Michael Wortmann Komplex und Global
Michael Wortmann
Komplex und Global Strategien und Strukturen multinationaler Un...
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Michael Wortmann Komplex und Global
Michael Wortmann
Komplex und Global Strategien und Strukturen multinationaler Unternehmen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16315-4
Inhalt
Abbildungsverzeichnis ...................................................................................... 9 Tabellenverzeichnis ........................................................................................ 10 1
Einleitung ................................................................................................ 13
2
Wachstum und Wachstumsmodus ........................................................ 33 2.1 Direktinvestitionen und Auslandswachstum .................................... 33 2.1.1
Direktinvestitionen ............................................................ 33
2.1.2
Das Wachstum der multinationalen Unternehmen ............ 35
2.1.3
Das Wachstum der deutschen multinationalen Unternehmen ...................................................................... 42
2.1.4
Zwischenergebnis: Auslandswachstum ............................. 45
2.2 Internes und externes Auslandswachstum ....................................... 47
3
2.2.1
Historischer Trend: Bedeutungszunahme des externen Wachstums ......................................................................... 47
2.2.2
Direktinvestitionen, M&A und ihr spekulatives Moment .. 50
2.2.3
Der Wachstumsmodus deutscher Unternehmen seit Mitte der 1980er Jahre ...................................................... 51
Die Entwicklung der Konfiguration multinationaler Unternehmen .. 56 3.1 Internationale statistische Daten zur Konfigurationsentwicklung .... 57 3.2 Zur Konfiguration der deutschen multinationalen Unternehmen ..... 67 3.2.1
Handel und Auslandsproduktion ........................................ 67
6
Inhalt 3.2.2
Die Rolle der Auslandsproduktion in den Regionen .......... 75
3.3 Zwischenergebnis: Konfiguration .................................................... 77 4
Fallstudien ............................................................................................... 79 4.1 Heidelberger .................................................................................... 82 4.1.1
Von den Anfängen bis Mitte der 1980 Jahre ..................... 82
4.1.2
Die Übernahme von Harris Graphics 1988 ........................ 84
4.1.3
Diversifikation durch weitere Übernahmen ab 1996 ......... 85
4.1.4
Entwicklung seit 2004 ....................................................... 88
4.2 Continental (Reifen) ........................................................................ 89 4.2.1
Entwicklung bis 1945 ........................................................ 89
4.2.2
Die Wachstumsjahre 1945 bis 1970 .................................. 92
4.2.3
Die Krise der 1970er Jahre ................................................ 93
4.2.4
Die Übernahmen von Uniroyal-Engelbert und Semperit und die langsame Herausbildung eines europäischen Verbundes in den 1980er Jahren ........................................ 94
4.2.5
Die Übernahme von General Tire und die Entwicklung in Nordamerika .................................................................. 96
4.2.6
Weitere Übernahmen und „Niedrigkostenstandorte“ – Integration und Verlagerungen in Europa .......................... 97
4.2.7
Expansion und Restrukturierung außerhalb Europas ......... 99
4.3 Hoechst Pharma (HMR) ................................................................ 100 4.3.1
Unternehmensgeschichte bis 1945 ................................... 100
4.3.2
Wachstum und die Erschließung ausländischer Märkte in Entwicklungsländern in den 1950er und 60er Jahren .. 102
4.3.3
Der langsame Ausbau in Industrieländern und die Übernahme von Roussel Uclaf (1970er und 1980er Jahre) ..... 105
4.3.4
Die Übernahme von Marion-Merrell-Dow 1995 und die Integration von Hoechst-Marion-Roussel ........................ 110
Inhalt
7 4.3.5
Ausblick: die Fusionen mit Phône-Poulenc zu Aventis (1999) und mit Sanofi-Syntelabo zu SanofiAventis (2004) ................................................................. 118
4.4 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei Unternehmen .......... 118 5
Theoretische Konzepte der economic und der managerial school ..... 121 5.1 Ökonomische Direktinvestitionstheorien ....................................... 121 5.1.1
Dunnings eklektische Theorie .......................................... 122
5.1.2
Externes Wachstum als blinder Fleck der Direktinvestitionstheorie .................................................. 124
5.1.3
M&A als Form des Markteintritts .................................... 128
5.1.4
Untersuchungen über die Motive von Direktinvestitionen 129
5.1.5
„Strategic asset seeking“ .................................................. 130
5.1.6
Zwischenergebnis: Dunnings Theorie der Direktinvestition ............................................................... 132
5.1.7
Neue ökonomische Theorien ........................................... 133
5.1.8
Übernahmen und Restrukturierung – Schwierigkeiten der Theoriebildung ........................................................... 134
5.2 Managementtheoretische Ansätze .................................................. 140 5.2.1
„Multinationale“, „globale“ und „transnationale“ Unternehmen .................................................................... 141
5.2.2
Konzepte zur Rolle ausländischer Tochtergesellschaften 146
5.2.3
Komplexitätssteigerung durch Übernahmen .................... 150
5.2.4
Kritik des Netzwerkkonzepts ........................................... 152
5.3 Komplexe Globalisierung .............................................................. 156 6
Standortdebatte und grenzüberschreitende Mobilität ...................... 161 6.1 Die deutsche Standortdebatte ......................................................... 162 6.1.1
Standortdebatte und externes Wachstum ......................... 165
6.1.2
Standortdebatte und das Investitionsmotiv Markterschließung ........................................................... 168
8
Inhalt 6.1.3
Standortdebatte und Firmenvorteile ................................. 169
6.1.4
Studien aus Belgien und den USA ................................... 170
6.1.5
Empirische Untersuchungen über deutsche Produktionsverlagerungen ............................................... 173
6.1.6
Zwischenergebnis: Standort Deutschland ........................ 177
6.2 Grenzüberschreitende Mobilität und concession bargaining ......... 180
7
6.2.1
Verlagerbarkeit, Verlagerung und verhandelbare Standortentscheidungen ................................................... 181
6.2.2
Interpretation der empirischen Indizien ........................... 184
Ausblick ................................................................................................. 189
Literaturverzeichnis ..................................................................................... 197
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Beschäftigungsentwicklung bei deutschen multinationalen Unternehmen im Ausland im verarbeitenden Gewerbe (Zielbranche) (in 1000) ......................................................... 43
Abbildung 2:
Jährliche Direktinvestitionsflüsse und Ausgaben für grenzüberschreitende M&A (Mrd. US$); Indizes des Dow Jones Industrial Average und des DAX (Jahresdurchschnittswerte; 1987 = 100) ............................... 51
Abbildung 3:
Arten der Beschäftigungsentwicklung deutscher multinationaler Unternehmen nach Regionen in den Jahren 1985-99: gesamt, extern sowie intern (=Differenz) (in 1000) ............................................................................... 54
Abbildung 4:
Regionale Verflechtungsstruktur 1976 (vgl. Fußnote 44) .... 68
Abbildung 5:
Regionale Verflechtungsstruktur 1986 (vgl. Fußnote 44) .... 68
Abbildung 6:
Regionale Verflechtungsstruktur 1996 (vgl. Fußnote 44) .... 69
Abbildung 7:
Regionale Verflechtungsstruktur 2006 (vgl. Fußnote 44) .... 69
Abbildung 8:
Umsätze der in Deutschland ansässigen Unternehmen und der produzierenden Auslandsgesellschaften sowie Exporte und Importe 2006 nach Branchen des Verarbeitenden Gewerbes (in Mrd. €) .................................. 71
Abbildung 9:
Auslandsverflechtung Chemische Industrie .......................... 72
Abbildung 10:
Auslandsverflechtung Maschinenbau ................................... 72
Abbildung 11:
Auslandsverflechtung Elektroindustrie ................................. 73
Abbildung 12:
Auslandsverflechtung Straßenfahrzeugbau .......................... 73
Abbildung 13:
Konfiguration bei HMR (Produktion und Fertigung 1999) .................................................................. 155
Abbildung 14:
Koordination bei HMR (1999) ........................................... 155
Abbildung 15:
Verlagerbarkeit, realisierte Verlagerungen und verhandelbare Standortentscheidungen .............................. 183
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
Beschäftigung produzierender Auslandsgesellschaften europäischer multinationaler Unternehmen (1000) .............. 38
Tabelle 2:
Beschäftigte bei produzierenden Auslandsgesellschaften US-amerikanischer Unternehmen (in 1000) ......................... 39
Tabelle 3:
Beschäftigte bei produzierenden Auslandsgesellschaften japanischer multinationaler Unternehmen (in 1000) ............ 40
Tabelle 4:
Beschäftigte bei den produzierenden Auslandsgesellschaften multinationaler Unternehmen in verschiedenen Industrieländern (in 1000) ............................. 41
Tabelle 5:
Anzahl neu gegründeter (N) und übernommener (Ü) produzierender Auslandsgesellschaften multinationaler Unternehmen ........................................................................ 48
Tabelle 6:
Anteil der green-field investments am Bestand produzierender Auslandsgesellschaften in Italien (1994) ..... 49
Tabelle 7:
Neu gegründete und übernommene Werke deutscher multinationaler Unternehmen im Ausland ............................ 49
Tabelle 8:
Umsätze und Exporte von Auslandsgesellschaften in den USA (in Mrd. US$) .............................................................. 58
Tabelle 9:
Absatzstruktur der Auslandsgesellschaften USamerikanischer multinationaler Unternehmen (in Mrd. US$) ....................................................................... 60
Tabelle 10:
Regionalstruktur der Exporte US-amerikanischer Auslandsgesellschaften in Drittländer im Jahr 1994 (in Mrd. US$) ....................................................................... 62
Tabelle 11:
Absatzstruktur der Auslandsgesellschaften USamerikanischer multinationaler Unternehmen in der Triade (in Mrd. US$) ............................................................ 62
Tabelle 12:
Entwicklung der Absatzstruktur der Auslandsgesellschaften japanischer multinationaler
Tabellenverzeichnis
11
Unternehmen nach Gastregionen und Absatzregionen (Mrd. Yen) ............................................................................ 64 Tabelle 13:
Regionale Absatzstruktur ausländischer Tochtergesellschaften in Frankreich im Jahr 1999 (in Mrd.€) ............................................................................. 65
Tabelle 14:
Umsätze und Exporte deutscher Auslandsgesellschaften in verschiedenen europäischen Ländern (in Mio. €) ............. 66
Tabelle 15:
Entwicklung von Inlandsumsatz, Export und Umsatz der Auslandsgesellschaften deutscher Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe (in Mrd. €) .................................... 67
Tabelle 16:
Umsatzentwicklung des Pharmabereichs von Hoechst (in Mio. DM) ...................................................................... 103
Tabelle 17:
Beschäftigte im In- und Ausland des Pharmabereichs von Hoechst 1964 und 1973 (ohne Roussel Uclaf) ................... 108
Tabelle 18:
Aus- und einfließende Direktinvestitionen Deutschlands (Jahreswerte in Mrd. €) sowie Beschäftigte bei deutschen Unternehmen im Ausland und ausländischen Unternehmen in Deutschland, gesamt und Verarbeitende Industrie (in 1000) .............................................................. 163
1 Einleitung
In der Ende der 1980er Jahre einsetzenden Diskussion über Globalisierung spielen multinationale Unternehmen eine zentrale Rolle.1 War das wissenschaftliche Interesse an multinationalen Unternehmen bis dahin weitgehend auf spezialisierte Teildisziplinen aus der Volks- und Betriebswirtschaft sowie aus der DritteWelt-Forschung konzentriert, gelten sie nun auch in vielen breit angelegten sozialwissenschaftlichen Konzepten als zentrale Akteure der Globalisierung (insbesondere Beck 1997; 2002; aber auch Dicken 1998; Michie 2003; Schirm 2006; Schmidt/Trinczek 1999; Zürn 1998). Multinationale Unternehmen werden als machtvolle Akteure charakterisiert, die die weltweite wirtschaftliche Verflechtung durch ihre internationalen Investitionen vorantreiben. Sie kontrollieren einen Großteil des wachsenden Welthandels; nach Schätzung der UNCTAD wird ein Drittel des Welthandels unternehmensintern, d.h. zwischen den Gesellschaften ein und desselben Konzerns abgewickelt. An einem weiteren Drittel sind multinationale Unternehmen als Exoder Importeur beteiligt. Durch ihre Fähigkeit, Produktion von einem Land in ein anderes zu verlagern, verfügen multinationale Unternehmen über eine Machtressource gegenüber nationalen oder lokal gebundenen sozialen Akteuren. Sie können Standorte, die ihnen nicht die gewünschten Produktionsbedingungen bieten, verlassen. Dies hat in Deutschland – gewissermaßen komplementär zur Diskussion über Globalisierung – eine heftige Debatte über die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland ausgelöst (etwa Sachverständigenrat 1988). Multinationale Unternehmen können auch ihre Belegschaften an einzelnen Standorten gezielt gegeneinander ausspielen, indem sie mit Produktionsverlagerungen drohen und Zu1
Die vorliegende Arbeit basiert zum Teil auf Arbeiten, die vom Autor im Rahmen des von der DFG geförderten Forschungsprojektes „Globalisierung und internationale Mobilität deutscher Industrieunternehmen“ durchgeführt worden waren. Neben dem Autor waren Professor Kisker, Christoph Dörrenbächer und Ulrich Bochum an der Durchführung des Projektes beteiligt. Eine Kurzbeschreibung des Projektes findet sich in Wortmann et al. (1998). Die vorliegende Arbeit wurde als Dissertation am Fachbereich politische Wissenschaften der Freien Universität eingereicht. Ich danke insbesondere Professor Ulrich Jürgens, der das Erstgutachten für die Arbeit übernommen hat, und Christoph Dörrenbächer, mit dem ich viele Jahre zusammengearbeitet habe, für die kritische Lektüre früherer Fassungen des Manuskripts und für wertvolle Anregungen.
14
1 Einleitung
geständnisse bei Entlohnung oder Arbeitsbedingungen erpressen. Für Streeck (1997) tragen diese Entwicklungen wesentlich zur Aushöhlung des ‚Deutschen Modells’, d.h. der sozialen Verfasstheit der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft, bei. Nach Ansicht vieler Beobachter hat die Bedeutung multinationaler Unternehmen in den letzten zwei Jahrzehnten erheblich zugenommen. Zwischen 1985 und 2006 hat sich der Bestand der weltweiten Direktinvestitionen (inward stock) von 972 Mrd. US$ auf 11.999 Mrd. US$ erhöht (UNCTAD), der Bestand der deutschen Direktinvestitionen im Ausland stieg im gleichen Zeitraum von 75 Mrd. € auf 785 Mrd. € (Deutsche Bundesbank). Durch immer größere internationale Unternehmensübernahmen und -fusionen sind in den letzten Jahren immer größere ‚global player’ entstanden. Häufig wird in der Literatur nicht nur auf einen quantitativen Bedeutungszuwachs multinationaler Unternehmen verwiesen, sondern auch auf eine veränderte Qualität ihrer internen Strukturen. In einem viel beachteten Buch haben die Managementtheoretiker Bartlett und Ghoshal (1989) multinationale Unternehmen als zunehmend transnationale Netzwerke beschrieben. Viele Sozialwissenschaftler haben sich dieser Sichtweise angeschlossen. So geht etwa HirschKreinsen (1997: 487) davon aus, dass „die weltweite Ausrichtung und Verflechtung [multinationaler Unternehmen; MW] in den letzten Jahren eine neue Qualität erreicht“ hat. Wagner/Mense-Petermann (2006: 20) halten es unter Verweis auf eine Vielzahl von neueren Publikationen für „unstrittig …, dass sich seit Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre die Strategien und Strukturen, mit denen grenzüberschreitend tätige Unternehmen ihre weltweiten Aktivitäten organisieren, maßgeblich gewandelt haben.“ Ein Kernpunkt des Wandels hin zum transnationalen Unternehmen ist für sie „eine sehr viel engere Integration der weltweiten Aktivitäten“. Beck (1997: 17) spricht gar von einem „von ihnen [den multinationalen Unternehmen; MW] erzeugten und kontrollierten Dickicht globaler Produktion“. Die Frage, was neu an den Strukturen und Strategien multinationaler Unternehmen ist, ist nun selbst keineswegs neu. Sie wurde seit vielen Jahrzehnten immer wieder gestellt, und es scheint, dass es immer die eigene Gegenwart war, die als eine Zeit großer Veränderungen wahrgenommen wurde. So schrieb etwa Fayerweather bereits vor annähernd 40 Jahren: International business, in one sense, is thousands of years old … But in the current sense of a large number of corporations with interrelated production and sales operations located around the world, it is a very recent phenomenon which emerged in the 1950s. (Fayerweather 1969: 1)
1 Einleitung
15
Knapp zehn Jahre später kamen die Autoren eines ersten groß angelegten empirischen Forschungsprojekts über deutsche multinationale Unternehmen zu folgendem Ergebnis: Der Unterschied zwischen den Direktinvestitionen der heutigen ‚multinationalen Unternehmen‘ und denen früherer Jahre ist zum einen rein quantitativer Art: Die Anzahl der im Ausland produzierenden Firmen und der ‚Internationalisierungsgrad‘ dieser Gesellschaften sind insbesondere in den letzten 10 Jahren sprunghaft gestiegen. Zumindest ebenso wichtig ist jedoch eine qualitative Veränderung: Der Abbau von Zollschranken und die rasche Entwicklung der Transport- und Kommunikationsmittel haben die Möglichkeit der Unternehmen erheblich erweitert, ihre Aktivitäten weltweit zu kontrollieren und zu koordinieren. Die in verschiedenen Ländern gelegenen Produktionsstätten sind heute stärker als Teil eines Ganzen und im Rahmen einer internationalen Unternehmensstrategie zu sehen. (Jungnickel et al. 1977: 32f)
Dieses Zitat könnte auch aus der heutigen Diskussion über multinationale Unternehmen und Globalisierung stammen. Würde man „internationale Unternehmensstrategien“ durch „globale“ oder „transnationale Unternehmensstrategien“ oder auch durch „Netzwerkstrategien“ ersetzen, so könnte das Zitat sogar eine typische heutige Charakterisierung multinationaler Unternehmen darstellen. Es stellt sich die Frage, ob und wie sich multinationale Unternehmen verändert haben: Hat sich das Tempo der Internationalisierung tatsächlich beschleunigt, wie häufig angenommen und wie es die Direktinvestitionsdaten suggerieren? Haben sich ihre Strategien und Strukturen so grundlegend verändert, dass von einer neuen Qualität gesprochen werden kann? Hat ihre Fähigkeit, Produktion grenzüberschreitend zu verlagern, den Charakter des internationalen Wettbewerbs grundlegend verändert? Hat ihre Machtposition gegenüber (nationalen) Akteuren wie Arbeitnehmern, Gewerkschaften oder Betriebsräten durch die Fähigkeit, mit Produktionsverlagerungen zu drohen, eine neue Qualität erreicht? Bei der Bearbeitung dieser Fragen wird auf Theorien zurückzugreifen sein, die versuchen, die Aktivitäten multinationaler Unternehmen zu erklären. Solche Theorien stammen überwiegend aus dem angelsächsischen Raum und lassen sich zwei Theorietraditionen zuordnen. Buckley/Hashai (2005: 655) haben sie als ‚economic school’ und als ‚managerial school’ bezeichnet. Die Theorien der economic school, zu deren Hauptvertretern etwa Buckley, Casson, Dunning, Rugman sowie Markusen zählen, versuchen zu erklären, warum es zur Internationalisierung der Produktion durch multinationale Unternehmen kommt. Gefragt wird, warum Unternehmen aus welchen Ländern und aus welchen Branchen in welchen anderen Ländern welche ökonomischen Aktivitäten aufnehmen. Die managerial school beschäftigt sich mit den Organisations- und Managementstrukturen multinationaler Unternehmen. Sie versucht diese durch unter-
16
1 Einleitung
schiedliche Unternehmensstrategien, d.h. Konfigurationen der operativen Tätigkeiten, die sich an unterschiedlich strukturierten internationalen Märkten orientieren, zu erklären. Wichtige Vertreter dieser Theorietradition sind unter anderen Stopford, Wells, Porter, Bartlett und Ghoshal. Eine durchgängig zentrale Rolle in der Argumentation der vorliegenden Arbeit spielt die Untersuchung der Folgen des externen Unternehmenswachstums, d.h. des Wachstums durch Übernahmen (mergers & acquisitions, M&A). In den Theorien und Konzepten multinationaler Unternehmen sowohl der economic school, wie auch der managerial school haben Übernahmen kaum systematische Beachtung gefunden, obwohl sie für die quantitative wie qualitative Entwicklung multinationaler Unternehmen von zentraler Bedeutung sind. Viele Aspekte heutiger multinationaler Unternehmen, die unter der Überschrift Globalisierung diskutiert werden, lassen sich – so eine zentrale These dieser Arbeit – nur verstehen, wenn die Besonderheiten dieses externen Wachstums berücksichtigt werden. Dies gilt auch für die sozioökonomischen Effekte der grenzüberschreitenden Tätigkeit multinationaler Unternehmen. So bezieht sich die deutsche Standortdebatte, also die Diskussion über die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland, auf das Wachstum der multinationalen Unternehmen im Ausland als Indikator, ohne zwischen internem und externem Wachstum zu unterscheiden. Auch die Verhandlungsmacht multinationaler Unternehmen gegenüber lokal gebundenen Akteuren, insbesondere den Arbeitnehmern und ihren Vertretern, wird durch Übernahmen erheblich beeinflusst. In der vorliegenden Arbeit werden verschiedene, eng miteinander verwobene Problemfelder behandelt, die im Folgenden unter sieben Punkten zusammengefasst und thesenartig erläutert werden sollen, ohne dabei den detaillierteren Ausführungen in den Hauptkapiteln allzu sehr vorzugreifen. 1) Die Internationalisierung der multinationalen Unternehmen hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten nicht beschleunigt und ist nicht durch einen quantitativen Sprung gekennzeichnet. Bruch oder Kontinuität in der Internationalisierung multinationaler Unternehmen können, wie bereits das obige Zitat von Jungnickel et al. (1977) anzeigte, quantitativer oder qualitativer Natur sein. Für eine Untersuchung des Umfangs und der Geschwindigkeit der Internationalisierung werden in der Literatur sehr verschiedene Indikatoren herangezogen. Am weitesten verbreitet sind jedoch Daten über Direktinvestitionen, mit deren Anstieg seit den 1980er Jahren die These von der Globalisierung begründet wird (etwa Hübner 1998; Beisheim et al. 1999). Direktinvestitionsdaten werden jedoch, wie gezeigt werden soll, auch von Spekulationen auf den Finanzmärkten beeinflusst. Realökonomische Daten deuten dage-
1 Einleitung
17
gen auf ein weit kontinuierlicheres Wachstum der multinationalen Unternehmen hin. 2) Übernahmen (mergers & acquisitions, M&A) spielen eine zunehmend wichtige Rolle für das Wachstum multinationaler Unternehmen und prägen deren interne Strukturen. Grundsätzlich können Unternehmen im Ausland – wie auch im Inland – wachsen, indem sie entweder neue Wertschöpfungsaktivitäten aufbauen und bestehende Aktivitäten erweitern oder indem sie bereits bestehende Aktivitäten übernehmen. In dieser Arbeit wird gezeigt, dass das externe Wachstum durch Übernahmen im Vergleich zum internen Wachstum durch den Auf- und Ausbau neuer Kapazitäten über einen langen Zeitraum hinweg an Bedeutung gewonnen hat, und dass heute das interne Wachstum insbesondere in den Industrieländern nur noch eine deutlich untergeordnete Rolle spielt. Eine Analyse multinationaler Unternehmen muss daher die Besonderheiten des externen Wachstums systematisch berücksichtigen. Dies gilt sowohl für die quantitative Analyse des Unternehmenswachstums, etwa für eine angemessene Interpretation von Direktinvestitionsstatistiken, als auch für die qualitative Analyse der Strategien und Strukturen multinationaler Unternehmen. Durch Übernahmen geraten häufig auch wertschöpfungsintensive Tätigkeiten und in vielen Fällen sogar komplette multinationale Unternehmen mit mehreren international verteilten Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionseinheiten sowie den entsprechenden Managementstrukturen und -kapazitäten in den Besitz eines anderen multinationalen Unternehmens. Es ist offensichtlich, dass solche Übernahmen die Komplexität multinationaler Unternehmen erhöhen. Dies wird unter Punkt 4 und 5 wieder aufgegriffen. 3) Die Theorien der economic school sind nicht in der Lage, die Entwicklung multinationaler Unternehmen zu erklären, da sie Übernahmen nicht systematisch erfassen. Die Theorie über Direktinvestition und multinationale Unternehmen der economic school sind an der Schnittstelle von Mikroökonomik und Volkswirtschaftslehre angesiedelt; sie versuchen zu erklären, warum sich Unternehmen internationalisieren, indem sie Wertschöpfung auch im Ausland betreiben. Erste Theorien waren hierzu in den 1960er Jahren entstanden (Hymer 1960/76, Vernon 1966). Ihre wichtigste Spielart ist die so genannte eklektische Theorie von Dunning (1977; 2003). Diese wird auch als OLI-Paradigma bezeichnet, wobei die Buchstaben OLI für die drei zur Erklärung von Direktinvestitionen angeführten Variablen stehen: Ein Unternehmen muss einen firmenspezifischen, kompetiti-
18
1 Einleitung
ven Vorteil besitzen, der es gegenüber Unternehmen des Gastlandes wettbewerbsfähig macht (ownership-specific advantage). Das Gastland muss über Standortvorteile verfügen, die es gegenüber dem Heimatland des Unternehmens wettbewerbsfähig machen (location-specific advantages). Und schließlich muss es für das Unternehmen günstiger sein, die Auslandsaktivität intern durchzuführen als sie von einem fremden Unternehmen (etwa einem Lizenznehmer) durchführen zu lassen (internalisation-specific advantage). In dieser Arbeit wird nun angeführt, dass diese Theorie zwar sehr gut geeignet ist, internes Wachstum zu untersuchen, dass sie aber bei externem Wachstum vielfach versagt. Dabei ist, wie zu zeigen sein wird, nicht nur die Voraussetzung eines komparativen Wettbewerbsvorteils des investierenden Unternehmens, sondern insbesondere auch die Annahme eines Standortvorteils des Gastlandes problematisch. Zum einen besitzen viele Übernahmeobjekte beträchtliche eigene ownership-specific advantages, deren Erwerb ein wichtiges Motiv für Übernahmen darstellt und die auch an Unternehmensteile des akquirierenden Unternehmens transferiert werden können. Zum anderen sind die location-specific advantages der erworbenen Einheiten nur ein Aspekt in einer breiten Palette von Übernahmemotiven. Dies hat zur Folge, hier folgt die Argumentation Pausenberger (1994), dass multinationale Unternehmen nach Übernahmen ihre räumliche Standortstruktur häufig als suboptimal einschätzen und umfangreiche und langwierige Restrukturierungsprozesse durchführen. Die Nicht-Berücksichtigung des externen Wachstums erweist sich, wie gezeigt werden soll, als grundlegende Schwäche der eklektischen Theorie, die deshalb heute ihren eigenen Anspruch, eine general theory zur Erklärung von multinationalen Unternehmen und Direktinvestitionen zu sein, nicht mehr einlösen kann. Dies gilt nicht nur für die Theorie Dunnings, sondern auch für andere Ansätze der economic school, wie etwa die Internalisierungstheorie von Buckley/Casson (1976; 1998) oder die an die so genannte neue Handelstheorie anknüpfende Theorie von Markusen (1984; 2002), die auch in Deutschland zunehmend rezipiert wird (Becker et al. 2005; Deutsche Bundesbank 2006; Klodt/Christensen 2007). Nun wird das externe Wachstum multinationaler Unternehmen in der economic school durchaus thematisiert: Übernahmen werden als besondere Form des Eintritts in einen ausländischen Markt (entry mode) untersucht (etwa Caves/Mehra 1989; Buckley/Casson 1998). Dunning (1993; ähnlich bereits Hogue 1967) hat später eine Typologie von vier Motiven für Auslandsinvestitionen vorgestellt, die es erlaubt, Übernahmen von Unternehmen mit eigenen ownership-specific advantages dem Motiv asset seeking zuzuordnen. Problematisch ist aber, dass diese Erklärungsansätze nicht systematisch mit der allgemeinen Theorie der Direktinvestition verbunden werden, sondern neben dieser stehen bleiben.
1 Einleitung
19
Auch im Rahmen dieser Arbeit wird es nicht möglich sein, eine alternative, erklärungskräftigere Theorie zu präsentieren. Dennoch erscheint es wichtig, die Schwachpunkte des Dunningschen eklektischen Ansatzes und anderer Direktinvestitionstheorien herauszuarbeiten, da unkritische Verwendung zu Fehleinschätzungen führen kann – so etwa in der Standortdebatte. 4) Das aus der managerial school stammende und von Batlett/Ghoshal (1989) entwickelte Konzept des multinationalen Unternehmens als transnationales Netzwerk stellt eine Fehlinterpretation dar, die unter anderem daher rührt, dass die komplexitätssteigernden Auswirkungen externen Unternehmenswachstums in den Unternehmenstypologien der managerial school nicht systematisch berücksichtigt werden. Die Managementlehre, insbesondere in den angelsächsischen Ländern, hat Konzepte und Typologien der Organisations- und Managementstrukturen multinationaler Unternehmen entwickelt. Die meisten Autoren, wie auch die vorliegende Arbeit, folgen dabei Chandlers (1962) Diktum „structure follows strategy“. Struktur meint dabei die Managementstruktur oder, in der Sprache der deutschen Betriebswirtschaftslehre, die Aufbauorganisation der Unternehmen; Strategie bezieht sich auf die operative Ausrichtung des Unternehmens, also auf die Frage, durch welche und wo angesiedelte Wertschöpfungsaktivitäten welche Märkte bearbeitet werden sollen.2 Die Chandlerschen Begriffe Struktur und Strategie entsprechen weitgehend den Begriffen Koordination und Konfiguration bei Porter (1989). „Structure follows strategy“ bedeutet dann, dass sich die Management- bzw. Koordinationsstruktur der Unternehmen aus der Unternehmensstrategie bzw. der Konfiguration ergibt. In Anlehnung an Fayerweather (1969) und Prahalad (1975) gehen die meisten Autoren der managerial school, so auch Porter (1989), davon aus, dass international tätige Unternehmen widersprüchlichen Anforderungen ausgesetzt sind, die als responsiveness und integration bezeichnet werden: Sie müssen einerseits auf die unterschiedlichen nationalen Umgebungen reagieren, andererseits aber auch grenzüberschreitend Synergien nutzen. Unternehmensstrategien, die stark auf nationale Anpassung setzen, indem sie die einzelnen nationalen Märkte durch eine jeweils spezifisch auf diese Märkte ausgerichtete Produktion und u.U. auch Forschung und Entwicklung vor Ort bedienen, werden als multinational – oder deutlicher: multi-national (zur präziseren Erläuterung der Begrifflichkeiten 2
Der Untertitel der vorliegenden Arbeit spielt auf dieses Begriffspaar von Chandler an. Da die beiden Begriffe im Deutschen aber üblicherweise auch in ganz anderen Bedeutungen verwendet werden, wird in dieser Arbeit insbesondere der Begriff Struktur nicht ausschließlich im Chandlerschen Sinne verwendet.
20
1 Einleitung
siehe unten) – bezeichnet. Strategien, die dagegen auf die Nutzung von grenzüberschreitenden Synergieeffekten ausgerichtet sind, werden als global bezeichnet. Die einer multi-nationalen Strategie entsprechenden Managementstrukturen, etwa starke Regional- und Landesgesellschaften, erlauben eine weitgehende Unabhängigkeit der Aktivitäten in den einzelnen Ländern, während die einer globalen Strategie entsprechenden Managementstrukturen, etwa globale Produktdivisionen, die grenzüberschreitende Koordinationsfunktion von Zentralen stärken. Bartlett/Ghoshal (1989) haben Ende der 1980er Jahre das Konzept einer Unternehmensstrategie und -struktur vorgestellt, die die widersprüchlichen Anforderungen von Responsivität und Integration zumindest tendenziell miteinander versöhnen soll. Dieses Konzept bezeichnen sie als transnational solution. Sie sehen eine Entwicklung der multinationalen Unternehmen hin zu transnationalen Netzwerken: Die verschiedenen Aktivitäten werden auf eine Vielzahl weltweit verstreuter Wertschöpfungseinheiten verteilt, die durch einen intensiven Austausch von Zwischenprodukten, Ressourcen, Personen und Informationen miteinander verbunden sind. Dieser Konfiguration räumlich verteilter, interdependenter Wertschöpfungsaktivitäten entspricht bei Bartlett und Ghoshal eine netzwerkartige Managementstruktur, in der Entscheidungen nicht mehr in der Konzernzentrale, sondern dezentral im Netzwerk fallen und die einzelnen Tochtergesellschaften weitgehend durch das Netzwerk kontextgesteuert sind. In der sozialwissenschaftlichen Globalisierungsliteratur ist das Konzept des multinationalen Unternehmens als flexibles, interdependentes Netzwerk vielfach aufgegriffen worden. Gerade in dieser Netzwerkartigkeit wird häufig das besondere Charakteristikum multinationaler Unternehmen im Zeitalter der Globalisierung gesehen (in Deutschland Dörre 1996; Eckardt et al. 1999; Hirsch-Kreinsen 1997; MensePetermann/Wagner 2006; Pries 1999). Als Musterbeispiel für ein solches Netzwerkunternehmen galt lange Zeit ABB (Bélanger et al. 1999; HirschKreinsen/Wilhelm 1996; Osterloh/Weibel 1996). Die vorliegende Arbeit soll nun zeigen, dass die empirisch zu beobachtenden, vielfältig Grenzen überschreitenden Lieferverflechtungen und Managementstrukturen vieler heutiger multinationaler Unternehmen sich zu einem guten Teil aus dem externen Wachstum erklären. Ihre Strategien und Strukturen sind zwar häufig äußerst komplex, aber damit nicht auch notwendigerweise netzwerkförmig oder transnational im Sinne von Bartlett und Ghoshal. Durch Übernahmen geraten nicht nur einzelne Fabriken, sondern häufig auch hoch spezialisierte oder gar komplette multinationale Unternehmen in den Besitz des akquirierenden Konzerns, der damit im Ausland auch über hochwertige Tätigkeiten, seien es Forschung und Entwicklung, wertschöpfungsintensive Produktion oder auch Managementkapazitäten, verfügt, womit – allgemein ge-
1 Einleitung
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sprochen – seine Komplexität zunimmt. Entscheidend für die Entwicklung der Konfiguration und der Koordinationsstrukturen multinationaler Unternehmen ist es, wie die übernommenen Aktivitäten in das neue Gesamtunternehmen integriert werden. In dieser Arbeit soll argumentiert werden (vgl. Punkt 5), dass diese Integration dem Muster der Globalisierung folgt, indem die Wertschöpfungsaktivitäten tendenziell an immer weniger Standorten konzentriert und dadurch zunehmend räumlich von ihren Absatzmärkten getrennt werden, und indem zugleich eine Intensivierung der grenzüberschreitenden Koordination der einzelnen Aktivitäten erfolgt. Der Eindruck, dass Strategien und Strukturen multinationaler Unternehmen zunehmend netzwerkförmig seien, entsteht, wenn man wie Bartlett/Ghoshal (1989), sämtliche Aktivitäten eines Unternehmens in einem Land als eine (Untersuchungs-) Einheit betrachtet und die vielfältigen Beziehungen, die die einzelnen Aktivitäten mit anderen Aktivitäten in anderen Ländern verbinden, pauschal diesen Landeseinheiten zuordnet, wodurch diese als vielfältig vernetzt erscheinen. Differenziert man allerdings innerhalb dieser teils formalrechtlich existierenden, häufig aber auch nur fiktiven ‚Landesgesellschaften’ zwischen den unterschiedlichen Aktivitäten, so entsteht ein anderes Bild: Es lässt sich zeigen, dass die verschiedenen Wertschöpfungsaktivitäten, die ein multinationales Unternehmen in einem bestimmten Land unterhält, häufig vollkommen unabhängig voneinander operieren, wohl aber jeweils in unterschiedliche globale Unternehmenseinheiten wie Divisionen, Produktbereiche oder Funktionseinheiten eingebunden sind. Die Positionen, die die einzelnen Wertschöpfungsaktivitäten innerhalb dieser Einheiten einnehmen, können verschiedenster Art sein. Auf der Ebene der Konfiguration soll gezeigt werden, dass die Liefer- und Leistungsbeziehungen der einzelnen Wertschöpfungsaktivitäten mit den Aktivitäten in anderen Ländern zumeist einseitig und kaum wechselseitig oder netzwerkartig sind. Auf der Ebene der Koordination können einzelne ausländische Einheiten ganz unterschiedliche Positionen einnehmen: sie können vollständig aus dem Heimatland des jeweiligen Konzerns gesteuert werden, können aber auch Koordinationsfunktionen für einzelne Bereiche oder gar ganze Divisionen übernehmen. Die vorliegende Arbeit versucht also zu zeigen, dass das Konzept einer netzwerkartigen Transnationalisierung eine Fehlinterpretation der Entwicklung multinationaler Unternehmen ist, die zum einen darauf beruht, dass Bartlett und Ghoshal wie auch andere Typologien der managerial school Übernahmen und deren komplexitätssteigernde Auswirkungen nicht systematisch berücksichtigen, und zum anderen darauf, dass sie von mehr oder weniger fiktiven ‚Landesgesellschaften’ als (Untersuchungs-) Einheiten ausgehen, anstatt die verschiedenen einzelnen Wertschöpfungsaktivitäten auf ihre jeweils spezifische internationale Einbindung hin zu untersuchen.
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5) Die längerfristige Entwicklung der Strategien und Strukturen multinationaler Unternehmen lässt sich als Globalisierung im Sinne der managerial school beschreiben, wobei diese allerdings aufgrund des Unternehmenswachstums durch Übernahmen komplex ist. In dieser Arbeit soll gezeigt werden, dass es einen langfristigen Trend der Globalisierung multinationaler Unternehmen im Sinne der angelsächsischen Managementliteratur (Stopford/Wells 1972; Porter 1989; Bartlett/Ghoshal 1989; vgl. auch Punkt 4) gibt: seit mehreren Jahrzehnten treiben diese Unternehmen sowohl die geographische Konzentration von Wertschöpfungsaktivitäten zur grenzüberschreitenden Bearbeitung der Märkte, als auch die zunehmend globale Ausrichtung ihrer Managementstrukturen voran. Dabei ist es zunächst wichtig festzuhalten, dass die hier vertretene These von einer Globalisierung der multinationalen Unternehmen sich nicht auf einen Zustand, sondern auf einen langfristigen Entwicklungsprozess bezieht, der in einzelnen Regionen oder Branchen unterschiedlich weit fortgeschritten sein und mit verschiedener Geschwindigkeit vonstatten gehen kann. Entscheidend für das hier zu entwickelnde Konzept einer komplexen Globalisierung ist nun, dass die Unternehmen zunehmend extern durch Übernahmen im Ausland wachsen (vgl. Punkt 2). Die Globalisierung, d.h. die grenzüberschreitende Integration der Märkte eröffnet den Unternehmen die Möglichkeit, durch grenzüberschreitende Restrukturierungsmaßnahmen, die sich häufig insbesondere an große Übernahmen anschließen, Synergieeffekte zu erzielen. Um diese Synergieeffekte zu realisieren werden Wertschöpfungsaktivitäten und Managementstrukturen zunehmend global ausgerichtet. Da häufig auch hoch spezialisierte oder gar komplette multinationale Unternehmen übernommen werden, besitzen die akquirierenden Unternehmen im Ausland auch hochwertige Tätigkeiten wie Forschung und Entwicklung oder wertschöpfungsintensive Produktion, sowie einschlägige Managementkapazitäten. So verfügen die Unternehmen gewissermaßen über mehrere ‚Stammsitze’ in unterschiedlichen ‚Heimatländern’, die sie als Kerne für Zentralisierungsprozesse nutzen können. Einzelne, hochwertige Wertschöpfungsaktivitäten können daher auch im Ausland zu Lasten inländischer Standorte konzentriert werden. Ebenso können die Managementkompetenzen der übernommenen Unternehmen im Ausland für das Management global ausgerichteter Produkt- oder Funktionseinheiten genutzt werden, denen auch inländische Standorte zugeordnet werden können. Durch Übernahmen wird der Prozess der Globalisierung komplexer als in den Konzepten der managerial school angenommen wird, die davon ausgehen, dass globale Unternehmen alle wichtigen Funktionen in ihrem Heimatland konzentrieren. Das Konzept der komplexen Globalisierung beschreibt die Entwick-
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lung multinationaler Unternehmen besser als das – in Punkt 5 kritisierte – Konzept des transnationalen Unternehmens. 6) In der Standortdebatte führt die Nicht-Berücksichtigung von Übernahmen zu einer fälschlichen Negativbewertung Deutschlands als Industriestandort. In enger Verbindung mit der Diskussion über Globalisierung entwickelte sich in den 1980er Jahren in Deutschland eine Debatte über die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Industriestandort. Waren frühere Debatten über Wettbewerbsfähigkeit davon ausgegangen, dass Länder als Volkswirtschaften mit ‚ihren’ Unternehmen miteinander konkurrieren, so galt nun, dass Länder als Standorte um die Investitionen international mobiler Unternehmen konkurrieren (etwa Sachverständigenrat 1988). Unter dieser Annahme wurden die steigenden Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Ausland bei geringen ausländischen Direktinvestitionen in Deutschland als Indikator mangelnder Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland interpretiert (ebd.). Aufgrund einer steigenden Zahl der bei deutschen Unternehmen im Ausland beschäftigten Personen bei zugleich wachsender Arbeitslosigkeit im Inland wurde Deutschland als „Weltmeister im Export von Arbeitsplätzen“ (Henkel 1995) bezeichnet. In dieser Arbeit soll nun gezeigt werden, dass die Direktinvestitionen im Ausland überwiegend für Unternehmensakquisitionen verwendet wurden, und dass ein großer Teil der hinzugekommenen Arbeitsplätze im Ausland nicht neu geschaffen oder dorthin verlagert wurde, sondern dass es sich hier vielmehr um bereits bestehende Arbeitsplätze handelt, die durch Übernahmen in den Einflussbereich deutscher Unternehmen gekommen sind. So soll die auf Daten über Direktinvestitionen oder eine wachsende Auslandsbeschäftigung beruhende negative Bewertung des Standorts Deutschland widerlegt werden. Insbesondere in Osteuropa ist das Beschäftigungswachstum der deutschen multinationalen Unternehmen allerdings auch auf den Aufbau neuer Kapazitäten und auch auf Produktionsverlagerungen zurückzuführen. Für dieses interne Wachstum bietet nun die Direktinvestitionstheorie Dunnings (vgl. Punkt 3) eine Erklärung: Indem diese Theorie nicht nur Standorteigenschaften (locationspecific advantages), sondern auch komparative Wettbewerbsvorteile (ownership-specific advantages) der im Ausland investierenden Unternehmen als Determinanten heranzieht, relativiert sie, wie gezeigt werden soll, die gängige Interpretation dieser Verlagerungen als Ausdruck einer Wettbewerbsschwäche Deutschlands.
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7) Die Fähigkeit der multinationalen Unternehmen, nationalen oder lokalen Akteuren wie den Beschäftigten und ihren Interessenvertretern an einzelnen Standorten glaubhaft mit der Verlagerung von Produktion zu drohen, hat eher kontinuierlich als sprunghaft zugenommen. Sowohl in der sozialwissenschaftlichen, wie auch in der breiten öffentlichen Diskussion ist die grenzüberschreitende Mobilität multinationaler Unternehmen ein Kernproblem der Globalisierung. Die Fähigkeit, Produktion von einem Land in ein anderes zu verlagern bzw. glaubwürdig mit Produktionsverlagerung zu drohen, verleihe den multinationalen Unternehmen gegenüber nationalen oder lokalen gesellschaftlichen Akteuren wie Gewerkschaften und Betriebsräten oder auch dem Staat – so das Argument – erhebliche Macht, die sie zur Erpressung von Zugeständnisse (concession bargaining) einsetzen können (etwa Dörre 1996; Arrowsmith/Marginson 2006). Ob und wie weit sich dies tatsächlich so verhält, ist eine schwer zu beantwortende Frage, da die Fähigkeit, glaubhaft mit Produktionsverlagerungen zu drohen, ein Potential darstellt, das sich von den real zu beobachtenden Verlagerungen unterscheidet. Zunächst sind also konzeptionelle Fragen zu klären, wie etwa die Unterscheidung zwischen tatsächlich durchgeführten Standortveränderungen und dem Potential möglicher Standortveränderungen, mit dem die Arbeitgeberseite ein Drohpotential für concession bargaining aufbauen kann. Auf der einen Seite ist es möglich, dass das Mobilitätspotential nicht vollkommen ausgeschöpft wird, indem nicht jede mögliche Verlagerung auch durchgeführt wird; auf der anderen Seite, so soll argumentiert werden, ist nicht jede Verlagerung ein Ausdruck eines Mobilitätspotentials – nämlich dann, wenn der ökonomische Druck auf das jeweilige Unternehmen so stark ist, dass es keine Alternative zur Verlagerung hat, es also zur Verlagerung gezwungen ist. Aus diesen Gründen ist Mobilität nicht messbar, so dass auch diese Arbeit keinen eindeutigen Befund zu diesem Thema liefern kann. Es werden jedoch Indizien präsentiert, von denen einige für und andere gegen eine Zunahme des Mobilitätspotentials sprechen: Ein Wachstum durch Übernahmen beinhaltet keine Möglichkeit für concession bargaining, wohl aber die vielfältigen Restrukturierungsmaßnahmen, die häufig auf Übernahmen folgen. Die zunehmende globale Orientierung und die Zentralisierung von Managemententscheidungen dürften die Fähigkeit zu concession bargaining erhöht haben – anders als netzwerkartige Strukturen, denen häufig hohe Flexibilität und damit auch Mobilität zugeschrieben wird. Auch das Europäische Binnenmarktprogramm sowie die Öffnung Osteuropas haben das Mobilitätspotential multinationaler Unternehmen auf regionaler Ebene vergrößert.
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Mit der Bearbeitung der vorstehenden sieben Themenfelder konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf einen Ausschnitt aus der Vielzahl von Themen, die unter der Überschrift ‚Multinationale Unternehmen und Globalisierung’ behandelt werden. Erstens behandelt sie das Thema aus der Sicht der Industrieländer, und hier insbesondere Deutschlands; das heißt die Bedeutung multinationaler Unternehmen für Entwicklungs- oder Transformationsländer wird nicht untersucht. Zweitens konzentriert sich die Untersuchung auf Unternehmen der verarbeitenden Industrie,3 und dies aus zwei Gründen: Zum einen lässt sich die – im Globalisierungsdiskurs bedeutsame – grenzüberschreitende Mobilität insbesondere in der verarbeitenden Industrie vermuten (vgl. Ahlers et al. 2007: 58), zum anderen ist die Datenverfügbarkeit für den Industriesektor besser als für den Dienstleistungssektor. Schließlich konzentriert sich die Arbeit vorrangig auf die Entwicklung von der Mitte des 20. Jahrhunderts bis heute, denn im Zentrum steht die Frage nach einem Wandel im Zuge der ‚Globalisierung’, deren Beginn üblicherweise in die 1980er Jahre datiert wird.4 Für eine Begründung der vorstehend thesenartig dargelegten Behauptungen hängt viel von der Qualität der verwendeten Daten und der Angemessenheit ihrer Interpretation ab. Eine erste wichtige Aufgabe der vorliegenden Arbeit ist es deshalb, eine möglichst solide Datengrundlage für eine Diskussion über die Internationalisierung multinationaler Unternehmen zu schaffen. Viele dieser Daten sind zwar öffentlich verfügbar, müssen aber aus verschiedenen Quellen zusammengestellt werden. Sie wurden vermutlich auch deshalb bisher nicht als Datengrundlage in der Diskussion verwendet, weil sie nicht so mühelos verfügbar sind, wie etwa die von der UNCTAD zusammengestellten weltweiten Direktinvestitionsdaten. Wie wichtig die Auswahl geeigneter Daten und deren angemessene Interpretation ist, soll hier an zwei Beispielen kurz verdeutlicht werden: Vertreter einer starken Globalisierungsthese sehen durch die Daten über die weltweiten Direktinvestitionen, die in den 1990er Jahren erheblich zugenommen haben 3
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Sicher ist richtig, dass multinationale Unternehmen in Dienstleistungssektoren in den letzten Jahrzehnten stärker gewachsen sind als in der verarbeitenden Industrie. Die absolute Bedeutung multinationaler Unternehmen im Dienstleistungssektor wird jedoch häufig überbewertet: In vielen Statistiken werden nämlich von oder über Holdinggesellschaften getätigte Direktinvestitionen dem Dienstleistungssektor zugeschlagen, auch wenn dahinter Unternehmen aus anderen Sektoren stehen. Die Frage, ob die heutige Globalisierung historisch einmalig ist, oder ob nicht bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein ähnliches Ausmaß internationaler wirtschaftlicher Verflechtung bestand, wird hier nicht behandelt. Multinationale Produktions- oder auch Dienstleistungsunternehmen gehörten jedoch vor hundert Jahren nicht zu den zentralen Akteuren der internationalen Wirtschaftsverflechtung. Zur langen Geschichte multinationaler Unternehmen siehe Jones (2005), zu deutschen Unternehmen insbesondere Schröter (1993).
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(siehe S.14), die These eines quantitativen Sprungs in der Unternehmensinternationalisierung belegt. Direktinvestitionsdaten sind jedoch, wie zu zeigen sein wird, ein höchst problematischer Indikator. Direktinvestitionen, die in den Zahlungsbilanzen nahezu aller Länder ausgewiesen werden, umfassen nicht nur monetäre Transfers an eigene Tochter- und Beteiligungsgesellschaften, die diese für den Auf- oder Ausbau ihrer Kapazitäten verwenden können, sondern auch Zahlungen an Dritte, von denen Unternehmen oder Unternehmensteile gekauft werden. Steigen die Preise, die beim Kauf von Unternehmen gezahlt werden, so kann es zu drastisch ansteigenden Direktinvestitionen kommen, ohne dass sich das reale operative Auslandswachstum der Unternehmen entsprechend beschleunigt hätte. Wird also dem externen Wachstum durch Übernahmen und seinen Besonderheiten – hier den stark schwankenden Preisen für Unternehmen, wie sie sich in den Aktienkursen ausdrücken – nicht Rechnung getragen, so kann dies dazu führen, dass steigende Direktinvestitionen als Zeichen einer beschleunigten Unternehmensinternationalisierung fehlinterpretiert werden. Globalisierungsskeptiker verwenden dagegen häufig unternehmensbezogene Daten. Sowohl Hirst/Thompson (1996) als auch Rugman (2005) haben für verschiedene Samples der größten multinationalen Unternehmen gezeigt, dass diese in Bezug auf wichtige Indikatoren wie etwa Umsätze oder Beschäftigtenzahlen sehr stark auf ihre Heimatregion (Hirst/Thompson 1996) bzw. auf ihre Heimatregion und teilweise eine weitere Region der Triade (Rugman 2005) konzentriert sind. Rugman (2002; 2005) begründet seine These von einem Ende der Globalisierung damit, dass die Zahl der Unternehmen, die jeweils über 20% ihres Weltumsatzes in allen drei Regionen der Triade, also in Nordamerika, Europa und Asien erzielen, mit 9 von 380 der weltweit größten multinationalen Unternehmen bis heute äußerst gering ist. An diesen Studien sind drei Punkte problematisch: Erstens untersuchen sie Ist-Zustände und nicht Entwicklungen und Veränderungen. Zweitens können Auslandsanteile auch bei wachsendem Auslandsgeschäft konstant bleiben, nämlich dann, wenn Unternehmen auch im Inland (bzw. in der Heimatregion), etwa durch Übernahmen nicht internationalisierter (bzw. triadisierter) Konkurrenten, wachsen. Drittens sagen Umsatz- oder Beschäftigtenzahlen nichts über die Art der Einbindung der Auslandsgesellschaften und die Art der Belieferung der Auslandsmärkte aus. In der vorliegenden Arbeit wird deshalb auf andere Daten zurückgegriffen. Dabei sind realwirtschaftliche Daten, die auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene einzelner Länder erhoben wurden, besonders wertvoll. Solche Daten werden von unterschiedlichen Behörden und Institutionen vieler Länder veröffentlicht. So erhebt zum Beispiel in Deutschland die Bundesbank seit 1976 die Umsatz- und Beschäftigtenzahlen deutscher Tochter- und Beteiligungsgesellschaften im Ausland und ausländischer Unternehmen in Deutschland. Einzelne Länder, insbe-
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sondere die USA, teilweise auch Frankreich und Japan, erheben noch weit detailliertere Informationen, unter anderem auch über die geographische Verteilung der Umsätze von Auslandsgesellschaften, oder sogar über konzerninterne und externe Lieferverflechtungen. Ähnliche Informationen können teilweise empirischen Forschungsarbeiten entnommen werden, die die Aktivitäten von Auslandsgesellschaften in einzelnen Ländern untersuchen. Über grenzüberschreitende Unternehmensübernahmen liegen neben den Finanzdaten, die von verschiedenen Unternehmensberatungen erhoben und von der UNCTAD publiziert werden, die historisch weit zurückreichenden Datensätze des Harvard Multinational Business Project (Vaupel/Curhan 1974) vor. Ferner wurde in mehreren, vom Autor – teilweise in Kooperation mit Christoph Dörrenbächer und Werner Oesterheld – koordinierten Projekten ein Datensatz erstellt, der die von deutschen Unternehmen im Ausland (ohne Transformationsländer) im verarbeitenden Gewerbe übernommenen oder verkauften Unternehmen für den Zeitraum von 1985 bis 1999 erfasst und auch Angaben über deren Beschäftigtenzahl enthält.5 Durch einen Abgleich dieses Datensatzes mit den Beschäftigtenzahlen aus der Bestandsstatistik der Deutschen Bundesbank kann die Bedeutung des externen Unternehmenswachstums durch Übernahmen für das Gesamtwachstum präzise ermittelt werden. Statistische Daten haben aber immer den Nachteil einer hohen Aggregationsstufe. Um die unter Punkt 4 und 5 aufgeworfene Frage zu beantworten, ob Unternehmensstrategien und -strukturen zunehmend global oder netzwerkartig transnational ausgerichtet sind, sind Daten, die auf der Ebene ganzer Volkswirtschaften oder für einzelne Unternehmen auf der Ebene der Gesamtheit ihrer Aktivitäten in einzelnen Ländern (reale oder fiktive ‚Landesgesellschaften’) aggregiert sind, ungeeignet. Hier werden detaillierte Informationen über die einzelnen Wertschöpfungsaktivitäten im In- und Ausland benötigt: darüber, welche Wertschöpfungsaktivitäten im Ausland intern aufgebaut und welche übernommen wurden, wie die Aktivitäten über die Jahre hinweg restrukturiert wurden, ob und wie sie mit anderen Unternehmensteilen verflochten sind, und ob diese Verflechtungen einseitig oder wechselseitig und netzwerkartig interdependent sind. Um diese Fragen zu den Details der Entwicklung von Unternehmens5
Diese Projekte wurden von FAST e.V. durchgeführt und teilweise von der Hans-BöcklerStiftung gefördert (Dörrenbächer et al. 1990; 1994; 1995); weitere Aktualisierungen erfolgten im Rahmen des von der DFG geförderten Projektes „Globalisierung und internationale Mobilität deutscher Industrieunternehmen“ (Dörrenbächer et al. 1999) und im Rahmen einer vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Studie (Wortmann 2002). An den Recherchen beteiligt waren neben den Koordinatoren Sebastian Botzem, Marion Dohle, Britta Heidemann, Uwe Nolting, Ivo Scheike, Daniela Schieferstein und Andreas Schmitt. Eine Analyse und Interpretation der Daten, an die auch die vorliegende Arbeit anknüpft, erfolgte in Wortmann (1996; 2002) und Wortmann/Dörrenbächer (1997).
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konfigurationen zu beantworten, bieten sich Fallstudien an. Fallstudien sind auch für eine Untersuchung der Entwicklung der Unternehmenskoordination geeignet: Etwa um herauszufinden, ob und wie weit übernommene Unternehmen in bestehende Managementeinheiten integriert werden und wie es dazu kommt, dass multinationale Unternehmen einzelne Managementfunktionen im Ausland ansiedeln. Dabei kann nicht auf bereits vorliegende Fallstudien zurückgegriffen werden, da diese die angesprochenen Fragen bestenfalls ansatzweise behandeln und sich häufig mit einer Beschreibung der Zunahme vielfältiger Aktivitäten im Ausland begnügen, ohne zu untersuchen, wie diese in den Gesamtkonzern eingebunden und mit diesem verflochten sind. Für den Zweck dieser Arbeit müssen die Fallstudien die Entwicklung der jeweiligen Unternehmenskonfiguration und koordination – insbesondere für den Zeitraum nach 1945 – möglichst vollständig abbilden. Zur Untersuchung wurden drei Unternehmen bzw. Unternehmensdivisionen aus drei verschiedenen bedeutenden Industriebranchen, dem Maschinenbau, der Automobilindustrie und der chemisch-pharmazeutischen Industrie ausgewählt: Heidelberger Druckmaschinen, die Reifensparte von Continental sowie die Pharmasparte von Hoechst. Neben der Bereitstellung und angemessenen Interpretation geeigneter Daten ist die präzise Verwendung zentraler Begriffe entscheidend für das Gelingen der vorliegenden Arbeit. Die Vielschichtigkeit der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion über das Thema multinationale Unternehmen und Globalisierung bringt unter anderem auch das Problem mit sich, dass wichtige Begriffe in unterschiedlichen Zusammenhängen mit jeweils anderen Bedeutungen belegt sind. Dies betrifft insbesondere die bedeutungsverwandten Begriffe ‚multinational’, ‚international’, ‚global’ und ‚transnational’. Als ‚multinational’ werden zum einen ganz allgemein alle Unternehmen bezeichnet, die auch außerhalb ihres Heimatlandes eigene Wertschöpfungsaktivitäten unterhalten. In diesem Sinne wird der Begriff auch in dieser Arbeit verwendet. In der Managementtheorie bezeichnet der Begriff aber auch eine bestimmte Unternehmensstrategie, bei der die Unternehmen verschiedene nationale Märkte durch eine jeweils auf diese Märkte abgestimmte Wertschöpfung in den einzelnen Ländern bearbeiten. In dieser speziellen Bedeutung wird in dieser Arbeit der Begriff in der Schreibweise ‚multi-national’ verwendet. Weit schwieriger ist die Lage beim Begriff ‚global’ oder ‚Globalisierung’. Auch dieser Begriff wird in der (insbesondere angelsächsischen) Managementliteratur in einem ganz spezifischen Sinne gebraucht: Er bezeichnet hier eine Unternehmensstrategie, bei der verschiedene nationale Märkte ohne jeweils spezifische Anpassung, u.U. sogar aus einer einzigen Fabrik heraus, bearbeitet werden;
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‚global’ ist hier das Gegenteil von multi-national. Als globaler Markt wird in diesem Sinne auch ein Gesamtmarkt bezeichnet, der nicht durch nationale Besonderheiten und Barrieren zwischen den nationalen Märkten fraktioniert ist, und der sich mit einer globalen Strategie optimal bearbeiten lässt. Insbesondere dann, wenn von Märkten und Unternehmensstrategien die Rede ist, wird der Begriff ‚global’ auch in dieser Arbeit in diesem spezifischen Sinne gebraucht. Da der Begriff sich aber heute breit durchgesetzt hat und teilweise auch in anderen spezifischen Bedeutungen verwendet wird (vgl. auch Fußnote 211), wird er in dieser Arbeit auch unspezifisch, etwa im Sinne von weltweit, verwendet. Der Begriff ‚international’ wird in dieser Arbeit ebenfalls unspezifisch, etwa im Sinne von grenzüberschreitend, gebraucht.6 Ein letzter wichtiger hier zu definierender Begriff ist ‚transnational’: Wenn von einem transnationalen Unternehmen die Rede ist, dann meint dies häufig – etwa in den Publikationen der UNCTAD7 – das gleiche wie ein multinationales Unternehmen. In dieser Arbeit wird der Begriff jedoch ausschließlich im Sinne der angelsächsischen Managementlehre verwendet, wo Bartlett/Ghoshal (1989) ihn zur Kennzeichnung einer netzwerkartigen Unternehmensstrategie und struktur eingeführt haben. Insbesondere in Deutschland, aber nicht nur, wird auch der Begriff ‚Globalisierung’ vielfach mit der Konnotation einer zunehmend netzwerkartigen grenzüberschreitenden Interdependenz, sei es zwischen Unternehmensteilen innerhalb von multinationalen Unternehmen oder auch zwischen Nationen oder nationalen Volkswirtschaften in der Weltwirtschaft, verwendet, in der gerade ein Kernbestandteil von Globalisierung gesehen wird (etwa Beck 1996; Hirsch-Kreinsen 1997). In diesem Sinne wird der Begriff in der vorliegenden Arbeit nicht gebraucht. Der Aufbau der Arbeit folgt nicht streng der Reihenfolge der oben stehenden sieben Punkte. Zunächst wird in zwei Kapiteln empirisches Datenmaterial präsentiert, das eine Grundlage für die gesamte weitere Diskussion bildet. Auf der Grundlage dieser Daten lassen sich aber auch schon die die unter Punkt 1 und 2 angesprochenen Fragen nach einer angeblichen Beschleunigung des Wachstums multinationaler Unternehmen und nach der Bedeutung des externen Wachstums durch Übernahmen für das Gesamtwachstum der Unternehmen beantworten. In einem weiteren Kapitel werden die Fallstudien präsentiert, die die empirische Grundlage für die theoretische Diskussion qualitativ erweitern. Im anschließenden Kapitel werden die Punkte 3 und 4 zu den Theorien der economic bzw. der 6 7
Also nicht im spezifischen Sinne von Bartlett/Ghoshal (1989); vgl. unten S.145. Eine in den 1970er Jahren gegründete Unterorganisation der UNO hieß Center on Transnational Corporations (CTC); sie ist inzwischen in der UNCTAD aufgegangen und gibt jährlich den World Investment Report heraus.
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managerial school behandelt; am Ende dieses Kapitels wird das Konzept der komplexen Globalisierung (Punkt 5) vorgestellt. Ein weiteres Kapitel behandelt die Punkte 6 und 7 zur Standortdebatte und zur Unternehmensmobilität. Im Einzelnen gliedert sich die Arbeit folgendermaßen: Das auf diese Einleitung folgende Kapitel 2 behandelt das Wachstum der multinationalen Unternehmen. Der erste Abschnitt (2.1) beginnt mit der Frage, was unter Direktinvestitionen verstanden wird. Anschließend werden den Direktinvestitionen, die in den 1990er Jahren einen enormen Anstieg verzeichnen, Daten über die Auslandsbeschäftigung multinationaler Unternehmen gegenübergestellt, deren Anstieg weit weniger spektakulär ist. Dies bestätigt unter Punkt 1 formulierte Ansicht, dass das grenzüberschreitende Unternehmenswachstum seit den 1980er Jahren keine besondere Beschleunigung erfahren hat. Abschließend werden Daten zur Entwicklung der Branchen- und Regionalstruktur deutscher Unternehmen präsentiert. Im zweiten Abschnitt (2.2) wird zwischen verschiedenen Arten des Unternehmenswachstums unterschieden: zwischen internem Wachstum durch Neugründung und Ausbau eigener Kapazitäten einerseits und externem Wachstum durch Übernahmen und Fusionen (mergers & acquisitions; M&A) andererseits. Es werden verschiedene Datensätze vorgestellt, die die unter Punkt 2 postulierte zunehmende und heute dominierende Rolle des externen Wachstums belegen: Unter anderem werden Direktinvestitionsströme mit Transferzahlungen für grenzüberschreitende M&A verglichen. Durch einen Vergleich der Entwicklung dieser Zahlungsströme mit der Entwicklung von Aktienindizes kann ein spekulatives Moment in der Entwicklung der Direktinvestitionen identifiziert werden. Ein anschließender Vergleich der Entwicklung der Auslandsbeschäftigung, wie sie sich aus den Angaben der Bundesbank ergibt, mit Beschäftigtenzahlen der von deutschen Unternehmen im Ausland übernommenen und verkauften Unternehmen erlaubt eine präzise Einschätzung der Bedeutung des externen Wachstums für das Auslandswachstum multinationaler Unternehmen insgesamt. Kapitel 3 untersucht die Konfiguration multinationaler Unternehmen, soweit dies auf der Basis statistischer Daten und vorliegender Untersuchungen möglich ist. Es werden die sehr detaillierten Statistiken des Bureau of Economic Analysis (BEA) über grenzüberschreitende Absatzstrukturen und Intra-Firmenhandel US-amerikanischer multinationaler Unternehmen und ausländischer Tochter- und Beteiligungsgesellschaften in den USA sowie ähnliche Daten aus Frankreich (SESSI) und Japan (MITI bzw. METI) vorgestellt, die erste Aussagen zur Entwicklung der Konfiguration multinationaler Unternehmen erlauben. Im Anschluss wird die Konfiguration deutscher multinationaler Unternehmen untersucht.
