I Konturen der neuen Welt(un)ordnung
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I Konturen der neuen Welt(un)ordnung
III
Konturen der neuen Welt(un)ordnung Beiträge zu einer Theorie der normativen Prinzipien internationaler Politik
Herausgegeben von
Georg Kohler und Urs Marti
Walter de Gruyter · Berlin · New York
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 3-11-017756-0 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© Copyright 2003 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Datenkonvertierung: OLD-Media oHG, Neckarsteinach Umschlaggestaltung: +malsy, Bremen
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Kohler und Urs Marti
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I Tendenzen der Globalisierung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Kagan vs Kant. Konturen der neuen Welt(un)ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . Georg Kohler
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Theorien der internationalen Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Urs Marti
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Globalisierung vor der Globalisierung. 15 000 Jahre interkontinentalen Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Kesselring
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Die kosmopolitische Transgressivität der modernen Demokratie . . . . . . . . Francis Cheneval
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The Prospects of 21st Century Constitutionalism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Cottier and Maya Hertig
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II
Globale Veränderungen von Staat und Recht
Souveränität und Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Urs Marti Governance: die neue Aufmerksamkeit für politische und rechtliche Strukturen im Prozess wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung . . . . . . . Erika Schläppi
165
189
Rechtsstaatlichkeit als internationales Gerechtigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . Valérie Nádrai
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Staatsbürgerschaft und Globalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sven Murmann
238
VI
Inhaltsverzeichnis
Ist das Recht auf humanitäre Intervention ein individuelles Recht? . . . . . . Véronique Zanetti Appreciating Minorities or why Tolerance is not enough: Is Power Sharing the ‚Moral Must‘ in International Politics? . . . . . . . . . . . . Josette Baer
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266
Soziale und wirtschaftliche Aspekte der internationalen Politik
Globalisierung der Gerechtigkeit – Politische Schwärmerei oder moralischer Realismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wilfried Hinsch
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Kooperation und Moralbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Kesselring
300
Anmerkungen zum globalen Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Schefczyk
318
Globale distributive Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Urs Marti
345
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung Georg Kohler und Urs Marti Im Zuge der territorialen Entgrenzung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Prozesse verändert sich die Funktion nationalstaatlicher Grenzen. Diese sind, so die überlieferte, heute aber zunehmend umstrittene Auffassung, Bedingung der Möglichkeit politisch-rechtlicher Ordnung. Das dem Zeitalter souveräner Nationalstaaten eigentümliche institutionelle Geflecht von Recht und staatlicher Kontrollmacht droht im Zuge der ökonomischen Globalisierung zu zerreißen. Die Gegenwart ist mit der Aufgabe konfrontiert, vor dem Hintergrund des Streits über Nutzen und Nachteil der Globalisierung von Produktion, Handel und Investition die Möglichkeiten politischen Handelns und politischer Verfassung im globalen Rahmen neu zu beurteilen. Die Ordnung der Welt nimmt neue Konturen an, und dieser Transformationsvorgang nährt Spekulationen jeder Art. Die Szenarien reichen von einer durch die Unübersichtlichkeit des globalen Rechts und die wachsende Macht privater Akteure gekennzeichneten Refeudalisierung bis hin zur demokratischen Kosmopolis. Fest steht vorderhand nur: Der Funktionsverlust nationalstaatlicher Grenzen bedeutet nicht, dass Grenzen in der Welt der Gegenwart keine Rolle mehr spielen; die Abnahme staatlicher Macht bedeutet nicht, dass Machtdisparitäten global abnehmen; die wachsende Interdependenz globaler Akteure bedeutet nicht, dass diese sich gegenseitig als gleichberechtigte Partner respektieren. In zahlreichen jüngeren Publikationen artikulieren sich Hoffnungen auf die Herausbildung suprastaatlicher Institutionen, die über staatliche Grenzen hinweg den Rechtsfrieden zu garantieren vermögen. Angesichts zahlloser Konflikte, sich verschärfender Verteilungskämpfe und divergierender weltpolitischer Ordnungsvorstellungen, die sich unversöhnlich gegenüberzustehen scheinen, wächst möglicherweise eher jener Pessimismus der Erkenntnis, der bekanntlich den Optimismus des Willens nicht ausschließt. Einsichten in die Notwendigkeit supranationaler Formen von Recht und Politik werden heute in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen gewonnen; ihre Realisierungschancen dürften allerdings im Rahmen der gegenwärtigen politisch-wirtschaftlichen Konstellationen sehr unterschiedlich zu bewerten sein. Die Frage, welche Wege zur Errichtung einer funktionsfähigen, stabilen, von der Mehrheit der Weltbevölkerung als legitim anerkannten Weltordnung führen, wird zweifellos noch lange Gegenstand politischer und wissenschaftlicher Kontroversen bleiben. Die im vorliegenden Band versammelten Beiträge untersuchen aus der Perspektive der politischen Philosophie und des Völkerrechts, wie neue Rechtsansprüche sowie die notwendige Neuorganisation wirtschaftlicher und politischer Macht Bedürfnisse, aber auch Möglichkeiten, in deren Licht die Idee einer neuen, gewissermaßen
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Georg Kohler und Urs Marti
kantischen Weltordnung nicht von vornherein als schlechte Utopie erscheinen muss, entstehen lassen. Im ersten Teil werden jene Prozesse, die heute gemeinhin unter den Begriff der Globalisierung subsumiert werden, aus unterschiedlichen Perspektiven analysiert. Georg Kohler expliziert in seinem Einleitungsessay am Leitfaden einer Replik auf die aktuelle US-amerikanische Kritik an der „alteuropäischen“ Politikvorstellung das Modell einer „kantischen“, an der internationalen „rule of law“ orientierten, sanktionsfähigen Weltordnung. Statt einer „pax americana“ verfolgt dieses Modell den Gedanken eines „global policing“; eine Strategie, die zwar – wie die herrschende Doktrin Washingtons – wilsonischen Prinzipien verpflichtet ist, diese aber nicht hegemonial und nicht auf der Basis eines „natürlichen Rechts des Stärkeren“ durchsetzen will. Die kantisch entworfene internationale Politik argumentiert normativ, doch ihre Basis ist evolutionistisch. Denn die stärksten Trümpfe zugunsten ihrer Realisierung findet sie in den Hinweisen sowohl auf kollektive Lernerfahrungen der Gattung „zoon politikon“ als auch im Blick auf interne Konsequenzen der Zivilisation der Moderne, die die wachsenden Chancen und Dringlichkeiten eines nachhaltigen Ausgangs aus dem internationalen Naturzustand vor Augen führen. Dass Daten wie der 11. September 2001 oder empirische Faktoren wie die anhaltende Tendenz zur „Asymmetrisierung“ des Krieges nicht gegen Kants Ideen sprechen, sondern erst recht Anstöße zur stärkeren Verflechtung der Staaten bei der Wahrnehmung von Aufgaben des „global policing“ liefern, ist, so gesehen, der Sinn einer notwendigen Katastrophenerfahrung, durch die das „ungesellig-gesellige“ Menschenwesen dazu gebracht wird, diejenigen Einsichten endlich praktisch werden zu lassen, die ihm die eigene Vernunft schon längst vorgegeben hat. Ein wissenschaftliches Instrumentarium, das einigermaßen überprüfbare Urteile über die Aussagekraft kosmopolitischer Prognosen zu erlauben scheint, existiert in der Gestalt der Theorie der Internationalen Beziehungen. Wer beabsichtigt, damit zu arbeiten, sieht sich aber sogleich mit einer kaum mehr überschaubaren Vielfalt konkurrierender Erklärungsansätze konfrontiert. Urs Marti gibt einen kurzen Überblick über die realistischen, institutionalistischen, liberalen, strukturalistischen und reflexiv-postmodernen Schulen. Die realistische Verengung der Sichtweise auf eine von Machtinteressen diktierte nationalstaatliche Politik hält er für verfehlt. Sowohl die Interaktion einer Pluralität staatlicher und nicht-staatlicher Akteure als auch die Erfahrung, dass der Wille zur rechtlichen Konfliktregelung ein Motiv politischen Handelns auf internationaler Ebene sein kann, sprechen dagegen. Individuelle und kollektive Akteure werden jedoch in ihrer Handlungsfähigkeit durch strukturelle Zwänge machtpolitischer und ökonomischer Art eingeschränkt. Machtbeziehungen müssen auf staatlicher wie auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene analysiert werden. Hegemoniale Macht ist genauso zu berücksichtigen wie die Macht oppositioneller politischer Praktiken. Nur dann kann es gelingen, die unterschiedlichen und gegensätzlichen Kräfte, die die Weltpolitik heute bestimmen und gestalten, in ihrer Wirkung einzuschätzen. Die so genannte Globalisierung wird heute oft als Herausforderung verstanden, mit der die Menschheit in ihrer bisherigen Geschichte erstmals konfrontiert ist. Ko-
Einleitung
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operation und Wettbewerb über Grenzen hinweg lassen sich indes bereits in der menschlichen Frühgeschichte nachweisen. Der Austausch zwischen Gesellschaften hat damals – woran Thomas Kesselring erinnert – unter Bedingungen eines Entwicklungs- und Machtgefälles stattgefunden, das sich seither massiv verstärkt hat. Vor dem Hintergrund einer fünfzehntausendjährigen Geschichte muss das Urteil über die Aussichten der gegenwärtigen Globalisierung differenziert ausfallen: Zwar beschleunigt die immer mehr Menschen einbeziehende Kommunikation und Kooperation die Entwicklung der Zivilisation, doch das Aufeinandertreffen machtungleicher Gesellschaften führt sehr oft zur rücksichtslosen Unterwerfung der Schwächeren. Der Schluss, ein sich intensivierender globaler Austausch sei notwendigerweise die beste Voraussetzung für die Entwicklung aller Gesellschaften, ist somit voreilig. Der Autor sieht im Kontext dieser Analyse das Verdienst der europäischen Gesellschaften im Entwurf universalistisch-egalitärer Ordnungskonzepte, fürchtet aber, dass diese Errungenschaften unter Bedingungen eines globalen Entwicklungsgefälles von der Dynamik des Wettbewerbs zerrieben werden könnten, bevor sie ihre Wirkung richtig entfalten. Eine andere Einschätzung ergibt sich, wenn sich die Untersuchung auf die Entwicklung der neuzeitlichen Staatskonzeption konzentriert. Der institutionelle Rahmen, worin in Europa universalistisch-egalitäre Ordnungsvorstellungen Gestalt annehmen konnten, ist der Nationalstaat. Die Legitimitätsgrundlagen der modernen, liberalen Demokratie weisen jedoch, so die These von Francis Cheneval, über diesen Rahmen hinaus: Dem demokratischen Staat liegt ein Ideal menschlicher Emanzipation zugrunde, dessen Verwirklichung den Ausbau des transnationalen Netzwerks politischer Organisation erfordert. Die menschenrechtliche Begründung, aber auch die Sicherheitslogik des demokratischen Nationalstaats lassen die Bildung postnationaler demokratischer Rechtsstrukturen als notwendig erscheinen. Anzustreben ist eine die nationalstaatlichen Grenzen überschreitende institutionelle Garantie von politischen und sozialen Grundrechten, zwischenstaatlicher Zivilität und multinationaler Rechtssicherheit. Unter der Bedingung, dass dieser Prozess erstens demokratisch verantwortet und gesellschaftlich konsolidiert wird, und unter der zweiten Bedingung, dass er zwischen den Staaten auf Reziprozität und auf dem Respekt vor kultureller Differenz beruht, stellt die postnationale Tendenz eine kosmopolitische Erweiterung und Vertiefung der Demokratie dar. Wie der Blick auf jüngere Debatten zeigt, stößt die Überzeugung, das Institut der die grundlegenden Rechtsprinzipien enthaltenden Verfassung könne nicht mehr dem Nationalstaat vorbehalten bleiben, auf wachsende Zustimmung. Diskutiert wird heute vor allem die Frage, ob Regierungstätigkeiten, die auf supranationaler Ebene angesiedelt sind (wie diejenigen der EU oder der WTO), verfassungsmäßig gestaltet sind oder nicht. In den einschlägigen Diskussionen wird deutlich, dass bezüglich der Kriterien, denen Institutionen und Normen entsprechen müssen, um als Verfassung gelten zu können, noch kein Konsens besteht. Versuche, klare begriffliche Grenzen zwischen „verfassten“ und „unverfassten“ Regierungsstrukturen zu ziehen, sind, wie Thomas Cottier und Maya Hertig in ihrem Beitrag darlegen, unergiebig in einer Welt, worin die Grenzen zwischen
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Georg Kohler und Urs Marti
staatlichem und Völkerrecht sich zusehends verwischen. Angesichts der aktuellen Probleme ist es aber sicher nicht hilfreich, das Verfassungskonzept für den Nationalstaat zu reservieren. Genauso wenig ist allerdings gewonnen, wenn der Begriff der Konstitution für jede Form von Regierungsstruktur gebraucht wird. Im verfassungsrechtlichen Denken des 21. Jahrhunderts wird es hauptsächlich darum gehen, die Wechselwirkung und die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Ebenen nationaler, regionaler und internationaler Regierungstätigkeit ungeachtet ihres jeweiligen verfassungsmäßigen Status zu analysieren. Die Interaktionen zwischen den verschiedenen Ebenen und die Zuteilung der Gewalten sind dabei eher als Kommunikationsprozesse denn als Ausdruck starrer Hierarchien zu begreifen. Struktur und Funktion künftiger Verfassungen lassen sich mit dem Bild eines mehrstöckigen Hauses illustrieren, worin die einzelnen Stockwerke gegenseitig aufeinander einwirken. Gegenstand des zweiten Teils sind die Auswirkungen der globalen Veränderungen auf die Institutionen der Politik und des Rechts. Staatliche Souveränität ist seit über drei Jahrhunderten das wichtigste normative Prinzip der internationalen Politik. Urs Marti untersucht, wie sich das neuzeitliche Souveränitätsverständnis entwickelt und verändert hat, und prüft, was von der Diagnose eines Endes der Souveränität zu halten ist. Die Wandlungen des Völkerrechts, die menschenrechtliche Orientierung moderner Politik, die abnehmende staatliche Steuerungsfähigkeit und die wirtschaftliche Globalisierung stellen für das klassische Souveränitätsverständnis eine Herausforderung dar. „Souveränität“ ist jedoch als eine relativ erfolgreiche Lösung von Problemen zu verstehen, die mit der Globalisierung nicht verschwinden, sondern sich eher verschärfen: Wie lassen sich der Rechtsfriede herstellen und aufrechterhalten, gesellschaftliche Macht zähmen und breiter verteilen, Privilegien abbauen, die Rechtsgleichheit der Mitglieder eines politischen Gemeinwesens fördern und deren Teilnahme an der Gesetzgebung ermöglichen? Wer garantiert den Schutz von Verträgen und Eigentumsrechten und sorgt gleichzeitig dafür, dass die Früchte der gesellschaftlichen Kooperation annäherungsweise gerecht verteilt werden? Ein Bedürfnis nach souveräner, das heißt sowohl durchsetzungsfähiger wie auch legitimer Macht besteht angesichts dieser Aufgaben demnach auch auf supranationaler Ebene. Die Globalisierung der Märkte wie auch des Rechts hat zu einer Veränderung und Erweiterung des klassischen Begriffs der Regierung geführt. Erika Schläppi erläutert in diesem Zusammenhang den Begriff Governance in seiner Bedeutung für die Organisation und die politische Entscheidungsfindung des einzelnen Staates und prüft, was die internationale Gemeinschaft unter guter Regierungsführung oder Good Governance versteht. Politik und Wissenschaft sind sich heute im Grundsatz weitgehend einig, dass die Qualität von Governance, das heißt die Art und Weise, wie ein Staat mit seinen Ressourcen umgeht und wie politische Entscheidungsprozesse ablaufen, auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung jedes Landes maßgeblichen Einfluss hat. Konkretere Konturen hat der Begriff Governance in den letzten Jahren vor allem in der internationalen Diskussion zwischen Geber- und Empfängerstaaten erhalten. Tatsächlich fallen in Staaten mit entwicklungspolitischen Defiziten institutionelle Mängel besonders ins Ge-
Einleitung
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wicht. Ohne die Verbesserung schlechter institutioneller Rahmenbedingungen wird es keine nachhaltige Entwicklung geben. Die Autorin geht der Frage nach, warum Governance erst jetzt ein internationales entwicklungspolitisches Thema geworden ist und wie sich Governance zu anderen Konzepten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit oder Menschenrechten verhält. Wenn das Netzwerk von Normen der internationalen Kooperation sich verdichtet, stellt sich die Frage, welche Prinzipien am besten geeignet sind, sich als allgemein anerkennungsfähige Normen internationaler Gerechtigkeit zu bewähren. Valérie Nádrai vertritt die Ansicht, das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit könne diese Funktion weit eher erfüllen als jenes der Demokratie oder der distributiven Gerechtigkeit. Sie schlägt vor, als Bedingung der völkerrechtlichen Anerkennung von Staaten deren rechtsstaatliche Verfasstheit zu bestimmen. Ein normatives Rechtsstaatskonzept, das auf der Anerkennung des Menschen als Rechtsperson gründet, könnte als minimale Gerechtigkeitskonzeption global Anerkennung finden. Im Sinne dieser Konzeption wäre allen Menschen ungeachtet ihrer nationalen Zugehörigkeit das Recht auf einen Rechtszustand zuzusprechen, worin das Freiheitsrecht eines jeden zuverlässig durch Gesetze und Gerichte bestimmt ist. Das Recht eines Staates, als souveräner Staat anerkannt zu werden, müsste somit künftig davon abhängen, ob und inwiefern er rechtsstaatliche Verhältnisse garantiert. Der Status der Staatsbürgerschaft muss heute ebenfalls neu definiert werden. Menschen sind, wie Sven Murmann darlegt, Mitglieder der Gesellschaftswelt und des politischen Systems. Der Status demokratischer Staatsbürgerschaft ist an den Anspruch auf Rechtfertigung der politischen Gewalt gebunden. Solange die zentrale Ordnungsfunktion des politischen Systems als Norm setzender Rechtsstaat erhalten bleibt, sind Mitglieder der Gesellschaftswelt auf einen solchen Zugehörigkeitsstatus angewiesen. Doch die Verbindung von Staatsbürgerschaft und demokratischer Legitimität wird im Zuge der Globalisierung gesellschaftlicher Institutionen und sozialer Praktiken in Frage gestellt. Nichtregierungsorganisationen und global agierende Unternehmen vernetzen sich international, was zur Folge hat, dass ihre Mitglieder dem nationalen Status ihrer Zugehörigkeit weniger Gewicht geben. Der Autor stellt die Frage, inwieweit die Gesellschaftsmitglieder an demokratisch legitimiertem Einfluss wirklich dazugewinnen, wenn das immer noch stark national geprägte politische System gewisse Ordnungsfunktionen an die Gesellschaftswelt abgibt und der Status demokratischer Staatsbürgerschaft zugunsten nicht bindender Mitgliedschaften aufgeweicht wird. Eine weitere Frage, die sich im Zuge der Transformation des Völkerrechts stellt, bezieht sich auf das Recht, im Falle schwerer Menschenrechtsverletzungen in die inneren Angelegenheiten eines Landes notfalls militärisch einzugreifen. Angesichts zahlreicher Kriege und Konflikte hat sich freilich gezeigt, dass die internationale Gemeinschaft nicht über den Parteien steht und ihren Entscheidungen stets etwas Willkürliches anhaftet. Vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen stellt Véronique Zanetti die Frage, ob die normativen Argumente zugunsten einer humanitären Intervention ihre Gültigkeit angesichts von Machtmissbrauch und selektiven Interventionsstrategien verlieren. Das Recht auf humanitäre Intervention versteht sie als ein individuelles, aus dem Recht auf Leben und Sicherheit abgeleitetes Recht.
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Georg Kohler und Urs Marti
Individuen haben demzufolge einen Anspruch auf die Einrichtung internationaler Institutionen zum Schutz ihrer Grundrechte. Intervention wäre somit als ein juristisches Instrument zu verstehen, um individuelle Menschenrechte weltweit wirksamer zu garantieren. Diesem Zweck könnte auch die Einrichtung eines wirksamen und ständigen Internationalen Gerichtshofes dienen. Der Schutz von Menschen- und insbesondere Partizipationsrechten stellt in multinationalen und -ethnischen Gesellschaften ein besonders dringliches Problem dar. Einige postkommunistische Länder Südosteuropas stehen heute vor der Aufgabe, die rechtliche Gleichstellung von Minderheiten institutionell zu verankern. Erschwert wird sie, wenn dem Land ökonomische Transformationen bevorstehen. Diese bewirken eine Verschärfung sozialer Gegensätze, die nur als legitim anerkannt werden können, wenn sie auf einem Konsens aller Betroffenen beruhen. Josette Baer untersucht am Beispiel Makedoniens, welche Integrationsinstrumente friedliche Koexistenz innerhalb des Staates gewährleisten können. Entscheidend ist ihr zufolge die Beteilung der Minderheiten an der Regierung, die mittels einer „consociational democracy“, also einer Kooperation der Eliten verschiedener Gruppen erreicht werden könnte. In diesem Zusammenhang diskutiert die Autorin das schweizerische Konkordanzsystem als mögliches Vorbild für eine konstitutionell garantierte Machtteilung in multiethnischen Staaten und unterstreicht die Notwendigkeit internationaler Unterstützung im Bereich Institutionenbildung und Konfliktmediation. Im letzten Teil geht es schwerpunktmäßig um Probleme der Definition von Gerechtigkeitskriterien, die im Zuge der weltwirtschaftlichen Transformationen und ihrer sozialen Auswirkungen an Bedeutung gewinnen. Klassische Konzeptionen distributiver Gerechtigkeit gehen von isolierten Gesellschaften aus. Im Zuge der Globalisierung menschlicher Lebensverhältnisse schwindet deren Plausibilität. Die Liberalisierung des Welthandels, die Deregulierung der nationalen Finanzmärkte, die Migration von Arbeitskräften sowie die zunehmende Bedeutung überstaatlicher politischer Einheiten lassen die Annahme einer auf den Binnenbereich beschränkten Kooperation obsolet erscheinen, wie Wilfried Hinsch darlegt. Er plädiert für globale egalitäre Grundsätze zum Ausgleich von Wohlstandsdifferenzen zwischen Gesellschaften. Zu fordern ist, dass im Sinne eines moralischen Föderalismus dieselben Grundsätze zwischenstaatlicher Gerechtigkeit von allen politischen Gesellschaften als verbindlich anerkannt werden, wobei eingeräumt wird, dass eine Konzeption globaler Gerechtigkeit unterschiedliche, auch nicht-egalitäre Grundsätze nationaler distributiver Gerechtigkeit zulassen muss. Universalisierbar sind egalitäre Verteilungskonzeptionen dennoch, weil globale Kooperation zwischen staatlich organisierten Kollektiven stattfindet, die als Gleiche unter Gleichen anerkannt werden wollen. Als gleichberechtigte Partner am System globaler wirtschaftlicher Kooperation haben sie prima facie die gleichen Ansprüche, am gemeinsam Erwirtschafteten teilzuhaben. Die Notwendigkeit, moralische Normen unter Bezugnahme auf das Faktum weltweiter wirtschaftlicher Verflechtungen zu begründen, unterstreicht auch Thomas Kesselring. Die von ihm vorgeschlagene transzendentalpragmatische Begründung einer universalistischen Ethik geht nicht vom Diskurs, sondern von der Ko-
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operation aus; derart wird es möglich, marktförmige Transaktionen ethisch zu beurteilen. Kooperation im Sinne eines koordinierten Handelns, das den Beteiligten auf lange Sicht mehr Nutzen bringt als isoliertes Handeln, setzt Gesellschaften voraus, in denen ein System moralischer Normen existiert, deren Übertretung mit spezifischen Sanktionen quittiert wird. Friedliches Zusammenleben setzt voraus, dass alle sich an einen minimalen Regelkodex halten, der über die logisch-semantischen Diskursregeln hinausgeht. Wenn sich alle Beteiligten an diesen Kodex halten und dies gegenseitig voneinander erwarten können, erfüllen sie die Kriterien qualifizierter Kooperation: Mitglieder eines Kollektivs verfolgen nicht nur direkt oder indirekt ein gemeinsames Ziel, kooperieren also auf der materialen Ebene, sie kooperieren gleichzeitig auf der Ebene von Regeln und Normen, indem sie sich wechselseitig auf deren Einhaltung verpflichten. Die Konsequenzen der zunehmenden weltwirtschaftlichen Integration für die Verteilung von Vermögen und Einkommen sind Gegenstand intensiver politischer und theoretischer Kontroversen. Michael Schefczyk geht davon aus, dass diese Integration auf absehbare Zeit nicht von der Etablierung suprastaatlicher Institutionen begleitet sein wird, die Einkommen politisch-rechtlich zuweisen könnten, etwa im Sinne eines globalen Mindestlohns, einer erdumspannenden Arbeitsplatzgarantie oder einer Weltsozialhilfe. Er untersucht die Probleme einer weltwirtschaftlichen Ordnung, die durch Marktliberalisierung und Systemwettbewerb geprägt ist, ausgehend von folgenden Fragen: Welche Auswirkungen hat die Liberalisierung auf die Handlungsmöglichkeiten politischer Körperschaften? Welche Motive liegen ihr zugrunde? Wie verändert sie die Situation unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen? Unter welchen Voraussetzungen ließe sich von der „Legitimität globalen Wettbewerbs“ sprechen? Die normativen Überlegungen gründen auf einem an Rawls orientierten Modell, bei dem die Prinzipien einer gerechten Weltwirtschaftsordnung im Rahmen eines Urzustands speziellen Typs beschlossen werden. Der Begriff der distributiven Gerechtigkeit ist vieldeutig. In den aktuellen Debatten für und wider den Kosmopolitismus geht es um materielle Umverteilung. Die Beschränkung darauf ist jedoch unzulässig, wie ein Blick auf die in der Nachkriegszeit geführten Debatten um eine internationale Wirtschaftspolitik zeigt. Urs Marti erinnert an die Auseinandersetzungen zwischen reichen und armen Ländern, die dazu geführt haben, dass anstelle der von der UNO angestrebten neuen internationalen Wirtschaftsordnung eine primär den Interessen mächtiger wirtschaftlicher Akteure entsprechende Weltordnung für Handel und Investition realisiert worden ist. Gerechtigkeitsrelevant ist in diesem Kontext die Frage, inwiefern ein unbeschränktes Recht auf Handel und Investition die Handlungsfähigkeit von Staaten einschränkt und den Anspruch aller Menschen auf gleiche negative und positive Freiheitsrechte verletzt. Prinzipien globaler distributiver Gerechtigkeit beziehen sich primär auf die Verteilung von Macht oder Handlungsmöglichkeiten unter Individuen und demokratisch legitimierten politischen Gemeinschaften. Die Verwirklichung globaler distributiver Gerechtigkeit setzt mithin die kontrollierte Schwächung jener Mechanismen voraus, die die Handlungsfreiheiten von schlechter gestellten Menschen und Staaten beschränken.
I Tendenzen der Globalisierung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Kagan vs. Kant Konturen der neuen Welt(un)ordnung Georg Kohler
1 Der neue Gegensatz Es gibt Epochendaten. Zu ihnen gehört der 14. Juli 1789, der 8. Mai 1945 und natürlich der 9. November 1989, der Tag des Mauerfalls. Ob auch der 11. September 2001 in den Rang solcher Gipfeltermine aufsteigen wird, ist ungewiss. Jetzt aber, im Mai 2003,1 stehen wir noch alle in seinem Schatten. Wer sich heute Gedanken macht über die Grundlinien internationaler Politik, die normativen Prinzipien globaler Ordnungsvorstellungen und die Chancen weltbürgerlicher Zusammenarbeit, der kann der Frage nach der Bedeutung von 9/11 kaum ausweichen. Und sehr schnell wird er in diesem Zusammenhang auf jenen bemerkenswerten Gegensatz stoßen, der – weil er in solcher Härte in der Epoche des Ost/West-Konflikts vollkommen undenkbar gewesen ist – sofort auch den tiefen Bruch markiert, der vermutlich nicht erst mit dem 11. September 2001, sondern früher, nämlich mit dem Jahr 1989 und wegen dessen Folgen2 entstanden ist – der Gegensatz zwischen der herrschenden Sicht der Dinge in den USA und der entsprechenden europäischen Doktrin. 1
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Natürlich ist es der zweite Golfkrieg, der im März 2003 begonnen hat, und dessen klares Ende sowenig wie seine längerfristigen Folgen jetzt schon absehbar sind, der derzeit alle Diskussionen über Welt(un)ordnungen beherrscht. Hinter seinem Ausbruch stehen freilich Entwicklungen, die viel mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Schock vom 11. September 2001 zu tun haben. Vgl. dazu, was bereits 1994 bewusst war, in seinen Konsequenzen (z. B. in derjenigen einer Doktrin gerechter Präventivkriegsführung) damals allerdings kaum vorstellbar erschienen ist. (Drei Jahre zuvor war der erste Golfkrieg von George Bush sr. ja noch dezidiert im Namen der UNO geführt worden.): „Die Trennung zwischen den Lagern Lenins und Wilsons bzw. Stalins und Roosevelts formierte den Kern des prioritären ‚Wir‘-Gefühls; sie fixierte die letzten Haltepunkte aller politischen Aktivität und regierte so direkt und indirekt in jede größere Entscheidung und Verhaltensplanung hinein. Sie ermöglichte die Organisation der kollektiven Sicherheit, sie bestimmte die internationale Finanzpolitik, die Technologiepolitik und die Entwicklungshilfepolitik. Sie erlaubte die Supranationalisierung (West-)Europas unter dem Schirm der NATO und im Namen einer von den Zwängen militärischer Machtpolitik freigesetzten Marktfreiheit. Schließlich befestigte und beförderte die Konkurrenz zwischen marxistischer Planwirtschaft und liberal-sozialer Marktdemokratie den wohlfahrtsstaatlichen Wertekonsens, der die Innenpolitik der westeuropäischen Länder über alle Parteigrenzen hinweg auf Kurs hielt. (…) Das Jahr 1989 hat die große Klammer des Kalten Krieges aufgebrochen und dadurch die stabilisierende Polarität des Ost/West-Schemas zerstört. Seither gibt es den ‚Westen‘ nicht mehr in der Selbstverständlichkeit, mit der wir uns als dessen Angehörige stets begreifen konnten. Und mit dem Verlust dieser Orientierung sind sehr prompt auch die alten Fragen des Politischen zurückgekehrt, die nach 1945 so zuverlässig von der Traktandenliste grundsatzpolitischer Auseinandersetzung gestrichen schienen.“ Aus: Kohler, 1994; das Zitat findet sich auf S. 200.
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Georg Kohler
Besonders scharf bringt diesen Gegensatz, im Rahmen seiner leitenden Prämissen, der amerikanische Publizist und Strategieexperte Robert Kagan auf den Punkt: „Wir sollten uns nicht länger vormachen, dass Amerikaner und Europäer die gleiche Weltsicht haben. Ja, nicht einmal, dass sie in derselben Welt leben. In der überaus bedeutsamen Frage der Macht – ihres Nutzens und ihres moralischen Wertes – gehen die amerikanischen und die europäischen Ansichten weit auseinander. Europa hat sich von der Macht losgesagt. Es bewegt sich auf eine Welt zu, die fest in Gesetze und Regeln, in transnationale Vereinbarungen und Kooperationen eingebunden ist. Man betritt ein posthistorisches Paradies der Gewaltfreiheit und des relativen Wohlstandes, in dem sich Immanuel Kants Ideal vom Ewigen Frieden verwirklicht. Dagegen bleiben die Vereinigten Staaten in die Geschichte verstrickt; ihre Praxis der Machtausübung schliesst den Einsatz von Stärke und militärischer Gewalt ein. Denn sie sehen die Welt ähnlich wie schon der englische Staatsphilosoph Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert: als ein anarchisches Gebilde, in dem wirkliche Sicherheit ebenso wie die Verteidigung und Durchsetzung der liberalen Ordnung nicht ohne die Anwendung von Zwangsmitteln zu haben sind.“3
Kagan argumentiert mit Gegenüberstellungen und Parallelisierungen. In Kontraposition stehen bei ihm Europa gegen die USA, Kant gegen Hobbes und das pazifizierende Recht der internationalen Gemeinschaft gegen das bellizistische Beharren darauf, dass „Gesetze ohne das Schwert“ und (Rechts-)Entscheidungen ohne unmittelbar sanktionsfähige Macht nichts wert sind. Darum erscheint Europa in Kagans Optik gleichermaßen als rechtsmoralisch übereifrig, als weltpolitisch steril und als militärstrategisch naiv, d. h. als ebenso kantianisch wie universalistisch und idealistisch-illusionär orientiert. Demgegenüber zeigen sich die Vereinigten Staaten als hobbistische, realpolitische und – dies vor allem – als machtbewusste Akteure; und zwar eben darum, weil allein sie faktisch-rüstungstechnisch wie gesinnungsmäßig stark4 genug sind für eine (Macht-)Politik, die den Namen verdient. 3 4
Aus: Kagan, 2002. Die in diesem Essay formulierten Thesen sind breiter ausgeführt in: Kagan, 2003. Kagans Doktrin der nicht bloß rüstungstechnischen, sondern ebenso psychologisch-mentalen bellizistischen Stärke ist sicherlich auch als Reflex der Niederlagen und Rückzüge zu erläutern, die die US-amerikanische Interventionspolitik in den 80er- und frühen 90er-Jahren erlitten hat. Vgl. dazu die folgende Passage aus Münkler, 2002: „Wie machtlos Militärapparate gegen asymmetrische Strategien sein können, mussten die USA erstmals während des Vietnamkrieges erleben, als sie trotz ihrer immensen waffentechnischen Überlegenheit nicht in der Lage waren, einen nach Partisanenart kämpfenden Gegner entscheidend zu schlagen. (…) Noch deutlicher wurde die hochgradige Verwundbarkeit der USA dann im Libanon und in Somalia, als ein Bombenanschlag auf die Kaserne der US-Marines in Beirut bzw. der verlustreich gescheiterte Versuch, den somalischen warlord Aidid festzunehmen, und die Bilder von einem durch die Straßen geschleiften, verstümmelten amerikanischen Soldaten dazu führten, dass die USA ihre Truppen überstürzt zurückzogen und für alle Welt erkennbar in ihrem zuvor geltend gemachten politischen Willen resignierten. Der sogenannte Mogadischu-Effekt führte sehr bald dazu, dass militärische Drohungen der Amerikaner erheblich an Glaubwürdigkeit verloren und die USA sich mit dem Verdacht und der darin zum Ausdruck gebrachten Verachtung konfrontiert sahen, der postheroischen Mentalität einer Konsum- und Luxusgesellschaft erlegen zu sein. (…) Vor allem die Erfahrung von Mogadischu hat Osama bin Laden offenbar in der Überzeugung bestärkt, dass die Amerikaner trotz ihrer technologischen Überlegenheit durch eine entschlossene Gewaltanwendung zu besiegen seien. In einem Gespräch mit dem Nahostkorrespondenten des Londoner Independent soll er 1997 geäußert haben, man sei überrascht gewesen, wie schnell die Amerikaner in Somalia aufgegeben hätten. ‚Die Mudschaheddin waren erstaunt über den Zusammenbruch der amerikanischen Moral. Das hat uns überzeugt davon, dass Amerika ein Papiertiger ist.‘“ S. 49-52.
Kagan vs. Kant. Konturen der neuen Welt(un)ordnung
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„Ist man nur mit einem Messer bewaffnet und begegnet zum Beispiel einem Bären, liegt es nahe, sich mit dieser Bedrohung zu arrangieren. Es ist dann riskanter, den Bären zu töten, als ihm auszuweichen, und zu hoffen, dass er nicht angreifen wird. Jemand mit einem Gewehr schätzt den Fall ganz anders ein: Warum riskieren, vom Bären zerrissen zu werden, wenn man es nicht nötig hat? Die Amerikaner können es sich dementsprechend gut vorstellen, erfolgreich in den Irak einzumarschieren und Saddam zu stürzen. Dass die Europäer eine solche Aussicht dagegen unfassbar und erschreckend finden, kann nicht überraschen.“5
Soweit so simpel. Doch stimmen die Analysen? Oder besser: Inwiefern stimmen sie und inwiefern nicht? – Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen bildet das Gerüst, mit dessen Hilfe die Argumente zur Sprache kommen können, die – nach wie vor – zugunsten einer internationalen Politik auf der Linie kantischer Vorstellungen und Prinzipien sprechen. Richtig ist ohne Zweifel, dass die USA und Europa in machtpolitisch-militärstrategischer Hinsicht weit voneinander entfernt sind. Und zwar sowohl in Bezug auf die Größe der je verfügbaren Mittel wie in Bezug auf die Doktrin ihres möglichen Einsatzes. Falsch ist freilich die von Kagan implizit vertretene These, der „kontinentaleuropäische“ Kant gehe von fundamental anderen Prämissen über die Natur des Menschen aus, als es der „angelsächsische“ Hobbes tue, und falsch ist die von Kagan aufgestellte Behauptung, die europäische Machtskepsis verdanke sich lediglich und in erster Linie der Abwesenheit von militärisch-waffentechnischer Potenz. Falsch ist darum drittens auch Kagans sehr selbstsicher vorgetragene Diagnose, „Europas kantianische Weltordnung (hänge einzig) von einem Amerika ab, das Macht nach den Regeln von Hobbes einsetzt“6.
2 Kants Theorie zivilisatorischer Evolution Warum ist das alles falsch? Was das Verhältnis von Kant und Hobbes betrifft, so genügt ein Blick in die von Kant – gerade auch in der Schrift „Zum ewigen Frie5 6
Vgl. Anm. 3 Vgl. Anm. 3. Es ist im übrigen augenfällig, wie gering Kagans Bereitschaft ist, auf die naheliegende Problematik der „Überdehnung“ imperialer Macht einzugehen. Als Kontrapunkt dazu Schoettli, 2003, S. 27: „Woran wird die Pax Americana scheitern? Zwei Faktoren, die aus dem Untergang von früheren unilateralen Weltordnungen bekannt sind, stehen im Vordergrund: die Maßlosigkeit des Machthungers und die unendliche Komplexität der Welt. Das Argument, dass eine so hoch entwickelte Gesellschaft wie die amerikanische eigentlich die Fähigkeit haben sollte, aus den offenkundigen Fehlern zu lernen, die den Sturz früherer Weltmächte verursachten, zielt an der wahren Natur des Sachverhalts vorbei. Das Streben nach Allmacht, nach Hegemonie, hat eine Eigengesetzlichkeit, die sich dem vernünftigsten Planen entzieht. (…) Immer neue, echte oder eingebildete Sicherheitsbedürfnisse kommen hinzu, die es nötig werden lassen, über das bereits Erreichte, das bereits Eroberte, hinauszugreifen. Indien war groß genug, doch der British Raj strebte nach Afghanistan, Burma und Tibet, stets im Bestreben, für seine Besitzungen ein Glacis der militärischen Sicherheit zu schaffen.“ Die Geringschätzung solcher Mechanismen ist wohl der Hintergrund für Kagans merkwürdig halbierte HobbesDeutung, die gerade den zentralen Sinn von Hobbes’ Gedankenexperiment mit der Möglichkeit eines bellum omnium verkennt, vgl. dazu unten 6. Zum Problem der „Überdehnung“ ist stets lesenswert: Kennedy, 1987.
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den“ – ausdrücklich reflektierte Anthropologie,7 um zu erkennen, dass die Differenzen zwischen Kants Weltbürgerrechtsdenken und Hobbes’ Plädoyer für die Legitimität des Schwertes nicht auf mangelnden politikphilosophischen Realismus zurückzuführen sind. Wer begreifen will, weshalb Kant – obschon er, was die „Natur des Menschen“ betrifft, nicht weniger skeptisch als Hobbes denkt – eine von manifester Gewalt entlastete, weitgehend über das Recht und nicht allein durch Abschreckung und Waffengewalt geregelte Welt für faktisch möglich hält, der muss sich einlassen auf die Gründe für die von Kant vorgeschlagene Theorie zivilisatorischer Evolution und auf die Gründe für die daraus resultierende Theorie des Krieges bzw. der Pazifizierung gesellschaftlicher Konflikte. Es ist deshalb lohnend, sich Kants Geschichtsphilosophie in ihren Grundzügen zu vergegenwärtigen. 2.1 Das Prinzip des (widerwilligen) Fortschrittes Kants für die Konzeption der menschlichen Geschichte überhaupt zentraler Gedanke ist ein einfacher anthropologischer Befund, nämlich: Der Mensch ist grundlegend ambivalent; Gemeinschaftstier und Einzelwesen, sozial und individualistisch, gesellig und ungesellig zugleich. Aus dieser Zweideutigkeit entwickelt sich die humane Evolution, die Geschichte des Menschlichen, als Geschichte beinahe schon widerwilliger Zivilisierung und Kultivierung. Dazu ein Zitat aus dem einschlägigen kantischen Text, der „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ (1784): „Der Mensch hat eine Neigung, sich zu vergesellschaften (…). Er hat aber auch einen grossen Hang sich zu vereinzeln (isolieren): weil er in sich zugleich die ungesellige Eigenschaft antrifft, alles bloss nach seinem Sinne richten zu wollen, und daher allerwärts Widerstand erwartet, so wie er von sich selbst weiss, dass er seinerseits stets zum Widerstande gegen andere geneigt ist. Dieser Widerstand ist es nun, welcher alle Kräfte des Menschen erweckt, ihn dahin bringt seinen Hang zur Faulheit zu überwinden und, getrieben durch Ehrsucht, Herrschsucht oder Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen, die er nicht wohl leiden, von denen er aber auch nicht lassen kann.“8
Die eigentümliche Ambivalenz der menschlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse, sowohl zu Kooperation wie zu Konkurrenz, zu „Eintracht“ wie zu „Zwietracht“, anzuspornen, ist nach Kant die anthropologische Grundspannung, die zur Dynamik unablässiger Selbstüberbietungen und damit zum Fortschritt technischer und sozialer Innovationen führt. Doch obschon die die kulturelle Evolution antreibenden Motive, die „zwar eben nicht liebenswürdigen Eigenschaften der Ungeselligkeit“ sind, entwickelt sich mit der Ausarbeitung technischer und sozialer Errun-
7 8
Vgl. dazu, im Zusammenhang der Probleme der internationalen Politik, die detaillierten Ausführungen von Höffe, 2001; hier v. a. 4. (Über das Böse), 8.1. (Die umfassende Friedenstheorie), 11.4. (Das Böse im Verhältnis der Völker). Kant, AA, Bd. 8, S. 20 f.
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genschaften zugleich die Zivilisierung, Verrechtlichung und sogar „Moralisierung“ der Menschheit. Das ist der Punkt, um den es Kant vor allem zu tun ist; und wie er das ausführt, ist auch der Punkt, der seine Theorie noch heute bemerkenswert macht. Was Kant zeigen möchte, ist die plausible, d. h. durch Erfahrungsgründe und strukturelle Tendenzen gestützte Möglichkeit (wohlverstanden: Möglichkeit, nicht Notwendigkeit), die Geschichte der Menschheit als globale Geschichte des Rechtsfortschrittes, d. h. als die Installationsgeschichte von vernünftigen und sanktionsgeschützten Rechtsverhältnissen, die die Freiheit eines jeden mit der Freiheit aller anderen verträglich machen, zu denken. Kant geht also von einem praktischen Ziel – dem weltbürgerlich-rechtsgemeinschaftlichen Friedenszustand – aus, und fragt sich dann, ob es rational vorstellbar ist, dass dieses Ziel – irgendwann einmal; mehr oder weniger – erreicht werde. Dass die Gegenwart bei ihm noch nicht angelangt ist, steht nicht zur Debatte. Kant leugnet nicht, dass sie, wie die Vergangenheit, in vielem einen trostlosen Anblick bietet; besonders dort, wo es um die machtpolitischen Staatsgeschäfte geht, wo „endlich alles im Großen aus Torheit, kindischer Eitelkeit, oft auch aus kindischer Bosheit und Zerstörungssucht zusammengewebt“ scheint. Wichtig sind ihm aber, im Gegenzug zu diesen Tatsachen, die schon heute auszumachenden, „schwachen Spuren der Annäherung“ an das Ziel des umfassenden und gesicherten Rechts- und Friedenszustandes. Worin bestehen diese „Spuren“? Um es knapp zu sagen: im Aufeinanderwirken dreier soziokultureller Realitäten, nämlich derjenigen des Staates, des Krieges und der zunehmenden zivilisatorischen Vernetzung aller gesellschaftlichen Einheiten. Die Figur der Staatlichkeit, d. h. die partikulare Form verwirklichter Rechtsfreiheit und -sicherheit, ist für Kant die erste, freilich noch nicht hinreichende Antwort auf das systematische Problem, wie mit der „geselligen Ungeselligkeit“ der Menschen sozial sinnvoll umzugehen ist. Denn das, was der einzelne Staat im Rahmen seines Herrschaftsbereiches löst, die Bewältigung der zerstörerischen Folgen der „Ungeselligkeit“, das reproduziert er selber auf neuem Niveau: im Verhältnis zu den andern Staaten. Die Konsequenz daraus ist die ständige Aktualität des latenten oder manifesten Krieges. Doch genau dieses Faktum und die aus ihm resultierende zwischenstaatliche Konkurrenz, die nichts anderes ist als die sich steigernde Erfahrung zwar widerwilliger, aber unauflöslicher Zusammengehörigkeit im Horizont gemeinsamer, wechselseitig zugefügter Frustrationen, diese Tatsachen sind es, die dafür sorgen, dass schließlich der nächste soziale Lernschritt, die nächste Stufe der Evolution erreicht werden kann: nämlich die Einsicht in die Notwendigkeit und der Wille zur Wirklichkeit einer „weltbürgerlichen Gesellschaft“, d. i. nicht eines Weltstaates, aber einer wahrhaft nach Rechtsprinzipien interagierenden Völkerund Staatengemeinschaft. Zitiert sei der lange Satz, in dem Kant die soeben durchgeführte Überlegung mit seinen Worten formuliert: „Die Natur hat also die Unvertragsamkeit der Menschen, selbst der grossen Gesellschaften und Staatskörper dieser Art Geschöpfe wieder zu einem Mittel gebraucht, um in dem unvermeidlichen Antagonism derselben einen Zustand der Ruhe und Sicherheit auszufin-
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Georg Kohler den; d. i. sie treibt durch die Kriege, durch die überspannte und niemals nachlassende Zurüstung zu denselben, durch die Not, die dadurch endlich ein jeder Staat selbst mitten im Frieden innerlich fühlen muss, zu anfänglich unvollkommenen Versuchen, endlich aber nach vielen Verwüstungen, Umkippungen und selbst durchgängiger innerer Erschöpfung ihrer Kräfte zu dem, was ihnen die Vernunft auch ohne soviel traurige Erfahrung hätte sagen können, nämlich: aus dem gesetzlosen Zustande der Wilden hinauszugehen und in einen Völkerbund zu treten.“9
Bevor ich auf die heutige Relevanz der kantischen Geschichtsphilosophie zu sprechen komme, möchte ich in drei Hinsichten zusammenfassen, was sie formal charakterisiert: 1. Kants „Idee zu einer allgemeinen Geschichte“ will weder ein praktisches Projekt noch die theoretisch zwingende Konstruktion der dialektischen Logik der Menschheitsgeschichte entwerfen, sondern zunächst nur und nicht mehr geben als die Antwort auf die Frage „Was dürfen wir hoffen?“. Sie sagt nicht, was wir tun sollen, und nicht, was geschichtslogisch notwendigerweise geschehen muss bzw. geschehen ist, sondern was – trotz oder besser: gerade wegen der unaufhebbaren Ambiguität der Menschennatur – mit einiger Wahrscheinlichkeit geschehen dürfte. 2. Damit wird die Geschichtsphilosophie in einen genauen Bezug zur praktischen Rationalität, nämlich zur Suche nach der Antwort auf die Frage „Was sollen wir tun?“ gebracht. Die Frage nach der Zukunft, die Frage „Was dürfen wir hoffen?“, setzt die nach dem normativ richtigen und vernünftigerweise Gesollten fort. Die Antwort, die sie findet, lässt erkennen, dass das vernünftigerweise Gesollte jedenfalls keine schlechte Utopie sein muss, sondern seine Unterstützung in der Wirklichkeit – im Evolutionsprozess des intelligenten, also prinzipiell lernfähigen, aber gesellig-ungeselligen Tieres, das der Mensch ist – finden kann. 3. Die kantische Geschichtsphilosophie behandelt die Hoffnung auf die Möglichkeit eines umfassenden Rechts- und Friedenszustandes, d. h. die Hoffnung auf äußere Freiheit und minimale Gerechtigkeit unter den Menschen. Damit ist sie dezidiert keine säkularisierte Heilserzählung. In keiner Weise rekurriert sie auf die alles irdisch-endliche Wollen überschießenden Heilsbedürfnisse der Seele. Sie steht in keinem Moment in der Gefahr, zur latent prophetischen Rede, d. h. zur hybriden Geschichtsphilosophie zu werden. Sie bleibt, was sie von Anfang an sein will: keine Apokalyptik, kein Utopismus, sondern die nüchtern-kritische Reflexion auf die Realitätsbedingungen eines rationalen, gesellschaftlich-normativen Ideals, das zu verfolgen uns ja ohnehin aufgegeben ist, wenn wir nur richtig zu denken beginnen. 2.2 „Die Garantie des ewigen Friedens“ Was Kant zum ersten Mal 1784, in der „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ als Theorie sozialer Evolution formuliert, bildet in 9
Kant, AA, Bd. 8, S. 24.
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mehrfacher Weise die Grundlage für den 1795 veröffentlichten – und von Kagan mit spürbarer Geringschätzung bedachten – Entwurf zu einer normativen Weltverfassung, der den Titel trägt „Zum ewigen Frieden“. In diesem als Sequenz von Friedensvertragsbedingungen (samt zugehörigen Kommentaren) aufgebauten Text beschäftigt sich Kant im so genannten „Zweiten Definitivartikel“ u. a. mit der „Bösartigkeit der menschlichen Natur“, die sich „im freien Verhältnis der Völker (…) unverhohlen blicken lässt“10, von der er aber gleichwohl annimmt, wie sogleich bemerkt wird, man werde ihr „einmal Meister werden“ können; mindestens insofern, als es um die Beherrschbarkeit der aus dieser Bösartigkeit resultierenden Neigung zum Krieg und zu gegenseitiger Gewalttätigkeit handelt. Denn dafür leiste die „große Künstlerin Natur“ (die durch die ambivalente „menschliche Natur“ gleichsam hindurchwirke) „Gewähr“, indem sie die „Völker“ durch den „wechselseitigen Eigennutz“ „vereinigt“11: „Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volkes bemächtigt (…) So sehen sich Staaten (freilich wohl nicht eben durch Triebfedern der Moralität) gedrungen, den edlen Frieden zu befördern, und, wo auch immer in der Welt Krieg auszubrechen droht, ihn durch Vermittelungen abzuwehren, gleich als ob sie deshalb im beständigen Bündnisse ständen“.12
Im Licht kollektiver Kriegserfahrungen erzeugt also die rational eigeninteressierte Beobachtung der eigenen Handlungschancen bei den staatlichen Akteuren, zusammen mit ökonomischer Zivilisierung und zusammen mit – das ist Inhalt des „Ersten Definitivartikels“ – allseitig verwirklichter demokratisch-republikanischer Einzelstaatlichkeit, ein System der Friedensvorsorge und gemeinsamen Kriegsvermeidung, das den realistischerweise vorauszusetzenden Hang zur „bösartigen“ Recht-des-Stärkeren- bzw. zur Trittbrettfahrer-Logik austariert und so, quasi-naturgesetzlich, ein Verhalten produziert, welches in den Wirkungen (nicht aber nach seinen Motiven) demjenigen entspricht, das die praktische Vernunft immer schon gewollt hat, und welches nach Verankerung, Positivierung und Weiterführung in jenem ausdrücklich fixierten Friedensvertrag bzw. Völkerbund verlangt, den der „Zweite Definitivartikel“ vorsieht. Die in der Abhandlung von 1795 als „Erster Zusatz“ gelieferte und in der Replik auf realistische Einwände formulierte „Garantie des ewigen Friedens“ wiederholt daher, gewissermaßen im Indikativ, die schon 1784, gewissermaßen im Potentialis in der „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ geäußerte Überlegung, wonach die Übel, die sich aus dem internationalen Naturzustand ergeben, in welchem die Staaten sich permanent mit kriegsmäßiger Gewalt bedrohen, „unsere Gattung nöthigen (…), ein Gesetz des Gleichgewichtes auszufinden und eine vereinigte Gewalt, die demselben Nachdruck giebt, (…) einzuführen“.13 Zwischen vernünftigerweise Gesolltem, ratio-
10 11 12 13
Kant, AA, Bd. 8, S. 355 Z. 3 ff. Kant, AA, Bd. 8, S. 368 Z. 5 f. Kant, AA, Bd. 8, S. 368, Z. 6-13. Kant, AA, S. 26, Z. 7 ff.
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nal Erkanntem und quasi-naturgesetzlich Aufgenötigtem vermutet Kant eine Kongruenz, die sich zu einem dialektischen, wechselseitig sich verstärkenden Prozess entfaltet, der das normativ Richtige zum pragmatisch Notwendigen et vice versa macht. „(…) Dass die Natur selbst im Spiele der menschlichen Freiheit“14 zur Erreichung des vernünftigen Zwecks: der „Erreichung einer allgemeinen, das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft“15 mitwirkt, ist zweifellos der Hauptgrund für Kants Zuversicht, sein Entwurf zum „Ewigen Frieden“ sei auch für den „weltkundigen Staatsmann“16 brauchbar. Denn Kants Idee basiert auf Annahmen, die auf antiidealistische Skepsis insofern Rücksicht nehmen, als sie dafür argumentieren, (unter bestimmten zivilisatorischen Voraussetzungen) von einer prinzipiellen Qualitätsveränderung des internationalen Raumes auszugehen: Wenn ein gewisser Stand ökonomischer Entwicklung im Verbund mit demokratisch-republikanischer Staats- und Gesellschaftsverfassung erreicht ist, dann verändert sich der internationale Raum bzw. der zwischenstaatliche Zustand selbst durch zivilisationsspezifische Ursachen und gemäß der demokratisch-ökonomischen Rationalität dergestalt, dass er seinen destruktiven Charakter als (hobbesianischer) Naturzustand weitgehend verliert. Er verleitet die Beteiligten nicht mehr eo ipso zu „Bösartigkeit“, zur Logik der Feindschaft und zur ständigen Kriegsbereitschaft. Im Gegenteil, der zwischenstaatliche Zustand gewinnt kriegsbändigende Qualität und eine fast schon vernünftige Tendenz zur Transformation des einzelstaatlichen Handelns: von der radikal eigensüchtigen Interessenwahrung zur respektbasierten Kooperation und zivilen Entscheidfindung im Rahmen gemeinsamer Regeln. Erst wegen und allein auf der Basis solch qualitativer Veränderungen der Staatenverhältnisse erscheint auch Kant ein Vorschlag als ernsthaft diskutabel, der weltgesellschaftlich-international und nicht bloß innerstaatlich auf prinzipiell friedliche Konfliktregelung umstellen will. Ohne die rationalen Zwänge zivilisatorischer Evolution wäre die Zustimmungsbereitschaft der Einzelstaaten zu einleuchtend-vernünftigen, aber die jeweiligen Souveränitäten unvermeidlich schmälernden Regulierungen und zu völkergemeinschaftlichen Gerichtsinstanzen gar nicht vorstellbar. 2.3 Die Unmöglichkeit des Großen Krieges Kants empirisch-zivilisationsevolutionstheoretisches Argument für die Möglichkeit eines föderalen „ewigen“ Friedens ohne eigentliche Weltstaatlichkeit hat unmittelbar nach 1989, mit dem Ende des Ost/West-Konflikts, einen Plausibilitätszuwachs erfahren. Man kann das Datum von 1989 so lesen, dass es eine historische Stufe auf dem Weg zur Zivilisierung bezeichnet, und das meint vor allem: zur Ent-
14 Kant, AA, Bd. 8, S. 29, Z. 11 f. 15 Kant, AA, Bd. 8, S. 22, Z. 7 f. 16 Kant, AA, Bd. 8, S. 343, Z. 12.
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militarisierung und Ökonomisierung von Politik.17 Das hängt mit fundamentalen Verschiebungen im Verhältnis von Krieg und Politik zusammen. Zunächst ist zu beachten, dass in der Zivilisation der Moderne der realpolitische Ort des Krieges dezentriert wird. Vom kalkuliert einsetzbaren Instrument wandelt der Krieg zwischen größeren Staaten sich in das tatsächliche Ende aller politischen Berechnung. 17 Gegen diese, nach 1989 häufig vorgebrachte These, wurden sehr rasch Gegenthesen formuliert, z. B. von Immanuel Wallerstein: „Die sozio-ökonomische und demographische Kluft zwischen Nord und Süd wird sich beträchtlich vertiefen. Der Zuwandererstrom von Süd nach Nord wird trotz aller eindämmenden gesetzlichen Maßnahmen weiter anschwellen. Es wird im Westen eine riesige Bevölkerungsgruppe entstehen, die ohne politische oder soziale Rechte und in wirtschaftlichem Elend lebt. Wir werden folglich eine ökonomische Lage miterleben, die der der Industrieländer während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ähnelt. Ich halte es in diesem Zusammenhang für wahrscheinlich, dass die ‚liberalen' Länder zusammenbrechen werden und in einem bürgerkriegsähnlichen Zustand versinken. Es wird dann nicht mehr nötig sein, die Menschenrechte in Somalia zu verteidigen, sondern in Frankreich und in den USA. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Szenario das wahrscheinlichste ist, selbst wenn es nicht unvermeidbar ist. Die nächsten 30 Jahre werden chaotisch. Nach dem Chaos wird wieder Ordnung eintreten. Es ist historisch unmöglich, die Struktur dieser neuen Ordnung vorherzusehen. Man kann sie sich nicht einmal vorstellen.“ (Zitiert aus Wallerstein, 1994. In eine ähnliche Richtung zielen die folgenden Bemerkungen Münklers: „Es ist eine verbreitete Vorstellung, dass die Kriege, die während der letzten 2, 3 Jahrzehnte in Südostasien, Zentralasien und insbesondere Schwarzafrika geführt worden sind, für die übrige Welt – vor allem die OECD-Mitgliedsstaaten – keine große Bedeutung haben. Politisch werden sie als Kriege an der Peripherie der Wohlstands- und Stabilitätszonen angesehen, die uns nur in Ausnahmefällen beunruhigen müssen. Historisch ordnet man sie einem Typus des Kriegs zu, den Europa seit langem hinter sich gelassen hat – der immer wieder zu hörende Hinweis auf ihre religiösen oder ethnischen Wurzeln soll uns nicht zuletzt in der Meinung bestätigen, dass wir ihnen in unserer Vergangenheit, nicht aber unserer Zukunft begegnen. Gegen eine solche Perspektive hat der Soziologe Trutz von Trotha vor einiger Zeit entschieden Widerspruch angemeldet. Er vertritt die These, der Staatszerfall und die mit ihm verbundenen Kriege in Afrika zeigten die Zukunft, nicht die Vergangenheit der OECD-Welt.“ Aus Münkler, 2002, S. 59. Münkler bezieht sich auf: Trotha, 2000, S. 253-279. Wallersteins wie Trutz von Trothas Überlegungen basieren auf der bedenkenswerten Kritik an der Überzeugung, die offensichtlich bestehende Teilung der Welt in eine Zone hoher ziviler Sicherheit und gesellschaftlichen Reichtums und in eine andere Zone der Armut und allgegenwärtigen Gewalt lasse sich ohne weiteres als stabil betrachten. Das in Frage zu stellen ist so richtig wie notwendig. Dennoch bleibt für die Diagnose der Gegenwart (erstens) die Tatsache wesentlich, dass man vom Bestehen dieser Teilung als solcher ausgehen muss und dass, deshalb, bezüglich der „einen“ Welt gewisse Aussagen gemacht werden können, die von der „anderen“ Welt eben nicht gelten. In normativer Perspektive bedeutet dies für die Gegenwartsdiagnose (zweitens), dass die „eine“ Welt ein nicht nur moralisches Interesse daran hegen muss, in der „anderen“ Welt diejenigen Strukturen zu befördern (z. B. die einer funktionierenden Staatlichkeit), die ein Faktor ihrer eigenen Zivilisierung geworden sind. Schließlich ist (drittens) analytisch stets zu unterscheiden zwischen der Beschreibung der zwei Welten und der Beschreibung der Transformation kriegerischer Gewalt seit dem Ende des Ost/West-Konflikts. Gewiss: Das Ende der Großen (oder Staaten)-Kriege gehört zur „einen“ Welt (= A), die Ausbreitung der low intensity wars zur „anderen“ Welt (= B). Doch solange nicht klar ist, wie die beiden Welten aufeinander wirken, ist weder die Übertragung von (B) auf (A) noch die von (A) auf (B) sehr plausibel. Darum ist es wichtig, die respektiven Strukturanalysen separiert zu halten, einerseits die Strukturanalyse der Tendenz zum „Ende des Großen Kriegs“ und anderseits die von Münkler, van Creveld, Mary Kaldor u. a. entwickelten Strukturanalysen der aktuellen Tendenz zu low intensity wars. Daher kann ich auch van Crevelds düsteren Prognosen nicht ohne weiteres zustimmen, die er in einem eindrücklichen Essay mit dem apokalyptisch anmutenden Titel „Dunkle Vorschau im Kristall. Historische Überlegungen zu den Kriegen, die kommen“ (Creveld, 2002) formuliert hat: „Natürlich können die meisten Menschen in der ersten Welt noch sicher in ihren Betten schlafen, doch es ist damit zu rechnen, dass sie ihre Betten mehr und mehr mit Waffen und Munition schützen müssen. (…) Jedenfalls wird es die Sicherheit, die der mächtige Staat (…) früher garantieren konnte, nicht mehr geben.“
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Denn je entwickelter eine moderne, technisch-wissenschaftliche Zivilisation ist, desto weniger „lohnt“ sich für sie und in ihr ein wirklicher Krieg, da in ihrem Kontext ein großer Krieg mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr zerstört als er ökonomisch jemals nützen kann. So erkläre ich das Ausbleiben des finalen Kräftemessens zwischen den Blöcken des Westens und des Ostens, ein Nicht-Krieg, der unter historischen Vergleichsgesichtspunkten betrachtet, sehr ungewöhnlich und im Grunde unwahrscheinlich war. Exkurs I: Der Potlatch-Krieg. Eine Theorie des Kalten Krieges Der Hegemoniekonflikt zwischen den USA und der Sowjetunion, der nicht zu einem offenen Krieg führte, aber über vier Jahrzehnte einen historisch beispiellosen Rüstungswettbewerb entfesselte, fand in der Form eines ungeheuren „Potlatches“ statt; eines Wettbewerbs in der Fähigkeit, die eigenen (Rüstungs-)Güter selber zu zerstören. Die prinzipielle Logik dieser Auseinandersetzung wurde bestimmt von der Logik der atomaren Abschreckung und von den Funktionsvoraussetzungen der technisch-industriellen Welt. Ich möchte diese Behauptungen in zwei Schritten begründen. Erstens, durch die Erläuterung des Satzes, die Konkurrenz zwischen der UdSSR und den USA habe sich aus strategielogischen Gründen in der Weise eines Potlatches verwirklicht. Zweitens, durch einen Blick auf die verschiedenen Phasen der amerikanischen Sicherheitspolitik von der Präsidentschaft Richard Nixons bis zur Reagan-Administration. Mit Clausewitz18 sind zwei Gesichtspunkte zu trennen und eigens in Beziehung zu setzen,19 wenn die „Natur des Krieges“ recht verstanden werden soll: die „engere Bedeutung“ des Krieges und seine „Gesamtdefinition“. Die Letztere bestimmt den Krieg als Mittel zum politischen Zweck. Das ergibt in der Quintessenz Clausewitz’ berühmte Formel: „… der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit anderen Mitteln“. Die Konsequenz dieser Formel ist klar; sie resultiert aus dem Mittelcharakter des Krieges: Der Krieg ist nichts Selbständiges; als (politisches) Instrument ist er auf das bezogen, was sein jeweiliger von den konkreten Selbsterhaltungs- und Hegemonieinteressen des Staates diktierter Zweck ist. Von daher wird er bestimmt und zugleich begrenzt. Anders gesagt: Das Mittel, der Krieg, muss in einem kalkulierbaren und logischen Verhältnis zu seinem Zweck stehen, sonst wird er unbrauchbar und verliert seinen Sinn. Denn der Krieg ist, realpolitisch betrachtet, der Einsatz in einer Wette. Die Höhe des Einsatzes hängt von den Interessen, den politischen Kräften und Zielen ab, die der Wette zugrunde liegen. So, unter dem Primat der Politik gesehen, unterliegt der Krieg a priori einer „modifizierenden Kraft“, die jener Tendenz zum Extrem die Zwangsläufigkeit brechen kann, die der spezifischen Bestimmtheit des Mittels Krieg entspringt. Denn das ist die andere Seite, die engere Bedeutung, die in der Anfangsdefinition ausgedrückt ist, mit der „Vom Kriege“ beginnt: „Der Krieg ist ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen“. Losgelöst betrachtet von all dem, was ihn als politisches Instrument charakterisiert, ist der Krieg einfach eine physische – blutige – Kraftprobe. Hier greift dann die reine Logik des Kampfes, der wechselseitige Zwang zur Eskalation. Jeder steigert seine militärischen Mittel in dem Maß wie der an18 Vgl. Clausewitz, 1832, („Was ist der Krieg?“). 19 Vgl. dazu Aron, 1976.
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dere sie steigert – und stets ein Stück darüber hinaus: bis zum äußersten, zum Krieg mit allen Mitteln. Gilt nun aber die clausewitzsche Primärformel, d. h. der Primat des Politischen, dann muss sich die Tendenz zum absoluten Krieg nicht immer und überall realisieren, sondern nur dann, wenn sie schon im kriegsbegründenden und -leitenden politischen Zweck selbst liegt. Vor allem aber gibt es Umstände, die keiner Politik je den Krieg als Mittel zum Zweck gestatten; die Situation nämlich, da die Logik des Krieges in seiner „engeren Bedeutung“ mit absehbarer Notwendigkeit die Grundlage der zwecksetzenden Instanz selbst zerstört, also die Voraussetzung der Logik des Krieges nach der „Gesamtdefinition“ und unter dem Primat der Politik. Das ist, immer noch, die Situation heute. Der Atomkrieg ist keine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln mehr, kann es nicht sein. Die kalkulierbare Logik der Zerstörungspotentiale erzeugt zugleich – sich selbst negierend, aber aus zwingendem Grund – den realpolitischen Geist der Mäßigung in der Anwendung dieser Möglichkeiten. Das Drohen muss das Handeln ersetzen, die Abschreckung die Entscheidung durch den Gebrauch der Waffen. Der „Kalte Krieg“, d. h. die ganze Epoche zwischen Yalta 1945 und Malta 1989, ist geprägt von der im Zeitalter der thermonuklearen Waffensysteme offensichtlich gewordenen und in ihrer Logik rekonstruierbaren „Unmöglichkeit des große Krieges“ in seiner Realform. Mit Clausewitz lässt sich also zeigen, weshalb der Hegemoniekonflikt zwischen der Sowjetunion und den USA gewissermaßen ein Krieg im Potentialis, ein simulierter Krieg und ein Krieg der Simulationen werden musste. Denn das ist das Faktum, dessen Realität alle Axiome internationaler (Macht-)Politik verändert hat und das den Umsturz jeder entsprechenden Handlungslehre erzwingt: Die Rolle des realen Krieges hatte mit dem Eintreten des Atomzeitalters und mit der gesicherten Zweitschlagsfähigkeit jeder der beiden Weltmächte ihren alten Ort im Koordinatensystem der internationalen Beziehungen verloren und war in eine paradox-exzentrische, das Ganze ebenso prinzipiell bedrohende wie befriedende Position geraten:20 Nicht mehr ein Mittel im gegenseitigen Versuch der Supermächte, ihre Stellung zu behaupten oder auszubauen, sondern entweder die bestimmende Grenze dieses Ringens oder dessen absolutes Ende. Das ist der strategielogische Grund dafür, dass in der Epoche zwischen 1945 und 1990 der wirkliche Krieg zwischen den Supermächten – der Krieg, der unter allen anderen historischen Umständen höchst wahrscheinlich unvermeidlich gewesen wäre – in eine Kriegssimulation transformiert worden ist; nämlich in die Konkurrenz eines ungeheuren Rüstungswettlaufs mit dem Ziel, die jeweils leistungsstärkeren Waffen zu besitzen; eine Auseinandersetzung, deren Maßstab letztlich nichts anderes war als die absurde Fähigkeit, den Weltuntergang möglichst perfekt durchführen zu können. Über den Sieg in diesem Kampf um die maximale Machbarkeit der Weltabschaffung konnte nun aber nicht der wirkliche Waffeneinsatz entscheiden, sondern allein das bessere Vermögen, die eigenen Waffen selber zu zerstören bzw. zu entwerten und durch neue, teurere zu ersetzen, die den Gegner zwangen, seinerseits das Gleiche zu tun. Betrachtet man den Rüstungswettlauf und seine Effekte in dieser Weise, dann wird sofort klar, dass die Kriegssimulationen, die den Hegemoniekonflikt zwischen den beiden Supermächten von Anfang bis Schluss steuerten, ihr reales Korrelat eben nicht in direkten, sondern in indirekten Waffenwirkungen besaßen: in der Vernichtung von industriellen 20 Vgl. dazu Aron, 1962.
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Ressourcen, öffentlichem Kapital und volkswirtschaftlicher Energie durch den permanenten Zwang zur Modernisierung des militärischen Apparates. Ein Geschehen, das man ohne weiteres mit jenem seltsamen Wettstreit in der Kunst der Verschwendung vergleichen kann, den die Ethnologen den „Potlatch“ nennen. „Potlatch“ ist die Verballhornung eines Wortes der nordamerikanischen ChinookIndianer, das „geben“ bedeutet. „Potlatche“ waren zunächst nichts anderes als Geschenkverteilungsfeste und wurden an der ganzen Nordwestküste Nordamerikas durchgeführt. Sie besaßen aber stets eine bestimmte Sozialfunktion wie beispielsweise diejenige, den neuen Stammeschef zu bestimmen. Recht gut erforscht (wenngleich bis heute nicht restlos geklärt) ist das „Potlatch-System“ der Kwakiutl-Indianer, die in der Gegend von Vancouver lebten:21 „Vereinfacht kann man sich z. B. einen Nachfolge-Potlatch wie folgt vorstellen: Nach dem Tod eines Stammesoberhauptes streiten sich zwei Klanoberhäupter um die Nachfolge. Um sein Anrecht unter Beweis zu stellen, lässt der eine einen Potlatch verkünden, zu dem der Rivale mitsamt seinem Klan eingeladen wird. Bis zum Zeitpunkt des Festes produzieren die Klanmitglieder des Gastgebers eine Unmenge von Gütern und Nahrungsmitteln, wobei die Klanmitglieder dem Potlatch-Veranstalter ihre produzierten Güter leihen, er also in eine Schuldbeziehung zu ihnen kommt. Beim Fest selbst demonstriert der Gastgeber seine Güter und verteilt sie dem Gastklan unter sorgfältigster Beachtung der Hierarchie. Der Rivale ist nun gezwungen, ebenfalls einen Potlatch durchzuführen. Durch die Güterverteilung beim zweiten Potlatch kommen die Angehörigen des ersten Klanes wieder zu ihren geliehenen Gütern oder entsprechenden Pendants. Wer in der Lage ist, den Gegner mit einem größeren Potlatch zu übertrumpfen, darf den umstrittenen Rangtitel erben. Das Potlatch-System ist im Verlaufe des 19. Jahrhunderts einem starken Wandel unterworfen worden. Durch die Dezimierung der indianischen Bevölkerung wurde es immer häufiger notwendig, für die durch Todesfall unbesetzten Rangpositionen Nachfolger einzusetzen, was dazu führte, dass immer mehr Individuen einen sozialen Aufstieg erlebten bzw. erkämpften. (…) Ein sich entwickelndes System von Krediten, Investitionen und Zinsen ergab eine weitere Steigerung der effektiven ‚Potlatch‘-Güter. So wurden in einem Dorf von 150 Einwohnern real nur 400 Wolldecken (ein wichtiges Potlatch-Gut) gezählt. Die Summe der gegenseitig geschuldeten Decken betrug aber 75 000 Stücke. 100 % Zinsen wurden üblich, die Rückerstattung eines geliehenen Gutes wurde in einem Jahr erwartet. Allerdings wurden die Schulden nie eingetrieben, das hätte zu einem ‚Bankenkrach‘ geführt. Der säumige Schuldner verlor natürlich sein Prestige oder hatte entsprechend höhere Zinsen zu zahlen. Die Kredite sollten auch nicht Profite in unserem Sinne erbringen, sondern Anrecht auf einen höheren Rang. Die Überhitzung des Potlatch-Systems zeigte sich vor allem in der Entwicklung zum Vernichtungs-Potlatch. In der Eskalation rivalisierender Potlatcher blieb als letzter Höhepunkt, einen Rivalen demütigen zu können, die Zerstörung so genannter ‚coppers‘, aus rohem Kupfer gehämmerter Platten von ca. 75 cm Länge. Ein ‚copper‘ war so etwas wie eine Banknote mit sehr hohem Wert entsprechend meh-
21 Marcel Mauss, der in seinem „Essay sur le Don“ als erster die komplizierte innere Rationalität des Potlatches ausführlich analysiert hat, stellt selber einen Zusammenhang zwischen Potlatch und Krieg her. Vgl. Mauss, 1968. Das folgende Zitat stammt aus Bechtler-Voseckova/Gerber, 1980.
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reren Tausend Decken. Indem der Potlatcher den ‚copper‘ ins Feuer oder Meer warf, tilgte er alle Forderungen, die er gegenüber anderen hatte.“22 Der Mechanismus der Überbietung ist derselbe im Kwakiutl-Potlatch wie in der so genannten rationalen Verteidigungsplanung von Supermächten. Der einzige Unterschied liegt im maßgeblichen Kriterium, das über das für die Übertrumpfung entscheidende Plus bestimmt. Bei den Kwakiutl waren es Decken oder Kupferplatten, beim Kriegs-Potlatch der Supermächte waren es Kriegsmittel, deren Eigenschaften und Stückzahlen sich letztlich immer in Faktoren verfügbarer Zerstörungskraft übersetzen lassen mussten. James Fallows, ein ehemaliger Mitarbeiter Jimmy Carters und heute ein bekannter US-Journalist, liefert das Argumentationsschema, das den Rüstungs-Potlatch auf amerikanischer (und analog wohl auch auf sowjetischer) Seite in Gang hielt: „Was würde geschehen, wenn die Sowjetunion in einem Überraschungsschlag nicht nur alle amerikanischen Interkontinentalraketen in ihren Silos ausschaltete, sondern auch eine Methode entwickelte, die Unterseeboote und Bomber zu vernichten, die 4/5 des amerikanischen Arsenals transportierten? Was wäre zu tun, um sicherzustellen, dass nicht nur das gesamte Nuklearsystem, das eine unüberwindliche Abschreckung darstellt, sondern auch seine einzelnen Elemente, einen jeweiligen atomaren Erstschlag überstehen? – Derlei Spekulationen führten geradewegs zur MX-Rakete. Überlegungen solcher Art beruhen nicht nur auf hypothetischen Drohungen, sondern sie verführen zu wunderschönen, wenngleich phantastischen Lösungsvorschlägen. (…) Wäre es nicht zauberhaft, einen Luftkampf vom Boden aus zu steuern, anstatt ihn einer Gruppe von unbedarften Piloten zu überlassen, die im grössten Getümmel entscheiden sollen, welches feindliche Flugzeug sie zerstören wollen – und welches nicht? Mit einem umfassenden Radar-Computer-System könnte man im Gegenteil säuberlich die ‚Guten‘ von den ‚Bösen‘ trennen und nach Gesichtspunkten taktischer Zweckmässigkeit einzelne Kampfaufträge erteilen und den Flugzeugen Befehle und Flugleitpfade zum Feind übermitteln. Visionen dieser Art rechtfertigten in den sechziger Jahren ein 20 Milliarden Dollar teures Radarsystem namens ‚Sage‘. Nach zahllosen Revisionen brach das System schliesslich zusammen, weil es technisch unmöglich war, ein Computerprogramm zu entwerfen, das die eigenen von den feindlichen Flugzeugen unterscheiden konnte“.23
James Fallows macht erstens deutlich, wie sehr im Lauf des Kalten Krieges der Zusammenhang des Wettrüstens, dieses Hin und Her von Nach- und Vorrüsten, von Antizipation und Antizipationsantizipierung, von verständlicher Prävention und maßloser Übertreibung, sich verselbständigen konnte und aus sich selber eine Berechtigung zu prinzipiell endloser Fortdauer bzw. stetiger Steigerung zu schöpfen vermochte. Und Fallows macht zweitens klar, dass der Funktionskreis der Wettrüstung wie derjenige des realen Krieges oder die Logik des Vernichtungs-Potlatches notwendigerweise der von Clausewitz analysierten Tendenz zum Extrem gehorchen.24 Damit komme ich zu einem ersten Fazit: Weil im Zeitalter der gesicherten gegenseitigen thermonuklearen Zerstörung der wirkliche Krieg zwischen den Rivalen USA und UdSSR rational unmöglich geworden war, der bestehende Hegemoniekonflikt aber in irgendeiner Weise ausgetragen werden musste, transformierte sich die Konkurrenz der Waffenproduktion 22 Bechtler-Voseckova/Gerber, 1980, S. 54 f. 23 Fallows, 1981. 24 Vgl. Clausewitz, 1832, S. 20 f.
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in einen tatsächlichen Ersatzkrieg, nämlich den so genannten Rüstungswettlauf, dessen Regeln letztlich dem archaischen Muster des Potlatches entsprachen. Wie hoch riskant diese, dennoch zivilere Form des Kampfes immer noch war, drang vor allem zu Anfang der achtziger Jahre ins öffentliche Bewusstsein ein, als es um die Stationierung von Mittelstreckenraketen und Cruise-Missiles auf dem europäischen NATO-Territorium ging. Diese Waffen sollten die entsprechenden Systeme auf der Gegenseite neutralisieren und zugleich, dank der Zielgenauigkeit der amerikanischen Pershing II, der NATO strategische Vorteile bringen. Es war aber nicht die eurostrategische Rüstungsrunde allein und die Idee eines dank technischer Entwicklung „führbar“ gewordenen Atomkrieges, die so informierte und unabhängige Analytiker wie den Philosophen und Physiker C.-F. von Weizsäcker veranlassten, ausdrücklich von der „Gefahr der achtziger Jahre“ zu sprechen.25 Es war vielmehr die generelle Lage zwischen den Supermächten, die die Zeit zwischen 1980, als die Breshnew-Ära in ihre letzte Phase kam, und 1986, als Gorbatschows Reformkurs anfing, so risikogeladen machte. Denn es wurde allmählich erkennbar, dass die Sowjetunion bald nicht mehr würde mithalten können. Historisch betrachtet hatte aber noch nie eine der „Großen Mächte“ (Paul Kennedy) ihren imperialen Abstieg jemals in Frieden und ohne eine letzte kriegerische Anstrengung akzeptiert. Die achtziger Jahre wurden dann tatsächlich zur abschließenden und entscheidenden Etappe des Potlatch-Krieges und zwar v. a. deswegen, weil die amerikanische Regierung begonnen hatte, die Konkurrenz mit der Sowjetunion intentional als PotlatchWettbewerb zu betreiben und eben auf diese Weise gewinnen zu wollen. Man hatte im Weißen Haus das Muster als solches aufgegriffen und ins Kalkül des eigenen strategischen Handelns integriert. Das bekannte Stichwort dafür lautete „Totrüsten“. Vor der Amtszeit Präsident Reagans und seines Verteidigungsministers Caspar Weinberger war der Rüstungswettlauf immer nur im Hinblick auf den möglichen realen Krieg verstanden und akzeptiert worden.26 Präsident Nixon und Henry Kissinger entwickelten deshalb mit der so genannten „Détente-Politik“ auf der Basis der „Gleichheit der Sicherheitsinteressen beider Mächte“ eine Strategie der Rüstungsbegrenzung, die aber gleichzeitig die Sowjetunion dazu bringen sollte, sich außenpolitisch selbst einzudämmen und nach amerikanischer Vorstellung „friedlich“ zu verhalten. Das war es, was Kissinger „linkage“ nannte: der Gedanke, dass der Sowjetunion die rüstungstechnische Parität nur in Verbindung mit außenpolitischer Anpassung zugestanden werden sollte. Präsident Carters Politik der Menschenrechte vertrat demgegenüber einen anderen Ansatz. Während Nixon/Kissinger in erster Linie pragmatisch verfuhren, argumentierte Carter moralisch und handelte zugleich realpolitisch. Carters Politik der Menschenrechte zielte durchaus auf zentrale Schwachstellen des Sowjetsystems – sowohl auf dessen Unterdrückungspraktiken gegenüber der eigenen Bevölkerung und in den Vasallenstaaten wie auf die unbeschränkte Herrschaft der kommunistischen Partei, die den Menschen angeblich soziale Gerechtigkeit und wirkliche Emanzipation bringen sollte. Trotz seiner ideologischen Offensive wollte aber auch Carter die militärische Entspannung fortführen. So versuchte er vor allem ein exaktes Konzept im Bereich der Rüstungskontrolle durchzusetzen (SALT-II). Doch die Sowjetunion beantwortete die Carter-Politik wie die des Vorgängers: mit der Absicht, die eigene Einflusssphäre auszudehnen und mit unverminderter Aufrüstung. Damit war auch der zweite Versuch einer amerikanischen Admi25 Vgl. von Weizsäcker, 1981. 26 Im Folgenden stütze ich mich auf Czempiel, 1982.
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nistration gescheitert, sich im System des Gleichgewichtes mit der Sowjetunion zurechtzufinden. Aus genau diesem System auszubrechen, war das Ziel Präsident Reagans. Er und seine Berater wollten ausdrücklich (wieder) zu einer Position hegemonialer Dominanz gelangen. Die Rüstungskontrollverhandlungen wurden endgültig auf Eis gelegt, stattdessen die schon von Carter begonnene Aufrüstung massiv verstärkt,27 sowie die technologische Modernisierung der Streitkräfte auf allen Gebieten forciert – zu Land, zur See, in der Luft und im Weltraum. Unter den Bedingungen des thermonuklearen Patts, das ja nach wie vor gegeben war (das Projekt eines weltraumgestützten Raketenabwehrsystems war nie viel mehr als ein militärisches Forschungsprogramm gewesen) konnte eine derartige Rüstungspolitik allerdings nur einen strategisch-politischen Sinn haben: die andere Seite dazu zu zwingen, solange mitzuziehen, bis sie daran wirtschaftlich und politisch zugrunde ging. Anders gesagt: Die Reagan-Administration machte erstmals aus dem Rüstungswettstreit, den man zuvor nur ironisch oder metaphorisch einen Potlatch nennen durfte, einen tatsächlichen und wirklichen Potlatch-Krieg. Freilich gibt es kaum Belege für eine diesbezüglich ausdrücklich formulierte Strategie. Immerhin soll es den Ausspruch Caspar Weinbergers gegeben haben (den Rudolf Augstein einmal im „Spiegel“ kolportierte), man werde mit Hilfe der Nachrüstung „die UdSSR an die Wand drücken, bis sie quietscht“. Unbestreitbares Faktum ist die enorme Zunahme der amerikanischen Militärausgaben mit Beginn der Präsidentschaft Reagans: Gegenüber dem letzten Militärhaushalt Jimmy Carters hatte sich die Gesamtsumme im Jahre 1985 nahezu verdoppelt. Paul Kennedy beschrieb 1987 in seiner eindrucksvollen Studie über den „Aufstieg und Fall der Großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärische Konflikte von 1500 bis 2000“ die außerordentlichen Schwierigkeiten, in die die Sowjetwirtschaft und politik durch die Schlussphase des Potlatch-Krieges geraten war. Kennedy registrierte das im Jahre 1987, also noch vor dem Ende der Sowjetunion, aber zu einem Zeitpunkt, da die allgemeine „Überdehnung“ (Kennedys Schlüsselbegriff) der kommunistischen Supermacht offensichtlich geworden war. Kennedy bezieht sich dabei nicht allein auf die ökonomischen Probleme im engeren Sinn, sondern auch auf die politisch-psychosozialen Grenzen des Sowjetsystems, auf die Moskaus Politik jedenfalls dann auflaufen musste, wenn es um die Einführung avancierter High-Technology im Zusammenhang mit der Modernisierung der Rüstungsarsenale ging. „Star Wars“ war so gesehen der allerletzte und entscheidende Trumpf Amerikas, der die Sache schließlich zu Ende brachte. Reagans Wette, so verantwortungslos sie vielen Beobachtern (auch mir) erschienen sein mag, war aufgegangen; die USA hatten den „dritten Weltkrieg“ gewonnen. Der Gegner bzw. seine Armee war nicht entwaffnet, aber seine normativ-ideologische Identität wurde zerstört. So sehr, dass das staatliche Gefüge, das von dieser Ideologie ebenso gelebt hat, wie es deren Geltung sicherte, binnen weniger Jahre buchstäblich zerborsten ist.
Der Große Krieg, der Krieg zwischen entwickelten Staaten, ist gerade im Horizont so genannter Realpolitik, allenfalls noch für den äußersten Fall defensiver Selbstbehauptung zu rechtfertigen. Das ist die Konsequenz jenes evolutionären Trends, der sich schon mit der Logik der atomaren Abschreckung unübersehbar gemacht 27 Erinnert sei an Caspar Weinbergers Programm der militärischen Stärkung, das er dem USamerikanischen Kongress am 4.3. 1985 skizzierte. Vgl. dazu Baldauf, 1985.
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hat. Doch der Trend ist mit dieser Logik nicht einfach identisch. Man braucht sich bloß einen konventionell, aber auf beiden Seiten mit modernsten Mitteln geführten Konflikt vorzustellen, um zu erkennen, dass der allgemeine Fortschritt der Kriegstechnik deren Einsatz immer stärker beschränkt bzw. verunmöglicht. Auch in einem konventionell geführten Krieg zwischen zwei modernen Mächten wäre die weitgehende Zerstörung jener zivilen Infrastrukturen unvermeidlich, die ein Land überhaupt erst auf heutigem Zivilisationsniveau existenzfähig machen. Die Dezentrierung des Krieges ist nicht gleichbedeutend mit der Streichung von allen Rüstungsausgaben und Armeeaufwendungen. Aber gerade in der Konkurrenz um die Bereitstellung von Kriegsmitteln zeigen sich die marktwirtschaftlichen Demokratien als jeder andern politischen Macht überlegen. Darum gilt außerdem: In der Zivilisation der Moderne sind marktgesellschaftlich verfasste Demokratien augenscheinlich besser in der Lage gewesen, leistungsfähige Rüstungsapparate und kampffähige Armeen zu unterhalten als jeder ihrer ideologischen Gegner. Außerdem vermeiden es (wie Kant vorausgesehen hat) in der Zivilisation der Moderne marktgesellschaftlich verfasste Demokratien, gegeneinander Krieg zu führen. Das ist eine statistisch leicht belegbare Tatsache. Die Gründe dafür sind vielfältig. Vor allem aber wirkt in marktwirtschaftlich-demokratisch organisierten Gesellschaftsordnungen in besonderer Weise das allgemeine Gesetz, das die Zivilisation der Moderne im Ganzen bestimmt: Je leistungsfähiger die Waffen werden, desto geringer wird in ihrem Raum der Grenznutzen des Krieges. Weil das nun alles der Fall ist, zeigt sich in jener Welt, in der die Zivilisation der Moderne verankert ist, eine starke Tendenz zur Zivilisierung, d. h. zur Ökonomisierung und Entmilitarisierung der internationalen Beziehungen, eine Tendenz, in deren Konsequenz weltinnenpolitische Regimes und Institutionen liegen, suprastaatliche Schiedsgerichte und weltpolizeiliche Befriedungsmaßnahmen. Natürlich besagt das keineswegs, dass organisierte Gewalt aus den menschlichen Gesellschaften bzw. aus dem Leben politischer Einheiten einfach verschwindet. Im Gegenteil, solche Gewalt existiert auf erschreckend neuartige Weise nach wie vor; in Formen, die eine innere Neigung haben, sich zu perennieren (vgl. dazu unten 5.). Doch vielleicht ist es gerade deren neuartige Strukturform, die die Welt der Demokratien letzten Endes eher zu bürgergemeinschaftlicher Kooperation als zu klassischer Naturzustands-Politik nötigt. Kants Glaube an die reale Möglichkeit des faktischen Vergehens jenes internationalen Naturzustandes, in dem sich die „Bösartigkeit“ der Völker immer wieder von Neuem so entfaltet und entfacht, dass stabile und einigermaßen faire Rechtsregeln-für-alle keine Verlässlichkeit besitzen können, Kants Versprechen, dass an die Stelle des internationalen bellum omnium contra omnes ein Verhältnis treten könnte, in welchem durch wechselseitigen und vorbehaltlosen Gewaltverzicht der Staaten ein tragfähiges Geflecht von gemeinsamen Institutionen der politischen Gerechtigkeit entsteht, diese Annahmen, die ganz wesentlich sind für seine Parteinahme zugunsten der Völkerbundsoption, sie sind also trotz allem28 nach 1989 durchaus wieder aktuell geworden. 28 „trotz allem“ – vgl. Anm. 17.
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3 Zur Theorie der einen Welt oder „das postmoderne Evangelium der Europäer“ Die Entmilitarisierung und die dazu komplementäre pazifizierende Verrechtlichung der internationalen Beziehungen in der einen Welt gesicherter Staatlichkeit und marktgesellschaftlicher Stabilität29 verdanken sich zwei großen Tatsachen: der grenznutzenmindernden Leistungskraftzunahme der fortgeschrittenen Waffensysteme und der Verbreitung demokratischer Herrschaft in den Staaten der wirklich rüstungsfähigen Mächte. Dieser Befund lässt sich mit einer anderen Gegenwartsdiagnose verknüpfen; nämlich mit jener Theorie progressiver Demokratisierung, die auch Kagan durch die auffällig polemische Unterscheidung zwischen dem „postmodernen Evangelium der Europäer“ und der für die USA nach wie vor geltenden Moderne der hobbistischen Machtpolitik anpeilt – mit Francis Fukuyamas „Endof-History“-Analyse der Nach-89er-Welt.30 3.1 Die Fortschrittswelt In der Tat lässt sich „The End of History“ als Adaptation der kantischen Erwägungen an die zeitgenößischen Verhältnisse und als Überprüfung ihrer Gültigkeit im Licht der Situation nach 1989 begreifen. Fukuyamas grundlegender Gedanke ist die Feststellung, dass sich in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und ganz besonders nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein „bemerkenswerter Konsens über die Legitimität der liberalen Demokratie als Regierungssystem herausgebildet“ hat. Fukuyama bleibt allerdings nicht bei dieser These stehen, sondern argumentiert weiter, dass „die liberale Demokratie möglicherweise ‚den Endpunkt der ideologischen Evolution der Menschheit‘ und die ‚endgültige menschliche Regierungsform‘ darstellt. Sie wäre demnach ‚das Ende der Geschichte‘“.31 Analysiert man diese Finalitätsthese genauer, dann bemerkt man rasch, dass sie zwei verschiedene Entwicklungen verbinden will. Zum einen die ideologie- oder ideengeschichtliche Entwicklung – mit dem normativen Ideal der liberalen Demokratie als Endpunkt; zum andern die realgeschichtliche – mit der universellen, d. h. globalen Verwirklichung dieses Ideals als ihrem Gipfel. Die Realgeschichte erscheint also, wie bei Kant, als die Beglaubigung der Hoffnung, dass dies, was gesollt ist: nämlich überall einen gesicherten Rechtszustand zu schaffen, der den Bürgern größtmögliche positive (demokratische) und negative (liberale) Freiheiten gewährt, auch Wirklichkeit werden kann.32 Und Fukuyama vermag auf Fakten zu verweisen: Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist in der Tat nicht mit der ers29 30 31 32
Eine Stabilität, die freilich nicht überschätzt werden sollte, vgl. Anm. 17. Fukuyama, 1992. Fukuyama, 1992, S. 11. Im Unterschied zu Kant behauptet Fukuyama freilich mehr; nämlich, dazu nicht nur eine Tendenz feststellen zu dürfen, sondern den definitiven Anfang der Vollendungs- und der Globalisierungsphase der politischen Menschheitsevolution erkennen zu können. Diese „Vollendungshypothese“ ist die Konsequenz von Fukuyamas hegelianischem Selbstmissverständnis und genau damit bringt er seine Theorie schließlich in ernsthafte, ja unlösbare Schwierigkeiten. Vgl. dazu Kohler, 2001, insbes. S. 140 ff. Vgl. auch im Folgenden 4.
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ten zu vergleichen, wo es eher so aussah, als würde die Zukunft Militärregimes und totalitären Diktaturen rechter oder linker Provenienz gehören. Von Lateinamerika bis Osteuropa, vom Nahen Osten bis nach Asien sind in den letzten drei Jahrzehnten sehr viele dieser Demokratiefeinde gescheitert. Sie haben zwar längst nicht in allen Fällen stabilen liberalen Demokratien Platz gemacht, aber trotz lokaler Herausforderungen ist die Idee rechtsstaatlich-demokratisch-liberaler Ordnung zum einzigen weltweit anerkannten politischen Orientierungsmuster geworden. Unbestreitbar ist jedenfalls der Siegeszug der liberaldemokratischen Idee, wenngleich der Blick auf die entsprechende Praxis ein sehr viel weniger klares Bild zeigt. Das ist Fukuyama bewusst, und darum verweist er hier auf die langfristige Bewegung: „Die Entwicklung zur Demokratie verlief weltweit zwar zyklisch, doch zugleich gab es einen ausgeprägten Trend zu demokratischen Systemen. (…) Phasen des demokratischen Aufschwungs werden von radikalen Einschnitten und Rückschlägen, wie beispielsweise dem Nationalsozialismus oder dem Stalinismus, unterbrochen. Andererseits kehrten sich diese Entwicklungen schliesslich immer wieder um, und so wuchs die Zahl der Demokratien auf der ganzen Welt im Lauf der Zeit in eindrucksvoller Weise.“33
3.2 Die Logik der Pazifizierung Die Beobachtung des Faktischen schafft den Übergang zum nächsten Begründungsschritt in Fukuyamas optimistischer Zukunftsdeutung: den Schritt von der Erinnerung der Fakten zur evolutionären Logik, die dem empirischen Prozess zugrunde liegt – als einem Vorgang der Universalgeschichte der Menschheit. Bei deren Darstellung werden die systematischen Konvergenzen zwischen Kant und Fukuyama wiederum deutlich sichtbar. Worauf beruht der empirische Erfolg und die normative Überzeugungskraft der liberalen Demokratie? Fukuyama meint: Auf ihrer Fähigkeit, den beiden Primärfaktoren, die nach ihm die soziale Evolution steuern, optimal zu entsprechen; nämlich einerseits der wissenschaftlich-technischen bzw. ökonomisch-industriellen Rationalität und anderseits dem genuin menschlichen Bedürfnis nach Selbstachtung und Respektiertwerden durch die anderen, d. h. dem elementaren Anspruch auf die Gleichheit der Person und auf die Gerechtigkeit ihrer Behandlung. Entscheidend für den Sieg der Demokratie ist daher ihre Kraft, diese Faktoren zu integrieren. Das zeigt sich vor allem unter dem Druck beschleunigten sozialen Wandels, der mit der zunächst von Technik, Industrialisierung und Ökonomie geprägten Zivilisation der Moderne einsetzt: „Die sozialen Veränderungen, die mit der Industrialisierung einhergehen, darunter besonders die Entwicklung eines hohen allgemeinen Bildungsstandes, scheinen ein gewisses Bedürfnis nach Anerkennung freizusetzen, das bei ärmeren und weniger gebildeten Völkern als solches fast nur latent existieren kann. Wenn der Lebensstandard steigt, wenn die Menschen weltoffener und gebildeter sind und wenn in der Gesamtgesellschaft eine grössere Gleichheit der Lebensverhältnisse entsteht, dann streben die Menschen nicht mehr nur nach mehr Wohlstand, sondern sie wollen ihren Status anerkannt sehen. Wenn der Mensch nur aus Vernunft und Begierde bestünde, hätte er sich damit abgefunden, in 33 Fukuyama, 1992, S. 85.
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marktwirtschaftlich orientierten autoritären Staaten zu leben (…). Aber die Menschen haben ausserdem ein ursprüngliches Bedürfnis in ihrem Selbstwert anerkannt zu werden, und darum fordern sie demokratische Regierungen, die ihre Autonomie als freie Individuen respektieren und sie wie Erwachsene behandeln und nicht wie Kinder.“34
Wo aber demokratische Regimes etabliert sind, so Fukuyama, besteht ein Interesse am Bestand weiterer Demokratien. Staaten, die demokratisch organisiert sind, kämpfen höchstwahrscheinlich nicht gegeneinander. Denn Völker, die sich selber regieren, scheuen die Kosten des Krieges und erweisen sich ideologisch als viel weniger manipulierbar als die Massen eines Führer- oder Cliquenstaates. Deshalb sind sie auch geneigt, den für eine allgemeine Friedensunion entscheidenden evolutionären Lernschritt zu tun, nämlich den Übergang zu vollziehen vom klassischen Völkerrecht zum internationalen Recht der Weltbürgerlichkeit, in dem nicht die Macht die Grenzen des Rechts zieht, sondern das auf die Prinzipien der gegenseitigen Achtung und der gleichen Freiheit gegründete Recht die Grenzen der Macht bestimmt. Gewiss wäre einige Begriffsarbeit nötig für den Nachweis der strukturellen Übereinstimmungen von Kants und Fukuyamas Theorie gesellschaftlicher Evolution. Doch dass beide im Grunde mit einem ähnlichen Ansatz operieren, ist rasch dargelegt: Für beide ist der Mensch das gesellschaftlich lernende Tier; in der Spannung stehend zwischen Gleichheits- und Exzellenzstreben; gezwungen, die Bedingungen und die Folgen seines Handelns in politisch rechtlichen Formen zu gestalten; Formen, die langfristig gesehen und auf einem bestimmten Zivilisationsniveau mit gewisser Wahrscheinlichkeit eine ganz besondere, zur internationalen Zivilgesellschaft führende Gestalt annehmen. Und zwar nicht deshalb, weil die Menschennatur einfach von ihrer inneren Ambiguität erlöst worden wäre, sondern letztlich aufgrund von überwältigenden Erfahrungen, die eben dieser Ambiguität unvermeidlich entspringen, um sich in gesamtgesellschaftliche Motive umzusetzen, die das, was die pragmatische Vernunft ohnehin fordert, endlich auch allgemein verhaltenswirksam werden lassen. Alles also, was Fukuyama, zweihundert Jahre nach Kants „Idee zu einer allgemeinen Geschichte“, zur Stützung seiner Thesen anführen kann, spricht gleichermaßen für Kant. Um es konkret zu sagen: Dazu gehört sowohl die europäische Einigung nach den Katastrophen der beiden großen Kriege wie die – unter der Drohung der nuklearen Totalverwüstung – vermiedene Konfrontation der Supermächte nach 1945. Dazu gehört die zweite europäische Revolution von 1989, dazu gehören Tatsachen wie die Völkerrechtsentwicklung in den Neunzigerjahren oder die pazifizierenden Wirkungen der Ökonomisierung der internationalen Politik (zumindest im Rahmen der OECD-Welt); der Druck, den nicht-staatliche Organisationen im Namen allgemeiner Rechtsprinzipien weltweit auszuüben imstande sind; internationale Menschenrechtsgerichtshöfe usw.35 Die Reihe ließe sich fortsetzen. All dies sind realgeschichtliche Vorkommnisse, die uns im Sinne der Frage „Was dürfen wir hof34 Fukuyama, 1992, S. 20 f. 35 Zur Entwicklung des Völkerrechts in Richtung auf einen globalen Konsens über die Grundlinien einer „Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft“ vgl. Kimminich, 1997, insbes. S. 74-101. Und ebenso Thürer, 2000; sowie Thürer 2001.
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fen?“ zur Hoffnung berechtigen, dass der Mensch wirklich ein auch politisch lernendes Tier ist, dessen praktische Kompetenzen mit seiner technischen Intelligenz und seiner a priori unstillbaren Wunschenergie Schritt zu halten vermögen. All dies wird von Kagan registriert, ja sogar gelobt. Aber es gilt ihm lediglich als erstaunliche, glückliche und einigermaßen parasitäre Sonderentwicklung Europas, der keinerlei symptomatische Bedeutung zuzumessen ist. Vollends der 11. September 2001 habe wieder manifest werden lassen, dass ein nüchterner Blick auf die Welt sich von Europas besonderem Weg nicht ablenken lassen darf. Nun mag man über das Gewicht streiten, das das Argument aus der europäischen Geschichte der letzten 50 Jahre besitzt, gleichwohl sind hier offenbar allgemeine Gesetzlichkeiten am Werk, soziale Determinanten, die – nicht zuletzt deshalb, weil sie von Kant in ihrer Wirkung ja bereits einmal antizipiert worden sind – nicht so leicht marginalisiert werden sollten, wie das bei Kagan geschieht. Das Ende des Großen Krieges zum mindesten ist ein Datum, das nicht so leichthin entwertet werden sollte, wie es heute an vielen Orten, ohne der Sache weitere Bedeutung beizumessen, geschieht.36
4 Die andere Welt. Die These des Parasitismus Um skeptischen Einwänden vorzubeugen, teilt Fukuyama den universalgeschichtlichen Vorgang in verschiedene, aber gleichzeitige Phasen. Während die einen schon ins Endstadium, in die „posthistorische Welt“, eingetreten sind, treiben die anderen noch im Strom der „historischen“, vordemokratischen, den alten Regeln der Machtpolitik gehorchenden Welt. Wer sich wo befindet, ist beinahe selbstverständlich. „Posthistorisch“ sind die entwickelten Staaten der OECD-Welt, „historisch“ die so genannten Entwicklungsländer; irgendwo dazwischen eine Reihe von Ländern, von denen man nicht recht sagen kann, ob sie in die Liga der „Posthistorischen“ aufsteigen oder in die Unterklasse der „Historischen“ zurückfallen werden. Für Fukuyama gibt es allerdings keinen Zweifel darüber, dass sich die Grenzen zwischen dem fortgeschrittenen bzw. angekommenen Teil der Menschheit und dem zurückgebliebenen nicht zu Ungunsten des Fortschrittes verschieben werden. Hier gelangt man an die entscheidende Bruchlinie, die Erörterungen à la Kagan von den Hypothesen Fukuyamas (oder Kants) grundsätzlich abschneidet. Für Kagan ist die „andere“ Welt die „wahre“, während Fukuyama die eine Welt der gefestigten liberalen Demokratien zum Modell nimmt. Es hängt also sehr viel ab von der Frage, wie die Interaktion dieser zwei Welten vorgestellt, analysiert und normativ interpretiert wird. Im zentralen Kapitel 26 seines Buches – „Auf dem Weg zu einer Friedensunion“ – beschäftigt sich Fukuyama ausdrücklich mit der Beziehung zwischen „historischer“ und „posthistorischer“ Welt. Was als Gegenwahrnehmung zu seiner Fortschrittsthese vorgebracht werden kann: die „historische“ Welt mit ihren ungeheuren Nöten und ebenso gefährlichen wie ansteckenden Spannungen, das wird, der Sache nach, auch von Fukuyama registriert, jedoch mit Hinweis auf die prinzipielle, evolutions36 Vgl. diesbezüglich Creveld, 2002 oder auch die eher beiläufigen Sätze in Münkler, 2001, S. 60 et passim.
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logische Überlegenheit der „posthistorischen“ Welt abgewehrt: „Wenn demokratische Staaten nicht gegeneinander kämpfen, wird die posthistorische Welt stetig expandieren und noch friedlicher und noch reicher werden.“37 Nicht gegeneinander zu kämpfen, liegt aber ohnehin in ihrer Handlungslogik: Nationen, die republikanischdemokratisch verfasst sind, haben eben sozusagen a priori ein sehr starkes Interesse an der Vermeidung kriegerischer Verwicklungen (jedenfalls im Verkehr mit anderen Demokratien). Deswegen, weil marktgesellschaftlich liberal operierende Demokratien zwar die wirkungskräftigsten Rüstungsapparate zu finanzieren in der Lage sind, gleichzeitig aber auch in materieller und in ideeller Hinsicht am meisten durch den Einbruch militärischer Gewalt auf ihr Territorium zu verlieren haben. Zudem fürchten Demokratien deshalb mehr als andere Herrschaftsformen den sie selbst beschädigenden Krieg, weil in ihr die direkt Betroffenen die letzte Entscheidung besitzen (und, um Mary Kaldor zu zitieren, „because wars normally rose from the greed and/ or irrationality of absolutist rulers not from national interest“38). So überlegt in den Grundzügen ja bereits Kant. Umgekehrt befördert natürlich eine Sphäre friedlicher Internationalität die Verbreitung der Demokratie, denn die Gegenwart kriegerischer Verhältnisse ist sehr oft die Ursache und die Entschuldigung für die Errichtung diktatorisch-despotischer Regimes. Und auch das wusste Kant. Über diese Einsichten hinaus rekurriert Fukuyama nun allerdings auf elementare anthropologische Bedürfnisse, um die postmoderne bzw. posthistorische Unumgänglichkeit der Demokratie zu erweisen. Dabei – und erst dabei – gerät er schließlich doch in eine diffuse Zone des Denkens, wo sich empirische Erkenntnisse mit allzu kühnen Geschichtsspekulationen vermischen. Erst an dieser Stelle wird der Ort erreicht, wo Robert Kagans Kritik am „europäischen“ bzw. postmodern-posthistorischen Verständnis der Weltpolitik die sachlich starken Argumente findet. Fukuyama entpuppt sich in diesen Partien seines Buches nämlich als verkappter Hegelianer, der seine empirisch bewährungsfähigen kantianischen Optionen einem unbeweisbaren Geschichtsdeterminismus opfert: Unbedingte Gewissheit über den Gang der Historie bzw. das erlangte „posthistorische“ Stadium ist sicherlich aus keinem kantischen Philosophem abzuleiten. Deshalb muss sich Fukuyama am Schluss seines Kapitels 26 dezidiert als Erben Hegels und als Schüler von dessen französischem Popularisator Alexandre Kojève offenbaren; nur so vermag er, Gewissheit wenigstens zu suggerieren. Zu seinem Schaden rekurriert Fukuyama am Schluss seines Gedankenganges auf die Theorie Kojèves, wonach liberale Demokratie und posthistorische Endgültigkeit aus anthropologischen Gründen geschichtslogisch notwendig miteinander verknüpft seien: „Wenn wir uns ernsthaft mit dem Problem befassen wollen, wann das Ende der Geschichte erreicht ist“, dann müssen wir, sagt Fukuyama, die Diskussion von der Ebene historischer Verlaufsbeschreibungen auf das Niveau einer Diskussion der zugrunde liegenden Strukturen der menschlichen Natur verlagern. „Wenn wir uns nur auf das ‚empirische Material‘ stützen, das wir in der Welt unserer Gegenwart vorfinden, können wir die langfristigen Zukunftschancen der liberalen Demo37 Fukuyama, 1992, S. 376. 38 Kaldor, 1998; zitiert von S. 94.
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Georg Kohler kratie nicht ausloten (…). Statt dessen müssen wir direkt und ausdrücklich die transhistorischen Massstäbe thematisieren, nach denen wir beurteilen, ob ein Regime oder Sozialsystem gut oder schlecht ist.“39
Und nun hält er sich umstandslos an Kojève und an dessen Determinismus: Kojève „vertrat die Ansicht, wir seien am Ende der Geschichte angekommen, weil das Leben im allgemeinen und homogenen Staat für die Bürger vollkommen befriedigend sei“. Den Kojèveschen Ausdruck des „allgemeinen und homogenen Staates“ (l’état universel et homogène) in seine Terminologie übersetzend, fährt Fukuyama fort: „Anders ausgedrückt: Kojève zufolge ist die moderne liberal-demokratische (posthistorische, G. K.) Welt frei von Widersprüchen.“40 Was das – in psychopolitischer wie in rechtstheoretischer Hinsicht – bedeutet, fasst Fukuyama nach langer Analyse schliesslich so zusammen: „In der posthistorischen Welt steht das Streben nach bequemer Selbsterhaltung höher als das Streben, das Leben in einem Prestigekampf zu riskieren; die universale, rationale Anerkennung hat das Streben nach Herrschaft ersetzt.“41
Die vom „Ende der Geschichte“ eingeholte Postmoderne der fortgeschrittenen Industriezivilisation, in welcher der Krieg zwischen Gruppen und zwischen Einzelstaaten verschwunden bzw. in die lediglich polizeilich zu bekämpfende Form krimineller Gewalt verwandelt wird, ist für Fukuyama/Kojève daher so unüberbietbar final wie unausweichlich nötig. Und ihr wichtigstes Merkmal wird eine singuläre, die ganze Erde umfassende (welt)staatliche Ordnungsstruktur. Es ist offensichtlich, dass sich diese Weltstaatsfigur – wie gesagt: keine kantische, aber eine hegelianische Idee – zwei Übertreibungen bzw. zwei Irrtümern verdankt. Nämlich einerseits der Übertreibung, die darin besteht, den ständigen Kampf der Menschen gegen- und miteinander um Selbstbehauptung und Achtung auf ein einziges Verlaufsschema festzulegen. Natürlich kann man zustimmen, wenn Fukuyama behauptet, vernünftigerweise müsste – wie Kojève mit Hegel darlegt – der Kampf um Anerkennung überall dort, wo er geführt wird, zuletzt zu staatlich bzw. weltstaatlich geschützten Rechtsverhältnissen führen. Aber was bedeutet hier „zuletzt“? wann ist dieser Grad an gemeinsamer, einsichtiger Erfahrung erreicht? Wird er je erreicht werden? Das sind Fragen, die aus der Situation der Gegenwart heraus gar nicht verlässlich zu beantworten sind. Wer es trotzdem probiert, begeht den Irrtum, eine höchst vieldeutige Situation als eindeutig zu interpretieren. Und zweitens begeht er den Irrtum, eine allenfalls für (West-)Europa typische Lage kurzschlüssig mit der nahen Zukunft des ganzen Planeten zu identifizieren. Das sind also die Vorstellungen, an denen Kagan richtigerweise Kritik üben kann; allerdings nicht in solcher Weise, dass die Kritik sich sogleich in die Diskreditierung von Europas kantianischer Perspektive fortsetzen müsste: „Weil die Europäer (in ihrem Bereich tatsächlich) eine Gesellschaft jenseits der Macht entwickelt haben, sind Europa und Amerika auf getrennte Bahnen geraten. (Denn) die Amerikaner waren (vom) europäischen Wunder (nie geblendet). Ihre Erinnerung an die letzten fünfzig Jahre ist die an den Kalten Krieg, der durch Stärke und Entschlossenheit entschie39 Fukuyama, 1992, S. 199. 40 Fukuyama, 1992, S. 199. 41 Fukuyama, 1992, S. 379.
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den wurde und nicht durch den Triumph eines ‚moralischen Bewusstseins‘.42 Als gute Aufklärer glauben die Amerikaner zwar an die Verbesserungsfähigkeit des Menschen. Aber von Donald Rumsfeld bis Madeleine Albright sind sie auch davon überzeugt, dass die globale Sicherheit und die Existenz der liberalen Ordnung von Amerikas Macht und seinem Willen abhängen, sie überall in der Welt einzusetzen – in einer Welt, die jedenfalls ausserhalb Europas, gefährlich ist. Schon gar nach dem 11. September denken die meisten Amerikaner an das Münchner Abkommen zurück, nicht an das von Maastricht.“43
Die „andere“, dem Prozess des Fortschritts zum „ewigen Frieden“ nicht wie von selber gehorchende, von Fukuyama so genannte „historische“ Welt, die von Armut geschlagen ist, von Staatszerfall korrumpiert und von extremen inneren Spannungen zerrissen wird, ist vielen Beobachtern schon lange – und nach dem 11. September endlich allen – als Raum neuer Gewaltmöglichkeiten bewusst geworden;44 als Experimentierfeld vielfältiger Gewaltchancen, deren Virulenz schnell die relative Stabilität der „posthistorischen“ Kant-Welt zu gefährden vermag. Herfried Münkler bezeichnet drei solcher Gefahrenpotentiale, indem er sie aus gutem Grund sogleich im Horizont der Empfehlung charakterisiert, auf diese Potentiale der Ansteckung entschlossen sicherheitspolitisch bzw. strategisch-machtgebrauchsbereit zu reagieren: „Die Bedrohungen, die innergesellschaftliche Kriege sowie Bürgerkriegsökonomien für die Friedensökonomien anderer Länder darstellen, sind vielfältiger Art. Da ist zunächst, erstens, das Übergreifen des Krieges auf die Nachbarländer, was gerade in den neuen, nicht an die Grenzziehungen der klassischen Staatenwelt orientierten Kriegen mit einer gewissen Regelmässigkeit geschieht. (…) Aus einem innergesellschaftlichen wird so ein transnationaler Krieg, der immer weitere Kreise zieht und immer mehr Länder in den Konflikt hineinreisst. Dadurch wird es zunehmend schwerer, die Konfliktparteien zu politischen Verhandlungen zu versammeln, um sie in einen Friedensprozess einzubinden. Auch die Chancen, durch eine militärische Intervention von aussen den Krieg zu beenden, schwinden in dem Masse, wie dieser sich transnationalisiert. Folglich liegt es nahe, eine solche Eskalationsspirale möglichst frühzeitig und gegebenenfalls auch mit den Mitteln einer militärischen Intervention anzuhalten, also einzugreifen, solange die Risiken und die voraussichtliche Dauer einer solchen Aktion noch einigermassen überschaubar sind.“45
Wo sich eine Bürgerkriegsökonomie eingenistet hat, ist meistens ein Netzwerk der organisierten Kriminalität im Spiel. Dadurch dringt die Bürgerkriegs- in die Frie-
42 Man möchte an dieser Stelle die Frage aufwerfen, wer denn den Kalten Krieg eigentlich entschieden habe – waren es allein „die Amerikaner“ bzw. Ronald Reagans Star Wars? Kein ernsthafter Historiker wird dies bejahen wollen, denn zunächst ist da die unleugbare Tatsache zu registrieren des Widerwillens der riesigen Mehrheit der westeuropäischen Bevölkerung, sich mit dem sowjetischen System irgendwie einzulassen; eine Ablehnung, die durchaus die Bereitschaft einschloss, einen Verteidigungskrieg auf eigenem Boden zu führen (der „Dritte Weltkrieg“ hätte primär in Westdeutschland und in Europa stattgefunden). Zweitens hat die Ostpolitik der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland seit der Regierung Brandt/Scheel durchaus zum Helsinki-Prozess, d. h. zur inneren Öffnung des Sowjetreiches beigetragen; ein Vorgang, ohne den drittens eine Figur wie Michail Gorbatschow unmöglich gewesen wäre. Dessen Bereitschaft zur Politik der „Perestrojka“ und der Reform kann gewiss nicht als bloße Reaktion auf das Rüstungsprogramm der Reagan-Administration verstanden werden. 43 Kagan, 2002. 44 Als Beispiel für viele: Kohler, 1990, insbes. S. 78 ff. 45 Münkler, 2002, S. 226.
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densökonomie nicht nur der Nachbarländer ein. Das ist das zweite Bedrohungsmoment, das Münkler analysiert: „Je stärker und länger ein solcher Einfluss erfolgt, desto grösser werden die daraus für die Stabilität und Funktionsfähigkeit der Friedensökonomien entstehenden Probleme; der Anteil der kriminellen Ökonomie an der Friedensökonomie etwa steigt sprunghaft an, und die internationale Kriminalität lässt sich schwerer bekämpfen, denn sie verfügt nun über Rückzugsmöglichkeiten – in den von War Lords, lokalen Milizen oder Guerillagruppen kontrollierten Gegenden ist Interpol machtlos. (…) Die Bedeutung dieser Gebiete für den Drogenanbau ebenso wie für die Rekrutierung und Ausbildung von Terrorkommandos legt hier selbst bei sorgsamer Kosten-Nutzen-Abwägung militärische Interventionen oder massive Militärhilfen für eine vom Zusammenbruch bedrohte Staatsmacht nahe.“46
An dritter Stelle erwähnt Münkler die Gefahr, die von gewissen Praktiken der Vertreibung ausgeht, die man euphemistisch „ethnic cleansing“ zu nennen begonnen hat. Gelingt es einer Macht, sich damit durchzusetzen, „ohne dass sie auf den massiven Widerstand der Staatengemeinschaft stösst, kann das die machtorientierten Politiker der Region dazu ermuntern, bei nächster Gelegenheit ebenfalls die ‚ethnische Karte‘ zu spielen, um sich die Unterstützung und Folgebereitschaft der begünstigten Bevölkerungsgruppe zu verschaffen. Anschliessend greift eine solche Politik dann in Windeseile um sich und destabilisiert die gesamte Region. Ein innergesellschaftlicher Konflikt weitet sich so innerhalb kürzester Zeit zu einem transnationalen Krieg aus, der nicht mehr einzugrenzen und zu kontrollieren ist. Diese Entwicklung schon im Ansatz zu bekämpfen, ist ein guter Grund für benachbarte Staaten oder ein die Stabilität der Region garantierendes Bündnissystem, rasch und entschlossen gegen eine derartige Politik der ‚ethnischen Säuberung‘ vorzugehen.“47
Macht man sich diese Zusammenhänge deutlich, dann muss wenigstens prinzipiell konzediert werden, dass auch die Kant-Welt ohne bellizistische Instrumente nicht auskommen wird. Und es ist weiter einzuräumen, dass die europäische Staatengemeinschaft seit 1993 in den relevanten Fällen meistens versagt hat. Doch das scheint kein unheilbarer Mangel zu sein, und es widerspricht nicht der Forderung, den Gebrauch von Waffen an transnationale Gesetzesordnungen und Entscheidfindungsinstanzen zu knüpfen. Genau dies unterstellt aber Kagan, wenn er in seiner polemischen Analyse des europäischen Kantianismus den Schritt zur Denunziation tut: Dessen Neigung zu suprastaatlichen Gerichten, sein Widerwille gegen den Gebrauch militärischer Überlegenheit etc. seien, präzise betrachtet, allein durch die amerikanischen Militärpotentiale ermöglicht. Daher also sei Europas Konzeption der Weltpolitik unheilbar sekundär und im außereuropäischen Rahmen vollkommen unbrauchbar: „Auch heute kann sich Europa die Ablehnung der Machtpolitik nur leisten, weil die USA bereit sind, ebendiese überall zu praktizieren und sich Kräften entgegenzustellen, die ebenfalls noch an Machtpolitik glauben. Europas kantianische Weltordnung hängt von einem Amerika ab, das Macht nach den Regeln von Hobbes einsetzt.“48 46 Münkler, 2002, S. 227-228. 47 Münkler, 2002, S. 228-229. 48 Kagan, 2002.
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Die von Kagan vorgenommene Gleichsetzung „europäisch-kantianischer“, optimistisch evolutionärer Lagedeutungen (und darauf basierender, internationaler, suprastaatlicher und transnationaler Strategien) mit realitätsblinder Ängstlichkeit und wirklichkeitsfremdem Überschwang ist zweifellos polemisch. Sie beruht auf der systematischen Taubheit gegenüber Erfahrungen und Gedanken, die zu stark sind, als dass man sie – durchschnittliches Gehör vorausgesetzt – nicht vernommen haben könnte. Im übrigen sind die von Kagan favorisierten Kontrapositionen Europa vs. USA / Kant vs. Hobbes von allem Anfang an schief. Bekanntlich ist Francis Fukuyama kein Europäer, sondern ein US-Bürger, und Hobbes ist kein Apologet globaler Hegemonialpolitik, sondern an der Darstellung jener Ursachen interessiert, durch die bloße Macht in legitimes Recht verwandelt wird. Der Ausgangspunkt für meine Kritik an Kagans Sicht ist der (ambivalente) Prozess des „Unmöglich-Werdens des Großen Krieges“, der im Zusammenbruch der Sowjetunion besiegelt wurde und der die Ausdehnung demokratischer Herrschaft sicherlich eher begünstigt als stört. Dieser Vorgang war und ist verbunden mit wesentlichen Metamorphosen der Gewalt bzw. des politischen Gebrauchs von Gewalt. Metamorphosen, die aber keineswegs einseitig jene Interventionspolitik und hegemoniale Strategiekonzeption unterstützen, für die Kagan mit seinem „Bären-Argument“ wirbt, sondern umgekehrt Argumente zugunsten einer Politik multinationaler und transnationaler Institutionen und primär zivilgesellschaftlicher Reformen ermöglichen. Wenn nämlich die These stimmt, dass nicht mehr „clausewitzsche“, sondern „asymmetrische“ Kriege – Kriege, die unter verschiedenen Hinsichten von sehr ungleichen Parteien mit sehr ungleichen Gewaltmitteln gegen sehr ungleiche Gruppen geführt werden – die Geschichte des 21. Jahrhunderts prägen werden49, dann folgt daraus, dass die gewaltbändigende Gegen-Macht neu organisiert werden muss, weil sie nach der klassischen Logik der Abschreckung nicht mehr gut funktionieren kann. Asymmetrische Kriegsführung ist in vielfacher Weise eine Grenzen durchdringende, dezentralisierte Angelegenheit. Dadurch besitzt sie eine Kraft, die tendenziell jegliche Ordnung zu unterminieren vermag. Das heißt: Asymmetrische Kriegsführung bringt das alte – in der Tat (insoweit hat Kagan recht) – hobbistische Problem der Begründung, Gewinnung und Erhaltung von fundamentalen Strukturen der Ordnung (law & order) wieder auf die Agenda zurück. Normative Ordnungen sind allemal an wenigstens minimale Legitimationsvoraussetzungen gekoppelt. Und Legitimität ist durch argumentationslose Befehle nicht zu ersetzen. Alle gewaltbändigende Gegen-Gewalt benötigt also immer wieder auch zwanglose Zustimmung, freiwillige Loyalität und Handeln aus gemeinsamer Erkenntnis, um auf Dauer erfolgreich zu sein. Legitimitätsanforderungen eröffnen zugleich einen Kreis von Anspruchsberechtigten. Sie verlangen die Berücksichtigung aller, die als mögliche Opfer von asymmetrisch ausgeübter, prinzipiell ubiquitärer Kriegsgewalt, an deren Beseitigung interessiert sind. Der Adressatenkreis der Interessierten ist mithin im gegebenen Fall sowenig in klare Grenzen einzuschließen wie die Gewalt es ist, deren Eindämmung und Unterdrückung er erwartet und erwünscht. Ergo zielen die im Fall asymmetrischen Kriegsgewaltge49 Münkler, 2002, S. 240.
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brauchs nötigen Legitimitätserfordernisse grundsätzlich auf eine umfassende, vor keiner partikularen Souveränitätsprätention haltmachenden Infrastruktur des Rechts und rechtlicher Vereinbarungen. Verrechtlichung – das bestreitet niemand – braucht eine sie deckende Sanktionsgewalt. Doch ohne Recht, auf das sie sich bezieht, ist auch die Sanktionsgewalt nicht mehr, was sie zu sein beansprucht; im Gegenteil, sie wird selber zu dem, was sie aufheben möchte: zur nackten Gewalt. Recht braucht Macht, Macht braucht Recht. Angewandt auf die Situation asymmetrisch gewordener Kriegsgewalt heißt das: Wo überall Gegen-Macht gebraucht wird, dort muss auch das Recht hinreichen. Kurzum: Wenn die Möglichkeit asymmetrischer Kriegsführung die Wiederkehr des bellum omnium contra omnes im planetarischen Maßstab bedeuten könnte, dann bedeutet dies auch, dass Kants kosmopolitische Idee nicht obsolet, sondern heute erst eigentlich aktuell geworden ist.
5 Der Gestaltwandel des Krieges Mary Kaldor hat den erwähnten Prozess des gegenwartstypischen Gestaltwandels von Gewalt im Rahmen des Gegensatzes zwischen (alten) „clausewitzean wars“ und (für die mit der durch 1989 veränderte Situation) charakteristerischen „new wars“ analysiert. Mittels einer Tabelle ist dieser Gegensatz folgendermaßen zu charakterisieren:50 National or bloc wars
New wars
Actors
National armies Bloc alliances
Paramilitary groups Organized crime groups Mercenaries Parts of national armies
Goals
National or bloc interest
Identity politics Ethnic exclusion
Mode of warfare Vertical, hierarchical command Importance of battle Extremist tendencies Advanced military technology War economy
Dispersed, fragmented Directed against civilians Use of atrocities: rape, famine, sieges Use of light weapons, communications, land mines
Centralizing, autarkic, totalizing Open, decentralized, low participation Full employment Humanitarian assistance plus underHigh production ground economy High unemployment Low production
External support Allies, imperialism Superpower patrons
50 Kaldor, 1998, S. 97 f.
Diaspora Transnational mafia Mercenaries Regional powers
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Auch Kaldor registriert die „Unmöglichkeit des Großen Krieges“. Diesen Krieg nennt sie den „clausewitzschen Krieg“, weil auf ihn die Kategorien passen, die Carl von Clausewitz in „Vom Kriege“ auf den Begriff gebracht hat. Kaldor gibt ohne weiteres zu, dass die behauptete „Unmöglichkeit“ bis heute allein im europäischen Raum dauerhaft zu beobachten war: „It can be argued, that the Cold War extended the zone of peace (only) across Europe“.51 Unbestreitbar aber blockierte während dieser Epoche der „doppelköpfige Leviathan“ der wechselseitigen atomaren Abschreckung (mit ihrer Logik der unkalkulierbaren Eskalationssequenzen) den Großmächtekrieg als politisches Instrument und erzwang den realpolitischen Geist des Verzichts auf kriegerische Machtmittel. Freilich lässt sich dieses Faktum in zweifacher Weise interpretieren: als die Perfektion klassischer Balance-ofPower-Politik oder als Schwelle zu einer neuen Zeit multilateraler, postnationaler, „kantianischer“ Friedenssicherung, als Übergang ins Zeitalter der weltbürgerlichen Substitution militärischer Konfliktlösungen durch internationales Recht und dessen (sanktionsfähige) Schiedsinstanzen: „For the realists, the concept of deterrence which dominated the Cold War period represented the apex of balance-of-power thinking (…). For the idealists, the construction of rigid military alliances meant that the European nation-states actually abandoned their claim to a monopoly of legitimate violence.“52
Es ist einleuchtend, dass bloß die erste Auffassung diejenige ist, die Kagan als die wirklichkeitsadäquate und amerikanische für sich reklamieren könnte, während er in der zweiten die Tendenz zum realitätsblinden europäischen Pazifismus aufweisen wollte. In Kagans Perspektive kann die Zeit des Kalten Krieges zwischen 1948 und 1989 nicht mehr sein als eine Ausnahmeepisode, in welcher die an sich unverrückbar geltenden Gesetze der Macht – aufgrund einer spezifischen und einmaligen Kräftekonstellation – für eine ungewöhnliche Periode der Stabilität gesorgt haben, um uns nun, nach 1989, wieder die gewohnte Unruhe und Rivalität zwischen den diversen Machtbesitzern und etwaigen Hegemonieanwärtern zurückzubringen. Kagan und diejenigen, die für seine Linie optieren, müssen etwas also klein schreiben, was auch als „Geschichtszeichen“ (Kant) gelesen werden könnte; als Beweis für die Lernfähigkeit der Gattung und als Beleg für die Richtigkeit der These vom Fortschritt durch die Verbindung von zivilisatorischer Vernetzung und zivilgesellschaftlicher Erfahrung. Genau das ist ja die „Unmöglichkeit des Großen Krieges“, wenn sie das Resultat einer Kombination von waffentechnischem Können, reziprok gewachsener Verletzbarkeit moderner Gesellschaften und der Rüstungsüberlegenheit marktdemokratisch verfasster Staaten ist. Klar ist aber und jedenfalls, dass einer kantianischen Deutung des genannten Faktums nichts im schlechten Sinn Idealistisches anhaftet, und zeigen lässt sich, dass sich diese Deutung ohne weiteres in jene Richtung verlängern lässt, die den Umgang mit den asymmetrischen Kriegen, den „new wars“, zum Thema macht. 51 Kaldor, 1998, S. 95. 52 Kaldor, 1998, S. 95.
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Um diesen Nachweis geht es im Weiteren: Anschließend an die Analyse der systematisch veränderten Gewaltformen in der durch Zweiteilung und gleichzeitige Technisierung gekennzeichneten Welt der Gegenwart – eine Technisierung, die der einen Welt, auch, Störanfälligkeit, der anderen Welt, auch, Chancen destruktiver Potenz einträgt – sollen die möglichen Elemente einer kantianischen Sicherheitspolitik markiert werden. Das Folgende ist im Übrigen nicht mehr als ein Résumé von Mary Kaldors Ergebnissen zum Thema; ich verweise u. a. darum so ausführlich auf sie, weil sie bereits 1998 in Umrissen erkennbar machten, was spätestens am 11. September 2001 als al Quaida weltbekannt wurde.53 5.1 New Wars Mary Kaldor betreibt ihre Gegenwartsanalyse kriegerischer Gewalt dezidiert als Analyse eines Gestaltwandels: „The nature of wars has changed“54. Im Schatten des blockierten Krieges der Großen entwickelten sich in vielen Gebieten der außereuropäischen Welt (und nach 1989 rasch auch in Teilen Europas) Konflikte, für deren Klassifikation das clausewitzsche Vokabular nicht mehr geeignet ist. Eher aus Verlegenheit denn aus klarer Notwendigkeit werden die neuen Konflikte daher als „Bürgerkriege“ aufgelistet: „Outside Europe, there were many wars in which millions of people died but they were largely considered as secondary or even as ‚limited‘ wars. The vast majority of these wars were subnational, with external powers intervening on one side or another. Despite the horrific nature of many of these wars, they were referred to as civil wars because they were internal, intrastate, as opposed to external, interstate.“55
Weil diese andere Art von blutigen Streitigkeiten ganz selbstverständlich dem herrschenden Ost/West-Gegensatz subsummiert wurde, übersah man lange Zeit ihre besondere Natur und ihre Bedeutung für die Zukunft. Kaldor betont, dass es diese Form von organisierter militärischer bzw. quasimilitärischer Gewalt ist, mit der wir vor allem konfrontiert sind und sein werden, und Kaldor bestimmt deren spezifischen Umriss unter dem Stichwort der „new wars“ in der Gegenüberstellung zu den traditionellen „clausewitzean wars“ gemäß fünf Hinsichten (vgl. Tabelle oben S. 36): Actors, goals, mode of warfare, war economy, external support. Die Stichwortskizze der Tabelle von S. 36 macht manifest, wie unwesentlich der klassische clausewitzsche Krieg längst und wie häufig der „new war“ geworden sind. Und ebenso schnell dürfte sichtbar werden, was die jeweilige Grundvoraussetzung ist, die erfüllt sein muss, damit „new wars“ ausbrechen können: nämlich das Defizit stabiler, das innenpolitische Gewaltmonopol behauptender Staatsmacht. Das wird in jeder der bezeichneten Hinsichten deutlich und so auch 53 Will man die Seite der neuen Kriegsökonomie genauer beleuchtet haben, dann ist Münkler, 2002 sehr hilfreich; besonders Kpl. 4, „Die Ökonomie der Gewalt in den neuen Kriegen“, sowie der historische Rückblick in den Kapiteln 2 und 3. 54 Kaldor, 1998, S. 96. 55 Kaldor, 1998, S. 95.
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in der letzten, die den zugleich subnationalen und transnationalen Charakter der new wars hervorhebt: „Whereas in earlier conflicts it was possible to identify outsiders in terms of foreign states, in the new wars the parties to the conflict have a range of transnational links corresponding to the range of interests engaged in the conflict. In nineteenth-century national wars, external support took the form of thifting alliances. In so far as there was outside intervention in local wars outside Europe, it could be clearly identified as colonial in nature. During the Cold War period, conflicting parties were dependent on outside patrons, either former colonial powers of superpowers. Just as the disintegration of states is central to an understanding of the new wars, so is the decline of patron states providing external support to, and a degree of external control over, the warring parties. In the new wars, external support takes a variety of forms. Firs of all, there are frequently important diaspora elements. Sometimes, the diaspora lives in neighbouring states or remnants of states and indeed has the support of neighbouring states: (…) Sometimes a diaspora, many times larger, is to be found in the melting-pot nations (…). The latter are often very influential, providing money, arms, volunteers or technology. (…) And sometimes, the diaspora consists of refugees or those who seek work abroad and who send money home to support their families. In the wars in ex-Yugoslavia, remittances from guest workers in Germany helped to finance the wars; in some cases, young men will return for short periods to fight in the army. Secondly, a key role in external support is also played by transnational commercial networks, both those that are legal and above board and those that are more shady. Many networks, mafia groups for example, may be linked to networks based on identity. In the first three decades after the end of the Second World War, the private arms trade was negligible. And indeed, those who were private arms dealers were often fronts for various intelligence services, such as the notorious Sam Cummings. As the dominant suppliers began to charge their clients commercial rates in the 1980s, the opportunities for bribes, kickbacks, siphoning off and so on grew. Nowadays, the private arms trade is still small in relation to official trade but it remains crucial in providing the small arms and light weapons that are used in the new wars.“56
Kaldors Analyse der Metamorphosen organisierter Gewalt im Zeitalter nach 1989 ist 1998 erschienen, drei Jahre vor 9/11. Die zitierten Passagen lesen sich freilich wie Beiträge zu einem Porträt von al Qaida. Al Qaidas Basen waren ein desintegriertes Afghanistan, aber auch die verstreuten Angehörigen islamistisch-fundamentalistischer Zentren in den Städten der reichen Nordwelt; al Qaidas logistischer Grundstoff, das Geld, sammelte sich und wurde verteilt in internationalen, legalen und illegalen privatwirtschaftlichen Netzwerken; al Qaidas Kriegsführung ist – als terrestrisches Überfallszenario – angelegt auf disperse, fragmentiert-unvorhersehbare Attacken, die auf öffentliche Aufmerksamkeit durch die Tötung zufälliger, doch an symbolhaften Orten sich befindlicher Zivilisten zielen, usw. Was Kaldor abstrakt-allgemein als generelle Bedingungen des „new war“ ausfindig gemacht hat, bestätigt sich also gerade im Fall jenes Ereignisses, das viele für einen eigentlichen Epochenbeginn halten. Doch inwiefern ist der 11. September überhaupt als Epochenbeginn zu identifizieren? Mit Sicherheit nicht im Hinblick 56 Kaldor, 1998, S. 101.
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auf den Anfang des nachclausewitzschen Zeitalters der „new wars“. 9/11 hat lediglich auf dramatische und brutale Weise unübersehbar gemacht, dass diese Epoche schon seit langem angebrochen war. Allerdings hat der Anschlag auf die WTCTürme zum ersten Mal nachhaltig die Grenzen zwischen den zwei Welten durchbrochen, zwischen einerseits der wohlgeordneten Welt der Technik und Ökonomie hochentwickelter Marktdemokratien und der Sphäre der instabilen, von kulturellen und sozialen Spannungen zerrissenen, nicht-westlichen Welt. 9/11 demonstriert, dass das Bild eines von einem „Limes“ beschützten „Reiches“ niemals stimmen kann.57 „Posthistorische“ und „historische“ Welt (um Fukuyamas Prädikate zu bemühen) sind voneinander abhängig und, in mancherlei Hinsicht, einander ausgeliefert; was natürlich auch heißt, dass das Unglück, die Wut, die böse, aus wirklichen und eingebildeten Demütigungen entsprechende Rachsucht ihre Opfer auch dort findet, wo sich die Menschen im Herzen des mächtigen „Reiches“ wähnen. Will man den 11. September 2001 also zum Epochendatum machen, dann steht der Tag für das Ende der Illusionen, die mit der Ideologie des Bruches, der Apartheid von demokratisch-rüstungsstarker Marktwelt und chaotischer Restwelt verbunden waren. Doch mit dieser Aussage wird lediglich ratifiziert, was schon zum Datum von 1989 gehört. Die beiden Daten bezeichnen die zwei Seiten der einen Medaille. Dass die Epoche von 9/11 unter dem gleichen Vorzeichen wie das Ende des Kalten Krieges steht, nämlich unter dem Vorzeichen der „Unführbarkeit der großen Schlacht“, ergibt sich indirekt daraus, dass 9/11 exakt das an den Tag förderte und dem sich verdankt, was diese sogenannte „Unführbarkeit“ im Rahmen umfassender clausewitzscher Kriege bewirkt hat: die hohe Vulnerabilität der reichen Nordwestzivilisationen und ihrer komplexen Infrastrukturen. Der so genannte und von Amerika besonders schmerzhaft erlittene58 „asymmetrische Krieg“, den al Qaida zu führen fähig war, ist also in doppelter Hinsicht signifikant: Zum einen indiziert er indirekt, ex negativo, die prinzipiell pazifizierenden Bedingungen der fortgeschrittenen, verletzbaren Zivilisation der Mo57 Vgl. Rufin, 1993. Rufin formulierte seine, im übrigen kritisch gemeinte, Vision schon bald nach dem Mauerfall. Und er tat es nicht ohne Argumente. Er zeigt, dass der Mythos von der einen Entwicklung der Erde (der Süden holt nach, was im Norden schon Gegenwart ist) mit guten Gründen durch eine Ideologie des Bruches ersetzt werden kann: „Der ‚Limes‘ ist zunächst die ideologische Grenze zwischen dem, was das ‚Reich‘ als zu sich gehörig anerkennt, und dem, was es als fremd ablehnt. Der Mensch hat auf dieser und auf jener Seite des ‚Limes‘ nicht denselben Preis, gehorcht nicht denselben Regeln und die Geschichte entwickelt sich nicht in derselben Richtung. Die Römer haben sich in die Logik des ‚Limes‘ hineinbegeben, ohne ihre Konsequenzen zu ermessen. Erst allmählich hat sich die Schleife um sie zusammengezogen. Am Anfang ist der ‚Limes‘ etwas Beruhigendes: Indem er der Zivilisation eine Grenze setzt, sie von der Barbarei abgrenzt, schützt er sie und ermöglicht ihre Entfaltung. Er ist ein Instrument des Fortschritts und des Friedens. Doch durch die Ungleichheit, die er heraufbeschwört und verschärft, bewirkt der ‚Limes‘ zugleich eine heftige wechselseitige Anziehung der beiden Welten, die er trennen sollte. Und schließlich führt er zur gewaltsamen Konfrontation.“ (S. 25 f.) 9/ 11 ist die empirische Bestätigung dieser Aussagen. 58 Übrigens: Es ist durchaus ein gewisser Zufall, dass im Jahre 2001 lediglich die USA Opfer zivilterroristischer Gewalt im Megamaßstab geworden sind. Geplant war ja ebenso ein islamistischer Anschlag auf den Weihnachtsmarkt vor dem Münster zu Strassburg (das ein Symbol der europäischen Einheit ist). Den zuständigen Geheimdiensten gelang es mit ziemlich viel Glück, diese Tat zu verhindern.
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derne, zum anderen ist er der direkte Ausdruck bislang misslungener Gesamtweltmodernisierung auf allen Ebenen; auf der Ebene gesellschaftlich-kultureller Liberalisierung, auf der Ebene politisch-ökonomischer Konsolidierung, auf der Ebene rechtsstaatlicher Demokratisierung. So ist der 11. September beides zugleich: Bekräftigung der weltpolitischen Nach-89er-Strukturen wie deren aktuelle Gefährdung. Die Erfahrung des 11. September 2001 widerspricht darum nicht grundsätzlich den weltbürgerlich-kantianischen Interpretationen des Zivilisationsprozesses, doch sie macht ebenso manifest, wie leicht die Strukturen dieser Kant-Welt nachhaltig zu schädigen sind, wenn es nicht gelingt, sie überall auf der Welt zu verankern. 5.2 Robust Peacekeeping Über die außerordentlichen Schwierigkeiten eines solchen Weltverbesserungsprojekts macht sich Mary Kaldor keine Illusionen. Aber sie stellt fest, dass, so wie es möglich ist, neue Muster kriegerischer Gewalt zu definieren, es ebenso möglich ist, „to identify new tendences for civility that could provide a basis for perpetual peace.“59 In der Folge notiert sie mindestens zwei fundamentale, ihre These stützende Trends: Erstens eine moralisch sensibilisierte Weltöffentlichkeit mit ihren eigenen Akteuren, den NGO’s, und zweitens die spätestens seit 1989 vielfach verstärkte Rolle und Legitimität des Völkerrechts,60 seiner Prinzipien, Normen und Institutionen und den daraus erwachsenden Aufgaben: „The number of peacekeeping operations has increased in the aftermath of the Cold War quite substantially, but even more importantly the nature of peacekeeping operations is changing in response to the new type of warfare.“61 Am Wandel dessen, was „peacekeeping“ heißen kann und darf, konstatiert Kaldor die Chancen und Schwierigkeiten einer zeitadäquaten (Macht-)Politik der Zivilität und nachhaltigen Stabilität: „Classic peacekeeping either involved the separation of warring parties after a cease-fire or intervention on one side, as in Korea. In recent years, all kinds of innovative approaches have been introduced, allbeit inadequately and ineffectively for the most part and under pressure from public-spirited media or citizens’ groups. These new approaches to peacekeeping are aimed at the protection of civilians and involve such innovations as safe havens, humanitarian corridors, international administrations, etc. Can these tendencies be developed in such a way as to reconstruct a notion of rule of law or civil society on a transnational basis? On the one hand, this would imply a transnational consensus about non-violence in which the only legitimate use of violence would be to maintain that consensus. On the other hand, it would imply an active transnational civil society, in the sense of transnational public pressure to sustain the rule of law.“62
Wo Fukuyama sich seiner Sache – der demokratischen Zivilisierung der Erde aufgrund der politanthropologischen Überlegenheit der postmodernen Staatenwelt – 59 60 61 62
Kaldor, 1998, S. 103. Vgl. dazu Anm. 34. Kaldor, 1998, S. 104. Kaldor, 1998, S. 104.
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sicher ist, bleibt Kaldor offen. Sie notiert, was nötig und möglich wäre – „the active transnational society to sustain the rule of law“ –, doch sie ist keineswegs davon überzeugt, dass diese Sicht und Praxis sich quasi naturgesetzlich durchsetzt. Was sie jedoch betont, ist der illusionäre Charakter herkömmlicher Diktatpolitik, sei es im Sinne oktroyierter Friedensregelungen, sei es im Sinne defensiver Eindämmungsstrategien: „One response to new wars is to treat these wars as Clausewitzean wars and to assume that the warring factions represent, if not states, then proto-states, and to try to negotiate and even impose a solution ‚from above‘: the argument is that stability is more important than justice. (…) The other approach is that of non-intervention. This derives from a recognition that these wars cannot be understood in Clausewitzean terms, but the implication, from a Clausewitzean perspective, is that they are therefore, ununderstandable: they are a reversion to primitivism, ancient rivalries, etc., and the best response is containment, to build a fortress against their spread. In fact, both approaches are unrealistic, precisely because of the failure to take into account the character of new wars. the first approach leads to unjust and unsustainable temporary cease-fires which undermine the legitimacy and credibility of international institutions. The warring factions are not states and cannot or do not wish to guarantee a peace. The second approach ignores the transnational character of the new wars and the impossibility of insulating states or groups of states from refugees, transnational criminals and diaspora political lobbies.“63
Der Neue Krieg kann mit den Mitteln der alten clausewitzschen Kriegsführung nicht wirklich gewonnen werden, so riesig die diesbezüglichen Potentiale auch sein mögen. Das ist – aus „europäisch-kantischer“ Perspektive – das eigentlich realistische Argument gegen Kagans Kritik. Aus aktuellem Anlass drängt sich an dieser Stelle eine Zwischenbemerkung auf. Nimmt man insbesondere die von Tony Blair vorgetragenen Argumente für die Intervention gegen das Regime Saddam Husseins im Irak ernst, dann lässt sich dieser Akt vielleicht als eine spezielle (freilich allzu hegemonial durchgesetzte) Form von robust peacekeeping oder besser: peacemaking definieren. Daraus folgt allerdings, dass die eigentliche Arbeit in der Errichtung jener demokratischen Zivilgesellschaft besteht, um derentwillen die Lizenz zur Beseitigung der alten Strukturen gefordert worden war. Wie und ob dies bewerkstelligt wird, ist die Probe aufs Exempel, die jetzt zu liefern ist. Dass das freilich genau jene transnationale und weltweite Zusammenarbeit braucht, die Kagan eher verächtlich behandelt, liegt auf der Hand. Auf dem Hintergrund dieser mehr angedeuteten, als wirklich ausgeführten Überlegungen ergibt sich der Umriss einer möglichen und keineswegs ängstlichen Politik der internationalen Ordnung, die sich Kagans „Bärenjagd“ auf differenzierte Weise entgegensetzt: Eine Politik, die transnational fundiert, an der Idee weltbürgerrechtlicher Prinzipien orientiert und an der Implementierung langfristig tragfähiger Strukturen gesellschaftlicher und politischer Natur interessiert ist.64 Das impliziert, dass sie zu Machtgebrauch fähig sein und bleiben muss. Wer 63 Kaldor, 1998, S. 105. 64 Vgl. Czempiel, 2002; sowie ders., 1999.
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„warrior politics“65 verwirft, hat darum nicht gleich einer jesuanischen Moral unbedingten Gewaltverzichts verpflichtet zu sein: „The aim of peacekeeping in new wars, sometimes called ‚robust peacekeeping‘ or ‚second-generation peacekeeping‘ is to control violence and create the conditions for ‚normalization‘. Ultimately, this means the enforcement or overseeing the enforcement of international law as opposed to monitoring an agreement between states. Precisely because these are wars directed against civilians, they do not have the same extremist logic and therefore it ought to be possible to devise strategies for the protection of civilians and the capture of war criminals. Safe havens, humanitarian corridors and no-fly zones are examples of the kinds of strategies tht would need to be developed. While it is impossible to implement such strategies effectively without engaging in violence, this does not imply full-scale war. Essentially, the new type of peacekeeping is policing but on a much larger scale. Unlike war-fighting, in which the aim is to maximize casualties on the other side and to minimize casualties on your own side, peacekeeping has to minimize casualties on all sides. This may mean risking the lives of peacekeepers in order to save the lifes of victims.“66
Robust peacekeeping als Antwort auf die Asymmetrisierung des Krieges versucht zu verhindern, dass jene sozialen Strukturen vollständig vernichtet werden, die sich einerseits der Verwandlung der Gesellschaft in die einer verselbständigten Kriegs- und Gewaltökonomie67 widersetzen, anderseits die Basis einigermaßen durchsetzungsfähiger und einigermaßen anständiger politischer Systeme bilden. Die für ein bestimmtes Territorium geltende staatliche Ordnung (wie schwach und unter manchen Aspekten kritisierbar sie auch sein mag) ist die erste Bedingung für die Kultur der Zivilität, für verhaltensstabilisierendes Recht und für die allmähliche materielle Besserstellung der Menschen, für jene Faktoren also, die insgesamt nicht schon den „ewigen Frieden“ sichern, aber (zum Beispiel) die Verwurzelungsmöglichkeiten für terroristische Netzwerke minimieren und auf diese Weise die Existenz und Operationsbedingungen für Terroristen beschränken.68 Ein – jedenfalls bislang – erfolgreiches Beispiel für diese Politik ist die militärische Mission der Europäischen Union in Mazedonien. Mit der Erwähnung dieser Unternehmung soll zugleich und noch einmal erinnert werden, dass der Begriff des robust peacekeeping eher eine Zielrichtung angibt, als dass er eine durchreflektierte Kategorie ist. Entscheidend für seine Verwendung ist jedoch eine dop65 Vgl. zu diesem Begriff: Kaplan, 2002. 66 Kaldor, 1998, S. 106-107. 67 Zu diesem Aspekt hervorragend als Zusammenfassung sehr vielfältiger Beobachtungen Münkler, 2002, v. a. Kpl. 4. 68 Münkler, 2002, S. 241. „Territorial gebundene Staatlichkeit hat, wie schwach sie auch immer sein mag, den Effekt, dass die Verletzung zwischenstaatlicher Regeln und internationalen Rechts sanktionierbar ist. Netzwerkorganisationen wie al Qaida jedoch sind mit den üblichen Sanktionen nicht zu treffen, und selbst Militärschläge der herkömmlichen Art können, wie sich in Afghanistan gezeigt hat, das Netzwerk nicht völlig zerreißen und seine Funktionsfähigkeit nicht nachhaltig beeinträchtigen. Die Strategie der Europäer im Kampf gegen den internationalen Terrorismus besteht darin, durch die Wiederherstellung von Staatlichkeit, die in innergesellschaftlichen wie in transnationalen Kriegen zerfallen ist, die Verwurzelungsmöglichkeiten für terroristische Netzwerke systematisch zu minimieren und auf diese Weise die Existenz- und Operationsbedingungen von Terroristen zu beschränken.“
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pelte Eigenschaft, nämlich die Einbindung in Vereinbarungen des internationalen Rechts, sowie die Intention auf nation building, auf Wiederherstellung oder Rettung von (gewisse Standards menschenrechtlicher Ansprüche nicht unterschreitender) Staatlichkeit. Man mag darüber streiten, ob und inwieweit robust peacekeeping und das Instrument der „Humanitären Intervention“69 unmittelbar zusammengehören, ziemlich sicher gerät man aber in Schwierigkeiten, wenn es gilt, den zweiten Golfkrieg unter diese Begriffe zu subsummieren. Die Verlängerung der im Jahre 2003 geltenden Uno-Mandate in ein Mandat zu einer umfassenden bewaffneten Aktion wäre jedoch nicht von vornherein unmöglich gewesen. Was darum dem zweiten Golfkrieg die Einordnung in die nachclausewitzschen Formen völkerrechtlich definierten und legitimierten Gewaltgebrauchs primär verwehrt, ist das von alliierter Seite reklamierte Recht auf die souveräne Freiheit zum Krieg.
