Sabine Wollscheid Lesesozialisation in der Familie
Sabine Wollscheid
Lesesozialisation in der Familie Eine Zeitbudge...
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Sabine Wollscheid Lesesozialisation in der Familie
Sabine Wollscheid
Lesesozialisation in der Familie Eine Zeitbudgetanalyse zu Lesegewohnheiten
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl. Dissertation an der Universität Trier, 2007, unter dem Titel: Lesesozialisation in der Familie unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Eine Sekundäranalyse mit Zeitbudgetdaten
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15819-8
Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ...........................................................................................................7 Tabellenverzeichnis................................................................................................................8 Tabellenverzeichnis: Anhang II ...........................................................................................11 Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................................12 Vorwort ................................................................................................................................13 1 Einleitung: Hinführung zum Thema, Herleitung der Fragestellung und Zielsetzung ......15 2 Terminologische Grundlagen, Eingrenzung der Fragestellung und Darstellung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen .....................................................................22 2.1 Grundlegende Begriffe ...............................................................................................22 2.1.1 Sozialisation: Wechselseitige Beeinflussung von Individuum und Gesellschaft ......................................................................................................22 2.1.2 Lesen, Lesesozialisation und Lesekompetenz ..................................................27 2.1.3 Familie: Institution der (Lese-)Sozialisation und Primärgruppe.......................32 2.2 Einordnung der Fragestellung innerhalb der Lesesozialisationsforschung und Abgrenzung der engeren Thematik ............................................................................38 2.3 Gesellschaftliche und familienimmanente Rahmenbedingungen seit Beginn der 1990er Jahre ...............................................................................................................42 2.3.1 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen ............................................................42 2.3.2 Familienimmanente Rahmenbedingungen .......................................................48 2.3.3 Veränderungen des Medienbesitzes: Bücher und Fernsehgeräte ......................51 3 Theoretische Dimensionen der Lesesozialisation .............................................................53 3.1 Externe Dimensionen .................................................................................................54 3.1.1 Bildung .............................................................................................................54 3.1.2 Zeit ...................................................................................................................62 3.1.3 Bildung und Zeit im Spiegel „neuerer“ Chancenungleichheiten ......................66 3.2 Interne Dimensionen der Lesesozialisation ................................................................69 3.2.1 Interaktionen in der Familie .............................................................................70 3.2.2 Elternvorbild .....................................................................................................82 3.2.3 Zurückhaltende Fernsehnutzung.......................................................................88 3.2.4 Weitere Dimensionen .......................................................................................92 3.3 Lesesozialisation in der Familie im deutschsprachigen Raum: Stand der Forschung 95 3.4 Zusammenfassung der zentralen Hypothesen .............................................................99
6
Inhaltsverzeichnis
4 Methodik und Forschungsdesign ....................................................................................100 4.1 Begründung der Forschungsstrategie und der Datenauswahl ...................................100 4.2 Beschreibung der Daten............................................................................................102 4.2.1 Grundlagen der Zeitbudgetforschung .............................................................102 4.2.2 Zeitbudgeterhebungen in Deutschland ...........................................................106 4.2.3 Darstellung der Untersuchungsstichprobe .....................................................110 5 Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion ......................................................111 5.1 Lese- und Fernsehzeitbudgets in Familien ..............................................................112 5.1.1 Zeitlicher Rahmen des Lesens und der Fernsehnutzung.................................112 5.1.2 Sozialer Kontext des Lesens und der Fernsehnutzung ...................................117 5.2 Externe Dimensionen und deren Einfluss auf die Lesesozialisation ........................120 5.2.1 Lese- und Fernsehzeitbudgets der Eltern unter Berücksichtigung von Bildung und Zeit ............................................................................................120 5.2.2 Lese- und Fernsehzeitbudgets der Kinder unter Berücksichtigung von Bildung und Zeit ......................................................................................133 5.3 Interne Dimensionen und deren Auswirkungen auf die Lesesozialisation ..............141 5.3.1 Interaktionen sowie Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern ..................141 5.3.2 Elternvorbild sowie Lese- und Fernsehgewohnheiten von Kindern ..............147 5.4 Zweidimensionale Familienkonstellationen .............................................................156 5.4.1 Eltern-Dyaden differenziert nach Interaktion und Elternvorbild ....................157 5.4.2 Gleichgerichtete und zuwiderlaufende Einflüsse des Elternvorbildes auf die Lesesozialisation.................................................................................175 5.5 Mehrdimensionale Typologien der Lesesozialisation in verschiedenen Bildungsgruppen ......................................................................................................183 5.5.1 Rahmenbedingungen der Lesesozialisation in Familien mit unterschiedlicher Bildung ...............................................................................184 5.5.2 Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern nach Bildungsgruppen ...............197 5.5.3 Zusammenführung der Ergebnisse: Eltern-Dyaden und Kinder .....................208 5.6 Grenzen der methodischen Vorgehensweise ............................................................210 6 Schlussbemerkungen und Ausblick ................................................................................212 Literaturverzeichnis............................................................................................................217 Anhang I: Clusteranalyse ...................................................................................................241 Anhang II: Ergebnisse der Clusteranalysen .......................................................................244 Anhang III: Aktivitätskategorien der Zeitbudgeterhebung 2001/02...................................247
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:
Rollenstruktur der „traditionellen“ Kernfamilie .........................................34
Abbildung 2:
Rollenstruktur der „modernen“ Kernfamilie ...............................................36
Abbildung 3:
Verortung des Untersuchungsgegenstandes................................................39
Abbildung 4:
Theoretische Dimensionen der familialen Lesesozialisation ......................54
Abbildung 5:
Bildung und Zeit als Dimensionen der Lesesozialisation ...........................68
Abbildung 6:
Bedeutungszuschreibung durch interaktive Interpretation ..........................72
Abbildung 7:
Zentrale Studien zur Lesesozialisation .......................................................95
Abbildung 8:
Typologie der Lesesozialisation nach Lesevorbild und Interaktionen ......158
Abbildung 9:
Gleichgerichtete und zuwiderlaufende Einflüsse des Lesevorbildes ........176
Abbildung 10: Analysekonzept der familialen Lesesozialisation .....................................183 Abbildung 11: Analysekonzept der familialen Rahmenbedingungen: Eltern-Dyaden nach Bildung und Zeit...............................................................................186 Abbildung 12: Analysekonzept der Lesesozialisation: Kinder nach Bildung und Zeit.....198
Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Mütter nach Erwerbstätigenstatus (in Prozent) .................................................49 Tabelle 2: Mütter nach Bildung (in Prozent) .....................................................................50 Tabelle 3: Väter nach Bildung (in Prozent) .......................................................................50 Tabelle 4: Väter und Mütter nach Bildung (in Prozent) ..................................................107 Tabelle 5: Familien mit Kindern ab zehn Jahren nach soziodemographischen Merkmalen......................................................................................................110 Tabelle 6: Lesezeitbudgets von Familien nach Wochentag .............................................113 Tabelle 7: Fernsehzeitbudgets von Familien nach Wochentag........................................116 Tabelle 8: Lesezeitbudgets von Familien nach sozialem Kontext ...................................117 Tabelle 9: Fernsehzeitbudgets von Familien nach sozialem Kontext und Wochentag ....118 Tabelle 10: Lesezeitbudgets von Müttern nach Wochentag und Bildung .........................121 Tabelle 11: Abendlektüre von Müttern nach Bildung .......................................................123 Tabelle 12: Lesezeitbudgets von Müttern nach Erwerbstätigenstatus und Bildung ..........124 Tabelle 13: Fernsehzeitbudgets von Müttern nach Wochentag, Zeitintervall und Bildung ...........................................................................................................126 Tabelle 14: Fernsehzeitbudgets von Müttern an Werktagen nach Erwerbstätigenstatus und Bildung ....................................................................................................127 Tabelle 15: Fernsehzeitbudgets von Vollzeit erwerbstätigen Müttern nach Wochentag und Bildung ....................................................................................................129 Tabelle 16: Lesezeitbudgets von Vätern nach Wochentag und Bildung ...........................130 Tabelle 17: Fernsehzeitbudgets von Vätern nach Wochentag und Bildung ......................132 Tabelle 18: Lesezeitbudgets von Kindern nach Wochentag und Bildung .........................134 Tabelle 19: Lesezeitbudgets von Töchtern und Söhnen nach Wochentag und Bildung ....135 Tabelle 20: Fernsehzeitbudgets von Kindern nach Wochentag und Bildung ....................137 Tabelle 21: Fernsehzeitbudgets von Kindern nach Wochentag, Bildung und Rezeptionssituation.........................................................................................138 Tabelle 22: Lesezeitbudgets von Kindern nach Erwerbstätigenstatus der Mutter und Bildung ...........................................................................................................139 Tabelle 23: Fernsehzeitbudgets von Kindern nach Erwerbstätigenstatus der Mutter und Bildung ...........................................................................................................140 Tabelle 24: Zeit für Interaktionen mit Kindern an Werk- und Wochenendtagen ..............142 Tabelle 25: Zusammenhang zwischen Interaktionsdauer sowie Lese- und Fernsehdauer der Kinder an Wochenendtagen ...............................................143
Tabellenverzeichnis
9