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Kapitel 4 enthält die Fallstudien über das Unternehmen Heidelberger Druckmaschinen, über den Reifenbereich von Continental und über den Pharmabereich von Hoechst (von 1995 bis 1999 Hoechst Marion Roussel). Die drei Fallstudien rekonstruieren die Entwicklung der Internationalisierung der drei Unternehmenseinheiten – insbesondere seit den 1950er Jahren: Wo wurden welche Werke aufgebaut bzw. übernommen, ausgebaut bzw. verkleinert oder gar geschlossen; welche Produkte haben diese für welche Märkte hergestellt; wie wurde die Ausrichtung der Auslandsgesellschaften im Zeitverlauf verändert; wo wurde Forschung und Entwicklung betrieben, und welche Produktionsstätten haben deren Ergebnisse verwendet? Neben diesen Details der Konfiguration werden auch die Grundstrukturen der Managementorganisation, d.h. der Koordination, und deren Veränderungen nachgezeichnet. Aufbauend auf diesen drei eher empirisch ausgerichteten Kapiteln erfolgt in Kapitel 5 eine Auseinandersetzung mit den zwei großen Theoriesträngen über multinationale Unternehmen, der economic und der managerial school. In Abschnitt 5.1 wird die Nichtbeachtung des externen Unternehmenswachstums als ein folgenreicher Schwachpunkt der ökonomischen Theorien der Direktinvestition identifiziert, die damit, wie unter Punkt 3 postuliert, nicht in der Lage ist, das heutige Wachstum multinationaler Unternehmen zu erklären. Dies gilt insbesondere auch für die von Dunning (1977; 2003) entwickelte eklektische Theorie. Diese Theorie wird zunächst in ihren Grundzügen dargestellt, um sie dann im Einzelnen auf ihre Tauglichkeit für eine Erklärung externen Unternehmenswachstums hin zu überprüfen. Neben der Theorie Dunnings werden auch andere Theorien, etwa die von Markusen (1984; 2002) diskutiert. Eine kurze Erörterung der verschiedenen Theorien über Übernahmen ergibt, dass diese keine wirklich konsistente Erklärung des externen Wachstums bieten. Diese Lücke kann auch in der vorliegenden Arbeit nicht geschlossen werden. Daher kann hier zwar die Unzulänglichkeit der ökonomischen Theorien multinationaler Unternehmen aufgezeigt, nicht jedoch eine alternative Theorie angeboten werden. Der zweite theoretisch ausgerichtete Abschnitt (5.2) setzt sich mit den Konzepten der managerial school auseinander, deren Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte einleitend kurz skizziert wird. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf das von Bartlett/Ghoshal (1989) entwickelte Konzept des netzwerkartigen transnationalen Unternehmens gelegt. Um die unter Punkt 4 behauptete Unzulänglichkeit dieses Konzepts aufzuzeigen, werden diesem die Ergebnisse aus der eigenen empirischen Untersuchung und insbesondere aus den Fallstudien gegenübergestellt. Es wird herausgearbeitet, dass die Strategien und Strukturen multinationaler Unternehmen zwar – aufgrund von Übernahmen – zunehmend komplex, aber nicht netzwerkförmig werden. Es wird gezeigt, dass die Richtung der Restrukturierungen als Vereinheitlichung und Zentralisierung, also in der
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Begrifflichkeit der economic school als ‚Globalisierung’ verstanden werden kann. Abschließend (Abschnitt 5.3) wird das bereits unter Punkt 5 skizzierte Konzept der ‚komplexen Globalisierung’ vorgestellt. Kapitel 6 beschäftigt sich mit der gesellschaftspolitischen Diskussion über multinationale Unternehmen und Globalisierung. Es werden zwei eng miteinander verbundene Problemfelder behandelt, die sowohl in den jeweiligen wissenschaftlichen Fachdisziplinen als auch in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden. In Abschnitt 6.1 werden die Implikationen der bisherigen empirischen und theoretischen Befunde für die Diskussion über die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland dargelegt. Die seit den späten 1980er Jahren (vgl. Sachverständigenrat 1988) immer wieder aufgestellte Behauptung, dass die hohen Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Ausland bei gleichzeitig niedrigen Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland ein Zeichen für eine Standortschwäche seien, wird mit eigenen empirischen Befunden und verschiedenen theoretischen Überlegungen konfrontiert: Behandelt werden neben der Bedeutung des externen Wachstums, dessen Nicht-Berücksichtigung für die Negativbewertung des Standorts Deutschlands entscheidend ist (vgl. oben Punkt 6), die Implikationen verschiedener Investitionsmotive, sowie die kompetitiven Wettbewerbsvorteile deutscher Unternehmen als Determinante von Auslandsinvestitionen. Anschließend werden die Ergebnisse einer älteren belgischen sowie zweier neuerer deutscher Studien über Produktionsverlagerungen referiert, ehe eine Gesamtbewertung vorgenommen wird. Im zweiten Abschnitt dieses Kapitels (6.2) wird der unter Punkt 7 aufgeworfenen Frage nachgegangen, wie weit das Machtpotential zugenommen hat, das multinationale Unternehmen dadurch besitzen, dass sie Produktion grenzüberschreitend verlagern können, bzw. ihren nationalen oder lokalen Verhandlungspartnern mit solchen Verlagerungen drohen können. Hier sind zunächst konzeptionelle Fragen, wie etwa die Unterscheidung zwischen tatsächlich durchgeführten Standortveränderungen und dem Potential möglicher Standortveränderungen, bei denen die Arbeitgeberseite ein Drohpotential für concession bargaining aufbauen kann, zu klären. Anschließend werden empirische Befunde als Indizien angeführt, aus denen sich eine verringerte bzw. eine vergrößerte Verhandlungsmacht der Unternehmen ableiten lässt. Diese deuten auf eine kontinuierliche Verstärkung der Machtposition der Unternehmen hin, wobei das Potential für concession bargaining intra-regional, also etwa innerhalb Europas, wesentlich größer ist als inter-regional, und damit nicht wirklich global ist. Das Abschließende Kapitel 7 fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen.
2 Wachstum und Wachstumsmodus
In diesem Kapitel wird das Wachstum der multinationalen Unternehmen untersucht. Zu diesem Zweck wird in Abschnitt 2.1 zunächst dargelegt, warum Direktinvestitionsdaten als Indikator für das Wachstum multinationaler Unternehmen ungeeignet sind. Anschließend werden die grundlegenden Trends des Wachstums multinationaler Unternehmen anhand von Beschäftigtenzahlen nachgezeichnet. In Abschnitt 2.2 wird dann der Wachstumsmodus multinationaler Unternehmen analysiert, indem zwischen internem Wachstum durch Aufund Ausbau neuer Kapazitäten und externem Wachstum durch Übernahmen (mergers & acquisitions, M&A) unterschieden wird.
2.1 Direktinvestitionen und Auslandswachstum Vielfach wird die zunehmende Bedeutung multinationaler Unternehmen in einer globalisierten Welt mit dem grenzüberschreitenden Wachstum dieser Unternehmen begründet. Als ein wichtiger Indikator für das Wachstum der multinationalen Unternehmen und damit auch für Globalisierung werden häufig die internationalen Direktinvestitionen herangezogen (etwa UNCTAD 1999/2001; Hübner 1998).
2.1.1 Direktinvestitionen Tatsächlich haben die jährlichen internationalen Direktinvestitionsströme in den 1990er Jahren erheblich zugenommen (vgl. S.51). Sie waren von unter 200 Mrd. US$ in den Jahren 1988 und 1992 auf knapp 1.400 Mrd. US$ im Jahr 2000 angestiegen, und waren dann bis 2003 wieder unter 600 Mrd. US$ zurückgegangen, um schließlich wieder auf etwa 1.3000 Mrd. US$ im Jahr 2006 anzusteigen. Ob sich aus dieser Entwicklung der Direktinvestitionen allerdings auch ableiten lässt, dass sich das reale Auslandswachstum der multinationalen Unternehmen ebenfalls in diesem Tempo entwickelt hat, ist höchst fraglich.
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2 Wachstum und Wachstumsmodus
Direktinvestitionen sind ein Bestandteil der Zahlungsbilanz.8 Zusammen mit den Posten Wertpapieranlagen (sog. Portfolioinvestitionen) und Kreditgewährung bilden sie die Kapitalverkehrsbilanz. Von Wertpapieranlagen oder Portfolioinvestitionen unterscheiden sich Direktinvestitionen dadurch, dass sie nicht allein mit dem Ziel einer hohen Anlagerendite getätigt werden, sondern dass mit ihnen auch der Versuch verbunden ist, auf ausländische Unternehmen unternehmerischen Einfluss zu nehmen. Dies wird zu statistischen Zwecken üblicherweise an einer Mindestbeteiligung am Eigenkapital des Investitionsobjekts festgemacht, die z.B. in der US-amerikanischen oder deutschen (seit 1999) Statistik bei 10% liegt.9 Von der Position Kreditgewährung unterscheiden sich Direktinvestitionen, die ebenfalls die Form von Krediten annehmen können, dadurch, dass diese zwischen verbundenen Unternehmen gewährt werden, d.h. zwischen Unternehmen, die durch eine Kapitalbeteiligung verflochten sind. Direktinvestitionsflüsse sind definiert als grenzüberschreitende Kapitaltransfers, die a) der Gründung und Ausweitung oder b) dem Erwerb von Tochter- oder Beteiligungsgesellschaften im Ausland dienen. Im Einzelnen sind enthalten: a.
Kapitaltransfers von Mutter- oder anderen verbundenen Gesellschaften an ausländische Tochter- und Beteiligungsgesellschaften, in der Form von Eigenkapital oder Krediten.
b.
Kapitaltransfers an Dritte mit dem Ziel des Erwerbs neuer verbundener Unternehmen oder Unternehmensbeteiligungen.
Direktinvestitionen sind nicht zu verwechseln mit den realen Sachanlageinvestitionen, die multinationale Unternehmen bei ihren Auslandsgesellschaften mit dem Ziel des Aufbaus, des Ersatzes, der Modernisierung oder Erweiterung ihrer Anlagen tätigen. Im Einzelnen sind folgende Besonderheiten zu berücksichtigen: a.
Kapitaltransfers an verbundene Unternehmen werden in den Bilanzen ausländische Tochter- und Beteiligungsgesellschaften auf der Passivseite als Eigenkapital oder Kredite verbucht und können (auf der Aktivseite) sowohl für Realinvestitionen als auch für verschiedenste andere Zwecke, wie etwa die Erhöhung der Liquidität oder auch (auf der Passivseite) für einen Schuldenabbau verwendet werden. Andererseits können Realinvestitionen auch
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Direktinvestitionsflüsse sind zu unterscheiden von Direktinvestitionsbeständen, die entweder am Jahresende erhoben oder aus jährlichen Direktinvestitionsflüssen akkumuliert werden. In den verschiedenen Analysen und Debatten werden zumeist die jährlichen Flussdaten verwendet. Bis 1988 lag die Erfassungsgrenze der Deutschen Bundesbank bei 25% und von 1989 bis einschließlich 1998 bei 20%.
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2.1 Direktinvestitionen und Auslandswachstum
35
durch Kapitalaufnahme am Markt finanziert werden. Schließlich werden die gesamten realen Investitionen (Bruttosachanlageinvestitionen) zum größten Teil durch Abschreibungen finanziert, während Direktinvestitionen die Veränderung einer Nettoposition erfassen. b.
Kapitaltransfers an Dritte zum Zweck des Erwerbs neuer Beteiligungen sind mit keinerlei Veränderung des realen Sachanlagekapitals verbunden.10 Hinzu kommt, dass der (Buch-) Wert des erworbenen Sachanlagekapitals üblicherweise weit unter dem Kaufpreis einer Akquisition liegt, da der Buchwert des gekauften Unternehmens auch andere Komponenten, wie etwa Liquidität oder immaterielle Werte, beinhaltet und der Kaufpreis zudem eine strategische und eine spekulative Komponente enthält und damit häufig weit über dem Buchwert liegt (vgl. unten).
Direktinvestitionen nehmen also eine Zwitterstellung zwischen den Sphären der Real- und der Finanzwirtschaft ein. Schon aus diesem Grund sind sie kein guter Indikator zur Messung der realen oder operativen Internationalisierung von Unternehmen. Trotzdem werden die internationalen Direktinvestitionen häufig mit den Daten über Bruttoinvestitionen aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (gross fixed capital formation) verglichen (etwa Köhler 2004: 35). In vielen Ländern entsprechen die Direktinvestitionen einem erheblichen und steigenden Anteil der Sachanlageinvestitionen, woraus dann die Schlussfolgerung einer zunehmenden grenzüberschreitenden Verflechtung nationaler Volkswirtschaften durch multinationale Unternehmen abgeleitet wird (z.B. UNCTAD 1997; Zürn 1998: 71, 90f). Aber dieser Vergleich und diese Schlussfolgerung sind irreführend. Reale Bruttoinvestitionen können aus den dargelegten Gründen nicht mit Direktinvestitionsdaten verglichen werden.
2.1.2 Das Wachstum der multinationalen Unternehmen In diesem Abschnitt soll ein genaueres Bild von der Internationalisierung multinationaler Unternehmen gezeichnet werden. Statt Direktinvestitionsdaten wird hier der Indikator Beschäftigung verwendet, der eine Reihe von Vorzügen auf10
Wenn Akquisitionen durch einen Aktientausch finanziert werden, wie etwa die Übernahme von Chrysler durch Daimler-Benz, generieren sie nicht einmal einen grenzüberschreitenden Kapitaltransfer. In der Statistik der Kapitalverkehrsbilanz werden jedoch Direktinvestitionen (Erwerb von Chrysler-Aktien durch Daimler) verbucht, denen in umgekehrter Richtung Portfolioinvestitionen (Erwerb von Daimler-Aktien durch ehemalige Chrysler-Aktionäre) in gleicher Höhe gegenüberstehen.
36
2 Wachstum und Wachstumsmodus
weist. Beschäftigtenzahlen werden nicht durch Preisveränderungen an den Aktienmärkten, durch Inflation, Wechselkurse oder andere Fluktuationen der Finanzsphäre beeinflusst. Ein Problem ist, dass sie aufgrund der sehr unterschiedlichen Arbeitsproduktivitäten in einzelnen Ländern und Branchen die wirtschaftliche Bedeutung von Unternehmen nur bedingt widerspiegeln. Diese Produktivitätsunterschiede haben sich jedoch im Zeitverlauf nur geringfügig verändert, so dass Aussagen über den Verlauf der Internationalisierung – etwa das Wachstum – auf der Basis von Beschäftigtendaten gut möglich sind.11 Ein weiterer wesentlicher Nachteil ist, dass Beschäftigtendaten nicht so vollständig verfügbar sind wie Direktinvestitionsdaten.12 Während statistische Angaben über Direktinvestitionen (Flussdaten) für nahezu alle Länder der Welt mit der Zahlungsbilanzstatistik vorliegen und zudem von der UNCTAD regelmäßig in aggregierter Form veröffentlicht werden, sind Statistiken über operative Größen wie etwa Beschäftigtenzahlen nur selektiv verfügbar. Seit den 1960er bzw. 70er Jahren werden in den USA umfangreiche Daten über die Aktivitäten US-amerikanischer Unternehmen im Ausland und ausländischer Unternehmen in den USA erhoben. Statistiken über ausländische Unternehmen im Bereich der verarbeitenden Industrie in Frankreich sind seit den frühen 1970er Jahren verfügbar. Die Deutsche Bundesbank erhebt seit 1976 neben verschiedenen Bilanzdaten auch Beschäftigten- und Umsatzzahlen. In den 1980er Jahren haben auch andere Länder begonnen diese Daten zu erheben. Im Folgenden werden die verfügbaren Daten aus nationalen Statistiken zur Entwicklung der Auslandsbeschäftigung multinationaler Unternehmen in der verarbeitenden Industrie wiedergegeben, zunächst aus Statistiken von Herkunftsländern und dann von Zielländern. In Tabelle 1 sind die verfügbaren Daten zur Entwicklung der Auslandsbeschäftigung multinationaler Unternehmen aus den europäischen Ländern 11
12
Andere Probleme wie etwa die Art der Zählung von Teilzeitbeschäftigten haben nur einen marginalen Einfluss auf das Gesamtergebnis – insbesondere im Bereich der verarbeitenden Industrie. Direkte absolute Vergleiche zwischen Ländern und Regionen auf der Grundlage von Beschäftigtenzahlen sind dagegen aufgrund unterschiedlicher Arbeitsproduktivitäten problematisch. Die vorliegende Untersuchung interessiert sich aber insbesondere für die längerfristige Entwicklung und relative Verschiebungen zwischen den einzelnen Regionen. Ein überdurchschnittliches Produktivitätswachstum, wie es insbesondere bei übernommenen Tochterund Beteiligungsgesellschaften in Osteuropa festzustellen ist, bleibt jedoch ein methodisches Problem. Dies gilt insbesondere für den Dienstleistungsbereich. Auch aus diesem Grund konzentriert sich die folgende Darstellung auf den Bereich der verarbeitenden Industrie. Untersuchungen, die auf Direktinvestitionsdaten basieren, neigen allerdings dazu, die Bedeutung des Dienstleistungsbereichs zu überschätzen: Holdinggesellschaften (etwa Landesholdings) werden statistisch den Dienstleistungen zugerechnet, auch wenn der zugehörige Unterkonzern vorrangig in der verarbeitenden Industrie tätig ist. Auf Holdinggesellschaften (Zielbranche) entfällt ein beträchtlicher und wachsender Anteil der Direktinvestitionen vieler Länder.
2.1 Direktinvestitionen und Auslandswachstum
37
Deutschland,13 Italien, Schweden und der Schweiz wiedergegeben.14 Anders als die Unternehmen aus Schweden15 haben die Unternehmen aus den drei anderen Ländern in der gesamten Zeitspanne, für die Daten vorliegen, ihre Auslandsbeschäftigung deutlich erhöht. Phasen starken Wachstums wechseln sich mit Stagnation oder mit einem zeitweiligen Rückgang der Auslandsbeschäftigung ab. Die deutschen Unternehmen waren bereits seit den 1950er Jahren bis 1980 stark gewachsen; eine zweite Wachstumsphase begann dann in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre. Für die Schweiz ist eine allgemeine Aussage aufgrund der Kürze des Zeitraums, für den Daten vorliegen, und einer Veränderung in der Erhebungsmethode nicht möglich. Italienische Unternehmen waren lange Zeit nur schwach internationalisiert und haben ihre Auslandsbeschäftigung seit den 1980er Jahren weit überdurchschnittlich gesteigert. Diese Gesamtentwicklung der Auslandsbeschäftigung setzt sich aus unterschiedlichen regionalen Entwicklungen zusammen. Die Auslandsbeschäftigung der europäischen multinationalen Unternehmen in den jeweils anderen europäischen Ländern ist insbesondere in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre stark angestiegen (zur innereuropäischen Entwicklung siehe auch unten Tabelle 4), was vermutlich durch das Binnenmarktprogramm erklärt werden kann. Seitdem hat die Entwicklungsdynamik deutlich nachgelassen. In Nordamerika, d.h. insbesondere in den USA, haben die deutschen Unternehmen ihre Auslandsbeschäftigung seit den 1970er Jahren ausgeweitet (zur Beschäftigungsentwicklung bei europäischen Unternehmen in den USA siehe unten). Die Auslandsbeschäftigung in Lateinamerika hat sich langfristig kaum verändert, schwankt aber im Zeitverlauf stark. Den größten Beitrag zum Wachstum der Auslandsbeschäftigung seit den 1990er Jahren lieferten jedoch die Auslandsgesellschaften Osteuropa sowie in Asien. In den osteuropäischen Ländern und in China, das für einen guten Teil des Zuwachses in Asien verantwortlich ist, gab es um 1990 noch so gut wie keine Auslandsinvestitionen.
13 14
15
An dieser Stelle möchte ich mich bei der Deutschen Bundesbank, Abteilung Statistik bedanken, die verschiedene Sonderauswertungen zur Verfügung gestellt hat. Auf die Wiedergabe von Daten aus weiteren Ländern wurde verzichtet, da diese erst später mit der Erfassung und Publikation begonnen haben, so dass sich aus diesen Daten noch keine Trends ablesen lassen. Hier könnte der Rückgang auf einen firmenrechtlichen Umbau bei ASEA bzw. ABB zurückzuführen sein.
38 Tabelle 1:
2 Wachstum und Wachstumsmodus Beschäftigung produzierender Auslandsgesellschaften europäischer multinationaler Unternehmen (1000) 1976
aus Deutschland Westeuropa Osteuropa USA + Kanada Lateinamerika Asien (ohne Japan)
1980 a
1986
1990
922 468 0 58 252 87
1222 509 0 174a 343 128
1276 552 3 191 330 117
1647 744 17 277 359 154
aus der Schweiz* Westeuropa Osteuropa USA + Kanada Lateinamerika Asien
. . . . . .
. . . . . .
579 341 0 84 88 30
779 444 6 145 80 70
aus Italien Westeuropa Osteuropa USA+ Kanada Lateinamerika übrige Welt
. . . . . .
. . . . . .
239 87 2 22 74 52
aus Schweden* Westeuropa Osteuropa USA + Kanada Lateinamerika Asien
. . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
1996 1968 779 270 346 251 235
2000 a
200X
2627 845 451 524 288 306a
2805 760 695 459 287 463
949b 425b 50b 160b 108b 139b
993 465 53 170 96 158
1166 545c ---c 207 130 233
430 207 7 49 96 71
596 250 98 49 102 98
643 248 115 62 86 131
871 365 216 69 87 134
524 326 0 96 52 36
477 272 25 89 36 39
500 261 26 108 37 49
517 246 45 85 46 67
Anmerkungen: Die Tabelle enthält teilweise nicht-reviderte Daten * Angaben der Schweiz und Schwedens beziehen sich auf alle Tochter- und Beteiligungsgesellschaften produzierender multinationaler Unternehmen. a korrigiert um Grace Chemical, bzw. Tata Engineering (vgl. Fußnote 23) b die Erhebungsmethode wurde 1994 geändert c nur Angabe für Gesamteuropa verfügbar 200X: Deutschland = 31.12. 2006; Schweiz = 31.12. 2006; Italien = 1.1.2006; Schweden = 31.12.2006 Quellen: Deutsche Bundesbank; Banque Nationale Suisse; Statistics Sweden; CNEL (Ricerche & Progetti); eigene Berechnungen
Die Auslandsbeschäftigung US-amerikanischer multinationaler Unternehmen, die lange Zeit eine international beherrschende Stellung eingenommen hatten, hatte bereits in den 1970er Jahren einen ersten Höhepunkt erreicht (Tabelle 2) und ging dann zunächst in den meisten Regionen der Welt zurück – mit Aus-
2.1 Direktinvestitionen und Auslandswachstum
39
nahme Asiens und insbesondere Mexikos.16 In den 1990er Jahren stieg die Auslandsbeschäftigung wieder an, wobei sich das Wachstum auf Mexiko (bis vor wenigen Jahren), Asien – hier insbesondere China (2005: 299.000) – und Osteuropa konzentrierte.17
Tabelle 2: Beschäftigte bei produzierenden Auslandsgesellschaften US-amerikanischer Unternehmen (in 1000)
Mehrheitsbeteiligungen Westeuropa Osteuropa Kanada Mexiko übriges Lateinamerika Japan übriges Asien Minderheitsbeteiligungen
1966
1977
1982
1989
1996
2000
2005
2615 1334 0 545 102 311 40 102
3773 1951 0 562 171 539 40 278
3358 1628 0 455 229 496 48 288
3247 1509 0 455 290 455 75 306
3666 1592 91 364 424 416 87 516
4409 1713 185 454 642 421 75 696
4397 1621 255 370 530 460 74 855
.
1082
1075
944
812
716
675
Quellen: DoC/BEA; eigene Berechnungen
Die vorliegenden Daten über japanische Konzerne zeigen einen starken Anstieg der Auslandsbeschäftigung seit den 1990er Jahren (Tabelle 3). Dies könnte teilweise auf Mängel der japanischen Statistik zurückzuführen sein, d.h. darauf, dass die Auslandsbeschäftigung in früheren Jahren nicht vollständig erfasst worden war (vgl. Ramstetter 1996). Deutlich wird jedoch, dass sich der Beschäftigungszuwachs zunehmend in Asien konzentriert, wo China wiederum eine besondere Rolle spielt,18 und dass die Bedeutung japanischer Produktionsgesellschaften in den USA, die insbesondere in den 1980er Jahren stark zugelegt hat-
16 17
18
In Mexiko handelt es sich zu einem großen Teil um so genannte Maquiladoras. In Tabelle 2 ist auch die Zahl der Beschäftigten bei US-amerikanischen Minderheitsbeteiligungen angegeben. Deren Bedeutung hat im Laufe der Zeit kontinuierlich abgenommen. Dies widerspricht der häufig geäußerten Ansicht, dass in der heutigen Welt Allianzen immer wichtiger würden. China verzeichnete das höchste Wachstum. Hier stieg die Beschäftigung bei japanischen Tochter- und Beteiligungsgesellschaften von 41.000 im Jahr 1993 über 206.000 (1996) auf 951.000 im Jahr 2004.
40
2 Wachstum und Wachstumsmodus
ten, und in Europa, wo das Wachstum erst später einsetzte, im internationalen Vergleich bis heute eher gering ist.19
Tabelle 3: Beschäftigte bei produzierenden Auslandsgesellschaften japanischer multinationaler Unternehmen (in 1000)
Welt Europa Nordamerika Lateinamerika Asien
1981
1987
1990
1993
1996
1999
2004
2006
626 . . . .
726 66 121 109 391
922 88 282 99 417
1118 146 257 84 595
1775 197 357 96 1089
2223 241 473 109 1359
3114 269 481 108 2204
3620 . . . .
Quellen: MITI, METI
Neben den Angaben der Herkunftsländer über die Beschäftigungsentwicklung bei ihren multinationalen Unternehmen gibt es Statistiken einzelner Zielländer über die Beschäftigungsentwicklung bei den inländischen Unternehmen, die zu ausländischen multinationalen Unternehmen gehören. Diese sind in Tabelle 4 zusammengestellt20 und bestätigen weitgehend die oben beschriebenen Trends. In den westeuropäischen Ländern, für die entsprechende Daten vorliegen, hat sich die Beschäftigung bei ausländischen Unternehmen im längerfristigen Zeitverlauf kaum verändert. Bis zur Mitte der 1980er Jahre ging in Deutschland, Frankreich und Großbritannien die Beschäftigung bei ausländischen Unternehmen sogar zurück. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre steigt die Beschäftigung bei den Auslandsgesellschaften von Unternehmen aus anderen europäischen Ländern deutlich an, lediglich in Frankreich kommt es erst später zu einem deutlichen Anstieg. Der Anstieg in Schweden Ende der 1990er Jahre dürfte auf die Fusion von ASEA mit BBC zur in der Schweiz angesiedelten ABB zurückzuführen sein.
19
20
Die große Bedeutung, die japanischen Direktinvestitionen zugemessen wurde, erklärt sich vermutlich daraus, dass einzelne japanische Unternehmen und den USA aber auch in Europa große Neuinvestitionen getätigt hatten, insbesondere in der Automobilindustrie (sog. transplants). Die deutsche und die österreichische Statistik erlauben keine verlässliche Aufgliederung nach Herkunftsländern, da hier nicht nach dem letzten Eigner (ultimate beneficial owner) gefragt wird, sondern nur nach dem unmittelbaren ausländischen Eigentümer, so dass hier viele Tochter- und Beteiligungsgesellschaften überseeischer Unternehmen europäischen Zwischenholdings – etwa in Großbritannien oder der Schweiz – zugerechnet werden.
2.1 Direktinvestitionen und Auslandswachstum
41
Tabelle 4: Beschäftigte bei den produzierenden Auslandsgesellschaften multinationaler Unternehmen in verschiedenen Industrieländern (in 1000)
in Deutschland in Österreich* in Schweden
1976
1980
1986
1990
1996
2000
200X
1268
1240
1071
1242
1059
1205
1190
207
215
255
196
187
141
.
.
124
137
216
233
182
a
. a
b
c
684 387a 296a 0a
662 389b 251b .
595 337 221 5
679 398 225 12
817 522c 258c 24c
875 568 276 26
980 635 293 33
in Italien aus Europe aus USA aus Japan
. . . .
. . . .
472 261 203 2
521 349 . .
533 357 141 14
560 368 158 19
527 325 169 19
im UK aus Europe aus USA+Kanada aus Japan
. . . .
621 144 443 8
775 236 453 42
815 323 411 57
904d 378d 432d 62d
840 348 382 57
in Frankreich aus Europa aus USA+Kanada aus Japan
in den USA aus Europa - aus Deutschland - aus UK aus Kanada aus Japan in Japan
858b 174b 620b 3b
551e 381e 42e 133e 92e 21e
1105 849 239 224 153 36
1412 936 162 349 275 71
2221 1458 252 535 308 296
2292 1477 305 498 263 370
2705 1738 449 477 242 431
2107 1359 391 306 151 320
.
.
.
156f
163
230
221
Anmerkungen: * österreichische Angaben bis 1990 leicht überhöht, da auch nicht-produzierende indirekte Beteiligungen enthalten sind a 1975 b 1981 c 1997 d 1974 e 2001 f 1992 200X: Deutschland = 31.12. 2006; Österreich = 31.12.2005; Schweden = 31.12.2006; Frankreich = 1.1.2005; Italien = 1.1.2006; UK = 31.12.2004; USA = 31.12.2005; Japan = 31.3.2006 Quellen: Deutsche Bundesbank; ÖNB; Statistics Finland; STISI und SESSI; CSO und ONS; CNEL (Ricerche & Progetti); DoC/BEA; MITI und METI; eigene Berechnungen
In den USA ist die Beschäftigtenzahl bei ausländischen multinationalen Unternehmen – überwiegend aus Europa – in den 1970er und 80er Jahren und nochmals Ende der 1990er Jahre stark angestiegen. Seit 2000 ist ein deutlicher Rück-
42
2 Wachstum und Wachstumsmodus
gang festzustellen, insbesondere bei den Auslandsgesellschaften britischer und kanadischer, aber auch japanischer Konzerne. In Japan spielen ausländische Unternehmen nach wie vor eine marginale Rolle.
2.1.3 Das Wachstum der deutschen multinationalen Unternehmen Ein Vergleich der deutschen multinationalen Unternehmen mit denen aus anderen Industrieländern hat zunächst die besondere historische Entwicklung zu berücksichtigen (vgl. auch Schröter 1993). Bereits zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben einzelne deutsche Konzerne Produktionsgesellschaften im Ausland aufgebaut. So hatte Siemens & Halske bereits in den 1850er Jahren eigene Werkstätten in Russland und England; nur 16 Jahre nach der Gründung des Unternehmens, 1863, begann in England die Produktion von Seekabeln, einem Produkt, das in Deutschland nicht hergestellt wurde (Feldenkirchen 1997). Auslandsinvestitionen mehrerer anderer Unternehmen folgten, insbesondere aus der chemischen Industrie (Schröter 1990; 2001). Durch den Ersten Weltkrieg wurde diese Entwicklung unterbrochen, da das Auslandsvermögen der deutschen Unternehmen enteignet wurde.21 Dies wiederholte sich nach dem Zweiten Weltkrieg. Ab 1952 waren den (west-) deutschen Unternehmen wieder Investitionen im Ausland erlaubt. In einzelnen Fällen konnten die deutschen Unternehmen bei ihrer Expansion an Kontakte zu ihren ehemaligen Auslandsgesellschaften anknüpfen, zumal diese häufig auf das technologische Wissen der ehemaligen Muttergesellschaften angewiesen waren. In den meisten Fällen war dies jedoch nicht möglich (vgl. hierzu Schröter 1993). Während also die multinationalen Unternehmen aus anderen Industrieländern – insbesondere aus den USA und Großbritannien – zu Beginn der 1950er Jahre über Auslandsgesellschaften in vielen Ländern, darunter auch in Deutschland, verfügten, gab es bei den deutschen Unternehmen einen erheblichen Nachholbedarf. Dies ist sicherlich einer der Gründe für die – teilweise bis heute – überdurchschnittlich hohen Wachstumsraten deutscher Unternehmen im Ausland.22
21
22
Einige der ehemaligen Tochtergesellschaften haben sich später selber zu großen multinationalen Unternehmen weiterentwickelt, so etwa die von Merck (Merck & Co.) und Schering (Shering Plough). Ähnliches gilt auch für Japan.
2.1 Direktinvestitionen und Auslandswachstum Abbildung 1:
43
Beschäftigungsentwicklung bei deutschen multinationalen Unternehmen im Ausland im verarbeitenden Gewerbe (Zielbranche) (in 1000)
900
800
1976 1980
700
1986 1990
600
1996 2000
500
2006 400
300
200
100
0 West eur opa
Nor damerika
Japan
Af rika
Lat einamerika
Asien*
China
Ost eur opa
Anmerkungen: * Asien ohne China und Japan Bereinigungen: USA 1980 um Grace Chemical (-90.000); Indien 2000 um Tata Engineering (-38.000)23 Quellen: Deutsche Bundesbank; eigene Berechnungen
23
Die Deutsche Bundesbank erfasst seit 1976 Beteiligungen ab 25%, bzw. seit 1989 ab 20% und seit 1999 ab 10%, wodurch sich der Bestand insgesamt aber nur geringfügig verändert haben dürfte. Freundlicherweise hat uns die Statistische Abteilung der Bundesbank Sonderauswertungen zur Verfügung gestellt, die eine Zuordnung der branchenbezogenen Beschäftigtendaten zu einzelnen Regionen und Ländern erlauben. Auch bei der Aggregation wurden kleinere Korrekturen vorgenommen: Südafrika und die OPEC-Länder wurden durchgängig den Entwicklungsländern zugerechnet. Die Daten wurden um zwei Sonderfälle bereinigt: Für die nur vorübergehend bestehende, portfolioartige Beteiligung des deutschen Unternehmers Flick an W.R. Grace wurde die Zahl der Beschäftigten in den USA für 1980 um 90.000 verringert. Die Daten für 2000 wurden um die 10%-ige Beteiligung von DaimlerChrysler an Tata Engineering in Indien mit 38.000 Beschäftigte bereinigt, da diese Beteiligung bereits seit den 1950er Jahren besteht und 1999 lediglich aufgrund der Absenkung des Schwellenwerts erstmals in die Statistik Eingang findet. Wenige Jahre darauf sank die Beteiligung unter 10% und fiel so wieder aus der Statistik heraus.
44
2 Wachstum und Wachstumsmodus
Die Auslandsbeschäftigung der deutschen multinationalen Unternehmen im Bereich der verarbeitenden Industrie hat sich im Zeitverlauf in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich entwickelt (vgl. Abbildung 1):
In Westeuropa – der nach wie vor wichtigsten Region – haben die deutschen Unternehmen ihre Beschäftigung insbesondere in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre ausgeweitet – vermutlich in Vorwegnahme des Binnenmarktes. Wichtigste Länder sind 2006 Frankreich (159.000 Beschäftigte), das Vereinigte Königreich (109.000), Spanien (104.000), Österreich (79.000) und Italien (67.000).
In Nordamerika (USA und Kanada) wurde die Belegschaft seit Mitte der 1970er Jahre ganz erheblich ausgeweitet. Der hohe Zuwachs in den späten 1990er Jahren ist zu etwa zwei Dritteln auf die Übernahme des ChryslerKonzerns durch Daimler-Benz zurückzuführen; die 2007 bis auf eine Minderheitsbeteiligung wieder rückgängig gemacht wurde.
Japan – ebenso wie Australien und Neuseeland, die in Abbildung 1 nicht berücksichtigt wurden – spielt dagegen für deutsche Unternehmen nur eine marginale Rolle. Der Beschäftigungsanstieg im Jahr 2000 ist auf eine Beteiligung von DaimlerChrysler an Mitsubishi zurückzuführen, die 2005 wieder verkauft wurde.
Bei den Entwicklungsländern ist traditionell Lateinamerika die wichtigste Region. Hier kam es immer wieder zu dramatischen Schwankungen der Beschäftigung. Bereits zwischen 1980 und 1983 war die Beschäftigung in Folge der ersten Verschuldungskrise von 343.000 auf 258.000 Personen gesunken, davon allein in Brasilien von 255.000 auf 181.000. Die wichtigsten Länder sind 2006 Brasilien (161.000) und Mexiko (88.000).
In Afrika kam es in den letzten Jahren zu leichten Beschäftigungsschwankungen. Das mit Abstand wichtigste Land ist Südafrika (2006: 49.000 Beschäftigte). Das früher zweitwichtigste Land, Nigeria, spielt heute kaum noch eine Rolle.
In Asien (ohne China) hat sich die Beschäftigung bei deutschen produzierenden Auslandstöchtern seit Mitte der 1980er Jahre etwa verdoppelt. Wichtigste Länder waren 2006 Indien (73.000) und Malaysia (35.000). In China gab es bis zum Ende der 1980er Jahre so gut wie keine deutschen Direktinvestitionen. Seitdem ist die Beschäftigung auf 227 im Jahr 2006 angestiegen.
In Osteuropa schließlich gab es bis zum Ende der 1980er Jahre ebenfalls so gut wie keine Direktinvestitionen. Seitdem ist dort der mit Abstand stärkste
2.1 Direktinvestitionen und Auslandswachstum
45
Beschäftigungsanstieg zu verzeichnen. Wichtigste Länder waren 2006 Tschechien (166.000), Polen (128.000), Ungarn (83.000), Rumänien (68.000), die Slowakei (61.000) und die Russische Föderation (40.000).
2.1.4 Zwischenergebnis: Auslandswachstum Unter Verwendung des Indikators Beschäftigung wurde die Entwicklung der Internationalisierung multinationaler Unternehmen rekonstruiert. Trotz der begrenzten Datenverfügbarkeit sind die Grundlinien der Entwicklung eindeutig erkennbar. Die Beschäftigung westeuropäischer Unternehmen in anderen westeuropäischen Ländern hat insbesondere in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre, wohl in Vorbereitung auf den Binnenmarkt, deutlich zugenommen und ist auch danach weiter leicht angestiegen. Die Beschäftigung US-amerikanischer Unternehmen in Westeuropa hat sich nach einem Rückgang seit den späten 1970er Jahren langfristig kaum noch verändert. Japanische Unternehmen spielen in Westeuropa bis heute eine untergeordnete Rolle. Stark angestiegen ist dagegen die Beschäftigung bei ausländischen Unternehmen in Osteuropa, insbesondere bei Unternehmen aus Westeuropa. Innerhalb Nordamerikas hat sich die Beschäftigtenzahl US-amerikanischer Unternehmen in Kanada seit längerem kaum verändert, während sich die Beschäftigung bei kanadischen Unternehmen in den USA seit Beginn der 1990er Jahre halbiert hat. Stark angestiegen ist dagegen die Beschäftigung USamerikanischer Unternehmen in Mexiko, zumindest bis zum Jahr 2000. Unternehmen aus Europa und aus Japan waren bis in die 1970er Jahre hinein – mit Ausnahme britischer Unternehmen – nur schwach vertreten. Seitdem expandieren aber deutsche und andere kontinentaleuropäische und seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre auch japanische multinationale Unternehmen in den USA. Seit den frühen 1990er Jahren ist die Bilanz zwischen Westeuropa und den USA in etwa ausgeglichen. Nach einem weiteren Anstieg Ende der 1990er Jahre ist in den letzten Jahren ein deutlicher Beschäftigungsrückgang festzustellen. Die Entwicklungsländer Lateinamerikas sind bereits seit den 1950er und 60er Jahren eine wichtige Zielregion für multinationale Unternehmen aus den USA und Westeuropa, einschließlich Deutschland. Seit den 1980er Jahren haben diese ihre Auslandsbeschäftigung dort jedoch nicht weiter ausgedehnt – mit Ausnahme US-amerikanischer Unternehmen in Mexiko, Zentralamerika und der Karibik. Phasenweise kam es sogar zu erheblichen Einbrüchen, insbesondere in Brasilien. Ähnlich, allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau, stellt sich die Entwicklung in Afrika dar.
46
2 Wachstum und Wachstumsmodus
In den asiatischen Entwicklungsländern steigt die Zahl der Beschäftigten bei den Auslandsgesellschaften multinationaler Konzerne aus allen Regionen beständig an. Insbesondere japanische Unternehmen haben hier ihre Beschäftigung in den 1990er Jahren erheblich ausgeweitet. Eine besondere Rolle spielt hier China, auf das ein Großteil des Wachstums europäischer, USamerikanischer und japanischer Unternehmen in Asien entfällt. Betrachtet man die Kernregionen der Triade, so deutet kaum etwas darauf hin, dass die Internationalisierung der multinationalen Unternehmen in den 1980er oder 90er Jahren eine quantitativ neue Dimension erreicht hätte. Dies betrifft insbesondere die Verflechtungen zwischen Europa und den USA. Japan, als Kernland des dritten Teils der Triade, spielt als Gastland für ausländische Unternehmen bis heute kaum eine Rolle. Ein überdurchschnittlich hohes Wachstum ist in den 1990er Jahren in den peripheren Ländern der drei Triade-Regionen festzustellen, wobei dieses vorrangig von Unternehmen der jeweiligen Triade-Region getragen wird, also in Mexiko von US-amerikanischen Unternehmen, und in Osteuropa von westeuropäischen Unternehmen; in den asiatischen Entwicklungsländern spielen japanische Unternehmen eine wichtige Rolle; hinzu kommen jedoch auch multinationale Unternehmen aus anderen asiatischen Ländern, sowie Unternehmen aus den USA und Westeuropa, die ihre Beschäftigung in Asien ebenfalls stark ausgeweitet haben. Diese hohen Wachstumsraten sind teilweise auf geopolitische Veränderungen und die Öffnung Osteuropas und Chinas zurückzuführen, wo vor 1990 bzw. 1980 keine Direktinvestitionen möglich waren.24 Ganz anders als bei einer Betrachtung der internationalen Direktinvestitionsströme deutet bei einer Analyse auf der Basis des operativen Indikators Beschäftigung kaum etwas auf einen Globalisierungsschub in den 1980er oder 1990er Jahren hin. Bis auf die neue Dynamik der Expansion multinationaler Unternehmen in der Peripherie ihrer jeweiligen Heimatregion ist kein quantitativer Sprung zu erkennen, der eine neue Qualität der Internationalisierung begründen würde. Die Entwicklung der deutschen multinationalen Unternehmen oder der ausländischen Unternehmen in Deutschland macht hier keine Ausnahme.
24
In China arbeiteten 2005 knapp 20 Mio. Personen bei so genannten foreign invested enterprises, annähernd die Hälfte davon bei Tochter- und Beteiligungsgesellschaften von Unternehmen aus Hongkong, Taiwan und Macao. Konzerne aus Europa und Nordamerika spielen für die Auslandsbeschäftigung in China nur eine marginale Rolle (Wortmann 2006).
2.2 Internes und externes Auslandswachstum
47
2.2 Internes und externes Auslandswachstum Nachdem im vorhergehenden Abschnitt das Ausmaß des Auslandswachstums multinationaler Unternehmen behandelt wurde, soll nun die Art dieses Wachstums näher untersucht werden. Multinationale Unternehmen können, wie bereits oben (Punkt 2.1.1) dargelegt, auf zwei Arten im Ausland wachsen:
intern, indem sie eigene Kapazitäten aufbauen und erweitern, oder
extern, indem sie die Kapazitäten bereits bestehender Unternehmen erwerben.
Diese beiden Wachstumsmodi folgen jeweils einer eigenen Logik und haben auch sehr unterschiedliche Folgen sowohl für die Binnenstruktur der Unternehmen als auch für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung: Beim internen Aufund Ausbau eigener Kapazitäten sind die Unternehmen weitgehend auf einen Transfer eigenen know-hows, z.B. in der Produkt- oder Produktionstechnologie, angewiesen; beim externen Wachstum durch Übernahme erwerben sie auch das know-how fremder Unternehmen. Bei internem Wachstum entstehen im Allgemeinen neue Arbeitsplätze, während bei externem Wachstum bereits bestehende Arbeitsplätze lediglich ihren Besitzer wechseln. Bei internem Wachstum muss ein neues Management aufgebaut werden; bei externem Wachstum werden fremde Managementstrukturen erworben, die in den Gesamtkonzern integriert werden müssen. Angesichts dieser und weiterer Unterschiede zwischen den beiden Wachstumsmodi unterscheiden erstaunlich wenige Studien, die sich mit Direktinvestitionen und multinationalen Unternehmen beschäftigen, systematisch zwischen internem und externem Wachstum. Eine intensivere Beschäftigung mit den Besonderheiten des externen Unternehmenswachstums durch M&A ist von zentraler Bedeutung für die Analyse der Konfigurations- und Koordinationsstrukturen multinationaler Unternehmen und der soziökonomischen Implikationen ihrer grenzüberschreitenden Aktivitäten. Durch eine nähere Analyse des externen Wachstums lässt sich aber auch der im Vergleich zum Beschäftigungswachstum hohe Anstieg der internationalen Direktinvestitionsströme in den 1990er Jahren erklären.
2.2.1 Historischer Trend: Bedeutungszunahme des externen Wachstums Historisch weit zurückreichende Daten über externes und internes Auslandswachstum wurden im Rahmen des Harvard Multinational Business Project erhoben (Vaupel/Curhan 1974). Erfasst wurde, wie produzierende Auslandsgesellschaften in den Besitz (einbezogen wurden Beteiligungen ab 5%) multinationaler
48
2 Wachstum und Wachstumsmodus
Konzerne gekommen sind. Vor 1914 und auch noch bis 1945 gab es deutlich mehr Neugründungen als Übernahmen (vgl. Tabelle 5). In der Nachkriegszeit wuchs die Bedeutung der Übernahmen kontinuierlich. Bereits Ende der 1960er Jahre waren über zwei Drittel der neu hinzugekommenen produzierenden Auslandsgesellschaften übernommen und nicht neu gegründet worden.
Tabelle 5: Anzahl neu gegründeter (N) und übernommener (Ü) produzierender Auslandsgesellschaften multinationaler Unternehmen nicht-US-amerikanische Konzerne N Ü N Ü 1900-14 1914-45 1946-61 1962-67 1968-70
143 402 617 663 491
66 305 628 968 1079
68% 57% 50% 41% 31%
32% 43% 50% 59% 69%
N 80 458 973 696 ---
US-amerikanische Konzerne Ü N Ü 32 275 860 1017 ---
71% 62% 53% 41% ---
29% 38% 47% 59% ---
Anmerkungen: Zum Sample vgl. Vaupel/Curhan (1974: 1-30); bei der Rekalkulation der Daten wurden durch Restrukturierung entstandene Gesellschaften nicht berücksichtigt; durch Rundungen kann es zu Abweichungen von den Ursprungsdaten gekommen sein. Quellen: Vaupel/Curhan 1974, Tabellen 13.17.1 und 13.17.2; eigene Berechnungen
Leider gibt es keine vergleichbar umfangreiche Untersuchung über die Relation von internem und externem Wachstum in den letzten drei Jahrzehnten. Aufschlussreich ist jedoch eine Studie aus Italien, in der die bestehenden produzierenden Auslandsgesellschaften in Italien danach unterschieden werden, ob sie ursprünglich aus einem green-field investment oder aus einer Übernahme hervorgegangen sind. Es zeigt sich, dass Unternehmen, die in den 1950er Jahren entstanden sind, überwiegend (85%) aus green-field investments hervorgegangen sind (vgl. Tabelle 6). In den folgenden Jahrzehnten hat die Bedeutung von green-field investments dann kontinuierlich abgenommen; in den frühen 1990er Jahren lag der Anteil nur noch bei 11%. Ähnlich verläuft die Verschiebung zwischen internem und externem Wachstum auch, wenn die Unternehmen nach ihrer Beschäftigung gewichtet werden.
2.2 Internes und externes Auslandswachstum
49
Tabelle 6: Anteil der green-field investments am Bestand produzierender Auslandsgesellschaften in Italien (1994) Jahr der Erstinvestition vor 1951 1951-1960 1961-1970 1971-1980 1981-1990 1991-1993
Zahl der Unternehmen 1994 gesamt green-field Anteil 126 106 219 182 584 210
93 90 152 88 85 23
Beschäftigte 1994 (in 1000) gesamt green-field Anteil
73,8% 84,9% 69,4% 48,4% 14,6% 11,0%
120,0 35,1 74,5 49,9 146,9 56,6
98,4 27,1 39,4 23,2 11,7 3,1
82,1% 77,1% 52,9% 46,4% 8,0% 5,5%
Anmerkungen: Für 47 Unternehmen mit 14.200 Beschäftigten war das Jahr der Erstinvestition nicht bekannt. Quellen: CNEL Ricerche & Progetti (1994: 122)
Tabelle 7:
Neu gegründete und übernommene Werke deutscher multinationaler Unternehmen im Ausland 1950-59
neu gegründete Werke übernommene Werke
4 100% 0 0%
1960-69 10 5
67% 33%
1970-79 14 10
58% 42%
1980-89 10 17
37% 63%
1990-98 9 41
18% 82%
Anmerkungen: Vgl. Fußnote 25 Quellen: Erhebung im Rahmen des DFG-Projekts „Globalisierung und internationale Mobilität deutscher Industrieunternehmen“ (vgl. Fußnote 1); eigene Berechnung
Zu einem sehr ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Unternehmensbefragung, die im Rahmen des Forschungsprojekts „Globalisierung und internationale Mobilität deutscher Industrieunternehmen“ (vgl. oben Fußnote 1) bei produzierenden Auslandsgesellschaften deutscher Unternehmen durchgeführt, die allerdings eine geringe Repräsentativität aufweist.25 Deutlich wird aber auch hier (vgl. Tabelle 7) die Gewichtsverschiebung vom internen Wachstum, das in den 1950er und 1960er Jahren dominierte, hin zum externen Wachstum, das seit den
25
Unternehmen, die sich erst in jüngster Zeit internationalisiert haben, sind stark überrepräsentiert, was darauf zurückzuführen sein dürfte, dass sich diese durch das Stichwort „Globalisierung“ im Titel der Befragung eher angesprochen fühlten.
50
2 Wachstum und Wachstumsmodus
1980er Jahren und insbesondere dann in den 1990er Jahren bei weitem überwiegt.
2.2.2 Direktinvestitionen, M&A und ihr spekulatives Moment Neben den Daten über Direktinvestitionen veröffentlicht die UNCTAD seit 1988 auch Daten über internationale M&A. Diese stammen aus einer Datenbank von Thomson Financial. Ein Vergleich dieser beiden Datenreihen (vgl. Abbildung 2) zeigt, dass ein zunehmender Anteil der Direktinvestitionen auf grenzüberschreitende M&A entfällt. Im Jahr 2000 erreichten nicht nur die internationalen Direktinvestitionen mit 1.388 Mrd. US$ ihren Höhepunkt, sondern auch die Ausgaben für grenzüberschreitende M&A mit über 1.144 Mrd. US$.26 Beide Werte sind danach deutlich gesunken, auf 558 Mrd. bzw. 297 Mrd. US$ im Jahr 2003, um dann wieder auf 1.306 Mrd. bzw. 880 Mrd. US$ anzusteigen. Der enorme Anstieg der weltweiten Direktinvestitionen in den 1990er Jahren, ebenso wie der Rückgang und der neuerliche Anstieg in den letzten Jahren erklären sich also weitgehend durch die Entwicklung der grenzüberschreitenden M&A. Ein steigender Wert der grenzüberschreitenden M&A kann verschiedene Ursachen haben: Er kann das Ergebnis einer steigenden Anzahl oder einer zunehmenden Größe der gekauften Unternehmen sein. Aber er kann auch aus steigenden Preisen resultieren, die bei Übernahmen zu bezahlen sind. Aktienindizes können als Näherungswert für die Preisentwicklung bei Übernahmen herangezogen werden. Wie Abbildung 2 zeigt, haben sich der Dow Jones Index und der DAX stets in die gleiche Richtung entwickelt wie die grenzüberschreitenden Transaktionen für M&A,27 auch wenn die Schwankungen der Aktienindizes im längerfristigen Zeitverlauf weniger ausgeprägt waren; dies gilt sowohl für die Phasen des Anstiegs bis 1990, von 1993 bis 2000 und von 2003 bis 2006, wie auch des Rückgangs 1990/91 und 2000 bis 2003. Insbesondere der dramatische Anstieg grenzüberschreitenden Transaktionen für M&A in den 1990er Jahren, aber auch deren Rückgang und Wiederanstieg seit 2000 erklären sich also zu einem Teil auch aus den Preisschwankungen an den Märkten für Unternehmenskontrolle, die für grenzüberschreitende M&A gezahlt wurden. Die Transaktionswerte für grenzüberschreitende M&A enthalten also, ähnlich wie Aktienkurse, auch ein starkes spekulatives Element.
26 27
Darin enthalten ist die bisher teuerste Übernahme aller Zeiten, der Kauf von Mannesmann durch Vodafone für über 200 Mrd. US$. Eine Ausnahme sind die Jahre 1991 und 1992.
2.2 Internes und externes Auslandswachstum Abbildung 2:
51
Jährliche Direktinvestitionsflüsse und Ausgaben für grenzüberschreitende M&A (Mrd. US$); Indizes des Dow Jones Industrial Average und des DAX (Jahresdurchschnittswerte; 1987 = 100)
1600
1400
Direktinvestitionen (inward)
1200
grenzüberschreitende M&A Dow Jones 1000
DAX (wechselkursbereinigt) 800
600
400
200
0 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
Quellen
UNCTAD; Dow Jones, Deutsche Börse; eigene Berechnungen
Da aber Zahlungen für grenzüberschreitende M&A einen guten Teil der Direktinvestitionsflüsse ausmachen, sind auch deren Veränderungen zu einem guten Teil spekulativ verursacht. Die Zwitterstellung von Direktinvestitionen zwischen den Sphären der Finanz- und der Realwirtschaft macht sie als Indikator für realwirtschaftliche Veränderungen ungeeignet. Der realwirtschaftliche Internationalisierungsprozess multinationaler Unternehmen verlief, wie auf der Basis von Beschäftigtenzahlen gezeigt wurde, wesentlich unspektakulärer.
2.2.3 Der Wachstumsmodus deutscher Unternehmen seit Mitte der 1980er Jahre Im Folgenden soll ein Ansatz vorgestellt werden, der es erlaubt, den Anteil des externen und des internen Wachstums am Gesamtwachstum multinationaler
52
2 Wachstum und Wachstumsmodus
Unternehmen genauer zu bestimmen (vgl. auch Wortmann/Dörrenbächer 1997; Wortmann 2002). Die empirische Untersuchung bezieht sich auf das Auslandswachstum deutscher multinationaler Unternehmen im Bereich der verarbeitenden Industrie in den 15 Jahren von 1985 bis 1999. Das Vorgehen lässt sich wie folgt zusammenfassen: Aus den Bestandsdaten der Bundesbank zum jeweiligen Jahresende 1984 und 1999 wurde das Gesamtwachstum der Beschäftigung im Untersuchungszeitraum errechnet.28 Diese Gesamtveränderung kann intern oder extern verursacht sein. Zur Bestimmung des externen Beschäftigungswachstums wurde eine umfangreiche Datenbank aufgebaut. Das interne Beschäftigungswachstum lässt sich schließlich als Differenz zwischen Gesamtwachstum und externem Wachstum berechnen. Die Daten über das externe Beschäftigungswachstum stammen aus einer Datenbank, die bei FAST e.V. im Rahmen einer 15-jährigen Investitionsbeobachtung aufgebaut wurde.29 Enthalten sind Übernahmen, Beteiligungen sowie Verkäufe von Unternehmen oder Unternehmensteilen (Werken) im Bereich der verarbeitenden Industrie in den Jahren 1985 bis einschließlich 1999. Für etwa die Hälfte der über 2.300 erfassten Akquisitionen und Verkäufe – und hier insbesondere für die großen Transaktionen – konnte auch die Zahl der betroffenen Beschäftigten ermittelt werden. Aus der Summe der Beschäftigtenzahlen für die akquirierten Unternehmen abzüglich der Summe der Beschäftigtenzahlen der verkauften Unternehmen ergibt sich ein Saldo des gesamten externen Beschäftigungseffekts im Untersuchungszeitraum. Bei der Erfassung der Daten für Osteuropa und China (sog. Reformländer) ergab sich ein besonderes Problem, da hier häufig Teile von ehemaligen Kombinaten gekauft oder in joint ventures eingebracht wurden, für die keine Beschäftigtenzahlen ermittelt werden konnten. Die Untersuchung schließt daher Osteuropa und China aus. Schließlich wurde die interne Beschäftigungsveränderung als Differenz zwischen dem gesamten und dem externen Beschäftigungswachstum errechnet. Auch dieser Wert ist ein Saldo, der den internen Auf- wie Abbau von Arbeitsplätzen beinhaltet. Vor dem Hintergrund der Unvollständigkeit der Datenbank der externen Veränderungen ist grundsätzlich anzumerken, dass alle im Folgenden präsentierten Daten als Näherungswerte zu betrachten sind; die Aussagekraft der Daten wird dadurch jedoch nicht beeinträchtigt (zu den methodologischen Problemen im Einzelnen vgl. Wortmann 2002). Für den gesamten Zeitraum von 15 Jahren (1985 bis 1999) wurden 2305 Transaktionen erfasst, davon 1929 Zugänge (Beteiligungen und Übernahmen) 28 29
Zu den Details der Daten der Deutschen Bundesbank vgl. Fußnote 23, S.43. Erfasst wurden: Name und Branche des deutschen Konzerns; Art und Zeitpunkt der Transaktion; Name, Land, Branche und (soweit möglich) Beschäftigtenzahl sowie Umsatz des Transaktionsobjekts (vgl. auch Fußnote 5, S.25).
2.2 Internes und externes Auslandswachstum
53
sowie 376 Abgänge. Für 1240 Zugänge konnte eine Beschäftigtenzahl von insgesamt 851.000 und für 226 Abgänge von insgesamt 121.000 recherchiert werden. Hieraus ergibt sich ein belegter externer Beschäftigungszuwachs in den 15 Jahren von 730.000. Im gleichen Zeitraum stieg die gesamte Auslandsbeschäftigung (ohne Reformländer) von 1.132.000 (Jahresende 1984) auf 1.922.000 (Jahresende 1999), d.h. insgesamt um 790.000. Als Differenz zwischen dem Gesamtwachstum um 790.000 Beschäftigte und dem externen Wachstum um 730.000 Beschäftigte ergibt sich das interne Wachstum. Dieses lag im Untersuchungszeitraum bei 60.000 Beschäftigten. Ein internes Beschäftigungswachstum von insgesamt 60.000 muss sowohl absolut als auch relativ im Vergleich zum Gesamtwachstum der deutschen multinationalen Unternehmen im Untersuchungszeitraum als äußert schwach angesehen werden. Bemerkenswert sind erhebliche regionale Unterschiede in der Beschäftigungsentwicklung (vgl. Abbildung 3). In den beiden wichtigsten Wachstumsregionen – Westeuropa30 und Nordamerika – dominiert das externe Wachstum. Hier haben deutsche multinationale Unternehmen im Untersuchungszeitraum jeweils Unternehmen mit über 300.000 Beschäftigten übernommen. Das interne Wachstum hat in beiden Regionen so gut wie nichts zum Gesamtwachstum der Beschäftigung beigetragen. Dies bedeutet nicht, dass deutsche Unternehmen hier keine neuen Arbeitsplätze geschaffen hätten. Einem solchen Aufbau – etwa durch einzelne spektakuläre green-field investments – steht aber an anderer Stelle oder bei anderen Unternehmen ein Abbau in etwa gleicher Höhe gegenüber – u.U. im Rahmen von Restrukturierungsmaßnahmen nach Übernahmen. Auch in Lateinamerika kam es durch Übernahmen zu einem externen Beschäftigungswachstum.31 Dies wurde jedoch durch einen massiven internen Arbeitsplatzabbau mehr als ausgeglichen. In Asien spielten Übernahmen für das Wachstum nur eine untergeordnete Rolle. Das Beschäftigungswachstum erfolgte hier – sowohl in Japan als auch in den verschiedenen anderen Ländern – weit überwiegend intern.
30
31
Eine Ausnahme sind einzelne kleine Länder der westeuropäischen Peripherie, und hier insbesondere Portugal, wo durch Produktionsverlagerungen deutscher Unternehmen in der Schuh-, Bekleidungs- und Elektronikindustrie neue Arbeitsplätze geschaffen wurden (auch Wortmann 1990). Hierin enthalten sind die Tochter- und Beteiligungsgesellschaften übernommener USamerikanischer Konzerne, etwa Chrysler. Auch bei den in den Fallstudien untersuchten Unternehmen Hoechst und Continental hatten die übernommenen US-amerikanischen Unternehmen eigene Tochtergesellschaften in Lateinamerika, insbesondere in Mexiko.
54
2 Wachstum und Wachstumsmodus
Abbildung 3:
Arten der Beschäftigungsentwicklung deutscher multinationaler Unternehmen nach Regionen in den Jahren 1985-99: gesamt, extern sowie intern (=Differenz) (in 1000)
400
350
300 gesamt
250
extern Differenz
200
150
100
50
0
-50 Westeuropa
Nordamerika
Japan
Afrika
Lateinamerika
Asien*
Anmerkungen: * Asien ohne China und Japan Quellen: Erhebungen durch FAST e.V.; Deutsche Bundesbank; eigene Berechnungen (Wortmann 2002)
Für Osteuropa konnten die Daten über das externe Beschäftigungswachstum nicht in ausreichender Qualität erhoben werden, so dass hier keine genaue Aussage über die Bedeutung der unterschiedlichen Wachstumsmodi gemacht werden kann. Es ist jedoch anzunehmen, dass die starke Beschäftigungszunahme seit 1990 (vgl. Abbildung 1, S.43), überwiegend auf externes Wachstum zurückzuführen ist, wobei hier verschiedene Formen von joint ventures eine bedeutende Rolle gespielt haben.32 Insbesondere für Osteuropa beinhaltet der Indikator Beschäftigung jedoch auch ein Problem: Häufig wurden bei den in Osteuropa erworbenen Gesellschaften durch einen Technologietransfer von der Muttergesell32
In einer Datenbank der 500 größten deutschen Auslandsgesellschaften in den VisegrádLändern (Dörrenbächer u.a.1996) scheinen – insbesondere unter den großen Gesellschaften – die Übernahmen zu dominieren. Hierauf deuten u.a. die Namen vieler dieser Unternehmen hin.
2.2 Internes und externes Auslandswachstum
55
schaft und durch Restrukturierungsmaßnahmen innerhalb kurzer Zeit erhebliche Produktivitätssteigerungen realisiert; es gibt also ein internes Umsatz- oder Produktionswachstum ohne internes Beschäftigungswachstum. Meyer und Estrin (2001; 2007; Estrin et al. 1997) haben zahlreiche Beispiele für diese Art des Einstiegs und anschließenden Wachstums multinationaler Unternehmen in Osteuropa untersucht. Sie sehen in dieser von ihnen als brown-field investments bezeichneten Form des Wachstums die für Osteuropa typische Form. Festzuhalten bleibt, dass die deutschen multinationalen Unternehmen im Bereich der verarbeitenden Industrie im untersuchten Zeitraum zum weit überwiegenden Teil extern durch M&A gewachsen sind. Und nichts spricht dafür, dass sich dies seitdem geändert hätte. Dies bedeutet nicht nur, dass die meisten Arbeitplätze bei deutschen Unternehmen im Ausland nicht neu geschaffen wurden und auch nicht das Ergebnis von Produktionsverlagerungen aus Deutschland sind, worauf bei der Diskussion über die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland und die grenzüberschreitenden Mobilität multinationaler Unternehmen (Kapitel 6), zurückzukommen sein wird. Es bedeutet auch, dass die Mehrzahl der ausländischen Tochtergesellschaften beim Eintritt in den neuen Gesamtkonzern über besondere Qualitäten und über eigene Kompetenzen, wie z.B. Produkt- und Produktionstechnologien oder Managementfähigkeiten, verfügen, so dass sie in den Gesamtkonzernen vermutlich eine andere Rolle spielen als Neugründungen (green-field investments). Auch diese Besonderheit wird in vielen Theorien über multinationale Unternehmen bisher kaum berücksichtigt, sei es in den ökonomischen Theorien der Direktinvestition oder in den Managementtheorien, die in Kapitel 5 behandelt werden.
3 Die Entwicklung der Konfiguration multinationaler Unternehmen
Im vorangegangenen Kapitel wurden das Ausmaß und die Form des Wachstums multinationaler Unternehmen behandelt. In diesem Kapitel geht es nun darum, welche Position die (produzierenden) Auslandsgesellschaften in den jeweiligen Gesamtkonzern einnehmen und wie sie in die jeweiligen Strategien eingebunden sind. Diese Frage wird in diesem Kapitel auf der Ebene der Konfiguration behandelt.33 Zunächst wird untersucht, wie weit die ausländischen Produktionseinheiten der multinationalen Unternehmen in den verschiedenen Regionen auf lokale, nationale Märkte oder auch auf internationale, seien es regionale oder globale Märkte ausgerichtet sind. In dieser Frage kann auf einschlägige Statistiken zurückgegriffen werden, die in der bisherigen Diskussion über multinationale Unternehmen und Globalisierung kaum Berücksichtigung gefunden haben. Dies sind insbesondere Statistiken aus den USA und aus Frankreich sowie aus Japan. Damit sind die verfügbaren Daten zwar auf eine kleine Zahl von Ländern begrenzt, sie sind in der Aussage aber so eindeutig, dass sich aus ihnen allgemeine Schlussfolgerungen ziehen lassen. Im Folgenden werden zunächst diese statistischen Daten zu diesen drei Ländern präsentiert (Abschnitt 3.1). Anschließend wird in Abschnitt 3.2 die Konfiguration deutscher multinationaler Unternehmen näher untersucht. Vorab sei hier bereits angemerkt, dass bei allen in diesem Abschnitt präsentierten Daten nicht geklärt ist, wie diese Konfigurationen zustande gekommen sind, d.h. ob z.B. zunehmende Exporte der Auslandsgesellschaften darauf zurückzuführen sind, dass neu aufgebaute oder bestehende Gesellschaften ihre Produktion für den Export ausgeweitet haben oder Unternehmen übernommen wurden, die bereits vor der Übernahme in überdurchschnittlichem Umfang Exporte getätigt hatten.
33
Der Begriff Konfiguration wurde von Porter (1989) für die operative Unternehmensstruktur eingeführt, der ihn dem Begriff Koordination, d.h. der Managementstruktur, gegenüberstellt. Eine Parallele besteht zu den Begriffen Strategie und Struktur bei Chandler (1962), die die Ausrichtung der einzelnen Aktivitäten bzw. die Managementstruktur bezeichnen (vgl. auch unten S.140).
