Klaus Lieb David Klemperer Wolf-Dieter Ludwig (Hrsg.) Interessenkonflikte in der Medizin Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten
Klaus Lieb David Klemperer Wolf-Dieter Ludwig (Hrsg.)
Interessenkonflikte in der Medizin Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten
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Prof. Dr. Klaus Lieb Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz Untere Zahlbacher Str. 8, 55131 Mainz Prof. Dr. David Klemperer Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften Hochschule Regensburg Seybothstraße 2, 93053 Regensburg
ISBN-13
978-3-642-19841-0
Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie HELIOS Klinikum Berlin-Buch Schwanebecker Chaussee 50, 13125 Berlin und Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Herbert-Lewin-Platz 1, 10623 Berlin
Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York
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18/5135 – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Die Idee zu diesem Buch entstand während der Diskussionen in einer von den Herausgebern dieses Buches initiierten Arbeitsgruppe »Interessenkonflikte in der Medizin«, die im September 2009 etabliert wurde. Diese Arbeitsgruppe mit Vertretern aus den verschiedensten Institutionen im Gesundheitswesen hatte das Ziel, bereits existierende Aktivitäten zum Umgang mit Interessenkonflikten in der Medizin zu sichten, um Vorschläge zu erarbeiten, wie man sie erfassen und mit ihnen umgehen, bzw. wie man sie reduzieren kann. Die meisten Mitglieder der Arbeitsgruppe sind auch als Autoren an diesem Buch beteiligt. Alle Kollegen waren überzeugt, dass viele Missstände in unserem Gesundheitssystem im engeren oder weiteren Sinne etwas mit Interessenkonflikten zu tun haben. Leider wurde dieses Thema jedoch in Deutschland, im Gegensatz beispielsweise zu den USA, nur in relativ kleinen Kreisen diskutiert und von der Fachöffentlichkeit kaum wahrgenommen. Und genau daraus entstand die Motivation, dieses Buch herauszugeben. Es soll über die vielseitigen Facetten von Interessenkonflikten und deren Auswirkungen in Forschung, Krankenversorgung, Aus-, Weiter- und Fortbildung sowie in medizinischen Fachzeitschriften und im Medizinjournalismus informieren und das Thema einer breiten Fachöffentlichkeit nahebringen. Verbunden ist dies mit der Hoffnung, das Thema im Bewusstsein vieler Beschäftigter im Gesundheitswesen zu verankern und Veränderungsprozesse im Denken und Handeln mit dem nötigen Augenmaß anzuregen. Dadurch kann es hoffentlich gelingen, verzerrte Urteile (»bias«) bei der Zulassung und Verordnung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, bei der Durchführung und Interpretation klinischer Studien oder bei der Entwicklung von Leitlinien zu reduzieren und damit mehr Raum zu geben für die Verwirklichung des primären Interesses der Ärzte, nämlich dem Wohl ihrer Patienten zu dienen. Wir danken allen Autorinnen und Autoren dieses Buches, die mit herausragendem Engagement und großer Sachkenntnis zu den Kapiteln dieses Buch beigetragen haben. Unser Dank gilt auch Frau Dr. Renate Scheddin vom Springer-Verlag für ihre schnelle und große Begeisterung, dieses Buch mit uns zu realisieren, sowie Frau Renate Schulz und Frau Dr. Brigitte Dahmen-Roscher für ihre große Sachkenntnis bei der formalen Kapitelgestaltung und die immer reibungslose Zusammenarbeit bei der Drucklegung der Kapitel. Die Herausgeber Klaus Lieb, David Klemperer, Wolf-Dieter Ludwig
Mainz, Regensburg, Berlin, im Sommer 2011
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Inhaltsverzeichnis I
Einleitung und Hintergründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
1.1 1.2 1.2.1 1.2.2
2 2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.4 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.5.5 2.6 2.7
3 3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7 3.2.8 3.2.9 3.3 3.4
Klaus Lieb, David Klemperer und Wolf-Dieter Ludwig Hinführung zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliederung und Aufbau des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezieller Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 6 6 7 9
Was ist ein Interessenkonflikt und wie stellt man ihn fest? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 David Klemperer Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Aufstieg des Themas »Interessenkonflikt« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Konzept von Thompson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primäre Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundäre Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturelle Ursachen von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Potenzieller Interessenkonflikt – ein untaugliches Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Beispiele für Interessenkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rofecoxib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Endoskopische Knorpelglättung bei Kniegelenksarthrose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rosiglitazon 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rosiglitazon 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kalzium-Antagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Professionelles Urteilsvermögen und Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12 13 14 15 15 19 20 21 21 21 22 22 22 22 23 24
Psychologische Aspekte von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Georg Felser und David Klemperer Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychologische Einflüsse auf Urteile und Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Motivierte Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestätigungs-Bias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Framing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ankereffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sympathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziale Bewährtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Commitment und Konsistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der fundamentale Attributionsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28 28 29 31 33 34 35 36 38 39 41
Kognitive Biases: Kontrollierbarkeit und Resistenzillusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42 44 44
VIII
Inhaltsverzeichnis
4
Interessenkonflikte in der Medizin: Ein Beitrag aus medizinethischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4
5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 5.4 5.4.1 5.4.2 5.5
6
6.1 6.1.1 6.1.2 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.3 6.4 6.5
Jan Schildmann, Verena Sandow und Jochen Vollmann Interessenkonflikte in der Medizin: Standesethische Kodizes und Prinzipien . . . . . . . . . Standesethische Kodizes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Professionelle Integrität und Vertrauen als ethische Grundlagen für die Regulierung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interessenkonflikte: Begriffsbestimmung und normative Analyse aus medizinethischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffsbestimmung und konzeptionelle Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interessenkonflikte in der Medizin: Eine ethische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strategien zum Umgang mit Interessenkonflikten aus ethischer Perspektive . . . . . . . . . Offenlegung von finanziellen Interessenkonflikten aus ethischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . Strukturierte ethische Beurteilung von Interessenkonflikten in der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Offenlegung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Lieb, Ulrich Limbach und David Klemperer Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontext-abhängige Offenlegung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offenlegung – wem gegenüber? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offenlegung – wovon? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Direkte Auswirkungen der Offenlegung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft »Interessenkonflikte in der Medizin« zur Erfassung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorschlag zur Offenlegung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Basisformular für die kontinuierliche Erfassung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Zur Abgrenzung zwischen Interessenkonflikten, Fehlverhalten und professioneller Integrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Koch und Daniel Strech Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die erste Dimension: Anti-Bias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die zweite Dimension: Pro-Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Abgrenzung zwischen Interessenkonflikten und Fehlverhalten (Korruption) . . . . . Finanzielle Beziehungen mit angemessener fachlicher Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finanzielle Beziehungen ohne angemessene fachliche Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finanzielle Beziehungen zur bewussten Umgehung geltender Regeln (Fehlverhalten, Korruption) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problembewusstsein und Problemdifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Interessenkonflikte und professionelle Integrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47 48 48 50 51 52 54 56 56 57 58 59 61 62 63 63 65 65 72 74 76 78 78
81 82 82 83 83 83 84 84 85 85 86 86
Inhaltsverzeichnis
IX
7
Internationale Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten . .
7.1 7.2
Daniel Strech und Klaus Koch Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Konzept von Interessenkonflikten nach Dennis Thompson und Ezekiel Emanuel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.3 7.3.1 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.4.5 7.5 7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.5.5 7.5.6 7.5.7 7.6 7.6.1 7.6.2 7.7 7.7.1 7.7.2 7.7.3 7.7.4 7.8
8 8.1 8.2 8.2.1 8.2.2 8.3 8.3.1 8.3.2
89 91 91 92 92 93 93 94 95 95 95 95 96 96 96 96 97 97 98 99
Kriterien zur Bewertung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einschätzung der Wahrscheinlichkeit eines unangemessenen Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschätzung der Größe des Schadens (Seriousness of possible harm): . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele internationaler Interessenkonfliktregulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bisherige US-amerikanische Entwicklungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Empfehlungen des Institute of Medicine (IOM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übergreifende Schlussfolgerungen zum Thema Interessenkonfliktregulierung . . . . . . . . . . . Strategien zur Interessenkonfliktregulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offenlegung (Disclosure) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Management (Management) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausschluss/Verbot (Prohibition) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezielle Empfehlungen des IOM für einzelne Bereiche der Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Vorgaben (General Policy) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschung (Medical Research). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausbildung (Medical Education). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versorgung (Medical Practice). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitlinienentwicklung (Clinical Practice Guidelines). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Institutionelle Interessenkonfliktregulierungen (Institutional Conflict of Interest Policies) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterstützende Organisationen (Supporting Organizations) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fokus: Leitlinienentwicklung: Aktuelle nationale und internationale Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen Fachgesellschaften (AWMF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Beispiel der 9. Version der Antithrombotischen Leitlinien des American College of Chest Physicians . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kriterien zur Evaluation von Interessenkonfliktregulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnismäßigkeit (proportionality) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transparenz (transparency) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuschreibbarkeit/Verantwortung (accountability) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerechtigkeit (fairness) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
101 101 102 103 103 103 104 104
Interessenkonflikte und Medizinrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107
Dieter Hart und Stefanie Hubig Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definitionen und Normstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100 100 100 100
Tatbestandsseite einer Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgenseite einer Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108 112 113 114
Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arzneimittelrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115 115 119
X
Inhaltsverzeichnis
8.3.3 8.3.4 8.3.5 8.3.6 8.4
GKV-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normgenerierung durch die Profession: Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119 121 122 123 125 126
9
Korruption im Gesundheitswesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
9.1 9.2 9.2.1 9.2.2 9.3 9.4 9.5
10
10.1 10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.1.4 10.2 10.2.1 10.2.2 10.3 10.3.1 10.3.2 10.4 10.5 10.5.1 10.5.2 10.6 10.6.1 10.6.2 10.7
Felix Herzog Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundstruktur der Korruption und Fraud Triangle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Situative und strukturelle Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mögliche Ursachen von Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arzt-Industrie-Kontakte als kriminogenes Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Freunde und Förderer« und »Bestechungs-Marketing« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128 129 130 130 132 134 137 137
Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
Gerd Glaeske Die Arzneimitteltherapie in der medizinischen Versorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verordnungsverhalten der Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interne und externe Validität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzer historischer Abriss der klinischen Pharmakologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Pharmakotherapie in der Weiterentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ausgaben für die Arzneimitteltherapie im Spiegel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklung der Arzneimittelkosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten durch Innovationen und Analogpräparate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einflussgröße Strukturkomponente und Analogpräparate. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trend zu teuren Analogpräparaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit dem Intermedikamenteneffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzstärkste Arzneimittel (»Blockbuster«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehr Effektivität und Effizienz durch gestiegene Ausgaben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele für kostenintensive Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsparmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Ausgabentreiber« Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forderung nach qualifizierter Nutzenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kostentreiber Nicht-Fertigarzneimittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Rezepte« und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140 140 140 141 141 142 142 143 147 147 148 148 152 153 154 154 154 155 156 157
II
Interessenkonflikte in der Patientenversorgung . . . . . . . . . . . . . . .
159
11
Interessenkonflikte durch Arzt-Industrie-Kontakte in Praxis und Klinik und Vorschläge zu deren Reduzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
161
Anja Wiesner und Klaus Lieb Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
162
11.1
Inhaltsverzeichnis
XI
11.2.1 11.2.2 11.2.3 11.2.4 11.2.5 11.3 11.3.1 11.3.2 11.4 11.4.1 11.4.2 11.4.3 11.5
Formen und Häufigkeit von Arzt-Industrie-Kontakten in Praxis und Klinik . . . . . . . . . . . Vertreterbesuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finanzierung von Fortbildungsveranstaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Referenten- und Beratertätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finanzierung von Arzneimittelstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Effektivität der Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einstellungen von Ärzten zu Arzt-Industrie-Kontakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problembewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rationalisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorschläge zur Reduzierung von Interessenkonflikten in Praxis und Klinik . . . . . . . . . . »Healthy Skepticism« und »no free lunch«-Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Institutionelle Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Checkliste zur Erfassung von Interessenkonflikten in Praxis und Klinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163 163 165 165 166 166 167 167 167 168 169 170 171 171 173
12
Die Transparenzregelungen der HELIOS Kliniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175
12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6
Francesco De Meo und Adelheid Jakobs-Schäfer Anlass und Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handlungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
176 177 178 181 181 182 183
13
Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185
Michael Grusa Ethisches Pharmamarketing: Kooperation statt Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
186
Mangelndes Bewusstsein und fehlende ethische Standards führen zu Vertrauensverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Austausch auf ethischer Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sanktionierung unethischen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorteile durch klare Spielregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gelebte Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbindliche Richtlinien für mehr Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalte des FSA-Kodex Fachkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitlinien und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . FSA-Kodex Patientenorganisationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beanstandungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
186 187 188 188 191 191 191 194 195 198 199 200
11.2
13.1 13.1.1 13.1.2 13.1.3 13.1.4 13.1.5 13.2 13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.3 13.4
XII
Inhaltsverzeichnis
III
Interessenkonflikte in Aus-, Weiter- und Fortbildung . . . . . . . . . . . .
14
Interessenkonflikte in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung und Vorschläge zu deren Minimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
14.1 14.1.1 14.1.2 14.1.3 14.2 14.2.1 14.2.2 14.2.3 14.3 14.4 14.4.1 14.4.2 14.4.3 14.5 14.5.1 14.5.2 14.6 14.6.1 14.6.2 14.7
15 15.1 15.2 15.2.1 15.2.2 15.3 15.3.1 15.3.2 15.3.3 15.3.4 15.3.5 15.4 15.4.1 15.4.2 15.5 15.5.1 15.5.2 15.5.3 15.5.4 15.5.5
203
Nils Schneider, Günther Egidi und Günther Jonitz Einleitung: Grundzüge der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosten und Finanzierung ärztlicher Aus-, Weiter- und Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Universitäre Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterbildung zum Facharzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berufsbegleitende Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus-, Weiter- und Fortbildung anfällig für Beeinflussungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interessenkonflikte in unterschiedlichen Phasen ärztlicher Qualifizierung . . . . . . . . . . . Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit Interessenkonflikten: Wie ist die Praxis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empfehlungen zum Umgang mit wirtschaftlichen Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritische Anmerkungen und Ansätze für Verbesserungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorschläge zur Minimierung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitergehende Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
206 206 206 207 207 207 208 208 210 210 211 212 214 214 215 215 216 218 220 220
Interessenkonflikte und Medizinjournalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
223
Martina Keller Einleitung: Aktuelle Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfahrungsberichte von Journalisten zu Pressereisen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Boulevard- und Fachjournalisten auf Reisen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Situation in »Qualitätsmedien« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Journalistenpreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die »Lung Cancer Journalism Awards« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Journalistenpreis »Advances in Renal Cancer Journalists’ Award Europe« . . . . . . . . . . . . Der Journalistenpreis »Schizophrenie und Stigma« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Journalistenpreis des Deutschen Psoriasis Bundes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Journalismus und PR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verflechtung von freiem Journalismus und merkantilen Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einflussnahme am Beispiel »lancierter Artikel« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Journalisten-Kodices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das »Netzwerk Recherche«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Code de Lisbonne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutscher Journalisten-Verband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsche Journalisten-Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Berufsverband »Freischreiber« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
224 225 225 226 227 227 228 228 228 229 229 229 230 232 232 233 233 233 233
Inhaltsverzeichnis
XIII
15.5.6 15.6
Verband Deutscher Medizinjournalisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234
Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234 234
16
Warum unabhängige Arzneimittelzeitschriften und Fortbildungsveranstaltungen wichtig sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
237
16.1 16.2 16.2.1 16.2.2 16.2.3 16.2.4 16.2.5 16.2.6 16.3 16.3.1 16.3.2 16.3.3 16.3.4 16.3.5 16.4
Jörg Schaaber, Michael M. Kochen, Bruno Müller-Oerlinghausen und Wilhelm Niebling Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum ist es schwierig, die richtigen Informationen zu finden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Publication bias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ghostwriting und ghost management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschweigen von Interessenkonflikten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sponsoring beeinflusst Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pharmavertreter und Nachdrucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus-, Fort- und Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Spreu vom Weizen trennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unabhängige Arzneimittelzeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitschriften für Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachschlagewerke und aktuelle Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andere Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
238 239 240 241 242 242 243 243 244 244 245 246 248 250 250 250
IV
Interessenkonflikte in der Forschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
253
17
Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung und Vorschläge für deren Minimierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
255
17.1 17.1.1 17.1.2 17.1.3 17.2 17.2.1 17.2.2 17.3 17.3.1 17.3.2 17.3.3 17.4 17.4.1 17.4.2 17.5 17.6
Arnold Ganser Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kooperation von Forschung und Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Merkantile Interessen in Forschungsprojekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Situation der Grundlagenforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele für Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ist medizinische Grundlagenforschung »zweckfrei« möglich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit Interessenkonflikten in der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorschläge des »Institutes of Medicine« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anpassung der IOM-Vorschläge an deutsche Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Situation in der nichtklinischen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsetzung der Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelung an der Harvard Medical School . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit der Lizensierung von Patenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256 256 256 257 257 258 258 259 259 260 260 261 261 262
Folgerungen für Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
262 263 264
XIV
Inhaltsverzeichnis
18
Auswirkungen von Interessenkonflikten auf Arzneimittelstudien . . . . . . . . . . . 265
18.1 18.2 18.2.1 18.2.2 18.2.3 18.2.4 18.2.5 18.2.6 18.3 18.3.1 18.3.2 18.4
19 19.1 19.2 19.2.1 19.2.2 19.3 19.3.1 19.3.2 19.4 19.4.1 19.4.2 19.5
Gisela Schott, Klaus Lieb und Wolf-Dieter Ludwig Verbreitung von materiellen Interessenkonflikten in der klinischen Arzneimittelforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Auswirkungen von Interessenkonflikten auf die klinische Arzneimittelforschung. . . . 266 Ergebnisse von Arzneimittelstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Planung der Studie und methodische Qualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswertung der Studiendaten und Verfassen des Manuskripts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veröffentlichung von Studienergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einflussnahme auf die Ergebnisse in pharmakoökonomischen Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel: Avandia (Rosiglitazon) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßnahmen zum Schutz vor Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzicht und Verbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
266 267 269 270 272 273 275 275 276 276 277
Interessenkonflikte in Fachzeitschriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
281
Christopher Baethge Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welche Arten von Interessenkonflikten bestehen in der Medizinpublizistik? . . . . . . . . Institutionelle Interessenkonflikte auf Seiten der Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Individuelle Interessenkonflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie gehen medizinische Journale mit Interessenkonflikten um?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit materiellen Interessenkonflikten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgang mit immateriellen Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Wahrnehmung von Interessenkonflikten in Zeitschriften und die Debatte über den richtigen Umgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse zur Wahrnehmung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Debatte über den richtigen Umgang mit Interessenkonflikten in Zeitschriften . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
282 283 284 288 291 291 294 294 294 295 296 297
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
XV
Mitarbeiterverzeichnis Baethge, Christopher, Prof. Dr.
Medizinisch-Wissenschaftliche Redaktion, Deutsches Ärzteblatt Ottostraße 12, 50859 Köln E-Mail: Baethge @aerzteblatt.de De Meo, Francesco, Dr.
Geschäftsführung/CEO, HELIOS Kliniken GmbH Friedrichstraße 136, 10117 Berlin E-Mail: francesco.demeo @helios-kliniken.de Egidi, Günther, Dr.
Sektion Fortbildung, Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin Huchtinger Heerstraße 41, 28259 Bremen E-Mail: familie-egidi @nord-com.net Felser, Georg, Prof. Dr.
Hochschule für angewandte Wissenschaften Friedrichstr. 57, 38855 Wernigerode E-Mail:
[email protected] Ganser, Arnold, Prof. Dr.
Zentrum Innere Medizin Klinik für Hämatologie, Hämostaseologie, Onkologie und Stammzelltransplantation, Medizinische Hochschule Hannover, Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover E-Mail: Ganser.Arnold @mh-hannover.de
Grusa, Michael, Dr.
Keller, Martina
Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V. Friedrichstr. 50, 10117 Berlin E-Mail: m.grusa @fs-arzneimittelindustrie. de
Co’media Lagerstr. 32, 20357 Hamburg E-Mail: mk@martinakeller. de
Hart, Dieter, Prof. Dr.
Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen Postfach 330440, 28334 Bremen E-Mail: hart-bremen @t-online.de Herzog, Felix, Prof. Dr.
Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen Universitätsallee, GW 1, 28359 Bremen E-Mail: felix.herzog @uni-bremen.de Höfel, Friederike, Dipl. Soz.
Universität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik Mary-Somerville-Str. 3, 28359 Bremen E-Mail: fhoefel @zes.uni-bremen.de Hubig, Stefanie, Dr.
Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Ernst Ludwig Straße 3, 55116 Mainz E-Mail: Stefanie.Hubig @mjv.rlp.de Jakobs-Schäfer, Adelheid
Glaeske, Gerd, Prof. Dr.
Universität Bremen, Zentrum für Sozialpolitik Mary-Somerville-Str. 3, 28359 Bremen E-Mail: gglaeske@zes. uni-bremen.de
Konzerneinkauf & Medizintechnik HELIOS Kliniken GmbH Friedrichstraße 136, 10117 Berlin E-Mail:
[email protected]
Klemperer, David, Prof. Dr.
Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften Hochschule Regensburg Seybothstraße 2, 93053 Regensburg E-Mail: david.klemperer @hs-regensburg.de Jonitz, Günther, Dr.
Ärztekammer Berlin Friedrichstraße 16, 10969 Berlin E-Mail:
[email protected] Koch, Klaus, Dr.
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) Dillenburger Straße 27, 51105 Köln E-Mail: klaus.koch@iqwig. de Kochen, Michael M., Prof. Dr.
Abteilung Allgemeinmedizin der Georg-August-Universität Göttingen Humboldtallee 38, 37073 Göttingen E-Mail:
[email protected] Lieb, Klaus, Prof. Dr.
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz Untere Zahlbacher Str. 8, 55131 Mainz E-Mail:
[email protected]
XVI
Mitarbeiterverzeichnis
Limbach, Ulrich
Schaaber, Jörg
Vollmann, Jochen, Prof. Dr.
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz Untere Zahlbacher Str. 8, 55131 Mainz E-Mail: ulilimbach @hotmail.com
BUKO Pharma-Kampagne August-Bebel-Str. 62, 33602 Bielefeld E-Mail: jschaaber @bukopharma.de
Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Ruhr-Universität Bochum Malakowturm Markstr. 258a, 44799 Bochum E-Mail: jochen.vollmann@ rub.de
Ludwig, Wolf-Dieter, Prof. Dr.
Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie, HELIOS Klinikum Berlin-Buch Schwanebecker Chaussee 50, 13125 Berlin Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Herbert-Lewin-Platz 1, 10623 Berlin E-Mail:
[email protected] Müller-Oerlinghausen, Bruno, Prof. em. Dr.
Charité Universitäts-Medizin, Berlin Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Bartningallee 11–13, 10557 Berlin E-Mail:
[email protected] Niebling, WilhelmBernhard, Prof. Dr.
Universitätsklinikum Freiburg, Lehrbereich Allgemeinmedizin Scheuerlenstr. 8–10, 79822 Titisee-Neustadt E-Mail: wilhelm.niebling@ uniklinik-freiburg.de Sandow, Verena, M.A.
Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Ruhr-Universität Bochum, Malakowturm Markstr. 258a, 44799 Bochum E-Mail: verena.sandow@ ruhr-uni-bochum.de
Schildmann, Jan, Dr. M.A.
Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, Ruhr-Universität Bochum, Malakowturm Markstr. 258a, 44799 Bochum E-Mail: jan.schildmann@ ruhr-uni-bochum.de Schneider, Nils, Prof. Dr. MPH
Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover E-Mail: schneider.nils@ mh-hannover.de Schott, Gisela, Dr. MPH
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Herbert-Lewin-Platz 1, 10623 Berlin E-Mail: gisela.schott@ akdae.de Strech, Daniel, Prof. Dr. Dr.
Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, CELLS – Centre for Ethics and Law in the Life Sciences, Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg Straße 1, 30625 Hannover E-Mail:
[email protected]
Wiesner, Anja, Dr. Dipl. Psych.
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz Untere Zahlbacher Str. 8, 55131 Mainz E-Mail: wiesner.anja@ gmail.com
1
Einleitung und Hintergründe Kapitel 1
Einleitung – 3 Klaus Lieb, David Klemperer und Wolf-Dieter Ludwig
Kapitel 2
Was ist ein Interessenkonflikt und wie stellt man ihn fest? – 11 David Klemperer
Kapitel 3
Psychologische Aspekte von Interessenkonflikten – 27 Georg Felser und David Klemperer
Kapitel 4
Interessenkonflikte in der Medizin: Ein Beitrag aus medizinethischer Perspektive – 47 Jan Schildmann, Verena Sandow und Jochen Vollmann
Kapitel 5
Offenlegung von Interessenkonflikten – 61 Klaus Lieb, Ulrich Limbach und David Klemperer
Kapitel 6
Zur Abgrenzung zwischen Interessenkonflikten, Fehlverhalten und professioneller Integrität – 81 Klaus Koch und Daniel Strech
Kapitel 7
Internationale Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten – 89 Daniel Strech und Klaus Koch
Kapitel 8
Interessenkonflikte und Medizinrecht – 107 Dieter Hart und Stefanie Hubig
Kapitel 9
Korruption im Gesundheitswesen – 127 Felix Herzog
I
Kapitel 10
Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitssystem – 139 Gerd Glaeske
3
Einleitung Klaus Lieb, David Klemperer und Wolf-Dieter Ludwig
1.1
Hinführung zum Thema – 4
1.2
Gliederung und Aufbau des Buches – 6
1.2.1 1.2.2
Allgemeiner Teil – 6 Spezieller Teil – 7
Literatur – 9
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
1
4
1
Kapitel 1 • Einleitung
Dieses Kapitel führt den Leser in das Thema »Interessenkonflikte in der Medizin« ein und gibt einen kurzen Überblick über die Inhalte der einzelnen Kapitel des Buches.
1.1
Hinführung zum Thema
Wer sich als Arzt oder Wissenschaftler mit dem Thema »Interessenkonflikte« beschäftigt, wer seine Interessenkonflikte konsequent offenlegt und/ oder deutlich reduziert, wird heute, zumindest in Deutschland, häufig belächelt oder im besten Fall als Außenseiter respektiert. Denn meist wird dieses Thema als nicht relevant erachtet oder sogar als schädlich für den wissenschaftlichen Fortschritt bzw. die notwendige Kooperation mit pharmazeutischen Unternehmen oder Herstellern von Medizinprodukten (Stossel u. Stell 2011). Tatsächlich sind die Probleme, die durch Interessenkonflikte entstehen können, in den Köpfen der meisten Ärzte in Deutschland noch nicht angekommen. Anders ist die Situation in den USA: Hier lässt ab 2012 der Gesetzgeber mit dem Physician Payments Sunshine Act Licht in die Beziehungen zwischen Ärzten und Industrieunternehmen scheinen. Die Kooperation von Ärzten und Industrie war und ist häufig so eng, dass der gesamte ärztliche Berufsstand in Misskredit geraten ist. Als Folge werden heute Interessenkonflikte und der Umgang mit ihnen in den USA viel offensiver und ernsthafter diskutiert. Die meisten US-amerikanischen Universitäten haben Regelungen zur Offenlegung und Reduzierung von Interessenkonflikten erstellt, und viele der in Deutschland unverändert praktizierten engen Formen der Kooperation von Ärzten mit Industrieunternehmen sind in den USA nicht mehr möglich. Die Ernsthaftigkeit, mit der sich die USA diesem Thema widmen, wird durch die von den National Institutes of Health finanzierte Studie des »Institute of Medicine« unterstrichen, in der eine umfangreiche Literaturanalyse zu Interessenkonflikten vorgelegt und konkrete Empfehlungen zur Offenlegung, zum Umgang und zur Vermeidung von Interessenkonflikten in Forschung, Lehre und Krankenversorgung abgegeben wurden (Lo u. Field 2009). Der Blick in die internationale Literatur des
1. Halbjahres 2011, die für die Buchbeiträge nicht mehr vollständig ausgewertet werden konnte, zeigt, dass die Auseinandersetzung mit Interessenkonflikten nicht nachlässt. Genannt seien als Beispiele die Publikationen zur mangelnden Offenlegung von Interessenkonflikten in Metaanalysen (Rosemann et al. 2011) und kardiovaskulären Leitlinien (Mendelson et al. 2011), zu einer verzerrten Arzneimittelbewertung in kostenlosen Fachzeitschriften, die von der Industrie durch Werbung unterstützt werden (Becker et al. 2011), zur Internetidentifizierung aller Ärzte und Wissenschaftler in den USA mit Industriekontakten (Carpenter u. Joffe 2011) und zur Bedeutung von Interessenkonflikten von Fachgesellschaften und Fachvertretern für die Ausweitung von Krankheitsdefinitionen z. B. im geplanten DSM V (Godlee 2011, Moynihan 2011). Mit dem hier vorgelegten Buch werden der aktuelle Stand der internationalen Diskussion und der Situation in Deutschland zusammengefasst, Hintergründe erläutert und Lösungsmöglichkeiten zum Umgang mit Interessenkonflikten vorgeschlagen. Das Buch greift damit die sehr vielseitigen Facetten auf, die Interessenkonflikte haben können, und lässt neben medizinischen Wissenschaftlern auch Vertreter anderer Fachrichtungen wie Medizinrecht, Medizinjournalismus, Medizinethik, Soziologie und Psychologie sowie die pharmazeutischen Unternehmen zu Wort kommen. Ziel dieses interdisziplinären Ansatzes ist es, das Thema nicht einseitig oder voreingenommen zu beleuchten, sondern möglichst viele Aspekte aufzuzeigen, um mit Augenmaß eine sinnvolle und angemessene Regelung von Interessenkonflikten entwickeln zu können. Dabei ist es insbesondere wichtig, das »Kind nicht mit dem Bade auszuschütten«, etwa durch eine Beendigung aller Beziehungen zwischen Ärzten bzw. Wissenschaftlern und der Industrie. Wissenschaftliche Beziehungen von akademischen Zentren mit der Industrie können, eingebettet in einen transparenten Rahmen der Zusammenarbeit, zweifelsfrei zu wichtigen therapeutischen Neuentwicklungen führen, die dem Patientenwohl dienen (Johnston et al. 2011). Die Autoren dieses Buches verwenden eine Definition von Interessenkonflikten, die das Institute of Medicine (Lo u. Field 2009) vorgeschlagen hat,
1.1 • Hinführung zum Thema
und die sich an Thompson (1993; 2009) orientiert (Lieb et al. 2011):
» Interessenkonflikte sind definiert als Situationen, die ein Risiko dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermögen oder Handeln, welches sich auf ein primäres Interesse bezieht, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst wird.
«
Unter dem primären Interesse von Ärzten und Wissenschaftlern ist dabei das Wohlergehen der Patienten durch eine bestmögliche Behandlung und eine Weiterentwicklung des medizinischen Wissens zu verstehen, während sekundäre Interessen nicht nur materieller, sondern auch immaterieller Natur sein können. Beispiele für materielle Interessenkonflikte sind die Annahme von Geschenken oder anderen Vergünstigungen von pharmazeutischen Unternehmen, die Annahme von Vortragshonoraren oder der Erhalt von Honoraren für die Durchführung wissenschaftlicher Studien. Immaterielle Interessenkonflikte können z. B. der Wunsch nach Anerkennung oder beruflicher Karriere bzw. der Einsatz für eine bestimmte therapeutische Überzeugung oder Schule (Homöopathie oder Psychotherapie) sein, wobei immaterielle Interessenkonflikte häufig mit materiellen einhergehen. Entscheidend ist, dass Interessenkonflikte durch das Nebeneinander von sekundären und primären Interessen entstehen und das Vorhandensein eines Interessenkonfliktes zunächst einmal wertneutral und nicht grundsätzlich negativ belastet ist. Mit anderen Worten: Interessenkonflikte beeinflussen nicht zwangsläufig das Urteilsvermögen oder Handeln einer Person, sondern stellen (»nur«) einen Risikofaktor für die Entstehung eines verzerrten Urteils oder Handelns dar (Klemperer 2008; Lieb et al. 2011). > Interessenkonflikte entstehen durch das Nebeneinander von sekundären und primären Interessen. Das Vorhandensein eines Interessenkonflikts ist damit zunächst einmal wertneutral und nicht grundsätzlich negativ belastet.
5
1
Mit dieser Definition wird der Geist deutlich, den dieses Buch atmet, und der für eine Versachlichung der Diskussion des Themas wichtig ist: 5 Interessenkonflikte sind in der Medizin allgegenwärtig. Niemand ist ohne Interessenkonflikte. 5 Interessenkonflikte entstehen zwar typischerweise, aber nicht ausschließlich durch Kontakte mit Industrieunternehmen. So schafft beispielsweise jedes Vergütungssystem zwangsläufig sekundäre Interessen, die unvermeidlich mit Primärinteressen in Konflikt geraten. 5 Interessenkonflikte, wie z. B. Karriereehrgeiz, können sogar förderlich für gute Arbeit sein; sie werden allerdings dann problematisch, wenn sie ein Übergewicht über die primären Interessen erlangen und dadurch das Risiko für verzerrte Urteile und Handlungen erhöhen. 5 Interessenkonflikte können förderlich sein, wenn in enger Kooperation zwischen akademischer Forschung und Industrie neue Medikamente oder Medizinprodukte zum Wohle der Patienten entwickelt werden. Sie werden aber dann problematisch, wenn die Verantwortlichen das primäre Interesse an valider Evidenz dem Marketing nachordnen. 5 Eine Gleichsetzung von Interessenkonflikten mit Bestechlichkeit und Korruption ist nicht nur falsch, sondern auch schädlich für einen angemessenen Umgang mit Interessenkonflikten. 5 Verzerrte Urteile und Handlungen aufgrund von Interessenkonflikten entgehen häufig der eigenen Wahrnehmung, so dass der Vermeidung bzw. Offenlegung von Interessenkonflikten eine besondere Bedeutung zukommt 5 Diese Offenlegung ist zwar ein notwendiger, aber kein hinreichender Schritt für einen professionellen Umgang mit Interessenkonflikten. Schritte zur Reduktion und Vermeidung von Interessenkonflikten bzw. zur Vermeidung ihrer schädlichen Konsequenzen müssen folgen.
6
1
Kapitel 1 • Einleitung
> Eine Gleichsetzung von Interessenkonflikten mit Bestechlichkeit und Korruption ist nicht nur falsch, sondern auch schädlich für einen angemessenen Umgang mit Interessenkonflikten.
Mit diesem Buch sollen Interessenkonflikte aus der »Schmuddelecke« herausgeholt und einer sachlichen und kritischen Diskussion zugeführt werden. In der öffentlichen Berichterstattung und Diskussion standen Fälle von Bestechlichkeit und Korruption unter Ärzten häufig im Vordergrund (Grill 2007; Weiss 2008), was die Abwehrhaltung mancher Ärzte, sich mit den allgegenwärtigen und damit letztendlich viel problematischeren Interessenkonflikten auseinanderzusetzen, erhöht haben dürfte. Dennoch haben Berichte über Korruption im Gesundheitswesen viele Probleme ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt und maßgeblich dazu beigetragen, dass sich manches bereits geändert hat. Dass es in Deutschland auch im Jahr 2011 noch keinen Kodex der Ärzte zum Umgang mit Interessenkonflikten gibt, sollte allerdings zu denken geben.
1.2
Gliederung und Aufbau des Buches
Das Buch gliedert sich in einen allgemeinen und einen speziellen Teil. Im allgemeinen Teil werden in 9 Kapiteln wichtige Hintergrundinformationen zu Interessenkonflikten gegeben, die eine Grundlage für das Verständnis der Ausführungen im speziellen Teil liefern. Im speziellen Teil werden dann Interessenkonflikte und deren Auswirkungen in 3 Teilbereichen bearbeitet: in der Patientenversorgung, in der Aus-, Weiter- und Fortbildung und in der Forschung. Es soll damit ein weiter Bogen gespannt werden, wobei dem Leser schnell auffallen wird, dass Interessenkonflikten aufgrund materieller sekundärer Interessen mehr Platz eingeräumt wird als den immateriellen Interessenkonflikten. Auch wenn man berücksichtigt, dass vieles in diesem Kontext nicht evidenzbasiert ist, stehen materielle Interessenkonflikte häufig im Vordergrund der Betrachtung, weil sie leichter zu messen und in ihren Auswirkungen häufig weniger komplex sind.
Zudem ist die Aufarbeitung immaterieller Interessen in der Literatur noch unzureichend.
1.2.1
Allgemeiner Teil
In 7 Kap. 2 geht es um die Definition und die Bedeutung von Interessenkonflikten. Es wird deutlich, dass ein Interessenkonflikt als eine Situation verstanden werden kann, in der das Risiko besteht, dass sekundäre Interessen persönlicher oder institutioneller Art die primären Interessen, also die eigentlichen Ziele ärztlicher oder wissenschaftlicher Tätigkeit, gefährden. In diesem Kapitel wird auch deutlich, warum der Begriff »potentieller Interessenkonflikt« nicht hilfreich, sondern verwirrend ist und daher vermieden werden sollte. Der Autor des Kapitels plädiert für eine möglichst weitgehende Vermeidung von Interessenkonflikten, weist jedoch realistischerweise auch darauf hin, dass dies häufig nicht möglich ist, weil Interessenkonflikte oft systemimmanent sind. Letztendlich werden professionelle und glaubwürdige Vorgehensweisen empfohlen, um die Risiken zu minimieren, dass Patienten Schaden nehmen. In 7 Kap. 3 widmen sich die Autoren den psychologischen Aspekten von Interessenkonflikten. Sie führen den Leser in die zahlreichen psychologischen Mechanismen ein, die Entscheidungen beeinflussen und das Urteilsvermögen beeinträchtigen. Beispiele für solche psychologischen Mechanismen sind die motivierte Evaluation (»Wenn unsere Erwartung nur stark genug ist, dann investieren wir unsere Energie nicht etwa in die unvoreingenommene Prüfung der Daten, sondern vielmehr in die selektive Bestätigung dessen, was wir ohnehin erwarten«) oder die Reziprozitätsregel (»Wir haben eine starke Tendenz, ungeschuldete Gefälligkeiten zu erwidern, selbst wenn das Entgegenkommen nicht erbeten oder erwünscht ist, oder wir die Person, die uns die Gefälligkeit erweist, nicht mögen«). In 7 Kap. 4 werden Interessenkonflikte und Strategien zu ihrer Regulierung aus medizinethischer Perspektive untersucht. Die Autoren beleuchten unterschiedliche Konzeptionen von Interessenkonflikten unter ethisch-normativen Gesichtspunkten und untersuchen die ethischen Prinzipien, die für die Handhabung und Bewertung von
7
1.2 • Gliederung und Aufbau des Buches
Interessenkonflikten von Bedeutung sind. Sie machen deutlich, dass die vier ethischen Prinzipien der modernen Medizin – Autonomie, Wohltun, Nichtschaden und Gerechtigkeit – gemeinsam mit dem Transparenzprinzip einen Ansatz bilden, Interessenkonflikte bzw. die damit assoziierten Werte systematisch zu analysieren und Strategien zur Handhabung von Interessenkonflikten abzuleiten. In 7 Kap. 5 werden grundlegende Aspekte zur Offenlegung von Interessenkonflikten dargelegt. Dabei machen die Autoren deutlich, dass die Offenlegung von Interessenkonflikten ein zwar notwendiger, aber niemals hinreichender Schritt für einen professionellen Umgang mit Interessenkonflikten ist. Die Offenlegung muss von Regeln zum Umgang mit vorhandenen Interessenkonflikten und Maßnahmen zu deren Reduktion begleitet werden. Darüber hinaus verdeutlichen die Autoren, dass der Umfang der Offenlegung je nach Institution, der gegenüber Interessenkonflikte offengelegt werden müssen (z. B. gegenüber dem Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift oder einer Leitlinienkommission), unterschiedlich ist. Zum Abschluss des Kapitels wird ein Konsensvorschlag einer deutschen Arbeitsgruppe zur Dokumentation und Offenlegung von Interessenkonflikten vorgestellt. In 7 Kap. 6 grenzen die Autoren Interessenkonflikte und die ebenfalls meist mit finanziellen Beziehungen in Zusammenhang stehenden Formen von professionellem Fehlverhalten im Sinne von Korruption (Bestechlichkeit) voneinander ab und beleuchten die Beziehung zwischen Interessenkonflikten und professioneller Integrität. In 7 Kap. 7 widmen sich die Autoren internationalen Vorschlägen zum Umgang mit Interessenkonflikten. Das Ziel der Regulierung von Interessenkonflikten besteht in erster Linie darin, Bias zu minimieren und somit die Risiken für nicht sachgerechte Entscheidungen. Kriterien für die Beurteilung der Schwere von Interessenkonflikten werden dargelegt und darauf aufbauend Maßnahmen wie Offenlegung, Ausschluss von bestimmten Tätigkeitsbereichen und Verbot der Annahme von Geschenken. In 7 Kap. 8 stellen die Autoren medizinrechtliche Hintergründe zu Interessenkonflikten dar. Dabei wird deutlich, dass sich in keinem der Norm-
1
komplexe des Medizin- oder Gesundheitsrechts eine Definition des Begriffs Interessenkonflikt findet und daher der Begriff durch Interpretation der jeweils einschlägigen Normen erst bestimmt werden muss. 7 Kap. 9 widmet sich der Abgrenzung von Interessenkonflikten zu Bestechlichkeit/Korruption. Ausgehend von allgemeinen Erläuterungen zur Korruptionsbekämpfung werden diese Erkenntnisse auf das Gesundheitssystem übertragen. An zwei exemplarischen Konstellationen stellt der Autor dar, wie sich scheinbar professionsadäquate Verhaltensweisen im Lichte einer »extensiven Ausdehnung der Straftatbestände« als kriminelles Verhalten darstellen können. Schließlich wird pragmatisch eine Gefährdungsanalyse vorgeschlagen und zu bestimmten Regeln einer Risikovermeidung geraten. In 7 Kap. 10 werden die Entwicklungen der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitswesen dargestellt. Sie stellen innerhalb der Gesetzlichen Krankenkassen den zweitgrößten Ausgabenanteil aller Leistungsbereiche dar und sind in den letzten 10 Jahren um ca. 5% pro Jahr gestiegen, wobei die Kostensteigerungen durch Arzneimittel v. a. darauf zurück zu führen sind, dass bewährte und preisgünstige Arzneimittel durch neue, teure patentgeschützte Analogpräparate verdrängt werden. Die Autoren machen deutlich, dass eine angemessene Versorgung der Versicherten nur mit Hilfe eines rationalen Arzneimitteleinsatzes durch Vermeidung von Über-, Unter- und Fehlversorgung möglich ist und dass durch eine konsequente Vermeidung der Verordnung von Arzneimitteln ohne Zusatznutzen Mittel freigesetzt werden könnten, um echte Innovationen zu finanzieren.
1.2.2
Spezieller Teil
In 7 Kap. 11 widmen sich die Autoren der Art und dem Umfang von Arzt-Industrie-Kontakten. Solche werden in Deutschland von mindestens 80% der Ärzte unterhalten, wobei zu den häufigsten angenommenen Geschenken Arzneimittelmuster, Essenseinladungen und Schreibwaren gehören. Es wird deutlich, dass viele Ärzte darin kein Problem für sich selbst sehen, wohl aber für ihre Kollegen;
8
1
Kapitel 1 • Einleitung
sie halten sich selbst kaum für beeinflussbar, sehen für diese jedoch die Gefahr der Beeinflussung. In diesem Kapitel werden auch Organisationen wie »No Free Lunch« und »MEZIS« vorgestellt, die sich für eine evidenzbasierte, rationale Arzneimitteltherapie einsetzen und mit diesem Ziel die Interessenkonflikte durch Arzt-Industrie-Kontakte zu minimieren versuchen. Ein weiteres Beispiel für die Umsetzung von Regeln im Umgang mit Interessenkonflikten wird in 7 Kap. 12 gegeben. Hier beschreiben die Autoren Handlungsempfehlungen der HELIOS Kliniken, die bereits 2001 mit der »Konzernregelung Sponsoring« und seit 2009 in Form der »Konzernregelung Transparenz« wichtige Handlungsgrundsätze für Interaktionen zwischen HELIOS-Mitarbeitern und Industrie aufgestellt haben. Im Anschluss daran wird in 7 Kap. 13 die Sichtweise des Vereins der forschenden Arzneimittelhersteller (VfA) zur Thematik der Interessenkonflikte dargelegt. Um Kontroll- und Strafmechanismen zu etablieren, wurde im Jahr 2004 der Verein »Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.« (FSA) gegründet, der einen »FSA-Kodex Ärzte« und einen »FSA-Kodex Patientenorganisationen« herausgegeben hat. Beide Kodices sollen die Zusammenarbeit zwischen Ärzte bzw. Patientenorganisationen und der Pharmazeutischen Industrie regeln und Korruption vermeiden. In 7 Kap. 14 werden die Bedeutung von Interessenkonflikten in der Aus-, Weiter- und Fortbildung anhand der internationalen Literatur diskutiert und Lösungsansätze vorgestellt. Basierend auf der berufsrechtlichen Verpflichtung von niedergelassenen Ärzten und Klinikärzten zu einer kontinuierlichen Fortbildung ergibt sich ein hohes Angebot an Fortbildungsmöglichkeiten, bei denen die Kosten (z. B. für Veranstaltungsorte, Bewirtung oder Referentenhonorare) in nicht unerheblichem Umfang von pharmazeutischen Unternehmen und medizintechnischer Industrie getragen werden. Daraus können Interessenkonflikte resultieren, die den Zielen einer objektiven, unabhängigen ärztlichen Fortbildung entgegen stehen. Die Autoren machen deutlich, dass nicht nur in der Fortbildung, sondern auch in den frühen Phasen ärztlicher Qualifizierung (Medizinstudium, Facharztweiter-
bildung) Interessenkonflikte eine Rolle spielen, die bislang unzureichend reflektiert wurden. In 7 Kap. 15 widmet sich die Autorin Interessenkonflikten, die im Rahmen der Tätigkeit von Medizinjournalisten entstehen können, z. B. bei Einladungen zu Pressereisen oder von pharmazeutischen Unternehmen bezahlten Moderationen bzw. gesponserten Journalistenpreisen. Interessenkonflikte ergeben sich auch aus der Versorgung von Redakteuren mit immer besser ausgearbeiteten Themenangeboten von pharmagesponserten Medienagenturen, mit denen sich Seiten schnell und kostengünstig füllen lassen. Manche der Praktiken verstoßen dabei klar gegen die Berufsregeln, etwa die »gekaufte Redaktion«, eine redaktionell gestaltete Seite, die in Wirklichkeit Werbung ist. Die Offenlegung von Interessenkonflikten wird kaum praktiziert. Journalistenverbände versuchen durch Richtlinien Orientierung zu geben, setzen die Grenzen aber unterschiedlich eng bzw. weit. In 7 Kap. 16 stellen die Autoren anhand konkreter Beispiele die Möglichkeiten dar, wie sich Ärzte unabhängig fortbilden und informieren können. Hier wird deutlich, dass kostenlos verteilte medizinische Zeitschriften, die durch Werbeanzeigen der Industrie finanziert werden, aufgrund ihrer mannigfaltigen verzerrten Urteile in der Regel eine entbehrliche (Des-)Informationsquelle darstellen. Als unabhängige Zeitschriften werden etwa DER ARZNEIMITTELBRIEF, das arznei-telegramm, die Zeitschrift für Allgemeinmedizin oder die Arzneiverordnungen in der Praxis empfohlen. In 7 Kap. 17 macht der Autor deutlich, dass biomedizinische Forschung zumeist eine Kooperation mit Industrieunternehmen erfordert und zwar umso mehr, je näher sich die Projekte dem Bereich der Anwendung nähern. Daraus ergeben sich zwangsläufig Interessenkonflikte auf allen Stufen der Forschung, deren Regulierungsvorschläge der Autor kritisch diskutiert. Er sieht in der möglichst weitgehenden Einschränkung der Einflussnahme der Industrie auf Erhebung und Publikation von Forschungsergebnissen an öffentlich geförderten Institutionen den größten Regulationsbedarf. 7 Kap. 18 legt ausführlich dar, dass Kooperationen zwischen Ärzten bzw. Wissenschaftlern und pharmazeutischen Unternehmen bei der Durchführung von Arzneimittelstudien Risiken bergen,
Literatur
die die Integrität der Wissenschaft gefährden, wie z. B. das Zurückhalten negativer Ergebnisse oder das Verschweigen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen. In diesem Kapitel beschreiben die Autoren die Verbreitung von Interessenkonflikten in der klinischen Arzneimittelforschung und stellen dar, wie sie Ergebnisse von Arzneimittelstudien beeinflussen können. Nachgewiesene Beispiele sind Einflüsse auf das Studienprotokoll, Beschränkungen in den Publikationsrechten von Studiendaten sowie der Einsatz von Ghostautoren, Ghostwritern oder Gastautoren durch pharmazeutische Unternehmen. Außerdem diskutieren sie verschiedene Strategien, die vor dem Einfluss von Interessenkonflikten schützen sollen. In 7 Kap. 19 stellt der Autor allgegenwärtige Interessenkonflikte im Zusammenhang mit medizinischen Fachzeitschriften vor, die sich daraus ergeben, dass die Medizin eine »Zeitschriftenwissenschaft« ist: Nahezu alle wissenschaftlichen Ergebnisse, aber auch ein Großteil der zur Fortbildung verfassten Texte erscheinen in Journalen. Es werden Varianten, Ausmaß und Folgen von Interessenkollisionen im Bereich der Medizinpublizistik beschrieben, wobei der Autor nicht nur auf Interessenkonflikte von Autoren eingeht, sondern auch institutionelle Interessenkonflikte (z. B. von Zeitschriften) erläutert und offene Fragen bzw. Unsicherheiten anspricht. Anhand konkreter Beispiele wird am Schluss des Kapitels ein Überblick über den Umgang von Fachzeitschriften mit Interessenkonflikten gegeben.
Literatur Becker A, Dörter F, Eckhardt K et al (2011) The association between a journal’s source of revenue and the drug recommendations made in the articles it publishes. CMAJ 183: 544–548 Carpenter D, Joffe S (2011) A unique researcher identifier for the Physician Payments Sunshine Act. JAMA 305: 2007–2008 Godlee F (2011) Who should define disease? BMJ 342:d2974 doi: 10.1136/bmj.d2974 Grill M (2007) Kranke Geschäfte: Wie die Pharmaindustrie uns manipuliert. Rowohlt Verlag Johnston SC, Hauser SL, Hellmann SD (2011) Enhancing ties between academia and industry to improve health. Nature Med 17: 434–436
9
1
Klemperer D (2008) Interessenkonflikte: Gefahr für das ärztliche Urteilsvermögen. Dtsch Arztebl 105: 2098–2100 Lieb K, Klemperer D, Koch K et al (2011) Interessenkonflikte in der Medizin: Mit Transparenz Vertrauen stärken. Dtsch Arztebl 108:A-256–59 / B-04 / C-04 Lo B, Field MJ (Hrsg) (2009) Conflict of interest in medical research, education, and practice. 1. Aufl. National Academies Press, Washington DC Mendelson TB, Meltzer M, Campbell EG et al (2011) Conflicts of interest in cardiovascular clinical practice guidelines. Arch Intern Med 171: 577–584 Moynihan R (2011) A new deal on disease definition. BMJ 342:d2548 doi: 10.1136/bmj.d2548 Roseman M, Milette K, Bero LA et al (2011) Reporting of conflicts of interest in meta-analyses of trials of pharmacological treatments. JAMA 305: 1008–1017 Stossel TP, Stell LK (2011) Time to »walk the walk« about industry ties to enhance health. Nature Med 17: 437–438 Thompson DF (1993) Understanding financial conflicts of interest. N Engl J Med 329: 573–576 Thompson DF (2009) The challenge of conflict of interest in medicine. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 103: 136–140 Weiss H (2008) Korrupte Medizin – Ärzte als Komplizen der Konzerne. Kiepenheuer & Witsch, Köln
11
Was ist ein Interessenkonflikt und wie stellt man ihn fest? David Klemperer
2.1
Einleitung – 12
2.2
Der Aufstieg des Themas »Interessenkonflikt« – 13
2.3
Das Konzept von Thompson – 14
2.3.1 2.3.2 2.3.3
Primäre Interessen – 15 Sekundäre Interessen – 15 Strukturelle Ursachen von Interessenkonflikten – 19
2.4
Potenzieller Interessenkonflikt – ein untaugliches Konzept – 20
2.5
Weitere Beispiele für Interessenkonflikte – 21
2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.5.5
Rofecoxib – 21 Endoskopische Knorpelglättung bei Kniegelenksarthrose – 21 Rosiglitazon 1 – 22 Rosiglitazon 2 – 22 Kalzium-Antagonisten – 22
2.6
Exkurs: Professionelles Urteilsvermögen und Handeln – 22
2.7
Fazit und Ausblick – 23 Literatur – 24
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
2
12
2
Kapitel 2 • Was ist ein Interessenkonflikt und wie stellt man ihn fest?
Zur Einführung
z
In diesem Kapitel geht es um die Bedeutung von Interessenkonflikten und um eine handhabbare Definition von Interessenkonflikt. Interessenkonflikt kann als eine Situation verstanden werden, in der das Risiko besteht, dass sekundäre Interessen persönlicher oder institutioneller Art die primären Interessen, also die eigentlichen Ziele ärztlicher oder wissenschaftlicher Tätigkeit gefährden. Dabei geht es nicht allein um finanzielle Zuwendungen und Geschenke der Industrie. Auch nichtmaterielle sekundäre Interessen, wie Wunsch nach Anerkennung und Karriereehrgeiz, sind weit verbreitet und wirksam. Wenn möglich, sollten Interessenkonflikte vermieden werden. Häufig geht dies jedoch nicht, weil sie systembedingt sind. Hier sind professionelle und glaubwürdige Vorgehensweisen zu entwickeln, um die Risiken zu minimieren, dass Patienten Schaden nehmen.
Am 17. September 1999 starb Jesse Gelsinger. Er litt unter einer milden Form der Ornithincarbamylase-Defizienz, einer genetisch bedingten Störung der Harnstoffsynthese. Gelsinger hatte sich als Proband für eine Phase-I-Studie zur Verfügung gestellt, in der die Dosierung und die Sicherheit einer neuartigen Gentherapie untersucht wurden. Sein Tod trat 4 Tage nach der Infusion von genetischem Material in die Leberarterie ein, wahrscheinlich infolge einer Überreaktion seines Immunsystems. Eine Untersuchung dieses Todesfalles durch die Food And Drug Administration (FDA) erbrachte mehrere Auffälligkeiten. Gelsinger war als Proband in die Studie aufgenommen worden, obwohl seine Leberfunktion nicht das Mindestniveau erreicht hatte, das entsprechend der Einschlusskriterien dafür notwendig war. Schon bei vorherigen Probanden waren schwere unerwünschte Wirkungen aufgetreten, welche die Forscher nicht an die Aufsichtsbehörde gemeldet hatten. Gleiches gilt für den Tod von 4 Affen, die bei einer ähnlichen Behandlung gestorben waren. Der Studienleiter galt als einer der führenden Forscher auf dem Gebiet der Gentherapie und leitete ein Institut an der University of Pennsylvania. Erhebliche Teile des Etats erhielt das Institut von einer Gentech-Firma, an deren Kapital der Forscher zu 30 % und die Universität zu 3,2 % beteiligt waren – der Verkauf dieser Anteile erbrachte dem Forscher im August 2000 US $ 13,4 Mio., der Universität US $ 1,4 Mio. Die Firma vermarktete die Ergebnisse, die der Forscher im Rahmen seiner Studien gewann (Steinbrook 2008, S. 110; Hampson et al., S. 773).
2.1
Einleitung
Die 4 folgenden Beispiele beschreiben jeweils medizinische Situationen, in denen Ärzte einander widerstrebenden Interessen ausgesetzt sind. Die Bewertung von Informationen und die ärztlichen Handlungen erfolgen in einem Spannungsfeld, das den Interessenkonflikt ausmacht. z
Beispiel 1: Klinischer Alltag des Autors
Hausbesuch bei einem 28-jährigen, ansonsten gesunden Patienten mit einem akuten grippalen Infekt der oberen Atemwege. Er ist privat versichert. Ich besitze ein Gerät zur Messung des Sauerstoffgehalts im Blut (Pulsoxymeter). Diese Messung dauert wenige Sekunden und wird nach Ziffer 602 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs mit EUR 8,86 vergütet, mit dem Steigerungsfaktor 1,8 ergibt das EUR 15,95. Für das weitere Vorgehen ist die Kenntnis des Messwerts interessant, aber nicht wirklich erforderlich. Führe ich die Messung durch? Bei Kassenpatienten ist diese Messung in der pauschalierten Vergütung enthalten und erbringt keinen finanziellen Vorteil. Führe ich die Messung in vergleichbaren Situationen bei Kassenpatienten seltener durch?
z
Beispiel 2: Der Fall Jesse Gelsinger
Beispiel 3: Ökonomische Anreize
»Nur wenige Tage liegen zwischen einer neonatologischen Maximalversorgung (Level 1) mit attraktiver DRG-Vergütung und einer weniger lukrativen Frühgeburt. Zweifellos besteht in einem solchen Fall der ökonomische Anreiz, auf ein medikamentöses Herauszögern der Geburt zu verzichten, das lediglich eine wenig ertragreiche Liegezeit der Patientin zur Folge hätte.« (Gerst 2011) z
Beispiel 4: Hormonersatztherapie
Sechs gynäkologische Fachgesellschaften und die größte wissenschaftlich-onkologische Fach-
2.2 • Der Aufstieg des Themas »Interessenkonflikt«
gesellschaft in Deutschland veröffentlichten im September 2000 im Deutschen Ärzteblatt eine gemeinsame Stellungnahme (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe et al. 2000), in der sie einem wenige Wochen zuvor erschienenen Beitrag des Medizinjournalisten Klaus Koch widersprachen (Koch 2000). Es ging um den Nutzen und die Risiken der sog. Hormonersatztherapie (HRT). Koch hatte Studien referiert, die den Schaden der HRT, nämlich zusätzliche Brustkrebsfälle, höher einschätzten als den Nutzen (verhinderte Herzinfarkte), den er durch – zu diesem Zeitpunkt – neuere Studien in Frage gestellt sah. Die Fachgesellschaften kamen in ihrer Bewertung der Studienlage zum entgegengesetzten Ergebnis: Die Zahl der verhinderten Herzinfarkte sei höher als die Zahl der zusätzlichen Brustkrebsfälle und somit der Nutzen größer als der Schaden. Die Beurteilung der Fachgesellschaften gründete u. a. darauf, dass sie die Studien, die auf fehlende Herzschutzwirkung hinwiesen, nicht in ihre Bewertung einbezogen. Zwei Jahre später, im Jahr 2002, belegte die WHI-Studie das Fehlen einer kardioprotektiven Wirkung. Weitere 7 Jahre später, im Jahr 2009 erkannten die Fachgesellschaften in einer S3-Leitlinie an, dass die Hormontherapie (wie sie jetzt genannt wird) keine Herzinfarkte verhindert.
2.2
Der Aufstieg des Themas »Interessenkonflikt«
Der Begriff »Interessenkonflikt« ist vergleichsweise neu. Das erste Gerichtsverfahren, in dem der Begriff »conflict of interest« im heutigen Sinne verhandelt wurde, fand 1949 in den USA statt. In Wörterbücher wurde der Begriff erst in den 1970erJahren aufgenommen (Davis u. Johnston 2009, S. 303). Im Deutschen Ärzteblatt ist der Begriff »Interessenkonflikt« bis heute nicht verschlagwortet. Interessenkonflikt hat stets mit Urteilsfähigkeit zu tun. Daher befassen sich auch andere Berufsgruppen damit, nämlich solche, von denen die Öffentlichkeit ein neutrales und ungetrübtes Urteil erwartet: z. B. Rechtsanwälte, Rechnungsprüfer, Ingenieure und Architekten. In einer vergleichenden Untersuchung von Berufsordnungen und ethischen Kodizes der genannten 4 Berufsgruppen wei-
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2
sen Davis u. Johnston (2009, S. 302) auf die Besonderheit auf dem Gebiet der Medizin hin: Von der Urteilsfähigkeit von Ärzten sind oftmals Menschen abhängig, die körperlich und geistig geschwächt sind, und zwar häufig in Situationen, in denen es um weitreichende gesundheitliche Entscheidungen geht. Die Kunden von Architekten oder Ingenieuren sind hingegen eher ressourcenstark. Das unabhängige, von sachfremden Erwägungen unbeeinflusste Urteil ist jedoch auch in anderen Berufen konstitutiv, z. B. bei Richtern. Ohne hier auf Details eingehen zu können, sei angemerkt, dass sich die Diskussionen, Definitionen und Regelungen der genannten Berufe nicht grundlegend von denen auf dem Gebiet der Medizin unterscheiden. Implizit sind Interessenkonflikte in der Medizin seit dem Altertum geläufig – das Spannungsverhältnis zwischen Patienteninteressen und Eigeninteressen des Arztes sind Teil des Hippokratischen Eids. Eine explizite Befassung beginnt aber erst in den 1980er-Jahren. Arnold Relman stellte 1984 im New England Journal of Medicine (NEJM) fest, dass Verbindungen zwischen der Industrie und universitären medizinischen Forschern nicht neu seien, sie seien jedoch weiter verbreitet als zuvor und zudem komplexer und problematischer geworden (Relman 1984). Er begründete damit die Anforderung des NEJM an seine Autoren, künftig die Finanzierung von Studien und Interessenkonflikte offen zu legen. Viele – wenn auch längst nicht alle – medizinischen Fachzeitschriften folgten dieser Forderung (7 Kap. 19). Den ökonomischen Hintergrund bildeten die in den USA sehr starken Anreize, mit medizinischer Forschung kommerziell verwertbare Ergebnisse zu erzielen. 1980 schaffte die amerikanische Regierung mit dem »Bayh-Dole-Act« die Voraussetzung für die Privatisierung von Forschungsergebnissen, die mit öffentlichen Mitteln erzielt wurden (Kennedy 2005). In den USA wurden im Jahr 2007 US $ 105,6 Mrd. in die biomedizinische Forschung investiert. Größter Geldgeber war die Industrie mit US $ 58,6 Mrd. (58 %). Von dieser Summe stellt die pharmazeutische Industrie den größten Anteil der Ausgaben, gefolgt von den Biotechnologiefirmen und der Geräteindustrie. Die öffentliche Forschungsförderung macht 27 % der Gesamtausgaben aus, den Hauptan-
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2
Kapitel 2 • Was ist ein Interessenkonflikt und wie stellt man ihn fest?
teil davon tragen die National Institutes of Health (Dorsey et al. 2010). Die vor diesem Hintergrund erwachsenen Konflikte zeigen sich in der wachsenden Zahl von Publikationen zu Interessenkonflikten im angloamerikanischen Raum – mit Diskussionen, die zunehmend auch im deutschsprachigen Raum geführt werden (Klemperer 2008a). Die Entwicklung einer Theorie des Interessenkonflikts erhielt wesentliche Impulse durch einen Beitrag von Dennis F. Thompson – »Understanding Financial Conflicts of Interest« – der 1993 im NEJM erschien. Dieser Aufsatz, 2 weitere Arbeiten (Emanuel u. Thompson 2008; Thompson 2009) sowie der Bericht des Institute of Medicine (Lo et al. 2009) bilden die Grundlage für die folgenden Ausführungen. Ein allgemeingültiges, von allen betroffenen Professionen und Institutionen anerkanntes, Konzept von Interessenkonflikten liegt zwar nicht vor. Klar dürfte jedoch sein, dass ein solches Konzept zu einer möglichst objektiven und reliablen Erfassung von Interessenkonflikten führen sollte. Andernfalls könnten unterschiedliche Betrachter bei identischen Sachverhalten zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Das im Folgenden dargelegte Konzept von Thompson erfüllt diese Kriterien, bildet daher auch die Grundlage des einflussreichen Reports der National Institutes of Health (Lo u. Field 2009) und wurde in Deutschland u. a. von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) in ihre Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten (2010) aufgenommen.
2.3
Das Konzept von Thompson
Thompson hat sein Konzept von »Interessenkonflikt« 1993 begründet und mehrfach modifiziert. Mehrere Versionen seiner Begriffsdefinition liegen vor, die sich graduell aber nicht grundlegend unterscheiden. Der einflussreiche IOM-Report aus dem Jahr 2009, zu dessen Autoren Thompson zählt, definiert Interessenkonflikt folgendermaßen (Lo u. Field 2009, S. 6):
» Conflicts of interest are defined as circumstances that create a risk that professional judgments or actions regarding a primary interest will be unduly influenced by a secondary interest.
«
Die AWMF übersetzt (AWMF 2010):
dies
folgendermaßen
Definition »Interessenkonflikte sind definiert als Gegebenheiten, die ein Risiko dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermögen oder Handeln, welches sich auf ein primäres Interesse beziehen, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst werden.«
Diese Definition hat sich im Medizinbereich sowohl im angloamerikanischen Raum als auch in Deutschland weitgehend durchgesetzt (Lieb et al. 2011). Der Grund dafür dürfte in ihrer Genauigkeit und Operationalisierbarkeit liegen. So sind die Gegebenheiten, die einen Interessenkonflikt ausmachen, beschreibbar und feststellbar. Gleiches gilt für die Gegebenheiten, die als primäre bzw. sekundäre Interessen zu klassifizieren sind. Das Unmögliche fordert die Definition hingegen nicht: Nämlich den Nachweis, dass sich ein Interessenkonflikt auf das Handeln oder das Urteil tatsächlich ausgewirkt hat. Die oben genannten 3 Beispiele werfen genau diese Frage auf. Waren im Fall Jesse Gelsinger das fehlerhafte Handeln, die Missachtung der Einschlusskriterien und das das Verschweigen unerwünschter Wirkungen eine Folge der finanziellen Interessen? Oder haben die Fachgesellschaften die Studienlage falsch bewertet, weil ansonsten Eigeninteressen gefährdet waren? Über die Frage der Beweggründe und Motivation lässt sich lediglich spekulieren. Der kausale Zusammenhang von finanziellen Interessen und Bewertung oder Handeln mag nahe liegen – beweisbar ist er nicht, weil Motivation nicht beweisbar ist, sondern nur vermutet werden kann. In den folgenden Abschnitten werden die 4 Elemente der Definition näher erläutert:
5 5 5 5
primäres Interesse, sekundäres Interesse, professionelles Urteilsvermögen und unangemessene Beeinflussung.
2.3.1
Die Bundesärztekammer hat in ihrem Gelöbnis, das für alle Ärzte gilt, festgehalten (BÄK 2007):
»
Die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit meiner Patientinnen und Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein.
«
Primäre Interessen
Das primäre Interesse ist gleichbedeutend mit dem Anliegen des Berufes. Aufgabe des Arztes ist es, einen Patienten entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst zu behandeln, kurz gesagt, »das Richtige richtig zu machen«. Der Patient hat ein Gesundheitsproblem und der Arzt soll die bestmögliche Lösung im Sinne des Patienten herbeiund durchführen. Bei mehreren Behandlungsoptionen unterstützt der Arzt den Patienten bei der Präferenzklärung und führt die im Einvernehmen getroffene Entscheidung aus. Das Wohl des Patienten steht dabei im Vordergrund. > Das primäre Interesse entspricht dem Anliegen des Berufes, bei Ärzten also der bestmöglichen Behandlung des Patienten.
Aufgabe des wissenschaftlich Forschenden ist es, Forschungsfragen zu entwickeln, die relevant sind und eine Weiterentwicklung des medizinischen Wissensbestandes bzw. der Handlungs- und Behandlungsmöglichkeiten versprechen. Er muss Studien sorgfältig planen und durchführen, um valide Ergebnisse zu erzielen, die er in angemessener und geeigneter Form bewertet und kommuniziert. Das primäre Interesse besteht also im Erzielen zutreffender Forschungsergebnisse für einen Wissensfortschritt zum Wohl und Nutzen von Patienten und Bevölkerung. Grundsätzlich sind die primären Interessen von der Art der professionellen Tätigkeit abhängig. Häufig werden sie in Deklarationen oder Leitbildern von Organisationen als normative Vorgaben festgehalten. Bereits 400 v. Chr. hieß es im hippokratischen Eid, dass ärztliche Verordnungen zum Nutzen der Kranken zu treffen seien und Schaden von ihnen abzuwenden sei. Die »Genfer Deklaration« des Weltärztebundes stellt fest:
» Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein. «
2
15
2.3 • Das Konzept von Thompson
In der »Physician Charter« (ABIM Foundation 2002) wird das Patientenwohl zum »principle of primacy« ärztlichen Handelns erklärt. Vom Arzt wird Altruismus erwartet:
»
The principle is based on a dedication to serving the interest of the patient. Altruism contributes to the trust that is central to the physician-patient relationship. Market forces, societal pressures, and administrative exigencies must not compromise this principle.
«
Kern ärztlicher Professionalität ist es demzufolge, den Patienten zu dienen und sich deren Vertrauen durch Selbstlosigkeit zu verdienen. Die erfolgreiche Behandlung eines Patienten oder das Erzielen relevanter Forschungsergebnisse bedeuten für den Arzt bzw. den Forscher ein Erfolgserlebnis, das mit sozialer Anerkennung verbunden ist. Mit der Realisierung der primären Interessen ist somit die Befriedigung psychologischer und sozialer Bedürfnisse verbunden, die – wie im folgenden Abschnitt dargelegt wird – als sekundäre Interessen zu betrachten sind. > Primäre und sekundäre Interessen stehen nicht in jedem Fall zueinander im Widerspruch.
2.3.2
Sekundäre Interessen
Aus der Darstellung der primären Interessen wird bereits deutlich, dass diese offensichtlich nicht unangefochten sind – sonst brauchte man die Notwendigkeit ihres Primats nicht zu betonen. Das hippokratische Gebot, Verordnungen zum Nutzen der Patienten zu treffen, enthält bereits implizit die – abzulehnende – Option, Verordnungen nicht zum Nutzen der Patienten zu treffen, sondern zum Nutzen des Arztes. Patientennutzen und Arztnut-
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Kapitel 2 • Was ist ein Interessenkonflikt und wie stellt man ihn fest?
zen werden also bereits in der frühen Medizingeschichte als nicht zwangsläufig deckungsgleich gesehen. Das Vorhandensein unterschiedlicher und häufig unvereinbarer Interessen ist der Grund für die Betonung der Notwendigkeit auf Seiten des Arztes, eine bewusste Entscheidung für die Interessen des Patienten zu treffen bzw. sich im Sinne der Physician Charter altruistisch zu verhalten. Sekundäre Interessen sind aber auch etwas Selbstverständliches, Alltägliches, natürlicherweise Vorhandenes und somit auch unvermeidlich, wie die anfangs aufgeführten Beispiele 1 und 3 zeigen. Die – sachlich nicht begründbare – Gleichsetzung des Vorhandenseins sekundärer Interessen mit Bestechlichkeit und Korruption dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass Interessenkonflikte ein eher unbeliebtes und unzureichend erforschtes Thema sind (7 Kap. 6). > Sekundäre Interessen sind alltäglich und unvermeidlich. Eine Gleichsetzung mit Bestechlichkeit und Korruption geht am Problem vorbei und behindert einen angemessenen Umgang mit Interessenkonflikten.
Sekundäre Interessen können materieller und nichtmaterieller Natur sein. Nichtmateriell sind z. B. psychologische und soziale sekundäre Interessen. Diese Kategorien sind nicht trennscharf. Eher ist es so, dass sie sich gegenseitig bedingen – so können finanzielle Zuwendungen und Geschenke Freude bereiten (psychologischer Aspekt) und den sozialen Status bestätigen oder fördern. Die erstaunlichen Wirkungen auch kleiner Geschenke dürften zumindest teilweise auf die letzteren beiden Aspekte zurückzuführen sein (7 Kap. 3). > Sekundäre Interessen können materieller, psychologischer und sozialer Natur sein. Da materielle Zuwendungen Freude bereiten und den sozialen Status bestätigen oder fördern können, sind sekundäre Interessen häufig sowohl materieller als auch psychologischer und sozialer Natur.
Betont sei, dass sekundäre Interessen die primären Interessen befördern können, indem sie zur Verbesserung der Versorgung beitragen. So kann die Möglichkeit, durch mehr Arbeit mehr Geld zu
verdienen, einen Arzt zu einem höheren Arbeitspensum motivieren – zum Segen seiner Patienten, wenn er nach den Regeln der Kunst arbeitet und eine reale Nachfrage befriedigt. Unbedenklich dürften z. B. die angedachten finanziellen Anreize sein, mit denen Ärzte zur Arbeit in unterversorgten Regionen motiviert werden sollen. Auch wird ein wissenschaftlich Forschender ohne den brennenden Ehrgeiz, Neues zu entdecken, damit seine Karriere zu befördern und Fördermittel für Forschungsprojekte zu akquirieren, kaum zu relevanten Ergebnissen gelangen. Entscheidend ist, dass die sekundären kein Übergewicht über die primären Interessen gewinnen.
Materielle sekundäre Interessen Materielle sekundäre Interessen sind alltäglich, leicht erkennbar, quantifizierbar, noch am ehesten regelbar und finden schon allein deswegen die höchste Aufmerksamkeit. Im Blickpunkt stehen finanzielle Verbindungen zu Herstellern von Arzneimitteln und Medizinprodukten. Zu den möglichen Formen zählen Geschenke jeder Art, Honorare für Vorträge oder Beratung, bezahlte Gutachtertätigkeit sowie Besitz von Unternehmensanteilen, Aktien und Lizenzgebühren (7 Kap. 11). Jedes Vergütungssystem ärztlicher Leistungen – egal wie beschaffen – setzt finanzielle Anreize für das Erbringen und Unterlassen von Leistungen. Materielle sekundäre Interessen sind hier systemimmanent, ihr Vorliegen ist ein unvermeidlicher Dauerzustand. Unmöglich dürfte es sein, ein Vergütungssystem so zu strukturieren, dass jede Behandlungsentscheidung gleichzeitig den Patienten- und den Arztnutzen optimiert. Der Arzt sieht sich also in seiner Indikationsstellung fortwährend sekundären Interessen ausgesetzt. > Jedes Vergütungssystem schafft zwangsläufig sekundäre Interessen.
Ein weiteres Beispiel für systembedingte materielle Interessenkonflikte sind die Mindestmengen pro Arzt oder Krankenhaus für die Erbringung von Leistungen, deren Qualität »in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist« (§ 137 Abs. 3 SGB V). Droht diese Mindestanzahl nicht erreicht zu werden, dürfte die Aussicht, eine Leistung nicht mehr erbringen zu dürfen, das
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2.3 • Das Konzept von Thompson
Potential haben, die Indikationsstellung unangemessen zu beeinflussen.
Nichtmaterielle sekundäre Interessen Nichtmaterielle sekundäre Interessen können genauso wirksam sein wie materielle, werden aber weniger beachtet. Das dürfte daran liegen, dass sie schwerer festzustellen, zu quantifizieren und zu regeln sind. Sekundäre Interessen treten in vielen Formen auf und können ganz natürlich sein, wie z. B.: 5 Ehrgeiz, 5 Streben nach Status und Anerkennung, 5 Wunsch nach Aufnahme oder Verbleib in einer Gruppe, 5 Konkurrenz zu anderen Ärzten oder Wissenschaftlern, 5 Wohlwollen von einflussreichen Personen, 5 der Wunsch, Familienangehörige und Freunde zu fördern und zu unterstützen. Für Ehrgeiz und Karrierestreben gilt, dass es sich um sekundäre Interessen handelt, die eine notwendige Voraussetzung für die Realisierung eines primären Interesses sein können. Sie werden erst dann problematisch und kontraproduktiv, wenn sie überhand nehmen und die primären Interessen gefährden. Im Beispiel 3 hatten 7 Fachgesellschaften eine Stellungnahme abgegeben, mit offensichtlich selektiver Würdigung der Studienlage. Für die Gynäkologen brachte das Konzept der Hormonersatztherapie (HRT) nur Vorteile und zwar nicht nur materieller, sondern auch nichtmaterieller Art. Zu den nichtmateriellen Vorteilen dürfte das Gefühl zählen, mit der Behandlung etwas Gutes zu tun und auch die Dankbarkeit der Patientinnen zu gewinnen. Hinzu kommt, dass der Wunsch nach Bestätigung einer einmal gefassten Meinung auch unter Wissenschaftlern verbreitet ist (7 Kap. 3). Eine besondere Stärke kann dieser Wunsch erhalten, wenn gemeinsame Sichtweisen, wie hier die positive Bewertung der HRT, Teil der Gruppenidentität sind. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist ein menschliches Grundbedürfnis. Darüber hinaus werden über Gruppen häufig soziale Chancen innerhalb und auch außerhalb der Gruppe zugeteilt. In der Zusammenschau handelt es sich um recht
2
starke sekundäre Interessen. Es ist plausibel, dass Informationen, die den Segen der HRT bestätigen, auf offenere Ohren stießen als solche, die dies in Frage stellten. Mahoney hat bereits 1977 den Bestätigungsbias:
»
… the tendency to emphasize and believe experiences which support one’s views and to ignore or discredit those which do not…
«
in einem Experiment mit Gutachtern in Peer review-Verfahren eindrucksvoll belegt (7 Kap. 3). z
Therapieschulen
In ihrem Vorschlag zur Deklaration von Interessenkonflikten zählen Lieb et al. (2011) »Therapieschulen« zu den immateriellen Interessenkonflikten und nennen als Beispiele die »chirurgische Schule«, Psychotherapie und Homöopathie. Der Begriff »Schule« ist in diesem Zusammenhang allerdings nicht definiert. Gemeint sein dürften Gruppen von Ärzten eines gemeinsamen Tätigkeitsbereiches, die auf Grund gemeinsamer, geteilter Grundannahmen bei der Beantwortung bestimmter wissenschaftlicher Fragen zu vergleichbaren Antworten gelangen. In manchen Fällen handelt es sich um ein konstituierendes Merkmal der Gruppe, wie z. B. der Psychoanalyse oder der Homöopathie. Die Antworten sind entweder – wenn der Gruppe Definitionsmacht zugesprochen wird – in der Öffentlichkeit vorherrschend, können sich aber auch von den Antworten der überwiegenden Mehrheit der Nichtmitglieder systematisch unterscheiden. So dürfte die Öffentlichkeit von einem Zusammenschluss 7 medizinischer Fachgesellschaften die Kompetenz und Expertise erwarten, Fragen ihres Fachgebietes verlässlich und unter Nutzung der aktuellen Studienlage zu beantworten und ihnen damit Definitionsmacht geben. Mitglieder der Schule der Homöopathen teilen die Annahme, dass die Wirksamkeit eines homöopathischen Mittels mit dem Grade der Verdünnung steigt – eine Annahme, die außerhalb dieser Gemeinschaft eher wenig Unterstützung erhält. Das Problem kann darin liegen, dass in der »Schule« im Sinne der sozialen Bewährtheit (7 Kap. 3) eine Immunität gegenüber Argumenten entsteht, die den geteilten Annahmen zuwiderlaufen.
18
Kapitel 2 • Was ist ein Interessenkonflikt und wie stellt man ihn fest?
Konfliktmöglichkeiten
2
Wann werden sekundäre Interessen problematisch? Bedeutet das Vorhandensein sekundärer Interessen zwangsläufig das Vorhandensein eines Interessenkonflikts? Thompson (1993, 2009) folgend liegt ein Interessenkonflikt dann und nur dann vor, wenn:
»
eine Tendenz (ein Risiko) dafür besteht, dass das sekundäre Interesse das Denken und Handeln bezüglich des primären Interesses unangemessen beeinflusst. Die Unterscheidung zwischen der Tendenz der unangemessenen Beeinflussung auf der einen Seite und dem Ergebnis der Beeinflussung, also dem gefassten Urteil bzw. der stattgehabten Handlung auf der anderen Seite, ist essentiell für das Verständnis des Konzeptes.
«
In Beispiel 1 liegt ein Interessenkonflikt vor, weil der finanzielle Anreiz die Entscheidung bezüglich einer – überflüssigen – diagnostischen Maßnahme unangemessen beeinflussen kann. Der Interessenkonflikt liegt vor und zwar unabhängig davon, wie der Arzt sich letztlich entscheidet. > Interessenkonflikt bedeutet eine Risikosituation, in der durch das Nebeneinander von primären und sekundären Interessen die Wahrscheinlichkeit für ein verzerrtes Urteil erhöht ist. Es ist dabei unerheblich, ob sich das sekundäre Interesse tatsächlich auf das primäre Interesse auswirkt oder nicht.
Zwei Fragen sind zu klären: Was bedeutet »unangemessen«? Wie stellt man fest, ob dieses Risiko oder diese Tendenz vorliegt oder nicht? Als unangemessen ist der Einfluss zu bezeichnen, wenn er dazu führt, die primären Interessen zu vernachlässigen, weil die sekundären Interessen ein zu hohes Gewicht erhalten; hierdurch gerät das Patientenwohl in den Hintergrund. Ist eine Behandlung für den Arzt einträglich, aber für die Lösung des Patientenproblems von vornherein nicht hilfreich, könnte die Entscheidung für die Durchführung das Ergebnis einer unangemessenen Beeinflussung sein. Die Frage nach dem Vorliegen des Risikos bzw. der Tendenz beantworten Emanuel und
Thompson (2008) mit dem Hinweis auf Erfahrung, gesunden Menschenverstand und psychologische Forschungsergebnisse. Diese zeigen, dass Menschen und Institutionen in bestimmten Situationen sekundären Interessen ein exzessives Gewicht in ihren professionellen Entscheidungen geben; dies führt zur Beeinträchtigung des Urteilsvermögens. Der Konflikt besteht, wenn ein Individuum oder eine Institution Entscheidungen in Situationen trifft, die – gestützt auf Erfahrungen – dazu neigen, das Urteil zu verzerren (Emanuel u. Thompson 2008, S. 761):
» It exists if the individual or institution is making decisions under circumstances that, based on past experience, tend to lead to distortions in judgment.
«
Die Regulierung von Interessenkonflikten hat zum Ziel, vor dieser Gefahr zu schützen. Die Feststellung des Vorhandenseins des Risikos entspricht somit der Bewertung einer Situation auf Grundlage vorliegender Erfahrungen und dem Wissen aus psychologischer Forschung (7 Kap. 3). In vielen Situationen dürfte das Urteil darüber, ob ein Beeinflussungsrisiko besteht, nicht schwer fallen (z. B. im Falle Jesse Gelsinger). Die hohen Geldsummen, die im Spiel waren, wie auch das Renommee, das mit der Genforschung zu erringen ist, können als sekundäre Interessen das Urteilsvermögen und die Handlungen in Hinsicht auf die Erzielung valider Ergebnisse und auch der Patientensicherheit beeinträchtigt haben. Da der Interessenkonflikt als Risiko definiert ist, liegt hier ohne Zweifel ein Interessenkonflikt vor, unabhängig davon, ob das Urteil oder Handeln tatsächlich kausal auf den Interessenkonflikt zurückzuführen ist. Konflikte sind kein dichotomes Phänomen, vielmehr treten sie in kontinuierlicher Ausprägung auf. Einflussfaktoren auf die Schwere eines Konflikts sind: 5 Die Wahrscheinlichkeit, mit der professionelle Entscheidungen dazu neigen, von sekundären Interessen unangemessen beeinflusst zu werden und 5 die Schwere des Schadens, der daraus entstehen kann (Thompson 2009).
2.3 • Das Konzept von Thompson
z
Beurteilung der Wahrscheinlichkeit von Beeinflussung
Die Beurteilung beruht wiederum auf den Erfahrungen, die in vergleichbaren Situationen gewonnen wurden. Naheliegend ist die Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit der Beeinflussung mit der Höhe des materiellen Benefits korreliert. Hier ist zu berücksichtigen, dass es keine untere Grenze gibt – auch geringer Benefit kann beeinflussen (7 Kap. 3). Im Falle von Jesse Gelsinger lag ein schwerer Interessenkonflikt vor – der materielle Einsatz war hoch und der Schaden bestand im vermeidbaren Tod eines jungen Menschen. Die Wahrscheinlichkeit der Beeinflussung steigt auch mit dem Ausmaß, also der Dauer und Tiefe der Beziehung, die den Konflikt hervorbringt. Die langjährige Verbundenheit als Referent und Berater einer pharmazeutischen Firma erhöht die Wahrscheinlichkeit der Beeinflussung stärker als ein einmaliges Geschenk, z. B. eines Lehrbuchs. Schwerer wird ein Interessenkonflikt auch durch die jeweiligen Entscheidungsspielräume – der Leiter einer Studie, der über Planung Design und Durchführung bestimmt, ist stärker gefährdet als ein Assistent, der keine nennenswerten Entscheidungen zu treffen hat. An Schwere gewinnt ein Interessenkonflikt auch durch das Ausmaß seiner Folgen. Der Interessenkonflikt eines niedergelassenen Arztes, der Geschenke eines Pharmavertreters annimmt und in der Folge eine überschaubare Zahl von Patienten mit einem überteuerten und unsicheren Medikament behandelt, ist weniger schwer als der eines Key Opinion Leaders, der unter dem Einfluss einer Firma eine große Zahl von Kollegen von der Verschreibung dieses Medikamentes überzeugt. Die Wahrscheinlichkeit der Beeinflussung hängt nicht zuletzt davon ab, wie stark oder gering die Möglichkeiten sind, Interessenkonflikte zu verheimlichen.
2.3.3
Strukturelle Ursachen von Interessenkonflikten
Manche Interessenkonflikte sind, wie bereits ausgeführt, unvermeidlich, so z. B. die Anreize, die ein Vergütungssystem für ärztliche Leistungen setzt.
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2
Wird in einem System Handeln belohnt, stellt dies ein sekundäres Interesse dar, das sich unangemessen auf die Indikationsstellung auswirken kann (Klemperer 1990). Das Beibehalten von Vorgehensweisen, die mehr Schaden als Nutzen versprechen, wie z. B. bildgebende Verfahren bei unkompliziertem Kreuzschmerz, dürfte auch Folge von finanziellen Anreizen sein. Die Beispiele 1 und 3 zeigen, dass in Graubereichen der Indikationsstellung der finanzielle Anreiz eine starke Versuchung zur Ausweitung der Indikation darstellen kann. Auch in anderen Bereichen sind sekundäre Interessen in Systeme »eingebaut«, Vergütungssysteme und Mindestmengen wurden bereits 7 Abschn. 2.3.2 genannt. Ein weiteres Beispiel ist die leistungsorientierte Mittelvergabe (LOM) an den Universitäten. Hier wird Leistung als Produktivität definiert, die über die Zahl der Publikationen und die Platzierung in Journalen mit hohem Impact Factor sowie das Volumen der eingeworbenen Drittmittel bestimmt wird (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2004). Bezüglich der Publikationen stehen Wissenschaftler dadurch unter starkem Druck, eine möglichst große Zahl an Beiträgen in möglichst hochrangigen Fachzeitschriften zu publizieren. Dabei ist die Bedeutung der Forschungsfragen für eine bessere Versorgung tendenziell nachrangig. Auf eine kurze Liste hochwertiger und relevanter Veröffentlichungen lässt sich kaum eine Karriere gründen. Abteilungen und Institute an Universitäten sollen ihren vorgegebenen Etat durch Drittmittel, also durch Forschungsgelder von externen Auftraggebern wie öffentlichen Forschungsförderungseinrichtungen, Stiftungen und Industrie, vergrößern. Im Bereich klinischer Studien hat sich der Staat weitgehend aus der Finanzierung zurückgezogen und das Feld der Industrie überlassen. Studien zu Arzneimitteln werden fast ausschließlich durch die herstellenden Unternehmen finanziert. Diese beschränken sich naturgemäß auf Fragen, die für die Zulassung relevant sind. Fragen nach patientenrelevanten Endpunkten wie Überlebenszeit und Lebensqualität sowie der Vergleich mit anderen Substanzen für dieselbe Indikation (head-to-headVergleiche) bleiben häufig unbeantwortet. Der Produktivitätsdruck an den medizinischen Fakultäten – Drittmittel akquirieren und Publikationen gene-
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Kapitel 2 • Was ist ein Interessenkonflikt und wie stellt man ihn fest?
rieren – bringt somit sekundäre Interessen hervor. Hier können starke Anreize entstehen, sich in Fragestellungen und Studiendesign an den Interessen der Drittmittelgeber zu orientieren, die nicht primär auf die Verbesserung der Patientenversorgung zielen. Hintergrund dieser strukturellen Ursache von Sekundärinteressen ist das Arzneimittelgesetz (AMG). Das AMG wurde infolge der Contergan-Katastrophe geschaffen und fordert für neue Medikamente den Nachweis von Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutischer Qualität (7 Kap. 10). Der Gesetzgeber hat damals beschlossen, die Nachweispflicht dem beantragenden Hersteller zu übertragen und ihm zu erlauben, die erforderlichen Studien selbst durchzuführen bzw. zu beauftragen. Der hier gesetzte Interessenkonflikt ist offensichtlich: Positive Studien führen zur Marktzulassung und zur Erhöhung der Umsätze, negative Studien tun dies nicht. Negative Studien – auch nach der Zulassung – können für eine Firma ein ökonomisches Desaster bedeuten. So meldete Business Week am 31. 3. 2008, dass die Aktien der Firmen Schering-Plough und Merck an diesem Tag um 26 % bzw. 14,7 % fielen, entsprechend einer Summe von US $ 22 Mrd. Dem war die Veröffentlichung der »ENHANCE-Studie« im New England Journal of Medicine vorausgegangen, die für die – in diesem Fall bereits zugelassene – Substanz Ezetimib keinen Zusatznutzen ergab (Klemperer 2008b). Hat ein Wissenschaftler die Möglichkeit, einen derartigen Schaden durch Manipulation der Daten zu verhindern, dürfte dies einen außerordentlich schweren Interessenkonflikt darstellen.
2.4
Potenzieller Interessenkonflikt – ein untaugliches Konzept
Im November 2009 veröffentlichten die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) die »S3-Leitlinie Demenzen«. Im dazugehörigen Methodenreport findet sich eine Tabelle mit der Überschrift »Angabe von möglichen Interessenkonflikten«. Keiner der 68 genannten Experten hat der Liste zufolge einen »möglichen Interessenkon-
flikt« (DGPPN und DGN 2009, S. 113 f.). Die Internetrecherche des Bloggers »hockeystick« ergab für 29 der 68 Personen finanzielle Verbindungen zu mindestens einer Pharmafirma, einer der Autoren hatte Verbindungen zu 29 Firmen (http://gesundheit.blogger.de/stories/1714551). Trotzdem ist den Experten kein Vorwurf zu machen, denn sie haben korrekt gehandelt. Dieser Widerspruch – finanzielle Beziehungen zur Industrie ja, Interessenkonflikt nein – ist mit der bis April 2010 gültigen AWMFDefinition von Interessenkonflikt zu erklären. Die AWMF forderte damals die Autoren auf, ihre Beziehungen zur Industrie auf einem Formblatt anzugeben. Dies haben die Autoren mit Verbindungen zur Industrie auch getan. Das weitere Prozedere lautete: »Ob davon (den möglichen Interessenkonflikten, der Autor) die erforderliche Neutralität für ihre Tätigkeit als Experte in Frage gestellt ist, soll nicht aufgrund von detaillierten Vorschriften geklärt werden, sondern im Rahmen einer Selbsterklärung der Experten erfolgen« (DGPPN und DGN 2009, S. 112). Die Betroffenen selbst sollten also über Selbstreflexion beurteilen, ob ihre Neutralität gefährdet sei. Alle Experten kamen zum Ergebnis, dass ihre Neutralität nicht gefährdet sei, auch der Experte mit 29 Verbindungen, und es gibt keinen Grund, an ihrer Aufrichtigkeit zu zweifeln. Ein »möglicher« bzw. »potentieller« Interessenkonflikt wird nach diesem Verständnis erst zu einem »echten« Interessenkonflikt, wenn die Neutralität tatsächlich beeinträchtigt ist und daraus ein verzerrtes Urteil folgt. Daraus folgen 2 bisher nicht gelöste Probleme: 5 Zum einen ist der »echte« Interessenkonflikt nicht nachweisbar, weil dem verzerrten Urteil oder der Handlung nicht anzusehen ist, ob sie durch sekundäre Interessenkonflikte oder anderweitig entstanden sind. Der Nachweis, dass die Entscheidungen, die zum Tod von Jesse Gelsinger geführt haben (Beispiel 2) durch die Gewinnerwartungen motiviert waren, ist nicht zu erbringen. Wenn der Beschuldigte dies abstreitet, gibt es keine Mittel, ihn zu widerlegen. 5 Zum anderen führt die Selbstbeurteilung, also die an sich selbst gestellte Frage, ob man verzerrt urteilt, regelhaft zu einer verneinenden Antwort. Dies ist einem psychologischen
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2.5 • Weitere Beispiele für Interessenkonflikte
Phänomen geschuldet, das als »bias blind spot« bezeichnet und an anderer Stelle näher erläutert wird (7 Kap. 3). Der »blinde Fleck« für Bias besteht, weil wir bei der Überprüfung eigener Denkprozesse nicht gut darin sind, die auf uns einwirkenden Einflüsse und die kognitiven Automatismen zu »sehen«. Den Bias der Anderen erkennen wir, der eigene Bias liegt hingegen in einem blinden Fleck. Wenn, wie in zahlreichen Beispielen belegt, Experten mit Beziehungen zum Hersteller vermutete oder sogar erwiesene Risiken eines Arzneimittels für gering einschätzen, während Experten ohne solche Beziehungen die Risiken sehr viel ernster nehmen (7 Abschn. 2.4), ist Beeinflussung zu vermuten aber nicht zu beweisen. Die Stärke der Definition von Thompson (7 Abschn. 2.3) besteht gerade darin, dass ein Erforschen der Motivation der Betroffenen nicht erforderlich ist – Interessenkonflikt ist schlicht das Nebeneinander von primären und sekundären Interessen. > Das Konzept »potentieller Interessenkonflikt« ist nicht dazu geeignet, Interessenkonflikte zu erfassen, zu erkennen, zu managen und zu vermeiden.
Umso erstaunlicher und auch bedauerlicher ist es, dass die Herausgeber der großen angloamerikanischen medizinischen Fachzeitschriften bis heute am Konzept des »potential conflict of interest« festhalten. Sie definieren es folgendermaßen (International Committee of Medical Journal Editors 2010):
» Conflict of interest exists when an author (or the author’s institution), reviewer, or editor has financial or personal relationships that inappropriately influence (bias) his or her actions (such relationships are also known as dual commitments, competing interests, or competing loyalties).
«
Ein Interessenkonflikt liegt nach dieser Definition erst dann vor, wenn finanzielle oder persönliche Beziehungen die Handlungen unangemessen beeinflusst haben.
2.5
2
Weitere Beispiele für Interessenkonflikte
Im Folgenden soll an realen Beispielen ein verzerrtes Urteil bei Vorliegen eines Interessenkonflikts gezeigt werden. Aus den bisherigen Ausführungen folgt, dass der kausale Zusammenhang zwischen verzerrtem Urteil und Interessenkonflikt nicht beweisbar ist, auch wenn er noch so naheliegend ist. Die Beispiele zeigen auch, wie gravierend die Folgen von Bias sein können.
2.5.1
Rofecoxib
Rofecoxib (Vioxx) wurde 1999 als Schmerzmittel zugelassen. Rofecoxib verändert die Relation von Prostaglandin und Thromboxan mit der Folge einer verstärkten Thrombusbildung. Wissenschaftler der Firma Merck hatten daher von Anfang an den Verdacht, dass Rofecoxib das Herzinfarktrisiko steigert, wie aus internen Dokumenten hervorgeht. Trotzdem (oder deswegen?) wurde in keiner der 9 Zulassungsstudien die Frage des Herz-Kreislauf-Risikos untersucht. Vielmehr wurde als Eingangskriterium für die Studien ein niedriges HerzKreislauf-Risiko festgelegt (Krumholz et al. 2007). Im September 2004 wurde Rofecoxib wegen der Erhöhung der kardialen Mortalität vom Markt genommen (weitere Ausführungen dazu 7 Kap. 18).
2.5.2
Endoskopische Knorpelglättung bei Kniegelenksarthrose
Am 11. Juli 2002 erschien im NEJM eine Studie, in der die endoskopische Knorpelglättung und Gelenksspülung am Kniegelenk zur Besserung von Arthrosebeschwerden nicht besser abschnitt als ein Scheineingriff (Moseley 2002). Mit Datum 1. April 2002 hatten kurz zuvor 2 orthopädische Fachgesellschaften in einer gemeinsamen S1-Leitlinie diese Operationstechnik für die Kniegelenksarthose empfohlen. In einer weiteren Untersuchung aus dem Jahr 2008 schnitt die Operation nicht besser ab als die medikamentöse und physiotherapeutische Behandlung (Kirkeley et al. 2008). Die beiden Fachgesellschaften verzichteten darauf, ihre Leit-
22
2
Kapitel 2 • Was ist ein Interessenkonflikt und wie stellt man ihn fest?
linie den neuen Erkenntnissen anzupassen. Die Leitlinie mit der veralteten Bewertung der Arthroskopie blieb bis zum Herbst 2008 auf der Website der AWMF, wurde dann zurückgezogen und ist bis heute (2011) nicht durch eine neue Version ersetzt worden.
2.5.3
Rosiglitazon 1
Im Jahr 2007 löste eine Metaanalyse, die das Diabetes-Medikament Rosiglitazon mit einem erhöhten Herzinfarktrisiko in Zusammenhang brachte, eine heftige Kontroverse aus. Bei gleicher Datenlage bewerteten einige Autoren Rosiglitazon positiv, andere neutral und wieder andere negativ. Wang et al. (2010) stellten darauf hin die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Bewertung und der Anwesenheit bzw. Abwesenheit von finanziellen Interessenkonflikten. 202 Artikel von insgesamt 180 Autoren wurden ausgewertet. Das Vorhandensein von Interessenkonflikten wurde über die Erklärung der im aktuellen Artikel und in den in den letzten 2 Jahren vom selben Autor publizierten Beiträgen erfasst. Der Zusammenhang zwischen Standpunkt und Interessenkonflikt könnte kaum deutlicher sein: Von 31 Autoren mit positiver Bewertung hatten 29 (94 %) einen Interessenkonflikt, von 65 Autoren mit negativer Bewertung hatten 18 (28 %) einen Interessenkonflikt. Nur am Rande sei erwähnt, dass in 21 der insgesamt 90 Artikel eines Autors mit Interessenkonflikt dieser nicht angegeben war. Der Umstand, dass die Substanz im Herbst 2010 in Europa wegen ihrer Herz-Kreislauf-Risiken vom Markt genommen wurde, dürfte verdeutlichen, welche Seite die besseren Argumente hatte.
2.5.4
tete, dieser Beschluss werfe die Therapie auf den Stand der frühen 1980er-Jahre zurück und wies darauf hin, dass der Beschluss im Widerspruch zu nationalen und internationalen Leitlinien und im Widerspruch zu den Maßgaben der nationalen und internationalen Zulassungsbehörden stünde. Nur wenige Wochen später nahm die Europäische Arzneimittelzulassungsbehörde Rosiglitazon wegen seiner unerwünschten Wirkungen vom Markt und folgte damit dem Beschluss des GBA, der auf einen Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen gründete.
2.5.5
Kalzium-Antagonisten
Eine ähnliche Kontroverse mit einer ähnlichen Untersuchung hatte es Mitte der 1990er-Jahre um die Substanzgruppe der Kalzium-Antagonisten gegeben. Stelfox et al. (1998) hatten damals nachgewiesen, dass 23 von 24 positiv bewertenden Autoren (96 %), 9 von 15 neutralen Autoren (60 %) und 11 von 37 kritischen Autoren (37 %) Interessenkonflikte bezüglich Firmen hatten, die Kalziumantagonisten herstellten. Fazit Der Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein eines Interessenkonflikts und dem Ergebnis der Bewertung dürfte in diesen Beispielen deutlich sein. Aber selbst wenn dieser Zusammenhang fast unabweisbar erscheint, ist der kausale Zusammenhang in keinem der Fälle beweisbar. Das Wissen um die Störanfälligkeit kognitiver Prozesse, um die Einflussfaktoren und Wirkmechanismen (7 Kap. 3) wird dem unvoreingenommenen Betrachter den Schluss eines kausalen Zusammenhangs nahelegen.
Rosiglitazon 2 2.6
Ende Juni 2010 wandte sich eine große diabetologische Fachgesellschaft in einer Erklärung vehement gegen die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) wegen erhöhter kardialer Risiken geforderte Beendigung der Erstattungsfähigkeit des DiabetesMittels Rosiglitazon (Avandia) (Deutsche Diabetes Gesellschaft 2010). Die Fachgesellschaft behaup-
Exkurs: Professionelles Urteilsvermögen und Handeln
Professionelles Urteilsvermögen steht im Zentrum ärztlicher Kompetenz. Entscheidungen über diagnostische und therapeutische Maßnahmen zu treffen, ist Kernbestandteil klinisch-ärztlicher Tätigkeit. Die Fähigkeit, Informationen aufzuneh-
23
2.7 • Fazit und Ausblick
men, zu verarbeiten und zu bewerten, um daraus Schlussfolgerungen bezüglich der Diagnose und der Therapie zu ziehen, entscheidet über Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung. Erfahrung, Intuition und Heuristiken sind einerseits eine Voraussetzung für klinisches Urteilen, anderseits aber auch ein Einfallstor für Beeinflussung und Verzerrung. Mit der klinischen Kognition haben sich seit den 1950er-Jahren Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen befasst. Dies hat zu Wissensfortschritten geführt, wenn auch noch nicht zu einer einheitlichen Theorie (Kassirer et al. 2010, S. 4). Die klinische Diagnose besteht aus einer Serie von Schlussfolgerungen. Diese gründen sich auf vorhandene Beobachtungen (Vorgeschichte, körperliche Untersuchung), weitergehende Untersuchungen (Labor, bildgebend, invasiv) und die Reaktion des Patienten auf therapeutische Interventionen. Es handelt sich um ein induktives Schlussfolgern – beobachtete Phänomene werden übergeordneten Krankheitskategorien zugeordnet. Im ersten Schritt entsteht eine Arbeitsdiagnose, die den Rahmen für das weitere Vorgehen darstellt – für weitere Untersuchungen, für die Prognose und für die Therapie. Der Arzt muss hierfür Daten kombinieren, integrieren und interpretieren, wofür ihm unterschiedliche Strategien zur Verfügung stehen. Für diagnostisches Schlussfolgern nutzen Ärzte häufig Faustregeln, mit denen sie die Prozesse zur Sammlung und Interpretation von Informationen abkürzen. In den Kognitionswissenschaften werden diese Faustregeln als Heuristiken bezeichnet. Diese Heuristiken beruhen auf der Fähigkeit, ein aktuelles Problem mit vorherigen Erfahrungen zu verknüpfen. Dadurch ist der erfahrene Arzt in der Lage, seine weitere Suche auf das vermutete Krankheitsbild zu fokussieren, während ein geringeres Maß an Erfahrung ein breiteres Spektrum von Möglichkeiten abdecken muss. Die diagnostischen Hypothesen erfüllen eine wichtige Funktion: Sie bilden den Kontext, in dem die weitere Informationssammlung stattfindet und den Rahmen für die weitere Überprüfung der Hypothesen. Dieses Vorgehen führt zu einer fortschreitenden Modifikation und Verfeinerung der Hypothese (Kassirer et al. 2010, S. 5). Die Bestätigung der Diagnose erfolgt im weiteren Verlauf. Als Kriterien
2
für die Validität einer Diagnose nennen Kassirer et al. (ebd., S. 6) die Kohärenz (die Befunde und der Verlauf passen zur Diagnose) und die »Sparsamkeit« (für die gegebene Befundkonstellation ist die Diagnose die einfachste Erklärung). Aus dieser kurzen Darstellung der klinischen Kognition soll deutlich werden, dass es sich um eine genauso wichtige wie empfindliche und auch störanfällige Fertigkeit handelt. Alle Einflüsse, die vom Patienten und seinem Problem ablenken, gefährden die Informationsaufnahme und -verarbeitung, können zu falschen Schlüssen und damit zu einer Gefährdung des Patienten führen. In 7 Kap. 3 werden die Faktoren, welche die kognitiven Prozesse beeinträchtigen können, ausführlich dargelegt. Auch wissenschaftlich Forschende haben zahlreiche Entscheidungen zu treffen, die ein ungetrübtes Urteilsvermögen erfordern. Dies beginnt mit der Formulierung der Forschungsfrage und dem Studiendesign. Bei Arzneimittelstudien ist beispielsweise über die Art des Vergleichs (Plazebo oder aktiver Vergleich), die Dosierung von Verum und Vergleichssubstanz, die primären und sekundären Endpunkte (patientenrelevant? Surrogatparameter?) und über die Studiendauer zu befinden. Bei der Auswertung fallen zahlreiche Klassifikationsentscheidungen an. Bei der Publikation sind Entscheidungen darüber zu treffen, wie die Ergebnisse dargestellt und interpretiert werden. Das Vorliegen eines Risikos für unangemessene Beeinflussung von Urteilsvermögen bzw. Handeln ist bei Arzneimittelzulassungsstudien, die vom künftigen Vermarkter finanziert werden, unvermeidbar.
2.7
Fazit und Ausblick
Interessenkonflikte sind Teil des medizinischen Alltags. Bislang werden finanzielle Verbindungen zur Industrie und ihre Auswirkungen auf die Integrität ärztlichen Handelns und wissenschaftlichen Forschens am stärksten wahrgenommen. Interessenkonflikte, die auf nichtmateriellen sekundären Interessen beruhen, sind aber nicht weniger wirksam oder bedenklich. Ehrgeiz und Karrierestreben sind zwar einerseits notwendige motivationale Faktoren für gute Leistungen, können aber, wenn sie
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2
Kapitel 2 • Was ist ein Interessenkonflikt und wie stellt man ihn fest?
sich verselbständigen, die primären Interessen der Berufsausübung gefährden. Mehr Beachtung haben auch strukturelle Gegebenheiten verdient, die zwangsläufig zu dauerhaften Interessenkonflikte führen, wie z. B. Vergütungsregelungen sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich. Künftig sollte mehr darauf geachtet werden, dass der Zusammenhang von Indikationsstellung und wirtschaftlichem Erfolg nicht zur Gefährdung von Patienten durch medizinisch unnötige Interventionen führt. Ein dringendes Erfordernis ist auch die industrieunabhängige Finanzierung von Studien zu Arzneimitteln und Medizingeräten. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Interessenkonflikt hat in Deutschland in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen. Für die Zukunft ist eine Transparenz der Verbindungen von Industrie und Ärzten wünschenswert, wie sie gerade in den USA auf gesetzlicher Grundlage hergestellt wird. Hier sollten allerdings alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen und auch Patienten- und Selbsthilfegruppen einbezogen werden.
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25
2
27
Psychologische Aspekte von Interessenkonflikten Interessenkonflikte und verzerrte Informationsverarbeitung: Beiträge der Psychologie zur Frage, welchen Einflüssen unser Urteil unterliegt Georg Felser und David Klemperer
3.1
Einleitung – 28
3.2
Psychologische Einflüsse auf Urteile und Verhalten – 28
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7 3.2.8 3.2.9
Motivierte Evaluation – 29 Bestätigungs-Bias – 31 Framing – 33 Ankereffekt – 34 Reziprozität – 35 Sympathie – 36 Soziale Bewährtheit – 38 Commitment und Konsistenz – 39 Der fundamentale Attributionsirrtum – 41
3.3
Kognitive Biases: Kontrollierbarkeit und Resistenzillusion – 42
3.4
Fazit und Ausblick – 44 Literatur – 44
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
3
28
Kapitel 3 • Psychologische Aspekte von Interessenkonflikten
Zur Einführung
3
Kernkompetenz des klinisch tätigen Mediziners wie des wissenschaftlich Forschenden ist die Urteilsfähigkeit. In der klinischen Medizin ist Urteilsfähigkeit erforderlich, um Informationen zu erfassen und zu bewerten, um daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, die zu einer zutreffenden Diagnose und wirksamen Therapie führen. In der Forschung ist die Fähigkeit zu urteilen im gesamten Forschungsprozess bedeutsam, von der Entwicklung der Forschungsfrage über die Durchführung bis zur Bewertung und Kommunikation der Ergebnisse. Die Urteilsfähigkeit ist grundsätzlich und vielfältig störanfällig. Die Psychologie hat zahlreiche Mechanismen identifiziert, die Entscheidungen beeinflussen und das Urteilsvermögen beeinträchtigen. Interessenkonflikte sind problematisch, weil sie die Urteilsfähigkeit beeinträchtigen können und dadurch zu einem verzerrten Urteil (»bias«) und schlechten Entscheidungen führen können, die den Patienten schaden.
3.1
Einleitung
Interessenkonflikte können sich auf das Urteilsvermögen auswirken und zu verzerrten Urteilen führen. Bei klinisch tätigen Ärzten besteht die Gefahr in der Überbewertung des Nutzens und der Unterschätzung des Schadens einer diagnostischen oder therapeutischen Intervention. In der klinischen Forschung können sich Interessenkonflikte auf Entscheidungen und Handeln in jeder Phase des Forschungsprozesses auswirken, von der Formulierung der Forschungsfrage über das Design bis hin zur Darstellung der Ergebnisse. Die systematische Erforschung der Auswirkungen von Interessenkonflikten in der Medizin ist wenig entwickelt. In diesem Kapitel werden ausgewählte, überwiegend nicht auf medizinische Situationen bezogene
kognitionspsychologische Erkenntnisse dargelegt. Der Fokus liegt auf den vielfältigen Möglichkeiten der Verzerrung und Beeinflussung.
3.2
Psychologische Einflüsse auf Urteile und Verhalten
Menschliches Verhalten folgt häufig bestimmten vorhersehbaren Mustern. Bestimmte Auslösemerkmale führen zu automatischen und vorhersehbaren Reaktionen, die zumeist sinnvoll sind. Verhalten folgt somit häufig einem Reiz-Reaktions-Schema. z
Automatisches versus kontrolliertes Verhalten
Automatische Denk- und Entscheidungsprozesse tragen wesentlich dazu bei, den Alltag zu bewältigen. Würden wir alle Situationen, Ereignisse und Menschen erst gründlich analysieren bevor wir handeln, könnten wir die zahlreichen Entscheidungen, die der Alltag fordert, nicht meistern. Daher fokussieren wir häufig auf einige Schlüsselmerkmale und reagieren ohne weiteres Nachdenken. Im Sinne des Reiz-Reaktions-Mechanismus führen bestimmte Auslösemerkmale zu bestimmten Reaktionen. Diese verkürzten Entscheidungswege, auch Heuristiken genannt, sind häufig effizient und zielführend. Natürlich macht das automatische Verhalten (»automatic responding«) nur einen Teil des menschlichen Verhaltensrepertoires aus. Den Gegenpol bildet das kontrollierte Verhalten, die Reaktion nach gründlicher Analyse aller verfügbaren Informationen (Cialdini 2004, S. 28). Zu welcher dieser Reaktionsformen man greift, ist u. a. von der Motivation abhängig bzw. von der Relevanz der Frage für die eigene Person. So führt beispielsweise die Meinung einer Person, die wir als Spezialisten anerkennen, häufig zu einer Zustimmung ohne gründliche Prüfung des Sachverhalts. Widerspricht eine Information jedoch der Erwartung oder persönlichen Interessen, prüfen wir sie gründlicher. z
Automatismen als »Waffen der Einflussnahme«
Trotz ihrer Verbreitung sind uns die Automatismen menschlichen Verhaltens zumeist wenig bewusst. Die Reflexion ist jedoch sinnvoll, nicht nur, weil automatisches Verhalten zwar häufig, aber nicht immer zielführend ist, sondern auch weil diese Automatismen gezielt als »Waffen der Einflussnahme« (»weapons of influence«) genutzt werden können, um unser Verhalten zu manipulieren. Das
29
3.2 • Psychologische Einflüsse auf Urteile und Verhalten
Wissen um diese Waffen hilft dabei, diese zu erkennen und abzuwehren, wenn sie auf uns gerichtet sind. Die Psychologie untersucht seit Jahrzehnten die Beeinflussung des menschlichen Urteilens und Handelns. Aus dieser Forschung stellen wir im Folgenden sowohl Effekte der sozialen Beeinflussung vor als auch Urteilverzerrungen, die beim Individuum allein ansetzen, sog. Biases. Der Begriff des Bias bezeichnet einen Urteilsfehler. Das Besondere an einem Bias, ist, dass er stets eine bestimmte Richtung hat, also ein systematischer Fehler ist. Das unterscheidet ihn von den ebenfalls üblichen (aber weit weniger gefährlichen) unsystematischen Fehlern, den »Errors«. Eine zentrale Folgerung aus der Forschung zu sozialer Beeinflussung und zu Urteilsfehlern können wir bereits zu Beginn unserer Darstellung ziehen: > Psychologisches Fachwissen bzw. Einsicht in den Mechanismus der Beeinflussung reicht in der Mehrzahl der Fälle nicht aus, um die verzerrenden Effekte zu lindern oder gar abzustellen.
Wir diskutieren unten eine ganze Reihe von Effekten und Einflussgrößen, die selbst dann auf unser Verhalten, unsere Urteile und Bewertungen wirken, wenn wir sie kennen und durchschauen. Von dieser Art sind etwa der Ankereffekt (7 Abschn. 3.2.4) oder die Reziprozitätsregel (7 Abschn. 3.2.5). Solchen Einflussgrößen kann man nicht entgehen, indem man sich ihnen widersetzt. Effektiv ist hier nur die Strategie, sie komplett zu meiden. Leider jedoch ist dies eine Einsicht, die nur selten erreicht wird. Daher müssen wir hier als zweite vorweggenommene Folgerung resümieren: > Eines der größten Probleme der verzerrten Urteilsbildung ist die Zuversicht des Urteilenden, von der Verzerrung nicht betroffen zu sein.
Verzerrende Einflüsse können auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen (vgl. Bornstein u. Emler 2001, S. 98). . Tab. 3.1 soll hierzu eine schlaglichtartige Übersicht geben. Die Fülle an möglichen Einflüssen kann weder mit . Tab. 3.1 noch in den folgenden Ausführun-
3
gen ausgeschöpft werden. Wir werden uns darauf beschränken, einige Punkte besonders herauszugreifen. Wir hoffen gleichwohl, mit der folgenden Darstellung ein Gefühl dafür zu vermitteln, worin die Einflüsse genau bestehen und wie man ihnen begegnen sollte.
3.2.1
Motivierte Evaluation
Menschen kommen generell mit höherer Wahrscheinlichkeit zu den Urteilen, die ihnen auch angenehm sind. Besonders häufig findet sich hierfür Evidenz im Bereich der Selbstwahrnehmung und des Selbstwerts. Menschen beachten und erinnern vorzugsweise Informationen, die ihren Selbstwert bewahren oder sogar aufbessern. Diese Biases können der Aufwertung der eigenen Person und der Pflege der Eitelkeit dienen. Zum Beispiel aktivieren wir selektiv negative Stereotype über andere, wenn uns das im Vergleich besser aussehen lässt (zum Überblick s. Kunda 1990). Wir verzerren unser Urteil aber auch instrumentell zur Förderung der eigenen Interessen. So sehen wir in uns tendenziell eher die Merkmale, die – ganz unabhängig von ihrer Valenz – für uns in einem gegebenen Augenblick gerade nützlich sind. Kunda u. Sanitioso (1989) konfrontierten ihre Probanden mit Bewerbungssituationen, in denen im einen Fall eher Introversion, im anderen eher Extraversion als wünschenswertes Bewerbermerkmal galt. In der Folge hielten sich die Probanden je nach Bedingung tendenziell eher für extra- bzw. introvertiert. Wie unseren Selbstwert und unsere materiellen Ziele, so schützen wir auch unsere persönliche und gesundheitliche Integrität vor bedrohlichen Informationen. Dies zeigt sich z. B. im Phänomen des »motivierten Skeptizismus« (Ditto u. Lopez, 1992): Ein diagnostisches Verfahren, das uns mitteilt, wir hätten eine besondere Begabung, wird nicht weiter angezweifelt. Wenn dasselbe Verfahren aber zutage fördert, dass wir einen Mangel oder eine Krankheit haben, wiederholen wir die Untersuchung und bemühen uns um eine zweite Meinung. Die bisher genannten Verzerrungen laufen in der Regel unbewusst ab, können aber auch theoretisch absichtsvoll und strategisch eingesetzt wer-
30
Kapitel 3 • Psychologische Aspekte von Interessenkonflikten
. Tab. 3.1 Heuristiken, Biases und soziale Einflussfaktoren mit ihrer Erklärung und möglichen Folgen für die medizinische Urteilsbildung (Auswahl) Einflussfaktor
Effekt
mögliche negative Folgen (u. a.)
Motivierte Evaluation (auch wish bias, self-serving bias)
Erhöhte Bereitschaft, Informationen zu akzeptieren, die den Eigeninteressen dienen
Vernachlässigung wichtiger, aber missliebiger Informationen
Bestätigungs-Bias (confirmation bias)
Erhöhte Bereitschaft, Informationen zu beachten, die zu einer bereits gefassten Erwartung passen
Unfähigkeit, Ereignisse zu bemerken, die nicht zur Erwartung passen
Framing-Effekte
Abhängigkeit des Urteils von der Art, wie eine Frage dargestellt wird
Höhere Risikobereitschaft, wenn ein Ereignis mit negativen Begriffen beschrieben wird (z. B. Sterblichkeitsraten) im Kontrast zu einer positiven Darstellung (z. B. Überlebensraten)
Repräsentativitäts-Heuristik
Beurteilung eines Falles auf Grundlage der Ähnlichkeit, die der Fall mit einer übergeordneten Kategorie hat
v. a. Vernachlässigung statistischer Daten wie etwa Grundraten
Verfügbarkeits-Heuristik
Urteilen auf Grundlage der Leichtigkeit, mit der eine Information in den Sinn kommt
Bevorzugung von Informationen, die gerade verfügbar sind, auch wenn der Grund für die Verfügbarkeit sachlich irrelevant ist
Anker-Heuristik
Anpassung eines numerischen Urteils an eine Vorgabe
Beeinflussung durch unsinnige und invalide Zahlenvorgaben
Rückschau-Fehler
Unfähigkeit, die frühere Unkenntnis über ein Ereignis korrekt zu erinnern, nachdem man den Ausgang des Ereignisses kennt
Überschätzung der eigenen Vorhersagefähigkeiten, das irrige Gefühl, »es immer schon gewusst« zu haben
Reziprozität / Regel der Gegenseitigkeit
Druck, einen ungeschuldeten Gefallen zu erwidern
Starker Einfluss von Personen, die einen Gefallen erwiesen und ein Entgegenkommen gezeigt haben
Commitment und Konsistenz
Druck, sich im Einklang mit einem zuvor gezeigten Verhalten (bzw. eingegangenen Commitment) zu verhalten
Festhalten an einem eigentlich sinnlosen Kurs
Soziale Bewährtheit
Orientierung am Verhalten anderer, Übernahme des fremden Verhaltens als Norm
Akzeptanz eines Fehlverhaltens, weil es andere auch zeigen
Sympathie und Attraktivitäts-Bias
Bevorzugung der Anliegen von Freunden und attraktiven Personen
Vernachlässigung von objektivem Nutzen einer Entscheidung zugunsten von Freundschaft und Sympathie
fundamentaler Attributionsfehler
Vernachlässigung von Situationsinformation bei der Verhaltenserklärung, Überbetonung der Personmerkmale
u. a. irrige Erwartung, das eigene Handeln sei immun gegen situationale Faktoren (z. B. soziale Beeinflussung)
1. Kognitive Einflüsse
3
2. Soziale Einflüsse
31
3.2 • Psychologische Einflüsse auf Urteile und Verhalten
den: z. B. stellt sich die Frage, ob Personen, die wissen, dass es ihnen nützen würde, introvertiert zu sein, sich letztlich nur als introvertiert darstellen, ohne sich dafür zu halten. Insofern ist es wichtig zu zeigen, dass Biases im Dienste der Selbstaufwertung sich auch in Verhaltensweisen zeigen, die nicht mehr kontrolliert werden können.
3
men sie stärker wahr und geben ihnen mehr Gewicht. 5 Informationen, die der vorteilhaften Entscheidung oder Schlussfolgerung widersprechen, behandeln wir im umgekehrten Sinne – wir prüfen sie strenger, akzeptieren sie weniger leicht, nehmen sie weniger stark wahr und geben ihnen weniger Gewicht.
Beispiel Einen entsprechenden Mechanismus wiesen Epley und Whitchurch (2008) nach: Sie präsentierten Probanden unterschiedliche Porträtaufnahmen, bei denen so schnell wie möglich zu entscheiden war, ob die Aufnahme die eigene Person zeigt. Dabei wurde das Aussehen der Probanden auf den Aufnahmen künstlich sowohl in eine attraktive Richtung als auch in eine unattraktive verändert. Wurden nun Original- und manipulierte Porträts unter eine Reihe von Distraktoren gemischt und präsentiert, zeigte sich eine signifikante Beschleunigung der Erkennungszeit für die »verschönerten« Porträts.
Einfach ausgedrückt könnte man das Ergebnis so paraphrasieren: Wenn meinem Porträt noch 10 % »George Clooney« beigemischt wird, erkenne ich mich darin schneller wieder, als wenn ich mein Original-Porträt sehen würde. Der Unterschied in den Erkennungszeiten liegt bei rund 100 ms. Offenbar haben die Probanden hier nicht weiter nachdenken können, welche Version ihres Porträts ihnen besser gefällt. Für den Positivitäts-Bias in der Selbstwahrnehmung sind also automatische und nicht weiter kontrollierbare Prozesse verantwortlich. Daher kann man resümieren:
» Wir stellen uns nicht nur positiver dar als wir wirklich sind, wir glauben auch selbst daran. « Somit lässt sich sagen: 5 In Situationen, in denen wir eine von mehreren möglichen Entscheidungen oder Schlussfolgerungen materiell, sozial oder psychologisch als vorteilhaft empfinden, prüfen wir Informationen, die zur vorteilhafteren Entscheidung oder Schlussfolgerung führen, weniger streng, akzeptieren sie schneller, neh-
Diese verzerrte Informationsverarbeitung entgeht regelmäßig unserer Wahrnehmung; man kann hier von einem blinden Fleck sprechen – Pronin et al. (2002) prägten hierfür den Begriff »bias blind spot«. Verschiedene Studien haben dieses Phänomen auch im medizinischen Bereich nachgewiesen (7 Abschn. 11.3.1). > Das Gefühl der Objektivität auf Seiten des Betroffenen (bias blind spot) ist ein wesentliches Merkmal der motivierten Evaluation.
Während motivierte Informationsverarbeitung im Alltag sinnvolle Funktionen haben kann, wie z. B. Erhalt oder Förderung des Selbstwertgefühls, stellt sie in der Wissenschaft ein Hindernis für die Generierung und Verbreitung valider Erkenntnisse dar. Dies kann gravierende Folgen haben. Wang et al. (2010) konnten zeigen, dass die Bewertung einer Studie, die auf lebensgefährliche Effekte eines Diabetes-Medikaments hinwies, in Abhängigkeit von finanziellen Interessenkonflikten unterschiedlich ausfiel: Autoren ohne Interessenkonflikte rieten von der weiteren Verordnung ab, die meisten Autoren mit Interessenkonflikten bezweifelten die Gefährlichkeit und empfahlen den weiteren Gebrauch (dem Medikament wurde in Europa zum 1. 1. 2010 wegen seiner Gefährlichkeit die Zulassung entzogen).
3.2.2
Bestätigungs-Bias
Stellen Sie sich vor, Sie sehen eine Reihe von Messwertpaaren und man erklärt Ihnen, dies seien Werte verschiedener Personen, wobei der eine Wert das Körpergewicht darstelle und der andere die durchschnittliche tägliche Kalorienaufnahme. Nun sollen Sie entscheiden, ob die Daten für einen Zu-
32
3
Kapitel 3 • Psychologische Aspekte von Interessenkonflikten
sammenhang dieser beiden Werte sprechen. Die inhaltliche Bedeutung der beiden Messwertreihen legt es nahe, dass sie in den Daten einen positiven Zusammenhang finden, dass also hohe Werte auf der einen Variablen mit höheren Werten auf der anderen einhergehen. Einer anderen Probandengruppe wird derweil erzählt, die Messwerte enthielten Wetterdaten für unterschiedliche Gegenden: Die eine Variable stehe für die Menge an Niederschlag und die andere für die Menge an Sonnentagen. Unter dieser Interpretation würden Sie erwarten, dass die Daten negativ zusammenhängen müssten, dass also der eine Wert umso niedriger sein sollte, je höher der andere ist. Eine solche Untersuchung wurde von Billmann et al. (1992) durchgeführt. Probanden wurden mit Daten konfrontiert, von denen sie entscheiden sollten, ob aus diesen Daten ein Zusammenhang hervorgeht oder nicht. Variiert wurde dabei die inhaltliche Bedeutung dieser Daten – und in Folge dessen natürlich auch die Erwartung, wie der Zusammenhang aussehen müsste. Aber die Autoren variierten noch einen weiteren Faktor: Ein Teil der Probanden sah Daten, die eindeutig positiv korreliert waren, ein anderer sah negativ korrelierte Messwertreihen (jeweils r = ± 50). Ein dritter Teil schließlich sah völlig unkorrelierte Daten. Die Frage war nun, ob die Probanden einen Zusammenhang auch dann entdecken würden, wenn sie eigentlich ganz andere Daten erwarten. Die Ergebnisse zeigen deutlich: Die geschätzten Zusammenhänge hängen in erster Linie von den Erwartungen, nicht von den Daten ab. Wenn Probanden einen positiven Zusammenhang erwarteten, dann sahen sie den in den Daten selbst dann, wenn tatsächlich keiner bestand. Ein tatsächlicher negativer Zusammenhang wurde komplett übersehen. > Urteilsverzerrungen gehen keineswegs immer darauf zurück, dass dem Urteiler das verzerrte Urteil in irgendeiner Hinsicht lieber wäre.
Diese Ergebnisse zeigen zwei Spielarten des oben angedeuteten »confirmation bias« (s. Tab. 3.1): 5 Zum einen verhindert eine starke Vorerwartung an die Daten, dass man ihre tatsächliche Struktur erkennt und
5 zum anderen sieht man entsprechend seiner Erwartung in den Daten Zusammenhänge, die objektiv gar nicht vorhanden sind. z
Die »Teuro-Illusion«
Ein beeindruckendes Beispiel hierfür lieferte vor einigen Jahren die Einführung des Euro: Entgegen den objektiven Tatsachen hielt sich bei Verbrauchern die Überzeugung, durch die Einführung des Euro seien die Verbraucherpreise insgesamt gestiegen (Traut-Mattauschet et al. 2004). Diese »Teuro-Illusion« verdient aus mehreren Gründen besondere Beachtung: Zum einen konnte man an diesem Beispiel nachweisen, dass illusorische Zusammenhänge und Biases auch dort vorkommen, wo ein unverzerrtes Urteil ziemlich einfach zu erlangen ist, und wo es auch eigentlich keine Interpretationsspielräume gibt. Das ist insofern bemerkenswert, als normalerweise Urteilsverzerrungen vor allem bei Themen nachgewiesen wurden, wo ein Urteil nicht berechnet werden, und wo man die Argumente so oder so deuten kann (Kunda 1990). Die tatsächliche Teuerung von D-Mark zu Euro lässt sich dagegen relativ einfach bestimmen. Sie unterliegt auch keinen Interpretationsspielräumen. Trotzdem interpretierten die Probanden von TrautMattausch et al. (2004) unterschiedliche Preislisten stets im Sinne der erwarteten Verteuerung, gleichgültig welche Preisentwicklung die jeweiligen Daten tatsächlich belegten. Die zweite bemerkenswerte Facette der TeuroIllusion ist der Mechanismus, über den sie entstanden ist: Urteiler berechnen in solchen Fällen die genaue Preisentwicklung nicht, sondern schätzen sie nach dem Augenschein. Bei solchen Schätzungen kommen immer wieder Fehler vor. Zum Beispiel würde beim Beurteilen einer Preisliste, die tatsächlich keinerlei Veränderung von D-Mark zu Euro enthält, ein Beobachter bei dem einen Preis vielleicht eine Verteuerung, bei dem anderen eine Verbilligung schätzen. Was aber tut der voreingenommene Urteiler, wenn er in einem ersten Durchgang bei einem Preis eine Verbilligung schätzt? Er zweifelt seine Schätzung an und schaut noch einmal genauer hin. Sofern seine Schätzung fehlerhaft war, erkennt er den Fehler und korrigiert ihn. Was tut er bei einer mutmaßlichen Verteuerung? Nichts. Wenn die Schätzung der Erwartung entspricht, gibt
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3.2 • Psychologische Einflüsse auf Urteile und Verhalten
es keinen Grund für eine weitere Prüfung. Die Evidenz, die der Urteiler auf diese Weise anhäuft, besteht bei den Bestätigungen nach wie vor aus korrekten und falschen Einzelurteilen. Nur die widersprechende Evidenz ist geprüft und um die Fehler bereinigt worden. Nach dieser Erklärung fällt die Verzerrung des Urteils umso stärker aus, je mehr Zeit und kognitive Ressourcen der Urteiler investiert. Die meisten Theorien zu Verzerrungen des sozialen Urteils gehen davon aus, dass die Verzerrung umso stärker ist, je geringer die kognitiven Ressourcen ausfallen (z. B. Fiske u. Neuberg 1990). Die Teuro-Illusion jedoch ist umso ausgeprägter, je mehr Zeit und Muße die Urteiler haben (Traut-Mattausch et al. 2004). > Wenn unsere Erwartung nur stark genug ist, dann investieren wir unsere Energie nicht etwa in die unvoreingenommene Prüfung der Daten, sondern vielmehr in die selektive Bestätigung dessen, was wir ohnehin erwarten. z
Vorerwartung als entscheidender Faktor
Der entscheidende Faktor hierbei ist nicht etwa, dass wir außerstande wären, ein unverfälschtes Urteil zu erlangen, sondern die Vorerwartung. Dies zeigt sich auch in dem oben genannten Experiment von Billmann et al. (1992): Die tatsächlichen Muster in den Daten wurden nämlich durchaus erkannt, aber nur dann, wenn die Probanden keinerlei Vorerwartung hatten. Wenn man den Probanden beispielsweise erklärte, die eine Messwertreihe stehe für die Menge an aufgenommenem Kalzium und die andere für den Ruhepuls, dann ließ sich damit keine spezifische Erwartung erzeugen. Die Probanden gingen bei solchen Beispielen davon aus, dass es vielleicht einen Zusammenhang gebe, dass sie ihn aber nicht kennten. Wenn sie mit dieser Einstimmung die Werte betrachteten, erkannten sie zutreffend, ob die Daten einen positiven, negativen oder gar keinen Zusammenhang enthielten. Dies gelang aber nicht, wenn die Probanden eher mit einer Nullkorrelation rechneten: Wenn die eine Variable für die Menge an weißen Blutkörperchen und die andere für den IQ stand, zwei Variablen also, die nach landläufiger Meinung nichts miteinander zu tun haben, dann beeinflusste auch
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diese Erwartung die Beobachtung: Tatsächliche Zusammenhänge wurden übersehen oder zumindest erheblich unterschätzt. Unsere Fähigkeit, Beobachtungen Sinn zu geben und Regeln hinter den alltäglichen Erfahrungen zu entdecken, ist demnach also nicht nur Segen, sondern auch Fluch: Wo wir starke Erwartungen aufgebaut haben, werden wir resistent gegenüber widersprechenden Erfahrungen. Und das geschieht nicht nur deshalb, weil wir unsere bisherigen Erklärungen bevorzugen und in irgendeiner Hinsicht lieber mögen. Es geschieht auch dort, wo wir ohne alle Interessen rein sachlich urteilen. Es geschieht selbst dann, wenn wir die Erfahrungen nicht mühsam aus dem Gedächtnis zusammentragen müssen – ein Prozess, der seinerseits ja wieder fehleranfällig ist. Wir verschätzen uns auch dort, wo uns eigentlich alle Daten vorliegen. > Urteilsverzerrungen sind keineswegs immer die Folge einer wenig sorgfältigen oder oberflächlichen, sondern einer selektiven Prüfung der Fakten. Wenn wir starke Erwartungen haben, ist oft die Verzerrung sogar umso größer, je mehr Energie wir darauf verwenden, uns ein Urteil zu bilden.