Tabelle 26: Zusammenhang zwischen Interaktions- sowie Lese- und Fernsehdauer der Kinder an Wochenendtagen nach Bildung .....................................................144 Tabelle 27: Familien ohne und mit prä- und paraliterarischer Interaktion nach Bildung und Erwerbstätigenstatus der Mutter (in Prozent) ............................146 Tabelle 28: Lese- und Fernsehdauer von Geschwisterkindern in Familien ohne und mit prä- und paraliterarischer Interaktion ................................................146 Tabelle 29: Zusammenhang zwischen Lesedauer von Müttern und Kindern nach Alter und Geschlecht ...............................................................................................148 Tabelle 30: Zusammenhang zwischen Lesedauer von Vätern und Kindern nach Alter und Geschlecht ...............................................................................................150 Tabelle 31: Zusammenhang zwischen Lesedauer von Eltern und Kindern mit mittlerer Bildung ...........................................................................................................152 Tabelle 32: Zusammenhang zwischen Lesedauer von Müttern und Kindern nach Erwerbstätigenstatus der Mütter .....................................................................153 Tabelle 33: Zusammenhang zwischen Fernsehdauer von Müttern und Kindern nach Alter und Geschlecht..............................................................................154 Tabelle 34: Zusammenhang zwischen Fernsehdauer von Vätern und Kindern nach Alter und Geschlecht ......................................................................................155 Tabelle 35: Eltern-Kind-Dyaden nach Lese- und Interaktionsdauer (in Prozent) .............159 Tabelle 36: Mutter-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Bildung (in Prozent) ..160 Tabelle 37: Mutter-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Erwerbstätigenstatus der Mutter (in Prozent) ...................................................................................161 Tabelle 38: Mutter-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Erwerbsarbeitszeit der Mutter .......................................................................................................162 Tabelle 39: Lesedauer von Kindern in Mutter-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ ..163 Tabelle 40: Lesedauer von Kindern in Mutter-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Wochentag .............................................................................................164 Tabelle 41: Lesedauer von Söhnen und Töchtern in Mutter-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ ...............................................................................165 Tabelle 42: Vater-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Bildung (in Prozent) ....168 Tabelle 43: Vater-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Erwerbsarbeitszeit des Vaters .......................................................................................................169 Tabelle 44: Lesedauer von Kindern in Vater-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ ....170 Tabelle 45: Lesedauer von Kindern in Vater-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Wochentag .............................................................................................171 Tabelle 46: Lesezeitbudgets von Töchtern und Söhnen in Vater-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ ...............................................................................173 Tabelle 47: Eltern-Kind-Triaden nach Bildung (in Prozent) .............................................176 Tabelle 48: Erwerbsarbeitszeit der Eltern in Eltern-Kind-Triaden (in Minuten) ...............177
10
Tabellenverzeichnis
Tabelle 49: Lesedauer von Kindern in Eltern-Kind-Triaden (in Minuten) ........................178 Tabelle 50: Lesedauer von Kindern in Eltern-Kind-Triaden nach Wochentag (in Minuten) ....................................................................................................180 Tabelle 51: Lesedauer von Söhnen und Töchtern in Eltern-Kind-Triaden (in Minuten)...181 Tabelle 52: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit hoher Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation ................................................................187 Tabelle 53: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit hoher Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation (Wochenendtage) ...................................189 Tabelle 54: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit mittlerer Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation ................................................................191 Tabelle 55: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit mittlerer Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation (Wochenendtage) ...................................192 Tabelle 56: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit niedriger Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation ................................................................193 Tabelle 57: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit niedriger Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation (Wochenendtage) ...................................195 Tabelle 58: Zusammenhangsmaße nach Bildungsgruppe und Wochentag........................196 Tabelle 59: Kinder nach Geschlecht, Schulbildung und Alter in Familien mit unterschiedlicher Bildung (in Prozent) ...........................................................199 Tabelle 60: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit hoher Bildung ...........................................................................................200 Tabelle 61: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit hoher Bildung (Wochenendtage)..............................................................202 Tabelle 62: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit mittlerer Bildung (Werktage) ...................................................................203 Tabelle 63: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit mittlerer Bildung (Wochenendtage) .........................................................204 Tabelle 64: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit niedriger Bildung ............................................................................................205 Tabelle 65: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit niedriger Bildung (Werktage) ..................................................................206 Tabelle 66: Zusammenfassung: Zusammenhang „Leseanteilswerte der Cluster“ nach Bildungsgruppen - Kinder ..............................................................................208 Tabelle 67: Relativer Leseanteil bei Eltern-Dyaden und Kindern nach Bildung (in Prozent) .....................................................................................................209
Tabellenverzeichnis: Anhang II Tabelle A: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit hoher Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation (Werktage) .............................................244 Tabelle B: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit mittlerer Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation (Werktage) .............................................244 Tabelle C: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit niedriger Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation (Werktage) .............................................244 Tabelle D: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit hoher Bildung (Werktage) ........................................................................245 Tabelle E: Altersstruktur der Cluster (in Prozent): Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit hoher Bildung (Werktage) ......................................245 Tabelle F: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit mittlerer Bildung ......................................................................................245 Tabelle G: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit niedriger Bildung (Wochenendtage) ........................................................246
Abkürzungsverzeichnis ARD BMBF BMFSFJ DFG DJI EU IALS IEA JIM KMK M MPFS OECD PISA PIRLS SCP SD SPIEL SPSS TAG UNESCO UNICEF ZDF
Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsches Jugendinstitut Europäische Union International Adult Literacy Survey International Association for the Evaluation of Educational Achievement Jugend, Information, (Multi-)Media Kultusministerkonferenz Arithmetic Mean Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest Organisation for Economic Co-operation and Development Programme for International Student Assessment Progress in International Reading Literacy Study Social and Cultural Planning Office Standard Deviation Siegener Periodicum zur Internationalen empirischen Literaturwissenschaft Statistical Package for the Social Sciences Tagesbetreuungsausbaugesetz United Nations Educational Scientific and Cultural Organization United Nations International Children’s Emergency Fund Zweites Deutsches Fernsehen
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Trier und wurde vom Fachbereich IV im Sommersemester 2007 als Dissertation angenommen. Es ist mir eine ganz besondere Freude, mich an dieser Stelle bei all denjenigen zu bedanken, die mich auf dem Weg zur Promotion begleitet und dabei ganz wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Ein herzliches Dankeschön gilt zuallererst meinem engagierten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Michael Jäckel, der meine Arbeit in vielfacher Hinsicht unterstützt und gefördert und mir gleichzeitig die dazu notwendigen Freiräume eingeräumt hat. Ihm danke ich überdies für die außerordentlich lehrreiche Zeit an der Professur für Soziologie und für die damit verbundenen einzigartigen Erfahrungen, wie z.B. die Teilnahme an internationalen Fachtagungen. Gleichfalls danke ich Herrn Prof. Dr. Frank Huysmans (Universität Amsterdam) für seine Tätigkeit als Zweitgutachter, ferner für konstruktive Anmerkungen, insbesondere in der Abschlussphase. Herrn Prof. Dr. Peter Hecheltjen danke ich für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes bei der Disputation. Gedankt sei überdies den Verantwortlichen des Forschungsreferates an der Universität Trier für die finanzielle Unterstützung in der Abschlussphase. Herrn Erlend Holz vom Statistischen Bundesamt danke ich für die begleitende Beratung im Zuge der Datenauswertungen, Frau Dr. Cornelia Weins und Herrn Bernhard Baltes-Götz für konstruktive Ratschläge bezüglich der methodischen Vorgehensweise. Für inhaltliche Anregungen danke ich Herrn Bodo Franzmann von der Stiftung Lesen in Mainz, Herrn Dr. Frank Meyer vom Graduiertenzentrum an der Universität Trier sowie meinen ehemaligen Kollegen, Herrn Dr. Christoph Rövekamp und Thomas Grund. Meinen Kolleginnen und Kollegen an der Professur für Soziologie sowie Frau Heike Hechler und Frau Dr. Christel Egner-Duppich danke ich für ihre Unterstützung in vielfacher Art, angefangen von organisatorischen Hilfestellungen bis zu wertvollen Hinweisen, wenn die technischen Rahmenbedingungen ein Weiterkommen einmal wieder erschwerten. Dank schulde ich ferner Nils Kritzler, Marissa Maurer sowie Frau Dr. Nicole Zillien für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Formatierung des Endmanuskripts. Frau Dr. Stefanie Ginsbach, Yasemin Mehmet, Nicole Thaller und Frau Dr. Ursula Thomas-Johaentges danke ich für ihren freundschaftlichen Beistand, ihre stets gutgemeinten Ratschläge sowie die kritische Lektüre des Manuskripts. Frau Dr. Ursula ThomasJohaentges sei zudem für die akribische Durchsicht der Endfassung gedankt. Ein Dankeschön gilt auch Sarah Losego für die vielen konstruktiven Gesprächsbeiträge, welche meine Arbeit indirekt beeinflusst haben. Herrn Dr. Are Turmo danke ich für seine liebevolle Begleitung, sein Vertrauen und sein Vorleben von Gelassenheit, auch in schwierigen Phasen. Meinen Eltern danke ich für ihre unermessliche Geduld, ihr Verständnis und ihre Großzügigkeit. Ihnen, die mich jederzeit unterstützt haben, widme ich diese Arbeit.