3.1 Internationale statistische Daten
57
3.1 Internationale statistische Daten zur Konfigurationsentwicklung Der hier am häufigsten verwendete Indikator ist der firmeninterne Handel, der nach Angaben der UNCTAD (1999:xix) etwa ein Drittel des weltweiten Handels ausmacht.34 Aus dieser Tatsache werden häufig zwei Schlussfolgerungen gezogen. Erstens, multinationale Unternehmen sind mächtig, weil sie den Welthandel kontrollieren. Zweitens, multinationale Unternehmen besitzen eine netzwerkartige Struktur. Aber diese Schlussfolgerungen sind aus zwei Gründen unzulässig:
Erstens geht ein großer Teil des firmeninternen Handels an Vertriebsgesellschaften, die lediglich die Produkte ihrer Muttergesellschaften auf lokalen Märkten verkaufen.35 Es ist kaum plausibel, dass ausländische Vertriebsgesellschaften den multinationalen Unternehmen in größerem Umfang zusätzliche „Kontrolle“ über den Welthandel oder zusätzliche Macht über nationale Akteure geben.
Zweitens sagt diese globale Angabe nichts über die Richtung des Handels aus: Zu unterscheiden sind einerseits die Exporte der Mutterkonzerne und andererseits die Exporte der Auslandsgesellschaften. Interessant ist auch, ob die Exporte der Auslandsgesellschaften regionaler oder globaler Natur sind.
Statistische Daten über die Absatzstruktur der Auslandsgesellschaften multinationaler Unternehmen sind für die USA (outward und inward), Japan (outward) und Frankreich (inward) verfügbar. Für die Auslandsgesellschaften in den Niederlanden, Schweden, Finnland, Portugal und Polen liegen jüngere Daten über Umsätze und Exporte vor. Die Tochter- und Beteiligungsgesellschaften multinationaler Unternehmen in den USA sind – ähnlich wie die US-amerikanischen Unternehmen insgesamt – traditionell überwiegend auf den US-amerikanischen Markt ausgerichtet. Ihre Exportquote erhöhte sich von 6,5% im Jahr 1974 auf runde 10% in den 1990er Jahren und hat sich seitdem kaum verändert (vgl. Tabelle 8). Lediglich etwa 4% der Gesamtproduktion bzw. weniger als die Hälfte der Exporte werden an den jeweiligen Mutterkonzern im Ausland geliefert.
34 35
Die UNCTAD hatte diese Zahl aus den statistischen Angaben für die USA hochgerechnet. Diese Zahl wird seitdem immer wieder unverändert zitiert. Lieferungen an Großhandelsunternehmen machen etwa 71% der firmeninternen Importe ausländischer Tochtergesellschaften in den USA und etwa 27% der firmeninternen Importe US-amerikanischer Tochtergesellschaften im Ausland aus (2003; eigene Berechnung nach Daten des BEA).
58 Tabelle 8:
3 Entwicklung der Konfiguration Umsätze und Exporte von Auslandsgesellschaften in den USA (in Mrd. US$)
Umsatz
1974a
1987a
1992a
1997a
1997b
2002b
2004b
31,30
225,1
431,2
684,3
573,1
860,6
927,1
Export - an Verbundene
2,03 0,73
15,5 4,5
40,3 11,6
71,3 27,6
62,2 n.v.
88,5 36,6
89,0 36,8
Exportquote - an Verbundene
6,5% 2,3%
6,9% 2,0%
9,3% 2,7%
10,4% 4,0%
10,9% n.v.
10,3% 4,3%
9,6% 4,0%
Anmerkungen:
a
Beteiligungsgesellschaften ab 10%
b
Mehrheitsbeteiligungen
Quellen: DoC/BEA; eigene Berechnungen
In Tabelle 9 sind Daten zur Entwicklung der Absatzstruktur der ausländischen Produktionsgesellschaften US-amerikanischer Konzerne wiedergegeben (vgl. auch den Überblick in Tabelle 11). Unterschieden wird zwischen lokalem Umsatz, Exporten in die USA und Exporten in Drittländer. Für 1994 wurden diese Exporte in Drittländer im benchmark survey des BEA nochmals regional aufgeschlüsselt (vgl. Tabelle 10); diese Untergliederung wurde später leider nicht mehr vorgenommen. Der Anteil der Produktion, die auf dem lokalen Markt, d.h. auf dem Markt des jeweiligen Gastlandes verkauft wird, hat sich für die Gesamtheit aller produzierenden Auslandsgesellschaften seit den 1960er Jahren deutlich verringert, und zwar von 81% (1966) auf 59% (1994), und hat sich seitdem kaum verändert (2004: 58%). Der Anteil der Exporte in die USA ist von 6% (1966) auf 14% (1994) gestiegen und liegt heute bei 12% (2004). Der Anteil der Exporte in Drittländer stieg von 13% (1966) auf 27% (1994) und 29% (2004). Hinter diesen Durchschnittswerten stehen regional höchst unterschiedliche Entwicklungen. Für die Auslandsgesellschaften in Kanada waren die Exporte in die USA bereits 1966 mit 12% überdurchschnittlich hoch, erreichten in den 1990er Jahren mit 43% (1994 und 1999) Höchstwerte und sind seitdem auf 33% (2004) zurückgegangen. Exporte in Drittländer spielten zu keinem Zeitpunkt eine nennenswerte Rolle. Im anderen großen Nachbarland, Mexiko, waren die US-amerikanischen Auslandsgesellschaften lange Zeit nahezu ausschließlich auf den lokalen Markt ausgerichtet. Dies änderte sich im Laufe der 1980er Jahre. Seit den 1990er Jahren wird etwa ein Drittel in die USA exportiert (1994: 32%; 2004: 31%). Die Auslandsgesellschaften in Südamerika sind bis heute überwiegend auf die jeweiligen nationalen Märkte ausgerichtet. In den letzten Jahren sind jedoch die Ex-
3.1 Internationale statistische Daten
59
porte in Drittländer auf etwa ein Viertel ihres Umsatzes angestiegen – vermutlich mehrheitlich in andere lateinamerikanische Länder (vgl. Tabelle 10). In Europa haben die amerikanischen Auslandsgesellschaften den Anteil der Produktion für den nationalen Markt des jeweiligen Gastlandes von 74% (1966) auf 59% (1982) verringert, in den folgenden Jahren ist dieser Anteil weiter gesunken (2004: 53%). Die Exporte in Drittländer – weit überwiegend in Europa (1994 zu 90%; vgl. Tabelle 10) – spielten hier schon immer eine überdurchschnittliche Rolle; sie stiegen von 24% (1966) auf 39% (1982), haben sich seitdem aber kaum noch verändert (2004: 41%). Die Exporte in die USA sind zwar nach wie vor von untergeordneter Bedeutung, ihr Anteil ist aber von 2% (1982) kontinuierlich auf 6% (2004) gestiegen. Die Entwicklung der Absatzstruktur der US-amerikanischen Auslandsgesellschaften in Asien verlief in einzelnen Ländern höchst unterschiedlich. In Japan produzieren sie nach wie vor nahezu ausschließlich für den lokalen Markt. Die höchsten Exportquoten erreichten die Auslandsgesellschaften in Malaysia und Singapur, und zwar bereits um 1980; 1982 wurden nur 13% lokal abgesetzt, während zwei Drittel der Produktion in die USA geliefert wurden. Seitdem ist der Anteil der Exporte in die USA kontinuierlich gesunken (2004: 23%), während der der lokalen Märkte und der Exporte in Drittländer – überwiegend in Asien (vgl. Tabelle 10) – auf 37% bzw. 39% (2004) anstieg. In den restlichen asiatischen Entwicklungsländern spielte die Produktion für den jeweiligen lokalen Markt schon immer eine relativ wichtige Rolle (über 50% im gesamten Zeitraum; 2004: 64%). Auch hier hat sich der Anteil der Exporte in die USA seit 1982 (29%) verringert (2004: 12%). In China produzieren die Auslandsgesellschaften US-amerikanischer Unternehmen überwiegend für den nationalen Markt (1994: 75%; 2004: 68%); während die Exporte in Drittländer auf 25% (2004) angestiegen sind, sind Exporte in die USA (1994: 11%; 2004: 7%) von relativ untergeordneter Bedeutung. Der starke und in vielen asiatischen Ländern festzustellende Rückgang des Anteils der Produktion, der von den Auslandsgesellschaften US-amerikanischer multinationaler Unternehmen in die USA geliefert wird, bedeutet nicht, dass diese Exporte absolut gesehen zurückgegangen wären. Der Anteilsrückgang ist vielmehr auf ein weit überdurchschnittliches Wachstum der Umsätze US-amerikanischer Unternehmen in Asien zurückzuführen.
60 Tabelle 9:
3 Entwicklung der Konfiguration Absatzstruktur der Auslandsgesellschaften US-amerikanischer multinationaler Unternehmen (in Mrd. US$)
lokal
Export in Drittländer
Export in die USA
1524,7 226,6 820,3 142,5 175,2 73,5 76,8 66,2 75,0 42,9 66,9
891,5 143,6 433,7 72,8 115,0 50,5 48,5 61,6 28,0 29,2 42,9
444,3 8,1 338,2 63,2 50,6 19,8 4,3 3,1 29,4 10,5 15,8
1999 gesamt Kanada Europa - Deutschland - UK Südamerika Mexiko Japan Malaysia+Singapur China Übriges Asien
1107,4 162,9 620,4 133,7 151,4 60,6 61,6 41,8 56,4 15,3 42,0
652,0 89,3 363,3 84,6 104,9 48,3 34,0 37,8 16,5 9,6 22,7
1994 gesamt Kanada Europa - Deutschland - UK Südamerika Mexiko Japan Malaysia+Singapur China Übriges Asien
697,6 109,0 396,2 106,3 97,6 42,3 30,9 37,4 28,2 1,9 24,7
413,9 57,8 223,9 63,1 59,4 35,9 20,0 31,9 6,8 1,5 15,2
Gesamtumsatz 2004 gesamt Kanada Europa - Deutschland - UK Südamerika Mexiko Japan Malaysia+Singapur China übriges Asien
lokal
Export in Drittländer
Export in die USA
188,9 74,9 48,5 6,4 9,6 3,2 24,1 1,5 17,5 3,2 8,2
58% 63% 53% 51% 66% 69% 63% 93% 37% 68% 64%
29% 4% 41% 44% 29% 27% 6% 5% 39% 25% 24%
12% 33% 6% 5% 5% 4% 31% 2% 23% 7% 12%
289,7 4,4 223,0 44,0 37,3 8,8 6,4 2,9 18,7 3,2 12,9
165,7 69,3 34,0 5,1 9,1 3,6 21,2 1,1 21,2 2,5 6,4
59% 55% 59% 63% 69% 80% 55% 90% 29% 63% 54%
26% 3% 36% 33% 25% 14% 10% 7% 33% 21% 31%
15% 43% 5% 4% 6% 6% 34% 3% 38% 16% 15%
186,4 3,8 155,2 39,6 33,2 4,0 0,9 3,0 8,5 0,3 6,0
97,3 47,4 17,0 3,7 5,0 2,4 10,0 2,5 12,9 0,2 3,4
59% 53% 57% 59% 61% 85% 65% 85% 24% 75% 62%
27% 3% 39% 37% 34% 9% 3% 8% 30% 14% 24%
14% 43% 4% 3% 5% 6% 32% 7% 46% 11% 14%
Fortsetzung nächste Seite
3.1 Internationale statistische Daten
61
Fortsetzung Tabelle 9
Gesamtumsatz
lokal
Export in Drittländer
Export in die USA
lokal
Export in Drittländer
Export in die USA
1982 gesamt Kanada Europa - Deutschland - UK Südamerika Mexiko Japan Malaysia+Singapur China and. EL
271,0 53,2 144,7 38,1 40,6 28,4 9,4 5,9 3,5 n.v. 6,4
179,3 34,9 85,2 21,7 28,4 25,5 8,4 5,1 0,5 n.v. 3,4
65,6 2,8 56,0 15,5 11,1 2,2 0,3 0,4 0,8 n.v. 1,1
26,2 15,6 3,6 0,9 1,1 0,7 0,7 0,4 2,2 n.v. 1,9
66% 65% 59% 57% 70% 90% 89% 88% 13% n.v. 54%
24% 5% 39% 41% 27% 8% 3% 7% 23% n.v. 17%
10% 29% 2% 2% 3% 3% 8% 6% 64% n.v. 29%
1966 gesamt Kanada Europa - Deutschland - UK Südamerika Mexiko Japan EL inAsien+Pazifik
47,38 14,88 21,74 4,80 8,28 4,07 1,55 0,72 0,90
38,56 12,48 16,13 3,58 6,18 3,84 1,50 0,65 0,69
6,14 0,44 5,15 1,14 1,92 0,16 0,03 0,05 0,12
2,68 1,96 0,47 0,08 0,17 0,07 0,02 0,02 0,09
81% 84% 74% 75% 75% 94% 97% 90% 77%
13% 3% 24% 24% 23% 4% 2% 7% 13%
6% 13% 2% 2% 2% 2% 1% 3% 10%
Anmerkungen: Mehrheitsbeteiligungen Quellen: DoC/BEA; eigene Berechnungen
Die unterschiedlichen, hier kurz skizzierten regionalen Entwicklungen lassen sich nur schwer in wenigen allgemeinen Trends zusammenfassen. Auffällig ist, dass die Veränderungen in den 1960er oder 70er Jahren vielfach größer waren als in den 1980er oder 90er Jahren. In Tabelle 11 ist die Absatzstruktur der USamerikanischen Auslandsgesellschaften für die drei Regionen der Triade zusammengefasst.36 Phasen einer intensiven Verstärkung der regionalen Integrati-
36
Lateinamerika (außer Mexiko), Afrika, Nahost sowie Australien und Neuseeland bleiben dabei unberücksichtigt.
62
3 Entwicklung der Konfiguration
Tabelle 10: Regionalstruktur der Exporte US-amerikanischer Auslandsgesellschaften in Drittländer im Jahr 1994 (in Mrd. US$) Umsatz
in Drittländer
nach Kanada
nach Europa
nach Lat.Am.
nach Japan
nach Asien*
gesamt
697,6
186,4
1,7
146,7
6,5
4,9
20,1
Kanada Europa Lateinamerika Japan Asien *
109,0 396,2 76,3 37,4 73,5
3,8 155,2 5,8 2,9 17,6
--1,2 0,2 x x
1,9 139,3 1,7 0,9 2,7
0,6 2,2 3,4 x 0,2
0,4 2,3 x --x
0,9 5,3 0,5 1,7 12,0
Anmerkungen: * inkl. Pazifik, Australien und Neuseeland, ohne Japan; x vertrauliche Angaben Quellen: DoC/BEA; eigene Berechnungen
Tabelle 11: Absatzstruktur der Auslandsgesellschaften US-amerikanischer multinationaler Unternehmen in der Triade (in Mrd. US$)
lokal
Export in Drittländer
Export in die USA
303,4 820,3 250,9
192,0 433,7 161,7
12,4 338,2 58,8
Kan+Mex Europa Asien
224,5 620,4 155,5
1999 123,3 363,3 86,6
1994 Kan+Mex Europa Asien
139,8 396,2 92,1
1982 Kan+Mex Europa Asien 1966 Kan+Mex Europa Asien
2004 Kan+Mex Europa Asien
lokal
Export in Drittländer
Export in die USA
99,0 48,5 30,4
63% 53% 64%
4% 41% 23%
33% 6% 12%
1999 10,8 223,0 37,6
1999 90,5 34,0 31,3
1999 55% 59% 56%
1999 5% 36% 24%
1999 40% 5% 20%
1994 77,9 223,9 55,4
1994 4,7 155,2 17,7
1994 57,3 17,0 19,0
1994 56% 57% 60%
1994 3% 39% 19%
1994 41% 4% 21%
62,7 144,7 15,8
1982 43,3 85,2 9,0
1982 3,1 56,0 2,3
1982 16,3 3,6 4,5
1982 69% 59% 57%
1982 5% 39% 14%
1982 26% 2% 28%
16,4 21,7 1,6
1966 14,0 16,1 1,3
1966 0,5 5,1 0,2
1966 2,0 0,5 0,1
1966 85% 74% 83%
1966 3% 24% 11%
1966 12% 2% 7%
gesamter Umsatz
sowie der
Anmerkungen: Mehrheitsbeteiligungen Quellen: DoC/BEA; eigene Berechnungen
3.1 Internationale statistische Daten
63
on, wie etwa in Europa in den 1960er und 70er Jahren oder in Nordamerika bis in die Mitte der 1990er Jahre und vermutlich auch in Asien bis zum Ende der 1990er Jahre, stehen Phasen der geringen Veränderung sowie Phasen eines – zumindest relativen – Rückgangs der regionalen Integration gegenüber, insbesondere in den letzten Jahren in Nordamerika und auch in Asien. Die globale Integration, abzulesen and den Exporten, bzw. Exportquoten der USamerikanischen Auslandsgesellschaften in die USA, hat sich für die Auslandsgesellschaften in Europa kontinuierlich erhöht, wenn auch auf niedrigem Niveau. Dagegen geht die – insgesamt wesentlich stärkere – globale Integration der Auslandsgesellschaften in Asien seit den 1980er Jahren zurück.37 Auch über die geographische Absatzstruktur der Auslandsgesellschaften japanischer Unternehmen sind detaillierte Daten verfügbar. Hier wird auch ausgewiesen in welche Großregion die Exporte in Drittmärkte gehen (Tabelle 12). Produktionsgesellschaften in Nordamerika verkaufen den Großteil ihrer Produktion auf den jeweiligen nationalen Märkten. Die intraregionalen Exporte haben sich von 3% (1986) auf 8% (2003) erhöht. In Europa hat der intraregionale Absatz ebenfalls kontinuierlich zugenommen – von 26% (1986) auf 41% (2003). Exporte in Länder außerhalb Europas, incl. Japans, waren noch Mitte der 1990er Jahre relativ bedeutsamer als heute (1995: 12%; 2003: 6%). Lediglich die Produktionsgesellschaften in der Heimatregion, d.h. in Asien, exportieren jedoch einen bedeutenden und zudem wachsenden Anteil ihrer Produktion nach Japan, 1986 waren es 16% und 2003 dann 22%. Intraregionale Exporte haben sich hier erhöht, während der Anteil der interregionalen Exporte gesunken ist. Im Fall Japans sprechen die Daten eindeutig für eine Verstärkung der regionalen Integration.38
37
38
Dies ist teilweise auf ein überproportionales Wachstum von Aktivitäten, die auf nationale Binnenmärkte ausgerichtet sind, etwa in China, zurückzuführen. Der Anteil der asiatischen Auslandsgesellschaften insgesamt am Umsatz aller Auslandsgesellschaften hat sich von 3% (1966) über 6% (1982), 13% (1994) und 14% (1999) auf 16% (2004) erhöht. Zum anderen ist in Ostasien eine eigenständige Elektronikindustrie entstanden, die als Abnehmer USamerikanischer Auslandsproduktion eine zunehmende Rolle spielen dürfte. Die hohen als interregional ausgewiesenen Exporte Lateinamerikas dürften auf Exporte aus Mexiko und Mittelamerika in die USA zurückzuführen sein.
64
3 Entwicklung der Konfiguration
Tabelle 12: Entwicklung der Absatzstruktur der Auslandsgesellschaften japanischer multinationaler Unternehmen nach Gastregionen und Absatzregionen (Mrd. Yen) gesamt
lokal
regionale Exporte
andere Exporte
Exporte nach Japan
Fiskaljahr 2003 Asien Nordamerika Lateinamerika Europa
25912 27633 1896 13758
51% 87% 58% 54%
19% 8% 3% 41%
8% 3% 34% 4%
22% 2% 5% 2%
Fiskaljahr 1995 Asien Nordamerika Lateinamerika Europa
12301 14732 1451 7381
58% 89% 71% 54%
13% 5% 3% 34%
9% 4% 18% 7%
19% 3% 8% 5%
Fiskaljahr 1986 Asien Nordamerika Lateinamerika Europa
3203 4309 581 1655
55% 93% 81% 70%
13% 3% 2% 26%
17% 1% 14% 3%
16% 3% 4% 1%
Quellen: MITI, METI; eigene Berechnungen
Über die Auslandsgesellschaften multinationaler Unternehmen in Frankreich gibt es ebenfalls statistische Daten. Im Laufe der Zeit haben diese ihre Exportquote von 22% im Jahr 1980 über 31% (1990) und 41% ( 2000) auf 44% im Jahr 2005 erhöht.39 Wie eine Untersuchung für das Jahr 1999 zeigt (Sessi 2003), geht der größte Teil – ca. vier Fünftel – der Exporte nach Europa. Insgesamt machen die Auslandsgesellschaften in Frankreich gut 90% ihres Umsatzes in Europa (Tabelle 13). Leider gibt es hier keine historischen Daten, so dass keine Aussage über die Entwicklung der interregionalen Verflechtung gemacht werden kann.
39
Die Exportquote nationaler französischer Unternehmensgruppen mit über 500 Beschäftigten lag 2004 bei 44%. Dieser Vergleich zeigt, dass Tochtergesellschaften multinationaler Unternehmen in Europa nicht stärker auf nationale Märkte ausgerichtet sind als vergleichbare nationale Unternehmen.
3.1 Internationale statistische Daten
65
Tabelle 13: Regionale Absatzstruktur ausländischer Tochtergesellschaften in Frankreich im Jahr 1999 (in Mrd.€)
aus EU (15) aus USA/Kanada aus Asien
gesamt
lokal
Europa
Afrika/ Mittel-Ost
Amerika
Asien
100,3
58,7%
33,3%
2,7%
2,8%
2,5%
63,8
56,9%
31,3%
3,1%
5,6%
3,1%
7,0
44,3%
48,4%
1,9%
2,7%
2,7%
Anmerkungen: Erfasst sind neben produzierenden auch Großhandelsunternehmen Quellen: SESSI (2003); eigene Berechnungen
Weitere Daten über die Umsätze und Exporte von Auslandsgesellschaften sind für einzelne Länder seit Ende der 1990er Jahre verfügbar. Sie wurden von der OECD (2001; 2007) zusammengestellt und teilweise von nationalen Behörden eigens für die OECD aus unterschiedlichen Quellen berechnet. In Tabelle 14 sind diese Daten für die Niederlande, Schweden, Finnland, Portugal und Polen zusammengestellt.40 Von wenigen, vermutlich durch Mängel der Erhebung verursachten Ausreißern abgesehen,41 liegen die Exportquoten zwischen 34% und 59%. Aufgrund des kurzen Untersuchungszeitraums und der teilweise erheblichen und vermutlich auch durch Erhebungsmethoden verursachten Sprünge lassen sich keine Entwicklungstrends ablesen.
40 41
Zur Interpretation der Daten für die deutschen Auslandsgesellschaften siehe unten Punkt 3.2.2. Insbesondere die Daten für Polen in den Jahren 1999 und 2000 dürften sich durch Anlaufprobleme der Statistik zu dieser Zeit erklären. Aber auch andere Daten, wie etwa der Rückgang der für das Jahr 2003 ausgewiesenen Exporte aus den Niederlanden bei kaum verändertem Umsatz weisen vermutlich auf Erhebungsprobleme hin.
66
3 Entwicklung der Konfiguration
Tabelle 14: Umsätze und Exporte deutscher Auslandsgesellschaften in verschiedenen europäischen Ländern (in Mio. €) 1999
2000
2001
2002
2003
2004
Niederlande alle Umsatz alle Export alle Exportanteil deutsche Umsatz deutsche Export deutsche Exportanteil
60.297 29.109 48% 3.461 1.459 42%
56.600 33.401 59% 3.936 1.725 44%
81.986 41.555 51% 4.460 1.869 42%
91.421 50.945 56% 5.257 1.854 35%
91.631 35.754 39% 4.912 1.714 35%
104.929 x x 4.133 x x
Schweden alle Umsatz alle Export alle Exportanteil deutsche Umsatz deutsche Export deutsche Exportanteil
x x x x x x
55.069 26.074 47% 3.180 1.089 34%
59.554 28.823 48% 2.486 949 38%
58.846 29.073 49% 2.694 1.023 38%
63.284 32.364 51% 2.498 954 38%
68.142 34.692 51% 2.338 836 36%
Finnland alle Umsatz alle Export alle Exportanteil deutsche Umsatz deutsche Export deutsche Exportanteil
13.738 7.268 53% 466 190 41%
14.995 8.041 54% 515 217 42%
17.300 9.414 54% 671 283 42%
17.265 x x x x x
17.298 x x x x x
17.822 x x x x x
Portugal alle Umsatz alle Export alle Exportanteil deutsche Umsatz deutsche Export deutsche Exportanteil
10.364 4.596 44% 3.349 1.421 42%
11.822 5.654 48% 3.546 1.827 52%
11.024 6.189 56% 3.034 1.684 56%
11.247 6.534 58% 2.959 1.612 54%
16.584 x x 4.737 x x
17.633 x x 4.238 x x
Polen alle Umsatz alle Export alle Exportanteil deutsche Umsatz deutsche Export deutsche Exportanteil
29.255 7.768 27% 6.918 1.788 26%
35.777 15.204 42% 9.356 5.775 62%
39.088 15.011 38% 9.817 4.589 47%
42.371 15.116 36% 10.332 4.107 40%
45.550 16.978 37% 10.800 4.406 41%
58.227 23.238 40% 12.788 6.660 52%
Anmerkungen:
Niederlande: nur direkte Beteiligungen Portugal: Abdeckung ca. 80% Polen: Erhebung seit 1999; keine vollständige Abdeckung, ohne Schätzung für fehlende Unternehmen; Abdeckung für 2004 wird auf 70% geschätzt vgl. auch Fußnote 41
Quellen: OECD; eigene Berechnungen
3.2 Konfiguration der deutschen Unternehmen
67
3.2 Zur Konfiguration der deutschen multinationalen Unternehmen In diesem Abschnitt soll die Konfigurationsentwicklung der deutschen multinationalen Unternehmen noch etwas detaillierter dargestellt werden – insbesondere auch um Branchenunterschiede, die bisher nicht berücksichtigt wurden, zu verdeutlichen.
3.2.1 Handel und Auslandsproduktion Im Jahr 2006 erzielten die in Deutschland ansässigen Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes42 Umsätze von insgesamt 1.570 Mrd. € (vgl. Tabelle15). Die gesamten Exporte lagen bei 847 Mrd. €. Diesen stand eine Auslandsproduktion von 691 Mrd. € gegenüber.43 Während die Auslandsproduktion von 12% (1976) über 28% (1996) auf 44% (2006) des Wertes der Inlandsproduktion anstieg, wuchsen die Exporte zunächst nur von 31% (1976) auf 37% (1996), dann
Tabelle 15: Entwicklung von Inlandsumsatz, Export und Umsatz der Auslandsgesellschaften deutscher Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe (in Mrd. €) 1976
1986
1996
Inlandsumsatz
409 100%
723 100%
Exporte
127
31%
263
36%
396
37%
847
54%
49
12%
127
18%
292
28%
691
44%
Umsätze der Auslandsges.
1062 100%
2006 1570 100%
Anmerkungen: Der Inlandsumsatz schließt Umsätze von Tochter- und Beteiligungsgesellschaften ausländischer Unternehmen in Deutschland mit ein Quellen: Statistisches Bundesamt, Deutsche Bundesbank; eigene Berechnungen
42 43
Einschließlich der Tochter- und Beteiligungsgesellschaften ausländischer Unternehmen in Deutschland. Da keine statistischen Daten über die Auslandsproduktion verfügbar sind, verwenden wir im Folgenden Daten über die Umsätze derjenigen Auslandsgesellschaften, die statistisch dem Verarbeitenden Gewerbe zugerechnet werden. Diese Umsätze werden im Folgenden der Einfachheit halber als Auslandsproduktion bezeichnet, obwohl sie (wie übrigens auch die der inländischen Unternehmen) auch Umsätze mit Handelsware enthalten – etwa wenn sie Produkte anderer Konzerngesellschaften vertreiben.
68
3 Entwicklung der Konfiguration
Abbildung 4:
Regionale Verflechtungsstruktur 1976 (vgl. Fußnote 44)
40
35
30
Umsätze der Auslandsgesellschaften Export
25 Import 20
15
10
5
0 Westeuropa
Abbildung 5:
Nordamerika
Japan
Afrika
Lateinamerika
EL in Asien
Osteruopa
Regionale Verflechtungsstruktur 1986 (vgl. Fußnote 44)
40
35
30
Umsätze der Auslandsgesellschaften Export
25 Import 20
15
10
5
0 Westeuropa
Nordamerika
Japan
Afrika
Lateinamerika
EL in Asien
Osteruopa
3.2 Konfiguration der deutschen Unternehmen Abbildung 6:
69
Regionale Verflechtungsstruktur 1996 (vgl. Fußnote 44)
40
35
30
Umsätze der Auslandsgesellschaften Export
25 Import 20
15
10
5
0 Westeuropa
Abbildung 7:
USA/Kanada
Japan
Afrika
Lateinamerika
EL in Asien
Osteruopa
Regionale Verflechtungsstruktur 2006 (vgl. Fußnote 44)
40
35
30
Umsätze der Auslandsgesellschaften Export
25 Import 20
15
10
5
0 Westeuropa
USA/Kanada
Japan
Afrika
Lateinamerika
EL in Asien
Osteuropa
70
3 Entwicklung der Konfiguration
allerdings auf 56% (2006). Alle folgenden Angaben beziehen sich auf das Verarbeitende Gewerbe – auch wenn dies künftig nicht jedes Mal ausdrücklich wiederholt wird. Bei dieser Entwicklung gab es große Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen. Abbildung 4 bis Abbildung 7 verdeutlichen die Entwicklung seit 1976.44 In Westeuropa dominieren bis heute die Exporte, obwohl die Auslandsproduktion insbesondere in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre überproportional zugenommen hatte.45 In Nordamerika – und insbesondere in den USA – dominiert heute die Auslandsproduktion, die seit 1976 ganz erheblich zugenommen hat. Die Verbindungen mit Japan sind insgesamt relativ schwach.46Afrika – einschließlich Südafrika – spielt sowohl als Produktionsstandort wie als Absatzmarkt für Exporte bis heute nur eine marginale Rolle. Lateinamerika und Asien weisen ganz unterschiedliche Verflechtungsstrukturen auf: Während in den lateinamerikanischen Ländern die Auslandsproduktion dominiert, ist in den meisten asiatischen Länden – mit der wichtigen Ausnahme Indiens und in Zukunft vermutlich auch Chinas – der Handel von überragender Bedeutung.47 In Osteuropa haben die Exporte – wie in Westeuropa – ein deutliches Übergewicht über die Auslandsproduktion. Ebenso wie es Unterschiede in der Art der Marktbelieferung zwischen den Regionen gibt, so gibt es große Unterschiede zwischen den Branchen. In Abbildung 8 werden die Umsätze der in Deutschland ansässigen Unternehmen (einschließlich ausländischer Tochtergesellschaften) mit der Auslandsproduktion deutscher Unternehmen und mit den deutschen Ex- und Importen verglichen. In einigen Branchen, insbesondere der Nahrungsmittelindustrie sowie den meisten kleineren Branchen, spielt die Auslandsproduktion im Vergleich zur inländischen Produktion eine geringe Rolle.48 Die Verflechtung über den Außen44 45 46
47
48
Quellen: Sonderauswertungen der Deutschen Bundesbank; Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen. Diese starke Ausweitung dürfte mit dem Programm für den Europäischen Binnenmarkt zusammenhängen. Die Zunahme der ausgewiesenen Auslandsproduktion zwischen 1996 und 2004 ist vermutlich auf die Beteiligung von Daimler-Chrysler an Mitsubishi Motors, die im Jahr 2000 erworben und 2005 wieder verkauft wurde, zurückzuführen (vgl. auch unten Abbildung 12). Hinter diesen Verflechtungsstrukturen stehen unterschiedliche Industrialisierungsstrategien: Während die lateinamerikanischen Länder sehr früh Importsubstitutionspolitiken verfolgten und ausländische Direktinvestitionen förderten, setzten viele asiatische Länder eher auf eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ihrer einheimischen Unternehmen, wobei auch hier Protektionismus eine wichtige Rolle spielte; aufgrund internationaler Wettbewerbsfähigkeit steigende Exporte erlauben diesen Ländern im Gegenzug jedoch auch zunehmende Importe. Insbesondere in der Bekleidungs- und Lederindustrie wird die Auslandsproduktion in der Statistik allerdings unterschätzt, da hier die Auslandsgesellschaften häufig als Lohnveredler für ihre deutschen Obergesellschaften arbeiten und dann als Umsatz nur die Lohnveredelungssumme (die in etwa der Wertschöpfung entspricht) angeben.
17-18-19 Textil, Bekleidung, Leder
35 Sonstige Fahrzeuge
34 Kraftwagen und Kraftwagenteile
33 Medizin-, Mess-, Regeltechnik u.ä.
32 Elektronik
31 Elektrotechnik
30 Büromaschinen, DV-Geräte
29 Maschinen
28 Metallerzeugnisse
27 Metallerzeugung, -bearbeitung
26 Glas, Keramik u.ä.
25 Gummi- und Kunststoffwaren
24 Chemische Industrie
23 Mineralölgewerbe u.ä.
22 Verlags-, Druckgewerbe
21 Papiergewerbe
20+36 Holzgew., Möbel, Schmuck u.a.
0
25
50
75
100
125
200
225
250
275
Import
Export
Umsatz der Auslandsgesellschaften
Produktion in Deutschland
175
300
325
Quellen: Deutsche Bundesbank; Statistisches Bundesamt
150
Umsätze der in Deutschland ansässigen Unternehmen und der produzierenden Auslandsgesellschaften sowie Exporte und Importe 2006 nach Branchen des Verarbeitenden Gewerbes (in Mrd. €)
15+16 Ernährungs-, Tabakgewerbe
Abbildung 8:
72
3 Entwicklung der Konfiguration
Abbildung 9:
Auslandsverflechtung Chemische Industrie (vgl. Fußnote 50)
50 45 40 35
Umsätze der Auslandsgesellschaften Export
30
Import
25 20 15 10 5 0 Westeuropa
USA/Kanada
Japan
Afrika
Lateinamerika
EL in Asien
Osteuropa
Abbildung 10: Auslandsverflechtung Maschinenbau (vgl. Fußnote 50) 50 45 40 35
Umsätze der Auslandsgesellschaften
30
Export
25
Import
20 15 10 5 0 Westeuropa
USA/Kanada
Japan
Afrika
Lateinamerika
EL in Asien
Osteuropa
3.2 Konfiguration der deutschen Unternehmen
73
Abbildung 11: Auslandsverflechtung Elektroindustrie (vgl. Fußnote 50) 50 45 40 35
Umsätze der Auslandsgesellschaften
30
Export
25
Import
20 15 10 5 0 Westeuropa
USA/Kanada
Japan
Afrika
Lateinamerika
EL in Asien
Osteuropa
Abbildung 12: Auslandsverflechtung Straßenfahrzeugbau (vgl. Fußnote 50) 50 45 40 35
Umsätze der Auslandsgesellschaften
30
Export
25
Import
20 15 10 5 0 Westeuropa
USA/Kanada
Japan
Afrika
Lateinamerika
EL in Asien
Osteuropa
74
3 Entwicklung der Konfiguration
handel ist in den Branchen sehr unterschiedlich: Während sie etwa in der Nahrungsmittelindustrie eher gering ist, ist sie im Textil-, Bekleidungs- und Ledergewerbe, in der Büromaschinen- und EDV-Industrie sowie im Sonstigen Fahrzeugbau sehr hoch. Anzumerken ist hier, dass in einigen dieser Branchen ausländische Konzerne in Deutschland eine starke Position innehaben – insbesondere in der Mineralölwirtschaft und in der Büromaschinen- und EDV-Industrie, aber auch in Teilbereichen der Nahrungsmittelindustrie. Die sowohl absolut als auch relativ größte Bedeutung hatte die Auslandsproduktion lange Zeit in der Chemischen Industrie. Die Auslandsproduktion erreicht hier eine ähnliche Größenordnung wie die Produktion der inländischen Unternehmen,49 und die Exporte spielen eine relativ untergeordnete Rolle. Diese Struktur differiert allerdings ganz erheblich nach Regionen. In Europa sind auch für die Chemische Industrie die Exporte aus Deutschland von großer Bedeutung, während diese zur Belieferung des US-amerikanischen Marktes so gut wie keine Rolle spielen. Hier sind die deutschen Chemieunternehmen allerdings mit einer starken Auslandsproduktion vertreten (vgl. Abbildung 9).50 Im Maschinenbau beliefern die deutschen Unternehmen ausländische Märkte vorrangig über den Export. Die Auslandsproduktion spielt dem gegenüber nur eine untergeordnete Rolle. Dies gilt insbesondere für Europa, Asien und auch Osteuropa (vgl. Abbildung 10). Die Elektro- und Elektronikindustrie nimmt im Vergleich zu den beiden vorgenannten große Branchen eine mittlere Position ein (vgl. Abbildung 11). Die Exporte dominieren leicht über die Auslandsproduktion – insbesondere in Westund Osteuropa. Auffallend ist die starke Präsenz in Asien; hier sind China sowie Singapur und Malaysia von besonderer Bedeutung. Mit der Übernahme von Chrysler durch Daimler-Benz hatte im Straßenfahrzeugbau (Abbildung 12) die Auslandsproduktion die Exporte deutlich überholt. Dies galt insbesondere für Nordamerika. In Lateinamerika – insbesondere in Brasilien – waren deutsche Fahrzeugbauer seit langem stark engagiert. Die Auslandsproduktion in Asien ist weitestgehend auf China konzentriert. Auch Osteuropa ist ein bedeutender Standort für deutsche Automobilhersteller und ihre Zulieferer geworden. 49
50
Berücksichtigt man, dass die Produktion der inländischen Unternehmen auch die Produktion der Tochtergesellschaften ausländischer Konzerne in Deutschland umfasst, so kann man annehmen, dass die deutschen Chemieunternehmen mindestens ebensoviel im Ausland wie im Inland produzieren. Anmerkungen zu Abbildung 9 bis Abbildung 12: Alle Angaben für 2006; die gesamten Umsätze der Untenrehmen der jeweiligen Branche in Deutschland entsprechen dem Wert 100; Chemische Industrie = NACE 24, Maschinenbau = NACE 29, Elektroindustrie = Nace 31+32, Straßenfahrzeugbau = NACE 34. Quellen: Sonderauswertungen der Deutschen Bundesbank; Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.
3.2 Konfiguration der deutschen Unternehmen
75
3.2.2 Die Rolle der Auslandsproduktion in den Regionen Nicht nur das absolute und relative Gewicht von Exporten und Auslandsproduktion unterscheidet sich erheblich zwischen den Regionen, sondern auch – im Rahmen der Globalisierungsdebatte besonders wichtig – die Art und der Grad der Einbindung der produzierenden Auslandsgesellschaften in den jeweiligen Konzernverbund. Die Produktion der Auslandsgesellschaften kann auf lokale oder regionale Märte ausgerichtet sein, oder sie kann den Weltmarkt einschließlich des deutschen Marktes bedienen. Anders als in der US-amerikanischen oder japanischen Statistik werden in der deutschen Statistik hierzu keine Angaben erhoben. Neben Statistiken der Gastländer USA sowie Frankreich, die für einen längeren Zeitraum zur Verfügung stehen, und neueren Daten aus den Niederlanden, Schweden, Finnland, Portugal und Polen kann auch auf verschiedene Studien zur Tätigkeit deutscher multinationaler Unternehmen in einzelnen Ländern zurückgegriffen werden. Oben wurde bereits gesagt, dass die Auslandsproduktion in Nordamerika – insbesondere in den USA – eine im Vergleich zu den deutschen Exporten in diese Region große Rolle spielt. Die dortigen Auslandsgesellschaften sind allerdings nur schwach in konzerninterne Verbundstrukturen integriert.51 Die Exportquote der deutschen Produktionsgesellschaften in den USA ist im Laufe der Jahre zwar angestiegen; sie lag 2005 aber immer noch bei lediglich 15%. Lediglich 5% der Umsätze (1996: 4%) wurden an den Mutterkonzern exportiert. Exporte in den internationalen Konzernverbund hinein spielen also allenfalls eine marginale Rolle. Importe vom Mutterkonzern machen 12% des Umsatzes aus; über die Hälfte davon sind Lieferungen von Produkten, die von der USamerikanischen Tochtergesellschaft ohne weitere Verarbeitung vertrieben werden.52 Auch in Japan dürften die Exporte deutscher Auslandsgesellschaften, wie die US-amerikanischer multinationaler Unternehmen, eine marginale Rolle spielen.53 Bei den Entwicklungsländern war lange Zeit Lateinamerika die bedeutendste Zielregion für deutsche Auslandsinvestitionen. Hier hatten die Regierungen seit vielen Jahren Importsubstitutionspolitiken betrieben. Diese Märkte konnten nur beliefert werden, wenn die Unternehmen eine Produktion vor Ort aufbauten; 51
52
53
Die Untersuchung von Matthes (2006) unterscheidet bei den deutschen Tochtergesellschaften in den USA nicht zwischen Produktions- und Handelsgesellschaften und kommt aufgrund der großen Bedeutung von Vertriebsgesellschaften auf einen hohen Anteil konzerninternen Handels bei den deutschen Exporten in die USA. Die gesamten Importe zur Weiterverarbeitung machen nur 3,9% des Umsatzes aus, wobei unbekannt ist, ob diese vom Mutterkonzern oder von Dritten importiert werden. Alle Angaben errechnet aus vorläufigen Daten des BEA für Mehrheitsbeteiligungen. Die angaben der OECD (2007) für die Jahre 1999 bis 2003 schwanken zwischen 2% und 17%.
76
3 Entwicklung der Konfiguration
und hier dominiert bis heute die Produktion für den lokalen und inzwischen teilweise auch regionalen Markt (Mercosur). In Mexiko produzieren auch deutsche Unternehmen teilweise für den US-amerikanischen Markt. In Afrika dominiert bis heute ebenfalls die Fertigung für lokale Märkte. Dies gilt insbesondere auch für Südafrika, den heute wichtigsten Auslandsstandort in Afrika (Gilroy/Bauer 2005). Lediglich in Tunesien und Marokko haben einzelne deutsche Unternehmen der Bekleidungs- und Elektroindustrie auch exportorientierte Betriebe aufgebaut (Wortmann 1990). Auch in Asien – und keineswegs nur in Indien, sondern auch in vielen Ländern, die als exportorientiert gelten – ist das Gros der Auslandsproduktion für lokale Märkte bestimmt. Dies gilt etwa auch für China und Südkorea. Kaufmann et al. (2005) zeigen für ein Sample von 42 deutschen Tochtergesellschaften in China, dass mit Ausnahme einer kleinen Zahl von Elektronikunternehmen der Export nur eine marginale Rolle spielt.54 Eine relativ höhere Bedeutung haben exportorientierte Produktionsstätten dagegen in Malaysia und Singapur. Die hier – oder auch in anderen Ländern – entstandenen Weltmarktfabriken sind insbesondere in Teilsegmenten der Elektroindustrie konzentriert. In Europa liegen für Frankreich genauere Daten über die Absatzorientierung der Auslandsgesellschaften deutscher multinationaler Unternehmen vor. Diese haben ihre Exportquote von 34% im Jahr 1996 auf 41% (2005) ihres Umsatzes erhöht. Angaben über die Struktur der Exporte sind nur für Tochtergesellschaften aus EU-Ländern insgesamt für das Jahr 1999 verfügbar (SESSI 2003); bei diesen gingen 79% der Exporte nach Europa – bei deutschen Auslandsgesellschaften dürfte dieser Anteil ähnlich hoch sein. Der Anteil der Exporte in Länder außerhalb Europas an der Gesamtproduktion (in Frankreich ca. 10% in 1999) ist insgesamt gering. Leider gibt es keine Angaben darüber, wie sich dieser im Zeitverlauf verändert hat. Auch für andere westeuropäische Länder wie den Niederlanden, Schweden oder Finnland liegen die Exportquoten deutscher Auslandsgesellschaften in einer ähnlichen Größenordnung, nämlich zwischen 34% und 44% (vgl. oben Tabelle 14). In Portugal, das auch als Niedriglohnstandort für rein Exportorientierte Produktion genutzt wird, werden auch Exportquoten von über 50% ausgewiesen. 54
Nach Kaufmann et al. (2005) macht eine „Strategie der Globalen Integration“, also eine „Integration der chinesischen Tochtergesellschaften in den weltweiten Unternehmensverbund“ nur 10% der gesamten strategischen Orientierung aus. Dieser Anteil im Jahr 2004 soll sich allerdings bis 2009 auf 18% erhöhen. Wie diese Strategieanteile erhoben und errechnet wurden, ist in der Publikation im Einzelnen nicht nachvollziehbar. In einer Untersuchung über produzierende Tochter- und Beteiligungsgesellschaften (n=217) europäischer Unternehmen kommen Van den Bulcke et al. (2003: 119f) zu dem Ergebnis, dass 78% der Produktion auf dem chinesischen Markt abgesetzt werden; Exporte in das Heimatland des Investors machten nur knapp 10% der Umsätze aus.
3.3 Zwischenergebnis: Konfiguration
77
Über die Art der Einbindung der osteuropäischen Produktionsgesellschaften in die jeweiligen Konzernkonfigurationen liegen kaum aussagekräftigen Daten oder repräsentativen Analysen vor. Dies ist angesichts der Bedeutung ausländischer Investitionen für die Entwicklung der osteuropäischen Volkswirtschaften aber auch angesichts der anhaltenden Diskussionen über Produktionsverlagerungen und ihre Auswirkungen auf Deutschland erstaunlich und bedauerlich zu gleich. Die polnische Statistik weist für deutsche Auslandsgesellschaften in Polen zwischen 2001 und 2004 Exportquoten zwischen 40% und 52% aus (vgl. oben Tabelle 14). Berechnungen von Dietz/Protsenko (2001: 31; auch Protsenko/Vincentz 1999), deren Methode allerdings nicht vollständig offen gelegt ist, kommen zu dem Ergebnis, dass etwa die Hälfte der Beschäftigten bei deutschen Produktionsunternehmen dem Export zuzurechnen ist – eine Größenordnung, die zumindest plausibel erscheint.
3.3 Zwischenergebnis: Konfiguration In der Debatte um Globalisierung gab es immer auch kritische Stimmen. So hatten sich Hirst/Thompson (1996) gegen eine starke Globalisierungsthese gewandt und den überwiegend regionalen Charakter multinationaler Unternehmen betont. Diesen hatten sie in ihrer Analyse der weltweit größten multinationalen Unternehmen mit der Dominanz der jeweiligen Heimatregion, einschließlich des Mutterlandes,55 in der Verteilung der Anlagewerte (assets) und der Umsätze der Konzerne begründet. Mit der hier vorgenommenen Analyse kann die These von einer starken regionalen Orientierung der Aktivitäten multinationaler Unternehmen noch weiter begründet werden. Die Interpretation der verfügbaren statistischen Daten über die Ausrichtung der ausländischen Produktionsstätten zeigt, dass diese überwiegend für den lokalen bzw. regionalen Markt arbeiten und interregionale Exporte von untergeordneter Bedeutung sind. Aus der großen Bedeutung der regionalen Integration jedoch ein Ende der Globalisierung abzuleiten, wie es etwa Rugman (2002; 2005) tut, ist problematisch, denn diese lokale oder regionale Ausrichtung ist keineswegs neu. Zudem widersprechen sich eine zunehmend regionale und eine zunehmend globale Ausrichtung nicht notwendigerweise. So haben die Auslandsgesellschaften der USamerikanischen multinationalen Unternehmen in Europa sowohl ihre innereuropäischen Exporte wie auch ihre Exporte in die USA kontinuierlich ausgeweitet. Andere Befunde zur Regionalisierung sind widersprüchlich: Bei den japanischen Auslandsgesellschaften in Asien hat der Anteil der intraregionalen Exporte am 55
Hu (1992) hatte sogar behauptet, dass die so genannten globalen oder staatenlosen Unternehmen eigentlich nationale Unternehmen mit internationalen Anhängen seien.
78
3 Entwicklung der Konfiguration
Gesamtumsatz zugenommen.56 Andererseits ist bei den US-amerikanischen Auslandsgesellschaften in Kanada und Mexiko der Anteil der Exporte in die USA zurückgegangen. Zu bedenken ist, dass es sich bei allen geschilderten Veränderungen um Anteile an den jeweiligen Gesamtumsätzen handelt. Hinter relativen Rückgängen steht häufig ein absolutes Wachstum. ‚Globalisierung’ im Sinne einer zunehmenden auch interkontinentalen Integration findet durchaus weiterhin statt, allerdings wesentlich langsamer und in geringerem Ausmaß als vielfach angenommen. Aus den präsentierten Daten geht schließlich nicht hervor, ob die einzelnen Veränderungen auf interne Unternehmensentwicklungen zurückzuführen sind, oder ob sie aus Übernahmen von Unternehmen mit jeweils anderen Absatzstrukturen resultieren. Dieser Frage soll im folgenden Kapitel anhand von Fallstudien nachgegangen werden.
56
Ohmae (1985) hatte bereits gefordert, die multinationalen Unternehmen müssten in jeder der drei Triade-Regionen zu ‚insidern’ werden. Als Chef von McKinsey Japan hatte er bei dieser Forderung insbesondere die japanischen Konzerne im Visier, die bis dahin ausländische Märkte vorrangig über Exporte belieferten und nun anfingen, ihre Strategie über transplants teilweise an lokale Bedingungen anzupassen.
4 Fallstudien
In den beiden vorangegangenen Kapiteln wurden das Wachstum und die Art des Wachstums sowie Grundstrukturen der Konfiguration multinationaler Unternehmen behandelt. Dies fand zunächst auf statistischer Ebene statt. Die Aggregationsebene der Statistiken beschreibt Zustände, insbesondere den Grad der Internationalisierung, teilweise auch Konfiguration, d.h. die Ausrichtung der Auslandsgesellschaften auf bestimmte Märkte. Auf hoch aggregierter, gesamtwirtschaftlicher Ebene war es möglich, durch eine Erhebung von Unternehmensübernahmen und -beteiligungen den Umfang des externen Wachstums zu erfassen und über einen Abgleich mit den statistischen Daten dessen relative Bedeutung für das Gesamtwachstum der deutschen multinationalen Unternehmen zu bestimmen. Eine Untersuchung der Bedeutung des externen Wachstums für die Entwicklung der Unternehmenskonfigurationen stellt ein wesentlich komplexeres Problem dar. Hier werden detaillierte Informationen über die Entwicklung der einzelnen Produktions- und auch Forschungs- und Entwicklungseinheiten benötigt: Wann sind wo welche Werke entstanden, bzw. wann wurden wo welche Werke übernommen? Welche Produkte wurden dort gefertigt und auf welche Märkte war die Produktion ausgerichtet? Wie hat sich dies im Zeitverlauf verändert: Welche Erweiterungen, Verlagerungen, Verkleinerungen und Schließungen oder anderen Veränderungen und Restrukturierungen fanden an den einzelnen Standorten statt? Die selben Fragen sind auch für den Bereich Forschung und Entwicklung zu stellen.57 Hinzu kommt die Frage nach dem Zusammenhang von Forschungs- und Entwicklungseinheiten einerseits und Produktionseinheiten andererseits: bei welchen Produktionseinheiten kamen die Ergebnisse welcher Forschungs- und Entwicklungseinheiten zum Einsatz, und wie hat sich dies ggf. verändert? All dies gilt es möglichst vollständig über mehrere Jahrzehnte hinweg zu erfassen. Fallstudien sind eine Möglichkeit, diese komplexen Entwicklungen und Zusammenhänge zu untersuchen. Durch Fallstudien kann darüber hinaus auch die Entwicklung der Koordinationsstrukturen untersucht werden und auch, wie diese mit der Entwicklung der Konfiguration in Zusammenhang stehen und wie deren 57
Vertrieb und Marketing wurden nicht untersucht.
80
4 Fallstudien
Entwicklung u.U. durch internes oder externes Wachstum verändert und geprägt wird. Für den Zweck der eigenen Untersuchung war es nicht möglich, auf vorhandene Fallstudien zurückzugreifen. Diese sind meist nicht detailliert und vollständig genug, insbesondere was die Darstellung der Entwicklung der einzelnen Wertschöpfungseinheiten angeht (etwa Dörrenbächer 1999; Feldenkirchen 1997; Kädtler 2000; Kisker et al. 1982; Koubek/Kunze 2000; Kristensen/Zeitlin 2005; Pries 1999; Riedl 1999; Zeller 2001). Das in den letzten Jahren am intensivsten untersuchte Unternehmen ist vermutlich ABB. Nach der Fusion von BBC und ASEA wurde das neue Unternehmen rasch zum Musterbeispiel für den von Bartlett/Ghoshal (1989) und vielen anderen gepriesenen Typus eines global operierenden Netzwerkunternehmens (vgl. auch Fußnote 206). Die verschiedenen Studien (Osterloh/Weibel 1996; Taylor 1991; Bélanger et al. 1999) zeichnen die Entwicklung der Konfiguration des Unternehmens, oder zumindest eines einzelnen Produktbereichs, allerdings nie über einen längeren Zeitraum hinweg vollständig nach. In diesem Kapitel werden drei Fallstudien vorgestellt:
Heidelberger Druckmaschinen (Abschnitt 4.1),
der Reifenbereich von Continental (Abschnitt 4.2) und
der Pharmabereich von Hoechst, seit 1995 fusioniert zu Hoechst-MarionRoussel (HMR) (Abschnitt 4.3).
Heidelberger Druckmaschinen ist der mit Abstand größte Druckmaschinenhersteller der Welt mit einem Marktanteil bei Bogenoffsetmaschinen von über 40%. Heidelberger erzielt über 80% des Umsatzes im Ausland.58 Die Herstellung von Druckmaschinen ist ein bedeutendes Segment des deutschen Spezialmaschinenbaus. Continental ist heute der einzige bedeutende deutsche Reifenhersteller. Die Darstellung konzentriert sich auf den Reifenbereich des Unternehmens. Das Besondere der Reifensparte von Continental ergibt sich vermutlich weniger aus seiner Rolle als Automobilzulieferer als vielmehr aus den Besonderheiten der Produkte und des Produktionsprozesses: Diese erlauben kaum eine vertikale Arbeitsteilung. Alle Werke sind vertikal voll integrierte Fabriken, die weitgehend identische Produkte herstellen. Hoechst gehörte lange Zeit – neben Bayer und BASF – zu den drei großen deutschen Chemieunternehmen. Die Darstellung konzentriert sich auf den Phar58
Die starke Exportorientierung ist ein typisches Merkmal deutscher Maschinenbauunternehmen, vgl. auch Jürgens/Klingel (1996) über den Werkzeugmaschinenbauer Trumpf. Die – zeitweilige – umfangreiche Auslandsproduktion von Heidelberger war dagegen eher eine Ausnahme.
4 Fallstudien
81
mabereich. Der Wandel von einem diversifizierten Chemieunternehmen zu einem zunächst auf ’life science’ konzentrierten und dann zu einem reinen Pharmaunternehmen ist sicherlich in seiner Reichweite einmalig für ein deutsches Unternehmen dieser Größe. Die Entwicklung mündete 1999 in der Fusion der ehemaligen Pharmasparte von Hoechst (HMR) mit Rhône-Poulenc zu Aventis und 2004 in einer weiteren Fusion mit Sanofi-Synthélabo zu Sanofi-Aventis. Da die Erhebung zu diesem Zeitpunkt bereits weit vorangeschritten war und eine Erhebung für Rhône-Poulenc sehr aufwändig gewesen wäre, konzentriert sich diese Fallstudie auf den Zeitraum bis 1999. Die drei ausgewählten Unternehmen entstammen drei großen Branchen der deutschen Verarbeitenden Industrie: Dem Maschinenbau, der Automobil- bzw. Automobilzulieferindustrie, sowie der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Die Auswahl der Unternehmen war auch dadurch beeinflusst, dass bei allen drei Untenehmen damals (ca. 1997/98) turbulente grenzüberschreitende Veränderungsprozesse stattfanden, über die in der Wirtschaftspresse ausführlich berichtet und diskutiert wurde. Bei Heidelberger wurden die umfangreichen Investitionen im In- und Ausland, die von Mehdorn vorangetriebenen wurden, unter dem Stichwort eines Wandels vom Spezialisten zum Systemanbieter diskutiert. Bei Continental standen die mehrfach angedrohten Werksschließungen und Verlagerungen an Niedriglohnstandorte, die der Vorstandsvorsitzende von Grünberg, ebenso wie später sein Nachfolger Wennemer, gezielt instrumentalisierte, um Zugeständnisse der Arbeitnehmervertreter zu erpressen, im Vordergrund des öffentlichen Interesses. Bei Hoechst schließlich war es der von Dormann vorangetriebene tiefgreifende Konzernumbau, der unter den Stichworten des Netzwerkunternehmens und der Finanzialisierung diskutiert wurde. Diese sehr unterschiedlichen öffentlichen Diskussionen ließen für die Fallstudien große Unterschiede im empirischen Befund erwarten. Die Konzentration der Fallstudien auf einzelne Produktbereiche bei Continental und Hoechst ist nur aus neuerer Perspektive zu verstehen, da die produktübergreifende Integration in die jeweiligen Gesamtkonzerne in früheren Jahrzehnten viel stärker war als heute. Deshalb ist – insbesondere für die früheren Jahrzehnte – auch die Entwicklung der Gesamtkonzerne in den Fallstudien mit darzustellen. Dabei schützt die angestrebte Vollständigkeit der Darstellung vor voreiligen Schlussfolgerungen. Die Erhebung war so offen wie möglich für verschiedene theoretische Schlussfolgerungen; daher verzichtet die Darstellung zunächst auf die Verwendung einer bestimmten theoriegeprägten Begrifflichkeit. Erst im folgenden Kapitel werden Muster identifiziert und theoretische Interpretationen entwickelt. Die Fallstudien basieren auf einer breiten Palette von Informationsquellen. Schriftliche Quellen waren insbesondere eigene Publikationen der Unternehmen,
82
4 Fallstudien
wie Geschäftsberichte, Pressemitteilungen, hausinterne Zeitungen und Rundbriefe für Mitarbeiter, Vorträge von Managern sowie Darstellungen im Internet, ferner Firmenportraits, die in mehr oder weniger enger Zusammenarbeit mit den Unternehmen erarbeitet worden waren (zu Heidelberger: Krauß 2000; Moormann 2000; zu Continental: Schmidt 1971; Erker 1996; 2005; zu Hoechst: Bäumler 1963; 1989; Schreier/Wex 1990; Klein 1996; Bartmann 2003) sowie Artikel der Wirtschaftspresse (Firmenarchive des HWWA in Hamburg und bei FAST e.V. in Berlin). Ergänzt wurden diese Recherchen durch jeweils zwischen einem und drei Interviews mit Managern aus den jeweiligen Unternehmen, die teilweise auch mit mehreren Gesprächspartnern geführt wurden.59 An diese Interviews schlossen sich, über einen langen Zeitraum bis heute verteilt, etwa ein Dutzend telefonische Rückfragen durch den Autor an, die teilweise nur ein einziges Detail betrafen, in anderen Fällen aber einen längeren (bis zu 45 Minuten dauernden) Informationsaustausch beinhalteten.
4.1 Heidelberger
4.1.1 Von den Anfängen bis Mitte der 1980 Jahre Die Heidelberger Druckmaschinen AG geht auf eine Mitte des 19. Jahrhunderts gegründete Glockengießerei in Frankenthal zurück, die Hemmer, Hamm & Compagnie.60 1856 lernte deren Eigentümer, Andreas Hamm, den früheren Mitarbeiter des deutschen Druckmaschinenherstellers König & Bauer,61 Andreas 59
60 61
Die Gespräche (zwischen 60 und 120 Minuten) fanden im zweiten Halbjahr 1998 statt. Das Gespräch bei Heidelberger wurde von Ulrich Bochum geführt, der die Ergebnisse schriftlich zusammengefasst hat. An dem Gespräch bei Continental haben neben dem Autor auch Ulrich Bochum, Christoph Dörrenbächer und Klaus Peter Kisker teilgenommen, an einem der Gespräche bei HMR war neben dem Autor auch Ulrich Bochum beteiligt. Die Darstellung der Unternehmensgeschichte bis in die 1960er Jahre folgt insbesondere Krauß (2000). Das Unternehmen König & Bauer ist die Keimzelle der deutschen Druckmaschinenindustrie. Friedrich König und Andreas Bauer entwickelten bereits 1812 in England für eine Gruppe Londoner Druckereibesitzer eine Rotationsmaschine, die statt mit einer Platte mit einem Rotationszylinder druckte, was eine erhebliche Steigerung der Produktivität erlaubte. Die britischen Hauptkunden waren jedoch nicht daran interessiert, die Konkurrenz an dem technologischen Fortschritt partizipieren zu lassen, so dass der Markt in England sehr begrenzt blieb. König und Bauer kehrten daraufhin nach Deutschland zurück und gründeten in der Nähe von Würzburg eine Druckmaschinenfabrik. Die späteren Gründungen von weiteren Druckmaschinenfabriken in Deutschland lassen sich immer wieder mit Personen in Verbindung bringen, die in einem Zusammenhang mit König & Bauer standen. Vgl. hierzu Porter (1991: 203-219), für den die deutsche Druckmaschinenindustrie ein typisches Cluster – bzw. einen „Diamanten“ – darstellt,
4.1 Heidelberger
83
Albert, kennen, und kurz darauf begannen beide zunächst in der Glockengießerei auch Schnellpressen zu produzieren. 1861 gründeten sie die Schnellpressenfabrik Albert & Hamm. Ihre Wege trennten sich jedoch bereits 1873 wieder, und Albert gründete eine eigene Fabrik.62 Nach dem Tod von Andreas Hamm, 1895, verkaufte dessen Sohn die Schnellpressenfabrik an einen Heidelberger Maschinenfabrikanten, dessen Unternehmen jetzt als A. Hamm OHG mit Sitz in Heidelberg firmierte. Die Fabrik in Frankenthal wurde zunächst als Zweigwerk weitergeführt; bis 1890 wurde die gesamte Produktion schrittweise nach Heidelberg verlagert. Seit 1905 firmiert das Unternehmen als „Schnellpressenfabrik Aktiengesellschaft Heidelberg“. 1914 wurde der Prototyp einer deutlich verbesserten Bogendruckmaschine vorgestellt. Durch eine automatische Papierführung konnte sie tausend Bogen Papier in der Stunde bedrucken und lieferte gleichzeitig eine bessere Druckqualität. Dieser so genannte „Heidelberger Tiegel“ begründete nach dem Krieg den Ruf von Heidelberger. 1921 begann die Serienfertigung und bald war die Nachfrage so hoch, dass ab 1926 auch Fließfertigung, damals im Maschinenbau noch höchst ungewöhnlich, eingeführt wurde. Schrittweise wurde das Unternehmen von dem Industriellen Richard Kahn übernommen und in dessen Maschinenbauund Rüstungskonzern integriert. 1929 erfolgte die Fusion mit der Maschinenfabrik Geislingen (MAG), die ebenfalls zum Kahn-Konzern gehörte und deren Gießereikapazitäten bereits zuvor genutzt worden waren. Bald wurden sämtliche Gießereiaktivitäten nach Geislingen verlagert. Die Bearbeitung der Gussteile, die Teilefertigung sowie die Montage waren in Heidelberg konzentriert.63 Zu Beginn der 1930er Jahre brach der Kahn-Konzern zusammen, und 1932 übernahmen drei Banken unter Führung der Deutschen Bank die Aktienmehrheit der Schnellpressenfabrik. 1940 verkaufte die Deutsche Bank ihre Anteile an Heidelberger Druckmaschinen an die Rheinelektra, eine Tochter der RheinischWestfälischen Elektrizitätswerk AG (RWE), die noch bis heute ein größeres Aktienpaket besitzt. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Produktion von Druckmaschinen eingeschränkt, und es wurden vorwiegend Feindrehbänke
62
63
zu dem heute neben Heidelberger und König & Bauer auch MAN-Roland, ein zweiter Hersteller großer Rotationsanlagen, gehört. Hintergrund war das risikoreiche Engagement von Hamm für den Guss der „Kaiserglocke“, der bis dahin größten Glocke der Welt. Das Unternehmen Albert in Frankenthal, an dem zunächst auch der spätere Eigentümer der Maschinenfabrik Hamm beteiligt war, gehörte in den folgenden Jahrzehnten ebenfalls zur Gruppe der führenden deutschen Druckmaschinenhersteller und wurde ab 1979 schrittweise von König & Bauer übernommen. Bogenoffset-Maschinen werden zumeist komplett montiert ausgeliefert, während die wesentlich größeren Rollenoffset-Maschinen bei den Kunden, d.h. in den Druckereien, montiert werden. In den 1930er Jahren wurden bereits 60% des Umsatzes im Ausland erzielt.