3.2.3
Framing
Der Wortlaut, in dem etwas ausgedrückt wird, spannt sozusagen den gedanklichen Rahmen auf, in dem die darstellte Sache gesehen wird. Dieses Bild liegt wohl der Terminologie von Tversky und Kahneman (1981) zu Grunde, die Effekte der sprachlichen Darstellung auf Bewertungen und Entscheidungen als »Framing-Effekte« bezeichnen. Betrachten wir hierzu folgendes Beispiel: Sterben von 10.000 Erkrankten 2.000 ohne Behandlung und 1.000 mit Behandlung, handelt es sich um eine sehr effektive Therapie – dass Sterberisiko wird halbiert. Eine Halbierung des Sterberisikos liegt auch vor, wenn von 10.000 Erkrankten ohne Behandlung zwei und mit Behandlung einer stirbt. Die Minderung der Sterbewahrscheinlichkeit beträgt in beiden Fällen 50 %, die absolute Minderung der Mortalität im ersten Fall 1.000 von
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Kapitel 3 • Psychologische Aspekte von Interessenkonflikten
10.000 im zweiten Fall 1 von 10.000. Relative und absolute Risikoreduktion unterscheiden sich in diesem Beispiel erheblich, wobei erstere eine Behandlung sehr viel attraktiver erscheinen lassen dürfte. Die Form, in der medizinische Informationen vorgegeben werden, ist somit für deren Bewertung und die darauf aufbauenden Entscheidungen von allergrößter Bedeutung (Reyna et al. 2009, S. 943). Dies gilt nicht nur für Patienten, sondern auch für Mediziner (Gigerenzer et al. 2008). Viele medizinisch relevanten Informationen werden als statistische Daten berichtet, so auch die Erfolgsaussichten einer Krebs-Behandlung, die Nebenwirkungen von Medikamenten oder die Auswirkungen der Lebensführung auf das Infarktrisiko (Reyna et al 2009). Schon diese Informationen können selbst vorgebildete Betrachter überfordern, etwa wenn man bei den Daten die Bezugsgrößen aus dem Auge verliert: Die Überlebensraten z. B. von Krebspatienten werden als Anteil der Personen bestimmt, die 5 Jahre nach einer Krebsdiagnose noch leben. Dagegen hat die Mortalitätsrate für die gleiche Krebserkrankung eine ganz andere Bezugsgröße: Sie bezieht sich auf die Gesamtbevölkerung und nicht auf diagnostizierte Fälle – entgegen einer verbreiteten Intuition sind diese beiden Werte also nicht vergleichbar (Gigerenzer et al. 2008). Das Beispiel zeigt ein generelles Problem beim Umgang mit bedingten Wahrscheinlichkeiten, das sich noch prägnanter in der Interpretation von diagnostischen Daten zeigt: Angenommen, die Sensitivität eines Tests für Brustkrebs betrage 90 % und eine Patientin habe ein positives Ergebnis in diesem Test, wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass die Patientin tatsächlich erkrankt ist? Man sollte sich mit diesem Beispiel nicht viel Mühe geben, es fehlen die entscheidenden Angaben, um die Frage zu beantworten. Die Sensitivität des Tests bezeichnet nämlich die Wahrscheinlichkeit für ein positives Ergebnis, vorausgesetzt, die Erkrankung besteht tatsächlich. Die Patientin interessiert aber der umgekehrte Fall, nämlich die Wahrscheinlichkeit, dass sie wirklich erkrankt ist, nachdem der positive Testwert feststeht. Beide Wahrscheinlichkeiten haben zwar miteinander zu tun, aber ohne weitere Informationen kann man die eine nicht aus der anderen berechnen. Trotzdem kommt es nicht selten vor, dass Mediziner in der Kommunikation
von Risiken die Sensitivität von diagnostischen Verfahren mit der Wahrscheinlichkeit der Erkrankung nach positivem Testergebnis verwechseln (Gigerenzer et al. 2008). Dies mag zum Teil daran liegen, dass Menschen keine statistische Intuition besitzen. Ein wenig Training in Statistik und eine anschaulichere Darstellung der Daten können die Fehler abmildern (Gigerenzer et al. 2008). Allerdings gibt es andere Facetten dieser Urteilsfehler, die nicht so einfach wegtrainiert werden können. Menschen sind grundsätzlich stärker zu motivieren, wenn man ihnen eine Sache als einen Verlust darstellt, den es zu verhindern gilt (z. B.: »Sie verspielen 10 % der Zuzahlung Ihrer Krankenkasse zu Ihrer prothetischen Versorgung, wenn Sie nicht regelmäßig zum Zahnarzt gehen.«), als wenn der selbe Sachverhalt als ein möglicher Gewinn darstellt wird (z. B.: »Sie erhöhen die Zuzahlung Ihrer Krankenkasse zu Ihrer prothetischen Versorgung um 10 %, wenn Sie regelmäßig zum Zahnarzt gehen.«) (Felser 2007). Die unterschiedlichen Bewertungen dieser beiden Formulierungen haben ihre Wurzeln in einem sehr grundlegenden motivationalen Faktor, nämlich der Verlustaversion des Menschen (Tversky u. Kahneman 1981), die für einen Großteil der Framing-Effekte verantwortlich ist. So verwundert es nicht, dass Probanden einem Eingriff am Herzen eher zustimmen, wenn ihnen gesagt wird, in 99 % der Fälle gehe es gut, als wenn ihnen gesagt wird, bei 1 % gebe es Komplikationen (Gurm u. Litaker 2000).
3.2.4
Ankereffekt
Wenn ein Richter einen Urteilsspruch fällt und ein unverschämter Zuschauer ruft hinein: »Geben Sie ihm doch einfach 3 Jahre«, dann wird der Richter diesen Zwischenruf selbstverständlich empört zurückweisen. Trotzdem allerdings wird sein Urteil nun niedriger ausfallen, als wenn der Zwischenrufer 5 Jahre gefordert hätte (Englich 2005). Interessanterweise sind es nicht nur Zwischenrufe, die geeignet sind, das Urteil eines Richters zu verzerren. In einer Untersuchungsreihe (Englich et al. 2006) wurden Richter und Staatsanwälte mit einem Fall konfrontiert. Später sollten sie Fragen beantworten wie etwa: »Denken Sie, die Strafe für den Ange-
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3.2 • Psychologische Einflüsse auf Urteile und Verhalten
klagten wird höher oder niedriger liegen als 1 (3) Jahr(e)?« Diese Vorgaben beeinflussten stets das spätere Urteil, und dies galt selbst dann, wenn man den Experten erklärte, die Strafmaße stammten von juristischen Laien oder sie seien ein Zufallsprodukt. Sogar wenn die Juristen eine Zahl selbst erwürfelten und diese dann als Strafmaß bewerteten, hatte die Vorgabe noch immer einen Einfluss. z
Definition des Ankereffekts
Im Beispiel handelt es sich um den sog. Ankereffekt (Tverksy u. Kahneman 1974), der stets auftritt, wenn ein Wert geschätzt werden muss, und eine numerische Vorgabe verfügbar ist: Je höher die Vorgabe, desto höher die Schätzung. Dabei ist es offensichtlich irrelevant, ob der Urteiler ein Experte oder Laie ist (und selbstverständlich ist die Beeinflussbarkeit durch Anker nicht auf Juristen beschränkt…). Was dem Ankereffekt zu Grunde liegt, ist ein prinzipielles Unvermögen des Menschen, Werte absolut, also ohne Rückgriff auf Vergleichsgrößen zu schätzen. Wir brauchen stets Referenzwerte, um unsere Urteile zu validieren, und je nach Verfügbarkeit beeinflussen uns hierbei nicht nur sinnvolle Werte, sondern manchmal eben auch unsinnige. Nach dieser Erklärung besteht der wichtigste Fehler zunächst einmal darin, an die Unbeeinflussbarkeit des eigenen Urteils zu glauben – in der medizinischen Anwendung also etwa: zu glauben, die eigene Diagnose würde immer gleichartig ausfallen, ganz gleichgültig, welche Kontextbedingungen und Randinformationen vorliegen. z
Der Ankereffekt in der Medizin
Der Nachweis des Ankereffektes in der Medizin gelang Richards und Wierzbicki (1990) in einem psychiatrischen Setting. In einem Versuch erhielten Medizinstudenten Fallbeschreibungen von vier psychiatrischen Störungen. Diese enthielten jeweils 50 bis 60 Symptome, die von den Studenten vorab bezüglich ihrer Schwere bewertet worden waren. Von den Fallbeschreibungen wurden unterschiedliche Versionen erstellt, die sich nur in der Reihenfolge der Symptome unterschieden. Die Studenten bewerteten die Schwere des Falles mehrfach während der Informationsvermittlung. Tatsächlich war das abschließende Urteil vom initialen beeinflusst: Beruhte die erste Beurteilung auf schweren Symp-
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tomen, wurde das Leiden im abschließenden Urteil als schwerer bewertet, beruhte die erste Beurteilung auf leichten Symptomen, wurde es als weniger schwer beurteilt. Das Beispiel zeigt zwei interessante Punkte: 5 Die ersten Informationen einer Reihe bilden extrem wirksame Anker. Nachfolgende »Gegen-Anker« können diesen Einfluss nur sehr unvollkommen korrigieren. 5 Ankereffekte sind nicht auf numerische Urteile beschränkt. Das unterstreicht noch einmal die Macht des Ankereffekts. Umso dramatischer wirkt sich die Fehleinschätzung aus, sich selbst gegen die Wirkung von Ankern für immun zu halten. Wer dagegen die Wirkung von Ankern auch auf sich selbst antizipiert, kann im Einzelfall den Bias abmildern, etwa indem sie oder er sinnvolle Referenzwerte verwendet und bereits vorliegende Ankerwerte aktiv hinterfragt (Felser 2007). > Ein Ankereffekt tritt auf, wenn ein abschließendes Urteil in Richtung einer initialen Information verzerrt ist. Unterschiedliche initiale Informationen führen somit zu unterschiedlichen Urteilen.
3.2.5
Reziprozität
Die Reziprozitätsregel besagt, dass man Geschenke, Einladungen und Hilfeleistungen, die man von anderen erhält, erwidern muss. Es handelt sich um eine soziale Regel, die in allen bekannten Kulturen anzutreffen, demnach also besonders tief in der Gesellschaft verankert ist und über die Sozialisation vermittelt wird. Im Ergebnis lösen Geschenke ein Gefühl der Verpflichtung zur Erwiderung aus. Dieses Gefühl lässt andere Faktoren, die das Verhalten beeinflussen, in den Hintergrund treten. Verstöße gegen die Regel kommen psychologisch und sozial teuer zu stehen. Das Gefühl, jemandem etwas schuldig zu sein, ist unangenehm – der psychologische Preis für die Nichterwiderung ist ein Missgefühl. Wer ständig nimmt, ohne zu geben, sinkt zudem im Ansehen der Mitmenschen und zahlt damit einen hohen sozialen Preis.
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Kapitel 3 • Psychologische Aspekte von Interessenkonflikten
Das Prinzip verschafft einer Gesellschaft Vorteile, weil das damit einhergehende gegenseitige Vertrauen eine notwendige Voraussetzung für Kooperation und Arbeitsteilung und somit für sozialen Fortschritt ist. Die Stärke und Wirksamkeit der Norm ist durch psychologische Experimente gut belegt (Cialdini 2004, S. 43 ff.), und selbstverständlich wirkt sie auch im medizinischen Bereich. Zum Beispiel haben Grande et al. (2009) in einer randomisierten kontrollierten Studie mit einer ausgeklügelten Versuchsanordnung zeigen können, dass kleine, praktisch wertlose Werbegeschenke mit dem Schriftzug eines Medikamentes die Bewertung dieses Medikamentes veränderten. Für die Beeinflussungswirkung von Geschenken gibt es keine untere Grenze – und selbst wenn es sie gäbe, müsste sie psychologisch und nicht ökonomisch definiert werden. Diesen Sachverhalt berücksichtigt die ärztliche Berufsordnung (Bundesärztekammer 2006, § 33) nicht, denn hier wird die Annahme von Werbegaben untersagt, es sei denn, ihr Wert ist »geringfügig«. Dies entspricht, den Hinweisen und Erläuterungen zur Berufsordnung zufolge, einem Wert von bis zu EUR 50 (Bundesärztekammer 2004). Ein weiteres Merkmal der Reziprozität ist die Tendenz, kleine Geschenke mit größeren zu erwidern. Die Regel wirkt auch bei Geschenken von Personen, die dem Beschenkten unsympathisch sind und auch bei Gefälligkeiten, um die man nicht gebeten hat. Auch das Zurückweisen eines Geschenkes oder einer Hilfeleistung gilt als unhöflich.
der Bitte auf (»Kannst Du mir vielleicht EUR 100 leihen.«). Das Abrücken von der ersten Forderung wird wie ein Entgegenkommen erlebt und stellt das Gegenüber unter den Druck der Gegenseitigkeitsregel. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die Regel bei Politikern, Wissenschaftlern oder Ärzten weniger wirksam wäre als bei anderen Mitgliedern der Gesellschaft. Politiker, die behaupten, durch Spenden nicht beeinflusst zu werden, offenbaren damit eher fehlendes Wissen um die Macht der Reziprozität. Ebenso verhält es sich mit Ärzten und Wissenschaftlern, die glauben, dass sie aufgrund ihres Intellekts und ihres Urteilsvermögens immun gegen Beeinflussungsversuche seien (7 Abschn. 3.3). Die Reziprozitäts-Regel kann systematisch zur Beeinflussung genutzt werden. Sie greift praktisch immer, wenn ein ungeschuldeter Gefallen erwiesen wird. Dies kann ein Geschenk sein, wirksam sind aber auch andere Formen des Entgegenkommens. Daher ist es mit Abstand am wirksamsten, im Sinne einer primären Prävention Situationen großräumig zu meiden, in denen man in die Verlegenheit kommt, einen ungeschuldeten Gefallen zu empfangen. Wo dies misslingt, ist das Entgegenkommen zurückzuweisen. Eine weitere, allerdings deutlich weniger wirksame Strategie könnte noch darin bestehen, die Gefälligkeit umzuinterpretieren, nämlich nicht mehr als »ungeschuldeten Gefallen«, sondern etwa als Teil des Marketings (Cialdini 2004, S. 80 ff.).
> Wir haben eine starke Tendenz, ungeschuldete Gefälligkeiten zu erwidern, selbst wenn das Entgegenkommen nicht erbeten oder erwünscht ist oder wir die Person, die uns die Gefälligkeit erweist, nicht mögen.
3.2.6
Neuverhandeln nach Zurückweisung einer Bitte oder Forderung wirkt wie ein Entgegenkommen, löst ebenfalls den Reziprozitäts-Mechanismus aus und begünstigt Zugeständnisse und Kompromisse (Cialdini 2004, S 68 ff.): Dies ist die Basis für die sog. Tür-ins-Gesicht-Technik. Der Bittende kommt zuerst mit einer unverschämten Bitte (»Kannst Du mir EUR 500 leihen.«), holt sich eine Abfuhr und wartet danach mit einer reduzierten Version
Sympathie
» During training, I was told, when you’re out to dinner with a doctor, ‘The physician is eating with a friend. You are eating with a client.’ (Fugh-Bergman u. Ahari 2007).
«
Menschen, die wir mögen, haben es bei uns erheblich besser als unsympathische Zeitgenossen. Sicherlich hat dieser Bias in vielen Fällen einen sinnvollen, rationalen Kern: Dass wir eine Person sympathisch finden, kann sie sich ja geradezu verdient haben, etwa indem sie bewiesen hat, dass sie unser Vertrauen verdient. Die Mechanismen allerdings, die Menschen sympathisch machen, wirken meist
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3.2 • Psychologische Einflüsse auf Urteile und Verhalten
subtiler und vielfach unbewusst. Mit Menschen, die uns sympathisch sind, kooperieren wir eher. Wir tun dann auch Dinge, von denen wir nicht restlos überzeugt sind, nur einem Freund zuliebe. Das Marketing nutzt diese Mechanismen, indem es auf »Beziehungsvertriebswege« setzt (Felser 2005): Wenn etwa die Freundin zur Tupper-Party einlädt, genügt schon eine halbherzige Sympathie zu Tupperware – die Freundschaft zur Gastgeberin besorgt den Rest. Auch die Marketingabteilungen der pharmazeutischen Industrie arbeiten mit diesem Mechanismus. Ihre Vertreter sind darin geschult, die Beziehung zum Arzt systematisch zu gestalten – den Ärzten präsentieren sich Vertreter als Freund, während sie selbst die Ärzte ausdrücklich als Kunden betrachten (Fugh-Berman u. Ahasi 2007). Wie intensiv sich der Vertreter um eine freundschaftliche Beziehung bemüht, hängt vom »Verschreibungswert« des Arztes ab, d. h. der Gelegenheit und der Bereitschaft, die vom Vertreter beworbenen Medikamente zu verschreiben. Ärzte, die häufig und viel und bevorzugt auch neue, teure Medikamente verschreiben, werden von den Pharmavertretern vorrangig besucht und umworben; Niedrigverschreiber – »low value« in der Sprache des Pharmamarketing – werden ignoriert. Besonders wertvoll für die Industrie sind Ärzte, die aufgrund ihrer hervorgehobenen Stellung das Verschreibungsverhalten ihrer Kollegen beeinflussen, die sog. Meinungsführer (»key opinion leaders«). Welche Methoden können nun Vertreter einsetzen, um sich hinreichend sympathisch zu machen? Von den vielen Merkmalen, die Sympathie beeinflussen, wollen wir einige besonders hervorheben (Felser 2007, S. 255 ff.)
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Sechs Merkmale, die die Sympathie wesentlich beeinflussen 5 Ähnlichkeit: Wir mögen Menschen, die uns
ähnlich sind. Daher können Verkäufer deutlich besser verkaufen, wenn sie Ähnlichkeiten zum Kunden hervorkehren – etwa wenn im Musikladen der Verkäufer durchscheinen lässt, er habe denselben Musikgeschmack wie der Kunde (Woodside u. Davenport 1974). Einstellungen und Werthaltungen sind für den einzelnen verhältnismäßig wichtig – dement-
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sprechend ist die hohe Bedeutung der Einstellungsähnlichkeit leicht erklärbar. Aber auch wesentlich banalere Ähnlichkeiten wirken: Menschen kooperieren z.B. eher mit anderen, wenn diese das gleiche Geburtstagsdatum oder denselben Vornamen haben wie sie selbst (Burger et al. 2004). Nähe und Verfügbarkeit: Wir mögen Menschen lieber, die uns räumlich nahe sind und denen wir häufiger begegnen. Schon die bloße Erwartung, einem Menschen in Zukunft noch ein zweites Mal begegnen zu werden, erhöht bereits die Sympathie (Darley u. Berscheid 1967). Dies macht es zu einer sinnvollen Strategie, den Unternehmenskontakt von vornherein durch immer dieselbe Person herzustellen und dies auch zu kommunizieren. Reziprozität: Wir mögen Menschen, die unser Verhalten erwidern. Dies gilt in eingeschränkter Weise für die Reziprozität von Zuwendungen und Geschenken (7 Abschn. 3.2.5). Menschen werden nicht unbedingt dadurch sympathisch, dass sie diese Dinge erwidern, aber es schadet umgekehrt der Beziehung, wenn sie an Reziprozität fehlen lassen. Allerdings finden sich Beispiele einer anderen Art von Reziprozität, die direkt die Sympathie und Kooperationsbereitschaft fördern: Das Erwidern kleiner, subtiler Gesten wie etwa bei der Imitation von Gesichtsausdruck oder Körperhaltung (Mimikry). Wenn ein anderer Gesten und Mimik einer Person imitiert, darf er in der Folge nicht nur auf gesteigerte Sympathie, sondern auch auf gesteigerte Hilfsbereitschaft hoffen (van Baaren et al. 2004). Assoziation mit positiven Dingen: Menschen sind uns sympathischer, wenn wir sie mit irgendeiner positiven Sache assoziieren. Diese Assoziation muss keineswegs gut begründet sein. Zum Beispiel wirkt bereits der zufällige und unbeteiligte Überbringer einer guten Nachricht auf uns sympathischer als eine vergleichbare neutrale Person (Rosen u. Tesser 1970). Sympathie uns gegenüber: Eine der mächtigsten und gleichzeitig auch einfachsten Methoden, bei einem anderen Sympathie zu erwirken, besteht darin, seinerseits Interesse
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Kapitel 3 • Psychologische Aspekte von Interessenkonflikten
und Sympathie dem anderen gegenüber zu kommunizieren (Felser 2007, S. 258). Verkäufer sind erfolgreicher, wenn sie persönliches Interesse an dem Kunden zeigen, etwa indem sie sich frühzeitig den Namen merken und verwenden (Howard et al. 1995). 5 Physische Attraktivität: Gutes Aussehen spielt in der sozialen Beeinflussung v. a. dort eine große Rolle, wo erste Kontakte hergestellt werden und es um die Frage geht, ob man mit einer Person noch weiter zu tun haben wird. Auch wenn der Einfluss des Aussehens bei näherer Bekanntschaft abnimmt, spielt es doch für die Frage, ob es überhaupt zu einer näheren Bekanntschaft kommt, eine entscheidende Rolle. Gutaussehenden Personen werden im Sinne des Attraktivitäts-Stereotyps und des sog. Halo-Effekts praktisch alle guten Gaben unterstellt, die ein Mensch haben kann (Hatfield u. Sprecher 1986), und hierzu zählt eben auch, dass man mit einem attraktiven Menschen lieber kooperiert als mit einem unattraktiven. Man muss vielleicht nicht eigens betonen, dass die Effekte der Attraktivität auch für solche Menschen gelten, die fest von sich behaupten, dagegen immun zu sein (Hudson u. Henze 1969).
3.2.7
Soziale Bewährtheit
Wenn es um die Frage geht, ob Sie in Ihrem Haus Strom sparen sollen, welches Argument würde Sie am ehesten dazu bewegen, Ihren Energieverbrauch zu drosseln: Der ökonomische Effekt für Sie persönlich, der ökologische Effekt für Natur und Umwelt oder die Tatsache, dass Ihre Nachbarn ebenfalls Strom sparen? Weder der Appell an den homo oeconomicus noch an das soziale Gewissen hat eine nennenswerte Auswirkung. Wirksam ist vor allem die Wahrnehmung, dass das Verhalten von vergleichbaren anderen Personen auch gezeigt wird (Goldstein et al. 2008). Dieses Prinzip der sozialen Bewährtheit (social proof) ist vermutlich einer der am meisten unterschätzten Einflussfaktoren unseres Handelns (Cialdini 2004, S. 151 ff.). Immerhin erscheint es nicht gerade als der Gipfel der Rationalität, dass wir bei
unseren Entscheidungen vor allem einmal schauen, was andere machen und dem dann folgen. Gerade wenn alternativ so schwerwiegende Argumente wirken können wie unser persönlicher Nutzen oder der Schutz der Umwelt, erscheint die Bestätigung über das, was andere tun, als recht oberflächlicher Gesichtspunkt. Und trotzdem ist diese Information in der sozialen Beeinflussung erfolgreicher als das Argument der Nutzenmaximierung. Phänomene der sozialen Bewährtheit können in sehr unterschiedlichen Kontexten auftreten – und vermutlich sind sie dann auch unterschiedlich zu erklären. Wenn sich z. B. der Besucher der Mensa an jener Essenstheke anstellt, wo die längste Schlange ist, um auf diese Weise das leckerste Essen zu bekommen, dann beruht dieses Verhalten auf einer rationalen Überlegung: »Was viele wollen, dürfte mir auch gefallen – vorausgesetzt, ich kann davon ausgehen, dass ich keinen ganz anderen Geschmack habe als andere«. Aber keine Sorge! Das glauben die meisten Menschen von sich ohnehin. Dafür sorgt schon der »false consensus bias« (Ross et al. 1977), nämlich der Glaube, man selbst repräsentiere die Norm und die meisten Menschen fänden gut, was man selbst gut findet. In manchen Situationen wird der Wunsch, nicht negativ aufzufallen, im Vordergrund stehen, wenn Menschen dem Verhalten anderer folgen. Die Beispiele aus den Experimenten von Goldstein et al. (2008) betonen vor allem den normstiftenden Charakter der sozialen Bewährtheit. Was andere tun, gilt als Norm, an der man sich orientieren kann. In diesem Sinne kann dann auch das Phänomen gedeutet werden, dass wir dazu neigen, etwas richtig zu finden, was viele richtig finden und etwas zu ignorieren, was viele andere ebenfalls ignorieren. Dies zeigt sich in bestürzender Weise in Fällen unterlassener Hilfeleistung (Gansberg 1964). Die normstiftende Funktion der sozialen Bewährtheit lässt sich offenbar trefflich nutzen, um mit dem Fehlverhalten Vieler eigene Normverletzungen und Regelverstöße zu rechtfertigen oder zu bagatellisieren. Besonders wirksam sind hierzu weniger globale als spezifische Normen – Goldstein et al. (2008) sprechen von einer »provincial norm«. Es ist nicht der Energieverbrauch im Bevölkerungsdurchschnitt, an dem ich mich orientiere, sondern
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3.2 • Psychologische Einflüsse auf Urteile und Verhalten
der in meiner Nachbarschaft. Die Bedeutung dieser lokalen Normen zeigen Goldstein et al. (2008) in einem anderen Experiment: Es ging darum, Hotelgäste dazu zu bewegen, ihre Handtücher mehrmals zu verwenden und nicht schon nach einer Benutzung zur Wäsche zu geben. Die Aufforderung dazu steht in jedem Hotelzimmer, aber die Mitarbeit der Gäste hierbei lässt zu wünschen übrig. Um die Aufforderung zu verstärken, verwenden die Hotels verschiedene Strategien, die soziale Bewährtheit allerdings wird nicht genutzt. Dabei wäre auch hier der Hinweis auf das, was andere tun, der wirksamste, wie Goldstein et al. (2008) in ihren Experimenten zeigen. Allerdings ist zu beachten, dass die Norm, die durch das Verhalten der anderen gestiftet wird, eine lokale Norm bleibt: Es geht wieder nicht um das Verhalten von irgendwelchen und unspezifischen Anderen, sondern um das Verhalten einer relevanten Bezugsgruppe. Goldstein et al. (2008) nutzen in ihrem Hinweis die einzige Gemeinsamkeit, die sie mit Sicherheit kannten. Sie erklärten, dass eine Mehrheit der Gäste in diesem speziellen Hotelzimmer beim Umweltschutz mitmachten und ihre Handtücher wiederverwendeten. Mit diesem Hinweis erreichten sie eine Kooperation von 49 %, erheblich mehr als in der Kontrollbedingung mit dem üblichen Hinweis auf den Umweltschutz (37 %) und noch immer signifikant mehr als bei weniger spezifisch charakterisierten Bezugsgruppen (41–44 %). Verantwortliche Entscheider, seien es Hotelbesitzer oder die Planer von Umweltkampagnen, werden die Bedeutung der sozialen Bewährtheit ebenso wenig erkennen wie die Handelnden selbst: Auch wenn sie von der Information, wie sich die Gäste ihres speziellen Zimmers verhalten haben, am stärksten beeinflusst wurden, bewerten die Gäste unter einer Reihe von denkbaren Verhaltensgründen diesen als den am wenigsten wichtigen (Goldstein et al., 2008). So gesehen ist die Manipulation durch die soziale Bewährtheit wohl eine der subversivsten und – wie schon gesagt – eine der am meisten unterschätzten Sozialtechniken. Außenstehenden ist immer wieder nur schwer zu erklären, warum Ärzte Geschenke von der Industrie annehmen, sich auf Fortbildungsveranstaltungen mit warmen Mahlzeiten und gutem Wein verwöhnen lassen und Studien durchführen, von
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denen sie selbst überzeugt sind, dass sie wissenschaftlich nutzlos sind. Der Umstand, dass die meisten Kollegen um sie herum genauso handeln, dürfte – im Sinne der sozialen Bewährtheit – ihre Kritikfähigkeit außer Kraft setzen. > Das, was andere tun, übt einen starken Einfluss auf die eigene Verhaltensbereitschaft aus. Das Verhalten anderer stiftet Normen, setzt andere außer Kraft und dient so zur Rechtfertigung für richtiges wie falsches Verhalten.
3.2.8
Commitment und Konsistenz
Wenn wir eine Entscheidung treffen oder einen Standpunkt annehmen, entstehen intrapsychische und interpersonelle Kräfte, die uns dazu drängen, uns konsistent, also übereinstimmend mit dieser Festlegung zu verhalten. Indem wir eine einmal eingeschlagene Verhaltensrichtung nicht mehr ändern, bestätigen und rechtfertigen wir die getroffene Entscheidung oder den eingenommenen Standpunkt. Konsistenz ist eine Eigenschaft, die sozial positiv bewertet wird, weil sie die Menschen und ihr Verhalten berechenbar, verlässlich und vorhersehbar erscheinen lässt. Konsistenz ist daher ein hoher sozialer Wert (Cialdini 2004, S. 89 ff.). Zur Konsistenz sind wir vor allem dann motiviert, wenn wir ein »Commitment« eingegangen sind, wenn wir uns also in irgendeiner Weise an ein vorangegangenes Verhalten gebunden fühlen. Commitments entstehen auf unterschiedlichen Wegen, aber die folgenden sechs können als die »üblichen Verdächtigen« gelten. Danach empfinden wir besonders hohes Commitment, wenn 5 wir zu einem Verhalten nur geringe äußere Anreize hatten, 5 das Verhalten offensichtlich freiwillig war und Anzeichen von äußerem Zwang fehlen, 5 das Verhalten mit Aufwand, Anstrengungen, Hindernissen oder Nachteilen verbunden war, 5 wir uns schriftlich oder 5 öffentlich engagiert haben oder 5 wenn eigener Besitz mit betroffen ist (Felser 2007, S. 276 ff.).
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Kapitel 3 • Psychologische Aspekte von Interessenkonflikten
Der Wunsch, konsistent zu erscheinen, kann zur Beeinflussung und für Verhaltensänderungen genutzt werden, indem man an diesen Punkten ansetzt: Da Öffentlichkeit den Druck zur Konsistenz erhöht, kann man darauf hinwirken, dass sich ein anderer zu einer Entscheidung öffentlich bekennt – damit steigt die Chance, dass er der Entscheidung treu bleibt. Ebenso ist der Hinweis auf die Freiwilligkeit eines Verhaltens (»Niemand zwingt dich, das ist deine eigenen Entscheidung«) ein Mittel, den Konsistenzdruck zu erhöhen: Wer sich klar macht, dass er einen bestimmten Weg ganz ohne äußeren Druck eingeschlagen hat, wird den Weg nicht so leicht verlassen wie jemand, der einen äußeren Druck erkennt.
wird dieses Phänomen im Bereich der Wirtschaftspsychologie. Manager, Händler an der Börse, Per-
> Menschen ändern die Richtung eines Verhaltens nicht ohne guten Grund. Für die Beibehaltung der Verhaltensrichtung braucht es dagegen keine eigenen Gründe.
Der medizinische Alltag liefert eine Anzahl von Beispielen, in denen einzelne Ärzte oder ganze Fachgesellschaften sich nicht oder erst nach vielen Jahren von Vorgehensweisen verabschieden, deren Wirkungslosigkeit oder Schädlichkeit längst erwiesen war. Als kleine Auswahl seien genannt: 5 die sog. Hormonersatztherapie in der Menopause der Frau, 5 die endoskopische Knorpelglättung bei Kniegelenksarthrose, 5 bildgebende Verfahren bei unkompliziertem Kreuzschmerz und 5 Gefäßprothesen bei asymptomatischer koronarer Herzkrankheit.
Auf dem Prinzip der Konsistenz beruht auch die sog. Fuß-in-der-Tür-Technik (z. B. Freedman u. Fraser 1966). Die Grundidee hierbei besteht darin, dass der Bittende von seinem Gegenüber nacheinander kleinere Commitments fordert, die sich aber immer weiter steigern. Ihr Grundprinzip zeigt sich anschaulich in folgendem Dialog: »Wir sind doch Freunde, oder?« – »Ja.« – »Und Freunde sollten einander helfen.« – »Richtig.« – »Und Geld sollte dabei keine Rolle spielen, nicht wahr?« – »Nein, sollte es nicht…« – »Kannst du mir EUR 100 leihen?«. Es werden also beim Gegenüber Schritt für Schritt Verhaltensweisen provoziert, die es ihm immer schwieriger machen, die Richtung seines Verhaltens noch zu ändern, sobald die eigentliche Forderung kommt. Wo wir Commitments eingegangen sind, bleiben wir also dabei und werden regelrecht zu Überzeugungstätern. Zum Problem wird das Prinzip, wenn es dazu beiträgt, falsche Entscheidungen oder Standpunkte beizubehalten. Insbesondere bei höheren Graden der Festlegung, bei starkem Commitment also, kann sich das Streben nach Konsistenz als Ignoranz oder Immunisierung gegen stichhaltige Argumente erweisen. Wo dies geschieht, spricht man von »eskalierendem Commitment« (z. B. Staw 1976). Besonders intensiv untersucht
sonalverantwortliche und andere Entscheider neigen dazu, bei einem Verhalten zu bleiben, in das sie bereits viel investiert haben, auch wenn weitere Investitionen aller Erwartung nach sinnlos und vermutlich sogar ruinös sind. Aber dies gilt selbstverständlich nicht nur für das wirtschaftliche Handeln. Im medizinischen Bereich lassen sich leicht analoge Fälle denken, wo die Handelnden und Entscheider umso weniger bereit sind, die Richtung ihres Verhaltens zu ändern, je mehr sie bereits investiert haben. z
Commitment im medizinischen Alltag
Dieses für Außenstehende schwer nachvollziehbare Phänomen dürfte zumindest teilweise durch Commitment und Konsistenz als auch durch die soziale Bewährtheit zu erklären sein. Dies zu erhellen, wäre eine lohnende Aufgabe für die Versorgungsforschung. > Oft halten wir an unsinnigen und nicht mehr zielführenden Verhaltensweisen fest, nur um unsere bisherigen Investitionen von Zeit, Energie und Geld durch eine Änderung des Verhaltens nicht in Frage zu stellen.
3.2 • Psychologische Einflüsse auf Urteile und Verhalten
3.2.9
Der fundamentale Attributionsirrtum
Im Fernsehquiz hat soeben ein Kandidat ein kleines Vermögen verspielt, indem er Karl Marx mit Karl May verwechselt. Welcher Gedanke kommt uns als Betrachter dabei? »Wie kann man nur so blöd sein! Mir wäre das nie passiert.« Wäre uns das wirklich nie passiert? Betrachten Sie die Beispiele von Beeinflussung, die wir oben vorgestellt haben. Biases wie der Ankereffekt, Strategien wie die Fußin-der-Tür-Technik sind empirisch sehr gut gesichert und außerordentlich wirkungsvoll. Was sagt das über Ihre eigene Beeinflussbarkeit? Werden Sie sich beim Vorliegen eines Ankers oder bei den sich langsam steigernden Commitments auch so verhalten wie die meisten Personen? Es steht zu befürchten, dass Sie hier einen leichten inneren Widerstand spüren: Zum einen sind Sie ja in einigen Punkten schon vorgewarnt – allein schon durch diesen Text hier. Und zum anderen sind Sie ja sowieso weniger beeinflussbar als die meisten Menschen. Auch dieser Bias hat übrigens einen Namen, es handelt sich um den »Dritte-Person-Effekt« (Davison 1983). Hierauf muss man zweierlei erwidern: 5 Zum einen trifft es leider nur für einen sehr kleinen Teil der Beeinflussungsmechanismen, blinden Flecke und Biases zu, dass man dagegen immun wäre, sobald man sie durchschaut hat (Felser 2007; s. auch 7 Abschn. 3.3). Einsicht in den Mechanismus reicht in den wenigsten Fällen aus. Meist sind konkrete Strategien der Gegensteuerung erforderlich wie z. B. im Fall des Ankereffekts (Mußweiler et al. 2000). In anderen Fällen ist man besser beraten, die Situation von vornherein zu meiden – z. B. dort, wo die Gegenseitigkeitsregel wirksam ist oder bei der Fuß-in-der-Tür-Technik (Cialdini 2004, S. 107). 5 Zum anderen aber sorgt ein weiterer, sehr grundlegender Bias dafür, dass wir zuverlässig unsere Beeinflussbarkeit und die Macht von situativen Einflüssen auf uns unterschätzen: Er ist unter zwei Bezeichnungen bekannt. Sein »Entdecker« Edward E. Jones nannte ihn noch correspondence bias, bekannter wurde dann aber die Bezeichnung von Lee Ross: »funda-
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3
mental attribution error« oder deutsch »fun-
damentaler Attributionsirrtum« (Gilbert 1995). Was hat es also mit diesem grundlegenden Irrtum auf sich? In einem klassischen Experiment sollten Versuchspersonen Aufsätze beurteilen, die für oder gegen das Regime von Fidel Castro argumentierten (Jones u. Harris 1967). Einem Teil der Probanden wurde gesagt, die Autoren hätten das Thema nicht wählen können und seien gezwungen gewesen, entweder für oder gegen Castro zu argumentieren. Interessanterweise unterstellten die Probanden den Autoren immer die Einstellung, die sie in ihren Aufsätzen vertraten, ob sie dies nun freiwillig oder gezwungen taten. Die Probanden hatten anscheinend die Situationsinformation, den Zwang, unter dem die Autoren standen, nicht in Rechnung gestellt und daher aus dem Verhalten auf die Einstellung der Person geschlossen. Genauso ignorieren wir in dem Eingangsbeispiel aus dem Quiz die Situationseinflüsse, etwa die Studioatmosphäre, das perfide Lächeln des Quizmasters oder den Stress durch die bisherigen Fragen und schließen aus dem Verhalten auf die Eigenschaften, nämlich die Blödheit. Der Irrtum besteht in der Annahme, das menschliche Verhalten werde im Wesentlichen von den Eigenschaften der handelnden Individuen bestimmt. Dass wir immer in Situationen handeln und dass diese Situationen oft einen starken Druck ausüben, übersehen wir sehr leicht. Wir übersehen das besonders gerne für uns selbst: Wenn wir einmal unter den Druck einer Situation geraten, verhalten wir uns meist anders als wir vorhergesagt hätten. Aus der Außenperspektive, d. h. also auch im Vorhinein und lange, bevor es zu der Situation kommt, sehen wir bei uns wie bei anderen stets die Eigenschaften – und die erlauben bekanntlich nie und nimmer die Prognose, auch wir könnten auf unsinnige Vorgaben hereinfallen, uns durch plumpe Bitten anderer breitschlagen lassen oder offensichtliche Zusammenhänge zwischen unseren Beobachtungen übersehen. Erneut gilt hier also die Warnung: Die Zuversicht in die Unbeeinflussbarkeit des eigenen Urteilens und Verhaltens ist der größte und gefährlichste Fehler. Sie verstärkt und ermöglicht zum Teil erst das Wirksamwerden der anderen Biases und blinden Flecke.
42
3
Kapitel 3 • Psychologische Aspekte von Interessenkonflikten
> Aus der Außenperspektive beurteilen wir das Verhalten anderer stets eher als Folge ihrer Eigenschaften und vernachlässigen dabei den Einfluss der Situation. Dies tun wir auch, wenn wir unser eigenes zukünftiges Verhalten beurteilen und unterschätzen dadurch dramatisch das Ausmaß, in dem wir äußeren Einflüssen unterliegen.
3.3
Kognitive Biases: Kontrollierbarkeit und Resistenzillusion
» Geld beeinflusst mein Urteil nicht. « Dieser Ausspruch stammt vom Vorsitzenden einer Kommission, deren Entscheidungen finanzielle Folgen von Hunderten Millionen Euro im Impfstoffbereich haben können (Berndt 2008). So wie er denken viele Ärzte, wenn sie Honorare, Geschenke oder andere Zuwendungen der pharmazeutischen Industrie annehmen. Grundsätzlich besteht zwar auf Seiten der Ärzte eine gewisse Skepsis, was die Annahme von Geschenken der Industrie angeht. Sah u. Loewenstein (2010) befragten in einer randomisierten kontrollierten Studie Kinderärzte und Allgemeinmediziner, ob es in Ordnung sei, von der Industrie Geschenke anzunehmen oder sich dafür bezahlen zu lassen, Patientendaten für Studien zu liefern. Anhand von Fragen erinnerten sie dann an die geringe Bezahlung und hohe Belastung während der Ausbildung. Im Gruppenvergleich zeigte sich, dass die Reihenfolge, in der die Fragen gestellt wurden, einen Unterschied machte. Wurde erst nach der Akzeptanz von Geschenken und danach nach den Entbehrungen in der Ausbildung gefragt, beurteilten 21,7 % die Geschenke als akzeptabel. Wurde erst nach den Entbehrungen und dann nach der Akzeptanz gefragt, hielten bereits 47,5 % Geschenke für akzeptabel. Wurde nach den Entbehrungen gefragt und vorgeschlagen, diese als Rechtfertigung für die Annahme von Geschenken gelten zu lassen, erachteten 60,3 % die Geschenke für akzeptabel. Dies zeigt, dass viele Probanden die angebotene Rationalisierung für eine eigentlich als inakzeptabel erachtete Verhaltensweise gerne annahmen.
Wie auch in 7 Kap. 11 angesprochen, hat ein Großteil der Ärzte keine Illusionen darüber, dass der Vertreter sie beeinflussen will; sie halten sich selbst aber für resistent gegenüber Beeinflussungsversuchen – ein Phänomen, das auch als »bias blind spot« bezeichnet wird (7 Abschn. 3.2.1). Das Problem der Beeinflussung durch Geschenke erkennen die meisten Ärzte zwar, allerdings sehen sie das Problem eher bei ihren Kollegen und halten sich selbst für immun gegenüber der Beeinflussung (7 Abschn. 3.2.9). Ähnliches gilt für den Besuch von Pharmavertretern: Je häufiger ein Arzt Pharmavertreter empfängt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er die beworbenen Medikamente verschreibt. Hier zeigt sich der Beeinflussungsmechanismus der »Nähe und Verfügbarkeit« (7 Abschn. 3.2.6) in Anwendung. Mit der Zahl der Kontakte wächst jedoch auch die Überzeugung, im Verschreibungsverhalten nicht beeinflusst worden zu sein. Die Illusion der Objektivität zeigt sich noch in einem anderen Befund: Silverman et al. (2010) konfrontierten Mediziner in einer randomisierten kontrollierten Studie mit dem Abstract einer Studie zu einem neuen Medikament. Anschließend erhielten die Gruppen Szenarien mit unterschiedlich ausgeprägten Interessenkonflikten vorgelegt. Das Szenario mit dem stärksten Interessenkonflikt beschrieb eine vom Hersteller gesponserte Vorstellung einer Studie, die in einer wenig renommierten Fachzeitschrift erschienen war. Im Szenario ohne Interessenkonflikt hatte der fingierte Autor in einem hochrangigen Journal publiziert. Auf die Bereitschaft, das neue Medikament zu verschreiben, hatte diese Information keinerlei Einfluss. Allem Anschein nach wurde also der Interessenkonflikt des Kommunikators oder des Forschers komplett ignoriert – das Verschreibe-Verhalten unterschied sich hier nicht von Szenarien, in denen kein Konflikt bestand. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch zu den subjektiven Einstellungen der Befragten: Mehrheitlich erklärten sie, ihr Verschreibe-Verhalten würde sich verändern, wenn in dem Szenario ein Interessenkonflikt ins Spiel käme bzw. wenn ein bestehender Konflikt aus dem Szenario entfernt würde. Die Ergebnisse zeigen eine besondere Spielart des blinden Flecks: Interessenkonflikte werden
43
3.3 • Kognitive Biases: Kontrollierbarkeit und Resistenzillusion
. Tab. 3.2
3
Psychologische Mechanismen und Beispiele für die Beeinflussbarkeit von Ärzten
Mechanismus
Beispielsituation im ärztlichen Alltag
Motivierte Evaluation und Bestätigungs-Bias
Verzerrte, einseitige Bewertung präventiver, diagnostischer und therapeutischer medizinischer Interventionen Verzerrte Wahrnehmung der eigenen Beeinflussbarkeit Akzeptanz von Studienergebnissen, die den Erwartungen entsprechen, unzureichende Würdigung von Studien mit gegenläufiger Tendenz (Beispiel: Stellungnahme von 7 Fachgesellschaften zur sog. Hormonersatztherapie im Jahr 2000, 7 Kap. 2)
Reziprozität
Beeinflussung der Bewertung von Nutzen und Risiken von Arzneimitteln sowie deren Verordnung durch: Annahme von Geschenken Teilnahme an gesponserten Fortbildungsveranstaltungen
Soziale Bewährtheit und Committment/Konsistenz
Beibehaltung fragwürdiger Praktiken wie z. B. Annahme von Geschenken der Pharmaindustrie Beibehaltung überholter medizinischer Vorgehensweisen
Framing Effekte
Erhöhung der Bereitschaft zum Handeln in Situationen, in denen Nicht-Handeln (z. B. Verlaufsbeobachtung) eine vernünftige Option darstellt Kommunikation der relativen Risikoreduktion ohne die absolute Risikoreduktion Kommunikation von Mortalitäts- im Unterschied zu Überlebensraten Kommunikation der Abwendung eines Verlustes
Anker-Heuristik
Beurteilung des Schweregrades z. B. einer depressiven Episode aufgrund der Reihenfolge, in der leichte und schwere Symptome dargeboten werden Einschätzung von Zahlenwerten in Abhängigkeit von relevanten bzw. irrelevanten Vergleichswerten
beim Bewerten von Forschungsergebnissen allein schon deshalb nicht angemessen berücksichtigt, weil die Urteiler irrtümlich davon ausgehen, dies in ihrem Urteil längst getan zu haben. Urteiler sind also nicht nur blind gegenüber der Wirkung von Interessenkonflikten auf sie selbst. Sie überschätzen auch ihre Fähigkeit, Interessenkonflikte anderer in ihrem eigenen Urteil angemessen zu berücksichtigen. Auch dies fördert die Illusion, objektiv und unbeeinflusst zu urteilen. Auf Außenstehende kann es befremdlich wirken, dass die große Mehrheit der Ärzte sich offensichtlich nichts dabei denkt, Pharmavertreter zu empfangen, sich beschenken zu lassen und sich zu gesponserten Fortbildungsveranstaltungen mit anschließendem gesponserten Essen einladen zu lassen, mögen diese auch schon einmal auf einem anderen Kontinent stattfinden. Die von der Außenwahrnehmung abweichende Sicht der Betroffenen dürfte mit dem Bias der sozialen Bewährtheit (7 Abschn. 3.2.7) zu erklären sein – wenn sich (fast)
alle Ärzte so verhalten und dies die Berufsordnung noch zusätzlich legitimiert, ist für Zweifel wenig Platz. Aber auch das Bedürfnis nach Konsistenz (7 Abschn. 3.2.8) dürfte eine Rolle spielen – eine Änderung der Meinung käme dem unangenehmen Eingeständnis gleich, bisher falsch gehandelt zu haben. Die motivationale Evaluation der Studien, welche die Beeinflussbarkeit belegen und möglicherweise auch die Lektüre dieses Kapitels führen zur Bestätigung des bisherigen Urteils: Geschenke beeinflussen mich nicht. Wie in diesem Kapitel dargelegt, hat die Psychologie jedoch zahlreiche Mechanismen identifiziert, die zu einer Beeinträchtigung des Urteilsvermögens und zur Beeinflussung unseres Handelns führen. Von diesen Einflussgrößen wirken etliche auch unabhängig davon, ob Interessen der Urteiler ins Spiel kommen. Hierzu . Tab. 3.2. Interessenkonflikte kommen häufig bei ohnehin anfälliger Urteilsfähigkeit nur erschwerend
44
3
Kapitel 3 • Psychologische Aspekte von Interessenkonflikten
hinzu. Diese Erkenntnisse sollten in Zukunft in der Medizin die ihnen gebührende Beachtung finden. Dabei ist zu betonen: Kognitive Biases sind in aller Regel keine Frage der Unwissenheit, und sie lassen sich nur selten durch Training abmildern. Das gilt auch für die Darstellung statistischer Daten: Wenn man etwa die Erfolgsaussichten einer Behandlungsmethode als »Mortalitätsrate von 1/3« darstellt, erzeugt man stets und unabhängig von statistischer Expertise beim Urteiler eine höhere Risikobereitschaft als wenn man von derselben Methode behauptet, bei ihrer Anwendung werden voraussichtlich »2/3 der Behandelten überleben« (das sog. Asian-Disease-Szenario, Tversky u. Kahneman 1981). Auch wenn wir wissen, dass mit »halbvoll« und »halbleer« dasselbe Volumen an Flüssigkeit beschrieben wird, nehmen wir die Information unterschiedlich wahr. Framing Effekte haben ihre Wurzeln in motivationalen Prozessen – hier vor allem in der Ungleichbewertung gleichwertiger Verluste und Gewinne – und sie lassen sich nicht einfach wegtrainieren.
3.4
Fazit und Ausblick
Menschliches Verhalten und Urteilen ist zahlreichen Einflüssen ausgesetzt, von denen manche automatisch funktionieren. Automatismen wie z. B. die Reziprozität sind in vielen wenn nicht in den meisten Situationen sehr sinnvoll. Wenn sich andere der Reziprozität bedienen, um uns zu einer Handlung zu bringen, die wir andernfalls nicht durchführen würden, kann es jedoch kritisch werden. Motiviert zu evaluieren kann in vielen Lebenslagen gut für eine optimistische Sicht der Dinge und für die Lebensfreude sein. Geht es jedoch um die Bewertung wissenschaftlicher Daten und Erkenntnisse, kann es für die Patienten gefährlich werden. Die Medizin hat grundlegende Erkenntnisse der Kognitionspsychologie bislang nicht systematisch genutzt. Dieses Kapitel soll verdeutlichen, welchen Gewinn Mediziner aus dem dargelegten Wissen für die Entwicklung ihrer Kernkompetenz, nämlich der klinischen Urteilsfähigkeit, ziehen können. Weiterhin bietet die Kognitionspsychologie wichtige Hinweise dafür, wie Interessenkonflikte wirken und wie sie wirksam reguliert werden können. Eine
besondere Herausforderung stellt die Resistenzillusion dar, also das trügerische Gefühl, nicht beeinflussbar zu sein. Da hier etwas zu regeln ist, was viele zunächst einmal nicht als Problem erkennen, sind sowohl die Ärzte als Individuen wie auch ihre Selbstverwaltungskörperschaften gefordert, Lösungen zu finden, mit denen die Integrität ärztlichen Handelns und wissenschaftlichen Forschens sichergestellt werden kann.
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47
Interessenkonflikte in der Medizin: Ein Beitrag aus medizinethischer Perspektive Jan Schildmann, Verena Sandow und Jochen Vollmann
4.1
Interessenkonflikte in der Medizin: Standesethische Kodizes und Prinzipien – 48
4.1.1 4.1.2
Standesethische Kodizes – 48 Professionelle Integrität und Vertrauen als ethische Grundlagen für die Regulierung von Interessenkonflikten – 50
4.2
Interessenkonflikte: Begriffsbestimmung und normative Analyse aus medizinethischer Perspektive – 51
4.2.1 4.2.2
Begriffsbestimmung und konzeptionelle Analyse – 52 Interessenkonflikte in der Medizin: Eine ethische Analyse – 54
4.3
Strategien zum Umgang mit Interessenkonflikten aus ethischer Perspektive – 56
4.3.1
Offenlegung von finanziellen Interessenkonflikten aus ethischer Perspektive – 56 Strukturierte ethische Beurteilung von Interessenkonflikten in der Medizin – 57
4.3.2
4.4
Fazit und Ausblick – 58 Literatur – 59
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
4
48
Kapitel 4 • Interessenkonflikte in der Medizin: Ein Beitrag aus medizinethischer Perspektive
Zur Einführung
4
In diesem Beitrag werden Interessenkonflikte in der Medizin und Strategien zu ihrer Regulierung aus medizinethischer Perspektive untersucht. Die Medizinethik als interdisziplinäres Arbeitsgebiet befasst sich mit der Analyse, Kritik und Konstruktion ethischer Prinzipien im Anwendungsbereich der Medizin (Birnbacher 1993). Entsprechend dieser Aufgabenstellungen erfolgt zunächst eine Rekonstruktion ethischer Prinzipien, die die Grundlage für die zunehmenden Forderungen nach einer Regulierung von Interessenkonflikten bilden. In der sich anschließenden Analyse werden unterschiedliche Konzepte und Konstellationen von Interessenkonflikten in der Medizin unter ethisch-normativen Gesichtspunkten beleuchtet. Darüber hinaus erfolgt eine orientierende Untersuchung der ethischen Prinzipien, die für die Handhabung und Bewertung von Interessenkonflikten von Bedeutung sind. Überlegungen zu einem strukturierten Verfahren bei der ethischen Beurteilung von Interessenkonflikten im Einzelfall bilden den Abschluss des Beitrags.
4.1
Interessenkonflikte in der Medizin: Standesethische Kodizes und Prinzipien
Die Anzahl der Publikationen zum Thema »Interessenkonflikte in der Medizin« ist auch in der deutschsprachigen Literatur angestiegen. Neben empirischen Arbeiten (Lieb u. Brandtönies 2010; Ludwig et al. 2009; Schott et al. 2010a, b) bilden Handlungsempfehlungen einen Schwerpunkt, wie beispielsweise die 2010 veröffentlichten Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) zum Umgang mit Interessenkonflikten in Fachgesellschaften (AWMF 2010). Eine im angloamerikanischen Raum breit verwendete (Emanuel u. Thompson 2008; Thompson 1993) und diesem Band zugrunde gelegte Definition von Interessenkonflikten lautet (Lieb et al. 2011):
nelles Urteilsvermögen oder Handeln, welches sich auf ein primäres Interesse bezieht, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst wird.
«
Der professionelle Umgang mit Situationen, in denen sog. sekundäre Interessen (z. B. finanzieller Gewinn, berufliches Weiterkommen) mit primären Interessen in der klinischen Praxis (z. B. Förderung des Patientenwohls), der medizinischen Forschung (z. B. Erkenntnisgewinn) und der medizinischen Ausbildung (z. B. Vermittlung umfassender Kenntnisse) konfligieren, ist Gegenstand zahlreicher standesethischer Stellungnahmen. Nachdem traditionelle Kodizes, wie etwa der Hippokratische Eid, für die Bearbeitung vieler ethisch relevanter Problemstellungen der modernen Medizin nur begrenzt relevant sind, wurde in der letzten Dekade, etwa im Kontext von »medical professionalism«, untersucht, welche normativen Prinzipien als Grundlage für ein angemessenes ärztliches Handeln in der modernen Medizin formuliert werden können (ABIM Foundation et al. 2002; American Medical Student Association 2003; World Medical Association 2006).
4.1.1
Standesethische Kodizes
Ein vergleichsweise weit verbreiteter standesethischer Kodex, in dem der Umgang mit Interessenkonflikten in Bezug auf die Forschung mit Menschen in der Medizin thematisiert wird, ist die »Declaration of Helsinki: Ethical principles for medical research involving human subjects«
[7 Weltärztebund (2008) Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki: Ethische Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen]. Die erstmals 1964 von der World Medical Association verabschiedete und zuletzt 2008 überarbeitete Deklaration von Helsinki fokussiert auf die Offenlegung von Interessenkonflikten gegenüber den an der medizinischen Forschung beteiligten Parteien. Ein weiterer moderner, nicht auf die medizinische Forschung beschränkter Kodex ist 7 »Medical
» Interessenkonflikte sind definiert als Situatio-
professionalism in the new millennium: a physician charter« (ABIM Foundation et al. 2002). Im
nen, die ein Risiko dafür schaffen, dass professio-
Gegensatz zur Deklaration von Helsinki ist dieses
4.1 • Interessenkonflikte in der Medizin: Standesethische Kodizes und Prinzipien
49
4
Weltärztebund (2008) Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki: Ethische Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen (Auszug, Hervorhebungen durch die Autoren) B. Allgemeine Grundsätze für jede Art von medizinischer Forschung 13. Die Planung und Durchführung eines jeden Versuches am Menschen ist eindeutig in einem Versuchsprotokoll niederzulegen. Dieses Protokoll ist einer besonders berufenen Ethikkommission zur Beratung, Stellungnahme, Orientierung und gegebenenfalls zur Genehmigung vorzulegen, die unabhängig vom Forschungsteam, vom Sponsor oder von anderen unangemessenen Einflussfaktoren sein muss. Diese unabhängige Kommission muss mit den Gesetzen und Bestimmungen des Landes, in dem das Forschungsvorhaben durchgeführt wird, im Einklang sein. Die Kommission hat das Recht, lau-
fende Versuche zu überwachen. Der Forscher hat die Pflicht, die Kommission über den Versuchsablauf zu informieren, insbesondere über alle während des Versuchs auftretenden ernsten Zwischenfälle. Der Forscher hat der Kommission außerdem zur Prüfung Informationen über Finanzierung, Sponsoren, institutionelle Verbindungen, potentielle Interessenkonflikte und Anreize für die Versuchspersonen vorzulegen. 22. Bei jeder Forschung am Menschen muss jede Versuchsperson ausreichend über die Ziele, Methoden, Geldquellen, eventuelle Interessenkonflikte, institutionelle Verbindungen des Forschers, erwarteten Nutzen und Risiken des Versuchs sowie über möglicherweise damit verbundene Störungen des Wohlbefindens unterrichtet werden. […]
Dokument, das auch Empfehlungen zum Verhalten bei Interessenkonflikten beinhaltet, in Deutschland wenig bekannt. Der Kodex ist das Ergebnis der Arbeiten im Rahmen des »medical professionalism project«, das 1999 unter Beteiligung der »European Federation of Internal Medicine«, des »American College of Physicians-American Society of Internal Medicine« (ACP-ASIM) und des »American Board of Internal Medicine« (ABIM) initiiert wurde. Die im Jahr 2002 parallel in den Fachzeitschriften Lancet und Annals of Internal Medicine veröffentlichte Charta enthält drei grundlegende Prinzipien für professionelles ärztliches Handeln. Darauf aufbauend werden zehn Handlungsempfehlungen bzw. Verpflichtungen (»commitments«) im Zusammenhang mit verschiedenen ärztlichen Aufgaben in der klinischen Praxis, der Forschung sowie der Ausund Weiterbildung benannt. Die beiden in Auszügen zitierten standesethischen Kodizes enthalten konkrete Forderungen hinsichtlich des angemessenen ärztlichen Umgangs mit Interessenkonflikten. Die hierfür rele-
27. Sowohl die Verfasser als auch die Herausgeber von Veröffentlichungen haben ethische Verpflichtungen. Der Forscher ist bei der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse verpflichtet, die Ergebnisse genau wiederzugeben. Positive, aber auch negative Ergebnisse müssen veröffentlicht oder der Öffentlichkeit anderweitig zugänglich gemacht werden. In der Veröffentlichung müssen die Finanzierungsquellen, institutionelle Verbindungen und eventuelle Interessenkonflikte dargelegt werden. Berichte über Versuche, die nicht in Übereinstimmung mit den in dieser Deklaration niedergelegten Grundsätzen durchgeführt wurden, sollten nicht zur Veröffentlichung angenommen werden.
vanten ethisch-normativen Grundlagen werden in den betreffenden Dokumenten allerdings nicht weiter ausgeführt. Im Folgenden werden daher die standesethischen Grundlagen für die Forderung nach einer Regulierung von Interessenkonflikten anhand aktueller Veröffentlichungen zum Thema dargestellt. > Die »World Medical Association Declaration of Helsinki: Ethical principles for medical research involving human subjects« und »Medical professionalism in the new millennium: a physician charter« sind zwei Beispiele für standesethische Kodizes, in denen Interessenkonflikte in der Medizin und der angemessene Umgang mit diesen thematisiert werden. Die ethischen Grundlagen für die jeweiligen Empfehlungen bzw. Forderungen werden in diesen Dokumenten allerdings nicht erläutert.
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Kapitel 4 • Interessenkonflikte in der Medizin: Ein Beitrag aus medizinethischer Perspektive
»Medical professionalism in the new millennium: a physician charter«
4
Grundlegende ethische Prinzipien und Stellungnahme zur Handhabung von Interessenkonflikten (ABIM Foundation et al. 2002) (Auszug, Übersetzung durch die Autoren in Anlehnung an Köbberling 2003). Primat des Patientenwohls Dieses Prinzip basiert auf der Verpflichtung, im Interesse des Patienten zu handeln. Altruismus trägt zum Vertrauen bei, das im Zentrum der Arzt-Patient-Beziehung steht. Marktmechanismen, gesellschaftlicher Druck und administrative Anforderungen dürfen dieses Prinzip nicht beeinträchtigen. Patientenselbstbestimmung Ärzte müssen das Recht auf Selbstbestimmung des Patienten respektieren. Ärzte müssen ehrlich zu ihren Patienten sein und sie befähigen, informierte Entscheidungen über ihre Behandlung zu treffen. Die Entscheidungen der Patienten
4.1.2
bezüglich ihrer Behandlung müssen oberste Priorität haben, sofern diese im Einklang mit einer ethisch angemessenen Praxis stehen und keine Forderungen nach unangemessenen Maßnahmen beinhalten. Soziale Gerechtigkeit Die Ärzteschaft soll die Gerechtigkeit im Gesundheitssystem einschließlich einer fairen Ressourcenverteilung fördern. Ärzte sollten sich aktiv für die Beseitigung von Diskriminierung im Gesundheitswesen einsetzen – unabhängig davon, ob sich diese auf Rasse, Geschlecht, sozioökonomischen Status, Ethnie, Religion oder irgendeine andere soziale Kategorie bezieht. Verpflichtung zum Vertrauenserhalt durch die Handhabung von Interessenkonflikten Vertreter der medizinischen Professionen und deren Organisationen können auf vielfältige Weise ihre berufliche Verantwortung beein-
Professionelle Integrität und Vertrauen als ethische Grundlagen für die Regulierung von Interessenkonflikten
Die im vorstehenden Abschnitt zitierten Kodizes können als Zeugnisse standesethischer Überlegungen zum angemessenen Umgang mit Interessenkonflikten in der Medizin verstanden werden. Standesethische Normen gelten für eine bestimmte Personengruppe (in diesem Fall Ärztinnen und Ärzte) und betreffen das Handeln in einer spezifischen Rolle. Die Aufrechterhaltung der professionellen Integrität (professional integrity) sowie die Sicherung des Vertrauens der Öffentlichkeit (public confidence) werden in der Literatur als wichtige Gründe für die Forderung nach einer Regulierung von Interessenkonflikten genannt (Brennan et al. 2006; Brody 2011; Martin u. Kasper 2000; Übersicht bei Lo u. Field 2009, S. 49–50).
trächtigen, wenn sie einen privaten Nutzen oder persönlichen Vorteil verfolgen. Ein solches Verhalten ist besonders bedrohlich im Verlauf von persönlichen oder institutionellen Interaktionen mit gewinnorientierten Unternehmen, wie z. B. Herstellern medizinischer Geräte, Versicherungen und der pharmazeutischen Industrie. Ärzte sind verpflichtet, Interessenkonflikte, die im Zusammenhang mit ihren beruflichen Aufgaben und Aktivitäten entstehen, zu identifizieren, anzuzeigen und angemessen damit umzugehen. Beziehungen zwischen der Industrie und Meinungsführern sollten offengelegt werden, insbesondere wenn letztere die Kriterien für klinische Prüfungen und deren Publikation festlegen, wenn sie Editorials oder Leitlinien verfassen oder als Herausgeber wissenschaftlicher Zeitschriften fungieren.
Die professionelle Integrität umfasst ein breites und auch nicht eindeutig definiertes Spektrum an Einstellungen und Verhaltensweisen, die dem Arzt1 als würdigem Vertreter seiner Profession zugeschrieben werden. Beispiele für professionelles und integres Verhalten sind der Schutz vertraulicher Daten im Kontext der klinischen Praxis und medizinischen Forschung sowie die Wahrnehmung einer Vorbildfunktion bei der Ausbildung von Medizinstudierenden. Das ärztliche Ethos, das ein sich an den primären Interessen der Medizin orientierendes, professionell integres Verhalten voraussetzt, ist zumindest mittel- und langfristig gefährdet, wenn ärztliche Entscheidungen von sekundären Interessen geleitet werden. In dieser Hinsicht 1
Im vorliegenden Beitrag wird aus Gründen der gebotenen Kürze und Lesbarkeit zur Bezeichnung gemischtgeschlechtlicher Gruppen die männliche Form verwendet. Gemeint sind stets beide Geschlechter, hier z. B. Ärztin und Arzt.
4.2 • Interessenkonflikte: Begriffsbestimmung und normative Analyse aus medizinethischer
kann professionelle Integrität sowohl als Teil des ärztlichen Ethos als auch als handlungsleitendes Ziel im Umgang mit Interessenkonflikten in der Medizin verstanden werden. Die professionelle Integrität bezieht sich auf das Selbstverständnis des ärztlichen Berufsstandes und ist mit Pflichten des Arztes, in einer bestimmten Weise zu handeln, verknüpft. Dagegen zielt die Erhaltung des öffentlichen Vertrauens auf die Wahrnehmung und Bewertung der Ärzteschaft durch die Gesellschaft ab. Patienten, Angehörige und andere Bürger einer Gesellschaft sollen darauf vertrauen können, dass Ärzte, medizinische Forscher und Ausbilder sich bei ihren Urteilen und Handlungen von ihrem Ethos und den darin als »primär« definierten Interessen leiten lassen. Dieses Vertrauen kann erheblich beschädigt werden, wenn der Verdacht auftritt, dass sekundäre Interessen zu Verzerrungen des ärztlichen Urteils und Fehleinschätzungen führen. Damit ist nicht gemeint, dass bereits die Existenz sekundärer Interessen problematisch ist. Vielmehr ist die Ärzteschaft aufgefordert, Interessenkonflikte in einer Weise zu handhaben, die das Vertrauen der Bevölkerung nicht gefährdet. Die Erhaltung des Vertrauens der Gesellschaft in den Berufsstand der Ärzte kann somit als ethisches Prinzip verstanden werden, das die Forderungen nach einer Regulierung von Interessenkonflikten untermauert. > Der Schutz der Integrität des ärztlichen Urteils sowie die Aufrechterhaltung des öffentlichen Vertrauens in den Berufsstand der Mediziner werden in der Literatur häufig als standesethische Begründungen für die Regulierung von Interessenkonflikten genannt.
Während die Bemühungen um eine Regulierung von Interessenkonflikten in der Medizin derzeit Unterstützung innerhalb und außerhalb der Medizin erfahren, gibt es auch skeptische Stellungnahmen (Stell 2010; Stossel 2005). Kritikpunkte sind unter anderem der mit der Regulierung von Interessenkonflikten verbundene zeitliche bzw. personelle Aufwand und die Kosten. So wird befürchtet, dass neue bürokratische Anforderungen die ohnehin bereits knappe Zeit für die Patientenversorgung weiter verringern. Weiterhin stellt sich nach Ein-
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4
schätzung der Kritiker die Frage, ob das Personal und die finanziellen Mittel, die zu einer effektiven Regulierung von Interessenkonflikten notwendig sind, nicht besser direkt in die Kernaufgaben der Medizin, wie klinische Forschung, Patientenversorgung und Aus-, Weiter- und Fortbildung investiert werden sollten. Die Sorge um das Ansehen des Arztes sowie den Schutz vertraulicher Daten bildet den Ausgangspunkt für weitere kritische Anmerkungen zu einzelnen Maßnahmen der Regulierung von Interessenkonflikten. Es wird befürchtet, dass die Offenlegung von Interessenkonflikten negative Bewertungen der betroffenen Personen zur Folge hat. Darüber hinaus wird bemängelt, dass der Schutz persönlicher Daten im Zusammenhang mit der Regulierung von Interessenkonflikten nicht gewährleistet ist. Die Forderung nach Offenlegung von Interessenkonflikten berühre vertrauliche Daten, deren Veröffentlichung nicht ohne kritische Prüfung der Verhältnismäßigkeit erfolgen dürfe (Jansen u. Sulmasy 2003; Übersicht zur Kritik an der Regulierung von Interessenkonflikten bei Lo u. Field 2009, S. 26, S. 44–45, S. 62–63). > Der Einsatz der für eine effektive Handhabung von Interessenkonflikten notwendigen Ressourcen angesichts der ohnehin schon knappen Mittel für das Gesundheitswesen sowie die Sorge um mögliche negative Folgen für das ärztliche Ansehen und den Schutz von vertraulichen Daten werden als Argumente gegen eine Regulierung von Interessenkonflikten angeführt.
4.2
Interessenkonflikte: Begriffsbestimmung und normative Analyse aus medizinethischer Perspektive
Die zuletzt skizzierten Kritikpunkte hinsichtlich der aktuellen Bemühungen zur Regulierung von Interessenkonflikten machen deutlich, dass diese Maßnahmen gut begründet werden müssen. Dies gilt nicht zuletzt mit Blick auf die Akzeptanz etwaiger Maßnahmen zur Handhabung von Interessenkonflikten. Im Folgenden soll das Konzept von
52
Kapitel 4 • Interessenkonflikte in der Medizin: Ein Beitrag aus medizinethischer Perspektive
Interessenkonflikten aus ethisch-normativer Perspektive beleuchtet werden. Daran anschließend erfolgt eine medizinethische Analyse zum Umgang mit verschiedenen Interessen in der Medizin. Die vier Prinzipien der Medizinethik nach Beauchamp und Childress (2009) sowie das Prinzip der Transparenz bilden hierfür die Grundlage.
4 4.2.1
Begriffsbestimmung und konzeptionelle Analyse
Im Unterschied zu den zahlreichen Handlungsempfehlungen bei Interessenkonflikten in der Medizin (7 Kap. 7) und der zunehmenden Anzahl an empirischen Untersuchungen gibt es vergleichsweise wenige Untersuchungen zur Konzeption und den verschiedenen Konstellationen von Interessenkonflikten in der Medizin sowie zu den ethischnormativen Grundlagen der Forderung nach deren Regulierung (Beauchamp u. Childress 2009, S. 314–317; Brody 2011; Morreim 2011). In den einschlägigen deutschsprachigen (medizin-)ethischen Enzyklopädien ist der Begriff »Interessenkonflikte« nicht im Register aufgeführt2. Im Gegensatz dazu ist dem Begriff »conflict of interest« in der »Encyclopedia of bioethics« ein eigener Beitrag gewidmet (Morreim 1995). Der Definition zufolge werden unter »conflict of interest« Konflikte zwischen Eigeninteressen (»self-interest«) des Arztes und seinen ärztlichen Pflichten (»obligations«) gegenüber Einzelpersonen bzw. Gruppen gefasst (Morreim 1995, S. 495):
»
In a conflict of interest, one’s obligations to a particular person or group conflict with one’s selfinterest. A physician, for example, is ordinarily obligated to provide his or her patients with only the care that is reasonable and medically necessary, even though the physician may earn more money through unnecessary interventions.
«
2
Vergl. Eser A, von Lutterotti M, Sporken P (1989) Lexikon Medizin, Ethik, Recht. Herder, Freiburg; Höffe O (2008) Lexikon der Ethik, 7.Aufl. C.H.Beck, München oder auch Korff W, Beck L, Mikat P (1998) Lexikon der Bioethik. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh
Der Vergleich dieser mit der eingangs verwendeten Definition von Interessenkonflikten macht deutlich, dass bereits auf der Ebene der Definition inhaltliche Unterschiede bestehen, die auch aus ethischer Perspektive relevant sind. So erscheint z. B. die Unterscheidung zwischen »primären Interessen« und »sekundären Interessen« nicht gleichbedeutend mit der zwischen »Pflichten« (»obligations«) und »Eigeninteressen« (»self-interest«) des Arztes. Während eine detaillierte Analyse dieser – auch unter dem Gesichtspunkt der Frage nach dem ethisch relevanten Unterschied von »Pflichten« und »Interessen« – definitorischen Differenzen in diesem Beitrag nicht geleistet werden kann, erscheint eine Begriffsklärung aus mehreren Gründen wichtig. Zum einen haben die verschiedenen Definitionen unterschiedliche ethische Implikationen. Zum anderen ist eine klare Konzeption und Abgrenzung verschiedener Situationen, in denen Interessen bzw. Werte kollidieren, notwendig, um praxisrelevante Strategien zum Umgang mit Interessenkonflikten in der Medizin zu entwickeln. »Primäre Interessen« bzw. »Pflichten« (im Sinne der beiden in diesem Beitrag genannten Definitionen von Interessenkonflikten) umfassen aus ethischer Perspektive ein breites Spektrum an Werten, die der Medizin als inhärent zugeordnet werden. Beispiele hierfür sind – neben den traditionellen, bereits im Hippokratischen Eid benannten ethischen Pflichten des Arztes, dem Patienten Wohl zu tun und Schaden zu vermeiden – auch der Respekt vor dem Recht auf Selbstbestimmung des Patienten. Je nach zugrunde gelegter Definition werden den Werten entweder das Eigeninteresse des Arztes oder aber Ziele gegenübergestellt, welche ihren Ursprung außerhalb des Handlungsfeldes der Medizin haben. Wir wollen uns in der folgenden Darstellung an der Unterscheidung von primären und sekundären Interessen (Emanuel u. Thompson 2008; Lieb et al. 2010) orientieren. Eine Begründung dafür, dass die sekundären Interessen im Vergleich zu den primären Interessen der Medizin als nachrangig beurteilt werden, liegt in der besonderen Situation, in der sich Bürger befinden, die auf die medizinische Versorgung angewiesen sind. Patienten sind häufig nicht nur in einer vergleichsweise vulnerablen Situation, nachdem sie beispielsweise die Diagnose einer Er-
4.2 • Interessenkonflikte: Begriffsbestimmung und normative Analyse aus medizinethischer
krankung erfahren haben, sondern sie sind auch oft nicht in der Lage, den medizinischen Sachverhalt kompetent beurteilen zu können. Grund hierfür ist das Fehlen der für Entscheidungen in der Medizin erforderlichen fachlichen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen. Aus dieser Konstellation lässt sich für den Arzt als Treuhänder der Gesundheit des Patienten die Verpflichtung ableiten, sekundäre Interessen den primären Interessen der Medizin unterzuordnen (Erde 1996; Morreim 1995). > Die ethische Forderung nach einer Unterordnung der sekundären Interessen gegenüber den primären Interessen bei Interessenkonflikten wird mit der Vulnerabilität vieler Patienten im Rahmen von Erkrankungen und mit den Schwierigkeiten hinsichtlich der kritischen Prüfung der Grundlage für ärztliche Entscheidungen begründet.
Während die Unterscheidung von primären und sekundären Interessen nahelegt, dass es sich nicht um einen Konflikt von als gleichrangig erachteten Werten handelt, erscheint es aus ethischer Perspektive wichtig festzustellen, dass sog. sekundäre Interessen zumindest in vielen Fällen moralisch akzeptabel sind (7 Kap. 6). Das Gewinninteresse der pharmazeutischen Industrie kann grundsätzlich dahingehend ethisch legitimiert werden, dass auf diese Weise der weitere Bestand einer Firma und die Arbeitsplätze der Mitarbeiter gesichert werden können. Auch das Interesse des Arztes an der Einhaltung der Arbeitszeiten, um ausreichend Zeit zur Erholung oder für sein Privatleben zu haben, ist völlig legitim. Die Beachtung des zuletzt genannten Interesses scheint empirischen Untersuchungen zufolge sogar eine Voraussetzung dafür zu sein, dass Ärzte ihre Aufgaben, im Sinne der primären Ziele der Medizin, kompetent erfüllen können (Horwitz et al. 2007). Die vorstehend genannten Beispiele machen deutlich, dass die Unterscheidung von Interessen in primäre und sekundäre zwar in vielen, aber eben nicht in allen Fällen unmittelbar einleuchtet. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, einen weiteren ethisch relevanten Konflikt in der Medizin von Interessenkonflikten abzugrenzen.
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4
Der Begriff des klassischen ethischen Dilemmas In
den klassischen ethischen Dilemmata konfligieren zumindest prima facie ethisch gleichrangige Prinzipien (Vollmann u. Dörries 1996). Ein Beispiel aus der klinischen Praxis ist der Konflikt bei Entscheidungen über Maßnahmen, die zur Verminderung des Leidens eines Patienten führen, aber möglicherweise auch dessen Leben verkürzen. Auch klinisch forschende Ärzte sind mit solchen ethischen Dilemmata konfrontiert. Aufgrund ihrer dualen Rolle als Arzt und Forscher müssen sie gelegentlich Entscheidungen treffen, bei denen sie sich sowohl dem Wohl ihres an einer klinischen Studie teilnehmenden Patienten als auch dem Erkenntnisgewinn (und dem damit assoziierten Wohl zukünftiger Patienten) verpflichtet sehen. Der Konflikt zwischen gleichrangigen ethischen Prinzipien im Sinne eines ethischen Dilemmas wird häufig auch als Pflichtenkollision3 bezeichnet. Conflicts of commitment Weitere Konflikte, die an dieser Stelle nur kurz von Interessenkonflikten und Pflichtenkollisionen abgegrenzt werden sollen, sind Konflikte, die aufgrund von Verpflichtungen gegenüber unterschiedlichen Institutionen bzw. Organisationen entstehen können. Lo und Field (2009) nennen als Beispiel für sog. »conflicts of commitment« Verpflichtungen eines Arztes gegenüber der ihn beschäftigenden Institution, die mit Verpflichtungen außerhalb der Institution (z. B. als freiwilliges Mitglied der örtlichen Feuerwehr) konfligieren können (Übersicht in Lo u. Field 2009, S. 44–48). Die Identifizierung eines Interessenkonflikts besagt noch nichts über die aus ethischer Perspektive angemessenen Konsequenzen. Ärzte und Vertreter anderer Gesundheitsprofessionen bewegen sich in gleicher Weise wie andere Bürger in verschiedenen Bereichen des Lebens, so dass es zwangsläufig
3
Die in diesem Text vorgenommene Unterscheidung zwischen Interessenkonflikten und Pflichtenkollision folgt der Diktion, die Lo und Field (2009, S. 45–48) im Bericht des Institute of Medicine vorschlagen. Ein ethisches Dilemma muss allerdings nicht notwendigerweise aus der Kollision zweier ethischer »Pflichten« bestehen, sondern bezieht sich auf den Konflikt zwischen zwei gleichrangigen Werten – beispielsweise zwei als gleichrangig erachteten Interessen.
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4
Kapitel 4 • Interessenkonflikte in der Medizin: Ein Beitrag aus medizinethischer Perspektive
zum Konflikt zwischen verschiedenen Interessen kommt. Es ist daher notwendig, die betreffenden Interessen bzw. Werte sowie die relevanten Fakten bei einem Interessenkonflikt zu identifizieren und zu bewerten. Wir werden auf Möglichkeiten eines strukturierten Vorgehens bei dieser Aufgabenstellung im letzten Abschnitt des Beitrags noch einmal zurückkommen. > Interessenkonflikte können von weiteren ethisch relevanten Konflikten, wie Pflichtenkollisionen und konfligierenden Verpflichtungen gegenüber verschiedenen Institutionen (»conflict of commitments«), abgegrenzt werden. Die Unterscheidung von primären und sekundären Interessen im Kontext von Interessenkonflikten in der Medizin erscheint in vielen, aber längst nicht in allen Fällen unmittelbar einleuchtend.
4.2.2
Interessenkonflikte in der Medizin: Eine ethische Analyse
Das Urteil darüber, dass sich Ärzte in Situationen befinden, in denen primäre und sekundäre Interessen konfligieren, ist, wie bereits dargestellt, nicht gleichzusetzen mit der moralischen Verurteilung der betreffenden Ärzte. Es gibt weitere Kriterien, wie beispielsweise der mögliche Schaden für das Patientenwohl oder auch die Vermeidbarkeit eines Interessenkonflikts (Brody 2011), die bei der Analyse berücksichtigt werden müssen. Auch wenn Interessenkonflikte in der Medizin per definitionem von der Konstellation klassischer ethischer Dilemmata zu unterscheiden sind, kann die Identifizierung, Abwägung und Bewertung der verschiedenen Interessen im konkreten Einzelfall eine Herausforderung darstellen. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass für unsere Handlungen (nicht nur in der Medizin) häufig mehrere Interessen bzw. mit ihnen verbundene Werte relevant sein können. Darüber hinaus bedarf eine akzeptable Regelung von Interessenkonflikten einer ethischen Fundierung, die an moralische Wertvorstellungen innerhalb wie außerhalb der Medizin anknüpft.
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Die Prinzipienethik nach Beauchamp und Childress
Im Folgenden soll eine orientierende ethische Analyse von Interessenkonflikten unter Verwendung ethischer Prinzipien der sog. mittleren Ebene durchgeführt werden. Die theoretische Grundlage hierfür ist die »Prinzipienethik« in der Medizin nach Beauchamp und Childress (2009). Dieser in den 1970er-Jahren erstmals vorgestellte und mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum weitverbreitete Ansatz (Rauprich u. Steger 2005) umfasst die vier mittleren ethischen Prinzipien: 5 Autonomie, 5 Wohltun, 5 Nichtschaden, 5 Gerechtigkeit. Nichtschaden und Wohltun Die beiden bereits im
Hippokratischen Eid formulierten ethischen Prinzipien des Nichtschadens (nonmaleficence) und des Wohltuns (beneficence) sind auch im Zusammenhang mit Interessenkonflikten von zentraler Bedeutung. Sekundären Interessen in so hohem Maße Vorrang zu gewähren, dass eine Schädigung von Patienten in Kauf genommen wird, ist ethisch nicht akzeptabel. Das ethische Prinzip des Wohltuns deckt als Idealnorm im Vergleich zum Nichtschadensgebot einen noch breiteren Bereich ab. Es impliziert, dass der Arzt solche Maßnahmen zu ergreifen hat, die das gesundheitliche Wohl des Patienten fördern. Die vorstehende Differenzierung in Wohltun und Nichtschaden dient im außermedizinischen Bereich dazu, die Verbindlichkeit ethischer Anforderungen, die an Personen gestellt werden, zu unterscheiden. Das gesundheitliche Wohl des anderen zu fördern, kann jedoch nicht von jedem eingefordert werden. Für einen Arzt gelten in dieser Hinsicht dagegen besondere, mit seiner soziale Rolle und seiner Profession verbundene Anforderungen. Ein Beispiel für Interessenkonflikte in diesem Kontext sind Situationen, in denen der Arzt Maßnahmen durchführt, die dem Patienten zwar nicht schaden, die aber nach aktuellem Stand der Wissenschaft das Patientenwohl nicht optimal fördern. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Arzt eine in der Vergangenheit übliche Intervention durchführt, weil dies mit finanziellen oder anderen Vorteilen verbunden ist, obgleich zwischenzeitlich
4.2 • Interessenkonflikte: Begriffsbestimmung und normative Analyse aus medizinethischer
wirksamere und/oder weniger belastende Verfahren entwickelt wurden. Die Abwägung zwischen möglichem Nutzen und Schaden zur Identifizierung der bestmöglichen Handlungsoption erfordert, dass alle hierfür relevanten Informationen zur Verfügung stehen. Interessenkonflikte im Rahmen der Veröffentlichung der Ergebnisse klinischer Studien können diese Abwägung erschweren bzw. eine Entscheidung zum Wohl des Patienten unmöglich machen. Die aktuellen Bemühungen hinsichtlich der Vorbeugung bzw. Identifizierung möglicher Verzerrungen bei der Veröffentlichung wissenschaftlicher Daten – wie beispielsweise die Forderungen nach einer Registrierung aller klinischer Studien (Strech 2010) – können daher auch als Maßnahmen zur Förderung des Patientenwohls und zur Vermeidung von Schaden verstanden werden. Autonomie Das Prinzip der Autonomie (auto-
nomy) bezieht sich auf die Fähigkeit zur selbstbestimmten, frei gewählten Entscheidung. Autonomie zu bewahren und die verschiedenen Interessen bzw. ihnen zugrunde liegenden Werte sorgfältig abzuwägen, kann dabei als Aufgabe des Arztes verstanden werden. Häufiger wird das ethische Prinzip der Autonomie allerdings im Sinne des Respekts vor der Patientenselbstbestimmung aufgeführt. Ärzte können selbstbestimmte Entscheidungen von Patienten und damit ein primäres Ziel der Medizin fördern, indem sie die für eine Entscheidung relevanten Informationen vollständig und verständlich darlegen. Sekundäre Interessen können diese Bemühungen torpedieren. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Arzt dem Patienten ausgewählte Informationen vorlegt, die eine Entscheidung zum Vorteil des Arztes begünstigen (z. B. Wahl eines Behandlungsverfahrens, an dem der Arzt finanziell beteiligt ist oder Werbung für die Teilnahme an einer klinischen Studie, bei der der Arzt als »principal investigator« einen finanziellen oder einen anderen Vorteil hat). Die Berücksichtigung des ethischen Prinzips der Autonomie im Kontext von Interessenkonflikten wirkt sich also auf zwei Ebenen aus: 5 Zum einen kann der Arzt, der in der Lage ist, verschiedene Interessen zu erkennen und ab-
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4
zuwägen, als autonom in seinen Entscheidungen bezeichnet werden, 5 zum anderen können autonome Entscheidungen von Patienten unterstützt werden, wenn die ihnen zur Verfügung gestellten Informationen nicht durch sekundäre Interessen verzerrt werden. Gerechtigkeit Das Prinzip Gerechtigkeit (justice) umfasst eine nach sinnvollen Kriterien ge-
staltete (gerechte) Verteilung von medizinischen Gütern und Ressourcen. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass begrenzte Güter nachvollziehbar und transparent verteilt werden. Da es eine Vielzahl an Ausprägungen und Begründungsstrategien des Prinzips der Gerechtigkeit gibt, kann an dieser Stelle lediglich exemplarisch auf den Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Interessenkonflikten im medizinischen Kontext eingegangen werden. Die Bevorzugung von bestimmten medizinischen Maßnahmen auf der Basis einer verzerrten Informationslage verhindert eine gerechte Verteilung von Gütern im oben genannten Sinne. Dabei kann eine verzerrte Informationslage auf zwei Weisen zustande kommen: 5 Der Arzt könnte bewusst nur solche Informationen weitergeben, die in seinem Interesse sind. In diesem Fall verstößt er gegen das Prinzip der Gerechtigkeit, weil er unter Umständen einem Patienten/einer Patientengruppe nicht die volle Autonomie und Wahlfreiheit bezüglich der Art der Behandlung zukommen lässt. 5 Es kann auch der Fall sein, dass dem Arzt selbst, beispielsweise aufgrund einer verzerrten Datenlage, nicht alle wichtigen Informationen für die Entscheidungsfindung vorliegen. In diesem Fall wird etwa durch die Auswahl von veröffentlichten Ergebnissen verhindert, dass die zur Verfügung stehenden Ressourcen effektiv und effizient eingesetzt werden. Das Prinzip der Gerechtigkeit ist insbesondere mit Rücksicht auf langfristige Folgen zu beachten. Eine Nicht-Beachtung des Gerechtigkeitsprinzips hat Unsicherheit in der Bevölkerung zur Folge, die mit Vertrauensverlusten (z. B. Verlust des ärztlichen Ansehens) einhergehen kann.
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Kapitel 4 • Interessenkonflikte in der Medizin: Ein Beitrag aus medizinethischer Perspektive
Transparenzprinzip einen Ansatz, Interessenkonflikte in der Medizin und die damit assoziierten Werte systematisch zu analysieren. Darüber hinaus können mithilfe der genannten Prinzipien Strategien zur Handhabung von Interessenkonflikten aus ethischer Perspektive beurteilt werden.
Transparenz In Ergänzung zu den vorstehend aus-
4
geführten vier ethischen Prinzipien soll abschließend ein weiteres Prinzip eingeführt werden, das zentral für viele Empfehlungen zum praktischen Umgang mit Interessenkonflikten ist. Es handelt sich hierbei um das ethische Prinzip der Transparenz (transparency). Das Transparenzprinzip umfasst die Forderung nach Offenheit und Überprüfbarkeit von Informationen (s. auch ausführliche Darstellung zu Interessenkonflikten und Medizinrecht in 7 Kap. 8). Dies ist sowohl für die vorstehend genannte Nutzen-Schaden-Abwägung als auch mit Blick auf die Befähigung zu autonomen und gerechten Entscheidungen in der Medizin relevant (Bayertz 1991). Die in der Medizin erforderlichen Nutzen-Schaden-Abwägungen können nur dann angemessen erfolgen, wenn alle wichtigen Informationen unverzerrt zur Verfügung stehen. Unter der Prämisse, dass wissenschaftliche Ergebnisse kein Privateigentum des Forschers sind, und angesichts der Vielzahl von Forschungsvorhaben und des schnellen Zuwachses an neuen medizinischen Erkenntnissen ist Transparenz von besonderer Bedeutung. Erkennbarkeit, Deutlichkeit und Verständlichkeit der zu vermittelnden Informationen sind wichtige Kriterien im Zusammenhang mit den Bemühungen, Transparenz herzustellen. Beispiele für eine Konkretisierung des Transparenzprinzips im Kontext der medizinischen Forschung sind eine detaillierte Beschreibung des Prozesses (Studiendesign), der zu dem Forschungsergebnis geführt hat, sowie die vollständige Darstellung der Studienergebnisse. Auf diese Weise sollen die Rekonstruktion des Vorgangs und die Wahrheitsprüfung durch andere Wissenschaftler und die Öffentlichkeit ermöglicht werden. Die Umsetzung der Forderung nach Transparenz vermeidet zwar per se noch keinen Interessenkonflikt, hilft jedoch dabei, Interessenkonflikte zu identifizieren und ist insofern Voraussetzung für deren professionelle Handhabung. > Die Identifizierung eines Interessenkonflikts ist zu unterscheiden von dessen Analyse und Bewertung. Die vier ethischen Prinzipien der modernen Medizin – Autonomie, Wohltun, Nichtschaden und Gerechtigkeit – bilden gemeinsam mit dem
4.3
Strategien zum Umgang mit Interessenkonflikten aus ethischer Perspektive
Im abschließenden Teil dieses Beitrags sollen ausgewählte Strategien zum praktischen Umgang mit konfligierenden Interessen in der Medizin untersucht werden. Zunächst wird die Strategie der Offenlegung finanzieller Interessenkonflikte aus ethischer Perspektive untersucht. Den Abschluss des Beitrags bildet ein Vorschlag zur strukturierten Beurteilung von Fakten und Werten im Kontext von Interessenkonflikten.
4.3.1
Offenlegung von finanziellen Interessenkonflikten aus ethischer Perspektive
Die Offenlegung finanzieller Zuwendungen gilt als eine notwendige, allerdings von vielen Autoren als nicht hinreichend erachtete Maßnahme zur professionellen Handhabung von Interessenkonflikten (Übersicht bei Lo u. Field 2009, S. 67–87). Während in der Literatur wiederholt darauf hingewiesen wird, dass das Vorliegen von Interessenkonflikten nicht zu verwechseln ist mit der tatsächlichen Verzerrung des ärztlichen Urteils durch sekundäre Interessen, stellt sich aus medizinethischer Perspektive die Frage nach den normativ relevanten Implikationen der Offenlegung von Interessenkonflikten. Neben der Sensibilisierung des betroffenen Arztes für die Möglichkeit einer verzerrten Wahrnehmung bzw. Darstellung medizinischer Sachverhalte bietet die Offenlegung von Interessenkonflikten Ansatzpunkte für die Interpretation, z. B. von Forschungsergebnissen. Es ist jedoch auch zu bedenken, dass die Information über einen vorliegenden Interessenkonflikt die Wahrnehmung anderer
4.3 • Strategien zum Umgang mit Interessenkonflikten aus ethischer Perspektive
Informationen (z. B. Ergebnisse einer veröffentlichten klinischen Studie) überlagern kann (Nisbett u. Wilson 1977). Ein ebenfalls ethisch relevanter Gesichtspunkt ist der Schutz vertraulicher Informationen bei der Offenlegung von Interessenkonflikten. Der Schutz solcher Daten ist nicht nur rechtlich verankert, sondern auch aus ethischer Perspektive ein hohes Gut. Auf der anderen Seite ist es selbstverständlich – nicht zuletzt mit Blick auf die möglichen negativen Folgen verzerrter Darstellung von Daten in der Medizin – dass Datenschutz kein absolutes Gut darstellt (Strech 2010). In diesem Zusammenhang gibt es empirische Belege dafür, dass Interessenkonflikte die Datenauswahl bzw. Interpretation von Studienergebnissen in wissenschaftlichen Publikationen beeinflussen. So konnte in mehreren Auswertungen klinischer Studien gezeigt werden, dass in den Publikationen von industriefinanzierten Untersuchungen die jeweilige Substanz häufiger positiv bewertet wurde als dies bei industrieunabhängigen Studien der Fall war. (Lexchin et al. 2003; Schott et al. 2010a, b). Mögliche Verzerrungen bei der Darstellung und Diskussion der Ergebnisse klinischer Studien können Folgen für das gesundheitliche Wohl von Patienten haben und sind daher bei Güterabwägungen hinsichtlich des angemessenen Umgangs mit sensiblen Informationen zu berücksichtigen. Die im Zusammenhang mit der Offenlegung und Prüfung von Interessenkonflikten aufgewendeten zeitlichen, personellen und finanziellen Ressourcen sollen als weiterer Diskussionspunkt genannt werden. So wird, wie bereits erwähnt, gefordert, die entsprechenden Mittel besser direkt in die klinische Forschung, medizinische Versorgung und Aus-, Weiter- bzw. Fortbildung zu investieren, anstatt neue Institutionen oder Formulare zu finanzieren, die letztlich nur zu einer weiteren Bürokratisierung der Medizin beitragen. Während die Effektivität der Strategien zur Handhabung von Interessenkonflikten zweifellos vorab kritisch bedacht und prospektiv im Rahmen empirischer Untersuchungen überprüft werden sollte, erscheint die Regulierung von Interessenkonflikten allerdings ohne Alternative (7 Kap. 7). Der Vorschlag, die finanziellen Mittel besser direkt für die medizinische Forschung oder Patientenversorgung zu
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4
verwenden, geht insofern am Ziel vorbei, als Maßnahmen zur Handhabung von Interessenkonflikten die Voraussetzung dafür bilden, dass die vorhandenen Ressourcen auch tatsächlich effektiv für die genannten Kernaufgaben der Medizin eingesetzt werden können. Zusammenfassend muss mit Blick auf die Offenlegung von Interessenkonflikten geprüft werden, welche Informationen aus welchen Gründen offengelegt werden sollen (7 Kap. 11; Lieb et al. 2010). Darüber hinaus müssen die Interessen, die durch die Regelung von Interessenkonflikten geschützt werden sollen, gegenüber anderen ethisch relevanten Werten – wie etwa der Vermeidung von unangemessenem Schaden oder dem Schutz vertraulicher Daten – abgewogen werden.
4.3.2
Strukturierte ethische Beurteilung von Interessenkonflikten in der Medizin
Während sich zahlreiche Beiträge mit der Offenlegung finanzieller Interessenkonflikte befassen, gibt es vergleichsweise wenige Arbeiten mit Empfehlungen zur Handhabung von Interessenkonflikten, nachdem diese identifiziert wurden (Komesaroff u. Kerridge 2011, Strech u. Knüppel 2011). In dem Bericht des Institute of Medicine (Übersicht bei Lo u. Field 2009, S. 52–55, S. 79–86) werden zwar Kriterien zur Bewertung eines Interessenkonflikts (z. B. Schwere des möglichen Schadens durch Einfluss sekundärer Interessen) und auch Empfehlungen zu möglichen Konsequenzen im Anschluss an die Analyse eines Interessenkonflikts (z. B. Verbot der Beteiligung eines Wissenschaftlers an einem Forschungsvorhaben) genannt, konkrete Vorschläge zum Vorgehen nach der Identifizierung eines Interessenkonflikts stehen nach Kenntnis der Autoren jedoch weitgehend aus. Vor diesem Hintergrund wird abschließend ein Vorschlag zur strukturierten und ethisch fundierten Entscheidungsfindung bei der Beurteilung von Interessenkonflikten skizziert. Die Grundlage für diese Überlegungen bilden, neben den eingeführten ethischen Prinzipien nach Beauchamp und Childress, insbesondere die Ausführungen des Institute of Medicine zu »Assessment of the severity of conflict of interest« (Lo u.
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Kapitel 4 • Interessenkonflikte in der Medizin: Ein Beitrag aus medizinethischer Perspektive
Field 2009, S. 52–55) sowie die inzwischen insbesondere im klinischen Kontext vielfach erprobten Methoden zur strukturierten ethischen Fallbesprechung. z
4
– Welche weiteren Kontextfaktoren sind mit Blick auf den Interessenkonflikt zu benennen? usw. 3. Analyse der relevanten normativen
Möglichkeit einer ethisch fundierten strukturierten Entscheidungsfindung
Prinzipien – Welcher Nutzen kann bei Akzeptanz der als Interessenkonflikt identifizierten Konstellation erreicht werden? – Welcher Schaden kann bei Akzeptanz der als Interessenkonflikt identifizierten Konstellation angerichtet werden? – Welche juristischen Rahmenbedingungen sind zu berücksichtigen? usw.
Das vorgeschlagene Procedere umfasst vier Schritte, namentlich die Bestimmung des Interessenkonflikts (1), die Analyse der relevanten Fakten (2), die Analyse der relevanten normativen Prinzipien (3), sowie die Entscheidungsfindung (4). Analog zum Vorgehen bei klinisch-ethischen Fallbesprechungen ist vorab zu bedenken, welche Personen bzw. Berufsgruppen für die Analyse und Entscheidungsfindung bei Interessenkonflikten relevant sind. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass Interessenkonflikte auf unterschiedlichen Ebenen (Individuum, Organisation, System) und in verschiedenen Bereichen der Medizin (klinische Praxis, Forschung, Ausbildung) auftreten. Weiterhin sollte gewährleistet sein, dass ein fachlich kompetenter Moderator den Prozess leitet. Die vier Prozessschritte und eine Auswahl der in diesem Zusammenhang jeweils zu klärenden Aspekte sind in der folgenden Übersicht zusammengestellt. Procedere 1. Bestimmung des Interessenkonflikts – Welche Interessen stehen zur Diskussion? – Welche Werte liegen den jeweiligen Interessen zugrunde? – Handelt es sich (prima facie) um gleichrangige Interessen oder können diese priorisiert werden? – Besteht der Interessenkonflikt auf individueller, institutioneller oder systemischer Ebene? usw. 2. Analyse der relevanten Fakten – Welche Verantwortlichkeiten (z. B. Leitung einer Klinik) hat die Person/die Institution? – Welche finanziellen oder anderen Anreize sind relevant?
4. Entscheidungsfindung – Welche Handlungsoptionen bestehen (z. B. Auflagen, Verbote)? – Entscheidung und Darstellung der zugrunde gelegten Kriterien. – Festlegung, ob und ggf. in welcher Form eine Reevaluation des Sachverhalts erfolgt. usw.
Das mögliche Vorgehen im Rahmen einer strukturierten, empirisch und ethisch fundierten Analyse von Interessenkonflikten kann an dieser Stelle nur angedeutet werden. Die Ausarbeitung eines solchen Rahmens für die Entscheidungsfindung erscheint angesichts der Notwendigkeit transparenter und angemessener Verfahrensweisen zur Bewertung von Interessenkonflikten und zur Formulierung von Konsequenzen allerdings dringend erforderlich. Die Entwicklung entsprechender Konzepte sollte, der Aufgabenstellung entsprechend, fachübergreifend unter Einbeziehung von Vertretern der Medizin und weiterer normativer und empirischer Disziplinen sowie relevanter interdisziplinärer Arbeitsgebiete erfolgen.
4.4
Fazit und Ausblick
Interessenkonflikte und die damit in Zusammenhang stehenden Verzerrungen des ärztlichen Urteils sind mit erheblichem Schaden für Patienten, Ver-
59
Literatur
treter der unterschiedlichen Gesundheitsprofessionen und die Gesellschaft assoziiert. Die aktuellen Bemühungen um eine professionelle Handhabung von Interessenkonflikten können mit Prinzipien tradierter ärztlicher Werte, aber auch anhand der modernen Medizinethik begründet werden. Mit Blick auf die im Kontext der Diskussion um Interessenkonflikte vorgenommene Unterscheidung von primären und sekundären Interessen und damit assoziierte Bewertungen sollte bedacht werden, dass die Unterscheidung nicht in allen Fällen trennscharf und unmittelbar einleuchtend ist. Die Analyse eines Interessenkonfliktes erfordert neben der Bestimmung der relevanten Interessen die Untersuchung kontextrelevanter Fakten und Werte. Transparenz, Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit sind aus ethischer Perspektive wichtige Anforderungen an jegliche Maßnahmen zur Handhabung von Interessenkonflikten. Vor diesem Hintergrund sollte etwa die Forderung nach Offenlegung von Interessenkonflikten konkretisiert und jeweils auch mit Blick auf mögliche negative Effekte begründet werden. Darüber hinaus kann die Entwicklung von Interventionen zur strukturierten Analyse empirischer und ethischer Aspekte bei Interessenkonflikten einen wichtigen Beitrag zur professionell angemessenen Handhabung von Interessenkonflikten leisten. Danksagung: Die Autoren danken Frau Dr. Sabine Salloch für ihre Anmerkungen zu diesem Manuskript.
Literatur Weiterführende Literatur Beauchamp T, Childress JF (2009) Principles of biomedical ethics, 6.Aufl. Oxford University Press, Oxford »Conflict of interest« Themenheft (2011) Am J Bioeth 11(1) Emanuel E, Thompson DF (2008) The concept of conflict of interest. In: Emanuel E et al (Hrsg) The Oxford textbook of clinical research ethics. Oxford University Press, New York Lo B, Field M (Hrsg) (2009) Conflict of interest in medical research, education and practice. Institute of Medicine. National Academies Press, Washington DC Morreim EH (1995) Conflict of interest. In: Reich WT (Hrsg) Encyclopedia of bioethics, Volume 1, 2.Aufl. Simon & Schuster MacMillan, New York, S 459–465
4
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4
Kapitel 4 • Interessenkonflikte in der Medizin: Ein Beitrag aus medizinethischer Perspektive
Martin JB, Kasper DL (2000) In whose best interest? Breaching the academic-industrial wall. N Engl J Med 343(22): 1646–1649 Morreim EH (2011) Taking a lesson from the lawyers: defining and addressing conflict of interest. Am J Bioeth 11(1): 33–34 Nisbett RE, Wilson TD (1977) The halo effect: evidence for unconscious alteration of judgements. J Pers Soc Psychol 35: 250–256 Rauprich O, Steger F (2005) Prinzipienethik in der Biomedizin. Moralphilosophie und medizinische Praxis. Campus, Frankfurt Schott et al (2010a) The financing of drug trials by pharmaceutical companies and its consequences. Part 1: A qualitative, systematic review of the literature on possible influences on the findings, protocols, and quality of drug trials. Dtsch Arztebl Int 107(16): 279–285 Schott et al (2010b) The financing of drug trials by pharmaceutical companies and its consequences. Part 2: A qualitative, systematic review of the literature on possible influences on authorship, access to trial data, and trial registration and publication. Dtsch Arztebl Int 107(16): 295–301 Stell LK (2010) Avoiding over-deterrence in managing physicians’ relationships with industry. Am J Bioeth 10(1): 27–29 Stossel TP (2005) Regulating academic-industrial research relationships – solving problems or stifling progress? N Engl J Med 8;353(10): 1060–1065. No abstract available Strech D (2010) Zur Ethik einer restriktiven Regulierung der Studienregistrierung. Ethik Med. doi: 10.1007/s00481010-0071-2 Strech D, Knüppel H (2011) How to evaluate conflict of interest policies. Am J Bioeth 11(1): 37–39 Thompson DF (1993) Understanding financial conflicts of interest. N Engl J Med 329(8): 573–576 Vollmann J, Dörries A (1996) Dem Einzelnen oder dem Ganzen verpflichtet. Ethische Überlegungen zur ärztlichen Verantwortung. Z Arztl Fortbild Qual Gesundhwes 90: 527–532 Weltärztebund (2008) Deklaration des Weltärztebundes von Helsinki. Ethische Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen. In: Weltärztebund (Hrsg) Handbuch der Deklarationen, Erklärungen und Entschliessungen. Deutsche Fassung, S 151–157. http:// www.bundesaerztekammer.de/downloads/handbuchwma.pdf. Zugegriffen: 22. Januar 2011 World Medical Association (2006) Declaration of Geneva. http://www.wma.net/en/30publications/10policies/g1/ index.html. Zugegriffen: 11. Januar 2011
61
Offenlegung von Interessenkonflikten Klaus Lieb, Ulrich Limbach und David Klemperer
5.1
Einleitung – 62
5.2
Kontext-abhängige Offenlegung von Interessenkonflikten – 63
5.2.1 5.2.2
Offenlegung – wem gegenüber? – 63 Offenlegung – wovon? – 65
5.3
Direkte Auswirkungen der Offenlegung von Interessenkonflikten – 65
5.4
Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft »Interessenkonflikte in der Medizin« zur Erfassung von Interessenkonflikten – 72
5.4.1 5.4.2
Vorschlag zur Offenlegung von Interessenkonflikten – 74 Basisformular für die kontinuierliche Erfassung von Interessenkonflikten – 76
5.5
Fazit und Ausblick – 78 Literatur – 78
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
5
62
Kapitel 5 • Offenlegung von Interessenkonflikten
Zur Einführung
5
Die Offenlegung von Interessenkonflikten ist ein notwendiges, aber kein hinreichendes Element eines professionellen Umgangs mit dieser Problematik. Denn sie darf nicht zum Selbstzweck werden, sondern muss von Regeln für den Umgang mit vorhandenen Interessenkonflikten und Maßnahmen zu deren Reduktion begleitet werden. Dieses Kapitel zeigt auf, dass international sehr unterschiedliche Vorschläge gemacht wurden, welche Interessenkonflikte offengelegt werden sollten. Die Vorschläge variieren insbesondere je nach Institution, der gegenüber Interessenkonflikte offengelegt werden müssen (z. B. gegenüber dem Herausgeber einer wissenschaftlichen Zeitschrift oder einer Leitlinienkommission). Das Kapitel endet mit einem Konsensvorschlag einer deutschen Arbeitsgruppe zur Dokumentation und Offenlegung von Interessenkonflikten.
5.1
Einleitung
Interessenkonflikte sind in der Medizin sehr häufig. Das primäre Interesse des Arztes, nämlich das Bestmögliche für den Patienten zu tun, kann mit sekundären Interessen in Konflikt stehen, wobei diese sekundären Interessen materieller oder nichtmaterieller Art sein können (7 Kap. 2). Materielle Interessenkonflikte können beispielsweise durch Zuwendungen von pharmazeutischen Unternehmen, Herstellern von Medizinprodukten oder Biotechnologieunternehmen (im Folgenden zusammengefasst als Industrieunternehmen bezeichnet) entstehen. Diese Zuwendungen erhöhen u. a. über die Reziprozitätsregel (7 Kap. 3) die Wahrscheinlichkeit, dass die Ärzte vermehrt ein Medikament verschreiben oder ein Gerät benutzen, das sie ansonsten nicht verschrieben bzw. eingesetzt hätten. So geht die Teilnahme an wissenschaftlichen Symposien, die in Hotels auf Kosten von Herstellern angeboten werden (Orlowski u. Wateska 1992), oder an industriegesponserten CME-Kursen (Bowman u. Pearle 1988; Wazana 2000) mit erhöhten Verordnungszahlen der beworbenen Substanzen einher. Materielle Interessenkonflikte können auch dann entstehen, wenn ein Arzt Honorare für Vorträge oder Beratertätigkeiten annimmt. Damit steigt die
Wahrscheinlichkeit, dass er sich direkt oder indirekt für ein entsprechendes Medikament oder Verfahren stark macht. In diesem Sinne erhöhen beispielsweise enge Kontakte mit Industrieunternehmen auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich Ärzte für eine Aufnahme der Medikamente der entsprechenden Hersteller in die Arzneimittellisten der Kliniken einsetzen (Chren u. Landefeld 1994; Wazana 2000). Im wissenschaftlichen Bereich können Interessenkonflikte entstehen, wenn Ärzte Gelder für die Durchführung von Arzneimittelstudien annehmen. Solche Beziehungen gingen bei dänischen Allgemeinmediziniern mit erhöhten Verordnungszahlen (Andersen et al. 2006) einher. Finanzielle Verbindungen im Zusammenhang mit dem Diabetesmedikament Rosiglitazon gingen mit einer positiveren Nutzen-Risiko-Abwägung einher (Wang et al. 2010; Schott et al. 2010a, b). Neben diesen materiellen Interessenkonflikten können Interessenkonflikte aber auch psychologischer oder sozialer Natur sein. Beispielsweise kann die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Therapieschule (z. B. Homöopathie, Alternativmedizin, chirurgische Schule), einer Fachgesellschaft oder anderen Interessengruppierungen, die Präsidentschaft eines Ausbildungsinstitutes oder das Verfolgen der eigenen Karriere Interessenkonflikte bedingen. Interessenkonflikte sind also vielseitig bedingt. Sie entstehen häufig, aber nicht ausschließlich durch finanzielle Beziehungen zu Industrieunternehmen. Voraussetzung für einen adäquaten Umgang mit Interessenkonflikten ist die Offenlegung von sekundären Interessen. Da Interessenkonflikte ihre Wirkung auf das Urteilsvermögen weitgehend oder vollständig unbewusst entfalten und daher die Erkennung von eigenem »Bias« aufgrund von Interessenkonflikten schwierig bis unmöglich ist (7 Kap. 3), besitzt die Offenlegung von Interessenkonflikten besondere Bedeutung. Definition Interessenkonflikte stellen Situationen dar, die ein Risiko dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermögen oder Handeln, welches sich auf ein primäres Interesse bezieht, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst wird. (7 Kap. 2)
63
5.2 • Kontext-abhängige Offenlegung von Interessenkonflikten
Diese Definition besagt, dass die Offenlegung von Interessenkonflikten zwar ein notwendiger, aber kein hinreichender Schritt für einen professionellen Umgang mit Interessenkonflikten ist. Ihre Offenlegung gibt dem Adressaten die Möglichkeit, das erhöhte Risiko für »bias« in seiner Bewertung von Inhalten und Ergebnissen zu bedenken. Weitere Erläuterungen hierzu 7 Kap. 7 und 7 Abschn. 19.4.1. > Die Offenlegung von Interessenkonflikten ist zwar ein notwendiger, aber kein hinreichender Schritt für einen professionellen Umgang mit Interessenkonflikten.
Die Bedeutung der Offenlegung von Interessenkonflikten ergibt sich auch daraus, dass Arzt-IndustrieKontakte in der Öffentlichkeit zunehmend kritisch wahrgenommen werden, und dass die Patienten wünschen, über solche Beziehungen informiert zu sein (Sutherland et al. 2009; Tattersall et al. 2009). In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurden 906 Patienten in 3 Arztpraxen in Australien befragt: 5 Ob sie über Arztkontakte mit pharmazeutischen Unternehmen informiert sind, 5 wie sie sie beurteilen 5 und ob sie eine Offenlegung dieser Kontakte wünschen (Tattersall et al. 2009). 76 % der Patienten wussten nichts von Interessenkonflikten ihrer Ärzte mit Industrieunternehmen, gleichzeitig wünschten 79 % der Befragten Informationen zu irgendwelchen Vorteilen, die Ärzte von Industrieunternehmen erhalten. 80 % glaubten, dass eine Offenlegung wichtig ist, weil sie ihnen eine bessere Behandlungsentscheidung erlaubt und 80 % würden im Falle einer Offenlegung ihren Ärzten mehr vertrauen.
5.2
Kontext-abhängige Offenlegung von Interessenkonflikten
Welche Interessenkonflikte in welchem Umfang offengelegt werden sollen, ist je nach Institution, die diese Offenlegung fordert, unterschiedlich. In diesem Abschnitt sollen Beispiele dafür genannt werden, in welchem Kontext und in welcher Form Interessenkonflikte typischerweise offengelegt werden.
5
> Art und Umfang der Offenlegung von Interessenkonflikten unterscheiden sich je nach den spezifischen Aufgaben der Institution, der gegenüber Interessenkonflikte offengelegt werden.
5.2.1
Offenlegung – wem gegenüber?
Offenlegung gegenüber dem Arbeitgeber In Kliniken bzw. Institutionen ist die Offenlegung von Industrie-Kontakten gegenüber dem Arbeitgeber bzw. der Institution normalerweise geregelt; nämlich dadurch, dass für Tätigkeiten, die mit der Annahme von Industriegeldern einhergehen, eine entsprechende Arbeitgeber-und Nebentätigkeitsgenehmigung vorliegen muss. Im Kern haben diese Regelungen eine adäquate Entsprechung von Leistung und Gegenleistung zum Ziel. Die Offenlegung muss in der Regel bei Beginn der Tätigkeit erfolgen und jährlich erneuert werden, bzw. dann, wenn relevante Änderungen in der Art oder dem Umfang der Tätigkeit eintreten. Üblicherweise muss einmal pro Jahr die Gesamtsumme der Einnahmen aus Arzt-Industrie-Kontakten deklariert werden. Offenlegung im Rahmen wissenschaftlicher Tätigkeiten und bei Referenten- und Gutachtertätigkeit Bei der Durchführung wissenschaftlicher Stu-
dien, bei der Erstellung von Gutachten oder Leitlinien oder bei einer Referententätigkeit müssen Interessenkonflikte in unterschiedlichem Umfang gegenüber den Zulassungsbehörden, der durchführenden Institution oder dem Veranstalter bzw. den Zuhörern offengelegt werden. Ebenso müssen bei der Veröffentlichung von Studienergebnissen in Form eines wissenschaftlichen Manuskripts oder bei der Einreichung eines Beitrages auf einem Kongress Interessenkonflikte bei vielen Journalen/ Kongressveranstaltern deklariert werden (ausführliche Angaben 7 Kap. 19). Eine weitere Form der Offenlegung von Interessenkonflikten im Rahmen wissenschaftlicher Tätigkeiten betrifft ihre Offenlegung durch den Studienleiter gegenüber Patienten/ Probanden, die an wissenschaftlichen Studien teilnehmen.
64
Kapitel 5 • Offenlegung von Interessenkonflikten
Offenlegung von Interessenkonflikten bei Ärzten in eigener Praxis Für Ärzte in privater Praxis gibt
5
es keine Regelung zur Offenlegung von Interessenkonflikten. Auch aus der ärztlichen Berufsordnung lassen sich keine Pflichten zur Offenlegung von Interessenkonflikten z. B. gegenüber den Ärztekammern ableiten (7 Kap. 8). In den USA fordert der »Sunshine Act«, dass ab 2013 Industrieunternehmen finanzielle Zuwendungen jeder Art an Ärzte (ab einem Betrag von US $ 10) in einer durchsuchbaren Internet-Datenbank öffentlich machen (Moynihan 2010). Durch diese Regelung werden nicht die Ärzte zur Offenlegung ihrer Industrie-Beziehungen verpflichtet, vielmehr wird die Transparenz durch eine gesetzliche Verpflichtung der Industrieunternehmen zur Offenlegung hergestellt. Zumindest von großen Unternehmen können schon heute in den USA an Ärzte gezahlte Honorare und Zahlungen für. Fortbildungen etc. online abgerufen werden (http://projects.propublica.org). Mit einer Suchfunktion können der Name des betreffenden Arztes eingegeben und die Zahlungen eingesehen werden. Die bereits jetzt erfolgte Offenlegung wurde entweder von den Industrieunternehmen freiwillig initiiert oder war die Folge von Vereinbarungen mit dem US-amerikanischen Justizministerium (Lo u. Field 2009). > In den USA muss die Industrie ab 2013 alle finanziellen Zuwendungen an Ärzte in einer durchsuchbaren Internet-Datenbank öffentlich machen.
Studien über die Korrektheit von Interessenkonflikterklärungen weisen auf Unvollständigkeit hin. Dies ist zum einen den unterschiedlichen zugrundeliegenden Definitionen geschuldet. Das Beispiel der S3-Leitlinie Demenzen belegt deutlich, dass das Konzept des potentiellen Interessenkonflikts, das die Beurteilung des Vorliegens eines Interessenkonflikts dem Betroffenen überlässt (7 Abschn. 2.3.4) untauglich ist. Zum anderen gibt es aber auch Belege für unkorrekte Angaben. In der S3-Leitlinie Demenzen (DGPPN u. DGN 2009, S. 333ff.) hatten die beteiligten Autoren folgende Frage zu beantworten:
»
Existieren finanzielle oder sonstige Beziehungen mit möglicherweise an den Leitlinieninhalten interessierten Dritten?
«
Ihrer Pflicht zur Offenlegung von Beziehungen zur Industrie sind diese 68 Autoren tatsächlich nachgekommen, das Ergebnis wurde allerdings nicht veröffentlicht. Die Internet-Recherche eines Bloggers fand für 29 Autoren finanzielle Verbindungen zur pharmazeutischen Industrie (http://gesundheit. blogger.de/stories/1714551). Entsprechend dem damaligen Procedere der AWMF sollten die Autoren erklären, ob dadurch die erforderliche Neutralität in Frage gestellt sei. Dies konnte keiner der 29 Autoren mit finanziellen Verbindungen für sich erkennen, auch ein Autor mit Verbindungen zu 25 Firmen nicht, weswegen keiner von ihnen einen Interessenkonflikt angab. Weinfurt et al. (2008a) beobachteten unvollständige und inkonsistente Offenlegungen von Interessenkonflikten in Artikeln zu Koronar-Stents aus dem Jahr 2006. Demnach hatten 75 Autoren zumindest einen Interessenkonflikt durch einen Industrie-Kontakt offengelegt, aber nur 2 Autoren hatten diese in allen ihren publizierten Artikeln angegeben. Goozner (2004) konnte für 6 von 53 Beiträgen im JAMA und 2 von 42 Beiträgen im NEJM nachweisen, dass keine Interessenkonflikte angegeben waren, obwohl der Erst- oder der Letztautor finanzielle Beziehungen zur Industrie im Zusammenhang mit der jeweiligen Studie hatten. Chimonas et al. (2010) konnten auf Grundlage von Industrieunterlagen nachweisen, dass im Jahr 2007 im Zusammenhang mit orthopädischen Produkten 40 Wissenschaftler, die in den Büchern der Firmen als Berater geführt wurden, Zahlungen von mehr als US $ 1 Mio. erhielten. Bei der Auswertung von 95 Publikationen dieser Wissenschaftler fand sich nur bei 44 die Erklärung eines Interessenkonflikts. Wie an anderer Stelle (7 Kap. 19) ausführlicher dargestellt, ziehen einige Journale strenge Konsequenzen, wenn Interessenkonflikte nicht korrekt angegeben werden. Dies kann z. B. von einem 3-Jahres-Verbot einer Publikation im entsprechenden Journal bis hin zu einer Rücknahme des Artikels von der Veröffentlichung reichen. Eine breite Öffentlichkeit haben Fälle von Wissenschaftlern bzw. Ärzten in den USA erfahren, die trotz entsprechender Pflichten Zahlungen von Industrieunternehmen für Forschungsvorhaben oder Beratertätigkeiten/Vorträge gegenüber ihrer Fakultät nicht offengelegt hatten und teilweise empfindliche
5.3 • Direkte Auswirkungen der Offenlegung von Interessenkonflikten
Konsequenzen hinnehmen mussten, einschließlich des Verlustes des innegehabten Lehrstuhls (Harris 2008).
5.2.2
Offenlegung – wovon?
Es herrscht international keine Einigkeit darüber, welche Interessenkonflikte in welcher Genauigkeit offengelegt werden sollen. Es gibt inzwischen fast so viele unterschiedliche Formblätter zur Erfassung von Interessenkonflikten wie Institutionen, die solche erfassen. Dies stellt ein häufig beklagtes Ärgernis dar, da insbesondere wissenschaftlich aktive Ärzte sehr häufig unterschiedliche Formulare für die Erfassung von Interessenkonflikten ausfüllen müssen. Auch wenn klar ist, dass sich die Bedürfnisse nach Offenlegung von Institution zu Institution aufgrund der jeweiligen Besonderheiten der Tätigkeit unterscheiden müssen, wäre eine weitgehende Vereinheitlichung der Formblätter dennoch sinnvoll und wünschenswert. > Eine weitestgehende Vereinheitlichung von Formblättern zur Erfassung von Interessenkonflikten ist sinnvoll und wünschenswert.
Bei der Frage, wie umfangreich die Offenlegung von Interessenkonflikten sein sollte, ist grundsätzlich das psychologische Phänomen zu beachten, dass bei einer sehr umfassenden Offenlegung von Informationen die Gefahr besteht, dass kritische und entscheidende Informationen in einem Berg von unwichtigen Details übersehen werden oder verloren gehen können (Lo u. Field 2009, S. 77). Damit kann durch eine »Übergenauigkeit« unter Umständen genau das Gegenteil des intendierten Effekts einer besseren Transparenz erreicht werden. Die folgenden 4 Tabellen geben die Ergebnisse einer von U. Limbach im Rahmen seiner medizinischen Dissertation durchgeführten Analyse zur Erfragung von Interessenkonflikten wieder. Die Erfragung war erfolgt durch: 5 ausgewählte Medizinische Fachgesellschaften (. Tab. 5.1), 5 Institutionen und Kommissionen (. Tab. 5.2), 5 Verlage (. Tab. 5.3) und 5 Fachzeitschriften (. Tab. 5.4).
65
5
Hier wird deutlich sichtbar, wie stark sich die einzelnen Formblätter zur Erfassung von Interessenkonflikten unterscheiden. Zum Teil ist dies sicherlich auf unterschiedliche Bedürfnisse der erhebenden Institutionen zurückzuführen, zum Teil wohl aber auch auf unterschiedliche Grundannahmen darüber, welche Interessenkollision einen Interessenkonflikt verursachen kann. Die Formblätter variieren darüber hinaus auch erheblich im Zeitrahmen, für den Interessenkonflikte erfragt werden. Viele Institutionen erfragen gegenwärtige Interessenkonflikte bzw. Interessenkonflikte innerhalb der letzten 12 Monate, aber auch die Erfragung von Interessenkonflikten für einen länger dauernden Zeitraum wie 3 oder 5 Jahre ist üblich. Nicht selten wird auch nach Interessenkonflikten gefragt, die durch anstehende, aber noch nicht ausbezahlte Verträge mit Industrieunternehmen entstehen können.
5.3
Direkte Auswirkungen der Offenlegung von Interessenkonflikten
Wie oben ausgeführt, darf die Offenlegung von Interessenkonflikten nicht zum Selbstzweck werden, denn die Offenlegung ist nur die Grundlage für weitere Konsequenzen, die daraus gezogen werden müssen. In den folgenden Ausführungen soll der Frage nachgegangen werden, ob bereits die Deklarierung selbst positive Auswirkungen haben kann, etwa für den Arzt, der sie gegenüber seinen Patienten erklärt, oder für Leser eines wissenschaftlichen Fachartikels. Zur Frage, ob eine Offenlegung von Interessenkonflikten das Vertrauen der Patienten in ihre behandelnden Ärzte erhöhen kann, gibt die Studie von Tattersall et al. (2009) Auskunft. Demnach glaubten 80 % der befragten 904 Patienten, dass eine Offenlegung wichtig ist, weil sie ihnen eine bessere Behandlungsentscheidung erlaubt, und 80 % würden bei einer Mitteilung von Interessenkonflikten ihren Ärzten mehr vertrauen. Dazu passen auch Ergebnisse einer Studie von Hall et al. (2002), die zeigte, dass eine Offenlegung keine negativen, sondern eher leichte positive Auswirkungen hat. Dieses Vorgehen kann also für den betreffenden Arzt
66
Kapitel 5 • Offenlegung von Interessenkonflikten
. Tab. 5.1
Erfassung von Interessenkonflikten durch medizinische Fachgesellschaften (Auswahl)
Themenbereich
5
ja
nein
1. Formblatt liegt online vor:
APA
AHAa,ACCa, DGK(K)+a, DGHOa
2.1. Nennung des Arbeitgebers
AHA, DGHO
APA, ACC, DGK(K)
2.2.1. Frage nach Aktien
AHA, APA, ACC, DGHO
DGK(K)
2.2.2. Frage nach Patenten
ACC
AHA, APA, DGK(K), DGHO
2.2.3. Frage nach Geldern aus Lizenzen oder Tantiemen
AHA, APA, DGHO
ACC, DGK(K)
2.2. Beziehungen zum Unternehmen/Auftraggeber
Fragestellung
2.2.4. Frage nach persönlichen Beziehungen zu einem Unternehmen (z. B. Partneranstellung)
2.3. Autorentätigkeit
2.2.5. Frage nach einer Beratertätigkeit
AHA, APA, ACC, DGHO
DGK(K)
2.2.6. Frage nach Honoraren für eine Beratertätigkeit, z. B. im Rahmen eines Advisory Boards oder eines Steering Commitees
AHA, APA, DGK(K)
ACC, DGHO
2.3.1. Frage nach Honoraren für eine Autorenbzw. Co-Autorenschaft bei einer Publikation
AHA, APA, ACC, DGK(K), DGHO
2.3.2. Frage nach Gastautorenschaft
AHA, APA, ACC, DGK(K), DGHO
2.3.3. Frage nach Honoraren für eine Gutachtertätigkeit 2.4. Fortbildungen und Kongresse
AHA, APA, ACC, DGK(K), DGHO
DGHO
AHA, APA, ACC, DGK(K), DGHO
2.4.1. Frage nach Erstattung von Teilnahmegebühren für einen Kongress oder eine Fortbildungsveranstaltung 2.4.2. Frage nach Erstattung von Reisekosten
DGHO
2.4.3. Frage nach Erstattung von Übernachtungskosten
2.5. Wissenschaftliche Tätigkeiten
AHA, APA, ACC, DGK(K)
AHA, APA, ACC, DGK(K) AHA, APA, ACC, DGK(K), DGHO
2.4.4. Frage nach Honoraren für einen Vortrag oder die Vorbereitung von wissenschaftlichen bzw. Fortbildungsveranstaltungen
DGK(K), DGHO
AHA, APA, ACC
2.5.1. Frage nach Honoraren für die Durchführung von klinischen Auftragsstudien in der Funktion als Studienarzt oder als Klinikdirektor
AHA, APA, DGK(K), DGHO
ACC
2.5.2. Frage nach Annahme von Geldern (auch Geräten, Materialien, organisatorischer Hilfestellung oder Unterstützung bei der Abfassung von Manuskripten) für ein von Ihnen persönlich initiiertes Forschungsvorhaben (als Studienarzt bzw. als Studiendirektor)
APA, DGK(K), DGHO,
AHA, ACC
5
67
5.3 • Direkte Auswirkungen der Offenlegung von Interessenkonflikten
. Tab. 5.1 Fortsetzung Themenbereich
Fragestellung
ja
nein
2.6. Immaterielle Interessenkonflikte
2.6.1. Frage nach Aktivitäten oder Mitgliedschaften in Berufsverbänden/Fachgesellschaften/Organen der Selbstverwaltung
DGHO
AHA, APA, ACC, DGK(K) AHA, APA, ACC, DGK(K), DGHO
2.6.2. Frage nach Angehörigkeit einer bestimmten Therapieschule (z. B. chirurgische Schule, Psychotherapie, Homöopathie etc.) 2.7. Interessenkonflikte anderer Art
Bestehen Interessenkonflikten anderer Art?
AHA
APA, ACC, DGK(K), DGHO
DGK(K)+ Formblatt des Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, Herz- und Kreislaufforschung a kein Formblatt im Internet vorhanden, jedoch Richtlinien über den Umgang mit Interessenkonflikten Abkürzungen: AHA American Heart Association, APA American Psychological Association, ACC American College of Cardiology, DGK Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie
oder Wissenschaftler direkt mit positiven Konsequenzen einhergehen. > Die Offenlegung von Interessenkonflikten kann positive Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis der Patienten zu ihrem Arzt haben. z
Ergebnisse von Studien
Drei Studien untersuchten den Einfluss von Interessenkonflikt-Offenlegungen durch Autoren auf die Bewertung der Studienergebnisse durch Leser der entsprechenden Journal-Artikel. Chaudhry et al. (2002) fanden, dass Leser einen Artikel als weniger interessant, wichtig, relevant und glaubwürdig beurteilten, wenn die Autoren angegeben hatten, dass sie bei einer (erfundenen) Firma angestellt waren als wenn sie sich als Angestellte eines ambulanten Ärztezentrums ausgaben. Eine andere Studie zeigte, dass Bedeutung, Relevanz, Gültigkeit und Glaubwürdigkeit einer Studie durch Leser niedriger eingeschätzt wurde, wenn die Autoren angegeben hatten, dass sie Aktien bei dem entsprechenden Industrieunternehmen besaßen oder ein Forschungsprojekt finanziell unterstützt wurde (Schroter et al. 2004). In einer aktuellen Studie präsentierten Silverman et al. (2010) 515 Gynäkologen (Teilnahmequote 49 %) Abstracts mit positiven Studienergebnissen für ein neues, fiktives Medikament. Die Abstracts waren entweder mit der Offenlegung eines Forscher-Interessenkonflikts, eines Präsen-
tierer-Interessenkonflikts oder keinem Interessenkonflikt versehen. Anschließend wurde die Wahrscheinlichkeit erfragt, mit der die Ärzte das entsprechende fiktive Medikament verschreiben würden. Die Tatsache, ob eine InteressenkonfliktOffenlegung mit dem Studienabstract verbunden war oder nicht, hatte keinen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, mit der die Studienteilnehmer das Medikament verschreiben würden. Dies änderte sich nur, wenn die Studienteilnehmer direkt die Abstracts mit und ohne Interessenkonflikt-Erklärung vergleichen mussten. Hier zeigte sich, dass bei 69 % der Befragten der Interessenkonflikt des Forschers und bei 57 % der Interessenkonflikt des Präsentierenden keinen Einfluss auf ihr Verschreibungsverhalten hatte. Die Studienergebnisse lassen sich so interpretieren, dass eine Offenlegung von Interessenkonflikten allein nicht ausreichend ist, um eine kritische Haltung der Leser gegenüber den Inhalten wissenschaftlicher Artikel zu induzieren. > Die Offenlegung von Interessenkonflikten in wissenschaftlichen Publikationen führt allein nicht zwangsläufig zu veränderten Urteilen der Leser.
Die Offenlegung von Interessenkonflikten durch Studienleiter gegenüber Studienpatienten hat offenbar relativ wenig Einfluss auf die Entscheidung der Patienten, an klinischen Studien teilzunehmen (Zusammenfassung: Lo u. Field 2009; s. auch: Kim et al. 2004; Hampson et al. 2006; Weinfurt et al. 2006, 2008 b, c; Gray et al. 2007). Von größerer
68
Kapitel 5 • Offenlegung von Interessenkonflikten
. Tab. 5.2
Erfassung von Interessenkonflikten durch Institutionen/Kommissionen (Auswahl)
Themenbereich
5
ja
Nein
1. Formblatt liegt online vor:
AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, AkdÄ, IQWIG, Cochrane Collaboration, EMEA, BfArM, MSSM
STIKOa, NICEa, EBMa
2.1. Nennung des Arbeitgebers
AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, MSSM
STIKO, AKdÄ, IQWIG, NICE, Cochrane Collaboration, EMEA, BfArM, EBM
2.2. Beziehungen zum Unternehmen/ Auftraggeber
2.3. Autorentätigkeit
Frage
2.2.1. Frage nach Aktien
STIKO, BfArM, AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, AKdÄ, IQWIG, NICE, Cochrane Collaboration, EBM, MSSM, EMEA
2.2.2. Frage nach Patenten
STIKO, AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, AKdÄ, IQWIG, EMEA, BfArM
NICE, Cochrane Collaboration, EBM, MSSM
2.2.3. Frage nach Geldern aus Lizenzen oder Tantiemen
STIKO, AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, AKdÄ, MSSM
IQWIG, NICE, Cochrane Collaboration, EMEA, BfArM, EBM
2.2.4. Frage nach persönlichen Beziehungen zu einem Unternehmen (z .B. Partneranstellung)
AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, NICE, EBM
STIKO, AKdÄ, IQWIG, Cochrane Collaboration, EMEA, BfArM, MSSM
2.2.5. Frage nach einer Beratertätigkeit
STIKO, AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, AKdÄ, IQWIG, NICE, Cochrane Collaboration, EMEA, BfArM, EBM, MSSM
2.2.6. Frage nach Honoraren für eine Beratertätigkeit, z. B. im Rahmen eines Advisory Boards oder eines Steering Commitees
AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, AKdÄ, IQWIG, NICE, Cochrane Collaboration, MSSM
STIKOb, EMEAb, BfArMb, EBM
2.3.1. Frage nach Honoraren für eine Autoren- bzw. Co-Autorenschaft bei einer Publikation
AWMF, ÄZQ, IQWIG, KBV, BÄK, MSSM
STIKO, AKdÄb, NICE, Cochrane Collaboration, EMEA, BfArM, EBM
2.3.2. Frage nach Gastautorenschaft
2.4. Fortbildungen und Kongresse
STIKO, AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, AKdÄ, IQWIG, NICE, Cochrane Collaboration, EMEA, BfArM, EBM, MSSM
2.3.3. Frage nach Honoraren für eine Gutachtertätigkeit
MSSM, AkdÄb
STIKOb, AWMFb, ÄZQb, KBVb, BÄKb, IQWIG, NICE, Cochrane Collaboration, EMEA, BfArM, EBM
2.4.1. Frage nach Erstattung von Teilnahmegebühren für einen Kongress oder eine Fortbildungsveranstaltung
STIKO, IQWIG
AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, AkDÄ, NICEc, Cochrane Collaborationc, EMEA, BfArM, EBM, MSSM
2.4.2. Frage nach Erstattung von Reisekosten
STIKO, IQWIG, EBM
AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, AkDÄ, NICEc, Cochrane Collaboration, EMEA, BfArM, MSSM
5.3 • Direkte Auswirkungen der Offenlegung von Interessenkonflikten
69
5
. Tab. 5.2 Fortsetzung Themenbereich
Frage
ja
2.4.3. Frage nach Erstattung von Übernachtungskosten
2.5. Wissenschaftliche Tätigkeiten
2.6.Immaterielle Interessenkonflikte
2.7. Interessenkonflikte anderer Art a
Nein STIKO, AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, AKdÄ, IQWIG, NICEc, Cochrane Collaboration, EMEA, BfArM, EBM, MSSM
2.4.4. Frage nach Honoraren für einen Vortrag oder die Vorbereitung von wissenschaftlichen bzw. Fortbildungsveranstaltungen
AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, IQWIG, NICE, Cochrane Collaboration, EBM, MSSM
STIKO**, AkDÄ, EMEA, BfArM
2.5.1. Frage nach Honoraren für die Durchführung von klinischen Auftragsstudien in der Funktion als Studienarzt oder als Klinikdirektor
AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, IQWIG, NICE, Cochrane Collaboration, EBM, MSSM
STIKOb, AkDÄ, EMEAb, BfArMb
2.5.2. Frage nach Annahme von Geldern (auch Geräten, Materialien, organisatorischer Hilfestellung oder Unterstützung bei der Abfassung von Manuskripten) für ein von Ihnen persönlich initiiertes Forschungsvorhaben (als Studienarzt bzw. als Studiendirektor)
IQWIG, NICE, Cochrane Collaboration, MSSM
STIKO, AWMF, ÄZQ, BÄK, AkDÄ, EMEA, BfArM, EBM, KBV
2.6.1. Frage nach Aktivitäten oder Mitgliedschaften in Berufsverbänden/Fachgesellschaften/Organen der Selbstverwaltung
STIKO, AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, NICE
AkDÄ, IQWIG, Cochrane Collaboration, EMEA, BfArM, EBM, MSSM
2.6.2. Frage nach Angehörigkeit einer bestimmten Therapieschule (z. B. chirurgische Schule, Psychotherapie, Homöopathie etc.)
AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK
STIKO, AkdÄ, IQWIG, NICE, Cochrane Collaboration, EMEA, BfArM, EBM, MSSM
Bestehen Interessenkonflikte anderer Art?
