios hat sich über diese Art von Wunderglauben mokiert und Historiographen, die solche Geschichten in ihre Werke aufnahmen, scharf getadelt. In Bargylia dürfte diese Kritik auf wenig Gegenliebe gestoßen sein, wenn man sie denn überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Ein in den Jahren 1995 bis 2000 sukzessive bekannt gewordenes Dossier, das aus substantiellen Überresten dreier Volksbeschlüsse von Bargylia besteht, läßt mit großer Deutlichkeit erkennen, daß die Beziehung zu dieser Gottheit noch im späten 2. Jahrhundert den allgemein anerkannten Bezugsrahmen bildete, in welchem die Bargylieten die Geschicke ihrer Stadt deuteten. Aus dem besagten Dossier geht nämlich hervor, daß die Bargylieten in einer akuten, militärischen Bedrohungssituation, zu der es wohl im Rahmen des Aristonikos-Krieges gekommen war, die Wirksamkeit ihrer Göttin unmittelbar erfahren hatten; hellenistische Griechen sprachen hier von einer Epiphanie. Als die Gefahr vorüber war, beschlossen die Bargylieten, der Göttin für die Rettung der Bürgerschaft aus höchster Not durch ein Fest den gebührenden Dank abzustatten. Ob sie von Anfang an beabsichtigten, dieses Fest jährlich abzuhalten, ist unklar, doch muß dieser Gedanke sehr bald aufgekommen und in die Tat umgesetzt worden sein. Die Erinnerung an diese mit Hilfe der Göttin glücklich überstandene Existenzkrise wurde damit verstetigt, und die in enger zeitlicher Folge verabschiedeten Volksbeschlüsse, die uns erhalten geblieben sind, legen von dem Bemühen Zeugnis ab, die Prozession und das anschließende Opfer möglichst prächtig auszugestalten und möglichst breite Kreise daran zu beteiligen. Nachdem man ursprünglich nur die Phylen als Untereinheiten der Bürgerschaft beauftragt hatte, Rinder zu mästen, um sie in der Prozession vorzuführen, wofür ihnen Geld aus der Tempelkasse zur Verfügung gestellt wurde, beteiligte man bald
52 Pol. 16,12; Strab. 14,2,20, 658A. 53 Pol. 16,12. Reste einer Urgeschichte von Bargylia bewahrt Steph. Byz. s.v. Bargylia; ihr zufolge wurde die Stadt von Bargylos, einem Gefährten des Bellerophontes, gegründet. 54 Bdttionespnncipes: Blümel 1995, 35-39, Nr. 1 + Blümel 1997 + Blümel 2000; jetzt mit zahlreichen Verbesserungen zu lesen als SEG 45,1508A+B (zu Z. 1-5 vgl. SEG 50, 1100) + SEG 50, 1101. Vgl. dazu den grundlegenden Kommentar von Zimmermann 2000, der jedoch den dritten Teil noch nicht kannte. 55 LIasos 613 mit Robert 1937,459-465. 56 Daß es sich nicht um das Hauptfest der Artemis Kindyas gehandelt hat, das nach Ausweis von LIasos 607 = I.Priene 47, Z. 16-17 bereits um 200 mit einem Agon verbunden war (vgl. auch SEG 38, 814, Z. 12-13), geht mit hinreichender Sicherheit daraus hervor, daß der Termin jeweils genau bezeichnet wird. 57 SEG 45,1508A, Z. 3-9 mit Zimmermann 2000, 465-469.
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auch die in der Stadt ansässigen Fremden, an die man zunächst offenbar gar nicht gedacht hatte, an der Mast von Rindern für diese Prozession; 5 schließlich zahlte man aus der Staatskasse für denselben Zweck auch an sechs Gruppen von Amtsträgern einen Betrag von je 100 Drachmen. Die Prozession führte aus der Stadt weit hinaus in das Heiligtum, wo die Rinder rituell geschlachtet wurden, und das Fest endete damit, daß man ihr Fleisch am Tag darauf, nach der Rückkehr in die Stadt, auf der Agora gemeinschaftlich verzehrte. Die Bargylieten haben im dritten der drei erhaltenen Beschlüsse die Überzeugung ausgesprochen, daß die Göttin sich für die Ehren, die ihr mit dem neuen Fest erwiesen wurden, ihrerseits bereits wieder erkenntlich gezeigt habe, denn Stadt und Land seien in bester Verfassung, weil die Göttin, „Vorsorge trägt, für die Angelegenheiten der Stadt insgesamt und auch im einzelnen für das Leben aller Bewohner der Stadt und des Landes". Damit bestätigt sich noch einmal, daß das im Fest institutionalisierte Gedenken an diese glücklich überstandene Gefahr für die Bargylieten vor allem der Vergewisserung diente, daß die Gottheit auch in der Zukunft ihre schützende Hand über sie halten würde, wie sie es in der Vergangenheit getan hatte.
4. Messene Das dritte und letzte Beispiel kommt aus Messene und führt uns in den späten Hellenismus, in die späten 90er Jahre des 1. Jahrhunderts v.Chr. Der Staat der Messenier war im Jahre 369 mit thebanischer Hilfe gegen den erbitterten Widerstand Spartas gegründet worden und blieb bis weit in das 3. Jahrhundert hinein durch hartnäckige Versuche der Spartaner, Messenien zurückzugewinnen, in seiner Existenz bedroht. Die Mächte, bei denen man Rückhalt gegen den spartanischen „Erbfeind" suchte, wechselten, nicht aber die antispartanische Ausrichtung, bis den Messeniern im Achäischen Bund ein neuer 58 59 60
SEG45,1508B. SEG50,1101. SEG 45,1508A, Z. 9-13; 1508B, Z. 17£; dazu Zimmermann 2000, 472-478.
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S E G 50, 1101, Z . 9-11: 5id TÖ T^V xe 7ÜÖÄIV Kai xf)v xcopav ev xfji | KaM,icTr|i eivai 5ia9scet npovoowyric. atyrfjc, TÖV TS KOIVÜW TTJC.rcotacoc.7Epay|idT(Dv Kai TÖ)[V] | Kax' I5(a{i}v eKaaxoD ßioi) TG)V KaToiKOiSvxcov xrjv TS itöXxv Kai xf|v x<öpav.
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Die umfassende und gründliche Studie von Deshours 2006 ist mir erst bekannt geworden, als dieser Aufsatz bereits geschrieben war; dort ist auch die umfangreiche ältere Literatur zu den Mysterien verzeichnet und besprochen (S. 17-25). Zur Geschichte Messeniens in hellenistischer Zeit vgl. neben den grundlegenden Studien von Roebuck 1941, 58ff. und Meyer 1978, 263ff. jetzt vor allem Grandjean 2003; Luraghi 2008, 249-291.
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Feind erstand, den auch die Spartaner zu fürchten hatten; beide, Messenien und Sparta, wurden schließlich zu Beginn des 2. Jahrhunderts gegen ihren Willen dem Achäischen Bund angeschlossen. Für die Messenier war die erzwungene Mitgliedschaft im Achäischen Bund mit erheblichen Gebietseinbußen verbunden: Man hatte schon früher Orte an der Westküste des Golfs von Asine an den Bund verloren. Nach dem gescheiterten Versuch, sich von den Achäern loszusagen, mußte man nun auch Orte an der Ostgrenze der Pamisos-Ebene in die Unabhängigkeit entiassen: Die Quellen nennen Thouria, Pherai und Abia. Zu diesen Orten gehörte allem Anschein nach aber auch Andania, wo die Messenier seit alters einen Mysterienkult feierten, von dem im folgenden die Rede sein wird. Die Messenier haben diesen Tiefpunkt ihrer Geschichte erst nach 146 v.Chr. überwinden können, nachdem der Achäische Bund im Krieg gegen Rom eine katastrophale Niederlage erlitten hatte. Da man sich aus dem Krieg herausgehalten hatte, erlangte man den Status einer ävitas libera et immunis, und auch 64
Die Annäherung begann bereits am Ende des 3. Jahrhunderts, als sich Sparta der gegen die Achäer gerichteten messenisch-ätolischen Koalition anschloß (Pol. 9,30,6; 16,13,3). Auf dieses Bündnis scheint sich ein Epigramm zu Ehren des Spartaners Damostratos zu beziehen, das auf einer Statuenbasis im Gymnasion von Messene stand; es heißt dort, Damostratos habe „alten Haß in Freundschaft" verwandelt: SEG 47,390. 65 Pylos gehörte dem Achäischen Bund spätestens 209 (Liv. 27,30,13), vielleicht schon 220 (Pol. 4,25,6) an, Asine vor 196 (Pol. 18,42,7), Korone vor 182 (Liv. 39,49,1; Syll.3 653 A 17; B 17); vgl. Roebuck 1941, 66-108, bes. 93f. mit Anm. 124; Meyer 1978, 270-278; Grandjean 2003, 225f. mit Anm. 2. 66 Pol. 23,17,lf.; Pausan. 4,29,12. 67 LOlympia 46 = IPArk 31; Strab. 8,3,6, 339A; 8,3,25, 350A (aus Demetrios von Skepsis). Zur Lage des Kameiaswn, das bislang nicht sicher lokalisiert werden konnte, vgl Deshours 2006, 52-55. 68 Auf die viel diskutierte Frage, welchen Göttern diese Mysterien gefeiert wurden, kann und muß hier nicht eingegangen werden; nach den einleuchtenden Darlegungen von Deshours 2006, bes. 200ff. handelte es sich im Kern um ein Fest der Demeter, der die Dioskuren als „Große Götter" beigesellt waren. Die Umdeutung der „Großen Götter" in die „Großen Göttinnen" von Eleusis scheint erst in der Kaiserzeit erfolgt zu sein und könnte gut eine Zutat des Pausanias sein. Welche Rolle dabei Apollon Karneios spielte, bleibt undurchsichtig, auch wenn ein staatlicher Kult des Apollon Karneios, in welchem auch hieroi amtierten, für Messene jetzt durch die Weihinschrift SEG 52, 412 schon um 300 v.Chr. gesichert ist. 69 Wenn das in der Mysterienurkunde genannte „fünfandfünfzigste Jahr" (dazu unten Anm. 71) sich auf die achäische Ära bezieht, begannen die Messenier wie die Achäer im Jahre 146/145 oder 145/144 v.Chr. eine neue Ära; zum Anfangsdatum vgl. Ferrary 1988, 189 mit Anm. 228. Eine Entscheidung des Mummius zugunsten der Messenier überliefern I.Olympia 52 = Syll.3 683, Z. 52-55 + 63-66; Tac. ann. 4,43,3. Vgl. dazu Ager 1996, 411-413, Nr. 150.
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Andania dürfte damals wieder messenisch geworden sein. E s dauerte jedoch einige Jahrzehnte, bis m a n daran ging, d e n d o r t beheimateten Mysterienkult neu zu organisieren. N a c h d e m die Messenier sich z u v o r in Argos der Z u s t i m m u n g Apollons versichert hatten, grundlegende Reform,
beschlossen sie im Jahre 9 2 / 9 1 (oder 9 1 / 9 0 ) eine
deren B e s t i m m u n g e n in einer U r k u n d e niedergelegt
w u r d e n , die so ausfuhrlich war, daß sie drei ganze Stelen füllte; zwei d a v o n sind erhalten geblieben u n d bieten i m m e r h i n 194 Zeilen Text.
Aus dieser U r k u n d e
ergibt sich das Bild eines mit Prozession, O p f e r u n d Bankett, mit Reinigungsu n d Initiationsriten sowie musischen Darbietungen v e r b u n d e n e n Festes, das zwar im N a m e n u n d Auftrag der Polis Messene ausgerichtet, aber auf allen E b e n e n v o n einer w o h l h a b e n d e n Elite dominiert wurde. D i e Organisation u n d Aufsicht lag in d e n H ä n d e n eines exklusiven Personenkreises, der v o n den einfachen Mysten auch äußerlich abgesondert war.
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Detaillierte Aufwandsbe-
Syll.3 735; vgl. dazu Pierart 1990; Deshours 1999; Deshours 2006, 66ff. Ich halte (gegen Luraghi 2008, 294-300) an der traditionellen Datierung der Urkunde fest, die das im Text mehrfach genannte „fiinfundrunfzigste Jahr" (IG V 1, 1390 = Syll.3 736, Z. 10-11; 52; 54; 90) auf eine mit dem Jahr 146 oder 145 v.Chr. beginnende Ära bezieht. Daß die aktische Ära gemeint ist, was auf das Jahr 24 n.Chr. führen würde, scheint mir schon deswegen wenig wahrscheinlich, weil das argivische Orakel über die Mysterien, das ihrer Reform vorherging, um 100 v.Chr. aufgezeichnet worden sein dürfte: Wilhelm Vollgraf, der die Inschrift erstmals edierte (Vollgraf 1909, 175), urteilte, daß die Schrift ins 2. oder 1. Jahrhundert v.Chr. weise. Zudem dürfte das nach sprachlicher Form und institutionellem Verfahren mit der Mysterieninschrift eng verwandte Dossier über die Achtobolenabgabe (IG V 1, 1432-1433 mit Wilhelm 1914, bes. 71-86 = Wilhelm 1984, bes. 537-552) in die Zeit zwischen 70 und 30 v.Chr gehören: Migeotte 1997. I G V 1, 1390 = SylP 736. Zu den Fundumständen der beiden Stelen und der Eigenart des Dokuments vgl. Deshours 2006, 49-63. Der Beschluß war in die Form eines Sidypauua (Z. 5; 25; 28; 95; 113; 182; 189; 190; 192) gekleidet; eine Abschrift wurde von den vouoSstKxai Messenes verwahrt (Z. 112-115) und durfte von jedermann eingesehen werden. Zur Organisation des Festes vgl. Deshours 2006, 77-97. Dem aus Männern und Frauen bestehenden Personenkreis, die in der Kultordnung als Hierot und Hierai bezeichnet werden, war mit Ausnahme der Kassenverwaltung, für die fünf für diesen Zweck gewählte Amtsträger zuständig waren (Z. 45-64), die gesamte Organisation und Durchführung anvertraut. Die Mitglieder dieses „Orgamsationskomittees" wurden aus einem schriftlich definierten Personenkreis ausgelost (Z. 116; 132), trugen einen weißen Filzhut (Z. 13) und gingen in der Prozession vor den einfachen Mysten (Z. 31-33); nur sie nahmen gemeinsam mit den Priestern und den Künstlern am heiligen Festessen teil (Z. 95-99). Die Hieroi besaßen ein Züchügungsrecht (Z. 39-41) - 20 von ihnen dienten als bewaffnete Festordner (Z. 41-45) - und konnten Geldstrafen verhängen (Z. 75-80). Sie selbst unterstanden einem aus zehn Personen bestehenden Gremium, dessen Mitglieder durch Wahl aus den über 40jährigen Bürgern bestellt wurden und nicht in zwei aufeinander folgenden Jahren amtieren
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schränkungen regelten die Art und den Wert der Kleidung, die im Heiligtum getragen werden durfte, und verboten Goldschmuck, Schminke und aufwendige Frisuren. 4 Die Größe der Zelte, die in dem etwa 10 Kilometer von der Stadt Messene entfernten Heiligtum für die Dauer des Festes aufgeschlagen werden durften, war ebenso reglementiert wie die Art ihrer Möblierung, und auch für wohltemperierte Bäder und geheizte Massageräume war gesorgt. Die späthellenistischen Mysterien von Andania waren kein historischer Gedenktag in dem Sinne, daß sie an ein bestimmtes Ereignis der Vergangenheit erinnern sollten. Gleichwohl waren sie auf zweierlei Art und Weise aufs engste mit dem Geschichtsbewußtsein der Messenier verbunden: Die Messenier hatten sich nach der Gründung ihres Staates eine Pseudo-Historie zugelegt, die das Stigma, das in der Abkunft von Unfreien lag, tilgen sollte, indem sie die gähnende Leere in der schriftlichen Überlieferung über ihr Volk mit Erzählungen von einer harmonischen Urzeit und heldenmütigen Kämpfen füllte. In dieser Pseudo-Historie spielten sowohl der Ort Andania als auch der dort beheimatete Mysterienkult eine prominente Rolle. Andania galt als die erste Residenz der messenischen Könige und als Heimat des größten Helden, den 78
die Messenier vorweisen konnten, des Aristomenes, unter dessen Führung sie den Spartanern lange Zeit erfolgreich Paroli geboten hatten, bis sie, besiegt durch Verrat, schließlich hatten aufgeben und die Heimat verlassen müssen. Die Prozession, die aus der Stadt Messene durch die stenyklarische Ebene, wo die Vorfahren einst beim sogenannten Ebermal einen vielbesungenen Sieg über die Spartaner errungen hatten, ins Heiligtum von Andania führte, war für die Teilnehmer also eine Reise zu einer geheiligten Stätte ihrer Vergangenheit.
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sollten; Hieroi unter 40 konnten ebenfalls gewählt werden, mußten für die Wahl aber eigens nominiert werden (Z. 116-170). Die „Zehn" trugen ein purpurfarbenes Haarband (strophion): Z. 177-179. IG V 1,1390 = Syll.3 736, Z. 16-26. IG V 1,1390 = Syll.3 736, Z. 34-38. IG V I , 1390 = Syll.3 736, Z. 107-111. Grundlegende Beiträge stammen von F. Jacoby, FGrH IIIA (Kommentar zu 262296), Leiden 1943, 109ff., bes. 112-119; Pearson 1962; Deshours 2006, 167-212. Pausanias' „Messenische Geschichte" liest man jetzt am besten in der vorzüglich kommentierten Ausgabe der Collection Bude: Pausanias, Description de la Grece, Tome IV: La Messenie. Text grec par M. Casevitz, traduit et commente par J. Auberger, Pans 2005. Pausan. 4,15,7. Pausan. 4,15,8; 16,6. Hdt. 9,64 berichtet, daß die Messenier beim Aufstand von 464 £v ETevuK^apoTc; 300 Spartaner töteten. Stenyklaros galt darüber hinaus als Residenz des messenischen Königs Kresphontes (Pausan. 4,3,7) und als Musterungsplatz im 1. Messenischen Krieg (Pausan. 4,6,6).
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Aber nicht bloß das Heiligtum, in welchem die Mysterien vollzogen wurden, war für die Messenier ein Erinnerungsort par excellence. Die Mysterien selbst waren ein untrennbarer Bestandteil der Vergangenheit, die sie für bedeutsam und verpflichtend hielten, und ihre Feier trug dazu bei, diese Vergangenheit immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Denn in der Vorstellung der Messenier waren die Mysterien von Andania nicht bloß zur selben Zeit eingeführt worden, als auch ihr Staat gegründet wurde. Vielmehr spielte der Kult auch in den heroischen Kämpfen gegen Sparta, wie die Pseudo-Historie sie darstellte, eine prominente Rolle: Seine Hierophanten waren nach dem 1. Messenischen Krieg ins Exil nach Eleusis gegangen, aber zurückgekehrt, um den von Aristomenes angeführten Freiheitskampf zu unterstützen; vor der Schlacht am Ebermal, in der man es den Spartanern einmal richtig gezeigt hatte, waren sie zur Stelle gewesen, um Aristomenes' Mannen zum Kampf anzuspornen. Vor allem aber galten die Kultordnungen als ein Vermächtnis, das der große Aristomenes hinterlassen hatte, weil er wußte, daß Messenien nicht verloren sei, solange das Wissen um die Mysterien erhalten bleibe.8 Darum habe er die Kultordnung, bevor er seine Heimat verlassen mußte, auf Zinnrollen geschrieben, diese in einem Krug geborgen und als ein Unterpfand des künftigen Wiederaufstiegs in der Erde vergraben. Die im Jahre 92/91 vorhandenen heiligen Bücher galten als eine Abschrift eben dieser Zinnrollen, die man bei der Gründung Messenes auf wunderbare Weise wiedergefunden haben wollte, und der Krug, in welchem Aristomenes sie einst versteckt haben sollte, wurde im Heiligtum von Andania noch zur Zeit des Pausanias wie eine Reliquie vorgezeigt.8 Die Mysterien zu feiern bedeutete demnach nicht bloß, der Vorfahren zu gedenken, um ihnen nachzueifern, sondern zugleich auch, den Glauben an die Unzerstörbarkeit Messeniens zu bekräftigen.
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Pausan. 4,1,2; 2,6; 3,7. Pausan. 4,17,7. Pausan. 4,16,1; 6. Pausan. 4,20,3-4. Pausan. 4,26,5-8; 27,5; IG V 1,1390 = Syll.3 736, Z. 12-13. Pausan. 4,33,5. Daß die Mysterien von Andania bis ins 2. nachchristliche Jahrhundert gefeiert wurden, bezeugt Pausanias (4,33,4-6); etwa zur selben Zeit ehrte die Provinzialversammlung von Achaia einen Priester der „Großen Götter" von Andania: SEG 11,984.
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5. Resümee Wir haben Feste von sehr unterschiedlicher Art und Bedeutung betrachtet, um festzustellen, wie Feiern und Erinnern in hellenistischen Bürgerstaaten zusammenhingen. Dabei hat sich gezeigt, daß der Wille, die ganze Stadt im Fest zu vereinen, bis weit ins 2. Jahrhundert vorhanden war, wenngleich seine Umsetzung auf beträchtliche Schwierigkeiten stieß und sich eine allmähliche Öffnung für Fremde abzeichnet; erst im späthellenistischen Messene ließ sich die Vereinnahmung von Fest und Erinnerung durch eine exklusive Minderheit beobachten. Dementsprechend konnte die Mehrheit der Teilnehmer die Vergangenheit, an die man sich feiernd erinnerte, bis an die Schwelle zum späten Hellenismus durchaus als die ihre empfinden. Dieser Befund korreliert insofern mit der Entwicklung der politischen Institutionen in den drei untersuchten Poleis, als sich in den Quellen für das späthellenistische Messenien eine Dominanz des Rates gegenüber der Volksversammlung abzeichnet. Die Annahme, daß die politische Kultur der griechischen Bürgerstaaten sich erst im Laufe des zweiten Jahrhunderts tiefgreifend veränderte, bewährt sich also auch 88
im Bereich der Feste und Memorialpraktiken. Weiterhin hat sich gezeigt, daß es keineswegs allein und oftmals auch nicht in erster Linie die sogenannten historischen Gedenktage waren, die zur Ausformung und beständigen Erneuerung des Geschichtsbewußtseins griechischer Bürgerstaaten beitrugen. Sie waren gerade deswegen, weil sie mit einem bestimmten historischen Ereignis verbunden waren, das sich rasch als ephemer erweisen konnte, für ein schnelles Veralten besonders anfällig. So mancher König, der eben noch als „Retter" gefeiert worden war, erwies sich bald darauf als gleichgültig oder machtlos, wenn er sich nicht sogar als „Tyrann" entpuppte. 87
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Vgl. dazu jetzt Fröhlich 1999. Aus der Mysterieninschrift IG V 1, 1390 = Syll.3 736 geht hervor, daß die Ratsmitglieder {synhedroi) nicht bloß die Kassenführung der „Fünf kontrollieren (Z. 48f.), sondern auch Zusätze zum diagramma beschließen (Z. 185f.) und vor allem über die Verwendung städtischer Gelder entscheiden dürfen (Z. 57; 89). Zudem zeigt das zweite Ehrendekret für den Ratssekretar Aristokles, daß die synhedroi ihren Sekretär selbst bestellten (IG V 1, 1432, Z. 22£). In augusteischer Zeit übernahm ein Ratssekretär die Aufgabe, eine Subskription zu organisieren: SEG 35, 343 mit Migeotte 1992, 55-59, Nr. 22. Für Thouria, dessen Institutionen denen der Stadt Messene anscheinend sehr ähnlich waren - man verwendete dieselben Phylennamen (IG V 1, 1386, Z. 3; 12) -, ergibt sich die starke Stellung der synhedroi mit großer Deutlichkeit aus dem Dekret IG V 1, 1379 (mit Robert 1928); vgl. auch SEG 11, 972 = ISE 51; SEG 11, 974. Vgl. dazu neben dem „Klassiker" von Gauthier 1985 jetzt auch die bei Fröhlich/Müller 2005 gesammelten Beitrage. Zu ihnen vgl. Chaniotis 1991.
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Zudem besaßen Feste, die einer Gottheit von herausragender Bedeutung gewidmet waren, ein erheblich größeres Potential, sinnstiftend und handlungsorientierend zu wirken, weil sie viel besser geeignet waren, im gemeinsamen Gedenken den Bogen von der Urzeit, die den Zeitgenossen als Quelle und Maßstab ihrer eigenen Bestrebungen galt, hin zur Gegenwart zu schlagen. Für alle hier betrachteten Feste, auch und gerade für diejenigen, in denen der Kult einer Gottheit mit der Erinnerung an ein bestimmtes Ereignis der jüngsten Vergangenheit verbunden war, gilt, daß die Vergegenwärtigung der Vergangenheit nicht bloß in kultische Handlungen eingebettet, sondern auch konzeptuell auf die ewige Macht der Götter bezogen blieb. Insofern bestätigen sie die Auffassung, daß die sinnstiftende Kraft der Polis-Religion auch im Hellenismus fortdauerte. Auch das Geschichtsbild, das durch die hier untersuchten Feste vermittelt wurde, unterscheidet sich in seiner Struktur nicht von demjenigen, das bereits in klassischer Zeit vorherrschte. Schon damals hatte es auf einer radikalen Selektion beruht, indem es Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, die für die Erinnerungsgemeinschaft von existentieller Bedeutung waren, mit einer Urgeschichte verknüpfte, die Sinnstiftung und Handlungsorientierung zugleich lieferte. Die im Hellenismus stark zunehmende Vernetzung der griechischen Bürgerstaaten führte jedoch dazu, daß Traditionsbestände, die Aussicht auf gemeingriechische Anerkennung hatten, stärker akzentuiert wurden. Da sich jedoch Verdienste um alle Griechen aus der jüngeren und jüngsten Vergangenheit nicht beliebig vermehren ließen, hatte die verstärkte Einbindung in die griechische Ökumene ein starkes Wachstum urzeitlicher Überlieferungen zur Folge, die durch überregionale Feste sowohl nach innen als auch nach außen vermittelt wurden.
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In diesem Sinne etwa auch Stewart 1977; Graf 1995; Potter 2003.
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Die Römer auf der Flucht. Republikanische Feste und Sinnstiftung durch aitiologischen Mythos* Rene
Pfeilschifter
1. Ein rätselhaftes Fest Unser Wissen über die Poplifugia ist begrenzt. Da wäre zunächst einmal der Name selbst, der offensichtlich ,Volksflucht£ zu bedeuten scheint. Dann der Termin: Das Fest wurde am 5. Juli eines jeden Jahres gefeiert. Schließlich Fragmente des Rituals: Männer, die die Stadt verlassen, nicht in feierlicher Prozession, sondern ungeordnet, dichtgedrängt, und die sich dabei gebräuchliche römische Vornamen zurufen, wie Gaius, Marcus, Lucius. Beim Ziegensumpf auf dem Marsfeld findet das Opfer statt. Das ist schon alles, was wir wissen. Plutarch verbindet die Popltfugia mit den Nonae Caprotinae, einem zwei Tage später, am 7. Juli, ebenfalls auf dem Marsfeld gefeierten Fest. Viel hilft das freilich nicht, da auch die Nonae Caprotinae weitgehend im dunkeln bleiben: Sklavinnen, welche die Stola römischer Matronen tragen, aber gleichzeitig betteln, die Umstehenden verspotten und einander spielerisch bekämpfen, bis sie zusammen mit den freien Frauen ein Festmahl in Hütten aus Feigenästen einnehmen. Überhaupt spielt der Feigenbaum eine zentrale Rolle, sein Saft hat mit dem Opfer für Inno zu tun, wir wissen aber nicht, inwiefern, und seine Zweige werden als Ruten verwendet, wir wissen aber nicht, wozu.
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Für aufmerksame Lektüre und anregende Kritik danke ich Frank Bernstein. Fast. Maff. IuL 5; Fast Amit. Iul. 5; Fast. Ant. min. Iul. 5; Plut. Rom. 27,4; 29,2£; 11; Plut. Cam. 33,7; Dion. Hai. ant. 2,56,5; Varro ling. 6,18; Calp. hist. frg. 45 Chassignet (= frg. 43 Peter = Macr. Sat. 3,2,14). Eine nützliche Quellenübersicht gibt A. Degrassi, Inscrlt XIII 2, p. 476f. Zum Tag des Festes vgl. Pfeilschifter 2008. Plut. Rom. 29,2; 9f; Plut. Cam. 33,7f.; Plut. Numa 2,1; Plut. fort. Rom. 320c; Varro ling. 6,18; Macr. Sat. 1,11,36; 40; Auson. 14,16,9f. Green (= 13,23,9f. Prete); Ov. ars 2,257£; Pol. Silv. Fast. Iul. 7; [Plut.] parall. min. 313a; Querol. 74 Jacquemard-Le Saos; CIL IV 1555. Vgl. wiederum Degrassi, Inscrlt XIII 2, p. 479-481. Vielleicht ist die nonaria, die bei Pers. 1,133 einen Philosophen am Bart zieht, eine feiernde Sklavin (so Morice 1890). Interessanterweise wird v. 25 ein Feigenbaum, eine capnficusy erwähnt, wenn auch in anderem Zusammenhang. Doch man kann schlecht an der Deutung der Scholien vorbei: Schol. Pers. z. St. und Schol. luv. 6,117 Wessner verstehen nonaria als Prostituierte. Zur Diskussion zuletzt Rüpke 1995, 558 Anm. 42; McGinn 2004,149-151.
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Man hat sich seit dem 19. Jahrhundert darum bemüht, aus diesen Bruchstücken das Ensemble der Rituale zu erschließen und deren ursprünglichen Sinn zu erfassen. Neben einigem anderen wurden eine Markierung von Himmelsphänomenen, der Jahreszeiten oder des Kalenders vorgeschlagen, eine Anrufung der Toten, eine symbolische Reinigung, ein Fruchtbarkeitsritus, sogar ein Regenzauber und schließlich Krise und Wiederherstellung der Gemeinschaft. Heute fragt man gewöhnlich nicht mehr so sehr nach Ursprüngen im Morgengrauen der Geschichte als vielmehr nach der (oft verschobenen) Bedeutung von Festen für spätere Generationen. In diesem Fall ist das die Gesellschaft der mitderen und späten Republik, über die wir wenigstens halbwegs aus zahlreichen anderen Quellen Bescheid wissen. In dieser Perspektive hat Jan Bremmer Elemente eines Inversionsrituals ausgemacht, einer verkehrten Welt; diese Deutung legen vor allem die Sklavinnen im Gewand von Matronen nahe. Ähnlich wie bei den Saturnalien konnte sich angestauter sozialer Druck entladen, was letztlich die gewohnte gesellschaftliche Hierarchie festigte. T.P. Wiseman hat in den Riten jüngst elementarere Antriebe menschlichen Verhaltens entdeckt: Überall in Fest und Opfer findet er Hinweise auf das Liebesleben, und so mündet seine Interpretation in die Beschreibung einer Sexorgie. Wie auch immer man über diese Deutungen urteilt, sie erklären nur einzelne rituelle Aspekte, und zwar vor allem solche der Nonae Caprotinae. Die Pcpäfugia bleiben im Schatten, und überhaupt ist unklar, worin ihre rituelle Verbindung mit dem zwei Tage später stattfindenden Fest besteht. Angesichts der Quellenlage ist es meiner Meinung nach aber kaum möglich, durch eine Analyse des 3 4
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„Interpretation lunaire": Drossart 1974a; Dumezil 1986, 271-283. Erntefest: Fowler 1899, 177f.; „midsummer agncultural festival": Forsythe 1994, 324; Bremmer 1987b, 85. Sabbatucci 1999, 283-285. Kraus 1953, 77f. Schwegler 1853, 532-534; Fowler 1899,176; Palmer 1974,11. Wissowa 1912, 184; Frazer 1929, 343-356; Coarelli 1997, 33-46 (mit manch berechtigter Kritik, vor allem aber unnötiger Polemik gegen Bremmer 1987b); Erkell 1981, 38f. Otto 1905,187-189; Robertson 1987, 26f., 30-32, 35f., 38-41. Scheitern und Neuetablierung der Nonen: Rüpke 1995, 560f.; „crisi totale dell'organizzazione comunitaria": Coarelli 1997, 23-27. Wie sehr Rückschlüsse von den (vermeindichen) Anfängen auf das historisch faßbare Rom in die Irre fuhren, hat Beard 1987, lf. knapp skizziert. Bremmer 1987b, 76-83, 85-88. Vgl. schon Graf 1985, 310. Einen Überblick über entsprechende Feste in der Antike gibt Kenner 1970, 82-95; zur Analyse Versnel 1987,135-139. Wiseman 2004,172; Wiseman 1998, 68.
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rituellen Geschehens wesentlich über den von Bremmer erreichten Stand hinauszukommen. Ich will statt dessen die Geschichten untersuchen, die sich um die Poplifagia ranken, Geschichten über die Zeit des Romulus und des Camillus, welche ihrerseits den Ursprung des Festes erklären, und dies zwar auf eine weniger wissenschaftliche Weise, als wir das heute versuchen, dafür aber ungleich spannender.
2. Mündlichkeit und Schriftlichkeit Aitiologische Mythen sagen uns wenig über die Anfänge, aber viel über die Gesellschaft, in der sie erfunden werden. Nicholas Horsfall hat von sekundären Mythen4 gesprochen, erdacht für Rezitationen und ausgestattet mit, wenn überhaupt, bescheidener sozialer Funktion. Gleichzeitig hat er die gelehrten Schreibtischinventionen der späten Republik abgesetzt von im Volk verbreiteten, mündlich tradierten und letztlich authentischeren Vorstellungen, Eine derartige Unterscheidung zwischen den intellektuellen Erzeugnissen von wenigen und dem, was der ,Mann auf der Straße' glaubte, ist freilich zu schematisch. Ich halte es durchaus für möglich, daß die römischen Literaten mündlich kursierende Erzählungen aufgenommen und geformt haben, ähnlich wie die Brüder Grimm es später mit ihren Märchen taten. Das würde natürlich nicht auf jede Aitiologie zutreffen, wohl nicht einmal auf eine Mehrzahl.
14 Zum Begriff knapp Graf 1996,125; zur Forschungsgeschichte Graf 1993, 31-43. 15 Horsfall 1987, 1 für die Formulierung „litde or no 'social fanction'" unter Berufung auf Burkert 1979, 2. Doch Burkert trennt bei weitem nicht so scharf wie Horsfall: „A tale 'created' - that is, invented by an individual author - may somehow become 'myth' lf it becomes traditional, to be used as a means of communciation in subsequent generations, usually with some distortions and reelaborations". Vgl ferner Burkert 1993, 19f. Kritik an Horsfall üben auch Wiseman 1994a, 25 und Beard 1993, 56-58. Rüpke 1995, 412f. wiederum zeigt sich, unabhängig von dieser Diskussion, skeptisch gegenüber einer Breitenwirkung von Aitiologien. 16 Ich stelle mir diese Tätigkeit nicht so vor, daß man dem Volk einfach aufs Maul schaute und lediglich ein wenig stilistisch feilte. Horsfall 1987, 7 warnt vor einem Vergleich mit den Grimms, aber ein Blick auf deren tatsächliche Arbeitsweise hilft durchaus weiter: Die Brüder änderten ihre Quellen bei Bedarf inhaltlich stark ab, sie stützten sich in großem Umfang auf schriftliche Vorlagen, und was ihnen mündlich zugetragen wurde, bezogen sie fast nie direkt vom Mann auf der Straße — oder von weisen Märchenfrauen -, sondern vermittelt durch junge Damen des gehobenen Bürgertums. Das läßt sich nicht eins zu eins auf Rom übertragen, aber es sensibilisiert für die Komplexität des Übergangs von Mündlichkeit zu Schnftlichkeit oder von einem Literaturgenre zum anderen. Zu den Grimms Rölleke 2004, 38-41, 47-68, 76-102; McGlathery 1993, 40-49; Bluhm 1995, 4-24.
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Aber w a r u m sollte m a n die Existenz solcher Einflüsse v o n vornherein ausschließen? D i e R ö m e r verfügten zweifellos über eine reichhaltige mündliche Kultur. 1 7 Allerdings, viel m e h r als die Tatsache, daß es sie gegeben hat, wissen wir nicht. U n d was wir vielleicht v o n ihr in schriftlicher F o r m haben, laßt sich nicht als Überbleibsel verifizieren. Die republikanische Geschichtsschreibung u n d die antiquarische Literatur, zwei unserer Hauptquellengattungen für aitiologische Mythen, sind nur in T r ü m m e r n erhalten, u n d auf
Authentiflkationsbekun-
dungen, wie sie u n s die D i c h t u n g liefert (ä la ,ein alter M a n n hat mir erzählt IQ
[...]*), sollte m a n besser nicht bauen.
Wir verfugen (noch?) nicht über das
methodische Instrumentarium, aus diesem Bestand die mündlichen Mythen zu rekonstruieren. 1 9 Gleichzeitig fehlt u n s eine antike Beschreibung der Kultur der römischen Plebs. Deshalb läßt sich die , G r i m m s c h e V e r m u t u n g ' leider nicht erhärten, u n d m a n kann auf diesem F u n d a m e n t keine T h e s e wagen. Wir m ü s sen die Mythen in d e m Aggregatzustand akzeptieren, in d e m sie uns überliefert sind, eben als Literatur. Ihre Quellen k ö n n e n wir nicht fassen. N u n gibt es freilich n o c h die umgekehrte Möglichkeit der Beeinflussung: Die Schreibtischinventionen hinterließen ihrerseits einen dauerhaften Eindruck bei breiteren Schichten des römischen Volkes. I n diesem Fall hätten sie durch20
aus eine gewisse gesellschaftliche Relevanz besessen. 17
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D i e Bedingungen für
Was wir von ihr wissen, hat Horsfall 2003 souverän dargestellt. Zu den carmina conwvalia vgl. den Überblick von Walter 2004, 70-74, zu mündlichen Prophezeiungen und Orakeln Wiseman 2006. Beispiele aus dem Beglaubigungsapparat von Ovids Fasti: 2,584; 4,377f; 4,683-690; 4,905-910; 6,219-226; 6,395-400. Skeptisch stimmt schon, daß in gleicher Weise Götter als Gewährsleute herangezogen werden: 1,93-288; l,659f.; 3,167-172; 4,191196; 5,7-107; 5,194-376; 5,450; 5,637-662; 5,695-698; 6,1400; 6,213f.; 6,251-256; 6,655f.; 6,693-695; 6,801-812. Zur literarischen Gestaltung dieser Passagen Rutledge 1980. Allgemein zur Zweifelhaftigkeit derartiger Bekundungen Horsfall 1988, 32-34. Anders Wiseman 1994a, 34. Vgl. nur die umsichtigen Bemerkungen von Horsfall 2003, 96-99. Insofern stimme ich mit ihm durchaus überein, nur daß ich glaube, daß die mündlichen Mythen für uns verloren sind, während Horsfall 1987, bes. 4£, 9 denkt, es habe sie gar nicht (oder kaum) gegeben. T.P. Wiseman, der Protagonist der Gegenseite, hat für ihre Existenz mit guten Gründen plädiert. Aber seine Versuche, sie aus den Quellen zu destillieren, haben mich bislang nicht überzeugt (s.o. Anm. 15 und u. Anm. 66 für seine Bemühungen um verlorene Bühnenstücke). Vgl. auch Beard 1993, 57. Erst das macht die Aitiologien für den Gesellschaftshistoriker interessant. Beard 1987, 3 stellt fest: „In my view, there ls no reason necessarily to regard the illiterate (and, for us, mute) peasant as a truer representative of the Romanness of Roman religion than Hellenized Roman intellectuals or Roman Greeks." Das ist richtig, soweit es die einzelne Person betrifft. Aber nicht nur weil er unverbildet ist, gilt der Bauer als authentischerer Vertreter des 'Römertums', sondern auch weil er viel eher
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eine solche Analyse sind besser, weil das Ausgangsprodukt - die literarischen Mythen — in diesem Falle ja bekannt ist und es sich leichter nach tatsächlichen Folgen und Wirkungen forschen läßt als nach möglichen Grundlagen und Ursachen. Dies will ich im Folgenden versuchen, zunächst in Form allgemeiner Überlegungen, dann anhand des Beispiels der Poplifugia.
3. Alte und neue Feste Zu fragen ist also nach der sozialen Funktion literarischer Aitiologie. In einem ist Horsfall zweifellos rechtzugeben: Römische Ursprungsmythen besitzen eine derart starke literarische Formung, daß sie oft nur wie eine spielerische Beschäftigung weniger Intellektueller mit der Vergangenheit wirken. Vor allem gilt dies für Ovids Fasti. Doch hier ist sofort anzumerken, daß gerade dieser Schriftsteller gelesen werden wollte. Er schrieb nicht nur für die Bibliotheksregale, sondern für die Salons und für die gehobene Unterhaltung. Dieser Gedanke macht sein Werk zwar noch nicht massentauglich, aber er unterstreicht, daß immerhin eine breite Elite sich für dergleichen interessierte. Aufschlußreich sind die Anlässe, an die Ovid seine Aitiologien knüpft. Neben Sternbildern, Namen, Bräuchen und Tempelweihungen erklärt er alte, schon seit jeher im Kalender verzeichnete Feste, mit spezifischen, nur bei dieser Gelegenheit verrichteten rituellen Handlungen, die eben deswegen der Erläuterung bedürfen. Die Feiern neuerer Art, die verschiedenen Ludi publiä, 21
kommen dagegen nur am Rande vor, und auch wenn wir außerhalb Ovids suchen, rinden wir lediglich einen rudimentären mythologischen Apparat. Über die Ludi Apo Ulnares etwa, die nur einige Tage nach den Poplifugia stattfanden, am für die Masse der römischen Bevölkerung stehen kann als ein schriftstellernder Aristokrat. Solange literansche Aitiologie - und überhaupt Elitendiskurs über Religion - sich als Privatansicht einzelner oder als Gespinst kleiner literarischer Zirkel beiseite schieben läßt, bleibt der davon unberührte »einfache Mann* nicht zu Unrecht der Idealtypus des römischen Gläubigen. Wenn aber plausibel gemacht werden kann, daß derartige Ursprungsgeschichten auf größere soziale Gruppen wirkten, ändert sich das Bild. Vgl. die (in der Verszuschreibung allzu großzügige) Liste der Aitia in den Fasti bei Loehr 1996, 98-110. Alle mit Ludi verknüpften Feste der ersten Jahreshälfte (Megalesia, Cerialia, Floralid) werden von Ovid ausführlich gewürdigt, aber die Spiele stellten nur einen Teil des Festgeschehens dar, und zwar einen, der lediglich im Fall der Floralia größere Aufmerksamkeit findet: Megalesia 4,179-392 — Ludi Megalenses 4,187f.; 4,326; 4,357f.; 4,377f.; 4,391 f.; Cenalia 4,393-620; 4,679-712 - Ludi Ceriales 4,679f.; Floralia 4,943-947; 5,183-378 - Ludi Florales 4,946; 5,189£; 5,277-354 (Wiseman 2002a, 296-298 glaubt in v. 331-354 ein Bühnenstück zu erkennen). Zur Unterscheidung zwischen Ludi und Fest Bernstein 1998,168f., 191f., 212-214.
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13. Juli, wußte man zu erzählen, die Römer hätten während einer der ersten Feiern Hannibal dank der Hilfe Apollos so schnell von der Stadt vertrieben, daß sie rechtzeitig zurückkehrten, ohne Verzug und damit Frevel in den Spielen aufkommen zu lassen. Die anderen Ludi, selbst die ältesten, die Romani, mußten mit weniger auskommen: Sie wurden, falls überhaupt etwas bekannt war, in Reaktion auf einen Sieg, auf ungünstige Prophezeiungen, Dürren oder Seuchen eingerichtet. Und, noch wichtiger, selbst diese Anlässe spiegelten sich im Ablauf der Feste nicht wider. Eine rituelle Performanz des Aition fand nicht statt. Der Grund dafür scheint klar: Das Zeremoniell der Ludi mit dem feierlichen Umzug der Götterbildnisse und mit dem Opfer war in seiner Bedeutung nicht schwer zu verstehen, zudem wiederholte es sich bei jedem dieser Feste in ähnlicher Form. Für die Schaffung aufwendiger, spezieller Mythen bot die rituelle Inszenierung also keinen Anlaß. Einen solchen Anlaß brauchte man auch gar nicht. Die Lud? lockten mit mehrtägiger Unterhaltung, mit Theaterstücken, mit Pferde- und Wagenrennen, mit Tierhetzen, mit athletischen Wettkämpfen, kurz: mit Spektakeln, die Entspannung, Spaß und natürlich Gemeinschaft versprachen. Die Ludi boten den Fußball der römischen Republik, sie waren Selbstläufer, für die man nicht viel Werbung machen mußte. Erfolgreiche Konzepte erkennt man vor allem daran, daß sie kopiert werden. Das schlug sich nicht nur darin nieder, daß die statanschen, also die jedes Jahr wiederholten Spiele in ihrer Zahl wie in ihrer Dauer wuchsen. Die unregelmäßigen, entweder vom Senat veranlaßten oder von einzelnen Feldherren gelobten Votivspiele nahmen im 2. Jahrhundert v.Chr. ebenfalls immer mehr Raum im Jahreslauf ein; die Spiele letzterer Art sollten zudem den Namen ihrer Veranstalter populär machen. Und da ich schon bei den nichtzyklischen Events bin: Es sei an die öffentlichen Speisungen des Volkes erinnert, an die
22
Macr. Sat. 1,17,25; Fest. p. 436-438 Lindsay; Serv. Aen. 8,110. Vgl. Bernstein 1998, 89,183f. 23 Die Belege finden sich bei Bernstein 1998, 24,157,163,171,179f, 193, 216. 24 Dion. Hai. ant. 2,19,4; 5,57,5; 7,72 (= Fab. Pict. bist. frg. 20 Chassignet = 16 Peter); Iiv. 30,38,11; Ov. am. 3,2,43-56; fast. 4,391. Vgl. Bernstein 1998, 41-44, 162f., 170f., 182, 203f, 219f., 254-267, 317, 341-344 und jetzt Beck 2005, 90-96. 25 Im Jahr 200 wurden etwa 20 Tage von vier Festen belegt, beim Tod Caesars waren es bereits 76 Tage bei acht Festen. Vgl. Th. Mommsen, CIL I2 p. 299; Taylor 1937. Dabei sind die instaurationes, ganze oder partielle Wiederholungen der Feste, noch gar nicht mitgerechnet. Vgl. HorsfaJl 2003, 13. Eine Liste der von Livius erwähnten instaurationes gibt Cohee 1994, 467f. Zu den Folgen der Ausweitung, die sich vor allem auf die Jahre zwischen etwa 220 und 173 konzentrierte, für das öffentliche Leben vgl. Bernstein 1998, 246-248. 26 Zu den Votivspielen Bernstein 1998, 84, 142-157, 271-281.