6 Wer oder was ist der „Leviathan“? Kaldors „europäisches“ Plädoyer für eine von Anfang an transnational konzipierte Politik der Befriedung und Eindämmung jener Zonen und Gefahren, die der Amerikaner Kagan mit dem hobbistischen Bild des bellum omnium contra omnes schildert, ebenso wie ihre These vom Ende des clausewitzschen, von nationalstaatlichen Prämissen dominierten Krieges, all dies ist gewiss auch der Ausdruck des immensen Unterschiedes in den strategischen Möglichkeiten und politischen Machtchancen, welcher zwischen den USA und jedem europäischen Staat bzw. der EU vorhanden ist.70 Wer militärisch und wirtschaftlich so überlegen wie die USA ist, der tut sich schwer damit anzuerkennen, dass ihm die eigene militärische Stärke Sicherheit nicht zu garantieren vermag und dass umfassende Sicherheit ein Gut ist, welches er unilateral gar nicht zu begründen imstande ist. Die Einsicht, dass verlässliche Sicherheit zwischen Staaten allein dann möglich wird, wenn auch die Systeme kooperieren der geltenden politischen Ordnungen, deren Gesellschaften zivilisatorisch-kulturell schon längst verknüpft sind, – und zwar vor allem deshalb, weil der einzelne Staat, und sei er noch so groß, die Fähigkeit zur unabhängigen Problembewältigung verloren hat – diese Einsicht ist für Europäer sehr viel leichter zu akzeptieren, als sie es für die USA ist. Nicht zuletzt deswegen ist der 11. September 2001 ein Epochendatum, dessen richtige Bedeutung umstritten ist. Es ist nicht ohne Ironie, dass sich die Differenz, um die der Streit geht, am Problem der Anwendung von Hobbes’ „Leviathan“ präzisieren lässt.
69 Zum Begriff der „Humanitären Intervention“: Zanetti, 1998; Brunkhorst (Hrsg.), 1998, schließlich Gustenau (Hrsg.), 2000, Vgl. auch in diesem Band: S. 253-265. 70 Dass dies alles auch zu tun hat mit der politischen Schwäche Europas, seiner Unfähigkeit, eine ernstzunehmende (also auch militärmachtgestützte) Außen- und Sicherheitspolitik zu entwickeln, darf nicht verschwiegen werden.
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6.1 Wer ist der „Leviathan“? Für die europäische Wahrnehmung der Wirklichkeit ist mit dem Anschlag auf die „Twin Towers“, durch diese unheimlich erfolgreiche Realisierung der Spielräume zivilterroristischer Zerstörungsmacht, im Grunde nur bestätigt worden, was eben auch der Ansatzpunkt von Thomas Hobbes’ Konstruktion des „Leviathan“ ist – die Sterblichkeit aller Sterblichen, selbst die des Stärksten. Davon geht Hobbes aus: Weil im bellum omnium contra omnes niemand für sich allein die Unverletzlichkeit seiner ursprünglich legitimen Rechte der Selbstbestimmung und -erhaltung zu sichern fähig ist, müssen rationalerweise ausnahmslos alle an einer gemeinsamen, die Selbstbestimmungsfreiheit der Einzelnen einschränkenden Sanktionsgewalt interessiert sein. Nicht die Rechtfertigung des Rechts des Stärkeren ist Hobbes’ Ziel, sondern die Verbreitung der Überlegung, dass gegen den heillosen Kampf aller um das eigene Recht nur ein umfassender Konsens aus der Unsicherheit herausführt; ein Konsens, der in je individuelle Freiheitsverzichte zugunsten einer allgemein verbindlichen Instanz mündet. Übertragen auf die Auseinandersetzung mit dem Sinn von 9/11 lautet die europäische Lehre daher folgendermaßen: Weil ein international agierender Zivilterrorismus die Schwäche aller fortgeschrittenen industriegesellschaftlichen Staaten vor Augen führt, vermittelt er die allgemeine Erkenntnis, dass er im Rahmen gemeinsamer Normen, Institutionen und Anstrengungen gebändigt werden muss; Konstruktionen, die nur funktionieren, und Synthesen von Kräften, die nur bestehen bleiben, wenn ihre Basis ein wechselseitiger Verzicht auf die je eigene Handlungsfreiheit in Form vertraglicher Bindungen und supranationaler Entscheidfindungsgremien ist. Das amerikanische Fazit dagegen scheint schlicht zu lauten: Die USA sind schon die erforderliche Ordnungsmacht, der „Leviathan“, der das legitime Recht hütet und schützt.71 Und diese Einschätzung impliziert sogleich den Verzicht auf die Frage nach der für Hobbes’ Ansatz primären Begründungsbasis, die Frage nach dem alles fundierenden „Gesellschaftsvertrag“. Dabei wird vergessen, dass die Macht des „Leviathan“ nicht einfach als pure Über-Macht (superpower) zu begreifen ist. Die Macht des „Leviathan“ verdankt sich primär ihrer Legitimität: der Tatsache, dass sie, in der Form, wie sie existiert, von jenen, die ihr unterstellt sind, vernünftigerweise gewollt wird.72 Die Macht des „Le71 Vgl. zu diesem „amerikanischen“, jedenfalls die Administration Präsident Bush jr. beherrschenden Schluss: Kaplan, 2002, Warrior Politics (vgl. Anm. 65). Über die Hintergründe der zu Warrior Politics gehörenden Bereitschaft präventif zu führende „Weltordnungskriege“ gegen „Schurkenstaaten“, Terroristennetze und mögliche weltpolitische Rivalen zu beginnen, vgl.: Harald Müller, 2003. Dass die amerikanische Gesellschaft freilich nicht allein von der Ideologie des American Enterprise Institute bestimmt ist, belegt u. a. eindrücklich: Nye, 2002. 72 Man mag ohne weiteres zugestehen, dass die Idee des Gesellschaftsvertrages bei Hobbes (wie auch bei Kant) nie auf einen ausdrücklichen, realen Akt zielte, sondern immer die Kurzformel war für das Gerechtigkeitskriterium allseitiger Zustimmungsfähigkeit der Betroffenen. Das bestätigt aber nur die Tatsache, dass für Hobbes die Legitimität der Ordnungsmacht an eine bestimmte Voraussetzung gebunden ist, nämlich an die kollektiv teilbare und geteilte Einsicht derjenigen, die dieser Macht unterworfen sind. Wer aber mit dem „Argument der Bärenjagd“ operiert, also mit den Unterschieden in den Machtpotentialen, denunziert diese Einsicht als Ideologie von Schwächlingen.
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viathan“ entspringt nicht lediglich der vorhandenen Überlegenheit dessen, der die Rolle des Souveräns beansprucht, sondern sie wächst zuallererst aus dem rationalen Willen derjeniger, die sich selber und gegenseitig als „sterblich“, d. h. als aufeinander angewiesen erkannt und anerkannt haben.73 Nur dadurch werden die im anfänglichen bellum omnium contra omnes gegebenen Gewaltverhältnisse zwischen den Subjekten in Rechtsbeziehungen verwandelt. Hobbes propagiert niemals das Recht des Stärkeren, sondern die Notwendigkeit sanktionsfähiger Rechtsinstitutionen. Exkurs II: Völkerbund, nicht Weltstaat Auf dem Feld der internationalen Politik ist der „Leviathan“ ohnehin nicht die beste Gedankenfigur für die Vergegenwärtigung der geeigneten supranationalen Ordnungsstruktur. Auch in diesem Punkt ist die kantische Überlegung nüchtern und wirklichkeitsnah. Eine Pointe des Entwurfs zum „ewigen Frieden“ ist nämlich die klare Absage an jede Form von eigentlicher Weltstaatlichkeit. Oder etwas aktueller formuliert: Das Postulat der Aufhebung des internationalen zwischenstaatlichen Unfriedenszustandes soll nicht durch einen die anderen überragenden Hegemon erreicht werden. Kants Schrift fixiert einen gemeinsamen Grundvertrag und die vernunftrechtliche Idee, die die fundamentalen Bedingungen enthält, die ein dauerhaft geregeltes Miteinander der Staaten ermöglichen. Das zielt auf die prinzipielle Transformation der Beziehungen zwischen den involvierten Subjekten; statt Nichtkrieg durch reziproke Abschreckung soll Frieden durch gegenseitige normative Bindung und „rule of law“ entstehen.74 Und das Ergebnis solcher Weltverfassung ist ein „Föderalismus“ freier Staaten, von republikanisch-demokratischer Form; ein „Völkerbund“ also, der den Einzelstaat nicht prinzipiell seiner rechtlichen Souveränität beraubt, obwohl er ihn in ein sowohl normativ wie faktisch-organisationell wirksames Geflecht von Verpflichtungen und Absprachen einbindet. Kants Option für einen „Völkerbund“ und gegen den Weltstaat ist neuerdings stark kritisiert worden.75 Ich glaube allerdings, dass die kantisch-föderale Form der internationalen Rechtswirklichkeit nach wie vor die besseren Argumente auf ihrer Seite hat. Dazu im Folgenden ein knapper Hinweis:76 Im „Ersten Zusatz“ der Schrift „Zum ewigen Frieden“ heißt es: „Die Idee des Völkerrechts setzt die Absonderung vieler voneinander unabhängiger benachbarter Staaten voraus, und, obgleich ein solcher Zustand an sich schon ein Zustand des 73 Gewiss, Hobbes konzipiert den Inhaber der Souveränität im „Leviathan“ als eine höchste Autorität, die sich vor denen, die sie eingesetzt haben, in keiner Weise mehr rechtfertigen muss. Verbindlich ist, was die Autorität als solches setzt – und in diesem Sinne gilt auctoritas non veritas facit legem. Aber auch der „Leviathan“ ist ein „sterblicher Gott“. Das besagt, dass sich der Souverän des „Leviathan“ um die faktische Akzeptanz seiner Eingriffe und Befehle sehr wohl zu kümmern hat. Denn dass es im Interesse eines jeden liegt, dem Souverän zu gehorchen, statt den Aufstand gegen ihn zu wagen, kann mit dem Argument „Besser irgendeine Ordnung als gar keine“ demjenigen nicht mehr einleuchtend gemacht werden, der sich vom Souverän systematisch benachteiligt weiß. Für diesen ist „Leviathan“ dann nichts anderes als der Name eines gewöhnlichen Diktators und Tyrannen, den er mit allen Mitteln, die ihm möglich sind, bekämpft. 74 Vgl. dazu z. B. Wolfgang Kersting, „Weltfrieden und demokratische Vernunft. Vor 200 Jahren erschien Immanuel Kants Abhandlung ‚Zum ewigen Frieden‘“, in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 227, 30.09./01.10.1995, S. 69. 75 Vgl. dazu v. a.: Höffe, 1999. 76 Ausführlicher in: Kohler, 2002.
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Krieges ist (wenn nicht eine föderative Vereinigung derselben dem Ausbruch der Feindseligkeiten vorbeugt): So ist doch selbst dieser, nach der Vernunftidee, besser als die Zusammenschmelzung derselben, durch eine die andere (Macht) überwachsende, und in eine Universalmonarchie übergehende Macht; weil die Gesetze mit dem vergrösserten Umfange der Regierung immer wieder an ihrem Nachdruck einbüssen, und ein seelenloser despotism, nachdem er die Keime des Guten ausgerottet hat, zuletzt doch in Anarchie verfällt.“77
Der Welt-, also der „Allergrößt“-Staat fände also – sogar dann, wenn er zunächst ohne Gewalt tätig wäre – nur ungenügenden Anschluss an die basispolitischen Bereitschaften der Bürger bzw. der Angehörigen der politischen Einheit, die er selber darstellt. Er kann, nach Kant, kaum auf jene Eigenschaften der Loyalität, des freiwilligen Gehorsams, der einsichtigen Rechtstreue setzen, die erst so etwas wie gesellschaftliche Stabilität ermöglichen. Fällt das Moment zustimmender und bürgertreuer Identifikation mit der geltenden Gesetzesordnung aber aus, dann muss es durch Zwang kompensiert werden, ein Mittel, das unweigerlich zum Widerstand, zur Verweigerung und zur Rückkehr des bellum omnium führt. Und das vollzieht sich so, meint Kant, weil die schiere Größe der zu regulierenden Einheit entweder zu hochabstrakten oder zu überkomplexen oder zu unsachgemäßen, immer jedenfalls zu schlecht akzeptierten Gesetzen tendiert (in Kants Worten: „Zur Seelenlosigkeit, die die Keime des Guten ausrottet“). Das ist der Fall schon beim friedlich errichteten Weltstaat; erst recht gilt es für die hegemonial durchgesetzte Weltstaatslösung.78
77 Kant, AA, VIII, S. 367, Z. 8 ff. 78 In „Völkerbund oder Weltrepublik“, dem einschlägigen Kapitel im Sammelband „Königliche Völker“ (vgl. Anm. 7), akzeptiert Höffe diese Überlegungen; freilich mit der Einschränkung, dass sie eben lediglich für die „Universalmonarchie“ oder, nach Höffes eigener Klassifikation, für den „homogenen Weltstaat“ gelten würden, der in Wahrheit aber nichts anderes sei als eine „totalitäre Diktatur“. Außerdem – so Höffe in mündlicher Diskussion – müsse bezüglich des Arguments bürgertreuer Identifikation im Fall von Großstaaten bedacht werden, dass zu Kants Zeiten andere Verhältnisse als heute herrschten. Um 1800 wären Bevölkerungszahlen und Territoriumsausmaße wie diejenigen der gegenwärtigen USA nicht weniger utopisch und gefährlich erschienen als der Weltstaat in unseren Tagen. Die als „minimaler Weltstaat“ entworfene „Weltrepublik“ sei mithin von derartigen Einwänden nicht betroffen. Dazu zwei Repliken: Erstens spricht Kant natürlich nirgends in Höffes Sinn von drei Weltstaatskonzeptionen (1.: homogener Weltstaat = totalitäre Diktatur, 2.: minimaler Weltstaat = Höffes „Weltrepublik“, 3.: ultraminimaler Weltstaat = Kants Völkerbund), sondern primär immer von der Kontraposition „Völkerbund“ vs „Weltstaat“, welcher sekundär, je nach Kontext, als „Völkerstaat“ bzw. „Weltrepublik“ bzw. „Universalmonarchie“ (= „eine die andere überwachsende“, d. h. hegemoniale „Macht“) angesprochen wird. Zwar unterscheidet also der kantische Text auffällig deutlich zwischen der im Prinzip vernünftigen „Weltrepublik“ und der totalitär-selbstzerstörerischen „Universalmonarchie“. Entscheidend bleibt aber im kantischen Zusammenhang in allen Fällen der eigentliche Weltstaatscharakter: Bezüglich der „Weltrepublik“ sorgt er dafür, dass es den Völkern vernünftigerweise erlaubt sein muss, sie nicht zu wollen; bei der „Universalmonarchie“ gebietet er geradezu die vernünftige Ablehnung. Zweitens besteht der Kern des Arguments, das auf die nötige Kohärenz zwischen staatlich-obrigkeitlicher Regierungsprätention und bürgerschaftlicher Folgebereitschaft hinweist, nicht im Ziehen einer quantitativen Grenze, sondern in der generellen und systematischen Reflexion auf die Abhängigkeit allen Regierungshandelns von der Loyalität der betroffenen Bevölkerung. Wo qualitative kollektivgeschichtliche Erfahrungen und der entsprechende „Gemeinwille“ der Regierten fehlen, dort also, wo kein Legitimitätsglaube „von unten“ das Handeln „von oben“ akzeptiert, da wird jedes Regieren – und sei es noch so vernünftig gemeint – „immer wieder an Nachdruck einbüßen, und (…) zuletzt doch in Anarchie“ enden. Vgl. dazu auch: Cheneval, 1997.
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Anders würde es sich jedoch dann verhalten, wenn ein quasi-weltstaatliches Regime im Lauf der Menschheitsevolution gewissermaßen von selber entstanden wäre; als historisch-soziales Ergebnis zivilisatorischer Lernvorgänge; als Resultat einer Erziehung des Menschengeschlechtes durch die Dialektik von Absichten und Handlungserfahrungen, die sich aus den Anlagen der Gattung und der Beschaffenheit der Welt ergeben. Der Weltstaat würde im Wesentlichen bloss auf der vernünftig-freiwilligen Anerkennung seiner Nützlichkeit beruhen, aber – und das ist hier der grundlegende Unterschied – er würde darum selber auch gar kein Instrument mehr zur Überwindung des interstaatlichen Naturzustandes sein, sondern er wäre nichts als das endgültige Siegel auf dessen geschichtlich-gesellschaftliche Vergangenheit. So gesehen würde dann auch die Differenz zwischen Weltstaat und Weltföderation – die Differenz zwischen dem Bund von selbständigsouverän gebliebenen Einheiten und der politischen Einheit mit zentralisiert-unikem Souveränitätsrecht – weitgehend eingeebnet sein. Insofern nämlich, als dass der Inhalt der Föderationspolitik wie derjenige der Weltstaatsregierung denselben Rationalprinzipien entspringen müsste: den Prinzipien vernünftiger Substitution von Gewalt durch Recht und von kriegerischer Konfliktaustragung durch rechtsförmige Prozeduren. Wenn Kant (im „Ersten Zusatz“ der Friedensschrift) „Von der Garantie des ewigen Friedens“ spricht, dann scheint er eben diese Koinzidenz zu intendieren – als Folge der Fügungen der „grosse(n) Künstlerin Natur (natura daedala rerum), aus deren mechanischem Laufe sichtbarlich Zweckmässigkeit hervorleuchtet, durch die Zwietracht der Menschen Eintracht selbst wider ihren Willen emporkommen zu lassen.“79 Zusammengefasst: Der Weltstaat ist als „Überwinder“ des internationalen Naturzustandes immer ungeeignet; ist er aber das „Siegel“ eines evolutionären Prozesses, dann ist die Differenz zwischen ihm und dem von Kant vorgeschlagenen Völkerbund ohnehin hinfällig geworden.
Kagans Plädoyer für die – spätestens nach dem 11. September 2001 – neu zu begründende Rolle der USA als legitime Ordnungshüterin der Weltgesellschaft krankt an seiner durchgängigen Missachtung all jener – seien es normative, seien es pragmatische – Faktoren, die seinen bzw. Amerikas Hegemonialismus bremsen könnten. Normativ betrachtet bildet die Annahme der selbstverständlichen Legitimität einer einseitig amerikanischen Ausübung des ius ad bellum das eigentliche, aber unreflektierte Fundament all dieser Überlegungen. Was daher vor allem anderen nicht gewollt wird, ist die Rückbindung der als uneingeschränkt vorausgesetzten Souveränität der Supermacht Amerika an eine supranationale Institution. Hier liegt vermutlich der für die Zukunft entscheidende Gegenstand des Streits zwischen Kant und Kagan. Zunächst ist dieser Streit durch die machtpolitisch betrachtet lediglich zweitrangige, normative (und also „idealistische“) Frage gekennzeichnet, ob es legitim ist, dass die unbestreitbar supermächtigen Vereinigten Staaten für sich letztlich uneingeschränkte Souveränität reklamieren, also auch die Souveränität, denjenigen (in „präventiver Verteidigung“) den Krieg zu erklären, die sie für ihre Feinde halten. Zweitens aber ist ebenso die – machtpolitisch allerdings bedeutsame – Frage im 79 Kant, AA, VIII, S. 360, Z. 13 ff.
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Spiel, ob, unter den Bedingungen der Gegenwart, nicht am Ende auch die supermächtigen USA zur faktisch-pragmatischen Anerkennung der Tatsache gezwungen sein werden, dass hegemonialistische Projekte am vielfältigen Widerstand der „Restwelt“ scheitern müssen. 6.2 Das Legitimitätsproblem Setzt man für einen Augenblick das geltende Völkerrecht beiseite, das ein eigentliches ius ad bellum einem Einzelstaat, und sei er noch so überlegen, nicht mehr zugesteht. Das Völkerrecht ist ja immer (auch) ein Spiegel faktischer Machtlagen gewesen und deshalb lässt sich die völkerrechtliche Ächtung des Krieges nach 1945 und bis 2001 jedenfalls als Reflex des „Gleichgewichts des Schreckens“, als Ausdruck der Symmetrie gegebener Machtpotentiale und mehr oder weniger gleichmäßig verteilter Hinfälligkeit und Verwundbarkeiten, verstehen; als Resultat also derselben Faktoren, die das Ende des Großen Krieges verursacht haben. Die spätestens mit 9/11 überwältigend deutlich gewordene Asymmetrie der „new wars“ gefährdet demnach nicht nur den Aufbau und Erhalt (partikular)staatlicher Strukturen, sie eröffnet zugleich den wirklich Starken (wieder) die Chance – wie im Gedankenexperiment des „Naturzustandes“ –, letzter Richter in eigener Sache sein zu können, d. h. autonom und souverän zu erklären, was das jeweils (für sie) Richtige ist (und beispielsweise gegen den, den man für seinen Feind hält, einen Krieg zu beginnen). Da das aber nur für solche Staaten gilt, die über die entsprechenden Potentiale verfügen, sind – so deren Argumentation in eigener Sache – alle Ideen, die auf die Limitierung der Souveränität des (der) Starken zielen, nichts als lediglich die Verschleierung von Unvermögen; das Sophisma der Schwächeren und Schwachen. Der Entwurf zum „ewigen Frieden“, die Artikel der UNO-Charta, das Völkerrecht der Gegenwart: ein Produkt von „Sklavenmoral“ also, um es nietzscheanisch zu sagen. Was ist die kantische Replik auf die These der (neu gewonnenen bzw. immer gültig gewesenen) Legitimität des Rechts der Starken? Um die im „ewigen Frieden“ gegebene Antwort zu verstehen, muss man zwei Ebenen unterscheiden: die primäre Ebene der vernunftrechtlichen, d. h. prinzipiellen Negation des Rechts des Stärkeren als eines genuinen Rechtes, und die sekundäre Ebene der „Misshelligkeit zwischen der Moral und der Politik in Absicht auf den ewigen Frieden“, wie es im „Anhang“ zu den „Definitivartikeln“ heißt. Auf der ersten Ebene begründet Kant das, was vernünftigerweise gesollt ist. Auf der zweiten zeigt er, dass die sogenannte „Natur des Menschen“ (bzw. des Staates), die von – sich selber als „Realisten“ bezeichnenden – Gegnern der vernunftrechtlichen Ächtung des Naturzustandes (in welchem jeder sein letzter Richter sein darf und sein muss) geltend gemacht wird, weil sie – angeblich – verunmöglicht, vernunftrechtlich-moralische Forderungen für etwas anderes als für wirklichkeitsfremde Postulate von „Idealisten“ zu halten, keine überzeugende Rechtfertigung für die Aufhebung der auf der ersten Ebene festgestellten Forderungen zu liefern vermag. Aus beiden Überlegungsketten folgt, dass im Namen der „Natur des Menschen“ (bzw. der des Staates) die Unaufhebbarkeit des „Naturzustandes“ und damit die des Rechts des Stärkeren gerade nicht zu begründen sind.
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Das entscheidende Postulat aller Rechtsvernunft lautet: „Exeundum est e statu naturali“. Denn der Vernunftbegriff des Rechts als der „Inbegriff der Vereinbarkeit der Freiheit des einen mit derjenigen aller andern nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit“80 ist im „Naturzustand“ eo ipso nicht verwirklicht und kann also nur dort gegeben sein, wo „irgendeine bürgerliche Verfassung“ unter den Menschen81 erreicht worden ist. Nach einer solchen zu streben ist darum Pflicht für jeden und jede, die als menschliche Wesen mit freier Vernunft begabt sind. Diese prinzipielle Überlegung wird im Entwurf zum „ewigen Frieden“ nur noch zitiert, nämlich in der Anmerkung zum Anfang des „Zweiten Abschnittes“;82 ausführlich entwickelt und dargestellt wird sie in den rechts- und staatsphilosophischen Basiswerken.83 Weil Kant die vernunftrechtliche Argumentation als gegeben voraussetzt, kommt er in der Friedensschrift – und zwar in „I.“ des „Anhanges“ lediglich auf den sekundär erhobenen Einwand zu sprechen, wonach der welterfahrene „Praktiker“ „aus der Natur des Menschen vorherzusehen vorgibt, er (der Mensch) werde dasjenige nie wollen, was erfordert wird, um jenen zum ewigen Frieden hineinführenden Zweck zu Stande zu bringen.“84 Und nachdem Kant das, was vom einzelnen Menschen gesagt wird, auf die kollektive Willenseinheit des Einzelstaates übertragen hat, lässt er den Praktiker (oder „Realisten“) in folgender Weise weiter dozieren: „Ein Staat, der einmal im Besitz ist, unter keinen äusseren Gesetzen zu stehen, wird sich in Ansehung der Art, wie er gegen andere Staaten sein Recht suchen soll, nicht von ihrem Richterstuhl abhängig machen, und selbst ein Weltteil, wenn er sich einem andern, der ihm übrigens nicht im Wege ist, überlegen fühlt, wird das Mittel der Verstärkung seiner Macht, durch Beraubung oder gar Beherrschung desselben, nicht unbenutzt lassen.“85
Und im unmittelbaren Anschluss an diese Prognose macht der „Realist“ die für ihn ausschlaggebende Behauptung, in deren Konsequenz die Restitution des – nun eben – „legitimen“ Recht des Stärkeren liegen soll: „So zerrinnen nun alle Plane der Theorie, für das Staats-, Völker- und Weltbürgerrecht in sachleere unausführbare Ideale, dagegen eine Praxis, die auf empirische Prinzipien der menschlichen Natur gegründet ist, welche es nicht für zu niedrig hält, aus der Art, wie es in der Welt zugeht, Belehrung für ihre Maximen zu ziehen, einen sicheren Grund für ihr Gebäude der Staatsklugheit zu finden allein hoffen könne.“86 80 „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ So lautet die Definition in der „Metaphysik der Sitten“ (Einleitung in die Rechtslehre, § B, 6). Im „Gemeinspruch“-Aufsatz lautet die Definition folgendermaßen: „Recht ist die Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, insofern diese nach einem allgemeinen Gesetze möglich ist.“ 81 In der Anmerkung am Anfang des „Zweiten Abschnittes“ (des Entwurfs zum „ewigen Frieden“), „welcher die Definitivartikel (…) enthält“, heißt es ausdrücklich: „(…) das Postulat also, was allen folgenden Artikeln zum Grunde liegt, ist: Alle Menschen, die auf einander wechselseitig einfließen können, müssen zu irgendeiner bürgerlichen Verfassung gehören.“ 82 Vgl. Anm. 81. 83 Vor allem in der „Rechtslehre“ der „Metaphysik der Sitten“; vgl. aber ebenso „Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nichts für die Praxis“, Kant, AA, VIII. 84 Kant, AA, VIII, S. 371, Z. 1 ff. 85 Kant, AA, VIII, S. 371, Z. 25 ff. 86 Kant, AA, VIII, S. 371, Z. 31 ff.
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Nun hat Kant bereits am Beginn des „Anhang I.“ darauf hingewiesen, dass aus der stets möglichen Defizienz der menschlichen Willenskraft kein zwingender Grund gegen moralisch-vernunftrechtliche Forderungen zu gewinnen ist. Zweifellos: Was gesollt ist, das kann verfehlt werden; doch das bedeutet weder, dass es schlechthin unmöglich ist, das Gesollte zu erreichen, noch dass das Gesollte nicht weiterhin verbindlich und leitende Forderung bleibt.87 Die Bedingung des Sollens ist die menschliche (vernünftige) Freiheit, und sie zu leugnen, hält die ganze praktische Philosophie Kants für offen selbstwidersprüchlich. Wer überhaupt zu rechtsmoralisch vernünftiger Reflexion auf das eigene Handeln fähig ist, der ist zugleich in der Lage, sich in der geforderten Weise zu entscheiden und zu verhalten, also das rechtsmoralisch Richtige zu verfolgen und das Falsche zu vermeiden. Daran knüpft der auf den „Realisten“ entgegnende Satz an, indem er sarkastisch bei der selbstwidersprüchlichen Leugnung der vernünftigen Freiheit anfängt: „Wenn es keine Freiheit und darauf gegründetes moralisches Gesetz gibt, sondern alles, was geschieht oder geschehen kann, blosser Mechanism der Natur ist, so ist Politik (als Kunst, diesen zur Regierung der Menschen zu benutzen) die ganze praktische Weisheit, und der Rechtsbegriff ein sachleerer Gedanke.“88
Da man aber allemal gezwungen ist, zuzugeben, dass, was wir sollen, wir – prinzipiell gesehen – können, sind die normativen Forderungen der Rechtsmoral von den Aufgaben der Politik nicht grundsätzlich auszuschließen. Was zur Konsequenz hat, dass die „Vereinbarkeit beider“ – die Vereinbarkeit von Moral und Politik – nicht länger bestritten werden darf. Wenn jedoch Vereinbarkeit möglich und Vereinigung als Auftrag vorgegeben sind, dann heißt das zum ersten, dass „wahrhaft weltkluge“ Politik keineswegs unmoralisch sein muss, und es heißt umgekehrt, dass moralische Politik nicht eo ipso weltfern zu sein braucht. Ohnehin stehen sich selbst unter deskriptiv-analytischen Gesichtspunkten Norm und Wirklichkeit nicht getrennt und undurchdringlich gegenüber, denn die Realität kommt der Moral ja durchaus auch entgegen; der Norm gemäß handeln zu sollen hat, empirisch betrachtet, noch nie bedeutet, notwendigerweise scheitern zu müssen. Man benötigt als moralischer Politiker also weder eine neue Welt noch einen neuen Menschen. Es genügt – und es ist möglich – das Gegebene zu reformieren. Die von Kant im „Ersten Zusatz“ so genannte „Garantie des ewigen Friedens“ durch die ungesellig-gesellige Natur des Menschen unterstützt die moralisch87 Vgl. zum Folgenden der Aussage Kants: „Die Moral ist schon an sich selbst eine Praxis in objektiver Bedeutung, als Inbegriff von unbedingt gebietenden Gesetzen, nach denen wir handeln sollen, und es ist offenbare Ungereimtheit, nachdem man diesem Pflichtbegriff seine Autorität zugestanden hat, noch sagen zu wollen, dass man es doch nicht könne. Denn alsdann fällt dieser Begriff aus der Moral von selbst weg (ultra posse nemo obligatur); mithin kann es keinen Streit der Politik als ausübender Rechtslehre mit der Moral als einer solchen, aber theoretischen (mithin keinen Streit der Praxis mit der Theorie) geben: man müsste denn unter der letzteren eine allgemeine Klugheitslehre, d. i. eine Theorie der Maximen verstehen, zu seinen auf Vortheil berechneten Absichten die tauglichsten Mittel zu wählen, d. i. läugnen, dass es überhaupt eine Moral gebe.“ Kant, AA, VIII, S. 370, Z. 5 ff. 88 Kant, AA, VIII, S. 372, Z. 1 ff; der besseren Lesbarkeit wegen sind in diesem Zitat die Auslassungen nicht markiert.
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praktische Anstrengung rechtsvernunftgemäß orientierter Reformpolitik. Das ist klar und nicht weiter erläuterungsbedürftig (vgl. Punkt 2.2.). Im Kontext der Widerlegung des „Realisten“ ist vor allem der zweite Aspekt der kantischen Geschichtstheorie bedeutsam; sie untergräbt nämlich das Fundament ungehemmt anti-idealistischer Argumentation, die mit der angeblich naturbedingten Unverrückbarkeit jener Situation operiert, in der das Recht des Stärkeren als legitim erscheint. Denn der „Realist“ entpuppt sich dann, wenn das Besserwerden der Gesellschaft in Hinsicht auf das vernunftrechtlich Nötige möglich und der menschlichen Natur konform ist, nicht bloß als realitätswidriger Pessimist; er wird darüber hinaus als eigentlicher und aktiver Gegner der entsprechenden Entwicklung kenntlich. So verliert er den Anschein moralischer Neutralität und gerät ins Zwielicht selbstbezogener Interessenpolitik. Was er den Idealisten vorwirft – pro domo zu reden – richtet sich nun gegen ihn selber. Um das zu demonstrieren, führt Kant, im Gegenzug zum „moralischen Politiker“ den „politischen Moralisten“ (bzw. den „moralisierenden Politiker“) ein: „Ich kann mir nun zwar einen moralischen Politiker, d. i. einen, der die Prinzipien der Staatsklugheit so nimmt, dass sie mit der Moral zusammen bestehen können, aber nicht einen politischen Moralisten denken, der sich eine Moral so schmiedet, wie es der Vorteil des Staatsmannes sich zuträglich findet.“89
Der „moralische Politiker“ hingegen ist kein wirklichkeitsflüchtiger Utopist, und darum weder ein Revolutionär noch ein nachlässiger Anpasser, sondern ein geduldiger Reformer: „Der moralische Politiker wird es sich zum Grundsatz machen: wenn einmal Gebrechen in der Staatsverfassung oder im Staatenverhältnis angetroffen werden, die man nicht hat verhüten können, so sei es Pflicht, vornehmlich für Staatsoberhäupter, dahin bedacht zu sein, wie sie, sobald wie möglich, gebessert, und dem Naturrecht, so wie es in der Idee der Vernunft und zum Muster vor Augen steht, angemessen gemacht werden könne: Sollte es auch ihrer Selbstsucht Aufopferung kosten. Da nun die Zerreissung eines Bandes der staats- oder weltbürgerlichen Vereinigung, ehe noch eine bessere Verfassung an die Stelle derselben zu treten in Bereitschaft ist, aller, hierin mit der Moral einhelligen, Staatsklugheit zuwider ist, so wäre es zwar ungereimt, zu fordern, jenes Gebrechen müsse sofort und mit Ungestüm abgeändert werden; aber dass wenigestens die Maxime der Notwendigkeit einer solchen Abänderung dem Machthabenden innigst beiwohne, um in beständiger Annäherung zu dem Zwecke (der nach Rechtsgesetzen besten Verfassung) zu bleiben, das kann doch von ihm gefordert werden.“90
Im Unterschied zum „moralischen Politiker“, der Realität und Normativität verbindet, indem er die „Garantie der Natur“ zum allmählichen Fortschritt zu nutzen weiß, ist der „politische Moralist“ ein im Kern unmoralischer Opportunist, der immer wieder die reale Möglichkeit des moralisch Notwendigen seinen eigenen Zielen opfert – behauptend, es gehe – angesichts der gegebenen Natur des Menschen – nun eben nicht anders. Dadurch blockiert er, was tatsächlich real werden könnte: „Die moralisierenden Politiker (verunmöglichen), unter dem Vorwand 89 Kant, AA, VIII, S. 372, Z. 8 ff. 90 Kant, AA, VIII, S. 372, Z. 13 ff.
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einer des Guten nicht fähigen menschlichen Natur das Besserwerden und (verewigen) die Rechtsverletzung.“91 Wer das Besserwerden der Gesellschaft und der Gemeinschaft der Staaten hintertreibt, wer die mögliche Verwirklichung des normativ Gebotenen und Richtigen von vornherein mithilfe der bellizistischen Voraussetzung eines ewig-unaufhörlich andauernden „Naturzustandes“ durchkreuzt, der ist eher ein Verführer als ein realistischer Pragmatiker. Er verdient nicht Respekt, aber die Denunziation der eigenen Illegitimität.92 Kants Auseinandersetzung mit der Begründung eines „natürlichen Rechts des Stärkeren“ im Abschnitt „Über die Misshelligkeit zwischen der Moral und der Politik in Absicht auf den ewigen Frieden“ dreht das nietzscheanische Theorem, wonach allein die Schwachen das „Recht der Stärkeren“ als Recht bestreiten, um und zeigt, dass eine moralisch neutrale, sozusagen wissenschaftlich-anthropologische Begründung für die behauptete Legitimität einer bellizistischen „Politik des Naturzustandes“ nicht zu verteidigen ist. Weder aus der Geschichte noch aus dem menschlichen Wesen ist sie abzuleiten. Demgegenüber wird auf dem Hintergrund der in der „Metaphysik der Sitten“ ausgeführten normativen Philosophie des Rechts und des Staates die kantische Theorie menschenmöglichen Fortschritts zur Grundlage schärfster Kritik der These, die ein souveränes Recht zum Krieg als legitimes Mittel von Politik statuiert. Wer – wie in Kagans Perspektive die „Europäer“ – Krieg durch ein System von Verträgen und durch die Verpflichtung auf ein Weltverfassungsrecht einzudämmen, ja möglichst zu eliminieren sucht und den Umgang mit kriegerischer Gewalt durch Institutionen gemeinsamer Gegengewalt regeln will, verficht darum nicht lediglich eine vielleicht ehrenwerte, aber leider realitätsblinde Position, sondern die im Grunde einzig gerechte Praxis auf dem Feld der internationalen Politik. Was Kant lehrt, ist eindeutig: Selbst für die Supermacht USA darf es ein im Namen eigener Stärke und zum Schutz eigener Interessen, jenseits von Notwehr und elementarer Selbstverteidigung ausgeübtes Recht auf Feindbestimmung und Kriegsführung nicht geben. 6.3 Der pragmatische Aspekt In einem, kurz nach dem Anfang des zweiten Golfkrieges in der „Zeit“ veröffentlichten Artikel93 schließt Martin van Creveld mit einer Beurteilung dieses Feldzu91 Kant, AA, VIII, S. 373, Z. 12 ff; der besseren Lesbarkeit wegen sind in diesem Zitat die Auslassungen nicht markiert. 92 Zum Zweck seiner Kritik jeder bellizistisch-antiidealistischen Politik formuliert Kant am Ende des „Anhangs I“ drei böse Maximen, die die Verwerflichkeit und Nichtlegitimierbarkeit dieser Politik markieren sollen. Als Exempel sei die zweite Maxime zitiert: „Si fecisti nega: ‚Was du selbst verbrochen hast, z. B. um dein Volk zur Verzweiflung und so zum Aufruhr zu bringen, das läugne ab, dass es deine Schuld sei; sondern behaupte, dass es die der Widerspenstigkeit der Unterthanen oder auch bei deiner Bemächtigung eines benachbarten Volks die Schuld der Natur des Menschen sei, der, wenn er dem Anderen nicht mit Gewalt zuvorkommt, sicher darauf rechnen kann, dass dieser ihm zuvorkommen und sich seiner bemächtigen werde‘“. Kant, AA, VIII, S. 374-75, Z. 33 ff. 93 In: „Die Zeit“, Nr. 14, 27.03.03, S. 47.
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ges, die auch nach dem militärischen Erfolg gegen den Irak Saddams einen guten Teil ihrer Aktualität bewahrt hat: „Wir sind zu Beginn (des Aufsatzes, G. K.) von einem kurzen, heftigen, siegreichen Krieg ausgegangen. Sollte im Anschluss daran eine irakische Regierung eingerichtet werden, die für das eigene Volk akzeptabel ist, sollte ein Wiederaufbau gelingen und ein Rückzug der US-Truppen erfolgen, dann könnten die meisten der (oben erwähnten, G. K.) Probleme verhindert werden. Ein Scheitern könnte aber Gefahren heraufbeschwören, die grösser sind als alle Gefahren, mit denen es die internationale Gemeinschaft seit 1945 zu tun hatte. (…) Man kann nicht wissen, wohin das Ganze führen wird. Alles, was man mit Gewissheit sagen kann, ist, dass Präsident Bush und seine Berater ein ausserordentlich risikoreiches Wagnis eingegangen sind.“
Wie immer man über die Legitimität der amerikanisch-britischen Kampagne im Frühling 2003 befinden mag (von der Frage der völkerrechtlichen Legalität ganz zu schweigen), sie ist, auch unter pragmatisch-machtpolitischen Blickwinkeln betrachtet, eine Wette mit hohem Einsatz. Misslingt die mit diesem Krieg versprochene, immer wieder als „demokratisch“ qualifizierte Neuordnung des Landes und des ganzen Nahen Ostens, dann wird nicht nur die Spannung zwischen der islamischen Welt und dem immer noch so genannten „Westen“ (mithin auch die Bedrohung durch den zivilterroristisch agierenden Islamismus) zunehmen, ebenso einschneidend werden die Konsequenzen für das Ansehen und die in jedem Handlungszusammenhang wichtige Glaubwürdigkeit der USA sein. Hinterlassen die Sieger von Bagdad und Basra Chaos und ruinierte Infrastrukturen oder auch nur eines (oder mehrere) der üblichen arabischen Diktaturregimes, dann ist die Probe aufs Exempel, als welche man diesen, von der Bush-Administration unbedingt gewollten Krieg begreifen kann, missraten. Und zwar auch nach denjenigen Maßstäben, die die amerikanische Regierung als die für sie verbindlichen definiert hat. In der Konsequenz solchen Scheiterns müsste eine andere Strategie gesucht und formuliert werden. Gelingt allerdings die Befriedung des Irak und würde damit „ein Fenster geöffnet“ zugunsten der politisch-demokratischen Entwicklung des Vorderen Orient, wäre anderseits eine so starke normativlegitimatorische Rechtfertigung des „Kriegs gegen Saddam“ möglich und denkbar geworden, dass auch auf der Ebene völkerrechtlicher Legalitätsbestimmungen Revisionen ins Auge gefasst werden dürften. Kantisch gesagt: Kagans Konzeption (nicht die der uneingeschränkten Souveränität der USA, aber die) der bellizistisch gestützten Welt in Richtung auf die Durchsetzung „republikanischer Verfassungen“94 ist dann nicht mehr denunzierbar als Ausdruck eines korrupten „politischen Moralismus“, sondern muss als ein Handeln im Sinn der „moralischen Politik“ akzeptiert werden. Freilich war die Begründung dieses Krieges – jedenfalls vor dessen Beginn – uneinheitlich. Sie schwankte zwischen der These des „bösen Bären“, d. h. jenem Argument, das vor allem mit der Vermutung von einsatzbereiten Massenvernichtungsmitteln bzw. der Zusammenarbeit Saddams mit islamistischen Terrorgruppen 94 Der „Erste Definitivartikel“ zum „ewigen Frieden“ lautet bekanntlich: „Die bürgerliche Verfassung in jedem Staat soll republikanisch sein.“
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operierte, und „prime minister“ Blairs Betonung des humanitären Befreiungszwecks in demokratisierungsstragischer Absicht. Deswegen ist es bis heute nicht ganz klar, wofür genau der zweite Golfkrieg die Probe aufs Exempel liefern soll: Sind er und seine Folgen daran zu messen, ob sie die machtpolitische Sicherung und Ressourcenkontrolle global definierter amerikanisch-westlicher Interessen bewirkt haben oder eben daran, dass sie letztlich nichts anderes sein wollen als ein Beitrag zur Realisierung jener Welt demokratisch-marktwirtschaftlicher Gesellschaften, die uns Fukuyama als „Ende der Geschichte“ in Aussicht gestellt hat? Die Antwort auf die Frage nach dem richtigen Kriterium wie diejenige auf die Frage nach den entsprechenden Beschreibungen lässt sich weder nach dem Sturz Saddams noch in unmittelbarer Zukunft finden. Beide Fragen beziehen sich nämlich auf Umstände, deren Klärung viel Zeit beanspruchen dürfte. Weder ist die weltordnungspolitische Strategie der USA schon eindeutig definiert, noch sollte allzu rasch darüber entschieden werden, was denn dieser Krieg nun eigentlich bewirkt habe. Festzuhalten ist aber die Tatsache, dass Amerikas Konzeption durchaus schwankt zwischen den Polen eines eher auf kurzfristige Erfolge angelegten kriegerischen Abwehrhandelns und eines auf die langfristige Evolution gesellschaftlich-politischer Institutionen und Mentalitäten zielenden (kriegerischen) Vorbereitungshandelns.95 Wenn aber die zweite Konzeption gilt, dann darf die Differenz zwischen der so genannten „europäischen“ und der so genannten „amerikanischen“ Doktrin im Umgang mit der Unordnung der Welt nicht mehr durch den Gegensatz zwischen der Strategie des Aufbaus und derjenigen der Repression charakterisiert werden, sondern eher durch die größere oder kleinere Bereitschaft, bzw. Fähigkeit,96 zur Durchsetzung der (im Grunde beiden Lagern gemeinsamen) „kantischen“ Ziele, kriegerische Mittel einzusetzen. So oder so wird jedoch die Lehre aus der Erfahrung des zweiten Golfkrieges entscheidend sein, diese Lehre, die einstweilen lediglich als Fragestellung formulierbar ist: Inwiefern es möglich sein kann, antiwestliche Gewalt, die v. a. mit asymmetrischen Mitteln operiert und die eng mit dem Manko demokratischrechtsstaatlicher Ordnung in bestimmten Ländern und Regionen zusammenhängt, durch eine ausgeprägt unilateralistische, Weltordnungskriege vergleichsweise rasch und bereitwillig in Kauf nehmende Supermachtstrategie nicht nur zu bekämpfen, sondern prinzipiell zu besiegen. Dass vieles gegen diese Möglichkeit spricht, sei an dieser Stelle bloß angemerkt, aber nicht weiter ausgeführt.97 Jedenfalls sind es zuletzt doch sehr pragmatische Gründe und Erfahrungen, die ausschlaggebend ins Gewicht fallen, wenn es – angesichts des Problems „Keeping Order in Global Society: Pax Americana or Global Policing“ – um die Ausarbeitung normativer Prinzipien internationaler Politik geht. Sicher ist immerhin, dass der kantisch-multilaterale, zivilevolutionistische Vorschlag für die Gestaltung einer globalen Ordnungspolitik ebenso sehr mit der pragmatischen Dimension der 95 Vgl. zur Langfristperspektive Präsident Bushs am 17.09.2002 vorgetragene „National Security Strategy“, www.whitehouse.gov/nsc/nss.html. 96 Vgl. dazu Bertram, 2003, S. 200-206. 97 Vgl. dazu Müller, 2003.
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Sache rechnet, wie er moralisch-normativ auf global policing setzt und den rigorosen Verzicht jedes einzelstaatlichen ius ad bellum fordert.
7 Konturen der neuen Welt(un)ordnung Neue Welt(un)ordnung? Wer so fragt, muss erstens das von ihm behauptete Neue und zweitens den bleibenden Widerspruch erklären zwischen Ordnung und Unordnung, der mit dem einen Klammerwort – „Welt(un)ordnung“ – als spannungsvolle Einheit gekennzeichnet wird. Worin besteht das Neue? Damit ist begonnen worden: Nach 1989 – dem Kenndatum für das Ende der alten Epoche – ist es die unerwartet deutlich gewordene Polarität zwischen der aktiv-hegemonial interpretierten Weltordnungsrolle der USA und der Parteinahme (nicht nur) der europäischen Bevölkerung für eine multilateral-internationale, auf gemeinsame Verträge und Institutionen gestützte, die Souveränität der Einzelstaaten überschreitende globale Ordnungspolitik. Robert Kagan nennt die letztere Vorstellung „kantianisch“. Dies nicht zu unrecht, denn tatsächlich lässt sich Kants Entwurf zum „ewigen Frieden“ sogleich auf Sätze wie die folgenden beziehen, die – in Kontraposition zur herrschenden amerikanischen Doktrin – die systematische Gegenidee der Multilateralisten umreissen: „Fortschritt zu weiterer Verringerung des Gewaltanteils in der Politik ist nötig, nicht die Restauration des Krieges. Es gibt keinen Anlass, von dieser wichtigen und strategisch sehr wohl realisierbaren Maxime abzuweichen. Militärische Gewalt wird nach wie vor eingesetzt werden müssen, solange die im internationalen System und in der Herrschaftsordnung liegenden Gewaltursachen nicht beseitigt worden sind. Sie darf aber nicht renationalisiert, sondern muss in den Händen der internationalen Organisation belassen werden, damit nicht unter dem Vorwand der Therapie das alte Leid des Krieges wieder verbreitet wird.“98
Der zweite Golfkrieg ist trotz diesen im Frühjahr 2002 geäußerten Sätzen geführt worden; die amerikanische Übermacht ließ sich ihr aus der eigenen Stärke gewonnenes „natürliches Recht auf Krieg“ nicht nehmen. Während vor 1989 der Gegensatz zwischen den Blöcken, d. h. der stets als drohende Möglichkeit anwesende Atomkrieg die bellizistischen Handlungschancen aller, wie mächtig sie auch sein mochten, sehr stark limitierte, war nach „1981“ die durch die eigene Stärke gesicherte Handlungsfreiheit des Mächtigen erst richtig wieder in Kraft gesetzt worden. Das also ist, auf den ersten Blick, das Neue: der Gegensatz zweier macht- und sicherheitspolitischer Handlungskonzeptionen, die zweifellos (da hat Kagan vollkommen recht) mit den unterschiedlichen faktischen Potentialen der Beteiligten zu tun haben. Das zu notieren ist aber nicht ausreichend. Denn sieht man näher hin, wird man zwei Perspektiven trennen müssen: einerseits die Perspektive auf die involvierten Interessen, anderseits die Perspektive auf die leitenden Ideen und normativen Prinzipien. 98 Czempiel, 2002, S. 208 f.
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Auf der Ebene der je besonderen Interessen sind die Differenzen zwischen den USA und jedem ihrer weit weniger durchsetzungsfähigen Mit- und Gegenspieler offensichtlich. Um es am Beispiel zu veranschaulichen: Natürlich spielten in den Auseinandersetzungen um den richtigen Umgang mit Saddam Hussein auch sehr gegensätzliche Geschäftsinteressen bei der Ausbeutung der irakischen Erdölquellen eine wichtige Rolle. Und selbstverständlich wird jeder amerikanische Präsident (ob Republikaner oder nicht) dort, wo er vitale ökonomische oder militärstrategische Belange der USA in Gefahr sieht, ein unilaterales Vorgehen nicht nur für legitim, sondern für geradezu zwingend notwendig halten. Er wird tun, was er erforderlich findet, und er wird an der Legitimität seines Tuns nicht zweifeln (nicht zuletzt darum, weil er – aufgrund seiner Mittel – solche Zweifel gar nicht erst aufkommen zu lassen braucht). Doch mit dieser Analyse ist lediglich die Ebene der unmittelbaren Interessenpolitik erfasst. Auf der Ebene der Ideen ist der Gegensatz zwischen den USA und den Vertretern globaler Rechtsstrukturen und -verbindlichkeiten durchaus nicht unüberbrückbar. Tony Blair hat sich mit seinem Engagement für den Krieg gegen den irakischen Tyrannen nicht ohne Grund als Mittler zwischen den Lagern begreifen dürfen. Und genau an dieser Stelle, wo die ideenpolitische Nähe zwischen der amerikanischen Weltordnungsstrategie und der kriegsaversen weltinnenpolitischen Handlungsorientierung der europäischen Mittelmächte (inklusive Russlands) zum Vorschein kommt, genau hier werden auch Übergänge geöffnet zur kantischen Geschichtstheorie, zu Fukuyamas These vom „Ende der Geschichte“ und zur Tatsache, dass Krieg als „großer“, symmetrisch geführter Krieg nicht mehr kalkulierbar, also nicht mehr möglich ist. Um diese bemerkenswerte Identität hinsichtlich der letztlich leitenden Ziele zu belegen, verweise ich (ohne auf die Fülle von vergleichbarem Material einzugehen99) auf Feststellungen, die gesprächsweise Jeane J. Kirkpatrick, eine der markantesten Figuren aus dem Kreis der einflussreichen neokonservativen, die Außenpolitik der Administration Bush jr. prägenden Intellektuellengruppe gemacht hat: „Ich glaube sehr stark an die Demokratie. Es ist in unserer Zeit ohnehin sehr schwierig, jemanden zu finden, der nicht an die Demokratie glaubt. (…) George Herbert Walker und George W. Bush sind beide im Grunde genommen Wilsonianer. (D. h. beide sind, wie fast alle Präsidenten seit Woodrow Wilson, bereit, in den Krieg zu ziehen, um die Demokratie ‚sicher zu machen‘, G. K.) Jeder Krieg, den wir im 20. Jahrhundert führten, ist aus Gründen geführt worden, die man wahrscheinlich am präzisesten ‚wilsonisch‘ nennt. (…) Alle unsere Kriege wurden zur Verteidigung von Ideen geführt. Und ich glaube nicht, dass das, was jetzt George W. Bush getan hat, sich wesentlich davon unterscheidet.“100
Gewiss wird mit solchen Aussagen nur ein sehr grober Umriss der „amerikanischen Mission“ gezeichnet, aber sie reichen hin, um wenigstens zwei grundlegende Sachverhalte zu belegen: Nämlich erstens jene normative Unüberholbarkeit der ideellen Gestalt der liberalen Demokratie, die Fukuyama primär meint, wenn er vom „Ende der Geschichte“ spricht (vgl. oben 2.) und zweitens die Übereinstim99 Vgl. dazu u. a. Anm. 95. 100 Aus: Die Weltwoche Nr. 19, 08.05.03, S. 90 f.
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mung, die – was die letzten Handlungsziele betrifft – zwischen der kaganschen und der kantischen politischen Philosophie besteht. Diese Konvenienz sollte in ihrer Bedeutung nicht zu gering geachtet und auch nicht bloß als der ideologische Schleier beschrieben werden, der die „wahren“ Interessen verdecke.101 Denn in allen Gesellschaften, die (wie die amerikanische oder die europäischen) über hinreichend informierte und freie Öffentlichkeiten verfügen, sind Wertsetzungen und Ideale stets auch Kriterien, die am Ende zu massenwirksamen Urteilen über den Erfolg oder Misserfolg einer Strategie führen. Nicht auf dem Niveau der Ziele ist daher der durch die Namen „Kagan“ und „Kant“ fixierte Dissens zu finden, sondern auf der Ebene der Mittel und der Wege. Die europäische Skepsis gegenüber revolutionären, notwendigerweise mit massivem Einsatz von Gewalt verbundenen Methoden bei der „Verbesserung der Welt“ nährt sich weniger aus der vorhandenen und unbestreitbaren militärischen Schwäche als aus den eigenen historischen Erfahrungen und aus dem geschichtlichen Gedächtnis überhaupt. Gerade weil Europa immer wieder der Ort blutiger und am Schluss gelegentlich erfolgreicher Revolutionen gewesen ist (von 1789 bis 1945; auch die Beseitigung des Hitlerreiches war eine Revolution), ist seinem kollektiven Bewusstsein der Preis gewaltbereiter Politik so sehr eingeschrieben, dass die Großzahl seiner Länder tatsächlich Beispiele jenes aus der Not geborenen menschheitlichen Lernens geworden sind, das Kant in der „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ für wahrscheinlich hält (die nach dem Mauerfall vollzogene Revolution von 1989 ist dafür m. E. ein überzeugendes Zeichen). Zum anderen gehört es zur Verarbeitung der imperial-kolonialen Vergangenheit (über welche Europa vorläufig noch in weit reicherem Maß als die USA verfügt), dass man einzusehen lernte, dass fremde Kulturen von außen her zwar beeinflusst, beeinträchtigt und nicht selten zerstört, aber niemals belehrt oder gar bekehrt und auf den rechten Pfad des Fortschritts gebracht werden können. Die Hilfe beim Aufbau einer decent society, was immer man darunter exakt zu verstehen hat, verlangt Geduld, Beharrlichkeit und – das vor allem – die Fähigkeit und den Willen der Helfer, sich selber zu übersteigen, um sich so mit den Augen der anderen Seite zu begegnen. Hinter dem Beharren auf dem völkerrechtlichen und prinzipiellen Gewaltverbot für jede einzelstaatliche Souveränität, hinter dem Plädoyer für den Versuch, ein auch menschenrechtlich betrachtet unerträgliches Regime wie dasjenige Saddam Husseins ohne direkten Waffengebrauch und mit Hilfe nichtwestlicher Länder (erstens) einzudämmen und (dadurch schließlich) zu stürzen, stehen also nicht grundsätzlich andere als die amerikanischen Zielvorstellungen, aber sehr wohl andere – wenn man es etwas pompös sagen will – geschichtsphilosophische Horizonte, die als Erinnerung fungieren der Notwendigkeit von innen her geschehender Mitwirkung bei der Modernisierung jener, von der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation zwar ergriffenen, von der rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung aber noch weit entfernten Gesellschaften; Gesellschaften, die bei misslingender Modernisierung – aus vielerlei Gründen und in vielerlei Formen – sich in die Basen 101 Etwa diejenigen der USA, aber, aus entgegengesetzter Optik, z. B. auch diejenigen Europas an völkerrechtlicher Limitierung der amerikanischen Souveränität.
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und Nährböden jenes furchtbaren Terrorismus verwandeln können, für dessen zerstörerische Effizienz 9/11 das Synonym geworden ist. 9/11 ist in mancher Weise interpretierbar; in einer Hinsicht dürfte die Bedeutung dieses Ereignisses jedoch unumstritten sein: als Ausdruck der wechselseitigen Abhängigkeit aller von allen in der weltgesellschaftlichen Zeit. Niemand auf Erden ist unverletzbar, und die auf Offenheit sich gründende Zivilisation des Westens ist es schon gar nicht. Aber was folgt daraus? – Es ist zweifellos wahr, dass wir aus der Periode „symmetrischer“ Kriegskonstellationen in die Phase der asymmetrischen Herrschaft und Anwendung kriegerischer Gewalt geraten sind. Die richtige Diagnose sollte aber nicht den Blick dafür trüben, dass die weltgesellschaftliche Ausbreitung der Infrastrukturen, technischen Möglichkeiten, marktökonomischen Bedürfnisse und Informationstransfers, die man unter dem Titel der „Globalisierung“ zusammenfasst, insgesamt viel mehr als zur Asymmetrisierung der Mächte und der Methoden zu jener fundamentalen Symmetrisierung der Verwundbarkeiten beiträgt, für deren Geltung 9/11 und der schwarze Rauch über den höchsten Türmen Manhattans das sehr lesbare Zeichen sind. Der asymmetrisch operierende Terrorismus gegen den Westen ist also nichts anderes als das Resultat einer grundsätzlichen Symmetrisierung der Abhängigkeiten in der globalisierten Zivilisation: eine wechselseitige Dependenz, die im Grunde – und langfristig betrachtet – zu demselben hinführen könnte, was schon das Ergebnis der Symmetrisierung des „Großen Krieges“ gewesen ist: zur Einsicht in die objektive Blockade bloßer Machtpolitik, also zur Einsicht, dass die auf beiden Seiten gegebene Voraussetzung, den je anderen nur noch um den Preis der eigenen Existenz wirklich schwächen und bedrohen zu können, als Aufforderung zur Veränderung akzeptiert und abgelöst werden muss durch ein für alle Seiten zumutbares System des Rechts, d. h. durch ein Regime von internationalen, auf Rechtsprinzipien beruhenden Institutionen des Ausgleichs, der Kriegsvermeidung und der – für den äußersten Fall – einsatzfähigen, multinationalen und weltinnenpolitischen Sanktionsgewalt. Vermutlich ist der Lernprozess, der hier ansteht, nicht weniger schmerzhaft als derjenige, der die heutigen Haltungen in Europa und in Russland ermöglichte, und gewiss muss dies kollektive Lernen vergleichbare psychologische Hemmnisse und Wahnideen zum Verschwinden bringen, wie sie das „alte Europa“ lange Zeit gelenkt und verführt haben; die Ausbildung totalitärer politischer Religionen ist kein Privileg des Islamismus, sowenig wie es das alleinige Privileg Britanniens ist, eine narzisstische Kultur des Imperiums entwickelt zu haben. Doch unter der Bedingung, dass „die Welt nicht untergeht“, d. h. kein Zustand globaler Verwüstung erreicht wird, wie er in den apokalyptischen Filmen Hollywoods gelegentlich aufscheint, vorausgesetzt also, dass die technisch-wissenschaftliche Weltzivilisation nicht kollabiert, ist – so sehr Kantianer darf man allemal sein – es eigentlich naheliegend, auf der möglichen und normativ bedeutsamen Prognose zu beharren, dass der seit Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzende Verrechtlichungsprozess der Politik im internationalen, global wirksamen Zusammenhang anhalten wird, und dass die derzeit nicht selten zu hörende Meinung, die Völkerrechtsentwicklung werde auf den Stand des 17. Jahrhunderts oder allenfalls des 19. Jahrhunderts zurückfallen, nicht stimmt.
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Kant perennis daher? Seine im „Entwurf zum ewigen Frieden“ skizzierte Ordnung nicht bloß normativ unüberholbar, sondern auch unter realistischen Prämissen betrachtet das sich à la longue evolutionär durchsetzende Programm? Natürlich wäre es Unsinn, so etwas schlichtweg behaupten zu wollen. Wofür im vorliegenden Text argumentiert worden ist, sind letzten Endes aber zwei Thesen: Zum einen, dass die Logik der Symmetrisierung wechselseitiger Schadenszufügung nach wie vor am Werk ist, und zweitens, dass die Entwicklung der Weltpolitik zur sich verrechtlichenden Weltinnenpolitik, wie sie sich seit 1945 beobachten lässt, weder durch 1989 noch durch „2002“, noch durch die Tatsache der „einzigen existierenden Supermacht USA“ (wie die gängig gewordene Floskel lautet) zu brechen ist. Das besagt jedoch nicht, dass dieser säkulare Trend zu einer föderalen Weltinnenpolitik im Sinne Kants nicht grundsätzlich immer auch bedroht wäre; durch mindestens zwei Tatsachen. Einerseits durch die stets denkbare radikale Verschlimmerung des Gesamtzustandes der Welt. Ein zur Eskalation treibender Konflikt zwischen atomwaffenbesitzenden Staaten der „anderen“ Welt, wie etwa zwischen Pakistan und Indien, die beide von der Zivilisation der Moderne noch nicht in jenem Ausmaß bestimmt sind, der den Großen Krieg für sie von vornherein unführbar erscheinen lässt, ist ja nicht ausgeschlossen. Was daraus folgen könnte, wäre ein schwarzes Loch der Weltgeschichte, dessen Sog auch die „eine“ Welt zerreißen müsste – mit der Konsequenz einer Weltunordnung, die alles übertrifft, was wir uns derzeit überhaupt vorzustellen in der Lage sind. Die zweite Tatsache ist der bereits notierte Interessengegensatz zwischen den Interessen der USA als eines Akteurs, der seine Souveränität unbedingt behaupten will, und den Interessen all jener Staaten und Staatenverbindungen (wie etwa die Volksrepublik China oder die EU), die aufgrund ihrer eigenen Chancen und Zwänge eine eigene Interessenpolitik betreiben – und, machtlogisch betrachtet, auch noch sehr lange betreiben werden. Wie ausgeführt (vgl. 2.3) tendiert dieser strukturelle Gegensatz (höchstwahrscheinlich) nicht mehr zu irgendeiner Form unmittelbar militärischer Auseinandersetzung, aber er verhindert nachhaltig den eindeutigen Übergang zum kantischen „Völkerbund“, in welchem erst ein Zustand realisiert wäre, der dem Begriff der „Weltinnenpolitik“ wirklich und nicht lediglich projektiv gerecht würde. Damit kommt man zum ambivalenten Befund, den der paradoxe Ausdruck der Welt(un)ordnung bezeichnen soll. Das Wort zielt auf die grundlegende Spannung in der internationalen Politik, die das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts beherrscht: Der Konvergenz des Westens im Blick auf die wilsonischen Ziele, dem „Ende der Geschichte“ in ideologischer Hinsicht, den Fakten der globalzivilisatorischen Vernetzung, die selbst immense Machtasymmetrien unter dem Gesichtspunkt der Verletzbarkeit gerade der reichen Kontinente symmetrisieren, der materiellen Stärke der prinzipiell auf Markt und Handel und nicht auf Kriegsführung angelegten „posthistorischen“ (OECD-)Welt, all diesen Kräften stehen jene wohlbekannten, von den politiktheoretischen Realisten schon immer erinnerten Interessen und Machtpolaritäten entgegen, die für coalitions of the willings sorgen, statt für die Entscheidungsgewalt postnational-suprastaatlicher Institutionen, für hobbistische Verhaltensreflexe, statt für kantische Rechtsbin-
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dungen, für den Glauben an das Recht des Stärkeren, statt für den an die Stärke des Rechts. So finden sich in der Gegenwart weder die kaganschen Realisten noch die kantischen Idealisten befriedigend bestätigt. Denn die Lage ist eben die der zweideutigen Welt(un)ordnung, in der verschiedene Tendenzen gegeneinander wirken: die eine Tendenz zur umfassend suprastaatlicher Verrechtlichung und internationalen Naturzustandsüberbietung und die andere Tendenz zur Machtpolitik, zur ständig sich aus sich selber erneuernden Konkurrenz von auf ihre Interessen bedachten und um ihre Potentiale kämpfenden Akteuren der in diversen Staaten (oder Staatengruppen) organisierten Souveränität. Doch was bedeutet diese Diagnose für die auf globale Verrechtlichung und Entmilitarisierung drängende normative Theorie einer kantischen Völkergemeinschaft? Werden sie und ihre Prinzipien, wie Kagan meint, durch die Kräfte der nach wie vor bestehenden Mächtekonkurrenz neutralisiert und entwertet? Im vorliegenden Aufsatz habe ich versucht, die Antwort auf diese Frage sowohl unter deskriptiv-analytischen wie unter praktisch-präskriptiven Kategorien zu entwickeln. Und unter beiden Gesichtspunkten lautet sie „nein“. Denn die analytische Einsicht in das Faktische der weltgesellschaftlichen Abhängigkeiten und die von der praktischen Vernunft diktierte Vorschrift, dass das Recht des Stärkeren niemals wahrhaftes Recht, der status naturalis also jederzeit verlassen werden soll, bilden zusammen nicht eine unüberwindliche Aporie, sondern die heutige Variante jenes weltbürgerlichen Fortschrittsversprechens, das Kant, behutsam und nüchtern, ebenso sehr als mögliche Hoffnung wie als Auftrag an jede künftige Generation gerichtet hat.
Theorien der internationalen Politik Urs Marti Die ökonomischen Globalisierungsprozesse der Gegenwart wirken sich auf Gesellschaft, Recht und Politik in einer Weise aus, die häufig als Krise erlebt wird. Können Theorien internationaler Beziehungen zur Bewältigung solcher Krisen beitragen?1 Oder sind ihre widersprüchlichen Antworten auf Fragen nach politischen Gestaltungsmöglichkeiten in einer sich verändernden Welt, in der viele Grenzen neu gezogen werden, selbst Ausdruck einer Krise? Lässt die Vielfalt der von ihnen angebotenen Erklärungsmodelle auf die fehlende wissenschaftliche Reife der Disziplin schließen, oder ist sie ein Indiz für die politische Instrumentalisierung von Theorien? Die Wissenschaft der internationalen Beziehungen bietet der politischen Praxis Orientierung und Legitimation in einer sich verändernden Welt (Meyers, 1990, S. 48); dass sich darin auch politische Motive artikulieren, versteht sich von selbst. Zwischen realistischen Theorien und konservativen politischen Richtungen bestehen offensichtlich Affinitäten, ebenso zwischen Institutionalismus und Liberalismus oder zwischen Strukturalismus und Radikalismus. Unterschiedliche theoretische Ansätze lassen sich jedoch mit gegensätzlichen politischen Präferenzen nicht hinreichend erklären. Zu den wichtigsten Unterscheidungsmerkmalen gehört die Bestimmung der Akteure internationaler Politik, ihrer Motive und Handlungsmöglichkeiten sowie des Milieus, worin sie agieren. Ebenso gehören dazu Annahmen über die menschliche Natur, über die Funktionsweise des internationalen Systems sowie über die Regeln von Konflikt, Kooperation und Abhängigkeit. Bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts war die Theorie der Internationalen Beziehungen dominiert von Realismus und Liberalismus, seither wurden marxistisch orientierte Ansätze als drittes Paradigma vermehrt zur Kenntnis genommen. In zahlreichen Lehrbüchern werden drei Hauptrichtungen unterschieden, wobei die erste Schule als Realismus bezeichnet wird, die zweite als Liberalismus, Institutionalismus, Pluralismus, Interdependenz- oder Weltgesellschafts-Theorie, die dritte als Strukturalismus, Radikalismus, Globalismus, Dependenz- oder Weltsystem-Theorie.2 Im realistischen Modell sind Staaten die hauptsächlichen Akteure; sie werden als homogene Gebilde sowie als rationale Nutzenmaximierer verstanden, deren Grundmotiv die Sorge um die nationale Sicherheit oder das nationale Interesse 1 2
Es ist „möglicherweise sinnvoll, in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht die Lehre von den Internationalen Beziehungen stärker als […] ‚Kriseninterpretations- und Krisenbewältigungswissenschaft‘ zu begreifen“, so urteilt Meyers, 1990, S. 61. Vgl. Banks, 1985; Viotti/Kauppi, 1990, S. 5-11; Meyers, 1990, S. 57-63; Holsti, 1995, S. 42-47; Smith, 1995, S. 18-21; Waever, 1996; Baylis/Smith, 1997, S. 3-5, 109-163; Lemke, 2000, S. 5-54.
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darstellt. Weltpolitik wird in der Perspektive des Realismus vorwiegend von militärischen Kräfteverhältnissen gestaltet; das internationale System präsentiert sich als strukturelle Anarchie. Liberale Theorien befassen sich mit staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren wie internationalen Organisationen oder multinationalen Unternehmen. Staaten sind in dieser Sichtweise nicht homogen, sondern setzen sich zusammen aus konkurrierenden Gruppen; staatliche Politik resultiert aus Kompromissen und nicht aus rationaler Entscheidung; internationale Politik ist nicht ausschließlich eine militärische, sondern auch eine ökonomische, soziale und ökologische Angelegenheit; das internationale System wird als eine durch komplexe Interdependenzen konstitutierte Weltgesellschaft verstanden. Für den Globalismus kommen als Akteure Klassen, Staaten, Gesellschaften und nicht-staatliche Organisationen in Betracht, sie alle agieren nicht völlig autonom, sondern als Teile des kapitalistischen Weltsystems, welches nur unter Einbezug seiner Geschichte analysiert werden kann. Politik wird als Resultat vielfältiger Abhängigkeiten in einem System ungleicher Entwicklung von Gesellschaften thematisiert, wobei die entscheidenden Faktoren der Weltpolitik ökonomischer Art sind. Ob sämtliche Erklärungsmodelle den drei Großtheorien zugeordnet werden können, ist zwar umstritten, doch wird eine gewisse Komplexitätsreduktion als sinnvoll beurteilt, wobei feinere Klassifikationen sich von Fall zu Fall als hilfreich erweisen. Eine detailliertere Einteilung ergibt sich, wenn Weltmodelle zugrunde gelegt werden. Innerhalb des Realismus basieren der traditionelle Realismus und der Neorealismus auf dem Modell einer anarchischen Staatenwelt, der liberale Realismus oder Rationalismus der „Englischen Schule“ auf dem Modell einer rechtlich verfassten Staatenwelt. Im Liberalismus lassen sich drei Richtungen unterscheiden. Der Institutionalismus geht vom Modell transnationaler Interdependenz und Kooperation aus. Der Internationalismus hält sich an das Modell einer globalen Friedens- und Rechtsordnung. In einer radikaleren Variante wird das Schwergewicht auf die inner- und überstaatliche Demokratisierung gelegt. Im Folgenden halte ich mich an diese Einteilung und verweise in einem weiteren Abschnitt auf neuere, so genannt reflexive Ansätze.
1 Realismus und Neorealismus Der Realismus beruft sich auf eine über zweitausendjährige Tradition. In Thukydides’ Geschichte des Peloponnesischen Kriegs (V/89) verkünden die Athener den Meliern, Recht könne nur zwischen Gleichmächtigen bestehen. Als neuzeitliche Vertreter des Realismus werden Machiavelli und Hobbes genannt, zu erinnern ist auch an Rousseau, der 1761 das vom Abbé de Saint-Pierre 1713 veröffentlichte Projekt einer europäischen Friedensordnung kritisiert (Rousseau, 1964, S. 563600). Im 20. Jahrhundert konnte die realistische Schule Einfluss gewinnen, nachdem der liberale Idealismus angesichts des Scheiterns des Völkerbunds, der Heraufkunft des Nationalsozialismus und des Ausbruchs des zweiten Weltkriegs seine Überzeugungskraft verloren hatte. Die Kritik idealistischer Friedenshoffnungen
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verweist auf die Tatsache, dass auf internationaler Ebene jener Leviathan fehlt, der gemäß der Lehre von Hobbes den kriegerischen Naturzustand auf nationaler Ebene zu beenden vermag. Der Staat bleibt daher der Hauptakteur internationaler Politik. Als legitimer Vertreter eines kollektiven Willens hat er das Überleben des von ihm repräsentierten Kollektivs zu sichern und ist dabei an keine übergeordneten Normen gebunden. Hans Morgenthau versteht die Geschichte des neuzeitlichen politischen Denkens als Auseinandersetzung zwischen einer der Aufklärung verpflichteten Schule und einer Schule, die vom menschlichen Wesen, „wie es wirklich ist“, sowie von historischen Prozessen, „wie sie den Tatsachen entsprechen“, ausgeht. Politik wird ihm zufolge von objektiven, in der unveränderlichen menschlichen Natur wurzelnden Gesetzen beherrscht. Machtinteressen determinieren die internationale Politik, wobei die Formen der Macht in der Geschichte variieren. Möglicherweise wird sich das Interesse dereinst vom Nationalstaat lösen und übernationale Einheiten werden entstehen. Zwischen moralischen Prinzipien und den Anforderungen an erfolgreiches politisches Handeln besteht jedoch ein unaufhebbarer Gegensatz; abstrakte moralische Regeln können auf staatliches Handeln, das allein dem Gebot nationaler Selbsterhaltung gehorcht, nicht angewandt werden. Nationen mögen versucht sein, ihre Politik unter Berufung auf universelle moralische Ziele zu rechtfertigen, aber diese Rechtfertigung ist immer nur Vorwand. Die Fixierung auf den Aspekt der Macht erlaubt es schließlich, einen eigenständigen Bereich der Politik von Ökonomie, Jurisprudenz und Moral abzutrennen (Morgenthau, 1963, S. 48-57). Zu den theoretischen Schwächen des traditionellen Realismus gehört indes gerade die Geringschätzung ökonomischer Faktoren. Die zunehmende zwischenstaatliche Interdependenz und die steigende Bedeutung transnationaler ökonomischer Akteure stellen für eine Theorie, die den von Morgenthau formulierten Grundsätzen verpflichtet ist, eine Herausforderung dar. In den 70er Jahren entsteht mit dem Neorealismus oder strukturalen Realismus eine neue Schule. Der ältere Realismus ist laut Kenneth Waltz auch an wissenschaftstheoretischen Problemen gescheitert. Nur hypothetisch kann nämlich von einer Autonomie des politischen Bereichs gesprochen werden, sie folgt aus der Konstruktion eines internationalen Systems (Waltz, 2000b, S. 1525-1528). Anders als der traditionelle Realismus, der die Gesetze der Politik aus der menschlichen Natur herleitet, verweist Waltz auf die systemischen Zwänge der internationalen Ordnung. Diese Zwänge, wie sie von der anarchischen Struktur der internationalen Politik ausgehen, bringen die Staaten trotz unterschiedlicher Verfassungen und Zielsetzungen dazu, sich in der Außenpolitik gleich zu verhalten und zum Zweck ihrer eigenen Sicherheit militärische Macht zu akkumulieren. In dieser Sichtweise ist das System letztlich allmächtig, die Staaten können sich zwar mit mehr oder weniger Macht am Kampf beteiligen, sie besitzen aber nicht die Macht, die strukturellen Bedingungen zu verändern (Waltz, 1979; Burchill, 1996b). Obgleich der Neorealismus seit den 80er Jahren auf wachsende Kritik stößt (Keohane, 1986), ist sein Einfluss beträchtlich geblieben, wie die Annäherung des institutionalistischen Neoliberalismus an den Neorealismus zeigt (Baldwin, 1993; Kegley, 1995). Generell wird dem
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Realismus eine selektive Wahrnehmung der Realität vorgeworfen, doch werden bestimmte Einsichten in die Mechanismen von Anarchie und Machtkampf auch von Kritikern geteilt (Donnelly, 2000, S. 193-200).
2 Rationalismus Realistische wie kosmopolitische Theorien geben von der Dynamik internationaler Beziehungen ein falsches Bild. Diese Auffassung wird seit den 50er Jahren von Theoretikern vertreten, die für einen rationalistischen oder internationalistischen Mittelweg plädieren (Linklater, 1996a; Dunne, 1998). Hedley Bull, der 1977 „The Anarchical Society“ publiziert, versteht die zwischenstaatlichen Verhältnisse gleichsam als regulierte Anarchie, als Gesellschaft, für deren Mitglieder bestimmte Regeln verbindlich sind. Das Modell des zwischenstaatlichen Naturzustands ist ihm zufolge dann brauchbar, wenn es nicht im Sinn von Hobbes, sondern von Locke vestanden wird (Bull, 2000, S. 608-611). In einem lockeschen Naturzustand können Menschen überleben; in einer globalen anarchischen Gesellschaft sind Staaten fähig, zu kooperieren und allgemein gültige Normen auch dann zu befolgen, wenn kein Weltstaat sie dazu zwingt. Letztlich erweist sich aber die Analogie zwischen Menschen und Staaten als problematisch; die Bedingungen, unter denen Staaten Ordnung anstreben und verwirklichen, sind mit der Situation der Individuen nicht vergleichbar. Eine internationale Gesellschaft existiert, sobald mehrere Staaten im Bewusstsein gemeinsamer Interessen und Werte in ihren gegenseitigen Beziehungen eine Reihe von Regeln respektieren und sich am Aufbau gemeinsamer Institutionen beteiligen. Die internationale Gesellschaft kann zwar auf die internationale Politik bis zu einem gewissen Grad ordnend einwirken, aber die durch sie gestützte Ordnung ist prekär. Die Idee der Weltordnung hat für Bull normativen Vorrang vor jener der internationalen Ordnung, er begreift die Welt als eine aus Individuen gebildete „great society of all mankind“. Es ist denn auch nicht zuletzt sein Sensorium für Fragen globaler ökonomischer und sozialer Gerechtigkeit, das ihn die Schwächen realistischer wie kosmopolitischer Modelle erkennen lässt. Ordnung ohne Gerechtigkeit bleibt unstabil; eine stabile Weltordnung kann aus der Gesellschaft der Staaten nur dann entstehen, wenn zuvor eine radikale Umverteilung von Wohlstand, Ressourcen und Macht zwischen reichen und armen Staaten stattfindet, da andernfalls gerade die armen Staaten auf ihren Souveränitätsansprüchen beharren werden (Bull, 1977, S. 288-292).
3 Institutionalismus Eine Gegenposition zum Realismus, die anders als der Idealismus der Zwischenkriegszeit nicht primär normativ orientiert ist, bildet sich in den 40er Jahren mit dem liberalen Institutionalismus heraus. Hervorgehoben werden die wachsende Bedeutung transnationaler Kooperation beim Versuch der Bewältigung gemeinsa-
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mer Probleme, die steigenden Kosten, die sich für Staaten aus nicht-kooperativem Verhalten ergeben, sowie die Fähigkeit internationaler und regionaler Institutionen, Aufgaben zu übernehmen, denen die Staaten nicht mehr gewachsen sind. Vor allem der Prozess der europäischen Integration scheint die institutionalistische Hypothese zu verifizieren. Der Begriff der internationalen Politik ist im Urteil von Karl Kaiser (1969) den Realitäten des 20. Jahrhunderts nicht mehr angemessen, weil sich Politik darin nicht auf zwischenstaatliche Handlungen beschränkt. Findet zwischen nationalen Gesellschaften Interaktion statt, die nicht auf die Ebene der Regierungsinstitutionen begrenzt bleibt, so lässt sich von transnationaler Gesellschaft und Politik sprechen. Was auf dieser Ebene geschieht, vermag die sozioökonomischen Strukturen eines nationalen Systems selbst gegen dessen Widerstand zu verändern. Weltpolitik wird im Urteil liberal-institutionalistischer Autoren nicht ausschließlich von Staaten gestaltet, sondern ebenso von multinationalen Unternehmen und Interessengruppen, von internationalen Organisationen und transnational tätigen Nicht-Regierungsorganisationen. Die pluralistische Transformation der Weltpolitik darf jedoch, wie Robert O. Keohane und Joseph Nye (1977) gezeigt haben, nicht idealisiert werden. Integrationsprozesse beschränken sich oft auf die westlichen Industrienationen; Staaten spielen nach wie vor eine zentrale Rolle und ökonomische Interessen sind häufig national determiniert; Macht und Wohlstand sind unter den Nationen ungleich verteilt und ökonomische Interdependenz ist nicht für alle Staaten im gleichen Maß vorteilhaft. Interdependenz schafft immer Kosten für die betroffenen Akteure, die in ihrer Autonomie eingeschränkt werden; nur von Fall zu Fall kann der Nutzen die Kosten übersteigen.3 Zentrale realistische Annahmen sind für Keohane unverzichtbar. Internationale Institutionen oder Regime (vgl. Little, 1997), das heißt Netzwerke von Regeln, Normen und Verfahren, die das Verhalten der Akteure regulieren und zur Konfliktlösung beitragen, können in seiner Sicht nur erfolgreich sein, wenn Staaten die Chance sehen, auf diesem Weg ihre Interessen besser zu verfolgen. Die realistische Theorie verkennt jedoch, dass die Politik der Staaten nicht nur durch Machtverteilung bestimmt wird, sondern auch durch Informationsverteilung, welche ihrerseits zur Verstärkung der Kooperation beitragen kann. Staaten bleiben zwar vorderhand die wichtigsten Akteure der Weltpolitik, als rationale Nutzenmaximierer erkennen sie aber die Vorteile der Kooperation und bestimmen ihre Interessen aufgrund eines modifizierten institutionellen Umfelds neu. Unter Institutionen versteht Keohane ein Ensemble von Regeln und Verhaltensnormen, das menschliches Handeln strukturiert. Die wichtigste institutionelle Praxis auf globaler Ebene ist seit dem 17. Jahrhundert die legislative Souveränität der Staaten. Die Analyse globaler institutioneller Veränderungen muss daher prüfen, welche Funktion darin der Souveränität zukommt. 3
Die Einschätzung der Resultate zwischenstaatlicher Interaktion wird häufig als wichtiger Unterschied zwischen Neorealismus und Neoliberalismus angeführt, vgl. Baldwin, 1993, S. 4-8. Während Neorealisten Wettbewerb und Kooperation als Nullsummenspiel betrachten, sehen Neoliberale darin ein Positivsummenspiel. Keohane und Nye vertreten diesbezüglich eine differenzierte Position: Keohane/Nye, 1977, S. 9 f.
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Keohane bekennt sich zur aufgeklärten Grundüberzeugung, wonach menschliche Praxis institutionelle Realitäten gestalten und verändern kann. Er misstraut aber den Annahmen des republikanischen wie des ökonomischen Liberalismus. Friedfertig sind Republiken vor allem im Umgang mit anderen Republiken, und Freihandel führt nicht notwendig zu Frieden und Harmonie. Kooperation erfordert Planung und Regulierung, der Glaube an die Überlegenheit von Märkten gegenüber staatlicher Wirtschaftsregulation ist mit dem institutionalistischen Ansatz daher inkompatibel. Für Anliegen globaler Gerechtigkeit ist dieser Ansatz offen. Eingeräumt wird, dass internationale ökonomische Regime, die vorwiegend die Interessen hochentwickelter Industriestaaten repräsentieren, in moralischer Hinsicht unzulänglich sind und Rawls’ Differenzprinzip widersprechen. Das Problem besteht darin, umfassendere Formen der Kooperation zu schaffen, die das Eigeninteresse der Akteure berücksichtigen und dennoch Gerechtigkeitskriterien entsprechen.4 Institutionalistische und Regime-Ansätze werden mittlerweile durch das Konzept der „global governance“ bereichert. Mit „governance“ wird die Gesamtheit von Ordnungssystemen bezeichnet, die in der Gesellschaft zur Anwendung kommen. „Governance“ bedeutet nicht „government“. Bestimmte Aufgaben müssen, wie James Rosenau darlegt, in jedem lebensfähigen menschlichen System erfüllt werden, unabhängig davon, ob es Institutionen speziell zu diesem Zweck ausgebildet hat. Regelsysteme können sich erhalten und ihre Kontrollfunktion effizient ausüben, auch wenn eine etablierte rechtlich-politische Autorität fehlt. Verlieren die Staaten im Prozess beschleunigten Wandels ihre Regierungsfähigkeit, bedeutet dies nicht zwingend, dass die entsprechenden Aufgaben nicht mehr erfüllt werden. Während „government“ eine als Autorität anerkannte und mit polizeilicher Sanktionsmacht ausgestattete Vollzugsgewalt unterstellt, umfasst „governance“ zusätzlich Aktivitäten, die sich nicht von formellen, gesetzlich definierten Verantwortlichkeiten herleiten lassen und die ohne polizeiliche Sanktionsmöglichkeiten erfolgreich sein können. Der Begriff „governance without government“ ist, wie Rosenau glaubt, geeignet, eine ohne zentrale Autorität funktionierende Weltpolitik zu analysieren (Rosenau, 1992a, S. 3-9; 1998, S. 29 f).
4 Liberaler Internationalismus Der liberale Internationalismus hat seine Wurzeln in der Aufklärung und in der liberalen Wirtschaftslehre. Liberale Theorien internationaler Politik (vgl. Zacher/ Matthew, 1995) beruhen auf dem Vertrauen in die Macht der Geschichte, ökonomische, soziale, intellektuelle, moralische Kräfte freizusetzen, die langfristig einen Zustand des Friedens und der Harmonie zwischen Staaten und Menschen herbeizuführen vermögen. Praktiken der Konfliktverhütung durch Institutionalisierung von Rechtsnormen, die sich innerhalb der Nationalstaaten bewährt haben, sind dieser Auffassung zufolge auch im internationalen Bereich anzuwenden. Im Zeit4
Keohane, 1984, S. 243-257; 1986, S. 190-200; 1989, S. 7-11, 162-166; 1993.
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alter der Französischen Revolution findet sie ihre wichtigsten Vertreter in Denkern wie Immanuel Kant und Jeremy Bentham, der übrigens als Erfinder des Wortes „international“ gilt (Bentham, 1996, S. 296). In seiner 1786 geschriebenen, aber erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts veröffentlichten Schift „A Plan for an Universal and Perpetual Peace“ erkennt Bentham die Chance für eine Verhinderung des Krieges zwischen Staaten in einer internationalen Gesetzgebung und einem internationalen Gerichtshof. Sein Vertrauen setzt er indes primär in die Entfaltung des Freihandels. Die Überzeugung, das Problem der Errichtung einer innerstaatlichen Rechtsordnung sei nur unter der Bedingung zu lösen, dass auch die Verhältnisse zwischen den Staaten gesetzmäßig geregelt werden, vertritt Kant 1784 in seiner „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“. Die Staaten sollen den gesetzlosen Zustand überwinden und sich in einem Völkerbund zusammenschließen, worin sie als gleichberechtigte und autonome Vetragspartner gelten, als moralische Personen, wie es in der 1795 veröffentlichten Schrift „Zum ewigen Frieden“ heißt. Kant erhebt darin die Forderung, jeder Staat solle republikanisch verfasst sein. Nur die republikanische Verfassung geht aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervor. Obgleich aber der anzustrebende Völkerbund ebenso der Idee einer Überwindung des Naturzustands mittels eines Vertrags entspricht, stellt er keine souveräne Gewalt dar, sondern eine Genossenschaft, deren Aufgabe in der Verhinderung des Krieges zwischen den Staaten besteht. Das Völkerrecht soll mithin auf einen Föderalismus freier Staaten, die ja ihrerseits bereits rechtlich verfasst sind, gegründet sein. Kant räumt freilich ein, „nach der Vernunft“ müssten die Staaten einen Völkerstaat, eine Weltrepublik bilden (Kant, AA, Bd. 8, S. 15-31; 341-386; Bd. 6, S. 343-355). Kants Schrift lässt unterschiedliche Deutungen zu.5 Der Warnung vor dem seelenlosen Despotismus einer Weltregierung kann systematisch nicht das gleiche Gewicht zukommen wie der Herleitung der „positiven Idee“ einer Weltrepublik. Der Staatenbund ist ein negatives Surrogat, eine Verlegenheitslösung, die keine Garantie gegen den Ausbruch neuer Kriege bietet. Hinsichtlich der Ursachen der kriegerischen Neigungen von Staaten ist Kants Auskunft nicht eindeutig. Er spricht sowohl von der Bösartigkeit der menschlichen Natur als auch von der in monarchischen Staaten praktizierten Arbeitsteilung, die es Herrschern erlaubt, die Untertanen für ihre eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Die zweite Ursache fällt in republikanisch verfassten Staaten weg, da die Staatsbürger als rationale Nutzenmaximierer einem Krieg angesichts der damit verbundenen Kosten nicht zustimmen. Wie steht es aber mit der ersten Ursache, der nicht durch das politische System, sondern die Natur bedingten Gewalttätigkeit von Individuen und Völkern? Schon hier schafft der Eigennutz Abhilfe: Kriege sind der Entfaltung des Handelsgeistes abträglich. Als Vertragstheoretiker muss Kant konsequenterweise den Weltstaat bejahen und den selbstsüchtigen Neigungen der Menschen miss5
Vgl. Höffe, 1995; Merkel/Wittmann, 1996; Lutz-Bachmann/Bohman, 1996. Zu einer kontroversen Erörterung der Frage, ob Kant die Weltrepublik oder den Staatenbund als beste Lösung empfohlen hat: Laberge, 1998; Teson, 1998.
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trauen; als Geschichtsphilosoph vertraut er dagegen einem Naturmechanismus, der mit der Intensivierung des Handelsgeistes die globalen Verhältnisse befriedet und die Voraussetzungen für einen funktionierenden Staatenbund schafft, ohne das Prinzip nationalstaatlicher Autonomie in Frage zu stellen. Die beiden Thesen von der Kriegsaversion einer bestimmten politischen sowie jener einer bestimmten ökonomischen Ordnung sind kontrovers diskutiert worden. Systematisch ist die erste These sowohl bei Kant selbst wie bei seinen Nachfolgern wichtiger. Die Hypothese einer natürlichen Harmonie aller egoistischen Einzelinteressen weltweit ist durch kolonialistische und imperialistische Praktiken erschüttert worden; Märkte entstehen nicht spontan, sondern setzen staatliche Regulierung voraus, die ihrerseits nicht zwingend friedensfördernd ist.6 Neuere im Umfeld des liberalen Internationalismus erschienene Arbeiten thematisieren den Zusammenhang von Demokratie und Frieden, die Chancen einer globalen Rechtsordnung und das wünschbare Maß ihrer institutionellen Ausgestaltung. Michael Doyle (1995; 2000) schränkt Kants These von der Kriegsaversion republikanischer Staaten auf den Umgang liberaler Staaten untereinander ein. Darunter versteht er politische Ordnungen, worin fundamentale Bürgerrechte garantiert sind, die effektive Souveränität einer gewählten Legislative zukommt, das Recht auf Privateigentum anerkannt ist und ökonomische Entscheidungen den Gesetzen von Angebot und Nachfrage gehorchen. John Rawls (1996; 1999) hat ein vertragstheoretisch begründetes liberales Völkerrecht vorgeschlagen, worin die Vertragspartner „Völker“ sind, deren Mitglieder Institutionen, eine politische Kultur und ein Rechts- und Gerechtigkeitsverständnis teilen. Liberal-demokratische Gesellschaften einigen sich in Rawls’ Modell auf Grundsätze wie Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Selbstverteidigung, Achtung der Menschenrechte und eine Beistandspflicht benachteiligten Völkern gegenüber. Diesem liberalen internationalen Recht können, so das Argument, auch nicht-liberale Völker zustimmen, vorausgesetzt, es handelt sich um „decent peoples“. Diese sind friedliebend, und obgleich ihre Politik durch religiöse oder sonstige umfassende Lehren bestimmt wird, achten sie Menschenrechte und kompensieren das Fehlen von Demokratie und Bürgerrechten durch eine die gesellschaftlichen Gruppen einbeziehende Konsultationshierarchie. Ausgeschlossen aus dem liberalen Völkerrecht bleiben gemäß Rawls Staaten, die dessen Prizipien verletzen, sowie Gesellschaften, die aus historischen oder ökonomischen Gründen nicht zu wohlgeordneten Völkern werden können. Im Gegensatz zu Rawls nimmt Jürgen Habermas die kosmopolitischen Implikationen von Kants Friedensschrift ernst und hält daher dessen Begriff eines die einzelstaatliche Souveränität respektierenden Völkerbunds für inkonsistent. Die Völkergemeinschaft müsste ihm zufolge mit einer Legitimität und Sanktionsmacht ausgestattet sein, die es ihr erlaubt, das Weltbürgerrecht notfalls auch gegen Einzelstaaten durchzusetzen und derart jedem Individuum die Mitgliedschaft in einer Assoziation freier und gleicher Weltbürger zu gewähren. Voraussetzung für eine sol6
Eine kritische Einschätzung der ökonomischen Dimension des Liberalen Internationalismus findet sich bei Burchill, 1996a.
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che Veränderung wäre die Transformation der Vereinten Nationen in eine über das Gewaltmonopol verfügende, Legislative, Exekutive und Judikative umfassende Institution (Habermas, 1996b, S. 208-219). Habermas’ Auseinandersetzung mit dem durch die Globalisierung bewirkten Souveränitätsverlust der Nationalstaaten ist von der Sorge motiviert, in diesem Prozess müssten demokratische Selbstgesetzgebung und Partizipation illusionär werden und die Chancen einer demokratisch legitimierten wirtschafts- und sozialpolitischen Gestaltung schwinden. Ein politischer Rahmen für die deregulierte Weltwirtschaft ist für ihn daher unverzichtbar, mithin auch die Schaffung zwar keines Weltstaats, aber doch größerer politischer Einheiten auf regionaler oder globaler Ebene (Habermas, 1998, S. 91-169). Die Idee eines Weltstaats verteidigt hingegen, wenn auch in moderater Weise, Otfried Höffe (1998; 1999). Die Weltrepublik ist in seinem Urteil die von der Vernunft gebotene Rechts- und Staatsform globaler menschlicher Koexistenz, sie darf jedoch nur die Gestalt eines föderalen Komplementär- oder Minimalstaats annehmen und das Existenzrecht sowie die Eigenverantwortung von sich auf Menschenrechte und Volkssouveränität verpflichtenden Staaten nicht negieren. Staatliche Aufgaben übernimmt sie mithin nur subsidiär. Sie ist für den internationalen Frieden sowie für das internationale und weltbürgerliche Recht zuständig. Ihre Verwirklichung kann als Ergebnis einer langen Übergangsphase ins Auge gefasst werden, wobei am Ende dieses Prozesses die Einrichtung einer globalen Legislative, Exekutive und Judikative stehen muss.
5 Demokratischer Internationalismus Als eigenständige akademische Disziplin hat sich die Theorie der internationalen Beziehungen unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg etabliert. Liberale oder idealistische Programme haben mit der von Woodrow Wilson 1918 verkündeten demokratischen Weltrevolution und der Gründung des Völkerbunds 1919 einen weltpolitisch bedeutsamen Niederschlag gefunden. Die Gründung des ersten Lehrstuhls für Internationale Beziehungen 1919 in Aberystwyth war mit der Hoffnung verbunden, diesen Programmen eine wissenschaftliche Basis zu verleihen. Ihrem ursprünglichen Selbstverständnis zufolge bestand die Aufgabe der Disziplin vorrangig darin, einen Beitrag zur Verhinderung künftiger Kriege zu leisten. Der liberale Anspruch, die Welt zu verändern und zu verbessern, ist von der realistischen Kritik als idealistisch kritisiert worden. Zwar wird heute zwischen liberalem Internationalismus und Idealismus in der Literatur häufig unterschieden, eine klare Trennung ist aber nicht möglich. Als idealistisch werden Auffassungen bezeichnet, die den anzustrebenden Frieden nicht als Ergebnis historischer Prozesse, sondern einer aktiven Gestaltung internationaler demokratischer Institutionen begreifen (Hollis/Smith, 1990, S. 17-20; Dunne, 1997). Wichtige Faktoren internationaler Politik sind in internationalistischer wie in idealistischer Sicht demokratische Staatsverfassungen, wobei Anhänger der „neoidealistischen“ (Dunne, 1997, S. 156 ff) Richtung oft von einem radikalen Demokratiekonzept ausgehen. So ist laut Ernst-Otto Czempiel (1996) die entscheidende
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Friedensursache in Kants Argumentation die effektive demokratische Mitbestimmung. Diese ist bis heute auch in westlichen Demokratien nicht garantiert, da große Bevölkerungskreise faktisch von außenpolitischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sind. Unter dem Prozess der Demokratisierung versteht Czempiel die Emanzipation der Gesellschaften von ihren politischen Systemen. Die Gesellschaftswelt wird ihm zufolge auch im internationalen Bereich andere Strategien verfolgen als die Staatenwelt, wobei aber vorderhand nicht zu erwarten ist, dass sie eine friedlichere Welt schaffen wird (Czempiel, 1993, S. 105-132). Der von Alan Gilbert (1999) vertretene demokratische Internationalismus basiert ebenfalls auf der Annahme, Weltpolitik werde zunehmend von nicht-staatlichen Akteuren mitgestaltet. Gilbert glaubt überdies, das sicherheitspolitisch definierte „national interest“ habe im demokratisch ermittelten „common good“ Konkurrenz erhalten. Formen demokratischer Gegenmacht, insbesondere die internationale Solidarität radikaler Bewegungen stellen ihm zufolge heute ernstzunehmende politische Kräfte dar. Im Rahmen globaler Demokratisierungshoffnungen und -strategien sind in den 90er Jahren neue Visionen von „global governance“ entstanden. Unter „governance“ verstehen die Mitglieder der „Commission on Global Governance“ (1995, S. 2-7) die Gesamtheit von Praktiken, mit denen Individuen, öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln. Betont wird dabei, dass die angestrebte „global governance“ auf ein weltweites Engagement für Demokratie angewiesen ist. Die Diskussion über Formen und Chancen kosmopolitischer Demokratie hat sich in den letzten Jahren intensiviert (Archibugi/Held, 1995; Archibugi/Held/Köhler 1998). David Held (1995) verwendet in seiner Untersuchung der Aussichten globaler Demokratisierung einen umfassenden Politikbegriff, der über den Bereich von Staat und Regierung hinaus den gesamten Bereich der Macht bezeichnet. Unter Macht versteht er die Fähigkeit von Individuen und Institutionen, ihre natürliche und soziale Umwelt zu erhalten und zu verwandeln. Legitimitätskriterium einer solchen Politik ist das Autonomieprinzip. Menschen sollen gleiche Rechte und Pflichten haben bei der Gestaltung der politischen Verhältnisse, welche die Spielräume und Grenzen ihres Handelns abstecken. Sie haben Anspruch auf spezifische Rechte für sämtliche Bereiche, in denen Macht ausgeübt wird und ungleich verteilt ist. Da Macht innerhalb nationaler Grenzen nur mehr beschränkt kontrollierbar ist, müssen verfassungsmäßige Strukturen zum Schutz des Autonomieprinzips innerhalb wie zwischen staatlichen Grenzen garantiert sein; das demokratische öffentliche Recht muss kosmopolitisch sein. Der Vollzug eines solchen Rechts setzt die Schaffung neuer Formen kosmopolitischer Demokratie voraus. Held entwirft ein dezentrales Modell, welches einem sich verdichtenden Netzwerk entspricht, einer Gemeinschaft von Staaten und weiteren Assoziationen zum Zweck der Wahrung des globalen demokratischen Rechts. Radikaler ist der Ansatz von Richard Falk, der sich im Rahmen des „World Order Models Project“ seit Jahrzehnten bereits mit Problemen demokratischer Weltordnung und globaler Verfassung befasst. Falk umschreibt die globalen Integrationstendenzen der Gegenwart, die die Handlungsmöglichkeiten souveräner Territorialstaa-
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ten vermindern, mit dem Begriff „geogovernance“. Diese ist bestimmt durch die Interessen der führenden Industriestaaten und die Imperative des kapitalistischen Weltmarkts. Eine die staatliche Einheit fragmentierende Identitätspolitik, globale Apartheid und ein Wohlstandsgefälle auf allen Ebenen, selektiver Menschenrechtsschutz, Unsicherheit, das Fehlen einer wirksamen Umweltpolitik sowie die bescheidenen Aussichten auf eine internationale Demokratisierung sind weitere Merkmale dieser Weltordnung. Als Alternative zum status quo schlägt Falk das Konzept der „humane governance“ vor; es umfasst die Realisierung der Menschenrechte inklusive ökonomischer und sozialer Rechte, die Ausdehnung von Partizipationsmechanismen sowie die Schaffung von Verfahren, die es erlauben, globalpolitische und globalökonomische Entscheidungsträger zur Verantwortung zu ziehen. „Humane governance“ zielt auf eine globale Wirtschafts- und Sozialpolititik sowie auf die Stärkung der internationalen Gerichtsbarkeit. Da die Kontrolle der Weltmarktkräfte zu den dringlichsten Aufgaben gehört, hält Falk eine Reform der Weltordnung ohne den Einsatz souveräner, demokratisch legitimierter Staaten für unrealistisch (Falk, 1995, S. 223-255; 1998a, S. 38-45).
6 Strukturalismus Die dritte Großtheorie führt in der zeitgenössischen Diskussion ein eher randständiges Dasein, was wohl auch politische Gründe hat. Der Strukturalismus hat seine Wurzeln in der Theorie von Marx, der die determinierende Rolle ökonomischer Strukturen sowie die dem Kapitalismus inhärente Tendenz zur Globalisierung analysiert hat. Marxistisch inspirierte Imperialismustheorien sind zu Beginn des 20. Jahrhunderts einflussreich gewesen. In den 60er Jahren stellt der Entwicklungsrückstand ärmerer Länder eine theoretische Herausforderung dar. Mit Problemen ungleicher Entwicklung haben sich damals internationale Organisationen wie ECLA (Economic Commission on Latin America) und UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) befasst.7 Dependenztheoretische Ansätze vertreten zunächst vor allem lateinamerikanische Sozialwissenschafter. Unterentwicklung ist das Resultat einer jahrhundertelangen globalen Geschichte; sie erklärt sich nicht primär aus der Existenz vorkapitalistischer Strukturen in den betreffenden Ländern, sondern umgekehrt aus deren Integration in den kapitalistischen Entwicklungsprozess, so lautet die These von André Gunder Frank. Eine eigenständige industrielle Entwicklung ist diesen Ländern verwehrt, sie befinden sich gegenüber den Metropolen der kapitalistischen Weltwirtschaft in einem Satellitenstatus und sind für den Weltmarkt hauptsächlich als Rohstoffexporteure von Interesse (Frank, 2000). Die Überzeugung, die Analyse der gegenwärtigen Weltwirtschaft setze das Studium ihrer langfristigen Entstehungsgeschichte voraus, liegt auch der von Imma7
Zur Entstehung und politischen Bedeutung des Strukturalismus vgl. Blomström/Hettne, 1988; Brown, 1985; Viotti/Kauppi, 1990, S. 406-418; Brown, 1997, S. 186-206; zum Weltsystemansatz Bornschier, 1993.
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nuel Wallerstein begründeten Weltsystemtheorie zugrunde (Wallerstein, 1974 ff.). Wallerstein zufolge hat sich im Zuge der Durchsetzung einer internationalen Arbeitsteilung zwischen dem 16. und dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein weltumfassendes kapitalistisches System herausgebildet. Die Welt wurde eingeteilt in zentrale, semi-periphere und periphere Regionen, wobei mächtige Staaten, die in der Arbeitsteilung über günstige Positionen verfügen, das Zentrum bilden. Zentrum und Peripherie unterscheiden sich durch die Höhe des Profits und der Arbeitskosten sowie durch unterschiedliche Formen der Kontrolle über die Arbeit, Formen, die in peripheren Regionen die Gestalt von Sklaverei annehmen können. Der Zweck der Arbeitsteilung ist die Akkumulation von Kapital, das Mittel dazu ein grenzüberschreitender Warenverkehr, der einen permanenten Mehrwert-Transfer von der Peripherie zum Zentrum bewirkt. Die Präferenz der Kapitalisten gilt dabei jenen wirtschaftlichen Aktivitäten, die am ehesten monopolisiert werden können. Weil souveräne Staaten die Monopolbildung erlauben und die Existenz relativ freier Märkte sowie die Kontrolle über die Arbeit garantieren, sind sie ein unverzichtbarer Bestandteil des Systems. Auf globaler Ebene entspricht eine stabile, hegemonial dominierte internationale Ordnung dem Ziel der Kapitalakkumulation; so lauten einige Thesen von Wallerstein (1996). Als marxistisch können solche Auffassungen nur bedingt gelten. Sie sind denn auch von marxistischer Seite kritisiert worden, die Dependenztheorie wegen eines romantisch-nationalistischen Antikapitalismus, die Weltsystemtheorie wegen der Fixierung auf die Zirkulationssphäre und der Vernachlässigung der Produktionssphäre. Der marxistische Wirtschaftshistoriker Robert Brenner weist darauf hin, dass die Kapitalakkumulation nicht auf einem Mehrwert-Transfer von der Peripherie ins Zentrum beruht, sondern auf der durch technische Innovation ermöglichten Steigerung der Arbeitsproduktivität (Brenner, 1977; vgl. Sitton, 1996, S. 200-245). Marxistisch beeinflusst ist auch die Kritische Theorie der Internationalen Beziehungen.8 Diese hält, so die Definition von Robert Cox, die bestehende Weltordnung nicht für selbstverständlich, sondern richtet die Aufmerksamkeit auf ihren Ursprung und auf Prozesse des historischen Wandels. Zentraler Gegenstand eines historisch-materialistischen Forschungsprogramms ist der als Machtbeziehung verstandene Produktionsprozess. Handlungsmöglichkeiten sind in dieser Sichtweise weitgehend bestimmt durch die Interaktion von materiellen Fähigkeiten, Ideen und Institutionen. Die Analyse der internationalen Beziehungen muss daher die durch den Produktionsprozess erzeugten sozialen Kräfte, die Staatsformen und die Weltordnungen umfassen. Die Chancen politischen Handelns sind nie allein von zwischenstaatlichen Machtkonstellationen abhängig, sondern wesentlich von Einflüssen und Zwängen, die von der materiellen Welt ausgehen (Cox, 1986).9 Das Interesse an strukturalistischen oder marxistischen Erklärungsmodellen scheint heute zu wachsen. Gründe dafür sind das Bedürfnis, globale Strukturen im 8 9
Vgl. Linklater, 1990; 1996c. Andrew Linklaters Version der Kritischen Theorie orientiert sich an Habermas’ Marx-Kritik und an dessen Diskursethik Vgl. auch Cox, 1987; zur Globalisierung Cox, 1994; zu deren politischen Auswirkung Cox, 1997.
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Kontext langfristiger historischer Transformationen zu analysieren (vgl. Buzan/ Little, 2000), sowie Einsichten in die Abhängigkeit der Staaten von der hoch integrierten und schwach regulierten Weltwirtschaft.10 Die Erfahrung, dass die ökonomische Globalisierung bisherige Formen politischen Handelns in Frage stellt, ist ein Leitmotiv der neueren Literatur. Dem kapitalistischen Weltmarkt entspricht keine Weltgesellschaft mit regulierenden Institutionen, so konstatieren Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf (1999, S. 72-81; 478-516). Globalisierung heißt daher vorderhand nur, dass zahlreiche politisch folgenreiche Entscheidungen nicht mehr von einer demokratisch abgestützten und zu verantwortenden Politik gefällt werden. Die Bedeutung des Marxismus für die Theorie der Internationalen Beziehungen11 ist indes schwer einzuschätzen, da eine marxistische Theorie der internationalen Politik, die sich nicht auf die Nord-Süd-Beziehungen beschränkt und gleichzeitig dem radikalliberalen Erbe der Aufklärung verpflichtet ist, ein Desiderat bleibt (Halliday, 1994, S. 47-73).
7 Reflexive und konstruktivistische Ansätze In jüngerer Zeit sind realistische, liberale und strukturalistische Theorien wegen ihrer angeblich positivistischen Epistemologie unter Beschuss geraten. Fragen nach Standpunkt und Interesse der Forschenden oder nach dem Einfluss selektiver Wahrnehmung auf das Handeln wird stärkeres Gewicht beigemessen. Realistische Theorien, so wird häufig vermutet, tragen dazu bei, jene Wirklichkeit, auf die sie sich beziehen, überhaupt erst zu konstruieren. Folgt die Regierung einer Großmacht den Lektionen der realistischen Schule, wird ihre Politik wahrscheinlich das realistische Erklärungsmodell bestätigen. Die Erkenntnis, dass die Welt nicht außerhalb unserer Theorien über sie existiert, sondern dass Theorien uns helfen, eine Welt zu konstruieren, worin wir uns zurechtfinden und agieren können, mithin bis zu einem gewissen Grad immer auch „self-fulfilling prophecies“ sind, hat zu einem Aufstand gegen die Vorherrschaft der „positivistischen“ Schulen, insbesondere des Realismus mit seinem Objektivitätsanspruch geführt (vgl. Smith, 1996; 1997). In einem frühen Stadium der Auseinandersetzung hat Keohane eingeräumt, die Einwände der von ihm so benannten reflexiven Denkschule seien teilweise berechtigt (Keohane, 1989, S. 158-179). Rationalistische Ansätze gehen oft von unhistorischen Voraussetzungen aus und verdrängen, dass die Präferenzen der Akteure nicht einfach gegeben sind, sondern durch historische Entwicklungen, institutionelle und kommunikative Praktiken sowie soziale Lernprozesse geformt werden. Keohane verlangt von rationalistischen Modellen, dass sie die Ausgangsbedingungen berücksichtigen, unter denen Akteure sich entscheiden müssen. Die reflexive Kritik bleibt in seinem Urteil wissenschaftlich jedoch folgenlos, da ihr ein kohärentes Forschungsprogramm fehlt. 10 Vgl. dazu die Arbeiten von Susan Strange, 1988; 1995; 1996; Stubbs/Underhill, 1994; Tooze, 1997. 11 Ausführliche Diskussionen finden sich bei Linklater, 1990; Halliday, 1994; vgl. auch Maclean, 1988; für einen knappen Überblick Smith, 1994; Linklater 1996b.
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Den Versuch, den Graben zwischen rationalistischen und reflexiven Ansätzen zu überbrücken, hat einige Jahre später Alexander Wendt unternommen. Der neoliberale Institutionalismus befindet sich ihm zufolge in einem Dilemma. Sein wissenschaftliches Ziel besteht darin, Lernprozesse zu erklären, die kooperatives Verhalten bewirken. Die ökonomische Theorie der rationalen Entscheidung ist ihm dabei nicht dienlich; angewiesen wäre er auf soziologische und psychologische Theorien der Bildung und Veränderung von Identitäten, Interessen und Präferenzen im Prozess der Interaktion. Wendt sieht das Verdienst der von ihm als konstruktivistisch bezeichneten Ansätze darin, dass sie über solche Theorien verfügen. Die neorealistische Auffassung, wonach die internationale Anarchie gleichsam naturgegeben ist, hält er für falsch; die Anarchie ist ein soziales Konstrukt, ein Produkt institutioneller Praktiken; „anarchy is what states make of it“ (Wendt, 2000, S. 617). Eine grundsätzliche Rationalismuskritik, wie sie in postmodernen oder poststrukturalistischen Ansätzen gefordert wird, dürfte der Forschung kaum dienlich sein (vgl. Halliday, 1996). Es bleibt, wie Martin Hollis (1996) gezeigt hat, unklar, was unter Post-Positivismus zu verstehen ist und ob damit das Projekt der Aufklärung insgesamt verabschiedet werden soll. Eine aufgeklärte, in der Tradition von Marx und Weber stehende Sozialwissenschaft glaubt an die Möglichkeit objektiver Erkenntnis, richtet ihre Aufmerksamkeit aber zugleich auf das die objektive Realität gestaltende und verändernde subjektive Handeln. Die Existenz von Institutionen ist für sie freilich dann unstrittig, wenn diese sich auf menschliche Handlungsmöglichkeiten auswirken, wobei zunächst unerheblich ist, ob sie naturgegeben oder konstruiert sind.
8 Deskriptive und normative Theorie Als eigenständiger Beitrag zur Disziplin der Internationalen Beziehungen gelten in neueren Lehrbüchern normative Theorien.12 Das Spannungsverhältnis zwischen Souveränität und Menschenrechten, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die Rechtmässigkeit von Interventionen in die inneren Angelegenheiten von Staaten oder die Verteilung von Nutzen und Lasten im globalen Kooperationssystem sind Forschungsthemen solcher Theorien. Allerdings können empirische Theorien internationaler Politik auf normative Annahmen nicht verzichten, und normative Theorien stützen sich notwendig auf empirisch überprüfbare Annahmen über menschliche Fähigkeiten und Bedürfnisse oder über die Macht und Wandlungsfähigkeit von Institutionen. Dennoch ist es sinnvoll, zwischen deskriptiver und normativer Theorie zu unterscheiden. Empirische Theorien, die den Zustand der Welt beschreiben, haben wissenschaftlichen Kriterien zu genügen. Normative Theorien können dagegen nicht verifiziert oder falsifiziert werden; ob etwas der Fall sein soll oder nicht, ob eine bestimmte Form der Machtausübung legitim ist oder nicht, 12 Vgl. dazu Beitz, 1979 (ein frühes Werk der kosmopolitischen Richtung); Beitz/Cohen/Scanlon/Simmons, 1985; Ellis, 1986; Brown, 1992; Nardin/Mapel, 1992; Thompson, 1992; Forbes/ Hoffman, 1993; Hoffman, 1994; Frost, 1996; Walzer, 1996 (repräsentativ für die kommunitaristische Richtung); Mapel/Nardin, 1998; Cochran, 1999.
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ist nicht empirisch überprüfbar. Der Wahrheitsgehalt normativer Theorien hängt von ihrem Erfolg in vernünftigen Diskursen ab. Es ist aber vielleicht möglich, zu überprüfen, ob politische Ordnungen, die als legitim anerkannt werden, langfristig eine größere Stabilität aufweisen als solche, die nicht als legitim anerkannt werden. Selbstverständlich sind solche Überprüfungen heikel, wie exemplarisch Rawls’ Wortwahl zeigt, wenn er von „stability for the right reasons“ spricht (Rawls, 1999: 12 f.). Empirisch lässt sich überprüfen, ob eine Ordnung stabil ist und mehrheitlich anerkannt wird, kaum überprüfen lässt sich hingegen, ob die tiefsten Motive, die die Akteure eine Ordnung unterstützen lassen, „richtige Gründe“ sind. So können Sozialordnungen, die auf einer ungleichen Verteilung von Handlungsmöglichkeiten und Information beruhen, wegen der beschränkten Urteils-, Handlungs- oder Widerstandsfähigkeit der Mehrheit relativ stabil sein, vom Standpunkt moderner Gerechtigkeitstheorien aber dennoch nicht als legitim gelten. Gleichwohl ist die Hoffnung, es möge gelingen, den Abgrund zwischen empirischer und normativer Fragestellung zu überbrücken, ohne einem naturalistischen Fehlschluss zu erliegen, nicht ganz vergeblich. Ob jemand einen Vertrag aus Eigeninteresse oder aus Gerechtigkeitssinn einhält, lässt sich nicht überprüfen, ob der Vertrag eingehalten wird, jedoch schon. Es ist denkbar, dass im Zuge einer Arbeitsteilung normative Theorien Hypothesen über die stabilisierende Wirkung von Prinzipien fomulieren und empirische Theorien Verifikations- oder Falsifikationskriterien definieren. Zweck der Politik ist im Urteil der modernen politischen Philosophie die Herstellung des Friedens als eines Zustands gesellschaftlicher Stabilität, worin alle Menschen über die gleiche Handlungsfreiheit verfügen. Ein Recht auf stabile Verhältnisse gehört mithin zum modernen Verständnis von Gerechtigkeit. Bedingung einer stabilen Ordnung ist die gleichberechtigte Teilnahme aller Betroffenen an politischen Entscheidungen. Bei den Entscheidungsberechtigten wird zwar eine gewisse Kompetenz vorausgesetzt, doch wird angenommen, dass diese Kompetenz hauptsächlich in der Ausübung der politischen Praxis selbst gewonnen wird; breite Partizipation ist daher im Interesse der Erhaltung einer stabilen Ordnung. Diese ist gefährdet, wenn einer Gruppe der Gesellschaft die Kontrolle über ihre Lebensbedingungen entzogen wird oder wenn das politische Gemeinwesen insgesamt die für es vitalen Belange nicht mehr kontrolliert.13 Stabilität im Sinne symmetrischer Reziprozität zwischen autonomen Menschen lässt sich als Norm begründen. Stabilität als dauerhafte und funktionsfähige Ordnung lässt sich als Faktum überprüfen. Obgleich beide Konzeptionen von Stabilität nicht gleichgesetzt werden dürfen, ist kaum zu bestreiten, dass empirische Forschung, wenn sie Frieden und Recht Krieg und Anarchie vorzieht, von normativen Motiven ausgeht, und dass die normative Reflexion Gerechtigkeit stets auch als Mittel zum Zweck der empirisch überprüfbaren Fundierung sozialer Ordnung begreift. Seit einiger Zeit artikuliert sich in der Theorie der internationalen Beziehungen14 das Bedürfnis, über einen den veränderten globalen Realitäten angemessenen 13 Ich fasse Einsichten von Rousseau, Kant, Mill und Marx zusammen. 14 Rosenau, 1989; 1990, S. 6 ff; Brown, 1996, S. 1-12; Williams, 1996, S. 141-160.
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Begriff der Politik zu verfügen. Die Differenz zwischen dem „eigentlich“, das heißt innerhalb nationaler Grenzen lokalisierbaren Politischen und den internationalen Angelegenheiten, zwischen einem gesetzlich geregelten Innenbereich und einem anarchischen Außenbereich ist von Robert Walker (1993) als metaphysisches Konstrukt entlarvt worden. Der auf Vorstellungen von Inklusion und Exklusion aufbauende Politik-Begriff ist fragwürdig geworden, damit aber auch der herkömmliche Begriff internationaler Politik. Einer Situation, in der Staaten auch auf globaler Ebene nicht mehr die einzigen Akteure sind, ist er nicht angemessen; er sollte, so James Rosenaus Vorschlag, durch einen Begriff post-internationaler Politik ersetzt werden. Die moderne politische Philosophie basiert auf der Überzeugung, jeder Zustand, in dem Menschen sich gegenseitig Schaden zufügen oder sich in ihrer Freiheit einschränken, sei mittels der Errichtung politischer Institutionen überwindbar. Eine Beschränkung der politischen Aufgaben auf einen nationalen Innenbereich ist folglich unzulässig. Das heißt nicht, nur ein Weltstaat vermöge die elementaren politischen Aufgaben zu lösen. Es heißt, dass die moderne PolitikKonzeption beim Entwurf von Ordnungsmodellen nach Möglichkeit von den allen Menschen beziehungsweise allen potentiellen Gegnern im Naturzustand gemeinsamen Motiven ausgehen muss.
9 Abschließende Bemerkungen Dass grundlegende politische Aufgaben künftig nur noch global bewältigt werden können, wenn sich gesellschaftlich-wirtschaftliche Kooperationssysteme globalisieren, versteht sich von selbst. Vom Grad der Integration in ein Kooperationssystem sowie der Beteiligung am Nutzen dieser Kooperation hängt es aber ab, inwiefern sich Individuen und Gruppen als Kooperierende mit Rechten und Verantwortungen verstehen. Theorien der internationalen oder globalen Politik enthalten Annahmen über die Rationalität individueller und institutioneller Akteure sowie über die Ausdehnung von Kooperationssystemen. Die realistische Verengung der Sichtweise auf staatliche Politik, die Auffassung, wonach Staaten homogene Gebilde mit einheitlichen Interessen sowie die einzigen Akteure der globalen Politik sind, widerspricht heutigen Realitäten. Das heißt nicht, die Aufmerksamkeit für interessegeleitetes Verhalten und Strategien der Machtakkumulation erübrige sich, es heißt, dass dabei nicht allein die Staaten in Betracht kommen dürfen. Liberale und radikale Ansätze haben gegenüber realistischen den Vorzug, dass sie über ein umfassenderes Modell potentieller Akteure verfügen und darüber hinaus gewisse normative Prinzipien der Moderne als mögliche Motive politischen Handelns in Betracht ziehen. Sie setzen voraus, dass Menschen rationale und vernünftige Wesen sind, die ein Wissen um die langfristigen Bedingungen erfolgreicher Interessenverfolgung erwerben und danach handeln, aber auch bereit sind, ihren eigenen Freiheitsanspruch mit dem Freiheitsanspruch aller anderen Menschen in Beziehung zu setzen. Gerade liberale Theorien blenden jedoch gerne aus, dass individuelle und kollektive Akteure nur in einem beschränkten Ausmaß frei sind, die Verhältnisse zu gestalten und zu verändern, weil ihre Handlungsfähigkeit durch strukturelle
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Zwänge machtpolitischer und ökonomischer Art eingeschränkt wird. Strukturalistische Erklärungsmodelle korrigieren den naiven Optimismus liberaler Wirtschaftsdoktrinen; sie orientieren sich an einem nicht harmonischen, sondern antagonistischen Bild sozio-ökonomischer Modernisierung und fragen nach deren Auswirkungen auf das System der Verteilung von Macht und Chancen. Niemand bestreitet, dass eine langfristige Stabilisierung der globalen Verhältnisse bei allen Betroffenen die Bereitschaft voraussetzt, gleiche Rechtsansprüche zu respektieren. Diese Bereitschaft kann aber nur auf der Überzeugung beruhen, im System der Verteilung von Macht, Freiheit und Wohlstand angemessen berücksichtigt zu werden. Stabilisierung setzt mithin Demokratisierung voraus, wobei unter Demokratie eine Ordnung zu verstehen ist, die gleiche Rechte garantiert, gleiche Chancen, diese Rechte zu nutzen, sowie gleiche Teilnahmemöglichkeiten an politischen Entscheidungsprozessen. Demokratien führen untereinander keinen Krieg, so lautet ein bekanntlich leicht zu falsifizierendes liberales Theorem. Die Theorie ist folglich auf Hilfshypothesen angewiesen, die es erlauben, zwischen echter und unechter Demokratie zu unterscheiden. Echte Demokratien, die den oben definierten Kriterien entsprechen, würden, so ließe sich das Theorem umformulieren, aus der Welt einen friedlicheren Ort machen, im Wissen darum, dass Verteilungsungerechtigkeit kriegsfördernd sein kann, eine weniger diskriminierende Chancenverteilung anstreben und derart einer globalen Demokratisierung zuarbeiten. Ist diese Hoffnung realistisch? Zweifellos spielen radikaldemokratische Bewegungen heute weltweit eine stärkere Rolle und können sich von Fall zu Fall zu Kräften entwickeln, die den mächtigen staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren globaler Politik Widerstand leisten können (Gilbert 1999). Allerdings ist gegenwärtig schwer absehbar, ob und wie diese Bewegungen über Grenzen hinweg kommunizieren, ihre Bemühungen koordinieren und verhindern können, dass demokratische Impulse im nationalen Rahmen von anti-etatistischen, national-populistischen oder religiös-traditionalistischen Kräften instrumentalisiert und für die Verteidigung von Privilegien mobilisiert werden. Nur eine demokratische Weltordnung, die die Bevölkerungen aller, einschließlich armer Länder einbezieht, könnte die bestehenden Macht- und Wohlstandsdisparitäten abbauen; doch es sind gerade diese Disparitäten, die das kosmopolitische Projekt als utopisch erscheinen lassen. Jede Theorie internationaler oder globaler Politik ist mit diesem Paradox konfrontiert und muss sich daher mit Macht befassen. Macht lässt sich nicht auf Staatsmacht reduzieren, wie dies klassisch-realistische Lehren tun. Ein kritischer Realismus hätte Machtbeziehungen auf mehreren Ebenen zu lokalisieren und zu analysieren: auf der Ebene der Staaten wie auf jener der Gesellschaft und der Wirtschaft (vgl. Falk, 1997; Harrod, 1997). Ökonomische Macht wirkt im Bereich von Arbeit und Produktion, in Marktmechanismen, aber auch im rechtlich-politischen Bereich, wie der wachsende Einfluss von Unternehmen auf Regierung und Gesetzgebung zeigt. Wie die wenigen Stichworte zeigen, müssen Theorien der entgrenzten Politik fachliche Grenzen überwinden, um prüfen zu können, welche Kräfte auf die globalen Konstellationen einwirken, sich gegenseitig verstärken oder neutralisieren. Das Bedürfnis nach verbindlichen Regeln in einer unübersichtlichen Welt gehört ebenso dazu wie die Versuchung hegemoni-
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aler Mächte, die Regeln nach Maßgabe partikularer Interessen zu interpretieren. Gerechtigkeitsvorstellungen, die von allen Menschen geteilt werden, können die globale Politik genauso gestalten wie Kommunikationsschwierigkeiten und Interessengegensätze zwischen Nutznießern und Leidtragenden der bestehenden Ordnung. Einsichten in die Bedingungen stabiler Verhältniße, die zur Bereitschaft führen, Macht und Ressourcen gerechter zu verteilen, stehen Illusionen über Möglichkeiten, privilegierte Positionen langfristig halten zu können, ohne permanente und für alle Seiten nachteilige Konflikte zwischen reichen und armen Weltregionen zu provozieren, gegenüber. Die Mechanismen eines deregulierten Kapitalismus wirken ebenso wie politische Projekte und soziale Bewegungen, die eine stärkere Regulierung oder Demokratisierung der Wirtschaft anstreben. Die Schwierigkeit, etwas über das Resultat des Zusammenwirkens und Zusammenprallens dieser Kräfte auszusagen, gibt einen Eindruck von der Aufgabe, die sich einer Theorie der Weltpolitik heute stellt.
Globalisierung vor der Globalisierung. 15 000 Jahre interkontinentalen Wettbewerbs1 Thomas Kesselring Der Begriff „Globalisierung“ ist vieldeutig. Manche denken dabei in erster Linie an die abnehmende Bedeutung staatlicher Grenzen für die Wirtschaft. Verschiedene regionale Märkte werden zunehmend vernetzt. Nicht mehr nur Kapital, auch Produktionsstätten, Vertriebszentren, ja Firmensitze lassen sich über Landesgrenzen hinweg verschieben. Auch die regionalen Finanzmärkte verschmelzen zunehmend zu einem Einzigen. Landesgrenzen werden zu einer „quantité négligeable“. In dieser Situation sehen die einen ein Motiv zu fast utopischen Hoffnungen, die anderen einen Grund zur Sorge. Der Begriff „Globalisierung“ hat aber noch ganz andere Dimensionen. Häufig wird die Frage gestellt, was an der gegenwärtigen Situation wirklich neu ist und wo die Gründe zur Hoffnung, ja Euphorie einerseits und zur Skepsis, ja zur Alarmstimmung andererseits liegen, zu denen die mit dem Begriff „Globalisierung“ gemeinten Vorgänge Anlass geben. Wer diesen Fragen nachgehen will, sollte sich auch diese anderen Dimensionen in Erinnerung rufen.
1 Die Mehrdeutigkeit des Begriffs „Globalisierung“ Neben der angedeuteten weltwirtschaftlichen Komponente weist der Begriff „Globalisierung“ diverse weitere Bedeutungskomponenten auf, und jede von ihnen hat einen hohen Aktualitätsgrad:2 „Globalisierung“ bedeutet erstens, dass lokale Errungenschaften, z. B. Coca Cola, die Pizza oder der Samba, sich weltweit (jedenfalls weit über ihre Ursprungsgebiete hinaus) ausgebreitet haben. Mit der Schrift, dem Rad oder dem Webstuhl ist das schon vor Jahrtausenden geschehen. Wie sähen unsere kulinarischen Gewohnheiten aus, wenn Tomate, Kartoffel, Mais, Reis, Bohnen, Kaffee, Kakao usw. nie den Weg bis zu uns gefunden hätten? Ein Auto, ja sogar ein Fahrrad vereinigt in sich Materialien aus praktisch allen Kontinenten. Auch das moderne kapitalistische Unternehmen ist ursprünglich eine lokale Innovation gewesen, die von Europa aus immer weitere Teile des Globus eroberte. In ihrem 1 2
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Nationalfonds-Projekts 11-46977.96 „Entwicklung in Nord und Süd – ethische Aspekte“ entstanden. Ich folge der Einteilung von Boaventura de Souza Santos: Vers une conception multiculturelle des droits de l’homme. In: Droit et Société 35/79, 1997. Original: Uma concepção multicultural de direitos humanos. In: Lua Nova 39, 1997, S. 105-123.
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Windschatten akzentuierte sich ein Verdrängungswettbewerb, mit dem sich heute alle Gesellschaften arrangieren müssen. Daher steht „Globalisierung“ zweitens für den praktisch überall spürbaren Zwang, sich in hektischen Rhythmen wechselnden Situationen anzupassen. Beschleunigte technologische Entwicklung, eine überbordende Informationsflut und expandierende Abfallvolumen flankieren diesen Prozess. Während sich die Finanzmärkte rund um den Globus immer enger miteinander vernetzen und zu gigantischen Spekulationen Gelegenheit bieten, wird für viele Menschen, vor allem im Süden, der Kampf ums Überleben zunehmend härter. Flüsse werden vergiftet, Meere leer gefischt, Wälder abgeholzt, Arten dezimiert. Überlieferte Lebensformen zerfallen, indigene Völker verlieren ihre Territorien und sind zunehmend in ihrer Existenz bedroht. Daraus ergibt sich drittens eine wachsende Reihe von Herausforderungen, die kein Staat mehr im Alleingang in den Griff bekommen wird: die ökologische Krise mit drohendem Klimawandel; die abgrundtiefe Kluft zwischen Arm und Reich; die Folgen des demographischen Wachstums – unsere Spezies hat sich im 20. Jahrhundert praktisch vervierfacht. Eine Gefahr besonderer Art stellt das vielfältige technologische Destruktionspotential – namentlich das nukleare – dar, das im Prinzip jederzeit Unberufenen in die Hände fallen kann. Wir haben es nicht nur in der Hand, uns und einen Großteil des irdischen Lebens in den Abgrund zu manövrieren, sondern wir können auch zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen, wie wir dabei vorgehen wollen. Im Gegensatz zu den Phänomenen, die sich hinter der „Globalisierung“ in den ersten beiden Bedeutungen verbergen, ist dieser dritte Phänomenkomplex wirklich neuartig. Neu ist insbesondere, dass wir alle im Hinblick auf diese multiple Herausforderung im gleichen Boot sitzen: Alle Gesellschaften, Staaten, ethnischen Gruppen auf diesem Globus müssen gezielt zusammenwirken, soll es ihnen gelingen, unliebsame Überraschungen abzuwenden. Globalisierung in dieser dritten Bedeutung hat normativen Charakter. Viertens hat sich auf verschiedenen Ebenen eine kosmopolitische Kultur etabliert. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind mit der UNO, der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds Organisationen von globaler Tragweite entstanden (zum Vergleich: die Katholische Kirche und die islamische ummah sind seit Jahrhunderten internationale, aber doch bei weitem nicht globale Gemeinschaften). Mehr als 60 000 Konzerne operieren heute in internationalem, ja zum Teil globalem Aktionsradius. Das gilt aber ebenso für die Mafia in all ihren Schattierungen – Drogenhandel, Waffenhandel, Organhandel, Frauenhandel, Kinderhandel. Die Höhe des Betrags, den diese Gruppen im Jahr erwirtschaften, wird auf 1,5 Billionen US-Dollar geschätzt – ein Sechstel des gesamten Outputs der transnationalen Konzerne (UNDP, 1999, S. 42 und 31). Diverse Schlepperorganisationen tun ihr Möglichstes, um die Wohlstandsparadiese, in denen das Bevölkerungswachstum inzwischen zum Stillstand gekommen ist, vor der Entvölkerung zu bewahren. Last not least: Selbst der Terror hat seine Netze rund um den Globus geknüpft. Parallel zu diesen Entwicklungen ist auch so etwas wie eine „globale Zivilgesellschaft“ im Begriff, sich zu konstituieren: Weltweit haben sich an die hunderttausend regierungsunabhängige Gruppierungen (so genannte NGOs) gebildet, wie Amnesty International, Greenpeace, Green Cross oder Ärzte ohne Grenzen. Im
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Engagement dieser Organisationen spiegelt sich die Reaktion der Zivilgesellschaft auf die oben erwähnten globalen Herausforderungen. Die Vielzahl der konkreten Anliegen (charakteristischerweise sind sie fast alle grenzüberschreitend) reichen von A, wie Artenschutz, Armutsbekämpfung oder Anti-Minen-Kampagnen, bis Z, wie Zertifizierung von Tropenholz. Fünftens existiert heute so etwas wie eine globalisierte Infrastruktur. Verkehr, Transport und Handel dringen bis in die hintersten Winkel des Erdballs vor. Ihr Volumen hat seit 300 Jahren um das Achthundertfache zugenommen – hundertmal schneller als die Weltbevölkerung. Ein Jahrhundert technischer Revolutionen – vom Telefon über Radio, Fernsehen, Fax bis zum Computer und zum Internet – hat uns Kommunikationsmöglichkeiten eröffnet, die sich auch die größten Geister der Wissenschaftsgeschichte kaum erträumt hätten. Flughäfen, Fünf-Sterne-Hotels und Kongresszentren bilden die „hardware“ zur Durchführung internationaler Kongresse und Konferenzen. In Wissenschaft, Wirtschaft und Politik haben sich internationale, polyglotte Verbände gebildet, bei denen typischerweise die Zugehörigkeit von nationalen Kriterien völlig unabhängig ist. Seit kurzem findet auch auf Seiten der Nichtregierungs-Organisationen eine Vernetzung statt – über die Plattform internationaler, ja mitunter globaler Diskussionsforen. Wie rasch dieser Prozess abläuft, zeigt sich an den explodierenden Teilnehmerzahlen bei den „Weltsozialforen“ in Porto Alegre (Januar 2001, 2002 und 2003), die von elftausend über sechzigtausend bis auf hunderttausend Personen stiegen. Wer dieser Bewegung eine „antiglobalisierende“ Tendenz unterstellt, verkennt ihren wahren Charakter. Neu an der „Globalisierung“ sind nur der dritte, vierte und fünfte Aspekt: die Herausforderung durch Gefährdungen, die alle Gesellschaften betreffen und auf die wir nur dann erfolgreich reagieren können, wenn alle mitmachen, sowie die Entstehung von Organisationen, deren Aktionsfeld sich nicht mehr auf einzelne Teile der Welt beschränkt, sondern mindestens potentiell die Welt insgesamt umfasst. „Globalisierung“ in den ersten beiden Bedeutungen findet hingegen schon seit langem statt. Die Ausbreitung kultureller Errungenschaften über ihren Entstehungsort hinaus ist ein Phänomen, das seit Tausenden von Jahren archäologische Spuren hinterlassen hat. Und man kann mit Sicherheit sagen, dass ohne kulturelle Diffusion die Gesellschaften dieses Planeten sich weniger rasch entwickelt hätten. Die Diffusion hatte während Jahrtausenden interkontinentale, wenn auch nicht im strikten Sinn globale Dimensionen. Darin liegt aber kein grundsätzlicher Unterschied zur Gegenwart. Einander benachbarte Gesellschaften tauschen sich leichter aus als weiter voneinander entfernt liegende, aber nützliche Errungenschaften werden von einer Gesellschaft an die nächste weitergereicht und erreichen auf diese Weise weite Verbreitung.3 Manchmal verhindern geographische Barrieren einen mehr 3
Vereinzelt gab es auch Kontakte und Völkerverschiebungen über die Grenzen der Kontinente hinweg. Die früheste Besiedlung Madagaskars erfolgte von Südostasien (wahrscheinlich Borneo) aus, was auch die Anwesenheit asiatischer Kulturpflanzen in Afrika erklären dürfte (Diamond 421, 488 f.). Die Hunnen stießen aus zentralasiatsichen Steppen bis nach Europa vor, und die Wikinger gelangten über Grönland bis zur kanadischen Ostküste, wo sie sich freilich nicht lange hielten.
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als bloß minimalen Austausch. Immer wieder kam es zu Begegnungen zwischen zuvor getrennten Gesellschaften, es kam zum Austausch, zu einem friedlichen Zusammenleben oder auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. So wie geeignetere und effizientere Techniken längerfristig weniger geeignete oder weniger effiziente verdrängten, so drängten auch Völker mit wirkungsvolleren Werkzeugen oder Waffen solche mit weniger wirkungsvollen zurück oder unterjochten sie. Dies geschah in der Regel dann, wenn die Gesellschaften, die aufeinander stießen, unterschiedlich weit „entwickelt“, d. h. mit kulturellen Errungenschaften und Techniken ausgerüstet waren. Diese Errungenschaften sicherten in der Regel (zu der es auch Ausnahmen gab) denen, die über sie verfügten, eine gewisse Überlegenheit: Ein größeres Bündel solcher Errungenschaften bedeutete mehr Chancen im „Wettbewerb“, mehr Macht: Viehzüchter und Ackerbauern verdrängten Jäger und Sammler. Ackerbauer setzten sich gegen Viehhirten durch (Kain erschlug Abel), Völker mit Reittieren drängten solche ohne Reittiere zurück, Gesellschaften mit metallurgischen Kenntnissen solche ohne. Eisen verdrängte Kupfer und Bronze, und Stahl verdrängte Eisen. Schriftkundige Gesellschaften wiederum waren gegenüber den schriftlosen im Vorteil, denn die Schrift erlaubte einerseits die Regelung komplexer wirtschaftlicher Vorgänge und Besitzverhältnisse, andererseits die Speicherung (und damit letztlich auch die Mehrung) von Wissen. Die Geschichte kennt viele Beispiele Jahrhunderte währender asymmetrischer Kooperation zwischen Sklaven haltenden und versklavten Gesellschaften, aber auch Beispiele des Verschwindens ganzer ethnischer Gruppen. Vorgänge dieser Art lassen sich nicht verstehen, wenn man die Beziehung zwischen den verschiedenen Gesellschaften nicht als (latentes) Wettbewerbsverhältnis interpretiert. Mit den Völkern Amerikas stehen die Völker Eurasiens seit gut fünfhundert Jahren in Kontakt und mit den Völkern Australiens seit etwa vierhundert Jahren. Zu manchen kleineren ethnischen Gruppen – etwa im Amazonasgebiet oder in Neu Guinea – wurde ein Kontakt erst im Laufe des 20. Jahrhundert hergestellt. So gesehen, stehen die Gesellschaften dieser Welt untereinander – alle mit allen – erst seit kurzem in Verbindung.4 Damit begann einerseits eine eigentlich globale Diffusion von Bräuchen, Mythen, Ideen, Kunst und technischen Erfindungen. Der sich beschleunigende Austausch von Kulturpflanzen – den es in moderater Form praktisch seit der Pflanzendomestikation gegeben hat – zeitigte (fast) überall Wirkung auf die Ernährung: Amerikanische Züchtungen – Mais, Erdnüsse, Kartoffeln, Tomaten, Kakao – breiteten sich in Eurasien und Afrika aus und eurasische – Reis, Getreide, Zuckerrohr, Bananen – in Amerika und Australien. Afrikanische Pflanzen wiederum – Kaffee etwa oder Sorghum – gelangten auf die übrigen Kontinente. Andererseits intensivierte sich die Verdrängung steinzeitlicher Völker in dem Maß, als sie nicht mehr bloß mit eisernen Lanzen und Krankheitskeimen, 4
Diese Aussage gilt natürlich nur cum grano salis. So haben indigene Völker in verschiedenen Weltregionen normalerweise keinen Kontakt untereinander, es sei denn, er bestehe in internationalen Konferenzen, an die sie alle einen Repräsentanten schicken.
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sondern auch mit raffinierteren technischen Mitteln betrieben wurde. An die Stelle von Jägern und Sammlern traten Viehzüchter und Ackerbauern, aber immer mehr auch Architekten, Ingenieure und Wissenschaftler, die Straßen, Städte, Häusertürme, Flughäfen, Staudämme, Atomkrafwerke, Unterseeboote, Computer, Raketen und Satelliten bauten.
2 Ein Blick auf die Geschichte Die einleitenden Überlegungen führen zu zwei Feststellungen: Erstens ist ein Teil der Prozesse, die wir eingangs unter dem Stichwort „Globalisierung“ subsumiert haben – nämlich der Austausch zwischen verschiedenen Gruppen oder Gesellschaften, also Kooperation und Wettbewerb über geographische, politische und ethnische Grenzen hinweg –, in der Geschichte schon seit langem am Werk. Warum also so tun, als stünden wir vor ganz neuen, historisch in jeder Hinsicht einmaligen Problemen? Zweitens, der internationale Austausch findet unter der Bedingung eines Entwicklungsgefälles statt, das sich über Jahrtausende aufgebaut hat. In diesem Entwicklungsgefälle spiegelt sich zugleich ein Machtgefälle wider. Diese Feststellung legt die Frage nahe, ob der Kern der Gerechtigkeits-Probleme statt in den Prozessen der so genannten „Globalisierung“ nicht vielmehr in diesem Entwicklungsgefälle zu suchen ist. In der folgenden Skizze soll der Versuch unternommen werden, die beiden Sachverhalte historisch auszuleuchten. Es erscheint uns heute selbstverständlich, dass die Europäer Amerika kolonisiert haben und nicht die indigenen Völker Amerikas Europa; dass die Europäer aus Afrika Sklaven exportiert haben und nicht umgekehrt die Afrikaner aus Europa; dass heute selbst in Australien mehr Weiße leben als Aborigines. Aber was sind dafür die tieferen Gründe? Zuerst soll ein Überblick über die wichtigsten Faktoren gegeben werden, die seit dem Abklingen der letzten Eiszeit, während knapp 15 000 Jahren, den zum Teil krass ungleichen Entwicklungsstand der Gesellschaften in den verschiedenen Regionen unseres Globus erklären helfen. In der anschließenden Skizze fragen wir nach den Umständen, unter denen sich die Modernisierung in Europa angebahnt und das erwähnte Entwicklungsgefälle zu seiner aktuellen Form zugespitzt hat.
3 Die Entwicklungsdynamik der letzten 15 000 Jahre Zur ersten Frage: Regional unterschiedliche Intensitäten der wirtschaftlichen Tätigkeit sind eine Tatsache, die sich historisch weit zurückverfolgen lässt. Die Suche nach ihrem Ursprung führt letztlich zurück bis zur Entstehung hierarchischer Gesellschaften. Diese fällt historisch mit der Hort- oder Schatzbildung zusammen, die sich an die Evolution der Landwirtschaft anschließt (Leroi-Gourhan 1980, S. 217). Eine Gesellschaft, bei der die Nahrungsmittelerzeugung eine bestimmte Produktivitätsschwelle überschritt, konnte ihre Überschüsse aufbewahren und ei-
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nen Teil ihrer Mitglieder für andere Leistungen freistellen. Die Gesellschaft wurde arbeitsteilig, und das bedingte die Schaffung eines Verteilungssystems. Waren die Vorräte bedeutend, so mussten sie bewacht und die Bewachung organisiert werden. Die Zentralisierung der Befehlsgewalt bot in dieser Situation Effizienz-Vorteile gegenüber einem dezentralen Entscheidungsmodell, wie es für segmentäre Gesellschaften typisch war. Mit dem Häuptlingswesen entstanden eine Konzentration der Macht, eine hierarchische Gliederung der Gesellschaft und ein Konzentrationsgefälle in der Siedlungsstruktur. Städte oder Dörfer als Zentren, Landwirtschaftszonen als Peripherien. Bestimmte Aktivitäten – Handwerk, Metallurgie, Tempelwesen usw. – konzentrierten sich in den Zentren. Vorstaatliche Häuptlings-Gesellschaften sind heute längst in Staaten integriert (hierarchische Clan-Strukturen treten überall dort wieder zum Vorschein, wo die staatlichen Strukturen zerfallen). Doch die Unterscheidung zwischen Ballungsräumen und Hinterland, zwischen Machtzentren und abhängigen Regionen, zwischen Zentren und Peripherien ist uns erhalten geblieben. Ballungs- und Machtzentren gibt es auch in demokratischen Staaten mit Gewaltenteilung. Das Wesen der modernen (liberalen) Demokratie und des Verfassungsstaates liegt nicht in einer Rückkehr zu flachen Entscheidungsstrukturen oder einer Einebnung jeder Art von Machtgefälle, sondern in der Ausbalancierung der Gewalten einerseits und der systematischen Begrenzung jeder Art von legitimer Machtausübung andererseits. Zur zweiten Frage: Wie erklärt sich die Entstehung eines Entwicklungsgefälles in der internationalen (globalen) Dimension? Wie kam es dazu, dass bestimmte Gesellschaften vor anderen einen Entwicklungsvorsprung errangen? Der amerikanische Physiologe und Linguist Jared Diamond ist in einer vor wenigen Jahren erschienenen Studie dieser Frage nachgeganen. Er hat dabei vier Gruppen entwicklungsrelevanter Bedingungen freigelegt, die das Phänomen ungleicher Entwicklung besser verstehen helfen: biologische, klimahistorische, geographische und rein mathematische (zum Folgenden: Diamond, 1998). (a) Biologische Bedingungen: Wie sich seit der letzten Eiszeit, vor etwa 13 000 Jahren, in den verschiedenen Weltregionen der Übergang von Jäger- und SammlerGesellschaften zu Viehzüchtern und/oder Ackerbauern vollzog, hing in hohem Maße davon ab, wie diese Regionen mit Pflanzen und Tieren ausgestattet waren. Wildbeutergesellschaften gingen nur dann zu sesshafter Lebensweise über, wenn die unmittelbare Umgebung ausreichend Nahrung bot, um längere Wanderungen für die Nahrungsmittelsuche überflüssig werden zu lassen. Ackerbaugesellschaften wurden praktisch immer sesshaft, Viehzüchter wurden es dort, wo die Böden fruchtbar genug für eine Dauerbeweidung waren. Komplexere soziale Organisationsformen mit Arbeitsteilung und Spezialisierung entstanden nur in sesshaften Gesellschaften, und zu kulturellen Innovationen wie der Entstehung der Schrift, der Metallverarbeitung oder der Geldökonomie kam es nur in arbeitsteiligen Gesellschaften mit Spezialisierung. Die Chancen für den Schritt zur Landwirtschaft und zur Sesshaftigkeit hingen weitgehend von der Verfügbarkeit von Pflanzen ab, die sich erfolgreich domestizieren, das heißt in einer für menschliche Zwecke günstigen Weise genetisch ver-
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ändern ließen.5 Diese Chancen waren nicht überall gleich hoch. Entscheidend für das Verständnis des Übergangs von der Lebensweise als Wildbeuter zur Agrikultur ist nicht so sehr die Frage, in welcher Region sich welches Gewächs domestizieren ließ, sondern in welcher Region es eine genügend hohe Anzahl geeigneter Pflanzen gab, mit deren Züchtung sich genügend Nährstoffe produzieren ließen, damit eine Gesellschaft sesshaft werden konnte. Stellt man in Rechnung, dass der Übergang vom Pflanzensammeln zum Ackerbau von einer allmählichen Veränderung des pflanzlichen Erbguts begleitet wurde, so liegt auf der Hand, dass die Dauer dieses Übergangs auch von der Art der Pflanzen abhing. Je geringer der Abstand zwischen Wild- und Kulturform, desto rascher dieser Übergang. In jedem Fall dauerte er viele Generationen und erfolgte weder nach einem Plan noch zielgerichtet, zumal er den Akteuren in seiner Tragweite sicher gar nicht bewusst war.6 Der fruchtbare Halbmond in Westasien war gegenüber anderen Regionen begünstigt. Dank einer Kombination domestizierbarer Pflanzenarten, die unter anderem Weizen, Erbsen und Oliven enthielt, begann die Landwirtschaft dort um 8500 v. Chr. – früher als anderswo. Die Wildformen des Weizens wiesen so große Samen auf, dass die Gruppen, die sie ernteten, wahrscheinlich sesshaft wurden, ohne den Weizen vorher lange durch Zucht verändert zu haben. Günstig waren die Bedingungen auch in China, wobei vieles dafür spricht, dass Nord- und Südchina den Schritt in die Agrikultur (etwa um 7000 v. Chr.) zunächst mit unterschiedlichen Bündeln von Pflanzen vollzogen, bevor es zum Austausch zwischen den beiden Regionen kam. Weniger günstig waren die Verhältnisse in den beiden Amerikas, und dies in mehreren Hinsichten: Von den weltweit insgesamt 56 Sorten Wildgräser, die sich für die Züchtung von Getreide (Weizen) eignen, kommen dort nur 11 vor, dreimal weniger als im Mittelmeerraum, und diese verteilen sich auf weit voneinander entfernte Gebiete. Beim kultivierten Mais ist der Fruchtstand mehr als zehnmal so groß als der Fruchtstand der Wildpflanze (Teosinte), von der er vermutlich abstammt; entsprechend lange, wahrscheinlich Jahrtausende, dauerte seine Domestikation (Diamond, 1998, S. 158 f). In Amerika mussten sich die Menschen also auch dann noch jagend und sammelnd ernähren, als sie längst schon mit dem Anbau von Pflanzen begonnen hatten. – Die Ureinwohner Australiens sind, weil ein geeignetes Bündel domestizierbarer Pflanzen fehlte, gar nie zur Landwirtschaft übergegangen. Ähnliches gilt für die Völker im Süden Afrikas, die Khoi und die San, die teils Jäger blieben und teils Schafe und Rinder eurasischer Herkunft züchteten (S. 493). Sie betrieben keine Landwirtschaft, denn die Zahl der domestizierbaren Pflanzen war in den südlich des Äquators gelegenen Teilen Afrikas dafür zu gering (S. 483, 495). 5
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Der Übergang zur Landwirtschaft ist an mindestens fünf Stellen auf der Welt unabhängig voneinander vollzogen worden: in Vorderasien („fruchtbarer Halbmond“), in China, in Mittelamerika, in den Anden bzw. im Amazonasgebiet sowie im Osten der heutigen USA. In vier weiteren Gebieten – im Sahel, im tropischen Westafrika und in Äthiopien sowie im Hochland von Neuguinea – könnte die Landwirtschaft ebenfalls unabhängig entstanden sein, aber die Frage ist durch die Archäologen noch nicht entschieden. Diamond, 1998, S. 108 ff. und Tabelle 4.1. „Jäger und Sammler domestizierten Weizen und Gerste wahrscheinlich, indem sie die Ähren schnitten, nach Hause trugen und einen Teil der Ernte als Saatgut verwendeten, wobei im Laufe der Zeit jene Arten selektiert wurden, die die Körner am besten in der Ähre behielten.“ Iliffe, 1997, S. 25.