Cochrane Collaboration, EBM
STIKO, AWMF, ÄZQ, KBV, BÄK, AkDÄ, IQWIG, NICE, EMEA, BfArM, MSSM
Kein Formblatt im Internet vorhanden, jedoch Richtlinien über den Umgang mit Interessenkonflikten. Frage bezieht sich auf betreffende Tätigkeit, jedoch nicht auf Honorar für Tätigkeit. c Frage bezieht sich auf die Rückerstattung von Kosten, die jedoch über einen Unkostenausgleich hinausgehen. Abkürzungen: AkdÄ Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, IQWIG Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, NICE National Institute for Health and Clinical Excellence, EMEA European Medicines Agency, BfArM Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, EBM Netzwerk evidenzbasierte Medizin, STIKO Ständige Impfkommission des Robert Koch Institut, AWMF Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, ÄZQ Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin, KBV Kassenärztliche Bundesvereinigung, BÄK Bundesärztekammer, MSSM Mount Sinai School of Medicine b
70
Kapitel 5 • Offenlegung von Interessenkonflikten
. Tab. 5.3
Erfassung von Interessenkonflikten durch Verlage (Auswahl)
Themenbereich
Frage
1. Formblatt liegt online vor:
5
2.3. Autorentätigkeit
nein
Springera, Thieme,
Huber
Elsevier, Schattauer Verlagb, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
2.1. Nennung des Arbeitgebers
2.2. Beziehungen zum Unternehmen/Auftraggeber
ja
2.2.1. Frage nach Aktien
Elsevier, Schattauer Verlag
Springer, Thieme, wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
Thieme, Elsevier, Schattauer Verlag
Springer, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
2.2.2. Frage nach Patenten
Springer, Thieme, Elsevier, Schattauer Verlag, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
2.2.3. Frage nach Geldern aus Lizenzen oder Tantiemen
Springer, Thieme, Elsevier, Schattauer Verlag, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
2.2.4. Frage nach persönlichen Beziehungen zu einem Unternehmen (z. B. Partneranstellung)
Elsevier, Thieme
Springer, Schattauer Verlag, wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
2.2.5. Frage nach einer Beratertätigkeit
Elsevier, Thieme, Schattauer Verlag
Springer, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
2.2.6. Frage nach Honoraren für eine Beratertätigkeit, z. B. im Rahmen eines Advisory Boards oder eines Steering Commitees
Thieme, wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
Springer, Elsevier, Schattauer Verlag
2.3.1. Frage nach Honoraren für eine Autorenbzw. Co-Autorenschaft bei einer Publikation
Springer, Thieme, Elsevier, Schattauer Verlag, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
71
5.3 • Direkte Auswirkungen der Offenlegung von Interessenkonflikten
5
. Tab. 5.3 Fortsetzung Themenbereich
Frage
ja
2.3.2. Frage nach Gastautorenschaft
2.4. Fortbildungen und Kongresse
Springer, Thieme, Elsevier, Schattauer Verlag, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
2.3.3. Frage nach Honoraren für eine Gutachtertätigkeit
Thieme
Springer, Elsevier, Schattauer Verlag, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
2.4.1. Frage nach Erstattung von Teilnahmegebühren für einen Kongress oder eine Fortbildungsveranstaltung
Thieme, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
Springer, Elsevier, Schattauer Verlag
2.4.2. Frage nach Erstattung von Reisekosten
Thieme, Elsevier, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
Springer, Schattauer Verlag
2.4.3. Frage nach Erstattung von Übernachtungskosten
2.5. Wissenschaftliche Tätigkeiten
nein
Springer, Thieme, Elsevier, Schattauer Verlag, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
2.4.4. Frage nach Honoraren für einen Vortrag oder die Vorbereitung von wissenschaftlichen bzw. Fortbildungsveranstaltungen
Thieme, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
Springer, Elsevier, Schattauer Verlag
2.5.1. Frage nach Honoraren für die Durchführung von klinischen Auftragsstudien in der Funktion als Studienarzt oder als Klinikdirektor
Springer, Thieme, Elsevier, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
Schattauer Verlag
2.5.2. Frage nach Annahme von Geldern (auch Geräten, Materialien, organisatorischer Hilfestellung oder Unterstützung bei der Abfassung von Manuskripten) für ein von Ihnen persönlich initiiertes Forschungsvorhaben (als Studienarzt bzw. als Studiendirektor)
Springer, Thieme, Elsevier, wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
Schattauer Verlag
Kapitel 5 • Offenlegung von Interessenkonflikten
72
. Tab. 5.3 Fortsetzung Themenbereich
Frage
ja
nein
2.6.Immaterielle Interessenkonflikte
2.6.1. Frage nach Aktivitäten oder Mitgliedschaften in Berufsverbänden/Fachgesellschaften/ Organen der Selbstverwaltung
Thieme, Elsevier
Springer, Schattauer Verlag, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
2.6.2. Frage nach Angehörigkeit einer bestimmten Therapieschule (z. B. chirurgische Schule, Psychotherapie, Homöopathie etc.)
Springer, Thieme, Elsevier, Schattauer Verlag, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
2.7. Interessenkonflikte anderer Art
Bestehen Interessenkonflikte anderer Art?
Springer, Thieme, Elsevier, Schattauer Verlag, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
2.8. Interessenkonflikte, die sich auf Inhalte beziehen
Beziehen sich ein „Interessenkonflikt“ bzw. „bias“ infolge von Interessenkonflikten nur auf den Inhalt z. B. des Manuskripts?
5
a b
Thieme, Elsevier
Springer, Schattauer Verlag, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
am Beispiel des Journal of Orofacial Orthopedics am Beispiel des Journal: Thrombosis and Haemostasis
Relevanz für die Entscheidungsfindung der Patienten sind Vorteile und Risiken, die mit der Studienteilnahme einhergehen. Sicherlich spielt auch eine Rolle, dass sich Patienten erhoffen, durch die Studienteilnahme in den Genuss neuer und möglicherweise besser wirksamer Medikamente zu kommen (z. B. im Bereich der Tumorforschung) und sogar eher wünschen, dass enge Industriekontakte der Studienleiter bestehen. Kritisch anzumerken ist allerdings, dass die bisher durchgeführten Studien nicht die Risiken erläuterten, die durch IndustrieKontakte der Studienleiter entstehen könnten, wie z. B. durch Einflüsse auf die Studiendurchführung oder Nicht-Publizierung von negativen Studienergebnissen (Schott et al. 2010 a, b). Im Vergleich zu Untersuchungen bei praktizierenden Ärzten war der Prozentsatz derjenigen Patienten, die eine Offenlegung der Interessenkonflikte der Studienleiter wünschten, in einer Studie mit 31 % geringer (Hampson et al. 2006). Allerdings wollten in der Befra-
gung von Tattersall et al. (2009) 70 % der Befragten wissen, ob ihre Ärzte finanzielle Vorteile durch die Forschung erzielen. Die Unterschiede in den Prozentsätzen können einerseits durch unterschiedliche Definitionen von Interessenkonflikt erklärt werden, möglicherweise aber auch dadurch, dass in der Studie von Hampson et al. Tumorpatienten und in der Studie von Tattersall et al. Patienten aus Allgemeinpraxen mit unterschiedlichen Erkrankungen befragt wurden.
5.4
Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft »Interessenkonflikte in der Medizin« zur Erfassung von Interessenkonflikten
2009 hat sich eine informelle Arbeitsgruppe »Interessenkonflikte in der Medizin« aus Vertretern
5.4 • Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft »Interessenkonflikte in der Medizin« zur Erfassung
. Tab. 5.4
5
73
Erfassung von Interessenkonflikten durch Fachzeitschriften (Auswahl)
Themenbereich
ja
nein
1. Formblatt liegt online vor:
DÄ, ICMJE, Science, NEJM, Nature, JAMA
BMJa, The Lanceta
2.1. Nennung des Arbeitgebers
DÄ, ICMJE, BMJ, Science, Nature, JAMA, The Lancet
NEJM
2.2. Beziehungen zum Unternehmen/Auftraggeber
2.3. Autorentätigkeit
Frage
2.2.1. Frage nach Aktien
DÄ, ICMJE, BMJ, Science, NEJM, Nature, JAMA, The Lancet
2.2.2. Frage nach Patenten
ICMJE, BMJ, Science, NEJM, Nature, JAMA, The Lancet
DÄ
2.2.3. Frage nach Geldern aus Lizenzen oder Tantiemen
ICMJE, BMJ, NEJM, JAMA, The Lancet
DÄ, Science, Nature
2.2.4. Frage nach persönlichen Beziehungen zu einem Unternehmen (z. B. Partneranstellung)
DÄ
ICMJE, BMJ, Science, NEJM, Nature, JAMA, The Lancet
2.2.5. Frage nach einer Beratertätigkeit
DÄ, ICMJE, BMJ, Science, JAMA, The Lancet
NEJM, Nature
2.2.6. Frage nach Honoraren für eine Beratertätigkeit, z. B. im Rahmen eines Advisory Boards oder eines Steering Commitees
ICMJE, BMJ, Science, NEJM, Nature, JAMA, The Lancet
DÄb
2.3.1. Frage nach Honoraren für eine Autorenbzw. Co-Autorenschaft bei einer Publikation
ICMJE, BMJ, JAMA, The Lancet
DÄ, Science, NEJM, Nature
2.3.2. Frage nach Gastautorenschaft
2.4. Fortbildungen und Kongresse
DÄ, ICMJE, BMJ, Science, NEJM, Nature, JAMA, The Lancet
2.3.3. Frage nach Honoraren für eine Gutachtertätigkeit
ICMJE, BMJ, Science, JAMA, The Lancet
DÄ, NEJMb, Nature
2.4.1. Frage nach Erstattung von Teilnahmegebühren für einen Kongress oder eine Fortbildungsveranstaltung
ICMJE, BMJ, JAMA, The Lancet
DÄ, Science, NEJM, Nature
2.4.2. Frage nach Erstattung von Reisekosten
DÄ, ICMJE, BMJ, JAMA, The Lancet
Science, NEJM, Nature
2.4.3. Frage nach Erstattung von Übernachtungskosten
ICMJE, BMJ, JAMA, The Lancet
DÄ, Science, NEJM, Nature
2.4.4. Frage nach Honoraren für einen Vortrag oder die Vorbereitung von wissenschaftlichen bzw. Fortbildungsveranstaltungen
DÄ, ICMJE, BMJ, Science, NEJM, JAMA, The Lancet
Nature
Kapitel 5 • Offenlegung von Interessenkonflikten
74
. Tab. 5.4 Fortsetzung Themenbereich
Frage
ja
nein
2.5. Wissenschaftliche Tätigkeiten
2.5.1. Frage nach Honoraren für die Durchführung von klinischen Auftragsstudien in der Funktion als Studienarzt oder als Klinikdirektor
DÄ, ICMJE, BMJ, NEJM, Nature, JAMA, The Lancet
Science
2.5.2. Frage nach Annahme von Geldern (auch Geräten, Materialien, organisatorischer Hilfestellung oder Unterstützung bei der Abfassung von Manuskripten) für ein von Ihnen persönlich initiiertes Forschungsvorhaben (als Studienarzt bzw. als Studiendirektor)
DÄ, ICMJE, BMJ, NEJM, Nature, JAMA, The Lancet
Science
2.6.1. Frage nach Aktivitäten oder Mitgliedschaften in Berufsverbänden/Fachgesellschaften/Organen der Selbstverwaltung
ICMJE, BMJ, Science, NEJM, JAMA, The Lancet
DÄ, Nature
5 2.6.Immaterielle Interessenkonflikte
DÄ, ICMJE, BMJ, Science, NEJM, Nature, JAMA, The Lancet
2.6.2. Frage nach Angehörigkeit einer bestimmten Therapieschule (z. B. chirurgische Schule, Psychotherapie, Homöopathie etc.) 2.7. Interessenkonflikte anderer Art
Bestehen Interessenkonflikte anderer Art?
2.8. Interessenkonflikte, die sich auf Inhalte beziehen
Beziehen sich ein „Interessenkonflikt“ bzw. „bias“ infolge von Interessenkonflikten nur auf den Inhalt z. B. des Manuskripts?
DÄ, ICMJE, BMJ, JAMA, The Lancet
Science, NEJM, Nature DÄ, ICMJE, BMJ, Science, NEJM, Nature, JAMA, The Lancet
a
Kein Formblatt im Internet vorhanden, jedoch Richtlinien über den Umgang mit Interessenkonflikten Frage nach Gutachter-/Beratertätigkeit, jedoch nicht nach Honorar für Gutachter-/Beratertätigkeit Abkürzungen: DÄ Deutsches Ärzteblatt, BMJ British Medical Journal, ICMJE International Committee of Medical Journal Editors, NEJM New England Journal of Medicine, JAMA Journal of the American Medical Association
b
verschiedener Institutionen des deutschen Gesundheitswesens sowie eine Arbeitsgruppe der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft konstituiert, die ihre Aktivitäten ab 2010 zusammengelegt haben. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe sind im Manuskript von Lieb et al. (2011) genannt. Die Arbeitsgruppe hat sich zum Ziel gesetzt, bereits existierende Aktivitäten zum Umgang mit Interessenkonflikten in der Medizin zu sichten und Vorschläge für eine angemessene Erfassung von Interessenkonflikten, den Umgang damit und deren Reduzierung zu erarbeiten. Sie greift damit einen Diskussionsprozess auf, der z. B. in den USA erheblich weiter fortgeschritten ist. In einer u. a. von den National Institutes of Health finanzierten Studie hat beispielsweise das Institute of Medicine (Lo u. Field 2009) eine umfangreiche Literatur-
analyse zu diesem Thema vorgelegt und konkrete Empfehlungen zur Offenlegung, zum Umgang und zur Vermeidung von Interessenkonflikten in Forschung, Lehre und Krankenversorgung abgegeben. Im Folgenden werden die Vorschläge der Arbeitsgruppe zur Offenlegung und zur kontinuierlichen Erfassung von Interessenkonflikten durch ein »Basisformular« dargestellt (Lieb et al. 2011).
5.4.1
Vorschlag zur Offenlegung von Interessenkonflikten
Die Arbeitsgruppe ist der Auffassung, dass ein Fragebogen zur Offenlegung von Interessenkonflikten je nach Kontext unterschiedliche Gewichtungen haben muss, und dass unter Umständen interna-
5.4 • Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft »Interessenkonflikte in der Medizin« zur Erfassung
5
75
. Tab. 5.5 Vorschlag der Arbeitsgruppe »Interessenkonflikte in der Medizin« für Fragen zur Erfassung von Interessenkonflikten (Lieb et al. 2011) Interessenkonflikt
obligat
fakultativ
1. Frage zum Arbeitgeber Wer ist ihr Arbeitgeber?
x
2. Fragen zu Beziehungen zu Unternehmen und Patente Halten Sie Aktien an bestimmten Unternehmen?
x
Halten Sie Patente?
x
Erhalten Sie Gelder aus Lizenzen oder Tantiemen?
x
Unterhalten Sie persönliche Beziehungen zu einem Unternehmen (z. B. Partner dort angestellt)
x
3. Fragen zu Beratertätigkeiten Erhielten Sie Honorare für eine Beratertätigkeit, z. B. im Rahmen eines Advisory Boards/Steering Commitees?
x
4. Fragen zu Autorentätigkeit Erhielten Sie Honorare für eine Autoren- bzw. Co- Autorenschaft auf einer Publikation?
x
Erhielten Sie Honorare für eine Gutachtertätigkeit?
x
5. Fragen zu Fortbildungen und Kongressen Wurden Ihnen Teilnahmegebühren für einen Kongress oder eine Fortbildungsveranstaltung erstattet?
x
Wurden Ihnen Reisekosten dafür erstattet?
x
Wurden Ihnen Übernachtungskosten erstattet?
x
Erhielten Sie Honorare für einen Vortrag oder die Vorbereitung von wissenschaftlichen bzw. Fortbildungsveranstaltungen?
x
6. Fragen zu wissenschaftlichen Tätigkeiten Erhielten Sie Honorare für die Durchführung von klinischen Auftragsstudien? a) Persönliche Annahme als Studienarzt b) Annahme auf ein Drittmittelkonto (z. B. einer Klinik) c) Verantwortung der Honorare (z. B. als Klinikdirektor)
x
Erhielten Sie Gelder (auch Geräte, Materialien, organisatorische Hilfestellung oder Unterstützung bei der Abfassung von Manuskripten) für ein von ihnen initiiertes Forschungsvorhaben? Persönliche Annahme Annahme auf ein Drittmittelkonto (z. B. einer Klinik) Verantwortung der Honorare (z. B. als Klinikdirektor)
x
7. Fragen zu immateriellen Interessenkonflikten Sind Sie in Berufsverbänden/Fachgesellschaften/Organen der Selbstverwaltung aktiv? Wenn ja, in welcher Position?
x
Sind Sie in Vereinen, Interessengruppierungen, Patientenselbsthilfegruppen aktiv? Wenn ja, in welchen?
x
Gehören Sie einer besonderen Therapieschule an (z. B. chirurgische Schule, Psychotherapeut, Homöopath etc.)?
x
76
Kapitel 5 • Offenlegung von Interessenkonflikten
. Tab. 5.5 Fortsetzung Interessenkonflikt
obligat
fakultativ
Zusätzliche Angaben zu Fragen 2–6 Nennen Sie die einzelnen Firmen pro Frage
5
x
Nennen Sie die Gesamtsumme der Geldbeträge pro Frage und Firma
x
Wie häufig haben Sie die Tätigkeiten durchgeführt?
x
tionale Vorgaben zu berücksichtigen sind wie z. B. die ICMJE-Richtlinien für Publikationen (Drazen et al., 2010). Die Arbeitsgruppe schlägt daher eine Liste von standardisierten Fragen zur Erfassung von Interessenkonflikten vor, aus der dann die jeweilige Institution (z. B. Redaktion, Dienstherr, Leitlinienkommission) die für ihre Belange relevanten Fragen auswählen kann (. Tab. 5.5). Die Arbeitsgruppe schlägt darüber hinaus vor, Interessenkonflikte im laufenden Jahr sowie in den 3 davor liegenden Kalenderjahren zu erfassen. Zudem empfiehlt sie, bestimmte Fragen bei jeder Erfassung von Interessenkonflikten (also obligat) zu erheben, während andere Fragen je nach Aufgabengebiet fakultativ gestellt werden können. Es ist darüber hinaus die Entscheidung jeder Institution, ob sie die Informationen zu Interessenkonflikten in Bezug auf ein konkretes Projekt setzt (z. B. fragt eine Zeitschrift nur nach den Interessenkonflikten, die in Zusammenhang mit dem Inhalt eines bestimmten Manuskripts bestehen) oder ob Angaben zu allen Interessenkonflikten erbeten werden. Für letzteres Vorgehen wäre etwa die Beauftragung von Gutachtern durch das IQWiG ein Beispiel. Die Auswahl der Fragen stellt das Ergebnis eines Konsensprozesses der Arbeitsgruppe dar, basierend auf der oben dargestellten Analyse von nationalen und internationalen Formblättern zur Erfassung von Interessenkonflikten. Sie berücksichtigt insbesondere Vorschläge 5 der ICMJE-Zeitschriften (Drazen et al. 2010), 5 der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ), 5 des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ), 5 des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und 5 regulatorischer Behörden wie z. B. der European Medicines Agency (EMA).
5.4.2
Basisformular für die kontinuierliche Erfassung von Interessenkonflikten
Basierend auf den von der Arbeitsgruppe für wichtig erachteten Fragen hat die Arbeitsgruppe Interessenkonflikte in der Medizin (Lieb et al. 2011) einen Vorschlag für ein Basisformular entwickelt, das jeder Arzt oder Wissenschaftler pflegen und dann komplett oder in Teilen für wechselnde Kontexte einsetzen kann. Die hier vorgestellten Aspekte für ein Basisformular beziehen sich im Wesentlichen auf materielle Interessenkonflikte, weil in der Medizin der Zusammenhang von materiellen Interessenkonflikten und Richtung von Bewertungen besonders gut gezeigt wurde und immaterielle Interessenkonflikte schwerer zu operationalisieren sind. Weil aber immaterielle Interessenkonflikte eine große Bedeutung für die Entstehung von Bias haben können, hält es die Arbeitsgruppe für notwendig, auch diese anzugeben. Im Basisformular sind mit dem Begriff Unternehmen/Auftraggeber alle Institutionen, insbesondere der Industrieunternehmen, gemeint, von denen Gelder angenommen wurden – nicht etwa der Arbeitgeber, öffentlicher Institutionen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder dem Bundesministerium für Bildung und Forschung. Aber auch die Annahme von Geldern nicht privater Institutionen kann zu Interessenkonflikten führen, z. B. bei der Förderung der Durchführung einer Studie zu gesundheitlichen Auswirkungen von Schichtarbeit durch die Gewerkschaften. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass auch unbezahlte Tätigkeiten zu Interessenkonflikten führen können. . Abb. 5.1 zeigt den Vorschlag der Arbeitsgruppe »Interessenkonflikte in der Medizin« für ein Basisformular zur Dokumentation von Interessenkonflikten.
5
77
5.4 • Vorschlag der Arbeitsgemeinschaft »Interessenkonflikte in der Medizin« zur Erfassung
Name: 1. Arbeitgeber: Unternehmen/ Jahr -3 Auftraggeber* 2. Beziehungen zu Unternehmen/Auftraggeber*
Anzahl
Jahr -2 Betrag
Anzahl
Jahr -1 Betrag
Anzahl
Aktuelles Jahr Betrag
Anzahl
Betrag
Halten Sie Aktien an bestimmten Unternehmen? Halten Sie Patente? Erhalten Sie Gelder aus Lizenzen oder Tantiemen? Unterhalten Sie persönliche Beziehungen zu einem Unternehmen (z. B. Partner dort angestellt)?
3. Beratertätigkeiten Erhielten Sie Honorare für eine Beratertätigkeit, z. B. im Rahmen eines Advisory Boards oder eines Steering Commitees?
4. Autorentätigkeit Erhielten Sie Honorare für eine Autoren- bzw. Co-Autorenschaft auf einer Publikation? Erhielten Sie Honorare für eine Gutachtertätigkeit?
5. Fortbildungen und Kongresse Wurden lhnen Teilnahmegebühren für einen Kongress oder eine Fortbildungsveranstaltung erstattet? Wurden lhnen Reisekosten daf rüerstattet? Wurden lhnen Übernachtungskosten erstattet? Erhielten Sie Honorare für einen Vortrag oder die Vorbereitung von wissenschaftlichen bzw. Fortbildungsveranstaltungen?
6. Wissenschaftlichen Tätigkeiten Haben Sie Honorare für die Durchführung von klinischen Auftragsstudien persönlich als Studienarzt angenommen? Waren Sie als Studienarzt für die Annahme von Honoraren für klinische Auftragsstudien auf ihr Drittmittelkonto (z. B. einer Klinik) verantwortlich? Waren Sie als Klinikdirektor für die Annahme von Honoraren für klinische Auftragsstudien auf Drittmittelkonten (z. B. einer Klinik) gesamtverantwortlich?
Erhielten Sie Gelder (auch Geräte, Materialien, organisatorische Hilfestellung oder Unterstützung bei der Abfassung von Manuskripten) für ein von Ihnen initiiertes Forschungsvorhaben persönlich als Studienarzt oder haben Sie solche beantragt? Waren Sie als Studienarzt für die Annahme von Geldern (auch Geräte, Materialien, organisatorische Hilfestellung oder Unterstützung bei der Abfassung von Manuskripten) für ein von Ihnen initiiertes Forschungsvorhaben verantwortlich oder haben Sie solche beantragt? Waren Sie als Klinikdirektor für die Annahme von Geldern (auch Geräte, Materialien, organisatorische Hilfestellung oder Unterstützubei der Abfassung von Manuskripten) für ein von Ihnen initiiertes Forschungsvorhaben verantwortlich oder haben Sie solche beantragt? ng
7. Immaterielle Interessenkonflikte Sind Sie in Berufsverbänden/Fachgesellschaften/Organen der Selbstverwaltung aktiv? Wenn ja, in welcher Position? Sind Sie in Vereinen, Interessengruppierungen, Patientenselbsthilfegruppen aktiv? Wenn ja, in welchen? Gehören Sie einer besonderen Therapieschule an (z. B. chirurgische Schule, Psychotherapeut, Homöopath etc.)?
8. Andere Interessenkonflikte Gibt es andere Interessenkonflikte, die mit den bisherigen Fragen nicht erfasst wurden?
. Abb. 5.1 Vorschlag der Arbeitsgruppe »Interessenkonflikte in der Medizin« für ein Basisformular zur Dokumentation von Interessenkonflikten. (Aus: Deutsches Ärzteblatt, Lieb et al. 2011)
5
78
Kapitel 5 • Offenlegung von Interessenkonflikten
5.5
Fazit und Ausblick
Die Offenlegung von Interessenkonflikten ist eine sinnvolle Maßnahme der Transparenz und eine notwendige Voraussetzung für einen professionellen Umgang mit Interessenkonflikten. Offenlegung verhindert jedoch keinen Bias, daher muss sie von Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten begleitet werden. Dieses Kapitel zeigt auf, dass es national und international sehr unterschiedliche Vorschläge dazu gibt, welche Interessenkonflikte in welchem Umfang offengelegt werden sollten. Die Vorschläge variieren darüber hinaus je nach Institution, der gegenüber Interessenkonflikte offengelegt werden (z. B. Journal, Leitlinienkommission). Der Konsensvorschlag einer deutschen Arbeitsgruppe zur Offenlegung von Interessenkonflikten hat zum Ziel, zumindest in Deutschland eine weitestgehende Vereinheitlichung der Erfassung von Interessenkonflikten zu erreichen. Auf der Grundlage des vorgestellten Basisformulars können Interessenkonflikte kontinuierlich erfasst und je nach Erfordernis abgegeben werden. Ohne Frage ist weitere Forschung zu evidenzbasierten Strategien zur Offenlegung und Vermeidung von Interessenkonflikten notwendig. Eine transparente Offenlegung von Interessenkonflikten und ein adäquater Umgang damit sollte selbstverständlicher Teil des ärztlichen Berufsethos sein (Köbberling 2003) und kann dazu beitragen, das Vertrauen der Patienten und der gesamten Öffentlichkeit in Ärzteschaft und Wissenschaft zu stärken und zu erhalten (Martin u. Kasper 2000; Tattersall et al. 2009; Lo u. Field 2009). Sollte es der deutschen Ärzteschaft nicht gelingen, eine klare Position zur Offenlegung von Interessenkonflikten zu entwickeln, ist zu erwarten, dass eine Verhaltens änderung auf lange Sicht wie in den USA gesetzlich eingefordert werden wird, z. B. in Form einer geänderten (Muster-)Berufsordnung mit einem Verbot aller Geschenke und Einladungen. Auch wäre zu erwarten, dass wie in den USA gesetzliche Regelungen geschaffen werden, die alle Industrieunternehmen verpflichten, an Ärzte gezahlte Geldbeträge verbindlich offenzulegen.
Literatur Weiterführende Literatur Köbberling J (2003) Charta zur ärztlichen Berufsethik. (Deutschsprachige Fassung von «Medical professionalism in the new millennium: a physicians’ charter«. Lancet 2002; 359: 520–522). Z. ärztl. Fortbild. Qual.sich. (ZaeFQ) 97: 76–79 Lieb K, Klemperer D, Koch K et al (2011) Interessenkonflikte in der Medizin. Mit Transparenz Vertrauen stärken. Dt. Ärztebl 108: A 256–260 Lo B, Field MJ (Hrsg) (2009) Conflict of interest in medical research, education, and practice. Kap 3: Policies on conflict of interest: overview and evidence 1. Aufl. National Academies Press, Washington DC, S 62–96 Silverman GK, Loewenstein GF, Anderson BL et al (2010) Failure to discount for conflict of interest when evaluating medical literature: a randomised trial of physicians. J Med Ethics 36: 265–270 Tattersall MHN, Dimoska A, Gan K (2009) Patients expect transparency in doctors` relationships with the pharmaceutical industry. Med J Austr 190: 65–68 Andere zitierte Literatur Andersen M, Kragstrup J, Sondergaard J (2006) How conducting a clinical trial affects physician`s guideline adherence and drug preferences. JAMA 295: 2759–2764 Bowman MA, Pearle DL (1988) Changes in drug prescribing patterns related to commercial company funding of continuing medical education. J Contin Educ 1988: 13–20 Chaudhry S, Schroter S, Smith R, Morris J (2002) Does declaration of competing interests affect readers`perceptions? BMJ 325: 1391–1392 Chimonas S, Frosch Z, Rothman DJ (2011) From disclosure to transparency: the use of company payment data. Arch Intern Med 171: 81–86 Chren M, Landefeld C (1994) Physicians` behavior and their interactions with drug companies: A controlled study of physicians who requested additions to a hospital drug formulary, JAMA 271: 684–689 DGPPN, DGN (Hrsg) (2010) Diagnose- und Behandlungsleitlinie Demenz. Springer, Heidelberg Drazen JM, van der Weyden MB, Sahni P. et al (2010) Uniform format for disclosure of competing interests in ICMJE journals. JAMA 303(1): 75–76 Goozner M (2004) Unrevealed: non-disclosure of conflicts of interest in four leading medical and scientific journals. Center for Science in the Public Interest (Hrsg) Gray SW, Hlubocky FJ, Ratain MJ, Daugherty CK (2007) Attitudes toward research participation and investigator conflicts of interest among advanced cancer patients participating in early phase clinical trials. J Clin Oncol 25: 3488–3494 Hall MA, Dugan E, Balkrishnan R, Bradley D (2002) How disclosing HMO physician incentives affects trust. Health Affairs 21: 197–206
Literatur
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81
Zur Abgrenzung zwischen Interessenkonflikten, Fehlverhalten und professioneller Integrität Klaus Koch und Daniel Strech
6.1
Einleitung – 82
6.1.1 6.1.2
Die erste Dimension: Anti-Bias – 82 Die zweite Dimension: Pro-Vertrauen – 83
6.2
Zur Abgrenzung zwischen Interessenkonflikten und Fehlverhalten (Korruption) – 83
6.2.1
Finanzielle Beziehungen mit angemessener fachlicher Gegenleistung – 83 Finanzielle Beziehungen ohne angemessene fachliche Gegenleistung – 84 Finanzielle Beziehungen zur bewussten Umgehung geltender Regeln (Fehlverhalten, Korruption) – 84
6.2.2 6.2.3
6.3
Problembewusstsein und Problemdifferenzierung – 85
6.4
Interessenkonflikte und professionelle Integrität – 85
6.5
Fazit und Ausblick – 86 Literatur – 86
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
6
82
Kapitel 6 • Zur Abgrenzung zwischen Interessenkonflikten, Fehlverhalten und professioneller Integrität
Zur Einführung Ein Problem in Diskussionen über Interessenkonflikte und deren angemessene Regulierung ist die oft fehlende explizite Abgrenzung zwischen (finanziellen) Interessenkonflikten auf der einen Seite und den – ebenfalls meist mit finanziellen Beziehungen in Zusammenhang stehenden – Formen von professionellem Fehlverhalten im Sinne von Korruption (Bestechlichkeit) auf der anderen Seite. Weiterhin wird die Beziehung zwischen Interessenkonflikten und professioneller Integrität sehr unterschiedlich verstanden.
6 6.1
Einleitung
»Sonnenlicht gilt als das beste Antiseptikum«. Louis Brandeis war Richter am Obersten Gerichtshof der USA, als er 1914 den Wert von »Transparenz« beschrieb. Knapp 100 Jahre später, im Jahr 2009, inspirierte diese Metapher die Obama-Regierung zum Namen eines US-Gesetzes: Der »Physician Payments Sunshine Act« (Woodward 2010) verpflichtet US-amerikanische pharmazeutische Unternehmen, Medizinproduktehersteller und Biotechunternehmen dazu, ab 2012 der Regierung jährlich eine Liste aller US-amerikanischen Ärzte zuzusenden, die mehr als US $ 100 an Zuwendungen erhalten haben. Die Angaben werden dann ab 2013 in einer Datenbank veröffentlicht.1 Mehr Sonnenlicht auf finanzielle Beziehungen zwischen Ärzten und Industrie »geht kaum«. Das weitreichende Gesetz ist ein Beispiel dafür, dass Interessenkonflikte in der Medizin längst keine Angelegenheit mehr sind, die Fachleute unter sich regeln können. Auch in Deutschland hat der Gesetzgeber bereits 2004 im Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) § 139b verankert, dass Sachverständige, die für das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) arbeiten wollen, Beziehungen zur Industrie offen legen müssen.
1
Einige Firmen, u. a. Eli Lilly, Merck, GlaxoSmithKline und Pfizer, haben bereits begonnen, ihre Zahlungen an Ärzte für 2010 öffentlich zu machen. Siehe z. B. http:// www.pfizer.com/responsibility/working_with_hcp/payments_report.jsp
Doch solche gesetzlichen Regelungen sind zwiespältig. Sie schaffen zu einem Zeitpunkt Tatsachen, zu dem noch gar nicht klar ist, wie überhaupt angemessene Maßnahmen, mit Interessenkonflikten umzugehen, aussehen könnten. Denn wie in 7 Kap. 5 dargelegt, können die Beziehungen, die bei Interessenkonflikten typischerweise abgefragt und offengelegt werden, durchaus auch nützlich sein. Eine unangemessene öffentliche Ächtung oder zu strikte Interessenkonfliktregulierungen (IK-Regulierungen) könnten also wertvolle Initiativen behindern, die Forschung und Fortschritt vorantreiben (Duvall 2006) (7 Kap. 4). Zudem können auch gut gemeinte IK-Regulierungen schlichtweg wirkungslos sein, so dass man sich den Aufwand sparen sollte (Stossel 2005; Stell 2010). Kurz: Wie bei jeder Intervention gilt es also auch bei IK-Regulierungen, Nutzen und Schaden gegeneinander abzuwägen. > Auch bei IK-Regulierungen gilt es, Nutzen und Schaden gegeneinander abzuwägen.
Das ist allerdings nicht trivial: Denn schon beim Nutzen der IK-Regulierung gibt es 2 Dimensionen zu beachten, die beide nicht leicht zu messen sind.
6.1.1
Die erste Dimension: Anti-Bias
Parallel zu der in den letzten Jahrzehnten in der Medizin zunehmend akzeptierten systematischen Aufarbeitung des Wissens (z. B. systematische Übersichtsarbeiten), hat sich das Bewusstsein für verdeckte Einflüsse verstärkt, die zu systematischen Fehlern in der Interpretation und Anwendung des Wissens führen können. De facto fußt die evidenzbasierte Medizin auf einer Sammlung von Methoden, die dazu dienen sollen, diese Verzerrungen zu erkennen und zu minimieren. In den letzten Jahren sind auch Interessenkonflikte als weiterer Bias-Typ in den Fokus der evidenzbasierten Medizin gerückt. Mittlerweile liegen mehrere systematische Übersichtsarbeiten vor, die hier einen statistischen Zusammenhang nachgewiesen haben: zwischen den finanziellen Beziehungen von Autoren einerseits und der selektiven, gerichteten – verzerrenden – Publikation, Darstellung und Interpretation von Studienergebnissen
6.2 • Zur Abgrenzung zwischen Interessenkonflikten und Fehlverhalten (Korruption)
andererseits (7 Kap. 18). Mit Interessenkonflikten ist also ein Risiko assoziiert, dass aus Sicht der Allgemeinheit »falsche« oder nicht sachgerechte Entscheidungen getroffen werden. Diese empirischen Daten sind eine wesentliche Rechtfertigung für die Einführung von IK-Regulierungen (Hampson et al. 2008; IOM 2009; AWMF 2010; Strech et al. 2011). Erstes Ziel von IK-Regulierungen ist also, die Risiken für nicht sachgerechte Entscheidungen zu minimieren. Doch auch, wenn die Existenz solcher Risiken gut belegt ist: Nicht jede Maßnahme, die für sich in Anspruch nimmt, diese Risiken zu minimieren, ist im Ergebnis dann tatsächlich auch erstens wirksam und weist zweitens mehr Nutzen als Schaden auf. Den Standards der evidenzbasierten Medizin folgend, sollten auch Maßnahmen zum Umgang mit Interessenkonflikten ihren Nutzen in glaubwürdiger Form belegen. Dies setzt wiederum voraus, dass praktische Erfahrungen mit entsprechenden Maßnahmen gesammelt und angemessen evaluiert werden. Bislang gibt es nach Kenntnis der Autoren allerdings nur wenige empirische Untersuchungen zum Nutzen und Schaden von Maßnahmen zur IK-Regulierung (Strech u. Knüppel 2011) (Weinfurt et al. 2008). > Erstes Ziel von IK-Regulierungen ist es, Risiken für nicht sachgerechte Entscheidungen zu minimieren.
6.1.2
Die zweite Dimension: Pro-Vertrauen
Es gibt einen zweiten gewichtigen Aspekt der Wirkung von Maßnahmen zum Umgang mit Interessenkonflikten, der auf einer ganz anderen Ebene liegt: Denn schon die bloße Existenz einer Beziehung kann das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität und Unabhängigkeit einer Person oder Institution beschädigen und dadurch sowohl für die Person als auch für die Institution nachhaltige Konsequenzen haben. Der Schaden kann sogar dann eintreten, wenn die Beziehung gar keine konkreten schädlichen Auswirkungen hatte – manchmal reicht schon ein nicht ausgeräumter Verdacht, um dauerhaft Vertrauen zu verlieren.
83
6
> Schon die bloße Existenz eines Interessenkonflikts kann das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität und Unabhängigkeit einer Person oder Institution beschädigen.
6.2
Zur Abgrenzung zwischen Interessenkonflikten und Fehlverhalten (Korruption)
Ein Problem in Diskussionen über Interessenkonflikte und deren angemessener Regulierung ist die oft fehlende explizite Abgrenzung zwischen (finanziellen) Interessenkonflikten auf der einen Seite und den – ebenfalls meist mit finanziellen Beziehungen in Zusammenhang stehenden – Formen von professionellem Fehlverhalten im Sinne von Korruption (bzw. Bestechlichkeit und Bestechung gemäß § 299 StGB bzw. Vorteilsannahme, Bestechlichkeit, Vorteilsgewährung und Bestechung im Amt gemäß §§ 331–334 StGB) auf der anderen Seite (WilliamsJones 2011). S. dazu auch 7 Kap. 8 und 7 Kap. 9. Zur besseren Abgrenzung zwischen Interessenkonflikten und Fehlverhalten unterscheiden wir finanzielle Beziehungen in folgende 3 Gruppen: 1. finanzielle Beziehungen mit angemessener fachlicher Gegenleistung, 2. finanzielle Beziehungen ohne angemessene fachliche Gegenleistung, 3. finanzielle Beziehungen zur bewussten Umgehung geltender Regeln (Fehlverhalten, Korruption).
6.2.1
Finanzielle Beziehungen mit angemessener fachlicher Gegenleistung
Wenn eine Person aufgrund ihrer professionellen Kompetenz ein Industrieunternehmen berät oder Vorträge hält, sind das zunächst wissenschaftlich und öffentlich akzeptierte Tätigkeiten, die auch angemessen vergütet werden sollten. Auch die Durchführung von Studien, die durch die Industrie finanziert werden, kann grundsätzlich im allgemeinen Interesse sein, sofern die Studien wissenschaftlich
84
6
Kapitel 6 • Zur Abgrenzung zwischen Interessenkonflikten, Fehlverhalten und professioneller Integrität
sinnvoll und ethisch akzeptabel sind (Emanuel et al. 2000; Raspe et al. 2006). Interessenkonflikte bezeichnen in den weiteren Ausführungen dieses Kapitels insbesondere diese Gruppe von finanziellen Beziehungen mit angemessener fachlicher Gegenleistung. Es geht also um Beziehungen, die im Grundsatz akzeptabel und auch für die Allgemeinheit potentiell nützlich sind. Dennoch können auch solche Beziehungen leicht zu Interessenkonflikten führen, wenn zum Beispiel eine Person in einer Leitliniengruppe Produkte eines Herstellers bewerten soll, den sie seit Jahren berät, oder wenn sie die Ergebnisse einer eigenen Studie bewerten soll. Auch hier gibt es ein Risiko für ein verzerrtes professionelles Urteil, selbst wenn die Person sich dieses Risikos nicht bewusst ist (7 Kap. 3). Interessenkonflikte dieser Art verletzen per se nicht die professionelle Integrität, sie können diese aber gefährden. Eine angemessene IK-Regulierung wirkt dieser Gefährdung entgegen.
6.2.2
Finanzielle Beziehungen ohne angemessene fachliche Gegenleistung
Diese zweite Gruppe von Beziehungen umfasst unterschiedliche (in der Regel finanzielle) Transferleistungen, denen gemeinsam ist, dass sie für die jeweilige professionelle Beziehung unnötig sind und dadurch auch keine Vorteile für die Allgemeinheit haben. Hierzu gehört z. B. eine Reisekostenübernahme zur Teilnahme an Kongressen, ohne dass eine Person dort eine angemessene fachliche Gegenleistung erbringt. Ebenso fällt in diese Gruppe die Annahme von Geschenken (inkl. Mahlzeiten) und Gefälligkeiten, auch wenn das innerhalb der Grenzen professioneller Regularien erfolgt. Da aktuell viele professionelle Organisationen und Standesvertretungen im Gesundheitssystem noch keine explizite Unterscheidung von angemessenen und unangemessenen fachlichen Gegenleistungen getroffen haben, empfehlen wir zunächst, auch die Gruppe von finanziellen Beziehungen ohne angemessene fachliche Gegenleistung in den Aufgabenbereich von IK-Regulierungen aufzunehmen.
So erlaubt die ärztliche Berufsordnung Ärzten die Annahme von Geschenken »von geringfügigem Wert« (§ 33 Abs. 2) und lässt in § 33 Abs. 4 ausdrücklich zu, dass Ärzte »geldwerte Vorteile in angemessener Höhe« für den Besuch von wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen annehmen dürfen (7 Kap. 8). Der Stand des Wissens über die Reziprozität auslösende Wirkung solcher Geschenke und geldwerten Vorteile (7 Kap. 3; IOM 2009) legt eher nahe, solche Beziehungen ohne angemessene fachliche Gegenleistung nicht zuzulassen.
6.2.3
Finanzielle Beziehungen zur bewussten Umgehung geltender Regeln (Fehlverhalten, Korruption)
Fälle, in denen Personen bewusst Zahlungen oder andere Vorteile annehmen, um dann bestimmte »gewünschte« Entscheidungen im Sinne der Geldgeber zu treffen, fallen nicht in die Kategorie Interessenkonflikte, sondern sind durch andere, möglicherweise auch juristische Regelwerke abgedeckt. Allgemein umfassen diese Beziehungen Absprachen, die man als Korruption (juristisch auch: Bestechlichkeit, Vorteilsannahme gemäß den §§ 299 und 331 StGB) oder im moralischen Sinn als Unredlichkeit bezeichnen würde. Solche Sachverhalte sollten nicht als Interessenkonflikte bezeichnet werden, sondern als (professionelles) Fehlverhalten (misconduct). Professionelles Fehlverhalten kann sicherlich nicht durch IK-Regulierung gehandhabt oder vermieden werden (7 Kap. 8). Eventuell kann eine IK-Regulierung aber die Häufigkeit von Fehlverhalten minimieren (Stichwort: Prävention). Empirische Evaluationen dieser Annahme sind den Autoren nicht bekannt. > Beziehungen, die man juristisch als Korruption oder im moralischen Sinn als Unredlichkeit oder »nicht integer« bezeichnen würde, sollten nicht als Interessenkonflikte bezeichnet werden, sondern als (professionelles) Fehlverhalten.
6.3
Problembewusstsein und Problemdifferenzierung
Ein Problem in der Diskussion um Interessenkonflikte ist, dass meist keine explizite Abgrenzung zwischen Fehlverhalten und Interessenkonflikten erfolgt. Zudem gibt es subjektive und nicht geklärte Bewertungen, welche (finanziellen) Beziehungen sozial und professionell akzeptabel (angemessen) und welche nicht akzeptabel (unangemessen) sind. Ein Anliegen dieses Kapitels ist es, dass die Kategorien »Interessenkonflikt« und »IK-Regulierung« nicht mit den Kategorien »Fehlverhalten/Korruption« und »strafrechtliche Sanktionierung« verwechselt oder vermischt werden. Auch in der öffentlichen Diskussion ist diese Abgrenzung bzw. Problemdifferenzierung nicht vollzogen. Ein gesellschaftlicher Klärungsprozess erscheint hier nötig. Transparente IK-Regulierungen haben jedoch auch die Funktion, eine klare Grenzlinie zu Fehlverhalten zu ziehen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in sachgerechte Entscheidungen zu bewahren. Vor allem für Institutionen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder öffentliche Unterstützung in Anspruch nehmen, übernimmt ein transparenter und gesellschaftlich akzeptierter Umgang mit Interessenkonflikten auch eine Form des vorsorgenden Selbstschutzes. Denn das Vertrauen der Öffentlichkeit in die medizinischer Forschung, Lehre und Versorgung ist eine essentielle Voraussetzung für 5 Erhalt oder Ausbau einer über öffentliche Mittel finanzierten medizinischen Forschung, 5 die Bereitschaft von Freiwilligen zur Teilnahme an klinischen Studien (insbesondere bei Studien mit geringem Eigennutzen für die Teilnehmer) und 5 die Kooperation/Adherence in einer partnerschaftlichen Beziehung zwischen Ärzten und Patienten. Vor diesem Hintergrund sind transparent beschriebene und vollzogene IK-Regulierungen für den Schutz aller Akteure des Gesundheitssystems in Forschung, Lehre, Versorgung und Politik bedeutsam.
6
85
6.4 • Interessenkonflikte und professionelle Integrität
Diese Betrachtungen zeigen jedoch, dass der angemessene Umgang mit Interessenkonflikten auch (unscharfen) gesellschaftlichen Normen unterliegt. Solchen Normen kann man sich nicht mit dem Hinweis auf Forschungsdefizite und fehlende Evidenz entziehen – insbesondere Transparenz, »Sonnenlicht«, ist längst ein hohes öffentliches Gut. Allerdings sind die gesellschaftlichen Normen noch nicht im Detail ausgeformt, so dass eine gute Chance besteht, die Normbildung durch Evidenz und Empirie rational zu beeinflussen. »Gute« IK-Regulierungen müssen also 2 Anforderungen erfüllen (Strech u. Knüppel 2011): 5 Es sollte zuverlässige Evidenz existieren oder begleitend generiert werden, dass eine Maßnahme das Risiko einer verzerrten Entscheidung ausreichend stark reduziert und mehr Nutzen als Schaden bewirkt. 5 Die Wirkung dieser Regulierung muss öffentlich nachvollziehbar sein, so dass sie als Element eines wirksamen Vertrauensschutzes akzeptiert wird. Es sei vorweggenommen, dass die bisherigen Maßnahmen diesen Anforderungen zum größten Teil nicht genügen.
6.4
Interessenkonflikte und professionelle Integrität
Ein weiterer häufig verwendeter Begriff im Kontext von Interessenkonflikten ist die »professionelle Integrität«. Ein Report des Institute of Medicine (IOM 2002) definiert »integrity in research« mit Bezug auf den einzelnen Forscher wie folgt:
»
Integrity embodies above all a commitment to intellectual honesty and personal responsibility for one’s actions and to a range of practices that characterize responsible research conduct.
«
Zu diesen »practices« zählt der IOM Report u. a. die Transparenz von Interessenkonflikten oder die Ehrlichkeit in der Publikation von Studienergebnissen. Nach dieser Definition sind es zunächst nicht die Interessenkonflikte per se, sondern die
86
Kapitel 6 • Zur Abgrenzung zwischen Interessenkonflikten, Fehlverhalten und professioneller Integrität
fehlende Transparenz bzw. Regulierung, welche die Integrität gefährden. Hierbei handelt es sich aber um ein Konzept von Integrität, das maßgeblich von der Perspektive des Professionellen selbst ausgeht. z
6
Externe Zuschreibung von Integrität
Die Integrität einer Person oder Personengruppe wird jedoch auch von extern, z. B. durch Kollegen, Patienten, Öffentlichkeit, zugeschrieben. Anders als bei der externen Zuschreibung von »Fehlverhalten«, die an konkrete Handlungen von Individuen gebunden ist (s. o.), ist die externe Zuschreibung einer mehr oder weniger starken Beeinträchtigung der Integrität auch von der subjektiven Wahrnehmung der Beurteilenden abhängig. Das Konzept von extern zugeschriebener Integrität, zumindest in seiner alltagssprachlichen Verwendung, beinhaltet u. a. die Idee eines »Vertrauensvorschusses«. Dieser Vertrauensvorschuss kann in seiner Ausprägung als graduell angesehen werden. So reden wir z. B. von Personen und Personengruppen mit hoher oder auch sehr hoher Integrität, was eine solche Abstufung in der Wahrnehmung nahelegt. Diesen – von extern zugeschriebenen – Vertrauensvorschuss wird man durch Interessenkonflikte nicht auf einen Schlag verlieren (wie dies bei manchen Fällen von Fehlverhalten denkbar wäre). Soweit Interessenkonflikte jedoch als ein »Bias-Risiko« (Vorsicht: Nicht »Bias-Beweis«) für verzerrte professionelle Urteile definiert werden, ist es zumindest denkbar, dass die öffentliche Zuschreibung von Integrität graduell beeinträchtigt werden kann. Ob eine solche Beeinträchtigung in der öffentlichen Wahrnehmung gegenwärtig vorliegt – und wenn ja, in welchem Ausmaß – ist unseres Wissens bislang nicht empirisch untersucht. Es ist anzunehmen, dass das Ausmaß einer solchen Beeinträchtigung entscheidend davon abhängt, ob angemessen mit Interessenkonflikten umgegangen wird oder nicht. > Interessenkonflikte bedeuten an sich keinen Verlust der Integrität einer Person oder Personengruppe. Allerdings könnte insbesondere die Verbindung von Interessenkonflikt und unangemessenem Umgang zu einer graduellen Beeinträchtigung der öffentlich zugeschriebenen Integrität führen.
6.5
Fazit und Ausblick
IK-Regulierungen haben maßgeblich zwei Ziele. Sie sollen vermeiden, dass professionelle Urteile verzerrt werden, und sie sollen das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität und Angemessenheit des professionellen Urteils erhalten. Zu internationalen Entwicklungen und Empfehlungen im Kontext von IK-Regulierungen enthält 7 Kap. 7 eine ausführliche Darstellung. Für die Konkretisierung, wie IK-Regulierungen angemessen zu evaluieren sind, und zur Reduktion von ineffizienten Unterscheidungen in IK-Regulierungen bedarf es einer expliziten Verständigung darüber, was eine angemessene fachliche Gegenleistung ist und was nicht.
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87
6
89
Internationale Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten Daniel Strech und Klaus Koch
7.1
Einleitung – 91
7.2
Das Konzept von Interessenkonflikten nach Dennis Thompson und Ezekiel Emanuel – 91
7.2.1 7.2.2
Kriterien zur Bewertung von Interessenkonflikten – 92 Einschätzung der Wahrscheinlichkeit eines unangemessenen Einflusses – 92 Abschätzung der Größe des Schadens (Seriousness of possible harm): – 93
7.2.3
7.3
Beispiele internationaler Interessenkonfliktregulierungen – 93
7.3.1
Bisherige US-amerikanische Entwicklungen – 94
7.4
Allgemeine Empfehlungen des Institute of Medicine (IOM) – 95
7.4.1
Übergreifende Schlussfolgerungen zum Thema Interessenkonfliktregulierung – 95 Strategien zur Interessenkonfliktregulierung – 95 Offenlegung (Disclosure) – 95 Management (Management) – 96 Ausschluss/Verbot (Prohibition) – 96
7.4.2 7.4.3 7.4.4 7.4.5
7.5
Spezielle Empfehlungen des IOM für einzelne Bereiche der Medizin – 96
7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.5.5 7.5.6
Allgemeine Vorgaben (General Policy) – 96 Forschung (Medical Research) – 97 Ausbildung (Medical Education) – 97 Versorgung (Medical Practice) – 98 Leitlinienentwicklung (Clinical Practice Guidelines) – 99 Institutionelle Interessenkonfliktregulierungen (Institutional Conflict of Interest Policies) – 100
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
7
7.5.7
Unterstützende Organisationen (Supporting Organizations) – 100
7.6
Fokus: Leitlinienentwicklung: Aktuelle nationale und internationale Entwicklungen – 100
7.6.1
Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen Fachgesellschaften (AWMF) – 100 Das Beispiel der 9. Version der Antithrombotischen Leitlinien des American College of Chest Physicians – 101
7.6.2
7.7
Kriterien zur Evaluation von Interessenkonfliktregulierungen – 101
7.7.1 7.7.2 7.7.3 7.7.4
Verhältnismäßigkeit (proportionality) – 102 Transparenz (transparency) – 103 Zuschreibbarkeit/Verantwortung (accountability) – 103 Gerechtigkeit (fairness) – 103
7.8
Fazit und Ausblick – 104 Literatur – 104
7.2 • Das Konzept von Interessenkonflikten nach Dennis Thompson und Ezekiel Emanuel
Zur Einführung Die Offenlegung von Interessenkonflikten ist – insbesondere ausgehend von den USA – spätestens seit Mitte der 1980er-Jahre eine breit vertretene Forderung in der Medizin. Viele Fachzeitschriften, Fachgesellschaften und Institutionen haben seitdem Regulierungen für die Offenlegung und die Handhabung von Interessenkonflikten entwickelt. Allerdings sind diese Regulierungen sehr heterogen und die Auswirkungen sind kaum untersucht. Im Jahr 2009 veröffentlichte allerdings das US-amerikanische Institute of Medicine (IOM) eine Reihe von Empfehlungen, die das Potenzial haben, den Umgang mit Interessenkonflikten zu standardisieren und auf eine empirische Basis zu stellen. Dieser IOM-Bericht beruht auf einem Konzept von Interessenkonflikten, welches maßgeblich von Dennis Thompson und Ezekiel Emanuel ausgearbeitet wurde und international oftmals als Grundlage für die Ausarbeitung von Interessenkonfliktregulierungen verwendet wird. Die IOM-Empfehlungen sowie das zugrundeliegende Konzept von Interessenkonflikten werden in diesem Beitrag vorgestellt.
7.1
Einleitung
Eine Grundbedingung für eine angemessene Interessenkonfliktregulierung (IKR) in Forschung, Lehre und Versorgung ist ein konsensfähiges Verständnis, was mit dem Begriff »Interessenkonflikt« gemeint ist. Dieses Grundverständnis ist auch bedeutsam für Bürger, Probanden und Patienten, die ebenfalls Adressaten einer IKR sind. In der Fachliteratur zum Thema »Interessenkonflikte« finden sich jedoch z. T. sehr verschiedene – mehr oder weniger nachvollziehbar ausgearbeitete – Konzepte (Lemmens 2008; Brody 2011). Auf der Grundlage der in 7 Kap. 2 dargelegten Definition von Interessenkonflikten folgt auch dieses Kapitel dem Konzept von Emanuel und Thompson (2008). Auch dieses Konzept steht unter dem Vorbehalt, dass seine empirische Überprüfung noch aussteht. Seine Anwendung hat jedoch wichtige Konsequenzen für den Umgang mit Interessenkonflikten.
7.2
91
7
Das Konzept von Interessenkonflikten nach Dennis Thompson und Ezekiel Emanuel1
In dem von Dennis Thompson und Ezekiel Emanuel ausgearbeiteten Konzept wird die Existenz von Interessenkonflikten explizit nicht auf den Nachweis einer bestimmten verzerrten Entscheidung oder Handlung (ex-post) zurückgeführt, vielmehr sind Interessenkonflikte durch das Vorliegen einer Konstellation von Beziehungen und Umständen/ Zuständen (ex-ante) definiert. Wenn eine Situation als Interessenkonflikt bewertet wird, beinhaltet diese Bewertung also keine Unterstellung, dass eine bestimmte Person faktisch unangemessen beeinflusst ist (Bias-Beweis). Es geht allein um ein BiasRisiko, also um die erhöhte Wahrscheinlichkeit eines verzerrten Urteils infolge eines Interessenkonflikts (Hampson et al. 2008; IOM 2009). Die Definition von Thompson und Emanuel beinhaltet auch eine klare Unterscheidung von Primär- und Sekundärinteressen: 5 Primärinteressen entsprechen den jeweils originären Anliegen einer bestimmten professionellen Entscheidung oder Handlung. Primärinteressen der Medizin sind u. a. das Wohlergehen von Patienten, eine valide Forschung und valide Aus- und Weiterbildungsinhalte. In diesem Sinne versucht eine IKR sicherzustellen, dass das jeweilige Primärinteresse ausschlaggebend für professionelle Entscheidungen und Handlungen von Individuen bzw. Institutionen ist. Diese Definition beinhaltet auch, dass IKR eine klare Beschreibung der Primärinteressen beinhalten sollten. 5 Sekundärinteressen in der Medizin bestehen u. a. in dem Wunsch nach Karriere, Prestige und Anerkennung, dem Begünstigen von nahestehenden Personen, der besonderen Unterstützung der eigenen Studierenden und Mit1
Die folgenden Abschnitte basieren maßgeblich auf den Ausarbeitungen im Diskussionspapier des »Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin« (DNEbM) »Interessenkonfliktregulierung: Internationale Entwicklungen und offene Fragen« (Strech et al. 2011), einsehbar unter www.ebm-netzwerk.de/aktuelles/news2011-03-16-1. Die Autoren dieses Beitrages sind Koautoren des DNEbMDiskussionspapiers.
92
Kapitel 7 • Internationale Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten
arbeiter und nicht zuletzt in der Aussicht auf einen finanziellen Vorteil. Die meisten Sekundärinteressen, inklusive finanzieller Vorteile, sind (innerhalb bestimmter) Grenzen legitime Ziele. Sekundärinteressen werden dann problematisch, wenn sie einen unangemessenen Einfluss auf professionelles Urteilsvermögen oder Handeln haben.
7
Daraus leitet sich ab, dass das mit Interessenkonflikten verbundene Bias-Risiko ein Kontinuum darstellt, das von geringem bis hohem Risiko verläuft. Und da es eine Vielzahl von möglichen Konstellationen von Beziehungen gibt, sollte die Bewertung, wie eine bestimmte Konstellation einzustufen ist, in der Regel individuell erfolgen. Gleichzeitig lassen sich aber für bestimmte, häufig wiederkehrende Konstellationen allgemeine, generalisierende Regeln aufstellen. Diese Regeln können (und müssen sogar) je nach Kontext von Institution zu Institution abweichen. Das sollte dann aber begründet sein. > Für bestimmte, häufig wiederkehrende Konstellationen von Beziehungen lassen sich allgemeine, generalisierende Regeln aufstellen.
7.2.1
Kriterien zur Bewertung von Interessenkonflikten
Die Grundlage für den Umgang mit Interessenkonflikten ist ihre Erfassung durch Offenlegung. Einige grundlegende Aspekte zur Offenlegung werden in 7 Kap. 5 beschrieben, so dass hier nicht genauer darauf eingegangen wird. Der erste Schritt der Bewertung ist die Einstufung, ob eine offengelegte Beziehung im Kontext der anstehenden Tätigkeit oder Entscheidung einen Interessenkonflikt darstellt und, falls das der Fall ist, eine Einstufung des Risikos für einen verzerrenden Einfluss. Auf dieser Basis wird dann im nächsten Schritt darüber entschieden, ob und welche Maßnahmen zum Management dieses Risikos ergriffen werden sollten. Auch wenn es international keine Einigkeit darüber gibt, wie und in welchen Konstellationen mit
Interessenkonflikten umgegangen werden sollte, lassen sich doch einige allgemeine Prinzipien ableiten. Nach dem oben beschriebenen Risikokonzept von Emanuel und Thompson (2008) ist ein Interessenkonflikt umso ernster zu nehmen (höherer Schweregrad): 5 je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass er einen unangemessenen Einfluss hat und 5 je größer der Schaden ist, den dieser Einfluss haben kann. Diese beiden Beurteilungskategorien können weiter konkretisiert werden, um die (Eintritts-) Wahrscheinlichkeit eines »Schadens« (Bias) und den Schweregrad des »Schadens« einzustufen. Thompson und Emanuel spezifizieren die beiden Hauptkriterien in jeweils 3 Unterkriterien, wie in den folgenden Abschnitten dargestellt werden wird. > Der Schweregrad eines Interessenkonflikts hängt von der Wahrscheinlichkeit einer unangemessenen Beeinflussung des professionellen Urteils und dem Schadensausmaß ab.
7.2.2
Einschätzung der Wahrscheinlichkeit eines unangemessenen Einflusses
Bei der Einschätzung der Wahrscheinlichkeit eines unangemessenen Einflusses helfen folgende Fragen: 5 Welchen Wert hat das Sekundärinteresse für die Person? 5 Um welche Summen geht es (absolute Höhe)? 5 Wie ist der relative Wert (z. B. im Verhältnis zu dem Durchschnittseinkommen der Referenzberufsgruppe und zu den Budgets der Praxis, des Projekts und der Institution)? 5 Wie weitreichend/intensiv ist die Beziehung? 5 Welche Art der Beziehung liegt vor (z. B. Beratervertrag versus Honorar für gelegentlichen Vortrag)? 5 Wie lange besteht die Beziehung? Lange und enge Beziehungen erhöhen das Ausmaß des Konfliktes.
93
7.3 • Beispiele internationaler Interessenkonfliktregulierungen
5 Wie groß ist die Entscheidungs-/Ermessensfreiheit der Person? Je größer die Entscheidungs- und Ermessensspielräume einer Person, desto größer ist möglicherweise das Risiko. Diese Teilfragen lassen sich weiter aufschlüsseln, indem bei finanziellen Beziehungen folgende Aspekte betrachtet werden.
7.2.3
Abschätzung der Größe des Schadens (Seriousness of possible harm):
Wie groß der Schaden ist, der infolge einer unangemessenen Beeinflussung durch ein Sekundärinteresse entstehen würde, lässt sich nach dem Risikokonzept anhand folgender Kriterien abschätzen: 5 Welchen Wert hat das Primärinteresse (value of the primary interest)? Übergeordnete Primärinteressen sind immer das Wohl der Patienten, die Integrität der Forschung und eine unverzerrte Information bzw. Aus-, Weiterund Fortbildung. In einer konkreten Situation kann das aber auch die zügige und reibungslose Abarbeitung eines Projekts sein. Auch der Eigenschutz der Institution gegen Vertrauensverlust kann hier einfließen. So kann z. B. die Beteiligung eines pharmazeutischen Unternehmens an einem Forschungsprojekt Zweifel an der Arbeit der gesamten Institution wecken und deren Position bei der Beantragung von Drittmitteln schwächen. 5 Wie weitreichend sind die Konsequenzen der Entscheidung (scope of consequences): Je weiter die Konsequenzen reichen, die eine bestimmte Handlung oder Entscheidung hat, desto schwerwiegender ist der Interessenkonflikt. 5 Je geringer die Verpflichtung zur (und Transparenz der) Rechenschaft/Haftung/Verantwortlichkeit für das eigene Handeln ist (extent of accountability), desto bedeutsamer wird ein Interessenkonflikt. Wenn ein Arzt/ Forscher von Kollegen oder Institutionen begutachtet wird, ist das Risiko eher geringer. Voraussetzung ist, dass die Begutachtenden/
7
Kontrollierenden selbst keinen Interessenkonflikt haben und eine rationale, effektive und transparente Begutachtung durchführen. Die genannten Kriterien machen deutlich, dass die Bewertung dieser Aspekte durch Dritte vorgenommen werden muss, dadurch aber subjektive Elemente unvermeidlich sind. Deshalb ist es nötig, dass Institutionen neben der IKR auch die Maßstäbe der Bewertung offen legen und ein System etablieren, das eine Konsistenz der Entscheidungen ermöglicht. > Wie groß der Schaden ist, der durch eine unangemessene Beeinflussung durch ein Sekundärinteresse entstehen würde, hängt ab vom Wert des Primärinteresses, den Konsequenzen der Entscheidung und der Zuschreibbarkeit der Verantwortung.
7.3
Beispiele internationaler Interessenkonfliktregulierungen
International besteht seit Mitte der 1990er-Jahre der Trend, IKR zu erarbeiten und zu implementieren. Im deutschsprachigen Raum ist mit einer ähnlichen Entwicklung zu rechnen. Ein aktuelles deutsches Beispiel sind die Empfehlungen zur IKR der AWMF (AWMF 2010). Obwohl in den USA bislang das Thema IKR deutlich intensiver als im deutschsprachigen Raum diskutiert und Praxisempfehlungen implementiert wurden, fehlen aber auch dort weiterhin substantielle Erfahrungen und klare Konzepte für die Evidenzbasierung einer IKR (IOM 2009; Strech u. Knüppel 2011). Insgesamt ist der Umgang mit Interessenkonflikten in Institutionen des Gesundheitssystems immer noch sehr unterschiedlich und wenig transparent. Untersuchungen in den USA zeigten, dass Beziehungen zwischen Industrie und Medizinern, von der einen Institution untersagt, von anderen aber erlaubt oder sogar gefördert wurden (Cooper et al. 2006; Weinfurt et al. 2006). Für Deutschland liegen dazu keine Analysen vor. Dies mag auch daran liegen, dass bislang keine der 43 deutschsprachigen medizinischen Fakultäten oder Hochschulen eine öffentlich über das
94
7
Kapitel 7 • Internationale Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten
Internet einsehbare IKR bereitstellt (Stand: März 2010) (Strech 2010)2. Auch bei den außeruniversitären, zentralen deutschen Forschungsinstitutionen und Forschungsförderern fand sich bis März 2010 keine öffentlich über das Internet einsehbare IKR (u. a. bei Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft, Max-PlanckGesellschaft, Alexander von Humboldt-Stiftung, Deutsche Forschungsgemeinschaft). In den USA verfügen hingegen ca. 90% der 149 Medical Schools über eine öffentlich einsehbare IKR (AMSA 2009; Vogeli et al. 2009). Auch die großen öffentlichen Forschungsförderer in den USA wie die National Institutes of Health (NIH) oder die National Science Foundation (NSF) informieren über einfach aufzufindende Internetseiten ausführlich über ihre IKR (http://grants.nih.gov/grants/policy/coi/ und www.nsf.gov/policies/conflicts.jsp). > Der Umgang mit Interessenkonflikten in Institutionen des Gesundheitssystems ist bislang sehr unterschiedlich, wenig transparent und meistens unzureichend
7.3.1
Bisherige US-amerikanische Entwicklungen
Es ist wohl kein Zufall, dass die Transparenz von IKR in den USA viel weiter vorangeschritten ist. Die Diskussion hat bereits in den 1980er-Jahren dazu geführt, dass das New England Journal of Medicine (Relman 1984) seine Autoren verpflichtete, ihre Interessenkonflikte offenzulegen. Diese Form von IKR ist heute in medizinischen Fachzeitschriften weit verbreitet. Bereits 1990 veröffentlichte die American Medical Association ihre »Vorgaben zur Annahmen von Geschenken« (Goldstein 1991). Einige US Bundesstaaten entwickelten in der 1990er-Jahren Regulierungen (conflict of interest policies) zum Umgang mit Interessenkonflikten in Lehre und Forschung. Erste zentrale Richtli2
Bei dieser Überprüfung wurden die Begriffe »Interessenkonflikt« und »Interessenkonflikte« bei deutschsprachigen Institutionen bzw. »conflict of interest« oder »COI« bei englischsprachigen Institutionen in die auf der jeweiligen Homepage angebotene Suchmaske eingegeben.
nien veröffentlichten 1995 die National Institutes of Health (NIH) und der Public Health Service (PHS) mit den »U.S. Public Health Service Regulations: Objectivity in Research (42 CFR 50)« (NIH 1995). Hier wurden öffentlich einsehbare Vorgaben (»Joint Rules«) für die IKR im Rahmen der öffentlichen Forschungsförderung getroffen. Diese im Jahr 1995 publizierten Vorgaben werden derzeit revidiert unter Berücksichtigung einer Public Consultation Phase, in der die modifizierten Vorschläge der NIH zur IKR bis August 2010 öffentlich diskutiert werden konnten. Die PHS-Vorgaben bildeten die Grundlage, auf der Arbeitsgruppen der American Association of Medical Colleges (AAMC) und der Association of American Universities im Jahr 2001 zwei Grundsatzpapiere zum systematischen Umgang mit Interessenkonflikten veröffentlichten (AAMC 2001; AAU 2001). Darin werden Eckpunkte für die IKR in der Forschung definiert, die über die Offenlegung (disclosure) von Interessenkonflikten hinausgehen. Es werden dort bestimmte »Management-Tools« für den Umgang mit Interessenkonflikten genannt sowie die Implementierung neuer Gremien (conflict of interest committees) gefordert. Diese AAMC Empfehlungen wurden 2008 aktualisiert (AAMC-AAU 2008; AAMC 2008). Eine ausführliche Darstellung der Entwicklungen von IKR findet sich z. B. in Lemmens 2008 und im Kapitel 3 des IOM-Reports (IOM 2009). Die Evaluation der IKR befindet sich jedoch auch in den USA noch in den Kinderschuhen. Untersuchungen zum Status quo der Implementierung von IKR in Institutionen des US-amerikanischen und kanadischen Gesundheitswesens ergaben Hinweise auf eine sehr unterschiedliche Umsetzung, z. T. sogar Missachtung der gesetzlichen Vorgaben (Lexchin et al. 2008; Vogeli et al. 2009). Die American Medical Students Association (AMSA) entwickelte Items zur Evaluation der Qualität von IKR der US Medical Schools (http://amsascorecard.org/methodology). Das erste Rating der sogenannten AMSA Pharmfree Scorecard wurde 2007 veröffentlicht und wird seitdem im Zweijahresturnus aktualisiert. Der Maßstab für die Qualität einer IKR ist hier der Grad der Restriktion, die sie vorsieht. Bestnoten werden für die »härteste« Regulierung vergeben. Ob dieser Qualitätsmaßstab
95
7.4 • Allgemeine Empfehlungen des Institute of Medicine (IOM)
angemessen ist, ist bislang nur wenig diskutiert. Das Notensystem orientiert sich an dem amerikanischen Schulnotensystem (Grad A »sehr gut« bis D »ausreichend«. Grad F steht für »durchgefallen«). Bis Ende 2010 nahmen 140 der 152 US-amerikanischen Medical Schools an dem AMSA Rating teil. Knapp über 50% der bewerteten IKR erhielten 2010 ein A oder B Rating, was eine deutliche durchschnittliche Verbesserung zu 2009 darstellt (2009: 30% mit A oder B Rating). Für eine ausführliche Darstellung der letzten Ergebnisse (Ende 2010) s. www.amsascorecard.org/executive-summary.
7.4
Allgemeine Empfehlungen des Institute of Medicine (IOM)
Eine gewisse Heterogenität der IKR ist zu erwarten, da für unterschiedliche Institutionen unterschiedliche Regulierungen angemessen sein können. Allerdings sollten diese Unterschiede inhaltlich begründet und nachvollziehbar sein. Das Institute of Medicine (IOM) hat 2009 insgesamt 16 Empfehlungen zur IKR für verschiedene Sektoren des Gesundheitssystems publiziert (IOM 2009). Diese werden im Folgenden nach einer Übersetzung eines im März 2011 publizierten Diskussionspapiers des Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM) vorgestellt (Strech et al. 2011). Durch Befolgung dieser Empfehlungen können unnötige und unberechtigte internationale und nationale Heterogenitäten verringert werden. > Die Empfehlungen des Institute of Medicine können helfen, unterschiedliche Vorgehensweisen hinsichtlich der Regulierung von Interessenkonflikten zu verringern.
7.4.1
Übergreifende Schlussfolgerungen zum Thema Interessenkonfliktregulierung
wahrt werden, anstatt Voreingenommenheit oder Misstrauen zu beseitigen, nachdem sie bereits aufgetreten sind. Die Offenlegung (disclosure) individueller und institutioneller finanzieller Beziehungen wird dabei als ein notwendiger, aber nicht ausreichender erster Schritt im Prozess der Identifizierung und des Managements von Interessenkonflikten eingeschätzt. Das IOM fordert, dass die betroffenen Ärzte, Forscher und medizinischen Institutionen in den Entwicklungsprozess und die abschließende Konsentierung von IKR einbezogen werden, um die Inhalte und Verfahren zu stärken. Verschiedene unterstützende Organisationen – öffentliche wie private – sollen die Entwicklung und Implementierung von IKR fördern und dazu beitragen, dass eine Kultur der Verantwortlichkeit entsteht, die die professionellen Normen und das Vertrauen der Öffentlichkeit in professionelle Urteile stützt. Das IOM fordert Forschung zu Interessenkonflikten und IKR, um die Evidenz zu schaffen, welche die Entwicklung und Implementierung von Regulierungen unterstützen können. Wenn medizinische Institutionen nicht freiwillig ihre IKR und entsprechende Verfahren optimieren, ist es nach Ansicht des IOM wahrscheinlich, dass der Druck zur externen Regulierung steigen wird.
7.4.2
Strategien zur Interessenkonfliktregulierung
Das IOM fordert grundsätzlich, dass das Management von Interessenkonflikten umso strenger sein sollte, je schwerwiegender der jeweilige Konflikt ist. Drei verschiedene Strategien zur IKR werden unterschieden: Offenlegung (disclosure), Management (management) und Verbot (prohibition).
7.4.3
Nach IOM-Maßgabe verfolgen IKR in der Medizin verschiedene Ziele: Unangemessene Entscheidungen sollen vermieden bzw. reduziert und die professionelle Urteilsfähigkeit soll geschützt werden. Weiterhin soll das Vertrauen der Öffentlichkeit be-
7
Offenlegung (Disclosure)
Für eine Offenlegung von Interessenkonflikten nennt das IOM folgendes Ziel: Personen, die von professionellen Entscheidungen betroffen sind, sollten ausreichend informiert werden, um zu be-
96
Kapitel 7 • Internationale Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten
urteilen, ob die entsprechenden Entscheidungen konsistent mit den professionellen Primärinteressen sind. Standardmäßig sollte die Offenlegung das beinhalten, was die Betroffenen wissen müssen, um den Schweregrad des Interessenkonflikts einschätzen zu können (7 Abschn. 7.2.1). Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die professionellen Aktivitäten könnte allerdings auch geschwächt werden, wenn die Offenlegung nicht mit anderen Strategien (z. B. Management) verknüpft wird.
7.4.4
7
Management (Management)
Ein Management von Interessenkonflikte wird notwendig, wenn auf der einen Seite die Offenlegung allein unzureichend ist, um die von einem Interessenkonflikt ausgehenden Risiken zu minimieren, und auf der anderen Seite ein Ausschluss (prohibition) einer Person aus bestimmten Tätigkeiten ein schwerer Nachteil wäre, z. B. weil die Person eine benötigte spezielle Expertise besitzt. In solchen Fällen kann z. B. die Beteiligung einer Person auf die Bereiche begrenzt werden, in denen sie über eine besondere Expertise verfügt. Diese Form eines Managements von Interessenkonflikten wird gegenwärtig z. B. im Kontext der Seite: 6 Erstellung von klinischen Leitlinien diskutiert (7 Abschn. 7.6 und 7 Kap. 8.
7.4.5
Ausschluss/Verbot (Prohibition)
Die weitestreichende Konsequenz einer IKR, ist das Verbot bestimmter Beziehungen, die zu schwerwiegenden Interessenkonflikten führen. Das beinhaltet, dass Angestellten oder Kooperationspartnern einer Institution bestimmte Tätigkeiten und Beziehungen untersagt werden, um Interessenkonflikte gar nicht erst entstehen zu lassen. Es beinhaltet aber auch, dass Personen, die solche Beziehungen haben, unter diesen Umständen von bestimmten Tätigkeiten oder Entscheidungen ausgeschlossen werden. Der IOM-Report weist darauf hin, dass solche Verbote abgestuft werden können: Z. B. könnte einem Forscher, der ein Patent auf ein Medikament hält, das in einer klinischen Studie getestet wird,
nicht gestattet werden, als Studienverantwortlicher (principal investigator) zu fungieren. Es könnte ihm aber andererseits erlaubt werden, als Berater zur Dosierung und Verabreichung des Arzneimittels tätig zu sein.
Spezielle Empfehlungen des IOM für einzelne Bereiche der Medizin
7.5
Die Empfehlungen des IOM-Reports beziehen sich auf die folgenden 6 Sektoren: 5 Forschung (Biomedical Research), 5 Aus-, Fort- und Weiterbildung (Medical Education), 5 Versorgung (Medical Practice), 5 Leitlinienentwicklung (Develoment of Clinical Practice Guidelines), 5 Institutionen des Gesundheitssystems (Institutions), 5 Unterstützende Organisationen (Supporting Organizations).
7.5.1
z
Allgemeine Vorgaben (General Policy)
1. Empfehlung (IOM 3.1)3
Einrichtungen, die mit der medizinischen Forschung, medizinischen Ausbildung, klinischen Versorgung oder Entwicklung von Praxis-Leitlinien befasst sind, sollten individuelle IKR entwickeln, einführen und öffentlich machen im Sinne der Empfehlungen des IOM- Berichts. Zur Bewältigung identifizierter Interessenkonflikte und Überwachung der Umsetzung von Empfehlungen sollten Einrichtungen einen InteressenkonfliktAusschuss bilden. Dieser Ausschuss sollte das gesamte Spektrum von Strategien der IKR einsetzen, einschließlich:
3
In der Originalversion werden die Empfehlungen nicht von 1 bis 16 durchnummeriert sondern tragen die Nummern der Kapitel, in denen die Hintergründe für die jeweilige Empfehlung ausführlich dargestellt werden. Wir haben diese IOM-Nummerierung in Klammern beigefügt.
97
7.5 • Spezielle Empfehlungen des IOM für einzelne Bereiche der Medizin
7
5 Beseitigung von widerstreitenden finanziellen Interessen, 5 Verbot oder Restriktion der Beteiligung der Person mit einem Interessenkonflikt an der Tätigkeit, die mit dem Konflikt verbunden ist, und 5 weitrechender Offenlegung des Interessenkonflikts.
Fortbildungsveranstaltungen und Stiftungen, die von einer dieser Organisationen gegründet worden sind, öffentlich zu machen. Bis solche Programme existieren, sollten Unternehmen diese Berichterstattung freiwillig praktizieren.
z
z
2. Empfehlung (IOM 3.2)
7.5.2
Forschung (Medical Research)
5. Empfehlung (IOM 4.1)
Institutionen sollten im Rahmen ihrer IKR die betroffenen Personen, einschließlich der Leitungsebene, auffordern, die finanziellen Beziehungen mit pharmazeutischen, medizintechnischen und biotechnologischen Unternehmen offen zu legen. Die Offenlegung sollte grundsätzlich bei bedeutsamen Veränderungen, ansonsten jeweils jährlich aktualisiert werden. Die Regulierung sollte 5 Offenlegungen fordern, die hinreichend spezifisch und umfassend sind (ohne Untergrenze für Zuwendungen), um anderen zu erlauben, die Schwere der Konflikte zu bewerten; 5 bei der Offenlegung einen unnötigen Verwaltungsaufwand vermeiden und 5 weitere Offenlegungen fordern, soweit angemessen, z. B. vor dem Interessenkonflikt-Ausschuss, der Ethikkommission der Einrichtung und dem Vertrags- und Bewilligungsbüro (contracts and grants office).
Forschungseinrichtungen sollten eine Regulierung schaffen, die ihren Mitarbeitern grundsätzlich keine Forschung mit menschlichen Teilnehmern gestattet, wenn sie ein bedeutsames finanzielles Interesse an einem vorhandenen oder potenziellen Produkt oder einem Unternehmen haben, das durch die Forschungsergebnisse betroffen sein könnte (7 Kap. 2, »Der Fall Jesse Gelsinger«). Ausnahmen dieser Regulierung sollten öffentlich gemacht und nur dann erlaubt werden, wenn der Interessenkonflikt-Ausschuss zum einen beschließt, dass die Teilnahme dieser Person zur Durchführung des Forschungsvorhabens dringend notwendig ist und zum anderen einen wirksamen Mechanismus zur Bewältigung des Konflikts und zum Schutz der Forschungsintegrität schafft.
z
z
3. Empfehlung (IOM 3.3)
Nationale Organisationen, die Ärzte und Forscher sowie weitere Gesundheitsdienstleister vertreten, sollten einen konsensfähigen Standard auf nationaler Ebene für Inhalt, Format und Vorgehensweise bezüglich finanzieller Interessenkonflikte in Verbindung mit der Industrie entwickeln und etablieren z
4. Empfehlung (IOM 3.4)
Gesetzgeber sollten nationale Programme schaffen, die pharmazeutische, medizintechnische und biotechnologische Unternehmen und ihre Stiftungen dazu verpflichten, Zahlungen an Ärzte und andere Verordnende, biomedizinische Wissenschaftler, Einrichtungen des Gesundheitswesens, Berufsverbände, Patienten-Selbsthilfegruppen und krankheitsspezifische Interessengruppen, Anbieter von
7.5.3
Ausbildung (Medical Education)
6. Empfehlung (IOM 5.1)
Für alle Mitarbeiter, Auszubildenden und Studierenden und für alle Ausbildungsstätten (Universitäten und akademische Lehrkrankenhäuser!) sollte eine Regulierung geschaffen und eingeführt werden, die Folgendes verbietet: 5 das Annehmen von Gegenständen von materiellem Wert von pharmazeutischen, medizintechnischen und biotechnologischen Unternehmen, außer in spezifizierten Situationen; 5 Fortbildungsmaßnahmen oder wissenschaftliche Publikationen, die von der Industrie kontrolliert werden oder deren wesentliche Teile von jemandem geschrieben sind, der nicht als Autor identifiziert oder nicht angemessen berücksichtigt wurde; 5 Beratungsmaßnahmen, die nicht auf Grundlage schriftlicher Verträge für Expertendienst-
98
Kapitel 7 • Internationale Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten
leistungen basieren, um zum üblichen Marktpreis bezahlt zu werden; 5 Zugang von Handelsvertretern der pharmazeutischen und medizintechnischen Unternehmen, außer auf Einladung durch den Lehrkörper, entsprechend den institutionellen Regelungen, in bestimmten spezifizierten Situationen, die dem Zwecke der Ausbildung, der Patientensicherheit oder der Evaluation von Medizinprodukten dienen; 5 Einsatz von Medikamentenproben, außer in bestimmten Situationen für Patienten, die aus finanziellen Gründen keinen Zugang zu Medikamenten haben.
7
Bis ihre Institutionen diese Empfehlungen übernehmen, sollten Mitarbeiter und Auszubildende der akademisch-medizinischen Zentren und Universitätskliniken diese freiwillig als Standard für ihr eigenes Verhalten übernehmen. z
7. Empfehlung (IOM 5.2)
Universitätskliniken und Lehrkrankenhäuser sollten die Mitarbeiter, die Medizinstudierenden und weitere Auszubildende darin ausbilden, wie Interessenkonflikte im Zusammenhang mit Unternehmen der pharmazeutischen und medizintechnischen Industrie und ihren Vertretern zu vermeiden oder zu steuern sind. Akkreditierungsorganisationen sollten Standards schaffen, die eine formale Ausbildung zu diesen Themen erfordern. z
8. Empfehlung (IOM 5.3)
Ein neues System der Finanzierung von akkreditierter medizinischer Weiter- und Fortbildung (continuing medical education, CME) sollte entwickelt werden, welches frei vom Industrieeinfluss ist, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität des Systems steigert und eine qualitativ hochwertige Fortbildung bietet (s. 7 Kap. 14).
7.5.4 z
Versorgung (Medical Practice)
9. Empfehlung (IOM 6.1)
Ärzte, unabhängig ihrer beruflichen Tätigkeit, sollten
5 keine Gegenstände von materiellem Wert von pharmazeutischen, medizintechnischen und biotechnologischen Unternehmen annehmen, außer wenn die Transaktion eine Zahlung zum Marktwert für eine legitime Dienstleistung beinhaltet; 5 keine Fortbildungsmaßnahmen durchführen oder wissenschaftliche Artikel veröffentlichen, die von der Industrie gesteuert sind oder wesentliche Teile enthalten, die von jemandem geschrieben sind, der nicht als Autor identifiziert oder nicht angemessen berücksichtigt wird; 5 keine Beratungstätigkeit ausüben, sofern diese nicht auf Grundlage schriftlicher Verträge für Expertendienstleistungen zum üblichen Marktpreis bezahlt wird; 5 sich nicht mit Handelsvertretern pharmazeutischer und medizintechnischer Unternehmen treffen, außer zu einem vereinbarten Termin und auf eine ausdrückliche Einladung von ärztlicher Seite; 5 keine Arzneimittelmuster annehmen, außer in bestimmten Situationen für Patienten, die keinen finanziellen Zugang zu Arzneimitteln haben. Berufsverbände sollten ihre Regulierungen und ihren Kodex für professionelles Verhalten anpassen, um diese Empfehlungen zu unterstützen. Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen sollten Richtlinien für ihre Mitarbeiter und das medizinische Personal festlegen, die mit diesen Empfehlungen übereinstimmen. z
10. Empfehlung (IOM 6.2)
Pharmazeutische, medizintechnische und biotechnologische Unternehmen und deren Firmengründungen sollten Regulierungen und Maßnahmen einführen, die es untersagen, Ärzten Geschenke, Mahlzeiten, Arzneimittelmuster (außer für Patienten, die auf Grund der finanziellen Situation keinen Zugang zu Arzneimitteln haben) oder andere ähnliche Gegenstände von materiellem Wert zukommen zu lassen. Weiterhin dürfen Ärzte nicht darum gebeten werden, als Autor von durch Ghostwriter verfassten Materialien zu fungieren.
7.5 • Spezielle Empfehlungen des IOM für einzelne Bereiche der Medizin
Eine Beratungstätigkeit sollte für die notwendigen Dienstleistungen, die in schriftlichen Verträgen dokumentiert sind, ausgeübt und zum üblichen Marktpreis bezahlt werden. Unternehmen sollten keine Ärzte und Patienten in Marketingprojekte einbeziehen, die als klinische Forschung präsentiert werden.
z
Leitlinienentwicklung (Clinical Practice Guidelines)
11. Empfehlung (IOM 7.1)
Gruppen, die Leitlinien für die ärztliche Tätigkeit erarbeiten, sollten 5 Personen mit Interessenkonflikten grundsätzlich von der Mitgliedschaft in Projektgruppen ausschließen und 5 keine direkte finanzielle Unterstützung für die Leitlinienerstellung von Unternehmen der pharmazeutischen oder medizintechnischen Industrie oder deren Firmengründungen annehmen. Gruppen sollten mit jeder Leitlinie ihre Regulierungen und Verfahrensweisen in Hinsicht auf Interessenkonflikte sowie die Quellen und die Beträge zur direkten oder indirekten Finanzierung der Leitlinienentwicklung offenlegen. In der besonderen Situation, in der die Beteiligung eines Mitglieds mit Interessenkonflikten wegen dessen Expertise unvermeidbar ist, sollten die Gruppen 5 öffentlich darlegen, dass sie sich redlich darum bemüht haben, Experten ohne Interessenkonflikte zu finden, indem sie einen öffentlichen Aufruf nach Mitgliedern ausgegeben und andere Rekrutierungsmaßnahmen ergriffen haben; 5 einen Vorsitzenden ohne Interessenkonflikt ernennen; 5 die Anzahl der Mitglieder mit Interessenkonflikten begrenzen, sodass sie eindeutig in der Minorität sind; 5 Personen ausschließen, die eine Treuhandoder eine Werbebeziehung mit einem Unternehmen haben, dessen Produkt von den Leitlinien betroffen sein könnte;
7
5 Mitglieder mit Interessenkonflikten von der Verhandlung, Abfassung oder Beschlussfassung zu konkreten Empfehlungen ausschließen und 5 die relevanten Interessenkonflikte der Mitglieder öffentlich machen. z
7.5.5
99
12. Empfehlung (IOM 7.2)
Akkreditierungs- und Zertifizierungsstellen, Krankenkassen, Behörden und ähnliche Organisationen sollten Institutionen, welche klinische Leitlinien entwickeln, dazu anhalten, IKR zu schaffen, die mit den Empfehlungen in diesem Bericht übereinstimmen. Wünschenswert sind folgende 3 Schritte: 5 Zeitschriften sollten verlangen, dass alle zur Veröffentlichung angenommenen klinischen Leitlinien die IKR des Entwicklers, die Quellen und die Beträge zur Finanzierung der Leitlinie und die entsprechenden finanziellen Interessen der an der Leitlinienentwicklung beteiligten Ausschussmitglieder (falls vorhanden) beinhalten (oder einen Internetlink dazu angeben). 5 Leitlinien-Clearing-Institutionen sollten verlangen, dass alle zur Veröffentlichung angenommenen klinischen Praxisleitlinien die IKR des Entwicklers, die Quellen und die Beträge zur Finanzierung der Leitlinienentwicklung und die entsprechenden finanziellen Interessen der an der Leitlinienentwicklung beteiligten Ausschussmitglieder (falls vorhanden) beinhalten (oder einen Internetlink dazu angeben). 5 Akkreditierungs- und Zertifizierungsorganisationen, öffentliche und private Krankenversicherungen und ähnliche Gruppen sollten das Anwenden der klinischen Praxisleitlinien zur Leistungsbewertung, für Kostenübernahmeentscheidungen und zu ähnlichen Zwecken vermeiden, wenn die Entwickler der Leitlinie den in diesem Bericht empfohlenen Methoden nicht folgen.
100
Kapitel 7 • Internationale Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten
7.5.6
Institutionelle Interessenkonfliktregulierungen (Institutional Conflict of Interest Policies)
z
7
13. Empfehlung (IOM 8.1)
Die Leitung der Einrichtungen, die mit der medizinischen Forschung, medizinischen Ausbildung, Patientenversorgung oder mit der Entwicklung von Leitlinien für die ärztliche Tätigkeit befasst sind, sollte ihre eigenen ständigen Ausschüsse für institutionelle Interessenkonflikte bilden. Diese Ausschüsse sollten 5 keine Mitglieder haben, die selbst Interessenkonflikte bzgl. Tätigkeiten der Einrichtung haben; 5 mindestens ein Mitglied haben, das nicht ein Vorstandsmitglied oder ein Mitarbeiter oder leitender Angestellter der Einrichtung ist, und der Expertise im Umgang mit Interessenkonflikten besitzt; 5 nach Bedarf administrative Vorkehrungen treffen für die tägliche Aufsicht und das Management von institutionellen Interessenkonflikten, einschließlich der Interessenkonflikte von Leitungspersonen; 5 der Leitung einen Jahresbericht vorlegen, der öffentlich gemacht werden muss, in dem aber die notwendigen Änderungen vorgenommen worden sind, um vertrauliche Informationen zurückzuhalten. z
14. Empfehlung (IOM 8.2)
Übergeordnete Institutionen sollten Regeln zum Umgang mit institutionellen Interessenkonflikten für Forschungseinrichtungen entwickeln, die von aktuellen Regulierungen des Gesundheitswesens abgedeckt sind. Die Regeln sollten die Meldung von identifizierten institutionellen Interessenkonflikten und von Maßnahmen, die zu deren Beseitigung oder Management unternommen wurden, fordern.
7.5.7
z
Unterstützende Organisationen (Supporting Organizations)
15. Empfehlung (IOM 9.1)
Akkreditierungs- und Zertifizierungsstellen, private Krankenversicherungen, Behörden und ähnliche
Organisationen sollten Anreize schaffen für die Implementierung und effektive Anwendung von IKR durch Einrichtungen, die mit der medizinischen Forschung, medizinischen Ausbildung, klinischen Versorgung oder mit der Entwicklung von klinischen Praxisleitlinien befasst sind. Bei der Entwicklung der Anreize sollten diese Organisationen die hiervon betroffenen Personen und Einrichtungen einbeziehen. z
16. Empfehlung (IOM 9.2)
Zur Stärkung der Informationsbasis für die Entwicklung und Anwendung von IKR sollte ein Forschungsprogramm entwickelt und finanziert werden, um die Auswirkungen von Interessenkonflikten auf die Qualität der medizinischen Forschung, Ausbildung und Versorgung und auf die Leitlinienentwicklung zu erforschen und um die positiven und negativen Auswirkungen von IKR auf diese Endpunkte zu untersuchen.
7.6
Fokus: Leitlinienentwicklung: Aktuelle nationale und internationale Entwicklungen
7.6.1
Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen Fachgesellschaften (AWMF)
Die Empfehlungen des IOM sind bereits in das Leitlinien-Regelwerk der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen Fachgesellschaften (AWMF) eingeflossen (AWMF 2010). Die AWMF sieht 7 Schritte vor, die hier gekürzt wiedergegeben werden: 1. Das Finanzierungskonzept einer Leitlinienentwicklung muss bei der Anmeldung bei der AWMF durch die federführenden Fachgesellschaften offengelegt werden. Eine Finanzierung durch Dritte mit direkter Einflussnahme führt zur Ablehnung der Anmeldung. 2. Interessenkonflikte werden schriftlich mit Hilfe eines Formblattes erklärt, das materielle und immaterielle Interessen umfasst. Zu den immateriellen Interessenkonflikten gehören ggf. die mandatierende Organisation (z. B. Fachgesellschaft), der Arbeitgeber und der
7.7 • Kriterien zur Evaluation von Interessenkonfliktregulierungen
3.
4.
5.
6.
7.
wissenschaftliche Schwerpunkt der betroffenen Person. Die Erklärungen der Interessenkonflikte der Mitglieder des Lenkungsgremiums, der Koordinatoren und der Leiter der Arbeitsgruppen müssen zu Beginn der Leitlinienarbeit vorliegen. Es ist Aufgabe der Koordinatoren, die Interessenkonflikterklärungen der später hinzutretenden Mitglieder der Arbeitsgruppen und des Konsentierungsgremiums sowie anderer Beteiligter einzufordern und zusammenzutragen. Die Interessenkonflikterklärungen der Mitglieder des Lenkungsgremiums werden von den Präsidien der sie entsendenden Fachgesellschaften zur Kenntnis genommen und bezüglich ihrer Befangenheit bewertet. Die Erklärungen der Interessenkonflikte aller anderen Mitwirkenden werden vom Lenkungsgremium und den Koordinatoren bewertet. Es ist beabsichtigt, zusammen mit der AWMFLeitlinienkommission eine Befangenheitsskala zu entwickeln, um eine Reproduzierbarkeit der Bewertungen zu gewährleisten. Mitwirkende mit Interessenkonflikten, die aufgrund der Fachgesellschaften bzw. anderer Organisationen oder durch das Lenkungsgremium als befangen bewertet wurden, sollen nicht an der Bewertung der Evidenzen und der Konsensfindung mitwirken. Sie haben, sofern auf ihr Wissen nicht verzichtet werden kann, den Status von externen Experten. Bei den Autoren ist besonders auf die Geringfügigkeit der Interessenkonflikte zu achten. Die Interessenkonflikterklärungen aller Mitwirkenden sind im Leitlinienreport der Leitlinie im Detail wiederzugeben. Die Langfassung der Leitlinie muss das Verfahren der Erfassung und der Bewertung von Interessenkonflikten mit Verweis auf den Leitlinienreport beschreiben. Fertige Leitlinien, bei denen die Finanzierung Interessenkonflikte enthält oder die Interessenkonflikte einzelner Mitwirkender nicht transparent sind, werden nicht in das AWMFRegister aufgenommen. Den Tatbestand prüfen die Leiter der AWMF-Leitlinienkommission, in strittigen Fällen das AWMF-Präsidium.
7.6.2
101
7
Das Beispiel der 9. Version der Antithrombotischen Leitlinien des American College of Chest Physicians
Das American College of Chest Physicians (ACCP) hat in den letzten ca. 20 Jahren 8 Versionen seiner »Antithrombotischen Leitlinien« erstellt. Trotz einiger Anstrengungen, finanzielle Interessenkonflikte zu regulieren, hatten die meisten beteiligten Experten erkennbar sowohl finanzielle als auch intellektuelle Interessenkonflikte. Für die 9. Version der Leitlinie hat die Fachgesellschaft deshalb ein neues Konzept etabliert (Guyatt et al. 2010). Verantwortlich für die Auswahl der Experten ist ein Exekutivkommittee mit weitreichenden Vollmachten. Es entscheidet über die Bedingungen, unter denen Personen sich an der Entwicklung der Leitlinie beteiligen können – oder ausgeschlossen werden. Der grundlegendste Unterschied war, dass Methodenexperten, die von finanziellen oder intellektuellen Konflikten frei waren, die Hauptverantwortung für die einzelnen Kapitel der Leitlinie hatten – s. a. die kontroverse Diskussion zu Hirsh und Guyatt (2009). Jedem Kapitel ist außerdem ein klinischer Experte des Fachgebiets als «deputy editor« zugeordnet, der in der Regel jedoch Interessenkonflikte aufweist. Diese Editoren sind an der Aufbereitung und Interpretation der Evidenz beteiligt. Allerdings sind sie von den Abstimmungen, die schließlich Richtung und Stärke der Empfehlungen der Leitlinie bestimmen, ausgeschlossen. An der Abstimmung sind nur Personen (mindestens 3) ohne Interessenkonflikte beteiligt.
7.7
Kriterien zur Evaluation von Interessenkonfliktregulierungen
Maßnahmen zum Umgang mit Interessenkonflikten sind Interventionen. Im Sinne einer Evidenzbasierten Medizin (EbM) oder Evidenz-basierten Gesundheitsversorgung (Evidence-based Health Care, EbHC) sind valide Informationen zu erwünschten und unerwünschten Effekten von IKR ebenso erstrebenswert wie bei anderen Interventionen im Gesundheitssystem. Im Prinzip können sie
102
Kapitel 7 • Internationale Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten
denselben Anforderungen unterworfen werden wie komplexe medizinische Interventionen. Die Fragen zur Evaluation lauten dann: Welche Zielgruppe soll erfasst werden? Was ist die Intervention, was die Kontrolle? Und schließlich: Woran will man messen, ob eine Maßnahme einer anderen überlegen ist? Dazu sind noch Konzepte zu entwickeln, die über den Rahmen dieses Kapitels hinausgehen. Einige Grundgedanken sollen im Folgenden aber beschrieben werden. Entsprechende Evidenz konnte bislang nur in wenigen Publikationen gefunden werden und auch der IOM-Report (IOM 2009) resümiert:
7
»
The current evidence base for conflict of interest policies is not strong.
«
In einer orientierenden Literaturrecherche konnten zwei Forschungsprojekte identifiziert werden, welche explizit Outcomes von IKR untersucht haben. z
Studienergebnisse
Die Arbeitsgruppe um Jeremy Sugarman (Baltimore) untersuchte in einer randomisiert-kontrollierten Studie die Effekte der Offenlegung von Interessenkonflikten der Studiendurchführenden (principal investigator) auf potentielle Studienteilnehmer (Weinfurt et al. 2008a; Weinfurt et al. 2008b). Endpunkte waren das Vertrauen in die medizinische Forschung und die Bereitschaft zur Teilnahme in einer hypothetischen klinischen Studie. Die Bereitschaft zur Studienteilnahme unterschied sich nicht in Abhängigkeit der verschiedenen Typen von finanziellen Beziehungen (Aktienanteile, Vergütung pro eingeschlossenen Studienteilnehmer). Wenngleich die Offenlegung finanzieller Beziehungen bei einigen Teilnehmern das Vertrauen in die Studiendurchführenden senkte, kam es teilweise auch zu gegenteiligen Effekten (Zunahme des Vertrauens). Die Arbeitsgruppe um Michael Hartmann (Jena) untersuchte in einer retrospektiven Beobachtungsstudie den Einfluss von krankenhausinternen Richtlinien zum Umgang der Mitarbeiter mit der pharmazeutischen Industrie (Gundermann et al. 2010). Endpunkte waren der Umgang mit sowie die Einstellung zu Vertretern der pharmazeutischen Industrie. Aufgrund der Studien-
ergebnisse schlussfolgerten die Durchführenden, dass krankenhausinterne Richtlinien zum Umgang mit pharmazeutischen Unternehmen eine kritische Einstellung der Ärzte hinsichtlich des Werbeverhaltens der Unternehmen fördert. Die Autoren des IOM-Reports nehmen an, dass die meisten Effekte von Interessenkonflikten und entsprechender IKR (aus z. T. ethischen Gründen) nicht in randomisiert-kontrollierten Studien gemessen werden können. Allerdings sollte man die Forderung nach möglichst zuverlässigen, am besten randomisiert vergleichenden Studien nicht ohne Not zu früh aufgeben. Auch wenn sich methodische und/oder ethische Grenzen im Hinblick auf Design und Durchführung von Studien zu IKR ergeben mögen, ist bislang doch noch zu wenig (konsensorientiert) diskutiert, welche Stärke eines wissenschaftlichen Beweises zu welchen Effekten bei der Evaluierung von IKR nötig und möglich ist. Es ist davon auszugehen, dass die Möglichkeiten und Grenzen von validen Studien zu IKR je nach Ausgangsfrage bzw. primären Endpunkten variieren. Relevante Endpunkte für eine Evaluation von IKR sind z. B. auch ihre Machbarkeit (feasibility) und Akzeptanz (acceptability). Auch wenn IKR angemessen formuliert sind, muss das nicht zwangsläufig bedeuten, dass sie auch angemessen angewendet werden. Zur Evaluation der Implementierung und Anwendung bestimmter IKR nennt der IOM-Report zusätzliche Kriterien.
7.7.1
Verhältnismäßigkeit (proportionality)
Das Kriterium der Verhältnismäßigkeit fordert, dass der Umgang mit Interessenkonflikten den Risiken für einen Schaden entspricht. Zur Orientierung empfiehlt der IOM-Report die Beantwortung folgender Fragen: 5 Berücksichtigt die IKR wirklich die wichtigsten und häufigsten Interessenkonflikte? 5 Ist die IKR praxistauglich, d. h., kann sie wirklich mit vertretbarem Aufwand und kosteneffektiv umgesetzt werden?
7.7 • Kriterien zur Evaluation von Interessenkonfliktregulierungen
5 Werden bei der Anwendung der IKR die selbst vorgegebenen Regeln angemessen berücksichtigt? 5 Werden der legitime Forschungsbetrieb, die Lehre und die klinische Praxis durch die Anwendung der IKR in unverhältnismäßiger Form gestört? 5 Überwiegen die erwarteten Vorteile der IKR den Aufwand und Kosten, wie z. B. Verwaltungskosten und andere negative Folgen?
7.7.2
Transparenz (transparency)
Ebenso wie die Offenlegung in der Regel einen notwendigen – wenn auch nicht hinreichenden – Schritt im Umgang mit Interessenkonflikten darstellt, weist der IOM-Report auf die Bedeutung von Transparenz im Umgang mit den Regulierungen hin und beschreibt die folgenden Anforderungen: 5 Transparente IKR sind leicht zugänglich, klar und einfach formuliert und enthalten Erklärungen und wichtige Informationen über deren Anwendung. Sie sind nicht nur den unmittelbar Betroffenen (z. B. Forschern, Autoren von Zeitschriftenartikeln oder Projektgruppen zur Leitlinienentwicklung), sondern auch anderen Interessengruppen, einschließlich der Öffentlichkeit, zugänglich. Transparenz ist notwendig, um festzustellen, ob IKR angemessen sind, und ob sie gerecht umgesetzt werden. 5 Die Veröffentlichung der Angaben zu Interessenkonflikten einer Person soll nur die personenspezifischen Informationen enthalten, die nötig sind, um die Ziele der IKR zu erreichen. In bestimmten Situationen kann eine aggregierte oder nicht-identifizierbar gemachte Information für die Öffentlichkeit ausreichend sein.
7.7.3
Zuschreibbarkeit/ Verantwortung (accountability)
Personen und Institutionen, die mit bestimmten Verantwortlichkeiten betraut wurden, erläutern ihre Entscheidungen zu Interessenkonflikten und übernehmen Verantwortung für diese.
103
7
5 Dabei soll die institutionelle Führungsebene erklären können, wie Urteile zu Interessenkonflikten bei ähnlichen Fällen angemessen konsistent bleiben und warum z. B. in dem einen Fall die Offenlegung eines Konfliktes ausreichend war, während in einem anderen Fall weiterführende Managementmaßnahmen oder ein Verbot erforderlich waren. 5 Das Einbeziehen der Öffentlichkeit ist in vielen Situationen wichtig, um Verantwortung zu realisieren. Dies wäre z. B. der Fall, wenn Vertreter der Öffentlichkeit eine Mitgliedschaft in den Gremien ausüben, welche Interessenkonflikte regulieren. Vergleichbar sind u. a. die institutionellen Ethikkommissionen, welche durch die US-Gesetzgebung verpflichtet sind, mindestens ein außerinstitutionelles Mitglied zu benennen. 5 Verantwortung wird auch dadurch realisiert, dass Institutionen um eine öffentliche Stellungnahme hinsichtlich ihrer IKR bitten und sich mit den Revisionsvorschlägen ernsthaft befassen. Die Beteiligung der Öffentlichkeit kann die Glaubwürdigkeit und die Vertrauenswürdigkeit bezüglich der Entscheidungen zu individuellen Fällen sowie der allgemeineren Regulierungen stärken. 5 Ein letzter vom IOM-Report geforderter Aspekt ist die Bereitschaft, bestehende IKR und deren Anwendung zu verbessern. Indem Benchmarks für die Implementierung und Anwendung von IKR festgelegt werden und die Ergebnisse evaluiert werden, sind Anreize für eine Qualitätsverbesserung geschaffen.
7.7.4
Gerechtigkeit (fairness)
Der formale Grundsatz der Gerechtigkeit fordert, dass vergleichbare Situationen vergleichbar und unterschiedliche Situationen unterschiedlich behandelt werden. Im Sinne dieses Grundsatzes nennt der IOM-Report zwei Implikationen für die Anwendung von IKR: 5 IKR sollten für alle Mitarbeiter oder Mitglieder einer Institution gelten, die wichtige Entscheidungen für die Institution treffen oder
104
Kapitel 7 • Internationale Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten
die einen wesentlichen Einfluss auf diese Entscheidungen haben. 5 Obwohl Vorgaben zur IKR den betreffenden Institutionen einen Ermessensspielraum bei der Implementierung und Anwendung hinsichtlich lokaler Gegebenheiten einräumen, ist es wichtig, solche Abweichungen gegenüber den betroffenen Personen, den Kontrollgremien und der Öffentlichkeit verständlich und plausibel zu begründen.
7.8
7
Fazit und Ausblick
Grundvoraussetzung für einen angemessenen Umgang mit Interessenkonflikten ist Transparenz. Für eine Evaluation der Angemessenheit im Umgang mit Interessenkonflikten muss sich die Transparenz nicht nur auf die Offenlegung, sondern auch für die dann folgende Bewertung und Handhabung von Interessenkonflikten beziehen. Um dies zu ermöglichen, müsste eine IKR folgende Elemente beinhalten, die in dem vorgestellten Konzept von Thompson und Emanuel sowie im IOM Report (2009) konkretisiert wurden: 5 Eine öffentlich verfügbare Beschreibung des Umgangs mit Interessenkonflikten, der Definition, den Prinzipien der Bewertung, den Regeln der Einstufung und eine Beschreibung der Konsequenzen. 5 Ein Formular zur Offenlegung von Interessenkonflikten. 5 Ein Gremium, das die Bewertung vornimmt. Prinzipiell umfasst der Umgang mit Interessenkonflikten 3 Maßnahmen: 5 Vorbeugung: Verbot von Beziehungen, die zu besonders schweren Interessenkonflikten führen können. Das betrifft vor allem finanzielle Beziehungen. 5 Offenlegung von Beziehungen/Interessenkonflikten 5 Management von bestehenden Interessenkonflikten Welche Maßnahme jeweils sinnvoll ist, hängt von der spezifischen Konstellation ab. Da Institutionen sich in Aufgaben, Voraussetzungen und Reich-
weite ihrer Entscheidungen sehr unterscheiden, ist es notwendig und zu erwarten, dass IKR unterschiedlich eingesetzt werden. Diese Heterogenität sollte nicht als hinreichender Beweis für eine unangemessene Regulierung von Interessenkonflikten missverstanden werden. Um die Angemessenheit empirisch zu prüfen und zu bewerten, bedarf es zuerst einer expliziten Verständigung über die primären Interessen in den verschiedenen Bereichen der Medizin wie Forschung, Lehre, Patientenversorgung, Leitlinienentwicklung, Sozialversicherung und Steuerung im Gesundheitssystem. Weiterhin bedarf es einer expliziten Verständigung darüber, was eine angemessene fachliche Gegenleistung ist und was nicht (7 Kap. 6). Ohne diese Klärungsprozesse sind unterschiedliche, z. T. auch unwirksame Vorgehensweisen in der Regulierungen von Interessenkonflikten eher zu erwarten. Wünschenswert wäre es deshalb (ganz im Sinne der IOM-Empfehlungen), dass sich Institutionen und Verbände über Konzepte verständigen, IKR vergleichend zu evaluieren.
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105
7
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107
Interessenkonflikte und Medizinrecht Definitionen, Normen, Probleme Dieter Hart und Stefanie Hubig
8.1
Einleitung – 108
8.2
Definitionen und Normstruktur – 112
8.2.1 8.2.2
Tatbestandsseite einer Norm – 113 Folgenseite einer Norm – 114
8.3
Normen – 115
8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4 8.3.5 8.3.6
Berufsrecht – 115 Arzneimittelrecht – 119 GKV-Recht – 119 Normgenerierung durch die Profession: Leitlinien – 121 Fehlversorgung – 122 Strafrecht – 123
8.4
Fazit und Ausblick – 125 Weiterführende Literatur – 126
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
8
108
Kapitel 8 • Interessenkonflikte und Medizinrecht
»Transparency Deutschland« definiert Korruption als Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil.
Zur Einführung
8
Die Behandlung von Interessenkonflikten im Medizinrecht steht vor schwierigen Aufgaben: 5 Man muss klären, ob der gebräuchliche und hier zugrunde gelegte Begriff des Interessenkonflikts auf die Normen des Medizin- und Gesundheitsrechts übertragbar ist. 5 Man kann nicht an eine gesetzliche Definition anknüpfen, sondern muss den Begriff durch Interpretation der jeweils einschlägigen Normen erst bestimmen. 5 Die einschlägigen Normen gehen auf der Tatbestandsseite (Voraussetzungen) von unterschiedlich engen oder weiten Bestimmungen der Konfliktsachverhalte aus. 5 Auf der Rechtsfolgenseite (Konsequenzen von Interessenkonflikten) sind die Anordnungen teils rudimentär, teilweise fehlen sie ganz. Insofern steht man vor einem Transformationsproblem und vor Interpretationsproblemen, bei denen nur schwer an allgemeine Grundsätze des Rechts anzuschließen ist, weil Interessenkonflikte jeweils in sehr spezifischen Ausprägungen auftreten. Rechtspolitisch sind Folgerungen zu ziehen.
8.1
Einleitung
Der Deutsche Corporate Governance Kodex v. 2. 7. 20101 enthält unter der Überschrift »Interessenkonflikte« folgende Regelung für den Vorstand von deutschen börsennotierten Gesellschaften:
» 4.3. Interessenkonflikte 4.3.1 Vorstandsmitglieder unterliegen während ihrer Tätigkeit für das Unternehmen einem umfassenden Wettbewerbsverbot.
Für den strafrechtlichen Teil ist Stefanie Hubig, für die vorangehenden Teile Dieter Hart verantwortlich. Das Fazit wird von beiden Autoren gemeinsam verantwortet. 1
In der Fassung vom 26. Mai 2010 (eBAnz Nr. 68 S. 1).
4.3.2 Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter dürfen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit weder für sich noch für andere Personen von Dritten Zuwendungen oder sonstige Vorteile fordern oder annehmen oder Dritten ungerechtfertigte Vorteile gewähren. 4.3.3 Die Vorstandsmitglieder sind dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Kein Mitglied des Vorstands darf bei seinen Entscheidungen persönliche Interessen verfolgen und Geschäftschancen, die dem Unternehmen zustehen, für sich nutzen. 4.3.4 Jedes Vorstandsmitglied soll Interessenkonflikte dem Aufsichtsrat gegenüber unverzüglich offenlegen und die anderen Vorstandsmitglieder hierüber informieren. Alle Geschäfte zwischen dem Unternehmen einerseits und den Vorstandsmitgliedern sowie ihnen nahe stehenden Personen oder ihnen persönlich nahe stehenden Unternehmungen andererseits haben branchenüblichen Standards zu entsprechen. Wesentliche Geschäfte sollen der Zustimmung des Aufsichtsrats bedürfen. 4.3.5 Vorstandsmitglieder sollen Nebentätigkeiten, insbesondere Aufsichtsratsmandate außerhalb des Unternehmens, nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats übernehmen.
«
Für den Aufsichtsrat heißt es an späterer Stelle zum selben Thema:
» 5.5 Interessenkonflikte 5.5.1 Jedes Mitglied des Aufsichtsrats ist dem Unternehmensinteresse verpflichtet. Es darf bei seinen Entscheidungen weder persönliche Interessen verfolgen noch Geschäftschancen, die dem Unternehmen zustehen, für sich nutzen. 5.5.2 Jedes Aufsichtsratsmitglied soll Interessenkonflikte, insbesondere solche, die auf Grund einer Beratung oder Organfunktion bei Kunden, Lieferanten, Kreditgebern oder sonstigen Geschäftspartnern entstehen können, dem Aufsichtsrat gegenüber offenlegen. 5.5.3 Der Aufsichtsrat soll in seinem Bericht an die Hauptversammlung über aufgetretene Interessenkonflikte und deren Behandlung informieren. Wesentliche und nicht nur vorübergehende Interessenkonflikte in der Person eines
109
8.1 • Einleitung
Aufsichtsratsmitglieds sollen zur Beendigung des Mandats führen. 5.5.4 Berater- und sonstige Dienstleistungsund Werkverträge eines Aufsichtsratsmitglieds mit der Gesellschaft bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats.
«
Der Kodex stellt wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Unternehmen dar und enthält international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung. Alle durch »soll« gekennzeichneten Regeln haben Empfehlungscharakter, so dass es sich bei 4.3.1– 4.3.3 sowie 5.5.1 und 5.5.4 um bindendes Recht (Grundlage: gesetzliche Normen) handelt, während die unmittelbar Interessenkonflikte betreffenden anschließenden Regeln Empfehlungen zum Umgang mit Interessenkonflikten formulieren. Insbesondere seit dem KonTraG2 mit seinem Kern der Einrichtung eines unternehmensbezogenen Risikomanagements ist es das Ziel, durch Transparenz- und Offenlegungsmaßnahmen mögliche Interessenkonflikte für Aktionäre und Anleger beurteilbar zu machen und sie teilweise durch Sanktionen auszuschließen. Der Hinweis auf diesen Kodex erfolgt beispielhaft, um zu verdeutlichen, mit welchen Perspektiven und Instrumenten im (Wirtschafts-)Recht Interessenkonflikte angegangen und behandelt werden, wobei schon an diesem prominenten Beispiel sichtbar ist, dass wir uns bisher eher in einem Bereich von »soft law« als in striktem Gesetzesrecht bewegen. Im deutschen Medizin- und Gesundheitsrecht3 finden sich Regelungen, die Interessenkonflikte thematisieren, eher selten und wenn (in neuerer Zeit), dann rudimentär und stark bereichsbezogen. Vergleichbar mit dem gerade angeführten Beispiel sind Regelungen im (europäischen und nationalen) Arzneimittelrecht (AMR), im Gesetzlichen Krankenversicherungsrecht (GKVR) und im ärztlichen Berufsrecht.
2 3
Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich BGBl. I S. 786 vom 30. April 1998. Zu den Begriffen Hart/Francke, Einführung, S. IX-XXXIV, in: Gesundheitsrecht, Beck-Texte im dtv, 6. Aufl. 2009.
8
Art. 63 VO (EG) 726/20044(EG-ArzneimittelagenturVO) hat die Überschrift »Öffentlichkeit; Unparteilichkeit«, bezieht sich auf die Ausschüsse der Europäischen Arzneimittelagentur und lautet:
» (1) Die Zusammensetzung der in Artikel 56 Ab1
satz 1 genannten Ausschüsse wird veröffentlicht. 2Bei der Veröffentlichung jeder Ernennung sind auch die beruflichen Qualifikationen jedes Mitglieds anzugeben. (2) 1Verwaltungsratsmitglieder, Ausschussmitglieder, Berichterstatter und Sachverständige dürfen keinerlei finanzielle oder sonstige Interessen in der pharmazeutischen Industrie haben, die ihre Unparteilichkeit beeinflussen könnten. 2Sie verpflichten sich dazu, unabhängig und im Interesse des Gemeinwohls zu handeln und jährlich eine Erklärung über ihre finanziellen Interessen abzugeben. 3Alle indirekten Interessen, die mit dieser Industrie in Zusammenhang stehen könnten, werden in ein von der Agentur geführtes Register eingetragen, das von der Öffentlichkeit auf Wunsch bei den Dienststellen der Agentur eingesehen werden kann. Der Verhaltenskodex der Agentur sieht die Durchführung dieses Artikels insbesondere in Bezug auf die Annahme von Geschenken vor. 1Die Verwaltungsratsmitglieder, Ausschussmitglieder, Berichterstatter und Sachverständigen, die an den Sitzungen oder Arbeitsgruppen der Agentur teilnehmen, erklären auf jeder Sitzung bezogen auf die Tagesordnungspunkte die besonderen Interessen, die als mit ihrer Unabhängigkeit unvereinbar betrachtet werden könnten. 2Diese Erklärungen sind der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
«
Für den Bereich des GKVR seien einleitend zwei Regelungen vorgestellt. § 139 b Abs. 3 SGB V for-
4
Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen ArzneimittelAgentur, ABl. Nr. L 136 S. 1, zuletzt geändert durch Art. 31 ÄndVO (EG) 470/2009 vom 6. 5. 2009 (ABl. Nr. L 152 S. 11).
110
Kapitel 8 • Interessenkonflikte und Medizinrecht
muliert für Sachverständige, die im Rahmen von IQWiG5-Aufgaben tätig werden:
» (3) Zur Erledigung der Aufgaben nach § 139a 1
Abs. 3 Nr. 1 bis 5 hat das Institut wissenschaftliche Forschungsaufträge an externe Sachverständige zu vergeben. 2Diese haben alle Beziehungen zu Interessenverbänden, Auftragsinstituten, insbesondere der pharmazeutischen Industrie und der Medizinprodukteindustrie, einschließlich Art und Höhe von Zuwendungen offen zu legen.
«
§§ 23, 246 im 1. Kapitel, 5. Abschnitt 1 G-BA7-Verfahrensordnung (VerfO) lautet:
» § 23 Verpflichtete (1) Sachverständige, die den 1
8
Gemeinsamen Bundesausschuss oder seine Untergliederungen mündlich oder schriftlich beraten sollen, haben nach Maßgabe dieses Abschnitts Tatsachen offen zu legen, die ihre Unabhängigkeit bei dem jeweiligen Beratungsgegenstand potenziell beeinflussen. 2Entsprechendes gilt für die Beratung in Unter- und Arbeitsausschüssen sowie Arbeitsgruppen für benannte Mitglieder und deren Stellvertretung, Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter, eine Vertreterin und einen Vertreter der nach § 137 SGB V zu beteiligenden Organisationen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle mit der Maßgabe, dass sich die Verpflichtung zur Offenlegung auf Tatsachen beschränkt, die ihre Unabhängigkeit bei dem jeweiligen Beratungsgegenstand potenziell beeinflussen. (2) 1Hält sich eine Unparteiische oder ein Unparteiischer für befangen, so hat sie oder er dies dem Gremium mitzuteilen. 2Das Gremium entscheidet über den Ausschluss. 3Der oder die Betroffene darf an dieser Entscheidung nicht mitwirken. 4Die oder der Ausgeschlossene darf bei der weiteren Beratung und der Beschlussfassung nicht zugegen sein.
5 6
7
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Das in § 24 Abs. 1 G-BA-VerfO genannte Selbsterklärungsformular bezieht sich ausdrücklich auf »mögliche Interessenkonflikte«. Gemeinsamer Bundesausschuss.
§ 24 Offenlegung (1) Inhalt und Umfang der Offenlegungspflicht bestimmen sich nach Anlage I (Selbsterklärungsformular). (2) 1Die Angaben der Verpflichteten nach § 23 Abs. 1 sind mit Beginn der Beratungen gegenüber dem Gremium vorzulegen, in dem die Verpflichteten anwesend sind. 2Das Gremium sucht bei unklaren oder unstimmigen Angaben um ergänzende Ausführungen nach. (3) 1Alle nach diesem Abschnitt offen gelegten Daten sind streng vertraulich zu behandeln. 2In die Sitzungsniederschrift ist nur anzugeben, dass eine Offenlegungserklärung abgegeben wurde.
«
Ein zusätzlicher wichtiger Regelungskomplex findet sich im ärztlichen Berufsrecht. Unter der Überschrift »Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit bei der Zusammenarbeit mit Dritten« sind Normen formuliert, die der Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit und mittelbar dem Patientenschutz dienen. § 33 MBO-Ä lautet unter der Überschrift »Ärzteschaft und Industrie«:
» (1) Soweit Ärztinnen und Ärzte Leistungen für die Hersteller von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten erbringen (z. B. bei der Entwicklung, Erprobung und Begutachtung), muss die hierfür bestimmte Vergütung der erbrachten Leistung entsprechen. Die Verträge über die Zusammenarbeit sind schriftlich abzuschließen und sollen der Ärztekammer vorgelegt werden. (2) Die Annahme von Werbegaben oder anderen Vorteilen ist untersagt, sofern der Wert nicht geringfügig ist. (3) Ärztinnen und Ärzten ist es nicht gestattet, für den Bezug der in Absatz 1 genannten Produkte, Geschenke oder andere Vorteile für sich oder einen Dritten zu fordern. Diese dürfen sie auch nicht sich oder Dritten versprechen lassen oder annehmen, es sei denn, der Wert ist geringfügig. (4) Die Annahme von geldwerten Vorteilen in angemessener Höhe für die Teilnahme an wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen ist nicht berufswidrig. Der Vorteil ist unangemessen, wenn er die Kosten der Teilnahme (notwendige Reisekosten, Tagungsgebühren) der Ärztin oder des Arztes an der Fortbildungsveranstaltung über-
111
8.1 • Einleitung
steigt oder der Zweck der Fortbildung nicht im Vordergrund steht. Satz 1 und 2 gelten für berufsbezogene Informationsveranstaltungen von Herstellern entsprechend.
«
Die Regelungen sind insofern paradigmatisch, als sie einerseits die vornehmlichen Bereiche anzeigen, in denen Interessenkonflikte auftreten können, andererseits Transparenz unabdingbare Voraussetzung für einen »Umgang« mit ihnen darstellt. »Medical professionalism in the new millennium: a physicians’ charter«8 ist der Entwurf einer prinzipienorientierten Verhaltensleitlinie, die auch diese Verpflichtung aufnimmt. Interessenkonflikte im Gesundheitssystem resultieren vorwiegend aus der Spannung zwischen ethischen Postulaten des ärztlichen Berufs bzw. dem allgemeinen Schutz der öffentlichen sowie privaten Gesundheit und den wirtschaftlichen Zwecken, die Unternehmen der Gesundheitswirtschaft (z. B. Hersteller von Arzneimitteln, Medizinprodukten und Hilfsmitteln, aber auch Beratungs-, Versicherungsunternehmen und Kliniken) verfolgen. Überall dort, wo im Medizin- und Gesundheitssystem ökonomisch relevante Entscheidungen zu treffen sind, besteht das Risiko der Überlagerung oder Verdrängung des medizinethisch und medizinisch Richtigen durch das individuelle wirtschaftliche Kalkül.
8
und damit die gesamte Qualitäts- und Sicherheitsdebatte in der Medizin in Unordnung bringen. > Wenn die Empfehlungen einer S3-Leitlinie und evtl. deren zugrundeliegende Studien durch Interessenkonflikte nicht nur berührt, sondern auch in ihren Bewertungen »gesteuert« werden, dann wird die Vertrauenswürdigkeit des gesamten Prozesses der professionellen Normbildung in Frage gestellt.
Ein erst in jüngster Zeit in Deutschland erkanntes Grundproblem existiert bei der Normgenerierung bzw. der Standardbildung. Interessenkonflikte können die Entstehung von Normen beeinflussen
Als ein letzter grundlegender Problemkomplex seien unbegründete Indikationsstellungen für diagnostische Maßnahmen (»Fehlversorgung«) aufgrund von Interessenkonflikten benannt: Ökonomische Zwänge (z. B. das Erreichen bestimmter Umsatzzahlen, um vorangehende Investitionen rentabel zu machen) im Krankenhaus können überflüssige oder vorgezogene Indikationsstellungen, also in einem diagnostischen Entscheidungsbaum am Ende stehende Maßnahmen, auslösen. Alle Normen wie die Beispiele der Normbildung zeigen allerdings ebenso paradigmatisch, wie offenbar komplex die Regelungsprobleme sind, wie schwer ihre Präzisierung fällt und wie unbestimmt die Bewertungskriterien und die Folgen transparent gemachter Interessenkonflikte bleiben. Unabhängigkeit und Befangenheit oder Verstricktheit sind die Pole, zwischen denen Interessenkonflikte angesiedelt sind und zwischen denen die Folgenbewertung pendelt. Auf der Rechtsfolgenseite stehen folgende Lösungen zur Debatte: 5 strenge exit-Lösungen, z. B.: 5 Ausscheiden aus der Beratungs- oder Entscheidungsgruppe; 5 Nicht-Beteiligung an der Entscheidung, aber Mitberatung; 5 Nicht-Beteiligung an der Beratung; 5 Nicht-Wahrnehmung eines Mandats bzw. einer Funktion; 5 weiche Transparenzlösungen (z. B. interne oder externe Publizitätspflichten) oder 5 ein Mix aus beiden.
8
> Alle beispielhaft genannten Normen zeigen paradigmatisch, wie offenbar komplex die Regelungsprobleme sind, wie schwer
> Interessenkonflikte im Gesundheitssystem resultieren vorwiegend aus der Spannung zwischen ethischen Verpflichtungen des ärztlichen Berufs bzw. dem allgemeinen Schutz der öffentlichen sowie privaten Gesundheit und den wirtschaftlichen Zwecken, die Unternehmen der Gesundheitswirtschaft (z. B. Hersteller von Arzneimitteln, Medizinprodukten und Hilfsmitteln, aber auch Beratungs-, Versicherungsunternehmen und Kliniken) verfolgen.
Charter on medical professionalism, Medical Professionalism Project Lancet 2002; 359: 520–522
112
Kapitel 8 • Interessenkonflikte und Medizinrecht
ihre Präzisierung fällt und wie unbestimmt die Bewertungskriterien und die Folgen transparent gemachter Interessenkonflikte bleiben.
8.2
Definitionen und Normstruktur
Der Begriff des Interessenkonflikts wird meist folgendermaßen definiert (7 Kap. 2):
»
Conflicts of interest are defined as circumstances that create a risk that professional judgments or actions regarding a primary interest will be unduly influenced by a secondary interest.
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Diese Definition liegt einem Bericht des IOM9 zu Interessenkonflikten in der medizinischen Forschung (2009) zugrunde und ist in die Empfehlungen der AWMF zum Umgang mit Interessenkonflikten bei Fachgesellschaften übernommen worden10:
» Interessenkonflikte sind definiert als Gegebenheiten, die ein Risiko dafür schaffen, dass professionelles Urteilsvermögen oder Handeln, welches sich auf ein primäres Interesse bezieht, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst wird.11
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Lo u. Field, Committee on Conflict of Interest in Medical Research. Conflict of Interest in Medical Research, Education, and Practice. Institute of Medicine. 2009, p. 44 ff., 62 ff. http://books.nap.edu/openbook. php?isbn = 030913188X&page = 6. Übersetzung in: Empfehlungen der AWMF zum Umgang mit Interessenkonflikten bei Fachgesellschaften, siehe auch: www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/Werkzeuge/empf-coi.pdf.. Siehe auch Lieb, Klemperer, Koch, Baethge, Ollenschläger, Ludwig, Interessenkonflikte in der Medizin. Mit Transparenz Vertrauen stärken, für die Arbeitsgruppe »Interessenkonflikte in der Medizin«1 und die Arbeitsgruppe »Interessenkonflikte« der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft2, Dtsch Arztebl 2011; 108(6): A 256-260; Klemperer, Interessenkonflikte: Gefahr für das ärztliche Urteilsvermögen, Dtsch Arztebl 2008; 105(40): A 2098–2100.
Diese Definition liegt auch diesem Band zugrunde.12 Eine Definition des Begriffs Interessenkonflikt findet sich in keinem der Normkomplexe des Medizin- oder Gesundheitsrechts. Was ein Interessenkonflikt ist, muss deshalb anhand des Wortlauts, der Grammatik, der Systematik und des Zweckes einer jeweiligen Regelung bestimmt werden, wobei der Zweck der Regelung entscheidend ist. Mit denselben Methoden der Auslegung wäre die Folge eines Interessenkonflikts festzustellen oder festzulegen. Trotz dieses rechtlichen Definitionsmankos kann man, von der in der Medizin gebräuchlichen Definition ausgehend, folgende allgemeine Normelemente identifizieren, die für jede medizin- und gesundheitsrechtliche Regelung repräsentativ sind. Zu unterscheiden sind eine Tatbestands- (was ist ein Interessenkonflikt?) und eine Rechtsfolgenseite (welche Folgen ergeben sich bei einem Interessenkonflikt?) der einschlägigen Normen. > Eine Definition des Begriffs Interessenkonflikt findet sich in keinem der Normkomplexe des Medizin- oder Gesundheitsrechts.
Die Definition des Interessenkonflikts wäre die Tatbestandsseite einer entsprechenden Norm [1]. Charakteristisch für ihn ist der Widerspruch zwischen einem allgemeinen (primären) Interesse (der Allgemeinheit, des Unternehmens, des Berufs, der Patienten) [1.1] und einem persönlichen, individuellen (sekundären) Interesse [1.3] des Mandats- oder Funktionsträgers [1.2] und die dadurch ausgelöste (reale = manifeste oder mögliche13) Entscheidungsbeeinflussung [1.4] Das primäre allgemeine Interesse steht in der Regel unter 12 13
Siehe Kap. 2. Das Institute for Healthcare Improvement, USA beispielsweise (www.ihi.org/ihi) formuliert im Hinblick auf Tagungsvorträge: »Consistent with the IHI’s policy, faculty for this program are expected to disclose at the beginning of their presentation(s) any economic or other personal interests that create, or may be perceived as creating, a conflict related to the material discussed. The intent of this disclosure is not to prevent a speaker with a significant financial or other relationship from making a presentation, but rather to provide listeners with information on which they can make their own judgments.«
8.2 • Definitionen und Normstruktur
dem Schutz von Ethik und/oder Recht (Schutzgut) und steht in seinem Schutzwert meist über dem sekundären Individualinteresse. Je höherwertig das Schutzgut des allgemeinen Interesses, desto »verwerflicher« ist die Bevorzugung des Individualinteresses und desto eher ist neben der einschlägigen medizinrechtlichen auch eine strafrechtliche Sanktion möglich. Die Mittel, den möglichen Widerspruch zugunsten des Individualinteresses zu beeinflussen, sind Geld oder andere materielle (geldwerte) oder immaterielle Vorteile (von sozialer Ansehenssteigerung über Positionsverbesserung bis zu intellektuellem Gewinn). Das Bestehen oder schon die Möglichkeit des Bestehens eines Interessenkonflikts kann auf der Folgenseite der Norm [2.] unterschiedliche Rechtsfolgen auslösen, die außer der Publizierung (Transparenz) auch weitere Sanktionen auslösen können (Beschränkung der Mandats- oder Funktionsausübung). Die Entscheidung des Interessenkonflikts zugunsten des Individualinteresses kann zu berufs-, medizin-, gesundheits- oder strafrechtlichen Sanktionen führen oder gar vom Mandat oder der Funktion auch zukünftig ausschließen. > Charakteristisch für den Interessenkonflikt ist der Widerspruch zwischen einem allgemeinen (primären) Interesse (der Allgemeinheit, des Unternehmens, des Berufs, der Patienten) und einem persönlichen, individuellen (sekundären) Interesse des Mandats- oder Funktionsträgers und die dadurch ausgelöste (reale = manifeste oder mögliche) Entscheidungsbeeinflussung.
8.2.1
Tatbestandsseite einer Norm
Die Definition eines Interessenkonflikts wäre in den medizin- und gesundheitsrechtlichen Normen die Tatbestandsseite. Ist der Tatbestand erfüllt, knüpfen sich bestimmte Rechtsfolgen an (2.). Im Folgenden werden die Elemente des Tatbestands dargestellt.
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Allgemeines (primäres) Interesse Als allgemeine Interessen kommen in Betracht: 5 das Allgemeininteresse an 5 guter und sicherer Gesundheit, 5 guter und sicherer Versorgung, 5 guter und sicherer Behandlung, 5 guter Berufsausübung; 5 das Unternehmensinteresse, z. B. das Krankenhausinteresse an guter und sicherer Versorgung der Patienten (aber andererseits auch an guten wirtschaftlichen Ergebnissen); 5 das Professionsinteresse an der guten und sicheren Ausübung des Berufs, am Schutz der ärztlichen Entscheidungsfreiheit vor unsachgemäßer Beeinflussung, an der Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit; 5 das Patienteninteresse an einer guten und sicheren medizinischen Behandlung und Gesundheitsversorgung. Das allgemeine Interesse steht in der Wertigkeit nicht per se höher als ein Individualinteresse. Der Konflikt zwischen beiden wird durch die Ranghöhe der jeweiligen Interessen entschieden. Die Ranghöhe wiederum hängt ab von der medizinrechtlichen Regelung oder allgemeinen Rechtsprinzipien und der in ihnen enthaltenen Rangbewertung. Die Rangbewertung richtet sich vor allem nach dem Verhältnis der zu bewertenden Schutzgüter, das sich auch in dem Inhalt des Mandats oder der Aufgabe ausdrückt.
Mandat, Funktion, Schutzgut Das erteilte Mandat oder die wahrgenommene Funktion ist definiert durch das allgemeine Interesse und das darauf bezogene, rechtlich festgelegte Schutzgut. Die Schutzgutbestimmung erfolgt durch die Rechtsordnung in unterschiedlichen Rechtsgebieten. Für den Schutz allgemeiner Interessen im Medizin- und Gesundheitsbereich ist zunächst die Verfassung, sind sodann die Gesetze mit Gesundheits- und Medizinbezug und möglicherweise untergesetzliche Regelungen zuständig. Unter dem Schutz der Verfassung stehen die Gesundheit als gleichsam institutionelle Garantie eines Individualgrundrechts (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Gesundheit, Art. 2
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8
Kapitel 8 • Interessenkonflikte und Medizinrecht
Abs. 2 S. 1, teilweise i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG)14, ein System der guten Gesundheitsversorgung bzw. Schutz der Gesundheit der Bevölkerung als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut (staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bzw. Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen auf der Basis eines Gesetzes durch wichtige Gemeinwohlbelange)15 und die Berufsausübungsfreiheit wiederum auch als institutionelle Garantie (Art. 12 GG, »ärztliche Therapiefreiheit«).16 Beispiele des gesetzlichen Schutzes solcher allgemeiner Interessen sind für die öffentliche Gesundheit das Arzneimittelgesetz, das Infektionsschutzgesetz und die Heilberufsgesetze der Länder, für das System der Gesundheitsversorgung das SGB V (§§ 1, 12, 28, 70 SGB V)17 und für das Berufsrecht die Bundesärzteordnung (§ 1 BÄO) und als (untergesetzliches) Satzungsrecht die Musterberufsordnung-Ärzte (MBO-Ä) bzw. die Landesberufsordnungen (§ 1 MBO-Ä)18.