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Triumphe, die zugegeben nicht so häufig stattfanden, an die Leichenzüge, die dafür eine weit höhere Frequenz besaßen - denn auch in Rom war es leichter zu sterben als zu triumphieren - , Leichenzüge, bei denen man nicht nur das Defilee der wiedererstandenen Ahnen des Betrauerten bestaunen und dem Lob seiner Taten lauschen konnte, sondern auf die später ebenfalls Spiele zur Kommemoration wie zum allgemeinen Ergötzen folgten sowie, als Höhepunkt, 27
Gladiatorenkämpfe. Im 2. Jahrhundert v.Chr. war Rom eben kein ärmlicher Arbeiter- und Bauernstaat mehr, in dem man für jede Ablenkung dankbar sein mußte. Vielmehr gab es ein breites Tableau an Aktivitäten, die der einzelne gar nicht vollständig wahrnehmen konnte. Man hatte zu wählen. Die traditionellen religiösen Feste hatten es angesichts der Konkurrenz schwer. Der Lauf der halbnackten, riemenschwingenden Lupem brachte noch genügend Schauwert 28
mit sich; die Prozession der Poplifugia mußte aber, verglichen mit einem Circusbesuch, eher absonderlich wirken. In der Gruppe mitzulaufen und lauthals Namen zu rufen mochte für den Moment Spaß machen, aber letztlich handelte es sich doch um ein spannungsarmes und wenig abwechslungsreiches Vergnügen. Also: warum sich die Mühe machen und hingehen? Weshalb überhaupt das Ganze? Der Sinn, den das Ritual auf einer frühen Stufe der sozialen Entwicklung besessen hatte, wurde im kollektiven Gedächtnis um so schneller vergessen, je dynamischer sich die Gesellschaft der mittleren Republik ausdifferenzierte. Was die Menschen nicht mehr verstehen, verliert an Bedeutung für sie. Der bloße Alterswert reicht nicht. Wenn man nicht weiß, was man feiert, droht die Gefahr, daß man überhaupt nicht mehr feiert. Diesen verlorenen Sinn versuchten die aitiologischen Mythen neu zu stiften: Obskure Verrichtungen wurden einer breiten Öffentlichkeit wieder eingängig gemacht, gleichzeitig wurden Defizite im Vergnügungswert durch die 27
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Zu den öffentlichen Mählern zuletzt Vössing 2004, 189-192, 234-236, und Donahue 2004, 59-63; zum Triumph Flaig 2003, 32-48 und Itgenshorst 2005, passim, bes. 189-218; zum Leichenbegängnis Walter 2004, 89-108 und Flower 1996, 91-158; zu den Gladiatorenkämpfen Ville 1981, 42-46, 57-88. Zum Ritual Ulf 1982, 29-78; Wiseman 1995b, 80-84; zur Popularität bis ins 5. Jahrhundert n.Chr. Wiseman 1995a, 14-17; McLynn 2008. Vgl. hierzu auch, aus der Sicht eines Neuzeithistorikers, die Bemerkungen von Deile 2004, 8f.: „Ein Fest ohne Anlass ist nicht denkbar. Feste sind immer auf eine bestimmte Bedeutungsebene hin ausgerichtet. [...] Auch wenn Feste nicht mehr notwendigerweise die Einheit der Menschen mit den Göttern thematisieren müssen, tragen sie doch immer noch diesen transzendenten Charakter und sind auf Bedeutungen ausgerichtet, die auch über den Tag und kurze Affekte hinaus Bestand haben. In diesem Sinne versichern sich Menschen im Fest der Bedeutsamkeit ihres Lebens."
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Einbettung der Rituale in die kollektive Identität der res publica ausgeglichen. Den Rahmen bildete immer die ruhmreiche römische Geschichte, die bruchlos in die Gegenwart fortdauerte, das aber nur, wenn das Ritual auch von den jetzt Lebenden aufgenommen und weitergegeben wurde. So fühlte sich der einzelne Namensrufer während der Poplifugia nicht nur als Mitglied einer mehr oder minder zusammengewürfelten Gruppe, sondern als Teil eines Kontinuums, das von den Anfängen Roms bis in alle Zukunft reichte, und das auch deswegen, weil er, der einzelne, seinen Beitrag leistete. Hier wird ein großer Vorzug der traditionellen Rituale gegenüber den meisten anderen Festen deutlich: Bei diesen konnte man nur zuschauen — in Circus und Theater waren die Handelnden sogar infam - , bei jenen aber besaß der einzelne Teilnehmer eine sehr viel bessere Chance, selber zu agieren. Mitmachen verbindet mehr als bloßes Zuschauen. Man empfindet stärkere Affinität sowohl zu den übrigen Beteiligten als auch zum Ritual. Und war letztlich nicht schon die junge Frau, die von den Streichen der laufenden Ljtperä 32
getroffen wurde, mehr Akteurin als Zuschauerin? All das setzt freilich voraus, daß man teilnehmen wollte, und diese Voraussetzung schufen eben die Mythen. Ob sekundär oder nicht, spielt hier keine Rolle. Trifft diese Interpretation zu, dann können diese Geschichten nicht lediglich unter ein paar Antiquaren kursierende Elaborate gewesen sein, auch nicht gelehrte Kabinettstücke für die Elite. Meiner Meinung nach haben sie eine sehr viel breitere Öffentlichkeit beeinflußt oder, um etwas vorsichtiger zu sein: Sie haben sich an eine sehr viel breitere Öffentlichkeit gewandt. 4. Mythen für das Volk Um diese These umfassend zu belegen, wäre dreierlei zu untersuchen: die Gründe für das Interesse der Autoren, einen weiteren Kreis zu beeinflussen; die Art und Weise, in der sie dies versuchten; die Wirkung der Aitiologien auf die 30
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Allgemein zum Zusammenhang zwischen Mythos und Ritual Burkert 1979, 57: „The defect of ritual, in a human society, is the apparent nonsense inherent in its redirection of activity, the 'as-if [sc. symbolic] dement; here a tale may supply a plausible context and fill the vacant places." Etwas spezieller Beard 1987, 3: „ritual actions and the narratives which purport to explain those actions together form Roman religious experience and together construct Roman religious meanings." Beard 1987, 7-10 hat gezeigt, in welchem Maße das Zusammenspiel der über das Kalenderjahr verteilten Feste, mitsamt den Aitia aus unterschiedlichen Epochen römischer Vergangenheit, Identität stiftete („Romanness"). Ov. fast. 2,425-428; 2,445-448; luv. 2,142; Plut. Rom. 21,7; Caes. 61,2f. Vgl. Ulf 1982, 72-78; Wiseman 1995a, 14.
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Angesprochenen. Dieser Aufsatz konzentriert sich auf die letzten beiden Punkte, wenn auch in exemplarischer Weise. Der zweite würde zudem eine Einbettung der Analyse individueller Arbeitstechniken in die Bedingungen republikanischer Literaturrezeption erfordern. Da für eine schriftliche Vermitdung an breite Schichten die Voraussetzungen fehlten, wäre vor allem eine Analyse der Formen mündlicher Verbreitung notwendig. In diesem Rahmen kann das nicht geleistet werden. Mein Augenmerk gilt hier nur der Frage, wie ein Aition gestaltet sein mußte, um seine Akzeptanzchancen bei der Bevölkerung zu erhöhen. Was den ersten Punkt betrifft, das Interesse der Schriftsteller, soll hier, statt der erforderlichen Detailanalyse, eine Skizze genügen: Die meisten Römer, die sich in den letzten beiden vorchristlichen Jahrhunderten historisch und antiquarisch betätigten, gehörten der senatorischen Oberschicht an. Für diese war das Agieren in und der Applaus der Öffentlichkeit selbstverständlich, ja er war das politische Lebenselixier, da man nur durch Erfolg in den Volkswahlen aufsteigen konnte. Die politische Kultur Roms war eine öffentliche. Warum sollten Grandseigneurs der Kurie bei ihrer literarischen Beschäftigung dann plötzlich mit Resonanz innerhalb ihrer kleinen Peergroup zufrieden sein? Ihre Literatur hatte mit der res publica genauso zu tun wie ihr Engagement auf dem Forum. 33
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Um die Alphabetisierungsrate unterhalb der Oberschicht war es vielleicht etwas besser besteUt, als Harris 1989, 157-174, 193-196, 222-229, 231 f., 259-267 glaubt: Man vergleiche nur die Beiträge in Beard 1991 und die nuancierten Bemerkungen von Eich 2000, 75-91 zur Verbreitung von Büchern und Texten. Aber grundsätzlich scheint mir Harris' Pessimismus nach wie vor gerechtfertigt. Öffentliche Rezitationen - Ennius auf dem Forum oder im Theater (Suet. gramm. 2,3f.; Gell. 16,10,1; 18,5,2)! - und die Tätigkeit von ärculatores, Straßenkünstlern, die bei Gelegenheit auch Literatur vortrugen, sind wohlbezeugt, aber meist für Werke der Dichtung. Wie auch Prosastücke - in diesem Fall eine Preisrede auf einen Verstorbenen - mündlich verbreitet werden konnten, erklärt anschaulich Plin. epist. 4,7,2; 6. Dion Chrys. 20,10 berichtet von einem offenbar typischen Straßenbild in einer (zugegeben griechischen) Stadt der frühen Kaiserzeit, in der neben Flötenspielern, Tänzern, Gauklern, Gedichtrezitatoren und Sängern zu sehen ist: TOV 5e ioxopiav rtvd ^ uv0ov 5i^yovuevov. Weitere Stellen zur Geschichtsschreibung: Suet. Aug. 89,3; Suet. Claud. 41,1 f.; Sen. dial. 5,23,6; Plin. epist. 1,13,3; 7,17,3; 9,27. Vgl. insbesondere Horsfall 2003, 55-57, 61; ferner Scobie 1983, 11-16; Wiseman 1981, 383-387; Wiseman 1994a, 33f.; Booth 1980; Rawson 1985, 48-53. Zur Ausrichtung römischer Literaturwerke auf den mündlichen Vortrag vgl. die Beiträge in VogtSpira 1990 (mit der Rezension von Horsfall 1993), sowie Schmidt 1993 und Ehlers 2001, 20-23, 31-40; weitere Literatur bei Suerbaum 2002, 15-18. Beispiele aus anderen Kulturen, etwa Island und Irland, über die wir besser unterrichtet sind, zeigen, daß der Übergang von Schriftlichkeit zur Mündlichkeit keineswegs einen Ausnahmefall der Tradierung von Literatur darstellt. Vgl. dazu die Beiträge in Tristram 1996.
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N u r daß die eine die Vergangenheit, das andere die Gegenwart betraf. Schriftstellerei ersetzen,
vermochte
politische
Aktivität
natürlich
nicht
gleichwertig
zu
aber für einen Senator war sie eben auch kein otium im Sinne unseres
m o d e r n e n Freizeitbegriffs. I n einer E p o c h e , in der m a n überall Zeichen des inneren Niedergangs zu entdecken glaubte (was nicht ganz unberechtigt war), kam es n u n besonders darauf an, der G e g e n w a r t die Vergangenheit nahezubringen.
Diese Sorge löste den B o o m der historischen Schriftstellerei erst so
richtig aus. V o n hier war es nicht m e h r weit z u m Sendungsbewußtsein eines Varro, der meinte, mit seinem W e r k m e h r für den Erhalt der traditionellen Religion getan zu h a b e n als Aeneas mit der Rettung der Penaten aus d e m untergehenden Troia.
Dies ist zwar eine sehr prononcierte Äußerung, u n d
Varro stellt auch nicht gerade den römischen Durchschnittsantiquar dar, aber der Wille, etwas für die res publica zu tun, u n d der Glaube, die Gemeinschaft z u m moralisch Besseren zu beeinflussen, w o h n t e dieser Art der Schriftstellerei v o n Anfang an inne.
5. D i e Poplifugia
dreimal erklärt
D e r W u n s c h war da. Wie stand es n u n mit der Wirkung? D a ß die Poplifugia an die Gemeinschaft im ganzen appellierten, machte schon der N a m e deutlich: die
Schon deshalb, weil Literatur in Rom nicht sonderlich geeignet war, unmittelbar auf den politischen Diskurs einzuwirken. Zu diesem wichtigen Punkt Eich 2000, bes. 143-154. S. nur Cato orig. frg. 1,2 Chassignet (= 2 Peter): clarorum hominum atque magnorum non minus oüi quam negotii rationem exstare oportere (mit dem Kommentar von FRH I 2 156); s. auch Asell. hist. frg. 2 Chassignet (= 2 Peter) mit FRH II 88f. Zur sozialen Herkunft von Historikern und Antiquaren Rawson 1985, 91-93; Wiseman 1981, 379-383. Zum Impetus des antiquarischen Sammeins Moatti 1997, 106-115; Walt 1997, 169-180; Sehlmeyer 2003, 165-171. ,Antiquar' verstehe ich hier im weitesten Sinne, als Bezeichnung von Schriftstellern, die sich mit antiquarischen Fragen beschäftigten - gegebenenfalls auch von Historikern, Juristen und Grammatikern —, also nicht beschränkt auf Vertreter einer eigenen antiquarischen Literaturgattung, die sich frühestens Ende des 2. Jahrhunderts v.Chr. ausbildete (zur Problematik auch Suerbaum 2002, 535). Varro ant. frg. 2a Cardauns: se timere ne [sc. dei\ pereant, non incursu hostili, sed avium neglegentia, de qua z/los velut ruina Itberari a se diät et in memoria bonorum per eius modi libros recondi atque servari utiliore cura, quam Metellus de incendio sacra Vestalia et Aeneas de Troiano exädiopenates liberassepraedicatur. Zur Stelle Graf 1992, 25: „das ist ein Programm zum öffentlichen Wirken auch für den Antiquar, der sein Unternehmen einbettet in dasjenige der augusteischen Restauration". Vgl. auch Romano 2003, 99-108; Peglau 2003, passim, bes. 137f.
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Flucht des populus. Römer auf der Flucht passen freilich schlecht zur permanenten Sieghaftigkeit der res publica. Die Aitiologien mußten in diesem Fall also erhöhten Erklärungsaufwand betreiben. Die simpelste Möglichkeit, eine Flucht vergessen zu machen, ist ein nachfolgender Sieg, und exakt dieses Aition der Poplifagia finden wir bei Calpurnius Piso, einem senatorischen Geschichtsschreiber des 2. Jahrhunderts v.Chr.: Die Etrusker hätten das Volk in die Flucht geschlagen, später aber habe ein Sieg das römische Schlachtenglück wiederhergestellt. Die Pophfugia sind damit historisch eingeordnet, die Flucht aufs schönste wiedergutgemacht. Freilich, Flucht bleibt Flucht, und hierin liegt das Problem der Pisonischen Erklärung. Der herausgehobenste Teil des ganzen Rituals, der Auszug aus der Stadt, ahmt eine aufgelöste Truppe auf dem Rückzug nach. Zwar wurde des Sieges laut Piso mit einem Opfer gedacht, aber das fand erst einen, wenn nicht sogar zwei Tage darauf statt, da erst dann auch der Sieg erfochten worden war. In der Zwischenzeit mußte man mit der rituellen Niederlage leben, was in irgendeiner Weise aufgefangen und verarbeitet hätte werden müssen. Davor aber schreckten die Römer stets zurück, die schwarzen Tage der Vergangenheit wurden lieber verdrängt. Der Verzicht auf rituelles Gedenken spiegelt nur das Verhalten der Römer angesichts tatsächlicher Niederlagen wider: Diese wurden schlicht nicht als solche akzeptiert, bis irgendwann doch der entscheidende Sieg gelang. Für die Überlebenden einer Katastrophe gab es in Rom keinen Platz mehr, wie die von Hannibal gefangenen Römer genauso erfahren mußten wie die Überreste der Legionen von Cannae. Es existierten nicht einmal staatliche Gedenkfeiern für die Gefallenen. Angesichts dieser Gemütslage vermag man sich nur schwer vorzustellen, daß Pisos Interpretation die Poplifagia zu einem Sammelpunkt der kollektiven Identitätsfindung werden ließ. Was sich auf dem Papier einfach und überzeugend las, konnte nur schwer in die rituelle Performanz umgesetzt werden.
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Der Plural meint nicht mehrere, separate Fluchten (so Palmer 1974, 10), sondern eine einzige mit „fuites multiples, desordonnees, dans la confusion": Dumezil 1986, 272. Abgesehen von der Ähnlichkeit in der Wortbildung, vermag ich keinen inneren Zusammenhang zwischen Pophfugia und Regifugium (24. Februar) zu erkennen (wie etwa Sabbatucci 1999, 283, 285; etwas anders von Ungern-Sternberg 1993, 105f.). Calp. hist. frg. 45 Chassignet (= frg. 43 Peter = FRH 7 F 45 Macr. Sat. 3,2,14). Varro ling. 6,18 kennt die Geschichte ebenfalls, nur daß bei ihm die Etrusker zu Ficukates ac Fidenates etfinitimi ahi werden - was kein direkter Widerspruch sein muß, s. nur Liv. 1,15,1 - und er eine Datierung gibt: bald nach dem Abzug der Gallier aus Rom. Den Sieg erwähnt Varro nicht, aber ihn interessieren hier nur die Poplifugia. Zum Fehlen rituellen Gedenkens Walter 2004, 205; zu tatsächlichen Niederlagen demnächst Kath 2003.
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Das Odium der Niederlage meidet eine zweite Deutung, die wir bei Plutarch und Dionysios von Halikarnaß finden. Sie interpretiert die Flucht nicht als militärisches Ereignis, sondern als einen Vorgang des zivilen Lebens, modern gesprochen: als Ereignis der Innenpolitik. Freilich geht es nicht um Bürgerzwist oder Ständekampf, der Hintergrund ist ein weit erhebenderer. Romulus bestellte das Volk zum Ziegensumpf auf das Marsfeld, und mitten in der Versammlung erhob sich ein gewaltiger Sturm, mit Donner, Blitz und Hagel, die Sonne verdunkelte sich, und das Volk floh in Verwirrung. Als der Himmel sich beruhigt hatte, kehrten die Menschen zurück, aber der König blieb verschwunden. Romulus war zu den Göttern entrückt worden. Diese Version hat mehrere Vorzüge: Eine Flucht vor dem Übernatürlichen ist keine Schande, der rituelle Auszug an den Poplifugia wird hier nicht zum Problem. Das Fest wird verknüpft mit der Gründungszeit und der Vergöttlichung des ersten Königs, es ist also besonders ehrwürdig. Und schließlich steht der Tag für sich, es müssen kein späterer Sieg und kein eher diffuses Opfer eingeführt werden, damit die Geschichte funktioniert. Nun gibt es aber einen Pferdefuß, freilich einen hochinteressanten: Nach einer bekannten Variante wurde Romulus keineswegs von seinem Vater in den Himmel erhoben, vielmehr rissen die Senatoren den zum Tyrannen mutierten Stadtgründer in Stücke. In der späten Republik war dieses negative Bild en vogue, und wenn ein Senator einen zu mächtig gewordenen einzelnen wie Pompeius als zweiten Romulus bezeichnete, war dies nicht schmeichelhaft gemeint, es stellte eine Drohung dar. Wendet man eine solche Lesart auf die Poplifugia an, kann keine Rede mehr sein von einer Integration der gesamten Bürgerschaft in die res publica. Das wäre zwar untypisch: Römische Aitiologien schufen keine Erinnerungsorte für einzelne gesellschaftliche Gruppen - wie das etwa in der Frühen Neuzeit durchaus der Fall war, man denke an die Zunftfeste —, Teilidentitäten, etwa für die Plebs, wurden eher als Bedrohung denn als Bereicherung des kollektiven Erinnerungshaushalts empfunden. Doch es lohnt, das Szenario kurz zu skizzieren: Die Memorierung einer derartigen senatorischen Bluttat spaltete die Gemeinde. Sie stellte einen Versuch dar,
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Plut. Rom. 27,3f; 6-8; 29,3; Plut. Num. 2,1 f.; Plut. Cam. 33,9f.; Dion. Hai. ant. 2,56,2; 5f. S. ferner Plut. fort. Rom. 320c. Plut. Pomp. 25,9; Sali. hist. frg. 1,55,5 Maurenbrecher (= or. Lep. 5); in Tüll. 7. Zur Romulusgestalt in der späten Republik vgl. etwa Alföldi 1971, 14-36; Martin 1994, 282-296. Vgl. dazu jüngst, mit weiterer Literatur, Schmidt 2005, passim, insbesondere 78-86 zu Ursprungserzählungen. Man denke nur an den Gedächtnisort Aventin: Die mit ihm verbundenen Traditionen betonten den Konflikt im Gemeinwesen. Vgl. Walter 2004, 183-188.
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rituelle Deutungshoheit über die Vergangenheit zu erlangen, im Sinne einer polarisierenden Sinnstiftung, die ihre Kraft nicht aus einer positiven Identifikation mit der Gemeinschaft, sondern aus einem innenpolitischen Feindbild zog. Denkbar sind zwei Spielarten: eine optimatische, zur Einschärfung der Hüterfunktion des Senats angesichts monarchischer Bestrebungen, und eine populäre, zur Aufrüttelung des in seiner Freiheit bedrohten Volkes, das unter der Knute der wenigen litt. Erstere paßt eher zur sonstigen Instrumentalisierung des Romulus, letztere mehr zum gedrängten Auszug an den Poplifugia. Aber mit welcher Stoßrichtung auch immer — eine derartige Usurpation der Poplifugia hätte ungleich weitreichendere Folgen für den Zusammenhalt der res publica gehabt als jedes politische Pamphlet, da das festliche Ritual ungleich eindrücklicher, emotionaler wirkt und viel mehr Menschen erreicht als der bloße Buchstabe. Doch ist Vorsicht geboten. Keine einzige Quelle spricht ausdrücklich von einer senatorischen Bluttat am Ziegensumpf. Bei Plutarch erschlagen die Senatoren den König im Heiligtum des Vulcan, dann zerstückeln sie den Leichnam und schaffen die Teile versteckt in ihrer Toga davon, damit niemand etwas bemerkt. Denn das Volk ist nicht anwesend und muß daher auch nicht fliehen. Dann erzählt Plutarch die (ausdrücklich als solche gekennzeichnete) Variante von Romulus' Entrückung, es folgen die Vorwürfe einiger, die den Senat des Mordes bezichtigen, bis der Verdacht durch lulius Proculus zerstreut wird, der auf dem Forum von der ihm zuteil gewordenen Epiphanie des vergöttlichten Romulus erzählt. Zwar sind die Verdächtigungen nicht aus der Luft gegriffen: Während das Volk auseinanderläuft, drängen sich die Mächtigen zusammen, und allzu schnell wiegeln sie das spätere Wundern und Fragen ab. Das macht 45
Plut. Rom. 27,6-28,3; Plut. Num. 2,1-4 (knapper). Der Mord findet ev x<S !ep© toi) 'ttyaCaiOD statt. Meint Plutarch damit das Volcanal auf dem Forum oder den Vulcantempel auf dem Marsfeld? Die Wendung findet sich bei Plutarch noch zweimal in Verbindung mit Romulus: Plut. qu. R. 276b erbaut dieser einen Vulcantempel außerhalb der Stadt, vielleicht in der Absicht, dort ungestört die Senatoren zu versammeln, und Plut. Rom. 24,5 stellt er im Vulcanheiligtum ein erbeutetes bronzenes Viergespann auf, mitsamt einer Statue seiner selbst. Die zweite Passage ist ambivalent - die Parallelstelle Dion. Hai. ant. 2,54,2 ist nicht präziser -, die erste aber eindeutig. Das spricht dafür, daß Plutarch auch in der dntten den Tempel außerhalb meint, nicht das Volcanal, einen bloßen Altar ohne Tempel. Ohnehin kann man sich eine heimliche Ermordung leichter in einem geschlossenen Gebäude vorstellen als unter freiem Himmel, im Herzen der Stadt. Andererseits bezieht Plut. Publ. 16,9 die gleiche Wendung auf das Volcanal (gesichert durch Dion. Hai. ant. 5,25,2, Liv. 2,10,12 und Gell. 4,5,1), und Fest. p. 184 Lindsay bezeichnet den Lapis mger, beim Volcanal, als einen für Romulus' Tod bestimmten Ort. Aber vielleicht heißt das nur, daß tatsächlich Romulus nicht dort starb - das Folgende ist wegen zahlreicher Lücken leider unklar. (Auf keinen Fall läßt sich allein aus einer
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den Ziegensumpf aber noch nicht zum Ort eines Verbrechens. Das auffallige Verhalten der Senatoren scheint eher Plutarchs Bemühen geschuldet, das Mißtrauen erzählerisch plausibel zu machen. Das ist unbedingt nötig, denn auf eine Apotheose können eigentlich keine Mordvorwürfe folgen. Ein irdisches Kapitalverbrechen paßt nicht zu übernatürlichen Himmelsphänomenen. So deutet Plutarch nicht im geringsten an, daß der Verdacht gerechtfertigt sein könnte, und schon bald wird er durch Proculus' Erzählung auch im Volk entkräftet. Die Epiphanie folgt der Apotheose, wie die Anschuldigungen gegen den Senat zur Ermordung im Heiligtum gehören. Mord und Verdacht sowie Vergöttlichung und Erscheinung bilden ursprünglich unabhängige Traditionslinien, die in unserer Überlieferung notdürftig verbunden werden: nicht durch einen Vorfall am Ziegensumpf (oder gar eine Flucht des Volkes), sondern allein durch Proculus. Die lateinischen Quellen geben die Ereignisse ähnlich wie Plutarch wieder, sie bemühen sich aber weniger um narrative Wahrscheinlichkeit. Das Ergebnis: Der Verdacht gegen den Senat wirkt bei ihnen deplaziert.
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Kombination von Festus und der in Frage stehenden Passage im Komulus eine Identität von Volcanal und Lapis niger erschließen, wie Coarelli 1983, 167f. will.) Robertson 1987, 11 verweist auf Dionysios' Vulcanheiligtum beim Forum, das Romulus für Zusammenkünfte bestimmt (ant. 2,50,2), aber die
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Es bleibt Dionysios. Er kennt als einziger einen Mord am Ziegensumpf und setzt ihn in unmittelbaren Zusammenhang mit den Poplifugia. Aber die Tat verüben einige Neubürger, die sich von Romulus zurückgesetzt fühlen. Das klingt nach einer Rationalisierung der Apotheose - die Mörder nutzen den Regen, die Finsternis und die allgemeine Verwirrung aus - , und es kann sein, daß erst Dionysios diese entgöttlichte Geschichte mit den Poplifugia verbunden hat. Doch wie es um die Genese auch bestellt sein mag: Diese Version nimmt dem Aition die angesprochene politische Relevanz. Und die senatorische Variante, die Dionysios ebenfalls kennt, spielt auch bei ihm ohne das Volk, lokalisiert wieder in der Stadt, in der Kurie. Wahrscheinlich entspringt Dionysios' Melange wie bei Plutarch eher dem Bemühen, alle Versionen des Verschwindens von Romulus in sein Werk zu integrieren, als einem raffinierten Manöver der spätrepublikanischen Tagespolitik. Die Poplifugia haben mit Romulus' Ermordung nichts zu tun. Nachdem ich diese Variante in die Literatur verbannt habe, fallt kein Schatten mehr auf die Romulus-in-den-Himmel-entrückt-Geschichte. Trotzdem existiert noch eine weitere, eine dritte Deutung der Poplifugia. Sie lehnt sich an die erste Aitiologie von Flucht und Niederlage an, ist vielleicht sogar aus ihr hervorgegangen. Aber sie ist keine bloße Variation, denn diese letzte Interpre-
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Himmelsphänomene den Vertuschungsversuchen, es folgen Unruhe im Volk und der Proculusbericht); [Plut] parall. min. 313cd (wie Cassius Dio, aber keine Himmelsphänomene); Val. Max. 5,3,1 (nur Zerstückelung in der Kurie); App. civ. 2,476f. (nur Ermordung im Senat); lakonisch Pol Silv. Fast. Febr. 17 (!): Romulus, occisus a suis [...]. Robertson 1987, 11-13 mit Anm. 6 lokalisiert ohne Rücksicht auf die erzählerischen Zusammenhänge. Dion. Hai. ant. 2,56,1; 3-6; 2,63,3f. Zu Genese und Überlieferung der beiden Traditionsstränge von Romulus' Tod vgl. von Ungern-Sternberg 1993, 102-104, 107f., und Bremmer 1987c, 45-47, der freilich den Senatsmord als mögliches Aition der Poplifugia nicht ausschließt, trotz seiner berechtigten Kritik an der weitergehenden These von Burkert 1962, 365-371. Die Entstehung der Mordversion setzt er zu Anfang des 1. Jahrhunderts an, was gut zu deren Bezeugung in den letzten Jahrzehnten der Republik passen würde. Rosenberg 1914, 1097f. und Walt 1997, 308-312 vermuten sogar Licinius Macer als Urheber. Dagegen spricht aber: Wenn Proculus tatsächlich bei Ennius vorkommt (so zuletzt Skutsch 1985, 260f., dagegen aber die starken Argumente von Koch 1953, 18-25 und Jocelyn 1989, 42-46), dann gilt dies auch für die Mordvorwürfe im Volk. Denn in allen erhaltenen Versionen besteht die Funktion des Proculusbenchts darin, diese Vorwürfe zu entkräften (so auch Walt 1997, 163, aber mit anderen Folgerungen). Ohne Zweifel an der Apotheose fehlt das Motiv für die Einführung des Proculus. Ist das richtig, dann kennt schon Ennius die Mordversion; politische Relevanz gewinnt sie erst viel später. In der Forschung wird das, soweit ich sehe, fast einhellig angenommen: etwa Otto 1905, 186f.; Weinstock 1936, 857f.; Koch 1937, 94, 115; Kraus 1953, 75; Forsythe
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tation ist ungleich komplexer, und das Ritual wird an entscheidenden Stellen anders erklärt: Nach der Gallierkatastrophe war Rom geschwächt, und dies suchten die umwohnenden Latiner unter Führung des Livius Postumius auszunutzen. Sie zogen vor die Stadt und verlangten, daß man ihnen Frauen übergebe, Jungfrauen wie Unvermählte, um die gegenseitige Verwandtschaft durch neue Heiratsbündnisse enger zu gestalten. Die Römer sahen darin eher eine Forderung nach Geiseln, aber guter Rat war teuer, da sie den Latinern militärisch nichts entgegenzusetzen hatten. In dieser Situation hatte eine Sklavin, Philotis oder Tutola mit Namen, die rettende Idee: Die Römer mögen sie selber und andere (hübsche) Sklavinnen, gekleidet als freie Frauen, den Feinden ausliefern. Dieser Plan wurde durchgeführt, die Latiner merkten nichts, und Postumius verteilte im Feldlager die Frauen auf seine Leute. Der vornehme Plutarch verschweigt weitere Details, andere Quellen sind weniger diskret, und so erfahren wir, daß die Männer nach ausgiebigem Sex und Weingenuß in tiefen Schlummer fielen. Philotis kletterte nun auf einen Feigenbaum und hielt eine Fackel hoch, Richtung Rom; rückwärts aufgespannte Decken verhinderten, daß die Wachen der Latiner das Licht bemerkten. Auf dieses verabredete Zeichen hin erfolgte der nächtliche Angriff. Da die römischen Soldaten, offenbar aus Gründen der Geheimhaltung, nichts von diesem Teil des Plans wußten, waren sie überrascht, brachen in Eile und Tumult auf und konnten nur mit gegenseitiger namentlicher Anrufung halbwegs Ordnung herstellen. Die zumeist im Schlaf überrumpelten Latiner wurden natürlich besiegt, die Schmach war abgewendet. Der Senat schenkte den Sklavinnen für ihre mutige Tat die Freiheit, stattete sie mit einer Mitgift aus und erlaubte ihnen, die Kleidung, die sie zur Täuschung angezogen hatten, auch in Zukunft zu tragen. Zur Erinnerung wurde der Tag des Sieges in Zukunft als Fest begangen, als Nonae Caprotinae. Das Ganze hatte sich nämlich an den Nonen ereignet, dem siebten des Monats, und der wilde Feigenbaum heißt im Lateinischen caprificus, daher Caprotinae.
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1994, 322, 329; knapp, aber differenzierter von Ungern-Sternberg 1993, 221 Anm. 112. Robertson 1987, 9f., 13-18 sieht zwar die Unterschiede, zieht aber keine Konsequenzen. Der Tausendsassa dieser Epoche, M. Funus Camillus, bleibt in dieser Episode ausgeblendet. Er besiegt die Latiner in einer (von Plutarch eigens als solcher ausgewiesenen) konkurrierenden Version, in der die Nonae Caprotinae keine Rolle spielen (Plut. Cam. 33,1 f.; 34,1-35,5). Trotzdem ist es interessant, daß die aitiologischen Mythen ausgerechnet in den beiden Anfangszeiten - Stadtgründung durch Romulus und Wiederaufbau nach dem Gallierangriff - spielen. Zu diesem Punkt von Ungern-Sternberg 2000, 220f. Plut. Rom. 29,4-9; Plut. Cam. 33,3-8; Macr. Sat. 1,11,37-40; Polyain. 8,30; Pol. Silv. Fast. Iul. 7; [Plut.] parall. min. 313a; Ov. ars 2,257f. Die Wiedergabe im Text folgt
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Diese Geschichte ist zweifellos die phantasievollste, und deshalb wirkt sie auf den modernen Hörer wenig überzeugend. Ein sekundärer Mythos, wie man ihn sich kaum schlimmer vorstellen kann. Ganz abgesehen von den bunten Details, scheint die Erzählung unglaubwürdig konstruiert. Oder soll man wirklich glauben, daß eine Sklavin Gelegenheit erhielt, den Führern der res publica ihre Ideen zu unterbreiten? In der Überlieferung nimmt der Philotis-Mythos freilich erheblich breiteren Raum ein als die ersten beiden Fassungen, Plutarch und Polyainos kennen ihn ebenso wie Macrobius und Ovid. Aber das kann lediglich den burlesken Motiven geschuldet sein; daraus läßt sich noch nicht auf eine hohe Akzeptanz bei Teilnehmern und Zuschauern des Rituals schließen. Allerdings gibt es durchaus Aspekte der Philotis-Erzählung, die sie auch für die Performanz attraktiv machten. Die Hauptschwäche der ersten Version, Flucht und Niederlage, ist wiederum vermieden. Sicher hatte niemand ein Problem damit, an einer Prozession teilzunehmen, die an einen nächtlichen Überraschungsangriff erinnerte. Übrigens ist dieses Aition das einzige, das die Richtung des Zuges berücksichtigt, von der Stadt aufs Marsfeld. Die Bewegungen der ersten beiden Versionen gehen dagegen umgekehrt vom Marsfeld aus, Richtung Rom. Doch nur weil die Philotis-Geschichte in diesem Punkt näher am Ritual liegt, verleiht ihr das noch nicht unbedingt höhere Glaubwürdigkeit. Aitiologische Mythen erzählen das Ritual nicht sklavisch nach oder, aus römischer Perspektive betrachtet, die Teilnehmer müssen das Gründungsgeschehen nicht eins zu eins nachvollziehen. Es genügt völlig, wenn einige oder auch nur ein charakteristisches Merkmal erkennbar wiederaufgenommen werden. Auf die Richtung des Zuges kommt dabei wenig an. Dafür berücksichtigt die Philotis-Geschichte gleich zwei Feste, die Poplifugia und die Nonae Caproünae. Das Ritual unter dem Feigenbaum und die Rolle der Sklavinnen werden hinreichend erklärt. Überhaupt wirkt die ganze Geschichte vom Caprotinenfest her konstruiert. Das nächtliche Tohuwabohu beim römischen Auszug, das einzige Aition für die Poplifugia, ist im Grunde ein über-
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Plutarch und Macrobius (zu Unterschieden zwischen Plutarchs beiden Versionen Bühler 1962, 272, 274-277). Der Kern ist in allen Quellen der gleiche, die Differenzen sind übersichtlich: Bei Macrobius, Silvius und wohl auch bei Ps.Plutarch werden auch oder sogar ausschließlich verheiratete Frauen gefordert, bei letzterem und bei Ovid sind die Angreifer Gallier, und Ps .-Plutarch allein nennt den feindlichen Anfuhrer Atepomaros und die Sklavin Rhetana (die neben dem Feigenbaum gleich noch die Stadtmauer erklimmen muß, zum Ausgleich freilich keine Fackel mehr benötigt). Zu den Namen vgl. auch Bremmer 1987b, 83f. Robertson 1987, passim, bes. 9, 17-19, 21 f., 28-30, 35, 38, 40, sieht das nicht und versucht das Ritual von den Legenden her zu rekonstruieren. Seine Ergebnisse sind mit äußerster Vorsicht aufzunehmen.
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flüssiges Detail. Es könnte wegfallen, und die Geschichte würde immer noch funktionieren. Für den Interpreten der Feste aber wird es hier richtig interessant. Einen Grund für die Einbeziehung der Poplifugia muß es ja gegeben haben. Wenn keine narrative Notwendigkeit vorliegt, bleibt nur, ihn in der rituellen Performanz zu suchen.
6. Ritual und Erzählung Poplifugia und Nonae Caprotinae wurden am 5. und 7. Juli gefeiert, also in engem zeitlichem Zusammenhang. Die Opfer beider Feste fanden auf dem Marsfeld statt, offenbar in unmittelbarer Nähe zueinander. Der Zug der Poplifugia endete irgendwo an der palus caprae, dem Ziegensumpf, einem ausgedehnten morastigen Areal. Der Feigenbaum, das wichtigste Requisit der PhilotisGeschichte, existierte tatsächlich; er ist noch für die Zeit Mark Aureis bezeugt. Dort fanden sich die freien Frauen und die Sklavinnen ein. Der wilde Feigenbaum, die caprificus, von der die Nonae Caprotinae ihren Namen haben sollen, ist für die Römer, wörtKch übersetzt, ein Ziegenfeigenbaum. Caprificus und palus capraer. Der Ziegenfeigenbaum paßt wunderbar zum Ziegensumpf. Es besteht also eine enge zeitliche, örtliche und sprachliche Nähe zwischen beiden Festen. Wegen dieser Ähnlichkeiten hat man in der Forschung immer wieder einen ursprünglichen Zusammenhang vermutet. Das mag sein oder auch nicht sein, wir wissen es nicht. Mich interessiert hier nur, daß den Römern späterer Zeiten dieser Konnex ebenfalls ins Auge gesprungen sein muß. Die Philotis-Geschichte erklärt beide Feste, und daraus gewinnt sie ihre Plausibili-
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HA Aur. 13,6. Zu exakteren Lokalisierungsversuchen vgl. Coarelli 1993 und 1996 sowie Coarelli 1997,16-20 (mit Karte). Otto 1905, 189; Weinstock 1936, 858f.; Dumezil 1986, 272, 283; Coarelli 1997, 21 f. Gelegentlich wird sogar behauptet, die Pophfugta und Nonae Caprotinae seien nicht an separaten Tagen gefeiert worden, sondern hätten ein einheitliches Fest gebildet: Schwegler 1853, 532-534 mit Anm. 6; Robertson 1987, 18-20; Rüpke 1995, 556-561. Dagegen ausführlich Pfeilschifter 2008. Dem widerspricht nicht, daß Plutarch die Etymologien auseinanderhält: Entweder verdanken die Nonae Caprotinae ihren Namen der palus caprae (Rom. 29,2; Cam. 33,10) oder der caprificus (Rom. 29,9; Cam. 33,8). Für ihn schließen sich Romulusversion und Philotisgeschichte nämlich aus, nur ein Aition kann das richtige sein (Rom. 29,11). Aber eine Richtige' Interpretation kannte die römische Kultpraxis nicht (s.u.). Moderne etymologische Herleitungen: Weinstock 1936, 849f.; Lejeune 1967,198-202.
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tat. Die augenscheinliche Zusammengehörigkeit der Rituale findet ihr Äquivalent in der Einheitlichkeit ihrer Aitiologie. Ein zeitlicher Widerspruch, nämlich daß in der Geschichte Philotis' Klettern auf den Baum vor dem römischen Ausmarsch stattfindet, ja ursächlich für diesen ist, während der Aufbruch im Ritual zwei Tage vor dem Ziegenbaumfest kommemoriert wird, dieser Widerspruch stellte offenbar keine Schwierigkeit dar. Mythos und Fest mögen dasselbe Thema haben, aber sie befinden sich in unterschiedKchen Aggregatzuständen der historischen Erinnerung. Gleichzeitig wächst das Verständnis für Plutarch. Er berichtet von Poplifugia und Nonae Caprotinae in einem Atemzug und glaubt, daß beide an ein und demselben Tag stattfanden. Für die Vermischung beider Feste ist er öfters kritisiert worden, aber nun zeigt sich, daß er diese Konfusion schon in seinen Quellen vorfand und daß sie gar keine Konfusion war, wenigstens nicht im negativen Sinne. Daß Plutarch, der die Feste anscheinend nie besuchte, dann glaubte, sie fänden an einem einzigen Tag statt, ist ein verzeihlicher Irrtum. Was läßt sich aus den drei aitiologischen Mythen zu den Poplifugia lernen? Die Geschichten werden nicht alle zur selben Zeit entstanden sein; die Möglichkeit, daß die Philotis-Geschichte auf Pisos Erzählung von Flucht und späterem Sieg zurückgeht, habe ich bereits erwähnt. Vielleicht entsprechen die Aitia sogar verschiedenen Phasen in der Performanz des Festes. Auch römische Rituale wandelten sich und blieben nicht über Jahrzehnte und Jahrhunderte ohne Veränderung. Weitergehende Spekulationen auf diesem Feld verbietet freilich die schmale Quellenbasis. Doch schon die bloße Existenz dreier Geschichten nebeneinander ist interessant: Offenbar fand keine von ihnen genügend Akzeptanz, um die anderen aus der Überlieferung zu tilgen. Diese verlangsamte Traditionsbildung rührt natürlich daher, daß die Aitia nicht bloß
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Wo diese Nähe fehlte, konnte auch keine Verbindung hergestellt werden: Die Weihung des Tempels für Fortuna Muliebns wurde zwar am 6. Juli begangen, aber das Heiligtum befand sich an der Via Latina, südöstlich von Rom, während das Marsfeld im Nordwesten der Stadt lag. Zudem war der Kult auf einmal verheiratete Matronen, auf univirae, beschränkt, Sklavinnen spielten hier keine Rolle, und es fehlte das Element der Ausgelassenheit, das Poplifugia und Nonae Caprotinae wahrscheinlich gemeinsam war. So wurde im Aition zwar ebenfalls weibliche Tapferkeit im Krieg gerühmt - das berühmte Zusammentreffen Coriolans mit Mutter, Gattin und Frauen von Rom —, aber auf einer ganz anderen Ebene als in der Philotisgeschichte. Zur Fortuna Muhebris Dion. Hai. ant. 8,55,3-56,4; weitere Quellen bei Degrassi, Inscrlt XIII 2, p. 479, zum Heiligtum Egidi 2004. Anders Rüpke 1995, 561; Coarelli 1997,31. Etwa von Kraus 1953, 76. Für die Auswirkung dieser Vermischung auf moderne Datierungsversuche und für einen ähnlichen Irrtum bei Cicero vgl. Pfeilschifter 2008, 30f, 33f.
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mündlich tradiert wurden, sondern wahrscheinlich auf dem Papier geboren und auf diesem auch bewahrt wurden. Selbst die leblos wirkende Fluchtversion vermochte so zu überleben. Die Romulus- und die Philotis-Geschichte aber koexistierten vielleicht beide als gängige Deutungen des Rituals. Dadurch wurde ihre Wirkung nicht unbedingt beeinträchtigt. Römische Rituale verlangten, anders als später die christliche Religion, nicht nach eindeutigen und 57
einheitlichen Interpretationsmustern. Es kam nicht darauf an, ob die Geschichten im analytischen Sinne wahr waren, sondern ob sie glaubwürdig wirkten und Sinn vermittelten. Und wenn das gleich zwei Erzählungen taten — um so besser. 7. Die Nonae Caprotinae auf der Bühne Was wissen wir nun konkret von der Wirkung auf die Öffentlichkeit, von der Prägung und Verlebendigung des Rituals durch den Mythos? Die Quellen lassen uns an dieser Stelle leider im Stich. Sie sagen nichts über den Grad der öffentlichen Aufmerksamkeit, den die Poplifugia und die Nonae Caprotinae genossen. Die öfters zu lesende Ansicht, die Feste seien weitgehend vergessen worden, ist einem Dekadenzmodell der republikanischen Religion verpflichtet, verifizieren läßt sie sich nicht. Aber das gleiche gilt für die gegenteilige Möglichkeit. Über die vorhin geäußerten, allgemeinen Schlüsse kommt man nicht hinaus: Andere Feste moderneren Zuschnitts, vor allem die Lud, expandierten im Laufe des 2. Jahrhunderts v.Chr., und über ihre Popularität sind wir wohlunterrichtet. Da die den Bürgern zur Verfügung stehende Zeit nicht pro57 58
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Vgl. etwa Scheid 1992,122f. Zur Wahrheit von Mythen kurz und bündig Burkert 1979, 25: „Evidently the question of 'historical trutiV is absolutely irrelevant in such a tale; it is neither more nor less effective even if it is true". Beard 1987, 6f., lOf. sieht die Deutungsoffenheit von Festen, die zu immer neuen Erklärungen angesichts gewandelter gesellschaftlicher Bedingungen anregte, mit Recht als wesentlich für deren Fortbestand an: „the continued resonance of such festivals in Roman society dunng the historical penod depended on this wide dispersion of their meaning; on the festivals' capacity to be constandy reinterpreted and re-understood" (7). Gleich mehrere Interpretationsangebote erhöhten die Akzeptanzchancen in der differenzierten Gesellschaft der späten Republik. Vgl. auch Graf 1992, 21 f. Anders Rüpke 1995, 412. So Scullard 1981,159,163; Forsythe 1994, 325, 327. Vgl. nur Rüpke 1995, 411, 616f. Der Optimismus von Bremmer 1987b, 86 läßt sich durch das Vorkommen des Namens 'Capratinus/a' in der Kaiserzeit nicht untermauern (CIL I 761; II 585; 3300; 4154; IF 5,733; VI 975; 6061; 24443; 35354; 37685; XII 3631; XIII 5730).
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portional mitwuchs, müssen die alten Kalenderfeste darunter gelitten haben. Die Schaffung aitiologischer Mythen, die neuen Sinn zu stiften versuchten, sind ein wesentliches Zeichen dieser Krise. Gleichzeitig zeugen sie auch von wachem Interesse. Aber das sagt uns, um es noch einmal zu wiederholen, nichts über die Rezipienten, nur über die Angebotsseite, die aus wenigen, antiquarisch interessierten Literaten bestanden haben kann. Selbst ausführliche Schilderungen von Ritualen wären noch kein Beleg dafür, daß die dazugehörigen Feste wohlbesucht waren. Genausogut können sie von ein paar verlorenen Gestalten weitergeschleppt worden sein. Dieser Befund gilt nicht für alle Feste - man denke nur an die Luperkalien - , aber doch für eine beträchtliche Anzahl, nicht bloß für Poplifugia und Nonae Caprotinae. Aber es gibt einen Hinweis darauf, daß die Mythenforscher nicht allein für den Elfenbeinturm arbeiteten. Varro bemerkt in seinem Werk über die lateinische Sprache beiläufig, daß die Gründe für den Vollzug der Nonae Caprotinae-Riten dem Volk in einem Drama während der Ludi Apollinares erläutert wurden. Eingerichtet während des Zweiten Punischen Krieges, wurden die L&tdi Apollinares, ursprünglich ein Ein tagesfest am 13. Juli, schon bald verlängert, indem immer mehr vorhergehende Tage mit Theateraufführungen gefüllt wurden. Im Jahre 190 dauerten sie mindestens vom 11. bis zum 13., in der frühen Kaiserzeit schließlich vom 6. bis zum 13. Juli. Die Zwischenstufen der Erweiterung lassen sich nicht zeitlich fixieren, ebensowenig wie wir das Drama datieren können, von dem wir überdies weder Autor noch Titel kennen. Aber es muß an den Nonen selbst oder an einem der darauffolgenden Tage aufgeführt worden sein, eventuell sogar am Tag zuvor. Was den Inhalt betrifft, sollte man nicht so kühn sein wie Wiseman und gleich die gesamte Szenenfolge rekonstruieren. Aber es ist eine plausible Vermutung, daß auf der Bühne derjenige Stoff eine zentrale Rolle spielte, der uns als einziger aitiologischer Mythos über die Nonae Caprotinae bekannt ist: die Philotis-Geschichte. Es geht mir hier nicht um die zuletzt wieder ausgiebig diskutierte Frage, ob der römische Mythos zunächst mfabulaepraetextae gestaltet und von da in histo-
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Varro ling. 6,19: cur hoc, togatapraetexta data eis Apollmaribus ludis docuit populum. Zum Text und zur Gattung der togata praetexta Drossart 1974b; Wiseman 1998, 8-11 mit Anm. 63; Manuwald 2001, 66-71. 11. Juli: Liv. 37,4,4. Spätestens zur Zeit Ciceros hatten die Ludi den 7. Juli erreicht: Att. 16,1,1; 16,4,1. Zu den Eintragungen in den Kalendern Degrassi, Inscrlt XIII 2, p. 477f. Wiseman 2004,171 („imaginative reconstruction"), 173. So etwa schon Otto 1905,185 und Latte 1960,106 Anm. 2.