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Hinsichtlich der Ausstattung mit Großwild bestanden zwischen den verschiedenen Kontinenten ebenfalls erhebliche Unterschiede: Beschränkt man die Betrachtung auf die „Domestikationskandidaten“ – landbewohnende Pflanzen – oder Allesfresser, die im Durchschnitt mindestens 45 Kilogramm wiegen und in Gefangenschaft die Fortpflanzung nicht verweigern7 –, so zeigt sich, dass Eurasien einschließlich Nordafrika wiederum bessere Karten anzubieten hatte als alle übrigen Erdregionen.8 In Afrika südlich der Sahara lebt zwar bis heute eine große Vielfalt an Großwild, einige Arten wurden auch gezähmt (die Elefanten zum Beispiel, mit denen Hannibal die Alpen überquerte), aber keine einzige ließ sich in Gefangenschaft oder in von Menschen kontrollierten Herden halten und genetisch verändern (Diamond, 1998, S. 497)9. Eurasien
Afrika südlich der Sahara
Nord- und Südamerika
Australien
Anzahl Kandidaten
72
51
24
1
domestizierte Arten
13
0
1
0
prozentualer Anteil
18 %
0%
4%
0%
(Tabelle nach Diamond, 1998, S. 190)
In Australien sowie in Nord- und Südamerika starben die meisten größeren Tiere etwa zum Zeitpunkt der Ankunft der ersten Menschen oder kurz danach aus. Dieser Zeitpunkt liegt im Falle Australiens etwa 40 000 Jahre, im Falle der beiden Amerikas etwa 13 000 Jahre zurück. Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Tiere an die Jagdkünste der Einwanderer nicht schnell genug anpassen konnten. In Afrika und Eurasien dauerte die Evolution der Jagdtechniken Jahrhunderttausende, sodass sich hier ein erheblicher Teil des Wilds mit den Menschen arrangierte.10 Die einzigen in Amerika heimischen größeren Tiere, die sich zur Züchtung eigneten,
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Weitere Bedingungen kommen dazu: Die Tiere müssen in Herden oder Rudeln leben, statt Territorialverhalten zu zeigen, und möglichst eine Dominanzordnung aufweisen, an deren Spitze sich der Mensch stellen kann. Sie dürfen für den Menschen nicht gefährlich werden und müssen schnell genug wachsen, damit sich der mit ihrer Aufzucht verbundene Aufwand rechnet. Diamond, 1998, S. 190, 200-205. – Die Domestikation von Tieren, die man nicht einfach weiden lassen kann, setzt eine entsprechende Nahrungsmittelproduktion voraus, was verständlich macht, weshalb etwa die Zucht von Schweinen oder Federvieh (im Gegensatz zur Zucht von Ziegen, Schafen oder Rindern) Pflanzendomestikation, also Landwirtschaft, voraussetzt. 8 In anderer Hinsicht ein wichtiges Haustier ist der Hund, der seit Jahrzehntausenden in Eurasien nachgewiesen ist und der auch der indigenen Bevölkerung Amerikas bekannt war. 9 Die wichtigsten fünf Arten größerer landwirtschaftlich genutzter Tiere (Schaf, Ziege, Rind, Pferd und Schwein) stammen alle aus Asien. Bei zweien, nämlich dem Rind und dem Schwein, kamen die Wildformen auch in Nordafrika vor. Die weiteren neun großen Zuchttiere haben folgende Ursprungsgebiete: Dromedar (einhöckriges Kamel): Arabien und angrenzende Regionen. Zweihöckriges Kamel: Zentralasien. Esel: Nordafrika, zuvor vielleicht auch Vorderasien. Rentier: nördliches Eurasien. Wasserbüffel: Südostasien. Jak: Himalaya und Hochland von Tibet. Bali-Rind: Südostasien. Gaur (Dschungelrind): Indien und Burma. Lama/Alpaka: Anden. Diamond, 1998, S. 188 f. 10 Auf isolierten Inseln, wie den Galapagos, fliehen die Tiere noch heute nicht vor dem Menschen.
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sind das Lama und das Alpaka in den Anden – zwei Varietäten, die wahrscheinlich beide auf das Guanako als Wildform zurückgehen. Aus dem kühlen Gebirgsmilieu ließen sie sich aber in keine klimatisch differente Region, z. B. nach Mittelamerika, versetzen. So kam es, dass keines der indigenen Völker Amerikas über domestizierte Tiere verfügte, die kräftig genug waren, um sich als Zugtiere vor einen Wagen oder einen Pflug spannen zu lassen. Deswegen beschränkte sich in Amerika die Landwirtschaft auf Gartenbau und Hackkulturen, und es fehlte ihr der tierische Dünger. In Mittelamerika war das Rad zwar erfunden, es fand aber lediglich in Spielzeug aus gebranntem Ton Verwendung,11 und in Australien blieb es bis zur Ankunft der Europäer unbekannt. Das Fehlen von Viehherden in den beiden Amerikas und in Australien erklärt noch einen anderen Unterschied: Die meisten Krankheitskeime, die den Menschen in Eurasien und Afrika zu schaffen machten, haben sich aus dem Zusammenleben zwischen Mensch und Vieh entwickelt. Die eurasischen und afrikanischen Völker hatten genügend Zeit, sich an diese Keime zu gewöhnen. Den Gesellschaften Amerikas und Australiens fehlte diese Immunität, und so wurden nach Ankunft der Europäer ganze Völker Opfer von Epidemien. (b) Klimageschlichtliche Faktoren: Wenn Menschen schon vor Jahrhunderttausenden über die eurasisch-afrikanische Landmaße hinaus in Richtung auf andere Erdteile vordrangen, so war das nur deswegen möglich, weil sich der Meeresspiegel während verschiedener Kälteperioden um hundert bis zweihundert Meter senkte. Das asiatische Festland reichte zeitweilig bis zur heutigen Insel Java. Die ältesten in dieser Gegend gefundenen Skelettteile sind über eine Million Jahre alt. Australien und Neuguinea wurden wesentlich später, vor etwa 40 000 Jahren, besiedelt. Zu dieser Zeit bildeten sie eine geschlossene Landmasse. Diese blieb auch während der Eiszeiten von Eurasien durch mehrere, bis zu 80 km breite Tiefseerinnen getrennt und ließ sich also zu keiner Zeit anders als mit Schiffen erreichen.12 Die erste Besiedlung Amerikas erfolgte vermutlich erst gegen Ende der letzten Eiszeit, zu einem Zeitpunkt also, als die Landbrücke zwischen Ostsibirien und Alaska nicht überflutet war. Wäre die Klimageschichte anders verlaufen, so hätte Kolumbus in Amerika möglicherweise keine Menschen angetroffen. (c) Es sind vor allem drei Arten geographischer Bedingungen, die die Evolution menschlicher Gesellschaften beeinflussten: erstens die Größe der Landmassen, zweitens ihre geographische Ausrichtung und drittens die geographische Breite, in der die Siedlungsräume lagen. Was den dritten Punkt betrifft, so benötigte der vor etwa 40 000 Jahren auf der Bildfläche erscheinende Crô-Magnon-Mensch, der in punkto Gehirnvolumen dem 11 Wäre das Rad nicht in Mittelamerika, sondern in den Anden erfunden worden, so hätten die Inka vielleicht Wagen bauen können. 12 „Während die meisten dieser Rinnen zwischen Inseln lagen, die sich in Sichtweite voneinander befanden, war Australien selbst von den nächstgelegenen indonesischen Inseln Timor und Tanimbar aus niemals sichtbar.“ Die Besiedlung von Australien/Neuguinea vor etwa 40 000 Jahren setzte also Schifffahrt und Navigationskünste voraus. Es handelt sich um das älteste mit Sicherheit erschließbare Beispiel des Gebrauchs von Wasserfahrzeugen. „Erst rund 30 000 Jahre später (vor 13 000 Jahren) tauchten Boote in einem anderen Teil der Welt auf, und zwar im Mittelmeerraum.“ Diamond, 1998, S. 53.
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modernen Menschen praktisch gleichzusetzen ist, immerhin 20 000 Jahre, bis er die für arktische Zonen erforderlichen Überlebenstechniken entwickelt hatte und Sibirien eroberte.13 Die Besiedlung Amerikas konnte erst nach diesem Zeitpunkt beginnen. Die ältesten unbestrittenen menschlichen Spuren in Alaska sind 14 000 Jahre alt, also über fünfundzwanzigtausend Jahre jünger als die ältesten menschlichen Spuren in Australien.14 Die Okkupation Amerikas wurde weiter dadurch erschwert, dass das Vordringen aus den arktischen Regionen in Richtung Tropen eine ständige Neuanpassung an die wechselnden Klimata erforderlich machte. Nicht weniger ins Gewicht fällt der zweite Faktor – die geographische Ausrichtung der Kontinente: Amerika erstreckt sich über 14 000 Kilometer in nord-südlicher Richtung, von der nördlichen Arktis bis zum 56. Grad südlicher Breite.15 Die Vielfalt der Klimazonen verhinderte eine großflächige Ausbreitung der Kulturpflanzen. Ein zusätzliches Hindernis stellten die teilweise mit tropischem Regenwald bestandene Landenge zwischen den kontinentalen Hauptmassen sowie die Wüste im Norden Mexikos dar.16 Beide Faktoren zusammen erklären, weshalb in Amerika die meisten Nahrungspflanzen an mehr als einem Ort aus verwandten Wildformen gezüchtet worden sind. In Eurasien, das seine größte Ausdehnung (ebenfalls 14 000 Kilometer) in west-östlicher Richtung hat, kann man hingegen von einem Ende zum anderen, von Spanien nach Korea, gelangen, ohne die gleiche Klimazone zu verlassen. Das erklärt, wieso offenbar keine einzige Kulturpflanze aus Vorderasien nach ihrer anfänglichen Domestikation anderswo in Eurasien noch einmal gezüchtet wurde (Diamond, 1998, S. 216). Es gibt also mehrere Gründe, die erklären, weshalb in den beiden Amerikas alle Entwicklungsschritte – Beginn der Agrikultur, Entstehung von Häuptlingsgesellschaften mit Dörfern, Metallurgie usw. – mit einem zeitlichen Verzug von guten 3000 Jahren gegenüber Eurasien erfolgten. Auch in Afrika bildete die Nord-Süd-Ausrichtung eine Barriere gegen die Ausbreitung von landwirtschaftlichen Nutzpflanzen und von Vieh. Der schwarze Kontinent ist zwar die Wiege der Menschheit, aber Ackerbau und Viehwirtschaft sind nicht zuerst in Afrika, sondern in Westasien entstanden. Im Gebiet der heutigen Sahara weisen Spuren von Pflanzenzucht bis in die Zeit um 5200 v. Chr. zurück, also lange vor den Beginn der ägyptischen Hochkultur. Der Ausbreitung dieser Pflanzen nach Süden waren jedoch Grenzen gesetzt. Mediterrane Pflanzen keimen nicht in den Tropen und tropische nicht in Nordafrika. Jene sind an Win13 Neben der Beherrschung des Feuers bei Schnee und Eis gehörte zu diesen Techniken etwa der Umgang mit Nadeln zur Herstellung einer gut schließbaren Kleidung. 14 Da die Landbrücke zwischen Asien und Amerika vor 16 000 Jahren überflutet wurde, ist ungewiss, ob die frühesten Siedler zu Fuß nach Alaska kamen, aber keine Spuren hinterließen, oder ob sie mit Booten übersetzten. Diamond, 1998, S. 60. Eine zusätzliche Besiedlung Amerikas auf anderem Wege erscheint, vom kurzen Intermezzo der Wikinger in Neufundland abgesehen, nach heutigen Forschungsstand unwahrscheinlich. 15 Dem entspricht in Europa Südschweden, doch fehlt in Südamerika die Wirkung einer warmen Meeresströmung. 16 Als durchschnittliche Ausbreitungsgeschwindigkeit domestizierter Pflanzen errechnete Diamond in der West-Ost-Achse Eurasiens 1,1 km pro Jahr (Ausbreitung von Vorderasien nach Ägypten, Europa und Indien), in der Nord-Süd-Achse von 800 m pro Jahr (von Mesoamerika aus) bzw. von 300 m pro Jahr (von den Anden aus). Diamond, 1998, S. 210.
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terregen und an jahreszeitliche Schwankungen der Tageslänge gewöhnt, diese an tropischen Sommerregen und geringe Schwankungen der täglichen Sonnenscheindauer. Aus den gleichen Gründen keimen tropische Pflanzen nicht in Südafrika, wo wieder ein mediterranes Klima herrscht. Erst als die Europäer im 15. Jahrhundert per Schiff eurasische Pflanzen in die Kapgegend brachten, wurde in diesem Gebiet Landwirtschaft möglich. Die Bantuvölker, die aus der Gegend Kameruns südostwärts bis 1300 km östlich von Kapstadt vorstießen, hatten tropische Pflanzen mitgeführt, die in der Kapregion nicht gediehen. Daher sind die Bantu nie weiter nach Südwesten vorgestoßen (Diamond, 1998, S. 494 f.).17 Auch für die Ausbreitung der Viehzucht stellten die gegensätzlichen Klimata Afrikas ein erhebliches Hindernis dar. In diesem Fall waren es vor allem tropische Krankheiten, insbesondere die in Äquatornähe von Tsetsefliegen übertragenen Trypanosomen, die den raschen Vorstoß des Viehs von Nord nach Süd verhinderten (S. 499). (d) Der letzte und vielleicht wichtigste geographische Faktor, der die unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeit bei menschlichen Gesellschaften erklärt, liegt in den Dimensionen der verschiedenen Siedlungsräume. Je größer eine Landmasse, desto größer die Population, die darauf leben kann. Obwohl sie sich auf die mögliche Siedlungsdichte auswirkt, ist die Bodenbeschaffenheit ein Faktor von sekundärer Bedeutung. Welchen Einfluss die Bevölkerungsgröße auf die Entwicklungsgeschwindigkeit hat, zeigt die folgende mathematische Überlegung: Je mehr Menschen zueinander in Kontakt treten, desto schneller wächst das Netz ihrer Beziehungen. Es wächst nicht linear, sondern praktisch exponentiell: Zwischen zwei Personen gibt es eine einzige Relation, zwischen drei Personen drei, zwischen vier Personen sechs und zwischen fünf Personen zehn. Wächst eine Population um den Faktor 10, so nimmt die Zahl der Relationen etwa um den Faktor 100 zu. Hält man zwei Gesellschaften nebeneinander, deren eine zehnmal größer ist als die andere, so ist in der größeren Gesellschaft auch die Wahrscheinlichkeit von Erfindungen (bzw. die durchschnittliche Zahl der Erfindungen) etwa zehnmal größer als in der kleineren. Aber wegen der potenzierten Anzahl möglicher Kombinationen aus verschiedenen Erfindungen (bzw. aus Ideen, die sich zu Erfindungen auskristallisieren können) potenziert sich die Wahrscheinlichkeit, dass unvollkommene Neuerungen bis zur Brauchbarkeit perfektioniert oder verschiedene Erfindungen zu einer nützlichen Errungenschaft zusammengefügt werden. Aus den gleichen Gründen nimmt die „Effizienz“ eines Marktes bei wachsender Bevölkerung in einem mehr als bloß linearen Verhältnis zu.18 Für die Entwicklung einer 17 Die Erklärungen von John Iliffe bieten zu den Thesen Diamonds wertvolle Ergänzungen (Iliffe, 1997, S. 19): „Afrika war wegen der langen Geschichte der menschlichen Evolution, wegen der großen Bestände an wildlebenden Tieren und der zahllosen, bakterienübertragenden Insekten weit mehr als das tropische Amerika ein Kontinent, in dem außerordentlich viele Krankheiten zu finden waren.“ Die Tsetsefliege etwa, die auf Rinder die Naganaseuche und auf den Menschen die Schlafkrankheit überträgt, soll es in Afrika seit Urzeiten gegeben haben. 18 Es versteht sich von selbst, dass auch die Regierungsform der Bevölkerungsgröße angepasst werden muss, da der Komplexitätsgrad eines Entscheidungsverfahrens mit der linearen Zunahme der Personenzahl praktisch exponentiell wächst. Ein weiteres Problem ergibt sich mit der Aufgabe der Friedenssicherung.
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Gesellschaft haben also die Größe ihrer Bevölkerung sowie die Anzahl und Größe benachbarter Zivilisationen, mit denen sie sich austauscht, erhebliche Bedeutung. Gemessen an der größten zusammenhängenden Landmasse, Eurasien (abzüglich Afrika), beträgt die Fläche des amerikanischen Doppelkontinents 76 %, die Afrikas 55 %. Australien liegt bei 14 % und Neu Guinea bei 1,41 % der Größe Eurasiens (Diamond, 1998, S. 321). Um das Jahr 1500 lebte die mit Abstand größte Bevölkerung in Eurasien, inklusive Nordafrika, die zweitgrößte in den beiden Amerikas. An dritter Stelle folgte Afrika; Australien und Neuguinea lagen am Schluss.19 Obwohl die verschiedenen Landmassen zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten erstmals von Menschen bevölkert wurden (die beiden Amerikas sind mehr als 20 000 Jahre später als Australien besiedelt worden), korrespondiert die quantitative Rangordnung der Landmassen hinsichtlich Fläche und Bevölkerungsgröße auffallend mit der Rangordnung hinsichtlich der Entwicklungshöhe, die die am meisten fortgeschrittenen Zivilisationen dieser Landmassen um das Jahr 1500 erreicht hatten. Es gibt eine einzige Ausnahme, nämlich Neuguinea, das flächenmäßig einem Zehntel von Australien entspricht, aber im Gegensatz zu Australien mit ein paar zur Züchtung geeigneten Pflanzen ausgestattet war, sodass sich die Völker im Hochland von Neuguinea weiter entwickelten als die Aborigines in Australien. Es gibt schließlich Beispiele noch kleinerer Populationen, die überhaupt keine zivilisatorische Entwicklung durchmachten. Auf Tasmanien, dessen Landbrücke zu Australien am Ende der Eiszeit überflutet wurde, war die Bevölkerung – einige Tausend Personen – zu gering, als dass ihr namhafte Erfindungen gelingen konnten. Sie verlor sogar einen Teil der Techniken wieder, über die sie ursprünglich verfügt hatte. Zusammenfassend lassen sich aus der Geschichte der letzten 15 000 Jahre zwei für die Gegenwart wichtige Lehren ziehen. Erstens, je größer die Zahl der Menschen (bzw. der Gesellschaften), die miteinander kommunizieren, eine desto raschere Entwicklung kommt in Gang. Aus dieser Einsicht scheint sich die Folgerung zu ergeben, dass die Globalisierung und Intensivierung des Austauschs das probateste Mittel ist, die Entwicklung zu beschleunigen. Zweitens hat von zwei Gesellschaften, die zueinander in Kontakt treten, die weiter „entwickelte“ die besseren Chancen, der anderen die Bedingungen der Interaktion zu diktieren, sie hat mehr Macht. Die weniger weit „entwickelte“ Gesellschaft muss über kurz oder lang ihre Lebensweise verändern. Dieser Wandel erfolgt nicht immer gewaltfrei, und Gesellschaften, die diesen Schritt nicht vollziehen, drohen von der Bildfläche zu verschwinden. Die bewussten Absichten der beteiligten Personen spielen bei diesen Prozessen eine geringere Rolle als das entwicklungsbedingte Machtgefälle.20 Ob beispielsweise die Eroberer Amerikas die tödliche Wirkung mitgebrachter Krankheitskeime bewusst in Rechnung stellten oder nicht, fällt angesichts der dramatischen Konsequenzen dieses Zusammenpralls für die Zivilisationen Amerikas nicht mehr sonderlich ins Gewicht. – Auch 19 Die Antarktis zählt nicht, da hier nie Menschen gelebt haben, und auch in Grönland waren nur die südlichen Küstenstriche zeitweilig besiedelt. 20 Mit Giambattista Vico zu sprechen, ist hier die „Vorsehung“, mit Hegel zu sprechen, die „List der Vernunft“ am Werk.
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dieses zweite Ergebnis ist nicht weiter verwunderlich. Es relativiert aber die Folgerung, die man aus dem ersten zu ziehen versucht sein mag, dass ein sich intensivierender globaler Austausch die beste Voraussetzung für die Entwicklung aller gewährleiste. Stellt man diese beiden Ergebnisse einander gegenüber, so wird verständlich, wieso die Kontroverse um die Vor- und Nachteile der wirtschaftlichen Globalisierung – der beschleunigten Ausbreitung der Wettbewerbs-Wirtschaft über den Erdball – wahrscheinlich gar nicht eindeutig entscheidbar ist.
4 Wie kam Europa zu seiner „Spitzenposition“ in der Neuzeit? Die frühesten Hochkulturen – Mesopotamien, Ägypten, Indien, China – lagen alle ohne Ausnahme in Eurasien bzw. Nordafrika. Wie erklärt es sich, dass ausgerechnet Europa und ein Teil seiner ehemaligen Kolonien – die Vereinigten Staaten und Kanada – im 20. Jahrhundert die Welt dominierten und nicht andere eurasische Gesellschaften, obwohl es doch einige schon vor dreitausend Jahren zu Hochkulturen gebracht hatten? Die vordergründige Antwort lautet: Weil die Kombination aus modernen mathematischen Naturwissenschaften, Technik und kapitalistischer Marktwirtschaft, von der die Schubkraft für die Industrialisierung ausging, in Europa entstanden ist. Aber welches sind die tieferen Ursachen dafür, dass sich dieses Zusammenspiel ideeller und organisatorischer Errungenschaften gerade in Europa ergeben hat und nicht in Indien, in China oder im islamischen Kulturkreis? – Zur Beantwortung dieser Frage haben diverse Autoren wesentliche Gesichtspunkte beigesteuert. Als roten Faden benütze ich die Argumentationen von Talcott Parsons (1975 und 1985) und Joseph Needham (1977 und 1984), ergänze sie aber von Fall zu Fall durch zusätzliche Hinweise. Ich gehe nacheinander auf Indien, auf China und kurz auf den Islam ein, bevor ich mich dem von der christlichen Kirche geprägten Erbe des römischen Reiches – Europa – zuwende. Indien hat früh eine hohe Kulturstufe erreicht. Die Ausgrabungen der Stadt Mohenjo-Daro im Industal zeugen von einer Zivilisation, die den zeitgleichen Zivilisationen Ägyptens und Mesopotamiens mindestens ebenbürtig war. Zu Mesopotamien und zum Mittelmeerraum hat Indien auch engere Kontakte unterhalten als zu China, und bis heute steht es dem Westen auch geistig näher. Europa hat von Indien unter anderem den Begriff der Null als Zahl und das Dezimalsystem übernommen, und die griechische Astronomie und Geometrie haben wahrscheinlich nicht nur aus ägyptischen und mesopotamischen, sondern auch aus indischen Quellen geschöpft. Wie tief das analytische Denken in Indien verwurzelt ist, zeigt sich heute an der Leichtigkeit, mit der dort führende Software-Unternehmen aufgebaut werden.21 Was Indien mentalitätsmäßig aber vom Westen trennt, ist zum einen der Hinduismus. Das Trennende liegt nicht in seinem radikalen Individualismus (Parsons, 21 Die Produktion im Informationssektor beschränkt sich in Indien allerdings im Wesentlichen auf die Stadt Bangalore.
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1975, S. 127) – hierin besteht eher eine Entsprechung –, sondern in der JenseitsOrientierung, die sich auch im Buddhismus zeigt. Laut der Reinkarnationslehre erfüllt sich das Schicksal des Einzelnen über einen Zyklus mehrerer Erdenleben, wobei es im einzelnen Leben nicht nur auf den Einsatz zugunsten der Gesellschaft ankommt, sondern auch auf die Rücksichtnahme gegenüber nichtmenschlichen Kreaturen; denn jedes Tier könnte die Inkarnation eines früheren Menschen sein. Wie Max Weber gezeigt hat, ist in diesem Zusammenhang entscheidend, dass die indische Form der Askese – des (im Jainismus am deutlichsten ausgeprägten) aktiven Heilsstrebens – sich auf die „Befreiung vom Rade der Wiedergeburten“ richtete (Weber 1921, S. 204), also sozusagen der Welt den Rücken zuwendete, im Gegensatz zum „innerweltlichen Asketismus“ des europäischen Christentums (namentlich des Protestantismus), der darauf ausgerichtet ist, den göttlichen Willen durch „Werkheiligkeit“ zu erfüllen (Schluchter, 1998, S. 313). Im indischen Kastensystem war sozialer Aufstieg fast nur über den Zyklus mehrerer Erdenleben möglich, und das mag die hohe Leidenstoleranz des Hinduisten und seine geringe Neigung zu sozialen Revolutionen erklären. Ebenso wenig aber gehörte die Herstellung einer längerfristig und großräumig stabilen politischen Ordnung zu den Stärken der Führungsschicht, des Brahmanentums. „Obgleich in Indien viele Fürsten- und Königtümer entstanden, erlangte nur ein überwiegend hinduistisch orientiertes Reich einige Größe und Dauer, nämlich unter der Dynastie der Gupta, im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung“ (Parsons, 1975, S. 129). Zugleich war Indien „unter allen großen Zivilisationen diejenige mit dem geringsten Geschichtsbewusstsein“ (Needham, 1977, S. 250).
Zum anderen fehlte es dem Individualismus in Indien an einer universalistischen Ausrichtung, wie sie sich etwa bei den Griechen herausbildete. Das Individuum war auf sein Karma fixiert, ohne seinen Platz in der Gesellschaft selbst aktiv mitbestimmen zu können. Politisch und wirtschaftlich war der Einzelne durch und durch abhängig von seiner Kaste. Indien habe sich schon zur Zeit, als der Islam auf dem Subkontinent Fuß fasste, im Niedergang befunden, schrieb Jewaharal Nehru in seinem Buch „The Discovery of India“ (das 1944 während eines Gefängnisaufenthaltes entstand). Bereits damals sei der Geist Indiens ausgetrocknet, und sein schöpferischer Geist habe seine Vitalität verloren. Es war der „Nachmittag der Zivilisation“. Diese „Stagnation und dieser Verfall“ durchdrang alles: „Es gab einen Niedergang auf der ganzen Linie – intellektuell, philosophisch, politisch, in Technik und Methoden der Kriegsführung, im Wissen von der Außenwelt und in Kontakten mit ihr, in einer schrumpfenden Wirtschaft.“ (Nehru, 1946, zit. nach Olson 1985, S. 205). Die Eroberung durch den Islam sei Folge, nicht Ursache des kulturellen Niedergangs gewesen. Die tiefere Ursache dieses Niedergangs, meinte Nehru, liege im Kastensystem. Dieses „war eine Versteinerung von Klassen“, die „Entwürdigung brachte“ (ebd.). Das Kastensystem war nicht nur in vier streng hierarchisch angeordnete Klassen gegliedert, sondern auch in eine unübersehbare Vielzahl kleinerer Gruppen zersplittert, mit stark erschwerter Zirkulation zwischen ihnen. Mancur
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Olson interpretiert dieses Kastensystem als Spätform eines Systems von Sonderinteressengruppen, das letztlich den Niedergang Indiens herbeigeführt habe. „Kasten haben sich traditionellerweise wie Zünfte und andere Verteilungskoalitionen verhalten. (…) Traditionellerweise waren die Kastengruppen jedoch nicht nur hauptsächlich berufliche Organisationen, sondern sie wiesen alle Züge von Kartellen und anderen Sonderinteressengruppen auf. Sie kontrollierten den Eintritt in Berufe und Wirtschaftszweige, bewahrten Handwerksmysterien oder -geheimnisse, setzte monopolistischer Preise fest, organisierten Boykotte und Streiks und verhandelten eher auf einer Gruppenbasis als auf einer individuellen Grundlage. Das Kastensystem weist auch verschiedene Züge auf, die man von Verteilungskoalitionen erwarten würde. Einer davon ist, dass eher Gruppen als Einzelne den Status ändern. Eine Kastengruppe, die wirtschaftlichen Aufschwung nimmt, wird allmählich zu einem höheren Status aufsteigen und mag sich kollektiv entscheiden, restriktivere rituelle Regeln einzuführen, um damit auch im Rahmen der religiösen Vorstellungen von Reinheit und Befleckung aufzusteigen. Ein anderer Zug ist, dass der Hinduismus die Idee des Dharma betont, der Pflichten, die der Kaste oder Gruppe angemessen sind. Mo betont, der Pflichten, die der Kaste oder Gruppe angemessen sind. Mo ist mit anderen Worten nicht in universeller Weise definiert, sondern in Begriffen des Gehorsams gegen die Regeln der eigenen Kaste oder des eigenen Standes, daher gleicht sie der Berufsethik, die den Wettbewerb innerhalb eines freien Berufs ausschließt.“ (Olson, 1985, S. 207 ff.)
Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zwischen dem Fehlen einer universalistischen Ausrichtung in der Ethik und dem Fehlen universalistischer Thesen und Hypothesen in der indischen Mathematik. – Bezeichnenderweise fehlte in der indischen Wissenschaft auch die Deduktion, die von allgemeinen (universal geltenden) Sätzen, den Axiomen, ausgeht und daraus Theoreme ableitet: „Vergleichen wir die griechische Mathematik mit der indischen, so werden wir feststellen, dass beide den Satz des Pythagoras kennen – doch mit einem wichtigen Unterschied: Die Salvasutras teilen ihn mit, Euklid beweist ihn. Die griechische Mathematik (…) ist nicht der einzige Beitrag der Griechen zur wissenschaftlichen Methode; mindestens ebenso bedeutsam ist die methodologische Reflexion Platons und Aristoteles’ auf die Struktur der deduktiven Methode“ (Hösle, 1991, S. 50).
Indien ist geprägt durch ein archaisches Gesellschaftsmodell einerseits, durch ein hohes Maß an Individualismus andererseits; durch die Fähigkeit zum analytischen Denken einerseits, durch das Fehlen von universalistischen Axiomen und alle sozialen Klassen übergreifenden allgemeingültigen Prinzipien andererseits. Von diesen Kontrasten her fällt Licht auf einen besonderen Trumpf und eine besondere Tragödie der indischen Kultur – die hohe wissenschaftliche Qualität und technologische Innovationskraft (insbesondere bei den sanften und mittleren Technologien) einerseits und die eklatante Benachteiligung großer Teile der Bevölkerung (auch der Frauen) andererseits. Was China betrifft, so reicht seine Hochkultur weiter zurück als die europäische, wenn man vom östlichen Mittelmeerraum absieht. Der kulturelle Abstand Europas zu China ist größer als derjenige zu Indien (Needham, 1977, S. 165). Die chinesische Gesellschaft war bis vor wenigen Jahrhunderten den westlichen Gesellschaften in vielen Hinsichten voraus. Bei den Auseinandersetzungen zwischen
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den sozialen Klassen spielte die Kriegführung eine geringere Rolle als im Westen. Entsprechend verfügten die chinesischen Feudalherren, anders als die Legionäre der römischen Kaiser, und erst recht als die mittelalterlichen Ritter, über keine eisernen Ritterrüstungen. In China gab es deswegen auch kaum Kriegsgefangene und also kaum Sklaven (S. 160). Dies wiederum stimulierte einerseits den verstärkten Arbeitseinsatz von Tieren, andererseits die Entwicklung technischer Geräte.22 Wasserräder, Pleuelsysteme, sogar mechanische Uhren hat es in China Jahrhunderte früher gegeben als in Europa (S. 131, S. 120). Aus China stammen das Schießpulver, das Papier, die Drucktechniken. Gusseisen wurde dort Jahrhunderte früher als in Europa hergestellt, magnetische Erscheinungen Jahrhunderte früher studiert – der Kompass ist in China erfunden worden. Zur Zeit Marco Polos war der Lebensstandard im asiatischen Großreich höher als in Europa, und im 14. Jahrhundert verfügte es über die größeren Flotten als der Okzident und entsandte Schiffe bis zur afrikanischen Ostküste (Diamond, 1998, S. 510 f.). Wie erklärt es sich, dass sich die Situation schließlich umkehrte und Europa gegenüber China einen Vorsprung gewann – in der Mathematik, Astronomie und Physik im 17., in der Biologie im 18. Jahrhundert und in der Medizin um 1900? Nach Joseph Needham, der Autorität auf dem Gebiet der chinesischen Wissenschaftsgeschichte schlechthin, liegt ein wesentlicher Grund darin, dass China, ähnlich wie Indien, keine deduktive Wissenschaft und keine Kultur des systematischen Experimentierens entwickelt hat.23 Ein zweiter Unterschied liegt in den sozio-politischen Verhältnissen Chinas. Die chinesische Gesellschaft ist weniger individualistisch als die europäische (und die indische). Gleichzeitig ist im Reich der Mitte die ethische Reflexion seit jeher stärker auf die Interessen der Familie als auf diejenigen der Gesellschaft insgesamt gerichtet. Eine Philosophie oder Religion, die den Staat als solchen gestärkt hätte, sucht man in China vergeblich. Laut Needham lieferte der Konfuzianismus, der über 2000 Jahre lang das soziale Leben bestimmte, dem einfachen Volk einen Verhaltenskodex, der es ihm ermöglichte, sich einigermaßen friedlich mit der herrschenden Feudalhierarchie zu arrangieren.24 Der Daoismus strebte gar ein Zurück zum vorfeudalen Egalitarismus an (Needham, 1977, S. 154 ff.). Die von Konfuzius propagierte Goldene Regel ist zwar universalistisch, aber in vielen Formulierungen wird sie mit bestimmten sozialen Rollen verbunden, also partikularistisch interpretiert. Die Erhaltung der (hierarchischen) Gesellschaftsordnung war Konfuzius’ Hauptanliegen. Universalistische Gerechtigkeitskriterien standen nicht zur Debatte. In einem berühmten Aphorismus soll Konfuzius geäußert haben, die Sohnespietät gebiete es, den Vater vor den Behörden zu schützen, selbst wenn er Schafe gestohlen habe. Parsons sieht darin ein Entwicklungshemmnis (Parsons, 1975, S. 122). 22 Bei den Pferde-Geschirren lag der Zug auf den Schultern und nicht, wie bei den europäischen, auf der Lunge, weshalb in China die Pferde viermal größere Lasten zu ziehen vermochten als in Europa. Needham, 1977, S. 161 ff. 23 Die „moderne Wissenschaft“ im Sinne der „Überprüfung mathematischer Hypothesen über natürliche Phänomene durch systematische Experimente“ ist in China nie entstanden. Needham, 1977, S. 120. 24 Demgegenüber räumte Meng Tzu (Menzius) dem Volk das Recht ein, unter bestimmten Bedingungen einen Tyrannen zu stürzen. Needham, 1977, S. 160.
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Es gibt einen dritten Unterschied, der mit dem zweiten in seltsamem Kontrast steht. Needham zufolge wirkte vor allem die Ablösung des Feudalsystems durch den „asiatischen Bürokratismus“ mit einem Kaiser an der Spitze als entscheidendes Hemmnis für den „Aufstieg der Kaufmannsklasse zur Macht“ (Needham, 1977, S. 164). Das hat die Entstehung eines Kapitalismus vom westlichen Typus verhindert. Die Größe und gesellschaftliche Geschlossenheit des chinesischen Reiches verstärkte diesen Effekt noch. Im 15. Jahrhundert fiel anlässlich eines Machtkampfs am chinesischen Hof die Entscheidung, die Hochseeflotte stillzulegen und die Werften abzureißen. Wäre China, wie das damalige Europa, in eine Vielzahl kleinerer, miteinander konkurrierender Länder aufgesplittert gewesen, so hätte die Hochsee-Schiffahrt vielleicht in einigen Hafenstädten überlebt. Da China aber ein Großreich mit zentralistischer Machtstruktur war, hatte die Entscheidung etwas Endgültiges.25 Anders als Indien und China stand der Mittelmeerraum unter dem doppelten Einfluss der monotheistischen Religion Israels und des Einflusses der klassischen griechischen Philosophie. Parsons nennt das alte Israel und das klassische Griechenland „Saatbett“-Gesellschaften, weil in ihnen ideelles Saatgut keimte, das erst in späteren Gesellschaften aufging (Parsons, 1975, Kap. VI). Die in Israel angelegte Saat bestand einesteils im Monotheismus, andernteils im Verständnis des Bundes, den Abraham und seine Nachkommen mit dem Gott Jahwe geschlossen hatten. Trotz der Asymmetrie dieses Bundes – die göttliche Instanz war auch im Falle gehorsamen Verhaltens durch das Volk zu nichts verpflichtet – hatte das Volk Vertrauen zu Jahwe, und das erklärt, wieso als Reaktion auf die Wechselfälle der Geschichte in Israel der Messianismus entstanden ist. Nachdem sich Israel aus einem nomadisierenden Hirtenvolk zu einem mehrere Städte umfassenden Staat entwickelt hatte, war Jahwe nicht nur Gott der Könige und der staatlichen Herrschaft, sondern auch der Propheten, die die Könige wiederholt zur Ordnung riefen: Die Erinnerung an den Bund mit Jahwe diente der Herrschaftsbegrenzung. Ein weiterer Aspekt, die zunehmend „internationale“ Zuständigkeit Gottes, ergab sich daraus, dass die Juden das babylonische Exil in Babylon als gerechtfertigte Strafe betrachteten, zu deren Realisierung sich ihr Gott eines fremden Volkes bediente. Die Babylonier waren seiner Macht also genau so unterstellt wie das Volk Israel. Jahwe wurde so zum Gott potentiell aller Völker. Dieser Universalismus prägte sowohl das Christentum wie den Islam, die beide aus dem Judentum hervorgingen: In beiden Fällen zielte die Mission auf eine Bekehrung nicht-monotheistischer – „heidnischer“ – Völker. Das Vermächtnis des Griechentums war anderer Art. Nicht die Religion spielte hier die entscheidende Rolle – sie unterschied sich in ihrem Polytheismus nicht wesentlich von den meisten Religionen Westasiens dieser Epoche –, sondern die philosophische Reflexion. Das klassische griechische Denken orientierte sich an der Idee einer Naturordnung, die über Himmel und Erde, über die anorganische 25 Wären umgekehrt die europäischen Länder zu einem Großreich wie China vereint gewesen, hätte Kolumbus wahrscheinlich nie nach Amerika aufbrechen können: Für seinen Vorstoß in die Karibik erhielt er erst bei der fünften Anfrage von einem europäischen Fürsten eine Finanzierungszusage. Diamond, 1998, S. 510 f.
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wie die organische Welt waltete. Diese Ordnung war „in einem den archaischen Gesellschaften völlig unbekannten Sinne unabhängig von der politisch organisierten Gemeinschaft“ (Parsons, 1975, S. 162). Selbst die Götter hatten sich ihr zu beugen. Diese Idee war zweifellos von astronomischen Beobachtungen inspiriert, aber wahrscheinlich auch von der Entdeckung der zeitlosen, von den Zufällen der empirischen Erfahrung unabhängigen Geltung mathematischer Wahrheiten, die ja ebenfalls auf die Griechen zurückgeht.26 Die Vorstellung einer alles durchwaltenden natürlichen Ordnung entstand unabhängig vom jüdischen Monotheismus, und sie unterschied sich auch inhaltlich klar von diesem: Gott Jahwe hat die immateriellen Züge einer Person, die natürliche Ordnung ist zudem unpersönlich. Beide Ideen entfalteten ihre geistesgeschichtliche Wirkung zunächst in unterschiedlichen Räumen: im frühen Christentum (und später im Islam) der Monotheismus und im vorchristlichen Rom die griechische Ordnungs-Vorstellung, die allerdings nach der Christianisierung Roms immer mehr verblasste. Erst viel später, um die erste Jahrtausendwende, kam es zu einer vertieften Auseinandersetzung des Christentums mit dem griechischen Erbe (wesentlich durch Thomas von Aquin; Parsons, 1975, S. 135). Eine ebensolche Rückbesinnung erfolgte etwa gleichzeitig im Islam (vor allem durch Al Ghazali).27 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, weshalb es im christlichen Europa zu einer „Renaissance“ antiker Kunst und Wissenschaft kam und nicht im Islam, über den Europa die antike Kultur ja längere Zeit rezipiert hatte. Während der ersten Jahrhunderte der Hidschra war der Siegeszug des Islam keineswegs nur ein militärischer. Die antike Philosophie und Wissenschaft wurde von islamischen Gelehrten während Jahrhunderten begierig angeeignet und aufgearbeitet. Aber entsprechend der Tatsache, dass „Islam“ Unterwerfung bedeutet, und zwar Unterwerfung unter die Gewalt Allahs, gab es immer wieder Gruppen im Islam, die darüber wachten, dass keine weltliche Macht sich der Unterwerfung unter den Willen Allahs entziehen kann. Das war vielleicht einer der Gründe, die dazu führten, dass der Islam „über keine klar umrissene Körperschaft“ verfügte, „auf die sich die Autorität seines Gesetzes bezog“ und dass er „während seiner Expansion seine ethnische Identität vollkommen aufgegeben“ hatte (Parsons, 1975, S. 134). Die islamischen Gesellschaften blieben partikularistisch, und das war keine gute Voraussetzung dafür, dass sich die griechisch-römische Kombination aus Individualismus und Universalismus im Islam hätte entfalten können. Ibn Khaldoun, der bedeutendste Geschichtsphilosoph des Mittelalters erblickte das Problem des Islam seiner Zeit (14. Jahrhundert) „im Mangel einer gesamtislamischen 'asabiya (Gruppengeist, Solidaritätsgefühl), um so mehr, als er das kulturelle Erwachen Europas wachen Sinnes und angesichts der Dekadenz in den eigenen Landen mit Sorge wahrnahm (Bürgel, 1991, S. 63). Der Islam hat aber auch später den Weg Europas – Modernisierung und auf das „wohlverstandene Eigeninteresse“ gebaute kapitalistische Wirtschaft – nicht gesucht. Das bedeutet keineswegs, dass er entwicklungs- oder wirtschaftsfeindlich 26 In China fehlten diese Faszination und dieses Interesse an der Geometrie. Needham, 1977, S. 122. 27 Zur Rezeption Al Ghazalis im Islam: Rosenthal, 1958.
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wäre. Schon zu Lebzeiten Mohammeds blühte auf der arabischen Halbinsel reger Handel, und der Handel ist denn auch ein vom Islam durchaus favorisiertes Gewerbe. Über den Handel schrieb wiederum Ibn Khaldoun euphorisch: „Man muss wissen, dass der Handel das Streben nach Bereicherung durch Vermehrung des Anfangskapitals ist, wenn man die Ware billig ein- und teuer verkauft. Diese Waren mögen aus Sklaven, Getreide, Tieren oder Stoffen bestehen. Man nennt diesen Zuwachs Gewinn. (…) Ein alter Handelsmann würde, von jedermann nach dem Wesen des Handels befragt, antworten: Ich werde es dir in zwei Sätzen mitteilen: ‚Kaufe billig ein und verkaufe teuer, und du wirst Handel getrieben haben.‘ Damit drückt er aus, was wir soeben erläutert haben.“ (Ibn Khaldun: Moqaddima, Fasl 5, Kap. 9. Ausg. Quatremère, S. 297. Zit. nach: Rodinson 1986, S. 59)
Ja, Allah selbst wird im Koran wie ein „idealer Kaufmann“ geschildert: „Allah ist der ideale Kaufmann. Er schließt das ganze Universum in seine Kontoauszüge ein. Alles ist kalkuliert, jedes Ding ist gemessen. (…) Das Leben ist ein Geschäft, man gewinnt oder verliert dabei. (…) Der Muslim gibt Allah eine Anleihe, er zahlt im voraus für das Paradies; er verkauft ihm seine Seele, und das ist ein ertragreiches Geschäft.“ (Torrey, 1892, S. 48, zit. nach: Rodinson 1986, S. 119).
Während im Zentrum der islamischen Erwerbsphilosophie aber ausschließlich der Handel steht, dehnt sich der europäische Kapitalismus in der frühen Neuzeit auf den Produktionssektor aus. Der kapitalistische Produktionsbetrieb setzt die Institution des Vertrags voraus, denn die große Innovation, die zur Gründung großer Unternehmen führte, bestand darin, dass sich Geldgeber und Produzent (oftmals vermittelt über eine Bank) vertraglich zusammenschlossen. Auch die Arbeiter – mit dem juristischen Status freier Personen – banden sich durch einen Vertrag an die Firma. Diese Entwicklung des Vertragswesens war in Europa eher möglich als im Islam, weil das Christentum (mindestens in Europa) stärker vom römischen Rechtsgedanken geprägt war als der Islam. Denn die Kirche hatte entscheidende Elemente der klassisch-römischen Kultur übernommen, insbesondere den Rechtsgedanken, der durch alle Turbulenzen des Mittelalters hindurch im Kirchenrecht weiterlebte. Das römische Recht war seinerseits vom stoischen Universalismus inspiriert, und dies zeigte sich in einer Vielfalt von Aspekten: in der Abstützung des Rechts auf Prinzipien, im hohen Grad an Systematisierung und ferner darin, dass die Rechte des „pater familias“ auf den gewöhnlichen Mann übertragen wurden, der damit zur vollen Rechtsperson avancierte. So spielte im römischen Recht der Egalitarismus eine nicht zu unterschätzende Rolle, obwohl die römische Wirtschaft ohne Sklavenarbeit undenkbar war. Rom hatte seine Größe und seine Schlagkraft zwar wesentlich seiner militärischen Organisation zu verdanken,28 doch boten die Römer den eroberten Völkern (in Italien, Griechenland, Gallien, Spanien, aber auch Nordafrika und im mittleren Osten) die römische Staatsbürgerschaft an und entwickelten neben dem „ius civilis“ – dem Recht der römischen Bürger – das „ius gentium“ – das erste Völkerrecht der Geschichte. Dieses regelte die Beziehungen der Ethnien, deren Mitglieder nicht römische Bürger waren, zur 28 Die römischen Bürger hatten nicht ein Heer, sie bildeten eines. Parsons, 1975, S. 137.
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römischen Autorität, aber auch untereinander, und zwar in so verschiedenen Bereichen wie Zivilrecht, Eigentum, Vertrag, Freizügigkeit.29 „Rom wurde unter seinem Regierungs- und Rechtssystem zur kosmopolitischsten und individualistischsten Gesellschaft seiner Zeit“ (Parsons, 1975, S. 140). Obwohl sich die Bedeutung der römischen Staatsbürgerschaft schließlich verwässerte, ging von ihr insofern eine ideelle Wirkung aus, als das Konzept der Gleichheit zwischen den Menschen die regional bedingten gesellschaftlichen Stratifikationen ergänzte. Ein zentrales Motiv, das mit der Christianisierung Roms in Europa Fuß fasst, ist das christliche Bild eines Gottes, der nicht unberechenbar ist wie die meisten Götter der Antike, und der kein Rächer und Strafender ist, wie der Gott Israels. Die Eigenschaften des christlichen Gottes – Wohlwollen, Liebe, Verzeihung, Hilfsbereitschaft30 – wecken beim Gläubigen Mut, Hoffnung und Zuversicht. Im Mittelalter überleben christlich-jüdisches und griechisch-römisches Ideengut nebeneinander – jenes manifestiert sich in einer transzendenten Heilserwartung und dieses in der Orientierung an einem diesseitigen weltlichen Regime. Beide prägen das „Heilige Römische Reich“ und führen in der Auseinandersetzung um die Oberherrschaft zwischen Kaiser und Papst (Investiturstreit) im 11. Jahrhundert zu einer Polarisierung. Zur selben Zeit erlebt die Aristoteles-Rezeption eine Hochblüte, vierhundert Jahre später die Platon-Rezeption.31 Die beiden Motive – der monotheistische und der platonische Universalismus – verbinden sich enger als zuvor. Die Renaissance der Platonischen Philosophie wirkt insbesondere in die mathematischen Naturwissenschaften hinein (Kuhn, 1981). So wie das heliozentrische Weltbild sich an Platons Sonnenmotiv inspiriert, kommt in den experimentellen Naturwissenschaften der auf Pythagoras zurückgehende Gedanke zum Tragen, dass, was die Welt im Innersten zusammenhält, Zahlen (bzw. Zahlenverhältnisse) seien.32 Das ist eine Metaphysik besonderer Prägung, die keinesfalls auf der Hand liegt: Die materielle Wirklichkeit, bis in die Biologie hinein, soll messbar und zählbar sein und sich über die Ermittlung messbarer funktionaler Abhängigkeiten erschließen und „begreifen“ lassen. Keine andere Kultur ist jemals auf diese Idee verfallen, auch China nicht.33 29 „Als ‚Eroberer‘ ‚regierte‘ Rom seine Untertanenvölker nicht einfach ‚imperialistisch‘, sondern übernahm in ganz ungewöhnlicher Weise zunehmend deren allgemeinere Elemente in seine eigene korporative Struktur.“ Parsons, 1975, S. 139. 30 Dieser Grundzug des Christentums wirkt ideengeschichtlich allerdings stärker als in der realen Politik, wo er oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde. 31 Im dritten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts wurde in einer Bibliothek von Konstantinopel der in Vergessenheit geratene Teil der Schriften Platons entdeckt (im Mittelalter waren nur „Der Staat“ und der „Timaios“ präsent) und von dort nach Italien gebracht. 32 Noch im 15. Jahrhundert brachte Cusanus in seinem Büchlein „Der Laie mit der Waage“ die Vision zu Papier, dass so gut wie alle Dinge und Vorgänge der Natur, einschließlich des menschlichen Organismus, zählbar bzw. messbar seien. Hemleben, 1978. 33 Die Astronomie und Geodäsie waren schon in der Antike mathematisiert, im Mittelalter folgte die Optik. Einen Durchbruch erlebte die Verbindung von Mathematik und Naturphilosophie aber erst mit der Entstehung der neuzeitlichen Physik bei Newton, dem es erstmals gelang, die Einheitlichkeit der Naturgesetze im Himmel und auf Erden (im supra- und sublunaren Raum) nachzuweisen. Dass die Mathematik sich auch dazu eignet, organische Formen und ihr Wachstum zu charakterisieren, wurde erst mit der Computertechnologie, Ende des 20. Jahrhunderts, offensichtlich.
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Gegenüber einer solchen Welt bleibt Gott transzendent – als Schöpfer und allenfalls als Überwacher der Naturgesetzlichkeit. In dieser Funktion erscheint Gott aber mehr und mehr überflüssig, und allmählich setzt sich der Mensch selbst in die transzendente Stellung, die er zuvor seinem Gott zugesprochen hat. Dieser Schritt stärkt das Gewicht des Einzelsubjekts. Der jüdisch-christliche Gleichheits-Gedanke erhält damit eine metaphysische Verankerung, und die Idee der Universalisierbarkeit liefert fortan das wesentliche Kriterium für die Regelung gesellschaftlicher Angelegenheiten. Für die Entstehung der modernen kapitalistischen Wirtschaft bildet bekanntlich die diesseitsgerichtete Individualethik des Calvinismus und des Luthertums eine gewichtige Voraussetzung (M. Weber), wiewohl es in der italienischen Renaissance auch ohne Protestantismus zu einer eigentlichen Blüte herausragender individueller Leistungen in Kunst, Architektur, Wirtschaft und Wissenschaft gekommen ist. Diese Wende gegenüber der mittelalterlichen Jenseits-Orientierung kündigt sich früh schon im Benediktinerorden an, dessen Arbeitsethos („ora et labora“) dem calvinistischen um Jahrhunderte vorausgeht. Ähnliches gilt für die Ausrichtung später gegründeter Orden, etwa der Franziskaner, die sich durch ein besonderes soziales Engagement auszeichnet. – Das durch die calvinistische Prädestinationslehre inspirierte Unternehmertum ist also nur eine Spielart eines im Dienste des Gemeinwohls initiativen Individualismus. Kapitalismus und Naturwissenschaften gedeihen denn im katholischen Raum genauso wie im protestantischen.
5 Schlussbemerkungen 1. So groß die Unterschiede zwischen den verschiedenen Hochkulturen Eurasiens auch gewesen sein mögen, es waren doch alles Hochkulturen. In dieser Hinsicht ist die Ähnlichkeit zwischen ihnen größer als zu allen Gesellschaften außerhalb Eurasiens. Die Gewohnheit, so grundverschiedene Gesellschaften wie China und Indien, Haiti und Guatemala, den Sudan und Ghana unter den Begriff „Dritte Welt“ zu subsumieren, ist ein eigentliches Kuriosum, das sich nur durch einen Eurozentrismus erklären lässt, der die historischen und kulturgeschichtlichen Entwicklungen vor dem 20. Jahrhundert ausblendet. 2. Die Bedingungen, die bei den verschiedenen Gesellschaften die Übergänge von Jäger- und Sammler- zu ackerbautreibenden Häuptlingsgesellschaften und dann zu Staaten ermöglicht haben (jeweils begleitet von Umwälzungen auf der Ebene der Produktion, des Austauschs und der Kooperationsformen zwischen den Menschen), sind weniger schwierig zu bestimmen als die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen den eurasischen Hochkulturen, die schließlich in die Konstellation mündeten, die wir kennen: Vorherrschaft Europas, Modernisierung und Sieg der kapitalistischen Marktwirtschaft. 3. Einiges bleibt dennoch rätselhaft: Wie erklärt es sich, dass trotz allem Austausch zwischen den Gesellschaften sich das indische Kastensystem Jahrtausende lang halten konnte? Wie ist es möglich, dass eine herrschaftsbegrenzende Tradition, wie sie die Propheten in Israel initiierten, erst in wesentlich späteren Gesell-
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schaften einen bestimmenden Einfluss auf das politische Denken gewinnen konnte? Warum ist eine Philosophie vom Stile Platons in Griechenland und nicht in Indien oder China entstanden? Es ist keineswegs immer das „Sein“, das das „Bewusstsein“ determiniert. 4. Oder liegen die entscheidenden Vorteile Europas gar nicht primär in seiner Geistesgeschichte, sondern vielmehr in geographischen Faktoren wie der Fruchtbarkeit seiner Böden oder der Gliederung des Kontinents in übersichtliche räumliche Einheiten, die die Entstehung einer Vielzahl miteinander konkurrierender Gesellschaften ähnlicher Größe und Stärke ermöglichte? 5. Wenn die europäischen Gesellschaften mit ihrem Los nicht einfach nur Glück hatten, wenn es teilweise auch ihr Verdienst gewesen sein sollte, dass der „Weltgeist“ sie unter seine Fittiche nahm – worin besteht dann dieses Verdienst? Am ehesten doch wohl im Entwurf gesellschaftlicher Ordnungskonzepte auf universalistischer, egalitärer Grundlage. Der liberale Verfassungsstaat und die Idee der Menschenrechte bilden ihre Krönung. Genau diese Errungenschaften drohen aber nun unter den Bedingungen des globalen Entwicklungsgefälles von der Dynamik des globalen Wettbewerbs zerrieben zu werden, bevor sie ihre Wirkung überhaupt richtig entfalten konnten. Wenn es nicht gelingt, dies zu verhindern, so wird sich die vom ubiquitären Wettbewerb getriebene Geschichte der Gegenwart von der Geschichte der letzten 15 000 Jahre nur durch eines unterscheiden: durch ihre augenfällig gewordene Beschleunigung.
Die kosmopolitische Transgressivität der modernen Demokratie Francis Cheneval
1 These Verschiedene Legitimationselemente des modernen demokratischen Nationalstaates1 implizieren die Verpflichtung auf einen kosmopolitischen Progress, d. h. auf einen ständigen Ausbau des interstaatlichen, überstaatlichen und transnationalen Netzwerks politischer Organisation im Hinblick auf eine immer umfassendere, systemisch reproduzierte Realisierung von Menschen- und Grundrechten. Dieser historische Imperativ kann als kosmopolitische Transgressivität der modernen Demokratie bezeichnet werden. Der moderne demokratische Nationalstaat ist durch seine normative Grundlage immer schon auf mehr verpflichtet und angelegt als seine partikulare Staatlichkeit. Die Idee der modernen Demokratie verwirklicht sich im Nationalstaat, weist aber immer schon über diesen hinaus und bietet eine Perspektive zur Politisierung der globalen Gesellschaftsprozesse nach demokratischen Kriterien. Die demokratische Legitimität aber auch die Stabilität und Sicherheit des modernen demokratischen Nationalstaates beruhen auf kosmopolitisch transgressiver Inklusion und Kooperation. Die genannte These kann durch drei Argumentationen gestützt werden, die in den nächsten drei Abschnitten zur Darstellung gelangen. Nicht eingehen kann ich auf den postmodernen Kosmopolitismus im Anschluss an Thesen von Jean-François Lyotard, welcher die partikularstaatliche Volkssouveränität als tendenziell totalitär erweist und die legitime Souveränität in der „Idee der freien Gemeinschaft“ und „Offenheit für das Ereignis“ ansiedelt.2 Es kann darauf hingewiesen werden, dass die Postmoderne in diesem Fall das in der politischen Philosophie der Moderne angelegte kosmopolitische Programm aufnimmt und weiterentwickelt. Die These, dass es sich beim Kosmopolitismus um ein in der modernen Demokratietheorie angelegte Normativität handelt, braucht der Unterscheidung in eine Erste und Zweite Moderne (U. Beck) nicht unbedingt zu widersprechen. Der Kosmopolitismus wurde zwar in der Ersten Moderne nicht realisiert, war aber in gewissen Elementen der normativen Theorie der Demokratie bereits angelegt. Die 1
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Der moderne demokratische Nationalstaat wird hier allgemein als eine durch partizipative und repräsentative Demokratie, Gewaltenteilung, individualrechtlich fundierten Konstitutionalismus und Foren kritischer Öffentlichkeit gekennzeichnete StaatsbürgerInnennation mit Völkerrechtsunmittelbarkeit verstanden. Vgl. J.-F. Lyotard, 1990.
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Globalisierung ist also nicht nur eine zivilisatorische Konsequenz der (Ersten) Moderne (A. Giddens), sondern auch eine begündungslogische Implikation von deren normativer Theorie der Demokratie.3 In einer ersten Argumentation (Abschnitt 2) soll ausgeführt werden, dass sich aus dem Anspruch des demokratischen Nationalstaates auf die Verwirklichung von Menschen- und Grundrechten ein historischer Imperativ zur deren universaler Projektierung und Verwirklichung ergibt.4 In einer zweiten Argumentation (Abschnitt 3) wird dargelegt, dass auch jener modernen Staatsbegründung, die sich auf ein rationales Sicherheitskalkül im Anschluss an Hobbes’ Argument der Selbstwidersprüchlichkeit anarchischer Koexistenz individueller Begehrlichkeiten stützt, ein Widerspruch zwischen dem individualistischen Sicherheitsanspruch und seiner etatistisch-kollektivistischen Einlösung innewohnt. Eine Erfüllung der prioritären individuellen Sicherheitsbedingung ist nur durch eine kosmopolitische Durchdringung und internationale Vernetzung etatistischer Sicherheitsdispositive zu erreichen. Die moderne individualistische Sicherheitsbedingung bleibt uneingelöst, wenn sich bloß ein „wir“ konstituiert, das stark genug ist, um sich gegen ein anderes „wir“ oder gegen alle anderen „wir“ zu behaupten. Drittens (Abschnitt 4) muss im liberalen Nationalismus eine immanente Spaltung zwischen Minderheitennationalismus und nationalstaatlichem Nationalismus diagnostiziert werden. Dies bedeutet, dass der mit Recht hervorgehobene historische und normative Primat des Nationalstaates im Hinblick auf die Realisierung der liberalen Demokratie gleichzeitig auf die Bildung multinationaler und föderaler staatlicher Einheiten weiter verweist. Wird der Prozess tendenzieller multinationaler Inklusion prinzipiell abgeblockt, ist die Nationenbildung für einige gleichzeitig eine Nationenzerstörung für andere und mit den Prinzipien des liberalen Nationalismus nur schwer zu vereinbaren.5 Alle drei in der Folge erläuterten kosmopolitischen Konsequenzen ergeben sich aus dem Begründungsdiskurs der modernen nationalstaatlichen Demokratie selbst. Sie sind nicht das Resultat eines abstrakten, unreflektiert vater(lands)mörderischen oder imperialistischen Kosmopolitismus und bieten auch keine Grundlage zu dessen Verteidigung. Der liberale demokratische Nationalstaat soll hier nicht diskreditiert, sondern in seinen normativen Entwicklungszwecken besser verstanden werden. In der menschen- und grundrechtlichen Begründung der modernen nationalen Demokratie ist eo ipso eine kosmopolitische Transgressivität angelegt, der nur durch die graduelle Realisierung entsprechender postnationaler demokratischer Rechtsstrukturen Genüge geleistet werden kann. Kosmopolitische Transgressivität bedeutet, dass der liberale demokratische Nationalstaat vielleicht als bisher beste Realisierung menschlicher Emanzipationsideale gelten kann und deshalb eine wünschenswerte und im Kontext der historischen 3 4 5
Vgl. Cheneval, 2002. Die Spannung zwischen Menschenrecht und staatsbürgerlichem Grundrecht ist nicht zu verwechseln mit dem als paradox bezeichneten Verhältnis zwischen verfassungsmäßig garantierten Individualrechten und Volkssouveränität. Vgl. dazu Habermas, 2001. Vgl. Kymlicka, 2001, S. 229-234.
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Fragilität der Demokratie sicher erhaltenswerte Staatsform darstellt, dass sich mit seinem normativen Anspruch aber der Selbstauftrag verbindet, die inneren und äußeren Grenzen der Nationalstaatlichkeit reziprok zu überschreiten und eine immer allgemeinere institutionelle Garantie von politischen und sozialen Grundrechten, von zwischenstaatlicher Sicherheit und von multinationaler Rechtssicherheit anzustreben.6 Dieser Prozess stellt, wenn er demokratisch verantwortet und auf jeder Entwicklungsstufe zivilgesellschaftlich konsolidiert wird, wenn er zwischen den Staaten auf Reziprozität und Respekt von kultureller Differenz beruht, eine Vertiefung der modernen Demokratie im Sinn eines prozessualen Kosmopolitismus dar (Abschnitt 5).
2 Menschenrechtsuniversalismus und bürgerlicher Grundrechtspartikularismus In den „Federalist Papers“, die zu den Gründungsschriften der modernen liberalen Demokratie gezählt werden können, schrieb Alexander Hamilton im Jahr 1787 an die Bevölkerung von New York, dass nicht nur die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern die ganze Menschheit durch das Projekt einer historisch neuartigen, demokratischen Verfassung an einen „kritischen Punkt“, an eine „Zeitenwende“ gelangt sei. Ihre Nicht-Ratifizierung wäre, so führte Hamilton aus, ein „Unglück für die gesamte Menschheit“, ihre Annahme hingegen sei eine Frage der „Philanthropie“.7 Beinahe im gleichen Atemzug beruft sich aber Hamilton auf das Zusammengehörigkeitsgefühl einer Nation und eines Volkes gleicher Vorfahren, gleicher Sprache, gleicher Religion, gleicher Sitten, Gebräuche und politischer Grundsätze.8 Zwei Jahre später verabschiedete die Französische Nationalversammlung die „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“, in der die Konstitution nationaler Souveränität und exklusiver Bürgerrechte9 mit dem Anspruch auf menschenrechtliche Universalität der eigenen Verfassungsordnung verbunden wurde.10 Alexis de Tocqueville, der 1835 durch seine Analysen das moderne demokratische Selbstverständnis wie keiner vor ihm auf den Punkt zu bringen wusste, fasste diese sowohl bei Hamilton als auch in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte enthaltene problematische Verschränkung von menschheitsrechtlicher Universalität und nationalstaatlich volksdemokratischer Partikularität der modernen Demokratie in folgende Formel: „Eine Nation ist gleichsam ein Geschworenenkollegium, das die gesamte Menschheit zu vertreten und die Gerechtigkeit, die ihr Gesetz ist, zu verwirklichen hat“.11
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Zum Begriff des transgressiven Charakters der Demokratie, der hier kosmopolitisch ausgeweitet wird, vgl. Wellmer, 1993, 63 ff. 7 Vgl. Hamilton/Madison/Jay, 1994, S. 1. 8 Ebd. S. 6 f. 9 Vgl. Art. 3; 6. Vgl. http://www.liberte.ch/histoire/ddhc/ (von Pascal Nicollier). 10 Vgl. Art. 1; 2; 16. 11 Tocqueville, 1985, S. 145.
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Die genannten Schriftstücke exemplifizieren, dass das universalistische Fundament den modernen Demokratien eine über die nationale Eigenheit hinausweisende Legitimität und Würde zu verleihen scheint. Dazu gehört der Anspruch, in bestimmter Weise den Standpunkt der Humanität zu vertreten und als liberale demokratische Nation einen menschheitsrechtlichen Mikrokosmos darzustellen. Zu diesem Selbstverständnis gesellte sich, zum Beispiel schon bei Kant12, aber auch bei den Federalists13 eine universalhistorische Entwicklungsperspektive, in der die Gründung einer partikularen demokratischen Republik (oder zumindest der damit einhergehende Enthusiasmus unbeteiligter Zuschauer) als „Geschichtszeichen“, als Moment der Vorsehung in der Menschheitsgeschichte, als Vorwegnahme eines menschheitsrechtlichen Endzwecks verstanden wird. Der moderne liberale Nationalstaat erscheint durch seine von ihm nicht zu trennende menschenrechtliche Legitimationsgrundlage immer auch im Licht kosmopolitischer Exemplarität. Auch heute wird diese Position im Allgemeinen noch vertreten, sie wird aber stärker auf ihre kosmopolitischen und kulturellen Implikationen hin reflektiert. Albrecht Wellmer spricht von einem „unleugbaren Zusammenhang zwischen dem Begriff der Menschenrechte und dem der bürgerlichen Grundrechte“,14 Jürgen Habermas, angesichts erhöhter Mobilität und Migration, vom „Widerstreit zwischen den universalistischen Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates einerseits und den partikularistischen Ansprüchen auf die Integrität eingespielter Lebensformen andererseits“.15 Außerdem hebt Habermas die Tatsache hervor, dass die demokratischen Nationalstaaten in Sachen Demokratie, Ökologie und Ökonomie ein politisches Programm verfolgen, das sie erst jenseits ihrer Grenzen verwirklichen können.16 D. Held arbeitet die aktuellen Formen des Auseinandertretens von tatsächlicher Relevanz nationalstaatlicher Politik und universellen Ansprüchen heraus. Es kann somit auch darauf hingewiesen werden, dass nicht nur normative Überlegungen, sondern auch deskriptive politikwissenschaftliche Analysen das hier verteidigte Argument der kosmopolitischen Transgressivität des demokratischen Nationalstaates stützen.17 Auch wenn die notwendige Identifikation des Verfassungsstaates mit der Nation im Prinzip „aufgekündigt“ werden kann,18 also keine Verabsolutierung darstellt, gilt aber, dass die performative Realisierung der bürgerlichen Grundrechte immer einem Inklusions- und Exklusionsmodus folgt, der sich, aus rational einsichtigen Gründen, vom universalistischen Vernunftsanspruch der Menschenrechte als Grundrechte unterscheidet. Deshalb haftet am menschenrechtlichen Fundament des demokratischen Nationalstaates vorläufig immer auch der Makel der unstatthaften Universalisierung des Partikularen. Dieser Tatbestand ist heute 12 13 14 15 16 17
Kant, AA, Bd. 7, S. 84-86. Der Streit der Fakultäten. Vgl. Hamilton/Madison/Jay, 1994, S. 6 f. Wellmer, 1998, S. 265. Habermas, 1992, S. 632 f. Habermas, 1998, S. 125. Held (1995, S. 101-140) identifiziert fünf sogenannte „disjunctures“. Vgl. auch Grande/Risse, 2000, S. 235-267. 18 Vgl. Habermas, 1998, S. 128.
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weniger akut als früher. Seit ihrer Gründung hat die moderne Demokratie einen langsamen Prozess des graduellen Abbaus von Inklusionsdefiziten durchgemacht. Zur Zeit der Anfänge der modernen Demokratie waren politische und soziale Grundrechte in den USA und Europa trotz universalistischem Anspruch eine Angelegenheit reicher Männer gleicher Abstammung. Schrittweise wurde sie dann, variiert nach Nation, ausgedehnt. Die Abschaffung der Sklaverei und des Zensus, die Aufhebung der Judengesetze und die Einführung des Frauenstimmrechts sind Marksteine eines nachträglichen, von Rückfällen gekennzeichneten und unabgeschlossenen Inklusionsprozesses, der heute nebst dem Bemühen um möglichst weltweite demokratische Nationenbildung auf einen besseren sozialen und politischen Einbezug von „Fremden“ hindrängt und Gerechtigkeit im Horizont des Einbezugs von Differenzen reflektiert.19 In Ergänzung zum erblichen Bürgerrecht tritt heute vermehrt die Residenz und Betroffenheit als Kriterium politischer Grund- und Teilhaberechte in den Blickpunkt.20 Der demokratische Nationalstaat erhebt also Legitimitätsansprüche, die er allein nur in Bezug auf die Unterlassungspflichten, in Bezug auf die sich aus den Menschenrechten ergebenden positiven Pflichten aber nur sehr partiell einlösen kann. Eine dem demokratischen Rechtssystem immanente Kodifizierung der Menschenrechte für Nicht-Bürger gibt es nicht. Sie wäre eine Selbstüberforderung. Kein Staat kann und soll allein und vollständig Menschenrecht in bürgerliches Grundrecht umsetzten. Dieser Prozess bedarf reziprok vereinbarter und durch gemeinschaftliche Politik und Entscheidungsgremien verantworteter Regelsysteme. Deshalb beinhaltet die Inanspruchnahme einer menschenrechtlichen Legitimationsgrundlage für den demokratischen Nationalstaat (nur) die Verantwortung, im Verbund mit anderen und tendenziell allen Staaten einer universalen Realisierung der Menschenund Bürgerrechte in die Hand zu arbeiten. A. Wellmers Formulierung „der Universalismus der Menschenrechte verlangt eine Universalisierung demokratischer Bürgerrechte“21 ist in diesem Sinn zu verstehen. Es handelt sich im Grunde um einen doppelten Imperativ. Dieser verlangt eine Ausdehnung der Bürgerrechte im Staat auf alle in einem Territorium längerfristig Residierenden erwachsenen Menschen und eine Gewährung von menschenrechtlich fundierten Bürgerrechten in allen Staaten. Die konzeptuelle Abgrenzung von Menschenrecht und Bürgerrecht bleibt sinnvoll, die absolute operationelle Trennung ist aber „anfechtbar“ und „revisionsbedürftig“.22 Das entscheidende rechtsphilosophische Argument dafür bildet die notwendige Korrelation von Rechten und rechtsgewährenden Normen.23 Dieser notwendigen Korrelation ist im Fall einer ausschließlich nationalstaatlichen Grundrechtsgarantie nicht Genüge getan. Daran würden die Menschenrechtskonventionen des internationalen Rechts grundsätzlich nur dann etwas ändern, wenn sie im Sinn von verfassungsmäßigen Grundrechten von einer supranationalen Jurisdiktion gegen Einzelstaaten angewandt würden und auch entsprechend einklagbar 19 20 21 22 23
Vgl. Lohmann, 2001, S. 769-773. Vgl. Delanty, 2000, S. 51-67. Wellmer, 1998, S. 284. Vgl. Koller, 1998a, S. 101, 116. Vgl. Alexy, 1994, S. 185 ff.
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wären.24 Diese rechtslogisch einsichtige Forderung ist aber inadäquat, weil nicht genügend in Rechnung gestellt wird, dass die effektive Garantie von Grundrechten nicht einfach durch völkerrechtlich bindende Menschenrechtskataloge und Tribunale geleistet wird, sondern systemisch durch soziale und politisch stabile Gemeinschaften. Dieser Gesetzmäßigkeit entspricht z. B., dass der Grundrechtskatalog der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika später hinten angefügt und nicht vorangestellt wurde. Hamilton wies nicht zu Unrecht darauf hin, dass die individuellen Grundrechte primär vom funktionierenden Verfassungssystem selbst und der Gesellschaft als Ganzem gewährleistet werden. Ohne Einbettung in ein ganzheitliches demokratisches Verfassungssystem sozialer, politischer und juridischer Bindungen zeitigen Menschenrechts- und Grundrechtskataloge wenig Wirkung.25 Die hier angesprochene kosmopolitische Transgressivität der modernen Demokratie, aber auch die Gegenläufigkeit zwischen normativem Anspruch und realhistorischen Realisierungsbedingungen, war nebst Kant auch schon Tocqueville bewusst, dessen oben erwähntes Zitat zur Nation als einem Geschworenenkollegium der Menschheit folgendermaßen schließt: „Soll das Geschworenenkollegium, das die Gesellschaft vertritt, mehr Macht haben, als die Gesellschaft selbst, deren Gesetze es anwendet? Wenn ich daher einem ungerechten Gesetz den Gehorsam verweigere, spreche ich keineswegs der Mehrheit das Recht ab, zu befehlen; ich appelliere lediglich von der Souveränität des Volkes an die Souveränität der Menschheit“.26 Übersetzt man diesen Gedanken in einen aktuellen Theoriehorizont, ergibt sich, dass das oft monierte Demokratiedefizit nicht nur der Europäischen Union eigen ist, sondern dass sich der moderne demokratische Nationalstaat, gemessen an den von ihm selbst nur partiell einlösbaren universalistischen Legitimationsansprüchen, tendenziell ebenfalls in einem Demokratiedefizit befindet. Die Europäische Union erscheint unter diesem Gesichtspunkt als Möglichkeit des Abbaus eines aus (inter)nationaler Selbstzentrierung sich ergebenden Demokratiedefizits. Dies ist keine grundsätzliche Diskreditierung des Nationalstaates, denn sein Demokratiedefizit ist wie dasjenige der EU bereits das Resultat eines Progresses der Demokratie. Ohne Inanspruchnahme und partielle Realisierung einer universalistischen Legitimationsgrundlage im liberalen Nationalstaat käme der normative Überschuss kosmopolitischer Transgressivität der Demokratie gar nicht zum Vorschein. Ihr immer deutlicheres Hervortreten kann deshalb als Zeichen eines einstweilen noch intakten demokratischen Progresses interpretiert werden.
3 Die Genealogie des Sicherheitsdilemmas In einem nächsten Schritt soll aufgezeigt werden, dass sich der Steigerungsanspruch zum ständigen Abbau des Inklusions- und Integrationsdefizits in der modernen Demokratie nicht nur aus dem vernünftigen Menschen- und Grundrechtsgedan24 Diese Argumentation ist ausgeführt bei Habermas, 1996a, S. 20-24. 25 Vgl. Hamilton/Madison/Jay, 1994, S. 519-530. 26 Tocqueville, 1985, S. 145.
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ken, sondern auch aus dem für die Konstitution des modernen Staates fundamentalen rationalen Sicherheitskalkül ergibt.27 Es ist also nicht möglich, eine grundsätzliche Antinomie zwischen dem normativen Legitimationsdiskurs über Menschenund Grundrechte einerseits und dem pragmatischen Sicherheitsdiskurs andererseits zu konstruieren. Grundrechte auf der einen und Sicherheit auf der anderen Seite stehen nicht in einem prinzipiellen Widerstreit. Im Gegenteil, dem pragmatischen Sicherheitsdiskurs wohnen in Bezug auf seine nationalstaatliche Fixierung ähnliche Ambiguitäten inne wie dem nationalistischen Grundrechtsdiskurs. Thomas Hobbes bemerkte in „De cive“, dass sich Menschen unter zweifachem Gesichtspunkt begegnen: als Bürger desselben Staates oder als Staaten. Im einen Fall sind sie einander in Gerechtigkeit und Frieden verbunden, im anderen Fall brauchen auch die Guten Krieg, Gewalt und Täuschung, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Im einen Fall ist der Mensch seinem nächsten ein „Gott“, im anderen ein „Wolf“.28 Hobbes hat den Menschen nicht pauschal als des Menschen Wolf bezeichnet (dies ist ein oft wiederholtes Missverständnis), sondern nur auf der Ebene einer methodischen Abstraktion, nur insofern souveräne Staatspersonen anderen souveränen Staatspersonen gegenüber stehen. Die Vorstellung eines Krieges aller gegen alle entspringt nicht einer individualistischen, sondern einer etatistischen Perspektive. Sie kommt durch eine fiktive Übertragung der Attribute des Staates und der zwischenstaatlichen Beziehungen auf die Beziehungen der Individuen zu Stande: Der souveräne Staat entsteht seinerseits durch die Übertragung von Autorität von den natürlichen Personen auf die fiktive Staatsperson.29 Auch Hobbes räumt ein, dass es zu keiner Zeit Individuen gibt, die nicht irgendwie unter einer bestimmten Herrschaft stehen und einer machtpolitisch strukturierten Gemeinschaft angehören. Daraus folgt, dass der Naturzustand unter Individuen eine Fiktion, ein Gedankenexperiment ist.30 Von diesem Zustand der Herrschaftsfreiheit behauptet Hobbes, er sei ein Kriegszustand. Durch den Konjunktiv bringt er den hypothetischen Status dieser Behauptung zum Ausdruck.31 Der Naturzustand als Zustand der Herrschaftsfreiheit ist für ihn aber auch eine empirisch feststellbare Realität: eben der Verhältnisse zwischen den Staaten.32 Mit dem Hinweis darauf 27 Auführlicher dargestellt findet sich die nun folgende These in Cheneval, 2002, S. 217-253. 28 Hobbes, 1983, S. 24: „To speak impartially, both sayings are very true; That Man to Man is a kind of God; and that Man to Man is an arrant Wolfe: The first is true, if we compare Citizens amongst themselves; and the second, if we compare Cities. In the one, there’s some analogy of similitude with the Deity, to wit, Justice and Charity, the twin-sisters of peace. But in the other, Good men must defend themselves by taking to them for a Sanctuary the two daughters of War, Deceipt and Violence“. 29 Vgl. Hobbes, 1839, XV; 1962, c. 16. 30 Vgl. Hobbes, 1962, S. 101: „It may peradventure be thought, there was never such a time, nor condition of war as this; and I believe it was never generally so, over all the world: but there are many places where they live so now. For the savage people in many places of America … have no government at all; and live at this day in that brutish manner, as I said before“. 31 Vgl. Hobbes, 1983, I, 12, S. 49: „The natural state of men, before they entered into Society, was a meer War, and that not simply, but a War of all men, against all men“. Vgl. auch Leviathan, c. 13; 101: „Howsoever, it may be perceived what manner of life there would be, where there were no common power to fear, by the manner of life, which men that have formerly lived under a peaceful government, use to degenerate into, in a civil war“. 32 Vgl. Mohrs, 1995, S. 260 f.
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belegt er seine – in Bezug auf Individuen einer empirischen Anschauung entbehrende – These, dass unter den Bedingungen der Herrschaftsfreiheit die menschlichen Verhältnisse zum Krieg aller gegen alle degenerieren.33 Die „domestic analogy“, wonach die Überwindung des Naturzustandes auf einer zweiten Stufe im Geiste Hobbes’ auf das Verhältnis der Staaten zu übertragen ist,34 beruht demnach auf einer als solcher nicht wahrgenommenen Verschiebung. Adäquater ist es, im kontraktualistischen Argument von einer Retroprojektion des Kriegszustands zwischen den souveränen Staaten in den fiktiven Naturzustand menschlicher Vereinzelung zu sprechen. Erst dadurch gewinnt Hobbes seine Hypothese eines kriegerischen Naturzustands zwischen allen menschlichen Individuen. Konstitutiv für die These des Kriegszustands ist explizit die im internationalen Bereich gegebene Abwesenheit einer zentralen Macht.35 Die These des Kriegszustands aller gegen alle folgt aus der Fiktion souveräner, absolutistischer Staatspersonen.36 Auch ohne Waffengang ist das Verhältnis von souveränen Staatspersonen aufgrund der Abwesenheit eines Paktes aller mit allen und einer dadurch konstituierten Sicherheitsgarantie durch eine höchste Macht, ein Zustand, der es erfordert, dass die Staaten zum Krieg rüsten.37 Der Krieg aller gegen alle ist somit nicht mit dem Bürgerkrieg gleichzusetzen, der nie ein Krieg aller Individuen gegen alle ist, sondern ein Krieg zwischen Parteien, die, im Gegensatz zu Individuum und Staat, durch keine Fiktion als moralische Person, als Einzelwesen, definiert sind. Hobbes verweist gerade nicht auf den Bürgerkrieg, um seine These des Kriegs aller gegen alle empirisch zu belegen, sondern auf die internationalen Beziehungen. Bei Hobbes hat also eine Übertragung der Attribute des Staatssubjekts auf das Individuum stattgefunden: das gewaltbereite, in einem rechtsfreien Raum agierende Individuum von Hobbes’ Naturzustandshypothese ist nach dem Ebenbild des souveränen, bewaffneten Staates konzipiert. Die Betrachtung der herrschaftsfreien Beziehungen zwischen menschlichen, total vereinzelten Individuen als permanentem Kriegszustand ist immer schon eine Projektion des Modells der zwischenstaatlichen Situation auf die Beziehungen zwischen menschlichen Individuen. Diese existieren, wie Hobbes selber einräumt, in Wirklichkeit nie total vereinzelt und insbe33 „But though there had never been any time, wherein particular men were in a condition of war one against another; yet in all times, kings, and persons of sovereign authority, because of their independency, are in continual jealousies, and in the state and posture of gladiators; having their weapons pointing, and their eyes fixed on one another; that is, their forts, garrisons, and guns upon the frontiers of their kingdoms; and continual spies upon their neighbors; which is a posture of war“. Hobbes, 1962, c. 13, S. 115. 34 Vgl. Suganami, 1989; Steiger, 1992, S. 115; Hurrell, 1990, S. 183-205. 35 Vgl. auch Hobbes, 1971, S. 57. 36 „The liberty, whereof there is so frequent and honourable mention … is not the liberty of particular men; but the liberty of the commonwealth: which is the same with that which every man then should have, if there were no civil laws, nor commonwealth at all. And the effects of it also be the same. For as amongst masterless men, there is perpetual war, of every man against his neighbour … so in states, and commonwealths not dependent on one another, every commonwealth, not every man, has an absolute liberty, to do what it shall judge, that is to say, what that man, or assembly that representeth it, shall judge most conducing to their benefit. But withal, they live in the condition of a perpetual war, and upon the confines of battle, with their frontiers armed, and cannons planted against their neighbors round about“. Hobbes, 1962, c. 21; S. 162. 37 Hobbes, 1983, XIII, 7, S. 197.
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sondere nie horizontal herrschaftsfrei, sondern immer schon in einem hierarchisch strukturierten „wir“, in Familien, Horden, Produktions- und Handelsgemeinschaften, oder eben Staaten. Im Naturzustandstheorem und dem damit legitimierten Staat ist der Staat also nicht primär ein menschliches Makrosubjekt, sondern das menschliche Individuum ist als fiktives Naturzustandsindividuum ein fiktiver Mikrostaat. Diese methodische Verschiebung wird aber in Hobbes’ Argument unterschlagen und er setzt in seinem kontraktualistischen Argument beim Krieg aller Menschen gegen alle Menschen ein. Um unter allgemeinen Kriegsbedingungen zu überleben und das Eigentum zu sichern, müssen rationale Individuen der vertraglichen Schaffung eines souveränen Staates zustimmen. Aus den Bedingungen, die den Krieg perpetuieren oder verursachen, leitet Hobbes also die Bedingungen zu dessen grundsätzlicher Überwindung ab. Die moderne politische Philosophie stellt mit Hobbes den Anspruch, den Einzelstaat durch ein nur dem Selbsterhaltungsprinzip verpflichtetes Sicherheitskalkül auf eine strengere wissenschaftliche Grundlage stellen zu können. Da aber der zu überwindende Naturzustand in Wirklichkeit ein Abstraktum der zu begründenden Organisation der Gesellschaft in souveräne Einzelstaaten ist, wird mit dieser Begründung der schärferen Konturen staatlicher Realität ein Dilemma geschaffen. Die „domestic analogy“ muss also im Sinn der zwischenstaatlichen Transgressivität des Nationalstaates selbst umgedreht werden. Die Analogie und fiktive Projektion ist diejenige der Staatsgründung durch vereinzelte, unabhängige menschliche Individuen. Das Naturzustandstheorem als Legitimationsfigur des neuzeitlichen Staates ist eine vom Naturzustand zwischen unabhängigen, autarken und aggressiven Einzelstaaten auf die Individuen übertragene Analogie. Die „domestic analogy“ ist also gar keine Analogie, sondern das ursprüngliche Modell der Gesellschaftsstiftung zwischen souveränen Naturzustandssubjekten. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass die moderne Staatsphilosophie im Anschluss an Hobbes, wenn sie die staatliche Souveränität mit einem Sicherheitskalkül als einzige Möglichkeit der Verhinderung eines performativen Selbstwiderspruchs rationaler Egoisten darlegt, elliptisch argumentiert. Es wird ein Staat begründet, dessen Attribute zuvor auf die individualistischen Prämissen seiner Begründung übertragen wurden. Es überrascht nicht, dass diese Legitimationsfigur nicht nur theoretisch, sondern auch operationell in ein Dilemma führt. Je mehr die Staaten zu ihrer Sicherheit aufrüsten, desto mehr erhöhen sie die allgemeine Unsicherheit des Systems. Dieser Umstand ist der neueren Forschung in Form des Sicherheitsdilemmas bekannt und wurde schon von Montesquieu beklagt.38 Die epistemologischen Gründe dieses Dilemmas sind in einer Verschiebung von be38 Vgl. Herz, 1951; Jervis, 1978; Hargreaves Heap/Varoufakis, 1995, S. 152. Vgl. Montesquieu, 1958, S. 37: „Si les grandes conquêtes sont si difficiles, si vaines, si dangereuses, que peut-on dire de cette maladie de notre siècle qui fait qu’on entretient partout un nombre désordonné de troupes? elle a ses redoublement et elle devient nécessairement contagieuse, car sitôt qu’un État augmente ce qu’il appelle ses forces, les autres soudain augmentent les leurs, de façon qu’on ne gagne rien par là que la ruine commune. Chaque Monarque tient sur pied toutes les Armées qu’il pourroit avoir si les Peuples étoient en danger d’être exterminé, et on nomme Paix cet état d’effort de tous contre tous“.
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stimmten staatlichen Attributen auf die menschlichen Individuen innerhalb des kontraktualistischen Arguments zu suchen. Das ist aber erst ein Aspekt der komplexen Vermengung individualistischer und etatistischer Attribute in Bezug auf Individuum und Staat bei Hobbes. Der zweite Aspekt besteht darin, dass Hobbes das individualistische Selbsterhaltungsprinzip vom Individuum auf den Staat überträgt. Er versucht, dem Sicherheitsdilemma durch eine definitive Rückübertragung des individualistischen Sicherheitskalküls auf das Staatssubjekt zu entgehen. Im Umfeld von internationaler Anarchie können sich Staaten behaupten, der Staat wird sogar als dasjenige Subjekt definiert, das unter Naturzustandsbedingungen überleben kann.39 Dadurch entsteht jedoch eine Diskrepanz zwischen der Erhaltung des Staates und dem individuellen Sicherheitsanspruch, weil der Fortdauer des Staates permanent Individuen geopfert werden müssen. Um den kosmopolitischen Konsequenzen des Naturzustandstheorems zu entgehen, wird also das ursprünglich individualistische Selbsterhaltungsprinzip in ein etatistisch-kollektives überführt. Dass aus der Sicht des Individuums, dessen Zustimmungsfähigkeit zur Staatsgründung auf der Bedingung der eigenen individuellen Selbsterhaltung und Sicherheit beruht, dieses Kalkül der reinen Staatsraison nicht mehr aufgeht, hat Hobbes nicht problematisiert. Die Entwicklung der modernen Staatsphilosophie bei Locke, Rousseau und Kant kann als zunehmendes Freilegen des verschütteten individualistischen Ursprungs des vertragstheoretischen Arguments verstanden werden. Dieser Prozess ging einher mit einem Ausbuchstabieren der kosmopolitischen Transgressivität der individualistisch vertragstheoretischen Staatslegitimation hobbesianischer Prägung und mit der Entwicklung einer föderalistischen Theorie der internationalen Beziehungen.40 Einen grundsätzlichen Widerstreit zwischen dem kontraktualistischen Sicherheitskalkül und der universalistischen Fundierung der modernen Demokratie durch individuelle Grundrechte gibt es also nicht. Die modernen ökologischen und atomaren Bedrohungen des Staates lassen vermehrt auch die Möglichkeit einer Selbsterhaltung des Staates unter politisch und rechtlich strukturschwachen Bedingungen verblassen. Auch in Bezug auf das Sicherheitsargument gilt also, dass der liberale demokratische Nationalstaat zusammen mit seiner kosmopolitischen Transgressivität gleich auch sich selbst verleugnen müsste. Oder noch einmal anders formuliert: Der Prozess des graduellen Abbaus etatistisch-souveränistischer Gewaltmonopole und des Ausbaus von multipolaren Sicherheitsnetzen und der internationalen Strafrechtsjurisdiktion würde eine zunehmend optimalere Erfüllung der individualistischen Selbsterhaltungsbedingung moderner Rechtsstaatlichkeit bedeuten. Dieses Argument akzentuiert sich unter Berücksichtigung eines umfassenderen Sicherheitsbegriffs, der auch ökologische und ökonomische Kriterien impliziert.41 39 „It is therefore necessary, to the end the security sought for many be obtained, that the number of them who conspire in a mutuall assistance be so great, the accession of some few to the enemies party may not prove to them a matter of moment sufficient to assure the victory“. Hobbes, 1983, V, 3, S. 86. Vgl. Hobbes, 1962, c. 17; S. 130. 40 Vgl. Cheneval, 2002, Zweiter Teil. 41 Vgl. Shue, 1981, S. 107-145; Hurrell, 1995, S. 129-153.
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4 Nationale Realisierungsbedingungen und die kosmopolitische Transgressivität der modernen Demokratie Die kosmopolitische Transgressivität des demokratischen Nationalstaates beinhaltet nebst den bereits genannten Aspekten eine Berücksichtigung der kulturellen und nationalen Realisierungsbedingungen der Demokratie. Die Vermittlung normativer Geltung und faktischer Realität der liberalen Demokratie ist ursprünglich an eine nationale demokratisch organisierte Gemeinschaft gebunden. Dies hat seinen Grund in der Einsicht, dass die Demokratie trotz ihrer universalistischen Geltungsbedinungen an kulturelle, kommunitäre, territoriale, insgesamt nationale Realisierungsbedingungen gebunden ist. Schon auf dem europäischen Kontinent hat „Demokratie“ in jedem Land, wenn man von den Grundprinzipien absieht, eine je andere hermeneutische Einfärbung aufgrund verschiedenster kultureller Faktoren. Die Teilhabe an einer nationalen Kultur und die Zugehörigkeit zu einer national gehegten Demokratie hat sich bisher in der Geschichte als Ermöglichungsgrund individueller Selbstverwirklichung und demokratischer Gesellschaftskonstruktion erwiesen. Das langsame Ausscheiden des Lateins als einer Elitesprache zu Gunsten der Volkssprache in Wissenschaft und Gesellschaft war ein politischer, religiöser und auch individualistischer Emanzipationsprozess, der durch die Nationenbildung gewährleistet und durch den demokratischen Nationalstaat politisch operationalisiert wurde. Umgekehrt geht heute die Auflösung der sozialen und nationalen Unmittelbarkeit und Ordnung meist einher mit einer Erosion individueller Autonomie und politischer Partizipation.42 Deswegen reden zahlreiche Forschende gerade im Namen der Aufklärung einem liberalen Nationalismus43 oder „constituvism“44 das Wort, der höchstens mit einem kulturellen (musikalischen, kulinarischen, touristischen, literarischen etc.) aber apolitischen Kosmopolitismus angereichert wird.45 Die Transgressivität der Demokratie bedeutet aber, dass demokratische Gemeinschaften nicht einem politischen Solipsismus frönen können, sondern durch binnenrechtliche und reziprok mit anderen Staaten vereinbarte régimes versuchen sollen, das Inklusionsdefizit der Grund- und Minderheitenrechte und das Sicherheitsdilemma zu verringern. Es stellt sich deshalb die Frage, in welchem staatstheoretischen und rechtsphilosophischen Verhältnis das Trägheitsgesetz des Verharrenwollens in nationaler und kultureller Unmittelbarkeit zur kosmopolitischen Transgressivität des liberalen Sicherheits- und Grundrechtsgedankens stehen soll. Da es sich bei der These der Transgressivität um ein regulatives Entwicklungsprinzip handelt, das den Nationalstaat als wichtige Entwicklungsstufe der Demokratie anerkennt, genügt es diejenigen Thesen zu widerlegen, die von einer notwendigen und ausschließlichen Beziehung von Demokratie und Nation ausgehen und somit eine kosmopolitische Weiterentwicklung der Demokratie prinzipiell ausschließen. Diese Argumentationen beruhen nicht auf rechtsphilosophischen, sondern auf kulturphilosophischen 42 43 44 45
Vgl. Kymlika, 2001, S. 208-210. Rawls, 1993, S. 277; Margalit/Raz, 1990; Taylor, 1992; Tamir, 1993; Spinner 1994; Miller, 1995. Vgl. Brown, 1992, S. 117 ff. Vgl. Waldron, 1995.
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und sozialpsychologischen Überlegungen. Insgesamt behaupten sie, dass die Kulturnation eine notwendige Voraussetzung der Demokratie ist. Die Begründung lautet, dass die Motivation zu kollektivem Handeln, die soziale Integration, die Stiftung eines institutionellen Rahmens sowie die Anerkennung und Koordination von dessen Macht nicht durch Sanktionierung hergestellt werden. Diese allgemeine These akzentuiert sich in Bezug auf den demokratischen Staat. Konsens in Bezug auf die Allokation und Umverteilung von Ressourcen könne nur erwartet werden, wenn die Mitglieder eine gemeinsame Identität, affektive Bindungen und ein gewisses Maß an kultureller Homogenität aufweisen. Allenfalls teilt sich diese Argumentation in eine ethnozentrische und eine nationalistische Spielart, wobei Nationalisten eine gemeinsame Geschichte und Kultur auf einem bestimmten Territorium, explizit aber keine ethnische Homogenität voraussetzen. Wichtig ist auch der methodische Status dieser Argumentation. Er handelt sich um die empirisch-kausale Behauptung einer notwendigen Realisierungsbedingung der Demokratie, nicht um eine konzeptuelle Analyse. In einem kürzlich erschienen Artikel hat A. Abizadeh vier Argumente widerlegt, welche die Faktizität einer Kulturnation als notwendige Realisierungsbedingung der Demokratie behaupten.46 Diese Widerlegung stützt die hiesige These der kosmopolitischen Transgressivität der Demokratie, denn sie lässt die Voraussetzung gelten, dass soziale Integration nicht nur auf staatlicher Sanktion, sondern auch auf nicht-strategischem Verhalten beruht, und dass dieses nicht-strategische Verhalten von gewissen affektiven Identitätsbindungen abhängt. Daraus folgt jedoch nicht eine unbedingte Korrelation von Demokratie und nationalstaatlicher öffentlicher Kultur. Ich möchte in der Folge zwei Argumente beleuchten. Das erste ist das Argument der volkssprachlichen Homogenität des demokratischen Staates, das zweite der Konstituvismus. 1. Jüngst hat W. Kymlicka im Anschluss an John Stuart Mill und Dieter Grimm quasi transzendental-pragmatisch argumentiert und die volkssprachliche Kommunikation als notwendige Bedingung der Performanz von Demokratie bezeichnet. Er glaubt, daraus ein Argument für den sehr beschränkten Umfang einer jeden demokratisch verfassten Gemeinschaft (1) und den primär nationalen Charakter der Demokratie ableiten (2) zu können.47 Den Kosmopolitismus selbst verbannt Kymlicka ins forum internum; er betrachtet ihn lediglich als einen moralisch gebotenen „state of mind“ (3).48 Ich denke, dass man der These (2) bezüglich des primär nationalen Charakters der Demokratie gerade auch vom Standpunkt der kosmopolitischen Transgressivität aus zustimmen kann, solange „primär“ konsequent im historischen Sinn verstanden wird. Die geschichtliche Entwicklung hat in der Tat erwiesen, dass die Bedeutung der eigenen Sprache für die Stiftung von Identität und die Bedeutung alltagssprachlicher Kommunikation im demokratischen Diskurs dazu führte, dass den Aufklärungsidealen von individueller Autonomie und politischer Partizipation bisher am besten in stadtstaatlichen oder nationalem Kontext gedient war. 46 2002. 47 Kymlicka, 2001, S. 212-216, bes. 213. Eine ähnliche These vertraten auch Barry, 1991, S. 178, und Miller, 1998, S. 50. 48 Kymlicka, 2001, S. 220.
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Dass dieser Kontext aber definitiv auf eine volkssprachlich definierte Gemeinschaft beschränkt werden muss und zu einer fundamentalen Kritik an politischen Konstruktionen und Projekten wie der EU Anlass bietet (1), ist eine Gleichsetzung von nationaler Identität und kultureller Identität und eine Verwechslung der linguistischen Grenzen der Diskussionsgemeinschaft mit dem Geltungsbereich demokratisch beschlossener Gesetze. Die politischen Systeme Belgiens, Kanadas, Spaniens und insbesondere der Schweiz belegen, dass durchaus in linguistisch und föderal getrennten Gemeinschaften über identische politische Themen diskutiert und entschieden werden kann, deren rechtlicher Geltungsbereich sich nach der gefassten Entscheidung auf alle zum politischen Ganzen gehörenden Sprachgemeinschaften erstreckt. Die politische Union umfasst mehrere Sprachgemeinschaften und die föderale politische Aufteilung entspricht weder den Sprach- noch den Religionsgrenzen. Dass sich also Condorcet geirrt haben soll und keine Entwicklung einer identitätsstiftenden Universalsprache absehbar ist, die eine kosmopolitisches Demokratieideal einlösen kann, stellt entgegen den Erläuterungen Kymlickas49 kein prinzipielles Hindernis zur Bildung von größeren politischen Einheiten nach föderalistischen Grundsätzen dar. 2. Das Argument des Konstituvismus, wonach die Souveränität für die Konstitution von Individualität notwendig ist,50 impliziert, dass die Inanspruchnahme von Souveränität am Maßstab der tatsächlichen individuellen Identitätsstiftung gemessen werden muss. Menschenrechte sind demnach der Probierstein von legitimer Souveränität und nicht umgekehrt.51 Die Frage ist deshalb nicht ob, sondern nach welchen politischen und juridischen Regeln sich der Interaktions- und Integrationsprozess von Nationalstaaten und ihren Bürgerinnen und Bürgern abspielen soll. In diesem Punkt stoßen der liberale Nationalismus und der ins forum internum verbannte Kosmopolitismus (3) an ihre theoretischen Grenzen. In einem weiteren Kapitel, dessen Positionen mit dem vorangehenden nicht harmonieren, verweist Kymlicka selbst auf den immanenten Widerspruch zwischen Minderheitennationalismus und nationalstaatlichem Nationalismus. Aufmüpfige Minderheiten verstehen sich oft als eine Nation in der Nation und berufen sich auf nationalistisches Gedankengut, um ihre Rechte einzufordern. Damit stellen sie sich meist gegen einen Staatsnationalismus, und zwar mit den Argumenten, die auch Staatsnationalisten im Allgemeinen bemühen: nämlich dass Menschen eine tiefe Verwurzelung in einer nationalen Identität und Kultur haben und ihre politische Gemeinschaft innerhalb dieses Rahmens realisieren möchten. Es ist also widersprüchlich, wenn Nationenbildung unter Missachtung von Ansprüchen von Minderheiten und gleichzeitiger Berufung auf Ansprüche der nationalen Einheit vorangetrieben wird. Es ist aber davon auszugehen, dass nicht jeder nationalen Minderheit ein Nationalstaat gewährt werden kann. Aus diesen Gedanken folgert selbst Kymlicka: „However, the relevant ‚political units‘ cannot be states. We need to think of a world, not of nation-states, but of multination states. If liberal nationalism is to be a viable and defensible 49 Kymlicka, 2001, S. 216-218. 50 Frost, 1996, ch. 4, ch. 5. 51 Jones, 1999, S. 217-220.
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approach in today’s world, we need to renounce the traditional aim of liberal nationalism“.52 Kymlicka gibt zu, keine Theorie für einen solchen „multination federalism“ bereit zu haben. In jedem Fall bedeuten seine Überlegungen zum Dilemma des liberalen Nationalismus aber, dass der Kosmopolitismus mehr sein muss als ein „state of mind“. Er selbst setzt deshalb zu einer kurzen Auseinandersetzung mit dem Kosmopolitismus David Helds an. Diesem wirft er u. a. vor, keinen Theorieansatz vorzuweisen, wie die nationalen Realisierungsbedingungen der Demokratie auf der kosmopolitische Ebene eingelöst werden können. Kymlicka unternimmt aber eine sehr verkürzte Auseinandersetzung mit dem Kosmopolitismus. Entsprechend unergiebig ist das Resultat. Historisch bezieht er sich lediglich auf die historiographisch überholte und wenig umfassende Arbeit von Schlereth,53 systematisch auf einen verkürzt dargestellten D. Held. Das dadurch entstehende Defizit kann hier nicht aufgearbeitet werden. In Bezug auf das von Kymlicka signalisierte methodische Problem einer Diskrepanz zwischen den kosmopolitischen Geltungsbedingungen und den partikularen Realisierungsbedingungen der Demokratie kann aber vermerkt werden, dass die kosmopolitische Transgressivität der liberalen Demokratie eine regulative Entwicklungsperspektive eröffnet, die eine prozessuale Konzeption des Kosmopolitismus als fruchtbar erscheinen lässt.
5 Der prozessuale Kosmopolitismus Die Spannungen zwischen den universalistischen Geltungsbedingungen und den partikularen Realisierungsbedingungen sowie das Dilemma des liberalen Nationalismus im Sinn Kymlickas bedeuten, dass der kosmopolitischen Transgressivität der liberalen Demokratie nur durch eine prozessuale Theorie Genüge getan werden kann. Ein unmittelbarer, universaler Staatsimperativ54 liegt dieser Theorie ebenso fern wie eine hypostatische Fixierung der Demokratie auf der nationalen oder irgendeiner politischen Ebene. Die Konzeption eines abstrakten Kosmopolitismus impliziert die Schwierigkeit der unreflektierten Transposition partikularer Realisierungsbedingungen auf die kosmopolitische Ebene. Die Antwort auf die Ansprüche der kosmopolitischen Transgressivität der liberalen Demokratie ist aber nicht ein abstrakter, ahistorisch argumentierender Kosmopolitismus, sondern eine an eine gemeinsam erzählte Geschichte anknüpfende, pragmatisch immer wieder beschränkte, föderale politische Union von sich demokratisierenden Nationalstaaten: ein kommunitär und zivilgesellschaftlich eingeholter, „langsamer“ Kosmopolitismus. Dieser prozessuale Kosmopolitismus bleibt auf den legalen Kontext des internationalen Rechts, auf dessen Kodifizierung der Menschenrechte und Regulierung der gesamten Staatenwelt angewiesen. Es kann aber behauptet werden, dass im Artikel 28 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die kommuni52 Kymlicka, 2001, S. 234. 53 Schlereth, 1977. 54 Für eine Kritik an einem solchen Imperativ vgl. Kohler, 2002, S. 165-180; Hinsch, 2002, S. 145-152.
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täre Realisierung der kosmopolitischen Transgressivität der liberalen Demokratie völkerrechtlich bereits kodifiziert ist.55 Was ist aber unter dem prozessualen Kosmopolitismus genauer zu verstehen? Er geht davon aus, dass das Ideal der kosmopolitischen Demokratie nur die normative Idee der Geltungsbedingungen, nicht aber die Mittel und auch nicht die konkrete Form des politischen Inklusions- und Integrationsprozesses darstellt. Er ist auch nicht der Inbegriff des (minimalen) Weltstaates. Es handelt sich unter Berücksichtigung der hauptsächlich nationalen und kulturabhängigen Realisierungsbedingungen bei der kosmopolitischen Transgressivität um ein regulatives Prinzip, das der liberalen Demokratie die normative Marschrichtung vorschreibt und sowohl der inneren Organisation des Staates als auch der zwischenstaatlichen Organisation zu Grunde zu legen ist. Der demokratische Nationalstaat, die politische Union demokratischer Staaten und die internationalen Organisationen sind realgeschichtliche Schemen, die dem kosmopolitischen Ideal der friedlichen Verwirklichung von Grundrechten konstant angeglichen und an ihm gemessen werden.56 Als regulatives Prinzip ist das Ideal der kosmopolitischen Rechtsgemeinschaft eine normative Zielvorstellung eines durch gemeinschaftliches politisches Handeln und supranationale Gemeinschaftsstiftung zu befördernden Entwicklungsprozesses. Kant spricht von einer „allgemein fortschreitenden Coalition in eine weltbürgerliche Gesellschaft“.57 Die kosmopolitisch-transgressive Idee der liberalen Demokratie ist das normative Telos eines inner- und zwischenstaatlich vernetzten Inklusions- und Identitätsstiftungsprozesses. Gemäß der kosmopolitischen Transgressivität der liberalen Demokratie sind demokratische Staaten auf die Bildung einer universalen Rechtsgemeinschaft verpflichtet. Diese ist aber als Idee nicht zu verwechseln mit den institutionellen Bedingungen und sozialen Instrumenten der progressiven Bildung von demokratischen Nationen und politischen Unionen demokratischer Staaten. Mit M. Scheler kann von einem „Richtungsschrittgesetz“58 gesprochen werden. Die kosmopolitische Transgressivität und die Idee einer universalen demokratischen Rechtsgemeinschaft, in der die Staaten als die primären Garanten von Demokratie enthalten sind, führt deshalb nicht zu deren Auflösung, sondern lediglich zur einer Transformation ihres juridischen Status,59 zu einem qualified souvereigntism,60 der längst zur positiven Realität des internationalen Rechts gehört und sich weiter ausdifferenzieren wird. Durch den normativ-prozessualen Charakter der kosmopolitischen Rechtsidee kann dieser prozessuale Kosmopolitismus den geschichtlichen, nationalen Realisierungsbedingungen der Demokratie Rechnung tragen. Es muss unter den heute ge55 „Jeder Mensch hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher die in der vorliegenden Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können“. (Vgl. http://www.boes.org/un/gerhr-b.html). 56 Vgl. Kant, AA, Bd. 8, S. 350, Zum ewigen Frieden; Bd. 6, S. 344, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. 57 Vgl. Kant, AA, Bd. 7, S. 331, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. 58 Scheler, 1974, S. 25. 59 Die Souveränität des Einzelstaates ist für Kant keine Vernunftidee. Für gegenteilige Interpretationen vgl. Koller, 1996, S. 217; Habermas, 1995, S. 19 f.; Kersting, 1993, S. 73-76. 60 Vgl. Jones, 1999, S. 214-216.
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gebenen Umständen supponiert werden, dass die Nationalstaaten keine allgemeine kosmopolitische Demokratie bilden können und auch nicht wollen. Das reine Vernunftkonstrukt einer kosmopolitischen Demokratie muss, wie ansatzweise bei Kant, in eine politische Theorie integriert werden. Dem Königsberger ging es besonders in der „Friedensschrift“ um die Formulierung einer Theorie der schrittweisen aber langsamen politischen Realisierung einer globalen Rechtsgemeinschaft. Deshalb supponierte er (in hypothesi) die Hinderungsgründe einer kosmopolitischen Rechtsgemeinschaft. Er unterschied zwischen den zufälligen und notwendigen Bedingungen und warf konservativen Gegnern der Französischen Revolution und der kosmopolitischen Idee vor, die „Bedingungen der Ausführung des Gesetzes zu Bedingungen des Gesetzes selbst“ zu machen.61 Ohne die kontingenten Realisierungsbedingungen zu leugnen, stellte er klar, dass letztere nicht notwendige Bedingungen des Gesetzes sein können. Im Recht und der geschichtsphilosophischpolitischen Theorie seiner Realisierung ist nur die Idee der kosmopolitischen Demokratie als notwendige Bedingung von Freiheit unter Gesetzen zu postulieren. Die Stiftung einer bürgerlichen und weltbürgerlichen Gesellschaft bezeichnete Kant deshalb wiederholt als Postulat.62 Die Verwendung von „Postulat“ im Gegensatz zu „Pflicht“ lässt deutlich werden, dass es nicht um die Bestimmung eines reinen Sollens, sondern um den Endzweck eines politischen Prozesses geht, der als vernünftig betrachtet werden kann. In Bezug auf die Geltungsbedingungen des Rechts ist der kosmopolitische Vertrag ein unbedingter Zweck der Vernunft. In Bezug auf die kontingenten Realisierungsbedingungen muss aber supponiert werden, dass es konkrete Hinderungsgründe gibt. Kymlickas Einwand „politics in the vernacular“ z. B. sollte dieser methodische Status zugesprochen werden. Er muss von jeder kosmopolitischen Theorie Ernst genommen werden. Es handelt sich aber weder geltungslogisch noch empirisch um einen prinzipiellen Einwand. Auf die Unterscheidung zwischen sprachlicher Kommunikationsgemeinschaft und rechtlichem Geltungsbereich wurde schon hingewiesen. Zweitens ist die Sprache ein Phänomen, das durch soziale und politische Entwicklungen transformiert wird. Die Volkssprache ist deshalb nicht ein grundsätzlicher Hinderungsgrund kosmopolitischer Demokratie. Vielmehr stellt die Kadenz ihrer Transformation und die Akzeptanz übergeordneter Hochsprachen und „linguae francae“ einen Indikator der möglichen Geschwindigkeiten und Rückschläge eines demokratisch verantworteten kosmopolitischen Integrationsprozesses dar. Drittens hat die Sprache kraft ihres kommunikativen Telos ein universalistisches Moment. Menschen, die irgendeine Sprache besitzen, können sich verständigen, so dass mit der Zeit auch eine gemeinsame Rechtskultur und politische Entscheidungsfindung möglich wird.63 61 Kant, AA, Bd. 8, S. 277, Über den Gemeinspruch. 62 „Das Postulat also, was allen folgenden Artikeln zum Grunde liegt, ist: Alle Menschen, die auf einander wechselseitig einfließen können, müssen zu irgend einer bürgerlichen Verfassung gehören“. (Kant, AA, Bd 8, S. 349, Fußnote, Zum ewigen Frieden). – „Aus dem Privatrecht im natürlichen Zustande geht nun das Postulat des öffentlichen Rechts hervor: du sollst im Verhältnisse eines unvermeidlichen Nebeneinanderseins mit allen anderen aus jenem heraus in einen rechtlichen Zustand, d. i. den einer austheilenden Gerechtigkeit übergehen. – Der Grund davon lässt sich analytisch aus dem Begriffe des Rechts im äußeren Verhältniß im Gegensatz der Gewalt (violentia) entwickeln“. (Ders., Bd. 6, S. 307, Metaphysische Angangsgründe der Rechtslehre)
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Francis Cheneval
Es war Kant bewusst, dass die Verwirklichung der Rechtsgemeinschaft der Menschheit in thesi eine leichte, in hypothesi aber eine „schwere und langsam auszuführende Sache sei“.64 Obschon dieser erschwerte Modus der Ausführbarkeit anzeigt, dass die kosmopolitische Demokratie nicht „sofort und mit Ungestüm“65 realisiert werden kann (auch C. Jones legt Wert auf diese Feststellung66), bedeutet er nicht eine Negation der universalistischen Geltungsbedingungen der liberalen Demokratie. Trotzdem kann er einer Philosophie, der es um die tatsächliche, wenn auch graduelle politische Realisierung der kosmopolitischen Norm geht, nicht gleichgültig sein. Besonders dann nicht, wenn der Versuch der forcierten Anpassung der Ausführungsbedingungen an das Ideal, dem Ideal selbst performativ widerspricht.67 Kant sah zwei Möglichkeiten, wie es durch ein unmittelbares Erzwingen zu einer Verfehlung des demokratischen Rechtszwecks kommen kann. Erstens durch die Herstellung eines allgemeinen Friedens ohne Freiheit,68 zweitens durch die Herstellung des Friedens durch ein „bellum maximum“ eines Völkerstaates gegen Einzelstaaten. Er war nicht prinzipiell gegen die Föderation der Demokratien. Im Gegenteil, er hielt sie für die Vernunftidee und trat dafür ein, dass ihre Gründung „eingeleitet werde“.69 Er hat aber darauf aufmerksam gemacht, dass es kontingente Ausführungsbedingungen gibt, die seine übereilte Gründung nur unter Anwendung von massiver Gewalt als möglich erscheinen lassen. Es sind also normative Gründe performativer Widersprüchlichkeit, die unter Anerkennung der Realisierungsbedingungen gegen die unmittelbare gewaltsame Schaffung einer kosmopolitischen Rechtsstruktur sprechen. Es scheint mir deshalb verfehlt bei Kant „eine folgenreiche metabasis“70 von einer praktischen in eine historisch-politische Argumentation zu diagnostizieren. Ein „fauler Kompromiss“71 ist ebenfalls nicht auszumachen. Vielmehr ist es die auch von heutigen Verfechtern des Kosmopolitismus geteilte Einsicht,72 dass der Kosmopolitismus „nicht übereilt und so der Absicht selbst zuwider“ gestiftet werden kann. „Der Absicht selbst zuwider“ kann in diesem Zusammenhang heute sehr allgemein verstanden werden, nicht nur als unangemessene militärische Gewalt, sondern auch als Missachtung einer kulturellen und linguistischen Identität, als massive Verletzung von Selbstbestimmung und Autonomie. Der prozessuale Kosmopolitismus ist deshalb ein ziviler, gemeinschaftsbezogener und kommunitär verantworteter Kosmopolitismus.73 Supranationale Gewalt konzipiert er als Notmittel, nicht als Stiftungsprinzip einer Weltdemokratie.74 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73
Vgl. Holenstein, 1985, S. 124-179. Kant, AA, Bd. 5, S. 294, Kritik der Urteilskraft; Bd. 8, S. 357, Zum ewigen Frieden. Kant, AA, Bd. 8, S. 372, Zum ewigen Frieden. Jones, 1999, S. 214. Jones, 1999, S. 229. Kant, AA, Bd. 8, S. 310 f., Über den Gemeinspruch; S. 367, Zum ewigen Frieden. Kant, AA, Bd. 8, S. 313, Über den Gemeinspruch; S. 357, Zum ewigen Frieden. Höffe, 1990, S. 274. Vgl. Seel, 1997, S. 322. Jones, 1999, S. 214 ff.; Delanty, 2000, S. 135-145. Im Sinn von Delantys (2000, S. 137-145) civic cosmopolitanism. Vgl. auch Mitias, 1990a; 1990b; 1992. 74 Vgl. dazu Cheneval, 1997, S. 175-192.
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Nicht die Abstraktion einer inhaltlich fixierten Verfassung der Menschheit oder das Ideal einer nach normativen Gesichtspunkten reformierten UNO, die gegen Einzelstaaten und Nationen zwanghaft durchgesetzt werden müsste, sondern die Dynamik eines Demokratisierungs- und Integrationsprozesses von demokratischen Staaten und Gesellschaften stehen in der Rede von der kosmopolitischen Transgressivität der Demokratie im Vordergrund. Man darf sich daran erinnern, dass Kants Gegenbegriff zu „Krieg“ nicht „Staat“, sondern „Prozess“ (des Rechts) ist. Er spricht davon, den Krieg durch eine „fortdauernde Friedensstiftung“,75 nicht durch eine „unauflösliche Staatsverfassung“, sondern „gleichsam durch einen Prozess“ zu ersetzen.76 Unter einer „weltbürgerlichen Verfassung“77 versteht Kant nicht in erster Linie eine positive Weltverfassung, sondern einen „Zustand des allgemeinen Friedens“,78 der auf die Idee der kosmopolitischen Rechtsgemeinschaft hinzulenken ist. Die Idealität der kosmopolitischen Demokratie und der stets nur approximative Status der konkreten politischen Arrangements führt dazu, dass die institutionellen Bedingungen des Annäherungsprozesses selbst auch nur Resultat eines politischen Prozesses sein können. Mit der regulativen Idee der kosmopolitischen Transgressivität demokratischen Rechts wird deshalb nicht eine überzeitliche, konkrete Idealverfassung der Menschheit gesetzt, auch nicht die eines minimalen Weltstaats, sondern es wird ein normatives, prozessleitendes Prinzip für einen politisch-empirischen Prozess demokratischer Institutionalisierung formuliert. Zu vermeiden gilt es deshalb das Missverständnis, der nicht eingelöste menschenrechtliche Übersteigerungsanspruch der modernen Demokratie stelle eine grundsätzliche Diskreditierung des liberalen demokratischen Nationalstaates dar. Im Gegenteil, durch diesen kommt die kosmopolitische Dimension des Rechts und der Demokratie überhaupt erst in den Blick und in den Bereich politischer Realisierbarkeit. Zu einer Negation und Diskreditierung des liberalen Nationalstaates kommt es nur im Fall einer nationalistischen Verabsolutierung des Staates oder im Fall eines abstrakten Kosmopolitismus. Nur wenn der Nationalstaat oder der Weltstaat zu einem realgeschichtlichen Selbstzweck hypostasiert oder die Volkssouveränität unsachgemäß von universalen Menschen- und Grundrechten abgekoppelt werden, erscheint die Differenz zwischen nationaler Volksdemokratie und Menschenrecht als grundsätzlich widersprüchlich. Nur wenn der Kosmopolitismus unter Missachtung seiner zivilgesellschaftlichen Realisierungsbedingungen konzipiert wird, kommt es zu einer Diskreditierung und einer Negation des liberalen Nationalstaates. Sofern aber beim liberalen Nationalstaat als Basis liberaler Demokratie angesetzt wird, kann ausbuchstabiert werden, dass dieser demokratische Nationalstaat einer prozessualen, pragmatisch zu verantwortenden und mit anderen demokratischen Nationalstaaten gemeinschaftlich zu realisierenden Reduktion des Inklusions- und Sicherheitsdefizits verpflichtet ist.
75 76 77 78
Vgl. Kant, AA, Bd. 6, S. 355, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Vgl. Kant, AA, Bd. 6, S. 351, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Kant, AA, Bd. 8, S. 311, Über den Gemeinspruch; S. 372, Zum ewigen Frieden. „weltbürgerliche Verfassung (Zustand eines allgemeinen Friedens)“. Kant, AA, Bd. 8, S. 311, Über den Gemeinspruch.
The Prospects of 21st Century Constitutionalism Thomas Cottier and Maya Hertig “Wir leben insoweit von dem Gedankengut einer Welt, die nicht mehr die unsere ist und, wie wir immer deutlicher sehen, in den tiefen Wandlungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts ihren Untergang gefunden hat. Über ihre Grundlagen, bisher als gesichert geltende Bestandteile der Staats- und Verfassungslehre, ist die Geschichte hinweggegangen.” (Konrad Hesse)
Introduction At the outset of the Millennium and with the advent of a new Century, traditional foundations of constitutional governance face new challenges in the light of enhanced international interdependence, globalization of markets, of technologies and communication way beyond the boundaries of the Nation State. The moment has come to live up to these challenges in legal theory and constitutionalism. The goals of liberty, justice and dignity, of equity but also efficiency and security all remain unimpaired. But ways and means to secure them in coming decades and perhaps centuries need to be developed in the context of an increasingly globalized society. The past, building upon the achievements and failures of the Westphalian System of Nation States and the Republican ideas of the French and American Revolutions brought about the consolidation of constitutionalism within the Western Nation State. The theories of constitutional and traditional public international law emerged as a response to a Europe highly fragmented and torn by devastation. An account of the Thirty Years’ War, of religious and political fragmentation, social misery and the decline of law reminds us of the implications of such disorder.1 This experience created the underpinnings of the modern State.2 The call for central governance and sovereignty in the writings of Bodin3 and Hobbes4, and for limited government and checks and balances in the works of Locke5 and Montesquieu6 all served in differing ways the causes of liberty and peace within the system of Nation States, at their respective times.7 Indeed, it is important to recall that all 1 2 3 4 5 6 7
Cf. Mann, 1974. See Walter, 2001, p. 192. Bodin, J., 1993. Hobbes, T., 2000. Locke, J., 1999. De Montesquieu, Ch.-L., 1998. See for example Müller, 1997 p. 57 ff, who points out that the purpose of sovereignty was, historically speaking, to secure peace.
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these efforts were directed at achieving freedom and security through governance under contemporary conditions, within the bounds of society, markets and means of communication of that time, seeking to overcome incoherence, fragmentation and abuse of power. Yet, these endeavors were operational answers to their times and societies and cannot claim eternal truth. Meanwhile, the historical, political and economical context has undergone important changes which a modern theory of constitutionalism has to account for if it is to ensure its traditional functions and to contribute to global governance. With technological advances of the past and present, interaction of States and societies has considerably increased, leading from traditional coexistence to cooperation and even to integration by means of international law and organizations. It is obvious that Constitutionalism of the 21st Century needs to address these complexities and to reach beyond the boundaries of the Nation State. This raises difficult theoretical questions as to how this can be achieved. The current efforts mainly focus on the problem as to whether levels of governance other than the Nation State are constitutionally framed or not, and therefore what essential qualities and properties amount to a ‘constitution’. No discussion of constitutionalism can ignore this debate. Yet, it will be submitted that attempts to draw strict conceptual boundaries between governance structures with or without a ‘constitution’ have become increasingly artificial in a world where the boundaries between domestic and international law have been progressively blurred and do not help to solve concrete problems. We shall therefore deal with the discussion on the notion of ‘constitution’ only to the extent that it is necessary to demonstrate that an exclusive focus of constitutionalism on the Nation State cannot be maintained. It needs to give way to a graduated approach which views constitutionalism as a process, extending constitutional structures to fora and layers of governance other than nations. The main aim of this paper is thus not to define whether different levels or layers of governance, national or international, have a ‘constitution’, or amount to one, and what the minimal content of the normative concept of ‘constitution’ should be. Rather, we are interested in the necessary relations and functions of different and existing layers of governance, whatever their nature and quality, considered as on overall complex. Allocating powers among and between these layers, establishing adequate safeguards on different levels of governance – whether or not termed a Constitution – and defining the relationship and interaction between these layers, for example in the field of human rights protection or market access rights, is one of the main tasks constitutionalism will have to achieve in this century. We conceive the core of constitutionalism as a matter of interfacing different layers of governance from local to global levels, building a house with different storeys. This approach satisfies the need to look at different layers in a coherent manner, as forming part of an overall system. Such a system is not static. It rather depicts a process with changing allocations of powers and functions of governance. Many different types of structures and combinations are possible. Our approach may be an unusual angle to look into constitutional law as it inherently entails an important focus on international law. Yet, we shall argue that, far from being two essentially different systems, public international law and constitutional law have increasingly influenced each other. This has led to a structural
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rapprochement and great permeability of both legal orders. The gradual process of convergence between international and constitutional law is described in the first part of the paper. We then depict the current debate on the notion of ‘constitution’ to conclude that constitutionalism needs to be decoupled from the Nation State and should be conceived as a graduated concept. On this basis, we finally turn to developing some elements for a theory of 21st Century constitutionalism.
1 The Converging Evolution of Constitutional and Public International Law 1.1 The Traditional Dichotomy Between International and Constitutional Law The prevailing understanding of constitutionalism, as it developed in the 18th and 19th Centuries, was shaped within, and limited to, the boundaries of the Western Nation State. It is worth recalling that the latter also was, and still is, the central concept of classical international law of coexistence, as it emerged in the aftermath of the Peace of Westphalia.8 However, in contrast to the integrated hierarchical legal order of the Nation State, the international “unsociety”9 was essentially a society of sovereign, juxtaposed states. International law was conceived as a little institutionalized, decentralized system,10 the sovereign states being both “the creators and the subjects of its norms”11, the individuals its objects. Since inter-state relationships were mainly perceived as a threat to the very existence of the Nation State,12 foreign policy was considered the exclusive prerogative of the executive branch, a domain, as John Locke put it, “much less capable to be directed by antecedent, standing, positive Laws.”13 The rule of law, and the principle of separation of powers, both core precepts of liberal constitutionalism,14 8 9 10 11 12
13 14
For a description of the so-called Westphalian System, see Hobe, 2002, p. 657 ff; Rosas, 2000, p. 153 ff; Thürer, 2001, p. 39 f, who uses the term state-“world” instead of Westphalian System. Allot, 1999, p. 35. Salcedo, 1997, p. 583. Salcedo, 1997, p. 583; see also Hobe, 2002, p. 657. The Swiss Federal Constitution of 1848 illustrates this point. Its article 2 ascribed the task to the Confederation to safeguard the independence and the security of the country “against foreign powers” [“contre l’étranger”]. See Cottier/Hertig, 2000, p. 2 ff; Malinverni, 1998, p. 7. Similarly, the founding fathers of the United States invoked the hostile international environment as one of the main reasons justifying the foundation of the federal state: “It is true, however disgraceful it may be to human nature, that nations in general will make war whenever they have a prospect of getting anything by it; nay, that absolute monarchs will often make war when their nations are to get nothing by it, but for purposes and objects merely personal, such as a thirst for military glory, revenge for personal affronts, ambition, or private compacts to aggrandize or support their particular families or partisans.” Cf. Hamilton/Madison/Jay 1969, Paper N° 4 (Jay) p. 46; see also Paper N° 6 (Hamilton) p. 59 f. Locke, J., 1965, The Treatises of Government 395-99, Mentor, p. 411, quoted in Petersmann, 1998, 25. For a definition of constitutionalism, see for example Rosenfeld, 1994, p. 3, according to whom “constitutionalism requires imposing limits on the powers of government, adherence to the rule of law, and the protection of fundamental rights.” Similarly Petersmann, 1991, p. 252: “Constitutionalism denotes the basic idea of limited government under the rule law.” See also Preuss, 1995, p. 95: “[C]onstitutionalism embraces essentially the idea of limited government.”
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thus only applied within the Nation State,15 whereas international law remained a “constitution-free” and “morality-free zone”,16 dominated by utter realpolitik and the barrel of the gun. Domestic and international law were thus in principle looked upon as two essentially distinct systems. 1.2 Towards Structural Rapprochement 1.2.1 The Impact of State Failures, Decolonization, Regionalization and Globalization During the 20th century the concept of coexistence remained of paramount importance and still shapes international law to a large extent. Yet, the boundaries between domestic and international spheres gradually blurred, with public international law evolving from a law of coexistence to a law of cooperation17, increasingly addressing domestic matters, and, partially, to a regional or even global law of integration.18 The latter can be described as the making and shaping of uniform or approximated domestic legal standards by way of international treaty making, particularly in the field of economic regulation. The legacy of two world wars, led in the name of the Nation State, saw the advent of the United Nations, the Bretton Woods institutions and a relatively open global trading system based upon the GATT, now the World Trade Organization (WTO). In Europe, the Council of Europe and the European Communities were founded with a view to assuring peace and prosperity. International instruments for the protection of human rights, namely the European Convention of Human Rights and the two United Nations Covenants of 1966, were set up as minimal safeguards for the citizens against the failure and abuse of state power.19 These developments are partly rooted in enhanced interdependence, partly in assisting newly independent states, but mainly in failures of States to protect and promote human well being, World peace and stability on their very own. They were implicitly guided by the aim of introducing a new layer of constitutional checks and balances so as to constrain the power of the sovereign states. At the same time, bilateral and multilateral cooperation increased dramatically so as to cope with the profound technical, social, ecological and economical changes commonly described as globalization.20 Nowadays, states are locked in 15 Cottier/Wüger, 1999, p. 242; the view according to which no constitutional constraints should be imposed in the field of foreign policy is also reflected in the Federalist Papers: “The circumstances that endanger the safety of nations are infinite, and for this reason no constitutional shackles can wisely be imposed on the power to which the care of it is committed. This power ought to be coextensive with all the possible combinations of such circumstances” (Hamilton/ Madison/Jay 1969, Paper N° 23 (Hamilton) p. 153). 16 Allot, 1999, p. 35. 17 The term ‘law of co-operation’ was coined by Friedmann, 1964, p. 60-68. 18 The term ‘global law’ instead of ‘law of integration’ is increasingly used, cf. Hobe, 2002, p. 663, see also the series of ‘Studies in Global Economic Law’, Berne/Berlin/Bruxelles et al.: Peter Lang. 19 See Cottier, 2002, p. 116. 20 For a succinct description of the process of globalization, see Dicke, 2000, p. 14 ff; Pernthaler, 1998, p. 69 ff. Held/McGrew/Goldblatt/Perraton, 2000; Beck, 2000.
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and bound by a great many treaties. These agreements not only define external relations, but increasingly shape national law. In the case of the WTO, the process is accompanied by effective dispute settlement and enforcement. Even the United States of America as a superpower grudgingly adheres to this in principle with a view to securing its own market access and legal compliance interests abroad.21 The same holds true for the European Communities. Failure to comply with a number of big WTO cases across the Atlantic must not detract from the fact that overall levels of compliance are high. The more so, this is true within regional integration. Contemporary law of the European Union and the Community not only limits the powers of Member States but also those of non-members, like Switzerland, who see themselves under factual constraint to adapt and implement EC law with a view to minimizing trade barriers and distortions to their own disadvantage. As a legal phenomenon, regionalization and globalization can be described as a process of “legal and de facto denationalisation”,22 resulting from the declining regulatory capacity of the Nation State23 and consisting in the transfer of policies traditionally regulated by domestic law to international or supranational governance structures or regimes.24 All these changes have deeply affected the structure of law in general and both constitutional and public international law in particular. Giovanni Biaggini put it succinctly: “constitutional law is becoming more international, international law more constitutional”.25 1.2.2 “Internationalization” of Constitutional Law As regards constitutional law, the growing interdependence of states and their declining regulatory capacity have caused, in Biaggini’s words, a “partial outsourcing” of constitutional functions.26 Importantly, the protection of fundamental rights and safeguarding peace are not any longer the exclusive responsibility of national constitutions.27 They have also become important tasks of international and supranational organizations.28 The same is particularly true in economic relations. Market access rights and level playing fields are secured by basic treaty principles of non-discrimination (most favoured nation and national treatment) which do not form part of the introverted traditions of constitutional law.29 They are accompanied by a multitude of rules which in certain fields are more detailed than corresponding domestic regulations. 21 22 23 24 25 26 27 28 29
Cf. in this context the seminal work of Henkin, 1979, p. 12 ff. Tietje, 2002, p. 502 f; Thürer, 1998b, p. 176; Delbrück,1993, p. 10 ff; Dicke, 2000, p. 14. Hobe, 2002, p. 656. The concept of regime can be defined as a set of “principles, norms, rules, and decision-making procedures around which actors’ expectations converge in a given cause-area.” (Krasner, 1983, p. 1). Biaggini, 2000, p. 455 (translated by the authors). Biaggini, 2000, p. 454 (translated by the authors). Biaggini, 2000, p. 454 f. Biaggini, 2000, p. 454 f. Cottier, 1993, p. 434 ff.
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The transfer of constitutional functions from the national to the international level has been described by some legal scholars in terms of “internationalisation of constitutional law”,30 “the opening up of the constitutional state”31 or the emergence of “international parallel constitutions”.32 1.2.3 “Constitutionalization” of International Law As regards public international law, the increasing importance of non state actors, such as international and non-governmental organizations (NGO’s) and multinational corporations, are challenging the role of the state as the exclusive subject of international law.33 The individual, traditionally considered an object of international law, is gradually gaining the status of a “partial subject”.34 These developments mark a slow shift of paradigm from an international society of independent, sovereign states to the international community,35 evoking the idea of interdependence, shared responsibility and solidarity.36 The departure from the voluntaristic, state-centered concept of international law and the emphasis on the interests of the community of states as a whole also affect the sources and the implementation of public international law. The idea of ‘higher law’, binding the states independently of their individual consent, is reflected in the concepts of ‘ius cogens’, ‘obligationes erga omnes’ and ‘international crime’.37 However limited in scope, they have resulted in a rudimentary mandatory hierarchical structure of the international legal system which no longer is at the disposition of national law and the Nation State. As the creation of the European Court of Human Rights in Strasbourg, the International Criminal Tribunal in The Hague, the WTO, the United Nations Convention on the Law of the Sea, and, most importantly, the European Union with their binding dispute settlement system shows, law enforcement mechanisms have been established with varying, but enhanced efficiency compared to voluntarist classical international law.38 With human rights lawyers at the forefront, the changing structure of the international legal system and its increased focus on the rights of the individuals, is referred to as the “constitutionalization of public international law”.39
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Biaggini, 2000, p. 452. Biaggini, 1998, p. 957; Cottier, 1997, 224; Schindler, 1998, p. 1027; Hobe, 1998. Tomuschat, 1978, p. 9, 50; Thürer, 1998b, p. 86. Hobe, 2002, p. 659 ff. Hobe, 2002, p. 661. One of the first proponents of the concept of ‘international community’ was the judge of the International Court of Justice Hermann Mosler (see Mosler, 1974, 1980). For later works, see in particular Tomuschat, 1993 and Paulus, 2001. Salcedo, 1997, p. 588; Thürer, 2001, p. 44. For these concepts, see, among the vast literature, for example the articles by Weiler/Paulus, 1997, p. 545-565; Koskenniemi, 1997, p. 566-582; Salcedo, 1997, p. 583-595. For a critical account, cf. Weil, 1982, p. 5-47. See Frowein, 2000, p. 438 ff. For Frowein, the “constitutionalization of public international law means recognition of interests of the community of states and the introduction of mechanisms for their implementation.” (Frowein, 2000, p. 447).
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Before it was employed by international lawyers, the term ‘constitutionalization’ was introduced in the context of the European Community, describing the “process by which the ECJ [European Court of Justice] transformed treaty into constitution,”40 mainly by attributing direct effect and supremacy to Community law and developing a fundamental rights doctrine for the European Union.41 In comparison to the European Union, the theory of ‘constitutionalization’ is, of course, less developed and unsettled in public international law. It stands both for an analytical tool to describe the structural changes of the international legal system and for a strategy as to how further enhance the efficiency, coherency and legitimacy of international law by applying constitutional law theories to the international system as a whole or to international organizations. The theory of constitutionalization is thus both descriptive and normative, which is illustrated by the ‘constitutionalization debate’ with regard to the WTO. Within the community of WTO scholars, different schools of thought can be observed, ranging from general descriptions to specific normative claims. Hannes L. Schloemann and Stefan Ohlhoff, for instance, use the term ‘constitutionalization’ to describe the important substantive reach of WTO law, the quasi-obligatory dispute settlement system and the shift of the WTO from a power to a rule oriented system, which has developed into a “proto-supranational structure”.42 Similarly, for Deborah Z. Cass, ‘constitutionalization’ characterizes “the generation of a set of constitutional-type norms and structures by judicial decision-making”.43 John Jackson’s constitutional analysis of the WTO focuses mainly on the institutional structure of the Organization.44 He emphasizes the need to increase transparency and the participation of non-governmental organizations in the decision-making procedures of the WTO, without advocating fundamental changes in the structure of international and inter-governmental law.45 Markus Krajewski also considers transparency an important legitimating strategy. But contrary to Jackson, he does not believe that NGO’s participation would increase the legitimacy of the WTO.46 Similar to Krajewski’s opinion,47 Steve Charnovitz defends the view that international governance must meet the standards of legitimacy according to constitutional principles and writes in support of what he calls cosmopolitics as 40 Snyder, 1995, p. 56. 41 Snyder, 1995, p. 56; Weiler, The Transformation of Europe, in: Weiler, 1999, p. 10-101 p. 19 ff, first published in Yale Law Journal 100, 1991, p. 2403-2483; Idem, The Reformation of European Constitutionalism, in: Weiler, 1999, p. 221 ff; Stein, 2000, p. 15. The first account of the ‘constitutionalization’ of the EC treaties is generally attributed to an article written by Eric Stein in 1981: “Tucked away in the fairyland Duchy of Luxembourg and blessed, until recently, with benign neglect by the powers that be and the mass media, the Court of Justice of the European Communities has fashioned a constitutional framework for a federal-type structure in Europe. From its inception a mere quarter of a century ago, the Court has construed the European Community Treaties in a constitutional mode rather than employing the traditional international law methodology.” (Stein, 1981, p. 1, also published in: Stein, 2000, p. 16 ff). 42 Schloemann/Ohlhoff, 1999, p. 424 and footnote 1. 43 Cass, 2001, p 39. 44 Jackson, 2001, p. 70 f. For a summary of Jackson’s view, see Duvigneau, 2001, p. 300 ff. 45 Jackson, 2001, p. 76 f. 46 Krajewski, 2001b, p. 252 ff, p. 261 ff. 47 Cf. Krajewski, 2001a, p. 171.
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opposed to traditional intergovernmental diplomacy or ortho-politics:48 “The individual wants legitimate, democratic governance at all levels, be it the local school board, the city, the province, the nation, or the WTO”.49 Ernst-Ulrich Petersmann has made a passionate claim for integrating human rights law into the WTO, arguing that national courts should directly apply WTO norms, which embody the fundamental right to free trade, whereas panels should construe the general exception and safeguard clauses in the light of international human rights norms.50 This strategy has been criticized on different grounds.51 Philip Alston, for instance, fears that Petersmann’s theory of constitutionalizing the WTO will result in the instrumentalization of human rights for trade liberalization purposes.52 Robert Howse and Kalypso Nicolaides warn against constitutional language and concepts being imported into the debate about the WTO, fearing an increased polarization between free trade advocates and its detractors. In general, they argue that constitutionalizing WTO law goes too far, as it impedes Member States to pursue legitimate policy goals domestically, and overstrains the international system.53 In a similar vein, Joseph H. H. Weiler considers “‘constitutionalizing’ the GATT in structural terms and in some ways using the EU as a ‘model’ [a] simplistic dream”54 and “wholly misguided”.55 Eric Stein also points out that the differences, in terms of the integration level achieved, between the international structure of the WTO and the supranational EU “make transfers of the basic features of the European Union difficult to envision.”56 Finally, one of the authors of this paper advocates within the existing legal framework a modest shift, reflected in case law, from a functional paradigm, primarily aimed at trade liberalization, towards a framework capable of “reasonably balancing and weighing different, equally legitimate and democratically defined basic values and policy goals of a polity dedicated to promote liberty and welfare in a broad sense”.57 In other words, there is no common ground, at this stage, and different authors have different conceptions on whether constitutionalizing the WTO is possible or desirable in the first place, and if so, what the practical implications of constitutionalization are and should be. Despite the lack of common notions and perceptions, the constitutionalization discussion should be welcomed as a sign that strict 48 The term “orthopolitics” describes a state-centered view of international law, according to which the individuals only participate in international policymaking through their own governments (Charnovitz, 2002, p. 306). 49 Charnovitz, 2002, p. 310 f. 50 Cf. Petersmann, 2002a, p. 621 ff, also published in The Jean Monnet Working Paper N° 12, 2002; Idem, 2002b, p. 845 ff. 51 Alston, 2002, p. 815 ff, also published in The Jean Monnet Working Paper N° 12, 2002; Howse, 2002a, p. 651 ff, also published in The Jean Monnet Working Paper N° 12, 2002; Krajewski, 2001a, p. 179 ff; Tarullo, 2002, p. 942. 52 Alston, 2002, p. 842 f. 53 Howse/Nicolaides, 2001; Thürer, 2001 p. 43, defends a similar view as regards the constitutionalization of public international law, considering this strategy too ambitious. 54 Weiler, 2000b, p. 230. 55 Weiler, 2000a, p. 1 f. 56 Stein, 2001, p. 502, 533. 57 Cottier, 2000a, p. 221.
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separation between domestic and international law has come under challenge, opening the debate on the prospects for 21st century constitutionalism.
2 Constitutionalism Beyond the Nation State 2.1 The Contested Notion of the “Constitution” 2.1.1 Recourse to Constitutional Terminology The debate on the ‘constitutionalization’ of European and international law goes hand in hand with an increasing, skeptics would say inflationary, use of the term ‘constitution’. While the traditional notion of ‘constitution’ has been limited to the Nation State,58 we observe that it is increasingly employed in the context of European and public international law.59 A number of international organizations explicitly depict their charters as ‘constitutions’, such as the ‘Constitution’ of FAO and UNESCO.60 Others implicitly qualify basic instruments in constitutional terms. The European Court of Justice already depicted the founding treaties as the “constitutional Charter of a Community based on the rule of law”,61 long before 58 For Swiss authors, see Kägi, 1945; Auer/Malinverni/Hottelier, 2000, p. 1: “La constitution est un ensemble de normes qui ont trait à l’Etat”. (“The constitution is a set of legal norms which refer to the state.”); for French legal doctrine, cf. Vedel, 1949 p. 3; Esmein, 1921, p. 1; it is true that the concept of ‘constitution’ is, according to French legal theory, primarily related to the nation, and not to the state (see Peters, 2001, p. 97 f), but since the state is considered the legal personification of the nation, state and constitution are clearly connected (cf. Esmein, 1921, p. 1: “L’Etat est la personnification juridique d’une nation: c’est le sujet et le support de l’autorité publique […]. Le droit public consiste en ce qu’il donne à la souveraineté, en dehors et au-dessus des personnes qui l’exercent à tel ou tel moment, un sujet ou titulaire idéal et permanent, qui personnifie la nation entière: cette personne morale, c’est l’Etat, qui se confond ainsi avec la souveraineté, celle-ci étant sa qualité essentielle.” (“The state is the legal embodiment of the nation: it is the subject and the underpinning of public authority. Public law consists in giving to sovereignty, apart and beyond the people who exercise it at a given moment, an ideal and permanent subject or holder, which embodies the whole nation: this legal entity is the state, which herewith is identical with sovereignty, the latter being his essential attribute.”) For a similar approach, see, among Belgian scholars, Lejeune/De Schutter, 1996, p. 572, note 31: “Une constitution est […] l’expression souveraine de la volonté d’un peuple de se constituer en Etat […].” (A constitution is […] the sovereign expression of the will of a people to be constituted in a State […].)” It is the German constitutional doctrine which insists the strongest on a state centered concept of constitution. Cf. Schmitt, 1928 p. 3: “Das Wort ‘Verfassung’ muss auf die Verfassung des Staates, d. h. der politischen Einheit eines Volkes beschränkt werden, wenn eine Verständigung möglich sein soll.” (“The term ‘constitution’ has to refer to the constitution of the state, i. e. the political unity of the people, if communication shall be possible”); Kirchhof, in: Isensee/Kirchhof, 1987, p. 776: “Die Verfassung ist das Fundamentalgesetz eines Staates, das die Organisation und die Ausübung der Staatsgewalt regelt, die Entwicklung des Staatswesens und seines Rechts anleitet und die Rechtsposition des Einzelnen im Staat bestimmt.” (“The constitution is the fundamental charter of a state; it governs the organization and the exercise of state authority, guides the development of the state and its laws, and determines the legal position of the individuals in the state.”) 59 For a detailed description of the use of the term ‘constitution’ outside the context of the Nation State, see Biaggini, 2000, p. 448 ff; Peters, 2001, p. 46 ff. 60 Cf. Petersmann, 1998, p. 11 ff. 61 Opinion 1/91, Referring to the Draft Treaty on a European Economic Area, ECR 1991 I, p. 6084; the terms “constitutional charter” and “Community based on the rule of law” have been first used in Case 294/83, Parti écologiste ‘Les Verts’ v. European Parliament, ECR 1986, p. 1339 ff, p. 1365.
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efforts to create a formal constitution of the EU were undertaken. In a similar vein, a decision of the European Commission of Human rights considers the “Convention as a constitutional instrument of European public order in the field of human rights”.62 In doctrine, Alfred Verdross63 and Georges Scelles64 were among the first scholars to develop a theory of international constitutional law. Other scholars refer to an “emerging global constitution”,65 the “constitution of mankind”,66 the “universal constitution of public international law“67 and speak with regard to the WTO and the United Nations Charter of an “international economical constitution”68 and a “constitution of the International Community”.69 Should such extensive use of the term ‘constitution’ be approved of, or is it misleading, fraught with the risk of diluting the meaning and essence of the constitution?70 This question has given rise to controversy, dividing legal scholars into two camps, which we will name, following Biaggini, the “statist” and the “internationalist” school.71 According to the statist strand of thinking, the constitution is inherently linked to the state. “Internationalist”72 scholars, on the other side, defend the view that the concept of ‘constitution’ should be decoupled from the state, insisting that the notion of ‘the constitution’ has considerably evolved over time and has only been linked to the state for the last two hundred years.73 According to the ‘statist’ point of view, however, this historical argument is not relevant as it fails to distinguish between a descriptive and normative concept of ‘constitution’.74 2.1.2 Descriptive versus Normative Concept of Constitution Indeed, in a broad, descriptive sense, constitutions can be understood to depict simply any structure of governance. Any polity has a constitution in this sense, 62 Decision Chrysostomos, Papachrysostomou and Loizidou v. Turkey of March 4, 1991, Application Numbers 15299/89; 15300/89; 15318/89; see also the subsequent judgment in the same cause of the European Court of Human Rights of May 23, 1995, Series A N° 310 § 75. 63 Verdross, 1926. 64 Scelles, 1933. 65 Müller, 1997, p. 63 (translated by the authors). 66 Tomuschat, 1997, p. 37 ff. 67 Müller, 1997, p. 62 (translated by the authors). 68 Langer, 1995, p. 17 ff; Oppermann, 1995, p. 920 ff; for a critical assessment, see Krajewski, 2001b, p. 208 ff. (translated by the authors). 69 Fassbender, 1998; see also Dupuy, 1997. 70 For an author warning against the risk that the meaning of the constitution may be diluted, cf. Müller, 2002, p. 91. 71 Biaggini, 2000, p. 455, translated by the authors. 72 Biaggini, 2000, p. 455, translated by the authors. 73 Cf. Krajewski, 2001b, p. 123; Dorau/Jacobi, 2000, p. 417 f; for the historical evolution of the term ‘constitution’, cf. Mohnhaupt/Grimm, 2002; Aubert, 1991; Peters 2001, p. 40 f. 74 See also, Grimm, 1995a, p. 582; Idem, 1995c, p. 284 f; the dichotomy ‘normative’ and ‘descriptive’ constitution is sometimes used in a different sense than thereafter. According to Aubert, 2001, p. 3, for instance, the meaning of ‘constitution’ is normative as soon as it refers to a human collectivity, defining how it should be organised, whereas used in a descriptive manner, the constitution refers to an object or a human being, describing what its disposition is like. For this distinction, see also Peters, 2001, p. 40 f.