84
4 Fallstudien
für den Flugzeug- und Motorenbau sowie Hydraulikgeräte für Flugzeuge, aber auch Granaten und Geschosshülsen hergestellt. In den 1950er Jahren dehnte Heidelberger seine Kapazitäten mit dem Bau eines großen Druckmaschinenwerkes in Wiesloch bei Heidelberg stark aus.64 Schrittweise wurde die gesamte Fertigung von Heidelberg dorthin verlagert; Verwaltung sowie Forschung und Entwicklung blieben jedoch in Heidelberg. Unter anderem durch die Übernahme der Offset-Technologie wurde die Produktpalette in den 1960er Jahren erheblich erweitert. Zwischen 1980 und 1985 verließ auch die Gießerei ihren traditionellen Sitz in Geislingen und wurde in das nahe gelegene Amstetten verlagert. Im Zuge der deutschen Vereinigung wurde schließlich 1990 eine Standortentscheidung für ein Werk in Brandenburg gefällt, das Kleinteile fertigt.65
4.1.2 Die Übernahme von Harris Graphics 1988 Die Internationalisierung der Produktion begann bei Heidelberger 1988 mit der Übernahme des US-Unternehmens Harris Graphics Corporation.66 Während Heidelberger ausschließlich Bogendruckmaschinen herstellte, war Harris auf die Produktion von Rollenoffset-Maschinen für den Zeitungsdruck spezialisiert.67 Harris verfügte über drei Werke in den USA – Dover und Durham in New Hampshire sowie Fort Worth in Texas – und über ein Werk in Montataire in der Nähe von Paris. Die Fertigung von Rollendruckmaschinen in Dover begann 1909. 1959 kam ein Werk in Fort Worth hinzu, wo Gussteile bearbeitet werden. Das Werk in Durham wurde erst 1986 errichtet und bildete mit dem nur 20 km entfernten Werk Dover einen Doppelstandort. Hier waren Teile der Forschung und Entwicklung, die Montage bestimmter Maschinentypen sowie alle Aktivitäten für den Weiterverarbeitungsbereich konzentriert. Das Werk in Montataire 64 65
66
67
Am alten Standort in Heidelberg war keine Baugenehmigung erteilt worden. Im Bereich der Teilefertigung für Bogenoffsetmaschinen wurde mehrmals überprüft, Fertigungsaufträge für einfachere Teile an externe Zulieferer zu vergeben, was aber nach negativen Erfahrungen mit der gelieferten Qualität der Teile aufgegeben wurde. Generell sind die Anforderungen an die Genauigkeit und absolute Exaktheit der mechanischen Teile so hoch, dass dieses Qualitätsniveau von externen Zulieferern kaum erreicht werden kann. Etwa 90% der gewerblich beschäftigten sind Facharbeiter, von denen die Mehrheit im eignen Haus ausgebildet wurde. In Sidney (Ohio) war bereits 1987 ein Hersteller von Weiterverarbeitungsmaschinen, Baumfolder, mit 130 Beschäftigten von Heidelberger übernommen worden, der aber 1990 an den deutschen Kooperationspartner Stahl weiter verkauft worden war (vgl. unten). Dieser Markt wurde international von den beiden anderen großen deutschen Druckmaschinenherstellern MAN-Roland und König & Bauer bestimmt, mit denen Heidelberger nun den Wettbewerb aufnahm.
4.1 Heidelberger
85
war 1894 von dem traditionsreichen Druckmaschinenhersteller Voirin gegründet worden. 1921 wurde Voirin von seinem französischen Konkurrenten Marinoni übernommen, der später seine Produktion in Montataire konzentrierte und 1963 wiederum von Harris übernommen wurde. In Montataire wurden nun bestimmte Typen von Rollenoffset-Druckmaschinen entwickelt, Komponenten produziert und vormontiert.68 Diese Maschinen wurden insbesondere in Frankreich, aber auch weltweit verkauft. Mit der Übernahme des niederländischen Herstellers Stork Contiweb BV, der in Boxmeer mit 240 Beschäftigten Rollenoffset-Spezialkomponenten (Trockner und Rollenwechsler) produziert, wurde 1996 der Bereich Rollenoffset um ein zweites europäisches Werk erweitert. Der Rollenoffsetbereich wurde als eigenständige Heidelberg Harris Gruppe in den Konzern eingegliedert und besaß nur wenig Berührungspunkte mit dem angestammten Bogenoffsetbereich. Das gesamte Geschäftsfeld Rollenoffset, einschließlich der Werke in Montataire und Boxmeer, wurde von den USA aus gesteuert und koordiniert.
4.1.3 Diversifikation durch weitere Übernahmen ab 1996 Seit 1996 trieb Heidelberger durch Übernahmen im Bereich der Vorstufentechnik und der Weiterverarbeitung den Konzernausbau zum Systemanbieter voran. Hinzu kamen etwas später eine Diversifizierung in den Verpackungsdruck sowie der Einstieg in die neuen, digitalen Drucktechnologien. 1996 übernahm Heidelberger den mit starken Verlusten kämpfenden deutschen Hersteller von Druckvorstufen Linotype-Hell (weltweit 3.250 Beschäftigte), der erst 1990 aus der Fusion der traditionsreichen Unternehmen Linotype und Hell hervorgegangen war. Die Fertigung wurde innerhalb kurzer Zeit am Standort von Hell in Kiel (ca. 1.500 Beschäftigte) konzentriert; der Standort von Linotype in Eschborn wurde geschlossen. Bald darauf wurde die Produktion von Scannern vollständig und die von Belichtungsmaschinen in Kiel weitgehend aufgegeben. Ausgebaut wurden dagegen die Entwicklung und Fertigung neuer Technologien wie die direkte Übertragung digitalisierter Daten auf die Druckplatte (computer-to-plate). Neben der Druckvorstufentechnologie diversifizierte Heidelberger 1996 durch die Übernahme der britisch-amerikanischen Firma Sheridan Systems auch in die Druckweiterverarbeitung.69 Die Sheridan-Gruppe verfügte über ein US-
68 69
Die Endmontage der großen Rollenoffset-Maschinen erfolgt bei den Kunden. Bei der Druckweiterverarbeitung handelt es sich um die in den Druckereien nach dem eigentlichen Druckprozess anfallenden Arbeitsgänge wie Falzen, Schneiden, Stanzen oder Heften (fi-
86
4 Fallstudien
amerikanisches Werk in Dayton, Ohio, und über ein britisches Werk in Slough mit zusammen 1.020 Beschäftigten. Dayton war auf die Weiterverarbeitungsausrüstung für Rollenoffset-Druckereien konzentriert, Slough dagegen auf Weiterverarbeitungsprodukte für den Bogenoffset-Druck spezialisiert. Die Ausweitung der Tätigkeitsfelder führte 1997 auch zu einer neuen Organisationsstruktur: Neben dem Geschäftsbereich Web Press für RollenoffsetDruckmaschinen und dem Geschäftsbereich Sheet-Fed für BogenoffsetDruckmaschinen, der wiederum in drei Business Units – für zwei verschiedene Typen von Bogenoffset-Maschinen und für den neu zu erschließenden Bereich des berührungsfreien Druckens (vgl. unten) – aufgeteilt war, wurden die Geschäftsbereiche Prepress (mit Hauptsitz in Kiel) und Finishing – zunächst bestehend aus der Sheridan-Gruppe und später umbenannt in Postpress – gebildet. Quer zu diesen Einheiten entstanden die beiden Supply Units Manufacturing und Electronic Products, die die Fertigung mechanischer bzw. elektronischer Komponenten der verschiedenen Geschäftsfelder umfassten. In der Supply Unit Manufacturing waren 4.000 Beschäftigte in den Werken Amstetten, Wiesloch, Brandenburg, Montataire, Dover und Fort Worth zusammengefasst. Ziel war ein Ausgleich von Kapazitätsengpässen zwischen den Einheiten. Tatsächlich kam es aber auf operativer Ebene nur am Rande zu einer Kooperation zwischen den Werken,70 so dass die beiden Supply Units drei Jahre später wieder aufgelöst wurden. Vertrieb und Service wurden weitgehend unabhängig von den produzierenden Einheiten in einer Organisation integriert, wobei die einzelnen übernommenen Unternehmenseinheiten, insbesondere Harris, in ihren großen Stammmärkten aber weiterhin eigene Vertriebsgesellschaften besaßen. In den Jahren 1997/98 kaufte Heidelberger in 20 Ländern bisher unabhängige Vertriebspartner, die vielfach bereits zuvor ausschließlich Produkte von Heidelberger vertrieben hatten und nun vollständig in ein eigenes Vertriebsnetz integriert wurden. Zu Beginn des Jahres 1999 wurde durch die Übernahme der deutschen Stahl-Gruppe der Bereich Druckweiterverarbeitung für Bogenoffsetprodukte zusätzlich ausgeweitet. Die Stahl-Gruppe mit insgesamt knapp 1.000 Beschäftigten verfügte neben ihrem Hauptsitz in Ludwigsburg über eine Einheit in Leipzig, die Brehmer Buchbindereimaschinen GmbH,71 die 1994 übernommen worden
70
71
nishing) sowie auch Druckversand, insbesondere von Rollenoffset-Produkten wie Zeitschriften und Katalogen. Um die Kapazitäten besser auszulasten, begann man auch, Fertigungsleistungen externen Kunden anzubieten; produziert wurden in geringem Umfang mechanische Teile für Fahrzeughersteller und Pumpenhersteller. Der Erfinder (Drahtheften von Büchern) Hugo Brehmer war zunächst in den USA unternehmerisch tätig (Brehmer Bros.), ehe er 1879 in Leipzig die Firma Gebr. Brehmer gründete, die später zum Kombinat Polygraph und auch kurzzeitig der US-amerikanischen McCain gehörte.
4.1 Heidelberger
87
war. Die ebenfalls zur Gruppe gehörende Baumfolder Corp., 1917 in Sidney, Ohio, gegründet (130 Beschäftigte), war bereits 1987 von Heidelberger übernommen und 1990 an den Kooperationspartner Stahl verkauft worden. Verschiedene Stahl-Produkte (Falz-, Heft- und Fadensiegelmaschinen) wurden bereits vor der Übernahme zum größten Teil in Heidelberger Maschinensysteme integriert und auch über Heidelberger vertrieben. Nach der Übernahme von Stahl waren die Einheiten der drei Jahre zuvor übernommenen Sheridan-Gruppe von umfangreichen Restrukturierungen betroffen. Die Produktion in Slough, Großbritannien, wurde eingestellt und nach Ludwigsburg in Deutschland zu Stahl verlagert; das Werk wurde zu einem kleinen Reparaturbetrieb mit ca. 50 Beschäftigten. In den USA wurde das Werk in Dayton 2002 ganz geschlossen; die Produktion wurde zu Harris nach Durham verlagert. Ebenfalls 1999 begann die horizontale Diversifizierung in den Bereich Verpackungsdruck, indem der Schweizer Hersteller von Flexodruckmaschinen Gallus (500 Beschäftigte) übernommen wurde, zu dem auch ein kleineres Werk in Langgöns-Oberkleen bei Frankfurt/M. gehört.72 Auch in diesem Bereich wurde die Systemfähigkeit ausgebaut, indem 2003 von der Jagenberg-Gruppe drei Unternehmen aus dem Weiterverarbeitungsbereich zugekauft wurden: Hersteller von Verpackungsklebemaschinen bzw. Bogenstanzmaschinen in Neuss und Mönchengladbach sowie ein Werk für Komponenten in der Slowakei, mit zusammen 372 Beschäftigten. Kurz nach der Übernahme wurde die Fertigung von Neuss mit der in Mönchengladbach zusammengelegt und das Werk in Neuss geschlossen. Bereits 1997 begann Heidelberger eine Kooperation mit Kodak, in der die nächste Technologiegeneration, das digitale und berührungsfreie Drucken (nonimpact-printing), entwickelt werden sollte. Im Rahmen dieser Kooperation wurde 1999 der Bereich „Digitale Schwarzweiß-Druckmaschinen“, der auch große Kopiermaschinen beinhaltete, von Kodak übernommen. Hierzu gehörten drei Produktionsbetriebe: in Rochester (USA; 1.000 Beschäftigte), wo sich auch der Hauptsitz von Kodak befand, waren die Forschung und Entwicklung sowie die Montage von Digitaldruckmaschinen und Hochleistungskopierern angesiedelt; in Tijuana (Mexiko; 250 Beschäftigte) werden u.a. Kopierer wieder aufgearbeitet; in Mühlhausen (Württemberg; 240 Beschäftigte) wurden optische und digitale Kopier- und Drucksysteme gefertigt. Der größte Teil der Fertigung in Mühlhausen wurde bald nach der Übernahme nach Rochester verlagert. Ein kleinerer Teil (Druckweiterverarbeitung mit 80 Beschäftigten) wurde mit Stahl in Ludwigsburg 72
Gallus ist Weltmarktführer bei Maschinen für den Etikettendruck. Formal hält Heidelberger 30%, es wurde aber die wirtschaftliche Führung des Unternehmens durch Heidelberger vertraglich vereinbart.
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zusammengelegt. Mitte 2004 wurde das Werk in Mühlhausen geschlossen. Ferner wurde in Rochester ein joint venture mit Kodak zur Entwicklung digitaler Farbdruckmaschinen, die NexPress Solutions, gegründet. Die eigenen Entwicklungs- und Produktionsaktivitäten im Bereich digitaler Druckmaschinen in Kiel wurden in der neu gegründeten NexPress GmbH zusammengefasst. 2003 wurde dann aber die Produktion von Digitaldruckmaschinen in Kiel aufgegeben und in Rochester konzentriert. Zugleich wurden die letzten Reste der Produktion von Druckvorstufen von Kiel nach Wiesloch verlagert. 2002 wurde der schwedische Hersteller von Zeitungsweiterverarbeitungsanlagen Idab Wamac (120 Beschäftigte in Eksjö) übernommen.
4.1.4 Entwicklung seit 2004 Nach erheblichen Umsatzrückgängen – u.a. aufgrund eines schrumpfenden Werbemarktes in den Printmedien und eines massiven Einbruchs im Geschäft mit Rollenoffset-Maschinen (Meyer 2006) – wurde 2004 die 16 Jahre zuvor begonnene Diversifizierung weitgehend rückgängig gemacht. Zum einen verabschiedete sich Heidelberger aus dem Digitaldruck und gab alle Aktivitäten mit insgesamt etwa 2.000 Beschäftigten an den Kooperationspartner Eastman Kodak ab. Dies beinhaltete insbesondere die Aktivitäten in Rochester in den USA mit dem Geschäftsfeld Digitale Schwarz-WeißDruckmaschinen und die Aktivitäten der zu 50% gehaltenen NexPress Solutions (digitale Farbdruckmaschinen) sowie die NexPress GmbH in Kiel. Im gleichen Jahr verkaufte Heidelberger seine Rollenoffset-Sparte mit etwa 2.100 Beschäftigten an den US-amerikanischen Hersteller von RollenoffsetDruckmaschinen Goss International. Vom Verkauf betroffen waren die vier 1988 erworbenen Einheiten von Harris in den USA73 und Frankreich sowie die 1996 erworbene Einheit von Stork Contiweb in den Niederlanden. Die Tatsache, dass dieser Verkauf ohne vorherige Restrukturierungsmaßnahmen möglich war, verdeutlicht nochmals die geringe operative Integration dieser übernommenen Unternehmen.74 Nach den Verkäufen wurde auch die Unternehmensorganisation verändert. Die beiden großen operativen Bereiche Vertrieb und Service einerseits sowie Forschung, Entwicklung und Produktion, zusammengefasst als ‚Technik’, andererseits sind jeweils einem Vorstandsmitglied unterstellt.75 Hauptbestandteil des 73 74 75
Einschließlich der von Dayton nach Durham verlagerten ehemaligen Sheridan-Aktivitäten. Zur gleichen Zeit verkaufte RWE seine Mehrheitsbeteiligung (50,02%) an Heidelberger an der Börse, wodurch sich der Streubesitz von 22 auf 57 Prozent erhöhte. Ein drittes Vorstandsmitglied ist für Finanzen und Personal zuständig.
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Bereichs Technik ist das Geschäftsfeld Bogenoffset mit den drei Werken Wiesloch, Amstetten und Brandenburg sowie eine Einheit in Kiel, wo noch 360 Beschäftigte an der Weiterentwicklung der Computer-to-Plate-Technologie arbeiten. Weitgehend unabhängig vom Geschäftsfeld Bogenoffset (Geschäftsbericht 04/05: 37) arbeitet die Sparte Postpress an den Standorten Ludwigsburg, Leipzig und Sidney, Ohio (jeweils unterschiedliche Weiterverarbeitungsanlagen für Bogenoffset) sowie in Eksjö, Schweden (Wamac, Zeitungs-Weiterverarbeitung) und Mönchengladbach mit einem Zulieferbetrieb in Nové Mesto in der Slowakei (Bogenstanzen und Faltschachtel-Klebemaschinen). Eine hohe Eigenständigkeit besitzt auch die Gallus-Gruppe mit Standorten in St. Gallen und LanggönsOberkleen (Flexodruck). 2005 begann Heidelberger mit dem Aufbau eines Werks in China für die Endmontage von Falzmaschinen und kleinformatigen Bogenoffset-Druckmaschinen für den lokalen Markt (Mitte 2007: 70 Beschäftigte). Künftig sollen in China auch einzelne Komponenten bezogen werden. Um dies zu unterstützen, sollen dort begrenzte Entwicklungskapazitäten aufgebaut werden.
4.2 Continental (Reifen)
4.2.1 Entwicklung bis 1945 Die Continental-Caoutchouc- & Gutta-Percha-Compagnie AG mit Sitz in Hannover-Vahrenwald wurde 1871 von der Hannoverschen Gummi-KammCompagnie und einer Banken-Gruppe gegründet.76 Continental sollte sich auf die neu aufkommende Produktion von Weichgummiwaren spezialisieren. Hergestellt wurde eine Vielzahl von Produkten, u.a. medizinische Schläuche, Bälle, Matten oder gummierte Stoffe. In den 1980er Jahren des 19. Jahrhunderts wurden Fahrradreifen – zunächst als Vollgummireifen und zehn Jahre später als Luftreifen77 – zum Träger eines stürmischen Wachstums. 1898, drei Jahre nach dem Pionier Michelin, brachte Continental den ersten Autopneumatic auf den Markt, der in den Folgejahren kontinuierlich weiter entwickelt wurde.78 76 77
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Die folgende Darstellung bis in die 1990er Jahre hinein basiert zu einem großen Teil auf Erker (1996 und 2005). Hierfür hatte Continental die notwendigen Patente vom englischen Technologieführer Dunlop erworben, der aber bereits 1895 eine eigene Fabrik in Hanau errichtet hatte, um den deutschen Markt direkt zu beliefern. Continental entwickelte unter anderem eine abnehmbare Felge. Die Kooperation mit den Automobilherstellern im Bereich Forschung und Entwicklung kam allerdings nur sehr langsam voran (vgl. Erker 1996: 19).
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Innerhalb Deutschlands gewann Continental eine dominierende Marktstellung,79 untermauert durch ein dichtes Netz von Vertriebsniederlassungen. Aber auch die Auslandsmärkte gewannen zunehmend an Bedeutung. Die Exportquote erreichte 1906 bereits 55% (1913: 60%). Darüber hinaus vergab Continental auch Lizenzen ins Ausland; in zwei Fällen erhielt Continental als Gegenleistung für seine technologische Unterstützung Minderheitsbeteiligungen: 1889 an der Österreichisch-Amerikanischen Gummiwaren-Fabrik (Vorläufer von Semperit) und 1891 am belgischen Reifenhersteller Engelbert. 1910 nahm eine eigene Fabrik in der Nähe von Paris die Fertigung auf. Weitere Fabriken in Italien sowie Australien sollten folgen. Vor dem Hintergrund wachsender Zollschranken sollten diese Fabriken in erster Linie den Zugang zu den lokalen Märkten sichern (Erker 1996: 22). Der Erste Weltkrieg beendete diese Phase der Expansion. Continental war von der Rohstoffversorgung weitgehend abgeschnitten, die Auslandsmärkte gingen verloren, und die ausländischen Tochter- und Beteiligungsgesellschaften wurden enteignet. Zugleich waren US-amerikanische Reifenkonzerne schneller gewachsen und hatten auch neue Technologien wie die Verwendung von Baumwoll-Cord-Gewebe80 und die Vulkanisation mit Hilfe von Heizschläuchen entwickelt. Um ihre im Krieg durch Rüstungsaufträge ausgeweiteten Kapazitäten auszulasten, drängten die US-amerikanischen Konzerne nach dem Krieg auch auf die europäischen Märkte. Um im neuen Wettbewerbsumfeld bestehen zu können, schloss Continental eine Kooperation mit Goodrich, wobei sich Goodrich mit 25% an Continental beteiligte (bis 1929). Dies verschaffte Continental im deutschen Markt eine führende Position; 1925 lag der Marktanteil bei PkwReifen bei 74% und bei Lkw-Reifen bei 91%.81 Die schwache Konjunktur, insbesondere nach 1926, führte zu einer erheblichen Verschärfung des Konkurrenzkampfs, dem das marktbeherrschende Unternehmen Continental durch die Übernahme von Konkurrenten zu begegnen suchte: Zwischen 1927 und 1929 wurden Excelsior in Hannover-Limmer (ehemalige Gummi-Kamm), die Peters-Union mit Werken in Frankfurt/M. und Korbach, die Titan B. Pollack AG, Waltershausen (Thüringen), und die Liga-Gummiwerke in Frankfurt/M. sowie Anlagen der Mittelland Gummiwerke in Hannover über-
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Die deutschen Konkurrenten hatten den Trend zum Pkw-Luftreifen nicht rechtzeitig erkannt. Cordreifen erlaubten eine Verringerung des Reifendrucks und ermöglichten ab Mitte der 1920er Jahre auch die Verwendung von Luftreifen bei Lkw. Unter dem amerikanischen Einfluss wuchs auch die Verwissenschaftlichung der Entwicklung, der Produktion wie auch der Betriebsführung: Continental beschäftigte 250 „technische Beamte“, die Produktionsverfahren wurden standardisiert. Die sehr stark variierende Qualität des Rohkautschuks war bisher durch das Erfahrungswissen der Meister ausgeglichen worden. Jetzt wurden die Mischungsverhältnisse genauen Vorgaben der Ingenieure unterworfen.
4.2 Continental (Reifen)
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nommen.82 Durch diese Übernahmen besaß Continental nun acht Werke, die alle Mischbetriebe waren, also eine breite Palette von Produkten herstellten, mit Ausnahme der Werke der Peters-Union, die auf Autoreifen (Frankfurt) und Fahrradreifen (Korbach) spezialisiert waren. Die Nutzung von Synergieeffekten beschränkte sich zunächst auf Teile der Verwaltung, der Entwicklung und des Vertriebs. Erst nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise wurde auch die Produktion restrukturiert und konzentriert. Die Werke der Liga-Gummiwerke in Frankfurt/M., der Mittelland in Hannover, von Pollak in Waltershausen und der PetersUnion in Frankfurt/M. wurden bis 1931 stillgelegt. In Hannover-Limmer wurde die Reifenproduktion aufgegeben, und große Teile der Produktion technischer Gummiwaren wurden dorthin verlagert. Im Werk Hannover-Vahrenwald wurde die gesamte Autoreifenproduktion sowie die Herstellung von Transportbändern, Treib- und Keilriemen konzentriert. Das Werk Korbach blieb auf Fahrradreifen spezialisiert. 1935 begann der Bau eines Zweigwerks in Torrelavega/Santander, Spanien. Im Zuge der Expansionspolitik des Dritten Reiches und Besetzungen im Verlauf des Krieges gelangte Continental 1938 in den Besitz einer 50%-Beteiligung an zwei Auslandswerken der Semperit in Krakau und Kranj (Sava); 1940 erhielt Continental ein Werk des polnischen Herstellers Stomil. 1941 wurde die polnische 50%-Beteiligung abgegeben und dafür 100% am Werk in Kranj übernommen. Continental erhielt Betreuungs- und Pachtfirmen in den besetzten belgischen und französischen Gebieten und damit auch den Zugang zur MichelinTechnologie. 1942 wurde ein Kooperationsvertrag mit Gislaved in Schweden geschlossen.83 1938 hatte Continental den Bau eines großen neuen Werkes in HannoverStöcken beschlossen, das 1942 die Produktion aufnahm, zunächst allerdings nie größere Kapazitäten erreichte. Dieses Werk wurde – im Gegensatz zum Stammwerk in Hannover-Vahrenwald – kaum zerstört und wurde nach dem Krieg ausgebaut.
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Trotzdem konnte Continental seinen Marktanteil nicht bzw. nur mühsam stabilisieren, auch weil der Konkurrenzdruck durch neue Fabriken ausländischer Investoren in Deutschland verschärft worden war: von Engelbert in Aachen (1929) und Michelin in Karlsruhe (1930). Hinzu kam, dass die Exportquote auf 6,6% (1927) absank. Während der NS-Zeit beteiligte sich Continental an der Forschung zur Herstellung von synthetischem Kautschuk und stellte Mittel für die Buna-Anlagen der IG-Farben zur Verfügung.
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4.2.2 Die Wachstumsjahre 1945 bis 1970 Die 1950er und 60er Jahre waren durch ein ständiges Wachstum und Ansätze zur Internationalisierung des Unternehmens gekennzeichnet. 1949 schloss Continental einen Kooperationsvertrag mit General Tire, um die in den USA entwickelte Diagonal-Reifen-Technologie zu erwerben.84 1954 wurde dieses Abkommen durch einen Vertrag mit dem Weltmarktführer Goodyear ersetzt: Continental fertigte bis 1959 auch Goodyear-Reifen und erhielt den Zugang zu neuesten Technologien. 1955 brachte Continental den schlauchlosen Reifen auf den Markt. 1960 wurde der Gürtelreifen eingeführt – zunächst als Textilgürtel mit Rayon-Cord-Karkasse. Auf Basis dieser neuen Technologie wurden in Hannover-Stöcken und Korbach umfangreiche Investitionen in neue Produktionsanlagen getätigt. 1961 wurde der Beschluss gefasst, das erste Auslandswerk im französischen Sarreguemines, Lothringen, nahe der deutschen Grenze zu bauen, das 1964 die Produktion aufnahm. Dieses Werk scheint von Beginn an – gewissermaßen als Niedriglohnstandort – für den deutschen Markt produziert zu haben.85 Der gesamte Auslandsanteil am Umsatz lag 1970 bei etwa 16%.86 Ende der 1960er Jahre hatte Continental – neben einer größeren Zahl kleinerer Fabriken für andere Gummi-Produkte – vier Reifenwerke: in HannoverStöcken, Hannover-Vahrenwald, Korbach sowie Sarreguemines. Die Gesamtbeschäftigung war von knapp 12.000 (1949) auf über 28.000 (1970) gestiegen. Reifenwerke sind stets vollständig vertikal integrierte Werke. Dieses Charakteristikum der Reifenindustrie ergibt sich aus den Eigenschaften des zu verarbeitenden Materials: Sobald der Kautschuk im ersten Verarbeitungsschritt mit diversen Zusatzstoffen vermischt ist, ist das Material klebrig, so dass Zwischenprodukte – so genannte Felle, extrudierte oder beschichtete Aufbauteile und schließlich Rohlinge – nicht transportiert werden können. Erst mit dem letzten Arbeitsschritt, dem Vulkanisieren, verliert das Material seine Klebrigkeit. Aus
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Kernstück dieser Technologie ist die Karkasse aus mehreren Cordgewebelagen, deren Fäden diagonal zur Lauffläche verlaufen. „Nach wie vor wird ein erheblicher Teil der Produktion dieser Gesellschaft für die Versorgung des deutschen Marktes herangezogen. In größerem Umfange sind jedoch schon Exporte im Auftrag der Muttergesellschaft vorgenommen worden“ (GB ’70: 19). Ob dies von Anfang an so beabsichtigt war oder sich erst später so ergab, lässt sich leider nicht rekonstruieren. Denkbar ist auch dass Continental seinen Hauptkonkurrenten auf dessen Heimatmarkt angreifen wollte. Dies ist nach Knickerbocker (1973) auf oligopolistisch strukturierten Märkten das wichtigste Motiv für Auslandsinvestitionen. 1969 wurde mit Vorbereitungen für den Bau eines Werkes in Brixen, Südtirol, begonnen, die aber 1971 wieder abgebrochen wurden.
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diesem Grund ist eine vertikale Arbeitsteilung zwischen verschiedenen Werken nicht möglich.87
4.2.3 Die Krise der 1970er Jahre Zu Beginn der 1970er Jahre geriet Continental in eine tiefe Krise. Der Hintergrund hierfür war, dass Continental in den 1960er Jahren bei der Gürtelreifentechnologie allein auf den Textilgürtel gesetzt hatte, während sich der insbesondere von Michelin entwickelte Stahlgürtel jetzt als überlegen herausstellte.88 Der Marktanteil von Continental in Deutschland stürzte zwischen 1969 und 1972 von 40-45% auf 20-25% ab. Das Betriebsergebnis war 1972 erstmals negativ. Die technologisch bedingte Krise bei Continental wurde 1973/74 durch die Wirtschaftskrise in Folge der ersten Ölpreiserhöhung verschärft. Die Belegschaft der Continental AG sank von über 28.000 Beschäftigten (Höhepunkt 1970) über 21.500 (1974) auf gut 18.000 (1977). Seit den 1960er Jahren hatte es in der deutschen und europäischen Reifenindustrie verschiedenste Fusionspläne gegeben, mit dem Ziel, die eigene Position zum einen gegenüber Michelin zum anderen jedoch auch gegenüber den erstarkenden japanischen Reifenherstellern zu stärken.89 Alle diese Versuche scheiterten jedoch. Immerhin beteiligten sich Continental, Dunlop und Pirelli 1970 je zu einem Drittel an der neu gegründeten Drahtcord-Saar GmbH, die in Merzig ein Werk für das neue Vorprodukt errichtete.
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Lediglich Textil- oder Metallkomponenten werden in Spezialfabriken vorproduziert. Eine Abweichung von dieser Regel bietet sich mit dem neu entwickelten modularen Produktionsprozess (MMP). Hierbei werden auf zugelieferte, vormontierte und halb-vulkanisierte Rohlinge lediglich die Laufstreifen montiert und die Reifen dann nochmals vulkanisiert. Dieses Verfahren wurde von Continental mehrfach beim Anlauf neuer Fabriken im Ausland eingesetzt, etwa in Rumänien oder Brasilien. Langfristig ist dieses Verfahren aber nicht rentabel. Bei der Lösung des technischen Problems der Verbindung von Stahl und Gummi knüpfte Michelin an Eigenentwicklungen aus der Vorkriegszeit an. 1935 hatte Michelin den in Schwierigkeiten geratenen Automobilhersteller Citroën gekauft. Dessen neu entwickelter Frontantrieb erforderte belastbarere Reifen. 1939 hatte Michelin einen „Metallic-Reifen“ für Lkw auf den Markt gebracht. Der Stahl-Cord-Reifen hatte zudem den Vorteil der hohen Lebensdauer, was vor dem Hintergrund der Entwicklung immer schnellerer Autos – und hier zunächst im Ersatzreifenmarkt! – zunehmend entscheidend wurde. Sein Nachteil war, dass er härter war, was wiederum Konstruktionsänderungen an den Fahrzeugen erforderte, vor denen die deutschen Hersteller zunächst zurückschreckten. Insbesondere der Hauptkunde VW bestätigte Continental lange Zeit, auf dem richtigen Weg zu sein. Bereits Mitte der 1960er Jahre hatte der damalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Abs, eine Fusion der deutschen Reifenhersteller angeregt, um das Vordringen ausländischer Unternehmen in Deutschland aufzuhalten.
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1973 wurde Carl Hahn, zuvor Marketing-Chef bei VW, Vorstandsvorsitzender bei Continental. In den folgenden Jahren wurde nahezu der gesamte Vorstand mit neuen, von außen kommenden Managern besetzt.90 Als FuE-Vorstand wurde ein Manager von Semperit abgeworben.91 Hahn versuchte, die technologische Lücke durch den Einkauf von Technologie und durch Kooperationen, insbesondere mit Engelbert,92 zu schließen. Die finanzielle Situation im ReifenBereich von Continental verschlechterte sich jedoch weiter, so dass im Aufsichtsrat sogar über einen Ausstieg aus dem Reifengeschäft und eine Konzentration auf den Bereich der technischen Produkte nachgedacht wurde. 1977 kündigte die Konkurrenzfirma Phoenix den Ausstieg aus dem Reifengeschäft an, und auch bei Metzeler schien dieser Schritt nur eine Frage der Zeit zu sein, so dass Continental als einziger deutscher Reifenhersteller übrig blieb.
4.2.4 Die Übernahmen von Uniroyal-Engelbert und Semperit und die langsame Herausbildung eines europäischen Verbundes in den 1980er Jahren Ende der 1970er Jahre besaß Continental als absehbar letzter deutscher Reifenhersteller unverändert Reifenwerke: in Hannover-Stöcken, HannoverVahrenwald, Korbach sowie Sarreguemines.93 Damit war Continental letztlich zu klein, um auf Dauer im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Es waren die deutschen Automobilhersteller, insbesondere Volkswagen und Daimler-Benz, die Continental erhalten wollten und die jetzt eine (risikoreiche) Expansionsstrategie finanzierten.94 Mitte 1979 erwarb Continental die Europadivision der Uniroyal (UniroyalEngelbert). mit Reifenwerken in Aachen, Clairoix (F), Herstal (B) und Newbridge (UK), hinzu kam ein Reifencord-Werk im luxemburgischen Steinfort. 1980, dem ersten Jahr der Konsolidierung, beschäftigte die Gruppe 6.622 Mitarbeiter, davon 2.072 in Deutschland, 1.489 in Belgien, 1.746 in Frankreich, 949 im Vereinigten Königreich und 219 in Luxemburg. 90
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„Continental war damit eines der ersten deutschen Unternehmen, das mit dem bis dahin ehernen Gesetz der unternehmensinternen Vorstandsrekrutierung der deutschen Wirtschaft gebrochen hatte und eine Entwicklung einleitete, die später auch bei den meisten anderen Konzernen zur Regel wurde.“ (Erker 1996: 99) Semperit hatte von Michelin bereits während des Krieges eine Lizenz für Stahlgürtelreifen erhalten. Auch die US-Hersteller hatten die Stahlgürtel-Revolution verschlafen. Die Tochter von Uniroyal Engelbert verfügte dagegen über eigene Entwicklungen. Dazu kamen Runderneuerungswerke in Bad Nauheim (Vergölst) und Madrid. Die Übernahmen wurden großenteils durch den Kauf von Wandelanleihen durch ‚befreundete’ deutsche Unternehmen finanziert (Erker 1996: 215).
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1985 übernahm Continental 75% der aus dem österreichischen SemperitKonzern ausgegliederten Semperit-Reifen Ges.m.b.H. mit Werken in Traiskirchen (3.600 Beschäftigte) und in Dublin (600 Beschäftigte).95 Semperit besaß auch eine 27%-ige Beteiligung an dem slowenischen Hersteller Sava in Kranj. Das Werk in Traiskirchen lieferte im Rahmen eines bilateralen Handelsabkommens jährlich 900.000 Reifen nach Japan.96 Mit den Übernahmen von Engelbert und Semperit hatte sich die Zahl der Reifen-Werke von Continental in Europa von vier auf zehn erhöht. Das Forschungs- und Entwicklungspersonal (Reifen) hatte sich von ca. 500 auf ca. 1.000 verdoppelt. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Engelbert in Aachen und von Semperit in Traiskirchen blieben neben Hannover weitgehend unabhängig. Die geringe europäische Integration der Neuerwerbungen in den Gesamtkonzern spiegelt sich auch in der Entwicklung der immer wieder veränderten Managementstruktur. Nach den Übernahmen blieben die Segmente Continental, Engelbert und Semperit weitgehend eigenständig und wurden lediglich von einem für den gesamten Bereich Reifen zuständigen Doppelvorstand – Technik und Marketing – koordiniert.97 1987 wurde die „MarkenDivisionalisierung“ sogar weiter ausgebaut, und die drei Marken erhielten jeweils eine eigene Geschäftsleitung, zuständig für Marketing, Produktion, Logistik sowie Forschung und Entwicklung. Restrukturierungen wurden lediglich innerhalb der Segmente vorgenommen. Die vier Werke von Uniroyal-Engelbert fertigten zum Zeitpunkt der Übernahme ein relativ breites Reifenprogramm überwiegend für den jeweiligen nationalen Markt. Zu Beginn der 1980er Jahre wurde jedoch die Produktion von Lkw-Reifen im belgischen Herstal konzentriert. Clairoix und Newbridge spezialisierten sich auf Pkw-Reifen. In Aachen wurde u.a. die Produktion von Transporter-Reifen konzentriert. Statt bisher bis zu fünf sollten nun maximal zwei Produktgruppen pro Werk produziert werden. Die Randbereiche Industrie-Reifen und Reifenschläuche sollten zu Continental-Fabriken verlagert werden. Auch die alten Continental-Werke wurden restrukturiert. Das Stammwerk des Konzerns in Hannover-Vahrenwald (Etagenbauweise) wurde schrittweise zu einem reinen Werk für technische Produkte. Die Produktion von Pkw-Reifen war bereits 1976 nach Korbach und Sarreguemines verlagert worden. Bis 1985 wurde 95 96
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Semperit hatte noch während des Krieges eine Lizenz von Michelin für Lkw-Reifen erhalten und bezog später Drahtcord von Michelin für die Fertigung von Ganzstahl-Lkw-Reifen. Im Gegenzug konnten japanische Automobilhersteller mehr Fahrzeuge nach Österreich importieren. Die österreichische Regierung stellte bei der Übernahme Subventionen von 170 Mio. DM für Investitionen bereit; dafür gab Continental eine Beschäftigungsgarantie für die nächsten zehn Jahre ab. Oberstes Koordinations- und Entscheidungsgremium war von 1979 bis 1987 der ‚Reifenausschuss’.
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die Produktion von Lkw- und Landwirtschaftsreifen nach Hannover-Stöcken verlagert. Die Produktion von Flugzeug- und EM-Reifen98 wurde ganz aufgegeben und in die USA verlagert. In Stöcken war 1979 der letzte Käfer-DiagonalReifen gefertigt worden. Nun wurden die Kapazitäten für Lkw-Reifen und Hochgeschwindigkeitsreifen ausgebaut. 1984 wurde Stöcken ein reines ReifenWerk.
4.2.5 Die Übernahme von General Tire und die Entwicklung in Nordamerika Mitte der 1980er Jahre war auch die US-amerikanische Reifenindustrie in die Krise geraten: sie hatte die Technologieführerschaft (Stahlgürtel) an Michelin verloren, und japanische Autos (mit japanischen Reifen) gewannen Marktanteile. 1987 übernahm Continental den viertgrößten US-amerikanischen Reifenhersteller General Tire.99 General Tire machte einen Umsatz von 2,5 Mrd. DM und hatte ca. 10.000 Beschäftigte; der Marktanteil in den USA lag bei gut 10%. Zum Unternehmen gehörten vier Reifenwerke in den USA: in Mount Vernon (IL), Mayfield (KY), Charlotte (NC) und Bryan (OH; große Spezialreifen) sowie die Reifencord-Fabrik Aldora Mills in Barnesville (GA) und die SyntheseKautschuk-Fabrik DynaGen Inc. in Odessa (TX). Zur Gruppe gehörten ferner ein Reifenwerk in Kanada und zwei in Mexiko sowie Minderheitsbeteiligungen an Reifenfabriken in Afrika (Südafrika, Marokko und Tansania) und Ecuador. Continental General Tire (CGT) wurde nach der Übernahme als eigenständiger Konzernbereich geführt. Nachdem General Tire in Schwierigkeiten gekommen war, wurde 1990 ein deutsches Management eingesetzt, und es kam zu umfangreichen Restrukturierungen innerhalb der Gruppe. 1991 wurde das kanadische Werk geschlossen. 1994 wurde die Konzernzentrale von Akron (OH) zum Werk nach Charlotte (NC) verlagert. 1997 wurde das Synthetik-Kautschuk-Werk in Odessa (TX) mit 200 Beschäftigten verkauft. Die beiden mexikanischen Werke in San Luis Potosi und Mexico City mit zusammen ca. 1.100 Beschäftigten wurden 1993 an die Grupo Carso, einen mexikanischen Mischkonzern, verkauft. Dieser hatte bereits 1989 die Reifenfabrik Euskadi in El Salto bei Guadalajara erworben. Die mexikanische Gruppe führte daraufhin umfangreiche Restruktu-
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Dies sind Spezialreifen (EM = earth mooving) für Baustellen- und Bergwerksfahrzeuge. 1981 war ein Kooperations- sowie ein Off-take-Abkommen mit General Tire geschlossen worden, das die Fertigung von jährlich 500.000 Continental-Reifen durch General Tire vorsah. Weitere internationale Übernahmen US-amerikanischer Reifenhersteller folgten: 1988 übernahm Bridgestone Firestone, Pirelli kaufte Armstrong und 1989 kaufte Michelin UniroyalGoodrich.
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rierungsmaßnahmen durch, die auch die Schließung des Werks in Mexico City beinhalteten.100
4.2.6 Weitere Übernahmen und „Niedrigkostenstandorte“ – Integration und Verlagerungen in Europa 1989 wurde ein einheitlicher Konzernbereich für das europäische Reifengeschäft geschaffen, der 1992 in die Konzernbereiche Nfz-Reifen und Pkw-Reifen aufgeteilt wurde. Daneben bestanden die Konzernbereiche Continental General Tire in Nordamerika sowie ContiTech mit einer breiten Palette technischer Gummiprodukte.101 1994 kam durch die Übernahme des Bereichs Bremsen und Chassis (Teves) von ITT der neue Konzernbereich Fahrzeugsysteme hinzu, der durch weitere Übernahmen – darunter 2006 das Automobilelektronik-Geschäft von Motorola und 2007 VDO von Siemens – noch erheblich vergrößert wurde.102 Wie oben dargelegt, waren die übernommenen Unternehmen UniroyalEngelbert und Semperit als ‚Marken’ weitgehend eigenständig weitergeführt worden. In den 1990er Jahren begann Continental jedoch, die Produktionsprozesse gegenüber den Marken zu „neutralisieren“, d.h. europaweit technologisch zu vereinheitlichen. Parallel hierzu wurde die Forschung und Entwicklung zentralisiert. Nachdem es 1991 noch Planungen gab, die Forschung für Pkw-Reifen in Aachen zu konzentrieren,103 wurde 1995 mit dem Bau des neuen Forschungsund Entwicklungszentrums in Hannover-Stöcken für ca. 1.000 Beschäftigte begonnen, das 1997 bezogen wurde.104 Die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Engelbert in Aachen und von Semperit in Traiskirchen wurden geschlossen.105 Die technologische Integration der europäischen Reifenwerke er100 Das Management von Continental hatte erhebliche Komplikationen befürchtet, wenn die Schließung direkt durch Continental als einem ausländischen Konzern durchgeführt worden wäre. 101 Durch die Übernahme von Phoenix wurde dieser Bereich 2004 erheblich vergrößert. 102 Anfang der 1990er Jahre war es auch zu einem Übernahmeversuch durch Pirelli gekommen, der am Widerstand von Continental und der Deutschen Bank sowie anderer ‚befreundeter’ Unternehmen, die gemeinsam eine Sperrminorität erwarben, scheiterte; außerdem hatte Continental das Höchststimmrecht eines einzelnen Aktionärs auf 20% festgesetzt, was zu langjährigen gerichtlichen Auseinandersetzungen führte (Baums 1993; Höpner 2000 und 2003). Ende 2005 befanden sich nur noch knapp 10% des Aktienbesitzes in deutscher Hand, über 40% liegen in den USA und über 20% in Großbritannien. 103 Engelbert besaß eine erfolgreiche Tradition im Bereich der Stahlgürtel-Reifen (vgl. oben). 104 Ein Vorteil dieses Standorts war die Anbindung an die benachbarte hauseigene Formen- und Maschinenfabrik, die von Hannover-Vahrenwald hierher verlagert worden war. 105 Später wurde auch die Forschung und Entwicklung von General Tire in den USA reduziert (vgl. unten).
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laubte nun eine europaweite Restrukturierung zwischen den Werken, unabhängig von den Marken.106 1990/92 erfolgte die schrittweise Übernahme von Nives Tire, dem Marktführer in Schweden, Norwegen und Finnland, mit den Marken Gislaved (in Schweden) und Viking (in Norwegen). Kurz vor der Übernahme hatte Nives ein Werk in Norwegen geschlossen und die Produktion bei Gislaved konzentriert. Hierbei hatte sich die Beschäftigtenzahl (1988: 1.700) deutlich reduziert. 1990 beteiligte sich Continental mit 60% am Reifenwerk des portugiesischen Lizenznehmers von General Tire, Mabor, in Lousado. Die Fertigung dort wurde modernisiert und die Kapazitäten erheblich ausgeweitet. 1993 stockte Continental die Beteiligung auf 100% auf. 1993 gründete Continental über die österreichische Semperit ein joint venture (51%) mit dem tschechischen Konzern Barum, in das Barum sein Werk in Otrokovice einbrachte.107 Das Werk produzierte mit knapp 4.000 Beschäftigten Nfz-, Landwirtschafts- und Pkw-Reifen, weitestgehend für osteuropäische Märkte.108 Nach diesen Übernahmen hatte sich die Zahl der Reifen-Werke auf dreizehn erhöht, darunter zwei an Niedriglohnstandorten in Portugal und Tschechien, an denen durch Rationalisierungsinvestitionen bei gleich bleibender Beschäftigung erhebliche Produktionsausweitungen realisiert werden konnten. So kam es zu Verlagerungen insbesondere von eher einfacheren Produkten (im unteren Preissegment), die wiederum weitere Restrukturierungen in Westeuropa auslösten. Bereits 1993 wurde die Fertigung von LKW-Reifen von Sarreguemines nach Tschechien verlagert. Zwei Jahre später wurde die Verlagerung eines großen Teils der Produktion von Pkw-Reifen von Hannover-Stöcken nach Sarreguemines und Aachen beschlossen. Bei Semperit in Österreich lief das Abkommen mit Japan zur Lieferung von jährlich 900.000 Reifen 1996 aus und konnte nach dem EU-Beitritt nicht verlängert werden. In der Folge wurde im Werk Traiskirchen die Kapazität für PkwReifen nahezu halbiert, lediglich die Kapazität zur Fertigung von Lkw-Reifen blieb unverändert. Die Beschäftigung wurde von 3.449 im Jahr 1990 auf 1.200 im Jahr 1997 reduziert. Das Semperit-Werk in Dublin mit 650 Beschäftigten wurde 1996 geschlossen. Bei Barum wurde die Fertigung von Pkw-Reifen um 150% auf 6,5 Mio. Einheiten jährlich (1996) gesteigert, die von Lkw-Reifen um 20% auf 330.000; hinzu kamen 410.000 Landwirtschafts- und andere Reifen. 106 Hiermit hing auch zusammen, dass das Erstausrüstungsgeschäft nur noch unter der Marke Continental abgewickelt wurde. 107 Weiterhin besaß Barum unter anderem ein Werk in der Slowakei, das später unter dem Namen Matador firmierte (vgl. unten). 108 Damit war Barum der größte osteuropäische Reifenhersteller vor Stomil Olstyn (zu Michelin) und TC Debica (zu Goodyear).
4.2 Continental (Reifen)
99
1998 gründete Continental (Anteil 76%) mit der slowakischen Firma Matador ein Gemeinschaftsunternehmen. In dieses Unternehmen brachte Matador ein Werk in Puchov ein, das zu Europas größtem Lkw-Reifenwerk (jährlich 1,5 Mio. Stück) ausgebaut wurde.109 Ende der 1990er Jahre errichtete Continental außerdem in Timisoara in Rumänien ein neues Werk für die Produktion von PkwReifen, das 2000 den Betrieb aufnahm. Bereits Ende 2002 hatte das Werk 1.000 Beschäftigte und produzierte 8 Mio. Pkw-Reifen.110 Während in Osteuropa neue Kapazitäten aufgebaut wurden, wurden in Westeuropa die Kapazitäten reduziert. 1999 wurde das Werk im schottischen Newbridge (Pkw-Reifen) geschlossen. 2001 folgte das Werk für Lkw-Reifen im belgischen Herstal. 2002 wurde das Werk in Gislaved, Schweden, geschlossen und die Reifenproduktion in Traiskirchen, Österreich, nahezu vollständig heruntergefahren. Ende 2007 schließlich soll die Produktion in Hannover-Stöcken (zuletzt insbesondere Hochleistungs-Pkw-Reifen mit noch 320 Beschäftigten) beendet werden. Dann wird Continental in Deutschland noch zwei von einst vier Reifenwerken besitzen, im westeuropäischen Ausland (ohne Portugal) sind es noch drei – von einst sieben. Hinzugekommen sind dafür vier Werke in Osteuropa (Tschechien, Slowakei und Rumänien) und Portugal. Innerhalb weniger Jahre hatte sich deren Anteil an der gesamten europäischen Produktion (in Stückzahlen) von Null auf 25% (1996) erhöht. 2006 wurden 56% der Pkw-Reifen und 66% der LkwReifen an ‚Niedrigkostenstandorten’ gefertigt.
4.2.7 Expansion und Restrukturierung außerhalb Europas 1998 übernahm Continental die Reifenwerke der mexikanischen Grupo Carso, neben dem 1993 verkauften Werk in San Luis Potosi auch das Werk Euskadi in El Salto. 2001 wurde die Schließung dieses Werks (1160 Beschäftigte) angekündigt; nach langwierigen Auseinandersetzungen kam es 2005 zur Übergabe des Werks an die Belegschaft.111 Ebenfalls im Jahr 1998 übernahm Continental 60% 109 Mitte 2007 gab Continental den geplanten Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an Matador bekannt. Zur Matador Gruppe gehört auch ein Maschinenwerk in Puchov, das der Maschinenfabrik in Hannover-Stöcken angegliedert werden soll, sowie eine Reifenfabrik in Omsk, Russland. 110 Ein joint venture mit Moscow Tyre Plant, das den Bau eines neuen Werkes in Russland vorsah, wurde abgebrochen. 111 Im Rahmen des NAFTA-Abkommens waren die letzten Importbarrieren für Reifen aus den USA im Jahr 1999 gefallen. Auch Michelin und Goodyear hatten daraufhin Werke in Mexiko geschlossen. Versuche von Continental, die Produktion im Werk zu reorganisieren und den bestehenden Kollektivvertrag – wohl zum Nachteil der Beschäftigten – zu ändern waren geschei-
100
4 Fallstudien
des südafrikanischen Reifenherstellers Gentyre, der in Port Elisabeth PKW- und LKW-Reifen für die deutschen und japanischen Fahrzeughersteller in Südafrika produziert und teilweise auch exportiert. 2003 gründete Continental ein joint venture mit Sime Darby Berhad in Malaysia, in das der Partner zwei Reifenwerke einbrachte, die neben dem ASEAN-Raum auch Australien belieferten. 2005 hat Continental angekündigt, dort die Kapazitäten erheblich auszuweiten, um auch den US-amerikanischen Markt zu beliefern. 2006 nahm ein neu errichtetes Werk im brasilianischen Camacari (Bahia) die Fertigung von Pkw- und Nutzfahrzeugreifen auf. Auch dieses Werk soll künftig überwiegend für den nordamerikanischen Markt produzieren.112 2004 wurde die Reifenproduktion im Werk in Mayfield (KY) (830 Beschäftigte) eingestellt.113 Auch im außereuropäischen Raum hat Continental den Anteil der Produktion an Niedrigkostenstandorten in Mexiko, Malaysia und Brasilien an der Gesamtproduktion kurzfristig stark erhöht: bei Pkw-Reifen von 29% im Jahr 2004 auf 55% im Jahr 2006. Bei Lkw-Reifen waren es 2006 nur 15%; die Produktion von Nfz-Reifen für den US-Markt soll künftig in Mt. Vernon, wo 2007 größere Investitionen beschlossen wurden, konzentriert werden. Die nordamerikanische Reifendivision wurde 2002 aufgelöst und in die beiden Unternehmensbereiche Pkw- bzw. Nfz-Reifen integriert, die nun global agierten und von Hannover aus gesteuert wurden. Etwa zur gleichen Zeit wurde die Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei General Tire weitestgehend aufgelöst. Die weltweite Forschung und Entwicklung im Bereich Reifen war nun in Hannover-Stöcken konzentriert.
4.3 Hoechst Pharma (HMR) 4.3.1 Unternehmensgeschichte bis 1945 Das Unternehmen Hoechst geht auf die 1863 in Hoechst bei Frankfurt gegründete Teerfarbstofffabrik Meister, Lucius & Co. zurück. Hergestellt wurden zunächst Farbstoffe, die lange Zeit die wichtigste Produktgruppe blieben. Nach Umfirmierung in eine Aktiengesellschaft im Jahr 1880 begann die Diversifizie-
tert. Große Teile der Produktion sollten nach San Luis Potosi verlagert werden. In diese Auseinandersetzungen hatten sich auch internationale NGOs eingeschaltet (Maaß 2005). 112 Hinzu kommen zahlreiche Kooperationsabkommen – teilweise mit Minderheitsbeteiligung – in Südamerika und Osteuropa. Hierzu gehört die Kooperation mit dem argentinischen Hersteller Fate, mit dem ein Technologietransfer- und Off-take-Abkommen geschlossen wurde, um ab 1999 die südamerikanischen Märkte mit Continental-Reifen zu beliefern. 113 2006 wurde auch die Mischerei (mit noch 150 Beschäftigten) geschlossen.
4.3 Hoechst Pharma (HMR)
101
rung des Unternehmens. So wurden seit 1883 auch erste Arzneimittel hergestellt.114 Die vollsynthetische industrielle Herstellung des fiebersenkenden Schmerzmittels Antipyrin ab 1884 gilt als der Beginn der modernen Arzneimittelproduktion in Deutschland (Bartmann 2003: 41). Später folgte auch die Produktion von Seren. Die pharmazeutische Abteilung von Hoechst war in ein Netzwerk von Vertragsbeziehungen eingebunden:115 Die meisten neuen Substanzen waren von Wissenschaftlern wie Emil Behring oder Paul Ehrlich außerhalb des Unternehmens entdeckt und erforscht worden. Hoechst hatte auch keine eigene pharmakologische Abteilung für die vorklinische Prüfung. In den ersten zwei Jahrzehnten stellte Hoechst Wirkstoffe her, die in Apotheken zu Arzneimitteln weiterverarbeitet wurden. Erst 1904 wurde die erste Tablettenpresse installiert (Bartmann 2003: 73), und in den folgenden Jahren wurden zunehmend gebrauchsfertige Produkte (Tabletten, Salben, Lösungen etc.) verkauft. 1913 machte die Pharmaabteilung von Hoechst 64% ihres Umsatzes im Ausland.116 In einzelnen Ländern waren auch Pharmafabriken entstanden.117 Das 1908 errichtete Werk in Ellesmere Port bei Liverpool produzierte neben Farbstoffen in geringem Umfang auch Arzneimittel. Hintergrund dieser Investition war das englische Patentgesetz, wonach ein Patent verfiel, wenn das Produkt nicht innerhalb eines Jahres in England hergestellt wurde (Schreier/Wex 1990: 92). 1911 wurde auch im französischen Creil ein Pharmabetrieb eingerichtet. Im Ersten Weltkrieg wurden die Auslandsbetriebe dann enteignet. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war es in Deutschland zu weit reichenden Firmenzusammenschlüssen gekommen. 1904 hatten sich Hoechst und Cassella in Frankfurt verbunden. 1907 trat Kalle in Wiesbaden der Gruppe bei. Die Führung der Gruppe, einschließlich der Pharmabetriebe, lag bei Hoechst. Nach dem Zusammenschluss der bedeutendsten deutschen Chemieunternehmen zur IG Farben im Jahr 1925 fanden zahlreiche Betriebszusammenlegungen statt. Unter anderem wurden die Pharmaproduktionen von Kalle (1926) und Cassella (1932) nach Hoechst verlegt. Die Gründe für den Zusammenschluss lagen eher im Rationalisierungspotential und im Einkauf der chemischen Großproduktion. Die Pharmazie war mit gut 5% des Gesamtumsatzes eher ein Anhängsel der Farbenproduktion (Bartmann 2003: 135). Einzelne Sortimentsüberlappungen wurden 114 Ähnlich war auch die Pharmaabteilung bei Bayer entstanden. Die meisten deutschen Pharmaunternehmen hatten sich jedoch aus Apotheken heraus entwickelt. 115 Bartmann (2003: 76) zieht hier eine Parallele zur Organisation der Forschung von heute, insbesondere im Bereich der Bio- und Gentechnologie. 116 Lange Zeit galt Deutschland mit seiner Vielzahl von exportierenden Arzneimittelfabriken als „Apotheke der Welt“. 117 Die erste Auslandsfabrik für Farbstoffe war 1878 in Moskau errichtet worden, 1883 folgte das Werk in Creil bei Paris. Bei Farbstoffen erreichte der Auslandsumsatz sogar 88% des Gesamtumsatzes.
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4 Fallstudien
bereinigt (dies betraf insbesondere Produkte von Cassella und Kalle). Der Vertrieb wurde bei Bayer in Leverkusen zusammengefasst. Ansonsten blieb Hoechst – teilweise zusammen mit den Behringwerken in Marburg – relativ unabhängig. 1938 hatte der Pharmabereich in Hoechst 1444 Beschäftigte. Wieder wurden zwei Drittel der Produktion exportiert.118
4.3.2 Wachstum und die Erschließung ausländischer Märkte in Entwicklungsländern in den 1950er und 60er Jahren Aus der Entflechtung der IG Farben entstand Hoechst zusammen mit Bayer und BASF als einer der drei großen deutschen Chemiekonzerne. Einige der vor 1925 noch selbständigen, kleineren Chemieunternehmen gehörten jetzt zu Hoechst: darunter auch die Behringwerke AG, die Impfstoffe und Diagnostika herstellte und dem Arbeitsgebiet Arzneimittel des Hoechst-Konzerns eingegliedert war. 1952 war das erste Geschäftsjahr der eigenständigen Hoechst AG.119 In der AG waren 14.600 Personen beschäftigt, die Mehrzahl davon im Werk Hoechst, das im Krieg nur schwach beschädigt worden war. Der Konzern hatte 26.200 Beschäftigte.120 1964 übernahm Hoechst die Chemischen Werke Albert AG in Wiesbaden, die im Pharmabereich eigene Forschungs- und Entwicklungs- sowie Produktions- und Fertigungsaktivitäten besaß.121 1970 kam schließlich die Cassella in den Besitz von Hoechst, die u.a. durch eine Mehrheitsbeteiligung an der Riedel-de-Haen AG, Seelze, ebenfalls im Pharmabereich aktiv war. In den 1950er und 60er Jahren verzeichnete Hoechst ebenso wie die gesamte Chemische Industrie, insbesondere getragen durch den Erfolg der verschiedensten Kunststoffe, ein überdurchschnittliches Wachstum. Während das Farbstoffgeschäft an relativer Bedeutung verlor, konnte der Pharmabereich in den 118 Zur Auslandsproduktion nach 1918 gibt es kaum Informationen. Die Literatur über die IG Farben (Bäumler 1963; 1989; Kümmel 1995; Schröter 1986; Schröter 1990) konzentriert ihre Darstellungen des Auslandsgeschäfts auf die anderen Geschäftsfelder und teilweise auf Bayerspezifische Aktivitäten (Aspirin). Die IG Farben beteiligte sich 1926 mit 50% an Winthrop, die auch Pharmazeutika fertigte (Bartmann 2003: 160). Hoechst hatte in den USA lange Zeit einen subcontractor, Metz, der seit 1917/18 einzelne Hoechster Pharmazeutika produzierte (Wilkins 2000: 299). Später beteiligte sich die IG Farben schrittweise an dessen Firma. 119 Zunächst als „Farbwerke Hoechst AG vorm. Meister Lucius & Brüning“; 1974 erfolgte die Umbenennung in „Hoechst Aktiengesellschaft“. 120 Weitere Betriebe der Hoechst AG bestanden 1952 in Griesheim, Offenbach, Knappsack und Gersthofen sowie bei den Tochtergesellschaften Bobingen AG für Textilfaser und Kalle in Wiesbaden (Folien); dazu kam eine 50%ige Beteiligung an Wacker Chemie. 121 Es folgten weitere Übernahmen, darunter 1968 auch die der Marbert GmbH Düsseldorf, die den Kern für das Kosmetikgeschäft bildete und später durch weitere Übernahmen und Beteiligungen ausgeweitet wurde.
4.3 Hoechst Pharma (HMR)
103
folgenden Jahrzehnten seinen Anteil am Gesamtumsatz von Hoechst kontinuierlich ausweiten – von deutlich unter 10% (1950) auf 10% (1960), 12% (1970), 16% (1980) und 18% (1990).
Tabelle 16: Umsatzentwicklung des Pharmabereichs von Hoechst (in Mio. DM) 1952
1960
1970
1980
1990
Umsatz Hoechst
763
2.972
12.199
29.915
44.862
Umsatz Pharma - Inland - Ausland
100 75 25
310 160 150
1.500 n.v. n.v.
4.750 n.v. n.v.
8.100 1.500 6.600
Quellen: Hoechst Geschäftsberichte; Schätzungen auf der Grundlage von Bartmann (2003: 247, 255f)
Für die weitere Darstellung ist es wichtig, innerhalb des Pharmageschäfts fünf Wertschöpfungsstufen zu unterscheiden, die organisatorisch und räumlich relativ unabhängig voneinander durchgeführt werden können. Dies sind:
Forschung: die Entdeckung von neuen Wirkstoffen und die Erforschung ihrer Wirkmechanismen,
Entwicklung: die aufwendige präklinische und klinische Testung sowie die Zulassung,
Wirkstoffproduktion (im Folgenden auch ‚Produktion’): die Herstellung von medizinisch wirksamen Substanzen durch chemische Synthese – ursprünglich die Kernkompetenz von Hoechst; daneben auch durch Fermentation.
Konfektionierung (im Folgenden ‚Fertigung’): verschiedene Fertigungsprozesse unterschiedlicher Arzneiformen wie Tabletten, Kapseln, Salben und Lösungen (Formgebung) sowie deren Primär- und Sekundärverpackung.122
Marketing und Vertrieb (dieser Bereich wird hier nicht untersucht).
122 Die Art der Produktion eines Wirkstoffs wird nicht durch dessen medizinische Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit beeinflusst, ebenso wie es für die Fertigung etwa von Tabletten oder Salben unerheblich ist, wie der Wirkstoff produziert wurde. Der technologische Fortschritt in der Produktion (insbesondere der synthetischen Produktion) und der Fertigung ist vollkommen unabhängig vom medizinischen Fortschritt.
104
4 Fallstudien
Nachdem bereits 1952, im ersten Jahr der neuen Hoechst AG und im ersten Jahr, in dem der deutschen Industrie wieder Auslandsinvestitionen erlaubt waren, Beteiligungen an Vertriebsgesellschaften in Österreich und Brasilien erworben worden waren, begann die Internationalisierung der Pharmaproduktion von Hoechst Mitte der 1950er Jahre. 1955 beteiligte sich Hoechst an der spanischen Laboratorios Activion S.A., die bereits seit 1953 Hoechster Arzneimittel für den spanischen Markt konfektioniert hatte. In den darauf folgenden Jahren wurden in mehreren Entwicklungsländern Fertigungen aufgebaut: Die ersten Fabriken entstanden in Chile, Brasilien123 und Indien; es folgten Mexiko, Kolumbien und Argentinien sowie Ost-Pakistan (heute Bangladesh), die Philippinen und Südkorea. Anfang der 1960er Jahre kamen die USA (s.u. S.106), Venezuela, Peru und Ägypten hinzu. Ende 1962 unterhielt Hoechst bereits Pharmafertigungen in 14 Ländern. Im Laufe der 1960er Jahre folgten Fertigungsstätten in 12 weiteren Ländern, darunter Südafrika, Thailand, Südvietnam, Taiwan,124 Indonesien, Türkei, Iran und Guatemala. Anfang der 1970er Jahre kamen Portugal, Griechenland, Afghanistan und (West-) Pakistan dazu. Mitte der 1970er folgte schließlich Marokko.125 Lange Zeit verfügte der Pharmabereich im Hoechst-Konzern über die größte Anzahl von ausländischen Fabriken. An den gleichen Standorten wurden aber häufig auch andere Produkte des Hoechst-Konzerns hergestellt, häufig etwa die Kunststoff-Dispersion „Mowilith“. Grundsätzlich verfolgte Hoechst die Strategie, sämtliche Fertigungen in einem Land möglichst bei einer Landesgesellschaft und an einem Standort zu konzentrieren. Bei der Pharmafertigung handelte es sich in den meisten Fällen um relativ kleine Betriebe mit zumeist weit unter 100 Beschäftigten, in denen lediglich die Formgebung und Verpackung stattfand; in einigen wurde sogar nur verpackt. Die Wirkstoffe wurden aus Deutschland geliefert. Hintergrund für den Aufbau von Fertigungsstätten im Ausland – zunächst insbesondere in Entwicklungsländern – waren stets Marktzugangsbeschränkungen durch Zölle und Zulassungsbeschränkungen der jeweiligen Regierungen. In einigen Fällen wurde auch eine Wirkstoffproduktion aufgebaut (etwa in Brasilien oder Indien), oder zumindest die letzte Reaktionsstufe im Land durchgeführt, um bei der Einfuhr der Vorprodukte nicht den höheren Zollsatz auf Pharmazeutika, sondern den niedrigeren auf Chemikalien zahlen zu müssen.
123 In Suzano bei São Paulo. 124 Die German Remedies Taiwan Ltd. war ein joint venture mit Schering unter Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit (DEG). 125 Darüber hinaus wurden in mehreren Ländern Fertigungen durch Fremdfirmen im Lohnauftrag durchgeführt.
4.3 Hoechst Pharma (HMR)
105
In einigen Entwicklungsländern wurden auch kleine und stark spezialisierte Forschungslaboratorien aufgebaut. In Ägypten entstand bereits in den frühen 1960er Jahren ein Forschungslaboratorium, das auf besonders in Afrika verbreitete Krankheiten (Bilharziose) ausgerichtet war. Auch in Brasilien wurde eine dort häufige Krankheit (Chargas) erforscht. In Indien wurde Forschung zu Wirkstoffen aus einheimischen Pflanzen betrieben. 1967/69 nahm in Hoechst die größte Pharmafertigung Europas mit ca. 1.000 Beschäftigten den Betrieb auf. Gefertigt und verpackt wurden hier alle Darreichungsformen.126 Ende der 1960er Jahre entfielen vom Welt-Pharmaumsatz je etwa ein Drittel auf den Inlandsmarkt, auf den Vollexport fertiger Arzneimittel aus Deutschland und auf die (End-) Fertigung im Ausland (Hoechst GB 1970).