(Sekundäres) Individualinteresse
zwischen (primärem) allgemeinem bzw. Mandatsund (sekundärem) individuellem Interesse und die dadurch ermöglichte Entscheidungsbeeinflussung. Ob das Recht beide Varianten des Konflikts (real/potentiell) gleich bewertet, hängt von der jeweiligen Regelung und ihrem Schutzzweck ab. Außerdem ist eine Differenzierung beider Fälle in den Rechtsfolgen denkbar. Der Widerspruch löst das Risiko einer Entscheidungsbeeinflussung zugunsten des Individualinteresses aus.19 Je gravierender der Widerspruch und je höher das Beeinflussungsrisiko, desto nachhaltiger können die (Rechts-)Folgen ausfallen; insofern kann die Tatbestandsseite der Norm die Rechtsfolgenseite (»Schwere des Konflikts«) beeinflussen, insbesondere dann, wenn ein Ermessen auf der Folgenseite eingeräumt ist. Das kann allerdings in unterschiedliche Richtungen gehen: Entweder werden Bagatellfälle für irrelevant erklärt oder/und mögliche Entscheidungsbeeinflussung wird um ein wertendes Element (»sachfremd«) erweitert (»nicht sachgerechte Entscheidung droht«).
In Betracht kommen hier in erster Linie materielle, aber auch immaterielle (soziale, intellektuelle) Interessen bzw. Zwecke. Das reicht von gegenleistungsfreien Zuwendungen (Geschenke, kostenlose Teilnahme an Veranstaltungen, Kostenübernahme für Veranstaltungen) über vertraglich vereinbarte Gegenleistungen (z. B. Forschung, Beratung, Vortragstätigkeit) bis zu einer Verstrickung mit Interessen von Unternehmen, insbesondere der Gesundheitswirtschaft (Inhaberschaft von Anteilen oder Wahrnehmung von Funktionen in oder für Unternehmen der Gesundheitswirtschaft).
Definition Konflikt wird definiert als das Bestehen oder die Möglichkeit des Bestehens eines Widerspruchs zwischen (primärem) allgemeinem bzw. Mandats- und (sekundärem) individuellem Interesse und die dadurch ermöglichte Entscheidungsbeeinflussung. Ob das Recht beide Varianten des Konflikts (real/potentiell) gleich bewertet, hängt von der jeweiligen Regelung und ihrem Schutzzweck ab. Außerdem ist eine Differenzierung beider Fälle in den Rechtsfolgen denkbar.
Konflikt und Entscheidungsbeeinflussung Konflikt wird definiert als das Bestehen oder die Möglichkeit des Bestehens eines Widerspruchs 14
15 16 17 18
Francke, Ärztliche Berufsfreiheit und Patientenrechte – Eine Untersuchung zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen des ärztlichen Berufsrechts und des Patientenschutzes, 1994, S. 72 ff. Beispielhaft BVerfGE 121, 317–388 – Rauchverbot in Gaststätten. Francke, Ärztliche Berufsfreiheit und Patientenrechte, S. 48 ff., 136 ff. Becker/Kingreen, SGB V, 2. Auflage 2010, § 1 Rn. 3 ff. Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der Deutschen Ärzte (MBO-Ä), 5. Aufl. 2010, § 2 Rn. 7 ff.
8.2.2
Folgenseite einer Norm
Die erste und wichtigste (Rechts-)Folge eines (festgestellten bestehenden oder möglichen) Interessenkonflikts ist die ethische oder/und rechtliche Pflicht zu seiner Publizierung. Transparenz ist die
19
Den Hintergrund dieser Beeinflussung bildet die sog. Reziprozitätsregel (»Jeder Vorteil erfordert einen Ausgleich.«, siehe Klemperer, Interessenkonflikte: Gefahr für das ärztliche Urteilsvermögen, Dtsch Arztebl 2008; 105(40): A 2098–2100.
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8.3 • Normen
wichtigste Voraussetzung, um dem »Publikum« (der betroffenen Gruppe, der auftragenden Institution, der Öffentlichkeit) die Einschätzung und Bewertung des Handelns des Mandatsträgers zu ermöglichen. Nach der Herstellung der Transparenz können unterschiedliche weitere Folgen angeknüpft werden. Folgende Konstellationen kann man unterscheiden: 5 Handeln als Mitglied von Gremien: 5 Ausschluss aus dem Gremium, Beendigung des Mandats, 5 Ausschluss vom Entscheidungsverfahren, 5 Ausschluss vom Beratungs- und/oder Entscheidungsverfahren; 5 Handeln als Experte für Institutionen: 5 Ausschluss aus der Expertenliste, 5 Nichtberücksichtigung des Votums/Gutachtens, 5 Abstufung des Wertes des Votums/Gutachtens; 5 Handeln in der Arztrolle (als Behandelnde oder Forscher): 5 disziplinarische Maßnahmen des Berufsrechts, 5 Ausschluss von Tätigkeiten (z. B. als Prüfarzt bei klinischen Arzneimittelprüfungen; Mitwirkung in Selbstverwaltungsgremien oder bei Fortbildungsveranstaltungen), 5 Begrenzung der Mitwirkung in Fachgesellschaften oder Berufsorganisationen (z. B. Leitlinienerstellung: nur Beratung, nicht Abstimmung/Entscheidung). Es kann allerdings auch sein, dass auf der Folgenseite ein Entscheidungsspielraum eröffnet oder gar ein Entscheidungsermessen zwischen Reaktion/NichtReaktion (»Bagatelle«) eingeräumt wird; dort liegt dann die Betonung bei Transparenz und Eigenverantwortung hinsichtlich weiterer Konsequenzen. Wird die Transparenz-»Pflicht« nicht erfüllt oder verweigert, greifen in der Regel exit-Lösungen ein (Ausschluss usw.).
8.3
Normen
Im Folgenden werden kurz wichtige Normen erörtert, die sich im Berufsrecht, Medizinrecht und
8
Gesundheitsrecht mit Interessenkonflikten und ihren Konsequenzen beschäftigen.
8.3.1
Berufsrecht
Das Satzungsrecht der Berufsordnung bindet die Freiheit des Berufs an die Ethik des Gesundheitsdienstes mit ihren unterschiedlichen Prinzipien bzw. daraus resultierenden Pflichten20. Die §§ 30 ff MBO-Ä schützen (mittelbar) das Arzt/PatientenVerhältnis, unmittelbar die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung21 und die Unabhängigkeit bei der Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen22. Die berufsrechtlichen Sanktionen wegen Verstößen gegen Berufspflichten in den Heilberufsgesetzen bzw. der Bundesärzteordnung reichen von der Rüge23 über Zwangs- oder Ordnungsgelder24 bis zum Approbationsentzug25,26. § 30 MBO-Ä betrifft die Zusammenarbeit mit anderen Berufen und soll dem Patientenschutz durch die Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit gegenüber Dritten dienen.27 § 31 MBO-Ä betrifft unerlaubte Zuweisungen von Patienten gegen Entgelt oder andere Vorteile, § 32 MBO-Ä die Annahme von Geschenken und anderen Vorteilen, 20 Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der Deutschen Ärzte (MBO-Ä), § 2 Rn. 7 ff.; eine abstraktere Darstellung von Prinzipien findet sich bei Dieners, Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit Ärzten – Rechtliches Umfeld, Steuern und Compliance Governance, 2. Aufl. 2007, S. 77 ff.: Trennungs-, Transparenz-, Äquivalenz- und Dokumentationsprinzip. 21 Scholz, in: Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht, 2011, § 30 MBO-Ä Rn. 1 f. 22 Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der Deutschen Ärzte (MBO-Ä), vor §§ 30 ff. Rn. 1 ff. 23 Willems, Die Rüge durch die Heilberufskammer, MedR 2010, 770–776. 24 Bick/Willems, Das Zwangsgeld als Instrument der Berufsaufsicht durch die Heilberufskammern, MedR 2009, 643–649. 25 Beispiel OVG Nordrhein-Westfalen MedR 2005, 103–105. 26 Siehe insgesamt Frehse/Weimer, Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, in: Dahm/Rieger/Steinhilper (Hrsg.), Heidelberger Kommentar zum Arztrecht, Krankenhausrecht, Medizinrecht, 2. Aufl. 2002, BVZ 872, Stand: August 2007; Lipp in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Aufl. 2009, S. 41 ff. 27 Siehe dazu auch § 128 SGB V zur unzulässigen Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und Vertragsärzten im Hilfsmittelbereich.
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Kapitel 8 • Interessenkonflikte und Medizinrecht
§ 33 MBO-Ä das Verhältnis von Ärzten zur Industrie, § 34 MBO-Ä das Verhalten bei der Verordnung und § 35 MBO-Ä Fortbildungsveranstaltungen und Sponsoring. Der FSA Kodex Fachkreise von 2004, zuletzt geändert 200928, regelt
Es werden hier nur knapp § 33 und § 35 MBO-Ä behandelt; ansonsten sei auf die einschlägigen Kommentierungen verwiesen.
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Zweifellos ist das Verhältnis von Ärzteschaft und Gesundheitswirtschaft und insbesondere dasjenige zur pharmazeutischen und zur Medizin-, aber auch Heilprodukte herstellenden Industrie29,30 besonders interessenkonfliktanfällig.31 Einerseits ist die Kooperation unentrinnbar, andererseits thematisiert sie ebenso unentrinnbar Konflikte zwischen unterschiedlichen Ethiken von Profession und Unternehmen. § 33 Abs. 1 S. 1 MBO-Ä lautet:
die ethisch einwandfreie Zusammenarbeit von Arzneimittelherstellern mit Ärzten, Apothekern und weiteren Angehörigen der medizinischen Fachkreise
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8
und bildet sozusagen das Spiegelbild der berufsrechtlichen Regelungen aus der Perspektive der Pharmaindustrie; er bindet diese in der Form der Selbstverpflichtung. Im Gegensatz zu anderen medizin- und gesundheitsrechtlichen Regelungen bildet der Interessenkonflikt in den berufsrechtlichen Normen sozusagen »den Hintergrund« für verhältnismäßig detaillierte Ausschnittregelungen, also teilweise sehr konkrete Tatbestände und spezifische Rechtsfolgeanordnungen. Es fehlt eine interessenkonfliktbezogene Grundsatzregelung und damit eine Handlungs- oder Interpretationsanleitung, die auch nur sehr schwer aus einer systematischen Zusammenschau der Einzelregelungen zu gewinnen wäre. Wie aus der Überschrift vor den §§ 30 ff MBO-Ä ersichtlich, geht es bei diesen Normen zwar allgemein um den Schutz der ärztlichen Unabhängigkeit bei der Zusammenarbeit mit Dritten; aber das ist nur ein Ausschnitt möglicher Interessenkonflikte. Interessenkonflikte berühren die ärztliche Unabhängigkeit, reichen aber darüber hinaus. > Im Gegensatz zu anderen medizin- und gesundheitsrechtlichen Regelungen bildet der Interessenkonflikt in den berufsrechtlichen Normen »den Hintergrund« für teilweise sehr konkrete Tatbestände und spezifische Rechtsfolgeanordnungen.
28 FSA-Kodex Fachkreise (Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.), zuletzt geändert am 27. November 2009 (Bundesanzeiger vom 10. Februar 2010, BAnz. Nr. 22, S. 499); mit der Genehmigung durch das Bundeskartellamt trat der FSA-Kodex Fachkreise am 08. 04. 2004 als Wettbewerbsregel in Kraft.
Das Verhältnis von Ärzteschaft und Industrie
» Soweit Ärztinnen und Ärzte Leistungen für die Hersteller von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten erbringen (z. B. bei der Entwicklung, Erprobung und Begutachtung), muss die hierfür bestimmte Vergütung der erbrachten Leistung entsprechen.
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29 Siehe dazu den FSA-Kodex Fachkreise und dort insbesondere die §§ 17–26. § 18 Abs. 1 »Vertragliche Zusammenarbeit mit Angehörigen der Fachkreise« lautet einführend: Unternehmen dürfen Angehörige der Fachkreise (»Vertragspartner«) mit der Erbringung entgeltlicher Leistungen (z. B. für Vortragstätigkeit, Beratung, klinische Prüfungen, nichtinterventionelle Studien einschließlich Anwendungsbeobachtungen, die Teilnahme an Sitzungen von Beratergremien, die Durchführung von Schulungsveranstaltungen oder für die Mitwirkung an Marktforschungsaktivitäten) nur unter folgenden Voraussetzungen beauftragen: die anschließende Nr. 6 lautet: Die Vergütung darf nur in Geld bestehen und muss zu der erbrachten Leistung in einem angemessenen Verhältnis stehen. Bei der Beurteilung der Angemessenheit kann unter anderem die Gebührenordnung für Ärzte einen Anhaltspunkt bieten. Dabei können auch angemessene Stundensätze vereinbart werden, um den Zeitaufwand zu berücksichtigen. 30 Dazu allgemein Dieners, Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit Ärzten; Spickhoff/Scholz, Medizinrecht, § 33 MBO-Ä Rn. 1 f. 31 Dazu den Beitrag von Wiesner/Lieb in diesem Band (7 Kap. 11).
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8.3 • Normen
Die Regelung definiert einen »umgekehrten« Interessenkonflikt: Unangemessene Vergütungen sind berufsrechtlich unzulässig, allerdings ohne dass berufsrechtlich eine konkrete Rechtsfolge (Nichtigkeit, Anfechtbarkeit des Geschäfts, zukünftiger Ausschluss von der Tätigkeit oder deren Beschränkung) festgesetzt würde.32 Vielmehr sind die Verträge nach § 33 Abs. 1 S. 2 MBO-Ä schriftlich abzuschließen und »sollen der Ärztekammer vorgelegt werden« (Dokumentation und Transparenz).33 Da es den »gerechten Preis« in marktlich orientierten Gesellschaften nicht gibt, kann die Regelung im Wesentlichen nur »Sittenwidrigkeitsfälle«, also dramatische Unüblichkeiten oder »Ausreißer« treffen.34 Selbst dort, wo es eine Vorlagepflicht gibt, nämlich im Bereich der klinischen Prüfung von Arzneimitteln, sind uns keine Fälle von Beanstandungen »überhöhter Vergütungen« für Prüfärzte durch Ethikkommissionen bekannt – auch wenn die Honorare gelegentlich Anlass zur Verwunderung und vielleicht zur Nachfrage geben. Die Transparenzforderung (»sollen« ist nicht müssen!) wiederum ist sehr begrenzt (nur Ärztekammer) und könnte bestenfalls (weiche) berufsrechtliche Sanktionen auslösen. Dass aber ein sekundäres Interesse zu einer negativen Beeinflussung diagnostischer und therapeutischer Entscheidungen führen kann, muss auf der Transparenzebene für diejenigen deutlich werden, die davon betroffen sind: die Patienten. Zutreffender Adressat der Transparenzforderung darf deshalb nicht nur die ärztliche Profession selbst (Ärztekammer), sondern sollte die allgemeine Öffentlichkeit und besonders die Patientenschaft sein. Das Berufsrecht sollte bei Interessenkonflikten seine spezifische Professionsbezogenheit überschreiten. 32 Zu möglichen zivilrechtlichen Verbotsverstoßfolgen (§ 134 BGB) siehe Ratzel, Drittmittelforschung unter Korruptionsverdacht? Wechselwirkung des Korruptionsstrafrechts mit dem ärztlichen Standesrecht, MedR 202 ,63; ebenso Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der Deutschen Ärzte (MBO-Ä), § 33 Rn. 35; Regelungen der MBO-Ä, genauer ihre landesrechtlichen Ausprägungen können Verbotsgesetze i. S. v. § 134 BGB sein, BGH NJW 1986, 2360, 2361. 33 Zur Angemessenheit Dieners, Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit Ärzten, S. 90. 34 Versuche der Operationalisierung bei Spickhoff/Scholz, Medizinrecht, § 33 MBO-Ä Rn. 3 ff.
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Fortbildungsveranstaltungen und Sponsoring § 35 MBO-Ä35 lautet36:
35 Vgl. auch dazu den FSA-Kodex Fachkreise, zuletzt geändert am 27. November 2009 (bekannt gemacht im Bundesanzeiger vom 10. Februar 2010, BAnz. Nr. 22, S. 499); § 20 »Einladung zu berufsbezogenen wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen« lautet in Abs. 4–7: »(4) Die Einladung von Angehörigen der Fachkreise zu berufsbezogenen Fortbildungsveranstaltungen Dritter (externe Fortbildungsveranstaltungen) darf sich nur auf angemessene Reisekosten, notwendige Übernachtungskosten (gegebenenfalls unter Einschluss eines Hotelfrühstücks) sowie die durch den Dritten erhobenen Teilnahmegebühren erstrecken, wenn bei diesen Veranstaltungen der wissenschaftliche Charakter eindeutig im Vordergrund steht und ein sachliches Interesse des Unternehmens an der Teilnahme besteht. Eine Übernahme von Kosten darf nur erfolgen, wenn bei der Veranstaltung sowohl ein Bezug zum Tätigkeitsgebiet des Mitgliedsunternehmens als auch zum Fachgebiet des Veranstaltungsteilnehmers vorliegt. Unterhaltungsprogramme dürfen von Mitgliedsunternehmen durch die Teilnahmegebühren weder direkt noch indirekt unterstützt werden. (5) Die finanzielle Unterstützung von externen Fortbildungsveranstaltungen gegenüber den Veranstaltern ist in einem angemessenen Umfang zulässig. Unterhaltungsprogramme dürfen dabei weder finanziell oder durch Spenden unterstützt noch organisiert werden. Die Mitgliedsunternehmen, die externe Fortbildungsveranstaltungen finanziell unterstützen, müssen darauf hinwirken, dass die Unterstützung sowohl bei der Ankündigung als auch bei der Durchführung der Veranstaltung von dem Veranstalter offen gelegt wird. (6) Sofern es sich um einen ärztlichen Veranstalter handelt, müssen Art, Inhalt und Präsentation der Fortbildungsveranstaltung allein von dem ärztlichen Veranstalter bestimmt werden. (7) Die Einladung oder die Übernahme von Kosten darf sich bei internen und externen Fortbildungsveranstaltungen nicht auf Begleitpersonen erstrecken. Dies gilt auch für Bewirtungen.« (Siehe umfassend zum FSA-Kodex Fachkreise Dieners (Hrsg.), Handbuch Compliance im Gesundheitswesen, Kooperation von Ärzten, Industrie und Patienten, 3. Aufl. 2010, S. 242 ff.) 36 Vgl. § 95 d Abs. 1 S. 3 SGB V für die Fortbildungsverpflichtung des Vertragsarztes: »Sie (die Fortbildungsinhalte, d. Verf.) müssen frei von wirtschaftlichen Interessen sein.« Und § 137 Abs. 3 Nr. 1 SGB V für Fachärzte im Krankenhaus. Siehe auch die Empfehlungen zur ärztlichen Fortbildung der BÄK, 3. Aufl. 2007.
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Kapitel 8 • Interessenkonflikte und Medizinrecht
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Werden Art, Inhalt und Präsentation von Fortbildungsveranstaltungen allein von einem ärztlichen Veranstalter bestimmt, so ist die Annahme von Beiträgen Dritter (Sponsoring) für Veranstaltungskosten in angemessenem Umfang erlaubt. Beziehungen zum Sponsor sind bei der Ankündigung und Durchführung offen darzulegen.
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Die Vorschrift betrifft nur »ärztliche Veranstalter«, also Krankenhäuser, medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften, Ärztekammern und die Ärztschaften (von Berufsverbänden über Medizinische Versorgungszentren bis zu einzelnen Ärzten).37 Der ärztliche Veranstalter bestimmt den Inhalt der Fortbildungsveranstaltung. Die Einbeziehung von Beiträgen Dritter für Veranstaltungskosten ist erlaubt, solange die Inhaltsbestimmung durch den Veranstalter nicht infrage gestellt wird und jene in einem angemessenen Umfang bleiben. Wiederum stellt sich das kaum lösbare Problem des angemessenen Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Wer z. B. als Dritter Vortragshonorare übernimmt, muss schon die Auswahl der Themen und Referentinnen/Referenten mit dem Veranstalter bei dessen Letztentscheidung abstimmen, wenn das Postulat der Unabhängigkeit gewährleistet werden soll bzw. (auch potentielle) Interessenkonflikte vermieden werden sollen. z
Einflussmöglichkeit der Ärztekammern
Ärztekammern können die Gestaltung von Fortbildungsveranstaltungen beeinflussen, indem sie Fortbildungspunkte gewähren oder verweigern. Ein mögliches Steuerungsinstrument zur Verminderung oder zum Ausschluss von Interessenkonflikten steht demnach zur Verfügung – es sollte intensiver genutzt werden. Die Ärztekammer Bremen geht einen bemerkenswerten Weg: Sie lässt alle Referentinnen und Referenten ein Formular zur Produkt- und Firmenneutralität unterzeichnen und beauftragt gleichzeitig einen verantwortlichen Arzt, diese Produktneutralität bei Fortbildungsveranstaltungen zu überwachen. Die möglichen Sanktionen bei Ver37
Ratzel/Lippert, Kommentar zur Musterberufsordnung der Deutschen Ärzte (MBO-Ä), § 35 Rn. 2; Spickhoff/ Scholz, Medizinrecht, § 35 MBO-Ä Rn. 1 f.
letzungen reichen bis zur Aberkennung der Fortbildungspunkte bzw. zur Nicht-Anerkennung, wenn sich Abhängigkeiten bereits bei der Programmeinreichung zeigen. Der Formulartext lautet:
» Ich erkläre, dass ich als verantwortlicher Arzt der Ärztekammer Bremen die Produktneutralität überwachen werde, indem ich Sorge trage, dass die Referenten ihre Firmeninteressen offen legen. Ich erkläre mich bereit, der Ärztekammer Bremen auf Wunsch Auskunft zu der Veranstaltung zu geben.
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Die Referentenerklärung lautet:
» Ich versichere, die Darstellung meiner Beiträge produkt- und firmenneutral zu halten. « Dies ist ein möglicher Weg aus einem Dilemma: Fortbildung ohne Drittunterstützung ist möglicherweise nicht finanzierbar, und Interessenkonflikte sind programmiert. Die Kombination von präventiver Bewertung und Vor-Ort-Kontrolle, evtl. mit nachträglichen Sanktionen, vermag die Unabhängigkeit der ärztlichen Fortbildung, wenn nicht zu gewährleisten, so doch ihre Abhängigkeit zu vermindern. Wohlgemerkt: Es geht um die Verminderung der Wirkungen auch potentieller und nicht nur realer, manifester Interessenkonflikte. Diese Art der Bewertung der Angebote ist eine Form von Risikovorsorge im Berufsrecht. Vor diesem Hintergrund ist es allerdings problematisch, wenn § 34 Abs. 4 MBO-Ä38 bestimmt:
» Die Annahme von geldwerten Vorteilen in angemessener Höhe für die Teilnahme an wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen ist nicht berufswidrig. Der Vorteil ist unangemessen, wenn er die Kosten der Teilnahme (notwendige Reisekosten, Tagungsgebühren) der Ärztin oder des Arztes an der Fortbildungsveranstaltung über-
38 Dazu Dieners, Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit Ärzten, S. 49 f, 51 ff.; früher M. Balzer, Die Akkreditierung industriegestützter Forbildungsveranstaltungen nach Umsetzung des GKV_Modernisierungsgesetzes – eine Reform der Reform?, MedR 2004, 76 ff.
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8.3 • Normen
steigt oder der Zweck der Fortbildung nicht im Vordergrund steht.
Hiermit erkläre ich, keine wirtschaftlichen oder anderen Interessen im Zusammenhang mit den Prüfpräparaten zu haben.
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Dass diese Möglichkeit der Vorteilsgewährung für die Teilnahme an wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen durch die Industrie zusammen mit dem Transparenzgebot beim Sponsoring (Offenlegung der Unterstützung durch Dritte) selbst die Quelle für Interessenkonflikte sein kann und damit im Hinblick auf die Unabhängigkeitsgewährleistung kaum akzeptabel ist, macht die Unausgewogenheit und Kritikwürdigkeit des berufsrechtlichen Regelungswerkes sichtbar. > Fortbildung ohne Drittunterstützung ist möglicherweise nicht finanzierbar. Interessenkonflikte sind deshalb programmiert, und die Kombination von präventiver Bewertung und Vor-Ort-Kontrolle, evtl. mit nachträglichen Sanktionen, vermag die Unabhängigkeit der ärztlichen Fortbildung, wenn nicht zu gewährleisten, so doch ihre Abhängigkeit zu vermindern.
8.3.2
Arzneimittelrecht
Es ist bekannt, dass Interessenkonflikte die Bewertungen in klinischen Arzneimittelprüfungen beeinflussen können.39 Es ist deshalb eine Aufgabe der Ethikkommissionen (EK), im Rahmen der Beurteilung eines Antrags auf Durchführung einer klinischen Arzneimittelprüfung auch die Qualifikation der Prüfärzte unter dem Aspekt von Interessenkonflikten zu überprüfen und gegebenenfalls die Qualifikation wegen eines solchen zu verneinen. In § 7 Abs. 3 GCP-Verordnung wird ausgeführt, dass der EK folgende Dokumente vorgelegt werden müssen, um die Eignung als Prüfer nachzuweisen:
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. Abb. 8.1
Beispiel für eine häufige Standardformulierung
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6. Lebensläufe oder andere geeignete Qualifikationsnachweise der Prüfer, 7. Angaben zu möglichen wirtschaftlichen und anderen Interessen der Prüfer im Zusammenhang mit den Prüfpräparaten, 14. … hinsichtlich der Vergütung der Prüfer und der Entschädigung der betroffenen Personen getroffene Vereinbarungen.
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Zu berichten ist in einer formularmäßig erfassten »financial disclosure« über eine Anteilsinhaberschaft am Sponsorunternehmen, über finanzielle Vereinbarungen, über Interessen am Produkt, über früher erhaltene Zahlungen des Sponsors u. ä.40. Oft beschränken sich die Angaben auf eine – unzureichende – Standardformulierung, s. . Abb. 8.1. > Der Tatbestand erfasst sowohl potentielle als auch reale Interessenkonflikte und schließt bei deren Existenz die Eignung als Prüfarzt aus.
Geschützt werden die Qualität und Validität der klinischen Arzneimittelprüfung, die Arzneimittelsicherheit und die öffentliche und private Gesundheit.
8.3.3
GKV-Recht
Regelungen für Interessenkonflikte im Rahmen der Tätigkeit des IQWiG und des G-BA werden im Folgenden knapp erörtert.
IQWiG § 139 a Abs. 6 SGB V verlangt von den Beschäftigten des IQWiG: 39 Ludwig/Hildebrandt/Schott, Interessenkonflikte und Arzneimittelstudien – Einfluss der pharmazeutischen Industrie und daraus resultierende Gefahren für die Integrität der medizinischen Wissenschaft, ZEFQ 2009;103(3): 149–154.
40 Siehe auch die Checkliste zur Erfassung von Interessenkonflikten in Praxis und Klinik bei Wiesner/Lieb (7 Kap. 11); Lieb et al., Interessenkonflikte in der Medizin, Dtsch Arztebl 2011; 108(6): A 256–260 (Fn. 12).
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Kapitel 8 • Interessenkonflikte und Medizinrecht
» Zur Sicherstellung der fachlichen Unabhängigkeit des Instituts haben die Beschäftigten vor ihrer Einstellung alle Beziehungen zu Interessenverbänden, Auftragsinstituten, insbesondere der pharmazeutischen Industrie und der Medizinprodukteindustrie, einschließlich Art und Höhe von Zuwendungen offen zu legen.
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§ 139 b Abs. 3 S. 2 SGB V verlangt für externe Sachverständige, die Aufgaben im Rahmen des § 139 a Abs. 3 Nr. 1–5 SGB V erfüllen:
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Diese haben alle Beziehungen zu Interessenverbänden, Auftragsinstituten, insbesondere der pharmazeutischen Industrie und der Medizinprodukteindustrie, einschließlich Art und Höhe von Zuwendungen offen zu legen.
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Hess kommentiert:41
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Dadurch soll die fachliche Unabhängigkeit des beauftragten Sachverständigen bezogen auf die von ihm zu beantwortende Fragestellung nachvollzogen werden können. Dies bedeutet nicht, dass bestehende Beziehungen dieser Art grundsätzlich diese fachliche Unabhängigkeit in Frage stellen. Entscheidend ist vielmehr, dass sie dem Kreis der an der Entscheidung Beteiligten bekannt sind und dass die Bewertungen des betreffenden Sachverständigen darauf überprüft werden können, ob er sich von ihnen in seinem fachlichen Urteil beeinflussen lässt.
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Schmidt-De Caluwe kommentiert die Norm:42
»
Verletzungen der Offenlegungspflicht sanktioniert das IQWiG nach seinem Formblatt (http:// www.iqwig.de/download/Formblatt_interessenkonflikte_neu. pdf, S.1) durch Nichtberücksichtigung der Stellungnahme. Weil dies weitere Streitfragen über die Zulässigkeit der Nichtberücksichtigung provoziert (vgl. Maassen/Uwer, MedR 2006, 32), wäre die formale Einbeziehung mit – freilich transparent vermittelter – verringerter
41
Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 66. Ergänzungslieferung 2010, § 139 b Rn. 10. 42 Becker/Kingreen, SGB V, § 139 b Rn. 15.
Gewichtung interessengerechter und zielführender.
«
Unstreitig ist, dass beide Normen für die Adressaten eine Offenlegungspflicht aller Beziehungen, die die fachliche Unabhängigkeit beeinträchtigen können (»potentiell«), für die genannten Personenkreise (Beschäftigte, externe Sachverständige) statuieren. Sie umfasst deshalb potentielle wie reale Interessenkonflikte. > Eine gesetzliche Regelung der Rechtsfolgen einer Verletzung der Offenlegungspflicht oder der Rechtsfolgen offengelegter Interessenkonflikte fehlt.
Für externe Sachverständige43 und andere Personen (Beteiligte an der Erstellung von IQWiG-Produkten44) hat das IQWiG auf der Basis von § 139 b Abs. 3 S. 2 SGB V ein Formblatt45 veröffentlicht, in dem »Beziehungen« abgefragt werden, die einen (auch potentiellen) Interessenkonflikt begründen können. Die Angaben werden bei der Publikation von IQWiG-Produkten veröffentlicht, es sei denn, die Veröffentlichung gefährde die Unabhängigkeit des Sachverständigen. Wer als Sachverständiger das Formblatt nicht ausfüllt, wird vom Verfahren ausgeschlossen (keine Teilnahme, keine Mitarbeit, keine Auftragsvergabe). Liegt die Erklärung eines externen Sachverständigen46 vor, entscheidet eine Kommission des IQWiG, ob sich daraus ein:
» … potenzieller Interessenkonflikt ergibt. Wenn ja, dann wird in einem zweiten Schritt beurteilt, ob aufgrund der potenziellen Interessenkonflikte gravierende Bedenken gegen eine fachlich unabhängige und sachgerechte Mitarbeit an einem Instituts-Bericht bestehen. Dazu gibt die Kommis43 Dazu Maassen/Uwer, Verfahrensrechtliche Fragen zum Methodenpapier des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen vom 1. März 2005, MedR 2006, 32, 33 ff. 44 Externe Sachverständige, Stellungnehmende, eingeladene Patientenvertreter zur Diskussion patientenrelevanter Zielgrößen; § 139 b Abs. 3 S. 2 SGB V gilt nur für Erstere. 45 www.iqwig.de/download/Formblatt_Interessenkonflikte_neu.pdf. 46 Das gilt nicht für Stellungnehmende und eingeladene Patientenvertreter.
121
8.3 • Normen
sion ein Votum ab, über das sie die Vergabestelle bzw. das Bewertungsgremium (für die Beurteilung der Eignung sowie die Bewertung und Verhandlung der eingereichten Angebote) des Instituts informiert. Dort fließt das Votum dann in die Entscheidung über die Auftragsvergabe ein.
«
Bei erklärten Interessenkonflikten findet eine Relevanzprüfung statt. Werden sie als gravierend bewertet, kommt es nicht zum Vertragsschluss. Die Rechtsfolge richtet sich also nach dem Gewicht des Konflikts und steht im gebundenen Ermessen der Kommission. Insofern erfolgt eine Art Kausalitätsbewertung, ob der Interessenkonflikt mit Wahrscheinlichkeit zu einer Beeinflussung führt. > Nicht jeder potentielle Interessenkonflikt führt zum Ausschluss. Wer aber der gesetzlichen Offenlegungspflicht nicht nachkommt, kann nicht als externer Sachverständiger tätig werden.
8
»
Vielmehr geht es um private oder persönliche Interessen der Beteiligten, welche die unparteiische und objektive Mitwirkung beeinträchtigen oder potentiell beeinträchtigen können. Private oder persönliche Interessen umfassen jeden möglichen Vorteil für den Erklärenden selbst, seine Familie/Lebenspartner, sonstige Verwandte oder andere nahestehende Personen; ein Interessenkonflikt kann deshalb auch dann vorliegen, wenn eine Institution oder Person, in deren finanzieller Abhängigkeit der Erklärende oder eine andere ihm nahestehende Person stehen, durch eine aus der Beratung möglicherweise resultierende Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses bevorteilt wären.
«
Die Rechtsfolgenseite bei erklärtem Interessenkonflikt ist einerseits bestimmt:
»
Das Gremium entscheidet über den Ausschluss. Der oder die Betroffene darf an dieser Entscheidung nicht mitwirken.
«
G-BA Gemäß § 91 Abs. 4 SGB V beschließt der G-BA eine Verfahrens- und eine Geschäftsordnung, die vom BMG genehmigt werden müssen. In die VerfO sind auch Anforderungen an den Nachweis der fachlichen Unabhängigkeit von Sachverständigen aufzunehmen. §§ 23, 24 im 1. Kapitel, 5. Abschnitt G-BA-VerfO regeln diese Anforderungen.47 Das in § 24 Abs. 1 G-BA-VerfO genannte Selbsterklärungsformular bezieht sich ausdrücklich auf »mögliche Interessenkonflikte«. Der Tatbestand umfasst also sowohl potentielle wie reale, manifeste Interessenkonflikte. Im Gegensatz zu § 139 b Abs. 3 S. 2 SGB V ist der Adressatenkreis für die Transparenzpflicht weiter, beschreibt aber den Umfang der Offenlegungspflicht nach § 23 Abs. 1 S. 2 G-BA-VerfO
»
… mit der Maßgabe, dass sich die Verpflichtung zur Offenlegung auf Tatsachen beschränkt, die ihre Unabhängigkeit bei dem jeweiligen Beratungsgegenstand potenziell beeinflussen.
«
Im Selbsterklärungsformular heißt es u. a.: 47 Wortlaut 7 Abschn. 8.1
Andererseits ist sie offen, indem nämlich das zuständige Gremium auch von einem Ausschluss absehen kann, wenn eine Relevanzprüfung negativ ausfällt (»nicht gravierend«). Insofern gilt dasselbe, was beim IQWiG ausgeführt wurde.
8.3.4
Normgenerierung durch die Profession: Leitlinien
Ärztliche Leitlinien sollen den geltenden Behandlungsstandard wiedergeben; sie können ihn aber auch begründen.48 Ihre Empfehlungen sind interessenkonfliktanfällig. Die AWMF hat deshalb eine »Erklärung von Interessenkonflikten bei Leitlinienvorhaben« (im Folgenden »Erklärung«) und in deren Umsetzung eine Erklärung zu Inte-
48 Vgl. insgesamt Hart (Hrsg.), Ärztliche Leitlinien im Medizin- und Gesundheitsrecht – Recht und Empirie professioneller Normbildung, Baden-Baden 2005; ders., Ärztliche Leitlinien, in: Rieger/Dahm/Steinhilper (Hrsg.), Heidelberger Kommentar – Arztrecht, Krankenhausrecht, Medizinrecht [HK-AKM]), 2. Aufl. 2002, Stand Februar 2011, BVZ 530 Rdnr. 16 ff., 23 ff.
122
8
Kapitel 8 • Interessenkonflikte und Medizinrecht
ressenkonflikten entwickelt.49 Beide beruhen auf den Empfehlungen der AWMF zum Umgang mit Interessenkonflikten bei Fachgesellschaften. Die Erklärung hat den Titel »Leitlinien der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften«. Sie sind vom Präsidium der AWMF im April 2010 verabschiedet worden. Vereinsrechtlich ist diese Erklärung für die Mitglieder der AWMF (Fachgesellschaften) bindend (Teil des AWMF-Regelwerks). Eine Bindungswirkung entsteht durch allgemeine Akzeptanz des Antrags- und Publikationsverfahrens der AWMF für Leitlinien durch die Mitglieder; die Mitglieder haben sich diesem Verfahren unterworfen. Eine Publikation von Leitlinien erfolgt nur nach einer Prüfung der Angaben zur Finanzierung und zum Umgang mit Interessenkonflikten.50 Die Empfehlungen setzen eine Erklärungspflicht für Interessenkonflikte (Transparenzpflicht). Die Definition des Interessenkonflikts wurde in 7 Abschn. 8.2 zitiert. Sie umfasst sowohl den realen wie den potentiellen Konflikt (»Risiko«) und entspricht als Definition und teilweise in den Folgerungen den Empfehlungen des IOM-Berichts und der hier zugrunde gelegten Definition. Die Erklärungen über einen Interessenkonflikt werden von den Präsidien der entsendenden Fachgesellschaften zur Kenntnis genommen und auf Befangenheit bewertet. Wer als befangen bewertet ist, soll nicht an der Bewertung der Evidenzen und der Konsensfindung mitwirken. Kann auf das Wissen nicht verzichtet werden, erhält der Befangene den Status eines externen Experten. Geringfügige Interessenkonflikte schließen die Autorenschaft nicht aus; insofern erfolgt auch hier eine Relevanzprüfung. Die (Rechts)Folgenseite der Empfehlung ist verhältnismäßig unbestimmt, weil einerseits die Geringfügigkeit jegliche Folge ausschließt, andererseits die Mitwirkungsbeschränkung nur eine SollVorschrift darstellt. Insofern belässt die Erklärung ein weites Tatbestands- und Rechtsfolgeermessen, 49 www.awmf-leitlinien.de. S. auch die Empfehlungen der AWMF zum Umgang mit Interessenkonflikten bei Fachgesellschaften, ebendort. Es handelt sich um das Ergebnis einer ad-hoc-Kommission der AWMF v. 23. April 2010. 50 Einreichung von Leitlinien zur Publikation bei der AWMF, Stand: 24. September 2010.
auch wenn mit der Nichtaufnahme in das AWMFRegister ein gewisser Ausgleich geschaffen werden kann. An der Existenz der ärztlichen Leitlinie ändert das allerdings nichts. Wenn aber Interessenkonflikte bei der Leitlinienerstellung folgenlos bleiben können, entsteht die Frage, welche Konsequenzen das für die Anleitungskraft der Leitlinie hat. Wir meinen, dass die auf der Basis von (festgestellten) Interessenkonflikten entstandene Leitlinie nicht normsetzungsfähig ist. Sie ist für die arzthaftungsrechtliche Standardfeststellung nicht berücksichtigungsfähig, weil ihre Bewertungen bzw. Empfehlungen verzerrt sein können. Dasselbe gilt für Leitlinien, die keine Feststellungen zu Interessenkonflikten enthalten. Die Leitlinien verlieren dann ihre Bedeutung bei der Feststellung der haftungsrechtlichen Sorgfalt bzw. bei der Feststellung der Pflicht zur guten Behandlung oder umgekehrt des Behandlungsfehlers. Die Aussage des BGH, dass Leitlinien das Sachverständigengutachten nicht ersetzen können51, gilt in diesem Zusammenhang verstärkt. Nur ein in den Folgerungen konsequenter Umgang mit Interessenkonflikten kann die Seriosität des professionellen Normsetzungsverfahrens gewährleisten oder im umgekehrten Falle gefährden oder gar erschüttern.52 > Interessenkonfliktbehaftete Leitlinien sind für die arzthaftungsrechtliche Standardfeststellung nicht relevant, weil ihre Bewertungen bzw. Empfehlungen verzerrt sein können.
8.3.5
Fehlversorgung
In diesen Zusammenhang gehören »ökonomisch begründete« Indikationsstellungen.Es wird z. B. eine medizinisch nicht indizierte Diagnostik durchgeführt, um eine Auslastung der Medizintechnik im Krankenhaus zu gewährleisten. Abgesehen davon, dass es sich arzthaftungsrechtlich um BGH VersR 2008, 1216 = ZMGR 2008, 222 = GesR 2008, 418 = MedR 2009, 342. 52 S. auch Hart, Ärztliche Leitlinien, in: Rieger/Dahm/ Steinhilper (Hrsg.), HK-AKM, Stand Februar 2011, BVZ 530 Rdnr. 13 f, 34.
51
einen (vorsätzlichen!) Behandlungsfehler handelt, kommt zusätzlich eine Organisationshaftung des Krankenhauses bzw. seines Trägers in Betracht, wenn eine mittelbare oder unmittelbare administrative Veranlassung solcher nicht indizierter Behandlungen erfolgt. Der realisierte, manifeste Interessenkonflikt schlägt sich als fehlerhafte Behandlung und als Organisationsfehler nieder. > Der sich in einer medizinisch nicht indizierten Diagnostik oder Therapie manifestierende (ökonomisch begründete) Interessenkonflikt ist fehlerhafte Behandlung und Organisationsfehler.
8.3.6
Strafrecht
Wie in allen anderen bisher dargestellten Rechtsgebieten ist auch im Strafrecht der Begriff des Interessenkonflikts nicht ausdrücklich definiert. Allerdings erfassen die Korruptionsvorschriften bestimmte Konstellationen von Interessenkonflikten.53 Die Korruptionsregelungen finden sich im Strafgesetzbuch an zwei Stellen: Zum einen regeln die §§ 299 ff. StGB die Strafbarkeit der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr. Rechtsgut dieser Vorschriften ist der freie Wettbewerb, mittelbar werden auch die Vermögensinteressen der Wettbewerber geschützt.54 § 299 StGB lautet:
» (1) Wer als Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes im geschäftlichen Verkehr einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, daß er einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
53 Weitere Details zu den angerissenen Fragen finden sich in 7 Kap. 9. 54 Fischer, Komm. zum Strafgesetzbuch, 58. Aufl. 2011, vor § 298 Rnr. 6.
8
123
8.3 • Normen
(2) Ebenso wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einem Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebes einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, daß er ihn oder einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen in unlauterer Weise bevorzuge. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Handlungen im ausländischen Wettbewerb.
«
Unter die Vorschrift fallen Angestellte und Beauftragte, also z. B. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter privater Krankenhäuser. Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig55 können auch niedergelassene Ärzte mit Kassenzulassung erfasst werden, wenn sie Zuwendungen der Pharmaindustrie als Gegenleistung oder Anreiz für die Verordnung bestimmter Medikamente annehmen. Für das Handeln von Amtsträgern und für den öffentlichen Dienst Verpflichteten – etwa Beamte, Mitarbeiter von Universitätskliniken oder Sachverständige – finden sich Korruptionsregelungen in den §§ 331 ff. StGB. Die von diesen Regelungen geschützten Rechtsgüter sind die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes und das Vertrauen der Allgemeinheit in die Sachlichkeit staatlicher Entscheidungen, das durch die Annahme von Geschenken für eine Dienstausübung (Vorteilsannahme) leidet.56 § 331 StGB lautet:
»
(1) Ein Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter, der für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ein Richter oder Schiedsrichter, der einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, daß er eine richterliche Handlung vorgenommen hat oder künftig vornehme, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar.
55 Entscheidung vom 23. 2. 2010, NStZ 2010, S. 392 f.. 56 Schönke/Schröder, Komm. zum StGB, 28. Aufl. 2010, § 331 Rnr. 3.
124
Kapitel 8 • Interessenkonflikte und Medizinrecht
(3) Die Tat ist nicht nach Absatz 1 strafbar, wenn der Täter einen nicht von ihm geforderten Vorteil sich versprechen läßt oder annimmt und die zuständige Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse entweder die Annahme vorher genehmigt hat oder der Täter unverzüglich bei ihr Anzeige erstattet und sie die Annahme genehmigt.
«
8
Aufgrund der einschneidenden Sanktionierungsmöglichkeiten und der damit verbundenen verfassungsrechtlichen Vorgaben genügt allein das Bestehen eines (inneren) potentiellen Interessenkonfliktes für eine Strafbarkeit (noch) nicht. Erforderlich ist zumindest ein nach außen gerichtetes Handeln, wenn der Täter den Vorteil fordert, annimmt, sich anbieten lässt oder erhält. Kern der heute geltenden Fassung des § 331 StGB ist die inhaltliche Verknüpfung von Dienstausübung und Vorteilszuwendung, die allgemein als »Unrechtsvereinbarung« bezeichnet wird57. Danach müssen sich der Zuwendende und der Vorteilsempfänger mindestens stillschweigend darüber einig sein, dass es Ziel der Vorteilszuwendung ist, auf die künftige Dienstausübung Einfluss zu nehmen und/oder die vergangene Dienstausübung zu honorieren.58 Es muss also weder eine konkrete Diensthandlung vorgenommen werden, noch muss es sich um eine pflichtwidrige Dienstausübung handeln, es genügt auch ein pflichtgemäßes Diensthandeln.59 Mit der Lockerung der Anforderungen an die Unrechtsvereinbarung im Jahr 1997 wollte der Gesetzgeber Zuwendungen einbeziehen, die einer bestimmten Diensthandlung nicht hinreichend konkret zugeordnet werden können, etwa im Sinne der Sicherung der allgemeinen »Geneigtheit« oder »guten Zusammenarbeit« und damit schon dem Anschein der Käuflichkeit der Verwaltung entgegenwirken. 60
57
Fischer, Komm. zum Strafgesetzbuch, 58. Aufl. 2011, § 331 Rnr. 21. 58 Roxin in: Handbuch des Medizinstrafrechts, 4. Aufl. 2010, S. 277. 59 Fischer, Komm. zum Strafgesetzbuch, 58. Aufl. 2011, § 331 Rnr. 9. 60 Fischer, Komm. zum Strafgesetzbuch, 58. Aufl. 2011, § 331 Rnr. 23, 24; Roxin in: Handbuch des Medizinstrafrechts, 4. Aufl. 2010, S. 277.
> Eine Definition des Begriffs Interessenkonflikt findet sich nicht im Strafrecht. Allein das Bestehen eines inneren Interessenkonflikts genügt noch nicht für eine Strafbarkeit, erforderlich ist eine Unrechtsvereinbarung, die aber stillschweigend bestehen kann.
Enger gefasst ist dagegen die Vorschrift über die Bestechlichkeit von Amtsträgern, bei der sich der Interessenkonflikt konkret und pflichtwidrig realisieren muss und die entsprechend einen höheren Strafrahmen vorsieht. § 332 StGB lautet:
» (1) Ein Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter, der einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, daß er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Der Versuch ist strafbar. (2) Ein Richter oder Schiedsrichter, der einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, daß er eine richterliche Handlung vorgenommen hat oder künftig vornehme und dadurch seine richterlichen Pflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. (3) Falls der Täter den Vorteil als Gegenleistung für eine künftige Handlung fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, so sind die Absätze 1 und 2 schon dann anzuwenden, wenn er sich dem anderen gegenüber bereit gezeigt hat, 1. bei der Handlung seine Pflichten zu verletzen oder, 2. soweit die Handlung in seinem Ermessen steht, sich bei Ausübung des Ermessens durch den Vorteil beeinflussen zu lassen.
«
Hier wird der Vorteil gerade für die Ausübung einer konkreten, pflichtwidrigen Diensthandlung gewährt. Hinzutreten muss also – neben der
125
8.4 • Fazit und Ausblick
Unrechtsvereinbarung - immer ein aktives, nach außen gerichtetes Tun oder jedenfalls die erkennbare Bereitschaft, die anvertraute Macht zu missbrauchen. Ähnliches gilt für den oben erwähnten § 299 StGB, der die Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr regelt. Hier soll der Vorteil gerade als Gegenleistung dafür gewährt werden, dass der Täter den anderen in unlauterer, ungerechtfertigter Weise bevorzugt. Hinzutreten muss also – neben der Unrechtsvereinbarung und dem aktiven, nach außen gerichteten Tun – auch der Missbrauch anvertrauter Macht. Aufgrund der weiten Fassung – insbesondere von § 331 StGB – treten immer wieder Zweifelsfragen auf, ob bestimmte Sachverhalte strafrechtlich relevant und unter die abstrakt-generellen Strafnormen zu subsumieren sind. Viele Fragen hatten sich in der Vergangenheit v. a. im Zusammenhang mit der Finanzierung von Drittmittelprojekten gestellt. Nach den Herzklappenskandalen haben verschiedene Verbände deshalb sog. Drittmittelkodices61 erstellt, die präzisierende Hinweise geben sollen, welchen Voraussetzungen eine zulässige Kooperation zwischen der Industrie, medizinischen Einrichtungen und deren Mitarbeitern unterliegt und wie sie ausgestaltet werden könnte, um einen möglichen Korruptionsverdacht bereits im Ansatz zu vermeiden62. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Frage der Herstellung von Transparenz durch die Anzeige und die Genehmigung der beabsichtigten Drittmittelvereinbarung. Denn trotz der Annahme oder Vereinbarung eines Vorteils durch einen Amtsträger kann sein Verhalten straflos bleiben, wenn die dafür zuständige Behörde die Annahme der Zuwendung zuvor genehmigt hat oder sie nach der Annahme angezeigt und sie von der zuständigen Behörde genehmigt wurde (§ 331 Absatz 3 StGB). Auf der Rechtsfolgenseite sind die Anordnungen des Strafrechtes eindeutiger als in den übrigen 61
Verhaltensregeln des Bundesfachverbandes der Medizinprodukteindustrie e. V. und der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen für alle am Gesundheitsmarkt Beteiligten; Gemeinsamer Standpunkt zur strafrechtlichen Bewertung der Zusammenarbeit zwischen Industrie, medizinischen Einrichtungen und deren Mitarbeitern vom 29. September 2000. 62 Gemeinsamer Standpunkt, S. 4.
8
Rechtsgebieten, die sich mit Interessenkonflikten befassen. Die Strafvorschriften legen eine Reaktion (»Bestrafung«) und den Rahmen fest, in dem sich diese Reaktion bewegen muss. Sie kann auf Geldstrafe oder – je nach Fallkonstellation und verwirklichter Norm – auf Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren lauten. Deutlich größeren Spielraum für eine weitere mögliche Rechtsfolge lässt § 70 StGB, der die Verhängung des Berufsverbots als Nebenstrafe regelt. Ein solches Berufsverbot kann das Strafgericht nach einer rechtswidrigen Tat aussprechen, die jemand unter Missbrauch seines Berufs oder unter grober Verletzung seiner Pflichten bei der Ausübung seines Berufs begangen hat. Ferner muss die konkrete Gefahr bestehen, dass diese Person auch in Zukunft vergleichbare erhebliche rechtswidrige Taten begeht. Die Anordnung eines Berufsverbots, das für die Dauer von einem bis zu 5 Jahren (und in ganz besonderen Ausnahmefällen auch für immer) verhängt werden kann, steht im Ermessen des Strafgerichtes und ist keine zwingende Folge einer Verurteilung zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe. > Die Tatbestandsseite der strafrechtlichen Normen hat einen weiten Anwendungsbereich. Die abstrakt formulierten Vorschriften können durch viele Fallgestaltungen, in denen Interessenkonflikte bestehen, erfüllt sein. Auf der Rechtsfolgenseite sind die Art und der Rahmen der Strafen festgelegt. Bei der Anordnung eines Berufsverbots besteht Ermessen.
Strafrechtlich relevant können schließlich auch die in 7 Abschn. 8.3.5 beschriebenen »ökonomisch begründeten« Indikationsstellungen werden, wenn nicht indizierte Behandlungen mit Medikamenten erfolgen. Führen diese zu körperlich beeinträchtigenden Nebenwirkungen, die bei indizierter Behandlung nicht eingetreten wären, so kann sich der Arzt wegen (vorsätzlicher oder fahrlässiger) Körperverletzung strafbar machen.
8.4
Fazit und Ausblick
Die rechtliche Behandlung von Interessenkonflikten in der Medizin steht vor schwierigen und kom-
126
8
Kapitel 8 • Interessenkonflikte und Medizinrecht
plexen Aufgaben. Das gilt sowohl für die Normgenerierung, also Tatbestandsfestlegungen und Rechtsfolgeanordnungen, wie auch für die Normimplementierung. Bevor nicht eine Steigerung der professionellen Aufmerksamkeit für das Thema und des professionellen Problembewusstseins und der Handlungsbereitschaft zur Verminderung der Folgen von Interessenkonflikten erreicht wird (»professionelle Ethik«), werden wahrscheinlich rechtliche Regelungen und Regelungsanstrengungen verhältnismäßig folgenlos bleiben. Das scheint auch für die Umsetzung der Selbstregulierungen durch die Bundesärztekammer und die Landesärztekammern wie durch die Freiwillige Selbstkontrolle der Pharmaindustrie zu gelten. Es wäre schon einiges gewonnen, wenn diese »Empfehlungen« in der Praxis befolgt würden. In der medizin- und gesundheitsrechtlichen Literatur ist das Thema Interessenkonflikte bisher wenig systematisch und grundlegend, sondern eher akzidentiell und eng bereichsbezogen behandelt worden. Dasselbe gilt der Sache nach für gesetzliche und untergesetzliche Regelungen. Sehr partielle und verhältnismäßig unbestimmte Regelungen herrschen vor und zwar sowohl auf der Tatbestandswie auf der Rechtsfolgenseite der Normen. In keiner der gesetzlichen oder untergesetzlichen Regelungen existiert eine Definition des Begriffs. Teilweise werden Ausschnitte von Interessenkonflikten oder situationsspezifischen Konflikten auf der Tatbestandsseite der Normen bestimmt. Reale und potentielle Interessenkonflikte werden in einigen Rechtsgebieten unterschieden. Im Strafrecht erfolgt eine Anknüpfung ausschließlich an reale, also manifeste Interessenkonflikte. Das Gewicht eines Interessenkonflikts (»schwerwiegend«) ist teilweise für die möglichen Rechtsfolgen von Bedeutung. Die Rechtsfolgenseite der Normen ist teilweise unbestimmt, teilweise besteht ein Folgeermessen. Die Tragweite des Themas, sowohl die Tatbestandsseite als auch die Rechtsfolgenseite betreffend, wird unterschätzt. Es sind ärztliche Entscheidungsprozesse ebenso wie Entscheidungsprozesse von Institutionen wie Krankenhäusern, Fachgesellschaften, aber auch von G-BA und IQWiG be-
troffen und möglicherweise in ihrer Unabhängigkeit und Vertrauenswürdigkeit gefährdet, wenn die Praxis nicht mit strikten Normen und deren strikter Anwendung reagiert.
Weiterführende Literatur Dieners P (2007) Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit Ärzten – Rechtliches Umfeld, Steuern und Compliance Governance. 2. Aufl. Beck, München Dieners P (Hrsg) (2010) Handbuch Compliance im Gesundheitswesen, Kooperation von Ärzten, Industrie und Patienten. 3. Aufl. Beck, München Francke R (1994) Ärztliche Berufsfreiheit und Patientenrechte – Eine Untersuchung zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen des ärztlichen Berufsrechts und des Patientenschutzes. Thieme, Stuttgart Ratzel R, Lippert HD (2010) Kommentar zur Musterberufsordnung der Deutschen Ärzte (MBO). 5. Aufl. Springer, Heidelberg Kuhlen L (2010) Strafrecht und freiwillige Selbstkontrolle der Wirtschaft: Das Beispiel der Pharmaindustrie. In: Felix Herzog, Ulfrid Neumann (Hrsg) Festschrift für Winfried Hassemer. C. F. Müller, Heidelberg, S 875–889
127
Korruption im Gesundheitswesen Felix Herzog
9.1
Einleitung – 128
9.2
Grundstruktur der Korruption und Fraud Triangle – 129
9.2.1 9.2.2
Situative und strukturelle Korruption – 130 Mögliche Ursachen von Korruption – 130
9.3
Arzt-Industrie-Kontakte als kriminogenes Feld – 132
9.4
»Freunde und Förderer« und »Bestechungs-Marketing« – 134
9.5
Fazit und Ausblick – 137 Literatur – 137
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
9
128
Kapitel 9 • Korruption im Gesundheitswesen
Zur Einführung Im folgenden Beitrag wird nach einer Einleitung (7 Abschn. 9.1) zunächst dargestellt, von welchen Definitionen und kriminologischen Annahmen die Korruptionsbekämpfung ausgeht (7 Abschn. 9.2); sodann werden diese Annahmen auf das Gesundheitssystem als kriminogenes Feld übertragen (7 Abschn. 9.3). An zwei exemplarischen Konstellationen wird dargestellt, wie sich scheinbar professionsadäquate Verhaltensweisen im Lichte einer »extensiven Ausdehnung der Straftatbestände« (Einbecker Empfehlungen 2010, II.2.) als kriminelles Verhalten darstellen können (7 Abschn. 9.4). Schließlich wird pragmatisch im »Fazit und Ausblick« eine Gefährdungsanalyse vorgeschlagen und zu bestimmten Regeln einer Risikovermeidung geraten (7 Abschn. 9.5).
9
9.1
Einleitung
Die »Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht« (DGMR) hat als Ergebnis des 13. Einbecker Workshops im Oktober 2010 »Einbecker Empfehlungen zu unerwarteten und unerwünschten Strafbarkeitsrisiken in der vertragsärztlichen Berufsausübung« verabschiedet. Dort heißt es gleich zu Beginn, dass Ärzte zunehmend in »strafrechtlich relevante Konfliktsituationen« gerieten, die sich für sie als »unerwartet« darstellten (Einbecker Empfehlungen 2010, II.1.). »Unerwünscht« seien diese Konfliktsituationen, weil sie aus einer »extensiven Ausdehnung von Straftatbeständen« folgten (a.a.O., II.2.), was ggf. durch eine »sorgfältige Prüfung der subjektiven Tatseite« einzudämmen wäre (a.a.O., IV.4.). Grundsätzlich ist eine Einschränkung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf der Ebene des subjektiven Tatbestands dann möglich, wenn einer Person das Bewusstsein (kognitives Element) und der Wille (voluntatives Element) fehlen, mit ihrer Handlungsweise den Tatbestand einer Strafrechtsnorm zu erfüllen. Somit stellt sich die Frage, ob in der Ärzteschaft kein Bewusstsein darüber vorhanden ist, dass mit der Berufsausübung verbundene Handlungen ein hohes Strafbarkeitsrisiko mit sich bringen können.
z
Erhöhung der Sensibilität bei klassischen Problemlagen
Die »klassische« Frontstellung zwischen Ärzteschaft und Kriminaljustizsystem war über viele Jahrzehnte die strafrechtliche Verfolgung von mutmaßlichen Behandlungsfehlern und eigenmächtigen Heilbehandlungen ohne Einwilligung der Patienten. Hier hat sich über die Jahre hinweg eine hohe Sensibilität für die Problemlagen herausgebildet, die manchmal bis an den Rand der Lähmung ärztlichen Handelns und im Gesundheitssystem zu einer hochgradigen Formalisierung der Prozeduren von Aufklärung, Einwilligung und Behandlungsdokumentation geführt hat. z
Leistungs- und Abrechnungsbetrug
Eine zweite Frontlinie jüngeren Datums ist die Strafverfolgung von niedergelassenen Ärzten, Verantwortlichen in Krankenhäusern, aber auch anderen Akteuren des Gesundheitssystems wegen betrügerischer Handlungen im Zusammenhang mit der Abrechnung von Leistungen (Leistungs- und Abrechnungsbetrug). Bereits im Kontext dieser Maßnahmen des Kriminaljustizsystems ist deutlich geworden, dass bei Akteuren im Gesundheitssystem ein hohes wirtschaftskriminelles Potential vermutet wird, und dass diese Maßnahmen mit einem hohen Rückhalt in der öffentlichen Meinung rechnen können. Dies hat sich vor dem Hintergrund der Skandale um Steuerflucht, Korruption in der Wirtschaft und, in einem Quantensprung, durch die Finanzmarktkrise als kriminalpolitische Stimmung noch deutlich verstärkt. Die Erwartung lautet vielerorts, dass das Kriminaljustizsystem nicht mehr länger nach dem Motto »Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen« handeln, sondern die Kriminalität der Mächtigen und der Eliten der Gesellschaft ins Visier nehmen soll (Herzog 2008). Insofern ist es aus der Sicht der Betroffenen gewiss unerwünscht, als eine Gruppe mit hohem strafrechtlichen Risikopotential zu gelten. z
Korruption im Gesundheitswesen
Es ist aus Sicht einer Analyse der Entwicklungen des Kriminaljustizsystems keinesfalls überraschend und unerwartet, dass es zu einer deutlichen Verschärfung der strafrechtlichen Bewertung ärztlichen Verhaltens, etwa im Bereich der Kontakte
9.2 • Grundstruktur der Korruption und Fraud Triangle
mit der Pharmaindustrie auf den Gebieten von Studien und der Verordnungspraxis, unter dem Gesichtspunkt der Korruption gekommen ist. Erst jüngst hat die Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag einen Antrag unter dem Titel »Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen« eingebracht. In diesem Antrag wird u. a. gefordert, sicher zu stellen, »dass Korruptionshandlungen von niedergelassenen Vertragsärzten Straftatbestände darstellen« (Bundestags-Drucksache 17/3685 vom 10. 11. 2010). Angesichts dieses kriminalpolitischen Klimas dürfte es folglich immer schwerer fallen, sich bei entsprechenden Ermittlungsverfahren darauf zu berufen, es möge zwar sein, dass sich das Verhalten im objektiven Tatbestand als strafrechtlich relevant darstelle, es habe einem aber jegliches Bewusstsein und schon gar der Wille gefehlt, sich in eine strafrechtliche relevante Konfliktsituation zu begeben. Im folgenden Beitrag wird zunächst dargestellt, von welchen Definitionen und kriminologischen Annahmen die Korruptionsbekämpfung ausgeht (7 Abschn. 9.2), sodann werden diese Annahmen auf das Gesundheitssystem als kriminogenes Feld übertragen (7 Abschn. 9.3). An zwei exemplarischen Konstellationen wird dargestellt, wie sich scheinbar professionsadäquate Verhaltensweisen im Lichte einer »extensiven Ausdehnung der Straftatbestände« (Einbecker Empfehlungen 2010, II.2.) als kriminelles Verhalten darstellen können (7 Abschn. 9.4). Schließlich wird pragmatisch eine Gefährdungsanalyse vorgeschlagen und zu bestimmten Regeln einer Risikovermeidung geraten (7 Abschn. 9.5).
9.2
Grundstruktur der Korruption und Fraud Triangle
Unter Korruption wird in der Strafverfolgungspraxis der Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines politischen Mandates unter den folgenden Prämissen verstanden (Bundeskriminalamt 2005): 5 zugunsten eines Anderen, 5 auf dessen Veranlassung oder Eigeninitiative, 5 zur Erlangung eines Vorteils für sich oder einen Dritten,
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9
5 mit Eintritt oder in Erwartung des Eintritts eines Schadens oder Nachteils für die Allgemeinheit (betreffend Täter in amtlicher oder politischer Funktion) oder für ein Unternehmen (betreffend Täter als Funktionsträger in der Wirtschaft). Als Straftaten im Amt werden derartige Vorgänge von den §§ 331 ff. StGB, als Straftaten im geschäftlichen Verkehr von den §§ 299 ff. StGB erfasst. Daneben kommt eine Strafbarkeit wegen Untreue (§ 266 StGB) in Betracht, wenn seitens der korrumpierenden und/oder korrumpierten Personen eine Vermögensbetreuungspflicht besteht, und aus der Verstrickung eines Vorgangs in Korruption wirtschaftliche Schäden folgen. Nach einer extensiven Auslegung des Untreuetatbestandes ist dies bereits bei drohenden Schäden (Vermögensgefährdung) der Fall. Angesichts einer intensiven Lobbyarbeit von »Transparency International« und anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren und des hohen Stellenwerts der Korruptionsbekämpfung auf der Agenda aller maßgeblichen politischen Kräfte in der Bundesrepublik ist mit einer stetigen Erweiterung der strafrechtlichen Bekämpfung dieses Phänomens zu rechnen. Gegenwärtig sind insbesondere die Bauwirtschaft, das Gesundheitswesen, die Medien und der Sport intensive Ermittlungsfelder (Bundeskriminalamt 2005; Herzog 2008). Die Grundstruktur der Korruption besteht in einem Geber und einem Nehmer – die aktive Form besteht im Anbieten, Versprechen und Gewähren eines Vorteils, die passive Form in der Annahme des Vorteils, die mit regelwidrigen, nicht sachgerechten und bevorzugenden Entscheidungen verbunden ist. Als klassische Erscheinungsformen der Korruption gelten neben dem sprichwörtlichen »Schmiergeld« etwa Geschenke, Bauleistungen, Fernreisen, Eintrittskarten zu exklusiven Veranstaltungen, Autos, Uhren, sexuelle Dienstleistungen, »Provisionen«, Beraterverträge (insbes. auch für Angehörige!), Zahlungen auf fingierte Rechnungen, Reisekostenerstattung und Aufwandsabrechnungen (grundlegend zum Phänomen: Bannenberg 2002).
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Kapitel 9 • Korruption im Gesundheitswesen
9.2.1
Situative und strukturelle Korruption
Typologisch unterscheidet man situative und strukturelle Korruption. Bei situativer oder (Gelegenheits-) Korruption begeht der Täter die Tat aus einer bestimmten, häufig so nicht wiederholbaren Situation, aufgrund eines spontanen Entschlusses: 5 Die Tat ist nicht geplant und nicht auf Wiederholung angelegt. 5 Geber und Nehmer kennen sich in der Regel nicht. 5 Meistens sind zwei oder nur wenig mehr Personen beteiligt. 5 Häufig handelt es sich um Bagatellkorruption.
9
Ein klassisches Beispiel: Bei der Verkehrskontrolle bietet ein Betrunkener am Steuer einem Polizisten EUR 100, damit dieser auf einen Alko-Test verzichtet. Bei struktureller Korruption 5 kennen sich Geber und Nehmer aus einem gemeinsamen »Arbeitsfeld«; 5 sind die Taten geplant und auf Wiederholung angelegt; 5 werden zur Umgehung von Kontrollen und Revision verschleiernde »Abrechnungstechniken« entwickelt und Personen an strategischen Positionen einbezogen. > Die Grundstruktur der Korruption besteht in einem Geber und einem Nehmer. Die aktive Form besteht im Anbieten, Versprechen und Gewähren eines Vorteils, die passive Form in der Annahme des Vorteils, die mit regelwidrigen, nicht sachgerechten und bevorzugenden Entscheidungen verbunden ist. Dabei unterscheidet man situative oder (Gelegenheits-) Korruption von struktureller Korruption.
9.2.2
Mögliche Ursachen von Korruption
Was die gesamtgesellschaftlichen Ursachen von Korruption anbelangt, ist hier nicht der Ort, um
Theorien auszubreiten; man wird sich insofern mit fast zu Schlagworten herabgesunkenen Faktoren wie der hypertrophen materiellen Orientierung, mangelnder professioneller Ethik, Normenflut als auch Regelungsdefiziten sowie der fehlenden Vorbildfunktionen von Führungskräften und Vertretern aus der Politik begnügen müssen und kann für die Bekämpfung der Korruption mit dem führenden Experten Johannes Graf Lambsdorff festhalten (2007):
» Combating corruption is like judo. Instead of proclaiming a policy of zero tolerance one must recognize that the imperfections of human behaviour will endure. Instead of demanding a world of absolute integrity, fighting corruption foremost is the art of exploiting these imperfections for our battle.
«
Pragmatische Ansätze bieten dagegen die individuellen und fallstrukturellen Ursachen, die wie folgt skizziert werden können: 5 situative Aspekte wie »günstige« Gelegenheiten und unwiderstehliche »Versuchungen«; 5 kritische Lebenssituationen als korruptionsgefährliche Faktoren wie z. B. Trennungen im privaten oder beruflichen Bereich (und deren finanzielle Folgen), Überschuldung, Statusveränderungen; 5 fehlende oder lückenhafte soziale Kontrolle und Ächtung; 5 »positive Verstärkung«: Sind korrupte Handlungen erfolgreich und werden nicht sanktioniert, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es zu weiteren Handlungen kommt, da das Entdeckungs- und Sanktionierungsrisiko als niedrig eingeschätzt wird und die Hemmschwelle sinkt (Motto: »Der Ehrliche ist der Dumme«). z
Das Modell des Fraud-Triangle
Diese pragmatischen Ansätze werden in der Prävention und Ermittlung von Korruptionsfällen heute weltweit nach dem Modell des Fraud Triangle (. Abb. 9.1) des amerikanischen Kriminalsoziologen Donald R. Cressey verfolgt. Nach diesem Modell ist mit dem Auftreten von Wirtschaftskriminalität (und damit auch Korruption) dann zu
9.2 • Grundstruktur der Korruption und Fraud Triangle
THE FRAUD TRIANGLE
PERCEIVED PRESSURE
RATIONALISATION
OPPORTUNITY
. Abb. 9.1 (1973)
Das Modell des Fraud-Triangle nach Cressey
rechnen, wenn 3 Faktoren gleichzeitig erfüllt sind (Cressey 1973): 5 Es muss eine Gelegenheit bzw. Möglichkeit zur Tat geben (opportunity). 5 Der Täter muss eine Motivation, einen Anreiz oder gar einen (subjektiven) Zwang für die Tat haben (motivation/perceived pressure). 5 Schließlich muss er die Tat im Nachgang vor sich selbst rechtfertigen können (rationalisation). Die Kernthese von Cressey (1973) lautet im Zusammenhang:
» Trusted persons become trust violators when they conceive of themselves as having a financial problem which is non-shareable, are aware this problem can be secretly resolved by violation of the position of financial trust, and are able to apply to their own conduct in that situation verbalizations which enable them to adjust their conceptions of themselves as trusted persons with their conceptions of themselves as users of the entrusted funds or property.
«
> Prävention und Ermittlung von Korruptionsfällen werden heute weltweit nach dem Modell des Fraud Triangle verfolgt.
Die Motivation dafür, sich regelwidrige Vorteile zu verschaffen, kann aus purer Gier (greed), aus tatsächlichem oder gefühltem wirtschaftlichem Druck oder tatsächlichen oder gefühlten finan-
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9
ziellen Schwierigkeiten des Täters herrühren. Der wirtschaftliche Druck kann auch auf zu hohen Erwartungshaltungen (ein bestimmter Lebens- und Repräsentationsstil muss gewährleistet sein, um einer sozialen Stellung gerecht zu werden) sowie einem starken Geltungsbedürfnis des Täters beruhen. Häufig kommt eine mangelnde Loyalität gegenüber dem geschädigten System als Tatmotiv hinzu, etwa als Folge einer als unfair empfundenen Behandlung oder eines schlechten »Betriebsklimas«. Nicht selten interagieren auch die Motivations- und Rationalisierungsebene in der Weise, dass Täter durch Einflussnahmen Dritter (»ich habe das erfolgreich ausprobiert, warum machst du das nicht auch so« – »Der Ehrliche ist der Dumme«) zur Tat motiviert werden. Um sein schlechtes Gewissen neutralisieren zu können, muss der Täter die Tat vor sich selbst rechtfertigen können. Im Rahmen dieser in der Kriminologie als Neutralisationstechniken beschriebenen Rechtfertigungen gelten als typische Muster: 5 Ablehnung der Verantwortung (Denial of Responsibility): Das delinquente Handeln wird auf Ursachen zurückgeführt, die außerhalb der Kontrollmöglichkeit des Individuums liegen. Der Täter fühlt sich als Spielball fremder Mächte und ist nicht selbst für seine Taten verantwortlich. – Muster: »Es liegt am System«. 5 Verneinung des Unrechts (Denial of Injury): Eine Handlung wird zwar als illegitim (d. h. Regel oder Gesetze verletzend), nicht aber als unmoralisch angesehen. Indem der Täter sich darauf beruft, dass er keinen (großen) Schaden angerichtet hat oder niemand konkret geschädigt wurde, rechtfertigt er seine Tat. Durch die Verneinung des Unrechts wird die Verbindung zwischen der Handlung und deren Konsequenzen unterbrochen. – Muster: »Es tut doch keinem wirklich weh« und »Das machen doch alle«. 5 Ablehnung des Opfers (Denial of Victim): Auch wenn der Täter die Verantwortung für seine Tat anerkennt und sich bewusst ist, dass seine Handlungen Schaden oder Unrecht bewirken, kann er sein Verhalten neutralisieren, indem er das Opfer herabwürdigt. Das Opfer wird zum »Übeltäter« und der Täter zum »Rä-
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Kapitel 9 • Korruption im Gesundheitswesen
cher«. – Muster: »Die haben das nicht anders verdient«. 5 Verdammung der Verdammenden (Condemnation of the Condemners): Der Delinquent verschiebt die Aufmerksamkeit von seinen eigenen abweichenden Handlungen auf die Motive und Verfehlungen derjenigen, die seine Taten verurteilen. Dies kann sich zu Sarkasmus gegen Personen, die soziale Normen durchsetzen und verkörpern, verhärten. – Muster: »Die Verantwortlichen des Systems sind selber korrupt, verlogen, alle ›Verbrecher‹«. 5 Berufung auf höhere Instanzen (Appeal to Higher Loyalties): Der Straftäter kann sich darauf berufen, nicht für sich selbst gehandelt zu haben, sondern im höheren Interesse für eine wichtige, bedeutende Gruppe oder im Dienste einer höheren Idee – Muster: »Es dient im Endeffekt nicht mir, sondern den ›Kunden‹ des Systems und der Verteilungsgerechtigkeit«. (Sykes/Matza 1968; Darstellung nach Krimpedia, Stichwort: Neutralisationstechniken [http://www.kriminologie.uni-hamburg.de/ wiki/index.php/Neutralisationstechniken]). Gelegenheit bedeutet meist schlicht das völlige
Fehlen, Defizite oder die Ineffektivität von (sozialen oder institutionellen) Kontrollen, was dem Täter überhaupt erst die Möglichkeit zur Begehung krimineller Handlungen eröffnet. Begünstigt wird die Möglichkeit zur Tatbegehung häufig auch durch fehlerhafte Organisationsstrukturen und/oder intransparente Abläufe. z
Versagen normativer Appelle
Eine hohe Eigendynamik besitzt die Verstrickung in das Fraud Triangle v. a. auch deswegen, weil es viele Gründe dafür gibt, dass die normativen Appelle gegen Korruption die Adressaten nicht wirklich erreichen. Dies hängt u. a. damit zusammen, dass 5 die Entdeckungswahrscheinlichkeit durch Strafverfolgungsorgane gering ist (großes Dunkelfeld); 5 die Abschreckungswirkung der Strafandrohung durch den Glauben an erfolgreiche Aus-
5 5
5 5 5
9.3
weichstrategien und Neutralisierung beeinträchtigt ist; die mangelhafte Kontrolle des anfälligen Bereichs offensichtlich ist; sich durch mangelnde Spezialkenntnisse und/ oder Ressourcen der Verfolgungsorgane Verdachtsmomente leicht und lange zerstreuen lassen; Verhaltensrichtlinien und Verbote abstrakt bleiben, vorhandene Verhaltensrichtlinien und Ethikerklärungen nicht »gelebt« werden; persönliche Vorteile (materiell und immateriell) in der »Kosten-Nutzen-Rechnung« überwiegen; folgenlose oder »heruntergespielte« Vorgänge auf höheren Hierarchieebenen erlebt werden.
Arzt-Industrie-Kontakte als kriminogenes Feld
Der Beitrag von Wiesner und Lieb in diesem Band (7 Kap. 11) belegt aus kriminologischer Perspektive das hohe kriminogene Risiko auf diesem Feld. Die gerade dargelegten kriminologischen Befunde gleichen auf frappierende Weise dortigen Beobachtungen. So müssen Alarmglocken läuten, wenn dort nachzulesen ist, dass die Gesamtausgaben für Marketing der pharmazeutischen Unternehmen in den USA im Jahre 2005 bei ca. US $ 29,8 Mrd. lagen und die Ausgaben für Marketing als etwa doppelt so hoch wie die für Forschung und Entwicklung geschätzt werden (a.a.O., 7 Abschn. 11.2). Weitere alarmierende Tatsachen sind die Annahme von Geschenken, Arzneimittelmustern, Erstattungen für die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen, Honoraren für Beratertätigkeiten, Vorträge oder die Beteiligung an »Advisory Boards« oder Anwendungsbeobachtungen (ebenda). Ähnlich den gerade referierten Neutralisationstechniken sprechen die Autoren von »blind spots« in der Wahrnehmung der Risiken einer solchen Verstrickung (7 Abschn. 11.3.1) und von Rationalisierungen (7 Abschn. 11.3.2). Klemperer berichtet in einem Beitrag für das Deutsche Ärzteblatt (Klemperer 2008), dass sich die Intensität der Beziehung zwischen Pharmavertretern und Ärzten nach dem »Verschreibungswert« gestaltet:
9.3 • Arzt-Industrie-Kontakte als kriminogenes Feld
»
Ärzte, die häufig und viel und bevorzugt auch neue, teure Medikamente verschreiben, werden von den Pharmavertretern vorrangig besucht und umworben; Niedrigverschreiber werden ignoriert. Besonders wertvoll für die Industrie sind Ärzte, die aufgrund ihrer hervorgehobenen Stellung das Verschreibungsverhalten ihrer Kollegen beeinflussen, die sogenannten Meinungsführer (»key opinion leaders«). Diese können mit hohen Zuwendungen der Industrie für unaufwändige Leistungen rechnen.
«
Diese Befunde sind alarmierend, denn sie beschreiben Grenzsituationen zu einer korruptiven Verstrickung. Diese Verstrickungen werden durch einen Zustand des Gesundheitssystems befördert, der sich im Erleben vieler Ärzte als eine zunehmende Verknappung ihres Zugriffs auf Ressourcen für die Patientenversorgung und tiefe Einschnitte in ihre Verdienstmöglichkeiten darstellt. Die wiederkehrenden Protestaktionen von niedergelassenen und Klinikärzten legen ein beredtes Zeugnis davon ab, welcher Grad der Verzweiflung und Verärgerung mittlerweile in der Profession erreicht ist. Damit ist ein gefährlicher Nährboden dafür geschaffen, dass die Motivation für betrügerisches Verhalten entsteht, dass entsprechende Gelegenheitsstrukturen gesucht und tragfähige Rechtfertigungen gefunden werden. In dieser Situation ist mit Nachdruck die These von Klemperer (2008) zu unterstreichen, dass
» … ein öffentlich nachvollziehbarer und Vertrauen schaffender Umgang mit Interessenkonflikten … eine unabdingbare Anforderung ist, will man das Ansehen und den gesellschaftlichen Status des Arztberufs erhalten.
«
> Korruptive Verstrickungen werden durch einen Zustand des Gesundheitssystems befördert, der sich im Erleben vieler Ärzte als eine zunehmende Verknappung ihres Zugriffs auf Ressourcen für die Patientenversorgung und tiefe Einschnitte in ihre Verdienstmöglichkeiten darstellt.
Wenn es als »unerwünscht« angesehen wird, dass sich der Staat mit seiner schärfsten Waffe – dem
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9
Strafrecht – in diesen Prozess einmischt, dann bedarf es zunächst einer Klärung, welche vernünftige Aufgabe die strafrechtliche Intervention auf gesellschaftlichen Konfliktfeldern haben kann, und welche Alternativen es hierzu gibt. Dort, wo die Bedeutung moralischer Maßstäbe und Grenzen in der Gesellschaft schwindet und unverzichtbare Normen eines gedeihlichen gesellschaftlichen Zusammenlebens auf dem Spiel stehen, wächst dem Strafrecht dann eine expressive Funktion zu, wenn andere Instanzen und Formen der sozialen Kontrolle versagen und nicht mehr wirkungsvoll für den Normenbestand eintreten können. Strafrecht ist insofern ultima ratio in der Auseinandersetzung mit normverletzendem sozialschädlichem Verhalten. Für gravierende Rechtsverletzungen bietet das Strafrecht einen Ort in der Gesellschaft, an dem öffentlich, verbindlich und mit klaren Ansagen und Folgen über die Geltung der fundamentalen Normen verhandelt werden kann. Die expressive Funktion des Strafrechts besteht darin, den Kanon unverzichtbarer Verhaltensgebote zu manifestieren. Freilich weiß jeder, der sich mit dem Strafrecht und seiner Geschichte wissenschaftlich beschäftigt, und jeder, der in der Praxis des Strafrechts arbeitet: Man kann vieles über das Strafrecht sagen, aber eines kann man nicht sagen: dass das Strafrecht je ein gesellschaftliches Problem gelöst hätte. Damit ist aber nicht gesagt, dass das Strafrecht keine gesellschaftlichen Funktionen haben kann – es kann indes nicht durch äußeren Zwang, Verfolgungskampagnen und sein primäres Mittel der individuellen Zurechnung und Bestrafung dort soziale Ordnung stiften, wo die normative gesellschaftliche Verständigung überhaupt nicht mehr funktioniert. In diesem Sinne wird es an zwei exemplarischen Fallkonstellationen im folgenden Abschnitt darum gehen, den Weg des Kriminaljustizsystems bei der Manifestation der Norm »Halte dich von korruptiven Konstellationen fern« nachzuzeichnen. Abschließend soll dann kurz skizziert werden, was die Selbstregulationskräfte der Profession leisten können, um die »unerwünschte« Intervention des Staates zu minimieren.
9
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Kapitel 9 • Korruption im Gesundheitswesen
9.4
»Freunde und Förderer« und »Bestechungs-Marketing«
In Zeiten einer staatlichen Unterfinanzierung der Universitäten und Universitätskliniken kommt der Einwerbung von Drittmitteln eine wachsende, ja existentielle Bedeutung zu. Die Einwerbung solcher Mittel ist nach zahlreichen Hochschulgesetzen und dem Inhalt fast jeder zeitgenössischen Berufungsvereinbarung sogar eine besondere Pflicht eines Hochschullehrers. Die Erfüllung dieser Pflicht wird überwacht und bei entsprechender Tüchtigkeit und messbarem Erfolg mit Leistungsbezügen im Rahmen der Besoldungsordnung W honoriert. Im Bereich der medizinischen Forschung liegt es dabei auf der Hand, dass die pharmazeutischen Unternehmen und Hersteller von Medizinprodukten um diese Verhältnisse wissen und entsprechend die Nähe zu »bedürftigen« Hochschullehrern suchen. Hierbei kann es – wie Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zeigen – zu einer »gefährlichen Nähe« kommen, wenn die Vorgänge intransparent und außerhalb des dafür vorgesehenen normativen Rahmens und Dienstweges abgewickelt werden. > Bei Kontakten zwischen Wissenschaftlern und Industrie im Rahmen der medizinischen Forschung kann es zu einer »gefährlichen Nähe« kommen, wenn die Vorgänge intransparent und außerhalb des dafür vorgesehenen normativen Rahmens und Dienstweges abgewickelt werden. z
Beispiel 1: Der »Herzklappenskandal«
In einer berühmten und viel diskutierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2002 (u. a. abgedruckt in: Neue Juristische Wochenschrift [NJW] 2002, 2801) ging es um folgende Konstellation: Der Angeklagte war Ärztlicher Direktor der Abteilung Herzchirurgie eines Universitätsklinikums. Er hatte die damit verbundenen Aufgaben in Forschung und Lehre zu erfüllen; ihm oblagen weiterhin die Organisation der Dienstpläne, die Entscheidung über den Einsatz der Geräte und Einrichtungen der Herzchirurgie sowie die Bewirtschaftung der zugewiesenen Haushalts- und Betriebsmittel. Zu seinen Dienstaufgaben gehörte
weiter die Einwerbung sogenannter Drittmittel für die Forschung. Eine Medizintechnikfirma belieferte das Universitätsklinikum mit medizintechnischen Produkten, v. a. Herzklappen, Herzschrittmachern und Defibrillatoren. Innerhalb der Herzchirurgie trug der Angeklagte aufgrund seiner Stellung die Verantwortung für die Auswahl und den Einsatz der dort implantierten Herzklappen und Herzschrittmacher. Deren eigentliche Bestellung sowie der Abschluss entsprechender Rahmenverträge mit den Lieferanten oblag der Materialverwaltung der Universität, die auf der Grundlage der Vorgaben der medizinischen Abteilungen die bestmöglichen Konditionen mit den Lieferanten auszuhandeln hatte. Im Jahr 1988 vereinbarte der Angeklagte mit Mitarbeitern der Medizinprodukte-Firma, dass diese ihm in der Folgezeit »Boni« in Höhe von 5 % auf den getätigten Umsatz gewähre und auf einem bei dem Unternehmen geführten »Bonus-Konto« verbuche. Die aufgelaufenen »Boni« sollten ihm sodann zur Verfügung stehen. Durch die Annahme dieser Zuwendungen wollte sich der Angeklagte nicht selbst bereichern. Er war allein darauf bedacht, für seine Forschungsvorhaben eine zusätzliche Geldquelle zu erschließen. Da er Effizienz und Umfang der Förderung dieser Vorhaben aufgrund seiner bisherigen Erfahrung mit der Verwendung seines offiziellen Forschungsbudgets und des bei der Universitätsverwaltung für ihn geführten Drittmittelkontos gefährdet sah, falls die Zuwendungen an die Universitätsverwaltung gelangt wären, gründete er einen Verein »Freunde und Förderer der Herzchirurgie«, dessen erster Vorsitzender er war und dem ganz überwiegend Mitarbeiter von ihm angehörten. In der Zeit zwischen September 1990 und August 1992 veranlasste er aufgrund der mit der Firma getroffenen Vereinbarung insgesamt 6 Zahlungen dieser Medizintechnikfirma – die von dem dort geführten »Bonus-Konto« erfolgten – in Höhe von insgesamt ca. DM 162.000 zugunsten dieses Vereines. Entsprechend dem Vereinszweck wurden mit dessen Mitteln Mitarbeitern der Herzchirurgie Auslagen für Kongressreisen ersetzt, die Beschaffung und Wartung von Büro- und medizintechnischen Geräten finanziert, Probanden in verschiedenen Studien bezahlt sowie Aushilfslöhne
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9.4 • »Freunde und Förderer« und »Bestechungs-Marketing«
für geringfügig Beschäftige finanziert, die in unterschiedlichen Forschungsprojekten tätig waren. Der Bundesgerichtshof (Bundesgerichtshof, a.a.O.) hat hier einen Fall strafbarer Korruption gemäß § 331 StGB alter Fassung bejaht, da die Firma mit ihren Zuwendungen unbestreitbar das Ziel verfolgte, ihre Umsätze zu steigern und zu sichern. Für die »entscheidungsrelevanten Mitarbeiter« ihrer Kunden wurden deshalb die sogenannten Bonuskonten verwaltet. Vor einer Strafverfolgung hätte sich der Angeklagte schützen können, wenn er die für die Einwerbung und Verwaltung von Drittmitteln vorgeschriebenen Wege eingehalten hätte:
» Allerdings muss der Tatbestand (§ 331 Abs. 1 StGB) im Blick auf die hochschulrechtlich verankerte Dienstaufgabe eines Hochschullehrers zur Einwerbung von Drittmitteln einschränkend ausgelegt werden, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Regelt wie hier das Landeshochschulrecht … und damit eine spezielle gesetzliche Vorschrift die Einwerbung von zweckbestimmten Mitteln durch einen Amtsträger, die sich i. S. d. § 331 Abs. 1 StGB als Vorteil darstellen und bei denen ein Beziehungsverhältnis zu einer Diensthandlung besteht, so ist das durch den Straftatbestand geschützte Rechtsgut, das Vertrauen in die Sachgerechtigkeit und »Nicht-Käuflichkeit« dienstlichen Handelns, dann nicht in dem vom Gesetzgeber vorausgesetzten Maße strafrechtlich schutzbedürftig, wenn das in jenem Gesetz vorgesehene Verfahren eingehalten, namentlich die Annahme der Mittel angezeigt und genehmigt wird. Auf diese Weise wird die Durchschaubarkeit (Transparenz) des Vorganges hinreichend sichergestellt, den Kontroll- und Aufsichtsorganen eine Überwachung ermöglicht und so der Notwendigkeit des Schutzes vor dem Anschein der »Käuflichkeit« von Entscheidungen des Amtsträgers angemessen Rechnung getragen. Zudem werden Strafrecht und Hochschulrecht so auf der Tatbestandsebene in einen systematischen Einklang gebracht und ein Wertungsbruch vermieden.
«
Trotz mancher Kritik in der Wissenschaft erscheint diese Lösung angemessen, indem das Problemfeld prozeduralisiert und damit Transparenz hergestellt wird. Eine strafrechtstheoretisch weiterführende
9
Frage wäre es, ob damit nicht letztlich nur die Nichteinhaltung vorgeschriebener Verfahrenswege zum Ausgangspunkt einer Strafbarkeit wegen Korruption gemacht wird; dies könnte bedeuten, dass sich die strafrechtliche Schutztechnik auf dem Gebiet der Korruptionsbekämpfung in Gefährdungsstrafrecht verwandelt. In meiner Habilitationsschrift aus dem Jahre 1990 hatte ich noch erhebliche Einwände gegen die Legitimität einer solchen Schutztechnik in einem rechtsstaatlich-liberalen Strafrecht formuliert (Herzog 1990). Ob ich vor dem Hintergrund einer um sich greifenden korruptiven Mentalität und Normenerosion in unserer Gesellschaft an dieser Position festhalten würde oder dem Strafrecht doch eine flankierende Aufgabe bei der Manifestation der Norm der »Nicht-Käuflichkeit« von gesellschaftlich bedeutenden Entscheidungen bereits bei konkret gefährdenden Situationen einräumen würde, kann hier nicht diskutiert werden. z
Beispiel 2
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat jüngst den durch die Behörde ausgesprochenen Widerruf der Approbation des Chefarztes eines großen Krankenhauses bestätigt, nachdem es die Tatsache, dass dieser in seiner Eigenschaft als Chefarzt Geld von Pharmaunternehmen für Betriebsausflüge und private Feiern (getarnt als Spenden für Fortbildungsveranstaltungen) angenommen hatte, als erwiesen und ihn deswegen als unwürdig zur Ausübung des Arztberufes angesehen hat (Bayerisches Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 30. 9. 2010, Az. 21 BV 09.1279, Volltext der Entscheidung bei juris. de). Wenn – wie die bei Klemperer (a.a.O.) referierten Untersuchungen behaupten – niedergelassene Ärzte im Jahre 2000 im Durchschnitt je 200 Kontakte zu Pharmavertretern, im Jahre 2008 nach einer anderen Untersuchung sogar 7 pro Woche hatten, dann wirft dies in der Tat die Frage nach einem sog. »Bestechungs-Marketing« auf. Warum sonst sollten diese Besuche in dieser Frequenz erfolgen, wenn sich die Beteiligten hiervon nicht irgendwelche Vorteile versprechen sollten? Dies wird verschleiernd als »pharmaceutic detailing« beschrieben (Klemperer, a.a.O.), stellt sich aber – wie von Wiesner und Lieb eindringlich beschrieben (7 Abschn. 11.2.1.) – als ein »profiling« des Ver-
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Kapitel 9 • Korruption im Gesundheitswesen
schreibungsverhaltens der besuchten Ärzte und als ein Bouquet »von Geschenken, Aufmerksamkeiten und Vergünstigungen« dar, um »den Arzt zu Änderungen seines Verschreibungsverhaltens zu bewegen«. In der Sprache des Gesetzes geht es also darum, ob dadurch eine wettbewerbswidrige Situation in der Weise geschaffen wird, dass auf der (ärztlichen) Nehmerseite eine Person »einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er einen anderen bei dem Bezug von Waren … im Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge« (§ 299 Absatz 1 StGB), und auf der (industriellen) Geberseite eine Person eine entsprechende Leistung »dafür anbietet, verspricht oder gewährt« (§ 299 Absatz 2). Nach einem Urteil des OLG Braunschweig aus dem Februar 2010 (abgedruckt in: Neue Zeitschrift für Strafrecht [NStZ] 2010, 365) scheint diese Rechtsfrage insoweit von den Staatsanwaltschaften als geklärt angesehen zu werden, dass nunmehr aller Orten in der Bundesrepublik entsprechende Ermittlungsverfahren geführt werden (Krick 2010). In einer entsprechenden Anmerkung in der juristischen Datenbank juris heißt es dazu (Mosiek 2010):
»
Bei werbenden Zuwendungen an Kassenärzte, die durch sachfremde Vorteile (wie etwa Rückvergütungen, Preisnachlässe beim Bezug von Praxisbedarf, Privatreisen, Schein-Tagungen, Freizeit-Angebote oder Vergünstigungen beim Erwerb von Luxusgütern) auf das Verschreibungsverhalten Einfluss zu nehmen versuchen, unterliegen sowohl die verantwortlich Handelnden der gewährenden Stellen (zum Beispiel Hersteller von Pharmazeutika und Medizinprodukten) als auch die betroffenen Vertragsärzte einem erhöhten Verfolgungsrisiko unter dem Gesichtspunkt der Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr.
«
Dieser Situation ist ein juristischer Abwehrkampf insbesondere von Strafverteidigerseite vorangegangen (vgl. Geis 2005; Sahan 2007). Es geht dabei um die strafrechtsdogmatisch und kassenarztrechtlich außerordentlich filigrane Frage, ob Vertragsärzte der Krankenkassen als »Angestellte oder Beauftragte eines geschäftlichen Betriebes« i. S. des § 299 StGB anzusehen sind, denn nur dieser Personenkreis ist tauglicher Täter der Bestechlichkeit im ge-
schäftlichen Verkehr. Es ist nachvollziehbar, dass sich Ärzte mit einer Einordnung in diesen Täterkreis in ihrem Status und in ihrer Rolle im System der medizinischen Versorgung herabgewürdigt und auf unangemessene Weise in das Gesundheitssystem inkorporiert fühlen. Die rechtlichen Einzelheiten der kontroversen Positionen können in diesem Rahmen nicht dargestellt werden (glänzende und abgewogene Darstellungen der staatsanwaltschaftlichen Position bei Krick 2010, der anwaltlichen Position bei Sahan 2007). Jenseits der Frage, ob Ärzte überhaupt Täter dieses Korruptionsdelikts sein können (hier wird wohl eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs abzuwarten bleiben), bleibt auf der Ebene der materiell-rechtlichen Einordnung des Verhaltens jedoch der Eindruck zurück, dass es sich sehr wohl der Struktur nach um einen Vorgang der Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme handelt, der bei unbefangener Betrachtung für die Ausgestaltung der Verschreibungspraxis nicht bedeutungslos sein kann. Soweit ein gesellschaftlicher Konsens darüber bestehen sollte, dass derartigen Strukturen Einhalt zu gebieten ist, und sich hierfür die entsprechenden parlamentarischen Mehrheiten finden lassen sollten, wird der Vorstoß der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag (Bundestags-Drucksache 17/3685 vom 10. 11. 2010) sicherlich Konsequenzen im Hinblick auf eine gesetzgeberische Klarstellung zum persönlichen Anwendungsbereich des Tatbestandes haben. Auch hier stellt sich dann erneut die grundsätzliche Frage zur Funktion strafrechtlicher Normverdeutlichung, ob es einer derartigen Flankierung von gebotenen Maßnahmen der Selbstregulierung der ärztlichen Profession bedarf. Schließlich kommen auch gravierende berufsrechtliche Konsequenzen in Betracht, die in ihrer Abschreckungswirkung für die Allgemeinheit und in den Folgen für den betroffenen Arzt weitaus effektiver und einschneidender sein können als eine strafrechtliche Verfolgung. > Bei werbenden Zuwendungen an Kassenärzte, die durch sachfremde Vorteile auf das Verschreibungsverhalten Einfluss zu nehmen versuchen, unterliegen sowohl die verantwortlich Handelnden der gewährenden Stellen (zum Beispiel Herstel-
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Literatur
ler von Arzneimitteln und Medizinprodukten) als auch die betroffenen Vertragsärzte einem erhöhten Verfolgungsrisiko unter dem Gesichtspunkt der Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr.
9.5
Fazit und Ausblick
Im Interesse eines Schutzes der Integrität der Ärzteschaft als soziale Institution und des Ansehens jedes einzelnen Mitglieds der ärztlichen Profession ist ein offensiver Umgang mit dem dargelegten Gefährdungspotential für Korruption geboten. Wichtige Hinweise zur Umsetzung einer solchen Strategie, die auch dem Schutz der Ärzteschaft vor »unerwarteten« und »unerwünschten« Einmischungen des Kriminaljustizsystems in die Herausbildung eines entsprechenden Berufsethos dienlich sein würden, finden sich in dem Beitrag von Wiesner und Lieb (7 Abschn. 11.4.3): »Checkliste zur Erfassung von Interessenkonflikten in Praxis und Klinik«. Die in der Spalte »Beziehungen« aufgeführten Situationen können als Ergebnis einer Gefährdungsanalyse gelesen werden, insofern sie korruptionsgeneigte Sachverhalte beschreiben. An diesem Element der Gefährdungsanalyse sollte weiter gearbeitet werden. Als Instrumente der hierfür erforderlichen Datenerhebung kommen neben einer moderierten Selbstauskunft (self assessment), bei denen Ärztinnen und Ärzte in Klinik und Praxis mittels strukturierter Fragen in persönlichen Interviews nach deren Selbsteinschätzung befragt werden, auch offen geführte Gespräche über Erfahrungen mit als korruptionsgefährlich erlebten Situationen in Betracht. Unter der Spalte »Beschreibung des Ausmaßes« wären in der Perspektive aus aggregierten Falldaten Scoring-Werte abzuleiten. In dem zugrunde liegenden Auswertungsprozess könnte die Bewertung des Korruptionsrisikos nach einem einfachen Schema definiert werden: Besteht nach übereinstimmender Meinung der befragten Personen ein eindeutiges Korruptionsrisiko (z. B. Finanzierung einer ausschließlich Erholungszwecken dienenden Fernreise), erfolgt eine Bewertung mit 10 Risikopunkten, bei einer mittleren Korruptionsgefahr (»kommt auf die näheren Umstände an«, z. B. Einladung zu einer
9
Fortbildungsveranstaltung in einem Wellness-Hotel in landschaftlich reizvoller Umgebung) mit 5–7 Risikopunkten und bei einem geringen Korruptionsrisiko (»eher nein«, z. B. Geschenk eines Terminkalenders für das neue Jahr durch Pharmavertreter) mit 1–3 Risikopunkten. Zwecks einer vereinfachenden handlungsanleitenden Skalierung könnten die Risikogruppen grob in hohes, mittleres und niedriges Risiko unterteilt und als Ampel visualisiert werden. Schon ein kurzer Blick auf die Gefährdungsmatrix würde dann in bestimmten Situationen mit der Farbe Rot einen »Stop« signalisieren. Schließlich wäre die Entwicklung von weitgehend standardisierten Präventionsregeln und Abwehrmaßnahmen anzustreben, in deren Zentrum die Stärkung der berufsethischen Missbilligung von Korruption, die Integrität und Vorbildfunktion von Führungspersönlichkeiten in den Kliniken und berufsständischen Organisationen sowie die vollständige, den Vorgang begleitende Transparenz und Dokumentation von Arzt-Industrie-Kontakten stehen sollten.
Literatur Weiterführende Literatur Bannenberg B (2002) Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle. Eine kriminologisch-strafrechtliche Analyse. (BKA-Reihe Bd 18, Reihe Polizei + Forschung). Luchterhand, Neuwied Bundeskriminalamt (2005) Bundeslagebild Korruption 2005. http://www.bka.de/lageberichte/ko/blkorruption2005. pdf Cressey DR (1973) Other people’s money; a study in the social psychology of embezzlement. Patterson Smith, Montclair Einbecker Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR) e. V. zu unerwarteten und unerwünschten Strafbarkeitsrisiken in der vertragsärztlichen Berufsausübung (2010). http://www.medizin. uni-koeln.de/dgmr/empfehlungen/empf17.shtml Herzog F (2008) Ende der Moral – Stunde der Staatsanwaltschaft? Jahrbuch der Juristischen Gesellschaft Bremen. Edition Temmen, Bremen, S 7–18 Andere zitierte Literatur Geis M (2005) Tatbestandsüberdehnungen im Arztstrafrecht am Beispiel der»Beauftragtenbestechung« des Kassenarztes nach § 299 StGB. Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (wistra) S 369–371
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9
Kapitel 9 • Korruption im Gesundheitswesen
Graf Lambsdorff J (2007) The institutional economics of corruption and reform: theory, evidence and policy. Cambridge University Press, Cambridge Herzog F (1990) Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge. Studien zur Vorverlegung des Strafrechtsschutzes in den Gefährdungsbereich. R. v. Decker, Heidelberg Klemperer D (2008) Interessenkonflikte: Gefahr für das ärztliche Urteilsvermögen. Dtsch Ärztebl 105: A 2098–2100 Krick C (2010) Die Strafbarkeit von Korruptionsdelikten bei niedergelassenen Vertragsärzten. WisteV Arbeitskreis Medizin- und Arztstrafrecht Newsletter 2: 36–55 Mosiek M (2010) Anmerkung: Niedergelassener Kassenarzt als Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes i. S. d. § 299 StGB (zu: OLG Braunschweig, Beschluss vom 23. 2. 2010 |Ws 17/10). jurisPR-MedizinR 5/2010 Anm. 1 Sahan O (2007) Ist der Vertragsarzt tauglicher Täter der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gem. § 299 Abs. 1 StGB? Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (ZIS) S 69–74 Sykes GM, Matza D (1968) Techniken der Neutralisierung. Eine Theorie der Delinquenz. In: Sack, König (Hrsg) Kriminalsoziologie. Akademische Verlagsgesellschaft, Frankfurt/Main, S 360–371
139
Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitssystem Gerd Glaeske
10.1
Die Arzneimitteltherapie in der medizinischen Versorgung – 140
10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.1.4
Verordnungsverhalten der Ärzte – 140 Interne und externe Validität – 140 Kurzer historischer Abriss der klinischen Pharmakologie – 141 Klinische Pharmakotherapie in der Weiterentwicklung – 141
10.2
Die Ausgaben für die Arzneimitteltherapie im Spiegel der Zeit – 142
10.2.1 10.2.2
Entwicklung der Arzneimittelkosten – 142 Kosten durch Innovationen und Analogpräparate – 143
10.3
Einflussgröße Strukturkomponente und Analogpräparate – 147
10.3.1 10.3.2
Trend zu teuren Analogpräparaten – 147 Umgang mit dem Intermedikamenteneffekt – 148
10.4
Umsatzstärkste Arzneimittel (»Blockbuster«) – 148
10.5
Mehr Effektivität und Effizienz durch gestiegene Ausgaben? – 152
10.5.1 10.5.2
Beispiele für kostenintensive Arzneimittel – 153 Einsparmöglichkeiten – 154
10.6
»Ausgabentreiber« Onkologie – 154
10.6.1 10.6.2
Forderung nach qualifizierter Nutzenbewertung – 154 Kostentreiber Nicht-Fertigarzneimittel – 155
10.7
»Rezepte« und Fazit – 156 Literatur – 157
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
10
140
Kapitel 10 • Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitssystem
Zur Einführung Arzneimittelausgaben sind im deutschen Gesundheitswesen ein entscheidender Aspekt der medizinischen Versorgung der Bevölkerung; sie erzeugen innerhalb der Gesetzlichen Krankenkassen den zweitgrößten Ausgabenanteil aller Leistungsbereiche. Sie sind sowohl von strukturellen, politischen, ökonomischen als auch verhaltensbedingten Faktoren abhängig. Vor allem neue patentgeschützte Arzneimittel und Spezialpräparate treiben die Ausgaben in die Höhe, unabhängig davon, ob Effizienz und Effektivität im Vergleich zu bestehenden Therapien evidenzbasiert evaluiert worden sind. Eine angemessene Versorgung der Versicherten ist nur mit Hilfe eines rationalen Arzneimitteleinsatzes durch Vermeidung von Über- Unter- und Fehlversorgung möglich.
10.1
10
Die Arzneimitteltherapie in der medizinischen Versorgung
Arzneimittel gehören, richtig angewendet, zu den wirksamsten Instrumenten ärztlicher Hilfe. Ihr Einsatz reicht von akuten Gesundheitsstörungen über chronische Krankheiten, der Verhinderung und Verzögerung kurzfristiger und später auftretender Krankheitskomplikationen bis zur rein palliativen Schmerztherapie. Insbesondere die präventive Zielrichtung zur Minderung der Wahrscheinlichkeit schwerwiegender Hypertonie- bzw. atherothrombotisch bedingter irreversibler Endzustände wie Schlaganfall oder Herzinfarkt stellt in den westlichen Gesellschaften versorgungsepidemiologisch eines der umfangreichsten ambulanten Anwendungsfelder für Arzneimittel dar. Die Hoffnungen vieler an schwerwiegenden, bisher nur symptomatisch behandelbaren Krankheiten leidender Patienten richten sich auf die Entwicklung neuer Medikamente. Erwartet, zumindest aber erhofft, werden in naher Zukunft z. B. Neuentwicklungen gegen Demenz oder Impfstoffe im Bereich von AIDS oder auch bösartigen Erkrankungen. Der Anteil gentechnisch entwickelter Medikamente ist ständig im Wachsen begriffen: Von den derzeitig im vorklinischen oder klinischen Prüfstadium befindlichen Wirkstoffen ist jeder vierte gentechni-
scher Herkunft (Verband forschender Arzneimittelhersteller e. V. 2004).
10.1.1
Verordnungsverhalten der Ärzte
In der Entwicklungskette einer Arznei von ihrer Herstellung bis zur Wirkung am Patienten entscheidet letztlich die Verordnung durch den Arzt über Auswahl und Anwendung. Die meisten der bisher vorliegenden Daten geben Verordnungshäufigkeiten und -kosten in unterschiedlichen Versorgungssektoren und in Bezug auf Indikationsgebiete wieder. Analysen jener Faktoren, die den Verordnungsvorgang und die dabei wirksamen Entscheidungen des Arztes steuern und auch jenseits des unmittelbaren Indikationsbezugs zum konkreten Muster des rezeptierten Arzneimitteleinsatzes beitragen, sind noch zu selten durchgeführt worden. Einflüsse der Hersteller, Rahmenbedingungen des jeweiligen Gesundheitssystems, die Qualifikation der Ärztinnen und Ärzte sowie die Präferenzen der Patientinnen und Patienten gehören aber ohne Zweifel zu den erklärenden Faktoren des Verordnungsverhaltens.
10.1.2
Interne und externe Validität
Die absoluten Ausgaben für Arzneimittel lassen für sich genommen noch keine Aussage über Probleme der Effizienz und Effektivität in der Arzneimittelversorgung zu: Es stellt sich also die Frage, inwiefern sich »in sich« schlüssige Untersuchungsergebnisse in der praktischen Umsetzung bewähren und nachvollziehen lassen (interne und externe Validität). Hohe Ausgaben können sowohl die Berücksichtigung eines therapeutischen Fortschritts signalisieren, wenn die jeweiligen Mittel besonders teuer sind, sie können aber auch Hinweise auf Über- und Fehlversorgung sein und damit auf unnötig teure oder häufige Arzneimittelverordnungen. Niedrige Ausgaben können sowohl als Hinweise für Unterversorgung interpretiert werden wie auch als Signal dafür, dass vorhandene teure Innovationen zu wenig berücksichtigt werden. Studien, die durch solche differenzierten Aussagen die Bewertung einer Ausgaben-Nutzen-Relation zulassen, wur-
141
10.1 • Die Arzneimitteltherapie in der medizinischen Versorgung
den bislang selten publiziert, v. a. auch mit Blick auf das Substitutionspotenzial erkennbar teurerer Behandlungsinterventionen (z. B. die Verringerung stationärer Aufenthalte durch die konsequente Anwendung der medikamentösen Eradikationstherapie bei Magen-Darm-Ulzerationen). Auch in diesem Beitrag werden daher v. a. Aspekte zur Diskussion gestellt, die den erkennbaren Ausgabenanstieg für die Arzneimittelversorgung im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erläutern und die Plausibilität dieses Anstiegs hinterfragen. > Effektivität und Effizienz durch Vermeidung von Über- Unter- und Fehlversorgung sind notwendige Bedingungen für die Rationalität in der Arzneimittelversorgung.
10.1.3
Kurzer historischer Abriss der klinischen Pharmakologie
Dass im Hinblick auf die Begründung der Rationalität der Arzneimittelausgaben Defizite zu beklagen sind, liegt auch an der noch immer erkennbar mangelnden Kritikfähigkeit und z. T. geringen Distanz der ärztlichen und pharmakologischen Profession zu den pharmazeutischen Herstellern als Anbietern der »Instrumente« für die Arzneimittelintervention. Die pharmazeutische Industrie baute ab dem Ende des 19. Jahrhunderts nach und nach eine industrieeigene Forschung auf. Diese hielt engeren Kontakt zur Klinik als die Universitätspharmakologie, die sich v. a. der Physiologie und der physiologischen Chemie verpflichtet fühlte. Schon damals kritisierten viele Kliniker den Mangel an patientennaher Arzneimittelforschung und die schlechte Verzahnung von Klinik und Forschung. Als Reaktion darauf begann der Kliniker Paul Martini (1889–1964) in den 20er-Jahren die klinische Prüfung von Arzneimittelwirkungen auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen. Mit seinem im Jahr 1932 erschienenen Buch »Die Methodenlehre therapeutischer Untersuchungen« kam es erstmals zur Bildung von Kollektiven (Randomisierung), zum Vergleich von Krankheitsperioden und zur Anwendung statistischer Methoden. Etwa gleichzeitig führte Austin Bradford-Hill den »con-
10
trolled clinical trial« ein. Aus der Pharmakologie des 19. Jahrhunderts, die die Wirkung von Arzneimitteln an physiologischen Funktionen untersucht hatte, wurde im 20. Jahrhundert eine Pharmakologie der Wirkungsmechanismen. Bis etwa 1880 wurde noch breit mit galenischen Präparationen einer alten Pharmakopoe (das pharmazeutische Regelwerk) behandelt, die insgesamt wenig effektiv gewesen sein dürften und deren Anwendung danach rückläufig war. Die Spitalmedizin war in der Folgezeit in erster Linie eine Pflegemedizin. Beobachtung, klinische Zeichenlehre und pathoanatomische Diagnose dominierten, therapeutisch herrschte Nihilismus vor. Mit dem Aufkommen der Laboratoriumsmedizin dominierten bis etwa zum Beginn des 2. Weltkrieges Diagnostik und Pathophysiologie (Dengler 1983). Sieht man von wenigen bis dahin vorliegenden Medikamenten (die erste Insulinbehandlung fand im Jahr 1922 statt) ab, so ist das 5. und 6. Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts die Zeit der »drug explosion«, mit damals Hunderten von neuen Substanzen, die jedes Jahr neu eingeführt wurden. Erst im Jahr 1976 ergab sich durch das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts schließlich die Notwendigkeit, den Wirksamkeitsnachweis von Arzneimitteln auszubauen und die klinische Pharmakologie voranzutreiben. Die Aufgaben waren allerdings weitgehend auf Pharmakokinetik und Arzneimittelmetabolismus am Menschen sowie auf die Erfassung von Arzneimittelnebenwirkungen begrenzt. Das Gebiet der Darstellung therapeutischer Wirkungen von Arzneimitteln blieb überwiegend der Zusammenarbeit zwischen den Ärzten in der Industrie und klinisch tätigen Ärzten überlassen. Zumindest in Deutschland wurde die klinische Prüfungsmethode weitgehend von Klinikern geschaffen und weiterentwickelt (Stille 1994).
10.1.4
Klinische Pharmakotherapie in der Weiterentwicklung
Die moderne, wissenschaftlich begründete Phamakotherapie ist somit verhältnismäßig jung; eine in diesem Zusammenhang notwendige Unabhängigkeit von den Herstellern, die immer noch über ein Informationsmonopol für ihre Arzneimittel verfü-
142
Kapitel 10 • Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitssystem
gen, gelingt noch immer allzu selten. Eine industrieunabhängige Förderung von Studien zum Nutzen verschiedener Therapieoptionen im Vergleich und der Bewertung des Outcomes der jeweiligen Intervention, die keineswegs auf die Arzneimitteltherapie beschränkt sein sollte, könnte die wissenschaftlich begründete Pharmakotherapie fördern. Damit wäre der Umsetzung des 5. Sozialgesetzbuchs (SGB V) gedient. Das SGB V fordert für die GKV bei allen angewendeten Leistungen, dass der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Kenntnisse die Basis einer Therapieentscheidung sein muss, und dass der therapeutische Fortschritt berücksichtigt werden soll (§§ 2, 12 und 70). Davon sind wir in unserem medizinischen Versorgungsalltag noch immer weit entfernt.
10
10.2
Die Ausgaben für die Arzneimitteltherapie im Spiegel der Zeit
10.2.1
Entwicklung der Arzneimittelkosten
Der Einsatz von Pharmaka in der medizinischen Versorgung bewegt sich im Spannungsfeld der Problemfelder Qualität und Kosten. Über-, Unterund Fehlversorgung sind nach wie vor Realität bei der Anwendung von Arzneimitteln. Insbesondere der ambulante Versorgungssektor steht seit Jahren unter dem Druck, die Pharmakotherapie zu rationalisieren und in diesem Kontext auch Medikamentenkosten einzusparen, zumal von wissenschaftlicher und politischer Seite sowie den Ausgabenträgern in der GKV noch erhebliche Rationalisierungsreserven beim Arzneimitteleinsatz vermutet werden. Daneben gibt es jedoch auch Versorgungslücken, die durch die Implementierung von Leitlinien reduziert werden sollen. Im Rahmen der Ausgabenstatistik der GKV stellen die Arzneimittel, die öffentliche Apotheken abgeben, eine eigenständige Leistungs- bzw. Behandlungsart dar. Der Anteil, den die Arzneimittelausgaben an den gesamten Leistungsausgaben einnehmen, schwankt seit Jahren, auch infolge von Kostendämpfungsmaßnahmen: z. B. von 17,7 % (1970) über 13,4 % (1995) und 17,4 % (2003)
bis 18,7 % im Jahre 2009. Im Jahre 2009 betrug der Industrieumsatz für Humanarzneimittel auf dem
deutschen Markt EUR 25,2 Mrd. und stieg damit um 4,2 % gegenüber dem Vorjahr 2008 an (IMS Health 2009). Nach Verkaufspreisen in Apotheken berechnet, lagen die Ausgaben für alle Arzneimittel, die in der ambulanten Versorgung verbraucht wurden, bei etwa EUR 42,3 Mrd. (incl. 19 % Mehrwertsteuer). Für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) als dem größten »Nachfrager« im Arzneimittelmarkt, kamen für »Fertigarzneimittel« (also ausgenommen Rezepturen) insgesamt EUR 28,5 Mrd. zusammen (+6,8 %) (Schwabe u. Paffrath 2010). Der Umsatz zu Lasten der GKV ist allein während der vergangenen 10 Jahre um mehr als 50 % angestiegen, im Schnitt also um 5 % pro Jahr. > In den letzten 10 Jahren sind die Arzneimittelausgaben der GKV um ca. 5 % pro Jahr gestiegen.
Der hohe Zuwachs des Jahres 2009 ist vor allem auf die steigenden Verordnungsanteile von teuren sog. Spezialpräparaten (z. B. Mittel bei Krebserkrankungen, rheumatoider Arthritis oder Multipler Sklerose) zurückzuführen. Die Jahrestherapiekosten liegen bei EUR 20.000–30.000, bei Krebsmitteln reichen sie derzeit bis zu EUR 100.000 – ein therapeutischer Fortschritt ist mit diesen Mitteln allerdings nicht immer festzustellen. Seit dem Gesundheitsstrukturgesetz bzw. seit Mitte der 90er-Jahre weist der Ausgabenanteil also eine stetig steigende Tendenz auf, die auch das 2. GKV-Neuordnungsgesetz mit seinen erhöhten Zuzahlungen sowie nachfolgenden gesetzlichen Eingriffen bestenfalls abzuschwächen, aber nicht zu stoppen oder umzukehren vermochte. Während im Jahre 1997 der Ausgabenanteil für die Behandlung durch Ärzte noch um 4 Prozentpunkte über jenem der Arzneimittelausgaben lag, befinden sich diese Ausgabenanteile im Jahre 2003 fast auf dem gleichen Niveau und übersteigen seitdem die Ausgaben für das ärztliche Honorar mehr und mehr: Derzeit liegen die Arzneimittelausgaben 2 % über dem Anteil für das ärztliche Honorar. Die Arzneimittelausgaben bilden somit nach den Aufwendungen für die stationäre Behandlung die ausgabenintensivste Behandlungsart (. Abb. 10.1).
10.2 • Die Ausgaben für die Arzneimitteltherapie im Spiegel der Zeit
Ärztliche Behandlung 27,65 Mrd. € Sonstiges 5,89 Mrd. € Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen 2,44 Mrd. € Schwangerschaft/Mutterschaft 3,30 Mrd. € Fahrkosten 3,50 Mrd. € Krankengeld 7,26 Mrd. €
143
10 Arzneimittel 30,70 Mrd. € Hilfsmittel 5,21 Mrd. € Heilmittel 4,34 Mrd. €
Zahnärztliche Behandlung (ohne Zahnersatz) 8,19 Mrd. € Zahnersatz 3,03 Mrd. €
Krankenhausbehandlung 55,98 Mrd. € . Abb. 10.1 Anteile der Leistungsausgaben in der GKV von insgesamt EUR 160,4 Mrd. (Gesamtausgaben EUR 170,8 Mrd., u. a. einschl. Verwaltungsausgaben der Kassen in Höhe von EUR 8,8 Mrd.) (Quelle: GKV-Spitzenverband Bund 2010)
Die Arzneimittelausgaben für das Jahr 2009 stehen mit etwa 19 % an zweiter Stelle aller Ausgaben, nach den 35 % für die Krankenhäuser, aber vor den 17 % für die ärztliche Behandlung. Die Ausgabensteigerung bei den Arzneimitteln ist mit 6,8 % gegenüber dem Vorjahr 2008 die höchste aller großen Leistungspositionen. Dies hängt v. a. damit zusammen, dass die Ausgaben für rezeptpflichtige verordnete Mittel immer mehr ansteigen – sie lagen je Mitglied (einschl. der Rentner) im Jahre 2009 bei EUR 549,80 gegenüber EUR 522,25 im Jahre 2008 (ABDA 2010). Und obwohl die Anzahl der Verordnungen sinkt, steigen die Ausgaben immer weiter an – eine Folge der ständig teurer werdenden Mittel. Der Grund: Größere Packungen und hochpreisige Medikamente (. Abb. 10.2) > Die Ausgaben pro Verordnung zu Lasten der GKV steigen immer mehr an.
10.2.2
Kosten durch Innovationen und Analogpräparate
Die zumindest im letzten Jahrzehnt steigenden Arzneimittelausgaben der GKV lassen sich weder durch die Entwicklung neuer Arzneimittel noch durch Veränderungen der Versichertengruppe
vollständig erklären. In diesem Zeitraum haben sich weder die Anzahl der anspruchsberechtigten Versicherten noch der Anteil innovativer Arzneimittel maßgeblich verändert (s. . Tab. 10.1 und . Abb. 10.3); interessant ist also, warum die Kosten pro Verordnung steigen und gestiegen sind. Dass unter den neuen Mitteln auch Innovationen angeboten werden, die eine Verbesserung der Therapie ermöglichen, ist unbestreitbar. Hierzu zählen z. B. die Wirkstoffe Abatacept, Betain, Eculizumab oder auch Idursulfase, um nur einige zu nennen. Andererseits muss auch immer wieder bedacht werden, dass nur ein Teil der neuen Arzneimittel zur Klasse A »Innovative Wirkstoffklasse« gerechnet werden kann, zu den Arzneimitteln also, die berechtigterweise Vorteile gegenüber bisher angebotenen Arzneimitteln versprechen. Die Quote dieser Mittel unter den neuen Wirkstoffen lag in den Jahren 1994–2008 im Schnitt bei 39,5 % (. Tab. 10.1 bzw. . Abb. 10.3). Ein geringer Anteil, nämlich 21,4 %, entfällt dann noch auf gewisse Verbesserungen (z. B. werden Schmerzmittel durch technologische Innovation um die Anwendungsform »Pflaster« erweitert), der Rest der neuen Arzneimittel insgesamt gehört während der vergangenen 15 Jahre mit 39,1 % eher in die Kategorie »Unnötig, aber teuer« (Analogpräparate oder »Scheininnovationen«). Im Jahr 2009 schlug der
Kapitel 10 • Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitssystem
2.000
28,5
Verordnungen
Umsatz
26,7
1.800 24,1
Verordnungen (in Mio. Packungen)
30
1.600
22,7
23,6 23,7
24,8
25
21,7
21,3
1.400 1.200 14,8
1.000
16,9
17,1 1.063 1.015
800
17,7 17,4
18,3 18,8
19,3
20
15,8 15,1 944
915
973
15
939 833
806 782
749 760 761
749 570 591 574
600
582
608 626
400
10
Umsatz (in Mrd. Euro)
144
5
200 0
0 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009
10
. Abb. 10.2 2010, S. 4)
Entwicklung von Verordnungsmenge und Arzneimittelausgaben in der GKV (Mod. nach Schwabe u. Paffrath
Umsatz der Analogpräparate mit EUR 5,9 Mrd. zu Buche (Schwabe u. Paffrath 2010, S. 31). Die Strategien und Tricks der Hersteller, angeblich innovative Mittel auf den Markt zu bringen, die sich dann bei näherer Betrachtung doch nur als vermeintlich neue Mittel, also als Scheininnovationen herausstellen, sind nicht immer leicht durchschaubar. z
Racemate
Bei Racematen, also Substanzen, die spiegelgleich aus rechts- und linksdrehenden Elementen bestehen, werden beispielsweise die Stereoisomere getrennt. Das neue Arzneimittel basiert dann nur z. B. auf der linksdrehenden Form, die allerdings in der Wirkung und auch den unerwünschten Wirkungen mit dem Racemat vergleichbar bleibt. Diese Strategie wenden Hersteller oftmals dann an, wenn das Racematprodukt besonders erfolgreich war und ein Folgeprodukt auf den Markt »gedrückt« werden soll, das mit neuen Daten, die eine Verbesserung gegenüber dem Vorläuferprodukt suggerieren, in Konkurrenz zu den Generika des Erstprodukts ver-
marktet wird. Leider haben solche Strategien auch noch Erfolg: 5 AstraZeneca lässt dem Racemat des Magenmittels Omeprazol (Antra) den linksdrehenden Wirkstoff Esomeprazol (in Nexium) folgen. 5 Die Firma UCB lässt dem Antihistaminikum Cetirizin (in Zyrtec) den linksdrehenden Wirkstoff Levocetirizin (in Xusal) folgen. 5 Die Firma Essex Pharma vermarktet nach dem Loratadin-haltigen Mittel Lorano das linksdrehende Desloratadin-haltige Mittel Aerius. Natürlich sind die neuen Mittel erheblich teurer als die Vorgängerprodukte, die Strategie zur Profitmaximierung, die letztlich doch mit der Unkenntnis der Anwender »spielt«, geht offensichtlich noch immer auf. z
Hormonale Kontrazeptiva
Bei hormonalen Kontrazeptiva (»Antibabypille«) werden die Zusammensetzungen der Kombinationen aus Östrogenen und Gestagenen üblicherweise dann verändert, wenn der Patentschutz des
10
145
10.2 • Die Ausgaben für die Arzneimitteltherapie im Spiegel der Zeit
45 Gesamtzahl Innovative Wirkstoffe (Klasse A) Verbesserung (Klasse B)
40 35 30 25 20 15 10 5 0 1994 . Abb. 10.3
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
Neu eingeführte Arzneimittel der Jahre 1994 bis 2008 (Mod. nach Schwabe u. Paffrath 2009, S. 46)
Erstanbieterproduktes ausläuft, um neue Mittel in den Markt einzuführen. Nun ist aber seit langem bekannt, dass sich die «Standardkombination« aus möglichst niedrig dosiertem Ethinylöstradiol (als Östrogen) und Levonorgestrel (als Gestagen) unter Wirksamkeits- und Verträglichkeitsaspekten bewährt hat. Diese Mittel der sog. 2. Generation werden aber im Markt ersetzt durch neue Kombinationen der 3. und der 4. Generation, in denen andere Gestagene wie Desogestrel (z. B. in Lamuna oder Desmin) oder Drospirenon (z. B. Yasmin, Yasiminelle, Aida oder Petibelle) kombiniert werden und die dann als innovative »Pillen« vermarktet werden. Bekannt ist allerdings, dass Desogestrel-haltige Mittel ein deutlich höheres Risiko für Thrombosehäufigkeit haben als Mittel mit Levonorgestrel, und bei den Drospirenon-haltigen Pillen ist das Thromboserisiko ebenfalls erhöht (at 2010, 54). Die Wirksamkeit, Verträglichkeit und Zuverlässigkeit bei all diesen Pillen ist aber vergleichbar. Wenn jedoch solche Innovationen keine Vorteile haben, wenn sie also eher Scheininnovationen sind, und gleichzeitig häufiger unerwünschte Wirkungen oder Unsicherheiten hinsichtlich der Verträglichkeit und Unbedenklichkeit auftreten, werden Scheininnovationen
nicht nur teure und gleichzeitig unnötige Alternativen, sondern sogar Auslöser für gravierende unerwünschte Wirkungen bei gesunden Frauen. Der Erfolg solcher neuen Pillen ist daher im höchsten Maße unerwünscht und problematisch – Ärztinnen und Ärzte sollten sie nicht verordnen. z
Molekülvariationen
Oftmals schwer durchschaubare Molekülvariationen erfolgreicher Wirkstoffe sind eine weitere Strategie, Scheininnovationen zu vermarkten. So folgten dem wirksamen Oralcephalosporin Cefuroxim (z. B. in Cefuroxim ratiopharm oder Zinacef) die Wirkstoffe Ceftibuten (in Keimax) und Loracarbef (in Lorafem). Dazu bemerkt Kern (2009, S. 289):
»
Eine klinische Überlegenheit dieser neueren Präparate gegenüber Cefuroxim bei der Behandlung von Atemwegsinfektionen ist nicht gesichert und auch nicht zu erwarten.
«
Die Mittel sind um das 2–3-fache teurer, ein erkennbarer Zusatznutzen gegenüber dem bewährten Mittel Cefuroxim ist nicht zu erwarten.
Kapitel 10 • Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitssystem
146
. Tab. 10.1 Markteinführung innovativer Arzneistoffe mit der Anzahl innovativer und verbesserter Wirkstoffe (Mod. nach Schwabe u. Paffrath 2009, S. 46) Jahr
1994
10
Gesamtzahl
Innovative Wirkstoffe (Klasse A)
Verbesserung (Klasse B)
N
absolut
[%]
absolut
[%]
21
7
33,33
10
47,62
1995
32
12
37,50
9
28,13
1996
40
11
27,50
13
32,50
1997
41
8
19,51
9
21,95
1998
35
12
34,29
5
14,29
1999
29
11
37,93
2
6,90
2000
31
13
41,94
9
29,03
2001
33
15
45,45
7
21,21
2002
28
10
35,71
5
17,86
2003
17
7
41,18
3
17,65
2004
33
15
45,45
3
9,09
2005
21
10
47,62
2
9,52
2006
27
17
62,96
8
29,63
2007
31
17
54,84
4
12,90
2008
29
12
41,38
7
24,14
Gesamt
448
177
39,51
96
21,43
Klasse A »Innovative Struktur oder neuartiges Wirkprinzip mit therapeutischer Relevanz« Klasse B »Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Eigenschaften bereits bekannter Wirkprinzipien« Gesamtzahl Summe der Klassen A, B, sowie C: »Analogpräparat mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten« und D: »Nicht ausreichend gesichertes Wirkprinzip oder unklarer therapeutischer Stellenwert« (Klassendefinition Fricke, 2009, S. 68). C und D nicht in der Tabelle aufgeführt
z
Neue Arzneimittel als »Profitressource«
Dass in diesem Segment die Arzneimittelausgaben besonders hoch ausfallen, hat auch damit zu tun, dass pharmazeutische Hersteller bei neuen patentgeschützten Arzneimitteln die Preise selber festsetzen konnten – ohne Intervention der Kassen oder staatlicher Gremien. Neue Arzneimittel wurden somit zur wichtigsten »Profitressource« für die pharmazeutische Industrie und gleichzeitig zur größten Belastung für die GKV. Denn auf der Basis der Herstellerabgabepreise werden alle weiteren Aufschläge gesetzlich geregelt. Ein Arzneimittel, das die GKV EUR 100 kostet, hat einen Herstellerabgabepreis von EUR 70,11, der Staat er-
hebt Euro 15,97 MwSt., die Apotheken bekommen EUR 8,26 (unter Berücksichtigung des GKV-Apothekenabschlags von Euro 2,05), der Großhandel Euro 3,61. Schon an diesen Zusammenhängen ist die Notwendigkeit einer konsequenten Nutzenund Kosten-Nutzenbewertung bei neuen Arzneimitteln erkennbar: Da, wo kein Zusatznutzen festgestellt werden kann, erübrigt sich auch jede Kosten-Nutzen-Bewertung. > Bei neuen patentgeschützten Arzneimitteln hatte der Hersteller bisher das Privileg, den Herstellerabgabepreis ohne Verhandlungen und ohne Kosten-Nutzen-
10.3 • Einflussgröße Strukturkomponente und Analogpräparate
Bewertung selbst festzusetzen. Seit 2011 sollen Herstellerangaben zur Beurteilung der Nutzen- und Kosteneffektivität herangezogen werden. z
Kosten-Nutzenbewertung
Die nun seit dem 1. 4. 2007 gesetzlich verankerte Kosten-Nutzen-Bewertung soll helfen, eine gewisse Rationalität in das Preisgefüge neuer Arzneimittel zu bringen. Das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG), das seit dem 1. Januar 2011 in Kraft ist, greift diese defizitären Regelungen in der Preisfestsetzung für neue Arzneimittel auf und will über eine Schnellbewertung 3 Monate nach der Zulassung und auf der Basis eines Herstellerdossiers die Basis für eine Nutzen- und eine Kosten-Nutzen-Bewertung schaffen (da die Zulassung von Arzneimitteln nicht an den Nachweis von Nutzen- und Kosteneffektivität gebunden ist). Ob dies allerdings allein auf der Basis von herstellergesponserten klinischen Studien gelingen kann, muss sich erst noch erweisen. Zweifel sind zumindest angebracht.
10.3
Einflussgröße Strukturkomponente und Analogpräparate
10.3.1
Trend zu teuren Analogpräparaten
Die zentrale Einflussgröße des Wachstums der Arzneimittelausgaben in der GKV, nämlich die sog. Strukturkomponente, geht zumindest teilweise auf die Verschreibung von teuren Analogpräparaten zurück (SVR 2006). Wie . Abb. 10.2 veranschaulicht, entwickelten sich in den letzten 10 Jahren die Ausgaben der GKV für Arzneimittel und die entsprechenden Verordnungen gegenläufig, d. h. die Ärzte verordnen zunehmend zwar weniger, dafür aber teurere Arzneimittel. Dabei entwickelten sich die Arzneimittelpreise in den beiden zentralen Teilmärkten allerdings unterschiedlich: 5 Im Festbetragssegment gingen sie vor allem durch die Verordnung von Generika spürbar zurück,
147
10
5 im Nicht-Festbetragssegment, das vor allem die patentgeschützten Präparate umfasst, stiegen sie spürbar an. Insgesamt betrachtet führt dies dazu, dass die Durchschnittspreise für Arzneimittel im internationalen Vergleich nahezu unauffällig sind – die relativ niedrigen Preise im Generikaverordnungsmarkt (knapp 70 % der Gesamtverordnungen und 37 % vom Umsatz) »ziehen« die Durchschnittspreise trotz der teuren Analog- und Spezialpräparate deutlich »nach unten«. Das Wachstum der Arzneimittelausgaben ging somit zum weit überwiegenden Teil auf die Strukturkomponente zurück, die sich aus dem Inter- und Intramedikamenteneffekt zusammensetzt. Der Intermedikamenteneffekt erfasst Umsatzveränderungen, die aus einem Wechsel zu anderen Arzneimitteln resultieren, der Intramedikamenteneffekt zeigt entsprechende Veränderungen an, die bei identischen Arzneimitteln aus einem Wechsel zu anderen Packungsgrößen, Darreichungsformen und Wirkungsstärken erwachsen. Dabei dominierte in den letzten Jahren eindeutig der Intermedikamenteneffekt, d. h. die Substitution von älteren Arzneimitteln durch neue Präparate mit höheren Preisen führte zu dem Anstieg der Arzneimittelausgaben. Der Rückgang der Verordnungszahlen und der positive Intermedikamenteneffekt deuten darauf hin, dass im Arzneimittelbereich – anders als z. B. in der medizinischen Diagnostik – neue und teurere Präparate nicht zu den etablierten Medikamenten zusätzlich hinzutreten, sondern diese verdrängen. Insgesamt musste die GKV im Jahre 2009 mehr denn je für die Verordnung von patentgeschützten Arzneimitteln ausgeben. Für 55,7 Mio. Packungen (+6,6 % gegenüber dem Vorjahr) wurden EUR 10,1 Mrd. ausgegeben, 15 % oder EUR 1,3 Mrd. mehr als im Vorjahr. Insgesamt entfielen auf diese Gruppe 8,2 % der zu Lasten der GKV verordneten Packungen, aber 35,4 % der Ausgaben (proGenerika 2010).
148
Kapitel 10 • Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitssystem
> Die Kostensteigerungen durch Arzneimittel sind u. a. darauf zurück zu führen, dass bewährte preisgünstige Arzneimittel durch neue, patentgeschützte und teure Analogpräparate verdrängt werden.