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rische, epische und lyrische Formate übertragen wurde. Wichtig ist nur, daß ein Versuch gemacht wurde, die Nonae Caprotinae einem breiteren Publikum nahezubringen, dem populus, wie Varro sagt. Es ist faszinierend, daß ausgerechnet die 'Ludi, die Aufmerksamkeit von den traditionellen Festen abzogen, dafür genutzt wurden. Die Ludi Apollinares überdeckten die Nonae Caprotinae, da sie bald nach den Nonen begannen oder vielleicht sogar schon an ihnen selbst gefeiert wurden. Bei dieser populären Veranstaltung wurde nun das modernste Medium genutzt, um auf die Festlichkeit alten Stils hinzuweisen. Niemand weiß, wie sehr die Nonae Caprotinae zu diesem Zeitpunkt von den Ludi Apollinares beeinträchtigt wurden. Mit Sicherheit wäre aber kein Stoff zur Aufführung gebracht worden, der keine Chance auf Erfolg bei einer größeren Zuschauerschaft besaß. Unter den Dramatikern waren um den Bestand traditioneller Feste besorgte Senatoren bei weitem nicht so prominent vertreten wie in der historischen und antiquarischen Schriftstellerei, und nichts erlaubt anzunehmen, daß ausgerechnet dieser Literat eine Ausnahme war. Allerdings 66
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Am entschiedensten bejaht hat sie Wiseman: 1994c, 82-85; 1994a, 35£; 1994b, 5, 1021; 1995b, 129-143; 1999; 2002a, 283-299; 2002b; 2004, 147£, 171, 173, 248; vor allem 1998, 1-74. Kritisch dazu zuletzt Flower 1995, 170, 173-175; Manuwald 2001, 91-94; Horsfall 2003, 96-98; Walter 2004, 78-82; Keaveney 2006. Einen Forschungsbericht gibt Wiseman 1998,1-8,12-15. Anwesend waren Männer, Frauen und Kinder, quer durch alle sozialen Schichten; auch Nichtbürger und Sklaven schauten zu (Belege bei Rawson 1991, 513-521). Über die Zuschauerzahl läßt sich nur spekulieren, zumal wir nicht wissen, ob das Drama öfters auf dem Spielplan stand oder ob es bei einer einmaligen Aufführung blieb. Zur Größe von Theaterauditorien zuletzt Heil 2003, 21-23 (mit Literatur). Ob auch die spärlichen Aitia der Ludi selbst auf die Bühne gebracht wurden - man könnte an die Ludi Florales (Ov. fast. 5,277-330) und natürlich an die Ludi Apollinares denken -, wissen wir nicht (s. aber oben Anm. 21). Nun gibt es drei Ludipublici Ceriales, Megalenses und Florales —, die erst später zu einem bereits bestehenden Kultfest hinzugefügt wurden. Es gibt (leider nicht besonders deutliche) Hinweise darauf, daß die Stiftung dieser Kulte bei den Ludi thematisiert wurde. Ov. fast. 4,326 spricht von einem Drama, das (wahrscheinlich!) an den Ludi Megalenses an die Einholung der Magna Mater erinnerte. Das Theaterstück über die Nonae Caprotinae ging insofern weiter, als es ein Fest aufgriff, das keinen inhaltlichen Bezug zu den Ludi hatte, nur einen zeitlichen. Gemein wäre beiden Inszenierungen aber „a representation of a cult story appropnate to the festal day": Litdewood 1981, 387. Vgl. auch Bremmer 1987a, 105f. Kragelund 2002, 17-24 hat auf den breiteren Kontext hingewiesen: Generell thematisierten fabulae praetextae Geschichten, die auch in Kultaitien eine Rolle spielten — etwa Accius' Brutus und das Regifugzum -, oder sie riefen, in ihrer zeitgenössischen Spielart, bei Votivspielen und Tempelweihen in Erinnerung, warum diese den Göttern gelobt worden waren - etwa Ennius' Ambracia. C. lulius Caesar Strabo (aed. cur. 90; zu ihm Stärk in Suerbaum 2002, 167f.) macht den Anfang einer kurzen Reihe, in der immerhin Caesar und die beiden Cicerones
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waren die Spielgeber, meist die Aedilen oder Praetoren, in jedem Fall Vertreter der Oberschicht. Wieweit diese sich nun im Detail um den Spielplan und um den Inhalt einzelner Stücke kümmerten, variierte sicher von Magistrat zu Magistrat. Angesichts des Genres kommt auf die exakte Kompetenzaufteilung letztlich aber nicht viel an. Poet und Ausrichter verband ein gemeinsames Ziel: Sie wollten Applaus hören. Mit der Entscheidung für das Caprotinenstück rechneten sie auf ein gewisses Grundinteresse, ein Interesse, das mit Wissen befriedigt werden mußte. Das Volk erfuhr bei der Aufführung der praetexta etwas Neues, wie Varro ausdrücklich bemerkt. Es wurde also nicht bloß Altbekanntes in dramatische Form gebracht. Informiert über die Ursprünge des Festes, mochten die Zuschauer sich angespornt fühlen, die Passivität ihrer Sitze zu verlassen und wieder einmal die Poplifugia und die Nonae Caprotinae zu besuchen, dieses oder nächstes Jahr. Ein solches Ergebnis dürfte Dichter und Veranstalter recht gewesen sein, auch wenn diesem Ziel sicher nicht ihr wesentliches Augenmerk gehört hatte. Historische Dramen waren zunächst einmal Unterhaltung, nicht offizielle Volkspädagogik. Aber die alten Feste zu begreifen war offensichtlich nicht nur ein Anliegen elitärer Zirkel. Alle Römer waren empfänglich für die Erfahrung der Gemeinschaft, die ihnen diese Rituale boten - wenn sie sie nur verstanden. In den letzten beiden Jahrhunderten der Republik drohte das Bedürfnis nach Teilnahme zu verkümmern, weil man anderswo immer besser unterhalten wurde; für die res publica, die auf einem breiten Konsens ihrer Bürger ruhte, war das eine bedrohliche Entwicklung. Die aitiologischen Schöpfungen der Epoche wirkten dem entgegen, und sie hatten wohl dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie den Hergang der rituellen Performanz angemessen widerspiegelten. Ihre Erklärungen hielten die alten Kalenderfeste attraktiv und leisteten so Wesentliches für die Aufrechterhaltung der rituellen Identitätsstiftung. Poplifugia, Nonae Caprotinae und die übrigen wurden in einem Maße in die römische Vergangenheit inkorporiert, das ihnen ursprünglich nicht zu eigen gewesen sein kann. Das
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stehen; viele dieser Werke dürften die Bühne freilich nicht gesehen haben. Einen Überblick gibt Cancik 1978, 325. Ter. Eun. 20: Menandn Eunuchum, postquam aediles emerunt, beweist kein persönliches Engagement, sondern lediglich, daß die Aedilen das notwendige Geld zur Verfügung gestellt haben; aber v. 22 scheint einer von ihnen das Stück bei einer Probe abzunehmen. Maßgeblichen inhaltlichen Einfluß nimmt Bernstein 1998, 237 an, s. aber dessen Anm. 48 und Gruen 1992,188-197. Zur Begeisterung des Volkes nicht nur für Komödien vgl. Horsfall 2003,13f., 58-63. Zur Publikumsorientierung des römischen Dramas knapp Lebek 2000, 62f. Ähnlich die Überlegungen Drossarts 1974b, 63f.
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veränderte die Feste.73 Die geschichtliche Dimension verlieh ihnen ein Distinktionskriterium, das konkurrierende Feierlichkeiten nicht besaßen. Man hat mit Recht darauf hingewiesen, daß bei den Wagenrennen die Zuschauer wohl weniger über Romulus als über das führende Pferd sprachen. Veranstaltungen solcher Art fehlte die Konzentration auf die res publica, welche jetzt die traditionellen Feste auszeichnete. Denen half die historische Erinnerung, sich zu behaupten, und umgekehrt stärkten sie selbst diese Erinnerung. Bei den Poplifugia sprach man über Romulus.
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Schön Beard 1987, 10: „as new stories take over from old, so the 'meaning' of the ritual changes". Rüpke 1995, 411 (ohne Unterscheidung zwischen den verschiedenen Arten von Festen).
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Festkalender der frühen Kaiserzeit als Medien der Erinnerung RalfBehrwald
1. Eine neue Epoche wird propagiert Mit Octavians Rückkehr als Sieger der Bürgerkriege begann im Jahr 29 v.Chr. auch für Roms Festkalender eine neue Epoche. Die zahlreichen Ehrungen des Princeps schlugen sich in einer rasch anwachsenden Zahl jährlich zu begehender Feste nieder. Damit war ein Bereich des öffentlichen Lebens betroffen, der bereits mit der Kalenderreform Caesars 46 v.Chr. in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt und in antiquarischen Werken kommentiert worden war: Eines von ihnen, Varros Anüquitates rerum divinarum^ war Octavians Adoptivvater gewidmet. Im Wortsinn eine neue Epoche begann in Ä g y p t e n , wo auf Senatsbeschluß der Fall Alexandrias den Beginn einer Provinzialära markierte: Das Neujahrsfest sollte gleichermaßen Octavians Person und das historische Ereignis seiner Ankunft in Ägypten in Erinnerung rufen. In anderen Regionen des Ostens wurde Octavians Sieg bei Actium zum Ausgangspunkt
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Zusammenstellungen dieser Festtage geben Gage 1977, 155-185 in seiner BudeAusgabe der Resgestae sowie Ehrenberg/Jones 1955, 44-55. Grundlegend sind ferner Herz 1975, hier bes. 6-8 (überarbeitet als: Herz 1978, bes. 1148f.), und Kienast 1999, 225-227. Vgl. Geiger 1936; Malitz 1987 sowie Rüpke 1995, 369-391. Einen engen Zusammenhang mit der Kalenderreform Caesars vermutet Tarver 1996. Gegen das traditionelle Datum 47 v.Chr. datiert er die Anüquitates entsprechend auf die zweite Jahreshälfte 46 v.Chr. Bereits früher war der Kalender Gegenstand gelehrter Literatur gewesen; es ist daher irreführend, wenn Sehlmeyer 2003, 169 schreibt: „antiquarische Schriften zum Thema Kalender und fasti gehören dann erst in augusteische Zeit". Er selbst verweist zuvor (162) auf Cassius Hemina FRH 6 F 17 (sie!), S. 164 auf Sempronius Tuditanus FRH 8 F 3 (jedoch nicht F 7). Cass. Dio 51,19,6: Der Senat habe beschlossen, xr\v xe r\\i£pav ev fi r| Äte£dv5peia käXxa, dyaOiiv xe eivai Kai ec; xd &t£ixa exr| dpxnv xfjg änapiQ\ir\oe(oq auxöv voni^eaöai, Kai x6v Kaiaapa vf[v xe e^ouaiav xrjv XGÖV Siijidpxcöv 5id ß(ox> s'xeiv, Kai xoig 87cißoa)u£voi<; avxöv Kai evxöc zovrcouripfoi)Kai e^ö) us^pu; öyöooi) r|uiöxa5iOD djxuvsiv. Die neue Ära scheint jedoch bald wieder außer Gebrauch gekommen zu sein, wie Skeat 1994 zeigen konnte. Vgl. zuletzt Skeat 2001. Die auf Gardthausen zurückgehende Annahme, diese von Cassius Dio überlieferte Epochendatierung betreffe nicht den ägyptischen, sondern den stadtrömischen Kalender (so zuletzt noch einmal Gage 1977, 155-185, bes. 157), ist durch die von Skeat diskutierte Dokumentation in Ägypten hinfällig geworden.
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einer Ära. Dagegen konnte es in Rom zu einer solchen Ärenzahlung unter dem Zeichen der res publica restituta nicht kommen, in welcher die Restitution republikanischer Vergangenheit sich eben auch als Restitution republikanischer Festund Kalendertradition gab. Die Vorstellung, in eine neue Epoche einzutreten, war - und wurde - jedoch auch hier verbreitet. Es ist bezeichnend für den Charakter der Herrschaft des Augustus, daß diese Vorstellung bald in einer Vielzahl epochaler' Einschnitte ihren Ausdruck fand, die sich jedesmal auch im Festkalender niederschlugen. Octavians Geburtstag wurde ebenso in den Rang von feriae publicae erhoben, wie man von nun an die Schließung des Janusbogens am 11.1.29 v.Chr. und den Tag seines Triumphes im selben Jahr als Staatsfeiertage begehen sollte. Die Neuregelung des Jahres 27 v.Chr. fand ebenso Eingang in die Festkalender: Feiertage erinnerten jährlich am 13. Januar an die Verleihung der Corona civica, am 16. Januar an die Annahme des Namens Augustus. Zehn Jahre
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Vgl. Leschhorn 1993, 225-228; zu den entsprechenden Feierlichkeiten Rieks 1970. Für die Provinz Asia wurde erst 9 v.Chr. der Geburtstag des Kaisers zum Neujahrstag erklärt (OGIS 458; RDGE 65; das Dossier der Inschriften eingehend untersucht von Laffi 1967), vgl. zuletzt Buxton/Hannah 2005. Die Erwartung eines epochalen Neuanfangs artikulierte schon 40 v.Chr. Vergils 4. Ekloge, die zuletzt von Binder 1983 auf Octavian bezogen wurde. Dagegen will Perutelli 1995, 61 f. nur eine „metaphor for the birth of a new era" ohne konkrete politische Bezüge erkennen (vgl. auch Clausen 1994, 119-150). Doch die Idealisierung von Octavian/Augustus auch in den frühen Werken Vergils hat zuletzt Holzberg 2006, 44-61 (bes. 47-51 zu Ecl. 4) hervorgehoben. - Zur Vorstellung der augusteischen Herrschaft als eines wiedergekehrten Aureum Saeculum in der Aeneis vgl. ferner Binder 1971, bes. 281f. Die Quellen versammelt Attilio Degrassi in seinem Kommentar, Inscrlt XIII 2: Degrassi 1963, 512-514; vgl. ferner König 1972. Die kalendertechnischen Aspekte erörtert ferner Suerbaum 1980, 335-337. Inscrlt XIII 2, 17; zu der bei Cass. Dio 51,20,4 genannten ersten der drei Schließungen des Bogens, deren Augustus sich R. GesL div. Aug. 13 rühmt, vgl. Kienast 1999, 223 mit der dort genannten Literatur sowie Scheid 2007, 48 u. Ridley 2003,114-116. Zum Tnumph vom 13.-15.8.29 v.Chr. vgl. Dufraigne 1994, 41f. und zuletzt Bosworth 1999, der auf S. 7f. in dem Datum des Triumphes eine Verbindung zu Herakles sieht. Ihm wurden nach Ausweis der Fasti Alhfani am 12. und 13.8. Opfer im Circus und an der Porta tngemina dargebracht (Inscrlt XIII 2, 24; CIL IX 231920). Siehe unten S. 152f. Es ist demgegenüber signifikant, daß mit der Neuordnung des Jahres 23 v.Chr. kein Fest verbunden war; sie wurde erkennbar als Justierung des Bestehenden, nicht als Neubeginn empfunden.
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später proklamierten die ludi saeculares den Beginn einer neuen Epoche. Doch damit war kein Ende: Seit 12 v.Chr. wach, pontifex maximus — an den Amtsantritt erinnerte jährlich ein vom Senat beschlossener Feiertag am 6. März - setzte der Kaiser eine Reorganisation des römischen Kompitalkultes in Gang, die 7 v.Chr. abgeschlossen war. An das epochale Ereignis der Einrichtung dieses Kultes erinnerte in jedem vicus fortan eine Ära, nach der die Inschriften des Kompitalkultes datiert wurden. Diese Vielzahl neuer Feierlichkeiten und die Inszenierung immer neuer, den Beginn einer Epoche markierender Feste stellten eine bemerkenswerte, ganz auf den Princeps abgestellte Innovation auch deswegen dar, weil in republikanischer Zeit die Einführung neuer Feiertage selten gewesen war. Im römischen Festkalender kumuliert, formten die neuen Gedenktage einen Zyklus meist durch Senatsbeschluß eingeführter, jährlich wiederkehrender Feiern, welche die neue politische Ordnung propagierten: „Augusto riscrive tutto e, nello stesso tempo, iscrive se stesso dentro ogni aspetto della vita, pubblica e privata", wie es Alessandro Barchiesi formuliert hat. In der historischen Erinnerung der stadtrömischen und darüber hinaus der Bevölkerung Italiens wurden jährlich immer wieder die neue politische Ordnung und die Verdienste ihres Begründers aufgerufen. Welche Bedeutung dem Festkalender in der öffentlichen Wahrnehmung dieser Zeit zukam, erhellt nicht zuletzt aus der großen Zahl inschriftlicher Ferialia und Fasti augusteischer Zeit. Diese Gattungen, die sich rasch in Italien verbreiteten, ergänzten sich in ihrer Aussage: Galt die inschriftliche Publikation von Kalendern der Vergegenwärtigung des Princeps im jährlichen Zyklus der Feiern, so konnten daneben Magistrats fasten, wie die Kalender häufig mit historischen Erläuterungen und Notizen versehen, die Erinnerung an die Ab-
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Eine zusammenfassende, von den Säkularakten ausgehende Darstellung hat Schnegg-Köhler 2002 vorgelegt. Die ältere Literatur stellt Kienast 1999, 223f. Anm. 65 zusammen; vgl. ferner Schmid 2004. Die Quellen bei Degrassi 1963, 420f.; den Senatsbeschluß überliefern die Fasti Praenestini (Inscrlt XIII 2,17) zum 6. März. Wie sehr dieses Verfahren sich von den Verhältnissen der Republik unterscheide, in der es nie zur Einfuhrung neuer fenae pubhcae gekommen sei, betont Champeaux 2003, 185f. Barchiesi 1994, 59. Zum propagandistischen Einsatz des Kalenders Kienast 1999, 225-227. Daß es sich dabei um ein rein italisches Phänomen handelt, betont zuletzt Haensch 2007, 178; zur epigraphischen Publikation des julianischen Kalenders in Italien seit Augustus vgl. ferner Cooley 2006, bes. 237-243.
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folge der historischen Erfolge des Augustus sicherstellen - dabei freilich „keinem historischen, sondern einem propagandistischen Zweck dienend", wie es Uwe Walter kürzlich pointiert formuliert hat. Im Zusammenhang der kaiserlichen Selbstdarstellung kommt dem augusteischen Festkalender und seiner inschriftlichen Verbreitung freilich noch aus einem zweiten Grund eine besondere Bedeutung zu. Die Vorstellung kaiserlicher Propaganda wurde in der jüngeren Forschung wiederholt als problematisch empfunden, 18 wenn nicht völlig abgelehnt. So hoben etwa Gregor Weber und Martin Zimmermann besonders das methodische Problem hervor, daß die Rezeption von Äußerungen der kaiserlichen Zentrale kaum je nachzuvollziehen sei. Jenseits einer Diskussion über den heuristischen Wert des Begriffs Propaganda, die hier nicht zu leisten ist, liegt das besondere Interesse des augusteischen Festkalenders darin, daß er zum überwiegenden Teil weder aus Äußerungen der kaiserlichen Zentrale noch aus literarischen Texten oder Kunstwerken der Hochkultur bekannt ist, sondern aus Inschriften, die auf die Initiative lokaler Funktionsträger zurückgehen und damit auf R e z i p i e n t e n der kaiserlichen Selbstdarstellung. Aus den Festen, die Hof und Senat propagierten und festlegten, hielt jede dieser Inschriften eine Auswahl fest, die vor Ort getroffen worden war; die Einheitlichkeit des vom Hof erschaffenen augusteischen Festkalenders und das Geschichtsbild, das er zum Ausdruck bringen sollte, wurde hier sofort wieder in die Vielfalt lokaler Kalenderinschriften aufgebrochen. Jede dieser — durchgängig nur fragmentarisch erhaltenen - Inschriften reflektiert folglich gleich16
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Das Verhältnis eines zyklischen Zeitverständnisses zu einer linearen Vorstellung von Zeit und Geschichte untersucht Benoist 1999. Sein Versuch, dabei eine Abfolge republikanischen und neuen, augusteischen Zeitvorstellungen zu rekonstruieren, vermag jedoch nicht zu überzeugen, vgl. die Kritik von Chamberland 2002, bes. 408f. Jüngst ist Benoist 2005, bes. 304-308 auf das Thema zurückgekommen. Walter 2006, 52. So spricht etwa Hölscher 1984, 28f. von „Meinungslenkung"; einen „weitgehend selbsdäufigen Prozeß" „ohne explizite Direktiven von oben" erkennt Zanker 1990, 326. Alföldy 1991 spricht von Propaganda' (291) und ,Werbung' (321 f.), ohne daß zwischen den Begnffen unterschieden würde. So etwa Eich 2003, der jedoch die Positionen der älteren Forschung bisweilen überpointiert. In ihrer Einleitung (Weber/Zimmermann 2003b) zu Web er/Zimmermann 2003a, bes. 23; anders jedoch Niquet 2003, bes. 156-165, die an dem Konzept in gleicher Weise festhält wie Enenkel/Pfeijffer 2005, bes. 8f. Als Ausnahme haben hier allein die Fastt Praenestini (Inscrlt XIII 2, 17) zu gelten, wohl die von Suet. Gramm. 17,4 genannte Inschrift, in der M. Verrius Flaccus, Pnnzenerzieher am Hofe des Augustus, fastos a se ordinatos et marmoreo parieti inasos publicarat, vgl. Dihle 1958, bes. 1637f.
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zeitig die Initiative der kaiserlichen Zentrale und die Reaktion lokaler Funktionsträger: Mit ihrer je eigenen Auswahl von Festen und Gedenktagen präsentieren diese auch eine je eigene Adaption eines vorgegebenen Geschichtsbildes, im Fall der Fasti Maffeiani vielleicht sogar eine deutliche Absage an die gewünschte Verherrlichung des neuen Herrschers.
2. Der Kompitalkult und seine Ären Seit dem Abschluß der augusteischen Neuordnung im Jahr 7 v.Chr. bestand Rom aus 265 vici, von denen manche republikanische Vorläufer hatten, andere neu gegründet wurden. Ihre magistri versahen den Kult der Lares Augusti, der sich in mehreren neuen Feiertagen artikulierte. Am ersten Januar überbrachten Vertreter der vici dem Herrscher Geldspenden auf dem Kapitol. Die von Augustus vermehrten Geschenke flössen in einem Akt des Gabentausches zurück; Sueton berichtet, aus ihnen habe der Kaiser vicatim kostbare Götterstatuen gestiftet.2 Auf den 1. August - den Feiertag, der an das Ende der
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S.u. S. 150-152. Diese Unterschiedlichkeit betont nach Scheid 1992, 121 besonders Rüpke 1995, 411 f. (anders hingegen Graf 1997, bes. S. 20). Sie ist um so bemerkenswerter, als seit der julianischen Reform der zugrundeliegende stadtrömische Kalender völlig einheitlich und ohne Rücksicht auf lokale Feste verwendet wird, wie nach Rüpke 2004, 33 zuletzt Haensch 2007, 178 hervorgehoben hat; vgl. bereits Crawford 1996, 426. Das Datum nennt Cass. Dio 54,35,2£, die Zahl der viä (für das Jahr 73 n.Chr.) Plin. nat. 3,66. Suet. Aug. 30 erwähnt die Reorganisation der Stadt in regiones und vici, ihre kultische Funktion und die Vergabe der Götterbilder durch Augustus nennt Ov. fast. 5,145f. Vgl. Bleicken 1958; Kolb 2002, 510-513; Tarpin 2002, bes. 137-174 sowie Lott 2004, 81-127 und zuletzt Lo Cascio 2007 mit der dort genannten Literatur zur Rolle der vtä in der städtischen Verwaltung. Augusteische Neugründungen von via werden vor allem für jene Stadtbezirke angenommen, die zuvor wenig besiedelt waren, vgl etwa zum Marsfeld Palmer 1990,18-28. Suet. Aug. 57,1: omnes ordines in lacum Curti quotannis ex voto pro salute eins stipem iaaebant, item Kai. Ian. strenmm in Capitolio etiam absenti, ex qua summa pretiosissima deoru simulacra mercatus vicatim dedicabat, ut Apollinem Sandaliarium et lovem Tragoedum aliaq Vgl. Cass. Dio 54,35,2f. VgL Meslin 1970, 31-34 („verkable podach ntuel", 32) und zuletzt Rowe 2002, 9294. Den von Sueton bezeugten Tausch von strenae gegen kaiserliche Stiftungen ex stipe hat Flambard 1982 auch hinter der Nachricht von Cass. Dio 59,6,4 (zum Jahr 37) erkannt; ihn bezeugen die Inschnften (CIL VI 456-458 sowie 30974, AE 1980, 56), vgl. Meslin 1970, 32 Anm. 2 sowie zum privaten Ursprung dieser strenae ebd. 3946.
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Bürgerkriege erinnerte - w u r d e der Beginn des Amtsjahres der magistri vicorum gelegt.
A u f d e n Anfang jeden Jahres fielen die ludi Compitaliäi, weitere Feier-
lichkeiten fanden i m Frühjahr u n d S o m m e r statt.
D i e via w u r d e n darüber
auch jenseits des Kompitalkultes z u m F o k u s weiterer Kulte u n d Feste, wie Altäre für verschiedene andere G o t t h e i t e n zeigen, die v o n magisfn vicorum gestiftet wurden.
D e r in i h n e n begangene Kompitalkult w u r d e zu einem
System aufeinander verweisender Feiertage u n d beziehungsreich inszenierter Z e r e m o n i e n des G a b e n t a u s c h e s , die v o n jedem der 265 vici der H a u p t s t a d t begangen wurden. In d e m Kompitalkult hat besonders A n d r e a s Alföldi ein M e d i u m kaiserlicher Einflußnahme erkannt. die Initiative der vici.
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Dagegen b e t o n t e die jüngere F o r s c h u n g eher
I n u n s e r e m Z u s a m m e n h a n g ist zunächst aufschluß-
Die Stiftungen, von denen Sueton nur zwei nennt, dürften sich über einen längeren Zeitraum hingezogen haben und sind kaum als einmaliges Ereignis zu verstehen. Von den beiden genannten Götterstatuen verweist diejenige des Apollon Sandaliarius auf den gleichnamigen vicus (vgl. Coarelli 1999, 189; zur Statue Coarelli 1993, 57); zum lupiter Tragoedus, über dessen Beziehung zu einem vicus nichts bekannt ist, vgl. Aronen 1995. Quod eo die imp. Caesar rempublicam tnstissimo periculo liberavit so der identische Eintrag zum 1. August in den Fasti Amiterni (Inscrlt XIII 2, 25; CIL IX 4192) und den Fasten der Arvalbruderschaft (Inscrlt XIII 2, 2; CIL VI 2295 = 32482), dem Degrassi in seiner Rekonstruktion der Fasti Praenestim (Inscrlt XIII 2, 17) gefolgt ist. Zum Datum des Amtsantritts vgl. Niebling 1956, bes. 323f. Suet. Aug. 31.4: nonnulla etiam ex anüquis caenmonis paulatim abolita restitmt, ut Salutis augurium, Dialeflamomum,sacmm Lupereale, ludos Saeculares et Compitaliäos. ... Compitales Lares ornari bis anno instituit vernisfloribuset aestivis, vgl. Latte 1967, 307. Stiftungen von magistri: Diana Augusts CIL VI 128 (magister vici), CIL VI 129 {magistri vici); Mercunus Augustus-. CIL VI 283 und CIL VI 34 {magistri vici); Stata Mater. CIL VI 763 (magister via), CIL VI 764 (magistri vici); Stata Mater Augusta: CIL VI 766 (magistri vici); Stata Fortuna Augusta: CIL VI 761 (magistri vici); VolcanusQuietus Augustus et Stata Mater Augusta. CIL VI 802 (ma^stri via); Apollo Augustus: CIL VI 33 (magistri vici), CIL VI 35 (magister u. minister); Hercules-. CIL VI 282 (magistri vici), Hercules Tutor. CIL VI 343 (magistri vici); Venus Augusta: A E 1980, 54 (magister vici); Mercunus und andere Götter: CIL VI 30975 (ein magister viaT). - Stiftungen von ministn: Aesculapiur. CIL VI 12 (minister); Apollo Augustus (s.o.). Alföldi 1973, der die Initiative des Hofes v.a. 26f. betont. Seine Rede von der „Genihlskontrolle", die „über die Loyalität der Massen zu gebieten" vermochte, darf jedoch nicht davon ablenken, daß Alföldi der „Intervention der Regierungskreise" eine „Strömung echter Dankbarkeit" auf Seiten der Bevölkerung gegenüberstellt und von einem einseitigen Modell kaiserlicher Propaganda weit entfernt ist. So etwa Zanker 1990, 135-139. Hölscher 1988, bes. 390, hat in der geringen kunsderischen Qualität der Larenaltäre, die eine Beteiligung des Kaisers ausschließe, geradezu deren Charakteristikum erkannt. Entsprechend sondert er 394f. den Altar des Museo Gregonano profano Inv. 1115 (bei ihm K 223) aus der Reihe der
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reich, wie die viä die Einrichtung ihrer Kulte in Erinnerung hielten. Neben den Larenaltären und ihren Weihinschriften kommen hier Wandkalender in den Blick sowie Fasten der jährlich wechselnden magistri, die inschriftlich festgehalten und in den Versammlungslokalen der viä ausgestellt wurden. Die Einrichtung der viä brachte für deren Belange auch die Einführung einer Ära mit sich, datieren doch die meisten erhaltenen Inschriften der viä nach den Jahren seit der Kulteinrichtung. Auf Inschriften, die im ersten Jahr nach der Reorganisation der viä entstanden, heben deren magistri mit erkennbarem Stolz ihre Rolle als die ersten hervor, die diese Funktion bekleideten. Ein epochales Ereignis kaiserlicher Kultpolitik scheint sich so in der Ärendatierung der viä manifestiert zu haben, einer Datierung, die bis in das 3. Jahrhundert n.Chr. in Gebrauch blieb. Freilich zeigt eine in den letzten Jahren gewachsene Zahl von Inschriften, die zuletzt Jörg Rüpke eingehend diskutiert hat, daß einige dieser Ären gar nicht auf das Jahr 7 v.Chr. zurückgingen. So setzte die Ära des vicus Honoris et Virtutis im Jahr 9 v.Chr. ein, diejenige des vicus lovis Fagutalis sogar schon im
Kompitalaltäre aus, weil er von zu hoher Qualität sei (anders noch Alföldi 1973, 30£). Die Inschrift des Altars (CIL VI 876) unterscheidet sich von denjenigen der Larenaltäre und stützt Holschers Urteil. 32 Magistri via qui [...] primi magistenum inierunt CIL VI 283 (Lott 2004, Nr. 6); CIL VI 445 (Lott 2004, Nr. 7); CIL 446/7 (Lott 2004, Nr. 8); Panciera 1987, 62-73 (Lott 2004, Nr. 9); Mancini 1935, 78 Nr. 2 (Lott 2004, Nr. 10). Vgl. CIL VI 128: magister viä qm [...] pnmus magistenum mit (Lott 2004, Nr. 5). 33 Nach Rüpke 1995, 58-63 und Rüpke 1998, 28-30 vgl. nun Rüpke 2005, Bd. 3, 15011503. 34 CIL VI 449 (Lott 2004, Nr. 37), deren Formulierung Laribus Aug(ustis) et Gem(i)s Caesarum [lmp(eratori) Caes(ari) Domitiano Aug(usto) co(n)s(uli) IX] \ desig(nato) X [... magistri anni UXXXXII [...] vom 9. Konsulatsjahr Domitians (83 n.Chr.) auf 9 v.Chr. als Anfangsjahr der Ära führt. Gatti 1906, 203 hat dagegen die Angabe desig(nato) X damit erklärt, daß Domitian 84 für die kommenden 10 Jahre zum Konsul designiert wurde (Cass, Dio 67,4,3), und Niebling 1956, 328 ist ihm darin gefolgt. Die Inschrift sei als desig(nato) (deäes) aufzulösen und könne in ein beliebiges Jahr zwischen 83 und 92, der Anfang der Ära also nur allgemein in den Zeitraum zwischen 9 und 1 v.Chr. datiert werden. Doch abgesehen davon, daß man dann die ganz unplausible Ergänzung co(n)s(uli) X] \ desig(nato) X vorschlagen müßte, hat Buttrey 1980, 37 gezeigt, daß die Designation Domitians für die Konsulate der Jahre zwischen 83 und 92 gerade im Gegenteil zur Unterdrückung der Designationsangaben auf domitianischen Inschriften führte. Buttrey hat sich mit den Argumenten Gattis nicht auseinandergesetzt, Martin 1987, 50 sie rundheraus abgelehnt. Zu den Ären einzelner viä, die nicht im Jahr 7 v.Chr. beginnen, vgl ferner die grundlegenden Beobachtungen von Moretti 1958, 233f. sowie Fraschetti 1990, 265268.
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Jahr 12 v.Chr. In dieselbe Richtung weist die Weihung des L. Lucretius L. I Zethus aus dem Jahr 1 n.Chr., welche zwar auf private Iniative zurückgeht, sich mit der Formulierung nono [anno] \ introeunte felicßter] jedoch der Ära eines vicus bedienen dürfte. Dieser vicus hätte seine Ära dann bereits 8 v.Chr. beginnen lassen. Andererseits scheint dieser Prozeß sich in einzelnen vici auch bis mindestens in das Jahr 6 v.Chr. gezogen zu haben, von welchem die Ära des vicus 37
Cornicularius ihren Ausgang nimmt. Bereits Mommsen hat aus diesem Befund auf eine Übergangsperiode geschlossen, in der in den einzelnen vici sukzessive die Kompitalkulte und ihre magistri eingeführt wurden, und zuletzt hat Rüpke noch einmal den langsamen Prozeß der Einrichtung des Larenkultes unterstrichen. Daß von Seiten des Kaisers eine deutliche Zäsur im Jahr 7 v.Chr. angestrebt war, die sich dann ja auch in den meisten Ären sowie in der literarischen Überlieferung niedergeschlagen hat, ist nicht zu bezweifeln. Dennoch ist gerade das spätere Einsetzen einzelner Ären, das nicht allein mit der Neugründung von vici im Zuge der Ausdehnung der städtischen Besiedlung Roms zu erklären ist, ein eindeutiges Zeichen für die Uneinheitlichkeit der Reform. So lag der vicus Cornicularius\ dessen Ära ein Jahr spater einsetzte, direkt am Ludus Magnus und damit sicher in alt besiedeltem Gebiet. In den vici sollte die Wahl einer Ärendatierung, so scheint es, in der Tat einen Neuanfang, ein epochales Ereignis markieren. Aber dieser Neuanfang lag nicht auf der Ebene der urbs\ es war das Datum der Kultgründung im jeweiligen vicus, hinter welches das große Ganze der augusteischen Reform als Bezugspunkt historischer Erinnerung zurücktrat. Auch wenn die Mehrheit der vici ihren Kult im Jahr 7 v.Chr. eingerichtet hatte und von hier an zählte, ist diese Ära bemerkenswerterweise nie die einheitliche Ära aller vici geworden: Noch im 35
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CIL VI 452 (Lott 2004, Nr. 40), geweiht dem Trajan im Jahr seiner 13. tribunizischen Gewalt (109): aed(iculam) [...] ma]gj,stri anni CXXI sua inpensa restitu[er(unt)]y woraus das Anfangsjahr 12 v.Chr. folgt, will man nicht mit Gatti 1906, 205f. eine Verschreibung für CXVI postulieren. CIL VI 30975. Eine Verbindung mit den Inschriften der vici schließt Gatti 1906, 200 aus; angenommen haben sie nach der eingehenden Besprechung von Cavallaro 1975/1976, Palmer 1990, 20 und zuletzt Rüpke 2005, Bd. 3,1502. Moretti 1958. Morettis Inschrift Nr. 3 (= AE 1960, 63; 27. Jahr der Ära) stammt aus dem Jahr 22 n.Chr., für die Suffektkonsuln der Inschrift Nr. 1 (= AE 1960, 61; 61. Jahr der Ära) hat Camodeca 1986, 205-207 das Jahr 56 ermitteln können. Damit kann die Ära des vicus Cornicularius nicht vor dem Jahr 6 v.Chr. begonnen haben. Zitiert im Kommentar zu CIL VI 454; ihm schließen sich etwa Bleicken 1958 und Fraschetti 1990, 265-268 an. Rüpke 2005, Bd. 3,1501-1503 und zuvor schon in Rüpke 1995, 62f. So Lott 2004, 85f., während Tarpin 2002, 137-140 unentschieden bleibt. Auf diese Erklärung weist bereits Palmer 1990, 20 hin.
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Jahr 136 n.Chr., als auf dem Kapitol eine gemeinsame Stiftung zahlreicher viä errichtet wurde, wählte man für deren Inschrift eine Konsulsdatierung, während eine - naheliegende - Ärendatierung nach dem Jahr der Kulteinführung unterblieb.43 Während die literarischen Quellen den Moment der Neugliederung der S t a d t im Jahr 7 v.Chr. in den Vordergrund stellen und sich damit die Position der kaiserlichen Zentrale zu eigen machen, so lassen die Inschriften der magistri eine andere Perspektive erkennen. Daß deren jeweilige T r a d i t i o n , daß also die Gründung des Larenkultes in jedem vicus engstens mit der augusteischen Reform von 7 v.Chr. verbunden war, wird den Zeitgenossen dennoch bewußt geblieben sein. Gerade deshalb bleibt es bemerkenswert, daß sie die historische Verortung ihrer Magistratslisten nicht an dieses Großereignis anschließen wollten. Einer dieser viä wählte, wie die an der Via marmorata gefundenen Fasti magistrorum viä zeigen, neben dem Jahr 7 v.Chr. sogar noch ein zweites Epochenjahr. Eine unter dem Festkalender angebrachte Konsulliste setzt mit dem Jahr 43 v.Chr. ein. Genannt sind jedoch nicht die consuks ordinarii des Jahres, sondern an ihrer Stelle die Suffektkonsuln Caius Caesar und Quintus
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Die Ärendatierungen bleiben in den viä mindestens bis in das 2. Jahrhundert n.Chr. im Gebrauch; so dauert die Inschrift des vicus lovis Fagutalis (CIL VI 452) aus dem Jahr 109. In AE 1949, 170 (wohl 208) und CIL VI 30960 (222/3) ist sie (plausibel) ergänzt. « CIL VI 975 = 31218; Vgl. Rüpke 2005, Bd. 3, 1513f. und zuvor schon Rüpke 1998, bes. 33-36. 44 Cass. Dio 55,8,6f.; ähnlich Suet. Aug. 31,4 (ohne Angabe des Datums). 45 Mit der Datierung nach einer durchlaufenden, eigenen Ära beschritten die viä Roms noch in anderer Hinsicht einen bemerkenswerten Sonderweg. Ist in kaiserzeitlichen Vereinigungen über die via hinaus eine Datierung nach lustra, die sich auf ein Anfangsdatum beziehen, üblich (vgl. Waltzing 1895, Bd. 1, 362f.), so kann eine fortlaufende Jahreszählung, wie sie gelegentlich auch in Gemeinden des Westens begegnet (zusammengestellt bei Leschhorn 1996, 195), allenfalls bei den Inschriften der Mailänder fahrt et centonari angenommen werden, vgl. Waltzing 1895, Bd. 1, 362f. und Mommsen in seinem Kommentar zu den vier relevanten Inschriften (CIL V 5578, 5612, 5738 und 5869), CIL V 2, S. 635. Mailands „most interesting and most puzzling System" (Harris 1977, 285 mit Anm. 15) wäre jedoch reichsweit die einzige Korporation, die sich eine eigene Ära zugelegt hätte, so daß möglicherweise die schon von Mommsen erwogene, aber verworfene, von Liebenam 1890, 198 Anm. 1 kategorisch ausgeschlossene Alternative einer städtischen Ära vorzuziehen ist. 46 Inscrlt XIII 2, 12; vgl Rüpke 1995, 58-63, bes. 60£, und Rüpke 1998, 36-41, zuletzt Rüpke 2005, Bd. 3,1505-1510. 47 Der manipulative Charakter dieser Änderung wird daran deutlich, daß für die folgenden Jahre auf die consuks ordinarii die suffecti mit dem Vermerk suf. folgen; für das erste Jahr sind Octavian und Pedius an der Stelle der ordinarii und ohne den Zusatz eingetragen.
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Pedius: Das erste Auftreten des künftigen princeps markiert hier den Epocheneinschnitt, von dem an die Konsulsfasten dokumentiert sind. Ob dieses Ereignis auch im Kalender als Jahrestag markiert war, läßt sich leider wegen dessen fragementarischer Erhaltung nicht mehr klären.
3. Gedenktage und Geschichtsbild Die Kalender römischer colkgia - oft ist nicht klar, ob es sich um Kalender von viel oder anderer Vereinigungen handelt — nennen bemerkenswerterweise die Feiertage des Kaiserhauses meist nur in einer Auswahl. Vor dem Hintergrund dieser Praxis erweist sich die Rede von d e m römischen Festkalender als eine Fiktion, unterscheidet sich doch die Auswahl der aufgenommenen Festtage bei den einzelnen Kalendern bisweilen deutlich. Besonders aufschlußreich sind hier die Fasti Maffeiani, eine Fasteninschrift, die eine Familien von Freigelassenen wohl bald nach 8 v.Chr. für ein stadtrömisches collegwn aufstellen ließ. In seiner Diskussion des Textes hat Rüpke vermutet, daß die aufgenommenen Feste - unter ihnen die Saturnalia, das Fest der Mens und die Vestalia — eine Auswahl darstellen, die sich am ehesten mit den religiösen Vorlieben Freigelassener oder Sklaven in Verbindung bringen lasse. Unter den historischen Notizen, die dem Kalender beigefügt sind, fällt ein großes Interesse an der Zeit Caesars auf. Aus ihr werden - neben den ludi Victoriae Caesaris am 20.7., die wie alle ludi zu erwarten sind — Caesars Einnahme von Alexandria am 27.3.47 v.Chr. und sein Sieg über die Pompeianer in Spanien am 2.8.49 v.Chr. genannt; unter dem Eintrag hoc die Caesar Hispali vicit am 9.8. dürfte sich schließlich der Sieg von Pharsalos 48 v.Chr. verbergen. Diesem Interesse an den kriegerischen Taten Caesars steht nun in den Fasti Maffeiani ein ebenso prononciertes Desinteresse an den militärischen Erfolgen des Octavian/Augustus gegenüber. So fehlt jeder Hinweis auf die Schlachten bei Naulochos und bei Actium, und auch die Schlacht bei Philippi, in der
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Völlig vereinzelt stehen hier die Fasti Pinäam (Inscrlt XIII.2, 3; CIL VI 2294 = 32481), die vermutlich um 20 v. aufgestellt wurden und deren Konsulnlisten bis etwa 80 v. zurückgereicht haben durften: Rüpke 1995, 51 f. Inscrlt XIII 2, 10, der dem von Mommsen in CIL I2 1, S. 303-325 aufgrund von Publikationen des 16. und 17. Jhs. fast vollständig rekonstruierten Text folgt. Rüpke 1995, 55 erwägt wegen der Nennung der 'Vestalia am 6.9. einen Zusammenhang mit einem Verein römischer Bäcker. Rüpke 1995, 54f. Beide Schlachten werden in allen anderen Fasteninschriften, in denen der Tag erhalten ist, genannt: Fastifratrum Arvalium (Inscrlt XIII 2, 2) und Vallenses (Inscrlt
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Caesar gerächt wurde, wird nicht genannt. Besonders bemerkenswert ist, daß der Text am 1.8. den Einzug des Augustus in Alexandria und damit das Ereignis, welches andere Kalender als das Ende der Bürgerkriege rechneten und dem der Monat seinen Namen verdankte, zu übergehen scheint. In markantem Gegensatz zu dem Bild, das diese Fasten von Caesar entwerfen, werden für Augustus alle kriegerischen Ereignisse konsequent ausgeblendet. Dagegen wird das Ende der Bürgerkriege gleich zweimal, mit dem zum dies vitiosus erklärten Geburtstag des Antonius und am Dedikationstag des Victoria-Altars in der Curie des Senats, dem 28.8., evoziert. Das lang erwartete Ende des Bürgerkrieges zwischen Marcus Antonius und Octavian wurde hier erkennbar in den Mittelpunkt kalendarisch fixierter Erinnerung gestellt. Eine ähnlich markante Auswahl treffen die Fasti Maffeiani für die Zeit des Principats. Sie nennen den Geburtstag des Augustus am 23.9., die Augustalia am 12.10. sowie unter den nicht nicht in Verbindung mit einem Feiertag, sondern als historische Daten eingetragenen Notizen den Antritt seines Oberpontifikats am 6.3.12 v.Chr. mit dem Eintrag hoc die Caesarpontif(ex) maxim(us) fact(us) est. Dagegen werden jene Daten, welche die Einrichtung des neuen politischen Systems reflektieren, durchgängig ausgeblendet: Die Fasti Maffeiani übergehen den ebenfalls zu feriaepublicae erhobenen Tag, an welchem der Kaiser im Jahr 2 v.Chr. den Titelpaterpatriae — dessen inschriftliche Veröffentlichung Augustus
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XIII 2,18) sowie außerhalb Roms den Fasti Amiterni (Inscrit XIII 2, 25) und Antiates mimstrorum (Inscrit XIII 2, 26). Sie fehlt freilich auch in den Fasti fratrum Arvakum (Inscrit XIII 2, 2), dem Feriale Cumanum (Inscrit XIII 2, 44) und sehr wahrscheinlich auch in den Fasti Sabini (Inscrit XIII 2, 5); sicher genannt wird sie nur in den Fasti Praenestini (Inscrit XIII 2, 17). Er ist an dieser Stelle heute nicht mehr erhalten, doch stimmen die Kopien des 16. Jhs. und die frühen Editionen darin überein, daß sie für den 1. August nur die Nennung des Nundinalbuchstaben und der Kaienden, in der nächsten Zeile jedoch umfangreiche Textreste überliefern, die sich auf Caesars Sieg am 2.8.49 v.Chr. beziehen. Das Fehlen des Sieges bei Mutina am 15.4.43 v.Chr. ist bei den meisten Fasti zu beobachten. Er wird allein im Feriale Cumanum (Inscrit XIII 2, 44) genannt, fehlt aber in den Fasti Vaticani (Inscrit XIII 2, 23) und den von Panciera gefundenen Fasti viälugarii (AE 1975,17) sowie außerhalb Roms in den Fasti Caeretani (Inscrit XIII 2, 8) und Vallenses (Inscrit XIII 2, 18). Freilich ohne explizite Nennung des Anlasses als en(doterasus) dies vitios(us) ex s(enatus) c(onsulto) (Inscrit XIII 2, 10); in noch knapperer Weise wird der Tag von den Fasti Oppiani (Inscrit XIII 2, 13) als en(doterasus) vitiosus aufgeführt. Der Tag wurde seitdem als öffentlicher Feiertag begangen (Belege bei Degrassi 1963,420). Diesen Tag, den 5.2., überliefern Suet. Aug. 58,1 und Ov. fast. 2,119-144; er wird in allen Fasten vermerkt, in denen der Tag erhalten ist: in den Fasti Praenestini (Inscrit
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im Nachtrag zu den Res Gestae ausdrücklich hervorhebt - erhalten hatte. Sogar der Tag der Verleihung des Titels Augustus bleibt in den Fasti Maffeiani unerwähnt, wie der Kalender überhaupt die Neuordnung des Jahres 27 völlig übergeht. l Es fehlt ferner die dedicatio der Ära Pacis am 30.1., die ansonsten unter allen anderen Fasten, für die dieser Tag überliefert ist, nur noch die Fasti der Via Marmorata übergehen. Das bisher gewonnene Bild gewinnt an Schärfe, zieht man Kalender anderer italischer Städte heran. Von besonderem Interesse sind hier zwei Inschriften, deren stark affirmativer Charakter sie in enge Nähe zur kaiserlichen Selbstdarstellung rückt: die Fasti Praenestini, deren Abfassung auf den Grammatiker und kaiserlichen Hoflehrer M. Verrius Flaccus zurückging, und das Fenaie Cumanum, ein Opferkalender, der eine Auswahl kaiserlicher Gedenkfeiern versammelte. So erinnerte in den Fasti Praenestini jährlich der 13. Januar, der Tag der Verleihung der Corona civica, an die Neuordnung von 27. Doch obwohl es sich bei diesem Eintrag nicht um die Nennung einer vorgegebenen Feierlichkeit, sondern um eine historische Notiz handelte - die Auswahl also nicht durch die Vorgaben eines Senatsbeschlusses definiert war —, wurde die gleichzeitige Verleihung von zwei Lorbeerbäumen, die Cassius Dio gemeinsam mit der corona ävica überliefert, übergangen, während für den 16. Januar die Vergabe des Augustusnamens wieder aufgenommen wurde. In Cumae empfanden die Redaktoren des dortigen Opferkalenders hingegen allein den 16. Januar als erinnerungswürdig, an dem Octavian den Namen Augustus erhalten
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XIII 2, 17), dem Feriale Cumanum (Inscrlt XIII 2, 44) sowie in den Magistratsfasten aus Cupra Maritima (Inscrlt XIII 1, 7). Vgl. Bowersock 1990 und zuletzt Scheid 1999. R Gest. div. Aug. 35. Cass. Dio 53,16,6; Suet. Aug. 7,2 (ohne Angabe der Umstände); vgl. Kienast 1999, 92f. Zum Inhalt dieser Neuregelung, deren Reflex in den Fasten im folgenden zu besprechen ist, vgl. Kienast 1999, 78-98. Völlig übergangen werden die Jubiläen der Neuregelung des Jahres 27 v.Chr. auch von den Fasti Oppiani (Inscrlt XIII 2, 13). Inscrlt XIII 2, 12. Genannt wird sie in den Fasti Verulani (Inscrlt XIII 2, 22) sowie außerhalb Roms in den Fasti Caeretani (Inscrlt XIII 2, 8), Cuprenses (Inscrlt XIII 2, 9), Praenestini (Inscrlt XIII 2, 17) und dem Feriale Cumanum (Inscrlt XIII 2, 44). Zur Charakterisierung des Fenaie Cumanum vgl. Rüpke 1995, 525 u. 527, der auf eine eingehende Untersuchung verzichtet. Corona quere[ea, uti super lanuam domus Imp(eratoris) Caesaris] \ Augusti poner[etur} sena decrevitj quod rempublicam] \ p(opulo) R(omano) restfit]ußt] (Inscrlt XIII 2, 17). Cass. Dio 53,16,4. Imp(erator) Caesar [Augustus est a]ppell[a]tus ipso VII etAgripfpa III co(n)s(ulibus)] (Inscrlt XIII 2,17).