4.3.3 Der langsame Ausbau in Industrieländern und die Übernahme von Roussel Uclaf (1970er und 1980er Jahre) In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zeichnete sich bei der Internationalisierungsstrategie des Hoechst-Konzerns eine Wende ab. Anlagen der Großchemie wurden zunehmend auch im Ausland errichtet und waren nicht mehr nur auf lokale Märkte ausgerichtet, sondern – insbesondere in Europa – in einen internationalen Verbund integriert.127 Hiermit in Zusammenhang steht auch ein Umbau der Managementstruktur im Jahr 1969. Der Konzern wurde in zwölf produktbezogene Geschäftsbereiche gegliedert, die „ein großes Maß an Selbständigkeit“ erhielten (Hoechst GB 1969: 15).128 Es wurden aber auch zehn produktübergreifende, koordinierende Ressorts geschaffen, darunter das Ressort Auslandsproduktionen, das für die Koordinierung der gesamten Auslandsproduktion und besonders für die Planung der außereuropäischen Produktionsvorhaben zuständig war. Zusätzlich zu dieser Matrixstruktur aus produktbezogenen Geschäftsberei126 Dies waren 150 verschiedene Wirkstoffe in mehr als 500 verschiedenen Arzneimitteln. Durch unterschiedliche Packungsgrößen und Beschriftungen in verschiedenen Sprachen ergaben sich über 10.000 Verpackungsmodifikationen. Der Werkslogistik kam also eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Die Fertigung war hochgradig automatisiert, während in den Auslandsbetrieben in Entwicklungsländern zu dieser Zeit zumeist noch händisch verpackt wurde. 127 „... haben wir systematisch Produktionsanlagen im Ausland errichtet. Diese zunächst kleineren Anlagen dienten im Wesentlichen der Sicherung unseres Marktanteils. Nunmehr begann eine Phase, in der auf Spezialgebieten Produktionen mit großen Kapazitäten errichtet werden. Damit entstehen einerseits stärkere Basen für die Belieferung ausländischer Märkte, andererseits schaffen wir uns aufgrund vorteilhafter Standortbedingungen mit verschiedenen Anlagen im Ausland kostengünstige Versorgungsmöglichkeiten für den inländischen Bedarf." (Hoechst GB'68: 28) 128 Die Tochtergesellschaften Messer-Griesheim oder Herberts mit ihren Auslandsgesellschaften verfügten bereits seit langem über eine hohe Eigenständigkeit.
106
4 Fallstudien
chen und funktionsbezogenen Ressorts bildeten schließlich die Landesgesellschaften ein drittes, geographisches Ordnungsprinzip. Im Gegensatz zu vielen anderen Geschäftsbereichen des Hoechst-Konzerns war das Engagement des Bereichs Pharma129 in den Industrieländern im Vergleich zum Engagement in den Entwicklungsländern130 zunächst äußerst bescheiden geblieben. In Industrieländern besaß der Pharmabereich von Hoechst – mit Ausnahme der USA –zunächst nur einige Vertriebsgesellschaften, so etwa bereits seit den 1950er Jahren in Österreich, Kanada und Großbritannien. Insbesondere als Reaktion auf den so genannten Contergan-Skandal Anfang der 1960er Jahre weiteten die Industrieländer die Arzneimittelkontrollen erheblich aus und etablierten ihre eigenen, immer aufwendigeren Zulassungsverfahren (Baumheier 1994; Feick 2005; Vogel 1998). Obwohl sich viele Länder dabei an der bereits in den 1930er Jahren eingerichteten US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) orientierten, waren die Zulassungsverfahren und bestimmungen in den verschiedenen Ländern höchst unterschiedlich. Neben der eigentlichen Zulassung eines Medikaments musste jeweils mit verschiedenen Behörden über die Kostenübernahme durch das Gesundheitssystem (in vielen Ländern einschließlich der Aushandlung eines Preises) und die Genehmigung/Zertifizierung von Produktion und Fertigung (good manufacturing practice, GMP) verhandelt werden.131 Diese nationalen Rahmenbedingungen erhielten neben dem Patientenschutz und gesundheitspolitischen Aspekten auch einen protektionistisch-industriepolitischen Aspekt und damit einen Anreiz für ausländische Unternehmen, Wertschöpfungsaktivitäten in verschiedenen Ländern aufzubauen. Lange Zeit waren bei Hoechst Pharma die USA die einzige ausländische Produktions- und Fertigungsstätte in einem Industrieland. Hier hatte Hoechst 1960 das Pharmaunternehmen Lloyd Brothers Inc. in Cincinnati, Ohio, übernommen.132 In den folgenden Jahren errichtete Hoechst am Hauptstandort seiner Landesgesellschaft American Hoechst Corporation in Somerville, New Jersey, eigene Fertigungskapazitäten. Ende der 1960er Jahre wurden die Pharmaaktivitäten – einschließlich der Entwicklung – in den USA konsolidiert und in Somervil129 Der Pharmabereich wurde später mit dem deutlich kleineren Kosmetikbereich (u.a. Marbert) im Geschäftsbereich Gesundheit zusammengefasst. 130 Einschließlich Spanien und Portugal. 131 Dies drückte sich in einer relativ niedrigen Verflechtung durch internationalen Handel aus: Der Anteil der international gehandelten Arzneimittel an der Weltproduktion lag Ende der 1980er Jahre bei 10%, bei Zwischenprodukten waren es 25% (Casadio 1993: 148). 132 Das Unternehmen geht auf eine 1845 von William S. Merrell gegründete Apotheke zurück, der seinen Anteil 1862 verkaufte. Unter der Leitung von John U. Lloyd und seinen Brüdern entstand seit den 1880er Jahren ein Pharmaunternehmen. Zur Entwicklung von Marion-MerrellDow, das ebenfalls wesentlich auf William S. Merrell zurückgeht, vgl. unten.
4.3 Hoechst Pharma (HMR)
107
le konzentriert. Der Standort Cincinnati wurde geschlossen. 1970 errichtete Hoechst ein neues Zentrum im nahe gelegenen Bridgewater, New Jersey. Es umfasste u.a. auch Laboratorien und eine Pharma-Fertigung. In den folgenden Jahren wurde dieses Zentrum weiter ausgebaut. Seit Ende der 1960er Jahre kam es auch in anderen außereuropäischen Industrieländern zum Aufbau oder zum Erwerb von kleineren Pharmafertigungen. So entsteht 1967 eine kleine Fertigung in Kanada, und 1969 wird bei der Nippon Hoechst Co. Ltd. – einem 50-50 joint venture mit Mitsui Petrochemical – eine neue Arzneimittelfabrikation fertig gestellt. 1974 übernimmt Hoechst die Fertigungsanlagen eines australischen Unternehmens, das bisher HoechstPharmazeutika in Lohnfertigung hergestellt hatte. In europäischen Ländern wurden seit Beginn der 1970er Jahre kleinere Fertigungskapazitäten errichtet oder übernommen. 1970 übernahm Hoechst den Fertigungsbetrieb von Laboratoire Houdé L’Aigle, in der Normandie, der zur Fertigung von Hoechst-Produkten für den französischen Markt umgebaut wurde.133 In Italien wurde 1972 aus der Konkursmasse des Antibiotikaherstellers Medifarm in Scoppito (L’Aquila) eine Arzneimittelfertigung übernommen, die 1978 erheblich erweitert wurde (Hoechst Italia Sud).134 Kurz darauf wurde hier auch eine kleine Forschungseinheit (Peptidhormone; Kooperation mit der Universität L’Aquila) angesiedelt. 1974 eröffnete Hoechst eine kleine Pharmafertigung in Österreich zur Belieferung des österreichischen Marktes. Im Vereinigten Königreich nahm die Hoechst Pharmaceuticals Research Ltd. 1974 in Milton Keynes ein neues Forschungslaboratorium in Betrieb; Hauptarbeitsgebiete waren die Nuklearmedizin und Arzneimittel für Stoffwechselerkrankungen.135
133 Diese Investition erfolgte über die Laboratoires-Hoechst S.A., an der – formal – auch Roussel Uclaf (s.u.) mit 50% beteiligt war. 134 In den 1970er Jahren wurden Investitionen im italienischen Mezzogiorno staatlich besonders gefördert. 135 Ergänzt wurde dieses Engagement im UK 1975 durch eine 50%-Beteiligung an der Optrex Ltd. in Rervale (Middlesex), die Augentropfen und Medikamente gegen Erkältungen herstellte.
108
4 Fallstudien
Tabelle 17: Beschäftigte im In- und Ausland des Pharmabereichs von Hoechst 1964 und 1973 (ohne Roussel Uclaf) Inland 1964
Ausland 1964
Gesamt 1964
Inland 1973
Ausland 1973
Gesamt 1973
Gesamt
4.927
3.700
8.627
8.017
12.001
20.118a
- Produktion und Fertigung
3.026
1.200
4.226
4.049
4.602
8.651
839
n.v.
n.v.
1.788
581
2.369
- Forschung und Entwicklung*
Anmerkungen: * einschließlich Medizinische Abteilung; a geringfügige Unstimmigkeit aus Quelle übernommen Quellen: Bartmann (2003: 281)
Der bei weitem bedeutsamste Schritt zur Internationalisierung war die 40%ige Beteiligung an Frankreichs zweitgrößtem Pharmaproduzenten Roussel Uclaf S.A. im Jahr 1968. 1974 wurde diese Beteiligung zu einer Mehrheit aufgestockt.136 Das Familienunternehmen Roussel geht auf das 1920 von Gaston Roussel und zwei weiteren Veterinärmedizinern gegründete Institut de sérothérapie hémopoïétique (ISH) zurück, das im gleichen Jahr in Romainville bei Paris die Produktion aufnahm. Auch die Usines Chimiques des Laboratoires Français (Uclaf) eröffneten ihre erste Fabrik 1930 in Romainville. 1954 übernahm Uclaf die 1946 ebenfalls in Romainville gegründeten Société Française de Penicilline (Sofrapen). Die Fusion zur Roussel Uclaf erfolgte 1961. Roussel Uclaf war schwerpunktmäßig auf dem Gebiet der Naturstoff-Synthese (Alkaloide und Steroidhormone) tätig, ein Bereich, in dem Hoechst über keine eigenen Aktivitäten verfügte. Roussel Uclaf erzielte seinerzeit (1968) mit 14.000 Mitarbeitern einen Gesamtumsatz von 911 Mio. FF. Rund 550 Mio. FF Umsatz wurden mit Pharmazeutika erzielt;137 davon entfielen 42% auf den französischen Markt, 7% auf den direkten Export und 51% auf die (End-) Fertigung im Ausland. Darüber hinaus verkaufte Roussel Uclaf pharmazeutische Wirkstoffe für 150 Mio. FF, davon über 80% im Ausland. Alle Wirkstoffe, auch für die gesamte Auslandsfertigung, 136 Haupteigentümer Jean-Claude Roussel war 1972 bei einem Unfall ums Leben gekommen. Der französische Staat erwarb 1982 einen 40%igen Anteil an Roussel Uclaf, den er 1990 wieder an Rhône-Poulenc verkaufte, die sich wiederum 1993 von ihrem Anteil trennte. 137 Der Pharmaumsatz von Hoechst lag im gleichen Jahr bei über 1 Mrd. DM. Neben Pharma war die Agrochemie das zweite wichtige Tätigkeitsfeld von Roussel Uclaf. 1979/80 diversifizierte Roussel Uclaf durch zwei große Übernahmen in Frankreich und den USA in das Geschäft mit Sonnenbrillen.
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wurden in drei französischen Werken produziert: in Romainville (insbesondere Fermentation), Neuville-sur-Saône und Vertolaye (beide chemische Synthese). Fertigungsbetriebe in Frankreich bestanden in Romainville sowie in Compiègne. Der wichtigste Auslandsmarkt war Großbritannien mit einer Fertigung in Swindon, wo 1968 auch ein Entwicklungslabor die Arbeit aufnahm. Weitere wichtige Märkte mit eigener Fertigung waren Italien und Belgien, Brasilien, Mexiko und andere lateinamerikanische Länder sowie Japan. 1970 fusionierte Roussel Uclaf mit dem französischen Hersteller von Antibiotika SIFA mit einem Werk in Compiègne. Auch nachdem Hoechst 1974 seine Beteiligung an Roussel Uclaf auf eine Mehrheit von 54,4% aufgestockt hatte, operierten beide Unternehmen weitestgehend unabhängig voneinander. Nur in wenigen Ländern kam es zu einer Fusion der Landesgesellschaften, so etwa in den USA (1974), wo die (geringfügigen) Aktivitäten von Roussel Uclaf an den Hoechst-Standort in Bridgewater – jetzt Hoechst-Roussel Pharmaceuticals Center – verlagert wurden. Auch die weitere Internationalisierung wurde von Hoechst und Roussel Uclaf getrennt vorangetrieben. Hoechst baute 1982 in der indischen Wirtschaftssonderzone Kandla (Gujarat) eine Wirkstoffproduktion auf, die vorrangig die UdSSR belieferte.138 Dieses Werk wurde 1993 wieder verkauft. 1987 begann in Ankleshwar (Gujarat) die Wirkstoffproduktion. Ende der 1980er entstand eine neue Fertigungsanlage in Nepal. In Italien übernahm Hoechst 1988 eine Beteiligung am Pharmahersteller Milanfarma SpA. 1992 übernahm Hoechst in der Slowakei die Mehrheit an dem neu gegründeten Pharmahersteller Hoechst Biotika GmbH, Martin. 1993 beteiligte sich Hoechst mit 60% an der Noristan Holdings Ltd., Pretoria, Südafrikas größtem Hersteller von Pharmazeutika (Generika) und Kosmetika mit 750 Beschäftigten und 100 Mio. DM Umsatz. Der eigene Pharmavertrieb wurde in dieses Unternehmen integriert, nachdem die eigene Fertigung 1989 geschlossen und an einen Lohnfertiger übergeben worden war.139 Bei Roussel Uclaf wurden die Fertigungsbetriebe in Brasilien (Quimio in Rio de Janeiro; 1982), in Indien (Thane) und Italien (Agrate) um Anlagen zur Wirkstoffproduktion erweitert. 1985 begann der Bau einer Pharmafertigung in Shirakawa, Japan. 1988 erwarb Roussel Uclaf eine Mehrheitsbeteiligung an der Laboratorios Hosbon S.A., Barcelona. 1990 wurde eine Arzneimittelfertigung in Tunesien errichtet, an der sich Roussel Uclaf mit 40% beteiligte. Ende der 1980er Jahre wurde die bis dahin funktional ausgerichtete Organisation des Pharmabereichs bei Hoechst restrukturiert. Es wurden fünf auf ver138 Hintergrund waren besondere Handelsabkommen zwischen der UdSSR und Indien. 139 Auf die Darstellung des Ausbaus des Generikageschäfts durch vielfältige weitere Übernahmen etwa in den USA, Großbritannien oder Italien seit Mitte der 1990er Jahre wird hier verzichtet, da diese Gesellschaften bereits in den 1990er Jahren wieder veräußert wurden.
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schiedene Indikationsgebiete ausgerichtete Produktgruppeneinheiten (PGEs) gebildet. Diese hatten als „Unternehmen im Unternehmen“ eigene Budgetverantwortung; Forschung, klinische Entwicklung, Marketing und Controlling waren ihnen direkt unterstellt; auch die Produktion und Fertigung war ihnen zugeordnet. Lediglich die präklinische Entwicklung wurde weiterhin zentral geführt.140 Etwa zur gleichen Zeit trennte sich Roussel Uclaf von seinen umfangreichen nicht-pharmazeutischen Aktivitäten.141 Parallel hierzu begann eine Restrukturierung der Pharmafertigung, die seit 1988 zunehmend im französischen Compiègne konzentriert wurde. 1991 legte Roussel Uclaf vier Fertigungsstätten in Frankreich, Belgien, Italien und Spanien still. 1993 wurde eine weitere Fertigung in Mailand geschlossen. 1992 legten Roussel Uclaf und Hoechst ihr kanadisches Pharmageschäft in der Hoechst Roussel Canada Inc. zusammen. Die Zusammenlegungen in Kanada und den USA (s.o.) blieben jedoch Ausnahmen. Bis in die 1990er Jahre hinein operierten Hoechst und Roussel weitestgehend unabhängig voneinander.142
4.3.4 Die Übernahme von Marion-Merrell-Dow 1995 und die Integration von Hoechst-Marion-Roussel Die Entwicklung im Pharma-Bereich von Hoechst seit Mitte der 1990er Jahre steht in engem Zusammenhang mit einem Umbau des gesamten Konzerns, der vom neuen Vorstandsvorsitzenden Dormann seit 1994 eingeleitet wurde. Kern des neuen, sich rasch herausschälenden Unternehmenskonzepts war die Konzentration auf einige Unternehmensbereiche, die mit dem Etikett life-science versehen wurden. Dies war neben dem Pharmabereich der Pflanzenschutz, der in einem joint venture mit Schering (Agrevo) angesiedelt war. In diesen Bereichen wurden die größten Wachstumschancen gesehen. Hier sollten die Aktivitäten mit denen von Roussel Uclaf zusammengeführt und durch weitere Zukäufe gestärkt 140 Das neue Organisationskonzept war von der Boston Consulting Group entwickelt worden, und nahm die kurz darauf von McKinsey entwickelte Organisationsreform im Gesamtkonzern, mit der über hundert Business Units geschaffen wurden, vorweg (managermagazin 6/93, S.38). 141 Die Parfums Rochas S.A. (über 500 Beschäftigte) wurde 1987 verkauft. Die Sonnenbrillenhersteller Foster Grand (rund 1000 Beschäftigte) in den USA und SAMP-Solar S.A. (270 Beschäftigte) in Frankreich wurden 1987 bzw. 1988 abgestoßen. Die Laboratoires SophargaNutrition S.A. wurde 1992 verkauft. 142 Auch bei der Entwicklung der bio- und gentechnologischen Kompetenzen gingen Hoechst und Roussel Uclaf getrennte Wege: Hoechst schloss 1981 mit dem der Harvard University angeschlossenen Massachusetts General Hospital in Boston einen Kooperationsvertrag, der 1987/88 erweitert wurde. Roussel Uclaf dagegen gründete 1984 zusammen mit der staatlichen französischen Forschungseinrichtung CNRS ein gemeinsames Forschungsinstitut.
4.3 Hoechst Pharma (HMR)
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werden. Bereits 1995 wurde das US-amerikanische Pharmaunternehmen MarionMerrell-Dow für 7,1 Mrd. US$ von Dow Chemical übernommen – die bis dahin teuerste Übernahme durch ein deutsches Unternehmen im Ausland. Die übrigen Geschäfts- und Produktbereiche wurden zunächst unternehmensrechtlich verselbständigt und eigenständigen Führungsgesellschaften zugeordnet, um dann in den folgenden Jahren verkauft zu werden. Die Hoechst AG wurde dabei schrittweise zu einer reinen Holdinggesellschaft ohne eigenes operatives Geschäft. Dies führte auch dazu, dass der Traditionsstandort Hoechst in eine Vielzahl von selbständigen Unternehmen aufgesplittert wurde (vgl. Becker et al. 1999; Menz et al. 1999). Die größten Verkäufe waren die des Anlagenbaus (Uhde) an Krupp-Hoesch 1995, des europäischen und des internationalen Polyestergeschäfts (Trevira) 1998 an indonesische bzw. US-amerikanische Investoren sowie des Lackgeschäfts (Herberts) 1999 an DuPont. Der Bereich Spezialchemikalien wurde in die schweizerische Clariant eingebracht. Das Carbonfasergeschäft (SGL) wurde 1995 an der Börse platziert. Das Chemiegeschäft (jetzt unter dem Namen Celanese) wurde in eine eigenständige AG umgewandelt. Aber auch der zur life science gehörende Bereich der Veterinärmedizin – erst kurz zuvor zusammengefasst als Hoechst Roussel Vet – wurde 1999 an AkzoNobel verkauft. Pharmanahe Bereiche wurden ebenfalls ausgegliedert: Das Impfstoffgeschäft (Behring) wurde 1998 an die Chiron Corp. verkauft. Das Blutplasmageschäft wurde in ein joint venture (Centeon) mit Rhône Poulenc und das Diagnostikageschäft in ein joint venture mit der Dade Corp. eingebracht. Auch innerhalb des Pharmageschäfts wurden die Generikaaktivitäten, die zumeist erst in den letzten Jahren zusammengekauft worden waren, wieder abgestoßen. Damit konzentrierte sich Hoechst im Pharmabereich auf innovative Therapeutika.143 Die Hintergründe und Ursachen dieses wohl radikalsten Umbaus, der jemals in einem deutschen Unternehmen dieser Größenordnung durchgeführt wurde, werden in der Literatur unterschiedlich diskutiert. Zum einen befand sich Hoechst in einer Krise, die 1993 in einem Gewinneinbruch des Gesamtunternehmens und in operativen Verlusten in zentralen Unternehmensteilen, wie etwa dem europäischen Chemiegeschäft, resultierte, und die vermutlich nicht nur konjunkturell bedingt war: Verschiedene Indikatoren zeigen, dass Hoechst weit schlechter dastand als Bayer (Gatermann et al. 1993). Die Konzentration auf das – potenziell – überdurchschnittlich profitable life science Geschäft wurde vielfach als Ausdruck einer neuen Orientierung am share-holder value interpretiert. In der Tatsache, dass der neue Vorstandsvorsitzende Dormann – seit 1994 – als erster Vorsitzender eines Großunternehmens der deutschen Chemieindustrie kein Chemiker war, sondern seine Karriere bei Hoechst im Finanzwesen gemacht 143 Parallel hierzu verkaufte Roussel Uclaf sein Geschäft mit medizinischen Hautpflegemitteln (Lutsia) 1996 an Boots.
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4 Fallstudien
hatte, wurde ein Zeichen der Finanzialisierung und der Abkehr vom deutschen produktions- und technologiegetriebenen Unternehmenstyp gesehen (Kädtler 1999; Menz et al. 1999). Andere betonen eher die Führungsrolle und den Managementstil des neuen Vorstandsvorsitzenden Dormann und einer kleinen Gruppe von Managern um ihn herum (Berthoin Antal et al. 2003). Sicherlich haben aber auch Entwicklungen in der weltweiten Pharmabranche einen Anstoß zu den Veränderungen gegeben. Noch zu Beginn der 1980er Jahre war Hoechst das größte Pharmaunternehmen der Welt. Zehn Jahre später war Hoechst auf den fünften Platz in der Weltrangliste der größten Pharmaunternehmen abgestiegen – noch hinter dem deutschen Konkurrenten Bayer. Insbesondere auf dem größten Markt, im „Hochpreisland“ USA (Bartmann 2003: 293) war Hoechst kaum vertreten. Hinzu kam, dass 1989 mit den so genannten megamergers von SmithKline und Beecham sowie von Bristol-Myers und Squibb eine internationale Fusionswelle eingeleitet worden war, die drohte, Hoechst in der Weltrangliste noch weiter absteigen zu lassen. Diese Entwicklungen sind vor dem Hintergrund einer Veränderung der internationalen Rahmenbedingungen der Pharmaindustrie zu sehen. Seit Anfang der 1990er Jahre kam es zu einer Intensivierung der Bemühungen, die Zulassungsbedingungen für Pharmazeutika auf europäischer wie auch auf internationaler Ebene zu harmonisieren (Vogel 1998). Diese führten 1995 in der EU zur Einrichtung der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA) in London und einem zentralen Zulassungsverfahren.144 Daneben gibt es seit 1998 ein verbindliches Verfahren, das eine gegenseitige Anerkennung von Zulassungen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten beinhaltet (BPI 1997/98: 44; vgl. auch Feick 2000 und 2005). Auf internationaler Ebene gründeten die EU, Japan und die USA 1990 die International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH) (Cortez 2002). Bereits 1991 kam es hier zu einer Vereinbarung über Produktions- und Fertigungsstandards (good manufacturing practice, GMP), über Wirksamkeitstests sowie über die bei einer Zulassung vorzulegende Dokumentation. „The agreement represents a big step towards a global harmonization of drug regulations“ (Casadio 1993: 130). Wie bereits erwähnt, übernahm Hoechst 1995 von Dow Chemical das Pharmaunternehmen Marion Merrell Dow (MMD) mit Hauptsitz in Kansas City, Missouri. MMD hatte Ende 1994 9.400 Beschäftigte, davon der weitaus größte Teil in den USA. In Europa lag der Schwerpunkt der Aktivitäten in Italien. Der Umsatz lag bei 3 Mrd. US$; etwa zwei Drittel dieses Umsatzes wurden in den USA gemacht, 0,5 Mrd. US$ in Europa (1994). Parallel dazu übernahm Roussel 144 Hoechst nutzt dieses Verfahren seitdem bei allen Neuzulassungen in Europa.
4.3 Hoechst Pharma (HMR)
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Uclaf die lateinamerikanischen Aktivitäten von MMD, insbesondere in Mexiko (Laboratorios Lepetit de Mexico) und Brasilien (Merrell Lepetit Pharmaceutica) sowie Anlagen in Argentinien, die direkt von Dow gehalten worden waren. Marion Merrell Dow war selbst durch eine lange Geschichte von Übernahmen und Fusionen traditionsreicher Pharmaunternehmen entstanden. Lange Zeit stellte Dow, Midland, Michigan, nur Feinchemikalien für die pharmazeutische Industrie her. Der Einstieg in das Geschäft mit pharmazeutischen Endprodukten begann 1960 mit der Übernahme der Allied Laboratories Ltd. Im Jahr 1964 übernahm Dow eine Mehrheitsbeteiligung am zweitgrößten italienischen Pharmaunternehmen Lepetit, die schrittweise ausgebaut wurde. Lepetit war 1868 in Mailand als Farbstofffabrik gegründet worden und hatte 1903 in Garessio (Piemont) mit der Produktion von Pharmazeutika begonnen. 1929 war die Lepetit S.A. als reines Pharmaunternehmen entstanden. Als Dow Lepetit 1980 vollständig übernahm, hatte das Unternehmen gut 3.000 Beschäftigte.145 In Italien bestanden Produktionsstätten für Wirkstoffe in Brindisi (1966 gebaut und 1970 von Lepetit übernommen; Fermentation), in Garessio (Synthese) sowie in Rovereto, wo 1980 das Unternehmen Archifar mit einer Antibiotikafermentation übernommen worden war. Fertigungsstätten bestanden in Anagni (Latium) und Cinisello bei Mailand sowie an mehreren Standorten im Ausland. Etwa die Hälfte des Umsatzes erzielte Lepetit im Ausland – überwiegend in Europa, Afrika und dem Mittleren Osten sowie in Asien. In den 1960er Jahren besaß die Pharmasparte von Dow (Life Science Department) eine hohe Eigenständigkeit innerhalb des Dow Konzerns; sie war nicht in die Matrixstruktur des Gesamtkonzerns eingebunden, d.h. die Pharmagesellschaften operierten auch im Ausland unabhängig von den Dow-Landesgesellschaften, was insbesondere mit den unterschiedlichen Vertriebskanälen begründet wurde (Stopford/Wells 1972: 89). 1980 fusionierte Dow seine Pharmaaktivitäten mit dem Pharmaunternehmen Richardson Merrell, das auf eine 1828 von William S. Merrell in Cincinnati (OH) gegründete Apotheke zurückgeht, aus der The Wm. S. Merrell Company hervorging.146 In den 1970er Jahren hatte Merrell das Merrell-InternationalResearch-Center in Straßburg gegründet. 1983 verlagerte Merrell Dow einen Teil der Forschung (Herz-Kreislauf und zentrales Nervensystem) von Lepetit in Mailand nach Cincinnati. Gentechnologie und Fermentationsforschung verblieben bei Lepetit und wurden 1987 von Mailand nach Gerenzano (Lombardei) verlagert.
145 1968, als die Konsolidierung mit Dow begann, waren es noch ca. 7.000. 146 Auch die 1960 von Hoechst übernommene Lloyd Brothers ging auf eine von William S. Merrell gegründete Apotheke zurück.
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1989 übernahm Dow das Pharmaunternehmen Marion Laboratories und fusionierte Marion mit Merrell Dow zu Marion Merrell Dow. Die Marion Laboratories waren 1950 in Kansas City als eine Vertriebsgesellschaft gegründet worden. In den 1970er Jahren führte das Unternehmen neben der Vermarktung auch die Zulassung im Ausland entwickelter Medikamente in den USA durch. 1992 übernahm MMD das Berliner Pharmaunternehmen Henning. 1993/94 folgte eine schrittweise Mehrheitsbeteiligung am japanischen Pharmahersteller Kodama, Tokio. Unmittelbar nachdem Hoechst MMD übernommen hatte, wurde die Integration der drei Pharmasparten von Hoechst, MMD und Roussel Uclaf vorangetrieben. Rechtlicher Ausdruck war die Schaffung der Hoechst Marion Roussel AG als Führungsgesellschaft für den gesamten Pharmabereich der Hoechst AG mit Sitz in Frankfurt – nicht in Höchst, sondern in einem eigenen Gebäude im Stadtzentrum.147 Rechtlich waren dieser Management-Holding Landesgesellschaften unterstellt, in Deutschland z.B. die Hoechst Marion Roussel GmbH. Mit der Aufstockung der Beteiligung an Roussel auf 100% für 5,4 Mrd. DM wurden 1997 die formalen Voraussetzungen für die volle Integration geschaffen. Bereits 1995 wurden die Produktgruppeneinheiten bei Hoechst (siehe oben S.110) aufgelöst. Nach einer kurzen Übergangszeit mit einer Matrixorganisation wurde eine funktional ausgerichtete Unternehmensorganisation etabliert. Am Standort Bridgewater entstand 1996 das Global Development Center, das zunächst die weltweite Entwicklung – und bald darauf auch die Forschung – koordinieren sollte. Auch die (Wirkstoff-) Produktion und die (End-) Fertigung wurden in jeweils eigenen Organisationseinheiten zusammengefasst, die beide zentral von Frankfurt aus geleitet wurden. Hier wurden auch die wegen der Registrierung von Produktions- und Fertigungsanlagen bei den verschiedenen Zulassungsbehörden hoch komplexen Pläne für die Verlagerungen entwickelt.148 Der Vertrieb wurde in vier regionale Organisationen mit Sitz in Frankfurt, Kansas City, Tokio und Sao Paulo gegliedert. In den vier Bereichen Forschung, Entwicklung, Produktion und Fertigung kam es in den Jahren 1995 bis 1999 zu massiven Standortveränderungen. In der Forschung wurden die Zentren in Gerenzano, Italien (MMD/Lepetit), in Straßburg, Frankreich (MMD/Merrell), in Swindon, UK (Roussel Uclaf) und in Kawagoe, Japan (Hoechst) geschlossen. Auch vier kleinere Zentren in Indien (zwei), Brasilien und Mexiko wurden geschlossen oder verkauft. Die gesamte 147 Das Topmanagement von HMR wurde ausgesprochen international zusammengesetzt. Die beiden wichtigsten Positionen – Vorstandsvorsitz und Forschungschef – wurden mit USAmerikanern von MMD besetzt. 148 Vor Ort wurden die Verlagerungsprozesse durch von der Zentrale entsandte Teams unterstützt.
4.3 Hoechst Pharma (HMR)
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Forschung wurde in drei strategischen Forschungseinheiten konzentriert. Diese waren bereits zuvor jeweils auf bestimmte Indikationsgebiete spezialisiert und arbeiteten auch weiterhin weitgehend unabhängig voneinander:
Frankfurt-Hoechst: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselstörungen, Rheumatologie/Immunologie (325 Wissenschaftler, April 1998)
Romainville: Infektionskrankheiten, Knochenerkrankungen (210 Wissenschaftler, April 1998)
Bridgewater (NJ): Zentrales Nervensystem, Onkologie, Atemwegserkrankungen (160 Wissenschaftler, April 1998). Das Forschungszentrum von MMD in Cincinnati wurde geschlossen; die Aktivitäten wurden an den Hoechst-Standort Bridgewater verlagert. Ein Grund hierfür war, dass Cincinnati, anders als Bridgewater, zu weit von den Pharmaclustern an der USOstküste entfernt war.
Das Labor der Tochtergesellschaft Selectide in Tucson, spezialisiert auf recombinant chemistry, blieb bestehen. Schließlich hat HMR 1997 zwei neue, auf die Genomanalyse spezialisierte Zentren in München-Martinsried und Cambridge (MA) aufgebaut, die die traditionellen Forschungszentren unterstützten. Für die Entwicklung hatten sowohl Hoechst wie auch Roussel Uclaf und MMD in vielen Ländern ihre eigenen Einheiten. Bei Hoechst etwa wurden neue Medikamente meistens zunächst in Deutschland registriert. Um anschließend die Zulassung in anderen Ländern zu erreichen, wurden die erforderlichen zusätzlichen Tests gewöhnlich erst in einem zweiten Schritt in den jeweiligen Ländern durchgeführt. Insbesondere für die Entwicklung war die alte Organisation von Hoechst in Produktgruppeneinheiten, die für einzelne Produkte sämtliche Arbeitsschritte von der Forschung über die Entwicklung bis zum Vertrieb und zur Produktnachbetreuung durchführten, ineffizient, da aufgrund der unregelmäßigen Entdeckung von Erfolg versprechenden Substanzen in der Forschung eine kontinuierliche Auslastung der jeweiligen Entwicklungskapazitäten nicht gesichert werden konnte. Im Oktober 1997 begann HMR eine tief greifende Restrukturierung der Entwicklung. Die Entwicklungsarbeiten wurden schwerpunktmäßig auf die vier Einheiten in Frankfurt-Höchst, Romainville, Kansas City und Tokio konzentriert. Alle Aktivitäten wurden jetzt zentral durch ein neu eingerichtetes Zentrum namens DIA (Drug Innovation and Approval) in Bridgewater koordiniert. Die Entwicklung war nun nicht mehr an die Forschung angebunden, d.h. die Entwicklung und Zulassung eines neuen, z.B. von der Forschung in Deutschland entdeckten Wirkstoffs wurde nun nicht mehr automatisch auch von der deut-
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4 Fallstudien
schen Entwicklungseinheit für den deutschen Markt betrieben. Vielmehr wurde die Zulassung neuer Medikamente in den wichtigsten Märkten parallel angestrebt. Dabei wurden alle notwendigen Aufgaben durch die Zentrale DIA in Bridgewater koordiniert und unter Berücksichtigung der Möglichkeit der Anerkennung einzelner Tests auch in Drittländern auf die verschiedenen Standorte aufgeteilt. Entwicklung wurde also international arbeitsteilig durchgeführt. Alle Testergebnisse wurden in der Zentrale (DIA) gesammelt und in den für die Zulassungen in den verschiedenen Ländern notwendigen Dokumentationen zusammengeführt.149 Die Wirkstoffproduktion, die bis dahin auf 16 Werke verteilt war, wurde in 6 Werken konzentriert. Diese sind (nahezu ausschließlich) als Weltmarktfabriken auf unterschiedliche Produkte spezialisiert:
Frankfurt (Pentoxyfyllin, Insulin, Cephalosporine, Ramipril, Furosemid, Glibenclamid, Metamizol),
Romainville (Vitamin B12, Corticosteroide, Cefotaxim steril, Hirudin, Framycetin),
Neuville (Cephalosporine, Corticosteroide, Pyrethrenoide, Zilpaterol),
Vertolaye (Corticosteroide, Roxithromycin, Disopyramid, Tiaprofinsäure, Thiocolchicosid, Vincamin, Hormone),
Brindisi (Rifampicin, Teicoplanin, Deflazacord),
Garessio (Terfenadin, Vigabatrin, Propoxyphen, Cholestyramin).
Zehn Produktionsbetriebe wurden innerhalb von drei Jahren geschlossen, darunter auch die Produktionsstätte von MMD in Midland (Michigan), die in das Stammwerk von Dow integriert war. Da HMR nicht von Dow abhängig sein wollte, wurde die Produktion stillgelegt und großteils nach Hoechst und teilweise nach Frankreich verlagert. In den USA, dem wichtigsten Markt von HNMR, hatte das Unternehmen nun keine Wirkstoffproduktion mehr. Die Fertigung war zu Beginn der Restrukturierung, Ende 1995, auf weltweit über 70 Fertigungsbetriebe verteilt, jeweils etwa 20 in Europa, Lateinamerika und Asien, 8 in Nordamerika und 5 in Afrika. Diese Fabriken wurden nun in drei Kategorien eingeteilt:
149 Zugleich wurde die Zahl der Wirkstoffe, für die eine Zulassung angestrebt wurde, von 70 auf 25 reduziert.
4.3 Hoechst Pharma (HMR)
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7 strategische Fabriken: Fabriken mit hoher Produktionskapazität, an denen langfristig festgehalten werden sollte. Diese Fabriken wiesen einen hohen technologischen Stand auf und verfügten über eine qualifizierte Belegschaft. Unter den strategischen Fabriken gab es vier Weltmarktfabriken, die jeweils auf bestimmte Produkte spezialisiert wurden:150 Neben der Fabrik in Hoechst, wo z.B. die Fertigung steriler Produkte konzentriert wurde, waren dies die Hoechst-Fabrik in Scoppito, die Roussel Uclaf-Fabrik in Compiègne, und die MMD-Fabrik in Kansas City. Drei Fabriken wurden auf regionale Märkte ausgerichtet: die Roussel-Fabrik in Shirakawa (Japan) für Asien sowie die Hoechst-Fabrik in Suzano (Brasilien) und ein neues Werk in Ocoyoacac (Mexiko) für Lateinamerika.
24 taktische Fabriken:151 6 in Europa, 2 in Nordamerika, 3 in Lateinamerika, 4 in Afrika und 9 in Asien. Darunter waren drei neue Werke in Venezuela, Indien und China. Die Mehrzahl dieser Werke, insbesondere in Entwicklungsländern, blieb notwendig, um die jeweiligen nationalen Märkte beliefern zu können (local content). Einige dieser Fabriken sind reine Verpackungswerke (d.h. mit extrem niedriger Fertigungstiefe). Eine kleine Zahl taktischer Fabriken in Industrieländern fertigte Spezialprodukte für die jeweilige Region.
Etwa 45 Fabriken wurden bis Ende 1999 verkauft oder geschlossen - bereits bis Ende 1997 waren 35 Fertigungsstätten verkauft oder geschlossen worden: 8 in Europa,152 9 in Asien, 1 in Afrika, 13 in Lateinamerika und 4 in Nordamerika, darunter auch der alte Hoechst-Standort Bridgewater. In den meisten Fällen wurde die Fertigung an andere Standorte verlagert, in einigen Fällen lief sie aus oder die verkauften Werke wurden als Kontraktfertiger – zumindest für einige Zeit – weiter genutzt.
Durch die umfangreichen Restrukturierungsmaßnahmen hatte sich die Gesamtzahl der Forschungs-, Entwicklungs-, Produktions- und Fertigungseinheiten von HMR innerhalb von vier Jahren mehr als halbiert.
150 Teilweise mit jeweils einem back-up plant, um schnell Produktionsausfälle kompensieren zu können. 151 Taktisch bedeutete hier, dass, sollten sich die Standortbedingungen durch eine Veränderung der restriktiven Regulierung (Zulassungsbedingungen, Zölle etc.) ändern, diese Fabriken geschlossen würden. 152 Unter anderem wurde 1996 die erst 1991 von MMD erworbene Henning Berlin GmbH (500 Beschäftigte) an den französischen Konzern Synthélabo (vgl. unten) verkauft.
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4 Fallstudien
4.3.5 Ausblick: die Fusionen mit Phône-Poulenc zu Aventis (1999) und mit Sanofi-Syntelabo zu Sanofi-Aventis (2004) Im Dezember 1999 fusionierte Hoechst mit dem größten französischen Pharmaunternehmen Rhône-Poulenc zu Aventis mit Sitz in Straßburg. Der Chemie- und Pharmakonzern Rhône-Poulenc war durch mehrere französische Fusionen sowie u.a. durch die Übernahmen von Nattermann in Deutschland (1986) und Rorer in den USA (1990) zum bedeutendsten französischen Pharmaunternehmen geworden. Durch den Verkauf der zusammengelegten Pflanzenschutzbereiche an Bayer wurde Aventis 2002 zu einem reinen Pharmaunternehmen.153 Im April 2004 schließlich übernahm der französische Pharma-Konzern Sanofi-Synthélabo den französisch-deutschen Konkurrenten Aventis mit starker Unterstützung der französischen Regierung. Sanofi-Synthélabo war wiederum 1999 aus der Fusion von Sanofi und Synthelabo, den Pharmasparten von Total und L’Oréal, hervorgegangen. 1994, kurz vor der Übernahme von MMD durch Hoechst, hatte auch Sanofi mit der Übernahme des Pharmabereichs von Sterling-Winthrop in die USA expandiert. Die oben beschriebenen Restrukturierungsprozesse von HMR auf den Ebenen der Forschung, der Entwicklung, der Produktion und der Fertigung wurden nach den Fusionen zu Aventis und Sanofi-Aventis auf einer jeweils neuen Stufe weiter vorangetrieben. Das Tempo der Restrukturierung hat sich dabei – nach Aussage von Vertretern des Unternehmens – kaum verändert.154
4.4 Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei Unternehmen Ohne der theoretischen Diskussion im folgenden Kapitel vorzugreifen, sollen hier die wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei Fallstudien skizziert werden.
Bei allen drei Unternehmen hat die Bedeutung des externen Wachstums im Zeitverlauf zugenommen. Hoechst hatte im Pharmabereich in den 1950er bis 1970er Jahren eine Vielzahl von neuen Produktions- und Fertigungsstätten im Ausland aufgebaut, Continental (Reifen) hatte ein Werk in Frank-
153 Einige Informationen zur Entwicklung von Aventis finden sich bei Schmoly (2005). 154 HMR besaß 1999 etwa 37 Fabriken für Produktion und Fertigung, Aventis hatte Ende 2003 53 Fabriken, und Sanofi-Aventis besaß Ende 2005 insgesamt 75 Betriebe für Produktion und Fertigung. Damit besaß Sanofi-Aventis 2005 etwa doppelt so viele Fabriken wie HMR rund sieben Jahre zuvor. Der Umsatz betrug jedoch etwa das Vierfache (Sanofi-Aventis 2005: 27 Mrd. € gegenüber HMR 1998: 13,7 Mrd. DM). Durch Restrukturierungsmaßnahmen hatte sich der durchschnittliche Ausstoß pro Werk verdoppelt.
4.4 Gemeinsamkeiten und Unterschiede
119
reich errichtet, während Heidelberger den Weltmarkt von seinem Stammsitz aus belieferte; Übernahmen, wie die von Lloyd Brothers in den USA durch Hoechst, waren damals die Ausnahme. In den 1980er und 90er Jahren haben dann alle drei Unternehmen eine Vielzahl von Übernahmen getätigt; jetzt waren Neugründungen, wie die durch Continental in Osteuropa oder durch Heidelberger in China, die Ausnahme. Damit bestätigen die drei Fallstudien den in Abschnitt 2.2 statistisch belegten Trend eines Wandels vom internen zum externen Unternehmenswachstum.
Alle drei Unternehmen haben seit den 1980er Jahren ihre operativen Aktivitäten zunehmend auf die Belieferung internationaler Märkte ausgerichtet. Hoechst (HMR) hat Produktion und Fertigung zunehmend in Weltmarktfabriken konzentriert. Continental hat seine Werke entweder auf den gesamteuropäischen oder auf den nordamerikanischen Markt ausgerichtet. Auch Heidelberger hat seine Fertigung konzentriert und ein paar kleinere Standorte geschlossen.
Ein dritter Trend lässt sich ebenfalls bei allen drei Unternehmen feststellen: ihre Managementorganisation wurde zunehmend grenzüberschreitend ausgerichtet – entlang von Produkten oder Funktionen, während die produktoder funktionsübergreifende Koordination innerhalb nationaler Grenzen reduziert wurde. Im gesamten Hoechst-Konzern wurden Ende der 1960er Jahre erstmals globale Geschäftsbereiche eingerichtet; mit der unternehmensrechtlichen Verselbständigung vieler dieser Geschäftsbereiche oder sogar einzelner Produktbereiche wurde die produktübergreifende Koordination in den 1990er Jahren vielfach gänzlich aufgegeben. Innerhalb des Pharmabereichs (HMR) wurden globale Zuständigkeiten für die Funktionen Produktion, Fertigung, Forschung und Entwicklung etabliert. Bei Continental wurde das auf einzelne regionale Marken und Märkte ausgerichtete Management über mehrere Zwischenschritte schließlich in zwei globale Reifendivisionen überführt. Bei Heidelberger wurde eine Vielzahl von ehemals selbständigen kleineren Unternehmen in bestehende Divisionen bzw. Produktbereiche eingegliedert. Der Verkauf der Sparte Rollenoffset lässt sich als Zurücknahme einer versuchten produktübergreifenden Koordination interpretieren.
Während sich diese drei Trends – Bedeutungszunahme des externen Wachstums, die internationale Ausrichtung der Konfiguration der verschiedenen Wertschöpfungsaktivitäten und die zunehmend grenzüberschreitende Koordination – bei allen drei Unternehmen finden, ist ein anderer Trend, der oft mit Globalisierung in Verbindung gebracht wird, nur bei einem Unternehmen auszumachen: die Verlagerung von Wertschöpfung an Niedriglohnstandorte. Continental hat große Teile seiner Reifenproduktion nach Osteuropa bzw. nach Mexiko, Brasi-
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4 Fallstudien
lien und Malaysia verlagert. Die Verlagerungen bei Hoechst und Heidelberger fanden dagegen überwiegend zwischen den entwickelten Industrieländern Europas und Nordamerikas statt; auch bei Continental war es zu solchen Verlagerungen gekommen. Dabei gab es bei allen drei Unternehmen neben Verlagerungen aus Deutschland ins Ausland auch Verlagerungen zwischen verschiedenen Drittländern, sowie Verlagerungen aus dem Ausland nach Deutschland.
5 Theoretische Konzepte der economic und der managerial school
Aufbauend auf den drei vorangegangenen Kapiteln, in denen mit statistischen Analysen und Fallstudien ein empirisches Fundament gelegt wurde, soll in diesem Kapitel eine kritische Auseinandersetzung mit Theorien über multinationale Unternehmen erfolgen. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit multinationalen Unternehmen findet schwerpunktmäßig in zwei Traditionen statt, die von Buckley/Hashai (2005: 655) als ‚economic school’ und als ‚managerial school’ bezeichnet wurden:
Die ökonomischen Theorien der Direktinvestition sind an der Schnittstelle von Mikroökonomik und Volkswirtschaftslehre angesiedelt. Sie versuchen zu erklären, warum zwischen welchen Ländern und in welchen Branchen Direktinvestitionen stattfinden.
Die Managementlehre hat Konzepte der Organisations- und Managementstrukturen multinationaler Unternehmen entwickelt und versucht, diese durch unterschiedliche Unternehmensstrategien zu erklären.155
Diese beiden Ansätze werden in den zwei folgenden Abschnitten zunächst in ihren Grundzügen dargestellt, um dann mit den empirischen Ergebnissen der vorstehenden Kapitel konfrontiert und anschließend diskutiert zu werden.
5.1 Ökonomische Direktinvestitionstheorien In den Medien und in der öffentlichen Diskussion ist das Thema multinationale Unternehmen heute eng mit scheinbar immer größeren internationalen Fusionen 155 Als eine dritte Tradition ließen sich soziologische, insbesondere organisationssoziologische, Ansätze zusammenfassen, die sich mit der organisationsinternen Dynamik multinationaler Unternehmen beschäftigen: mit verschiedenen Kontrollmechanismen, mit mikropolitischen Konflikten innerhalb des Managements oder mit Arbeitsbeziehungen (einen Überblick geben Dörrenbächer 2006 und Dörrenbächer/Geppert 2006). Auf einige Autoren, die an der Schnittstelle zwischen Managementlehre und Organisationssoziologie stehen, wird unten (S.148) eingegangen.
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5 Theoretische Konzepte
und Übernahmen verbunden. Aber als in den 1960er Jahren die ersten Theorien über multinationale Unternehmen und internationale Direktinvestitionen entwickelt wurden, spielte externes Wachstum – wie oben gezeigt – eine wesentlich geringere Rolle. So gingen die Pioniere der Theorieentwicklung – etwa Hymer (1960/76) oder Vernon (1966) – davon aus, dass Direktinvestitionen auf internes Wachstum abzielen, d.h. auf “production units set up abroad” (Vernon 1966: 198).
5.1.1 Dunnings eklektische Theorie Die heute wohl dominierende Theorie über multinationale Unternehmen und Direktinvestitionen wurde in den 1970er Jahren von John H. Dunning (1977; 1979; 1993; 2000) entwickelt. Dieser auch als eklektische Theorie bezeichnete Ansatz verbindet Elemente der früheren Direktinvestitionstheorien, insbesondere Hymer, der multinationale Unternehmen durch den Transfer von firmeneigenen Ressourcen charakterisiert sah, mit Elementen aus der Wirtschaftsgeographie (location theory) sowie aus der Transaktionskostentheorie (Coase 1937; Williamson 1975), die bereits von McManus (1972) und Buckley/Casson (1976) auch auf multinationale Unternehmen angewandt worden war. Entsprechend dem eklektischen Paradigma haben Direktinvestitionen drei Bedingungen zur Voraussetzung:156
Das investierende Unternehmen muss einen firmenspezifischen Vorteil – ownership-specific advantage (im Folgenden: O-Vorteil) – besitzen, der ihm einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen im Gastland tätigen Firmen sichert. Diese Firmenvorteile können sich aus unterschiedlichen Kompetenzen den Bereichen des Produkt- oder Produktions-know-hows, des Marketings, der Finanzierung oder des Managements allgemein ergeben. Diese Art von Vorteilen, die auf bestimmten assets basieren, nennt Dunning auch Oa-Vorteile, von denen mitunter Ot-Vorteile unterschieden werden, die die (Management-) Fähigkeit eines Unternehmens bezeichnen, grenzüberschreitende Tätigkeiten zu koordinieren.
156 Diese drei Elemente des eklektischen Paradigmas erinnern an frühere Überlegungen von Fayerweather (1969), auf die Dunning (1977; 1979) allerdings nicht Bezug nimmt: “Conclusions as to the suitability of each corporate [internationalization; M.W.] strategy require consideration of which resources a company should attempt to transmit, to what countries they should be transmitted, and what transmission process it should employ …There are a host of variations in the mix among these decisions …” (Fayerweather 1969: 36).
5.1 Ökonomische Direktinvestitionstheorien
123
Das Gastland muss einen Standortvorteil – location-specific advantage (LVorteil) – bieten. Dieser Standortvorteil kann insbesondere aus niedrigen Faktorkosten für einfache oder auch besonders qualifizierte Arbeitskräfte, für Energie und andere Vorprodukte oder einer niedrigen Steuerbelastung bestehen, aber auch aus einem leichteren Marktzugang, sei es aufgrund von Importbeschränkungen, hohen Transportkosten bei Marktbelieferung durch Export oder anderen Erfordernissen der Kundennähe.
Schließlich muss es einen Internalisierungsvorteil – internalization incentive advantage (I-Vorteil) – geben, d.h. es muss für das investierende Unternehmen günstiger sein, seine O-Vorteile selber im Ausland zu nutzen als sie z.B. über Lizenzen oder andere Verträge an Dritte zu verkaufen (Senkung der Transaktionskosten durch Internalisierung). 157
Entscheidend ist, dass alle drei Bedingungen gleichzeitig erfüllt sein müssen, damit es zu einer Direktinvestition kommt: The more a country’s enterprises possess ownership specific advantages, relative to enterprises of other nationalities, the greater the incentive they have to internalise rather than externalise the use, and the more they find it in their interest to exploit them from a foreign location, the more they (and the country as a whole) are likely to engage in international production. (Dunning 1981: 31)
Dieses Schema158 – nach den drei Bedingungen auch OLI-Paradigma genannt – kann internes Unternehmenswachstum gut erklären. Die quantitative Untersuchung (Abschnitt 2.2) hatte ergeben, dass sich das interne Auslandswachstum heute auf Entwicklungs- und Transformationsländer konzentriert, und dass seine Bedeutung in Industrieländern zurückgegangen ist. Dies lässt sich unter Rückgriff auf das OLI-Paradigma wie folgt erklären: Aufgrund des Abbaus von Handelsschranken lassen sich die Märkte von Industrieländern immer leichter durch Exporte beliefern, so dass der Aufbau einer Produktion vor Ort kaum noch erforderlich ist. Außerdem ist es plausibel, dass multinationale Unternehmen aus Industrieländern im Vergleich zu einheimischen Unternehmen in Entwicklungsund Transformationsländern hohe O-Vorteile etwa in Form von Prozess-, Produkt- oder allgemeinem Managementwissen besitzen. Zugleich bieten diese
157 Problematisch ist die Abgrenzung zwischen Ot-Vorteilen und I-Vorteilen. Nach Kogut/Zander (1993) ist der I-Vorteil besonders groß, wenn es sich bei den O-Vorteilen um tacit knowledge handelt. 158 Dunning versteht seinen Ansatz nicht als Erklärung für jeden Einzelfall, wohl aber als Analyseraster für Direktinvestitionsströme in verschiedenen Branchen und zwischen Ländern auf Makroebene.
124
5 Theoretische Konzepte
Länder mit relativ niedrigen Arbeitskosten deutliche L-Vorteile; die Märkte von Entwicklungsländern sind zudem häufig durch Zollmauern geschützt. Das interne Auslandswachstum der drei in den Fallstudien untersuchten Unternehmen kann mit dem OLI-Paradigma ebenfalls gut erklärt werden: Hoechst hat seit den 1950er Jahren in Entwicklungsländern und in den 1960er und 70er Jahren auch in Industrieländern eine Vielzahl von kleineren Produktionsstätten aufgebaut, um für seine in Deutschland entwickelten Produkte (O-Vorteil) in einem protektionistischen Umfeld den Marktzugang (L-Vorteil) zu sichern. In einzelnen Fällen wurden auch Kapazitäten übernommen und für die Fertigung eigener Produkte umgewandelt (zu ‚Formen des Markteintritts’ vgl. unten Punkt 5.1.3). Auch die einzige Neuinvestition von Heidelberger, nämlich in China, hat als Ziel die Belieferung des lokalen Marktes. Bei den Neuinvestitionen von Continental in Frankreich und später in Rumänien und Brasilien standen Standortvorteile in Form niedriger Lohnkosten im Vordergrund, ähnlich wie bei den Kapazitätserweiterungen nach Übernahmen in Tschechien, Portugal und der Slowakei.
5.1.2 Externes Wachstum als blinder Fleck der Direktinvestitionstheorie Die in Abschnitt 2.2 referierten Daten haben gezeigt, dass das externe Wachstum insbesondere in Industrieländern zum dominanten Wachstumsmodus für multinationale Unternehmen geworden ist. Auch die Fallstudien bestätigen die steigende Bedeutung des externen Wachstums: Große Übernahmen erfolgten durch Hoechst 1968/74 und 1995, durch Continental 1979 und 1985 (zwei) sowie durch Heidelberger 1988. Bei Continental und Heidelberger kamen ab 1993 bzw. 1996 mehrere kleinere Akquisitionen hinzu. Insbesondere für Hoechst/HMR und Heidelberger war das interne Auslandswachstum in den 1980er und 1990er Jahren vollkommen unbedeutend. Beinahe alle größeren und bedeutsameren Wertschöpfungseinheiten der drei untersuchten Unternehmen in Westeuropa oder den USA waren ursprünglich übernommen worden.159 Es stellt sich also die Frage, ob sich diese Übernahmen ebenso gut mit dem eklektischen Paradigma erklären lassen wie das interne Wachstum. Allgemein fällt auf, das die Forschungsarbeiten über Direktinvestitionen und multinationale Unternehmen das Thema M&A nicht oder nur am Rande
159 Eine Ausnahme bildet der interne Kapazitätsausbau von Continental an ‚Niedrigkostenstandorten’ in Osteuropa und Portugal sowie in Malaysia und Brasilien.
5.1 Ökonomische Direktinvestitionstheorien
125
behandeln.160 So befassen sich etwa in dem von Rugman und Brewer herausgegebenen Kompendium „The Oxford Handbook of International Business“ (Rugman/Brewer 2003), in dem viele der bekannteren einschlägigen Autoren161 vertreten sind, nur eineinhalb Seiten – von über 800 – mit dem Thema M&A. Auch in den Arbeiten von Dunning werden Übernahmen nur am Rande behandelt162 – so auch in dem Standardwerk über „Multinational Enterprises and the Global Economy“ (Dunning 1993). Die Besonderheit des externen Wachstums durch Übernahmen ist, dass der Investor hier nicht ausschließlich seine eigenen O-Vorteile mit den L-Vorteilen eines anderen Standorts kombiniert. Vielmehr können auch O-Vorteile dieses anderen Unternehmens eine wichtige Rolle spielen. O-Vorteile der Übernahmeobjekte, die mit deren historisch gewachsenen Standortstrukturen verbunden sind, werden in der eklektischen Theorie der Direktinvestition jedoch nicht thematisiert und lassen sich – so die hier vertretene These – nicht in das OLIParadigma integrieren. Die theoretischen Probleme, die sich bei einer systematischen Berücksichtigung von Übernahmen für die Konzepte des O-Vorteils und des I-Vorteils, insbesondere aber des L-Vorteils, ergeben, sollen nun näher ausgeführt werden. Relativ unproblematisch erscheint zunächst das Konzept der I-Vorteile. Dass bei einer Übernahme ein I-Vorteil gegeben sein muss oder genauer: nach der Übernahme realisierbar sein muss, scheint offensichtlich. Nur ein einheitliches Management (Integrationsmanagement) wird die Synergieeffekte realisieren können, die oft das entscheidende Motiv für Übernahmen bilden. Allerdings ist es vorstellbar, dass die Synergieeffekte nicht nur auf einer breiteren Nutzung (economies of scale and scope) der O-Vorteile des Investors beruhen, sondern u.U. auch auf einer breiteren Nutzung der O-Vorteile des Investitionsobjektes durch deren Transfer an Standorte des Investors. An dieser Stelle scheint eine Anmerkung zu einem Theoriestrang angebracht, der versucht, Direktinvestitionen allein durch den Vorteil der Internalisierung zu erklären, und auf den sich auch Dunning bei seiner Konzeption des IVorteils bezieht. Erstaunlicherweise untersuchen aber gerade diese Autoren externes und internes Wachstum lediglich als unterschiedliche Formen des Markteintritts (etwa Caves/Mehra 1989; Caves 1996; Buckley/Casson 1976 und
160 Andererseits beschäftigt sich die Literatur über M&A, die weitestgehend betriebswirtschaftlich orientiert ist, nicht mit allgemeineren Fragen und versucht nicht, eine Theorie über Ursachen und Strukturen des externen Unternehmenswachstums zu entwickeln (vgl. unten 5.1.8). 161 Etwa Buckley und Casson, Dunning, Hennart oder Rugman. 162 Meist unter dem Stichwort Markteintritt (vgl. unten 5.1.3).
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5 Theoretische Konzepte
1998).163 Akquisitionen werden als eine Alternative zu Neuinvestitionen interpretiert – und beide als eine Alternative zur Marktbelieferung durch Export. Dieser Interpretation liegt die Annahme zugrunde, dass das investierende Unternehmen beabsichtigt, in einen neuen Markt einzutreten und dort die eigenen OVorteile auszunutzen (vgl. hierzu genauer Punkt 5.1.3). Die eklektische Theorie geht davon aus, dass sich die O-Vorteile, die für das Zustandekommen einer Direktinvestition relevant sind, allein im Besitz des investierenden Unternehmens befinden. Dies ist bei vielen Übernahmen auch der Fall: Häufig werden Produktpalette, Produktionsapparat und -organisation übernommener Unternehmen mittels eines Transfers von O-Vorteilen des akquirierenden Unternehmens tief greifend umgebaut. Beispiele aus den Fallstudien, wie die kleineren Übernahmen von Hoechst in Westeuropa bis zur Mitte der 1970er Jahre oder auch die Übernahmen von Continental in Osteuropa und Portugal, illustrieren dies. In vielen anderen Fällen aber besitzen übernommene Unternehmen erhebliche eigene O-Vorteile, deren Erwerb ein wichtiges Investitionsmotiv darstellt, und die nicht durch zu transferierende O-Vorteile des Investors ergänzt oder gar ausgetauscht werden sollen. Aus den Fallstudien sei hier auf die großen Übernahmen von Hoechst (Roussel Uclaf und MMD) ebenso verwiesen wie auf die Vielzahl von Übernahmen von Heidelberger. Doch auch in diesen Fällen benötigt der Käufer – wie bei allen Übernahmen, zumindest wenn sie erfolgreich sein sollen – ganz spezifische Firmenvorteile, etwa einen geeigneten Zugang zu Finanzmitteln oder aber auch die Fähigkeit des Managements, das neu erworbene Unternehmen zu integrieren und nach der Übernahme Synergieeffekte zu realisieren. Insofern lässt sich argumentieren (so auch Dunning 2000; 2003) dass der Investor immer über investitionsentscheidende O-Vorteile verfügen muss. Diese Hilfskonstruktion, die insbesondere Ot-Vorteile in den Vordergrund stellt, führt freilich zu dem Problem, dass nicht mehr erklärt werden kann, in welcher (Herkunfts- und damit auch Ziel-) Branche Direktinvestitionen getätigt werden. Am deutlichsten wird die Problematik des Konzepts des allein beim Investor angesiedelten O-Vorteils im Fall einer Fusion zweier gleichberechtigter Unternehmen, wie etwa von BBC und Asea zu ABB. Hier lässt sich nicht mehr zwischen Investor und Übernahmeobjekt unterscheiden, und damit lässt sich auch das Konzept des O-Vorteils, den der Investor gegenüber dem Investitionsobjekt besitzt, nicht mehr aufrechterhalten. Solche equal-to-equal merger stellen Extremfälle dar, die auf die grundsätzliche Notwendigkeit hinweisen, auch beim
163 Eine Ausnahme bildet die empirische Untersuchung von Baumann (1975).
5.1 Ökonomische Direktinvestitionstheorien
127
Investitionsobjekt angesiedelte O-Vorteile in einer Theorie der Direktinvestition systematisch zu berücksichtigen. Von den drei Bedingungen des OLI-Paradigmas, die Direktinvestitionen erklären, ist der L-Vorteil bei Übernahmen am problematischsten. Bei externem Unternehmenswachstum durch Übernahmen kombiniert der Investor seine eigenen O-Vorteile nicht (nur) mit den allgemein zugänglichen L-Vorteilen des Ziellandes, sondern (auch) mit den spezifischen O-Vorteilen des Übernahmeobjektes. Die L-Vorteile des Ziellandes sind dabei häufig von untergeordneter Bedeutung. Vielfach werden bei Übernahmen sogar Standortnachteile in Kauf genommen. Eine stringente Berücksichtigung von Standortvorteilen ist durch den Investor insbesondere auch dann nicht mehr möglich, wenn nicht einzelne Fabriken, sondern ganze multinationale Unternehmen übernommen werden. Die Standortstruktur großer übernommener Unternehmen ist häufig – wie etwa bei den von Hoechst übernommenen Gesellschaften Roussel Uclaf oder MMD – selber das Ergebnis einer Vielzahl von zunächst unabhängig voneinander erfolgten Unternehmensentwicklungen und Übernahmen. Eine empirisch quantifizierende Untersuchung, die sich mit den durch Übernahmen entstandenen Standortstrukturen beschäftigt, stammt von Pausenberger (1994). Diese Untersuchung über die Internationalisierung von elf großen deutschen Konzernen kam zu folgendem Ergebnis: Etwa die Hälfte dieser Akquisitionen (46%) führte aus Sicht der aufkaufenden Unternehmung zu einer Verschlechterung der Standortstruktur. Die Ursache hierfür ist, dass die Entscheidung für eine Akquisition von vielen Faktoren abhängig ist, wobei die Standortstruktur des Aufkaufobjektes hier in der Regel nicht im Vordergrund steht. (Pausenberger 1994: 55)
In den drei Fallstudien finden sich viele Beispiele von Übernahmen, bei denen der Standort des übernommenen Unternehmens mit Sicherheit nicht ausschlaggebend für die Investitionsentscheidung des deutschen Unternehmens war. Dies zeigt sich am deutlichsten dort, wo Aktivitäten kurz nach ihrer Übernahme beendet wurden.164 So wurden etwa die Aktivitäten von Sheridan durch Heidelberger kurz nach der Übernahme nach Deutschland verlagert. Continental schloss eine Fabrik in Schweden (Gislaved) kurz nach ihrer Übernahme. Dies gilt ebenso für eine Vielzahl von Fabriken, etwa in Entwicklungsländern, die durch die Akquisi164 Tatsächlich lässt sich allerdings nicht unbedingt aus einer Betriebsschließung auf suboptimale Standortbedingungen schließen, denn Restrukturierungen orientieren sich nicht nur an Standortbedingungen, sondern auch an unternehmensspezifischen Faktoren, wie etwa der Größe der Betriebe (vgl. unten 5.1.8).
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5 Theoretische Konzepte
tionen von MMD und Roussel Uclaf in den Besitz von Hoechst gekommen waren, und von denen viele kurz darauf geschlossen wurden, etwa weil Hoechst bereits vor der Übernahme Produktions- und Fertigungsstätten in den jeweiligen Ländern besessen hatte.165 Insbesondere bei Hoechst gab es übernommene Aktivitäten, die wegen hoher Verlagerungskosten aufrechterhalten wurden, und die sich – nach Einschätzung der Unternehmensleitung – an Standorten befanden, die das Unternehmen bei internem Wachstum niemals gewählt hätte, so etwa Fabriken in Italien, die mit MMD (vormals Lepetit) zu HMR gekommen waren. Schließlich dürften bei vielen Übernahmen die Standortbedingungen der jeweiligen Fabriken schlicht irrelevant gewesen sein. So ging es etwa bei der Übernahme von Stork in den Niederlanden durch Heidelberger allein um den Erwerb bestimmter Kompetenzen. Auch bei Continental und Hoechst dürften die Standortbedingungen der übernommenen europäischen Werke – wenn nicht im Einzelnen sogar nachteilig – so zumindest doch irrelevant gewesen sein. Bei Übernahmen lässt sich das Zielland der Investition häufig nicht, wie in der eklektischen Theorie Dunnings angenommen, mit dessen L-Vorteilen erklären. Entscheidender sind häufig die Firmenvorteile (O-Vorteile) des Investitionsobjektes, die von der eklektischen Theorie nicht in den Blick genommen werden (hierzu genauer Punkt 5.1.6).