10.3.2
10
Umgang mit dem Intermedikamenteneffekt
Der Intermedikamenteneffekt misst bei positivem Vorzeichen sowohl Substitutionen von Präparaten mit niedrigeren Preisen durch teurere Arzneimittelinnovationen mit therapeutischer Relevanz als auch den Ersatz von preiswerteren Medikamenten durch höherpreisige Analogpräparate, die häufig keinen zusätzlichen therapeutischen Nutzen stiften. Sofern Arzneimittelinnovationen einen größeren therapeutischen Nutzen aufweisen als bisher verfügbare Präparate, erhöhen sie über eine Verbesserung der Effektivität der Behandlung auch die Wohlfahrt der Patienten. Handelt es sich jedoch um Medikamente ohne relevante Vorteile (Analogpräparate), die an die Stelle preiswerterer Alternativen treten, liegt eine ineffiziente Ressourcenallokation vor, d. h. die Strukturkomponente spiegelt dann verdeckte Preissteigerungen wider. In diesem Kontext zielt im Übrigen eine Nutzenmessung und -bewertung der patentgeschützten Präparate darauf ab, bei Analogpräparaten eine Erstattungsobergrenze für die GKV in Form eines Festbetrages einzuführen. Patentgeschützte Arzneimittel mit unstrittiger therapeutischer Relevanz bleiben hiervon ausgenommen. Eine solche »vierte Hürde«, die neben der Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels zusätzlich die Analyse seiner Kosten-Effektivität vorsieht, verstößt nicht gegen marktwirtschaftliche Prinzipien, denn mit der fehlenden Preissensibilität der Nachfrage liegen die Voraussetzungen einer effizienten marktwirtschaftlichen Koordination hier gar nicht vor. Beim Ersatz von teuren Analogpräparaten und bei der konsequenten Substitution durch generikafähige Wirkstoffe kommt es zu einem permanenten Zufluss von Rationalisierungsmöglichkeiten. Sofern der Patentschutz von umsatzstarken Arzneimitteln ausläuft, kann das Einsparpotenzial durch
die Generikasubstitution dann zunehmen, wenn die Ärzte verstärkt Zweitanmelderpräparate verordnen. Die Veränderung des Einsparpotenzials im generikafähigen Markt lässt aber für sich betrachtet noch keine Aussagen über die Effizienz der Arzneimittelversorgung zu. Analogpräparate enthalten als patentfähige Substanzen neue Wirkstoffmoleküle mit – im Vergleich zu bereits bekannten Arzneimitteln – analogen pharmakologischen und klinischen Wirkungen. Diese chemischen Innovationen können wegen verbesserter Pharmakokinetik und/ oder verminderter Nebenwirkungen mit therapeutischen Vorzügen einhergehen, besitzen jedoch zumeist keine therapeutischen Vorzüge gegenüber bereits eingeführten Wirkstoffen. Da wegen der Möglichkeit für die Hersteller, die Preise für neue patentgeschützte Arzneimittel selber festsetzen zu können, die Gruppe der Analogpräparate in den letzten Jahren weiter anwuchs (»ökonomische Innovationen«), kommt ihr für die Ausschöpfung von Rationalisierungspotenzialen künftig eine größere Bedeutung zu als die bisher bereits stärker genutzten Einsparmöglichkeiten bei der Substitution durch Generika. Analogpräparate bieten aber nicht per se einen Ansatzpunkt für Rationalisierungsmaßnahmen. Sie können, wenn sie preisgünstiger als das ursprüngliche Innovationsprodukt sind, im Wettbewerb mit diesem Preissenkungsprozesse auslösen. Unter Rationalisierungsaspekten kommt es darauf an, ob das jeweilige Analogpräparat mit teureren oder preiswerteren Medikamenten mit ähnlichen oder gleichartigen Wirkungen konkurriert.
10.4
Umsatzstärkste Arzneimittel (»Blockbuster«)
Um die Ausgabensteigerungen in der GKV qualifizieren zu können, müssen auch die verordneten Mittel, die in besonderem Maße zu den Ausgaben beigetragen haben, kritisch bewertet werden. Die Aufstellung der umsatzstärksten Arzneimittel kann hierfür erste Anhaltspunkte bieten, da der jeweilige Umsatz von Arzneimitteln in den meisten Fällen durch die Verordnungen im Rahmen der GKV zustande kommt – dies ist schließlich der größte und
. Tab. 10.2 2010, S. 12)
10
149
10.4 • Umsatzstärkste Arzneimittel (»Blockbuster«)
Die 20 umsatzstärksten patentgeschützten Arzneimittel 2009 in der GKV (Mod. nach Schwabe u. Paffrath
Rang
Präparat (Wirkstoff )
Anwendungsgebiet
Umsatz 2009 (Millionen Euro)
+ / - gegenüber 2008 [%]
1
Humira (Adalimumab)
U. a. rheumatoide Arthritis
421,7
+26,4
2
Enbrel (Etanercept)
U. a. rheumatoide Arthritis
361,4
+18,9
3
Symbicort (Formoterol + Budesonid)
Asthma/COPD
278,7
+13,1
4
Rebif (Interferon beta-1a)
Multiple Sklerose
270,1
+12,8
5
Spiriva (Tiotropiumbromid)
COPD
263,9
+19,9
6
Glivec (Imatinib)
Krebs
262,6
+13,8
7
Zyprexa (Olanzapin)
U. a. Schizophrenie
259,7
+214,5
8
Seroquel (Quetiapin)
U. a. Schizophrenie
259,3
+24,1
9
Viani (Salmeterol + Fluticason)
Asthma/COPD
241,6
+7,6
10
Copaxone (Glatirameracetat)
Multiple Sklerose
236,5
+26,1
11
234,6
+13,8
Avonex (Interferon beta-1a)
Multiple Sklerose
12
Lyrica (Pregabalin)
Epilepsie; neuropath. Schmerz
220,7
+25,5
13
Betaferon (Interferon beta-1a)
Multiple Sklerose
215,7
-3,9
14
Clexane (Enoxaparin)
Thromboseprophylaxe
196,7
+15,3
15
Sifrol (Pramipexol)
Parkinson
177,7
+14,7
16
Inegy (Simvastatin + Ezetimib)
Zu hoher Cholesterinspiegel
171,6
-0,2
17
Lantus (Insulin glargin)
Diabetes
170,1
+5,2
18
Keppra (Levetiracetam)
Epilepsie
169,7
+34,4
19
Remicade (Infliximab)
U. a. rheumatoide Arthritis
157,2
+24,7
20
Arimidex (Anastrozol)
U. a. Brustkrebs
149,3
+11,4
13.200
+6,8
Gesamtumsatz von patentgeschützten Arzneimitteln in der GKV
ökonomisch interessanteste Absatzmarkt für die pharmazeutischen Hersteller. Die 20 umsatzstärksten patentgeschützten Arzneimittel (. Tab. 10.2) kommen aus Indikationsgruppen, bei denen mehr und mehr sog. Spezialpräparate eine Rolle spielen (MS, rheumatoide Arthritis, Onkologie). Daneben spielen noch immer Arzneimittel zur Behandlung chronischer Krankheiten wie Asthma oder Diabetes eine große Rolle.
Bei vielen der aufgeführten Top-20-Arzneimittel sind erhebliche Umsatzsteigerungen seit dem vergangenen Jahr erkennbar, wie z. B. für Humira (+26,4 %) oder Enbrel (+18,9 %). Die prozentuale Umsatzsteigerung für Zyprexa (Wirkstoff: Olanzapin) (+214,5 %) wurde durch die rechtliche Bestätigung des Patentschutzes möglich; es durften keine Generika mit diesem Wirkstoff mehr verkauft werden, so dass sämtliche Verordnungen wieder auf dieses Präparat fielen. Auch für Mittel wie Seroquel
150
10
Kapitel 10 • Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitssystem
(+24,1 %) oder Lyrica (+25,5 %) gibt es auffällige Steigerungsraten, obwohl es für diese Produkte kostengünstigere Alternativen gibt. Das Kostenbewusstsein vieler Ärztinnen und Ärzte scheint in diesen Fällen nur ungenügend ausgeprägt zu sein, vielleicht auch unterstützt durch die absatz- und umsatzfördernde Tätigkeit von 16.000 Pharmareferenten, die pro Jahr 25 Mio. »Verkaufsbesuche« in Arztpraxen machen – und das zeigt offensichtlich Wirkung! (Glaeske 2010; 7 Kap. 11) Diese Besuche werden im Übrigen aus dem Umsatzanteil finanziert, der für Marketing und Vertrieb aufgewendet wird (30–35 %), während nur 10–15 % des Umsatzes in den Bereich der Forschung investiert werden. Wahrscheinlich ist dieser Forschungsanteil übertrieben hochgerechnet; aktuelle Publikationen weisen darauf hin, dass die Erforschung eines neuen Arzneimittels nicht zwischen EUR 800 Mio. und 1,2 Mrd., sondern lediglich mit EUR 43,5–60 Mio. anzusetzen ist (at 2011, S. 41 f.). Die überwiegende Anzahl der führenden patentgeschützten Arzneimittel im GKV-Umsatz (17 der führenden 20 patentgeschützten Arzneimittel) ist auch unter den 20 Blockbustern (Hochumsatzprodukten) der industriellen Umsätze zu finden. Bei den 3 fehlenden umsatzstärksten Arzneimitteln der Industrie handelt es sich um das patentfreie Omep (Wirkstoff: Omeprazol, Rang 16 des industriellen Umsatzes) gegen Magen-Darm-Ulzera, um Plavix zur Infarktprophylaxe (Clopidogrel, Rang 18), ebenfalls ohne Patentschutz und um Tebonin, ein Ginkgo-Präparat ohne Rezeptpflicht (Rang 20), u. a. gegen Gedächtnisstörungen. Auf die 20 Hochumsatzprodukte entfallen mit EUR 3,3 Mrd. bereits 13,1 % des gesamten Industrie-Umsatzes von EUR 25,2 Mrd. (gegenüber 2008 ein Zuwachs von 4,2 %) (IMS Health 2009) – eine auffällige Konzentration auf wenige Produkte und wenige Firmen. Dass diese wenigen, umsatzstärksten Produkte allerdings nur zu einem eher eingeschränkten Teil gleichzeitig einen therapeutischen Fortschritt bedeuten, hat schon 2008 das arznei-telegramm in einem Vergleich der im Jahr 1997 umsatzstärksten Arzneimittel mit denen des Jahres 2007 in Zweifel gezogen (at 2008, S. 66). Für das Jahr 2007 bewertet das arznei-telegramm nur noch Glivec und Betaferon als »Mittel der Wahl«. »Mittel der Reserve« ist die Einstufung für Symbicort oder Enbrel, als
Varianten ohne besonderen Stellenwert gelten z. B. Rebif, Humira oder Seroquel. Als »umstritten« (»Scheininnovationen«) werden z. B. Viani, Inegy, Copaxone oder auch Lantus klassifiziert (at 2008). Im Jahr 1997 wurden die umsatzstärksten Mittel überwiegend positiv bewertet: Fast zwei Drittel der Präparate galten als »Mittel der Wahl« (z. B. Antra, Gen-Hb-Vax, Zocor, Beloc, Actraphane, Depot-HInsulin Hoechst, Pulmicort, Sandimmun, Xanef oder Engerix-B). Nur der geringere Anteil entfiel auf die Kategorien »Variante ohne besonderen Stellenwert« (»Scheininnovationen« wie z. B. Mevinacor oder Norvasc) oder »Zweifelhaftes Therapieprinzip« (wie z. B. Glucobay). In der Zusammenfassung heißt es im arznei-telegramm (2008, S. 66):
» 1997 dienten die umsatzstärksten Arzneimittel hauptsächlich der Behandlung chronischer ‚Volkskrankheiten‘. Die meisten der 15 Marktführer waren bereits länger als 10 Jahre im Handel und wurden schon damals … als Mittel der Wahl oder Reserve eingestuft … Die [aktuell] umsatzstärksten Arzneimittel … erscheinen uns überwiegend als nicht zweckmäßig und zum Teil riskant … Im Vergleich zu den … umsatzstärksten Mitteln des Jahres 1997 wird [aktuell] beträchtlich mehr Geld für Therapien ausgegeben, die schlechter abgesichert sind.
«
> Im Vergleich zur letzten Dekade sind die umsatzstärksten Arzneimitteltherapien heute wesentlich teurer und überwiegend als »nicht zweckmäßig« und zum Teil als »riskant« einzuordnen.
Die folgenden Tabellen zeigen noch einmal beispielhaft die Veränderungen aus den Jahren 2005 und 2009. Während die am häufigsten verordneten Mittel relativ ähnlich bleiben (. Tab. 10.3, . Tab. 10.4), fallen die Unterschiede bei den Arzneimitteln nach Umsatz sofort auf (. Tab. 10.5, . Tab. 10.6). Die Spezialpräparate (z. B. Tyrosinkinasehemmer wie Glivec oder TNF-Antagonisten wie Humira oder Enbrel) haben deutlich im Verordnungs- und Umsatzvolumen zugelegt, ob immer leitliniengerecht zum Nutzen der Patientinnen und Patienten, wurde bisher nicht ausreichend untersucht. Offensichtlich besteht unabhängig von evidenzbasierten Nutzenbewertungen eine große Neigung bei den Verordnern, diese neuen Behand-
151
10.4 • Umsatzstärkste Arzneimittel (»Blockbuster«)
. Tab. 10.3 S. 1023)
10
Führende Arzneimittel 2005 in der GKV nach Verordnungen. (Aus Schwabe u. Paffrath 2007,
Rang
Präparat
Verordnungen (in Tausend)
Umsatz (in Tausend Euro)
DDD (in Tausend)
1
L-Thyroxin Henning
6713,1
99126,7
416664,7
2
120113,4
Voltaren/-Migräne/-Dolo
4576,0
59738,0
3
Beloc
3907,4
125148,9
191969,6
4
Pantozol
3905,8
281183,2
138494,8
5
Nexium Mups
3899,9
259883
169801
6
Diclofenac-ratiopharm
3681,4
46672,1
105406
7
Novaminsulfon-ratiopharm
2977,7
41234,9
27825
8
Euthyrox
2779,7
41057,5
172671,9
9
Diclac
2761,5
34114,2
74237,3
10
Voltaren topisch
2695,3
34751,7
25003,7
DDD defined daily dose
. Tab. 10.4
Führende Arzneimittel 2009 in der GKV nach Verordnungen. (Aus Schwabe u. Paffrath 2010, S. 991)
Rang
Präparat
Verordnungen (in Tausend)
Umsatz (in Tausend Euro)
DDD (in Tausend)
1
L-Thyroxin Henning
6348,2
96394,3
392452,7
2
MetoHEXAL
5252,1
101728,1
283634,6
3
Novaminsulfon-ratiopharm
4477,0
60899,1
41852,4
4
Omep
4106,2
181994,0
289947,9
5
L-ThyroxHEXAL
3494,7
50715,1
213163,2
6
Simvastatin- 1 A Pharma
3427,7
78976,0
311529,7
7
Metamizol HEXAL
3255,6
44406,5
28119,7
8
Voltaren
3166,9
41207,1
106068,5
9
Ibuprofen AL
3097,6
34300,1
61717,7
10
Diclofenac-ratiopharm
2950,0
35193,8
87134,0
DDD defined daily dose
lungsmöglichkeiten bei belastenden Krankheiten einzusetzen – die freie Preisfestsetzungsmöglichkeit der Hersteller (manche sprechen von »Mondpreisen«) wirkt sich in diesen Fällen besonders deutlich aus.
> Bei Spezialpräparaten für Krankheiten mit hoher Sterbewahrscheinlichkeit und Arzneimitteln für chronische Krankheiten ist die Bereitschaft, neue und teure Präparate zu verschreiben besonders hoch,
Kapitel 10 • Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitssystem
152
. Tab. 10.5 S. 1023–1081
Führende Arzneimittel 2005 in der GKV nach Umsatz. (Mod. nach Schwabe u. Paffrath 2007,
Rang
Präparat
Verordnungen (in Tausend)
Umsatz (in Tausend Euro)
DDD (in Tausend)
1
Durogesic
1472,7
306208,8
44293,1
2
Pantozol
3905,8
281183,2
138494,8
3
Nexium Mups
3899,9
259883,0
169801
4
Plavix
1061,2
205679,0
81655,3
5
Zyprexa
853,4
191948,9
28881,6
6
Risperdal
1203,2
187211,4
25160,1
7
Viani
1743,8
178833,4
75575
8
Rebif
126,1
177760,2
2675,9
9
Iscover
862,3
170729,4
67938,8
10
Enbrel
80,3
167777,4
2745,5
DDD defined daily dose
10
. Tab. 10.6 S. 991–1050)
Führende Arzneimittel 2009 in der GKV nach Umsatz. (Mod. nach Schwabe u. Paffrath 2010,
Rang
Präparat
Verordnungen (in Tausend)
Umsatz (in Tausend Euro)
DDD (in Tausend)
1
Humira
97,3
421744,5
6562,8
2
Enbrel
105,4
361359,2
5889,5
3
Symbicort
2097,6
278711,5
103477,0
4
Rebif
163,6
270124,2
3538,4
5
Spiriva
1933,1
263916,0
130495,3
6
Glivec
41,9
262571,8
1880,6
7
Zyprexa
669,4
259707,0
32699,4
8
Seroquel
1170,6
259278,5
33275,0
9
Viani
1633,1
241637,8
86962,9
10
Copaxone
159,7
236544,6
4472,5
DDD defined daily dose
unabhängig davon, ob ein Zusatznutzen gegenüber bewährten und preisgünstigeren Mitteln besteht.
10.5
Mehr Effektivität und Effizienz durch gestiegene Ausgaben?
Es rückt daher immer mehr die Frage in den Mittelpunkt, ob die gestiegenen Ausgaben im Sinne der Effektivität und Effizienz positiv zu bewerten
153
10.5 • Mehr Effektivität und Effizienz durch gestiegene Ausgaben?
sind. Schließlich sagen die absoluten Ausgabensteigerungen noch wenig über den Nutzen einer Arzneimitteltherapie aus – die Gleichungen: »Teuer ist auch besser« und »neu bedeutet auch fortschrittlich« sind bekanntlich nur selten zutreffend. In der Arzneimittelversorgung liegt nämlich dann ein Rationalisierungspotenzial vor, wenn Medikamente 5 keine oder nur eine fragwürdige therapeutische Wirksamkeit besitzen, 5 eine geringere therapeutische Wirksamkeit aufweisen als Präparate mit gleichen oder niedrigeren Preisen und 5 keine höhere therapeutische Wirksamkeit entfalten als preiswertere Arzneimittel. Daher muss in jedem einzelnen Fall bewertet werden, welcher Gruppe die jeweiligen Mittel zuzurechnen sind, um unnötige Ausgabenbelastungen erkennen zu können. In einem solchen Fall wären hohe Ausgaben letztlich Verschwendung, weil sich ein therapeutischer Erfolg wahrscheinlich gar nicht einstellt oder mit kostengünstigeren Möglichkeiten erreichen ließe.
10.5.1
Beispiele für kostenintensive Arzneimittel
Spitzenreiter im Umsatz der pharmazeutischen Hersteller, aber auch im Bereich der GKV-Verordnungskosten, sind die beiden TNF-Antagonisten Adalimumab und Etanercept. Mit diesen beiden Mitteln kann bei bestimmten Patientinnen und Patienten ein therapeutischer Fortschritt in der Behandlung der aktiven rheumatoiden Arthritis und des Morbus Crohn erreicht werden (Manger et al. 2007). Ziel ist es, die Erkrankung »rheumatoide Arthritis« in eine dauerhafte Remission zu bringen. Eine Indikation ist erst dann gegeben, wenn andere remissionsinduzierende Mittel nur unzureichend wirken. Nach den Richtlinien der Kommission Pharmakotherapie der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie sollen diese Mittel nur dann
eingesetzt werden, wenn 5 die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis gesichert ist,
10
5 die aktive Erkrankung trotz mindestens zweier Basistherapien (über einen Zeitraum von 6 Monaten einzeln oder in Kombination), darunter MTX (falls nicht kontraindiziert), fortbesteht (in speziell begründeten Fällen ist allerdings auch ein früherer Einsatz möglich) und 5 eine kontinuierliche Betreuung (zumindest alle 3–6 Monate) und Dokumentation – in der Regel durch einen internistischen Rheumatologen – gewährleistet ist. Schon die direkten Jahrestherapiekosten von etwa EUR 16.000–24.000 machen einen sorgfältigen Umgang mit diesen Mitteln erforderlich. z
Imatinib
Der Tyrosinkinasehemmer Imatinib (in Glivec, s. Tabelle 10.2, Rang 6) wird seit vielen Jahren erfolgreich als Zytostatikum eingesetzt und hat in der GKV inzwischen rund 40 % des Umsatzes aller Fertigarzneimittel bei den Zytostatika erreicht. Auf dieses Mittel entfallen, je nach Dosierung, rund EUR 50.000 Jahrestherapiekosten. Es ist indiziert bei der Philadelphia-Chromosom-positiven chronischen myeloischen Leukämie in der chronischen Phase nach dem Versagen einer Interferonalfa-Therapie. Imatinib hat die Therapie dieser Erkrankung nachhaltig verbessert, indem es z. B. die 5-Jahres-Überlebensrate nach medianer Nachbeobachtung von 5 Jahren auf 89 % erhöhte, während diese unter einer Behandlung von Interferon alfa und Cytarabin 68–70 % betrug (Institut für Arzneimittelinformation 2010, S. 1499). z
Seroquel und Lyrica
Unter den umsatzstärksten Arzneimitteln sind auch Seroquel und Lyrica, bei denen Zweifel an der häufigen Verordnung angebracht erscheint, da die Diskussionen um einen Zusatznutzen keineswegs abgeschlossen sind (vgl. Kassenärztliche Bundesvereinigung 2006/2007). Für Lyrica sind belegte Vorteile bisher nicht eindeutig, der Preisunterschied zu Mitteln mit Gabapentin (Tagesdosierungskosten EUR 4,47 gegenüber EUR 2,87) oder zu Carbamazepin (EUR 4,47 gegenüber EUR 0,69) macht eine Diskussion von Effektivität und Effizienz dringend erforderlich. Es ist daher sicher-
154
Kapitel 10 • Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitssystem
lich erforderlich, beim Verordnungsumfang dieser Mittel, die der Klasse von Analogpräparaten ohne bisher klar erkennbaren Zusatznutzen angehören, die Rationalisierungspotenziale durch die Verwendung bewährter und kostengünstiger Mittel zu nutzen (die Kosten der Tagesdosierung sind entnommen Schwabe u. Paffrath 2009). z
10
Inegy und Tebonin
Das gleiche gilt in besonderer Weise für die Kombination von Simvastatin und Ezetemib (Inegy, Rang 16). Rund 8 Jahre nach Markteinführung liegen für dieses Mittel noch immer keine überzeugenden Belege für einen Zusatznutzen gegenüber Simvastatin allein vor, das Mittel ist in den Tagesdosierungskosten rund 7–8-mal teurer (Kastelein et al. 2008). An diesem Mittel sollte daher ebenso gespart werden wie an dem Präparat Tebonin, das zwar noch immer als Antidementivum verordnet werden kann, für das aber keine konsistente und überzeugende Evidenz bei Patientinnen und Patienten mit Demenz oder kognitiven Störungen vorliegt (DeKosky et al. 2008). Auch hier gibt es erhebliche Rationalisierungspotenziale.
10.5.2
Einsparmöglichkeiten
Es gibt viele andere Präparate, an denen gespart werden könnte. Der Deutsche Markt ist voll von me-too-Produkten, von Analogpräparaten ohne Zusatznutzen, die als »ökonomische Innovationen« gekennzeichnet werden können, da die Firmen mit diesen Produkten das alleinige Ziel verfolgen, in umsatzstarken Indikationsbereichen mit zwar neuen und deshalb patentgeschützten, dennoch aber keineswegs besseren Präparaten Gewinne zu machen. Daher ist es wichtig, bei diesen Präparaten und im Markt der patentfreien Präparate Generika mit bewährten Wirkstoffen zu verordnen. Allein bei den me-too-Präparaten sind Rationalisierungsreserven von etwa EUR 2–3 Mrd. pro Jahr möglich, genauere Zahlen sind aufgrund der nicht-öffentlichen Rabattverträge zwischen Kassen und Herstellern nicht präzise zu berechnen. Ohne Zweifel geht der Kosten- und Ausgabendruck im GKV-Arzneimittelmarkt von den patentgeschützten Mitteln aus, insbesondere von denen,
die als »Solisten« im Sinne von Spezialpräparaten z. B. bei Multipler Sklerose, rheumatoider Arthritis oder bei Krebserkrankungen verordnet werden. Auf rund 2,2 % der Verordnungsmengen vom GKV-Gesamtverordnungsmarkt entfallen bereits 26,2 % der GKV-Ausgaben (Schwabe u. Paffrath 2009). Um so wichtiger ist es, bei der »Alltagsversorgung« von z. B. chronischen oder akuten Erkrankungen nach Möglichkeit bewährte Wirkstoffe einzusetzen, die inzwischen zumeist kostengünstig als Generika verfügbar sind, um einen »Headroom for Innovation« zu schaffen, also Möglichkeiten für die Finanzierbarkeit wirklicher Innovationen. > Durch eine konsequente Vermeidung der Verordnung von Medikamenten ohne Zusatznutzen könnten Mittel freigesetzt werden, um echte Innovationen zu finanzieren.
Diese Strategie wird aber nach wie vor im Versorgungsalltag nicht ausreichend berücksichtigt. Bisher wird eine 81 %ige Generikasubstitution im generikafähigen Markt erreicht, die Erhöhung auf eine 85 %ige Quote könnte eine weitere Entlastung um etwa EUR 400 Mio. nach sich ziehen. Ohnehin kann die »Substitutionskraft« der Generika gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: Im Jahre 2009 wurden z. B. durch die Substitution von patentfreien Erstanbieterprodukten in der GKV ca. EUR 8 Mrd. eingespart. Die »Kraft« dieser Effizienzoptimierung ist unübersehbar. > Die Effizienzoptimierung durch Generikasubstitution ist noch immer nicht voll ausgeschöpft.
10.6
»Ausgabentreiber« Onkologie
10.6.1
Forderung nach qualifizierter Nutzenbewertung
Bei den patentgeschützten Arzneimitteln spielen Arzneimittel zur Behandlung onkologischer Krankheiten eine besondere Rolle, wenn die jährlichen Mehrausgaben bestimmt werden. In diesem Bereich stiegen z. B. bei der Gmünder ErsatzKasse GEK im Jahre 2009 die Ausgaben um 20,4 % gegenüber dem
400%
10
155
10.6 • »Ausgabentreiber« Onkologie
420%
Nicht-Fertigarzneimittel Fertigarzneimittel
382%
350% Umsatzanstieg seit 1993
342%
300%
300% 268%
250% 230%
200%
193%
150% 128% 138%
150%
165% 164%
100% 68%
50% 0%
38% 12% 17% 16% 11%
41% 21%
25%
28%
50% 60%
44%
56%
57% 65%
77%
89%
1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Jahr . Abb. 10.4 Prozentualer Umsatzanstieg für Fertigarzneimittel und Nicht-Fertigarzneimittel in der GKV seit 1993. (Mod. aus Schwabe u. Paffrath 1993–2010)
Jahr 2008 an (Glaeske u. Schicktanz 2010). Eine qualifizierte Nutzenbewertung könnte auch in diesem Indikationsbereich frühzeitig neue Arzneimittel differenzieren nach solchen, die einen Zusatznutzen gegenüber den bisherigen Therapieoptionen versprechen, und solchen, die allenfalls eine Verbreiterung des Therapieangebotes bedeuten, aber keinen eigenen Beitrag zu einer Therapieverbesserung leisten. Die Kosteneffektivität muss in Zukunft im Mittelpunkt stehen. Das britische »National Institute for Health and Clinical Excellence« (NICE) hat z. B. die Mittel Tarceva und Alimta der Kategorie «nicht kosteneffektiv« zugeordnet (medknowledge 2006). Auch für das durch hohe Zuwachsraten auffällige Bevacizumab-haltige Mittel Avastin werden aktuell Indikationseinschränkungen verfügt, weil Studien gezeigt haben, dass es weder sicher noch ausreichend wirksam bei Brustkrebs ist. Für die Anwendung bei dieser Indikation war erst 2008 die Zulassung ausgesprochen worden (FDA 2010). Avastin hatte im Jahr 2008 gegenüber dem Jahr 2007 einen Zuwachs bei den Verordnungsmengen von 69,5 % (Schwabe u. Paffrath 2009). Entsprechend hoch war auch der Ausgabenzuwachs – die knapp
EUR 30 Mio. zu Lasten der GKV bedeuteten ein Plus von 69,7 %. Die Evaluation der Effektivität und des Nutzens von Arzneimitteln nach der Zulassung im Rahmen industrieunabhängiger Studien wird daher immer wichtiger – es sollten obligatorisch Studien zur Versorgungsforschung genutzt werden, um frühzeitig auf Defizite in der Effektivität und der Kosteneffektivität aufmerksam zu werden. Nur so können Patientinnen und Patienten vor unnötigen therapeutischen Belastungen geschützt werden (SVR 2009, Ziffer 1219 in der Langfassung).
10.6.2
Kostentreiber Nicht-Fertigarzneimittel
In der Indikation »Onkologie« gibt es einen weiteren Ausgabenbereich, der in den vergangenen Jahren dramatisch angestiegen ist und als Problem kaum wahrgenommen wurde. Insgesamt hat nämlich im Laufe der letzten Jahre der Umsatz für die in Apotheken abgegebenen Nicht-Fertigarzneimittel in der GKV auffällig zugenommen (. Abb. 10.4). Dieser Umsatz lag im Jahre 1993
156
10
Kapitel 10 • Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitssystem
noch bei EUR 851 Mio. und stieg nahezu linear auf EUR 4,4 Mrd. im Jahr 2009 an (Anstieg um 420 % im Vergleich zum Jahr 1993). Im selben Zeitraum nahm der Fertigarzneimittelumsatz von EUR 15,1 Mrd. lediglich auf EUR 28,5 Mrd. zu (Anstieg um 89 % im Vergleich zum Jahr 1993). Im Jahr 2009 machten dabei Rezepturen (EUR 215,8 Mio.), Zytostatika-Zubereitungen (EUR 1.709,3 Mio.) sowie individuell hergestellte parenterale Lösungen (EUR 744,1 Mio.) in der GKV 60,3 % des Umsatzes von Nicht-Fertigarzneimitteln aus. Leider fehlen aus den Vorjahren solche Aufschlüsselungen, allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass z. B. Hilfsmittel für diesen Kostenanstieg verantwortlich sind. Sehr viel wahrscheinlicher können Verlagerungen von bisher stationär erbrachten (Chemo-) Therapien in den ambulanten Bereich sowie die Einführung neuer und gleichzeitig hochpreisiger Spezialpräparate die Ursachen hierfür sein. Auch in diesem Bereich hat es zu wenig Begleitforschung gegeben, die nachvollziehbare Gründe für die Notwendigkeit dieser individuell zubereiteten Arzneimittel anbieten. Insbesondere der hohe Anteil der Zytostatika-Rezepturen hat einen großen Ausgabenschub in der GKV verursacht. > Die Ausgaben für Nicht-Fertig-Arzneimittel, z. B. für Rezepturen in der Onkologie, stiegen gegenüber denen für Fertig-Arzneimittel überproportional an.
10.7
»Rezepte« und Fazit
Die Zulassung eines Arzneimittels (aufgrund des Nachweises der »efficacy«, also der pharmakologischen Wirksamkeit unter Studienbedingungen) sagt noch nichts über dessen gesundheitlichen oder ökonomischen (Netto-)Nutzen aus. Vielmehr muss sich das Mittel in der alltäglichen medizinischen Versorgung beweisen und zeigen, dass es, bezogen auf klinisch relevante Endpunkte in der Langzeitanwendung bzw. in der Anwendung in nicht mehr selektierten Patientenpopulationen, Vorteile gegenüber bereits angebotenen Arzneimitteln oder anderen medizinischen Interventionen hat (Nachweis der ‚effectiveness‘, der Wirksamkeit unter All-
tagsbedingungen). Diese Vorteile können bedeu-
ten (Glaeske et al. 2002): 5 Eine Verbesserung des Therapieergebnisses, 5 die Optimierung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses,
5 die Senkung der direkten oder transsektoralen Kosten. Zwischen »efficacy« und »effectiveness« klafft häufig eine »Evidenz-Lücke«, die mehr und mehr zu Problemen führt, wenn die jeweiligen Mittel ausgabenbestimmend werden (z. B. Onkologika). > Die Zulassung eines Medikamentes erfolgt nur auf der Grundlage des Nachweises der Effizienz unter Studienbedingungen und sagt noch nichts über dessen Zusatznutzen oder Kosteneffektivität aus. Diese Nachweise müssen in Effectiveness-Studien erbracht werden.
In Deutschland wurde im Jahr 2004 das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gegründet, das ähnliche Aufgaben wie das britische National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) erfüllen soll. Gesetzliche Grundlage sind die im Jahr 2003 ins SGB V eingeführten §§ 35b und 139 a–c. Träger dieses Institutes ist der neu geschaffene Gemeinsame Bundesausschuss. Zu den Hauptaufgaben des IQWiG gehören z. B. die Bewertung des Nutzens, des Zusatznutzens gegenüber bereits vorhandenen Therapieoptionen und der Kosten-Nutzen-Relation. Diese Aufgaben wurden auch noch einmal im AMNOG bekräftigt, das am 1. Januar 2011 in Kraft trat. Da der Arzt die Kosten eines Arzneimittels und die gesundheitlichen Auswirkungen seiner Verordnung nicht selbst trägt, löst er diese Wirkungen auf den Patienten bzw. auf die Versichertengemeinschaft zunächst nur im Rahmen seines persönlichen Wissens und Interesses an einer guten Behandlung aus. Darüber hinaus steht der Arzt je nach ökonomisch-strukturellem Umfeld möglicherweise in einem Wettbewerb um Patienten und versucht, diese durch sein Verordnungsverhalten an sich zu binden. Regulative Maßnahmen versuchen daher zum einen über finanzielle Anreize das Kostenbewusstsein des Arztes zu schärfen und zum
Literatur
anderen die Verordnungsqualität zu steigern. Dazu können folgende Maßnahmen beitragen: 5 Leitlinien für die Behandlung, 5 Positiv- oder Negativlisten, 5 Feed-back über das Verordnungsverhalten bzw. Steuerung desselben (z. B. über Pharmakotherapiezirkel oder im Rahmen integrierter Versorgung) und 5 Anreize zur Verschreibung von Generika (z. B. Aut-idem-Regelung). Es muss immer wieder deutlich gemacht werden, dass erst ein gesicherter Nutzen, eine plausible Kosten-Nutzen-Bewertung und die richtige Indikationsstellung zur Wirtschaftlichkeit in der Arzneimitteltherapie führen. Wenn es unter diesen Voraussetzungen zu Ausgabensteigerungen käme, könnte dies zum Nutzen der Patientinnen und Patienten sein. Derzeit geht es bei den Ausgabensteigerungen dagegen in erster Linie um die ökonomischen Interessen pharmazeutischer Hersteller – für die ist allerdings die GKV nicht gemacht!
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10
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158
Kapitel 10 • Die Entwicklung der Arzneimittelausgaben im deutschen Gesundheitssystem
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10
159
Interessenkonflikte in der Patientenversorgung Kapitel 11
Interessenkonflikte durch Arzt-Industrie-Kontakte in Praxis und Klinik und Vorschläge zu deren Reduzierung – 161 Anja Wiesner und Klaus Lieb
Kapitel 12
Die Transparenzregelungen der HELIOS Kliniken – 175 Francesco De Meo und Adelheid Jakobs-Schäfer
Kapitel 13
Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie – 185 Michael Grusa
II
161
Interessenkonflikte durch Arzt-Industrie-Kontakte in Praxis und Klinik und Vorschläge zu deren Reduzierung Anja Wiesner und Klaus Lieb
11.1
Einleitung – 162
11.2
Formen und Häufigkeit von Arzt-Industrie-Kontakten in Praxis und Klinik – 163
11.2.1 11.2.2 11.2.3 11.2.4 11.2.5
Vertreterbesuche – 163 Finanzierung von Fortbildungsveranstaltungen – 165 Referenten- und Beratertätigkeit – 165 Finanzierung von Arzneimittelstudien – 166 Effektivität der Einflussnahme – 166
11.3
Einstellungen von Ärzten zu Arzt-Industrie-Kontakten – 167
11.3.1 11.3.2
Problembewusstsein – 167 Rationalisierungen – 167
11.4
Vorschläge zur Reduzierung von Interessenkonflikten in Praxis und Klinik – 168
11.4.1 11.4.2 11.4.3
»Healthy Skepticism« und »no free lunch«-Organisationen – 169 Institutionelle Richtlinien – 170 Checkliste zur Erfassung von Interessenkonflikten in Praxis und Klinik – 171
11.5
Fazit und Ausblick – 171 Literatur – 173
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
11
162
Kapitel 11 • Interessenkonflikte durch Arzt-Industrie-Kontakte in Praxis
Zur Einführung Die überwiegende Mehrheit der Ärzte unterhält mehr oder weniger intensive Industrie-Kontakte, die Ursachen für Interessenkonflikte darstellen. Beispiele sind Vertreterbesuche mit der Annahme von Arzneimittelmustern, Geschenken und Essenseinladungen, Industrie-finanzierte Fortbildungsveranstaltungen, Referenten- und Berater-Tätigkeiten für Industrieunternehmen oder die Teilnahme an Industrie-geförderten Anwendungsbeobachtungen. Das Problembewusstsein bezüglich solcher Beziehungen ist bei den meisten Ärzten gering ausgeprägt, so dass Verhaltensänderungen in Richtung einer Reduktion von Interessenkonflikten in der Regel eher selten sind. Nationale und internationale Vorschläge zur Reduzierung von Interessenkonflikten werden vorgestellt und diskutiert.
11.1
11
Einleitung
Interessenkonflikte können auf vielfältige Art und Weise im Rahmen des ärztlichen Handelns in Praxis und Klinik auftreten. Zu den wichtigsten materiellen Interessenkonflikten gehören solche, die im Kontakt mit pharmazeutischen Unternehmen bzw. Medizinprodukteherstellern oder Biotechnologieunternehmen (im Folgenden zusammenfassend als Industrieunternehmen bezeichnet) entstehen, wenn Ärzte von Vertretern der Industrie besucht werden, wenn sie Arzneimittelmuster und Geschenke annehmen, wenn sie auf Kongresse oder Fortbildungsveranstaltungen eingeladen werden oder dort als Referenten für Industrieunternehmen auftreten. Interessenkonflikte in Praxis und Klinik können aber auch auftreten, wenn das primäre Interesse des Arztes, das Bestmögliche für den Patienten zu tun, durch Rahmenbedingungen des Gesetzgebers oder der ärztlichen Selbstverwaltung (z. B. Kassenärztliche Vereinigung, Krankenhausgesellschaft etc.) beeinflusst wird. So können z. B. Fallpauschalen, die ein bestimmtes Honorar pro Quartal bzw. Fall festlegen, dazu verleiten, schwerkranke Patienten abzulehnen und sich v. a. um solche Patienten zu kümmern, bei denen mit relativ geringerem Aufwand dasselbe Honorar zu erzielen ist. Andere Interessenkonflikte können sich ergeben, wenn individuelle Gesundheits-
leistungen (IGeL) angeboten werden, die für den Patienten einen zweifelhaften Nutzen haben, dem Arzt aber ein Zusatzhonorar ermöglichen. In Kliniken können Interessenkonflikte entstehen, wenn beispielsweise der Vorstand einer Klinik detaillierte Vorgaben zur wirtschaftlichen Leistungserbringung macht, die einen Anreiz dafür schaffen, das Leistungsspektrum einzuschränken, vornehmlich auf Fälle mit hohem Gewinn zu setzen und schwerkranke und komplizierte Patienten an andere Kliniken weiterzuleiten. Andere Interessenkonflikte können entstehen, wenn Ärzte ambulante oder stationäre Angebote (z. B. in Diagnose- und Behandlungszentren) machen, für die sie selbst die Nachfrage schaffen. Interessenkonflikte in Praxis und Klinik entstehen somit keinesfalls nur durch Kontakte mit Industrieunternehmen. Dennoch fokussiert dieses Kapitel auf Interessenkonflikte durch Arzt-Industrie-Kontakte, da diese nicht intrinsisch mit der ärztlichen Tätigkeit verbunden sind und deren Vermeidung bzw. Reduzierung praktisch jedem Arzt möglich ist. Darüber hinaus werden Arzt-Industrie-Kontakte in der Öffentlichkeit zunehmend kritisch wahrgenommen, und Patienten wünschen, über solche Beziehungen informiert zu sein (Sutherland et al. 2009; Tattersall et al. 2009). Nicht zuletzt wurden o. g. andere Interessenkonflikte kaum beforscht, während im letzten Jahrzehnt eine Reihe von hochwertigen Forschungsarbeiten zu Interessenkonflikten durch Arzt-Industrie-Kontakte vorgelegt wurden. > Interessenkonflikte in Praxis und Klinik entstehen typischerweise, aber nicht ausschließlich durch Kontakte mit Industrieunternehmen.
Im Einzelnen wird sich das Kapitel damit beschäftigen, welche Arten von Arzt-Industrie-Kontakten in Praxis und Klinik bestehen und wie häufig diese sind, welche Einstellungen Ärzte zu Arzt-Industrie-Kontakten und daraus resultierenden Interessenkonflikten haben und welche Vorschläge zur Reduzierung von Interessenkonflikten gemacht wurden. Das Kapitel wird darüber hinaus darstellen, welche Probleme einer Einstellungs- und Verhaltensänderung von Ärzten entgegenstehen und welche Schritte in der Zukunft gegangen werden
11.2 • Formen und Häufigkeit von Arzt-Industrie-Kontakten in Praxis und Klinik
könnten. Zu Interessenkonflikten in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung und deren Minimierung wird auf 7 Kap. 14 verwiesen. Eine gute weiterführende Übersicht über Interessenkonflikte in der ärztlichen Praxis geben auch Lo u. Field (2009, S. 166ff.).
11.2
Formen und Häufigkeit von Arzt-Industrie-Kontakten in Praxis und Klinik
In den USA betrugen im Jahr 2005 die geschätzten Gesamtausgaben pharmazeutischer Unternehmen für Marketing US $ 29,8 Mrd. und stiegen damit seit 1996 um mehr als das Doppelte (Donohue et al. 2007). In einer anderen Analyse wurden die Marketingausgaben in den USA für das Jahr 2004 auf US $ 57,5 Mrd. geschätzt, wovon ca. US $ 20,4 Mrd. in Vertreterbesuche, ca. US $ 15,9 Mrd. in die Verteilung von Arzneimittelmustern und ca. US $ 2 Mrd. in die Finanzierung von Fortbildungsveranstaltungen flossen (Gagnon u. Lexchin 2008). Nach dieser neueren Schätzung liegen die Ausgaben für Marketing etwa doppelt so hoch wie diejenigen für Forschung und Entwicklung. Für Deutschland liegen keine zuverlässigen Daten vor, Schätzungen gehen von ca. EUR 2,5 Mrd. pro Jahr aus (Korzilius u. Rieser 2007).
11
5 9 % für die Teilnahme an einem »Advisory Board«. In einer zweiten Studie wurde von derselben Arbeitsgruppe die Befragung im Jahr 2009 (für das Jahr 2008) wiederholt, wobei sich herausstellte, dass die Häufigkeit der Arzt-Industrie-Kontakte in allen Bereichen signifikant zurückgegangen war (Campbell et al. 2010). So hatten beispielsweise: 5 84 % der Ärzte irgendwelche Beziehungen mit der Industrie, 5 64 % hatten Arzneimittelmuster angenommen und 5 70 % Essenseinladungen. Die Autoren schlussfolgerten, dass die Beziehungen zur Industrie zwar zurückgegangen waren, aber unverändert hoch sind. Sie führen den Rückgang unter anderem auf die in den USA zunehmend Verbreitung findenden Richtlinien zur Reduktion von Arzt-Industrie-Kontakten zurück (7 Kap. 7). > Arzt-Industrie-Kontakte werden von mindestens 80 % der Ärzte unterhalten. Zu den häufigsten angenommenen Geschenken gehören Arzneimittelmuster, Essenseinladungen und Schreibwaren.
11.2.1 z
163
Vertreterbesuche
Umfrageergebnisse
Eine repräsentative Umfrage an über 3.100 Ärzten in den USA aus dem Jahr 2004 analysierte Art und Häufigkeit von Arzt-Industrie-Verbindungen bei niedergelassenen und Klinikärzten (Campbell et al. 2007): 5 94 % aller Ärzte hatten irgendeine Form der Beziehung mit der Pharmaindustrie, 5 83 % hatten Geschenke angenommen, 5 78 % waren mit Arzneimittelmustern versorgt wordenund 5 35 % hatten Erstattungen für die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen oder CME-Aktivitätenerhalten, Gelder hatten erhalten: 5 18 % für Beratertätigkeiten, 5 16 % als Referenten und
Wie viele Vertreter von Industrieunternehmen in Deutschland ärztliche Praxen und Kliniken besuchen, ist unklar. Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland ca. 15.000–20.000 Pharmavertreter etwa 20 Millionen Mal pro Jahr die Praxen und Krankenhäuser besuchen (Korzilius u. Rieser 2007; Gebuhr 2007). Ohne Zustimmung analysieren sie das Verschreibungsverhalten der Ärzte und kennen im Detail die Absatzzahlen nicht nur der Medikamente des eigenen Unternehmens, sondern auch der der Konkurrenzunternehmen (z. B. http://www.prescriptionproject.org/tools/initiatives_factsheets/files/0004.pdf). Durch eine Analyse z. B. der Persönlichkeit des Arztes, seiner Art zu denken und zu argumentieren sowie seiner privaten Vorlieben wird versucht, die Beeinflussungsstrategie ganz auf den jeweiligen Arzt einzustellen
164
11
Kapitel 11 • Interessenkonflikte durch Arzt-Industrie-Kontakte in Praxis
und damit zu optimieren (Fugh-Berman u. Ahari 2007). Nicht selten werden Vergünstigungen wie die Unterstützung eines Kongressbesuches direkt an die Erhöhung des Verschreibungsvolumens einer bestimmten Substanz geknüpft (persönliche Erfahrung des Autors KL). In Deutschland sind seit der Einführung eines Kodex der Mitglieder des Vereins »Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.« (FS Arzneimittelindustrie e. V. 2004; s. a. 7 Kap. 13) die stärksten Auswüchse der finanziellen Verbindungen zwischen pharmazeutischen Unternehmen und Ärzten deutlich zurückgegangen. Dass ein Arzt samt Ehefrau zu einer Produktvorstellung mit 100 anderen deutschen Ärzten in ein fernes Land fliegt, dort 5 Tage in einem teuren Hotel wohnt und eine Stunde pro Tag über das neue Produkt informiert wird, dürfte weitestgehend der Vergangenheit angehören. Dennoch versuchen Vertreter durch eine Vielzahl von Geschenken, Aufmerksamkeiten und Vergünstigungen den Arzt zur Änderung seines Verschreibungsverhaltens zu bewegen. Dazu gehören: 5 Verteilung von Arzneimittelmustern und Arzneimittelinformationen, 5 Mitbringen von Geschenken, Notizblöcken, Kugelschreibern, Praxismaterial, USB-Sticks mit Präsentationen zu neuen Arzneimitteln etc., 5 Einladungen und Finanzierung von Fortbildungsveranstaltungen, 5 Gewinnung als Berater oder Referent auf einer Fortbildungsveranstaltung, 5 Rekrutierung einer Praxis/Klinik als Studienzentrum für die Durchführung von nichtinterventionellen Studien/Anwendungsbeobachtungen oder klinischen Studien. Die Art der Arzt-Industrie-Kontakte sowie die Bewertung von deren Qualität wurde in Deutschland anhand zweier Befragungen aus den Jahren 2006 (Gebuhr 2007) und 2007 (Lieb u. Brandtönies 2010) erfasst. z
Ergebnisse von Studien
In der von den Firmen Bristol-Myers Squibb, Grünenthal, Merck, Pfizer und Takeda beauftragten Studie befragte Gebuhr (2007) 6.568 nieder-
gelassene Ärzte (v. a. Hausärzte und Internisten), von denen 743 (11,3 %) antworteten. In einer unabhängigen Studie befragten Lieb und Brandtönies (2010) 300 niedergelassene Fachärzte (Nervenärzte, Allgemeinmediziner, Kardiologen) und erzielten eine Rücklaufquote von knapp 70 %. Gebuhr (2007) fand, dass die befragten Ärzte im Schnitt pro Woche 7 Pharmareferenten empfangen, wobei die Besuchsfrequenz bei den Hausärzten mit 8,2 pro Woche etwa doppelt so hoch liegt wie bei den Fachärzten (4,1 pro Woche). Nur 2,8 % der Befragten empfangen keine Pharmareferenten. Lieb und Brandtönies (2010) fanden, dass 77 % aller Befragten mindestens einmal pro Woche und 19 % täglich von Vertretern der pharmazeutischen Industrie besucht werden. Laut Gebuhr (2007) schätzen Ärzte an den Besuchen der Pharmareferenten neben den Fortbildungsangeboten und den fachlichen Informationen insbesondere die mitgebrachten Arzneimittelmuster. Arzneimittelmuster und Schreibwaren zählen auch nach der Studie von Lieb und Brandtönies (2010) zu den am häufigsten angenommenen Geschenken. Die Ärzte hatten durchschnittlich 66-mal pro Jahr Arzneimittelmuster angenommen, 34-mal pro Jahr Schreibwaren, 9-mal pro Jahr Kalender und 2-mal pro Jahr Essenseinladungen (eigene Schätzungen der Ärzte). Nur 4 % der Ärzte hatten keinerlei Geschenke angenommen. 49 % der Ärzte fühlen sich nur gelegentlich, selten oder nie adäquat von den Vertretern informiert, und 76 % gehen davon aus, dass die Pharmavertreter sie immer oder häufig beeinflussen wollen. Entsprechend den o. g. Studien aus den USA kann man davon ausgehen, dass in der Befragung aus dem Jahr 2009 83,8 % der Befragten Kontakte mit Vertretern der Industrie hatten und zu einem hohen Anteil Arzneimittelmuster und Essenseinladungen annahmen (Campbell et al. 2007, 2010). Im Detail hatten 2009 63,8 % Arzneimittelmuster (2004: 78 %) und 70.8 % Geschenke aller Art (2004: 83 %) incl. Essenseinladungen (2009: 70,6 %; 2004: 83 %) und Tickets für kulturelle Veranstaltungen (2009: 1,3 %; 2004: 7 %) angenommen.
11.2 • Formen und Häufigkeit von Arzt-Industrie-Kontakten in Praxis und Klinik
11.2.2
Finanzierung von Fortbildungsveranstaltungen
Genaue Angaben, wie viele Fortbildungsveranstaltungen und insbesondere wie viele CME-relevante Veranstaltungen von der Industrie finanziert oder mitfinanziert werden, liegen für Deutschland nicht vor. Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 60– 70 % der Veranstaltungen zumindest mitfinanziert sind (7 Kap. 14). Man kann prinzipiell folgende wichtige Formen der Unterstützung von Fortbildungsveranstaltungen unterscheiden: 5 Das Industrieunternehmen übernimmt Reisekosten und Honorar für einen Referenten, der in einer Klinik oder einem Qualitätszirkel einen Vortrag zu einem häufig zum eigenen Marketinginteresse passenden Thema hält. Das Unternehmen legt dann Informationsmaterial über seine Produkte an einem Stand aus. 5 Wie oben, zusätzlich übernimmt das Unternehmen die Kosten für das Abendessen mit den Referenten und den Klinik-/Praxismitarbeitern in einem Lokal oder die Kosten für das Buffet im Anschluss an den Vortrag. 5 Wie oben, das Unternehmen übernimmt aber auch die Kosten für Anreise, Übernachtung und Essen der Teilnehmer der Veranstaltung. 5 Die Industrie übernimmt komplett Reisekosten, Übernachtungskosten und z. B. ein Abendessen für den Besuch eines Fortbildungskongresses von z. B. 3-5 Tagen. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass sich der Umfang der Unterstützung daran orientiert, wie viel Einfluss das Unternehmen auf die Programmgestaltung hat. Veranstaltungen, bei denen die Kosten für Anreise, Übernachtung etc. komplett übernommen werden, sind in der Regel immer von der Industrie selbst organisierte Veranstaltungen (Industrie-Symposien). Dass die Musterberufsordnung (§ 33 Abs. 4) die Übernahme von Reisekosten und Übernachtung auch für Ärzte ohne Gegenleistung ermöglicht, ist in diesem Zusammenhang als sehr problematisch anzusehen (7 Kap. 8). Laut Gebuhr (2007) werden 45 % der von Ärzten für ihre Zertifizierung besuchten Fortbildungsveranstaltungen von Industrieunternehmen finan-
165
11
ziert. Die Studie von Lieb und Brandtönies (2010) zeigte übereinstimmend, dass deutsche Fachärzte im Jahr 2007 durchschnittlich etwa gleich viele unabhängige und pharmafinanzierte Fortbildungen besucht hatten. Dabei wurde bei den unterstützten Veranstaltungen in 69 % der Fälle das Essen bezahlt, in 27 % die Übernachtung und in 23 % die Anreise. Das Informationsmaterial der pharmazeutischen Unternehmen wurde von 73 % der Befragten durchgeblättert oder ungelesen entsorgt. In der US-amerikanischen Studie hatten in der Befragung im Jahr 2009 8,3 % (2004: 15 %) der Befragten Erstattungen für Reise, Essen, Übernachtung im Rahmen von Veranstaltungen und Kongressen angenommen; für CME-Veranstaltungen lag die Quote bei 12,7 % (2004: 26 %) (Campbell et al., 2007 2010).
11.2.3
Referenten- und Beratertätigkeit
Vor allem Chef- und Oberärzte von Universitätskliniken sind als »Meinungsbildner« bei Industrieunternehmen gefragt. Eine gängige Strategie dabei ist, diese durch (nicht selten überhöhte) Honorare zu motivieren, sich direkt oder indirekt positiv zu Produkten der Firma zu äußern. Wie bei den Fortbildungsveranstaltungen sind auch hier unterschiedliche Grade der Einflussnahme zu unterscheiden: 5 Das Industrieunternehmen übernimmt Reisekosten, Übernachtung und Honorar für einen Referenten, der zu einem eigenen Thema referiert. 5 Wie oben, das Unternehmen bittet aber zusätzlich um einen Vortrag zu einem gewünschten Thema, das die Marketinginteressen des Unternehmens trifft. Hier werden nicht selten entsprechende Powerpoint-Folien für den Vortrag zur Verfügung gestellt. 5 Wie oben, das Unternehmen stellt aber gezielt Referenten und Vortragsthemen zusammen, die sich thematisch um ein Produkt zentrieren. Diese Form wird in der Regel bei IndustrieSymposien praktiziert, die in Einzelform oder assoziiert an Kongresse stattfinden (sog. Satelliten-Symposien der Industrie).
166
Kapitel 11 • Interessenkonflikte durch Arzt-Industrie-Kontakte in Praxis
Ärzte werden aber auch als Berater für Industrieunternehmen rekrutiert. Hier muss man unterscheiden zwischen Beratungstätigkeiten, die das Marketing einer Substanz betreffen und wissenschaftlichen Beratertätigkeiten für die Weiterentwicklung von vorhandenen oder zukünftigen Produkten einer Firma. In der Studie von Lieb u. Brandtönies (2010) hatten in Deutschland im Jahr 2007 11 % der Befragten eine Beratertätigkeit inne, und 8 % hatten Vorträge gehalten, die von einem Industrieunternehmen finanziert worden waren. Campbell et al.(2007, 2010) fanden in den USA Beratertätigkeiten bei 6,7 % (2004: 18 %) und Vortragstätigkeiten bei 8,6 % (2004: 16 %) der Befragten.
11.2.4
Finanzierung von Arzneimittelstudien
Nichtinterventionelle Studien/Anwendungsbeobachtungen von kürzlich zugelassenen Me-
11
dikamenten können prinzipiell von Bedeutung sein, wenn sie z. B. die Sicherheit einer Substanz an einem größeren als dem Studienkollektiv untersuchen wollen. Häufig werden Anwendungsbeobachtungen jedoch zu Marketing-Zwecken durchgeführt (»seeding trials«) und entsprechende Abschlussberichte nicht veröffentlicht. Hier werden Ärzte gegen Honorar dazu bewegt, mit der neu zugelassenen Substanz Erfahrungen zu sammeln, was letztendlich dem Zwecke dient, den Arzt zu einer bevorzugten Anwendung dieser Substanz zu bewegen. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung sind im Jahr 2008 329 Anwendungsbeobachtungen zu 235 verschiedenen Arzneimitteln gemeldet worden, bei denen das Honorar von EUR 10 pro Dokumentationsbogen bis zu EUR 1.000 pro Patient und Jahr bei Spezialpräparaten reichte (im Durchschnitt EUR 190). Im Jahr 2007 hatten 43 % der befragten niedergelassenen Fachärzte in Deutschland Anwendungsbeobachtungen durchgeführt, wobei 2 % 6–10, 17 % 3–5 und 24 % 1–2 Anwendungsbeobachtungen durchgeführt (Lieb u. Brandtönies 2010), seltener Beratertätigkeiten erbracht oder Vorträge für ein PU gehalten hatten. Etwa 50 % der Ärzte hatten im Jahr 2007 ein Honorar von der pharmazeuti-
schen Industrie erhalten, in der Regel zwischen EUR 1.000 und EUR 2.000. Die höchsten Honorare wurden für die Kardiologen bezahlt (Lieb u. Brandtönies 2010). In der Befragung von Campbell et al. (2007, 2010) hatten 4,6 % (2004: 9 %) der Befragten an einem wissenschaftlichen Beratertreffen teilgenommen und 1,2 % (2004: 3 %) Patienten in klinische Studien eingeschlossen. Bei in Praxen und Kliniken durchgeführten Zulassungsstudien sind die Leistung der Industrie (Bezahlung) und die Gegenleistung (Patientenrekrutierung und -betreuung) in der Regel vertraglich klar geregelt und transparent. Dennoch können aus solchen Kooperationen Interessenkonflikte entstehen, die z. B. daraus resultieren, dass die gezahlten Honorare teilweise überhöht sind und in Universitätskliniken damit die Studienzentrale, der sonstige Forschungsbetrieb oder sogar die Patientenversorgung querfinanziert werden. Dass von pharmazeutischen Unternehmen finanzierte Studien häufiger ein positives Ergebnis als unabhängige Studien haben und die pharmazeutischen Unternehmen einen großen Einfluss auf die Studienergebnisse und ihre Darstellung nehmen, wird in 7 Kap. 18 ausgeführt. Weitere Informationen zum Thema »Interessenkonflikte und medizinische Forschung« finden sich in 7 Kap. 17.
11.2.5
Effektivität der Einflussnahme
Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass die Industrie von einer Wirksamkeit ihrer Marketingstrategien ausgeht, sonst würde sie nicht so viel Geld dafür ausgeben. Allerdings gibt es relativ wenige wissenschaftliche Studien, die diesen Zusammenhang tatsächlich belegen (Spurling et al. 2010). Wissenschaftliche Symposien, die in Hotels auf Kosten von Herstellern angeboten werden (Orlowski u. Wateska 1992), industriegesponserte CMEKurse (Bowman u. Pearle 1988) und die Teilnahme an Industrie-gesponserten Studien (Andersen et al. 2006) erhöhen die Zahl der Verschreibungen der beworbenen Substanzen, und enge Pharmakontakte erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass sich Ärzte für eine Aufnahme der Medikamente der entsprechenden Hersteller in die Arzneimittellisten der Kliniken einsetzen (Chren u. Landefeld 1994).
167
11.3 • Einstellungen von Ärzten zu Arzt-Industrie-Kontakten
Bisherige Studien zeigen, dass kleine Geschenke an Medizinstudierende die spätere positive Einstellung gegenüber den beworbenen Substanzen erhöhen kann (Grande et al. 2009), dass Ärzte, die hohe Verschreibungskosten erzeugen, eher und öfter Vertreter der pharmazeutischen Unternehmen empfangen (Watkins et al. 2003) und dass enge Arzt-Industrie-Kontakte mit einer eher positiven oder verharmlosenden Haltung gegenüber Medikamentenrisiken (hier: Rosiglitazon) einhergehen (Wang et al. 2010).
11.3
Einstellungen von Ärzten zu Arzt-Industrie-Kontakten
11.3.1
Problembewusstsein
Die Ursachen dafür, dass man sich der eigenen Interessenkonflikte selbst nur schwer bewusst wird, wurden in 7 Kap. 3 ausführlich dargestellt. Demnach gibt es einen »blind spot« für eigene Interessenkonflikte, der in mehreren Studien indirekt bestätigt wurde (Korenstein et al. 2010; Steinman et al. 2001; Lieb u. Brandtönies 2010). Demnach halten sich Ärzte in der Regel selbst für weitgehend immun gegenüber Beeinflussungsversuchen durch die Industrie, während die Kollegen für beeinflussbarer gehalten werden. In der Studie von Lieb u. Brandtönies (2010) hielten sich nur 6 % der befragten Ärzte selbst für häufig oder immer durch die Aktivitäten der Pharmavertreter beeinflusst, wohingegen 21 % glaubten, dass dies bei ihren Kollegen der Fall sei. Darüber hinaus gingen 9 % der Ärzte davon aus, dass sie nie beeinflusst werden, wohingegen sie glaubten, dass das nur bei 2 % der Kollegen der Fall sei. Am deutlichsten zeigte sich dieser Effekt bei den Allgemeinmedizinern, von denen sich nur 1,3 % als häufig oder immer beeinflusst einschätzten, wohingegen 47,4 % der Allgemeinmediziner dies von ihren Kollegen annahmen. In einer Umfrage in Kalifornien gaben auf die Frage »Werden Sie durch Pharmavertreter in Ihren Verordnungen beeinflusst?« nur 1 % der Befragten an, dies sei häufig und 61 %, dies sei gar nicht der Fall, während dieselben Personen auf die Frage »Werden Ihre Kollegen durch Pharmavertreter in Ihren Verordnungen beeinflusst?« zu 33 % befan-
11
den, dies sei häufig, und nur 16 %, dies sei gar nicht der Fall (Steinman et al. 2001). In der Studie von Korenstein et al. (2010) bejahten 35,6 % der 590 befragten Ärzte und Medizinstudierenden die Frage, ob die Annahme von Geschenken und Essenseinladungen ihr Verschreibungsverhalten beeinflusst, während 52,2 % dies für ihre Kollegen annahmen. > Für die Problematik von Interessenkonflikten besteht unter Ärzten nur ein geringes Problembewusstsein. Dass Ärzte sich ihrer eigenen Interessenkonflikte weitgehend unbewusst sind, wird daraus deutlich, dass sie sich selbst in der Regel für kaum beeinflussbar halten, ihre Kollegen aber als signifikant beeinflussbarer.
Entsprechend der Schwierigkeit, eigene Interessenkonflikte zu erkennen, ist auch das Problembewusstsein der Ärzte gegenüber Interessenkonflikten nur gering ausgeprägt. In einer Umfrage an ca. 400 niedergelassenen Gynäkologen in den USA gaben 92 % bzw. 72 % der Befragten an, es sei akzeptabel, Arzneimittelmuster bzw. Essenseinladungen der Industrie anzunehmen, und 53 % der Befragten waren der Ansicht, dass Ärzte mit hohen Verschreibungsvolumina auch als Berater an Marktforschungs-Treffen der Industrie teilnehmen könnten (Morgan et al. 2006). In der Befragung von Korenstein et al. (2010) ergaben sich ähnliche Zahlen: 72 % der Befragten waren der Ansicht, dass gesponserte Mahlzeiten akzeptabel seien und 25 %, dass dies für große Geschenke gelte. Unter denjenigen Befragten, die die Richtlinien zum Umgang mit Industriebeziehungen an ihrer Institution bzw. Fachgesellschaft kannten, war die Zustimmung allerdings etwas zurückhaltender. Bezüglich der Frage, ob die Interaktionen mit der Industrie stärker reguliert werden sollten, waren 40 % der Meinung, dass dies nicht nötig wäre, 26 % waren unentschlossen und 34 % der Meinung, dass dies notwendig sei (Morgan et al. 2006).
11.3.2
Rationalisierungen
Dass Rationalisierungen eine Rolle spielen können, wenn eigene Interessenkonflikte wahrgenommen werden, aber nicht dementsprechend gehandelt
168
11
Kapitel 11 • Interessenkonflikte durch Arzt-Industrie-Kontakte in Praxis
wird, ist aufgrund anekdotischer Beobachtungen bekannt. So wird in Diskussionen zum Thema Interessenkonflikte immer wieder geäußert, es sei die Aufgabe des Staates und nicht der Ärzte, die Art der Zusammenarbeit mit der Industrie zu regulieren. Bei den geringen Punktwerten und Quartalserlösen und der gleichzeitigen gesetzlichen Verpflichtung zur Fortbildung sei es nur gerechtfertigt, dass Fortbildung durch die Industrie bezahlt werde. Bei der Verpflichtung als Redner für eine Vielzahl von Firmen sei eine Beeinflussung gar nicht möglich, weil sich die Verpflichtungen gegenseitig neutralisierten, und – endlich Oberarzt geworden – wolle man jetzt gerne in den Genuss der Honorare kommen, die der Vorgesetzte schon seit Jahren erhalte. Diese Meinungen unterstützend hat eine aktuelle Studie in einem eleganten randomisiert-kontrollierten Design gezeigt, dass die Erinnerung an eigene Entbehrungen während Medizinstudium und Weiterbildung die Akzeptanzhaltung gegenüber Geschenken der pharmazeutischen Industrie erhöht (Sah u. Loewenstein 2010). In Zukunft sollten noch weitere Mechanismen der Rationalisierung in kontrollierten Studien untersucht werden. Dies könnte es ermöglichen, effektive neue Zugangswege zu einer Einstellungs- und Verhaltensänderung gegenüber Interessenkonflikten zu entwickeln.
11.4
Vorschläge zur Reduzierung von Interessenkonflikten in Praxis und Klinik
Im Folgenden werden unterschiedliche Vorschläge zur Reduktion von Interessenkonflikten durch Arzt-Industrie-Kontakte vorgestellt, ohne dass die Liste der Vorschläge einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Bezüglich der Vorschläge der Industrie wird auf 7 Kap. 13 verwiesen, Vorschläge zur Minimierung von Interessenkonflikten in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung werden in 7 Kap. 14 vorgestellt. 7 Kap. 16 handelt von unabhängigen Zeitschriften und Fortbildungsaktivitäten. Problembewusstsein und Verhaltensänderung Wie oben dargestellt, ist die Entwicklung eines Prob-
lembewusstseins auf Seiten der Ärzte eine notwendige Voraussetzung für eine Verhaltensänderung hin zu einer Reduzierung von Interessenkonflikten. Welche Maßnahmen geeignet sind, ein solches Problembewusstsein zu wecken, ist weitgehend unklar. Kurzseminare, die Interaktionen mit Industrieunternehmen problematisieren, führen aktuellen Studien zufolge offenbar nur zu geringen Verhaltens- und nicht zu anhaltenden Einstellungsänderungen (Randall u. Rosenbaum 2005; van Schneider et al. 2006). Trotzdem scheint es sinnvoll zu sein, Strategien des Pharmamarketings bei der Aus-, Weiter- und Fortbildung der Ärzte zu thematisieren, um diese verstärkt für dieses Thema zu sensibilisieren. Schaffung unabhängiger Fortbildungsmöglichkeiten Parallel zu einer Verhaltensänderung (z. B.
Reduktion der Vertreterbesuche in der eigenen Praxis, Besuch unabhängiger Fortbildungsveranstaltungen) müssen aber auch die Voraussetzungen für ein ausreichendes Angebot an unabhängigen Fortbildungsmöglichkeiten geschaffen werden. Im Gegensatz z. B. zu Ärzten an Universitätskliniken, die leichteren Zugang zu neuestem medizinischem Wissen haben, wird diesem Informationsbedarf in Versorgungskrankenhäusern oder im Niedergelassenenbereich häufig wenig Rechnung getragen. Insofern spielen die Informationsvermittlung und das Angebot an Fortbildungsmaßnahmen insbesondere im Niedergelassenenbereich eine große Rolle beim Empfang von Pharmareferenten. In der Studie von Lieb und Brandtönies (2010) würden dementsprechend 52 % der Ärzte das Fehlen der Pharmavertreter als Verlust empfinden, in der Studie von Gebuhr (2007) waren es 55 %. Laut Lieb u. Brandtönies (2010) würden beim Ausbleiben der Vertreterbesuche insbesondere die Informationsvermittlung, die Fortbildungsangebote und die kostenlosen Arzneimittelmuster vermisst werden. So sahen auch 85 % derjenigen, die das Wegbleiben der Vertreter als Verlust empfinden würden, keine Alternative zum Außendienst der Pharmaunternehmen. In der Studie von Gebuhr (2007) sahen 47 % der befragten Ärzte keine Alternative zu den Pharmavertretern. Kassenärztliche Vereinigungen (7,1 %), das Bundesministerium für Gesundheit (1,7 %) und die Kassen (0,9 %) schieden als Alter-
11.4 • Vorschläge zur Reduzierung von Interessenkonflikten in Praxis und Klinik
nativen aus. Interessanterweise konnten sich aber 42 % der befragten Ärzte vorstellen, dass unabhängige Institutionen die Informationsvermittlung übernehmen könnten. Wenn solche Angebote zur Verfügung gestellt würden, könnte die Informationsvermittlung durch die Industrieunternehmen sicherlich zurückgedrängt werden. Die Vergabe der CME-Punkte für Fortbildungsaktivitäten erfolgt weitgehend unabhängig davon, ob die Fortbildungsmaßnahmen von der Industrie oder unabhängig von der Industrie angeboten werden. Eine Änderung z. B. hin zu einer ausschließlichen Akkreditierung von Industrie-unabhängiger Fortbildung durch die Ärztekammern könnte das Fortbildungsverhalten von Ärzten signifikant ändern und Interessenkonflikte reduzieren.
11.4.1
»Healthy Skepticism« und »no free lunch«-Organisationen
»Healthy Skepticism« ist eine Vereinigung von derzeit etwas mehr als 200 Mitgliedern in 27 Ländern, die im Wesentlichen über Emails und ihre Homepage (www.healthyskepticism.org) kommunizieren und sich zum Ziel gesetzt haben, die Gesundheitssituation durch eine Reduzierung von irreführenden Gesundheitsinformationen zu verbessern. Die Vereinigung besteht seit 1983 und wird von Peter Mansfield koordiniert. In der folgenden 7 Übersicht werden die Ziele von Healthy Skepticism dargestellt.
Wichtige Ziele von Healthy Skepticism 5 Reduzierung von Schäden für die Gesundheitsversorgung durch unangemessene, irreführende oder unethische Vermarktung von Gesundheitsprodukten, v. a. irreführendes Pharmamarketing. 5 Erforschung und Information über Marketingmaßnahmen. 5 Entwicklung, Unterstützung und Evaluation von Initiativen, die auf eine Reduktion der o. g. Praktiken hinarbeiten, z. B. über Gesetzesinitiativen oder Verstärkermechanismen. 5 Entwicklung, Implementierung und Evaluation von Informationskampagnen.
169
11
Die »no free lunch«-Organisationen sind weltweit tätig und über die Homepage-Adresse www.nofreelunch.org organisiert. MEZIS e. V. ist als deutsche Organisation Teil des »no-free-lunch«-Netzwerkes und steht für »Mein Essen zahl` ich selbst« (www. mezis.de). Dem Verein haben sich derzeit 250 Ärzte aus dem deutschsprachigen Raum angeschlossen. MEZIS setzt sich für eine rationale und evidenzbasierte Therapie ein und macht sich mit seinen Mitgliedern auf den Weg, durch die Reduktion von Interessenkonflikten dem Patientenwohl besser zu dienen. Eine vorbehaltlose Umsetzung der in der Übersicht genannten Forderungen von MEZIS ist ausdrücklich nicht Aufnahmevoraussetzung. Vielmehr können alle Ärzte Mitglieder werden, die sich auf den Weg einer Reduktion von Interessenkonflikten machen und sich prinzipiell mit diesen Zielen identifizieren. > Die »no free lunch«-Organisationen incl. MEZIS e. V. setzen sich für eine evidenzbasierte, rationale Medizin ein, die Interessenkonflikte durch Arzt-Industrie-Kontakte weitgehend zu eliminieren versucht.
Wichtige Empfehlungen von Mezis e. V. Zur Reduktion von Interessenkonflikten und einer besseren Patientenversorgung sollten Ärzte: 5 keine Pharmavertreter empfangen, 5 keine Arzneimittelmuster und Geschenke annehmen, 5 unabhängige Fortbildungsveranstaltungen besuchen und die Kosten dafür selbst übernehmen, 5 Fortbildungspunkte nur aus herstellerunabhängigen Veranstaltungen und unabhängigen Fachzeitschriften beziehen, 5 keine Anwendungsbeobachtungen durchführen und 5 keine Pharma-gesponserte Praxissoftware benutzen.
170
Kapitel 11 • Interessenkonflikte durch Arzt-Industrie-Kontakte in Praxis
11.4.2
Institutionelle Richtlinien
Basierend auf der »Charter on Medical Professionalism« (ABIM Foundation et al. 2002), die von mehr als 100 professionellen Ärztegruppierungen weltweit verabschiedet wurde und die als eine der 10 wichtigsten Forderungen die Sicherstellung des Patientenvertrauens durch Regulierung von Interessenkonflikten ansieht, haben viele Institutionen Richtlinien zum Umgang mit Interessenkonflikten aufgestellt. Exemplarisch sollen hier die Richtlinien des »Institute of Medicine« (Lo u. Field 2009, S. 184 ff.) dargestellt werden. Das Institute of Medicine spricht bzgl. des Umgangs mit Interessenkonflikten in der ärztlichen Praxis die nachfolgenden Empfehlungen aus (7 Übersicht). Empfehlung 6.1. des »Institute of Medicine« (Lo and Field 2009)
11
Ärzte sollten 5 keine Geschenke, Kostenerstattungen etc. von pharmazeutischen Unternehmen, Geräteherstellern oder Biotechnologie-Unternehmen annehmen, außer es handelt sich um eine angemessene Bezahlung für eine gerechtfertigte Tätigkeit; 5 keine Fortbildungsveranstaltungen durchführen oder wissenschaftlichen Artikel schreiben, die von der Industrie kontrolliert sind oder bei denen signifikante Anteile von jemandem geschrieben wurde, der nicht als Autor erkennbar oder genannt ist, 5 nicht als Berater für die Industrie fungieren, außer es handelt sich um eine Expertentätigkeit, die vertraglich geregelt ist und angemessen bezahlt wird; 5 keine Vertreterbesuche empfangen, außer die Einladung geht vom Arzt aus und wird dokumentiert; 5 keine Arzneimittelmuster annehmen, außer es handelt sich um Muster für Patienten, die keinen Zugang zu notwendigen Medikamenten haben.
Als ein Beispiel für Deutschland werden die Richtlinien der Klinik für Psychiatrie und Psychothe-
rapie der Universitätsmedizin Mainz dargestellt (www.unimedizin-mainz/psychiatrie), s. folgenden Abschnitt. Die Richtlinien zielen auf eine erhöhte Unabhängigkeit der Ärzte durch klare Regeln im Umgang mit Vertretern der pharmazeutischen Industrie und Medizinprodukte-Herstellern, bei gleichzeitiger Festigung und Stärkung der Zusammenarbeit mit der Industrie in der Entwicklung von verbesserten Medikamenten für eine bessere Versorgung. Unabhängigkeit wird in diesen Richtlinien als Chance verstanden, das Vertrauen der Patienten in eine bestmögliche und am wenigsten schadende Therapie zu erhalten. Ärzte als Meinungsbildner sollen sich als Vertreter evidenzbasierter Medizin der Forschung, Klinik und den Patienteninteressen verpflichten und aus dieser Verpflichtung heraus rationale und unabhängige Empfehlungen zur Pharmakotherapie abgeben. > Eine erfolgreiche Kooperation mit der Industrie in der Entwicklung verbesserter Therapieverfahren bei gleichzeitiger größtmöglicher Unabhängigkeit bzgl. der Verschreibungspraxis und Meinungsbildung ist durch Einhaltung klarer Richtlinien möglich.
Richtlinien der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz zum Umgang mit Interessenkonflikten z
1. Richtlinien zu Vertreterbesuchen
5 Vertreter der pharmazeutischen Industrie erhalten keinen direkten Zugang zu den Ärztinnen und Ärzten auf den Stationen oder in den Ambulanzen. Sie haben nur Zugang zum Chefarzt oder zu den Oberärzten der Klinik, wenn sie mit diesen über neue klinische Studien diskutieren oder wenn sie über Neueinführungen/Indikationserweiterungen oder relevante Neuigkeiten bei Substanzen berichten wollen. Bei solchen Neuigkeiten oder Neueinführungen berichtet der Vertreter der pharmazeutischen Industrie in der Ärztefrühkonferenz über die neue Substanz bzw. die Indikationserweiterung. Damit werden zum einen in effektiver und Arbeitszeit-schonender-Weise alle Ärzte auf einmal erreicht, zum
171
11.5 • Fazit und Ausblick
anderen kann durch eine kritische Diskussion der präsentierten Inhalte sichergestellt werden, dass sich die Informationen an den Kriterien der evidenzbasierten Medizin orientieren und in den gesamtklinischen und ökonomischen Kontext eingebunden werden. 5 Geschenke, auch noch so kleiner Art, wie z. B. Kugelschreiber, Notizblöcke oder Kalender, werden nicht angenommen. 5 Reisekostenerstattungen zur Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen oder Kongressen werden nicht angenommen, sondern aus dem Fortbildungsetat der Klinik oder aus Drittmitteln bezahlt. 5 Arzneimittelmuster werden nicht angenommen. z
3. Richtlinien zu Referententätigkeiten auf Fortbildungsveranstaltungen
5 Keine Referententätigkeit auf Veranstaltungen, die von der Pharmaindustrie organisiert werden. 5 Tätigkeit als Referent nur bei Bezahlung durch einen unabhängigen Sponsor. 5 Keine Teilnahme an »Advisory boards«, die nur Marketingzwecken dienen. 5 Übernahme von Beraterverträgen nur im Rahmen wissenschaftlicher Kooperationen, in denen Leistung und Gegenleistung angemessen sind und transparent gemacht wurden. z
reits auf dem Markt befindlichen Substanzen erwarten lassen (also keine Studienteilnahme bei offensichtlichen Scheininnovationen). 5 Klare vertragliche Regelung der Kooperation mit der Pharmaindustrie mit Ausweisung von Leistung und Gegenleistung. 5 Vereinnahmung der Honorare auf Leistungserbringer-unabhängige Drittmittelkonten und Verwaltung der Gelder durch unabhängige Personen. 5 Keine Teilnahme an Anwendungsbeobachtungen. Seltene Ausnahme können groß angelegte Anwendungsbeobachtungen sein, denen ein multizentrisches und Protokoll-gebundenes Design zugrunde liegt, die von öffentlichen Trägern finanziert und die anschließend auch publiziert werden.
2. Richtlinien zur Finanzierung von Fortbildungsveranstaltungen
5 Fortbildungsveranstaltungen in der Klinik finden ohne finanzielle Unterstützung der Industrie statt. Reisekosten, Übernachtung und ggf. ein angemessenes Honorar für den Referenten werden aus dem Fort- und Weiterbildungsetat der Klinik bezahlt. 5 Bei der Auswahl der Referenten ist darauf zu achten, dass diese durch kritische und ausgewogene Referate bekannt geworden sind. 5 Alle Referenten müssen zu Beginn ihres Vortrages mögliche Interessenkonflikte offenlegen. z
11
4. Richtlinien zu Medikamentenstudien
5 Teilnahme nur an Studien mit Substanzen, die einen erkennbaren Fortschritt gegenüber be-
11.4.3
Checkliste zur Erfassung von Interessenkonflikten in Praxis und Klinik
In . Tab. 11.1 wird eine Checkliste vorgestellt, die dazu dient, das Ausmaß von Interessenkonflikte in der eigenen Praxis oder Klinik zu erfassen und Maßnahmen zur Reduktion von Interessenkonflikten zu formulieren. Diese Checkliste lehnt sich an den in 7 Kap. 5 gemachten Vorschlag zur Offenlegung von Interessenkonflikten an (7 Tab. 5.5).
11.5
Fazit und Ausblick
Arzt-Industrie-Kontakte sind häufig und eine wichtige Ursache für Interessenkonflikte. Schwierigkeiten in der Reduzierung solcher Interessenkonflikte entstehen insbesondere daraus, dass unter Ärzten nur ein geringes Problembewusstsein bzgl. solcher Verbindungen besteht und die Annahme von Vergünstigungen in vielfältiger Art und Weise rationalisiert wird. Es muss daher weitere Forschung betrieben werden, um herauszufinden, durch welche Maßnahmen effektive und anhaltende Einstellungs- und Verhaltensänderungen induziert werden können. Während die Industrie einen Codex der Selbstverpflichtung formuliert hat (FS Arzneimittelindustrie e. V. 2004), existiert
172
Kapitel 11 • Interessenkonflikte durch Arzt-Industrie-Kontakte in Praxis
. Tab. 11.1 Checkliste zur Erfassung von Interessenkonflikten und Beschreibung von Handlungsansätzen (in Anlehnung an Tab. 5.5) Mögliche Ursache des Interessenkonflikts Beziehungen zu Unternehmen/Auftraggebern Halten Sie Aktien an bestimmten Unternehmen? Halten Sie Patente? Erhalten Sie Gelder aus Lizenzen oder Tantiemen? Unterhalten Sie persönliche Beziehungen zu einem Unternehmen (ist z. B. der Partner dort angestellt)? Beratertätigkeiten Erhielten Sie Honorare für eine Beratertätigkeit, z. B. im Rahmen eines Advisory Boards oder eines Steering Commitees? Autorentätigkeit Erhielten Sie Honorare für eine Autoren- bzw. Co-Autorenschaft bei einer Publikation? Erhielten Sie Honorare für eine Gutachtertätigkeit? Fortbildungen und Kongresse Wurden Ihnen Teilnahmegebühren für einen Kongress oder eine Fortbildungsveranstaltung erstattet? Wurden Ihnen Reisekosten dafür erstattet?
11
Wurden Ihnen Übernachtungskosten erstattet? Erhielten Sie Honorare für einen Vortrag oder die Vorbereitung von wissenschaftlichen bzw. Fortbildungsveranstaltungen? Wissenschaftlichen Tätigkeiten Haben Sie Honorare für die Durchführung von klinischen Auftragsstudien persönlich als Studienarzt angenommen? Waren Sie als Studienarzt für die Annahme von Honoraren für klinische Auftragsstudien auf Ihr Drittmittelkonto (z. B. einer Klinik) verantwortlich? Waren Sie als Klinikdirektor für die Annahme von Honoraren für klinische Auftragsstudien auf Drittmittelkonten (z. B. einer Klinik) gesamtverantwortlich? Erhielten Sie Gelder (auch Geräte, Materialien, organisatorische Hilfestellung oder Unterstützung bei der Abfassung von Manuskripten) für ein von Ihnen initiiertes Forschungsvorhaben, persönlich als Studienarzt oder haben Sie solche beantragt? Waren Sie als Studienarzt für die Annahme von Geldern (auch Geräten, Materialien, organisatorischer Hilfestellung oder Unterstützung bei der Abfassung von Manuskripten) für ein von Ihnen initiiertes Forschungsvorhaben verantwortlich oder haben Sie solche beantragt?
Beschreibung des Ausmaßes
Einzuleitende Maßnahme
173
Literatur
11
. Tab. 11.1 Fortsetzung Mögliche Ursache des Interessenkonflikts
Beschreibung des Ausmaßes
Einzuleitende Maßnahme
Waren Sie als Klinikdirektor für die Annahme von Geldern (auch Geräten, Materialien, organisatorischer Hilfestellung oder Unterstützung bei der Abfassung von Manuskripten) für ein von Ihnen initiiertes Forschungsvorhaben verantwortlich oder haben Sie solche beantragt? Immaterielle Interessenkonflikte Sind Sie in Berufsverbänden/Fachgesellschaften/Organen der Selbstverwaltung aktiv? Wenn ja, in welcher Position? Sind Sie in Vereinen, Interessengruppierungen, Patientenselbsthilfegruppen aktiv? Wenn ja, in welchen? Gehören Sie einer besonderen Therapieschule an (z. B. chirurgische Schule, Psychotherapie, Homöopathie etc.)?
in Deutschland kein einheitlicher Verhaltenscodex der Ärzteschaft, und Ärzteorganisationen wie MEZIS e. V. verzeichnen nur einen geringen Mitgliederzuwachs. Sollte es der Ärzteschaft nicht gelingen, einen weitreichenden Verhaltenskodex zu formulieren, ist zu erwarten, dass eine Verhaltensänderung wie in den USA auf lange Sicht gesetzlich eingefordert werden wird, z. B. in Form einer geänderten (Muster-) Berufsordnung mit einem Verbot aller Geschenke und Einladungen. Auch wäre zu erwarten, dass wie in den USA gesetzliche Regelungen geschaffen werden, die alle Industrieunternehmen ab 2013 verpflichten, an Ärzte gezahlte Beträge für Fortbildungen etc. verbindlich offenzulegen. Schon heute lassen sich in den USA von großen Industrieunternehmen an einzelne Ärzte gezahlte Honorare online abrufen (http:// projects.propublica.org). Eine entscheidende Begleitmaßnahme für die Reduktion von Interessenkonflikten ist es, dafür zu sorgen, dass unabhängige Fortbildungsmaßnahmen (z. B. durch unabhängige Fortbildungsakademien, Kliniken oder Qualitätszirkel) in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt werden und die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Ärztekammern nur noch Pharma-unabhängige Fortbildungsveranstaltungen für den Erwerb von CME-Punkten akkreditieren können. Letztendlich wird sich die Ärzteschaft in Zukunft daran gewöhnen müssen, dass qualitativ hochwertige und unabhängige In-
formation nicht zum Nulltarif zu erhalten ist, dass sich aber der Einsatz für eine bessere Patientenversorgung lohnt.
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11
Kapitel 11 • Interessenkonflikte durch Arzt-Industrie-Kontakte in Praxis
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175
Die Transparenzregelungen der HELIOS Kliniken Francesco De Meo und Adelheid Jakobs-Schäfer
12.1
Anlass und Hintergrund – 176
12.2
Prinzipien – 177
12.3
Handlungsgrundsätze – 178
12.4
Erläuterungen – 181
12.5
Akzeptanz – 181
12.6
Fazit und Ausblick – 182 Literatur – 183
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
12
176
Kapitel 12 • Die Transparenzregelungen der HELIOS Kliniken
Zur Einführung Interessenkonflikte sind im milliardenschweren Gesundheitsmarkt von hoher Aktualität. Sie sind relevant für das Verhalten von niedergelassenen ebenso wie von im Krankenhaus tätigen Ärzten. Sie beeinflussen das Verhalten von Pflegenden, von administrativ – im Einkauf und in der Medizintechnik – Tätigen und zunehmend auch das von Patienten bzw. Patientenselbsthilfegruppen. Es gilt daher, das aktive Bewusstsein im Umgang mit Interessenkonflikten zu schärfen; dies ist für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen wichtig und unterstützt die bestmögliche Versorgung der Patienten. Aufgrund dieser Erkenntnis haben die HELIOS Kliniken im Jahr 2001 erste Verhaltensregeln zum sogenannten Sponsoring aufgestellt. Die ursprüngliche »Konzernregelung Sponsoring« wurde 2009 durch die »HELIOS Konzernregelung Transparenz« ersetzt, die den Umgang mit Interessenkonflikten unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrungen verbindlich regelt.
12.1
12
Anlass und Hintergrund
Die im Jahr 2001 aufgestellte »Konzernregelung Sponsoring« sollte insbesondere Mitarbeiter und Patienten vor Nachteilen durch Interessenkonflikte schützen. Im Fokus stand damals das Sponsoring durch pharmazeutische Unternehmen. Schnell wurde deutlich, dass die betroffenen Mitarbeiter in den Krankenhäusern im Umgang mit Interessenkonflikten oft unbedarft waren und/oder diese von sich wiesen. Von allenfalls potenziellen Interessenkonflikten war die Rede, die stets erkennbar seien und widerspruchsfrei auflösbar erschienen (zur Definition und zu den psychologischen Aspekten von Interessenkonflikten 7 Kap. 2 und 7 Kap. 3). Eine Fehleinschätzung, wie wir aus Erfahrung und zahlreichen Untersuchungen zu diesem Thema wissen (Ross et al. 2009; Übersicht in Lo u. Field 2009). Das primäre Interesse an der bestmöglichen Patientenversorgung kann sehr wohl mit sekundären Interessen kollidieren, die materieller, sozialer oder intellektueller Art sind. Worum geht es konkret? Um Zuwendungen von pharmazeutischen Unternehmen oder Herstellern von Medizinprodukten;
um Honorare für Vorträge bei Veranstaltungen der Industrie oder industrienahen Gruppierungen; um Beraterverträge; um Aufmerksamkeiten wie Weihnachtsgeschenke, Geburtstagsfeiern oder Reisen – mit (Ehe-)Partnern – zu Kongressen an attraktive Orte (zu Interessenkonflikten in der ärztlichen Praxis und in Kliniken 7 Kap. 11). In all diesen Fallkonstellationen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich der betreffende Mitarbeiter daraufhin im Krankenhaus direkt oder indirekt für ein bestimmtes Medikament, Verfahren oder Unternehmen einsetzt. Oft geht es dabei – in der Regel subtil – um Interessenkonflikte, die emotionaler oder sozialer Natur sind. Eine wesentliche Rolle spielen hier das menschliche Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und der Wunsch, im sozialen Umfeld und in der Gesellschaft etwas darzustellen, etwas zu erreichen. Oft geht es um die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schule, Berufsorganisation oder anderen Interessengruppen, die Präsidentschaft einer Fachgesellschaft oder eines Ausbildungsinstituts oder schlicht um die eigene Karriere. > Interessenkonflikte in Arztpraxis und Klinik entstehen typischerweise, aber nicht ausschließlich, durch Kontakte mit pharmazeutischen Unternehmen und Herstellern von Medizinprodukten.
Interessenkonflikte entstehen also nicht nur durch finanzielle Beziehungen zu pharmazeutischen Unternehmen oder Herstellern von Medizinprodukten oder durch ihre »Aufmerksamkeiten«. Sie sind oft in einem sehr viel subtileren menschlichen Interessengeflecht verborgen. Dabei sind Interessenkonflikte nicht per se zu verurteilen und auch nicht immer zu vermeiden. Entscheidend ist es aber, sie erkennbar zu machen: für den Einzelnen, aber vor allem für Andere, die sich auf die Entscheidung oder das Urteil einer bestimmten – in einem Interessenkonflikt stehenden – Person verlassen. In solchen Fällen hilft nur eines: Transparenz. Im Jahr 2009 wurde daher die »Konzernregelung Sponsoring« durch die »HELIOS Konzernregelung Transparenz« ersetzt. Sie geht über die frühere Konzernregelung hinaus – sowohl in der Verpflichtung als auch in der Regelungsintensität
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12.2 • Prinzipien
Die HELIOS Konzernregelung Transparenz geht über den Aspekt des Umgangs mit Sponsoring hinaus. So heißt es in der Präambel:
» Durch die Konzernregelung Transparenz sollen auch jene Formen der Einflussnahme verhindert werden, die zwar nicht strafrechtlich relevant sind, aber zu einem Konflikt von beruflichen und persönlichen Interessen führen können. Darüber hinaus dient sie dazu, Verschwendung von Ressourcen im Gesundheitswesen zu vermeiden.
«
Die Konzernregelung mit ihren niedergelegten Prinzipien ist im gesamten Konzern verpflichtend. Unter Punkt VI. der Konzernregelung heißt es daher:
pdfs/Themen/Gesundheitspapier_Stand_2008_ Auflage_5_08-08-18.pdf) entstand die »Konzernregelung Transparenz«. Sie umfasst 15 Seiten und 6 Kapitel. Sie regelt 4 Prinzipien (7 Abschn. 12.2) und 15 Handlungsgrundsätze (7 Abschn. 12.3). Hinzu kommt ein regelmäßig aktualisierter Erläuterungsband (7 Abschn. 12.4), in dem Fragen und Antworten zur Konzernregelung veröffentlicht werden. Die »Konzernregelung Transparenz« ist mit Erläuterungsband veröffentlicht unter: www. helios-kliniken.de/krtransparenz. Zehn Jahre Praxistest zeigen, dass die Konzernregelung zum größten Teil akzeptiert wird, und es sich lohnt, mutig mit dem Thema umzugehen (7 Abschn. 12.5).
12.2
» Mitarbeiter, die gesetzeswidrig handeln und/ oder gegen die HELIOS Konzernregelung Transparenz verstoßen, schaden sich selbst und dem Unternehmen HELIOS. Verstöße gegen Gesetze und/oder die HELIOS Konzernregelung Transparenz können arbeitsrechtliche Maßnahmen und strafrechtliche Sanktionen zur Folge haben.
«
Wichtig ist, ein in die persönliche Urteils- und Entscheidungsfähigkeit gesetztes Vertrauen des Patienten nicht zu enttäuschen. Es ist daher – soweit besteht Konsens – klarer Bestandteil der ärztlichen Berufsethik, sich bei Interessenkonflikten angemessen zu verhalten (ABIM Foundation 2002; zu ethischen Aspekten von Interessenkonflikten 7 Kap. 4). Über die Frage, welches Verhalten angemessen ist, herrscht im Detail Uneinigkeit. Mit der aktuellen Debatte (Lieb et al. 2011; Ludwig et al. 2009) greift man in Deutschland einen Diskussionsprozess auf, der im Ausland teilweise schon weiter fortgeschritten ist. Die HELIOS Kliniken beschäftigen sich seit 2001 mit dem Thema der Interessenkonflikte. In die »Konzernregelung Transparenz« sind Erfahrungen aus der Umsetzung der »Konzernregelung Sponsoring«, aber auch Erkenntnisse aus dem In- und Ausland im Umgang mit Interessenkonflikten eingegangen. Im Jahr 2008 wurde HELIOS korporatives Mitglied bei »Transparency International« (TI). Nach reger Diskussion über die Erfahrungen von TI auf dem Feld der Interessenkonflikte (Martiny 2009; s. auch www.transparency.de/fileadmin/
12
Prinzipien
Die »Konzernregelung Transparenz« beruht auf 4 Prinzipien, mit deren Einhaltung eine unangemessene Einflussnahme verhindert werden soll: dem Transparenz-/ Genehmigungsprinzip, dem Dokumentationsprinzip, dem Trennungsprinzip und dem Äquivalenzprinzip. Kapitel 1 der Konzernregelung legt fest:
»
Die Verletzung auch nur eines der Prinzipien kann den Eindruck erwecken, es liege eine unzulässige Einflussnahme auf Entscheidungen von HELIOS Mitarbeitern vor.
«
Im Einzelnen gelten folgende Prinzipien: 5 Transparenz-/ Genehmigungsprinzip: Entgeltliche oder unentgeltliche Leistungen von Dritten, die im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen, sind vorab gegenüber der Klinikgeschäftsführung offenzulegen und bedürfen einer Genehmigung. Dazu gehören beispielsweise Beraterverträge, Forschungskooperationen, Referententätigkeiten, Hospitationszentren, Beratungsgremien, Präsidentschaft und Leitung von Kongressen/Tagungen. Dadurch sollen Interessenkonflikte sichtbar werden. 5 Dokumentationsprinzip: Etwaige Vereinbarungen von entgeltlichen oder unentgeltlichen Leistungen mit Dritten, die im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen, sind
178
Kapitel 12 • Die Transparenzregelungen der HELIOS Kliniken
(nach erfolgter Offenlegung und Genehmigung) schriftlich zu dokumentieren. Nur so wird eine Beurteilung der Frage möglich, ob die Geschäftsbeziehung im Einklang mit der »Konzernregelung Transparenz« steht. 5 Trennungsprinzip: Entgeltliche oder unentgeltliche Leistungen Dritter an HELIOS Mitarbeiter dürfen nicht dazu dienen, Therapie-, Beschaffungs- und andere berufliche Entscheidungen in unlauterer Weise zu beeinflussen. Solche Entscheidungen müssen sachorientiert und unter Beachtung des Patientennutzens getroffen werden. 5 Äquivalenzprinzip: Leistungen und Gegenleistungen müssen in einer Geschäftsbeziehung in einem angemessenen Verhältnis stehen.
12
Dies ist einfacher gesagt als getan, was insbesondere für die konsequente Umsetzung der vorstehend dargelegten Prinzipien gilt. Mit Einführung der »Konzernregelung Sponsoring« im Jahr 2001 wurde die Frage gestellt, wie man mit den vielen grenzwertigen Fallkonstellationen umgehen solle. Die Antwort lautete damals: »Im Zweifel nein!«. Dieses Grundprinzip gilt auch heute noch. In der Umsetzung bedarf es jedoch weiterer Konkretisierung. Daher enthält die »Konzernregelung Transparenz« Handlungsgrundsätze, ergänzt durch den Erläuterungsband.
12.3
Handlungsgrundsätze
Die »Konzernregelung Transparenz« konkretisiert insgesamt 15 Handlungsgrundsätze. Diese wurden aus den 4 Grundprinzipien entwickelt und dienen als primäre Orientierungshilfe. Die 15 Handlungsgrundsätze lauten – in der Regel selbsterklärend – wie folgt: Alle HELIOS Mitarbeiter informieren sich Eigentlich
eine Selbstverständlichkeit, die jedoch nicht von jedem Mitarbeiter befolgt wird. Vor allem in den ersten Jahre nach Einführung der Konzernregelung versuchten Mitarbeiter, ihre Verfehlungen mit dem Hinweis zu entschuldigen, ihnen wäre die Konzernregelung nicht bekannt gewesen. Doch weder vor 10 Jahren noch heute schützt Unwissenheit als
sogenannter Verbotsirrtum vor einer Strafe. Sie kann (und konnte) deshalb nicht als Rechtfertigung einer Regelverletzung akzeptiert werden. Mögliche Interessenkonflikte offenlegen Im HE-
LIOS Intranet werden Verbindungen zu Dritten, die Bezug zur beruflichen Tätigkeit haben könnten, in einer Transparenzerklärung offengelegt. Die Möglichkeit einer solchen Transparenzerklärung gibt es seit 2009. Dadurch findet eine Offenlegung statt, wie sie bei jeder wissenschaftlichen Veröffentlichung heute üblich ist. In der Praxis zeigte sich jedoch, dass solche Erklärungen nur schwer auf freiwilliger Basis erfolgen. HELIOS ist mit dem Appell angetreten, dass sich die Führungskräfte im HELIOS Konzern vorbildlich verhalten und entsprechende Erklärungen im Intranet einstellen: beginnend mit der Konzerngeschäftsführung, dem Medizinischen Beirat und den Fachgruppenleitern. Ziel war und ist es, dass sukzessive alle weiteren Führungskräfte, die in einem Interessenkonflikt stehen (d. h. alle Chefärzte im HELIOS Konzern), sich entsprechend erklären. Zu Beginn war die Resonanz gering. Nach nunmehr 2 Jahren liegen von über 400 Chefärzten im HELIOS Konzern rund 200 Erklärungen vor. Es zeichnet sich ab, dass für eine breite Umsetzung mehr notwendig ist als ein Appell an die Vorbildfunktion und Freiwilligkeit der Führungskräfte. Demnächst muss daher die Frage beantwortet werden, ob und wie die Transparenzerklärung verpflichtend ausgestaltet werden kann. Verträge für bezahlte Nebentätigkeiten Diese Regel macht nochmals deutlich, dass für jede Nebentätigkeit, die im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit steht, ein Vertrag zwischen Arbeitgeber (Klinik) und dem Dritten erforderlich ist. Dies gilt beispielsweise für Referententätigkeiten, Beratertätigkeiten und Forschungskooperationen. Auch heute wird noch zu oft auf schriftliche Verträge verzichtet. Das ist nicht akzeptabel. HELIOS stellt daher Musterverträge zur Verfügung. Für die Höhe der Vergütung ist das Äquivalenzprinzip einzuhalten, hierfür werden jeweils aktuell Vergütungssätze empfohlen. Zahlungen aus solchen Verträgen erfolgen ausschließlich an die Klinik, nicht an die Mitarbeiter.
12.3 • Handlungsgrundsätze
Keine Kopfpauschale für Patienteneinweisungen Der vom Gesetzgeber in DRG1-Zeiten auf-
erlegte Wettbewerb braucht die Wahlfreiheit der Patienten. Dafür muss jedoch Transparenz herrschen: Nur die medizinische Qualität darf über eine Überweisung entscheiden, nicht eventuelle Zuwendungen an den überweisenden Arzt. Die höchst verwerfliche Unsitte der sogenannten Kopfpauschalen hat im Gesundheitswesen nichts zu suchen, auch wenn die Realität früher anders war – und z. T. sogar heute noch anders ist. HELIOS hat daher Muster entwickelt, auf deren Grundlage klar die Voraussetzungen und inhaltlichen Grenzen für Kooperationsvereinbarungen mit niedergelassenen Ärzten definiert sind. Diese Position hat sich bewährt, auch wenn sie in erkennbarem Umfang zu »Umorientierungen« von niedergelassenen Ärzten geführt hat. Klinische Prüfungen sind meldepflichtig Sie sind bei HELIOS dem »HELIOS Research Center« (HRC) vorzulegen. Sie werden von diesem geprüft und mit Empfehlungen versehen. Anwendungsbeobachtungen werden nicht unterstützt, es sei denn, sie sind vorab vom HRC ausdrücklich genehmigt worden, da der Patientennutzen und/oder eine wissenschaftlich relevante Fragestellung (beides ist vom Prüfarzt ausführlich mit Nachweisen schriftlich zu begründen) im Vordergrund stehen. Kein Sponsoring für Fort- und Weiterbildung Im
Gesundheitswesen werden auch heute noch eine Vielzahl von Fort- und Weiterbildungen durch Dritte finanziert (7 auch Kap. 14). Viele Kongresse gäbe es nicht ohne die massive Finanzierung, v. a. von pharmazeutischen Unternehmen und den Herstellern von Medizinprodukten. Diese Form des Sponsorings führt aber zu massiven Interessenkonflikten. HELIOS trägt die Kosten für die Fort- und Weiterbildung seiner Mitarbeiter daher selbst. Dies umfasst Reisekosten, Unterbringung und Teilnahmegebühren. Über die Notwendigkeit dieses Handlungsgrundsatzes wurde in den letz-
1
DRG (Diagnosis-Related Group) ist eine Zusammenfassung von Krankenhausbehandlungsfällen anhand von Diagnosen und Prozeduren zu homogenen Behandlungsfallgruppen
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12
ten 10 Jahren bei HELIOS heftig diskutiert. Unterstützen in diesem Fall Drittmittel doch sowohl die Interessen der Verwaltungsleitung (Fort- und Weiterbildung möglichst kostengünstig) als auch diejenigen der Mitarbeiter (möglichst viel Fort- und Weiterbildung). Aber nur wer konsequent und inhaltlich reflektiert darauf achtet, wann, warum und wie die Mitarbeiter fort- und weitergebildet werden, wird dies für die betreffenden Mitarbeiter in adäquater Form tun. Wer die Fort- und Weiterbildung von Drittmittelanreizen abhängig macht, liefert sich inhaltlich dem Spiel der anderen Marktteilnehmer aus, die damit eigene Ziele verfolgen. Daher gilt bei HELIOS: Über Fort- und Weiterbildung muss bewusst entschieden werden. Die Maßnahmen sind klinikseitig aus dem Fort- und Weiterbildungsbudget zu bezahlen. Dafür ist ein Gesamtbudget von mindestens 0,4 % des jeweiligen Klinikgesamtumsatzes verbindlich vorgesehen; im HELIOS Konzern sind dies mehr als 10 Mio. EUR jährlich. Bei HELIOS müssen die Chefärzte und die Klinikgeschäftsführungen jährlich gemeinsam planen, wo Fort- und Weiterbildungsbedarf besteht, wer wie fort- und weitergebildet werden soll, und wie dies in die Dienst- und Urlaubspläne sowie die Budgets integriert wird. Fort- und Weiterbildung ist planbar. Auch bei HELIOS wird in Diskussionen zuweilen das Ende jeder Fort- und Weiterbildung beschworen. Es wird vermutet, dass Fort- und Weiterbildung ohne Drittfinanzierung (z. B. ohne Industriesponsoring über Stände) nicht durchführbar sei. Doch weit gefehlt: Fort- und Weiterbildung kann und muss man sich leisten. Sie ist die entscheidende Voraussetzung für eine nachhaltige, qualitätsorientierte Medizin. Das zeigt unsere mehrjährige Erfahrung bei HELIOS im Umgang mit diesem Thema. HELIOS Veranstaltungen ohne Sponsoring Es gibt im Gesundheitswesen eine Vielzahl von Veranstaltungen, die von dritter Seite (mit)finanziert werden. Diese reichen von internen Fortbildungen über Informationsveranstaltungen, Tagen der offenen Tür bis hin zu Abteilungs- oder Weihnachtsfeiern. Das Sponsoring besteht häufig aus Industrieausstellungen, Werbeständen und/oder Werbeanzeigen. Im Einzelfall ist es oft schwierig zu entscheiden,
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Kapitel 12 • Die Transparenzregelungen der HELIOS Kliniken
welche Form der Unterstützung noch zulässig ist. HELIOS hat sich daher für den einzig konsequenten Weg entschieden: »Wo HELIOS draufsteht, ist nur HELIOS drin!«. Eigene Veranstaltungen sind allein von HELIOS finanziert. Dies gilt auch für Informationsveranstaltungen oder Symposien von HELIOS Ärzten. Es ist eine im Einzelfall unternehmerisch zu treffende Entscheidung, ob eine solche Veranstaltung sinnvoll und ihr – durch die HELIOS Klinik zu budgetierendes – Geld wert ist. Die Alltag hat gezeigt, dass inhaltlich sinnvolle und informative Veranstaltungen auch bei eigener Finanzierung immer stattfinden können. HELIOS sponsert nur in Ausnahmefällen Falls sich
HELIOS zum Sponsoring einer Veranstaltung Dritter entscheidet, muss diese mit den 4 HELIOS Zielen (Patientennutzen, Wirtschaftlichkeit, Wissen, Wachstum) im Einklang stehen und diese Ziele nachweislich fördern. Ein solches Veranstaltungssponsoring bedarf immer der ausdrücklichen Genehmigung durch die Klinikgeschäftsführungen. HELIOS wirbt nicht für externe Partner Dies um-
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fasst auch den Grundsatz, dass externe Partner mit HELIOS nur in eng begrenzten Ausnahmefällen werben dürfen. Solche Fälle bedürfen vorab der ausdrücklichen Genehmigung der Geschäftsführung. Kein Empfang von Industriepartnern durch die Mitarbeiter Entscheidungen über Produkte treffen
medizinische Fachgruppen sowie beigeordnete zentrale Fachabteilungen (Einkauf, Medizintechnik, Apotheken, Warengruppenmanager). Aus diesem Grund sollen Mitarbeiter keine Industriepartner empfangen. Sie dürfen von diesem Grundsatz nur in Ausnahmen und nach sorgfältiger Nutzenabwägung abweichen (z. B. für Erläuterungen vor Ort nach einer zentral mit den Fachgruppen und Fachabteilungen festgelegten Produktentscheidung). In diesen Ausnahmefällen geht es dann um die Umsetzung einer anderweitig schon getroffenen Einkaufsentscheidung, nicht mehr um die Auswahlentscheidung als solche. In der Praxis ist dieser Handlungsgrundsatz bislang noch nicht ausreichend umgesetzt worden. Es gibt bei HELIOS noch zu viele persönliche Kontakte zwischen Ärz-
ten und Vertretern der pharmazeutischen Unternehmen. In Zukunft wird dies daher ein Thema sein, dessen Umsetzung stärker in den Fokus treten wird. Einkaufsentscheidungen treffen nur Verantwortliche HELIOS hat für das Ausschreibungs-, Aus-
wahl- und Bestellverfahren jeweils verantwortliche Institutionen oder Personen (Warengruppenverantwortliche) benannt. Bestellungen und Rechnungen, die von Unbefugten getätigt werden, werden von der Klinik nicht bezahlt. Mitarbeiter nehmen keine Produkte externer Partner an Dieser Grundsatz ist im Krankenhausbe-
reich noch kaum verbreitet. Er besagt, dass Sachmittel und Produkte ausschließlich von hierzu befugten Abteilungen angenommen werden. Das gilt für Arzneimittel, Medizinprodukte und technische Geräte. Damit ist sichergestellt, dass Mitarbeiter im ärztlichen Dienst nicht mehr unmittelbar durch Außendienstmitarbeiter der Hersteller mit deren Produkten oder mit Sachmitteln versorgt werden dürfen. Die explizit geregelte Verantwortlichkeit schafft Klarheit im Einkauf und in der Klinik Keine Teilnahme an bezahlten Marktumfragen Im-
mer häufiger werden Mitarbeiter aufgefordert, gegen Bezahlung oder eine sogenannte Aufwandsentschädigung an Marktumfragen teilzunehmen. Solche Umfragen dienen häufig weniger der Umfrage als der Platzierung eines Produktes im Markt. Von einer Teilnahme ist dringend abzuraten. Ausnahmen müssen im Einzelfall durch die Geschäftsführung genehmigt werden. Keine Annahme von Geschenken oder Zuwendungen Geschenke sind das Einfallstor für so-
zial motivierte Bindungen an bestimmte Anbieter und Produkte. Es gibt eine Vielzahl von Vergünstigungsideen in Form von Einladungen oder Anerkennungen, nur noch selten als Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenke. HELIOS Mitarbeiter dürfen Geschenke nicht annehmen. Ausgenommen sind Anerkennungen von Patienten oder deren Angehörigen mit geringem Sachwert wie Blumen, Kaffee oder Kuchen.
181
12.5 • Akzeptanz
Spenden beeinflussen die Unabhängigkeit nicht Spenden stellen einen anderen Sachverhalt
dar als das Sponsoring und sind daher gesondert zu bewerten. Aus diesem Grund wurde in der aktuellen Ausgabe der »Konzernregelung Transparenz« das Thema der Spenden erstmals ausdrücklich aufgenommen. Spenden sind Geld-, Sach- oder Zeitleistungen ohne Gegenleistung. HELIOS kann dabei als Spendenempfänger oder als Spendengeber auftreten. In jedem Fall ist allerdings die Unabhängigkeit der Entscheidung sicherzustellen. Spendengeber können Privatpersonen, eingetragene Vereine und andere Institutionen sein. Dabei ist zu beachten, dass die Gefahr der Intransparenz oder einer gezielten Einflussnahme bestehen kann. Daher sind stets die Vereinsstrukturen und die Förderer (Vereinsmitglieder, Dritte) zu recherchieren und offen zu legen. HELIOS nimmt keine Spenden an, wenn sie über Vereine oder sonstige gemeinnützige Förderinstitutionen erbracht werden, die teilweise oder ganz (mittelbar oder unmittelbar) auf Geld- oder Sachmitteln der pharmazeutischen Unternehmer oder der Hersteller von Medizinprodukten beruhen. Spenden dürfen bei HELIOS auch nicht für Betriebsmittel in der Klinik verwendet werden, v. a. dann nicht, wenn diese Betriebsmittel bereits durch die Kostenträger abgegolten werden. > Jeder Mitarbeiter von HELIOS muss die Grundsätze der »Konzernregelung Transparenz« einhalten und umsetzen. Vorgesetzte haben hierbei eine Vorbildfunktion.
Die »Konzernregelung Transparenz« dient der Orientierung, sie bietet aber auch immer wieder Anlass zu Fragen und Einwänden. Sachliche Diskussionen und eine geradlinige und beharrliche Verfolgung der Ziele haben dazu beigetragen, die »Konzernregelung Transparenz« bei HELIOS zu etablieren. Fallkonstellationen, die konkretisierungs- oder erläuterungsbedürftig sind, werden mittlerweile in einem Erläuterungsband behandelt, der knapp 90 auftretende Fragen beantwortet.
die Aufgaben und Verantwortlichkeiten nach der »Konzernregelung Transparenz« ab. Sie beziehen sich schwerpunktmäßig auf die praktische Anwendung sowie die Umsetzung der Konzernregelung. Am häufigsten sind Fragen nach der Vertragspflicht bei entgeltlichen Nebentätigkeiten. Hierauf beziehen sich allein 15 Fragen. An zweiter Stelle kommen das Werbeverbot für externe Partner, das Verbot zur Annahme von Produkten sowie das Verbot von Sponsoring für Fort- und Weiterbildung. Es hat einige Jahre gedauert, bis eine ausgewogene Kultur im Umgang mit diesen Fragen und den dazu gefundenen Antworten erreicht wurde. Indes haben sich auch hier Beharrlichkeit und Transparenz gelohnt. Die Angst vor dem Thema ist einer Versachlichung der Fragestellungen gewichen. Einige Mitarbeiter sind sogar erkennbar stolz auf das Erreichte. Es wird nicht mehr über Prinzipien oder die grundsätzliche Umsetzung diskutiert. Im Fokus steht nunmehr das Thema, wie die »Konzernregelung Transparenz« gelebt werden kann. Es bedarf jedoch weiterhin konsequenter Anpassungen im Detail und offen geführter Diskussionen. Mitglieder der »Arbeitsgruppe Transparenz« beantworten Fragen zum Thema und erhöhen damit die Akzeptanz der Handlungsgrundsätze. Diese Arbeitsgruppe ist interdisziplinär und hochrangig besetzt und wird von einem Konzerngeschäftsführer geleitet. Das verdeutlicht die Wichtigkeit dieser Fragen und stellt sicher, dass sie mit breitem Fachwissen und einem weiten Blickwinkel diskutiert werden. Darüber hinaus gibt es regionale Ansprechpartner zur »Konzernregelung Transparenz«, bei denen die auftretenden Probleme und Fragen besprochen werden können. Dem Transparenzgebot folgend sind auch die Erläuterungen im Internet einsehbar unter www. helios-kliniken.de/krtransparenz. An dieser Stelle sei daher für die Fülle von Detailfragen auf die dort gegebenen Antworten verwiesen.
12.5 12.4
Erläuterungen
Nur wenige im Erläuterungsband gestellte Fragen zielen auf die Präambel, den Geltungsbereich und
12
Akzeptanz
2010 wurde in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift eine Studie veröffentlicht, die verdeutlicht, dass krankenhausinterne Richtlinien zum Umgang mit pharmazeutischen Unternehmen eine
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12
Kapitel 12 • Die Transparenzregelungen der HELIOS Kliniken
kritische Einstellung der Ärzte im Hinblick auf das Werbeverhalten der Pharmaindustrie fördern (Gundermann et al. 2010). Die gleiche Studie offenbart aber auch eine erhebliche Diskrepanz in der Selbsteinschätzung der Ärzte: Die große Mehrheit der befragten Mediziner ist davon überzeugt, dass das Verhalten der Pharmaindustrie keinen Einfluss auf ihr Verordnungsverhalten habe. Ärzte handeln, so offenbar das Selbstbild, per se angemessen und unbeeinflussbar. Allerdings waren fast alle Befragten der Meinung, sie selbst seien weniger manipulierbar als ihre Kollegen, die sich durchaus von pharmazeutischen Unternehmen beeinflussen ließen (7 auch Kap. 3 und 7 Kap. 11). Eine Mehrheit bestätigte darüber hinaus, dass krankenhausinterne Richtlinien zu dem Thema hilfreich seien. Gleichzeitig sagte jeder zweite, dass eine Beratung durch die pharmazeutischen Unternehmen für die eigene Arbeit nicht hilfreich sei. Insgesamt ein Abbild dessen, was auch wir in den letzten 10 Jahren feststellen konnten. Diese Studie und andere Untersuchungen (Ross et al. 2009, Lieb u. Brandtönies 2010) verdeutlichen, dass unter den Ärzten zwei Haltungen im Widerstreit stehen. Einerseits dominiert die persönliche positive Einschätzung des eigenen, ethisch geprägten Bewusstseins über ihre Berufsausübung, andererseits existiert ein Unbehagen vor dem Eingeständnis, diesem Status des moralisch unangreifbaren Idealmenschen nicht gerecht zu werden. Darüber hinaus besteht die Sorge, ein erkennbares Versagen könne zu dramatischen Konsequenzen führen. Letzteres wird bestärkt durch die Wahrnehmung des Themas in den Medien sowie deren erkennbare Fokussierung auf oft sehr extreme – strafrechtlich relevante – Einzelfälle (Loll 2011; Salz 2010). Die Medien, aber mittlerweile auch die Ärzteschaft, gehen das Thema in der Tat offensiver an, und es sind bereits zahlreiche Artikel in medizinischen Fachzeitschriften (Brennan 2006, Henry 2010; Klemperer 2008; Lieb et al. 2011; Ross et al. 2009; Spurling et al. 2010; Steinbrook 2009; Stuckler 2011) und Büchern (Lo u. Field 2009; Schachter et al. 2008) veröffentlicht worden. Sie zeigen die Probleme auf, die in den Beziehungen zwischen Ärzten und Industrie entstehen können und geben Empfehlungen zur Deklaration von und zum Umgang mit Interessenkonflikten in klinischer For-
schung, Fort- und Weiterbildung sowie ärztlicher Tätigkeit ab. Außerdem sind Initiativen entstanden, wie z. B. MEZIS (»Mein Essen zahl’ ich selbst«), ein Zusammenschluss von Ärzten, die dieses Thema und andere bisher unausgesprochene Probleme engagiert angehen (s. auch www.mezis.de). > Interessenkonflikte lassen sich nicht immer vermeiden. Sie müssen aber transparent gemacht werden, damit Patienten sich auf unabhängige und medizinisch einwandfreie Diagnostik und Therapie verlassen können.
12.6
Fazit und Ausblick
Wenn wir auf 10 Jahre Erfahrungen bei HELIOS zurückblicken, machen diese – in Verbindung mit der veränderten öffentlichen Wahrnehmung – insgesamt Mut und lassen erwarten, dass mehr Transparenz möglich ist und die Regelungen durchsetzbar sind. Durch die »Konzernregelung Sponsoring« und nachfolgend die »Konzernregelung Transparenz« wurden nicht nur die Ängste und Sorgen der Ärzte thematisiert, sondern den Mitarbeitern klare Regeln an die Hand gegeben. Während es zu Beginn galt, Befindlichkeiten und Eitelkeiten auszuhalten, trat sukzessive die inhaltliche Auseinandersetzung in den Vordergrund. Darin lag der Erfolg begründet. Es gab kein Negieren, es gab kein Ausweichen mehr. Es galt, die Fallkonstellationen detailliert aufzuarbeiten. Das Ergebnis war ein Konsens über Prinzipien und Handlungsgrundsätze. Und den Beteiligten ist klar, dass Interessenkonflikte existieren, dass es also nicht hilft, sie zu leugnen oder zu verharmlosen. Umgekehrt wurde deutlich, dass nicht der Interessenkonflikt per se das Problem ist, sondern dass der Umgang mit diesem Thema im Vordergrund steht. Dieses Bewusstsein wurde durch den transparenten Umgang erst ermöglicht und war die Basis für eine gemeinsame Erkenntnis: Nur wer Interessenkonflikte kennt, kann sie bewerten. Sowohl die Kliniken als auch die Mitarbeiter müssen also Interessenkonflikte offenlegen, damit andere bei ihrer Beurteilung diese Interessenkonflikte einschätzen und auch bewerten können. Die Zeiten,
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Literatur
in denen man durch die Behauptung: »Ich verhalte mich stets richtig« das Vertrauen von Öffentlichkeit und Patienten sichern konnte, sind längst vorbei. Es gehört aber jede Menge Respekt und Augenmaß dazu, den Beteiligten die Ängste zu nehmen. Es geht nicht darum, die Integrität des Einzelnen zu verletzen oder ihn bloß zu stellen. Es geht darum, eine verlässliche und richtungsweisende Basis herzustellen, insbesondere durch Transparenz und durch verbindliche Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten und zu ihrer Vermeidung in der täglichen Arbeit. Auch im Krankenhausmanagement wird sich immer mehr die Erkenntnis durchsetzen, dass es bei der Frage nach Interessenkonflikten nicht um eine vom Mitarbeiter ethisch zu treffende Eigenverpflichtung geht. Denn es muss vermieden werden, die Mitarbeiter, explizit die Ärzteschaft, in ihrem Bestreben nach ethischer Integrität bloßzustellen. Dabei ist es hilfreich, die gemeinsamen Erwartungen zu definieren und eine klare Orientierung zu geben, wie Mitarbeiter und Dritte (Patienten, Lieferanten, sonstige Vertragspartner) mit den in der Praxis nicht zu leugnenden Interessenkonflikten umgehen sollen. Dazu gehört, dass das Krankenhausmanagement mit gutem Beispiel vorangeht. Das war und ist – wie man vielen Berichten aus der Presse entnehmen kann – nicht immer der Fall. Mit falsch verstandener Geheimniskrämerei oder mit Rücksichtnahmen kommt man nicht weiter. Gerade für das Krankenhausmanagement birgt das Thema jedoch weitere Probleme, die bislang kaum erkannt und nur wenig thematisiert wurden. Sie wurden im Umgang mit der »Konzernregelung Transparenz« aus der Praxis an uns herangetragen. Zum einen werden wir gefragt, wie mit der Tatsache umzugehen sei, dass Patienten (oder Angehörige) mit besonderen Serviceleistungen oder – etwa im Bereich der Geburten – mit Klinikführungen, Transportgutscheinen, Babyschlafsäcken oder Babytransportschalen umworben werden. Zum anderen wird diskutiert, wie Bonusregelungen mit Ärzten ausgestaltet werden müssen, damit hier Risiken ethisch relevanter Fehlanreize vermieden werden. An sich – so wird an der Diskussion deutlich – sei beides als solches unbestreitbar legitim, solange die medizinische oder pflegerische Leistung nicht in den Hintergrund tritt oder eine therapeutische
12
Entscheidung der Ärzte nicht beeinflusst wird. Dies ist bislang nicht erkennbar. Dennoch ist die Frage berechtigt. Nach welchen Kriterien sind eigentlich solche Fallkonstellationen zu beurteilen? Berühren sie, und wenn ja, ab wann, vielleicht Grundsätze der Unternehmensethik? Wo liegt dann konkret eine Grenze zwischen dem lauteren Wettbewerb und einer unlauteren Beeinflussung? Wo liegt bei Boni die Grenze zwischen positivem Leistungsanreiz und bedenklichem Fehlanreiz? Klar ist: Durch Transparenz werden oft auch unerwartet neue Themen angesprochen. Diese gilt es – ähnlich wie vor 10 Jahren das Thema »Sponsoring« – zu erkennen. Dabei ist eine Antwort schon jetzt so klar wie eindeutig: Alle Beteiligten müssen weiter daran arbeiten, die bestehenden Informationsasymmetrien und kommerziellen Beeinflussungen im Gesundheitswesen abzubauen. Die Patienten müssen in die Lage versetzt werden, bei ihrer Entscheidung ein zutreffendes Bild über die Qualität der medizinischen und pflegerischen Leistung zu erhalten. Dann bleibt der Rest schmückendes Beiwerk, mit dem man um aufgeklärte Patienten auch werben darf. Auch hier gilt: Transparenz ist gefragt! Nur so kann die Qualität der medizinischen und pflegerischen Leistungen, trägergruppen- und sektorenübergreifend, verglichen werden.
Literatur Weiterführende Literatur Lo B, Field MJ (2009) Conflict of interest in medical research, education, and practice. Institute of Medicine. The National Academies Press, Washington, DC Ludwig W-D, Hildebrandt M, Schott G (2009) Interessenkonflikte und Arzneimittelstudien – Einfluss der pharmazeutischen Industrie und daraus resultierende Gefahren für die Integrität der medizinischen Wissenschaft. Z Evid Fortbild Qual Gesundh wesen (ZEFQ) 103: 149–154 Martiny A (2009) Positionspapier: Interessenkonflikte im deutschen Gesundheitswesen. Die Arbeit von Transparency International Deutschland. Z Evid Fortbild Qual Gesundh wesen (ZEFQ) 103: 155–157 Schachter SC, Mandell W, Harshbarger S, Grometstein R (2008) Managing relationships with industry: a physician’s compliance manual. Elsevier, Amsterdam Thompson DF (2009) The challenge of conflict of interest in medicine. Z Evid Fortbild Qual Gesundh wesen (ZEFQ) 103: 136–140
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Kapitel 12 • Die Transparenzregelungen der HELIOS Kliniken
Andere zitierte Literatur
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ABIM Foundation, ACP-ASIM Foundation, and European Federation of Internal Medicine (2002) Medical professionalism in the new millennium: a physician charter. Ann Intern Med 136: 243–246 Brennan TA, Rothman J, Blank L et al (2006) Health industry practices that create conflicts of interest: a policy proposal for academic medical centers. JAMA 295: 429–433 Gundermann C, Meier-Hellmann A, Bauer M, Hartmann M (2010) Der Einfluss einer krankenhausinternen Richtlinie auf die Einstellung von Ärzten zur pharmazeutischen Industrie. Dtsch Med Wochenschr 135: 67–70 Henry D (2010) Doctors and drug companies: still cozy after all these years. PLoS Med 7: e1000359 Klemperer D (2008) Interessenkonflikte – Gefahr für das ärztliche Urteilsvermögen. Dtsch Arztebl 105: A2098–2100 Lieb K, Brandtönies S (2010) A survey of German physicians in private practice about contacts with pharmaceutical sales representatives. Dtsch Arztebl Int 107: 392–398 Lieb K, Klemperer D, Koch K, Baethge C et al (2011) Interessenkonflikte in der Medizin. Mit Transparenz Vertrauen stärken. Dtsch Arztebl 108: A 256–260 Loll AC (2011) Transparenz im Unternehmen. Der Wert der Wahrheit. Frankfurter Allgemeine Zeitung 36: C1 Ross JS, Keyhani S, Korenstein D (2009) Appropriateness of collaborations between industry and the medical profession: physicians’ perceptions. Am J Med 122: 955–960 Salz J (2010) Helios: Geschenke von Pharmavertretern unerwünscht. WirtschaftsWoche 35: 52 Spurling GK, Mansfield PR, Montgomery BD et al (2010) Information from pharmaceutical companies and the quality, quantity, and cost of physicians’ prescribing: a systematic review. PLoS Med 7: e1000352 Steinbrook R (2009) Physician – industry relations – will fewer gifts make a difference? N. Engl J Med 360: 557–559 Stuckler D, Basu S, McKee M (2011) Global health philanthropy and institutional relationships: how should conflicts of interest be addressed? PloS Med 8: e1001020 Wienke A, Mündnich A (2010) Jetzt doch: Bestechung und Bestechlichkeit bei Vertragsärzten. DGCH Mitteilungen 39: 251
185
Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie Michael Grusa
13.1
Ethisches Pharmamarketing: Kooperation statt Korruption – 186
13.1.1 13.1.2 13.1.3 13.1.4 13.1.5
Mangelndes Bewusstsein und fehlende ethische Standards führen zu Vertrauensverlust – 186 Austausch auf ethischer Basis – 187 Sanktionierung unethischen Verhaltens – 188 Vorteile durch klare Spielregeln – 188 Gelebte Regeln – 191
13.2
Verbindliche Richtlinien für mehr Transparenz – 191
13.2.1 13.2.2 13.2.3
Inhalte des FSA-Kodex Fachkreise – 191 Leitlinien und Rechtsprechung – 194 FSA-Kodex Patientenorganisationen – 195
13.3
Beanstandungen – 198
13.4
Fazit und Ausblick – 199 Literatur – 200
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
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Kapitel 13 • Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie
Zur Einführung Kleine Gefälligkeiten, größere Reisen, materielle und immaterielle Zuwendungen – zwischen Unternehmen der pharmazeutischen Industrie und medizinischen Fachkreisen herrschte lange Zeit ein ungeschriebenes Einverständnis über Praktiken, die allein den wirtschaftlichen Interessen Einzelner dienten. Mit eigenen Initiativen begannen einzelne Industrieverbände Anfang des neuen Jahrtausends, ihr Pharmamarketing wieder in geregelte, ethisch korrekte Bahnen zu lenken. Ziele, Aufgaben und die Entwicklung der eingeführten Standards für transparente und lautere Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich werden dargestellt und bewertet.
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13.1
Ethisches Pharmamarketing: Kooperation statt Korruption
13.1.1
Mangelndes Bewusstsein und fehlende ethische Standards führen zu Vertrauensverlust
Auf dem Markt für Medikamente herrscht wie bei allen reifen Märkten großer Wettbewerbsdruck: Unternehmen konkurrieren um Kunden und Marktanteile. Um zu bestehen, müssen sie sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen. Dieser Konkurrenzkampf ist grundsätzlich zu befürworten, fördert er doch bessere Leistungen, effizienteren Mitteleinsatz und die Herausbildung von Innovationen. Doch sobald ein Wettbewerber zu manipulativen Methoden greift, um sich Marktvorteile zu verschaffen und damit den Weg des fairen Umgangs verlässt, geraten die Marktmechanismen aus den Fugen, und ein »Wettbewerb« um die niedrigsten ethischen Standards droht in Gang zu kommen – mit unwiderruflichem Schaden für alle Marktbeteiligten. Wenn einzelne Menschen oder Organisationen über moralische und gesetzliche Grenzen hinweg versuchen, ihre Machtposition auszunutzen, um einen materiellen oder immateriellen Vorteil für sich zu erlangen, entsteht Korruption. Die Folgen korrupter Strukturen müssen zumeist von Unbeteiligten getragen werden. Dem Vorteil eines einzelnen Marktteilnehmers steht so-
mit der Nachteil vieler anderer gegenüber. Langfristig führt Korruption nicht nur zu intransparenten Marktstrukturen oder politisch unklaren Verhältnissen, sondern erschüttert vielmehr auch das gesamte Gesellschaftssystem. Denn Ethik und Moral sind die Grundfeste eines funktionierenden Sozialgefüges. Der durch Korruption entstehende Vertrauensverlust spiegelt sich in allen Branchen und Bevölkerungsteilen wider. Insbesondere das Thema Gesundheit fußt zu einem ganz wesentlichen Teil auf einer vertrauensvollen Basis: Patienten vertrauen darauf, dass der Arzt ihnen klinisch ausreichend erforschte und wirksame Medikamente verschreibt und die bestmögliche Therapie anwendet, wichtige und notwendige Behandlungen durchgeführt werden und ihre Gesundheit im Mittelpunkt steht. Doch das Vertrauen der Patienten in ein funktionierendes, gerechtes Gesundheitssystem ist in den letzten Jahrzehnten merklich gesunken. Ein Grund findet sich nicht zuletzt darin, dass der Beziehung von Ärzteschaft und Pharmaindustrie ein immanentes Beeinflussungsrisiko zugesprochen und damit impliziert wird, dass der Stellenwert der Gesundheit des Patienten zu Gunsten wirtschaftlicher Interessen anderer Beteiligten sinkt. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wie Pharmaunternehmen ihre Botschaften bei Ärzten und anderen Teilnehmern im Gesundheitswesen platzieren können: 5 Unternehmen schalten Anzeigen, 5 Ärzte erhalten kleine Geschenke von Pharmaunternehmen, 5 Fortbildungsveranstaltungen werden von der Industrie finanziert, 5 Drittmittel für die wichtige Forschung stammen aus Unternehmensbudgets. Doch wo fangen manipulative Praktiken an, wann wird die Grenze des ethisch Vertretbaren überschritten? Wann entsteht dem Gesundheitswesen als Ganzem ein Schaden, der im schlimmsten Fall auch noch unerkannt bleibt? Wann wird ein Interessenkonflikt zum Risiko (7 Kap. 2)? In den 1980er- und frühen 1990er-Jahren war ein weitgehend sorgloser Umgang von Unternehmen, Ärzten und patientenorientierten Institutionen untereinander gang und gäbe, bei dem kleine
13.1 • Ethisches Pharmamarketing: Kooperation statt Korruption
Gefälligkeiten an der Tagesordnung waren. Dieser Umgang entwickelte sich jedoch zunehmend zu systematischen Beeinflussungsstrukturen innerhalb einer ganzen Branche. Vielfach blieb das Wohl des Patienten auf der Strecke, im Fokus standen vielmehr wirtschaftliche Interessen – sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch der Ärzte. Der Wettbewerber sollte ausgestochen und das eigene Produkt an den Arzt gebracht werden, auch mit finanziellen Anreizen. Auf der anderen Seite profitierten Mediziner monetär und nicht-monetär von kleinen und großen Aufmerksamkeiten, die ihnen zuteilwurden. Der Wettbewerb um Preis und Qualität der Produkte wurde ausgeschaltet. Unternehmen und Ärzteschaft nahmen im öffentlichen Ansehen zunehmend Schaden. Erster trauriger Höhepunkt dieses Systems bildete Mitte der 1990er-Jahre der sog. Herzklappenskandal, bei dem Unternehmen Schmiergelder an Krankenhäuser zahlten, die im Gegenzug Herzklappen, Herzschrittmacher und weiteres medizintechnisches Gerät zu überhöhten Preisen bestellten (Die Welt online 2000). Für die Kosten mussten letztendlich die Krankenkassen und deren Beitragszahler aufkommen.
13.1.2
Austausch auf ethischer Basis
Um die Jahrtausendwende entwickelte sich bei Unternehmen und medizinischen Fachkreisen allmählich ein Bewusstsein dafür, dass der – an sich positiv wirkende – Konkurrenz- und Austauschgedanke einem Wettbewerb unlauterer und unfairer Methoden gewichen war. Objektive Forschungsergebnisse und innovative, auf sachlichen Erkenntnissen basierte Konzepte hatten es ohne Rückendeckung eines funktionierenden Marketings teilweise schwer, sich auf dem Markt zu bewähren. Es darf nicht vergessen werden, dass gerade im Pharmamarketing die Komponente des Austausches eine ganz wesentliche ist. Denn Arzneimittel sind komplexe, hoch entwickelte Produkte, die einer umfassenden Erklärung sowie der Erfahrungswerte aus der Anwendung bedürfen und somit den fachlichen Austausch zwischen Praxis und Forschung notwendig machen. Unternehmen müssen den Arzt über neue Therapieformen und
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Arzneimittel sowie deren Anwendungsmöglichkeiten, Grenzen und Risiken informieren dürfen. Umgekehrt erweitern die Ärzte den praktischen Erfahrungsschatz der Unternehmen hinsichtlich Patienten-Compliance, Neben- und Wechselwirkungen. Doch dieser Austausch muss sachgerecht, transparent und ethisch einwandfrei verlaufen. Unlauterer Wettbewerb muss ausgeschlossen werden. Die Kollision von primären und sekundären Interessen (7 Kap. 2) darf nicht zu einer negativen Beeinflussung des ärztlichen Handelns führen. Nur so kann der Dialog einer Verbesserung in der Patientenversorgung dienen. Zu diesem Ursprungsgedanken von Kooperation zurückzukehren, rückte zunehmend wieder in den Fokus der Unternehmen. Zudem wurden die Rufe aus der Politik lauter, die eine Eindämmung der korrupten Praktiken forderten und auch ein gänzliches Verbot der Zusammenarbeit zwischen Industrie und Ärzteschaft nicht ausschlossen. > Der Dialog von Unternehmen und Ärzteschaft ist wichtig und legitim. Er muss jedoch auf transparente, sachliche und ethisch korrekte Weise ablaufen.