Trier, im Januar 2008
Sabine Wollscheid
1 Einleitung: Hinführung zum Thema, Herleitung der Fragestellung und Zielsetzung
„Lesen […] ist immer eine Kunst gewesen, ein Können, das sich jeder einzelne Kopf, zumeist mit der Hilfestellung von anderen [..], mühsam hat erwerben müssen.“ (Rudolf Schenda 2000, 1)
Spätestens seitdem im Dezember 2001 erste Ergebnisse des „Programme for International Student Assessment“ (PISA) 2000 über die Lesekompetenz von Schülern im internationalen Vergleich veröffentlicht wurden, ist vor allem in Deutschland neben der wissenschaftlichen auch die bildungspolitische Diskussion über den Erwerb des Lesens im Umfeld von Schule und Elternhaus entfacht worden.1 Beispielhaft seien zwei Befunde erwähnt, welche die breite Öffentlichkeit in Aufruhr versetzt haben: Zum einen wird die Lesekompetenz von Heranwachsenden in keinem anderen Land der „Organisation for Economic Co-operation and Development“ (OECD) so sehr von der sozialen Lage der Herkunftsfamilie beeinflusst wie in Deutschland (vgl. Baumert u. Schümer 2001, 393), zum anderen liegt die Lesekompetenz der 15-jährigen Schüler2 mit 484 Punkten in Deutschland unterhalb des OECD-Durchschnitts von 500 Punkten (vgl. Artelt u.a. 2001, 107). Diese Ergebnisse haben nicht nur die noch immer anhaltende Diskussion um eine grundlegende Reform der Schule, des Unterrichts und der Lehrerausbildung in Deutschland massiv vorangetrieben, sondern darüber hinaus weitere Fragen zur frühkindlichen Bildung und Erziehung aufgeworfen. Diskurse über Bildung und Erziehung von Kleinkindern speisen sich unter anderem aus neueren Erkenntnissen der neurowissenschaftlichen und entwicklungspsychologischen Forschung (vgl. Fthenakis 2004, 389). In diesem Zusammenhang interessiert besonders, dass auch in Deutschland bereits seit Mitte der 1990er Jahre Gestaltungskonzepte frühkindlicher Erziehung und Bildung vermehrt diskutiert werden, einhergehend mit dem Ziel eines weiteren Ausbaus von Betreuungseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren (vgl. ebenda, 390). Nach Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) vom 27.02.2007 soll das Angebot an Krippenplätzen für Kinder unter drei Jahren bis zum Jahre 2013 von derzeit rund sieben Prozent im Bundesdurchschnitt auf rund 30 Prozent aufgestockt werden.3 Motiviert wird die Fragestellung dieser Dissertation zum einen durch die eher besorgniserregenden Ergebnisse von deutschen Schülern in puncto Lesekompetenz, wie sie in Schulleistungsstudien (z.B. PISA) nachgewiesen wurden. Zum anderen wird sie aber 1
Bereits Mitte der 1960er Jahre gab es eine ähnliche Diskussion über eine grundlegende Bildungsreform (vgl. hierzu Picht 1965). Aus Gründen der Lesbarkeit werden im Folgenden nahezu ausschließlich Substantive in männlicher Form gewählt, wobei die weibliche Form der entsprechenden Begriffe stets mitgemeint ist. Wenn also von Schülern die Rede ist, so sind stets Schülerinnen und Schüler gemeint, es sei denn, es wird explizit nach Geschlechtszugehörigkeit differenziert. 3 Vgl. o.V. (2007): „Vorteil Familie. Ausbau der Betreuungsangebote für Kleinkinder“, www.bmfsfj.de/Kategorien/aktuelles, Abruf am 27.2.2007. 2
16
Einleitung
auch angeregt durch den hochaktuellen und derzeit noch andauernden familienpolitischen Diskurs in Deutschland über Möglichkeiten der frühen Sozialisation auch außerhalb der Familie, der bisweilen die „Monopolstellung“ im Bereich der frühkindlichen Betreuung und Erziehung - zumindest bis zum dritten Lebensjahr - zugedacht war. Daran anknüpfend befasst sich diese Arbeit mit der Lesesozialisation in der Familie unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. In Anlehnung an den gegenwärtigen Stand der Sozialisationsforschung wird „Sozialisation“ als wechselseitiger und lebenslanger Prozess der Identitätsbildung unter Berücksichtigung des sozialen und materiellen Umfelds verstanden (vgl. Geulen 2007, 140ff.; Hurrelmann, K. 2002, 15), wobei der Kindheit eine besondere Relevanz zugeschrieben wird (vgl. z.B. Miller 1995, 1292; Hurrelmann, K. 2002, 30; Geulen 2007, 140f.), d.h., die „Familie führt das Kind in intime, persönliche Beziehungen ein und vermittelt ihm seine ersten Erfahrungen als besonderes Individuum. Die Familie ist die erste Bezugsgruppe des Kindes, deren Normen und Werte es sich zu eigen macht und bei der Bewertung von Verhalten heranzieht. […]. In einer Familie leben, heißt lernen, Familienressourcen, wie z.B. Raum, Gegenstände, elterliche Zeit und Aufmerksamkeit, zu teilen.“ (Geulen 2007, 150) Dieser Gedanke lässt sich auch auf die Lesesozialisation übertragen, in deren Verlauf die Familie unbestritten als früheste und wirksamste Vermittlungsinstanz fungiert (vgl. z.B. Hurrelmann, B. 2004c, 45). Es finden sich historische Indizien, sowohl auf alten Gemälden, die bis ins 15. Jahrhundert zurückdatieren (vgl. z.B. Dowhower 2002, 28)4, als auch in der Literatur (vgl. z.B. Huey 1908/1968, 336), die darauf hinweisen, dass die Familie einen zentralen Stellenwert innerhalb der Lesesozialisation einnimmt. Hierzu schreibt Karl Philipp Moritz (1756-1793) in seinem biographisch geprägten Roman „Anton Reiser“: „Im achten Jahr fing denn doch sein Vater an, ihn selber etwas lesen zu lehren, und kaufte ihm zu dem Ende zwei kleine Bücher“ (Moritz 1786, 18).