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hatte. Ein anderer Kalender, die Fasti Caeretani^ überging die Ereignisse des 16. Januar dagegen kommentarlos. Das Feriale Cumanum ließ sogar das Fest der Augustalia aus, in dessen Namen bereits der Titel des princeps verewigt wurde. Ähnliche Unterschiede ergeben sich bei den Feiertagen, die an besondere Wendepunkte im Leben des Augustus erinnern sollten: An die Schließung des Ianusbogens im Jahr 29 v.Chr. erinnern die Fasti Praenestini, während das Feriale Cumanum sie unter den Feiertagen des Januar übergeht. Umgekehrt nennt das Feriale Cumanum den Tag, an dem Octavian seine Toga anlegte. Dieses Nebeneinander, bei dem jeder Festkalender eine jeweils eigene Auswahl aus den Daten der jüngeren Geschichte als erwähnenswert aufnahm, ließe sich an weiteren Kalenderinschriften weiterverfolgen. So zeichneten sich etwa die Fasti Vallenses in bemerkenswertem Gegensatz zu den Fasti Maffeiani gerade dadurch aus, daß sie neben den Schlachten Caesars auch die großen militärischen Erfolge des Octavian/Augustus fast vollständig anfuhren. Wenngleich eine detaillierte Analyse aller dieser Kalender, die hier nicht angestrebt ist, das Bild im Detail noch deutlicher hervortreten ließe, so dürften dessen Umrisse bereits jetzt klar erkennbar sein. Trotz der umfangreichen Verluste, die dem fragmentarischen Erhaltungszustand aller Kalenderinschriften geschuldet sind, lassen sich noch der Umfang und in manchen Fällen auch die Stoßrichtung der von den jeweiligen Redaktoren getroffenen Auswahl erkennen. Freilich bleiben auch viele Fragen offen; so wird für den 29. Januar in mehreren Kalender ein Feiertag aufgeführt, das an diesem Tag gefeierte Ereignis, das nie vollständig genannt wird, ist jedoch bis heute unbekannt geblieben.
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Die III K(akndas) Febrfuarias) eo di[e Caesar Augustujs appellatus est supplicatio Au[gusti numini] (Inscrit XIII 2, 44). Inscrit XIII 2, 8. Ob der 13.1. einen Hinweis auf die Neuordnung von 27 v.Chr. enthielt, ist nicht bekannt; die Inschrift ist an dieser Stelle lückenhaft, und nur die Erwähnung des zum Unglückstag erklärten Geburtstages des Marcus Antonius am 14.1. ist erhalten. Inscrit XIII 2, 44. Erhalten ist der Eintrag in den Fasti Sabini (Inscrit XIII 2, 5) und den Fasti Vzae dei Serpenti (Inscrit XIII 2, 27). Die Fasti Plateae Manfredo Fanti (Inscrit XIII 2, 4) werden von Degrassi wegen des Fehlens der Augustalia vor 19 v.Chr. datiert. 18,10; ansonsten nur noch überliefert in den Fasti Antiates minores (Inscrit XIII 1, 26). Inscrit XIII 2, 18; es fehlt nur der Hinweis auf die Schlacht bei Mutina, an die allein das Feriale Cumanum (Inscrit XIII 2, 44) ennnert. Dagegen scheinen die Fasti Caeretani (Inscrit XIII 2, 8) in ähnlicher Weise wie die Fasti Maffeiani Caesars Schlachtenglück betont zu haben. In den Fasti magistrorum via (Inscrit XIII 2, 12) und Praenestini (Inscrit XIII 2, 17), vgl. Herz 1975, 405 Anm. 10 u. Degrassi, 1963, 404. - Auffälligerweise ist in keiner
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Aus den Inschriften dieser Vereinigungen, die zugleich den schmückenden Hintergrund boten, vor dem der Kult an den Festtagen vollzogen wurde, trat den Festteilnehmern also ein durchaus unterschiedlich akzentuiertes Geschichtsbild entgegen; die Fasti Maffeiani scheinen durch die Auswahl der aufgenommenen Feiertage sogar einen zentralen Aspekt kaiserlicher Selbstdarstellung, den Anspruch auf Sieghaftigkeit, ganz unterdrückt zu haben. Auf Ereignisse der republikanischen Geschichte verwiesen dabei nur wenige Festtage, die an Caesar erinnern. Offen bleibt, inwieweit darüber hinaus auch lokale T r a d i t i o n e n eines Stadtviertels in den vici erinnert wurden. Für das compitum Aälium, das in seinem Namen die Erinnerung an die Familientradition einer republikanischen gens wachhielt, hat Monique Dondin-Payre eine solche Kontinuität vermutet. Beweisen läßt sie sich bislang für keinen der augusteischen wer, in die Kalender flössen sie jedenfalls nicht erkennbar ein. Die Inschriften der augusteischen vici und anderer collegia führten von der zentralen Initiative des Kaisers zu den Reaktionen der Untertanen und ließen dort das Nebeneinander unterschiedlicher Geschichtsbilder zutage treten. Der Befund würde noch komplexer, wertete man die Kalender italischer Gemeinden, auf die bereits kurz einzugehen war, systematisch aus. Eine solche umfassende Untersuchung ist hier nicht beabsichtigt; vielmehr soll im folgenden nach der historischen Dimension jener Feste gefragt werden, die vom Kaiserhaus initiiert, unter seiner Kontrolle ausgewählt und begangen wurden. Im Versammlungslokal der fratres Arvales, dem lucus Deae Diae vor den Toren der Stadt, ließ diese unter Augustus neuorganisierte Priesterschaft in ähnlicher Weise wie die bescheideneren Kompitalkulte einen Festkalender anbringen. Genau wie die bekannten Opferprotokolle der Bruderschaft, die commentarii fratrum Arvalium, war die Kalenderinschrift, die etwa 1,60 m hoch war und deren rekonstruierte Gesamtbreite sich auf über drei Meter beKef, auf Marmortafeln von 2,2 m Höhe angebracht; in einer unteren Zone von 60 cm Höhe waren Konsulatsfasten angebracht. Innerhalb dieses Ensembles aus commentarii, Fasten und Kalender nahm dieser eine prominente Stellung ein:
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Kalenderinschrift ein Eintrag mit der Neuordnung von 23 v.Chr. verbunden: Sie wurde erkennbar nicht als feiernswerter Neubeginn empfunden. Dondin-Payre 1987. Freilich begegnet es als compitum Aahi in den Fasti fratrum Arvalium (Inscrlt XIII 2, 2) als der Ort, an dem die Arvalbrüder am 1.10. das Tigillum soronum begehen. Daneben wäre die Untersuchung auf private Kalender auszudehnen, zu denen vorläufig Rüpke 1995, 86-90, bes. 89 heranzuziehen ist.
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Wurden jene in Buchstaben von etwa 1 cm Höhe aufgezeichnet, so waren die Buchstaben des Kalenders etwa dreimal so groß. Aufschlußreich ist das Verhältnis zwischen dem Kalender und den inschriftlich festgehaltenen commentarii^ die das tatsächliche Kultgeschehen dokumentierten. Die jährlichen Kulthandlungen der Arvalen unterlagen ständigen Veränderungen. Dabei ist nicht nur an die Opfertermine aus Anlaß von HerrscherJubiläen zu denken, die mit jedem Herrscherwechsel überarbeitet werden mußten. Auch die Verbindung zwischen Herrscherhaus und römischem Pantheon, die etwa der Kult der Salus mit ihren wechselnden Beinamen herstellte, wurde wiederholt neu definiert. In den commentani der Arvalen fanden diese Neudefinitionen jährlich ihren Niederschlag. Im Gegensatz dazu stand der Kalender. John Scheid hat zuletzt zeigen können, daß der Kalender der fratres Arvales zwar kurz nach seiner Aufstellung - wohl in den frühen 20er Jahren v.Chr. - noch um wenige Korrekturen und Nachträge erweitert wurde. Danach verzichtete man jedoch darauf, die Veränderungen im Kultgeschehen weiter zu dokumentieren; bereits zu Lebzeiten des Augustus wurden neue Feiertage nicht mehr nachgetragen, und für seine Nachfolger trug man selbst deren dies natales nicht nach. Jörg Rüpke hat darauf hingewiesen, daß dies den Kultvollzug auch nicht störte, da die von den fratres Arvales zu vollziehenden Opfer feriae conceptivae waren: Ihre Termine wurden jährlich neu festgelegt und erschienen deshalb auf dem Kalender nicht. Der Kultkalender der Arvalen bildete einen Zyklus prominenter römischer Feiertage ab, der unverändert blieb und unberührt von jenem historischem Wandel, den doch gerade die Kultprotokolle neben ihm abbildeten. Mit jedem Herrscherwechsel und jeder Veränderung im Kultgeschehen mußte diese Diskrepanz noch zunehmen. Ähnlich wie die Inschriften der via und collegia, aber aus ganz anderen Gründen lassen auch die Fasten der fratres Arvales Brüche und Dissonanzen in einem Geschichtsbild erkennen, das aus der selektiven Übernahme kaiserlicher Vorgaben entstand. l 75
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Eine Beschreibung des Fundkomplexes geben Scheid 1990, 77-81 sowie zuvor bereits Degrassi in seinem Kommentar zu Inscrlt XIII 2, 2. Vgl. die grundlegende Untersuchung von Scheid 1998. Dies hat besonders Schwarte 1977 zeigen können. Scheid 1998, 693. So schon für den dies natalis des Tiberius am 16.11. Rüpke 1995,45-48, bes. 48. Mustergültig wird dies deutlich für den Geburtstag des Augustus am 23.9., der seit 30 v.Chr. als feriae publicae den Status NP hatte. Diese Veränderung wurde in den Fasti Fratrum Arvalium nachgetragen, doch obwohl die Feierlichkeiten sich über zwei Tage erstreckten (vgl. König 1972), unterblieb dies für den 24.9., der im selben Zusammenhang ebenfalls NP geworden war.
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4. Feiern und - Vergessen Unter dem 26. Oktober nennt der Festkalender der Arvalen die ludi Victoriae Sullanae. Unter demselben Namen begegnen diese ludi in den Fasti Sabini, die wohl nach 19 v.Chr. entstanden sein dürften. Dieser Verweis, hinter den augusteischen Neuanfang zurück, wirft die Frage nach der historischen Tiefenschärfe des Festkalenders der frühen Kaiserzeit auf. Denn ebenso wie die Erwartung eines epochalen Einschnittes griff auch die Einrichtung neuer Feste als Mittel der Selbstdarstellung auf caesarische Modelle zurück. Die Feste, die der Senat für Caesar an den Tagen wichtiger Siege beschlossen hatte, wurden unter Augustus ebenso weiter gefeiert wie natürlich die ludi Victoriae Caesaris. Dagegen überrascht es nicht, daß für den Venus-Victrix-Tempel des Pompeius in augusteischer Zeit zwar der Dedikationstag weiter begangen wurde, Caesars Konkurrent aber in den Kalendern nicht namentlich genannt wird. Die Sprachregelung der Fasti tiberischer Zeit aus Allifae85 und aus Amiternum lautet hier einheitlich in theatro marmoreo, obwohl das Theater in Rom weiterhin als Pompeiustheater bekannt war. Diese Sprachregelung findet sich ähnlich auch bei den ludi Victoriae Sullanae, die im Kalender der Arvalen und in den Fasti Sabini unter diesem Namen, doch bereits in augusteischer Zeit in den Fasti Maffeiani nur als ludi Victoriae aufgeführt werden, während die Fasti Praenestini, welche für Caesar und Augustus die gestifteten Spiele immer nennen, und die nach 20 n.Chr. verfaßten Fasti Amiterni sie ganz übergehen.
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Ebenso in den Fasti Sabini, Inscrlt XIII 2, 5. Inscrlt XIII 2, 5 mit dem Kommentar von Degrassi sowie Rüpke 1995, 96 nimmt ein augusteisches Datum an und nennt die Einrichtung der Augustalia 19 v.Chr. als terminus post quem. Doch unter diesem Namen wurde das Fest wahrscheinlich erst nach dem Tod des Augustust gefeiert, vgl. Scheid 2001, 95f. - Die Fasti Maffeiani, wohl nach 8 v.Chr. entstanden (Inscrlt XIII 2, 10), sprechen hingegen nur von ludi Victoriae. Sie sind zusammengestellt bei Herz 1978,1150. Inscrlt XIII 2, 24. Eine schola sub theatro Aug(usto) Pompeian(o) nennt die undatierte Inschrift CIL VI 9404. Auch die R. Gest. div. Aug. 20 sprechen von theatrum Pompemm und heben hervor, Augustus habe es sine ulla inscriptione nominis mei restauriert. Fasti Sabini (Inscrlt XIII 2, 5); Fastifratrum Arvalium (Inscrlt XIII 2, 2). Ludi Victoriae: Fasti Maffeiani (Inscrlt XIII 2, 10). Die Formulierung des ersten Festtages ist in den Fasti Oppiani (Inscrlt XIII 2, 13) und den Fasti viae dei Serpenti (Inscrlt XIII 2, 27) sowie den Fasti Antiates ministrorum (Inscrlt XIII 1, 31) verloren; daß sie hier in den folgenden Tagen als ludi in Circo bezeichnet werden, besagt nichts, weil der erste Eintrag den vollen Titel der Spiele nennt. Fasti Vraenestini (Inscrlt XIII 2,17); Fasti Amiterni (Inscrlt XIII 2, 25).
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Aufgrund des Erhaltungszustandes der Inschriften ist dieser Prozeß außerhalb Roms sehr viel deutlicher zu erkennen als in den stadtrömischen Fasten. Denn die Fasti Amiterni xmd der von M. Verrius Flaccus verfaßte Kalenderkommentar der Fasti Vraenestini lassen bereits einen deutlichen Unterschied in der Behandlung republikanischer und jüngerer Feste erkennen. Mit historischen Kommentaren hat Verrius Flaccus in Praeneste solche Feste versehen, die entweder der Frühzeit Roms angehörten, oder die in direktem Zusammenhang mit der domus Augusta standen. Dazwischen ragt als verbindendes Element allein der Galliersturm heraus: Der Eintrag des 23.3 schiebt in seine Erläuterung des altrömischen Reinigungsfestes Fubilustrium einen Verweis auf die gallische Eroberung von 396 v.Chr. ein. Selbst die während des 2. Punischen Krieges in Rom eingeführten Megalensia kommentiert Flaccus dagegen nur mit Blick auf die Riten. Obwohl die Einführung des Kultes der Magna Mater und ihre historischen Umstände in der zeitgenössischen Literatur, etwa in Ovids Fasti, breit erörtert werden, rückt Verrius Flaccus hier alle historischen Bezüge in den Hintergrund. Ähnlich verhält es sich mit den knapperen Erläuterungen der Fasti Amiterni, die sich völlig auf die augusteische Zeit konzentrieren und auch einen Tag wie den dies Alliensis, der an die Niederlage gegen die Gallier an der Allia erinnerte, unkommentiert lassen. Der dünne Faden einer historischen Kontinuität zwischen Republik und Kaiserzeit riß bald völlig ab. Nach der Zeit des Tiberius werden die Spiele Sullas nicht mehr genannt; im 4. Jahrhundert n.Chr. wurden sie sicher nicht mehr gefeiert. Doch wie Peter Herz gezeigt hat, fing der Prozeß einer laufenden Revision des Kalenders und vor allem: einer laufenden Tilgung früherer Feiertage hier erst an. Schon die antiken Historiker heben ihn hervor. Caligula unterdrückte, wie Dio und Sueton übereinstimmend berichten, jene Feiern, die an die Niederlage des Antonius im Bürgerkrieg erinnerten, den er als seinen
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Fasti Vraenestini (Inscrit XIII 2, 17) zum 23.5.: [Tubil(ustrium)], np. [Feriae] Marti. Hie dies appellatur ita quod \ in atrio Sutorio tubi lustrantur, \ quibus in sacris utuntur. hutatius \ quidem clavam eam ait esse in ruina Palati | [ijncensi a Gallis repertam, qua Komulus Urbem \ inauguraverit. Vgl. Ov. fast. 4,179-372. Fasti Vraenestini (Inscrit XIII 2, 17) zum 4.4.: Ludi M(atri) D(eum) Mfagnae) I(daeae). Megalensia vocantur, quod [e]a dea \ Megale appellatur. Nobilium mutitationes cenarum \ solitae suntjirequenterfieri, quod Mater Magna \ ex libris Sibullinis arcessita locum mutavit ex Phrygia | Romam. Die Fasti Amiterni (Inscrit XIII 2, 25) erläutern auch das tubilustrium nicht. Der Eintrag zum dies Alliensis ist in den Fasti PraenestiniVerloren. Zu den Hercules-Spielen Sullas, die bereits in der Republik an Bedeutung verloren hatten, vgl. Wiseman 2000.
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Vorfahren verehrte. Pragmatischer waren die Gründe, mit denen etwa Claudius und Nerva die Abschaffung von Feiertagen begründeten, die angeblich überhand genommen hatten. Wie unterschiedlich dabei verschiedene Kalender vorgehen konnten, zeigte sich bereits an den Tagen, die an die Neuordnung von 27 v.Chr. erinnerten. Auch ansonsten hingen Fortbestand oder Niedergang von Festtagen des kaiserlichen Hauses von Faktoren ab, die für uns weitgehend im dunklen bleiben: Für das Totengedenken an Gaius und Lucius Caesar hat Wolfgang Dieter Lebek ein Fortleben bis an das Ende des 1. Jahrhunderts nachweisen können. Zwar konnte die Veranstaltung von Zirkusspielen am Festtag sich hier hilfreich auswirken, doch selbst ein Fest wie die ludi Victoriae Caesaris, an die Claudius noch anknüpfte, indem er sie als ludi Victoriae Caesans et Claudi der 98
eigenen Selbstdarstellung nutzbar machte, ist nach trajanischer Zeit nicht mehr belegt. Und es mutet wie eine Ironie dieser Entwicklung an, daß auch die prominenten Feste der augusteischen Zeit, wie Peter Herz gezeigt hat, nach dem Ende der julisch-claudischen Dynastie in Vergessenheit gerieten. Die wichtigste Ausnahme von diesem Prozeß sukzessiven Vergessens waren die Geburtstage der Kaiser. Der Kalender von Santa Maria Maggiore, der am Ende des 2. Jahrhunderts entstanden sein dürfte, das Feriale Duranum aus severischer Zeit 102 und der Chronograph des Jahres 354 fuhren wichtige Herrscherfeiern, vor allem Siegesfeiern, allenfalls für kurz zurückliegende Kaiser auf. Frühere principes werden, soweit man sie zu den kanonisch ,guten' Kaisern zählt, hingegen mit der Nennung ihres Geburtstag in Erinnerung gebracht. Das Geschichtsbild, das dem Betrachter hier entgegentritt, trennt damit zwischen einer jüngeren Geschichte, aus der wichtige Ereignisse als Jahrestage erinnert werden, und der Zeit der früheren principes. An sie erinnern keine spezifischen historischen Leistungen mehr, ihr Andenken ist im Kalender auf den dies natalis reduziert. Damit schiebt sich der Gedanke an die Sukzession
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Cass. Dio 59,20,2; Suet. Cal. 23,1. Siehe oben S.152f. Lebek 2003, bes. 52-55. VgL Herz 1978,1150. CIL VI 33943; 37834 (AE 1903,161). Zusammenfassend Herz 1978,1148; vgl. jüngst Herz 2003, bes. 54-56. Ediert von Magi 1972; vgl. zur Datierung Salzman 1981 sowie zusammenfassend Rüpke 1995, 86-90. Fink 1971, 422-429, Nr. 117; erstmals ediert von Fink u.a. 1940, vgl. Nock 1952; Güliam 1954 sowie Herz 1975, 87-93. Inscrlt XIII 2, 42; auch nach der Untersuchung von Salzman 1990 bleibt grundlegend Stern 1953.
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legitimer Herrscher, die jedes Jahr wieder in Erinnerung treten, vor die Erinnerung an die Leistungen und persönlichen Qualitäten einzelner Augusti.
5. Resümee Der Festkalender der augusteischen Zeit mit seiner starken, in immer neuen Festen zum Ausdruck gebrachten Vorstellung eines Neuanfangs erscheint bei näherer Betrachtung als ein vorübergehendes Phänomen. Der Rückgang und baldige Abbruch der Gewohnheit, Festkalender in Stein zu publizieren, ist von Jörg Rüpke mit dem immensen Anwachsen von Kaisergedenktagen erklärt worden und mit den immer wieder neuen Anforderungen, die politische Wechselfalle an einen politischen Festkalender stellen mußten. Vielleicht deutet aber doch beides eher auf das Ende einer bestimmten Festpraxis und einer damit verbundenen Form historischer Erinnerung hin, die im Übergang von Republik zu Prinzipat stand. Hatte Augustus doch mit der geradezu inflationär anmutenden Verkündung epochaler Neuanfänge letztlich keine Alternative zum Vorbild spätrepublikanischer Politik geboten, sondern sich in deren Tradition gestellt. Das Vorbild eines Sulla, Pompeius und vor allem Caesar wurde unter den Möglichkeiten der Monarchie ins Monumentale gesteigert. Mit der Etablierung der neuen politischen Ordnung war eine ständige Neukonstitution immer neuer, spektakulärer Fixpunkte historischer Erinnerung unnötig, wahrscheinlich wäre sie auf Dauer auch gar nicht zu leisten gewesen. Einzelne Versuche, in diese Richtung über das von Augustus Erreichte hinauszugreifen, wie sie etwa bei Caligula oder Nero zu beobachten sind, blieben ohne Erfolg. Der Weg führte in eine andere Richtung, wie sie bereits im Festkalender der fratres Arvales angelegt war. Dort unterblieben bereits am Ende der augusteischen Zeit Änderungen und Aktualisierungen: Die Feste, an denen die Arvalbrüder als Angehörige der Senatsaristokratie teilnahmen, mußten immer mehr von dem in ihrem Heiligtum ausgestellten Kalender abweichen. Bei der Auswahl der in die Fasti aufzunehmenden Feste zeigte sich, daß auf der Ebene lokaler Kultvereine das augusteische Konzept zwar durchaus auf fruchtbaren Boden fiel. Doch anders als im Militär, wo die Befehlsstruktur dem princeps die Einführung eines einheitlichen Festkalenders ermöglichte, führte die kaiserliche Initiative unter den Bedingungen einer Großstadtreligion aber nicht zu einem geschlossenen, von allen Stadtbewohnern einheitlich im Festge104 105
Rüpke 1995, 417-424. Daß der Festkalender des romischen Militärs von Augustus festgelegt wurde, hat auf der Grundlage des Fertale Duranum und Veg. 1,8 zuerst Nock 1952, bes. 197 und 242, und nach ihm Güliam 1954 gezeigt.
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schehen vergegenwärtigten Geschichtsbild. In den viä Roms wählte man unterschiedliche Anfangsjahre für die epochale Neuerung des Larenkultes, in den Kalendern der viä wurden jeweils verschiedene Feste des Monarchen rezipiert oder ignoriert. Auch wenn sich nur in wenigen Einzelfällen ein Eindruck gewinnen ließ von den Kriterien der jeweiligen Auswahl, dürfte es doch nicht zu weit gehen, hier von unterschiedlichen Formen der Rezeption oder auch partiellen Zurückweisung kaiserlicher Initiativen zu sprechen. Die einzelnen Festkalender entstanden jeweils aus der Interaktion kaiserlicher Politik und lokaler Vorstellungen, aus den Vorgaben kaiserlicher Propaganda und der Reaktion ihres Publikums. Dabei ist nicht zu übersehen, daß die hier untersuchten Inschriften den Blick nur auf die lokalen Funktionäre und damit auf eine kleine Personengruppe freigeben, die gleichzeitig Rezipienten und Multiplikatoren kaiserlicher Vorstellungen waren. Freilich entfaltete sich ihr Handeln, das, soweit ich sehe, in der Diskussion um die Tauglichkeit des Begriffs ,Propaganda' für die Beschreibung des frühen Prinzipats bisher nicht beachtet wurde, im Rahmen des Vorgegebenen, indem sie auswählten aus Feiertagen, die die kaiserliche Zentrale propagierte. Die Grenzen dieser Wahl markierte jedes Jahr der 14. Januar, an welchem in ausnahmslos allen Kalendern ein Eintrag nicht fehlen durfte: Stets war der Geburtstag des Marcus Antonius als dies endoteräsus aufgeführt: als Unglückstag.
w Fasti Maffeiani (Inscrlt XIII 2, 10), Oppiam (Inscrlt XIII 2, 13), Verulani (Inscrlt XIII 2, 22) sowie außerhalb Roms die Fasti Caeretani (Inscrlt XIII 2, 8) und Praenestim (Inscrlt XIII 2, 17). Übergangen wird der Geburtstag nur im Feriale Cumanum (Inscrlt XIII 2, 44), das allerdings als Feriale keine vollständige Wiedergabe des Kalenders beabsichtigt und nur eine Auswahl kaiserlicher Jubelfeiern präsentiert.
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Die Jubilarfeiern der römischen Kaiser Matthäus Heil
Constantin ist während seiner Regierung nur dreimal nach Rom gekommen. Beim ersten Mal, Ende Oktober 312 n.Chr. - nach dem Sieg über Maxentius —, zog er als Eroberer oder Befreier in die Stadt ein. Bei den beiden anderen Malen kam er, um ein Fest zu begehen: Im Juli 315 n.Chr. reiste er aus Gallien zur Feier seiner Decennalien an, seines zehnten Herrschaftsjubiläums, und ging im Herbst wieder nach Gallien zurück. Im Sommer 326 n.Chr. durchquerte er das halbe Reich - eigens um in Rom seine Vicennalien (sein zwanzigstes Herrschaftsjubiläum) zu begehen. Er kam damals aus dem Reichsosten und begab sich schon kurz nach den Feiern an die Balkanfront und im Folge jähr wieder in den Osten. Die Jubilarfeiern wurden also ebenso wichtig genommen wie ein großer Feldzug. Allein die Kaiserreisen erforderten einen immensen logistischen und finanziellen Aufwand, und der Herrscher verbrauchte hierfür viel von seiner kostbaren Zeit. Während zahlreiche Kriege als Reaktion auf eine (echte oder vermeintliche) Bedrohung zu erklären sind, war der Kaiser bei diesen Feiern frei von äußerem Zwang und konnte langfristig planen. Die Feste wurden also bewußt als ein Hauptereignis der kaiserlichen Regierung in Szene gesetzt. Warum war dem so? Warum hat es der Kaiser z.B. nicht bei einem kleinen Umtrunk im vertrauten Kreise bewenden lassen und ansonsten seine Energie auf handfeste Probleme verwandt, die es doch in großer Zahl gab? In der modernen Fachliteratur sucht man vergebens nach Antworten, obwohl die Feiern allenthalben erwähnt werden. Psychologische Spekulationen würden 1
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Zu den Daten siehe Barnes 1982, 72 (mit Belegen): Constantin traf am 18. oder 21. Juli in Rom ein und reiste am 27. September ab. Sein dies imperii war der 25. Juli 306 (siehe Kienast 1996, 298 mit Belegen). Die Jubilarfeier fand hier am Anfang des zehnten RegierungsJahres statt. Zu Constantins Itinerar und den Daten siehe Barnes 1982, 76f.: Constantin betrat Rom am 18. oder 21. Juli und verließ die Stadt bereits am 3. August. Diese Feier markierte den Abschluß des zwanzigsten Herrscherjahres. Im Jahr zuvor hatte es bereits einen Festakt in Nikomedia gegeben, vgl. Eus.-Hieron. Chron. p. 231 Helm (zu 325 n.Chr.): Vicennalia Constantini Nicomediae acta et sequenti anno Komae edita sunt. Siehe beispielshalber Demandt/Engemann 2007 (Katalog der Trierer ConstantinAusstellung von 2007). Dort findet man nur wenig mehr als eine Spalte bei Kolb 2007, 177f. und zwei Spalten bei Engemann 2007a, 203f. - Die wichtigsten Beiträge zu den Jubilarfeiern der römischen Kaiser sind zwei 1950 und 1951 erschienene Akademieabhandlungen von Harold Mattingly. Eigentlich wird hier jedoch nur eine
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hier nicht weiterhelfen: Andere Kaiser vor und nach Constantin haben ihre Jubiläen mit ähnlich großem Aufwand begangen. Auch der bloße Verweis auf die römische Tradition würde nicht viel erklären. Gerade Constantin hat vielfach rigoros mit der Überlieferung gebrochen - nicht nur in seiner Religionspolitik. Auch am Ablauf der Jubilarfeiern hat er viel geändert und die Feier seiner Tricennalien, seines dreißigsten Herrschaftsjubiläums, sogar gänzlich nach Konstantinopel verlegt. Aber an der Feier als solcher hat er festgehalten. Große Jubiläen implizieren stets einen historischen Rückblick, und dieser nimmt für gewöhnlich nicht die Form eines selbstquälerischen Sündenbekenntnisses an, sondern stellt die Vergangenheit als eine Erfolgsgeschichte vor Augen. Das war auch bei den Jubilarfeiern der römischen Kaiser nicht anders. Die Feste vermittelten also — unter anderem - ein spezifisches Geschichtsbild, das auf sehr wenige, schlichte und pauschale Aussagen reduziert war. Man muß die Frage also präziser fassen: Warum haben Constantin und seine Kollegen derart großen Wert darauf gelegt, eine Erfolgsbilanz ihrer bisherigen Regierung zu präsentieren, und warum haben sie dies in Gestalt einer Jubilarfeier getan? Die moderne Forschung hat (zumindest in anderen Bereichen) mitderweile gelernt, politische Rituale wichtig zu nehmen - zumal in ,vormodernen' Gesellschaften. Wie sich zeigte, waren sie nicht ein folkloristisches Kuriosum, son-
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(nicht vollständige) Sammlung der Münzbelege geboten, die zudem nach der nur teilweise richtigen Vorannahme strukturiert ist, daß die Münzen jeweils über Ereignisse berichteten und daher jede Münze genau einem Fest zuzuordnen sei. Die Artikel in der RE und anderen Lexika sind enttäuschend knapp. Hilfreicher ist die knappe Zusammenstellung von Kienast 1996, 45-51. Eine Serie von Aufsätzen von Andre Chastagnol (siehe exempli gratia die folgende Anm.) verliert sich in (nicht immer schlüssigen) Überlegungen zu Detaüfragen. Anscheinend ist ein erheblicher Teil der modernen Forschung der Suggestion erlegen, daß Jubiläen einfach zu einem bestimmten Zeitpunkt „fallig" gewesen seien. Entsprechend wurden Regeln postuliert, und es wurde immer wieder versucht, die Jubilarfeiern als (scheinbare) Fixpunkte für weitere chronologische Forschungen zu verwerten, siehe z.B. Chastagnol 1982, bes. 370, Chastagnol 1983, 11; Chastagnol 1984a, 92f.; Chastagnol 1984b, 105; Chastagnol 1987, bes. 491. Aber wie zu zeigen sein wird, hatten die Jubilarfeiern ihrerseits eine wechselvolle Geschichte, und als großes, eminent politisches Fest waren sie selbstverständlich den Imperativen der Politik unterworfen ~ auch was den Zeitpunkt angeht, zu dem sie tatsächlich begangen wurden. Zu beidem siehe unten S. 190-192. Siehe z.B. Althoff 2001; Stollberg-Rilinger 2004 (teilweise unnötig theonelastig). Für das Mittelalter erwies sich der Forschungsansatz als ertragreich; in der Alten Geschichte scheint er noch zu keinen durchschlagenden Erkenntnisfortschntten geführt zu haben. Das mag damit zusammenhängen, daß die Kommunikation durch Rituale dort weniger Bedeutung hat, wo offen diskutiert werden kann. Entsprechend dürfte man Ritualkommunikation besonders in der hohen Kaiserzeit und der Spät-
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dem ein wesentlicher Teil der Geschichte. Denn viele der großen Ereignisse bestehen im Kern nicht aus Handgreiflichkeiten, sondern aus Sprachhandlungen7 oder kommunikativen Akten; erinnert sei nur an die Proklamation eines neuen Kaisers. Rituale könnte man auffassen als eine standardisierte Form der Kommunikation, bei der allen Beteiligten klar ist, was die symbolischen Handlungen zu bedeuten haben. Allerdings liegt die Semantik solcher Akte für den modernen Historiker nicht immer offen zutage, sondern muß erschlossen werden. Das gilt auch für die Jubilarfeiern. Es läge nahe, sich zunächst an den äußeren Ablauf zu halten und zu versuchen, von daher den inneren Sinn zu erfassen. Doch ist dies bei den Feiern Constantins nur teilweise möglich, da die Quellen allzu knapp und selektiv berichten und viele wichtige Details fortlassen. Erfolgversprechender scheint es, die Genese der Jubilarfeiern zu verfolgen. Denn wie sich zeigen wird, hatten sie eine windungsreiche Geschichte, in der sie erst allmählich zu dem geworden sind, was sie später waren; ihr Bedeutungsgehalt wurde also erst nach und nach aufgebaut. Aus der Genese der Jubilarfeiern ergibt sich vielleicht auch eine Antwort auf die zweite Frage, nämlich warum Constantin und die Kaiser seiner Zeit diese Feste so wichtig genommen haben.
1. Ursprünge Die Jubilarfeiern sind ausschließlich das Werk der römischen Monarchie. Es gab kein außerrömisches Vorbild (auch nicht bei den hellenistischen Königen) und auch keine Vorläufer in der Zeit der Republik. Allerdings ist kein eigentlicher Gründungsakt überliefert. Die Frage nach den Ursprüngen hat sich in der Antike bereits Cassius Dio gestellt, der Geschichtsschreiber aus der Severerzeit. Er unterbreitet folgende Theorie: Augustus habe sich 27 v.Chr. das imperium proconsulare auf zehn Jahre verleihen lassen, und da dieses immer wieder verlängert worden sei, sei die Alleinherrschaft des Augustus in Perioden von zehn Jahren gegliedert gewesen. Dann fährt er fort:
antike finden (wo politische Debatten tabu waren). In der Tat gab es hier derartige Erscheinungen, siehe z.B. Wiemer 2004. Siehe das klassische Werk von Austin 1962. Chastagnol 1987 versucht aus der Zusammenziehung von Nachrichten zu verschiedenen Festen ein Bild vom typischen Ablauf zu rekonstruieren. Die Methode setzt jedoch eine Gleichförmigkeit und Unwandelbarkeit voraus, die erst zu beweisen wäre.
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Matthäus Heil „Aus diesem Grunde feierten die nachfolgenden Herrscher, obwohl sie nicht mehr für einen bestimmten Zeitraum, sondern ein für allemal auf Lebenszeit ernannt wurden, nichtsdestoweniger alle zehn Jahre ein Fest, wie wenn sie bei dieser Gelegenheit ihr Kaisertum wieder erneuerten. Und so hält man es bis zum heutigen Tage."
Ob Dio damit recht hat, erscheint fraglich. Die Zehnjahresfrist ist eine rein äußerliche Gemeinsamkeit, und mit dem Konzessivsatz räumt Dio selbst ein, daß er das Nebeneinander von lebenslänglichem imperium proconsulare und zehnjährigem Fest nicht näher erklären kann. Zudem findet man bei keiner dokumentierten Feier irgendeinen Hinweis auf einen Zusammenhang mit dem Imperium proconsulare. Man muß die Passage wohl so auffassen, daß Cassius Dio, der die voll entwickelte Form der Jubilarfeiern kannte, sich auf die Suche nach deren Ursprüngen begeben hat, bei den von ihm benutzten Historikern der frühen Kaiserzeit aber nicht fündig wurde und daher eigene Vermutungen anstellte. Hilfreicher erscheint es, die frühen Jubilarfeiern selbst zu betrachten: Dort ist stets von Gelübden (vota), genauer: von Gelübden auf zehn Jahre (vota decennalia) die Rede, und diese Gelübde sind ohne Zweifel der ursprüngliche, kultische Kern. Ein Gelübde besteht bekanntlich aus zwei wesentlichen Teilen: einem Versprechen an eine Gottheit, im Falle der Erfüllung eines Wunsches eine besondere Leistung zu erbringen (votum susapere), und der späteren Einlösung des Versprechens, nachdem der Wunsch in Erfüllung gegangen ist (votum solvere). In der römischen Welt waren Gelübde ein geradezu ubiquitäres Phänomen, sowohl im Privadeben wie auch im Bereich des Staates. Sie wurden nicht nur in Notlagen ausgesprochen, sondern auch wenn jemand eine größere Aufgabe anging oder ein Amt übernahm. Einzulösen waren solche Gelübde dann jeweils bei Ablauf der Amtszeit oder der Erfüllung der Aufgabe, was aber längst nicht immer pünktlich erfolgte, sondern oft verspätet oder manchmal verfrüht. Bei staatlichen Gelübden wurde zumeist ein feierliches Opfer für Jupiter Optimus Maximus auf dem Kapitol in Rom versprochen. So darf es als sicher gelten, daß Augustus - wie vor einer Reise oder einem Feldzug — auch bei der Übernahme des imperium proconsulare Gelübde ausgesprochen hat, in denen dem Jupiter Optimus Maximus und anderen Göttern bestimmte Gaben (d.h. ein Opfer) für den Fall zugesichert wurden, daß er seine Aufgabe 9 10 11 12
Cass. Dio 53,16,2f. Siehe unten S.177f. Zu den Quellen siehe das Folgende. Die ungeheure Materialfülle ist wohl auch der Grund, warum es zu den vota keine umfassende Untersuchung gibt.
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erfolgreich bewältige; sie standen nach Ablauf der fünf- oder zehnjährigen Periode zur Einlösung an und wurden nach der Verlängerung des imperium proconsulare sicher erneuert. Augustus sprach die Gelübde - wie jeder angehende Proconsul — zweifellos im Namen der res publica Romana aus. Denn solche öffentlichen Gelübde bezogen sich dem Wordaut nach jeweils auf den status rei publicaey und der Magistrat handelte sozusagen als Vertreter der Bürgergemeinde. Bewegte sich hier noch alles im Rahmen der Tradition, ergab sich bei Tiberius ein religionssystematisches Problem: Tiberius übernahm das imperium proconsulare und andere Vollmachten ohne zeitliche Begrenzung, doch gerade deswegen konnte man die üblichen Gelübde nun nicht mehr an das Ende der Amtszeit oder der Funktion binden. Denn dies hätte bedeutet, daß die Erfüllung des Gelübdes überhaupt nie fällig werden konnte - es wäre ein unsinniges Versprechen gegenüber den Göttern gewesen. Statt die Gelübde ganz fallenzulassen, hat man sie sozusagen artifiziell auf zehn Jahre terminiert: Sie wurden im Jahre 24 n.Chr. nachweislich eingelöst; zugleich wurden neue Gelübde auf zehn Jahre ausgesprochen, die dann - wie überliefert ist - im Jahr 34 n.Chr. eingelöst wurden, also nach Ablauf von vollen zehn Jahren. Der erste Kaiser, der vota decennalia von der Art der späteren Jubilarfeiern begangen hat, war also nicht Augustus, sondern Tiberius. Die Wahl einer zehnjährigen Frist hatte wahrscheinlich einen naheliegenden Grund. Es war dies die längste Frist, die in der römischen Staatspraxis gebräuchlich war. Man findet häufig Fristen von einem Jahr (wie die Amtsdauer der Magistrate), von fünf Jahren (wie die Zeit von Censur zu Censur) und — als deren Verdopplung - von zehn Jahren. 1 Auf diese lange Standard-Frist wurden sowohl das imperium proconsulare des Augustus als auch die vota für Tiberius terminiert, ohne daß zwischen beidem ein unmittelbarer Zusammenhang bestanden haben muß. Die Gelübde wurden einfach so eingerichtet, daß die
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Cass. Dio 57,24,1 (Xiphilin-Exzerpt): ÖieXGovxoöv 5e x©v Ö8K<X EXGÖV xfjc. dpxfjc. aorou \j/T|(pief|6T| (otiöe ydp eSeixo Kaxaxejivcüv ororriv, toonsp 6 ADYOIKJTO<;, ap^eiv), TJ nevxoi 7tavf|yvpi<; i\ 8£Kaexr|pi<; s7coif|0T|. Cass. Dio 58,24,1-2: uexd öe xorirax EIKOCTXOI) EXOÜC, xfjq dpxfj<; £7uoxdvxoc. auröc, jaev, Kaixoi ftepi x£ xö ' AAßavöv Kai nepi xö TOVKJKOIAOV öiaxpißaw, OIJK eofjXGev sq xf|v nökiv, ol ö' wtaxoi AOVKICK; x£ OvvzeXkioq Kai <Mßioc, üepaucöc; xf|v 5eK£xr|pi8a xity Sevxepav ecapxaaav. oikco ydp auxfjv, aXk1 OVK £iKocj£xr|piÖa d)vö|na£ov, co<; Kai xr|v f|y£|ioviav auöic. auxö Kaxd xöv Äuyovoxov öiöovx£<;. xf|v xe ouv eopxqv dua Ercoiouv Kai £KoXd£ovxo* KXX. — Andre Chastagnol (siehe Anm. 4) und andere haben wiederholt behauptet, daß die Einlösung der Gelübde immer am Anfang des zehnten Jahres erfolgte. Wie man sieht, trifft die angebliche Regel bereits bei den ersten derartigen Festen nicht zu. Dies bedeutet selbstverständlich, daß nicht alles, was auf fünf oder zehn Jahre terminiert ist, mit Jubilarfeiern zu tun hat.
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Götter nach einer langen, aber endlichen Zeit mit deren Einlösung rechnen durften. Zu beachten ist allerdings, daß es neben den vota decennalia viele weitere Gelübde zugunsten des Kaisers gab. Hervorzuheben sind die Gelübde auf ein Jahr, die jeweils am Neujahrstag und später am 3. Januar feierlich eingelöst und ausgesprochen wurden, ferner vielerlei Gelübde aus besonderen Anlässen wie einer Erkrankung des Kaisers. Überhaupt wurde der staatliche Kult so umgestaltet, daß die meisten Riten die Bitte der res publica an die Götter zum Ausdruck brachten, den Princeps zu schützen, weil nur er ihre Wohlfahrt gewährleisten könne. Zugleich wandelte sich die Teilnahme an solchen Riten zu einem Akt der Zustimmung zum Principat und zum Ausdruck der persönlichen Verbundenheit mit dem Princeps - aber als einer Verbundenheit zwischen Ungleichen. Viele weitere ritualisierte Gesten brachten die gleichen Gedanken zum Ausdruck, wie z.B. die Gabe von Neujahrsgeschenken (strend) an den Kaiser. Später wurde der Tag des Herrschaftsantritts {dies imperii) als besonderer Glückstag gefeiert. Die Gelübde, die später zum Kern der Jubilarfeiern wurden, nahmen in diesem Umfeld zunächst keinen herausgehobenen Rang ein. Das wurde auch von den Zeitgenossen so gesehen. Tacitus berichtet ausfuhrlich über den Herrschaftsantritt des Tiberius, übergeht aber die Einrichtung der vota decennalia. In seinen Augen waren sie wohl ein technisches Detail. Sogar Tiberius selbst hat die vota decennalia nicht wichtig genommen. Im Jahr 34 n.Chr. hielt er sich zwar in der Nähe von Rom auf, fand es aber nicht für wert, wegen der Einlösung der Gelübde persönlich in die Stadt Rom zu kommen, und ließ sich durch die Consuln vertreten. Eben deswegen erklärt ein Blick auf die frühesten Ursprünge der Jubilarfeiern allein noch nicht viel. Mindestens ebenso wichtig ist es zu verfolgen, wie sie später einen neuen, spezifischen Inhalt gewannen.
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Cass. Dio 58,24,1 f.; vgl. oben Anm. 14.
Die Jubüarfeiern der römischen Kaiser
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2. Die Etablierung der Jubilarfeiern Für die frühe Kaiserzeit gibt es keine weiteren Hinweise auf vota decennalia, obwohl Claudius und Nero jeweils ihr zehntes Jahr erreicht haben. Gelübde zugunsten Domitians, von denen wir zufällig erfahren, könnten vota decennalia gewesen sein, und ebenso könnten Spiele, die Trajan gab, mit der Einlösung solcher Gelübde zusammenhängen. Ab Hadrian stehen wir auf sicherem Boden. In dokumentarischen Quellen ist bezeugt, daß bei Vollendung seines zehnten und zwanzigsten RegierungsJahres Feste gefeiert wurden. Seit Antoninus Pius wird in der Münzprägung regelmäßig auf die Einlösung der 20
zehnjährigen Gelübde und die Feiern hingewiesen. So läßt sich zeigen, daß die Feste auch unter allen seinen Nachfolgern begangen wurden. Seit Commodus 17
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Scheid 1998, Nr. 49 (81 n.Chr.): Die fratres arvales haben votorum commendandorum causa pro salute et incolumitate Caesaris divif. Domitiani auf dem Kapitol geopfert, d. h. um mit ihrer Gabe die Gelübde zu unterstützen, die jemand anderer aussprach. In den fasti Ostienses werden zum Jahr 108 n.Chr. Gladiatorenspiele erwähnt; allerdings ist der Text stark beschädigt (Vidman 1982, S. 47, Fr. J). Ahnliche Spiele des Jahres 107 n.Chr. scheinen aber mit dem Triumph über die Daker zusammenzuhängen (ebd., Fr. Hc). Decennalien: Fasti Ostienses (Vidman 1982, S. 49, Fr. Mc): XIII k. Nov. ludß] votivi decennale[s facti pro] salute Aug. diek X. XIII k. Nov. in Circo pfyrrichae?) fiartae). Vicennalien: P.Oslo 77. - Ob sich Münzen mit dem Hinweis auf vota publica (Mattingly 1950, Nr. 4-7) ebenfalls auf die Vicennalien beziehen, ist nicht klar. Vgl. allgemein auch Chastagnol 1984b. Wenig hilfreich erscheint Rächet 1980. Zu Antoninus Pius siehe Mattingly 1950, Nr. 9; RIC III Antoninus Plus Nr. 171173; 184; 846; 849; 851-853; 856; 858; 864 {Decennalia) und Mattingly 1950, Nr. 10; RIC III Antoninus Pius Nr. 156b-157; 283; 291-295; 306f; 783; 792-794; 813f.; 1008-1012; 1018-1020; 1026-1028; 1033f; 1037; 1042; 1062f.; 1066 (Vicennalia). Damals war noch nicht von Vicennah, sondern von Decennalia II die Rede. Marc Aurel: Mattingly 1950, Nr. 13; RIC III Marc Aurel 243-251; 1003-1008; 10141018; 1256 vgl. 1720f. Probleme bereitet eine 166/167 n.Chr. beginnende Serie mit der Legende vota dec(em) ann(orum) susc(epta)y Mattingly 1950, Nr. 11; 14; RIC III Marc Aurel 944f; 951. Zu Commodus siehe die sehr starken Münzemissionen bei Mattingly 1950, Nr. 15f.; RIC III Commodus 99a-c; 115; 136; 318; 321; 441; 444a; 449; 454-456; 459 (vota suscepta decennalia), Mattingly 1950, Nr. 17; RIC III Commodus Nr. 140; 161; 522 (vota soluta decennalia), Mattingly 1950, Nr. 18; RIC III Commodus Nr. 229; 576 (votis XX). Allem Anschein nach sind die Gelübde, auf die man sich bezog, nicht bereits zum Zeitpunkt der Augustus-Erhebung ausgesprochen worden, sondern erst am Beginn seiner Alleinherrschaft Im einzelnen ergeben sich etliche Probleme, weil manche Typen und Legenden offenbar über längere Zeit geprägt wurden. - Auf den zehnten Jahrestag der Ernennung zum Augustus scheint auch eine alexandrimsche Münze mit der Legende neQiob(o(;) 6ena£z(r\Qi(;) hinzuweisen: BMC Alexandria 1442; Geißen 1982, Nr. 2226. - Vielleicht ist auch die Inschrift CIL IX 273 heranzuziehen.