Gefragt waren also verbindliche Standards für ethisch korrektes Verhalten die die Grenzen klar festlegten. Langfristig sollte dadurch auch das Vertrauen der Patienten in eine allein auf ihr Wohlergehen ausgerichtete Zusammenarbeit wiederhergestellt werden. Die Industrieverbände Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e. V. (BAH), Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI) und Verband Forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa) entwickelten in der Folge in Kooperation u. a. mit der Landesärztekammer Westfalen-Lippe Verhaltensempfehlungen für die Zusammenarbeit der pharmazeutischen Industrie mit Ärzten (vfa 2003). Die definierten Standards basierten auf den vorhandenen gesetzlichen und berufsrechtlichen Regelungen und konkretisierten diese weitergehend. Zielsetzung war es, zulässige, legitime Kooperationsformen zu erhalten, sie aber so restriktiv auszugestalten, dass die Entscheidungs- und Therapiefreiheit des Arztes nicht unlauter beeinflusst wird.
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Kapitel 13 • Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie
13.1.3
Sanktionierung unethischen Verhaltens
Die Verhaltensempfehlungen erhielten viel Zustimmung aus der Politik. Jedoch sah man hier ebenso wie innerhalb der Industrie die Notwendigkeit, die Einhaltung und die Verbindlichkeit der Empfehlungen sicherzustellen: Denn die gesetzten Standards sind nur dann ein Mittel zur wirksamen Regulierung, wenn sie auch konsequent überwacht und Verstöße sanktioniert werden. Langfristig darf sich manipulatives Verhalten nicht positiv auswirken, sondern muss der korrumpierenden Organisation schaden, sei es durch Strafgelder oder auch durch Ansehensverlust. Um einen solchen Kontroll- und Strafmechansimus zu etablieren, wurde 2004 der Verein »Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.« (FSA) gegründet (URL: www.fs-arzneimittelindustrie.de). Damals nahm der FSA mit zunächst 40 Mitgliedsunternehmen aus dem Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) seine Arbeit auf. Ende 2010 war die Zahl auf knapp 100 Unternehmen angewachsen, die über 70 % des deutschen Pharmamarktes abdecken. Der Verein steht allen Unternehmen der pharmazeutischen Industrie offen.
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> Verstöße gegen die Regelungen des Kodex werden vom FSA konsequent sanktioniert.
Die entwickelten Verhaltensregelungen wurden in einen verbindlichen Kodex überführt, den »FSAKodex für die Zusammenarbeit der pharmazeutischen Industrie mit Ärzten, Apothekern und anderen medizinischen Fachkreisen«, kurz »FSA-Kodex Fachkreise« (FSA 2009). Der FSA selbst wurde mit Überwachungs- und Sanktionsbefugnissen ausgestattet. Die Schiedsstelle des FSA überwacht die Einhaltung des Kodex und verhängt im Fall eines Kodexverstoßes Strafen (7 Sanktionierungssystem des FSA). Mit dem sanktionsbewehrten FSA-Kodex Fachkreise nimmt die Pharmabranche eine Vorreiterrolle ein, denn kein anderer Industriezweig geht gegen Regelverstöße mit Abmahnungen, Geldbußen, Namensnennungen und öffentlichen Rügen vor.
Sanktionierungssystem des FSA Die Schiedsstelle des FSA besteht aus 2 Instanzen: 4 Der »Spruchkörper 1. Instanz« kann bei Verstößen gegen den Kodex Geldstrafen bis zu EUR 50.000 verhängen. Die erste Stufe bei einem festgestellten Verstoß ist die Abmahnung. Diese zieht eine strafbewehrte Unterlassungserklärung nach sich, die der Beanstandete abgeben muss. 4 Der »Spruchkörper 2. Instanz«, in dem Ärzte, Patienten und ein unabhängiger Richter gegenüber der Industrie die Mehrheit haben, kann Geldstrafen bis zu EUR 250.000 verhängen sowie bei schweren Verstößen den Unternehmensnamen nennen oder eine öffentliche Rüge aussprechen. Gegen Fehlverhalten von Nicht-Mitgliedsunternehmen geht der FSA als Wettbewerbsverein zivilgerichtlich vor (FSA 2006).
13.1.4
Vorteile durch klare Spielregeln
Der Kodex legt die Spielregeln für eine ethische und transparente Kooperation von pharmazeutischen Unternehmen und Ärzteschaft fest. Die Mitgliedsunternehmen verpflichten sich mit ihrer Unterwerfung unter den Kodex, die Beschaffungs-, Entscheidungs- und Therapiefreiheit des Arztes nicht unlauter zu beeinflussen. Damit demonstrieren sie ihre Motivation, den Kodex ernst zu nehmen und ihr Marketing nach ihm auszurichten. Die gegenseitige Kontrolle der Mitgliedsunternehmen sorgt dafür, dass die Selbstkontrolle funktioniert, denn kein Wettbewerber würde einen möglichen, manipulativ erreichten Vorteil seines Konkurrenten ungemeldet lassen. Unternehmen weisen sich gegenseitig auf Fehlverhalten hin. Somit entsteht eine Dopplung der Kontrolle: Durch den FSA und durch die Unternehmen selbst. Der Kodex eint darüber hinaus die Unternehmen in ihrer gemeinsamen Zielrichtung: Er setzt Standards dafür, was erlaubt ist und was nicht, und schützt damit auch Mitarbeiter vor Aktionen, die strafrechtliche Konsequenzen haben könnten. Die Mitglieder versprechen sich hierdurch vom FSA einen langfristigen Nutzen durch klare Wettbewerbsregeln.
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13.1 • Ethisches Pharmamarketing: Kooperation statt Korruption
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Zusammenspiel MBO-Ä, HWG, UWG, Kodex Bei der Anwendung des Kodex ist insbesondere darauf zu achten, dass den Angehörigen der Fachkreise keine unlauteren Vorteile angeboten werden. Unlauter sind solche Vorteile, die gegen die Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes (HWG), des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), des Strafgesetzbuches (StGB) oder gegen das geltende Berufsrecht verstoßen. Hierzu nachfolgende Erläuterung: Die Musterberufsordnung für Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä) dient der Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit bei der Zusammenarbeit mit Dritten. In § 33 werden die
rechtlichen Rahmenbedingungen einer Kooperation mit industriellen Anbietern von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten geregelt. Die Vorschrift billigt die Annahme von »geringwertigen« Werbegaben und die Annahme von geldwerten Vorteilen in »angemessener« Höhe, ohne die Grenzen dabei exakt aufzuzeigen. Dies entspricht den Vorgaben im HWG, das die Werbung für Arzneimittel und Medizinprodukte regelt. Auch hier wird für den Bereich produktbezogener Werbung lediglich die Abgabe von »geringwertigen« Werbegaben erlaubt, die Festlegung der Grenzen aber der zivilen Rechtspre-
> Der FSA-Kodex setzt Standards dafür, was im Rahmen eines ethischen Pharmamarketings erlaubt ist und was nicht. Transparenz durchzusetzen ist eine der obersten
Maximen des FSA. Dies ist das wirksamste Mittel, um beeinflussenden Aktionen entgegenzutreten. Werden Kooperationen öffentlich gemacht, haben andere Marktteilnehmer die Möglichkeit, sich ein Bild davon zu machen, welche Folgen ein Interessenkonflikt hat, und wie weitreichend seine Folgen sind. Dadurch, dass sich jeder über bestehende Kooperationen informieren kann, kann er auch bewerten, ob der Interessenkonflikt in seinen Augen so problematisch ist, dass er entsprechend eingreifen sollte – sei es lediglich durch Beanstandung oder beispielsweise durch den aktiven Ausschluss aus bestimmten Projekten. Durch Offenlegung von Interessenkonflikten sind die Akteure zur Rechenschaft verpflichtet, die Veröffentlichung ist für sie aber auch vorteilhaft. Unternehmen, die sich dem FSA-Kodex unterworfen haben, haben sich zur Transparenz verpflichtet. Das bedeutet, dass es klare Regeln zur Zusammenarbeit mit Ärzten gibt. Daraus ergeben sich eindeutige Vorteile für die Ärzte: Sie müssen zum Beispiel nicht auf das Informations- und Weiterbildungsangebot der Pharmaindustrie verzichten, da
chung überlassen. Das UWG regelt das Verhalten von Unternehmen im wirtschaftlichen Wettbewerb. Es liefert Rechtsansprüche für Wettbewerber und auch Interessenverbände von Marktteilnehmern. Der Kodex wurde als »ethische Spielregel« verabschiedet, um den gesamten Komplex der Zusammenarbeit der Unternehmen mit Angehörigen der Fachkreise zu definieren und durch die Spruchkörperentscheidungen die zulässigen Rahmenbedingungen, z. B. den Umfang »geringwertiger« Zuwendungen, festzulegen.
dieses allein sachlich-wissenschaftlichen Kriterien folgt. Die Ärzteschaft wird durch den FSA-Kodex in ihrem Handeln nicht zusätzlich beschränkt, vielmehr ergänzen sich die FSA-Regelungen und die bestehenden Vorgaben der ärztlichen Musterberufsordnung (7 Zusammenspiel MBO-Ä, HWG, UWG, Kodex). Die ärztliche Unabhängigkeit wird durch die Forcierung der Prinzipien der Transparenz, Trennung, Äquivalenz und Dokumentation, wie sie unter anderem in der (Muster-) Berufsordnung (§§ 30 ff.) festgeschrieben ist, nachhaltig unterstützt. Damit ist eine Grundvoraussetzung geschaffen, um legitime Formen der Kooperation auch weiterhin zu befürworten. Bei der Zusammenarbeit von Unternehmen und Fachkreisen zeigt sich zunehmend, dass FSAMitglieder heute als bevorzugte Partner der Ärzteschaft akzeptiert werden können. Die klaren Rahmenbedingungen, die durch den Kodex festgeschrieben sind, wirken sich positiv auf die Beziehung aus. Der Arzt kann darauf vertrauen, dass er wissenschaftlich fundierte Informationen erhält, die für seine Therapiepraxis wichtig sind. Bei Unternehmen, die sich der Anerkennung des Kodex bisher verweigern, sieht es anders aus: Ihnen scheinen sowohl Regelungen als auch Sanktionen zu streng zu sein, um sich ihnen offiziell zu unter-
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Kapitel 13 • Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie
Fallbeispiel: Aufgaben eines Compliance Officers am Beispiel des Unternehmens Janssen-Cilag GmbH
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Die Zusammenarbeit zwischen der Janssen-Cilag als pharmazeutischem Unternehmen und der Ärzteschaft ist durch eine Reihe von Regelungen und Gesetzen beeinflusst. Dazu zählen auch selbst eingegangene Verpflichtungen: 4 Zum einen der Kodex der »Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.« (FSA-Kodex Fachkreise, 7 Abschn. 13.2), 4 zum anderen interne Selbstverpflichtungen, im Besonderen der »Internationale Leitfaden des Konzerns Johnson & Johnson zur Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften im Gesundheitswesen« (Johnson & Johnson 2007). Dabei gehen die von Janssen-Cilag selbst gesetzten Maßstäbe in manchen Bereichen über die einschlägigen Antikorruptionsvorschriften hinaus. Transparenz und Integrität sind für das Unternehmen essenzielle Elemente für eine vertrauensvolle Beziehung zu allen Partnern im Gesundheitswesen. Ein Compliance-Managementprogramm stellt sicher, dass unethische Verhaltensweisen unterbunden werden und das Geschäft konsequent an rechtlichen und ethischen Maßstäben ausgerichtet wird. Die 7 Punkte des ComplianceManagementprogramms: 4 Erstellung schriftlicher Handlungs- und Dienstanweisungen (Standard Operating Procedures – SOPs),
4 Ernennung eines verantwortlichen Compliance Officers sowie eines Compliance-Committees, 4 Permanente Schulung aller Mitarbeiter, 4 Kommunikation wichtiger Compliance-Themen, 4 Prüfung und Überwachung, 4 Durchsetzung der Einhaltung der SOPs, 4 Maßnahmen zur Fehlerbehebung. In den SOPs werden alle wesentlichen Beziehungen zwischen der Janssen-Cilag GmbH und den Partnern im Gesundheitswesen beschrieben und verbindlich festgelegt. Es ist dort beispielhaft geregelt, unter welchen Voraussetzungen ein Ärztekongress gesponsert werden kann, welche Ärzte zu Fortbildungsveranstaltungen eingeladen werden dürfen oder auch,wie das Honorar für Ärzte, die für das Unternehmen tätig sind, ermittelt wird. Leitende Prinzipien sind dabei die Grundsätze der Trennung, Transparenz, Äquivalenz und Dokumentation. Es wird schriftlich festgelegt, dass alle Leistungen von Ärzten für pharmazeutische Unternehmen nur auf der Grundlage eines schriftlichen Vertrages erbracht werden dürfen. Die Vergütung dafür muss angemessen sein, und Besonderheiten bei Amtsträgern, wie die Genehmigungspflichten bei Klinikärzten, müssen beachtet werden. Der Compliance Officer, zugleich Vorsitzender des Compliance-Committees, ist verantwortlich für die Einhaltung aller Regeln und
werfen. Hier muss der Arzt selbst einschätzen, ob sich das Verhalten an ethischen Grundsätzen ausrichtet oder ob vielleicht eine unzulässige Beeinflussung vorliegt. Im Zweifelsfall sollte er Fehlverhalten an den FSA melden. Anerkennung erhalten die Regelungen der Industrie auch in der Gerichtsbarkeit. Mutmaß-
SOPs. Er ist auch dafür verantwortlich, dass alle Mitarbeiter regelmäßig in der Einhaltung der Regeln geschult werden. Dies geschieht sowohl durch Präsenzschulungen als auch durch »E-Learnings«, die mit einem Test abschließen, der bestanden werden muss. Auch die kontinuierliche Information über die Entwicklung Compliance-relevanter Themen fällt in den Verantwortungsbereich des Compliance Officers. Dazu gibt die Janssen-Cilag GmbH einen internen Newsletter heraus, in dem alle 6 Wochen regelmäßig über Compliance-relevante Themen berichtet wird. Schließlich ist der Compliance Officer dafür verantwortlich, dass stichprobenartig und systematisch Auditierungen stattfinden, um die Einhaltung der Compliance-Regeln zu prüfen und zu überwachen. Für den Fall, dass Abweichungen aufgedeckt werden, entscheidet das Compliance-Committee in Zusammenarbeit mit der Personalabteilung über Sanktionen für die betroffenen Mitarbeiter. Diese können bis zur Entlassung führen. Zudem wird auf der Grundlage der Auditergebnisse ein Maßnahmenplan zur Fehlerbehebung (Corrective Action Plan) erstellt und implementiert. Damit soll sichergestellt werden, dass das Unternehmen den hohen Grundsätzen in Bezug auf Recht und Ethik tatsächlich gerecht wird.
liche Verstöße von Mitarbeitern, denen der Kodex bekannt ist, können durchaus arbeitsrechtliche Folgen nach sich ziehen. Erst 2009 wurde ein Mitarbeiter von einem Unternehmen fristlos entlassen, weil er sich nachweislich nicht an die bekannten Standards gehalten hatte. Der Mitarbeiter hatte bei einer Ärztefortbildung ein Feuerwerk und
13.2 • Verbindliche Richtlinien für mehr Transparenz
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eine Dampferfahrt auf dem Rhein organisiert und die Lebenspartner der Teilnehmer in einem Hotel untergebracht. Das Landesarbeitsgericht Hessen bestätigte die Rechtmäßigkeit der Entlassung auch unter Berufung auf den FSA-Kodex (LAG Hessen 2010).
13.1.5
Gelebte Regeln
Die Unternehmen sind verpflichtet, die Kodex-Regelungen einzuhalten. Das setzt natürlich voraus, dass die Mitarbeiter mit den Regeln vertraut sind und diese anwenden können. Nur ein entsprechend informierter Mitarbeiter kann kodexkonform handeln. Die Unternehmen haben für diese Umsetzung interne Strukturen geschaffen. Die Compliance Officer in den Unternehmen stellen die Einhaltung der Richtlinien sicher und beurteilen – häufig gemeinsam mit der Rechtsabteilung – bereits vor einer Kooperationsvereinbarung deren Konformität mit dem Kodex und gesetzlichen Bestimmungen (7 Fallbeispiel: Aufgaben eines Compliance Officers am Beispiel des Unternehmens Janssen-Cilag GmbH).
Der Kodex schreibt vor, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter regelmäßig zu den Kodex-Inhalten schulen müssen. Dies geschieht auch mit Unterstützung des FSA selbst. Der Verein leistet Schulungs- und Beratungstätigkeiten und bietet seinen Mitgliedern damit Hilfestellung für die korrekte Anwendung der Richtlinien.
13.2
13.2.1
Verbindliche Richtlinien für mehr Transparenz Inhalte des FSA-Kodex Fachkreise
Der FSA-Kodex Fachkreise . Abb. 13.1 regelt die Zusammenarbeit der Pharmaunternehmen mit medizinischen Fachkreisen. Bei den durch den FSA-Kodex Fachkreise abgedeckten Themenbereichen handelt es sich um 5 vertragliche Zusammenarbeit, 5 Fortbildungsveranstaltungen,
. Abb. 13.1 FSA-Kodex Fachkreise (Quelle: Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.)
5 nichtinterventionelle Studien/Anwendungsbeobachtungen, 5 produktbezogene Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente, 5 Abgabe von Arzneimittelmustern, 5 Annahme und Ausgabe von Geschenken sowie 5 Bewirtungen. In den folgenden Abschnitten werden die 4 Hauptbereiche der Regelungen dargestellt (FSA 2009).
Vertragliche Zusammenarbeit Einen häufigen Streitpunkt bei der Zusammenarbeit von Unternehmen und Angehörigen der Fachkreise bildet die Festlegung eines angemessenen Entgelts (7 Fallbeispiel: Höhe der Vergütung ärztlicher Leistungen). Leistungen wie z. B. Vortragstätigkeiten, Beratung oder Durchführung klinischer Prüfungen können unter bestimmten Voraussetzungen erbracht werden:
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Kapitel 13 • Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie
Fallbeispiel: Höhe der Vergütung ärztlicher Leistungen Ein Unternehmen hatte mit Ärzten Verträge abgeschlossen, in denen es um die Erstellung eines Fallberichts auf der Basis einer retrospektiven Datenerhebung über den therapeutischen Einsatz eines bestimmten Arzneimittels ging. Der Fallbericht sollte später veröffentlicht werden. Dafür wurde den Ärzten ein Honorar von EUR 150 zugesagt. Das Unternehmen legte Stellungnahmen vor, nach denen der Aufwand für die Erstellung des zweiseitigen Fallberichts mit 75 min berechnet wurde. Ein vom FSA in Auftrag gegebenes Gutachten kam zu dem Schluss, dass ein Zeitaufwand von allenfalls 30 min anfalle. Die konkrete Berechnung der Vergütung erfolgte in diesem Fall – nach ständiger Rechtsprechung der FSA-Schiedsstelle – in Anlehnung an die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), hier nach Nr. 80 des Gebührenverzeichnisses für ärztliche
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Leistungen für eine »schriftliche gutachterliche Äußerung«. Danach beträgt der einfache Satz für eine solche Tätigkeit in einem Zeitrahmen von 15–20 min EUR 17,40, womit sich unter Berücksichtigung eines Multiplikators von 2,3 und einem Zeitaufwand von 30 min ein Nettohonorar von rund EUR 80 ergibt. Auch wenn man Schreibgebühren, Porti und Versandkosten hinzurechnet und einen Bruttobetrag zugrunde legt, würde ein Betrag von EUR 100 nicht überschritten. Eine Vergütung von EUR 150 für den vom Arzt erstellten Fallbericht mit einem Zeitaufwand von 30 min ist demnach unangemessen hoch und verstößt gegen den FSA-Kodex, denn die Angemessenheitsgrenze wird dabei um ca. 50 % überschritten (FSA 2004-2011, vgl. hierzu Az. 2008.1-220 [1. Instanz]). Auch bei einer Anwendungsbeobachtung (AWB) wird als Anhaltspunkt für die Angemessenheit der
5 Es muss eine konkrete schriftliche Vereinbarung geschlossen werden. Das Unternehmen hat Leistung und Gegenleistung zu dokumentieren. 5 An der zu erbringenden Leistung muss ein berechtigter Bedarf vorliegen. 5 Die Vergütung darf nur in Geld bestehen und hat zu der erbrachten Leistung in einem angemessenen Verhältnis zu stehen. Einen Anhaltspunkt für die Angemessenheit kann die Gebührenordnung für Ärzte bieten. Angemessene Stundensätze können vereinbart, Auslagen und Spesen erstattet werden. 5 Die Unternehmen müssen ihren Vertragspartner verpflichten, auf ihre Tätigkeit für das Unternehmen und die daraus resultierenden Interessenkonflikte hinzuweisen.
Nichtinterventionelle Studien (früher: Anwendungsbeobachtungen) Für die Durchführung von Studien nach Zulassung eines Arzneimittels hat der FSA einen klaren Rah-
Vergütung die GOÄ herangezogen. Nach der GOÄ (Nr. 85) beträgt die einfache Gebühr je angefangene Stunde Arbeitszeit EUR 29,14 für eine schriftliche gutachtliche Äußerung mit einem über das gewöhnliche Maß übersteigenden Aufwand. Dem Schwierigkeitsgrad der Tätigkeit ist gemäß § 5 Abs. 2 GOÄ durch einen entsprechenden Multiplikator Rechnung zu tragen. Die Vergütung sollte zwischen dem einfachen und dem 2,3-fachen Satz liegen. Ein Stundensatz von EUR 75 ist für die Berechnung der Vergütung der ärztlichen Tätigkeit bei einer AWB gemäß FSA-Kodex in der Regel angemessen. Ein Stundensatz von EUR 150 wäre in jedem Fall unangemessen hoch (FSA 2004-2011, vgl. hierzu Az. FS II 5/08/2007.12-217 [2. Instanz]).
men vorgegeben. In der Vergangenheit wurden mit solchen Studien immer wieder Marketingzwecke verfolgt; der forschungsrelevante Aspekt, wie das Erkennen von seltenen Nebenwirkungen, rückte in den Hintergrund. Es stand der Vorwurf im Raum, Vergütungen an Ärzte würden ohne eine adäquate Gegenleistung erfolgen, um den Absatz zu fördern. Der FSA-Kodex schreibt heute sehr detailliert vor, was bei den sog. nichtinterventionellen Studien erlaubt ist. Um ein breiteres Spektrum an Studien abzudecken, wurde dabei der ursprünglich im Kodex vorhandene Paragraf 19 »Anwendungsbeobachtungen« (AWB) erweitert, wodurch alle nichtinterventionellen Studien (NIS) eingebunden wurden. Der FSA legt Wert darauf, dass bei nichtinterventionellen Beobachtungen die Vorgaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte beachtet werden. Die Entscheidung des Arztes über die Verordnung eines Arzneimittels ist von der Einbeziehung eines Patienten in die AWB klar zu trennen.
13.2 • Verbindliche Richtlinien für mehr Transparenz
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Studien müssen in bestimmten Fristen ausgewertet und ihre Ergebnisse gemäß des Transparenzgebots der Fach- und ebenso der breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Konkret bedeutet das, dass die Unternehmen innerhalb von 21 Tagen nach Beginn der AWB alle Informationen über die Studie in ein öffentlich zugängliches Register einstellen müssen. Die Unternehmen sind verpflichtet, innerhalb eines Jahres nach Abschluss der Studie die Ergebnisse allen Angehörigen der Fachkreise und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Die transparente Dokumentation von Studien ist zwingend gefordert. Ort, Zeit, Ziel und Beobachtungsplan einer AWB müssen angegeben werden. Zudem sind alle beteiligten Ärzte namentlich gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung, dem Spitzenverband und den Krankenkassen zu benennen. Die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer solchen Beobachtungsstudie bleiben unberührt. Hierzu gehört, dass die Studie konsequent einen wissenschaftlichen Zweck erfüllen muss und im Verantwortungsbereich des Medizinischen Leiters liegt, nicht, wie früher oft der Fall, im Wirkungskreis des Marketings. Die vereinbarte Vergütung des Arztes hat in einem angemessenen Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung zu stehen. Prinzipiell richtet sich die Höhe der Vergütung nach der allgemeinen Gebührenordnung für Ärzte (7 Fallbeispiel: Höhe der Vergütung ärztlicher Leistungen). Es darf sich aus der Vergütung kein Anreiz dafür ergeben, dass der Arzt das Medikament überhaupt oder häufiger als ärztlich notwendig verordnet. Die Regelung trägt dazu bei, die Qualität der Studien zu verbessern, und stärkt damit fachlich notwendige und fundierte Studien, die eine fortlaufende Erhöhung der Arzneimittelsicherheit zum Ziel haben.
jeder Facharzt, ob niedergelassen oder in einer Klinik angestellt, muss sich regelmäßig wissenschaftlich fortbilden. Die medizinischen, von den Ärztekammern anerkannten Fortbildungsangebote der Unternehmen leisten dabei einen unerlässlichen finanziellen, aber auch wissenschaftlich fundierten Beitrag im Fortbildungsbereich. Ein Wegfall des fachlichen Austausches ginge zu Lasten einer optimierten Patientenversorgung. Jedoch muss gewährleistet sein, dass es bei allen Veranstaltungen um fachliche und berufsbezogen ausgerichtete Wissensvermittlung geht. Der wissenschaftliche Charakter einer Veranstaltung muss im Vordergrund stehen. Dies ist im FSA-Kodex eindeutig festgelegt (7 Fallbeispiel: Auswahl des Tagungsortes). Das beginnt bereits bei der Einladung: Angehörige der Fachkreise dürfen von Unternehmen zu Veranstaltungen Dritter, z. B. einer medizinischen Fachgesellschaft, nur eingeladen werden, wenn ein sachliches Interesse des Unternehmens an der Teilnahme besteht (§ 20 Abs. 4). Das bedeutet, dass ein Unternehmen Kosten für teilnehmende Ärzte nur übernehmen darf, wenn bei der Veranstaltung ein Bezug sowohl zum Tätigkeitsgebiet des Mitgliedsunternehmens als auch zum Fachgebiet des Veranstaltungsteilnehmers vorliegt. Ansonsten ist eine Einladung unzulässig. Fachliche Vorträge müssen frei von Werbung für bestimmte Medikamente oder Therapieoptionen sein. Unterhaltungsprogramme dürfen in keinster Weise, egal ob direkt oder indirekt, finanziert werden – weder durch Sponsoring noch durch die Erstattung von Teilnahmegebühren an die medizinischen Fachkreiseangehörigen durch die Unternehmen. Mit dieser Regelung stellt der Kodex sicher, dass die Unternehmen keine Unterhaltungs- und Freizeitprogramme mitfinanzieren, sondern dass die Fortbildung allein wissenschaftlichen und berufsbezogenen Charakter hat.
Ärztliche Fortbildungsveranstaltungen
Geschenke und Werbung
Von den jährlich angebotenen 300.000 CME-zertifizierten ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen wird gemäß Angaben rund die Hälfte von der Pharmaindustrie mitfinanziert. Damit stellen die Angebote der Industrie ein wesentliches Standbein der ärztlichen Weiter- und Fortbildung dar. Denn
Im Rahmen einer produktbezogenen Werbung sind Werbeabgaben an Fachkreise erlaubt, sofern sie geringwertig sind. Über diese gesetzliche Regelung des HWG hinaus regelt der FSA-Kodex, dass auch nicht produktbezogene Werbung (Imagewerbung) bestimmten Wertgrenzen unterliegt.
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Kapitel 13 • Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie
Fallbeispiel: Auswahl des Tagungsortes Ein Unternehmen führte einen zweitägigen Workshop im Ostseebad Zingst durch, an dem Ärzte aus Berlin, dem Harz und der Region Halle-Leipzig teilnahmen. Die Veranstaltung begann am Freitag um 16 Uhr, wurde am Samstag von 9–18 Uhr mit einer Mittagspause von 1½ h fortgesetzt und wurde am Sonntag nach einem 3-stündigen Referentenpodium inklusive Diskussion gegen 12 Uhr abgeschlossen. Ob das Unternehmen den Tagungsort allein nach sachlichen Gesichtspunkten ausgewählt hat, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu beantworten. Bei der Abwägung der Umstände ist zu berücksichtigen, wie sich der Teilnehmerkreis regional zusammensetzt und ob der
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Tagungsort von den Teilnehmern in vernünftiger Weise zu erreichen ist. Von Bedeutung ist auch, ob das Programm derart straff ist, dass kaum oder nur wenig Freizeit verbleibt, ferner, ob der Freizeitwert des Ortes so groß ist, dass die Teilnehmer geneigt sind, dessen Freizeitmöglichkeiten wahrzunehmen und dafür die Teilnahme an der Tagung zu vernachlässigen. Gegen eine Auswahl des Tagungsortes allein nach sachlichen Gesichtspunkten spricht es etwa, wenn die Einladung die Freizeitmöglichkeiten aufführt oder sogar besonders herausstellt oder zeitgleich an dem Ort ein besonderes, attraktives Ereignis stattfindet, das den Eingeladenen bekannt ist. Findet die Veranstaltung an einem Ort mit überwiegend touristischem
Werbemaßnahmen müssen grundsätzlich produktbezogen sein, ihr werblicher Charakter darf nicht verschleiert werden. Irreführende und Schleichwerbung ist grundsätzlich verboten, alle Werbeangaben müssen hinreichend wissenschaftlich abgesichert sein und dürfen den Angaben in der Fachinformation nicht widersprechen (7 Fallbeispiel: Preisausschreiben). Darüber hinaus dürfen im Rahmen einer nicht produktbezogenen Werbung Geschenke nur zu besonderen Anlässen, z. B. zur Praxiseröffnung oder bei einem Jubiläum, gewährt werden, wenn sie sich in einem sozialadäquaten Rahmen (bis max. EUR 50) halten, personenbezogen sind und zur Verwendung in der beruflichen Praxis bestimmt sind.
13.2.2
Leitlinien und Rechtsprechung
Die Abgrenzung von legitimem zu ethisch unkorrektem Verhalten ist häufig fließend. Wer definiert, was noch im Rahmen ist, und was die Grenze des Vertretbaren bereits überschreitet? Der FSA hat deshalb verbindliche Leitlinien zum Kodex er-
Charakter statt – wie beispielsweise in Zingst –, so ist zu beachten, ob die Tagung in einen Zeitraum fällt, in dem der Ort (wie in der eigentlichen Hochsaison) für Freizeitaktivitäten besonders attraktiv ist. Unter Berücksichtigung aller Umstände hat das Unternehmen den Tagungsort Zingst nach sachlichen Gesichtspunkten ausgewählt: Im vorliegenden Zeitraum April/ Mai kann man von keinem erhöhten Freizeitwert des Seebades sprechen. Zudem war das fachlich hochwertige Tagungsprogramm straff organisiert. Alle Teilnehmer konnten den Tagungsort in angemessener Zeit von ihrem Wohnort aus erreichen (FSA 2004-2011, vgl. hierzu Az. FS II 5/05/2005.5-65 [2. Instanz]).
stellt, die die Auslegung von Begrifflichkeiten wie »angemessen« oder »geringwertig« konkretisieren (7 Fallbeispiel: Unterbringung, Bewirtung, Hotelauswahl, Vorträge mit allgemeinen Inhalten, Begleitpersonen).
> Neben den im Kodex festgeschriebenen Richtlinien sind auch die Leitlinien und die Rechtsprechung entscheidend. Sie konkretisieren die Auslegung von Begrifflichkeiten und definieren die Grenzen.
Im Folgenden hierzu einige kurze Erläuterungen: 5 Die Bewirtung von Teilnehmern im Zuge einer internen Fortbildungsveranstaltung überschreitet einen »angemessenen Rahmen« nicht, sofern diese sozialadäquat ist. Als Orientierungsgröße gilt im Inland der Maximalbetrag von EUR 60 pro Teilnehmer und Tag für die Hauptmahlzeit. 5 Unternehmen sollten Tagungsstätten vermeiden, die für ihren Unterhaltungswert bekannt sind oder als »extravagant« gelten. Unter »extravagant« sind beispielsweise Tagungsstätten zu verstehen, die sich nicht in erster Linie als typisches Geschäfts- oder Konferenzhotel aus-
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13.2 • Verbindliche Richtlinien für mehr Transparenz
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Fallbeispiel: Preisausschreiben Ein Unternehmen hatte anlässlich eines Kongresses ein Preisausschreiben durchgeführt, um den aktuellen Kenntnisstand der Ärzte zu einem Arzneimittel des Unternehmens abzufragen. Als Preise für die richtige Beantwortung von 6 Fragen zu dem Medikament waren eine Rechtsberatung durch eine in Fragen des gewerblichen Rechtsschutzes bundesweit führende Kanzlei ausgelobt sowie 10 »hochwertig gerahmte OriginalZeichnungen« eines in Ärztekreisen bekannten Malers, der die Originale handsignierte.
Für die Beantwortung der Fragen hat der FSA einen Zeitaufwand von 15 min veranschlagt. Für die Rechtsberatung wurde ein Stundensatz in Höhe von EUR 275 angesetzt, während die handsignierten Original-Zeichnungen im Internet zu Preisen ab EUR 89 angeboten wurden. Es wurde geurteilt, dass die in Aussicht gestellten Preise nicht in einem angemessenen Verhältnis zur erbrachten Leistung des Arztes standen. Unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung der 1. und 2. Instanz des FSA-Spruchkörpers errechnete sich ein maximaler Auslobungswert in Höhe
von EUR 66, da die Fragen keine erhöhten Anforderungen an die Teilnehmer stellten. Basis der Berechnungsformel: Ziff. 80 GOÄ = EUR 17,49 ÷ 20 min × 15 min × Auslobungsfaktor 5 Das Unternehmen musste eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abgeben (FSA 2004-2011, vgl. hierzu Az. 2005.12-105 [1. Instanz]).
zeichnen, sondern bei denen eine besondere luxuriöse oder ausgefallene Ausstattung sowie ein erhöhter Freizeitwert eindeutig im Vordergrund stehen. Fünf-Sterne-Hotels sind dabei nicht per se ausgeschlossen, sondern können kodexkonform sein, sofern sie den genannten Charakter eines Geschäftshotels haben. 5 Werbeabgaben im Rahmen einer produktbezogenen Werbung dürfen einen Betrag von EUR 5 nicht überschreiten. Dann gelten sie als »geringwertig« und sind im Normalfall kodexkonform.
organisiert, um ethischen Regelungen über die Grenzen einzelner Staaten hinaus eine einheitliche Grundlage zu geben und im europäischen Raum einheitlich zu etablieren. Die EFPIA-Regelungen werden von den Mitgliedern in nationalen Kodizes umgesetzt. Der FSA-Kodex Fachkreise regelt so die Zusammenarbeit mit medizinischen Fachkreisen in Deutschland.
Des Weiteren hilft die aktuelle Rechtsprechung des FSA bei der richtigen Auslegung der Kodex-Regelungen. Die Spruchkörper konkretisieren in ihren Grundsatzentscheidungen immer wieder die Formen ethischen Pharmamarketings. Hierfür ist es wichtig, dass die Entscheidungen für Jedermann einsehbar sind. Der FSA veröffentlicht deshalb alle bearbeiteten Fälle auf seiner Homepage (URL: www.fs-arzneimittelindustrie.de unter »Schiedsstelle«). Auf europäischer Ebene hat der europäische Dachverband der Arzneimittelhersteller (EFPIA) mit einem Verhaltenskodex die Standards ethischen Verhaltens festgelegt (EFPIA 2007). In ihm sind Pharmaunternehmen und Landesverbände
Patientenorganisationen sind eine wichtige Instanz in unserem Gesundheitswesen. Sie gelten als Sprachrohr ihrer Mitglieder und deren Bedürfnissen und vertreten deren Interesse in der Öffentlichkeit. Oft wird die vermeintliche Nähe von Organisationen der Selbsthilfe zu pharmazeutischen Herstellern kritisch beäugt: Unternehmen würden die Organisationen unterwandern, sie manipulieren, um den Umsatz ihrer Produkte zu steigern. Die Patientenselbsthilfe ließe sich für Marketingzwecke instrumentalisieren und regelrecht kaufen. Zweifelsfrei bieten sich jedoch im engen Dialog Chancen für beide Seiten: Patientenorganisationen erhalten wichtige Unterstützung und Hilfestellung, gleichzeitig können sie Unternehmen Einblicke in
13.2.3
FSA-Kodex Patientenorganisationen
196
Kapitel 13 • Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie
Fallbeispiel: Unterbringung, Bewirtung, Hotelauswahl, Vorträge mit allgemeinen Inhalten, Begleitpersonen Ein Unternehmen hatte in Berlin in einem Fünf-Sterne-Hotel eine Fortbildungsveranstaltung mit dem Thema »Innovative Medikamente verordnen – ohne Angst vor Regressen« durchgeführt. Die Einladung begann am Vorabend mit einem Abendessen. Der Vortrag fand am nächsten Morgen von 10–12 Uhr statt. Nach einem Mittagsimbiss stand der Nachmittag den Teilnehmern zur freien Verfügung. Am Abend wurde zu einem größeren Unterhaltungsereignis eingeladen, wofür die Ärzte den Eintritt selber bezahlen mussten. Im Anschluss wurde zu einem Abendessen geladen. Neben den Übernachtungskosten hat das Mitgliedsunternehmen die Kosten für 2 Abendessen in Höhe von EUR 66,05 und EUR 65,87 für jeden Teilnehmer übernommen. Die Veranstaltung endete am Folgemorgen nach dem Frühstück. Der Einladung war ein Anmeldungsformular für die Ärztin/den Arzt sowie eine Anmeldebestätigung für eine Begleitperson beigefügt. Die teilnehmenden Begleitpersonen mussten ihre Kosten selbst tragen.
Die Auswahl eines Fünf-SterneHotels stellte in diesem Fall einen Kodexverstoß dar, da die Auswahl des Hotels durch das Mitgliedsunternehmen allein mit der Behauptung gerechtfertigt wurde, dass die Preisangebote der Dreiund Vier-Sterne-Hotels über dem des Fünf-Sterne-Hotels gelegen hätten. Für den Verstoß ausschlaggebend war hier, dass das Hotel einen erhöhten Luxus- und Freizeitwert innehat. Zudem lag ein Verstoß gegen § 20 Abs. 2 vor, da das Unternehmen zu einer Veranstaltung eingeladen hatte, die sich nicht mit den Forschungsgebieten, Arzneimitteln und deren Indikationen des Unternehmens befasste. Insofern wurde der wissenschaftliche Charakter der Veranstaltung verneint. Die Auswahl des Tagungsortes erfolgte entgegen § 20 Abs. 3 S. 2 nicht allein nach sachlichen Gesichtspunkten, da für die von Freitagabend bis Sonntagmorgen dauernde Veranstaltung nur ein 2-stündiges Referat am Samstagvormittag vorgesehen war, und der Samstagnachmittag bis zum
Beginn des Abendprogramms zur freien Verfügung stand. Zudem wurde festgestellt, dass für einen Fortbildungsanteil von lediglich 2 Stunden 2 Bewirtungen zum Abendessen und ein Mittagsimbiss nicht in angemessenem Verhältnis zur Fortbildungsveranstaltung stehen und die Kosten, wie in diesem Fall in Höhe von EUR 66,05 und EUR 65,87, nicht als kodexkonform angesehen werden können. Ein Kodexverstoß liegt außerdem vor, wenn in einer Einladung bzw. Anmeldung zu einer Fortbildungsveranstaltung auf die Möglichkeit zur Mitnahme von Begleitpersonen hingewiesen wird. Denn dadurch, dass sich die Einladung auch auf begleitende Personen erstreckt, steht der wissenschaftliche Charakter der Fortbildung für den Arzt nicht mehr eindeutig im Vordergrund. Das Unternehmen hat eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abgegeben (FSA 2004-2011, vgl. hierzu Az. FS II 1/06/2005.9-90 [2. Instanz]).
13 Krankheitsbilder und in die Therapiepraxis von Betroffenen bieten. Allerdings gilt auch hier wie im Austausch mit Fachkreisen: Es müssen klare Spielregeln für die Zusammenarbeit geschaffen werden, um die Unabhängigkeit und Neutralität der Patientenorganisationen zu bewahren. Im Oktober 2008 brachte der FSA zu diesem Zweck ein weiteres Regelwerk auf den Weg: den »FSA-Kodex für die Zusammenarbeit der pharmazeutischen Industrie mit Patientenorganisationen«, kurz FSA-Kodex Patientenorganisationen (FSA 2008; . Abb. 13.2). Sein Ziel: Die Glaubwürdigkeit der Organisationen der Selbsthilfe stärken und damit den einzelnen Patienten schützen. Der Kodex wurde sowohl national als auch europaweit in Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen erstellt. Die EFPIA hat sich mit europa-
weit tätigen Patientenorganisationen beraten, die hilfreichen Input zur Regelung der Zusammenarbeit beigesteuert haben. Auf dieselbe Weise ist der FSA in Deutschland vorgegangen: Gemeinsam mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (BAGS) wurde der Leitgedanke des Kodex entwickelt. Dementsprechend ist es nur konsequent, dass sich die Leitlinien der Patientenselbsthilfe auch in weiten Teilen des FSA-Kodex wiederfinden. Patientenorganisationen werden somit nicht zusätzlich beschränkt, sondern in ihrer Kompetenz und Unabhängigkeit bestätigt.
Grundsätze der Zusammenarbeit mit Organisationen der Patientenselbsthilfe Im Kodex festgehalten ist u. a. der Grundsatz der Trennung. Konkret bedeutet dies, dass Unterneh-
13.2 • Verbindliche Richtlinien für mehr Transparenz
197
13
zielle Zuwendungen wie Schulungen oder das Einrichten von Internetseiten aufführen. Außerdem enthält der Kodex Vorgaben hinsichtlich 5 der Werbefreiheit bzw. des Werbeverbots, 5 der Vermeidung einseitiger Finanzierungsstrukturen, 5 des Gebrauchs von Logos von Patientengruppen, 5 editorialer Vorgaben bei Veröffentlichungen und 5 der Regelungen zum Sponsoring von Veranstaltungen. Zudem schreibt der Kodex vor, dass Unterstützungsleistungen von Unternehmen an
. Abb. 13.2 FSA-Kodex Patientenorganisationen (Quelle: Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.)
men keine Organisationen der Patientenselbsthilfe gründen und dass Vertreter oder Mitarbeiter von Unternehmen keine Funktionen in Patientenorganisationen ausüben dürfen, es sei denn, es handelt sich um wissenschaftliche Beiräte dieser Organisationen. Organisationen dürfen in keinster Weise verpflichtet werden, Empfehlungen zu verschreibungspflichtigen Medikamenten oder bestimmten Therapieformen abzugeben – sie müssen zu jeder Zeit neutral und unabhängig agieren können. Zu den besonderen Pflichten, die im FSA-Kodex Patientenorganisationen geregelt werden, zählen zudem die schriftlichen Vereinbarungen. Jegliche Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Organisationen der Patientenselbsthilfe darf nur auf Basis eines schriftlichen Vertrages stattfinden. Die Verträge müssen auch die zu gewährenden indirekten Zuwendungen, etwa die unentgeltliche Zurverfügungstellung von Serviceleistungen durch das Unternehmen, oder anderweitige nichtfinan-
Selbsthilfeorganisationen, egal ob finanzieller oder indirekter Art, offengelegt werden müssen. Die FSA-Mitgliedsunternehmen müssen der Öffentlichkeit jeweils eine Liste derjenigen Organisationen der Patientenselbsthilfe zur Verfügung stellen, die sie national oder auch europaweit finanziell unterstützen oder denen sie erhebliche indirekte oder nichtfinanzielle Zuwendungen gewähren. Die Mitgliedsunternehmen verpflichten sich, über die Summe der Geld- und Sachzuwendungen pro Kalenderjahr und Patientenorganisation zu berichten. Am Beispiel des Sponsorings von Veranstaltungen sollen im Folgenden weitere Grundsätze des FSA-Kodex Patientenorganisationen aufgezeigt werden. 5 Bei der Festlegung von Inhalten und Auswahl von Referenten dürfen Unternehmen zwar durchaus mitwirken, diese Mitwirkung muss jedoch ausgewogen und sachlich erfolgen. So können Unternehmen Kontakte zu unabhängigen Experten herstellen oder Informationen über Medikamente weitergeben, denn dies bildet einen legitimen Bestandteil einer Kooperation. Allerdings ist z. B. eine einseitige Darstellung zu Gunsten eines Unternehmens, einer bestimmten Therapie oder eines bestimmten Produktes ausgeschlossen und das Unternehmen muss auch bereit sein, weitere Referate zum Thema zuzulassen, um eine möglichst umfassende Information der Veranstaltungsteilnehmer sicherzustellen. Unabhängig davon sind Interessenkonflikte anzugeben.
198
Kapitel 13 • Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie
5 Ein weiteres Beispiel: Eine Bewirtung und die Übernahme der Reise- und Übernachtungskosten der Mitglieder von Patientenorganisationen durch ein Unternehmen sind möglich, sofern sich diese in einem angemessenen Rahmen bewegen. Zur Auslegung des Begriffes »angemessen« 7 Abschn. 13.2.2. 5 Die Tagungsstätte darf allein nach sachlichen Gesichtspunkten ausgewählt werden. Orte, die für ihren Unterhaltungswert bekannt sind oder als extravagant gelten, müssen analog zu ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen vermieden werden. 5 Oberstes Ziel einer gemeinsamen Veranstaltung von Unternehmen und Organisation muss es sein, dem Patienten umfassende und dabei objektive und neutrale Informationen zur Verfügung zu stellen.
13
Die Mitgliedsunternehmen müssen wie beim FSAKodex Fachkreise durch geeignete organisatorische Vorkehrungen gewährleisten, dass der FSA-Kodex Patientenorganisationen auch tatsächlich eingehalten wird. Zwingend erforderlich ist die Einrichtung eines geeigneten Genehmigungsprozesses für den Abschluss von Verträgen mit Patientenorganisationen. Die FSA-Mitgliedsunternehmen müssen sich in der Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen jederzeit an hohen ethischen Standards messen lassen. Das bedeutet auch, dass sie die Arbeit dieser Organisationen zu keiner Zeit in Misskredit bringen oder deren Ansehen in der Öffentlichkeit schaden dürfen.
Ergebnisse der Veröffentlichungspflicht Die bisherigen Veröffentlichungen der Unternehmen über ihre Unterstützungsleistungen an Patientenorganisationen machen deutlich, in welchem Rahmen sich Zuwendungen bewegen. Jeweils zum 31. März eines jeden Jahres müssen die Unternehmen die Zahlungen veröffentlichen. Sie zeigen, dass 90 % der finanziellen Zuwendungen unter EUR 1.000 liegen. Der bis dato vermuteten finanziellen Unterwanderung von Patientenorganisationen durch Unternehmen ist damit nachhaltig die Grundlage entzogen. Davon profitieren beide Seiten, da es den seriösen und patientenorientier-
ten Dialog stützt und von spekulativen Negativvermutungen befreit. Der FSA-Kodex Patientenorganisationen gibt klare Regelungen für die partnerschaftliche Zusammenarbeit vor und schafft so die notwendige Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit.
13.3
Beanstandungen
Die Verhaltenskodizes des FSA tragen dem Ruf nach mehr Transparenz bei der Zusammenarbeit im pharmazeutischen Bereich Rechnung und gehen teilweise über gesetzliche Bestimmungen hinaus. Unternehmen haften für Verstöße ihrer Mitarbeiter und können empfindliche Strafen davontragen. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass Jedermann eine Beschwerde über vermeintlich unlauteres Verhalten eines Unternehmens bei der Schiedsstelle des FSA einreichen kann. Der FSA geht allen Beanstandungen nach. Bei einem begründeten Verdacht kann der FSA-Vorstand auch direkt ein Beanstandungsverfahren einleiten. > Neben den Unternehmen sind insbesondere Vertreter von Ärzteschaft und Patientenselbsthilfe aufgefordert, unethisches Verhalten und unlautere Beeinflussung anzuzeigen.
Seit 2004 sind beim FSA rund 300 Beanstandungen eingegangen, die sorgfältig geprüft wurden. Insgesamt hat die Schiedsstelle des Vereins über 130 Abmahnungen und Entscheidungen erlassen, mit denen den Unternehmen das bisherige Vorgehen für die Zukunft untersagt wird. Dabei wurden auch Geldstrafen verhängt und verschiedentlich die Namen der Unternehmen veröffentlicht (FSA 20042011). In jedem Fall wird der Beanstandende nach Abschluss des Verfahrens schriftlich und mit Aufführung der Gründe über die Entscheidung der Spruchkörper informiert. Ausführliche Übersichten über alle Beanstandungen können im jährlich erscheinenden Jahresbericht des FSA nachgelesen werden (URL: www.fs-arzneimittelindustrie.de unter Downloads). Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass insbesondere Mitgliedsunternehmen des FSA Beanstandungen vortragen (180 Fälle) und der Idee
199
13.4 • Fazit und Ausblick
13
Fallbeispiel: Angemessener Rahmen für Unterbringung bei Fortbildungsveranstaltungen Ein Unternehmen hatte Ärzte zu einer internen Fortbildungsveranstaltung in das Hotel Le Royal Méridien an der Außenalster in Hamburg eingeladen. Die Veranstaltung begann mit der Anreise der Teilnehmer und einem Abendessen an einem Freitag. Das wissenschaftliche Programm am darauf folgenden Sonnabend dauerte von 8.30–16.15 Uhr. Das Unternehmen hat für einen Teil der Veranstaltungsteilnehmer Übernachtungskosten von EUR 179 pro Person übernommen. Das Hotel Le Royal Méridien in Hamburg gehört zur Kategorie der Fünf-Sterne-Hotels. In seinem Internetauftritt bewirbt das Hotel sein Zimmerangebot mit Begriffen wie »Moderner Luxus« und »Edle Eleganz«. Unter der Rubrik »Aktivitäten« wird auf einen Freizeitclub, ein Fitness-Center, Whirlpool,
Sauna, Dampfbad und SPA-Einrichtungen und -Behandlungen verwiesen. Die Unterbringung von Angehörigen der Fachkreise im Rahmen einer internen Fortbildungsveranstaltung auf Kosten des Unternehmens in diesem Hamburger Hotel überschreitet den angemessenen Rahmen im Sinne des Kodex (§ 20 Abs. 3 Satz 1), da die Teilnehmer am Vorabend anreisen, in luxuriös ausgestatteten Zimmern übernachten und die Möglichkeit haben, den ausgedehnten Wellness-Bereich des Hotels zu nutzen. Dabei wird die Unangemessenheit der Unterbringung nicht bereits daraus hergeleitet, dass das Hotel Le Royal Méridien zur Fünf-SterneKategorie gehört. Entscheidend ist vielmehr, ob beim ausgewählten Hotel der geschäftliche Charakter als Tagungsstätte für die Fortbildungsveranstaltung oder der Erlebnischarakter in Bezug auf Zim-
einer Selbstkontrolle damit gerecht werden. Zunehmend reichen auch Nicht-Mitglieder Beanstandungen ein. Die bisherigen Zahlen von Anzeigen möglichen Fehlverhaltens durch Angehörige von Fachkreisen und Organisationen der Selbsthilfe sind eher gering. Ärzte oder in der Selbsthilfe Tätige, denen eine unlautere Beeinflussung auffällt, sollten dies konkret anzeigen. (7 Fallbeispiel: Angemessener Rahmen für Unterbringung bei Fortbildungsveranstaltungen)
13.4
Fazit und Ausblick
Nach 7 Jahren Rechtsprechung kann dem FSA-Kodex sicherlich eines deutlich zugesprochen werden: Wer sich an ihn hält, bewegt sich juristisch auf sicherem Boden. Dies bestätigen auch Staatsanwälte, wenn sie feststellen, dass strafrechtliche Risiken deutlich minimiert werden, wenn man sich an die Kodizes und die Rechtsprechung des FSA hält. Wiederholt haben deutsche Zivilgerichte sowohl
merausstattung, Gastronomie und Wellness-Bereiche im Vordergrund steht. Die Eigendarstellung des Hotels lässt jedoch erkennen, dass es sich beim Le Royal Méridien um ein Hotel mit besonderem Erlebnisund Erholungscharakter handelt. Gerade hierin liegt der zu meidende Anreizfaktor für die eingeladenen Angehörigen der Fachkreise, der dieses Erlebnis des bloßen Aufenthalts und der möglichen Nutzung der Wellness-Bereiche in den Vordergrund treten lässt. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Teilnehmer nicht allein wegen des Fortbildungsprogrammes der Einladung gefolgt sind. Allein dies legt schon die Vermutung nahe, dass die Angehörigen der Fachkreise in ihren Therapie- und Verordnungsentscheidungen unsachlich beeinflusst werden könnten (FSA 2004-2011, vgl. hierzu Az.: 2009.3-258 [1. Instanz]).
die Klagebefugnis des FSA gegenüber Dritten als auch die indizielle Wirkung der Kodizes bei der Feststellung unethischen Verhaltens von NichtMitgliedern bestätigt. Doch wie können die Einhaltung der Regelungen ausreichend gesichert und damit schädliche Auswirkungen von Interessenkonflikten insbesondere für Fachkreise weiter reduziert werden? Die beratende Unterstützung von Unternehmen durch den FSA im Vorfeld geplanter Maßnahmen spielt eine nicht unwesentliche Rolle. So können offene Fragen bereits vorab geklärt und unerlaubte Praktiken und Kodexverstöße von vorneherein vermieden werden. Jedoch reichen allein präventive Maßnahmen nicht aus, um Standards für ethisch korrektes Verhalten nachhaltig durchzusetzen. Eine konsequente Rechtsprechung kann nicht ersetzt werden. Zur Überwachung bedarf es eines Sanktionierungssystems, das Fehlverhalten anzeigt und ahndet. Seit Gründung des FSA hat sich vieles verändert. Nicht nur den FSA-Mitgliedsunternehmen,
200
13
Kapitel 13 • Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie
sondern allen gesundheitspolitischen Akteuren liegen Maßstäbe für den ethischen Umgang miteinander vor. Die gesetzten Standards regeln klar, was erlaubt ist und was nicht. 300 Beanstandungen, über 130 Abmahnungen und Entscheidungen, das Verhängen von Geldstrafen und öffentlichen Rügen zeugen davon, dass die Selbstkontrolle erfolgreich ist. Durch Sanktionsmaßnahmen werden Unternehmen abgeschreckt, gleiches oder ähnliches Verhalten erneut zu zeigen. Damit wurde auch der Wettbewerb um die niedrigsten ethischen Standards gestoppt und in einen positiven, lauteren Wettbewerb gewandelt. Seit Inkrafttreten des Kodex ist eine Rückbesinnung auf ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Unternehmen und Fachkreisen spürbar. Die Verhaltensänderung innerhalb der pharmazeutischen Industrie wirkt dabei auch auf die Ärzteschaft. Beide Akteure beeinflussen sich zunehmend positiv im gegenseitigen Wissens- und Erfahrungsaustausch. Dies wird auch auf Seiten der Ärzteschaft erkannt und bestätigt, z. B. vom Präsidenten der Ärztekammer Westfalen-Lippe Dr. med. Theodor Windhorst (2007):
men, andere ergänzt und konkretisiert werden. Fortbildungen, die vormals hauptsächlich als ortsgebundene Veranstaltungen stattfanden, werden durch E-Learning-Modelle und andere moderne Kommunikationsformen ersetzt. Im verschreibungspflichtigen Medikamentenmarkt agieren nicht mehr nur Unternehmen und Fachangehörige, sondern zunehmend auch Dritte wie Kassenärztliche Vereinigungen, Krankenkassen und andere Partner im Gesundheitswesen, was eine ständige Prüfung und Anpassung der Kodizes verlangt. So hat der FSA in seiner Mitgliederversammlung im Dezember 2010 »Empfehlungen für die Zusammenarbeit mit Partnern im Gesundheitswesen und deren Mitarbeitern« verabschiedet, um auch dort durch Transparenz unlauteres Vorgehen zu verhindern. Die Aktualität der Kodizes ist eine Grundvoraussetzung, um Interessenkonflikte offenlegen zu können und korrupte Praktiken und unlauteres Verhalten wirkungsvoll zu bekämpfen. Das Bewusstsein für die Vorteile eines positiven Austausches zwischen allen Beteiligten im Gesundheitswesen kann so wieder die Oberhand gewinnen.
»
Literatur
Die gesellschaftlichen Gegebenheiten, politischen und wirtschaftlichen Umstände sind permanent im Umbruch. Neuartige Therapieformen und Behandlungsmethoden und innovative Medikamente kommen auf den Markt, der Gesetzgeber erlässt weiterführende Regelungen und der Konkurrenzdruck für Unternehmen wächst weiter. Um möglichem Fehlverhalten vorzubeugen, müssen sich alle Akteure auf neue Situationen einstellen. Dies gilt auch für den FSA mit seinem Anspruch, ethische Verhaltensweisen durchzusetzen. Um auch die Regelungen auf den sich verändernden Pharmamarkt einzustellen, entwickelt der FSA sein System kontinuierlich weiter. Das bedeutet, dass die Kodizes fortgeschrieben werden, neue Regeln hinzukom-
Die Welt online (2000) Herzklappenskandal. URL: http:// www.welt.de/print-welt/article530332/Herzklappenskandal.html. Zugegriffen: 18. Februar 2011 EFPIA (European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations) (Hrsg) (2007) Code of Practice on the promotion of prescription-only medicines to, and interactions with, healthcare professionals. URL: http://www. efpia.org/content/Default.asp?PageID = 615. Zugegriffen: 18. Februar 2011 FSA (Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.) (Hrsg) (2004–2011) Berichterstattung. URL: http:// www.fs-arzneimittelindustrie.de/fsa.nsf/0/806959A4DB B316F5C125742400550418. Zugegriffen: 18. Februar 2011 FSA (Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.) (Hrsg) (2006) Verfahrensübersicht. URL: http://www.fs-arzneimittelindustrie.de/FSA.nsf/0/ B9C77C266D0C170680256E76004BDB1A/$file/Verfahrensübersicht_041206.pdf. Zugegriffen:18. Februar 2011 FSA (Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.) (Hrsg) (2008) FSA-Kodex zur Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen (»FSA-Kodex Patientenorganisationen«) vom 13. Juni 2008, bekannt gemacht im Bundesanzeiger vom 23. Juli 2008, BAnz. Nr. 109, S 2684 URL: http://www.fs-arzneimittelindustrie.de/verhal-
Meiner Meinung nach profitieren sowohl Ärzteschaft als auch die Arzneimittelindustrie von den klaren Vorgaben des Kodex – und zeigen eindrucksvoll, dass die Zusammenarbeit auf freiwilliger Basis gut geregelt werden kann und keinerlei staatlicher Kontrollinstanzen bedarf.
«
Literatur
tenskodex-patientenorganisation.html. Zugegriffen: 18. Februar 2011 FSA (Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.) (Hrsg) (2009) FSA-Kodex zur Zusammenarbeit mit Fachkreisen (»FSA-Kodex Fachkreise«), geändert am 27. 11. 2009, bekannt gemacht im Bundesanzeiger vom 10. 02. 2010, BAnz. Nr. 22, S 499 URL: http://www.fs-arzneimittelindustrie.de/kodex-fachkreise.html. Zugegriffen: 18. Februar 2011 Johnson & Johnson (Hrsg) (2007) International Health Care Business Integrity Guide. URL: http://www.janssen-cilag.de/content/backgrounders/janssen-cilag.de_ger/ local_content/Health_Care_Compliance_Guide_Pharma_JJ_ENG.pdf. Zugegriffen: 16. Februar 2011 Landesarbeitsgericht Hessen (LAG Hessen) (2010), Urteil vom 25. 01. 2010–17 Sa 21/09 vfa (Verband Forschender Arzneimittelhersteller e. V.) (Hrsg) (2003) Verhaltensempfehlungen. URL: http://www.vfa. de/de/verband-mitglieder/verhaltensempfehlungen/ verhaltensempfehlungen.html. Zugegriffen: 23. Februar 2011 Windhorst T (2007) Gastbeitrag. In: Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V. (Hrsg) Jahresbericht 2007. Berlin, S 16–17
201
13
203
Interessenkonflikte in Aus-, Weiter- und Fortbildung Kapitel 14
Interessenkonflikte in der ärztlichen Aus-, Weiterund Fortbildung und Vorschläge zu deren Minimierung – 205 Nils Schneider, Günther Egidi und Günther Jonitz
Kapitel 15
Interessenkonflikte und Medizinjournalismus – 223 Martina Keller
Kapitel 16
Warum unabhängige Arzneimittelzeitschriften und Fortbildungsveranstaltungen wichtig sind – 237 Jörg Schaaber, Michael M. Kochen, Bruno MüllerOerlinghausen und Wilhelm Niebling
III
205
Interessenkonflikte in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung und Vorschläge zu deren Minimierung Nils Schneider, Günther Egidi und Günther Jonitz
14.1
Einleitung: Grundzüge der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung – 206
14.1.1 14.1.2 14.1.3
Ausbildung – 206 Weiterbildung – 206 Fortbildung – 206
14.2
Kosten und Finanzierung ärztlicher Aus-, Weiter- und Fortbildung – 207
14.2.1 14.2.2 14.2.3
Universitäre Ausbildung – 207 Weiterbildung zum Facharzt – 207 Berufsbegleitende Fortbildung – 208
14.3
Aus-, Weiter- und Fortbildung anfällig für Beeinflussungen – 208
14.4
Interessenkonflikte in unterschiedlichen Phasen ärztlicher Qualifizierung – 210
14.4.1 14.4.2 14.4.3
Ausbildung – 210 Weiterbildung – 211 Fortbildung – 212
14.5
Umgang mit Interessenkonflikten: Wie ist die Praxis? – 214
14.5.1 14.5.2
Empfehlungen zum Umgang mit wirtschaftlichen Interessen – 214 Kritische Anmerkungen und Ansätze für Verbesserungen – 215
14.6
Vorschläge zur Minimierung von Interessenkonflikten – 215
14.6.1 14.6.2
Transparenz – 216 Weitergehende Optionen – 218
14.7
Fazit und Ausblick – 220 Literatur – 220
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
14
206
Kapitel 14 • Interessenkonflikte in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung
Zur Einführung Neben der berufsrechtlichen Verpflichtung für Ärzte, sich kontinuierlich fortzubilden, gibt es eine gesetzliche Fortbildungspflicht für Vertragsärzte und Fachärzte im Krankenhaus. Entsprechend umfangreich ist das Angebot an Fortbildungsmöglichkeiten. Die Kosten (z. B. für Veranstaltungsorte, Bewirtung, Referentenhonorare) werden in nicht unerheblichem Umfang von der pharmazeutischen und medizintechnischen Industrie getragen. Daraus können Interessenkonflikte resultieren, die den Zielen einer objektiven, unabhängigen ärztlichen Fortbildung entgegen stehen. Aber nicht nur in der Fortbildung, sondern auch in den früheren Phasen ärztlicher Qualifizierung (Medizinstudium, Facharzt-Weiterbildung) spielen Interessenkonflikte eine Rolle, werden bislang aber unzureichend reflektiert. In diesem Kapitel werden die nationale und internationale Literatur dazu diskutiert und Lösungsansätze vorgestellt.
14.1
14.1.1
14
Einleitung: Grundzüge der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung Ausbildung
Die Ausbildung der Ärzte in Deutschland erfolgt an einer der 36 medizinischen Fakultäten und dauert in der Regel 6 Jahre, aufgeteilt in das vorklinische (2 Jahre) und das klinische Studium (3 Jahre) sowie das abschließende Praktische Jahr. Während dieser Zeit soll der ärztliche Nachwuchs wissenschaftlich und praktisch so ausgebildet werden, dass er nach Abschluss und mit Erteilung der Zulassung zur Berufsausübung (Approbation) zu eigenverantwortlicher und selbständiger ärztlicher Tätigkeit befähigt ist. Es sollen die Voraussetzungen zur Weiterbildung (7 Abschn. 14.1.2) und zur permanenten berufsbegleitenden Fortbildung (7 Abschn. 14.1.3) geschaffen werden. Mit diesem Ziel werden die grundlegenden Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in allen Fächern vermittelt, die für die Gesundheitsversorgung erforderlich sind.
14.1.2
Weiterbildung
Die ärztliche Weiterbildung beinhaltet das Erlernen medizinischer Kenntnisse, ärztlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten nach abgeschlossener ärztlicher Ausbildung und Erteilung der Approbation. Ziel der Weiterbildung ist die Qualifikation als Facharzt (z. B. für Innere Medizin, Chirurgie, Allgemeinmedizin) und darauf aufbauend gegebenenfalls eine weitere Sub-Spezialisierung in Schwerpunkten oder in einer Zusatz-Weiterbildung. Die Zuständigkeit für Inhalte, Dauer, Form und Überprüfung der Weiterbildung liegt bei den Landesärztekammern. Den Gestaltungsrahmen hierzu gibt der Deutsche Ärztetag mit der von ihm verabschiedeten Muster-Weiterbildungsordnung vor. Die Weiterbildung dauert je nach Fachgebiet bis zu 6 Jahre und muss bei von den Landesärztekammern weiterbildungsermächtigten Ärzten absolviert werden (Bundesärztekammer 2007). Den Abschluss der Weiterbildung bildet die erfolgreich bestandene Facharztprüfung.
14.1.3
Fortbildung
Ärzte sind berufsrechtlich verpflichtet, sich kontinuierlich fortzubilden, um Wissen, Fertigkeiten und Haltungen im ärztlichen Beruf zu erhalten, zu aktualisieren und weiterzuentwickeln. Das übergeordnete Ziel ist es, dem Anspruch des Patienten auf eine dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechende Behandlung zu genügen – sowie dem inneren Anspruch des Arztes, seinen Patienten die bestmögliche Versorgung angedeihen zu lassen und damit zur Qualitätssicherung in der medizinischen Versorgung beizutragen. Zusätzlich zur berufsrechtlichen Ordnung wurde mit dem GKV-Modernisierungsgesetz 2004 eine Nachweispflicht für die Fortbildung – sowohl für Vertragsärzte als auch für Fachärzte im Krankenhaus – sozialgesetzlich verankert (SGB V). Für Vertragsärzte bzw. Fachärzte im Krankenhaus bedeutet dies, dass sie alle 5 Jahre gegenüber der für sie zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) bzw. der Krankenhausleitung ihre absolvierten Fortbildungen mit einer Mindestzahl von 250 Fortbildungspunkten nachweisen müssen. An-
14.2 • Kosten und Finanzierung ärztlicher Aus-, Weiter- und Fortbildung
gerechnet wird die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen unterschiedlicher Formate (z. B. Selbststudium, Seminare, Kongressbesuche, Internet-basierte Fortbildungen), die im Rahmen eines Zertifizierungsverfahrens von einer Landesärztekammer anerkannt und mit Fortbildungspunkten bewertet worden sind. Im KV-Bereich sind Sanktionen bei Nichterfüllung der Fortbildungspflicht in Form von Honorarkürzungen bis hin zum Entzug der kassenärztlichen Zulassung möglich (§ 95d SGB V). Im stationären Sektor sind solche finanziellen Sanktionsregelungen derzeit nicht definiert; jedoch werden die Fortbildungsaktivitäten der Fachärzte im Krankenhaus mit der verbindlichen Darlegung im Qualitätsbericht der Krankenhäuser gem. § 137 SGB V gegenüber der Öffentlichkeit transparent gemacht. Der Fortbildungsangebot ist groß und wächst weiter, was neben der Fortbildungspflicht auch auf andere Faktoren wie den stetigen Wissenszuwachs in der Medizin, zunehmende Spezialisierung und steigende Anforderungen an die Qualitätssicherung zurückzuführen ist (Lichter 2008). Ein weiterer Grund ist darin zu sehen, dass rund um die ärztliche Fortbildung ein eigener Markt entstanden ist, auf dem Anbieter Gewinne erwirtschaften und andere Interessen (z. B. Machtpolitik, Dominanz einer Fachgesellschaft über andere) verfolgen können (7 Abschn. 14.4.3). > Neben der berufsrechtlichen Verpflichtung zur kontinuierlichen Fortbildung besteht auch eine gesetzliche Fortbildungspflicht für Vertragsärzte und Fachärzte im Krankenhaus.
14.2
Kosten und Finanzierung ärztlicher Aus-, Weiter- und Fortbildung
14.2.1
Universitäre Ausbildung
Die universitäre Ausbildung für einen Medizinstudierenden in Deutschland kostet etwa EUR 180.000 und ist weit überwiegend steuerfinanziert. Die Verantwortung liegt bei den Bundesländern. Die Finanzierung der Grundausstattung der Hoch-
207
14
schulen (Infrastruktur, Personal) ist im Zuge der angespannten Lage der öffentliche Haushalte zunehmend zu einem Problem geworden, das durch den Kostendruck, dem sich auch die Universitätsklinika in der Patientenversorgung stellen müssen, weiter verschärft wird. In der Universitätsmedizin bestehen wie in anderen Bereichen der Krankenversorgung die (ökonomischen) Notwendigkeiten der Effizienzsteigerung, was zur Verkürzung der stationären Aufenthaltsdauer der Patienten bei zugleich höherer Leistungsdichte (Diagnostik, Therapie) führt. Dies wiederum ist ein Hindernis für eine patientennahe und patientenorientierte Ausbildung der Medizinstudenten. Teilweise wird versucht, mit neuen Ausbildungskonzepten (z. B. Simulationspatienten im Reformstudiengang Charité Berlin, Modellstudiengang Medizinische Hochschule Hannover) gegenzusteuern. Je nach Bundesland werden Studiengebühren in Höhe von bis zu EUR 500 pro Semester erhoben. Programme zur Ausbildungsförderung (z. B. das staatliche BAföG) und Stipendien sind verfügbar.
14.2.2
Weiterbildung zum Facharzt
Die Weiterbildung zum Facharzt war bislang wenig strukturiert und hing in früheren Zeiten der Stellenknappheit für Ärzte oftmals davon ab, in welchem Krankenhaus oder in welcher Praxis der Assistenzarzt eine Arbeitsstelle bekam. Das Engagement Einzelner (sowohl auf Seiten der Weiterbildenden als auch der Ärzte in Weiterbildung) war für eine fundierte und aufeinander abgestimmte Weiterbildung vor Ort wichtiger als ein – zudem oftmals nicht vorliegendes – systematisches und transparentes Konzept. Vieles basierte auf Eigeninitiative und Erfahrungslernen im Berufsalltag (»learning by doing«). Weiterbildung war arbeits- und tarifrechtlich »Abfallprodukt der Berufsausübung als Krankenhausarzt«. Erst in den letzten Jahren bieten (auch im Zuge der veränderten Arbeitsmarktsituation für Ärzte) Krankenhäuser und Praxen zunehmend strukturierte Weiterbildungsprogramme an, die verlässliche Abschnitte auch in unterschiedlichen Fachrichtungen und Versorgungsformen (stationär, ambulant) anbieten.
208
Kapitel 14 • Interessenkonflikte in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung
Die Finanzierung der Weiterbildung erfolgt durch die Arbeitsleistung der Ärzte in Weiterbildung: Sie stellen ihre Arbeitskraft zur Verfügung und erhalten dafür neben ihrem Gehalt eine Weiterbildung. In der Allgemeinmedizin gibt es finanzielle Anreize zur Beschäftigung von Ärzten in Weiterbildung – im ambulanten Bereich beispielsweise erhalten die Ärzte in Weiterbildung monatlich bis zu EUR 3.500 zuzüglich Zuwendungen seitens der Weiterbilder. Ärzte in Weiterbildung und auch Fachärzte qualifizieren sich je nach Fachrichtung bzw. persönlichen Interessen in bestimmten Bereichen zusätzlich (z. B. Notfallmedizin, Chirotherapie, Psychotherapie). Die Kosten dafür fallen sehr unterschiedlich aus: So summieren sich die Kursgebühren der für den Facharzt für Allgemeinmedizin notwendigen Teilnahmen an Balint-Gruppen auf einige Hundert Euro, während Chirotherapie-Kurse mindestens EUR 3.000 an reinen Kursgebühren kosten. Dies muss zumeist individuell finanziert werden. Die praktische Erfahrung zeigt jedoch, dass sich Arbeitgeber (z. B. Krankenhäuser) nicht selten dann an den Kosten beteiligen, wenn ein besonderes Interesse an einer bestimmten Zusatzqualifikation besteht, z. B. um eine ausreichende Zahl qualifizierter Rettungsärzte vorhalten zu können. Manchmal wird den Weiterbildungsassistenten auch ein jährliches Budget zur individuellen Finanzierung zusätzlicher Weiterbildungen angeboten.
14
14.2.3
Berufsbegleitende Fortbildung
Berufsbegleitende Fortbildungen werden für die Teilnehmer oftmals kostenfrei angeboten. Andere Fortbildungen (z. B. Balintgruppen oder Seminare zu evidenzbasierter Medizin, zu Psychotherapie oder zu Homöopathie) sind dagegen kostenpflichtig. In der Wahrnehmung nicht weniger Ärztinnen und Ärzte werden – nach Beobachtung der Autoren dieses Kapitels – die gesetzlichen Fortbildungsauflagen (7 Abschn. 14.1.3) als Schikane angesehen, für die man nicht noch zusätzlich bezahlen möchte. Dies kann Präferenzen zu Gunsten kostenfreier Fortbildungsveranstaltungen in attraktivem Ambiente (Ort, Essen) fördern. Veranstaltungen der Pharmaindustrie und der medizintechnischen In-
dustrie sind in dieser Situation oft diejenigen, die dem Arzt interessengeleitete Botschaften in positiver Umgebung vermitteln.
14.3
Aus-, Weiter- und Fortbildung anfällig für Beeinflussungen
Aus-, Weiter- und Fortbildung sind Bereiche mit besonderer Anfälligkeit für Beeinflussungen. Die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Rahmen der Aus-, Weiter- und Fortbildung zielt auf Veränderungen des Verhaltens auf Seiten der Ärzte. Diese Verhaltensänderungen sollen dazu beitragen, die bestmögliche Qualität in der Patientenversorgung sicherzustellen. Die Beziehung zwischen Lernendem und Lehrer ist häufig asymmetrisch und kann von erheblicher Abhängigkeit geprägt sein. Gerade in der Aus- und Weiterbildung ist in der Regel von einem vergleichsweise großen Wissens- bzw. Erfahrungsvorsprung der Lehrenden auszugehen, und Prüfungssituationen nehmen zusätzlichen Einfluss auf die Lernsituation und die Beziehung zwischen den Beteiligten. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es nicht nur um fachliches Wissen (z. B. Therapiestandards) geht, sondern auch um die Vermittlung von Werten und Einstellungen sowie Fertigkeiten. Dies erfolgt häufig implizit, beispielsweise durch die Autorität von Amt und Person eines Hochschullehrers. Ähnliches gilt für Ärzte, die ihren Berufsstand in besonderem Maße innerärztlich oder nach außen repräsentieren (Ärztekammern, Fachgesellschaften u. a.). Interessenkonflikte können in vielfältigen Zusammenhängen entstehen (finanzielle Verbindungen, politische Überzeugungen, soziale Abhängigkeiten u. a.) und materieller und immaterieller Natur sein (zu den unterschiedlichen Formen von Interessenkonflikten s. auch 7 Kap. 2 und 7 Kap. 11). Für die ärztliche Aus-, Weiter- und Fortbildung sind Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der pharmazeutischen und medizintechnischen Industrie von besonderer Bedeutung, da Ärzte über ihr Therapie- und Verordnungsverhalten die mitentscheidenden Hebel für den erfolgreichen Absatz der Produkte bedienen. Deshalb fokussiert dieses Kapitel auf industrieassoziierte Interessen-
14.3 • Aus-, Weiter- und Fortbildung anfällig für Beeinflussungen
konflikte. Aber auch beispielsweise die Haftung niedergelassener Ärzte für ihr Verordnungs-Budget kann einen Interessenkonflikt bedeuten, wenn sie einer bestimmten, für den Patienten möglicherweise sinnvollen Verordnung im Wege steht. Ähnlich ist es mit gesundheitspolitisch diskutierten Bonus-Systemen, innerhalb derer die ärztlichen Honorare in dem Maß steigen, in dem die Verordnungskosten sinken. > Interessenkonflikte in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung entstehen häufig im Zusammenhang mit der pharmazeutischen und medizintechnischen Industrie, können aber auch z. B. durch politische Vorgaben hervorgerufen werden. z
Angemessene Fortbildung: Ein Kostenfaktor
Die meisten, wenn nicht alle Ärzte dürften ein hohes Interesse daran haben, sich über neue, für ihre Praxis relevante Entwicklungen bei der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen zu informieren. Dies ergibt sich aus den Anforderungen an den Arztberuf, den Erwartungen der Patienten und aus dem Selbstverständnis und der Eigenmotivation der Ärzte. Teilhabe an Fortschritten in der Medizin und an innovativen Behandlungen tragen wesentlich zur Attraktivität des Arztberufes bei (Lichter 2008). Die Aus-, Weiter- und Fortbildung, die dies ermöglicht, kostet Geld und benötigt Zeit (7 Abschn. 14.2.2 und 7 Abschn. 14.2.3). Insbesondere erfolgt die Fortbildung meist nicht während der Arbeitszeit, sondern im Anschluss daran in den Abendstunden oder an den Wochenenden. Die Kosten müssen oftmals selbst getragen werden. Während sich dies bei Ärzten in eigener Praxis aus der Freiberuflichkeit ergibt, ist die Situation bei angestellten Ärzten in Krankenhaus oder Praxis eine andere, wie in 7 Abschn. 14.2 ausgeführt. Der auch durch die gesetzliche Verankerung der Fortbildungspflicht gestiegene Fortbildungsbedarf wird derzeit weder bei der Kalkulation der Vergütung im Krankenhausbereich noch im ambulanten Sektor berücksichtigt. »Personalentwicklungskosten« sind im einheitlichen Bewertungsmaßstab nicht vorgesehen, trotz zunehmender Bedeutung der Weiterbildung im ambulanten Sektor.
209
14
Eine Reihe von Faktoren begünstigen somit die Empfänglichkeit von Ärzten und Organisationen in Aus-, Weiter und Fortbildung für Zuwendungen Dritter, was auf das originäre Interesse der Pharmaindustrie und der medizintechnischen Industrie trifft, ihre Gewinne durch Verkauf ihrer Produkte zu maximieren. Es ist gut belegt, dass die Pharmaindustrie in die ärztliche Fortbildung investiert, weil es sich für sie auszahlt – das »return on investment« ist positiv (Wittink 2002). Internationale Daten deuten darauf hin, dass über die Hälfte der ärztlichen Fortbildung industriegesponsert ist (Steinbrook 2009). Analysen deuten darauf hin, dass pharmazeutische Unternehmen in den USA ca. US $ 2 Mrd. für die Finanzierung von ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen im Jahr 2004 ausgegeben haben (Gagnon und Lexchin 2008). Einzelheiten zu den Ausgaben pharmazeutischer Unternehmen für Marketing sind in 7 Kap. 11 ausgeführt, wobei für Deutschland keine verlässlichen Daten vorliegen. Nach einer Befragung von Lieb u. Brandtönies (2010) unter niedergelassenen Fachärzten für Neurologie/Psychiatrie, Allgemeinmedizin und Kardiologie in Deutschland haben diese im Jahr 2007 etwa gleich viele pharmagesponserte wie nicht-gesponserte Fortbildungen besucht; eine im Auftrag von einigen pharmazeutischen Unternehmen durchgeführte Untersuchung deutet in eine vergleichbare Richtung (7 Kap. 11). Die Bewertung des Engagements der Industrie in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung kann je nach Blickwinkel unterschiedlich ausfallen. Aus Sicht des Empfängers kann sie einen wertvollen Beitrag zur beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung darstellen, z. B. bei Stipendien, die Studenten oder Ärzten eine Qualifizierungsmaßnahme an einer renommierten Einrichtung im In- oder Ausland ermöglichen. Aus Sicht einer Institution, z. B. einer Universität, können Drittmittel von Seiten der Industrie über die hierdurch erzielte Verbesserung der Forschungsbedingungen zur wissenschaftlichen Fundierung des Medizinstudiums beitragen. Den Organisatoren von Fortbildungsveranstaltungen können Mittel der Medizinindustrie dabei helfen, externe Experten für Fachvorträge zu gewinnen (Lo u. Field 2009). Die pharmazeutische und medizintechnische Industrie liefert wichtige Beiträge zum medizi-
210
Kapitel 14 • Interessenkonflikte in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung
nischen Fortschritt, ihre Rolle in Forschung und Entwicklung ist essentiell. Daraus ergibt sich, dass Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Industrie in gewissem Maße notwendig und wünschenswert ist. Strikt zu trennen sind jedoch die ärztliche Aus-, Weiter- und Fortbildung einerseits und Marketing andererseits. Die ärztliche Qualifizierung hat in allen Phasen auf dem bestverfügbaren evidenzbasierten Wissen zu fußen, während Marketing andere Interessen verfolgt, die damit nicht vereinbar sind (Rothman et al. 2009). > Industriesponsoring ist nicht per se negativ, die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Industrie ist in vielen Bereichen vielmehr notwendig und wünschenswert. Allerdings sind unabhängige, qualitativ hochwertige Aus-, Weiter- und Fortbildung einerseits und Marketinginteressen der Industrie andererseits nicht miteinander vereinbar. z
14
Einfluss von Sponsoring auf ärztliches Handeln
Das Problem besteht darin, dass das Engagement der Industrie in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung darauf abzielt, Einstellungen und Verhalten auf Seiten von Ärzten in ihrem Sinne zu beeinflussen. Obwohl keine empirischen Daten zu langfristigen Effekten vorliegen, deuten Studienergebnisse darauf hin, dass Zuwendungen vonseiten der Medizinindustrie das ärztliche Urteilsvermögen und Handeln beeinflussen, wobei weniger der eigentliche (materielle) Wert einer Zuwendung als vielmehr der Kontakt an sich entscheidend ist (Rothman et al. 2009, 7 auch Kap. 3). Es konnte gezeigt werden, dass Ärzte, die an einer von einer Firma gesponserten Fortbildungsveranstaltung teilnehmen, in den Folgemonaten in ihrer Praxis die Produkte des Sponsors bevorzugen (Bowman u. Pearle 1988). Zurückzuführen sein dürfte dies nicht zuletzt darauf, dass in gesponserten Fortbildungsveranstaltungen Produkte des Sponsors bevorzugt erwähnt werden (Wazana 2000). Vor einer solchen Verzerrung scheinen auch Richtlinien der Standesorganisationen nicht zu schützen: Eine frühere Arbeit von Lexchin (1993) ergab, dass firmengesponserte Fortbildungen auch
dann kommerzielle Ausrichtungen haben können, wenn sie nach Richtlinien durchgeführt werden, die die Unabhängigkeit sicherstellen sollen. In diesem Zusammenhang sehr kritisch zu sehen ist die Finanzierung von Fortbildungen durch vermeintlich unabhängige Institute oder Stiftungen, die de facto von der Industrie abhängig sind. Im Gegensatz zu erkennbar industriegesponserten Veranstaltungen ist hier die potentielle Einflussnahme schlechter erkennbar. Obwohl die Daten insgesamt eher spärlich sind und wenig Evidenz für die Situation in Deutschland liefern, kann davon ausgegangen werden, dass Sponsoring von ärztlicher Fortbildung zu Absatzsteigerungen von Produkten führt, was primär dem kommerziellen Interesse der Industrie und nicht einer qualitativ hochwertigen, evidenzbasierten Gesundheitsversorgung dient. Zahlreiche Ärzte scheinen diese Problematik jedoch zu ignorieren: Obwohl viele davon ausgehen, dass die Industrie vor allem ihre Produkte vermarkten will und dazu die Ärzte als Schaltstelle und Verordner in ihrem Sinne zu beeinflussen versucht, gehen viele Ärzte davon aus, persönlich nicht durch Marketingstrategien beeinflussbar zu sein – für weniger immun gegen Beeinflussung als sich selbst halten sie allerdings ihre ärztlichen Kollegen (Steinman et al. 2001; Brett et al. 2003; Rutledge et al. 2003; Lieb u. Brandtönies 2010, 7 auch Kap. 3). Weiterhin zeigten z. B. Steinman et al. (2001), dass Ärzte gesponsertes Essen bei Fortbildungen in Anspruch nehmen, auch wenn sie es selbst als unangemessen bezeichnen; bei Lieb u. Brandtönies (2010) zeigten die Befragten eine gewisse Selbstkritik: Je mehr Geschenke die befragten Ärzte annahmen, desto häufiger schätzten sie sich als beeinflusst ein.
14.4
Interessenkonflikte in unterschiedlichen Phasen ärztlicher Qualifizierung
14.4.1
Ausbildung
Internationale Studien deuten darauf hin, dass die meisten angehenden Ärzte bereits in frühen Phasen ihrer Ausbildung mit der Pharmaindustrie in Berührung kommen. In einer Untersuchung an
14.4 • Interessenkonflikte in unterschiedlichen Phasen ärztlicher Qualifizierung
einer amerikanischen Universität berichteten 5 % der Studierenden im 3. Studienjahr von keinem Kontakt zu Pharmavertretern und 56 % von bislang mindestens 3 Kontakten (Wofford u. Ohl 2005). Auf das gesamte Studium bezogen ist nach einer anderen Untersuchung davon auszugehen, dass über 80 % der angehenden Mediziner Erfahrungen mit Vertretern der Pharmaindustrie im Rahmen ihrer klinischen Ausbildung gemacht haben (Schneider et al. 2006). Sierles et al. (2005) fanden heraus, dass nahezu alle Studenten an 8 untersuchten US-amerikanischen Universitäten im 3. Ausbildungsjahr mindestens an einem industriefinanzierten Essen teilgenommen oder ein anderes Geschenk entgegen genommen hatten. Medizinstudenten sind keine praktizierenden Ärzte und dürfen keine Medikamente und Medizinprodukte verschreiben, so dass die Gefahrenpotenziale von Interessenkonflikten nicht in einer direkten Beeinflussung des Verordnungsverhaltens und der klinischen Praxis liegen. Allerdings bilden sich im Studium Rollenverhalten, Einstellungen und Handlungsweisen heraus, die entscheidend von den Lehrenden an den Hochschulen geprägt werden (7 Kap. 3, »Soziale Bewährtheit«). So konnten Tichelaar et al. (2010) zeigen, dass Medizinstudenten zum Ende ihres Studiums hin bei ihren Entscheidungen für oder gegen bestimmte medikamentöse Behandlungen zu großen Teilen den Beispielen ihrer Hochschullehrer folgen und weniger zu eigenständigen Entscheidungen auf der Grundlage von fachlich ausgewogenen Überlegungen kommen. Die Bedeutung der Lehrenden wird durch den Multiplikatoreneffekt weiter verstärkt: Ein Hochschullehrer hat in Vorlesungen oder Seminaren Einfluss auf eine mehr oder weniger große Anzahl Studenten (Hébert et al. 2010). Die Hochschullehrer sind zugleich Forscher, die zur Erfüllung ihrer wissenschaftlichen Aufgaben und zur Verwirklichung der eigenen akademischen Laufbahn in erheblichem Maße auf die Einwerbung von externen Geldern (Drittmitteln) angewiesen sind, nicht nur, aber auch von der Industrie. Die Zusammenarbeit von Forschern mit der Industrie kann dazu beitragen, Forschungsergebnisse in die Praxis zu transferieren (7 auch Kap. 17). Insofern sind Verbindungen zwischen Hochschullehrern und Industrie systemimmanent.
211
14
> Der Grundstein für Einstellungen und Verhaltensweisen von Ärzten wird im Medizinstudium gelegt, so dass in dieser Ausbildungsphase ein erhebliches Potenzial für die Beeinflussung durch Dritte besteht.
Während im Forschungskontext (Kongresse, Veröffentlichungen in Fachjournalen) zunehmend mehr Transparenz und Reglementierung von Verbindungen zur Industrie gefordert und realisiert werden (7 Kap. 17), fehlen vergleichbare Aktivitäten in Hinblick auf die medizinische Ausbildung. Studenten erfahren in der Regel nichts über finanzielle oder immaterielle Verbindungen der sie ausbildenden Hochschullehrer zur Industrie, also über deren Interessenkonflikte. Dabei dürften Interessenkonflikte hier genauso relevant sein wie beispielsweise bei Fachvorträgen zu medikamentösen Therapien bestimmter Erkrankungen im Rahmen der ärztlichen Fortbildung. In Anbetracht der hohen Plastizität und Beeinflussbarkeit junger, angehender Mediziner muss von einem erheblichen Versäumnis gesprochen werden. Die Verantwortung, sich diese Problematik bewusst zu machen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, damit umzugehen, liegt hier v. a. bei den medizinischen Fakultäten. Neben einer Steigerung der Transparenz (Offenlegung möglicher Interessenkonflikte) erscheinen spezifische Lehrangebote zu Interessenkonflikten in der Medizin sinnvoll, um das Thema grundsätzlich und ausgerichtet auf die spätere ärztliche Berufsausübung zu bearbeiten (Hébert et al. 2010). Das Medizinstudium ist eine stark berufs- und persönlichkeitsprägende und damit empfindliche Phase für Beeinflussungen. Bislang wird die universitäre Ausbildung jedoch kaum unter dem Blickwinkel von Interessenkonflikten und Beeinflussungen durch die Industrie betrachtet.
14.4.2
Weiterbildung
Nach Abschluss des Studiums und Erteilung der Approbation geht es in der Facharztweiterbildung um die berufspraktische Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Junge Ärzte sollen lernen, Behandlungsentscheidungen evidenzbasiert zu treffen und ihre Rolle in der direkten Pa-
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14
Kapitel 14 • Interessenkonflikte in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung
tientenversorgung und im Gesundheitssystem professionell und unter Beachtung ethisch-rechtlicher Normen zu reflektieren. Dafür ist eine unabhängige, qualitativ hochwertige Weiterbildung unerlässlich. Diese kann durch Einflussnahmen Dritter auf die Weiterbildung gefährdet sein (Association of American Medical Colleges 2010). Intensive Verbindungen zwischen Ärzten in Weiterbildung und der Pharmaindustrie sind in der internationalen Literatur beschrieben, beispielsweise von Varley et al. (2005) für angehende Psychiater; die häufigste Art des Kontaktes waren in dieser Untersuchung Veranstaltungen mit gesponsertem Essen. Keim et al. (2004) beschreiben, wie Repräsentanten der Pharmaindustrie teilweise selbst als Referenten in der Weiterbildung für Notfallmediziner aktiv werden. Ärzte in Weiterbildung fühlen sich unsicher im Umgang mit Vertretern der Pharmaindustrie (Rosack 2001). Fachorganisationen haben Richtlinien und Empfehlungen veröffentlicht, die den Weiterbildungsverantwortlichen, den Ärzten in Weiterbildung und der Industrie helfen sollen, mit Interessenkonflikten umzugehen. Ein Beispiel gibt die »Association of American Medical Colleges« (2010): 5 Weiterbildungsassistenten sollen für Interessenkonflikte durch Zuwendungen von der Medizinindustrie sensibilisiert werden und sich an Richtlinien ihrer Fachgesellschaften zum Umgang mit Interessenkonflikten orientieren. 5 Jede weiterbildende Institution sollte in Leitlinien Art und Umfang des möglichen Kontakts von Repräsentanten der Industrie mit Ärzten in Weiterbildung definieren. Die Leitlinien sollten für Ärzte und Industrie verbindlich sein. 5 Spezifische Weiterbildungseinheiten sollten sich mit den Verbindungen zwischen Ärzten und Medizinindustrie sowie möglichen Interessenkonflikten und Beeinflussungen beschäftigen, um die Problematik explizit zum Thema zu machen und Wissen, Haltungen und Kompetenzen der Ärzte zu verbessern. 5 Die Medizinindustrie sollte aktiv einbezogen werden, um zusammen mit Weiterbildungsverantwortlichen und Ärzten in Weiterbildung evidenzbasierte Produktinformationen zu er-
arbeiten. Inadäquate Werbegeschenke sollten unterbleiben. Diese Maßnahmen sollen den Nachwuchsärzten das nötige Rüstzeug für eine kritische, sachorientierte Einschätzung von Industriewerbung auf den weiteren beruflichen Weg mitgeben. Interessenkonflikte in der ärztlichen Weiterbildung werden in Deutschland kaum thematisiert; über das Ausmaß der Inanspruchnahme industriegeförderter Kurse liegen keine Informationen vor.
14.4.3
Fortbildung
Ärztliche Fortbildung findet z. B. durch den Besuch von Veranstaltungen wie Kongressen, Seminaren, Qualitätszirkeln und Kursen, durch Selbststudium (z. B. CME-Artikel in Fachzeitschriften) oder auch – in den letzten Jahren stark zunehmend – internetbasiert statt. Die vorgeschriebenen Fortbildungspunkte onlinebasiert zu sammeln, ist ein vergleichsweise bequemer und schneller Weg. Viele Fortbildungs-Portale im Internet sind für die Nutzer kostenfrei. Betrieben, bzw. mehr oder weniger offensichtlich gesponsert, werden sie in vielen Fällen von der Pharma- bzw. der MedizinprodukteIndustrie. Gemäß den Empfehlungen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Fortbildung (7 Abschn. 14.5) wird unter anderem gefordert, dass das Sponsoring transparent zu machen ist und der Sponsor Form und Inhalt der Fortbildungsmaßnahme nicht beeinflussen darf. Im Rahmen der Zertifizierung von Fortbildungsangeboten liegt die Überwachung der Einhaltung der Qualitätsanforderungen bei allen Fortbildungsformaten auf Seiten der Ärztekammern. Zu beobachten ist, dass flächendeckende Kontrollen nicht wie erforderlich gelingen. Schon angesichts der immens hohen Zahl von zu prüfenden Fortbildungsangeboten stößt eine Bewertung und Überprüfung der Korrektheit der Angaben der Veranstalter an praktische Grenzen – alleine im Zuständigkeitsbereich der Ärztekammer Berlin wurden im Jahr 2010 15.100 Fortbildungsveranstaltungen zertifiziert, Tendenz steigend (Angaben des Mitautors GJ).
14.4 • Interessenkonflikte in unterschiedlichen Phasen ärztlicher Qualifizierung
Auswahl der Referenten Interessenkonflikte spielen in allen Fortbildungsbereichen eine Rolle. Aus Australien ist dokumentiert, dass über Jahre hinweg Pharmaunternehmen eine Mitsprache bei der Auswahl von Referenten für Fortbildungsveranstaltungen hatten, ohne dass die Teilnehmer darüber informiert wurden. Für Moynihan (2008) liegt das Problem nicht unbedingt darin, dass die so ausgewählten Referenten dazu neigen würden, ihre Präsentationen nach den Wünschen der sponsernden Firmen gestalten. Das Problem liege vielmehr einen Schritt davor: Firmen würden den Organisatoren von Fortbildungsveranstaltungen in erster Linie solche Referenten vorschlagen oder vermitteln, bei denen sie davon ausgehen können, dass sie die Produkte des Sponsors vorteilhaft (oder zumindest nicht negativ) darstellen. Die Teilnehmer an diesen gesponserten Veranstaltungen würden keine ausgewogene, kritisch-unabhängige Fachmeinung vermittelt bekommen und auf Grund mangelnder Transparenz noch nicht einmal von Verbindungen des Referenten zu einem oder mehreren Sponsoren erfahren. Themenwahl Nicht nur die Auswahl von Refe-
renten, sondern auch die der Themen kann durch Sponsoring beeinflusst werden. Die Medizinindustrie wird diejenigen Bereiche finanziell unterstützen, die für den Absatz ihrer Produkte relevant sind. Dies kann dazu führen, dass Fortbildungsthemen mit Bezug zu medikamentösen Therapien und Medizinprodukten über-, und Fortbildungen zu nicht-medikamentösen Themen unterrepräsentiert sind. Eine solche Schieflage in der ärztlichen Fortbildung könnte große Bevölkerungsgruppen und Bereiche der Gesundheitsversorgung (z. B. Gesundheitsförderung, psychosoziale Versorgung) systematisch benachteiligen (Schneider u. Lückmann 2008). Präsente Im Rahmen von Fortbildungsveranstal-
tungen werden den Teilnehmern oftmals kostenlose Bücher, Broschüren oder andere Geschenke angeboten. Auch wenn diese von scheinbar geringem materiellen Wert sein können (z. B. Schreibutensilien), liegt eine Gefahr darin, dass solche Präsente ein kritisch-reflektierendes Urteilsvermögen auf Seiten des Empfängers beeinträchtigen und auf in-
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14
adäquate Weise vom wissenschaftlichen Kern der Fortbildung ablenken (Association of American Medical Colleges 2010, 7 auch Kap. 3). Ausstellungen und Kongresse Eine große Rolle spielt die Industrie auf den Kongressen von Fachgesellschaften. Sichtbares Zeichen sind die Industrieausstellungen, auf denen Firmen ihre Produkte bewerben und darüber hinaus ein Forum für den sozialen Austausch zwischen Kongressteilnehmern, Referenten und Industrievertretern bieten. Firmen sponsern sogenannte Satellitensymposien, die angrenzend an das eigentliche wissenschaftliche Programm stattfinden. Die vermittelten Inhalte in Satellitensymposien sind nicht notwendigerweise inkorrekt, allerdings bedienen diese Veranstaltungen in erster Linie Marketinginteressen. Behandelt werden Themen, die für Produkte des Sponsors relevant sind und zwar auf eine Art und Weise, die die Werbebotschaften des Sponsors unterstützt oder zumindest nicht entgegenläuft. Die Grenzen zwischen Wissenschaft und Werbung verwischen bzw. sind für die Teilnehmer kaum zu erkennen, zumal häufig dieselben Referenten wie im wissenschaftlichen Hauptprogramm auftreten. Der Besuch wird den Kongressteilnehmern oftmals durch flankierende Maßnahmen wie kostenloses Mittagsessen (lunch symposium) schmackhaft gemacht. Weiteres Sponsoring im Rahmen von Kongressen erfolgt u. a. durch Übernahme von Reise- und Hotelkosten und durch Geschenke. Neue Märkte durch onlinebasierte Fortbildung Die staatlich eingeführte Fortbildungsnachweispflicht durch das Sammeln von CME-Punkten, deren rein quantitative Ausrichtung zunehmend unter Kritik gerät (Donner-Banzhoff 2005; DEGAM 2010), hat neue Märkte erzeugt. Hier berühren sich teilweise wirtschaftliche Interessen großer, auf dem »Fortbildungsmarkt« tätiger Konzerne mit denen von pharmazeutischen Herstellern. Die Finanzierung der Fortbildungsagenturen ist wenig transparent – unklar ist, ob es auch direkte ökonomische Querverbindungen gibt. So finden sich beispielsweise in den Fortbildungen von Primed oder dem »PraxisUpdate Allgemeinmedizin« vorrangig Themen, die mit neuen, kostenträchtigen und nicht unumstrit-
214
Kapitel 14 • Interessenkonflikte in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung
tenen Medikamenten verbunden sind (eigene Beobachtung).
14.5
Umgang mit Interessenkonflikten: Wie ist die Praxis?
14.5.1
Empfehlungen zum Umgang mit wirtschaftlichen Interessen
Empfehlungen zum Umgang mit wirtschaftlichen Interessen liegen unter anderem von der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) vor. Die AWMF erwartet, dass eine gleichwertige Gegenleistung des Veranstalters an den Sponsor erfolgt und nennt als mögliche Gegenleistungen: 5 Anzeigenschaltung im Kongressprogramm, 5 Verteilen von Werbematerial, 5 Gewähren von Ausstellungsfläche, 5 Raum und Zeit für Satelliten-Symposien.
14
Die AWMF setzt zur Ermittlung der Gleichwertigkeit von Sponsoring und Leistung »marktübliche Preise« an. Weiterhin sehen die Empfehlungen der AWMF u. a. vor, dass der Ort der Veranstaltung der wissenschaftlichen Zielsetzung angemessen ist und nicht der Freizeitwert den Anreiz zur Teilnahme darstellt. Freizeitaktivitäten wie das Rahmenprogramm eines Kongresses dürfen nicht von Industrieunternehmen organisiert werden. »Sozial adäquate Bewirtung am Kongress-Werbestand« wird als unproblematisch betrachtet. Die AWMF fordert, dass jeder Referent gegenüber der verantwortlichen Fachgesellschaft Interessenkonflikte offenlegt. An die Fachgesellschaften geht der Appell, Kongresse so zu gestalten, dass sie von »der Industrie weitestgehend unbeeinflusst sind« (AWMF 2010). Die Empfehlungen der Bundesärztekammer sind in der folgenden Übersicht zusammengefasst: Auszug aus den Empfehlungen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Fortbildung (2007) 5 Fortbildungsinhalte müssen unabhängig von kommerziellen Interessen sein. 5 Sponsoring ist transparent zu machen.
5 Der Sponsor darf Form und Inhalt der Fortbildungsmaßnahme nicht beeinflussen. 5 Referenten müssen ihre Verbindungen zur Industrie offen legen. 5 Wissenschaftliche Leiter von Fortbildungsveranstaltungen stellen die Produktneutralität sicher. 5 Produktwerbung auf Einladungen und Programmen zu monothematischen Fortbildungsveranstaltungen ist grundsätzlich nicht zulässig, gegen die Bewerbung mehrerer Produkte durch mehrere Hersteller in Programmen von multithematischen Veranstaltungen (Kongresse) ist nichts einzuwenden. Die namentliche Nennung von Sponsoren ist erforderlich. 5 Objektive Produktinformation aufgrund wissenschaftlicher Kriterien ist bei Nennung des Wirkstoffes (Generikum) statt des Produktnamens (z. B. durch die pharmazeutische Industrie) zulässig. 5 In allen Fortbildungsmaßnahmen muss ein ausgewogener Überblick über den jeweiligen Wissensstand entsprechender diagnostischer und therapeutischer Alternativen vermittelt werden. 5 Kommerzielle Ausstellungen im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit Fortbildungsmaßnahmen dürfen weder Konzeption noch Durchführung der eigentlichen Fortbildungsmaßnahme beeinflussen 5 Ein kommerziell unterstütztes Rahmenprogramm darf weder zeitlich parallel zum inhaltlichen Programm stattfinden noch einen größeren zeitlichen Umfang haben als die Fortbildung selbst. 5 Die Zulässigkeit der Annahme von geldwerten Vorteilen für die Teilnahme an wissenschaftlichen Fortbildungsveranstaltungen regelt das Berufsrecht der Landesärztekammern.
Die Prüfung, ob eine Fortbildungsveranstaltung die Kriterien erfüllt, liegt bei den Landesärztekammern. Die Ärztekammern Berlin und Niedersachsen beispielsweise verlangen, der Musterfortbildungssatzung der Bundesärztekammer ent-
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14.6 • Vorschläge zur Minimierung von Interessenkonflikten
sprechend, dass derjenige, der eine Fortbildungsveranstaltung durchführt und Fortbildungspunkte dafür beantragt, die vorformulierte Stellungnahme bestätigen muss, dass die Fortbildung 5 unabhängig von wirtschaftlichen Interessen ist, 5 den Leitsätzen und Empfehlungen der Bundesärztekammer entspricht und 5 eine eventuelle Sponsorentätigkeit Inhalt, Form und Art der Präsentation nicht beeinflusst. Etwaige Abweichungen hiervon sollen angegeben werden.
14.5.2
Kritische Anmerkungen und Ansätze für Verbesserungen
Diese Praxis ist verbesserungsfähig: 5 Auch wenn man davon ausgeht, dass eine flächendeckende Prüfung angesichts der hohen Zahl an Fortbildungen organisatorisch nicht möglich ist, so sind zumindest signifikante stichprobenartige Prüfungen notwendig. Es ist zu bezweifeln, dass eine im Vorfeld getätigte Standarderklärung alleine für sich eine hinreichende Maßnahme zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Fortbildungsveranstaltungen von Interessen Dritter darstellt. 5 Der Fokus liegt ausschließlich auf wirtschaftlichen Interessenkonflikten, obwohl Interessenkonflikte auch immaterieller Natur sein können (7 Kap. 2). Ebenso wie direkte finanzielle Unterstützung (z. B. Referentenhonorar) können soziale oder berufliche Kontakte und Verbindungen Interessenkonflikte hervorrufen. 5 Die Teilnehmer an Fortbildungsveranstaltungen erfahren üblicherweise nichts über Verbindungen der Referenten zur Industrie. Die Offenlegungspflicht besteht nur gegenüber der Landesärztekammer, nicht aber gegenüber dem Auditorium. Kritisch zu hinterfragen ist, dass die Musterberufsordnung für Ärzte nach § 33 die Annahme von geldwerten Vorteilen für die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen grundsätzlich ohne Gegen-
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leistung ermöglicht (www.bundesaerztekammer. de/downloads/MBOStand20061124.pdf). Belastbare empirische Daten zu den Effekten der Selbstregulierung auf Ebene von Fachgesellschaften und Standesorganisationen liegen nicht vor, aber die gängige Praxis lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass der Umgang mit Interessenkonflikten insgesamt unbefriedigend ist. Die pharmazeutische Industrie hat in ihrem Verein »Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.« einen Kodex (FSA-Kodex) formuliert, der auch Regeln für die finanzielle Unterstützung von ärztlichen Fortbildungsveranstaltungen setzt (Bedingungen für die Finanzierung von Reise- und Übernachtungskosten, Bewirtung, Tagungslokalisation u. a.). Bezüglich der Einzelheiten zum FSA-Kodex wird auf 7 Kap. 13 verwiesen. Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (2008) kritisiert, dass der FSA-Kodex sich bislang als ungeeignet gezeigt hat, unlautere Werbepraktiken und Beeinflussung von Ärzten zu verhindern.
14.6
Vorschläge zur Minimierung von Interessenkonflikten
Ärzte, Patienten und Öffentlichkeit erwarten eine hochwertige, evidenzbasierte Aus-, Weiter- und Fortbildung in der Medizin, die unabhängig von kommerziellen und anderen Interessen Dritter ist. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, müssen Beschädigungen der wissenschaftlichen Integrität und dem Patientenwohl entgegenstehende Faktoren erkannt, benannt und vermieden – oder zumindest minimiert – werden. Die Aus-, Weiterund Fortbildung muss neben klinischen Fähigkeiten und Grundwissen auch die psychologischen Faktoren der Interaktionen im Gesundheitswesen berücksichtigen. Diese betreffen sowohl das Beziehungsgefüge zwischen Arzt und Patient als auch das Beziehungsgefüge zwischen Institutionen und Berufsgruppen. Alle an der Aus-, Weiter- und Fortbildung Beteiligten stehen in der Verantwortung, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und es nicht reflexartig oder oberflächlich abzutun. Dies betrifft auch Verantwortliche in der Politik. Es ist allerdings be-
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Kapitel 14 • Interessenkonflikte in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung
sonders an die Ärzte selbst und ihre Standesorganisationen die Forderung zu richten, sich aus professioneller Überzeugung heraus ihrer Verantwortung gegenüber dem eigenen Berufsstand, den Patienten und der Gesellschaft auf allen Ebenen bewusst zu sein und von sich aus die Auseinandersetzung mit dem Thema »Interessenkonflikte« auf individueller (Referenten, Fortbildungsteilnehmer) und institutioneller bzw. Systemebene (Fachgesellschaft, Kammer, Universität) zu intensivieren. Die meisten Vorschläge zum Umgang mit Interessenkonflikten basieren auf 2 Annahmen: 5 Kleine Zuwendungen haben keinen wesentlichen Einfluss auf das Verhalten der Empfänger. 5 Offenlegung von Interessenkonflikten ist eine hinreichende Maßnahme, um das Problem in den Griff zu bekommen.
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Beide Annahmen treffen nicht zu (7 Kap. 3): Der Grad der Beeinflussung durch Zuwendungen hängt nicht mit deren materiellem Wert zusammen. Auch kleine Geschenke können Einstellungen und Verhalten entscheidend beeinflussen, weil weniger der Gegenstand an sich als vielmehr die soziale Interaktion für die Effekte verantwortlich ist. Mit einer Zuwendung wird, bewusst oder unbewusst, eine Erwartung transportiert, die der Empfänger, ebenfalls bewusst oder unbewusst, erfüllt oder zu erfüllen versucht (Brennan et al. 2006). Empfehlungen, die Zuwendungen bis zu einer definierten Summe oder in bestimmten Umfang erlauben, suggerieren eine scheinbare Sicherheit bei Umgang mit Interessenkonflikten. Auch der Annahme, die Offenlegung von Interessenkonflikten sei eine hinreichende Maßnahme, kann in dieser Form nicht zugestimmt werden, wie im folgenden Abschnitt ausgeführt wird.
14.6.1
Transparenz
Die Offenlegung von Verbindungen zwischen Referenten und Industrie bzw. anderen Interessengruppen gegenüber den Verantwortlichen für Aus-, Weiter- und Fortbildung hat das Ziel, die Teilnehmer zu informieren und sie in die Lage zu versetzen, sich ein eigenes Bild über mögliche Interessenkonflikte
zu machen (Erhöhung der Transparenz). Ähnlich wie bei Autoren wissenschaftlicher Artikel in Fachjournalen, kann auch von Dozenten in der Aus-, Weiter- und Fortbildung erwartet werden, dass sie den Teilnehmern Auskunft über Interessenkonflikte geben. Gleiches gilt für andere Fortbildungsformate wie CME-Artikel u. a. Dabei sollte nicht nur auf finanzielle Interessenkonflikte hingewiesen werden, sondern auch nichtmaterielle Aspekte sowie Interessenkonflikte außerhalb der pharmazeutischen und medizintechnischen Industrie bedacht werden (z. B. Verbandstätigkeiten, politische Interessen). Wie die unterschiedlichen Facetten von Interessenkonflikten adressiert werden können, sei beispielhaft an dem Fragebogen verdeutlicht, den die Zeitschrift »arznei-telegramm« für die Mitglieder ihrer Redaktion verwendet. Er wird jährlich erneut abgefragt und offen im Internet zur Verfügung gestellt (http://www.arznei-telegramm.de/imp/imp. php3). Der Fragebogen bietet eine Checkliste, die z. B. auch im Fortbildungsbereich angewandt werden könnte und deutlich über die Erhebungsinstrumente hinaus ginge, die derzeit üblicherweise von den Landesärztekammern zur Zertifizierung eingesetzt werden. Auch wenn es nicht gesichert ist, dass sich die Transparenz erhöhen würde, solange die Korrektheit der Angaben nicht oder nur sporadisch kontrolliert (und Unkorrektheit ggf. sanktioniert) würde, wäre zumindest mit einer stärkeren Sensibilisierung für die Problematik von Interessenkonflikten zu rechnen. Fragebogen der Redaktion arznei-telegramm (a-t) zur Darlegung potenzieller Interessenkonflikte der Redaktionsmitglieder Die folgenden Fragen sollen finanzielle und andere Beziehungen der Redaktionsmitglieder, ihrer (Ehe-) Partner sowie unterhaltsempfangender Kinder (nachfolgend zusammenfassend »Sie« genannt) zur pharmazeutischen Industrie, Medizinprodukteindustrie und anderen Interessenverbänden im Gesundheitswesen (nachfolgend »Organisation« genannt) erfassen: Falls Sie eine Frage bejahen, beschreiben Sie bitte kurz den potenziellen Interessenkonflikt.
14.6 • Vorschläge zur Minimierung von Interessenkonflikten
1. Haben Sie in den vergangenen fünf Jahren von einer Organisation im Gesundheitswesen Gelder erhalten in Form von 5 Honoraren für Vorträge oder Stellungnahmen, 5 Honoraren für die Ausrichtung und/oder Teilnahme an Kongressen oder Seminaren einschließlich Fortbildungsveranstaltungen, 5 Honoraren für Berater- bzw. Gutachtertätigkeit, 5 finanzieller Unterstützung von Forschungsaktivitäten (einschließlich der Institution/ Abteilung, für die Sie tätig sind), 5 sonstigen finanziellen oder geldwerten Zuwendungen (z. B. Ausrüstung, Personal), 5 Reisekostenunterstützung ohne wissenschaftliche Gegenleistung; einschließlich der Institution/Abteilung, für die Sie tätig sind? 2. Waren Sie in den vergangenen fünf Jahren bei einer Organisation im Gesundheitswesen angestellt? 3. Besitzen Sie Aktien, Optionsscheine, sonstige Geschäftsanteile (auch in Fonds), Patente oder Lizenzen von einer solchen Organisation? 4. Bestehen andere finanzielle oder sonstige Interessenkonflikte (z. B. religiöse Überzeugung, Mitgliedschaft in einer politischen Partei oder einer Interessengruppe), die Ihre redaktionelle Tätigkeit für das a-t beeinflussen könnten?
Ein noch ausführlicheres Instrument stammt von Lieb et al. (2011). Sie haben auf Basis nationaler und internationaler Formblätter eine Liste standardisierter Fragen zur Erfassung von Interessenkonflikten zusammengestellt und schlagen vor, bestimmte Fragen aus der Liste obligat (z. B. zum Arbeitgeber, zu Honoraren für Beratertätigkeiten) und andere Fragen fakultativ je nach Kontext (z. B. Aktivitäten in Berufsverbänden, Therapieschulen) anzuwenden. Diese Liste dürfte gut geeignet sein, um die Erfassung von Interessenkonflikten zu vereinheitlichen. Eine Stärke ist die explizite Adressierung unterschiedlicher Bereiche, in denen Interessenkonflikte auftreten können (Höhe und Art
217
14
von Zuwendungen, wissenschaftliche Tätigkeiten, immaterielle Aspekte u. a.). Ergänzend zu der Liste bieten Lieb et al. ein Basisformular für die Dokumentation von Interessenkonflikten an, das jeder Arzt oder Wissenschaftler für sich pflegen und praktisch einsetzen kann (http://www.aerzteblatt. de/download/files/2011/02/down152322.pdf). Probleme bei der Offenlegung von Interessenkonflikten liegen darin, dass die Bewertung der Angaben insbesondere für Personen, die keine Experten für das jeweilige Thema sind, schwierig ist, sowie dass eine Überprüfung der Korrektheit der Angaben an praktische Grenzen stößt. Brennan et al. (2006) kritisieren, dass der Glaube an Transparenz als alleinige Lösung von Interessenkonflikten dazu führen kann, schärfere Maßnahmen zu unterlassen oder weniger konsequent voranzutreiben, weil die Schein-Sicherheit erzeugt werde, das Problem im Griff zu haben. Eine weitreichende Offenlegung von Industriesponsoring wurde in Australien eingeführt, wobei immer noch wichtige Informationen nicht erfragt werden; dazu gehören für Robertson et al. (2009) 5 personenbezogene Angaben über direkte und indirekte Industriekontakte von Referenten sowie 5 Angaben zur Beteiligung eines Sponsors an der Referentenauswahl. In den USA zwingt ein neues Gesetz, der »Physician Payment Sunshine Act«, die Pharma- und Medizingeräteindustrie, alle Zahlungen (für Beratertätigkeiten, Fortbildung, Forschung, Vorträge, Reisen u. a.) an Ärzte und akademische Krankenhäuser sowie die Namen der Empfänger öffentlich zu machen. Ausgeschlossen sind Einzelzuwendungen unterhalb einem Wert von US $ 10, solange bei dem einzelnen Arzt nicht eine Jahresgrenze von insgesamt US $ 100 überschritten wird (Moynihan 2010). Eine Schwäche dieser neuen Regeln kann darin gesehen werden, dass sie ausschließlich auf Ärzte fokussieren – Zuwendungen der Industrie etwa für Apotheker und Patientenorganisationen werden nicht erfasst.
218
Kapitel 14 • Interessenkonflikte in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung
> Transparenz ist ein notwendiger, aber keineswegs hinreichender Schritt zum verbesserten Umgang mit Interessenkonflikten.
14.6.2
Weitergehende Optionen
Während Forderungen nach mehr Transparenz üblicherweise auf vergleichsweise breite Zustimmung stoßen, sind stringentere Maßnahmen umstrittener. Von einigen Seiten werden sie als zu hart und von anderen Seiten als (immer noch) zu schwach angesehen. Zudem ist mit Ausweichstrategien zu rechnen. Im Folgenden werden – selektiv ausgewählte – Ansätze und Ideen zur Minimierung von Interessenkonflikten in der Aus-, Weiter- und Fortbildung vorgestellt, um einen Überblick über Optionen zu geben und Anreize für die weitere Diskussion zu setzen. Verbindliche Regeln Die in die Aus-, Weiter- und
14
Fortbildung involvierten Institutionen und Organisationen (Universitäten, Ärztekammern, Fachgesellschaften) sollten Regelungen für den Umgang mit Interessenkonflikten schaffen, die Einhaltung der Regeln kontrollieren und Verstöße gegebenenfalls sanktionieren. Die Ärztekammern haben zwar Empfehlungen formuliert, aber Anwendung und Kontrolle entsprechen, wie oben ausgeführt, nicht immer den Erfordernissen. Notwendig wären beispielsweise, neben stichprobenartigen Kontrollbesuchen von Veranstaltungen und der problemorientierten Evaluation durch die Teilnehmer, neue verbindlich einzuhaltende Möglichkeiten, Veranstalter von Zertifizierungen auszuschließen, wenn diese falsche Angaben machen. Beispielsweise könnte auch die Vergabe von Fortbildungspunkten für eine CME-Fortbildung unterbleiben, wenn das Fortbildungsthema offensichtlich durch Werbung für ein »passendes« Medikament in derselben Zeitschriftenausgabe flankiert wird. Die medizinischen Fakultäten sollten mögliche Interessenkonflikte in der Lehre auf die politische Agenda setzen. Als akademische Zentren für Forschung und Lehre (und damit als erste Ausbildungsstätten des ärztlichen Nachwuchses) haben die medizinischen Fakultäten eine besondere Ver-
antwortung für die Integrität des ärztlichen Berufsstandes und der Medizin. Verbindliche Regeln zur Zusammenarbeit mit der Industrie sollten sowohl auf Hochschulebene, als auch auf Ebene einzelner Kliniken und Abteilungen definiert werden (exemplarisch sei auf die Richtlinien der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz hingewiesen, die in 7 Kap. 11 ausgeführt werden). Dabei sind alle 3 Kernbereiche der Hochschulmedizin (Forschung, Krankenversorgung und Lehre) zu adressieren. > Die medizinischen Universitäten sollten verbindliche Regeln zur Zusammenarbeit mit der Industrie und anderen Interessengruppen im Gesundheitswesen durchsetzen, die die 3 Kernbereiche Forschung, Lehre und Krankenversorgung umfassen. Thematisieren und Sensibilisieren Sowohl in der
Ausbildung der Ärzte als auch in der anschließenden Weiter- und Fortbildung sollte der Umgang mit Interessenkonflikten und mit Methoden des Marketings explizit zum Thema gemacht werden. Zwar fehlt (bislang) für Interventionen während des Studiums zum Umgang mit der Industrie der Nachweis längerfristiger Effekte auf Einstellung und Verhalten der Ärzte, aber es ist anzunehmen, dass durch Thematisierung (angehende) Ärzte zumindest teilweise sensibilisiert werden können; vor allem, wenn dies wiederkehrend in die unterschiedlichen Phasen von Aus-, Weiter- und Fortbildung im Sinne einer Lernspirale geschieht. Es ist zu empfehlen, Vorlesungen, Kurse und Seminare mit folgenden Inhalten systematisch in das Medizinstudium zu integrieren: 5 Marketingstrategien der Industrie, 5 Interessenkonflikte, 5 Möglichkeiten der Beschaffung unabhängiger Arzneimittelinformationen (7 Kap. 16). Dies sollte im Rahmen der vorhandenen Pflichtmodule geschehen, um einen möglichst großen Teilnehmerkreis zu erreichen. Ebenso sollte die Problematik von Interessenkonflikten obligat in der fachärztlichen Weiterbildung aufgegriffen werden.
14.6 • Vorschläge zur Minimierung von Interessenkonflikten
Für den Fortbildungsbereich bieten sich eigene Veranstaltungen dazu an, wobei diese vermutlich eher von den ohnehin schon »sensibilisierten« Ärzten besucht werden. Aber mehr Achtsamkeit, Transparenz und Konsequenz bei der Darlegung (und Kontrolle) von Interessenkonflikten, wie oben geschildert, können die Sensibilisierung in der Breite verbessern. Campbell et al. (2010) haben für die USA gezeigt, dass die Häufigkeit der Arzt-Industrie-Kontakte in allen Bereichen einschließlich der Fortbildung im Jahr 2009 im Vergleich zu 2004 deutlich abgenommen hat, was sie als Summeneffekt unterschiedlicher Einflussfaktoren werten, darunter zunehmende fachöffentliche und öffentliche Aufmerksamkeit. Angebot an unabhängiger Fortbildung Ärzte kön-
nen nur an nicht-interessengeleiteter Fortbildung teilnehmen, wenn diese in ausreichender Menge und für den Einzelnen – auch subjektiv – gut zugänglich angeboten wird. Dies scheint derzeit nicht der Fall zu sein (7 Abschn. 14.3). Die Kammern sind deshalb aufgefordert, ihren Mitgliedern mehr unabhängige, evidenzbasierte Fortbildung verfügbar zu machen. In diese Richtung gehen Initiativen wie beispielsweise das neue Fortbildungskonzept der Ärztekammer Niedersachsen (http://www. haeverlag.de/nae/n_beitrag.php?id = 3227), das die konkrete organisatorische und inhaltliche Unterstützung regionaler Ärztevereine bei Fortbildungsveranstaltungen ohne Sponsoring durch Dritte beinhaltet. Ein weiteres, erfolgreich laufendes Positiv-Beispiel für eine werbefreie, regionale Fortbildungsplattform ist der »Tag der Allgemeinmedizin« (http://www.degam.de/index.php?id = 464). Insgesamt wird die Teilnahme an nicht-gesponserter Fortbildung für Ärzte nicht selten einen Verzicht auf gewohnte Annehmlichkeiten bei Fortbildungsorten und Bewirtung mit sich bringen. Es kann auch dazu führen, dass Ärzte ihre Fortbildung vermehrt selbst finanzieren müssen. Über die Bereitschaft dazu kann nur gemutmaßt werden. Die Musterberufsordnung für Ärzte könnte ein Signal setzen, wenn die Annahme von geldwerten Vorteilen für die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen grundsätzlich für berufswidrig erklärt würde. Wünschenswert ist, dass Ärzte zusätzlich zu zertifizierter Fortbildung auf unabhängige Fach-
219
14
zeitschriften und andere Quellen zurückgreifen; Beispiele dafür werden in Kapitel 16 vorgestellt. Weitere Möglichkeiten bieten unabhängige Arzneimittelinformationssysteme wie beispielsweise das ATIS-Projekt des Instituts für klinische Pharmakologie der Medizinischen Hochschule Hannover (http://www.mh-hannover.de/atis.html). Kein direktes Sponsoring Ein weiterer Vorschlag zur Minimierung von Interessenkonflikten betrifft die Vermeidung von direktem Sponsoring, d .h. dem Sponsoring einer bestimmten Veranstaltung durch eine Firma. Diesen Vorschlag haben z. B. Brennan et al. (2006) für medizinische Zentren in den USA unterbreitet und stattdessen »Poollösungen« vorgeschlagen, bei denen die Industrie Zuwendungen an eine unabhängige Stelle richten kann, um Fortbildungsmaßnahmen auf institutioneller Ebenen zu unterstützen. Diese Maßnahme ist umstritten, da Firmen Veranstaltungen durchführen dürfen, um auf die von ihnen entwickelten Arzneimittel hinzuweisen, wobei Ausweichstrategien (s. o.) mit gleicher Beeinflussung und erhöhter Intransparenz zu erwarten wären. Vollständige Industriefreiheit Am weitreichends-
ten wäre ein vollständiges Verbot von Industriesponsoring bei ärztlicher Aus-, Weiter- und Fortbildung, das industrieabhängige Honorare für Referenten ebenso einschließt wie kostenloses Essen, Reisekosten oder Sachgeschenke für die Teilnehmer. Die Finanzierung müsste in diesem Fall durch die Ärzte selbst erfolgen. Ein Beispiel dafür, dass dies grundsätzlich funktionieren kann, ist der bereits erwähnte »Tag der Allgemeinmedizin« (http:// www.degam.de/index.php?id = 464). Als alternative, ggf. zusätzliche Finanzierungsquellen werden von Moynihan (2008) Steuergelder und Gelder der Versicherten (Mittel der Krankenkassen) vorgeschlagen, wobei letztgenannte Alternativen 2 entscheidende Schwächen haben: 5 Sie involvieren Dritte, was wiederum zu Interessenkonflikten führen kann, wenn auch auf anderen Ebenen als im Falle der Industrie. 5 Es kann als ethisch fragwürdig betrachtet werden, öffentliche Mittel bzw. Gelder der Solidargemeinschaft für Qualifizierungsmaßnahmen einer einkommensprivilegierten Berufsgruppe
220
Kapitel 14 • Interessenkonflikte in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung
einzufordern. Andererseits steht es in gesellschaftlichem Interesse, dass die Ärzte gut aus-, weiter- und fortgebildet sind. > Die meisten Vorschläge für die Reduzierung von Interessenkonflikten in der Aus-, Weiter- und Fortbildung sind plausibel, aber empirisch nicht belegt.
14.7
unabhängiger Fonds nach italienischem Vorbild dienen (AIFA 2010). Zudem sollten die Inhalte der Fortbildung so konstituiert werden, dass es sich in größerem Maß um Erfahrungsaustausch und das Erlernen und Praktizieren von Evidenzrecherche handelt. Passive Formen der Vermittlung sollten weitgehend vermieden werden. Mit diesen Ansätzen könnte das Potenzial für Manipulationen verringert werden.
Fazit und Ausblick Literatur
14
Das übergeordnete Ziel muss eine hochwertige, evidenzbasierte ärztliche Aus-, Weiter- und Fortbildung sein, die unabhängig von kommerziellen und anderen Interessen Dritter ist und von den Zielgruppen gerne in Anspruch genommen wird. Beschädigungen der wissenschaftlichen Integrität und dem Patientenwohl entgegenstehende Faktoren müssen erkannt, benannt und vermieden – oder zumindest minimiert – werden. Dafür bedarf es einer Aus-, Weiter- und Fortbildung, die neben klinischen Fähigkeiten und Grundwissen auch die psychologischen Faktoren der Interaktionen im Gesundheitswesen berücksichtigt. Insbesondere Kurse zu dem Thema »evidenzbasierte Medizin« bilden eine sehr gute Grundlage dafür, relevante wissenschaftliche Inhalte von irrelevanten oder einer wesentlichen Verzerrung unterliegenden Inhalten zu unterscheiden und die Unabhängigkeit und Professionalität der Ärzte zu stärken. Alle an der Aus-, Weiter- und Fortbildung Beteiligten stehen in der Verantwortung, hierzu beizutragen. An die Ärzte und ihre Standesorganisationen ist zu appellieren, sich aus professioneller Überzeugung heraus ihrer Verantwortung gegenüber dem eigenen Berufsstand, den Patienten und der Gesellschaft bewusst zu werden und Interessenkonflikte auf individueller (Referenten, Fortbildungsteilnehmer) und institutioneller bzw. Systemebene (Fachgesellschaft, Kammer, Universität) zu reduzieren. Zwar ist eine ärztliche Aus-, Weiter- und Fortbildung völlig frei von Interessen Dritter eine eher idealistische Konstruktion, aber es gibt reichlich unausgeschöpfte Möglichkeiten, um Interessenkonflikte zu reduzieren. Alles in allem betrachtet wären Regelungen auf gesellschaftlicher Ebene sinnvoll. Als Finanzierungsmaßnahme könnte ein
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221
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223
Interessenkonflikte und Medizinjournalismus Martina Keller
15.1
Einleitung: Aktuelle Situation – 224
15.2
Erfahrungsberichte von Journalisten zu Pressereisen – 225
15.2.1 15.2.2
Boulevard- und Fachjournalisten auf Reisen – 225 Die Situation in »Qualitätsmedien« – 226
15.3
Journalistenpreise – 227
15.3.1 15.3.2 15.3.3 15.3.4 15.3.5
Die »Lung Cancer Journalism Awards« – 227 Der Journalistenpreis »Advances in Renal Cancer Journalists’ Award Europe« – 228 Der Journalistenpreis »Schizophrenie und Stigma« – 228 Der Journalistenpreis des Deutschen Psoriasis Bundes – 228 Bewertungskriterien – 229
15.4
Journalismus und PR – 229
15.4.1 15.4.2
Verflechtung von freiem Journalismus und merkantilen Interessen – 229 Einflussnahme am Beispiel »lancierter Artikel« – 230
15.5
Journalisten-Kodices – 232
15.5.1 15.5.2 15.5.3 15.5.4 15.5.5 15.5.6
Das »Netzwerk Recherche« – 232 Der Code de Lisbonne – 233 Deutscher Journalisten-Verband – 233 Deutsche Journalisten-Union – 233 Der Berufsverband »Freischreiber« – 233 Verband Deutscher Medizinjournalisten – 234
15.6
Fazit und Ausblick – 234 Literatur – 234
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
15
224
Kapitel 15 • Interessenkonflikte und Medizinjournalismus
Zur Einführung Wohl alle Medizinjournalisten kennen Interessenkonflikte: Einladungen zu Pressereisen, von der Pharmaindustrie bezahlte Moderationen oder von Unternehmen gesponserte Journalistenpreise. Freiberufler übernehmen lukrative Nebentätigkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit und stehen vor der Frage, wie sich das mit ihrer journalistischen Tätigkeit vereinbaren lässt. Festangestellte Redakteure werden mit immer besser ausgearbeiteten Themenangeboten von pharmagesponserten Medien-Agenturen konfrontiert, mit denen sich Seiten schnell und kostengünstig füllen lassen. Manche Praktiken in der Branche verstoßen klar gegen die Berufsregeln, etwa die »gekaufte Redaktion«, eine redaktionell gestaltete Seite, die in Wirklichkeit Werbung ist. Mitunter arbeiten freie Journalisten für kommerzielle Auftraggeber, ohne das offen zu legen, und lancieren Artikel in der Publikumspresse. Journalistenverbände versuchen durch Richtlinien Orientierung zu geben, ziehen die Grenzen aber unterschiedlich eng.
15.1
In Australien existiert eine vergleichbare Initiative bereits seit Jahren. Eine Auswertung von mehr als 1000 Artikeln und Beiträgen in australischen Medien kommt 2009 zu dem Ergebnis, dass die Medizinberichterstattung, insbesondere im Fernsehen, große Schwächen aufweist. Regelmäßig vernachlässigen die Autoren von Publikumsmedien etwa die Nebenwirkungen von Behandlungen, sparen das Thema Kosten aus oder erläutern die Beweislage von Studien unzureichend (Wilson 2009). Eine weitere australische Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass ausgewiesene Medizinjournalisten ihre Arbeit immerhin besser machen als Kollegen, die nur gelegentlich über Gesundheitsthemen schreiben (Wilson 2010). In Deutschland dürfte es nicht viel anders aussehen. Je schlechter aber Journalisten qualifiziert und Redaktionen ausgestattet sind, umso anfälliger sind sie für die allgegenwärtige Medizin-PR. Im Laufe der Jahre hat die Pharmaindustrie ein ausgefeiltes Repertoire entwickelt, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Wohl jeder Medizinjournalist ist schon mal mit Angeboten konfrontiert worden, die mit dem Berufsethos schwer vereinbar sind.
Einleitung: Aktuelle Situation Pressereisen Ein altbewährtes Mittel der Manipu-
15
Die Gesundheitskommunikation ist ein umkämpfter Markt. Verlage und Sender haben in den letzten Jahren ihre Berichterstattung zu Medizinthemen erweitert, aber auch Pharmaindustrie und Forschungsinstitutionen haben aufgerüstet. Es dürfte deutlich weniger Medizinjournalisten geben als Pressesprecher und PR-Agenten im Dienst von Industrie oder Forschungsinstituten. Welche Qualität Medizinberichterstattung in deutschen Publikumsmedien hat, wurde noch nicht systematisch untersucht. Erst seit Ende 2010 ist der »Medien-Doktor« online, eine Initiative von Wissenschaftsjournalisten, die anhand ausgewählter Artikel und definierter Kriterien bewertet, ob Autoren z. B.: 5 Krankheiten übertrieben darstellen, 5 Studienergebnisse korrekt widergeben, 5 den Neuigkeitswert einer Untersuchung richtig einschätzen oder 5 unabhängige Experten um Kommentierung bitten.
lation sind Pressereisen, wenngleich sie sparsamer eingesetzt werden als noch in den 1980er- oder 1990er-Jahren. Zu wichtigen Kongressen wie dem Jahrestreffen der American Society of Clinical Oncology (ASCO) werden, anders als früher, nur noch ausgewählte Fachjournalisten eingeladen. Mancher freie Journalist, der für Publikumsmedien arbeitet, bedauert das, weil er unter seinen Auftraggebern keinen findet, der ihm Reise und Aufenthalt finanziert und so die Berichterstattung ermöglicht. Journalistenpreise Eine andere Art der materiellen
Zuwendung sind medizinbezogene Journalistenpreise. Nicht wenige Trophäen werden von Pharmafirmen gesponsert oder von Stiftungen, hinter denen ein Hersteller steht. Manche Preise sind so eng auf eine Krankheit zugeschnitten, dass die Absicht dahinter deutlich erkennbar ist, Berichte über eben diese Krankheit und ihre Behandlung zu fördern.
225
15.2 • Erfahrungsberichte von Journalisten zu Pressereisen
> Interessenkonflikte im Medizinjournalismus entstehen insbesondere durch die Vermischung journalistischer Arbeit und PR
15
viele Kolleginnen und Kollegen nach ihren persönlichen Erfahrungen befragt; für ihre Offenheit wurde ihnen Anonymität zugesichert. Wann immer möglich, werden die Gesprächspartner jedoch beim Namen genannt.