Daraus erwächst die Frage nach der Bedeutung des Lesens sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft. Es liegt auf der Hand, dass eine intensive Teilhabe an der „Lesekultur“5 eine unabdingbare Voraussetzung ist, um am gesellschaftlichen Leben zu partizipieren (vgl. Saxer 1991, 99; Groeben 2004a, 13; Artelt u.a. 2005, 6). Die 4 Dowhower (2002) beschäftigt sich mit dem Phänomen der Lesesozialisation aus kunsthistorischer Perspektive. Eines der frühesten säkularen Gemälde, „Prince Federico da Montefeltro and His Son“, stammt aus dem Jahre 1480 von Pedro Berruguete (1450-1504). „The size and position of the book, held out pompously by the Duke, makes it the predominate artifact. [..] it is difficult to tell if Federico is reading aloud or silently […] as his son looks on passively. Whichever, the Duke is modeling the importance of literacy for his son. The expectation and [..] message are clear in that the boy will become a reader, he will value that skill just as his father does. Indeed, literacy held an important place in the social fabric and processes of his family.“ (Dowhower 2002, 29) Eines der ersten Gemälde auf denen eine das Lesen lehrende Mutter zu sehen ist, stammt von dem Niederländer Casper Netscher (1635-1684), mit dem Titel „A Lady Teaching a Child to Read and a Child Playing with a Dog“ aus dem Jahre 1670 (vgl. ebenda, 29). „The End of the Day“ (1900) von William Sergeant Kendall (1869-1938) bildet die Gemahlin des Malers sowie dessen fünfjährige Tochter in einer typischen „Vorlesesituation“ ab (vgl. ebenda, 35): „Young Beatrice is enjoying a children’s story book read-aloud before being tucked in for the night. This ‚brief interlude’ shows how reading together can build bonds of warmth and love.“ (ebenda, 35) Als weitere Beispiele lassen sich das Werk, „Portrait of Artist’s Wife and Granddaughter“, des deutsch-jüdischen Malers Max Liebermann (1847-1935) aus dem Jahre 1926 anführen (vgl. ebenda, 34). 5 Explizit abzugrenzen ist dieser, sich auf die (Buch-)Lektüre beschränkende „extensive“ (Lese-)Begriff von einem historisch gefärbten Begriff der Lesekultur, dem eine normative Bedeutung von Bildung und Lesen seit dem 18. Jahrhundert anhaftet (vgl. hierzu Eggert u. Garbe 1995, 20).
Einleitung
17
gesellschaftliche Bedeutung des Lesens lässt sich auch an Ereignissen, wie z.B. dem von der „United Nations Educational, Scientific, and Cultural Organisation“ (UNESCO) im Jahre 1995 gegründeten Welttag des Buches jeweils am 23. April eines Jahres festmachen, dessen Wurzeln bis weit in die Zeit vor PISA reichen.6 Darüber hinaus lässt sich insgesamt eine gestiegene Bedeutung des geschriebenen Wortes und damit des Lesens im Berufsleben beobachten (vgl. Schön 1998a, 56; Ecarius u. Friebertshäuser 2005, 7), auch in Verbindung mit dem Stichwort des lebenslangen Lernens (vgl. Artelt u.a. 2001, 70). Plakativ formuliert: „Wer heute die Kulturtechnik Lesen nicht beherrscht, wird in der Berufswelt marginalisiert, wird zum Paria. Moderne Gesellschaften sind sozusagen gnadenlos literale Gesellschaften.“ (Langenbucher 2002, 98)
In Anlehnung an Salomon (1984) konnten Bonfadelli und Saxer bereits vor etwa 20 Jahren zeigen, dass das Lesen im Gegensatz zur Fernsehnutzung sowohl die Aufnahme von Informationen als auch den allgemeinen Lernprozess fördert (vgl. Bonfadelli u. Saxer 1986, 44f.). Beispielsweise werden Sprach- und Denkfähigkeiten geschult; zudem geht das Lesen mit einer sich ausbildenden aktiven Interessen- und Nutzungsstruktur einher, was dazu führen mag, dass auch andere Medien je nach Bedarf flexibel ausgewählt und genutzt werden (vgl. z.B. ebenda, 45; Hurrelmann, B. 1992b, 249; Schreier u. Rupp 2002, 268). Ferner kann angenommen werden, auch aktuellere Befunde der Hirnforschung deuten darauf hin (vgl. z.B. Pöppel 2002, 147ff.), dass Leser neben kognitiven auch emotional-motivationale Kompetenzen ausbilden (vgl. z.B. Rosebrock 1995, 11; Graf 1996, 181ff.; Schön 1996, 164ff.), wie z.B. die Empathiefähigkeit als besondere Form der Identifikation mit anderen (vgl. Schön 1996, 169). Bereits Anfang der 1980er Jahre konnten Untersuchungen in den USA zeigen, dass ein positiver Zusammenhang zwischen dem Lesen, der Ausbildung von Phantasie und Sprachentwicklung besteht (vgl. z.B. Singer, J. u. Singer, D. 1988, 109). Die Auffassung des Lesens als Schlüsselkompetenz, auch für den Umgang mit anderen Medien, (vgl. Langenbucher 2002, 100) erscheint in diesem Zusammenhang fast schon trivial. Die Lesesozialisation bezieht sich nach gegenwärtigem Verständnis nicht ausschließlich auf die Sozialisation zum Leser oder Nichtleser, sondern im weiteren Sinne auf die Sozialisation zum Mediennutzer insgesamt. Vor dem Hintergrund, dass „neuere“ Medien zumindest zum Zeitpunkt der Primärsozialisation der betrachteten zehn- bis 19-jährigen Kinder und Jugendliche noch keine bedeutsame Rolle eingenommen haben, werden in dieser Arbeit ausschließlich Lese- und Fernsehgewohnheiten untersucht, von denen angenommen wird, dass sie sich im Zuge der „familialen Lesesozialisation“7 ausgebildet haben (vgl. Kapitel 2.1.2). Dies geschieht auch in Anlehnung an themenverwandte Forschungsarbeiten (vgl. z.B. Bonfadelli u. Saxer, 1986; Hurrelmann, B. u.a. 2005, 333ff.).8 Unterstellt wird eine „asymmetrische Beziehung“ zwischen Fernsehen und Lesen, die schon allein daraus resultiert, dass das Lesen in der Schule ausdrücklich gelehrt wird, während die Vermittlung 6
Diese Idee führt auf eine alte katalanische Tradition zurück, demnach sich die Menschen zum Namenstag des Volksheiligen Sankt Jordi (Sankt Georg) Rosen schenken. Seit den 1920er Jahren werden, angeregt durch die Büchergilde von Barcelona, auch Bücher verschenkt. Insbesondere in Barcelona ist der 23. April ein Kulturereignis, an dem unter anderem zahlreiche Lese- und Bücherfeste organisiert werden (vgl. www.welttag-desbuches.at/site/fs_b.html, Abruf am: 7.5.2005). 7 Der Begriff wurde in Anlehnung an Bettina Hurrelmann u.a. (2005, 13) gewählt und wird im Folgenden synonym für „Lesesozialisation in der Familie“ verwendet. 8 Die Nutzung von auditiven Medien wird ausgeschlossen, da unterstellt werden kann, dass Radio- und Musikmedien nahezu ausschließlich „nebenbei“ zu anderen Aktivitäten genutzt werden (vgl. Kiefer 1999, 222).