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findet man dann auch Prägungen anläßlich des Aus Sprechens der vota decennalia — ein Brauch, der von Pertinax weitergeführt wurde. Man kann also geradezu mitverfolgen, wie aus den eher nebensächlichen zehnjährigen Gelübden in der hohen Kaiserzeit ein veritables Herrscherfest wurde. Seit ungefähr der Zeit Hadrians kann man im eigentlichen Sinn von Jubilarfeiern sprechen. Das läßt sich durch einige weitere Beobachtungen stützen: Bei Hadrians zehnjährigem Jubiläum wurden ludi votivi decennales (,Zehnjahres-Gelübde-Spielec) ausgerichtet, die sich über zehn Tage hinzogen. Dabei ist es gleichgültig, ob sie zu den Leistungen gehörten, die den Göttern versprochen worden waren, oder ob sie lediglich aus Anlaß der Gelübdeeinlösung veranstaltet wurden. Wichtig scheint, daß an dem Ereignis nicht nur einige Funktionäre teilhatten (wie es bei einem Opfer der Fall gewesen wäre). Vielmehr feierte die ganze Stadt mit - sei es aus Überzeugung oder aus Vergnügungssucht. Die Spiele begannen übrigens nicht am 11. August 127 n.Chr., an dem Hadrian sein zehntes Herrscherjahr vollendete, sondern erst am 20. Oktober 127 n.Chr. Der Grund ist ebenso einfach wie bezeichnend: Hadrian war in diesem Sommer in Italien unterwegs und kam erst Anfang oder Mitte August zurück; die Spiele wurden auf einen passenderen Zeitpunkt verschoben. Anders als seinerzeit Tiberius legte er also Wert darauf, selbst in würdevoller Weise dabei zu sein, und sein Wunsch gab den Ausschlag. Das Datum eines Herrscherfestes wurde letztlich nicht von der kalendarischen Fälligkeit, sondern von den Imperativen der Politik bestimmt. Hadrians Zwanzigjahrfeier, seine Vicennalien, ist nur indirekt bezeugt. Ein Papyrus aus dem Fayum zeigt, daß dort noch unter Marc Aurel ein jährliches Gedenkfest für die Vicennalienfeier von 137 n.Chr. begangen wurde. Auch wenn hierbei möglicherweise nicht viel Aufwand getrieben wurde, so zeigt der Papyrus dennoch, daß die Vicennalien selbst in sehr entfernten Teilen des
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Siehe Mattingly 1950, Nr. 20; RIC IV 1 Pertinax Nr. 13.; 24; 28 (hier schon mit der etwas irreführenden Legendeprimi decennales); 31a; 39. Das Aussprechen der Gelübde am 12. Januar 193 n.Chr. wird auch in den Arvalakten vermerkt, siehe Scheid 1998, Nr. 97, S. 277. Das heißt aber nicht, daß das Fest damals überhaupt erst entstanden ist (gegen Hammond 1959, 31-33, der allzu leicht glaubte, daß nicht existiert habe, wovon nichts überliefert ist). Zu Hadrians Itinerar siehe Kienast 1996, 128f.; Birley 1997, 197-199. P.Oslo 77: urcep TOT) TÖV Geöv ÄSpiavöv Seuxepav rfjq äpxfte [S£KETT|pi8a] 7i£7tX,T|p(üKevau Die Ergänzung ist unstrittig.
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Reiches mitgefeiert und die Erinnerung an das selten begangene Fest noch später wach gehalten wurde. Die Münzen, die seit Antoninus Pius geprägt wurden, lassen überdies erkennen, wie die Herrscher die Jubilarfeiern verstanden wissen wollten, welche Botschaft ihnen zugedacht war. Die Typen der Rückseiten lassen sich grob in folgende Kategorien einteilen: Eine Gruppe zeigt den Kaiser beim Opfern. Diese Münzen bilden also die Einlösung des Gelübdes ab, denn gemeint ist sicher das feierliche Opfer auf dem Kapitol, das dem Jupiter versprochen worden war. Eine zweite Gruppe zeigt Victorien in verschiedensten Varianten, z.B. eine Victoria, die eine Formel wie vota X auf einen Schild schreibt, oder zwei Victorien, die einen so beschrifteten Schild hochhalten. Hier wird das Jubiläum also als eine große Siegesfeier vor Augen gestellt. Eine dritte Gruppe ist weit schlichter gestaltet; sie zeigt lediglich eine Aufschrift wie vota X, die von einem Kranz umgeben ist. Der Kranz ist wohl als Siegerkranz zu verstehen, und diese Typengruppe dürfte als eine Art Abbreviatur der Victoria-Motive aufzufassen sein. Eine vierte Gruppe zeigt schließlich den Kaiser als Spielgeber. Solche Prägungen waren anfangs eher selten. Zunächst dominierten die Opfer-Darstellungen, doch schon bald wurden die Victorien und der Text im Kranz zu den beherrschenden Bildmotiven. Die Vota-Formel im Kranz darf geradezu als das Standard-Bild für die Jubilarfeiern bezeichnet werden. Die enge Verbindung mit dem Siegesgedanken, die man hier beobachtet, ist nur schwer aus den ursprünglichen Gelübden abzuleiten; sie ergab sich vielmehr aus der allgemeinen kaiserlichen „theologie de la victoire". Nicht die Reichsverwaltung, sondern der Kampf gegen die äußeren Feinde galt als die ureigene Aufgabe des Kaisers, und die ,Kaisertheologie' insinuierte, daß der Herrscher die Götter auf seiner Seite habe und stets erfolgreich sei - mehr noch, daß es quasi seine Haupteigenschaft sei, stets den Sieg zu erringen und dem Reich damit Sicherheit, Ruhe und Wohlstand zu verschaffen (wofür man ihm den allergrößten Dank schulde). Dieser ursprünglich eigenständige Komplex von Behauptungen, Bildern und Assoziationen wurde nun in der hohen Kaiserzeit mit den alle zehn Jahre wiederkehrenden Jubiläen verbunden. Die Botschaft, die sich daraus ergab, könnte man etwa so in Worte fassen: Der
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Die Beachtung, die die großen Kaiserfeste im ganzen Reich fanden, wird nicht zuletzt ersichtlich aus den Festkalendern BGU 362 und P.Dura 54 (dem „Feria/e Duranum"). Ausdruck von Gage 1933. Siehe z.B. Tac. ann. 13,4,2: Als Nero sich zu Anfang seiner Herrschaft als der künftige Ideal-Princeps vorstellte, endete seine von Seneca geschriebene Rede mit den Worten: ... teneret antiqua munia senatus [...] se mandatis exerätibus consulturum. Richüg gesehen bereits von Alföldi 1934, 97-100.
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Kaiser habe jetzt schon zehn Jahre lang durch seine fortwährenden Siege dem Reich das höchste Glück beschert, und es sei zu hoffen, zu wünschen und zu beten, daß er diese außerordentlichen Leistungen (mindestens) auch in den nächsten zehn Jahren vollbringen werde. Es wäre ebenso einfach wie unergiebig zu zeigen, daß diese Botschaft allenfalls teilweise durch die Realität gedeckt war. Interessanter erscheint die Frage, warum sie gerade in der hohen Kaiserzeit mit solchem Nachdruck immer aufs Neue wiederholt wurde. Da die Überlieferung keine unmittelbare Antwort enthält, hilft vielleicht ein Blick auf die Lage weiter, mit der sich die Kaiser konfrontiert sahen. Anders als unter Augustus stand die Monarchie als solche längst nicht mehr zur Debatte, doch gab es nach wie vor keine klare Regel, wer Kaiser werden durfte. Wer die Macht innehatte, mußte also dartun, warum man gerade ihm folgen sollte. Die politische Werbung verfolgte - ohne Rücksicht auf mögliche Widersprüche - mehrere Argumentationsstränge zugleich und suchte diese in griffige Parolen, eingängige Bilder und ausdrucksstarke Rituale zu kleiden. Die wenigen Kernmotive wurden unentwegt wiederholt und beziehungsreich variiert - vielleicht in der Hoffnung, daß sie ihre eigene Realität gewönnen, wenn sie sich einmal ins Denken der Menschen einprägten. Neben dem Hinweis auf die Abstammung, die vielfachen Ehren, das Wohlwollen der Götter und den (angeblichen) consensus universorum gehörte auch das Motiv des Kaisers als Sieger über äußere Feinde zu diesem Kernbestand. In den Jubilarfeiern gewann es eine spezifische Variation in der Behauptung, der Kaiser habe sich über lange Zeit hinweg höchst erfolgreich bewährt, was die Schlußfolgerung nahelegte, daß er und nur er Herrscher sein solle. Die Jubilarfeiern hatten den Vorteil, daß dem Publikum nicht erst mühsam eine neugeschaffene Symbolsprache vermittelt werden mußte. Ebenso wie die zehnjährigen Gelübde, aus denen sie hervorgingen, bauten sie jeweils auf Vertrautem auf, das variiert, erweitert und mit anderem Bekannten in Verbindung gesetzt werden konnte. Das Zutrauen in die Verständlichkeit des Festes war so groß, daß man sich auf den Münzen oft mit einer bloßen Chiffre begnügte, um das Anliegen ins Bild zu setzen. Doch war das Fest nicht allein auf seine Hauptbotschaft zu reduzieren. Denn zugleich bot es einen Anlaß, die kaiserliche Freigebigkeit und patronale Großzügigkeit in Szene zu setzen, und es war nach wie vor auch ein Zustimmungsritual, das die Beherrschten allseits fröhlich mitfeiern sollten. In ihm sammelten sich also in unterschiedlicher Akzentuierung verschiedene Stränge der kaiserlichen Herrschaftslegitimation.
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3. Septimius Severus Septimius Severus war der erste, der das inzwischen übliche Fest zu einer großen Haupt- und Staatsaktion gesteigert hat. Im Frühjahr oder - weitaus wahrscheinlicher - im Sommer 202 n.Chr. kehrte er von seinem Orientfeldzug und seiner Ägypten-Reise nach Rom zurück. Dort zog er wie ein Triumphator ein, auch wenn der feierliche adventus des Kaisers formal wohl 32
nicht als Triumph deklariert war. Verbunden war damit die Feier der Decennalien sowie die Heirat des designierten Nachfolgers Caracalla mit Plautilla, der Tochter des höchst einflußreichen Prätorianerpräfekten Plautian. Die Senatoren wurden vom Kaiser zu einem exquisiten Bankett geladen. Aus Anlaß des Jubiläums wurden gewaltige Geldgeschenke an die Prätorianer und die stadtrömische Plebs verteilt - zehn Goldstücke pro Mann (d.h. etwa zwei Drittel des Jahressolds eines Soldaten); insgesamt wandte der Kaiser nicht weniger als 200 Millionen Sesterzen auf. Ferner wurden zur Feier der Heimkehr, der Siege und der Decennalien des Kaisers ganz besonders großartige Spiele gegeben, wobei nicht weniger als 700 überwiegend exotische Tiere in der Arena erlegt wurden. Insgesamt sieben Tage dauerten die Festlichkeiten. Vermutlich wurde im ganzen Reich mitgefeiert, und die Gemeinden haben wohl schon damals als Ausdruck ihrer Freude dem Kaiser ,goldene Kränze' (bzw. die entsprechenden Geldsummen) geschenkt. 30
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Zeugnisse: Cass. Dio 76,1,1-5 (der Bencht eines Augenzeugen, wenn auch nur im Exzerpt vorliegend); Herodian. 3,10,1 f., ferner die Münzen: Mattingly 1950, Nr. 23; RICIV 1 Septimius Severus Nr. 186; 307-310; 329; 519f.; 821; 832 vgl. Nr. 607. Vgl. auch Chastagnol 1984a. Das genaue Datum ist nicht überliefert. Zum Teil wird angenommen, das Fest habe am 9. April begonnen, also dem dies imperii des Severus (so Kienast 1996,157). Dies ist aber lediglich aus angeblichen Fälligkeitsregeln erschlossen. Das Itinerar des Kaisers spncht dagegen, daß die Feier ,pünktlich' begangen wurde: Am 1. Januar 202 n.Chr. befanden sich Severus und Caracalla noch in Antiochia in Syrien und haben dort den Konsulat angetreten. Für die Reise quer durch Anatolien und den Balkanraum - rund 3000 km -, einen Besuch bei den Truppen in Moesien und Pannonien sowie die Vorbereitung der Feiern in Rom wären ihnen damit nur etwa drei Monate verblieben, was wohl entschieden zu wenig ist. Auch Birley 1988, 143f. erwägt, daß der Kaiser am 9. April noch auf dem Weg nach Rom war. Vgl. ferner den Kommentar von Whittaker 1969 zu Herodian. 3,10,1-2. So ist wohl Herodian. 3,10,1 (viicr|
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Das Herrschaftsjubiläum wurde nun auch der Erwähnung in der (uns erhaltenen) Historiographie für wert befunden, denn der Senator und Geschichtsschreiber Cassius Dio war persönlich anwesend und hat als Augenzeuge berichtet. Nicht eigens notiert hat er die Einlösung der alten und das Aussprechen der neuen zehnjährigen Gelübde, obwohl beides zwingend vorauszusetzen ist. Die vota, der eigentliche Anlaß der Jubilarfeiern, waren inzwischen zur Nebensache geworden. Das große Herr scher fest von 202 n.Chr. setzte sich aus mehreren Einzelfeiern zusammen, die jeweils eine ähnliche Botschaft unters Volk brachten: Der Kaiser - inzwischen geschmückt mit dem Siegerbeinamen Parthicus maximus kehrte nach einem erfolgreichen äußeren Krieg zurück, das Jubiläum gab zu verstehen, daß er sich schon über viele Jahre hinweg in gleicher Weise bewährt habe, und aus der Hochzeit konnte man ersehen, daß die Dynastie das Reich noch lange in gleicher Weise beschützen werde. Dieses einfache Welt- und Geschichtsbild wurde wohl nicht zuletzt deswegen mit solchem Aufwand propagiert, weil ihm offenkundige Fakten entgegenstanden: Septimius Severus, ein Emporkömmling, war durch einen Staatsstreich an die Macht gelangt und hatte sich in zwei Bürgerkriegen durchgesetzt — gegen den Willen eines erheblichen Teils des Senats. Inzwischen hatte sich Severus zum Sohn Marc Aureis erklärt und damit dynastische Legitimität beansprucht. Doch ahnte er wohl, daß dies allein nicht genügte. Die Feier von 202 n.Chr. ging möglicherweise indirekt auf die unausgesprochenen Vorbehalte ein. Freunde wie Gegner konnten in ihr eine Demonstration sehen, daß Severus sich gegen alle Widerstände erfolgreich behaupten konnte und daß seiner Familie die Zukunft gehörte. Allerdings hatte Severus immer darauf verzichtet, wegen der Siege in den Bürgerkriegen zu triumphieren, und hatte hier und anderswo stets seine Erfolge gegen äußere Feinde betont. Die Feier und ihr einseitiges Bild von der Vergangenheit waren sozusagen auch ein Angebot, ganz im Sinne des tradierten Herrscherideals der Kaiser aller Römer sein zu wollen, jedenfalls sofern sie sich seiner Autorität fügten. Die Wirkung des Festes ergab sich wohl unter anderem aus der Zusammenfassung der verschiedenen Feiern. Wohl um diese zu ermöglichen, hat Severus sein Jubiläum - anders als die Vorgänger - nicht nach der Vollendung von
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daß das aurum coronarium schon damals eine substantielle Belastung, eine Art unregelmäßig erhobener Steuer darstellte, und daß die Jubilarfeiern ein Anlaß waren, das aurum coronarium zu verlangen. Vgl. dazu auch Cass. Dio 77,9,2. Zum Bemühen um Legitimation gehört wohl auch, daß nun oft die Astrologie ins Spiel gebracht wurde - mit der Behauptung, die Sterne (d.h. ein unabänderliches, unergründliches Schicksal) hatten Severus zum Kaiser bestimmt. Dies wurde grundsätzlich richtig gesehen von Rubin 1980.
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zehn Jahren gefeiert, sondern entweder am Anfang des zehnten Jahres oder in dessen Mitte. Hier wie in allen Punkten war der Kaiser nicht der Sklave der Überlieferung, sondern die Tradition konnte benutzt werden, um mit ihr Politik zu machen. Allerdings setzten neuartige Handlungen dann ihrerseits Maßstäbe für die Zukunft.
4. Antworten auf die Herrschaftskrise Die Decennalien Caracallas wurden weniger aufwendig und eher routinemäßig begangen, doch wurden sie nachweislich auch außerhalb der Stadt Rom von den Reichsbeamten und den Provinzbewohnern mitgefeiert. Dasselbe gilt wohl für Severus Alexander, dessen Decennalien anscheinend vorgezogen wurden, weil der Aufbruch des Kaisers in einen Orientkrieg anstand. In den fünfzig Jahren nach dessen Sturz hat nur ein einziger Kaiser sein zehntes Jahr erreicht, nämlich Gallienus; die vielen anderen kamen alle früh zu Tode. So könnte man vermuten, daß die Jubilarfeiern in der politischen Instabilität des 3. Jahrhunderts obsolet geworden seien. Aber das Gegenteil ist richtig. Gerade in der Zeit der Krise griffen die Herrscher geradezu verzweifelt nach allen Möglichkeiten, sich selbst mit dem traditionellen Herrscherfest in Verbindung zu bringen. Recht besehen, hatte dies seine Logik: Nahezu alle Kaiser des dritten Jahrhunderts waren als Putschisten zur Herrschaft gekommen, konnten sich nur auf die prekäre Loyalität der Soldaten stützen und standen noch mehr als ihre Vorgänger unter dem Zwang, sich selbst als Alleinherrscher rechtfertigen zu müssen. Da es an guten Gründen fehlte, griffen sie nach jedem Strohhalm. Fast alle Versuche, eine neuen Dynastie zu stiften, scheiterten aber, bevor davon
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Reichsmünzen: Mattingly 1950, Nr. 26; RIC IV 1 Caracalla 179-181; 204f.; 441a; 470. Siehe ferner Münzen aus Berytos (BMC Phoenicia Nr. 122-131) und ein sich auf das Jubiläum beziehendes Kaiserfest in Ägypten: BGU 362 = Mitteis/Wilcken 1912, Nr. 96. Siehe außerdem CIL VI 434 b = ILS 3012 (Rom). Gezählt wurde ab Caracallas Erhebung zum Augustus im Jahre 198 n.Chr. - Offenbar war für 217 oder 218 n.Chr. eine Vicennalienfeier geplant, siehe die Münzen Mattingly 1950, Nr. 29; RIC IV 1 Caracalla 207; 295; 314, auf denen jeweils ein Zusammenhang mit dem erhofften Parthersieg hergestellt wird. Siehe die Münzen Mattingly 1950, Nr. 32; RIC IV 2 Severus Alexander Nr. 217-219; 260f; 505-510; 616f.; 654. Ferner gibt es alexandnnische Münzen mit der Aufschrift 7Eepio8o<; SemiT): BMC Alexandria 1703 bzw. - mit Iulia Mamaea auf der Vorderseite - BMC Alexandria 1762; Geißen 1982, Nr. 2512. Es ist hier nicht nötig, die Angemessenheit des Krisenbegriffs für das 3. Jahrhundert n.Chr. zu diskutieren, vgl. dazu Johne/Gerhardt/Hartmann 2006.
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eine Wirkung ausging. Etliche beriefen sich auf die Götter, sei es in Gestalt einer reichsweiten Fürbitte für den Kaiser (wie Decius), sei es durch die Einführung eines neuen Schutzgottes (wie Aurelian), sei es durch den dezidierten Rückgriff auf die altrömischen Götter (wie Diocletian). Hierher gehört wohl auch die pompöse Ausgestaltung von Herrschertracht und Herrscherzeremoniell, was beides den Kaiser wie einen unantastbaren Halbgott erscheinen ließ. Aber das alles genügte nicht - offenkundig auch nicht in den Augen der Kaiser selbst. Auf eine langjährige, siegreiche Bewährung verweisen zu können, hätte viel zur Legitimation beigetragen. Schon seit Commodus war es üblich geworden, bereits das Aussprechen der zehnjährigen Gelübde zu Herrschaftsantritt als feierlichen Akt auszugestalten. Bezeugt ist dies auch für Pertinax,3 Macrinus und Elagabal. ° In der Folge ließ dann nahezu jeder Kaiser und Usurpator Münzen prägen, die auf die vota suscepta hinwiesen, und sie taten das zum Teil auch für ihre Mitherrscher: Maximinus Thrax, Balbinus und Pupienus, Gordian III., Philippus Arabs, Decius, Trebonianus Gallus, Aemilian, Valerian, Gallienus, Tetricus IL, Claudius Gothicus, Probus, Carus, Carinus und Carausius. Man machte diesen Akt also mit Verve publik und spekulierte wohl auf den bekannten psychologischen Effekt, daß das Publikum quasi schon als Faktum nimmt, was ihm selbstsicher angekündigt wird. Wenn einem Kaiser die Zukunft zu gehören schien, durfte er mit Gehorsamsbereitschaft rechnen. Übrigens wurden in dieser Zeit Jubilar-Formeln auch außerhalb des Kontextes eines realen Festes verwandt, wenn Untertanen in devoter Unterordnung ihre guten Wünsche für
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Siehe die Münzen Mattingly 1950, Nr. 30; RIC IV 2 Macrinus Nr. 5-13; 126-133. Im Reich wurde mitgefeiert, siehe eine Münzemission von Ephesos mit der Aufschrift ßarua (BMC lonia 294). Siehe die Münzen Mattingly 1950, Nr. 31; RIC IV 2 Elagabal 202f. und die Arvalakten des Jahres 218 n.Chr.: Scheid 1998, Nr. 100, S. 297. Die Feier in Rom fand lange vor der Ankunft des neuen Kaisers statt. - Für Severus Alexander läßt sich eine solche Feier nicht nachweisen. Bei ihm ist das feierliche Aussprechen der Gelübde auch durch die Arvalakten belegt, siehe Scheid 1998, Nr. 112, S. 327. Der Kürze halber seien hier nur die Belege bei Mattingly 1950 genannt: Nr. 33 (Maximinus Thrax), 34 (Pupienus und Balbinus), 35 (Gordian III.), 36f. (Philippus Arabs), 38f. (Decius), 40 (Trebonianus Gallus), 41 (Aemilian), 42 (Valerian und Gallienus), 53 (Tetricus), 44 (Claudius Gothicus), 46f. (Probus), 48 (Carus und Carinus), 54 (Carausius). Siehe ferner RIC V 1 Florianus 43. Schon seit Pertinax war es üblich, beim Herrschaftsantritt einfach nur vota decennalia auf die Münzen zu schreiben (Mattingly 1950, Nr. 20; RIC IV 1 Pertinax Nr. 13). Ohne zusätzliches Wissen könnte ein Betrachter leicht meinen, der Kaiser habe seine Decennalien bereits erreicht.
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den Herrscher formulierten - zu verstehen wohl als Beschwörung, ihr Herr möge das Jubiläum erreichen. Ein Soldat der vigiles fügte auch gleich hinzu, warum er dies seinem Kaiser wünschte: congiaria X aurios, er erhoffte sich ein Donativ, so groß wie das des Septimius Severus. Da die Jubiläen als Gedanke stets präsent blieben, gab es um so mehr Grund zum Feiern, als Gallienus tatsächlich seine Decennalien erreichte. Das Jubiläum wurde demonstrativ korrekt erst am Ende des zehnten Herrscherjahres begangen, nämlich 263 n.Chr., und mit großem Aufwand gefeiert. In der Historia Augusta wird — sachlich wohl korrekt — vor allem der Zug aufs Kapitol geschildert, wo Gallienus in eigener Person das Opfer darbrachte. An dem Aufzug nahmen auch Senatoren, Ritter, Soldaten und das ganze Volk teil, es wurden Opfertiere, Elefanten, Gladiatoren und Schauspieler mitgeführt und die angeblich besiegten Völker dargestellt, während sich der Kaiser in der Kleidung eines Triumphators sehen Keß. Nach der Rückkehr des Kaisers in den Palast gab es ein Bankett, Spiele und andere Lustbarkeiten. Inszeniert wurde auch hier also nicht nur der Ablauf von zehn Jahren, sondern die siegreiche Bewährung des Herrschers. Die Feier fiel allerdings in die Zeit der schlimmsten Mißerfolge des Gallienus und des ganzen Reiches, und wohl genau deswegen wurde sie in der senatorischen Überlieferung stark kritisiert, auf die hier die Historia Augusta zurückzugehen scheint. Dem Kaiser wird kaum verborgen geblieben sein, wie übel es um ihn stand. Doch vermutlich gerade weil von einer siegreichen Bewährung nicht die Rede sein konnte, wurde sie um so nachdrücklicher ins Bild gesetzt, zumal Gallienus mit seinen zehn Herr scherjähren über ein zutreffendes Argument verfügte, um die Tradition der Jubilarfeiern für sich in Anspruch zu nehmen. Was blieb den Rivalen zu tun, deren Jubiläen noch fern lagen? Postumus, der Herrscher des gallischen Sonderreiches, der mit Gallienus im Kampf lag,
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CIL VI 428 = ILS 2219 (Rom, unter Severus Alexander); CIL VI 2998f.; 3012; 3019; 3065; 3076 (Wandkntzeleien im Wachlokal der cohors VII vigilum aus der Zeit von Severus Alexander); CIL VI 1097 (Rom, für Philippus Arabs und sein Haus); CIL VI 3012; CIL VIII 21560 = ILS 2608 (aus Mauretania Caesariensis, eine Weihung von Soldaten für Gordian III. und Tranquillina); CIL III 8706. 4 5 CIL VI 2998. 46 Das Jahr geht eindeutig aus Porph. v. Plot. 4f. hervor. In der Forschung wird oft das Jahr 262 n.Chr. genannt, doch lediglich auf Grund von Vermutungen über die Fälligkeit der Feier, siehe z.B. Chastagnol 1983,13. 47 HA Gall. 7,4-9,7. Siehe ferner die Reichsmünzen Mattingly 1950, Nr. 43; RIC V 1 Gallienus Nr. 92-96; 333-335; 406; 411; 440-442; 540£; 569; 597-599 (569; 597-599 aus Siscia) und die alexandrinischen Münzen mit der Legende 5£K<xeTr)pic. Kopicm BMC Alexandria 2240; Geißen 1982, Nr. 2915. Beachte außerdem CIL XIV 5334 (Ostia).
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erfand wenig später die Quinquennalien (Fünfjahresfeier) - offensichtlich als direkte Antwort auf die große Decennalienfeier des Gallienus. Sie wurden 264 oder 265 n.Chr. gefeiert.4 Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte Postumus bei seiner Usurpation keine Gelübde auf fünf Jahre ausgesprochen, und mit der Halbierung der ursprünglichen Frist wurde der Kerngedanke der Jubilarfeier verwässert. Aber nur dadurch fand Postumus eine Rechtfertigung, um überhaupt ein Jubiläum zu feiern und in gewisser Weise mit Gallienus gleichzuziehen. Bis dahin war die Feier stets an die Stadt Rom gebunden gewesen; die Gelübde wurden im Tempel des Jupiter Optimus Maximus auf dem Kapitol eingelöst, wie dies zuletzt Gallienus zelebriert hatte. Postumus rückte davon ab - wohl nicht aus inneren Gründen, sondern umständehalber, weil Rom in der Hand des Gallienus verblieb. Es war dies die erste Jubilarfeier außerhalb Roms und ein erster Schritt zur Loslösung des Jubiläums von der Stadt. Waren die Quinquennalien also aus speziellen Zeitumständen heraus kreiert worden, so entsprach ein schneller zu erreichendes Jubiläum offenbar auch den Bedürfnissen vieler nachfolgender Herrscher, die die Idee aufgriffen. Aurelian hat ebenfalls Quinquennalien gefeiert, möglicherweise auch Tetricus, und spätestens seit Constantin wurden die Fünfjahrfeiern zum Allgemeingut. Die Quinquennalien blieben aber stets eine Jubilarfeier minderen Ranges. Einigen Herrschern des späteren dritten Jahrhunderts genügte auch diese Neuerung nicht. Sie ließen Münzen mit irreführenden Legenden prägen, so als hätten sie ein großes Jubiläum erreicht. Bild und Münzlegende changierten zwischen superlativischen Wünschen, intensiven Beschwörungen und der billigend in Kauf genommenen Täuschung des Publikums. Voran ging auch hier Postumus, der vot XX prägen ließ, was bis dahin allenfalls anläßlich der Decennalienfeiern üblich war. Auch Kaiser Tacitus ließ Münzen mit der Decennalienformel votis X et XX herstellen, obwohl er nur etwa ein halbes Jahr herrschte. Carausius ließ votopublico multis XX prägen, und von Probus gibt es
48 Siehe die Münzen Mattingly 1950, Nr. 50; RIC V 2 Postumus Nr. 34£; 41; 50f. (Mattingly 1950, Nr. 50a = RIC V 2 Postumus Nr. 34f. trägt die programmatische Rückseiten-Aufschritt quinquennales Postumi Aug.). Die Münzen lehnen sich in ihrer Gestaltung an die üblichen Decennalien-Typen an. 49 Siehe die Münzen Mattingly 1950, Nr. 53; RIC V 2 Tetricus 204f.; 209f. Wenn Tetricus Quinquennalien gefeiert hat, tat er dies zu früh, denn sein fünftes Herrscherjahr hat er gar nicht erreicht. - Probus scheint keine Quinquennalien begangen zu haben. 50 Mattingly 1950, Nr. 51; RIC V 2 Postumus Nr. 258; 334. 51 Mattingly 1950, Nr. 45; RIC V 1 Tacitus Nr. 109. 52 Mattingly 1950, Nr. 54a; RIC V 2 Carausius 595-597; 620.
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nicht nur Münzen mit votis X et XX, sondern sogar solche mit vota X soluta, was einer gezielten Falschmeldung gleichkommt. Ähnliche Beobachtungen kann man auch an Inschriften machen. Übrigens hörten derartige Manipulationen unter Kaisern, die fest im Sattel saßen, sofort wieder auf. Gerade die irreführenden Legenden zeigen überdeutlich, was den stets gefährdeten Herrschern ihrem eigenen Urteil nach besonders fehlte: der Nachweis siegreicher Bewährung in der überkommenen Form von Jubilarfeiern. Diese blieben ein Referenzpunkt herrscherlicher Selbstdarstellung und gewannen damit eher noch an Bedeutung. Ihre Geschichte hat eine Parallele in der Aufwertung anderer, auf die Person des Herrschers zielender Feiertage: des Kaisergeburtstags und des Jahrestages des Herrschaftsantritts, des dies imperii^ der als allgemeiner Glückstag für das ganze Reich verstanden und seit der Severerzeit immer stärker gefeiert wurde. Die Jubiläen waren aber seltenere, größere, komplexere und stärker gestaltbare Feste, die dadurch um so mehr der Politik dienstbar gemacht werden konnten.
5. Der Triumph der Tetrarchen Der seit 284 n.Chr. regierende Diocletian und sein 285 n.Chr. eingesetzter Mitkaiser Maximian legten — außer einer gewissen Zurückhaltung — zunächst keinen neuartigen Umgang mit den Jubilarfeiern an den Tag. Daß sie ihre Quinquennalien begingen, wissen wir nur durch die beiläufige Erwähnung eines Panegyrikers, der dem Maximian hierfür eine Festrede versprochen hatte. 5 Gefeiert wurde nicht in Rom, da sich beide Kaiser die ganze Zeit über auf Feldzügen befanden. Aus Anlaß der Decennalien wurden Münzen geprägt,5 53
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Votis X et XX: Mattingly 1950, Nr. 47a-b; RIC V 2 Probus Nr. 328; 362; 383; 454; 457-463; vota X soluta: Mattingly 1950, Nr. 47c; RIC V 2 Probus Nr. 7. AE 1995, 1541 = IK 57, 15, eine Ehrung des praeses von Lycia Pamphylia, Terenüus Marcianus, für Probus von 278 n.Chr.; sie endet mit der bei Decennalien üblichen Formel votis X ann. votis XX ann. Vielleicht war die Formel aber nur im Sinn eines Wunsches des Dedikanten für den Herrscher gemeint. Auf den vota-suscepta-Münzen Mattingly 1950, Nr. 55; RIC V 2 Diocletian 466f. erscheinen Diocletian und Maximian gemeinsam; sie wurden also erst nach Maximians Kaisererhebung geprägt. Bei Diocletians eigenem Herrschaftsantritt scheinen keine hergestellt worden zu sein. Paneg. Lat. 11(3),1,1. Eindeutige Quinquennalienprägungen sind nicht bekannt. Für eine gemeinsame Feier hätte es nur eine Gelegenheit gegeben, ein Treffen in Raetien 288 n.Chr.: Paneg. Lat. 10(2),9,1, wo aber von keiner Feier die Rede ist. Sie haben wohl getrennt und zu unterschiedlichen Zeiten gefeiert. - Auch der Usurpator Carausius hat Quinquennalien begangen, siehe die Münzen Mattingly 1950, Nr. 54; RIC V 2 Carausius Nr. 3f.
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und die Kaiser haben im Jahr 293 n.Chr. den ordentlichen Consulat übernommen, doch wie ihr Itinerar zeigt, haben sie auch dieses Jubiläum sicher nicht gemeinsam am selben Ort gefeiert. Im selben Jahr, doch offenbar nicht an den Jubilarfeiern, wurden mit Galerius und Constantius Chlorus zwei Caesares mit aktiver Herrscherfunktion ernannt, was den Rhythmus der Feiern verkomplizierte. Ob die Caesares eigene Quinquennalien gefeiert haben, bleibt unklar. Ihre Decennalien wurden in jedem Fall begangen, doch zumindest ideell wurden sie mit den Vicennalien der Augusti Diocletian und Maximian zusammengelegt. Denn die Tetrarchen traten immer entschiedener als einheitliches Herrscherkollegium auf, das aus zwei gleichrangigen Augusti und zwei um zehn Dienstjahre jüngeren Caesares bestand. Das gesamte öffentliche Erscheinungsbild wurde darauf abgestimmt; unter anderem wurden (tatsachenwidrig) Maximian genauso viele Regierungsjähre zugeschrieben wie Diocletian. Ferner wurden gemeinsame Jubilar-Münzserien der Augusti und Caesares geprägt, wobei letztere jeweils mit dem um zehn Jahre geringeren Jubiläum erschienen. Sollte es dennoch eigene Feiern der Caesares gegeben haben, bleiben sie uns hinter dem Schleier dieser Inszenierung verborgen. Diocletian und Maximian begingen ihre Vicennalien gemeinsam, und diese wurden nun zu einem großen Staatsakt ausgestaltet; sie wurden bewußt und gezielt als Gipfelpunkt ihrer erfolgreichen gemeinsamen Regierung in Szene gesetzt. Diocletian und Maximian übernahmen den ordentlichen Consulat des 58
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Mattmgly 1950, Nr. 56; RIC V 2 Diocletian, Rom Nr. 108; 125f.; 130; 175-179; 511514; Lugdunum Nr. 468; Trier Nr. 485-87, siehe ferner die alexandrinischen Münzen für Diocletian mit der AufschriftrcepioSoc.SeKärn: Geißen 1983, Nr. 3269. Vgl. außerdem die Inschriften CIL III 10605; AE 1944, 96 (Ostia) und die Meüensteine CIL XVII 2,118; 120a-b. Maximian besuchte Ende 294 n.Chr. die Stadt Rom: CJ 9,16,5(6), vgl. Paneg. Lat. 7(6),8,7. Ob dies mit einer Jubilarfeier zusammenhing, muß offenbleiben. Für die neuen Caesares wurden offensichtlich wta-suscepta-WLünzen geprägt, siehe Mattingly 1950, Nr. 56a; RIC V 2 Galerius Nr. 702f. Die Antwort hängt davon ab, ob Paneg. Lat. 8(5) zur Quinquennalienfeier des Constantius Chlorus gehört. Es ist auch nicht sicher, ob die Rede 297 oder 298 n.Chr. gehalten wurde. Siehe die Münzen Mattingly 1950, Nr. 56b; RIC VI Tner Nr. 82; RIC VI S. 678. Die Feiern wären im Frühjahr 302 oder Frühjahr 303 n.Chr. ,fällig' gewesen. Im Frühjahr 303 hielt sich Galerius zusammen mit Diocletian in Nikomedia auf, wo sie die große Christenverfolgung begannen. Aber die christlichen Autoren erwähnen nichts von einer ungefähr gleichzeitig stattfindenden Jubilarfeier. Siehe Kolb 1987,115-127 (mit der älteren Literatur). Der Gedanke, die Regierungs jähre des Hauptkaisers als die Regierungs jähre des gesamten Kaiserhauses aufzufassen, findet sich bereits in der Severerzeit, siehe AE 1960, 102 = IAM 254 und vgl. oben Anm. 33. Bezeichnenderweise kam er dort nicht vom Kaiser, sondern von einem selbständig agierenden höheren Beamten.
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Jahres 303 n.Chr., und die Hauptfeier fand im November 303 in Rom statt, d.h. am Anfang von Diocletians zwanzigstem Jahr. Maximian war persönlich anwesend, und ebenso reiste Diocletian eigens wegen der Feier aus Nikomedia quer durch das halbe Weltreich nach Rom. Die Tetrarchen, die sich ohnehin stark auf die römische Tradition beriefen, beharrten also auf dem nicht mehr selbstverständlichen Gedanken, daß die Feier nach Rom gehöre. Das große Ereignis selbst bestand - wie schon bei Septimius Severus und Gallienus - aus einer Kombination von mehreren Festen: einem Triumph über ,viele Völker' und der eigentlichen Jubilarfeier; hinzu werden Spiele, Bankette und ähnliches gekommen sein. Die Verbindung von Triumph (hier erstmals ein vollgültiger) und Jubiläum entsprach auch ganz der Bedeutung, die den Jubilarfeiern schon seit fast zwei Jahrhunderten gegeben wurde. Diocletian und Maximian hatten allen Grund zum Feiern: Zwanzig Regierungsjahre hatte zuletzt Antoninus Pius erreicht, und die Nöte der vorausgegangenen ,Zeit der Soldatenkaiser' hingen elementar damit zusammen, daß sich kein Kaiser hatte längere Zeit behaupten können. Diocletian und Maximian hatten überdies sämtliche Usurpatoren niedergeworfen und die allerorten eingefallenen Barbaren siegreich zurückgeschlagen. Ein Lobredner spricht nicht ohne Grund von „jenen zwanzig Jahren von beständigem glücklichem Erfolg". Die Vicennalienfeier war damit ein Ausweis der wiedergewonnenen Stabilität und brachte die persönliche Leistung - und das Weltbild - des Kaiserkollegiums perfekt zum Ausdruck. Das Fest war offensichtlich zugleich als der krönende Abschluß dieser erfolgreichen gemeinsamen Regierung gedacht. Denn allem Anschein nach haben Diocletian und Maximian hier den gemein-
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Lact. mort. pers. 17,1 f., vgl. Barnes 1982, 56 bzw. 59f. - Lactanz wirft Diocletian an dieser Stelle vor, daß er nur kurz in Rom geblieben ist. Dies ist eine willentliche Mißdeutung. Man muß umgekehrt betonen, daß Diocletian eigens wegen der Feier nach Rom gekommen ist; seine eigentlichen Aufgaben lagen anderswo. Eutrop. 9,27,2: ... post triumphum inclitum, quem Romae ex numerosis gentibus egerant (seil. Diocletian und Maximian); Eus.-Hieron. chron. p. 227 Helm (zu 304 n.Chr.): Diocktianus et Maximianus Augusti insigni pompa Romae triumphaverunt. Im Triumphzug wurden u.a. die gefangenen Frauen, Schwestern und Kinder des Perserkönigs Narses vorgeführt. Auf die Vicennalienfeier bezieht sich auch Paneg. Lat. 7(6),8,8; Eus. h. e. 8,13,9. - Aus Anlaß des Festes gab es eine sehr reiche Münzemission: Mattingly 1950, Nr. 57; RIC VI Trier Nr. 75f.; 93-99; 134-136; 562-571; 607-614; Ticinum Nr. 11; 36-42, Aquüeia Nr. 5-7; 10-15; Rom Nr. 74-89; Karthago Nr. 37£; Nicomedia Nr. 13-16; vgl. auch die unter Maxentius geprägten Solidi RIC VI Rom Nr. 136; 145f. und das Multiplum Nr. 174. Vgl. auch die Materialsammlung von Kuhoff 2001,230-45. Paneg. Lat. 7(6),10,1: illa viginti annorum continua feliätas. Der gleiche Gedanke findet sich auch bei Eus. h. e. 8,13,9, obwohl der Autor völlig andere Intentionen verfolgt.
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samen, freiwilligen Rücktritt vereinbart, der dann ein gutes Jahr später, nämlich am 1. Mai 305 n.Chr., vollzogen wurde. Das Fest sollte demnach auch anschaulich die Summe ihres gemeinsamen Wirkens ziehen. Aus Anlaß der Vicennalien wurden in Rom mehrere große (heute nicht mehr vorhandene) Monumente errichtet, der arcus novus und besonders das sogenannte Fünfsäulenmonument auf dem Forum Romanum. Letzteres bestand aus einer Säule für Jupiter, je einer mit dem Genius eines der beiden Augusti (anläßlich ihrer Vicennalien) und je einer mit dem Genius eines der beiden Caesares (anläßlich ihrer Decennalien). Das Bildprogramm der erhaltenen, reliefgeschmückten Basis verewigte die Grundgedanken des Festes in Stein: die Verbindung von vota und victoria (Jubiläum und Sieg), das dazugehörige Opfer an die überkommenen Götter, die Kollegialität der Augusti und die Einbeziehung der Caesares als collegae minores und designierte Nachfolger. Diese Botschaften wurden ganz in traditionellen Bildern ausgedrückt - nicht aus Phantasielosigkeit, sondern um bewußt den Konnex zur römischen Überlieferung zu betonen. Auch auf den begleitend geprägten Münzen wurde letztmals in der römischen Geschichte - das Opfer dargestellt, das die Kaiser zur Einlösung der Gelübde auf dem Kapitol darbrachten. Das Publikum sollte zur Kenntnis nehmen, daß Erfolg und siegreiche Bewährung von der gebührenden Verehrung der alten Götter herrühre. Dieser Aspekt der Jubilarfeiern war zuvor selten so stark hervorgekehrt worden; hier paßte er zum Geschichtsbild der Tetrarchie.
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Paneg. Lat. 6(7),15,6 spricht davon, daß Maximian dem Diocletian in Capitolino lovis templo etwas (nämlich mitabzudanken) geschworen habe. Das kann nur bei der Vicennalienfeier gewesen sein, denn Diocletian und Maximian waren sonst nie zusammen in Rom. Erwähnt beim Chronographen von 354 n.Chr. (Chron. min. I p. 148 Mommsen). Das Monument ging in der Renaissance verloren; erhalten ist lediglich die Inschrift (CIL VI 31383). Siehe Platner/Ashby 1929, 41 f. s.v. Arcus Novus (Diocletiani); Torelli 1993, 101 f. (mit Literatur). Teilweise wird das Monument allerdings mit Diocletians Decennalien in Verbindung gebracht, so u.a. Kolb 1987,180-183. Siehe dazu L'Orange 1938; Kahler 1964; Wrede 1981. An aussagekräftigen Resten ist nur eine Basis erhalten (,Decennalienbasis<). Siehe auch die Inschriften CIL 1203; 1204+1205 = 31262. Vgl. ferner kurz Brandt 1998, 64-68. Mattingly 1950, Nr. 57; RIC VI Trier Nr. 75f; 93a-99; 134436; 562-571; 607-614; Ticinum Nr. lla-b; 36a-42b; Aquileia Nr. 5a-7b; 10-15; Rom Nr. 74-87b; Karthago Nr. 35a-38, Nikomedia Nr. 13-16. Siehe auch oben zu den Caesares und vgl. außerdem RIC VI Rom Nr. 136; 145f; 174 (unter Maxentius). Die hohen Beamten des Reiches und die Reichsbewohner brachten in vielfältiger Weise ihre Anteilnahme zum Ausdruck, vgl. den Ehrenbogen CIL VIII 4764 = 18698 = ILS 644 (Macomades in Numidien), die Bauinschrift AE 1987, 961 = 1990, 1015 vgl. 1992, 1714, die Meilensteine CIL VIII 22481; 22485; 22488; 22489, das
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6. Constantin und das Christentum Bekanntlich ging die Geschichte nicht so weiter, wie Diocletian sie geplant hatte. Das tetrarchische System zerfiel, und die Bürgerkriege setzten die rivalisierenden Herrscher unter einen erhöhten Legitimationsdruck, was die Bedeutung der Jubilarfeiern nochmals ansteigen ließ. Auf weite Strecken könnte man die Geschichte des folgenden Jahrzehnts anhand der Jubilarfeiern schreiben, denn die Konkurrenten suchten sich auch mit ihren Feiern gegenseitig auszustechen. Während die Quinquennalien des Maximinus Daia keine Spuren hinterließen und die Quindecennalien des Galerius wohl gar nicht begangen wurden, feierten Constantin und Maxentius - die Rebellen gegen die tetrarchische Ordnung - 310/311 n.Chr. ihre Quinquennalien jeweils mit beträchtlichem Aufwand (Constantin umständehalber in Gallien). Mit der Betonung von Sieg, Dauer und Bewährung kehrten sie ihren eigenständigen Herrschaftsanspruch heraus. Galerius hatte für 312 n.Chr. eine große Vicennalienfeier geplant, nach der er vielleicht gemäß dem Beispiel Diocletians zurücktreten wollte, doch ist er noch vor der Feier gestorben. Constantin überwältigte dann bekanntlich Maxentius, und Licinius besiegte Maximinus Daia, den letzten Parteigänger des tetrarchischen Systems. Dieser ließ kurz vor seinem Untergang in
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Glasbild CIL XV 7007, die Goldfibel aus Schottland CIL VII 1283 (Abbildung in BJ 174, 1974, 230) und die Bittschrift P.Oxy. 2187. Siehe auch den Silberbarren: Chastagnol 1988, 24. Zunächst wurde aber dieser Eindruck zu vermitteln versucht: Man prägte Münzen, die die vota wcennalia suscepta der neuen Augusti Constantius und Galerius sowie die vota decennalia suscepta der neuen Caesares Severus und Maximinus Daia zum Gegenstand hatten: Matüngly 1950, Nr. 58; RIC VI Trier Nr. 682a-688; Siscia Nr. 148; Nikomedia Nr. 37f.; Anuochia Nr. 129-131. Vgl. ferner den Meilenstein CIL VIII 22491. Auch hier war das gewollte Bild des geordneten Herrscherkollegiums offensichtlich wichtiger als die Frage, wann die jeweiligen Gelübde wirklich ausgesprochen worden waren. Maxentius: Matüngly 1951, Nr. 60; RIC VI Aquileia Nr. 128; Rom Nr. 227-241; 281 a-c; Ostia Nr. 8f; 57; 62-64. Bei Lact. mort. pers. 44,4 werden seine Quinquennalien ins falsche Jahr verlegt. — Constantin: Matüngly 1951, Nr. 61 f.; RIC VI Trier Nr. 639-641; 744-754; 791-793; 821; 898-913. Siehe ferner Paneg. 5(8),13,14; 6(7),2,3. Die Hauptfeier fand am Anfang des fünften Herrschafts Jahres statt, doch gab es offenbar auch eine Feier zum Ende dieses Jahres, siehe Paneg. 5(8),13,2; vgl. Nixon 1980. Lact. mort. pers. 31,2f; 35,5, vgl ebd. 20,4. Vgl. den Residenzbau in Romuliana/Gamzigrad, der wohl — wie Diocletians Palast in Split - als Ruhesitz dienen sollte, siehe Vasic 2007; Bülow 2007; Wulf-Reith 2007.