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since power is at least de facto constituted. Power structures throughout history, on any level of governance, would live up to this factual and descriptive concept. Such a notion of constitution is not limited to the Nation State. It can apply as much to tribal, communal75 and international structures of governance. From this perspective, all communities have had their constitution,76 from the early beginnings of settlement, to Greek and other polities, to the Roman Empire,77 to the city states prior to the advent of the Nation State in modern times. Understood as a factual concept, the constitution can thus be readily employed for any structures, independently of their qualities. Such an extensive concept, however, reduces the role of the constitution to a mere set of organizational rules. It does not take into account the functions other than setting up an organizational framework modern constitutions are expected to fulfil.78 As a normative concept, the constitution has to meet certain requirements. Its basic and core function consists in both setting up and limiting the power of the polity, defining the fundamental boundaries between the private and the public, the state and the individual, mainly in terms of fundamental rights, and between the different branches of government. The concept of limited government entails the rule of law, the idea of “government by laws and not by men”. As ‘higher law’, binding both those subject to power and those in power, the constitution is meant to have a stabilizing effect.79 It guarantees a degree of predictability of conduct and therefore also entertains legitimate expectations as to human behaviour. In addition, a constitution is expected to legitimize political authority, which implies, under a doctrine of modern constitutionalism, that all power is ultimately derived from the citizens.80 Beyond that, additional qualifications exist in isolation or in combination. A liberal constitution emphasizes the defensive function of constitutionalism as a power-restricting device and human rights in the form of negative, individual-liberty rights,81 while a teleological constitution stresses the integrative function82 of a constitution by laying down common social and economical objectives and enshrining affirmative claims vis-à-vis 75 See Marquardt, 1999. 76 See Uerpmann, 2001, p. 566: “Nicht jedes Gemeinwesen hat eine geschriebene Verfassung, aber jedes Gemeinwesen hat Verfassungsrecht. Dieses Verfassungsrecht muss mindestens die Hauptakteure konstituieren und gewissen Verfahrensregeln enthalten. Theoretisch könnte sich eine Verfassung damit begnügen, ein Organ der Rechtssetzung einzusetzen und zu regeln, wie dieses Gesetze beschliesst.” (Not every polity has a written constitution, but every polity has constitutional norms. These constitutional norms must at least constitute the main actors and comprise certain procedural rules. Theoretically, a constitution could content itself with establishing one legislative organ and with regulating, how the latter is to adopt the laws.”) 77 See the work of Mommsen, 1969. 78 Castiglione, 1996, p. 9, stresses the close link between the concept and the function of the “constitution”: “Indeed, what a constitution is can hardly be distinguished from what a constitution does.” Also Walter, 2001, adopts a functionalist vision. He points out that the traditional constitution of the nation state “is characterized by a bundling of different functions in a single political unit and by means of a single text.” (p. 191). 79 Cf. Luhmann, 1990, 181 ff. 80 Aubert, 1991, p. 20 f. 81 Kommers/Thompson, 1995, p. 35. 82 The integrative function of the constitution is stressed by Smend, 1928; contra: Aubert, 2001, p. 15 f.
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the state.83 A federal constitution has to draw the lines between the federal and sub-federal levels and define their interaction. Overall, the normative standards and yardsticks for a Constitution (with a capital C) are fairly ambitious. Without distinguishing between liberal, teleological and federal constitutions, the normative concept of Western constitutionalism, as it was shaped in the 18th and 19th Centuries, broadly entails in many variants, organizational functions, the concept of the rule of law, the protection of fundamental rights, checks and balances, and democratic legitimacy.84 A purely descriptive concept of the ‘constitution’ should, in our view, not be maintained, since ‘everything goes’ will not help in the process of building global governance. Indeed, the constitutionalization debate of the WTO, briefly summarized above,85 shows how deeply the discourse is rooted in a normative understanding of the concept of ‘Constitution’, whatever its precise contours. The different visions of constitutionalization are for instance linked to the protection of fundamental rights, the rule of law and judicial review, or aspects of the democratic principle, such as transparency and participation. Devoid of any normative content, the debate on whether political entities or governance structures other than states should be apprehended in constitutional terms becomes a futile exercise. At the same time, it is clear that recourse to the normative concept of the constitutional Nation State, containing democratic, liberal, social and often federal traits, is equally not helpful. It is evident that not all the attributes can realistically be achieved in fora other than the Nation State. For example, it would simply not be realistic or desirable to transpose the majoritarian principle ‘one man, one vote’ to polities lacking the necessary degree of integration which only renders majority decisions acceptable. Indeed, in polities with strong social cleavages, non-majoritarian decision making procedures are an important condition of political stability, since they help to avoid the problem of ‘permanent minorities’.86 Similarly, it may be neither useful nor inherently necessary to provide human rights guarantees to the same extent on each level of governance.87 The maximalist concept of ‘constitution’ is moreover fraught with the risk that the Nation State remains the only standard against which other governance structures are measured, which necessarily makes them seem underdeveloped and deficient.88 Instead, a broader model is required. As Tarullo puts it, “it is neither likely nor even necessarily desirable that all constitutional arrangements evolve towards a single, ideal model.”89 What there83 For the concept of ‘teleological constitution’, see Preuss, 1995, p. 95 ff; Johnson, 1995, p. 49, 54. For the distinction between a liberal and a teleological constitution, see also Müller, p. 55 ff, who distinguishes between the constitution as “instrument of government” and the constitution as a “material fundamental order” of a polity (translated by the authors). 84 For the normative concept and the functions of the constitution, cf. Müller, 2002, p. 87 ff; Aubert, 2001, p. 14; Grimm, 1995a, p. 584; Idem, 1995b, p. 284 ff; Preuss, 1995, p. 98 ff. 85 See supra, 125. 86 In the context of the EU, this point is stressed for example by Aubert, 1995, p. 48 f; with regard to public international law, see Oeter, 2000, p. 215 f. 87 On this issue, see infra, 151. 88 See also, Biaggini, 2000, p. 465; Thürer, 2001, p. 49; the problem of setting the adequate standard is highlighted by Majone, 1998, p. 5 ff. 89 Tarullo, 2002, p. 43.
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fore should be the key normative components of a constitution in a broad sense? What are the minimal standards of a normative constitutional order? To answer this question, scholars generally either generalize and re-conceptualize certain normative aspects of the constitution,90 or consider that not all of them are inherent to the concept of constitution.91 2.2 The Quest for a Graduated Approach to Constitutionalism From a methodological point of view, defining the core minimal standards of a normative constitutional order is extremely difficult, since it requires us to establish firm conceptual boundaries and to draw a clear line between polities with a constitution and those whose organizational structures do not qualify as such. In the end, this amounts to defining the minimal standards of legitimate governance in global law and, consequently, to enforcing such standards by the international community. This, we must leave to the future. At this stage, a more fruitful approach could be, as Walker suggests, to conceive constitutionalism “not in blackand-white, all-or-nothing terms, but as a question of nuance and gradation.”92 The idea of ‘constitutionalization’, which refers to an open-ended process,93 reflects this concept: constitutionalism, as Walker puts it, can be viewed as a set of different factors which serve as “indices in terms of which degrees of constitutionalization can be measured.”94 Such a graduated approach may sound as a weird proposal to legal scholars, who are accustomed to translating facts and events into clear legal concepts.95 In Jacqué’s words, “lawyers like clear situations and are used to analyzing situations in a static way, like a photographer, whose representation of reality immobilizes the latter.”96 Life, however, is more complicated, and static thinking will not assist in solving practical problems of modern governance. The debate relating to the EU is an example in point.
90 This approach is for example chosen by Biaggini, 2000, p. 459 ff, who considers that the requirement of democratic legitimacy can also be fulfilled in the case of international organizations, since their founding treaties are legitimized, indirectly, by the consent of the peoples of the member states. 91 For such an approach, see Peters, 2001, p. 67 ff, who argues, based on a functional analysis, that the democratic principle is not a necessary prerequisite of the concept of constitution but a question of its legitimacy. 92 Walker, 2001, p. 33; Walker proposes seven criterias: (i) the development of an explicit constitutional discourse and constitutional self-consciousness; (ii) a claim to foundational legal authority, or sovereignty, whereas sovereignty is not viewed as absolute; (iii) the delineation of a sphere of competences; (iv) the existence of an organ internal to the polity with interpretative autonomy as regards the meaning and the scope of the competences; (v) the existence of an institutional structure to govern the polity; (vi) rights and obligations of citizenship, understood in a broad sense; (vii) specification of the terms of representation of the citizens in the polity. 93 Cf. Biaggini, 2000, p. 473; Trachtmann, 2001, p. 353; In this sense also Walker, 2001, p. 39. 94 Walker, 2001, p. 33; similarly, Walter, 2001, p. 173, 193, views constitutionalism as the bundling of different functions. 95 In this sense, Jellinek, 1929, p. 282. 96 Jacqué, 1991, p. 247, free translation by the authors.
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2.2.1 The Immobilizing Effect of Statism The reasoning of the ‘statist school’ with regard to the question as to whether the European Union has, or is capable of having97 a constitution, illustrates the immobilizing effect of a ‘black and white’ conceptual approach. The ‘statist’ argument takes the classical distinction between a federal state and a confederation or international organization as a starting point:98 constitutions are the fundamental charters of states, it is argued, whereas international organizations or confederations are based on treaties.99 Contrary to a treaty, the constitution can be revised according to majority rule and does not require a unanimous decision. The majority principle implies ‘competence-competence’ and thus sovereignty, statehood, original legitimacy and the ultimate source of authority derived from the people/nation or, in Kelsenian terms, the Grundnorm. In contrast, since unanimity is required for the revision of a treaty, the member states retain the ‘competence-competence’ and therefore remain ‘the sovereign masters of the treaty’.100 The confederation as such has no original, direct legitimacy, for it lacks a democratic subject, a people. Its democratic legitimacy is indirect, being exclusively derived from the peoples of the member states. Following that reasoning, amending the revision procedure of the EU Treaty would thus mark the conceptual threshold between ‘statehood’, ‘sovereignty’, ‘original legitimacy’, ‘constitution’, “intra-state constitutional law”101, on the one hand, and ‘confederation’, ‘treaty’, “inter-state international law”, 102 ‘lack of sovereignty and original legitimacy’ on the other hand, tertium non datur.103 Since the conceptual threshold has not yet been passed, the EU qualifies as a confederation. This category, however, cannot account for the dynamic evolution of the 97 Cf. Koenig, 1998, p. 268 ff. 98 For an account of the ‘statist’ view, see the famous Maastricht decision by the German Constitutional Court, BVerfGE 89, 155, English translation in Oppenheimer; 1994, p. 526 ff; Grimm, 1995a, p. 581 ff; Idem, 1995c, p. 282 ff; Idem, 1995b, p. 528; König, 1998, p. 286 ff; Randelzhofer, 1995; Kirchhof, 1994, p. 59. For a critique of the dichotomy between ‘treaty’ and ‘constitution’, see Peters, 2001, p. 220 ff; Fassbender, 1998, p. 560 f. 99 Cf. Grimm, 1995c, p. 282: “Constitutions form the legal basis of States. Supranational institutions, by contrast, have their legal basis in international treaties.” 100 The importance of sovereignty in the debate on whether the European Union is to be considered as a confederation or a federation is highlighted by Weiler, 1999, p. 271: “But more profoundly, the vocabulary of Staat and Bund, of federation and federacy and confederation, is a reflection of a preoccupation, even an obsession, mostly political and ideological, with sovereignty and its location in Europe. The so-called European ‘federalists’ (often Jacobeans in disguise) adore the symbolism in the word ‘federalism’ which obviates the need to talk of a state. And likewise, the shrill voices defending national ‘identity’ and Member State rights will look to a terminology and classification which will patent and trademark the ultimate sovereignty of the Member States.” 101 Walker, 2001, p. 36. 102 Walker, 2001, p. 36. 103 For a critique, see Hirsch, 2000, p. 46: “Es erscheint an der Zeit, von Stereotypen und definitorischem Schubladedenken (Staat = Verfassung; Staaten-[ver]bund = Vertrag) Abstand zu halten, die bipolaren Unterstände zu verlassen, und der politischen und rechtlichen Realität in Europa Rechung zu tragen.” (“It is time to distance ourselves from stereotype thinking and conceptual pigeon-holing (State = constitution; confederation = treaty) and to leave bipolar stencils, taking into account the political and legal reality in Europe.”)
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European integration, the doctrine of implied powers and the supranational features of the EC, such as direct effect, and the largely undisputed supremacy of EC law.104 The ‘statist’ approach thus conveys a static, immobilizing vision of the European Union.105 It reduces the latter to the aggregate of the interests of the member states, denying the very idea of a community, which “is meant to be more than the sum of its constituent parts”.106 The substantial autonomy of the EC legal order, its self propelling dynamics, the role of the European parliament, the courts and of EU citizenship, are not at all properly reflected in the confederate model. In Weiler and Haltern’s words, attempts “to push the toothpaste back in the tube by asserting that the Community is nothing more than an International Organizations”107 do not help to understand and solve the real problems, such as the legitimacy of the EC. One of the main arguments advanced by the ‘statist’ school, the notorious ‘no demos thesis, deserves closer scrutiny in this context, since it is particularly illustrative of the conceptual, ‘black and white’ approach. Proponents of the ‘no 104 See Müller, 2002, p. 92: “So stellt die EU, in der sich Staaten zu verbindlichen gemeinsamen Regelungen bestimmter Materien (Prinzip der Einzelermächtigung) geeinigt haben, nur einen Staatenverbund, noch nicht aber eine Verfassung dar, da ein entscheidendes Merkmal fehlt: die Zuständigkeit der Organisation, des Verbundes zur Änderung der Gemeinschaftsordnung […] ohne neue völkerrechtliche Vereinbarung nach dem Einstimmigkeitsprinzip.” (Hence the EU, in which the states have agreed on common compulsory regulations of certain determined policy fields (principle of enumerated powers) only represents a union of states, but not yet a constitution, because it lacks a fundamental attribute: the competence of the organization, or the federacy, to change the community order without a new international agreement concluded following the unanimity principle.” The argument that the EC does not have legislative ‘competence competence’ is correct from a strictly legal perspective. Based on a political analysis, however, several authors have reached the conclusion that the attribution of powers has “over the years, lost its ‘enumerative’ and limited character” (Bausili, 2002, p. 2 ff; see also Weiler, 1999, p. 51 ff). It is precisely the concern that the reach of EC law is limitless which incited the German Constitutional Court to insist in its Maastricht judgment (see supra, note 98) on the principle of attributed powers: “In so far as the Treaties establishing the European Community grant sovereign rights in relation to certain well-defined situations on the one hand, and lay down rules for amending the Treaties […] on the other, that distinction also has significance for the future application of the specific attribution of powers. Hitherto any dynamic extension of the existing Treaties has been based on a liberal application of Article 235 of the EEC Treaty, along the lines of a ‘competence to perfect the Treaty’, on the idea of the inherent competences of the European Communities (‘implied powers’) and on a interpretation of the Treaty as implying the fullest possible utilization of Community powers (effet utile) […]. In future, however, when Community institutions and bodies interpret rules conferring competence, it will have to be borne in mind that the Union Treaty draws a fundamental distinction between the exercise of a sovereign power granted on a limited basis and amendment of the Treaty. Any interpretation of that Treaty must not, therefore, amount in effect to an extension of it. Such an interpretation of rules conferring competence would not give rise to any binding effect for Germany” (quoted according to Oppenheimer, 1994, p. 572, emphasis added). Apart from its formal and legalistic approach, the ‘statist’ reasoning can also be criticized on the grounds that the ‘statist’ school does not object to federal entities (for example the Swiss cantons) having a ‘constitution’, although they do not have legislative ‘competence-competence’ and therefore cannot be considered as states (see Craig, 2001, p. 138). 105 The inadequacy of a ‘statist’ vision of the EU is also stressed by Pierson, 1996, p. 127: “What one makes of the EU depends on whether one examines a photograph or a moving picture.” 106 Fassbender, 1998, p. 564. 107 Weiler/Haltern, 1996, p. 423.
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demos thesis’ argue that the European Union lacks a democratic subject as it lacks a constitutional subject, i. e. a people/nation.108 As a matter of constitutional law, the people/nation is a legal concept, a “juridical presupposition”.109 As both the constitution and the nation/people are, according to the ‘statist’ school, a state bound notion, the nation as a concept of constitutional law is necessarily defined with reference to the state: “Where there is no state, there is no constitution, and where there is no state nation, there is no state.”110 As expressed in the German term ‘state nation’ (“Staatsvolk”), the people/nation and the state are necessarily congruous.111 Based on the conceptual and ideological link112 between nation/ people and state, statists argue that democracy, defined as the ‘rule of the people’, can only be achieved within the state.113 The reason why the state boundaries also constitute the boundaries of democratic governance is justified with an understanding of nation/people as a sociological concept, depicting a relatively homo108 The meaning and usage of the terms ‘nation’ and ‘people’ differs widely depending on the authors and the language. Whereas some authors use them interchangeably (see Böckenförde, 1991, p. 90 f; Marko, 1995, p. 115, 37 ff), other schools differentiate between both concepts. According to French constitutional theory, for example, the concept ‘people’ (peuple) refers to the sum of all citizens, whereas the nation is an indivisible collectivity which cannot be reduced to a simple aggregate of citizens. Since the nation transcends the citizens, it can only express its will through its representatives, which justifies a system of representative government. In contrast, the ‘people’, understood as the sum of the citizens, can express their will directly, which leads to a system of direct democracy (see Lavroff 1997, p. 241 ff). German authors often refer to the nation as “the people (Volk) which has become aware of its existence through the state”, “people and state having merged into a unity” (Brems, 1995, p. 8). A state in turn can consist of different peoples. According to German scholars, the nation thus describes a political entity, composed of the citizens, whereas the people is a ethno-cultural community (see Brems, 1995, p. 8 and Kriele, 1994, p. 91). It is however important to stress that the nation is not only a political, but also an ethno-national concept, the essential difference between ‘Nation’ and ‘Volk’ being that only the former has reached statehood. Anglosaxon authors frequently use ‘nation’ as a political, ‘people’ as an ethno-cultural concept (see for instance Elster, 1991, who defines the nation as a “political entity that is recognized by other countries and by international organizations” and the people “as a community with common traditions, common language, common religion […].” In Slavonic languages, in contrast, the notion of ‘narod’, which etymologically corresponds to the English concept of ‘nation’, refers to an ethnic community (see Dimitrijevic, 1993, p. 257). We will use the terms ‘nation’ and ‘people’ interchangeably and specify whether we refer to a legal or to a sociological concept. 109 Weiler, 2000, p. 3; the relationship between the constituent power and the constitution is best described as dialectical, meaning that it is impossible to decide which comes first, the constituent power or the constitution, both terms supposing the existence of the other. The same holds true for the question as to whether the nation is prior to the state or the opposite (see Marko, 1995, p. 38). French legal doctrine illustrates well the circularity between the terms terms ‘constitution’, ‘state’ and ‘nation’: Whereas the nation as ‘pouvoir constituant’ is deemed to be prior to the state and the constitution, “a population only forms a nation if the collectivity of individuals which it is composed of is subject to the same legal order of a state” [i. e. the same constitutional order].” (Burdeau/Hamon/Troper, 1997, p. 30, translated by the authors; see also the references supra, note 58). 110 Kirchhof, 1994, p. 59: “Wo kein Staat, da keine Verfassung, und wo kein Staatsvolk, da kein Staat.” 111 As pointed out above (note 58 and 109), French legal theory also assumes the identity of the nation and the state. 112 See Marko, 1995, p. 44. 113 For a critical account of this link, see Volkmann, 2002, p. 582 ff.
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geneous social entity. In its strongest terms, and inspired by the German tradition, the nation is defined in ethno-cultural terms and represents an organic community with a common history, language and culture.114 This leads to the ethno-national ideology according to which each nation exists prior to the state115 and is entitled to its own state.116 The state in turn belongs to the nation, which justifies the eradication of difference and social homogenization, as was successfully propagated by Carl Schmitt.117 A more moderate understanding of this tradition places the emphasis not on the ethno-cultural conditions of nationhood but holds that collective identity can be based on other factors, such as the existence of a common public space, a developed civil society, shared political values and common political parties.118 Even if one accepts the thesis according to which democracy is dependent on a pre-existing collective identity, understood in the moderate and not the ethno-national sense,119 we take issue with, and object to, the methodological approach of many scholars of implicitly equating “Staatsvolk” as a legal, and necessarily state bound concept with the sociological concept of a collective identity. This approach fails to reflect processes of integration, change and the complexities of life. It does not even stand up to historical experience of nation and state building.120 This view necessarily leads to the categorical and static affirmation that in contrast to states, the European Union cannot have a ‘people’. Indeed, contrary to the question as to whether a Staatsvolk exists as a legal concept, the sociological concept of a ‘people’ can hardly be apprehended in ‘black and white’ terms, nor is it necessarily dependent on statehood, nor can it simply be assumed that a collective identity necessarily 114 The German constitutional Court, for instance, has defined the nation as “cultural and linguistic entity rooted in the consciousness of the population.” (BVerfGE 36, 1, 19, translated by the authors). For a description of the German concept of nationhood, see for instance Brubaker, 1992, p. 51 ff, Töpperwien, 2001, p. 139 ff; Hertig, 2001, p. 14 ff. 115 For a critical account of this vision, see Marko, 1995, p. 44. 116 See for instance Bluntschli, 1965: “Jede Nation ist berufen und berechtigt, einen Staat zu bilden. Wie die Menschheit in eine Anzahl von Nationen geteilt ist, so soll die Welt in ebenso viele Staaten zerlegt werden. Jede Nation ein Staat. Jeder Staat ein nationales Wesen.” (“Each nation has the vocation and is entitled to form a state. In the same way as humanity is divided in a number of nations, the world should be divided in as many states. Each nation a state. Each state a national being.”) 117 Schmitt, 1932, p. 14, who holds that democracy necessarily requires “firstly homogeneity and secondly – if necessary – the elimination and destruction of heterogeneity” (translated by the authors). 118 Grimm, 1995a, p. 587 ff; although this author distances himself from the Schmittian theory of a homogenous nation, he considers a common language an important prerequisite of collective identity, thus adopting one of the main criterions of the German ethno-cultural concept of nation. Grimm acknowledges, however, that in the case of other multilingual polities, such as Switzerland, a democratic system has been formed, but estimates that the same would not be possible in the case of the European Union, since the linguistic diversity is superior to Switzerland. This argument, however, neglects the fact that multilingual polities, such as India, exist, whose linguistic diversity is largely superior to the 11 official languages spoken within the EU. 119 For a critical account, see Habermas, 1995, p. 306 f; Craig, 2001, p. 139. Both authors point out that a collective identity is not a prerequisite to a democratic process but is formed through the democratic and constitutional process itself. 120 See on this issue infra, note 121 and 135.
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exists in every state.121 Multinational states such as Canada and Belgium are examples in point.122 Indeed, as pointed out by Anne Peters,123 the assertion that a certain social homogeneity exists, necessarily involves a certain level of abstraction, in as much that certain ‘common’ features are selected and considered relevant, whereas factors which could justify heterogeneity are ignored. The level of abstraction in turn depends on the observer: from an Asian point of view, Europe may seem relatively homogeneous. From a Spanish perspective, little difference may be perceived between the Scottish and the English, or between the French speaking and the German speaking Swiss. From the point of view of a Swiss German, the populations of the cantons of Vaud and Geneva are quite similar, as French is the official language in both cantons, an opinion which would hardly be approved of by the respective populations. Therefore, collective identity and social homogeneity are more accurately conceived of as graduated, and non exclusive concepts, which is reflected in 121 This point is stressed by Weiler, 2000, p. 3: ”One of the great fallacies in the art of ‘federation building’, as in nation building, is to confuse the juridical presupposition of a constitutional demos with political and social reality. In many instances, constitutional doctrine presupposes the existence of that which it creates: the demos which is called upon to accept the constitution is constituted, legally, by that very constitution, and often that act of acceptance is among the first steps towards a thicker social and political notion of constitutional demos.” The confusion between the conceptual link between state and nation, understood as a legal concept, which implies a reflexivity of both terms, and the relationship between the state and the nation, understood as a sociological concept, is also criticized by Marko, 1995, p. 44: According to this author, building on the logical question whether the egg or the hen came first a historical-evolutionary model results in the ideology of nationalism. Under those circumstances, “[t]he nation is, as postulated by the national principle of the ideology of German Romanticism – the ‘awakening’ of the people, the people which has become politically aware of its own existence, and politically and collectively organized as a state.” (“Die Nation ist dann – wie dies schon das Nationalitätsprinzip der Ideologie der deutschen Romantik postulierte – das ‘Erwachen’ des Volkes, das sich politisch seiner selbst bewusst gewordene Volk, das politisch-verbandlich als Staat organisiert ist.”) 122 The examples of Canada and Belgium moreover show that the main criterion advanced by the ‘statist’ school to distinguish between a constitution and a treaty, i. e. the capacity to amend the founding document on the basis of a majority decision, does not always offer a useful criterion to distinguish between a federation and a confederation. Indeed, the province of Quebec refused to sign the Constitution Act of 1982 and views constitution making as a bilateral process, aiming at the conclusion of a constitutional contract between Quebec and the rest of Canada. This theory implies that Quebec has a veto right in constitutional matters. Subsequent efforts directed at obtaining Quebec’s consent to the federal constitution, have failed so far (see Fossum, 2003, p. 26 ff). The distinction between confederate and federal arrangements is thus less clear than commonly assumed. Constitutions can for example confer to ethnic communities a veto right limited to the amendment of certain constitutional provisions, thus combining elements of unanimity with majority decision making procedures. In Belgium, for example, the borders of the linguistic communities and the division of competences between the federal state on the one hand and the regions and communities on the other hand is subject to the approval of each linguistic group in the federal parliament (see art. 4 and 35 of the Belgian Constitution). Moreover, the material scope of unanimity revision can vary greatly depending on the material reach of the constitution. In the European Union, for example, the constitution making process may well result in the adoption of a “constitutional treaty” whose content would be limited to fundamental principles, whereas a big number of the provisions currently enshrined in the founding treaties would be incorporated into secondary law. This would substantially limit the application of the unanimity principle. To conclude, the criterion as to whether the revision of the basic charter of a polity is subject to unanimity or majority procedure is less clear-cut than commonly assumed. 123 Peters, 2001, p. 704.
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the idea of multiple identities and loyalties. Those identities are neither static nor simply given, as primordialist or essentialist scholars assume.124 They are shaped and reshaped over time in social processes and can gain or decrease in importance.125 Although for a long time, the identification and feeling of belongingness may have been much stronger with regard to classical Nation States than other political entities, this may change over time. The recent revival of regional identities, which gave rise to regionalization and devolution tendencies in Western Europe, are a proof thereof. Rather than relying on pre-existing social homogeneity, managing diversity and integrating different groups within one polity is an essential task of modern constitutionalism. The static and ethnocentric model of the nation state, which aims at homogenisation either through assimilation126 or exclusion and not at integration,127 is unable to offer a viable model to for multi-ethnic societies, both in the West and in many developing countries, the boundaries of which paradoxically were often shaped at the times, and under the doctrines, of the emerging nation state in the 19th Century. As history has shown, the doctrine of the Nation State and nationalism128 has had an enormously destabilizing effect in many quarters of the globe. This is not a constitutional model upon which the future can build. 2.2.2 The Need for Peaceful Constitutional Transitions The statist school’s focus on the nation as the collective and exclusive constitutional subject also raises difficult questions with regard to the legitimate genesis of a constitution, since it is linked to the theory of the pouvoir constituant, as developed by Abbé Sieyès:129 the nation, in its quality of pouvoir constituant, is prior to the constitution and not subject to any legal rules.130 As stressed by positivist scholars,131 the adoption of a constitution is thus always a revolutionary 124 For a summary of the primordialist and essentialist school, see Emminghaus, 1997, 21. 125 This aspect is mainly stressed by the constructivist school, which considers nations not as given entities but as social constructions. For an account of the constructivist school, see Hertig, 2001, p. 18 ff. 126 For a definition of assimilation, see Addis, 1992, p. 619 f: “To assimilate means to mold, to the extent possible, the minority in the image of the dominant group […].” 127 Integration is generally defined as building a new entity based on different constituent elements. The new entity has to represent more than the sum of the parts, but contrary to assimilation, it recognizes the specificities of the constituent parts (see Brems, 1995, p. 5). 128 See Gellner’s famous definition of nationalism as “primarily a principle which holds that the political and national unit should be congruent.” (Gellner, 1993, p. 1). 129 See Sieyès, 1970; for an overview of Sieyès theory, see Böckenförde, 1994, p. 61 ff; Isensee, 1995, p. 26 ff. 130 See Sieyès, 1970, p. 180: “La nation existe avant tout, elle est l’origine de tout. Sa volonté est toujours légale, elle est la loi elle-même. Avant elle et au-dessus d’elle il n’y a que le droit naturel.” (The nation exists prior to everything, it is the origin of everything. Its will is always legal, it is the law itself. Prior and superior to the nation, only natural law exists). 131 See Kelsen, 1925, p. 249 ff; see also Auer, 1995, p. 271: “Etant nécessairement en rupture avec l’ordre constitutionnel qui la précède, la constitution fonde, au moment de son entrée en vigueur, un nouvel ordre constitutionnel auquel elle ne peut par définition pas se conformer.” (“Being necessarily in breach with the previous constitutional order, the constitution founds, at the moment of its entry into force, a new constitutional order to which it can by definition not conform.”)
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act, which founds a new legal order.132 Revolutionary constitution making, however, raises difficult questions of procedure and agency, since it requires, prior to a consensus on the content of the constitution, an agreement on the identity and composition of a constitutional assembly and the voting procedure according to which the constitution should be adopted. Such a consensus is particularly difficult to reach in societies with important minorities.133 In general, the history of constitution making shows that manyof constitutions were established by force or adopted after a period of crisis (revolution or civil or international war), at a time when a group with a common social and political vision came to prevail. Where this “window of opportunity”134 is missed, political minorities will often not voluntarily agree to a common constitutional framework. Therefore, revolutionary constitution making frequently fails to satisfy the requirements of both efficiency and legitimacy. The emphasis on legitimacy may result in a stalemate, whereas privileging efficiency adversely affects the legitimacy of the constitution. In Weiler’s words, “the empirical legitimacy of the constitution may lag behind its formal authority – and it may take generations and civil wars to be fully internalized – as the history of the US testifies.”135 A regression to the state of nature, entailing the risk of a birth in turmoil or a permanent stalemate, is hardly a model suitable in our search of structures suitable for regional and global governance.136 Modern constitutionalism must therefore be able to cope with difficult transitions. It cannot afford to be immobilized. To this effect, the theory of revolutionary and momentous constitution making by a single collective actor, the nation, needs to be abandoned in favor of revising the existing institutional 132 The theory of revolutionary constitution making was also supported by Carl Schmitt (Schmitt, 1928). For an analysis of Schmitt’s theory of constitution making, see Arato, 1995, p. 202 ff. 133 See Hertig, 2001, p. 118 f. 134 See Ackerman, 1992, p. 46 ff; instead of ‘window of opportunity’, the same author also uses the term “constitutional moment” (Ackerman, 1992, p. 48). 135 Weiler, 2000, p. 3; see also Stein, 2001, p. 526, who points out that in many examples generally considered as traditional nation states (France, Spain, Portugal), the state and the constitution were established before people considered themselves as belonging to one community. As regards France, this is also stressed by Smith, 1991, p. 76: “The nationalist ideal of Unity (La Republique une et indivisible) has had profound consequences. For one thing, it has encouraged the idea of the indivisibility of the nation and justified the eradication, often by force, of all intermediate bodies and local differences in the interests of cultural and political homogeneity. This has spawned mass-mobilizing policies of social and political integration in which the state becomes the agent of the ‘nation-to-be’ and the creator of a ‘political community’ and ‘political culture’ that must replace the various ethnic cultures of a heterogeneous population.” 136 Even limited to the Nation State, the recourse to the sovereign and legally unbound nation as ‘pouvoir constitutant’, was plausible in a context of secularisation and democratization, when the god given sovereignty of the monarch was replaced by the sovereignty of the nation; see on this subject, Kelsen, 1968, p. 142: “Auf einer gewissen Stufe der religiösen und politischen Entwicklung fallen die Vorstellungen von Gott und Staat geradezu zusammen: Der National-Gott ist einfach die in der Personifikation vergöttlichte Nation.” (“At a certain stage o religious and political development, the idea of god and state have coincided: The national-god is simply the personified and deified nation.”) At our time, and particularly in a plural context, revolutionary constitution making and setting aside existing institutional structures in the name of an omnipotent constituent power is more difficult to defend.
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framework,137 as is currently envisaged in the context of the European Union, or evolutionary constitution making. The latter may be better understood in terms of an ongoing discourse of many voices,138 as a process, such as described by the term ‘constitutionalization.’ Limiting the concept of ‘constitution’ to a “big bang”139, the creation ‘ex nihilo’ of new legal order,140 in our view focuses too narrowly on the French model of revolutionary constitution making.141 Following such a view, one would for example have to conclude that the United Kingdom does not have a constitution. Moreover, the model of revolutionary constitution making is ill suited for plural polities, be they states or not, in which a consensus has to be formed in a process of constitutional politics rather than a constitutional big bang.142 2.2.3 Constitutionalism as a Process The imperative need to assure constitutional peaceful change in an interdependent world inherently leads to a conception which stresses process as an essential ingre-
137 This solution, which emphasizes the principle of legal continuity and legality, has been adopted in Central Europe after the revolutions of 1989 (for Poland, see Osiatynski, 1997; for Hungary, see Arato, 1996; for Czechoslovakia, see Hertig, 2001, p. 108 ff). After decades of homogenizing totalitarianism, the new political elites deliberately “renounced revolutionary constitution making legitimacy, which would have involved a claim of complete identity with the people in whose name and future interest a total rupture with the past would have been announced. This option, equivalent to a claim of full sovereign constituent power was unacceptable […].” (Arato, 1994, p. 177). Instead, the political elites chose to adopt the new post-communist constitutions following the revision procedure of the socialist constitutions in force at that time. The break-down of communism did thus not lead to a return into the state of nature but to a constitutionally channelled transition process, commonly described as “self-limiting” or “legal and constitutional” revolutions (see Arato, 1994, 179, Fn. 40; Cohen/Arato, 1992, p. 31). A Czech author describes the emphasis on pluralism and diversity rather than unity and social homogeneity, in terms of the “absence of the people” (see Priban, 1999, p. 38 f ). As he puts it, “[o]n streets and squares there was not the People, rather there were different people with their demands and ideals […]” (Priban, 1999, p. 40). The Czech constitution, which was adopted on December 16, 1992, a few weeks before the break-up of the Czechoslovak federation, is an interesting example that constitution making does not necessarily require recourse to a collective actor, a nation. After the adverse experience with nationalism, a reference to the Czech nation in the preamble was deliberately renounced in favor of the more plural and individualistic concept of citizenship: “We, the citizens of the Czech Republic in Bohemia, Moravia and Silesia […] adopt this Constitution of the Czech Republic.” 138 This will be exemplified below 151, using the protection of human rights as an example. 139 Schilling, 1996, p. 390. 140 For such a view, see Schilling, 1996, who argues that the European Union does not have a constitution because the ratification of the founding treaties did not amount to a legal revolution and the creation of a legal order with original autonomy. 141 For different models of constitution making, see Arato, 1995, p. 197 ff. 142 This aspect is stressed by a Canadian author, who points out that Canada “has undergone the longest and most comprehensive constitutional debate experienced anywhere” ( Fossum, 2003, p. 3), a process he calls “mega-constitutional politics” (Idem, p. 23). Mega-constitutional politics refers to a process which, from a substantive point of view, is more appropriately described as constitution-making than constitutional revision, but takes place within the established constitutional framework (Idem, p. 23).
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dient of constitutionalism. As Fossum puts it, constitution making needs to be reconceptualized: “[I]t is essential to think through the legitimacy implications of process. […] less focus must be placed on the results of single instances such as the Constitutional Convention and more onus must be placed on what types of agreements can be obtained over time.”143
In conclusion, the state centered concept of constitutionalism may have been appropriate, if at all, in the state-centered, dualistic Westphalian system. It fails, however, to offer a useful analytical tool in a world where the boundaries between domestic and international law have been progressively blurred, and where new polities have emerged which challenge the states’ exclusive legal and political authority. As George Scelle put it as early as in 1933, “between states and other political societies, there is only a difference in degree, in integration and disintegration.”144 To the varying degrees of integration correspond different degrees of constitutionalization, which can be measured and critically assessed based on a graduated theory of constitutionalism. Constitutionalism is, in Weiler’s words, not only about observing “‘out there’, a constitutional landscape”,145 but also “a prism through which one can observe a landscape in a certain way, an academic artifact with which one can organize the milestones and landmarks within the landscape (indeed, determine what is a landmark or milestone), an intellectual construct by which one can assign meaning to, or even constitute, that which is observed.”146
It is “no mere reflection of a prior political order, but […] recursively implicated in the elaboration of that order”,147 “discourse of conceptualization and imagination,”148 an “intensely reflexive process.”149 To help us create and re-imagine a new order, constitutionalism of the 21st Century needs to break “the statist frame” 150 and to escape ‘all or nothing’ propositions. Such a process is not a vain intellectual exercise, but in our view a necessary step to secure the values of constitutionalism in an era of globalization and interdependence: in the same way as the constitutionalism of the 18th, 19th and 20th Centuries provided a response to the growing power of the Nation State,151 it needs to discipline the power of the emerging non state polities by law, if it is to respond adequately to the increasing ‘denationalization’ of legal and political functions. It also needs to eliminate inconsistencies stemming from the traditional separation of domestic and international law, which, for example, are strongly felt in badly coordinated and paradoxical roles of the judiciary branch on the domestic and international levels.152 143 Fossum, 2003, p. 37. 144 Scelles, 1933 p. 510: ”Entre l’Etat et les autres sociétés politiques, il n’existe que des différences de degré, d’intégration ou de désintégration.” 145 Weiler, 1999, p. 223. 146 Weiler, 1999, p. 223. 147 Walker, 2001, p. 39. 148 Weiler, 1999, p. 223. 149 Walker, 2001, p. 39. 150 Walker, 2001, p. 33. 151 Castiglione, 1996, p. 21. 152 See infra, 160.
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Constitutionalism, moreover, has to address the relationship between the state and the other emerging, and to varying degrees constitutionalized, levels of governance and the issue of adequate allocation of competences so as to establish legitimacy and coherence of what we would like to call the whole ‘constitutional system’. In our vision of constitutionalism, the focus should not be on whether a certain entity has passed the conceptual normative threshold and therefore is worthy of having, or being, a Constitution with a capital C.153 It should foremost be on how the functions and values associated with constitutionalism can be secured considering the constitutional system as a whole.154 Our analysis will thus look at the different layers of governance as an overall constitutional structure.
3 Towards a Five Storey House 3.1 Multilevel Governance The basic thesis submitted here is that 21st century constitutionalism can no longer be limited to Constitutions with a capital C and thus to the Nation State.155 With governance expanding into international law, constitutionalism has to reach beyond the boundaries of the nation state in order to secure overall coherence of governance. In our view, constitutionalism needs to encompass different layers, entailing the idea of multi-layered governance, whether or not the different levels amount to having ‘Capital C Constitutions’ or not. This idea, of course, is not new. It is inherent to the concept of federalism as a constitutional system, interfacing the layers of sub-federal and federal government, and expressing the doctrines of vertical separation of powers, by allocating explicit and enumerative, but also implied or inherent powers, to different levels of governance. Interestingly, neither the level of the communes, nor the levels of regional, for example European, governance, have, however, been included in this scheme. With regard to the global level of governance, it is clearly defined in terms of international, not constitutional law. The relationship of national law and international law is not conceived as a problem of interfacing different constitutional levels of governance, as we observe in relations between federal and provincial or cantonal law. Correspondingly, the relationship between international and domestic law is mainly defined by the national constitution. 153 See also Schreuer, 1993, p. 453: “Rather than grope for the seat of sovereignty, we should adjust our intellectual framework to a multi-layered reality consisting of a variety of authoritative structures. Under this functionalist approach what matters is not the formal status of a participant (province, state, international organization) but its actual or preferable exercise of functions. For instance, it is not meaningful to attempt to isolate the point at which the European Community will be transformed from an international organization into a European State. Rather, we will have to examine in detail exactly what functions and powers it has assumed from its Member States.” 154 A theory of global constitutionalism which considers all levels of governance is also supported by Rosas, 2000, p. 172. 155 The following draws from Cottier, 2000b.
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Conceiving constitutionalism as an overall system changes these relationships. It depicts the concept of a system with different layers. Some authors have used the notion of “multilevel constitutionalism”,156 “constitutional compound”,157 or “multilevel system”.158 One author of this paper has suggested to use, in the case of Switzerland, the image of a five storey house as a framework of analysis.159 While we have been familiar with the first, second and third storeys, the constitutional levels of the communes,160 the cantons or sub-federal entities, and of the federal structure, a fourth and fifth level are currently being added. The fourth one amounts to the framework of regional integration, in particular the European Union and its treaties. This level exists whether or not the country is a member of the Union, as it is obliged to adopt laws and regulations in conformity with European law in order to minimize trade barriers and transaction costs.161 A fifth and emerging level is global. We are thinking here for example of emerging structures of global integration in the field of trade regulation, in particular within the World Trade Organization and the Bretton Woods institutions. While they are still embryonic, the rule of global law, effective dispute settlement and enforcement of rights are likely to gradually develop constitutional and supranational structures binding upon both states and organizations of regional integration. Other international fora, perhaps the United Nations, may re-emerge in response to global regulatory needs, and call for adjustment both on the regional, national and cantonal level.162 At a minimum, the constitutional system entails two storeys: the Nation State and the international level. Most countries will have three or more layers, up to five, perhaps even more. In federal states, the power of federal entities to cooperate with each other163 or with other states164 based on treaties, can give rise to an additional layer, which is situated between the second and the third storey. 156 Pernice, 1999, p. 703 ff. 157 Pernice, 1996, p. 29-33, who uses the term “Verfassungsverbund”. 158 Blanke, 1993, p. 422 (translated by the authors); see also Hobe, 1998, p. 392, 422; König, 2000 p. 274 f, 662; Schreuer, 1993, p. 453. 159 Cottier, 2000b; Idem, 2001, p. 80 ff; Idem, 2001c, p. 227 f. 160 In a country like Switzerland, where the communes enjoy a substantial degree of constitutionally protected autonomy (see art. 50 of the Swiss Federal Constitution), it is in our view justified to consider them as an independent level of governance, although this has not been a traditional way of looking at the matter. The expansion of constitutional notions beyond the traditional levels of the Canton and the Federal Government towards regional and global structures also suggests refining domestic levels, so as to give a complete picture of the entire building. 161 See Cottier, 2000c; Mallepell, 1999; Wiegand/Brühlhart, 1999. 162 The interaction and relationship of different international regimes raises itself difficult constitutional questions of how to establish coherence between those segments of international law. An example in point is the discussion on the relationship between international trade law and human rights law (see Cottier, 2002; Petersmann, 2002a; Alston, 2002; Howse, 2002a). Those issues are beyond the scope of this paper. But as we will see below (151 ff), the interaction between ‘lower’ and ‘higher’ levels of governance also contributes to further developing a material hierarchy within international law, based on general principles of law and human rights norms. 163 See article 48 of the Swiss Federal Constitution, which confers on the cantons the power to conclude inter-cantonal treaties and to set up common organizations or institutions. 164 See art. 56 of the Swiss Federal Constitution, empowering the cantons to conclude treaties with other states within the scope of their powers.
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The five storey house does not normatively suggest that all layers are of an equal nature or impact. It does not mean that higher levels of regional and international law are more powerful than Constitutions. It simply implies that all these layers should be considered, as a whole, as a constitutional system. Different layers form different parts of a whole. The idea of layers allows us to define, in constitutional terms and applying comparable principles, the allocation of powers among different levels, exceeding traditional levels of federalism. It enables us to understand the structure in terms of regional and global federalism and to ask a new classical question of vertical checks and balances. It permits us to define concepts which are suitable to the operation of all levels and thereby design coherent legal thinking. It will be objected from the statist point of view that this image and construction are naive and unrealistic. While the center of powers lies within national Constitutions, all other levels are derived from, and subject to, these foundations and powers.165 The Constitution thus inherently dominates all the other layers. Domestically, cantonal or provincial powers are subject to federal powers. Internationally, regional law and international law are derived from the national Constitutions. It is impossible, the argument will go, to compare these levels and create the impression that they are of any comparable standing and importance. The idea of a five storey house is out of reality in suggesting that levels above the Constitution can ultimately command. The concept is at odds with the idea of state sovereignty. We should address these concerns first from a practical and factual angle. It is true and appropriate that the Constitution is and remains at the heart of constitutionalism and the allocation of powers in a State centered system. Yet, as we have seen, its powers have been increasingly made subject to other influences. In domestic law, there is no linear decline of local powers. While federal government has, over time, grown in all federal states, there is also evidence that local powers have been strengthened in a process of devolution or federalization, exploding “the myth of the homogeneity of European nation-states.”166 England, Spain, Italy and Belgium are examples in point. Likewise, as pointed out in section 1.2 of this paper, powers are increasingly shifted from the national level to international and supranational governance structures. Due to the high degree of interdependence between the different levels of governance, the same problem will often be dealt with in different fora, implying a dialogue and interaction between the different layers. The disputes with regard to the EC’s preferential treatment of bananas stemming from the former colonies in the African, Caribbean and Pacific area (ACP countries), frequently referred to as the “Banana-saga” is an example. The validity, respectively the constitutionality of this import regime occupied the European Court of Justice,167 the German Constitutional 165 For such an approach, see for instance the ‘Maastricht judgment’ of the German Constitutional Court (supra, note 98). 166 Shaw, 1995, p. 271. 167 The banana regulations have triggered over 30 cases in the EC; for the main cases, which in substance upheld the validity of the EC banana regime, see Case 280/93 R, Germany v. Council, ECR 1993, p. 483; Case 466/93, Atlanta, ECR 1995, p. 836; Case C-122/95, Federal Republic of Germany v. Council, ECR 1998, I p. 973 and Joint Cases C-364/95 and C-365/95, T. Port GmbH III v. Hauptzollamt Hamburg-Jonas, ECR 1998, I p. 1023.
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Court 168and the GATT/WTO169 for over a decade.170 Drawing a factual picture shows a system of different layers interacting in a complex, not in a neat manner: there are many rough edges, but the picture shows nevertheless different layers which do interact and allocate powers on different levels of the overall system. The factual analysis also reveals a position of the state rather as pouvoir intermédiaire between different layers of governance than a ‘supreme authority’ from which all other governance structures are derived.171 The Constitution itself cannot pretend anymore to provide a comprehensive regulatory framework of the state on its own. Of course, there are differences among states, essentially based upon power and might, and graduations exist in different regulatory areas. But conceptually, due to the increasing ‘outsourcing of constitutional functions’,172 the national Constitution today and in the future is to be considered a “partial constitution,”173 which is completed by the other levels of governance. Reflecting the intermediary position of the state and the ‘incomplete’ nature of the national constitutions, the constitutional system is based not on a concept of absolute sovereignty defined as ‘competence-competence’174 but on the idea of sovereignty being shared between the different levels of governance.175 3.2 Shared Sovereignty The concept of divided sovereignty can be traced back to the Federalist Papers and reflects the idea of federalism as a system allocating competences to different layers, as opposed to unitary states: “An entire consolidation of the States into one complete national sovereignty would imply an entire subordination of the parts; and whatever powers might remain in them 168 See the case 2 BVL 1/97; The Constitutional Court declared the complaint for violation of the constitutional rights of property, free exercise of a profession and equal treatment inadmissible, reverting to its “Solange II” jurisprudence (BVerfGE 73, 339), according to which complaints are only admissible if the mandatory fundamental-rights standard is generally not observed in the EC, as opposed to allegations of a breach of human rights in an individual case. 169 The first two dispute settlement procedures were brought against the EC under the GATT ’47 and concluded that the EC regime was incompatible with the GATT; the panel reports were however vetoed by the EC (see Unadopted Panel Report on European Economic Community-Member States’ Import Regimes for Bananas, 1993 GATTPD Lexis 11 2, DS32/R of 3 June 1993 and Unadopted Panel Report on European Economic Community 'Import Regime for Bananas', 181 DS38/R of 18 January 1994, 34 ILM 177); under the negative consensus rule of the WTO 1995, the EC was prevented from blocking the adoption of the subsequent panel report, which found the EC in breach of its obligations under the GATT (see Report of the Panel, WT/DS27/R/USA of 22 Mai 1997). 170 For an analysis of the banana dispute, see for example Jackson/Salas, 2000; Schmid, 2001, p. 95113; Cascante/Sander, 1999; Everling, 1996, p. 401 ff. 171 Pernthaler, 1998, p. 79; Saladin, 1995, p. 237 ff; Hobe, 2002, p. 663; Scelles, 1932, p. 509; König, 2000, p. 274; Snyder, 1995, p. 138 critically calls the idea that the state is the sole source of law the “myth of the state”. 172 Cf. supra, p. 124 f. 173 Peters, 2001, p. 208 f; Walter, 2001, p. 194. 174 For a critique of the concept of absolute sovereignty in an interdependent world, cf. Saladin, 1995, p. 28 ff; Gusy, 2000, p. 142 f; Walker, 1998, p. 358; Jayasuriya, 1999, p. 426; Fleiner-Gerster, 1987, p. 63; Kälin, 1993, p. 17; Fleiner/Basta 1996, p. 27; Mac Cormick, 1993, p. 1 ff, 12 f, 16; Idem, 1996; Idem, 1995; Frowein, 1992, p. 67 f; Schreuer, 1993, p. 453; see also supra, 133. 175 Cf. Gusy, 2000, p. 142 f; Pernice, 1999, p. 706; Fleiner/Basta, 1996, p. 27.
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would be altogether dependent on the general will. But as the plan of the convention aims only at a partial union or consolidation, the State governments would clearly retain all the rights of sovereignty which they clearly before had, and which were not, by that act, exclusively delegated to the United States.”176 “The necessity of concurrent jurisdiction in certain cases results from the division of the sovereign power; and the rule that all authorities, of which the States are not explicitly divested in favor of the Union, remain with them in full vigor is not only a theoretical consequence of that division, but is clearly admitted by the whole tenor of the instrument which contains the articles of the proposed constitution.”177
The notion of shared sovereignty, as it was conceived at the time in the Federalist Papers, referred to the division of powers between the federation and sub-federal entities. Yet, today, there is no reason why it could not be conceptually extended to international or supranational governance structures.178 Contrary to the absolute concept of sovereignty, the idea of shared sovereignty offers the advantage that it does not conceive of sovereignty as a “zero sum game – i. e. you either have it or you do not.”179 Given the considerable symbolic value of sovereignty, the mindset the ‘winner takes all’ is one of the main obstacles to successful diversity accommodation, not only between states and international or supranational regimes but also within multinational states. It furthers extremist positions, such as secessionist demands of ethnic minorities, or, as regards the European Union, calls for a European state, on the one hand, and the denial of any autonomy to the Community legal order on the other hand. To overcome such conflicts, it is not sufficient to abandon the idea of indivisible sovereignty. We also need to give up the “search for this Kelsenian holy grail”,180 i. e. the idea of a Grundnorm, a single power source from which all law originates.181 The different levels of governance all derive from different sources of law, reflect different circles of political identities182 and have their own raison d’être. But they are inter176 177 178 179 180 181
Hamilton/Madison/Jay, 1969, Paper N° 33 (Hamilton) p. 198 (emphasis added). Hamilton/Madison/Jay, 1969, Paper N° 33 (Hamilton) p. 201 (emphasis added). See Gusy, 2000, p. 143. Jayasuriya, 1999, p. 427. Weiler, 2000c, p. 6. Cf. MacCormick, 1996, p. 147 ff, who discusses the monistic theories on whether the ‘Grundnorm’ is located on the international, European or national level and advocates a pluralistic point of view; see also Frowein, 1992, p. 67 f. 182 On the idea of multiple loyalties, see also supra, 137 f. The idea of multiple identities is well known to the theory of federalism, understood as a principle of organizing unity in diversity (cf. Pernthaler, 1996, p. 289; Kilper/Lhotta, 1996, p. 30). Without overarching loyalties, federal systems tend to be inherently unstable. As regards the regional and the global level, it is obvious that the corresponding identities are much ‘weaker’ than on the national or local levels. This should however not lead to the conclusion that transnational identities are impossible to achieve. An interesting theory to conceive of identity formation beyond the Nation State has been advanced by Breton, who uses the term ‘pragmatic solidarities’, referring to the identification with systems resulting from institutionalized factual interdependences (cf. Breton, 1995, p. 41 ff; for a summary of Breton’s theory, see Shaw, 1995, p. 266 f). The identification with the system depends on the efficiency of the institutions, the “participation in collective achievements, and on the perceived fairness of the distribution of costs and benefits.” The increased interest of non state actors in global issues, coupled with the demands for greater transparency and participation rights can be viewed as signs that transnational identities are gradually emerging.
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locked and intertwined. Indeed, ‘higher’ levels of governance fulfil an important function of checks and balances. As Lindseth pointed out in the context of European law, the EC legal order “seeks to constrain, and in some sense to overcome, the propensity of Nation States to parochialism and self-interest, and therefore represents an autonomous regulatory interest of its own.”183 Contrary to traditional intergovernmental politics, higher levels of governance do not reflect the simple aggregate of member states’ interests, since states increasingly have to justify their position considering the aims and interests of the community of states represented in the international regime in question as a whole. “In this sense, transnational governance […] operates independently of any single government and thus represents an emergent […] political community with regulatory interests separate and apart from-indeed superior to-the interests of the particular national political communities which comprise it.”184 3.3 The Relationship Between the Different Levels of Governance 3.3.1 The Principle of Supremacy Considering each level of governance as being autonomous raises the question of how to resolve conflicts between norms originating from different legal sources.185 Indeed, adopting a pluralist point of view, one has to “conclude that there is no objective basis – no Archimedean point – from which one claim can be viewed as more authentic than the other or superior to the other within a single hierarchy of norms. Rather, the claims […] to ultimate authority […] are equally plausible in their own terms and from their own perspective.”186 While this view offers the advantage of “sociological realism”,187 there are nevertheless good reasons to support the principle of supremacy of the ‘higher’ levels of governance in case of conflict. The first is a factual reason: even under traditional precepts, the logic of supremacy of higher levels of governance is generally recognised, given its important roles of co-ordination and coherence. The principle of supremacy of federal law vis-à-vis state, provincial or cantonal law is accepted. Similarly, international law is recognized to be of a higher order as expressed by the principle of pacta sunt servanda, which fully applies in international relations and triggers, if violated, state responsibility. In European law, the doctrine of supremacy of Community law developed by the European Court of Justice has in practice and principle been complied with by all member states, despite some vociferous resistance from several constitutional courts.188 183 184 185 186 187
Lindseth, 2001, p. 148; see also Weiler/Haltern/Mayer, 1995, p. 22 ff. Lindseth, 2001, p. 148. Pernice, 1999, p. 713 f. Walker, 1998, p. 361 f. MacCormick, 1995, p. 264; sociological realism refers to the fact that the institutions of a given legal system look to this legal order to assess their competences and the validity of their actions and do not regard those issues as being dependent on another legal order. 188 See for example the decisions “Solange I” (BVerfGE 37, 271); “Solange II” (BVerfGE 73, 339), “Maastricht” (supra, note 98), the decision referring to the ‘Banana dispute’ (2 BVL 1/97) of the German Constitutional Court, and the decisions ‘Frontini’ (Foro italiano 1974, vol. I, 314),
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The second reason in favour of supremacy of higher levels is a functionalist one: a basic hierarchy between the different constitutional levels is necessary to ensure the functioning of the higher levels of governance. The founding fathers of the American Constitution expressed this point as follows: […] we need only suppose for a moment that the supremacy of the State constitutions had been left complete by a saving clause in their favor. […] In fine, the world would have seen, for the first time, a system of government founded on an inversion of the fundamental principles of all government; it would have seen the authority of the whole society everywhere subordinate to the authority of the parts; it would have seen a monster in which the head was under the direction of the members.”189
A similar view, as regards the supremacy of European Community and public international law, was for example expressed Pierre Pescatore: “It is by virtue of its specific nature that Community law – and the same holds true for public international law – pretends to supremacy; the reason is that it is the law of the whole and the whole cannot exist unless the constitutive parts subordinate their interests to those of the whole.”190
Without a basic hierarchy, the different levels cannot assume their proper co-ordinating functions. The regulation of market access rights and conditions of competition is a good example in point. We can observe that the higher level of governance provides the necessary disciplines and guarantees. This is the case for example in the United States with the interstate commerce clause. The economic liberty, which is guaranteed as a fundamental right in the German and Swiss Federal Constitutions, ensures the same function vis-à-vis the Länder and the Cantons, respectively. On the regional and global level, the Four Basic Freedoms guaranteed by European Community Law and the market access rights enshrined in WTO law fulfil the same role with regard to the states. All these guarantees, ultimately, show comparable structures which, each on its level, exercise comparable checks and balances over the lower level of governance. A third reason in favor of the principle of supremacy of the higher level of governance can be derived from participation and consent and the binding nature of consent,191 as expressed in the principle of pacta sunt servanda: Indeed, supremacy viewed as a system of chains and command, of simply taking orders from above, would be illegitimate. The five storey house does, however, not represent such a 189 ‘Granital’ (Giurisprudenza costitutionale 1984, vol. I, 1098), und ‘Fragd’ (Giurisprudenza costituzionale 1989, vol. I, 1001) of the Italian Constitutional Court; for a summary of the case law, including decisions of other member states, see Oppenheimer, 1994; De Berranger, 1995. 189 Paper N° 44 (Madison), p. 286 f. 190 Pescatore, 1981, p. 632: “C’est en vertu de sa nature propre que le droit communautaire – et la même chose est d’ailleurs vraie du droit international – affirme sa supériorité; c’est parce qu’il est le droit du tout et que l’ensemble ne peut exister qu’à la condition que les parties intégrantes subordonnent leurs intérêts à ceux de l’ensemble.” 191 The two reasons justifying the supremacy of ‘higher’ levels of governance are also implicit in Pernice’s reasoning: “[…] primacy of European law in the multilevel constitutional system of the European Union is founded on the common decision of the peoples of the Member States to achieve a functioning structure of political action above the State level.” (Pernice, 1999, p. 719, emphasis added).
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system, since higher floors of the building are essentially constituted by lower levels and defined by their input. The way a ‘lower’ level participates in the ‘higher’ level therefore is of key importance in order to define as to whether that level and its claim to supremacy is legitimate.192 It will not be possible to ensure democratic legitimacy of international rules only by extending participatory rights on the national level. To the extent that the regulatory scope and enforcement mechanisms on supra- and international levels of governance are enhanced, they need to be accompanied by increasing participatory rights on that layer.193 The growing powers of the European Parliament are an example in point. Democratic legitimacy through elected bodies on the regional or global level and the legitimacy, resulting from the national level participating in the ‘higher’ levels through parliamentary or popular consent, should not be viewed as competing and antagonistic principles. They both aim at representing the citizens, by reflecting a different circle of human identity and loyalty. Such an approach takes into account that individuals are not only simultaneously members of the commune, the canton, the state, but are increasingly also being affected by transnational issues, and therefore want to be heard directly, as members of regional or global polities. In Müller’s words, the “segmentation of the subject calls for a more differentiated system of representation.”194 3.3.2 Exceptions to Supremacy Both reasons justifying the principle of supremacy – participation and consent on the one hand, and functionalism, on the other hand – have their limits. Therefore, we regard the principle of supremacy as an ordering principle, which does not apply in an absolute manner. It is therefore important to design criteria under which lower levels and storeys may prevail over higher ones. Today, many Constitutions claim to do so in a general manner. The United States, for example, do not recognize international law as being superior to Constitutional law. The European Community, in effect, does not accept the supremacy of international treaties over primary law. Under a doctrine of multi-layered governance, these traditional doctrines are overbroad. They need to be limited to constellations where primacy of national law can be justified. The doctrine of preserving the core of human rights, as defended by the German Constitutional Court,195 is appropriate from this perspective. Higher norms cannot prevail to the extent that they infringe inalienable rights of citizens. This is an important safeguard which provides confidence and allows citizens to embark on multi-layered governance in the first place.196
192 On the issue of participation in the higher level of governance, see Cottier/Germann, 2001, p. 94 f. 193 Cottier/Germann, 2001 p. 94 f; Cottier, 2000c, p. 219; Saladin, 1995, p. 246 f. 194 Müller, 1996, p. 151. 195 See the decisions ‘Solange I’, ‘Solange II’, ‘Maastricht’ and the decision referring to the ‘Banana dispute’, supra, note 188. 196 See Cottier/Hertig, 2000, p. 25.
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Similarly, direct effect of higher law may be denied to the extent that it does not correspond to procedures allowing for appropriate democratic participation, and similar legitimacy as comparable ones under national law.197 To the extent the national Constitution prescribes that certain issues have to be regulated in statutes adopted by the national parliament, or, in the case of Switzerland, have to be subject to a popular vote, the principle of legality requires similar modes of participation when the same issue is regulated by treaty law. This is to avoid democratic procedures being undermined by an excessive transfer of treaty making powers to the executive branch. If the requirements of the principle of legality are not met, it is necessary to seek transformation and formal adoption on the appropriate level. Direct effect should be excluded in such constellations, and the Courts should be given the power to instruct legislators to properly implement the agreement within a certain period of time. Failing such implementation, they would return to direct effect in order to honour the agreement. Moreover, the principles of good faith and pacta sunt servanda entail in our view the duty of states to adapt their domestic constitutional law so as to provide for adequate participation mechanisms before the ratification of a treaty.198 The constellations in which direct effect of international law can be justifiably denied should thus be rather limited. Again, this is a safeguard assuring that the fundamental role of law and legislation is maintained even it exercised in the form of international agreements. It combines monism and dualism from a perspective of legitimate multi-layered governance. Further exceptions to the principle of supremacy may be justified taking into account other fundamental values of a polity, such as, in the case of Switzerland, the institutions of direct democracy.199 In effect, under the Swiss federal Constitution, a popular initiative aiming at the revision of the Constitution is admissible to the extent that it does not violate the peremptory norms of public international law.200 A contrario, the validity of an initiative contrary to other norms of international law would be upheld. Such a conflict of norms seems unsatisfactory from a legalistic point of view which emphasizes the need for coherence and clear rules of conflict. However, from a sociological point of view, limited exceptions to the principle of supremacy may be necessary to further the acceptance of higher levels of governance in a dynamic process of interfacing different layers. Indeed, absolute supremacy of ‘higher law’ may overstrain a system whose level of integration is compared with classical nation states relatively low, and, in the end, be counterproductive. It does, for example, not come as a surprise that the principle of su197 On this issue, see Cottier, 2001, 9 ff and Wüger 2001, a very concise summary can be found in Cottier/Hertig 2000, p. 25 ff. 198 In Switzerland, an amendment of the federal Constitution, accepted on February 9, 2003, extends the facultative referendum to all state treaties which contain important legislative provisions or the implementation of which require the adoption of a federal statute (see the new article 141a § 1 of the Federal Constitution). So as to secure the effective legislative implementation of ratified treaties, the Federal Constitution enables the Parliament to include the implementing legislation in the vote on the state treaty itself (new article 141a § 2). This solution avoids the contradictory situation where an international treaty is ratified but cannot be complied with because the implementing legislation is challenged in a subsequent referendum. 199 On this issue, see Cottier/Hertig, 2000, p. 18 ff. 200 Art. 194 § 2 and art. 129 § 3 of the Swiss Federal Constitution.
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premacy, which is recognized in many federal states,201 is not unconditionally accepted in less integrated polities such as multinational federations.202 In those cases, precedence of ‘higher’ law will only be tolerated if the ‘higher’ level of governance shows a high degree of sensitivity for the core values of ‘lower’ levels. It is submitted that the principles set out above also apply domestically. From this perspective, it is perfectly conceivable to deny the implementation of federal law if it violates core freedoms protected under a provincial constitution. In the end, it is a matter of looking at law from the point of view of the individual. The system as a whole must protect its rights. These rights may be found on different levels and interact and sometimes compete with other levels, the different layers establishing safeguards with regard to both ‘higher’ and ‘lower’ layers. To sum it up, the doctrine of the five storey house entails the idea of communication between different levels. It starts from the presumption of hierarchy, but may allow for derogations to the extent that it is required by the protection of rights. 3.4 The Normative Interaction Between the Different Layers of Governance The idea of process, communication and interaction, rather than mechanical precedence of ‘higher’ levels over ‘lower’ levels of governance, is important to understand how the constitutional system is evolving towards greater coherence, ensuring that adequate safeguards are established at the appropriate level of governance and that the system as a whole responds to the precepts of traditional constitutionalism. It is important to protect life, liberty and property, and to pursue the goals of human welfare and development in non-discriminatory economic law. But these guarantees and goals need not be present on all levels of governance alike. The evolution of human rights protection is an example in point to analyse the interaction of different layers of governance. Domestically, human rights are not explicitly guaranteed in communal constitutions, sometimes not even on the provincial level. They are protected by the Federal Constitution, but take effect on all domestic levels of governance. Likewise, these guarantees need not necessarily be protected on the fourth or fifth level and apply to international or regional organizations. It suffices in principle that these rights are effectively protected by one of the layers, prevailing over others in this 201 Cf. art. 49 of the Swiss Federal Constitution; art. 6 of the Constitution of the USA; art. 31 of the German Constitution; Art. 109 of the Australian Constitution. 202 In Canada, for example, the Canadian Charter of fundamental rights contains, as a concession to Quebec, the so called ‘notwithstanding clause’, which enables a province to derogate from a provision of the Charter for a limited period of time. Quebec has used this derogation so as to uphold the validity of its famous ‘French only’ legislation (see Nemni, 1994, 148 ff). In Belgium, no supremacy clause was introduced into the federal constitution, which was explained with the centrifugal character of the Belgium federation. The relationship between federal law and the law of the regions is viewed not in terms of a hierarchy but as two distinct coordinated legal orders, which operate in their respective spheres of competences (see Alen, 1995, 35; Lerquin-De Vischer, 1994, p. 210). The constitutional courts of some member states of the European Union have adopted a similar view with regard to the relationship between the EC legal order and the national legal order (see for example the decision ‘Granital’ of the Italian Constitutional Court, Giurisprudenza costitutionale 1984, vol. I, 1098).
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respect. The protection of fundamental rights within international and supranational institutions may, however, become necessary to the extent that these organizations represent themselves a threat to human rights and to the extent that the protection by other layers of governance bears the risk of disruption and legal uncertainty. The advent of human rights protection in European Community law is an important illustration of this process.203 Conceived as an instrument of economic integration, the Treaty of Rome was limited to the Four Basic Freedoms, aimed at securing market access within the area of the EC. This functional approach did not require a bill of rights on that level of governance. However, it soon became obvious that EC legislation, although at the beginning mainly limited to the economic sphere, could conflict with fundamental rights protected by the national constitutions of the member states and the European Convention on Human Rights. As a consequence, some national constitutional courts made it clear that they were not willing to accept the supremacy of EC law if fundamental rights were not effectively guaranteed.204 The risk that national Courts would subject Community law to national constitutional law, at the price of piercing the doctrine of supremacy in some cases, was an important incentive for the European Court of Justice to recognize fundamental rights as general principles of EC law,205 which are derived from the constitutional traditions common to the Member States206 and the “international treaties for the protection of Human Rights on which the member states have collaborates or of which they are signatories”,207 the European Convention of Human Rights being of particular significance in this respect.208 203 Among the vast literature on this issue, see for a succinct summary, Craig/De Búrca, 2003, p. 317 ff; for a comprehensive study on the EU’s human rights policy, see Alston, 1999. The development of the protection of fundamental rights within the European Community resembles the advent of human rights protection in Switzerland, in as much that the Swiss Federal Constitution of 1848/74 did not comprise a comprehensive catalogue of fundamental rights. Similarly to the fundamental freedoms enshrined in the Treaties of Rome, the fundamental rights protected by the Swiss Federal Constitution, in particular the freedom of establishment and the economic freedom, were mainly rights aimed at eliminating trade barriers between the cantons (see Cottier/Merkt, 1996a, p. 449 ff). 204 See note 188. 205 Case 29/69, Stauder v. City of Ulm, ECR 1969, p. 41. See also Internationale Handelsgesellschaft v. Einfuhr und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel, ECR 1970, p. 1125 : “Recourse to the legal rules or concepts of national law in order to judge the validity of measures adopted by the institutions of the Community would have an adverse effect on the uniformity and efficacy of Community law. The validity of such measures can only be judged in the light of Community law. […] Therefore the validity of a Community measure or its effect within a Member State cannot be affected by allegations that it runs counter to either fundamental rights as formulated by the constitution of that State or the principles of a national constitutional structure. […] However, an examination should be made as to whether or not any analogous guarantee inherent in Community law has been disregarded. In fact, respect for fundamental rights forms an integral part of the general principles of Community law protected by the Court of Justice.” 206 Case 11/70, Internationale Handelsgesellschaft v. Einfuhr und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel, ECR 1970, p. 1125 at § 4. 207 Case 4/73, Nold v. Commission, ECR 1974, p. 491 § 13. 208 See for example Case 222/84, Johnston v. Royal Ulster Constabulary, ECR 1986, p. 1651, § 18; Case C-260/89, Ellinki Radiophina Tiléorassi AE (ERT) v. Dimotiki Etairia Pliroforissis and others, ECR 1991, I p. 2925, § 41.
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Apart from national constitutional courts, the European Court of Human Rights has also given an important impetus in securing the protection of fundamental rights in the EC legal order. Indeed, the Court has made it clear that the delegation of sovereign powers to international organizations does not free the member states from their obligations under the European Convention of Human Rights. On this basis, the Court has declared actions brought against the member states collectively for breach of the ECHR by an act of another international organization admissible.209 In so doing, the European Court of Human Rights can indirectly check the compatibility of EC acts with the ECHR, although the EC has not adhered to the Convention, which amounts to establishing a material hierarchy between regimes of human rights protection and other international regimes. The fundamental rights doctrine of the European Court of Justice was thus – and still is – being shaped interactively, in a dialogue with national Constitutional law and the European Court of Human Rights, with fundamental rights being defined with input from both national and international law, i. e. the constitutional traditions common to the Member States and international human rights treaties, respectively. Tendencies of national constitutional law “to transport values from the domestic order to the supra-national and international legal orders”210 can also be observed with regard to general principles of law, such as equity, transparency, nonretroactivity, proportionality, the protection of good faith and the doctrine of abuse of rights, which provide important corner stones of an overall constitutional system and make essential contributions to the constitutionalizing processes occurring within higher levels of governance. Conversely, due to the constitutionalization of European and international law, precepts of constitutionalism are increasingly secured on ‘higher’ levels and reflect upon national Constitutional law. To take up the same example – the protection of fundamental rights within the EU legal order – the European Court of Justice did not only recognize human rights as binding on the EC institutions. It also held in subsequent case law that the member states were subject to the same rights within the field of EC law, namely when they implement EC rules or derogate from the Four Basic Freedoms. More generally, European Union law explicitly subjects accession and membership of states to the respect of the principles of liberty, democracy, fundamental rights and freedoms and the rule of law.211 It also establishes an enforcement procedure to ensure compliance with these principles.212 These provisions are in line with the idea, underlying the interna209 See the judgment Matthews v. UK, of February 18, § 34-35. 210 Hobe, 2002, p. 663; an interesting example in this respect is art. 23 of the German Constitution, which subordinates the delegation of powers to the EU to the respect of core principles: “To realize a unified Europe, Germany participates in the development of the European Union which is bound to democratic, rule of law, social, and federal principles as well as the principle of subsidiarity and provides a protection of fundamental rights essentially equivalent to that of this Constitution. The federation can, for this purpose and with the consent of the Senate, delegate sovereign powers.” 211 Art. 6 in relation with Art. 7 and 49 of the EU-Treaty. 212 Art. 7 of the EU-Treaty.
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tional human rights instruments and the establishment of the International Criminal Court, that the protection of these essential guarantees should not be left to states alone. The overall picture thus already at present shows a dialectical relationship between the different levels of governance, a communicative constitutional process which slowly brings about a continuing rapprochement of the different levels of governance.213 It may help to gradually define minimal constitutional standards which all layers have to meet. 21st Century constitutionalism therefore is characterised by establishing effective safeguards on different levels. While the Constitution remains at center stage, additional levels increasingly act to bring about coherence among different constitutional layers, to interface them. Moreover, they increasingly serve to monitor them. Custodis custodiae! 3.5 The Allocation of Powers In a multilayered system, defining the relationship and the boundaries between the different levels of governance are essential constitutional functions. To this effect, we cannot limit our analysis to the question of supremacy discussed above. We also need to address the issue of delimitation of jurisdiction or competence between different layers.214 Following the traditional model of power allocation in federal States, such as Switzerland, powers of the federal government need in principle215 explicit enumeration, while the federal entities otherwise remain uninhibited or sovereign.216 In decentralized polities, such as the United Kingdom, the opposite approach generally prevails: competences which are not explicitly attributed to regional governments stay with the central government. Both approaches adopt a pattern of allocation which follows the ideal of assuming the responsibilities for separate tasks and walks of life. 3.5.1 The Limits of Tradtional Pattern of Power Allocation The traditional model fits a two or three storey house, contained in the nation state, and a system where the scope of regulatory powers and functions of public authorities is relatively limited. It is however bound to run into problems in a five storey house with law-making on the regional and global levels, and regulatory needs in general, increasing. This is so for the following reasons. Firstly, the gradual shift from the liberal to the welfare state and the important changes in the field of science and technology have substantially enhanced regulatory needs. Public powers have increased dramatically and become more complex, which makes it 213 Peters, 2001, p. 213; Frowein, 1992, p. 66, who talks about the “dialectical homogenizing effect of the EC” (translated by the authors). 214 The following passage draws on Cottier, 2000b, p. 84 ff. 215 Most federal systems know the category of implied powers, which are however rarely used in Switzerland. 216 See art. 3 of the Swiss Federal Constitution.
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more difficult to clearly define competence allocation. Instead, realities have produced over time a wide entanglement of mixed and joint competences. Secondly, more and more fields are addressed by rules of European and international law. Looking at regulatory approaches both in the EU and on the global level of the WTO and other international fora, it is important to note that these regulations are generally not of a comprehensive nature. They address key issues and points necessary to bring about the degree of harmonization required with a view to overcoming, for example, excessive trade barriers. International and regional regulation, therefore, is piece-meal and needs to be complemented, if not implemented, by rules of the first three floors of the constitutional building.217 More importantly in the present context, international rules do not respect and follow allocations of powers in a given federal or devolved structure. Agreements, regulations and directives of the European Community or international treaties may partly affect the jurisdiction of the federal or central government, and partly of the sub-national, federal or regional entities. As a matter of international or European Law, the central or federal government is responsible for implementation and compliance although it often does not have explicit jurisdiction to compel the sub-national entities to implement and comply with rules falling under their jurisdiction.218 The same problem can be observed in the European Union, which has itself become an important actor on the international scene. Since the external treaty making power of the European Community does not correspond to the internal constitutional division of powers between the EC and the member states, the EC is liable for compliance with international law without having any means of enforcement.219 The increase of international and supranational rules thus bears the potential of considerably shifting and upsetting the balance of traditional constitutional patterns. From the point of view of the ‘higher’ levels of governance, this situation is unsatisfactory since they do not have the powers to implement and enforce obliga217 On this point and related matters see Cottier, 1997, p. 217 ff. 218 A good and telling example in this context is the regulation of government procurement in Switzerland. Overall rights and obligations are defined by the WTO Agreement on Government Procurement. Since the Federal Government has very limited powers to regulate the matter for the Cantons, it only enacted a comprehensive bill on government procurement for the federal entities. Limited rules on non-discrimination are contained in the internal market bill, partly with differing rules (in social standards) from the Federal Procurement Act. The Cantons undertook to harmonize the matter in an interstate compound, partly inconsistent with the internal market bill, and further legislation exists within the Cantons on the matter (see Cottier/Merkt, 1996b, with an Annex containing the WTO Agreement on Government Procurement in English p. 163). Since the entry into force of the bilateral agreements between Switzerland and the European Union on June 1, 2002, public procurement has also been governed by a specific agreement on this issue, which builds on and complements the WTO agreement on public procurement (see Cottier/Evtimov, 2003, p. 84 ff). 219 A good example is the Agreement on Trade Related Intellectual Property Rights, which also contains a substantial portion on civil and administrative procedures, for which the EC does not have any internal jurisdiction to regulate. These provisions enlarge responsibilities of the EC in external relations, but leave the matter to Member States domestically, the EC having no jurisdiction to enforce these rules contained in a so called mixed agreement.
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tions on the ‘lower’ levels, yet have to assume international responsibility. From the perspective of the ‘lower’ levels (namely the second or third storey), the situation is equally disturbing: the internal division of competences with respect to the immediately superior level of governance (the third, respectively the fourth storey) is being eroded by another ‘higher’ layer, namely the fourth, respectively the fifth storey. 3.5.2 Reallocation of Powers Although it is often perceived as such, the allocation of powers is not a one way street, leading inexorably to the demise of the Nation State and the erosion of subnational layers: instead of transferring regulatory powers to the fourth and fifth floor of the building, regional and global liberalization and market integration lead to new constitutional problems on the first, second and third floors. They bring about new tasks which, in the past, have not existed to the same extent. Take the example of of social and economical integration of foreign residents and their families with a different cultural background. With the globalization of the economy and communications and decreasing costs for transportation, traditional communities have to cope with an increasing number of foreigners. Like most European countries, Switzerland, for instance, has become a destination of immigration, not so much for Europeans, but from cultures overseas.220 Rights and obligations of this segment of the population – amounting to some 20 % in Switzerland – need to be addressed and better defined in constitutional law. The Constitution should not remain silent with respect to one fifth of the population. It ought to recognize the core functions of integrating foreign nationals and residents, to establish principles, rights and obligations, to provide for programs and set forth the interaction of the national and sub-national responsibilities in the field. The Constitution has to be a factor of integration not only for the nationals, but for all humans living under its umbrella in a given society. 3.5.3 Shared and interlocked Powers Globalization and regionalization thus lead to allocation of powers both from ‘lower’ to ‘higher’ and from ‘higher’ to ‘lower’ levels of governance. Nevertheless, it is the former aspect which is commonly perceived by the citizens, resulting in demands of ‘renationalization’221 calls for subsidiarity,222 and efforts to re-establish a more clear-cut division of competences.223 To the extent that many prob220 See Straubhaar, 1996 and Chambovey, 1996. 221 See Dicke, 2000, p. 27 f. 222 The principle of subsidiarity, which plays an important role in the European Union, is increasingly also referred to with a view to limiting competences of the global level. See Howse, 2002b, p. 112; Bourgeois, 2000; Keohane/Nye, 2000, p. 37 f. 223 See the Declaration 23 of the Treaty of Nice (Declaration on the Future of the European Union), which enumerates, among the issues to be addressed, “how to establish and monitor a more precise delimitation of powers between the European Union and the Member States, reflecting the principle of subsidiarity.”
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lems cannot be efficiently addressed on the national level, ‘renationalization’ does not offer a practicable solution. What would be gained in terms of decision making autonomy would be lost in terms of efficiency and substantive, output oriented, legitimacy. Adopting a pattern of allocation which follows the ideal of assuming the responsibilities for separate tasks and walks of life reflects the wish to establish an intangible core of sovereignty safe from any intrusion from outside. Although such desire is understandable from a psychological point of view, the allocation of exclusive competences often fails to provide workable solutions.224 Moreover, we argue that it may conflict with the idea, expressed in the principle of subsidiarity, that governance should be carried out as close to the citizens as possible.225 Some examples may illustrate the difficulties in dividing policy fields into exclusive spheres of competences: most people will intuitively agree that cultural matters should not be governed on the European but on the national or local level, whereas market liberalization requires concerted action on the supra- or international level. The free movement of goods and services, however, will necessarily touch upon cultural issues, such as film, broadcasting, music, the import and export of art objects. In contrast, people will generally view environmental protection as a global concern. Whereas it is true that problems such as global warming cannot be efficiently resolved without international cooperation, other problems pertaining to the protection of the environment, such as urban planning, need in turn to be addressed on ‘lower’ levels of governance. Moreover, transboundary environmental problems do not need to be regulated comprehensively on the global level. To take up the example of global warming, international law may prescribe the goal to be reached in terms of CO2 reduction, while it is up to ‘lower’ levels of governance to choose the means to reach that aim and to implement them. As these examples show, it would thus not be feasible to attribute an exclusive competence in the field of environmental protection or culture to one level of governance. Critics may object that it would be possible to either subdivide these policy fields, by distinguishing, for example, global warming, urban planning, protection of forests and moors, or laying down exceptions in competence clauses, for example by attributing an exclusive competence for cultural issues to local governance, with the exception of measures pertaining to market liberalization. Both approaches have their limits. Constitutions cannot address all the relevant issues and exceptions in a given policy field without losing their character of fundamental charters of a political order and becoming highly technical texts, inaccessible to most citizens. Too detailed regulations would also contradict the requirements of both stability and flexibility: constitutions should be open and flexible enough to evolve with the political community without requiring too frequent amendments. In Dehousse’s words, the main obstacle to a pattern of exclusive power allocation is that reality cannot be cut in neat slices and distributed to different author224 See De Búrca, 1999, p. 4 ff; Idem, 2001, p. 15 f and Dehousse, 2002, p. 364 f. 225 See also MacCormick, 2001, p. 172; Lerquin-De Vischer, 2002, p. 22 f.
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ities.226 If the concept of exclusive competences is to be rejected, what other options may help to define the substantive powers of the different levels of governance? An efficient solution should in our view combine both substantive and procedural remedies. 3.5.4 Substantive Remedies Substantive remedies mainly rely on the principle of subsidiarity to act as a corrective device against centralizing tendencies of ‘higher’ levels of governance and the correlated erosion of national and local competences. In general terms, the principle of subsidiarity implies that a certain issue should only be governed on a ‘higher’ level of governance if it cannot be appropriately addressed on a ‘lower’ level. As is frequently pointed out, the criterion of ‘appropriateness’ is itself a fluid concept which can be defined in different terms.227 Should, for instance, the ‘higher’ level of governance address an issue only if it cannot at all be resolved on the lower level or as soon as a more efficient solution may be obtained on the ‘higher’ level?228 The first approach focuses mainly on process, i. e. the concern to ensure adequate participation of the people affected by the decision. It takes into account that citizens identify more strongly with ‘lower’ than with ‘higher’ levels of governance.229 The second approach emphasizes the outcome, stressing the capacity of a particular level of governance to effectively deal with a certain issue.230 Similarly to the principle of proportionality, the principle of subsidiarity thus requires balancing different interests. This implies, in our view, that both aspects – process and outcome – should be taken into account.231 Instead of attributing a policy field to one level of governance, the principle of subsidiarity will in many cases call for regulatory powers being spread over different levels of governance. Whereas it may be necessary for ‘higher’ levels to set some common standards in a policy field, by enacting framework regulations (Rahmengesetze),232 or opting for some ‘softer’ instruments, such as recommendations, further elaboration should and can often be left to the ‘lower’ levels of governance. As the experience of the EC has shown, a flood of detailed regulations delegitimizes European governance. Anecdotes frequently related by skeptical EU citizens mock the bureaucratic EC regulating issues of such great importance as the labelling of shoes.233 Limiting the action of ‘higher’ levels of governance mainly to framework regulations implies that an issue can rarely be attributed to one level of governance 226 227 228 229 230 231
Dehousse, 2002, p. 364, translated by the authors. See for instance De Búrca, 1999, p. 9. See Dubach, 1996, p. 18. De Búrca, 1999, p. 12. For the distinction of ‘process’ and ‘outcome’, see De Búrca, 1999, p. 4. For a definition of the subsidiarity principle taking into account both the democratic principle of governance as close to the citizens as possible and efficiency, see MacCormick, 2001, p. 172: “governmental tasks should be carried out at a level as close to the citizens affected as is consistent with equity and with efficiency in the pursuit of common goods.” 232 See Cottier, 2000b, p. 88. 233 The example of shoe labelling was mentioned in the first report of the Commission on subsidiarity as an example in which EC legislation was abandoned (see Dehousse, 2002, p. 363).
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alone234 and that we are “fated to live with multiple levels of government”.235 Many, if not most policy fields, need to be shared between the second, third, fourth, and increasingly also the fifth floor of the constitutional building, which makes attempts to identify exclusive spheres of jurisdiction an ineffective tool of power allocation. A more flexible solution, consisting for example in listing the policy fields which should be predominantly exercised on a certain level of governance,236 without categorically excluding the intervention of other levels, would combine the advantages of transparency and a necessary amount of flexibility. Such an approach will however only be politically acceptable if it is accompanied by effective procedural safeguards. 3.5.5 Procedural Remedies Procedural remedies to compensate for the loss of powers due to the internationalization of law making consist in reinforcing both direct237 and indirect238 participatory rights of ‘lower’ levels of governance in the decision making processes on ‘higher’ levels. The relationship between different levels is thus revealed by the notions of symbiosis and consociation, rather than strict separation of regulatory domains and tasks.239 The more lower levels of governance have a say in the decisions taken on ‘higher’ levels, the less important clear cut allocations of powers are. The rising popularity of the principle of subsidiarity in the EC is a good example in point: it was only with the advent of majority ruling in the Council and the increasing impact of the European Parliament and the correlated diminished influence of the member states in the decision making procedures on the regional level that the idea of subsidiarity arose and then became a household name.240 Job allocation therefore is inherently linked to decisional processes within the respective constitutional level, and it is here, in our view, that remedies should be sought in the first place. Procedural solutions should not be limited to compensating the lack of exclusive jurisdiction to prescribe by appropriate representation on higher echelons of the constitutional order. They should also entail the duty of law and decision making institutions to consult with national and regional institutions before initiating new legislative acts and to justify why the envisaged action cannot be appropriately dealt with by a ‘lower’ level of governance.241 As the experience of most federal states and the European Union has shown, constitutional courts, or the European Court of Justice, respectively, often uphold centripetal tendencies of the 234 235 236 237 238 239 240 241
See De Búrca, 1999, p. 4. MacCormick, 2001, p. 172. Dehousse, 2002, p. 365. By direct participation, we refer for example to the Council of Ministers, who enables the member states to take part in the lawmaking procedure on the EC level. By indirect participation, we mean for example procedures allowing sub-national entities to influence the position national authorities will defend on the regional on international level. Taylor, 1996, p. 181. Cottier, 2000b, 88 f; Dehousse, 2002, p. 362. See Bausili, 2002, p. 8; De Búrca, p. 33 ff.
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legislative and executive branch based on a teleological interpretation of federal or EC-law.242 Effective policing of boundary disputes may thus require that a different tribunal, consisting of representatives of both levels of governance affected by the controversy would settle such disputes.243 On the EC-level, representatives the regions or cantons should also be granted standing before such a tribunal, so as to avoid national governments eroding the internal division of competences by legislating a certain issue on the Community level.244 3.6 The Role of the Judiciary 21st Century Constitutionalism will also allow developing more coherent views on the role of the judicial branch in international economic law. The current situation is marked by a dichotomy between domestic review and international review. The current paradoxes may be assuaged:245 while international judges today in the WTO tend to apply a relatively intrusive standard of review, scrutinizing de novo national legislation or administrative action for compliance with WTO law, the review of their colleagues on regional or national levels is characterized by relative restraint: they often limit judicial review to the extent that all decisions not considered capricious and arbitrary will escape judicial protection. International review reflects the functionalist tradition of GATT whose focus is on trade liberalization, whereas the attitude of the domestic courts is marked by the traditional perception of constitutionalism being limited to the domestic sphere: foreign relations, including external economic relations, are still considered the prerogative of an unrestrained executive branch.246 This paradox cannot be overcome on the basis of current precepts of administrative and international law looked upon as belonging to very different walks of life and systems. More coherent standards of review and a more appropriate role of the judiciary can only be created if we regard all levels as forming part of one system operating under the idea of constitutionalism: national 242 See Weiler/Haltern, 1996, p. 443; So far, the European Court of Justice annulled acts of Community institutions for beach of the principle of proportionality or legality, but never for violation of the principle of subsidiarity (see Bausili, 2002, p. 10, Fn. 24). The teleological interpretation of EC law by the ECJ, expressed in the ‘effet utile’ doctrine, has, as pointed out above, met with resistance from national constitutional courts. See on this subject the Maastricht decision by the German Constitutional Court, supra, note 104. On the global level, in the framework of the WTO, the concern of the member states to prevent a dynamic interpretation of WTO law by the panels resulted in the adoption of art. 3 § 2 of Dispute Settlement Understanding (DSU). This provision reads as follows: “The dispute settlement system of the WTO is a central element in providing security and predictability to the multilateral trading system. The Members recognize that it serves to preserve the rights and obligations of Members under the covered agreements, and to clarify the existing provisions of those agreements in accordance with customary rules of interpretation of public international law. Recommendations and rulings of the DSB cannot add to or diminish the rights and obligations provided in the covered agreements.” (emphasis added). The same obligation is also laid down in art. 19 § 2 DSU. 243 Such proposals have been made by Weiler/Haltern, 1996, p. 447 ; MacCormick, 2000, p. 181; the need for external control is also stressed by Bausili, 2002, p. 5 f. 244 MacCormick, 2001, p. 181; Bausili, 2002, p. 6. 245 The following section is drawn on Cottier/Oesch (forthcoming). 246 See supra, p. 121.
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courts would generally be required to adopt a stricter standard of review on the basis that the principle of separation of powers and the rule of law apply both to domestic and international law alike. WTO panels’ attitude would in turn need to shift from a functionalist to a constitutional approach, which would allow for a more nuanced balancing between market access rights and other legitimate policy concerns. We suggest that standards of review should be determined on all levels based on the criteria of justiciability, i. e. the question as to whether a court is suitable to decide a particular issue, or whether the matter should be left to the political process. Again, there will be differences, as courts enjoys different roles and positions in different constitutional systems. These differences can be taken into account, as the matter of justiciability cannot be isolated from the constitutional situation of a court in a given system. But it will allow to assess the position of the court based on common criteria and to identify minimal standards of judicial review, which the higher level of governance will need to apply in order to fulfil its role of providing checks and balances and defend the rights of those who are not represented in a particular polity.
4 Conclusion The attempt to sketch a doctrine of 21st Century Constitutionalism roots in practical problems encountered in constitutional, regional and international law in coping with the challenges of regionalization and globalization. It is not an effort to please theory, but to assist in developing tools which allow legislators, executive and judicial branches of government to cope with the complex interaction of different regulatory issues. We do not believe that current disputes relating to the concept of ‘constitution’ are an ample basis to address these practical problems. Attempts to determine whether the European Union, or the WTO, for instance, already have a constitution or should and are able to have one tend to polarize the debate by apprehending complex political and social realities in black and white terms and focus too narrowly on a single level of governance. We submit that a limitation of constitutionalism to the Nation State clearly is no longer suitable to structure the interaction of different layers of governance in a fruitful manner. Globalization and regionalization have resulted in the transfer of many regulatory issues from the national to the regional and global level. Due to this process of denationalization, new levels of governance have emerged on the regional and global level which need to be interfaced with the national and subnational levels: defining the relationship and interaction between the different levels of governance is an important task modern constitutionalism has to achieve. The different levels of governance represent themselves, or consist of, more or less constitutionalized regimes which are not static and can evolve along with the regulatory tasks asscribed to them. The more complex, the more intrusive a level of governance is, the more it will be necessary to develop its constitutional qualties. To reflect and critically assess this reality, we have supported a graduated concept of constitutionalism which puts more emphasis on process and interaction than on
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strict conceptual boundaries and momentous events of constitution making, focusing on how the constitutional functions can be secured, considering the different levels of governance as forming part of an overall constitutional system. For this purpose, we have suggested, as a framework of analysis, taking recourse to a multistorey house, which need to be coordinated in a practical way. Indeed, issues like allocation of powers and the definition of coherent standards of review, which we have addressed in this paper, necessarily imply an interplay of different levels and cannot be solved by focusing on one layer in a isolated manner. With regard to the relationship between the different levels of governance, we have argued that the supremacy of ‘higher’ levels is necessary for the sake of overall coherence, but not in absolute terms. Essential guarantees, to be found on any of these layers, may prevail to the extent that they protect core values and rights of individuals and mankind. It is thus a relation of mutual communication, not subordination, which characterizes the prospects of 21st Century Constitutionalism.
II Globale Veränderungen von Staat und Recht
Souveränität und Globalisierung Urs Marti In Gegenwartsdiagnosen wird häufig das Ende der Souveränität konstatiert. Der Begriff der Souveränität ist vielschichtig, er wird in unterschiedlichen Kontexten verwendet und ruft gegensätzliche Assoziationen hervor. Souveränität ist eine soziale Institution, eine bestimmte Art und Weise der Ausübung und Verteilung von Macht. Als politische Organisationsform hat sie ihre Geschichte und die Frage nach der Zukunft souveräner Staaten ist sinnvoll. Souveränität ist überdies eine Hypothese, ein Modell zur Erklärung politisch-rechtlicher Ordnung, das kritisiert oder mittels der Konstruktion von Hilfshypothesen gegen Kritik immunisiert werden kann. Schließlich ist Souveränität ein normatives Prinzip, das eine Antwort auf die Frage nach den Kriterien legitimer Machtausübung gibt. Umstritten ist also nicht nur, ob der souveräne Staat in einem weltweit sich wandelnden Umfeld überleben kann, umstritten ist auch, welcher Erklärungswert der Souveränitätshypothese noch zukommt, und umstritten ist vor allem, ob das Prinzip der Souveränität weiterhin als legitim gelten kann. Sind souveräne Herrschaftsansprüche im Namen der Menschenrechte oder der Marktfreiheit zurückzuweisen, oder ist Souveränität ein Synonym für politische Handlungsfähigkeit, eine Voraussetzung von Selbstbestimmung und Demokratie? Ich werde zunächst einige Sachverhalte unterscheiden, die mit dem Stichwort vom Ende der Souveränität bezeichnet werden. Die postmoderne Lesart, derzufolge dieses Ende nur im Kontext der Überwindung der Moderne angemessen zu begreifen ist, kritisiere ich im zweiten Abschnitt. Im dritten Abschnitt schlage ich vor, Souveränität unter dem Aspekt rationaler Machtorganisation zu analysieren. Dass ökonomische Akteure auf staatliche Souveränität angewiesen sind und sie zugleich zu unterlaufen suchen, ist Thema des vierten Abschnitts. Die mit der ökonomischen Globalisierung einhergehende Globalisierung von Recht und Politik gibt, so lautet die These des letzten Abschnitts, vorderhand keine überzeugenden Antworten auf die Frage, auf die das Souveränitätsprinzip bislang eine Antwort gegeben hat.
1 Was heißt: Ende der Souveränität? Obgleich heute mit einer Vielfalt von Souveränitätsbegriffen gearbeitet wird, bleibt die klassische Definition unverzichtbar. Unter Souveränität wird ein Herrschaftsanspruch verstanden, der den Staat nach innen und außen konstituiert. Souveränität ist jedoch nicht mit unbeschränkter Handlungsfähigkeit oder willkürlicher
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Machtausübung gleichzusetzen, sondern bedeutet ein diesseits wie jenseits der territorialen Grenzen anerkanntes Recht. Innerhalb der Grenzen wird der Träger der Souveränität als höchste rechtliche Autorität anerkannt (innere Souveränität), außerhalb der Grenzen als freies und gleichberechtigtes, von jeder äußeren Autorität unabhängiges Subjekt politischen Handelns (äußere Souveränität).1 Von dieser Definition kann die Forschung ausgehen, muss sie jedoch im Hinblick auf die gewählte Perspektive präzisieren, erweitern oder modifizieren. Für die Stelle des Trägers der Souveränität kommen verschiedene Kandidaten in Frage, und das Souveränitätsprinzip kann der Rechtfertigung unterschiedlicher politischer Ziele dienen. In der Frühzeit des Absolutismus drückt es den Selbstbehauptungswillen der monarchischen Staatsgewalt aus, entspricht aber auch den Interessen der frühbürgerlichen Gesellschaft. Die Staatsgewalt wird zur Einhaltung eines Vertrags verpflichtet, dessen Zweck im Schutz elementarer Rechte der Bürger besteht. Die logische Konsequenz dieser Umdeutung ist die Idee der Volkssouveränität. Seit dem 19. Jahrhundert berufen sich die in Europa entstehenden Nationalstaaten auf das Prinzip der Souveränität, rechtfertigen damit aber nicht selten eine aggressive und expansive Politik innerhalb wie außerhalb des Kontinents. Im 20. Jahrhundert dient es den kolonisierten Völkern zur Begründung ihrer Forderungen nach staatlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Souveränität kann dynastischen oder demokratischen, revolutionären oder nationalistischen, imperialistischen oder anti-imperialistischen, hegemonialen oder emanzipatorischen Bestrebungen dienen, in jedem Fall aber artikuliert sich in der Berufung darauf der Wille zur politischen Unabhängigkeit. Auch die völkerrechtliche Bedeutung von Souveränität unterliegt dem historischen Wandel. Als wichtigstes Datum, das den Beginn der Epoche des klassischen Völkerrechts markiert, gilt das Jahr 1648. Seit dem Westfälischen Frieden beruht das Völkerrechtssystem auf dem Prinzip einzelstaatlicher Souveränität. Staaten werden unter der Bedingung, dass sie gewisse Kriterien wie die Kontrolle über ihr Territorium und die Fähigkeit, Verträge abzuschließen und einzuhalten, erfüllen, als die einzigen legitimen Gemeinwesen anerkannt. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich nicht in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischen, ihnen steht aber auch das Recht zu, Kriege zu führen. Als Gemeinschaft von freien und gleichberechtigten Partnern beschränkt sich die Staatengemeinschaft allerdings bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert vollständig und bis ins 20. Jahrhundert hinein weitgehend auf Europa. Erst 1960 wird mit der UNO-Resolution zur Entkolonisierung eine Globalisierung des Völkerrechts eingeleitet (Philpott, 1999, S. 160 ff). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nimmt die Welt somit tatsächlich die Gestalt einer Gemeinschaft souveräner Staaten an. Allerdings verändert sich im Zuge des Umbruchs des Völkerrechts auch die Bedeutung der äußeren Souveränität. Gemäß moderner Auffassung anerkennen die Staaten die Normen des zwingenden Völkerrechts und verzichten freiwillig auf einen Teil ihrer Souveränität. An1
„[…] the idea of sovereignty was the idea that there is a final an absolute political authority in the political community; […] and no final and absolute authority exists elsewhere“; Hinsley, 1986, S. 26; vgl. Seidelmann, 1992; Philpott, 1997; 1999; Jackson; 1999a. Einen Eindruck von den vielfältigen Definitionsproblemen vermitteln Camilleri/Falk, 1992, S. 11-43.
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stelle des Rechts der Staaten, Krieg zu führen, tritt ein allgemeines Kriegs- und Gewaltverbot. Die Normen der Koexistenz werden ergänzt durch eine Verpflichtung zur Kooperation. Von den Staaten wird erwartet, dass sie zum Zweck der Förderung und Erhaltung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit zusammenarbeiten und dabei gegebenenfalls auch sozial-, wirtschafts- und umweltpolitische Ziele gemeinsam unterstützen (Kimminich, 1997, S. 74-101). Die UNO-Charta bekräftigt den Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Mitglieder (Art. 2), definiert aber auch die für die Herbeiführung friedlicher Beziehungen zwischen gleichberechtigten Nationen erforderlichen Voraussetzungen und setzt sich deren Förderung zum Ziel; darunter fällt die Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 1; 55). Angesichts der vor allem seit dem Ende des Kalten Krieges wachsenden globalpolitischen Verantwortung der UNO zeichnet sich ein neues Souveränitätsverständnis ab. Unter Souveränität ließe sich künftig ein Recht verstehen, in internationalen Angelegenheiten mitzuentscheiden und sich an der Lösung globalpolitischer Probleme zu beteiligen. Dieses Recht impliziert eine Verantwortung: Souveräne Staaten sind gegenüber der internationalen Gemeinschaft rechenschaftspflichtig (Taylor, 1999, S. 135-143). Während die Neuinterpretation der äußeren Souveränität jüngeren Datums ist, beginnt jene der inneren Souveränität mit den demokratischen Revolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Mit ihnen setzt ein Prozess der zunehmenden Bindung der Souveränität ein: Souveränität ist nicht die Gewalt, die, weil sie Recht schafft, über dem Recht steht, vielmehr kommt sie der Rechtsordnung zu, die über der Gesellschaft und ihren Interessengruppen steht. Im Urteil einiger Autoren steht das Souveränitätsprinzip allerdings in unversöhnlichem Gegensatz zum Verfassungsstaat und zu den Menschenrechten (Kriele, 1994). Dagegen wird argumentiert, moderne Volkssouveränität sei im Sinne eines Letztentscheidungsrechts unverzichtbare Legitimationsgrundlage des Staates (Abromeit, 1995, S. 50 ff). Häufig wird der Grundsatz vertreten, nur das Volk könne verfassunggebende Gewalt sein, doch müsse die Verfassung eine neue Gewalt schaffen, die nicht über ihr steht. Es stellt sich dann freilich die Frage, ob ein Zustand, worin das Volk als „pouvoir constituant“ schweigen muss, sobald es die Verfassung legitimiert hat, die Rechtsordnung („pouvoir constitué“) also beispielsweise nicht mehr nach Maßgabe von demokratisch ermittelten Gerechtigkeitskriterien reformiert werden kann, mit dem modernen Politikverständnis vereinbar ist (vgl. Böckenförde, 1991, S. 90-112). Die Rechtsordnung beruht auf einem politischen Willen und einer politischen Macht; sie steht unter Reformdruck, sobald neue Ansprüche politisiert werden. Was Gegenstand der Gesetzgebung sein soll, wird in politischen Auseinandersetzungen entschieden, doch sind solche Entscheidungen nicht zwingend unwiderruflich. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen wie gegenwärtig die neoliberale Globalisierung stellen für Politik und Gesetzgebung neue Herausforderungen dar. Es stellt sich in diesem Kontext auch die Frage, ob die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Souveränität noch zeitgemäß ist. Unter innerer Souveränität wurde bislang die Fähigkeit der politischen Autorität verstanden, innerhalb territorialer Grenzen effektive Kontrolle auszuüben. Aber innere Souveränität hat offensichtlich einen Außenaspekt, zur Diskussion steht nämlich die Fähigkeit politischer
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Autoritäten, grenzüberschreitende Bewegungen von Menschen, Waren, Kapital, Information oder Schadstoffen zu kontrollieren.2 Ob der Begriff der Souveränität auch jene Kontroll-, Regulations- und Interventionsfähigkeit umfasst, die eine selbstbestimmte Wirtschafts- und Sozialpolitik erlaubt, bleibt allerdings umstritten.3 Souveränität ist eine rechtliche Institution, doch thematisieren viele Souveränitätstheorien implizit oder explizit auch Aspekte der Macht. Der Souveränitätsanspruch eines Staates kann selbst dann formell anerkannt werden, wenn ihm die Macht fehlt, innerhalb seiner Grenzen eine Rechtsordnung zu erhalten und international als gleichberechtigter Partner respektiert zu werden. Internationale Organisationen gehen von der im Widerspruch zu den faktischen Machtverhältnissen stehenden Hypothese gleichberechtigter, souveräner Nationalstaaten aus. Souveränität wird jedoch auch als organisierte Heuchelei definiert (Krasner, 1999). In realistischer Sichtweise entspricht die Verletzung völkerrechtlicher Normen der Logik internationaler Politik, da die Macht zwischen den Staaten ungleich verteilt und staatliches Handeln von egoistischen Motiven bestimmt ist. Großmächte wie die USA und die Sowjetunion haben Interventionsrechte geltend gemacht und die Souveränitätsrechte anderer Staaten massiv verletzt; internationale Finanzinstitutionen haben sich in die Politik ärmerer Staaten eingemischt. Wird das Faktum globaler Machtasymmetrie ins Zentrum der Analyse gestellt, muss Souveränität als ungeeignete Hypothese erscheinen. Tatsächlich haben in der Geschichte nur wenige Staaten alle Attribute der Souveränität – Territorium, Anerkennung, Autonomie und Kontrolle – besessen. Zwar wird argumentiert, der Begriff sei für die Analyse der europäischen Politik vom 17. bis zum 19. Jahrhundert hilfreich, doch ist zu bedenken, dass Nationalstaaten nie autarke Gemeinwesen, autonome und gleichmächtige Akteure der internationalen Politik gewesen sind. Die Unterscheidung zwischen Recht und Macht, Autorität und Kontrolle ist sinnvoll; eine Souveränitätstheorie freilich, die den Aspekt der Macht ausblendet, dürfte für die historische, soziologische und politikwissenschaftliche Forschung von beschränktem Wert sein. Verliert ein Staat wegen der fehlenden Macht, bestimmte gesellschaftliche Kräfte zu kontrollieren, sein Gewaltmonopol, wird die Rede von seiner Souveränität selbst dann fragwürdig, wenn sein rechtlicher Status formell weiterhin anerkannt wird. Ebenso problematisch ist es, einen Staat, der aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage seinen Verfassungsauftrag nicht mehr erfüllen kann, als souverän zu bezeichnen. Relevant ist auch die Frage, ob tatsächlich der verfassungsmäßig definierte Träger der Souveränität entscheidet oder ob andere Kräfte wie Parteien, wirtschaftliche oder religiöse Interessengruppen dies tun. Die Überprüfung der Souveränitätshypothese hat mithin einerseits zu klären, ob in den Rechtsquellen die Souveränität eines politischen Gemeinwesens bestätigt 2
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Krasner, 1999, S. 9-25, unterscheidet zwischen „domestic sovereignty“ und „interdependence sovereignty“. Bezüglich der äußeren Souveränität unterscheidet er zwischen „Westphalian sovereignty“, d. h. dem Prinzip der Nicht-Intervention, und „international legal sovereignty“, d. h. den Praktiken gegenseitiger Anerkennung zwischen rechtlich unabhängigen territorialen Einheiten. Vgl. dazu Quiggin, 2001. Jackson, 1999a, S. 10, hält den Begriff der ökonomischen Souveränität dagegen für irreführend.
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wird, andererseits muss sie die Ebene der Macht einbeziehen und untersuchen, ob die effektiven Handlungsmöglichkeiten politischer Institutionen ihrem rechtlichen Status entsprechen. Unter Souveränität wird mithin ein Rechtsanspruch verstanden, der die Gesetzgebung betrifft, aber ebenso die Fähigkeit, die Gesetze zu vollziehen, sowie die Bereitschaft der staatlichen Gewalt, für ihr Handeln die Verantwortung zu übernehmen. In welchem Sinn kann nun von einem Ende der Souveränität gesprochen werden? Beziehen sich entsprechende Diagnosen auf den rechtlichen Status oder auf die Macht von Staaten, auf die Legitimität des Souveränitätsanspruchs oder auf die Fähigkeit souveränen Handelns? 1.1 Souveränität und Menschenrechte Gründet die Staatengemeinschaft normativ auf dem Prinzip staatlicher Souveränität, oder haben die universellen Menschenrechte im modernen Völkerrecht die Souveränität als Grundnorm verdrängt? Zweifellos ist die Menschenrechtsidee für das traditionelle Souveränitätsverständnis zu einer ernsthaften Herausforderung geworden. Die Ansicht, jede Politik müsse sich als Sachwalterin menschenrechtlicher Anliegen rechtfertigen, stößt trotz Disputen über kulturvariante Interpretationen der Menschenrechte weltweit auf wachsende Zustimmung. Der Menschenrechtsschutz ist in der Nachkriegszeit zu einer zentralen Aufgabe des Völkerrechts avanciert; der objektive Charakter von Menschenrechtsverträgen wird international anerkannt (Kälin, 1994). Die Staaten können Menschenrechte jedoch gemäß besonderen Traditionen und Interessen unterschiedlich interpretieren. Auf internationaler Ebene fehlt eine für die Durchsetzung der Menschenrechte zuständige exekutive und judikative Gewalt (Kimminich, 1997, S. 335-353). Werden unter Menschenrechten vorstaatliche, den Menschen von Natur zukommende Rechte verstanden, müssen sie notwendig in Widerspruch geraten mit den Staaten, soweit diese den Anspruch erheben, über allen Normen zu stehen. Werden darunter jedoch positive Rechte und wird unter staatlicher Souveränität die Souveränität einer Verfassung verstanden, kann von einem grundlegenden Wertekonflikt nicht die Rede sein. Souveränität ist eine Form der Machtausübung und kann als solche missbraucht werden. Rechte können aber im Ernstfall nur garantiert werden, wenn eine mit Zwangsbefugnis ausgestattete Staatsgewalt existiert. Staatliche Souveränität und individuelle Freiheitswünsche begrenzen sich gegenseitig; zwar wird die Grenzziehung immer umstritten bleiben, sie resultiert jedoch nicht aus dem Aufeinanderprallen unvereinbarer Ansprüche, vielmehr ist die Begrenzung der Freiheit Bedingung ihrer Möglichkeit. Wenn nur jene Einschränkung der Freiheit als rechtmäßig gilt, deren Zweck die Freiheit selbst ist, besteht zwischen Menschenrechten und Souveränität kein antinomisches Verhältnis. Die von demokratischen Verfassungsstaaten beanspruchte Souveränität ist nicht mit uneingeschränkter Hoheitsgewalt gleichzusetzen, sondern mit einer Staatsgewalt, die ihre Grenzen an individuellen Grundrechten findet (Schaber, 1996, S. 7683), diese aber auch gegen Angriffe verteidigt, die von gesellschaftlichen und ökonomischen Kräften ausgehen. Volkssouveränität ist eine institutionelle Vorausset-
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zung des Menschenrechtsschutzes,4 es ist sogar denkbar, dass sich demokratische Staaten darauf einigen, die Aufgabe einer übernationalen Gewalt zu übertragen. Allerdings ist fraglich, ob der Menschenrechtsidee eine hinreichend klare Konzeption zugrunde liegt, die im Konfliktfall als allseits anerkanntes normatives Entscheidungskriterium dienen könnte. Die Menschenrechte waren im Kalten Krieg ein Spielball der internationalen Politik und sind es nach dessen Ende geblieben. Die Bestimmung ihres Kernbereichs und die Festsetzung der Rangordnung ihrer Dimensionen erweist sich als heikles Unterfangen. Der Grund dafür ist nicht primär die kulturelle Pluralität von Rechts- und Pflichtauffassungen, wie dies von kulturrelativistischer Seite unterstellt wird. Theoretische Kontroversen widerspiegeln politische Auseinandersetzungen, nicht nur zwischen Staaten mit unterschiedlichen politischen Systemen, sondern auch innerhalb liberal-demokratischer Gesellschaften. Das Recht auf Privateigentum lässt sich gemäß westlicher Rechtstradition so gut als Menschenrecht postulieren wie das Recht auf Subsistenz und soziale Sicherheit. Daraus lassen sich dann wiederum ein Recht auf unbeschränkte Handels- und Investitionsfreiheit oder ein Recht auf staatliche Selbstbestimmung im wirtschaftlichen Bereich und soziale Teilhabe ableiten. Solche Ansprüche geraten notwendig miteinander in Widerspruch. Ist Souveränität, verstanden als Mittel zum Zweck der Durchsetzung des gesellschaftlichen Friedens mittels Errichtung einer Ordnung, die Menschen elementare Rechte gewährt, selbst Gegenstand eines menschenrechtlichen Anspruchs? Mit den Revolutionen von 1776 und 1789 wird die Idee der Menschenrechte zur Legitimationsgrundlage der Politik. In der Nachkriegszeit macht die Situation der Staatenlosen jedoch deutlich, wie paradox der Begriff eines dem Menschen schlechthin, ungeachtet seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft zustehenden Rechtes ist. Arendt spricht von einem Recht, Rechte zu haben, das grundlegender ist als jedes Menschenrecht (Arendt, 1986, S. 452-470). Ein solches Recht lässt sich als Recht auf politische Inklusion definieren, somit lässt sich ein Recht auf Einbezug in ein souveränes, handlungsfähiges politisches Gemeinwesen postulieren. Verstanden als Durchsetzungsmacht ist Souveränität eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Bedingung einer menschenrechtskonformen Ordnung. Staaten können ihre Verantwortung als Adressaten von Rechtsansprüchen nicht wahrnehmen, oder sie können die Macht, Rechte effektiv zu schützen, verlieren. In beiden Fällen stellt sich die Frage, ob nicht eine andere Durchsetzungsmacht Menschenrechte schützen soll, Sanktionen oder Interventionen gegen Staaten, die Menschenrechte verletzen,5 also unter gewissen Bedingungen als legitim gelten können. 1.2 Der Funktionsverlust des Staates Die Transformation von Staatlichkeit stößt in historischen und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen auf wachsende Aufmerksamkeit. Der Staat wird als soziale 4 5
Zur Auffassung, wonach sich Souveränität und Menschenrechte gegenseitig bedingen: Habermas, 1992, S. 122-135; Brunkhorst, 1999. Vgl. zur aktuellen Debatte Zanetti, 1998; Maus, 1998; Maus, 1999.
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Institution verstanden, die sich vor einigen Jahrhunderten herausgebildet hat, in der Folgezeit eine Reihe von für die Gesellschaft vitalen Funktion übernimmt und gegenwärtig einem tiefgreifenden funktionalen Wandel unterliegt (Kuhlmann, 2000). Zuweilen wird sogar ihr Niedergang prognostiziert (Creveld, 1999). Im Folgenden möchte ich stichwortartig einige Aspekte dieser Transformation erwähnen. – Im Hinblick auf die Ansprüche an die staatliche Steuerungsfähigkeit wird seit einiger Zeit bereits mehr Bescheidenheit empfohlen. Die Möglichkeiten des Staates, die Sabotage seiner Steuerungsbemühungen seitens mächtiger nicht-staatlicher Akteure zu verhindern, nehmen ab. Doch nicht nur die Fähigkeit, auch die Berechtigung von Staat und Politik, gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse zu steuern, wird zunehmend in Frage gestellt. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert ist im liberalen Staatsverständnis die Idee einer weitgehenden Respektierung der zivilgesellschaftlichen Autonomie zwar bereits angelegt. Zeitgenössische neoliberale oder libertäre Forderungen tendieren aber dazu, dem demokratischen Sozialstaat die Legitimität grundsätzlich abzusprechen. Der Beweis, dass eine von jeder staatlichen Regelung befreite Zivilgesellschaft imstande ist, eine nicht-diskriminierende, für alle Betroffenen zumutbare Rechtsordnung aufrechtzuerhalten, ist freilich nie erbracht worden. Überdies sprechen politikwissenschaftliche Untersuchungen dafür, dass Deregulierungen längerfristig durch Reregulierungen kompensiert werden. Entscheidend ist in diesem Kontext die Frage, inwiefern der „Rückzug des Staates“, der Abbau staatlicher Steuerung, wie er etwa in der Privatisierung öffentlicher Dienste und in der Reduktion staatlicher Leistungen für soziale Sicherheitssysteme zum Ausdruck kommt, negative Auswirkungen auf die Stabilität politischer Gemeinwesen hat und die Revision bislang anerkannter Gerechtigkeitsmaßstäbe erzwingt. Dass die „Entzauberung“ von Recht und Staat in normativer Hinsicht Probleme schafft, deren Lösung noch kaum absehbar ist, wird auch von Autoren eingeräumt, die überzeugt sind, der demokratische Staat und das positive Recht seien als gesellschaftliche Steuerungsinstrumente an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gelangt. Gefragt wird, wie der Rückfall in Formen der Gesellschaftssteuerung, die den normativen Standards der Moderne widersprechen, vermieden werden kann, und unter welchen Voraussetzungen künftig eine Selbsteinwirkung der Gesellschaft möglich sein wird?6 – Staaten scheinen ihre Handlungsfähigkeit im wirtschafts- und sozialpolitischen Bereich zu verlieren, weil sich die Märkte ihrer Kontrolle entziehen. Private Akteure, in erster Linie transnational tätige Konzerne, können die staatliche Gesetzgebung massiv beeinflussen, den Gesetzesvollzug sabotieren, die Ausgaben- und Umverteilungspolitik von Staaten diktieren und deren soziale Stabilität gefährden, kurz: jeden Versuch autonomer, demokratisch legitimierter Selbstgesetzgebung unterlaufen (Mahnkopf, 1998). Die Macht dazu besitzen sie, weil sie global mobil sind und das Verhalten von Staaten sanktionieren können. Allerdings wird auch geltend gemacht, dass sie die Macht nur dank der Unterstützung besitzen, die ihnen einzelne Staaten zukommen lassen. Transnationale Unternehmen können für Staaten zu Legitimationsquellen werden; sie übernehmen die Verantwortung für die Sicherung 6
Vgl. dazu Habermas, 1992; Willke, 1998.
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der sozio-ökonomischen Entwicklung, was bedingt, dass die Staaten öffentliche Ressourcen in den privatwirtschaftlichen Sektor transferieren und eine den Bedürfnissen der Unternehmen angepasste Gesetzgebung garantieren (Petrella, 1996). Exemplarisch ist an die WTO zu erinnern; in ihren Entscheidungen spiegeln sich häufig die Interessen global tätiger Unternehmen wider, die freilich auf staatliche Fürsprache angewiesen sind. Wenn Marktteilnehmer heute global so agieren können, wie sie es tun, dann deshalb, weil die Staaten mitspielen, indem sie sich gegeneinander ausspielen lassen anstatt zu kooperieren. Der Wettbewerb der zu Standorten degradierten Staaten funktioniert nicht nur, weil Staaten Standortvorteile schaffen und anbieten, die der Nachfrage seitens transnationaler Korporationen entsprechen, sondern auch, weil die nachfragende Seite auf zuverlässige Standort-Angebote angewiesen ist, deren Qualität nur von funktionierenden rechtlich-politischen Organisationen verbürgt werden kann. Überspitzt gesagt lässt sich von einem Angebot von und einer Nachfrage nach Souveränität sprechen.7 Zwar kann gerade für arme Staaten der Standortwettbewerb zu einem dramatischen Verlust wirtschaftspolitischer Autonomie führen, sie sogar zur „freiwilligen“ Abtretung der Souveränität über einen Teil des Territoriums durch die Schaffung von Freihandels- und Exportproduktionszonen bewegen. Die Fähigkeit privater Akteure, Staaten in ihrer Handlungsfreiheit einzuschränken, verdankt sich jedoch nicht selten der Unterstützung durch eine Staatsmacht, die sich der Schaffung effizienter Kontroll- und Interventionsinstrumente auf Weltebene gerade unter Berufung auf ihre Souveränität entgegenstellt. Die Nachfrage multinationaler Unternehmen nach Souveränität bezieht sich vor allem auf den Schutz von Verträgen und Eigentumsrechten. Kann diese Souveränitätsfunktion auch von supranationalen Institutionen erfüllt werden (Sassen, 1996, S. 1-30)? Gewiss ist, dass die Herausbildung eines transnationalen Wirtschaftsrechts für die nationalstaatliche Souveränität eine Herausforderung darstellt. Nationales Recht, das die Wirtschaft reguliert, steht heute zunehmend im Konkurrenzverhältnis zu neuen, globalen Rechtsnormen, die Handel und Investition zwischen Nationen regeln. Die Staaten sind nicht mehr die einzigen Rechtsquellen und müssen in bestimmten Fällen den Anspruch, für die Rechtsdurchsetzung innerhalb ihres Territoriums alleine zuständig zu sein, zurücknehmen. In den Bereichen des Wirtschafts- und Handelsrechts bilden sich globale Normen heraus, die weniger das Produkt politisch-institutioneller Entscheidungen denn sozioökonomischer Prozesse sind. Diese als „proto-law“ oder „soft law“ bezeichneten Normen, die häufig die Interessen globaler Akteure widerspiegeln, sind nicht als verbindliches „hard law“ anerkannt, und die sie erzeugenden Institutionen leiden unter einem erheblichen Demokratiedefizit (Scheuerman, 2001). – In seiner Existenz bedroht ist der Staat, wenn er das Gewaltmonopol verliert. Die sicherheitspolitischen Probleme haben sich auf nationaler und internationaler Ebene verschärft, neue Bedrohungsszenarien sind entstanden (Kaldor, 1998; Held/ McGrew/Goldblatt/Perraton, 1999, S. 87-148). Die Auswirkungen dieser Verän7
Vgl. in diesem Zusammenhang Keohane, 2000, S. 117: „Sovereignty is less a territorially defined barrier than a bargaining resource for a politics characterized by complex transnational networks.“
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derungen auf die Souveränität einzelner Staaten sind unterschiedlich. Bedroht ist sie in armen Ländern, in denen bewaffnete Bürgerkriegsparteien oder private Streitkräfte Teile des Territoriums besetzen, kriminelle Organisationen oder private Unternehmen die Macht unter sich aufzuteilen suchen. In solchen Fällen wird von einem Scheitern des Staates gesprochen, wobei fraglich ist, ob die betreffenden Staaten je als souverän haben gelten können (Clapham, 1999). In der Regel handelt es sich um Schöpfungen des von europäischen Staaten errichteten Kolonialsystems. Unabhängig geworden, haben sich diese Staaten auf ihre Souveränität berufen und seit den 70er Jahren erfolglos ökonomische Souveränität beansprucht.8 Häufig sind sie trotz der formellen Anerkennung ihrer Souveränität nicht fähig, autonom zu agieren. Aufgrund einer langen Geschichte der Fremdbestimmung wie aufgrund des fehlenden Willens, moderne, demokratische Institutionen aufzubauen, sind sie den Zugriffen anderer Staaten mehr oder weniger ohnmächtig ausgeliefert. Ihre ökonomische Souveränität wird häufig durch die Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds verletzt. Die vielfältigen Bedrohungen militärischer, ökonomischer, sozialer und ökologischer Art, denen die Welt der Gegenwart ausgesetzt ist, können Staaten dazu motivieren, ihre Souveränitätsansprüche zu überdenken. Sie können aber auch zu einer Zementierung asymmetrischer Machtverhältnisse führen. Während vor allem schwache Staaten den Bedrohungen nicht gewachsen sind, können starke Staaten unter Berufung auf Souveränitätsrechte und nationale Interessen internationale Vereinbarungen sabotieren und derart Lösungen, die der Bedrohungslage adäquat wären, verhindern.9 – Können die Probleme, die sich der gegenwärtigen Politik stellen, von den Einzelstaaten selbst innerhalb ihres Territoriums nicht mehr bewältigt werden, artikulieren sich Bedürfnisse nach übernationalen politischen Ordnungseinheiten. Sollen die neuen institutionellen Formen regionaler Integration die Gestalt eines föderalen Staates und nicht bloß einer Staatenföderation annehmen, dann setzt ihr Aufbau bei den Nationalstaaten die Bereitschaft zu einem zumindest partiellen Souveränitätsverzicht voraus. Von besonderem Interesse ist in diesem Kontext die Europäische Union. Ob es sich dabei um einen Bundesstaat oder einen Staatenbund handelt oder handeln soll, ist umstritten. Denkbar ist die Entstehung eines europäischen Staates, der die souveränen Kompetenzen und Verpflichtungen von den alten Staaten übernimmt und die klassischen Bedingungen der Souveränität erfüllt. Denkbar ist ebenso ein System gestufter oder geteilter Souveränität, worin Europa beispielsweise für die Wirtschafts- und Sozialpolitik zuständig wäre. Kompetenzkonflikte wären in einem solchen arbeitsteiligen System wohl unausweichlich. Wirtschaftspolitische Entscheidungen, die auf europäischer Ebene gefällt werden, können Auswirkungen auf die Sicherheitspolitik der Einzelstaaten 8 9
Ihren Niederschlag haben solche Anliegen 1974 in der UNO-Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten sowie im Programm zur Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung gefunden. Exemplarisch ist die US-amerikanische Haltung zum Internationalen Strafgerichtshof, zum Klimaschutzprotokoll, zum Atomwaffentestverbot, zur Kleinwaffenkontrolle oder zum Kontrollregime für das Verbot biologischer Waffen.
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haben. In einem komplizierten, auf mehrere Ebenen verteilten System von Regierung und „governance“ bleibt oft unklar, wer für eine bestimmte Politik verantwortlich ist. Unklar bleibt auch, wie Volkssouveränität zu konzipieren ist. Die wirtschaftliche Integration ist zu einem guten Teil unter dem Druck demokratisch nicht ermächtigter Lobbies zustande gekommen; die neoliberale Ausrichtung der Politik der europäischen Kommission entspricht keinem klar definierten Auftrag der betroffenen Bevölkerung. Grundlegende Probleme materialer und prozeduraler Legitimität, die der Prozess europäischer Staatsbildung und Verfassunggebung stellt, bleiben ungelöst (Oeter, 1998; Wallace, 1999). – Die Ansicht, bestimmte Aufgaben wie die Friedenssicherung und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, für die die Staaten bisher zuständig gewesen sind, könnten nur noch global gelöst werden, stößt heute auf breite Zustimmung. Bezweifelt wird aber nicht nur, ob die Staaten fähig sind, solche Aufgaben im Alleingang zu lösen, bezweifelt wird ebenso, ob sie auch dann das Recht haben, ihre für diese Bereiche relevante Politik als innere Angelegenheiten zu behandeln, wenn deren Auswirkungen zur Benachteiligung der Bevölkerungen anderer Staaten führen können. Im Prinzip beruht heute auch die einzelstaatliche Politik auf der Überzeugung, bestimmte Aufgaben seien nur im Rahmen der internationalen Kooperation zu lösen und müssten auf eine Weise gelöst werden, die für die Bevölkerungen aller betroffenen Staaten zumutbar ist. Erfahrungsgemäß widerspiegeln kollektive Entscheidungen allerdings häufig eher die Interessen hegemonialer Mächte als einen freiwilligen Konsens zwischen gleichberechtigten Staaten. In diesem Kontext stellt sich schließlich die Frage, inwiefern der Souveränitätsverlust der Staaten durch die Entfaltung von „global governance“ kompensiert werden kann. „Governance“ meint, anders als „government“, die Gesamtheit sozialer Ordnungssysteme. Mit dem Begriff wird angedeutet, dass auch dann, wenn Staaten ihre Regierungsfähigkeit verlieren, die von ihnen bislang erledigten Aufgaben nicht zwingend ungelöst bleiben (Rosenau, 1992a, S. 3-9). „Global governance“ lässt sich begreifen als die Erledigung dringender Regierungsaufgaben, die sich auf Weltebene stellen, wobei diese Tätigkeit nicht die Erfüllung eines gesetzgeberischen Auftrags, sondern eher eine technokratische Tätigkeit ist. Als solche kann sie ihren Sinn haben, allerdings vermag sie keine Regeln zu bestimmen, wie in einer Welt der ungleichen Machtverteilung mit Interessenkollisionen umzugehen ist (Altvater/ Mahnkopf, 1999, S. 509-516). Es fehlt eine Opposition, eine verfassungsmäßig geregelte Gewaltenteilung, im weitesten Sinn ein Mechanismus des Machtausgleichs (Strange, 1996, S. 198). Kritiker des 1995 von der „Commission on Global Governance“ veröffentlichten Berichts „Our Global Neighborhood“ machen geltend, es sei widersinnig, „global governance“ zu loben, ohne sich ernsthaft mit der Möglichkeit von „global government“ auseinanderzusetzen (Harris/Yunker, 1999). 1.3 Abschließende Bemerkungen Als Kompetenz-Kompetenz, das heißt als Kompetenz einer Person oder einer Institution, die eigene Kompetenz selbst zu bestimmen, bezeichnet der Souveränitätsbegriff einen Herrschaftsanspruch. Dieser Anspruch ist aber von seiner
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Zweckbezogenheit nicht zu lösen: Macht darf nur im Interesse der ihr Unterworfenen ausgeübt werden. Im Laufe der letzten Jahrhunderte ist die Zweckbestimmung präzisiert worden. Souveräne Gesetzgebung und Herrschaft muss legitim sein; sie muss Leben, Sicherheit, Freiheit und Eigentum der Mitglieder des Gemeinwesens schützen, sie muss schließlich für einen sozialen Ausgleich sorgen und elementare soziale Bedürfnisse als Rechtsansprüche anerkennen. Obgleich Souveränität bisher fast ausschließlich Nationalstaaten zugekommen ist, ist denkbar, dass sie als Zuschreibung bestimmter Kompetenzen und Verpflichtungen auch nicht- oder überstaatlichen Institutionen zukommt. Staatliche Souveränität hat sich in den letzten Jahrhunderten mehrmals verändert und wird sich auch künftig verändern, sie wird aber nicht einfach verschwinden, ohne dass an ihre Stelle andere Institutionen und Praktiken treten werden, die ihre Funktionen übernehmen. Eine bestimmte Form souveräner Handhabung von Macht wird wohl in jeder modernen Gesellschaft notwendige Voraussetzung für die Existenz einer stabilen und berechenbaren wie auch einer gerechten und kollektiv gestaltbaren Ordnung sein.
2 Die postmoderne Kritik Die Krise der Souveränität wird von einigen Autoren als ein Ereignis gedeutet, das die Metaphysik der Subjektivität und damit jede Ethik, die das autonome Subjekt des liberalen Humanismus voraussetzt, praktisch widerlegt. Ideen wie Souveränität und Selbstgesetzgebung gelten in postmoderner Lesart entweder generell als Ausdruck rationalistischer Selbstüberschätzung, oder es wird argumentiert, der Universalismus der Aufklärung lasse sich auf globalisierte Verhältnisse nicht anwenden, da die abstrakte Gleichheitsidee nur im territorialen Rahmen realisierbar sei (Richter, 1992; Campbell/Dillon, 1993; Albert, 1996). Eine differenziertere Variante postmoderner Souveränitätskritik stellt die disziplinäre Trennung zwischen einer Theorie der Politik und einer Theorie der internationalen Beziehungen in Frage. Herkömmliche Theorien der Politik sehen in der staatlichen Souveränität die Grundbedingung politischen Lebens. Mit der Unterscheidung von Innen- und Außenraum schaffen sie eine Wertehierarchie zwischen einem Bereich des Eigenen, der geordneten Gemeinschaft, der Vernunft, des Berechenbaren und Normalen sowie einem Bereich des Anderen und Fremden, der Anarchie, der Unvernunft, der Barbarei und des Pathologischen. Auf politischer Ebene entspricht dieser Hierarchisierung ein Anspruch auf Exklusivität: Errungenschaften der Moderne wie Demokratie und universalistische Ethik bleiben Privilegien des Innenbereichs. Die Kritik zielt auf die Dekonstruktion normativ aufgeladener Begriffsoppositionen. Sie macht geltend, Theorien internationaler Beziehungen seien als analytische Instrumente unzuverlässig, da sie selbst bloßer Ausdruck gegenwärtiger Weltpolitik seien (Walker, 1993). Foucaults Werk, insbesondere seine These von der unauflöslichen Verknüpfung von Macht und Wissen, hat zahlreiche Arbeiten im Umfeld der postmodernen Theorie der internationalen Beziehungen inspiriert (Devetak, 1996, S. 180-188). Archäologien oder Genealogien der Souveränität nehmen im Anschluss an Fou-
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caults Periodisierung epistemologischer Formationen eine Periodisierung der Souveränitätsdiskurse vor. Die Analyse der diese determinierenden epistemologischen Strukturen führt zum Schluss, das Souveränitätskonzept verdanke seine Intelligibilität jener epistemologischen Ordnung der Moderne, die laut Foucault den Menschen als ein Objekt wissenschaftlicher Erkenntnis zum souveränen Subjekt jeder möglichen Erkenntnis hat avancieren lassen; so wie im Zuge der epistemologischen Umwälzungen der Gegenwart der Mensch Foucaults Prognose gemäß verschwinden wird (Foucault, 1966), muss die Souveränität als ein die politische Realität gestaltendes und ihre Erkennbarkeit ermöglichendes Prinzip verschwinden (Bartelson, 1995). Wenn Wahrheit, woran postmoderne Autorinnen und Autoren unter Berufung auf Foucault erinnern, bloß Effekt der Macht ist, können Theorien der internationalen Politik nur im Kontext von Machtstrategien verstanden werden. Dies muss freilich auch für postmoderne Theorien gelten; wenn das zu dekonstruierende Souveränitätsprinzip in jener modernen politischen Vorstellungskraft verwurzelt ist, die der Möglichkeit radikaler Kritik enge Grenzen zieht, bleibt unklar, worin ihre Aufgabe besteht. Offensichtlich zielt die dekonstruktive Methode nicht auf die Kritik oder Falsifikation einer Theorie, sondern auf die Offenlegung und damit Erschütterung ihrer Grundlagen, auf die Rekonstruktion der Geltungsbedingungen ihrer Prämissen. Ähnlich wie Walker hat Ashley die Opposition von nationaler Souveränität und internationaler Politik als Resultat diskursiver Ausschlussverfahren analysiert. Das Ergebnis der Dekonstruktion ist die Entdeckung des souveränen Menschen, der als Willenssubjekt und Bedürfniswesen dem modernen souveränen Staat als Legitimationsquelle dient. Dieser Mensch fühlt sich freilich gerade wegen seiner Souveränität nicht mehr an jene eingegrenzten Räume gebunden, die das Konzept nationalstaatlicher Souveränität voraussetzt. Unter Modernität scheint Ashley im Anschluss an Foucault eine sowohl praktische wie epistemologische Disposition zu verstehen, die der Souveränität der menschlichen Vernunft und des menschlichen Handelns Vorrang einräumt. Das Prinzip staatlicher Souveränität kann in diesem Sinn nur als abgeleitetes verstanden werden: Souveränität kann dem Staat ausschließlich dann zukommen, wenn sein Legitimitätsanspruch auf den freien und öffentlichen Vernunftgebrauch der Menschen zurückgeführt werden kann (Ashley, 1995). Foucaults eigenes Werk enthält eine Kritik des Souveränitätsprinzips, die allerdings nicht systematisch entfaltet wird. Souveränität ist darin ein Schlüsselbegriff für das Verständnis der Funktion humanistischer Diskurse; indem sie eine bedingte Freiheit verspricht, dient sie auf perfide Weise der Unterdrückung des spontanen individuellen Willens zur Macht. Der Mensch wird mit Rechten ausgestattet, die er nur beanspruchen kann, wenn er sich dem Gesetz unterwirft. Die Institutionalisierung einer unparteiischen Judikative stellt in Foucaults Sicht im Vergleich zum germanischen Rechtssystem keinen Fortschritt dar. Die Individuen verlieren das Recht, aufgrund allseits anerkannter Regeln ihre Streitigkeiten selbst beizulegen und werden gezwungen, sich einer politisch-judikativen Macht zu unterwerfen. In dieser Keimform staatlicher Souveränität erblickt Foucault eine diabolische Erfindung (Foucault, 1994 II, S. 226 f; 570-588). Im Zuge der Entfaltung
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disziplinärer Macht kommt dem Souveränitätsprinzip jedoch nur noch eine ideologische Funktion zu: Sie verspricht dem Individuum souveräne Rechte und begründet eine Demokratisierung der Machtverhältnisse, die sich angesichts des untergründigen disziplinären Zwangs als illusionär erweist (Foucault, 1994 III, S. 177-189). Foucaults Kritik der demokratischen Souveränität weist Affinitäten zu jener konservativen Kulturkritik auf, die Macht primär als Effekt des zentralisierenden und nivellierenden demokratischen Staats thematisiert. Wenn er indes geltend macht, die Souveränität des modernen Individuums sei keine echte Souveränität, dann prangert er staatliche Souveränität im Namen eben jener Idee individueller Souveränität als unzumutbare Machtanmaßung an, auf der die moderne Auffassung legitimer Souveränität beruht.
3 Die Ökonomie der Macht Die Idee der Souveränität gibt eine Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit politischen Handelns und der wünschbaren Gestaltung der Machtbeziehungen.10 Ursprünglich ist diese Antwort motiviert von der Erfahrung, dass die unübersichtliche Machtverteilung und die Existenz konkurrierender Machtzentren, wie sie die Feudalordnung kennzeichnen, den Bestand eines Gemeinwesens gefährden. Souveränität zielt auf die zumindest partielle Entmachtung bislang mächtiger gesellschaftlicher Kräfte, sie ist Mittel zum Zweck einer nach Möglichkeit rationalen Organisation und Verteilung von Macht. Machtverhältnisse sind so zu gestalten, dass gesellschaftliche Konflikte besser kontrollier- und berechenbar werden. Gewalt soll gezielt eingesetzt werden, um das durch diese Konflikte freigesetzte Gewaltpotential eindämmen zu können. In diesem Sinne lässt sich von einer Ökonomie der Macht sprechen, von einem nach Maßgabe der Sicherheits-, Freiheits- und Wohlfahrtsbedürfnisse der Bevölkerung sparsamen und doch effizienten Einsatz von Macht. Seit dem ausgehenden Mittelalter bezeichnet das Wort „souverain“ in Frankreich, später auch in England, die Kompetenz eines Herrschers, in einem Rechtsstreit endgültig zu entscheiden. Erst im Zuge der Entscheidung im Kompetenzenstreit zwischen Kirche und Staat erhält der Souveränitätsbegriff die Bedeutung einer Kompetenz, die eigenen Kompetenzen selbst zu wählen und auszufüllen (Quaritsch, 1986, S. 36). Die Herausbildung des neuzeitlichen Souveränitätsprinzips ist vor dem Hintergrund des Aufstiegs des absolutistischen Staates zu verstehen. Es dient der Legitimation einer in der Hand des Monarchen konzentrierten, territorial eingegrenzten Staatsgewalt. Souveräne Herrschaft erscheint im 16. Jahr10 Hinsley, 1986, S. 1: „[…] sovereignty is not a fact. It is a concept which men in certain circumstances have applied – a quality they have attributed or a claim they have counterposed – to the political power which they or other men were exercising.“ Camilleri/Falk, 1992, S. 11: „[…] sovereignty […] is part of the more general discourse of power whose function is not only to describe political and economic arrangements but to explain and justify them as if they belonged to the natural order of things.“ Walker, 1993, S. 64: „[…] the principle of state sovereignty […] is a very powerful, even elegant answer to the deeply provocative question as to how political life is possible at all.“
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hundert einigen französischen Juristen und Politikern als das einzige Mittel, die im Zuge der konfessionellen Bürgerkriege zerstörte gesellschaftliche Ordnung wieder aufzubauen und ihr Stabilität zu verleihen. Ihnen zufolge ist die Aufspaltung der Herrschaft auf mehrere ständisch oder religiös legitimierte Träger die hauptsächliche Ursache der desolaten Verfassung ihres Landes. Weil insbesondere der Kompetenzenstreit zwischen kirchlichen und weltlichen Mächten ein gewaltiges Konfliktpotential enthält, muss der Staat die Kompetenz, die eigene Kompetenz zu bestimmen, gegen kirchliche Kompetenzansprüche durchsetzen. Solche Einsichten führen zu einer für die spätere Entwicklung wegweisenden Säkularisierung des staatstheoretischen Denkens. „Les politiques“ werden im 16. Jahrhundert die Mitglieder einer Gruppe französischer Gelehrter genannt, die den Ausweg aus dem für das Land ruinösen Bürgerkrieg in der Entpolitisierung der Religion erblicken. Der primäre Zweck politischen Handelns besteht in ihrer Sicht in der Herstellung und Sicherung von Ordnung und Frieden mittels Ausgleich, Toleranz und Gleichbehandlung der Bürger. Im historischen Rückblick erscheint die Machtkonzentration beim monarchischen Staat als entscheidender Faktor, der die langfristigen Prozesse der Säkularisierung, des Abbaus von Privilegien und der zunehmenden Rechtsgleichheit der Untertanen gefördert hat. Der dem Kreis der „politiques“ zugerechnete Jean Bodin definiert Souveränität als die dem Staat zukommende absolute, hinsichtlich Machtbefugnis, Aufgabenstellung und Dauer unbegrenzte Gewalt. Dem Träger der Souveränität wird die Befehlsgewalt bedingungslos übertragen. Souveränität meint jedoch nicht willkürliche Herrschaft; der souveräne Fürst steht zwar über dem positiven Gesetz; er ist als Gesetzgeber nicht an die von seinen Vorgängern oder von ihm selbst erlassenen Gesetze gebunden, wohl aber, wie Bodin betont, den Gesetzen Gottes und der Natur unterworfen. Konkret heißt das: Er kann allen Untertanen ohne deren Zustimmung Gesetze auferlegen, ihnen jedoch nicht nach Belieben Abgaben auferlegen und ihr Eigentum antasten. Souveränität wird als eine im Interesse der Erhaltung des Gemeinwesens, der Respektierung seines Ansehens und der Verfolgung seiner Vorteile notwendig unbeschränkte Gewalt begriffen, die für die Erreichung dieser Zwecke Regeln definiert, die Zwecke selbst aber nicht in Frage stellen darf (Bodin, 1981; Klippel, 1990, S. 107-110). In frühen Souveränitätskonzeptionen ist zwar ein Widerstandsrecht der Untertanen nicht vorgesehen, da dieses mit den negativen Erfahrungen der konfessionellen Bürgerkriege assoziiert wird, es werden aber Kriterien definiert, die verhindern sollen, dass Souveränität zum Vorwand willkürlicher Machtausübung wird. Elementare Ansprüche der Gesellschaft an die Rechtsordnung wie jener auf die Einhaltung von Verträgen und auf das Verbot willkürlicher Besteuerung werden in den Rang eines Naturrechts und eines göttlichen Gesetzes erhoben. Die Bestimmung des dem Gemeinwesen zuträglichen Ausmaßes der Freiheit der Untertanen ist indes abhängig von der Einschätzung der ihm drohenden Gefahren. Thomas Hobbes geht in seiner vertragstheoretischen Begründung der Souveränität vom Gedankenexperiment eines anarchisch-kriegerischen Naturzustands aus. Dessen Logik entsprechend ist das absolute staatliche Machtmonopol unverzichtbare Bedingung der Herstellung und Bewahrung des gesellschaftlichen Frie-
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dens. Von Natur aus sind Menschen Wesen, deren Handeln von einem nie zu befriedigenden Verlangen nach Macht bestimmt ist und die daher untereinander notwendig zu Konkurrenten und Feinden werden. Diese Konkurrenz, die für sie zur tödlichen Bedrohung wird, kann nur überwunden werden, wenn sie ihre Macht dem Souverän abtreten, der sich im Gegenzug dazu verpflichtet, ihr Leben und ihre vernünftigen Rechtsansprüche zu schützen sowie für ihre Sicherheit und ihren Wohlstand zu sorgen. Im Bild, das Hobbes vom Naturzustand zeichnet, widerspiegelt sich die Erfahrung des Bürgerkriegs. Dem Souverän müssen alle Kompetenzen übertragen werden, die er benötigt, um den Rückfall in den Bürgerkrieg zu verhindern. Seine Rechte sind unübertragbar und unteilbar; schon die Idee geteilter Souveränität vermag den Bürgerkrieg auszulösen. Als Souverän ist er dem Gesetz nicht unterworfen. Er kann freilich nicht alle Handlungen regeln; in jenen Bereichen, in denen eine vertragliche Rechtsübertragung unmöglich ist, bleiben die Menschen frei, das zu tun, was ihnen beliebt. Nicht übertragbar ist das Recht auf Leben und Selbsterhaltung. Dagegen gilt das Recht auf Privateigentum nur bedingt; das übergeordnete Prinzip der Staatserhaltung kann seine Einschränkung erfordern (Hobbes, 1984). In der frühliberalen Neuformulierung des Souveränitätsprinzips kommt dem Privateigentum bei der Definition der Legitimitätskriterien des Staats dagegen eine dominierende Rolle zu. John Locke definiert politische Gewalt als ein Recht, für die Regelung und Erhaltung des Eigentums Gesetze zu schaffen und notfalls unter Androhung der Todesstrafe durchzusetzen. Das hauptsächliche Ziel, das die Menschen mit ihrem Eintritt in ein politisches Gemeinwesen verfolgen, ist für Locke der friedliche und sichere Genuss ihres Eigentums. Die Erreichung dieses Ziels setzt eine Gewalt voraus, die in Streitfällen ein unparteiisches Urteil zu sprechen und zu vollstrecken vermag. Sie fehlt zwar im Naturzustand, dennoch sind die Menschen darin frei und besitzen Eigentum. Dem Privateigentum kommt ein naturrechtlicher Status zu; weil sein Genuss im Naturzustand möglich ist, kann dessen bloße Überwindung politische Macht nicht hinreichend legitimieren. Die Verpflichtung, Leben, Freiheit und Eigentum der Menschen zu achten und zu schützen, begrenzt ihre Reichweite und begründet ihre Legitimität (Locke, 1977). Die absolutistische wie die konstitutionalistische Variante der Souveränitätslehre zielen auf eine rationalere Organisation der Macht.11 In beiden Konzeptionen steht der Naturzustand für einen unvernünftigen, weil den Streit perpetuierenden Umgang mit Macht. In beiden Konzeptionen verschafft jedoch die bloße Monopolisierung der Macht dem Staat noch keine Legitimität. Indem die potentiellen Vertragspartner sich wechselseitig verpflichten, auf Gewalt zu verzichten, ermächtigen sie den Souverän, über die Einhaltung dieser gegenseitigen Versprechen zu wachen. Alle Mitglieder des politischen Gemeinwesens haben den gleichen Anspruch auf Rechtsschutz, das heißt auf die Ausübung staatlicher Macht zwecks Abwendung oder Sanktionierung der sie bedrohenden Gewalt. In diesem Sinne 11 Rousseau, 1964, S. 177, hat im zweiten „Discours“ die andere Seite dieser Ökonomie beleuchtet: die Reichen verstehen es, mittels der Staatsgründung ihre Gegner für ihren eigenen Schutz arbeiten zu lassen.
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lässt sich von einer egalitären Machtverteilung sprechen. Erst das Prinzip der Rechtsgleichheit verschafft dem Staat seine Legitimitätsbasis. Dabei handelt es sich zwar um ein normatives Prinzip; faktisch hat aber die souveräne Macht des neuzeitlichen Staats immerhin eine breitere Machtverteilung bewirkt. Dem staatlichen Gewaltmonopol ist zu verdanken, dass die sozialen Verhältnisse für die Menschen sicherer werden. Staatliche Gewalt kann sich zwar gegen die Bevölkerung oder Teile davon wenden, indem jedoch der Staat ein System einklagbarer Rechte errichtet, schafft er eine Gegenmacht, die seine Möglichkeiten, Macht willkürlich auszuüben, einschränkt (Giddens, 1985, S. 172-221). Das entscheidende Merkmal moderner Staaten ist Michael Mann zufolge die kollektive infrastrukturelle Macht.12 Recht und Verwaltung durchdringen die Gesellschaft, aber umgekehrt durchdringt auch die Gesellschaft den Staat; die Ausbreitung der Macht bewirkt, dass Machtmittel und Kontrollmöglichkeiten für einen wachsenden Teil der Bevölkerung verfügbar werden.
4 Die Macht der Ökonomie Die Anerkennung staatlicher Souveränität gründet historisch weder auf der Zustimmung aller betroffenen Individuen noch auf dem Willen, die gleichen Rechtsansprüche aller Mitglieder des Gemeinwesens zu verteidigen. Der neuzeitliche Staat entsteht in Klassengesellschaften und verteidigt primär die Rechtsansprüche bestimmter sozialer Klassen, wobei sich in diesen Ansprüchen vorwiegend ökonomische Interessen artikulieren.13 Mithin ist nicht nur die Ökonomie der Macht, sondern auch die Macht der Ökonomie zu analysieren, das heißt der Einfluss, den ökonomische Ideen wie organisierte ökonomische Interessen auf Politik und Gesetzgebung ausüben können. Hobbes’ Souveränitätskonzeption und Lockes Liberalismus liegt, wie Macpherson gezeigt hat, eine besitzindividualistische Auffassung zugrunde: Die Gesellschaft setzt sich aus freien und gleichen Individuen zusammen, die als Eigentümer ihrer Fähigkeiten und der mittels deren Anwendung erworbenen Güter zueinander in Beziehung treten; der Staat dient dem Zweck, Eigentum zu schützen und geordnete Tauschbeziehungen aufrechtzuerhalten. Macht ist ein Gut, das auf dem Markt getauscht wird; der Wert der machtbesitzenden Individuen wird durch die Gesetze von Angebot und Nachfrage bestimmt. Hobbes’ Naturzustand handelt, so Macphersons Argument, nicht von natürlichen Menschen, sondern von Menschen, deren Motive und Bedürfnisse durch eine bestimmte ökonomisch-soziale Ordnung geprägt sind; er müsste not12 „Infrastrukturelle Macht ist das institutionelle Vermögen eines Zentralstaates, ob despotisch oder nicht, sein Hoheitsgebiet zu durchdringen und politische Entscheidungen logistisch zu implementieren. Das ist kollektive Macht, gesellschaftlich ‚vermittelte Macht‘, die das soziale Leben vermittels staatlicher Infrastrukturen koordiniert. […] Infrastrukturelle Macht ist keine Einbahnstrasse, deren alleiniger Nutzer der Staat ist; auch die Parteien der Zivilgesellschaft profitieren von ihr, denn sie ermöglicht ihnen, den Staat ihrerseits zu kontrollieren […].“ Mann, 1998, S. 78. 13 Zum Zusammenhang zwischen der Konzentration politischer Macht und dem Ausbau eines das Privateigentum garantierenden Rechtssystems vgl. Anderson, 1979, S. 27-52.