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von anderen Formen der Mediennutzung nicht explizit im Lehrplan verankert ist (vgl. z.B. auch: Hurrelmann, B. 1992b, 246; Hurrelmann, B. 1999, 112). Die Relation zwischen Lesen und Fernsehen wird im dritten Kapitel der Arbeit weiter herausgearbeitet. Innerhalb der Wissenschaft herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Weichen in der Familie gelegt werden, ob ein Kind sich zu einem regelmäßigen und motivierten Leser entwickelt oder nicht. Bereits mit dem Erwerb der Sprache nimmt die Lesesozialisation ihren Anfang (vgl. z.B. Oerter 1999, 32), eine Auffassung, die sich in der neueren Forschung zum Schriftspracherwerb seit den 1980er Jahren immer mehr durchgesetzt hat (vgl. z.B. Niebuhr u. Ritterfeld 2003, 101ff.). Es soll damit nicht bestritten werden, dass Kinder gegenwärtig immer früher auch mit anderen Institutionen der Sozialisation (z.B. Kindertagesstätte, Kindergarten, Schule) in Berührung kommen. In dieser Arbeit werden Einflussfaktoren dieser Art jedoch weitgehend analytisch ausgeblendet, da dies den inhaltlichen Rahmen sprengen würde. Diese Arbeit konzentriert sich unterdessen auf die Fragestellung, ob und inwieweit die Familie als Institution der Lesesozialisation auch unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch von Bedeutung ist. Daran schließt sich die Frage an, was in der vorliegenden Untersuchung unter „veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen“ zu verstehen ist. Zum einen haben sich die Rollen der Familienmitglieder im Sinne von „Erwartungen, an denen sich die Individuen in ihrem Handeln orientieren“ (Abels 2007, 132) im Zeitverlauf verändert. Das „Erziehungsverhältnis“ zwischen Eltern und Kindern hat sich etwa zu einem „Beziehungsverhältnis“ gewandelt (vgl. Peuckert 2005, 168), so dass Kinder immer mehr eine gleichberechtigte Rolle innerhalb der Familie einnehmen. Die zunehmende Erwerbstätigkeit der Mütter hat des Weiteren zu einem veränderten Verständnis von „traditionellen“ Geschlechtsrollen geführt, wie sie seit der Nachkriegszeit in Deutschland weitestgehend in der Bevölkerung verankert waren; mittlerweile definieren sich auch Väter eher als „Erzieher“ denn als „Ernährer“ der Familie (vgl. BMFSFJ 2005, 5). Zum anderen finden sich mit Blick auf die zunehmende gesellschaftliche Bedeutung von Bildung auch Hinweise darauf, dass sich die Anforderungen an eine gelingende (Lese-)Sozialisation im Familienumfeld erhöht haben (Stichwort: „Bildungsgesellschaft“9). Damit ist ferner auch ein anderer Umgang mit Zeit verbunden. Es stellt sich die Frage, ob Familien heutzutage eher als noch vor wenigen Jahrzehnten mit Zeitkonflikten und -restriktionen konfrontiert werden, welche sie beispielsweise in ihrer „Sozialisationsfunktion“ einschränken. Ohne Zweifel hat es auch früher bereits Familien gegeben, die besonderen Zeitkonflikten ausgesetzt waren, wie z.B. solche mit eigenem Familienbetrieb. Beschränkt man sich jedoch auf den Zeitraum von Mitte der 1970er Jahre bis heute, ist sicherlich richtig, dass sich seitdem insgesamt der Anteil derjenigen Familien erhöht hat, der sich durch ein „Weniger“ an frei disponibler Zeit beschreiben lässt. Dies schlägt sich nicht nur in der öffentlichen Berichterstattung, sondern auch in einschlägigen wissenschaftlichen Publikationen nieder. Dem Zeitaspekt in der Familie, vor allem im Kontext mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie („work-lifebalance“), widmet sich eine ganze Reihe von neueren Forschungsarbeiten auf nationaler (vgl. z.B. Kastner, 2004; Jurczyk u. Lange 2006) und internationaler (vgl. z.B. Hochschild 1987; Daly 1996, Daly 2001a; Jacobs u. Gerson 2004) Ebene.
9 So fragt etwa Haunberger danach, ob die Bildungsexpansion die Entwicklung zu einer „Bildungsgesellschaft“ angestoßen habe (2006, 335).
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Das Elternvorbild, die Einbindung des Lesens in den Familienalltag, prä- und paraliterarische Interaktionen (z.B. Vorlesen) sowie ein zurückhaltender Fernsehgebrauch lassen sich nach herrschender Meinung als zentrale Dimensionen der Lesesozialisation im Familienumfeld benennen. Gleichzeitig gilt als weitgehend gesichert, dass die soziale Herkunft, insbesondere die Bildung der Familie, positiv mit der Lesedauer und Lesemotivation der Familienmitglieder zusammenhängt. Daneben lässt sich Zeit als weitere Dimension anführen, denn ob und/oder wann jemand beispielsweise in einem Buch liest, hängt immer auch von dessen Zeitressourcen und -disponibilitäten ab. Zeit und Bildung werden dabei als externe10 bzw. strukturelle Dimensionen oder Rahmenbedingungen der Lesesozialisation betrachtet, welche die Gewohnheiten der Familienmitglieder im Umgang mit Medien dauerhaft beeinflussen, d.h. sich indirekt in ihrem „Habitus“ (Bourdieu 1984, 171) niederschlagen. Daneben sind immer wieder Unterschiede der Lesegewohnheiten zwischen Jungen und Mädchen in unterschiedlichen Bildungs- (vgl. z.B. Bonfadelli u. Fritz 1993, 130) und Altersgruppen nachgewiesen worden (vgl. Garbe 2003; Rosebrock 2003, 119f.; Bucher 2004, 142). Der Zeit im Familienumfeld wird in dieser Dissertation gegenüber anderen Studien zur Lesesozialisation eine besondere Priorität eingeräumt. Es wird angenommen, dass der primär durch die Eltern angeregte Prozess der Lesesozialisation sowohl von deren Zeitbudget als auch von deren Bildungsstatus abhängt. (Vor-)Lesen kostet Zeit! Häufig verfügen gerade diejenigen Familien über relativ wenig freie Zeit, die über eine relativ hohe Bildung verfügen („dual-career families“), obgleich in der Regel davon auszugehen ist, dass ein positiver Zusammenhang zwischen Bildung und einem effizienten oder auch bewussten Umgang mit Zeit vorliegt. Umgekehrt gibt es aber auch Familien, die sich durch relativ viel „frei disponible“ Zeit und geringe Bildung beschreiben lassen. Dem ist hinzuzufügen, dass die Frage nach dem „Rätsel der Zeit“ nicht einfach zu beantworten ist, wobei es hier nicht darum gehen soll, ein theoretisches Zeitkonzept (weiter-)zu entwickeln.11 Ein Ziel dieser Dissertation ist es daher, den Zusammenhang zwischen externen Dimensionen, wie Bildung und Zeit, und der Lesesozialisation zu analysieren. Im Zuge dessen werden Lese- und Fernsehzeitbudgets von Eltern und Kindern sowie Zeit und Bildung gemeinsam betrachtet, um bisherige Ergebnisse, die sich auf ungleiche Bildungschancen der Lesesozialisation beziehen, näher zu spezifizieren. Ferner sollen Zusammenhänge zwischen internen Dimensionen der Lesesozialisation, die sich auf der Verhaltensebene der Familienmitglieder (z.B. das Lesevorbild) verorten lassen, und Lesegewohnheiten des Kindes im Einzelnen untersucht werden. Im Unterschied zu bisherigen Studien werden dazu Lesegewohnheiten in einzelnen Zeitfenstern eines Tages analysiert. Darüber hinaus soll in Einzelfällen auch das soziale Umfeld besondere Beachtung erfahren, z.B. ob Heranwachsende in An- oder Abwesenheit anderer Familienmitglieder lesen oder fernsehen. Aufbauend auf diesen Analysen wird beabsichtigt, Eltern-Kind-Konstellationen der Lesesozialisation zu identifizieren, die sich hinsichtlich mehrerer Dimensionen voneinander unterscheiden, um daraus letztlich „neuere“ Chancenungleichheiten der Lesesozialisation abzuleiten.
10 Die Unterscheidung zwischen internen und externen Dimensionen der Lesesozialisation wird im dritten Kapitel anhand eines Schaubildes näher verdeutlicht (vgl. Kapitel 3, Abbildung 4). 11 Vgl. hierzu z.B. die Arbeit von Schilling (2005), die ein zukünftiges Konzept von „Zeit“ bzw. „Zeitvorstellungen“ zum Inhalt hat.