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höchster Verzweiflung Decennalien-Münzen prägen, obwohl er erst acht Jahre an der Macht war. Über Constantins Decennalienfeier von 315 n.Chr. in Rom wurde bereits gesprochen. Aus diesem Anlaß stiftete ihm der Senat das bekannte Bogen78
monument. In dessen Inschrift und Bildprogramm wird allerdings nicht (wie üblich) nur in allgemeiner Form die Verbindung von Dauer und militärischem Erfolg herausgestellt. Vielmehr nahm das Monument sehr direkt auf Constantins kurz zurückliegenden — und hier als Befreiungstat hingestellten — Sieg über Maxentius Bezug, benutzte das einzelne Ereignis also als Beleg für die allgemeine Behauptung. Constantins Verbündeter und nunmehriger Rivale Licinius hat wenig später ebenfalls mit großem Aufwand seine Decennalien gefeiert. Im Jahre 320 n.Chr. hat Constantin seine Quindecennalien, sein fünfzehntes Herrschaftsjubiläum begangen. Es war die erste nachweisbare Feier 80
dieser Art, und sie wurde von einer überreichen Münzprägung begleitet. 77
Erst
Mattinglyl951,Nr. 59. * L'Orange 1939; siehe zuletzt Engemann 2007b. Inschriften: CIL VI 1139 (cf. 31245) = ILS 694. Das Fest wurde auch zum Sujet einer reichen Münzprägung: Mattingly 1951, Nr. 64; RIC VII Lyon Nr. 28; Trier Nr. 6-11; 38; 86-91; Arles Nr. 70; Rom Nr. 44; Ticinum Nr. 25; 40; 50; 58; Sirmium Nr. 9-13; Thessalonica Nr. 6£; Heraclea Nr. 8-10; Antiochia Nr. 1. Constantin und Licinius traten hier teilweise als Herrscherkollegium mit gemeinsamem Jubiläum auf. - Nach Eus. V.C. 1,48 wurde das Fest im ganzen Machtbereich Constantins mitgefeiert (angeblich ohne blutige Opfer). Bestätigungen liefern die Inschrift CIL VIII 8477 = ILS 695, gesetzt von Septimius Flavianus, dem praeses von Mauretanien (vgl. auch CIL VIII 8478), ferner AE 1990, 343 sowie die goldene Fibel aus Niederemmel bei Trier (AE 1978, 515; K.-J. Gilles, in: Demandt/Engemann 2007, CD Nr. I 7.21) und eine weitere Goldfibel aus Bonn (heute Paris: C. Giroire, in: Demandt/Engemann 2007, CD Nr. I 7.23). Siehe auch die Model bei Chastagnol 1988, 24 Nr. 3. 79 Quinquennalien: Mattingly 1951, Nr. 63; RIC VII Nikomedia Nr. 1-10; Heraclea Nr. 3f. Decennalien: Mattingly 1951, Nr. 65; RIC VII Heraclea Nr. 7; 9-10; Nikomedia Nr. 18; 41 f.; Antiochia Nr. 2-4; 20; 31 f. Siehe ferner die aus diesem Anlaß hergestellten, beschrifteten Silberschalen aus Svirkovo (Chastagnol 1988, 24 Nr. 4), aus Cervenbreg (ebd. Nr. 5), aus Naissus/Nis (ebd. 25 Nr. 6 = ILS 8939; C. Entwistle, in: Demandt/Engemann 2007, CD I 7.14; J. Kondic, ebd. CD I 7.16f.) und aus Esztergom (Chastagnol 1988, 25 Nr. 7; Z. Mräv, in: Demandt/Engemann 2007, CD I 7.15). Da dies die frühesten bekannten Largitionsschalen sind, könnte man erwägen, ob Licinius ihr Erfinder war. Doch vielleicht täuscht der Zufall der Überlieferung. so Münzen: Mattingly 1951, Nr. 67; RIC VII London Nr. 185-230; Lyon Nr. 63-208; Tner Nr. 208-209; 213-236; 254-257; 266-278; 291-334; 341-355; 368-428; 439; Arles Nr. 185-195; 202-208; 223; 228; 233; 239; 246; 252; Ticinum Nr. 81-87; 90£; 109£; 114-127; 130f.; 140-144; 163; 167; Aquileia Nr. 37; 47-64; 80-85; 104; Rom Nr. 146-150; 194-227; 231; 237; 245; Sirmium Nr. 9f; Siscia Nr. 47-140; 148; 159; 7
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von da an wurde es zum stehenden Brauch, in jedem fünften Jahr ein Jubiläum zu feiern. Im Jahr 321 n.Chr. folgten die Quinquennalien der Caesares, die separat begangen wurden. Constantins Söhne Crispus und Constantinus IL feierten in Rom, Licinius und sein Sohn Licinius IL waren nicht dabei und ihre schiere Existenz wurde vom damaligen Festredner eisern totgeschwiegen. Zur eigenen Feier von Licinius IL wurden unter anderem prachtvolle Silberschalen hergestellt, die vor einigen Jahrzehnten gefunden worden sind; es wurde also wohl an keinem Aufwand gespart. Kurz vor seiner endgültigen Niederlage gegen Constantin im Jahre 324 n.Chr. ließ Licinius VicennaKen-Münzen prägen, obwohl seine Vicennalien noch fern waren - offenbar eine Verzweiflungstat wie die des Maximinus Daia. Mit dem Sieg Constantins über Licinius begann eine neue Epoche, auch in der Geschichte der Jubilarfeiern. Constantin bekannte sich mittlerweile offen, unmißverständlich und ausschließlich zum Christentum. Der alte Kern der
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168; Thessalonica Nr. 27-35; 52-56; 72-84; 88; 96; 101; 109; 117. Überwiegend handelt es sich um Fö///>-Prägungen, teils mit der auffälligen Legende beata tranquillitas. Teils gehen die Serien nahdos in Prägungen zu den Quinquennalien der Caesares über, und teils werden auf Constantin bezügliche Rückseiten mit den Porträts der Caesares auf den Vorderseiten kombiniert. - Solange Constantin und Licinius nicht offen im Krieg lagen, wurde in der Münzprägung der Schein der Einheit des Herrscherkollegiums noch gewahrt und Licinius gelegentlich noch bedacht, siehe RIC VII Arles Nr. 209; 224; 229; 234; 240; Rom Nr. 228; 233; Ticinum Nr. 132; 145; Aquileia Nr. 67; 86; Siscia Nr. 141; 149f.; 160; Thessalonica Nr. 97; 102-104; 110-112. Doch besonders in den westlichen Münzstätten sank er zur bloßen Randfigur ab. - Zu Constantins Quindecennalien vgl. auch Paneg. Lat. 4(10),2,2 und CIL VIII 26166. Paneg. Lat. 4(10), der Panegynker von 321 n.Chr. Siehe bes. Paneg. Lat. 4(10),2,2. Zum Fest siehe ferner die Münzen Mattingly 1951, Nr. 69; RIC VII London Nr. 291f.; Lyon Nr. 95; 98-100; 210f.; Trier Nr. 339f; 430-434; 440f.; Arles Nr. 210-212; 225-227; 230-232; 235-238; 241-245; 247-251; 254-263; Rom Nr. 74-76; 229-231; 234-236; 238-244; 246f; Ticinum Nr. 134-139; 148-162; 164-166; 168-173; Aquileia Nr. 68-79; 87-103; 105-115; Sirmium Nr. 23-27; 32-34; Siscia Nr. 142-147; 151-158; 161-167; 169f; 172f; 175f; 178f.; 181f.; Thessalonica Nr. 85-87; 89-95; 98-100; 105108; 113-116; 118-122. In den Münzprägungen wurde der Sohn des Licinius jeweils mitberücksichtigt. Siehe Overbeck 1973; G. Zahlhaas, in: Demandt/Engemann 2007, CD I 7.18f. Der Inschrift zufolge wurden die Schalen (d.h. die Geschenke) von Licinius aus Anlaß des Festes seines Sohnes ausgegeben; gefeiert hat eigentlich also Licinius I. Mattingly 1951, Nr. 68 führt Münzen an, die 321/322 n.Chr. zu den Quindecennalien des Licinus geprägt worden sein sollen. Doch gehören sie wohl zur großen Emission anläßlich der Quindecennalien Constantins (siehe Anm. 80). Bezeichnenderweise kennt man (bislang) keine Largitionsschalen zu den Quindecennalien des Licinius. Mattingly 1951, Nr. 71. Die Sache bleibt erklärungsbedürftig.
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Jubilarfeiern bestand jedoch aus G e l ü b d e n u n d blutigen O p f e r n an heidnische Götter, w o r a n ein Christ sich unter keinen U m s t ä n d e n beteiligen konnte. So hätte es nahegelegen, das Fest schlichtweg fallenzulassen (zumal es nach d e m Sieg ü b e r Licinius nicht m e h r für d e n K o n k u r r e n z k a m p f benötigt wurde)
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ähnlich wie Constantin schon 313 n.Chr. die damals anstehende Saecularfeier 85
einfach übergangen hatte. Wie es scheint, folgte n u n tatsächlich eine Phase der Unsicherheit. D e r Festreigen zu Constantins Vicennalien w u r d e 325 n.Chr. mit einer Feier in Nikomedia eröffnet, zu der auch all die christlichen Bischöfe in den Palast geladen wurden, die a m gleichzeitig im b e n a c h b a r t e n Nikaia tagenden Konzil teilnahmen. I m Folgejahr 326 n.Chr. — also nach genau 20 J a h r e n an der Macht — reiste Constantin nach R o m u n d feierte dort erneut: Dies war w o h l als die Hauptfeier gedacht. D a s Fest scheint im wesentlichen d e m üblichen Schema gefolgt zu sein, d o c h unterließ es Constantin, aufs Kapitol zu ziehen u n d d e m Jupiter O p t i m u s Maximus die üblichen O p f e r darzubringen. Doch genügte es für den christlichen Kaiser, n u r auf diese zu verzichten? Wie es scheint, hat Constantin v o n seiner (für 3 3 0 / 3 3 1 n.Chr. anstehenden) 25-JahrFeier weniger Aufhebens g e m a c h t u n d auch nicht v o n d e n damaligen Jubiläen seiner Caesares. J e d o c h erreichte er 3 3 5 / 3 3 6 n.Chr. sein dreißigstes J a h r als Kaiser; vor i h m k o n n t e nur Augustus auf eine solche Herrschaftsdauer zurückblicken. Dieses Ereignis hat Constantin wieder feierlich begangen — u n d als 85
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Zos. 2,1,1-7,2. — Hier ist nicht der Ort, um auf die verwickelten Fragen um Constantins religiöse Entwicklung, den Zeitpunkt und die Gründe seiner Konversion sowie die Eigenart seines Selbstverständnisses als christlicher Kaiser näher einzugehen. Für die vorliegende Untersuchung genügt es festzuhalten, daß Constantin sein Christsein insofern ernst nahm, als er sich persönlich bereits vor dem Sieg über Licinius des heidnischen Götterkultes strikt enthielt. Eus. V.C. 3,15,1 f.; vgl. auch ebd. 4,47. Siehe ferner Socr. h. e. 1,16,1; Sozom. h. e. 1,25,1. — Eus. V.C. 3,15,1 erwähnt auch, daß in den Provinzen mitgefeiert wurde. Der Kaiser ordnete aus Anlaß seiner Vicennalien allgemeine Geldspenden an: Eus. V.C. 3,22 (übernommen von Thdt. h. e. 1,13,4). Zos. 2,29,5. — Straub 1955 wollte die Zosimos-Stelle (entgegen dem Text) auf das Jahr 312 n.Chr. beziehen, was aber nicht überzeugt: vgl. dazu Wiemer 1994. — Zur Feier selbst siehe auch Prosper Tiro (Chron. min. I p. 450 Mommsen) und die Consularia Constantinopolitana (Chron. min. I p. 232 Mommsen). Mit der Feier ist vielleicht auch eine Glasplatte zu verbinden: C. Martini, in: Demandt/Engemann 2007, CD Nr. I 10.3. - Münzen: Mattingly 1951, Nr. 70; RIC VII Rom Nr. 256-263; 273; 359; Ticinum Nr. 174-176; 186-188; 197; Sirmium Nr. 66; Thessalonica Nr. 123-130; 140; Heraclea Nr. 56-66; 69-73; 82; 87; Nikomedia Nr. 63-67; 103; Kyzikos Nr. 22f. Hiermit verbinden sich Prägungen zu den Decennalien der Caesares (vgl. Mattingly 1951, Nr. 72). Nur einige Münzen weisen vielleicht auf die Feste hin: RIC VII Rom Nr. 318-320; Heraclea Nr. 90-94; 106; Nikomedia Nr. 171f.
Die Jubilarfeiern der römischen Kaiser
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erster von allen römischen Kaisern Tricennaüen gefeiert. Allerdings wurde das Standard-Programm in charakteristischer Weise abgeändert: Alle Feierlichkeiten fanden in der neuen, christlichen Residenz Konstantinopel statt; die bis dato quasi obligate Romreise entfiel, obwohl ihr keine äußeren Hindernisse entgegenstanden. Offenbar wurde auch diesmal sowohl der Anfang als auch 89
das Ende des Jubiläumsjahres festlich begangen. Opfer und Gelübde an heidnische Götter hat es ganz sicher nicht mehr gegeben. Wohl bei der Abschlußfeier durfte Eusebius, der Bischof von Cäsarea, auftreten und hielt ungeniert eine Art christlicher Predigt. Die Rede fand allerdings in einer profanen Festversammlung statt, und es mag sein, daß außer Eusebius noch weitere Panegyriker sprachen. Doch ist es bezeichnend für den Geist der Feiern, daß man hier erstmals einen christlichen Bischof als Festredner herbeiholte. Spätestens diese Tricennalienfeier kam dem Entschluß gleich, an den Jubiläen grundsätzlich festzuhalten; sie hatten damit die Bekehrung des Kaisers überlebt. Allerdings wurden sämtliche eindeutig heidnischen Elemente ersatzlos gestrichen. Man könnte meinen, mit dem Verzicht auf die Gelübde und das Opfer sei das Fest sozusagen entkernt worden. Doch eigentlich bildeten diese Zeremonien schon längst nicht mehr den wahren Mittelpunkt; sie waren sogar entbehrlich geworden - für den Ablauf wie für die Botschaft der Feier. Die übrigen Bestandteile waren nur lose mit ihnen verbunden und konnten daher autonom weiterbestehen. Für die Fortführung der Jubilarfeiern mag die Rücksicht auf heidnische Empfindlichkeiten gesprochen haben, vor allem aber dürfte der Grundgedanke nach wie vor allseits überzeugt haben. Constantin war der größte Soldat seines Zeitalters und konnte sich mit einigem Recht als denjenigen präsentieren, der über dreißig Jahre hinweg (unter dem Schutz eines höchsten Wesens) Sieg um Sieg errungen und damit dem Reich Einheit, Frieden und Sicherheit beschert hatte. Daß hierdurch seine Stellung und die seiner Dynastie geradezu bis zur Unerschütterlichkeit befestigt wurde, steht außer Frage. Und es war genau dieser Punkt, den das Fest zum Ausdruck brachte. Die Hauptquelle für das Fest ist die Tricennalienrede des Eusebius, die aber gerade für den konkreten Ablauf wenig ergiebig ist. Zu ihrer Datierung vgl. Drake 1975. Siehe ferner Eus. V.C. 4,40,1-2; 4,46; Eus.-Hieron. Chron. p. 233 Helm; Prosper Tiro (Chron. min. I p. 451 Mommsen); Consularia Constantinopolitana (Chron. min. I p. 235 Mommsen). Vgl. auch Eus. V.C. 1,1,1; 4,49. - Münzen: Mattingly 1951, Nr. 73; RIC VII Trier Nr. 571; Aquüeia Nr. 130; Siscia Nr. 242-249; 257f.; Thessalonica Nr. 179; 206£; Heraclea Nr. 90-94; 106; Konstantinopel Nr. 51f.; 107f; Nikomedia Nr. 175-180; Antiochia Nr. 96. Teilweise werden dabei auch die Caesares einbezogen. Es gibt auch Münzen zu den Decennahen Constantius' IL als Caesar, die für 333/334 n.Chr. anstanden: Mattingly 1951, Nr. 74; RIC VII Konstantinopel Nr. 72. Das Fest ist also wohl begangen worden.
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Die Formen waren überdies wohlvertraut, und die Botschaft wurde deswegen ohne lange Erklärung von allen verstanden. Es galt schließlich auch, ganz handfeste Erwartungen zu berücksichtigen: Die Soldaten freuten sich auf Donative, die hohen Beamten auf wertvolle Ehrengeschenke, die Plebs auf Spiele und Spenden. Die Gestaltung, die Constantin damals fand, entsprach völlig den Gegebenheiten des Reiches, das in seiner Gesamtheit noch zwischen Heidentum und Christentum stand. Wie es scheint, wurde sie auch allseits widerstandslos akzeptiert. Constantins reduzierte, mit dem Christentum verträgliche Form der Jubilarfeiern ist dann tradiüonsbildend geworden. Die Opfer wurden möglicherweise auch deswegen nicht sehr vermißt, weil das Fest seit dem frühen vierten Jahrhundert einige neue Elemente und vielleicht eine neue Mitte erhalten hatte, wie sich aus der Kombination verschiedener Hinweise erschließen läßt. Hervorzuheben ist besonders ein großer Festakt im Palast, ein Empfang des Kaisers für seine Hofleute, Beamten, Militärs und andere geladene Gäste, wie es ihn auch zu anderen Anlässen gab. Die Würdenträger seines Reiches haben hier wohl ihre Glückwünsche überbracht, und sie haben dafür Dankgeschenke von erheblichem materiellen Wert erhalten. Dies ist zweifellos der ,Sitz im Leben* der silbernen Largitionsschalen. Die erhaltenen Stücke — neben den bereits erwähnten aus der Zeit des Licinius vor allem das Missorium Theodosius' I. - tragen alle Inschriften mit Bezug auf das Jubiläum; sicherlich wurden sie eigens für den Anlaß hergestellt, und vermutlich wurden sie mitsamt den darauf liegenden Preziosen dem Gratulanten als Spezialgeschenk und Erinnerungsstück überreicht. Diese Feier war ferner wohl der Platz der Lobreden, die seit der tetrarchischen Zeit in größerer Zahl überliefert sind. Gehalten wurden sie jeweils im Palast vor einer auserlesenen Gesellschaft in Anwesenheit des Herrschers und des Hofstaats. Sicherlich gab es außerdem Gastmähler und ähnliches. Der Empfang diente offenkundig dazu, das Loyalitätsverhältnis zwischen dem Kaiser und seinen hohen Amtsträgern zu festigen, d.h. den Personen, auf deren Treue der Kaiser der Spätantike besonders angewiesen war. Insofern war dieser Empfang der zeit- und umständegemäße Nachfolger des Banketts für die Senatoren, das seinerzeit Septimius Severus gegeben hatte.
Eine gewisse Vorstellung davon kann Corippus' dichterische Beschreibung der Verteilung der dona consulana durch Kaiser Justin IL vermitteln (Coripp. Iust. 4,129 ff). Siehe auch Paneg. Lat. 8(5), 1,4 (Feier in den adyta des Palastes); 4,4 (der Herrscher steht). Vgl. Coripp. Iust. 4,145-47: et praemia sumunt consulis et mundi domim, donisque superbi fulvo plenaferunt argentea vasa metallo. Vgl. auch Coripp. Iust. 4,154-54: tunc oratorum geminae facundia Linguae egregias ceänit solkmni munere laudes consuks Augusti.
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Ansonsten waren die Jubilarfeiern zeremonielle Großanlässe, zu denen die Kaiser mit ihren Untertanen huldvoll in Kontakt traten und z.B. Spenden verteilten. In der öffentlichen Wahrnehmung wurden offenbar vor allem die Spiele beachtet. Nun gewann der Typus der Jubiläumsmünzen an Bedeutung, der den Kaiser als Spielgeber zeigt. Dargestellt wird der Kaiser thronend mit einem Tuch (mappd) in der erhobenen Hand. Es ist die Pose, mit der ein Spielgeber durch das Werfen der mappa das Startsignal gibt. Nicht zufallig finden sich daher in spätantiken Chroniken Wendungen wie (vicennalia) edere oder dare; in dieser Art sprach man sonst von Spielen. Ferner wurde nach wie vor ein sehr großzügiges Donativ an die Soldaten gezahlt. Dieses blieb auch später wichtig und erhielt sich sogar besonders lange. Im Reich wurde intensiv mitgefeiert. Hohe Offiziere und Beamte demonstrierten ihre Loyalität, indem sie aus diesem Anlaß Monumente stifteten und vielleicht auch Fibeln anlegten, die Jubilarformeln trugen. Die Stadtgemeinden im Reich hatten das aurum coronarium zu entrichten - formell eine freiwillige Gabe als Ausdruck der freudigen Teilnahme, in Wirklichkeit längst eine Art Steuer. Die Senatoren waren zu etwas ähnlichem verpflichtet, dem aurum oblaticium. Darüber hinaus haben einzelne Städte besondere Monumente errichtet, und ebenso haben Einzelpersonen aus unterschiedlichen Gründen Beiträge zum großen Fest geleistet. So hat Publilius Optatianus Portyrius dem Kaiser zum Festtag ein Figurengedicht dediziert - in der Hoffnung auf Begnadigung. Da es nicht unbedingt nur eine einzige, große Feier gab, sondern unter Constantin z.B. zwei, konnte das gesamte zehnte oder zwanzigste Jahr als Jubiläum aufgefaßt werden. So erklären sich Formulierungen wie tempore viceni ry?
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nalium oder incepta und plena quinquennalia. Der Sprachgebrauch geriet also in Fluß, weil die Sache selbst an Eindeutigkeit verlor. Die Jubiläen fanden ihren Niederschlag nach wie vor auch in der Münzprägung. Seit Constantin findet 94
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Eus.-Hieron. Chron. p. 231 Helm; Consularia Constantinopolitana (Chron. min. I p. 235. 239. 244 Mommsen); Amm. 21,1,4 (alle edere); Marcell. Com. (Chron. min. II p. 68; 70 Mommsen: dare). Daneben findet sich agere (wie beim Tnumph). Vgl. Liban. or. 22,4. Vgl. auch Eus. V.C. 1,48 zu den Decennalien Constantins (vgl. oben Anm. 78). Siehe oben Anm. 72 und 78. Siehe oben Anm. 72 und 78. Hierher gehört vielleicht auch das Hinterglasbild CIL XV 7007. Siehe Jones 1964, 430f. mit den dazugehörigen Anmerkungen. Vgl. z.B. ILS 644. Publilius Optatianus Porfynus, ed. G. Polara, Turin 1973. Lact. mort. pers. 38,6; vgl. tempore quinquennalium CIL III 6159. Paneg. Lat. 5(8),13,2.
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man entsprechende Motive nicht nur auf speziellen Festemissionen, sondern auch als Standard-Typen oder Dauerserien. Das Bildmotiv des heidnischen Opfers verschwand selbstverständlich, doch wurden nach wie vor die alten Gelübde-Formeln benutzt, jetzt z.B. in der Form sie XX sie XXX oder vot. XX vot XXX. Daran hat offensichtlich niemand Anstoß genommen, zumal dies Tradition war und votum rasch zum bloßen ,Wunschc verblaßt sein dürfte. Bald wurden die Formeln willkürlich mit immer höheren Zahlenpaaren versehen, was kaum erstaunt, da die Zahlen nach dem Wegfall der je zehnjährigen Gelübde keine konkrete Bezugsgröße mehr hatten.
7. Auflösung und Ende Die Jubilarfeiern wurden nie formell abgeschafft, und entsprechend gibt es keinen eindeutigen Endpunkt. Vielmehr fand ein Prozeß der Desintegration statt: Sie verschwanden Stück für Stück, Element für Element, bis schließlich nichts mehr übrig blieb. Möglich war dies, weil das Fest aus einem Konglomerat verschiedener Zeremonien bestand, die weder praktisch noch ideell fest miteinander verknüpft waren. So konnte man Teil für Teil ändern oder weglassen. Die Anfange dieses Prozesses kann man seit dem ausgehenden vierten Jahrhundert beobachten. Noch Julian Apostata hat sein Jubiläum wie die früheren Kaiser gefeiert: Nach der Rebellion gegen Constantius IL beging er (terminlich korrekt) mit einigem Aufwand seine Quinquennalien und präsentierte sich damit als ein Herrscher, der bereits auf Leistungen und Siege zurückblicken konnte. Die Kaiser der valentinianischen und theodosianischen Dynastie feierten sehr regelmäßig, was gebührend beachtet wurde, wie sich an etlichen Inschriften ablesen läßt, die auf die Jubiläen Bezug nehmen. Es hat 104
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Amm. 21,1,4; Mattingly 1951, Nr. 86f; RIC VIII Trier Nr. 362-365; Lyon Nr. 207; 218f.; 227-235; 239; Ades Nr. 230; 309-312; 324-326; Rom Nr. 328-330; 489-502; Aquileia Nr. 244£; Siscia Nr. 414-422; Sirmium Nr. 102f.; 108; Thessalonica Nr. 220f.; 227f.; Heraclea Nr. 105£; Konstanünopel Nr. 159; 165-167; Nikomedia Nr. 12a-25; Kyzikos Nr. 129-131; Antiochia Nr. 211-214; 219-21; Alexandria Nr. 90f. Die Münzen gehen teils in die Decennalien-Formel vot. X mult. XX über. Offensichtlich handelte es sich nicht um eine einmalige Festprägung, sondern um ein längerfristig verfolgtes Programm. Siehe CIL III 7494 = ILS 770; CIL III 8030 = AE 1980, 768; CIL VI 31402-11 (Rom,/w«r Vakntiniani); ILS 766 (Rom); CIL IX 5946; OGIS 722; Chastagnol 1988, Nr. 11 und 20; AE 1999, 625; siehe ferner das Silbermissorium Theodosius* I (Inschrift: CIL II 483 = ILS 784). Zu den Münzen siehe der Kürze halber Mattingly 1951, Nr. 89-93; 95-106; 111-116; 121£; 127-129.
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aber den Anschein, als habe sich der Hauptinhalt des Festes allmählich verschoben. Offenbar traten die Gaben und der Gabentausch sowie die Loyalitätsbeteuerungen stark in den Vordergrund, während immer weniger auf die Siege des Kaisers insistiert wurde. Noch immer brachte das Fest die allgemeine Freude über die Regierung des jeweiligen Herrschers zum Ausdruck, aber sie wurde immer weniger mit seiner (angeblich) siegreichen Bewährung begründet. Anders als früher transportierte die Feier nicht ein simplifiziertes Geschichtsbild, sondern gar keines mehr. Die legitimierende Wirkung des Gebens und Nehmens geriet ebenfalls bald an ihre Grenzen. Gegen Ende des vierten Jahrhunderts beklagte sich der Stadtpräfekt Symmachus in deutlichen Worten über die Vielzahl der mit Pflichtspenden verbundenen Feste und über die hohen Summen, die den Senatoren als aurum oblatiäum abverlangt wurden. Soldaten und hohe Beamte sahen den Jubiläen wegen der namhaften Geldgeschenke sicher nach wie vor mit froher Erwartung entgegen. Bei der übrigen, zahlungspflichtigen Bevölkerung dürfte der kaiserliche Fiskalismus die Freude nach und nach erstickt haben. Im fünften Jahrhundert verloren die Jubilarfeiern rasch an Bedeutung. Im Westreich wurden bis zum Jahr 422 n.Chr. noch solche Feste begangen; als letzte sind die Tricennalien des Honorius bezeugt, die mit einem ,Triumph' in Ravenna verbunden waren. Im Osten reichen die halbwegs verläßlichen Nachweise bis zur 45-Jahr-Feier Theodosius' IL im Jahr 444 n.Chr.108 Bis 450 n.Chr. wurde im Osten das aurum coronarium abgeschafft. Danach wurden zwar noch Münzen mit Jubiläums formein geprägt, doch verwiesen sie wohl auf keine öffentlichen Veranstaltungen mehr. Bereits in den sehr reichen Jubiläumsprägungen der theodosianischen Dynastie war es zu Inkonsequenzen in der Zählung gekommen, und ferner sind auch die Frauen des Kaiserhauses mit vota-Münzen bedacht worden. Später wurden Jubi-
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Symm. rel. 13,1-3 (von 385 n.Chr.). Die Senatoren waren bereit, 1600 Pfund Gold zu zahlen, doch hatten die kaiserlichen Finanzbehörden noch mehr verlangt. Zum üblichen Ablauf vgl. Symm. ep. 2,57 (von 383 n.Chr.). Marceil. Com. (Chron. min. II p. 75 Mommsen); Chronica Gallica a. CCCCLI (Chron. min. I p. 656 Mommsen), vgl. Hydat. (Chron. min. II p. 20 Mommsen). Anlaß war der Sieg über die Usurpatoren Maximus und Jovinus. Marcell. Com. (Chron. min. II p. 77-81 Mommsen), speziell zu 444 n.Chr.: Theodosius princeps nona quinquennaüa dedit (ebd. p. 81). Zu den Münzen siehe Mattingly 1951, Nr. 132-135. Aelia Eudoxia (wohl zur Eheschließung mit Arcadius und zur Erhebung zur Augusta), Mattingly 1951, Nr. 130f; ferner Eudocia, Galk Placidia, Pulcheria, Eudoxia und Honoria (hauptsächlich aus Anlaß des 25-jahrigen Jubiläums Theodoslus, IL), Mattingly 1951, Nr. 118; 123f.; 136-139; RIC X Nr. 225-231; 254265; 1804; 1808; 2007; 2012; 2020f.; 2046. Die Damen wurden hier sozusagen in die
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läums-Münzen ohne erkennbares System und teils mit sehr hohen zwAz-Zahlen geprägt, und zwar auch für einige Kaiser, die nur kurz regierten: Maiorian, Iulius Nepos und Basiliscus.11 Die Münzen wurden offenbar meist zu Regierungsbeginn geprägt und brachten wohl nur Glückwünsche zum Ausdruck nichts weiter. Die letzte derartige Münze stammt aus der Zeit Justins IL und gehört wohl zu dessen Herrschaftsantritt im Jahre 565 n.Chr. Die Jubilarformel war hier sicher nur noch ein bedeutungsloser Teil des Traditionsschatzes. Dieser Prozeß stand nicht für sich allein. Seit dem ausgehenden 4. Jahrhundert sind auch andere traditionelle Herrscherfeste verschwunden wie die Feier des dies imperii und die Gelübdefeier am 3. Januar. Es liegt nahe, daß dies mit fundamentalen Änderungen im gesamten Umfeld zusammenhing. Denn inzwischen war das Christentum nicht nur zur Staatsreligion geworden, sondern hatte sich auch als die Religion des gewöhnlichen Volkes durchgesetzt. Entsprechend begründeten die Kaiser ihre Legitimität immer mehr aus ihrer Rechtgläubigkeit und Kirchennähe. Ferner hatte sich das Erscheinungsbild des Kaisertums merklich verändert. Der Typus des Feldherrn-Kaisers, der an der Spitze seiner Truppen in eigener Person in den Krieg zog, war abgelöst worden durch die herrscherliche Majestät, die abgeschieden und hocherhaben in ihrem Palast thronte und mit ihrem Wink von dort aus alles lenkte - oder die praktischen Geschäfte den Günstlingen (und eigentlichen Machthabern) überließ. Offensichtlich bestanden die Untertanen nun geradezu darauf, daß ihr Herrscher diese Art von Hoheit und Würde ausstrahlte. Das Jubilarfest alten Zuschnitts mit seiner Betonung der langjährigen siegreichen Bewährung des Kaisers ging damit wohl immer mehr an den Erwartungen des Publikums vorbei. Da das Fest ganz auf die Person des Kaisers zugeschnitten war, konnten es auch die mächtigen Heermeister und Höflinge nicht für sich selbst instrumentalisieren, die das Reich in Wahrheit leiteten. So sank es zu einem bloßen
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Feier des gesamten Hauses einbezogen. - Nach einer Lösung für das Problem der unregelmäßigen wÄz-Prägungen sucht auch Burgess 1988. Mattingly 1951, Nr. 125; 126; 144. - In einem Gedicht an Maiorian entwirft Sidonius Apollinaris das Wunschbild, daß dieser die Quinquennalien erreichen möge (Sidon. carm. 13,28f.: sie lustro impeniperennis acto / quinquennaliafasäbus dicentui). Aber das ist wohl Traditionsgut und bedeutet nicht, daß damals noch solche Feiern abgehalten wurden. Wroth 1908, S. 76f. Nr. 17-77 und S. 103 Nr. 290. Seit 450 n.Chr. wurden die öströmischen Kaiser durch den Patriarchen von Konstantinopel gekrönt. Julians Bemühungen, der alten Herrschertugend der ävilitas nachzuleben, führte offenkundig selbst bei seinen Parteigängern zu Irritationen, vgl. Amm. 22,4,1-9; 22,7,1-3 (... quod laudabant alu, quidam ut affeetatum et wie carpebanf).
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Tradiüonsrelikt ab, zumal es keine neue, spezifisch christliche Rolle gefunden hatte. Im Westen kam es noch einmal zu einer zitathaften Aufnahme von Elementen der Jubilarfeier. Der Ostgotenkönig Theoderich beging 500 n.Chr. seine Tricennalien in der Stadt Rom. Er zog aus diesem Anlaß in einer triumphartigen Prozession in das Palatium ein; anschließend gab er CircusSpiele und verteilte Geschenke. Dies entsprach ungefähr dem Festprogramm der Spätantike. Um die Erinnerung an frühere Taten und Leistungen des Königs ist es dabei nicht mehr gegangen, denn die Botschaft des Festes lag einfach in der Wiederaufnahme des alten Brauches. Der Gotenkönig suchte sich hier und bei vielen anderen Gelegenheiten seinen romanischen Untertanen als einen Herrscher zu präsentieren, der ganz in der römisch-kaiserlichen Tradition stand. Nach diesem bewußten antiquarischen Rückgriff ist die Tradition im Westen abgerissen. Im Osten schaffte Justinian den letzten verbliebenen institutionellen Rest ab: ein Donativ, das alle fünf Jahre an die Soldaten gezahlt wurde. Der Kaiser hielt es - nicht ganz zu Unrecht — für eine sinn- und nutzlose Geldausgabe. Spätere Könige und Kaiser haben bis in die Neuzeit keine Jubiläen mehr gefeiert. Von den ersten Anfängen unter Tiberius bis zum Ende in der Spätantike war es ein weiter Weg. Nicht nur die äußere Form des Kaiserfestes hat sich tiefgreifend gewandelt, sondern auch sein Inhalt. Am Beginn stand eine relativ schlichte Gelübdefeier. Erst im zweiten Jahrhundert bekam sie durch die Ver-
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Exe. Val. 66f. - Damals hielt sich auch Fulgentius von Ruspe in Rom auf, wie in seiner Vita erwähnt wird (Ferrandus, vita Fulgentii cap. 9 ed. G. G. Lapeyre, Ferrand, Diacre de Carthage, Vie de Saint Fulgence de Ruspe. Texte etabli et traduit, Paris 1929 = PL 65 p. 130 sq. cap. 13,27). Allerdings sucht der Autor der Vita zu verdeutlichen, daß sein Held an weltlichem Firlefanz {nugae saeculares) wie dem imperialen Auftritt eines Gotenkonigs kein Interesse hatte, und erwähnt daher von den Feiern des Theoderich nur wenige ausgewählte Details. Zu den weiteren, dürftigen Parallelquellen und zur Datierung siehe Vitiello 2005, 56-71. Theoderichs Rom-Besuch wird auch ausführlich besprochen von Vitiello 2004. Allerdings geht er (ebd., 80f.) darüber hinweg, daß in den „Excerpta Valesiana" nicht nur von einem feierlichen Einzug des Königs in Rom, sondern — getrennt davon — auch von einer Tricennalienfeier die Rede ist, und in Vitiello 2005, 70f. bestreitet er sogar, daß es sich überhaupt um ein echtes Herrscherjubiläum handelte. Doch hat er sowohl den Wordaut des Textes als auch sämtliche Indizien gegen sich. Daß die Tricennalien damals kalendarisch noch nicht,fallig' waren, ist demgegenüber bedeutungslos, wie ein Rückblick auf die Geschichte der Jubilarfeiern zeigt. Seine Analysen sind in diesem Punkt ergänzungsbedürftig. Vgl. auch ILS 827. Prok. HA 24,27-29. Anastasius hatte anläßlich seiner Vicennalien noch ein Donativ gezahlt, siehe Jones 1964, 233.
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bindung mit Elementen des Triumphs einen spezifischen Inhalt: die Erinnerung an die (vorgebliche oder behauptete) siegreiche Bewährung des Kaisers über ein ganzes Jahrzehnt hinweg, die seine Herrschaftsberechtigung nachdrücklich untermauerte. Solange dieser Gedanke überzeugte, standen die Jubilarfeiern in Blüte. Die überlieferte Gestalt war aber nie ganz fest, sondern konnte jeweils zeitgemäß adaptiert werden und unterstand der Verfugung durch die Politik. Erst als das Herrscherfest in der Spätantike seine politische und legitimatorische Funktion verlor, sank es zu einem bloßen Brauch herab. Aus der Ferne betrachtet, mögen die Jubilarfeiern der römischen Kaiser wie ein folkloristisches Kuriosum erscheinen. Zumindest in der Zeit ihrer vollen Entfaltung waren sie aber weit mehr: ein Fest der Erinnerung, das zugleich ein Teil der großen Politik war.
Die Jubilarfeiern der römischen Kaiser
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Die Abschaffung der venationes durch Anastasios im Jahr 499 und die ,kosmische' Bedeutung des Hippodroms* Mischa
1. D i e A b s c h a f f u n g der venationes
Meier
in der F o r s c h u n g
I m J a h r 499 ließ Kaiser Anastasios im gesamten Imperium Romanum die in zahlreichen Städten ausgesprochen populären Tierhatzen {venationes) verbieten.
Es
gehört mitderweile zu den Allgemeinplätzen der Forschung, diesen Erlaß mit einem weiteren Verbot, d e m der Pantomimen-Aufführungen
aus d e m Jahr
5 0 1 / 5 0 2 , in V e r b i n d u n g zu bringen u n d dessen Ursachen auch für die Einstellung der venationes verantwortlich zu machen:
I m Jahr 499 oder 500 war es
unter d e m Stadtpräfekten Helias anläßlich des Brytai-F estes
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in Konstantinopel
Für eine Reihe hilfreicher Hinweise danke ich Wolfram Brandes und Hans-Ulrich Wiemer ganz herzlich. Theod. Anagn. 553 p. 156,15 Hansen fAvaaxdaioc; dveaxeiXe TO xpuaäpyupov Kai T& KWityia ercauGEv; Theoph. a.m. 5993 p. I 143,17f. de Boor; Prok. Gaz. pan. 15; Priscian. 223-227: Ipse vetas ludos, animarum damna, nefandos / atque voluptates prohibes a sanguine sumi, / corporis et causa pascendi perdere vitam, / humanos arcens lacerari dentibus artus, I dentibus, armatur rabies quibus atra ferarum; Jos. Styl. 34 p. 52 Luther. — Die Datierung des Verbots - 498 oder 499 - wurde in der Forschung verschiedentlich diskutiert (vgl. Epplett 2004, 221 Anm. 1), scheint mir aber durch Josua Stylites (s.o.) eindeutig auf August 499 festgelegt zu sein; vgl. in diesem Sinne auch Chauvot 1986, 259 Anm. 404. Dieses Verbot ist in den Quellen gut dokumentiert: Marc. Com. ad ann. 501,1-3 p. 95 Mommsen; Jos. Styl. 46 p. 62 Luther; Prok. Gaz. pan. 16; Ioann. Antioch. frg. 309 p. 532 Roberto; Exe. de insid. 39 p. 168 de Boor (aus Johannes Malalas) (vgl. Exe. de insid. 36 p. 167 de Boor); Theoph. a.m. 5997 p. I 147,17-20 de Boor; Suda s.v. Mal'oupiäq p. III 308f. Adler. Zu den Quellen s. auch im einzelnen Greatrex/Watt 1999, lff. Vgl. etwa zuletzt Demandt 2007, 230: „Unter den innenpolitischen Maßnahmen des Kaisers sind das Verbot von Tierhatzen und mimischem Theater zu nennen [...]". Ferner Bury 1923, 437f.; Jones 1964, 232; Capizzi 1969, 241; AI. Cameron 1973, 228ff, 241 f.; AI. Cameron 1976, 226; Coyne 1991, 158; Lee 2000, 53£; Haarer 2006, 228 („In 499, he put an end to venationes [...] and in 502, in response to the Brytae disaster, forbade pantomimes''). Zum Datierungsproblem s. Bury 1923, 437f. Anm. 5; Chauvot 1986, 262f. Anm. 410. PLRE II 530. Zu den Brytai, über die nur wenig bekannt ist, s. etwa Luther 1997, 152f.; Greatrex/Watt 1999.
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zu schweren, von den Zirkusgruppen entfachten Krawallen gekommen, die zahlreiche Todesopfer gekostet hatten. Als dasselbe Fest dann im Jahr 501 mittlerweile hatte Konstantinos Tzouroukkas die Stadtpräfektur inne - erneut zum Ausgangspunkt schwerer Ausschreitungen wurde, bei denen 3000 Menschen in der Hauptstadt zu Tode kamen (darunter ein illegirimer Sohn des Anastasios), reagierte der Kaiser mit einem reichsweiten Verbot der Pantomimen, die beim Brytai-¥tst offenbar eine zentrale Rolle gespielt hatten. Das Vorgehen sowohl gegen Tierhatzen als auch gegen Pantomimen wurde in diesem Sinne als umfassendes Maßnahmenpaket interpretiert, das eine generelle Eindämmung von Unruhen und Revolten in den Städten des Ostens - insbesondere in Konstantinopel - habe bewirken sollen. Gleichzeitig habe der Kaiser damit seine christliche Integrität und religiös angeleitete Verachtung für blutige Spektakel bzw. heidnische Feste demonstrieren können. Obwohl zwischen beiden Verboten — je nach Datierung — mindestens ca. zwei Jahre gelegen haben müssen, wurde dieser mutmaßliche Konnex bisher nur selten in Zweifel gezogen - was umso erstaunlicher ist, als die Quellen eine direkte Verbindung zwischen den beiden Maßnahmen keineswegs bezeugen. Immerhin ist vereinzelt dafür plädiert worden, die Einstellung der venationes, zu deren Hintergründen sich anders als im Fall des Pantomimenverbots keine konkreten Aussagen in der Überlieferung finden, auf andere Ursachen zurückzuführen. So haben etwa Alain Chauvot und David Bomgardner angedeutet, daß auch ökonomische Gründe für eine Abschaffung der Tierhatzen gesprochen hätten, denn Bereitstellung und Transport der Tiere waren äußerst kostspielig; beide haben diesen Aspekt allerdings nicht weiter vertieft und ausgeführt. Eine ganz andere Interpretation schlug dagegen Chris Epplett 7 8 9
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Ioann. Antioch. frg. 309 p. 532 Roberto; vgl. auch Exe. de insid. 36 p. 167 de Boor. PLRE II 313 (Constantinus qui et Tzourouccas 13). Genauer gesagt: Er verbannte die pantomimischen Vortanzer der ,Zirkusparteien' in den einzelnen Städten, was der Attraktivität der Brytai und somit diesem Fest insgesamt in hohem Maße schadete. Zur Rolle von Tänzern und Pantomimen bei den Brytai s. Greatrex/Watt 1999, 4, 7,13,16ff. Vgl. etwa Jones 1964, 232 („a man of somewhat puritanical piety"); Capizzi 1969, 241. Tierhatzen waren wiederholt Gegenstand christlicher Polemik, vgl. etwa Tert. spect. 12; 23; Cypr. Donat. 7; Salv. gub. 6,10; Weismann 1972, 56, 80; Bomgardner 2002, 21 Of. Mehrere christliche Kaiser zeigten denn auch demonstrative Distanz, so etwa Theodosios IL (vgl. Socr. h.e. 7,22,12) oder Leon I. (Verbot, venationes und andere Darbietungen sonntags abzuhalten: Cod. Iust. 3,12,9,2). Chauvot 1986, 168; Bomgardner 2002, 219. Insgesamt faßt auch Chauvot - wie Alan Cameron (s.u.) - das Verbot der venationes sowie die Ausweisung der Pantomimen-Tänzer als zusammenfassendes Maßnahmenbündel, das eine Zentrierung der spektakulären Darbietungen auf die Wagenrennen im Hippodrom intendiert habe (s. bes. 172f).
Die Abschaffung der venationes durch Anastasios
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vor. Er meinte, die Erwähnung des venationes-Verbots in den Panegynci Priscians und Prokops von Gaza beziehe sich lediglich auf den Spezialfall der damnatio ad bestzas, während spätere Quellen, wie Theodoros Anagnostes und Theophanes, die Enkormen nur noch ganz summarisch zusammengefaßt und durch die Verwendung des allgemeinen Begriffs Kynegia eine übertriebene Vorstellung von der Tragweite der Maßnahme vermittelt hätten. 12 Anastasios habe sich, so Epplett weiter, mit der Abschaffung der Tierhatzen als besonders frommer Kaiser inszenieren wollen, indem er eine Hinrichtungsart beseitigt habe, unter der in früheren Jahren insbesondere die Christen hätten leiden müssen und die in jüngerer Zeit namentlich vom ^närrischen' Vandalenkönig Hunerich gegenüber den katholischen Christen angewandt worden sei. Nachdem es dann zwischen 501 und 514 (mit der Ausnahme 507) in Konstantinopel weitgehend ruhig geblieben sei, habe der Kaiser das Verbot wieder aufgehoben. Eppletts Thesen, die im übrigen keineswegs neu sind,1 vermögen indes nicht zu überzeugen. Zunächst einmal ist anzumerken, daß Anastasios' Zeitgenosse Theodoros Anagnostes kaum als „spätere Quelle" bezeichnet werden kann. Da aber auch die angesprochene Nachricht in der Theophanes-Chronik mittelbar auf ihn zurückgeht, sind beide Autoren in ihrer allgemeinen Wortwahl durchaus ernst zu nehmen; überdies verwendet Josua Stylites in seiner 507 vollendeten syrischen Chronik ausdrücklich das griechische Lehnwort Kynegion. Daß Anastasios nur auf ein Verbot der damnatio ad bestias gezielt haben soll, geht sodann aus den Panegyrici keineswegs eindeutig hervor; zwar wäre es möglich, die Texte in diesem engeren Sinne zu interpretieren,1 aber die 12
Epplett 2004, 224f., das Zitat 224. - Die Termini venatio/Kvvr\yiov sind in der Tat nicht eindeutig festlegbar, da in der Kaiserzeit verschiedene Formen von Tierhatzen geläufig waren: Tiere konnten mit speziell ausgebildeten Gladiatoren (bestiam) konfrontiert oder direkt aufeinander gehetzt werden; zudem genoß die erwähnte Hinrichtungsart ad bestias Popularität. « Epplett 2004, 226f. 14 Epplett 2004, 227. 15 Bereits Roueche 1993, 78 und Luther 1997,167f. hatten die antiken Nachrichten auf die damnatio ad bestias bezogen. 16 Vgl. Luther 1997, 52 Anm. 117. 17 Luther 1997, 168 Anm. 262, führt Prokops Formulierung avSpec, yap SVGTÜ%£V; ev ueacp STIJLICO 7rap£8{8ovTO toic, 9r|p{oic, als Indiz dafür an, daß die Maßnahme sich auf die damnatio ad bestias bezogen habe, wahrend Epplett 2004, 224f. zudem darauf hinweist, daß das Verbum 7taea8i8o>[ju häufig die Überstellung verurteilter Missetäter zum Strafvollzug bezeichne; beides schließt aber nicht aus, daß Anastasios' Verbot sich darüber hinaus auf alle Formen von venationes bezogen haben kann. Der Panegyriker, der den Kaiser in mögkchst günstigem Licht zu zeichnen hatte, wird kaum auch die unpopulären Seiten des venatio-Verbots — nämlich den Fortfall öffent-
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Argumente sind keinesfalls zwingend und schließen ein generelles Verbot von Tierhatzen jeglicher Art nicht zwangsläufig aus; zudem läßt sich die Zeit nach 501 nur dann als verhältnismäßig ruhig beschreiben, wenn man wie Epplett den großen Staurotheis-Aufstand des Jahres 512, an dem auch die ,Zirkusparteien* beteiligt waren, einfach ausklammert. Und schließlich wird man die Frage stellen müssen, warum Anastasios das Verbot der venaüones wieder aufgehoben haben soll (dazu später), wenn es ihm doch insbesondere auch zur Selbstdarstellung als frommer Kaiser hätte dienen sollen - und dies dann ausgerechnet in einer Phase (nämlich dem ersten Jahrzehnt des 6. Jahrhunderts), in der seine religiöse Integrität zunehmend in Zweifel gezogen wurde. Angesichts dieses Mangels an befriedigenden Alternativen ist die Forschung daher bislang zumeist beim traditionellen Erklärungsmodell geblieben, das von dem besagten Zusammenhang zwischen der Abschaffung der venaüones im Kynegwn und der Verbannung der Pantomimen aus den Theatern ausgeht. Es hat seinen prominentesten und wirkmächtigsten Vertreter in Alan Cameron gefunden, der ausgehend von dem Befund einer zunehmenden Häufung von Unruhen und Aufständen unter Beteiligung der ,Zirkusgruppen' im späteren 5. Jahrhundert - insbesondere unter Anastasios - die These entwickelt hat, daß dieser Kaiser Tierhatzen und Pantomimen untersagt habe, um mögliche Keimzellen für Gewaltaktionen zu eliminieren und das Treiben der ,Zirkusgruppen' ganz auf die Wagenrennen im Hippodrom zu kanalisieren. Die relative Ruhe, die im ersten Jahrzehnt des 6. Jahrhunderts herrschte, habe diese Maßnahme in der Rückschau denn auch erfolgreich erscheinen lassen. In der Tat ist es verlockend und auf den ersten Blick auch folgerichtig, die Abschaffung der venaüones ebenso wie das Pantomimen-Verbot auf ordnungs-
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licher Spektakel - thematisiert haben, sondern könnte ganz gezielt versucht haben, lediglich die für jeden vermittelbaren positiven Seiten der Maßnahme anzusprechen. Zudem scheint es sich bei der Beschreibung des grauenhaften Todes eines venator / bestiarius um ein literarisches Motiv zu handeln, das auch Cassiod. var. 5,42,2 anklingt, wo das furchtbare Ende eines Tierkämpfers sich sicherlich nicht auf die damnatio ad bestias bezieht. Vgl. etwa Coyne 1991, 159f., die Priscian. 223-227 auf den Kampf zwischen wilden Tieren und bestiarii bezieht; ähnlich deuten Theodorides 1958, 74 und Stein 1949, 79 die entsprechende Passage Prok. Gaz. pan. 15 und fügen ausdrücklich hinzu, daß gerade die damnatio ad bestias weiterhin praktiziert worden sei! Vict. Tunn. ad ann. 513 p. 195 Mommsen. Zu diesem Aufstand und seinen Implikationen s. jetzt Meier 2007. Tatsächlich waren Unruhen im Zusammenhang mit den spectacula ein reichsweit verbreitetes Problem, wie etwa Cassiod. var. 3,51,3 für Rom bezeugt. Vgl. AI. Cameron 1973, 231f, 240ff.; AI. Cameron 1976, 226E, 275. Camerons Thesen haben in der Forschung weithin Anklang gefunden, vgl. etwa Chauvot 1986, 163ff.; Coyne 1991,158; Haarer 2006, 228.