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wendig eintreten, würde diese Ordnung nicht durch die Staatsgewalt gebändigt. Es ist somit die durch die Konkurrenz egoistischer Individuen in ihrem Bestand bedrohte Eigentumsmarktgesellschaft, die auf eine zentralisierte souveräne Macht angewiesen ist. Für die Individuen ist es rational, sich diesem Souverän zu verpflichten, weil dadurch die Konkurrenzverhältnisse für sie berechenbar werden.14 Die Monopolisierung der Macht und die Institutionalisierung eines Rechtssystems dienen also nicht nur dem generellen Zweck der Zivilisierung, sondern, wie schon Neumann gezeigt hat, dem spezifischen Zweck, Austauschprozesse in der Konkurrenzgesellschaft berechenbar und vorhersehbar zu machen. Das Rechtssystem wirkt zwar egalisierend, verschleiert aber zugleich die wirklichen Verhältnisse der Ungleichheit; es verspricht allen Menschen Vorteile, die nur bestimmte soziale Gruppen nutzen können. Der Begriff der ökonomischen Freiheit impliziert eine Beschränkung des staatlichen Interventionsrechts in die Wirtschaft, die aus gesamtgesellschaftlicher Sicht nicht zwingend wünschbar ist. Die Zusicherung der Vertrags- und Handelsfreiheit ändert nichts an der realen Unfreiheit jener Mitglieder der Gesellschaft, die nicht über Produktionsmittel verfügen. Vertragstheorien können in ihrer Abstraktheit allerdings sowohl der Legitimation des Staates wie der Delegitimation staatlicher Intervention dienen, und die Anerkennung von Freiheits- und Gleichheitsforderungen in einem Bereich führt erfahrungsgemäß dazu, dass entsprechende Forderungen in anderen Bereichen erhoben werden (Neumann, 1980). Der moderne Staat ist, so die Formulierung von Neumann, ein Kind der Warenproduktion. Bereits für Marx war klar, dass die Souveräne den wirtschaftlichen Verhältnissen nicht das Gesetz diktieren können, sondern sich ihnen fügen müssen (Marx MEW 4, S. 109). Allerdings vermochte nur die souveräne Macht jene stabilen Verhältnisse zu garantieren, innerhalb derer sich die kapitalistische Produktion entwickeln und kapitalistische Märkte etablieren konnten. Der nicht-interventionistische liberale Staat ist notwendig ein starker Staat, der nicht nur die bestehende Marktordnung schützt, sondern auch neue Märkte erobert und verteidigt (Neumann, 1980, S. 226 f). Zwischen einer bestimmten Organisation der politischen Macht und der rechtlichen Institutionen sowie einer bestimmten Produktionsund Zirkulationsweise besteht somit ein Zusammenhang. Auf die Analogie zwischen dem exklusiven Souveränitätsprinzip und dem ebenfalls exklusiven Recht auf Privateigentum, dessen Schutz im Zuge der Ablösung der Feudalordnung durch die absolutistische Monarchie zu einer primären Staatsaufgabe avanciert, ist schon mehrmals hingewiesen worden (Ruggie, 1986). Während das Recht auf Privateigentum andere Menschen vom Genuss eines bestimmten Gutes ausschließt, erhebt das Prinzip nationalstaatlicher Souveränität innerhalb territorialer Grenzen einen exklusiven politisch-juristischen Autoritätsanspruch. Angesichts dieser Analogie lässt sich die historische Funktion des souveränen Nationalstaats genauer bestimmen, aber auch dessen künftige Bedeutung in einer entgrenzten und zugleich auf den Schutz von Eigentumsrechten angewiesenen Ökonomie abschätzen. 14 Macpherson, 1973, besonders 15; 30-61; 113-118. Hobbes, 1984, Kap. 10. Habermas, 1992, S. 62 ff.
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Es stellt sich die Frage, ob Staaten, die im Alleingang oder im Verbund mit anderen Staaten ökonomische Freiheiten im Namen demokratischer, sozialpolitischer, menschenrechtlicher oder ökologischer Forderungen beschneiden, damit jenen historisch gewachsenen normativen Konsens aufs Spiel setzen, dem sie ihre Existenzberechtigung verdanken. Wenn umgekehrt den Staaten die wirtschaftspolitische Kontroll- und Interventionsbefugnis im Namen der ökonomischen Freiheit abgesprochen wird und deren Nutznießer bereit sind, den Staaten die Legitimationsgrundlage zu entziehen, so ist weiter zu fragen, ob die Nutznießer so handeln, weil sie von einer nicht-souveränen, aber dennoch rechtsschützenden Ordnung einen höheren Nutzen erwarten oder ob sie ihre langfristigen Nutzenmaximierungschancen falsch einschätzen. Die Ansprüche der Kapitaleigner haben in der Gesetzgebung moderner Nationalstaaten ihren Niederschlag gefunden, andere gesellschaftliche Akteure haben die Gesetzgebung jedoch zunehmend mitgestaltet. Die Staaten haben nicht nur der kapitalistischen Produktion und Marktwirtschaft einen rechtlichen Rahmen verschafft, sie haben im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte ebenfalls auf Herausforderungen wie die Demokratisierung und die Politisierung antagonistischer Klasseninteressen reagiert. Wenn die Reaktion auf diese Prozesse nicht nur in der Verschärfung staatlicher Repression und der Delegitimierung neuer Rechtsansprüche, sondern auch in einer auf Integration, Ausgleich und Privilegienabbau zielenden Politik bestanden hat, so lässt sich eine solche Politik aus Souveränitäts- und Sozialvertragstheorien herleiten. Diese können zwar der Verschleierung der unfriedlichen Koexistenz unterschiedlich freier Klassen dienen und den Staatsbürgerstatus ausschließlich den wirtschaftlich selbständigen Männern zugestehen, die ihnen zugrundliegende Logik enthält jedoch radikale Implikationen. Sie gründen auf der Einsicht, dass gesellschaftliche Verhältnisse auf Dauer nicht stabilisiert und pazifiziert werden können, wenn einer Mehrheit der darin sich artikulierenden Interessen die Legitimität abgesprochen wird. Von vernünftigen und autonomen Individuen ist die Zustimmung zu einer bestimmten Organisation der Gesellschaft nur dann zu erwarten, wenn sie die Gewissheit haben, dass sie in der gesellschaftlichen Kooperation nicht bloß die Lasten zu tragen haben und vom Nutzen ausgeschlossen bleiben. Sobald sie die Macht haben, die politische Ordnung in Frage zu stellen, können auch unterprivilegierte Klassen ihre Anerkennung als potentielle Vertragspartner erzwingen. Der sozialstaatliche Ausbau der Demokratie bedingt eine intakte staatliche Kontroll- und Interventionsfähigkeit, einen Handlungsspielraum, der im Zuge der neoliberalen Globalisierung geschrumpft ist, während gleichzeitig die vom Sozialstaat zu bewältigenden Aufgaben gewachsen sind. Die Krise der Souveränität ist auch auf normativer Ebene zu analysieren; sie resultiert aus jenem Dilemma, in das Staaten unweigerlich geraten, wenn sie die Kriterien legitimen Handelns festsetzen. Historisch gesehen gehört sowohl das Versprechen der Verteidigung exklusiver Eigentumsrechte wie jenes der gerechten Verteilung von Nutzen und Lasten der sozialen Kooperation zu ihrer Legitimationsbasis; die Verteilungskämpfe der Gegenwart zeigen die Unmöglichkeit, beiden Aufgaben gerecht zu werden. Im Sinne der demokratischen Souveränitätsidee muss der Abbau sozialstaatlicher Leistungen, wie
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er im großen Ausmaß durch die vom Internationalen Währungsfonds südlichen und östlichen Ländern verordneten Strukturanpassungsprogramme, in geringerem Ausmaß durch die von Anleger- und Unternehmerseite von westlichen Ländern geforderte Austeritätspolitik erzwungen wird, als Vertragsbruch erscheinen. Der Staat als vertragsbrüchige Partei kann zwar auf seine Ohnmacht angesichts wirtschaftlicher Sachzwänge verweisen, was im Fall der mächtigen Industriestaaten aber kaum zu überzeugen vermag. Wenn die Staaten in ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik erpressbar geworden sind, dann auch darum, weil sie einzelnen wirtschaftlichen Akteuren das „Recht“ zugestanden haben, private und öffentliche Interessen gleichzusetzen. Denkbar ist aber auch, dass sich die Regierungen auf ihre sozialpolitische Verantwortung zurückbesinnen und die Intitiative im Rahmen internationaler Koordination zurückgewinnen. Für welche Rangordnung konkurrierender Rechtsansprüche sie sich entscheiden werden, ob Demokratie im Namen der Handels- und Investitionsfreiheit weiter begrenzt wird oder ob mächtige „global players“ in die politische Verantwortung eingebunden werden, ist ungewiss. Hinsichtlich der durch die ökonomische Globalisierung bewirkten Transformation staatlicher Politik sind indes drei Aspekte zu unterscheiden. – Der Rückzug der Staaten und die wachsende Macht der Märkte (Strange, 1996) lassen nicht zwingend auf eine generelle Schwächung staatlicher Politik schließen. Angesichts der Tatsache, dass die meisten multinationalen Unternehmen von ihren Heimatstaaten abhängig bleiben, dass die ärmeren Staaten von der neuen Weltwirtschaft wenig profitieren und dass die mächtigen Industriestaaten ihre Kontroll- und Regulierungsfähigkeit nicht eingebüßt haben, beurteilen einige Autoren Globalisierungstheorien skeptisch (Hirst/Thompson, 1996). Zwar fehlt heute oft der politische Wille, staatliche Macht zum Zweck einer stabileren und gerechteren Weltwirtschaftsordnung einzusetzen, private Akteure können ihre Interessen langfristig aber nur durchsetzen, wenn es ihnen gelingt, die nationale und internationale Politik für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Die Ansicht, ein von politischen Interventionen freies, ausschließlich von Marktmechanismen gesteuertes ökonomisches System sei wünschbar und realisierbar, ist ideologisch. Polanyis während des Zweiten Weltkriegs formulierte These, die Idee eines selbstregulierenden Marktes sei utopisch, wird durch neuere Studien bestätigt. Als zu erwartende Folgen ungenügender Marktregulierung werden anhaltende Arbeitslosigkeit, wiederkehrende Finanzkrisen, wachsende Ungleichheiten, fehlende Investitionen im Bildungs- und Forschungsbereich sowie die asymmetrische Verteilung von Wissen und Macht genannt. Die Marktutopie steht unter dem Verdacht, die humanen Kosten der von ihr postulierten Ordnung zu ignorieren, und der modernen Politik wird als hauptsächliches Verdienst weniger die Zivilisierung der Gewalt als die Zähmung der für die Menschen bedrohlichen Anarchie der Märkte zugutegehalten (Polanyi, 1978; Boyer, 1996; Willke, 2001). – Die Diagnose einer Misere der Politik (Narr/Schubert, 1994) ist dennoch nicht falsch; eine einseitig die Ansprüche mächtiger wirtschaftlicher Akteure verteidigende Politik setzt ihre demokratische Legitimation aus Spiel. Eine funktionierende Demokratie ist auf einen sozialen Ausgleich angewiesen, der staatliche Umverteilung voraussetzt. Der Nationalstaat wird heute oft als institutionelle Bedingung der
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Möglichkeit demokratischer Verfahren, politischer Partizipation und sozialer Sicherheit verstanden, Globalisierung dagegen als Prozess, worin politisch folgenreiche Entscheidungen zunehmend von „unverfassten“ Mächten getroffen werden, von internationalen Organisationen, die sie keinem Wahlvolk gegenüber zu verantworten haben, über keinen verfassungsmäßigen Auftrag verfügen und dennoch der Welt eine ökonomische Verfassung zu geben trachten. Angesichts der Imperative von Deregulierung, Privatisierung und Standortwettbewerb ist Politik versucht, die Wahlfreiheit der Bürgerinnen und Bürger auf den Konsumbereich einzugrenzen. Fehlen angesichts ökonomischer Sachzwänge Handlungsalternativen, drohen demokratische Prozeduren zu bloßen Ritualen zu werden (Altvater/Mahnkopf, 1999). Zwar trifft zu, dass nationale Deregulierungen teilweise durch globale Reregulierungen kompensiert werden, allerdings resultieren sie häufig nicht aus der freiwilligen Zustimmung aller betroffenen Parteien, sondern widerspiegeln eher die Interessen mächtiger nationaler oder globaler Akteure. Transnationale Unternehmen können ihre Forderungen darin eher durchsetzen als etwa Gewerkschaften. Beispielsweise ist das Abkommen über handelsrelevante Aspekte geistiger Eigentumsrechte (TRIPs) aufgrund massiven Drucks von Unternehmen und der Androhung von Handelssanktionen gegen den Willen vieler ärmerer Länder zustandegekommen, während die Staaten in der Ratifizierung von Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zurückhaltend sind (Drahos/Braithwaite, 2001). – Die durch die neoliberale Globalisierung erzwungene Machtverlagerung und Umverteilung von Wohlstand kann in vielen, insbesondere ärmeren Ländern Krisen und anarchische Zustände provozieren und jenen Staaten, die nicht mehr fähig sind, ihre Bürgerinnen und Bürger vor den bedrohlichen Wirkungen der Märkte zu beschützen, die Legitimationsbasis entziehen. Der Neoliberalismus hat sich bislang nicht als fähig erwiesen, ein konsensfähiges politisches Projekt zu definieren. Umso mehr rufen seine Forderungen und Strategien bei den davon Betroffenen Reaktionen hervor. Weltweit formieren sich neue politische Bewegungen, die der gegenwärtigen Globalisierungspolitik eine teils radikale, freilich auch von höchst unterschiedlichen, ja widersprüchlichen Anliegen motivierte Opposition entgegensetzen. Ob sie innerhalb der weltpolitischen Konstellation künftig größeres Gewicht erlangen können, hängt davon ab, ob sie ihre Anstrengungen ihrerseits global koordinieren und ein kohärentes politisches Programm entwerfen können. Bedürfnisse nach alternativer Politik sind vorhanden, und die Suche danach wird auch von der Einsicht ausgehen müssen, dass Fragen nach einer rationalen, stabilitätssichernden und nach Möglichkeit gerechten Machtverteilung heute nicht nur auf nationaler, sondern auch auf globaler Ebene neu beantwortet werden müssen (Brodie, 1996).
5 Republikanische Souveränität Im Zeitalter seiner Gefährdung ist der Nationalstaat zur Projektionsfläche von Hoffnungen geworden, denen bei aller Gegensätzlichkeit ein Hang zur Idealisierung gemeinsam ist. Häufig wird die begriffliche Unterscheidung zwischen Souveränität,
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Staat, Nation, Volk, Gemeinschaft und kultureller Identität vernachlässigt (O’Neill, 1998); Spekulationen über ein menschliches Bedürfnis nach Grenzen müssen als Erklärungsgrund für die angebliche Notwendigkeit der Erhaltung abgegrenzter Nationen herhalten (Kersting, 1998, S. 61 f). Den Staaten wird die Funktion zugeschrieben, soziale Solidarität zu garantieren und eine kollektive Lebensform, eine eigene Kultur zu ermöglichen (Koller, 1996). Die verfassungsmäßige Aufgabe moderner Demokratien besteht jedoch primär in der Garantie gleicher Rechte für sämtliche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ungeachtet ihrer kulturellen Zugehörigkeit. Was die soziale Solidarität betrifft, so hat die Entwicklung der letzten Jahrzehnte ihre Grundlage sicher nicht gefestigt. Soziale Gerechtigkeit verdankt sich nicht primär emotionalen, innerhalb nationaler Gemeinschaften verfügbaren Ressourcen, sondern der stets bedrohten wirtschaftspolitischen Autonomie der Staaten. Bisherige Versuche, das Prinzip demokratischer Selbstgesetzgebung umzusetzen, beschränken sich auf nationalstaatlich verfasste Gesellschaften. Das Unbehagen angesichts der Globalisierung erklärt sich auch aus der Befürchtung, diese werde eine für Demokratien fatale Neuverteilung der Macht provozieren: Während sich die Macht politischer Exekutivgewalten verselbständigt, kann sich der Wille des demokratischen Gesetzgebers nicht mehr artikulieren. Das entstaatlichte Weltrecht ist nicht demokratisch legitimiert, für einen großen Teil der Bevölkerung meist nicht einklagbar und erzwingbar, und überdies als Ausdruck der Interessen mächtiger Akteure auch nicht fähig, Ungleichheit erzeugende gesellschaftliche Verhältnisse zu zivilisieren (Brunkhorst, 1997). Im sich wandelnden Völkerechtsverständnis spielt heute „soft law“ eine wachsende Rolle. Der Begriff bezeichnet Rechtsnormen, die zwar als wesentliche Bestandteile des Völkerrechts verstanden werden, die aber keine unbedingte Geltung beanspruchen können und denen keine effizienten Sanktionsmechanismen entsprechen; es ist gleichsam ein Recht ohne Staat (Teubner, 1997). Die klassische Definition von Recht als sanktionsbewehrter Norm (Austin, 1955) mag für das Völkerrecht nur noch bedingt brauchbar sein. Recht kann schon auf nationaler Ebene nicht erfasst werden mit einer Definition, die einzig den Aspekt der zwangsbewehrten Norm hervorhebt. Der Prozess der Zivilisation durch Verrechtlichung ist deshalb erfolgreich gewesen, weil sich die Respektierung von Rechten nie allein der steten Präsenz einer Zwangsgewalt verdankt, sondern ebenso einer öffentlichen Kultur gegenseitiger Anerkennung. Durchsetzungsschwaches Recht jedoch kann unter Bedingungen asymmetrischer Machtverteilung zum Privileg werden. Recht ist es gemäß demokratischem Verständnis erst dann, wenn es auch für den Schwächsten einklagbar ist und wenn auch für ihn Institutionen bereitstehen, die es durchsetzen. Das diesem Verständnis zugrundeliegende normative Prinzip der Volkssouveränität wird von Rousseau und Kant mit der Idee des Gesellschaftsvertrags begründet. Menschen ist nur dann zuzumuten, Einschränkungen ihrer Freiheit zu akzeptieren, wenn vorausgesetzt werden kann, dass sie als autonome und vernünftige Wesen entsprechenden Regeln zustimmen können. Aus dem hypothetischen Vertrag lassen sich Legitimitätskriterien politischer Ordnung herleiten, die sich indes nicht nur auf die fiktive Entscheidungssituation beziehen, sondern auch auf den realen Entstehungsprozess der Verfassung. Legitim ist eine gesetzliche Ordnung
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dann, wenn die Adressaten des Rechts effektiv die Möglichkeit haben, an der Gesetzgebung zu partizipieren, also Autoren des Rechts zu sein. In der Idee republikanischer Souveränität ist der Gedanke wegleitend, dass aus der Summe autonomer Willenskundgebungen ein kollektiver Souveränitätsanspruch entsteht, dessen Zweck kein anderer sein kann als der Schutz individueller Autonomieansprüche. Heute lässt sich Souveränität als Fähigkeit bezeichnen, grundlegende Menschenrechte zu schützen (Müller, 1999a, S. 138). Wenn jedoch die Welt souveräner Staaten vom Untergang bedroht ist und das Menschenrechtsengagement supranationaler Institutionen vom guten Willen mächtiger Akteure abhängt (Habermas, 1998, S. 178), benennt ein so verstandener Souveränitätsbegriff eine Aufgabe, deren globale Lösung aussteht. Vertragstheoretisch lässt sich ein globaler Souverän legitimieren: der Naturzustand, worin Menschen sich gegenseitig Schaden zufügen, ihre Freiheit bedrohen und um knappe Güter streiten, ist territorial nicht eingrenzbar (Kersting, 1996, S. 180 f). Wird unter Souveränität die Macht verstanden, mittels der Errichtung einer Rechtsordnung ein Recht auf die Bedingungen zu garantieren, unter denen gleiche individuelle Autonomie möglich wird, so ist klar, dass sie in einer hochgradig interdependenten Welt nicht mehr ausschließlich den Nationalstaaten zukommen kann. Ist ein Souverän denkbar, der die hier gestellten Aufgaben zu bewältigen vermag? Als derzeit aussichtsreichster Kandidat kann trotz Demokratiedefizit, mangelnder Durchsetzungsfähigkeit und fehlender Kooperationsbereitschaft globaler Akteure die UNO gelten. Die Literatur, die Vorschläge zur Reform der UNO unterbreitet oder die Heraufkunft einer kosmopolitischen Demokratie beschreibt, ist mittlerweile auf einen beachtlichen Umfang angewachsen. Ihr Motiv ist die Erfahrung, dass Demokratie im Zeitalter der Globalisierung auch im nationalen Rahmen künftig nur dann eine Chance hat, wenn die internationalen Beziehungen demokratisiert werden. Die Überzeugung, der Zweck einer supranationalen Ordnung bestehe im Schutz individueller Rechtsansprüche, stößt in den einschlägigen Publikationen auf breite Zustimmung, wobei negative, aktive und positive Freiheitsrechte unterschiedlich gewichtet werden. Souveränität ist ein Attribut des demokratischen Grundrechts, so formuliert es Held; sie kann von Staaten wie von nicht-staatlichen Gemeinschaften beansprucht werden. Held ist sich der Notwendigkeit einer Macht, die das von ihm postulierte kosmopolitische demokratische Recht nötigenfalls auch gegen den Widerstand mächtiger wirtschaftlicher Interessengruppen zu erzwingen vermag, bewusst, doch zeichnet sich eine solche Macht in seinem dezentralen Modell globaler Demokratie nirgends ab (Held, 1995). Höffe zufolge kann von einer Entmachtung der Staaten gar nicht die Rede sein. Er hält einen gewissen Machtverzicht des Staates im Sinne der Zurücknahme einer Kompetenzanmaßung für geboten. Entsprechend kann dem von ihm geforderten komplementären Weltstaat nur geringe Macht und hinsichtlich ökonomischer Regulierung und gerechter Gestaltung der Sozialordnung allenfalls bescheidene Kompetenz zukommen. Die weltstaatliche Macht muss zwar aus den von Hobbes gelieferten Gründen überragend sein, freilich nur für eng begrenzte Aufgaben (Höffe, 1999). Wird, wie Habermas argumentiert, Kants Idee eines allen Individuen ungeachtet ihrer nationalen Zugehörigkeit zustehenden Weltbürgerrechts konsequent
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durchdacht, so setzt sie eine als legitim anerkannte, gewaltenteilig organisierte, über das Gewaltmonopol verfügende und mit Sanktionsmacht ausgestattete Weltorganisation voraus (Habermas, 1996a, S. 208-219). Die Einschätzung der Notwendigkeit einer überstaatlichen Politik, die sowohl sicherheits- und elementare menschenrechtspolitische als auch wirtschafts- und sozialpolitische Zwecke verfolgt, hängt von der Einschätzung der Gefährdung innerstaatlicher Demokratie ab. Die Globalisierung geht, wie Cox darlegt, seit den 70er Jahren mit Tendenzen einher, „exzessive“ Demokratie zu limitieren und die Ökonomie aus dem Zuständigkeitsbereich der Politik auszuklammern. Unterwirft sich die Politik den von den globalen Märkten ausgeübten Zwängen, so beschränkt sie sich auf den Streit zwischen Strategien zur Stärkung staatlicher Wettbewerbsfähigkeit. Die Entscheidung für alternative Gesellschaftsmodelle ist dann nicht mehr möglich, womit eine Voraussetzung demokratischer Politik wegfällt (Cox, 1997). Auch Habermas erkennt in der Anpassung an die Imperative des Standortwettbewerbs eine Gefahr. Ihr könnte begegnet werden, wenn es gelänge, jenseits des Nationalstaats Formen demokratischer Politik zu finden. Legitim sind demokratische Staaten nicht nur, weil sie ihren Bürgerinnen und Bürgern gleiche Freiheitsrechte gewähren, sondern auch, weil sie auf die Sicherung von sozialen Lebensbedingungen hinwirken, die allen die gleiche Chance verschaffen, ihre Bürgerrechte zu nutzen. Der regulierende und umverteilende Sozialstaat gehört deshalb zu den Legitimitätsbedingungen der Demokratie. Eine transnationale demokratische Politik müsste folglich die Logik der Standortkonkurrenz durchbrechen, der deregulierten Weltwirtschaft einen politischen Rahmen geben, marktkorrigierend und umverteilend eingreifen. Eine globale Politik, die fähig und bereit wäre, solche Eingriffe vorzunehmen und die extremen sozialen Ungleichgewichte zu beseitigen, liegt freilich für Habermas in weiter Ferne (Habermas, 1998). Wird unter Demokratie die verfassungsmäßige Herrschaft der Vielen verstanden (Bienen/Rittberger/Wagner, 1998, S. 292), so bestehen derzeit geringe Hoffnungen auf ihre globale Verwirklichung (Imber, 1997; Rosenau, 1998). Trotz ihres unbestreitbaren Demokratiedefizits kommt der UNO diesbezüglich immer noch eine vorrangige Rolle zu; aufgrund ihrer Geschichte ist sie im Gegensatz zu anderen Organisationen wie etwa der im begrenzten Bereich des Handelsrechts ungleich durchsetzungsfähigeren WTO eher fähig, Foren zur Verfügung zu stellen, in denen die Auseinandersetzung zwischen konkurrierenden globalpolitischen Auffassungen möglich ist. Eine tiefgreifende Reform der UNO ist indes, so vermutet ein Kritiker wie Falk, nicht absehbar. Die Aussicht auf eine über die Erweiterung des Sicherheitsrates hinausgehende demokratische Reform wird nicht nur durch das Machtungleichgewicht der Staaten, sondern auch durch den Dissens über das notwendige Ausmaß der Demokratisierung getrübt. Aus der Sicht der dominierenden neoliberalen Wirtschaftsdoktrin15 ist ein Ausbau demokratischer 15 Verantwortlich für die Verschärfung globaler Ungleichheiten ist Scholte zufolge nicht die Globalisierung schlechthin, sondern die neoliberale Politik der Globalisierung. „Contemporary globalization has promoted greater unfairness not because of the new geography itself, but mainly because of the accompanying broad policy shift from welfarism to neoliberalism“, Scholte, 2000, S. 259.
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Strukturen auf nationaler und internationaler Ebene zumindest dann nicht wünschbar, wenn damit eine stärkere Marktregulierung einhergeht. Doch gerade die Unfähigkeit der UNO, in die Aktivitäten der Finanzmärkte oder der multinationalen Unternehmen regulierend einzugreifen, könnte, wie Falk vermutet, zu ihrer Marginalisierung beitragen (Falk, 1998b). Das Prinzip staatlicher Souveränität gibt eine Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit der Zähmung und breiteren Verteilung der Macht. Das Bedürfnis danach besteht auch auf globaler Ebene, wobei freilich offen bleiben muss, inwiefern die Nutznießer der neoliberalen Globalisierung eine angesichts der globalen Disparität von Macht, Sicherheit und Wohlstand (Hurrell/Woods, 1999) drohende Destabilisierung der Verhältnisse wirklich fürchten. Eine Weltordnung, die mittels Kontrolle und gezieltem Einsatz von Macht ein besseres Funktionieren der globalen Kooperation erwirken würde, kann überdies erst dann als legitim gelten, wenn sie allen Erdenbürgerinnen und -bürgern gleiche Freiheitsrechte, gleiche Partizipationschancen sowie die sozialen Bedingungen garantieren könnte, die erforderlich sind, um diese Rechte und Chancen zu nutzen. Solche Garantien setzen eine Macht voraus, die Aufgaben wie die Friedenssicherung, den Schatz elementarer Rechte für die gesamte Weltbevölkerung einschließlich ihrer schwächsten Mitglieder sowie die Sicherung des öffentlichen Zugangs zu lebenswichtigen Ressourcen zu bewältigen vermag. Wer könnte über diese Macht verfügen wenn nicht ein globaler Souverän in Gestalt einer Weltrepublik? Soll die politische Philosophie eine Antwort geben auf die Frage, ob die Hoffnung auf die Herausbildung weltrepublikanischer Institutionen begründet ist, gerät sie in Verlegenheit. Sie kann Globalisierungstendenzen interpretieren und auf politisch relevante, Institutionen generierende Prozesse hin prüfen. Sie kann, dem Vorbild Kants (AA, Bd. 7, S. 84 f) folgend, nach „Geschichtszeichen“ forschen, die die Hoffnung auf die Verwirklichung einer Weltrepublik berechtigt erscheinen lassen. Solche Geschichtszeichen machen sich unzweifelhaft bemerkbar; man denke an die weltrepublikanische „Denkungsart“, an den uneigennützigen Enthusiasmus, den viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen bekunden. Dennoch bleibt die Idee globaler Volkssouveränität vorderhand utopisch. Ein Zustand, in dem weltweit gilt, dass die Adressaten des Rechts zugleich dessen Urheber sind, würde tiefgreifende Veränderungen voraussetzen, auf die gegenwärtig nichts hinweist. Nicht der Traum von einem Weltstaat, sondern die Einsicht in die Notwendigkeit, im Interesse globaler Sicherheit Freiheitsrechte gerechter zu verteilen, gibt der Frage, was künftig an die Stelle staatlicher Souveränität treten soll, ihr Gewicht.
Governance: die neue Aufmerksamkeit für politische und rechtliche Voraussetzungen für Entwicklung Erika Schläppi
1 Der Governance-Trend der letzten Jahre und seine Gründe Der Begriff Governance gehört erst seit relativ kurzer Zeit zum Standard entwicklungspolitischer Rhetorik. Nicht dass die Geber sich nicht schon früher mit politischen Rahmenbedingungen in den Empfängerstaaten auseinandergesetzt hätten: Man stellte dort oft mit Bedauern mangelhafte, schlecht funktionierende staatliche und gesellschaftliche Institutionen fest. Obwohl man sich ihrer Entwicklungsrelevanz durchaus bewusst war, galt die Beeinflussung politischer Rahmenbedingungen in entwicklungspolitischen Kreisen als mehr oder weniger tabu, meist mit dem Hinweis auf die politische Selbstbestimmung der Empfängerstaaten. Erst in den Neunzigerjahren rückten funktionierende öffentliche Strukturen und transparente und vernünftige Verfahren politischer Entscheidungsfindung, die (sach-)gerechte Entscheide fällen können, genügend Akzeptanz genießen und unterschiedliche Interessen immer wieder neu ausbalancieren können, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Vielerorts wurden sie zur expliziten Zielsetzung internationaler Unterstützung. Warum hat sich dies geändert? Drei Gruppen von Argumenten, die sich in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion oft vermischen, lassen sich hier unterscheiden. Die erste betrifft eine veränderte Motivationslage der internationalen Gebergemeinschaft in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Die zweite Gruppe bezieht sich auf die zunehmende Aufweichung der klassischen Souveränität der einzelnen Staaten und die damit verbundene relativierte Bedeutung politischer Selbstbestimmung. Die dritte Gruppe schließlich bezieht sich auf die neue Wahrnehmung staatlicher Institutionen und ihrer entwicklungs- und wirtschaftspolitischen Rolle in Politik und Wissenschaft.1 1.1 Neue Zielorientierungen in den Neunzigerjahren Programme und Projekte internationaler Geber und internationale Geldströme sind seit jeher „politisch“: In jedem Interventionssektor wirken sich erfolgreiche 1
Dieser Fokus beruht in erster Linie auf meinen Forschungsarbeiten der letzten Jahre, die zu einem großen Teil in Zusammenarbeit mit Prof. Walter Kälin (im Rahmen des Schweizer Nationalen Forschungsprogramms NFP 42 „Außenpolitik“) entstanden und publiziert worden sind. Vgl. Schläppi, 1998; Schläppi/Kälin, 2001. Die Literatur ist systematisch berücksichtigt bis Anfang 2001.
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finanzielle Unterstützung und technische Zusammenarbeit auf innenpolitische Machtstrukturen aus, weil sie bestimmte entwicklungspolitische Präferenzen zum Ausdruck bringen und bestimmte Bevölkerungsgruppen stärken. Solche innenpolitischen Auswirkungen waren und sind besonders in ärmeren Staaten deutlich sichtbar. Allerdings wurden die zwischenstaatlichen Geldflüsse spätestens seit den Sechzigerjahren von außenpolitischen Perspektiven dominiert. Die Suche nach und die Sicherung von geopolitischen und ideologischen Allianzen war prägende Motivation für internationale Unterstützung. Besonders die mächtigen Staaten suchten die aus den Kolonialreichen neuentstandenen, meist wirtschaftlich schwachen Staaten in ihrem eigenen geopolitischen Interesse bei der Stange zu halten und ließen staatlichen Institutionen und dominierenden Eliten zum Teil großzügige Unterstützung zukommen.2 Obwohl zur Begründung oft auch entwicklungspolitische Rhetorik verwendet wurde, ging es bei großen Geldflüssen in erster Linie um die Geopolitik des Kalten Krieges: Ziel war es, möglichst stabile Allianzen zu schaffen im großen Powerplay. Autoritäre Regierungen schienen solche Allianzen regelmäßig am besten sichern zu können. Innenpolitische Dynamik, die Frage nach der (oft fehlenden) internen Legitimation von Regierungen oder die Frage nach ihrem entwicklungspolitischen Leistungsausweis von Regierungen konnten in dieser Perspektive nur stören. Dies bedeutete, dass die politische Unterstützung der aktuellen Machthaber in der damaligen Perspektive durchaus akzeptiert war, solange sie nur die faktische Macht ausübten. Internationale politische Einmischung zugunsten der herrschenden Elite war gang und gäbe; die politische Einflussnahme gegen deren Interessen bedeutete dagegen verbotene Einmischung. Internationale Unterstützung, die sich tatsächlich entwicklungspolitisch orientierte, suchte sich vor dem Hintergrund ideologischer und geopolitischer Vereinnahmung vielerorts aus der „Politik“ herauszuhalten. Man verstand sich als „technisch“ und deshalb unpolitisch und arbeitete beispielsweise mit „technischen“ Ministerien zusammen, ohne sich mit Fragen der Ausübung und Kontrolle politischer Macht oder der Legitimation von Exekutive und Verwaltung auseinanderzusetzen. Oder man leitete die internationale Unterstützung bewusst an dysfunktionalen staatlichen Strukturen vorbei in nichtstaatliche Kanäle, um wenigstens einen minimalen Standard an öffentlichen Dienstleistungen zu sichern. Oder man flüchtete auf die Mikro-Ebene lokaler Projekte und suchte dort – oft recht erfolgreich – die Zusammenarbeit mit entwicklungspolitisch motivierten nichtstaatlichen Partnerorganisationen. Schließlich verwechselten viele Entwicklungspolitiker autoritären, gar dikatorischen und repressiven Führungsstil mit politischer Führungsstärke: Man ging gar davon aus, dass Entwicklung eines beträchtlichen Maßes an Autorität und sogar der Repression bedürfe, um veraltete Machtstrukturen zu verändern und letztlich den Mangel an staatlichen Institutionen zu kompensieren. Damit konnten sich jedoch meist neue Eliten ihre eigenen, persönlichen Interessen sichern, regelmäßig auf Kosten der großen Mehrheit, die weiterhin vom Entscheidungs- und Entwicklungsprozess ausgeschlossen blieb. 2
Vgl. dazu etwa Stokke, 1995, S. 6 ff; Tomasevski, 1993, S. 30 ff.
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In den Neunzigerjahren sind die Schaffung und Sicherung von internationalen Allianzen als rationale für internationale Geldflüsse zwar keineswegs verschwunden; regelmäßig waren sie jedoch keine Hauptmotivation für bilaterale Unterstützung mehr. Die knapper werdenden öffentlichen Ressourcen in den Geberstaaten trugen das Ihre dazu bei, dass Parlamente und Öffentlichkeit zunehmend die Frage nach der entwicklungspolitischen Effektivität der geleisteten Unterstützung stellte. Das militärische Gleichgewicht des Schreckens, das die Welt zu Zeiten des Kalten Krieges nicht zuletzt mittels großräumiger Allianzen stabilisierte, ja immobilisierte, war von anderen Mechanismen internationaler Stabilisierung abgelöst worden. Damit sind andere politische Zielsetzungen für die Unterstützung von Entwicklungsländern in den Vordergrund getreten, so etwa die systematische Öffnung von neuen Märkten mit steigender Nachfrage für eigene Güter und Dienstleistungen, die Förderung von „Demokratie“ und innerstaatlicher Stabilität und die Förderung eines volkswirtschaftlichen Ausgleichs zwischen armen und reichen Ländern, um internationale politische Stabilität zu sichern und letztlich auch große Migrationsströme zu verhindern. Internationale bilaterale und multilaterale Unterstützung maß sich zunehmend daran, wie wirksam sie im Hinblick auf diese Ziele ist.3 Mit diesem neuen Bezug zur entwicklungspolitischen Wirksamkeit der Unterstützung lassen sich interne politische Rahmenbedingungen in den Empfängerstaaten nicht mehr ausblenden. Wo internationale Gelder in den Taschen und auf den ausländischen Privatkonten von korrupten Eliten verschwinden oder für kostspielige Prestigeobjekte ohne volkswirtschaftlichen Nutzen verwendet werden, sind sie entwicklungspolitisch wenig wirksam, ja sie können sogar massive kontraproduktive volkswirtschaftliche Effekte haben. Kritische Beobachterinnen und Beobachter stellten sogar fest, dass die politischen Strukturen und staatlichen Institutionen vieler Empfängerstaaten nicht zuletzt wegen der langen Jahre geopolitisch motivierter oder „unpolitisch“-technokratischer internationaler Unterstützung schwach geblieben sind.4 Die politischen und wirtschaftlichen Transitionsprozesse, die in den ehemaligen sozialistischen Ländern Europas seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Gang sind, machten ihrerseits zunehmend deutlich, dass nachhaltige Entwicklungsprozesse nicht ohne funktionierende politische und rechtliche Institutionen zu erreichen sind. Staatliche Strukturen und Entscheidungsprozesse sind zum direkten Objekt externer Einflussnahme geworden: Immer mehr multilaterale und bilaterale Entwicklungsprogramme widmen namhafte Ressourcen der Förderung institutioneller Reformen.5 In den letzten Jahren hat allerdings dieser Trend deutlich an Dynamik verloren. Seit dem 11. September 2001 sind die politischen Ziele, welche viele wichtige Ge3 4 5
Vgl. zu diesem Themenkreis etwa Nielinger, 1998. Vgl. dazu etwa Knack, 2000. Für die Schweiz vgl. Leitbild Nord-Süd des Bundesrates von 1994 und die DEZA-Strategie 2010, die „Gute Regierungsführung“ als eines der fünf prioritären Themen der Entwicklungszusammenarbeit bezeichnet; Bericht des Bundesrates über die Nord-Süd-Beziehungen der Schweiz in den 90er Jahren vom 7. März 1994, BBl 1994 II 1214 ff; DEZA-Strategie 2010, Bern 2000.
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ber mit ihrer bilateralen Unterstützung verbinden, noch komplexer geworden. Im Zeichen der Bekämpfung des „Terrorismus“ sind Überlegungen zur entwicklungspolitischen Wirksamkeit internationaler Unterstützung wieder in den Hintergrund gerückt, zugunsten des alten Musters der Schaffung internationaler politischer Allianzen, diesmal gegen den internationalen Terrorismus oder gegen andere Regimes, die das „Böse“ verkörpern. Die Förderung schlagkräftiger militärischer und polizeilicher Kapazitäten der Empfängerstaaten erscheint in dieser Perspektive nun wieder sinnvoll, auch wenn sie entwicklungspolitisch kaum zu rechtfertigen ist. Dies dient den politischen Zielen jener Regierungen, die mit dem Einsatz für das „Gute“ oft massive Repression rechtfertigen und politische Opposition kurzerhand mit Terrorismus gleichsetzen. 1.2 Relative „politische Selbstbestimmung“ Eines der Hauptargumente, das gegen die externe Beeinflussung von politischen Entscheidungsprozessen ins Feld geführt wurde und wird, ist der Anspruch auf politische Selbstbestimmung, der jedem Staat kraft seiner Souveränität zukomme. Andere Staaten oder ausländische Akteure dürften sich nicht in die politische Entscheidungsfindung einmischen. Bei näherem Hinsehen sind allerdings die Umrisse der politischen Selbstbestimmung wenig klar. Rechtliche und faktische Elemente schränken ihre Bedeutung zunehmend ein. 1.2.1 Das ambivalente Recht auf Selbstbestimmung Das klassische völkerrechtliche Konzept staatlicher Souveränität baut auf einem Modell des Nebeneinanders rechtlich gleicher Staaten auf. Ihre Einflussbereiche sind territorial und personell abgegrenzt: Innerhalb seiner Grenzen und gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen kann der Staat tun und lassen, was er will, soweit das internationale Recht keine Grenzen setzt. Andere Staaten dürfen sich nicht in diesen „domaine réservé“ einmischen. So betont die UNO-Charta den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten (Artikel 2 Ziffer 1) und formuliert ein spezifisches Einmischungsverbot für die UNO (Artikel 2 Ziffer 7), allerdings unter Vorbehalt der Zwangsmassnahmen, die der Sicherheitsrat nach Kapitel VII der Charta bei Bedrohung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit beschließen kann. Für die einzelnen Staaten wird Souveränität und Einmischungsverbot aus dem Völkergewohnheitsrecht abgeleitet.6 Allerdings bleibt in vielerlei Hinsicht umstritten, wo die Grenzen des „domaine réservé“ der einzelnen Staaten und die Grenzen zwischen völkerrechtlich unerlaubtem Zwang und noch erlaubtem internationalem Druck verlaufen. Die Gestaltung politischer Entscheidungsprozesse berührt einen besonders wichtigen Bereich staatlicher Souveränität, namentlich das Recht der Staaten, ihr 6
Vgl. etwa das Nicaragua-Urteil des IGH, Military and paramilitary activities in and against Nicaragua (Nicaragua vs. USA), ICJ Reports 1986, S. 106 f, N. 202. Vgl. Schläppi, 1998, S. 268 ff, mit weiteren Hinweisen.
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politisches, wirtschaftliches und kulturelles System ohne externe Einmischung frei zu wählen und über ihre politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung frei zu entscheiden. In diesem Sinne verankerten die beiden Menschenrechtspakte von 1966 vor dem Hintergrund des Dekolonialisierungsprozesses in Artikel 1 das „Recht auf Selbstbestimmung“, das den „Völkern“ die freie Entscheidung über ihren politischen Status und über die Gestaltung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung gewährleisten soll. Soweit sich Staaten als „Völker“ definieren, bekräftigt das Selbstbestimmungsrecht in seiner externen Dimension den eben dargelegten völkerrechtlichen Grundsatz der Souveränität bestehender Staaten.7 Paradoxerweise wird aber aus dem Recht der „Völker“ auf Selbstbestimmung auch gerade die Relativierung des klassischen Souveränitätskonzepts abgeleitet: Das Recht auf Selbstbestimmung hat eine interne Dimension, welche die Regierungen souveräner Staaten in ihrer politischen Selbstbestimmung letztlich einschränkt. Sie verpflichtet den Staat, der Bevölkerung seines Territoriums Mitbestimmung in den politischen Entscheidungsstrukturen zu gewähren. Diese interne Dimension des Selbstbestimmungsrechts umschreibt ein staatsrechtliches Konzept, in dem „national government should be based on the consent of the governed, expressed at periodic, free and genuine elections“8. Wenn auch heute über das kontinuierliche Entstehen eines Rechts auf demokratische Regierung diskutiert wird,9 sind die Umrisse dieses Rechts wenig geklärt. Hinter der heiklen und bis jetzt ungelösten Frage, welche Bevölkerungsgruppen denn als „Volk“ das Recht auf Selbstbestimmung gegenüber dem „Staat“ in Anspruch nehmen können, steckt der potentielle Konflikt zwischen der Bevölkerungsmehrheit und minoritären Bevölkerungsgruppen. Letztere möchten aus der Selbstbestimmung besondere Autonomierechte gegenüber dem Gesamtstaat oder gar ein Recht auf Sezession ableiten. Wieweit die interne Dimension des Selbstbestimmungsrecht heute einzelnen Bevölkerungsgruppen – etwa ethnischen Minderheiten – solche Rechte einräumt, ist in besonderem Maße umstritten.10 Das Recht auf Selbstbestimmung bezieht sich nicht nur auf die Wahl des politischen Systems, sondern auch auf wirtschaftliche Fragen. Laut Absatz 2 des gemeinsamen Artikels 1 der Pakte können „alle Völker (…) für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen“. Allerdings bleiben die Verpflichtungen, die sich aus der internationalen Zusammenarbeit „auf der Grundlage des gegenseitigen Wohles“ sowie aus dem Völkerrecht ergeben, ausdrücklich vorbehalten. In keinem Fall aber darf „ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt“ werden. Auch diese Formulierungen bezogen sich historisch in erster Linie auf die externe Dimension des Rechts im Rahmen des Dekolonialisie7 8 9 10
Vgl. dazu etwa Cassese, 1995; Tomuschat, 1993. Cassese, 1995, S. 307. Vgl. dazu etwa Fox, 2000. Immerhin räumt die UN-Erklärung von 1992 über die Rechte der Minderheiten den Angehörigen nationaler, ethnischer, religiöser und sprachlicher Minderheiten ein allgemeines Recht ein, an staatlichen Entscheidungen, die sie betreffen, zu partizipieren, UN-Declaration on the rights of persons belonging to national or ethnic, religious and linguistic minorities, A/RES/ 47/135, 18. Dezember 1992, Art. 2 Ziff. 3.
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rungsprozesses und waren Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen zwischen Nord und Süd bei der Redaktion der Übereinkommenstexte und im Rahmen der Diskussionen um eine Neue Internationale Wirtschaftsordnung in den Siebzigerjahren.11 Die Tragweite der internen Dimension des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts, die beispielsweise die Verfügungsfreiheit von indigenen Bevölkerungsgruppen über Territorium und Bodenschätze betreffen würde, sind jedoch heute ebenso wenig geklärt wie die Bedeutung des Rechts hinsichtlich der politischen Partizipation. Damit bleiben die völkerrechtlichen Normen in dieser Hinsicht recht unbestimmt und konkretisierungsbedürftig. 1.2.2 Zunehmende internationale Verflechtungen und völkerrechtliche Regelungsdichte Seit dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung der UNO hat das klassische Modell des horizontalen Nebeneinanders von abgegrenzten „domaines réservés“ souveräner Staaten zunehmend an Gültigkeit verloren. Undurchlässige Grenzen waren und sind eine Fiktion. Sie entsprechen schon gar nicht der Realität zunehmender und vielfältiger wirtschaftlicher, finanzieller Verflechtungen, der wachsenden Mobilität von Menschen, Produkten, Dienstleistungen sowie der schon fast grenzenlosen Mobilität von Information und Kommunikation. Mit der zunehmenden Dichte wirtschaftlicher und menschlicher Bindungen zwischen den Staaten gibt es heute keine „impermeablen“ Bereiche mehr, wo der Staat nach Belieben schalten und walten kann, ohne auf Interessen von Individuen und Institutionen außerhalb seiner Grenzen Rücksicht nehmen zu müssen. Dem entspricht ein wachsendes Bedürfnis nach internationalen Normen, die einen internationalen Minimalstandard vorgeben und grenzüberschreitende Sachverhalte und Prozesse international regeln. In den letzten Jahrzehnten sind die Staaten in ein immer dichteres Netz völkerrechtlicher Verpflichtungen eingebunden worden. Dies gilt im Besonderen für die Regeln von GATT/WTO, die wichtige Leitplanken für die Wirtschaftspolitik aller Staaten formulieren und überstaatliche Durchsetzungsmechanismen für zwischenstaatliche Konflikte institutionalisiert haben. Im Bereich des Schutzes natürlicher Ressourcen ist das grenzüberschreitende Interesse an minimalen Standards besonders offensichtlich und in den letzten Jahren sind denn auch einige internationale Übereinkommen in diesem Bereich entstanden. Schließlich verpflichten die menschenrechtlichen Standards die Staaten zu einem bestimmten Verhaltenskodex gegenüber allen Individuen. Auch hier sind die internationalen Mechanismen zur Duchsetzung solcher Standards in menschenrechtsverletzenden Staaten seit der Gründung der UNO detaillierter und griffiger geworden, wenn sie auch heute noch nicht gleichmäßig gegenüber allen Staaten angewendet werden.12 11 Während über den Grundsatz der freien Verfügung über die Rohstoffe, abgeleitet aus der territorialen Souveränität jedes Staates, Einigkeit herrschte, sind noch heute die Modalitäten der Entschädigung für die Enteignung ausländischen Eigentums umstritten. Vgl. dazu etwa Cassese, 1995, S. 57. 12 Vgl. dazu etwa Schläppi, 1998, S. 99 ff.
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1.2.3 Die wirtschaftliche Abhängigkeit vieler Staaten Wenn auch im Zuge globalisierter Wirtschaftsbeziehungen praktisch alle Staaten in den gegenseitigen Austausch von Geld, Dienstleistungen, Produkten mehr oder weniger eingebunden sind, sind die Handlungsspielräume armer Staaten besonders klein. Die völkerrechtliche Souveränität vieler Staaten, die aus einem Kolonialreich in die Unabhängigkeit entlassen worden sind, ist in vielerlei Hinsicht eine formelle Angelegenheit geblieben. Mangels verfügbarer wirtschaftlicher Ressourcen können sie faktisch internationalem wirtschaftlichem und politischem Druck wenig entgegensetzen. Einige Entwicklungs- und Schwellenländer konnten sich zwar in den Zeiten des Kalten Krieges ihre geopolitische Loyalität finanziell entschädigen lassen und so ihre wirtschaftliche Situation zumindest kurzfristig verbessern. Die hohe internationale Verschuldung vieler Staaten trug und trägt jedoch dazu bei, dass der wirtschaftliche und politische Handlungsspielraum ihrer Regierungen gering bleibt und völlig von externen Faktoren – im Besonderen vom Entgegenkommen der Gläubigerstaaten und -institutionen – abhängt. 1.2.4 Schwache bis inexistente staatliche Institutionen Die staatlichen Institutionen einiger Staaten funktionieren äußerst mangelhaft, so dass die internationale Souveränität letztlich ein Potemkin’sches Dorf ist: eine aufwändige Kulisse, deren Aufrechterhaltung die knappen Mittel absorbiert und für interne staatliche Aufgaben kaum etwas übrig lässt. So ist der Staat als Dienstleistungsbetrieb in vielen Ländern (besonders in Afrika) für weite Teile der Bevölkerung weitgehend inexistent. Einige Staaten bauten zwar nicht zuletzt mit internationaler Unterstützung und im Interesse ihrer Eliten gut funktionierende Repressionsmechanismen auf, blieben aber häufig äußerst schwach, wenn es um andere staatliche Aufgaben, im Besonderen um entwicklungspolitisch zentrale Dienstleistungen und den Aufbau von Infrastruktur ging. In einigen Ländern sind in den letzten Jahren schwache Staatsgebilde auseinandergebrochen, deren strukturelle Mängel von autoritären Regierungen jahreund jahrzehntelang erfolgreich überdeckt worden waren. Während in einigen Ländern (etwa im Balkan) souveräne Teileinheiten entstanden sind, gelten andere Territorien wie Somalia und Liberia als „failed states“. Hier gibt es seit Jahren keine formellen staatlichen Institutionen mehr, die eine einheitliche Ordnungsfunktion ausüben und ein Gewaltmonompol beanspruchen können. In einzelnen Fällen sind lokale Strukturen entstanden, die durchaus und vielleicht sogar besser als die untergegangenen nachkolonialen Staaten interne Stabilität und minimale Dienstleistungen gewährleisten können. Solange diese lokalen Gebilde jedoch auf internationaler Ebene keine Anerkennung finden, sind sie in ihren wirtschafts- und entwicklungspolitischen Möglichkeiten beschränkt. Leider sind in den meisten „failed states“ jahrelange offene Konflikte um Ressourcen und Macht zu beobachten, die sich in massiver und oft zunehmend allgemeiner Gewalttätigkeit äußern.
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1.2.5 Mangelhafte innenpolitische Legitimität Solche staatliche Zusammenbrüche sind nur dort möglich, wo den staatlichen Institutionen die nötige innenpolitische Legitimität fehlt. Das klassische Modell internationaler Souveränität befasst sich jedoch nicht mit der Legitimität der Institutionen und Personen, die den Staat vertreten. Damit hat das klassische Modell die Tendenz, den souveränen Staat als monolithisch und statisch erscheinen zu lassen. Die aktuellen Machtträger – in aller Regel die Exekutive, die den Staat auf internationaler Ebene meist mehr oder weniger alleine vertritt – sind in dieser Perspektive gleichbedeutend mit dem Staat, ob sie nun einzig partikuläre Interessen vertreten oder nicht. Souveränität abstrahiert von der innenpolitischen Dynamik und von Spannungsfeldern zwischen unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Interessen, die politische Entscheidungsprozesse in jedem Staat beeinflussen. Nicht zuletzt wegen der Reduzierung internationaler Unterstützung haben in den letzten Jahren einige autoritäre Regimes ihre Machtmittel verloren und grundlegende Mängel an innenpolitischer Legitimation nicht mehr verbergen können. Sie erweisen sich in dieser Perspektive als zunehmend instabil. Gerade in entwicklungspolitischen Kreisen ist die Einsicht gewachsen, dass politische Prozesse nur nachhaltige Entscheide generieren können, wenn sie innenpolitisch breit genug legitimiert sind und letztlich einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen suchen. So wirkt in einer längerfristigen Perspektive die blinde Unterstützung aktueller Machtträger, die zwar auf die Wünsche internationaler Geber eingehen, auf innenpolitische Verankerung ihrer Politik aber wenig Wert legen und wichtige Interessen nicht berücksichtigen, unter Umständen kontraproduktiv und destabilisierend. 1.3 Die Rollenteilung zwischen staatlichen Institutionen und der Gesellschaft 1.3.1 Die neue Einigkeit über das Modell eines marktorientierten Systems Wie bereits erwähnt, hatten die politischen Defizite staatlicher Institutionen einige entwicklungspolitisch motivierte staatliche und private Geberagenturen dazu bewogen, grundsätzlich die Unterstützung nichtstaatlicher Partnerorganisationen zu priorisieren. Indem man möglichst handfeste und lokal kontrollierbare (Mikro-) Projekte unterstützte, versuchte man, den schlechten politischen Rahmenbedingungen auszuweichen. Man suchte vielerorts den dysfunktionalen Staat zu umgehen, indem man private Akteurinnen und Akteure darin unterstützte, im Interesse benachteiligter Bevölkerungsgruppen endlich die dringenden öffentlichen Aufgaben zu erfüllen und öffentliche Dienstleistungen zu übernehmen. In ihrer Distanz zum staatlichen System trafen sich diese Bemühungen – obwohl völlig anders motiviert – in ihren Auswirkungen letztlich mit einer ultraliberalen Haltung, welche die Aufgaben des Staates auf Nachtwächterfunktionen beschränkt und die Steuerung wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung völlig privaten Institutionen (und damit faktisch den mächtigen Eliten) überlassen will. Mit dem Scheitern des planwirtschaftlichen Modells verloren die ideologischen Grabenkämpfe zwischen Plan- und Marktwirtschaft und den damit verbundenen
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staatlichen Organisationsmodellen zunehmend an Bedeutung. Ein kritischer Blick hinter die ideologischen Kulissen ist möglich geworden, Kulissen, die den Blick auf die Aufgabenteilung zwischen Staat und Gesellschaft und die Leistungsfähigkeit des Staates oft verstellt haben. Auf der anderen Seite scheint das marktwirtschaftliche Modell mangels alternativer Organisationsmodelle nun „unpolitisch“ und fast unangreifbar. Die marktwirtschaftliche Ordnung wird nun plötzlich als technokratische Angelegenheit dargestellt, die sich kaum mehr politisch hinterfragen und diskutieren lässt. Dies verstellt wiederum den Blick auf die Tatsache, dass die praktische Umsetzung des marktwirtschaftlichen Modells unendlich viele Varianten kennt, die unterschiedliche politische und wirtschaftliche Interessen bevorteilen. So bleibt es auch in jeder marktwirtschaftlichen Ordnung eine zentrale politische Frage, wie die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen aussehen, wie Ressourcen verteilt werden, wie der Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen geregelt wird. 1.3.2 Die Rollen des Staates, im Besonderen seine Kernaufgaben aus entwicklungspolitischer Sicht Man ist sich in den Neunzigerjahren zunehmend einig geworden, dass der Staat in der Entwicklungspolitik eine wichtige Rolle spielt: Der Staat und seine Institutionen sind wesentliche Faktoren in der Gestaltung eines stabilen und entwicklungsorientierten internationalen Systems, das immer noch auf abgegrenzten Territorien beruht. Es werden heute kaum alternative Organisationsmodelle vertreten, die unterschiedliche Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen abwägen und ein so gefundenes gemeinsames Interesse gegen außen und gegen innen durchsetzen könnten. Damit ist ein staatliches Machtmonopol verbunden: Staatliche Institutionen müssen exklusive Machtmittel haben, um Entscheide im allgemeinen Interesse gegen individuelle Interessen durchsetzen, persönliche Sicherheit und Freiräume für alle sowie minimale gesellschaftliche Stabilität garantieren zu können. Im Besonderen die Wirtschaftswissenschaften haben die Aufgaben des Staates im Lauf der Zeit unterschiedlich wahrgenommen, und die Auffassungen variieren aus verschiedenen ideologischen Perspektiven grundsätzlich. Die klassisch liberale Ökonomie billigte dem öffentlichen Sektor nur eine minimale Rolle (wesentliche Infrastrukturleistungen, Sicherung von Ruhe und Ordnung, Landesverteidigung sowie die Durchsetzung von Eigentumsrechten und vertraglichen Verpflichtungen) zu. Im 20. Jahrhundert wuchsen die Aufgaben des Staates auch in den westlichen Demokratien beträchtlich. Marxistische und sozialistische Ideen, die dem Staat in erster Linie die Aufgabe der Umverteilung von Einkommen übertragen wollten, beeinflussten auch marktorientierte Systeme stark. Das Modell des Wohlfahrtsstaates, der einen Teil des erarbeiteten Wohlstands im Interesse der Allgemeinheit und der weniger Begünstigten umverteilt, begleitete die Zeiten wirtschaftlichen Wachstums besonders in Europa. Die populären Theorien von Keynes, der dem Staat eine aktive Rolle in der Stabilisierung wirtschaftlicher Schwankungen und damit in der Stabilisierung schwankender Einkommen zuerkannte, äußerten sich in den letzten Jahrzehnten in der Wirtschaftspolitik westeu-
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ropäischer Prägung, die sich an den Zielen Vollbeschäftigung, Preisstabilität und ausgeglichene Zahlungsbilanz orientierte.13 Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte die westliche ökonomische Theorie Konzepte, die in verschiedenen Bereichen fehlenden oder schlecht funktionierenden Markt feststellten und mit diesem „Marktversagen“ staatliche Intervention rechtfertigten. In dieser Perspektive hat der private Sektor wenig Anlass, frei konsumierbare „öffentliche Güter“ zu produzieren, deren Produktionskosten nicht auf die Konsumentinnen und Konsumenten überwälzt werden können. Eng damit verbunden ist das Konzept der „externen Kosten“, die im Preis der produzierten oder konsumierten Güter nicht reflektiert werden: Der Staat soll hier den Preis von Produkten mit unerwünschten externen Kosten erhöhen und jenen von Produkten mit erwünschten externen Wirkungen senken. Mit der zunehmenden „Marktorientierung“ der letzten Jahre wird heute kaum mehr bestritten, dass der Staat die Produktion von marktfähigen Gütern grundsätzlich den privaten Akteurinnen und Akteuren überlassen soll. Wo und wie der Staat aber auf einen schlecht funktionierenden Markt reagieren soll, bleibt eine Streitfrage, die die wirtschaftspolitischen Interessengruppen meist unterschiedlich beantworten. Trotz beschränkter Rolle in der Güterproduktion bleiben dem Staat zumindest in der Theorie große Einflussmöglichkeiten in der Gestaltung der notwendigen Rahmenbedingungen, die einen funktionierenden Wettbewerb in einem Marktsystem erst ermöglichen: Er legt Spielregeln fest, die die Marktmechanismen fördern und stärken und die wirtschaftliche Tätigkeit wirksam ordnen, aber möglichst wenig einengen. Er sorgt für die Durchsetzung dieser Regeln im Interesse des Wettbewerbs gegenüber allen Konkurrentinnen und Konkurrenten. Er sorgt für die Verbreitung maßgeblicher Informationen, die für rationale Produktionsund Konsumentscheide von zentraler Bedeutung sind.14 In den westeuropäischen Staaten droht diese Funktion oft einem allzu undifferenzierten Ruf nach Abbau wirtschaftsrelevanter Aktivitäten des Staates zum Opfer zu fallen. Man nimmt die Bedeutung solcher Rahmenbedingungen oft kaum wahr, weil sie letztlich als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Die aktuellen Erfahrungen in den Transformationsländern, aber auch in den Entwicklungsländern zeigen deutlich, dass marktfördernde Rahmenbedingungen sich keineswegs von sich aus entwickeln, sondern ein entsprechendes aktives Handeln, politischen Willen, Knowhow und den Einsatz beträchtlicher Mittel erfordern. Damit muss der Staat in einem marktwirtschaftlich orientierten System eine Reihe von Kernaufgaben erfüllen, wenn Wirtschaft und Gesellschaft sich friedlich und nachhaltig entwickeln sollen. Heute werden dazu etwa die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, die Gestaltung und Durchsetzung des rechtlichen Rahmens für ein friedliches Zusammenleben und für die persönliche und wirtschaftliche Entfaltung der Menschen, minimale soziale Dienste (Schutz eines minimalen Lebensniveaus bezüglich Ernährung, Gesundheit, Bildung) besonders für benachteiligte Bevölkerungsgruppen und die Schaffung einer funktionierenden Infra13 Vgl. The World Bank, 1997, S. 21 ff. 14 Tanzi, 1997, S. 19; The World Bank, 1997.
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struktur (Energie, Transport, Kommunikation) gerechnet.15 Wenn auch – nicht zuletzt im Zuge der Globalisierungsdiskussion – die Auffassungen über den Umfang und die Begünstigten sozialpolitisch motivierter Umverteilung auseinandergehen, wurde sie in verschiedenen Formen zu einer mehr oder weniger selbstverständlichen Aufgabe des modernen Staates, zumindest soweit es die Unterstützung der ärmsten Teile der Bevölkerung betrifft.16 Die neue Einigkeit über das „marktorientierte“ Modell eines Staates bedeutet jedoch keineswegs, dass man sich über staatliche Aufgaben, im Besonderen über die besonderen Zielsetzungen und Methoden ihrer Erfüllung einig ist. Welche konkreten Aufgaben der Staat selbst übernehmen und welche er der Zivilgesellschaft überlassen, welche Spielregeln in welchem Interesse er formulieren und durchsetzen soll, wie er auf die Verteilung von Wohlstand einwirken soll, bleibt nicht nur in den Entwicklungs- und Transitionsländern umstritten.17 1.3.3 Die institutionellen Defizite vieler Entwicklungs- und Transitionsländer Besonders in Staaten mit Entwicklungsdefiziten stellte man in den letzten Jahren unter verschiedenen Gesichtspunkten fest, dass mangelhafte politische Strukturen und Entscheidungsprozesse mit schlechten wirtschaftlichen Prognosen korrelierten.18 Vielerorts hatten die Regierungen zwar ihre Marktinterventionen zunehmend ausgedehnt, gleichzeitig aber die eben dargestellten Kernaufgaben vernachlässigt. Die Qualität staatlicher Dienstleistungen in diesen Bereichen hat vielerorts abgenommen.19 Zunehmende Kriminalität gefährdet die persönliche Sicherheit vieler Bürgerinnen und Bürger. Teure, inkompetente, korrupte und ineffiziente Gerichtssysteme bewirken, dass die Normen sehr ungleich angewendet werden und die Rechtssicherheit gerade auch für geschäftliche Transaktionen äußerst prekär ist. Notwendige Investitionen in die Grundversorgung im Bereich Gesundheit und in die elementare Bildung werden oft zugunsten ehrgeiziger Projekte wie große Spitäler und universitäre Bildung zurückgestellt. Die Weltbank plädiert angesicht dieser Defizite dafür, diesen Kernaufgaben des Staates mehr Aufmerksamkeit und mehr Mittel zu widmen, die entsprechenden Institutionen zu stärken und die Effektivität staatlicher Tätigkeit zu verbessern.20 Zentrale politische Herausforderung der Entwicklungsländer bleiben die äußerst knappen wirtschaftlichen Ressourcen, die den politischen Verteilkampf und die Auseinandersetzung um die Priorisierung staatlicher Aufgaben umso härter 15 Letzteres zumindest in dem Maße, in dem der private Sektor dies nicht übernimmt; The World Bank, 1997, S. 41 ff, 51 ff; vgl. auch The World Bank, 1992, S. 6 ff; Stern, S. 41 ff. Von der Umschreibung staatlicher Aufgaben sind die Modalitäten ihrer Erfüllung zu unterscheiden: So muss der Staat seine Aufgaben keineswegs alle selbst erfüllen und entsprechende Güter selbst produzieren, sondern er soll die Aufgabenerfüllung (allenfalls auch durch Private) gewährleisten. 16 Vgl. dazu etwa The World Bank, 2000. 17 Vgl. dazu etwa Cornia, 1998, S. 32 ff; Hildyard/Wilks, 1998, S. 49 ff. 18 Vgl. Brunetti, 1997; Dethier, 1999; Borner/Brunetti/Weder, 1995. 19 Tanzi, 1997, S. 15 ff; The World Bank, 1997, S. 19 ff. 20 The World Bank, 1997, S. 79 ff.
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machen und wenig Raum zur Befriedigung auch nur der dringendsten Bedürfnisse lassen. Wie kann unter diesen Umständen ein politisches und gesellschaftliches Gleichgewicht erreicht werden, das dem gesellschaftlichen Zusammenleben und der individuellen Entfaltung der Menschen einen stabilen Rahmen bietet, aber trotzdem dynamische Veränderungen zulässt?
2 Governance: ein vieldeutiger und komplexer Begriff 2.1 Unterschiedliche Ansätze Auf der Grundlage dieser neuen Einigkeit über die zentrale Bedeutung staatlicher Institutionen für eine marktorientierte Entwicklung haben die Geberstaaten und -institutionen verschiedene Ansätze von Guter Regierungsführung („Bonne Gouvernance“, „Good Governance“) entwickelt. Governance ist nicht als wissenschaftlich durchdachtes Konzept entstanden. Vielmehr sind der Begriff und seine Elemente in einer interdisziplinären, praxisorientierten Perspektive auf der Grundlage der jeweiligen entwicklungspolitischen Schwerpunkte und Bedürfnisse der einzelnen Geberstaaten und -institutionen entwickelt worden.21 Maßgebliche Beiträge haben etwa die folgenden Institutionen geleistet: Die Weltbank nahm den Begriff in den frühen Neunzigerjahren als erste Entwicklungsorganisation systematisch auf. Die Weltbank analysierte damals die Gründe für die mangelhafte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von vielen Entwicklungsländern in Afrika, trotz teilweise großer internationaler Unterstützung und trotz ökonomischer „Strukturanpassungsmaßnahmen“, wie sie die Bretton WoodsInstitutionen selbst gefördert hatten. Governance, definiert als „the manner in which power is exercised in the management of a country’s economic and social development“,22 ist eng verknüpft mit wirtschaftlicher Prosperität: Schlechte Regierungsführung ist volkswirtschaftlich unrentabel, während gute Regierungsführung deutliche Vorteile bringt. Viele empirische Studien der Weltbank belegen unterdessen diese Feststellung und differenzierten sie aus unterschiedlichen Perspektiven.23 Die Förderung von Governance ist in der Sicht der Weltbank, die an ein ökonomisches, „unpolitisches“ Mandat gebunden ist, eine Strategie der „unpolitischen“ Förderung (markt-)wirtschaftlicher Entwicklung.24 Die neue Sektorstrategie der Weltbank zur Reform öffentlicher Institutionen und zur Förderung von Governance sieht das Konzept hauptsächlich im Dienste einer wirksamen Armutsbekämpfung.25
21 In der neueren Diskussion um die Organisation der Entscheidungs- und Durchsetzungprozesse in der Europäischen Union wird der Begriff „Governance“ allerdings zunehmend verwendet; Kohler-Koch et al. (ed), 1999; Höreth, 1998; Marks et al., 1998. 22 The World Bank, 1992, S. 3. 23 Vgl. Burki/Perry, 1998; Kaufmann/Kraay/Zoido-Lobaton, 1998; vgl. auch The World Bank, Annotated Bibliography of Empirical Studies of Governance and Development, (31. März 2003); vgl. auch The World Bank, 2002b. 24 The World Bank, 1992; The World Bank, 1994; Theobald, 1999. 25 Vgl. etwa The World Bank, 2000, The World Bank, 2001.
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Die Leitlinien des „Development Assistance Committee“ (DAC) der OECD von 1995 zu „partizipativer Entwicklung und Good Governance“ pflegen einen deutlich politischeren Ansatz als die Weltbank. In der Einführung ortet das DAC eine vitale Verbindung zwischen offenen demokratischen und verantwortlichen Regierungssystemen und der Achtung der Menschenrechte einerseits und andererseits der Fähigkeit des Systems, nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu produzieren.26 Die vier Aspekte partizipative Entwicklung, „Good Governance“, Menschenrechte und Demokratisierung werden zwar getrennt behandelt, sind aber eng miteinander verbunden. Das DAC subsumiert unter „Good Governance“ explizit das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, Public Sector Management, die Eindämmung von Korruption und die Reduktion exzessiver Militärausgaben.27 Die Leitlinien der OECD zu Konflikt, Frieden und Entwicklung, die einige Jahre später entstanden sind, rückten im Weiteren die Rolle von „Good Governance“ in der Bewältigung von offenen und latenten politischen Konflikten in den Vordergrund.28 UNDP integriert seit anfangs der Neunzigerjahre verschiedene entwicklungspolitische und menschenrechtliche Anliegen in sein Konzept von „nachhaltiger menschlicher Entwicklung“. Auf dieser breiten Grundlage basiert auch das Konzept von „Good Governance“. UNDP unterscheidet ökonomische, politische und administrative Dimensionen von Governance: Ökonomische Governance erfasst die Entscheidungsprozesse, die die wirtschaftlichen Aktivitäten eines Landes und seine Beziehungen zu anderen Volkswirtschaften erfassen. Politische Governance umschreibt das Entscheidungsverfahren zur Formulierung bestimmter politischer Strategien. Administrative Governance bezeichnet das Verfahren zur Umsetzung politischer Entscheide. Im Ganzen umschreibt Governance jene Verfahren und Strukturen, die politische, wirtschaftliche und soziale Beziehungen in einem Land bestimmen. Damit hat das Konzept nicht nur für staatliche Behörden, sondern auch für die Organisation des Privatsektors und für die Zivilgesellschaft besondere Bedeutung.29 2.2 Die wesentlichen gemeinsamen Grundsätze Damit ist Governance ein schillernder Begriff, der von den Akteurinnen und Akteuren mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt wird, je nach ihren spezifischen (entwicklungs-)politischen Interessen und je nach den länderspezifischen Rahmenbedingungen. Der Begriff kann sich auch nicht auf eine völkerrechtliche Grundlage stützen, die eine gewisse Einheitlichkeit gewährleisten würde. Trotzdem lassen sich aus den unterschiedlichen Begriffen einige gemeinsame, wenn auch recht abstrakte Grundsätze über die Organisation staatlicher Strukturen und ihre Beziehungen zu Gesellschaft und Wirtschaft herausdestillieren, die untereinander in vielfältiger Weise verknüpft sind. 26 27 28 29
OECD/DAC, 1995, S. 5. OECD/DAC, 1995, Ziff. 31 ff. OECD DAC, 2001, besonders S. 113 ff. UNDP 1997, UNDP 2000, UNDP 2002.
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– voraussehbare, transparente, sachliche, partizipative politische und administrative Entscheidungsprozesse; – ein wirksamer und sachlicher Umgang mit knappen öffentlichen Ressourcen. Im Besonderen die Reduktion exzessiver Militärausgaben ist ein Anliegen, das vor allem die bilateralen Geber der OECD beschäftigt, die zum Teil allerdings auch für die Aufrüstung der Sicherheitskräfte während des Kalten Krieges verantwortlich waren. In den letzten Jahren wird auch der Erhöhung der verfügbaren Ressourcen (durch möglichst entwicklungsfördernde und gerechte Steuersysteme) vermehrt Beachtung geschenkt. – wirksame und bedarfsgerechte öffentliche Dienstleistungen im Besonderen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen, – eine gut organisierte, integre Verwaltung mit genügend Kompetenz, Kapazität und Berufsethos; – die klare Zuordnung von politischen, finanziellen und administrativen Verantwortlichkeiten („accountability“) – administrative und rechtliche Kontrollsysteme, welche die Verantwortlichkeit öffentlicher Amtsträger prüfen und einfordern können; – rechtliche Regeln, welche die für Entwicklung notwendigen individuellen Handlungsspielräume von Menschen und Unternehmen sichern und die Menschen vor Machtmissbrauch schützen; – eine zugängliche, kompetente, rasch entscheidende unabhängige Justiz, die rechtliche Regeln gegenüber allen Akteurinnen und Akteuren gleichermassen durchsetzen kann und damit Rechtssicherheit schafft; – eine starke Zivilgesellschaft, die kritische Öffentlichkeit und damit politische Kontrolle schafft und unterschiedliche Interessen wirksam in öffentliche Entscheidungsprozesse einbringen kann. Diese Grundsätze, die untereinander durchaus auch spannungsgeladen sind, gelten beileibe nicht nur für Länder mit Entwicklungsdefiziten, sondern sie sind eine Herausforderung für jedes Staatswesen, ungeachtet seines wirtschaftlichen Entwicklungsstandes. Je nach der länderspezifischen Situation werden sich aus diesen Grundsätzen auch unterschiedliche Reformansätze und Prioritäten ergeben.30
3 Spannungsfelder und Prioritäten bei der Umsetzung von Governance Governance ist kein universelles Modell staatlicher Organisation, das sich überall gleich umsetzen ließe. Die abstrakte Offenheit der Governance-Grundsätze lassen der länderspezifischen Umsetzung große Spielräume für die Berücksichtigung von historischen, ethnischen, politischen Besonderheiten. Zweifellos lässt sich Gover30 Zu den verschiedenen Governance-Prioritäten vgl. etwa die in letzter Zeit deutlich angewachsene, zum Teil auch kritische Literatur zum Thema, etwa Turner/Hulme, 1997; Pierre/Peters, 2000; Pierre, 2000, Grindle, 1997; Hewitt de Alcantara, 1998; Jessop, 1998; Smouts, 1998; Quashigah, 1999; Robinson, 1999; Faúndez, 1997.
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nance erfolgreich in die Praxis nur umsetzen, wenn länderspezifische Reformpotentiale und bestehende Strukturen dafür genutzt werden. An welchen Kriterien soll sich die länderspezifische Umsetzung von Governance orientieren? Welche Spannungsfelder sind zu beachten? Wo gibt es Konvergenzen mit anderen internationalen Konzepten? Um den Governance-Grundsätzen klarere Konturen abzugewinnen, sollen diese Fragen nun aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. 3.1 Governance und das Verbot politischer Einmischung Wir haben bereits gesehen, dass das internationale Staatensystem weiterhin auf einem Nebeneinander von abgegrenzten Einflusssphären staatlicher Einheiten aufbaut. Mit der zunehmenden Internationalisierung von Wirtschaft, Recht und Politik sind die „domaines réservés“ als abgeschlossene sachliche Zuständigkeitsgebiete der Einzelstaaten aber praktisch verschwunden. Damit stellt sich heute weniger die Frage, ob sich die internationale Gemeinschaft mit konkreten innenpolitischen Fragen befassen darf, als vielmehr, wie weit sie gehen darf. Darauf lässt sich keine schwarz-weiße Antwort geben, sondern nur verschiedene Elemente skizzieren, die es gegeneinander abzuwägen gilt. Die Governance-Grundsätze haben, wie bereits erwähnt, keine allgemeine völkerrechtliche Grundlage, die seine Elemente dem „domaine réservé“ der Empfängerstaaten internationaler Unterstützung zum vornherein entziehen würden. Soweit die Governance-Elemente Grundsatzentscheide hinsichtlich „the choice of a political, economic, social and cultural system“ betreffen, gehören sie nach immer noch geltender Rechtsprechung durchaus zu jenem Bereich politischer Entscheidungsfindung, der vor internationaler Einmischung geschützt werden muss, zumindest soweit nicht internationale Verpflichtungen – etwa aus bilateralen oder multilateralen Zusammenarbeitsverträgen oder aufgrund internationaler menschenrechtlicher Standards – zur Einhaltung gewisser Normen zwingen. Auf der anderen Seite argumentieren auch jene Geberstaaten, die Governance fördern wollen, mit ihrer eigenen Souveränität: Sie sind der Ansicht, dass der Entscheid über die internationale Verteilung ihrer Mittel Ausfluss ihrer eigenen Souveränität ist. Welche politischen, rechtlichen und „technischen“ Kriterien sie dabei anwenden und wie sie die Wirksamkeit ihrer Unterstützung anderer Staaten sicherstellen, ist aus ihrer Sicht ihre eigene Angelegenheit. Schließlich stellt sich die Frage, ob die Gewährung oder Verweigerung wirtschaftlicher Unterstützung überhaupt das Verbot politischer Einmischung verletzen kann: Zumindest aus einer formellen Perspektive ist damit kein direkter Zwang verbunden und der potentielle Empfängerstaat bleibt grundsätzlich frei, internationale Unterstützung unter gewissen Governance-Bedingungen anzunehmen oder abzulehnen. Wo der Empfängerstaat Unterstützung annimmt, die explizit auf die Verbesserung von Governance-Elementen abzielt, gibt er dazu sein implizites Einverständnis und kann er keine politische Einmischung mehr geltend machen. Allerdings wird diese formelle Betrachtungsweise vor allem in wirtschaftlichen Notsituationen relativiert, die arme und hochverschuldete Staaten faktisch
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zwingen, internationale Hilfe vorbehaltlos anzunehmen. Die konkreten völkerrechtlichen Grenzen des verbotenen Zwanges im Rahmen internationaler Zusammenarbeit bleiben unscharf und umstritten: Die Intensität des Druckes und seine Auswirkungen auf innerstaatliche Entscheidungsprozesse sind aus internationaler wie aus innenpolitischer Sicht äußerst komplexe Phänomene und werden von Geberinstitution und Empfängerstaat, aber auch von verschiedenen Interessengruppen im Empfängerstaat selbst immer wieder unterschiedlich beurteilt. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass aus der Perspektive des Einmischungsverbotes die Geberstaaten bei der Umsetzung der Governance-Elemente tatsächlich behutsam und in gründlicher Abwägung verschiedener Chancen und Risiken vorgehen sollten, auch wenn sich kaum klare Grenzen für ihr Tun erkennen lassen. Rücksicht auf und Sensibilität für innerstaatliche Entscheidungsprozesse drängen sich zudem nicht nur aufgrund des Einmischungsverbotes auf, sondern sind vor allem Ausfluss des Bemühens um Nachhaltigkeit politischer Entscheidungen. Die entwicklungspolitische Strategie der Unterstützung von lokalen Reformkräften („local driving forces“), die genügend Kompetenz, Kapazität und innenpolitische Legitimität für das Vorantreiben konkreter und substantieller Reformen haben, scheint sowohl aus der Perspektive des Einmischungsverbotes als auch hinsichtlich der Nachhaltigkeit am besten geeignet. Dazu gehört, dass die Unterstützung nichtstaatlicher Kräfte sich auf Kreise beschränken muss, die Governance-Reformen mit friedlichen Mitteln anstreben und grundsätzlich auch kompromissbereit und fähig sind, in einer konstruktiven Weise mit staatlichen Strukturen zusammenzuarbeiten. Jedenfalls läuft eine allzu proaktive Rolle der internationalen Geberstaaten und -institutionen auch dem Governance-Grundsatz der „accountability“ zuwider: Als externe Akteurin übernimmt die Geberagentur keine innenpolitische Verantwortung, wenn die von ihr direkt angestrebte Reform misslingt oder negative Nebenwirkungen zeitigt. Die direkte Einflussnahme lässt sich aus der Perspektive der Wirksamkeit internationaler Unterstützung durchaus rechtfertigen, wo es um das „Wie“ staatlichen Handelns geht. So ist etwa die Förderung von Transparenz staatlicher Entscheidungsverfahren oder von administrativen und gerichtlichen Kontrollmechanismen grundsätzlich wenig problematisch. Deutlich heikler ist die Beeinflussung des „Was“ staatlicher Tätigkeit: In der politischen Diskussion um die Definition öffentlicher Aufgaben und der Aufgabenverteilung zwischen Staat und Zivilgesellschaft sollten sich die Geberstaaten und Geberinstitutionen tendenziell eher zurückhalten und Grundsatzentscheide – etwa hinsichtlich der Verteilung staatlicher Ressourcen – der innenpolitischen Dynamik überlassen. Ebenso ist es heikel, auf personelle Entscheide innerhalb der politischen und administrativen Institutionen direkt Einfluss nehmen zu wollen oder bestimmte politische Parteien – seien sie nun an den Schalthebeln politischer Macht oder nicht – zu fördern. Hingegen bleibt es den Geberstaaten und -institutionen nach einhelliger Meinung unbenommen, politische und rechtliche Rahmenbedingungen ihrer Zusammenarbeit zu analysieren und auf die Unterstützung von Programmen und Projekten zu verzichten, wenn sie die Governance-Voraussetzungen für einen wirksamen und erfolgreichen Einsatz der eigenen Mittel als nicht gegeben erachten.
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3.2 Governance, demokratische Partizipation und politische Stabilität Wie die Begriffe „Demokratie“ und „Partizipation“ thematisiert Governance den Prozess politischer Entscheidungsfindung. Allerdings sehen die verschiedenen Entwicklungsorganisationen das Verhältnis zwischen „Politik“ und Governance unterschiedlich, wie bereits gezeigt. Im Besonderen werden die wechselseitigen Beziehungen zwischen demokratischen Systemen, politischer Stabilität und wirtschaftlicher Entwicklung – je nach den Inhalten, die diesen Begriffen zugeordnet werden – unterschiedlich beurteilt. Die Auffassung, dass autoritäre, sogar repressive Regierungsformen politische Systeme stabilisieren und sich auf wirtschaftliche und soziale Entwicklung regelmäßig günstig auswirken, war in den Siebziger- und Achtzigerjahrenunter Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitikern weit verbreitet. Die südostasiatischen Tigerstaaten galten als glänzendes Beispiel für eine geglückte Wirtschaftspolitik ohne Menschenrechte und Demokratie. So hatten etwa Taiwan und Südkorea einen starken Staatsapparat aufgebaut, der einerseits repressiven Zwecken, aber auch der systematischen Vorantreibung wirtschaftlicher Entwicklung diente. Gemeinsam war wohl allen südostasiatischen Tigerstaaten, dass sie zwar oft rücksichtslos mit einzelnen Bevölkerungsgruppen und mit zahlenmäßig relativ bescheidener politischer Opposition umgingen, gegenüber breiten Bevölkerungsschichten jedoch keineswegs repressiv vorgingen. Eine wachsende (Mittel-)Schicht konnte vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren. Die Regierungen investierten in Bildung, Gesundheit, Wohnraum und betonten regelmäßig, dass gesamtgesellschaftliche Interessen Vorrang vor individuellen Interessen haben müssten. Solche „allgemeine“ Interessen wurden zwar unter Ausschluss breiter Bevölkerungskreise vom Staat und den ihn beherrschenden Eliten definiert, konnten sich aber durchaus mit den Interessen breiterer Schichten der Bevölkerung und mit jenen der investierenden transnationalen Gesellschaften decken.31 Einige Analysen zeigen, dass Repression letztlich nicht der Entwicklungsförderung dient, sondern in erster Linie der Durchsetzung oder Aufrechterhaltung eines bestimmten politischen Modells für die Verteilung des geschaffenen Reichtums.32 Repression kann ein System stabilisieren und eine drohende Desintegration verhindern, wenn ein schwaches Staatsgebilde mit großen Legitimationsdefiziten dem offenen Umgang mit konfligierenden Interessen nicht gewachsen ist.33 Dies gilt jedoch wohl nur aus einer kurzfristigen Optik, die Stabilität als gesellschaftliche Immobilität begreift. Politische Stabilität, die sich auf eine ungleichgewichtige Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen stützt und auf repressive Stabilisie31 Donnelly, 1989, S. 305 ff; zum Spannungsfeld zwischen „Demokratie“ und „Good Governance“ vgl. auch Abrahamsen, 2000; Heilmann, 1995, S. 275 ff; Osinbajo/Ajayi, 1994, S. 743. Crawford, 2000. 32 Rhoda Howard formulierte es pointiert: „In ‚development dictatorships‘ in which economic policies are decreed without reference to the wishes of the masses, it is the dictators who develop.“ Howard, Rhoda, 1985, „Law and economic rights in Commonwealth Africa“, California Western International Law Journal 15, S. 614. 33 Vgl. etwa zum Beispiel Indonesien und anderen asiatischen Beispielen Hitchcock, 1998, länderspezifische Beiträge in Tay (ed.), 1999; Davis, 1998, S. 303 ff.
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rungsmaßnahmen setzt, steht ihrerseits langfristig auf wenig tragfähigen Fundamenten. Der fehlende Ausgleich zwischen widersprüchlichen Interessen ist ein Risikofaktor, der die künftige politische und damit auch die wirtschaftliche Stabilität eines Landes und die Investitionsrisiken negativ beeinflusst. Eine längerfristige (entwicklungspolitische) Perspektive begreift politische Stabilität denn auch nicht als Verlängerung des status quo, von dem bestimmte staatliche und gesellschaftliche Eliten profitieren, sondern als ausgleichenden, dynamischen Prozess: Die kurzfristige Verhinderung politischer Auseinandersetzung bedeutet in dieser Logik ein längerfristiges Destabilisierungsrisiko, das sich in umso heftigeren Ausbrüchen unterdrückter Konflikte äußern könnte. Aus dieser Sicht haben die demokratische Partizipation und politische Freiheitsrechte sogar eine stabilisierende Funktion, indem sie der Äußerung unterschiedlicher Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen dienen und damit den kontinuierlichen Ausgleich von Interessenkonflikten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen ermöglichen.34 Demokratische Partizipation und Menschenrechte wirken zudem positiv auf den Prozess der innerstaatlichen Konfliktlösung.35 Sie bieten zwar keine politischen Rezepte, wie Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Individuen und dem Staat auszusehen haben. Sie legen aber wichtige Leitlinien für den politischen Umgang mit innergesellschaftlichen Konflikten fest, die für Regierung wie Opposition gelten müssen. Gewaltlosigkeit, die Meinungsfreiheit und damit die Anerkennung der Möglichkeit des Andersdenkens (Toleranz) und das Diskriminierungsverbot sind die menschenrechtlichen Hauptpfeiler eines stabilen Fundaments für den Prozess politischer Auseinandersetzung. Das menschenrechtliche Konzept, das Eingriffe des Staates in menschenrechtlich relevante Bereiche nur im qualifizierten öffentlichen Interesse erlaubt, verhindert zudem eine staatliche Politik, die einzelne Individuen oder einzelne Bevölkerungsgruppen übermäßig belastet. In diesem Sinne weisen auch neuere empirische Studien der Weltbank einen positiven Zusammenhang zwischen der Achtung bürgerlicher Freiheiten und der Nachhaltigkeit staatlicher Entwicklungsprojekte nach.36 Im Weiteren tragen zur politischen Stabilität auch die wirtschaftlichen und sozialen Rechte bei, die zumindest mittelfristig allen Menschen einen minimalen Anteil am nationalen Wohlstand sichern und damit soziale Spannungen tendenziell entschärfen. Die Auffassung, dass partizipative Entscheidungsverfahren positiv mit nachhaltigen entwicklungspolitischen Erfolgen verknüpft sind, gehört erst seit einigen Jahren zum entwicklungspolitischen Konsens der Geberinstitutionen und Geberstaaten.37 Zumindest auf der Ebene der Planung, Gestaltung und Umsetzung kon34 Vgl. dazu UNDP, 2002; grundlegend Sörensen, 1993, S. 16 ff, mit vielen Verweisen; Brunetti, 1997. 35 Vgl. dazu auch etwa OECD/DAC, 2001; Adedeji (ed.), 1999; Zartmann et al. (eds.), 1997. 36 Isham/Kaufmann/Pritchett, 1997, S. 219 ff. 37 Vgl. dazu Mürle, 1997, S. 57 ff, mit weiteren Hinweisen; Taylor, 1994; Picciotto, 1995. Vgl. zu methodischen Ansätzen und praktischen Erfahrungen im Besonderen Schneider/Libercier (eds.), 1994, mit zahlreichen länderspezifischen Beiträgen.
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kreter Entwicklungsprogramme und -projekte ist man heute vielerorts überzeugt, dass nachhaltige Resultate nur mit der aktiven Beteiligung und der „ownership“ der Betroffenen erzielt werden können. Wieweit diese Argumente für partizipative Entwicklung auch für die Makro-Ebene der politischen oder „demokratischen“ Partizipation an der Entscheidfindung staatlicher Behörden gelten, ist noch nicht geklärt.38 Mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme Osteuropas rückten aber „Demokratie und Menschenrechte“ als eigenständige Zielsetzung außenpolitischer und entwicklungspolitischer Bestrebungen vieler Geberstaaten in den Vordergrund. Die Governance-Perspektive der Geberinstitutionen und -staaten hat in der Praxis allerdings oft eine recht etatistische Tendenz und stellt die technokratische „unpolitische“ Reform staatlicher Strukturen in den Vordergrund. Transparente und verantwortliche staatliche Strukturen brauchen jedoch eine Entsprechung in der demokratischen Öffnung des politischen Systems und in den klassischen Freiheitsrechten, welche die Governance-Anliegen auf Seiten der Zivilgesellschaft reflektieren. Die klassischen Freiheitsrechte sind notwendige Voraussetzung für jede Form von Partizipation. Wo kein Recht auf Meinungsäußerung besteht, ist selbstverantwortliches Handeln und unabhängige politische Meinungsbildung nicht möglich, können kritische Meinungen weder geäußert noch verbreitet werden. Ohne Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ist es der Zivilgesellschaft unmöglich, sich so zu organisieren, dass sie auch konfligierende Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen zum Ausdruck bringen und in die staatlichen Entscheidungsprozesse einbringen kann. Menschenrechte sind damit eng verbunden mit Governance und mit partizipativen Entscheidungsformen, die allen Bevölkerungsgruppen aktive Möglichkeiten einräumen, ihre politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse in der Öffentlichkeit selbst zu definieren und sie mit eigener Kraft zu befriedigen. 3.3 Governance und günstige rechtliche Rahmenbedingungen Der Begriff Governance hat nicht nur politische und administrative Dimensionen, sondern impliziert auch eine bestimmte rechtliche Dynamik. Wie sehen entwicklungsfördernde rechtliche Rahmenbedingungen aus? Welche rechtlichen Reformen sind aus der Perspektive von Governance prioritär? Diese Fragen werden aus der Sicht verschiedener Disziplinen und je nach dem länderspezifischen Umfeld unterschiedlich beurteilt. Einige Hinweise für die Entwicklung von vernünftigen Prioritäten in diesem komplexen und umfangreichen Themenbereich lassen sich aus den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und aus der Rolle des Rechts im marktwirtschaftlichen System ableiten. Weitere Kriterien ergeben sich aus der menschenrechtlichen Diskussion, wie sie weiter unten skizziert wird.
38 Vgl. die Hinweise zu den komplexen Beziehungen zwischen Demokratie und wirtschaftlichem Wachstum bei Kaufmann/Kray, 2002; Marsh/Blondel/Inoguchi, 1999.
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3.3.1 Das komplexe Verhältnis zwischen rechtlichen Normen und wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung Das Recht und die Behörden, die Recht durchsetzen, spielen in jedem ökonomischen System eine wichtige Rolle für das wirtschaftliche, soziale und politische Leben. In einem System beispielsweise, in welchem der Staat die wirtschaftlichen Ressourcen verteilt und wirtschaftliche Aktivitäten plant, dienen das Recht und die Gerichte in erster Linie dem Staat bei der Durchsetzung seiner Entscheide. Aber auch in marktorientierten Wirtschaftssystemen benützte die staatliche Wirtschaftspolitik schon immer rechtliche Instrumente, wenn es um die Sicherung der Rahmenbedingungen des Wettbewerbs oder um seine Einschränkungen ging. International wurde das Verhältnis zwischen Recht und Entwicklung seit den Sechzigerjahren breiter diskutiert. Besondere Aufmerksamkeit erhielt vor allem die Rolle, die das Recht für oder gegen sozialen Wandel spielen kann. Das Rechtssystem dient zwar in vielen Fällen der konservativen Aufrechterhaltung des status quo, im Besonderen mit Bezug auf den Zugang zu Ressourcen und Macht; es besitzt aber auch dynamisches Potential, um wirtschaftliche und soziale Veränderungen zu begünstigen, wenn nicht sogar zu initiieren. Entsprechend propagierten in den Sechzigerjahren einige liberal orientierte Rechtswissenschafter unter dem Stichwort „Law and Development“ das positive Recht als Instrument, um in Entwicklungsländern soziale und wirtschaftliche, marktwirtschaftlich orientierte Entwicklung zu fördern. Die sozialwissenschaftliche Kritik bemängelte allerdings, dass dieser Ansatz allzu formal sei, länderspezifische gesellschaftliche Rahmenbedingungen nicht berücksichtige und auf keinerlei empirischem Nachweis beruhe, dass modernes Recht allein wirtschaftliche Entwicklung bewirken könne.39 Nicht zuletzt mangels kurzfristiger Erfolge – nicht wenige ausgebildete Juristen verwendeten das Gelernte ihrerseits instrumental zur Sicherung ihrer eigenen Interessen oder zugunsten despotischer Regimes – verlor der Ansatz des „Law and Development“ an politischer Attraktivität.40 Mit „Law and Economics“ befasste sich seit den Sechzigerjahren die Wirtschaftswissenschaft. Das Recht erschien in dieser Perspektive als eine unter mehreren sozialen Institutionen, die das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben ordnen und die aus wirtschaftlicher Sicht analysiert werden müssen. Die Bedeutung rechtlicher Normen für das Funktionieren wirtschaftlicher Abläufe wird von verschiedenen ökonomischen Theorien unterschiedlich beurteilt.41 Im Besonderen beschäftigten sich einige Wirtschaftswissenschaftler mit den rechtlichen Rahmenbedingungen, welche die Sicherung und Mobilisierung von Eigentum bestimmen. Die „New Institutional Economists“ analysierten die Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Austausches und stellten fest, dass die „Transaktionskosten“ (und damit auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für den marktwirtschaftlichen Austausch) entgegen der klassischen Theorie durchaus die 39 Shihata, 1997; Chibundu, 1997. 40 Trubek, 1990, S. 4 ff, 23. 41 Vgl. dazu etwa Garello, 1995.
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Produktion von Gütern beeinflussen. Die Art und Ausgestaltung von „Institutionen“42 sind nach dieser Meinung für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes von grosser Bedeutung.43 Als in den Neunzigerjahren das Modell einer marktorientierten Wirtschaft weltweit kaum mehr in Frage gestellt wurde, rückten die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Entwicklung wieder ins Zentrum entwicklungspolitischer Überlegungen.44 Während die „Law and Development“-Bewegung der Sechzigerjahre in erster Linie auf die Reform des materiellen Rechts und die Entwicklung rechtlicher Methodik setzte, betten die heutigen Ansätze die rechtlichen Rahmenbedingungen in eine strukturellere Perspektive ein. Die neue Aufmerksamkeit, die die Rolle des Rechts im Rahmen der Förderung marktwirtschaftlicher Entwicklung erhalten hat, wird von verschiedenen Seiten auch kritisch betrachtet, unter anderem weil man zu wenig Lehren aus den Misserfolgen der Sechzigerjahre gezogen habe. Diese Kritik stellt zu Recht fest, dass rechtliche Reformen primär auf einer Analyse der konkreten, länderspezifischen Rahmenbedingungen statt auf einem formalen westlichen Muster aufbauen müssen, um das Risiko kontraproduktiver Auswirkungen zu vermeiden.45 Im Besonderen gibt es auch Kritik aus der Dritten Welt, die hinter der Priorisierung rechtlicher Rahmenbedingungen letztlich den Versuch des reichen Nordens vermutet, seine eigenen rechtlichen Standards zu globalisieren und so den Weg für eigene Investitionen zu ebnen und abzusichern.46 Immerhin herrscht praktisch überall die Auffassung, dass rechtliche Rahmenbedingungen wenn auch nicht eine allein ausschlaggebende, so doch eine wichtige Rolle für wirtschaftliche Entwicklung spielen.47 3.3.2 Die Bedeutung der „Rule of Law“ für die Gestaltung staatlicher Entscheidungsprozesse Rechtsstaatlichkeit – „l’état de droit“, „rule of law“ – ist eng mit dem Bild des modernen Staates verbunden, der seine Tätigkeit an einem allgemeinen Interesse, zusammengesetzt aus unterschiedlichen Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen, orientiert. Rechtsstaatlichkeit sucht in erster Linie den Staat auf seinen Zweck, der Entfaltung und Entwicklung der Menschen auf seinem Territorium zu dienen, zu beschränken. Sie soll willkürliche Handlungen sowie den Missbrauch des staatlichen Gewaltmonopols im Interesse von Partikulärinteressen verhindern. 42 Der Begriff der „Institution“ bedeutet hier Spielregeln. Entgegen dem rechtswissenschaftlichen Sprachgebrauch sind Institutionen im ökonomischen Sinn nicht gleichbedeutend mit „Organisationen“, die als Akteurinnen im „Spiel“ erscheinen; vgl. dazu und zur wirtschaftswissenschaftlichen Spieltheorie Weder, 1993, S. 6 ff, mit weiteren Hinweisen. 43 Zu den verschiedenen wissenschaftlichen Tendenzen „law and economics“, „politische Ökonomie“ und „New Institutional Economics“ vgl. etwa den Überblick bei Stigler, 1992, S. 455 ff, Posner, 1993, S. 73 ff. 44 Shihata, 1997, S. 1577 ff; Seidmann et al. (eds.), 1999. 45 Vgl. etwa die case studies in Faundez (ed.), 1997, S. 123 ff. 46 Vgl. etwa Chibundu, S. 214 ff; de Gaay Fortmann, 1993. 47 Seidmann/Seidmann, 1994; Sherwood/Shepherd/Marcos de Souza, 1994, S. 101 ff.
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Das gesetzte Recht ist in diesem Sinne der Ausdruck des allgemeinen Interesses, auf das es die staatlichen Behörden zu behaften gilt. Rechtsstaatlichkeit umfasst eine Reihe von Grundsätzen, die nach länderspezifischem und kulturellem Umfeld variieren und in unterschiedlicher Dichte und auf unterschiedlichen Ebenen kodifiziert worden sind.48 Einige gemeinsame Elemente, die inhaltlich zusammenhängen und in den einzelnen Ländern unterschiedlich gewichtet werden, lassen sich herauskristallieren, so etwa Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, eine unabhängige, funktionierende Justiz, die Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger, der Vorrang der Verfassung und eine entsprechende Normenhierarchie, die Gewaltenteilung und eine wechselseitige Kontrolle zwischen Legislative, Exekutive und Judikative.49 Einige Autoren ordnen auch die Menschenrechte, namentlich die liberalen Freiheitsrechte, dem rechtsstaatlichen Konzept zu. In jedem Fall überschneiden sich zentrale menschenrechtliche Anliegen (wie Rechtsgleichheit und Diskriminierungsverbot sowie zentrale justizielle Garantien) mit rechtsstaatlichen Grundsätzen und verankern diese im internationalen Recht. Über die menschenrechtlichen Garantien hinaus bietet das internationale Recht jedoch keine allgemeine und explizite rechtliche Grundlage für die Anliegen der Rechtsstaatlichkeit. Folgende Aspekte von Rechtsstaatlichkeit haben in der Perspektive von Governance besondere Bedeutung: – Die personelle und institutionelle Trennung von verschiedenen staatlichen Funktionen dient der gegenseitigen Machtkontrolle, die sich meist in einem komplexen System institutioneller und personeller Verflechtungen und Verschränkungen zwischen Exekutive, Legislative und Judikative und wechselseitigen checks and balances äußert. – Zugang der interessierten Öffentlichkeit zur Information über die geltenden Rechtsregeln: Rechtsregeln können ihre Funktion der Sicherung voraussehbaren Verhaltens nur erfüllen, wenn sie ihren Adressatenkreis überhaupt erreichen. Verbreiteter Analphabetismus, sprachliche Probleme, die Unvertrautheit mit moderner rechtlicher Methodik und nicht zuletzt komplizierte, unübersichtliche, widersprüchliche Gesetzestexte erschweren dies. – Die rechtsgleiche Anwendung von Normen in Exekutive und Verwaltung: Die rechtsstaatlichen Grundsätze binden Exekutive und Verwaltung in das Rechtssystem ein. Die staatlichen Behörden bewegen sich in der Ausübung ihrer öffentlichen Aufgaben nie in einem rechtsfreien Raum, sondern ihre Entscheidungsspielräume sind von Rechtsregeln umschrieben und abgesteckt. Sie haben die geltenden abstrakten Normen auf konkrete Sachverhalte rechtsgleich anzuwenden, ohne nach unsachgemäßen Kriterien – wie etwa der Bezahlung von Schmiergeld – zu unterscheiden. – Der Zugang zu unabhängigen Gerichten: Ein unabhängiges Kontrollsystem schützt die Menschen vor staatlichem Machtmissbrauch und vor ungerechtfer48 Vgl. dazu Carothers, 1998, S. 95 ff. 49 Vgl. zum Konzept der Rechtsstaatlichkeit und seinen verschiedenen Erscheinungsformen Morin, 1995; Shapiro (ed.), 1994; Buchwald, 1997, S. 155 ff.; Hofmann, 1995.
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tigten Übergriffen in ihre rechtlich gesicherten Handlungsbereiche. Neben dieser vertikalen Funktion haben die Gerichte auch eine maßgebliche Aufgabe in der Durchsetzung horizontal wirkender Regeln. Verschiedene gesellschaftliche Mechanismen sichern zwar die Einhaltung der entsprechenden Regeln. Besonders Personen mit wenig Machtpotential müssen aber auf die staatliche Durchsetzung von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Spielregeln vertrauen können. Wenn sie ihre konfliktlösende Funktion erfüllen sollen, müssen Gerichte unabhängig und problemlos zugänglich sein, verhältnismäßig rasch entscheiden und ihre Dienstleistungen erschwinglich sein. Zudem fehlt es oft an der praktischen Durchsetzung ergangener Gerichtsentscheide. – Geordnete Verfahren zur Änderung des normativen Rahmens: Wo Rechtsregeln immer wieder ad hoc geändert oder aufgehoben und ersetzt werden, ist die Voraussehbarkeit des Verhaltens staatlicher Behörden beeinträchtigt. Allerdings dienen auch allzu starre Regeln, die gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Veränderungen nicht Rechnung tragen, der Rechtssicherheit nicht: Sie laden vielmehr zu breiter Missachtung ein und können willkürliches Verhalten staatlicher Behörden erleichtern. Die rechtsstaatlichen Grundsätze haben die Aufgabe, der Bevölkerung die notwendige Rechtssicherheit und politische Stabilität zu bieten. Nicht zuletzt können damit wirtschaftliche Akteurinnen und Akteure ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten und Risiken besser einschätzen.50 Zwar setzen auch nichtstaatliche, oft personenbezogene Mechanismen – im Sinne institutionalisierter „Clubs“ – mit unterschiedlichen Strategien durchaus erfolgreich Regeln durch und ihre allgemeine Bedeutung zur Lösung von Interessenkonflikten ist nicht zu unterschätzen. Anonymere, großräumige Märkte sind jedoch nach heute herrschender Auffassung auf das Funktionieren (rechts-)staatlicher, sogar internationaler Mechanismen zur Durchsetzung der geltenden Spielregeln angewiesen.51 3.3.3 Günstige rechtliche Rahmenbedingungen für den Privatsektor Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierten sich die meisten Länder mit entwicklungspolitischen Defiziten ungeachtet ihrer ideologischen Ausrichtung auf Strategien, die dem Staat eine zentrale wirtschaftliche Rolle einräumten: Der Staat sollte wirtschaftliche Entwicklung planen und verwalten, die vorhandenen Ressourcen verteilen, Güter und Dienstleistungen für den privaten und öffentlichen Konsum produzieren. Als in den Achtzigerjahren die Marktorientierung breite Anhängerschaft gewann, rückte der bis anhin in den Ländern des Südens kaum geförderte Privatsektor in den Vordergrund. Dies ließ auch die rechtlichen Rahmenbedingungen in einem anderen Licht erscheinen. So fasst die Weltbank im „legal framework for development“ jene Normen zusammen, die für private wirtschaftliche Tätigkeit und das Funktionieren einer marktwirtschaftlichen Ordnung als unerlässlich erach50 Vgl. dazu etwa Shihata, 1995, S. 13. 51 Weder, 1993, besonders S. 194, mit vielen Verweisen, im Besonderen auf die Literatur der „Institutional Economics“; vgl. dazu auch Cooter, 1997, S. 191 ff; The World Bank, 2002b.
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tet werden. Sie beziehen sich namentlich auf Eigentumsrechte, auf Instrumente für die Mobilisierung (und damit Kommerzialisierung) von Eigentum (z. B. Vertragsrecht, Bankenrecht), auf Regeln für produktive Tätigkeiten (Gesellschaftsrecht, Investitionsrecht, Konkursrecht, Liquidationsrecht) sowie auf Regeln zur Förderung des freien Wettbewerbs und zur entsprechenden Kontrolle des Marktes.52 Gerade von juristischer Seite her ist dieser Fokus als zu eng kritisiert worden, weil er vor allem wirtschaftsrechtliche Reformen im Interesse einer globalisierten Marktwirtschaft im Auge habe und die Rolle des allgemeinen rechtlichen Rahmens vernachlässige. Das Rechtssystem als Ganzes, die dazugehörige soziale und kulturelle Infrastruktur und die Schaffung einer verantwortungsbereiten Zivilgesellschaft und eines allgemeinen Rechtsbewusstseins, das den einzelnen Individuen zugleich Freiheiten zuerkennt und Schranken setzt, bleiben im Hintergrund. Ein breiterer Ansatz wäre jedoch auch für die Nachhaltigkeit günstiger rechtlicher Rahmenbedingungen und im Interesse des Wettbewerbs von zentraler Bedeutung.53 3.4 Governance und Menschenrechte 3.4.1 Internationale Standards und ihre entwicklungspolitische Bedeutung Im Gegensatz zu Governance und Rechtsstaatlichkeit sind die internationalen menschenrechtlichen Standards Teil des Völkerrechts: Die völkerrechtlichen Übereinkommen in diesem Bereich sind für die ratifizierenden Staaten – heute die überwiegende Mehrzahl der Staaten – verbindlich. Zentrale Elemente des Menschenrechtsschutzes (etwa das Genozidverbot, das Verbot systematischer Rassendiskriminierung, das Folterverbot, allgemein das Verbot schwerer und systematischer Menschenrechtsverletzungen) sind ausserdem Teil des Völkergewohnheitsrechts, das alle Staaten ungeachtet ihrer individuellen Zustimmung bindet.54 Die entwicklungspolitische Rhetorik und Praxis hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wenig mit dem Konzept der Menschenrechte auseinandergesetzt. Die Reflexe des Kalten Krieges, in dem die internationalen Menschenrechte eine sehr ideologische Funktion innehatten, ließen und lassen sie immer noch vielerorts als eurozentrisches, übermäßig individualisierendes und politisiertes und damit suspektes Konzept erscheinen. Kollektive und strukturelle Dimensionen der Menschenrechte, die eng mit der entwicklungspolitischen Idee des „empowerment“ benachteiligter Bevölkerungsgruppen verknüpft sind oder das entwicklungspolitisch so wichtige Verhältnis zwischen staatlichen Institutionen und der Zivilgesellschaft betreffen, wurden erst nach und nach entdeckt.55 Die Bedeutung menschen52 The World Bank, 2002a. 53 Platteau betont, dass eine marktorientierte Wirtschaft nur mit einer entsprechenden „generalized morality“ funktioniere. Wo sie (noch) nicht existiere, habe der Staat eine aktivere, interventionistischere Rolle zu spielen, um sie zu schaffen; Platteau, 1994, S. 802 ff. 54 Zur umfang- und facettenreichen menschenrechtlichen Diskussion vgl. etwa Steiner/Alston, 2000, mit vielen weiteren Hinweisen. 55 Hinweise zu dieser Diskussion in Schläppi, 1998, S. 132 ff.
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rechtlicher Argumente für die Zielsetzungen von „Entwicklung“ und für ihre Umsetzung in konkrete Programme und Projekte ist immer noch wenig geklärt. Obwohl die bürgerlichen und politischen Rechte und der liberale marktorientierte Staat ähnliche historische Wurzeln haben und sich gegenseitig bedingen, gehören die Menschenrechte nicht zum gängigen Vokabular liberaler Ökonomen. Dabei könnte die entwicklungspolitische Diskussion gerade im Hinblick auf die Argumentationslinien zur politischen Einmischung von einer besseren Ausleuchtung und Nutzung dieser Beziehungen profitieren. Die Verbindung mit der menschenrechtlichen Perspektive bietet den Governance-Grundsätzen eine bessere völkerrechtliche Verankerung und zeichnet konkretere Konturen von Governance, wie im Folgenden zu zeigen ist.56 3.4.2 Allgemeine Rechtsfähigkeit und Diskriminierungsverbot Die allgemeine Rechtsfähigkeit ist die Grundlage jedes rechtsstaatlichen Systems – und jeder entwicklungspolitischen Idee, die auf empowerment und wirtschaftliche und politische Partizipation auch benachteiligter Bevölkerungsgruppen setzt. Politische Partizipationsrechte, Rechtssicherheit, wirtschaftliche Freiheit und Eigentumsrechte sind Ansprüche, die grundsätzlich allen zukommen müssen, wenn ein marktorientiertes System funktionieren und den einzelnen, selbstverantwortlichen Menschen optimalen Nutzen bringen soll. Das menschenrechtliche Diskriminierungsverbot verpflichtet in diesem Sinne die staatlichen Behörden zur Gleichbehandlung, sei es in der Setzung generell-abstrakter Normen oder in deren Anwendung im konkreten Einzelfall. Politische und wirtschaftliche Freiheit lässt sich allerdings nicht auf ihren formalen Aspekt – die Freiheit von staatlichen Einschränkungen – reduzieren. Ökonomische Macht kann individuelle Freiheit wesentlich beschränken und die formelle rechtliche Gleichheit in eine materielle Ungleichheit verkehren. Das menschenrechtliche Diskriminierungsverbot und die Diskussion um die Verteilung erarbeiteten Wohlstandes lassen sich deshalb nicht klar trennen. Wie weit der Staat hier eingreifen und beispielsweise den Zugang zu knappen Ressourcen und zum wirtschaftlichen Wettbewerb mit positiven und negativen Maßnahmen beeinflussen soll, bleibt im Besonderen Gegenstand politischer Auseinandersetzung. 3.4.3 Menschenrechte und individuelle Handlungsspielräume Dass die Achtung klassischer Freiheitsrechte eine wichtige Voraussetzung eines funktionierenden demokratischen Systems ist, leuchtet allgemein ein. Inhaltlich ebenso naheliegend, aber viel weniger erkannt, ist der enge Bezug der klassischen Freiheitsrechte zum Handlungsspielraum eines aktiven Privatsektors: Ihre Achtung ist zwar nicht hinreichende, aber doch notwendige Bedingung für marktwirtschaftliches Verhalten. Umso wichtiger scheint die individuelle, rechtliche Sicherung solcher Handlungsspielräume, je größer und anonymer der potentielle Kreis 56 Vgl. dazu etwa auch UNDP, 1998; UNDP, 2000.
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der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am wirtschaftlichen Wettbewerb ist. Handlungsspielräume sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass die einzelnen Wirtschaftsakteurinnen und -akteure sich überhaupt marktkonform verhalten und ihre eigenen Produktionspotentiale optimal nutzen können. Insbesondere die folgenden Menschenrechte sind hier von Bedeutung: – Persönliche Sicherheit: Zentrale Bedeutung für die Sicherung wirtschaftlicher Handlungsspielräume hat das Recht auf persönliche Sicherheit. Es schützt den einzelnen Menschen, seine Bewegungsfreiheit und sein Eigentum vor willkürlichen Übergriffen staatlicher und privater Macht. – Schutz der Privatsphäre: Der Schutz von „Privatleben“, Wohnung und Schriftverkehr gegen willkürliche Übergriffe hat zentrale Bedeutung für eine funktionierende Zivilgesellschaft. Ohne diesen Grundsatz sind auch wirtschaftliche Handlungsspielräume eine Illusion. – Meinungsäußerung und Information: Das Recht auf Zugang zu und Austausch von Informationen entspricht auf der individuellen Ebene einem zentralen Element von Governance, das den Staat auf Transparenz und auf Information über wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen verpflichtet. Ohne den Grundsatz der Meinungsäußerungsfreiheit sind zudem der innovativen Kraft eines wirtschaftlichen Systems und der Gesellschaft enge Grenzen gesetzt. Die klassischen Freiheitsrechte sind wichtige Voraussetzung für die Mobilisierung von (selbst-)kritischen Ideen, die auch für die Mobilisierung der wirtschaftlichen und sozialen Ressourcen eines Landes von zentraler Bedeutung sind. – Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit: Der Grundsatz der allgemeinen Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit garantiert die für einen funktionierenden Markt notwendige Mobilität. Ein formales Recht ist jedoch kaum hinreichend: Menschen werden beispielsweise traditionelle (familiäre und dörfliche) Strukturen, die ihnen zumindest minimale soziale Sicherheit bieten können, nicht verlassen, wenn die modernen urbanen Strukturen ihnen nicht das Überleben und einen entsprechenden minimalen Standard sichern können. – Unabhängige Gerichte: Menschenrechtliche Terminologie umschreibt wichtige Kriterien einer nach rechtsstaatlichen Prinzipien funktionierenden unabhängigen Justiz. Der Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte hält etwa den Grundsatz der Gleichheit vor Gericht fest und gibt jedem Menschen den Anspruch auf Beurteilung seiner zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen durch ein zuständiges, unabhängiges, unparteiisches und auf Gesetz beruhendes Gericht. Besonders Bevölkerungsgruppen, die von anderen Machtmitteln ausgeschlossen sind, sind die Nutznießer eines funktionierenden (menschen)rechtlichen Instrumentariums, das ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen wirksam schützen kann. Dies gilt im Besonderen auch für kleine und mittlere Unternehmen und für den in Entwicklungsländern so wichtigen informellen Sektor. Dagegen können sich marktmächtige nationale und transnationale Unternehmen gegen potentielle Konkurrenz und gegen Übergriffe staatlicher Behörden oft auch mit anderen Mitteln zur Wehr setzen, sei es mit dem legalen und illegalen Einsatz finanzieller Mittel und/oder mittels politischem Lobbying.
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3.4.4 Soziale und kulturelle Minimalstandards: die menschenrechtliche Dimension der Armutsbekämpfung Das menschenrechtliche Konzept beruht auf der Zielsetzung der Sicherung „menschlicher Würde“ für alle. Für viele Menschen ist es in erster Linie die Armut, die sie an einem Leben in Würde hindert. Armutsbekämpfung ist denn auch zu einer zentralen Orientierung der internationalen Entwicklungspolitik geworden. Unbestritten ist heute, dass die internationalen menschenrechtlichen Normen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich eine programmatische Vorgabe für staatliche Politik sind: In diesem Sinne ist die Umsetzung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte von den verfügbaren öffentlichen Mitteln abhängig. Wirtschaftliche und soziale Rechte definieren auch einen minimalen Standard, auf den letztlich alle Menschen einen Anspruch haben. Die menschenrechtliche Perspektive macht besonders deutlich, dass weder der Begriff der Armut noch die Strategien zu ihrer Bekämpfung eindimensional sein können. Armut ist nicht nur ein Problem der Verteilung von Einkommen und Ressourcen. Ihre Gründe manifestieren sich für bestimmte Bevölkerungsgruppen in strukturellen Defiziten im Bereich der rechtlichen Rahmenbedingungen, vor allem im Bereich wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte, die meist auch mit fehlender politischer Partizipation einhergehen.57 Von zentraler Bedeutung für die verteilungspolitische Diskussion im Allgemeinen ist das Diskriminierungsverbot. Es ist ein Kriterium, um den abstrakten Standards konkrete Bedeutung zuzuordnen, zum Beispiel in der Bestimmung, was ein minimaler sozialer Standard im konkreten Umfeld – im Vergleich mit anderen Bevölkerungsgruppen – bedeuten könnte. In diesem Sinne ist das Diskriminierungsverbot zwar kein Garant für eine „gerechte“ Verteilung von Ressourcen, aber die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte geben zusammen mit dem Diskriminierungsverbot programmatische Leitlinien vor, an denen sich staatliche Wirtschafts- und Sozialpolitik (auch) zu messen hat.
4 Zum Schluss Diese Darstellung hat sich auf einige rechtliche Aspekte des komplexen Governance-Konzeptes konzentriert. Weitere Themen und Spannungsfelder würden allerdings ebenso der Erörterung bedürfen, wenn wir Governance in seiner Bedeutung für politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung erfassen wollen. In der Entwicklungszusammenarbeit werden heute unter dem Titel Governance auch Fragen der Dezentralisierung von politischer Entscheidungsfindung und von öf57 UNDP 2000. Dies machen letztlich auch die Statistiken von Weltbank und UNDP zum Phänomen der Armut deutlich. Die in den letzten Jahren entwickelten sozialen Indikatoren versuchen, die Situation besonders benachteiligter Gruppen auf der Grundlage von Statistiken zu Ernährung, Gesundheit, Unterkunft und Bildung – und nicht nur auf der Grundlage von Einkommen – zu beurteilen; vgl. etwa UNDP, 1997, im Besonderen der dort vorgestellte Human Poverty Index; UNDP 2000, vgl. auch The World Bank, 2000; The World Bank, 2002b.
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fentlichen Dienstleistungen, der optimalen Verwaltungsorganisation in bestimmten Sektoren staatlicher Tätigkeit, der Bekämpfung von Korruption zum Teil kontrovers diskutiert. Ebenso ist der Governance-Ansatz eine Chance, bestehende systematische Diskriminierungsprobleme – im Besonderen die Gender-Frage – in einer strukturellen Weise anzugehen. Das Verdienst von Governance ist es, die Aufmerksamkeit für die komplexen Zusammenhänge zwischen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung und staatlicher Organisation und politischer Entscheidungsfindung geschärft zu haben. Im Besonderen werden heute wichtige politische, wirtschaftliche und soziale Probleme im Lichte der umfassenden und interdisziplinären Governance-Grundsätze diskutiert, die früher mit wenig Erfolg isoliert und fachtechnisch angegangen worden sind. Es bleibt zu hoffen, dass dies neue Einsichten in politische und wirtschaftliche Prozesse in allen Ländern dieser Welt bringt. Ein zweiter Schritt ist es dann, diese Einsichten zu nutzen und für die Verbesserung der wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen in den ärmsten Ländern dieser Welt und für die Ärmsten zu verwenden.
Rechtsstaatlichkeit als Internationales Gerechtigkeitsprinzip Valérie Nádrai „Mettre la loi au-dessus de l’homme est un problème en politique, que je compare à celui de la quadrature du cercle en géométrie. Résolvez bien ce problème, et le gouvernement fondé sur cette solution sera bon et sans abus. Mais jusques là soyez surs qu’où vous croirez faire régner les lois, ce seront les hommes qui régneront.“1
In dieser Arbeit wird die Forderung aufgestellt, dass alle Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft rechtsstaatlich verfasst sein sollen, um als legitime Mitglieder anerkannt zu werden. Nur unter dieser Bedingung soll ein Staat in den Genuss der Vorteile dieser Mitgliedschaft kommen, worunter namentlich das Recht auf territoriale Integrität, das Recht auf Nicht-Intervention sowie das Recht auf Partizipation am internationalen Rechtsetzungsprozess zu zählen sind. Die Begründung dieser Forderung – und auch schon ihre Formulierung – beruht einerseits auf der Beobachtung eines Wandels des Völkerrechts, andererseits – und davon motiviert – auf dem Studium von und der Auseinandersetzung mit Literatur aus dem Bereich des Völkerrechts, der Rechtsphilosophie, der Theorie der internationalen Beziehungen und der politischen Theorie. Das Argumentarium sieht sich dementsprechend Einwänden aus all diesen Wissenschaften ausgesetzt. Problematisch mag insbesondere erscheinen, dass hier zwischen dem Faktischen und dem Normativen hin- und hergependelt wird; dies allerdings hat mit der interdisziplinären Thematik dieser Arbeit zu tun sowie auch mit der Tatsache, dass sich das gegenwärtige Völkerrecht in einer Umbruchphase befindet, was sich an dessen „naturrechtlichen Überlagerung“ und dem zunehmend sich verdichtenden Netzwerk von Normen konstatieren lässt. Das gegenwärtige Völkerrecht ist nicht länger indifferent gegenüber der inneren Verfasstheit von souveränen Staaten, die sich selber, als Völkerrechtssubjekte, zumindest deklaratorisch immer wieder zur Achtung der Trias Menschenrechte-Rechtsstaatlichkeit-Demokratie verpflichtet haben. Die wiederholte Bekräftigung dieser Normen stellt eine Herausforderung dar für das klassische Völkerrecht; denn diese Bekräftigung, sofern sie konsensual ist, begründet neues geltendes Völkerrecht. Die vorliegende Arbeit stützt sich auf diese faktische Kraft des Normativen, wenn sie argumentiert, dass sich Rechtsstaatlichkeit als allgemein anerkennungsfähige Norm der internationalen Gerechtigkeit durchzusetzen und dabei als völkerrechtliches Kriterium der Anerkennung eines Staates Geltung zu erlangen vermag. Dieser Ausblick lässt sich als „revolutionär“ bezeichnen: denn mit der Anerkennung der Rechtsstaatlichkeit als internationales Grundprinzip sähe sich das 1
Rousseau, 1964, S. 955.
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wohlverbriefte Selbstbestimmungsrecht der Staaten relativiert. Diese wären nicht mehr frei, ihr eigenes politisches, ökonomisches und soziales System zu wählen und zu implementieren;2 ferner würde sich die internationale Anerkennung von Legitimität und Souveränität eines Staates nicht mehr lediglich an der faktischen politischen Herrschaft über ein Volk erweisen,3 sondern gemäß der kontraktualistischen Theorie als von den Rechten und Interessen derjenigen Menschen abgeleitet, die innerhalb dieses Staates leben – womit das Individuum zur primären normativen Einheit erhoben wird. Diese Prämisse des normativen Individualismus findet sich schon in Kants Friedensschrift, deren Autorität und Aktualität sich zu einem großen Teil seiner Einsicht in den Zusammenhang von internationalem Frieden und individueller Freiheit, von Willkürherrschaft und Aggression verdankt. Schon im ersten Definitivartikel fordert Kant daher, dass alle Staaten republikanisch verfasst sein sollen.4 An diese Forderung knüpft diese Arbeit an, die im folgenden explizieren wird, was unter dem Konzept der Rechtsstaatlichkeit zu verstehen ist, inwiefern dieses eine Brücke zu Menschenrechten und Demokratie schlägt, und unter welchen Bedingungen es als internationales Gerechtigkeitskriterium Anerkennung finden könnte. Vorwegnehmen möchte ich hier, dass die internationale Politik kein Ort für Revolutionen ist: Normative Forderungen müssen an die Völkerrechtswirklichkeit anknüpfen, wollen sie eine faktische Kraft ausüben; sie müssen plausibel, konsensfähig und praktikabel sein, sollen sie sich zu geltendem Recht kristallisieren. Ich werde daher keine distributive internationale Gerechtigkeitstheorie, sondern eine politische Theorie vorlegen,5 die mit Blick auf das Kriterium der Konsensfähigkeit denn auch lediglich Rechtsstaatlichkeit – und nicht schon Demokratie – als internationales Gerechtigkeitsprinzip verteidigt.
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Vgl. Art. 1(1) der zwei UNO-Menschenrechtspakte: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“ Als grundlegend gilt zudem der Urteilsspruch des IGH im Falle der amerikanischen Invasion in Nicaragua: Nicaragua vs. USA (1986). (Zit. aus Kälin, 1994, S. 41.) Allerdings präzisierte der IGH in seinem West-Sahara-Gutachten, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Menschen bedingt: „the application of the right of self-determination requires a free and genuine expression of the will of the people concerned.“ (Zit. aus Schläppi, 1998, S. 264 f.) Vgl. Montevideo-Konvention (1933), die als klassische Kriterien der Anerkennung eines Staates in Art. 1 den Nachweis der Staatsherrschaft (innere Autorität, äußere Unabhängigkeit), eines Staatsgebiets und eines Staatsvolks aufführt. Vgl. Kant, AA, Bd. 8, S. 349. Kants Republik wird hier als freiheitliche Gesetzesherrschaft interpretiert, was insbesondere aus der englischen Lesart hervorgeht: die republikanische Verfassung gründet auf den Prinzipien „freedom, due process, and equality“, wobei Freiheit interpretiert wird als „respect for individual autonomy under the rule of law“. (Tesón, 1992, S. 62.) In diesem Sinn betont auch Mapel: „the Kantian ideal of a ‚republic‘ differs from the yet more substantive ideas of the ‚liberal democratic‘ and ‚liberal democratic welfare‘ state. … It does not guarantee more specific forms of political participation and rights of economic welfare, for example.“ (1998, S. 244.) Als prominente Vertreter der politischen Theorie der internationalen Gerechtigkeit lassen sich Nardin und Rawls anführen; Pogge und Beitz gelten als Vertreter der distributiven internationalen Gerechtigkeitstheorie.
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1 Zum Konzept der Rechtsstaatlichkeit Die Idee, dass in einem Staat Gesetze und nicht Menschen herrschen sollen, ist seit Aristoteles ein Leitmotiv der politischen Philosophie. Die Gesetzesherrschaft erscheint dabei als institutionelles politisches Ideal, das die Bürger vor willkürlichen Eingriffen der Regierung in ihre Freiheitssphäre schützen soll. Wer Rechtsstaatlichkeit fordert, will Gesetz und Ordnung – will staatliche Strukturen, die Chaos und Willkür zu verbannen wissen, will rechtliche Strukturen, die das Kommen und Gehen von Regierungen ohne Schaden überstehen, will ein uneingeschränktes Bekenntnis zu rechtsstaatlichen Normen, zu Rechtssicherheit und prozeduraler Gerechtigkeit. Diesem Programm soll ein Rechtssystem Rechnung tragen, von dem sich wenn auch keine verbriefte Definition, so doch wesentliche Kennzeichen anführen lassen: gesetzmäßige Ordnung, Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Gerichte. Diese allerdings charakterisieren lediglich den formalen, unter dem Einfluss des Rechtspositivismus juridifizierten Rechtsstaat, der bloße Ordnungsbewahrung bezweckt. Das normative Rechtsstaatskonzept dagegen umfasst als vernünftige Leitidee nicht nur Ordnung und Voraussehbarkeit staatlichen Handelns, sondern auch Gerechtigkeit im Sinne des „suum quique“. Es gründet auf der Anerkennung des Menschen als Rechtsperson, wie sie im kantischen Vernunftrecht konzipiert wird, womit wir auf das materiale Prinzip des freiheitlichen Rechtsstaats verwiesen werden: auf die Autonomie. Ziel des Rechtsstaates und damit Beschränkung seiner Herrschaftsmacht ist die Sicherung der Freiheit der Rechtsunterworfenen. Diese Konzeption gründet auf der Überzeugung, dass der Bürger gegenüber dem Staat einen grundsätzlichen Freiheitsanspruch hat. Der Unterschied von normativem und formellem Rechtsstaat lässt sich an der Beziehung des Staates zum Recht illustrieren, wo dieses im einen Fall Mittel und Methode, im anderen dagegen Ziel und Inhalt ist: Hier herrscht der Staat nicht bloß durch das Recht, sondern steht selber unter dem Recht; das Staatshandeln steht unter einer allgemeinen Regel, nicht der Willkür.6 Das formale Rechtsstaatskonzept wird namentlich im anglo-amerikanischen Raum als juristisches Ideal vertreten und gegen dessen Vermengung mit politischen Idealen wie Demokratie, Gerechtigkeit, Gleichheit oder der Achtung der Menschenrechte verteidigt.7 Diese Formalisierungsbestrebungen aber haben das Konzept des „rule of law“ nicht nur in ein politisches Vakuum geraten lassen, sondern auch in rechtspositivistischer Manier aller „Vernünftigkeit“ entblößt8 – was insofern nicht gelingen kann, als der Begriff des Gesetzes auch von rechtspositivistischen Autoren definiert wird als allgemeine Regel, die sich an vernunftbegabte 6 7 8
Vgl. Merkl, 1971, S. 126 ff. Vgl. etwa Raz: „It [the rule of law] is not to be confused with democracy, justice, equality (before the law or otherwise), human rights of any kind or respect for persons or for the dignity of man.“ (1994, S. 211). Ich verweise mit Llanque auf Radbruch, der dem Rechtspositivismus vorgeworfen hat, „den Gedanken des Rechtsstaats derart entseelt zu haben, dass für materielle Gerechtigkeit kein Platz, dagegen für materielle Ungerechtigkeit sogar ein äußerlich rechtsförmiger Rahmen geschaffen worden sei.“ (1999, S. 220).
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Menschen richtet, um ihr Handeln als autonome Wesen zu steuern („govern“). Auf diesem von John Rawls herausgestellten Zusammenhang zwischen Gesetzesherrschaft, Autonomie und formaler Gerechtigkeit muss insistiert werden: das Konzept des formalen Rechtsstaats lässt sich nicht loslösen von den vernunftrechtlichen Prinzipien der Freiheit (im Sinne der Autonomie) und der rechtlichen Gleichheit (im Sinne der Neutralitätsverpflichtung). Diese Verschränkung soll ihren Ausdruck hier im Begriff der „freiheitlichen Gesetzesherrschaft“ finden, die als allgemein anerkennungsfähiges, menschenrechtlich begründetes Prinzip der internationalen Gerechtigkeit herauszustellen sein wird. 1.1 Freiheitliche Gesetzesherrschaft, Recht auf Rechtfertigung Der Zusammenhang zwischen Freiheit und Gesetzesherrschaft besteht nach Rawls zunächst – und zwar noch ungeachtet des Regelinhalts – in der Rechtssicherheit, d. h. im Wissen um die Grenzen und die Verlässlichkeit der gleichen Freiheit.9 Rechtsstaatliche Verhältnisse aber bieten nicht nur Rechtsschutz, sie lösen nicht nur das universelle Recht auf nicht willkürliche, d. h. normierte, von unabhängigen Rechtsinstanzen gewährleistete Behandlung ein, sondern gewähren auch die Achtung der Freiheit und Gleichheit. Die formale Gerechtigkeit mag zwar indifferent sein gegenüber dem Inhalt von Rechtsnormen, gegenüber den Adressaten aber ist sie es nicht. Denn darin unterscheidet sich das Recht von willkürlicher Macht: Es muss sich als System von Verhaltensnormen, das sich an Menschen adressiert, vor diesen rechtfertigen. Der im Begriff der Gesetzesherrschaft begründete Grundsatz der formalen Gerechtigkeit, wonach gleiche Fälle gleich behandelt werden sollen, da die Menschen ihre Handlungen sonst nicht an Regeln ausrichten könnten, verpflichtet die Herrschaftsmacht zur Begründung von Ungleichbehandlung, womit letztlich dem autonomieethisch fundierten Recht auf Rechtfertigung Achtung gezollt wird.10 Rechtsstaatliche Verhältnisse garantieren die „grundsätzlich jedermann gleichermaßen zugängliche Möglichkeit von Kritik [und faktischer Widerrufbarkeit] der als gerecht prätendierten Dezisionen“.11 Diese institutionalisierte Möglichkeit von Rechtskritik zeichnet den Rechtsstaat als ein der Ausgestaltung und kritischen Revision gegenüber offenes Rechtsmodell aus, das dennoch relativismusresistent ist, insofern es das grundlegende Menschenrecht auf Autonomie nicht zur Disposition stellt. Eine internationale Pflicht zur Rechtsstaatlichkeit erscheint daher prinzipiell als allgemein anerkennungsfähig; dies umso mehr, als ihr kein Katalog individueller Grundrechte anhängt, diesen aber gleichwohl den Weg ebnet. Denn auf dem Recht auf Rechtfertigung begründet, erlaubt diese Herrschaftsart den Rechtssubjekten, nach Gründen zu fragen: „nach der Rechtfertigung für bestimmte Regeln, Gesetze und 9 Rawls, 1993, S. 271. 10 Diese Vorstellung von Autonomie, „nicht übergangen zu werden, sich nicht weiter unterordnen zu müssen, nicht länger als Objekt der Bewahrung bestimmter Institutionen und Machtverhältnisse angesehen zu werden“, lässt sich positiv gewendet auf Kants Vorstellung der Person als „Zweck“ zurückführen. (Vgl. Forst, 1999, S. 75.) 11 Kohler, 1979, S. 148.
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Institutionen“12, womit ein Prozess der Einforderung individueller Rechte in Gang gebracht wird, insofern solcherart Fragen dort aufkommen, wo sich Menschen als Rechtssubjekte ungerecht behandelt vorkommen oder Institutionen als ungerecht empfinden. „In einer solchen Situation interner Konflikte“, so expliziert Rainer Forst, „entsteht – nicht notwendigerweise, aber unter bestimmten Umständen, und in unserer Gegenwart in der Regel – die Forderung nach Menschenrechten“.13 Diese Forderung wird, da sie jeweils unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexten entspringt, zu unterschiedlichen Menschenrechtskatalogen führen. 1.2 Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte Die Institutionalisierung von Rechtsverhältnissen in einer Gesellschaft wird von Kant als ein Gesetz a priori formuliert, wonach „alle Menschen die mit einander … in Rechtsverhältnisse kommen können, in diesen Zustand treten sollen.“14 Der rechtliche Zustand (der dem status naturalis entgegengesetzt ist) ist der „bürgerliche (status civilis) einer unter einer distributiven Gerechtigkeit stehenden Gesellschaft“15. Diese einen bürgerlichen Zustand charakterisierende distributive Gerechtigkeit meint nicht materielle Umverteilung, sondern muss als das formale Prinzip der Rechtssicherheit verstanden werden, „wo ein jeder seines Rechtes teilhaftig werden kann“16. Kant spricht hier nicht von Rechten, sondern von einem Recht, worunter die „angeborne“ Freiheit zu verstehen ist, als das „einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht“17. Der Rechtsstaat soll die menschenrechtliche Freiheit realisieren, wobei diese sowohl als Bedingung wie auch als Ziel rechtsstaatlicher Politik firmiert.18 Die Pflicht zur Rechtsstaatlichkeit, die die Völkerrechtsgemeinschaft all ihren Mitgliedern auferlegen soll, adressiert sich als Recht auf Rechtsstaatlichkeit an die innerhalb eines Staates lebenden Menschen. Diesen soll das Recht auf einen Rechtszustand zugesprochen werden, in welchem das Freiheitsrecht eines jeden zuverlässig durch Gesetze und Gerichte bestimmt ist. Für die Konzeption eines gerechten Völkerrechts wird hier also nicht wie in der Völkerrechtslehre vom internationalen Menschenrechtsgesetz, den einzelnen von der AMRK und den Menschenrechts-Pakten statuierten Menschenrechten ausgegangen, sondern von dem einen grundlegenden Menschenrecht auf Autonomie, welches die Pflicht zu Rechtsstaatlichkeit begründet. Ich bin mir bewusst, dass die Reduktion der Menschenrechte auf das allgemeine Freiheitsrecht als völlige Entleerung der konkreten Freiheitsgehalte kritisiert werden kann. Diese reduktionistisch anmutende Konzeption der Menschenrechte begründe ich damit, dass auf internationaler Ebene 12 13 14 15 16 17 18
Forst, 1999, S. 75. Ebd. Kant, AA Bd. 6, S. 306. Ebd. Ebd. Kant, AA Bd. 6, S. 237. Vgl. Grimm, der die Rechtsstaatsidee als „Systementscheidung zugunsten von Freiheit schlechthin“ fasst (1991, S. 69).
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(noch) kein Konsens über deren Gehalt existiert – wohingegen sich das Recht auf Autonomie und, damit einhergehend, das Recht auf Rechtfertigung als kulturneutrales Fundament der Menschenrechtskonzeption fassen lässt.19 Zwar lässt sich die Tatsache nicht abweisen, dass eine Mehrzahl der Staaten der Vereinten Nationen die Menschenrechts-Pakte unterschrieben und damit die rechtliche Geltung einer Vielzahl einzelner Menschenrechte anerkannt hat, zudem haben zahlreiche Staaten die Menschenrechte ihren eigenen Verfassungen als Grundrechte inkorporiert, so dass sich mit Jürgen Habermas von einem „inzwischen wirksame[n] Zangendruck eines von außen und innen wirksamen Systems der Menschen- und Grundrechte“20 sprechen lässt; gleichwohl aber darf der interkulturelle Streit über die Interpretation dieser Rechte nicht übersehen und übergangen werden. Die auf dem allgemeinen Freiheitsrecht begründete „institutionelle Explikation“21 der Menschenrechte kommt kulturrelativistischen Ansprüchen entgegen und ist gleichwohl relativismusresistent: Mit der vom allgemeinen Freiheitsrecht abgeleiteten Forderung nach Rechtsstaatlichkeit werden den Staaten gewisse institutionelle Einschränkungen auferlegt, ohne dass dabei die Vielfalt nationaler Institutionen und Konzeptionen des Guten in Frage gestellt würde; denn der konkrete Gehalt der Menschenrechte soll jeweils von den in einem Staat lebenden Menschen, die sich dabei am internationalen Menschenrechtsgesetz orientieren können, bestimmt werden. 1.3 Recht auf Autonomie: kultur-neutral, universeller Schutzanspruch Dass sich das grundlegende Recht auf Autonomie als kultur-neutral – und damit als international anerkennungsfähig – behaupten lässt, wird von der kulturrelativistischen Kritik, die sich insbesondere gegen die individualistische Akzentuierung menschenrechtlicher Freiheit richtet, in Frage gestellt. Der westlichen universalistischen Theorie wird als Anwältin dieses Prinzips vorgeworfen, die eigenen Normen und Wertvorstellungen als für die gesamte Welt gültig zu erklären. Diese Kritik muss ernst genommen werden; doch lässt sich zeigen, dass die historische 19 Gemäß Forst lässt sich das Recht auf Rechtfertigung als Recht jeder autonomen Person, nicht auf eine Weise behandelt zu werden, für die keine angemessenen Gründe angeführt werden können, als „kulturneutrales, das heißt zugleich kulturimmanentes und -übergreifendes Fundament“ der Menschenrechtskonzeption fassen (1999, S. 85). 20 Habermas, 1996a, S. 375. 21 Vgl. Pogge, 1999. Eine „institutionelle Explikation“ des grundlegenden Menschenrechts findet sich etwa in Art. 28 AMRK: „Jeder Mensch hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher die in der vorliegenden Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.“ Art. 28 AMRK postuliert kein neues Menschenrecht – und er fordert auch nicht, dass jeder Staat all die in den vorangehenden Artikeln statuierten Rechte in seine Verfassung einbauen muss: Gefordert werden institutionelle Bedingungen der Möglichkeit der Realisierung der Menschenrechte. Pogges Interpretation der Menschenrechte als moralische Ansprüche an Grundordnungen, mit der er u. a. dem Vorwurf des „Menschenrechts-Individualismus“ auszuweichen versucht, scheint mir einleuchtend. Institutionen sollen so gestaltet werden, dass die von diesen betroffenen Menschen als rationale, selbstbestimmte Akteure eigene „Konzeptionen des Guten“ (Rawls) entwickeln, vertiefen und realisieren können – was allerdings die Anerkennung von Autonomie und Zuerkennung von Rechtssicherheit auf der Grundlage der formalen Gerechtigkeit voraussetzt.
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Genese der Menschenrechte keinen Einwand gegen deren universelle Geltung darstellt. Der Begriff der Menschenrechte ist in der Tat ein spezifisch europäischwestlicher Begriff; ebenso wenig lässt sich leugnen, dass der Begriff individueller Rechte im Kontext der Säkularisierung und Modernisierung der europäischen Kultur entstanden ist. Werden die Menschenrechte als Antwort auf diesen Kontext gelesen, muss ihnen heute – da dieser Kontext tendenziell die ganze Welt umspannt – universelle Geltung zugesprochen werden.22 Das fundamentale Recht auf Autonomie sowie die daraus abgeleitete und auf der kantischen Forderung „exeundum e statu naturali“ begründete Pflicht zur Rechtsstaatlichkeit mögen zwar einer Theorie individueller Rechte entspringen; doch lassen sich Menschenrechte nur als Individualrechte in sich konsistent argumentativ vertreten.23 Die kollektivistische Umdefinition – wie sie namentlich seitens islamischer und konfuzianischer Staaten immer wieder gefordert wird – entzieht den Menschenrechten ihre Funktion, die darin besteht, Individuen gegen die Macht und Willkür paternalistischer Einheiten zu schützen. Dieser Schutzfunktion kommt universelle Geltung zu: vor Oppression und willkürlicher Macht sollen alle Menschen – im Westen wie im Süden, Osten und Norden – geschützt werden. Dies lässt sich mit „allgemeinen Annahmen hinsichtlich der anthropologisch-handlungstheoretischen Bedingungen“ begründen, die – so Christine Chwaszcza – „nicht als kulturell und sozial relativ betrachtet werden.“24 Aus diesen Annahmen lassen sich als universell gültige Forderungen das Recht auf Schutz der physischen und psychischen Integrität der Person und das Recht auf nicht willkürliche, d. h. normierte Behandlung (das Recht auf Rechtsstaatlichkeit) ableiten. Die liberale politische Theorie fügt diesen grundlegenden allgemeinen Menschenrechten zudem das dem politischen Freiheitsbegriff entspringende Recht auf Partizipation an der Gestaltung politischer Institutionen bei, wobei sie dieses jedoch in Berücksichtigung der institutionellen Struktur der Staatengemeinschaft lediglich als eingeschränkt universelles Recht25 verteidigt. Dagegen jedoch argumentieren einige Vertreter derselben Theorie, namentlich Henry Shue, dass das Recht auf Subsistenz als grundlegendes, weil die Wahrnehmung der Handlungsfreiheit erst ermöglichendes Menschenrecht behauptet werden muss.26 Diese Behauptung eines strikt universellen Rechts auf Subsistenz aber ist insofern problematisch, als nicht klar ist, was und wie viel unter Subsistenz zu verstehen ist, wer Adressat dieses Rechts und unter welchen Bedingungen und wer Inhaber dieses Rechts ist. Die Pflicht zur Gewährleistung von Subsistenz kann aufgrund die22 Vgl. Habermas, 1998, insb. Kap. 5: Zur Legitimation durch Menschenrechte. 23 Vgl. etwa Howard, 1995, die die Idee der Menschenrechte namentlich gegen afrikanische Kritiker verteidigt, deren Argumente sie nach ernsthafter Prüfung und in Kenntnis der sozialen und politischen Situation, der Macht- und Stammesstrukturen auf diesem Kontinent zurückweist (vgl. auch Howard, 1986). 24 Chwaszcza, 1998, S. 10. 25 Im Gegensatz zu strikt universellen Rechten, die jedermann gegenüber jedermann hat, werden unter eingeschränkt universellen Rechten diejenigen Rechte verstanden, die jedermann gegenüber ausgezeichneten Personen hat; diese Rechte, i. e. das Recht auf politische Partizipation, lassen sich zwar universell begründen, müssen aber sinnvollerweise (zumindest primär) auf Mitglieder bestimmter Institutionen eingeschränkt werden. 26 Vgl. Shue, 1996.
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ser Universalisierungsschwierigkeiten lediglich als „unvollkommene“ Tugendpflicht behauptet werden; sie lässt sich, wie etwa John Rawls argumentiert, nur rechtlich und nicht konsequentialistisch begründen: denn Forderungen der distributiven Gerechtigkeit sind an das Bestehen politischer Institutionen gebunden, weshalb sie angesichts der institutionellen und sozialen Struktur der Staatenwelt aus dem eingeschränkt universellen Recht auf Partizipation an der Gestaltung politischer Institutionen abgeleitet werden müssen.27 1.4 Vernünftige, konsensfähige, praktikable Forderung der politischen Gerechtigkeit Das grundlegende Recht auf Autonomie kann – obwohl aus dem politischen Freiheitsbegriff entwickelt – auch angesichts des „Faktums des Pluralismus“ (Rawls) als allgemein anerkennungsfähig behauptet werden. Die Konkretisierung dieser die legitimationstheoretische Autonomie des Menschen behauptenden Norm bleibt jeweils den Staaten bzw. den innerhalb einer Jurisdiktion lebenden Menschen überlassen, wobei sich dieses Zugeständnis dem Relativismus gegenüber methodologisch rechtfertigen lässt: handlungsregulierende Normen lassen sich, da Handlungen jeweils in Kontexten stattfinden, nicht ein für alle Mal und für alle Kontexte gleichermassen bestimmen. Die Spezifizierung einzelner Menschenrechte muss jeweils den Mitgliedern bestimmter kultureller oder sozialer Kontexte überlassen bleiben.28 Das Recht auf Autonomie aber, das die Grundlage für die Konstruktion spezifischer Menschenrechte bildet, lässt keine Relativierung zu. Es ist, wie Rainer Forst betont, „als normatives Zentrum einer jeden integrierten und legitimen politischen Gemeinschaft anzusehen“.29 Desgleichen lässt sich auch die Forderung nach Institutionalisierung rechtsstaatlicher Verhältnisse als allgemein anerkennungsfähig behaupten, belässt sie doch die unterschiedlichen politischen Modelle (im Sinne der Herrschaftsform) „als eigensinnige Interpretationen gerechter Herrschaft“ (Sandkühler) unangetastet; dennoch aber stellt das hier als konsensfähig behauptete Modell des Rechtsstaats substantielle, auf dem Recht auf Rechtfertigung und also autonomie-ethisch begründete Ansprüche an die Herrschaftsart – wobei diesen eine „demokratisie27 Die Zurückweisung liberaler Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit bedeutet nicht, wie Rawls in seinem Völkerrechtsartikel herausstreicht, dass die reicheren Staaten keine Beistandspflicht gegenüber armen und unterentwickelten Staaten haben. Diese Pflicht aber wird damit begründet, dass jeder Staat in die Lage gebracht werden muss, als „vollgültiges, unabhängiges Mitglied“ der Staatengemeinschaft „sein politisches Leben zu bestimmen und ordentliche politische bzw. soziale Institutionen zu schaffen“. (1996, S. 88 f.) In diesem Sinn behauptet auch Nardin die distributive Gerechtigkeit als Teil der formalen: „considerations of formal justice may require the adoption of policies designed to benefit a portion of the community not because the welfare of this portion is an end in itself but because that portion is in a condition … that bars their participation even as formal equals in the community.“ (1983, S. 261). 28 Vgl. Pogge: „What matters is that a society’s institutions and way of life be endorsed by those to whom they apply.“ (1999, S. 340). 29 Forst, 1999, S. 80. Forst stellt die zwanglose Akzeptanz durch die Mitglieder einer Kultur als „internes Kriterium für den gerechtfertigten Anspruch auf kulturelle Integrität“ dar, die dem externen Respekt vorangehen muss.
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rende, auch auf die politische Beteiligung der Menschen als Bürger zielende Tendenz“30 eingeschrieben ist. Dass Demokratie hier nicht direkt als internationales Gerechtigkeitsprinzip eingefordert wird, lässt sich gegenüber Vertretern der sog. „democratic entitlement school“31 damit begründen, dass diese rechtsstaatliche Verhältnisse voraussetzt;32 daher sind im Rahmen einer politischen Theorie der internationalen Gerechtigkeit zunächst diese als Kriterien der inneren Legitimität eines Staates zu verteidigen – zumal diese den Staaten lediglich minimale Eingeständnisse bezüglich ihres international verbrieften Selbstbestimmungsrechts abverlangen, daher eher Aussicht auf Anerkennung und folglich Geltung im Völkerrecht haben.
2 Zur Begründung der Forderung nach Rechtsstaatlichkeit Ob die hier verteidigten Normen der Autonomie und Rechtsstaatlichkeit im modernen Völkerrecht faktische Kraft entfalten können, hängt letztlich vom Konsens der Staaten ab, diese als Kriterien der inneren Legitimität anzuerkennen. Als Forderung der internationalen Gerechtigkeit aber lassen sich diese entlang der kantischen Philosophie als vernünftige begründen – wie ich dies in den vorangehenden Abschnitten dargelegt habe. Zudem lässt sich behaupten, dass diese heute weltweit eingefordert werden – womit sie sich im Sinne des pragmatischen Universalismus33 als universell gültig auszeichnen lassen. Ferner können diese mit Verweis auf zahlreiche grundlegende Dokumente als international verbriefte Prinzipien ausgewiesen werden – ein Argumentationsgang, den der Völkerrechtler Thomas M. Franck in seiner Verteidigung eines „emerging right to democratic governance“34 wählt. Letztlich lässt sich auch argumentieren, dass diese Normen qua Transposition von 30 Böckenförde, 1998, S. 241. 31 Einen erkenntnisreichen Einblick in die Diskussion der sog. „democratic entitlement school“ vermitteln Fox/Roth, 2000; vgl. auch Franck, 1992, 1994, 1995. 32 Der Vorrang des Rechtsstaats vor der Demokratie lässt sich damit begründen, dass dessen Prinzipien als „Vorab-Regeln“ (Bobbio) die demokratischen Verfahren erst ermöglichen; der Rechtsstaat stellt nicht nur die historische, sondern auch die juristische Voraussetzung des demokratischen Staats dar. Gemäß Böckenförde kann Demokratie nur indirekt über Rechtsstaatlichkeit realisiert werden, da deren Lebens- und Funktionsfähigkeit von soziokulturellen, politisch-strukturellen und auch ethischen Voraussetzungen abhängt (1998, S. 237 ff.) Desgleichen betont Habermas, dass die Demokratie „auf eine ‚freiheitliche politische Kultur‘ und eine ‚an Freiheit gewöhnte Bevölkerung‘“ angewiesen ist (1996, S. 311). Dies geht auch aus dem Schlussdokument der Kopenhagener Konferenz der KSZE (1990) deutlich hervor, wie Sir A. Watts darlegt: „the rule of law was being addressed as a component of the internal legal order of the participating States, with a view primarily to the enhanced protection of the human rights and fundamental freedoms of individuals within their States, and the development of democratic forms of government.“ (1993, S. 20). 33 Vgl. Dunne/Wheeler, 1999. Der pragmatische Universalismus unterscheidet sich von der Naturrechtstheorie durch seinen „antifoundationalism“: statt einer metaethischen Begründung sucht diese Theorie nach einem transkulturellen Konsens über grundlegende Menschenrechte. Dagegen jedoch wendet Brown im selben Band zu Recht ein, dass „some idea of natural law must underlie all genuinely universal approach to human rights.“ (1999, S. 107.) Der pragmatische Universalismus gesteht dies zu, doch versucht er, die Naturrechtstheorie mit Verweis auf einen empirischen Konsens von ihren „Stelzen“ zu heben. 34 Vgl. Franck, 1992.