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Als theoretische Grundlage dienen einerseits Überlegungen zu externen Dimensionen, wie Bildung und Zeit. Auf Basis von Ansätzen zur (bildungs-)schichtspezifischen Sozialisation sowie ressourcentheoretischen Ansätzen wird erläutert, wie und warum der Bildungsstatus der Familie und deren Zeitbudget die Lesesozialisation von Kindern beeinflusst. Andererseits werden sozialisationstheoretische Ansätze herangezogen, die sich auf die Verhaltensebene der Familie beziehen und damit die internen Dimensionen der Lesesozialisation tangieren. Dies betrifft Überlegungen zur Interaktion in der Familie, Ansätze sozialer Lerntheorien, die den Zusammenhang zwischen Elternvorbild sowie den Lese- und Fernsehgewohnheiten der Kinder abbilden, ferner Überlegungen zur Leseerziehung (z.B. Vorlesen) sowie sprach- und kognitionstheoretische Betrachtungen, die den positiven Einfluss einer zurückhaltenden Fernsehnutzung auf die Lesesozialisation herausstellen. Daneben werden Geschlechts- und Alterseinflüsse berücksichtigt, obgleich im Rahmen dieser Arbeit diese Dimensionen - auch aus Gründen der Komplexitätsreduktion - eher am Rande thematisiert werden. Datengrundlage der empirischen Sekundäranalyse bilden Tagebuchdaten der Zeitbudgeterhebung 2001/02 in Deutschland. Die Untersuchungsstichprobe umfasst 758 Familien (Vater-Mutter-Kind-Konstellationen) mit Kindern zwischen zehn und 19 Jahren. Für jedes Familienmitglied ab zehn Jahren liegen Angaben zur Zeitverwendung an drei Tagen (zwei Wochentage, einen Tag am Wochenende) vor. Dadurch ist es möglich, die Zeitdimension differenziert zu berücksichtigen. Diese Arbeit konzentriert sich darauf, Lese- und Fernsehgewohnheiten zu analysieren, auch unter der Annahme, dass die betrachteten Kinder im Verlaufe ihrer Primärsozialisation, die bereits als abgeschlossen unterstellt wird, noch nicht in dem Maße mit neueren Medien in Berührung gekommen sind, wie dies zum heutigen Zeitpunkt erfolgen würde. In bisherigen Sekundäranalysen mit Zeitbudgetdaten der Jahre 1991/92 sowie 2001/02 zeigte sich, dass sich die Lese- und Fernsehdauer der deutschen Bevölkerung ab zwölf Jahren nur unwesentlich verändert hat (vgl. Jäckel u. Wollscheid 2004b, 367). Darüber hinaus ist ein Vergleich im Längsschnitt in methodischer Hinsicht nicht uneingeschränkt möglich, z.B. liegt die untere Altersgrenze bei den Befragten der ersten Zeitbudgeterhebung bei zwölf Jahren, bei denjenigen der aktuellen Erhebung bei zehn Jahren. Aus diesen Gründen basiert die empirische Analyse weitgehend auf den Daten der aktuellen Zeitbudgeterhebung aus den Jahren 2001/02. Lediglich im einführenden Teil der Arbeit werden Daten aus beiden Erhebungen verwendet, um Veränderungen, die sich auf die bereits angedeuteten familienimmanenten Rahmenbedingungen der Lesesozialisation beziehen, für einen relativ kurzen Zeitraum zu skizzieren. Der entscheidende Vorteil dieser Daten liegt darin, dass es möglich ist, ganze Familienkonstellationen, d.h. Mütter, Väter und Kind(er) (ab zehn Jahren), hinsichtlich ihrer Lese-, Fernseh- und Interaktionsgewohnheiten zu analysieren, auch unter gleichzeitiger Berücksichtigung struktureller Dimensionen, wie Bildung und Zeit. Die Untersuchung der Lesesozialisation ist im Rahmen herkömmlicher reaktiver Interview- und Befragungsmethoden in der Regel mit dem Problem „sozialer Erwünschtheit“ verbunden (vgl. Hurrelmann, B. 1992a, 258; Bonfadelli 1999, 122), da der Begriff des Lesens mittlerweile in nahezu allen sozialen Gruppierungen positiv behaftet ist und damit normativen Bewertungen unterliegt (vgl. Groeben 2004a, 13). Da sich das originäre Ziel der Zeitbudgeterhebung nicht auf die Erfassung von Lesegewohnheiten richtet, lassen sich Effekte sozialer Erwünschtheit weitgehend ausschließen. Des Weiteren können Lese- und Fernsehzeitbudgets weiter nach
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Tageszeit und sozialem Kontext (z.B. Anwesenheit anderer Personen im Haushalt) differenziert untersucht werden. Auf Grundlage der vorliegenden Stichprobe lassen sich die Befunde weitgehend verallgemeinern. Als statistische Verfahren werden sowohl Kontingenz-, Korrelations- und Varianzanalysen als auch Clusteranalysen verwendet, um aufbauend auf einfachen und bivariaten Zusammenhängen zwischen einzelnen Dimensionen der Lesesozialisation Familienkonstellationen zu typisieren, welche sich hinsichtlich mehrerer Dimensionen voneinander unterscheiden. Mit dem Begriff der Lesesozialisation, dem implizit die Annahme eines Sozialisationsverlaufs zu Grunde liegt, wird in dieser Dissertation nicht der Anspruch einer Längsschnittbetrachtung verbunden. Stattdessen ist die vorliegende Analyse als eine Momentaufnahme zu verstehen. Die Betrachtungsweise erfolgt damit auf einer „synchronsystematischen“ Ebene (Schreier 1999, 99) mit der Absicht, Muster der Mediennutzung nachzuzeichnen und zu erklären, die sich aus der Lesesozialisation ergeben und sich in Lese- und Fernsehzeitbudgets der Familienmitglieder niederschlagen. Im Folgenden wird der Aufbau der Arbeit, die Vorgehensweise der Untersuchung sowie der Inhalt der einzelnen Kapitel kurz skizziert: Im theoretischen Teil der Arbeit werden zunächst die grundlegenden Begriffe hergeleitet und definiert sowie die engere Fragestellung eingegrenzt und innerhalb der Lesesozialisationsforschung eingeordnet. Ferner werden die gesellschaftlichen und familienimmanenten Rahmenbedingungen, von denen angenommen wird, dass sie mit der Lesesozialisation in Zusammenhang stehen, hinsichtlich ihrer Veränderungen in den letzten zwei bis drei Dekaden skizziert (Kapitel 2). Daran anknüpfend werden die theoretischen Dimensionen der familialen Lesesozialisation entwickelt, Forschungshypothesen formuliert und operationalisiert, die im Rahmen der empirischen Untersuchung überprüft werden. Den Abschluss des theoretischen Teils bilden eine Synopse des aktuellen Forschungsstandes sowie eine Zusammenfassung der Forschungshypothesen (Kapitel 3). Der empirische Teil beginnt mit einer Beschreibung der Methodik und des Forschungsdesigns. Im Zuge dessen werden zunächst die Wahl der Forschungsstrategie sowie die Datenauswahl kurz begründet, bevor die Daten beschrieben werden. Damit verbunden ist auch eine knappe Einführung in die Zeitbudgetforschung (Kapitel 4). Im daran anschließenden Kapitel werden die zentralen Ergebnisse dargestellt und unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes interpretiert und diskutiert. Auch wenn sich diese Arbeit primär auf den deutschsprachigen Forschungsraum beschränkt, wird teilweise auch auf internationale Befunde Bezug genommen, um die Fragestellung international zu erweitern. Eine globale Beurteilung der Ergebnisqualität unter besonderer Berücksichtigung der methodischen Vorgehensweise und der verwendeten Daten rundet den empirischen Teil dieser Untersuchung ab (Kapitel 5). Abschließend wird die eingangs gestellte Forschungsfrage nochmals explizit aufgegriffen. Inwieweit sie beantwortet wurde, und welche weiteren Forschungsfragen sich auch mit Blick auf die derzeitigen bildungs- und familienpolitischen Veränderungen ergeben, gilt es im finalen Kapitel zu klären.