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politische Intentionen des Kaisers zurückzuführen. Zwar ist ein solcher Kausalzusammenhang in keiner Quelle explizit bezeugt, doch zumindest Priscian erwähnt die Einstellung der Tierhatzen immerhin direkt, nachdem er den Kaiser dafür gelobt hat, daß er mit den Aufständen aufgeräumt habe: per te seditio penitus deletur ab urbe. Prokop von Gaza allerdings verknüpft zwar die Maßnahmen gegen Pantomimen mit dem Vorgehen gegen öffentlichen Aufruhr, nicht aber — zumindest nicht direkt — das venationes-Verbot, das er lediglich unmittelbar zuvor erwähnt hatte. Trotzdem könnte gerade diese Juxtaposition es zunächst einmal nahelegen, auch die Abschaffung der Tierhatzen mit der Gefahr von Aufständen zu verbinden. Dann aber muß ein anderes, bereits erwähntes Phänomen erklärt werden, für das auch Cameron keine befriedigende Deutung anbieten kann, nämlich der Umstand, daß die vermeintlich Unruhe stiftenden venationes wenig später - möglicherweise bereits seit Mitte des ersten Jahrzehnts des 6. Jahrhunderts - offenbar schon wieder praktiziert wurden. Jedenfalls findet sich auf Konsulardiptychen des Areobindos aus dem Jahr 506 die Darstellung wilder Tierhatzen, ebenso auf den Diptychen des Anastasios (eines Verwandten des Kaisers) aus dem Jahr 517. Der spätere Kaiser Justinian, der mit der Tochter eines Bärenführers der Grünen verheiratet 30
war (!), feierte sein Konsulat 521 unter anderem mit einem Tierspektakel, bei dem gleichzeitig (simul) 20 Löwen, 30 Panther und andere wilde Tiere aufmarschierten, wie der Chronist Marcellinus Comes voller Bewunderung hervorhebt. Ein Papyrus aus dem ägyptischen Oxyrhynchos, der sich allerdings nur ganz grob und unsicher in das 6. Jahrhundert datieren läßt, enthält ein Zirkusprogramm, bei dem auch Tiere (eine Gazelle und Hunde) als Zwischeneinlagen
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Daraufhat auch Chauvot 1986,168 hingewiesen. Priscian. 218-222 (Aufstände): per te seditio penitus deletur ab urbe / innocuos spolians sub terras sole retracto; / nam aves mediis caedebant moenibus ense / Baccbantes stimulis v plausuquefrementes/ et spoliis paäs gaudentes nocte paratis\ 223-227 {venationes-Verbot). Vgl. Coyne 1991,158. 25 Vgl. Prok. Gaz. pan. 15-16. 26 In diesem Sinne deutet etwa Coyne 1991,158 die Passagen. 27 PLRE II 143f. (Fl. Areobindus Dagalaiphus Areobindus 1). 28 PLRE II 82f. (Fl. Anastasius Paulus Probus Sabinianus Pompeius Anastasius 17). Dazu AI. Cameron 1978. » Areobindos: Delbrueck 1929,107ff., Nr. 9-11, Taf. 9-11; Volbach 1976, 32ff, Nr. 811 (Taf. 4-5); Anastasios: Delbrueck 1929, 123ff., Nr. 20-21, Taf. 20-21; Volbach 1976, 35ff., Nr. 17-21 (Taf. 8-9). 30 Prok. HA 9,2-3. Prokop zufolge hat Theodoras Vater Akakios unter Anastasios als Bärenführer der Grünen gewirkt. 31 Marc. Com. ad ann. 521 p. 101-102 Mommsen. Allerdings spricht Marcellinus nur von der Darbietung der Tiere (exhibmi), nicht von deren Tötung. 24
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zwischen den Wagenrennen eine Rolle gespielt haben/ Blutige Tierhatzen werden zudem in einer Novelle Justinians aus dem Jahr 537 erwähnt (f...] cum bestiis pugnantes homines et vincentes audaäa, insuper et interemptae bestiae), und die Todesstrafe ad bestias als eine Form der venatio ist dann wieder für das spätere 6. Jahrhundert bezeugt. Für Cameron waren die Tierhatzen indes spätestens nach Justinians Novelle erledigt. Seinen Überlegungen zufolge waren sie der Konkurrenz durch die zunehmend populären Wagenrennen ohnehin nicht gewachsen, so daß die Verbotsmaßnahme des Anastasios lediglich einen Prozeß beschleunigt habe, der sich ohnehin gerade vollzog: „[...] it is probable that Anastasius only accelerated an inevitable process in the East. Long before the end of Justinian's reign the Cynegion stood as silent and empty in the new Rome as the Colosseum in the old. The Byzantine never lost his taste for wild and exotic animals, and for centuries they were paraded up and down the hippodrome to cheering crowds. But no blood, animal or human, was spilt to make a Byzantine holiday". Dennoch bleibt die Frage: Warum finden sich schon ab 506 - trotz des vorausgegangenen Verbots - wieder venationes-Dzi:Stellungen, und dies auf so prominenten und offiziösen Bildträgern wie den Konsulardiptychen? Andre Chastagnol hat vor längerer Zeit das Problem dadurch zu lösen versucht, daß er in den Diptychen lediglich Darstellungen „des jeux edulcores, simples exhibitions de betes, avec simulacres de combats et exercices d'adresse ou d'acrobatie" sehen wollte; Anastasios habe demzufolge nur die blutigen, für Mensch und/oder Tier tödlichen venationes verboten. Diese ,harmlose' Lesart widerspricht allerdings vollkommen der Wildheit und Brutalität der abgebildeten Szenen, und schon Cameron fragte daher mit Recht, „whether the ferocious-looking bears and Kons on the Areobindus diptychs knew that they were only supposed to be engaged in a ,simulacre de combat"'. Auch die These, es handele sich „um ein rein künsderisches Motiv", befriedigt nicht wirklich,
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P.Oxy. 34,2707. Nov. Iust. 105,1. Epplett 2004, 228f. mit den Belegen; vgl Luther 1997, 168 Anm. 262. AI. Cameron 1973, 228-230, das Zitat 230; ahnlich Roueche 1993, 79. Chastagnol 1966, 62; ihm schließen sich Merten 1991, 170 und Bomgardner 2002, 219 an; vgl. Epplett 2004, 222; Coyne 1991, 161, die vermutet, daß nach dem venationes-Verbot weiterhin simulierte und daher unblutige Kämpfe stattgefunden hätten. S. auch Chauvot 1986,172f. AI. Cameron 1973, 229. Skeptisch auch Roueche 1993, 78. Luther 1997,168 Anm. 262; ähnlich Haarer 2006, 228 Anm. 221.
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zumal spätestens unter Justinian ja tatsächlich wieder blutige venationes stattgefunden haben müssen. Camerons viel zitierte These, wonach Tierhatzen und Pantomimen-Vorstellungen verboten wurden, um mögliche Unruhen der ,Zirkusgruppen' ganz auf den Hippodrom zu begrenzen, wirft damit beträchtliche Probleme auf. Denn vor dem Hintergrund einer derartigen Intention läßt sich die rasche Wiederbezeugung der venationes schlichtweg nicht erklären. Es erscheint aber auch aus anderen Erwägungen heraus eher unwahrscheinlich, daß Anastasios ausgerechnet dieses Ziel verfolgt haben soll: (1) Cameron behauptet, daß das Verbot der Tierhatzen wie dasjenige der Pantomimen den von ihm unterstellten ordnungspolitischen Zweck tatsächlich erfüllt habe, insofern die von den jZirkusparteien* ausgehenden Unruhen, die insbesondere Anastasios' erstes Regierungsjahrzehnt schwer erschüttert hatten, abgeflaut seien. In der späteren Phase der Herrschaft dieses Kaisers habe es 39
stattdessen vornehmlich religiös motivierte Aufstände gegeben. Diese Feststellung gibt indes den Sachverhalt nicht adäquat wieder. Eine strikte Trennung zwischen ,religiös' und ,profan' motivierten Unruhen im spätantiken Konstantinopel erscheint aufgrund der engen Verklammerung der beiden Sphären ohnehin problematisch. Und tatsächlich sind auch für die Unruhen in der frühen Phase des Anastasios durchaus religiöse Elemente greifbar, so etwa für die Krawalle im Jahr 496 nach der Absetzung des Patriarchen Euphemios; auch für den Aufstand des Jahres 491 ist zumindest nicht auszuschließen, daß Euphemios durch das Insistieren auf seinen Vorbehalten gegenüber der ,Orthodoxie' des Kaisers für zusätzliche Brisanz gesorgt haben könnte. Der große Aufstand des Jahres 512 wiederum, der für die späten Jahre dieses Kaisers steht, war entgegen der communis opinio mitnichten ein rein religiös motiviertes Ereignis. Ich habe an anderer Stelle zu zeigen versucht, wie in dieser Erhebung ganz unterschiedliche Motive verschiedenster Akteure zusammengeflossen sind und erst gemeinsam die gefahrliche Sprengkraft der Situation erzeugt haben, die Anastasios immerhin zu einer - wohlkalkulierten Demutsgeste im Hippodrom zwang. Darüber hinaus sollte nicht vergessen werden, daß auch beim Staurotheis-Aufstand 512 die ,Zirkusgruppen' aktiv beteiligt waren (siehe oben). 39 40 41 42
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Vgl. AI. Cameron 1973, 239, 242; AI. Cameron 1976,130. Theod. Anagn. 455 p. 128 Hansen; Theoph. a.m. 5988 p. 1140,13-15 de Boor. Charanis 1974, 55 und Gray 1979, 35. Vgl. etwa Greatrex 1997, 64; s. auch AI. Cameron 1973, 235; Gizewski 1988, 205f.; Liebeschuetz 1998,178: „the great religious riot at Constantinople". Vgl. Meier 2007. Vict. Tunn. ad ann. 513 p. 195 Mommsen.
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(2) Ohne Zweifel hat sich Anastasios darum bemüht, Unruhen und Aufstände einzuhegen bzw. zu unterdrücken. Aber eine Kanalisierung spektakulärer Darbietungen ausschließlich auf den Hippodrom wäre schwerlich geeignet gewesen, diesen Zweck zu erreichen, weil sie lediglich den Ausgangspunkt für weitere Unruhen fokussiert, nicht aber deren Möglichkeit als solche begrenzt und daher das Grundproblem nicht behoben hätte. Ob nun im Theater, im Kynegion oder im Hippodrom: Die ,Zirkusparteienc waren an all diesen Orten aktiv und konnten auch an all diesen Orten ihre Provokationen in Szene setzen. Der Hippodrom als Zentrum der politischen Kommunikation zwischen Herrscher und Volk in Konstantinopel war dafür - im Gegenteil - ja sogar prädestiniert, und nicht ohne Grund nahmen so viele Krawalle und Aufstände dort ihren Ausgangspunkt. 4 Cassiodor schildert diese Gefahr anschaulich mit Blick auf die Verhältnisse in Rom: „Ein Grüner überschreitet die Ziellinie — ein Teil des Volkes trauert: Ein Blauer gewinnt und sogleich wird eine Menschenmenge in der Stadt ins Unglück gestürzt. Wenn sie nichts gewinnen, springen sie leidenschaftlich herum; wenn sie nichts verlieren, werden sie schwer verletzt, und in nichtige Streitereien stürzt man sich, als mühe man sich um das Wohl des gefährdeten Vaterlandes ab". 7 Anastasios hätte mithin eher Optionen sondieren müssen, die großen Festveranstaltungen dezentraler zu gestalten, um dem Hippodrom den Druck als Schmelztiegel der Emotionen zu nehmen - anders ausgedrückt: Nicht eine Kanalisierung der Aktivitäten der ,Zirkusgruppen* auf den Hippodrom hätte eine geeignete DeeskalationsStrategie dargestellt, sondern das genaue Gegenteil wäre dienlich gewesen. Und so ist es denn auch keineswegs verwunderlich,
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Dies hat AI. Cameron 1973, 240ff. am Beispiel der kaiserlichen Politik mit dem populären Wagenlenker Porphynos, der sowohl für die Grünen als auch für die Blauen fahren durfte, klar aufgezeigt. Zu den weiteren Maßnahmen des Anastasios gehörten u.a. das Bekenntnis zum unbedeutenden Rennstall der Roten (statt einer eindeutigen Parteinahme für die rivalisierenden Blauen oder Grünen, vgl. loh. Mal. 16,2 p. 320,23-24 Thurn) sowie das harsche Vorgehen gegen aufrührerische ,Zirkusgruppen' vor allem im ersten Jahrzehnt seiner Herrschaft. 46 Vgl. Guilland 1967, 271 ff. 47 Cassiod. var. 3,51,11: transit prasinus, pars popuh maeret: praecedit venetus et oäus turba civitatis affligitur. nihil profiäentes ferventer msultant. nihil patientes graviter vulnerantur et a inanes contentiones sie disceditur, tamquam de statu periclitantis patriae laboretur. Vgl. auch d aufschlußreiche Passage im Dialog IlspircoXmicfjc,87Eicrcr|UT|c, (aus frühjustinianischer Zeit) zum aufrührerischen Treiben der ,Zirkusgruppen': Mazzucchi 1982,100-114 p. 33-35.
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wenn Papst Gelasius I. in seinem berühmten Schreiben an Anastasios aus dem Jahr 494 beiläufig andeutet, daß die Einhegung von spectacula im Osten für zusätzliche Tumulte gesorgt habe, die der Kaiser eigens unterdrücken mußte.
2. Der Hippodrom als »Zentrum des Kosmos' Wenn eine Zentralisierung aller spectacula im Hippodrom nicht der Eindämmung von Unruhen dienen sollte - wozu diente sie dann? Ging es womöglich weniger um die Erhaltung der öffentlichen Ordnung als um die Kontrolle über die Medien der Kommunikation zwischen Kaiser und Untertanen? Nun ist der Hippodrom auch im Zusammenhang der kaiserlichen Repräsentation von immenser Bedeutung gewesen; denn hier fanden die Sieghaftigkeit des Herrschers und ein aus der Historie heraus fundiertes, in kosmischen Dimensionen verankertes Zentralitätspostulat zusammen. Dies hat in einer Gruppe von Texten ihren Niederschlag gefunden, die im Kontext der Diskussion um die Abschaffung der venationes (und nicht nur dort) bisher noch nicht berücksichtigt wurden. Sie alle hätten längst eine eingehende Behandlung unter ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten verdient - ich beschränke mich im Folgenden nur auf die für unsere Fragestellung wichtigen Aspekte) -,. denn sie teilen eine auffallige Gemeinsamkeit: Sie neigen dazu, den Circus bzw. Hippodrom als einen besonderen, stark symbolbefrachteten Ort, mitunter sogar als Zentrum des Kosmos, zu beschreiben. Diese symbolische Interpretation des Circus geht auf den Prinzipat zurück, aber sie scheint doch im 6. Jahrhundert eine besondere Bedeutung erlangt zu haben, denn entsprechende Äußerungen kulminieren in dieser Zeit, und ich bin geneigt, darin nicht lediglich einen 48
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Gelas. epist. 12,10 p. 357 Thiel: Taceo, quodpro rebus ludicrispopuläres tumultus nunc etiam vestrae pietatis auctoritas refrenarit Es handelt sich dabei im einzelnen um: Tert. spect. 9; Anth. Lat. 188 Shackleton Bailey = 197 Riese; Cassiod. var. 3,51,3-10; Joh. Lyd. mens. 1,12 p. 3,17-7,15; 4,30 p. 88,13-90,13 Wuensch; Coripp. Laud. Iust. 1,314-344; loh. Mal. 7,4-6 p. 133,38137,57 Thurn (davon abhängig sind Chron. Pasch, p. 205,17-211,7 Dindorf, Joh. Damask. 699 PG 96,372-373 und Kedren. 258A-259C PG 121,293); Isid. Etym. 18,27-41; vgl. Drac. De laude Dei 2,15-19 Moussy/Camus; Mart. Cap. 2,189f S. dazu Wuilleumier 1927; Dagron 1974, 330ff. (der insbesondere auch auf die Sonnensymbolik in den aufgeführten Texten eingeht); Dagron 2000; Lyle 1984; Vespignani 1994; Vespignani 2001, bes. 49ff. Eine Aufstellung der in den ,ZirkusTexten' verwendeten Motive mit Zuordnung zu den jeweiligen Autoren findet sich bei Castonna 1961, LXXXIYff. Vgl. Av. Cameron 1976, 143: „[...] a network of similarly antiquarian accounts of the circus and lts colour symbolism in certain [...] literary works, mainly of this period"; Stevens 1988, 172£: „[...] systemaüc literary accounts of the cosmic and
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Zufall der Überlieferung zu sehen. Läßt sich also möglicherweise aus diesen ,Hippodrom-Texten' näherer Aufschluß über die Intentionen des Anastasios gewinnen? Das früheste erhaltene Zeugnis dieses Diskurszusammenhangs weist noch in die hohe Kaiserzeit zurück; es stammt aus Tertullians um 200 n.Chr. entstandenem Traktat De spectaculis. Im Rahmen seiner Invektive gegen die spectacula äußert sich der Autor auch zur Entstehung von Pferde- und Wagenrennen und präsentiert dabei mehrere Ursprungsversionen, die in der Kaiserzeit offenbar im Umlauf waren: Erwähnung finden u.a. die konkurrierenden Erzählungen über Erichthonios als ersten Meister des Viergespanns sowie den mythischen Erfinder des Wagens bzw. der Quadriga Trochilos von Argos. Für den römischen Bereich rekurriert Tertullian dann aber auf Romulus, der quadrigam primus ostendit Zunächst habe es in Rom nur zwei Farben für Zirkusrennställe gegeben, Weiß und Rot, wobei Weiß dem Winter (ob nives Candidas)^ Rot dem Sommer (ob solis ruborem) geweiht gewesen sei. Erst später hätten einige Leute Rot dem Mars, andere Weiß den Zephyri, ferner Grün der Terra mater oder dem Frühling und Blau dem Himmel, Meer oder dem Herbst geweiht. Die hinter diesem Schema stehende Jahreszeitensymbolik - eine auch außerliterarisch bezeugte Konstante der ,ZirkusSymbolik* bis in die Spätantike
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astrological symbolism of the circus concentrate in two periods: the second and very early third Century [...] and the sixth to early seventh Century"; Kay 2006: „[...] all such extant treatments being from the srxth Century onwards". Tert. spect. 9; Kommentar: Castorina 1961,193f£; Turcan 1986,171ff. In der Forschung wurde darüber spekuliert, ob Tertullian sein Material aus einer verlorenen Ludicra bistoria Suetons bezogen haben könnte (vgl. Soveri 1912, 104f£; Wuilleumier 1927, 194; Hanfmann 1951, I 159; II 75, Anm. 112; Castorina 1961, LXXXIIff.); dies ist nicht auszuschließen, doch ist ebenso auffallig, daß die symbolisch-kosmologische Ausdeutung des Circus/Hippodroms erst in der Spatantike zunehmend an Gestalt gewinnt, so daß - zumindest für die späteren Autoren - Sueton sicherlich nicht die einzige Quelle dargestellt haben kann; vgl. Av. Cameron 1976,143; Kay 2006, 365. Vgl. zu diesem Aspekt des Enchthonios-Mythos etwa Verg. georg. 3,113f. (von Tert., a.a.O. zitiert); Serv. georg. 3,113; Plin. nat. 7,202. Castorina 1961, 200ff. Trochilos galt als Sohn der ersten argivischen Hera-Priesterin Kallithea, vgl. Schol. Arat. 161; Hieron. chron. ad ann. 449 p. II 25 Schoene: Primus quadrigam iunxisse ferturTrochilus. Castorina 1961, 204f. Vgl. Tert. spect. 5,5. Zu Überlegungen über mögliche archaisch-rituelle Ursprünge von Farbensymbolik im indoeuropäischen Gesamtzusammenhang s. Lyle 1984, 834ff., zu Tert. spect. 5,5 bes. 839; Turcan 1986,177; zur historischen Entwicklung im Römischen Reich s. AI. Cameron 1976, 45ff.
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(wenngleich in unterschiedlichen Kombinationen) - ist manifest; sie verweist die konkurrierenden Farben in einen zyklischen Ablauf von ewiger Dauer. Der Circus erscheint damit als Garant für Stabilität und Permanenz. Schwieriger erscheint indes die Interpretation von Mars, den Zephyri, der Terra mater sowie Himmel und Meer. Man hat in dieser Aufzählung mit Blick auf die spätere Überlieferung und auf die im Folgenden von Tertullian angesprochenen elementa mundialia einen Hinweis auf die vier Elemente gesehen, wenngleich diese Deutung einige Inkonsistenzen und offene Fragen hinterläßt. Ganz unabhängig von den komplizierten Einzelproblemen, welche die TertullianPassage aufwirft, läßt sich aber festhalten, daß bereits um 200 eine sich verfestigende „Archäologie" der Wagenrennen im Circus von einer kosmologisch konnotierten Symbolik begleitet und überlagert wurde. Mit den programmatischen Worten „der Circus ist ein Abbild des Himmels" (circus imago poli) setzt das Epigramm De ärcensihus ein, das im Codex Salmasianus (8. Jahrhundert) als Teil der (später so genannten) Anthologia Latina überliefert ist.5 Die Gedichtsammlung wurde in Nordafrika zur Zeit der ausgehenden Vandalenherrschaft, d.h. um 534, von einem anonymen Gelehrten zusammengestellt. Grundelemente der symbolischen Ausdeutung des Circus, wie sie bereits Tertullian geboten hatte, sind auch in diesem Gedicht enthalten, doch wird die kosmologisch-allegorische Bedeutung des Circus mit seinen vermeintlichen astronomischen und astrologischen Implikationen nunmehr noch wesentlich deutlicher akzentuiert, ja geradezu zelebriert, denn die „gelehrten Alten" {docta vetustas) hätten ihn ad numeros limitis aetherii konzipiert: Die 12 Starttore der carceres stehen dementsprechend für die Zahl der Monate und 57
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Vgl. Conpp. Laud. Iust. 1,314-321; Isid. Etym. 18,36; 18,41; Cassiod. var. 3,51,5; Joh. Lyd. mens. 4,30 p. 90,2-4 Wuensch; Drac. De laude Dei 2,15-19 Moussy/Camus; Mart. Cap. 2,189f.; Lyle 1984, 829f. Zu den Assoziationen von Wagenrennen im Zirkus einerseits sowie den Jahreszeiten andererseits in der Kunst s. Hanfmann 1951, 161 ff. (Sarkophage und Mosaike), der allerdings 162f. auch auf die logische Problematik dieser Verbindung hinweist: Während die Jahreszeiten einen Zyklus aus vier aufeinanderfolgenden, gleichberechtigten Elementen bilden, lebt der Circus davon, daß eine Farbe über die drei anderen triumphiert; Yacoub 1970, 98£, Nr. 2403; Turcan 1986, 177 (Mosaik); AI. Cameron 1976, 144 (weitere Literatur zu MosaikdarStellungen). Sie werden diskutiert von Turcan 1986, 177f.; vgl. auch Castonna 1961, 214. Anth. Lat. 188 Shackleton Bailey = 197 Riese; Kommentar: Kay 2006, 364ff.; vgl. auch Stevens 1988,172ff. Vgl. Kay 2006, lff. Eine etwas spätere Datierung des Gedichts De ärcensihus in byzantinische Zeit erwägt Stevens 1988, 177, der in ihm „a record of a last revival of the circus under the Byzantines in the west, probably in Africa, in the early to midsixth Century" sieht. Anth. Lat. 188,1 f. Shackleton Bailey = 197,1 f. Riese.
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der Tierkreissternbüder des Zodiak, die vier Pferde eines Vierspänners symbolisieren die Jahreszeiten, die vier Rennstall-Farben dagegen die vier Elemente;
die metae bedeuten Aufstieg u n d Untergang (d.h. O s t e n u n d Westen),
der euripus repräsentiert d e n dazwischen liegenden O z e a n , der Obelisk das Z e n t r u m des K o s m o s , die sieben R u n d e n die Umlaufbahnen der sieben Planeten.
D e r Zweispänner ist d e m M o n d geweiht, der Vierspänner der Sonne
(dieses auch unabhängig v o m Circus populäre u n d für die kaiserliche Selbstdarstellung gerade in der Spätantike ausgesprochen wichtige Motiv bereits Tertullian erwähnt),
den D i o s k u r e n gehören die Einspänner.
hatte Das
E p i g r a m m schließt mit einem ganz in paganer Tradition stehenden Distichon: Divinis constant nostra spectacula rebus, / gratia magna quibus crevit honore deum,
des-
sen letzte beide W o r t e ebenso programmatischen Charakter besitzen wie der Beginn des Gedichts. Die im E p i g r a m m De circensibus referierten kosmologischen Assoziationen des H i p p o d r o m s erscheinen leicht variiert auch in einem v o n Cassiodor verfaßten
Schreiben Theoderichs des G r o ß e n
praetorio Faustus
an seinen damaligen praefectus
(ca. 509-512), 7 das im übrigen grundsätzlich eine deutliche
A b l e h n u n g gegenüber den W a g e n r e n n e n erkennen läßt. werb habe O i n o m a o s v o n Elis angesetzt,
D e n ersten Wettbe-
w ä h r e n d für R o m wiederum R o m u -
62 Anth. Lat. 188,3-5 Shackleton Bailey = 197,3-5 Riese. « Anth. Lat. 188,11 f. Shackleton Bailey = 197,11 f. Riese, mit Kay 2006, 372. 64 Anth. Lat. 188,13-16 Shackleton Bailey = 197,13-16 Riese. Auffälligerweise verzichtet der Autor beim Obelisken auf die ansonsten geläufige Sonnensymbolik. 65 Vgl. Kay 2006, 369f. 66 Tert. spect. 9,3; dazu Castorina 1961,197ff. 67 Anth. Lat. 188,17f. Shackleton Bailey = 197,17f. Riese. Anth. Lat. 188,19f. Shackleton Bailey = 197,19f. Riese. PLRE II 454-456 (Fl. Anicius Probus Faustus iunior Niger 9). Cassiod. var. 3,51,3-10. Dazu s. Meyer-Flügel 1992, 280ff. Vgl. etwa Cassiod. var. 3,51,12f. (wo die Wagenrennen mit superstitio in Verbindung gebracht werden), bes. 3,51,13: expedit interdum desipere, ut populi possimus desiderata gaudia continere. Theoderich/Cassiodor sehen in den spectacula allgemein ein im Grundsatz abzulehnendes Übel, das zu ertragen aber notwendig sei, um der Vergnügungssucht und den Wünschen der Massen nachzukommen und dadurch Ruhe und Stabilität im Sinne der beatitudo temporum (Cassiod. var. 3,51,13) zu gewährleisten; die Finanzierung von spectacula stellt für Theoderich daher einen Akt herrscherlicher humanitas dar (Cassiod. var. 1,30,1), vgl. Meyer-Flügel 1992, 267ff. Eine Bezugnahme auf den Oinomaos-Mythos, der als Altion der olympischen Wagenrennen erzählt wurde. Demzufolge zwang König Oinomaos aus dem ehschen Pisa, der Sohn des Ares, den Freiern seiner Tochter Hippodameia als Bewährungsprobe stets ein Wagenrennen auf, das für diese jedes Mal tödlich endete. Erst Pelops gelang es mit Hilfe von Oinomaos' Wagenlenker Myrtilos, den König zu besiegen und zu töten. Daraufhin konnte Pelops Hippodameia heiraten. Vgl. Pind. Ol.
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lus als Archeget benannt wird, der die Spiele im Kontext des Raubs der Sabinerinnen eingeführt habe - damals noch ohne Circus, denn diesen habe erst Augustus errichten lassen. Im Folgenden erscheinen zahlreiche mitderweile bekannte Motive: die Parallelisierung der 12 Tore mit den 12 Sternbildern des Zodiak, die Farben als Symbol für die Jahreszeiten (grün = Frühling, blau = Winter, rot = Sommer, weiß = Herbst), und auch auf die 12 Monate wird angespielt. Insgesamt, so Cassiodor, imaginierten die Spiele die Werke der Natur {naturae ministeria). Geläufig ist ebenfalls der Bezug des Zweispänners auf den Mond und des Vierspänners auf die Sonne, während die sieben Runden eines Rennens bei Cassiodor nicht für Planetenbahnen stehen, sondern für die sieben Tage der Woche. Demgegenüber finden sich die aus dem Gedicht De circensibus bekannten Anspielungen auf Orient und Okzident ebenso im Theoderich/Cassiodor-Brief wie die Deutung des euripus als Ozean, ergänzt durch einen Bezug der 24 Rennen einer Veranstaltung auf die 24 Stunden eines rr
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Tages. SymboUstisch-kosmologische Spekulationen über die Bedeutung des Circus bzw. Hippodrom scheinen, wie angedeutet, im 6. Jahrhundert größere Verbreitung gefunden zu haben. Zwei längere Passagen in Johannes Lydos' Schrift De mensibus widmen sich ebenfalls dem Thema und lassen signifikante Variationen erkennen: So findet man neben der Erwähnung des Oinomaos, der geläufigen Parallelisierung von euripus und Ozean sowie von Obelisk und Sonne, der Assoziation an die Tierkreiszeichen des Zodiak und dem Bezug der sieben Runden auf die sieben Planetenbahnen sowie der Farben auf die Elemente und Jahreszeiten (grün = Frühling, rot = Sommer, blau = Herbst, weiß = Winter) auch die Information, daß die Zauberin Kirke (von deren l,69ff. (mit Schol. Pind. Ol. 1,114); Apollod. epit. 2,4-9; Apoll. Rhod. 752ff.; Diod. 4,73; Hyg. fab. 84; Paus. 5,14,6. 73 Cassiod. var. 3,51,3f. Augustus selbst spricht in seinem Tatenbericht lediglich davon, ein pulvinar ad ärcum Maximum errichtet 2u haben (R. Gest. div. Aug. 19); von seinem Feldherrn Agnppa stammen die silbernen Delphine, mit denen die Runden gezählt wurden, vgl. Humphrey 1986, 78ff.; Zanker 2003, 79. 74 Cassiod. var. 3,51,4f. 75 Cassiod. var. 3,51,5: sie factum, ut naturae ministeria spectacuhmm composita imaginatione luderentur. 76 Cassiod. var. 3,5,6. Cassiodor fügt noch hinzu, daß die reitenden Herolde zwischen den Rennen den schnellen Gang des Morgensterns nachahmten. 77 Cassiod. var. 3,51,7. 78 Cassiod. var. 3,51,8. ™ Cassiod. var. 3,51,10. so Joh. Lyd. mens. 1,12 p. 3,17-7,15; 4,30 p. 88,13-90,13 Wuensch. 81 Johannes Lydos zufolge hat Romulus zunächst nur drei Farben eingeführt: Rot für Ares bzw. das Feuer, Weiß für Zeus bzw. die Luft, Grün für Aphrodite bzw. die
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Namen Johannes Lydos das Wort Citrus ableitet) die Wagenrennen in Italien heimisch gemacht und Romulus sie dann für Rom übernommen habe; den Transfer von Rom nach Konstantinopel habe dann Septimius Severus geleistet, der den Hippodrom in der Kaiserstadt am Bosporus habe anlegen lassen. Das literarisch am feinsten ausgefeilte, inhaltlich dafür aber am wenigsten konkrete Textstück unserer Sammlung stammt indes aus Coripps um 566/567 entstandenem Panegyricus auf Justin IL In seiner Darstellung der Geschehnisse nach Justinians Tod (565) beschreibt der Autor, wie sich das Gerücht vom Ende des Kaisers rasch in Konstantinopel verbreitet habe, was — eindrucksvoll an das Ende des 1. Buches seiner Lobrede plaziert — zu einer Versammlung des Volkes im Hippodrom geführt habe, welche Coripp als Gelegenheit nutzt, über die symbolische Bedeutung dieses Ortes zu reflektieren. Die vom Epiker bearbeiteten Motive sind erwartungsgemäß nicht neu: Die Sonnensymbolik der Wagenrennen wird hervorgehoben (wiederum durch Allusion auf die vier Pferde des Sonnenwagens), die vier Farben als Symbole der Jahreszeiten (grün = Frühling, rot = Sommer, blau = Herbst, weiß = Winter) gedeutet - dies allerdings in auffälliger Ausführlichkeit - und einmal mehr Oinomaos als Erfinder der vierspännigen Rennen angeführt. Anders als das Gedicht De circensibus mit seinem traditionalistisch-paganen Gestus schließt Coripp mit einem dezidiert christlichen Bekenntnis und verdeutlicht damit, daß die symbolische Deutung des Hippodrom im 6. Jahrhundert nicht religiös festgelegt war: „Nachdem der Schöpfer der Sonne unter der Sonne hatte gesehen werden wollen und Gott Menschengestalt von der Jungfrau angenommen hatte, da wurden die Spiele für die Sonne abgeschafft und Ehre und Spiele den römischen Kaisern übertragen und die heiteren Zirkus freuden dem neuen Rom". 86
Erde. „Später aber stritten die Gallier um gleiches Recht, und es wurde Blau hinzugefügt, da ihre Kleider eine solche Farbe hatten - zu Ehren des Kronos bzw. mehr noch des Poseidon" (uaxepov Se TJpioav ol TdXXotrceplouoxiulac., Kai rcpoaexeSTi TÖ ßsvexov Sid TO XOIOVXOV xpd)uaxo<; eivai xd ludxia avxcöv, sie. xuif(v xou Kpovou \ uäXXov xou Iloaeiödüvoc.), vgl. Joh. Lyd. mens. 1,12 p. 6,24-7,4 Wuensch (zur nachträglichen Einfuhrung der Farbe Blau s. auch 4,30 p. 88,22-90,4 Wuensch). 82 Coripp. Laud. Iust. 1,314-344. Kommentar: Av. Cameron 1976,143ff. « Coripp. Laud. Iust. 1,314-316. 84 Coripp. Laud. Iust. 1,317-329, mit AI. Cameron 1976, 336-338. 8 5 Coripp. Laud. Iust. l,334f. 86 Coripp. Laud. Iust. 1,340-344: sedfactor solis postquam sub sole mderi / se voluitformamque deus de virgine sumpsit / humani generis, tunc munere solis adempto / prinäpibus delatus ho munusque Latims / et iucunda novae circensia gaudia Komae.
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Averil Cameron hat zu Coripps Exkurs über den Hippodrom bereits vor mehr als drei Jahrzehnten angemerkt, es handele sich dabei um „an academic setpiece which is certainly out of place in the context, having no relation to the real occasion which he describes". Diese Beobachtung, die sich bei einem Blick in den Text leicht nachvollziehen läßt, wirft freilich die Frage auf, warum der Dichter die Digression dann überhaupt eingefügt hat. Sie stellt sich mit umso größerer Dringlichkeit, als auch Theoderich/Cassiodor im Schreiben an Faustus keineswegs gezwungen waren, in der gegebenen Ausführlichkeit auf die Symbolik des Circus einzugehen, zumal sie aus ihrer prinzipiellen Verachtung der Wagenrennen kein Hehl machten. Auch im Falle ihres (oben zitierten) Briefes resultiert der Rekurs auf die Circus-Symbolik jedenfalls nicht unmittelbar aus dem Grundthema des Textes. Könnte der Kontext daher ein literarischer sein? In diesem Punkt wird man über Spekulationen nicht hinauskommen. Eine wechselseitige Abhängigkeit der Circus-Texte des 6. Jahrhunderts läßt sich jedenfalls weder schlüssig erweisen noch widerlegen, doch könnten sie immerhin als Reflexe gelehrter Diskussionen interpretiert werden, die dann u.a. auf 88
der literarischen Ebene einen Niederschlag gefunden hätten. Diese Deutung beantwortet allerdings die Grundfrage nicht, sondern verschiebt sie lediglich auf eine andere Ebene. Denn wenn dem Motiv der Circus-Symbolik im 6. Jahrhundert offensichtlich eine besondere Rolle zukam, dann wird man nach einer Ursache für dieses Phänomen forschen müssen, und dies führt zwangsläufig aus der rein literarischen Sphäre hinaus in Richtung der historischen Kontexte. Die Vermutung liegt nahe, daß der Hippodrom selbst, als Ort und als Institution, im 6. Jahrhundert eine ganz besondere Ausstrahlungskraft besessen haben muß, die ihn als Zentrum des Kosmos erscheinen ließ und die auf Assoziationen beruhte, deren Valenz durch eine ganz spezifische memoria fundiert wurde. Der Circus bzw. Hippodrom fungierte dabei als Brennspiegel einer geordneten Welt, und in der Geschichte der Wagenrennen bildete sich die Geschichte der Zeitgenossen von der mythischen Frühzeit über die frührömische Epoche bis hin zur Gegenwart ab. Daß dieser zentrale ,Erinnerungsort' im 6. Jahrhundert nicht im Kaiserpalast, einer Kirche oder einem anderen Gebäude angesiedelt wurde, ist bemerkenswert, verweist dieser Umstand doch auf die fundamentale Bedeutung der Kommunikation zwischen Herrscher und hauptstädtischer Bevölkerung, die gerade im Hippodrom ihren bevorzugten Platz fand. In einem weiteren, bisher ausgesparten Hippodrom-Text des 6. Jahrhunderts kommt dieser Aspekt in besonderer Deutlichkeit zum Ausdruck. 87 88
Av. Cameron 1976,143. Vgl. Kay 2006, 365.
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Es handelt sich um eine Passage aus dem 7. Buch der Weltckronik des Johannes Malalas:89 „Und sofort setzte er [sc. Romulus] wiederum einen Anfang und gründete den Circus, den er Hippodrom nannte, in Rom, da er die Volksmenge der Römer zerstreuen wollte, weil sie Unruhen anzettelten und ihn angingen wegen seines Bruders. Und er veranstaltete als erster ein Pferderennen auf dem Gebiet Roms, zur Feier des Helios, sagt man, und zu Ehren der ihm untergeordneten vier Elemente, d.h. Erde, Meer, Feuer und Luft, wobei er auch den Umstand erwog, daß die Könige der Perser glücklich in die Kriege gehen, weil sie eben diese vier Elemente ehren. In Rom jedenfalls ehrten sie diese vier Elemente nicht, auch nicht an einem einzigen Fest. Doch Oinomaos, der König über das Land der Pisaten, veranstaltete in den europäischen Gebieten am 25. Dystros-März einen Wettkampf für Helios den Titan, weil er darüber stand, so sagt man, wenn Erde und Meer - d.h. Demeter und Poseidon - miteinander rangen, die dem Helios unterstehenden Elemente. Und es wurde ein Los geworfen zwischen eben diesem König Oinomaos und jedem, der aus einem beliebigen Land kam, ihn niederzukämpfen; und immer wenn das Los Oinomaos dazu aufrief, für Poseidon zu kämpfen, trug er die Tracht blauer Gewänder, d.h. des Wassers, und sein Gegner trug die grüne Tracht, d.h. der Erde. Hinwieder, wenn das Los dem Oinomaos auftrug, die Tracht der Demeter zu tragen, dann trug er die grüne Tracht und sein Gegner trug die Tracht Poseidons, d.h. des Wassers, also blau; und wer unterlag, wurde getötet. Und eine zahllose Menge kam, um den jährlichen königlichen Wettkampf zu sehen, aus jedem Land und jeder Stadt; und die Bürger, die die Küstenstädte und die Inseln bewohnten, und die Seeleute von den Dörfern an den Küsten beteten, es möge der siegen, der die blaue Tracht trug, d.h. die des Poseidon, wobei sie prophezeiten, daß, wenn der Kämpfer für Poseidon unterliege, ein Schwund vielfältiger Fischarten eintreten werde, ferner Schiffbrüche auf dem Meer und gefährliche Notlagen durch gewaltige Winde. Die Bürger aber, die das Binnenland bewohnten, die Bauern vom Land und alle, die sich mit Ackerbau abmühten, beteten, es solle der Träger der grünen Tracht siegen, wobei sie prophezeiten, daß, wenn der Kämpfer für Demeter unterliege, d.h. für die Erde, Hunger aus Getreidearmut eintreten werde, ferner Mangel an Wein, Öl und den anderen Feldfrüchten. Und Oinomaos besiegte zahlreiche Gegner über viele Jahre hin; denn er
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loh. Mal. 7,4-6 p. 133,38-137,57 Thurn.
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hatte den Apsyrtos, der ihn unerbittlich die Wagenlenk-Kunst lehrte. Dieser Oinomaos unterlag dem Lyder Pelops und wurde getötet, (p. 134,72 Thurn) Diesen Pferdewettkampf dachte sich als erster ein gewisser Mann namens Enyalios aus, Sohn des Poseidon [...]. Eben diesen Pferdewettkampf hat Enyalios für Zweispänner erfunden, wie dies der weise Kallimachos in seinen Etesien beschrieben hat, und fortan, nach ihm, hat Erichthonios ihn veranstaltet. Und andere veranstalteten ihn an verschiedenen Orten. (p. 135,80 Thurn) Oinomaos aber veranstaltete als erster eben diesen Wettkampf mit Vierspännern; daher wurde er auch sehr berühmt, wie es in den Historien des höchst weisen Charax niedergelegt ist; dieser hat auch dies berichtet, daß der Bau des Hippodroms nach der Einrichtung des Kosmos errichtet worden ist, d.h. des Himmels, der Erde und des Meeres. Er hat berichtet, daß die 12 Tore den 12 Häusern des Zodiak entsprechen, der Erde, Meer und den vorübergehenden Lauf des Lebens der Menschen einrichtet. Die Rennbahn des Hippodroms repräsentiere die ganze Erde, der Euripos das vom Land geteilte Meer, die Kurve bei den Toren den Osten, die bei der Wendemarke (Sphendone) den Westen, die sieben Bahnen aber den Lauf und die astronomische Bewegung der sieben Sterne des Großen Bären. (p. 135,92 Thurn) König Romos [= Romuius] aber erfand auch selbst zu Ehren des Helios und der ihm untergeordneten vier Elemente als erster den Wettkampf in Rom, und er veranstaltete ihn im Land des Westens, also in Italien, mit Vierspännern, d.h. für Erde, Meer, Feuer und Luft. Und Romos legte eben diesen vier Elementen Namen zu: Der Erde [den Namen] Prasinos-Partei, d.h. Grün, dem Meer, d.h. dem Wasser, Venetos-Partei, wie Blau, dem Feuer Rhousios-Partei, wie Rot, der Luft Albos-Partei, wie Weiß. Und von dort ausgehend wurden die vier Parteien in Rom ersonnen. Er benannte die Prasinos-Partei (d.h. auf Römisch das Verweilende - denn praisenteüein heißt paramenein [verweilen]), weil die grüne Erde immer mit ihren Wäldern besteht. Die Venetos-Partei benannte er danach, daß unter der Herrschaft Roms eine große Provinz namens Venetien besteht, deren Hauptstadt Aquileia ist, und von dort kommen die blauen, d.h. venetischen Farben für Kleider. Und er fugte der Prasinos-Partei, also der Erde, die weiße an, so sagt man, die Luft, insofern sie es auch regnen läßt und sie der Erde dient und sich ihr fügt; und der Venetos-Partei, d.h. dem Wasser, fügte er durch Beimischung die Rhousios-Partei an, d.h. das Feuer, insofern
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Zu diesem Farben-Antagonismus und seinem symbolischen Gehalt s. Lyle 1984, 838f.
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Mischa Meier das Wasser das Feuer löscht, weil es ihm untergeordnet ist. Und fortan waren die Bewohner Roms in die Parteien gespalten, und sie lebten nicht mehr in Eintracht miteinander, wegen eines derartigen Verlangens nach dem eigenen Sieg und des Einsatzes für die eigene Partei - wie für irgendeine Religion. Und es gab eine große Spaltung in Rom, und die Parteien hegten in Rom eine große Feindschaft gegeneinander, seit Romos für sie das Schauspiel des Wagenrennens ersonnen hatte. Und immer wenn Romos sah, daß Leute in irgendeiner Partei Gruppierungen des Volkes oder Senatoren liebten, die gekränkt worden waren und sich ihm widersetzten wegen des Todes seines Bruders oder aus irgendeinem anderen Grund, dann entschloß er sich, sich um die andere Partei zu kümmern, und er hielt sie wohlwollend und in Gegnerschaft gegenüber dem Ziel seiner Feinde. Seitdem machten auch die späteren Könige/Kaiser (Basileis) Roms von diesem Prinzip Gebrauch. (p. 136,26 Thurn) Unter der Herrschaft eben dieses Romos aber bestand sein Heer zu großen Teilen aus Fremden, und es gab in Rom eine Menge wilder Menschen, und die Zahl der Frauen entsprach nicht derjenigen an Männern. Und die Heerscharen von jungen Männern gierten nach Lebensfreude; und sie gingen auf dem Forum die Frauen an, und es gab Chaos und Bürgerkrieg. Romos aber war ohne Mut, da er nicht wußte, was er tun sollte. Denn keine der Frauen ertrug es, sich mit den Soldaten einzulassen, wie bei Wilden und Barbaren. Und er verkündete ein Gesetz, wonach die Soldaten Jungfrauen zur Ehe nehmen sollten, die er Brytides (,BrutusKinder*) nannte; und niemand konnte sich dazu durchringen, ihnen die eigene Tochter zu geben, sondern sie sagten, sie hätten wegen der Kriege keine Hoffnung, von Tag zu Tag zu überleben, sondern alle verheirateten ihre Töchter mit den Leuten aus der Stadt. Und Romos zog ohne Mut fort zum Orakel; und es erging eine Weissagung an ihn, daß er für die Frauen ein Pferderenn-Spektakel veranstalten solle, damit das Heer sich Frauen zuführen könne. Und er versammelte das Heeresaufgebot im Palast und veranstaltete ein Pferderennen, wobei er den Befehl erließ, nur Frauen dürften den Pferdewetdauf mit ansehen. Und da ein ganz besonderes Schauspiel stattfinden sollte, kamen aus der ganzen Umgebung sowie den endegenen Städten und Dörfern Scharen von Frauen nach Rom, und es füllten den Hippodrom verheiratete Frauen und jüngere Jungfrauen; es kamen aber auch die Töchter der so genannten Sabiner, deren Land in der Nähe Roms lag, schöne Frauen. Und Romos gab heimlich Befehle, daß keine verheiratete Frau, die römische Bürgerin war, zusehen dürfe; er befahl auch seinem eigenen Heer, daß sie es nicht wagen sollten, eine verheiratete Frau anzutasten, sondern sie sollten die Jungfrauen rauben und diejenigen, die
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noch keine Männer hatten, und einzig diese; und Romos begab sich in den Hippodrom und schaute zu. Und während der Veranstaltung des Pferdewetdaufs wurde das Heer aus dem Palast endassen, sie stürmten den Hippodrom, und aus den Sitztreppen zerrten sie die jungfräulichen Frauen und diejenigen, die noch keine Männer hatten; und sie nahmen sie für sich selbst als Frauen. Dies aber ließ Romos nur ein einziges Mal geschehen, wie der höchst weise Dichter Vergil dargelegt hat Ebenso hat es auch Plinius, der Geschichtsschreiber der Römer, niedergeschrieben, und ähnlich auch Livius. l Andere Historiker haben geschrieben, daß Romos als erster für sie ein Rennen mit Mauleseln veranstaltet habe." Dieser aus verschiedenen Gründen hochinteressante Passus enthält eine ganze Reihe bemerkenswerter Aspekte, die eine eingehendere Behandlung verdienten. Ich möchte mich im Folgenden allerdings auf diejenigen Punkte konzentrieren, die für unsere Fragestellung relevant sind: Im Gegensatz zu den bisher aufgeführten Texten sind Johannes Malalas die kosmologischen Assoziationen des Hippodroms zwar durchaus geläufig - mit Verweis auf den Historiographien Charax von Pergamon 2 hält er z.B. unmißverständlich fest, der Hippodrom sei „entsprechend der Ordnung des Kosmos" (sie, TTJV TOU KÖGUO\) 6IOIKT|OIV)
errichtet worden - , doch treten sie bei ihm gegenüber anderen Aspekten deutlich zurück. Seine Konzeption des Hippodroms gründet diesen - und das ist bemerkenswert - auf Freveltaten, Mord, Entführung und Gewalt. Schon zu Beginn der Passage wird deutlich gemacht, daß Romulus den Hippodrom vor allem deshalb habe errichten lassen, um die Menge zu zerstreuen, die ihn wegen des Brudermordes (den Malalas unmittelbar zuvor behandelt hatte) attackiert habe. In diesem Sinne soll Romulus das Volk geschickt in die vier (bzw. faktisch zwei) ,Zirkusparteien' aufgeteilt haben, was aufgrund der unterschiedlichen, an religiösen Eifer grenzenden (
9i 92 93 94 95
VgLLiv. 1,9. FGrH103F34. l o h . MaL 7,4 p . 135,83 Thurn. loh. Mal. 7,3 p. 133,38-40 Thurn; der Brudermord und seine Folgen: 7,1 f. p. 132,12133,31 Thurn. loh. Mal. 7,5 p. 136,17. Cassiod. var. 3,51,3, hält fest, daß die Wagenrennen in alter Zeit als sacrum galten, später aber zum ludibnum verkommen seien (vgL auch Isid. Etym. 18,27,1).