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der internationalen auf die nationale Ebene sinnvollerweise eingefordert werden müssen und können – was in der gegenwärtigen Völkerrechtsliteratur mit Verweis auf den gewandelten Friedensbegriff konstatiert wird, der die Tatsache reflektiert, dass die Bedrohung des internationalen Friedens heute primär von innerstaatlichen Konflikten ausgeht, das Völkerrecht also nicht nur die rechtliche Verfasstheit der zwischenstaatlichen, sondern auch der innerstaatlichen Ordnungen fokussieren soll. Diese vier Argumentationsweisen habe ich in dieser Arbeit ineinander verflochten, dabei vom Normativen zum Faktischen pendelnd, was mir erlaubte, die hier vorgestellte Forderung nach Rechtsstaatlichkeit als vernünftige, praktikable und konsensfähige zu bestärken – wobei der Bestärkung der Konsensfähigkeit eine zentrale Bedeutung zukommt. Denn gemäß der pragmatischen Rechtsauffassung35 kann sich dieses zu einem international geltenden Rechtsprinzip kristallisieren, sofern es einen allgemeinen Konsens findet. 2.1 Konsens als Geltungsgrund des internationalen Rechts Der allgemeine Konsens begründet im internationalen Rechtssystem die verbindliche, alle Staaten verpflichtende Rechtskraft einer Norm – auch wenn diese durch keine effektiven Institutionen gesichert werden kann. Dass das Recht des „Schwertes“ bedarf, mag wohl in der Theorie richtig sein, nicht aber in der internationalen Praxis, wie Thomas W. Pogge expliziert: „This dazzling reasoning is now safely buried beneath the historical facts of the past two hundred years, which show conclusively that what cannot work in theory works quite well in practice. Law-governed societies are possible without a supreme and unlimited authority.“36 Entgegen der klassischen Zwangstheorie, wonach als Recht nur das durchsetzbare Recht gilt, das Völkerrecht also per definitionem kein Recht darstellt, sondern lediglich eine Form der Moral („positive morality“), wird die Rechtsqualität der internationalen Rechtsnormen heute zumindest seitens der Völkerrechtslehre nicht mehr in Zweifel gezogen; hier hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass es kein autoritatives Rechtskonzept gibt, an dem sich jede Rechtserscheinung als solche zu messen hätte.37 Das Völkerrecht kann – sofern es nicht weiter „through domestic law glasses“ (d’Amato) betrachtet wird – als Recht sui generis qualifiziert werden, des35 Vgl. Kratochwil: „such a characterization of law is independent of formal institutions, levels of analysis, or the existence of logically closed systems.“ (1995, S. 42.) Nebst Kratochwil vertreten auch Nardin und Teubner diese Rechtsauffassung, die das Völkerrecht als effektive Rechtsordnung zu qualifizieren erlaubt, weil es von allen Staaten als autoritatives Regelsystem ihrer Beziehungen untereinander anerkannt ist. Gemäß Simma kommt dieser in Art. 2.2 UN-Charta verankerten These eine „existentielle Bedeutung“ zu, insofern die internationale Rechtsordnung „im wesentlichen nicht auf einer hierarchisch geschlossenen Entscheidungsstruktur und nicht auf der durchgängigen Sanktion ihrer Gebote durch Zwangsgewalt aufbauen kann; eine so umfassende und zugleich institutionell so wenig gesicherte Organisation ist besonders auf den immer wieder zu erneuernden Konsens der Mitglieder zum Zusammenwirken und SichVertragen angewiesen.“ (1991, S. 55). 36 Pogge, 1989, S. 216. 37 Vgl. Malanczuk: „[T]he general concept of ‚law‘ itself and its relative status in society is subject to quite divergent views throughout the world, as has been shown by the modern discipline of comparative legal studies. It is based on different ideas, methods and traditions, as a consequence of historical and cultural diversity“. (1997, S. 6).
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sen Verbindlichkeit sich dem Konsens der Staaten verdankt: „international legal rules are binding because the constitutive agents of the international system – states – regard them as binding“.38 Sanktionen mögen zwar eine angemessene Antwort auf Verletzungen von internationalen Rechtsnormen sein; die Schaffung von Rechtsdurchsetzungsmechanismen aber ist, wie David R. Mapel betont, der Frage, „how to secure agreement about what those rules should be“39, nachgeordnet. Denn solange kein Konsens über Gehalt und Interpretation der internationalen Rechtsnormen besteht, kann nicht erwartet werden, dass sie eine alle Staaten verpflichtende Rechtskraft entfalten. 2.2 Anzeichen eines „normativen Souveränitätsverständnisses“ Dass die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit einen allgemeinen Konsens zu finden vermag, lässt sich mit Blick auf das moderne Völkerrecht behaupten, das – zumindest ansatzweise – ein „normatives Souveränitätsverständnis“40 erkennen lässt, demgemäß das Recht eines Staates, als souveräner Staat anerkannt zu werden, davon abhängt, ob und inwiefern dieser das Recht auf Autonomie sowie, als Bedingung der Möglichkeit der kontextuellen Konkretisierung dieses Rechts, rechtsstaatliche Verhältnisse garantiert. Dieser Gedanke der Konditionalität wird gegenwärtig nicht nur seitens der Politischen Philosophie der Internationalen Beziehungen vertreten; auch in der IR-Theorie setzt sich allmählich die Einsicht durch, dass der eindimensional auf das äußere Verhältnis der Staaten als alleinige Akteure gerichtete Blick des Realismus und Neo-Realismus der Komplexität der internationalen Politik nicht gerecht zu werden vermag. In der Völkerrechtslehre besteht ein eigentlicher Konsens darüber, dass ein Staat heute nicht mehr nur die klassischen, sondern auch menschenrechtliche Kriterien der Legitimität erfüllen muss, will er als „ordentliches Mitglied der Völkergemeinschaft“ (Rawls) anerkannt werden.41 Thomas M. Franck vertritt die noch weitergehende Forderung, wonach die Partizipation eines Staates in der Völkerrechtsgemeinschaft von dessen demokratischen Verfasstheit abhängig gemacht werden sollte.42 Dagegen möchte ich allerdings bemerken, dass die von ihm angeführten Kriterien der Selbstbestimmung (im Sinne der Autonomie), der Meinungsäußerungsfreiheit und des Wahl38 Arend, 1996, S. 291. 39 Mapel, 1998, S. 243. 40 Vgl. etwa Müller, der die Gewährleistung elementarer Menschenrechtsgehalte als „konstitutives Element staatlicher Souveränität“ verteidigt; als souverän kann diesem Ansatz entsprechend nur jenes Gemeinwesen gelten, „welches faktisch Menschenrechte jedenfalls insoweit sicherzustellen vermag, als menschenrechtliche Kerngehalte der universalen Völkerrechtsverfassung betroffen sind.“ (1999a, S. 273). 41 Im Gegensatz zum gegenwärtigen Völkerrecht, in dem sich Konturen eines normativen Souveränitätsverständnisses abzeichnen, gründet das klassische Völkerrecht auf der absoluten Souveränität der Staaten, wie Henkin prägnant zu formulieren weiß: „the veil of statehood was impermeable and there was no effective concern in the political system for what governments did to their own citizens.“ (1991, S. 173). 42 Vgl. Franck: „the right of each state to be represented in international organs, and to share in the benefits of international fiscal, trade, development, and security programs should be dependent upon its government satisfying the system’s standard for democratic validation.“ (1995, S. 139.)
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rechts ein diese Rechte garantierendes Rechtssystem voraussetzen; zudem greift das Recht auf politische Partizipation qua Wahlen zu kurz, solange es nicht die Pflicht der Regierung impliziert, sich dem Volkswillen zu unterwerfen – was im gegenteiligen Fall zu ihrer Absetzung führen kann. Das Wahlrecht alleine garantiert nicht, dass die vom Volk Gewählten den Volkswillen auch vertreten und im Sinne des Gemeinwohls agieren. Sie müssen zur Verantwortung gezogen werden können, ohne dass die dies Einfordernden dabei Repressionen zu erleiden haben – und also davon absehen werden. Fox und Roth gestehen dies zu, verankern die Gewährleistung des Rechts auf Rechtfertigung allerdings nicht in der Rechtsstaatlichkeit, sondern weisen dessen Schutz der internationalen Gemeinschaft zu.43 Dies impliziert nicht notwendig, aber doch potentiell die Möglichkeit der humanitären Intervention, die, so scheint mir, im Rahmen einer internationalen Gerechtigkeitskonzeption nur als äußerstes Mittel in Betracht gezogen werden sollte, und sie sollte nachhaltig sein: wer das Recht auf Demokratie einfordert, sollte daher zuvor rechtsstaatliche Verhältnisse als dessen juristische Bedingung und Garantin verteidigen. 2.3 Globaler Diskurs als Quelle der Legitimationsforderung Diese, so konstatiert etwa Myres McDougal, werden heute weltweit und also kulturübergreifend als Bedingung der Garantie international anerkannter Rechte (darunter das Wahlrecht) eingefordert: „the peoples of the world are today increasingly demanding – whatever their differences in cultural traditions, ideologies, and styles of justification – that all those basic rights, commonly characterized in empirical references as those of human dignity, be secured by the processes of law in all the different communities of which they are members, including especially the transnational or world community.“44 Die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit als Bedingung der Achtung der Menschenrechte und letztlich auch des Demokratisierungsprozesses erfüllt damit den an eine normative Theorie der Internationalen Politik gestellten Anspruch, wonach deren Gerechtigkeitsprinzipien als Ausdruck unserer „wohlüberlegten Urteile“ (Rawls) in Verbindung mit der Völkerrechtswirklichkeit stehen und konsensfähig sein sollen. Dies lässt sich für die Forderung nach Demokratie als internationalem Gerechtigkeitsprinzip nicht schon behaupten: Solange es nicht-demokratisch verfasste Staaten gibt, wird man nicht erwarten können, dass diese einen Konsens finden wird – zumal das internationale System selber nicht mit gutem Beispiel voraus geht. 2.4 Internationale Rechtsverhältnisse als Modell Die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit dagegen kann von der Erfahrung ausgehen, dass die Staaten ihre Beziehungen untereinander auf der Basis des internationalen „rule of law“ regeln, dass sie also schon in eine „der bürgerlichen ähnliche 43 Vgl. Fox/Roth, 2000, S. 11 f. 44 McDougal, 1992, S. 1529; Hervorhebung durch Autorin, vn.
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Verfassung“ (Kant) getreten sind, die, im Hinblick auf eine globale Friedensordnung, nun auch innerstaatlich zur Regel werden soll. Sie erscheint damit in einer Sprache, die alle Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft verstehen: in der Sprache des Rechts, in deren Vokabular sich diejenigen Rechtsprinzipien finden, die auf internationaler Ebene allgemein anerkannt sind (namentlich das Prinzip der Autonomie und der rechtlichen Gleichheit) – weshalb sie von keinem Staat mit vernünftigen Gründen zurückgewiesen werden können, auch wenn diese Prinzipien als Menschen-, und nicht als Staatenrechte eingefordert werden. Ich bin mir bewusst, dass der zur Begründung eines internationalen Friedenszustandes konstruierten „Parallelforderung“, wonach alle Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft den „rule of law“ wie auf internationaler so auch auf nationaler Ebene anerkennen sollen, Grenzen gesetzt sind, insofern die Prinzipien des „rule of law“ sehr viel weniger weit greifen als Rechtsstaatlichkeit, die – wie es der Begriff ausdrückt – ein Staatsprinzip konstituiert. Doch lässt sich diese Transposition insofern stützen, als sowohl der internationale „rule of law“ wie die rechtsstaatliche Verfassung aus dem Begriff der Freiheit (im Sinne der Autonomie) hervorgehen; und beide drücken das formale Prinzip der distributiven Gerechtigkeit aus, wonach jeder Staat bzw. jeder Bürger seines Rechtes teilhaftig werden soll, wobei diese Rechte durch unabhängige Institutionen geschützt und vor eben solchen eingeklagt werden können sollen; schließlich besagen beide, dass das Recht herrschen soll – nicht Willkür. Die Prinzipien des „rule of law“ formulieren zwar ein juristisches Ideal, während Rechtsstaatlichkeit ein politisch-normatives Konzept ausdrückt; doch umfasst dieses Prinzipien des „rule of law“, womit eine Transposition des internationalen Rechtszustandes auf den nationalen als prinzipiell denkbar erscheint. Das Konzept, wonach nicht Willkür, sondern Recht herrschen soll, das sich – im Unterschied zur Willkür – vor den Rechtsadressaten rechtfertigen muss, kann von der internationalen Rechtswirklichkeit auf die nationale projiziert werden in der berechtigten Annahme, dass es von allen Akteuren verstanden wird (transkultureller Konsens). Als kulturneutral lässt sich auch das aus dem Begriff der Rechtsstaatlichkeit abgeleitete Recht auf Rechtfertigung behaupten, insofern in ihm das Selbstverständnis der autonomen Person zum Ausdruck kommt, nicht auf eine Weise behandelt zu werden, für die ihr nicht angemessene Gründe geliefert werden können.45 Schließlich kann die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit auch mit Blick auf das Weltgeschehen als kultur-neutral verteidigt werden: deren Prinzipien werden heute weltweit – und das heißt: kulturübergreifend – eingefordert, womit sie sich im Sinne des pragmatischen Universalismus als universell gültig auszeichnen lassen. Dieses Argument liegt auch der von Thomas M. Franck vertretenen Forderung nach Demokratie als internationalem Gerechtigkeitsprin-
45 Vgl. Forst, 1999, S. 75. Das prinzipielle Recht der autonomen Person, rechtfertigende Gründe für gesellschaftliche Verhältnisse verlangen zu können, kann, wie Rainer Forst überzeugend argumentiert, von keiner „Kultur“ als „rein externe ‚Erfindung‘“ abgelehnt werden, „da ihr eigener Anspruch auf kulturelle Integrität und interne Akzeptanz voraussetzt, dass das Recht auf Rechtfertigung nicht verneint wird“ (1999, S. 85).
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zip zugrunde, das er – einem globalen Diskurs entspringend – zu einer internationalen Rechtsverbindlichkeit kristallisiert sehen will.46 2.5 Normative Forderung, rechts-empirische Feststellung Zurzeit allerdings gelten weder Rechtsstaatlichkeit noch auch Demokratie als allgemein verbindliche Rechtsprinzipien. Ein Recht auf Demokratie wird zwar seit 1966 international artikuliert: Es findet sich in Art. 25 des UNO-Paktes über bürgerliche und politische Rechte und auf regionaler Ebene in Art. 3 des 1. Protokolls der EMRK, in Art. 23 der AMRK sowie auch (mit abschwächendem Zusatz) in Art. 13 der Afrikanischen Charta der Menchen- und Volksrechte.47 Von einem völkerrechtlichen Anspruch auf Demokratie aber lässt sich, wie Barbara Bauer in ihrer detaillierten Studie nachweist, nicht sprechen.48 Ebenso wenig stellt Demokratie eine rechtliche Anforderung an die legitime Mitgliedschaft in der Völkerrechtsgemeinschaft dar – werden doch viele UN-Staaten noch immer nicht-demokratisch regiert und gleichwohl als Rechtsmitglieder anerkannt.49 Dasselbe lässt sich gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit vorbringen, das, obwohl in zahlreichen Dokumenten verbrieft, nicht als internationales Rechtsprinzip qualifiziert werden kann – womit allerdings nicht bestritten wird, dass sich ein sich herausbildendes Recht auf Rechtsstaatlichkeit (oder Demokratie, gemäß Franck) konstatieren lässt, dem als solches potentielle Rechtskraft zukommt.
3 Rechtsstaatlichkeit als minimales Gerechtigkeitsprinzip Man muss nicht Realist sein, um einzusehen, dass die staatszentrierten internationalen Prinzipien der Souveränität, Selbstbestimmung und Nicht-Einmischung auch in den kommenden Dekaden das internationale Recht dominieren werden; dennoch scheint es nicht unrealistisch zu sein, dass sich die Forderung nach innerstaatlicher Legitimität – nach Rechtsstaatlichkeit als Bedingung der völkerrechtlichen Anerkennung – eines Staates durchsetzen mag. Diese normative Forderung ergibt sich aus der Einsicht, dass menschenrechtsverletzende Staaten die internationale Ordnung gefährden, auch wenn sie ihr außenpolitisches Handeln dem Recht unterwerfen.50 Es muss von den Staaten der internationalen Gesellschaft daher verlangt werden, dass sie die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit ihrer Außen- wie auch ihrer Innenpolitik zugrunde legen. Diese Forderung hat ihren Niederschlag in zahlreichen internationalen Verträgen und Deklarationen – insbesondere auf europäischer Ebene51 – ge46 47 48 49 50
Vgl. Franck, 1995. Vgl. Crawford, 2000, S. 92. Vgl. Bauer, 1998. Vgl. Murphy, 2000. Vgl. Buchanan: „peace among states is compatible with horrific violence within states“ (1999, S. 69). 51 Art. 3 des Statuts des Europarats beispielsweise statuiert, dass jedes Mitglied des Europarats die Prinzipien des „rule of law“ akzeptiert; die Präambel der EMRK erklärt diese zum gemeinsamen Erbe der Signatarstaaten.
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funden. Die Prinzipien des „rule of law“ werden namentlich in den KSZE-Dokumenten als wesentlich für den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und als Bedingung des Demokratisierungsprozesses anerkannt.52 Dass ich in dieser Arbeit nicht wie etwa Jack Donnelly die Achtung der grundlegenden Menschenrechte oder wie Thomas M. Franck demokratische Verhältnisse, sondern Rechtsstaatlichkeit als Forderung eines neuen völkerrechtlichen „Zivilisationsstandards“53 verteidige, habe ich damit zu begründen versucht, dass diese allgemeine Anerkennung finden und als Bedingung der Achtung der grundlegenden Menschenrechte und demokratischer Verhältnisse diese promovieren kann. Angesichts des fehlenden Konsenses über den Gehalt und die Interpretation der einzelnen vom internationalen Menschenrechtsgesetz statuierten Rechte sowie auch derjenigen Menschenrechte, die als grundlegende zu gelten haben, bin ich von einer „dünnen“ Konzeption der Menschenrechte ausgegangen: von der Interpretation der Menschenrechte als allgemeinem Freiheitsrecht, das das gleiche Recht einer jeden autonomen Person auf Rechtfertigung freiheitseinschränkender Rechtsnormen oder Herrschaftsverhältnisse impliziert. Aus diesem moralischen Recht habe ich als „dünne“, interkulturell nicht zurückweisbare Forderung der politischen Gerechtigkeit die Institutionalisierung der freiheitlichen Gesetzesherrschaft abgeleitet, die als Regierungsart zumindest formale Gerechtigkeit garantiert. Diese politische Implikation des Freiheitsrechts ist insofern „dünn“, als sie lediglich die Regelhaftigkeit der Machtausübung einfordert – ohne schon einen bestimmten Regelinhalt vorzuschreiben. Dieser soll jeweils von den innerhalb einer bestimmten Jurisdiktion lebenden Menschen in Wahrnehmung ihres Rechts auf Rechtfertigung, das sich aus dem Begriff der Gesetzesherrschaft ableiten lässt, bestimmt werden. Die Grundrechtsverwirklichung wird als Reaktionsprozess auf Einsprüche gegen ungerechte Verhältnisse gefasst; gewährleistet wird sie durch die mit dem Recht auf Rechtfertigung einhergehenden Forderungen der formalen Gerechtigkeit, wonach die Regierung einerseits für die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns einstehen soll, woraus andererseits folgt, dass sie die Möglichkeit schaffen soll, dass kritische Stimmen Gehör finden. Der unabhängigen Judikative – Wesensmerkmal des Rechtsstaats – kommt dabei eine zentrale Rolle zu, insofern sie als Rekursinstanz jeder Person das Anhörungsrecht gewährt, als Rechtsetzungs- und Rechtsanerkennungsinstanz den Prozess der Grundrechtsverwirklichung antreibt und als Kontrollinstanz schließlich die Rechtmäßigkeit der Herrschaftsmacht gewährt. Die lexikalische Vorordnung der Pflicht zur Rechtsstaatlichkeit vor jener 52 Vgl. Watts: „the rule of law was being addressed as a component of the internal legal order of the participating States, with a view primarily to the enhanced protection of the human rights and fundamental freedoms of individuals within their States, and the development of democratic forms of government“ (1993, S. 20). 53 Vgl. Gong, 1984. Mit dem klassischen „Zivilisationsstandard“ drückten die europäischen Staaten gegenüber den Ländern, die im Laufe des 19. Jahrhunderts in das expandierende eurozentrische Umfeld gerieten, ihre Bedingungen für deren Aufnahme in die internationale Gemeinschaft aus. „In general, the standard of ‚civilization‘ demanded that foreigners receive treatment consistent ‚with the rule of law as understood in Western countries‘“ (1984, S. 14). Nach Donnelly (1998) sollten die Menschenrechte als neuer Zivilisationsstandard gefasst werden.
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zur Demokratie lässt sich zusammenfassend damit begründen, dass diese als minimale Gerechtigkeitsforderung alle „ordentlichen“ Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft zur Einhaltung autonomie-ethisch begründeter, auf die Beschränkung ihrer Willkür abzielender Rechtsgrundsätze verpflichtet, ohne aber die Vielfalt politischer Ordnungen und Gerechtigkeitskonzeptionen zu unterlaufen. Dass diese einen Nährboden für den demokratischen Prozess bilden, stellt ein weiteres, teleologisches Argument zugunsten dieser Gerechtigkeitsforderung dar. Diese Argumente lassen die eingangs dieses Abschnitts geäußerte Annahme, dass sich die Forderung nach innerstaatlicher Legitimität als völkerrechtliche Norm wird durchsetzen können, als realistisch erscheinen. Denn wie gezeigt wurde, beruht der Verpflichtungsgrund der nicht-zwangsbewehrten internationalen Rechtsnormen auf deren Legitimität, die sich ihrerseits dem Konsens der Staaten verdankt. „The legitimacy of a rule determines, in whole or in part, the capacity of a rule to exert compliance pull upon states.“54 3.1 Recht als Basis und gemeinsame Sprache der internationalen Gemeinschaft Als weiteres, zentrales Argument lässt sich zudem anführen, dass die Forderung nach Rechtsstaatlichkeit der von Thomas M. Franck vertretenen These gerecht wird, wonach sich die Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft lediglich über prozedurale, nicht aber über substantielle Normen einig sind; denn diese setzen – im Gegensatz zu handlungseinschränkenden, ordnungsgenerierenden Rechtsnormen – eine moralische Basis voraus, deren die Völkerrechtsgemeinschaft ermangelt.55 Diese These vertritt auch Terry Nardin, der auf internationaler Ebene keine gemeinsame Kultur im Sinne von Wertvorstellungen ausmachen kann, was er als Grund dafür bezeichnet, dass sich die Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft auf das Recht als gemeinsame Basis einigen: „association on the basis of common laws is most important where there exists little agreement on ends and therefore few shared purposes through which individuals [states] might be united. In such circumstances the basis of association must be found in the rules and procedures observed by individuals [states] pursuing different purposes. The relationship of citizens [states] to one another … is thus ultimately formal rather than substantive, procedural rather than purposive.“56 Nardin charakterisiert die internationale Gesellschaft dementsprechend als eine „practical association“; diese unterscheidet sich von der „purposive“ oder „out-come“-orientierten Kooperationsgemeinschaft darin, dass deren normative Ordnung nicht durch gemeinsame Werte und Ziele, sondern durch die Anerkennung autoritativer Praktiken konstituiert und reguliert wird. Die Teilnehmer einer solchen Regelgemeinschaft mögen zwar ge-
54 Franck, 1990, S. 193. 55 Vgl. ders.: „Iranian Shiite fundamentalists, Irish Catholics, Orthodox Israelis, Indian Hindu secularists, American Episcopalians, and West African Animists may share a world of states and secular rules, but not a common system of values, a globalized understanding of fairness, or a shared canon of justice principles“ (1990, S. 235 f). 56 Nardin, 1983, S. 17.
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meinsame Werte und Ziele haben, „but it is common rules, not shared purposes, that define their relationship.“57 Mit dieser Konzeption der Staatenwelt als „rule-governed order“ reagiert Nardin auf das so genannte „Faktum des Pluralismus“: Ihr liegt die Einsicht zugrunde, dass die Staaten der internationalen Gesellschaft unterschiedliche Interessen verfolgen und oftmals konfligierende Konzeptionen des Guten vertreten, über die lediglich das Recht eine Brücke zu schlagen vermag; denn das Recht dient, wie Jürgen Habermas sekundiert, „eben nicht in erster Linie – wie Politiken – der Verwirklichung von kollektiven Zielen“58. Es kann im Gegensatz zu substantiellen Gerechtigkeitsforderungen aufgrund seines prozeduralen Charakters von allen Staaten ungeachtet ihrer unterschiedlichen Moralvorstellungen als autoritative Ordnungsinstanz ihrer Beziehungen anerkannt werden. Dieser Ansatz spricht für sich, wird doch nicht nur das Faktum des kulturellen Pluralismus, sondern auch dessen Relevanz für die normative Theorie der Internationalen Beziehungen anerkannt, die – soll sie nicht als Ausdruck einer bestimmten Kultur und deren Propagierung als „Kulturimperialismus“ zurückgewiesen werden – formaler Art sein muss: „Where the rule of law prevails in international society, states can be Catholic or Protestant, monarchical or republican, European or non-European, capitalist or communist, developed or less developed, Sunni or Shiite – provided they acknowledge the authority of international law in their dealings with one another.“59 3.2 Prozedurale Gerechtigkeitsprinzipien Die Existenz internationaler Gerechtigkeitsprinzipien wird allerdings weder von Nardins noch von Rawls’ politischer Theorie der internationalen Politik geleugnet; diese wenden sich nicht gegen die Möglichkeit normativer Forderungen überhaupt – dezidiert aber gegen die Formulierung substantieller Gerechtigkeitsprinzipien, da diese keine Aussicht auf Anerkennung seitens aller Staaten haben. Gerechtigkeitsforderungen sollen formal, nicht konsequentialistisch, sie sollen rechtlich, in den autoritativen Praktiken der internationalen Gesellschaft begründet sein – wobei jedoch hervorgehoben werden muss, dass diese auf ein gemeinsames Gut: auf die friedliche Koexistenz der Staaten fokussiert sind; da dieses jedoch mit dem Rechtszustand in eins fällt, stellt es kein substantielles Ziel, sondern ein der internationalen Rechtsordnung inhärentes Gut dar.60 Gerechtigkeitsprinzipien müssen – und dies gilt namentlich für die junge Forderung nach weltweiter Achtung der Menschenrechte – in die Sprache übersetzt werden, die alle Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft verstehen: in die Sprache des Rechts („rule of law“), und sie sollen formal sein; denn „[a] community of vocabulary is not“, wie Stanley Hoffmann zu bedenken gibt, „the same thing as a commu57 58 59 60
Ders., 1992b, S. 20. Habermas, 1996, S. 367. Nardin, 1998, S. 32. Vgl. ders.: „coexistence is not a substantive good produced by respect for international law, but rather the premise of the institution of international law. … Legality and coexistence are immanent in the very idea of international relations on the basis of the rule of law“ (1992b, S. 26).
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nity of values. […] Behind the common grammar there are competing ideological logics.“61 Die freiheitliche Gesetzesherrschaft lässt sich als ein diese widerstreitenden Ideologien überbrückendes autonomie-ethisch begründetes Herrschaftsprinzip behaupten: denn sie ist prinzipiell mit jeder Herrschaftsform verträglich;62 sie auferlegt den Staaten lediglich Forderungen der formalen Gerechtigkeit, wobei sie die verschiedenen Gerechtigkeitskonzeptionen als gleichermaßen gültige bestehen lässt; und sie ist ein auf internationaler Ebene wohlverankertes Prinzip.63 3.3 Vorrang des Rechten vor dem Guten Die Realisierung dieser präskriptiven Norm mag in der Zukunft liegen – was aber nicht heißt, dass sie von utopischem Gehalt ist; der politisch-rechtliche Zustand, den sie allen Staaten der internationalen Gesellschaft als Pflicht auferlegt, ist wünschbar und – den politischen Willen der Staatengemeinschaft vorausgesetzt – machbar. Ob diese Norm zu einer gerechten Weltordnung führt, ist allerdings umstritten, umfasst sie doch kein verpflichtendes Instrumentarium zur Bekämpfung von Armut, Unterernährung, von Aids, von Wasserknappheit – also all jener Probleme, mit denen ein Großteil der Menschheit konfrontiert ist. Dass in dieser Arbeit der Herstellung eines rechtlichen Zustands Vorrang vor Fragen der distributiven Gerechtigkeit zugesprochen wird, lässt sich mit der von der konstruktivistischen Theorie vertretenen These begründen, wonach allen Menschen die Möglichkeit gegeben werden soll, an der Ausgestaltung der institutionellen Grundstruktur ihres Gemeinwesens zu partizipieren.64 Diese These führt zu der hier vertretenen Forderung nach freiheitlicher Rechtsstaatlichkeit, nach einer Herrschaftsart also, in der Kritik an der Machtausübung kein Delikt ist, die ihre Gesetze vor den von diesen betroffenen freien und gleichen Menschen zu rechtfertigen weiß, so dass sie allgemeine Zustimmung finden können und sich damit als legitime Gesetze auszeichnen lassen. Die Vorordnung der Forderung nach einem legitimen politischen Ordnungsmodell vor Forderungen der distributiven Gerechtigkeit lässt sich auch mit Verweis auf die soziale Struktur der internationalen Kooperation rechtfertigen: als eine auf dem Recht begründete Ge61 Hoffmann, 1981, S. 20. 62 Dieser Behauptung liegt Kants Unterscheidung der Herrschaftsart (der Regierungs- oder Verfassungsform) von der Herrschaftsform (der Staatsform) zugrunde: rechtsstaatlich verfasst können nicht nur die Demokratie, sondern auch die Monarchie, nicht aber die Theokratie und Despotie sein; denn diese sind nicht an Vernunftsätze gebunden und durch sie begrenzt: erstere hat ihr Prinzip in der Herrschaft einer geglaubten Religion, letztere im arbiträren Willen des Herrschers. 63 Vgl. Watts, 1993 sowie Brownlie, 1998. 64 In diesem Sinn begründet auch Chwaszcza die von Rawls in seiner „Theorie der Gerechtigkeit“ vertretene Vorordnung des ersten vor dem zweiten Gerechtigkeitsgrundsatz, wobei sie anmerkt, dass diese Vorordnung „als empirische Hypothese hinsichtlich der Präferenzen empirischer Personen … wahrscheinlich falsch [ist].“ Unter konstruktivistischer Perspektive aber erscheint diese Hierarchisierung plausibel: „Die im ersten Grundsatz genannten bürgerlichen Rechte und Freiheiten formulieren personale Rechte und formale Anforderungen an die Gestaltung sozialer Institutionen; sie spiegeln die liberale substantielle Interpretation der autonomie-ethischen Freiheitsprämisse und die Neutralitätsprämisse wieder. I. d. S. orientieren sie sich an einem allgemeinen Begriff der Person und haben konstitutiven Charakter für die Gestaltung sozialer Institutionen“ (1998, S. 20).
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sellschaft souveräner Staaten kann ihr als vorrangiges gemeinsames Gut lediglich der internationale und folglich auch der nationale Rechtsfriede unterstellt werden; substantielle Normen haben angesichts der fehlenden gemeinsamen moralischen Basis wenig Aussicht auf Realisierung.65 „Daher“, so möchte ich mit Christine Chwaszcza schließen, „wird eine liberale Theorie der Gerechtigkeit strukturelle Maßnahmen befürworten, die die Chancen der Personen zu eigen-verantwortlicher Lebensgestaltung fördern, und sie wird ihre kompensatorischen Maßnahmen auf eine Grundversorgung konzentrieren, nicht auf Herstellung von Gleichheit.“66
4 Abschließende Bemerkung Mit den hier angeführten Kriterien zugunsten der Rechtsstaatlichkeit als internationalem Gerechtigkeitsprinzip sollten drei Einwände entkräftet werden: der Einwand, wonach dieses politisch-institutionelle Programm für die politische Praxis nicht plausibel und damit in ihr nicht umsetzbar ist, sowie der Einwand, wonach dieses nicht allgemein anerkennungsfähig ist – ein Einwand, der namentlich seitens der kulturrelativistischen sowie auch der kommunitaristischen Theorie gegen die Möglichkeit der Formulierung universeller Gerechtigkeitsprinzipien überhaupt vorgebracht wird. Diese Theorien verwerfen allesamt die Annahme eines objektiven Standpunkts, von dem aus Institutionen und Handlungen als gerecht oder ungerecht beurteilt werden könnten. Dagegen geht die universalistische Theorie im Sinne des pragmatischen Universalismus von gewissen relativ unkontroversen Werten aus und verteidigt die autonome und gleiche Rechtsperson als Maßstab einer politischen Gerechtigkeitskonzeption. Das „Faktum des Pluralismus“ wird dabei nicht einfach als irrelevant abgewiesen; doch werden offensichtliche Unterschiede nicht als unüberwindbare Schranke gegen die Möglichkeit des Auffindens einer gemeinsamen Basis zur Etablierung internationaler Gerechtigkeitsprinzipien erachtet. Schließlich wird drittens seitens der realistischen Schule argumentiert, dass die internationale Politik kein Ort für Gerechtigkeitsprinzipien sei, da die Erwartung nach Gegenseitigkeit von keinen effektiven Institutionen gesichert werden kann. Dieser These, wonach die gerechte Gestaltung der Weltordnung von der Herausbildung durchsetzungsfähiger internationaler Institutionen abhängt, kann insofern zugestimmt werden, als sich die Menschenrechte, beispielsweise, oder spezifischer noch: das Recht auf Demokratie zwar in zahlreichen Konventionen und Deklarationen statuiert finden, dennoch aber nicht weltweit garantiert werden. Das auf dem Prinzip souveräner Gleichheit ideologisch unterschiedlicher Staaten 65 Vgl. etwa Crawford: „though humans share a common global history, they do not share an understanding of that history; nor do all humans agree on a set of values and goals for the present and future. […] So, […] the need for procedural versus substantive (rule-based) morality among states and people acting in the world political ralm is more blatantly obvious than in domestic politics because, in most matters, states and people acting in world politics cannot rely on the illusion of preexisting consensus“ (1998, S. 135). 66 Chwaszcza, 1998, S. 19.
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begründete klassische Völkerrecht hat die Durchsetzung von innerstaatliche Verhältnisse regulierenden Prinzipien in der Tat nicht forciert; die Eigenheit dieses Rechts besteht nun aber darin, dass dessen Geltung auf dem Konsens der Staaten beruht, so dass deren wiederholte Bekräftigung naturrechtlicher Prinzipien diesen – in langfristiger Perspektive – Rechtskraft verleiht. Vorgängig aber hat diese, so lässt sich mit Juliane Kokott konstatieren, eine „naturrechtliche Überlagerung des gegenwärtigen Völkerrechts“ bewirkt – wobei diese naturrechtlichen Prinzipien einem internationalen Verfassungsgebungsprozess Legitimation verleihen.67 Die Rede von einer universellen „Verfassungsrechtsordnung“ mag verfrüht sein;68 doch zeichnet sich, gemäß Hans Jörg Sandkühler, ein „Paradigmenwechsel vom Staatsdenken zum Verfassungsdenken“69 ab, der sich dadurch kennzeichnen lässt, dass das ursprünglich als zwischenstaatlich konzipierte Recht der internationalen Gesellschaft seinen Fokus neuerdings auf die innerstaatliche Verfasstheit – „upon the conditions in which State power is exercised, in other words the Rule of Law“70 – richtet. Diese Aussage wird in der gegenwärtigen Völkerrechtsliteratur als empirische Feststellung allgemein vertreten und vermittels einer Analyse des internationalen Rechts belegt. Von dieser Analyse ausgehend, diskutiert namentlich die „democratic entitlement school“, welche Auswirkungen dies auf das gegenwärtige Völkerrecht hat und haben soll und welche Argumente zugunsten der Positivierung einer internationalen Norm sprechen. Bezüglich des Rechts auf Demokratie, dem, in zahlreichen Deklarationen als Norm verbrieft, Rechtsgeltung als internationales „Verfassungsprinzip“ zuerkannt werden sollte, argumentieren Fox und Roth beispielsweise, dass dieses – wie die hier vertretene Forderung nach Rechtsstaatlichkeit – auf die Wahrung des internationalen Friedens abzielt.71 Dies begründen sie damit, dass die Achtung des Prinzips der freien Wahl, der Transparenz und des politischen Pluralismus ein wesentlicher Garant für den Schutz anderer institutionalisierter Menschenrechte darstellt; dass demokratische Institutionen und Foren ein Instrument für die friedliche Beilegung interner Konflikte bieten; dass demokratische Staaten – so das kantische Theorem – keine Kriege gegeneinander führen; und schließlich, dass die effektive Implementierung internationaler Normen demokratische Prozesse, Transparenz und den freien Informationsfluss voraussetzt. Dieses einleuchtende Argumentarium aber verhinderte nicht, dass die 1999 von der UN Kommission für Menschenrechte promulgierte Resolution „Promotion of the Right to Democracy“ dieses Recht im Textteil mit keinem 67 Vgl. Kokott, 2000. 68 Allerdings lassen sich Anzeichen eines qualitativen Wandels des Völkerrechts in Richtung „Weltinnenrecht“ (Delbrück) ausmachen, die davon zeugen, dass wir „auf dem Wege zu einer Weltverfassung“ sind (Kokott, 2000, S. 21). Gemäß Delbrück wäre von einer Weltinnenrechtsordnung dann zu sprechen, „wenn – jedenfalls vom Prinzip her – die vollständige Unterordnung staatlicher Souveränität hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung anerkannt und entsprechende Rechtsdurchsetzungsmacht den Staaten übergeordneten Rechtsdurchsetzungsinstanzen zugeordnet wäre“ (1992, S. 130). 69 Sandkühler, 1998, S. 75. 70 Brownlie, 1998, S. 37. 71 Im Blick steht hier der „gewandelte Friedensbegriff“ (Kälin), der die Tatsache reflektiert, dass die Bedrohung des internationalen Friedens heute primär von innerstaatlichen Konflikten ausgeht.
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Wort erwähnt; dass es im Titel erscheinen soll, war gar Gegenstand einer sepraten Abstimmung, die schließlich mit 12-28 Stimmen und bei 13 Enthaltungen die Beibehaltung bestimmte.72 Die Argumente, die ich in dieser Arbeit zugunsten der Forderung nach Rechtsstaatlichkeit vorgebracht habe, basieren auf solcherart empirischen Feststellungen und normativen Begründungen internationaler Rechtsprinzipien, wie sie die gegenwärtige Völkerrechtsliteratur erkenntnisreich diskutiert. Mit Blick auf das Kriterium der Konsensfähigkeit, das ein internationales Prinzip notwendig aufweisen muss, soll es sich zu geltendem Recht kristallisieren, verwies ich allerdings nicht nur auf die im internationalen Recht wiederholt statuierte Pflicht zur Rechtsstaatlichkeit; ich habe diese zudem aus dem Recht auf Rechtfertigung abgeleitet, das als solches jede Rechtsgemeinschaft charaktierisiert, insofern sich das Recht dadurch auszeichnet, dass es sich vor den Rechtsadressaten rechtfertigen muss. Ohne hier eine definitive Antwort auf gegenwärtige Fragen einer gerechten internationalen Rechtsordnung zu behaupten, wollte ich die These zur Diskussion stellen, dass sich das Recht auf Rechtfertigung als Kernprinzip zur Etablierung international verbindlicher Rechtsprinzipien anerbietet: denn es kann als prozedurales Prinzip allgemeine Anerkennung bei den Staaten der internationalen Gemeinschaft, die sich auf das Recht als gemeinsame Basis der Regelung ihrer Beziehungen untereinander geeinigt haben, finden, wobei es – einmal anerkannt – die Achtung der Menschenrechte und der Demokratie befördert.
72 Vgl. Fox/Roth, 2000, S. 7 f; die Autoren zitieren aus UNCHR Res. 1999/57, U. N. Doc. E/ CN.4/RES/1999/57(April 27, 1999).
Staatsbürgerschaft und Globalisierung Sven Murmann In der gegenwärtigen wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion wird der Status der Staatsbürgerschaft in vielerlei Hinsicht neu interpretiert.1 Die Globalisierung gesellschaftlicher, ökonomischer, rechtlicher und politischer Strukturen tritt dabei zunehmend als immer wichtiger werdende Einflussgröße in den Vordergrund. Welche Rolle spielt unsere nationale Zugehörigkeit zum politischen System angesichts der komplexen globalen politischen und ökonomischen Zusammenhänge? Man kann diese Frage auf vielfältige Bezugssysteme und politische Konzepte ausrichten, um jeweils zu anderen Antworten zu kommen. In diesem Beitrag will ich das Phänomen der Globalisierung auf den systematischen Zusammenhag von politischer Legitimation und demokratischer Staatsbürgerschaft beziehen. Zunächst eine für das Thema zentrale Unterscheidung: Unter demokratischer Staatsbürgerschaft verstehe ich die Institutionalisierung eines politisch, rechtlich und sozial definierten Mitgliedschaftsstatus einer mündigen Person in einem demokratischen Rechtsstaat. Davon zu unterscheiden ist die Mitgliedschaft in der Gesellschaft, die im Unterschied zur Staatsbürgerschaft eine plurale Struktur aufweist (die Möglichkeit der Mehrstaatigkeit ausgeklammert): D. h. eine Person kann auf gesellschaftlicher Ebene viele öffentlich wirksame Mitgliedschaften eingehen. Auch der Arbeitsvertrag mit einem Unternehmen führt zu einer Mitgliedschaft, die soziale und politische Konsequenzen haben kann. In komplexen demokratischen und international vernetzten Gesellschaften scheint der Staatsbürgerstatus keine Monopolstellung beanspruchen zu können – weder im Hinblick auf demokratische Rechte noch sozialstaatliche Güter des politischen Systems. Die Einflussnahme mündiger Personen auf soziale, ökonomische und politische Zusammenhänge vollzieht sich in mehreren Mitgliedschaften: Neben unserer Staatsbürgerschaft eröffnen uns international vernetzte Verbände, Religionsgemeinschaften, Interessengruppen und nicht zuletzt Unternehmen vielfältige Einflussnahmen auf das gesellschaftliche Leben. Dieses Phänomen ist allerdings nicht auf die Globalisierungswelle des späten 20. Jahrhunderts zurückzuführen. Schon im nationalstaatlichen Kontext des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bildeten Parteien und Interessenverbände neue Mitgliedschaftsformen aus und differenzierten das politische System mit der Konsequenz, dass die „Staatsorganisation jetzt nur noch ein Teilsystem des politischen 1
Vgl. die Sammelbände von Beiner, 1995 und Kleger, 1998 und die Monographie von van Gunsteren, 1998.
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Systems“2 war. Für die Funktion demokratischer Gesellschaften spielte diese Ausdifferenzierung eine immer größere Rolle. Sowohl realgeschichtlich als auch theoriegeschichtlich vollzog sich dieser Prozess weitgehend im nationalstaatlichen Rahmen. In der politischen Theorie war von Aristoteles über T. H. Marshall bis John Rawls die territoriale Eingrenzung eines Rechtsraums eine politische Bedingung für die Ausbildung eines Staatsbürgerschaftsstatus.3 Die nationalstaatliche Ausdifferenzierung von Mitgliedschaftsformen wird von der Globalisierung im Sinne einer transnationalen Ausdifferenzierung nach außen getragen, eine faktische Entwicklung, die heute gefördert durch Beispiele wie die Unionsbürgerschaft in der Europäischen Union politische Theoretiker nach normativen Konzepten transnationaler Staatsbürgerschaft suchen lässt.4 Dabei können die klaren aber in transnationaler Hinsicht limitierten Konturen der nationalstaatlichen Staatsbürgerschaft oder Staatsangehörigkeit5 nicht problemlos auf das (noch) rahmenlose Reißbrett einer sich formierenden Weltgesellschaft übertragen werden. Im Zuge der seit 1989 entfachten Diskussion um Demokratiebewegungen rückte die Mitgliedschaftsthematik zwar mehr und mehr in den Vordergrund6 und der Bürgerstatus avancierte über den mit ihm verbundenen Rechtsstatus zu einem dynamischen Medium der Mitbestimmungsansprüche von Mitgliedern der Gesellschaft.7 Zugleich verwässerte aber das Ineinanderblenden von Konzepten der Bürger- oder Zivilgesellschaft mit den nationalstaatlichen Ordnungsfunktionen des Staates den Staatsbürgerstatus als den primären institutionalisierten Ausdruck voller politischer Mitgliedschaft.8 In der Politischen Theorie herrscht heute Einigkeit darüber, dass Staatsbürgerschaft in multikulturellen und transnationalen Gesellschaften ein vielschichtiges Konzept sein muss9 und man betrachtet den Staatsbürgerstatus weniger als ein „feudal privilege“10 sondern vielmehr als ein „multilayered concept“11. Um so unklarer ist angesichts der zunehmenden Bedeutung gesellschaftlicher (nichtstaatlicher) Mitgliedschaften, mit welchen spezifischen Rechten und Pflichten der Staatsbürgerschaftsstatus verknüpft bleiben soll, um weiterhin normative Priorität beanspruchen zu können. Das normative Konzept einer demokratisch einflussreichen Zivilgesellschaft enthält nämlich keinen eindeutigen Mitgliedschaftsstatus: Die Zivilgesellschaft gründet sich auf eine Vielfalt von Mitgliedschaften, die den sozialen und lebensgeschichtlichen Kontext von Personen bilden.12 Bei diesem Umdenken stellt sich die Schwierigkeit, wie der normative Zusammenhang von 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Luhmann, 1998, S. 368. Vgl. Murmann, 2000. Vgl. Kleger, 1995, S. 34-59. Soysal, 2001, S. 144-162. Zu dieser Differenz siehe meine Ausführungen in Murmann, 2000, S. 43 ff. Zusammenfassend vgl. Kymlicka/Norman, 1995. Vgl. Dworkin, 1990, Habermas, 1992. Exemplarisch dazu der Sammelband von Brinck/van Reijen, 1995. Siehe dazu vor allem die Arbeiten von Bader, 1995, 1997, 1998. Carens, 1995, S. 230. Bader, 1995, S. 212. Vgl. Walzer, 1995.
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Staatsbürgerschaft und Legitimität in einem starken Sinne gesichert werden kann. Um dieses Problem geht es mir in diesem Beitrag. Dabei will ich den rechtfertigungstheoretischen Anspruch politischer Philosophie auf diese überwiegend interdisziplinär verhandelte Problematik anwenden.13 In einem ersten Schritt will ich die zentralen normativen Aspekte von Staatsbürgerschaft als voller politischer Mitgliedschaft im Rahmen der Unterscheidung zwischen legitimer und nichtlegitimer Gewalt analysieren (1). Darauf aufbauend soll die Unterscheidung von gesellschaftlicher Mitgliedschaft und demokratischer Staatsbürgerschaft im Hauptteil dieses Aufsatzes analog zu der von legitimer und nichtlegitimer Gewalt eingesetzt werden, um in der Staatsbürgerschaft einen allgemeinen, an das Selbstbestimmungsprinzip gebundenen und den Gesellschaftsmitgliedern Rechtssicherheit gebenden Status zu erkennen. Hier werde ich mich mit einigen ausgewählten theoretischen Positionen in Bezug auf die Globalisierung vor dem Hintergrund einer mehr und mehr an öffentlichem Einfluss gewinnenden Gesellschaftswelt auseinandersetzen. Ziel ist es, die Neusituierung des Staatsbürgerschaftsstatus im gegenwärtigen Diskurs mit dem Anspruch von transnational vernetzten Gesellschaftsmitgliedern auf legitime politische Gewalt zu verbinden (2).
1 Warum Staatsbürgerschaft? In rechtsstaatlichen Demokratien nehmen den Staatsbürgerschaftsstatus Personen als volle politische Mitglieder ein.14 Dieser Mitgliedschaftsstatus institutionalisiert den Anspruch des modernen Menschen auf politische Mitbestimmung. Demokratische Staatsbürgerschaft ist insofern eine Sonderform von Mitgliedschaft, durch die eine spezifische Bindung von Personen an das politische System zum Ausdruck gebracht wird. In der liberalen politischen Philosophie, insbesondere in Gestalt der Theorie des Gesellschaftsvertrags, wird der Staatsbürgerstatus aus der normativen Differenz von nichtpolitischem, nichtlegitimem Naturzustand einerseits und politischem, legitimem Rechtszustand andererseits hergeleitet.15 Dabei setzt die nichtlegitime Gewalt des vorstaatlichen Zustandes nur einen unspezifischen16 Mitgliedschaftsstatus voraus, während die legitime Gewalt des staatlichen Zustandes einen spezifischen Mitgliedschaftsstatus konstituiert. Entscheidend ist daher die 13 Zum Rechtfertigungsanspruch politischer Philosophie vgl. Hampton, 1997, xiii ff. Kersting 1994, S. 11 ff. 14 Vgl. Marshalls Definition des Staatsbürgers als vollem politischen Mitglied der Gesellschaft mit legalem Status: „Staatsbürgerrechte verleihen einen Status, mit dem all jene ausgestattet sind, die volle Mitglieder einer Gemeinschaft sind“. Marshall, 1992, S. 53. 15 Die normative Differenz von legitimer und nichtlegitimer Gewalt bildet das theoretische Paradigma liberaler Theorien politischer Legitimation. Diese Grundunterscheidung findet sich in der einen oder anderen Form in den Theorien von Hobbes, Locke, Rousseau, Kant, Rawls und Habermas. Unter liberaler politischer Philosophie versammle ich alle diejenigen Konzeptionen von Politik, welche erstens die Herrschaftsansprüche des politischen Systems auf die Zustimmung der Staatsbürger zurückführen wollen und zweitens für sie bzw. für die Gesellschaftsmitglieder, die im Herrschaftsbereich dieses Systems leben, Grund- und Freiheitsrechte und soziale Rechte sichern. 16 Habermas, 1998, S. 98.
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Unterscheidung von Gesellschaft und politischem System (Staat), denn das bloße Fehlen einer politischen, legitimen Gewalt bedeutet nicht, dass es keine gesellschaftlichen Beziehungen zwischen Personen als Mitgliedern sozialer Entitäten gibt. Es kann im Naturzustand, wie etwa im lockeschen Modell, gesellschaftliche Kooperationen geben, was fehlt, ist die Legitimität der mit ihnen verbundenen Machtausübung und Zwangshandlungen.17 Die Gesellschaft kann sich selbst vor nichtlegitimer Gewalt nur durch die autonome Errichtung einer legitimen Gewalt schützen. In der Theorie des Gesellschaftsvertrags werden Gesellschaftsmitglieder in diesem Konstitutionsakt der legitimen Gewalt zu Staatsbürgern. Dem vorstaatlichen Anspruch auf Rechtssicherheit entspricht das Recht auf einen Status voller politischer Mitgliedschaft, der erstens Personen vor nichtlegitimer Gewalt schützen und ihnen zweitens die Möglichkeit einer Einwirkung auf die Gewalt ausübenden Strukturen geben soll. Aus diesem Status erwächst Personen ein permanenter Rechtfertigungsanspruch gegenüber der politischen Gewalt. Der Status der demokratischen Staatsbürgerschaft wurzelt demnach rechtfertigungstheoretisch in der nichtstaatlichen Gesellschaftsmitgliedschaft, aus der heraus Personen ein friedliches, freies und selbstbestimmtes Leben wechselseitig voneinander einfordern. Indem sie sich als Staatsbürger gegenseitig anerkennen, billigen und autorisieren sie zugleich die legitime Gewalt, die ihnen die politischen und rechtsstaatlichen Bedingungen ihres Lebensentwurfes sichert. Neben die Gesellschaftsmitgliedschaft tritt die politische Mitgliedschaft, eine Zugehörigkeit zum Staat, d. h. eine spezifische Bindung von Personen an die legitime politische Gewalt. Das politische System übernimmt die Aufgabe, die Gesellschaft zu regeln auf der Basis kollektiver Willensbekundungen seitens der Staatsbürger (Wahlen, Volksentscheide etc.). In der Anerkennung und Autorisierung des politischen Systems seitens seiner Mitglieder liegt die Legitimität der ausgeübten politischen Gewalt. Doch geht es nicht nur um die Legitimität des politischen Systems. Potentiell beeinflussen alle gesellschaftlichen Institutionen, wozu Rawls das Rechtssystem, das Verwaltungssystem, das ökonomische System und die privaten Lebensbereiche zählt, unsere Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben.18 Der Rechtfertigungsbedarf von Machtausübung erstreckt sich auf die gesamtgesellschaftliche Organisation. In einer rechtsstaatlichen Demokratie, d. h. einem Gesellschaftsmodell, in dem der Theorie nach Personen politische Gewalt über Personen ausüben, ist daher der Staatsbürgerstatus eine Fundamentalbedingung demokratischer Legitimität,19 da erst durch diesen Status voller politischer Mitgliedschaft und den mit ihm verbundenen Rechten und Pflichten die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Strukturen unserer Gesellschaft normativ festgeschrieben werden. Demokratische Staatsbürgerschaft ist daher ein unverzichtbarer politischer Status, der es Personen als Mitgliedern von Gesellschaften ermöglicht, über die Apparate des politischen 17 Bei Locke akkumuliert dies in der Gefahr von Privatjustiz. Vgl. Locke, 1977, S. 205. Siehe in Bezug auf Hobbes auch Luhmann, 1998, S. 349. 18 Rawls, 1992, S. 23. 19 Rawls, 1998, S. 317.
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Systems (namentlich das Parlament, die Regierung und die Verwaltung) ein höchstmögliches Maß an gesellschaftlicher Selbststeuerung zu erreichen. Die Verbindung von Staatsbürgerstatus und Gesellschaftsmitgliedschaft bleibt dabei vorhanden, da Bürgerinnen und Bürger ihre Interessen und Präferenzen hinsichtlich öffentlicher Entscheidungen aus ihren pluralen Mitgliedschaften (Familien, Nachbarschaften, Vereinen und Mitgliedschaften im Markt und in der Arbeitswelt) heraus entwickeln. Staatsbürgerschaft und Gesellschaftsmitgliedschaft stehen in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis. Dieses Verhältnis bestimmt zugleich die seit Aristoteles bestehende Problematik der politischen und sozialen Exklusion beziehungsweise Inklusion von Gesellschaftsmitgliedern. Sowohl für die Legitimität politischer Ordnungen als auch für deren Stabilität ist eine Balance zwischen diesen beiden Mitgliedschaften ein wesentlicher Gesichtspunkt. Eine demokratische Gesellschaft verträgt dauerhaft keine hohe quantitative und qualitative Diskrepanz zwischen Nichtstaatsbürgern und Staatsbürgern, wenn beide in gleicher Weise (also in räumlicher und zeitlicher Hinsicht) als Mitglieder, d. h. Teilnehmer, Konsumenten, Produzenten etc. miteinander interagieren. Dass die zeitgenössische politische Theorie Schwierigkeiten mit der Staatsbürgerschaft hat, liegt vor allem an der traditionellen Eindimensionalität des Staatsbürgerstatus, die sich auf das Problem der Inklusion beziehungsweise Exklusion überträgt. Die Eindimensionalität wird binnenpolitisch verstärkt, wenn die systemische Verbundenheit von Staat und Bürgerstatus durch „askriptive Kriterien“20, wie kulturelle, ethnische oder nationale Identitäten, fundiert wird, also der Erwerb dieses Status an Kriterien dieser Art gebunden wird. 21 Historisch gesehen überwog im 20. Jahrhundert in westlichen demokratischen Gesellschaften die Tendenz zur fortschreitenden Inklusion, durch die immer mehr unterdrückte Gruppen und Minderheiten die Zugehörigkeit zum politischen System erhielten und insofern die Macht- und Herrschaftsverhältnisse mit beeinflussen konnten.22 Durch diese Entwicklung fand im politischen Bewusstsein pluralistischer Gesellschaften eine Ablösung des Staatsbürgerstatus von historischkulturellen Voraussetzungen statt, ein Wandel, der seinerseits Kritik auslöste. Für den solidarischen Zusammenhalt einer nationalen Bürgergesellschaft, so lautet ein exemplarisches Argument gegen die Inklusion, sind geschichtlich gewachsene Anerkennungsverhältnisse innerhalb einer politischen Gemeinschaft unverzichtbar. Je pluralistischer und komplexer die Gesellschaften, desto schwieriger wird es aber, über den Bürgerstatus Solidaritäten zu kreieren.23 In der Bundesrepublik Deutschland hat zuletzt die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft ge20 Bader, 1995, S. 222 ff. 21 Die Frage des Erwerbs der Staatsbürgerschaft klammere ich hier aus. Indem demokratische Staatsbürgerschaft mit dem Selbstbestimmungsprinzip verbunden ist, fällt die Entscheidung darüber, wer diesen Status erhält und wer von ihm ausgeschlossen wird, in den politischen Einwirkungsbereich von Bürgern. Ansprüche auf volle politische Mitgliedschaft von außen können mit dem Selbstbestimmungsanspruch der Staatsbürger kollidieren. Die hieraus entstehenden Probleme bilden einen eigenen gerechtigkeitstheoretischen bzw. juristischen Problemkomplex. Siehe dazu die ausführliche Studie von Rieger, 1998. 22 Siehe Shklar, 1991 und Marshall, 1993. 23 Siehe Beiner, 1995 und Habermas, 1992.
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zeigt, dass dieser Status immer noch mit dem nationalen Gut einer Kultur- und Abstammungsgemeinschaft in Verbindung gebracht wird.24 Nicht nur historisch auch normativ ist die Frage nach der identitätspolitischen Konnotation ein wichtiger Bestandteil der Diskussion um den Staatsbürgerstatus – gerade vor dem Hintergrund der Globalisierung: „What is so special about our fellow countryman?“25 Will man politische Mitgliedschaft nicht nur mit dem Verweis auf gemeinsame Rechte und Pflichten beantworten, so stößt man zwangsläufig auf die Frage historisch gewachsener Identitäten als Quelle für politische Solidarität. Die normative Begründung demokratischer Staatsbürgerschaft erschöpft sich aber meines Erachtens nicht im Rückgriff auf Solidaritäten. In der Gesellschaftswelt verhalten wir uns permanent solidarisch jenseits unserer Staatsbürgerschaft– und dies im kommunalen, nationalen und im internationalen Rahmen. Der Punkt ist auch hier der Legitimitätsgewinn im Hinblick auf politische Gewalt, den der Staatsbürgerstatus mit sich bringt. Das spezielle Verhältnis zwischen mir als Staatsbürger eines demokratischen Rechtsstaates und meinem fellow countryman ergibt sich aus der Überlegung, dass wir „in grundlegenden Angelegenheiten politische Zwangsgewalt übereinander ausüben“.26 Zwischen mir und meinen Mitbürgern besteht daher ein spezieller Legitimationsbedarf, den wir uns einzig aus unserer spezifischen Zugehörigkeit zum politischen System erklären können und nicht aufgrund unserer unspezifischen Zugehörigkeiten zur Gesellschaftswelt. Es besteht eine spezifische Verpflichtung gegenüber unseren Mitbürgern, die vom Staatsbürgerstatus ausgeht. Die abnehmende Bedeutung des Nationalstaates durch die Globalisierung ändert an diesem systematischen Befund nichts. Wenn sich das Gewalt ausübende politische System transnationalisiert, erweitert sich auch der demokratische Legitimationsbedarf, folglich muss sich der Personenkreis der Staatsbürger erweitern. Die Befreiung politischer Mitgliedschaft aus der Verzahnung von Nationalstaat und Bürgerstatus darf allerdings nicht zu dem Preis der Aufgabe des Selbsteinwirkungsanspruchs der Gesellschaftsweltmitglieder vonstatten gehen. Wie Bader betont, wäre weder die völlige Nichtigerklärung angehörigkeitsrechtlicher Bestimmungen demokratischer Staatsbürgerschaft (Staatsangehörigkeit, nationality) noch eine Art „universal denizenship“ ein erstrebenswertes Ziel.27 Das Verhältnis zwischen Gesellschaftsmitgliedschaft und Staatsbürgerschaft ist einem dauernden Wandel ausgesetzt. Heute wird dieser Wandel von den Entwicklungen der globalen gesellschaftlichen Beziehungen und durch den technologischen Fortschritt beschleunigt.28 Das globale Paradigma einer Weltgesellschaft liefert den soziologischen Hintergrund für eine politische, d. h. Gewalt und Zwang neu setzende „postnationale Konstellation.“29 Das Verhältnis zwischen ei24 Siehe Rieger, 1998, S. 28 ff. und Tsapanos, 2001, S. 312 ff. 25 Vgl. Goodin, 1988. Zur Begründung demokratischer Staatsbürgerschaft unter Zuhilfenahme eines Verfassungspatriotismus siehe Habermas, 1992, S. 632 ff. 26 Rawls, 1998, S. 317. 27 Bader, 1998. 28 Vgl. Albrow, 1998, S. 421 ff. 29 Habermas, 1998, S. 91 ff.
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ner Weltgesellschaftsmitgliedschaft und einer demokratischen Staatsbürgerschaft ist politisch gesehen asymmetrisch.30 Die Staatsbürger mit demokratischen Rechten werden durch die weltgesellschaftliche Entwicklung aus dem nationalen Sicherungssystem von Souveränität und Autonomie herausgerissen, indem die Akteure der Gesellschaft mehr und mehr Koordinationsaufgaben, die früher dem Staat als politischem Ordnungssystem vorenthalten waren, mit teilweise großem politischen Erfolg übernehmen.31 Je mehr Steuerungs- und Regelungskompetenzen von den staatlichen Organen auf die Organisationen der Gesellschaft (unter ihnen die Nicht-Regierungs-Organisationen der Zivilgesellschaft und die Akteure des ökonomischen Systems) übergehen, desto vakanter erscheint jedoch der Status der Staatsbürgerschaft. Man kann diesen Vorgang vorderhand als Demokratisierung deuten;32 die Frage ist nur, wie sich dieser Prozess auf die idealerweise normsetzenden und normunterworfenen Staatsbürger auswirkt. Denn zunächst einmal haben wir es mit einer Verschiebung von Machtkonstellationen zu tun, die Demokratie- und Legitimitätsdefizite nach sich ziehen. Im folgenden Abschnitt will ich einige Auswirkungen dieser vielschichtigen Entwicklung auf den Status demokratischer Staatsbürgerschaft skizzieren.
2 Gesellschaftswelt, Globalisierung, Staatsbürgerschaft Als historische Erscheinung betrachtet, trägt der Staatsbürgerstatus durchaus vielfältige Charakteristika.33 Dies hängt wesentlich mit der geschichtlichen Entwicklung einer nationalstaatlich geprägten Weltordnung zusammen. Aus normativer Perspektive besteht allerdings eine zentrale Gemeinsamkeit im Hinblick auf die verschiedenen nationalstaatlichen Verhältnisbestimmungen von Mitgliedschaft und politischem System: Insofern sich Gesellschaften als territorial begrenzte Bürgergesellschaften verstehen, fungiert die Verbindung zwischen Nationalstaatlichkeit und Staatsbürgerstatus oder Staatsbürgervolk als die zentrale Ressource zur Herstellung einer legitimen politischen Ordnung. Die Vertragstheorien der neuzeitlichen politischen Philosophie, welche die politische Gewalt der binnenstaatlichen Rechtsordnung als einen Gesellschaftsvertrag zwischen freien und gleichen Personen rechtfertigen, haben von Hobbes bis Rawls geschlossene politische Einheiten, Republiken oder Nationalstaaten, vor Augen.34 Das gleiche gilt für kommunitaristische und diskurstheoretische Modelle.35 Sofern das Korrespondenzverhältnis von staatlicher Ordnung und Bürgerstatus unter dem Aspekt der Rechtfertigung politischer Herrschaft gedeutet wird, verfestigt es die Verklammerung zwischen legitimer, staatlicher Gewalt und Staatsbürgerschaft. Die kontraktualistische Antwort auf die Frage nach der Rechtfertigung politischer Gewalt ba30 31 32 33 34 35
Vgl. Dahrendorf, 1998, S. 51. Vgl. Czempiel, 1993, S. 15 ff, Czempiel, 1999, S. 17 ff sowie Habermas, 1998, S. 91 ff. Vgl. Czempiel, 1999 und Kleger, 1998. Einen gelungenen aktuellen Überblick gibt Weil, 2001. Vgl. Kersting, 1994. Vgl. Walzer, 1994 und Habermas, 1992.
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siert auf der Differenz von nichtlegitimer Gewalt im Naturzustand und legitimer Gewalt des von einer Aktivbürgerschaft getragenen souveränen Staates. Die von Locke, Rousseau und Kant grundgelegte demokratietheoretische Version von Staatsbürgerschaft als status activus prägt auch heute das politische Denken. Vom fingierten Prozess einer „original position“ angefangen (Rawls), über die kommunitäre Selbstfindung einer autonomen Gemeinschaft (Walzer, Sandel) bis zur Diskurs fundierten Staatsbürgergesellschaft (Habermas): In den Lagern der gegenwärtigen Politischen Theorie und Philosophie konstituiert sich eine territorial gebundene, autonome Gesellschaft von Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern. Um dem Anspruch gerecht zu werden, dass politische Gewalt auf die Zustimmung des Volkes zurückzuführen ist, bedarf es zunächst der Einrichtung eines Mitgliedschaftsstatus. Der kollektive Akteur im Gewand des Staatsvolkes36 übt Souveränität und Autonomie auf der Basis voller politischer Mitgliedschaft aus.37 Wie sehr die traditionelle Souveränitätslehre die Eindimensionalität politischer Mitgliedschaft gestaltet hat, zeigt Linklater in vier Punkten: „Four points are worth noting about the classical doctrine of sovereignty: first; no one can be the subject and sovereign of more than one sovereign; second, only one sovereign power can prevail within any single territory; third, all citizens must have exactly the same status and rights; and fourth, the bond between citizens and sovereign necessarily excludes aliens“.38
Der Monismus, welcher dem Begriff der Staatsbürgerschaft aufgrund dieser Denktradition innewohnt, resultiert aus dem Band zwischen dem tendenziell unitarisch gedachten Kollektiv der Bürger und der Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der Souveränität des Staates. Die Verbindung zwischen Staatsbürgern und Souverän, die Linklater hier in Anlehnung an die klassische Souveränitätslehre von Bodin beschreibt, wird in der gegenwärtigen demokratietheoretischen Adaption des Volkssouveränitätsprinzips noch enger geschnürt.39 Die traditionelle Staatslehre der westlichen demokratischen Tradition sieht in der Souveränität des Volkes die verfassungebende Gewalt (pouvoir constituant).40 Rechtfertigungstheoretisch gründet diese Letztinstanzlichkeit in der „demokratischen Allokation vor-staatlicher Rechte“41. Ist der Staatsbürgerstatus selbst eine Institution der Verfassung, dann basiert dessen Legitimität ebenfalls auf Ansprüchen nichtstaatlicher Natur. Im dem gleichen Maße wie die politische Philosophie ein Menschenrecht auf Rechtsstaatlichkeit kennt42, erscheint daher die Rede von einem vorstaatlichen Menschenrecht auf Staatsbürgerschaft als sinnvoll. Hinsichtlich der rechtlichen Zugehörigkeit (ohne weitere bürgerliche 36 Unter pluralistischen gesellschaftlichen Bedingungen meint Volk Demos und nicht Ethnos. Vgl. Lepsius, 1986. 37 Dies zeigt auch der auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker rekurrierende Anspruch auf Sezession einer Gruppe von Mitgliedern in einem Staat. Siehe dazu Chwaszcza, 1998, S. 478. 38 Linklater, 1998, S. 129. 39 Zu Bodins Lehre in diesem Zusammenhang vgl. Kielmansegg, 1994, S. 86 ff. 40 Vgl. statt vieler Böckenförde, 1992, S. 90 ff. 41 Maus, 1992, S. 239. 42 Kant, 1983, S. 204, Anmerkung.
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Rechte mit einzuschließen) ist dies in der Menschenrechtserklärung von 1948 reflektiert, wenn es im Artikel 15 heißt: „Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Staatsangehörigkeit“.43 Jede Begründungsstrategie, die sich auf das Selbstbestimmungsprinzip eines außerhalb der Verfassung stehenden pouvoir constituant beruft, verfährt mitgliedschaftstheoretisch notgedrungen rekursiv. Die imagined community44 eines Staatsvolkes besteht aus Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, die sich selbst als verfassungsgebende Gewalt erfinden und dadurch ihre gesellschaftlichen Mitgliedschaften reflexiv legitimieren. Dabei bleibt Volkssouveränität solange eine „demokratietheoretische Fiktion“45, wie die beteiligten Staatsbürger nicht in faktische Zustimmungsverfahren eingebunden werden. Da theoriegeschichtlich die neuzeitliche Lehre vom souveränen Volk weitgehend von der Legitimationstheorie des Gesellschaftsvertrags geprägt war, wurde das souveräne Volk durch die Imagination des Naturzustandes zu einer „fiktiven Größe“.46 Die gegenwärtige Theorie der Volkssouveränität hat daher begründungstheoretisch abgespeckt und fokussiert mehr und mehr auf „Praxisrelevanz“.47 „Soll die Volkssouveränität ein denkbares und ein auch praktisch relevantes Prinzip der demokratischen Legitimation von gesamtgesellschaftlichen Entscheidung(-ssystem)en sein, tut man gut daran, (die staatsrechtliche) Vorstellung von der Souveränität als plena potestas pragmatisch zurückzuschrauben auf ihren entscheidungstechnischen Kern. Souverän ist dann derjenige, der innerhalb eines konkreten Entscheidungssystems die letztgültige Entscheidung zu treffen vermag. In diesem Sinne könnte ein Volk dann als souverän gelten, wenn es erfolgreich das Recht für sich in Anspruch nimmt, den „Alltags“ – Gesetzgebern und – Regenten bei Bedarf und jederzeit die Zustimmung zu ihrem Tun zu entziehen. Nicht „Selbstgesetzgebung“ wäre das entscheidende Merkmal, sondern letztgültige Zustimmung bzw. Zustimmungsverweigerung“.48
Uns interessiert an diesen Überlegungen weniger die prozedurale Frage, wie die Entscheidungen des politischen Systems als legitim erachtet werden können, als vielmehr der hier implizit gesetzte Zusammenhang von Rechtfertigung durch Zustimmungsverfahren und politischer Mitgliedschaft. Abromeits Modell der Volkssouveränität basiert auf der Idee eines wirklichen (nicht kontraktualistisch fiktiven) Verfassungsvertrags, indem die Legitimität von Verfassungsnormen an die wechselseitige Zustimmung von Vertragspartnern gebunden bleibt und Mehrheitsentscheide dem Test einstimmiger Zustimmung zu den Entscheidungsverfahren unterworfen werden.49 Bemerkenswert ist hier die gesellschaftliche Perspektive auf die Problematik. Genauer betrachtet geht es um die Souveränität der Gesellschaft und nicht um die Souveränität des Staatsbürgervolkes. Der Vorschlag 43 44 45 46 47 48 49
Heidelmeyer, 1982, S. 273. Vgl. dazu Grawert, 1984, S. 188. Anderson, 1993. Abromeit, 1999, S. 20. Ebd., S. 18 f. Ebd., S. 20. Ebd., S. 20. Die Autorin verweist auf die Schweiz und die Europäische Union als Beispiele, wobei die EU erstens keine Verfassung hat und zweitens große Defizite in punkto demokratischer Zustimmung zu dem Vertragswerk der EU aufweist. Vgl. dazu statt vieler Schmitter, 1998.
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einer Volkssouveränität durch Zustimmungspflichtigkeit „multipler demoi“50 erfordert deshalb mitgliedschaftstheoretisch eine Reevaluierung des Staatsbürgerstatus. In Abromeits Konzept scheint demokratische Staatsbürgerschaft im Sinne der Selbstgesetzgebung ersetzt zu werden durch Vetorechte von betroffenen regionalen und sektoralen gesellschaftlichen Einheiten, Organisationen und Interessengruppen. Anders gesagt: Das politische Kollektiv des Volkes wird durch die Kollektive der Gesellschaft ersetzt. Mitgliedschaftstheoretisch ist dieser Prozess von hoher Bedeutung: Die Zugehörigkeit zu den multiplen Demoi konstituiert sich über wechselnde Identitäten und verzichtet auf einen allgemeingültigen Status. Angehörigkeitsrechtliche Bestimmungen scheinen keine Rolle zu spielen. Die monistische Figur des einen Volkes wird sektoriert in die vielen Demoi der Gesellschaft, die sich, je nach Bedarf und Präferenzen der Beteiligten, über traditionelle oder spontane Identitäten und Interessen zusammenfinden und wieder auflösen können. Der von Abromeit binnenpolitisch antizipierte Vorgang der Vergesellschaftung von Souveränität wird ebenso in der politischen Theorie der internationalen Beziehungen reflektiert. Czempiel hat im transnationalen Kontext das Konzept der Gesellschaftswelt ausgebaut, um die sich seit 1989 neue formierende Weltordnung mit der Demokratisierung der politischen Systeme durch die Gesellschaft zu verbinden. „Im Begriff der Gesellschaftswelt drückt sich derjenige politische Vorgang aus, der die Welt des ausgehenden 20. Jahrhunderts so entscheidend verändert hat, dass man ihn durchaus als Revolution bezeichnen kann: die Demokratisierung. Zwar ist diese Welt nach wie vor staatlich geordnet; sie wird es auf absehbare Zeit bleiben. Aber der Aufbau der Staaten ändert sich. In der OECD-Welt ist dieser Prozess bereits weit vorangeschritten; in der Welt außerhalb der Industriestaaten greift er um sich. Die Gesellschaft emanzipiert sich innerhalb des Staates vom Politischen System, von dem sie bis 1945 weitgehend beherrscht und kontrolliert gewesen war. Sie wird sich seitdem ihrer bewusst, begreift das Politische System nicht mehr, wie es gerade in Deutschland beliebt war (und ist) als „Staat“, dem sie hilflos unterworfen ist. Vielmehr setzt sich auch hierzulande die in der Tradition von Naturrecht und Aufklärung stehende westliche Auffassung durch. Danach gilt die Gesellschaft als der Souverän; sie gliedert ein funktionales Subsystem, das Politische System, aus, damit es im Auftrag der Gesellschaft die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben lösen kann.“51
Die Positionen von Abromeit und Czempiel vertreten in unterschiedlicher Weise die These, dass die Souveränität vom Staatsbürgervolk auf die Gesellschaftsmitglieder überzugehen scheint. Wenn der Ort von Autonomie und Souveränität wandert, fragt sich, wer die Träger dieser demokratisierenden Bewegungen sind und welche Mitgliedschaften diese Wanderung impliziert? Ob eine sektorierte, transnationale Gesellschaftswelt Demokratisierung leisten kann, ohne auf der Basis eines alle sektoralen und transnationalen Mitgliedschaften verbindenden Status zu agieren, scheint zumindest fraglich. Ein substantieller Begriff demokratischer Staatsbürgerschaft scheint in diesen Szenarien überflüssig zu sein. Czempiel sieht 50 Abromeit, 1999, S. 23 mit weiteren Verweisen. 51 Czempiel, 1999, S. 30
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das Problem: Die Beschreibung der neuen Weltordnung geht einher mit der Problematik eines steigenden Legitimationsdefizits politischer Gewalt52 wie Czempiel am Beispiel der Verwaltungsapparate internationaler Organisationen zeigt. Diese Bürokratien „sind zwar von den Politischen Systemen eingerichtet worden, sind also von deren Konsens und Zustimmung abhängig. Die Mitglieder dieser Bürokratien sind nicht gewählt, aber sehr einflussreich, wie die Beispiele der Europäischen Kommission, des Generalsekretariats und des Militärausschusses der NATO zeigen. Dass sie ein Demokratiedefizit darstellen, schiebt sich erst langsam ins öffentliche Bewusstsein“.53
Die Handlungen des internationalen Systems können als Konfliktlösungs- und Steuerungsmechanismen zwar einsichtig beschrieben werden, gerechtfertigt sind sie jedoch erst, wenn diese Machtausübung als legitime Gewalt von den beteiligten und betroffenen Gesellschaftsmitgliedern anerkannt und autorisiert wird. Die zunehmende Bedeutung von Akteuren der Gesellschaftswelt und der Zivilgesellschaft und die abnehmende Bedeutung des Staates bei der Lösung politischer Aufgaben hat also gleichzeitig eine Abnahme der Bedeutung demokratischer Staatsbürgerschaft zu Folge, ohne dass die Gesellschaftswelt dieses normative Defizit kompensieren kann. Die symbiotische Beziehung von Legitimität und Bürgerstatus wird durch diesen Befund zwar normativ bestätigt, faktisch befindet sie sich aber in einer ernstzunehmenden Krise. Die Globalisierung der Gesellschaftswelt schiebt eine Asymmetrie zwischen uns als mobile, transnational eingebundene Gesellschaftsweltmitglieder und uns als Staatsbürger des territorial verfassten politischen Systems. Während die mitgliedschaftsrelevanten internen Probleme (etwa legitime Ansprüche von Minderheiten, Flüchtlingen oder Gastarbeitern) durch Veränderungen in der nationalen Staatsangehörigkeitsgesetzgebung oder den Einbürgerungs- bzw. Ausgrenzungspraktiken in den Horizont der Einwirkungspotentiale der demokratischen Staatsbürger fallen, stellt die Globalisierung eine ernstzunehmende Bedrohung für das Gut politischer Autonomie selbst dar. Indem die Autonomie- und Souveränitätsansprüche von nationalstaatlich verfassten Bürgerschaften sich immer stärker mit der transnationalen Emanzipation von Märkten und Gesellschaften konfrontiert sehen, steht der Status der Staatsbürgerschaft als Garant von demokratischen Einwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten mit auf dem Spiel. Die faktische gesellschaftliche Entwicklung kann aber von der Theorie nicht normativ zurückgenommen werden. Die Staatsbürgerschaft hat ihren sicheren Ort verloren, ihre normative Bedeutung jedoch nicht. Die Debatte um politische Mitgliedschaft muss daher so in den Prozess der Transnationalisierung und Internationalisierung der Gesellschaftswelt mit eingegliedert werden, dass die Differenz von legitimer und nichtlegitimer Machtausübung in den Mittelpunkt gestellt wird. Nicht jede Zunahme an gesellschaftlicher Macht ist automatisch legitim. Besonders die wirt-
52 Wobei Czempiel im Hinblick auf die Gesellschaftswelt es vorzieht anstelle von Gewalt von „Macht und Einfluss“ zu sprechen. Vgl. Czempiel, 1999, S. 91 ff. 53 Czempiel, 1999, S. 89.
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schaftliche Globalisierung beeinflusst die Lebensbedingungen der Gesellschaftsmitglieder existentiell. „Die Gesellschaftswelt ist vor allem eine Wirtschaftswelt; die weltwirtschaftliche Krise der neunziger Jahre hat bedrohlich gezeigt, wie schrankenlos die Gewinnmaximierung gesellschaftlicher Akteure und die Dereguliersucht der Politischen Systeme nicht nur die Wohlstandsinteressen vieler Staaten beschädigen, sondern auch ihre gesellschaftliche Sicherheit destabilisieren können“.54
Indem gesellschaftliche Ordnungen sich verändern, verbessern oder verschlechtern sich die Aussichten ihrer Mitglieder. Die Asymmetrie, die über die Globalisierung gesellschaftlicher und ökonomischer Zusammenhänge in die Selbsteinwirkungspotentiale von Gesellschaften einbricht, kann also selbst nur durch eine stufenweise Öffnung der Staatsbürgerschaft zur Transnationalität eingeholt werden. Volle politische Mitgliedschaft muss binnenpolitisch und transnational mehr und mehr als ein gestufter Status konzipiert und institutionalisiert werden, soll sie die politischen Selbsteinwirkungs- und Mitbestimmungspotentiale der Gesellschaftswelt weiterhin für uns als freie und gleiche Personen sichern. Die Wandlung des souveränen Staatsbürgervolkes in ein undurchschaubares, uneinheitliches System privater und öffentlicher Akteure, die sich transnational als multiple Demoi organisieren, wird zur politischen Bedeutungslosigkeit des Status demokratischer Staatsbürgerschaft führen. Was bleibt ist das Wahlrecht und selbst das wird auf kommunaler Ebene zumindest in der Europäischen Union auch heute schon Nichtstaatsbürgern zugestanden.55 Als Gesellschaftsweltmitglieder bleiben unsere individuellen, privatautonomen Lebens- und Handlungsspielräume potentiell der Willkür der anderen privatautonom agierenden Akteure ausgesetzt. Das postnationale Modell droht grundsätzlich, die Selbsteinwirkungspotentiale von Gesellschaften von den vollen politischen Mitgliedschaften (state memberships) abzuspalten, um sie an Politik (also auch Zwang) ausübende governance-Strukturen, spezialisierte Gremien und Nicht-Regierungs-Organisationen, zu delegieren.56 Übernehmen diese Organisationseinheiten als institutionelle Repräsentanten von Gesellschaftsweltmitgliedern Steuerungsfunktionen, die traditionell gewählten nationalen Regierungen vorenthalten waren, dann agieren sie nicht mehr im demokratischen Auftrag von Staatsbürgern, sondern von Mitgliedern der multiplen Demoi.57 Wir haben es demnach mit einer neuen Verbindung von Mitgliedschaft und Rechtfertigung politischen Zwanges zu tun. Gegenüber dem alten Modell der Verbindung von staatlicher Gewalt und Staatsbürgerstatus bleibt sie aber unspezifisch und kreiert einen zusätzlichen Rechtfertigungsbedarf. Er richtet sich in diesem Fall an die Strukturen der Gesellschaft, die Politik betreiben. Die transnationale Gesellschaftswelt kann diesem 54 Czempiel, 1999, S. 101. 55 Dazu ausführlich Schmitter, 1998. 56 Governance hier verstanden als „the capacity to get things done without the legal competence to command that they be done“. Czempiel, 1992, S. 250. 57 Vgl. Klegers Darstellung der „transnationalen Demokratie“ in: Kleger, 1998, S. 292 und Habermas, 1998, S. 107 ff.
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neuen Legitimationsbedarf wiederum nur begegnen durch die Ausgliederung politischer Ordnungssysteme, die allen ihren Mitgliedern einen Status sichern. Dass in vielen OECD-Staaten den am Wirtschaftsleben und kulturellen Austausch teilnehmenden mobilen Gesellschaftsweltmitgliedern immer mehr Ansprüche und Rechte gegenüber dem politischen System, dessen Herrschaftsanspruch sie ebenso unterliegen wie die Staatsbürger und das sie mit Steuerleistungen mit finanzieren, zuwachsen, ist daher ein mit Skepsis zu betrachtender Vorgang. Man kann diesen Prozess einerseits als eine partielle und kontrollierte Erweiterung des Mitgliedschaftsstatus deuten. Andererseits liegt das Legitimationsdefizit auf der Hand, da die betroffenen Personen von der demokratischen Legitimation der rechtlichen und politischen Bedingungen dieser Kontrolle abgeschnitten sind, was zu einem System von first-class und second-class citizenship führt. Ein möglicher Ausweg aus dieser asymmetrischen Situation liegt in der Vision eines transnationalen Mitgliedschaftsstatus. Dieser, sieht man von der EU einmal ab, ist nicht in Sicht. Daher fragt es sich, inwieweit ein global anerkannter Menschenrechtsstatus dieses Defizit kompensieren kann. Was Soysal im Hinblick auf die Rechtsansprüche von Gastarbeitern ausführt, steht für ein Argumentationsmuster, das auf den ersten Blick als gut gemeinte menschenrechtliche Kritik demokratischer Staatsbürgerschaft bezeichnet werden könnte. Rechte werden mehr und mehr Nichtstaatsbürgern zugesprochen, was einer normativen Herabstufung von state membership gleichkommt. „However, guestworker experience shows that membership and the rights it entails are not necessarily based on the criterion of nationality. In the postnational model, universal personhood replaces nationhood; and universal human rights replace national rights […] Hence the individual transcends the citizen. This is the most elemental way that the postnational model differs from the national model“.58
Mir scheint es wichtig, zu betonen, dass hinsichtlich des politischen Systems und seiner Zwang ausübenden Institutionen die Gastarbeiter als Gesellschaftsmitglieder mit partiellen Rechten „draußen“ bleiben, da erst der Staatsbürgerstatus sie zu vollen politischen Mitgliedern machen würde.59 Soysals normativer Deutung dieser faktischen Entwicklung sollte man daher nicht voreilig zustimmen. Vielmehr würde man einen systematischen Fehler begehen, in dieser Entwicklung der Vergabe von Rechten (soziale Leistungsrechte stehen hier an erster Stelle) an immer mehr Individuen eine Inklusionsbewegung voller politischer Mitgliedschaft zu sehen. Das Gegenteil ist der Fall. Adressat der sozialen, kulturellen und politischen Rechtsansprüche von Gastarbeitern (ebenso wie von Investoren, Geschäftsleuten und anderer Personen, die als Mitglieder der Gesellschaftswelt innerhalb eines staatlichen Territoriums aktiv sind)60 sind in der Regel Institutionen des Staates. 58 Soysal, 1994. S. 142. 59 Die Exklusion ist sozusagen die Kehrseite dieser auf vereinzelte Rechtsansprüche bezogenen Inklusion. „Noncitizens and denizens increasingly get rights that, tradionally, have been reserved to citizens, and, by this, citizenship does lose much of its tradiotinal legal, political, and social importance. Moreover, it is exactly this development that adds additional momentum to the tendency of exclusion“. Bader, 1995, S. 212. 60 Vgl. Bader, 1995, S. 226.
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Nur unter der Preisgabe des Mitbestimmungsanspruchs könnte man in der Vergabe von einzelnen Rechtspositionen an Individuen einen demokratischen Fortschritt sehen – und diese Sichtweise wäre paradox. Im Hinblick auf den Zusammenhang von Staatsbürgerschaft und Legitimität können Individuen zugeschriebene Menschenrechte die Asymmetrie zwischen der Mitgliedschaft in der Gesellschaftswelt und der demokratischen Staatsbürgerschaft nicht kompensieren. Ein deutlicher Indikator dafür ist das nationale Wahlrecht. Wie Soysal an anderer Stelle zeigt, wird den Mitgliedern der Gesellschaftswelt ohne Staatsbürgerstatus das nationale Wahlrecht in den meisten Staaten der OECD-Welt vorenthalten.61 Gerade das Recht zu wählen und gewählt zu werden, ist aber ein entscheidendes Kriterium voller politischer Mitgliedschaft. Unterstellen wir einmal, dass die Vorteile einer globalen Demokratisierungswelle den Nachteil des aufgezeigten politischen Legitimitätsdefizits kompensieren, dann stellt sich in Anbetracht der Gewaltpotentiale der Gesellschaftswelt primär die Frage nach Rechtssicherheit: Wie schützen die Strukturen und Institutionen der Gesellschaftswelt ihre Mitglieder vor nichtlegitimer Machtausübung? Im Lichte des 11. September analysiert Müller die Gewaltpotentiale der transnationalen Zivilgesellschaft und findet in ihrem Untergrund den internationalen Terrorismus, der die Existenz der zivilen Gesellschaftswelt ebenso bedroht wie er die politischen und militärischen Systeme bedroht. Müller folgert daraus, dass die Integrität des staatlichen Gewaltmonopols nötig ist, um der „transnational verflochtenen Gesellschaft ein hinreichendes Minimum an Sicherheit, auf deren Grundlage sie die Wohlstandseffekte von Globalisierung realisieren kann“, zu verschaffen. „Die erste wichtige Folge des 11. September ist daher die Neujustierung des Verhältnisses von Zivilgesellschaft und Staat.“62
Im Zuge dieser Neuausrichtung könnten einige Privilegien, die sich die Gesellschaftswelt gegenüber dem politischen System erkämpft hat, zurückgenommen werden. Das möglichst symmetrisch zu haltende Verhältnis von Gesellschaftsweltmitgliedschaft und Staatsbürgerstatus wird davon nur profitieren können, wenn die Freiheiten der Gesellschaft durch den Status demokratischer Staatsbürgerschaft erhalten und ausgeweitet werden. Meine Ausgangsüberlegung war, dass Politik immer mit der Ausübung von Gewalt verbunden ist. Politisch einflussnehmende Organisationen, seien sie staatlicher oder suprastaatlicher Provenienz lösen nicht das Problem legitimer Gewaltausübung, betroffene Mitglieder der Gesellschaftswelt tun es, indem die Ausübung politischer Gewalt von ihnen autorisiert wird. Wie auch immer man die sich wandelnden Austauschbeziehungen zwischen der Gesellschaftswelt und der Staatenwelt normativ beurteilt, der Verweisungszusammenhang von Mitgliedschaften in der Gesellschaftswelt und einer Mitgliedschaft im „Staat des politischen Sys61 Soysal bezieht sich hier auf 11 Staaten, darunter die USA, die Schweiz und die Bundesrepubik Deutschland. Vgl. Soysal, 1994, S. 128 mit einer Spezifizierung für die Kommunalwahlrechte. 62 Müller, H., 2003, S. 103.
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tems“63 ist systematisch entscheidend. Solange die Mitglieder der globalen Gesellschaftswelt die Funktion von politischen Systemen in der Ausübung legitimer Gewalt sehen, werden sie nicht verzichten wollen auf einen Mitgliedschaftsstatus, der ihnen den nötigen Schutz für ein freies Leben und die Möglichkeit politischer Autonomie ermöglicht. Man muss diesen Status nicht demokratische Staatsbürgerschaft nennen. Aber es wird eine Art von Staatsbürgerschaft64 bleiben.
63 Luhmann, 1998. 64 Meehan 1998, S. 60.
Ist das Recht auf humanitäre Intervention ein individuelles Recht? Véronique Zanetti Die Euphorie, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges einstellte, war von kurzer Dauer. Einige Jahre lang sah es jedoch so aus, als wären alle Bedingungen vereint für die Bildung einer Weltgemeinschaft, beseelt vom Interesse an Kooperation auf der Ebene der internationalen Sicherheit wie auf der der Wirtschaft. Die UNO, befreit von der Lähmung polarisierter Außenpolitiken und ständig drohender Inanspruchnahmen des Veto-Rechts durch ihre ständigen Mitglieder, schien zu einem wirksamen Legislativ- und Exekutivorgan zu werden, fähig, zur Verwirklichung des Ideals einer Gesellschaft demokratischer Staaten beizutragen, die im Innern wie im Äußeren für Rechtsverhältnisse eintreten. Kein Wunder, dass bei diesem Klima in akademischen Kreisen, aber auch bei einigen politischen Instanzen,1 die Idee Platz griff, die Leiden der Opfer staatlich angeordneter Rechtsverletzungen seien nur dadurch abzuschaffen, dass ein Prinzip in Geltung tritt, das das Völkerrecht höher veranschlagt als die Souveränität der Einzelstaaten. In diesem Sinne konnte der frühere UN-Generalsekretär Javier Pérez de Cuéllar sagen: „Wir sind Zeugen einer wahrscheinlich irreversiblen Verlagerung in der Haltung der Öffentlichkeit, was den Glauben angeht, dass die Verteidigung der Unterdrückten im Namen der Moral über [Staats-]Grenzen und rechtlichen Dokumenten stehen sollte“.2 Der Golf-Krieg, der blutige Zerfall des alten kommunistischen Jugoslawien, der Tschetschenien-Konflikt und die vielen ethnischen Konflikte, die Afrika nicht zur Ruhe kommen lassen, haben den Glauben an das menschenrechtsbasierte Ideal humanitärer Intervention erschüttert. Vor allem wurde deutlich, dass die internationale Gemeinschaft nicht gegen die Willkür in der Behandlung von schweren Menschenrechtsverletzungen oder gegen die Logik der Macht gerüstet ist: Kaum einer kommt auf die Idee – nicht einmal die Interventionsidealisten – mit Blick auf Tschetschenien für ein militärisches Eingreifen zur Durchsetzung der Menschenrechte zu plädieren. Für die politischen Realisten der fünfziger Jahre war der Fall klar: „It is futile“, sagt Morgenthau, „to search for an abstract principle which would allow us to dis1
2
Am 20. April 1994 veröffentlicht das Europäische Parlament eine Resolution, die auf ein Recht auf humanitäre Intervention hinweist. In: „Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften“, Nr. C 128/226. In diesem Dokument hält das Parlament dafür, „that current international law does not necessarily represent an obstacle to the recognition of the right of humanitarian intervention“. „Diplomatic World Bulletin“, Jg. 22, Mai 1991.
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tinguish in a concrete case between legitimate and illegitimate intervention. […] All nations will continue to be guided in their decisions to intervene and their choice of means of intervention by what they regard as their respective national interests.“ (Morgenthau, 1967, S. 424; 430). Nach aktueller neorealistischer Meinung sieht aber die Prognose nicht anders aus: „The sovereignty of nations, a universally recognized international institution, hardly stands in the way of a strong nation that decides to intervene in a weak one.“ (Waltz, 2000a, S. 27). Die internationale Situation, die aus den Angriffen des 11. September hervorgegangen ist, scheint der Skepsis der Realisten und Neorealisten leider Recht zu geben. Für alle, die die Legitimierung des Rechts auf humanitäre Intervention als eine „carte blanche“ für mächtige Staaten interpretierten, nach eigenem Urteil zu intervenieren, sieht die Haltung der USA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus wie eine Bestätigung ihrer Position aus. Der Tod Tausender von Personen auf amerikanischem Boden und die Bedrohung durch weitere Attentate scheint das Selbstverteidigungsrecht des Staates so aufgewertet zu haben, dass es nun als Argument zu Präventivschlägen gegen „rogue states“ verwandt werden kann. In einem Aufwasch werden die SchurkenStaaten mit den terroristischen Gruppen in denselben Korb geworfen. Dabei bedarf es keiner Fakten, die die Behauptung stützen könnten, es gebe Verbindungen zwischen dem Irak und Al-Kaida. Druck aus den USA wird auf den Sicherheitsrat ausgeübt, so dass diese vermeintliche Verbindung zwischen dem internationalen Terrorismus und den Schurken-Staaten als Bedrohung des Weltfriedens (nach Kapitel VII der Charta) eingeschätzt und eine kollektive militärische Intervention für statthaft erklärt wird.3 Zum Druck gehört die explizite Drohung mit einem Alleingang für den Fall, dass die Staatengemeinschaft eine kollektive Aktion ablehnt. In dem offiziellen Dokument über die nationale Sicherheitsstrategie der USA liest man: „While the United States will constantly strive to enlist the support of the international community, we will not hesitate to act alone, if necessary, to exercise our right of self-defense by acting preemptively against such terrorists, to prevent them from doing harm against our people and our country.“4 Ist aber die internationale Völkerrechtslage so prekär, dass sie sich von den realistischen Machtargumenten einschüchtern lassen soll? Verlieren die normativen Argumente zugunsten einer humanitären Intervention ihre Gültigkeit angesichts von Macht-Missbrauch und Selektivität der interventionistischen Politik? In der Zeit des Kosovo-Kriegs hat Jürgen Habermas eine klare Position eingenommen: Die Geltung einer Intervention zur Durchsetzung der Menschenrechte bleibe „auch dann [bestehen], wenn man nicht überall eingreifen kann – nicht zugunsten der Kurden, nicht zugunsten der Tschetschenen oder Tibetaner, aber wenigstens vor der eigenen Haustür auf dem zerrissenen Balkan“ (Habermas 1999, S. 7). Ich teile diese Meinung. Es gibt kaum andere praktische Situationen, in denen normative Überlegungen über die Realität so massiv herausgefordert werden und in de3
4
Dass das Recht auf Selbstverteidigung eng mit der Interpretation einer Situation als Bedrohung des Weltfriedens zusammenhängt, haben die beiden Resolutionen 1368 und 1373 bewiesen, die unmittelbar nach den Attentaten angenommen worden sind. Zur Akzentuierung und Interpretation dieser Spannung siehe Stahn, 2001. Siehe auch Zanetti, 2002. http://www.whitehouse.gov/nsc/nss.html.
Ist das Recht auf humanitäre Intervention ein individuelles Recht?
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nen die konkreten Folgen dieser Überlegungen so bedeutend sein können wie im Falle militärischer humanitärer Interventionen. Insofern sind theoretische Überlegungen in diesem Bereich der angewandten politischen Philosophie ganz besonders hohen moralischen Ansprüchen ausgesetzt. Vielleicht ist die internationale Politik mehr als jede andere ein Bereich, in dem richtige Normanwendung nach der Maxime des Humpty Dumpty gehandhabt wird: Wie die Regel zu verwenden sei, hängt davon ab, wer der Stärkere ist.5 Gleichwohl: Man erwartet von einem politischen Philosophen nicht, dass er, was getan werden soll, aus dem jeweils Machbaren ableitet. In der folgenden Analyse werde ich das Recht auf humanitäre Intervention als ein individuelles Recht verstehen. Ich werde ein Modell vorschlagen, in dem es aus dem individuellen Recht auf Leben und Sicherheit abgeleitet ist (Punkt 2). Nach dieser Lesart besitzen die Individuen, kraft der ihnen als Subjekten von der internationalen Gemeinschaft zuerkannten Rechte, einen Anspruch darauf, dass diese zu ihren Gunsten interveniert, wenn ihre Rechte systematisch verletzt werden oder wenn die Staaten, deren Angehörige sie sind, sich als unfähig erweisen, deren Einhaltung zu sichern. In der Tat erkennt Artikel 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 jedem Menschen das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Sicherheit zu. Hinzu tritt Artikel 28, der sicherstellt, dass jedes Individuum Anspruch auf den Schutz seiner Rechte hat, und zwar nicht nur durch den Staat, dessen Angehöriger es ist, sondern auch durch die internationale Gemeinschaft: „Jeder Mensch hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in welcher die in der vorliegenden Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können.“ Zumindest moralisch erkennt die internationale Gemeinschaft somit ihre Pflichten gegenüber den Bürgern dieser Welt gleich welcher Herkunft an. Weil diese individualrechtliche Position zu starken interventionistischen Konsequenzen führen kann, müssen die Kriterien präzisiert werden, wann Menschenrechtsverletzungen vorliegen (Punkt 3). Vor allem aber die präventive Dimension der Intervention muss betont werden (Punkt 4). Im Folgenden möchte ich die Logik dieser Argumentation vorstellen.
1 Das Problem Es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass das Völkerrecht in die Zange genommen wird von zwei Imperativen, die oft miteinander unvereinbar sind. Es soll für Frieden und Sicherheit sorgen, womit ihm die Verpflichtung erwächst, die Staatsinteressen zu verteidigen. Gleichzeitig soll es weltweit für die konkrete Umsetzung der Grundrechte der Individuen sorgen, was dazu führen kann, dass das Recht auf Seiten der Individuen und selbst gegen dasjenige des Staates stehen soll, wenn dieser eine Bedrohung für die Individuen darstellt. Das Gewohnheitsrecht ist mit dieser Spannung vertraut. Einerseits bezeugt die Evolution der Normen deutlich die Ent5
Carroll, 1927, S. 113.
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faltung eines internationalen Rechts, dem zufolge das Individuum, neben den Staaten und neben den Nichtregierungs-Organisationen, den Status eines Rechtssubjekts besitzt. Andererseits bleibt es eine Tatsache, dass der Inhalt des Völkerrechts hauptsächlich von den Interessen der Staaten geprägt ist. Der komplexe Ausdruck „Recht auf humanitäre Intervention“ veranschaulicht die erwähnte Spannung. Sein Hybrid-Charakter zeigt sich an den Komposita, aus denen er sich zusammensetzt. Die Rede ist von einer Intervention in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates, dessen Verhalten als sträflich angesehen wird. Damit stellt sich die Frage nach den Gründen, die die Aufhebung des Souveränitäts-Prinzips der Nationen rechtfertigen. Die Intervention wird als humanitäre bezeichnet, um deutlich zu machen, dass ihre Legitimität eng mit den Grundrechten der Personen zusammenhängt. Die Frage der Rechtfertigung verschiebt sich dann unvermeidlich von dem Gebiet des Rechts zu dem der Ethik. Schließlich ist von einem Recht die Rede.6 Nun behält, ganz unabhängig von der Frage, ob man von einem Recht auf humanitäre Intervention überhaupt sprechen darf, solange dieses keine Verrechtlichung kennt, die Rede von einem internationalen Recht eine gewisse Unbestimmtheit hinsichtlich des Subjekts, das Träger dieses Rechts sein soll. Haben die Staaten ein Recht zu intervenieren, oder haben die Individuen ein Recht darauf, dass man – bleibt noch zu bestimmen, wer – zu ihren Gunsten interveniert, wenn sie massiven Verletzungen ihrer Grundrechte von Seiten ihrer Regierung ausgesetzt sind? Handelt es sich, mit anderen Worten, um ein Recht zu intervenieren oder um ein Recht auf Intervention? Solange die Betonung auf der Tatsache der Intervention liegt und diese als ein Recht verstanden wird, das die Staaten haben, gehört der Begriff „humanitäre Intervention“ zur Erbmasse der Theorie des gerechten Krieges und der Vorstellung, dass die Staaten, in gewissen extremen Fällen – einseitig oder im Einverständnis mit anderen –, berechtigt sind, die Waffen gegen einen dritten Staat zu erheben, der eine Gruppe der eigenen Staatsbürger bedroht. Die Intervention wird dann meistens als Bestrafung gesehen: Weil das offizielle Verhalten einer Regierung gegenüber ihrer Bevölkerung sträflich ist und weil dieses Verhalten eine Bedrohung für den Frieden darstellt, darf das Angriffsverbot einseitig aufgehoben werden. Damit dieses Verbot aufgehoben werden darf, muss die Schuld schwerwiegend und die Bestrafung verhältnismäßig zur Schwere der Tat sein. Das Gewohnheitsrecht erkennt an, dass eine militärische Intervention dann gerechtfertigt ist, wenn es sich um massive Menschenrechtsverletzungen handelt, d. h. Massaker, Zwangsumsiedlung oder Vertreibung eines wichtigen Teils der Bevölkerung, „ethnische Säuberung“ oder Verfolgung einer Minderheit. Auf der anderen Seite öffnen, wie schon oben erwähnt und parallel zu dieser Interpretation, einige Rechtsdokumente unter dem Einfluss eines IndividualrechtsLiberalismus die Tür zu einer individualistischen Interpretation des Rechts auf humanitäre Intervention. Dennoch lässt sich diese Lesart nicht leicht mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip der Doktrin des gerechten Krieges oder mit der Idee einer kollektiven Bestrafung versöhnen. Was wird, in der Tat, aus dem individuellen 6
Vgl. Merle/Pinzani, 2000.
Ist das Recht auf humanitäre Intervention ein individuelles Recht?
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Recht, wenn die Menschenrechtsverletzung im Blick auf ihre quantitative Dimension gemessen wird? Wie schwer und wie massiv müssen denn Menschenrechtsverletzungen sein, damit die Opfer einen Anspruch auf Hilfeleistung von außen erheben können? Was wird aus dem individuellen Recht, wenn ein ganzes Volk für eine Schuld bestraft wird, die es nicht begangen hat? An dieser Frage ermisst man den hybriden Charakter eines Rechts auf humanitäre Intervention, das an zwei normative Quellen gebunden ist, die des Staatsrechts und die des Individualrechts.
2 Ein individuelles Recht auf Intervention? Es ist die Vorstellung eines Rechts auf humanitäre Hilfe, eine Vorstellung, die sich Ende der 80er Jahre im Zusammenhang mit internationalen Rechtsdokumenten gebildet hat, die das Einmischungsrecht in Richtung auf ein Individualrecht sich hat entwickeln lassen. Durch das Recht auf humanitäre Hilfe fordern die Staaten oder die humanitären Organisationen einen freien Zugang zu einem dritten Staat, um die dringende Hilfe für Opfer von Katastrophen oder Menschenrechtsverletzungen auf den Weg zu bringen. Der Beschluss, der von der ersten Konferenz für Recht und humanitäre Moral angenommen wurde, erklärt, dass „devraient être reconnus, dans un même document international par tous les États membres de la Communauté internationale, à la fois le droit des victimes à l’assistance humanitaire et l’obligation des États d’y apporter leur contribution“.7 (Résolution de Copenhague du 31.8.1986, § j). Trotz dieses Abkommens bleiben die offiziellen Dokumente sehr zögerlich hinsichtlich einer Pflicht auf humanitäre Hilfe, die der internationalen Gemeinschaft obläge. Aus den Dokumenten geht hervor, dass die Pflicht zunächst das Land bindet, unter dessen Kontrolle sich die Opfer befinden, und erst subsidiär die anderen Staaten. Auch an diesem Punkt jedoch ist der Schritt noch nicht gemacht in Richtung auf eine klare Verteilung der Pflichten. Die Mehrheit der Dokumente behauptet, dass die Individuen ein Recht auf humanitäre Hilfe besitzen gegenüber dem Staat, unter dessen Kontrolle sie sich befinden; sie anerkennen dennoch nicht, dass dieses Recht gegenüber Drittstaaten, interstaatlichen oder Nicht-Regierungs-Organisationen eingeklagt werden kann.8 Gewiss darf das Recht auf humanitäre Hilfe nicht mit dem Recht auf humanitäre Intervention verwechselt werden. Das erste verlangt meist ein Recht auf Zugang und Beförderung von Sanitärpersonal und Material zu den Opfern oder, mit anderen Worten, die Schaffung von humanitären Korridoren. Außerdem bleibt die Reform, die dieses Recht einführt – das Prinzip des freien Zugangs zu den Opfern –, dem Prinzip der Nicht-Einmischung stark untergeordnet, da einerseits die Zustimmung des betroffenen Staats verlangt und andererseits erfordert wird, dass dem zustimmenden Staat eine ganze Reihe von Garantien zugunsten einer Respektierung 7
8
„In demselben internationalen Dokument sollten von allen Mitgliedstaaten der internationalen Gemeinschaft zugleich das Recht der Opfer auf humanitäre Hilfe und die Pflicht der Staaten zur Beteiligung an der Hilfeleistung anerkannt werden“. Résolution de Copenhague du 31.8.1986, § j. Zitiert in: Domestici-Met, 1989, S. 124. Vgl. Schindler, 1996.
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seiner Souveränität gegeben wird. Der humanitäre Korridor muss zum Beispiel zeitlich begrenzt sein (es handelt sich einfach um ein Recht auf Transit für die Dauer der Hilfeleistung); er muss räumlich begrenzt sein (auf die Zugangswege); und er muss in seinen Zwecken begrenzt sein (er hat keine andere Funktion als die Zuteilung von Pflege und Nahrung).9 Gleichwohl ist mit der Kodifizierung des Rechts auf humanitäre Hilfe ein Meilenstein gesetzt in Richtung auf die Realisierung eines Individualrechts auf Intervention von außen und in Richtung auf Anerkennung einer – zumindest moralischen – Verpflichtung der Staatengemeinschaft, die Pflichten eines Einzelstaats wahrzunehmen, wenn dieser nicht willig oder nicht fähig ist, sie zu erfüllen. Die Schlüssel-Frage des Rückgriffs auf Gewalt, wenn die betroffenen Staaten sich der Hilfeleistung widersetzen, bleibt jedoch ungelöst. Nichtsdestoweniger machen einige Juristen auf die in den letzten Jahren sich anbahnende Veränderung im Verhalten der internationalen Gemeinschaft aufmerksam, um einen Wandel im Gewohnheitsrecht zu belegen. So stellte die UN-Operation in Somalia 1992 die erste Operation einer Durchsetzung humanitärer Hilfe dar, indem sie die humanitären Transporte militärisch eskortierte. Das Erstaunliche an dieser Entwicklung ist, dass sie den Akzent setzt auf das Individualrecht auf Hilfe im Falle von schweren Menschenrechtsverletzungen und auf die Verpflichtung der Staatengemeinschaft, die Pflichten eines Staats zu übernehmen, falls dieser unfähig oder unwillig ist, sie zu erfüllen. Dabei macht sie – wenn auch zaghaft – den Weg frei zu einer individualistischen Interpretation des Rechts auf humanitäre Intervention. Wenn man von einem individuellen Recht auf Intervention spricht, will man sagen, dass, wenigstens theoretisch, jedes Individuum aufgrund seiner durch die verschiedenen internationalen Abmachungen/ Dokumente besiegelten Grundrechte einen Anspruch auf Schutz seiner Existenz und seiner Güter durch eine Macht hat, die ihm gegenüber in Pflicht steht. Das gilt auch dann, wenn pragmatische oder ethische Überlegungen unvermeidlicherweise einen quantitativen Aspekt ins Spiel bringen, der die Häufigkeit der legitimen Intervention einschränkt. Besagte Verpflichtung dem Individuum gegenüber bindet zunächst die Regierung, der es untersteht. Wenn diese aber selber an einer Menschenrechtsverletzung beteiligt oder unfähig ist, ihren Bürgern eine hinreichende Sicherheit zu garantieren, fällt diese Verpflichtung an eine übernationale Instanz, an die die Kompetenzen übertragen wurden. Die humanitäre Intervention stellt dann keine tolerierte Ausnahme dar zum Nichteinmischungsprinzip, sondern sie gehorcht einer Logik, die den Grundrechten innewohnt. Unstreitig führt die Position, nach der die Individuen einen – nicht nur moralischen – Anspruch auf Einrichtung internationaler Institutionen zum Schutz ihrer Grundrechte haben, zu einer ganz anderen Auffassung der Weltordnung, der zwischenstaatlichen Beziehungen, der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft gegenüber den Weltbürgern und – folglich – des Interventionsprinzips, als es die Auffassung der heutigen Theorie der internationalen Beziehungen ist. In einem Artikel über diese Frage habe ich die institutionellen und prozeduralen Mindestanforderungen für eine Kodifizierung des Individualrechts auf humanitäre In9
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tervention untersucht.10 Es liegt, wie ich gezeigt habe, in der Logik des Kontraktualismus, dass dieselben Motive, die Individuen zum Abschluss eines Sozialvertrags bringen, sie dazu veranlassen, zusätzlich einen maximalen Schutz ihrer Grundgüter anzustreben. Nachdem sie mit ihrer Regierung sozusagen eine erste Schutzversicherung abgeschlossen haben, suchen die Bürger bei einer übernationalen Einrichtung zusätzlichen Schutz für den Fall, dass die erste Versicherung ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommen kann oder sie verletzt. Der ursprüngliche Vertrag würde die Aufgaben zwischen der ersten „Versicherungsagentur“ und der zweiten genau aufteilen. Er würde auch genau die Fälle bestimmen, wo diese zweite zur Intervention ermächtigt – bzw. verpflichtet – würde. In diesem Modell ist die Intervention nicht als Strafe konzipiert, die die internationale Gemeinschaft an einem straffälligen Staat übte. Sie ist ein juristisches Instrument, um die individuellen Menschenrechte weltweit wirksamer zu garantieren. Das Recht auf humanitäre Intervention wäre dann in Analogie zu dem Recht auf Schutz des eigenen Lebens zu denken, das die Bürger gegenüber ihrer Regierung besitzen. Parallel zu der Staatspolizei, die den Schutz auf Leben und Unversehrtheit der Bürger garantieren soll, hätten wir eine Weltpolizei, deren Interventionspflicht der innerstaatlichen Polizei subsidiär wäre. Die Weltpolizei würde nur dann intervenieren, wenn ein Regime entweder unfähig ist oder sich weigert, seinen Bürgern die Mindestvoraussetzungen zur Sicherheit zu garantieren. Ich werde diese Aspekte hier nicht weiter verfolgen. Ich möchte mich stattdessen auf die Prinzipienfrage eines individuellen Rechts auf humanitäre Intervention beschränken und fragen, was aus diesem Recht wird, wenn es konkurriert mit dem Recht auf Leben von unschuldigen Opfern und intervenierenden Kräften. In der Tat, auch wenn man einverstanden wäre, den Individuen ein Recht auf Intervention von Seiten der internationalen Gemeinschaft zuzusprechen, müsste man zugeben, dass dieses Recht nur unter bestimmten Bedingungen, die die Grenzen seiner Legitimität ziehen, durchgesetzt werden könnte. Vom Gesichtspunkt des Gewohnheitsrechts ist eine Intervention als legitim zu betrachten, wenn eine Regierung offiziell eine Apartheidspolitik, eine ethnische Säuberung oder einen Völkermord praktiziert. In allen diesen Fällen zählt die Zahl der bedrohten Personen oder der Opfer. Das individuelle Interesse wird an der Anzahl der Personen, die Anspruch erheben, und an der Belastung bei der Ausübung des Rechts gemessen. Man muss sich in der Tat fragen, ob die konkrete Ausübung eines Rechts auf Intervention – und die ihm entsprechenden Pflichten – nicht zu kostspielig für die Weltgemeinschaft sind, als dass man moralisch berechtigt wäre, sie zu beanspruchen. Der Wunsch der Opfer, so schnell wie möglich eine Hilfe von außen zu bekommen, ist in der Tat schwer mit dem ebenso verständlichen Wunsch der Soldaten der Interventionskräfte versöhnbar, ihr Leben nicht aufs Spiel zu setzen. Unvermeidlich muss man einer prinzipiellen Position, die die Legitimität der Intervention einzig am Ausmaß der Verletzung von Individualrechten misst, konsequentialistische Betrachtungsweisen entgegensetzen, die die menschlichen, politischen und wirtschaftlichen Kosten einer militärischen Intervention mit berücksichtigen. 10 Zanetti, 2000, S. 93-108.
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3 Wann kann man von Menschenrechtsverletzung sprechen? Wichtig ist zu präzisieren, dass eine Menschenrechtsverletzung nicht ohne Weiteres mit einer ungerechten Freiheitsberaubung oder dem Vorenthalt eines Grundrechts identisch ist. Wenn eine Person Opfer eines Überfalls wird, wenn sie getötet, vergewaltigt oder geschlagen wird, ist sie Opfer eines einzelnen Verbrechens. Man wird in diesem Fall nicht von Menschenrechtsverletzung sprechen, auch wenn der Angriff gegen die Integrität der Person nicht von anderer Natur ist als der gegen die Opfer eines Massakers, einer Massenvergewaltigung oder von Folter.11 Der Unterschied liegt nicht in der Zahl der Opfer oder der Schwere des Unrechts. Er liegt in der Struktur des Verbrechens. Ein Angriff auf die Grundrechte wird dann eine Menschenrechtsverletzung, wenn diese befohlen oder toleriert wird von den offiziellen Behörden eines Landes. Es macht in der Tat für das Individuum viel aus, ob ein Verbrechen ein Einzelereignis oder eine institutionell geförderte oder geduldete Tat ist. Im ersten Fall kann die Institution nur bis zu einer gewissen Toleranzgrenze verantwortlich gemacht werden. Im anderen, wenn die Verletzung institutionalisiert ist, sind die Ideen von Recht und Gerechtigkeit selbst unter dem Deckmantel der Legalität verletzt/verraten. Diese Unterscheidung ist von großer Bedeutung für die Frage der Intervention, denn sie ermöglicht eine Identifikation der Strukturtypen, nach denen Individuen ihrer Rechte beraubt werden können, ohne den Akzent in erster Linie auf die quantitative Dimension des Verbrechens zu setzen. Es steht der internationalen Gemeinschaft nicht an, sich in die inneren Angelegenheiten eines Landes einzumischen, dessen Laxheit in Sachen Verkehrssicherheit oder Waffenschein-Regelung jedes Jahr Tausende von Unschuldigen in den Tod treibt. Hingegen erwartet man von dieser selben Gemeinschaft, dass sie gegen ein Land Maßnahmen ergreift, das systematisch Gebrauch von Folter in den Gefängnissen macht. Und das auch dann, wenn letztlich viel weniger Personen Opfer einer Menschenrechtsberaubung sind als im ersten Fall. Sobald man sich darüber einigt, dass eine Menschenrechtsverletzung noch nicht unbedingt vorliegt, wenn Grundrechte einer Person verletzt werden, aber auch nicht erst dann, wenn Menschenrechte massiv – im quantitativen Sinn – verletzt werden, kann man einen Ausweg aus der schwierigen Frage der Legitimitätsschwelle einer Intervention finden. Auch wenn sie die menschlichen, politischen und sozialen Konsequenzen einer militärischen Intervention in Kauf nehmen muss, ist die Position, die die Art der Menschenrechtsverletzung und die zugrunde liegende institutionelle Struktur ins Zentrum ihrer Bewertung der Legitimität einer Intervention stellt, eine Grundsatzposition. Es kommt darin die Ansicht zum Ausdruck, dass eine Grundrechtsverletzung von Personen, die offiziell begangen, ermutigt oder geduldet wird, einen Angriff auf Wesen und Würde der Menschheit darstellt, indem sie diese öffentlich den diskriminierten Personen abspricht. Wenn Macht durch Hass, Beherrschung und Diskriminierung ausgeübt wird, leiden nicht nur die Opfer, sondern es leidet die Menschheit selbst, die bedroht und ver11 Vgl. Pogge, 1995, S. 103-120.
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letzt wird. Wie Johann Benjamin Erhard in seiner Abhandlung „Über das Recht des Volks zu einer Revolution“ (von 1795) eindrucksvoll sagt: Wenn die Gesetze eines Landes die Grundrechte der Individuen verletzen, „leide ich nicht allein, sondern zugleich die Menschheit in meiner Person Unrecht. Mein Dulden ist daher nicht unbedingt als moralisch zu preisen, weil es die Möglichkeit des Unrechts, dass noch viele Tausende nach mir erleiden, enthält“.12 Im Katalog der Legitimations-Kriterien für interventionistische Maßnahmen wird man folgende Merkmale beachten: a) den offiziellen Charakter der Verletzung, d. h. die Tatsache, dass sie nicht durch einen individuellen, sondern durch einen institutionellen Akt verübt wird; b) die ideologische oder rassistische Motivation des Aktes; c) die systematische Dimension des Aktes, d. h. eine typenweise Wiederholung des Verbrechens in einem Ausmaß, das auf geplante Diskriminierung schließen lässt. Bei dieser Position handelt es sich um eine Grundsatzposition: Da die Grundrechte individuelle Rechte sind, die jedem Menschen durch seine Zugehörigkeit zur Menschheit zukommen, soll jeder seine Grundrechte gegenüber dem Staat, in dem er lebt, und gegebenenfalls der Weltgemeinschaft einklagen können, unabhängig von der jeweils geltenden Verfassung. Ist es moralisch vernünftig und politisch vertretbar, Prinzipien eine Priorität vor überwiegend konsequentialistischen Betrachtungen zu geben? Denn der tiefe Widerspruch, der darin liegt, Unschuldige zu töten, um ein Rechtsregime in ein verbrecherisches Land einzuführen, bleibt unüberwunden.13 Dieser Widerspruch ist unerträglich, das muss betont werden. Es ist dennoch bedauerlich, dass die Diskussion um die ethischen Aspekte der humanitären Intervention sich zu sehr auf die Frage der Anzahl der Opfer und der Legitimität von Mitteln und Zwecken des Krieges konzentriert. Dabei wird der kapitale Aspekt der Prävention vergessen.
4 Die präventive Intervention „It is evidently better to prevent conflicts through early warning, quiet diplomacy and, in some cases, preventive deployment than to have to undertake major politico-military efforts to resolve them after they have broken out“14.
Auch wenn er der präventiven Diplomatie eine neue, vielversprechende politische Dimension bei der Lösung von Konflikten zuspricht, gesteht der frühere Generalsekretär der Vereinigten Nationen Boutros-Ghali, dass die Lähmung vorprogrammiert ist:
12 Erhard, 1976, S. 50. 13 Vgl. Schramme, 2001, S. 97-119. Darin analysiert Thomas Schramme das Dilemma der humanitären Intervention, das in der Kollision von Pflichten besteht, Menschen in Not zu helfen und Unschuldigen keinen Schaden zuzufügen, und kommt zu dem Schluss, dass militärische humanitäre Interventionen moralisch nicht zu rechtfertigen sind. 14 Boutros-Boutros Ghali, 1995.
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„Experience has shown that the greatest obstacle to success in these endeavours is not, as is widely supposed, lack of information, analytical capacity or ideas for United Nations initiatives. Success is often blocked at the outset by the reluctance of one or other of the parties to accept United Nation help. […] Clearly the United Nations cannot impose its preventive and peacemaking services on Member States who do not want them.“ (Agenda, Abstätze 27 et 28)
Die Situation ist paradox, man muss es zugeben: Wenn der Hauptschuldige die Vermittlung des Generalsekretärs bei der Suche nach einer friedlichen Lösung eines inneren oder internationalen Konflikts ablehnt, wenn er die Entsendung eines externen Beobachters oder den Einsatz von Friedenstruppen hintertreibt, bleiben die Vereinten Nationen bei der Vorbereitung einer humanitären Intervention wie gelähmt; sie werden darauf warten müssen, dass die Verletzungen unerträgliche Ausmaße erreichen, bis sie legalen Gebrauch von Sanktionsmechanismen oder Friedensdurchsetzungsmaßnahmen machen können. Die Situation ist doppelt paradox: Einerseits rüsten sich die Vereinten Nationen mit starken Mitteln, wenn die Situation, verschärft bis zur Bedrohung der internationalen Sicherheit, gefährlich und kostspielig geworden ist. Diese Mittel könnten sie entbehren, wenn Prävention es möglich machte, bei verhältnismäßig niedrigen – menschlichen und materiellen – Kosten, Leben zu retten. Andererseits schafft diese Situation für skrupellose Staatsoberhäupter und Kriegsstrategen wie Saddam Hussein, Slobodan Milosevic oder Ariel Sharon einen Anreiz, die Vermittlung der UNO abzulehnen, einen Konflikt entarten zu lassen und auf die Untätigkeit der Weltgemeinschaft zu setzen. Wenn es wahr ist, wie Boutros-Ghali behauptete, dass die Mittel zur Aufspürung von Konfliktherden existieren; wenn das Haupthindernis zum Einsatz von Hilfe nicht die vereitelte Identifikation oder Analyse oder Informationsbeschaffung, sondern die fehlende Erlaubnis zu diesem Einsatz ist, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass „prétendre mettre en place un réseau d’alerte est au mieux une illusion, peutêtre un équivoque, au pire une imposture“ (Bettati, 1996, S. 252). Die Rede von einer präventiven Intervention ist deshalb problematisch, weil sie eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes impliziert, bevor noch die Probleme sich voll entwickelt haben und bevor der Grad an Gewalttätigkeit eine Intervention der internationalen Gemeinschaft zugunsten der Opfer wirklich rechtfertigt. Andererseits haben die Erfahrungen von Ex-Jugoslawien, Ruanda, Somalia und Kosovo deutlich gemacht, welchen Preis die Menschheit dafür zahlen musste, dass sie die zahlreichen Warnungen von nichtstaatlichen Organisationen, Enquête-Kommissionen oder in den Ländern tätigen Diplomaten ignoriert hat. Die Präventionspolitik scheitert mithin nicht nur am Zynismus repressiver Regierungen, sondern an Gleichgültigkeit oder Untätigkeit der Staatengemeinschaft. Gibt es aber ein Recht der Opfer auf Beistand, so muss es eine entsprechende Pflicht auf Seiten der hilfeleistenden Institutionen geben, zumal wenn die ergriffenen Maßnahmen das Leben der Interventionskräfte nicht gefährden. Man kann tatsächlich von der internationalen Gemeinschaft sinnvollerweise nicht verlangen, in allen Gebieten interner Konflikte militärisch einzugreifen, in denen Unschuldige sterben, verstümmelt werden oder zum Verlassen ihres Lebensraums ge-
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zwungen werden. Die Zahl der Konflikte ist zu erheblich. So ist eine gewisse Selektivität bei der Wahl der Interventionsziele unerlässlich. Mindestens ein Teil dieser Selektionsentscheidungen würde jedoch entfallen, wenn die Einsätze rascher geklärt und wenn vor allem die Legitimitäts-Schwelle von (nicht-militärischen) Interventionen niedriger angelegt würde. Es genügt nicht die Einrichtung eines immer umfassenderen Netzes zur Entdeckung von Konfliktherden. Die Informationen müssen zusätzlich von Krisen-Antennen gesammelt, rasch bearbeitet und an den Generalsekretär der UNO weitergeleitet werden; und dieser müsste dem Sicherheitsrat das Mandat zur Ergreifung konkreter Maßnahmen geben. Der Katalog verfügbarer Maßnahmen zur Verhinderung eines Konflikt-Ausbruchs ist groß, und er variiert notwendig mit der Eigenart des zu bekämpfenden Übels. Hier kann es nur darum gehen, ein Inventar aufzumachen: Im Ausland angelegtes Kapital von Regierungsmitgliedern menschenrechtsverletzender Staaten muss eingefroren werden; Friedenstruppen oder Polizeieinheiten müssen zum Schutz einer schwankenden Demokratie oder einer bedrohten Minderheit aufgeboten werden; Beobachter einer internationalen Institution müssen in eine Konfliktzone, oder es müssen offiziell Beauftrage zur Überwachung der Einrichtung von Entwaffnungsprogrammen entsandt werden: lauter Maßnahmen, die den Charakter von Interventionen annehmen, sobald ihre Durchsetzung das Werk der internationalen Gemeinschaft ist und sie gegen den Willen der betroffenen Staaten erfolgen.
5 Der Internationale Gerichtshof Ein Aspekt der Präventiv-Politik der internationalen Gemeinschaft verlangt noch eine institutionelle Form, nämlich die juristische. Mit der Einrichtung eines wirksamen und ständigen Internationalen Gerichtshofes würde die internationale Gemeinschaft für eine rechtskräftige Institution zum Eingreifen optieren, deren Abschreckungskraft gegen die Verursacher von Kriegsverbrechen oder von Verbrechen gegen die Menschheit zweifelsfrei ist.15 In der Tat: Wer immer sich an offiziellen Grundrechte-Verletzungen beteiligt, sei es durch Waffenlieferungen an Milizen oder die für die Verletzung Verantwortlichen selbst, sei es durch Einsatz von Medien, die rassistische Nachrichten verbreiten und zur Gewalt anstiften, oder sei es in der Eigenschaft offizieller Machtvertreter, muss wissen, dass er sich vor einem Internationalen Gericht strafbar macht. Die Staatengemeinschaft muss ihren gemeinsamen Willen zur Solidarität mit den Opfern von Menschenrechtsverletzungen dadurch glaubwürdig demonstrieren, dass sie deren Henker bestraft. Die Abschreckungswirkung auf autoritäre Regierungen und auf Individuen, die sich in ihrem Namen an Verbrechen gegen die Menschheit oder an Kriegsverbrechen beteiligen (Zusatz 6 bis 8 des Statuts), darf nicht unterschätzt werden. Natürlich wird der Internationale Gerichtshof nur dann zur einer Präventiv-Institution gegen organisierte Gewalt, wenn seine Arbeit wirksam und rasch erfolgt. Weder 15 Bettati, 1996, S. 245.
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das Beispiel zu spät geführter Prozesse wie der gegen Eichmann, Barbie oder Touvier noch dasjenige Tausender angeklagter ruandischer Zivilisten, die in viel zu engen Zellen hockend auf ihr Urteil warten, können hier als Vorbild dienen. Es ist unabdingbar, dass der Gerichtshof über alle nötigen finanziellen Mittel zur guten Ausübung seiner Funktion verfügt. Zum Abschreckungseffekt des Gerichtshofs kommt die psychologische Wirkung auf die Opfer. Wenn die Verurteilung wenigstens eines Teils der Verbrecher ihnen auch nicht verlorene Personen oder Güter wieder erstattet, so erweist sie ihnen immerhin die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Fortan wissen sie, dass sie nicht zweifach Opfer sind: eines Machtmissbrauchs und obendrein des Hasses oder der Gleichgültigkeit der anderen Nationen.
6 Schluss Ich mache mich – wohl verstanden – nicht zur Anwältin eines maßlosen Interventionismus, der im Namen eines Menschenrechts-Fundamentalismus neue zeitgenössische Kreuzzüge ermutigen wollte. Mir ist vollkommen bewusst, dass die Intervention, wenn sie den Einsatz von Gewalt verlangt, das Leben Unschuldiger aufs Spiel setzt, seien es Zivilisten oder Soldaten. Sie ist mithin ein äußerst gefährliches Instrument, dessen Gebrauch nie vor dramatischen Verirrungen gefeit ist. Ich bin mir gleichermaßen bewusst, dass der Interventionismus zu einem Gewaltinstrument in den Händen einer Gruppe von Nationen degenerieren kann, die das Völkerrecht zu ihren Gunsten zu benutzen suchen. Trotzdem wird man beklagen, dass die Politik so oft die Ausartung von Konfliktsituationen zulässt (wenn sie ihre Zuspitzung nicht noch durch Waffenlieferungen ermutigt oder eine Marionettenregierung einsetzt, die sich nur um die Interessen der multinationalen Konzerne kümmert) und dass sie den Entschluss zur Intervention erst fasst, wenn die Situation vor Ort moralisch unerträglich geworden ist und damit den Gebrauch starker Mittel verlangt. Bleibt noch das mit der Einführung des Interventionsrechts verbundene Risiko des Machtmissbrauchs. Es liegt im Wesen der ungleichen Machtverteilung unter den Staaten und wird nicht dadurch unbedeutender, dass man dem von den Großmächten dominierten Sicherheitsrat von Fall zu Fall die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Intervention überlässt. Ich denke im Gegenteil, dass man nur dann zu einer moralisch haltbaren Formel gelangen wird, wenn man das Interventionsrecht kodifiziert. Im gegenwärtigen Zustand besitzen die fünf Supermächte nicht nur ein Veto-Recht im Sicherheitsrat, das ihnen erlaubt, jede von der Staaten-Mehrheit ergriffene Initiative zu blockieren. Die entscheidenden Artikel der Charta – zumal diejenigen, die den Gewaltgebrauch im Falle legitimer Gegenwehr oder Friedensbedrohung regeln – sind obendrein so vage gehalten, dass die großen und mittleren Mächte ihre Interpretation im für sie günstigen Sinne durchsetzen können. Die Kodifizierung des humanitären Interventionsrechts müsste mithin nicht nur die willkürliche Behandlung von Fällen verhindern, sondern sie müsste das Recht so formulieren, dass die Unbestimmtheiten seiner Anwendung maximal eingeschränkt sind. Parallel dazu muss man sich
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unbedingt Gedanken machen über die institutionelle Struktur, die herzustellen ist, wenn man vermeiden will, dass die Kodifizierung der humanitären Intervention den Supermächten die Vollmacht dazu gibt, den anderen Nationen eine neue Weltordnung nach ihrem Geschmack zu oktroyieren.
Appreciating Minorities or why Tolerance is not enough: Is Power Sharing the ‘Moral Must’ in International Politics? Josette Baer The present paper deals with the problem of equal status of minorities. The principle of equality of ethnic minorities is fixed in the Human Rights Charter, the UN Declaration on minorities, and the OSCE Lund and The Hague declarations.1 In the Balkans, minority communities suffered discrimination, expulsion, even genocide. Political leaders made use of nationalist claims to legitimise their attempts at redrawing borders that should include – in their perception – their historic homelands. Inter-ethnic violence was also a result of the ‘rhetoric of prevention’: the majorities conceived of the call for enhanced rights and more self determination, expressed by the minorities, as the first step toward secession hence the loss of state territory. Societies coping with the difficulties of economic transformation while lacking democratic experience seem particularly prone to policies of ‘national unity’ in terms of ‘ethnic homogeneity’. From a nationalist viewpoint, the ethnic composition of the population seems, almost magically, to be the guarantee of a painless transformation. The crucial thing in this matter has to do with the meaning of “national unity”. The concept of ‘national unity’ works like a two-edged sword drawing on a political paradox: on the one hand, the social hardships of economic reforms target distinct groups of citizens such as the pensioners, large families, workers and peasants. The reforms, on the other hand, require a critical amount of civic trust, unanimity and discipline that must allow enough time for the effective implementation of the privatisation and liberalisation measures. In other words: the difficulties of economic transformation and democratisation require social unanimity to back measures that are of a socially dividing character for the reforms will generate losers and winners. For our purpose, two factors are important here: First, the power of the old communist elites known as the Nomenclature and second, civic trust. Let me briefly present the main divide among economists analysing economic transformation. The adherents of the so-called “shock therapy”, like Aslund (1992) and Balcerowicz (1994), favour a swift liberalisation and privatisation. The adherents of a gradual transformation emphasize the role of the state as privatisation manager 1
The Lund and Hague Recommendations are published by the Foundation of Inter-Ethnic Relations. The Foundation is a NGO and was established in 1993 in order to supporting the activities of the OSCE High Commissioner on National Minorities (HCNM). Both documents suggest measures to a better integration of minorities to the public life.
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(Kornai, 1990; Poznanski, 2001). The adherents of the radical reform hold that transformation in general is a leap into the dark for it was impossible to predict the outcome of the liberalisation due to the complexity of the communist economy. Radical reform consists of deregulation, liberalisation and legal settings that prevent corruption. Households and companies must be convinced of the stability of the new system. Political trust is the incentive for investment, savings and private entrepreneurship. Also, hardships should be limited by one big package of reforms adopted at an early stage, which the population more readily accepts than a long process of piecemeal reforms. A swift start of the reforms prevents the social climate to opt for a gradual reform. The adherents of the radical reform stress the importance of trust and discipline: once the citizens discontinue to believe that their personal effort is effectively strengthening the reforms, they most likely opt for a change in the next parliamentary elections. Janos Kornai’s liberalisation and stabilisation programme (1990) is one of the most important works on economic transformation. Kornai considers six requirements as crucial for a successful privatisation of Hungary (1990, S. 38-50): 1). True liberalisation of the private sector; 2). Legal guarantees that private contracts are enforced; 3). Emphasis on the absolute security of private property by i. e. laws, party programs and public statements of leading government members; 4). No restriction of private investment by the tax system; 5). Promotion of private investment and capital by credit; 6). The private sector must be socially respected. Kornai focuses on potential sources of tensions such as the wages of state employees. The crucial thing is to get the continuous support of state employees for the stabilisation programme while freezing their wages (1990, S. 192 ff). To avoid the spiral of wage and price, wage discipline must be strictly held on to; the difficulty herein is to convince the state employees that this step is essential even tough directed against their own interests. Unemployment represents a further source of tension (1990, S. 197). Jobs are object to the emerging market; job rights or employment guarantee for all workers cannot be realised within a market situation, which is based upon the adjustment of supply and demand (1990, S. 197). In order to prevent the premature stop of the program, financial aid should be provided, which involves the creation of reserves. According to Kornai, economic growth is the only safeguard against unemployment since it creates new jobs while the emerging private sector will absorb a considerable proportion of former state employees (1990, S. 200). The programme requires a strong government, if it is to bear success (1990, S. 206). Kornai strictly opposes the argument that an authoritarian government like a military junta is more successful in reforms (1990, S. 206). Only a government elected by the Hungarian people should be entitled to implement the programme. Crucial is further a stable coalition: economic transition depends upon peaceful agreements between opposition and government. With other words: there must prevail a common sense supportive of the reforms. Kazimierz Z. Poznanski holds Eastern European economic transition a complete failure because of the particular way it was undertaken: capitalism was built with communist tools. State assets considered to belong to nobody were sold abroad to a percentage of their value due to corruption and “minimal supervision
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of the state” (2001, S. 322). The result is a foreign dominated property structure with labour remaining local. Building capitalism without a capitalist class, which is incapable of emerging since property mostly belongs to foreigners, represents a pathological condition of the system (2001, S. 320). The post communist recession, which started with the reform process in 1989 and 1990, is a catastrophe comparable to the Great depression of the Thirties (2001, S. 351). A slow pace in state-controlled privatisation would have been the better option granting a cautious change of the state-market relationship. Under post communism, state activity swiftly shifted from its traditional tasks of resource allocation and expansion of production to its new task of asset privatisation (2001, S. 323). Regardless of the loss of national capital, privatisation advanced seemingly fulfilling the successful retreat of the state from the market. What actually happened, so Poznanski, was a decay of the state in its systemic function, i. e. the state became dysfunctional as allocation and distribution agent. At the same time, however, the state, or rather the members of the former nomenclature, became increasingly powerful due to their control of the transformation agenda. To illustrate this peculiar process with a simplicist picture: the state, its functionaries respectively, did not leave the house called ‘communism’ via the front door and then returned through the back door. After re-labelling the same house with ‘post communism’, they started to divide and sell the soil on which it was built (public property) while at the same time adding top floors to the house on shaky grounds. It remains to be seen whether such deviant form of capitalism can be corrected. Poznanski’s final prognosis reads that a further decade is needed to recover from the 90ies recession. What is the relationship of economic transformation and the minority issue? I think that civic discipline and collective identity are mutually dependent. Economy was the dominating issue for the goal of a classless society was above all to end private ownership. This created a new collective identity based on strict egalitarianism. When the ideological building broke down, national unity or rather, what people imagined as national unity, provided the feeling of being bound by a supraindividual common good. The elites called for civic discipline, patriotism and trust – what they meant was actually obedience and acclamation. This was the case in Slovakia under former Prime Minister Meciar2 and Milosevic-ruled Serbia. Both were elected because their populist and nationalist agendas drew heavily on the rhetoric of identity and unity. Both embarked on a nationalist course based on ethnic homogeneity. Their agendas were close as regards the ideal of the ethnically homogeneous nation state, yet their policies had different results. The Meciar controlled government refused to adopt the Hungarian language law, but the Hungarians were never threatened by expulsion or genocide. Meciar and Milosevic justified their policies with reference to past injustice: the Slovaks had been oppressed by the Hungarian cultural assimilation in 19th Century. The Serbs had suffered under Ottoman rule and, in 20th Century, under Albanian terrorism. The increasing inter-ethnic violence between Serbian authorities and the Kosovar Albanians in the 2
On the Meciar regime’s peculiar understanding of the concepts ‘unity’ and ‘democracy’ see Baer, 2001.
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1990s emerged in a territory of historic significance for the Serbs. Kosovo polje or Metohija, the central part of today’s Kosovo, is a landscape of almost mystical character since evidence of the past glory of the Serbian nation. Southern Slovakia, where the Hungarians settle, does not represent such a historically significant place. The main reason for the violence against the Albanian Kosovars, however, might have been their different culture and religion. The autonomy and state-constituent status the Albanian Kosovars enjoyed in Titoist Yugoslavia (Simons, 1980, S. 518) was a further threat to Serb state sovereignty.3 Unity in its reduced conception of homogeneity led to an identity based on ethnicity, language, religion and absolute loyalty toward the new leaders. Unanimity and acclamation replaced economic reforms. It is interesting that countries, which embarked on violent ethnic nationalism such as Croatia and Serbia, lacked a reform program. The Meciar regime had a rather creative understanding of economic reforms basically benefiting the nomenclature and introducing bribery and corruption, but it did not call for violence against the Hungarian minority. The common feature of all three countries, Croatia, Serbia and Slovakia, however, consisted in the populist and authoritarian features of ethnic nationalism. Membership in new nation had familiar authoritarian traits: any critique of the new leaders was considered indecent, if not simple treason. The new ‘fathers of the nation’ skilfully based their politics of identity on what they considered being most important: the ideal of homogeneity as remedy for past injustice. The appalling consequences of such policies are not a new phenomenon. Considering the facet of personalised leadership, the 1990ies could be described as the age of the revival of the “mob leaders” (Arendt, 1986, S. 265). Clearly, Meciar, Tudjman and Milosevic are not Hitler or Stalin, yet the political rhetoric and the goal they pursued are close in the totalitarian extent of ethno nationalism. In analogy, we could speak of Tudjman, Meciar and Milosevic as ‘mob leaders light’. The idea that my group is by nature superior is the starting point of identity construction. Add to this the concepts of ‘national sovereignty’, ‘self-determination’ or ‘democratic popular will’ distorted by postcommunist simplification. Overload these concepts with freedom claims and legitimise them by the ‘victim/remedy argument’ in that my group has the right to remedy and self-protection because of injustice suffered in the past. The result is a psychological-political climate in which hatred and violence become socially acceptable. Donald Horowitz shows the crucial role of symbolic language in majority-minority relationships: ethnic claims are, in contrast to material demands, not quantifiable because of their symbolic content (1996, S. 291). Because of their non-quantifiability, these claims are hard to realise by discussions that are based on the 3
Article 245 of the 1974 Constitution declares: ‘The nations and nationalities of the Socialist Federal Republic of Yugoslavia shall have equal rights.’ On the language rights in the Yugoslav Federation see article 246 of the Constitution: “The languages of the nations and nationalities and their alphabets shall be equal throughout the territory of Yugoslavia.” (518). Article 249 on equality of all citizens regardless their ethnic or national origin: “Every citizen of a Republic shall simultaneously be a citizen of the Socialist Federal Republic of Yugoslavia … Citizens of a Republic shall on the territory of another Republic have the same rights and duties as the citizens of that Republic.”
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political co-operation of the elites of the ethnic groups. Ethnic demands are unlikely to become issues of a rational policy-making, particularly in the emotional climate of reconstructing identities, because goals like self-protection or sovereignty are difficult to measure. To which degree and how should we implement self-protection in order to appease irrational fears, which view the others as a direct threat? Political goals, be they equal treatment demanded by the minority or the majority’s call for the respect of the popular will, tend toward violence because identities are built around the symbolic icons of ‘surviving’, ‘freedom’ and ‘state sovereignty’. Homogenisation along ethnic lines hence leads to an increasing gap between the communities; the lack of a deeper experience of pluralism only contributes to the virulent emotional escalation. The political discourse tends to depoliticise since affected by an overload of symbolism and emotions. The rhetorics of identity construction consist in the mutually enforcing connection of homogeneity and violence: embarking on homogeneity politics provides identity that is based on the exclusion of the non-members. Any identity pattern short of the crucial element of ethnic homogeneity lacks the psychological-political benefit the members consider as essential for their ethno-cultural community. Such an identity pattern would indeed not differ much from the egalitarian identity promoted by the communist ideology. Yet the new national identity targets exactly egalitarianism and internationalism since they represent the main obstacles of ethnic homogeneity. Under communism, social egalitarianism and the absence of political participation resulted in citizens’ feelings of the system as alienating. The Serbian psychiatrist Dusan Kecmanovic holds that homogeneity meets crucial psychological needs: apart from the need to “identify one’s self in terms of something supraindividual”, it fulfils the needs of cognitive simplicity and affiliation (1999, S. 309). Regarding the political and socio-psychological movements that led to the Yugoslav break up, Kecmanovic speaks of “ethno nationalism” that has reached “epidemic proportions” (1999, S. 309). From a liberal democratic perspective, nationalist violence has not much in common with politics in terms of a rational and humanist way of dealing with the polity’s matters. Exclusion as the intrinsic element of homogenisation replaces the political reality by a new construction that is based on simplicist assumptions of what reality is. This new reality is explained by reductionist and mono-casuist arguments. According to Kecmanovic, the construction of a new reality is (ab) used to “produce more orderliness than exists in reality” (1999, S. 309). Cognitive dissonance such as different views and opinions have to be fought against in order to make identity and reality compatible: Once homogenised identity and the new (pseudo-) reality match, the community of the others remains as the single problem of the nation. The Milosevic regime’s persistence at the Rambouillet talks was, in my opinion, the last step of the process of matching reality with identity: the Serbian leaders conceived of the NATO-campaign as clear evidence supportive of their own particular view of reality: the ‘West’s’ general anti-Serb attitude leads to war. From the perspective of homogeneity and the eyes of the totalitarian mind set, the political extinction of the others is vital: they naturally represent the last obsta-
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cle on our community’s way toward freedom, self-protection, national existence, state sovereignty – or whatever skilful propagandists consider the missionary goal. Managing and manipulating the mob has replaced politics in terms of implementing an agenda of economic transformation. The dynamics of discrimination, physical extinction and territorial expulsion are unleashed. We can regard the chronology of Kosovo as ‘role model’ that demonstrates the steps of homogenisation: denial of the constitutionally granted autonomy status, abolition of educational institutions, implementation of Serb police force and, eventually, violent expulsion. What makes the politics of homogeneity so attractive? First, they offer a new experience: difference and choice are allowed, whereas the overpowering dominance of internationalism and egalitarianism of communism had destroyed crucial features of identity such as the feeling of history, time, and space. This had resulted in a deep feeling of senselessness (nesmysl) among the citizens (Havel, 1990, S. 136). Probably the most important features of identity according to ethno-nationalism are participation and influence: seemingly close to grassroots democracy, this authentic feeling involves that a) I can openly express my opinion on topics of my choice b) My co-citizens can openly react on my thoughts hence affiliate and c) Whatever we talk about, we share a common political past hence the common political experience of state paternalism. Therefore, we can fight together for our new superior and supraindividual goal. The new experience of political participation, the fact that I can contribute to the future of my community, provides me with a collective identity. Because citizens of communist societies were subject to the constraints of the socialist civic identity, the new public not necessarily pluralist political discourse was considered crucial. Nationalist arguments and rhetorics literally exploded orchestrating the Yugoslav Federation’s break up because they were strictly forbidden before. Second, given the psychological-political legacy of communism, the politics of homogeneity represent an almost perfect guarantee for the old elite of maintaining power. Nationalist homogeneity prevents elite exchange if anticipated before the collapse (Serbia, Slovakia) or embarked upon swiftly during the breakdown of the old ideological power (Ukraine). The main reason for Prime Minister Meciar and his HZDS followers to block the adoption of the Federal constitution in 1992 was power maintenance and the creation of the sovereign Slovak State. On the Czech side, Prime Minister Vaclav Klaus seemed to be equally happy with the prospects of a sovereign and economically better off Czech State. The paper consists of the following sections: Section one deals with the limits and possibilities of equal treatment of minorities. The concepts of ‘recognition’ and ‘toleration’, considered to be crucial for the ‘quality of equality’ shall be analysed. The concept of substantive equality is the basic idea on which I ground my assessment of the concepts of ‘recognition’, ‘appreciation’ and ‘toleration’. Section two advocates power sharing as instrument supportive to equality and recognition because of the effects it has for enhancing trust. The idea of consociationalism is based on an elite agreement: the representatives of the ruling majority assign a distinct amount of their power to members of the minority enabling the
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minority to participate in decision-making on the governmental level. Power sharing clearly infringes the majority’s representation in that the minority enjoys overrepresentation, compared to its summarily minor status. What, then, are the benefits of a democracy that deliberately, i. e. based on common consent, discriminates against the majority? I intend to show that power sharing provides long term benefits that are particularly important for de-escalating virulent psychological and political tensions in ethnically divided societies. Therefore, power sharing represents a crucial condition for democratisation and inter-cultural non-violence and peace. The democratic development of Macedonia shall illustrate my thoughts. In the concluding section, I shall deal with the relationship of power sharing and Public International Law. I do so as political theorist, not as expert of Public International Law. If the particular conditions necessary for the implementation of consociationalism are given, should the international community support power sharing in multi-ethnic states? Could elements that enhance effective minority participation, become a decision-making criterion in institutions of international politics? This last section attempts to answer the essential question of my paper: as both a rational and ethical way of dealing with minority issues, should power sharing become a fundamental principle of international politics? Before I move on to the contents of the paper, let me give a brief summary of recent Macedonian politics. In May 1989, the communist assembly of the Macedonian Republic had adopted a constitutional amendment, which changed the contents of Article 1: Macedonia was now defined as national state of the Macedonian people and not as multi-ethnic state as in the 1974 Tito-Constitution. The right to vote in the referendum on independence and sovereign statehood of Macedonia, de iure and de facto the secession of the Republic, involved all Macedonians, regardless of their place of birth or place of living. This infringed the distinction between citizenship and nationality since the only category of identification was the self-ascription of the voters of being Macedonian, more precisely, of Macedonian nationality and south Slav ethnicity (Danforth, 1995, S. 143). The Diaspora groups given the right to vote increased the majority of the Slav Macedonians against which the Albanian community called on a boycott of the 1991 census: the first signs of the politics of re-nationalisation had emerged. However, thanks to the popularity of the first President Kiro Gligorov, the sound political course of the subsequently elected governments and the support of the International community, Macedonia was on her way toward a better representation of the Albanian minority, which amounts to 23 % of the population.4 Political and institutional efforts to de-escalate virulent inter-ethnic tensions have been made very early: in 1992, the Crvenkovski government declared the larger representation of the Albanian community a main task on its agenda. The Council for Inter-Ethnic Relations was established in 1993; it is composed of representatives of the minority communities and deals with integra4
The ethnic composition of the Macedonian population: total 2 075 196 persons, of which Macedonians 1 288 330 (66.5 %), Albanians 442 914 (22.9 %), Turks 77 252 (4 %), Roma 43 732 (2.3 %), Serbs 39 260 (2 %), Muslims 15 315 (0.7 %) and Vlachs 8 467 (0.004 %). Government Census (1994), Statistical Office, 1994 Census Data, Skopje.