2 Terminologische Grundlagen, Eingrenzung der Fragestellung und Darstellung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
In diesem Kapitel werden zunächst die dieser Arbeit zu Grunde liegenden zentralen Begriffe hergeleitet und definiert (Kapitel 2.1). Anschließend wird die Fragestellung eingegrenzt und innerhalb der gegenwärtigen Forschung zur Lesesozialisation verortet (Kapitel 2.2). Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Lesesozialisation in der Familie und deren Veränderungen seit Beginn der 1990er Jahre werden im dritten Abschnitt dieses Kapitels skizziert (Kapitel 2.3). 2.1 Grundlegende Begriffe Diese Arbeit basiert im Wesentlichen auf den Begriffen „Sozialisation“, „Lesen“, „Lesesozialisation“ und „Familie“, die in der Wissenschaft keineswegs eindeutig verwendet und somit zu Beginn hergeleitet, definiert und gegenüber verwandten Termini abgegrenzt werden. 2.1.1 Sozialisation: Wechselseitige Beeinflussung von Individuum und Gesellschaft Der Ursprung des Sozialisationsbegriffes fällt mit dem Anfang der Soziologie als wissenschaftliche Disziplin zusammen. Im Sinne von ‚to render social, to make fit for living in society’ wurde dieser Terminus erstmals im Oxford Dictionary im Jahre 1828 verwendet (zit. nach: Clausen 1968, 21). Etwa 70 Jahre danach räumte Giddings (1897) der Sozialisationstheorie bereits die wichtigste Stellung innerhalb der Gesellschaftstheorie ein (vgl. auch: Geulen 1991, 22): „The Theory of Socialization is the most important part of the Theory of Sociology. […]. [S]ocialization is conceived as the development of a social nature or character – a social state of mind – in the individuals who associate. Socialization […] is furthermore regarded as an effect of association, and of the formation of social groups, and as a cause of the developed forms of association.” (Giddings 1897, 1f.)
Das heutige Verständnis von Sozialisation im Sinne eines wechselseitigen und lebenslangen Prozesses der Identitätsentstehung und -entwicklung unter Berücksichtigung des sozialen und materiellen Umfeldes hat seinen Urspruch im Wesentlichen in den Arbeiten von Charles H. Cooley (1864–1929), George H. Mead (1863–1931), Jean Piaget (1896–1980) sowie Sigmund Freud (1856–1939) (vgl. Geulen 2001, 130 ). Der Gedanke, dass wir uns
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einer eigenen „Identität“ bewusst sind, ist nach herrschender Meinung auf Cooley (1902/1967) zurückzuführen, der den sozialen Urspruch des Selbst („Self“12) erforschte. Daran anknüpfend befasste sich Mead mit der Frage, wie sich frühe soziale Interaktionen entwickeln. Indem Kinder die Rolle wichtiger Bezugspersonen bzw. der „signifikanten Anderen“ übernehmen, trainieren sie die Fähigkeit, zwischen „Objekt-Ich“ und „SubjektIch“ zu trennen. Gehen sie letztlich dazu über, die Sichtweise des „generalized other“ (Mead 1934/1972, 154) zu übernehmen, haben sie eine Vorstellung darüber entwickelt, wie Menschen generell eine definite Handlung deuten (vgl. Geulen 2007, 144).13 Im Gegensatz zu Cooley und Mead forschte Piaget explizit über die Sozialisation und geistige Entwicklung von Kindern (vgl. z.B. Piaget u. Inhelder 1966/1972; Piaget 1983; auch: Geulen 2007, 145). Seine Theorie gründet auf dem Konzept des Subjekts, das aktiv mit der Umwelt interagiert und sich diese in sachlicher und sozialer Hinsicht aneignet (vgl. auch: Kesselring 1988, 67; Tillmann 2000, 94): „Einerseits ist die Sozialisierung eine Strukturierung, zu der das Individuum ebensoviel beiträgt, wie es erhält. […] Andererseits ist die soziale Aktion sogar im Falle von Übermittlungen, bei denen das Subjekt noch am meisten als aufnehmend erscheint […] unwirksam ohne eine aktive Assimilation des Kindes, was adäquate operative Werkzeuge voraussetzt.“ (Piaget u. Inhelder 1972/1966, 156)
Sein Erkenntnisinteresse richtete sich primär auf die Frage, wie sich ein Mensch aktiv mit seiner dinglichen Umwelt befasst und dabei ein Bild von der Welt entwirft. Während sich der Mensch entwickelt, macht er neue Erfahrungen. Dabei ergeben sich bestimmte Probleme der Einordnung, die mit dem bisherigen Entwicklungsniveau des Intellekts nicht mehr gelöst werden können und somit in ein Ungleichgewicht zwischen den externen Anforderungen und den inneren kognitiven Strukturen münden. Damit verbunden ist ein gewisser innerer Druck, der dazu führt, dass sich kognitive Strukturen auf einer höheren Ebene weiterentwickeln (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 70). Aus diesen Gedanken leitete Piaget seine Theorie der stufenförmigen Entwicklung ab. Seiner Ansicht nach passiert ein Kind vier Stufen der intellektuellen Entwicklung: erstens die „senso-motorische Stufe“, die von der Geburt bis zu einem Alter von ungefähr 18 Monaten reicht. Daran schließt sich die zweite Stufe der Phantasie und Intuition („präoperationales Denken“) an, die im Alter von ungefähr sieben Jahren in die dritte der „konkreten Denkoperationen“ mündet. Mit elf Jahren beginnt die vierte Stufe der „formalen Operationen (vgl. Kesselring 1988, 113ff.; Piaget u. Inhelder 1972/1966, 99ff.). Die ersten beiden Stufen lassen sich dadurch 12 „A self-idea of this sort seems to have three principal elements: the imagination of our appearance to the other person; the imagination of his judgment of that appearance, and some sort of self-feeling, such as pride or mortification […]. [It] […] is not the mere mechanical reflection of ourselves, but an imputed sentiment, the imagined effect of this reflection upon another’s mind. “ (Cooley 1902/1967, 184) 13 Nach Auffassung von Geulen (1991, 22) sind historische Vorläufer zu den Konzepten der Identifikation und Bezugsgruppe bereits bei Giddings zu finden: „At the moment when the child begins to get used to the world, he begins also to get acquainted with the people that live in the world with himself. Beginning with mother and nurse, father, brother, and sister, he presently becomes acquainted with family friends and relatives, and then, at length, with school-mates and teachers. Upon leaving school, he has before him the enormous task of getting acquainted with a vast number of persons, in business and professional life, in politics, and in a hundred other spheres of activity. While getting acquainted, he begins to notice differences and resemblances among people, and in close connection with these observations to establish likes and dislikes, antipathies and friendships. He then discovers that he enjoys meeting and associating with the persons that he likes, and that when he and they have the same tasks to do, it is agreeable and helpful to work together.” (Giddings 1897, 4)