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sich auf die Seite der Rivalen seiner politischen Gegner schlug. Von besonderer Bedeutung ist allerdings Malalas' nachfolgende Bemerkung, wonach alle späteren römischen Herrscher es Romulus gleichgetan hätten: E£, EKeivov Kai ol U8i' OUTÖV ßaaiXel«; xfjc, 'PCÜUIIC, TCÖ am& Kavovi £ypr\öavT0.97 Damit ist klar: Für Johannes Malalas gehören Aufruhr und Hippodrom zusammen. Letzterer erweist sich dabei in erster Linie als ein Herrschaftsinstrument, das Königen und Kaisern - und zwar auch denen, an deren Händen Blut klebte - die Macht erhalten sollte; für einen spätantiken Chronisten, dem in der Regel das Stigma der Stumpfsinnigkeit anhaftet, ist dies eine bemerkenswerte Erkenntnis. Und Malalas geht noch weiter: Sein anschließender Bericht über den Frauenraub der verwahrlosten und kaum zu bändigenden Soldateska, der in signifikanter Weise den Hippodrom zum Brennpunkt des verbrecherischen Aktes stilisiert, führt gleichsam an einem mythisch-archetypischen Beispiel vor, in welcher Weise dieser Ort von den Kaisern instrumentalisiert werden konnte. Unweigerlich fühlt man sich an das blutige Gemetzel erinnert, mit dem Justinian im Januar 532 den Nika-Aufstand niederschlagen ließ und bei dem um die 30.000 Opfer im Hippodrom zurückblieben; aber auch die berühmte Demutsgeste, mit der Anastasios im November 512 den Staurotheis-Aufstand ebenfalls im Hippodrom kollabieren ließ,100 wird dabei evoziert. Der Hippodrom - so die für uns wichtige Quintessenz der Malalas-Passage — diente den Herrschern zur Sicherung und mitunter brutalen Durchsetzung ihrer Machtpositionen. Das ist keine sonderlich positive Bewertung des ,Zentrums des Kosmos', aber sie läßt erkennen, warum die Circus-Digressionen im 6. Jahrhundert offenkundig so verbreitet waren: Hippodrom und Herrscher wurden in dem Jahrhundert, das mit Anastasios einen Kaiser sah, der virtuos mit den Mechanismen der politischen Kommunikation im Hippodrom zu spielen vermochte {Staurotheis-Aufstand) und das mit Justinian einen Monarchen erlebte, der seine gottbefohlene Machtstellung rigoros in grauenvollen Blutbädern 96 97 98
99 100
Vgl. loh. Mal. 7,5 p. 136,17-23 Thurn. loh. Mal. 7,5 p. 136,23-25 Thurn. Die Verbindung des Raubs der Sabinerinnen mit dem Circus war prinzipiell im traditionellen Motivschatz der Römer verankert, vgl. etwa Varro Iing. 6,20; Dion. Hai. ant. 2,30; Polyain. 8,3,1; Plut. Rom. 14; Tert. spect. 5. Die ausdrückliche Fokussierung des gesamten Geschehens auf den Circus/Hippodrom ist allerdings vor Malalas nicht belegt. Vgl. Meier 2003. loh. Mal. 16,19 p. 333f. Thurn; Euagr. H.E. 3,44; Pseudo-Dionysius of Tel-Mahre: Chronicle, Part III. Translated with Notes and Introduction by W. Witakowski, Liverpool 1996, p. 9; Mch. Syr. 9,9 (ed. J.-B. Chabot, Chromque de Michel le Syrien, Patnarche Jacobite d'Antioche [1166-1199], Tome II, Paris 1901, Ndr. Brüssel 1963, p. 162f.).
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durchzusetzen verstand, als eng zusammengehörig empfunden. Daß vor diesem Hintergrund ein Herrscher wie Anastasios auf den Gedanken hätte kommen können, die populären venationes im Amphitheater abzuschaffen, um alle verbleibenden Spektakel auf den von ihm dirigierten Hippodrom zu konzentrieren, ist daher naheliegend. Doch wiederum ergeben sich Schwierigkeiten: Warum wurden nicht die gleichfalls populären Pantomimen ebenfalls schon 499 verboten (und nicht erst 501/502), und warum führt die Überlieferung in ihrem Fall das Verbot auf ganz konkrete Unglücksfälle und Unruhen zurück? Und — erneut die bereits diskutierte Frage — warum liegen ab der zweiten Hälfte des 1. Jahrzehnts des 6. Jahrhunderts erneut Zeugnisse für venationes vor? Zwei denkbare Erklärungen erweisen sich als nicht tragfähig: (1) Die Annahme, daß die venationes nicht grundsätzlich verboten, sondern nur vom Kynegion in den Hippodrom verlegt wurden, scheitert am Zeugnis des Marcellinus Comes; denn er unterscheidet für die Konsulfeiern Justinians im Jahr 521 unmißverständlich zwischen den Tierspektakeln im amphitheatrum und den Wagenrennen im circus. (2) Das Argument, Anastasios habe das Verbot der venationes eventuell zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückgenommen, weil ihre Popularität seine Versuche, die Spektakel auf den Hippodrom - und damit auf seine Person - zu konzentrieren, unterwandert hatte, überzeugt ebenfalls nicht. Wenn nämlich Anastasios tatsächlich den Hippodrom zum einzigen Zentrum der politischen Kommunikation in Konstantinopel hätte ausbauen wollen, dann hätte er gerade diesen Weg mit besonderer Konsequenz beschreiten müssen, um nicht durch ein späteres Einlenken die Erhöhung seiner Position wieder vollkommen zunichte zu machen bzw. gar einen zusätzlichen Autoritätsverlust zu riskieren. Damit läßt sich eine offenkundige Inkongruenz konstatieren: Die skizzierten Texte aus dem 6. Jahrhundert betonen sämtlich die besondere symbolischkosmische Bedeutung des Hippodroms als Zentrum der Welt, und Johannes Malalas hebt überdies in deutlichen Worten seine herrschaftsstabilisierende Funktion hervor, die tief in der mythischen Vergangenheit als historische Konstante verankert wird. Doch zur befriedigenden Erklärung des Verbots der Tierhatzen reicht dieser Ansatz nicht hin. Zwar ist bekannt, daß Anastasios ein durchaus machtbewußter Kaiser war, der — wie bereits angedeutet — die Mechanismen der politischen Kommunikation in Konstantinopel beherrschte und virtuos zu instrumentalisieren vermochte und dem man entsprechende Hintergedanken bei der Abschaffung der venationes daher durchaus zutrauen kann. Aber um mehr als um Hintergedanken kann es sich dabei nicht gehandelt 101
Vgl. Marc. Com. ad ann. 521 p. 101 f. Mommsen.
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haben. Nicht nur die nachträgliche Wiederzulassung der Spektakel spricht dagegen, sondern vor allem auch der Umstand, daß das Verbot, wie Josua Stylites ausdrücklich anmerkt, reichsweit in alle Städte erging. Die Situation in Konstantinopel kann somit nicht isoliert betrachtet, sondern muß vor einem größeren Gesamtzusammenhang analysiert werden.
3. Eine mögliche Lösung Es ist vor allem Wolfgang Liebeschuetz gewesen, der mit einem weiten Blick auf das ganze Reich darauf hingewiesen hat, daß im Zuge der „decline of the Councils and the passing of power to the notables" insbesondere die Vergnügungsspektakel in den Städten in eine Krise gerieten. Die Organisation von Tierhatzen, Theaterveranstaltungen und anderen Darbietungen entglitt den Kurialen und Künstlervereinigungen allmählich und wurde - wie in Rom und Konstantinopel ohnehin üblich - von den ,Zirkusgruppen' übernommen - ein Prozeß, den Liebeschuetz grob im 5. Jahrhundert situiert. Die Finanzierung dieser Gruppen und ihrer Infrastruktur erfolgte größtenteils aus Steuermitteln und damit in letzter Konsequenz durch die Reichszentrale: „What had been celebrations of the city-community became occasions of celebration of the emperor". Damit wurde zwar die Präsenz des Kaisers in den Städten weiter fundiert und zelebriert, doch das sich neu etablierende System verursachte im Gegenzug auch enorme Kosten. Leider sind wir nur ganz unzureichend über die Aufwendungen informiert, die eine venatio erforderte. Ein Mosaik aus dem nordafrikanischen Smirat in der Nähe von Sousse (Hadrumetum), das in die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts datiert wird (das so genannte Magerius-Mosaik), zeigt vier venatores im Kampf gegen vier Leoparden. Aus der in das Mosaik integrierten Inschrift geht hervor, daß Magerius, der die Tierhatz finanziert hatte, für jeden Leoparden
102 103
104 105
Jos. Styl. 34 p. 52 Luther. Liebeschuetz 1998, 168; vgl. ebd.: „They [d.h. die ,Zirkusgruppen*] thus took over the role of the decunons as well as of the guilds of performers,. and they were paid largely, but not entirely, out of taxation, that is by the emperor. [...] Subsequently the emperor paid most of the regulär expenses, and his representative, the provincial governor or, at Constantinople, the emperor himself presided"; vgl. Liebeschuetz 2001, 205ff., ferner Roueche 1993, 57ff. Kritik an Liebeschuetz, Position äußert Whitby 2006. Zur Gesamtentwicklung s. auch Laniado 2002. Liebeschuetz 1998,168. Dunbabin 1978, 67ff., mit Taf. 22, Abb. 53; Papini 2004,163ff., mit Fig. 74.
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(wohl inklusive venator) 500 denarii aufzuwenden hatte. In der Spätantike scheinen die Preise dann aber erheblich angestiegen, ja geradezu explodiert zu sein - zumal für Regionen, in denen man nicht so einfach an die benötigten Tiere gelangte, deren Populationen ohnehin spürbar zurückgingen. In Diocletians Preisedikt wird für einen hochwertigen libyschen Löwen bereits die Maximalsumme von 150.000 denarii veranschlagt, wohingegen ein Löwe minderer Qualität auch für 125.000 denarii erworben werden konnte. Die Aussagekraft dieser Zahlen ist freilich aus vielen Gründen hochproblematisch, u.a. wegen der immensen Wertschwankungen, denen die römische Währung gerade im 3. Jahrhundert unterlag, und weil sich die Kosten für einen Leoparden in Afrika nur schwer mit denen für einen Löwen in anderen Regionen vergleichen lassen. Es geht an dieser Stelle auch lediglich darum, eine Tatsache zu illustrieren: Tierhatzen waren ausgesprochen teuer, und ihre Kosten müssen im Verlauf der Spätantike aufgrund des zunehmenden Tiermangels und der aufwendigen Transporte noch erheblich angestiegen sein. Wie hoch die Belastungen waren, die auf denen lasteten, die im 4. Jahrhundert venationes ausrichteten, zeigt für den Westen die Korrespondenz des Symmachus und für den Osten diejenige des Libanios (zur Syriarchie). Auch ein Gesetz aus dem Jahr 417 gibt einigen Aufschluß: Es reagierte auf eine Klage aus der Provinz Euphratensis, wonach Tiertransporte in Hierapolis häufig drei oder vier Monate anstatt der vorgesehenen sieben bis acht Tage Station gemacht und dabei unerträgliche Kosten verursacht hätten. Wenn nun aber aus Steuern gewonnene Mittel reichsweit für solche Transporte und Bereitstellungen verwendet werden mußten, konnte sich dies zu einer ernsthaften finanziellen Belastung auswachsen. Dieser Sachverhalt führt uns zurück zu den ökonomischen Aspekten der venationes^ die in der Forschung bisher nur angedeutet worden sind. In ihnen scheint mir der Schlüssel zum Verständnis der Maßnahme zu liegen: 106
AE 1967, 549. Magenus hat diesen Betrag dann aber wohl großzügig verdoppelt, vgl. Dunbabin 1978, 68. 107 Dazu s. Bomgardner 2002, 214ff., bes. 216: „The destrucüon of habitat for agricultural exploitation, the widespread Performance of venationes in the amphitheatres of North Afnca, die export of animals for the arenas of the empire and the organised hunting of animals by the aristocracy all contributed to the shortage of supply that began to make themselves feit by the late third Century AD. The price of big cats, as revealed in Dioclenan's Maximum Price Edict [...], was astronomical by the end of the third Century AD [...] ". 108 Ed. Diocl. 34,la-2 (ed. S. Lauffer, Diokletians Preisedikt, Berlin 1971, p. 193). 109 Vgl. Jennison 1937, 95ff. (mit den Belegen), 140ff.; Petit 1955, 136ff.; Liebeschuetz 1972,141 ff.; Liebeschuetz 1983, 255ff. "0 Cod. Theod. 15,11,2, mit Jennison 1937,151f; Bomgardner 2002, 213.
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Im Jahr 498 hatte Anastasios im gesamten Römischen Reich die seit Konstantin zu entrichtende ,Handels- und Gewerbesteuer', das sogenannte Chrysargyron {collatio lustralis), abgeschafft. Dieser Schritt wird in der Überlieferung einhellig als besonders populäre und wirkungsvolle Maßnahme gefeiert; in Edessa soll es Josua Stylites zufolge sogar zur Einrichtung eines in jährlichem Turnus 112
stattfindenden Freudenfestes gekommen sein. Der Kaiser verfolgte mit dieser einschneidenden finanzpolitischen Maßnahme wahrscheinlich verschiedene Intentionen, insbesondere eine Belebung von Handel und Gewerbe, aber sicherlich auch einen Popularitätszuwachs. Freilich bedeutete die Maßnahme für die Einkünfte des Imperium Romanum einen schweren Rückschlag, den es erst einmal zu verkraften galt. Wir können die Auswirkungen der Abschaffung des Chrysargyron heute nicht mehr quantifizieren, aber sie müssen beträchtlich gewesen sein. Josua Stylites nennt allein für Edessa einen Betrag von 140 Goldpfund für vier Jahre. 113 Ob man dies nun konsequent für alle Städte des Imperium Romanum hochrechnen will bzw. kann oder nicht — die sich aus diesem Wert ergebenden Belastungen für das Oströmische Reich müssen in jedem Fall •
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immens gewesen sein. Anastasios versuchte mit unterschiedlichen Maßnahmen die durch den Fortfall des Chrysargyron entstandenen Verluste aufzufangen, insbesondere durch die Münzreform des Jahres 498, ferner durch eine forcierte adaeratio der Naturalabgaben, durch Umorganisationsmaßnahmen in der Finanzadmi111
Cod. Iust. 11,1,1; Jos. Styl. 31 p. 51 Luther; Prok. Gaz. pan. 13; Priscian. 149-161; Theod. Anagn. 553 p. 156,15f. Hansen; Theoph. a.m. 5993 p. I 143,17f. de Boor; loh. Mal. 16,7 p. 325,26-29 Thurn; Euagr. H.E. 3,39; Kyrill. Skyth. v. Sabae p. 145,14-18 Schwartz; Kedren. 627, PG 121,681D-684A; Zon. 14,3,11. Weitere Belege bei Delmaire 1989, 372, Anm. 52. Zum Datierungsproblem s. Nöldeke 1904, 135; Karayannopulos 1958, 136; Delmaire 1989, 372; Luther 1997, 166, Anm. 252; Haarer 2006,194, Anm. 51. 112 Jos. Styl 31 p. 51 Luther: „Es freute sich die ganze Stadt, und alle [Bürger] kleideten sich in weiße Gewänder, adlige wie einfache Leute, und trugen Kerzen, die leuchteten, und Räucherwaren, die Wohlgeruch verbreiteten, und gingen unter Psalmengesängen und Hymnen, indem sie Gott lobten und den Kaiser priesen, hinaus zur Kirche des Sergius und des Simeon, feierten dort Abendmahl, betraten [wieder] die Stadt und veranstalteten ein Fest der Freude und der Wohlgerüche die ganze Woche lang. Sie beschlossen, daß sie dieses Fest alljährlich begehen würden. Alle Handwerker ruhten sich aus und freuten sich, badeten und lagen in der Halle der Kirche und in allen Portiken der Stadt". "3 Jos. Styl. 31 p. 51 Luther. 114 Zur Diskussion s. Karayannopulos 1958, 131; Delmaire 1989, 371f£; Haarer 2006, 195f. »5 Metcalf 1969; Hahn 1973, 22ff.; Hendy 1985, 475ff; Haarer 2006, 202ff. ™ Haarer 2006,199ff.
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nistration (Einführung des comes sacn patrimonii)^ aber auch durch kurzfristige Ausgleichszahlungen aus seinem eigenen Vermögen. Trotz allem dürfte die Haushaltslage zunächst einmal ausgesprochen angespannt gewesen sein; Anastasios wird jeden solidus benötigt haben, und nicht ohne Grund wurde sein unter anderem daraus resultierender vermeintlicher Geiz rasch sprichwörtlich und zum Gegenstand von Spöttereien. Daß die Abschaffung der venationes ausgerechnet in das Jahr 499 fallt, also in diejenige Phase, in der die Finanzsituation ohne Zweifel am schwierigsten gewesen ist, verwundert vor diesem Hintergrund nicht mehr. Ein bisher noch überhaupt nicht bemerktes Indiz für einen engen Zusammenhang zwischen der Abschaffung des Chrysargyron und dem Verbot der Tierhatzen ist in der Tatsache zu sehen, daß Theodoros Anagnostes beide Maßnahmen sogar in einem Satz erwähnt und damit einen inhaltlichen Konnex suggeriert. Mit der Abschaffung der ungemein teuren Tierhatzen im gesamten Reich mußte es zu einer spürbaren Erleichterung der angespannten Lage kommen. Erst als der gefährlichste Finanzengpaß überwunden war, d.h. als die flankierenden Maßnahmen zu greifen begannen, konnte die Regierung sich wieder großzügigere Ausgaben leisten. Daß es zu einer solchen merklichen Entspannung gekommen sein muß, resultiert bereits aus der Tatsache, daß der Kaiser bei seinem Tod die größten Finanzreserven, die ein Kaiser bis dahin zusammengespart hatte, überhaupt hinterließ: 320.000 Goldpfund 121 - und dies trotz eines kostspieligen Perserkrieges (502-506), trotz groß angelegter Bauprojekte wie der Langen Mauern vor Konstantinopel, der Grenzfestung Dara oder mehrerer Donaubefestigungen, sowie spürbarer Finanzhilfen für Städte, die durch Krieg oder Naturkatastrophen gelitten hatten. Die finanzielle Situation des Reiches muß sich also nach 498/499 deutlich erholt haben - und in diesem Umstand dürfte die Ursache dafür zu sehen sein, daß Tierhatzen bereits wenige Jähre nach ihrem Verbot wieder stattfinden konnten. Die Finanzkrise war offenbar überwunden, es konnten 117 Dazu Brandes 2002,18££, bes. 38f. «8 loh. Mal. 16,7 p. 325,26-29 Thurn. 119 Zur Sparsamkeit bzw. zum ,Geiz' des Anastasios vgl. Cod. Iust. 2,7,25; loh. Mal. 16,20 p. 335,46 Thurn; Chron. Pasch, p. I 610,14 Dindorf; Baalbek-Orakel p. 19,168 (ed. PJ. Alexander, The Oracle of Baalbek. The Tiburtine Sibyl in Greek Dress, Washington 1967); Joh. Lyd. mag. 3,46; Anth. Graec. ll,270f.; Ioann. Antioch. frg. 312 p. 542 Roberto. Aufschlußreich ist auch sein Verhalten während der sogenannten Hungerkrise in der Osrhoene in den Jahren 500-502, vgl. Wiemer 2006, 258ff., bes. 276ff. 120 Theod. Anagn. 553 p. 156,15 Hansen ('Avaatdcnoi; äveaxeiA-e xö xpi)cdpyopov Kai xd KüVT^yia &iai)aev); davon abhängig Theoph. a.m. 5993 p. I 143,17f. de Boor. 121 Prok.HA19,7. 122 Vgl. Stein 1949 [1968], 192f.
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wieder größere Mittel in die Belustigungen der Massen investiert werden, und entgegen der These Alan Camerons dürfte wohl gerade die erneute Erlaubnis der Tierhatzen auch Spannungen und Konfliktpotenziale bereinigt haben anders als das Vorgehen gegen populäre Veranstaltungen, das eher Unmut und Aggressionen erzeugt haben dürfte, wie Papst Gelasius' Bemerkung ja auch nahelegt (siehe oben). Die venationes wurden also im Jahr 499 nicht deshalb abgeschafft, weil Anastasios die Aktivitäten der ,Zirkusgruppen' auf den Hippodrom beschränken und damit Krawalle und Aufstände verhindern wollte, ebenso wie christlich-humanitäre bzw. religiöse Motive nirgendwo als vordergründige Triebkräfte erkennbar sind; das Verbot galt auch keineswegs nur für den Sonderfall der damnatio ad bestias oder ausschließlich für die besonders blutigen Tierspektakel. Vielmehr scheint es sich in erster Linie schlichtweg um eine finanzpolitische Maßnahme gehandelt zu haben, die temporär den Fortfall des Chrysargyron ausgleichen sollte und nach der Stabilisierung der finanziellen Verhältnisse wieder zurückgenommen werden konnte. Für den Sonderfall Konstantinopels mag dabei noch der Gedanke eine Rolle gespielt haben, daß eine mit dem Verbot der venationes einhergehende stärkere Zentrierung der spectacula auf den Hippodrom die Rolle des Kaisers als Hauptakteur im ,Zentrum des Kosmos 4 noch einmal in besonderer Weise akzentuiert und die Bedeutung des Hippodroms als Instrument zur Festigung von Herrschaft hätte manifest werden lassen. Doch angesichts der pragmatischen Bereitschaft des Anastasios, das Verbot der Tierhatzen nach kurzer Zeit wieder zurückzunehmen, kann es sich dabei tatsächlich lediglich um einen Hintergedanken, nicht aber um die hauptsächliche Intention der Maßnahme gehandelt haben. Anastasios wird sich des Potenzials einer noch weiteren Stilisierung und Zelebrierung der Zirkussymbolik im Sinne herrscherlicher Selbstdarstellung ohne Zweifel bewußt gewesen sein - doch er war zugleich auch ein ausgesprochen geschickter Pragmatiker in Machtfragen, der in der Regel wußte, wie weit er gehen konnte, ohne allzu 123
unkalkulierbare Risiken einzugehen.
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Dies zeigen in besonders eindrücklicher Weise seine Verhaltensweisen im Kontext des Staurotheis-Auf Standes, vgl. dazu Meier 2007.
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Register Abendmahl 226 Achäischer Bund 96f. Actium, Schlacht bei 141,150 adventus 111 Ägypten 15£, 26, 34, 39, 84,141,177, 179,207 Aeneas 118 Agasikles, Thebaner 71, 73f. Agon 31, 56£, 60, 75f., 86, 89, 95 Agrionia (Orchomenos) 59, 73 Ärenzählung, Ärendatierung 141 f., 147-149 Aigina, Aigineten 66 Aioler 72 Aitiologie 28, 30, 35, 58-60, 72, 75£, 78, 111-114, 116f., 119£, 123-127, 129,131, 214 Alexander Severus (Kaiser) 41,179 Alexandreia (Ägypten) 34, 84, 141, 150f. Alkohol, s. Wein Amazonen 90 Amphiareion 55 Anastasios I. (Kaiser) 203-212, 222f., 226-228 Andania, Mysterien von 30, 57, 97100 Anthesthena 30 Anthologia Latina 65,213 Antiochos III. 91 Antiquare, antiquarische Literatur 29, 85,112,116-118,129f, 141,197 Antoninus Pius (Kaiser) 42, 173, 175, 185 Antonius, M. 84,151,153,160 Apatouria (Athen) 57 Apollon 29, 64, 70, 84, 86-88,97f. Apollon Ismenios 70, 72 Apotheose 122f. AraPaas 152 Argos 98,212 Aristeides, Athener 61, 66-67 Aristomenes, Messenier 99f.
Anstonikos (Eumenes III.) 94f. Artemis Leukophryene, s. Leukophryena Artemis Orthia (Sparta) 61, 76 Arvslen, fratres Arvales 25, 146, 150f., 154-156,159,173 Assmann j a n 10,15£, 22, 26, 57f. Astronomie, s. Gestirne Athen, Athener 24, 29f., 32, 55-58, 60-63, 65-68, 72-74, 78 Athena Itonia (Koroneia) 73 f. Attalos III. 94 Augustalia 151,153, 156 Augustus (Octavian) 38-42, 84, 141160,169-171,173,176,190,215 Aurelian (Kaiser) 180,182 aureum saeculum 142 Babylon 84 Bankett, s. Festmahl Bargylia 84,94-96 Bellerophontes 95 Bloch, Marc 11 Boiotien, Boiotischer Bund 55, 58£, 62,68£, 72-75 Brytai (Konstantinopel) 203£ Caesar, C. Iulius 41 f., 141, 149-151, 153£, 156-159,184-187,189-191 Caligula (Kaiser) 158£ Camillus, L. Furius 111,124 Caracalla (Kaiser) 177,179 Carausius (Kaiser) 180,182£ Cassiodor 210, 214£, 217 Chöre, Chorlieder 56£, 70, 75-77, 92,117, 226 Christen, Christenverfolgung 12, 20, 26£, 29, 42, 128, 184, 187-197, 204£,216,228 ärcus maximus 36 Claudius (Kaiser) 42,158,173 commentarii 154£ Commodus (Kaiser) 42,173,180
234
Register
Constantin der Große 167-169,182, 187-194,226 Constantinus IL (Kaiser) 189,194 Consualia 36 Cornelius Scipio, L. 91 Corona ävica 142,152 Crispus (Kaiser) 189 cultural turn 28 Cumae 153 Daidala (Boiotien) 58 damnatio memoriae 40 Damostratos, Spartaner 97 Daphnephorien, daphnephoros 69-74, 76 dea Koma 34 Decius (Kaiser) 180 Delphi 64, 83, 86-88 - Pythien 86 Didyma, Didymeia 86, 88 dies dies atrt, dies Alliensis 35,157 diesfasti / nefasti 35 - diesimpem 167,172,177,183,196 dies natales 155,159 Diocletian (Kaiser) 180, 183-187, 225 Dionysia (Athen) 56, 76 Dionysos Aisymnetes (Patrai) 59 Diptychen 207£ Domitian (Kaiser) 147,173 Donativ, s. Geschenke Durkheim, Emile 10,19£, 24, 26 Eid 57 Eisiteria 91-93 Elagabal (Kaiser) 180 Elaphebolia (Hyampolis) 77 Elephanten 181 Eleusis, Eleusmza 56,100 Ekuthena 30, 61 f., 66f. Emotionalität, Emotionstiefe 10, 7578,114,121 Epheben 55-57, 59, 61, 67, 71 f, 7477 Ephebeneid (Athen) 56 Ephesos 25, 40f., 90 Epiphame 90,95, 121 f.
Erinnerungsort, s. Heu de memoire Erziehung 56,83 Etrusker 119 Etymologie 58,126 Euphemios, Patriarch 209 exempla maiorum, exempla virtütis 11 fabulae praetextae 129f. Fackelzüge 56 Fasti (s. auch Kalender, Ovid) 25, 35£, 38, 141-143, 149-157, 160, 173 - Fasti Amiterni 146,151,157 Fasti Antiates (minores, maiores) 35, 153 - Fasti Maffeiani 144f., 150-156 Fasti Praenestini 143£, 146, 151154,156f., 160 Faustina 42 Feiertag, Festtag (s. zuch. fenae) 35, 57, 91-93, 141-143, 145£, 150f., 153-155,157f., 160,183,193 Ferialia (Festkalender) 25f., 29, 32£, 36, 38-40, 42, 57-59, 68, 78, 83, 85, 141-160,175 Feriale Cumanum 151 -153,160 - Feriale Duranum 41,158,160,175 142£, 151,155-157 fenae Festmahl 57£, 69, 77, 98, 109, 114, 177,181,185,193 Flaccus, M. Vernus 144,152,157 Fleisch 96 Forum Romanum 186 Freud, Sigmund 19 Frisuren 99 Fußball 114 Galaxion 70,72 Gallienus (Kaiser) 179-182,185 Gallier, Galliersturm 87, 119, 124£, 157,167,216 Gebet 40, 57£, 75, 92 Gedächtnis 9-12,14,17£, 23, 40, 100 - kollektives 11 -17, 41, 59,115 kommunikatives 15 kulturelles, soziales 10, 12, 1517,22
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Register Gedächtnistheorie 10-12 Gedenktage 23, 27, 30, 33, 35, 38, 60,99,101,143,145,159 Gelasms I. (Papst) 211,228 Gelübde, vota 42, 170-178, 180, 182f., 186f., 190f., 194496,198 Gesang, Sänger, s. Chöre, Chorlieder Geschenke 64, 145, 172, 177, 181, 189,191-193,195,197 Gestirne (s. auch Kosmos) 70, 90, 110,113,123,213-215,219 Gewand, s. Tracht Gladiatoren, Gladiatorenspiele 115, 173,181,205 Grab, Grabstein 62, 66f., 76, 89 Grimm, Gebrüder 111 f. Gründerheroen 28,59 Gründungsmythos 59,78 Gymnopaidiai (Sparta) 56f., 76 Hadrian (Kaiser) 42,173f. Halbwachs, Maurice 10-12,16 Hannibal 114,119 Heilige Gesetze {hieroi nomoi) 85, 98 Helios 218f. Hellenenbund 61, 63-66, 69 Herakleia (Theben) 75f. Heroen, s. Gründerheroen Herrscherkult (s. auch Kaiserfeste) 33f. Hierarchie 38,110 Hierophanten 100 Hippodrom (Konstantinopel) 42, 203-228 Holocaust 13 Honorius (Kaiser) 195 Hyakinthia (Sparta) 57 Initiation, Initiationsritus 24, 56£, 72, 74, 77, 98 Isthmos, Isthmien 83, 64 Jahreszeiten 110,212-216 Janus,Janusbogen 142 Josua Stylites 203,205, 224, 226 Jubilarfeiern 42,167-198 - Decennalien 167, 171-174, 177, 179-184,186,188,190f.,193f.
-
Quinquennaken 182-184, 187189,194,196 - Tricennalien 191, 195, 197 - Vicennalien 167,173£, 179,184190,193,197 Julian Apostata (Kaiser) 194 Juden, Judentum 16 Jupiter Optimus Maximus 170, 182, 190 Justin II. (Kaiser) 192, 216 Justinian I. (Kaiser) 197, 207-209, 216, 222f. Kaiserfeste (s. auch Herrscherkult) 25,36,40-42,147,175 Kalender 23f, 35f., 38f., 110, 113, 129, 131, 141-145, 147, 150-160, 175,179,197 - Kalenderreform 38,141 Kapitol 145, 149, 170, 173, 175, 181f,186,190 Karneia (Sparta) 30, 57, 97 Karneval 19 Kelten 87 Kirche 217,226 Kirke 215 Kleidung, s. Tracht kollektive Identität 25, 30,116 Kommunikation 42, 168f., 210£, 217,222£ Kompitalkult 143,146,148,154 Konstantinopel 42,168,191,194,196, 203-205, 209£, 216,223£, 227£ Konstantinos Tzouroukkas 204 Korinth 65 Koroneia, Schlacht von 73£ Kosmos 16, 42, 211 -224, 228 Kränze, Siegeskränze 55, 57, 62, 73, 175,177 Kreta 58,88 Kultbild 75,90 Kyme 90 Landbegehungszeremonie 58, 72, 74 lapis niger 121 £ Laren, Larenkult 146-149, 160 laresAugusti 39,145 Latiner 124
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Register
Legitimation 63, 72, 176, 178, 180, 187,198 Leonidas, Spartaner 60 Leukippos von Magnesia 88f. heukophryena (Magnesia) 30, 86-94 Lieder, s. Chöre, Chorlieder lieu de memoire 9-18, 22-27, 30£, 34-36, 38f, 57-68, 75f., 99-102, 120, 124, 127, 130-132, 142f., 147£, 151, 153f, 159, 192, 197£, 217 Lorbeer 70-72,152 ludi (s. auch Gladiatorenspiele, Totenfeier) 36f., 42, 74, 114f, 117, 128,130,150,157,173f., 177,181, 185,191-193,197,216 - ludiApollmares 113,129f. ludi Compitaliäi 146 - ludi Florales 113,130 - ludi Megalenses 113,130,157 ludi Plebei 36 ludiRomani 37,114 ludi saeculares 143 ludi Victoriae, s. Siegesfest Saturnalia 19, 150 luperä, Yjupercalia 115f., 129 Märtyrer 26,42 Magna Mater 130,157 Magnesia am Mäander, Magneten 30, 84, 86-94 Malalas, Johannes 218, 221 -223 Marathon, Schlacht bei 55, 60f., 63, 75 Marathon, Polyandreion 75 Marciana 42 Mark Aurel (Kaiser) 42, 126, 173f, 178 Mars 36, 212f. Marsfeld (Rom) 109f, 120-122, 125127,145 Matidia 42 Maxentius (Kaiser) 167,185-188 Maximian (Kaiser) 168f., 183-186 Megalopolis 87 Megara 66f., 75, 78
Messenien, Messene 30, 84, 96-101 Messenische Kriege 96-100 Milch 62 Milet, Milesier 86,89,91 , Minyas von Orchomenos 5'8f. Mond, s. Gestirne Monument, Bogenmonument 14, 16, 25, 31, 58, 64-66, 89, 159, 186, 188,193 Münzen, Münzprägung 66, 89£, 94, 168,173,175-177,179-198,226 Mummius, L. 97 Myrte, Myrtenzweige 62 Mysterien, Mysterienkult 96-101 Nemea, Nemeen 83 Nero (Kaiser) 159,173,175 Nerva (Kaiser) 42,158 Neujahrsgeschenke, s. Geschenke Nikaia, Konzil von 190 Nikomedeia 167,184£, 190 Nonae Caprotinae 109£, 124-131 Nora, Pierre 13£ Octavian, s. Augustus Oinomaos von Elis 214-216, 218£ Olive, Olivenzweig, Olivenöl 62, 70 Olympia, Olympische Spiele 64, 73, 83, 214 Onchestos 72£ Opfer, Opfertiere 28, 38, 55-59, 62, 66£, 75-77, 89£, 92£, 95, 98,109£, 112, 114, 119£, 126, 142, 152-155, 170, 174£, 181, 186, 188, 190£, 194,204, 222 Orakel 87£, 98,112, 220,227 Orchomenos 58£, 73 Oropos 55 Oschophoria (Athen) 56 Ovid 36,112£, 122,125,157 Päane, s. Chöre, Chorlieder Pagondas, Thebaner 71 Panathenäen 32, 56, 76 Pantomimen 203-207, 209, 223 Parparonia (Argos) 57 paterpatriae 151
Register Pausanias (spartanischer König) 64, 67f, 72, 97, 99£ Pedius, Q. 149£ Pelasger 72 Peloponnesischer Krieg 69 Pelops 214,219 Penaten 118 Perser, Perserkriege 17, 60f., 63, 6567,69-74,78,218,227 Pertinax (Kaiser) 42,174,180 Phalanx 56 Philipp V. 94 Pharaonen 39 Philosophenschulen 55 Philotis 124-129 Phokis 77,87 Pindar 71,75 Plataiai, Plataier 30£, 60-69, 75, 78 Plataiai, Schlacht bei 60, 63f., 66 Piaton 28£ Plutarch 61 f., 65-68,109,120-127 Polybios 28, 84,95 pompay s. Prozession Pompeius 120,156,159 Pontifex maximus 143 Poplifugia 109-132 Porfyrius, Publilius Optatianus 193 Postumus (Kaiser) 181 f. Probus (Kaiser) 180,182f. Prophezeiung (s. auch Orakel) 112, 114,218 Provinzen 25, 39-41,141 f., 179,190 Prozession 24£, 31, 37f., 40, 56-59, 62, 66f., 70-72, 75, 77, 84, 88£, 92, 95£, 98£, 109,114£, 125,181,197 Ptolemäer 34,84 Purpur 62,99 Pyanopsia (Athen) 58 Pythien, s. Delphi Regenzauber 110 Rinder, Stiere Rindermast 95£ Stemmen der Rinder 76 Ritual 10, 17, 20, 23-25, 33, 37, 5659, 67, 72, 75-77, 109£, 115£, 119, 121,124-129,131£, 168£, 172,176 Inversionsritual 110
237 Romulus (Romos) 111,120-124,126, 128,132, 212,215£, 218-222 Sabinerinnen, Raub der 36,215,220, 222 Salamis, Schlacht bei 56, 60, 63 Salben 62 Schauspieler 181 Schlangensäule (Delphi) 64£, 181, 220 Schminke 99 Schmuck 66, 70, 73, 77, 94, 99,154 Schriftlichkeit 9,16, 26, 32,111 -114, 117 Semantik 84,169 Senat, Senatoren 35, 39, 114, 117124, 130, 141, 143£, 151£, 156, 159, 177-179, 181, 185, 188, 193, 195,220 Septimius Severus (Kaiser) 185,193, 216 Seuchen 114 Sex 110,124 Siegesfest (s. auch Eleutherid) 30, 42, 60, 66U 77,114,141,150,156-158 Sinn 9£, 15, 17, 21, 23, 29, 31, 35, 37, 56-60, 72, 78, 99, 102, 110, 115, 118, 121, 127-129, 132, 174, 178, 183, 196£, 203-205, 207, 214, 221,228 Sinope 90 Sklaven, Sklaverei 62, 92,109£, 124127,130,150,179 Smyrna 90 soziale Kohärenz 26 f. Soziozentrismus (innate sociocentrism) 78 Sparta, Spartaner 29, 56£, 62-68, 76, 96£, 99£ Speisung, s. Festmahl Spenden, s. Geschenke Spiele, s. ludi Statue, Kultstatue 17, 58, 64£, 9095,97,121,145£ Sulla, L. Cornelius 158£ Symbolik, symbolische Handlung 14£, 21, 25, 31, 41, 59, 70, 74, 76, 169,176,211-217
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Register
Symmachus 195,225 Syssition, s. Festmahl Tacitus (Kaiser) 182 Tanz, Tänzer (s. auch Waffentanz) 29,73,77,117 Tegea, Tegeaten 66 Tetrarchie 183-187 Theater, Theateraufführungen 114, 116£, 129f., 156, 203, 206, 210, 223£ Theben, Thebaner 68-70, 72-74, 76, 78,87 Theoderich der Große 197, 214£, 217 Theodosius IL (Kaiser) 195f. Thermopylen, Schlacht bei den 60£, 63, 69, 76 Theseus, Theseia 30, 58, 76 Thesmophoria 30 Thessalien 69,88 Tiberius (Kaiser) 89,155,157,171£, 174,197 Tierhatz, s. venationes Totengedenken, Totenfeier 58, 60, 62,67-69,75,110,158 Tracht 71,99,124,181,218 - Gewänder 57, 62, 70-72, 91, 94, 110,116,197,218,226 Trajan (Kaiser) 42,148,158,173 Triumph, Triumphzug 37, 115, 142, 177£, 183-186,193,195,197£
Troja, Trojanischer Krieg 63£,88,118 Tropaion 62£
56, 60,
Varro, M. Terentius 109, fl8£, 129131,141,222 venationes 114,203-228 Vermögensklassen 38 Vibius Salutans 25 wcus 39,143,145-150,154£, 160 Volcanal 121£ vota, s. Gelübde Waffen Tanz 56£,76 Training 55£ Wagenrennen 114,132,204,206,208, 212-214,216£, 219-221, 223 Weihnachten, Weihnachtsfest 26 Wein, Weingenuß 62,124, 218 Zeus 58,62,66,88,215 Zeus Eleuthenos 65£ Zeus Sosipoüs 90, 92 Zirkus (s. auch Hippodrom) 25, 37£, 116, 142, 158, 204-207, 209-216, 217£, 224, 228 - Zirkuspartei 206£, 209£, 219, 221 Zodiak, Tierkreiszeichen 214£, 219
Über die Herausgeber und Autoren Hans Beck, geboren 1969, ist John MacNaughton Professor und Director of Classical Studies an der McGiü University in Montreal. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der griechischen Geschichte der klassischen Zeit, der römischen Republik und in der antiken Historiographie. Zur Zeit bereitet er einen Blachvell Companion to Anäent Greek Government vor und arbeitet, zusammen mit Peter Funke, an einem Band zu den griechischen Bundesstaaten. Von 2005 bis 2010 war er Mitherausgeber des Brill's New Jacoby. Seine wichtigsten Publikationen sind: Polis und Koinon, Stuttgart 1997; Karriere und Hierarchie. Die römische Aristokratie und die Anfänge des cursus bonorum in der mittleren Republik, Berlin 2005; Die Frühen Römischen Historiker I 2 /II. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Hans Beck und Uwe Walter, Darmstadt 2005/2004; John Buckler und Hans Beck, Central Greece and the Politics of Power in the Fourth Century BC, Cambridge 2008; Hans Beck, Peter Scholz, Uwe Walter (Hgg.), Die Macht der Wenigen. Aristokratische Herrschaftspraxis, Kommunikation und edler Lebensstil in Antike und Früher Neuzeit, München 2008. Ralf Bebrwald, geboren 1967, ist seit 2007 Professor für Alte Geschichte an der Universität Bayreuth. Studium in Tübingen und Perugia, Promotion in Chemnitz 1998, Habilitation in Bamberg 2004, Wissenschaftlicher Assistent in Chemnitz und Bamberg, 2003/4 Fellow in Byzantine Studies in Dumbarton Oaks, 2005-2007 Akademischer Rat an der LMU München. Forschungsschwerpunkte: Geschichte und Epigraphik Kleinasiens, griechische Historiographie und die Stadt Rom in der Spätantike. Wichtigste Publikationen: Der Lykische Bund. Untersuchungen zu Geschichte und Verfassung, Bonn 2000; Hellenika von Oxyrhynchos, Darmstadt 2005; Die Stadt als Museum? Die Wahrnehmung der Monumente Roms in der Spätantike, Berlin 2009. Matthäus Heil, geboren 1960, ist seit 2006 Professor für Alte Geschichte an der TU Berlin. Studium der Fächer Geschichte, Deutsch und Griechisch in Würzburg und Marburg, 1987-1992 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Marburg, 1992 Promotion (Würzburg), 1993-2006 Wissenschaftlicher Angestellter an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften beim Projekt Prosopographia Imperii Romani, 2002-2006 Arbeitsstellenleiter bei diesem Projekt, 2005 Habilitation an der TU Berlin, seit 2006 von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften beurlaubt. Veröffentlichungen: Die orientalische Außenpolitik des Kaisers Nero, München 1997; als Mitautor und Herausgeber beteiligt an vier Bänden der Prosopographia Imperii Romani (19982009); viele Aufsätze in Fachzeitschriften und Sammelbänden, u.a. Sozialer
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Herausgeber und Autoren
Abstieg: Beredtes Schweigen?, in: W. Eck, M. Heil (Hgg.), Senatores populi Romani, Stuttgart 2005, 295-312; Der Senat; Der Ritterstand, in: K.-P. Johne u.a. (Hgg.), Die Zeit der Soldatenkaiser, Berlin 2008, 715-736; 737-776. Mischa Meier,, geboren 1971, ist seit 2004 Professor für Alte Geschichte an der Universität Tübingen. Studium der Klassischen Philologie, Geschichte und Pädagogik in Bochum (1991-1996), 1998 Promotion in Bochum; 1999-2004 Wissenschaftlicher Assistent in Bielefeld, dort 2002 Habilitation, 2004 Oberassistent in Bonn. Wichtigste Publikationen: Aristokraten und Damoden. Untersuchungen zur inneren Entwicklung Spartas im 7. Jh. v. Chr. und zur politischen Funktion der Dichtung des Tyrtaios, Stuttgart 1998; Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr., Göttingen 2003, 2. Auflage 2004; Justinian. Herrschaft, Reich und Religion, München 2004; Richard Wagners Der Ring des Nibelungen und die Griechische Antike. Zum Stand der Diskussion, Göttingen 2005; Anastasios I. Die Entstehung des Byzantinischen Reiches, Stuttgart 2009. Rene Pfeilschißer, geboren 1971, ist Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Geschichte der TU Dresden. Studium der Alten Geschichte und der Klassischen Philologie an der LMU München, 2006-2008 Feodor Lynen-Forschungsstipendiat an der Pennsylvania State University. Er hat über die römische Griechenlandpolitik um 200 v.Chr. promoviert (Titus Quinctius Flamininus, Göttingen 2005) und eine Reihe von Arbeiten zur politischen Kultur der römischen Republik vorgelegt, u.a. Martin Jehne und Rene Pfeilschifter (Hgg.), Herrschaft ohne Integration? Rom und Italien in republikanischer Zeit, Frankfurt am Main 2006. Zur Zeit bereitet er ein Buch über die soziopolitische Stellung des spätantiken Kaisers vor. Hans-Ulrich Wiemer^ geboren 1961, ist seit 2006 Professor für Alte Geschichte an der Universität Gießen. Er hat in Marburg und Oxford Geschichte und Klassische Philologie studiert, wurde 1994 promoviert und 2000 habilitiert. Er war 1994-2004 Wissenschaftlicher Assistent, später Hochschuldozent an der Universität Marburg, 2004-2006 Forschungsassistent an der Universität Zürich und 2008/9 Gerda Henkel Fellow an der Brown University. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Hellenismus und in der Spätantike. Zur Zeit arbeitet er an einer Biographie Theoderichs des Großen und bereitet, mit Stefan Rebenich, einen Band über Johann Gustav Droysen vor. Wichtigste Publikationen: Libanios und Julian. Studien zum Verhältnis von Rhetorik und Politik im 4. Jahrhundert n.Chr., München 1995; Rhodische Traditionen in der hellenistischen Historiographie, Frankfurt am Main 2001; Krieg, Handel und Piraterie. Untersuchungen zur Geschichte des hellenistischen Rhodos, Berlin 2002; Alexander der Große, München 2005; als Herausgeber: Staatlichkeit und politisches Handeln in der römischen Kaiserzeit, Berlin und New York 2006.