5.1.3 M&A als Form des Markteintritts Dort, wo Übernahmen im Rahmen des eklektischen Paradigmas oder verwandter Theorien – insbesondere der Internalisierungstheorie (vgl. oben S.125) – thematisiert werden, geschieht dies meistens unter dem Schlagwort entry mode. Hier werden Übernahmen und Neuinvestitionen neben dem Export als unterschiedliche Formen des Markteintritts interpretiert, zwischen denen der Investor eine Wahl treffen muss (etwa Caves/Mehra 1989; Caves 1996; Buckley/Casson 1998).166 In der Tat ist es denkbar, dass Übernahmen eine besondere Form des Markteintritts darstellen. Auch in den drei Fallstudien finden sich hierfür Beispiele: etwa die Übernahme einer Fabrik in Frankreich durch Hoechst 1970, die 165 Teilweise wurden aber auch ursprünglich zu Hoechst gehörende Fabriken geschlossen. 166 Einen Überblick über die „… empirical literature on the choice between greenfield investment and acquisitions as alternative modes of foreign establishment“ geben Slangen/Hennart (2001). Häufig wird dieser Entscheidungsprozess in einem Phasenmodell modelliert, in dem der Investor zunächst entscheidet, ob er einen ausländischen Markt durch Export oder durch Produktion vor Ort beliefern will, und in einem zweiten Schritt ggf. zwischen Neuinvestition oder Übernahme entscheidet (so jüngst auch Raff et al. 2006).
5.1 Ökonomische Direktinvestitionstheorien
129
dann auf eine Produktion von Hoechst-Produkten für den lokalen Markt umgerüstet wurde (oben S.107). Auch die Übernahmen von Continental in Osteuropa und Portugal können ähnlich interpretiert werden, obwohl es hier weniger um den Zugang zu lokalen Märkten als um den Zugang zu Produktionsfaktoren für eine überwiegend exportorientierte Produktion ging. Von den verschiedenen Übernahmen durch Heidelberger im Ausland war allerdings keine einzige eine Alternative zu einer eigenen Unternehmensgründung. Dies gilt ähnlich auch für die großen Übernahmen durch Hoechst, die in dieser Größe niemals als Neuinvestition hätten erfolgen können.167 Die Vorstellung, Übernahmen seien eine Alternative zu Neuinvestitionen und Investoren würden eine Entweder-oder-Entscheidung zwischen diesen beiden Formen der Auslandsinvestition treffen, geht offensichtlich völlig an der Realität der meisten Übernahmen vorbei – insbesondere dort, wo der Erwerb von O-Vorteilen des Investitionsobjektes, über die der Investor eben gerade nicht selber verfügt, als Investitionsmotiv im Vordergrund steht.
5.1.4 Untersuchungen über die Motive von Direktinvestitionen Immer wieder sind empirische Untersuchungen darüber angestellt worden, warum Direktinvestitionen in welchen Ländern getätigt werden. Eine der am häufigsten getesteten Variablen sind die Lohnkosten in den Gastländern, die einen in der Theorie der Direktinvestition genannten entscheidenden L-Vorteil darstellen können. Die Untersuchungen (für Deutschland: Lortz 1993; Moore 1993; Jost/Nunnenkamp 2002; für andere Länder: Braunerhjelm/Lipsey 1998: 35 sowie die dort und bei Dunning 1993: 137ff angegebene Literatur) kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass niedrige Lohnkosten als Erklärungsfaktor für internationale Direktinvestitionen keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Die Marktgröße oder die komparativen Vorteile des Gastlandes erweisen sich in diesen auf statistischen Analysen basierenden Untersuchungen als die relevantesten Einflussgrößen. Zum gleichen Ergebnis kommen auch Untersuchungen, in denen Unternehmen nach ihren Investitionsmotiven befragt werden. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Investitionsmodus (intern oder extern) in einigen Untersuchungen nicht erfragt wird (etwa Beyfuß/Kitterer 1990; Beyfuß/Eggert 2000; Lau et al. 167 Offensichtlich wird die Unsinnigkeit der Annahme einer Wahlalternative zwischen internem und externem Wachstum bei Daimler-Benz. Die Übernahme von Chrysler lässt sich kaum als Alternative zu einem entsprechenden Aufbau eigener Kapazitäten interpretieren, zumal Daimler-Benz parallel zur Übernahme den Aufbau eigener – allerdings deutlich kleinerer – Kapazitäten verfolgte.
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5 Theoretische Konzepte
2005),168 und dass andere Untersuchungen zwar den Wachstumsmodus zunächst erfragen, dann aber die Investitionsmotive nicht getrennt für interne und externe Investitionen auswerten (Köddermann/Wilhelm 1996; Löbbe et al. 1997). Insbesondere fehlen in diesen Befragungen Investitionsmotive, die speziell bei Übernahmen relevant sind – etwa der Erwerb von know-how oder von Marktanteilen (etablierten Kundenbeziehungen) oder anderen Firmenvorteilen (zu Motiven von Übernahmen vgl. auch unten 5.1.8). Wenn in diesen Befragungen als mit Abstand wichtigste Motive Markterschließung oder Marktabsicherung genannt werden, so könnte sich dies auch aus einer problematischen Konstruktion der Fragebögen erklären: Unternehmen, die durch Übernahmen gewachsen sind, könnten aus Mangel an alternativen Antwortmöglichkeiten diese Antworten gewählt haben, da bei Übernahmen ja fast immer auch ein Kundenstamm mit übernommen wird, und damit ein Markt erschlossen wird – allerdings nicht, wie suggeriert wird, für die Produkte des akquirierenden Unternehmens.169 Auffällig ist auch, dass empirische Untersuchungen (etwa Lorz 1993) zu dem Ergebnis kommen, dass die Nähe des Ziellandes und die EU-Mitgliedschaft positiv mit dem Volumen der deutschen Direktinvestition korrelieren, wo doch gerade diese Märkte relativ leicht durch Exporte von Deutschland aus beliefert werden können. Diese Investitionen lassen sich nur durch Übernahmen erklären, für die Standortvorteile eben nicht ausschlaggebend sind.170
5.1.5 „Strategic asset seeking“ Gingen die früheren Fassungen des OLI-Paradigmas zumindest implizit davon aus, dass der Transfer von O-Vorteilen auf einer Einbahnstraße von den Mutter168 Neuere Studien (Lau et al. 2005; Kinkel et al 2004a; 2004b) fragen dagegen ausdrücklich nach Produktionsverlagerungen, wobei allerdings offen bleibt, ob es sich hier um den kompletten Aufbau eigener Betriebe oder um die Verlagerung einer kleinen, randständigen Produktion an ein übernommenes Werk im Ausland handelt (vgl. hierzu genauer unten Abschnitt 6.1.5). 169 Die Problematik von Fragebogenkonstruktionen, die Übernahmen nicht systematisch berücksichtigen, zeigt auch die Untersuchung von Raines/Döhrn et al. (1999: 36f). Diese haben nicht nur gesondert nach den Motiven für Erstinvestitionen und für Folgeinvestitionen gefragt und kamen zu dem Ergebnis, dass bei Erstinvestitionen der Faktor Markterschließung überdurchschnittlich bedeutsam war. Auch dieses Ergebnis erklärt sich leicht aus der Konstruktion des Fragebogens: Erstinvestitionen waren vermutlich überdurchschnittlich häufig Übernahmen, und die antwortenden Unternehmen, vor die Alternative gestellt, Markterschließung oder Kostenfaktoren als Investitionsmotiv anzukreuzen, haben sich vermutlich aufgrund der offensichtlichen Irrelevanz des Motivs Arbeitsmarktfaktoren für Markterschließung entschieden. 170 Dass interne, auf Kostenkalkulationen beruhende Veränderungsprozesse allerdings nicht nur den Aufbau von Kapazitäten im Ausland, sondern häufig auch deren Abbau beinhalten, bleibt in all diesen Untersuchungen unberücksichtigt.
5.1 Ökonomische Direktinvestitionstheorien
131
gesellschaften zu ihren Auslandsgesellschaften erfolgt, haben Dunning und Cantwell (Cantwell 1989; Cantwell/Dunning 1991) diese Einseitigkeit später relativiert. Sie haben gezeigt, dass Auslandsgesellschaften häufig in Agglomerationsräumen konzentriert sind, und dass multinationale Unternehmen die dort erarbeiteten O-Vorteile auch konzernweit nutzen. Sie gingen allerdings zunächst davon aus, dass die O-Vorteile der Auslandsgesellschaften unternehmensintern kreiert werden, indem Auslandsgesellschaften auf L-Vorteile, wie ein innovationsfreundliches Umfeld und die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften, zurückgreifen (auch Dunning/Lundan 1998). Später hat Dunning eine Typologie von Direktinvestitionen vorgestellt (Dunning 1993: 56ff), die zwischen vier Zielen des Auslandsengagements unterscheidet:
resource seeking (Beschaffung von Rohstoffen und anderen Produktionsfaktoren, wie etwa billige Arbeitskräfte),
market seeking (Zugang zu einem Markt),
efficiency seeking (Ausnutzen von economies of scale and scope)
strategic asset oder capability seeking.171
Bei letzterem Typ versuchen die Unternehmen, ... usually by acquiring the assets of foreign corporations, to promote their long-term strategic objectives – especially that of sustaining or advancing their international competitiveness. (Dunning 1993: 60)
Hier wird also die Möglichkeit gesehen, dass firmenspezifische capabilities, die beim Investitionsobjekt angesiedelt sind, ein wichtiges Motiv für Direktinvestitionen darstellen können.172 Freilich werden diese von Dunning nicht als Ospecific advantages bezeichnet. Dieses Konzept wird von Dunning (zuletzt 2000 171 An dieser Stelle sei angemerkt, dass bereits viele Jahre früher eine auch in Inhalt und Terminologie nahezu identische Typologie vorgestellt worden war, die weder Dunning noch Behrmann (1972), auf den sich Dunning (1993: 56) bezieht, erwähnen. Hogue (1967: 44) sah vier „dominant reasons for going abroad: … - Raw Materials - Production Efficiency - Knowledge - Markets“ Dabei ging Hogue, wie andere zeitgenössische Autoren auch, allein von internem Auslandswachstum aus. 172 Vgl. auch die Fallstudie von Wesson (1994) über die Investitionen von Hyundais Computersparte in Kalifornien.
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5 Theoretische Konzepte
und 2003) nicht systematisch an das OLI-Paradigma zurückgebunden. Die Typologie der vier Investitionsmotive bleibt neben dem eklektischen Paradigma stehen und korrigiert dessen Defizite nicht.
5.1.6 Zwischenergebnis: Dunnings Theorie der Direktinvestition Direktinvestitionstheorien – und insbesondere die eklektische Theorie von Dunning – gehen von internem Auslandswachstum multinationaler Unternehmen als ‚Normalfall’ aus. Mit zunehmender Bedeutung eines Auslandswachstums durch Übernahmen lässt jedoch die Erklärungskraft dieser Theorien, die die Besonderheiten des externen Wachstums systematisch ignoriert haben, erheblich nach. Firmenspezifische Vorteile des Investitionsobjektes (assets oder capabilities) relativieren die investitionsentscheidende Bedeutung der firmenspezifischen Vorteile (O-specific advantages) des Investors, insbesondere aber reduzieren sie die Bedeutung von Standortvorteilen (L-specific advantages) des Ziellandes oder bedingen gar die Inkaufnahme von Standortnachteilen. Dass Dunnings eklektische Theorie der Direktinvestition das externe Wachstum durch Übernahmen trotz seiner doch offensichtlichen Bedeutung ignoriert hat, hängt vermutlich damit zusammen, dass es der Anspruch dieser Theorie war, „a general explanation of international production“ (Dunning 1993: 80) zu sein, die die Handelstheorie ergänzt, indem sie erklärt, wann und warum ausländische Märkte nicht durch Export, sondern durch eine Produktion im Ausland beliefert werden, bzw. wann Produktion ins Ausland verlagert wird, um von dort aus auf den Heimatmarkt exportiert zu werden.173 Übernahmen haben aber – zumindest unmittelbar – keine Auswirkungen auf die internationalen Produktions- und Handelsstrukturen. Bei Übernahmen trifft der Investor eben keine „Standortentscheidung“ im engeren Sinne. Durch die Übernahme selbst verändern sich lediglich die Besitzverhältnisse. Hieraus folgt aber auch, dass eine allgemeine Theorie der internationalen Produktion und ihrer Auswirkungen auf den Handel einerseits und eine mögliche Theorie des multinationalen Unternehmens oder der Direktinvestition – obwohl eng miteinander verbunden – nicht identisch sein können. Weiter unten (Abschnitt 5.1.8) wird noch zu zeigen sein, dass das externe Wachstum auch interne Restrukturierungsprozesse hervorruft, die die Logik der Allokation von Produktion oder anderen Wertschöpfungsaktivitäten verändern und damit auch den internationalen Handel beeinflussen. 173 Diese Zielsetzung kommt auch in dem Titel des Tagungsbandes, in dem Dunning (1977) die eklektische Theorie erstmals vorstellte, zum Ausdruck: ‚The International Allocation of Economic Activity’.
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Eine Theorie, die das internationale externe Wachstum multinationaler Unternehmen ebenso gut erklärt wie Dunnings Theorie das interne Wachstum der multinationalen Unternehmen erklären kann, ist gegenwärtig nicht in Sicht. Angesichts der Tatsache, dass die multinationalen Unternehmen vorrangig durch Übernahmen wachsen, bedeutet dies auch, dass gegenwärtig keine brauchbare allgemeine Theorie über Direktinvestitionen bzw. über die Entwicklung multinationaler Unternehmen verfügbar ist. Die empirische Forschung über multinationale Unternehmen und Direktinvestitionen muss sich aber von dem durch das OLI-Paradigma verengten Blick befreien, will sie deren Entwicklung wirklich erfassen.
5.1.7 Neue ökonomische Theorien In der Mitte der 1980er Jahre haben auch Ökonomen, anknüpfend an die new economic geography (Krugman 1991), Modelle zur Erklärung der Internationalisierung von Unternehmen entwickelt. Diese Theorien gehen davon aus, dass eine Internationalisierung zu Skaleneffekten führt. Der von Helpman (1984) entwickelte Ansatz nimmt an, dass Internationalisierungsprozesse vertikaler Natur sind und die multinationalen Unternehmen ihre Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette – unter Ausnutzung der jeweiligen komparativen Vorteile des Heimatlandes und der Gastländer sowie interner economies of scope – arbeitsteilig auf verschiedene Länder verteilen. Der von Markusen (1984; 2002; Markusen/Venables 1998; Markusen/Maskus 2002) entwickelte Ansatz nimmt dagegen an, dass Skaleneffekte im Bereich der von ihm so genannten headquarter services entstehen, also etwa in der Forschung und Entwicklung sowie bei einzelnen Managementfunktionen, etwa Finanzierung. Bei beiden Ansätzen geraten – ähnlich wie bei den älteren Direktinvestitionstheorien – Übernahmen nicht in den Blick.174 Zu Recht kritisieren Jungnickel/Keller (2003) am Ansatz von Markusen, dass er asset seeking investments, die überwiegend durch Übernahmen erfolgen, nicht erklären könne, da er von einer Konzentration der headquarter services im Heimatland des multinationalen Unternehmens ausgeht.175 Ähnlich wie bei Dunnings OLI-Paradigma mag sich 174 Auch neuere Untersuchungen zu deutschen Unternehmen, insbesondere aus dem Umfeld des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (etwa Buch et al. 2003; Buch/Kleinert 2006; auch Klodt 2005), die diesen theoretischen Rahmen aufgreifen, gehen von einem rein internen Auslandswachstum der multinationalen Unternehmen aus. Dies ist umso erstaunlicher, als Kleinert und Klodt auch ein Buch über Megafusionen geschrieben haben (Kleinert/Klodt 2000). 175 Lediglich Venables (2004: 57-59) erwähnt als einer der wenigen ausdrücklich auch Übernahmen, macht allerdings folgende Annahme: „We assume that one firm disappears with loss of its variety. If it were to remain, then so would its plant level fixed cost and there would be no
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5 Theoretische Konzepte
diese Nichtbeachtung von Übernahmen aus dem primären Interesse dieser Ansätze an den Auswirkungen multinationaler Unternehmen auf die internationale Arbeitsteilung und den internationalen Handel erklären. Damit verlieren sie jedoch die Fähigkeit, die Internationalisierung multinationaler Unternehmen angemessen zu erklären.
5.1.8 Übernahmen und Restrukturierung – Schwierigkeiten der Theoriebildung Eine systematische Berücksichtigung des externen Wachstums ist eine Voraussetzung für ein umfassendes Verständnis der Ursachen von Direktinvestitionen und der Internationalisierungsprozesse multinationaler Unternehmen. Ökonomische Motive für Übernahmen lassen sich zwei Hauptgruppen zuordnen (Kleinert/Klodt 2000): Zum einen erlauben Übernahmen verschiedenste Formen interner Synergieeffekte – von einer Risikostreuung oder einem effizienteren Management der übernommenen Unternehmen über eine Senkung der Transaktionskosten bei vertikalen Übernahmen bis hin zu einer Effizienzsteigerung, die durch den Transfer von know-how oder durch Restrukturierungsmaßnahmen nach der Übernahme realisiert werden kann.176 Zum anderen können Übernahmen die Marktmacht gegenüber Lieferanten oder Kunden erhöhen und so mono- oder oligopolistische Vorteile sichern.177 effect whatsoever.“ Es mag sinnvoll sein anzunehmen, dass ‘variety’ reduziert wird, d.h. dass Synergieeffekte realisiert werden; dass diese jedoch nach Übernahmen immer vollständig verschwindet, ist keineswegs realistisch. 176 Hierzu auch die empirische Untersuchung von Bertrand et al. (2004) über grenzüberschreitende M&A in OECD-Ländern zwischen 1990 und 1999: „The significant effect of productivity suggests that cross-border M&A are in part driven by efficiency motivations.“ Sie betrachten dabei allerdings nur „technological transfer from foreign buyers to acquired firms“ und nicht in umgekehrter Richtung (ebd.: .27). 177 Eine Vielzahl von empirischen Untersuchungen ist jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass die Mehrheit der Übernahmen den Wert des übernehmenden Unternehmens nicht erhöht, sondern verringert hat (vgl. den Überblick in Agrawal/Jaffe 2000; zu deutschen Unternehmen Glaum/Lindemann 2002; kritisch zu den Messmethoden Pryor 2001). Denkbar ist, dass neben ökonomischer Rationalität auch persönliche Motive der Akteure, insbesondere des Managements des Investors, als Motive für Übernahmen und Fusionen bedeutsam sind (vgl. Bühner 1991; Cooke 1988; Pausenberger 1997; Seth et al. 2002), da Manager ihren Machtbereich auch ohne ökonomischen Erfolg ausweiten können (empirebuilding), und sie es zur Wahrung oder Stärkung ihrer persönlichen Position vorziehen, wenn ihr Unternehmen andere kauft und nicht selber von anderen gekauft wird. Hier handelt es sich um ein klassisches principal-agentProblem. Eine besondere Variante ist die Hybris-Theorie (Roll 1986; auch Hayward/Hambrick 1997), die annimmt, dass Manager der kaufenden Unternehmen ihre Fähigkeiten, die Übernahme und/oder das übernommene Unternehmen effizient zu managen, überschätzen. Berggren (2001) hat ferner auf den Einfluss und die Eigeninteressen einer „… new ‚deal making’ industry of consultants, corporate lawyers, investment banks and corporate finance spe-
5.1 Ökonomische Direktinvestitionstheorien
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Um für das externe Wachstum multinationaler Unternehmen ein ähnlich prägnantes Paradigma, wie es Dunnings eklektische Theorie für das interne Wachstum darstellt, zu entwickeln, das in einer – wie auch immer gearteten – Verbindung mit der eklektischen Theorie eine wirkliche general theory multinationaler Unternehmen bilden könnte,178 müsste eine solche Theorie nicht nur internationale Übernahmen als solche erklären, sondern auch, warum diese gerade von Unternehmen in bestimmten Branchen aus bestimmten Ländern in bestimmten anderen Ländern oder Ländergruppen getätigt werden, ähnlich wie dies das OLI-Paradigma für internes Wachstum tut. Ansätze zu einer solchen Theorie scheinen nirgends in Sicht zu sein. Vieles spricht sogar dafür, dass eine solche Theorie nicht möglich ist, insbesondere, dass – wie oben (S.127f) gezeigt – die Standorteigenschaften der Zielländer für Übernahmen häufig irrelevant sind.179 Ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Problem stellt die Tatsache dar, dass insbesondere die großen Übernahmen häufig Einzelfälle sind. So entscheiden etwa in Übernahmeschlachten marginale Unterschiede zwischen Bietern aus verschiedenen Ländern – u.U. auch aus dem Land des Übernahmeobjekts selber – über große Investitionen.180 Wenn aber große und hochgradig diskrete Einzelfälle die weltweiten Direktinvestitionen wesentlich beeinflussen, erschwert dies jede Theoriebildung.181
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cialists“ hingewiesen. Die Frage, welche Bedeutung den unterschiedlichen Determinanten zukommt, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geklärt werden. Entscheidend ist hier, dass sich die verschiedenen Determinanten nicht wechselseitig ausschließen. Ökonomische Rationalität auf der Ebene von Unternehmen und die individuelle Rationalität einzelner Akteure können sich vielmehr überlagern; vgl. auch Seth et al. (2002), die drei Übernahmemotive unterscheiden: Synergieeffekte, Eigeninteressen der Manager (managerial acquisitions) und hubris (vgl. auch unten Fußnote 181). “…we believe that it is possible to formulate a general paradigm of MNE activity which sets out a conceptual framework and seeks to identify clusters of variables relevant to an explanation of all kinds of foreign-owned output.” (Dunning 1993: 68) Ein notwendiger aber keineswegs ausreichender Aspekt zur Erklärung der Variable des Ziellandes ist die Offenheit ihres Marktes für Übernahmen durch ausländische Investoren. Eine Art Rettungsversuch für den L-Vorteil stellt ein Konzept dar, das diese Offenheit des Marktes für Unternehmenskontrolle, d.h. die Möglichkeit für Ausländer, Unternehmen zu kaufen, als Standortvorteil interpretiert (Schief 2000; 2003). Dies ist freilich eine sehr weite Definition von Standortvorteilen. Auch Dunning (2003: 36) argumentiert, dass “a favorable political and commercial ethos towards M&As“ zu den “locational requirements of strategic asset-seeking FDI” gehöre. Dieses Problem wird ähnlich auch von Dunning (1993: 433) gesehen: „… it must be accepted that many A&Ms cannot easily be explained by traditional FDI theory as they are so much creatures of firm-specific strategies and the opportunities which present themselves at a particular time and place. At times, firms – particularly conglomerates – seem to behave as speculators in the market.” Zudem liegt die Vermutung nahe, dass diese im Rahmen einer ökonomischen Theorie kontingent sind: Gerade vor dem Hintergrund, dass marginale ökonomische Differenzen für riesige
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5 Theoretische Konzepte
Wohl weil keine Theorie, die externes Unternehmenswachstum im Ausland erklären kann in Sicht ist, halten Vertreter der economic school an einem Modell fest, dass auf der Annahme beruht, Unternehmen würden intern wachsen. Externes Wachstum folgt aber nicht nur selbst einer anderen Logik als internes Wachstum; in der Folge externen Wachstums verändert sich vielmehr auch die Logik interner Veränderungs- und Verlagerungsprozesse. Bereits oben (S.127f) wurde dargestellt, dass bei Übernahmen die Standortstruktur des Übernahmeobjekts häufig eine untergeordnete Rolle spielt, wodurch sich aus Übernahmen häufig eine suboptimale Standortstruktur ergibt. Aus diesem Grund kommt es nach Übernahmen vielfach zu umfangreichen Standortveränderungen. Diese finden nun freilich nicht mehr (vorrangig) als Wachstum, sondern als Restrukturierungsprozesse statt, die sowohl einen Auf- als auch einen Abbau von Wertschöpfungskapazitäten und Arbeitsplätzen an einzelnen Standorten – im Ausland wie im Inland – beinhalten können.182 Bemerkenswerterweise gibt es kaum empirische oder konzeptionelltheoretische Untersuchungen, die sich mit solchen Restrukturierungsprozessen nach Übernahmen auf der Ebene der Konfiguration beschäftigen. In der umfangreichen Literatur zum Management von post-merger integration stehen zumeist Fragen der Integration unterschiedlicher Unternehmenskulturen im Vordergrund183 und weniger der Managementstruktur oder gar der Wertschöpfungskonfiguration.184 Haspeslagh/Jemison (1992) unterscheiden in ihrer Studie über Akquisitionsmanagement drei Akquisitionsarten, je nach der Tiefe der anschließenden Integration:
Absorptionsakquisitionen sind gekennzeichnet durch einen hohen Grad der Überschneidung der geographischen Märkte und Sortimente. Systeme und Fertigungsverfahren werden auf die besten Vorgehensweisen umgestellt, und es kommt zu erheblichen Rationalisierungsmaßnahmen (etwa zu einem ‚Ressourcenverbund’) und zur vollen Ausschöpfung des Ergänzungspotentials in einem Netzwerk komplementärer Organisationen.
Investitionssummen entscheidend sein können, erscheint es plausibel, dass Faktoren wie die Interessen einzelner Manager oder deren hubris (vgl. oben Fußnote 177) den letzten Ausschlag geben. 182 Restrukturierungen erfolgen aber nicht ausschließlich nach Übernahmen und Fusionen: Intern gewachsene Konzernstrukturen können unter sich verändernden Rahmenbedingungen „veralten“ und ebenfalls einen Restrukturierungsbedarf entstehen lassen. 183 Einen Überblick geben Larsson/Lubatkin (2001), siehe auch Stahl/Mendenhall (2005) sowie Gertsen (1998). 184 Die Untersuchung von Schiemenz (2003), die sich auch mit Veränderungen der Produktionsstruktur beschäftigt, bleibt sehr abstrakt.
5.1 Ökonomische Direktinvestitionstheorien
137
Erhaltungsakquisitionen dienen normalerweise der Erkundung eines neuen Geschäftsfeldes. Sie stehen am anderen Ende der Integrationsskala. Wichtig sind die Abgrenzung und Förderung des übernommenen Unternehmens.
Symbiotische Akquisitionen sind auf der Integrationsskala zwischen den beiden vorgenannten Typen angesiedelt. Nach einer erhaltenden Übergangsphase werden, statt einer Eingliederung, die Organisationsformen mit dem Ziel einer wechselseitigen Öffnung angeglichen. Beim Zusammenwachsen „… dürfen die Eigenschaften, die den Fähigkeiten der übernommenen Firma zugrunde liegen, nicht verloren gehen; unnötige Unterschiede müssen beseitigt werden“ (ebd.: 270).
Als Determinanten für die Tiefe und Art der Integration – und damit für den Akquisitionstyp – nennen Haspeslagh/Jemison (ebd.: 243): 1.
den Grad der Ressourcenredundanz: Je mehr „… Überschneidungen in geographischen Märkten und Segmenten … anzutreffen sind, desto umfassender wird der Rationalisierungsprozess ausfallen“,
2.
die relative Größe von Akquisiteur und Akquisitionsobjekt: kleinere Zielgesellschaften werden „normalerweise“ absorbiert, während bei großen Übernahmen u.a. die Notwendigkeit zur Erhaltung von Fähigkeiten die Integration verkompliziert,
3.
die Qualität der übernommenen Firma: Hierunter verstehen die Autoren insbesondere Stärken oder Schwächen im Management der Zielgesellschaft. Aus einer weniger unmittelbar an Managementfragen orientierten Sicht185 ließen sich auch andere assets oder capabilities, also alle kompetitiven oder firmenspezifischen Wettbewerbsvorteile, als Qualitäten übernommener Unternehmen begreifen.
Eine weitere Differenzierung der ersten oben genannten Determinante unternehmen Buono/Bowditch (1989 unter Bezug auf eine Untersuchung der US Federal Trade Commission aus dem Jahr 1975). Die übernommenen Aktivitäten können zu den Aktivitäten des Akquisiteurs in unterschiedlicher Relation stehen:
horizontal: gleiche oder ähnliche Produkte,
vertical: Vorleistungen oder Weiterverarbeitung bzw. Vertrieb,
product extension: ähnliche Produkte, die nicht direkt miteinander konkurrieren,
185 Dies ergibt sich daraus, dass ihre Untersuchung eher an Managementprozessen als an Veränderungen der Konfiguration interessiert ist.
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5 Theoretische Konzepte
market extension: gleiche Produkte, die aber auf anderen geographischen Märkten vertrieben werden,
unrelated: unverbundene Aktivitäten (Konglomerat).
Von diesen fünf Typen sind unverbundene (unrelated) Übernahmen für unser Projekt nicht weiter von Interesse, da sie allenfalls portfolio- oder finanztechnisch begründet sind und ihnen keine operative Restrukturierung folgt. Zudem ist ihre Bedeutung in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen (Quah/McDermott 2000). Dies dürfte auch für vertikale Übernahmen zutreffen, ist doch die Verringerung der Fertigungstiefe seit längerem ein überall zu beobachtender Trend. Die Übernahmen, die die in den Fallstudien untersuchten Unternehmen getätigt hatten, waren alle entweder vom Typ horizontal, product extension oder market extension.186 Die Übernahmen von Heidelberger dienten der Erschließung neuer angrenzender Geschäftsfelder (product extensions). Die Übernahmen von Continental (Reifen) waren dagegen überwiegend horizontal, wobei teilweise auch neue geographische Märkte erschlossen wurden (market extension). Bei Hoechst (Pharma) lassen sich schließlich Übernahmen aller drei Typen finden. Die grenzüberschreitenden Restrukturierungen der Produktion sowie der Forschung und Entwicklung, die die untersuchten Unternehmen in den 1980er und 1990er Jahren durchgeführt haben, folgen zwei unterschiedlichen Mustern: Einen Restrukturierungstyp repräsentieren die Produktionsverlagerungen von Continental an die Standorte in Osteuropa (oder auch nach Mexiko, Malaysia und Brasilien). Die Verlagerungen von westeuropäischen Standorten an die übernommenen Standorte in Tschechien und der Slowakei, wo durch den Transfer von O-Vorteilen des Mutterkonzerns die Produktion erheblich gesteigert werden konnte, lassen sich als brown-field Investitionen charakterisieren (vgl. oben S.54), die sich nicht wesentlich von den Verlagerungen an den neu errichteten Betrieb in Rumänien (green-field) unterschieden. Als Motiv dieser Verlagerungen standen Standortvorteile in Form von niedrigeren (Lohn-) Kosten im Vordergrund. Somit ist diese Form der Restrukturierung mit dem OLIParadigma erklärbar. Ein zweites typisches Muster lässt sich hinter den Restrukturierungen von Heidelberger, Hoechst/HMR und auch bei Continental in Westeuropa erkennen. Heidelberger hatte im Bereich Druckweiterverarbeitung die Produktion in 186 In der Literatur werden für die letzten drei Jahrzehnte häufig drei Übernahmewellen unterschieden. Während in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre die meisten Übernahmen zu einer Diversifikation in andere Branchen führten, fand in der zweiten Hälfte der 1980er und der 1990er Jahre die Mehrzahl der Übernahmen innerhalb jeweiliger Branchen statt. Sie führten nun eher zu Konsolidierung als zu Diversifizierung (zusammenfassend Quah/McDermott 2000). Hieraus könnte man ableiten, dass die untersuchten Übernahmen tendenziell ‚repräsentativer’ geworden sind.
5.1 Ökonomische Direktinvestitionstheorien
139
Großbritannien eingestellt und in Ludwigsburg konzentriert. Im Bereich Digitaldruckmaschinen wurde die Fertigung in Kiel beendet und in Rochester, USA, konzentriert. Hoechst (HMR) hat eine Vielzahl von zumeist kleineren Fabriken geschlossen und die Produktion ebenso wie die Fertigung in wenigen, meist größeren Werken konzentriert. Verdoppelungen von Aktivitäten in einzelnen Ländern – etwa in Entwicklungsländern mit geschützten Märkten – wurden durch Werksschließungen bereinigt. Darüber hinaus gab es Verlagerungen, bei denen Einheiten, die zuvor unterschiedliche Produkte hergestellt hatten, einzelne Produktlinien aufgaben und sich auf wenige Produktlinien spezialisierten. Auch bei Continental wurden in Westeuropa überwiegend kleinere Werke, wie die in Irland, Schottland oder Schweden, geschlossen. Bei all diesen Restrukturierungen handelte es sich um Konzentrationsprozesse, die offensichtlich mit dem Ziel erfolgten, economies of scale and scope zu realisieren. Die Richtung der einzelnen Produktionsverlagerungen orientierte sich häufig nicht – oder zumindest nicht ausschließlich – an den location-specific advantages – wie etwa Marktzugang oder Faktorkosten – der betroffenen Standorte, wie dies von den Direktinvestitionstheorien angenommen wird.187 Die Entscheidungen, an welchen Standorten im In- oder Ausland bestimmte Wertschöpfungsaktivitäten konzentriert wurden, orientierten sich sowohl bei allen drei Unternehmen in hohem Maße auch an der Größe der vorhandenen Einheiten.188 Restrukturierungen erfolgen immer auch vor dem Hintergrund erheblicher sunk costs an den bestehenden Standorten: Die Verlagerung kleiner Produktionsvolumina ist mit niedrigeren Kosten verbunden als die Schließung großer Werke, die umfangreiche Verlagerungen nach sich ziehen würden. Sunk costs führen auch dazu, dass selbst weit reichende Restrukturierungen begrenzt bleiben – nicht nur bei Übernahmen vom Typ product extension, sondern auch bei horizontalen Übernahmen. Verlagerungen werden nur so weit durchgeführt wie die Kosten der Restrukturierung die Rentabilitätsgewinne, die durch die optimierte Standortstruktur zu erzielen sind, nicht übersteigen. So wurden bei Hoechst/HMR einzelne Werke im Ausland nicht geschlossen, ob-
187 Diese Restrukturierungen waren, insbesondere nach größeren Übernahmen wie bei Continental oder Hoechst/HMR, komplexe Prozesse, die sich häufig über mehrere Jahre hinzogen. Die Befragung von Pausenberger (1994) hatte ergeben, dass die Restrukturierungsprozesse nach großen Übernahmen durchschnittlich fünf Jahre andauerten. 188 Insgesamt gibt es eine breite Palette von Einflussfaktoren, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht systematisch erhoben wurden. Hierzu können auch historisch bedingte räumlicharchitektonische Besonderheiten einzelner Werke zählen, wie etwa die veraltete Etagenbauweise des alten Hauptwerks von Continental in Hannover-Vahrenwald oder die Tatsache, dass ein übernommenes Werk auf dem Industriegelände eines anderen Unternehmens liegt, wie die Wirkstofffertigung von MMD in den USA auf dem Industriegelände von Dow.
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5 Theoretische Konzepte
wohl die Produktion aus Sicht der Konzernleitung an den jeweiligen Standorten suboptimal war.189 Die Logik von internen Produktionsverlagerungen im Rahmen von Restrukturierungen nach Übernahmen unterscheidet sich also deutlich von der Logik des internen Wachstums, wie sie in der Direktinvestitionstheorie modelliert wird. Sie wird nicht nur von Firmenvorteilen der Muttergesellschaft und Standortvorteilen möglicher Gastländer bestimmt. Vielmehr haben auch Firmenvorteile der übernommenen Unternehmen sowie economies of scale and scope der verschiedenen, sowohl der ursprünglich eigenen wie auch der übernommenen, Wertschöpfungseinheiten einen Einfluss auf die Richtung der Verlagerungsprozesse. Durch diese Verlagerungen werden auch die internationalen Lieferstrukturen der multinationalen Unternehmen und damit der internationale Handel beeinflusst. Eine Direktinvestitionstheorie als theory of international production müsste zwar nicht unbedingt Übernahmen erklären, da diese selber keine unmittelbaren Auswirkungen auf Produktionsstandorte und Handel haben, sie müsste aber in der Lage sein, die Auswirkungen der Restrukturierungsprozesse, die im Anschluss an Übernahmen erfolgen, auf den Handel zu erfassen.
5.2 Managementtheoretische Ansätze Die Untersuchung im vorangegangenen Abschnitt konzentrierte sich auf ökonomische Theorien des multinationalen Unternehmens und auf dessen Entwicklungen und Veränderungen im operativen Bereich, auf das Wachstum durch Verlagerungen sowie durch Übernahmen und Restrukturierung in der Produktion oder der Forschung und Entwicklung. Im Folgenden werden nun Managementansätze behandelt, die insbesondere die Managementstrukturen – im Deutschen auch: Aufbauorganisation – der Unternehmen untersuchen, dabei aber immer auch die operativen Tätigkeiten, die in den jeweiligen Managementstrukturen koordiniert werden sollen, im Blick haben. Dabei folgen die meisten Autoren der managerial school der Annahme Chandlers: „structure follows strategy“ (Chandler 1962). Strategy meint dabei die operative Ausrichtung der Unternehmensaktivitäten mit dem Ziel, bestimmte Märkte zu beliefern, also grob gesagt das, was Porter (1989) Konfiguration nennt. Structure meint dagegen die Managementstruktur, also in etwa das oder zumindest einen wichtigen Teil dessen, was Porter Koordination nennt. Ange-
189 So sagte ein hochrangiger Interviewpartner bei HMR, dass, könnte er das Unternehmen “build up … from scratch, it would look totally different.”
5.2 Managementtheoretische Ansätze
141
nommen wird, dass Unternehmen ihre Managementstruktur so einrichten, dass die operativen Aufgaben optimal gesteuert werden können.190
5.2.1 „Multinationale“, „globale“ und „transnationale“ Unternehmen Bereits in den 1960er Jahren wurden in den USA Konzepte entwickelt, die versuchten, die damals empirisch beobachtbaren Veränderungen der Managementstrukturen der zunehmend weltweit agierenden US-amerikanischen Konzerne (vgl. Tabelle 2) zu erklären. Fayerweather (1969) entwickelte ein Analyseraster, das bis heute die Debatte über multinationale Unternehmen beeinflusst. Danach sind multinationale Unternehmen zwei widersprüchlichen Anforderungen ausgesetzt, die er als fragmentierende und unifizierende Einflüsse bezeichnet:
Fragmentierende Einflüsse ergeben sich aus den unterschiedlichen nationalen Umgebungen, in denen ein multinationales Unternehmen tätig ist.
Unifizierende Einflüsse ergeben sich dagegen aus der Notwendigkeit verschiedenster unternehmensinterner Transfers.
190 Im Hintergrund steht dabei die Annahme, dass die Unternehmen durch den Wettbewerb hierzu gezwungen werden, wollen sie nicht erhebliche Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen. Da die Managementliteratur sich (auch) als beratende und damit normative Literatur versteht, muss sie nicht annehmen, dass tatsächlich alle Unternehmen eine jeweils optimale Struktur aufweisen. Von soziologisch interessierter Seite ist dieser Ansatz als kontingenztheoretisch kritisiert worden (Sydow 1993: 69), da angenommen wird, dass sich aus den Umweltbedingungen der jeweiligen Branchen und ihrer Marktstrukturen direkt die Strategien der Unternehmen und aus diesen die Organisations- oder Managementstruktur ableiten lassen. Kritisiert wird, dass unternehmensinterne Auseinandersetzungen und Konflikte unberücksichtigt bleiben. Es soll hier keineswegs bestritten werden, dass die mikropolitischen Prozesse in den Unternehmen eine Eigendynamik besitzen, die zu Abweichungen von einer – angenommenen – ökonomischbetriebswirtschaftlichen Rationalität führen kann. Dies klang ja auch bereits oben bei der Erörterung der Motive für Übernahmen an (vgl. Fußnote 177). Die (betriebs-) wirtschaftliche Logik wird in den Unternehmen stets von einer sozialen Logik überlagert. Will man allgemeingültige und längerfristige Entwicklungstrends in der Strukturentwicklung multinationaler Unternehmen identifizieren, so scheint es zulässig, wenn nicht gar notwendig, von den Phänomenen der mikropolitischen Überformung abzusehen. So verfährt etwa auch Birkinshaw (1998), der sich ansonsten überwiegend mit mikropolitischen Prozessen beschäftigt. Auch scheint die häufig implizierte Annahme, dass Manager der Auslandsgesellschaften sich mit diesen Gesellschaften identifizieren und für deren Erhalt bzw. Ausbau eintreten, insbesondere bei Expats oder auch bei lokalen Managern, die eine Konzernkarriere außerhalb ihres Heimatlandes anstreben, zweifelhaft. In dieser Gruppe hat Flecker (2000) „hungrige Wölfe“ ausgemacht, die sich durch besonders radikale Kostensenkungs- und Schrumpfungsmaßnahmen zu profilieren trachten. Damit scheint offen zu sein, in welcher Richtung die Aktivitäten selbstinteressierter Manager Veränderungsprozesse in Unternehmen beeinflussen.
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5 Theoretische Konzepte
Fragmentation und Unifikation sind nach Fayerweather zwei entgegengesetzte Anforderungen, Extrempunkte eines Kontinuums, auf dem sich ein multinationales Unternehmen bewegen kann (vgl. auch Meier 1997: 30). Diese Idee wurde später von Prahalad (1975; nach Meier 1997: 31) aufgegriffen und zu dem weit verbreiteten integration-responsiveness-Schema weiterentwickelt.191 Hintergrund dieser theoretischen Überlegungen waren grundlegende Veränderungen der grenzüberschreitenden Organisations- und Managementstruktur in verschiedenen großen US-amerikanischen multinationalen Konzernen. Diese hatten bis dahin zumeist mehrere Produktdivisionen, die den US-amerikanischen Markt bearbeiteten, und daneben eine so genannte international division, die für das gesamte Auslandsgeschäft zuständig war und damit relativ unabhängig vom Inlandsgeschäft operierte.192 The really decisive point in the transition to world enterprise is top-management recognition that, to function effectively, the ultimate control of strategic planning and policy decisions must shift from decentralized subsidiaries or division locations to corporate headquarters, where a worldwide perspective can be brought to bear on the interests of the total enterprise. (Clee/Sachtjen 1964: 67)
Stopford/Wells (1972) benutzten bereits den Begriff global und bezogen ihn – unter Verweis auf Clee/Sachtjen – auf Unternehmen, die in ihrer Managementstruktur die Vorteile einer grenzüberschreitenden Integration betonten. Managers may become aware, for example, that there are gains to be realized by coordinating production on a worldwide scale. It has been argued that the really decisive point in the transition to global enterprise occurs when top-managers recognize that strategic planning and major policy decisions must be made in the central office so that a worldwide perspective on the interests of the total enterprise can be maintained. (Stopford/Wells 1972: 25)
Als Ergebnis eines groß angelegten Forschungsprojekts identifizierten Stopford/Wells vier verschiedene global structures, die sie einer Unternehmensstruktur, in der das gesamte Auslandsgeschäft in einer eigenen international division zusammengefasst ist, gegenüberstellten: neben einer Regionalstruktur mit area divisions insbesondere eine Struktur mit worldwide product divisions sowie eine mixed structure, in der beide Formen in verschiedenen Konzernbereichen nebe191 Diese beiden Anforderungen lassen sich auch unter Bezug auf DiMaggio/Powell (1983) neoinstitutionalistisch formulieren, indem nach der Dominanz isomorphischer Einflüsse des Unternehmens einerseits oder des Gastlandes andererseits gefragt wird (vgl. Harzing 2002). 192 Europäische Unternehmen hatten keine international division; bei ihnen waren die Auslandsgesellschaften direkt dem Vorstand unterstellt (Franko 1976).
5.2 Managementtheoretische Ansätze
143
neinander bestehen, und eine grid structure, in der sich regionale und produktbezogene Strukturen zu einer Matrix verbinden. Während Regionalstrukturen insbesondere bei Unternehmen mit hohen Auslandsumsätzen und geringer Diversifizierung vorzufinden waren, waren weltweite Produktdivisionen insbesondere bei Unternehmen mit einem hohen Diversifizierungsgrad und insgesamt eher geringfügigen Auslandsaktivitäten anzutreffen. Gemischte Strukturen fanden sich überwiegend bei Unternehmen mit mittlerer Diversifizierung und mittlerer Bedeutung der Auslandsmärkte. Die Zahl der Unternehmen mit Matrixstruktur war dagegen sehr gering (Stopford/Wells 1972: 64). In den folgenden Jahren erhielt der Begriff „global“ in der angloamerikanischen Managementliteratur eine relativ eng definierte Bedeutung. Typisch ist etwa die Definition von Porter (1989), die sich zunächst auf die Struktur von Branchenmärkten bezieht: Der Ausdruck „global“ ist in letzter Zeit [1986!; MW] sicherlich überstrapaziert worden und wird daher leicht missverstanden ... Im Rahmen unserer Analyse soll hierfür folgende Definition gelten: In einer globalen Branche wird die Wettbewerbsposition, die ein Unternehmen in einem bestimmten Land innehat, ganz erheblich von seiner Stellung in anderen Ländern beeinflußt und umgekehrt. Es handelt sich also bei einer globalen Branche ... um eine durch vielfältige Faktoren über Ländergrenzen hinweg verknüpfte Gesamtheit von Märkten, auf denen Unternehmen weltweit konkurrieren. (Porter 1989: 20)
Die zunehmende Homogenisierung und Integration der Weltmärkte, die von Levitt (1983) paradigmatisch beschrieben worden war (vgl. auch Boddewyn et al. 1986; kritisch Morrison et al. 1991), ist nach dieser Definition der Kern von Globalisierung. Als ihre Motoren werden u.a. der Abbau tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse, der technologische Fortschritt in der Telekommunikation und im Transport sowie die Angleichung von Konsumniveaus und mustern193 genannt.194 In einer globalen Managementstruktur drückt sich aus, dass die Konzerne Synergieeffekte der unterschiedlichsten Art nicht mehr primär durch eine Koordination verschiedener Aktivitäten auf nationaler Ebene zu erzielen suchen, sondern durch eine grenzüberschreitende Koordination auf global zusammenwachsenden Branchenmärkten. Vor dem Hintergrund zusammenwachsender Weltmärkte bringt eine Intensivierung der produktbezogenen Koordination über Län-
193 Dies schließt auch neue Ober- und Mittelschichten in Entwicklungsländern ein. 194 Der gleichen Logik kann auch Regionalisierung folgen, etwa die Integration des europäischen Marktes oder anderer Großräume innerhalb der Triade (Ohmae 1985). Hier geht es zunächst darum, die Logik solcher Integrationsprozesse zu beschreiben.
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5 Theoretische Konzepte
dergrenzen hinweg größere Vorteile als eine länderspezifische Koordination, die Produktgrenzen überschreitet. Die Charakterisierung eines Unternehmens als „global“ ist bei diesem Konzept von Globalisierung unabhängig von der geographischen Verteilung seiner Wertschöpfungsaktivitäten. Entscheidend ist vielmehr die Ausrichtung dieser Aktivitäten. Gerade in globalen Branchen werden die Weltmärkte häufig durch Exporte von einem einzigen Standort aus beliefert, da dies die höchsten Synergieeffekte ermöglicht. Auf globalen Märkten kann ein Unternehmen „... seine betrieblichen Funktionen weltweit integrieren, um die Gemeinsamkeiten der einzelnen Märkte aus[zu]nutzen“ (Porter 1989: 21).195 Parallel zu dem soeben beschriebenen Literaturstrang, der sich stark an dem Bezugsrahmen von local responsiveness versus global integration orientiert, entstand gegen Ende der 1960er Jahre auch ein anderer Typ von Theorie über die Strukturentwicklung multinationaler Unternehmen. Die Entwicklung multinationaler Unternehmen wird hier als eine Stufenfolge beschrieben. Entsprechend der sehr einflussreichen Typologie von Perlmutter (1969) entwickeln sich die Unternehmen von ‚ethnozentrischen’ über ‚polyzentrische’ hin zu ‚geozentrischen’ Strukturen. Der Internationalisierungsprozess der Unternehmen beginnt mit einfachen Aktivitäten im Ausland, die streng nach Vorgaben der Unternehmenszentrale gesteuert werden (ethnozentrisch). Während die Wertschöpfung im Ausland zunimmt und z.B. auch Entwicklungskapazitäten zur Anpassung der Produkte an lokale Märkte einschließt, lockert sich der Einfluss der Zentrale auf die Auslandsgesellschaften; die entstehende „… polycentric firm, literally, is a loosely connected group with quasi-independent subsidiaries as centers – more akin to a confederation“ (ebd.: 12). Schließlich können Auslandsgesellschaften auch – etwa in der Forschung oder in der Produktion – für den Gesamtkonzern bedeutsame Leistungen erbringen. Der geozentrische Gesamtkonzern wird dann „increasingly complex and interdependent“ (ebd.: 12), “… whose focus is on worldwide objectives as well as local objectives, each part making its unique contribution with its unique competence” (ebd.: 13). „… companies are at various stages on a route to geocentrism but none has reached this state of affairs” (ebd.: 14).196 Während das Stufenmodell von Perlmutter einen einzigen Entwicklungspfad annimmt, dem alle Unternehmen folgen, wurde von Bartlett/Ghoshal (1989) 195 Als Beispiele ‚globaler’ Unternehmen wurden häufig japanische Unternehmen wie Toyota genannt. Bemerkenswert ist, dass der japanische Unternehmensberater Ohmae (1985) den multinationalen Unternehmen empfahl, sich in den drei Regionen der Triade als insider stärker zu verankern – man könnte auch sagen, die regionalspezifische local responsiveness zu erhöhen. 196 Dabei können nach Perlmutter einzelne Bereiche und Funktionen eines Unternehmens unterschiedlich weit entwickelt sein. „There is some degree of ethnocentricity, polycentricity or geocentricity in all firms” (ebd.: 11).
5.2 Managementtheoretische Ansätze
145
eine veränderte Typologie vorgeschlagen, die auch auf das integrationresponsiveness-Schema zurückgreift. Hier wird angenommen, dass multinationale Unternehmen sich über längere Zeit entlang verschiedener Linien entwickelt haben: ‚Globale’ Unternehmen haben versucht, einen weitgehend homogenen globalen Markt durch eine möglichst zentralisierte Wertschöpfung im Heimatland zu bedienen und so economies of scale zu realisieren. Die Auslandsgesellschaften so genannter ‚multinationaler’ Unternehmen sind dagegen hochgradig an die unterschiedlichen lokalen Märkte angepasst. Dieser klassischen Dichotomie stellen Bartlett/Ghoshal einen dritten Typ zu Seite: ‚Internationale’ Unternehmen konzentrieren sich darauf, im Heimatland entwickelte Innovationen möglichst schnell an die Auslandsgesellschaften weiterzuleiten und dort einzusetzen.197 Die am weitesten fortgeschrittenen Unternehmen jedes dieser drei Typen – so die zentrale These von Bartlett/Ghoshal – konvergieren heute in Richtung auf eine ‚transnationale’ Struktur, die sie folgendermaßen charakterisieren: The transnational centralizes some resources at home, some abroad, and distributes yet others among its many national operations. The result is a complex configuration of assets and capabilities that are distributed, yet specialized. Furthermore, the company integrates the dispersed resources through strong interdependencies. … Such interdependencies may be reciprocal rather than sequential. The British subsidiary may depend on France for some range of products, while the French depend on the British for others. Some of these interdependencies are automatic outcomes of the specialized and distributed configuration of assets and resources. Frequently, however, they are specifically designed to build self-enforcing cooperation among interdependent units. (Bartlett/Ghoshal 1989: 60)
Das transnationale Unternehmen wird als Netzwerk begriffen, das sich aus vielen weltweit verstreuten und weitgehend eigenverantwortlichen oder kontextgesteuerten Einheiten zusammensetzt, zwischen denen ein intensiver Austausch von Bauteilen, Produkten, Personen, Ressourcen und Informationen stattfindet und die durch das Zentralmanagement lediglich at arms length koordiniert werden (Bartlett/Ghoshal 1989; ähnlich Hirsch-Kreinsen 1997). Diese Beschreibung
197 Ob es sinnvoll ist, das ‚internationale’ Unternehmen, das global ausgerichtete Forschung und Entwicklung mit multi-national ausgerichteter Produktion kombiniert, als eigenständigen Typus zu definieren, soll hier nicht diskutiert werden. Dieser Typ hat Ähnlichkeiten mit dem von Rall (1986) als blockiert-global bezeichneten Typ: Hier sind die nationalen oder regionalen Märkte zwar von den Produkten und Technologien her gleichartig, könnten also von einer einzigen Weltmarktfabrik aus beliefert werden, nationale politische Interventionen (etwa Zölle oder local content Bestimmungen) blockieren diese Option jedoch und zwingen zum Aufbau von Produktionskapazitäten vor Ort.
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5 Theoretische Konzepte
des transnationalen Unternehmens als interdependentes Netzwerk bei Bartlett/Ghoshal ist dem geozentrischen Unternehmen von Perlmutter sehr ähnlich.198 Gemeinsam ist all diesen Autoren, dass sich für sie in einer netzwerkartigen Organisation das Spannungsverhältnis zwischen globaler Integration und lokaler Responsivität auflöst und beide Qualitäten gleichzeitig – ohne einen nennenswerten trade-off – gesteigert werden können.199 Gemeinsam ist diesen Autoren auch, dass sie das transnationale – oder wie auch immer bezeichnete – Unternehmen als Produkt einer unternehmensinternen Dynamik in Reaktion auf veränderte und komplexere Weltmarktbedingungen verstehen. Externes Wachstum durch Übernahmen, das – wie zu zeigen sein wird – einen eigenständigen Erklärungsfaktor für die Entstehung komplexerer Unternehmensstrukturen darstellt, wird nicht thematisiert.
5.2.2 Konzepte zur Rolle ausländischer Tochtergesellschaften Parallel zu den Konzepten über Strategien und Strukturen multinationaler Unternehmen wurden in der managerial school auch Konzepte über die Rolle der Auslandsgesellschaften in diesen Unternehmen entwickelt. Ein frühes Konzept unterschiedlicher Rollen von Auslandsgesellschaften multinationaler Unternehmen stammt von White/Poynter (1984). Viele der von ihnen identifizierten Typen tauchen immer wieder in der Literatur auf:
Marketing satellites vertreiben Produkte des Mutterkonzerns.
Miniature replica replizieren im Wesentlichen die Aktivitäten der Muttergesellschaft für einen lokalen Markt. Sie können auch begrenzte auf den lokalen Markt ausgerichtete Entwicklungsaufgaben wahrnehmen, indem sie
198 Ein weiteres sehr ähnliches Konzept ist das ‚heterarchische’ Unternehmen von Hedlund (1986). 199 Auch Autoren, die eher in der Tradition von Fayerwheather und Prahalad stehen, wie etwa Porter (1989), behaupten nicht, dass jede Maßnahme, die einer weiteren Integration dient, automatisch zu einer Abnahme der Responsivität führt oder umgekehrt, betonen aber eher die Probleme und vermeiden den Begriff Netzwerk. Nach Meier (1997: 31) haben sich „... zwei Arten der expliziten Thematisierung von Fragen der Integration und Responsiveness herausgebildet. Zum einen werden Integration und Responsiveness – wohl analog zu dem beschriebenen Vorgehen Fayerwheathers – als Endpunkte eines Kontinuums angesehen ... Zum anderen entwickelten sich insbesondere im Kreis der Harvard Business School Integration und Responsiveness als zwei unabhängige Perspektiven, die ... in eine[r] zweidimensionale[n] Matrix ... dargestellt werden können. In dieser Sichtweise besteht zwar immer noch eine gewisse Schwierigkeit sich gleichzeitig überregional integriert und dennoch lokal angepaßt zu zeigen, doch ist eine Überwindung dieses Spannungsfeldes von Integration und Responsiveness bei Zugrundelegung der zweidimensionalen Sichtweise grundsätzlich möglich.“
5.2 Managementtheoretische Ansätze
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Produkte anpassen oder auch ergänzende Produkte für den lokalen Markt entwickeln.
Rationalized manufacturers sind Weltmarktfabriken, die economies of scale für eine eng definierte Produktpalette ausnutzen.
Product specialists entwickeln und produzieren eine begrenzte Produktlinie, für die sie weltweit oder zumindest regional verantwortlich sind (ProduktMandat).
Strategic independents besitzen Entscheidungsbefugnis über die Entwicklung, Produktion und Vermarktung eigener Produktlinien – für einen lokalen, regionalen oder globalen Markt.
White/Pointer (1984: 69) sahen die von ihnen untersuchten kanadischen Tochtergesellschaften (US-amerikanischer Konzerne) angesichts einer zunehmenden Integration Kanadas in die Weltwirtschaft – noch ganz im Sinne der Dichotomie von integration und responsiveness – vor die Alternative gestellt „… to Globalize or to Canadanize“. Eine spätere, viel zitierte Typologie von Tochtergesellschaften, die sich an einer integration-responsiveness-Matrix orientiert und somit mit der Unternehmenstypologie von Bartlett/Ghoshal kompatibel ist,200 stammt von Jarillo/Martínez (1990). Sie beschreiben drei Typen von Tochtergesellschaften:
Autonomous: hoher Grad der Lokalisierung und relativ niedrige Integration in den Konzern (entspricht der multi-nationalen Strategie),
Receptive: hohe Einbindung in den Konzern bei geringer lokaler Anpassung, typischerweise nur Vertrieb, u.U. aber auch weltmarktorientierte Fertigung (entspricht der globalen Strategie),
Active: hohe Konzernintegration und hohe lokale Responsivität (entspricht der transnationalen Strategie).
Ihre empirische Untersuchung von Tochtergesellschaften multinationaler Unternehmen in Spanien kommt zu folgendem Ergebnis: A trend can be observed where firms rationalize manufacturing by specializing in the production of a few items for both national consumption and export to the rest of Europe. … Thus ‘autonomous’ subsidiaries in food processing or health care are rapidly drifting towards ‘active’ strategies: an increased interchange of products with other subsidiaries across Europe is to be expected. At the same time some firms that 200 Ein dem ‚internationalen Unternehmen’ entsprechender Typ von Tochtergesellschaft ist allerdings nicht vorgesehen.
148
5 Theoretische Konzepte had manufacturing units in Spain for political or trade-barrier-related reasons plan to close them altogether, going from being ‘autonomous’ to a more receptive strategy. (Jarillo/Martinez 1990: 508)
Unberücksichtigt bleibt hier, dass viele der als ‘autonom’ charakterisierten Tochtergesellschaften vermutlich durch Übernahmen zu Tochtergesellschaften wurden, die nun erstmals in einen Konzern integriert wurden und daher notwendigerweise Autonomie verloren haben. Die Nicht-Berücksichtigung des externen Wachstums bzw. seiner Besonderheiten ist für viele Studien über das Verhältnis von Mutter- und Tochtergesellschaften in multinationalen Unternehmen kennzeichnend. Im Folgenden wird kurz auf die Studien von Taggart/Hood (2000) und Harzing (2002) eingegangen. Taggart/Hood (2000) haben die Entwicklung deutscher Tochtergesellschaften in Großbritannien und Irland entlang dreier Dimensionen (autonomy, market scope und integration) untersucht. Ihre Raster von acht Typen (drei Dimensionen, jeweils hoch oder niedrig) reicht vom starter plant zum strategic independent (hier Anlehnung an White/Pointer 1984). Sie zeigen, dass es insgesamt (innerhalb von fünf Jahren) nur geringfügige Veränderungen gab. Ferner kommen sie zu dem Ergebnis, dass die Gruppe der strategic independents ein gutes Drittel der deutschen Tochtergesellschaften ausmacht, und schreiben: „… with the relatively recent growth of German FDI, a large representation in this category would not be expected“ (ebd.: 312). Diese Verwunderung rührt wohl daher, dass sie die Möglichkeit nicht berücksichtigt haben, dass Investitionen nicht immer als starter plants beginnen, sondern dass häufig auch größere – und entwickelte – Unternehmen übernommen werden. Einen direkten Vergleich von neu gegründeten und übernommenen Auslandsgesellschaften und ihrer Einbindung in den jeweiligen Gesamtkonzern auf operativer und auf Managementebene hat Harzing (2002) in einer internationalen Studie durchgeführt. Das Ergebnis ist wenig überraschend: Compared to greenfields, acquisitions were allowed to operate more independently with lower levels of control exercised towards them. … acquisitions were displaying a higher level of local responsiveness in the form of local production and R&D and the modification of products and marketing for local markets. (Harzing 2002: 222)
Harzing interpretiert diese Unterschiedlichkeit als Ergebnis unterschiedlicher strategischer – multi-nationaler oder globaler – Präferenzen der Muttergesellschaften: Anknüpfend an das oben dargestellte entry mode Konzept (vgl. Punkt 5.1.3) nimmt sie an, dass die Unternehmen zwischen Neuinvestitionen und Übernahmen frei entscheiden können. Ferner geht sie davon aus, dass „global companies tend to focus on the exploitation of non-location bound home-based
5.2 Managementtheoretische Ansätze
149
FSAs [firm-specific advantages; MW]“ (Harzing 2002: 213), während multinationale Unternehmen auch an den Auslandsstandorten eigenständig höherwertige Aktivitäten wie Forschung und Entwicklung betreiben, um auf lokale Anforderungen reagieren zu können (responsiveness). Sie folgert dann, dass global orientierte Unternehmen eher zu Neuinvestitionen neigen, während multinational ausgerichtete Unternehmen Übernahmen präferieren, da übernommene Unternehmen häufig auch über Forschungs- und Entwicklungskapazitäten oder andere Fähigkeiten verfügen, die ihnen ein hohes Maß an responsiveness ermöglichen. Nicht in den Blick kommt auch hier, dass die Firmenvorteile übernommener Unternehmen nicht notwendigerweise und ausschließlich auf lokale Märkte ausgerichtet sein müssen. Übernahmeobjekte können vielmehr selbst global ausgerichtete Unternehmen sein, die auch über global verwertbare Firmenvorteile verfügen. Gerade der Erwerb solcher Firmenvorteile kann sogar das entscheidende Investitionsmotiv eines Akquisiteurs gewesen sein. In diesen Fällen ist dann freilich eine Neugründung keine Alternative zur getätigten Übernahme mehr, wie das entry-mode-Konzept annimmt, von dem auch Harzing ausgeht. Bemerkenswert ist eine Studie von Birkinshaw (1998) über ausländische Tochtergesellschaften in Schweden, in der dieser – neben Vertriebsgesellschaften – zwischen organisch gewachsenen und übernommenen Tochtergesellschaften mit Produktion und/oder Forschung und Entwicklung unterscheidet. Die 21 organisch gewachsenen Gesellschaften sind mit einer Exportquote von 15,5% überwiegend auf den nordischen Markt ausgerichtet, ihre FuE-Intensität ist unterdurchschnittlich, und ihre Position im Gesamtkonzern ist schwach oder gar gefährdet. Ganz anders die übernommenen Gesellschaften: Not surprisingly, subsidiaries in this group are on average much larger … They are also much more international in their outlook, more autonomous, better connected to their supplier network, and predominantly members of leading edge clusters. (Birkinshaw 1998: 283)
Offensichtlich hat der Modus des Auslandswachstums einen starken Einfluss auf die Qualitäten der Auslandsgesellschaften.201
201 Bemerkenswert ist, dass Birkinshaw in anderen Arbeiten (Birkinshaw 1997), aber auch in weiten Teilen des Artikels, aus dem die obigen Ergebnisse stammen, die Bedeutung von mikropolitischen Dynamiken, insbesondere „subsidiary initiatives“, für die Positionierung von Auslandsgesellschaften in multinationalen Konzernen betont und Übernahmen sonst nicht erwähnt (auch Birkinshaw 2003).
150
5 Theoretische Konzepte
5.2.3 Komplexitätssteigerung durch Übernahmen Offensichtlich sind Kompetenzen und Kapazitäten der drei in den Fallstudien untersuchten multinationalen Unternehmen heute breiter über Länder und Regionen – insbesondere Europa und Nordamerika – gestreut als in früheren Dekaden. Ihre Konfiguration und ihre Koordinationsstruktur sind komplexer geworden. Besaß Continental in den 1960er Jahren nur ein einziges Reifenwerk im Ausland, so sind es heute 14 (Mitte 2007). Heidelberger produzierte bis in die 1980er Jahre hinein ausschließlich in Deutschland. Heute bietet das Unternehmen neben Bogenoffsetmaschinen auch andere Komponenten für Druckereianlagen sowie Flexodrucksysteme an, die teilweise im Ausland entwickelt und produziert werden. Die ausländischen Fabriken des Pharmabereichs von Hoechst dienten in den 1950er und 60er Jahren ausschließlich der Belieferung lokaler Märkte. Ende der 1990er Jahre besaß das Nachfolgeunternehmen HMR im Ausland neben lokal ausgerichteten Werken eine Vielzahl von international verteilten Regional- und Weltmarktfabriken sowie mehrere Forschungs- und Entwicklungseinheiten. Dennoch steht hinter diesen Veränderungen nicht ein Prozess der Ausbreitung, sondern eher ein Konzentrationsprozess. Alle drei Unternehmen haben seit den 1980er Jahren deutlich mehr Wertschöpfungseinheiten im Ausland geschlossen als neu aufgebaut (vgl. auch oben S.138). Seit den 1980er Jahren hat Heidelberger im Ausland zwei Produktionsstätten geschlossen und eine neu errichtet. In der gleichen Zeit hat Continental im Ausland sechs Reifenwerke geschlossen202 und zwei neu errichtet. HMR hat zwischen 1995 und 1999 die weltweite Zahl seiner Fabriken halbiert. Das Auslandswachstum der drei Unternehmen fand überwiegend durch Übernahmen bestehender Einheiten statt. Auch die wertschöpfungsintensiven Tätigkeiten im Ausland (insbesondere bei Hoechst/HMR und Heidelberger) wurden übernommen. Eine operativ-funktionale Aufwertung an ausländischen Standorten hat nur selten stattgefunden. Bei HMR wurden einzelne Produktions- und Fertigungseinheiten im Ausland zwar zu Weltmarktoder Regionalfabriken gemacht; dieser Erhöhung der geographischen Reichweite stand aber eine Spezialisierung auf ein engeres Produktspektrum gegenüber. Nahezu alle Forschungs- und Entwicklungseinheiten der drei Unternehmen im Ausland sind aus Übernahmen hervorgegangen, so etwa die von HMR in Frankreich und den USA203 oder kleinere Einheiten von Heidelberger in der Schweiz (Gallus) und in den USA (Baumfolder) – und bis zu deren Verkauf auch 202 Ein weiteres Werk wurde in Mexiko an die Belegschaft verkauft, nachdem eine Schließung nicht durchgesetzt erden konnte. 203 Eine Ausnahme ist der Entwicklungseinheit von Hoechst in Japan aus den 1970er Jahren. In den USA kam es lediglich zu einer Verlagerung innerhalb des Landes.