Verdeckte PR Mitunter sind die Methoden der Ein-
flussnahme schwierig zu durchschauen. Eine Vielzahl von Öffentlichkeitsarbeitern und PR-Agenturen kümmert sich um das Marketing teurer, verschreibungspflichtiger Medikamente. Weil direkte Werbung für diese Präparate verboten ist, tragen scheinbar unabhängige Stiftungen oder Aktionsbündnisse Themen in Redaktionen, organisieren
Podiumsdiskussionen, veröffentlichen Pressemitteilungen und geben sich als Interessenvertretung von Betroffenen aus. Die Kampagnen schaffen es mitunter bis in die Qualitätsmedien hinein. Bei Boulevardzeitungen, den meisten Frauenzeitschriften und regionalen Tageszeitungen braucht es keine verdeckte PR, um das Urteilsvermögen der Journalisten auf die Probe zu stellen. An manchen Veröffentlichungen in diesen Medien lässt sich die Kampagnenplanung der Pharmaindustrie unmittelbar ablesen. Wenn Ressorts unterbesetzt sind, Redakteure kaum Zeit für Recherche haben oder schlecht ausgebildet sind, füllen sie ihre Gesundheitsseiten schon einmal mit unverändert übernommen Presseinformationen von PR-Agenturen. Bei freien Journalisten zeigen sich Interessenkonflikte in anderer Gestalt: Weil viele Kollegen von ihrer journalistischen Arbeit nicht leben können, arbeiten sie zusätzlich in der weit besser bezahlten Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit. Diese Vermischung der Rollen war in den letzten Jahren sehr umstritten. Während das »Netzwerk Recherche« in seinem Medienkodex kategorisch fordert: »Journalisten machen keine PR« (Schnedler 2006, S. 3), geben sich andere Berufsorganisationen eher pragmatisch. Der Verband der Freischreiber beispielsweise verlangt von seinen Mitgliedern, dass sie PR und Journalismus trennen und Abhängigkeiten gegenüber ihrem Arbeitgeber offen legen (Buckow 2010). Der folgende Abschnitt erklärt an Beispielen, in welcher Form Interessenkonflikte auftreten und welche Haltung journalistische Berufsverbände dazu einnehmen. Während der Recherche wurden
15.2
Erfahrungsberichte von Journalisten zu Pressereisen
15.2.1
Boulevard- und Fachjournalisten auf Reisen
Sonja S.: Pressereise nach Norwegen Sonja S. war
von der norwegischen Fjordlandschaft beeindruckt. Die freie Mitarbeiterin einer großen Frauenzeitschrift nahm 2008 an einer Pressereise auf der Hurtigrute teil, die von einem Erkältungsmittelhersteller gesponsert wurde. Für die Journalistin war es die erste Reise auf der früheren norwegischen Postschifffahrtslinie. »Deshalb bin ich auch mitgefahren.« Mit an Bord waren Boulevardund Fachjournalisten, teils »alte Pressehasen«, die schon oft an Journalistenreisen teilgenommen hätten, erinnert sich Sonja S. Viele Kollegen hätten sich rundherum bedienen lassen. Als sie einen Kaffee selber bezahlte, sei sie verwundert angeschaut worden. Wie selbstverständlich übernahm der Veranstalter die Kosten der Mahlzeiten an Bord oder bei Landgängen und bezahlte auch die in Norwegen sehr teuren alkoholischen Getränke. Weil die Pressefahrt im wetterwendischen April stattfand, bekamen alle Teilnehmer außerdem eine Regenjacke geschenkt. Ein »Thema« hatte die Reise auch: Ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt referierte über Erkältungskrankheiten. Am Ende wurden Hals- und Nasensprays aus der Produktpalette des Herstellers verteilt. Als kleines Geschenk nahm Sonja S. einen Plüschpinguin für ihre Kinder mit nach Hause. Geschrieben hat sie über die Veranstaltung nicht. Auch andere Teilnehmer hätten bekundet, sie wollten das Allerweltsthema Erkältungen ignorieren. Aber solche Reisen haben ja viele Zwecke: z. B. den der Kontaktpflege zwischen Hersteller und Journalisten. Fahrten wie die zur Hurtigroute sind keine Ausnahme: »Wir kriegen ständig Einladungen zu Pressereisen, bei denen in einem attraktiven Kul-
226
Kapitel 15 • Interessenkonflikte und Medizinjournalismus
turprogramm auch mal eine halbe Stunde Pressekonferenz zu einem Medikament versteckt ist«, sagt eine andere Mitarbeiterin einer Frauenzeitschrift. Bei vielen Blättern findet sich im Anschluss an solch eine Tour tatsächlich ein Artikel im Blatt. Denn sonst wird man beim nächsten Mal womöglich nicht mehr eingeladen.
15
Elsbeth R.: Reisen mit Kulturprogramm Elsbeth R. ist seit mehr als 30 Jahren im Geschäft. Erst war sie Redakteurin eines medizinischen Fachverlags, später begann sie frei zu arbeiten. Fach- und Boulevardjournalisten seien früher regelmäßig nach Wien, Paris, Madrid oder in andere Metropolen eingeladen worden, berichtet sie. Mancher Kollege sei fast wöchentlich unterwegs gewesen. Die Journalisten nächtigten in Fünf-Sterne-Hotels wie dem Pariser George V, erhielten beim Einchecken ein hochpreisiges Geschenk, etwa einen Teller aus Meißener Porzellan und wurden mit einem anspruchsvollen Kulturprogramm verwöhnt. »Auf Mallorca wurden wir zum Beispiel nach Valldemosa geführt, wo Frédéric Chopin und George Sand gelebt haben. Im Kloster gab es abends ein wunderbares Konzert.« Eine Reise nach Malta ist Elsbeth R. in besonderer Erinnerung geblieben. Die Kommunikationsagentur einer Pharmafirma hatte deren Geschäftsführer nahegelegt, eine Überraschungsreise zu arrangieren. »Wir wussten vorher das Thema nicht.« Die Journalisten logierten in einem erstklassigen Hotel in der maltesischen Hauptstadt Valletta, wurden für das örtliche Fernsehen interviewt und in Rolls Royces und Bentleys über die Insel kutschiert. Schließlich erfuhren sie auch, weswegen sie auf Malta waren: Der Pharmahersteller wollte sein Image mit einer deutlichen Preissenkung für ein Antibiotikum aufpolieren. Elsbeth R. empfand es jedoch als Zumutung, darüber zu berichten, weil die Nachricht im Umkehrschluss ja wohl bedeutete, dass der Preis zuvor stark überhöht war. Sie schrieb nicht über die Preissenkung – und wurde fortan von dieser Agentur nicht mehr eingeladen.
> Bei Pressereisen zahlen Pharmafirmen oft nicht nur Fahrt und Unterkunft, sondern verteilen auch Geschenke an die Journalisten
15.2.2
Die Situation in »Qualitätsmedien«
In Qualitätsmedien ist es eher verpönt, bezahlte Pressereisen anzunehmen. Günter Haaf, der in leitender Funktion für Zeit, Geo Wissen und Natur tätig war, erinnert sich aber noch an Zeiten, da etliche Vertreter der »Edelpresse« nach Indien reisten, weil die Hoechst-AG dort eine Fabrik eröffnet hatte. Von einem Pharmaunternehmen sei er Anfang der 1980er-Jahre mal wegen einer Millionen-Investition in ein Gentechnik-Labor nach Boston eingeladen worden: »Ich war als Zeit-Redakteur dabei und habe sie hinterher in die Pfanne gehauen.« Beispiel: Apothekenumschau Heute ist Haaf Re-
daktionsdirektor des Wort & Bild Verlags und in dieser Funktion unter anderem für die Apotheken Umschau verantwortlich. Das 2-mal im Monat erscheinende Magazin wird von Apotheken abonniert und an deren Kunden gratis weitergegeben. Es ist mit einer Auflage von monatlich gut 10 Mio. Heften und mehr als 20 Mio. Lesern Deutschlands meistgelesene Zeitschrift. Im Unterschied zu manchem anderen Blatt hat die oft belächelte Apotheken Umschau strenge Redaktionsrichtlinien: »Wir bezahlen alle Recherchereisen selbst, nennen keine Markennamen, und alle Werbegeschenke werden kassiert und auf den Weihnachtsbasar getragen.« sagt Haaf. Weil die Redaktion großzügig ausgestattet und gut qualifiziert sei, könne sie »im vorgegebenen Rahmen« unabhängig berichten. Einen kritischen Text über Apothekenpreise wird man dort trotzdem nicht lesen – das Blatt wird zu einem großen Teil durch die abonnierenden Apotheken finanziert. Vorwürfe des Fernsehmagazins »Frontal 21« hat der Wort & Bild Verlag allerdings entschieden zurückgewiesen. Frontal 21 hatte 2008 berichtet, Pharmafirmen könnten durch Anzeigenschaltung redaktionelle Inhalte der Apotheken Umschau beeinflussen. In diesem Zusammenhang wurde auch ein Text der Apotheken Umschau erwähnt, der vermeintlich unkritisch über neue Mittel gegen Depressionen berichtete. Allerdings hatte der angeprangerte Artikel mögliche Nebenwirkungen der Mittel wie Angst, Unruhe und Aggressivität sehr
227
15.3 • Journalistenpreise
wohl genannt und auch die Gefahr des Suizids zu Behandlungsbeginn thematisiert. Auf Firmenkosten zu Konferenzen Eine Medizinjournalistin, die anonym bleiben möchte, bedauert, dass sie als freie Journalistin seit einigen Jahren nicht mehr auf Firmenkosten zu großen Kongressen wie der ASCO-Jahreskonferenz reisen kann. »Wenn überhaupt, nehmen Pharmafirmen nur noch wenige Fachjournalisten mit, die mehr oder weniger nachbeten, was auf Pressekonferenzen vorgegeben wird.«, sagt die Autorin, die für namhafte Publikumsmedien schreibt. Sie selbst habe früher nicht nur die eigens für die Presse organisierten Veranstaltungen besucht, sondern auch den Fachkongress. Dabei sei sie auf viele Themen gestoßen, an die sie sonst nie »drangekommen« wäre. Sie habe stets selbst entschieden, ob und wie sie berichtete. »Ich habe mich nie für irgendwelche Gefälligkeitsberichte kaufen lassen.« (zur Problematik der Selbsteinschätzung von Beeinflussung 7 Kap. 3). Festangestellte Redakteure können über einen Mangel an Einladungen nicht klagen. Da heißt es im Anmeldungsformular für ein internationales Presse-Forum der Bayer AG im Dezember 2010: »Wir bitten Sie, am Flughafen ein Taxi zu nehmen und sich zum Veranstaltungsort, dem Kommunikationszentrum der Bayer AG in Leverkusen, Kaiser-Wilhelm-Allee, bringen zu lassen.« Und: »Ihre Auslagen für diese Taxifahrt erstatten wir Ihnen gegen Vorlage der Quittung an der Information der BayKomm.« Ein Hotelzimmer kann der Journalist sich ebenfalls reservieren lassen. Auch um den Transport zurück zum Bahnhof oder Flughafen kümmert sich selbstverständlich das Bayer-Organisationsbüro. Viele Qualitätsmedien lehnen solche Einladungen nach eigener Aussage ab, aber für finanziell schlecht ausgestattete Redaktionen dürften sie verlockend sein, weil sie Kosten sparen. Der Pressekodex des Deutschen Presserats In den Richtlinien zum Pressekodex des Deutschen Presserats (Presserat 2008) heißt es zum Thema Einladungen und Geschenke:
» Schon der Anschein, die Entscheidungsfreiheit von Verlag und Redaktion könne beeinträchtigt werden, ist zu vermeiden. Journalisten nehmen
15
daher keine Einladungen oder Geschenke an, deren Wert das im gesellschaftlichen Verkehr übliche und im Rahmen der beruflichen Tätigkeit notwendige Maß übersteigt.
«
Was aber ist das »übliche« und »im Rahmen der beruflichen Tätigkeit notwendige Maß«? Die Formulierung lässt Raum für Interpretationen. Weiter heißt es:
»
Wenn Journalisten über Pressereisen berichten, zu denen sie eingeladen wurden, machen sie diese Finanzierung kenntlich.
«
Das Gefühl, dem anderen etwas schuldig zu sein, wird jedoch schon durch Geschenke von geringem Wert ausgelöst. Für die Reziprozitätsregel (7 Kap. 3) gibt es keine untere Grenze. Und: Stand unter einem Bericht über den amerikanischen Krebskongress jemals der Sponsor, der dem Journalisten die Reise ermöglicht hat?
15.3
Journalistenpreise
Medizinbezogene Journalistenpreise sind ein beliebtes Marketinginstrument der Pharmaindustrie und für Journalisten durchaus eine Gefahr. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz sieht »die kritische Haltung« von Journalisten gefährdet:
»
Man muss befürchten, dass Überschüttetsein mit Reputation zu einer sanften Korruption führt,
«
sagte er in der Frankfurter Rundschau. Das gilt insbesondere für Preise, die gezielt die Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Krankheit – und ihre Behandlungsmöglichkeiten – lenken sollen.
15.3.1
Die »Lung Cancer Journalism Awards«
Die Roche Pharma AG unterstützte die 2006 erstmals ausgeschriebenen »Lung Cancer Journalism Awards«: Mit Preisgeldern in Höhe von insgesamt EUR 21000 wurden Veröffentlichungen in Fach-
228
Kapitel 15 • Interessenkonflikte und Medizinjournalismus
und Publikumspresse, Radio oder Fernsehen belohnt, die sich mit dem Thema Lungenkrebs befassten (Roche 2006). Dass Roche diesen Preis sponserte, ist vermutlich kein Zufall: Im Jahr 2005 war das Roche-Medikament Erlotinib gegen Lungenkrebs europaweit zugelassen worden.
15.3.2
15
Der Journalistenpreis »Advances in Renal Cancer Journalists’ Award Europe«
Ein weiteres Beispiel liefert die Bayer HealthCare AG. Im Jahr 2006 erhielt das Nierenkrebsmittel Sorafenib von Bayer die Zulassung für den europäischen Markt. Prompt rief der Konzern gemeinsam mit der Kidney Cancer Association den Journalistenpreis »Advances in Renal Cancer Journalists’ Award Europe« ins Leben. Der Preis wird europaweit ausgeschrieben, ist mit EUR 7500 dotiert und soll für Arbeiten vergeben werden, die sich »kritisch und objektiv mit der Problematik des Nierenkrebses auseinandersetzen« (Bayer HealthCare 2010). Der Siegerbeitrag von 2009 fällt allerdings weniger durch kritische Recherche auf als durch unkritisches Lob für die neuartigen Medikamente gegen den Nierenkrebs, zu denen auch das BayerPräparat zählt. Krebsmediziner würden von einer Revolution in der Behandlung des Nierenkrebses sprechen, schreibt die Autorin. Und: Ein einziges Medikament könne die Lebenszeit eines Patienten auf 2 Jahre verdoppeln; falls man die Mittel hintereinander einsetze, könne das Leben sogar noch weiter verlängert werden (Guha 2009). Tatsächlich wurde die Therapie des Nierenkrebses keinesfalls revolutioniert. Ob Patienten im fortgeschrittenen Stadium dank der neuen Medikamente länger oder wenigstens besser leben, ist weitgehend ungewiss. Nur für eines der neuen Mittel, und hier für eine kleine Gruppe von Erkrankten, ist bewiesen, dass die Patienten etwas länger leben (Keller 2011). > Pharmafirmen sponsern mitunter Journalistenpreise, um die Aufmerksamkeit auf eine Krankheit und ihre Behandlungsmöglichkeiten zu lenken
15.3.3
Der Journalistenpreis »Schizophrenie und Stigma«
Mitunter arbeiten Pharmaunternehmen bei der Vergabe von Journalistenpreisen mit Selbsthilfegruppen zusammen. Der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker beispielsweise vergibt den Journalistenpreis »Schizophrenie und Stigma«, der von Janssen-Cilag gesponsert wird. Die Jury zeichnete 2000 einen Focus-Artikel aus, der die Mittel Risperdal von Janssen-Cilag und Zyprexa von Lilly im Foto zeigte (Gottschling 1999). Bildunterschrift: »Neue atypische Neuroleptika haben weniger Nebenwirkungen und bieten mehr Lebensqualität.« Der Artikel wirbt für die neuen Präparate, die »Patienten weniger in ihrem Lebensgefühl« beeinträchtigten. Denn es bleibe ihnen »eine Reihe leidvoller Nebenwirkungen« erspart. Leider legten aber manche Patienten nach Einnahme der Tabletten um etwa 10 kg Gewicht zu. Doch: Die »Firma Pfizer verspricht für nächstes Jahr ein Neuroleptikum ohne diese Nebenwirkung.« Schließlich beklagt die Autorin noch, dass nur 10–20 % der Betroffenen hierzulande die neuen Arzneimittel verschrieben bekämen, im Ausland liege die Quote viel höher. Anzumerken bleibt: Die neueren Neuroleptikta (»zweite Generation«) schneiden als Gruppe nicht besser ab als die früher auf den Markt gekommenen (»erste Generation«) (Leucht et al. 2009).
15.3.4
Der Journalistenpreis des Deutschen Psoriasis Bundes
Eine umstrittene Kooperation ging auch der Deutsche Psoriasis Bund (DPB) ein (Görlitzer 2008). In Kooperation mit dem Pharmaunternehmen Merck Serono vergab der DPB 2007 erstmals einen Journalistenpreis. Siegerin wurde Annika Graf von der Deutschen-Presse-Agentur (dpa) mit dem Text »Salz und Sonne: Die ‘eine’ Therapie gibt es bei Schuppenflechte nicht«. Der in mehreren Zeitungen abgedruckte Artikel wurde mit EUR 3.000 prämiert. Er habe eine »starke Signalwirkung« gehabt und »informativ« und »motivierend« über Schuppenflechte berichtet, befand die Jury aus drei Hautspezialisten und einer Journalistin.
229
15.4 • Journalismus und PR
Ganz anders bewertete dies Rolf Blaga von der Psoriasis Selbsthilfe Arbeitsgemeinschaft, die bewusst Wert auf Distanz zu Arzneiherstellern legt. Er hält den DPB-Journalistenpreis für eine »leicht durchschaubare PR-Aktion«. Der prämierte Artikel sei »in engster Zusammenarbeit mit einem der Preisverleiher entstanden«. Tatsächlich war die einzige Psoriasis-Patientin, die dpa-Redakteurin Graf zu Wort kommen ließ, ein mittlerweile verstorbenes Mitglied des DPB-Vorstands. Die Erfahrungen der Frau wurden so beschrieben: »Franziska Bieber merkte irgendwann, dass ihre Knie und Finger steif wurden. ‚Da haben Biologics wirklich geholfen‘« (Graf 2007). Biologics sind relativ neue, sehr teure Medikamente, die bei manchen Psoriasis-Patienten die entzündliche Reaktion in der Haut durchbrechen können. Im prämierten Artikel heißt es, diese Medikamente hätten den Patienten »ganz neue Hoffnungen« gebracht. Hingegen erwähnt der Text nicht die schweren Nebenwirkungen, die Biologics mitunter auslösen können. Wenig überraschend: Der Sponsor des Journalistenpreises, die Firma Merck Serono, ist selbst Biologics-Produzent.
15.3.5
Bewertungskriterien
Nicht immer bedeutet die Tatsache, dass ein Preis pharmagesponsert ist, dass die ausgezeichneten Beiträge Gefälligkeitsartikel sind. Doch jeder gesponserte Journalistenpreis kann auch anderen Zwecken dienen: Das Image des Sponsors aufzubessern und seine Beziehungen zu Journalisten zu fördern. Dies nimmt in Kauf, wer pharmagesponserte Journalistenpreise annimmt (was auch die Autorin dieser Zeilen schon getan hat). Die weniger anstößigen unter den Preisen zeichnen sich dadurch aus, dass die Jury hochkarätig, also mit renommierten Journalisten, besetzt ist, und das Thema weit gefasst wird. Zu dieser Kategorie gehört etwa der »Europäische Journalistenpreis des Verbands Deutscher Medizinjournalisten«, der von der Bayer HealthCare AG gesponsert wird. Ein Preis wie der »Advances in Renal Cancer Journalists’ Award Europe«, der Artikel zu einer bestimmten Krankheit und ihren Behandlungsmöglichkeiten einfordert, ist hingegen eher problematisch. Günter Haaf, der selbst
15
mehrere pharmagesponserte Journalistenpreise gewonnen hat, definiert die Grenze so:
»
Entscheidend ist, ob ein Artikel gut recherchiert und geschrieben ist und ob er den nötigen kritischen Ansatz hat.
«
15.4
Journalismus und PR
15.4.1
Verflechtung von freiem Journalismus und merkantilen Interessen
So unbedarft wie die frühere Vorsitzende des »Verbands Deutscher Medizinjournalisten« (VDMJ), Maria Lange-Ernst, äußert sich heute wohl kaum noch ein Funktionär zum Verhältnis von PR und Journalismus. Lange-Ernst versicherte 2003 in einem Interview mit der Journalisten-Fachzeitschrift Message: »Natürlich lässt sich das unter einen Hut bringen. Ich selbst bin freie Journalistin und u. a. Pressesprecherin des Berufsverbandes der Frauenärzte. Das eine geht in das andere über. Wichtig ist nicht, PR und Journalismus zu trennen, sondern mit seiner Aufgabe verantwortungsvoll umzugehen.« (Grill 2007, S. 179) Als der Interviewer von ihr wissen wollte, ob Medizinjournalisten mitunter für einen Artikel sowohl von einem Pharmaunternehmen als auch von einer Redaktion bezahlt werden, sagte Lange-Ernst: »Das kann sehr gut sein, ist aber unterschiedlich.« Sie gab zu, dass für den Leser nicht immer deutlich sei, ob es sich um einen reinen PR-Text handele. Als der Interviewer daraufhin fragte, ob sie darin einen Interessenkonflikt sehe, antwortet Lange-Ernst: »Solche Dinge spielen sich nicht nur bei Journalisten, sondern auch bei anderen Berufsgruppen ab. Das sind Verflechtungen, die nicht ohne weiteres zu entwirren sind, da häufig merkantile Interessen im Vordergrund stehen.« Es sei aber nicht »Aufgabe eines Dachverbands wie dem VDMJ, über seine Mitglieder oder Kollegen zu richten, beziehungsweise bestimmte Anweisungen zu formulieren«. Wer fühle sich schon berechtigt, den ersten Stein zu werfen, fuhr LangeErnst fort: »Heute ist es bereits so, dass Journalis-
230
Kapitel 15 • Interessenkonflikte und Medizinjournalismus
ten bei Kongressen und Veranstaltungen Schlange stehen, um eine Anzeige mit nach Hause zu nehmen, damit ihr Text überhaupt veröffentlicht wird. Ich weiß von Journalisten, die ihre Artikel vor der Veröffentlichung von der Herstellerfirma nochmals gegenlesen lassen müssen.« Lange-Ernst behauptete später, ihre Äußerungen seien falsch interpretiert worden, was der Herausgeber von Message, Michael Haller, zurückwies. Lange-Ernst habe das Interview zur Autorisierung zugesandt bekommen, und es sei in der autorisierten Fassung veröffentlicht worden. > Nach einer Umfrage des Journalistenverbands »Freischreiber« kann jeder dritte Freie nicht von seiner journalistischen Arbeit leben
15
Die Frage nach dem Verhältnis von PR und Journalismus ist heute aktueller denn je. Durchschnittlich verdienen freie Journalisten nach einer Erhebung des Deutschen Journalisten Verbands EUR 2147 im Monat vor Abzug der Steuern. Laut einer OnlineBefragung des Journalistenverbands »Freischreiber« kann jeder dritte von seiner journalistischen Arbeit nicht leben. Deshalb sehen sich viele freie Journalisten gezwungen, neben ihrer eigentlichen Arbeit PR-Aufträge anzunehmen, die meist viel besser bezahlt werden (Buckow 2010). Die erfahrene Journalistin und PR-Frau Barbara Ritzert findet, es sei eine Frage der Abgrenzung und Transparenz, beides zu vereinbaren. Auf keinen Fall dürfe sich ein Journalist für einen Artikel von einem anderen Auftraggeber als der Redaktion bezahlen lassen, nach dem Motto: »Schreiben Sie in der Süddeutschen Zeitung, und wir honorieren das«. Vor allem gelte: Nie über ein Thema journalistisch arbeiten, zu dem man PR macht. »Man muss der Redaktion sagen, in welcher Funktion man da ist«, sagt Ritzert, der die Agentur »Proscience Communications« gehört. Sie ärgert sich gleichwohl über die arrogante Haltung mancher gut bezahlter Redakteure gegenüber freien Journalisten, die PRAufträge annehmen. Als sie noch für große Tageszeitungen und Publikumsmedien arbeitete, habe sie einmal einen Fortbildungsfilm für die Bayer AG gedreht, auf einem Gebiet, wo sie nicht journalistisch tätig war. Als sie dem Wissenschaftsredakteur einer großen Tageszeitung davon berichtete, habe
der gefragt, wie sie das nur tun könne. Sie habe erwidert: »Sobald du mich ordentlich bezahlst, höre ich auf, solche Filme zu machen.« Annette Bolz, freie Autorin und Journalismus-Dozentin, legt ebenfalls Wert darauf, in dem Themenbereich, in dem sie Öffentlichkeitsarbeit macht, nicht journalistisch tätig zu sein. Es bedarf mitunter einiger Standfestigkeit, das durchzuhalten. Als Bolz um die Jahrtausendwende für ein gut zahlendes, internationales Pharmaunternehmen arbeitete, musste sie gemäß ihren eigenen Grundsätzen mehrfach Angebote von Redaktionen ablehnen, über Arzneimittel zu schreiben. Leicht ist so eine Entscheidung für freie Journalisten nicht, denn sie möchten ihre Auftraggeber ja nicht verprellen. Auch anderen Anfechtungen hat Bolz widerstanden. Als der Chef der Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens wechselte, habe er sie zum Kennenlernen in ein teures Restaurant eingeladen. Der Mann sei schnell zur Sache gekommen: »Ich wünsche mir, dass Sie Texte über unsere Medikamente in der Zeit platzieren.« Bolz lehnte ab. »So etwas mache ich grundsätzlich nicht. Ich bin Journalistin und möchte meinen guten Ruf behalten und objektiv berichten.« Die Zusammenarbeit mit der Firma sei damit beendet gewesen. Sie sei sogar aus dem Presseverteiler gestrichen worden. Solche Konsequenz einer Autorin dürfte die Ausnahme sein.
15.4.2
Einflussnahme am Beispiel »lancierter Artikel«
Es kommt offenbar öfter vor, dass Journalisten sich von einem anderen Auftraggeber als ihrer jeweiligen Redaktion bezahlen lassen. Rudi Schmidt, der die Unternehmenskommunikation der AsklepiosKliniken leitet, erhält etwa »ein halbes Dutzend Mal im Jahr« das Angebot eines Journalisten, einen Artikel zu lancieren. »Wenn das passiert, merkt das keiner, und fortan ist das Krankenhaus mit positiven Berichten in der Tageszeitung«, sagt Schmidt. 2010 wandte sich ein Redaktionsbüro an den Chefarzt einer Asklepios-Klinik und fragte, welches Thema er denn gerne in der Tageszeitung sähe, für die sein Büro arbeite. Ob er auch einen passenden Patienten wisse? Selbstverständlich dürfe er den Arti-
15.4 • Journalismus und PR
kel auch gegenlesen! Für ein Honorar von EUR 800, so das Angebot, werde man einen Artikel von 120 Zeilen in der Zeitung veröffentlichen. Der Chefarzt wandte sich an Schmidt als Leiter der Unternehmenskommunikation. Da die Asklepios-Kliniken verdeckte PR ablehnen, informierte Schmidt die Redaktionsleitung der betreffenden Tageszeitung über die Offerte. Es handelte sich keineswegs um ein Provinzblatt, sondern um eine überregionale Zeitung mit einer Auflage von rund 200.000 Exemplaren. Die Redaktionsleitung zeigte sich entsetzt über »das schwarze Schaf« in den eigenen Reihen und vereinbarte mit Schmidt ein Vorgehen, das den käuflichen Kollegen überführen sollte: Schmidt ging zum Schein auf das Angebot ein. Tatsächlich erschien ein Artikel von 120 Zeilen über das abgesprochene Thema im Blatt. Die Zusammenarbeit des Redaktionsbüros mit der Tageszeitung war daraufhin beendet.
Journalisten, die von einer Firma ein Honorar für lancierte Artikel kassieren, werden sonst eher sel-
ten enttarnt. Der Hamburger Journalistikprofessor Volker Lilienthal kam 2009 jedoch einem besonders eifrigen Grenzgänger zwischen PR und Journalismus auf die Spur: Einem Mann von Mitte 40, der sich als Autor von 25 Büchern und mehr als 3000 Presseartikeln vorstellte. Der Autor soll seit 2006 eine »spezielle Kooperation« mit 16 Zeitungen und Zeitschriften unterhalten haben, »denen ich meine Artikel honorarfrei anbiete« (Lilienthal 2009). Der Mann habe keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich dabei von Pharmaunternehmen, großen Klinikkonzernen und PR-Agenturen bezahlen ließ. Von ihm selbst vorgelegte Arbeitsproben zeigten, dass er etwa das Roche-Präparat Mabthera in der Neuen Woche platzierte (»Rheuma – Was den Gelenken wirklich hilft«), in der GlücksRevue (»Neue Wege, die Gelenkzerstörung zu stoppen«), in Laura (»Neue Hilfe gegen Rheuma«) und gleich 2-mal in Das Neue Blatt (»Lymphdrüsenkrebs – Mit Infusionstherapie endlich heilbar« und »Rheuma – neuer Wirkstoff stoppt die Krankheit«). Der Aktionsradius des Autors blieb offenbar nicht auf die Yellow-Press mit ihren niedrigen Qualitätsansprüchen beschränkt. Artikel, die sich lobend über bestimmte Pharmaprodukte äußerten,
231
15
seien beispielsweise auch im Handelsblatt oder der Welt am Sonntag gedruckt worden. Der Leipziger Wissenschaftler Michael Haller hat 2005 in einer Studie 6 Regionalzeitungen auf ihren Anteil an PR-Texten im redaktionellen Teil untersucht (Schnedler 2006). Der Trend zu mehr PR wurde dabei bestätigt. In den untersuchten Lokalteilen waren 9 % der Artikel eindeutig als PRTexte zu erkennen, in den Wirtschaftsteilen knapp 4 %, in den Reiseteilen bis zu 25 % (Schnedler 2006). Im Medizinjournalismus dürfte der Anteil von PRTexten ebenfalls beträchtlich sein. Die Angebote an Redaktionen sind umfassend. »Agenturen arbeiten Redaktionen ohne Ende zu«, sagt Irene Stratenwerth, Redakteurin bei der Frauenzeitschrift Brigitte, »da brauchst du gar nichts mehr zu machen, die sitzen direkt bei dir auf dem Schoß.« Themenidee, Experten, Betroffene – alles wird frei Haus geliefert. Da macht etwa eine »MITSchmidt Kommunikation GmbH« auf den Nutzen von Magenbändern gegen massives Übergewicht aufmerksam. Auftraggeber ist »Clinic im Centrum«, ein Zusammenschluss von 44 Praxen und Kliniken, die solche Eingriffe durchführen. Fotos und ein Interview mit einem »Experten« von einer der Kliniken liegen dem Anschreiben bei. Die Veröffentlichung ist kostenlos, lediglich »um ein Belegexemplar wird gebeten.« Laut Stratenwerth lehnt die Brigitte-Redaktion solche Angebote stets ab. Begründung: »Wir wollen nicht irgendwelche Vorführfälle, die selbstverständlich positiv über das Verfahren reden, weil sie von dem Anbieter ausgesucht wurden.« Die Brigitte lege Wert auf unabhängige Expertenaussagen und unabhängige Erfahrungsberichte. Aber Stratenwerth weiß auch, dass nicht jede Redaktion so entscheidet: »Man braucht Zeit und Geld, um nicht das Naheliegende zu machen.« > PR-Agenturen bieten Redaktionen Themen mit umfassendem Service an: Sie liefern Ideen, Experten und Betroffene.
Normalerweise sollte eine Redaktion eine Pressemitteilung als Einladung zur Recherche begreifen. Bei der Eßlinger Zeitung scheint diese Regel nicht zu gelten:
232
Kapitel 15 • Interessenkonflikte und Medizinjournalismus
In der Weihnachtsausgabe 2010 der Eßlinger Zeitung wird das kontrovers diskutierte Thema der Cholesterinrisiken durch Milchfettsäuren unter der schlichten Schlagzeile »Butter ist gesund« abgehandelt. Abgedruckt ist ein Interview der »Foodpressedienst Redakteurin Rebekka Schrimpf« mit dem »Ernährungsexperten und Bestsellerautor Professor Nicolai Worm«. Was der Leser der Eßlinger Zeitung nicht erfährt: Der Food-pressedienst ist eine PR-Agentur, die Meldungen »rund um die Themen Ernährung, Kochen, Genuss und Lebensmittel« verbreitet, bei »insgesamt mehr als 3.000 Food-Journalisten in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz«. Interessierte Kunden können ihre Texte und Fotos selbst per Online-Formular beim Food-pressedienst einstellen, der sie dann »schnellstmöglich verschickt«. Der PR-Service hat seinen Preis. Eine Einzelmeldung kostet EUR 150, ein Foto EUR 30.
15
Im Fall des Butter-Interviews zahlte Gesprächspartner Worm nach Angaben von Food-pressedienst-Mitarbeiterin Schrimpf kein Geld für die Aussendung. Es handelte sich offenbar um EigenPR, die den Food-pressedienst bekannter machen sollte. Die Aktion scheint erfolgreich gewesen zu sein: Selbst Bild wurde auf das Butter-Thema mit Worm aufmerksam – führte dann allerdings ein eigenes Interview mit ihm. Hat die Eßlinger Zeitung den PR-Text aus Bequemlichkeit unverändert ins Blatt gehoben? War da ein Volontär am Werk? Ist die Redaktion völlig überfordert, weil sie vielleicht mit wenig Personal Seite um Seite füllen muss? Wer auch die Titelseite der Weihnachtsausgabe gesehen hat, bekommt fast Mitleid mit dem Blatt. Dort wünschen Verlag und Redaktion allen Lesern und Geschäftsfreunden »ein fröhliches und gesegnetes Osterfest«. Haaf, einst auch einer der Gründer der für Qualitätsjournalismus engagierten Wissenschaftspressekonferenz, beobachtet eine »immer größere Schieflage« in den Medien – und begreift dies auch als Kritik an den Verlagen. »Wenn ich ein Hochglanzmagazin mache und nur eine halbe Kraft einstelle, die mir wöchentlich die Gesundheitsseiten füllen muss, dann brauche ich mich nicht zu wundern, dass PR ins Blatt kommt.«
Dass sich redaktionelle Berichterstattung und PR zunehmend vermischen, kritisieren im Übrigen nicht nur Journalisten und ihre Verbände. Offene, transparente PR habe kaum eine Chance, wenn mit verdeckter PR gearbeitet werde, sagt Nicola Wessinghage von der Hamburger Agentur »Mann beißt Hund«, die beispielsweise für die DAK arbeitet. »Das größte Problem der PR ist der Verlust der journalistischen Kompetenz auf der Gegenseite«, ergänzt Ritzert, die erfahrene Öffentlichkeitsarbeiterin. »Kompetenter und kritischer Journalismus, der PR nutzt, aber nicht nachbetet, verschafft einem Medium Glaubwürdigkeit bei Lesern, Hörern und Zuschauern.« Wenn aber die Medien ihre Glaubwürdigkeit verlören, schade das am Ende auch der PR-Branche, die ja darauf angewiesen sei, ihre Botschaften mit Hilfe der Medien zu kommunizieren. Laut Ritzert gibt es nur wenige Qualitätsmedien, die Partner auf Augenhöhe sind.
15.5
Journalisten-Kodices
15.5.1
Das »Netzwerk Recherche«
Das »Netzwerk Recherche« löste 2006 mit seiner Forderung: »Journalisten machen keine PR« eine Grundsatzdebatte aus. Kein anderer Journalistenverband in Deutschland positioniert sich ähnlich klar. Doch die These aus dem Medienkodex des Netzwerks ist heftig umstritten. Sie wird mal als lebensfremd und arrogant, mal als naiv kritisiert. Netzwerk Recherche will nach eigenem Bekunden mit seiner Forderung zweierlei erreichen: 5 Zum einen sollten journalistische Produkte frei von PR-Botschaften bleiben, 5 zum anderen appelliert das Netzwerk an freie Journalisten, sich nicht für bestellte Wahrheiten kaufen zu lassen (Schnedler 2006, S. 22). Gerade weil der Einfluss der PR auf den Journalismus wachse, müsse über die Gefahren der Verschmelzung diskutiert werden. Laut Netzwerk Recherche ist ein ganzes Bündel von Maßnahmen erforderlich, um journalistische Standards wieder zu stärken: Zum Beispiel soll schon in der Hochschulausbildung von Journalisten und PR-Nachwuchs auf eine klare Trennung der Bereiche geachtet wer-
den. Vor allem an Fachhochschulen ist das nicht immer der Fall, wie der Werkstattbericht »Getrennte Welten? Jounalismus und PR in Deutschland« belegt (Schnedler 2006, S. 21). Eine zentrale Forderung ist außerdem: Sender und Verlage sollten Journalisten materiell absichern und die Arbeitsbedingungen in Redaktionen verbessern. Es brauche Leitlinien für unabhängige Berichterstattung und es solle ihnen auch Geltung verschafft werden.
15.5.2
Der Code de Lisbonne
Überraschenderweise existiert auf Seiten der Öffentlichkeitsarbeit ein Kodex, der ebenfalls eine Trennung der Bereiche anmahnt. Laut dem Code de Lisbonne (Deutscher Rat für Public Relations 2004) müssen Public-Relations-Aktivitäten »offen« durchgeführt werden. Sie müssen leicht als solche erkennbar sein, eine klare Quellenbezeichnung tragen und Dritte nicht irreführen« Nimmt man diese Regel ernst, dann müsste es beispielsweise verboten sein, über einen freien Journalisten getarnte PR-Artikel zu lancieren. Ob der Code de Lisbonne in der Praxis Wirkung zeigt, ist aber fraglich. Eine Umfrage unter Pressesprechern und PR-Fachleuten in Unternehmen ergab 2005, dass mehr als die Hälfte der Befragten den Kodex gar nicht kannte. > Der Journalistenverband »Netzwerk Recherche« plädiert für eine klare Trennung der Bereiche: »Journalisten machen keine PR«.
des kritischen Journalismus und reduziere ihn auf das bloße Hantieren mit »Informationen«, kritisiert Netzwerk Recherche diese Haltung: »Seriöser Journalismus ist aber weit mehr, als nur beliebige Informationen zusammenzutragen und fehlerfreie Sätze auf das Papier zu bringen. Journalisten hören alle Seiten, recherchieren Gegenmeinungen, werten alle verfügbaren Quellen aus und würdigen kritisch die Fakten.«
15.5.4
Deutscher Journalisten-Verband
Die beiden Journalistengewerkschaften setzen die Grenzen nicht so klar wie das Netzwerk Recherche. So betrachtet der Deutsche JournalistenVerband (DJV) Journalismus und Public Relations als zwei Disziplinen, in denen jeweils journalistisch gearbeitet werde. 8 % der Mitglieder des DJV sind in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt. Auch sie seien Journalisten, versicherte der DJV-Vorsitzende Michael Konken 2006 in einem Interview (Schnedler 2006). Die Begriffsbestimmung des DJV verkenne die eigentliche Funktion
Deutsche Journalisten-Union
Bei der Deutschen Journalisten-Union (DJU) kann nicht Mitglied werden, wer vorwiegend in Public Relations arbeitet. Allerdings hat die DJU kein Problem damit, dass Mitglieder neben ihrer journalistischen Arbeit auch PR machen. Das sei zunehmend der Fall, da sich die Marktlage in den letzten Jahren verschärft habe, sagte die DJU-Bundesgeschäftsführerin Ulrike Maercks-Franzen (Schnedler 2006):
»
Es gibt unendlich viele Kolleginnen, die gerne guten Journalismus machen würden, die aber einfach auf eine Mischkalkulation ihrer Einnahmen angewiesen sind. Die auch noch essen und wohnen müssen, eine Familie ernähren wollen.
«
Wichtig sei, die Bereiche getrennt zu halten, indem man über Bereiche, in denen man PR macht, nicht schreibe.
15.5.5 15.5.3
15
233
15.5 • Journalisten-Kodices
Der Berufsverband »Freischreiber«
Pragmatisch sieht auch der Berufsverband Freischreiber das Verhältnis von PR und Journalismus. Die meisten Mitglieder von Freischreiber arbeiten nach einer Online-Befragung aus dem Jahr 2009 nebenher in den Sparten Werbung oder Public Relations, um finanziell über die Runden zu kommen. Der Verband sieht deshalb in einer transparenten und vom Journalismus klar abgegrenzten PR einen annehmbaren Kompromiss (Buckow 2010).
234
Kapitel 15 • Interessenkonflikte und Medizinjournalismus
15.5.6
Verband Deutscher Medizinjournalisten
Der Verband Deutscher Medizinjournalisten (VDMJ) hat seine Grundsätze seit dem Skandal um seine ehemalige Vorsitzende überarbeitet. »Wer PR-Beiträge erstellt, vertritt die Interessen und Auffassungen seines Arbeitgebers. Er ist weder unabhängig, noch ist es sein Ziel, umfassend und objektiv über ein Thema zu informieren«, heißt es in den Standards des VDMJ, und weiter: »PR-Beiträge sind als solche zu kennzeichnen. Für den Leser/ Hörer/Zuschauer muss erkennbar sein, welche Interessen hinter einem Text stehen.« (VDMJ 2006) Der Verband lässt seinen PR-treibenden Mitgliedern aber ein großzügiges Schlupfloch:
»
Kritisch zu differenzieren sind Beiträge, falls sie von derselben Person erstellt werden, die zeitnah in diesem Themenbereich in PR-Funktion publizistisch tätig ist. Die journalistischen Beiträge sind deshalb nicht von vorne herein PR-Beiträge.
«
15.6
Fazit und Ausblick
und Fernsehsender dringend die Arbeitsbedingungen von Journalisten verbessern und in die Qualität ihrer Printprodukte und Sendungen investieren. Notwendig sind auch Initiativen für mehr Kompetenz im Medizinjournalismus. Denn die Zahl gut ausgebildeter Medizinjournalisten hält mit dem Bedarf an Autoren für Medizinthemen nicht Schritt. Standards für guten Medizinjournalismus müssen deshalb z. B. in der Aus- und Weiterbildung stärker verankert werden. Einen Ansatz bietet etwa die Fachkonferenz »Wissenswerte« in Bremen, wo sich Wissenschaftsjournalisten seit 2004 über Probleme und Perspektive ihres Arbeitsgebiets austauschen können. Der »Medien-Doktor«, angesiedelt am Lehrstuhl für Wissenschaftsjournalismus der Universität Dortmund, begleitet den Medizinjournalismus seit Ende 2010 durch kritische Analysen: Ein Gutachterpool aus Journalisten beurteilt mehrmals pro Woche nach festgelegten Kriterien Artikel oder Beiträge, um die Berichterstattung über neue Therapien, Arzneimittel oder Diagnoseverfahren zu verbessern.
Literatur Weiterführende Literatur
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Die Pharmaindustrie ist ein Meister der Manipulation, und Journalisten sind durchaus anfällig für unseriöse Angebote. Die wohl größte Gefahr droht einem unabhängigen, kritischen Medizinjournalismus, wenn sich die Berufsrollen von Journalisten und PR-Arbeitern stärker vermischen. Die Forderung von Netzwerk Recherche: »Journalisten machen keine PR«, ist deshalb berechtigt und ein wichtiger Anstoß zur Diskussion. Allerdings fehlt es Journalisten nicht immer an kritischem Bewusstsein oder an Haltung, wenn sie PR-Aufträge übernehmen. Gerade Berufsanfänger und Journalisten, die eine Familie versorgen müssen, sehen sich gezwungen, ihre mageren Honorare durch PR-Arbeit aufzubessern. In schlecht ausgestatteten Redaktionen füllen Redakteure ihre Seiten auch deshalb mit PR-Angeboten von Agenturen, weil sie kaum Zeit zum Recherchieren und nur einen kleinen Etat für freie Mitarbeiter haben. Soll der Einfluss der PR im Medizinjournalismus zurückgedrängt werden, müssen Verleger, Radio-
Grill M (2007) Kranke Geschäfte: Wie die Pharmaindustrie uns manipuliert. Rowohlt, Reinbek Koch K, Stollorz V (2007) Unmoralische Angebote – Eine Umfrage zu Grenzfällen zwischen PR und Wissenschaftsjournalismus. In: Kienzlen G, Lublinski J, Stollorz V (Hrsg) Fakt, Fiktion, Fälschung. Trends im Wissenschaftsjournalismus. Uvk, Konstanz Schnedler T (2006) Getrennte Welten? Journalismus und PR in Deutschland. NR-Werkstatt 4 http://www.netzwerkrecherche.de/files/nr-werkstatt-04-journalismus-und-pr. pdf. Zugegriffen am: 2. Mai 2011 Wenk H (2007) Service, PR und Promiklatsch. »M« - Menschen – machen Medien 4 http://mmm.verdi.de/-/yxf. Zugegriffen am: 2. Mai 2011 Andere zitierte Literatur Bayer HealthCare (2010) Journalistenpreis »Advances in Renal Cancer Journalists’ Award Europe« ausgeschrieben 2011. (http://www.lifepr.de/pressemeldungen/bayer-healthcare-agleverkusen/boxid/177646). Zugegriffen am: 2. Mai 2011 Bremer Forum für Wissenschaftsjournalismus http://www2. wissenswerte-bremen.de. Zugegriffen am: 2. Mai 2011 Buckow I (2010) Freie Widrigkeiten. Medium Magazin. 4 + 5: 34-37 http://www.mediummagazin.de/archiv/2010/
Literatur
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235
15
http://dx.doi.org/10.1371 % 2Fjournal.pmed.1000323. Zugegriffen am: 2. Mai 2011
237
Warum unabhängige Arzneimittelzeitschriften und Fortbildungsveranstaltungen wichtig sind Jörg Schaaber, Michael M. Kochen, Bruno Müller-Oerlinghausen und Wilhelm Niebling
16.1
Einleitung – 238
16.2
Warum ist es schwierig, die richtigen Informationen zu finden? – 239
16.2.1 16.2.2 16.2.3 16.2.4 16.2.5 16.2.6
Publication bias – 240 Ghostwriting und ghost management – 241 Verschweigen von Interessenkonflikten – 242 Sponsoring beeinflusst Ergebnisse – 242 Pharmavertreter und Nachdrucke – 243 Aus-, Fort- und Weiterbildung – 243
16.3
Die Spreu vom Weizen trennen – 244
16.3.1 16.3.2 16.3.3 16.3.4 16.3.5
Unabhängige Arzneimittelzeitschriften – 244 Zeitschriften für Patienten – 245 Nachschlagewerke und aktuelle Informationen – 246 Andere Informationsquellen – 248 Fortbildungen – 250
16.4
Fazit und Ausblick – 250 Literatur – 250
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
16
238
Kapitel 16 • Warum unabhängige Arzneimittelzeitschriften und Fortbildungsveranstaltungen wichtig sind
Zu Einführung Medizinisches Wissen entwickelt sich schnell. Kaum ein praktizierender Arzt hat die Zeit, alle für seine Arbeitsschwerpunkte wichtigen publizierten Originalstudien zu finden und zu lesen. Deshalb kommt unabhängigen Arzneimittelzeitschriften und Fortbildungen als neutralen Mittlern zwischen Wissenschaft und Praxis eine wichtige Rolle zu.1 Zahlreiche Faktoren tragen zur Verzerrung der berichteten Ergebnisse bei und machen eine Interpretation der praktischen Relevanz für die Patientenvorsorgung schwierig. In diesem Kapitel wird gezeigt, dass kommerzielle Interessen für den Hersteller unvorteilhafte Studiendaten unterdrücken und dadurch die öffentliche Wahrnehmung der Bedeutung von neuen Medikamenten, Diagnose- oder Behandlungsmethoden gezielt beeinflusst wird. Möglichkeiten, sich mit unverzerrter und praxisnaher Information zu versorgen, werden vorgestellt.
Studie behaftet. Andere für die Praxis wichtige Fragestellungen, wie z. B. die Behandlung multimorbider Patienten, werden erst gar nicht untersucht, weil es dafür keinen kommerziellen Anreiz gibt. Die Ergebnisse von Arzneimittelstudien sollen eigentlich eine optimale Therapie von Patienten unterstützen. Sie können aber auch ganz anderen Zwecken dienen. Kommerzielle Interessen können das Ziel einer Verbesserung der Patientenversorgung konterkarieren. Dazu einige Beispiele: z
Beispiel 1
Die Firma Pfizer schrieb in einer Präsentation für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Vermarktung des Antidepressivums Sertralin (Spielmans u. Perry 2010):
» Purpose of data is to support, directly or indirectly, marketing of our product. « Darunter verstand sie unter anderem:
16.1
Einleitung
Jährlich erscheinen in über 20.000 medizinischen Fachzeitschriften fast eine Million Artikel, und die größte medizinische Datenbank »Medline« wächst täglich um knapp 2.000 Einträge (US Library of Medicine 2011). Kein Arzt kann auf sich gestellt aus diesem Wust an Neuigkeiten die für ihn sinnvollen Informationen herausfiltern und gezielt für seine ärztliche Tätigkeit nutzen. Es bedarf also anderer Hilfsmittel oder Instrumente, um die für den klinischen Alltag wichtigen Informationen zu identifizieren und sinnvoll aufzubereiten.
16
> Kein Arzt kann auf sich gestellt aus dem Wust an Neuigkeiten die für ihn sinnvollen Informationen herausfiltern.
Dazu kommen weitere entscheidende Schwierigkeiten: Keineswegs alle klinischen Forschungsergebnisse sind für die Versorgung von Patienten relevant. Zahlreiche Veröffentlichungen sind interessengesteuert und die Darstellung der Ergebnisse oft mit Verzerrungen im Sinne des Sponsors der
» … publications that can be utilized to support off-label dissemination. « Ein Beispiel für ein internes Memo als Material für die Mitarbeiter zeigt . Abb. 16.1. z
» Per S[enio]r. M[ana]g[e]m[en]t request, these data should not see the light of day to anyone outside of GSK.
«
Was war passiert? Der Hersteller hatte in einer Studie Rosiglitazon mit Pioglitazon verglichen. Dabei schnitt das Konkurrenzpräparat nicht nur gleichwertig ab, sondern es gab sogar klare Signale, dass Rosiglitazon schädlicher für das Herz ist. Die Ergebnisse wurden nicht veröffentlicht. z
1
Über die Bedeutung von Leitlinien wird an anderer Stelle in diesem Buch berichtet (7 Kap. 7).
Beispiel 2
Über das inzwischen – wegen des erhöhten Herzinfarktrisikos – verbotene Diabetesmittel Rosiglitazon kursierte schon 2001 folgende E-Mail (Harris 2010):
Beispiel 3
Auch hohe Strafen halten Firmen nicht von illegalen Vermarktungspraktiken ab. So zahlte Pfizer 2009
16.2 • Warum ist es schwierig, die richtigen Informationen zu finden?
. Abb. 16.1 Internes Memo von Pfizer zur Vermarktung von Sertraline. (Aus Spielmans u. Perry 2010)
in den USA eine Rekordstrafe von US $ 2,3 Mrd. für die Bewerbung von 4 Medikamenten für nicht zugelassene Indikationen (Off-Label Promotion). Doch offensichtlich schmerzen solche Strafen nicht genug. Sie mögen auf den ersten Blick hoch sein, doch die Summe von US $ 2,3 Mrd. entspricht dem Umsatz von Pfizer von weniger als 3 Wochen. Vor allem aber hatte Pfizer genau in dem Zeitraum, als es die jetzt geahndeten Verstöße beging, Verhandlungen über die Vermarktung eines anderen Medikaments (Gabapentin) für nicht zugelassene Indikationen geführt und damals versprochen, solche illegalen Praktiken sofort einzustellen (Newman 2010). Diese Beispiele machen schon deutlich, dass Marketingstrategien ein wichtiger Beeinflussungsfaktor für Therapieentscheidungen sind. Ziel aus Sicht der Hersteller ist es, in mehreren Schritten Einfluss zu nehmen: Zunächst gilt es, auf das Produkt aufmerksam zu machen, dann den Arzt dazu zu bewegen, sich mit dem Mittel näher zu beschäftigen, es auszuprobieren, es zu verschreiben und es schließlich zur Routineverordnung zu machen. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen Firmen unterschiedlichste Instrumente von offener Werbung bis hin zu »eingekauften« medizinischen Meinungsführern (opinion leaders) ein. Dabei gelten verdeckte, schwer zu durchschauende Werbemethoden als am erfolgreichsten (Mello et al. 2009). Dazu zählt die Meinung von Fachkollegen. Nicht zuletzt deshalb hat sich von 1999–2004 in den USA die Zahl der von der Industrie gesponserten Fachvorträge von Ärzten vervierfacht (Caplovitz 2006). Im Jahr 2010 zahlten 8 Firmen in den USA rund US $ 275 Mio. für Vortragshonorare und Beratung an Ärzte. Diese Firmen decken rund ein Drittel des
239
16
Marktes ab und wurden durch Gerichtsbeschluss zur Offenlegung gezwungen. Ab 2013 müssen alle Firmen in den USA solche Zahlungen bekannt geben (Pro Publica 2011). Die Rolle von (kleinen) Geschenken auf die Meinungsbildung sollte ebenfalls nicht unterschätzt werden (Katz et al. 2010). Auf Manipulationen bei wissenschaftlichen Artikeln wird im nächsten Abschnitt ausführlicher eingegangen, da sie ja die wichtigste Informationsquelle für rationale Therapieentscheidungen darstellen. > Gesponserte Fachvorträge sind ein wichtiges Marketinginstrument.
Da Informationen über Arzneimittel zahlreichen Störfaktoren (verzerrte Darstellung, Interessenkonflikte usw.) ausgesetzt sein können, ist es essentiell, objektive Quellen für die vergleichende Bewertung von Medikamenten zu finden«
16.2
Warum ist es schwierig, die richtigen Informationen zu finden?
Wie kann man der Informationsflut Herr werden? Beispielhaft sei hier ein typisches Beispiel einer Arzneimittelbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit in Gesundheitswesen
(IQWiG) genannt. Die Literaturrecherche zu langwirksamen Insulinanaloga zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 1 in 3 medizinischen Datenbanken ergab zunächst 3030 Treffer, davon waren allerdings 1279 Duplikate. Bei den verbleibenden 1751 handelt es sich aber in den meisten Fällen gar nicht um klinische Studien. Um das zu überprüfen, mussten alle Abstracts durchgelesen werden. Letztlich blieben 38 Studien übrig, von denen aber wiederum die meisten (23) nicht den geforderten Einschlusskriterien entsprachen (IQWiG 2010). Die Durchführung eines solchen Filterprozesses ist so zeitaufwendig, dass sie sich mit dem beruflichen Alltag eines voll praktizierenden Arztes nicht vereinbaren lässt. Aber das ist noch das geringste Problem, denn es gibt eine ganze Reihe weiterer Faktoren, die eine ausgewogene Bewertung von Arzneimitteln erschweren (s. auch die ausführliche Darstellung der Auswirkungen von Interessenkonflikten auf Arzneimittelstudien in 7 Kap. 18).
240
Kapitel 16 • Warum unabhängige Arzneimittelzeitschriften und Fortbildungsveranstaltungen wichtig sind
Unterschiede in der Beurteilung der Wirksamkeit von Antidepressiva Veröffentlichte Bewertungen
FDA Bewertung 50
50
45
45
5
40
40
6
1 35
35
30
30
25
25 20
20
37 37
37 37 16 16
15 10
15 10
6 5
5
5
6 3 positiv
fraglich
Veröffentlicht
. Abb. 16.2
16.2.1
16
3 0
0 negativ
Veröffentlicht, widerspricht der FDA-Bewertung
positiv
fraglich
negativ
Nicht veröffentlicht
Unterschiede in der Beurteilung der Wirksamkeit von Antidepressiva. (Mod. nach Turner 2008)
Publication bias
Längst nicht alle Studienergebnisse werden veröffentlicht. Das kann zu einer erheblichen Überschätzung des Nutzens neuer Interventionen führen. Turner et al. (2008) verglichen die Daten, die der US-Zulassungsbehörde FDA zu 12 Antidepressiva vorlagen, mit den Veröffentlichungen zu diesen Medikamenten. Nur bei der Hälfte der insgesamt 74 Studien sah die FDA eine Wirksamkeit der Antidepressiva als belegt an. Während aber die 38 »positiven« Studien mit einer Ausnahme alle veröffentlicht wurden, blieben die Hälfte der 12 Studien mit zweifelhaften Ergebnissen und zwei Drittel der 24 »negativen« Studien unveröffentlicht.
Durch diesen publication bias entstand also der falsche Eindruck, dass 94 % aller Studien zu diesen Antidepressiva eine Wirksamkeit belegen. Hierzu s. . Abb. 16.2. Eine solche selektive Veröffentlichung kann negative Auswirkungen auf praktische ärztliche Entscheidungen haben. Kirsch et al. (2008) untersuchten für 4 dieser Antidepressiva, für die bei der FDA ausreichend Daten vorlagen, die Wirksamkeit in Abhängigkeit von der Schwere der Depression. Dabei zeigte sich, dass bei leichten Depressionen keine klinisch relevante Verbesserung zu erkennen war. Betrachteten sie dagegen nur die publizierten Daten, wirkten die Mittel bei leichten Depressionen deutlich »besser«.
241
16.2 • Warum ist es schwierig, die richtigen Informationen zu finden?
Im Extremfall kann der publication bias dazu führen, dass eine Wirksamkeit nur vorgetäuscht wird. Das war bei dem Antidepressivum Reboxetin der Fall. Im Auftrag des Gemeinsamen Bundesauschusses, der über die Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entscheidet, bewertete das IQWiG den Nutzen dieses Wirkstoffs. Von 13 Studien waren 8 nicht publiziert worden, und die entsprechenden Daten wurden von der Herstellerfirma Pfizer erst zur Verfügung gestellt, nachdem das IQWiG öffentlich Druck gemacht hatte. Nach Auswertung aller Daten blieb nur der Schluss, dass Reboxetin ein nicht wirksames und potenziell riskantes Arzneimittel ist (Eyding et al. 2010). So führt der publication bias dazu, dass möglicherweise die falschen Patienten behandelt oder Patienten mit den falschen Mitteln behandelt werden. Ein zu wenig beachteter Aspekt von publication bias ist die selektive Darstellung von Ergebnissen. Die meisten Studien messen mehrere primäre und sekundäre Endpunkte, in den Veröffentlichungen wird dann aber nicht selten nur über eine Auswahl berichtet. Auf diese Weise können unvorteilhafte Ergebnisse verschwiegen werden (McGauran et al. 2010). Ewart et al. (2009) haben systematisch untersucht, ob die in Fachzeitschriften publizierten Studienergebnisse mit den ursprünglich geplanten Untersuchungszielen übereinstimmen. Bei jeder dritten der 110 ausgewerteten Studien wurden primäre Endpunkte verändert. Am häufigsten wurden ursprünglich geplante Auswertungen schlicht unterschlagen, bei 10 Studien wurde ein neuer ungeplanter primärer Endpunkt hinzugefügt. Bei 70 % aller Studien gab es Veränderungen bei den sekundären Endpunkten. > Das selektive Berichten von Studienergebnissen zeichnet ein zu positives Bild von Arzneimitteln.
Deshalb wäre es notwendig, die Veröffentlichung von Studienprotokollen vor Beginn einer Studie zwingend vorzuschreiben, um solche Manipulationen zu erschweren. Ein erster Schritt dazu ist mit der nach jahrelanger Verzögerung im März 2011 freigeschalteten europäischen EudraCT-Daten-
16
bank getan (www.clinicaltrialsregister.eu/). Dort werden sekundäre Endpunkte allerdings bislang ebenso wenig aufgelistet wie die Protokolle älterer Studien. Zeitschriften, die klinische Studien veröffentlichen, sollten verlangen, dass das ursprüngliche Studienprotokoll vorgelegt wird und eine selektive Berichterstattung unterbinden.
16.2.2
Ghostwriting und ghost management
Pharmazeutische Unternehmer wollen gern die Kontrolle über die Veröffentlichung der von ihnen gesponserten Studien haben. Deshalb werden Studienpublikationen oft von sog. Ghostwritern verfasst, welche die Interessen des Herstellers in den Vordergrund stellen. Um die Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen, werden später externe Autoren gesucht, die ihren Namen auf den Artikel setzen, ohne wesentlich zu ihm beigetragen zu haben. Sie werden deshalb als »ghost authors« bezeichnet. Die systematische Form der Publikationsplanung wird als »ghost management« bezeichnet. Darunter verstehen Sismondo u. Doucet (2010) die gezielte Steuerung der öffentlichen Präsentation von Studien zur Maximierung des Umsatzes:
»
We apply the term ghost management when pharmaceutical companies and their agents control or shape several crucial steps in the research, writing, and publication of articles: these articles are ghostly because signs of their actual production are largely invisible, and managed because the companies shape the eventual message conveyed by the article or suite of articles. … Ghost management makes apparently scientific research a marketing tool.
«
Besonders bedenklich ist, dass auch große Verlage, die medizinische Fachzeitschriften herausgeben, selbst Firmen betreiben, die ghost management anbieten (Pharma-Brief 2009). Welches Ausmaß das ghost management annehmen kann, zeigt eine Recherche in Gerichtsdokumenten zu Rofecoxib (Vioxx) (Ross et al. 2008). Das Schmerzmittel musste vom Markt genommen werden, weil es Herz-Kreislauferkrankungen aus-
242
Kapitel 16 • Warum unabhängige Arzneimittelzeitschriften und Fortbildungsveranstaltungen wichtig sind
löste. Diese Erkenntnis hatte der Hersteller aber lange erfolgreich unterdrückt. Dazu beigetragen haben mag die vom Hersteller gesteuerte Publikationspraxis. Bei 24 frühen von Merck&Co gesponserten klinischen Studien hatte die Firma einen eigenen Mitarbeiter als Hauptautor verpflichtet. Die Studienergebnisse wurden in 20 Veröffentlichungen publiziert. Bei 14 der Veröffentlichungen tauchte der hauptverantwortliche Firmenmitarbeiter im veröffentlichten Artikel nur an nachgeordneter Stelle auf, in 2 Fällen gar nicht. 77 % der ersten 3 Autorenplätze in den veröffentlichten Artikeln wurden von externen akademischen Autoren eingenommen, die erst einbezogen wurden, als die Manuskripte fertig waren, und die mithin zu dem Artikel wenig beigetragen hatten. Interne Firmendokumente belegen diese Praxis im Detail. Ghost management orientiert sich an den Umsatzerwartungen des Herstellers und nicht am gesicherten Nutzen. Wyeth beauftragte die PR-Firma DesignWrite mit der Vermarktung seines Produkts zur Hormonersatztherapie. In einem Konzeptpapier an den Hersteller listet DesignWrite die »ungelösten Fragen« auf. Dazu gehört als zweiter Punkt: »HRT bleibt ein Medikament auf der Suche nach einer Krankheit« (DesignWrite 1997). Das hielt weder Wyeth noch DesignWrite davon ab, Hormontherapie als Mittel gegen alle möglichen Krankheiten anzupreisen (Fugh-Berman 2011). > Die Publikation wissenschaftlicher Ergebnisse wird durch das Marketing gezielt gesteuert.
16.2.3
16
Verschweigen von Interessenkonflikten
Bei Review-Artikeln zu Rofecoxib spielten die von Merck &Co beauftragten Publikationsfirmen (ghost management) eine wichtige Rolle. Die Unterstützung durch den Hersteller war in vielen Publikationen aber entweder gar nicht zu erkennen oder gut versteckt (Ross et al. 2008). Chimonas, Frosch und Rothman (2011) untersuchten 95 Publikationen von 40 Autoren, die als »Berater« laut Angaben von 5 Herstellern orthopädischer Produkte im Jahre 2007 jeweils mehr
als eine Million US-Dollar erhalten hatten. In weniger als der Hälfte der Artikel (46 %) waren die Interessenkonflikte angegeben. Von 27 Autoren, die mehr als einen Artikel publizierten, gaben nur 4 den Sponsor stets an, 14 Autoren taten dies nur gelegentlich, und 9 erwähnten nie den Sponsor. Beunruhigend ist, dass Fachzeitschriften mit rigiden Regelungen bezüglich der Angabe von Interessenkonflikten nicht besser abschnitten.
16.2.4
Sponsoring beeinflusst Ergebnisse
Garattini et al. (2010) verglichen systematisch die Ergebnisse von pharmaökonomischen Studien im Hinblick auf den Einfluss ihrer Finanzierungsquellen. Während nur die Hälfte der unabhängig durchgeführten Studien zu dem Ergebnis kam, dass die untersuchte medizinische Intervention kosteneffektiv sei, war das bei industriegeförderten Bewertungen bei 95 % der Fall. Eine aktuelle Übersichtsarbeit von Schott et al. (2010a, 2010b) zeigt konsistent den negativen Einfluss des Pharma-Sponsoring auf die Ergebnisdarstellung – und damit letztendlich auf das ärztliche Verschreibungsverhalten. Gravierende Unterschiede in der Bewertung des Nutzens kontrovers diskutierter Arzneimittel bzw. Arzneimittelgruppen (z. B. Cholinesterasehemmer, Glitazon-Antidiabetika, Insulinanaloga) ergaben sich bei der systematischen Auswertung von Artikeln, die im Jahr 2007 in 11 deutschen Fachzeitschriften publiziert wurden. Während die 5 über Werbung finanzierten, kostenlos verbreiteten Zeitschriften in fast allen Artikeln eine starke (91,8 %) oder moderate (7,0 %) Empfehlung für das bewertete Arzneimittel aussprachen, rieten die 5 werbefreien, über Abonnements finanzierten Zeitschriften, darunter 3 unabhängige Arzneimittelbulletins, meistens (82,3 % der Artikel) von der Verordnung dieser Arzneimittel ab. Im Deutschen Ärzteblatt mit gemischter Finanzierung über Werbung und Abonnements fand sich (bei allerdings nur 7 analysierten Artikeln zu Arzneimitteln) deutlich häufiger eine positive als eine negative Bewertung (Becker et al. 2011). Der Abdruck einer Anzeige verdoppelte in 2 über Werbung finanzierten Zeitschriften die Wahrscheinlichkeit einer positi-
243
16.2 • Warum ist es schwierig, die richtigen Informationen zu finden?
ven Bewertung des entsprechenden Arzneimittels in der derselben Ausgabe der Zeitschrift. Ausführliche Informationen zum Thema Sponsoring finden sich in 7 Kap. 19.
16.2.5
Pharmavertreter und Nachdrucke
Systematische Untersuchungen zeigen, dass Pharmavertreter keine zuverlässige Informationsquelle sind. Die französische Zeitschrift Prescrire hat über 15 Jahre ein Netzwerk von Ärzten die Besuche von Pharmavertretern auswerten lassen. Rund ein Drittel der Vertreter erwähnte Anwendungsgebiete, die nicht der Zulassung entsprachen (off-label use). Unerwünschte Arzneimittelwirkungen erwähnten dagegen zwei Drittel der Vertreter nicht spontan. Die Schlussfolgerung der Zeitschrift (Prescrire 2006):
» 15 years of monitoring and one simple conclusion: don’t expect sales representatives to help improve healthcare quality.
«
Das Verteilen von Nachdrucken aus Fachzeitschriften erscheint auf den ersten Blick als neutrale Information von Pharmavertretern. Die »Neutralität« muss allerdings in Frage gestellt werden, da es sich hier um die gezielte Weitergabe von für den Hersteller günstigen Aussagen handelt. So entsteht ein verzerrtes Bild. Übrigens profitieren auch die Fachzeitschriften selbst von solchen Nachdrucken. Lundh et al. (2010) fanden für fünf angesehene internationale Fachzeitschriften heraus, dass Nachdrucke zwischen 7 % und 41 % der Gesamteinnahmen der Zeitschriften ausmachten. Das New England Journal of Medicine verkaufte rund eine Million Kopien des Artikels zur Vigor-Studie (Rofecoxib). Bei Nachdrucken handelt es sich um leicht verdientes Geld, denn die Kosten sind gering, die Einnahmen aber hoch. Richard Smith, der ehemalige Herausgeber des BMJ schreibt zu der Frage, ob es attraktiv sei, eine industriegesponserte Studie zu veröffentlichen (Smith 2010):
» Very few actions in business provide such substantial profit from so little. Deciding whether to
16
publish such a paper provides a stark conflict of interest because editors have to think a lot about money.
«
Hinzu kommt, dass durch das großzügige Verteilen von Sonderdrucken industriegesponserte Artikel wesentlich häufiger zitiert werden. Damit steigern die Zeitschriften ihren »impact factor« erheblich – ein wichtiges Maß für den (wirtschaftlichen) Erfolg einer Fachzeitschrift (Lund et al. 2010).
16.2.6
Aus-, Fort- und Weiterbildung
Die Erkenntnis, dass Beeinflussungsversuche durch Arzneimittelhersteller zum Alltag gehören, und wie man sich davor am besten schützen kann, sollte bereits während des Medizinstudiums verankert werden. Dazu wurde von »Health Action International« in Zusammenarbeit mit der WHO ein Curriculum entwickelt (WHO u. HAI 2010). Die Heilberufsgesetze sowie die Ärztliche Berufsordnung der jeweiligen Landesärztekammern verpflichten Ärzte zur regelmäßigen Fortbildung. Die Einführung eines bundesweiten einheitlichen Fortbildungsnachweises (zunächst auf freiwilliger Basis) wurde 1999 durch den 102. Deutschen Ärztetag beschlossen. Mit dem »Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung« – GMG vom 1. Januar 2004 – wurden Vertragsärzte und ermächtigte Krankenhausärzte verpflichtet, innerhalb von 5 Jahren 250 Fortbildungspunkte und damit ein entsprechendes Zertifikat der ärztlichen Selbstverwaltung zu erwerben (SGB V § 95d). Ärztliche Fortbildungen und deren Zertifizierung liegen im Zuständigkeitsbereich der Kammern, die satzungsgemäß erhebliche Beitragsmittel ihrer (Zwangs-) Mitglieder für eine »interessenfreie« Fortbildung einsetzen. In der Realität wird jedoch nach wie vor ein erheblicher Teil der ärztlichen Fortbildung durch Arzneimittelindustrie und Medizinproduktehersteller finanziert (Transparency International 2008). Die ursprünglich mit der Einführung der oben erwähnten gesetzlichen Regelungen und Beschlüsse bzw. der Empfehlungen der Ärztlichen Selbstverwaltung verbundenen Befürchtungen der Industrie, Einfluss auf das Verordnungsverhalten von Ärzten zu verlieren, hat sich als
244
Kapitel 16 • Warum unabhängige Arzneimittelzeitschriften und Fortbildungsveranstaltungen wichtig sind
unbegründet erwiesen. Nach wie vor werden Kongresse und Tagungen, auch die von renommierten wissenschaftlichen Fachgesellschaften, zu erheblichen Teilen von der Industrie finanziert und von den Ärztekammern zertifiziert (»bepunktet«). Diese finanziellen Aufwendungen – dazu gehören auch die Honorare für die Vortragenden – sind jedoch kein »verlorenes Investment«. Hinlänglich bekannt ist, dass – entgegen der Selbstwahrnehmung von Ärzten – Pharmasponsoring deren Einstellungen und Verhalten beeinflusst und verändert (Schneider u. Lückmann 2008). Letztlich ist industriegesponserte Fortbildung keineswegs kostengünstig. Sie wird durch überhöhte Arzneimittel- oder Medizinproduktepreise bezahlt und kann überdies auch zu suboptimalen Therapieentscheidungen beitragen. Ein besonderer Bereich der Beeinflussung sind die immer populärer werdenden Online-Fortbildungen. Diese mögen bequem sein, sind aber nicht ohne Risiken. Nach Schätzungen liegen 90 % der Online-Fortbildungen in der Hand der Industrie (at 2008). In den professionell aufgemachten Portalen werden subtil die Produkte des jeweiligen Anbieters hervorgehoben. Die Ärztekammern, zu deren Aufgabenbereich die Zertifizierung von Fortbildungsveranstaltungen gehört, sind mit der Kontrolle solcher Inhalte offensichtlich überfordert.
16.3
16
Die Spreu vom Weizen trennen
Ist es angesichts der zahlreichen Beeinflussungsmöglichkeiten überhaupt möglich, sich adäquat über neue Arzneimittel und Behandlungsmethoden zu informieren? Es gilt, aus der Flut der Veröffentlichungen die relevanten Studien herauszufiltern und systematisch zu vergleichen. Das ist für den einzelnen Arzt oder die Ärztin im Alltag unmöglich. Verschiedene Organisationen und Institutionen haben sich deshalb zum Ziel gesetzt, unabhängige Informationen für Ärzte zur Verfügung zu stellen. Wir stellen im Folgenden einige solche Informationsquellen beispielhaft vor.
16.3.1
Unabhängige Arzneimittelzeitschriften
Um dem Mangel an unabhängiger ausgewogener Information abzuhelfen, wurde bereits 1962 unter der Leitung des britischen Pharmakologen Andrew Herxheimer das Drug and Therapeutics Bulletin (DTB) gegründet – eine der ersten Zeitschriften, die sich systematisch mit der vergleichenden Arzneimittelbewertung in einer für praktisch tätige Ärzte brauchbaren Darstellung beschäftigte. Weitere Zeitschriften wurden in den nächsten Jahren in anderen europäischen Ländern mit ähnlichen Konzepten gegründet. Im Jahr 1986 schließlich fanden sich mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO Europe) diese Arzneimittelzeitschriften zur International Society of Drug Bulletins (ISDB) zusammen. Zentrales Kriterium für solche praxisorientierten Arzneimittelzeitschriften ist deren Unabhängigkeit. Auf einem internationalen Treffen der WHO wurde sie so definiert (WHO Europe 1985):
» … having no commercial or other interest in the promotion of particular patterns of drug treatment, their sole aim being to optimise such treatment in the interests of the patient and society at large.
«
ISDB-Mitglied können deshalb nur Zeitschriften werden, die sich ausschließlich durch öffentliche Mittel, Abonnements oder Mitgliedsbeiträge finanzieren. Pharmawerbung ist tabu. Es geht also darum, die für eine rationale (Arznei-)Therapie notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen. Eine Sache, die theoretisch sehr einleuchtend klingt, in der Realität aber keineswegs einfach umzusetzen ist. Die Mitgliedszeitschriften von ISDB versuchen, entscheidungsrelevante Informationen möglichst verständlich und nachvollziehbar darzustellen. Erster Schritt dazu ist die Identifizierung wichtiger Themen. Dazu werden nicht nur systematisch wissenschaftliche Veröffentlichungen auf neue Erkenntnisse durchgesehen. Auch aus dem Kontakt zur ärztlichen Praxis oder Anfragen von Patienten ergeben sich oft interessante Fragestellungen. Artikel werden dann so konzipiert, dass sie einen bewertenden Über-
245
16.3 • Die Spreu vom Weizen trennen
16
ISDB: Unabhängige Information international Die International Society of Drug Bulletins (ISDB) hat sich zum Ziel gesetzt, Ärzte und Apotheker unabhängig über Arzneimittel zu informieren. ISDB hat rund 80 Mitglieder in 40 Ländern rund um den Globus. ISDB setzt strenge Qualitätskriterien: 4 Die Herausgeber müssen in einer unabhängigen Struktur arbeiten, die eine Beeinflussung der Inhalte durch Dritte ausschließt.
4 Artikel sollen Ärzten helfen, die Therapie im besten Interesse der Patienten zu verbessern. 4 Dazu dienen vergleichende Bewertungen von Nutzen und Schaden verschiedener Therapiealternativen. 4 Quellen müssen klar und nachvollziehbar angegeben werden. 4 Interessenkonflikte müssen vollständig deklariert werden. 4 Die Zeitschriften müssen auf Pharmawerbung komplett verzichten und sich aus öf-
blick über die verschiedenen Behandlungsoptionen geben bzw. im Falle von neuen Arzneimitteln deren Stellenwert im Verhältnis zur bisher üblichen Therapie darstellen. Vorrang bei der Bewertung haben Studien mit der höchsten Evidenzstufe. Auf Begrenzungen des vorhandenen Wissens wird ebenfalls eingegangen. So mag eine Studie nur Männer im Alter von 25–45 Jahren einbezogen haben, von denen die meisten Raucher waren, und die deshalb für andere Patientengruppen nur beschränkte Aussagekraft hat. Wichtig ist auch die Suche nach unpublizierten Daten, welche die Bewertung beeinflussen könnten. Da neue Medikamente oft mit massivem publizistischem Aufwand auf dem Markt platziert werden, kann die explizite Richtigstellung von fragwürdigen Versprechungen aus der Werbung eine wichtige Rolle spielen. Auch ein Vergleich der Kosten unterschiedlicher Behandlungsoptionen und die Erstattungsfähigkeit werden in der Regel thematisiert. Artikel werden vor der Veröffentlichung von Fachleuten innerhalb oder außerhalb der Redaktion kritisch gegengelesen, alle verwendeten Quellen offengelegt. Am Redaktionsprozess beteiligte Personen müssen Erklärungen zu Interessenkonflikten abgeben, und in der Regel werden diese Erklärungen auch offengelegt. Oberstes Prinzip ist aber, solche Konflikte so weit wie möglich auszuschließen. Wesentliche Faktoren, die eine gute Arzneimittelzeitschrift ausmachen, hat ISDB in einem Manual zusammengetragen (ISDB u. WHO 2005).
fentlichen Quellen oder durch Abonnements finanzieren. Weitere Informationen: www.isdbweb.org. In Deutschland sind die folgenden Bulletins Vollmitglieder von ISDB: DER ARZNEIMITTELBRIEF, arznei-telegramm, Arzneiverordnung in der Praxis, Pharma-Brief. In Österreich: DER ARZNEIMITTELBRIEF, Pharmainformation. In der Schweiz: pharma-kritik, Pharma-Flash.
ISDB als Organisation dient darüber hinaus als Plattform für den gegenseitigen Austausch und die Fortbildung der Mitgliedszeitschriften sowie als Sprachrohr für gute Arzneimittelinformation in internationalen Foren wie der Weltgesundheitsorganisation oder der Europäischen Union. Dazu werden regelmäßig Stellungnahmen zu aktuellen Themen wie Direktwerbung zu rezeptpflichtigen Arzneimitteln oder dem Zugang zu Daten zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen veröffentlicht (7 ISDB: Unabhängige Information international).
16.3.2
Zeitschriften für Patienten
Gute unabhängige Information darf sich nicht auf medizinisches Personal beschränken. Patienten sind einer Flut von Beeinflussungsversuchen ausgesetzt, die sich keineswegs auf frei verkäufliche Arzneimittel und meist zweifelhafte Produkte wie Nahrungsergänzungsmittel beschränken. Hersteller lancieren durch die Medien und auf eigenen frei zugänglichen Webseiten auch verschreibungspflichtige Produkte. Hinzu kommt eine wachsende Zahl von Medizinportalen für Verbraucher, deren Qualität durchwachsen ist, und bei denen die Grenzen zwischen Information und Werbung oft schwer zu erkennen sind (BUKO Pharma-Kampagne 2010). Selbst den Informationen von Patientenorganisationen ist nicht immer zu trauen, da sie durch Sponsoring beeinflusst sein können. Da
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Kapitel 16 • Warum unabhängige Arzneimittelzeitschriften und Fortbildungsveranstaltungen wichtig sind
Laien oftmals die zur Beurteilung notwendigen Kenntnisse fehlen, sind sie für Beeinflussungsversuche besonders anfällig. Unabhängige Informationen für Patienten sind jedoch Mangelware. Deshalb geben seit 2005 die 4 deutschen ISDBMitglieder (siehe Kasten) gemeinsam die Verbraucherzeitschrift Gute Pillen – Schlechte Pillen heraus. Sie versorgt Patienten mit unabhängigen, nicht interessengeleiteten Informationen. Übersichtsartikel erläutern die Vor- und Nachteile verschiedener Behandlungsstrategien und Arzneimittel bei häufigen Krankheitsbildern. Weitere Themen sind die richtige Anwendung von Medikamenten, Tipps für besondere Situationen wie z. B. die Schwangerschaft und Warnungen vor zweifelhaften Gesundheitsprodukten. Für die Allgemeinheit interessante Leseranfragen werden im Heft beantwortet. Die Rubrik »Werbung – Aufgepasst!« nimmt in jeder Ausgabe eine Pharmawerbung kritisch unter die Lupe und schärft so die Wahrnehmung für falsche Versprechen (. Abb. 16.3). Letztlich kann eine solche Zeitschrift Verbrauchern Kompetenzgewinn und Orientierung bieten. Gut informierte Patienten können auch besser mit dem Arzt kommunizieren und so bessere Behandlungsergebnisse erzielen.
16.3.3
Nachschlagewerke und aktuelle Informationen
Das vom arznei-telegramm herausgegebene Arzneimittelkursbuch versteht sich als umfassendes
16
Nachschlagewerk mit klaren prägnanten Bewertungstexten, die mit Quellenangaben hinterlegt sind. Unerwünschte Wirkungen, Kontraindikationen und Wechselwirkungen finden sich ebenso wie Informationen über Preise und ob Zuzahlungen für die Patienten fällig werden. Alternativ zum Kursbuch finden sich alle diese Informationen monatlich aktualisiert auch im Internet in der atd Arzneimitteldatenbank (www.arznei-telegramm.de). Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) gibt neben ihrem regelmäßig erscheinenden Bulletin »Arzneiverordnung in der Praxis« (s. u.) und ihren evidenzbasierten Leitlinien (s. u.) alle 2–3 Jahre das Buch »Arzneiverord-
nungen« neu heraus. Die im Jahr 2009 erschienene 22. Auflage mit Beiträgen zahlreicher Mitglieder der AkdÄ und anderer Experten behandelt alle hausärztlich relevanten Indikationen und vermittelt darüber hinaus komprimierte Informationen zu allgemeinen Themen wie z. B. 5 Arzneitherapie im Alter, 5 Arzneimitteldosierung bei Niereninsuffizienz, 5 Strategien pharmazeutischer Unternehmer, die Verordnung verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu beeinflussen.
Das Buch unterscheidet sich von anderen Arzneimittelkompendien dadurch, dass es jeweils von der klinischen Situation ausgeht, wann immer möglich präzise Therapieziele nennt, und klare bewertende, vergleichende Empfehlungen (z. B.: Welches sind Mittel der ersten oder zweiten Wahl?) zur hausärztlichen Primärtherapie gibt. Über doccheck sind einzelne Kapitel zusätzlich als e-book erhältlich (www.akdae.de). Für die tägliche hausärztliche Praxis sind gerade unter wirtschaftlichen Aspekten auch die regelmäßig erscheinenden Ausgaben von Wirkstoff aktuell sehr wichtig. Hierbei handelt es sich um knapp gefasste »Flyer« zu einzelnen Wirkstoffen oder Wirkstoffgruppen (z. B. Aromatasehemmer der 3. Generation, biologische »Disease Modifying Antirheumatic Drugs«), die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Kooperation mit der AkdÄ herausgegeben werden. Sie liefern dem Arzt unabhängige Informationen, z. B. über Arzneimittel, die im Rahmen der Verordnung zu Lasten der GKV erhebliche Kosten verursachen, und geben ihm Empfehlungen zur wirtschaftlichen Verordnungsweise unter Bewertung des therapeutischen Nutzens des jeweiligen Arzneimittels. Den Hinweisen liegen eine Bewertung der für das Arzneimittel relevanten klinischen Studien und, falls vorhanden, auch Aussagen in Leitlinien zugrunde. Die Aufträge hierzu kommen von der KBV, meist nachdem in bestimmten Bereichen eine stark ansteigende und möglicherweise irrationale Verordnung von neu auf den Markt gekommenen Wirkstoffen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen beobachtet wurde und deshalb eine unabhängige kritische Information für die Vertragsärzteschaft
16.3 • Die Spreu vom Weizen trennen
247
16
. Abb. 16.3 Werbung – Aufgepasst! Kritischer Blick auf die Pharmawerbung in der Verbraucherzeitschrift Gute Pillen – Schlechte Pillen
248
16
Kapitel 16 • Warum unabhängige Arzneimittelzeitschriften und Fortbildungsveranstaltungen wichtig sind
wünschenswert erscheint. Die Texte für Wirkstoff aktuell inklusive detaillierter Preisvergleiche erstellen wissenschaftliche Mitarbeiter in der Geschäftsstelle der AkdÄ in Zusammenarbeit mit den Fachmitgliedern. An die Unabhängigkeit der an diesem Flyer beteiligten Mitglieder werden hohe Anforderungen gestellt. Die federführenden Autoren sowie Gegenleser werden nicht namentlich genannt, um sie vor potenziellen Einflüsterungen oder auch direkten Einschüchterungsversuchen der pharmazeutischen Unternehmer zu schützen. Veröffentlicht wird »Wirkstoff aktuell« als Beilage in der Ausgabe A des Deutschen Ärzteblattes sowie elektronisch auf der Homepage der AkdÄ und dem Portal Arzneimittel-Infoservice (AIS) der KBV. Weiterhin informiert die AkdÄ seit Anfang 2009 aktuell über neu auf den Markt gekommene Arzneimittel und zwar in ihren Ausgaben zu Neue Arzneimittel, die sowohl auf der Website der AkdÄ als auch in ihrem Bulletin »Arzneiverordnung in der Praxis« (s. u.) erscheinen. Als Basis für diese kürzlich eingeführte Rubrik dienen die Informationen der europäischen ArzneimittelAgentur (EMA), die im Zusammenhang mit der Zulassung eines neuen Arzneimittels veröffentlicht werden (Europäischer Öffentlicher Bewertungsbericht, EPAR). Die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Ergebnisse klinischer Studien erlauben häufig noch keine abschließende kritische Bewertung von Wirksamkeit und Sicherheit des neuen Arzneimittels oder gar dessen Zusatznutzens gegenüber den bereits für die jeweilige Indikation zugelassenen Arzneimitteln. Die in »Neue Arzneimittel« vermittelten Informationen (z. B. Indikation, Bewertung, unerwünschte Arzneimittelwirkungen, Dosierung und Kosten) ermöglichen jedoch eine erste unabhängige Orientierung über die Bedeutung eines neuen Arzneimittels und können dadurch dem von kommerziellen Interessen geleiteten Informationsmonopol der pharmazeutischen Unternehmer entgegenwirken. Um die Kommunikation über Arzneimittelrisiken zu beschleunigen und zu verbessern, bietet die AkdÄ die Drug Safety Mail an. Mit diesem kostenlosen E-Mail-Service wird in komprimierter Form über aktuelle Themen der Arzneimittelsicherheit wie z. B. Rote-Hand-Briefe oder die Bekanntgaben der AkdÄ im Deutschen Ärzteblatt informiert.
Gleichzeitig wird ein Link zu Originaldokumenten, Publikationen bzw. anderen weiterführenden Informationen zur Verfügung gestellt.
16.3.4
Andere Informationsquellen
Verschiedene Verbände bemühen sich intensiv um unabhängige Arzneimittelinformation und achten dabei auch besonders darauf, Interessenkonflikte zu minimieren. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) setzt sich seit vielen Jahren für unabhängige Information ihrer Mitglieder ein (7 DEGAM als unabhängige Informationsquelle). So bietet sie z. B. einen kostenlosen Zugang zur Cochrane-Library, die eine Fülle von systematischen Bewertungen von Arzneimitteln und Therapieverfahren vorrätig hält. Wir stellen im Kasten zwei Informationsprojekte der DEGAM vor. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) besteht seit 1911. Sie wurde ursprünglich von einer Gruppe pharmakritischer Internisten und Pharmakologen innerhalb der »Gesellschaft für Innere Medizin gegründet«, um den schon damals als unerträglich empfundenen Auswüchsen der Arzneimittelproduktion und -werbung entgegenzutreten. Die AkdÄ ist heute ein wissenschaftlicher Fachausschuss der Bundesärztekammer und berät diese zu Fragen der Arzneimitteltherapie, Arzneimittelversorgung sowie zu allgemeinen arzneimittelpolitischen Themen. Die Kommission besteht aus 40 ordentlichen und ca. 140 außerordentlichen, ehrenamtlich arbeitenden Mitgliedern aus allen für die ärztliche Praxis wichtigen Fachgebieten, einschließlich Medizinrecht, Biometrie und Ethik. Zu ihren Aufgaben gehört, die deutsche Ärzteschaft unabhängig und kritisch über alle wichtigen Bereiche der Arzneimitteltherapie und -sicherheit zu informieren. Das geschieht auf vielfältige Art und Weise. Neben den oben genannten aktuellen Informationen (Wirkstoff aktuell, Neue Arzneimittel) werden z. B. Therapiesymposien zusammen mit regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen und Landesärztekammern organisiert. Auf dem Gebiet der Arzneimittelsicherheit erfasst und bewertet die AkdÄ Verdachtsfälle von
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16.3 • Die Spreu vom Weizen trennen
16
DEGAM als unabhängige Informationsquelle Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM; www.degam.de) ist die wissenschaftliche Fachgesellschaft der deutschen Hausärzte. Leitlinienerstellung Die Erstellung evidenzbasierter und zugleich praxiserprobter Leitlinien für Hausärzte zählt zu den Kernaufgaben der DEGAM. Ziel ist die Verbesserung der hausärztlichen Versorgungsqualität Die Entwicklung bezieht Anwender wie Patienten ein und umfasst bereits vor Veröffentlichung einer Leitlinie die Prüfung von Praktikabilität (Panel-Befragung von etwa 25 erfahrenen Allgemeinärzten aus Forschung, Lehre und Praxis), methodischer Qualität und Akzeptanz in einem Praxistest durch Ärzte/innen, Praxismitarbeiter/innen und Patienten/innen. Die Evaluation von Folgen und Wirkungen der Leitlinien auf die Patientenversorgung ist fester Bestandteil des
DEGAM-Konzeptes, das auf internationalen Vorbildern bzw. Ergebnissen von Evaluationsstudien beruht und ein schrittweises Vorgehen im Rahmen eines transparenten Zehnstufenplans vorsieht. Die Leitlinienarbeit der DEGAM wird ausschließlich durch die Beiträge der Mitglieder und durch den Verkauf von kompletten Sets durch einen unabhängigen Verlag (Omikron) finanziert. Zuwendungen der Pharmaindustrie dürfen nicht erfolgen. Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin (ZFA) erscheint 2011 in ihrem 87. Jahrgang und wird seit 2009 beim Deutschen Ärzteverlag verlegt. Sie ist das Organ der DEGAM, der Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA) und der Salzburger Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SAGAM).
unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW), die im Rahmen des Spontanmeldesystems von Ärzten berichtet werden. Hinweise auf Sicherheitsprobleme, die sich aus diesen Fallmeldungen ergeben, werden von Fachmitgliedern der AkdÄ und Vertretern der für die Arzneimittelsicherheit zuständigen Bundesoberbehörden (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Paul-Ehrlich-Institut) in regelmäßig tagenden Ausschüssen diskutiert. Dort wird über Maßnahmen beraten, um neu erkannte Risiken zu vermindern, wie z. B. Änderungen der Fachinformation oder Packungsbeilage, Einschränkung der Anwendungsgebiete, oder sogar Marktrücknahme. Die AkdÄ informiert die Ärzteschaft über Themen der Arzneimittelsicherheit durch die Drug Safety Mail, Bekanntgaben im Deutschen Ärzteblatt und Artikel in ihrem Bulletin AVP. Die AkdÄ hat als eine der ersten Institutionen in Deutschland evidenzbasierte und auf die Be-
Die Zeitschrift deckt ein breites Spektrum von Themen ab, die für die hausärztliche Tätigkeit Bedeutung haben. Die behandelten Fragestellungen reichen von so einfachen, aber entscheidenden Problemen, wie man z. B. mit einer enttäuschten Patientin umgeht, die (berechtigterweise) kein Medikament verschrieben bekam, über gesundheitspolitische Fragestellungen bis hin zur systematischen Bewertung von Screening-Verfahren. Die ZFA-Beiträge werden vor Veröffentlichung von externen Experten inhaltlich begutachtet (peerreview). Autorinnen und Autoren müssen sämtliche Interessenkonflikte gemäß den Bestimmungen des International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE) offenlegen. Zuwendungen und Anzeigenwerbung der pharmazeutischen Industrie sind vertraglich ausgeschlossen. Die Zeitschrift ist in EMBASE, Scopus und Excerpta Medica gelistet.
dürfnisse der Hausärzteschaft ausgerichtete Leitlinien (»Therapieempfehlungen«) zu allen wichtigen hausärztlichen Indikationen erstellt und als Anlage zur Arzneiverordnung in der Praxis« (AVP) publiziert. Eine Beteiligung der Mitglieder an Stellungnahmen und Publikationen der AkdÄ setzt grundsätzlich eine Unabhängigkeit von den kommerziellen Interessen der pharmazeutischen Unternehmer bzw. Hersteller von Medizinprodukten voraus. Alle wissenschaftlichen Mitarbeiter in der Geschäftsstelle und ehrenamtlichen Mitglieder der AkdÄ geben eine Erklärung zu Interessenkonflikten ab, die sich auf den Zeitraum des Kalenderjahres und die davor liegenden 3 Jahre bezieht. In dieser Erklärung werden alle Formen sekundärer Interessen abgefragt, d. h. auch Gelder, die z. B. von Krankenkassen und berufspolitischen Organisationen gezahlt wurden. Eine Arbeitsgruppe, die von langjährigen Mitgliedern der AkdÄ gebildet wird, erarbeitet derzeit eine
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Kapitel 16 • Warum unabhängige Arzneimittelzeitschriften und Fortbildungsveranstaltungen wichtig sind
im Vergleich zu früher wesentlich detailliertere Erklärung von Interessenkonflikten sowie konkrete Vorschläge für den künftigen Umgang mit Interessenkonflikten in der Kommission. Dabei orientiert sich die Arbeitsgruppe sowohl an einem kürzlich im Deutschen Ärzteblatt publizierten Vorschlag zur Vereinheitlichung der Deklaration von Interessenkonflikten (Lieb et al. 2011) als auch an den vom Institute of Medicine erarbeiteten umfangreichen Empfehlungen (Lo et al. 2009). > Minimierung von Interessenkonflikten ist das Ziel.
16.3.5
16
Fortbildungen
Ärztliche Fortbildungen sind ein wichtiger Baustein des Wissenserwerbs, der den kollegialen Austausch und Diskussionen über den Stellenwert neuer Therapieoptionen für den Praxisalltag ermöglicht. Entscheidende Verbesserungen hin zu einer von kommerziellen Interessen unbeeinflussten ärztlichen Fortbildung sind nur zu erwarten, wenn sich diese pharmaunabhängig etabliert haben und industriegesponserte Veranstaltungen nicht mehr von den Ärztekammern zertifiziert werden. Verschiedene Beispiele zeigen, dass Veranstaltungen ohne Sponsoring möglich sind. So führt der Ärztliche Kreisverein Breisgau-Hochschwarzwald seit 1985 alle Fortbildungsveranstaltungen ausschließlich mit Beitragsmitteln seiner Mitglieder durch. Auch die Fortbildungen der AkdÄ (z. B. Therapiesymposien), des Hausärzte-Verbandes Baden-Württemberg und der ISDB Zeitschriften werden ohne Sponsoring durch die Industrie organisiert. Die DEGAM verzichtet z. B. bei der Durchführung ihres Jahreskongresses ebenso auf Pharmasponsoring wie das »Deutsche Netzwerk für evidenzbasierte Medizin«. Unabhängige Fortbildung bedeutet vielleicht den Verzicht auf Luxushotels, ferne attraktive Orte und Mega-Kongresse. Auf der Habenseite stehen dafür bessere Qualität und Konzentration auf das Wesentliche: von kommerziellen Verzerrungen freier Wissenszuwachs, der eine bessere Behandlung von Patienten ermöglicht.
In 7 Kap. 14 werden verbindliche Regeln für Fortbildungen vorgeschlagen.
16.4
Fazit und Ausblick
Interessenkonflikte beeinträchtigen die optimale Rezeption medizinischen Wissens. Es ist wichtig, sich dieser Störfaktoren in der Kommunikation von Erkenntnissen zu Arzneimitteln bewusst zu sein. Die gezielte Auswahl unabhängiger Informationsquellen kann helfen, sich ein realistisches Bild vom tatsächlichen Nutzen der Innovationen zu machen. Solange kommerzielle Interessen in der Arzneimittelforschung und -entwicklung eine wichtige Rolle spielen, wird es immer Versuche geben, »ungünstige« Erkenntnisse zu verheimlichen oder zu verharmlosen (Brody u. Light 2011). Langfristig kann hier nur die Entkoppelung der Forschungsfinanzierung vom Produktpreis Abhilfe schaffen. Solange dies nicht umgesetzt wird, ist es umso wichtiger, sich durch Quellen zu informieren, die von der Pharmaindustrie unabhängig sind. Diese Erkenntnis sollte bereits während des Medizin- und Pharmaziestudiums verankert werden. Die WHO setzt sich dafür ein, dass das Wissen um die Mechanismen von Arzneimittelwerbung und andere Manipulationsstrategien der pharmazeutischen Industrie weltweit an Universitäten gelehrt werden sollte. Wie gezeigt wurde, gibt es sowohl für den praktischen Alltag und die Fortbildung als auch für die aktuelle Information unabhängige Quellen. Diese gilt es zu nutzen und vor allem im Bereich der Fortbildung auszubauen und weiterzuentwickeln. Die konsequente Offenlegung von Interessenkonflikten kann nur ein erster wichtiger Schritt sein; Ziel sollte sein sie – wo immer möglich – zu vermeiden.
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Kapitel 16 • Warum unabhängige Arzneimittelzeitschriften und Fortbildungsveranstaltungen wichtig sind
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16
253
Interessenkonflikte in der Forschung Kapitel 17
Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung und Vorschläge für deren Minimierung – 255 Arnold Ganser
Kapitel 18
Auswirkungen von Interessenkonflikten auf Arzneimittelstudien – 265 Gisela Schott, Klaus Lieb und Wolf-Dieter Ludwig
Kapitel 19
Interessenkonflikte in Fachzeitschriften – 281 Christopher Baethge
IV
255
Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung und Vorschläge für deren Minimierung Arnold Ganser
17.1
Einführung – 256
17.1.1 17.1.2 17.1.3
Kooperation von Forschung und Industrie – 256 Merkantile Interessen in Forschungsprojekten – 256 Situation der Grundlagenforschung – 257
17.2
Beschreibung des Problems – 257
17.2.1 17.2.2
Beispiele für Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung – 258 Ist medizinische Grundlagenforschung »zweckfrei« möglich? – 258
17.3
Umgang mit Interessenkonflikten in der Forschung – 259
17.3.1 17.3.2 17.3.3
Vorschläge des »Institutes of Medicine« – 259 Anpassung der IOM-Vorschläge an deutsche Verhältnisse – 260 Situation in der nichtklinischen Forschung – 260
17.4
Umsetzung der Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten – 261
17.4.1 17.4.2
Regelung an der Harvard Medical School – 261 Umgang mit der Lizensierung von Patenten – 262
17.5
Folgerungen für Deutschland – 262
17.6
Fazit und Ausblick – 263 Literatur – 264
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_17, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
17
256
Kapitel 17 • Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung und Vorschläge für deren Minimierung
Zur Einführung Die biomedizinische Forschung erfordert heutzutage zumeist eine Kooperation mit Industrieunternehmen und zwar umso mehr, je näher sich die Projekte dem Bereich der Anwendung nähern. Daraus ergeben sich naturgemäß Interessenkonflikte auf allen Stufen der Forschung sowie auf individueller wie auch institutioneller Ebene. Ein Blick auf andere Länder zeigt uns, wie Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten aussehen können, und wo sie womöglich an ihre Grenzen stoßen. Insbesondere müssen wir uns aber darüber klar sein, welche Ziele mit einer »conflict of interest policy« verfolgt werden sollen. Das Problem wird wahrscheinlich nur dann zu kontrollieren sein, wenn diese Regeln eine Einflussnahme der Industrie auf Erhebung und Publikation von Forschungsergebnissen an öffentlich geförderten Institutionen möglichst weitgehend einschränken.
17
17.1
Einführung
17.1.1
Kooperation von Forschung und Industrie
Die biomedizinische Forschung, sei es nun die Entwicklung neuer Medikamente, innovativer regenerativer Behandlungsverfahren oder auch neuer Medizinprodukte zum Organersatz oder zu molekularer Diagnostik, hat in den vergangenen Jahrzehnten rasante Fortschritte gemacht. Hierbei ist die enge Kooperation zwischen öffentlich geförderter universitärer und außeruniversitärer Forschung einerseits und Industrieunternehmen andererseits nicht mehr wegzudenken und hat zur Entwicklung der Medizin in den letzten 100 Jahren maßgeblich beigetragen. Der Wechsel universitärer Forscher in die Industrie oder von Industrieforschern auf Lehrstühle an Universitäten oder Direktorenposten von Max-Planck- oder Fraunhofer-Instituten unterstreicht diese Verbindungen. Die Ausgaben der Industrie für Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung erreichten Größenordnungen, die die Forschungsförderung aus öffentlicher Hand weit übersteigen. So stand im Jahre 2009 laut dem Statistischen Bundesamt Deutschland (2011) den
Ausgaben für Forschung und Entwicklung an den Hochschulen in Höhe von EUR 11,7 Mrd. ein Betrag von EUR 45,021 Mrd. in der Wirtschaft gegenüber. Die Frage nach dem Nutzen der Wissenschaft hat der Präsident der DFG Prof. Dr.-Ing. Matthias Kleiner im Juli 2010 in seiner Festrede auf der Jahreshauptversammlung der DFG in Berlin gestellt. Er forderte einen Perspektivwechsel mit Steigerung des Erkenntnistransfers, wobei er die Grundlagenforschung und die Anwendungsforschung als sich ergänzend betrachtet (Kleiner, 2010). Gegen eine solche gegenseitige Befruchtung der Forschung ist prinzipiell nichts einzuwenden. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und anderen öffentlichen Geldgebern auf Landes- und Bundesebene sowie in der Europäischen Union bevorzugt geförderten Forschungsstrukturen verlangen häufig geradezu enge Kooperationen mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs), um die öffentlichen Forschungsinstitutionen, vornehmlich auch die Universitäten, zu anwendungsorientierten, Arbeitsplätze schaffenden Projekten mit patentierbaren Ergebnissen anzuregen. Die Universitäten werden selbst zu Unternehmern, entweder indem sie ihre Wissenschaftler auffordern, vor Publikation ihre Forschungsergebnisse von Patentanwälten auf wirtschaftliche Verwertbarkeit prüfen zu lassen, indem sie gleich gemeinsame Forschungsprojekte mit der Industrie durchführen oder sogar gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsinstitute gründen.
17.1.2
Merkantile Interessen in Forschungsprojekten
Diese Entwicklung hat aber auch dazu geführt, dass in der medizinischen Forschung Interessenkonflikte sowohl auf der Ebene des individuellen Forschens als auch der öffentlich geförderten Forschungsinstitutionen existieren. Dies ergibt sich nicht nur daraus, dass in Deutschland immer häufiger 5 gemeinsame Forschungsprojekte mit der Industrie durchgeführt werden, 5 Patente angemeldet werden, bei denen die Patenteinkünfte sowohl den Forschern selbst als auch den Forschungsinstitutionen, an denen
257
17.2 • Beschreibung des Problems
die Forscher ihre patentierten Arbeiten durchgeführt haben, zu Gute kommen, 5 die Universitäten als Teilhaber von Firmen selbst einem Interessenkonflikt unterworfen sind. Die Verflechtungen reichen weiter. Leitende Mitarbeiter der Institutionen können über Teilhabe an Firmen oder infolge von Beraterverträgen indirekt in Interessenkonflikte geraten, ohne direkt an Forschungsprojekten beteiligt zu sein. Dies gilt auch dann, wenn Mitglieder eines Hochschulrates oder Aufsichtsrates einer Forschungsinstitution gleichzeitig Positionen in der Industrie besetzen.
17.1.3
Situation der Grundlagenforschung
Wer heute verlangt, dass es in der biomedizinischen Grundlagenforschung wertfrei zugehen muss, findet sich eher alleine auf weiter Flur. Unbestritten ist, dass wir diese fast antiquiert anmutende wertfreie, d. h. nicht auf eine bestimmte Anwendung oder die Schaffung von Arbeitsplätzen bezogene Forschung benötigen, da sich auf diesem Wege häufig völlig neue Forschungsgebiete eröffnen und damit, indirekt ausgesprochen, innovative Produkte ermöglicht werden. Als Beispiel seien die Forschungen zu Bakterien genannt, die in heißen Quellen bei Temperaturen knapp unter 100° C aktiv sind. Die in diesen Bakterien gefundenen Enzyme sind heute unabdingbare Voraussetzung für die modernen Verfahren der DNA- und RNA-Amplifikation mittels der Taq Polymerase und somit für jede Art von molekulargenetischer Forschung, aber auch für medizindiagnostische Verfahren. Diese Art von Grundlagenforschung hat es aber zunehmend schwerer, Gelder zu akquirieren, da sie nicht in unsere derzeit vorherrschenden Förderinstrumente der Netzwerkforschung passt. Lediglich die Max-Planck-Institute und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) stellen nennenswerte Gelder für diese Forschung bereit. Es wird zwar nicht direkt verlangt, dass die medizinische Grundlagenforschung sich unmittelbar in neue Diagnostik- und Behandlungsverfahren umsetzen lässt bzw. direkt zu einer messbaren Gesundheits-
17
verbesserung der Gesamtbevölkerung führt, aber auch bei der Verkündigung des »National Cancer Act« im Jahre 1971 durch Präsident Nixon in den USA, die zur Gründung des National Cancer Institute und zu einer rasanten Beschleunigung der biomedizinischen Forschung geführt hat, bestand die Vorstellung, in den darauffolgenden 25 Jahren den Krebs zu besiegen und dies natürlich durch Entwicklung innovativer Behandlungsverfahren und Medikamente in Kooperation mit der Industrie. Die Bindung von Forschungsförderung an bestimmte Ziele ist für sich gesehen noch nicht verwerflich, sondern wird im Grunde genommen bei jeder Forschungsförderung vorgenommen. Dies gilt in Deutschland für Förderprojekte der DFG, des BMBF oder auch für die Förderprojekte gemeinnütziger öffentlicher Stiftungen wie z. B. der Deutschen Krebshilfe. Diese Forschung wird an den Universitäten allerdings meist als wertfrei, d. h. frei von kommerziellen Interessen, betrachtet und als »gute« Forschung eingestuft, während die Förderung der Forschungsprojekte durch die Industrie zwar auch sehr begrüßt wird, da sie die Summe der Drittmittelforschung erhöht und die Institution in der Rangordnung nach oben bringt, aber doch nicht als gleichwertig betrachtet, sondern im Rahmen der leistungsorientierten Mittelvergabe (LOM) meist mit einem bestimmten Faktor <1 abgewertet wird.
17.2
Beschreibung des Problems
Die Problematik von Interessenkonflikten in der medizinischen Forschung wurde bereits vor 30 Jahren in der medizinischen Literatur aufgegriffen (Relman 1980; Relman 1985; Brennan et al. 2006), wobei Thompson den Interessenkonflikt als einen Zustand definiert, in dem professionelles Urteilen (z. B. über das Wohl eines Patienten oder die Bewertung von Forschung) tendenziell durch Sekundärinteressen (wie z. B. finanzielle Vorteile) beeinflusst wird (Thompson 1993; Thompson 2009). Für Deutschland hat sich Klemperer v. a. mit den Auswirkungen im ärztlichen Bereich auseinandergesetzt (Klemperer 2008), s. auch 7 Kap. 2 sowie eine kürzlich erschienene Übersichtsarbeit zur Definition von Interessenkonflikten (Lieb et al. 2011).
17
258
Kapitel 17 • Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung und Vorschläge für deren Minimierung
17.2.1
Beispiele für Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung
Welche Interessenkonflikte sind in der medizinischen Grundlagenforschung vorstellbar? Die Universität Oxford hat mögliche Ausgangssituationen auf ihrer Website, die sich mit diesem Problem befasst, beispielhaft aufgelistet. Dies verdeutlicht die Spannweite, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben (University of Oxford, 2011): 5 Der Forscher hat ein finanzielles Interesse an der Firma, die die Forschung unterstützt, wobei dies noch verstärkt wird, wenn der Wert der Firma durch die Forschungsergebnisse beeinflusst wird. 5 Der Forscher hat eine Position in einem Unternehmen inne, das für dieses ungünstige Forschungsergebnisse entweder aus kommerziellen Interessen beeinflussen oder deren Veröffentlichung verhindern will. 5 Der Forscher oder eine Einrichtung, an der er beteiligt ist oder ein finanzielles Interesse besitzt, profitieren direkt oder indirekt von der Art und Weise, wie Forschungsergebnisse veröffentlicht werden (einschließlich Verzögerungen oder Einschränkungen der Veröffentlichung (7 Kap. 18). 5 Der Forscher führt eine Studie durch, die von einer Person oder Organisation finanziert wird, die selbst Interessen an den Ergebnissen der Studie hat (7 Kap. 18). 5 Ein Doktorand führt Forschungen durch, die von einer Firma bezahlt werden, an der er eine finanzielle Beteiligung hat, oder in der er eine herausgehobene Position einnimmt. 5 Der Forscher hat ein finanzielles Interesse an der Patenterteilung für geistiges Eigentum der Universität. 5 Ein Universitätsangestellter ist an Verhandlungen der Universität mit Unternehmen beteiligt, an denen er selbst, Familienmitglieder oder auch enge Freunde finanzielle oder nichtfinanzielle Interessen haben. Diese Liste ließe sich sicher beinahe beliebig verlängern, denn die Art, wie Sekundärinteressen Entscheidungen beeinflussen, ist je nach Art der
Forschung und der beeinflussten Entscheidung verschieden. > Interessenkonflikte in der medizinischen Grundlagenforschung sind meist durch Kontakte mit Wirtschaftunternehmen bedingt und betreffen alle Ebenen der Forschung vom Doktoranden bis zur Universitätsleitung.
17.2.2
Ist medizinische Grundlagenforschung »zweckfrei« möglich?
Worin bestehen nun die Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung, insbesondere der medizinischen Grundlagenforschung? Dazu müssen wir erst einmal umreißen, was medizinische Grundlagenforschung ist. Diese ist nicht genau definiert, beinhaltet aber die Forschung zur Pathogenese und zu Therapieprinzipien von Krankheiten. Als solche liefert sie die Grundlagen für unsere naturwissenschaftlich fundierten Diagnostik- und Therapieverfahren in der modernen westlichen Medizin. Sehen wir also diesen Zusammenhang und somit die Bedeutung der Grundlagenforschung für die Fortschritte der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, so ist es nicht verwunderlich, dass die Grundlagenforschung selbst nicht zweckfrei sein kann und mehr oder weniger im Interessenbereich der Medizinindustrie liegt. Große Industrieunternehmen unterhalten neben den Kontakten zu universitären Forschungsinstituten selbst große Forschungslabore, die in ihrer Qualität mit den nichtindustriellen Instituten problemlos mithalten. Gelegentlich werden auch von der Industrie »reine« Forschungsinstitute eingerichtet, an denen relativ frei geforscht werden darf. Das bekannteste Beispiel ist wohl das von Roche finanzierte »Basel Institute of Immunology«, an dem renommierte Forscher, u. a. drei Nobelpreisträger, frei von Zweckbindung arbeiten durften. Als allerdings die erhofften verwertbaren Produkte ausblieben, wurde das Institut im Jahre 2000 geschlossen. Stattdessen kaufte Roche die kalifornische Firma »Genentech« und mit ihr u. a. das Immuntherapeutikum Rituximab, das
259
17.3 • Umgang mit Interessenkonflikten in der Forschung
sich zu einem Blockbuster entwickelt hat (PohlApel 2011). Zweckungebundene industrielle Forschungsförderung von universitären Einrichtungen ist aber äußerst ungewöhnlich. Es ist selbstverständlich, dass bei industriegeförderten Forschungsprojekten zu Beginn und vor Weitergabe von Daten oder Reagenzien an die nichtindustriellen Partner Geheimhaltungsvereinbarungen getroffen werden, die dem Industriepartner ein Mitspracherecht bzgl. der Publikation von Daten wie auch die Verwertung von Forschungsergebnissen garantieren. Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Universitätsleitungen von diesen Verträgen nichts wussten. Dass solche Verträge enorme kommerzielle Interessen beinhalten können, zeigt der Konflikt zwischen der Stanford University einerseits und »Roche Molecular Systems« andererseits, der seit dem Herbst 2010 vor dem Supreme Court der USA ausgetragen wird und in dessen Zentrum die Besitzrechte an einem PCR-basierten HIV-Test stehen. > Zweckungebundene industrielle Forschungsförderung von universitären Einrichtungen ist äußerst ungewöhnlich. In der Regel haben Industrieunternehmen ein Mitspracherecht bei der Publikation und Verwertung von Forschungsergebnissen.
17.3
Umgang mit Interessenkonflikten in der Forschung
Wenn wir also davon ausgehen, dass bei jeder Art von Forschung, so auch der biomedizinischen Grundlagenforschung, Interessenkonflikte bestehen, müssen wir uns fragen, welche Möglichkeiten es gibt, die negativen Auswirkungen dieser Interessenkonflikte zu minimieren. Es bestehen verschiedene Stufen, auf denen mit einem Interessenkonflikt umgegangen werden kann (Thompson 2009): 5 Offenlegung der Interessen. Dies reicht aber üblicherweise nicht aus, da die Einschätzung des Grades des Interessenkonfliktes schwierig ist (7 Kap. 5).
17
5 Schaffung von Regeln im Umgang mit Interessenkonflikten, wie es derzeit an vielen Orten geschieht. Unabhängige Überwachung ist allerdings notwendig. 5 Verbote. Dies muss mit Offenlegung verknüpft sein. Je nach Grad der Interessenkonflikte müssen die Verbote abgestuft sein. > Es gibt keine Form der Forschung, die frei von Interessenkonflikten ist. Es ist daher entscheidend, Interessen offen zu legen und Regeln im Umgang mit Interessenkonflikten zu schaffen.
17.3.1
Vorschläge des »Institutes of Medicine«
Es lohnt sich, einen Blick in die USA zu werfen. Dort wurde im Jahre 2007, im Gefolge von gravierendem Fehlverhalten im Umgang mit Interessenkonflikten, vom staatlichen »Institute of Medicine« (IOM) das »Committee on Conflict of Interest in Medical Research, Education, and Practice« eingesetzt, um Formen von Interessenkonflikten zu untersuchen und Schritte zu empfehlen, mit denen Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung identifiziert, begrenzt und geregelt werden können, ohne die konstruktive Zusammenarbeit zu beeinträchtigen. Dieses Komitee, dem neben Ärzten, Ethikern und Juristen auch Vertreter der Industrie und von Verbraucherverbänden angehörten, machte es sich zum Ziel, Maßnahmen vorzuschlagen, die präventiv wirken, und legte diese im Jahr 2009 vor (Lo u. Field 2009), womit in den USA eine breite Diskussion angestoßen wurde (Steinbrook 2009; Rothmann et al 2009) (7 Kap. 6). Das IOM sieht in den USA vor allem folgende kritische Situationen, in denen es zu Interessenkonflikten kommen kann: 5 Nachlässigkeit auf Seiten der Forschungsinstitutionen, die Risiken zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren, wenn Forscher finanzielle Interessen an ihren Forschungsergebnissen haben. 5 Unterlassung der Publikation negativer Ergebnisse aus industriefinanzierten Forschungspro-
260
Kapitel 17 • Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung und Vorschläge für deren Minimierung
jekten und Verzögerung der Publikation um mehr als ein Jahr. 5 Unterlassung der Offenlegung finanzieller Beziehungen der Forscher zur Industrie bei der Beantragung von Forschungsförderung durch öffentliche Geldgeber. Das IOM stellte bereits zu Beginn seines Berichts klar, dass es die Verantwortung nicht nur bei dem einzelnen Forscher, sondern auch bei der Institution sieht, an der die Forscher arbeiten und angestellt sind (Lo u. Field 2009):
»
Sowohl die individuellen als auch die institutionellen Entscheidungen« sollen »nicht durch konkurrierende Interessen, wie z. B. Aktienbesitz an Pharmafirmen oder Firmen, die medizinische Geräte herstellen, ungebührend beeinflusst werden.
«
Als erster Schritt wird eine Offenlegung der Interessenkonflikte empfohlen, die von einer Bewertung der Risiken dieses Interessenkonfliktes gefolgt sein muss. Die Forschungsinstitutionen sollen sodann eine Entscheidung fällen, ob die Forschungsprojekte durchgeführt werden dürfen oder ob zusätzliche Maßnahmen, wie Offenlegung weiterer Interessenkonflikte, eingreifende Korrekturmaßnahmen oder ein Verbot angezeigt sind. Der Bericht des IOM-Komitees listet dann einige Kriterien auf, nach denen sich die Forschungsinstitutionen richten sollen, wenn sie z. B. die Art der finanziellen Unterstützung von Forschungsprojekten bewerten. Dies sind v a.: 5 Äquivalenzprinzip (proportionality), 5 Transparenzprinzip (transparency), 5 Trennungsprinzip (accountability) und 5 Angemessenheit (fairness).
17
17.3.2
Anpassung der IOM-Vorschläge an deutsche Verhältnisse
Die Vorschläge des IOM wurden 2010 von der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich-medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) an die
deutschen Verhältnisse angepasst, wobei es insbesondere bei der Kooperation mit der Industrie im Rahmen von Kongressen zu Verwässerungen
gekommen ist, die den Intentionen des IOM zuwider laufen (AWMF 2011). Der Verband forschender Arzneimittelunternehmer hat in Reaktion auf diese Problematik im Jahr 2004 die »Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V.« (FSA) gegründet, um die Zusammenarbeit von pharmazeutischen Unternehmen und Ärzten, Apothekern und weiteren Angehörigen der medizinischen Fachkreise sowie den Organisationen der Patientenselbsthilfe zu überwachen (FSA 2011). Im Jahr 2005 wurde der Kodex auf wettbewerbs- und heilmittelwerberechtliche Tatbestände ausgedehnt. Dies ist allerdings eine freiwillige Selbstkontrolle (7 Kap. 13).
17.3.3
Situation in der nichtklinischen Forschung
Im Gegensatz zur klinischen Forschung, die z. B. im Bereich der klinischen Medikamentenentwicklung einen äußerst sensiblen Bereich darstellt (Bekelman et al 2003), wird die nichtklinische medizinische Forschung derzeit weniger beachtet. Doch auch hier können Interessenkonflikte auftreten, wenn z. B. Forschungsdaten auf mögliche unerwünschte Wirkungen von Medikamenten oder anderen therapeutischen Maßnahmen hinweisen und bei Publikation erhebliche Auswirkungen auf den Einsatz dieser Medikamente/Maßnahmen und damit auf den Umsatz und den Aktienkurs eines Unternehmens haben könnten. Nicht vergessen werden sollte, dass die Forschungsergebnisse gelegentlich eine solche wirtschaftliche Bedeutung erlangt haben, dass sie vor der wissenschaftlichen Veröffentlichung bereits im Wallstreet Journal publiziert werden müssen, um den US-amerikanischen Gesetzen zur Kontrolle des Insiderhandels von Aktien Genüge zu tun. Deshalb sollten die Forschungsinstitutionen nach Meinung des IOM auch im Falle nichtklinischer Forschung die finanziellen Interessen einzelner Wissenschaftler oder einer ganzen Institution an den Ergebnissen eines Forschungsprojektes evaluieren und die Risiken abschätzen, die diese Interessen für die wissenschaftliche Bewertung der Ergebnisse darstellen. Nur so könne die Integrität der Forschung erhalten werden. Die Harvard Medical School beispielsweise hat deshalb
17.4 • Umsetzung der Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten
beschlossen, die Gültigkeit vieler Regelungen, die bisher nur für die klinischen Bereiche gegolten haben, ab dem 1. Juli 2011 auch auf die nichtklinischen Sektoren auszudehnen.
17.4
Umsetzung der Regeln zum Umgang mit Interessenkonflikten
Wie werden die Vorschläge des IOM umgesetzt? In den USA sind die öffentlich geförderten Institutionen – und hierzu zählen neben den staatlichen Universitäten auch die privaten, die öffentliche Forschungsunterstützung erhalten – im Jahr 1995 per Gesetz verpflichtet worden, sich dem Thema »conflict of interest« zu stellen und entsprechende Verhaltensregeln zum Umgang mit Interessenkonflikten zu verabschieden (Department of Health and Human Services 1995). Dies geschah z. T. bereits Jahre vor dem Bericht des IOM. Beispielhaft sind die Vorschriften der Harvard Medical School, die als Grundlage für Vorschläge für Deutschland dienen könnten (Harvard Medical School 2011). In Deutschland hat sich bisher die AWMF intensiv mit den Vorschlägen des IOM befasst, bei der Umsetzung aber die notwendige Konsequenz vermissen lassen (AWMF 2011). So ist das Sponsoring von Kongressveranstaltungen mit Bewirtung praktisch ungehindert weiter möglich. Der Verband forschender Arzneimittelunternehmer hält sich zurück und wartet offenbar gesetzliche Regelungen ab.
17.4.1
Regelung an der Harvard Medical School
Prinzipiell lehnt die Harvard Medical School Geheimforschung ab (»unacceptable«), da Austausch von Informationen und Diskussion von Ideen als Grundlage universitärer Forschung hiermit nicht vereinbar seien (Harvard Medical School 2011).Sie stellt u. a. fest: 5 Die bei Industriekooperationen häufig als vertraulich eingestuften Daten sollten auf ein möglichst geringes Maß beschränkt werden.
261
17
5 Vereinbarungen zur Vertraulichkeit sollten die Publikation von Daten und die Möglichkeit anderer Wissenschaftler, die Ergebnisse unabhängig zu reproduzieren, nicht beeinträchtigen. 5 Forschungsarbeiten von Studenten, Doktoranden und abhängigen Postdoktoranden sollten nicht Teil von Kooperationsprojekten mit der Industrie sein, damit deren wissenschaftliche Laufbahn durch Einschränkung der Publikationsfreiheit nicht behindert wird. Ausnahmen müssen an der Harvard Medical School im Vorfeld genehmigt werden; außerdem werden diese Projekte regelmäßig überprüft. Es ist üblich, dass die Manuskripte mit Ergebnissen dieser Kooperationsprojekte vor dem Einreichen zur Publikation durch den Industriepartner auf mögliche patentierbare Daten überprüft werden. Dieser Zeitraum ist an der Harvard Medical School auf 30 Tage begrenzt, in Sonderfällen mit Zustimmung des führenden Wissenschaftlers auf 60 Tage. Weitere Einschränkungen der Publikationsfreiheit des Wissenschaftlers sind dort (abgesehen von der Beachtung ethischer Normen) nicht zulässig. Ausdrücklich werden außerdem Abmachungen, die in der universitären Forschung gemachten Entdeckungen als vertraulich einzustufen, die Publikation der Daten zu untersagen oder Einfluss auf Art und Umfang des Materials zu nehmen, als nicht akzeptabel bewertet. Die Verantwortung für Planung und Durchführung der Experimente verbleibt beim verantwortlichen Wissenschaftler. Zwar können beide Partner strittige Punkte besprechen, aber der Industriepartner darf nicht entscheiden, wie die Forschung durchgeführt wird. Im Übrigen müssen die Forschungsprojekte vom Leiter der Forschungsabteilung genehmigt werden und die fest angestellten Wissenschaftler der Abteilung (faculty members) müssen umfassend informiert werden. Angaben zu Thema, Dauer, Sponsor und Budget jedes einzelnen von der Industrie geförderten Projektes sind frei zugänglich zu machen, incl. Angaben zu möglichen Patentvereinbarungen oder Einschränkungen der Publikationsfreiheit. Ein einzelner industrieller Partner sollte nicht die Forschung einer Abteilung oder Fakultät zu einem wesentlichen Anteil bestim-
262
Kapitel 17 • Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung und Vorschläge für deren Minimierung
men; in einem solchen Fall seien die Projekte vom Dekan regelmäßig zu überprüfen. Diese Leitlinien zum freien und offenen Informationsaustausch müssen an der Harvard Medical School bei allen Forschungsvorhaben, die biologische Prozesse untersuchen, eingehalten werden. Ausnahmen sind erlaubt bei Studien, die Daten von Individuen, industriellen Organisationen oder auch universitätsinternen Schulungsprogrammen beinhalten. Dies bedarf aber einer regelmäßigen Bewertung durch den Dekan, die Gründe sind offen zu legen.
17.4.2
Umgang mit der Lizensierung von Patenten
Die Harvard Medical School befasst sich auch mit der kommerziellen Anwendung der Forschung, d. h. der Lizensierung von Patenten. Hierzu gibt es auch an vielen deutschen Instituten Vorschriften. Meist verbleibt die Patenthoheit für Forschungsergebnisse, die in einem Anstellungs- oder Beamtenverhältnis erhoben worden sind, bei der Institution; der einzelne Forscher und seine Abteilung werden in einem unterschiedlichen Maße an den Einnahmen beteiligt. Die Umsetzung der Patente sollte in öffentlichem Interesse rasch und in vollem Umfang erfolgen. Hiermit soll verhindert werden, dass wissenschaftliche Ergebnis und Erfindungen, deren Umsetzung in diagnostische oder therapeutische Verfahren in öffentlichem Interesse liegen, wegen Interessen des industriellen Sponsors nicht weiterentwickelt werden. Dies könnte z. B. dann vorliegen, wenn ein neues Verfahren wesentlich preiswerter und besser ist als ein in der Anwendung befindliches Verfahren, an dessen Weiterverkauf dem Sponsor gelegen ist.
17 17.5
Folgerungen für Deutschland
Welche Maßnahmen sollten in Deutschland umgesetzt werden? Zunächst ist es wichtig, ein Bewusstsein für die Existenz von Interessenkonflikten zu entwickeln. So, wie wir an den Universitäten Ethikkommissionen und Kommissionen für die Einhaltung der wissenschaftlichen Integrität haben,
müssten umgehend an allen Institutionen, die öffentliche Gelder zur Forschungsförderung erhalten – also nicht nur an Universitäten und Forschungsinstituten in öffentlicher Trägerschaft – Komitees zur Kontrolle von Interessenkonflikten eingerichtet werden, wie vom IOM für die USA gefordert (Lo u. Field 2009) und auch gesetzlich umgesetzt. Mitglieder dieser Komitees sollten, wie in anderen Ländern bereits verwirklicht, Vertreter der Wissenschaftler, der nicht-wissenschaftlichen Mitarbeiter, der Verwaltung und weiterer relevanter Gruppen sein. Dieses Komitee sollte, in Kenntnis der gesetzlichen Vorgaben und der Erfahrungen in anderen Ländern, Verhaltensregeln entwickeln, mit denen Interessenkonflikte kontrolliert werden können; für die Durchsetzung der Einhaltung dieser Regeln werden Sanktionsmaßnahmen von Abmahnung bis hin zur Entlassung notwendig sein. Zur Kontrolle der finanziellen Interessenkonflikte müssten eine jährliche Offenlegung der von der Industrie erhaltenen Gelder vorgeschrieben sowie u. U. Obergrenzen eingeführt werden, bis zu denen Angestellte öffentlich geförderter Forschungsinstitutionen jährliche Zuwendungen erhalten dürfen. Vortragstätigkeit für einen industriellen Sponsor darf nicht in irgendeiner Weise mit Einschränkungen der präsentierten Daten durch den Sponsor verbunden sein. Auch der Besitz oder Erwerb von Aktien einer Firma, die Forschungsgelder bereitstellt, bedarf einer genauen Regelung. Das gleiche gilt für die Tätigkeit eines Wissenschaftlers einer öffentlichen Forschungsinstitution als wissenschaftlicher Berater oder Aufsichtsratsmitglied einer Firma. Da ein Interessenkonflikt auch durch die Tätigkeit oder den Besitz eines Familienmitgliedes begründet wird, sind diese Situationen ebenfalls zu regeln. Interessanterweise setzt die Harvard Medical School aber keine Grenzen für die jährlichen Einkommen aus Beraterverträgen mit oder Vortragstätigkeiten für eine spezielle Firma, wenn die Forschungsarbeiten ohne deren Produkte auskommen bzw. keine Forschungsprojekte durch die entsprechende Firma gefördert werden (Harvard Medical School 2011). Dies dürfte aber relativ selten der Fall sein, denn warum sollte die Firma dann einen solchen Wissenschaftler als Berater engagieren? Zur Vermeidung eines Interessenkonfliktes sollten aber noch weitere Regelungen eingeführt
17.6 • Fazit und Ausblick
werden (Brennan et al. 2006). Diese betreffen das Verbot des »Ghostwritings«, das Verbot der Annahme jeder Art von Geschenken für klinisches und nichtklinisches Personal, das Verbot von Einladungen zu Essen mit Ausnahme von Arbeitsessen oder Verköstigung bei industriefinanzierten Fortbildungsveranstaltungen und das Verbot von Reisekostenunterstützung, es sei denn im Rahmen der Einarbeitung in Geräte/Methoden, die von einer Firma erworben worden sind, oder im Falle eines von der Firma eingeladenen Redners. Auch hierfür gibt es bereits Vorlagen ausländischer Institutionen (7 Kap. 11 und 7 Kap. 7). Es wird Aufgabe dieser Komitees zur Kontrolle von Interessenkonflikten sein, für die jeweiligen Institutionen spezifische Regelungen zu formulieren und Anpassungen vorzunehmen. Diese Komitees sollten untereinander und in stetem Kontakt mit den entsprechenden Einrichtungen der Forschungsförderer und der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich-medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) die Vorschriften harmonisieren, bei den betroffenen Personen das Problembewusstsein schärfen und in der Bevölkerung das Vertrauen in die Vertrauenswürdigkeit und relative Unabhängigkeit unserer öffentlich geförderten biomedizinischen Grundlagenforschung vertiefen. > Institutionen, die öffentliche Gelder zur Forschungsförderung erhalten, also nicht nur Universitäten und Forschungsinstitute in öffentlicher Trägerschaft, sollten umgehend Komitees zur Kontrolle von Interessenkonflikten einrichten.
17.6
Fazit und Ausblick
Andere Länder, insbesondere die USA, sind uns in der Wahrnehmung der Interessenkonflikte in der klinischen Forschung voraus. Zwar haben die AWMF (AWMF 2011) und die Freiwillige Selbstkontrolle der Arzneimittelindustrie e. V. (FSA 2011) Regeln aufgestellt, deren Befolgung ist jedoch freiwillig. Die wissenschaftlichen Institutionen haben sich zumeist noch keine wirksamen Regeln gegeben oder Komitees geschaffen, die deren Einhaltung überwachen. Dies kann als Hinweis inter-
263
17
pretiert werden, dass ein Bewusstsein der Existenz von Interessenkonflikten auf allen Ebenen der Forschung in Deutschland noch nicht ausreichend ausgebildet ist. Die Einrichtung von Komitees zur Kontrolle von Interessenkonflikten als einzige Maßnahme wird die unbefriedigende Situation in Deutschland noch nicht verbessern, auch nicht die unreflektierte Übernahme von Regeln aus anderen Ländern. Vor allem aber sollten wir uns bei der Implementierung entsprechender Regularien immer fragen, welche Ziele wir mit einer »conflict of interest policy« verfolgen. Kurz gefasst sind dies folgende (Thompson 2009): 5 Sicherstellung, dass Entscheidungen aufgrund von Primärinteressen und nicht wegen Sekundärinteressen gefällt werden. Damit wird folgendes erreicht: 5 Integrität der Entscheidung der Experten wird gewahrt. 5 Erhalt des Vertrauens der Öffentlichkeit in Entscheidung durch Experten (Öffentlichkeit bedeutet hier auch Gesetzgeber, Vorsitzende von Stiftungen, Herausgeber von Zeitschriften, andere Meinungsführer). Verstrickung in Interessenkonflikte kann zu beträchtlichen Schäden für den einzelnen Forscher, andere Forscher derselben Institution oder die gesamte Institution führen, da einengende Vorschriften erlassen werden könnten oder die Forschungsgelder gesperrt werden. Einmal verlorenes Vertrauen ist nur schwer wiederherzustellen. 5 Vorschriften zur Vermeidung von Interessenkonflikten sollten nicht verlangen, dass »selbst der Anschein eines Interessenkonfliktes zu vermeiden ist«. Denn alle Interessenkonflikte beruhen auf einer Außenwahrnehmung, die geprägt ist von der Sichtweise derjenigen, denen nicht genügend Informationen vorliegen, um zu entscheiden, ob wirklich ein Interessenkonflikt besteht. Der Anschein eines Interessenkonfliktes ist im Grunde genommen genauso schlecht wie der wirklich existierende. Wird beides getrennt, werden die Grauzonen der Regelungen sehr weit ausgedehnt, und Wohlverhalten kann infrage gestellt werden.
264
Kapitel 17 • Interessenkonflikte in der medizinischen Forschung und Vorschläge für deren Minimierung
Sicherlich ist es nicht sinnvoll, die in anderen Ländern bestehenden Regeln unreflektiert für Deutschland zu übernehmen. Allerdings liegt es in der Natur des Sache, dass das Problem der Interessenkonflikte in der biomedizinischen Forschung wahrscheinlich nur dann zu kontrollieren sein wird, wenn die Einflussnahme der Industrieunternehmen auf Erhebung und Publikation von Forschungsergebnissen an öffentlich geförderten Institutionen möglichst weitgehend eingeschränkt wird und die Vorgaben transparent sind. Dabei sollte aus den Erfahrungen in den USA (Cho et al. 2000) gelernt und eine einheitliche Regelung für Deutschland, möglichst für die Europäischen Union, geschaffen werden.