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tion issues. In November 1998, Prime Minister Georgievski (IMRO) invited the radical Albanian party PDP-A to the government coalition. PDP-A had split off from the moderate PDP in 1994. It has since refused any compromise with the government on the issue of a constitutional change granting the Albanian minority state-constituency and the recognition of Albanian as second official language-ofstate. In the light of the fact that the IMRO – DA coalition had a clear parliamentary majority, the integration of PDP-A demonstrated the political will of the government to inter-ethnic co-operation and contact on the government level.5 At the time of writing, its minority issue threatens the young Macedonian democracy. The longer the deliberately unleashed violence against the Macedonian state will last, the more unlikely the political will of the Macedonian majority to make efforts supportive of inter-ethnic tolerance. The slippery slope of civic discipline, multi-cultural identity and the ideology of ethnic homogeneity could be left by both communities. This could result in an unnecessary escalation hindering the democratisation process in a small country that so far has managed to keep its inner stability in spite of the dangers of its immediate neighbourhood.
1 Minority, majority, equality – Appreciation through Substantive Equality “Nonrecognition or misrecognition can inflict harm, can be a form of oppression, imprisoning someone in a false, distorted, and reduced mode of being […] Due recognition is not just a courtesy we owe people. It is a vital human need.” (Taylor, 1992, S. 25 f)
What is essential about appreciation, recognition and toleration? Let me in the following explain why I consider appreciation via recognition as crucial. The equality of all persons is the basic principle of Human Rights. Individuals are considered equal regardless of race, age, sex, colour, culture and religion. The equality principle denies any discrimination based upon individual diversity. Equality means also equality of chances, particularly access to education, job opportunities and political participation. Members of the Albanian community were and are experiencing discrimination which comes in varying degrees: while underrepresentation in the academy, higher education, police, military and business life is a significant feature in current Macedonian society, Albanian citizens report a ‘silent discrimination’ on the inter-individual level. They experience a general hostility in daily relations with Macedonians contributing to their feeling of being second-class citizens (Annual Report 1998, Macedonian Helsinki Committee, S. 8,9). The Macedonian Constitution grants the equal status of all communities as well as the protection of their rights; yet the reality of inter-ethnic relations dif5
The outcome of the 1998 parliamentary elections: IMRO-DPMNU 28,1 %, DA (Democratic Alternative) 10.7 %, together 59 seats, SDSM (Social-democratic Union of Macedonia) 25.1 % and 29 seats, PDP, PDP-A and NDP (National Democratic Party) 19.3 % and 25 seats, LPD/ DPM (Liberal-democratic Party / Democratic Party of Macedonia) 7.0 % and 4 seats. The smaller parties representing the Roma, the Turks, the Serbs, the Vlachs and the Socialists gained together 4.7 % and 3 seats.
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fers in equality of chances for the Albanian community. A topical issue in recent Macedonian politics was an Albanian university providing higher education in Albanian language. Members of the Albanian community claimed for the university to be financed by the state; they object the newly established Van der Stoel University with the argument that it is primarily the duty of the state to provide higher education for minorities. Private initiatives like the Van der Stoel University would not solve the inter-ethnic problem; the Albanian community insisted on the due recognition of the existing yet illegal Albanian University in Tetovo (TOL, 19 February 2001) A necessary condition for the prevention of the perpetual dominance of the majority is to limit the democratic system by minority rights (Sartori, 1997, S. 42-43). The absence of minority rights would petrify the rule of the majority. Thanks to its mathematically major status, the majority could rule without considering the needs of the minority. This would de facto lead to a representation without consequences. The absence of the representation of the minority would be a never-ending one questioning the sense of electoral participation of cultural minorities in the first place. Due to the agenda-setting power of the democratic election procedure, unlimited majority rule could reach as far as the abolition of the democratic system. Without rights that limit the majority the principle of reciprocity is infringed, which grants the chance of being part of a future majority and allows participation in executive decision-making (Beetham, 1995, S. 28 ff). Democracy must provide minority rights in order to grant its own surviving, since distinct groups of citizens would otherwise lack the possibility of effective participation in the political process. This basic principle of democratic theory represents the grounds of my following thoughts on toleration and recognition. The distinction between tolerance and recognition is met how I conceive of the ‘quality of equality’, i. e. the degree equality is provided. Tolerance and recognition depend upon the participatory rights I consider appropriate to assign to an individual by virtue of my understanding of democracy. Let us assume the following: Given that I am an economically well or better off citizen, whose cultural identity is that of the majority in a multi-ethnic society. I do not have a problem accepting the minority communities’ customs, beliefs, in short, their cultural identity and rights granted by the constitution. I respect and tolerate the minority in its difference. The minority rights they enjoy I consider as vital for democracy. I can act tolerantly, as long as I do not consider the others as a direct threat to my individual well being nor the future well being of my community. Be it that we are generally indifferent toward our identities, be it that there are no disadvantages linked to tolerance, we can both peacefully co-exist. Tolerance, a necessary condition for co-existence, is easy because of the absence of financial, psychological and political costs. The majority can tolerate different identities as long as it does not feel being urged to efforts hence costs. From the perspective of the majority, any psychological, financial or political efforts that do not result in instant rewards are senseless and costly since the alternative is co-existence without effort. The minority, however, cannot afford this ‘luxury of accounting costs and benefits’; its minor size urges it to continuously making efforts to preserve its rights and keeping its identity.
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Again, as a member of the majority, I can accept that the others live in a distinct area or place in which they enjoy cultural autonomy. The tolerance I act upon in this particular constellation, however, does not require my interest for their cultural customs and identity. Indifference as the simple lack of interest can be supportive to tolerance because it is neutral, neither endorsing diversity nor discriminating against it. In terms of indifference based upon the absence of intercommunity contacts, tolerance represents a crucial step toward recognition as it lacks the dangers of negative prejudices that picture the other in simplicist blackwhite patterns. On the other hand, such tolerance lacks awareness of the other’s diversity, particularly the features of his cultural identity. I understand recognition according to its original meaning: to acknowledge on the basis of knowledge and experience, i. e. in the sense of identifying again. If I recognise the principle of equality as universally valid, I recognise the other as a political individual that is equal to me yet has a different identity. The crucial point is the distinction of toleration and recognition or, with other words, of formal and substantive equality. To recognize the minority identity of a citizen involves that I am aware of the consequences he has to face when he finds himself in inter-action with members of the majority. As a result of my recognition, I should at least try to understand the distinct situations the other has to cope with when in contact with my community. Kristin Henrard describes the crucial difference between formal and substantive equality as follows: “The expressions ‘equality before the law’ and ‘equal protection of the law’ are closely linked to the fundamental distinction […] between formal and substantive equality or between strict, mathematical, numerical equality and real, effective, true, normative equality.” (Henrard, 2000, S. 61)
And quoting Justice L’Heureux Dubé of the Supreme Court of Canada: “This term [substantive equality, add. J. B.] reflects the underlying goal of achieving an equality of outcome or substance among all members of society, regardless of their differences … This ideal can be contrasted with the concept of ‘formal equality’ or sameness of treatment in the law, which does little to overcome patterns of social disadvantage and indeed, may perpetuate them.” (Henrard, 2000, S. 61)6
Let me illustrate the concept of recognition via substantive equality with two examples. Example 1: Citizen A cannot participate in a job interview set by a governmental institution to be held in the capital, since his community celebrates an important holiday on the countryside on the same day. His absence would be considered as a grave disrespect of his community and its customs. Example 2: Citizen B is a member of an Amazonian (females only) community, hence a trained fighter. She applies for a job with the police. The institution declines her application with the argument that her physical height does not meet the standard criteria set for the position. Her height would not be supportive, in fact would be detrimental to the proper exertion of a police officer’s duties. 6
Quoted according to L’Heureux Dube, 1997, S. (335) 338.
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What are the implications of the equality principles in these two cases? Citizen A’s application could have been made possible by a thorough check of the minority communities’ official holidays. If it was impossible to find a day suitable to all applicants, a second or third date could have been set upon requirement by the applicant. Citizen B’s wish to join the police force was declined upon a physical feature directly connected to her gender. She did not meet the standard height, but as an Amazonian she has different physical qualifications that should allow for disregarding breaking the standard criterion and consider her application. First, in both cases, the equality principle in terms of formal equality is not infringed, for the basic criteria set for applicants seem reasonable: a governmental institution of a modern hence laic state schedules job interviews on a working day. If the schedule was set according to the principle of cultural and religious neutrality of state institutions, interviews could have been set on Christmas Day, for example. This is highly unlikely; in most countries, official state holidays traditionally mirror the majority culture’s holidays. A crucial distinction I believe has to be made as regards the intention: is the schedule set due to a lack of awareness of minority communities’ holidays or deliberately to make minority participation more difficult? Let us optimistically assume the first option of a human mistake and non-intentional lack of consciousness. In the second example, the physical criteria of minimal height were considered a crucial condition for joining the police. In both cases, the principle of equality has been respected. Neither citizen A nor citizen B was deliberately and a priori excluded from participating in the competitions. In spite of the equality principle, both citizens A and B were denied access to the jobs. The equality criteria applied meet the demands of formal equality, hence tolerance in the sense of indifference of cultural diversity: all applicants must meet the formal standards required for the jobs, regardless of their cultural background. Formal equality, however, lacks an essential element required for effective recognition of minority identity: the political will of being aware of substantial criteria of difference, which in our cases are citizen A’s community holiday and the Amazonian identity of citizen B. Formal equality is considered as effective criterion of the relationship of state and citizens that meets justice. Formal equality is the essential principle in a democratic rule-of-law state. Equal treatment in procedures of accessing state institutions is – or should be – the fundamental principle, be higher education, businessrelated, culture and well-fare institutions. An exception I believe are competitive free market situations: the relationship between a company and a client is naturally that of choice and offer. It essentially differs from state-citizen or state-company relationships. The crucial thing about corruption is the fact that it infringes equal treatment and equal access by setting a standard that is in its nature closed and arbitrary, i. e. not conceivable by everybody.7 Standards and criteria for decision-making, which in a non7
The essential invisibility of the criteria of corruption represents naturally a threat to democracy. I cannot discuss this further in this paper. As human weaknesses, corruption and bribery exist in varying forms and degrees; for the purpose of this paper I regard equality before the law as basic.
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corruption environment are based on formal equality, are usually created according to values, beliefs and customs of the majority of the populace. They lack substantive room for different cultural makeup. The result is a neglect, albeit due to lack of awareness, of distinct features of minority identity. In a corruptive environment, the neglect is deliberate, intentional and not always set along ethnic or cultural lines, mostly obeying the universal laws of individual influence and wealth. Ignorance as result of unawareness infringes equal treatment – but not formal equality – in that standards valid for the majority are automatically applied to a minority, which has differing standards. Let me elaborate on this crucial issue: a general recognition in terms of substantive equality, hence equal treatment of substantial diversity, applied to the sum of customs, beliefs and rituals of all the minority communities of my state I do not consider as necessary nor wishful. I neither advocate for accepting a priori all claims of a community, just because it finds itself in a minority situation. These claims have to meet the principles of Human Rights. In addition, I think that a close look at the different values, customs and rituals of minorities is helpful. Such analysis would enable an assessment according to the principles of Human rights and their violations, respectively. Minority protection and recognition must not break Human rights. To legitimise for example female circumcision or abortion ban with cultural tolerance would mean to throw out the baby with the bath. The uncritical recognition of such cruel and ancient customs, against which the individuals subject to cannot protect themselves since in a minority status within their own community, would not only mean a grave violation of Human rights. False tolerance would provide a ‘passport’ for committing violations of personal dignity and physical integrity by virtue of a minority community’s customs. Distinct groups would enjoy special rights and a special status as regards equality of legal treatment. Substantive equal treatment must not apply to violations of Human rights. Moreover, such special status is not helpful in minority issues: not every ritual or custom can be claimed as being an essential feature of identity all the more if they actually violate personal dignity and physical integrity. The relationship of inter-cultural tolerance and the values Universal Human Rights back, is naturally a slippery slope. But again: no violations of Human Rights on the grounds of traditional customs of minority cultures. A possible way to accommodate, which customs are essential for a community and which habits should be renounced on, could be found in inter-community round-table talks. My appreciation based on recognition of the other presupposes that I am willing to listen to his suggestions on how his situation as a member of the minority could be improved. My tolerance of his diversity, however, does not necessarily mean that I am convinced of the importance of his continuous participation in political decision-making. Respecting his minority rights is certainly a necessary step toward recognition; I must be willing to tolerate his different language, religious rites and/or distinct family system before I can, in a second step, understand his political claims. The point is that toleration works well as long as the minority community contents itself with the rights assigned by the majority. Toleration as
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basic indifference toward the other can be positive in cases of economically wealthy societies with a democratic tradition like the Swiss or the Dutch. Postcommunist societies with their political and economic burdens seem to be more crucially affected by minority claims for effective participation. Toleration and indifference can then swiftly turn into open hostility. That is the reason why I think that power sharing is vital for democratisation in case it is seriously called for by the minority(ies). Formal equality stands in need to be better adapted to the distinct conditions of multi-ethnic postcommunist states. While the Lund Recommendations focus on the effective participation of minorities in public life, the Hague recommendations have elaborated standards regarding education rights of national minorities. This paper cannot deal with the single principles and contents of both documents; they represent, however, a crucial step in a process I consider as essential for future inter-community tolerance.
2 Power-Sharing To put it bluntly, power sharing is about sharing the cake, not dropping crumbs. Sharing depends upon the elite’s political will to renounce on parts of its democratically assigned power in order to establish a system, in which power and responsibility are distributed along virulent confliction lines of cultural membership. The way the Macedonian governments choose was promising; Albanian extremists disturbed the slow and difficult process of trust building by violence. “The essential characteristic of consociational democracy” according to Arend Lijphardt, “is not so much any particular institutional arrangement as the deliberate joint effort by the elites to stabilise the system” (1969, S. 213). In other terms, the rule of the majority is limited by granting the minority a distinct share of governmental power. What are the advantages of such arrangements? Conditions considered favourable for consociational democracy are a multiethnically composed population, the small size of a state and a considerable gap dividing the communities (Lijphardt, 1969, S. 241 f). Inter-ethnic or more generally inter-community tensions could de-escalate by a granted share in government, the judicial, public, military, educational and economic institutions. A consociational system offers the benefits of mobilisation and responsibility: the political elites of the communities have to cooperate in the decision-making process in order to find political solutions acceptable to all. Given differing interests, continuous interaction can promote mutual understanding and enhance tolerance. The responsibility for the outcomes is shared, regardless of the results of the decision and policymaking are positive ones or not. Effective participation has further the effect of deescalation: the huge economic and political tasks post-communist societies face require a realistic and reasonable approach to decision-making. Historic icons such as ‘Great Macedonia’ or ‘Great Albania’ are certainly attractive when promoted in rallies on warm summer nights. Transformation issues like foreign loans, unemployment rates, market liberalisation and privatisation of state-owned enterprises
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demand for a sober mind. My point is that power sharing can help transcending the particular interests of the communities and dissolve the patterns of perceptions that seem to stick to ethno-cultural identities like bees to a honey pot. A further concern is the electoral procedure: the status of the ‘consociational minority’, i. e. the minority that participates in decision-making on the governmental level thanks to the consociational arrangement met with the majority, is not absolutely determined by the procedure of elections. Its position in the government is not dependent on voters’ preference. The representatives are not urged to unrealistic bargaining or hastily set populist agendas in order to gain as many votes as possible. Because of the share in executive, legislative and judiciary power that is permanent and granted, the monolithic-single fold pattern of identity e. g. ‘Macedonian citizenship (equals) = Macedonian nationality = south Slav ethnicity’ stands chance to be replaced by two- or three-fold, heterogeneous and overlapping identities, for example by the pattern ‘Albanian ethnicity + Macedonian citizenship + Albanian nationality’. In this case, decision-making would tend rather toward a heterogeneisation for previous monolithic identities could develop toward pluralist and multicultural appreciation. Multiple identities could replace the homogeneous identity; traditionally internalised patterns of perception could start to break up. Such a process is by no means a swift one and rare short-term results might be disappointing. On the long-term, however, I think the benefits are substantial. Power sharing is directed against the ‘winner takes it all’ democracy and allows for integrating different groups by political responsibility. The goal of a consociational arrangement is not to merge different groups or to melt diversity to an unclear swamp, but to render governmental democratic rule efficient by removing the substantial political obstacle of opposition. To put it bluntly: since all rule, all are to blame. Further can contacts between the members of the groups effectively target discrimination: once provided with executive power and responsibility, the communities will face difficulty in sticking to their traditional arguments of being discriminated against. Not only the minority, but also the major community will start to question their self-ascribed image of the permanent victim. The goal of such a consociational process is a sound one: regardless how many identities individuals might assign themselves to, the circulus vitiosus of mutually exclusive perceptions is broken once citizenship has become the dominant criteria of identification. Which conditions or ‘political hardware’ are required for a consociational process? Governed by an “elite cartel” (Lijphardt, 1969, S. 213)8, an effective consociational system requires fundamental consent of the political elites involved: they must share the view that the gap dividing the communities is a centripetal threat to the state. Also, the unquestioned support of the common state in terms of territory and sovereignty, not internal arrangements, must be the basic conviction of the elites. The elites must in principle be willing to live in a common state, whereas the modus vivendi is a matter of further discussion. If secession or expulsion become realistic options supported by the majorities of the groups, the consociational process is unlikely to get started. The dismemberment of the Czechoslovak Federa8
Quoted according to Dahrendorf, 1967, p. 276.
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tion in 1993 was decided by the elites. Macedonia’s secession from the Yugoslav federation in 1991 was legitimised ex post by popular vote. Since the elites are usually organised according to community membership, the fundamental consent required depends upon the elites’ capability of presenting the populace a convincing consociational agenda. If this crucial consent on the perils of fragmentation is given, the elites must further have the will to create a non-discriminatory agenda, which expresses the demands and interests of the communities. The goal of inter-elite communication is not necessarily to overcome the gap, but to make it an issue of internal affairs and to de-escalate the negative communication patterns of the communities. How are the outlooks for consociationalism in Macedonia? First, let me draw on the issues of international assistance and violence, which I consider as essential. I do not think that power sharing can be applied to every multi-ethnic state. Why? The dynamics of organised violence destroy the essential amount of trust required for a consociational arrangement. Rejection of violence is an essential psychological and political factor. Once organised violence has broken out, actively endorsed or tolerated by the elites, it is difficult for all parties involved to overcome the dynamics of aggression and retaliation. Even if the international community can stop the conflict, the patterns of mutual hostility of the belligerent polities are already confirmed by the violence unleashed. My point is that organised violence as it happened in Rwanda, Kosovo and East Timor, is based on the escalation of the very patterns of perceptions that legitimise the conflict by anticipating it. One could speak of a ‘self-fulfilling prophecy’. When the basic amount of mutual trust between the communities is abolished, the common state ceases to be a realistic project. The prospects of consociationalism in countries, where violence was induced by the elites are low, if not impossible in a considerable amount of time. In countries where inter-ethnic violence is virulent, yet has not broken out, consociational arrangements can have a preventive function if accommodated with the support of international institutions. At the time of writing, the situation in Macedonia does not allow for an optimistic prognosis. The deliberate use of violence by Albanian terrorists against the Macedonian state and Macedonian citizens will crucially affect the political will of the majority to respect their minority rights. Needless to say that Macedonian citizens of Albanian descent will have to expect increased social hostility. As for now, we can analyse the political development and the successes of the nearer past. The potential dangers of spillover from Kosovo had a unifying effect on the Macedonian and Albanian elites. The Albanian representatives did not use the conflict as an opportunity to stress on their demands. Secession was not a base of argument of the Albanian elite. Both the Macedonian governments of Branko Cervenkovski, SDSM (Social-democratic Party of Macedonia – former Communist Party) from 1992 until 1998 with re-election in 1994 and Ljubcho Georgievski (IMRO), elected in November 1998, managed to keep the extreme Macedonian nationalists under control. The Macedonian political elites, particularly the coalition government under Prime Minister Georgievski, seemed to be willing to inter-ethnic co-operation.
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IMRO, Georgievki’s party, has a clear national Macedonian programme yet favoured the better representation of the Albanians by inviting PDP-A members to the government. A sound economic policy and tight relations with EU and NATO were evidence of the government coalition’s orientation toward the West. Compared to the immediate neighbourhood, the Macedonian governments managed to avoid involvement in the regional conflicts. Far more, the Macedonian citizens were willing to consolidate their democratic system9. According to consociational theory, a low amount of burdens on the system is supportive to inter-elite co-operation (Lijphart, 1969, S. 218). In Macedonia, the opposite was the case: the burdens were painfully high considering the size of the state and the weakness of its economy. The economic losses resulting from the international boycott of Serbia, the two Greek boycotts of Macedonia’s export in 1992 and 1994 and the Kosovo campaign were economic and diplomatic challenges. This overload, however, effectively strengthened the inter-elite co-operation: no community seemed to be interested in facing the political and economic consequences of secession. The majority of the ethnic Macedonian elite had no interest in a stronger discrimination of the Albanians. The Albanian elites did not consider the union with the devastated Kosovo and the underdeveloped Albania as option. The external threat was obviously the crucial factor that initiated the break with the circulus vitiosus of mutually enforcing patterns of hostile perception. The consent of the elites was weak, but it was a promising start that could have been enforced by a constitutional guarantee fixing the Albanian share in government, state institutions and public administration. Also, increased investment in Macedonia’s Western part, where the Albanian minority settles, could have considerably improved the minority’s trust of the government. I think that a consociational process aiming at a power sharing system was possible before the events of February 2001. Now, the elites will have to face the task of a constitutional amendment that re-defines Macedonia as a multi-ethnic state with at least two languages-of-state and two major state-constituent nationalities. A further task will be the constitutional status of the smaller minority communities of Turks, Roma, Serbs and Vlachs. As regards inter-community communication, the crucial point seems to be the distinct relationship between the elites and the body civic. The citizens, challenged by the harsh consequences of the economic transformation that resulted in an un9
The following definition shall clarify my point when speaking of Macedonia as consolidated democracy: “Behaviourally, a democratic regime is consolidated when no significant national, social, economic, political or institutional actors spend significant resources attempting to achieve their objectives by creating a nondemocratic regime or turning to violence or foreign intervention to secede from the state. Attitudinally, a democratic regime is consolidated when a strong majority of public opinion holds the belief that democratic procedures and institutions are the most appropriate way to govern collective life in a society such as theirs and when the support for antisystem alternatives is quite small or more or less isolated from the prodemocratic forces. Constitutionally, a democratic regime is consolidated when governmental and nongovernmental forces alike, throughout the territory of the state, become subjected to, and habituated to, the resolution of conflict within the specific laws, procedures, and institutions sanctioned by the new democratic process.” Juan J. Linz, Alfred Stepan (1996), Problems of Democratic Transition and Consolidation. Southern Europe, South America and Post-Communist Europe, John Hopkins University Press: Baltimore, London, p. 6, emphasis added.
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employment rate of app. 25 % expected to increase,10 do not share the elites’ former attitude. Since the party landscape reflects the multi-ethnic composition of the Macedonian population, the minorities vote generally representatives of their own group. The inter-ethnic contacts on the mass level are still rare, particularly due to the fact the minorities settle within territorially clearly limited areas. This can be favourable for consociationalism, as cultural communities tend to develop conflicts only when in close contact e. g. in competitive direct local contact and ethnically mixed areas. Since the democratic procedure takes place in clearly perceivable local units, the prospects of a power sharing process were relatively high. With other words: the decentralisation of the democratic procedure to the regional and local levels offers self-determination via self-government of the communities in their units. The more as political issues such as investment, road construction or the establishment of academic and educational institutions usually belong to governmental competency.
3 Concluding remarks The violence that Albanian extremists unleashed in February 2001 will certainly have one crucial negative effect: it confirms the worst expectations each community has from the other. A country that so far could keep inner peace in midst a dangerous area was deliberately driven to use force in order to defend its territorial sovereignty. The extremists used the argument of self-defence claiming for equal treatment and state-constituent minority. The modest optimistic prospects of a functioning multi-cultural democracy in the Balkans is at stake; so are the prospects of a possible future power sharing system. Yet, should recognition via substantive equality and power sharing become a principle of Public International Law? Should we support power sharing as a legal instrument or a political remedy of societies that are threatened by the epidemic of homogeneity politics? International organisations could provide financial, technological and political assistance. They cannot, however, prescribe constitutional changes in favour of extended minority rights, as such decisions lie in the competency of the sovereign governments and the electorate. Should democratic consolidation of multi-ethnic countries be assessed according to the extent, to which the minority (ies) is (are) granted share in governmental power? And how would such demands and judgements affect Public International Law? For democracies in the making and transitional societies I think that recognition via substantive equality makes sense and that a system that is based on power sharing is reasonable given the following conditions are met: consent of the elites, absence of violence, size of the state and territorially separated areas. In multi-ethnic states with a non-democratic past, like Macedonia, power sharing would indeed contribute to regional and internal stability on the long run. International assistance such as the stability pact has proved to be effective in provid10 FYR of Macedonia, p. 173, IMF Survey, Vol. 26, No 11, 9 June 1997.
Appreciating Minorities
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ing technical and financial assistance. The political will to overcome old patterns of hostile perception is a fundamental condition for multicultural tolerance and later, appreciation. Such a will is lacking, not only in the so-called ‘powder keg of Europe’. My attempt to assess Macedonia’s consociational prospects was met on the grounds of the previous visible political will of the elites involved, which allowed for a modest optimism. A consociational over-representation of a minority is, in my opinion, more democratic than the Westminster model of rule by majority vote. Consociationalism could represent the ‘moral must’, the role-model multiethnic democracies should develop toward. Minorities are often regarded as potentially disloyal to their state when they call for enhanced representation. The crucial loyalty toward the state the minorities are expected to grant in exchange for a consociational process, however, is not likely to develop in situations, where they experience deprivation in essential areas of civic life such as higher education, business and access to state administration. With other words: the reluctant loyalty of the Albanians citizens is understandable considering the discrimination they are still subject to in current Macedonia. As long as they feel being treated as second class citizens, how could they possibly back the state to whose institutions they are denied access? Reluctant loyalty and the deliberate use of military violence, however, are two different things. Power sharing can be a realistic alternative to democratic majority rule in fragmented societies, if the minority clearly expresses its wish for power sharing and constitutional change. Crucial for consociationalism is the participation in effective decision-making; for multi-ethnic states like Macedonia this could mean to integrate all minorities to the government. The details of such arrangements are subject to negotiations that would benefit from international assistance. Multicultural democracy that is based on recognition via appreciation and power sharing requires above all the clear political will of the populace for co-existence in a common state.
Postscript March 2003 Upon completion of this essay, clashes between the Albanian UCK troops and the Macedonian police force went well into the summer of 2001 until US and EU officials mediated a cease-fire. The Macedonian government under Ljubcho Georgievski (IMRO) and the UCK, led by Ali Ahmeti as well as the Macedonian Social democrats and the Albanian PDSH signed the Ohrid Peace agreement on 13 August. The Albanian demands of constitutional status of the Albanian language, better representation in the police, and new law on local self-government have been met (RFE/RL, 1 February 2002). The parliamentary elections in September 2002 resulted in a shift of power from the nationalist IMRO to the Social democrats. The Social democrats under former and new Prime minister Branko Cervenkovski won 60 of 120 seats, IMRO gained only 33 seats (RFE/RL, 20 September 2002). The fact that former UCK leader Ali Ahmeti, whom the majority of the Mace-
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donians consider a terrorist, has entered politics with a new party BDI, is rather promising for the future. The painful lesson learnt, however, is that deliberate violence against the state has successfully achieved in seven months, what Albanian and Macedonian leaders could not in a decade. The peace agreement, signed by the elites, could indeed lead to a stabilisation of the inter-ethnic gap. A crucial issue for the future are the rights of the Macedonian population in the Albanian territory around Tetovo. If they are equally respected, the Albanians would prove their loyalty toward the multi-ethnic state.
III Soziale und wirtschaftliche Aspekte der internationalen Politik
Globalisierung der Gerechtigkeit – Politische Schwärmerei oder moralischer Realismus? Wilfried Hinsch in memoriam Christoph Hahm
Die uns vertrauten klassischen Konzeptionen distributiver Gerechtigkeit gehen von einer Container-Vorstellung1 einzelstaatlicher politischer Gesellschaften aus. Dies gilt für John Rawls’ liberale Theorie der Gerechtigkeit ebenso wie für die Aristotelische Konzeption, obwohl mehr als 2000 Jahre zwischen ihnen liegen. Bei beiden geht es vornehmlich darum, Grundsätze für ein gerechtes Zusammenleben zu finden, das sich im Wesentlichen innerhalb der Grenzen einzelner politischer Gesellschaften abspielt. Bei Aristoteles ist es die Polis: eine um Autarkie bemühte Gemeinschaft freier Bürger (über die Sklaven reden wir nicht). Bei Rawls ist es der liberale demokratische Verfassungsstaat, betrachtet als ein geschlossenes System sozialer Kooperation, das seinen Mitgliedern alles bietet, was sie für ein gutes Leben in einem wohlgeordneten Gemeinwesen benötigen. Unangesehen sonstiger Differenzen stimmen beide darin überein, dass die innere Ordnung einzelstaatlich organisierter Gesellschaften der für das menschliche Wohl entscheidende Bezugsrahmen ist. Nun wird in den von mir „klassisch“ genannten Konzeptionen natürlich nicht übersehen, dass die Gesellschaften, auf die sie sich beziehen, keine politischen Monaden ohne Austausch und wechselseitige Abhängigkeiten sind. Um ihre Existenz zu sichern, müssen sie sich durch Bündnisse und Verträge vor Übergriffen von außen schützen, und um des eigenen Wohlstands willen suchen sie wirtschaftliche Beziehungen zu anderen Gesellschaften. Deshalb muss es elementare Formen der Gerechtigkeit auch für den Verkehr politischer Gesellschaften untereinander geben: zunächst einmal die Pflichten der Friedenserhaltung und der Vertragstreue, im Weiteren dann die Gebote der korrektiven Gerechtigkeit bei Friedensverletzungen und Vertragsbrüchen. Was Rawls betrifft, sind zudem die internationale Achtung der Menschenrechte und die Pflicht aller Staaten zur gegenseitigen Nothilfe zu nennen. Der normative Gehalt der „äußeren“ Gerechtigkeit bleibt gleichwohl weit entfernt von den anspruchsvolleren Forderungen der innergesellschaftlichen Gerechtigkeit. Diese schließen insbesondere Grundsätze für die Verteilung politischer Rechte und Ämter, sozialer Privilegien und materieller Güter durch heimische Institutionen ein. Im Verkehr der Gesellschaften un1
Der Ausdruck „Container-Vorstellung“ geht auf Ulrich Becks Ausdruck „Container-Theorie der Gesellschaft“ zurück, ohne dass in der Sache freilich mehr als oberflächliche Gemeinsamkeiten bestünden. Vgl. Beck (Hrsg.), 1998, S. 13 f.
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tereinander finden Vorstellungen der distributiven oder austeilenden Gerechtigkeit dagegen wie selbstverständlich keine Anwendung. Die Gerechtigkeit ihrer äußeren Beziehungen berührt, so will es scheinen, die Lebensverhältnisse der Bürger eben nur am Rande und kann eine dementsprechend reduzierte Form der Gerechtigkeit sein. Die Container-Vorstellung der politischen Gesellschaft ist nicht ohne Plausibilität. Irgendeinen mehr oder weniger geschlossenen Bezugsrahmen braucht man für die Ausarbeitung einer Gerechtigkeitstheorie, und das Leben im heimischen Gemeinwesen ist unbestritten für jeden von uns von großer Wichtigkeit. Die Container-Vorstellung erweist sich in dem Maße als tragfähig, in dem es tatsächlich zutrifft, dass die für das Leben des Einzelnen wichtigsten Bindungen und Loyalitäten innerhalb der eigenen Gesellschaft liegen und solange die innergesellschaftlichen kooperativen Beziehungen sich nach Dauer und Dichte deutlich von denen unterscheiden, die über die Grenzen der eigenen Gesellschaft hinausreichen. Im Zuge einer allgemeinen Globalisierung der menschlichen Lebensverhältnisse muss die Plausibilität der Container-Vorstellung allerdings rapide schwinden. Drei Aspekte möchte ich hervorheben. Erstens: Die Liberalisierung des Welthandels und die Deregulierung der nationalen Finanzmärkte führen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu einer stetig zunehmenden Ausweitung der internationalen Handelsbeziehungen und zu einem globalen Wettbewerb um Investitionen und Arbeitsplätze. Internationale Einrichtungen wie der Währungsfond, die Weltbank und die Welthandelsorganisation bilden eine globale institutionelle Grundstruktur. Diese lässt es gerechtfertigt erscheinen, von einem globalen System der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu sprechen, auch wenn, wie die Kritiker der Globalisierungsthese zu Recht betonen, nicht alle Nationen gleichermaßen beteiligt sind und sich die großen Handelsströme nach wie vor auf einzelne Wirtschaftsräume konzentrieren. Mein zweiter Punkt betrifft die freiwillige Migration von Arbeitskräften, etwa von Mexikanern in die Vereinigten Staaten oder von Türken nach Deutschland. Sie stellt die Annahme in Frage, dass die wichtigsten politischen und sozialen Bindungen der ständigen Mitglieder einer Gesellschaft innerhalb dieser Gesellschaft selbst liegen. Arbeitsmigration führt, wie neuere Forschungen von Sutton, Makiesky-Barrow und Pries2 zeigen, zur Entstehung von informellen, Grenzen überschreitenden Beziehungs- und Kooperationssystemen. Diese so genannten „transnationalen sozialen Räume“ lassen die Vorstellung obsolet erscheinen, moderne Industriegesellschaften würden ihr Sozialprodukt ohne stillschweigende Inanspruchnahme sozialer Ressourcen außerhalb ihrer eigenen Grenzen erwirtschaften. Drittens schließlich zwingt uns die zunehmende Bedeutung von Staaten übergreifenden politischen Einheiten, wie der Europäischen Union, zu überprüfen, inwieweit unsere für Einzelstaaten entwickelten Gerechtigkeitskonzeptionen auf politische Kooperationssysteme angewendet werden können, denen eine nationale
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Vgl. Sutton/Makiesky-Barrow, 1992; Pries, 1998.
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Identität fehlt und deren Mitgliedsstaaten ein beträchtliches Wohlstandsgefälle aufweisen. So viel zur Container-Vorstellung der Gesellschaft und den mit ihr verbundenen Beschränkungen. Wie könnte eine Konzeption globaler Gerechtigkeit aussehen, die diese Beschränkungen überwindet, ohne dabei aus den Augen zu verlieren, dass einzelstaatliche Gesellschaften für deren Bürger tatsächlich eine besondere Bedeutung haben? Ich möchte ein zweistufiges Modell vorschlagen. Es gibt in ihm Platz sowohl für einzelstaatliche als auch für globale Grundsätze der Güterverteilung. Von den globalen Grundsätzen nehme ich an, dass es sich bei ihnen um egalitäre Grundsätze zum Ausgleich von Wohlstandsdifferenzen zwischen Gesellschaften handelt. Für einen globalen Verteilungsegalitarismus zu plädieren mag verwegen, wenn nicht gedankenlos erscheinen. Nachdem ich meine Konzeption in ihren Grundzügen vorgestellt habe, möchte ich sie deswegen gegen zwei grundsätzliche Einwände verteidigen: den Einwand der kollektiven Verdienste und den Einwand der Schwärmerei.
1 Moralischer Föderalismus In einem zweistufigen Modell müssen die Grundsätze distributiver Gerechtigkeit, welche die sozialen und ökonomischen Ungleichheiten innerhalb einzelner Gesellschaften regulieren, nicht notwendigerweise identisch sein mit denjenigen Grundsätzen, die sich auf Ungleichheiten zwischen Staaten beziehen. Des Weiteren müssen die jeweiligen Grundsätze heimischer Kooperation auch untereinander nicht völlig übereinstimmen. Gefordert wäre lediglich, dass sie alle gewissen allgemeinen Anforderungen der Rationalität und Unparteilichkeit genügen und dass dieselben Grundsätze zwischenstaatlicher Gerechtigkeit von allen politischen Gesellschaften als verbindlich anerkannt werden. Ich möchte diese Vorstellung globaler Gerechtigkeit als moralischen Föderalismus bezeichnen: eine Vielzahl weitgehend unabhängiger politischer Gesellschaften, die intern von zumindest teilweise divergierenden Gerechtigkeitskonzeptionen reguliert werden, verbunden durch eine gemeinsame Konzeption zwischenstaatlicher Gerechtigkeit. Gewichtige Argumente sprechen für einen globalen politischen Föderalismus, also gegen einen unitarischen Weltstaat. Ich denke vor allem an die Gefahr einer tyrannischen Weltregierung, vor der schon Kant gewarnt hat, und an die Erfordernisse einer zweckmäßigen und effizienten Bereitstellung von lokalen Gemeingütern. Hinzu kommt die Einsicht, dass ein Stück Land und in der Tat jedes Gut und jede Ressource besser genutzt werden, wenn sie einzelnen Personen oder Gruppen zur Kontrolle ihres Gebrauchs übergeben werden und nicht Gemeineigentum der Menschheit bleiben. Politischer und moralischer Föderalismus sind jedoch zwei verschiedene Dinge. Zwingende Gründe für den ersten sind für sich genommen nicht auch schon zwingende Gründe für den zweiten. Wir können uns eine in weitgehend unabhängige Einzelstaaten untergliederte internationale Ordnung vorstellen, die auf allen Ebenen von denselben Grundsätzen reguliert wird und für die es keinen Unterschied gäbe zwischen einzelstaatlichen und globalen Gerech-
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tigkeitsgrundsätzen. Dies entspräche den kosmopolitischen Gerechtigkeitsauffassungen von Charles Beitz, Thomas Pogge und Brian Barry.3 Nach meinem Verständnis ergeben sich die wichtigsten Gründe für einen moralischen Föderalismus aus dem Prinzip der individuellen Autonomie und aus der Anerkennung der Möglichkeit begründeter Meinungsverschiedenheiten über die Grundsätze eines guten und richtigen Lebens. Im Sinne eines normativen Individualismus unterstelle ich ein übergeordnetes Interesse von Personen, in Übereinstimmung mit ihren wichtigsten normativen Überzeugungen und Wertvorstellungen leben zu können. Dies schließt auch ein Interesse daran ein, dass soziale Normen und Institutionen den eigenen moralischen, religiösen und philosophischen Auffassungen möglichst weitgehend entsprechen. Nennen wir das, worum es hier geht, positive Autonomie: in der Lage sein, so zu leben, wie man es für gut und richtig hält. Dem übergeordneten Interesse an positiver Autonomie entspricht, dass jede Person, verstanden als ein autonomes Subjekt, den gleichen moralischen Anspruch hat, keinen Normen unterworfen zu werden, die sich bei gebührender Überlegung als unvereinbar mit ihren wichtigsten normativen Überzeugungen erweisen. Das ist die negative Autonomie: nicht gezwungen werden, Dinge zu tun, die den tiefsten eigenen Überzeugungen widersprechen. Positive und negative Autonomie zusammen bilden die Grundlage des modernen Kontraktualismus. Sie erklären, warum Gerechtigkeitsgrundsätze und im Weiteren alle moralisch verbindlichen sozialen Normen auf die begründete Zustimmung derjenigen angewiesen sind, für deren Handeln sie gelten sollen. Begründete Meinungsverschiedenheiten in Fragen der Gerechtigkeit führen zu dem, was ich einen „vernünftigen“ normativen Pluralismus nennen möchte: die Existenz einer Pluralität mehr oder weniger umfassender Vorstellungen von einem guten und richtigen Leben, von denen gelten soll, dass sie gleichermaßen elementare Anforderungen der Rationalität, Praktikabilität und Unparteilichkeit erfüllen. Konzeptionen und Lehren, die diese Minimalanforderungen erfüllen, müssen bei der Identifikation distributiver Gerechtigkeitsgrundsätze für eine pluralistische Ordnung ernst genommen werden. Erstens stellen sie ein Reservoir von Wertvorstellungen und Grundsätzen dar, die sich auch unter pluralistischen Bedingungen als allgemein zustimmungsfähig erweisen mögen. Und zweitens sind sie eine Quelle begründeter Einwände gegen mögliche Gerechtigkeitsgrundsätze. Stellt sich von einem in Erwägung gezogenen Grundsatz heraus, dass er sich im Lichte einer oder mehrerer vernünftiger Konzeptionen alles in allem als unannehmbar erweist, so muss er zurückgewiesen werden. Dies ist einfach eine Konsequenz der Anerkennung der negativen Autonomie derjenigen Personen, die diese Konzeptionen bejahen. Man beachte, wie die Leitideen der Autonomie und des vernünftigen Konsenses hier zu einer Asymmetrie bei der Identifikation und Begründung von Gerechtigkeitsgrundsätzen führen. Um als soziale Norm moralische Verbindlichkeit beanspruchen zu können, muss ein Grundsatz im Lichte jeder der involvierten vernünftigen moralischen oder religiösen Konzeptionen anerkannt werden können. Damit ein Grundsatz als allgemeingültige Norm ausscheidet, genügt es 3
Vgl. Beitz, 1979; Pogge, 1989; Barry, 1999.
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dagegen, dass sich auf der Grundlage einer einzigen Konzeption ein begründeter Einwand von hinreichendem Gewicht gegen ihn vorbringen lässt. Je heterogener und vielfältiger die lokal oder global vorfindlichen Konzeptionen und Lebensvorstellungen sind und je mehr von ihnen elementaren Anforderungen der theoretischen und praktischen Rationalität genügen, desto schwieriger wird es sein, Grundsätze zu finden, die sich als kollektiv annehmbar erweisen und die zugleich hinreichend gehaltvoll sind, um praktische Bedeutung zu erlangen. Dies bedeutet nicht, dass sich im globalen Kontext der „Weltgesellschaft“ angesichts der bestehenden Pluralität divergierender Wertvorstellungen und Lebensentwürfe überhaupt keine allgemeinverbindlichen Grundsätze mehr finden ließen. Autonomie und Pluralismus schließen zusammengenommen nicht aus, dass Grundsätze der individuellen Freiheit, des menschlichen Wohlergehens und der Toleranz formuliert werden können, gegen die sich auf der Grundlage auch nur minimal vernünftiger moralischer oder religiöser Konzeptionen keine begründeten Einwände formulieren lassen. Autonomie und Pluralismus sind deshalb auch nicht unvereinbar mit der Anerkennung universal gültiger Menschenrechte. Sie mögen allerdings unvereinbar sein mit der Vorstellung, dass alle vernünftigen Gerechtigkeitskonzeptionen genau diejenigen Grundrechte und Freiheiten garantieren, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt de facto durch die Verfassungen westlicher liberaler Demokratien geschützt werden. In einer pluralistischen moralischen Welt hat die Asymmetrie zwischen der begründeten Annahme und der begründeten Ablehnung von Gerechtigkeitsgrundsätzen zur Folge, dass wir in einen Zielkonflikt geraten zwischen der Verwirklichung negativer und der Verwirklichung positiver Autonomie. Je mehr Menschen zu berücksichtigen sind, die vernünftige, aber gleichwohl divergierende Konzeptionen des Guten und Richtigen bejahen, desto weniger wird jede einzelne Gruppe von Gleichgesinnten in der Lage sein, die allen gemeinsamen Institutionen umfassend so zu prägen, wie es ihren eigenen normativen Überzeugungen entspricht. Je mehr es umgekehrt einzelnen Gruppen zugestanden wird, politische und soziale Institutionen entsprechend den für sie eigentümlichen Wertvorstellungen zu gestalten, desto weniger wird für andere der Wert der negativen Autonomie geschützt sein. In einer pluralistischen Welt müssen für alle verbindliche Normen gezwungenermaßen vergleichsweise abstrakt und offen für divergierende Auslegungen sein. Und dies bedeutet einen Verlust an positiver Autonomie für alle beteiligten Gruppen. Bei der Auflösung der aus diesem ‚trade-off‘ resultierenden politischen und sozialen Konflikte neigen liberale Theoretiker dazu, den Wert der negativen Autonomie gegenüber dem der positiven zu betonen. Dafür gibt es einen guten Grund, denn in der Regel ist es für den Einzelnen wichtiger, dass andere ihn nicht zwingen können, ihren moralischen oder religiösen Vorstellungen gemäß zu leben, als selbst die Möglichkeit zu haben, ihnen die eigenen Lebensgrundsätze zu oktroyieren. Diese elementare Einsicht begründet die liberale Auffassung der individuellen Grundfreiheiten und Menschenrechte – ein Punkt, den Isaiah Berlin stets hervorgehoben hat. Dessen ungeachtet können wir negative und positive Autonomie nicht voneinander abtrennen oder auch nur in ein einseitiges Vorrangverhältnis
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zueinander bringen. Erstens ist unsere Wertschätzung der negativen Autonomie abhängig vom vorausgesetzten Wert der positiven Autonomie – warum sollte man sich sorgen, dass niemand gezwungen wird, gegen seine Überzeugungen zu handeln, wenn dieses In-Übereinstimmung-mit-den-eigenen-Überzeugungen-leben keinen besonderen Wert hätte? – und zweitens kann niemand seine positive Autonomie zu verwirklichen hoffen, ohne dass auch seine negative Autonomie geschützt wäre. Eine Möglichkeit nun, trotz des dargestellten Konflikts die positive Autonomie von Personen bei gleichzeitiger Wahrung der negativen Autonomie anderer in hohem Grade zu verwirklichen, ist der moralische Föderalismus. Dies liegt in seiner Unterscheidung zwischen globalen und lokalen einzelstaatlichen Normen begründet. Wir sollten uns keinen kommunitaristischen Wunschträumen von Gesellschaften überlassen, die in ihren kulturellen, moralischen und religiösen Wertvorstellungen vollkommen homogen sind. Es ist aber kaum zu bestreiten, dass es in einzelnen politischen Gesellschaften in der Regel leichter sein wird, einen begründeten Konsens über Gerechtigkeitsvorstellungen zu finden, die den Regulierungswünschen der Gesellschaftsmitglieder weitgehend Rechnung tragen, als in der Weltgesellschaft als Ganzer. In einer pluralistischen Welt wird die Verwirklichung der positiven Autonomie von Personen damit zum Problem der Bereitstellung eines lokalen öffentlichen Gutes. In verschiedenen Gesellschaften werden deren Mitglieder in abstracto zwar denselben Wert der positiven Autonomie verwirklichen wollen. Dies wird jedoch, abhängig von ihren lokalen normativen Überzeugungen und vom Grad ihrer Übereinstimmungen untereinander, in concreto zu verschiedenen und möglicherweise stark divergierenden normativen Regelungen und institutionellen Arrangements führen. Ein System einzelstaatlich organisierter Gesellschaften, die intern von je eigenen Gerechtigkeitskonzeptionen reguliert werden, ist in der Lage, einen Grad an positiver Autonomie für alle seine Mitglieder zu gewährleisten, und zwar ohne die negative Autonomie der Mitglieder anderer Gesellschaften zu beeinträchtigen, den kein System mit ausschließlich globalen Gerechtigkeitsgrundsätzen bieten könnte.
2 Globale Gütergleichheit und kollektive Verdienste Ich komme nun zu meiner These eines globalen Verteilungsegalitarismus, die ich anhand des Problems der globalen Einkommens- und Vermögensverteilung entwickeln möchte. Auch wenn wir die Existenz asketischer Lebensideale und das Vorkommen religiöser Armutsbewegungen keineswegs übersehen, können wir doch sagen, dass der instrumentelle Wert von Einkommen und Vermögen weitgehend unabhängig ist von spezifischen philosophischen oder religiösen Lehren. In allen möglichen sozialen und kulturellen Kontexten erweist sich die mit Einkommen und Vermögen verbundene legale Verfügungsmacht über materielle Güter und Ressourcen offenbar als überaus nützlich, und wir sind nicht überrascht, dass Fragen der Einkommens- und Vermögensverteilung weltweit Gegenstand sozialer Konflikte und politischer Kontroversen sind.
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Schon vorab sollten wir freilich nicht erwarten, dass nicht-liberale Gesellschaften sich intern – gewissermaßen für den Hausgebrauch – egalitäre Verteilungsgrundsätze zu eigen machen könnten. Die für solche Grundsätze gegebenen Begründungen hängen typischerweise von Annahmen ab wie der, dass alle Gesellschaftsmitglieder als gleichberechtigte Bürger gleiche Ansprüche haben, am Sozialprodukt teilzuhaben. Eben diese Annahme muss jedoch aus der Sicht vieler nichtliberaler Gesellschaften inakzeptabel erscheinen. Deren Mitglieder mögen ihre innergesellschaftliche Kooperation auf der Basis einer religiösen Lehre wie zum Beispiel des Islams anders verstehen, nämlich als eine Form der Kooperation von Ungleichen, ohne dass sie sich dadurch per se moralisch disqualifizieren würden. Wenn wir vom Prinzip individueller Autonomie und von einem vernünftigen Pluralismus ausgehen, kommen wir nicht umhin, im Sinne eines moralischen Föderalismus zuzugestehen, dass eine Konzeption globaler Gerechtigkeit eine Vielzahl divergierender Grundsätze heimischer distributiver Gerechtigkeit zulassen muss, von denen nicht alle egalitäre Grundsätze sein werden. Die Universalisierbarkeit egalitärer Verteilungskonzeptionen stellt sich freilich anders dar, sobald wir uns von der einzelstaatlichen Gerechtigkeit abwenden und Einkommens- und Vermögensverteilungen zwischen Gesellschaften betrachten. Globale Kooperation zwischen politischen Gesellschaften ist eine Form der Zusammenarbeit von staatlich organisierten Kollektiven, die ausnahmslos für sich reklamieren, als Gleiche unter Gleichen anerkannt zu werden. Es wäre auch abwegig zu erwarten, dass Vertreter von Einzelstaaten freiwillig einen geringeren als gleichen internationalen Status akzeptieren könnten. Vergegenwärtigen wir uns die fundamentale Bedeutung der Anerkennung oder Nicht-Anerkennung dieses Status für die politische Selbstbestimmung, Sicherheit und territoriale Integrität einer Gesellschaft, und vergegenwärtigen wir uns, welche Auswirkungen mit diesem Status für die Selbstachtung und das Selbstvertrauen der betroffenen Bürger verbunden sind. Vor diesem Hintergrund zeichnen sich bereits die Umrisse eines globalen Verteilungsegalitarismus ab. Es ist nicht viel Fantasie nötig, um nachzuzeichnen, wie ein Bündel aus liberalen Theorien bekannter Argumentationsmuster zu egalitären globalen Grundsätzen führt, sobald zugestanden ist, dass Einzelstaaten in allen die Gerechtigkeit betreffenden Fragen gleiche Ansprüche und Rechte haben. Als gleichberechtigte Partner an einem System globaler wirtschaftlicher Kooperation haben alle beteiligten Gesellschaften prima facie die gleichen Ansprüche, am gemeinsam Erwirtschafteten teilzuhaben. Dies läuft auf eine Präsumption zugunsten der Gütergleichheit zwischen Gesellschaften hinaus: Wenn sich keine Gründe namhaft machen lassen, die geeignet sind, Ungleichverteilungen zu rechtfertigen, muss der global erwirtschaftete Wohlstand zu gleichen Anteilen auf die beteiligten Gesellschaften verteilt werden. (Sagen wir, zwei Gesellschaften erhielten dann gleiche Anteile, wenn die auf sie entfallenden Pro-Kopf-Anteile gleich sind.) Paradigmatische Gründe für Ungleichverteilungen sind zum einen moralische Ansprüche des „Verdienstes“, die zum Beispiel dann vorliegen könnten, wenn einzelne Gesellschaften aufgrund besonderer individueller oder kollektiver Leistungen überdurchschnittlich zum globalen Wohlstand beigetragen haben. Zum anderen kom-
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men prudentielle Gründe des wohlverstandenen nationalen Eigeninteresses in Betracht, die Ungleichverteilungen akzeptabel erscheinen lassen, wenn diese zu Produktivitätssteigerungen führen, von denen alle Gesellschaften profitieren können. Die egalitären Konsequenzen dieser Feststellungen liegen auf der Hand. Offenkundig kann ein Großteil der globalen Wohlstandsdifferenzen nicht auf eine moralisch verdienstliche größere Produktivität einzelner Gesellschaften zurückgeführt werden. Und ebenso wenig wirken die bestehenden Ungleichheiten in vollem Umfange als Ansporn zu größerer Produktivität, so dass, wenn sie wegfielen, auch die wirtschaftlich am wenigsten begünstigten Gesellschaften noch schlechter gestellt wären, als sie es ohnehin schon sind. Ausgehend von der Prämisse prima facie gleicher Rechte und Ansprüche müsste demnach ein Großteil des globalen Wohlstandes zugunsten der ärmsten Gesellschaften umverteilt werden. Ein grundsätzlicher Einwand gegen einen solchen globalen Verteilungsegalitarismus besagt nun, dass Wohlstandsunterschiede zwischen Gesellschaften letztlich doch auf moralisch zurechenbare kollektive Mentalitäten und Entscheidungen zurückgehen. Es müsse deshalb fragwürdig erscheinen, sie im Namen egalitärer Gerechtigkeitsvorstellungen durch Umverteilungen nachträglich auszugleichen oder gar aufzuheben. John Rawls vertritt in „The Law of Peoples“4 diese Auffassung. Obwohl er in Fragen der innerstaatlichen Gerechtigkeit selbst eine egalitäre Position bezieht, spricht er sich ausdrücklich gegen eine globale Anwendung egalitärer Grundsätze aus. Auf der globalen Ebene würden sie nach seiner Auffassung zu moralisch inakzeptablen Ergebnissen führen. Rawls führt zwei Beispiele an, um dies zu illustrieren. Im ersten Beispiel entscheiden sich die Mitglieder einer Gesellschaft aus eigener Kraft, Investitionen vorzunehmen und ihr Land auf Kosten des unmittelbaren Güterkonsums zu industrialisieren. Die Mitglieder einer zweiten Gesellschaft bevorzugen dagegen ein ruhigeres ländliches Leben und unternehmen nichts zur Erhöhung ihrer wirtschaftlichen Produktivität. Jahre später ist die erste Gesellschaft wohlhabender als die zweite. Die Anwendung einer auf materielle Gleichstellung zielenden Verteilungsregel würde in diesem Fall bedeuten, das entstandene Wohlstandsgefälle durch Transfers von der ersten zur zweiten Gesellschaft vollständig auszugleichen. In Anbetracht der in der ersten Gesellschaft bewusst getroffenen kollektiven Entscheidung für die Industrialisierung und die mit dieser Entscheidung verbundenen Anstrengungen und Entbehrungen erschiene eine egalisierende Umverteilung jedoch inakzeptabel. Im zweiten Beispiel unterscheiden sich zwei Gesellschaften durch die Einstellungen ihrer Mitglieder gegenüber den Geschlechterrollen. Die erste Gesellschaft entscheidet sich mehrheitlich dafür, eine Politik der fairen Chancengleichheit für Frauen zu verfolgen, deren soziale und ökonomische Stellung sich dadurch im Laufe der Zeit verbessert. Die Ausweitung von Betätigungsfeldern für Frauen außerhalb der Familie lässt das Bevölkerungswachstum allmählich auf Null sinken und dies führt zu steigendem Pro-Kopf-Einkommen. In der zweiten Gesellschaft wird ebenfalls die elementare Gleichheit von Mann und Frau anerkannt. Sie wird 4
Vgl. Rawls, 1999.
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aber nicht im Sinne einer fairen Chancengleichheit ausgestaltet. In Politik und Wirtschaft genießen Männer Vorrechte, die Frauen vorenthalten werden. Das Bevölkerungswachstum bleibt unverändert hoch und das Pro-Kopf-Einkommen stagniert. Auch in diesem Fall erschiene eine egalisierende Umverteilung zwischen den beiden Gesellschaften intuitiv inakzeptabel. Beide Beispiele bringen gegen die Forderung der nachträglichen materiellen Gleichstellung der beiden Vergleichsgesellschaften leistungs- und verdienstbezogene Gesichtspunkte auf suggestive Weise zur Geltung. Es ist jedoch zweifelhaft, ob sie geeignete Ansatzpunkte für eine Kritik egalitärer Prinzipien bieten. Auffällig ist zunächst, dass es sich nicht um Beispiele für politische oder ökonomische Kooperation zwischen Gesellschaften handelt. Es findet offenbar keine gemeinsame Güterproduktion statt; es werden nicht einmal Güter oder Ressourcen über Grenzen hinweg ausgetauscht. Es gibt auch keine gemeinsamen Institutionen. Die beiden Gesellschaften scheinen völlig beziehungslos auf weit entfernten Inseln im Ozean zu existieren. Unter diesen Voraussetzungen muss die Anwendung egalitärer Verteilungsgrundsätze in der Tat unangemessen erscheinen. So wie Rawls seine Beispiele konstruiert, sind die für sie einschlägigen Anwendungsbedingungen schlicht nicht erfüllt. Grundsätze distributiver Gerechtigkeit sind keine universalen Allzweckregeln für die Verteilung beliebiger Güter unter beliebigen Umständen. Es sind Prinzipien für kooperative Institutionen in arbeitsteiligen Systemen. Sie sollen im Sinne einer „Hintergrundgerechtigkeit“ gewährleisten, dass die einzelnen Transaktionen der beteiligten Akteure unter fairen Bedingungen stattfinden. Insbesondere sind sie dem kontraktualistischen Verständnis zufolge auch abhängig davon, mit welchem Selbstverständnis die beteiligten Parteien kooperieren. Betrachten wir einige Anwendungsbedingungen für Grundsätze distributiver Gerechtigkeit etwas genauer: Zwischen den Beteiligten müssen Beziehungen bestehen – ökonomisch gesprochen: es muss positive und negative Externalitäten zwischen ihnen geben –, die wechselseitig vorteilhafte Kooperation möglich und sinnvoll erscheinen lassen. Diese Kooperation muss sodann wesentliche Aspekte ihres Lebens und Wohlergehens betreffen, und es muss sich um eine dauerhafte Form der Zusammenarbeit handeln, die über gelegentliche Transaktionen hinausgeht. Schließlich muss die Zusammenarbeit auf der Basis gemeinsam anerkannter Regeln stattfinden, und die Beteiligten müssen einander als gleichberechtigte Partner anerkennen. In den angeführten Beispielen ist keine dieser Bedingungen auch nur ansatzweise erfüllt. Unsere intuitiven Reaktionen auf sie sind deshalb nicht sonderlich aussagekräftig, wenn wir wissen wollen, ob egalitäre globale Grundsätze und eine Präsumtion zugunsten der Gütergleichheit zwischen Gesellschaften für eine Welt wie unsere angemessen sind – für eine Welt also, die sich durch eine unüberschaubare Vielfalt globaler Externalitäten und grenzüberschreitender Formen der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit auszeichnet. Nun haben wir es mit hypothetischen Beispielen zu tun, und so lässt sich der Mangel ihrer Wirklichkeitsfremdheit womöglich leicht beseitigen. Wir stellen uns einfach vor, zwischen den beschriebenen Gesellschaften bestünden kooperative Beziehungen der erforderlichen Art und Dichte, um der Anwendung von globa-
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len Grundsätzen distributiver Gerechtigkeit die nötige Anfangsplausibilität zu verleihen. Würde es unter diesen veränderten Bedingungen akzeptabel erscheinen, eine Präsumption zugunsten der Gütergleichheit zwischen Gesellschaften anzunehmen? In einem System fortwährender ökonomischer Kooperation müssen die mit verschiedenen Verteilungsregeln verbundenen Produktivitätsanreize für die Beteiligten und die aus ihnen resultierenden Möglichkeiten, in Zukunft allseitige Einkommenszuwächse zu realisieren, berücksichtigt werden. Bei realistischen Annahmen über den Zusammenhang von materiellem Wohlstand, individueller und kollektiver Motivation und wirtschaftlicher Produktivität würde auch eine Präsumtion zugunsten der Gütergleichheit damit zu vereinbaren sein, dass größeren produktiven Leistungen und, allgemeiner, wohlstandssteigernden Entscheidungen auch größere individuelle oder kollektive Entlohnungen entsprechen. Die einschränkende Bedingung wäre lediglich, dass alle beteiligten Akteure von den so realisierten Produktivitätszuwächsen profitieren würden. In unseren Beispielfällen würde eine Präsumtion zugunsten der Gleichheit demgemäß auch nicht zu einer vollständigen Nivellierung der Wohlstandsunterschiede zwischen den beiden Gesellschaften führen. Die am Ende jeweils wohlhabenderen Gesellschaften müssten sicher einen Teil ihres Wohlstandes abgeben, aber niemals so viel, dass die bestehenden Wohlstandsdifferenzen vollständig aufgehoben würden. Durch Letzteres würde den Beteiligten ein wichtiges Motiv genommen, auch in Zukunft produktivitäts- und wohlstandssteigernde Entscheidungen zu treffen, von denen im Prinzip alle profitieren können. Sobald dies geklärt ist, wird deutlich, dass die durch die beiden Beispiele illustrierten Einwände letztlich auf einem Missverständnis verdienstbezogener moralischer Ansprüche beruhen. Ansprüche dieser Art sind ihrem Wesen nach komparative Ansprüche. Der Anteil am Gesamtprodukt, auf den die beteiligten Gesellschaften gegebenenfalls einen moralischen Anspruch des Verdienstes geltend machen könnten, bestimmt sich nach dem Verhältnis, in dem die von ihnen erbrachten Beiträge zum globalen Wohlstand zu den Beiträgen der anderen Gesellschaften stehen: Wenn Gesellschaft A größere produktive Leistungen erbringt als Gesellschaft B, soll A auch eine größere Entlohnung als B erhalten. Entscheidend ist, dass niemand einen leistungs- oder verdienstbezogenen Anspruch auf eine in absoluten Werten festgelegte Entlohnung geltend machen kann. Abhängig von Größe und Wert des Gesamtprodukts sind je nach den Umständen unbestimmt viele Entlohnungen denkbar, die alle gleichermaßen mit den produktiven Vorgaben der einzelnen Beteiligten ordinal übereinstimmen, so dass größeren produktiven Leistungen größere Verdienste und höhere Entlohnungen entsprechen. Dies vorausgesetzt ist unter realistischen Bedingungen die Berücksichtigung leistungsbezogener Ansprüche durchaus mit einer egalitären Distributionsnorm zu vereinbaren. Es muss lediglich gewährleistet sein, dass diejenigen, die größere Beiträge zum Gesamtprodukt erbracht haben (oder diejenigen, die ihren eigenen Wohlstand durch bewusst getroffene kollektive Entscheidungen verbessert haben), auch größere Entlohnungen erhalten. Wegen der Produktivitätsanreize, die in der Regel mit höheren als durchschnittlichen Einkommenserwartungen verbunden sind,
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wird dies normalerweise nicht nur bei nationalen, sondern auch bei internationalen Formen der Kooperation der Fall sein. Alles, was wir demnach zur Verteidigung eines globalen Verteilungsegalitarismus gegen den Einwand der kollektiven Verdienste bestreiten müssen, ist, dass eine Gesellschaft zu Recht für sich beanspruchen darf, überhaupt nicht zu Transferzahlungen an weniger wohlhabende Gesellschaften herangezogen zu werden, weil sie die vollen Erträge ihrer kollektiven Entscheidungen und Handlungen uneingeschränkt als eigenen „Verdienst“ für sich reklamieren kann. Dies wäre jedoch eine extravagante Auffassung. In einem System einigermaßen dichter ökonomischer Kooperation kann kein individueller oder kollektiver Akteur vernünftigerweise sein volles Arbeitsprodukt als „Verdienst“ betrachten; denn stets ist der Wert des jeweiligen Produktionsergebnisses durch ökonomische Faktoren bedingt, die sich der Kontrolle einzelner Akteure weitgehend oder vollständig entziehen. Neben der mehr oder weniger vorteilhaften und vollständig unverdienten Ausstattung mit natürlichen Ressourcen sind dies in unseren Beispielfällen vor allem die Gesamtnachfrage nach und das Gesamtangebot an allen Gütern und Ressourcen in beiden Gesellschaften und die ‚terms of trade‘ zwischen ihnen. Erst aus ihnen ergeben sich die relativen Preise für produktive Beiträge in beiden Gesellschaften und erst sie legen den Wert aller produzierten Güter und aller erbrachten Dienstleistungen in beiden Gesellschaften fest. Man kann zugestehen, dass es einen von einzelnen Gesellschaften selbst zu verantwortenden Anteil an ihrem jeweiligen Sozialprodukt gibt, und gleichwohl daran festhalten, dass sie sich dieses Produkt und seinen Wert niemals vollständig selbst zurechnen können. Es gibt deshalb praktisch gesprochen immer einen Spielraum für moralisch zulässige Umverteilungen im Sinne einer Präsumtion der Gleichheit.
3 Der Einwand der Schwärmerei Auf die globale Verwirklichung einer egalitären Verteilungsgerechtigkeit zu drängen, mag nun im schlechten Sinne utopisch erscheinen. Offenkundig ist dieses Ziel in absehbarer Zukunft nicht zu erreichen, und ein moralisches Drängen in seine Richtung könnte womöglich die Sache der Moral insgesamt diskreditieren; lenkt es doch Aufmerksamkeit ab von praktisch dringlicheren Aufgaben – gilt es nicht zunächst die elementarsten Menschenrechte international durchzusetzen, die weltweite Armut zu bekämpfen und Kriege zu verhindern? Die Moralphilosophie darf, so mögen wir denken, das Wenige an Kredit, das ihr im politischen Geschäft gewährt wird, nicht leichtfertig verspielen, indem sie schwärmerisch weltfernen Idealen nachhängt. Ich werde nicht versuchen, den Einwand der Schwärmerei hier zu widerlegen. In einem prägnanten Sinne des Wortes „widerlegen“ wäre das wohl auch gar nicht möglich. Der Skepsis, die in diesem Einwand gegenüber der Praktischen Philosophie zutage tritt, möchte ich jedoch in drei Punkten etwas entgegensetzen. Erstens: Richtig ist, dass Grundsätze einer globalen Verteilungsgerechtigkeit keine voraussetzungslosen ersten Prinzipien internationaler Politik sein können.
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Wilfried Hinsch
Distributive Gerechtigkeit setzt friedliche Kooperation zum gegenseitigen Vorteil voraus, und die kann es zwischen Staaten nicht ohne die Garantien einer internationalen Rechts- und Friedensordnung geben. Im Zustand einer zwischenstaatlichen hobbesschen Anarchie kann sich keine politische Gesellschaft vernünftigerweise als verpflichtet betrachten, im Namen distributiver Gerechtigkeit mit anderen Gesellschaften Güter und Ressourcen zu teilen, wenn diese schon im nächsten Konflikt um Macht und Einfluss gegen sie eingesetzt werden können. Eine Theorie globaler Verteilungsgerechtigkeit setzt deshalb eine Theorie der internationalen politischen Gerechtigkeit voraus. Dies bedeutet freilich nicht, dass es möglich wäre, eine weltweite Rechts- und Friedensordnung zu errichten, ohne zugleich ein Mindestmaß an distributiver Gerechtigkeit zu verwirklichen: denn viele Konflikte und Kriege entzünden sich an Problemen der zwischenstaatlichen Ressourcenund Güterverteilung. Zweitens: Der Einwand der Schwärmerei lässt sich nicht nur mit hobbesschen Anklängen machtpolitisch-staatsrechtlich verstehen. Er hat auch eine moralpsychologische Seite. Unser Gerechtigkeitssinn, insofern er sich auf gesellschaftliche Institutionen bezieht, entwickelt sich durch persönliche Erfahrungen mit eben diesen Institutionen. In der alltäglichen Lebenswelt der meisten Menschen tauchen internationale Einrichtungen jedoch allenfalls am Rande auf. Das allgemeine Bewusstsein, Teil eines Grenzen überschreitenden Kooperationssystems zu sein, entwickelt sich dementsprechend langsam und unstetig. Es gibt kein weltumspannendes Gefühl des Verbundenseins, und die emotionale Anteilnahme am Schicksal von Menschen an fernab gelegenen Plätzen auf dem Globus ist allgemein schwach. Sie bietet allenfalls eine unzuverlässige und instabile Quelle der Motivation. So muss es zweifelhaft erscheinen, ob der naturgemäß begrenzte Altruismus des Menschen und seine nicht minder begrenzte Bereitschaft zur Fairness jemals die Entwicklung eines hinreichend wirksamen und stabilen internationalen Gerechtigkeitssinnes zulassen. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat sich jedenfalls nur der klassische Einzelstaat (zumeist in Form des Nationalstaats) als dauerhaft fähig erwiesen, am Ziel distributiver Gerechtigkeit orientierte Umverteilungen im großen Maßstab durchzuführen. Gleichwohl: Im Zuge der so genannten „Globalisierung“ verändern sich die Bedingungen, unter denen sich unsere moralischen Dispositionen und Einstellungen herausbilden, ebenso zügig, wie die allgemeinen Bedingungen politischer und sozialer Kooperation. In absehbarer Zukunft werden internationale Institutionen nicht weniger Aufmerksamkeit auf sich ziehen als nationale. Als Gegenstände öffentlicher politischer Auseinandersetzungen und reformatorischer Anstrengungen werden sie dann unweigerlich auch zu Objekten einer transnationalen politischemotionalen Identifikation. Die durch die Bildmedien ermöglichte anschauliche Präsentation der globalen Auswirkungen menschlichen Handelns wird nicht nur die Anteilnahme am Wohl und Weh anderer, sondern auch das Bewusstsein der individuellen und kollektiven Verantwortlichkeit über einzelstaatliche Grenzen hinaus erweitern. Dies mögen zunächst nur mehr oder weniger plausible Vermutungen sein. Sie zeigen aber, dass die Gerechtigkeitstheorie im Lichte der gegenwärtigen Entwicklungen einer zunehmend dichten globalen Kommunikation und
Globalisierung der Gerechtigkeit
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Kooperation den Vorwurf der Kleinkariertheit nicht weniger fürchten muss als den Einwand der Schwärmerei. Drittens: Die Gerechtigkeitstheorie ist ein Teilgebiet der „Praktischen Philosophie“, mit einem großen „P“ bei „Praktisch“. Sie handelt zwar von der Praxis – vom Handeln und davon wie wir handeln sollen –; sie ist aber eben nicht „praktisch“, klein geschrieben, so wie ein Schuhlöffel praktisch sein mag oder ein Regenschirm, das heißt als Mittel zur umgehenden Verwirklichung irgendeines nahe liegenden und alltäglichen Lebenszweckes. Als „Praktischer Philosoph“ in Fragen der globalen Verteilungsgerechtigkeit weitreichende egalitäre Positionen zu vertreten ist deshalb etwas ganz anderes, als solche Positionen praktisch-politisch unmittelbar weltweit durchsetzen zu wollen. Letzteres mag zum gegenwärtigen Zeitpunkt chancenlos sein, ohne dass dadurch die normative These widerlegt würde, idealtypisch sei nur eine distributiv egalitäre internationale Ordnung eine vollkommen gerechte Ordnung. Einmal geht es darum, was wir unmittelbar tun sollen und wofür wir hier und heute politisch eintreten, und einmal darum, was wir im Sinne eines normativen Ideals für gerecht halten und langfristig anstreben. Der Einwand der Schwärmerei enthält eine ernst zu nehmende Warnung, sich in Fragen der praktischen Gerechtigkeitspolitik nicht in Träumereien zu verlieren; er liefert aber kein Argument gegen die moralische Forderung eines globalen Verteilungsegalitarismus.
Kooperation und Moralbegründung1 Thomas Kesselring Die Beschäftigung mit Fragen der Begründung moralischer Normen (und ethischer Kriterien) drängt sich aus verschiedenen Gründen auf: Erstens wird auf unserem immer enger werdenden Globus, auf dem die verschiedensten Gesellschaften und Kulturen in möglichst humaner Weise zusammenzuleben versuchen sollten, der Ruf nach einer universalistischen Ethik immer lauter. Diese kann und darf weder überwiegend christlich, noch überwiegend islamisch, hinduistisch oder buddhistisch sein, sie muss sich vielmehr auf eine kulturinvariant nachvollziehbare Weise begründen lassen. Zweitens lassen die weltwirtschaftlichen Verflechtungen internationale Regelungen, die auch ethischen Kriterien genügen müssen, immer dringlicher werden. Im vorliegenden Beitrag geht es um eine Begründungs-Skizze einer universalistischen Ethik. Diese Skizze orientiert sich einerseits am Versuch Karl-Otto Apels und seiner Schüler, moralische Normen transzendentalpragmatisch zu begründen. Andererseits weicht sie aber von diesem Versuch insofern ab, als sie nicht den Diskurs, sondern eine bestimmte Form von Kooperation an den Ausgangspunkt stellt. Einer der Hauptgründe für diese Abweichung liegt im Motiv, eine Ethik zu entwickeln, die es auch erlaubt, auf marktförmige Transaktionen einzugehen. Die Apelsche Diskursethik bietet in diesem Bereich Schwierigkeiten. Der Anhang fasst stichwortartig zusammen, wie die Anwendung einer Ethik der Kooperation im Milieu des Wettbewerbs und des Marktes aussehen könnte. Die meisten Thesen bedürften ausführlicher Erläuterungen, aber dazu fehlt hier der Platz. Ich hoffe, an anderer Stelle Gelegenheit zu haben, dies nachzuholen.
1 Motive für eine universalistische Ethik Woher stammt unsere Hoffnung, es sollte möglich sein, sich über Kulturgrenzen hinweg über moralische Normen zu verständigen? Die vielleicht am nächsten liegende Antwort auf diese Frage lautet: Menschen in allen Kulturen teilen gemeinsame Intuitionen hinsichtlich grundlegender moralischer Fragen, weil Menschen in allen Kulturen mit einem bestimmten Sachverhalt konfrontiert sind: Menschli1
Diese Arbeit ist im Rahmen des Forschungsprojekts Nr. 1116-046977 des Schweizerischen Nationalfonds entstanden. Angeregt wurde sie durch eine Reihe von Diskussionen, die ich im September/Oktober 1999 in Fortaleza mit Manfredo Araujo de Oliveira und einigen seiner brilliantesten Schüler über philosophische Grundlegungsfragen führen konnte. Allen an dieser Diskussion Beteiligten sei an dieser Stelle herzlich gedankt.
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che Kultur baut grundsätzlich auf Kooperation auf. Was wir Kultur nennen, hat sich nur in Gruppen oder Gesellschaften entwickeln können, deren Mitglieder kooperierten. Es liegt nahe, hieraus die Folgerung zu ziehen, dass stabile Formen der Kooperation nur in Gesellschaften möglich sind, in denen es so etwas wie ein System moralischer Normen gibt. Das Wesen der Moral wird denn nicht zufällig in der Tradition der Kontraktualisten mit der Kooperation – bzw. mit der Institution des Vertrages – in Verbindung gebracht (so letztlich auch noch Gauthier, 1986). Freilich nehmen die meisten Anhänger dieser Tradition an, moralische Normen seien das Ergebnis einer vertragsmäßigen Absprache zwischen Personen, die miteinander kooperieren. Diese Annahme weist offensichtliche Schwächen auf: Wer moralische Normen auf Absprachen zurückführt, vermag nicht zu erklären, weshalb solche Normen auch im Verhalten gegenüber Personen gelten sollen, die an der Absprache gar nicht beteiligt waren und die nicht über genügend Macht verfügen, bei der Durchsetzung der vereinbarten Regeln mitzuwirken: Kranke und Behinderte, Alte und Kinder. Ein zweites Rätsel, das der Kontraktualismus aufgibt, ist die Resistenz der moralischen Grundnormen gegenüber der Wechselhaftigkeit von Mehrheitsmeinungen. Dass wir Andere nicht töten, nicht verletzen, nicht demütigen sollen usw., sind Normen, deren Geltung wir offensichtlich nicht immer wieder neu beschließen müssen. Doch auch wenn der Vorschlag, moralische Normen kontraktualistisch zu begründen, wenig plausibel ist, liegt es doch nahe, das Phänomen der Moral von der Kooperation her verständlich zu machen. Wer mit dem kontraktualistischen Begründungsprogramm zugleich den Begriff der Kooperation als Ausgangspunkt für eine Moralbegründung verwirft, schüttet das Kind mit dem Bade aus. – So gesehen, ist der Nachweis der Möglichkeit überfällig, moralische Normen nicht vom argumentativen Diskurs, sondern von der Kooperation her transzendentalpragmatisch zu begründen. – Die folgenden Abschnitte sind diesem Versuch gewidmet.
2 Die Begriffe „Kooperation“ und „Moral“2 Definition 1: Kooperation ist ein koordiniertes Handeln, an dem mindestens zwei Personen beteiligt sind. Kooperation bringt – in der Regel (zu den Ausnahmen s. weiter unten) – den Beteiligten auf lange Sicht mehr Nutzen, als wenn sie isoliert handelten. Kooperation ist ein Positivsummenspiel, womit sich auch das Motiv der Beteiligten hinreichend erklärt. Wenn Kooperation ihr Ziel erreicht, schafft sie für alle Beteiligten mehr Nutzen als Kosten. Genauer: Wenn man mit anderen kooperiert, erreicht man mehr, als wenn man isoliert für sich handelt. Es gibt mehrere Gründe für diesen Sachverhalt: Erstens ermöglicht Zusammenarbeit eine Konzentration der Kräfte: Zwei oder 2
In den nächsten Abschnitten verwende ich die folgenden Abkürzungen: „GD“: Gefangenendilemma, „GR“: Goldene Regel, „U“: Urzustand, „AD“: Allmendedilemma, „PV“: Parasitismus-Verbot.
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drei Personen vermögen einen Balken zu heben, mit dem jeder einzelne überfordert wäre. Zweitens erlaubt Arbeitsteilung Spezialisierung: Jeder der Beteiligten konzentriert sich auf diejenigen Leistungen, in denen er die besten Resultate erbringt, und er entwickelt diejenigen Fähigkeiten, die er mit dem besten Erfolg in die Kooperation einzubringen vermag. Ein drittes Motiv liegt darin, dass kooperierende Kollektive oft mit einem Anreizsystem arbeiten. Das Anreizsystem hat Wettbewerbscharakter (s. das folgende Kapitel). Definition 2: Moral ist ein System von Normen (d. h. wechselseitigen Verhaltenserwartungen), deren Übertretung mit spezifisch moralischen Sanktionen – Empörung, Entrüstung, Groll, Scham oder auch Kritik, Tadel, Zurechtweisung usw. quittiert wird. – Moral als Normensystem dient dem Schutz der kooperierenden Individuen und dem Schutz der Kooperation. Kooperations-Beziehungen sind immer (oder meist) durch das Vorliegen einer latenten oder manifesten Ambivalenz gekennzeichnet: Jeder Kooperationsteilnehmer ist letztlich in seiner eigenen Perspektive befangen, sein „wohlverstandenes“ Eigeninteresse steht im Vordergrund. Er ist aber auch in der Lage, die Perspektive der Gemeinschaft (der Zweierseilschaft oder des Kollektivs) zu berücksichtigen. Aus der eigenen Perspektive erscheint es rational, von der Leistung des oder der anderen einseitig zu profitieren, ohne selbst etwas zum Gelingen der Kooperation beizusteuern. Es erscheint also rational, „schwarzzufahren“. Aus der Perspektive der Gemeinschaft dagegen erscheint es umgekehrt rational, konstruktiv zur Kooperation beizutragen (sofern der Partner dasselbe tut bzw. sofern alle Mitwirkenden dasselbe tun). Diese Ambivalenz ist für jede Kooperationsbeziehung charakteristisch – parasitäres Verhalten ist grundsätzlich nur im Zusammenhang mit Kooperation möglich.3 Ein Kooperationsnetz erträgt aber nur eine begrenzte Zahl von Schwarzfahrern, ohne längerfristig zu zerreißen. Zum besseren Verständnis des Phänomens der Kooperation seien hier zwei Arten von Differenzierungen eingeführt: Zum einen ist zwischen dualer und kollektiver Kooperation zu unterscheiden – der Kooperation zwischen zwei Personen und derjenigen zwischen mehr als zwei Personen, wobei die Größe des Kollektivs nicht begrenzt zu sein braucht. Bei der dualen Kooperation ist das Verhältnis zwischen den Partnern symmetrisch. Anders bei der kollektiven Kooperation: Die Beziehung zwischen den einzelnen Mitspielern ist hier zwar ebenfalls symmetrisch, doch gegenüber der Gruppe als ganzer sieht sich der Einzelne in einem asymmetrischen Verhältnis: Er ist ihr unterlegen, zumindest wenn die Gruppe geschlossen agiert. Für den Einzelnen stellt sie einen Machtfaktor dar, zu dem es bei der dualen Kooperation kein Pendant gibt. Die Spieltheorie verbindet den Parasitismus bei beiden Formen der Kooperation mit einer Dilemma-Situation. Bei der dualen Kooperation spricht man vom Gefangenen-Dilemma (= GD), bei der kollektiven Kooperation vom Allmende-Dilemma (Tragedy of the Commons; gelegentlich auch: Geiseldilemma). Zum anderen lässt sich eine entwickeltere Kooperationsform (ich nenne sie die „qualifizierte Kooperation“) von einer einfachen („simplen“, „primitiven“) Koo3
Was nicht hindert, dass es mitunter durch institutionelle Vorkehrungen noch begünstigt wird.
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perationsform unterscheiden. Diese beiden Formen seien im Folgenden mit Bezug auf die duale Kooperation näher erläutert.
3 Formen „primitiver“ Kooperation Beginnen wir mit der Frage nach einem Kriterium, das diese beiden Formen der Kooperation gegeneinander abzugrenzen erlaubt. Um ein solches Kriterium gewinnen zu können, müssen wir das Gefangenendilemma mit ins Spiel bringen und seine Rolle im Kontext von Kooperationsverhältnissen analysieren. Das Gefangenendilemma: A kooperiert
A defektiert
B kooperiert
A: mittlerer Gewinn B: mittlerer Gewinn
A: großer Gewinn B: mittlerer/großer Verlust
B defektiert
A: mittlerer/großer Verlust B: großer Gewinn
A: status quo ante B: status quo ante
Situationen von der Art des Gefangenendilemmas treten ein, wenn die folgenden Bedingungen gegeben sind: a) Aus der Sicht des einzelnen Individuums ist es rationaler zu defektieren als zu kooperieren, und zwar unabhängig davon, ob der Partner seinerseits kooperiert oder defektiert. Denn wenn er kooperiert, dann bringt die eigene Defektionsstrategie einen Gewinn. Wenn er hingegen defektiert, dann verliert man selber nichts wenn man ebenfalls defektiert. b) Aus der Sicht des kooperierenden Zweierteams ist es demgegenüber rationaler zu kooperieren als zu defektieren. Wir können die Pointe der ersten Kooperationsform also zusammenfassen: Die einfache, „primitive“ duale Kooperation beruht auf gegenseitiger Instrumentalisierung (vgl. „Eine Hand wäscht die andere“ – „Wie du mir, so ich dir“): Jeder Partner lässt sich so lange auf den anderen ein, wie ihm dies Nutzen oder Lust verschafft. Es ist die naheliegendste Form, wie rationale Egoisten kooperieren. Diese Kooperation ist angesichts dessen, dass Lebewesen sich grundsätzlich als rationale Egoisten verhalten und also auf die Optimierung des eigenen Nutzens bedacht sind, relativ instabil. Es erscheint daher als ein Rätsel, wie in der Evolution kooperative Strategien entstehen und sich, einmal entstanden, dann auch längerfristig erhalten konnten. Die Spieltheorie hat auf die Frage nach der Entstehung von Kooperation immerhin eine überraschende Antwort gefunden (Axelrod, 1991): Angenommen, zwei Spieler begegnen sich immer wieder und sind bei jeder Begegnung vor die Wahl gestellt, ob sie kooperieren, die Kooperation zurückweisen oder den Partner übers Ohr hauen wollen. Welche Strategie bringt jedem von ihnen auf lange Sicht den größten Nutzen? – Bei verschiedenen Computerturnieren hat sich eine bestimmte Strategie (die Strategie des tit for tat) allen Strategien als überlegen erwiesen. Für das Verständnis dieser Strategie ist es gleichgültig, ob man sich unter den
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Akteuren Menschen oder andere Lebewesen vorstellt und ob es sich dabei um Exemplare derselben Art oder verschiedener Arten handelt. Last not least gilt das, was hier in Begriffen intentionalen Verhaltens beschrieben wird, analog für genetische Programme, die das Verhalten der Akteure unbewusst steuern. Vier Charakteristiken zeichnen die Strategie des tit for tat aus: Wer sie benützt, kooperiert beim ersten Mal, d. h. er ist nett; er lässt Defektion (Schummeln) niemals ungestraft, er ist also provozierbar; er ist jederzeit bereit, die Kooperation wieder aufzunehmen, kurz, er ist nachsichtig. Und schließlich bedarf es keiner Kommunikation, um diese Strategie dem Gegenspieler mitzuteilen, sie ist also klar und einfach. Es hat sich gezeigt, dass rationale Egoisten mit dieser Strategie langfristig besser fahren als mit jeder anderen bekannten Strategie. Anders gesagt, in einem Biotop von lauter rationalen Egoisten würde sich tit for tat mit der Zeit gegenüber allen konkurrierenden Strategien durchsetzen. In der Evolution haben sich denn auch kooperative Verhaltensweisen, die mit tit for tat verwandt sind, herausgebildet, und zwar in den verschiedensten Formen – selbst zwischen Individuen unterschiedlicher Arten. Freilich ist diese Strategie an eine strenge Bedingung gebunden: Tit for tat bringt nur so lange Vorteile, wie keiner der Spieler weiß, wie oft er dem Partner in Zukunft noch begegnet. Wüsste er es, so würde er als rationaler Egoist bei der letzten Begegnung schummeln. Da sein Partner sich dies aber ausrechnen kann, wird er versuchen, ihm zuvorzukommen und schon bei der zweitletzten Begegnung schummeln. Analoges gilt bezüglich der drittletzten Begegnung usw. Diese Überlegung lässt sich immer weiter ziehen, bis zurück zur ersten Begegnung. Es wird deutlich, dass es also gar nicht erst zur Kooperation käme. Man wird sich deswegen auf Schwierigkeiten gefasst machen müssen, wenn man die Entstehung der menschlichen Kultur auf der Grundlage der Strategie tit for tat erklären will. Dennoch fällt von der Strategie des tit for tat her Licht auf einen typischen Charakterzug frühgeschichtlicher und vormoderner Moralsysteme: Die meisten traditionalistischen Gesellschaften unterscheiden deutlich zwischen einer In-groupMoral und einem Verhaltenskodex gegenüber Außenstehenden. Diesen Unterschied könnte man leicht damit erklären, dass zwischen den Mitgliedern einer überschaubaren Gruppe die Wahrscheinlichkeit künftiger Begegnungen erheblich größer ist als zwischen Mitgliedern fremder Gruppen, zu denen man nicht in einem ebenso engen Interaktionsverhältnis steht. Mitglieder des eigenen Clans wird nur derjenige nach Lust und Laune übers Ohr zu hauen wagen, der sich die nötigen Gewaltmittel zur Abwehr von Rache- und Sanktionsakten zu beschaffen vermag. Fremden gegenüber nimmt man sich dagegen mehr heraus. Der Brauch der Gastfreundschaft könnte in diesem Zusammenhang als eine Art Korrektiv – zur Erleichterung der Kooperation zwischen verschiedenen Gruppen – verstanden werden. Selbst in modernen Gesellschaften erweist sich der Unterschied zwischen Gruppenmitgliedern und fremden Personen in manchen Kontexten noch als verhaltenswirksam. Diese Unterscheidung lässt sich hier aber anders erklären, nämlich aufgrund der Tatsache, dass – grob gesprochen – innerhalb von Gruppen enger kooperiert wird als zwischen verschiedenen Gruppen, bzw. dass zwischen verschiedenen Gruppen eher ein Wettbewerbsverhältnis herrscht als eines der Kooperation.
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Obgleich die Strategie tit for tat viele Aspekte „primitiver“ Kooperation zu erhellen vermag, lässt sie doch auch manches im Dunkeln. Insbesondere bleibt unverständlich, wie es möglich ist, dass eine Kooperation rationaler Egoisten Kulturleistungen hervorzubringen vermag: Eine Moral nach dem Prinzip der bloßen Straf- und Nachteilsvermeidung scheint eine zu schmale Grundlage für den Aufbau einer organisierten Gesellschaft abzugeben. Eine einfache Überlegung gibt dem Problem zusätzliche Konturen: Jeder Mensch ist im Prinzip in der Lage, seinesgleichen zu töten. Diese Beobachtung, aus der Thomas Hobbes die Gleichheit zwischen den Menschen abgeleitet hat,4 erklärt hinreichend, wieso mit der Strategie tit for tat so etwas wie die menschliche Kultur niemals hätte entstehen können: Ein Spieler kann es jederzeit so einrichten, dass die n-te Begegnung mit seinem Kooperationspartner die letzte bleibt – indem er ihn umbringt. Die Fähigkeit, zukünftige Begegnungen in dieser Weise vorauszuplanen – der Mensch unterscheidet sich hier offensichtlich grundlegend von nicht-menschlichen Lebewesen – beeinflusst die Lebensbedingungen der Spezies homo sapiens nicht unwesentlich.5
4 Die Goldene Regel An der Basis der menschlichen Kultur trifft man auf ein einfaches Prinzip, das beide Handicaps der tit for tat-Strategie löst, und im übrigen mit tit for two tat eine entfernte Ähnlichkeit aufweist – die Goldene Regel (= GR). Sie lautet (negative Formulierung): „Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu!“ bzw. (positive Formulierung): „Behandle dein Gegenüber so, wie du gerne selbst von ihm behandelt werden würdest!“ Zwei Hinweise: Erstens scheint die Goldene Regel in mehreren Weltreligionen (insbesondere im Judentum, in der griechischen Klassik und im Konfuzianismus) unabhängig voneinander „entdeckt“ oder „erfunden“ worden zu sein.6 Das ist aber wegen der Rolle, die die Goldene Regel im Kontext kooperativer Beziehungen spielt, wohl kein Zufall. Außerdem: Die Gegenseitigkeits-Regel des Konfuzius scheint an konkrete Rollenverhältnisse gebunden zu sein – Vater-Sohn, Herr-Diener usw. – ein Indiz dafür, dass im chinesischen Denken des 6. Jh. v. Chr. die Goldene Regel wahrscheinlich nicht als allgemeine Regel bekannt gewesen ist. 4
5
6
Thomas Hobbes argumentiert: „Denn was die Körperstärke betrifft, so ist der Schwächste stark genug, den Stärksten zu töten – entweder durch Hinterlist oder durch ein Bündnis mit anderen, die sich in derselben Gefahr wie er selbst befinden.“ Daraus folgert er: „Die Natur hat die Menschen hinsichtlich ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten so gleich geschaffen, dass […] der Unterschied zwischen den Menschen alles in allem doch nicht so beträchtlich ist, als dass der eine […] einen Vorteil beanspruchen könnte, den ein anderer nicht ebenso gut für sich verlangen dürfte.“ Hobbes, 1984, S. 94, Beginn des 13. Kapitels. Zwischen nichtmenschlichen Lebewesen existieren zwar außerordentlich vielfältige Kooperationsbeziehungen, die man sich als Beispiele vom Typus des tit for tat vorstellen mag, aber keines dieser Lebewesen verfügt über die Fähigkeit, die letzte Begegnung mit seinem Kooperationspartner gezielt zu antizipieren und seine Verhaltensstrategien von dieser Antizipation abhängig zu machen. Dazu Küng, 1990; Dihle 1962; Hruschka, 1987, S. 941 ff.; Reiner 1977, S. 231-254 und Höffe 1996, S. 74.
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Zweitens sei mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass die Goldene Regel keineswegs in allen interaktiven Situationen einen guten Ratgeber darstellt. Das gilt insbesondere für Wettbewerbs-, Tausch- und asymmetrische Beziehungen (dazu später). Zudem ist die Goldene Regel nicht gegen „egozentrische“ Lösungen gefeiht. Selbst einem Partner gegenüber, zu dem ich mich in einer echten Kooperationsbeziehung befinde, kann ich zuverlässig nur unterstellen, dass er in mich als Kooperationspartner die „üblichen“ Erwartungen setzt: Er erwartet von mir die Bereitschaft, Wort zu halten, bzw. einen angemessenen Beitrag zur Kooperation zu leisten. Hingegen kann ich nicht ohne weiteres von meinen Interessen-Prioritäten auf die seinigen zurückschließen. Die GR ermöglicht Nachsicht und eine rasche Versöhnung, sodass sich, wenn beide Spieler sie anwenden, die schädlichen Folgen von Missverständnissen in der Kooperation schnell überwinden lassen. Die Voraussetzung ist natürlich, dass in einer dualen Kooperationsbeziehung beide Partner gewöhnlich die GR anwenden; tut es nur einer, so zieht er den kürzeren und wird rasch aus dem Feld geschlagen. Vorausgesetzt aber, beide Akteure bedienen sich ihrer, so verleiht die Goldene Regel der dualen Kooperation eine Stabilität und Langfristigkeit, die keine andere Strategie (außer vielleicht tit for two tat unter Bedingungen der Gegenseitigkeit) zu erreichen scheint. Allein diese Tatsache qualifiziert die Goldene Regel als ein Prinzip, dessen systematische Anwendung uns Einblick geben könnte in die Genese der menschlichen Kultur. Man mag hier einwenden, die GR sei keine brauchbare moralische Norm, und an das Statement von Bernhard Shaw erinnern. „Behandle andere nicht so, wie du von ihnen behandelt sein möchtest; ihre Vorlieben könnten andere sein.“7 – In der Tat gehört zu den Beschränkungen der GR auch diese, dass man sie in egozentrischer Weise anwenden kann und dabei riskiert, den Bedürfnissen des Gegenübers nicht gerecht zu werden. Nur: Wenn sich zwei Personen entschlossen haben zu kooperieren, dann ist die Anwendung der GR in diesem Kontext für beide Partner narrensicher: Jeder kann dem anderen zu Recht unterstellen, dass er in dieser Kooperationsbeziehung nicht übers Ohr gehauen werden möchte. Ist es aber denn überhaupt nötig, in diesem spezifischen Kontext auf die GR zu rekurrieren?8 Wäre es nicht besser, an ihrer Stelle mit dem Prinzip „pacta sunt servanda“ zu arbeiten? Leistet dieses Prinzip nicht schon alles, was wir benötigen? – Ja und nein: Ja, denn dieses Prinzip ist seinerseits Grundlage von Rechtsverhältnissen und Voraussetzung für die Bildung von Vertrauen. Nein, denn ein rationaler Egoist wird sein Gegenüber lieber instrumentalisieren und ausbeuten, als sich persönlich für das Gelingen der Kooperation aufzuopfern. Es ist just die Goldene Regel, die diesen Knoten lösen hilft: Wenn ich mir überlege, ob ich an der Stelle meines Gegenübers gerne einem Vertragsbruch zum Opfer fiele, und dabei zur Einsicht komme, „Ich würde es nicht wollen!“,9 dann soll ich eben meinerseits den 7 8 9
Zitiert in Mackie, 1977, Kap. 4; Dt. Ausgabe S. 113. Für diesen Einwand danke ich Adriano Naves de Brito. Zuzugeben ist zwar, dass die Kooperationsformen, die sich in der Evolution zwischen verschiedenen Lebewesen herausgebildet haben, nicht auf der Goldenen Regel aufbauen. Aber dort gilt eben auch das Prinzip „pacta sunt servanda“ nicht!
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Vertrag nicht brechen. Es ist diese Einsicht, die zwischen zwei Personen, die untereinander Kooperation verabredet haben, zum Prinzip „pacta sunt servanda“ führt. – Im Folgenden bezeichne ich die duale Kooperation, bei der beiderseits die GR zur Anwendung gelangt, als qualifizierte Kooperation. Es verdient Erwähnung, dass bereits in der Antike zwischen verschiedenen Beziehungsformen unterschieden worden ist. Aristoteles etwa hat mehrfach betont, dass Freundschaften, die auf der Lust oder auf dem Nutzen aufbauen, weniger stabil sind als Beziehungen, in denen die Freundschaft einen Selbstzweck darstellt.10 Der Unterschied, auf den er dabei anspielte, ist demjenigen zwischen „primitiver“ und „qualifizierter“ Kooperation analog.
5 „Qualifizierte Kooperation“ und das Verallgemeinerungsprinzip In ihrer entwickelteren („qualifizierten“) Form setzt duale Kooperation die Goldene Regel voraus. Die Goldene Regel ist ein ethisches Regulativ gegen Ausbeutung in dualen Kooperationsbeziehungen. Auf der Grundlage der Goldenen Regel ist duale Kooperation stabil. Im Falle der kollektiven Kooperation – der Kooperation zwischen mehr als zwei Personen – sind die Verhältnisse nur unwesentlich komplexer: Wenn drei oder vier Personen miteinander kooperieren, so führt die Anwendung der GR noch nicht unbedingt zu einer Überforderung. Es ist nicht unmöglich, dass sich der einzelne Akteur bei wichtigen Entscheidungen nacheinander auf die Standpunkte der anderen Mitspieler stellt – falls eine Absprache nicht stattfinden kann oder den Aufwand nicht lohnt. – Ist die Gruppe größer, so hat die Goldene Regel jedoch rasch ausgedient. Hilfreich bleibt ihre Anwendung dann lediglich innerhalb von Gruppen-Segmenten, in denen die duale Kooperation dominiert: Wer immer sich dir gegenüber befindet – tue ihm nicht an, dass du defektierst! Wo sich größere Kooperationsgruppen bilden, kann der Einzelne auch gegenüber dem Kollektiv als ganzem parasitieren – und zwar ohne dass er irgendeinem Mitglied einen größeren Schaden zufügte. Der Schwarzfahrer profitiert von der Leistung aller anderen, leistet aber seinerseits keinen angemessenen Beitrag zum Gelingen der Kooperation. Ein Profiteur dieser Art verletzt nicht die Goldene Regel, sondern das Verallgemeinerungsprinzip. Dieses Prinzip findet nicht selten spontan im Alltag Anwendung, etwa wenn jemand, der in der kollektiven Kooperation parasitiert, mit dem Argument zur Ordnung gerufen wird: Du würdest nicht wollen, dass alle dies täten! Die Rolle, die der Goldenen Regel bei der dualen Kooperation zukommt, übernimmt in der kollektiven Kooperation das Verallgemeinerungsprinzip. Es lautet: „Handle so, wie du willst, dass alle handeln!“ Oder negativ: „Unterlasse Handlungen, von denen du nicht wünschest, dass sie allen erlaubt werden!“ In analoger Weise, in der die Goldene Regel die Akteure, die sich an sie halten, vor dem GD bewahrt, lässt sich auch vom Verallgemeinerungsprinzip zeigen, dass 10 Aristoteles, 1985, VIII. Buch, Kap. 5, 6 und 8 [1157a 12-16; 1157b 1-5; 1158b 2-4, 7-10].
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es ein Kriterium für die Lösung eines bestimmten Typus von Dilemma darstellt – nämlich des so genannten „Allmendedilemmas“ [= AD] – englisch: „Tragedy of the Commons“. Dieses Dilemma beschreibt die Alternative, vor dem das Mitglied eines kooperierenden Kollektivs steht, wenn es sich überlegt, ob es sich parasitär verhalten soll oder nicht. Dazu ein Beispiel (Hardin, 1968 und 1993): Eine ländliche Gemeinde mit hundert Familien verfügt über eine Wiese in Gemeinbesitz und beschließt, dass jede Familie drei Rinder auf diese Weide führen darf. Mehr als drei Stück Vieh sind unzulässig, weil das Grundstück sonst Schaden litte. – Ein einzelnes Gemeindemitglied mag sich ausrechnen, dass es für die Wiese keine nennenswerte Mehrbelastung bedeutet, wenn es zwei Rinder mehr als erlaubt darauf weiden lässt. Auf der Allmende befinden sich dann 302 statt 300 Rinder. Der Unterschied ist verschwindend, vorausgesetzt, alle übrigen Dorfbewohner begnügen sich mit ihren drei Stück Vieh. – Sobald dieses Beispiel Schule macht, steigt allerdings die Belastung der Allmende erheblich. Von einem kritischen Grenzwert an wird sie überstrapaziert, und für alle Beteiligten sinkt der Nutzen.11 Das Verallgemeinerungsprinzip wird oft mit dem Universalisierungsprinzip verwechselt. Von diesem unterscheidet es sich indessen dadurch, dass es sich jeweils auf den Umfang eines gegebenen Kollektivs begrenzen lässt, wogegen bei der Universalisierung keine Begrenzung mitgedacht wird (so ist beispielsweise die Goldene Regel selbst ein universalistisches Prinzip in dem Sinn, dass sie zwischen kooperierenden Personen ausnahmslos, also ohne weitere Begrenzung, gilt). Kollektive Kooperation, in der das Verallgemeinerungsprinzip vorausgesetzt ist, bezeichne ich ebenfalls als qualifizierte Kooperation. Es gilt also: In ihrer entwickelten (qualifizierten) Form setzt die kollektive Kooperation das Verallgemeinerungsprinzip voraus. Dieses Prinzip schiebt parasitären Verhaltensweisen im Rahmen der kollektiven Kooperation (vgl. das AllmendeDilemma) einen Riegel vor.12
6 Strategie einer Begründung moralischer Grundnormen Entsprechend der Differenzierung zwischen dualer und kollektiver Kooperation lassen sich zwei Varianten des Prinzips der qualifizierten Kooperation formulieren: a) Das Prinzip der qualifizierten dualen Kooperation: „Kooperiere nach Möglichkeit mit jedem Partner gemäß der Goldenen Regel!“ 11 Natürlich erleidet ein Kollektiv keineswegs immer nennenswerten Schaden, wenn ein Einzelner parasitiert. Außerdem gibt es in den meisten Gemeinschaften ein paar Mitglieder, die aus Gründen, die sie nicht selbst zu verantworten haben, nicht in der Lage sind, einen Beitrag derselben Höhe wie alle anderen zu erbringen – Kranke, Alte, Kinder z. B. Es wäre abwegig, solche Personen als Parasiten zu bezeichnen. 12 Streng genommen setzt das Verallgemeinerungsprinzip das Egalitätsprinzip voraus. In einer nicht egalitären Gesellschaft gelten für Personen mit unterschiedlichem gesellschaftlichem Rang auch unterschiedliche Normen. Die Macht ist ungleich verteilt. Einem solchem System kann man das Prädikat, gerecht zu sein, nur dann nicht absprechen, wenn die Privilegien in etwa proportional zum Beitrag verteilt sind, den die Begünstigten an das Sozialprodukt bzw. an das Gemeinwohl leisten.
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b) Das Prinzip der qualifizierten kollektiven Kooperation: „Kooperiere gemäß Strategien, die du allen Mitgliedern der Gruppe gleichermaßen zubilligst und die auch von allen gebilligt werden!“ Ich fasse diese beiden Prinzipien zusammen und nenne sie das „Prinzip der qualifizierten Kooperation“. – Im folgenden soll dieses Prinzip begründet werden. Das Konzept dieser Begründung folgt – mit Abweichungen – demjenigen von K.-O. Apel (1973; 1988) und W. Kuhlmann (1984).13 Auf die diversen Abweichungen weise ich jeweils hin. a) Man kann dieses Prinzip nicht in einem diskursiven Akt leugnen, ohne es in diesem selben Akt bereits in Anspruch zu nehmen. Denn: i) Leugnen können wir das Prinzip nur, wenn wir uns auf einen Diskurs einlassen, ii) Indem wir uns auf einen Diskurs einlassen, lassen wir uns a fortiori auf qualifizierte Kooperation ein. Aus i) und ii) folgt: Wer das Prinzip der qualifizierten Kooperation leugnet, begeht einen performativen Widerspruch. b) Man kann dieses Prinzip nicht in einem diskursiven Akt bekräftigen (bzw. argumentativ begründen), ohne im Akt der Bekräftigung (Begründung) seine Geltung bereits in Anspruch zu nehmen: Jedes Bekräftigen, jedes Begründen ist als Sprechakt ein Zug in einer qualifizierten Kooperation. Es gibt bestimmte Voraussetzungen normativer Natur, die erfüllt sein müssen, wenn Partner kooperieren – und zwar noch ehe sie einen argumentativen Diskurs beginnen. Anders gesagt: Kooperation baut auf einer Reihe von Voraussetzungen mit Prinzipiencharakter auf, die nicht ebenso Voraussetzungen des Diskurses sind. Zu diesen Prinzipien gehören etwa die Vertragsfreiheit, die Entscheidungs- und die Handlungsfreiheit.14 Es gibt aber auch eine Gruppe von Bedingungen, die zugleich notwendige Voraussetzungen für Kooperation und Voraussetzungen für den Diskurs darstellen. Das gilt insbesondere für die Bedingung, dass einer den anderen achtet, ihn als Person respektiert. Beide Kooperationspartner sind sich als Partner in der Kooperationsbeziehung gleichgestellt. Es ist, wie wenn sie einen impliziten Vertrag schlössen. Sie treten sich in diesem Vertrag als Gleiche gegenüber.15 Wer nach der Goldenen Regel kooperiert, wird eben damit eine ganze Gruppe von elementaren (negativ formulierten) moralischen Normen befolgen.16 Er wird: – den anderen (= den Kooperationspartner) nicht töten, nicht verletzen, – keine Gewalt gegen ihn anwenden, ihn nicht schädigen (z. B. berauben), 13 Vgl. auch: Forum für Philosophie, 1987. 14 Gemeint ist hier: Freiheit zum Handeln auch in seinen nicht-diskursiven Formen. 15 Hier könnte eingewandt werden, dass sich die Achtung nur auf Kooperationspartner beziehe und nicht auch auf Dritte, die vom Ergebnis der Kooperation tangiert werden könnten. Diesem Einwand lässt sich jedoch mit dem Hinweis begegnen, dass die moralische Achtung – als Grundlage des eigenen moralischen Verhaltens gegenüber anderen – kein Gefühl ist, das von der Partikularität der jeweiligen Person abhängt. Achtung ist vielmehr das Gefühl gegenüber jedem potentiellen Kooperationspartner. Dass Dritte von der Achtung nicht ausgeschlossen werden dürfen, wird deutlicher, sobald man die kollektive Kooperation ins Auge fasst und die Gesamtheit aller menschlichen Gesellschaften als umfassendste Kooperationsgemeinschaft interpretiert. 16 Thomas Hobbes hat aus der Goldenen Regel praktisch alle wesentlichen moralischen Regeln abgeleitet. Hobbes, 1984, Kap. 14 und 15.
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– ihn nicht täuschen (positiv: gegebene Versprechen einlösen, Verträge halten); Ein Teil der Normen, die der qualifizierten Kooperation zugrunde liegen, entspricht also, und dies nicht zufällig, den klassischen moralischen Normen mit negativer Formulierung.17 Hinzu kommen weitere Normen, die vielleicht weniger häufig zum traditionellen „Repertoire“ gezählt werden, die aber ebenfalls der Kooperation zugrunde liegen: – den anderen nicht demütigen oder beleidigen (seine soziale Identität nicht beschädigen oder zerstören), – den anderen (= den Kooperationspartner) nicht instrumentalisieren und – ihn nicht absichtlich überfordern (d. h. von ihm nicht mehr verlangen, als er aufgrund seiner Fähigkeiten und Mittel zu leisten vermag); – Wie erwähnt, sind auch Handlungs-, Entscheidungs- und Vertragsfreiheit zu gewährleisten. – Eine besondere Norm (deren Begründung erst später einsichtig wird) verlangt die Respektierung des Rechts eines Menschen, für die ihm zustehenden Rechte notfalls zu kämpfen bzw. sie einzuklagen (von diesem Recht ist dann Gebrauch zu machen, wenn die Grundrechte einer Person verletzt oder in Frage gestellt werden bzw. worden sind). Last not least: – parasitäres Verhalten gegenüber dem Kooperationspartner meiden, ihn nicht ausbeuten (was mehr besagt als das Prinzip „pacta sunt servanda“); – analog, auf (kooperierende) Gruppen bezogen: sich den anderen gegenüber nicht parasitär verhalten (nicht „trittbrettfahren“ bzw. „schwarzfahren“) etc. Erläuterungen: 1. Von den klassischen moralischen Normen sind es zunächst einmal die negativ formulierten, die sich unter Rekurs auf eine Reflexion der Möglichkeitsbedingungen qualitativer Kooperation transzendentalpragmatisch begründen lassen. Die Geltung dieser Normen beruht also weder auf Zufall noch auf bloßer Konvention. Ihre Verbindlichkeit wird vielmehr deutlich, sobald man die Möglichkeitsbedingungen der qualifizierten Kooperation analysiert – wobei zu bedenken ist, dass der Diskurs über Fragen der Normenbegründung selber ein Beispiel einer solchen Kooperation darstellt. Die Geltung dieser Normen ist also kulturinvariant. 2. Aus dem Prinzip der qualifizierten Kooperation folgt (aufgrund der Goldenen Regel und des Verallgemeinerungsprinzips) auch das (positive) Gebot, den bzw. die anderen (sc. als Kooperationspartner) zu achten. Die negativ formulierten Varianten dieses Gebots lauten: den oder die anderen nicht täuschen, nicht schummeln, nicht defektieren. Damit lässt sich ein Teil der von Apel hervorgehobenen Diskursprinzipien direkt von den Grundnormen der qualifizierten Kooperation her erklären: Wer an einem Diskurs teilnimmt, erhebt den Anspruch, seine Äußerungen seien wahr (Geltungsanspruch), von der Intention der Wahrhaftigkeit bzw. Ehrlichkeit geleitet (Wahrhaftigkeitsanspruch) und widerspruchsfrei (Widerspruchsfreiheitsprinzip), und das Gewicht eines Arguments zähle gegenüber allen 17 Unter den klassischen moralischen Normen gilt einzig das (positive) Hilfsgebot hier nicht selbstverständlich.
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Personen gleich viel (Gerechtigkeitsanspruch). In der Form, die K. O. Apel diesen Prinzipien gibt, sind sie allerdings keine moralischen Normen. Denn die Geltung moralischer Normen kann man bestreiten, ohne sich in einen performativen Widerspruch zu verstricken, die Geltung der Apelschen Diskursprinzipien nicht. Und es zeichnet die Kooperation aus, dass sie nicht sogleich zusammenbricht, wenn sich ein Akteur hie und da unmoralisch verhält und „schummelt“ – wogegen derjenige, der sich über die Diskursprinzipien hinwegsetzt, sich gar nicht wirklich an einem Diskurs beteiligt. 3. Die erwähnten Normen gelten allesamt kategorisch. Verstöße dagegen sind einzig in Fällen von Pflichtenkollisionen moralisch legitim. Hinter das Gebot der Rettung von Menschenleben beispielsweise tritt das Täuschungsverbot als zweitrangig zurück (was Kant nicht gesehen zu haben scheint18). Es ist aber auch klar, dass sich Kollisionen dieser Art nur dann ereignen können, wenn ein Teil der Kooperations-Partner sich über die Bedingungen der qualifizierten Kooperation hinwegsetzt – unter „nicht idealen“ Kooperationsbedingungen also. 4. Eine zentrale Stellung nimmt das Parasitismusverbot (= PV) ein: Als parasitär gelten Verhaltensweisen, die permanentes oder auch nur zeitweiliges Zuwiderhandeln gegen Teile eines verbindlichen Normen-Ensembles einschließen. Dieses Verbot lässt sich auf verschiedene Weise ausdrücken: zum einen negativ – als Verbot trittbrettzufahren, schwarzzufahren, zu schummeln bzw. andere auszubeuten; zum anderen positiv – als Gebot zu kooperieren bzw. die eingegangenen Versprechen oder Verträge zu halten: „pacta sunt servanda“. 5. Aus dem Prinzip der qualifizierten Kooperation kann man genauso gut wie die erwähnten Grundnormen auch einen „harten Kern“ von Grundrechten transzendentalpragmatisch ableiten. Dazu gehört ein Teil der in der „Erklärung der Menschenrechte“ aufgeführten Rechte, wie das Recht auf Leben, auf Gesundheit und hinreichende Ernährung sowie auf eine Grundausbildung. Zu diesem „harten Kern“ gehören aber auch noch weitere Grundrechte, die wir in der „Erklärung der Menschenrechte“ vergeblich suchen, wie etwa das Recht auf Handlungs-, Entscheidungs- und Vertragsfreiheit. Grundrechte sind – transzendentalpragmatisch gesprochen – die Rechte auf das Erfülltsein derjenigen Bedingungen, ohne die eine Person zur Teilnahme an qualifizierter Kooperation nicht in der Lage wäre.
7 Mögliche Einwände Zur Verdeutlichung der Schaltstellen der Argumentation sollen kurz zwei Einwände formuliert und beantwortet werden. Erster Einwand: Das Studium der Bedingungen der Kooperation führt uns auf eine Reihe von Normen, die einer apriorischen Begründung in Wirklichkeit gar nicht zugänglich sind. – Antwort: Die der qualifizierten Kooperation inhärenten Prinzipien sind letztlich spieltheoretischer, also mathematischer (apriorischer) Natur. Das zeigt sich an der zentralen Rolle des Parasitismusverbots, das ausschließ18 Immanuel Kant: Über ein vermeintes Recht, aus Menschenliebe zu lügen.
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lich mit den Mitteln der Spieltheorie zu erklären ist. Weit davon entfernt, empirisch-kontingent zu sein, gelten die Prinzipien der qualifizierten Kooperation in allen möglichen Welten. Aus diesem Grund können wir auch von der invarianten Geltung dieser Prinzipien gegenüber kulturellen Differenzen ausgehen. Zweiter Einwand: Eine bei der Kooperation ansetzende Moralbegründung ist wesentlich schwächer als diejenige Apels oder Kuhlmanns, weil sie nicht auf letztbegründete Prinzipien rekurriert. Solche letztbegründeten Prinzipien sind daran erkennbar, (a) dass, wer sie leugnen oder in Frage stellen will, sie im Akte des Leugnens oder In-Frage-Stellens bereits voraussetzen muss; (b) dass, wer ihre Gültigkeit behauptet, sie in eben diesem Behauptungsakt bereits als gültig voraussetzen muss. Die Replik auf diese Behauptung besteht zunächst in einer bloßen Richtigstellung: Wer immer sich an einem argumentativen Diskurs (im Sinne Apels) beteiligt, lässt sich damit a fortiori auf qualifizierte Kooperation – Kooperation unter Anwendung der Goldenen Regel bzw. des Verallgemeinerungsprinzips – ein. Denn der fragliche Diskurs folgt den Regeln einer solchen Kooperation, und deswegen ist das Einhalten der auf S. 309 f angeführten Normen auch eine Voraussetzung dieses Diskurses. Wer also bestreiten will, dass qualifizierte Kooperation die Befolgung dieser Normen einschließt, muss eben diese Normen schon voraussetzen, um den Sprechakt seiner Entgegnung überhaupt ausführen zu können. Und wer umgekehrt die grundsätzliche Bedeutung dieser Normen für die Kooperation bekräftigt, muss in diesem Bekräftigungsakt dieselben Normen ebenfalls bereits voraussetzen. Der Kritiker könnte hier aber mit einer Rückfrage nachhaken: Trifft die Annahme denn tatsächlich zu, der argumentative Diskurs sei eine Form von qualifizierter Kooperation und unterstehe somit den Bedingungen, die für diese gelten? Stimmt es, dass sich für denjenigen, der in einen Diskurs eintritt, die Frage, ob er wirklich kooperieren und es auf sich nehmen solle, sich auf alle damit verbundenen Normen einzulassen, gar nicht mehr stellt? Das klinge – so der Kritiker weiter – doch wenig plausibel: Man könne durchaus, ohne sich zu widersprechen, den Anspruch erheben, lediglich an einem Diskurs mitzumachen, ohne mit den daran beteiligten Personen darüber hinaus in ein Verhältnis qualifizierter Kooperation treten zu wollen. Diese Überlegung mündet in die folgende Frage: Welche Argumente berechtigen uns dazu, eine Strategie moralisch zurückzuweisen, die Täuschung lediglich im Diskurs vermeidet, nicht aber im Kontext der sonstigen Kooperation, die sich also zum Parasitismusproblem opportunistisch verhält? Lässt sich denn eine solche Strategie nicht unschwer konsistent durchhalten? Diese Frage führt uns auf einen für die vorgeschlagene Moralbegründung zentralen Punkt. Der Kritiker geht mit seinem Einwand offenbar davon aus, dass Täuschung im Diskurs und Täuschung in der Kooperation nicht genau dasselbe bedeuten. Täuschung im Diskurs laufe auf Lügen hinaus, Täuschung in der Kooperation auf Schummeln, Defektieren, Parasitieren. In ihren Feinstrukturen seien Diskurs und Kooperation also zwei verschiedene Dinge. Konzediert man diesen Einwand, so gibt es zwei Möglichkeiten, die fragliche Strategie zu beurtei-
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len. Entweder geht man davon aus, dass auch im Diskurs GD-Situationen auftreten (was freilich nicht auf Anhieb plausibel klingt), oder man interpretiert den Diskurs als einen speziellen Kooperationsmodus, in dem die GD-Situation immer schon überwunden ist. Da die erste Möglichkeit im Augenblick nicht sehr Erfolg versprechend erscheint, soll sich die Prüfung auf die zweite konzentrieren. Tatsächlich erscheint Diskursbereitschaft immer als Zeichen einer kooperativen Haltung. Wenn sich verfeindete Gruppen auf einen Diskurs einlassen, ist das immer ein Indiz für Tauwetter.19 Wer einen argumentativen Diskurs führt, tut dies im Bewusstsein – wir können auch sagen: unter der transzendentalen Voraussetzung –, dass er sich bezüglich des zentralen Kerns der moralischen Normen nicht in einem GD befindet, dass also die Gefahr, der Gegner oder Diskurspartner wolle ihn damit in eine Falle locken, überwunden ist. Bildlich gesprochen: Mit anderen in einen Diskurs eintreten kann nur, wer in seine Diskurspartner wenigstens soviel Vertrauen setzt, dass er sich in den Konferenzsaal wagt, ohne fürchten zu müssen, er werde bereits im Vorzimmer zusammengeschlagen.
8 „materiale Kooperation“ und „moralische Kooperation“ Offensichtlich setzt jedes friedliche Zusammenleben mit anderen voraus, dass alle sich zumindest an einen minimalen Regelkodex halten, der über die logisch-semantischen Diskursregeln hinausgeht. Das gilt für alle Beteiligten. Wenn sie sich an einen solchen Minimalkodex halten und gegenseitig voneinander erwarten können, dass sie dies tun, dann erfüllen sie genau die Kriterien der qualifizierten Kooperation. Man kann also sagen, wer diesen moralischen Minimalkodex einhält, kooperiert in moralischer Hinsicht. Der Fall, dass sich jemand gegenüber einer Gruppe von Personen nur an die Diskursregeln im engeren Sinn hält, im Übrigen aber mit dieser Gruppe in keiner Weise kooperiert, erweist sich nun als ein reines Konstrukt: Selbst wenn zwischen den Diskurspartnern keine Kooperation in materieller Hinsicht besteht, kooperieren sie doch in moralischer Hinsicht: Personen, die nicht mindestens die Geltung der klassischen negativen moralischen Normen und das Achtungsgebot als verbindlich anerkennen, begegnen einander unter den Bedingungen eines hobbesschen „Urzustands“ und stoßen dann gar nicht erst bis zum Konferenzsaal vor. Etwas plakativ formuliert: Sobald die Menschen in kollektiver Anstrengung den „Urzustand“ zu überwinden versuchen, schlägt die Geburtsstunde der Moral. Deswegen werden uns die „Zumutungen der Moral“ auch jedes Mal von neuem bewusst, wenn wir eine Gefangenendilemma- oder Allmendedilemma-Situation wittern und uns fragen, weshalb wir der Versuchung nicht nachgeben sollen, auf fremde Kosten zu profitieren. Die Bedeutung der Kooperation für die Moral wird also erst vollends klar, wenn man sich die Differenzierung zwischen materieller und moralischer Koo19 Hier besteht eine Analogie zum Handel, mit dessen Entwicklung die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen den Partnern abnimmt.
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peration vergegenwärtigt. Die Mitglieder eines Orchesters, die ein Konzert zur Aufführung bringen, kooperieren ganz konkret, in physikalisch nachweisbarer Weise – sie kooperieren sozusagen auf inhaltlicher Ebene. Jeder spielt sein Instrument, absolviert einzeln oder zusammen mit seiner Instrumentalgruppe ein melodisch wie rhythmisch eigenständiges Tonerzeugungsprogramm. Im Zusammenspiel ergibt sich ein harmonisches Ganzes – eben eine Symphonie. – Ganz anders die Verkehrsteilnehmer in einer Großstadt: Jeder verfolgt sein eigenes Ziel und fühlt sich durch die anderen in seiner Freiheit eingeschränkt. Der Verkehr erscheint weitgehend chaotisch, es findet keinerlei Kooperation auf konkret-materieller Ebene statt. Dennoch kooperieren auch die Verkehrsteilnehmer – nämlich hinsichtlich eines Minimums an gegenseitiger Rücksichtnahme sowie hinsichtlich der Einhaltung der Verkehrsregeln. Andernfalls käme es auf Schritt und Tritt zu Kollisionen. Wie sieht, so betrachtet, unsere Interaktion im praktischen Leben aus? Als Mitglieder dieses oder jenes Kollektivs (als Angehörige einer Familie, als Angestellte in einem Unternehmen, als Mitglieder einer Kirche, einer Schule oder einer Universität usw.) befinden wir uns mit unseren Kollegen – oder zumindest einigen davon – in einem konkreten Kooperationsverhältnis, das je nach Situation entsprechend näher beschrieben werden kann. Wir verfolgen direkt oder indirekt ein gemeinsames Ziel. Wir kooperieren also auf der materialen Ebene – doch gleichzeitig kooperieren wir auch auf der Ebene bestimmter Regeln oder Normen, wir passen unser Verhalten der „Unternehmenskultur“ an, befolgen die „Regeln des Hauses“, die „Schulordnung“ usw. Bei dieser Kooperation auf der Regel-Ebene geht es um die wechselseitige Einhaltung eines überschaubaren Ensembles von Normen. Dieses Ensemble umfasst meistens mehr als das moralische Minimum (d. h. als die Normen, die wir oben (S. 309 f) aufgezählt haben). Beide Arten der Kooperation – die materielle wie die moralische – sind mit dem Phänomen des Parasitismus konfrontiert. Im einen Fall parasitiert, wer die anderen arbeiten lässt, aber vom materiellen Ergebnis mitprofitiert. Im anderen Fall parasitiert, wer sich über das spezifische Regel-Ensemble „seines“ Kollektivs, also gleichsam über seine „Gruppenmoral“ ganz oder teilweise hinwegsetzt, aber davon profitiert, dass die anderen sich daran halten. Auch auf der Ebene der allgemeinsten moralischen Normen reproduziert sich das Problem des Parasitismus: Wer sich über universalistische Grundnormen (z. B. das Täuschungsverbot) hinwegsetzt, aber aus der Einhaltung der Regeln durch die anderen Nutzen zieht, betreibt – so könnte man es etwas schroff, aber prägnant nennen – moralischen Parasitismus.
Anhang: Ethik unter Wettbewerbs- und Marktbedingungen Kooperation ist nicht die einzige Form der Interaktion zwischen Menschen. Zwei weitere Interaktionsformen, die sich nicht auf Kooperation reduzieren lassen, ohne die wir aber das Funktionieren menschlicher Gesellschaften unmöglich verstehen können, sind der Wettbewerb und der Tausch. Auf einem „Markt“
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greifen alle drei – Kooperation, Wettbewerb und Tausch – auf komplexe Weise ineinander. Wenn wir das Marktgeschehen nach ethischen Kriterien beurteilen wollen, müssen wir unterstellen, dass in einem Markt die qualifizierte Kooperation (und nicht, wie Apel und Kuhlmann anzunehmen scheinen, der argumentative Diskurs) eine ausschlaggebende Rolle spielt. In welcher Weise dies der Fall sein könnte, kann ich hier nur noch thesenartig andeuten. 1. Thesen zu Kooperation und Wettbewerb: 1.1. In der Wirtschaft bzw. auf Märkten stehen Kooperation und Wettbewerb (Wettkampf) in engem Zusammenhang. Beides – Kooperation und Wettbewerb – stellen Positivsummenspiele dar. (Der Tausch bzw. Kauf/Verkauf enthält Aspekte von beiden.) 1.2. Kooperation hat eine Tendenz, in Wettbewerb überzugehen und umgekehrt: Monopole/Kartelle zerfallen, es entsteht Markt; im Markt bilden sich neue Monopole/Kartelle. 1.3. Jede größere Gesellschaft zerfällt in kleinere gesellschaftliche Gruppen, deren Mitglieder untereinander enger kooperieren als mit Mitgliedern anderer Gruppen. Zwischen den Gruppen besteht – mindestens teilweise – Wettbewerb. Das gilt in verschiedenen Bereichen: – Wirtschaft: Kooperation und Wettbewerb zur Sicherung/Mehrung ökonomischer Ressourcen, zur Erschließung von Märkten; – Politik: Kooperation und Wettbewerb zur Sicherung von Einfluss, Macht, Drohpotential; – Kultur: Kooperation und Wettbewerb beim Aufbau spezifischer Kulturleistungen (Kunst, Architektur, Landschaftspflege usw.) – Bildungswesen, Wissenschaft, Technik, Medizin: Bereitstellung von Knowhow, Wissen, Techniken, Gesundheitsdiensten etc. 1.4. Zu den Regeln/Normen, nach denen Mitglieder einer Gruppe untereinander kooperieren, gehört (meistens) der „harte Kern“ der Moral (oben S. 309 f). Ausnahmen: „mafiose“/“kriminelle“ Organisationen; sie sind entsprechend kritisierbar. Zu den Regeln/Normen, nach denen Mitglieder einer Gruppe untereinander kooperieren, gehören (zumeist) auch gruppenspezifische Regeln/Normen. Wir sprechen dann z. B. von „Gruppenmoral“, „Unternehmenskultur“, „Berufsethos“ o.ä. So weit einzelne Gruppen gegeneinander konkurrieren, stehen auch die betroffenen Regel-Ensembles („Gruppenmoralen“, „Unternehmenskulturen“ etc.) zueinander im Wettbewerb. 1.5. Nicht zueinander im Wettbewerb stehen aber die moralischen Normen, die den „harten Kern“ der Moral ausmachen. Sie gelten also letztlich auch für alle Formen von Wettbewerb (These 1.3.). Auch wenn wir gegeneinander konkurrieren, kooperieren wir im Hinblick auf die Einhaltung der Normen im „harten Kern“. 1.6. Die Goldene Regel lässt sich im Wettbewerb und Tausch nicht anwenden, wohl aber in der Kooperation – auch in der Kooperation hinsichtlich der Normen im „harten Kern“.
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1.7. Die beiden letzten Thesen (1.5. und 1.6.) sprechen gegen den unter Ökonomen weit verbreiteten ethischen Agnostizismus. F. A. von Hayek hat diesen Agnostizismus in die folgenden Worte gefasst: „Moreover, if civilisation has resulted from unwanted gradual changes in morality, then, reluctant as we may be to accept this, no universally valid system of ethics can ever be known to us.“ (von Hayek 1988, S. 20) 2. Thesen zum Phänomen des Parasitismus: 2.1. Das Phänomen des Parasitismus entsteht mit der Kooperation. Der Begriff „Parasitieren“ bedeutet so viel wie: Verfolgen einer Strategie mit dem Ziel, von der Leistung der Kooperationspartner mehr zu profitieren als selbst zum Gelingen der Kooperation beizutragen. 20 2.2. Eine moralische Norm, die zum „harten Kern“ gehört, weil sie die Bedingungen von Kooperation sicherstellt, ist das „Parasitismus-Verbot“ (es folgt direkt aus der Goldenen Regel bzw. aus dem Verallgemeinerungsprinzip). 2.3. Das Gewinnen im Wettbewerb ist keine Form von Parasitismus, vorausgesetzt, die Wettbewerbsregeln sind fair (= kompatibel mit dem „harten Kern“ ethischer Normen/Rechte). 2.4. Nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Gruppen können parasitieren (Olson, 1968 und 1985). Ein Einzelner kann gegenüber einem Kooperationspartner oder gegenüber einer Gruppe, deren Mitglied er ist, parasitieren. Eine Gruppe kann es gegenüber einem größeren Gesellschaftsverband, von dem sie ein Teil ist. 2.5. Zur Vergegenwärtigung der Folgen, die parasitäres Verhalten für die betroffenen Gruppen im Kontext eines globalen Wettbewerbs haben kann, muss man sich vergegenwärtigen, dass eine Gesellschaft sich nicht nur in Gruppen untergliedert, die teilweise kooperieren, teilweise konkurrieren, sondern dass zudem komplexe Einschachtelungs-Beziehungen gelten können (z. B. Quartier/Stadt/Kanton/ Land usw.). 2.6. Die Reichweite der Goldenen Regel ist die duale Kooperation, die Reichweite der Verallgemeinerungsregel hängt von der Größe des jeweiligen Kollektivs ab. Dieses kann kleiner oder größer sein. Aus diesem Grund erfordert eine umfassende ethische Betrachtungsweise auch utilitaristische Überlegungen. Gemäß dem Utilitarismus gelten diejenigen Strategien bzw. Entscheidungen als die moralisch besten, die „das größte Wohl der größten Zahl“ fördern. Beispiel: Ein Parasit P beutet Kleingruppe A aus und schädigt diese. Davon profitiert die konkurrierende Kleingruppe B. Weil aber Kleingruppe A geschwächt ist, leidet der Wettbewerb zwischen A und B (A unterliegt oder wird mit B „fusioniert“). Es entsteht ein Monopol, das zwar Gruppe B besserstellt, aber die Kosten für die Gesamtgesellschaft nach oben treibt usw. 2.7. Der „harte Kern“ der moralischen Pflichten/Rechte muss letztlich immer im Zentrum bzw. an der Basis einer ethischen Beurteilung stehen. Das Rechte hat
20 Andere Bezeichnungen: „Kosten externalisieren“, „ausbeuten“, „trittbrettfahren“, „Rent seeking-Verhalten“ etc.
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Priorität vor dem Guten.21 Utilitaristische Argumente können deswegen nur subsidiär eine Rolle spielen. Zur Erläuterung: Das Bruttosozialprodukt pro Kopf hat – global gesehen – zwar in den letzten Jahrzehnten kräftig zugenommen. Zugenommen hat aber auch, und zwar in noch kräftigerem Ausmaß, die globale Kluft zwischen Arm und Reich. Aus der Spieltheorie lassen sich keine Kriterien gewinnen, die diese Art von „Fortschritt“ zu qualifizieren erlaubten. Solche Kriterien kann (und muss) vielmehr die Ethik liefern. – Die folgende Argumentation kann sich auf John Rawls und Amartya Sen stützen: Nicht auf die „globale Gesamtsumme“ an Nutzen/Glück/Wohl kommt es primär an, sondern auf die relative und absolute Größe der Gruppe derjenigen, für die die wichtigsten Menschenrechte nicht gewährleistet sind. – Wer für sich nicht einmal den „harten Kern“ an Grundrechten reklamieren kann, dem fehlt eine wesentliche Bedingung zur Kooperation (Abschnitt 6, S. 308 ff).22 Er ist „ausgeschlossen“, marginalisiert. Mit gutem Grund hat Rawls in seiner Gerechtigkeitstheorie die Alarmglocke so konstruiert, dass die Klingelschnur direkt zur Gruppe der am meisten Benachteiligten führt.23
21 So lautet eine zentrale These John Rawls in seiner Auseinandersetzung mit dem Utilitarismus. Rawls, 1971. 22 Deswegen bringt Amartya Sen „Freiheit“ („freedom to achieve“) mit „capability sets“ und „opportunities“ in Verbindung. Sen, 1999, S. 74 ff. Vgl. dazu auch Nussbaum/Sen 1993. 23 Dies der Inhalt des so genannten „Differenzprinzips“ – des zweiten Teils des zweiten rawlsschen Gerechtigkeitsprinzips. Rawls 1971.
Anmerkungen zum globalen Wettbewerb Michael Schefczyk Die Konsequenzen der zunehmenden weltwirtschaftlichen Integration für die Verteilung von Vermögen und Einkommen sind Gegenstand intensiver politischer und theoretischer Kontroversen. In dem folgenden Aufsatz gehe ich davon aus, dass diese Integration auf absehbare Zeit nicht von der Etablierung suprastaatlicher Institutionen begleitet sein wird, die Einkommen und Positionen politischrechtlich zuweisen könnten, etwa im Sinne eines globalen Mindestlohns, einer erdumspannenden Arbeitsplatzgarantie oder einer Weltsozialhilfe. Normative Positionen, deren Forderungen nur durch derartige Institutionen zu erfüllen wären, werde ich im Folgenden außer Acht lassen.1 Dieser Artikel untersucht vielmehr Fragen, die sich ergeben, wenn die weltwirtschaftliche Ordnung durch Marktliberalisierung und Systemwettbewerb geprägt ist. Welche Auswirkungen hat die Liberalisierung auf die Handlungsmöglichkeiten politischer Körperschaften? Welche Motive liegen ihr zugrunde? Wie verändert sie die Situation unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen? Unter welchen Voraussetzungen ließe sich von der „Legitimität globalen Wettbewerbs“ sprechen? Marktliberalisierung und Systemwettbewerb gehören zu den Zielen, die bestehende politische Gebilde, Regelwerke und Organisationen weltwirtschaftlicher Ordnung (EU, GATT, WTO, Weltbank) verfolgen. Nicht diese Regelwerke und Organisationen selbst, sondern die ihnen zugrunde liegenden normativen Zielsetzungen sollen hier – zumindest im Ansatz – dargestellt und normativ reflektiert werden. Im Abschnitt IV nehme ich Rawls’ Vorschlag auf, „liberal democratic-“ und „decent peoples“ als die Parteien zu betrachten, welche die Grundsätze einer legitimen zwischenstaatlichen Ordnung aushandeln.2 Die Parteien vertreten bei Rawls in einem Urzustand zweiter Stufe staatlich verfasste Völker, deren innere 1
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Unberücksichtigt bleiben auch Überlegungen, die eine globale Institutionenordnung fordern „im Sinne eines [menschenrechtlichen] Prima-facie-Anspruches auf Gleichverteilung aller zur Verfügung stehenden Güter“ (Gosepath, 1998, S. 148). In seinem Aufsatz ‚Die globale Ausdehnung der Gerechtigkeit‘ ergänzt Stefan Gosepath diesen Gedanken durch die Einschätzung, „wir scheinen uns auf eine neue, postnationale Konstellation zuzubewegen. Gegenüber der Herausforderung der Globalisierung ist eine Konzeption globaler statt nationaler Gerechtigkeit die beste, wenn nicht die einzige angemessene und zeitgemäße Antwort.“ (Gosepath, 2002, S. 203). Rawls wählt Völker und nicht Staaten als Parteien, um zu verdeutlichen, dass er normative Theorie betreibt. Während er – in realistischer Manier – von Staaten sagt, sie handelten rational, seien auf Macht aus und orientierten sich ausschließlich an ihren nationalen Interessen, sind seine Völker Konstrukte normativer Theorie, die ihre Interessen gemäß den Anforderungen der Vernunft eingrenzen und Gerechtigkeit anstreben. (Rawls, 1999/2002, S. 26-32) In diesem Aufsatz verwende ich das Wort Nation im Sinne von Rawls’ Völker.
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Grundstruktur gerecht ist oder zumindest moralisch annehmbar; sie legen die Prinzipien einer Weltordnung unter Absehung von Informationen über die Größe, den wirtschaftlichen Entwicklungsstand, die Bevölkerungszahl, die Naturschätze und Ähnliches fest. Ihre Wahl wird geleitet durch Anliegen wie Sicherheit, territoriale Integrität, das Wohlergehen der Bürgerschaft und die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied der Staatengemeinschaft. Dieses philosophische Begründungsmodell hat den Vorzug, an Merkmale der bereits bestehenden globalen Ordnung anzuknüpfen. Legitimitätsfragen zu stellen mag immer utopisch sein – ein Begründungsmodell, das existierende institutionelle Strukturen zitiert, nähert sich jedoch (um abermals einen rawlsschen Begriff aufzugreifen) der Vorstellung einer „realistischen Utopie“ an. Bemerkenswerterweise hat lediglich eines von Rawls’ acht Prinzipien idealer Theorie unmittelbar sozioökonomischen Gehalt.3 Er merkt jedoch an einer wichtigen Stelle an, dass die Parteien über die genannten Grundsätze hinaus „Richtlinien für den Aufbau kooperativer Organisationen formulieren und sich auf Standards fairen Handels ebenso einigen wie auf gewisse Vorkehrungen zur gegenseitigen Unterstützung.“4 Die Parteien des imaginären Nationenkonvents werden also bei Rawls nicht nur eine Beistandspflicht für „burdened societies“5, sondern auch Prinzipien der Weltwirtschaftsordnung fixieren wollen. Welche Prinzipien dabei in Frage kommen, reflektiert Rawls nicht. Er beschränkt sich auf die Annahme, „liberale Völker gingen davon aus, dass ein durch faire Hintergrundbedingungen angemessen reguliertes Handelssystem freier Wettbewerbsmärkte zumindest langfristig für alle Beteiligten vorteilhaft ist.“6 Als Beispiele nennt er das GATT-Abkommen und die Weltbank. Führte die unter dieser Annahme gestaltete Kooperationsstruktur zu ungerechtfertigten distributiven Effekten, so müsste sie geändert werden. Offensichtlich haben diese Bemerkungen von Rawls eine Statthalterfunktion. Wie er selber zumindest andeutet, wäre es im Rahmen seines voll ausgeführten Begründungsmodells nötig, zu zeigen, wie die Parteien unter geeigneten Informationsrestriktionen von einer Liste möglicher Grundsätze (in diesem Fall Grundsätze einer globalen Wirt-
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„Völker sind verpflichtet, anderen Völkern zu helfen, wenn diese unter ungünstigen Bedingungen leben, welche verhindern, dass sie eine gerechte oder achtbare politische und soziale Ordnung haben“ (Rawls, 1999/2002, S. 41). Rawls, 1999/2002, S. 47. „Belastete Gesellschaften sind weder expansionistisch noch aggressiv, aber ihnen fehlen politische und kulturelle Traditionen, das Humankapital, das Know-How und oft auch die nötigen materiellen und technischen Ressourcen, um wohlgeordnet zu sein. Das langfristige Ziel (vergleichsweise) wohlgeordneter Gesellschaften sollte darin bestehen, belastete Gesellschaften ebenso wie Schurkenstaaten zu Mitgliedern einer Gesellschaft wohlgeordneter Völker werden zu lassen“ (Rawls, 1999/2002, S. 106). Rawls betont, dass wohlgeordnete Gesellschaften nicht wohlhabend zu sein bräuchten. Die Pflicht der bereits wohlgeordneten Gesellschaften besteht darin, für Bedingungen zu sorgen, unter denen belasteten Gesellschaften die Etablierung gerechter Institutionen gelingen könnte: Das Ziel ist, „gerechte (oder achtbare) Institutionen zu verwirklichen und zu bewahren und nicht, das durchschnittliche Wohlstandniveau oder den Wohlstand einer Gesellschaft oder irgendeiner gesellschaftlichen Klasse zu vermehren und schon gar nicht, ihn ohne Grenzen zu maximieren“ (Rawls, 1999/2002, S. 133). Rawls, 1999/2002, S. 47-48.
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schaftsordnung) wählen.7 Zur Auswahl könnten beispielsweise folgende Prinzipien stehen: 1. Globaler Wettbewerb 2. Regulierter Wettbewerb zugunsten armer Länder 3. National freigestellte Außenwirtschaftspolitik Prinzip (1) entspricht der in der Ökonomie favorisierten Freihandelsdoktrin, die lehrt, dass die Aufhebung von Zöllen und anderen Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs zu einem für alle beteiligten Länder vorteilhaften Muster internationaler Arbeitsteilung führt. Diese Doktrin hat in maßgeblicher Weise die Institutionen der heute bestehenden Weltwirtschaftsordnung geprägt. Prinzip (2) erlaubt Abweichungen vom Freihandel, wenn dies zum Vorteil armer Länder oder von „burdened societies“ ausfällt, während Prinzip (3) die Außenwirtschaftspolitik zu einer Angelegenheit erklärt, die jeder wohlgeordnete Staat gemäß dem politisch wirksamen Willen seiner Bevölkerung gestalten kann. In diesem Aufsatz werde ich mich auf die Gründe konzentrieren, die sich mit Blick auf Prinzip (1) vortragen lassen. Ob die Abwägung aller Gründe zu einer Bevorzugung von (1) oder (2) führt, müsste in einer späteren Arbeit geklärt werden.8 Dass der Nationenkonvent Prinzip (3) nicht akzeptieren würde, scheint mir jedoch einsichtig zu sein. (3) würde jedem Land erlauben, vom Freihandel abzuweichen, wenn dies zu seinem eigenen Vorteil wäre. Länder, die über wichtige Naturschätze verfügen, könnten legitimerweise ihre „terms of trade“ durch Optimalzölle auf ihre Rohstoffexporte verbessern; Länder mit großen Binnenmärkten oder Monopolstellungen innerhalb wichtiger Industriezweige wären ebenfalls in der Lage, durch Handelsbeschränkungen auf Kosten anderer Staaten Wohlfahrtsgewinne zu realisieren.9 Wenn die Parteien im Nationenkonvent (1) und (3) gegeneinander abwögen, so könnten sie nicht das Saldo jener Wohlfahrtsgewinne, beziehungsweise -verluste beziffern, die sich aus der Abweichung vom Freihandel für das von ihnen vertretene Land ergäben. Sie würden daher nur die Wahrscheinlichkeit dafür betrachten, dass sie ein Land vertreten, dem (3) nutzt. Wenn die Zahl von Ländern, deren Beschaffenheit die Nutzung von Opti7 8
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„Die vereinbarten Gerechtigkeitsprinzipien werden also nicht deduktiv aus den Bedingungen des Urzustands gefolgert, sondern einer gegebenen Liste entnommen“ (Rawls, 2001/2003, S. 137). Da die Prinzipien aus dem Urzustand (erster & zweiter Stufe) nicht abgeleitet, sondern von einer Liste gewählt werden, gründet die Entscheidung auf einer Beurteilung der Gründe, die für die jeweiligen Glieder im Vergleich sprechen. Die Wahl beruht also auf Urteilskraft – und hängt von der gegebenen Liste ab. Wie bei Rawls gilt – mutatis mutandis – im Folgenden: „Dabei behaupten wir nicht, dass man sich von einer vollständigen Liste ausgehend auf diese beiden Prinzipien einigen würde. Eine solche Behauptung wäre übertrieben, und ich für mein Teil versuche hier keine allgemeine Argumentation vorzulegen“ (Rawls, 2001/2003, S. 154). „The policy of Saudi Arabia and other oil exporters has been to tax their exports of oil, raising the price to the rest of the world. Although oil prices fell in the mid-1980s, it is hard to argue that Saudi Arabia would have been better off under free trade. The terms of trade argument against free trade has some important limitations, however. Most small countries have very little ability to affect the world prices of either their imports or other exports, so that the terms of trade argument is of little practical importance. For big countries like the United States, the problem is that the terms of trade argument amounts to an argument for using national monopoly power to extract gains at other countries’ expense. The United States could surely do this to some extent, but such a predatory policy would probably bring retaliation from other large countries“ (Krugman & Obstfeld, 1997, S. 226).
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malzöllen erlaubt, gering ist, so ist es wahrscheinlicher, ein Land zu repräsentieren, dem (3) schadet. Daher wird sich der Nationenkonvent nicht auf (3) einigen. Die nachstehenden Ausführungen gliedern sich in folgender Weise: Da die Anerkennung von Prinzip (1) durch den Nationenkonvent Systemwettbewerb nach sich zöge, untersucht der Abschnitt 1. verschiedene Dimensionen dieses Begriffs; 2. kritisiert eine verbreitete Auffassung über die politischen Implikationen des Systemwettbewerbs, während 3. auf Theorien über den politischen Hintergrund von Liberalisierungsentscheidungen eingeht. Abschnitt 4. stellt die wirtschaftlichen Auswirkungen des globalen Wettbewerbs gemäß der Standardtheorie dar und benennt einige Bedingungen seiner Legitimität.
1 Systemwettbewerb (a) Im Kontext der europapolitischen Debatte, die hier als Modellfall gelten kann, bezeichnen die Begriffe „System- oder Standortwettbewerb“ erstens die Folgen einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahre 1979. In WestDeutschland war damals geltendes Recht, dass ein Getränk nur dann als Fruchtlikör bezeichnet werden dürfe, wenn sein Alkohohlgehalt mindestens 32 % betrage. Folglich war es unzulässig, „Cassis de Dijon“ mit einem Alkoholgehalt von nur 17 % als Fruchtlikör in den Handel zu bringen. Gegen diese Behinderung des Marktzutritts klagten die französischen Hersteller wegen Verletzung des EG-Vertrags beim Europäische Gerichtshof, der seinerseits feststellte, dass ein Produkt in jedem Land der Europäischen Gemeinschaft zugelassen werden müsse, wenn es die gesetzlichen Anforderungen eines der Mitgliedsländer erfülle: das so genannte Ursprungslandprinzip. Mit diesem Urteil verloren die Staaten der europäischen Gemeinschaft das Regulierungsmonopol innerhalb ihres Hoheitsgebiets nicht an eine suprastaatliche Instanz, sondern traten in eine Situation ein, die als „institutioneller Wettbewerb“ bezeichnet wird. Die Konsumenten innerhalb der Europäischen Gemeinschaft vermochten nun auf den Gütermärkten dem regulatorischen Willen der eigenen Regierung auszuweichen. Innerhalb der liberalen Ökonomie wurde die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs überwiegend als Fortschritt der Freiheit und Zähmung des Leviathans begrüßt. Mit dem Ursprungslandprinzip geben die nationalen Regierungen nicht Souveränität an eine übergeordnete Gewalt ab, sondern an einen marktförmigen Konkurrenzmechanismus. Da es nicht mehr in der Souveränitätsgewalt ihrer eigenen Regierung liegt, die Eigenschaften von Produkten oder Prozessen für alle Anbieter verbindlich zu machen, und da die Angebote im Binnenmarkt häufig unterschiedliche gesetzgeberische Vorstellungen verkörpern, schließen einige Ökonomen, dass sich im Nachfrageverhalten Präferenzen über Regulierungen enthüllen. Die verschiedenen Regelsysteme werden somit – so die Idee – implizit durch die Nachfrageentscheidungen der europäischen Konsumenten bewertet. Setzt sich im Laufe der Zeit ein Regelungstypus auch in anderen Mitgliedstaaten durch, so wird dies von liberalen Ökonomen als Ergebnis eines durch Wettbewerb bedingten Lernprozesses gedeutet, bei dem Gesetzgeber auf die offenbarten Präferenzen der Regulierungsnachfrager (der Konsumenten) reagieren. Angenommen, in Deutsch-
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land wäre der Verzehr bestimmter Nahrungsmittel erlaubt, die in allen anderen Mitgliedsländern nicht gestattet sind. Würden sich diese Nahrungsmittel auf den europäischen Speiseplänen durchsetzen, so ließe sich dies als eine Zurückweisung der restriktiven Regulierungen der europäischen Nachbarn auslegen. Die Liberalität des Bundes hätte sich als dem Geschmack der europäischen Konsumenten entsprechend erwiesen. Umgekehrt geriete das Verbot dieser Lebensmittel nachträglich in Verdacht, eine unzulässige – den Vorlieben der Bevölkerungen nicht entsprechende – Regelung gewesen zu sein. Befürworter des institutionellen Wettbewerbs machen daher geltend, dass er eine doppelte Entdeckungsfunktion habe. Die Vergrößerung des Optionenraums erlaubt den Konsumenten, innovative, bislang unbekannte Möglichkeiten zu erproben – und durch deren Nachfrageverhalten erhalten die Regierungen neue Aufschlüsse darüber, was die Bevölkerung wünscht. Da die Bürgerschaften der nationalstaatlich verfassten Macht nicht mehr alternativlos ausgeliefert sind, schwinden – so die Hoffnung liberaler Ökonomen – die Chancen willkürlicher, unsinniger oder bloß partikulare Produzenteninteressen fördernder Politik. So im Fall, über den der Europäische Gerichtshof entschied: Welches Verbraucherinteresse durch die aus dem Branntweinmonopolgesetz von 1922 folgende Behinderung des Marktzutritts der „Cassis de Dijon“-Anbieter geschützt wurde, war schwer zu erkennen. Die Regelung wirkte vielmehr willkürlich und diskriminierend, eine im Effekt rein protektionistische Maßnahme. Nur kurz sei an dieser Stelle angemerkt, dass der Auslegung von Nachfrageentscheidungen auf den Gütermärkten als Offenbarung von Präferenzen über Regulierungsregime durch die anfallenden Informationskosten Grenzen gesetzt sind. Nur in Ausnahmefällen dürfte es Verbrauchern bekannt sein, unter welchen Regulierungsbedingungen ein bestimmtes Produkt hergestellt wurde. In einer Welt unvollkommen informierter Nachfrager wird das Konsumentenverhalten daher nur selten durch Präferenzen über Regulierungen beeinflusst. Und selbst wenn sich Unternehmen bemühen sollten, regulierungsbedingte Kostennachteile durch gezieltes Marketing zu kompensieren und die Informationskosten der Verbraucher zu senken (also ausdrücklich darauf hinweisen, dass ein Produkt besonders sorgfältig überprüft oder in umweltschonender Weise hergestellt wurde), selbst dann kann die Nachfrage oder deren Ausbleiben nicht eindeutig mit Präferenzen über Regulierungen in Zusammenhang gebracht werden. So könnte zwar grundsätzlich die Bereitschaft bestehen, Produkte zu kaufen, die in einem Land mit strengen Umweltauflagen hergestellt wurden, und dafür gegebenenfalls auch mehr zu bezahlen. Doch kann Unsicherheit darüber, wie hoch die Mehrkosten durch jene Auflagen sind und welchen Preisaufschlag sie demgemäß rechtfertigen, zu Entscheidungen führen, die nicht den Umweltpräferenzen der Nachfrager entsprechen. Vor einer Überdehnung des Systemwettbewerbgedankens, wie er in der liberalen Ökonomie sich findet, ist daher zu warnen – doch soll dieser Punkt hier nicht weiter vertieft werden. Im Zusammenhang des Ursprungslandprinzips wird zuweilen auch von einer negativen Integration gesprochen, die im Abbau von Zutrittsschranken besteht – im Gegensatz zur positiven Integration, bei der eine neue hoheitliche Regelungsebene eingeführt wird. Politik im Stile positiver Integration war beispielsweise die Schaffung einer gemeinsamen Europäischen Währung und einer Europäischen
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Zentralbank. Befürworter systemwettbewerblicher Regelungen hätten eine negative Integration gemäß Ursprungslandprinzip bevorzugt, bei der die Währungen aller Mitgliedstaaten in jedem Land hätten akzeptiert werden müssen – die Nachfrage nach Währungen wäre durch die Präferenzen der Nutzer gesteuert worden, und es hätte sich in Ländern mit inflatorischer Geldpolitik voraussichtlich ganz legal eine stabile Auslandswährung durchgesetzt. Dies wäre nicht ohne Auswirkungen auf die fiskalische Hoheit der Nationalstaaten geblieben, die nun nicht mehr die Möglichkeit gehabt hätten, die Staatsfinanzen durch inflatorisches Geldangebot zu konsolidieren. Hätte sich auf dem Wege der negativen Integration eine Einheitswährung entwickelt, so trüge dieses nationale Souveränitätszeichen. Sie wäre keine Reflexion des politischen Einheitswillens gewesen, sondern hätte Hegemoniebefürchtungen geweckt oder bestätigt. (b) Neben dem durch das Ursprungslandprinzip bedingten institutionellen Wettbewerb auf den Gütermärkten bezeichnen die Begriffe „System- und Standortwettbewerb“ zweitens die Konsequenzen aus der innerhalb der Europäischen Union gewährten freien Mobilität der Faktoren Kapital und Arbeit. Dieser Unterabschnitt schildert zunächst die orthodoxe Sicht dieser Wettbewerbssituation, während der Unterabschnitt 3 (Theorien über den politischen Hintergrund von Liberalisierungsentscheidungen) auf deren Probleme hinweist. Niederlassungs- und Berufsfreiheit erlauben den EU-Bürgern, in andere Mitgliedstaaten abzuwandern, wenn sie die dort vorherrschenden Bedingungen als günstiger einschätzen. Die Nationalstaaten haben sich also der Möglichkeit begeben, die Bevölkerung lediglich als Unterworfene und (in demokratischen Staaten) als Subjekt von Herrschaft zu betrachten. Durch die rechtlich garantierte Ab- und Zuwanderungsmöglichkeit verändert sich auch notgedrungen der Stil der nationalen Politik, die sich nun immer auch als Migrationsmanagement bewähren muss. „In einer Welt zunehmender Mobilität der Menschen, Güter und Produktionsfaktoren werden sich die Staaten Europas bemühen müssen, jene ökonomischen Aktivitäten zu attrahieren, die positive Beiträge zum Staatsbudget leisten, und sie werden darauf bedacht sein, den Zustrom der Bedürftigen, die das Budget belasten, zu begrenzen. In einem gewissen Sinne müssen sich die Staaten der europäischen Gemeinschaft wie Firmen verhalten, die bei der Gestaltung des Preis-Leistungs-Verhältnisses ihres Angebots die Mobilität der Kunden stets zu beachten haben.“10
Systemwettbewerbliche Politik in Form von Migrationsmanagement hat natürlich nicht immer einen unmittelbaren und kurzfristigen Bezug auf das Staatsbudget. Wenn sich ein Gesetzgeber entscheidet, den Universitäten zu erlauben, auf dem Weltmarkt für Akademiker oberhalb der national bislang üblichen Tarife zu bieten, so hat dies zunächst negative Auswirkungen auf das Budget. Dahinter steht freilich die Erwartung, dass dies eine Investition in die Qualität des Wirtschaftstandorts sei, die sich auf lange Sicht in positiver wirtschaftlicher Entwicklung und konsolidierten Staatsfinanzen niederschlagen werde. 10 Sinn, 1995, S. 240.