5.2 Managementtheoretische Ansätze
151
in den USA, Frankreich und den Niederlanden. Continental hatte ebenfalls Forschungs- und Entwicklungseinheiten im Ausland (in Österreich und den USA) übernommen, die allerdings später geschlossen wurden, als die Forschung und Entwicklung in Deutschland konzentriert wurde. Auch HMR hat in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eine Reihe kleinerer Forschungs- und Entwicklungseinheiten geschlossen, die die Unternehmen Hoechst, Roussel Uclaf und MMD in den 1960er und 70er Jahren aufgebaut oder übernommen hatten. Die im Ausland angesiedelten Managementfunktionen gehen bei den drei Unternehmen ebenfalls allesamt auf Übernahmen zurück. Bei Heidelberger war die Managementzentrale des Geschäftsbereichs Rollenoffset mit der früheren Unternehmenszentrale von Harris identisch. Auch die verschiedenen Produktmandate kleinerer Auslandseinheiten gingen allesamt auf Übernahmen zurück. Im Reifenbereich von Continental wurden die Zuständigkeiten der Zentralen der übernommenen Konzerne in Europa und den USA schrittweise reduziert; schließlich wurden alle Aktivitäten in zwei globalen Divisionen von Deutschland aus gesteuert. Bei HMR wurden schließlich die Forschung und die Entwicklung des Gesamtkonzerns von den USA aus gesteuert; bei der Einrichtung dieses Steuerungszentrums (DIA) wurde auf die Kompetenzen des erworbenen Unternehmen MMD zurückgegriffen.204 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass wertschöpfungsintensive Tätigkeiten, insbesondere Forschung und Entwicklung sowie Managementfunktionen der drei untersuchten Unternehmen im Ausland allesamt auf Übernahmen basieren. Wenn also die Konfigurations- und Koordinationsstrukturen der Unternehmen heute international komplexer sind als in früheren Jahrzehnten, so ist dies nicht durch eine gezielte Dislozierungsstrategie der Konzernzentralen, d.h. durch eine Verlagerung von hochwertigen Tätigkeiten und entsprechenden Managementfunktionen von Deutschland ins Ausland, sondern durch das externe Wachstum der Unternehmen begründet. Als Dezentralisierung kann dies nur erscheinen, wenn man ignoriert, dass die Auslandsgesellschaften, die durch Übernahmen in den Besitz eines multinationalen Unternehmens gelangen, zum Zeitpunkt der Übernahme häufig vollständige strategische Unabhängigkeit besaßen. Nach der Übernahme wird diese Unabhängigkeit immer – mehr oder weniger – reduziert.205 204 Wie wichtig diese Kompetenzen waren, unterstreicht die Tatsache, dass sowohl der CEO als auch das für Forschung und Entwicklung zuständige Vorstandsmitglied von HMR USAmerikaner waren, die über MMD zu HMR gekommen waren. 205 Auch das embedding oder disembedding einzelner Wertschöpfungseinheiten folgt bei interner Restrukturierung nach Übernahme oder Fusion einer ganz anderen Logik als bei rein internem Wachstum. Bei internem Wachstum, d.h. beim Aufbau neuer Werke im Ausland steht die Frage im Vordergrund, wie Firmenvorteile, die in einem bestimmten Umfeld entstanden sind, in ein anderes Umfeld eingebettet werden können (embedding). Bei interner Restrukturierung
152
5 Theoretische Konzepte
5.2.4 Kritik des Netzwerkkonzepts Nachdem gezeigt wurde, dass sowohl die wertschöpfungsintensiven Aktivitäten als auch die Managementzuständigkeiten der drei untersuchten Unternehmen im Ausland weniger auf eine Verlagerung aus der Konzernzentrale als vielmehr auf externes Wachstum zurückzuführen sind, soll nun gefragt werden, wie weit die so entstandenen Konfigurations- und Koordinationsstrukturen transnational im Sinne Bartlett/Ghoshals (1989) sind. Sind die Forschungs- und Entwicklungseinheiten und die Fabriken oder auch die Managementeinheiten der Unternehmen durch wechselseitige Interdependenzen in Netzwerkstrukturen eingebunden?206 Bei Heidelberger blieb die Kern-Produktion (Bogenoffsetmaschinen) in Deutschland konzentriert, von wo aus die Weltmärkte über eine weltweite Vertriebs- und Serviceorganisation beliefert wurden – seit kurzem ergänzt um eine kleine Endmontage in China zur Belieferung des chinesischen Marktes. Daneben bestehen relativ unabhängig operierende Produktbereiche mit eigener Forschung und Entwicklung, wie etwa Flexodruck-Maschinen mit dem Zentrum in der Schweiz. Auch der inzwischen wieder verkaufte Geschäftsbereich Rollenoffset mit Wertschöpfungseinheiten in den USA, Frankreich und den Niederlanden war operativ mit den anderen Aktivitäten von Heidelberger nicht verflochten gewegeht es dagegen eher darum, dass zugunsten einer internationalen Integration durch Vereinheitlichung von Firmenvorteilen und einer Neuausrichtung der Produktion auf größere geographische Räume spezifische lokale Bindungen der erworbenen Betriebe gelockert werden müssen (disembedding). Forsgren u.a. (2005) haben in ihrem Konzept des „Embedded Multinational“ die große Bedeutung eigenständiger Außenbeziehungen der Auslandsgesellschaften multinationaler Unternehmen empirisch erhoben, und kommen zu dem ihrer Meinung nach paradoxen Ergebnis, „that, to a large extent, HQ is an outsider vis-à-vis the business networks in which the subsidiaries are embedded.“ (S.191) Die präsentierte Fallstudie bezieht sich allerdings auf ein Unternehmen, bei dem alle neun Auslandsgesellschaften in den vorangehenden 14 Jahren durch Übernahmen zum Konzern gekommen waren. Dass diese also zumindest bis zum Zeitpunkt der Übernahme stark „embedded“ waren, kann eigentlich nicht überraschen. Dass die erworbenen Tochtergesellschaften im Anschluss an ihre Übernahme nicht stärker aus ihrem angestammten Umfeld „disembedded“ und in den Gesamtkonzern integriert wurden, dürfte ebenfalls an den Besonderheiten des untersuchten Unternehmens liegen: Diese Gesellschaften, Hersteller von Verpackungsmaterial, waren in einem Feld tätig, auf dem der Akquisiteur selber keine Kompetenzen besaß. Dieser wollte mit den neuen Tochtergesellschaften lediglich den Absatzmarkt für seine Vorprodukte (Kraftliner) sichern (S.83-87). 206 Der Konzern, der eine solche globale Netzwerkstruktur scheinbar mustergültig verkörperte, war ABB (vgl. Osterloh/Weibel 1996; Taylor 1991; Bélanger et al. 1999). Heute weist ABB allerdings eher eine (traditionelle) Struktur mit globalen Produktdivisionen auf, was m.E. darauf hindeutet, dass die sehr dezentrale Struktur lediglich eine Zwischenphase der Restrukturierung nach der Fusion von BBC und Asea darstellte, die zunächst dem Ziel diente, die starken Landesgesellschaften von BBC in Deutschland und der Schweiz sowie von Asea in Schweden aufzubrechen, um sie anschließend in grenzüberschreitenden Produktdivisionen neu zusammenfassen zu können.
5.2 Managementtheoretische Ansätze
153
sen207 und besaß mit der Divisionszentrale in den USA eine hohe Eigenständigkeit. Die Reifenwerke von Continental in Europa sind auf den europäischen Markt ausgerichtet, während die Fabriken in Nordamerika sowie in Malaysia und Brasilien den nordamerikanischen Markt sowie teilweise lokale Märkte beliefern. Lieferverflechtungen zwischen diesen häufig auf bestimmte Reifentypen spezialisierten Werken gibt es nicht. Forschung und Entwicklung sind weitestgehend in Deutschland konzentriert und im Gegensatz zur Produktion nicht regional, sondern global ausgerichtet. Das Management ist heute in zwei globalen Divisionen für Pkw- und für Nfz-Reifen organisiert. Weder bei Heidelberger noch bei Continental finden sich Hinweise auf eine transnationale Netzwerkstrategie oder auf eine Netzwerkstruktur des Managements. Die einzelnen Standorte waren nicht wechselseitig miteinander verflochten, noch gibt es Anzeichen für eine Entwicklung in diese Richtung. Auch das Management der beiden Unternehmen hatte eine klare divisionale Struktur, bei Heidelberger ergänzt um Produktmandate. Die Strukturen bei Hoechst sind deutlich komplexer. Deshalb soll im Folgenden detaillierter auf diesen Fall eingegangen werden. HMR besaß zum Ende der 1990er Jahre drei unterschiedlich spezialisierte, unabhängig voneinander arbeitende und global ausgerichtete Forschungszentren. Die vier für die Produktzulassung zuständigen Entwicklungszentren arbeiteten jedoch – und dies ist der einzige relevante Befund, der für ein Netzwerk spricht – zunehmend arbeitsteilig: Die Tests wurden in den verschiedenen Ländern nun möglichst so durchgeführt, dass ihre Ergebnisse nicht nur in das jeweilige nationale Zulassungsverfahren, sondern auch in die anderer Länder eingespeist werden konnten; die Zusammenfassung der Testergebnisse und die Erstellung der Zulassungsdokumentationen erfolgte jedoch zentralisiert an einem Standort (DIA) in den USA. Die auf unterschiedliche Wirkstoffe spezialisierten Produktionsbetriebe waren global oder regional ausgerichtet, ebenso die auf unterschiedliche Darreichungsformen spezialisierte Fertigungsbetriebe. Alle Einheiten der Forschung, der Produktion und der Fertigung arbeiten parallel und ohne Austausch mit den anderen Einheiten der jeweils gleichen Funktion. Vorleistungsund Lieferbeziehungen von Produktions- zu den Fertigungsbetrieben sind einseitig, und damit nicht netzwerkartig. Auch beeinflussen sich die räumlichen (und anderen) Strukturen der Produktion und der Fertigung nicht – wie bei einem Netzwerk anzunehmen – wechselseitig. Dies drückt sich auch in der Managementstruktur aus: Forschung und Entwicklung werden von den USA aus koordi207 Lediglich kurzzeitig kam es mit der Einrichtung der Supply Units Manufacturing und Electronic Products zu einem Koordinationsversuch zwischen den Produktbereichen, der allerdings nach drei Jahren wieder aufgegeben wurde.
154
5 Theoretische Konzepte
niert, Produktion und Fertigung von Deutschland aus in zwei voneinander getrennten Organisationseinheiten. Abbildung 13 zeigt schematisch Produktions- und Fertigungsbetriebe von HMR und deren Lieferstrukturen: Jeder einzelne Produktionsbetrieb beliefert jeweils (potentiell) jeden Fertigungsbetrieb, und viele der Fertigungsbetriebe exportieren ihre Produkte an Vertriebsgesellschaften in der ganzen Welt. Hieraus ergibt sich ein Bild vielfältiger grenzüberschreitender Lieferbeziehungen zwischen Unternehmensteilen in den verschiedenen Ländern. Betrachtet man nun die verschiedenen Aktivitäten von HMR in den einzelnen Ländern jeweils als eine Einheit, so ergibt sich tatsächlich ein Netzwerk wechselseitiger Verflechtungen. Diese Betrachtung, die von Landesgesellschaften als integrierten Unternehmenseinheiten ausgeht, ist jedoch nicht realistisch. Die tatsächliche Managementstruktur ist in Abbildung 14 wiedergegeben: Managementeinheiten sind nicht Landesgesellschaften, sondern die funktionalen Organisationseinheiten Produktion bzw. Fertigung sowie Forschung und Entwicklung. Die Managementstruktur ist nicht netzwerkartig, sondern hierarchisch, auch wenn die Hierarchielinien mehrfach Landesgrenzen überqueren – wie etwa von der Unternehmenszentrale (HQ) in Deutschland zum Sitz des Managements für Forschung und Entwicklung (DIA) in den USA und wieder zurück zu den Forschungs- bzw. Entwicklungseinheiten in Deutschland. Der Eindruck von Netzwerkstrukturen kommt nur dann zustande, wenn als Grundeinheit Landesgesellschaften angenommen werden; Bartlett/Ghoshal (1989: 113) sprechen von „national organizations“. Häufig sind die einzelnen Aktivitäten und Funktionen lediglich formalrechtlich in Landesgesellschaften zusammengefasst.208 In anderen Fällen ist nicht einmal diese formale Integration gegeben und wird nachträglich theoretisch konstruiert, indem alle Aktivitäten in einem Land als eine Organisationseinheit gedacht werden.209
208 Nicht nur bei HMR, sondern bei den meisten Pharmaunternehmen sind die Produktion und die Fertigung relativ unabhängig von der Forschung und Entwicklung organisiert (Reger et al. 1999: 145; Zeller 2000; 2001). 209 Vgl. auch die Grafik in Bartlett/Ghoshal (1989: 113).
5.2 Managementtheoretische Ansätze
155
Abbildung 13: Konfiguration bei HMR (Produktion und Fertigung 1999) De
HQ
P
M
USA
Fr P M
M P
M
LX
Anmerkung:
M LY
schematische Darstellung der Produktions- (P) und Fertigungseinheiten (M), ohne Vertriebsgesellschaften (Deutschland, USA, Frankreich, Land X und Land Y); Lieferungen der Produktionsfabriken an Fertigungsfabriken und von Fertigungsfabriken zum Vertrieb
Abbildung 14: Koordination bei HMR (1999) De
F
E
HQ
P M
DIA
F
F USA
E
E
P
M
M P LX
Anmerkung:
Fr
M
M LY
schematische Darstellung ohne Vertrieb: Deutschland, USA, Frankreich, Land X und Land Y; Headquarters und die Steuerungseinheit Drug Innovation and Approval; Forschung (F), Entwicklung (E), Produktion (P) und Fertigung (M)
156
5 Theoretische Konzepte
5.3 Komplexe Globalisierung Im Folgenden soll ein Konzept vorgestellt werden, das die Entwicklung der – häufig komplexen – Strategien und Strukturen multinationaler Unternehmen besser beschreibt und erklärt als die Konzepte der managerial school und insbesondere das Konzept von Bartlett/Ghoshal (1989). Deren Konzept des transnationalen Unternehmens stellt eine Art Idealtyp dar, der als Zielpunkt der gegenwärtigen und künftigen Entwicklung multinationaler Unternehmen gedacht ist. Das hier zu präsentierende Konzept stellt dagegen eher auf die Entwicklungsdynamik selber ab, die aus zwei Komponenten besteht:
externes Wachstum durch Übernahmen,
interne Restrukturierung im Sinne einer Globalisierung der Konfigurationsund Koordinationsstrukturen.
Globalisierung wird hier im Sinne der managerial school als Konzentration von Entscheidungskompetenzen und Wertschöpfungsaktivitäten mit dem Ziel, Größenvorteile zu erreichen (Porter 1989; Bartlett/Ghoshal 1989: 15), verstanden. Diese basieren nun allerdings nicht ausschließlich auf einer Ausbeutung von am Stammsitz des multinationalen Unternehmens angesiedelten „home country assets“ (ebd.: 14). Der Prozess der Globalisierung ist komplexer als dies in den Konzepten der managerial school angenommen wird. Aufgrund ihres Wachstums durch Übernahmen verfügen multinationale Unternehmen gewissermaßen über mehrere ‚Stammsitze’ in unterschiedlichen ‚Heimatländern’, die sie als Kerne für Zentralisierungsprozesse nutzen können. Oben wurde ausführlich dargestellt, dass multinationale Unternehmen im Ausland, insbesondere in anderen Industrieländern, überwiegend – und im Zeitverlauf zunehmend – durch Übernahmen wachsen, und das dies die Komplexität der Konfigurations- und Koordinationsstrukturen der Unternehmen erhöht. Dort, wo die in den Fallstudien untersuchten Unternehmen wertschöpfungsintensive Tätigkeiten im Ausland durchführten, insbesondere Forschung und Entwicklung, basierte dies auf den Kompetenzen übernommener Unternehmen. Auch im Ausland angesiedelte regionale oder globale Managementfunktionen gingen aus den Managementzentralen ehemals selbständiger übernommener Unternehmen hervor.210 Dies soll hier nochmals kurz, zunächst für die Ebene der Konfiguration, nachgezeichnet werden. 210 In ihrer Studie über Divisionsheadquarter im Ausland nennen Forsgren et al. (1995) in der Einleitung mehrere Beispiele. In allen diesen Fällen waren die ausländischen Divisionsheadquarter bei übernommenen Gesellschaften angesiedelt. In der theoretischen Modellierung bleiben Übernahmen jedoch unberücksichtigt.
5.3 Komplexe Globalisierung
157
Bei Heidelberger fanden verschiedene grenzüberschreitende Zentralisierungsprozesse statt, etwa die Produktionsverlagerungen im Bereich Druckweiterverarbeitung von Großbritannien an den Hauptbetrieb in Ludwigsburg und im Bereich Digitaldruckmaschinen von Kiel nach Rochester in den USA. Mit diesen Konzentrationsprozessen in der Produktion war jeweils auch eine Konzentration von Entwicklungsarbeiten verbunden. Bei Continental gab es Konzentrationsprozesse in der Reifenproduktion zum einen im europäischen und zum anderen im nordamerikanischen Rahmen. Bereits in den 1980er Jahren wurden kleinere Werke geschlossen, und die Spezialisierung der verbliebenen Werke auf einzelne Reifentypen wurde vorangetrieben, wobei insbesondere in Europa Fabriken, die zuvor überwiegend nationale Märkte belieferten (etwa von Uniroyal-Engelbert), auf den europäischen Markt ausgerichtet wurden. Seit den 1990er Jahren wurde die europäische Produktion zunehmend in großen Werken in Osteuropa und Portugal konzentriert. Neben der Konzentrationsdynamik gab es hier eine an standortspezifischen Kostenvorteilen orientierte Verlagerungsdynamik. Während die Konzentration der Produktion im regionalen Maßstab stattfand, war die Zentralisierung der Forschung und Entwicklung am Firmensitz in Hannover global ausgerichtet. Am radikalsten war der Zentralisierungsprozess bei Hoechst/HMR. Große Teile der Produktion und der Fertigung wurden in einer kleinen Zahl von Weltmarktfabriken konzentriert, während einzelne Produktionsstätten und eine Große Zahl von Fertigungsbetrieben, die überwiegend auf nationale Märkte ausgerichtete waren, geschlossen wurden. Kleinere Forschungseinheiten wurden ebenfalls geschlossen. Die Entwicklungsarbeiten wurden in den wichtigsten Märkten, in den USA, Deutschland, Frankreich und Japan, konzentriert. Die beschriebenen Restrukturierungsmaßnahmen stellten eine Zentralisierung einzelner Wertschöpfungsaktivitäten bei gleichzeitiger Loslösung von ihren Absatzmärkten, bzw. bei der Forschung und Entwicklung von den Standorten der Verwertung ihrer Ergebnisse, dar.211 Sie lassen sich als Globalisierung inter-
211 Bei Continental war der Zentralisierungsprozess überlagert durch einen Verlagerungsprozess an ‚Niedrigkostenstandorten’ (vgl. auch S.138). Auch hier handelt es sich um eine Loslösung des Produktionsstandorts von den Absatzmärkten. Ergänzend ist hier eine wichtige Anmerkung zu machen: Die Definition von Globalisierung in der angelsächsischen Managementlehre (Porter 1989; aber auch Bartlett/Ghoshal 1989), in deren Zentrum das globale Zusammenwachsen von Märkten steht (vgl. oben S.143), hat aufgrund ihrer konzeptionellen Klarheit große Vorteile, weshalb sie auch den Ausführungen in diesem Abschnitt zugrunde gelegt wurde. Sie ist aber auch sehr eng. Eine Globalisierung der Beschaffung (global sourcing) für nicht notwendigerweise globalisierte, u.U. also auch lokale Märkte, ist in dieser Definition von Globalisierung nicht enthalten. Dies erklärt sich teilweise mit Porters Konzentration auf die competitiveness von Unternehmen und Ländern (competitiveness of nations) und nicht auf deren comparative advantages. Eine Kostenreduktion durch Verbilligung der Produktionsfaktoren ist für Porter
158
5 Theoretische Konzepte
pretieren im Sinne von „building cost advantages through centralized globalscale operations“ (Bartlett/Ghoshal 1989: 15), die durch eine grenzüberschreitende Integration von Märkten ausgelöst wurde. Gleichzeitig wurden Managementfunktionen zentralisiert und die Managementstrukturen global ausgerichtet, etwa in Produktdivisionen, Produktbereichen oder Funktionseinheiten. Dies soll kurz anhand der Fallstudien verdeutlicht werden: Bei Heidelberger wurden ehemals selbständige Unternehmen in globale, an Produktfeldern ausgerichtete Divisionen eingegliedert; etwa Baumfolder in den USA in den von Deutschland aus geführten Produktbereich Postpress, oder Stork in den Niederlanden in die aus den USA geführte Produktdivision Rollenoffset, die selber aus dem übernommenen Unternehmen Harris hervorgegangen war.212 Bei Continental wurden die ehemals selbständigen Unternehmen zunächst in regionale Divisionen überführt bzw. eingegliedert. Schließlich wurden alle Reifenaktivitäten in zwei globale Produktdivisionen für Pkw- und für Nfz-Reifen eingegliedert. Auch die Restrukturierungen der Managementorganisation waren bei Hoechst am tief greifendsten. Ende der 1960er Jahre wurden in dem breit aufgestellten Chemiekonzern Produktdivisionen geschaffen, die zunächst in MatrixStrukturen eingebunden waren, dann aber zunehmend Eigenständigkeit erhielten. Mitte der 1990er Jahre wurden diese Einheiten auch unternehmensrechtlich verselbständigt und als eigenständige Unternehmen verkauft oder an die Börse gebracht. Auch der Pharmabereich wurde in ein eigenständiges Unternehmen (Hoechst-Marion-Roussel) überführt. Innerhalb des Pharmabereichs wurden die Unternehmenszentralen der ehemals selbständigen (MMD) oder weitgehend selbständig operierenden (Roussel Uclaf) übernommenen Gesellschaften aufgelöst. Statt dessen wurden globale an unterschiedlichen Funktionen orientierte Managementstrukturen etabliert. Forschung und Entwicklung wurden nun von einer Einheit in den USA aus gesteuert; Produktion und Fertigung wurden in der Unternehmenszentrale in Deutschland koordiniert. Die drei Fallstudien deuten auf eine grenzüberschreitende Zentralisierung von Entscheidungsstrukturen im Rahmen von globalen Divisionen oder Funktionseinheiten hin. Dabei steht einer globalen Zentralisierung der Managementstrukturen auf Produkt- oder Funktionsebene häufig eine Dezentralisierung auf nationaler oder auch lokaler Ebene gegenüber. Der Zusammenhalt innerhalb nationaler produkt- oder funktionsübergreifender Managementeinheiten wird
letztlich keine langfristigen Erfolg versprechende Strategie, nur Innovation kann die competitiveness erhöhen. 212 Diese Zuordnung blieb auch nach dem Verkauf der Rollenoffset-Sparte erhalten.
5.3 Komplexe Globalisierung
159
gelockert oder sogar ganz aufgelöst.213 Dezentralisierung auf geographischer Ebene und Zentralisierung auf Produkt- oder Funktionsebene sind zwei verschiedene Seiten ein und desselben Prozesses – der zunehmend globalen Ausrichtung von Managementstrukturen.214 Zusammen treiben diese beiden Phänomene – verstärkte Segmentierung in den einzelnen Ländern und zunehmende Homogenität auf internationaler Ebene – den Umstrukturierungsprozess in vielen Industriezweigen voran. (Haspeslagh/Jemison 1992: 309)
Aus zwei Gründen bleiben die Unternehmenskonfigurationen trotz häufig umfangreicher Restrukturierung komplex: Zum einen besitzen multinationale Unternehmen Kerne für Zentralisierungsprozesse nicht nur im Heimatland des Gesamtkonzerns, sondern auch in den Heimatländern der übernommenen Unternehmen – und teilweise auch an Standorten der von diesen wiederum zuvor übernommenen Unternehmen. Zum anderen findet nach Übernahmen und Fusionen – insbesondere aufgrund von sunk costs – nie eine wirklich allumfassende Integration und Standortbereinigung statt. Daher bleiben auch bei umfangreichen Restrukturierungsmaßnahmen mehr oder weniger deutliche Spuren der unterschiedlichen Entwicklungspfade der beteiligten Unternehmen, u.U. ganzer Generationen von Übernahmen, über lange Zeit erhalten. Dabei sind die Übernahmen, die zu dieser Komplexität der Unternehmenskonfigurationen führen, selber möglicherweise durch eine Globalisierung der Märkte begründet.215 Eine grenzüberschreitende Integration der Märkte eröffnet 213 So schreibt etwa Birkinshaw (2003: 381; Hervorhebungen durch Birkinshaw): “… the subsidiary company per se is something like an endangered species. Most MNEs have now moved towards some variant of the global business unit structure in their international operations … The result is that the national subsidiary no longer exists in most developed countries.“ Dies kann auch erhebliche Auswirkungen auf die Binnenstruktur großer und traditionsreicher Verbundstandorte haben, deren einheitliches Werksmanagement u.U. aufgelöst wird. Zur Entwicklung am Standort Hoechst vgl. Menz u.a. (1999). 214 Meyer (2006) hat diesen Prozess der Restrukturierung multinationaler Unternehmen jüngst als globalfocusing bezeichnet: “Their internationalization and their reduction of diversification are opposite sides of the same coin: globalfocusing. … Globalfocusing is driven by shifts in the relative importance of country-specific and industry-specific resources and capabilities due to changes in the internal and external environment, notably the globalization of markets and supply chains. … Globalization changes the competitive terrain. It reduces the scope for leveraging location-specific resources by domestic diversification, and gives the competitive edge to specialists that can leverage industry-specific resources across global operations. I argue that changes in diversification and internationalization strategies are part of the same reconfiguration process, globalfocusing, which is induced by changes in the country- and industryspecificity of firms’ resources.” (Meyer 2006: 1109f) 215 Auch für Meyer (2006: 1140) können Übernahmen ein Element des ‚globalfocusing’ sein, „… changing the firm’s resource profile … through massive acquisitions and divestments of busi-
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5 Theoretische Konzepte
die Möglichkeit, durch grenzüberschreitende Restrukturierung der Wertschöpfungsaktivitäten, wie unvollständig auch immer, Synergieeffekte zu erzielen.216 Während die relativ wenigen internationalen Übernahmen und Fusionen in den 1960er und 70er Jahren häufig einer Diversifikation in neue Geschäftsfelder dienten, scheint bei den internationalen Übernahmen und Fusionen der 1980er und insbesondere der 1990er Jahre eine Konsolidierung der eigenen Tätigkeitsbereiche stärker im Vordergrund zu stehen (Quah/McDermott 2000). Auch für die Neuausrichtung der Managementstrukturen besitzen multinationale Unternehmen nach Übernahmen u.U. neue Optionen: Die Managementkompetenzen der übernommenen Unternehmen im Ausland können auch für das Management global ausgerichteter Produkt- oder Funktionseinheiten genutzt werden. Aus Übernahmen ergeben sich also auch komplexe Managementstrukturen, da nun z.B. auch inländische Standorte ausländischen Divisionszentralen zugeordnet sein können, die selber wiederum der Konzernzentrale unterstehen. Es handelt sich um eine Art dezentraler Zentralisierung. Bei der beschriebenen Entwicklung multinationaler Unternehmen handelt es sich um eine komplexe Globalisierung: Auf sich globalisierenden, d.h. auf international zusammenwachsenden Märken wachsen die Unternehmen zunehmend extern durch Übernahmen und versuchen, durch globale Zentralisierung der eigenen und der übernommenen Aktivitäten Synergieeffekte zu erzielen. Trotz der Komplexitätsreduktion durch global ausgerichtete Restrukturierungsmaßnahmen erhöht sich durch das externe Wachstum die Komplexität der Konfigurations- und Koordinationsstrukturen multinationaler Unternehmen.
ness units. This, however, creates major operational challenges such as reorganizing internal structures and processes, and managing post-acquisition integration.” An diesem Punkt endet die Argumentation Meyers: „I have analyzed why firms globalfocus, but future research may investigate, how they implement this dynamic process“ (Meyer 2006: 1140). 216 Ob eine solche Strategie immer erfolgreich ist, soll hier nicht beurteilt werden. Kristensen/Zeitlin (2005) beklagen in ihrer Fallstudie eines britischen Prozesstechnologiekonzerns, dass die zentral verordnete Restrukturierung, die das Ziel hatte, die Kompetenzen für grenzüberschreitend operierende Produktgruppen an einzelnen Standorten zu bündeln, die Innovationskraft der übernommenen Unternehmensteile behindert habe.
6 Standortdebatte und grenzüberschreitende Mobilität
Im vorangegangenen Kapitel wurden theoretisch-konzeptionelle Probleme multinationaler Unternehmen und von ‚Globalisierung’ erörtert. In diesem Kapitel sollen nun sozioökonomische Probleme, die möglicherweise aus einer ‚Globalisierung’ multinationaler Unternehmen für die deutsche Wirtschaft resultieren, erörtert werden. Nicht nur bei vielen Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit gilt die Fähigkeit multinationaler Unternehmen, Produktion – oder allgemeiner: Wertschöpfungsaktivitäten – von einem Land in ein anderes zu verlagern, als entscheidendes Merkmal der Globalisierung. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Verlagerbarkeit von Produktion durch multinationale Unternehmen werden insbesondere auf zwei Ebenen diskutiert: zum einen auf der makroökonomischen Ebene und zum anderen auf der betrieblich-sozialen Ebene.217 In der deutschen Standortdebatte, die seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre sowohl von Wirtschaftswissenschaftlern wie auch einer breiten Öffentlichkeit geführt wird, wurde der negative Saldo zwischen niedrigen Direktinvestitionszuflüssen und hohen -abflüssen als Indikator für eine Schwäche des deutschen Wirtschaftsstandorts benutzt, womit insbesondere die Notwendigkeit von ‚maßvollen’ Tarifabschlüssen und anderen wirtschaftsfreundlichen Politiken begründet wurde. In Abschnitt 6.1 soll gezeigt werden, dass, wie als Punkt 6 in der Einleitung (oben S.23) formuliert, die verschiedenen Daten über die Tätigkeit multinationaler Unternehmen für Deutschland kein Standortproblem belegen. Auf der Ebene einzelner Betriebe erhöht die Möglichkeit, Produktion grenzüberschreitend zu verlagern, die Machtposition des Managements multinationaler Unternehmen insbesondere gegenüber ihren Arbeitnehmern und deren Inter217 Zwischen beiden Ebenen bestehen vielfältige Verbindungen: So wird häufig behauptet, dass auch der Nationalstaat aufgrund der zunehmenden Mobilität multinationaler Unternehmen einen Machtverlust erleiden (etwa Beck 1996; Streeck 1998; Scharpf 2000). Eine Flexibilisierung der Tarifpolitik, etwa durch Öffnungsklauseln, die ein Unterschreiten der ausgehandelten Tarife erlauben, soll sowohl den Standort Deutschland insgesamt stärken als auch die Möglichkeit eröffnen, einzelne Betriebe durch Tarifzugeständnisse vor einer Verlagerung zu bewahren. Diese und weitere Zusammenhänge können im Rahmen dieser Arbeit nicht näher ausgeführt werden.
162
6 Standortdebatte und grenzüberschreitende Mobilität
essenvertretern. Hier sind nicht nur, wie in der Standortdebatte, reale Verlagerungen problematisch, es reicht vielmehr bereits aus, wenn Unternehmensleitungen glaubhaft mit einer Verlagerung drohen können. Obwohl eine zunehmende Mobilität der Produktion (Stichwort: footloose) ein Kernthema der sozialwissenschaftlichen Globalisierungsdiskussion ist, gibt es bisher kaum empirische Untersuchungen hierzu. In Abschnitt 6.2 sollen zumindest verschiedene Indizien, die für oder gegen eine veränderte Mobilität der Unternehmen sprechen, angeführt und diskutiert werden.
6.1 Die deutsche Standortdebatte In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft seit Mitte der 1970er Jahre zu einem zentralen wirtschaftspolitischen Thema. Mit den Verteuerungen der Ölimporte war die Leistungsbilanz Mitte der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre in die roten Zahlen gerutscht. Als Reaktion entspann sich eine intensive Diskussion – zunächst um die technologische Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands (etwa Hauff/Scharpf 1975). In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre – parallel zur aufkommenden Diskussion über Globalisierung – vollzog sich in der Diskussion um Wettbewerbsfähigkeit ein Paradigmenwechsel. War man in den 1970er und frühen 80er Jahren davon ausgegangen, dass Länder als Volkswirtschaften mit „ihren“ Industrien gegeneinander konkurrieren, so entwickelte sich nun mit der Standortdebatte ein neues Paradigma, dem die Vorstellung zugrunde liegt, dass Länder lediglich als Standorte um die Ansiedlung von international mobilen („heimatlosen“) Unternehmen konkurrieren, die ihrerseits ein regime shopping (Streeck 1991) betreiben. Der internationale Wettbewerb findet nicht mehr nur auf Produktmärkten zwischen Ländern oder “ihren“ Unternehmen statt, die versuchen, die im Land verfügbaren Ressourcen wie Kapital, Arbeitskräfte, Technologien etc. optimal zu kombinieren. Es gibt nun einen Wettbewerb zwischen den Ländern um die Investitionen multinationaler Unternehmen und um die mit diesen verbundenen Arbeitsplätze. Für die Bundesrepublik Deutschland ist der Saldo der Direktinvestitionen seit Mitte der 1970er Jahre negativ (Tabelle 18),218 deutsche Unternehmen tätigen also mehr Direktinvestitionen im Ausland als ausländische Unternehmen in der Bundesrepublik. Seit Mitte der 1970er Jahre bis zum Ende der 1990er Jahre 218 Früher wurden in dieser Debatte häufig vom Bundeswirtschaftsministerium publizierte Daten verwendet, die sich von denen in der von der Bundesbank publizierten Zahlungsbilanz dadurch unterschieden, dass sie – von der Bundesbank geschätzte – reinvestierte Gewinn bzw. eingestellte Verluste nicht enthielten.
6.1 Die deutsche Standortdebatte
163
lagen die Direktinvestitionsabflüsse in den meisten Jahren drei mal so hoch wie die Zuflüsse, oder sogar deutlich darüber. Aus dieser Tatsache hat der Sachverständigenrat 1988 in seinem Jahresgutachten mit dem programmatischen Titel „Arbeitsplätze im Wettbewerb“ die Schlussfolgerung gezogen, „dass die Standortqualität der Bundesrepublik international nicht als sehr hoch eingeschätzt wird“ (Sachverständigenrat 1988). Hiermit war das Grundmuster für eine Argumentation vorgegeben, das in der Standortdebatte bald auf breitester Ebene Wirkung entfaltet hat. So stand etwa in dem von Bundesregierung (1996), Arbeitgebern und Gewerkschaften gemeinsam erarbeiteten Papier „Bündnis für Arbeit und Standortsicherung“ von 1996: Es „... besteht akuter Handlungsbedarf. Dies zeigt die geringe Investitionstätigkeit ausländischer Unternehmen in Deutschland bei steigendem Auslandsengagement deutscher Unternehmen.“
Tabelle 18: Aus- und einfließende Direktinvestitionen Deutschlands (Jahreswerte in Mrd. €) sowie Beschäftigte bei deutschen Unternehmen im Ausland und ausländischen Unternehmen in Deutschland, gesamt und Verarbeitende Industrie (in 1000) bis76 bis80 bis86 bis90 bis96 2,3 2,1
4,0 1,2
97
98
99
00
01
02
03
04
05
DI
aus ein
6,7 13,6 22,0 37,1 79,9 102,0 61,4 44,3 20,1 5,5 1,5 36,7 1,4 3,0 3,7 10,9 22,1 52,6 215,2 29,5 56,9 25,9 -12,2 26,3
B.ges.
ein 1664 1636 1500 1789 1662 1706 1745 1998 2130 2165 2143 2162 2198 n.v. aus 1304 1743 1788 2337 3120 3289 3738 4104 4440 4698 4546 4517 4581 n.v.
B.vera. ein 1268 1240 1071 1242 1059 1058 1027 1130 1205 1215 1201 1231 1309 n.v. aus 922 1312 1276 1647 2000 2115 2422 2532 2665 2778 2623 2601 2589 n.v. Anmerkungen: DI ein- bzw. ausfließende Direktinvestitionen entsprechend der Zahlungsbilanz B.ges. Gesamte Beschäftigung bei ausländischen Unternehmen in Deutschland (ein) bzw. bei deutschen Unternehmen im Ausland (aus) B.vera. Beschäftigung in der verarbeitenden Industrie bei ausländischen Unternehmen in Deutschland (ein) bzw. bei deutschen Unternehmen im Ausland (aus) Quellen: Deutsche Bundesbank; eigene Berechnungen
Neben Direktinvestitionsdaten wurden in der Debatte auch Beschäftigtenzahlen verwendet. Olaf Henkel, Präsident des BDI, machte wohl das öffentlichkeitswirksamste Statement, als er Deutschland als „Weltmeister im Export von Arbeitsplätzen“ bezeichnete und behauptete, deutsche Unternehmen hätten von 1990 bis 1994 „rund 300.000 Arbeitsplätze von Deutschland ins Ausland verla-
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6 Standortdebatte und grenzüberschreitende Mobilität
gert“ (Henkel 1995).219 Insbesondere vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag publizierte Untersuchungen (DIHK 1996; 1999; 2006) versuchten dieses Szenario empirisch zu untermauern. In der Studie von 1996 wurde etwa behauptet, dass deutsche Unternehmen bis 1999 planen, 300.000 Arbeitsplätze im Ausland zu schaffen. Tabelle 18 zeigt, dass die Zahl der Beschäftigten bei deutschen Unternehmen im Ausland – nach einer Phase der Stagnation – seit Mitte der 1980er Jahre tatsächlich stark angestiegen war, während sich die Beschäftigung bei ausländischen Unternehmen in Deutschland im längeren Zeitverlauf kaum veränderte. Seit 2001 stagniert jedoch auch die Auslandsbeschäftigung wieder; eine ähnliche Stagnation hatte es auch in den frühen 1980er Jahren gegeben, ehe das rasante Wachstum begann.220 Nun ist allerdings der Gebrauch von Direktinvestitionsdaten und auch von Zahlen über eine veränderte Auslandsbeschäftigung als Indikator für die Standortstärke bzw. -schwäche eines Landes aus drei theoretisch und systematisch voneinander unabhängigen Gründen problematisch:221
Auch in der Standortdebatte wurden Direktinvestitionen mit Neuinvestitionen in Sachanlagen gleichgesetzt, und ein Mehr an Beschäftigten bei deutschen Auslandsgesellschaften wurde als Schaffung von Arbeitsplätzen interpretiert. Das externe Wachstum durch Übernahmen bleibt unberücksichtigt.
Die von deutschen Wirtschaftsforschern am häufigsten angesprochene Problematik (etwa Klodt/Maurer 1996; Jungnickel 2000) lag darin, dass Auslandsinvestitionen häufig mit dem Ziel der Markterschließung getätigt werden, also häufig keine inländischen Arbeitsplätze ersetzen und u.U. sogar deutsche Exporte befördern.
219 Vor kurzem sprach auch Roland Berger (2005) davon, dass bei deutschen Unternehmen in Mittel- und Osteuropa seit 1993 „800.000 Arbeitsplätze … entstanden“ seien. 220 Der Beschäftigungsanstieg in Deutschland im Jahr 2004 dürfte auf die Investitionen von Private Equity Fonds zurückzuführen sein: Die Statistik der Deutschen Bundesbank weist für 2004 in der Automobilbranche einen Anstieg der Beschäftigten bei ausländischen Tochter- und Beteiligungsgesellschaften von 165.000 auf 259.000 aus. Dem Geschäftsbericht von Volkswagen AG für 2004 ist zu entnehmen, dass das US-amerikanische Unternehmen Brandes Investment Partners, LCC, San Diego, im Juli 2004 seinen Anteil an den Stammaktien des Unternehmens auf 10,7% erhöht hat. Damit wird Volkswagen in der Statistik als ausländische Beteiligungsgesellschaft behandelt. 221 Auf die Problematik eines Vergleichs von Direktinvestitionen und Realinvestitionen im Ausland wurde bereits oben (Punkt 2.1.1) eingegangen. Dies soll hier nicht nochmals wiederholt werden.
6.1 Die deutsche Standortdebatte
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Internes Auslandswachstum ist – folgt man etwa Dunnings Direktinvestitionstheorie – nicht nur Ausdruck eines komparativen Standortvorteils (Lspecific advantage) der jeweiligen Zielländer, sondern auch ein Ergebnis der kompetitiven Wettbewerbsfähigkeit (O-specific advantage) der investierenden deutschen Unternehmen.
Diese drei Punkte sollen im Folgenden näher behandelt werden. In jüngster Zeit wird ein weiterer Punkt, nämlich dass den Verlagerungen ins Ausland ‚Rückverlagerungen’ gegenüberstehen, stärker thematisiert; hierauf wird weiter unten ebenfalls näher eingegangen.
6.1.1 Standortdebatte und externes Wachstum In Abschnitt 2.2.3 wurde gezeigt, dass die deutschen Unternehmen im Ausland vorrangig nicht intern, sondern extern wachsen. Das Gros des Auslandswachstums deutscher Unternehmen erfolgte nicht durch den Aufbau neuer Kapazitäten und Arbeitsplätze, sondern durch Übernahmen bestehender Unternehmen mit bestehenden Arbeitsplätzen. Eine entsprechende Differenzierung des Wachstumsmodus der multinationalen Unternehmen im Ausland wurde in der öffentlichen wie in der akademischen Standortdiskussion – trotz der Aktualität des Themas mergers & acquisitions (M&A) – nicht vorgenommen. Während internes Wachstum die Schaffung neuer Kapazitäten und damit neuer Arbeitsplätze bedeutet, bleiben bei externem Wachstum die operativen Strukturen (Konfiguration) einschließlich der Arbeitsplätze zunächst unverändert, es ändern sich lediglich die Besitzverhältnisse. Der größte Teil des deutschen Unternehmenswachstums im Ausland hat also mit Produktionsverlagerungen nichts zu tun und ist auch von der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland unabhängig (siehe auch Wortmann 1996; 2002; Wortmann/Dörrenbächer 1997). Es ist schon merkwürdig, dass dieser Tatbestand in der Standortdebatte in den letzten Jahren zwar hin und wieder – etwa Deutsche Bundesbank (2006)222 – am Rande er222 Bemerkenswerterweise stellt die Deutsche Bundesbank in einem neueren Artikel über die Bedeutung von Direktinvestitionen fest: „Es wäre allerdings verfehlt, den … Anstieg der Beschäftigten in den Auslandsniederlassungen deutscher Unternehmen mit einer Verlagerung von Arbeitsplätzen aus Deutschland gleichzusetzen. Insbesondere bei Übernahmen und Fusionen erlaubt der Anstieg der Auslandsbeschäftigung um die in einem übernommenen Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter für sich genommen keinerlei Aussage über aktuelle und potenzielle Verlagerungen von Arbeitsplätzen in das Ausland.“ (Deutsche Bundesbank 2006: 53). Auch früher haben einzelne Autoren auf die Bedeutung von Übernahmen für eine Einschätzung der Beschäftigungseffekte verwiesen, etwa Döhrn (1996), ebenso Härtel/Jungnickel (1996: 138), die auch auf die von uns erhobenen Daten verweisen. Sie führen dieses Argument jedoch nicht weiter systematisch aus.
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6 Standortdebatte und grenzüberschreitende Mobilität
wähnt, nicht aber systematisch berücksichtigt wird. Auch neuere Untersuchungen des Ifo Instituts (Becker et al. 2005) gehen von einem rein internen Auslandswachstum aus.223 Insbesondere in Westeuropa und Nordamerika, d.h. in den mit Deutschland am ehesten vergleichbaren Ländern, wurden (zwischen 1985 und 1999) keine zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen (vgl. Abbildung 3, S.54). Zwar gibt es durchaus Fälle von Arbeitsplatzverlagerungen in diese Länder;224 diesen steht aber ein Abbau von Arbeitsplätzen in etwa gleichem Umfang gegenüber – eventuell auch durch Arbeitsplatzverlagerungen nach Deutschland.225 In Asien (incl. Japan, ohne China) haben deutsche Unternehmen innerhalb von 15 Jahren (1985 bis 1999) deutlich weniger als 100.000 Arbeitsplätze intern geschaffen; es wurden also auch weniger als 100.000 Arbeitsplätze per Saldo dorthin verlagert – eine insgesamt kaum Besorgnis erregende Zahl.226 Für Osteuropa und China war es nicht möglich, internes und externes Unternehmenswachstum empirisch zu erheben. Es ist also nicht möglich, zu sagen, wie viele der 534.000 bzw. 157.000 dortigen Arbeitsplätze (2004) in der verarbeitenden Industrie seit dem Beginn der Transformationsprozesse von deutschen Unternehmen hier neu geschaffen und wie viele übernommen wurden; es muss also offen bleiben, wie viele dieser Arbeitsplätze dorthin verlagert wurden. Im Jahr 2000 war plötzlich ein Direktinvestitionszufluss vom Ausland nach Deutschland in Höhe von 215 Mrd. € zu verzeichnen, während die deutschen Direktinvestitionen ins Ausland nur 61 Mrd. € betrugen. Der massive Direktinvestitionszufluss war im Wesentlichen auf eine einzige Transaktion, nämlich auf die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone – für 372 Milliarden DM – zurückzuführen. Dieser Vorgang verdeutlicht die Unbrauchbarkeit des Indikators Direktinvestitionen für eine Bewertung der Standortqualität Deutschlands schlagartig. Während der Großteil des Wachstums deutscher Unternehmen im Aus223 Diese Studie des Ifo-Instituts, das sich im Gegensatz zum HWWA oder dem RWI, denen die vorgenannten Autoren angehören, erst seit kürzerer Zeit mit Direktinvestitionen beschäftigt, ignoriert – wie die der neuen Handelstheorie nahestehenden Theorien von Helpman und Markusen (vgl. Punkt 5.1.7), auf die sich diese Studie bezieht – Übernahmen vollständig: Becker et al. (2005: 26) sehen im gesamten Zuwachs an Arbeitsplätzen im Ausland „im Ausland geschaffene Arbeitsplätze“, deren Zahl sich zwischen 1989 und 2001 angeblich verdoppelt hat. 224 In den Medien wurden in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren immer wieder dieselben Beispiele aufgeführt, darunter Bosch in Cardiff, BASF in Antwerpen, Siemens in Newcastle, Mercedes-Benz in Lothringen oder Mercedes-Benz und BMW in den USA. 225 Auch bei den drei in den Fallstudien untersuchten Unternehmen gibt es hierfür Beispiele: etwa die Verlagerung der Wirkstoffproduktion bei HMR von Midland in den USA nach Hoechst oder die Verlagerung der Produktion von Weiterverarbeitungsmaschinen bei Heidelberger von dem erworbenen Werk in Slough in Großbritannien nach Ludwigsburg in Deutschland. 226 In Afrika wurden kaum neue Arbeitsplätze geschaffen und in Lateinamerika war die Beschäftigung bei deutschen Unternehmen sogar rückläufig.
6.1 Die deutsche Standortdebatte
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land auf Übernahmen zurückzuführen ist, ist umgekehrt die Stagnation der Beschäftigung bei ausländischen Unternehmen in Deutschland zu einem guten Teil durch die lange Abwesenheit großer Übernahmen hierzulande bedingt. Im internationalen Vergleich fällt auf, dass große spektakuläre Übernahmen deutscher Unternehmen durch ausländische Konzerne vor 2000 ausgesprochen selten waren.227 So lag der Anteil Deutschlands als Empfängerland an den weltweiten grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen zwischen 1990 und 1998 bei jahresdurchschnittlichen 4,3 %; der Anteil Frankreichs lag bei 6,9% und der des Vereinigten Königreichs bei 14,4%.228 Der Grund hierfür dürfte in der spezifischen Struktur der Verfügungsmacht über die Stimmrechte der Aktiengesellschaften liegen, in dem die Banken eine besondere Rolle spielen (auch aufgrund der Depotstimmrechte) und das bis 1998 z.B. auch die Möglichkeit einer Stimmrechtsbegrenzung für (potentielle neue) Großaktionäre enthielt.229 Die Schwierigkeit, in dieser ‚Deutschland AG’ ein Unternehmen gegen den Willen seines Managements zu kaufen, erschwerte aber auch andere Übernahmen ganz erheblich, denn hinter vielen “freundlichen Übernahmen“ steht häufig die Drohung einer “feindlichen Übernahme“ – durch den gleichen oder einen anderen Käufer. So wie die Expansion deutscher Unternehmen in anderen Industrieländern weitestgehend ein Resultat von Akquisitionen ist, so erklärt sich umgekehrt die fehlende Expansion ausländischer Unternehmen in Deutschland im wesentlichen durch die langjährige Abwesenheit großer Akquisitionen hierzulande. Auf einen Standortnachteil kann weder aus dem einen noch aus dem anderen geschlossen werden. Dass dieses eigentlich recht einfache Argument keinen Eingang in die öffentliche Debatte wie auch in die wirtschaftswissenschaftlichen Studien gefunden hat, hängt sicherlich auch mit dem Stand der allgemeineren theoretischen 227 In den späten 1970er und frühen 1980er Jahre gab es in Deutschland jedoch eine Reihe viel diskutierter Übernahmen: Die Unterhaltungselektronik-Industrie befand sich in einer tiefen Krise. Die aus dem Ausland einfließenden Direktinvestitionen waren in dieser Situation nicht Zeichen der Stärke, sondern der Schwäche der deutschen Unternehmen in diesem Sektor, in dem Arbeitsplätze abgebaut wurden – etwa bei den vom französischen Konzern Thomson übernommenen Unternehmen Telefunken, Nordmende und Saba. Auch der Einstieg von Philips bei Grundig (1984) galt als Rettungsversuch eines kriselnden deutschen Unternehmens und keineswegs als Ausdruck einer Attraktivität des Standorts Deutschland (vgl. auch unten 6.1.3). Die Bedeutung dieses Typs von Direktinvestitionen in Deutschland könnte erklären, dass die deutsche Standortdebatte unter direktem Bezug auf Direktinvestitionen erst in den späten 1980er Jahren begann, und nicht schon in den frühen 1980er Jahren, als die ausfließenden Direktinvestitionen bereits deutlich über den einfließenden lagen. 228 Eigene Berechnung auf der Grundlage von Daten der UNCTAD. 229 Zur Veränderung der ‚Deutschland AG’ seit den späten 1990er Jahren siehe insbesondere Höpner (2000; 2003; sowie Höpner/Jackson 2001). Zum spektakulären Fall des gescheiterten Übernahmeversuchs von Continental durch Pirelli zum Anfang der 1990er Jahre vgl. auch Fußnote 102.
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Diskussion über Direktinvestitionen in der economic school zusammen. Untersuchungen aus den deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten zum Thema Standort Deutschland knüpften lange Zeit an Dunnings Direktinvestitionstheorie an, während neuere Studien sich auf den Ansatz von Markusen beziehen (Becker et al. 2005; Klodt/Christensen 2007). Da weder Dunning noch Markusen, wie oben (Abschnitt 5.1) gezeigt wurde, das Phänomen der internationalen Übernahmen adäquat verarbeitet haben, setzte sich dieser Fehler auch in der deutschen Literatur fort.
6.1.2 Standortdebatte und das Investitionsmotiv Markterschließung Auf einen zweiten kritischen Punkt an dem in der Standortdebatte eingesetzten Indikator Direktinvestitionen, wurde dagegen von Wirtschaftswissenschaftlern immer wieder hingewiesen; er ergibt sich – anders als der vorgehend dargestellte Punkt – direkt aus dem Dunningschen OLI-Paradigma: Innerhalb dieses Paradigmas kann zwischen zwei Gruppen von location-specific advantages unterschieden werden, zwischen Kostenvorteilen einerseits und Marktzugangsvorteilen andererseits. Bereits oben unter Punkt 5.1.4 wurden verschiedene Studien referiert, die zeigen, dass Investitionen im Ausland häufig erfolgen, um dortige Märkte zu erschließen, die durch einfache Exporte nicht bedient werden könnten. Der Vorrang des Investitionsmotivs Markterschließung vor dem Motiv Lohnkostenersparnis ist auch, wie oben gezeigt, für die Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen durch empirische Untersuchungen belegt (etwa Lortz 1993; Moore 1993; Raines/Döhrn 1999; für KMU auch Weikl/Braun 1998).230 Auch neuere Unternehmensbefragungen kommen zu dem Ergebnis, dass Markterschließung ein wichtiges Motiv für Investitionen im Ausland darstellt (vgl. unten 6.1.5). Markterschließung kann aber durchaus eine Verlagerung von Arbeitsplätzen bedeuten, wenn Exporte substituiert werden. Lediglich dort, wo hohe Zölle oder andere Barrieren einen Marktzugang ausschließlich über Exporte verhindern, ist der Aufbau einer Produktion vor Ort nicht als Verlagerung anzusehen. Die Auslandsaktivitäten eines Unternehmens, etwa eine Endfertigung, können dann sogar zu einer Steigerung der Exporte, etwa von Vorprodukten, dieses Unterneh-
230 An dieser Stelle sei aber auch nochmals auf die in diesen Untersuchungen liegende Problematik hingewiesen, dass die Bedeutung des Motivs Markterschließung für das interne Auslandswachstum, und damit auch für die tatsächlichen Produktionsverlagerungen, u.U. überschätzt wird, da sowohl in den datenbasierten Untersuchungen als auch in den Befragungen Übernahmen vermutlich überwiegend als marktorientierte Direktinvestitionen eingestuft werden.
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mens beitragen.231 Hier sind Auslandsinvestitionen und Exporte komplementär.232
6.1.3 Standortdebatte und Firmenvorteile Ein dritter wichtiger Punkt leitet sich ebenfalls aus der Direktinvestitionstheorie und dem Dunningschen OLI-Paradigma ab, bleibt aber in der Diskussion häufig unberücksichtigt: Direktinvestitionen werden nicht nur durch Charakteristika ihrer Herkunfts- und Zielländer (location-specific advantages) bestimmt, sondern auch durch Charakteristika der investierenden Unternehmen. Diese müssen – so der Konsens der verschiedenen Direktinvestitionstheorien (etwa Buckley/Casson 1976; 1998; Caves 1996; Dunning 1977; 2000; 2003) – über spezifische „assets“ oder Fähigkeiten (ownership-specific advantages) verfügen, die ihnen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den im Gastland bereits vertretenen Firmen sichern, etwa in den Bereichen Produkt- oder Produktionstechnologie, Management, Marketing, Vertrieb, etc. Diese Firmenvorteile entstehen zwar an spezifischen – zumeist „teuren“ – Standorten, bleiben aber nicht unbedingt an diese gebunden und können – zumindest teilweise – an andere Standorte transferiert werden.233 Diesen Zusammenhang hat Vernon (1966) in seiner Theorie des Produktlebenszyklus bereits in den 1960er Jahren für die USA beschrieben. Die hohen Direktinvestitionen US-amerikanischer Unternehmen in den 1950er und 60er Jahren234 waren ein Ausdruck der Wettbewerbsstärke der US-amerikanischen Unternehmen. In den 1950er und 60er Jahren waren die USA in den meisten Industriezweigen technologisch führend und hatten deshalb auch ein im internationalen Vergleich hohes Lohnniveau. Dies zwang die US-amerikanischen Konzerne, mehr und mehr zumindest der standardisierten Produktion ins Ausland zu verlagern, um neue Märkte zu beliefern und zugleich die im Ausland niedrigeren
231 So etwa bei den meisten ausländischen Produktionsstätten des Pharmabereichs von Hoechst bis in die 1970er Jahre hinein. 232 Selbst echte Produktionsverlagerungen können ein Beitrag zur Arbeitsplatzsicherung in Deutschland sein, wenn durch eine konzerninterne Mischkalkulation in Branchen, die insgesamt in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sind, einzelne Arbeitsplätze in Teilsegmenten gestützt werden. Ein Beispiel dafür ist der Erhalt von Arbeitsplätzen in den Bereichen Design und Marketing der Bekleidungsindustrie (auch Wortmann 1992). 233 Für Dunning (1958; vgl. auch 2001) war die hohe Produktivität US-amerikanischer Auslandsgesellschaften in Großbritannien einer der Ausgangspunkte für die Entwicklung seiner Theorie. 234 Jones (2005: 33) schätzt, dass zwischen 1945 und 1965 85% der weltweiten Direktinvestitionsflüsse aus den USA stammten.
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Produktionskosten zu nutzen.235 Die Produktzyklus-Theorie von Vernon erklärt, warum damals die international dominierenden multinationale n Konzerne zumeist US-amerikanische Unternehmen waren.236 Mit der weitgehenden Angleichung der technologischen Niveaus zwischen den USA und vielen europäischen Ländern sowie Japan scheint es nur konsequent, wenn Konzerne aus diesen Ländern zunehmend dem US-amerikanischen Muster folgen und ausländische, insbesondere überseeische Märkte auch durch eine Produktion vor Ort beliefern. Hohe Direktinvestitionen ins Ausland sind also nicht nur ein Zeichen der Wettbewerbsschwäche eines Standorts (comparaitive advantage), sondern auch der Wettbewerbsstärke der Unternehmen in (oder aus) diesem Land (competitive advantage), die selber wiederum auf besonderen Standorteigenschaften dieses Landes beruht.237
6.1.4 Studien aus Belgien und den USA Lange Zeit war eine vom belgischen Bureau du Plan durchgeführte Studie (Bernhard et al. 1994: 189-194) die einzige empirische Untersuchung, die versucht hat, Verlagerungen direkt zu erheben. Ihre Ergebnisse sollen im Folgenden ausführlicher wiedergegeben werden. Durch eine Befragung bei den Gewerkschaften wurden die Hintergründe von 435 „kollektiven Entlassungen“ (licen235 Später hat Vernon (1979) dieses Modell um rein kostenorientierte Auslandsinvestitionen, die ausschließlich getätigt werden, um den eigenen Heimatmarkt zu beliefern, erweitert. 236 In den USA waren es insbesondere die Gewerkschaften, die die Produktionsverlagerungen durch US-amerikanische Konzerne insbesondere seit den rezessiven Tendenzen von 1969 in der Öffentlichkeit als jobexport thematisierten und sahen „in den US-Direktinvestitionen den Sündenbock für mangelnde Arbeitsplätze“ (Mayer 1974: 63). In diesem Zusammenhang ist auch das damalige Engagement der US-amerikanischen Gewerkschaften für Weltkonzernräte zu sehen (Tudyka 1972; Matthies 1974). 237 Interessant ist ein Blick auf die Entwicklung der Diskussion über das Thema ausländische Direktinvestitionen in anderen Ländern. In den USA, insbesondere in den späten 1980er Jahren, wurden die hohen Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen überwiegend negativ bewertet: Die Übernahmen US-amerikanischer Unternehmen in High-Tech-Bereichen und in kulturell bedeutsamen Industrien wie der Filmindustrie galten als Gefahr für die USamerikanische Wirtschaft, während die Neuinvestitionen insbesondere japanischer Automobilhersteller (transplants) als ein Zeichen der Schwäche der eigenen Hersteller interpretiert wurden (vgl. Graham/Krugman 1989). In Kanada gab es bereits in den 1950er Jahren eine breite kritische Diskussion über die Auswirkungen der sehr starken Position US-amerikanischer Konzerne, denen 40% der verarbeitenden Industrie Kanadas gehörten (Mayer 1974: 55). Auch in Frankreich wurde eine ähnliche Diskussion geführt, und die Regierung de Gaulles verhielt sich sehr restriktiv gegenüber US-amerikanischen Unternehmen. Ende der 1960er Jahre lebte die Diskussion mit dem Buch von Servan-Schreiber (1968) über „die amerikanische Herausforderung“ nochmals auf, in dem vor der US-amerikanischen Dominanz durch IBM in der europäischen Computerindustrie gewarnt wurde.
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ciements collectifs) in Belgien in den Jahren 1986 bis 1993 rekonstruiert.238 In 103 Fällen (24%) waren die Entlassungen auf eine Produktionsverlagerung ins Ausland zurückzuführen. Die große Mehrheit (92) dieser Verlagerungen fand zwischen 1990 und 1993 statt. Insgesamt waren von den erfassten Verlagerungen über 11.000 Arbeitsplätze in Belgien betroffen, darunter 2008 in der Elektroindustrie (10 Fälle), 3.989 in den Bereichen Metall, Maschinenbau und Automobil (26 Fälle), 782 in der chemischen Industrie (7 Fälle), 536 in der Nahrungsmittelindustrie (9 Fälle) und 1.415 in den Bereichen Textil, Bekleidung und Leder (29 Fälle). Für die 103 grenzüberschreitenden Verlagerungen mit der Folge von kollektiven Entlassungen wurde auch nach dem Zielland der Verlagerung gefragt. Über die Hälfte der Verlagerungen gingen in die benachbarten europäischen Industrieländer Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Großbritannien. Die zweitgrößte Gruppe waren die Länder der europäischen Peripherie, darunter insbesondere Portugal, verschiedene osteuropäische Länder sowie Tunesien. Verlagerungen in Länder außerhalb des europäischen Wirtschaftsgroßraums – einerseits in die USA und andererseits nach Südostasien – waren dagegen weit weniger bedeutsam. Schließlich wurden Angaben über die Motive bzw. Gründe (raison) für die Verlagerung erbeten. Diese wurden in sechs Gruppen zusammengefasst. Die größte Ursachengruppe waren Verlagerungen, die von den Autoren der Studie unter der Überschrift Restrukturierungen zusammengefasst wurden (34). Aber auch Verlagerungen im direkten Zusammenhang mit Fusionen (5) sowie Verlagerungen als Folge einer Unterauslastung (14) sind als Restrukturierungen zu interpretieren. Zusammen stellen diese Verlagerungstypen, die in Verbindung mit Restrukturierung stehen, mit zusammen 53 Fällen die größte Gruppe dar. In 31 Fällen waren dagegen Lohnkosten und Wettbewerb die Ursache der Verlagerung. Diese Struktur der Verlagerungsmotive passt zur Struktur der Zielländer. Bei den Verlagerungen in die europäische Peripherie (einschließlich Nordafrika) und nach Südost-Asien stehen Lohn- und Wettbewerbsgründe im Vordergrund, während diese Motive bei Verlagerungen in andere Industrieländer – insbesondere innerhalb Westeuropas – keine Rolle spielen. Die Untersuchung zeigt, dass Verlagerungen im Rahmen von grenzüberschreitenden Restrukturierungen zwischen Industrieländern deutlich häufiger anzutreffen sind als Verlagerungen aus Kostengründen an Niedriglohnstandorte. Schließlich kann angenommen werden, dass sich die Mehrzahl der Verlagerungen aus Kostengründen in den Sektoren Textil, Bekleidung und Leder sowie Elektroindustrie konzentriert (42% der be238 Diese sind definiert als Entlassung von mindestens 10% der Belegschaft in Betrieben mit über 20 Beschäftigten und müssen in Belgien den Behörden gemeldet werden.
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kannten Fälle), während in den übrigen Sektoren (58%) Restrukturierungen innerhalb von Industrieländern dominieren. Während diese Studie sehr detaillierte Angaben über die Branchen- und Regionalstruktur sowie über die Motive von Arbeitsplatzverlagerungen ins Ausland macht, lässt sie vollständig offen, wer die Akteure dieser Verlagerungen sind und in welcher Form diese stattfinden. Anzunehmen ist, dass ein großer Teil dieser Verlagerungen, insbesondere der Restrukturierungen, vermutlich nicht von belgischen, sondern von ausländischen multinationalen Unternehmen vorgenommen wurde.239 Ebenso ist zu vermuten, dass Verlagerungen – insbesondere in der Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie – nicht unternehmensintern, sondern zu eigenständigen Subunternehmen erfolgten. In den USA fragt das Bureau of Labor Statistics seit 2004 bei Massenentlassungen240 auch nach Produktionsverlagerungen als möglicher Ursache. Zwischen 2004 und 2007 gab es in der gesamten Wirtschaft 12.842 Massenentlassungen mit einem Gesamtverlust von 2,34 Mio. Arbeitsplätzen. Bei 1.162 Fällen, also 9,0%, und ebenfalls bei 9,0% der Arbeitsplatzverluste waren Verlagerungen als Ursache im Spiel, wobei insgesamt 1.544 einzelne Verlagerungen gezählt wurden. Für einen Teil dieser Verlagerungen (1.126) liegen Informationen darüber vor, ob sie im Inland oder ins Ausland, und ob sie unternehmensintern oder – extern als outsourcing erfolgten: Von den durch Verlagerung ausgelösten Arbeitsplatzverlusten waren 34,8% durch Verlagerungen ins Ausland verursacht. Rechnet man diesen Anteil hoch, so ergibt sich, dass 3,1% aller Arbeitsplatzverluste durch Massenentlassungen durch Verlagerungen ins Ausland verursacht waren, die Mehrheit davon, nämlich insgesamt 2,6%, durch unternehmensinterne Verlagerungen. Leider werden diese Informationen nicht für produzierende Unternehmen getrennt ausgewiesen. Nimmt man an, dass sämtliche Verlagerungen ins Ausland in der verarbeitenden Industrie stattgefunden haben, dann wären sie für 7,4% der Verluste von insgesamt einer knappen Million Arbeitsplätze verantwortlich gewesen; 6,1% wären durch unternehmensinterne Verlagerungen ins Ausland verursacht. Es ist nicht verwunderlich, dass Produktionsverlagerungen ins Ausland in einem kleinen Land wie Belgien eine deutlich größere Rolle spielen als in einem großen Land wie den USA.