Literatur Weiterführende Literatur Harvard Medical School. Faculty of Medicine Statement on research sponsored by industry. (http://hms.harvard. edu/public/coi/poliy/sponsored.html; Zugegriffen: 19. 1. 2011) Lieb K, Klemperer D, Koch K et al (2011) Interessenkonflikte in der Medizin. Mit Transparenz Vertrauen stärken. Dt. Ärzteblatt 108: A256–260 Lo B, Field MJ (Hrsg) (2009) Committee on Conflict of Interest in Medical Research Conflict of interest in medical research, education, and practice. Institute of Medicine, Washington DC books.nap.edu/openbook.php Thompson DF (2009) The challenge of conflict of interest in medicine. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes 103(3): 136–140 University of Oxford. Statement of policy and procedure on conflict of interest (http://www.admin.ox.ac.uk/rso/ integrity/conflict_interest_policy.shtml; Zugegriffen: 23. 1. 2011) Andere zitierte Literatur
17
AWMF (2011) Empfehlungen der AWMF zum Umgang mit Interessenkonflikten bei Fachgesellschaften http:// www.awmf.org/medizin-versorgung/stellungnahmen/ umgang-mit-interessenkonflikten.html. Zugegriffen: 7. 2. 2011) Bekelman JE, Li Y, Gros CP (2003) Scope and impact of financial conflicts of interest in biomedical research. A systematic review. JAMA 289: 454–465 Brennan TA, Rothman DJ, Blank L et al (2006) Health industry practices that create conflicts of interest. A policy proposal for academic medical centers. JAMA 295: 429–433 Cho MK, Shohara R, Schissel A (2000) Policies on faculty conflicts of interest at US universities. JAMA 284: 2203–2208
Department of Health and Human Services (1995) Objectivity in research. Federal Register Vol 60, 35810–35817 (codified at 42 CFR part 50) Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V. Verhaltenskodices. (http:// www.fs-arzneimittelindustrie.de/verhaltenskodex.html. Zugegriffen: 10. 4. 2011). Kleiner M (2010) Deshalb Erkenntnistransfer. Rede von DFG-Präsident Matthias Kleiner am 7. Juli 2010 in Berlin. Forschung – Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 3/2010: I–VIII Klemperer D (2008) Interessenkonflikte: Gefahr für das ärztliche Urteilsvermögen. Dtsch Ärztebl 105: 2098–2100 Pohl-Apel G (2011) Monoklonale Antikörper. Vielseitige Moleküle in Therapie und Forschung. Biospektrum 17: 116–117 Relman AS (1980) The new medical-industrial complex: N Engl J Med 303: 963–970 Relman AS (1985) Dealing with conflicts of interest. N Engl J Med 313: 749–751 Rothmann DJ, McDonald WJ, Berkowitz CD et al (2009) Professional medical associations and their relationships with industry. A proposal for controlling conflict of interest. JAMA 301: 1367–1372 Statistisches Bundesamt Deutschland Ausgaben für Forschung und Entwicklung nach Sektoren (http://www. destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/BildungForschungKultur/ ForschungEntwicklung/Tabellen/Content75/ForschungEntwicklungSektoren,templateId=renderPrint.psml. Zugegriffen: 10. 4. 2011 Steinbrook R (2009) Controlling conflict of interest – proposals from the Institute of Medicine. N Engl J Med 360: 2160–2163 Thompson AF (1993) Unterstanding financial conflicts of interest. N Engl J Med 329: 573–576
265
Auswirkungen von Interessenkonflikten auf Arzneimittelstudien Gisela Schott, Klaus Lieb und Wolf-Dieter Ludwig
18.1
Verbreitung von materiellen Interessenkonflikten in der klinischen Arzneimittelforschung – 266
18.2
Auswirkungen von Interessenkonflikten auf die klinische Arzneimittelforschung – 266
18.2.1 18.2.2 18.2.3 18.2.4 18.2.5 18.2.6
Ergebnisse von Arzneimittelstudien – 266 Planung der Studie und methodische Qualität – 267 Auswertung der Studiendaten und Verfassen des Manuskripts – 269 Veröffentlichung von Studienergebnissen – 270 Einflussnahme auf die Ergebnisse in pharmakoökonomischen Studien – 272 Beispiel: Avandia (Rosiglitazon) – 273
18.3
Maßnahmen zum Schutz vor Interessenkonflikten – 275
18.3.1 18.3.2
Transparenz – 275 Verzicht und Verbot – 276
18.4
Fazit und Ausblick – 276 Literatur – 277
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_18, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
18
266
Kapitel 18 • Auswirkungen von Interessenkonflikten auf Arzneimittelstudien
Zur Einführung Wissenschaftliche Kooperationen zwischen Ärzten, pharmazeutischen Unternehmen und staatlichen Organisationen sind notwendig, um Arzneimittel zu entwickeln und die Behandlung von Patienten zu verbessern. Verschiedene Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass diese Kooperationen auch Risiken bergen, die die Integrität der Wissenschaft gefährden, wie z. B. das Zurückhalten negativer Ergebnisse oder das Verschweigen unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAW). In diesem Kapitel beschreiben wir die Verbreitung von Interessenkonflikten in der klinischen Arzneimittelforschung und stellen dar, wie sie den Forschungsprozess einer Arzneimittelstudie beeinflussen können. Außerdem diskutieren wir verschiedene Strategien, die vor dem Einfluss von Interessenkonflikten schützen sollen.
18.1
18
Verbreitung von materiellen Interessenkonflikten in der klinischen Arzneimittelforschung
Ein wesentlicher Teil der klinischen Arzneimittelforschung ist kommerziell motiviert durch die Aussicht, eine Marktzulassung für ein neues Arzneimittel zu erreichen. Bei bereits zugelassenen Arzneimitteln kann der Hersteller ebenfalls ein kommerzielles Interesse an weiterer Forschung haben, z. B. weil er eine Ausweitung der Zulassung auf weitere Krankheitsgebiete erhofft (Bührlen et al. 2010). Weltweit werden deswegen die meisten klinischen Arzneimittelstudien durch pharmazeutische Unternehmen finanziert. In der europäischen Datenbank EudraCT, in der Angaben aus der Genehmigung klinischer Studien bei der European Medicines Agency (EMA) und den Arzneimittelbehörden der Mitgliedsländer gesammelt werden, waren zwischen dem 1. Mai 2004 und dem 31. Dezember 2010 insgesamt 27.586 klinische Studien gemeldet, von denen 79% einen kommerziellen Sponsor hatten (EMA 2011). Gelder fließen aber auch direkt von pharmazeutischen Unternehmen an Wissenschaftler, z. B. in Form von Forschungsmitteln, Vortragsentgelten oder Beratungshonoraren (7 Kap. 17). Finanzielle
Verbindungen zu pharmazeutischen Unternehmen gibt es ebenfalls bei niedergelassenen Ärzten (7 Kap. 11), Leitlinienautoren (7 Kap. 7), Mitgliedern von Ethikkommissionen und medizinischen Fachzeitschriften (7 Kap. 16 u. 19) (Hampson et al. 2008; Lundh et al. 2010). Insbesondere Wissenschaftler, die bei einer Arzneimittelstudie eine Schlüsselposition besetzen und deshalb bei der Konzeption, Planung, Auswertung und Interpretation besonderen Einfluss geltend machen können, haben finanzielle Verbindungen zu pharmazeutischen Unternehmen, wie eine Untersuchung von zwischen Januar 2006 und Juni 2007 erschienenen Publikationen (n = 235) einer onkologischen Fachzeitschrift zeigte (Rose et al. 2010). Finanzielle Verbindungen zwischen der Industrie, Wissenschaftlern und akademischen Institutionen sind weit verbreitet. Dies ist u. a. das Ergebnis einer systematischen Übersichtsarbeit, die 37 Studien mit quantitativen Ergebnissen zu diesem Thema eingeschlossen hatte. Ungefähr ein Viertel der akademischen Mitarbeiter und ungefähr zwei Drittel der akademischen Institutionen hatten finanzielle Beziehungen zur Industrie (Bekelman et al. 2003). > Weltweit werden die meisten klinischen Arzneimittelstudien durch pharmazeutische Unternehmen finanziert. Finanzielle Verbindungen zu pharmazeutischen Unternehmen sind auch bei Wissenschaftlern, niedergelassenen Ärzten, Leitlinienautoren, Mitgliedern von Ethikkommissionen und medizinischen Fachzeitschriften weit verbreitet.
18.2
Auswirkungen von Interessenkonflikten auf die klinische Arzneimittelforschung
18.2.1
Ergebnisse von Arzneimittelstudien
Daten aus vielen Untersuchungen seit Mitte der 1980er-Jahre, darunter 3 systematische Übersichtsarbeiten (Bekelman et al. 2003; Lexchin et al. 2003;
18.2 • Auswirkungen von Interessenkonflikten auf die klinische Arzneimittelforschung
Schott et al. 2010a), zeigen, dass von pharmazeutischen Unternehmen finanzierte klinische Studien zu Arzneimitteln im Vergleich zu Studien, die unabhängig von pharmazeutischen Unternehmen durchgeführt werden, häufiger ein günstiges Ergebnis für den Wirkstoff des Sponsors ergeben. Um das Ausmaß der Auswirkungen von Interessenkonflikten auf biomedizinische Forschung abzuschätzen, wurde in einer Untersuchung auf der Basis von 8 Übersichtsarbeiten mit insgesamt 1140 Originalarbeiten eine Metaanalyse durchgeführt (Bekelman et al. 2003). Diese Studie ergab, dass die Chance für ein für den Sponsor positives Studienergebnis bei durch pharmazeutische Unternehmen finanzierten Studien ungefähr 3,6-mal höher ist (Odds Ratio (OR) 3,6; 95% Konfidenzintervall (CI) 2,6–4,9). In einer ähnlichen Metaanalyse ergab sich ein vergleichbarer Wert (18 Vergleiche, OR 4,05; 95% CI 2,98–5,51) (Lexchin et al. 2003). Immer wieder wird versucht, dieses Phänomen durch das Argument zu erklären, dass pharmazeutische Unternehmen eher Studien finanzieren, die eine hohe Aussicht auf Erfolg haben. Diese Erklärung wird jedoch durch Untersuchungen entkräftet, die zeigten, dass bei direkten paarweisen Vergleichen von Substanzen, z. B. von verschiedenen Antipsychotika oder selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (Selective Serotonin Reuptake Inhibitors, SSRI), die Ergebnisse jeweils zugunsten des pharmazeutischen Unternehmens ausfielen, das die Studie finanzierte (Heres et al. 2006; Gartlehner et al. 2010). Darüber hinaus wurde gezeigt, dass in Studien, die von pharmazeutischen Unternehmen unterstützt werden, die Daten in den Schlussfolgerungen zugunsten des Sponsors interpretiert werden, unabhängig von den Resultaten der Studie (Schott et al. 2010a). Für die positive Korrelation zwischen Finanzierung durch pharmazeutische Unternehmen und Ergebnissen, die das Produkt des Sponsors favorisieren, können verschiedene Faktoren im Verlauf einer Arzneimittelstudie ursächlich sein, z. B.: 5 Ein Studienprotokoll, das Ergebnisse im Sinne des pharmazeutischen Sponsors induziert, 5 Unregelmäßigkeiten bei der 5 Durchführung, 5 Auswertung und 5 Publikation der Studie sowie
267
18
5 eine verzerrte Darstellung der Studienergebnisse 5 in der Diskussion oder 5 bei der Formulierung der Schlussfolgerungen. Dazu stellen wir im Folgenden einige empirische Daten vor. > Daten aus vielen Untersuchungen zeigen, dass von pharmazeutischen Unternehmen finanzierte klinische Studien zu Arzneimitteln im Vergleich zu Studien, die unabhängig von pharmazeutischen Unternehmen durchgeführt werden, häufiger ein günstiges Ergebnis für den Wirkstoff des Sponsors ergeben.
18.2.2
Planung der Studie und methodische Qualität
Gestaltung des Prüfplans Bei der Planung der Studie trägt die Gestaltung des Prüfplans entscheidend dazu bei, ob ein »fairer« Vergleich der untersuchten Wirkstoffe oder therapeutischen Strategien gegeben ist oder ob einer der Wirkstoffe oder Strategien bevorzugt wird. So kann z. B. in einer klinischen Studie die Wahl einer im unteren Bereich der empfohlenen Dosierung liegenden Dosierung eine Unterlegenheit des Vergleichspräparates gegenüber dem Präparat des Sponsors vortäuschen. Ein verzerrtes Ergebnis kann weiterhin aus der Auswahl einer Studienpopulation, bei der eine hohe Wirksamkeit und wenige unerwünschte Wirkungen des Arzneimittels wahrscheinlich sind, aus einer inadäquaten Verblindung sowie aus einer zu kurzen Studiendauer resultieren. Diese Strategien führen zu einer Überschätzung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Arzneimittels des Sponsors. In mehreren systematischen Untersuchungen ist gezeigt worden, dass sich die Finanzierung durch pharmazeutische Unternehmen auf die Gestaltung des Studienprotokolls auswirkt (Bekelman et al. 2003; Schott et al. 2010a). So ergaben sich in 2 älteren Untersuchungen aus den 1990er-Jahren beispielsweise Hinweise auf einen nicht fairen Ver-
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18
Kapitel 18 • Auswirkungen von Interessenkonflikten auf Arzneimittelstudien
gleich zwischen neuem Arzneimittel und Medikation in der Kontrollgruppe. In randomisierten kontrollierten Studien (randomized controlled trials, RCT) zu nichtsteroidalen Antirheumatika wurde eine höhere Dosierung des vom pharmazeutischen Sponsor hergestellten Arzneimittels verwendet bzw. in durch die pharmazeutische Industrie finanzierten RCT oral zu verabreichendes Fluconazol mit schlecht resorbierbaren Antimykotika verglichen, was die Überlegenheit von Fluconazol zur Behandlung systemischer Mykosen begünstigte (Bekelman et al. 2003). In einer neueren Untersuchung zu inhalativen Kortikosteroiden traten statistisch signifikante Unterschiede in der Häufigkeit von UAW im Vergleich zur Kontrollgruppe nur halb so häufig auf, wenn die Studie von den Herstellern finanziert worden war, u. a. weil in diesen Studien niedrigere Dosierungen verwendet wurden. Eine weitere Untersuchung zeigte, dass in mehreren von einem pharmazeutischen Unternehmen gesponserten Studien zur Behandlung der vorzeitigen Ejakulation der relevante objektive Endpunkt vernachlässigt und statt dessen auf subjektive Empfindungen des Patienten fokussiert wurde (Schott et al. 2010a). Zur Psoriasis stellte eine Untersuchung von 134 zwischen Januar 2001 und Dezember 2005 veröffentlichten RCT dar, dass in Studien, die durch pharmazeutische Unternehmen finanziert worden waren, statistisch signifikant häufiger ein Placebo in der Kontrollgruppe verwendet worden war als in Studien ohne Finanzierung durch pharmazeutische Unternehmen (Schott et al. 2010a). Ebenfalls zur Psoriasis zeigte ein Vergleich von 140 RCT des Zeitraums 2001–2006 mit 249 RCT der Jahre 1977–2000 einen Anstieg des Anteils placebokontrollierter Studien von 44,6% auf 69,3% bei gleichzeitig steigendem Anteil der durch pharmazeutische Unternehmen finanzierten Studien (61,0% auf 73,7%) (Naldi et al. 2010). Immer wieder wird von Seiten der pharmazeutischen Industrie darauf verwiesen, dass die Zulassungsbehörden placebokontrollierte Studien verlangen. Diese fordern jedoch auch zur Verwendung von aktiven Vergleichssubstanzen auf, so auch bei der Psoriasis (EMA 2004).
z
Seeding trials
Als »seeding trial« (to seed: säen) wird ein Marketinginstrument bezeichnet, das unter dem Deckmantel einer klinischen Studie allein dem Zweck dient, ein Arzneimittel bei Ärzten bekannt zu machen und seinen Verkauf zu fördern. Angesichts des begrenzten Patentschutzes gehört der sofortige Erfolg eines Arzneimittels zu den wichtigsten Marketingzielen von pharmazeutischen Unternehmen. Anders als bei Zulassungsstudien, die in der Regel an größeren Zentren durchgeführt werden, wenden sich pharmazeutische Unternehmen bei »seeding trials« oft an niedergelassene Ärzte. Anwendungsbeobachtungen bzw. nichtinterventionelle Studien sind häufig »seeding trials« und werden laut interner Dokumente der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Deutschland mit Honoraren bis zu EUR 2.500 pro Patient vergütet (7 Abschn. 11.2.4). Ein Beispiel für einen »seeding trial« war nach Auswertung von vertraulichen Dokumenten, die im Rahmen von Gerichtsprozessen an die Öffentlichkeit gelangten, die ADVANTAGE-Studie (Assessment of Differences between Vioxx and Naproxen to Ascertain Gastrointestinal Tolerability and Effectiveness). Die Studie wurde von der Marketingabteilung des pharmazeutischen Herstellers geplant, durchgeführt und ausgewertet. Um Vioxx (Rofecoxib) bei möglichst vielen Ärzten bekannt zu machen, wurde die Studie in 600 Praxen durchgeführt. Über das wahre Studienziel – das Marketing des Arzneimittels – wurden weder die teilnehmenden Ärzte noch die 5557 behandelten Patienten informiert. Hinweisen auf eine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität unter Vioxx (Rofecoxib), die im Jahr 2004 zur Marktrücknahme des Arzneimittels führten, wurde nicht nachgegangen (Schott et al. 2010a).
Methodische Qualität Die Einschätzung der methodischen Qualität von Studien gibt einen Anhalt für ihre Validität. Um sie zu beurteilen, werden je nach Studienart unterschiedliche Instrumente eingesetzt. Die JadadSkala ist ein validiertes Bewertungsschema zur Beurteilung der methodischen Qualität von RCT (Jadad et al. 1996). Die Antworten auf Fragen u. a. nach der Verblindung und Randomisierung bestimmen einen Punktwert, der als Anhalt für die
18.2 • Auswirkungen von Interessenkonflikten auf die klinische Arzneimittelforschung
Qualität der Studie gilt. Zur Bewertung von systematischen Übersichtsarbeiten gibt es ein ähnliches Instrument: den Oxman-und-Guyatt-Index, in dem z. B. nach Suchstrategien und Vermeidung eines Selektionsbias gefragt wird (Oxman u. Guyatt 1991). Die Ergebnisse von 3 systematischen Übersichtsarbeiten zeigen, dass sich die methodische Qualität von klinischen Studien, die mit finanzieller Unterstützung durch pharmazeutische Unternehmen durchgeführt wurden, vergleichbar oder besser darstellt als die Qualität von Studien mit anderer Finanzierung (Bekelman et al. 2003; Lexchin et al. 2003; Schott et al. 2010a). Allerdings muss berücksichtigt werden, dass wichtige Parameter durch die zur Bewertung der Qualität verwendeten Instrumente nicht erhoben werden, wie u. a. die klinische Relevanz von Zielgrößen. So kann z. B. durch die Auswahl von ungeeigneten Endpunkten die Überlegenheit des mit dem pharmazeutischen Sponsor assoziierten Arzneimittels begünstigt werden (s. oben). Eine Überarbeitung der Instrumente zur Einschätzung der Qualität erscheint deshalb notwendig. > In verschiedenen Untersuchungen wurde gezeigt, dass pharmazeutische Unternehmen das Studienprotokoll zu ihren Gunsten beeinflussen. Die methodische Qualität der von pharmazeutischen Unternehmen finanzierten Studien stellt sich nicht schlechter dar als die Qualität anders finanzierter Untersuchungen, allerdings werden mit den derzeit verwendeten Instrumenten wesentliche Qualitätskriterien nicht erfasst.
18.2.3
Auswertung der Studiendaten und Verfassen des Manuskripts
Beschränkungen in den Publikationsrechten Vertragliche Klauseln können die plangemäße Durchführung einer Studie und die objektive Darstellung ihrer Resultate gefährden, wenn sie ausschließlich dem pharmazeutischen Unternehmen den Zugriff auf die Studiendaten sichern oder ihm
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18
ermöglichen, eine Publikation der Ergebnisse zu verhindern bzw. zu beeinflussen. In systematischen Untersuchungen wurde gezeigt, dass sich pharmazeutische Unternehmen bei einigen Studien die Hoheit über die Daten sichern und Beschränkungen in den Publikationsrechten festlegen. Dies wurde z. B. bei einer Analyse von Protokollen aller von pharmazeutischen Unternehmen initiierten und publizierten Studien einer Region in Dänemark und in einer Fragebogenerhebung bei Fachärzten in Australien gezeigt (Schott et al. 2010b). Ein eindrucksvolles Beispiel zur Einflussnahme von pharmazeutischen Unternehmen auf Wissenschaftler in Hinsicht auf vertragliche Klauseln ist mit den Vorgängen um Nancy Olivieri und Deferipron bekannt geworden. Die Ärztin hatte zusammen mit dem pharmazeutischen Hersteller eine klinische Studie durchgeführt, die ihrer Auffassung nach zeigte, dass Deferipron kein wirksames Arzneimittel zur Behandlung von Patienten mit einer Thalassämia major ist und mit erheblichen UAW einhergehen kann. Als sie nun die Patienten informieren und die Ergebnisse publizieren wollte, untersagte ihr der Hersteller dies mit Verweis auf eine Vertraulichkeitsverpflichtung in den Studienunterlagen. Nancy Olivieri veröffentlichte die Resultate trotzdem. Der Hersteller drohte ihr daraufhin mit Gerichtsverfahren. Die beteiligten Institutionen – ein Krankenhaus und die Universität Toronto – die finanzielle Zuwendungen vom pharmazeutischen Hersteller erwarteten, schützten Nancy Olivieri nicht. Im Gegenteil: Sie wurde vom Krankenhaus entlassen und erhielt ihre Position erst 5 Jahre später zurück (Somerville 2002). In den letzten Jahren ist Nancy Olivieri für ihren Kampf um die Freiheit der Wissenschaft und für ihren Mut mehrfach ausgezeichnet worden.
Autorschaft von Publikationen – Ghostauthors, Ghostwriter und Gastautoren Die Darstellung von Studienergebnissen kann durch Ghostauthors, Ghostwriter und Gastautoren manipuliert werden. Als »Ghostauthors« werden Personen bezeichnet, die einen wesentlichen Beitrag zur wissenschaftlichen Arbeit oder zur Erstellung des Manuskripts leisten, aber in der Publikation nicht
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Kapitel 18 • Auswirkungen von Interessenkonflikten auf Arzneimittelstudien
erwähnt werden. Dazu gehören auch Statistiker, die die erhobenen Daten auswerten und damit die Aussage der Publikation grundlegend beeinflussen. Unter dem Begriff »Ghostwriter« versteht man Personen, die wesentlich beim Verfassen eines Artikels beteiligt sind, ohne als Autor aufgeführt zu werden. Hierbei handelt es sich oft um Angestellte des beteiligten pharmazeutischen Unternehmens oder um Mitarbeiter von professionellen Agenturen, die auch die Planung der gesamten Publikation bis zur Unterbringung des Artikels in Fachzeitschriften übernehmen. Von Ghostwritern verfasste Publikationen werden so entworfen und platziert, dass sie den Eindruck von Objektivität vermitteln, obwohl sie oft ausschließlich dem Marketing dienende Aussagen transportieren. Der Begriff »Gastautor« bezeichnet Personen, die in einer Publikation als Autoren aufgeführt werden, obwohl sie anerkannten Kriterien für eine Autorschaft, beschrieben z. B. von dem International Committee of Medical Journal Editors (2010) nicht genügen (Altus 2009). z
18
Einsatz von Ghostauthors, Ghostwritern und Gastautoren
Mehrere Untersuchungen zeigen, dass in Publikationen, die von pharmazeutischen Unternehmen finanziert werden, vielfach Ghostauthors, Ghostwriter und Gastautoren zum Einsatz kommen. Dies ergab beispielsweise eine Untersuchung aller von pharmazeutischen Unternehmen initiierten und publizierten Studien einer Region in Dänemark, die auch zeigte, dass die statistische Auswertung häufig von Angestellten des pharmazeutischen Unternehmens durchgeführt wurde, die als Autoren nicht genannt wurden (Schott et al. 2010b). Die Beteiligung von Ghostauthors bzw. Ghostwritern und Gastautoren ist in Publikationen zu verschiedenen Arzneimitteln nachgewiesen worden. Eine dieser Untersuchungen zeigte beispielsweise, dass Manuskripte zu klinischen Studien mit Rofecoxib ebenso wie Übersichtsarbeiten zwar oft von Angestellten der Firma oder ungenannten Autoren von Auftragsunternehmen verfasst worden sind, jedoch als Erst- oder Zweitautoren externe Akademiker aufgeführt wurden, die finanzielle Zuwendungen häufig nicht offen legten (Schott et al.
2010b). Hier werden insbesondere Meinungsbildner (sog. key opinion leaders, KOL), z. B. Professoren, die in der Fachwelt auf dem entsprechenden Gebiet einen Namen haben, als Hauptautoren gewonnen, um der Studie einen seriösen und glaubhaften Anstrich zu geben. Ein umfangreicher Einsatz von Ghostwritern wurde auch bei Schadenersatzklagen von Brustkrebspatientinnen gegen den Hersteller eines Arzneimittels für die menopausale Hormontherapie aufgedeckt, im Rahmen derer das pharmazeutische Unternehmen ca. 1500 Dokumente zugänglich machen musste. In einer ersten Auswertung zeigte sich, dass der Hersteller eine Firma beauftragt hatte, allein von 1997–2003 mehr als 50 Publikationen in Fachzeitschriften sowie über 50 wissenschaftliche Abstracts, Poster und Zeitschriftensupplemente zu verfassen, die die Gefahren der Hormontherapie bagatellisieren und den vermeintlichen Nutzen betonen sollten. Propagiert wurde das Präparat auch für zahlreiche Indikationen außerhalb der Zulassung (»off-label«), wie z. B. zur Vorbeugung von Demenz, M. Parkinson und altersbedingter Makuladegeneration sowie im Lifestyle-Bereich zur positiven Beeinflussung der Elastizität der Haut und der Sexualität (Fugh-Berman 2010). Der Einsatz von Ghostwritern ist auch in Publikationen zu Gabapentin (Landefeld u. Steinman 2009), Paroxetin (McHenry u. Jureidini 2008), Sertralin (Healy u. Cattell 2003) und Rosiglitazon (Baucus et al. 2010) nachgewiesen worden. > Beschränkungen in den Publikationsrechten von Studiendaten und der Einsatz von Ghostauthors, Ghostwritern und Gastautoren durch pharmazeutische Unternehmen sind für mehrere Arzneimittel nachgewiesen worden.
18.2.4
Veröffentlichung von Studienergebnissen
Bias in Studien In Studien bezeichnet man mit »Bias« die Tendenz, Ergebnisse zu produzieren, die systematisch in eine bestimmte Richtung von den wahren Werten abweichen. Die Ursachen dafür liegen v. a. im Design
18.2 • Auswirkungen von Interessenkonflikten auf die klinische Arzneimittelforschung
und in der Durchführung der Studie und führen zu systematischen Unterschieden zwischen den Vergleichsgruppen, z. B. durch die Auswahl der Teilnehmer (Selektionsbias) oder die Erhebung der Endpunkte (»measurement bias« oder Messungsbias). Als Publikationsbias bezeichnet man die systematisch verzerrte Darstellung der Datenlage in wissenschaftlichen Zeitschriften, die dadurch entsteht, dass Studien mit positiven und statistisch signifikanten Ergebnissen eine größere Chance haben, publiziert zu werden, als Studien mit negativen und nicht signifikanten Resultaten (Arbeitsgruppe Glossar im DNEbM e. V. 2008). Der Publikationsbias kann dazu führen, dass die Wirksamkeit von medikamentösen Therapien überschätzt wird und UAW nicht adäquat bekannt werden. Auch in Leitlinien, die z. B. von medizinischen Fachgesellschaften auf der Basis von veröffentlichten Studienergebnissen erstellt werden, kann es deshalb zu fehlerhaften Empfehlungen kommen. Der Publikationsbias hat bei Studien, die durch pharmazeutische Unternehmen finanziert werden, ein beträchtliches Ausmaß. Untersuchungsergebnisse zeigen, dass teilweise mehr als die Hälfte der Studien, die von pharmazeutischen Unternehmen für die Zulassung eines Arzneimittels durchgeführt werden, unveröffentlicht bleiben (Schott et al. 2010c). Darüber hinaus zeigen Vergleiche zwischen Unterlagen, die bei den Zulassungsbehörden eingereicht wurden, mit den zugehörigen Publikationen in Fachzeitschriften, dass Studienergebnisse für die Veröffentlichungen geschönt werden. Diese selektive Darstellung von Ergebnissen umfasst: 5 die Hinzufügung positiver Ergebnisse, 5 die fehlende Erwähnung negativer Ergebnisse und 5 Veränderungen in der statistischen Signifikanz der Ergebnisse. In einer Untersuchung wurde beispielsweise aufgezeigt, wie durch Veränderung des primären Endpunktes und Nichtveröffentlichung ungünstiger Daten eine Wirksamkeit von Gabapentin in nicht zugelassenen Indikationen (»off-label use«) vorgetäuscht wurde. Außerdem sind multiple Publikationen derselben Ergebnisse bekannt geworden (Schott et al. 2010c).
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18
Unklar ist, ob sich die Wahrscheinlichkeit für eine Publikation in Abhängigkeit von der Finanzierungsart unterscheidet. Auch in nicht von pharmazeutischen Unternehmen finanzierten Studien werden positive und signifikante Studienergebnisse häufiger publiziert als negative. Dazu dürfte die Tatsache beitragen, dass insbesondere in den führenden Fachjournalen negative Studienergebnisse schwieriger zu veröffentlichen sind als positive. Auch zum Zusammenhang zwischen der Art der Finanzierung klinischer Studien und der Dauer bis zur Publikation der Ergebnisse liegen unterschiedliche Daten vor. Während sich in einigen Untersuchungen kein Unterschied fand, war die Dauer in anderen länger bzw. kürzer (Schott et al. 2010c). Auf ein eklatantes Beispiel für den Publikationsbias, das in Deutschland auch in der Laienpresse diskutiert wurde, ist das Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen (IQWIG) bei seiner Bewertung des Antidepressivums Reboxetin gestoßen. Die Wissenschaftler des IQWIG fanden bei ihren Recherchen unveröffentlichte Daten zu dem Wirkstoff. Aus Angaben in anderen Publikationen ging hervor, dass der Wirkstoff in mindestens 16 Studien mit 4600 Teilnehmern untersucht worden war, veröffentlicht waren aber nur Ergebnisse zu 1600 Patienten. Erst unter massivem öffentlichem Druck gab der Hersteller die fehlenden Daten heraus. In eine anschließende Metaanalyse flossen die Daten aus 13 Studien mit 4098 Patienten ein. Es zeigte sich, dass die ursprünglich veröffentlichten Daten die Wirkung von Reboxetin gegenüber Placebo um 115% und gegenüber selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern um 23% überschätzen ließen. Die zuvor angenommene positive Wirkung ließ sich nicht mehr nachweisen. Darüber hinaus wurden unerwünschte Wirkungen durch den Publikationsbias unterschätzt (Eyding et al. 2010). In der Konsequenz wurde der Wirkstoff in Deutschland zum 1. April 2011 aus der Erstattungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung genommen.
Verschweigen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen In mehreren Untersuchungen wurde gezeigt, dass Studien zu den unerwünschten Wirkungen eines
272
Kapitel 18 • Auswirkungen von Interessenkonflikten auf Arzneimittelstudien
Arzneimittels von pharmazeutischen Unternehmen nicht durchgeführt werden oder, wenn UAW aufgefallen waren, sie verheimlicht wurden (Schott et al. 2010b). Besonders deutlich ist das u. a. durch die Analyse von Dokumenten geworden, die im Rahmen von Gerichtsverfahren zugänglich gemacht wurden, die den Marktrücknahmen von Cerivastatin und Rofecoxib folgten. Beispiel: Cerivastatin Cerivastatin wurde im August 2001 vom Markt genommen, weil unter seiner Anwendung ein gehäuftes Auftreten von Rhabdomyolysen beobachtet worden war, insbesondere, wenn es kombiniert mit Gemfibrozil oder in hohen Dosen gegeben wurde. Eine Untersuchung zeigte, dass dem Hersteller schon ungefähr 100 Tage nach der Markteinführung Hinweise auf die Interaktion vorgelegen hatten, es aber 18 Monate dauerte, bis eine entsprechende Kontraindikation in die Fachinformation aufgenommen wurde. Außerdem wurden Ergebnisse einer klinischen Studie mit hoch dosiertem Cerivastatin (1,6 mg), die ein häufiges Vorkommen ausgeprägter Creatinkinase-Erhöhungen ergab, nicht der Öffentlichkeit mitgeteilt (Schott et al. 2010b). Beispiel: Rofecoxib Eine Auswertung der Doku-
18
mente, die nach der Marktrücknahme von Rofecoxib (Vioxx) veröffentlicht wurden, zeigte, wie der pharmazeutische Hersteller Daten aus klinischen Studien zur Mortalität unter Rofecoxib bei Patienten mit Alzheimer-Demenz oder kognitiven Störungen präsentierte: In 2 Publikationen zu den Studien war die numerisch erhöhte Mortalität unter Rofecoxib zwar angegeben worden, eine statistische Auswertung und Analyse dieser Daten fehlte jedoch. Die Sicherheit wurde zusammenfassend als »well tolerated« beurteilt. Dabei hatte eine interne Auswertung beider Studien bereits einen statistisch signifikanten Anstieg der Mortalität unter Rofecoxib gezeigt. Diese Analyse war weder der FDA noch der Öffentlichkeit zeitnah zugänglich gemacht worden. Der FDA wurde hingegen eine Auswertung präsentiert, bei der der Anstieg der Mortalität auf Grund einer kürzeren Nachbeobachtungszeit der Patienten geringer ausfiel. Nachfragen der FDA zur Sicherheit des Arzneimittels wiegelte das Unternehmen mit dem Hinweis ab, dass es sich um ver-
mutlich im Zufall begründete, kleine numerische Unterschiede zwischen den Gruppen handele. Studiendaten zum Auftreten kardiovaskulärer UAW wurden nicht adäquat ausgewertet (Schott et al. 2010b). > Die von pharmazeutischen Unternehmen publizierten Daten zu einem Arzneimittel ergeben häufig ein geschöntes Bild: Der Nutzen wird überschätzt, der Schaden wird unterschätzt. UAW wurden in einigen nachgewiesenen Fällen von pharmazeutischen Unternehmen aktiv verheimlicht.
18.2.5
Einflussnahme auf die Ergebnisse in pharmakoökonomischen Studien
Zunehmend ergeben sich Belege dafür, dass die Beteiligung pharmazeutischer Unternehmen auch die Ergebnisse pharmakoökonomischer Studien beeinflussen kann. Zu diesem Resultat kamen sämtliche 5 Studien zum Thema, die in die Übersichtsarbeit von Lexchin et al. (2003) eingeschlossen worden waren. Aus neueren Untersuchungen ergibt sich weitere Evidenz. So ergab eine Untersuchung pharmakoökonomischer Studien, in der aufgrund ihrer häufigen Verordnung als Beispiel Studien zu Antidepressiva ausgewählt worden waren, einen deutlichen Zusammenhang zwischen industrieller Finanzierung einer Studie und einem für den Sponsor günstigen Ergebnis (Baker et al. 2003). Dies galt sowohl für 2 Arten von Antidepressiva (SSRI im Vergleich zu trizyklischen Antidepressiva) als auch für langjährig auf dem Markt befindliche vs. neue Antidepressiva. Auch in pharmakoökonomischen Untersuchungen zum Einsatz von Aromataseinhibitoren bei Brustkrebs ließ sich ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Schlussfolgerungen von Autoren, die für den pharmazeutischen Sponsor günstig sind, und der Finanzierung der Studie durch den Hersteller des Arzneimittels nachweisen (Jang et al. 2010). Bei Bisphosphonaten zur Behandlung der Osteoporose zeigte sich ein statistisch signifikanter Zusammenhang nur für den
18.2 • Auswirkungen von Interessenkonflikten auf die klinische Arzneimittelforschung
höheren Grenzwert von US $ 100.000 pro qualitätskorrigiertem Lebensjahr (»quality adjusted life year«, QALY), nicht aber für US $ 20.000 und US $ 50.000 pro QALY (Fleurence et al. 2010). Eine weitere Analyse zeigte einen deutlichen Zusammenhang zwischen auf Modellierungen basierenden pharmakoökonomischen Analysen von Therapien mit einem Arzneimittel und für den Hersteller günstigen Ergebnissen (Garattini et al. 2010). Diese Studienergebnisse sind in . Tab. 18.1 zusammenfassend dargestellt. > Auch in pharmakoökonomischen Studien ist ein Zusammenhang zwischen Beteiligung pharmazeutischer Unternehmen und für das Unternehmen günstigen Ergebnissen nachgewiesen worden.
18.2.6
Beispiel: Avandia (Rosiglitazon)
Am Beispiel von Avandia (Rosiglitazon) wird deutlich, wie vom pharmazeutischen Hersteller verschiedene Strategien genutzt wurden, um durch positive Darstellung der Wirksamkeit und Verschweigen der Risiken einen möglichst günstigen Eindruck vom Nutzen-Risiko-Profil seines Arzneimittels zu erwecken und es erfolgreich zu vermarkten. Steven Nissen hat den Aufstieg und Fall von Avandia (Rosiglitazon) ausführlich beschrieben (Nissen 2010). Einige wesentliche Punkte im »Lebenszyklus« von Avandia (Rosiglitazon) stellen wir im Folgenden dar. Avandia (Rosiglitazon) wurde nach seiner Markteinführung im Jahr 2000 innerhalb weniger Jahre zum weltweit meist verkauften Antidiabetikum mit Jahresumsätzen bis zu US $ 3,3 Mrd. Schon bei der Zulassung wurde auch von der amerikanischen Zulassungsbehörde (Food and Drug Administration, FDA) die begrenzte Evidenz zur Wirksamkeit kritisiert und Bedenken hinsichtlich der Sicherheit geäußert. Avandia (Rosiglitazon) wurde unter der Auflage zugelassen, zusätzliche Daten zu erheben. Nach der Markteinführung betonte der Hersteller die positiven Wirkungen von Avandia (Rosiglitazon), während ungünstige Effekte, z. B. auf das Lipidprofil der Patienten, nicht erwähnt wurden. Ein bekannter Diabetes-Experte
273
18
ließ sich nicht überzeugen und begann, bei öffentlichen Auftritten kritische Fragen zur Sicherheit des Arzneimittels zu stellen. Jahre später stellte sich heraus, dass sich daraufhin ein leitender Angestellter des Herstellers bei der Universitätsleitung über diesen Arzt beschwert hatte. Außerdem wurde der Arzt von einer Delegation des Unternehmens aufgesucht, die ihm mit gerichtlichen Verfahren und Schadenersatzklagen auf Grund nach seiner Kritik gesunkener Aktienwerte (Verlust von US $ 4 Mrd.) drohte. Er wurde dazu gebracht eine Vereinbarung zu unterzeichnen, nach der ihm öffentliche Kritik von Avandia (Rosiglitazon) untersagt war. In den 2 Jahren nach der Zulassung wurden in Spontanmeldungen Flüssigkeitsretention und Herzinsuffizienz mit der Einnahme von Rosiglitazon assoziiert, so dass die FDA in der Fachinformation eine entsprechende Warnung einfügte. Studiendaten ergaben ebenfalls Hinweise auf vermehrte kardiovaskuläre Ereignisse unter Rosiglitazon. Dennoch wurden eine Vielzahl von Marketingstudien initiiert, darunter die »Avandia in daily practice«-Studie, die in Deutschland durchgeführt wurde und in der fast 23.000 Patienten in 6420 Studienzentren eingeschlossen wurden (GlaxoSmithKline (GSK) Clinical Study Register 2005). Wegen Zweifeln an der kardiovaskulären Sicherheit von Rosiglitazon forderte Steven Nissen im Januar 2007 Daten vom pharmazeutischen Hersteller an, die dieser verweigerte. Nissen stieß dann auf der Website des Herstellers auf ein Register aller laufenden Studien, zu dem das Unternehmen im Rahmen eines Gerichtsverfahrens verpflichtet worden war, weil es das erhöhte Suizidrisiko von Kindern und Jugendlichen unter Paroxetin verschwiegen hatte. In dem Register fanden Nissen und seine Mitarbeiter 42 RCT, von denen 35 nicht publiziert waren. Am 1. Mai 2007 reichten sie eine Metaanalyse der Daten zur Publikation ein, die vertraulich an Gutachter verschickt wurde. Einer von ihnen, für den übrigens im Auftrag des Herstellers ein Manuskript zu Rosiglitazon geschrieben worden war (Ghostwriting) (Baucus et al. 2010), faxte trotzdem sofort ein Exemplar der Metaanalyse an das pharmazeutische Unternehmen. Dort bestätigten interne Statistiker die Ergebnisse von Steven Nissen. Später stellte sich heraus, dass der Hersteller schon deutlich früher (im Herbst 2005 und 2006)
274
Kapitel 18 • Auswirkungen von Interessenkonflikten auf Arzneimittelstudien
. Tab. 18.1 Beeinflussung der Ergebnisse pharmakoökonomischer Studien durch die Beteiligung pharmazeutischer Unternehmen Autor
Fragestellung
Ergebnis
Baker et al. 2003
Assoziation zwischen Finanzierungsquelle und quantitativen Ergebnissen in pharmakoökonomischen Studien von Antidepressiva bei allen identifizierbaren Publikationen mit quantitativen Ergebnissen, publiziert von 1987–2001
Signifikante Assoziation zwischen Finanzierung durch pharmazeutische Unternehmen und für den pharmazeutischen Sponsor günstigen Ergebnissen.
Fleurence et al. 2010
Assoziation zwischen Finanzierung und Ergebnissen bei 571 ökonomischen Auswertungen in 17 Studien zu Bisphosphonaten zur Behandlung der Osteoporose, publiziert von 1990–2006
Kosten-Nutzen-Analysen, die durch pharmazeutische Unternehmen finanziert werden, ergeben signifikant häufiger weniger als US $ 100.000 pro QALY als aus anderen Quellen finanzierte Analysen (Odds Ratio 4,69, 95% Konfidenzintervall 1,77–12,43). Kein signifikanter Unterschied bei Kosten-NutzenAnalysen mit den Grenzwerten US $ 20.000 und US $ 50.000 pro QALY.
Garattini et al. 2010
Einfluss der Finanzierung durch pharmazeutische Unternehmen auf die Ergebnisse von ökonomischen Auswertungen, die auf Modellen nach Markov beruhen, publiziert von 2004–2009
131 der 138 (95%) durch pharmazeutische Unternehmen finanzierten Publikationen ergaben für den Sponsor günstige Schlussfolgerungen, verglichen mit 31 der 62 (50%) Publikationen ohne Finanzierung durch pharmazeutische Unternehmen.
Jang et al. 2010
Assoziation zwischen Finanzierungsquelle und für den Sponsor ungünstigen Schlussfolgerungen bei ökonomischen Analysen von Aromataseinhibitoren bei Brustkrebs, publiziert bis Mai 2009
Nur eine von 26 (4%) durch pharmazeutische Unternehmen finanzierten Studien ergab ein für den Sponsor ungünstiges Resultat, dagegen zeigten 2 von 4 (50%) der nicht durch pharmazeutische Unternehmen finanzierten Studien, dass Aromataseinhibitoren in bestimmten klinischen Szenarien nicht kosteneffektiv sind (p < 0,05).
QALY quality adjusted life year
18
eigene Metaanalysen durchgeführt hatte, die ebenfalls ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, insbesondere von Herzinfarkten, unter Rosiglitazon gezeigt hatten. Diese Daten wurden der Öffentlichkeit nicht präsentiert, der FDA waren sie allerdings bekannt. Um Zweifel an Nissens Ergebnissen zu säen, entschied der Hersteller hastig, eine laufende Studie zu entblinden und abzubrechen. Einem Mitarbeiter der FDA fielen später in dieser Studie verschiedene Mängel im Design und bei der Durchführung auf (Cohen 2010). Insbesondere war er bei der Sichtung von Rohdaten und weiteren Studienunterlagen inklusive Erhebungsbögen auf mehrere Patienten gestoßen, die unter Rosiglitazon ein
kardiovaskuläres Ereignis erlitten hatten, das in der Auswertung nicht mitgezählt worden war. Die FDA hatte bereits im Juli 2007 geschätzt, dass Rosiglitazon seit der Zulassung 83.000 zusätzliche Herzinfarkte in den USA ausgelöst hatte (Committee on Finance, United States Senate 2007). Im September 2010 wurde Avandia (Rosiglitazon) in Europa vom Markt genommen, in den USA wurde es strikten Verordnungsbeschränkungen unterstellt. Die führende deutsche DiabetesFachgesellschaft hat sich bis zum Schluss einer kritischen Bewertung von Rosiglitazon nicht anschließen können (7 Abschn. 2.4.3).
275
18.3 • Maßnahmen zum Schutz vor Interessenkonflikten
Zu den wesentlichen Strategien, die der Hersteller einsetzte, um Avandia (Rosiglitazon) zu retten, gehörten also: 5 die Einschüchterung von Kritikern, 5 das Verschweigen von UAW und 5 die Durchführung wertloser Studien. Doch die Vorgänge um Avandia (Rosiglitazon) sind nur ein Beispiel unter vielen, ähnliche Ereignisse sind für Cerivastatin, Rofecoxib, Rimonabant, Sibutramin und die SSRI bekannt geworden.
18
Umgang mit Interessenkonflikten aufgestellt worden, die regelmäßig an neue Erkenntnisse angepasst werden müssen. So wurden beispielsweise bei der EMA im Oktober 2010 neue Richtlinien zum Umgang mit Interessenkonflikten mit dem Ziel beschlossen, durch einen effizienteren, robusteren und transparenteren Ablauf zu gewährleisten, dass die beteiligten Fachleute keine Interessenkonflikte mit pharmazeutischen Unternehmen haben, die ihre Unparteilichkeit beeinflussen könnten (EMA 2010).
Deklaration 18.3
Maßnahmen zum Schutz vor Interessenkonflikten
In den vorangehenden Abschnitten haben wir dargestellt, wie durch vielfältige Untersuchungen deutlich geworden ist, dass finanzielle Interessenkonflikte klinische Arzneimittelstudien in verschiedener Hinsicht beeinflussen können. Im Folgenden werden wir Maßnahmen vorstellen und diskutieren, die wissenschaftliche klinische Forschung vor dem Einfluss von Interessenkonflikten schützen können.
18.3.1
Transparenz
Offenlegung Die Offenlegung von Interessenkonflikten ist eine weit verbreitete Schutzmaßnahme in unterschiedlichen Bereichen klinischer Forschung. So fordert das »International Committee of Medical Journal Editors« (ICMJE) bei der Publikation von Arzneimittelstudien von den Autoren, dass alle finanziellen und persönlichen Interessenkonflikte, die ihre Forschung verzerren könnten, angegeben werden (International Committee of Medical Journal Editors 2009) (7 Kap. 19). Daneben findet die Forderung, die Finanzierung einer Studie und Interessenkonflikte der Wissenschaftler gegenüber Teilnehmern an klinischen Studien offenzulegen, zunehmend Beachtung und wird in der »Deklaration von Helsinki« des Weltärztebundes zur Durchführung medizinischer Forschung verlangt (World Medical Association 2008) (7 Kap. 5 und 7 Kap. 17). Auch in staatlichen Institutionen sind Regeln zum
Zur Deklaration von Interessenkonflikten sind Empfehlungen entwickelt worden (Lieb et al. 2011). So sollten die Fragebögen, in denen Interessenkonflikte abgefragt werden, je nach Kontext unterschiedliche Gewichtungen haben. Es wurde eine Liste mit standardisierten Fragen zusammengestellt, aus der Institutionen die für ihre Belange relevanten Fragen auswählen können. Regeln zum Umgang mit pharmazeutischen Unternehmen
müssen diskutiert und unter Wissenschaftlern bekannt gemacht werden, die ihrerseits die Verantwortung dafür tragen, sie zu befolgen. Wenn Erklärungen zu Interessenkonflikten in Publikationen von Studien nicht informativ sind, kann eine Einschätzung der Qualität des Artikels, z. B. anhand der CONSORT-Empfehlungen zur Darstellung der Ergebnisse klinischer Studien, dem Leser helfen, die Gefahr eines Bias in einer Publikation abzuschätzen (Psaty 2009; Moher et al. 2001).
Registrierung von Studien Transparenz wird auch hinsichtlich der Daten von Arzneimittelstudien gefordert. Hier hat das »International Committee of Medical Journal Editors« (ICMJE) im Jahre 2004 festgelegt, dass als Bedingung für eine Publikation in den Zeitschriften der hier vertretenen Herausgeber eine Registrierung der Studie erforderlich ist (DeAngelis et al. 2004) (7 Kap. 19). Diese Forderung wird auch von wichtigen Organisationen der pharmazeutischen Industrie, wie dem Verband der »Pharmaceutical Research and Manufacturers of America« (PhRMA) und der »International Federation of Pharmaceutical Manufacturers & Associations« (IFPMA) unterstützt, die ihre Mitglieder durch Richtlinien verpflich-
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Kapitel 18 • Auswirkungen von Interessenkonflikten auf Arzneimittelstudien
ten, Studien prospektiv in öffentlich zugänglichen Registern aufzunehmen (Schott et al. 2010b). Studien haben jedoch Hinweise darauf ergeben, dass pharmazeutische Unternehmen weiterhin wichtige Informationen über klinische Arzneimittelstudien nicht registrieren lassen (Schott et al. 2010b; Bourgeois et al. 2010). In der Bundesrepublik Deutschland wurde in der Neufassung des Arzneimittelgesetzes aus dem Jahre 2010 eine gesetzliche Verpflichtung zur Offenlegung von Ergebnissen klinischer Prüfungen festgelegt (§ 42 b), die auch für bereits zugelassene Arzneimittel begründet wird (Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes 2010). Dies ist zu begrüßen, sollte sich jedoch auch auf Rohdaten und Studienprotokolle erstrecken.
Forderung nach unabhängigen Studien Die Forderung nach Transparenz beinhaltet auch die Forderung nach Studien, die unabhängig von pharmazeutischen Unternehmen geplant und durchgeführt werden und wichtige Fragen zu einem Arzneimittel beantworten, an denen der Hersteller weniger interessiert ist. Pharmazeutische Unternehmen sollten verpflichtet werden, dafür finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, z. B. als prozentualer Anteil des Umsatzes oder der Marketingausgaben. Im Rahmen einer in Italien seit 2005 praktizierten Regelung müssen alle dort vertretenen pharmazeutischen Hersteller 5% ihrer Ausgaben für Werbung an die italienische Zulassungsbehörde zahlen, die damit unabhängige Forschung, z. B. für die Untersuchung von Arzneimitteln für seltene Krankheiten (orphan drugs) und für Studien zum Einsatz von Arzneimitteln unter Alltagsbedingungen, finanziert. Auf diese Weise wurden von 2005–2007 insgesamt 151 Studien mit einem Gesamtvolumen von EUR 78 Mio. gefördert (Italian Medicines Agency (AIFA) Research & Development Working Group 2010).
18
18.3.2
Verzicht und Verbot
Teile der Ärzteschaft sind sich des Problems der Einflussnahme durch pharmazeutische Unternehmen bewusst und kommen zu der Auffassung, dass eine Transparenz hinsichtlich der Interessenkonflikte nicht ausreicht. In einer US-amerikanischen
Initiative haben sich in der Krankenversorgung tätige Menschen unter dem Namen »No free lunch« zusammengeschlossen. Sie lehnen die Annahme jeglicher Geschenke von der pharmazeutischen Industrie ab (No Free Lunch 2008) (7 Kap. 11). Schwesterinitiativen gibt es in mehreren europäischen Ländern, in Deutschland unter dem Namen »Mein Essen zahl’ ich selbst« (MEZIS) (MEZIS e. V. 2007). Analog dazu könnten Wissenschaftler und Kliniker Einladungen für Gastautorschaften ablehnen (Fugh-Berman u. Dodgson 2008). Die strengste Maßnahme zum Schutz vor Interessenkonflikten ist das Verbot von finanziellen Verbindungen zu pharmazeutischen Unternehmen. Verbote können sich gegen bestimmte Arten von Interessenkonflikten richten, z. B. Beraterverträge, oder gegen Summen oberhalb eines bestimmten Betrags (Hampson et al. 2008). Vom »Institute of Medicine of the National Academies«, einer US-amerikanischen Beratungsbehörde für gesundheitspolitische Fragestellungen, wird in Übereinstimmung mit dortigen Universitätsverbänden gefordert, dass Wissenschaftler sich nicht an Forschung am Menschen beteiligen, wenn sie ein finanzielles Interesse am Ergebnis haben, sie also beispielsweise ein Patent für eine Intervention halten, das in einer Studie an Patienten getestet wird (Committee on Conflict of Interest in Medical Research, Education, and Practice & Institute of Medicine 2009) (7 Abschn. 2.1). Von dieser Regel sollte nur in wenigen Ausnahmefällen abgewichen werden, z. B. wenn es für das Einsetzen eines Medizinprodukts einer besonderen Expertise und Fertigkeit bedarf, die auf den beteiligten Wissenschaftler beschränkt ist (7 Kap. 7). > Transparenz, Verzicht und Verbot können einen Schutz vor dem Einfluss von Interessenkonflikten bieten.
18.4
Fazit und Ausblick
Pharmazeutische Unternehmen finanzieren weltweit den überwiegenden Teil der klinischen Studien, die die Grundlage für die Marktzulassung eines Arzneimittels sind. Daneben sind finanzielle Verbindungen zwischen pharmazeutischen Unter-
277
Literatur
nehmen und Wissenschaftlern bzw. Institutionen weit verbreitet. Viele Untersuchungen haben belegt, dass finanzielle Interessenkonflikte den Forschungsprozess einer klinischen Arzneimittelstudie beeinflussen können, von der Planung des Studienprotokolls über die Durchführung und Auswertung der Studie bis zur Interpretation und Publikation der Ergebnisse. Der gesamte Prozess, der zu einer Publikation führt, die von einem pharmazeutischen Unternehmen geplant wurde, lässt sich als »Ghost management« bezeichnen, bei dem das Ghostwriting nur ein Teil eines unsichtbaren Ablaufes ist (Sismondo u. Doucet 2010). Transparenz kann dazu beitragen, vor negativen Einflüssen durch Interessenkonflikte zu schützen (Hildebrandt u. Ludwig 2003). Bei Publikationen wird Lesern beispielsweise durch Offenlegung von Interessenkonflikten der Autoren ermöglicht, diese Information bei der Einschätzung der Validität der Ergebnisse in Betracht zu ziehen. In 7 Kap. 3 wird jedoch dargelegt, dass eine derartige Korrektur der Bewertung eher nicht gelingt. Eine Offenlegung von Interessenkonflikten kann einen Einfluss kommerzieller Interessen nicht verhindern. Deswegen sollten umfassende gesetzliche Regelungen den öffentlichen Zugang zu Studienprotokollen, Rohdaten und allen weiteren relevanten Studiendokumenten sicherstellen, um eine unabhängige Auswertung von Studiendaten zu ermöglichen. Um den Stellenwert von Arzneimitteln und therapeutischen Strategien zu bestimmen, sind darüber hinaus Studien notwendig, die unabhängig von pharmazeutischen Unternehmen durchgeführt werden. Dafür müssen vermehrt öffentliche Gelder bereit gestellt werden.
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18
Kapitel 18 • Auswirkungen von Interessenkonflikten auf Arzneimittelstudien
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279
18
281
Interessenkonflikte in Fachzeitschriften Christopher Baethge
19.1
Einleitung – 282
19.2
Welche Arten von Interessenkonflikten bestehen in der Medizinpublizistik? – 283
19.2.1 19.2.2
Institutionelle Interessenkonflikte auf Seiten der Zeitschriften – 284 Individuelle Interessenkonflikte – 288
19.3
Wie gehen medizinische Journale mit Interessenkonflikten um? – 291
19.3.1 19.3.2
Umgang mit materiellen Interessenkonflikten – 291 Umgang mit immateriellen Interessenkonflikten – 294
19.4
Die Wahrnehmung von Interessenkonflikten in Zeitschriften und die Debatte über den richtigen Umgang – 294
19.4.1 19.4.2
Ergebnisse zur Wahrnehmung von Interessenkonflikten – 294 Die Debatte über den richtigen Umgang mit Interessenkonflikten in Zeitschriften – 295
19.5
Fazit und Ausblick – 296 Literatur – 297
K. Lieb et al (Hrsg.), Interessenkonfl ikte in der Medizin, DOI 10.1007/978-3-642-19842-7_19, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2011
19
282
Kapitel 19 • Interessenkonflikte in Fachzeitschriften
»Our readers are not children. They are physicians, scientists, health policy experts, and medical reporters. They can figure this thing out so long as we give them the information.« George Lundberg, ehemaliger Herausgeber des Journal of the American Medical Association, 1998 (zit. nach Silverman et al. 2010)
Zur Einführung Im Zusammenhang mit medizinischen Fachzeitschriften sind Interessenkonflikte allgegenwärtig. Ihre Bedeutung erhalten sie, weil die Medizin eine Zeitschriftenwissenschaft ist: Nahezu alle wissenschaftlichen Ergebnisse, aber auch ein Großteil der zur Fortbildung verfassten Texte erscheinen in Journalen. Die nicht zwangsläufige, aber mögliche Folge von Interessenkonflikten in Fachzeitschriften – eine verzerrte Darstellung medizinischer Inhalte – ist also von Belang für alle Ärzte und Patienten. Es sollen daher Varianten, Ausmaß und Folgen von Interessenkollisionen im Bereich der Medizinpublizistik beschrieben werden, aber auch offene Fragen und Unsicherheiten. Dabei geht es nicht nur um individuelle Interessenkonflikte, etwa auf Seiten von Autoren, sondern auch um institutionelle (z. B. von Zeitschriften) und nicht nur um finanzielle, sondern auch um immaterielle. Das Kapitel endet mit einem Überblick über den Umgang von Fachzeitschriften mit Interessenkonflikten. Die Zahlen dieses Textes basieren, soweit nicht anders angegeben, auf öffentlich zugänglichen Quellen; die zitierten Referenzen entstammen einer eigenen, jedoch nicht im strengen Sinne systematischen Literaturrecherche. Beispiele aus dem alltäglichen Umgang mit Interessenkonflikten sind wegen der Tätigkeiten des Verfassers beim Deutschen Ärzteblatt und an der Psychiatrischen Uniklinik in Köln oft der Praxis dieser Zeitschrift und der Publizistik im Fach Psychiatrie entnommen.
22,9 % aller Übersichts- und Originalarbeiten in einem substanziellen Anteil der Texte eine Interessenkollision auf Seiten der Verfasser. Nicht wenige Leser sehen dies kritisch. So erhielt das Deutsche Ärzteblatt folgende Rückmeldung aus dem Leserkreis: »Es ist ja schon ein Fortschritt, dass Sie die Nennung der industriellen Geldgeber der Autoren eingeführt haben. Tun Sie auch den zweiten Schritt und lassen Sie die Artikel von, gesponserten‘ Autoren weg.« Ist dieser Leser im Recht? Vor der Beschreibung der Interessenkonflikte in der Medizinpublizistik und der Antwort auf die Frage des Leserbriefautors, seien mit Verweis auf die vertiefenden Abschnitte in diesem Buch (7 Kap. 3) drei Voraussetzungen der Debatte über Interessenkonflikte ausgesprochen. Voraussetzung 1 Im Sinne Dennis F. Thompson,
Professor für Public Policy an der Harvard-Universität, besteht ein Interessenkonflikt immer, wenn ein primäres Interesse durch ein sekundäres beeinträchtigt zu werden droht (Thompson 2009). Mit dem primären Interesse z. B. eines Wissenschaftlers ist der Definition seiner Profession gemäß die Schaffung und Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse gemeint, während sekundäre Interessen darin bestehen können, finanziellen Gewinn zu erzielen oder aus Gründen fachpolitischer Opportunität die Meinung einer bestimmten wissenschaftlichen Schule zu vertreten. Ob der Forscher selbst davon überzeugt ist, einem Interessenkonflikt ausgesetzt zu sein oder ob er sich gänzlich frei von zweitrangigen Einflüssen fühlt, ist nicht entscheidend. Von Belang ist einzig das gleichzeitige Bestehen sekundärer Interessen, wenn eigentlich nur der Profession immanente Ziele, wie die Lösung wissenschaftlicher Probleme oder die Therapie von Kranken, erreicht werden sollen. Voraussetzung 2 Die Definition Thompsons wird
19.1
19
Einleitung
Im Jahr 2010 lag bei jedem dritten wissenschaftlichen Artikel im Deutschen Ärzteblatt ein Interessenkonflikt der Autoren vor. Auch in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift bestand mit
durch die psychologischen Ergebnisse zu den Phänomenen Reziprozität und motivierte Evaluation gestützt: Unter Reziprozität versteht man das Bedürfnis, sich für Zuwendungen erkenntlich zu zeigen. Diese menschliche Eigenschaft hat sich in sozialpsychologischen Experimenten immer wieder gezeigt (Dana 2009; 7 Kap. 3), und wurde über Sprachgrenzen und Epochen hinweg von der
19.2 • Welche Arten von Interessenkonflikten bestehen in der Medizinpublizistik?
Umgangssprache schon lange zur Regel erhoben, wie die Redewendungen »Do ut des«, »There is no free lunch«, »Une main lave l’autre«, »Leistung und Gegenleistung« oder auch »Wes’ Brot ich ess’, des’ Lied ich sing’« zeigen. Motivierte Evaluation ist der Fachausdruck für ein ebenfalls aus dem Alltagsleben bekanntes Phänomen: Die Tendenz, seine Umwelt im Sinne der eigenen Interessen wahrzunehmen (Gilovich 1991; Pronin 2002; 7 Kap. 3). In der Sozialpsychologie werden auch die Synonyme »wish bias« oder »confirmation bias« benutzt. Entscheidend ist, dass die Wahrnehmungsverzerrung oft unbewusst abläuft. Diese beiden Prinzipien können sich, um ein Beispiel zu wählen, so kombinieren, dass ein Wissenschaftler, der sich einer Pharmafirma wegen des Erhalts von Vortragshonoraren verpflichtet fühlt (Reziprozität), bei der Recherche zu einer Übersichtsarbeit präferentiell und oft unbewusst jene Ergebnisse wahrnimmt, die Produkte dieser Firma positiv erscheinen lassen (motivierte Evaluation).
Interessenkonfliktes nicht darauf an, ob er zu einer Konsequenz auf der Handlungsebene führt, also etwa tatsächlich zu einer tendenziösen Darstellung von Forschungsergebnissen. Man muss daher zwischen dem Interessenkonflikt und seinen möglichen Folgen unterscheiden. Das Vorliegen eines Interessenkonfliktes ist zunächst wertneutral und sein Vorhandensein allein diskreditiert einen wissenschaftlichen Text nicht. Ein Interessenkonflikt als solcher ist nicht ehrenrührig. Auch wenn die hier kursorisch erwähnten sozialpsychologischen Ergebnisse nicht in Experimenten zum vorliegenden Thema, sondern in allgemeinen Untersuchungen gewonnen wurden, bieten sie ein plausibles Modell – im Sinne einer vereinfachten Erklärung –, das ein besseres Verstehen des Problems widerstreitender Interessen ermöglicht. Wie dieses Modell von Reziprozität und motivierter Evaluation ist auch Thompsons Definition der Interessenkonflikte nicht frei von Problemen in der Anwendung: Einerseits ist sie einleuchtend und gut operationalisierbar, andererseits ist fraglich, ob es den Zustand eines völlig von sekundären Interessen freien Wissenschaftlers überhaupt geben kann, und ob man die Vorteile der Definition nicht mit
19
dem Nachteil erkauft, in nahezu jedem Fall einen Konflikt erkennen zu müssen, gerade wenn man nicht-materielle Interessen einbezieht. Soweit sie nicht Institutionen betreffen, beruhen Interessenkonflikte in ihrer schwerer wiegenden und zu erkennenden Form vermutlich eher auf einer schleichenden Beeinflussung als auf bewusster Täuschung – wobei das Ausmaß der Bewusstheit sicher schwankt. Dies bedeutet, dass Interessenkonflikte Einzelner meist nicht mit klassischer Korruption in Eins zu setzen sind. In Abgrenzung dazu steht ein offener Betrug wie Ghostauthorship – das Schreiben eines Artikels durch andere Autoren als auf der Veröffentlichung angegeben wird – so sehr im Gegensatz zu den Standards wissenschaftlichen Handelns, dass bereits kein primäres Interesse mehr sichtbar ist. Daher ist es, so verurteilenswert diese spezielle Form der Lesertäuschung auch ist, nicht Gegenstand dieses Kapitels.
19.2 Voraussetzung 3 Es kommt für das Vorliegen eines
283
Welche Arten von Interessenkonflikten bestehen in der Medizinpublizistik?
In der Regel geht es um Autoren, um Individuen, wenn von widerstreitenden Interessen in Fachzeitschriften die Rede ist. Es bestehen jedoch in allen Bereichen der Medizinpublizistik Interessenkonflikte (7 Übersicht), auch auf institutioneller Ebene, wobei die finanziellen wegen ihrer Relevanz den Schwerpunkt bilden. Mögliche Ursachen für Interessenkonflikte im Zusammenhang mit Fachzeitschriften 5 Vollständige oder teilweise finanzielle Abhängigkeit von Anzeigen 5 Andere vollständige oder teilweise Abhängigkeit der Zeitschrift von der Industrie 5 Sonderseiten zu neuen Produkten (direkt/ indirekt industriefinanziert) 5 Verkauf von Sonderdrucken an die Industrie 5 Besitzverhältnisse der Fachzeitschrift (z. B. Interessen von Ärzteorganisationen oder Fachgesellschaften) 5 Finanzielle und immaterielle Interessenkonflikte der Redakteure
284
Kapitel 19 • Interessenkonflikte in Fachzeitschriften
5 Finanzielle und immaterielle Interessenkonflikte der Gutachter 5 Finanzielle und immaterielle Interessenkonflikte der Autoren
Im vorliegenden Zusammenhang sind daher die prinzipiellen Geldquellen von Fachzeitschriften bedeutsam: 5 Medizinische Journale finanzieren sich zum einen durch ihre Leser. Dies geschieht direkt durch Abonnements oder – im Falle von Periodika, die von einer Fachgesellschaft oder Ärzteorganisation herausgegeben werden – durch einen Anteil an den Mitgliedsbeiträgen. 5 Die andere Geldquelle besteht in der Unterstützung durch Unternehmen aus der Arzneimittel- oder Medizinproduktebranche. Mit diesen Finanzierungswegen stehen viele Interessenkonflikte von Fachzeitschriften in direktem Zusammenhang. Dabei sei an die einleitenden Bemerkungen erinnert, nach denen das Vorliegen von Interessenkonflikten nicht automatisch mit einer inhaltlichen Verzerrung einhergehen muss. Für die meisten der im Folgenden beschriebenen Konstellationen von Interessenkonflikten liegen keine veröffentlichten empirischen Befunde darüber vor, ob sie auch tatsächlich zu einer inhaltlichen Beeinflussung geführt haben oder sogar zu einer unangemessenen Veränderung ärztlichen Handelns. Für eine Bewertung kann man gegenwärtig oftmals leider nicht mehr als Plausibilitätsüberlegungen heranziehen. Dieses Kapitel muss daher vielfach deskriptiv bleiben. Seine Prämisse besteht darin, dass es Ziel und primäres Interesse einer Fachzeitschrift ist, medizinische Informationen unverzerrt und umfassend darzustellen.
19
> In der Medizinpublizistik bestehen Interessenkonflikte auf der individuellen Ebene, z. B. bei Autoren, Gutachtern und Redakteuren, aber auch auf der institutionellen Ebene, wie etwa bei Zeitschriften und Verlagen.
19.2.1
Institutionelle Interessenkonflikte auf Seiten der Zeitschriften
Werbung Die als Selbstverständlichkeit wahrgenommene Medikamentenwerbung (vielmehr korrekt, weil allgemeiner: Medizinproduktewerbung) in medizinischen Journalen erzeugt für viele Zeitschriften eine finanzielle Abhängigkeit von den Unternehmen der Pharma- oder Medizinprodukteindustrie. Man muss annehmen, dass Anzeigen in Printprodukten eine Wirkung auf Leser ausüben, sei es in Fachzeitschriften oder in Publikumsmedien – wäre es anders, würde diese Werbung vermutlich nicht geschaltet (Webersinke et al. 2009; Spurling et al.2010). Ob sie aber auch über Einzelfälle (Dyer 2004) hinaus zu einer systematischen Verzerrung redaktioneller Inhalte im Sinne der Unternehmen führt, ist empirisch nicht ausreichend untersucht. Daher ist auch unklar, ob solche Anzeigen die Integrität wissenschaftlicher Journale grundsätzlich unterminieren, und man sie eines Tages mit dem gleichen Befremden betrachten wird, wie man heute die Zigarettenwerbung aus den medizinischen Zeitschriften der 50er-Jahre ansieht (Williams 2007), oder ob sie sogar eine Voraussetzung für redaktionelle Unabhängigkeit z. B. von Herausgeberorganisationen sind, wie Richard Smith meint, der langjährige Chefredakteur des British Medical Journal (Smith 2007) Es gibt allerdings zu denken, dass die Zeitschrift Annals of Internal Medicine eigenen Angaben zufolge nach der Veröffentlichung eines Artikels, der Medikamentenanzeigen kritisch untersucht hatte, etwa 1–1,5 Mio. US $ an Anzeigenvolumen verlor (Lexchin & Light 2006). . Tab. 19.1 zeigt den Anteil von Pharmawerbung an den Gesamtseiten einiger ausgewählter deutschsprachiger allgemeinpsychiatrischer Fachzeitschriften. Fest steht, dass ein Verzicht auf Medikamenten-Anzeigen für viele Zeitschriften das Aus bedeuten würde, denn vermutlich wären die Leser nicht bereit, alle Periodika durch teurere Abonnements am Leben zu erhalten, wie es der Idealzustand wäre – nicht nur für die medizinische Fachpresse. Gleichwohl erscheinen Periodika, die auf Pharmawerbung gänzlich verzichten: u. a. die Zeitschrift für
19.2 • Welche Arten von Interessenkonflikten bestehen in der Medizinpublizistik?
285
19
. Tab. 19.1 Anteil der Pharmaanzeigen an den Gesamtseiten in deutschsprachigen allgemeinpsychiatrischen Zeitschriften im Jahr 2009. Um den Lektüreeindruck der Leser besser abzubilden, beinhalten die Gesamtumfangszahlen auch die bei einigen Zeitschriften zahlreichen Seiten außerhalb der Pagina. (Datenerhebung: Uta Heidenreich, Deutsches Ärzteblatt) Zeitschrift
Prozent
Anzeigen/Gesamt
Die Psychiatrie
1,3
3,3/264
DNP (Der Neurologe und Psychiater)
23,1
199,5/864
Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie
6,0
53/878
InFo Neurologie & Psychiatrie
14,3
99,8/698
Nervenarzt
16,5
273,5/1655
Nervenheilkunde
13,8
145,7/1052
Neuropsychiatrie
16,3
56/344
Neurotransmitter
20,6
199,4/968
Psychiatrie und Psychotherapie up2date
0,3
2/584
Psychiatrische Praxis
0
0/498
Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie
0
0/340
Allgemeinmedizin, die Psychiatrische Praxis oder auch der Arzneimittelbrief.
Andere Formen der Finanzierung durch die Industrie Einige medizinische Fachzeitschriften sind gänzlich von der Finanzierung durch ihre Leser oder eine sie tragende Fachgesellschaft unabhängig. Ein Beispiel ist etwa das Deutsche Ärzteblatt (DÄ), das sich fast vollständig aus dem Verkauf von Stellenanzeigen finanziert und sich dabei in der privilegierten Lage befindet, nahezu den gesamten ärztlichen Stellenmarkt auf seinen Seiten abdrucken zu können; auf ihn sind rund 75 % der Einnahmen des DÄ zurückzuführen; knapp 10 % entfallen auf Medikamentenwerbung (Quelle: Deutscher Ärzte-Verlag, Januar 2011). Andere Zeitschriften sind nicht in dieser günstigen Situation und müssen sich durch andere Quellen finanzieren. Soweit eine Zeitschrift nicht durch eine Fachgesellschaft getragen wird oder durch ihre Leser, überlebt sie vornehmlich durch Industrieunterstützung. Dies legt auch ein Blick auf die für die Zeitschriftenwirtschaft wesentlichen Angaben des Branchenverzeichnisses »Fachmedien Gesundheit« nahe, denen zufolge bei einigen Journalen
nur ein Bruchteil der Auflage verkauft wird. Da als verkauft auch die Abgabe einer Zeitschrift an Verbandsmitglieder als Gegenleistung für ihren Mitgliedsbeitrag gilt, müssen sich diese Printerzeugnisse auf andere Weise finanzieren, soweit nur ein kleiner Teil der Auflage als verkauft gemeldet wird. Es ist zu vermuten, dass dies, wie im Bereich der Laienpresse auch, durch Kooperation mit der Industrie geschieht. Ein Produkt, für das ein solches Geschäftsmodell zugetroffen haben dürfte, wäre die mittlerweile nicht mehr erscheinende psychoneuro, für die »Fachmedien Gesundheit«, bezogen auf 2006, eine verbreitete Auflage von 9010 bei einer verkauften von 1130 Exemplaren auflistet (GSK 2006). Ein anderes Beispiel wäre Psychopharmakotherapie mit einer verbreiteten Auflage (2010) in Höhe von 10529 Heften, von denen 604 verkauft wurden, wie die Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft im Unterschied zu anderen Verlagen gegenüber »Fachmedien Gesundheit« vorbildlich transparent angibt (GSK 2010). Es ist plausibel anzunehmen, dass die industriellen Partner dieser Zeitschriften für ihre Unterstützung eine Gegenleistung beanspruchen. Rennie und Bero (1990) haben vor über 20 Jahren in einer qualitativen Analyse einige Charakteristika von
286
19
Kapitel 19 • Interessenkonflikte in Fachzeitschriften
amerikanischen Gratiszeitschriften herausgearbeitet, z. B. kostenfreier Bezug, keine Herausgeberschaft durch Fachgesellschaften, keine Veröffentlichung von Originalarbeiten und keine kritischen Editorials oder Leserbriefe. Ihr qualitatives Urteil fiel damals negativ aus und sie riefen zu einem Boykott durch Leser und Autoren aus. Allerdings scheinen sich Anzahl und Auflage der kostenfreien Journale seitdem keineswegs vermindert zu haben. Auch dieser Bereich der Medizinpublizistik ist nicht gut untersucht. Eine Ausnahme bildet eine aktuelle Studie aus Deutschland (Becker et al. 2011): Am Beispiel des Jahrganges 2007 von 11 deutschen Fachzeitschriften haben die Autoren gezeigt, dass eine Assoziation zwischen Anteil der Werbefinanzierung und Ausmaß der positiven Berichterstattung über Medikamente besteht. Zeitschriften, die nach Angaben der Autoren ausschließlich werbefinanziert waren, berichteten positiver über Medikamente als solche, deren Ertragsquelle ausschließlich in Abonnementsgebühren bestanden. Dabei ist das Geschäftsmodell der Gratisfachzeitschrift durchaus vereinbar mit einer starken Wahrnehmung unter den Lesern. So erreicht Psychopharmakotherapie der Leseranalyse Fachzeitschriften« zufolge bei den Chef- und Oberärzten eine Verbreitung (Leser pro Ausgabe), die in diesem Segment nur von einer der traditionell wichtigsten deutschsprachigen psychiatrischen Zeitschriften, dem Nervenarzt, übertroffen wird (Arbeitsgemeinschaft LA-MED 2010). Neben der Veröffentlichung von Anzeigen besteht eine weitere – sehr heterogene – Kooperationsform von Journalen und Unternehmen in der Publikation von Nachrichten über neue Produkte der Industrie, häufig als Bericht über ein von einer Firma veranstaltetes Satellitensymposium oder über eine Pressekonferenz zur Markteinführung eines Präparates. Oft werden diese Texte von freien Journalisten oder Agenturen erstellt. Sie sind nicht mit Anzeigen zu verwechseln, sondern erscheinen in einer professionellen Druckaufmachung, sind aber nicht selten, wenn auch in unterschiedlichem Maße deutlich, durch das Layout vom eigentlichen redaktionellen Inhalt der Zeitschrift abgegrenzt. Gewöhnlich erscheinen sie auch in einer Rubrik eigenen Namens, z. B. »Forum der Industrie« in der DMW, »Aktuelles aus der Industrie« in der Medizinischen Klinik, sowie unter anderem »Phar-
maforum« in der MMW.12 Zumindest einige Zeitschriften setzen diese Texte noch einmal inhaltlich von redaktionellen Beiträgen ab. So begleitet die neurologisch-psychiatrische Zeitschrift Nervenarzt die unter »pharma forum« oder »News & Views« erscheinenden Texte mit den Worten: »Die Herausgeber der Zeitschrift übernehmen keine Verantwortung für diese Rubrik«. Hier kann man auch einen expliziten Hinweis auf die Unterstützung durch bestimmte Firmen lesen. Es bleibt unklar, ob für die Beiträge unmittelbar oder durch den Erwerb von Anzeigen bezahlt wird. Der Branchendienst »Pharma Relations« beschreibt Rubriken dieser Art wie folgt:
» Fachzeitschriften veröffentlichen – wie allgemein bekannt – in besonders gekennzeichneten Rubriken unternehmenseigene Meldungen, die von der Redaktion allenfalls stark gekürzt, aber ansonsten von der Tendenz nicht geändert oder hinterfragt werden. (Anonymus 2011)
«
Naturgemäß handelt es sich bei den Berichten oft nicht um kritische und abwägende Würdigungen neuer Produkte, dies ist zumindest der Lektüreeindruck des Referenten (eine andere Position ist zu lesen in: Keil (2010)). Am Beispiel einiger psychiatrischer Zeitschriften ist der Seitenumfang dieser Rubriken in . Tab. 19.2 aufgeführt. Richard Smith (2005) sieht diese Kooperationen kritisch:
» Medical journals (…) are in some ways extensions of the marketing arm of the industry, while the free newspapers that overwhelm doctors in the developed world depend 100 % on largesse from the industry.
«
Es wäre lehrreich zu erfahren, wie Leser diese Berichte wahrnehmen, und ob auch alle den Unter1
Die Rubrik »Pharma« im Deutschen Ärzteblatt, die pro Ausgabe mit etwa einer Seite erscheint, ist ein Zwitter: Sie dient schwerpunktmäßig, aber nicht ausschließlich der Berichterstattung von Veranstaltungen der Arzneimittelhersteller – oftmals im Zusammenhang mit der Einführung neuer Produkte. Die Redaktion sucht die Themen jedoch unabhängig aus und setzt sie eigenständig um.
287
19.2 • Welche Arten von Interessenkonflikten bestehen in der Medizinpublizistik?
19
. Tab. 19.2 Umfang von Berichten über neue Produkte aus der Pharmaindustrie und Gesamtumfang in deutschsprachigen allgemeinpsychiatrischen Zeitschriften im Jahr 2009 (gezählt wurden nur Beiträge mit ausdrücklichem Hinweis) Zur Zählweise: s. Legende von Tabelle 19.1. (Datenerhebung: Uta Heidenreich, Deutsches Ärzteblatt) Zeitschrift
Prozent
Rubrik/Gesamt
Die Psychiatrie
0,4
10/264
DNP (Der Neurologe und Psychiater)
5,4
47/864
Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie
3,0
26/878
InFo Neurologie & Psychiatrie
7,5
52,5/698
Nervenarzt
5,7
94/1655
Nervenheilkunde
10,5
110/1052
Neuropsychiatrie
0
0/344
Neurotransmitter
5,4
52/968
Psychiatrie und Psychotherapie up2date
0
0/584
Psychiatrische Praxis
0
0/498
Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie
0
0/340
schied zu redaktionellen Beiträgen erkennen. Allerdings sind dem Verfasser zu diesen Fragen keine empirischen Veröffentlichungen bekannt, so dass die Bedeutung dieser Art des Interessenkonfliktes auf Seiten der Autoren der Beiträge und auf Seiten der Redaktionen insgesamt sowie seine möglichen Folgen hier nicht konkret zu benennen sind. Es sind weitere Interessenkonflikte denkbar, zum Beispiel »Koppelgeschäfte«, bei denen Anzeigen neben thematisch passende redaktionelle Artikel platziert werden. Allerdings liegen hierzu keine öffentlich zugänglichen Informationen vor.
Verkauf von Sonderdrucken Eine Form von Interessenkonflikten betrifft vor allem renommierte internationale Journale, denn nur sie drucken in nennenswertem Ausmaß randomisierte Studien (RCTs) ab. Für diese Gruppe von Fachzeitschriften besteht noch eine weitere Einnahmequelle: Der Verkauf von Sonderdrucken der Veröffentlichungen randomisierter Studien an die Industrie, in der Regel an die Auftraggeber der Studien. Einer Schätzung zufolge konnte eine solche Transaktion einen Umsatz von mehr als 1 Mio. US $ erbringen (Smith 2003). So machte diese Erlösquelle vor einigen Jahren bei The Lancet 41 % der Einnahmen aus, wie eine Arbeitsgruppe
des Kopenhagener Cochrane-Zentrums ermittelt hat (Lundh et al. 2010). Niedriger lag der Anteil beim BMJ, das auf diese Weise 3 % erwirtschaftet, allerdings auch weniger hochwertige RCTs veröffentlicht. Die anderen Zeitschriften aus der Studie (Annals of Internal Medicine, Archives of Internal Medicine, JAMA, New England Journal of Medicine) haben auf die Anfrage der Kopenhagener Autoren nicht geantwortet, vermutlich erzielt aber zumindest das New England Journal of Medicine wegen der Vielzahl wichtiger RCTs, die es publiziert, auch einen erheblichen Betrag. Es ist vorstellbar, dass mit der Chance, Sonderdrucke zu verkaufen, auch der Anreiz steigt, bestimmte Studien bevorzugt zur Publikation anzunehmen. > Der Verkauf von Anzeigen, Sonderseiten und Sonderdrucken ist eine wichtige Einnahmequelle vieler Zeitschriften und Verlage und führt zu Interessenkonflikten.
Interessenkonflikte durch den Träger der Zeitschrift Nicht zuletzt seien jene Konflikte erwähnt, die entstehen, weil viele Fachzeitschriften von Institutionen mit eigenen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen oder politischen Zielen herausgegeben wer-
288
Kapitel 19 • Interessenkonflikte in Fachzeitschriften
den. Die Mehrheit der wissenschaftlich exzellenten Journale erscheint als Organe von Ärztevereinigungen. Die Ausnahmen unter den besten allgemeinen Zeitschriften bilden The Lancet und PLoS Medicine. Es mag also sein, dass die Herausgeberschaft einer Ärzteorganisation oder einer Fachgesellschaft ein gutes Fundament für eine Zeitschrift bietet. Dennoch wäre es naiv zu glauben, aus dieser Konstellation könnten keine Interessenkonflikte entstehen: materielle, weil einige Organisationen auf die Gewinne ihrer Zeitschriften angewiesen sind, und immaterielle, weil sie selbst bei Gemeinnützigkeit eigene wissenschaftliche und politische Ziele verfolgen. Auch hier fehlt eine systematische wissenschaftliche Basis, um exakt zu ermessen, welche Folgen diese Interessenkonflikte zeitigen und inwieweit sie die inhaltliche Integrität von Zeitschriften beschädigen. Ein besorgniserregendes Fallbeispiel ist die Unterstützung der Fachgesellschaft »International Society of the Built Environment« samt deren Zeitschrift durch die Tabakindustrie im Zusammenhang mit dem auffallend hohen Anteil an Artikeln, die eine Gefahr durch Passivrauchen verneinten (Garne et al. 2005). Da aber nicht nur auf Fachgesellschafts- und Zeitschriftenebene, sondern auch auf Seiten der Autoren Verbindungen zur Tabakindustrie bestanden, ist schwer einzuschätzen, welche Faktoren für die tendenziösen Veröffentlichungen entscheidend waren. > Zwar ist es bei vielen Interessenkonflikten in der Medizinpublizistik plausibel anzunehmen, dass sie zu negativen Folgen führen. Es liegt aber für einen Großteil dieser Interessenkonflikte (etwa Anzeigen) kaum veröffentlichte Empirie vor, die eine negative Beeinflussung bestätigt.
19.2.2
Individuelle Interessenkonflikte
Individuelle Interessenkonflikte materieller Art
19
Zwar ist auch im Rahmen der bisher geschilderten Interessenkonflikte, bei denen die primären und sekundären Ziele von Zeitschriften kollidierten, das Handeln Einzelner nötig, damit es zu negativen Folgen kommen kann. Dennoch sollte man insti-
tutionelle von individuellen Interessenkonflikten abgrenzen. Unter letzteren sind vor allem diejenigen von Autoren ausgiebig erforscht, so gut dies ohne randomisierte Studien geht. In einer klassischen Arbeit haben Stelfox et al. (1998) untersucht, ob zwischen der inhaltlichen Aussage von Artikeln über Kalziumantagonisten und materiellen Verbindungen der Verfasser zu den Herstellern ein Zusammenhang besteht. Positive Artikel waren häufiger von Autoren mit Beziehungen zu den Produzenten gezeichnet als neutrale oder negative Texte (96 % vs. 60 % vs. 37 %). Dieser Befund ist vielfach bestätigt worden, so dass man heute von einem gesicherten Zusammenhang zwischen Vorliegen eines materiellen Interessenkonfliktes auf Seiten der Autoren und positiver Tendenz eines Manuskriptes ausgehen kann (Bekelman et al. 2003; Lexchin et al. 2003; Schott et al. 2010a, b; Wang et al. 2010; abweichend: Clifford et al. 2002). Dabei scheint es so zu sein, dass der Effekt von der Studienqualität unabhängig ist, also die tendenziösen Studien nicht notwendigerweise an einer schlechteren formalen Qualität zu erkennen sind (Schott et al. 2010a, b). Der Zusammenhang bezieht sich auf die verschiedensten Fragestellungen: Er betrifft diagnostische und therapeutische Studien, Arbeiten zur Wirtschaftlichkeit, aber auch die gesamte Bandbreite medizinischer Fächer, wissenschaftlicher Textsorten und gleichermaßen sowohl ältere als auch aktuelle Artikel. . Tab. 19.3 verdeutlicht durch eine Auswahl relevanter Studien das Spektrum der Resultate. > Der Zusammenhang von Interessenkonflikten auf Seiten der Autoren und einer Verzerrung ihrer Artikel ist der am besten untersuchte Interessenkonflikt im Bereich der Medizinpublizistik. Die Assoziation kann als gesichert angesehen werden, ist aber nicht perfekt.
Der Befund ist auch nicht auf die Einflussnahme durch Arzneimittelhersteller beschränkt. So haben Barnes u. Bero (1998) gezeigt, dass eine Zusammenarbeit mit der Tabakindustrie verbunden war mit der Einschätzung, dass Passivrauchen harmlos sei. Dies weist auf einen bisweilen übersehenen Umstand hin: Alle Beteiligten am Gesundheitssystem haben finanzielle Interessen – von daher ist es
19.2 • Welche Arten von Interessenkonflikten bestehen in der Medizinpublizistik?
289
19
. Tab. 19.3 10 Beispiele für Untersuchungen über den Zusammenhang von Interessenkonflikten bzw. Studienfinanzierung und Studienergebnissen. Viele Studien haben Interessenkonflikte von Autoren und Studienfinanzierung durch die Industrie methodisch vermengt. (Mod. nach Baethge 2008) Quelle
Gegenstand
Ergebnis
Stelfox et al. 1998
70 Artikel über Kalziumantagonisten
Artikel mit positiver Tendenz gegenüber Kalziumantagonisten waren häufiger von Autoren mit Verbindungen zu den Herstellern geschrieben worden als kritische Artikel.
Barnes u. Bero 1998
106 Übersichtsarbeiten zum Thema Passivrauchen
Zusammenarbeit der Autoren mit der Tabakindustrie assoziiert mit der Einschätzung, dass Passivrauchen harmlos sei
Kjaergard u. Als-Nielsen 2002
159 RCTs im BMJ aus den Jahren 1997–2001
Assoziation von Interessenkonflikt mit positiven Schlussfolgerungen
Friedman u. Richter 2004
398 Originalarbeiten aus JAMA und N Engl J Med
Assoziation von Interessenkonflikt mit positivem Studienergebnis
Perlis et al. 2005
162 RCTs zur psychiatrischen Therapie
Assoziation von Interessenkonflikt mit positivem Studienergebnis
Heres et al. 2006
42 Vergleichsstudien atypischer Antipsychotika
Wiederholte Vergleiche zweier bestimmter Antipsychotika ergaben unterschiedliche und daher widersprüchliche Ergebnisse je nach Studiensponsor
Yank et al. 2007
124 Meta-Analysen zur Hypertoniebehandlung
Finanzielle Verbindungen zu einer Pharmafirma assoziiert mit positiven Schlussfolgerungen
Jørgensen et al. 2007
143 Arbeiten zum Thema Nutzen und Risiken der Mammografie
Fachrichtung der Autoren assoziiert mit Darstellung von Nutzen und Risiken der Mammographie
Bell et al. 2008
494 Originalarbeiten zur Kosteneffektivität
Von der Industrie finanzierte Studien unkritischer in Bezug auf Kosteneffektivität
Schott et al. 2010a, b
Qualitative Übersicht zu 26 neueren systematischen Reviews zur Assoziation von Studienfinanzierung und -resultaten
Von den Arzneimittelherstellern finanzierte Studien beinhalten häufiger für sie positive Ergebnisse und Interpretationen als unabhängige Studien (Ergebnis in 23/26 Studien).
abhängig von der Fragestellung, ob entsprechende Verbindungen auch zu anderen Beteiligten am Gesundheitswesen (z. B. Versicherungen, Krankenhausträgern) als der Medizinprodukteindustrie einen Interessenkonflikt begründen In einer elaborierten Darstellung der Industrieperspektive fordert Hirsch (2009), dass in den USA auch die Interessen der Sachverständigen von Schadensersatzprozessen als konflikthaft offengelegt werden müssten. Wichtig ist einerseits, dass die Assoziation von Studienergebnis und Studienförderung nicht nur für individuelle Interessenkonflikte der Verfasser der Artikel gilt, sondern auch, wenn die Studien
insgesamt von interessierter Seite finanziert werden, also etwa eine Arzneimittelstudie durch den Hersteller des untersuchten Präparates (in vielen Studien werden diese Aspekte auch vermengt). Andererseits sollte man im Blick behalten, dass der Zusammenhang zwar besteht, aber keineswegs perfekt ist. So zeigten Perlis et al. (2005) bei der Analyse randomisierter Studien aus der Psychiatrie, dass eine Studienfinanzierung durch die Herstellerfirma zwar häufiger mit einem positiven Ergebnis einherging als ohne ihre Involvierung, etwa 17 % der vom Hersteller gesponserten Untersuchungen jedoch negative Ergebnisse ergaben. Der Anteil positiver Ergebnisse stieg bei zusätzlich vorhandenem per-
290
Kapitel 19 • Interessenkonflikte in Fachzeitschriften
sönlichem Interessenkonflikt der Autoren noch an, ohne allerdings eine komplette Übereinstimmung zu ergeben. Der Einwand liegt nahe, dass besonders die von Arzneimittelfirmen unterstützten Studien a priori eine Auswahl erfolgversprechenderer Forschungsansätze sind.
pe um Turner so veröffentlicht worden waren, das die Ergebnisse einen positiven Eindruck erweckten. Die Effektstärke der Antidepressiva verringerte sich durch die Einbeziehung der nicht veröffentlichten Studien, ohne jedoch auf Werte herabzusinken, die Wirkungslosigkeit anzeigen würden – wobei letzteres auch nicht zu erwarten war, denn die Präparate waren von der FDA zugelassen worden.
Beispiel Von Bedeutung ist daher eine Analyse von 42 Studien, in denen die Präparate aus der kleinen Gruppe von Antipsychotika der zweiten Generation gegeneinander getestet wurden (Heres et al. 2006). Für 90 % der Studien ergab sich der Befund einer Überlegenheit jeweils der Substanz, deren Hersteller die Studie finanziert hatte. Dies führte zu dem widersprüchlichen Ergebnis, dass in mehreren Studien, in denen die gleichen Medikamente verglichen worden waren, ein Präparat dann besser abschnitt, wenn es vom Sponsor der Studie hergestellt worden war, oder aber schlechter, wenn die Studie von einem Konkurrenzunternehmen finanziert worden war.
Als Erklärung für die Befunde ist auf der Ebene der individuellen Interessenkonflikte der Mechanismus von Reziprozität und motivierter Evaluation hilfreich. Auf der Ebene der Studienfinanzierung durch Medizinproduktehersteller ist aber auch an die bewusste Nicht-Publikation negativer Resultate durch die Hersteller zu denken (publication bias). Beispiel
19
In einer weithin beachteten Studie über neue Antidepressiva haben sich Turner et al. (2008) zunutze gemacht, dass im amerikanischen Zulassungsverfahren seitens der Hersteller alle jemals durchgeführten Studien der Food and Drug Administration (FDA) vorgelegt werden müssen. Im Falle der neuen Antidepressiva lagen der Behörde 74 Studien vor. Die Autoren stellten fest, dass 37 der 38 durch die FDA als positiv bewerteten Studien publiziert worden waren. Demgegenüber waren von den verbleibenden 36 Studien, die die FDA als negativ oder als fraglich eingeschätzt hatte, nur 3 tatsächlich auch als negativ publiziert worden, während 22 gar nicht in Fachzeitschriften erschienen waren und weitere 11 in der Einschätzung der Arbeitsgrup-
Ein wichtiger Fortschritt ist daher die Einführung von Registern, in denen alle Studien bereits vor Beginn dokumentiert werden müssen. Allerdings liegt die Einrichtung von Studienregistern schon einige Jahre zurück: Eines der bekanntesten, »ClinicalTrials.gov« aus den USA, besteht bereits seit 2000. Auch hat sich die Industrie bereits 2005 in einer freiwilligen Selbstverpflichtung zur Offenlegung aller Studienergebnisse bekannt. Schott und Kollegen (2010a, b) haben aber in ihrer aktuellen Aufarbeitung nach wie vor Zeichen für einen Publikationsbias gefunden. Auch ist in der für Europa wichtigen Datenbank »EudraCT« bisher kein Zugang zu Studienergebnissen geplant. Es bleibt abzuwarten, ob Studienregister tatsächlich zu einer Verbesserung der Situation führen werden. Man kann sich die in diesem Abschnitt nur unvollständig berichteten Folgen von Interessenkonflikten vermutlich am besten mit den enorm hohen finanziellen Risiken und Anreizen für die Hersteller von Medikamenten und Medizinprodukten erklären. In diesem Umfeld sind ökonomische Instrumente wie klassische Werbung und andere Arten der manipulativen Kommunikation (z. B. das selektive Publizieren der Studienergebnisse) von hohem Nutzen und können in Widerspruch geraten zum medizinischen Primat der bestmöglichen Patientenversorgung und zum wissenschaftlichen Erkenntnisziel. Dieser Widerspruch ist strukturell, weswegen es bei der Analyse von Interessenkonflikten auch nicht primär um die Frage individueller Schuld geht. Bei der großen Mehrheit der handelnden Personen – Autoren, Angestellte der Pharma- und Medizinprodukteindustrie, Redakteure, Gutachter – kann man gute Absichten annehmen. Da die marktwirtschaftliche Entwicklung von Medikamenten zweifellos große Erfolge erzielt hat, besteht die schwierige politische Aufgabe darin, die Innovationskraft des marktwirtschaftlichen
291
19.3 • Wie gehen medizinische Journale mit Interessenkonflikten um?
19
Ansatzes zu erhalten, ohne die strukturellen Fehlentwicklungen weiterhin zu tolerieren. Ein Weg könnte darin bestehen, den Wirksamkeitsnachweis neuer Produkte der Arzneimittelhersteller von öffentlichen Institutionen durchführen zu lassen. Analoge Interessenkonflikte zu denen der Autoren können auch für Gutachter und Redakteure von Fachzeitschriften bestehen. Sie sind zwar nicht systematisch untersucht, aber es besteht kein Grund anzunehmen, dass Gutachter und Redakteure in ihren Entscheidungen über Manuskripte von sekundären Interessen unbeeinflusst sein sollten.
heit von Beobachtern eine richterliche Befangenheit – oder einen immateriellen Interessenkonflikt – annehmen würde. Als Konsequenz wäre es etwa von einer Fachzeitschrift unvorsichtig, sich bei der Begutachtung eines Manuskriptes zu einer anthroposophischen Therapieform ausschließlich auf die Meinung anthroposophisch eingestellter Gutachter zu verlassen.
19.3
Wie gehen medizinische Journale mit Interessenkonflikten um?
Individuelle Interessenkonflikte immaterieller Art
19.3.1
Umgang mit materiellen Interessenkonflikten
Die bisherigen Ausführungen standen ganz im Zeichen materieller Interessenkonflikte und deren Folgen. Bei allen Schwierigkeiten, sie zu untersuchen, sind sie – zumindest in der Definition von Thompson – noch erheblich einfacher zu operationalisieren als immaterielle Interessenkonflikte. Dennoch muss man davon ausgehen, dass immaterielle Interessenkonflikte häufig bestehen und auch, dass sie Konsequenzen hervorrufen, wie das International Commitee of Medical Journal Editors (ICMJE) in einer aktuellen Stellungnahme noch einmal betont (Drazen et al. 2010). Beispiele für das Vorliegen sekundärer immaterieller Interessen wären 5 Zugehörigkeit zu einer wissenschaftlichen Schule, 5 politische und religiöse Anschauungen, 5 Konflikte, die wegen wissenschaftlicher und persönlicher Konkurrenz entstehen oder 5 Konflikte aufgrund von Territorialitätsdenken in den medizinischen Fächern. Hier werden auch die Grenzen des Interessenkonfliktsbegriffs deutlich: Wessen wissenschaftliches Weltbild wäre nicht in irgendeiner Form präformiert? Es kann also nur um die Abwägung besonders starker Interessenkonflikte gehen, ohne dass sicher definiert werden könnte, was dies im Einzelfall bedeutet – ein Problem, dass auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen besteht, man denke nur an die Frage der Befangenheit eines Richters. Gleichwohl gibt es Fälle, in denen eine große Mehr-
Aus Platzgründen kann diese Darstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Sie sollte aber zeigen, dass Interessenkonflikte in der Medizinpublizistik weit verbreitet sind. Unklar ist jedoch für viele der geschilderten Interessenkonflikte, welche Folgen sie haben – sei es gar in Bezug auf die inhaltliche Beeinflussung oder sei es, was die wichtigere Frage ist, in Bezug auf die ärztliche Praxis. Für viele erscheint die Befürchtung gravierender Auswirkungen schlüssig. Aber auch die Spekulation, dass sich die Anstrengungen der unterschiedlichen Pharmafirmen gegenseitig neutralisieren, könnte zutreffen – zumindest für Teilbereiche, wie etwa die Studien zu den Antipsychotika der zweiten Generation. z
Offenlegung von Interessenkonflikten
Die sichtbarste Konsequenz, die Fachzeitschriften aus der Allgegenwart von Interessenkonflikten gezogen haben, bezieht sich daher auch auf diesen Bereich: Die Fachzeitschriften bitten die Autoren, ihre Interessenkonflikte offen zu legen, um sie ihren Lesern zur Kenntnis zu geben. Hiermit versuchen die Journale, ganz im Sinne des eingangs zitierten George Lundberg, ihren Lesern zu ermöglichen, sich selbst ein Bild von den sekundären Interessen der Autoren zu machen. Dieses Vorgehen hat seine Wurzeln in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts als das »International Committee of Medical Journal Editors« (ICMJE), ein Zusammenschluss der Schriftleiter wichtiger Fachzeitschriften, erstmals
292
19
Kapitel 19 • Interessenkonflikte in Fachzeitschriften
Autoren dazu aufforderte, ihre finanziellen Interessenkonflikte darzulegen. Aus dieser zunächst freiwilligen Erklärung wurde, beginnend im angloamerikanischen Sprachraum, immer häufiger eine verpflichtende Angabe. Mittlerweile ist die Offenlegung von Interessenkonflikten bei den international führenden Zeitschriften üblich. Allerdings forderten 2008 lediglich 54 % eine unterschriebene Erklärung und es bestanden erhebliche Unterschiede in der Vollständigkeit der Dokumentation von Interessenkonflikten (Blum et al. 2009). Auch bei vielen deutschsprachigen Journalen sind Offenlegungen mittlerweile eingeführt, wobei die meisten hiesigen Zeitschriften erst in den vergangenen Jahren begonnen haben, regelmäßig Interessenkonfliktserklärungen zu publizieren (Möller 2008). So forderte das Deutsche Ärzteblatt seit 2002 in seinen Autorenhinweisen die Verfasser auf, ihre Interessenkonflikte offen zu legen, begann sie aber erst 2005 zu einer schriftlichen Erklärung zu verpflichten – und zwar für alle Textsorten, einschließlich der Leserbriefe. Der in der Folge zu beobachtende Anstieg positiver Erklärungen geht vermutlich zu einem größeren Teil auf diese administrative Änderung zurück als allein auf eine tatsächliche Zunahme. Möglicherweise als Reaktion auf eine besonders ausgeprägte Problematik ist der Anteil von Zeitschriften, die sich Regeln für den Umgang mit Interessenkonflikten gesetzt haben, in der Medizin größer als in anderen Fächern (Ancker u. Flanagin 2007). In jüngster Zeit stellen einige Spitzenzeitschriften (New England Journal of Medicine, Annals of Internal Medicine) die Erklärungen ihrer Autoren ins Internet. Das mag mit dem schieren Umfang dieser Deklarationen zu tun haben und mit dem Platzmangel vieler Redaktionen. Für viele Leser ist es jedoch beschwerlich. Der Anteil der Artikel, bei denen Interessenkonflikte vorliegen, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Das Thema spielt eine Rolle, aber auch die unter Umständen zeitschriftenspezifische Definition eines Interessenkonfliktes. Wie viele andere Zeitschriften, folgt das Deutsche Ärzteblatt weitgehend den Regularien der ICMJE (Baethge 2008). Alle finanziellen Verbindungen zu interessierten Dritten innerhalb der vergangenen 5 Jahre gelten beim Deutschen Ärzteblatt als relevant, aber auch
Interessen, die unabhängig von anderen Parteien bestehen, wie der Besitz von Patenten auf in der Praxis benutzte diagnostische Verfahren, zu deren Nutzung ein Artikel aufruft. Dabei beziehen sich die Angaben auf den jeweils vorliegenden Artikel, also auf jene Interessenkonflikte, die im Zusammenhang mit dem Thema des Beitrages relevant sind, nicht auf alle Interessenkonflikte eines Autors überhaupt. Diese Unterscheidung ist im Einzelfall nicht einfach, weswegen das Deutsche Ärzteblatt im Zweifel zu einer Offenlegung rät. Mit dem Jahr 2011 stellte das Deutsche Ärzteblatt seinen Erhebungsbogen um und passte es an die aktualisierten Vorschläge der ICMJE (ICMJE 2010) sowie der deutschen »AG Interessenkonflikte« (Lieb et al. 2011) an. Dies ist mit der Hoffnung verbunden, durch ein noch klareres Formular den Autoren eine Hilfestellung bei der Beantwortung zu geben. 2010 hatte im Deutschen Ärzteblatt und im Nervenarzt bei rund jedem dritten Artikel mindestens ein Autor einen Interessenkonflikt deklariert (im Nervenarzt handelt es sich um die Korrespondenzautoren, denn im Unterschied zu DÄ und DMW fragt der Nervenarzt nicht alle Autoren, sondern nur den Korrespondenz führenden Autor). Zum Vergleich: Dies ist ein ähnlicher Wert wie in der verbreiteten internationalen Zeitschrift Annals of Internal Medicine (2009: 38 %). . Abb. 19.1 zeigt die Häufigkeit positiver Interessenkonflikte am Beispiel des Deutschen Ärzteblattes und zweier weiterer deutschsprachiger Zeitschriften. Bezogen auf die Autoren zeigte sich beim Deutschen Ärzteblatt in den letzten 6 Jahren, dass rund jeder Fünfte Interessenkonflikte angibt (461/2421 Autoren, 19 %). Fast alle waren finanzieller Art, immaterielle IKs wurden kaum deklariert. > Interessenkonflikte auf Seiten der Autoren sind häufig
Die Angaben der Autoren sind in der Regel nicht überprüfbar und die Redaktionen müssen den Autoren vertrauen. Dies ist nicht ungewöhnlich bei Fachzeitschriften, bei denen Vertrauen zwischen Autoren und Redaktionen prinzipiell eine Grundlage der Zusammenarbeit ist. Denn auch in Bezug auf Forschungsergebnisse können Redaktionen keine Überprüfung der Rohdaten vornehmen,
19
293
19.3 • Wie gehen medizinische Journale mit Interessenkonflikten um?
100 90
Deutsches Ärzteblatt Deutsche Medizinische Wochenschrift Nervenarzt, psychiatrische Hefte
80 70 60 50 40 30 20 10 0 1998
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. Abb. 19.1 Häufigkeit positiver Interessenkonflikte in Übersichts- und Originalarbeiten in drei deutschsprachigen Fachzeitschriften (Angaben in Prozent). Die niedrigen Werte zu Beginn des Beobachtungszeitraums sind darauf zurückzuführen, dass die Zeitschriften erst später begonnen haben, ihre Autoren zu IK-Angaben zu verpflichten. Das Deutsche Ärzteblatt etwa hat erst 2005 eine verbindliche Erklärung eingeführt, der Nervenarzt offenbar 2007. (Datenerhebung: Melanie Engels, Deutsches Ärzteblatt)
sondern müssen ein wissenschaftliches Verhalten der Verfasser annehmen. Dennoch kommt es – absichtsvoll oder unbewusst – im Deutschen Ärzteblatt immer wieder zu falschen Angaben bei Deklarationen von Interessenkonflikten, so dass der Abdruck von Berichtigungen nötig wird. Unklar ist jedoch das quantitative Ausmaß fehlerhafter IKErklärungen, sowohl beim Deutschen Ärzteblatt als auch allgemein. Für die USA hat Goozner (2004) ermittelt, dass in jedem zehnten bis zwanzigsten Artikel ein IK fehlte, der hätte angegeben werden müssen. Ein beunruhigenderes Ergebnis ergab eine Studie von Chimonas et al. (2010). Beispiel Die Autoren hatten sich die öffentlichen Angaben einiger Hersteller von Chirurgie-Produkten über Zahlungen an Institutionen und Individuen im Jahr 2007 zunutze gemacht. Sie identifizierten 41 Wissenschaftler, die mindestens 1 Mio. US $ erhalten hatten, und untersuchten, inwieweit sie in ihren Publikationen auf die finanziellen Verbindungen hingewiesen hatten. Nur in der Hälfte aller Arbeiten mit thematischem Bezug zu den Erzeugnissen der Firmen waren die Zuwendungen erwähnt worden.
Es ist anhand der Daten nicht zu entscheiden, ob das Verschweigen der Interessenkonflikte auf die Autoren oder die Zeitschriften zurückgeht. Allerdings zeigte sich kein Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der Offenlegung und der unterschiedlichen Rigorosität, mit der die untersuchten Zeitschriften den Regeln der ICMJE gefolgt waren. Dies spricht dafür, dass in den meisten Fällen die Autoren die Information nicht angegeben hatten.
In den USA könnte sich die Situation durch eine Gesetzesänderung (Patient Protection and Affordable Care Act) verändern, die ab 2013 die Firmen verpflichtet, jegliche Zuwendungen an Ärzte und Wissenschaftler ab 10 US $ inklusive ihrer Begründung in einer öffentlichen Datenbank bekannt zu geben. Gegenwärtig jedoch kann man sich nicht sicher sein, dass alle negativen Interessenkonfliktserklärungen korrekt sind. Dies gilt besonders, wenn man sich vor Augen hält, wie weit verbreitet Interessenkonflikte sind: Einer amerikanischen Untersuchung zufolge hatten 83,8 % aller befragten Ärzte im Jahr 2009 materielle Zuwendungen irgendeiner Art von Medizinprodukteherstellern erhalten, wobei Medikamentenproben und Bewirtung einen großen Anteil ausmachten, während
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Kapitel 19 • Interessenkonflikte in Fachzeitschriften
Geld eine geringere Rolle spielte. Verglichen mit einer Erhebung 5 Jahre zuvor ergab sich ein leichter Rückgang (Campbell 2010). > Die Deklaration von Interessenkonflikten allein reicht nicht aus. Alle Beteiligten – Redakteure, Gutachter und Leser – müssen trotz transparenter Deklaration wissenschaftliche Artikel kritisch lesen.
19.3.2
19
Umgang mit immateriellen Interessenkonflikten
Auch in Bezug auf immaterielle Interessenkonflikte ermutigen viele Fachzeitschriften ihre Autoren zur Offenlegung. Dennoch liegt hier eine etwas andere Situation vor: Es gilt, zwischen vermeidbaren und unvermeidlichen Interessenkonflikten zu unterscheiden. Viele individuelle immaterielle Interessenkonflikte, auch folgenreiche, sind nicht zu verhindern: So sind die meisten Wissenschaftler einer Schule oder zumindest Tradition verbunden und auch das Bedürfnis, einmal aufgestellte eigene Theorien nicht widerrufen zu müssen, kann man, weil es menschlich ist, wohl den meisten Autoren unterstellen (Phänomen der Konsistenz, Ausführungen hierzu s. 7 Kap. 3). Vermutlich besteht sogar nach jeder langen Beschäftigung mit einem wissenschaftlichen Projekt eine so starke Identifikation, dass die Mehrzahl der Forscher im Sinne der Bedeutung ihres Projektes oder seiner Ergebnisse voreingenommen sein werden, obwohl es von Souveränität zeugt, wenn Wissenschaftler diese Voreingenommenheit reflektieren und berücksichtigen. Auf der anderen Seite kann man als Rezipient bereits mit der Vermutung eines immateriellen Interessenkonflikts auf Seiten des Autors an die Lektüre wissenschaftlicher Beiträge herantreten. Demgegenüber kann man als Leser nicht voraussetzen, dass bei einem Autor ein materieller Interessenkonflikt vorliegt – er ist der Rolle des Wissenschaftlers oder Autors nicht eigentümlich. Daraus leitet sich die Bedeutung der Deklaration insbesondere materieller Interessenkonflikte ab. Auf der Ebene der Begutachtung jedoch können immaterielle Interessenkonflikte vermutlich große
Wirkung entfalten – ein Problem, für das es bisher noch keine befriedigende Lösung zu geben scheint. Im Gegensatz zu den unvermeidlichen immateriellen Interessenkonflikten stehen die weltanschaulichen Einstellungen eines Autors (Gutachters/Redakteurs oder auch einer Institution) – von freundschaftlichen Verbindungen einmal ganz zu schweigen. So sind Artikel über die Gesundheitsgefahren von Schichtarbeit oder über Schwangerschaftsabbrüche – um zwei beliebige Themen zu nennen – wahrscheinlich nicht unabhängig vom Vorliegen einer dazugehörigen Einstellung des Verfassers wie Gewerkschaftsnähe oder Katholizismus. Hier wäre eine Interessenkonfliktserklärung instruktiv, kollidiert allerdings mit dem Recht, derlei als persönlich zu betrachten. Ins Zwischenreich einerseits unvermeidlicher und immanenter, andererseits jedoch für Leser bisweilen nicht zu durchschauender Interessenkonflikte gehören Ämter – auch ehrenamtliche – in Fachgesellschaften oder Berufsverbänden. Auch hier wäre Autoren im Zweifel zur Deklaration zu raten.
19.4
Die Wahrnehmung von Interessenkonflikten in Zeitschriften und die Debatte über den richtigen Umgang
19.4.1
Ergebnisse zur Wahrnehmung von Interessenkonflikten
Mit der Aufforderung, ganz auf den Abdruck von Arbeiten zu verzichten, wenn Autoren Interessenkonflikte angegeben haben, steht der eingangs zitierte Leserbriefautor des Deutschen Ärzteblattes nicht allein. Mediziner sehen Beiträge kritischer, wenn Interessenkonflikte vorliegen. So glaubten 7 von 10 befragten Internisten an eine erhebliche Beeinflussung von Leitlinien durch Industrieunterstützung (Shea et al. 2007). Und in einer randomisierten Studie schätzten 170 Leser des British Medical Journal denjenigen zweier identischer Beiträge als weniger interessant, wichtig, relevant, valide und glaubwürdig ein, der positive Angaben zu Interessenkonflikten – die Autoren seien Angestellte einer involvierten Firma – enthielt. Der Anteil de-
19.4 • Die Wahrnehmung von Interessenkonflikten in Zeitschriften
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rer, die den Beitrag für glaubwürdig hielten, lag um 20 % niedriger als in der Vergleichsgruppe (Chaudry et al. 2002). Eine Folgestudie (Schroter et al. 2004) ergab, dass die Leser zwischen verschiedenen Arten von Interessenkonflikten unterschieden: Ein Angestelltenstatus bei einer beteiligten Firma wurde im Vergleich zur Annahme eines Stipendiums dieses Unternehmen von den Lesern als gravierender empfunden, wenn auch der Effekt relativ schwach war.
medizinische Journale angewandt, wären also die Konsequenzen abhängig vom redaktionellen Profil: Reine Forschungszeitschriften dürften weniger gefährdet sein als allgemeine klinische Periodika.
> Die Nennung von Interessenkonflikten ruft Skepsis hervor, selbst wenn Artikel dafür keine inhaltlichen Argumente liefern.
Diese Studien zeigen, dass eine Deklaration von Interessenkonflikten allein für die Leser weniger hilfreich sein dürfte, als sich Zeitschriftenverantwortliche möglicherweise erhoffen. Unter allen Umständen muss daher neben der Offenlegung auch die redaktionelle und gutachterliche Prüfung erfolgen. Dies ist übrigens auch essentiell, um einen Artikel von Autoren mit Interessenkonflikten abzulehnen. Wenn diese Prüfung aber keine Verzerrung erkennen lässt, ist eine Ablehnung – im Sinne des Leserbriefautors des Deutschen Ärzteblattes – nicht gut zu begründen. Denn es ist auch ein Ergebnis der einschlägigen Literatur, dass keineswegs jeder Artikel mit Interessenkonflikten einseitig ist. Hinzu kommt die Wirkung, die eine nur durch das Vorliegen von Interessenkonflikten begründete Ablehnung auf die Bereitschaft der Autoren hätte, ihre Konflikte transparent anzugeben. Auch ist zu fragen, ob eine Zusammenarbeit zwischen Industrie und Wissenschaftlern nicht gesellschaftlich wünschenswert ist, soweit sie der Verbesserung der Gesundheitsversorgung dient. Eine Unvereinbarkeit mit akademischer Publikationstätigkeit würde eine solche Kooperation gerade für viele sehr gute Wissenschaftler unmöglich machen. Und ein weiterer Umstand ist zu berücksichtigen: Für bestimmte Themen ist es schwierig bis unmöglich, Autoren ohne Interessenkonflikte zu finden. Aus diesem Grunde musste selbst das New England Journal of Medicine, die Zeitschrift, die unter den weltweit mehr als 16000 medizinischen Periodika am wenigsten Mühe haben dürfte, Autoren zu akquirieren, seine ehemals sehr restriktive Politik aufgeben und Interessenkonflikte wieder tolerieren (Drazen u. Curfman 2002). Sie, aber auch The Lancet differenzieren daher bei Interessenkonflikten: So werden Vortragshonorare als vereinbar mit einer Tätigkeit als Autor einer Übersichtsarbeit
Silverman et al. (2010) fanden allerdings in ihrem randomisierten Experiment mit Gynäkologen auch eine skeptische Position: Die Ärzte hatten zwar mehrheitlich in einer Befragung weniger Bereitschaft angegeben, ein Präparat aus einer Studie zu verschreiben, soweit ein Interessenkonflikt vorlag. Allerdings unterschied sich im Rahmen eines konkreten Vergleichs zweier Studien, die sich nur durch das Vorhandensein oder die Abwesenheit von Interessenkonflikten unterschieden, die tatsächlich angegebene Verschreibungsneigung nicht. Die Autoren erklären diesen Widerspruch damit, dass die Probanden nicht in der Lage waren, aus ihrer theoretischen Skepsis praktische Konsequenzen zu ziehen und den angegebenen Interessenkonflikt auch in eine kritischere Bewertung umzumünzen. Möglicherweise stand den Teilnehmern im Wege, dass es Menschen schwer fällt, einmal gelernte (hier also einmal gelesene) Inhalte zu relativieren oder nicht zu beachten, selbst wenn sie sich im Nachhinein als zweifelhaft herausgestellt haben – wie, im Falle dieses Experiments, die Szenarien mit Interessenkonflikten (Wilson u. Brekke 1994). Nachdenklich stimmt auch die Studie eines amerikanischen Teams von Ökonomen und Psychologen: Cain et al. (2005) vermuten, gestützt auf ein psychologisches Experiment mit Studenten, dass die Offenlegung eigener Interessenkonflikte die Hemmungen schwächt, eine einseitige Darstellung zu präsentieren. Mit der Deklaration könne sich ein Experte im Grunde der Verantwortung entledigen und sie dem Leser aufbürden. Die Autoren vermuten, dass dieser Effekt umso schwächer ist, je mehr Sachkenntnis die Leser besitzen. Auf
19.4.2
Die Debatte über den richtigen Umgang mit Interessenkonflikten in Zeitschriften
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Kapitel 19 • Interessenkonflikte in Fachzeitschriften
oder eines Editorials angesehen, der Erhalt größerer Geldsummen oder ein Angestelltenstatus jedoch nicht. Ohne Zweifel ist diese Unterscheidung nachvollziehbar und das Vorgehen wirkt pragmatisch; gleichwohl gibt es keine Hinweise aus der medizinischen oder psychologischen Literatur für das Vorliegen eines Schwellenwertes, ab dem eine Beeinflussung wahrscheinlich wird. Situation von Institutionen Anders als für Zeit-
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schriften stellt sich die Situation für jene Institutionen des Gesundheitswesens dar, in denen abschließende Entscheidungen über die Patientenversorgung getroffen werden müssen oder die normative Texte veröffentlichen. Solche Entscheidungen haben größeres Gewicht als ein in der fachöffentlichen Diskussion immer noch zu relativierender Beitrag in einer Fachzeitschrift, der darüber hinaus im Kontext zahlreicher anderer Artikel steht. So ist es begreiflich, dass Institutionen wie das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen), die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft oder die FDA Experten mit Interessenkonflikten von bestimmten Entscheidungen ausschließen (7 Kap. 5 und 7 Kap. 20). Aus der Zeitschriftenperspektive ist ein Interessenkonflikt Anlass, ein Manuskript genau zu prüfen. Neben der Transparenz, der Deklaration von Interessenkonflikten, besteht in der sorgfältigen Begutachtung eine weitere Strategie des Umgangs mit den Folgen von Interessenkonflikten. Dies gilt vor allem, wenn Zeitschriftenherausgeber auf bestimmte Verschleierungstechniken der Autoren achten, z. B.: 5 auf übertriebene Häufigkeitsangaben in Einleitungen, 5 auf das Verschweigen der methodischen Basis eines Artikels (erhöht sich aufgrund des Studiendesigns die Wahrscheinlichkeit verzerrter Ergebnisse?), 5 auf die Benutzung praxisferner, »weicher« klinischer Endpunkte, 5 auf die manipulative Darstellung der Ergebnisse durch Nennung relativer Risikoreduktionen ohne Angabe absoluter – um nur eine Möglichkeit einer tendenziösen statistischen Darstellung zu benennen.
Außerdem zählt zu diesen Verschleierungstechniken die Diskussion scheinbar überzeugender pathophysiologischer Zusammenhänge, die nur wenige Experten überprüfen können und die oft rhetorischen Zwecken dient. Anders ausgedrückt: Jene Zeitschriften können der durch Interessenkonflikte verzerrten Darstellung etwas entgegensetzen, die auf die Einhaltung der Prinzipien der evidenzbasierten Medizin zu achten versuchen. Nicht zuletzt dient die kritische Diskussion der Artikel auf den Leserbriefseiten zu den Standards einer guten Zeitschrift. Sie bietet eine Chance, Aussagen im Artikel zu relativieren. Viele Zeitschriften bitten nicht nur die Autoren um Erklärungen zu Interessenkonflikten, sondern auch ihre Gutachter. Da sich auch Redakteure von sekundären Interessen leiten lassen können, erheben manche Journale auch diese IKs, allerdings ist die Zahl der so verfahrenden Redaktionen gering (Haivas et al. 2004). Beim Deutschen Ärzteblatt unterhalten die Redakteure der Medizinisch-Wissenschaftlichen Redaktion keine Kontakte zur Industrie und geben bei darüber hinaus bestehenden konfligierenden Interessen die Manuskriptentscheidung in die Hand eines Kollegen. > Interessenkonflikte sind allgegenwärtig und oftmals unvermeidlich. Man sollte nicht erwarten, dass sie verschwinden, sondern verantwortlich mit ihnen umgehen.
19.5
Fazit und Ausblick
Im Zusammenhang mit medizinischen Fachzeitschriften sind Interessenkonflikte allgegenwärtig, und das wird so bleiben. Zweifellos kann sich ein Leser nicht darauf verlassen, dass die aktuellen Sicherheitsmaßnahmen wie Offenlegung und Transparenz in jedem Fall greifen. Denn selbst wenn es mittlerweile deutlich mehr Sensibilität für Interessenkonflikte gibt, so werden auch in Zukunft Artikel durch das Gitter aus Begutachtung und redaktionellen Standards schlüpfen. Die reine Information über Interessenkonflikte – so wie sie George Lundberg im Motto dieses Artikels forderte – reicht für die Leser nicht mehr aus. Besonders
Literatur
diejenigen Leser werden gut gerüstet sein, die die Methoden des kritischen Lesens eines Artikels anzuwenden verstehen. Alle Leser jedoch sollten solchen Zeitschriften mit Vorsicht begegnen, die sich ausschließlich aus Medizinprodukte- und Arzneimittelanzeigen finanzieren. Es kommt darauf an, eine abgewogene, aber kritische Position einzunehmen. Das betrifft uns als Individuen – als Autoren, Redakteure, Gutachter, Verleger, Leser –, aber auch die Medizinpublizistik insgesamt, die als Branche eigene wirtschaftliche Ziele verfolgt und deren besondere Ware in lebenswichtigen Informationen besteht.
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Kapitel 19 • Interessenkonflikte in Fachzeitschriften
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300
Stichwortverzeichnis
A AAMC 94 Abhängigkeit 208 Abrechnungsbetrug 128 ADVANTAGE-Studie 268 Advisory Board 163 Alexander von Humboldt-Stiftung 94 American Association of Medical Colleges (AAMC) 94 American Medical Association 94 American Medical Students Association (AMSA) 94 AMNOG 147 Analogpräparat 147 Angemessenheit 260 Ankereffekt 34 Anker-Heuristik 30 Anwendungsbeobachtung 164, 166, 179, 190, 268 Apotheken Umschau 226 Approbation 206, 211 Äquivalenzprinzip 177, 260 Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften 14, 93, 214 Arbeitsmarktsituation für Ärzte 207 Arzneimittel – führende 2009 151 Arzneimittel-Agentur – europäische 248 Arzneimittelausgaben 139 Arzneimittelgesetz 20, 276 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 246 Arzneimittelkursbuch 246 Arzneimittelmuster 163, 164, 190 Arzneimittelrecht 109 Arzneimittelsicherheit 248 Arzneimittelstudien 19, 119, 166, 266 Arzneimittelwirkungen – unerwünschte 271 Arzneiverordnungen 246 Arzthaftungsrecht 122 Arzt-Industrie-Kontakte 132, 161, 171, 186 ärztliche Weiterbildung 206 Association of American Universities 94 Attraktivitäts-Bias 30 Attraktivitäts-Stereotyp 38 Attributionsfehler – fundamentaler 30, 41
Ausbildung der Ärzte 206, 207 Ausgaben-Nutzen-Relation 140 Autonomie 55 Autorschaft 269 AWMF 14, 93, 214
B Basisformular 76 Bayh-Dole-Act 13 Beeinflussung 28, 208 Behandlungen – nicht indizierte 125 Behandlungsfehler 123 beneficence 54 Beratervertrag 92 Berufsausübungsfreiheit 114 Berufspflichten 115 Berufsrecht 109 Berufsverbot 125 Bestätigungs-Bias 17, 30, 31 Bestechlichkeit 82, 84, 123 Bewirtung 190 Bias 29, 82 bias blind spot 42, 167 Bradford-Hill – Austin 141 Bundesärztekammer 15, 214 Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 249
C Cerivastatin 272 Charter on Medical Professionalism 170 Checkliste zur Erfassung von Interessenkonflikten 171 CME-Artikel 212 Code de Lisbonne 233 Commitment 30, 39 Committee on Conflict of Interest in Medical Research, Education, and Practice 259 Compliance Officer 189 Compliance-Committee 191 Compliance-Managementprogramm 191 confirmation bias 30, 32 conflicts of commitment 53 correspondence bias 41
D Declaration of Helsinki. Ethical principles for medical research involving human subjects 48 Deferipron 269 Demenzen, -S3 Leitlinie 64 Deutsche Forschungsgemeinschaft 94 Deutsche Journalisten-Union 233 Deutscher Journalisten-Verband 233 Dokumentationsprinzip 177 Dritte-Person-Effekt 41 Drittmittel 93, 186 – Einwerbung 134 Drittmittelkodex 125 Drug Safety Mail 248 duale Rolle 53
E effectiveness (Effektivität) 140, 156, 166 efficacy (Effizienz) 140, 156 Eigeninteresse 13 Einsparpotenzial 148 EMA 248 ENHANCE-Studie 20 Entscheidungs-/Ermessensfreiheit 93 Entscheidungsbeeinflussung 114 Entscheidungsprozess 28 EPAR 248 Essenseinladungen 84, 163, 164 Ethikkommission 119 europäischer Dachverband der Arzneimittelhersteller 195 Europäischer Öffentlicher Bewertungsbericht 248 evidenzbasierte Medizin 82 Evidenz-Lücke 156 Experte – für Fachvorträge 209 Ezetimib 20
F Facharztweiterbildung 211 Fachgesellschaften 112 Fakultäten – medizinische 211
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Stichwortverzeichnis
Fallpauschale 162 Fehlverhalten 83, 84 Fehlversorgung 111 Festbetragssegment 147 Firmenneutralität 118 Förderung – industrieunabhängige 142 Forschung 28, 96, 255 Forschungsförderung 257 Fortbildung 115, 165, 179 – evidenzbasierte 219 – Nachweispflicht 206, 213 Fortbildungs-Portale im Internet 212 Fortbildungsveranstaltungen 118, 163, 165, 186, 192 – unabhängige 173 Framing-Effekt 30, 33 Fraud Triangle 129, 130 Fraunhofer-Gesellschaft 94 Freischreiber 225, 233 Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V. (FSA) 188 FSA Kodex Fachkreise 116 FSA-Kodex 215 FSA-Kodex Fachkreise 188 FSA-Kodex Patientenorganisationen 196 fundamentaler Attributionsfehler 30, 41 Fuß-in-der-Tür-Technik 40
G Gastautor 269 Gefährdungsanalyse 137 Gefährdungsmatrix 137 Gefälligkeiten 84 Gegenseitigkeit 30 gekaufte Redaktion 224 Gelöbnis 15 Gelsinger – Jesse 12 Gemeinschaftsgut 114 Generika 154 Gerechtigkeit 55 Geschenke 16, 35, 36, 84, 180, 186, 193 Gesetzliches Krankenversicherungsrecht 109 Gesundheitsrecht 108 Gesundheitsversorgung – evidenzbasierte 210 Gesundheitswirtschaft 111 Ghost management 277 Ghostauthor 269, 283
Ghostwriter 269, 277 Gute Pillen – Schlechte Pillen 246
H Haftung 93 Halo-Effekt 38 Harvard Medical School 261 Headroom for Innovation 154 Healthy Skepticism 169 HELIOS Konzernregelung Sponsoring 176 HELIOS Konzernregelung Transparenz 176 HELIOS Research Center 179 Helmholtz-Gemeinschaft 94 hippokratischer Eid 15 Honorar 166 Hormonersatztherapie 12, 17
I Impact Factor 19 Indikationsstellungen – ökonomisch begründete 122 individuelle Gesundheitsleistungen 162 Industrieausstellungen 213 Industriesponsoring – Verbot von 219 Industrie-Symposien 165 Inegy 154 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) 119, 156, 217 Institute of Medicine (IOM) 95, 170, 259, 276 Integrität – professionelle 50, 85 – wissenschaftliche 215 Interesse – materielles sekundäres 16 – nichtmaterielles sekundäres 17 – primäres 5, 15, 62, 112 – sekundäres 5, 15, 62, 112 Interessenkonflikt 4, 28, 255 – immaterieller 216, 291 – institutioneller 283 Interessenkonflikte – Kurzseminare 168 – Offenlegung 61, 62, 67, 95, 216, 275 Intermedikamenteneffekt 147 International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE) 291
A–M
International Society of Drug Bulletins 244 Intramedikamenteneffekt 147 IOM 95, 170, 259, 276 IOM-Report 14 IQWiG 119, 156, 271
J Journalismus – und PR 229 Journalist – freier 225 Journalisten-Kodices 232 Journalistenpreise 224, 227
K Key Opinion Leader 19 Kodex – standesethischer 48 Kodex-Regelungen 189 Kongresse 212 Konsistenz 30, 39 Körperverletzung 125 Korruption 82–84, 127, 186, 283 – Grundstruktur der 129 – situative 130 – strukturelle 130 Korruptionsrisiko 137 Korruptionsvorschriften 123 kriminogenes Feld 132 Kursgebühren 208
L lancierte Artikel 231 Leibniz-Gemeinschaft 94 Leistungsbetrug 128 Leitlinien – ärztliche 121 Leitlinienentwicklung 96 Lizensierung von Patenten 262
M Mandat 113 Marketing 36, 268 – Gesamtausgaben 163 Marketingstrategie 239 Markteinführung – innovativer Arzneistoffe 146
302
Stichwortverzeichnis
Marktumfrage 180 Martini – Paul 141 Max-Planck-Gesellschaft 94 medical professionalism 48 Medical professionalism in the new millennium\ – a physician charter 48 Medical Schools 94 Medien-Doktor 234 Medienkodex 225 Medizinethik 48 Medizinprodukte 111 Medizinrecht 108 Medizinstudenten 211 Mein Essen zahl’ ich selbst (MEZIS) 169, 276 Meinungsbildner 165 Meinungsführer – medizinischer 239 me-too-Präparate 154 MEZIS e. V. 169, 276 Mittelvergabe – leistungsorientierte 19 motivierte Evaluation 30, 282 motivierter Skeptizismus 29 Musterberufsordnung-Ärzte 114 Muster-Weiterbildungsordnung 206
N Nachdrucke 243 National Institutes of Health (NIH) 94 National Science Foundation (NSF) 94 Nebentätigkeit 178 Negativliste 157 Netzwerk Recherche 225, 232 Neue Arzneimittel 248 Neutralisationstechniken 131 New England Journal of Medicine 94 Nicht-Fertigarzneimittel 155 Nicht-Festbetragssegment 147 nichtinterventionelle Studie/Anwendungsbeobachtung 179, 190, 268 Nicht-Käuflichkeit – Norm der 135 Nichtschaden 54 Nissen – Steven 273 No free lunch 169, 276
nonmaleficence 54 Normen – gesellschaftliche 85
O Offenlegung 95, 216 – von Interessenkonflikten 61, 67, 275 – von sekundären Interessen 62 Offenlegung von Interessenkonflikten – gegenüber Studienpatienten 67 Offenlegungspflicht 120 Olivieri – Nancy 269 Onkologie 154 Online-Fortbildung 244
P Patienteninteresse 13, 113 Patientenorganisationen 195 Patientenschutz 110 Patientenselbsthilfe 196 Patientenvertrauen 186 Patientenwohl 215 Patientenwunsch 63, 162 Paul-Ehrlich-Institut 249 Peer review 17 Personalentwicklungskosten 209 Pflichtenkollision 53 Pharmakotherapiezirkel 157 Pharmavertreter 243 pharmazeutische Industrie 37 Physician Charter 15 Physician Payments Sunshine Act 64, 82 Positivliste 157 PR – und Journalismus 230 PR-Agenturen 225, 232 Pressekodex 227 Pressereisen – Erfahrungsberichte von Journalisten 225 Produktneutralität 118 Prüfarzt 119 Public Health Service (PHS) 94 Publikationsbias 240, 271 Publikationsrechte 269
Q Qualität – methodische 267
R Rationalisierungen 167 Rationalisierungspotenzial 153 Rationalisierungsreserven 154 Reboxetin 271 Rechenschaft 93 Rechtsfolgenseite 108 Redaktionsrichtlinien 226 Referent 212, 213 Referenten- und Beratertätigkeit 165 Reisekostenübernahme 84 Reiz-Reaktions-Schema 28 Repräsentativitäts-Heuristik 30 Resistenzillusion 42 return on investment 209 Reziprozität 30, 282 Reziprozitätsregel 35 Risikosituation 18 Rofecoxib 21, 268, 272 Rosiglitazon 22, 273 Rückschau-Fehler 30
S S3-Leitlinie Demenzen 64 Sachverständiger 110, 120 Sanktionierungssystem 188 Satellitensymposium 213 Satzungsrecht 115 Schiedsstelle 188 Schreibwaren 163, 164 Schutzgut 113 Scoring-Wert 137 seeding trial 268 Selbsterklärung 121 Selbsthilfegruppen 228 Selbstkontrolle 126, 188 Selbstlosigkeit 15 Selbstregulationskräfte 133 Selbstregulierung – der ärztlichen Profession 136 Selbstwert 29 self-serving bias 30 SGB V 142 Sonderdrucke 287 soziale Bewährtheit 30, 38
303
Stichwortverzeichnis
Spenden 181 Spezialpräparate 156 Sponsoring – direktes 219 statistische Intuition 34 Stellenknappheit 207 Strafbarkeitsrisiko 128 Strafrecht – expressive Funktion des Strafrechts 133 Studie 142 – nichtinterventionelle 164, 166, 179, 190, 268 – pharmakoökonomische 272 – Planung der 267 – unabhängige 276 Studienprotokoll 267 Studium 211 Sunshine Act 64, 82 Sympathie 30, 36
T Tatbestandsseite 108 Teuro-Illusion 32 Therapieentscheidung 239 Therapieschule 17 Thompson – Dennis F. 282 transparency 56 Transparency International 177 Transparenz 56, 111, 114, 189, 217, 275 Transparenz-/ Genehmigungsprinzip 177 Transparenzerklärung 178 Transparenzprinzip 260
Trennungsprinzip 177, 260 Tür-ins-Gesicht-Technik 36 Tyrosinkinasehemmer 153
U unabhängige Fortbildungsmaßnahmen 173 Unabhängigkeit 110, 121 Universität Oxford 258 Unrechtsvereinbarung 124 Unredlichkeit 84 Unternehmen 111 Unternehmensinteresse 113 Unterstützungsleistungen – von Unternehmen an Selbsthilfeorganisationen 197 Untreue – Strafbarkeit (§ 266 StGB) 129 Urteilsfähigkeit 13, 28 Urteilsfehler 34 Urteilsvermögen – professionelles 23
V Validität – interne und externe 140 Verband Deutscher Medizinjournalisten 229, 234 Verbot 95 Verfügbarkeits-Heuristik 30 Vergütung 117 – ärztlicher Leistung 193 Vergütungssystem 16 Verhaltensänderung 168
M–Z
Verhaltenscodex der Ärzteschaft 173 Veröffentlichungspflicht 198 Verordnungsmenge – und Arzneimittelausgaben 144 Verordnungsverhalten 211 Vertrauen 83 – der Öffentlichkeit 50 Vertreterbesuche 163 Verzerrung 28 Vorteilsannahme 84, 123, 136 Vorteilsgewährung 119, 136 Vorteilszuwendung 124
W Wahrscheinlichkeit – eines unangemessenen Einflusses 92 Weiterbildung 179, 243 Werbung 284 – produktbezogene 190 Wirkstoff aktuell 246 wish bias 30
Z Zeitrahmen, 65 Zertifizierungsverfahren 207 Zulassungsstudien 166 Zusammenarbeit – vertragliche 190 Zusatzqualifikation 208 Zweitanmelderpräparate 148 Zytostatika-Zubereitungen 156