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Neben dem Migrationsmanagement müssen sich die Regierungen bei weitgehend freiem internationalen Kapitalverkehr aber auch um die Interessenlagen von Investoren kümmern. Standortpolitik ist somit nicht nur Migrations-, sondern auch Kapitalmanagement.11 In einer liberalisierten Weltwirtschaft können mobile Faktoren bei Standortentscheidungen zwischen verschiedenen politökonomischen Ordnungen wählen, und diese Wahlmöglichkeit bringt eine Konkurrenzsituation zwischen den Staaten mit sich. Betrachten wir diese Lage kurz für Unternehmen: Gesetzliche Regelungen beeinflussen deren Kostenstrukturen, Einkommenschancen und Gewinnmöglichkeiten. Steuern, Abgaben, Auflagen usw. gehen in die Kostenkalkulation und damit in den Produktpreis ein. Solange solche institutionell bedingten Kosten sich in Produktqualitäten niederschlagen, die über den Preis an die Nachfrager auf den Märkten weitergegeben werden können, entsteht für die Unternehmen kein grundsätzliches Problem. Wenn diese Kosten jedoch im internationalen Vergleich hoch sind, dann kann dies aus Sicht des Unternehmens einen entschiedenen Wettbewerbsnachteil darstellen. Verfügt die internationale Konkurrenz über eine vergleichbar gute Produktionstechnologie, sind die hergestellten Produkte hinreichend ähnlich und spielen bestimmte Reputationseffekte für die Nachfragenden keine ausschlaggebende Rolle, dann wird das heimische Unternehmen auf dem Weltmarkt keinen Erfolg haben. Wenn es auf dem heimischen Markt nicht durch Zölle vor der Weltmarktkonkurrenz geschützt wird, droht es ganz aus der Branche auszuscheiden. Unternehmensverbände, deren Mitglieder aufgrund institutionell bedingter Kosten sich benachteiligt fühlen, werden daher versuchen, Protektion auf dem einheimischen Markt zu reklamieren oder die Rücknahme der Kosten treibenden Regulierungen fordern. Natürlich können sie auch beides tun, doch ist Protektion in Ländern mit starkem Einfluss von Interessengruppen in vielen Fällen die leichter erreichbare Problemlösung. Im engen deskriptiven Sinn liegt Systemwettbewerb nur dann vor, wenn die Staaten gezielt Kapital- und Migrationsmanagement betreiben, also versuchen, günstigere Rahmenbedingungen für Sach-, Finanz- und Humankapital anzubieten als andere Staaten, die Ähnliches unternehmen. Systemwettbewerb unterstellt demnach Konkurrenzverhalten und Wettbewerbsverständnis auf Seiten der Regierungen. Im weiten deskriptiven Sinn von Systemwettbewerb brauchen die betroffenen Länder kein spezifisches Konkurrenzverhalten an den Tag zu legen; sie brauchen die politökonomischen Bedingungen also nicht mit der Zielsetzung zu gestalten, mobiles Kapital zu attrahieren. Der Begriff dient dann lediglich der Bezeichnung einer objektiv vorliegenden Konkurrenzsituation, die darin besteht, (a) dass mobilen Faktoren in einer liberalisierten Weltwirtschaft Standortoptionen offen stehen und sie von diesen Optionen den eigenen Präferenzen entsprechend Gebrauch machen können; (b) dass bei freien Gütermärkten einheimische Unternehmen nur konkurrenzfähig sind, wenn die institutionell bedingten Kosten für homogene Produkte nicht höher sind als im Ausland. 11 „Just as enterprises compete for customers by offering their respective price-benefit packages, states or jurisdictions as ‚territorial enterprises‘ find themselves competing with their tax-benefit packages for ‚jurisdiction customers‘, i. e. inhabitants and jurisdiction-users“ (Vanberg, 2000, S. 88).
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2 „Wettbewerbsfähigkeit“ als Politikziel? In einem präskriptiven Sinn wird der Begriff Systemwettbewerb gebraucht, wenn den politischen Entscheidungsinstanzen nahe gelegt wird, die Konkurrenz um mobile Faktoren als vorrangiges Politikziel festzulegen und die „Wettbewerbsfähigkeit“ eines Landes zu sichern. Vor wenigen Jahren noch dem Wortschatz der Unternehmenswelt vorbehalten, hat sich die Formel von der „Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit“ rund um den Globus zur festen Größe der politischen Sprache entwickelt.12 Die Institutionen eines Landes – so die Forderung – seien systematisch unter dem Gesichtspunkt verbesserter Bedingungen für Human- und Sachkapital zu gestalten. Zuweilen wird der Eindruck erweckt, als folge der präskriptive Sinn unmittelbar aus dem deskriptiven, als sei der Übergang von der Feststellung, dass in einer globalisierten Wirtschaft Systemwettbewerb (im weiten deskriptiven Sinn) existiert, zu der Forderung, die Konkurrenz um mobile Faktoren müsse zur höchsten politischen Priorität erklärt werden, natürlich und zwingend. Besonders greifbar und irritierend ist diese Vermischung beispielsweise in den Publikationen des renommierten Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Horst Siebert versucht noch nicht einmal im Ansatz, die Beschreibung, worin der Wettbewerb der Staaten bestehe, von politischen Forderungen zu sondern. „Der Wettbewerb zwischen den Staaten (oder zwischen den Regionen) besteht darin, dass die immobilen Produktionsfaktoren versuchen müssen, mobile Produktionsfaktoren in das Land zu ziehen oder aber auch im Land zu halten, damit die Einkommenschancen für die immobilen Faktoren möglichst günstig sind. Standortwettbewerb ist also ein Wettbewerb der immobilen um die mobilen Produktionsfaktoren.“13
Versuchen wir zunächst, den Gehalt der Aussage zu fassen: Wer oder was sind die immobilen Produktionsfaktoren und warum müssen sie nach Siebert versuchen, mobile Produktionsfaktoren (Sach- und Humankapital) in das Land zu ziehen? Mit immobilen Produktionsfaktoren ist die Erwerbsbevölkerung gemeint, die in der Regel davon profitiert, wenn die Sach- und Humankapitalausstattung des eigenen Landes reich ist. Denn mit dieser Ausstattung nimmt die Produktivität des Faktors Arbeit und folglich auch dessen Einkommen zu. Entscheidet sich eine zunehmende Zahl von Unternehmen, Produktionsstätten zu verlagern, und suchen immer mehr Personen, in denen sich Humankapital verkörpert, Einkommenschancen im Ausland, so bringt dies aus Sicht der immobilen Faktoren im Inland eine Verschlechterung mit sich: ihre Produktivität nimmt ab, ihre Einkommen sinken oder – falls dies aus politisch-institutionellen Gründen nicht möglich ist – die Erwerbslosigkeit steigt. Daher – so Sieberts Überlegung – haben die Lohnabhängigen ein Interesse daran, dass ihr Land attraktive Bedingungen für den Faktor Kapital bietet und sich 12 „Indeed, by the early 1990s the rhetoric of competitiveness […] had become pervasive among public officials. The president of the United States was advised by a Council on Competetiveness; nations around the world eagerly awaited the annual report of the World Economic Forum, which ranked nations by their competetiveness“ (Krugman & Obstfeld, 1997, S. 276). 13 Siebert, 2000, S. 9 (Hervorhebungen von mir).
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im Wettbewerb mit anderen Ländern behauptet, die eben dies auch anstreben. Eine solche Darstellung orientiert sich an den traditionellen Modellen der Außenwirtschaftstheorie, insofern in äußerst abstrakter Weise Länder als Räume beschrieben werden, die unterschiedlich produktive Faktoren beheimaten. Neu hinzu kommt der Gedanke, dass Staatsaktivitäten die Kapitalrendite beeinflussen und im Entscheidungskalkül von Kapitalbesitzern berücksichtigt werden. Allerdings wird die wesentliche Vermutung der traditionellen Theorie nicht mehr erwähnt: dass ausgleichende Mechanismen wirken, die verhindern, dass Länder – wie Krugman sagt – „out of business“ gehen. Die Abwanderung von Kapital wirkt sich nämlich auf die Devisenpreise und Löhne in den beteiligten Ländern aus. Mehr oder weniger stark verzögert durch die jeweiligen politischen Rahmenbedingungen, werden in dem Abwanderungsland die Löhne beginnen zu fallen, wodurch eine wachsende Zahl von Investitionsprojekten rentabel wird. Mit dem neuerlichen Zustrom des Faktors Kapital wächst die Nachfrage nach Arbeit und die Faktoreinkommen beginnen wieder zu steigen. Dies sind elementare Mechanismen des wirtschaftlichen Prozesses. Sie wirken, ohne dass die immobilen Faktoren ihre Regierungen dazu anhalten müssten, einer bestimmten politischen Agenda zu folgen. Eben daher ist die Übertragung der für Unternehmen zentralen Wettbewerbskategorie auf Staaten nicht ohne Kritik vollzogen worden. Paul Krugman warnte bereits 1996 vor einer unbedachten Anwendung des Begriffs „competitiveness“ im politischen Kontext. Wenn die Produktivität eines Unternehmens geringer ist als die der Konkurrenten, so wird es nach einer Weile vom Markt verschwinden. Liegt hingegen die Produktivität eines Landes unter der anderer Länder, so verschwindet es nicht von der Landkarte. „International competition does not put countries out of business. There are strong equilibrating forces that normally ensure that any country remains able to sell a range of goods in world markets, and to balance its trade on average over the long run, even if its productivity, technology, and product quality is inferior to those of other nations. And even countries that are clearly inferior in productivity to their trading partners are normally made better, not worse, off by international trade.“14
Solcher Hinweise auf Elementarlehren der Außenwirtschaftstheorie ungeachtet, haben sich die durch Begriffe wie „Systemwettbewerb“ und „Wettbewerbsfähigkeit“ nahe gelegten politischen Schlussfolgerungen auch im fachwissenschaftlichen Diskurs rasch verbreitet. Wenn die traditionelle Sicht der Außenwirtschaftstheorie ist und war, dass im Wirtschaftsverkehr zwischen Staaten ausgleichende Mechanismen wirken, die einen Vergleich mit der Konkurrenz zwischen Unternehmen unsinnig machen: Weshalb glauben Autoren wie Horst Siebert, der Systemwettbewerb zwinge die abhängig Erwerbstätigen zu dem Versuch, Kapital in das eigene Land zu ziehen? Hier ist es wichtig, daran zu erinnern, dass eines der wichtigsten Modelle für die Systemwettbewerbs-Debatte nicht aus der Außenwirtschaftstheorie, sondern aus der Finanzwissenschaft kommt. 1956 veröffentlichte Charles Tiebout einen Auf14 Krugman, 1996, S. 89.
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satz mit dem Titel „A Pure Theory of Local Expenditure“, in dem er einen Modellstaat konstruiert, der aus einer Vielzahl von Gemeinden besteht, zwischen denen ohne rechtliche oder kostenmäßige Restriktionen gewandert werden kann.15 Tiebout wollte darlegen, dass Samuelsons These, das Angebot öffentlicher Güter könne kaum jemals effizient sein, weil die Bürgerschaft nicht dazu gebracht werden könne, ihre Präferenzen korrekt zu offenbaren, nicht allgemein zutreffe. Wenn die Personen vollständig mobil sind, werden sie in diejenige Gemeinde wandern, die das von ihnen gewünschte Verhältnis von lokalen öffentlichen Gütern und gebietsbezogenen Steuern anbietet. Durch die Abwanderungsoption können somit die politischen Präferenzen von Personen offenbart werden. In dem Modell ist es den Gemeinden nicht mehr möglich, irgendeiner Person oder Organisation Steuern aufzuerlegen, wenn sie die entsprechenden staatlichen Leistungen ablehnt. Die Mobilität ermöglicht den Wirtschaftsakteuren, sich der Zwangsausübung einer Gebietskörperschaft zu entziehen, um sich in einer anderen niederzulassen, die ihren Präferenzen besser gerecht wird. Die Handlungsoptionen der hoheitlichen Macht sind im Tibout-Modell folglich eingeschränkt. In der ökonomischen Literatur zum Systemwettbewerb wird dies häufig positiv bewertet, weil man unterstellt, dass alle Personen das ihrer Zahlungsbereitschaft und – ipso facto: ihren legitimen Ansprüchen – entsprechende Angebot staatlicher Leistungen erhalten. Es liegt auf der Hand, dass diese Einschätzung ausschließt, dass die immobilen Faktoren legitime Umverteilungsansprüche gegen die mobilen Faktoren geltend machen können. Nicht dieser Punkt soll hier jedoch genauer untersucht werden. Vielmehr möchte ich darauf hinweisen, dass es ein Fehlschluss ist, zu unterstellen, die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit müsse unter Bedingungen der Kapitalmobilität das vorrangige Ziel der Politik sein. Angenommen, in Land A sei die Industrieproduktion zum Zeitpunkt t strengen und kostspieligen Arbeitsschutzvorschriften unterworfen, während das in allen Hinsichten gleiche Land B dergleichen nicht kennt. Ein in A ansässiges Unternehmen kommt zu dem Schluss, dass die Kosten der Einhaltung der Vorschriften deren Nutzen für das Unternehmen übersteigen und dass eine Übersiedelung nach B vorteilhaft wäre. Durch die Standortverlagerung erleidet das Land A einen Verlust. Arbeitsplätze gehen verloren und wegen der Inelastizität des staatlichen Leistungsangebots in kurzer Frist steigt die von den verbleibenden Faktoren zu tragende Steuerlast. Auf längere Sicht wird sich das mögliche Angebot an staatlichen Leistungen vermindern. Das Land B verzeichnet hingegen in komplementärer Weise einen Zugewinn. In landläufiger Terminologie würde man sagen, die Arbeitsschutzbestimmungen seien ein Nachteil für Land A im Wettbewerb mit Land B. Entscheidend ist nun: Diese Aussage über die Nutzenveränderung im Vergleich zur Ausgangssituation t sagt nichts darüber aus, ob die in Frage stehende Regulie15 Im Rahmen einer realistischeren Modellierung muss man davon ausgehen, dass die Mobilität von Personen eingeschränkt ist und dass Gebietskörperschaften nicht einfach von frei flotierenden Faktoren als Standorte nachgefragt werden, sondern einen relativ konstanten Bevölkerungskern haben. Dieser Bevölkerungskern, die Bürgerschaft, besteht aus denjenigen Personen, die innerhalb einer demokratischen Gebietskörperschaft volle politische Rechte genießen und deren Mobilität aus politischen, sozialen und kulturellen Gründen eingeschränkt ist.
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rung des Arbeitsschutzes vernünftig ist oder nicht. Zwar ist der Preis der Regulierung durch die Abwanderung gestiegen, aber ob sie dadurch „zu teuer“ wird, hängt von den Präferenzen der Bürgerschaft über die erwarteten Konsequenzen ab. Die Bürgerschaft könnte beispielsweise zu dem Schluss kommen, dass die durch das Kollektiv zu tragenden Gesamtkosten fehlender Arbeitsschutzbestimmungen höher sind als die Mehrkosten durch die Unternehmensabwanderung – zumal die Abwanderung gemäß Standardtheorie auf längere Sicht zunächst zu fallenden Löhnen, damit zu einem neuerlichen Zustrom von Kapital und erneuten Ansteigen der Löhne führen wird. Die Regulierungskosten werden somit letztlich zu einem großen Teil durch den Faktor Arbeit getragen. Im Grunde hat die Frage, ob und in welcher Form Arbeitsschutzvorschriften sinnvoll sind, aus Sicht der Bürgerschaft nur insofern mit der Abwanderungsoption von Unternehmen zu tun, als diese zu den Kosten der Regelung gehören. Entscheidend ist aber die Frage, ob die Kosten des Schutzes insgesamt höher oder geringer sind als die erwarteten Nutzen. Es ist außerordentlich bemerkenswert, dass dieser simple Punkt so häufig übersehen wird. „Wettbewerbsfähigkeit“ stellt daher häufig nicht mehr als eine ideologische Losung dar. Wenn Gesellschafter wegen Meinungsverschiedenheiten aus einem Geschäft austreten, so mag die Arbeitsbelastung für die Verbleibenden größer werden. In dieser Hinsicht verschlechtert sich ihre Situation. Aber daraus sollte nicht gefolgert werden, es wäre besser gewesen, das Ausscheiden der Gesellschafter zu vermeiden, indem man sich ihren Vorstellungen anpasst. Genau diesen Fehlschluss (ich möchte ihn den Wettbewerbsfähigkeits-Fehlschluss nennen) begehen diejenigen, denen die Richtigkeit einer Politik daran zu überprüfen richtig scheint, ob „Wettbewerbsvorteile“ kreiert wurden oder nicht. Der Wettbewerbsfähigkeits-Fehlschluss empfiehlt grundsätzlich, auf Regulierungen zu verzichten, sobald ihr Preis durch Abwanderung von Faktoren steigt – eine Folgerung, die man sicher (und mit Recht) nicht akzeptieren würde, wenn es um Preissteigerungen gewöhnlicher Güter wie Benzin oder Butter ginge. Man kann nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die für Standortentscheidungen von Kapitalbesitzern maßgeblichen Gründe mit den Gründen deckungsgleich sind, die für eine idealtypische Bürgerschaft in Erwägung zu ziehen sind. Ob Kosten politischer Entscheidungen in Kauf genommen werden, hängt davon ab, wie der Nutzen der Regelung bewertet wird, und dies entscheidet sich letztlich an den Präferenzen der Entscheidungsträger, die ihrerseits in demokratischen Gesellschaften an die der Bürgerschaft – zumindest lose – gekoppelt sind.
3 Theorien über den politischen Hintergrund von Liberalisierungsentscheidungen Kaum eine Einschätzung war in den politischen Grundsatzdebatten der letzten Jahren häufiger zu hören als die, dass der Standortwettbewerb zu einer „Beschränkung der Handlungsmöglichkeiten nationalstaatlicher Politik“16 führe, weil für die 16 Scharpf, 1998 a; 1998 b.
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Inhaber mobiler Faktoren neue strategische Optionen entstanden seien. Finden Unternehmen in anderen Ländern günstigere rechtliche, steuerliche, gesamtwirtschaftliche oder infrastrukturelle Rahmenbedingungen vor, so können sie mit Hinweis auf die Abwanderungsmöglichkeit versuchen, die politische Agenda im Inland zu beeinflussen. Die Möglichkeit, sich durch Standortverlagerung dem Zugriff einer Regierung zu entziehen und in andere Staaten abzuwandern, hat es schwieriger gemacht, Kapitalbesitzer zur Finanzierung politischer Ziele heranzuziehen, die nicht in deren unmittelbarem Eigeninteresse liegen. Deren Verhandlungsmacht ist gewachsen, und daher können die Regierungen die Ansprüche nichtmobiler Faktoren nur noch in eingeschränktem Umfang durchsetzen.17 Diese Diagnose ist nicht selten mit der Befürchtung verbunden worden, dass der Verlust an politischer Gestaltungsmacht die Stabilität demokratischer Staaten gefährde. „Im Rahmen einer globalisierten Wirtschaft“, so schreibt beispielsweise Jürgen Habermas, „können Nationalstaaten die internationale Wettbewerbsfähigkeit ihrer ‚Standorte‘ allein auf dem Wege einer Selbstbeschränkung staatlicher Gestaltungsmacht verbessern, also mit Hilfe von ‚Abbau‘-Politiken, die den sozialen Zusammenhalt beschädigen und die demokratische Stabilität der Gesellschaft auf eine harte Probe stellen.“18
Habermas teilt die Befürchtung vieler Beobachter, dass eine globalisierte Wirtschaft wenn nicht alle, so doch spezifische Formen von Umverteilungspolitik unmöglich macht. Da solche Umverteilungspolitik nach seiner Beurteilung für den sozialen Zusammenhalt in demokratischen Gesellschaften von entscheidender Bedeutung ist, bedroht der Wettbewerb der Staaten um mobiles Kapital letztlich die Grundfesten der Demokratie. Träfe diese Diagnose auch nur der Tendenz nach zu, so bestünde Anlass zur höchsten Sorge und zur intensivierten Suche nach Alternativen. Hätte der Systemwettbewerb die von Habermas befürchteten Folgen, so bedeutete er für Länder wie Deutschland eine dramatische Verschlechterung gegenüber der politökonomischen Situation während des Kalten Krieges, und die Frage drängte sich auf, ob und wie sich deren Vorzüge restituieren ließen. Doch nicht alle theoretischen Beobachter teilen die durch Habermas prominent vertretene Situationseinschätzung und die mit ihr verknüpften normativen Urteile. Zum einen – seltener – werden Bedenken geäußert gegenüber der pauschalen Feststellung, dass die wirtschafts- und sozialpolitischen Handlungsmöglichkeiten der Nationalstaaten durch die zunehmende Liberalisierung der Weltwirtschaft abgenommen hätten. So kommt Carl Christian von Weizsäcker in seinem Buch „Logik der Globalisierung“ zu dem Ergebnis, dass es keinen durch die globale Marktwirtschaft erzeugten Anpassungs- oder Harmonisierungsdruck in der Sozial- oder Umweltpolitik gebe.19 Zum anderen wird – vor allem in den diversen Gruppierungen der liberalen Ökonomie – zwar die These von der Beschneidung staatlicher Regelungsmacht übernommen, aber deren Gehalt keineswegs als ausschließlich beunruhigend angesehen. Vielmehr erhofft man sich von dem Systemwettbewerb 17 In diesem Sinne pars pro toto: Höffe, 1999, S. 166-173, S. 400-403. 18 Habermas, 1998, S. 69. 19 von Weizsäcker, 1999, S. 69.
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eine Schwächung der Position von nationalen Politik-Kartellen, die – so die These – lange Zeit erfolgreich notwendige Reformen abzuwehren wussten und damit dem betroffenen Land schadeten. Auch in Theoriezirkeln, die grundsätzlich auf eine klare Regelbindung und Eingrenzung staatlicher Eingriffskompetenz dringen, wird allerdings nicht rundweg ausgeschlossen, dass der Systemwettbewerb mit dysfunktionalen Folgen verbunden sein kann. Diese Möglichkeit empfiehlt man – nota bene – vor dem Hintergrund einer (dem Anspruch nach) realistischen Sicht des politischen Prozesses zu betrachten und nicht im Rahmen naiv-optimierender Modelle, in denen alle Aktoren an gemeinwohlfördernden Problemlösungen interessiert sind. Die dysfunktionalen Folgen sind demnach zu verrechnen mit den wünschenswerten Behinderungen, denen die organisierte Interessendurchsetzung im globalisierten Umfeld unterliegt. Bestehen Zweifel daran, dass der politische Prozess hinreichend sicher zwischen Förderung des Gemeinwohls und Gewährung von Privilegien zu unterscheiden vermag, so sei der Nutzen einer entmächtigten Politik höher einzuschätzen als der einer Bewahrung spezifischer Handlungsmöglichkeiten. In diesem Sinne schreibt Viktor Vanberg: „It is undeniable that, as John Kincaid (1992) puts it, a conflict can arise between consumership and citizenship. […] Even if a restriction of competition among jurisdictions may respond to certain citizen interests, this does not imply that implementing it is in fact desirable for citizens, when all its effects are considered.“20
Viktor Vanberg hält es nicht für ausreichend, wenn gezeigt werden kann, dass die gesetzgeberische Einschränkung unternehmerischer Handlungsmöglichkeiten in einzelnen Hinsichten den Präferenzen der gesamten Bürgerschaft entspricht, auch wenn dadurch die Konsumentenpreise steigen sollte (so ist Kincaids Rede vom Konflikt zwischen citizenship und consumership zu verstehen). Es reicht auch nicht aus, zu demonstrieren, dass eine Maßnahme in jeder Hinsicht und unter Berücksichtigung aller Einzeleffekte wünschenswert sei. Vielmehr sei zu entscheiden, ob der Nutzen der Menge aller regulatorischen (in Vanbergs Terminologie: protektionistischen) Eingriffe höher sei als der Nutzen einer weitgehenden konstitutionellen Erschwerung von Marktbeschränkungen. Mit anderen Worten: Es muss beurteilt werden, ob die Menge der Eingriffe, die dem Schutz partikularer Interessen gelten, nicht so beträchtlich ist, dass der Nutzen vernünftiger Regelungen überwogen wird. In den abweichenden Beurteilungen des Systemwettbewerbs spiegeln sich offensichtlich nicht (nur) unterschiedliche Auffassungen über Fakten und Mechanismen wider, sondern auch tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten über den angemessenen normativen Bezugsrahmen. Im politischen Diskurs, aber auch in vielen wissenschaftlichen Beiträgen, hebt die Bewertung auf die vermuteten Auswirkungen des Systemwettbewerbs für ein bestimmtes Land oder einen relativ homogenen Wirtschaftsraum ab. Doch ist hier Vorsicht geboten. Wenn Habermas schreibt, in einer globalisierten Wirtschaft könnten die Nationalstaaten ihre Wettbewerbsfähigkeit allein auf dem Wege einer Selbstbeschränkung staatlicher Gestaltungsmacht und mit „Abbau“-Politiken verbessern, so ist diese Beurteilung mit 20 Vanberg, 2000, S. 97.
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Blick auf Länder wie Deutschland verfasst und möglicherweise plausibel. Aus Sicht eines Landes wie Irland, dessen erstaunliche wirtschaftliche Entwicklung in der letzten Dekade sich nicht zuletzt der erfolgreichen Attraktion mobiler Faktoren verdankt, müsste sowohl die Beschreibung als auch die Bewertung anders lauten. Denn aus irischer Perspektive hat der Systemwettbewerb keineswegs zu einer Einschränkung, sondern zu einer drastisch verbesserten fiskalischen Situation und zu einem Zuwachs an staatlichen Handlungsmöglichkeiten geführt. Systemwettbewerb bringt notwendigerweise profitierende und verlierende Wirtschaftsräume hervor, und dies muss in seiner normativen Beurteilung Berücksichtigung finden. Denn wenn Systemwettbewerb in einer Konkurrenz um mobile Faktoren besteht, so impliziert dies, dass deren Abwanderung als eine Verschlechterung, die Zuwanderung als eine Verbesserung der Wohlfahrtssituation innerhalb eines Wirtschaftsraums angesehen wird. Dass die globalisierte Wirtschaft zu Wanderungsbewegungen von Faktoren und zu Änderungen in der regionalen Wirtschaftsstruktur führt, die sich zunächst als Verbesserung oder Verschlechterung bemerkbar machen, sagt indes nichts über den Gesamteffekt für die Weltwohlfahrt oder die längerfristige Situation für einzelne Wirtschaftsräume aus. Die Feststellung, dass Länder, aus denen Faktoren abwandern, verlieren, andere hingegen gewinnen, legt nicht auf den Schluss fest, die globalisierte Wirtschaft sei ein Nullsummenspiel; und sie legt auch nicht auf die Aussage fest, dass die verlierenden Wirtschaftsräume in langer Frist besser gefahren wären, wenn die Weltwirtschaft weniger intensiv integriert gewesen wäre. Was Habermas die globalisierte Wirtschaft nennt,21 wäre ohne entsprechende Entscheidungen von Nationalstaaten nicht möglich gewesen. Ohne den Abbau von rechtlichen Beschränkungen des Handels mit Gütern und Dienstleistungen, ohne die Gewährung eines freien Kapital- und Devisenverkehrs gäbe es keine Globalisierung. Wie ist dies mit dem Befund in Einklang zu bringen, dass zumindest einige Staaten durch die (von ihnen betriebene) Globalisierung Gestaltungsmöglichkeiten eingebüsst haben? Wieso treffen Regierungen von Ländern wie Deutschland politische Entscheidungen, durch die ihre Handlungsoptionen eingeschränkt werden? Die erste mögliche Antwort auf diese Fragen lautet, dass die betroffenen Regierungen nicht antizipiert hätten, welche Konsequenzen sich aus jenen Entscheidun21 Paul Hirst & Grahame Thompson (1996, 1998) haben verschiedentlich argumentiert, die Weltwirtschaft sei weit von einer echten Globalisierung entfernt. Sie verweisen darauf, dass die Zunahme des Welthandels vor allem die OECD-Mitgliedstaaten betreffe und dass eine Tendenz zur Bildung von regionalen Wirtschaftsblöcken, wie der EU, zu beobachten sei. Daher halten sie den Begriff der ‚neuen internationalen Ökonomie‘ für angemessener als den der Globalisierung. Perraton et al. (1998) haben dem erwidert, dass der von Hirst und Thompson verwendete idealtypische Begriff von Globalisierung zu strikt sei. Die Zunahme weltwirtschaftlicher Integration sei eindeutig; der Begriff der Globalisierung sei gebräuchlich und eigne sich, um diesen Trend zu benennen. Dieser pragmatischen Einstellung werde ich folgen. Gleichwohl sollte der inhaltliche Kern der Argumentation von Hirst und Thompson nicht vergessen werden: Die heutige Weltwirtschaft ist weiterhin durch starke Segmentierungen gekennzeichnet. Die wichtigste Abweichung von dem Idealtyp einer globalisierten Weltwirtschaft wird indes von Hirst und Thompson nicht explizit genannt: Sie besteht in den strengen rechtlichen Restriktionen, denen die Migration unterworfen ist.
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gen ergäben. Sie haben nicht vorausgesehen, dass aus der Liberalisierung institutioneller Wettbewerb folgen wird und dass sich dadurch ihre Handlungsmöglichkeiten ändern (Irrtumstheorie des Systemwettbewerbs). Von einer zweiten Deutung berichtet Wolfgang Streeck. In einigen Traditionszirkeln des „ehemaligen ‚linken Flügels‘“ neige man dazu, „die neuen Verhältnisse zur demagogisch-ideologischen Mystifikation ‚der Henkels und Lambsdorffs zu erklären und ihnen damit die Realität abzusprechen.“22 Diese Betrugstheorie des Systemwettbewerbs besagt, dass es jenen Verlust an staatlichem Steuerungspotential (noch) gar nicht gebe und es sich um ein ideologisches Konstrukt handele, mit dem – vor allem – die lohnarbeitende Bevölkerung getäuscht werden solle. Von der Betrugstheorie zu unterscheiden ist die in mehreren Varianten auftretende „Absichtstheorie des Systemwettbewerbs“. Anders als die Betrugstheorie stellt sie die Realität der Globalisierung nicht in Frage und anders als die Irrtumstheorie hält sie die Einbuße an staatlicher Gestaltungsmacht für intendiert und keineswegs für eine nicht vorausgesehene Nebenfolge. Die Absichtstheorie kennt zwei Grundvarianten. Die erste Variante unterstellt, dass es bei der Liberalisierung um die Durchsetzung partikularer Interessen der Kapitalbesitzer gehe, die durch den „Neoliberalismus“ ideologisch vertreten würden. Diesen sei es gelungen, den Staatsapparat so zu programmieren, dass er den legitimen Ansprüchen der Bevölkerungsmehrheit nicht mehr gerecht werden könne. Globalisierung ermögliche ein höheres Maß an sozialer Ungleichheit unter Verweis auf (insgeheim geschaffene) Sachzwänge, Ungleichheit, die andernfalls politisch nicht akzeptiert worden wäre. Diese Untervariante der Absichtstheorie nenne ich die „Lehre von der partikularen Interessendurchsetzung“. Habermas vertritt in dem obigen Zitat eine Sonderform dieser Lehre, da er überzeugt ist, die absichtlich betriebene Deregulierung führe zu einer nicht beabsichtigten Desintegration demokratischer Ordnung (Doktrin von der selbstzerstörerischen Wirkung partikularer Interessendurchsetzung). Von dieser Doktrin zu scheiden ist die Auffassung, die neoliberalen Politikziele ließen sich tatsächlich erreichen und auf Dauer stellen (wie das Beispiel der Vereinigten Staaten zeige), jedoch sei dies illegitim (Auffassung von der Ungerechtigkeit). Die Lehre von der partikularen Interessendurchsetzung konkurriert mit verschiedenen Formen von positiven Bewertungen des Systemwettbewerbs, die vor allem innerhalb der Wirtschaftswissenschaft zu finden sind. Bei vielen Unterschieden im Detail, verbindet diese positiven Einschätzungen die Auffassung, dass der Systemwettbewerb politische Steuerungsversuche erschwere, die auf lange Sicht ohnehin kontraproduktiv oder in anderer Weise schädlich oder sinnlos seien. Wenn beispielsweise beklagt werde, dass der Systemwettbewerb virtuell unmöglich mache, Kapital zu besteuern, so wird dem entgegen gehalten, dass die Besteuerung von Kapital ohnehin zu Lasten des Faktors Arbeit gehe.23 Zusammenfassend 22 Streeck, 1998, S. 170. Olaf Henkel war langjähriger Präsident des deutschen Industriedachverbands BDI, Otto Graf Lambsdorff ist Politiker der wirtschaftsliberalen deutschen FDP. 23 Dieser Zusammenhang wird auch von Kritikern des Systemwettbewerbs und Befürwortern supranationaler Harmonisierungen, wie Hans-Werner Sinn (1995), anerkannt. Sinn geht indes davon aus, dass eine Überwälzung von Kapitalbesteuerung nur bei vollkommener Mobilität des Faktors möglich ist.
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möchte ich diese Position die „Doktrin der Förderung der allgemeinen Wohlfahrt“ nennen. Der Systemwettbewerb – so diese Doktrin – erschwert die Durchsetzungschancen ökonomisch unsinniger Politik. Theorien über den politischen Hintergrund von Liberalisierungsentscheidungen
Betrugstheorie (I)
Absichtstheorien (II)
Lehre von der partikularen Interessendurchsetzung (1) (LEHRE)
Irrtumstheorien (III)
Doktrin der Förderung der allgemeinen Wohlfahrt (2) (DOKTRIN)
Doktrin von der selbstzerstörerischen Wirkung (a) Auffassung von der Ungerechtigkeit (b)
4 Gründe für globalen Wettbewerb Es ist nun Zeit, auf die anfangs gestellte Frage zurückzukommen, welche Gründe im Rahmen eines imaginären Nationenkonvents zugunsten des globalen Wettbewerbs (Prinzip (1)) geltend gemacht werden würden. Im politischen Diskurs (aber auch bei Theoretikern wie Habermas) wird die globalisierte Wirtschaft hinsichtlich ihrer Effekte auf Länder wie Deutschland beschrieben und unter Hinweis auf funktionale Zusammenhänge (materielle Voraussetzungen von Solidarität in der Demokratie) und normative Haltungen (Verteilungsgerechtigkeit) beurteilt. Soll die Legitimitätsfrage jedoch philosophisch und nicht geradewegs politisch gestellt werden, so ist ein solcher Fokus zu eng gewählt. Die globalisierte Wirtschaft muss dann global betrachtet werden. Damit ist natürlich noch keine Vorentscheidung darüber getroffen, ob eine „globalistische“ oder eine „etatistische“ Perspektive den angemessenen Bewertungsstandpunkt abgibt. Die globalistische oder – wie Rawls sagt – kosmopolitische Theorie lässt ihre Reflexion auf die Beschaffenheit einer gerechten Weltordnung bei der Wohlfahrtsposition von Individuen ansetzen.24 Solidaritätsbeziehungen innerhalb der Populationen etablierter Nationalstaaten – also intermediäre Kollektive zwischen Individuum und Menschheit – treten in der kosmopolitischen Sicht zurück und begründen keine vorrangigen Verpflichtungen. Etatistische Auffassungen schlagen hingegen ein zweistufiges Vorgehen vor, bei dem zunächst sichergestellt werden soll, dass die Grundstruktur der Nationalstaaten gerecht ist, um dann nach den legitimen Ansprüchen zu fragen, die Nationen 24 Der kosmopolitischen Auffassung „geht es um das individuelle Wohlergehen und deshalb darum, ob das Wohlergehen der global am wenigsten begünstigten Person verbessert werden kann. Worauf es dem Recht der Völker ankommt, ist die Gerechtigkeit und Stabilität von liberalen und achtbaren Gesellschaften, die als Mitglieder einer Gesellschaft wohlgeordneter Völker leben, aus den richtigen Gründen“ (Rawls, 1999/2002, S. 149).
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gegeneinander innerhalb der zwischenstaatlichen Ordnung haben sollen. Nationen, nicht Individuen sind der etatistischen Auslegung zufolge die Instanzen, an denen sich die Gerechtigkeit der globalen Ordnung bemisst. Rawls selbst hat sich mittlerweile ausdrücklich zum Etatismus bekannt, und seine Haltung dürfte im Einklang stehen mit der insgesamt vorherrschenden Auffassung über die korrekte normative Perspektive in Sachen internationale Ordnung.25 Im Folgenden wird die Legitimitätsfrage unter etatistischen Vorzeichen gestellt. Ich werde zum einen davon ausgehen, dass die Gerechtigkeit der Weltordnung sich daran bemisst, ob die legitimen Ansprüche von Nationen befriedigt werden, zum anderen annehmen, dass die Beschaffenheit der nationalstaatlichen Ordnung gegenüber der Bevölkerung zu rechtfertigen sein muss. Die Ansprüche von Staaten sind legitim, wenn sie auf Grundsätzen beruhen, die in einem imaginären Nationenkonvent als Bestandteile einer legitimen Weltordnung beschlossen worden wären. Das Verfahren ist somit – wie für etatistische Ansätze üblich – zweistufig. Einen sinnvollen und zwischen Anhängern der Lehre und der Doktrin weitgehend unumstrittenen Ausgangspunkt für die Erörterung des Prinzips globalen Wettbewerbs stellt das Freihandelsargument dar, das 1817 von David Ricardo entwickelt wurde und für eine Aufhebung der Importrestriktionen auf Lebensmittel warb, mit denen die englische Regierung seinerzeit die heimische Landwirtschaft stärken wollte. Ricardos Argument beanspruchte zu zeigen, dass freier Handel zwischen Nationen unter normalen Umständen für alle beteiligten Länder vorteilhaft ist, weil er eine effizientere Nutzung der Ressourcen erlaubt. Handel ist nämlich nichts anderes als eine indirekte Art der Produktion. Wenn ein Land sich in der Lage sieht, ein Gut zu importieren, so ist es nicht mehr genötigt, dieses Gut selbst herzustellen. Eine solche Substitution der eigenen Produktion durch Handel ist nach dem einfachen Modell Ricardos immer dann vorteilhaft, wenn die Kosten des Handels geringer sind als die der Erstellung eines Gutes. Der Grundgedanke ist derselbe wie der für Arbeitsteilung. Personen, die sich gut auf etwas verstehen, nützen sich und der Gesellschaft am meisten, wenn sie sich auf diese Tätigkeit konzentrieren und andere benötigte Leistungen auf dem Markt mit ihrem Faktoreinkommen erwerben. Damit werden aber Ressourcen für die Produktion anderer Güter freigesetzt, und dieser Effekt wird von der vorherrschenden ökonomischen Theorie als Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz beschrieben, als „gains from trade“. Anders als der Merkantilismus beruht die Freihandelsdoktrin nicht auf der Überzeugung, der Reichtum einer Nation sei nur auf Kosten anderer Nationen zu erreichen. Internationaler Handel – so die Grundaussage – ist unabhängig vom 25 Für Rawls’ Position und einige andere Varianten des Etatismus gilt allerdings, dass ihre Gerechtigkeitsgrundsätze prinzipiell auch eine globalistische Anwendung erlaubten. Im Fall von Rawls wird die Gerechtigkeit der Grundstruktur eines Nationalstaats anhand jener beiden bekannten Prinzipien beurteilt, während im Kontraktualismus der Constitutional Political Economy das Prinzip der Präferenzsouveränität maßgeblich ist. Der individualistische Ansatz beider Konzepte lässt es grundsätzlich denkbar erscheinen, den Nationalstaaten bei der Legitimation der Weltordnung keinen herausgehobenen Status einzuräumen. Dies gilt nicht für ausdrücklich partikularistische Ansätze, wie den von David Miller, in denen die moralischen Bindungen zwischen Landsleuten Vorrang haben.
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Entwicklungsstand eines Landes und der von ihm übernommenen Rolle innerhalb der internationalen Arbeitsteilung für alle beteiligten Nationen mit Nutzenzuwächsen verbunden. An die Liberalisierung des Weltmarktes ist somit im RicardoModell die Erwartung allseitigen Vorteils geknüpft, eine Erwartung, die innerhalb der heutigen Wirtschaftswissenschaft insgesamt als berechtigt angesehen wird und politisch in GATT und WTO Ausdruck fand und findet. Die Kritik der Lehre an der Freihandelsdoktrin hakt unter anderem bei dem Umstand ein, dass Ricardos Modell von den zu erwartenden Verteilungswirkungen einer liberalisierten Weltwirtschaft abstrahiert. Denn selbst wenn es zutrifft, dass ein nicht durch Handelsbeschränkungen restringiertes System internationaler Arbeitsteilung zu jenen „gains from trade“ führt, so ist damit noch offen, wie diese Erträge innerhalb der jeweiligen Länder verteilt sind. Offen ist mithin die Frage, ob die Liberalisierungsgewinne in einer Weise anfallen, die allgemeine Zustimmung bei der Bevölkerung findet. Eine der wichtigsten Aussagen der Außenwirtschaftstheorie lautet, dass sich durch internationalen Handel die Welt-Faktorpreise angleichen werden, dass also in einer offenen Weltwirtschaft der Preis für gleichartige Arbeitsleistungen und der Kapitalzins global identisch sein werden. Die Weltbevölkerung hat in den letzten drei Dekaden um ungefähr 2 000 000 000 Menschen zugenommen. Da der Weltkapitalstock nicht mit entsprechendem Tempo vergrößert werden konnte und die Weltwirtschaft langsamer wächst als die Weltbevölkerung, hat das Angebot des Faktors Arbeit überproportional zugenommen. Dadurch geraten vor allem die Einkommen gering qualifizierter Arbeitskräfte unter Druck. Komplementär zum steigenden Angebot des Faktors Arbeit verknappt sich der Faktor Kapital. Dies betrifft sowohl Sach- als auch Humankapital, also Wissen und Fähigkeiten von Personen. Die Einkommen qualifizierter Arbeitskräfte steigen demnach tendenziell unter Bedingungen globaler Konkurrenz. In der Diskussion der letzten Jahre wurden diese Zusammenhänge des Öfteren angeführt, um die wachsende Einkommensungleichheit in industrialisierten Ländern zu erklären. Es ist in der empirisch orientierten Ökonomie umstritten, ob der gegenwärtig beobachtbare Anstieg der Einkommensungleichheit durch das Faktorpreisausgleichs-Theorem wirklich erklärt werden kann oder ob nicht die technologische Entwicklung den Ausschlag gibt – und natürlich existiert auch hier ein dritter Weg, der auf die Interdependenz beider erklärenden Faktoren hinweist.26 Unstrittig dürfte aber der von Carl Christian von Weizsäcker festgehaltene Sachverhalt sein, dass es ein Weltbeschäftigungsproblem gibt und das Arbeitsangebot in der Welt – zu den gegebenen Löhnen – größer ist als die Arbeitsnachfrage.27 Dass der Gleichgewichtslohn für gering qualifizierte Arbeit mit wachsender Weltbevölkerung tendenziell fällt, heißt aber natürlich nicht, dass er sich in allen Regionen dem niedrigsten Niveau angleicht. Zudem wird es immer eine regionale Segmentierung bei der Entlohnung von lokalen Dienstleistungen geben. Die Einkommen von Frisören, Schaffnern und Verkäufern in Wirtschaftsräumen mit ho26 Siehe Burtless, 1995. 27 von Weizsäcker 1999, S. 52.
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hem Sozialprodukt werden höher liegen als die Einkommen von Frisören, Schaffnern und Verkäufern in Gegenden mit geringem Sozialprodukt, nicht zuletzt um die höheren Lebenshaltungskosten zu entgelten. Auch in einer weitgehend liberalisierten Weltwirtschaft werden gering Qualifizierte in wohlhabenden Regionen besser verdienen und über eine reichere Güterausstattung verfügen als in armen, insbesondere dann, wenn die grenzüberschreitende Mobilität gering qualifizierter Arbeitskräfte rechtlich eingeschränkt wird. Gering qualifizierte Anbieter lokaler Dienstleistungen haben daher ein starkes materielles Interesse, dass der einheimische Arbeitsmarkt durch protektionistische Maßnahmen gegen Immigration abgeschirmt wird. Für wenig ausgebildete Arbeitskräfte im Bereich der Warenproduktion ist die Situation schwieriger, weil deren Entlohnung sich bei offenen Gütermärkten nur unvollkommen durch Einschränkung der Migration stabilisieren lässt. Ihre Situation hängt weitgehend von dem Erfolg der inländischen Unternehmen auf den Gütermärkten ab – gelingt den Unternehmen die Errichtung temporärer Monopole innerhalb des Innovationszyklus, so können die gering Qualifizierten an den anfallenden Monopolrenten beteiligt werden. Bei Unternehmen, die auf Märkten für relativ homogene Güter agieren und einer intensiven internationalen Konkurrenz ausgesetzt sind, entsteht jedoch Druck auf die Löhne der gering qualifizierten Arbeitskräfte. Auf längere Sicht können auf solchen Märkten nur Löhne gezahlt werden, die der Produktivität der Arbeitskräfte tatsächlich entsprechen. Carl Christian von Weizsäcker bezeichnet dies als den „Wettbewerbslohn“ und schätzt, dass der Durchschnittslohn der Industrie in Deutschland gegenwärtig ungefähr dem Wettbewerbslohn entspreche.28 Das bedeutet, dass nach von Weizsäckers Einschätzung die Intensivierung der weltwirtschaftlichen Integration zur Zeit kein Sinken der Durchschnittlöhne in Deutschland zur Folge haben dürfte. Da hier von Durchschnitten die Rede ist, heißt dies – nota bene – nicht, dass es nicht zu Verschiebungen im Einkommensgefüge kommen wird. Freilich lässt sich darüber streiten, ob die Einschätzung von Weizsäckers zutrifft und der Durchschnittslohn in der deutschen Industrie tatsächlich der Durchschnittsproduktivität entspricht. Ich möchte diesen Punkt hier jedoch nicht weiter erörtern, sondern auf einige Schlussfolgerungen hinweisen, die sich bei von Weizsäcker ergeben. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die weltwirtschaftliche Integration unter der gegebenen Annahme für ein Land wie Deutschland insgesamt positive Auswirkungen hätte, insofern die Einkommen des Faktors Arbeit nicht abnähmen, aber die Konsumpreise tendenziell fielen, weil Güter, die durch gering Qualifizierte erstellt werden könnten, günstiger auf dem Weltmarkt nachzufragen wären. In einem Land wie Deutschland – so die Einschätzung – ist die globalisierte Wirtschaft für alle Bevölkerungsteile von Vorteil. Von Weizsäcker vertritt entsprechend – unter der Supposition, dass gleiches auch für alle anderen betroffenen Länder gilt – eine Version der Doktrin. Auf funktionsfähigen Märkten entsprechen die Einkommen in langer Frist der Produktivität und den gegebenen Knappheitsrelationen, so von Weizsäckers 28 von Weizsäcker, 1999, S. 61.
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Grundannahme. Kurzfristige Abweichungen vom Wettbewerbslohn sind möglich, können aber nicht von Dauer sein. Denn wenn Löhne oberhalb des langfristigen Gleichgewichts gezahlt werden, so wirkt sich dies negativ auf die Eigenkapitalrendite und die Reinvestitionen aus. Zwar steigt durch die hohen Löhne die Nachfrage auf den Konsumgütermärkten, aber diese Steigerung wird durch den Rückgang der Investitionsgüternachfrage neutralisiert. Durch den langsam wachsenden oder abnehmenden Kapitalstock nimmt die Konkurrenz unter den Lohnabhängigen zu, so dass entweder die Löhne zu sinken beginnen oder – falls dies nicht möglich ist – die Arbeitslosigkeit steigt. Je offener eine Volkswirtschaft, so wird häufig argumentiert, desto weniger sei sie bei uneingeschränktem Systemwettbewerb in der Lage, Umverteilungspolitik zu betreiben. Denn „[w]enn beispielsweise ein Ausbau des Sozialstaats im Inland zu erhöhten Lohnnebenkosten führt und dies wiederum die Arbeitskosten für die inländischen Unternehmen erhöht, dann wird deren Position nicht nur im Produktwettbewerb geschwächt, sondern sie erhalten verstärkt Anreize, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern.“29
Es ist aber entscheidend, zu verstehen, dass nicht die Höhe der Löhne, sondern deren Verhältnis zur Produktivität den Ausschlag gibt. Denn solange die Summe der Lohnbestandteile – Nettolohn, Steuern und Beiträge an die sozialen Sicherungssysteme – in einem angemessenen Verhältnis zur Produktivität steht, haben die einheimischen Unternehmen keine Abwanderungsanreize. Entsprechend ist es irreführend, einen Konflikt zwischen dem Grad der Offenheit einer Volkswirtschaft und dem Ausbaugrad des Sozialsystems zu konstatieren. Ein solcher Konflikt besteht nicht. Zwar verstärkt eine globalisierte Wirtschaft den Druck, die Summe der Lohnbestandteile an die Produktivität anzupassen. Dieser Druck besteht jedoch im Prinzip auch in einer geschlossenen Volkswirtschaft – die Öffnung eines Wirtschaftsraums macht ihn lediglich genauer lokalisierbar. Carl Christian von Weizsäcker fasst diese Überlegung in der für manche provozierenden Feststellung zusammen, dass die Globalisierung die sozialpolitische Autonomie der Nationalstaaten unbeschadet lasse. Sie sind weiterhin frei, mit Teilen des abgeschöpften Einkommens soziale Sicherungsinstitutionen zu finanzieren. Doch darf und kann die Summe der Lohnbestandteile auf lange Sicht nicht systematisch oberhalb des Wertschöpfungsanteils festgesetzt werden. Derartiges – so sollte vielleicht angemerkt werden – haben selbst zentral verwaltete Wirtschaftssysteme wohlweislich nicht versucht. Oben war gesagt worden, dass es ein Weltbeschäftigungsproblem gibt und die Faktoreinkommen gering qualifizierter Arbeit in Ländern wie Deutschland tendenziell fallen werden. Ist dies wegen der Struktur des sozialen Sicherungssystems nicht im vollen Umfang möglich, so wird in den betreffenden Ländern die Erwerbslosigkeit gering Qualifizierter steigen, wenn nicht politische Gegenmaßnahmen ergriffen werden. So vermag der Staat auf zunehmende Erwerbslosigkeit 29 Klodt, 1999, S. 200.
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durch Arbeitsbeschaffungs- oder Weiterbildungsprogramme zu reagieren. Am Gehalt des Faktorpreisausgleichtheorems kann er aber nichts ändern. Vokabeln wie Lohndumping bringen die Überzeugung zum Ausdruck, dass ein Arbeitskraftangebot zu Preisen, die unter den in Ländern wie Deutschland und der Schweiz üblichen liegen, etwas moralisch Falsches und Kritikwürdiges sei. Dahinter steht offenbar die Idee, dass auch in Hochlohnländern aufgrund der bestehenden Machtverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit die Löhne eigentlich zu niedrig seien; erst recht müsse dies für die Niedriglohnländer gelten, so dass ein Faktorpreisausgleich auf – aus Sicht der Hochlohnländer – niedrigerem Niveau die bestehende Einkommensungerechtigkeit nicht verbessere.30 Daher sei es moralisch legitim, wenn eine vergleichsweise günstige Verteilungsposition gegenüber den Kapitaleigentümern durch protektionistische Maßnahmen gegen die Umverteilungseffekte internationaler Arbeitsteilung verteidigt würde, und zwar auch dann, wenn unter den Begünstigten ihrerseits Anbieter von Arbeitskraft wären. Es wäre, mit anderen Worten, legitim, die im internationalen Vergleich hohe Entlohnung bestimmter Leistungen zu verteidigen, auch wenn dadurch die am wenigsten Begünstigten – Arbeitskraftanbieter in Niedriglohnländern – benachteiligt würden. Eine solche Sichtweise beschränkt die Anwendung des (egalitaristischen) Umverteilungsarguments auf die innerstaatliche Situation und gibt sich damit als etatistisch zu erkennen. Dem globalistischen Egalitarismus wird entgegen gehalten, die am schlechtesten Gestellten seien keine Einheimischen und daher normativ weniger wichtig.31 Doch auch innerhalb eines etatistischen Konzepts wird die Frage der Legitimität weltwirtschaftlicher Ordnung nicht an der Interessenlage eines einzelnen Landes gemessen. Innerhalb des imaginären Nationenkonvents können die Repräsentanten nicht auf Kenntnisse über die wirtschaftlichen Gegebenheiten ihres Landes zurückgreifen. Da sie ein Wohlfahrtsniveau sichern wollen, das ausreichend ist für die Erhaltung einer gerechten institutionellen Grundstruktur, werden sie in ihren Überlegungen Regeln bevorzugen, die zu einer Verbesserung der Einkommenssituation in vergleichsweise armen Ländern führen. So mag zwar die „distributionistische, moralegalitaristische, universalistische“32 Position zurückgewiesen werden, der zufolge die Weltwohlfahrt prima facie gleich zu verteilen ist – nicht zurückgewiesen wird aber der Anspruch armer Länder, von der weltwirtschaftlichen Kooperation nicht mit der Begründung ausgeschlossen zu werden, dass dies zu einer Schlechterstellung von Bevölkerungsgruppen in den reichen Ländern führte. Denn ein solches Argument würde im imaginären Nationenkonvent nicht durchdringen. 30 „Free trade and foreign direct investment may take jobs from workers (including low-paid workers) in the advanced industrial economies and give them to cheaper workers in poor countries. […] Sceptics score this strategy as a double crime. The rich-country workers, who were probably on low wages by local standards to begin with, are out of work. That increase in local supply of labour drives down other wages. Meanwhile, the poor country workers are drawn into jobs that exploit them. How do you know that the poor-country workers are being exploited? Because they are being paid less, often much less, than their rich-country counterparts got before trade opened up […]“ (Anonymus, 2001, S. 5). 31 Eine solche Position vertritt beispielsweise Miller, 1988, 1995. 32 Gosepath, 2002, S. 204.
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Im Rahmen utilitaristischen Denkens lässt sich Freihandel einfach dadurch begründen, dass er unter bestimmten Bedingungen die Weltwohlfahrt maximiere. Dieser Argumentationsweise schließt sich auch die konventionelle Außenwirtschaftstheorie an, wenn sie sich damit begnügt, mit Aggregatgrößen zu operieren. Doch selbst innerhalb der Ökonomie ist eine solche Begründung unzureichend. Üblicherweise geht die ökonomische Literatur davon aus, dass Nutzenzustände interpersonell nicht verglichen und verrechnet werden können. Damit entfällt auch die Möglichkeit einer utilitaristischen Politikbegründung. Können Nutzenzustände nicht interpersonell verrechnet werden, so bedeutet dies für eine präferenzialistische Position, dass der Verweis auf einen positiven aggregierten Nettonutzen nichts legitimieren kann. Angenommen, der außenwirtschaftstheoretische Befund, dass Freihandel die Weltwohlfahrt erhöhte, träfe tatsächlich zu, so wäre dies normativ nur insofern belangvoll, als ein positiver aggregierter Nettonutzen grundsätzlich zu der materiellen Besserstellung jeder einzelnen Person genutzt werden könnte; unter der Annahme, dass eine solche Besserstellung auch von jeder Person gewünscht würde, hätte sich der Freihandel als Kandidat für eine präferentialistische Politikempfehlung qualifiziert; lediglich als Kandidat, weil ja nicht nur die Möglichkeit einer Besserstellung, sondern eine tatsächliche Besserstellung gefordert werden muss.33 Verblüffenderweise begnügt sich jedoch die außenwirtschaftstheoretische Literatur häufig mit weniger als dem präferenziell Geforderten – und dies ist eine Inkonsistenz innerhalb der Theorie. Paul Krugman und Maurice Obstfeld gehören zu den Ökonomen, die dieses Problem aussprechen. „The fundamental reason why trade potentially benefits a country is that it expands the economy’s choices. This expansion of choice means that it is always possible to redistribute income in such a way that everyone gains from trade. That everyone could gain from trade unfortunately does not mean that everyone actually does. In the real world, the presence of losers as well as winners from trade is one of the most important reasons why trade is not free. […] In spite of the real importance of income distribution, most economists remain strongly in favor of more or less free trade.“34
Die Aussage, Freihandel führe zur allokativen Effizienz, reicht auch im Rahmen der ökonomischen Theorie nicht aus, um eine Politikempfehlung zu begründen. Insofern ist die Unterscheidung zwischen Allokations- und Verteilungsfragen in normativer Hinsicht hinfällig. Es ist erheblich, wie die Nutzenzuwächse globalen Wettbewerbs anfallen und welche Institutionen die resultierenden Verteilungen gegebenenfalls gemäß gerechter Prinzipien korrigieren können. Die Vertreter im Nationenkonvent können somit die Effekte des Handels auf die inländische Einkommensverteilung in normativer Hinsicht nicht ignorieren. Legt man diese Auffassung zugrunde, so gehören Marktliberalisierung und hoheitliche Umverteilung in normativer Hinsicht zusammen. Die Korrektur von Li33 Gebhard Kirchgässner ist daher im Recht, wenn er sagt, von der konventionellen ökonomischen Theorie ausgehend ergebe sich keine Möglichkeit, die Auswirkungen der Globalisierung als wohlfahrtssteigernd zu betrachten, solange keine Kompensation stattfinde. Siehe: Kirchgässner, 1998, S. 69. 34 Krugman & Obstfeld, 1997, S. 57, 58.
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beralisierungseffekten gehört somit zu den Legitimitätsbedingungen eben dieser Liberalisierung. Der Präferenzialismus der Ökonomie kann grundsätzlich mit verschiedenen Gewichtungsregeln für Präferenzen versehen werden, und dies impliziert bereits Stellungnahmen zu dem Verteilungsproblem. Die in der Politischen Ökonomie vorherrschende Form etatistischen Denkens weist den Präferenzen aller Einheimischen das gleiche Gewicht zu.35 Die konventionelle Ökonomie fordert, dass die Wohlfahrtsgewinne eines Landes so verteilt werden, dass das Kaldor-Hicks-Kriterium erfüllt wird.36 Die indifferente Behandlung aller Präferenzen ist jedoch – wie bereits vielfach und vielerorts angemerkt wurde – normativ inakzeptabel. Ein wichtiger Kritikpunkt hebt darauf ab, dass dieses Kriterium zu äußerst ungleichen Verteilungen von Vermögen und Einkommen führen kann. Vor allem Rawls hat verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die ungleiche Verteilung von Wohlstand mit ungleichen Möglichkeiten politischen Einflusses einhergeht. Eine sehr ungleiche Verteilung bedroht somit die Gerechtigkeit der politischen Grundstruktur einer Gesellschaft insgesamt.37 Das in modelltheoretischer Betrachtung zu gewinnende Ergebnis, dass unter bestimmten Bedingungen durch internationale Arbeitsteilung der nationale Wohlstand in jedem Land steigt und das Kompensationskriterium erfüllt würde, reicht daher zur Rechtfertigung des globalen Wettbewerbs (Prinzip (1)) nicht aus. Denn die Repräsentanten streben die Sicherung der materiellen Bedingungen einer gerechten institutionellen Grundstruktur in den jeweiligen Ländern an. Unabhängig von der konkreten Ausführung lässt sich festhalten, dass der indifferente Präferenzialismus durch einen Typ normativer Begründung ersetzt werden muss, der die Gewichtung von Interessen erlaubt. Nicht jede Schlechterstellung einer Bevölkerungsgruppe delegitimiert ipso facto die betreffende politische Reform oder begründet Umverteilungsansprüche gegen die Begünstigten. In dem imaginären Nationenkonvent – so möchte ich annehmen – sind Nationen repräsentiert, 35 Christoph Fehige charakterisiert den Präferenzialismus folgendermaßen: „1. Jede Präferenz zählt. Will sagen: Von jedem Guten Satz [unter einem Guten Satz versteht Fehige folgendes: Falls Individuum a (zur Zeit t, mit Intensität i) will, dass p, dann p] gilt, dass es pro tanto gut ist, ihn wahr zu machen. 2. Nur Präferenzen zählen. (…) Moral superveniert demnach über Präferenzbefriedigung, und Orektogramme [das Orektogramm ist nach Fehige eine Liste, die aufführt, welche Wünsche (von bestimmten Personen, zu einem bestimmten Zeitpunkt, in bestimmter Stärke) gehegt und welche erfüllt werden können] enthalten alle Informationen, deren es bedarf, um mögliche Welten zu bewerten. 3. Jeder nach seiner Fasson: Auf welche Gegenstände sich Präferenzen richten, ist letztlich ohne Belang“ (Fehige, 1997, S. 307, S. 308). Den drei Punkten Fehiges zur Definition des Präferenzialismus wäre hier ein vierter hinzuzufügen: Alle Präferenzen zählen gleich viel. (Indifferenter Präferenzialismus) 36 Das Kaldor-Hicks-Kriterium erklärt solche Reformen für legitim, bei denen die Reformverlierer voll entschädigt werden (können). 37 Ein wichtiger „Grund für eine Steuerung der ökonomischen und sozialen Ungleichheiten besteht darin, dass man die Herrschaft eines Teils der Gesellschaft über den Rest der Gesellschaft verhüten will. […] Die Grundlagen der politischen Macht sind, wie es bei Mill heißt, (geschulte) Intelligenz, Eigentum und Verbindungsvermögen (womit er die Fähigkeit meint, bei der Verfolgung der eigenen politischen Interessen mit anderen zusammenzuarbeiten). Diese Macht gestattet es einigen wenigen aufgrund der von ihnen ausgeübten Kontrolle über den Staatsapparat, ein Rechts- und Eigentumssystem durchzusetzen, das ihre beherrschende Position in der Volkswirtschaft insgesamt sicherstellt“ (Rawls, 2001/2003, S. 205).
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deren gesellschaftliche Grundstruktur in einem rawlsschen Sinne gerecht ist – und dies bedeutet, dass die Wohlfahrtssituation der am schlechtesten gestellten Gruppe für den Legitimationsprozess ausschlaggebend ist. Entsprechend haben nur diejenigen Gruppen Kompensationsansprüche, deren Wohlergehen besonderes Gewicht hat, etwa weil sie vergleichsweise arm sind. In diesem Sinne denken Paul Krugman und Maurice Obstfeld: „There are many reasons why one group might matter more than another, but one of the most compelling reasons is that some groups need special treatment because they are already relatively poor. There is widespread sympathy in the US for restriction on imports of garments and shoes, even though the restrictions raise consumer prices, because workers in these industries are already poorly paid.“ Allgemein gilt jedoch: „It is always better to allow trade and compensate those who are hurt by it than to prohibit the trade. (This applies to other forms of economic change as well.) All modern industrial countries provide some sort of ‚safety net‘ of income support programs (such as unemployment benefits and subsidized retraining and relocation programs) that can cushion the losses of groups hurt by trade. Economists would argue that if this cushion is felt to be inadequate more support rather than less trade is the right answer.“38
Die Antwort der Autoren nimmt die Verteilungsfrage bezüglich der „gains from trade“ ernst; sie lässt kollektive Präferenzen zu, die in einem rawlsschen Sinne egalitaristisch sind – das heißt von der Wirtschaftspolitik die Bevorzugung der am schlechtesten Gestellten fordern – und sie verweist auf die Bedeutung des umverteilenden Staates für die Legitimation von Liberalisierungsprozessen. Krugman und Obstfeld heben bei ihrer Reflexion der mit der Marktliberalisierung verbundenen Verteilungseffekte auf diejenigen gesellschaftlichen Gruppen ab, die ohnehin schon kärglich entlohnt („poorly paid“) werden, und verweisen darauf, dass in allen modernen Industriestaaten Institutionen der staatlichen Einkommenssicherung eingerichtet worden seien. Ihren Vorschlag, wie die notwendige Legitimitätsbedingung weltwirtschaftlicher Integration auf innerstaatlicher Ebene zu konzipieren wäre, könnte man folgendermaßen fassen: Innerstaatliche Legitimitätsbedingung nach Krugman & Obstfeld: Geht die Zunahme im Grad weltwirtschaftlicher Integration eines Landes mit einer Verschlechterung der Wohlfahrtsposition für die am meisten benachteiligte Gruppe der Gesellschaft einher, so sind wirksame staatliche Maßnahmen der Kompensation zu ergreifen.
Für die Zurückweisung des indifferenten Präferenzialismus sprechen jedoch nicht allein Argumente im Rahmen normativer Theorie, sondern auch Überlegungen hinsichtlich der Struktur kapitalistischer Wohlfahrtsproduktion: In einer auf Strukturwandel und kreative Zerstörung im schumpeterschen Sinne ausgerichteten Wirtschaft gerät Unternehmertum zu einer Qualität, die virtuell allen Erwerbswilligen zugemutet wird. Denn struktureller Wandel bedeutet auf der Ebene der Arbeitskraftanbieter die Neubewertung von Humankapitalinvestitionen. Innovationsverhalten oder Änderungen im System internationaler Arbeitsteilung gehen notwendigerweise zunächst mit der Schlechterstellung von Wirtschaftsakteuren 38 Krugman & Obstfeld, 1997, S. 58.
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einher – es verlieren jene, deren Handlungsmöglichkeiten von Situationsparametern abhängen, die durch die Innovation geändert wurden. Die Dynamik der kapitalistischen Wirtschaft beruht nun offensichtlich darauf, dass den Innovationsverlierern gerade keine Vetomacht eingeräumt wird. Dass der Grundprozess, der für die Produktion von Unsicherheit auf den Arbeitsmärkten verantwortlich ist, auch für die eminente Produktivität kapitalistischer Marktwirtschaften verantwortlich zeichnet, heißt wiederum nicht, dass keine berechtigten Schutzinteressen geltend gemacht werden könnten. Doch diese Schutzinteressen bestehen nicht für alle Mitglieder der Gesellschaft. Die Distribution von Anpassungskosten wirtschaftlichen Wandels ist eine politisch zu gestaltende Größe – dies ist das spezifische Gestaltungsproblem von Sozialpolitik in kapitalistischen Gesellschaften. Institutionen sozialer Sicherung haben die Aufgabe, die kapitalistische System-Unsicherheit fair und effizient zu verteilen. Dies impliziert aber die Anerkenntnis durch alle gesellschaftlichen Gruppen, dass eine solche Unsicherheit besteht und dass sie durch Sicherungsinstitutionen nicht eliminiert, sondern moderiert wird. Ein kollektiver Konsens über die Tragbarkeit individueller Risiken, die sich aus der Zusammengehörigkeit von Wohlstands- und Risikoproduktion in Marktprozessen ergeben, wird nur unter bestimmten institutionellen Bedingungen vernünftigerweise bestehen. Eine auf internationale Arbeitsteilung und „gains from globalization“ setzende Wirtschaftspolitik kann mit der Bereitschaft kreativer Zerstörung von Lebensoptionen auf Seiten der Arbeitkraftanbieter nur dann rechnen, wenn der Zugang zum Marktsystem für bestimmte Gruppen nicht definitiv geschlossen wird. Abweichend von Krugman & Obstfeld schlägt dieser Aufsatz daher vor, die Legitimitätsbedingung nicht an der relativen Einkommenssituation von Bevölkerungsgruppen festzumachen, sondern an ihren wirtschaftlichen (und indirekt: politischen) Handlungsmöglichkeiten insgesamt. Für die Legitimität ist also nicht allein ausschlaggebend, wie sich der Konsumraum vergleichsweise armer Haushalte in einem Zeitpunktvergleich vor und nach der politischen Reform verändert. In die Beurteilung einzubeziehen ist vielmehr, welche neuartigen Produktionschancen sich den Betroffenen durch die Liberalisierung bieten. Denn diese Chancen könnten aus Sicht der Betroffenen attraktiv genug sein, um temporäre Einkommensverluste zu überwiegen. So könnte aus ihrer Sicht der durch die Marktöffnung bedingte Verlust eines lokalen Arbeitsplatzes durch neue Migrationsmöglichkeiten aufgewogen werden. Die theoretische Bearbeitung der Legitimationsfrage sollte daher nicht vorschnell fixieren, welche Gesichtspunkte durch die gesellschaftlichen Gruppen als für ihre Wohlfahrt erheblich aufgebracht werden. Es verkürzte die Problematik, setzte man den Akzent einseitig auf die Stabilisierung von Einkommen und sozialen Milieus. Neben den Situationsbewertungen der Betroffenen fällt hier – wie gesehen – auch der grundsätzliche Gesichtspunkt ins Gewicht, dass kapitalistische Wohlfahrtsproduktion auf technologischen und organisationalen Innovationen beruht und daher notwendigerweise mit Destabilisierungsschüben einhergeht. Die Verantwortung der staatlich verfassten Gemeinschaft sollte dem zufolge auf Bedingungen der Inklusion und Handlungsfähigkeit innerhalb eines Innovationen zulassenden Systems abstellen und nicht auf die Garantie von Konsummustern. Inklusion und Sicherstellung von Handlungsfähigkeit
Anmerkungen zum globalen Wettbewerb
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lassen sich als Erfüllung eines jedem Individuum zukommenden „Anrechts auf Autonomie“ auslegen.39 Es ist also nicht entscheidend, ob eine Reform die Wohlfahrtsposition einer gesellschaftlichen Gruppe verschlechtert, sondern ob sie in deren elementare Rechte auf Autonomie eingreift. Innerstaatliche Legitimitätsbedingung nach dem „Anrecht auf Autonomie“: Geht die Zunahme im Grad weltwirtschaftlicher Integration eines Landes mit einer Verletzung des Anrechts auf Autonomie einher, so sind wirksame staatliche Maßnahmen zur Wiederherstellung wirtschaftlicher Handlungsfähigkeit zu ergreifen.
Den für die Ökonomie und die Repräsentanten des Nationenkonvents nahe liegenden Ansatzpunkt bietet – wie bereits angesprochen – die Freihandelsdoktrin mit ihrer Kernaussage, dass die internationale Arbeitsteilung mit Wohlfahrtsgewinnen für alle beteiligten Staaten verbunden ist. Da für einzelne Staaten jedoch strategische Optionen offen stehen, die ein Abweichen vom Freihandel vorteilhaft erscheinen lassen, ist eine liberale Weltwirtschaftsordnung nicht selbstdurchsetzend. Man könnte sogar noch weiter gehen: Da Regierungen für das Wohl der eigenen Bevölkerung zu sorgen haben, fragt sich, wie das Nichtergreifen dieser strategischen Optionen überhaupt gerechtfertigt werden kann. Es liegt demnach auch ein Legitimationsproblem und nicht nur eines der Durchsetzung vor: Wie kann die normative Forderung begründet werden, strategische – für das ausübende Land wohlfahrtsfördernde – Handelspolitik oder andere Formen von Protektionismus zu unterlassen? Die Frage lässt sich jedoch vergleichsweise leicht beantworten: Auch im Rahmen einer etatistischen Position muss die Abweichung vom Freihandel gegenüber den Vertretern anderer Nationen begründet werden. Die Tatsache, dass eine bestimmte Politik die Wohlfahrt der eigenen Nation auf Kosten anderer Nationen fördern würde, stellt freilich für diese keinen Zustimmungsgrund dar. So können Staaten die Regulierung ihrer Agrarmärkte gegenüber anderen nicht damit rechtfertigen, dass dies – unter Einrechnung der politischen Transaktionskosten – die effiziente Lösung eines innerstaatlichen Verteilungsproblems darstelle.40 Es besteht vielmehr die berechtigte Erwartung der anderen Mitglieder der Staatengemeinschaft, dass solche innerstaatlichen Verteilungsprobleme auf eine Weise gelöst werden, die mit dem Freihandel kompatibel ist – und beispielsweise nicht auf Kosten des Marktzutritts für Produkte aus den weniger entwickelten Ländern. Die Ordnung der Weltwirtschaft kann somit nicht angemessen in einem aufsteigenden Verfahren bestimmt werden, bei dem jeder Staat Vetomacht gegenüber Regelungen besitzt, die für ihn selbst mit Wohlfahrtsverschlechterungen verbunden wären. Auch diese Überlegung bewegt sich durchaus im Rahmen der von Krugman & Obstfeld vorgezeichneten konventionellen ökonomischen Analyse.41 Das
39 Siehe hierzu Schefczyk, 2003. 40 Zum Gedanken politischer Transaktionskosten und zweitbester Lösungen: Dixit, 1999. 41 Zur Erinnerung: „Economists would argue that if this cushion [of income support] is felt to be inadequate more support rather than less trade is the right answer.“ (Krugman & Obstfeld, 1997, S. 58).
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adäquate Verfahren zur Bestimmung einer legitimen weltwirtschaftlichen Ordnung verlangt insofern von den Bevölkerungen in den einzelnen Staaten, das Markt- und Umverteilungssystem in einer Weise zu strukturieren, dass die Weltwohlfahrt insgesamt nicht Schaden nimmt.
Globale distributive Gerechtigkeit Urs Marti Die weltweit ungleiche Verteilung der Bedingungen für ein Leben in Freiheit, Sicherheit und Wohlstand ist offensichtlich, umstritten ist, ob es sich dabei um eine von Menschen zu verantwortende Ungerechtigkeit handelt. Eine unparteiische Antwort auf die Frage fällt naturgemäß nicht leicht; wer mit seinem Anteil zufrieden ist, neigt dazu, im Geschick der anderen eher ein Unglück denn eine Ungerechtigkeit zu sehen. Die politische Philosophie müsste folglich ein Sensorium für Ungerechtigkeit entwickeln, ehe sie Gerechtigkeitsprinzipien begründet (vgl. Shklar, 1992). Das ist ihr zwar allenfalls beschränkt möglich, dennoch lohnt es sich, zu prüfen, in welchem Maß Gerechtigkeitstheoretikerinnen und -theoretiker über ein entsprechendes Sensorium verfügen. Wie ein Blick auf die einschlägige Literatur zeigt, bestehen diesbezüglich markante Unterschiede. Ich werde zunächst kurz die Debatte zwischen Anhängern und Gegnern kosmopolitischer Gerechtigkeitstheorien nachzeichnen. Anhand eines knappen Überblicks über internationale wirtschaftspolitische Kontroversen der Nachkriegszeit werde ich anschließend an eine Erfahrung von Ungerechtigkeit erinnern, die in der philosophischen Debatte meist verdrängt wird. Es folgen Überlegungen zum Begriff der distributiven Gerechtigkeit. Abschließen werde ich mit einigen Fragen, die sich einer philosophischen Theorie globaler Gerechtigkeit heute stellen.
1 Probleme des kosmopolitischen Liberalismus Angesichts des Kolonialismus und seiner Folgen, des Vietnam-Kriegs, des internationalen Wohlstandsgefälles, der wirtschaftspolitischen Forderungen der südlichen Länder, vor allem aber von Hunger und Armut in diesen Ländern sieht sich die politische Philosophie spätestens seit den 70er Jahren vor die Aufgabe gestellt, Prinzipien globaler Gerechtigkeit zu bestimmen. Einige Autoren haben sich von John Rawls’ Gerechtigkeitstheorie inspirieren lassen, seine Ausgangshypothese einer Gesellschaft als geschlossenes System (Rawls, 1979, S. 24) indes kritisiert und eine globale Anwendung des Vertragsmodells angeregt (vgl. Schaber, 1991, S. 67-85). Charles Beitz hält angesichts globaler ökonomischer Abhängigkeiten die Hypothese nationalstaatlicher Autarkie für unhaltbar. Sind natürliche Ressourcen, Einkommen und Wohlstand zwischen Ländern ungleich verteilt, so müssen ihm zufolge Prinzipien der internationalen distributiven Gerechtigkeit bestimmt werden, die primär auf Menschen, nicht auf Staaten anzuwenden sind. Beitz bezeichnet seine Konzeption als kosmopolitisch; sie befasst sich mit moralischen Beziehungen zwischen Mit-
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gliedern einer universellen Gemeinschaft, für welche Staatsgrenzen von zweitrangiger Bedeutung sind. Falls ökonomische, politische und kulturelle Beziehungen ein globales Kooperationssystem erzeugen, können Bürger eines Staates Gerechtigkeitsverpflichtungen gegenüber Bürgern anderer Staaten haben, so sein Argument. Ob Kooperation gerechtigkeitsrelevant ist und, falls ja, unter welchen Bedingungen, ist umstritten. Rawls (1979, S. 148 ff) versteht Gesellschaften als Unternehmen der Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil. Die normativen Implikationen dieser Annahme sind relativ bescheiden. Moralische Verpflichtungen zur fairen Verteilung von Gewinn und Verlust lassen sich nicht bereits dann begründen, wenn einige Menschen von der Arbeit anderer Menschen profitieren, sondern erst dann, wenn die Gewinner ein rationales Interesse daran haben, die Verlierer zu entschädigen, weil sie damit rechnen, irgendwann auf deren Unterstützung angewiesen zu sein, und wenn die Verlierer damit rechnen, noch schlechter dazustehen, wenn sie nicht kooperieren. Internationaler Handel stellt, wie Brian Barry gegen Beitz geltend macht, kein echtes Kooperationsystem dar, das Fairnessregeln hervorbringt; Umverteilung ist für Reiche nicht im gleichen Maß vorteilhaft wie für Arme. Kosmopolitischen Theorien liegen denn auch häufig nicht Kooperationsmodelle zugrunde, sondern Kants Idee moralischer Reziprozität (Richards, 1982), die es Menschen verbietet, andere Menschen als Mittel zum Zweck ihres eigenen Vorteils zu betrachten. Eine realistischere Variante des Kosmopolitismus vertritt Barry (1989), wenn er zu bedenken gibt, die gerechte Gestaltung der Weltordnung setze die Herausbildung durchsetzungsfähiger internationaler Institutionen voraus. Da sich die Ungerechtigkeit der Weltwirtschaftsordnung ihm zufolge in aggressiven Praktiken multinationaler Unternehmen und ihrer Heimatstaaten gegenüber Entwicklungsländern manifestiert, verteidigt er den Anspruch armer Länder auf staatliche Souveränität über die natürlichen Ressourcen. Gegenstand der Gerechtigkeit ist gemäß seiner Sichtweise die Verteilung der Kontrolle über materielle und nicht-materielle Ressourcen, letztlich die Verteilung von Handlungsfreiheit oder Macht1. Die Frage nach der Gerechtigkeitsrelevanz des Verhaltens mächtiger staatlicher und nicht-staatlicher Akteure wird in manchen Theorien globaler Gerechtigkeit verdrängt. Die Meinung, für ihr Wohlstandsniveau seien Staaten selbst verantwortlich, die prekäre Situation armer Länder sei primär auf internes Politikversagen zurückzuführen (Höffe, 1999, S. 409 ff), ist verbreitet. Ein weiterer Einwand der Kosmopolitismus-Kritik lautet, Forderungen nach Verteilungsgerechtigkeit könnten sinnvollerweise nur im Rahmen funktionierender rechtlich-politischer Institutionen erhoben werden. Tatsächlich setzt die Erfüllung globaler Gerechtigkeitsforderungen weltstaatlich funktionierende Institutionen voraus, und es ist erstaunlich, dass einige kosmopolitische Philosophen sich dieser Konsequenz verschließen 1
„If we understand ‚resources‘ in a very wide sense, so that it includes all kinds of rights to act without interference from others, to constrain the actions of others, and to bring about changes in the non-human environment, then we can say that the subject-matter of justice […] is the distribution of control over material resources. At this high level of generality, it is complemented by the principle of equal liberty, which is concerned with the control over non-material resources. To put it in a slogan […]: humanity is a question of doing good whereas justice is a question of power.“ Barry, 1989, S. 456 f.
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(Chwaszcza, 1996, S. 173 ff), wobei immerhin zu erwähnen ist, dass sie institutionelle Fragen nicht einfach ausblenden (Pogge, 1992; Beitz, 1994). Wolfgang Kersting anerkennt zwar den impliziten Kosmopolitismus des Kontraktualismus, lehnt die Hypothese eines globalen Urzustands aber ab, weil sie notwendig zur Begründung eines Weltstaats führt, der ihm zufolge die Gestalt eines despotischen Weltsozialstaats annehmen müsste (Kersting, 1997, S. 262-297). Als Rezept zur Bekämpfung der internationalen Ungerechtigkeit empfiehlt Kersting dagegen eine „Politik der strukturellen Zivilisierung“, die auf die Förderung von Marktwirtschaft, Rechtstaatlichkeit und Demokratie in armen Ländern zielt (Kersting, 1997, S. 343). Rawls möchte aus der liberalen Völkerrechtsgemeinschaft neben gesetzlosen Staaten auch Gesellschaften ausschließen, die aus historischen oder ökonomischen Gründen nicht zu wohlgeordneten Völkern werden können. Er bejaht immerhin eine Beistandspflicht diesen Gesellschaften gegenüber, die sich jedoch nur auf den Aufbau gerechter Institutionen und die Förderung autonomer Handlungsfähigkeit der Staaten, nicht auf Armutsbekämpfung beziehen soll. Die globale Anwendung distributiver Gerechtigkeitsprinzipien verbietet sich in dieser Perspektive (Rawls, 1999, S. 105-120; vgl. Beitz, 2000). Als Alternative zur gleichheitsorientierten Verteilungsgerechtigkeit postuliert Kersting neuerdings (Kersting, 2002, S. 97-142) eine suffizienzorientierte Verteilungsgerechtigkeit, die auf Subsistenzsicherung zielt, aber nicht als Korrektur einer Kooperationsungerechtigkeit verstanden werden darf. In den Genuss suffizienzorientierter Verteilungsgerechtigkeit können nur Länder kommen, die international nicht mehr kooperieren. Ihre Notlage darf nicht auf die ungerechte Verteilung globaler Kooperationsgewinne und -lasten zurückgeführt werden, sondern muss ihre Ursache in „Naturkatastrophen, politisch induzierten Hungersnöten, Bürgerkriegen und domestischen politischen und ökonomischen Strukturmängeln“ haben (Kersting, 2002, S. 111). Problematisch an diesem Ansatz ist die Weigerung, mögliche Ungerechtigkeiten der wirtschaftlichen Kooperation auch nur in Betracht zu ziehen. Überdies wird es in einer Welt von „failed states“ und ruinösen Wirtschaftskrisen schwer fallen, sich auf Kriterien zu einigen, die erfüllt sein müssen, damit die Staatengemeinschaft ihre Beistandspflicht anerkennt. Bemerkenswert ist der Ansatz hingegen, weil er, ausgehend von einer Kritik der kantianischen Orthodoxie, ein Subsistenzrecht sowie ein Individualrecht auf Entwicklung der Fähigkeiten durch Bereitstellung von Ausbildungssystemen begründet. Die Ansicht, fehlende Entwicklungschancen von Staaten seien selbstverschuldet, ist so unhaltbar wie jede Ideologie, die Reichtum und Armut ausschließlich auf persönliches Verdienst oder Verschulden zurückführt. Korruptes Verhalten setzt trivialerweise korrumpierendes Verhalten voraus; es ist eine Folge der innerund zwischenstaatlich ungleichen Verteilung von Macht, Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten, die Abhängigkeiten schafft und vergrößert. Die Kritik an demokratischen und menschenrechtlichen Defiziten armer Länder könnte an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie die Frage, inwieweit die kritisierten Staaten im System globaler Abhängigkeit überhaupt selbstbestimmt agieren können, nicht verdrängen würde. Als besonders fragwürdig erweist sich die Rede von hausgemachten Notlagen angesichts der vielfältigen Auswirkungen einer Weltwirtschaft,
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worin bereits kurzfristige Entscheide von Anlegern ganze Volkswirtschaften ruinieren können. Kosmopolitische Theorien weisen also zu Recht auf die komplexen Ursachen des globalen Wohlstands- und Demokratiegefälles hin. Kritisierbar sind sie in dem Maße, wie sie die politisch-institutionellen Bedingungen der Erfüllung ihrer Postulate nicht thematisieren. Gleiche Ausgangsbedingungen für alle Menschen vermag nur eine demokratisch-föderalistische Weltregierung zu garantieren, so argumentieren radikale Vertreter des Kosmopolitismus (Nielsen, 1988). Für Marxisten wie Kai Nielsen versteht sich dabei aber von selbst, dass unter kapitalistischen Verhältnissen eine solche Vision utopisch bleiben muss. Beitz hingegen glaubt, ein moralischer Kosmopolitismus sei weder gleichbedeutend mit einem politisch-institutionellen Kosmopolitismus noch impliziere er diesen (Beitz, 1994, S. 124 f). Der moralische Kosmopolitismus zielt meist auf ein System der internationalen Umverteilung mittels Besteuerung; reiche Leute, wo auch immer sie leben, sollen zugunsten armer Leute, wo auch immer sie leben, besteuert werden. Die Einrichtung eines solchen Steuersystems erfordert massive Eingriffe in die staatliche Souveränität. Überdies ist selbst dann, wenn sich Umverteilungsmechanismen zwischen Staaten eingespielt haben, damit zu rechnen, dass nur reiche Oberschichten in armen Ländern davon profitieren und vor allem ärmere Unterschichten in reichen Ländern dafür bezahlen (Barry, 1998, S. 153). Offen bleibt, wie die Probleme, auf die der moralische Kosmopolitismus zu Recht hinweist, anders zu lösen sind als durch globale Institutionen, die über weitgehende Kompetenzen, ausreichende Informationen, Sanktionsmöglichkeiten und demokratische Legitimation verfügen. Thomas Pogge, ein weiterer Vertreter des Kosmopolitismus, versteht Ungleichheit als Resultat eines globalen Systems ökonomischer, rechtlicher und politischer Institutionen, worin alle Menschen koexistieren und das Verhalten der Bessergestellten die Lebensumstände der Schlechtergestellten beeinflusst. Solche Institutionen, die die Verteilung sozialer Güter regeln und moralisch bedeutsam sind, sind nicht naturgegeben und unveränderbar, sondern werden von ihren Nutznießern verantwortet. Konkret manifestiert sich die Ungerechtigkeit im Ausschluss eines großen Teils der Weltbevölkerung von der Verfügung über natürliche Ressourcen. Pogges Reformvorschlag zielt auf eine globale Rohstoffdividende (Pogge, 1998a), die den ärmsten Menschen einen fairen Anteil an der Ressourcennutzung sichern soll, nicht den ärmsten Staaten, wobei die Umverteilung offiziellen und inoffiziellen internationalen Organisationen zu übertragen wäre. Unter Verweis auf Artikel 28 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, wonach jeder Mensch Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung hat, in welcher die in der Erklärung angeführten Rechte und Freiheiten vollumfänglich verwirklicht werden können, definiert er Menschenrechte als Ansprüche an soziale Institutionen und deren Nutznießer (Pogge, 1998b). Er zählt dazu zwar negative wie positive Freiheitsrechte, betont aber, dass auch letztere bloß eine negative Verpflichtung implizieren. Die negative Rechtspflicht besteht darin, nicht an der Durchsetzung ungerechter Institutionen mitzuwirken. Faktisch kann sich die Erfüllung dieser Pflicht freilich nicht in Enthaltung
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oder Unterlassung erschöpfen. Die Nutznießer der bestehenden Verteilungsordnung verletzen die negative Rechtspflicht nämlich bereits dann, wenn sie „nicht nach Kräften auf die erforderlichen institutionellen Veränderungen hinarbeiten“ (Pogge, 1998b, S. 381). Die moralische Pflicht der Wohlhabenden besteht in Pogges Sicht nicht im Beistand, wie Rawls vorschlägt, sondern im Verzicht darauf, eine Weltordnung anderen aufzuzwingen (Pogge, 2001). Es bleibt der Eindruck, der Abstand zwischen Anhängern und Kritikern2 des Kosmopolitismus sei geringer als vermutet. Während die Anhänger sich der Einsicht nicht verschließen können, dass globale Ungerechtigkeit eher durch Machtdisparitäten denn durch ungleiche Güterverteilung verursacht wird (vgl. Forst, 2001, S. 176 f), beruft sich ein Gegner wie Kersting auf Marx’ Kritik der strukturerhaltenden Verteilungspolitik der Sozialdemokratie und macht geltend, der sozialdemokratische Kosmopolitismus unterstelle grundlos die Möglichkeit eines globalen kapitalistischen Konsenses und ziehe systembewahrende Verteilungsreform struktureller Veränderung vor (Kersting, 1997, S. 301 f; 2002, S. 101 f). Mit guten Gründen weist der Kosmopolitismus nationalistische und kommunitaristische Mythen zurück (Barry, 1999; Satz, 1999). Verteilungspolitik setzt keine Wertegemeinschaft voraus, sondern die Fähigkeit jener, die einen größeren Anteil an einem bestimmten Gut beanspruchen, sich politisch zu organisieren und zu artikulieren. Dass globale Gerechtigkeit die Reform bestehender oder die Errichtung neuer Institutionen auf Weltebene voraussetzt, wird in neueren kosmopolitischen Ansätzen durchaus eingeräumt (vgl. Jones, 1999, S. 227 ff; Moellendorf, 2002, S. 171 ff; Hurrell, 2001). Kerstings Idee eines basale Rechte auf Existenz, Subsistenz und Entwicklung umfassenden Menschenrechtsuniversalismus könnten kosmopolitische Theoretiker beipflichten (vgl. Beitz, 1999; Jones, 1999, S. 50-84). Beide Positionen bleiben indes unbefriedigend. Solange Kritiker des Kosmopolitismus normativ relevante Folgen der sich globalisierenden Wirtschaft nicht zur Kenntnis nehmen, sind ihre Vorschläge kaum hilfreich. Anhänger des Kosmopolitismus sprechen zwar zu Recht von negativer Verantwortung, müssen aber erst konkretisieren, was darunter zu verstehen ist: Was sollen Regierungen unterlassen, was Unternehmer und Anleger, was Konsumenten, um diese Verantwortung wahrzunehmen? Wie sind internationale Institutionen zu verändern, damit darin auch den Stimmen schwächerer Akteure Gewicht zukommt? Und unter welchen Bedingungen ist die private Verfügungsmacht über ökonomische Mittel mit liberalen Gerechtigkeitsvorstellungen kompatibel?
2 Der Streit um wirtschaftliche Souveränität Die Politik, die seit drei Jahrzehnten die Weltwirtschaftsordnung umgestaltet, wird mit der Behauptung gerechtfertigt, grenzenlose Handels- und Investitionsfreiheit vermöge weltweit Wohlstand für alle und genügend Arbeitsplätze zu 2
Gemeint sind wohlverstanden nur liberale, nicht nationalistische, kommunitaristische und kulturrelativistische Kritiker des Kosmopolitismus.
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schaffen. Zwar hat die Freihandelslehre die internationale Wirtschaftspolitik in der gesamten Nachkriegszeit maßgeblich geprägt. Doch die Einsicht, dass im globalen Wettbewerb die Ausgangsbedingungen nicht für alle Akteure gleich sind und dass es für ökonomisch schwächere Länder schwierig ist, die Industrialisierung unter Verzicht auf protektionistische Maßnahmen nachzuholen, hat im Rahmen der UNO Vorstöße inspiriert, die auf die Verbesserung der Entwicklungschancen ärmerer Länder zielten. Als Entwicklungsparadigma (Altvater/Mahnkopf, 1999, S. 134-145) hat sich dann aber der Neoliberalismus durchgesetzt, nicht weil er weltweit konsensfähig ist oder wissenschaftlich überzeugt, sondern weil er mächtigen Interessen zum Ausdruck verhilft. Projekte zur Errichtung einer neuen internationalen politischen, ökonomischen und sozialen Ordnung, wie sie in der Nachkriegszeit ausgearbeitet und partiell auch realisiert worden sind, beruhten auf zwei Grundsätzen (vgl. Kapstein, 1999). Da sich sowohl die protektionistische Abkapselung wie auch die weitgehende Deregulierung der Wirtschaft als verhängnisvoll erwiesen hatten, wurden Freihandel wie Wohlfahrtsstaaten für nötig erachtet. Während für die wirtschaftliche Entwicklung internationale Organisationen wie das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IMF) zuständig waren, blieb die Förderung sozialer Gerechtigkeit den Staaten überlassen, die zu diesem Zweck über eine gewisse währungsund sozialpolitische Autonomie verfügen mussten. Angesichts der Erfahrung, dass weltweiter Freihandel innerhalb wie zwischen Staaten Gewinner und Verlierer schafft, stieß das Vorhaben, national wie international korrigierend und ausgleichend einzugreifen, zunächst auf breite Zustimmung. Die Gründung der Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD, 1962) entsprach den Anliegen der Entwicklungsländer, die sich 1974 im Programm einer neuen Weltwirtschaftsordnung (NIEO) deutlicher artikulierten (vgl. Marchand, 1994; Bello, 1998). Das Programm zielte auf einen internationalen Ausgleich mittels besserem Marktzugang, Technologietransfer, Rohstoffpreisabkommen, verstärkter Entwicklungshilfe und Entschuldung; es war aber auch Ausdruck eines bestimmten Völkerrechtsverständnisses. Obgleich gemäß Völkerrechtslehre nur Staaten Schöpfer von Völkerrecht sind, zeichnet sich seit dem 19. Jahrhundert eine neue Entwicklung ab. Multinationale Unternehmen können die handelsrechtliche Ausgestaltung nationaler Gesetzgebungen entscheidend mitbestimmen, sie können sogar durch Verträge über langfristige Investitionsabkommen mit Staaten neue Völkerrechts-Regeln erzeugen und bei Vertragsverletzung durch das Gastland dank Intervention des Herkunftslandes durchsetzen (Muchlinski, 1997). Versuche ausländischer Unternehmen, auf diesem Weg die Gesetzgebung des Gastlands zu beeinflussen, haben in vielen Fällen zu massivem Machtmissbrauch geführt. Bemühungen seitens der UNO, politische Aktivitäten von multinationalen Unternehmen in den Gastländern zu beschränken, sind gescheitert. Ein UN-Entwurf zu einem Verhaltenskodex für transnationale Unternehmen sah vor, dass diese sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Gastlandes einmischen dürfen, die einheimischen Gesetze auch dort respektieren, wo sie regulierend eingreifen, die wirtschaftlichen und entwicklungs-
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politischen Zielsetzungen teilen und in ihrem Geschäfts- und Produktionsverhalten die soziokulturellen Verhältnisse nicht stören (Muchlinski, 1997, S. 90 ff). Gegen solche Bestimmungen haben die multinationalen Unternehmen mit Erfolg lobbyiert. Obgleich auch die Heimatstaaten vergleichbarem Druck auf die Gesetzgebung ausgesetzt sind, setzen sie sich in der Regel dafür ein, globale Wirtschaftspolitik und globales Wirtschaftsrecht nach Maßgabe der Interessen ihrer Unternehmen zu gestalten. Ein Beispiel staatlicher Intervention im Interesse der Unternehmen sind bilaterale Abkommen zum Schutz und zur Förderung von Investitionen. Versuche der Unternehmen, ein multilaterales Investitionsschutz-Abkommen durchzusetzen, sind bislang allerdings gescheitert. Initiativen dieser Art wurden seit den 30er Jahren ergriffen, seit den 60er Jahren wird das Anliegen von der OECD, neuerdings von der WTO vertreten. Die von den Industrieländern sabotierten Bemühungen um die Kontrolle transnationaler Unternehmen gehen zurück auf das UNO-Programm zur Errichtung einer Neuen Weltwirtschaftsordnung. Dessen Ziel war die Stärkung der wirtschaftlichen Souveränität der südlichen Staaten (G77). Im Gegenzug veröffentlichte die OECD 1976 die Richtlinien für multinationale Unternehmen, die größere Investitionsfreiheit und Schutz der Vertrags- und Eigentumsrechte forderten. Die in der Gruppe der 77 organisierten Länder vermochten ihre Vorstellungen in der Folgezeit nicht durchzusetzen. Die UNO musste die wirtschaftspolitische Definitions- und Entscheidungsmacht an GATT und WTO abtreten. Mittlerweile wird nicht mehr eine neue internationale Wirtschaftsordnung, sondern eine neue Weltordnung für Handel und Investition angestrebt (Muchlinski, 1997, S. 95 ff). Wie sind diese beiden Ordnungen unter normativen Gesichtspunkten zu beurteilen? Die NIEO war Ausdruck einer Gerechtigkeitskonzeption, die internationale Umverteilung von Wohlstand und mehr Entscheidungsmacht für ärmere Länder in internationalen Organisationen verlangte. Die Überwindung der kapitalistischen Weltordnung war nicht beabsichtigt. Das Programm der NIEO wurde teils von Regimes unterstützt, die demokratische Partizipation und Kontrolle über die Sozialpolitik verhinderten. Politisches Gewicht konnte ihm vorübergehend nur zukommen, weil einige ärmere Länder über Ressourcen verfügten, die die Industriestaaten begehrten. Die Öl-exportierenden Länder besaßen dank ihrer Fähigkeit, die Preise zu erhöhen, Verhandlungsmacht, die sie jedoch in den 80er Jahren ebenso verloren wie ihre Fähigkeit, kollektiv zu agieren. Der Siegeszug neoliberaler Ideologien führte dann zur Delegitimierung distributiver Politik (Cason, 2000). Unter normativen Aspekten ist zunächst nur der Umstand relevant, dass es offenbar möglich ist, auch Fragen globaler Gerechtigkeit, die sich auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik beziehen, in der Sprache des Völkerrechts zu erörtern. Die Vision einer neuen Weltwirtschaftsordnung gründet auf Prinzipien der neuen Völkerrechtsordnung (Kimminich, 1997, S. 305-318). Der Anspruch auf souveräne Gleichheit aller Staaten und das Selbstbestimmungsrecht der Völker wird auch im Bereich der Wirtschaft erhoben; daraus lassen sich das Prinzip der Souveränität über die natürlichen Ressourcen und das Recht der Staaten auf Kontrolle ausländischer Investoren herleiten.
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GATT und WTO haben eine konfliktreiche Geschichte. Die Organisation anerkennt zwar formell das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten, ihre konsensorientierten Entscheidungsverfahren stellen aber im Urteil von Kritikern nichts anderes als organisierte Heuchelei dar (Steinberg, 2002): Angesichts des Beitritts zahlreicher Entwicklungsländer seit den späten 50er Jahren haben die Industriestaaten Strategien entwickelt, die es ihnen erlauben, unter Ausnützung ihrer größeren Verhandlungs- und Sanktionsmacht ihre Hegemonie zu behaupten, ohne Verfahrensregeln zu verletzen. Sie bestimmen bis heute die Tagesordnung der Verhandlungsrunden und können ihre Anliegen in der Regel gegen jene der ärmeren Länder durchsetzen, wie etwa der anhaltende, bislang aber folgenlose Widerstand dieser Länder gegen das Abkommen über handelsrelevante Aspekte geistiger Eigentumsrechte (TRIPs) zeigt. Die Ergebnisse der Runden sind, so die Konklusion von Richard Steinberg, Abbild des Machtungleichgewichts zwischen Industrieund Entwicklungsländern und werden letzteren, obwohl sie formell gleichberechtigt sind, faktisch aufgezwungen. Die Politik von WTO, IWF und Weltbank erweckt generell den Eindruck paternalistischen Verhaltens reicher gegenüber armen Staaten. Ein moderater Kritiker wie Joseph Stiglitz spricht von globaler Politikgestaltung ohne globale Regierung. Sie wird im Rahmen dieser Institutionen von wenigen staatlichen und privaten Akteuren beschlossen, die den von ihren Entscheidungen Betroffenen keine Rechenschaft schulden; diese verfügen ihrerseits in ihrer Mehrheit über kein Mitspracherecht. Hinzu kommt nach Ansicht des ehemaligen Chefökonomen der Weltbank der Umstand, dass den Entscheidungen weder ökonomische noch politische Rationalität zugrunde liegt, sondern eine Mischung aus Ideologie, Sonderinteressen und schlechter Ökonomie (Stiglitz, 2002, S. 12, 36). Als Fazit ergibt sich somit, dass in einer von den mächtigen Industriestaaten mit Hilfe internationaler Handels- und Finanzorganisationen diktierten globalen Wirtschaftspolitik Selbstbestimmung und Wahlfreiheit für die Mehrheit der Staaten zur Fiktion wird. Werden dem Prinzip vollständiger Handels- und Investitionsfreiheit alle anderen normativen Kriterien untergeordnet, dann wird der Anspruch auf staatliche Souveränität offenkundig verletzt. Werden Legitimitätskriterien der globalen Wirtschaftsordnung in der Sprache des Völkerrechts definiert, so ist als ungerecht eine Wirtschaftspolitik zu beurteilen, die die Souveränität von Staaten verletzt. Dieser Auffassung liegt ein traditionelles Völkerrechstsverständnis zugrunde, das zunehmend hinterfragt wird. Die Relativierung des Souveränitätsprinzips ist in neueren Völkerrechtskonzeptionen nicht zwingend ungerecht. Im Hinblick auf die Gestaltung der Weltwirtschaftsordnung wären folgende Punkte zu berücksichtigen: – Die Gleichheit und autonome Handlungsfähigkeit aller Staaten ist auch im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu respektieren. Dies gilt unter der Bedingung, dass die Staaten ihrerseits die Freiheitsrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger einschließlich wirtschaftlicher und sozialer Rechte garantieren. Ob ein Recht auf Handel und Investition bedingungslos zugestanden werden kann, hängt davon ab, ob es universalisierbar ist. Zu beurteilen ist, ob dieses in der Regel eher von mächtigen Akteuren genutzte Recht mit den gleichen Rechten aller Akteure, Han-
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del zu treiben, zu investieren, zu produzieren, zu subsistieren, Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen und öffentlichen Gütern zu haben, vereinbar ist. Erfahrungsgemäß sind im Bereich wirtschaftlicher und sozialer Freiheiten Konflikte zwischen konkurrierenden Rechtsansprüchen unausweichlich, eine Rangordnung ist daher nötig. – Menschen dürfen gemäß liberalem Verständnis unter der Bedingung, dass sie die gleiche Freiheit der andern achten, in der Wahl und Ausführung ihrer Lebenspläne nicht bevormundet werden, das gilt auch für die Verfolgung materieller Interessen. Ihre individuelle Wahlfreiheit stößt dort auf Grenzen, wo die Ausführung des Lebensplans unzumutbare Auswirkungen auf die Freiheit anderer Menschen hat; bei der Verfolgung ihrer materiellen Interessen dürfen sie die wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten anderer Menschen nicht zerstören. Globale Wirtschaftspolitik wäre dann gerecht, wenn sie die Freiheit aller Menschen, selbst gewählte Lebenspläne zu verwirklichen, garantieren könnte. Jeder paternalistischen Einflussnahme, die einen bestimmen Lebensplan beziehungsweise eine bestimmte wirtschaftliche Wertordnung aufzwingt, hätte sie sich zu enthalten. Überdies hätte sie darüber zu wachen, dass die Regeln fairer Kooperation nicht verletzt werden, dass alle Menschen vom wirtschaftlichen Kooperationssystem profitieren und dessen Lasten gemeinsam tragen. Im Streit darüber, ob die WTO als Keimform einer Weltverfassung gelten kann und ob in dem Falle auch Sozialrechte und Umweltklauseln festzuschreiben sind, geht es letztlich um solche Regeln. – Von einem kosmopolitischen Standpunkt her betrachtet ist es plausibel, zusätzlich zur gleichen Autonomie demokratisch legitimierter Staaten die Verbesserung der Startpositionen schlechter gestellter Staaten zu postulieren, da schlechte Ausgangspositionen eine autonome Politik erschweren. Die Chancen solcher Staaten könnten freilich durch den Schutz der negativen Freiheitsrechte aller Menschen ungeachtet ihrer nationalen Zugehörigkeit bereits verbessert werden. Nicht nur Heimatstaaten, auch andere Staaten oder transnationale Unternehmen können Menschen dazu zwingen, etwas unfreiwillig zu tun. In einigen Fällen ist die Verletzung negativer Freiheitsrechte offenkundig, etwa bei der entschädigungslosen Vertreibung von Kleinbauern oder bei Verstößen gegen die Menschenwürde, bei Zwangsarbeit und Gewalt gegen Frauen in Export-Sonderzonen. Eindeutig ist die Situation auch dann, wenn Unternehmen von Rechtsverletzungen durch Militärdiktaturen profitieren. Weitere Fälle sind schwieriger zu beurteilen. Kommt die Patentierung biologischer Ressourcen einer Enteignung der ursprünglichen Produkteure gleich? Kommen Strukturanpassungsprogramme, die finanzielle Hilfe an die Auflage binden, der Staat müsse seine Märkte öffnen und sich aus seiner sozial-, bildungs- und gesundheitspolitischen Verantwortung zurückziehen, der Ausnutzung einer Notlage gleich? Wie auch immer die Antwort ausfallen mag, gewiss ist, dass die Einschränkung der wirtschafts- und sozialpolitischen Handlungsfähigkeit demokratischer Staaten und ihrer Bürgerinnen und Bürger liberalen Gerechtigkeitsintuitionen zuwiderläuft. Dies gilt erst recht für die neuerdings vermehrt angewandte Praxis, wirtschaftliche Hilfe oder Handelserleichterungen an die Bereitschaft des interessierten Landes zu knüpfen, seine Politik den Wünschen einer Großmacht unterzuordnen.
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3 Die Verteilung der Freiheit Das Gerechte ist eine Zuteilung von Sachen an Menschen, bei der Gleiche Gleiches erhalten. Diese Auffassung scheint unbestritten zu sein, wie Aristoteles3 konstatiert. Die politische Philosophie geht von dieser Begriffsbestimmung aus und wendet sich dann ihrer eigentlichen Aufgabe zu. Sie muss untersuchen, worin die Gleichheit und Ungleichheit der Menschen besteht. In der Aufgabenstellung kommt das komplexe Verhältnis zwischen Gleichheit und distributiver Gerechtigkeit in Aristoteles’ Theorie deutlich zum Ausdruck. Gerechtigkeit besteht in der Achtung des Gesetzes und der bürgerlichen Gleichheit, das heißt der gleichmäßigen Verteilung der Güter. Gerechtes Handeln zielt auf das Glück des Gemeinwesens. Distributive Gerechtigkeit regelt die Verteilung von Gütern oder Werten, die den Bürgern eines politischen Gemeinwesens zustehen. Zwar setzt Aristoteles Gerechtigkeit mit Gleichheit gleich, die gerechte, mithin gleiche Verteilung muss jedoch einem bestimmten Wert angemessen sein, das Maß des zu Verteilenden muss dem Wert des Empfängers entsprechen. Welcher Wert Bemessungsgrundlage sein und wer in den Genuss des gleichmäßig zu verteilenden Gutes kommen soll, ist abhängig von der jeweiligen politischen Ordnung. Das Prinzip „Jedem das Seine“ besagt, dass das Recht tatsächlich als Gleichheit zu begreifen ist, freilich nicht als Gleichheit für alle, sondern als Gleichheit für Gleiche. Worin die Menschen gleich sein müssen, um einen gleichen Anteil eines bestimmten Gutes beanspruchen zu können, ob dabei Herkunft, Reichtum, freie Geburt oder Tugend ausschlaggebend sein sollen, bleibt stets zu prüfen und hängt auch davon ab, welche Aufgabe dem politischen Gemeinwesen zugeschrieben wird. Wird dieses nicht als militärisches oder ökonomisches Zweckbündnis verstanden, sondern als Vereinigung mit dem Ziel, gut und glücklich zu leben, muss Bildung und Tugend der Vorrang zukommen. Die beste Staatsverfassung ist jene, worin alle glücklich leben. Distributive Gerechtigkeit besteht somit darin, alle in den Stand zu versetzen, ihre Anlagen so zu entwickeln, dass sie glücklich leben können. Als eine Gemeinschaft Gleichberechtigter ist der Staat zugleich eine pädagogische Institution; die von der Politik zu Erziehenden aber sind bezüglich ihrer Anlage zur Tugend nicht gleich. Politisch-pädagogische Kompetenz kommt jenen zu, die zur Entwicklung wahrer Tugend fähig sind. Die Aufgabe distributiver Politik ist es, äußere Güter so zu verteilen, dass auch den weniger edlen Naturen der Weg zum guten Leben geebnet wird, vor allem aber, die Menschen zur Tugend zu erziehen. Distributive Gerechtigkeit im aristotelischen Sinne erweist sich somit als ein kompliziertes Unternehmen, das mit pädagogischen Mitteln versucht, die natürliche Ungleichheit jener Menschen, die als Staatsbürger in Betracht kommen, zu korrigieren, um die gleichberechtigten Staatsbürger zu befähigen, das Ziel der Politik auch individuell zu verwirklichen. Als pädagogisches Projekt setzt distributive Politik notwendig die Ungleichheit zwischen Erziehern oder Gesetzgebern und zu Erziehenden voraus; jenen, die über hinreichende ethisch-politische Kom3
Vgl. zum Folgenden Aristoteles 1981, Politik 1280a 10-1283a 29, 1324a 22 ff, 1328a 25-1329a 1, 1331b 40-1332b 10; Aristoteles 1985, Nikomachische Ethik 1129a-1131b.
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petenz verfügen, obliegt es, darüber zu entscheiden, welche Verteilung das gute Leben am ehesten fördert. Auch der modernen Idee von Gerechtigkeit und Recht liegt der Gedanke der Verteilung zugrunde. Diese Behauptung scheint dem modernen Grundsatz zu widersprechen, wonach die Aufgabe der Politik in der Herstellung von Sicherheit zwischen formal gleichen Individuen besteht. Verteilung zielt dann nicht mehr auf die Erziehung zum guten Leben, sondern auf Sicherheit mittels der Definition klarer Eigentumsrechte. Distributive Gerechtigkeit darf sich, so Klaus Günther, nur auf Rechtssubjekte beziehen, die wechselseitig ihr Recht auf gleiche Freiheit anerkennen, und sie darf nur im Zuge einer Gesetzgebung bestimmt werden, an der alle Betroffenen gleichberechtigt teilnehmen. Gleiche negative und aktive Freiheitsrechte können nicht selbst Gegenstand der Verteilung sein, sondern definieren den Rahmen jedes möglichen Systems distributiver Gerechtigkeit. Als Legitimitätskriterium politischer Ordnung tritt damit distributive Gerechtigkeit zurück (Günther, 1994, S. 160, 167 f). Dies trifft freilich nur dann zu, wenn unter distributiver Gerechtigkeit die Verteilung von Gütern oder Chancen für die Verwirklichung des guten Lebens verstanden wird. Kant jedoch setzt den Begriff mit Gesetzgebung gleich. Den Naturzustand definiert Kant4 als Zustand, „in welchem keine austeilende Gerechtigkeit ist“, und setzt ihm den Zustand „einer unter einer distributiven Gerechtigkeit stehenden Gesellschaft“ entgegen. Das klassische Prinzip, wonach jedem das Seine zu geben sei, ist für Kant ungereimt; es muss übersetzt werden in die Aufforderung, in einen Zustand zu treten, „worin jedermann das Seine gegen jeden anderen gesichert sein kann“. Der rechtliche Zustand entsteht im Zuge der reziproken Zusicherung des Gewaltverzichts. Das natürliche Recht aller auf alle verfügbaren Güter gerät notwendig in Konflikt mit dem Anspruch aller auf Freiheit; die unbegrenzte Freiheit widerspricht dem gleichen Recht auf Freiheit. Recht wird somit definiert als „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“. Der Begriff hat nichts zu tun mit Bedürfnissen und Interessen, er bestimmt nicht die Zwecke menschlichen Lebens und die Mittel, sie zu erreichen. Recht bezeichnet ausschließlich die Begrenzung individueller Freiheit zwecks Garantie gleicher individueller Freiheit. Nur dieses Recht, der Gewalt der anderen nicht ausgesetzt zu sein, ist angeboren, steht also allen Menschen als Menschen zu. Das Recht darf, so lautet auch die klassisch-liberale Position, nicht im Dienst der Verwirklichung des guten Lebens stehen, sondern hat ausschließlich dafür zu sorgen, dass alle Menschen in Sicherheit leben und ihre Konzeption des guten Lebens frei wählen können. Es gilt der Vorrang des Rechten vor dem Guten, das heißt der Vorrang negativer Freiheiten sowohl vor ethischen Idealen als auch materiellen Ansprüchen. Die Vorrangregel anerkennt auch der moderne, egalitäre Liberalismus, interpretiert sie aber differenzierter. Er bestreitet nicht, dass dem Prinzip der gleichen Freiheit unbedingter Vorrang vor jeder Art ideellen und 4
Vgl. zum Folgenden Kant, AA Bd. 6, S. 230, 237, 306, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre; AA Bd. 8, S. 289 f, Über den Gemeinspruch.
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materiellen Glücksstrebens gebührt. Liberale Demokratien können sich jedoch nicht darauf beschränken, negative Freiheitsrechte zu garantieren, sondern müssen überdies sicherstellen, dass alle Bürgerinnen und Bürger die ihnen versprochenen Rechte tatsächlich ausüben können und zu diesem Zweck, also nicht zum Zweck eines glücklichen Lebens, über einen angemessenen Anteil an bestimmten Gütern verfügen müssen. Gerechte Politik hat somit nicht nur Freiheiten gleich zu verteilen, sondern nach Möglichkeit dafür zu sorgen, dass der Wert der Freiheiten für alle gleich groß ist, dass also auch jene, die nicht über Macht und Reichtum verfügen, im Rahmen der ihnen zustehenden Freiheitsräume ihre Ziele erreichen können. Auch hat sie den fairen Wert der politischen Freiheit zu sichern, indem sie es allen ermöglicht, politisch zu partizipieren, und zu diesem Zweck die Konzentration ökonomischer Macht verhindert (vgl. Rawls, 1979, S. 232 f, 255 ff). Der egalitär-liberale Begriff distributiver Gerechtigkeit unterscheidet sich sowohl vom aristotelischen wie vom Kant’schen Begriff. Die Herstellung von Gerechtigkeit erweist sich bei Rawls von Anfang an als ein Problem distributiver Politik. Gerechtigkeitsprinzipien sind auf die Grundstruktur der Gesellschaft anzuwenden; dabei handelt es sich um einen Verteilungsmechanismus, der ungleiche Lebenschancen bewirkt. Die Korrektur erfolgt durch die Neuverteilung derjenigen sozialen Güter, die für die Befriedigung allgemein menschlicher Bedürfnisse und die Ausführung vernünftiger Lebenspläne nötig sind (Rawls, 1979, S. 112 ff); dazu gehören politische Rechte und bürgerliche Freiheiten, Machtpositionen, Chancen und materielle Güter. Offenbar kann bei der Bestimmung der Grundrechte die natürliche und soziale Bedürftigkeit des Menschen nicht außer Acht gelassen werden. Egalitär-liberale Theorien postulieren zusätzlich zum Recht auf Autonomie ein Recht auf die Bedingungen, die autonomes Handeln ermöglichen; solche Bedingungen reichen von der Grundversorgung über die Bildung bis zum Einbezug in ein politisches Gemeinwesen. Henry Shue postuliert „basic rights“, die den Machtlosen als Verteidigungsmittel zustehen sollten. Basale Rechte umfassen die Rechte auf Sicherheit und Subsistenz sowie politisch-gesellschaftliche Partizipationsrechte. Ein Recht ist dann basal, wenn seine Ausübung notwendige Bedingung für die Ausübung jedes anderen möglichen Rechts ist (Shue, 1996, S. 18 f; vgl. Jones, 1999, S. 50-84). Die „Positivierung“ liberaler Freiheitskonzeptionen ist angesichts der über Gewaltanwendung hinausgehenden, ökonomische, soziale und Kommunikationsmacht einbeziehenden Vielfalt möglicher Gefährdungen individueller Selbstbestimmung logisch. Der Staat kann die gleiche Freiheit nicht ausschließlich formalrechtlich garantieren, er muss gesellschaftliche Macht kontrollieren und begrenzen, die sozialen Voraussetzungen zur Freiheitsrealisierung sichern und darauf hinwirken, dass die individuelle Realisierung der Freiheit allen im gleichen Maß möglich ist (vgl. Böckenförde, 1991, S. 264-276). Die Positivierung führt aber dazu, dass Legitimitätskriterien politischer Ordnung anspruchsvoller werden und ihre Definition komplizierter wird. Für Kant reduziert sich der distributive Akt auf die Einteilung jener Räume, worin das Recht jedes Individuums auf gleiche Handlungsfreiheit garantiert ist. Bedingung gleicher Freiheit ist in egalitär-liberaler Sicht indes eine gesellschaftliche Ordnung, die mittels allgemeiner Gesetze die
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Freiheit aller einschränkt und zugleich eine gerechte Verteilung jener sozialen Güter garantiert, die für ein selbstbestimmtes Lebens erforderlich sind (Koller, 1998b, S. 495). Prinzipien distributiver Gerechtigkeit sind laut Peter Koller dort zu bestimmen, wo „die gesellschaftliche Ordnung Güter und Lasten in Gestalt von Rechten und Pflichten, Freiheiten, Machtbefugnissen, sozialen Positionen und Lebenschancen verteilt“ (Koller, 1994, S. 129). Rechtliche Gleichheit, bürgerliche Freiheit und demokratische Beteiligung resultieren in dieser Sichtweise ebenso aus gerechter Distribution wie soziale Chancengleichheit und wirtschaftliche Verteilungsgerechtigkeit. Koller glaubt überdies, ein annehmbares Verfahren zur Feststellung der Vereinbarkeit gleicher Freiheit, das nicht zugleich die Folgen des allseitigen Freiheitsgebrauchs im Hinblick auf die Zwecke und Interessen der Menschheit bewertet, sei kaum zu finden. Eine solche Bewertung setzt eine bestimmte Vorstellung des Guten voraus; somit ist es nicht möglich, das Rechte unabhängig von einer Konzeption des Guten zu bestimmen (Koller, 1994, S. 146 f). Denkbar wäre beispielsweise, dass im Interesse der Überlebens-, Entwicklungs- und Selbstbestimmungschancen der Mehrheit der Weltbevölkerung das Recht der Minderheit, ihr Konsumverhalten frei zu wählen, negiert würde. Anders formuliert: der Anspruch aller Erdbewohnerinnen und -bewohner auf ein sicheres und selbstbestimmtes Leben verlangt von einigen, ihren Lebensstil im Sinne der Einschränkung des Konsumverhaltens auf ein allen zuträgliches Maß zu verändern. Wahlfreiheit stößt dort auf Grenzen, wo die gewählte Konzeption des Guten, sei es eine intolerante Religion, sei es eine bestimmte Art des Ressourcenverbrauchs, unzumutbare Auswirkungen auf die Freiheit der anderen hat; das Prinzip des Vorrangs der gleichen Freiheit wird dadurch nicht in Frage gestellt. Die Frage, wann von gleicher Freiheit, gleichen Handlungsmöglichkeiten, gleichen Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben tatsächlich die Rede sein kann, wird jedoch unvermeidlich stets neu zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Besonderes Gewicht kommt der Frage, ob eine gerechte politische Ordnung bei der Bestimmung des Umfangs und der Grenzen individueller Freiheit auf eine Konzeption des guten Lebens rekurrieren muss, in einem namentlich von Martha Nussbaum und Amartya Sen vertretenen linksliberalen Aristotelismus zu. Sen unterscheidet die Primärgüter, die nach Rawls gleich zu verteilen sind, als Mittel zum Zweck der Freiheit vom Zweck selbst, dem Umfang der Freiheit (Sen, 1992, S. XI). Freiheit ist dann allerdings, so müsste der klassisch-liberale Einwand lauten, gleichbedeutend mit dem guten Leben, die Vorrangregel somit hinfällig. Nussbaum definiert staatliche Aufgaben explizit im Sinnne der Priorität des Guten. Der von ihr vertretene sozialdemokratische Aristotelismus schreibt der Politik eine umfassende Kompetenz zu, soll doch ihre Sorge allen wichtigen Tätigkeiten jeder einzelnen Bürgerin und jedes einzelnen Bürgers gelten. Freilich darf, so präzisiert Nussbaum, aristotelische Politik nicht in paternalistischer Manier den Menschen eine bestimmte Konzeption des Guten aufzwingen, vielmehr ist sie zuständig für die Bereitstellung der materiellen und institutionellen Voraussetzungen, die die Menschen zu bestimmten Tätigkeiten befähigen und ihre autonome Entscheidungsfähigkeit fördern. Gerechte Politik ist in dieser Sichtweise zwar notwendig
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distributive Politik, zielt aber nicht primär auf materielle Umverteilung, sondern auf die Beseitigung aller Hindernisse, die zwischen Menschen und der vollen Entfaltung ihrer Fähigkeiten stehen, wozu inbesondere asymmetrische Machtbeziehungen gehören, wie sie aus dem Privateigentum an Produktionsmitteln oder aus patriarchalen Strukturen resultieren (Nussbaum, 1999, S. 40-43). Die Infragestellung der klassisch-liberalen Vorrangregel im linksliberalen Aristotelismus bedeutet keine Relativierung des Prinzips individueller Freiheit, vielmehr resultiert sie aus einem radikalen Verständnis positiver Freiheit. Sens Begriff positiver Freiheit5 bezeichnet die Fähigkeit zu handeln, in einem elementaren Sinn die Möglichkeit, irgendetwas zu sein und zu tun. Er meint im Besonderen Wahlfreiheit, die Fähigkeit, sich zwischen verschiedenen Alternativen zu entscheiden, und die Macht, gemäß der getroffenen Entscheidung zu handeln. Selbstverständlich setzt so verstandene Freiheit die Abwesenheit von Zwang voraus, doch versteht Sen, anders als Berlin (vgl. Berlin, 1995, S. 201-211), aber ähnlich wie Marx, Unfreiheit auch als Ergebnis fehlender Handlungs- und Entfaltungsmöglichkeiten, die durch soziale Verhältnisse bedingt sind, als strukturellen Zwang. Handlungsfreiheit setzt die Befriedigung von Bedürfnissen, die Entwicklung von Anlagen voraus; die politische Philosophie muss mithin ihre Aufmerksamkeit auf menschliche Funktionsweisen (functionings) und Fähigkeiten (capabilities) lenken (vgl. Nussbaum/Glover, 1995, S. 72-86). Auf die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit, frei zu handeln, gibt auch Onora O’Neill, die von Kant geprägt ist, eine neue und radikale Antwort. Philosophische Theorien, die die Erfahrungen von Ohnmacht und Fremdbestimmung ausblenden, wie sie die Situation eines großen Teils der Weltbevölkerung prägen, können den Anforderungen nicht genügen, die an eine den globalen Verhältnissen angemessene Konzeption von Gerechtigkeit zu stellen sind, so ihr Argument. Solche Theorien scheitern allerdings nicht aufgrund ihrer notwendig abstrakten Begründungsmodelle, sondern gerade deswegen, weil ihre Abstraktionen unvollständig sind, weil sie die Handlungsmöglichkeiten privilegierter individueller und institutioneller Akteure idealisieren und unterstellen, alle Akteure verfügten über diese Möglichkeiten. Gerechtigkeitstheorien sind folglich aufgrund ihres speziellen Sensoriums für die effektiven Bedingungen der Möglichkeit des Entscheidens und Handelns zu beurteilen. Die Gerechtigkeit von Institutionen und Prozeduren ist daran zu messen, ob diese es Menschen selbst in Situationen politischer Ausgrenzung und ökonomischer Abhängigkeit, insbesondere armen Frauen in armen Ländern, erlauben, die ihnen zugewiesenen Positionen zu verweigern oder neu auszuhandeln (O’Neill, 2000, S. 143-167). Die Verbindung der aristotelischen Ethik der Selbstverwirklichung mit dem Autonomieideal der Aufklärung bildet das normative Fundament der Philosophie von Marx, und der aristotelische Linksliberalismus der Gegenwart ist mit Problemen konfrontiert, die bereits Marx’ Versuch, eine Konzeption positiver Freiheit als oberstes Legitimitätskriterium politischer Ordnung zu bestimmen, begleiten. Je 5
Zu Sens Freiheitsverständnis besonders Sen 1990, S. 116; 1992, S. 31-34; Crocker, 1995, S. 182 ff.
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besser es der Philosophie gelingt, konkrete Voraussetzungen menschlicher Handlungsfreiheit in den Blick zu bekommen, desto schwerer fällt es ihr, den gerechtigkeitsrelevanten Gegenstand der Gleichverteilung zu bestimmen (vgl. Cohen, 1993) und derart die konkrete Aufgabe distributiver Politik zu benennen. Sen fragt in diesem Kontext nach der „Fokalvariablen“ (Sen, 1992, S. 2); die Frage ist für ihn auch deshalb entscheidend, weil gerade eine egalitäre Gerechtigkeitskonzeption vom Faktum der Ungleichheit der Menschen ausgehen muss. Diese Einsicht teilt Sen mit Marx, der seine sozialdemokratischen Zeitgenossen mit einer akribischen Erörterung der Frage nach der gerechten Verteilung verwirrt hat. Weil Menschen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und Bedürfnisse ungleich sind, ist gleiches Recht im Effekt immer „ein Recht der Ungleichheit“. Marx kritisiert das sozialistische Programm, weil es auf die Verteilung von Konsumtionsmitteln zielt und nicht auf die Verteilung der Produktionsbedingungen (Marx, MEW 19, S. 18-22). Erst die breite Verteilung technischen und praktischen Wissens ermöglicht den Abbau asymmetrischer Machtverhältnisse. Sen und Nussbaum haben der Frage von Marx neues Gewicht gegeben: Wie sind egalitäre Kriterien zu bestimmen, damit sie in der Anwendung nicht ein „Recht der Ungleichheit“ sanktionieren. Jenes Gut, von dem allen Menschen ein gleicher Anteil zusteht, wäre als positive Freiheit oder Handlungsvermögen zu bezeichnen. Seine gerechte Verteilung ist aus mehreren Gründen ein heikles Projekt. Der Bedarf danach differiert zwischen Individuen, Geschlechtern, Klassen und Nationen stark und ist schwer zu bemessen. Überdies sind „substantive freedoms“ (Sen, 1999, S. 13-86) auf zahlreiche Voraussetzungen wie Nahrung und Gesundheit, Bildung, politische Partizipation und das Fehlen ökonomischen Zwangs angewiesen. Kann ein Recht auf all diese Voraussetzungen postuliert werden? Marx hat seine Theorie bekanntlich nicht in der Sprache des Rechts formuliert. Seine Kritik der liberalen und utilitaristischen Freiheitsauffassung ist jedoch aufschlussreich und zeigt mögliche Elemente einer radikalen Rechtskonzeption. In der Zirkulationssphäre erkennt er das Reich der angeborenen Menschenrechte, worin alle Menschen frei und gleich sind, Eigentum besitzen und ihren Eigennutz verfolgen (Marx, MEW 23, S. 189 f). In der Produktionssphäre dagegen, so die unausgesprochene Pointe des Arguments, findet kein freiwilliger und für beide Seiten vorteilhafter Tausch statt. Die Verkäufer der Ware Arbeitskraft sind weitgehend rechtlos, sie stehen den Käufern nicht als gleichberechtigte Vertragspartner gegenüber, da der Mangel an Subsistenz- oder Produktionsmitteln sie zum Abschluss eines für sie unvorteilhaften Arbeitsvertrags zwingt. Im Rahmen einer radikalen Philosophie wäre also ein Recht nicht bloß als ein Anspruch zu verstehen, vor der Gewalt anderer Menschen beschützt zu werden, sondern als Instrument der Abwehr jeder Art von Fremdbestimmung und Machtausübung. Distributive Gerechtigkeit würde neben diesem negativen auch einen aktiven und einen positiven Aspekt umfassen: den Anspruch auf Partizipation an der Gestaltung nicht bloß der politischrechtlichen, sondern auch der sozialen und ökonomischen Verhältnisse sowie den Anspruch auf individuelle Selbstverwirklichung und die dazu nötigen wissenschaftlichen und kulturellen Ressourcen. Materielle Umverteilung ist dabei ein Mittel zum Zweck.
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4 Offene Fragen Die Einsicht wächst, dass eine auf das Wachstum des Bruttosozialprodukts fixierte Entwicklungspolitik scheitern muss, weil sie die Ursachen von Armut und Abhängigkeit nicht zur Kenntnis nimmt. Monetäre Indikatoren können die Realität der Armut nur ungenügend erfassen, obgleich sie in einer stark monetarisierten Wirtschaft nicht zu vernachlässigen sind. Armut bedeutet in erster Linie Ohnmacht und Fremdbestimmung, die Einschränkung des eigenen Handlungspielraums und fehlende Einflussmöglichkeiten. Philosophie wie Politik scheinen zu zögern, die Konsequenzen aus solchen Einsichten zu ziehen. Die Widerstände der Philosophie sind nachvollziehbar. Selbst wenn zugestanden wird, dass die Aufgabe distributiver Politik in der gleichen Verteilung von Freiheit, Handlungsmacht und Entwicklungschancen besteht, bleibt offen, was konkret zu verteilen ist. Die Faktoren, die Menschen in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken, können beträchtlich differieren. Spezielle Bedürfnisse bilden sich aufgrund der jeweiligen Position im Netz sozialer Abhängigkeiten heraus. Daher müssen Maßnahmen, die Abhilfe schaffen können, stets neu bestimmt und geprüft werden. Nötig sind zu diesem Zweck offene Informationsflüsse und funktionierende Partizipationsmechanismen. Die individuellen Chancen, Fähigkeiten entwickeln und einsetzen zu können, können auf nationaler wie globaler Ebene letztlich nur dann besser verteilt werden, wenn Machtungleichgewichte korrigiert werden. Weil die Ohnmächtigen und Benachteiligten unter ganz unterschiedlichen Formen von Entbehrung, Unterdrückung und fehlender Wahlfreiheit leiden, können nur sie selbst bestimmen, welche Art der Neuverteilung ihre Situation nachhaltig verbessern kann. Soll Umverteilung dem Zweck der generellen Verbesserung der Lebensbedingungen dienen, setzt sie Kommunikationsformen voraus, worin Erfahrungen schlechter Lebensbedingungen sich artikulieren können, sowie eine möglichst breite und gleichberechtigte Beteiligung an Entscheidungsprozessen. Globale distributive Gerechtigkeit erfordert daher zunächst einmal die Institutionalisierung übernationaler demokratischer Verfahren, wozu transparente Verhandlungspraktiken und ein symmetrischer Austausch von Wissen gehören. In künftigen Institutionen müssen, wenn sie denn ihr Ziel, die gerechtere Verteilung von Freiheit, erreichen sollen, gerade jene Menschen einen größeren Anteil an der Entscheidungsmacht erhalten, die am stärksten unter Ohnmacht und Fremdbestimmung leiden: nicht nur die Regierungen armer Nationen, nicht nur die in NGO’s organisierte Zivilgesellschaft, sondern Vertreter jener Bevölkerungsgruppen, die von externen Effekten der globalen Marktliberalisierung am direktesten betroffen sind, Gewerkschaften, Frauenorganisationen, Repräsentanten jener Frauen und Männer, die in der Geschlechterhierarchie und in hierarchischen Arbeits- und Produktionsverhältnissen auf den untersten Stufen stehen und deren Stimmen bislang kaum Gehör gefunden haben. Die Widerstände der Politik erklären sich aus ihrer freiwilligen oder unfreiwilligen Anpassung an die Sachzwänge des globalen Kapitalismus. Dieser hat Institutionen geschaffen, die vor allem im finanz- und handelspolitischen Bereich die Welt zu einer Kooperationsgemeinschaft zusammenschweißen, worin Nutzen
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und Lasten höchst ungleich verteilt sind. Der Westen hat die Agenda einer Globalisierung bestimmt, die die Armut nicht verringert, die Stabilität nicht erhöht, wovon er aber auf Kosten der Entwicklungsländer überproportional profitiert (Stiglitz, 2002, S. 20 ff). Die vielen Ländern aufgezwungene Liberalisierung der Kapitalmärkte hat oft wenigen Anlegern genützt, unzählige Arbeitsplätze vernichtet und ganze Volkswirtschaften in den Ruin getrieben. Agrarsubventionen in reichen Ländern können die Lebensgrundlagen zahlloser Menschen in armen Ländern zerstören. Billige Arbeitskraft und Arbeitsbedingungen, die ILO-Standards nicht genügen, können als „komparative Vorteile“ hohe Profite und tiefe Warenpreise bewirken, ohne dass ein marktwirtschaftlich orientiertes Denken die Frage, wie die Leidtragenden kompensiert werden können, ernsthaft stellen würde. Ökologische Folgen des Verbrauchs bestimmter Ressourcen in reichen und armen Ländern können sich für arme Länder verheerend auswirken. Die Globalisierung von Produktion, Märkten und Konsum schafft vielfältige Interdependenzen, und die politische Philosophie muss prüfen, wo gerechtigkeitsrelevante Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung vorliegen. Globale distributive Gerechtigkeit kann allerdings nur im Zuge der Infragestellung des paternalistischen Kompetenzanspruchs sowie der monopolartigen Entscheidungs- und Sanktionsmacht der internationalen finanz- und handelspolitischen Institutionen gefördert werden. Der Weg dazu muss über stärkere Marktregulierungen führen, über besseren Schutz vor Marktexternalitäten und das Recht auf demokratische Entscheidungen in der Wirtschaftspolitik. Er kann nur beschritten werden, wenn die Emanzipation von neoliberalen Dogmen gelingt. Der vielfach widerlegte „Washington Consensus“, der Hilfe suchenden Ländern Marktöffnung, Privatisierung und fiskalische Einschränkung empfiehlt, zeigt exemplarisch, wie eine wissenschaftlich fragwürdige und gerechtigkeitsblinde Dogmengläubigkeit das bestehende Macht- und Wohlstandsgefälle zementiert. Globale distributive Gerechtigkeit verlangt nicht primär die Umverteilung materieller Güter, sondern die Regulation unkontrollierter Mechanismen, die wachsende Fremdbestimmung und negative Umverteilungseffekte zur Folge haben. Solche Mechanismen dienen häufig mächtigen Partikularinteressen, die in internationalen Institutionen über überproportionales Gewicht verfügen. Die gerechtere Gestaltung der Welt wird ohne einschneidende ökonomische Regulierungen und eine Neudefinition der Verfügungsmacht über die Produktionsmittel kaum möglich sein, mithin auf starken Widerstand der Nutznießer der gegenwärtigen Verteilungsordnung stoßen. Wiederum wird klar, dass deren Veränderung nur möglich ist im Rahmen einer globalen Demokratisierung, eines individuellen und kollektiven „empowerment“ der bislang Machtlosen.
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Josette Baer, Dr., ist zur Zeit visiting fellow an der University of Washington. REECAS, The Henry M. Jackson School of International Studies, University of Washington, Thomson, Box 353650, Seattle, WA 98195-3650, USA Francis Cheneval, Prof. Dr., lehrt Philosophie. Universität Zürich, Philosophisches Seminar, Rämistrasse 71, 8006 Zürich, Schweiz Thomas Cottier, Prof. Dr., lehrt Europarecht und Wirtschaftsvölkerrecht und ist Direktor des Departements für Wirtschaftsrecht sowie des World Trade Institute. Universität Bern, Institut für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht, Hallerstrasse 6, 3012 Bern, Schweiz Maya Hertig, Dr., ist Oberassistentin am Institut für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht der Universität Bern. Universität Bern, Institut für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht, Hallerstrasse 6, 3012 Bern, Schweiz Wilfried Hinsch, Prof. Dr., lehrt praktische Philosophie. Lehrstuhl für Praktische Philosophie, Universität des Saarlandes, 66041 Saarbrücken, Deutschland Thomas Kesselring, PD Dr., lehrt Ethik an der Universität Bern und in der Lehrerbildung des Kantons Bern. Universität Bern, Institut für Philosophie, Länggassstrasse 49a, 3000 Bern 9, Schweiz Georg Kohler, Prof. Dr., lehrt politische Philosophie. Universität Zürich, Philosophisches Seminar, Rämistrasse 71, 8006 Zürich, Schweiz Urs Marti, PD Dr., lehrt politische Philosophie. Universität Zürich, Philosophisches Seminar, Rämistrasse 71, 8006 Zürich, Schweiz Sven Murmann, Dr., ist Geschäftsführer einer Holdinggesellschaft. Sauer Holding GmbH, Pickhuben 2, 20457 Hamburg, Deutschland Valérie Nádrai, Dr., arbeitet beim Eidgenössischen Departement für Auswärtige Angelegenheiten. Département fédéral des affaires étrangères, Division politique IV, Section politique humanitaire et migration, Bundesgasse 32, 3003 Bern, Schweiz Michael Schefczyk, Dr., ist Assistent am philosophischen Seminar der Universität Zürich. Universität Zürich, Philosophisches Seminar, Rämistrasse 71, 8006 Zürich, Schweiz Erika Schläppi, Dr., arbeitet als Konsulentin für Governance-Fragen und internationale Menschenrechte. Governance consulting, Lorrainestrasse 19, Postfach 315, 3000 Bern 11, Schweiz Véronique Zanetti, PD Dr., lehrt Ethik und politische Philosophie an der Universität Fribourg/CH. Schwabstraße 33, 72074 Tübingen
Namenregister Abizadeh, Arash 113 Abromeit, Heidrun 246 f Ahmeti, Ali 283 Albright, Madeleine 33 Alston, Philip 127 Altvater, Elmar 74 Apel, Karl-Otto 300, 309 f, 312, 315 Aristoteles 94, 99, 219, 239, 287, 307, 354 Augstein, Rudolf 25 Bader, Veit Michael 243 Barbie, Klaus 264 Barry, Brian 290, 346 Bauer, Barbara 230 Beck, Ulrich 102, 287 Beitz, Charles 218, 290, 345 f, 348 Bentham, Jeremy 68 Berlin, Isaiah 291, 358 Biaggini, Giovanni 124, 129 bin Laden, Osama 12 Blair, Tony 42, 55, 57 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 225 Bodin, Jean 120, 245 Boutros-Ghali, Boutros 262 Brandt, Willy 33 Brenner, Robert 73 Brito, Adriano Naves de 306 Bull, Hedley 65 Bush jr., George 45, 54 f, 57 Bush sr., George 11 Carter, Jimmy 23-25 Cass, Deborah Z. 126 Cervenkovski, Branko 280, 283 Charnovitz, Steve 126 Chwaszcza, Christine 223, 235 Clausewitz, Carl von 20 f, 23, 37 Condorcet, Jean-Antoine-Nicolas de Cox, Robert 73, 187 Creveld, Martin van 19, 53 Cuéllar, Javier Pérez de 253 Cusanus, Nicolaus 99 Czempiel, Ernst-Otto 70 f, 247 f Diamond, Jared 85, 90 Donnelly, Jack 231 Doyle, Michael 69 Eichmann, Adolf
264
Erhard, Johann Benjamin Euklid 94
261
Falk, Richard 71 f, 187 Fallow, James 23 Fehige, Christoph 340 Forst, Rainer 221, 224, 229 Franck, Thomas M. 225, 227, 229, 231 f Frank, André Gunder 72 Frowein, Jochen A. 125 Fukuyama, Francis 27-33, 40 f, 55, 57 Gellner, Ernest 138 Georgievski, Ljubcho 273, 280, 283 Ghazali, Muhammad al 97 Giddens, Anthony 103 Gilbert, Alan 71 Gligorov, Kiro 272 Gorbatschow, Michail 24, 33 Gosepath, Stefan 318 Grimm, Dieter 113 Günther, Klaus 355
114
Habermas, Jürgen 69 f, 73, 105, 186 f, 222, 225, 240, 245, 254, 329-333 Haltern, Ulrich 134 Hamilton, Alexander 104, 107 Hayek, Friedrich A. von 316 Hegel, Friedrich 31, 32, 91 Held, David 71, 105, 115, 186 Henkel, Olaf 332 Henkin, Louis 227 Henrard, Kristin 275 Hirst, Paul 331 Hitler, Adolf 269 Hobbes, Thomas 12-14, 34 f, 44-46, 63, 65, 103, 108-111, 120, 178, 180, 240 f, 244, 305 Höffe, Otfried 47, 70, 186 Hoffmann, Stanley 233 Hollis, Martin 75 Horowitz, Daniel 269 Howse, Robert 127 Hussein, Saddam 13, 42, 54 f, 57 f, 262 Iliffe, John
90
Jacqué, Jean-Paul 132 Jones, Charles 118
Namenregister Kagan, Robert 12 f, 17, 27, 30-37, 44, 48, 5358, 61 Kaiser, Karl 66 Kaldor, Mary 19, 31, 36-42, 44 Kälin, Walter 189 Kant, Immanuel 12-18, 26-37, 41, 45-61, 68 f, 71, 76, 105, 107, 111, 116-119, 185 f, 188, 218, 221, 234, 240, 245, 289, 311, 346, 355 f, 358 Kecmanovic, Dusan 270 Kennedy, Paul 24, 25 Keohane, Robert O. 66 f, 74 Kersting, Wolfgang 347, 349 Keynes, John Maynard 197 Khaldun, Abd-ar-Rahman Ibn 97 f Kincaid, John 330 Kirchgässner, Gebhard 339 Kirkpatrick, Jeane J. 57 Kissinger, Henry 24 Klaus, Vaclav 271 Kojève, Alexandre 31 f Kokott, Juliane 236 Koller, Peter 357 Kolumbus, Christopher 96 Konfuzius 95, 305 Kornai, Janos 267 Krajewski, Markus 126 Kratochwil, Friedrich 226 Krugman, Paul 326, 339, 341-343 Kuhlmann, Wolfgang 309, 312, 315 Kymlicka, Will 113-115, 117 Lambsdorff, Otto Graf 332 Lenin, Vladimir 11 Lijphardt, Arend 278 Linklater, Andrew 73, 245 Locke, John 65, 111, 120, 122, 179 f, 240 f, 245 Lyotard, Jean-François 102 Machiavelli, Niccolo 63 Macpherson, Crawford B. 180 Mahnkopf, Birgit 74 Makiesky-Barrow, Susan 288 Mann, Michael 180 Mapel, David R. 227 Marshall, Thomas 239 f Marx, Karl 72 f, 75 f, 181, 349, 358 f Mauss, Marcel 22 McDougal, Myres 228 Meciar, Vladimir 268 f, 271 Meng Tzu 95 Mill, John Stuart 76, 113, 340 Miller, David 334 Milosevic, Slobodan 262, 268-270 Mohammed 98 Montesquieu, Charles-Louis de 110, 120 Morgenthau, Hans 64, 253 Mosler, Hermann 125
393
Müller, Jörg Paul 227 Münkler, Herfried 19, 33 f Nardin, Terry 218, 226, 232 f Needham, Joseph 92, 95 f Nehru, Jewaharal 93 Neumann, Franz 181 Newton, Isaak 99 Nicolaides, Kalypso 127 Nielsen, Kai 348 Nixon, Richard 20, 24 Nussbaum, Martha 357, 359 Nye, Joseph 66 O’Neill, Onora 358 Obstfeld, Maurice 339, 341-343 Ohlhoff, Stefan 126 Oliveira, Manfredo Araujo de 300 Parson, Talcott 92, 95 f Peters, Anne 137 Petersmann, Ernst-Ulrich 127 Platon 94, 99, 101 Platteau, Jean-Phillippe 212 Pogge, Thomas 218, 226, 290, 348 f Polanyi, Karl 183 Polo, Marco 95 Poznanski, Kazimierz Z. 267 f Pries, Ludger 288 Pythagoras 94, 99 Rawls, John 7, 67, 76, 218, 220, 224, 233 f, 239-241, 244 f, 287, 294 f, 317-320, 333 f, 340, 345-347, 349, 356 f Reagan, Ronald 20, 24 f, 33 Ricardo, David 334 f Roosevelt, Theodor 11 Rosenau, James 67, 77 Rousseau, Jean-Jaques 63, 76, 111, 179, 185, 240, 245 Rufin, Jean-Christophe 40 Rumsfeld, Donald 33 Saint-Pierre, Charles-Irénée Castel de 63 Samuelson, Paul 327 Sandel, Michael 245 Sandkühler, Hans Jörg 236 Scelles, Georges 129 Scheel, Walter 33 Scheler, Max 116 Schlereth, Thomas J. 115 Schloemann, Hannes L. 126 Schmitt, Carl 136 Scholte, Jan Aart 187 Sen, Amartya 317, 357-359 Sharon, Ariel 262 Shaw, Bernhard 306 Shue, Henry 223, 356
394 Siebert, Horst 325 f Sieyès, Joseph Emmanuel Soysal, Yasemin 250 f Stalin, Joseph 11, 269 Stein, Eric 126 f Steinberg, Richard 352 Stiglitz, Joseph 352 Streeck, Wolfgang 332 Sutton, Constance 288
Namenregister
138
Tarullo, Daniel K. 131 Teubner, Gunther 226 Thomas von Aquin 97 Thompson, Grahame 331 Thukydides 63 Tiebout, Charles 326 f Tocqueville, Alexis de 104, 107 Touvier, Paul 264 Tudjman, Franjo 269
Vanberg, Viktor 330 Verdross, Alfred 129 Vico, Giambattista 91 von Trotha, Trutz 19 Walker, George Herbert 57 Walker, Neil 132 Walker, Robert 77 Wallerstein, Immanuel 19, 73 Waltz, Kenneth 64 Walzer, Michael 245 Weber, Max 75, 93 Weiler, Joseph H. H. 127, 134, 139 Weinberger, Caspar 24 f Weizsäcker, Carl Christian von 329, 335-337 Weizsäcker, Carl F. von 24 Wellmer, Albrecht 105 f Wendt, Alexander 75 Wilson, Woodrow 11, 57, 70