239 Belgien besitzt eine der am stärksten von ausländischen multinationalen Unternehmen durchdrungenen Volkswirtschaften Europas. 240 Diese sind definiert als Verlust von mindestens 50 Arbeitsplätzen innerhalb von fünf Wochen in Betrieben mit mindestens 50 Beschäftigten.
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6.1.5 Empirische Untersuchungen über deutsche Produktionsverlagerungen In Deutschland liegen zwei Studien vor, die auf Unternehmensbefragungen basieren, in denen ausdrücklich nach Produktionsverlagerungen und nicht allgemein nach Auslandsinvestitionen (vgl. Punkt 5.1.4) gefragt wurde. Hinzu kommt eine Befragung von Betriebsräten zu diesem Thema. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen des DIHK (Lau et al. 2005), des Fraunhofer Instituts für Systemund Innovationsforschung (Kinkel et al. 2004a; 2004b),241 sowie des WSI (Ahlers et al. 2007) sollen hier kurz dargestellt werden. Die Studie des DIHK (Lau et al. 2005) beruht auf einem Sample von knapp 4400 international tätigen (‚auslandsaktiven’) Unternehmen; dies sind überwiegend exportierende bzw. importierende oder im Ausland beschaffende Unternehmen, darunter auch Handels- und Dienstleistungsunternehmen. Von diesen Unternehmen gaben 23% an, Produktion ins Ausland verlagert zu haben oder eine solche Verlagerung zu planen; bei den Großunternehmen waren es 41%, bei den kleinen Unternehmen 16%. Das Fraunhofer ISI (Kinkel et al. 2004b) befragte Unternehmen aus verschiedenen Segmenten der Verarbeitenden Industrie. Etwa ein Viertel der deutschen Produktionsbetriebe gab an, zwischen 2001 und 2003 Produktion ins Ausland verlagert zu haben. Von den Betrieben mit 500 oder mehr Beschäftigten waren es sogar 59%, bei den kleineren Betrieben mit 20 bis 99 Beschäftigten dagegen nur 16%. Zu deutlich anderen Ergebnissen kommt die Befragung von ca. 2000 deutschen Betriebsräten des WSI (Ahlers et al. 2007). In nur „… 16,2% aller befragten Betriebe mit Betriebsräten spielte das Thema ‚Standortverlagerungen’ eine Rolle“,242 und bei nur 9,2% der Betriebe war es zwischen 2003 und 2005 tatsächlich zu einer Verlagerung gekommen (ebd.: 51). Von diesen Verlagerungen wurde der Großteil (72%) innerhalb Deutschlands durchgeführt (ebd.: 55). Eine Verlagerung ins Ausland fand also nur bei etwa 2,5% aller Betriebe statt. 86% dieser Verlagerungen betrafen die Produktion, 2% die Forschung und Entwicklung, 2% den Vertrieb, und 10% verschiedene andere Aktivitäten (ebd.: 58). In der Verarbeitenden Industrie waren überdurchschnittlich viele Betriebe von Verlagerungen ins Ausland betroffen: In der Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie waren es ca. 5%, in der Investitions- und Gebrauchsgüterindustrie ca. 8% und in der Verbrauchsgüterindustrie ca. 6%.243 Diese Ergebnisse widersprechen
241 Ähnliche Untersuchungen wurden vom ISI seit 1995 durchgeführt (Kinkel/Wengel 1998; Kinkel et al. 2002). Da sich aus den Untersuchungen keine deutlichen Trends ablesen lassen, wird hier auf die Darstellung der früheren Untersuchungen verzichtet. 242 Vgl. hierzu auch Fußnote 260. 243 Eigene Berechnungen aus Angaben in den Abbildungen 8 und 12 (Ahlers et al. 2007: 52, 56).
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6 Standortdebatte und grenzüberschreitende Mobilität
den Ergebnissen der Studien des DIHK und des IISI, die wesentlich höhere Anteile von Betrieben mit Produktionsverlagerungen ins Ausland ergeben hatten. Darüber, woraus sich diese Unterschiede ergeben, kann hier nur spekuliert werden; auch Ahlers et al. (2007), die die Ergebnisse der beiden anderen Studien referieren, machen hierzu keinerlei Angaben. Denkbar ist, dass aufgrund der Konzentration auf ‚auslandsaktive’ Unternehmen das Sample des DIHK überdurchschnittlich viele verlagernde Betriebe enthält; außerdem wurden hier sowohl realisierte als auch geplante Verlagerungen zusammengefasst, und für beide wurde kein Zeitraum definiert. Dafür, dass auch die Studie des ISI die Häufigkeit von Produktionsverlagerungen überschätzt, spricht auch ein Vergleich mit einer weiteren Untersuchung (Mattes/Strotmann 2005). In dieser Befragung auf der Basis des IAB Betriebspanels, gaben 4,6% der westdeutschen Betriebe des verarbeitenden Gewerbes an, in den nächsten zwei Jahren Produktion in die damaligen zehn neuen EU-Beitrittsländer verlagern zu wollen. In der Untersuchung des ISI wurden nur diejenigen Betriebe, die in den letzten zwei Jahren keine Verlagerung vorgenommen hatten, gefragt, ob sie in den nächsten zwei Jahren eine Verlagerung planen. Dies bejahten 11% der Betriebe. Berücksichtigt man, dass viele der Unternehmen, die bereits in den vergangenen zwei Jahren Verlagerungen durchgeführt hatten (24%), sicherlich ebenfalls neue Verlagerungen planten, und dass 43% der realisierten Verlagerungen in die neuen Beitrittsländer erfolgten, dann ergibt sich für die Studie des ISI ein Schätzwert der von allen Betrieben geplanten Verlagerungen in die zehn Beitrittsländer, der deutlich über 4,6% liegt. Bei allen Untersuchungen wurde kein Mindestvolumen für eine erfasste Verlagerung angegeben. Denkbar ist also auch, dass von Unternehmensseite auch kleinere Verlagerungen genannt wurden, die von den Betriebsräten nicht als Verlagerung eingestuft oder wahrgenommen wurden, etwa weil sie keine Auswirkungen auf Arbeitsplätze hatten. Festzuhalten ist, dass alle Befragungen keinerlei Rückschlüsse auf das tatsächliche Volumen – gemessen in Wertschöpfung oder betroffenen Arbeitsplätzen – der getätigten oder geplanten Verlagerungen zulassen. Von allen Unternehmen, die in der DIHK-Studie angegeben hatten, Produktionsverlagerungen ins Ausland durchgeführt zu haben oder zu planen, nannten 52% die zehn neuen EU-Mitgliedsstaaten, 48% die Region Asien/Pazifik, 28% die EU-15/EFTA, 23,5% die (damaligen weiteren) EU-Bewerberstaaten/Russland/GUS sowie 17% Nordamerika als Zielländer der Verlagerungen.244 Auch für die vom ISI untersuchten Unternehmen waren die zehn damaligen EU-
244 Lateinamerika und Afrika spielten nur eine marginale Rolle.
6.1 Die deutsche Standortdebatte
175
Beitrittsländer die wichtigste Zielregion; knapp die Hälfte245 aller verlagernden Betriebe hat Produktion (auch) dorthin verlagert – einschließlich des übrigen Osteuropas und der GUS sogar über die Hälfte. Auffallend ist, dass diese Region für die Verlagerungen der kleineren Betriebe eine weit überdurchschnittliche Bedeutung hat. Als Motiv gaben in der DIHK-Umfrage (Lau et al. 2005) 92% ‚Erschließung neuer Absatzmärkte / Verkauf’ an. In der Umfrage des ISI gab knapp die Hälfte der Betriebe ‚Markterschließung’ als Grund für die Verlagerung an. Bei den großen Betrieben mit 500 und mehr Beschäftigten nannten ca. 60% diesen Grund. Wahrscheinlich ist also, dass insbesondere bei großen Verlagerungen dieser Grund eine wichtige Rolle spielt. Erwartungsgemäß war dieses Motiv für Verlagerungen über die Grenzen Europas hinaus – sowohl nach Amerika (knapp 80%) wie auch nach Asien (gut 60%) überdurchschnittlich bedeutsam, während ‚Markterschließung’ für Verlagerungen nach Westeuropa, ebenso wie für Verlagerungen in die damaligen Beitrittsländer eine geringere Bedeutung hat (jeweils ca. 40%). Das Motiv ‚Niedrige Personalkosten / Sachkosten’ wurde in der DIHK-Umfrage von 57% der Unternehmen genannt. In der Umfrage des ISI gaben sogar 85% der verlagernden Betriebe an, dass ‚Kosten der Produktionsfaktoren’ eine Rolle für die Verlagerung spielten. Da in beiden Untersuchungen Mehrfachnennungen möglich waren, bleibt unklar, wie bedeutend dieses Verlagerungsmotiv wirklich ist: Die Löhne sind in nahezu allen Ländern niedriger als in Deutschland, so dass niedrigere Löhne bei den meisten Verlagerungen als ein Element, wie bedeutsam auch immer, in die Gesamtkalkulation eingehen dürften. Hinzu kommt in beiden Studien das Problem, dass sie keine Mindestgröße für Produktionsverlagerungen vorgeben, so dass u.U. auch minimale Restrukturierungsmaßnahmen als Verlagerungen gezählt wurden. Beide Studien erlauben es also nicht, die relative Bedeutung von Absatz- und Kostenmotiven wirklich zu gewichten. In der Untersuchung des ISI wurde auch danach gefragt, ob die Produktionsverlagerungen zu eigenen Auslandsgesellschaften oder zu Fremdfirmen durchgeführt wurden. 20,5% der Betriebe verlagerten sowohl zu eigenen Auslandsgesellschaften wie auch zu Zulieferfirmen, 43% ausschließlich zu eigenen Gesellschaften und 36,5% ausschließlich zu Zulieferfirmen. Grenzüberschreitendes outsourcing ist bei den kleineren Betrieben von weit überdurchschnittlicher Bedeutung; 54% der Betriebe mit 20 bis 99 Beschäftigten verlagerten ausschließlich zu Zulieferfirmen. Bei mittleren Betrieben mit 100 bis 499 Beschäftigten waren es noch 27%. Von den Betrieben mit 500 und mehr Beschäftigten 245 Hier und im Folgenden werden nur grobe Näherungswerte angegeben, da die Untersuchung im Einzelnen sowohl Rohdaten als auch leicht davon abweichende, korrigierte Daten ausweist, die entsprechend der Größenverteilung der Betriebe hochgerechnet wurden.
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verlagerten lediglich 6% ausschließlich zu Zulieferern, während 59% Produktion ausschließlich zu eigenen Auslandsgesellschaften verlagerten. Es ist also zu vermuten, dass es sich bei den Verlagerungen zu Drittfirmen überwiegend um kleinere Produktionsvolumina handelt, während große Verlagerungen überwiegend konzernintern stattfinden.246 In den Untersuchungen des DIHK und des ISI wurde auch nach Rückverlagerungen gefragt.247 In der Untersuchung des DIHK gaben 2,5% der Unternehmen mit eigenen Produktions- oder Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Ausland an, eine Rückverlagerung zu planen. In der Untersuchung des ISI waren es etwa 5% der Betriebe, die angaben, zwischen 2001 und 2003 Produktion aus dem Ausland zurückverlagert zu haben. Dabei wurden Rückverlagerungen insbesondere von Großbetrieben (17%), kaum aber von Kleinbetrieben vorgenommen. Als Gründe für Rückverlagerungen wurden insbesondere ‚Qualität’ und ‚Kosten der Produktionsfaktoren’ genannt. Insbesondere geht die Studie des ISI aber davon aus, dass ‚Rückverlagerungen’ aus dem Ausland erfolgen, nachdem zunächst Verlagerungen vorgenommen wurden und sich entweder die Kostensituation verändert hat oder aber die Verlagerung auf einer Fehlkalkulation beruhte (Kinkel et al. 2004b: 31).248 Restrukturierungen nach Übernahmen mit dem Ziel, economies of scale and scope – insbesondere auch an Standorten in Deutschland – zu realisieren, kommen nicht in das Blickfeld der Untersuchung. Solche Restrukturierungen würden auch erklären, dass die Unternehmen in der Studie von Kinkel et al. (2004b: 34) Westeuro246 Die Bedeutung des grenzüberschreitenden outsourcing ist branchenspezifisch sehr unterschiedlich. In der Chemischen Industrie spielt es so gut wie keine Rolle (Kinkel et al. 2004: 23) während es in der Bekleidungsindustrie die dominierende Form der Internationalisierung darstellt (Adler 2002). In der Bekleidungsindustrie sind Verlagerungen zu Drittfirmen keineswegs eine neue Entwicklung; sie entwickelten sich vielmehr parallel zu den Verlagerungen zu eigenen Auslandsgesellschaften: Bereits in den frühen 1980er Jahren stammten nur 15% der Eigenimporte deutscher Bekleidungshersteller von ihren eigenen Auslandsgesellschaften, 47% wurden von sogenannten Lohnveredlern und 38% als Vollimporte von Drittfirmen bezogen (Adler/Breitenacher (1984). Zudem wird der größte Teil der deutschen Bekleidungsimporte nicht von (ehemaligen) Produktionsfirmen sondern von Handelsunternehmen und sogenannten Markenfirmen organisiert. Solche buyer-driven commodity chains (Gereffi 1994; 1999; zum deutschen Bekleidungssektor Blöcker/Wortmann 2005; Wortmann 2005) dürften insbesondere für die Importe aus Asien bedeutsam sein. Dies näher zu untersuchen wäre höchst interessant, kann aber nicht Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein. 247 Dieses Thema war bislang nur sporadisch in der Diskussion über Auslandsinvestitionen und den Standort Deutschland auftaucht. So hatten z.B. Jungnickel (1990) und Olle (1986) untersucht, ob sich durch neue Technologien die Standortvorteile von Entwicklungsländern verringern, und war zu dem Ergebnis gekommen, dass aus diesem Grund kaum Rückverlagerungen aus Entwicklungsländern stattfinden. Vor etwa zehn Jahren hatte es dann eine kleinere öffentliche Diskussion über Rückverlagerungen gegeben (vgl. Böhmer/Schütte 1997): Damals hatte z.B. Varta eine Batterieproduktion von Singapur nach Deutschland zurückverlagert. 248 Ähnlich auch die Arbeiten von Schulte (2002; 2004; Hirsch-Kreinsen/Schulte 2002).
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pa als die mit Abstand wichtigste Herkunftsregion von ‚Rückverlagerungen’ nennen, denn hier dürften grenzüberschreitende Restrukturierungen nach Übernahmen besonders häufig sein. Der Umfang von tatsächlichen Rückverlagerungen im engen Sinne, also von zuvor ‚hinverlagerter’ Produktion, wird so vermutlich erheblich überschätzt.
6.1.6 Zwischenergebnis: Standort Deutschland Weder Direktinvestitionen noch die Entwicklung der Auslandsbeschäftigung sind gute Indikatoren für den Aufbau von Wertschöpfungsaktivitäten und die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland, geschweige denn für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Übernahmen und Fusionen, die für den Großteil des Beschäftigungswachstums im Ausland verantwortlich sind, können nicht als eine Flucht aus dem Inland interpretiert werden; die Beschäftigungsentwicklung im Ausland ist als Indikator für die Stärke eines Standorts gänzlich ungeeignet. Umgekehrt ist die Tatsache, dass ausländische Unternehmen ihre Beschäftigung in Deutschland nicht erhöht haben, primär auf die Schwierigkeit von Übernahmen zurückzuführen und ebenfalls kein Indikator für eine Standortschwäche.249 Im Einzelnen zeigt sich, dass deutsche Unternehmen in anderen Industrieländern zwar neue Arbeitsplätze schaffen, in ähnlichem Umfang aber auch Arbeitsplätze abbauen. Hinverlagerungen stehen auch Rückverlagerungen gegenüber, wobei viele dieser Verlagerungen, dies hatte auch die Studie des belgischen Bureau du Plan gezeigt, im Rahmen von Restrukturierungsmaßnahmen erfolgen; hier folgen Unternehmen nicht allein den (externen) Standortbedingungen, vielmehr knüpfen sie an eine – bei großen Übernahmen großteils kontingente – Standortstruktur an und treffen nachfolgende Standortentscheidungen unter den Bedingungen hoher sunk costs.250 Dies gilt sowohl für mögliche Produktionsverlagerungen ins Ausland wie auch für Rückverlagerungen, die im strengen Wortsinn allerdings keine Rückverlagerungen sind, da das ‚rückverlagerte’ Produktionsvolumen zumeist übernommen und nicht in früherer Zeit ins Ausland verlagert wurde.
249 Die hier und im Folgenden gemachten Argumente zum Produktionsstandort gelten ähnlich auch für die Diskussion über den Forschungsstandort Deutschland. Auch hier wird häufig nicht zwischen externem und internem Wachstum im Ausland unterschieden (etwa Edler et al. 2003). 250 Für eine Standortentscheidung relevante Kostenvorteile ergeben sich dann nicht nur aus niedrigen Faktorkosten, sondern auch aus den niedrigeren Grenzkosten eines verlagerbaren Wertschöpfungsvolumens zu bereits etablierten Betrieben.
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6 Standortdebatte und grenzüberschreitende Mobilität
Einen Export von Arbeitsplätzen in andere Industrieländer gibt es unter dem Strich nicht. Ein internes Auslandswachstum ist lediglich in den Entwicklungsländern, insbesondere in Süd- und Südostasien sowie in Osteuropa festzustellen. In Entwicklungsländern dient der Aufbau einer Produktion vor Ort in erster Line der Erschließung lokaler Märkte.251 Der Aufbau von Arbeitsplätzen ist dort häufig nicht substitutiv, sondern komplementär zur Beschäftigungsentwicklung in Deutschland. Am kompliziertesten ist die Bewertung der Auswirkungen deutscher Direktinvestitionen in Osteuropa. Auch hier fand das Beschäftigungswachstum häufig durch Übernahmen statt, die allerdings den Charakter von brown-field investments (Estrin et al. 1997; Meyer/Estrin 2001; 2007; vgl. oben S.54) hatten, d.h. nach einer Übernahme (formal häufig in der Form eines joint ventures) wurde durch zusätzliche Investitionen des Akquisiteurs das Übernahmeobjekt erheblich modernisiert und die Produktivität gesteigert.252 Übernahmen in der Form von brown-field investments sind von Neuinvestitionen nicht klar zu unterscheiden. Bei den deutschen Direktinvestitionen in Osteuropa spielt das Kostenmotiv eine überdurchschnittlich große Rolle.253 Dass Deutschland gegenüber osteuropäischen Ländern einen Standortnachteil hat, lässt sich kaum bestreiten: Insbesondere die Lohnkosten sind dort deutlich niedriger. Zugleich sind aber auch die firmenspezifischen Wettbewerbsvorteile der dortigen Unternehmen deutlich geringer als die der deutschen Unternehmen. Da sich aus diesen Ländern aufgrund ihrer Nähe und der Eingliederung in den europäischen Binnenmarkt relativ leicht auch der deutsche Markt beliefern lässt, ist es nicht verwunderlich, dass deutsche Unternehmen versuchen, ihre firmenspezifischen Wettbewerbsvorteile mit den günstigen Standortvorteilen dieser Länder zu kombinieren. Direktinvestitionen und auch Produktionsverlage251 Für die US-amerikanischen Auslandsgesellschaften wird dies aus den Statistiken des BEA deutlich (vgl. oben Tabellen 9 und 19). Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass deutsche Unternehmen in Südamerika oder Asien grundlegend andere Strategien verfolgen (vgl. auch oben Punkt 3.2.2). 252 So auch bei Continental nach den Übernahmen in der Tschechischen Republik und der Slowakei. 253 In einer Befragung des DIHK (2006) über die Motive von Auslandsinvestitionen – also nicht nur von Produktionsverlagerungen – wurde von den in den EU-Beitrittsländern investierenden Unternehmen der „Funktionsschwerpunkt ‚Kostenersparnis’“ 1,7 mal so häufig genannt wie der „Funktionsschwerpunkt ‚Markterschließung. Im Durchschnitt der Unternehmen, die in anderen Ländern investieren, dominiert dagegen der „Funktionsschwerpunkt ‚Markterschließung’“. Aber auch bei den in Westeuropa investierenden Unternehmen dominiert der „Funktionsschwerpunkt ‚Kostenersparnis’“ leicht. Dabei ignoriert die Studie, dass ‚Kostenersparnis’ nicht unbedingt auf niedrigeren Kosten für Produktionsfaktoren oder Steuern beruht; ‚Kostenersparnis’ kann auch auf economies of scale beruhen, die etwa durch Restrukturierungen nach Übernahmen vorgenommen werden. Gerade diese Art der ‚Kostenersparnis’ dürfte in Westeuropa überdurchschnittlich häufig anzutreffen sein.
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rungen in diese Länder ergeben sich nach der Theorie Dunnings eben nicht nur aus unterschiedlichen Standortqualitäten (location-specific advantages), sondern auch aus den relativen kompetitiven Wettbewerbsvorteilen der deutschen Investoren (ownership-specific advantages).254 In einer mehr oder weniger offenen Weltwirtschaft – insbesondere innerhalb der EU – haben Länder mit einer hohen Produktivität immer auch das Problem, dass „ihre“ Unternehmen ihre Firmenvorteile teilweise ins Ausland transferieren – soweit dies technisch und organisatorisch möglich und rentabel ist – und von dort der Wirtschaft ihres Ursprungslandes auch als Konkurrenten entgegentreten, ohne dass dies durch entsprechende Produktionsverlagerungen durch ausländische Unternehmen in das eigene Land ausgeglichen würden. Denn die hohe durchschnittliche Produktivität eines Ziellandes nützt potentiellen Investoren aus Ländern mit niedrigerer Produktivität wenig, da die hohe Produktivität wesentlich durch die firmenspezifischen Vorteile (competitive oder ownership-specific advantages) der Unternehmen und nicht durch allgemein verfügbare Standortvorteile (comparitive oder location-specific advantages) bestimmt ist. Potentielle Investoren müssten also selber über firmenspezifische Vorteile verfügen, die sie bei ihrer Neugründung einsetzen könnten. Dass jedoch Unternehmen aus Niedriglohnländern in größerem Umfang über solche Fähigkeiten verfügen, ist äußerst unwahrscheinlich. So dürften etwa osteuropäische Unternehmen kaum in größerem Umfang die Voraussetzungen besitzen, um in Deutschland in ähnlichem Umfang erfolgreiche Produktionsunternehmen aufzubauen, wie dies deutsche Unternehmen in Osteuropa tun. Da sich aus den mit einer überdurchschnittlichen Produktivität der einheimischen Unternehmen verbundenen höheren Arbeitskosten ein gewisser unvermeidbarer Standortnachteil ergibt,255 kann ein Land nicht beides zugleich sein: ein günstiger Standort für mobile Produktion und ein innovativer Standort mit höchster Produktivität. Die undramatische Verlagerungsbilanz mit anderen Industrieländern ebenso wie die deutschen Export- und Leistungsbilanzüberschüsse insgesamt lassen es nicht zu, aus den Verlagerungen in benachbarte Länder 254 Hier sei daran erinnert, dass sich die in Abschnitt 5.1 formulierte Kritik an Dunnings OLIParadigma auf dessen Unfähigkeit, externes Wachstum zu erklären, bezog. Dessen ungeachtet, ist diese Theorie nach wie vor sehr gut geeignet, internes Wachstum, das in Form von greenfield oder brown-field Investitionen und Produktionserweiterungen in Osteuropa eine wichtige Rolle spielt, zu erklären. 255 Hier kann nicht weiter erörtert werden, wie weit (durchschnittliche) Produktivität und (durchschnittliche) Löhne (bzw. gesamtwirtschaftlicher Konsum) aneinander gekoppelt sind. Eine gewisse Koppelung ist aber mit Sicherheit zum einen empirisch feststellbar und zum anderen für die gesamtwirtschaftliche Stabilität notwendig. Aus Keynesianischer Sicht ähnelt der Versuch eines hoch-kompetitiven Landes, seine Wettbewerbsfähigkeit durch Lohnsenkungen zu verbessern, dem Versuch eines Wettläufers, ein Rennen dadurch zu gewinnen, dass er im Windschatten der anderen läuft (Flassbeck 1995).
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mit niedrigerem Produktivitäts- und Kostenniveau auf eine kritische Standortschwäche Deutschlands zu schließen. Diese aus gesamtwirtschaftlicher Sicht unbedenkliche Situation bedeutet freilich nicht, dass Produktionsverlagerungen generell unproblematisch sind. Insbesondere für die betroffenen Arbeitnehmer bringt die Verlagerung ihrer Arbeitsplätze häufig erhebliche Probleme mit sich. Auf diese Zusammenhänge auf der Ebene einzelner Unternehmen und ihre Folgen wird im folgenden Abschnitt näher eingegangen. 6.2 Grenzüberschreitende Mobilität und concession bargaining Ihre Fähigkeit, grenzüberschreitend zu handeln und insbesondere Produktion von einem Land in ein anderes zu verlagern bzw. glaubwürdig mit Produktionsverlagerung zu drohen, stellt für multinationale Unternehmen eine Machtressource in den Auseinandersetzungen mit nationalen oder lokalen gesellschaftlichen Akteuren wie Gewerkschaften oder Betriebsräten dar. Die glaubwürdige Drohung mit einer Verlagerung erlaubt es den Unternehmen, concession bargaining zu betreiben, indem sie die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer unter Druck setzen und von ihnen Zugeständnisse bei der Arbeitsentlohnung oder den Arbeitsbedingungen fordern (Dörre 1996; 1998; Dörre et al. 1997; Kädtler 2002; Kädtler/Sperling 2002; Müller 1996; Marginson et al. 1993, Marginson/Sisson 1994, Schulten 1998; Arrowsmith/Marginson 2006; Wortmann et al. 1999). Vielfach waren Gewerkschaften und Betriebsräte im Rahmen so genannter ‚Standortsicherungsvereinbarungen’ zu erheblichen Zugeständnissen bereit (Sisson et al. 1999; Zagelmeyer 2000; Jürgens/Krzywdzinski 2006; Jürgens et al. 2006). Zumeist wird angenommen, dass diese Macht der multinationalen Unternehmen im Rahmen der Globalisierung seit den 1980er Jahren erheblich zugenommen hat und dass dies zu einer grundlegenden Veränderung der Rahmenbedingungen betrieblicher und gewerkschaftlicher Interessenpolitik oder gar nationaler Wirtschafts- und Sozialpolitik geführt hat. 256 Die zentrale Annahme einer 256 Von einzelnen Autoren (Dörre 1996; Traxler/Woitech 2000: 141) wird argumentiert, dass durch die zunehmende Mobilität der Unternehmen eine Mobilitätsdifferenz entstanden sei, da sich die Mobilität der Arbeitnehmer nicht oder nur kaum erhöht habe. Dabei scheint keineswegs klar, wie eine erhöhte Mobilität der Arbeitnehmer den durch Mobilität erlangten Machtgewinn der Unternehmen ausgleichen könnte. Eine große Mobilität der Arbeitnehmer würde vermutlich zu starken Wanderungsbewegungen von Niedrig- in Hochlohnländer führen; dies würde langfristig zu einer Annäherung der Lohnniveaus führen und so langfristig ein Motiv für Produktionsverlagerungen reduzieren. Wie aber eine höhere Mobilität der Arbeitskräfte den Machtverlust der hoch bezahlten Arbeitnehmer etwa in Deutschland ausgleichen sollte, bleibt unklar.
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gestiegenen globalen Mobilität multinationaler Unternehmen ist allerdings bisher nicht empirisch überprüft worden (so bereits Kohler-Koch 1996: 102). Häufig wird diese Mobilität einfach behauptet oder lediglich mit einzelnen Beispielen belegt. Vielfach wird auch unter Bezug auf die einschlägige Managementliteratur ein zunehmend netzwerkartiger Charakter der multinationalen Unternehmen angenommen (vgl. oben Abschnitt 5.2) und aus dieser Netzwerkartigkeit eine hohe Flexibilität und eben auch Mobilität abgeleitet. Im Folgenden werden zunächst einige konzeptionelle Überlegungen über verschiedene Typen von Verlagerungen sowie über den Zusammenhang von tatsächlich erfolgten Verlagerungen und dem Mobilitätspotential, das von Unternehmensleitungen als Drohkulisse im concession bargaining mit den Beschäftigten und ihren Interessenvertretern eingesetzt werden kann, angestellt (Punkt 6.2.1). Anschließend werden die empirischen Befunde angeführt, die für oder gegen eine Zunahme dieses Mobilitätspotentials sprechen (Punkt 6.2.2).
6.2.1 Verlagerbarkeit, Verlagerung und verhandelbare Standortentscheidungen Produktionsverlagerungen sind eine Form der internen Standortveränderung. Im engeren Sinn meint Verlagerung die Verlagerung einer Wertschöpfungsaktivität von einem an einen anderen Standort bei gleich bleibendem Gesamtvolumen der Tätigkeit.257 Daneben sind aber auch andere interne Standortveränderungen als möglicher Hintergrund eines concession bargaining zu berücksichtigen: Unternehmen können bei sinkendem Absatz die Produktion an einem von mehreren Standort zurückfahren (Kapazitätsabbau) oder gar eines von mehreren Werken schließen, sie können aber auch bei steigendem Absatz die Produktion an einem von mehreren Standorten ausbauen bzw. eine neue Fabrik an einem bestimmten Standort errichten (Kapazitätsausbau). Die Grenzen zwischen diesen drei Grundkonstellationen – verringertes, gleich bleibendes oder vergrößertes Produktionsvolumen – sind fließend. So kann z.B. bei einer Produktionsverlagerung das Produktionsvolumen konstant bleiben, nicht jedoch die Zahl der Beschäftigten, da Verlagerungen häufig mit einem Rationalisierungsschub verbunden sind. Dies ist häufig auch der Fall bei Verlagerungen von kleinen Einheiten an bereits be257 Eine Produktionsverlagerung kann unternehmensintern, u.U. aber auch zu Fremd-Unternehmen erfolgen. Entscheidend ist, dass die Verlagerung von einem (Kern-) Unternehmen organisiert wird, d.h. dass es einen Akteur der Verlagerung gibt. Wird dagegen die Produktion des betrachteten Unternehmens ersetzt, indem sie am Markt von der Produktion eines anderen Unternehmens verdrängt wird, so ist dies keine Verlagerung. Um Missverständnissen vorzubeugen: Umgangssprachlich wird beispielsweise sehr wohl davon gesprochen, dass sich etwa der Schwerpunkt der weltweiten Bekleidungsproduktion von den Industrieländern nach Asien „verlagert“ hat.
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stehende Großstandorte mit entsprechenden economies of scale and scope. Denkbar ist auch, dass die Verlagerung mit einer Modifikation des Produktes einhergeht, etwa wenn am neuen Standort eine neue Produktgeneration gefertigt wird. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich aus der Verbindung mehrerer einzelner, zeitlich verteilter Standortentscheidungen: etwa wenn in einer ersten Phase – u.U. in Zeiten guter Konjunktur – im Ausland zusätzliche Kapazitäten aufgebaut werden und in einer zweiten Phase – wenn die Konjunktur nachlässt – Kapazitäten im Inland verringert werden, so ergibt sich ein aus zwei Phasen zusammengesetzter Verlagerungsprozess. All diese Differenzierungen können hier nicht näher ausgeführt werden. Im Folgenden wird der Einfachheit halber für alle drei Typen der Standortveränderung der Begriff Verlagerung verwendet. Von den tatsächlich durchgeführten Verlagerungen ist das Potential möglicher Verlagerungen zu unterscheiden. Verlagerungen sind immer dann möglich, wenn es zur Produktion an einem bestimmten Standort eine oder mehrere betriebswirtschaftlich (durch Kombination von standortbedingten und unternehmensinternen Faktoren) mindestens in ähnlicher Weise rentable Standortalternativen gibt. In diesen Fällen kann die abschließende Entscheidung des Unternehmens prinzipiell auch zugunsten des ursprünglichen Standorts fallen, so dass trotz technisch-betriebswirtschaftlich gegebener Verlagerbarkeit schließlich keine Standortveränderung erfolgt. Häufig sind Standortveränderungen jedoch alternativlos. So gibt es etwa zum Aufbau einer Produktion in Ländern, deren Märkte nur durch Produktion vor Ort bedient werden können, keine Alternative.258 Neben einer Alternativlosigkeit aufgrund wirtschaftspolitischer Regulierung, etwa hoher Zölle oder anderer Importbeschränkungen im Rahmen von Importsubstitutionspolitiken, kann die Alternativlosigkeit auch durch hohe Kostenunterschiede verursacht sein. So kann die Schließung einer kleinen Fabrik an einem bestimmten Standort nach einer Übernahme alternativlos sein, wenn das übernehmende Unternehmen bereits über größere und kostengünstigere Fabriken an anderen Standorten verfügt, in denen ähnliche oder gleiche Produkte für den selben Markt hergestellt werden. Auch wenn eine Produktion in Deutschland – sogar nach weit reichenden Zugeständnissen der Arbeitnehmer – nicht rentabel durchgeführt werden kann, ist eine Verlagerung ökonomisch erzwungen (überdeterminiert). Die Gesamtheit der möglichen Verlagerungen besteht also aus realisierten und nicht-realisierten Verlagerungen, wobei die realisierten Verlagerungen wiederum in erzwungene und nicht-erzwungene Verlagerungen unterteilt werden können. Abbildung 15 soll diese Unterscheidungen veranschaulichen.
258 Etwa das neue Werk von Heidelberger in China.
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Abbildung 15: Verlagerbarkeit, realisierte Verlagerungen und verhandelbare Standortentscheidungen nicht-‚notwendige’, realisierte Verlagerungen
’notwendige’ Verlagerungen
realisierte Verlagerungen
nicht-realisierte Verlagerungen
verhandelbare Standortentscheidungen
mögliche Verlagerungen = Verlagerbarkeit
Quellen: eigene Darstellung
Die Verlagerbarkeit von Produktion und anderen Wertschöpfungstätigkeiten stellt insofern eine Machtressource für Unternehmen in der Auseinandersetzung mit lokalen oder nationalen Akteuren dar, als die Verlagerungen als etwas Verhandelbares dargestellt werden können. Die Unternehmen müssen glaubhaft machen können, dass die Realisierung einer möglichen Verlagerung durch Zugeständnisse dieser Akteure beeinflusst werden kann. Das Potential verhandelbarer Verlagerungen umfasst also einerseits nur den Teil aller Verlagerungen, der nicht durch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erzwungen ist. Andererseits umfasst es aber auch jene möglichen Verlagerungen, die – u.U. nach Standortverhandlungen – nicht durchgeführt wurden. Dieses Potential von verhandelbaren Standortveränderung, das jedoch nicht unbedingt realisiert werden muss, soll im Folgenden als Mobilitätspotential, oder der Einfachheit halber auch als Mobilität bezeichnet werden. Nun sind die ökonomische Determiniertheit oder Alternativlosigkeit bzw. die Verhandelbarkeit von Standortentscheidungen keine objektiven Tatbestände. Sie sind immer auch abhängig von der Interpretation der beteiligten Akteure. Da die Arbeitnehmerseite in den Standortverhandlungen über weniger Informationen über die Kosten und die Rentabilität von Standortveränderungen verfügt als
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das Management,259 kann es also sein, dass das Management eines Unternehmens versucht, Verlagerungen im Vorlauf als verhandelbar darzustellen, obwohl eine Entscheidung zur Standortveränderung bereits feststeht, oder auch obwohl eine Standortveränderung gar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wird.260 Ein zweites Problem einer Bewertung der Verhandelbarkeit von Standortentscheidungen besteht darin, dass bei Verlagerung den langfristig erwarteten Kosteneinsparungen kurzfristig einmalig anfallende Verlagerungskosten gegenüberstehen (vgl. auch oben S.139). Daher ist der betriebswirtschaftlich optimale Zeitpunkt einer Verlagerung nie eindeutig. Auch wenn einzelne Standortentscheidungen längerfristig betriebswirtschaftlich zwingend sind, so lassen sie sich u.U. durch Zugeständnisse der betroffenen Arbeitnehmer hinauszögern.261 All dies bedeutet, dass das Mobilitätspotential nicht eindeutig abgegrenzt und bestimmt werden kann.
6.2.2 Interpretation der empirischen Indizien Aufgrund der angeführten Probleme einer klaren Bestimmung des Volumens verhandelbarer Standortentscheidungen kann es hier also nicht darum gehen eine Messung vorzunehmen. Vielmehr sollen Indizien angeführt werden, die im längerfristigen Zeitverlauf – in bestimmten Regionen und Zusammenhängen – auf eine veränderte Mobilität bzw. auf ein verändertes Volumen verhandelbarer Standortentscheidungen schließen lassen. Dies wird im Folgenden am Beispiel Deutschlands ausgeführt. 259 Hierzu allgemein Crozier/Friedberg (1979: 43): „Die Macht … eines sozialen Akteurs ist … eine Funktion der Größe der Ungewissheitszone, die er durch sein Verhalten seinen Gegenspielern gegenüber kontrollieren kann. Aber nicht irgendeine Ungewissheitszone ... diese muss auch relevant sein sowohl in Bezug auf das zu behandelnde Problem, als auch hinsichtlich der Interessen der beteiligten Parteien.“ 260 In der Betriebsrätebefragung des WSI (Ahlers et al. 2007) wurde sowohl nach tatsächlich durchgeführten Verlagerungen – sei es innerhalb Deutschlands oder ins Ausland – gefragt, als auch danach, ob „in Ihrem Betrieb die Frage der Standortverlagerung eine Rolle“ spielt. Diese Frage wurde von 16,2% der Betriebsräte bejaht, während nur 9,2% der Betriebe Verlagerungen durchgeführt hatten. Da sich die Frage nach den realisierten Verlagerungen auf die Vergangenheit (2003 bis zum Zeitpunkt der Befragung) bezog, während die Frage nach der Rolle des Themas ‚Standortverlagerung’ eher zukunftsbezogen ist, ist die Schlussfolgerung, dass es „in den restlichen Betrieben … bei einer Diskussion über Standortverlagerungen geblieben“ ist (ebd.: 51), nicht zulässig. Auch die These, dass allein eine Diskussion in den Betrieben über Standortverlagerungen, unabhängig davon, ob diese dann realisiert werden oder nicht, zu einem Abbau von Arbeitsplätzen (ebd.: 59) und zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen (ebd.: 61) führt, ist durch die präsentierten Daten leider nicht belegt. 261 Letztlich lässt sich jede Standortentscheidung ex post als eindeutig determiniert begreifen, und wird vom Management vermutlich auch gerne so dargestellt.
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Zunächst gilt, dass ein Wachstum durch Übernahmen keine internen Standortveränderungen darstellt. Hinter dem Großteil des Wachstums deutscher Unternehmen im Ausland, insbesondere in anderen Industrieländern, stehen also keine Standortentscheidungen. Aus dem relativen Bedeutungsverlust internen Unternehmenswachstums im Ausland (vgl. 2.2.1) könnte man daher zunächst auf einen Rückgang der Mobilität und der verhandelbaren Standortentscheidungen im Lauf der letzten Jahrzehnte schließen. Das Wachstum in Entwicklungsländern erfolgt dagegen bis heute zu einem großen Teil intern. Die in diesen Ländern aufgebauten Kapazitäten dienen überwiegend der Belieferung lokaler Märkte. Sie sind zu einem großen – allerdings nur schwer präzise zu bestimmenden Teil – notwendige Standortverlagerungen in dem Sinne, dass die lokalen Märkte nicht alternativ durch Exporte aus Deutschland beliefert werden könnten. Hierin unterscheidet sich der Kapazitätsaufbau, der sich heute insbesondere auf China und andere asiatische Länder konzentriert, kaum von Kapazitätsaufbau in Brasilien und anderen lateinamerikanischen Ländern in den 1960er oder 70er Jahren (vgl. oben, S.44 und S.75). Die Bedeutung verhandelbarer Standortentscheidungen dürfte durch diese geographische Verschiebung von Lateinamerika nach Asien kaum zugenommen haben und insgesamt bis heute eher unbedeutend sein.262 Das externe Wachstum in Industrieländern beinhaltet selber zwar keine Standortentscheidungen, ist aber häufig der Hintergrund für mehr oder weniger umfangreiche grenzüberschreitende Restrukturierungen, die auch Produktionsverlagerungen aus oder nach Deutschland beinhalten können. Und es ist durchaus denkbar, dass diese häufig auch verhandelbar sind. Anzunehmen ist, dass Volumen verhandelbarer Verlagerungen intra- und interkontinental unterschiedlich ist: Für die USA hatten statistische Daten gezeigt, dass dortige Auslandswerke in geringem, jedoch leicht steigendem Maße genutzt werden, um auch den deutschen Markt zu beliefern (vgl. oben S.75), und dass anzunehmen ist, dass Restrukturierungen überwiegend regional ausgerichtet sind. Dies lässt den Rückschluss zu, dass auch das Volumen der verhandelbaren Verlagerungen zwischen Deutschland und den USA bisher eher gering ist, vermutlich aber zunimmt.263 Ganz anders ist dies innerhalb Europas. Hier dienen die ausländischen Werke der deutschen Unternehmen zu einem guten und wachsenden Teil der Belieferung des europäischen, einschließlich des deutschen Marktes. Restrukturierungsmaßnahmen nach Übernahmen innerhalb Westeuropas dürften häufig ver262 Eine gewisse Ausnahme spielen die Auslandsgesellschaften von Elektronikunternehmen in Malaysia und Singapur oder auch in China, die häufig weltmarktorientiert sind (vgl. oben S.75). 263 Die Fallstudie zu Continental kann die Bedeutung regionaler Restrukturierung illustrieren. Bei Hoechst und Heidelberger gab es aber auch interkontinentale Restrukturierungsmaßnahmen.
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handelbare Standortentscheidungen beinhalten, da der gesamte EU-Markt grundsätzlich von allen Mitgliedsländern aus beliefert werden kann. Ein ausdrückliches Ziel des Programms für den einheitlichen europäischen Binnenmarkt war es, durch vermehrte, die innereuropäischen Grenzen überschreitende Restrukturierungen die Produktivität europäischer Unternehmen zu erhöhen (Cecchini 1988).264 Es ist also überaus wahrscheinlich, dass die Mobilität der deutschen Unternehmen innerhalb Westeuropas relativ groß ist und auch zugenommen hat. Besonders schwierig ist eine Einschätzung des Umfangs der verhandelbaren Standortveränderungen im Fall Osteuropas. Hier sind die deutschen Unternehmen häufig durch Übernahmen gewachsen, ohne dass deren Anteil am Beschäftigungswachstum genauer bestimmt werden konnte (vgl. oben S.54). Das Produktionsvolumen ist aber großteils intern gewachsen, nicht nur durch den Aufbau neuer Werke, sondern auch durch Rationalisierungsmaßnahmen nach brownfield Investitionen. Ausgesprochen schwierig einzuschätzen ist, wie weit es sich bei den unternehmensinternen Strukturveränderungen zugunsten osteuropäischer Standorte um notwendige oder um verhandelbare Standortveränderungen handelt. Denkbar ist, dass hier viele Verlagerungen zumindest mittel- oder langfristig alternativlos und nicht verhandelbar sind.265 Offensichtlich ist aber, dass die Öffnung Osteuropas die Mobilität multinationaler Unternehmen und das Volumen der verhandelbaren Standortentscheidungen deutlich erhöht hat.266 264 Die Europäischen Betriebsräte, die auf der Grundlage einer entsprechenden Richtlinie der EU von 1994 gebildet werden konnten, waren als soziale Flankierung des Binnenmarktes gedacht, die es den Arbeitnehmervertretern ermöglichen sollte, sich bei Restrukturierungsmaßnahmen nicht gegeneinander ausspielen zu lassen (Bobke 1993). Viele Autoren, etwa Eberwein et al. (2000), kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass EBR im Umgang mit der internationalen Standortkonkurrenz handlungsunfähig sind. In der Tat wird auch in den Eurobetriebsräten selbst die Frage der Standortkonkurrenz weitgehend tabuisiert. So wurde in vielen freiwilligen Eurobetriebsratsvereinbarungen auf das Recht des Eurobetriebsrates zur Erarbeitung und Abgabe einer Stellungnahme bei grenzüberschreitenden Maßnahmen verzichtet (Dörrenbächer/Wortmann 1996). 265 Das Beispiel Continental (Reifen) kann diese Problematik verdeutlichen. Obwohl die Arbeitnehmer in deutschen und anderen westeuropäischen Betrieben immer wieder Zugeständnisse bei Arbeitsbedingungen und Entlohnung gemacht hatten, waren immer größere Teile der Fertigung nach Tschechien, Rumänien oder in die Slowakei verlagert worden. Das letzte Beispiel ist das Werk Hannover-Stöcken: Kurze Zeit nachdem im Jahr 2005 ein Standortsicherungsabkommen unterzeichnet worden war (SZ 29.10.2005), wurde die Schließung der Reifenproduktion an diesem Standort angekündigt, die nun Ende 2007 realisiert werden soll. Ob Beschäftigte und Arbeitnehmervertreter wirklich geglaubt hatten, die Produktion längerfristig sichern zu können, kann hier nicht beurteilt werden. 266 Die durchschnittlich niedrigere Produktivität osteuropäischer Tochter- und Beteiligungsgesellschaften relativiert dieses Volumen kaum, da vermutlich erstens überwiegend arbeitsintensive Produktionen verlagert werden und zweitens sich die (nominell) niedrigere Produktivität zum Teil auch aus den niedrigeren Löhnen ergibt, die die Produktionskosten und letztlich auch den Preis der Endprodukte verringern.
6.1 Mobilität und concession bargaining
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Von sozialwissenschaftlichen Autoren wird die grenzüberschreitende Mobilität der multinationalen Unternehmen mit einer angeblich zunehmend netzwerkartigen Unternehmensstruktur erklärt (Beck 1996; aber auch Jungnickel/Keller 2003).267 Es ist jedoch aus zwei Gründen problematisch, aus einer angeblichen Netzwerkförmigkeit der multinationalen Unternehmen auf deren Flexibilität und von dieser wiederum auf grenzüberschreitende Mobilität und Verlagerbarkeit zu schließen: einerseits sind die Unternehmensstrukturen nur selten wirklich netzwerkförmig, und zum anderen sind netzwerkförmige Entscheidungsstrukturen für ein concession bargaining weit weniger geeignet als zentralisierte Entscheidungsstrukturen. Oben (Abschnitt 5.3) war gezeigt worden, dass die heutigen vielfach äußerst komplexen Strukturen multinationaler Unternehmen ein Ergebnis des externen Wachstums der Unternehmen durch Übernahmen sind. Es wurde auch gezeigt, dass diese Konfigurations- und Koordinationsstrukturen zwar komplex aber zumeist nicht wirklich netzwerkartig, sind. Gerade die grenzüberschreitende Zentralisierung der Entscheidungshoheit erhöht jedoch die Fähigkeit der Unternehmen, Standortveränderungen vorzunehmen und gezielt concession bargaining zu betreiben. Würden unternehmensinterne Standortentscheidungen in Netzwerkstrukturen durch die Interaktion der beteiligten Wertschöpfungseinheiten selbst entschieden, so hätte der Prozess viel Ähnlichkeit mit einem marktwirtschaftlichen Verdrängungsprozess.268 Eine zentrale Steuerung erhöht dem gegenüber die Fähigkeit der Unternehmen, Produktion von einem Land in relativ kurzer Zeit in ein anderes Land zu verlagern. Insbesondere wenn nach Übernahmen zuvor unabhängig voneinander operierende Unternehmen – häufig in einer globalen oder regionalen Division oder Produkteinheit – strategisch neu ausgerichtet und restrukturiert werden, können sich einer zentralen Leitung Möglichkeiten bieten, die Beschäftigten an einzelnen Standorten gezielt gegeneinander auszuspielen. Ganz allgemein erhöht eine Vertiefung der grenzüberschreitenden Koordination zu Lasten nationaler produktübergreifender Koordination auch die Wahrscheinlichkeit grenzüberschreitender strategischer Standortentscheidungen und die Fähigkeit zu strategischem Verhalten den Beschäftigten gegenüber, zu concession bargaining.
267 Dabei knüpfen sie nicht ausdrücklich an die Thesen von Bartlett/Ghoshal (1989) an. Die Managementliteratur thematisiert das Thema concession bargaining selber nicht. Die Möglichkeit, Produktion zwischen Standorten hin und her zu verlagern wird hier allein unter dem Stichwort second source abgehandelt, also nicht als aktive, sondern reaktive Flexibilität, die es erlaubt, Produktionsausfälle – u.a. auch aufgrund von Streiks – zu kompensieren. 268 Die Komplexität der Verhandlungssituation kann sich noch dadurch erhöhen, dass auch das Management keine einheitliche Position einnimmt, und sich z.B. Interessenkoalitionen zwischen Management und Arbeitnehmern an einzelnen Standorten bilden.
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6 Standortdebatte und grenzüberschreitende Mobilität
Die präsentierten Indizien deuten darauf hin, dass die Mobilität der deutschen Unternehmen innerhalb Europas aufgrund des Binnenmarktes und der Öffnung Osteuropas zugenommen hat. Kaum etwas legt aber die Vermutung nahe, dass es auf globaler Ebene zu einem sprunghaften Anstieg der Mobilität gekommen ist oder dass die Unternehmen gar foot-loose geworden seien. Concession bargaining ist also ein zunehmendes, bisher kaum ein globales, sondern – aus deutscher Sicht – ein europäisches Problem, das im Rahmen von Restrukturierungen innerhalb Westeuropas oder von Verlagerungen an kostengünstigere Standorte insbesondere in Osteuropa auftaucht. Freilich, und dies sei abschließend angemerkt, können die zunehmende grenzüberschreitende Mobilität der multinationalen Unternehmen und das damit verbundene Drohpotential allein die Zunahme der Standortsicherungspakte und der gemachten Zugeständnisse der Arbeitnehmer in Deutschland nicht erklären. Solche Vereinbarungen finden sich nämlich auch bei rein national tätigen Unternehmen, und sogar in Branchen, in denen Wertschöpfungsaktivitäten nicht verlagerbar sind, wie etwa dem Einzelhandel. Eine breit angelegte Untersuchung von Massa-Wirth/Seifert (2005) ergab, dass nur bei 24% der deutschen Standortsicherungspakte eine Verlagerungsdrohung im Hintergrund stand. Viel folgenreicher als die erhöhte Mobilität der multinationalen Unternehmen dürfte die gestiegene Arbeitslosigkeit sein, die die Arbeitnehmer bei drohendem Arbeitsplatzverlust – ganz gleich ob diese Drohung durch nationelan oder internationalen, durch unternehmensexternen oder -internen, durch realen oder nur vorgetäuschten Wettbewerb begründet wird – kompromissbereiter gegenüber Forderungen ihrer Arbeitgeber macht.269
269 Hierauf deutet auch hin, dass Produktionsverlagerungen in den 1960er und frühen 1970er Jahren ohne Proteste der Arbeitnehmer verliefen; so auch der Bau der Reifenfabrik von Continental in Frankreich, obwohl diese überwiegend den deutschen Markt belieferte.
7 Ausblick
Viele Phänomene, die heute unter der Überschrift multinationale Unternehmen und Globalisierung diskutiert werden, lassen sich – so ein zentrales Ergebnis dieser Untersuchung – nur verstehen, wenn die Besonderheiten des externen Unternehmenswachstums berücksichtigt werden. Es wurde gezeigt, dass Übernahmen (M&A) im langfristigen Zeitverlauf immer wichtiger geworden sind und heute den größten Teil des Wachstums multinationaler Unternehmen im Ausland ausmachen. Wie bedeutsam eine systematische Berücksichtigung von Übernahmen ist, zeigte sich bereits bei der Interpretation der internationalen Direktinvestitionsstatistiken. Der starke Anstieg der internationalen Direktinvestitionen in den 1990er Jahren erklärt sich zu einem guten Teil auch aus den gestiegenen Preisen, die bei grenzüberschreitenden Übernahmen in den 1990er Jahren gezahlt wurden. Direktinvestitionsdaten beinhalten immer auch ein spekulatives Moment. Das tatsächliche operative Auslandswachstum der multinationalen Unternehmen, ablesbar etwa an der Zahl der Auslandsbeschäftigten, war im gleichen Zeitraum weit weniger spektakulär. Mit den präsentierten Daten konnte gezeigt werden, dass die Auslandsaktivitäten multinationaler Unternehmen im langfristigen Zeitverlauf eher kontinuierlich zugenommen haben. Lediglich die erst seit kurzem für ausländische Investoren offenen Länder in Osteuropa sowie China, in denen neben so genannten brown-field Investitionen auch Neugründungen eine wichtige Rolle spielen, verzeichnen überdurchschnittlich zunehmende Aktivitäten multinationaler Unternehmen. Insgesamt ist die Internationalisierung der multinationalen Unternehmen in den letzten zwei Jahrzehnten jedoch nicht durch einen quantitativen Sprung gekennzeichnet, der diese Zeit, etwa als Epoche der ‚Globalisierung’, deutlich von der Zeit davor absetzen würde. Auch die Art der Integration ausländischer Tochtergesellschaften in die Strukturen der Gesamtkonzerne hat sich nicht fundamental verändert. Die Produktion der Auslandsgesellschaften multinationaler Unternehmen ist trotz einer absoluten und zumeist auch relativen Zunahme ihrer Exporte auf globale Märkte nach wie vor überwiegend auf lokale und regionale Märkte ausgerichtet und nur in seltenen Fällen wirklich global. Soweit die wenigen vorliegenden Daten eine Aussage erlauben, gilt dies auch für die grenzüberschreitenden konzerninternen Lieferverflechtungen. Dies sollte freilich nicht als Ende der Globalisierung
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(Rugman 2002; 2005) interpretiert werden. Vielmehr ist eine lang andauernde Entwicklung hin zu stärker grenzüberschreitend und auch global ausgerichteten Konzernkonfigurationen unverkennbar. Trotz der empirisch eindeutig belegbaren Bedeutung des externen Unternehmenswachstums haben sowohl die ökonomischen als auch die betriebswirtschaftlichen Theorien über multinationale Unternehmen und Direktinvestitionen Übernahmen bisher nicht systematisch in ihren Konzepten berücksichtigt. Die Theorien der managerial school und hier insbesondere das von Bartlett/Ghoshal (1989) entwickelte Konzept des transnationalen Unternehmens ignorieren die besonderen Implikationen des externen Unternehmenswachstums. Es konnte gezeigt werden, dass die Charakterisierung multinationaler Unternehmen als transnationale Netzwerke eine Fehlinterpretation darstellt, die daher rührt, dass zum einen die komplexitätssteigernden Auswirkungen externen Unternehmenswachstums nicht berücksichtigt und zum anderen die verschiedenen, oft voneinander unabhängigen und ganz unterschiedlich ausgerichteten Wertschöpfungsaktivitäten der Unternehmen in einzelnen Ländern pauschal integrierten Landesgesellschaften zugeordnet werden. Dem Konzept des netzwerkartigen, transnationalen Unternehmens wurde ein eigenes Konzept gegenübergestellt, das die Entwicklung multinationaler Unternehmen als langfristig voranschreitende, komplexe Globalisierung charakterisiert: Auf sich globalisierenden, d.h. auf international zusammenwachsenden Märken wachsen die Unternehmen zunehmend extern durch Übernahmen und versuchen, durch eine grenzüberschreitende Zentralisierung der eigenen und der übernommenen Aktivitäten Synergieeffekte zu erzielen. Globale Restrukturierungsprozesse können und müssen dabei an unterschiedliche Unternehmenstraditionen anknüpfen. Zum einen verfügen multinationale Unternehmen durch Übernahmen auch im Ausland über hochwertige Wertschöpfungs- und Managementkapazitäten, die als Kerne für Zentralisierungsprozesse genutzt werden können. Zentralisierung findet also nicht nur im Heimatland des Gesamtkonzerns statt, sondern auch in den Heimatländern der übernommenen Unternehmen und teilweise auch an Standorten der von diesen wiederum zuvor übernommenen Unternehmen. Zum anderen findet nach Übernahmen und Fusionen – insbesondere aufgrund von sunk costs – nie eine wirklich allumfassende Integration und Standortbereinigung statt, so dass verschiedene Wertschöpfungsaktivitäten im In- und Ausland häufig auch an – aus der Sicht der jeweiligen Konzernleitung – suboptimalen Standorten weitergeführt werden. Die internen Restrukturierungen, die die Unternehmen nach Übernahme vornehmen, lassen sich als Globalisierung im Sinne der angelsächsischen Managementtheorie (Porter 1989; Bartlett/Ghoshal 1989) verstehen: Die Unternehmen versuchen, economies of scale and scope zu erzielen, indem sie Wertschöpfungs-
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aktivitäten grenzüberschreitend konzentrieren. Auch die Koordinationsstrukturen entwickeln sich in Richtung zunehmender Globalisierung. Der globalen Zentralisierung der Managementstrukturen auf Produkt- oder Funktionsebene steht häufig eine Dezentralisierung auf nationaler oder auch lokaler Ebene gegenüber. Der Zusammenhalt innerhalb nationaler Managementstrukturen wird gelockert oder sogar ganz aufgelöst – bis hin zum spin-off oder Verkauf ganzer Bereiche. Dezentralisierung auf geographischer Ebene und Zentralisierung auf Produktebene, und teilweise auf der Ebene von Funktionen, sind zwei Seiten ein und desselben Prozesses – der zunehmend globalen Ausrichtung von Managementstrukturen, die wiederum der Koordination verstärkt global ausgerichteter Wertschöpfungsaktivitäten dient. Auch bei umfangreichen Restrukturierungsmaßnahmen bleiben, auch über lange Zeit, mehr oder weniger deutliche Spuren der unterschiedlichen ehemals selbständigen Unternehmen, u.U. ganzer Generationen von Übernahmen, erhalten. Durch die aus der Sicht des jeweiligen Gesamtunternehmens kontingenten vorgängigen Entwicklungspfade seiner einzelnen Bestandteile wird der Globalisierungsprozess komplex. Dabei ist es wichtig festzuhalten, dass Globalisierung hier nicht als Zustand verstanden wird, sondern als Prozess, der sich aller Voraussicht nach auch in Zukunft weiter fortsetzen wird. Wie weit die Unternehmen heute bereits global sind und ob insgesamt globale, multi-regionale oder auch multi-nationale Strategien und Strukturen dominieren, ist mit dem vorgestellten Konzept der komplexen Globalisierung nicht ausgesagt. Darüber hinaus kann aus der allgemeinen Tendenz zur Globalisierung der Unternehmen keine Konvergenz abgeleitet werden. Wenn sich gleichgerichtete Tendenzen der Globalisierung von Unternehmen in einzelnen Industriezweigen oder Regionen von unterschiedlichen Ausgangslagen aus und in unterschiedlicher Geschwindigkeit durchsetzen, so kann Globalisierung durchaus auch mit Divergenz verbunden sein. Dies gilt sowohl für Unternehmen wie auch für Länder – hier insbesondere, wenn im Zuge einer grenzüberschreitenden Zentralisierung von Wertschöpfungsaktivitäten und Kompetenzen durch die Unternehmen die Spezialisierung zwischen Ländern verstärkt wird. Auch die Theorien der economic school, einschließlich der eklektische Theorie Dunnings oder des neueren Ansatzes von Markusen, die versuchen zu erklären, warum Unternehmen aus welchen Ländern und Branchen in welchen anderen Ländern investieren, ignorieren die Bedeutung des externen Unternehmenswachstums durch Übernahmen. Aus diesem Grund sind sie nicht in der Lage, die Entwicklung multinationaler Unternehmen umfassend zu erklären. Freilich ergab ein Überblick über die relevante Literatur zu Übernahmen auch, dass eine ökonomische Theorie auf verschiedene grundsätzliche Schwierigkeiten stößt, Übernahmen ähnlich gut zu erklären, wie das Dunningsche OLI-
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Paradigma internes Auslandswachstum erklärt. Darüber hinaus müsste eine allgemeine Theorie des multinationalen Unternehmens nicht nur internes und externes Unternehmenswachstum erklären, sondern auch die internen Restrukturierungen, die häufig auf Übernahmen folgen und deren Logik aufgrund der komplexen Ausgangsbedingungen eine andere ist als die des internen Wachstums. Diese Lücke konnte auch in der vorliegenden Arbeit nicht geschlossen werden. So bleibt zu konstatieren, dass gegenwärtig keine allgemeine Theorie der Direktinvestitionen und des multinationalen Unternehmens verfügbar ist. Dennoch wird in der deutschen Standortdiskussion, die sich seit den späten 1980er Jahren parallel zur Diskussion über Globalisierung entwickelt hat, immer wieder auf die Theorien von Dunning oder Markusen zurückgegriffen. Gegen die vom Sachverständigenrat oder in Studien der Wirtschaftsforschungsinstitute geäußerte Behauptung, das hohe Auslandswachstum deutscher Unternehmen bei gleichzeitig geringem Wachstum ausländischer Unternehmen in Deutschland sei auf eine problematische Schwäche des Industriestandorts Deutschland zurückzuführen, wurden drei Argumente entwickelt: Erstens ist das Wachstum der deutschen Unternehmen im Ausland großen Teils auf Übernahmen zurückzuführen, die von Standortfaktoren kaum beeinflusst werden. Zweitens dienen viele Investitionen im Ausland der Markterschließung. Schließlich wurde – in Anschluss an Dunnings Erklärung der internen Unternehmensinternationalisierung – argumentiert, dass es unvermeidbar ist, dass Unternehmen in Ländern mit hoher Produktivität – und damit auch mit relativ hohen Arbeitskosten – ihre dort erworbenen komparativen Wettbewerbsvorteile teilweise in Länder mit niedrigeren Löhnen verlagern. Die grenzüberschreitende Mobilität multinationaler Unternehmen hat auch Auswirkungen auf betrieblicher Ebene. Indem sie lokal gebundenen Akteuren wie den Beschäftigten und ihren Interessenvertretern an einzelnen Standorten glaubhaft mit der Verlagerung von Produktion drohen, können multinationale Unternehmen diese zu Zugeständnissen zwingen. Dabei ist die durch die gestigene Mobilität der Unternehmen verursachte Machtverschiebung zwischen den Unternehmen einerseits und ihren Beschäftigten und deren Interessenvertretern andererseits äußerst schwer zu messen, da sie nicht auf realen Verlagerungen sondern auf dem Potential von möglichen – aber nicht offensichtlich notwendigen – Verlagerungen beruht, mit denen die Unternehmensleitungen ihren lokal gebundenen Verhandlungspartnern drohen und Zugeständnisse erpressen können. Die präsentierten Indizien deuten darauf hin, dass die Mobilität der deutschen Unternehmen zwar innerhalb Europas aufgrund des Binnenmarktes und der Öffnung Osteuropas deutlich zugenommen hat. Kaum etwas legt aber die Vermutung nahe, dass es auf der globalen Ebene zu einem sprunghaften Anstieg der Mobilität gekommen ist oder die Unternehmen gar footloose geworden seien.
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Wenn sich aber die Globalisierung der Unternehmen, ihrer Konfiguration und Koordination, und damit auch die Zunahme ihrer grenzüberschreitenden Mobilität über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich entwickelt haben, so drängt sich die Frage auf, warum die Globalisierung der Unternehmen zu einem bestimmten Zeitpunkt plötzlich als etwas Neues wahrgenommen wird. Dies liegt dann vermutlich weniger an der Globalisierung, als an anderen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen. Vieles deutet beispielsweise darauf hin, dass es nicht allein die gewachsene grenzüberschreitende Mobilität der Unternehmen ist, die die Verhandlungsmacht der Unternehmen erhöht hat, sondern dass es auch die veränderten makroökonomischen Rahmenbedingungen und die gestiegene Arbeitslosigkeit sind, die dem concession bargaining der Unternehmen verstärkte Durchschlagskraft verleihen. Bis weit in die 70er Jahre hinein waren Arbeitsplätze, die von deutschen multinationalen Unternehmen im Ausland geschaffen wurden, zumeist zusätzliche Arbeitsplätze. Und dort wo Produktion verlagert wurde, standen im Inland zumeist Ersatzarbeitsplätze im gleichen Unternehmen270 oder doch in der Region zur Verfügung. Daher wurden Produktionsverlagerungen ins Ausland im Allgemeinen von den Beschäftigten und ihren Interessenvertretungen, d.h. den Betriebsräten und Gewerkschaften, kaum als Problem wahrgenommen. Vor dem Hintergrund einer schwachen wirtschaftlichen Entwicklung und anhaltender, hoher Arbeitslosigkeit werden Produktionsverlagerungen jedoch zu einer unmittelbaren Bedrohung für die Beschäftigten. Erst in dieser Situation werden Verlagerungsdrohungen zu einem wirksamen Instrument des Managements im concession bargaining mit Belegschaften und Betriebsräten. Zugespitzt lässt sich sagen: „Globalisierung“ ist weniger die Ursache wirtschaftlicher und sozialer Probleme, vielmehr sind diese Probleme die Ursache dafür, dass die sich seit langem vollziehende Globalisierung nun als etwas Neues wahrgenommen wird. Erst in Zeiten der Krise werden die internationalen ökonomischen Verflechtungen im allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstsein problematisiert. Dies war auch schon vor über siebzig Jahren so: Wohl nicht zufällig stammt das heute zum geflügelten Wort gewordene Zitat von Kurt Tucholsky „Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten“ aus dem Jahr 1931, aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise.
270 Diese Perspektive verdeutlicht ein Zitat aus dem Siemens Geschäftsbericht von 1961/62 (S.66): „Die Fabriken in Italien wurden weiter ausgebaut; sie trugen zur Entlastung der deutschen Werke bei.“ Hier sei auch nochmals daran erinnert, dass die Diskussion über Globalisierung und den Standort Deutschland bereits Ende der 1980er Jahre einestzte, also vor der Öffnung Osteuropas.
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