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charakterisieren, dass das Denken und Sprechen eines Kindes noch stark von einem egozentrischen Weltbild geleitet wird (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 70). Demnach betrachten kleine Kinder die Welt lediglich aus ihrer eigenen Perspektive und können sich noch nicht in die Rolle eines anderen hineinversetzen (vgl. Geulen 2007, 144). Erst innerhalb der Stufe der konkreten Denkoperationen beginnen Kinder, sich sachlich mit der äußeren Welt und ihren Objekten auseinanderzusetzen. Im Zuge dessen nehmen sie erstmals logische Denkschritte vor und entwickeln unter anderem die Fähigkeit, die Sichtweise von anderen einzunehmen. Dies hat Mead als „taking the rôle of the other“ (1934/1972, 254) bezeichnet. In der darauf folgenden Stufe des formalen Operierens, die mit der Adoleszenz anfängt, beginnt das Kind sich von konkreten Anschauungen zu lösen, logische Gedanken zu verallgemeinern und Schlussfolgerungen zu ziehen (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 71). Nach dieser Auffassung lässt sich die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit durch einen intensiven Austausch zwischen dem Organismus und seiner Umwelt erklären und reduziert sich damit insbesondere auf die kognitive, intellektuelle Entwicklung (vgl. Kesselring 1988, 66; Hurrelmann, K. 2002, 71). Die Beschaffenheit der sozialen Umwelt sei für Piaget von geringerer Bedeutung; sie werde quasi für die Entwicklung der Persönlichkeit vorausgesetzt (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 74). Ausgehend von dieser Kritik sind die theoretischen Überlegungen Piagets dahingehend weiterentwickelt worden, indem die Dimensionen der sozialen Umwelt stärker betont werden, und sich der Fokus unter anderem auf die Frage verlagert hat, inwieweit soziale Faktoren die Ausbildung kognitiver und sozialer Kompetenzen eines Einzelnen beeinflussen (vgl. ebenda, 74f.). In Deutschland wurde die Theorie Piagets vor allem durch Kohlberg weiterentwickelt, der sechs aufeinander folgende Stufen der Moralentwicklung beim Kind konzipierte (vgl. Kohlberg 1974, 60f.). Dadurch sei es ihm gelungen, ein ‚ontogenetisches Entwicklungsmodell der menschlichen Reifung’ zu konstruieren, das die stufenweise Entwicklung zu einer komplexen Persönlichkeit darstellt. Im Rahmen dessen werden die Stufen des moralischen Urteils mit denjenigen verknüpft, die sich auf die intellektuelle und logische Entwicklung beziehen (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 75). Mit diesem Ansatz hat Kohlberg die Entwicklungspsychologie angeregt, welche den Aspekt der Selbststeuerung betont (vgl. ebenda, 75). Freud hat unterdessen insbesondere die Bedeutung der affektiven Beziehungen im Sozialisationsprozess hervorgehoben und unterstellte, dass die entscheidenden Persönlichkeitsstrukturen in der Kindheit ausgebildet werden (vgl. Geulen 1991, 26). Den Bemühungen Eriksons (1973) ist es zuzuschreiben, dass triebtheoretische Überlegungen in eine sozialpsychologisch ausgerichtete Persönlichkeitstheorie integriert wurden. Indem er die Einflüsse gesellschaftlicher und kulturhistorischer Determinanten auf die Familienstruktur herausgestellte, hat er das Konzept der Psychoanalyse für soziologische Fragestellungen erweitert (vgl. hierzu: Hurrelmann, K. 2002, 51f.). Die Bedeutung der skizzierten Ansätze in der Tradition von Piaget und Freud für die heutige Sozialisationsforschung liegt darin, dass sie auf das Verhältnis des Menschen zu seiner unmittelbaren sozialen und dinglichen Umwelt eingehen und systematische Gedanken zur Entwicklung der Persönlichkeit formulieren (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 12f.). Ihnen gemeinsam ist die Idee, dass wir, angefangen in unserer Herkunftsfamilie, an relevanten sozialen Beziehungen teilhaben, diese zu verstehen versuchen und in diesem Rahmen grundlegende Erkenntnisse darüber entwickeln, wer wir sind und welche elementaren Einstellungen zum sozialen Handeln und Umgang mit anderen wir einnehmen (vgl.
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Geulen 2001, 129). „Vergesellschaftung“ (Simmel 1908/1992, 5) und Individualisierung sind nach moderner Auffassung innerhalb des Sozialisationsprozesses unmittelbar miteinander verbunden (vgl. Hurrelmann, B. 2004c, 39), wobei eine wechselseitige Einflussnahme von Individuum und Gesellschaft angenommen wird (vgl. z.B. Geulen 2007, 138f.; Schneewind 2001, 14058). Diese „Wechselwirkungen“ (Simmel 1917/1970, 12) lassen sich vor allem in „verdichteten Sozialisationsverhältnissen wie Familien“ (Luhmann 2002, 49) beobachten. In Anlehnung an Simmel kann auch von der „dauernden Wechselbeziehung“ zwischen Kindern und Eltern in „objektivierten Einheitsgebilden“ (Simmel 1917/1970, 12) gesprochen werden. Nach herrschender Meinung wird Sozialisation gegenwärtig definiert als „die lebenslange Aneignung von und Auseinandersetzung mit den natürlichen Anlagen, insbesondere den körperlichen und psychischen Grundmerkmalen, die für den Menschen die ‚innere Realität’ bilden, und der sozialen und physikalischen Umwelt, die für den Menschen die ‚äußere Realität’ bilden“ (Hurrelmann, K. 2002, 16). Sie vollzieht sich stets dann, „wenn Individuen an sozialen Kommunikations- und Handlungszusammenhängen teilnehmen, die bedeutsame Veränderungen im Individuum auslösen bzw. für die Stabilisierung gegebener Persönlichkeitsmerkmale wichtig sind“ (Scherr 2002, 48). Wenngleich das Interesse am Sozialisationskonzept, z.B. gemessen an einschlägigen Publikationen der letzten Dekade, offenbar zugenommen hat,14 ist eine gewisse Problematik mit der Beschäftigung desselben nicht von der Hand zu weisen. Innerhalb der Sozialisationsforschung fehle es „an einer […] Theorie oder einer entsprechenden theoretischen und methodologischen Diskussion, ja schon an einem auch nur halbwegs gesicherten Bestand an Begriffen und Modellen. Der Sozialisationsbegriff wird in einer Weise verwendet, als sei das Wesentliche längst geklärt und gesichert. Tatsächlich aber leben wir dabei schon lange auf Kredit, und es ist hoch an der Zeit, diesen Kredit einzulösen.“ (Geulen 2004b, 3) In dieser Untersuchung soll es unterdessen nicht darum gehen, das Sozialisationskonzept in theoretischer Hinsicht weiterzuentwickeln; der Sozialisationsbegriff wird lediglich als theoretische Basis der empirischen Untersuchung herangezogen. Die Fragestellung legt eine Berücksichtigung dieses Terminus nahe. Ferner gilt es in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass zumindest im deutschsprachigen Forschungsraum ein minimaler Konsens über bestimmte Grundannahmen des Sozialisationskonzeptes bereits besteht (vgl. hierzu: Geulen 2004b, 4). Demzufolge wird die menschliche Persönlichkeit erstens durch Einflüsse der materiellen, sozialen und kulturellen Umwelt konstituiert, obgleich genetische Faktoren damit nicht bestritten werden sollen15, welche in dieser Arbeit allerdings vernachlässigt werden. Zudem wird angenommen, dass diese Einflüsse zumindest auf der Mikroebene nicht im Sinne von einseitigen Ursachen zu begreifen sind, sondern stets in Interaktion mit dem sich bildenden Subjekt wirksam werden, d.h. dass sich Individuum und Gesellschaft wechselseitig beeinflussen (vgl. z.B. Schneewind 2001, 14508; Hurrelmann, K. 2002, 24). Ferner wird Sozialisation im Sinne eines lebenslangen Prozesses verstanden, der unter anderem auf bisherigen Erfahrungen innerhalb der Sozialisation aufbaut. Außerdem lässt 14
Vgl. z.B. die Arbeiten von Schneewind (1994), Honig u.a. (1996), Veith (1996, 2001), Grundmann (1999), Leu u. Krappmann (1999), Grundmann u. Lüscher (2000), Tillmann (2000), Hoerning u. Alheit (2000), Hurrelmann, K. (2002), Zimmermann (2003), Geulen (2004a), Geulen u. Veith (2004). 15 Hierzu Oevermann: „Adäquater scheint die Vorstellung einer komplexen Interaktion zwischen genetischen und sozio-kulturellen Bedingungen zu sein. Es ist deshalb [..] sinnvoller zu fragen, unter welchen Umweltbedingungen sich welches genetisches Potential besonders günstig entfalten kann.“ (1972, 26)
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sich die Art und Weise, welche Persönlichkeitsmerkmale in die empirische Sozialisationsforschung einfließen bzw. wie der Persönlichkeitsbegriff definiert wird, nicht als unabhängig begreifen, sondern hängt unterdessen „von einem Interesse ab, das nicht beliebig ist, sondern das offenbar eine normative Implikation enthält, die auf einen gesellschaftstheoretischen […] Bezug verweist“ (Geulen 2004b, 4). Diese Auffassung ist damit explizit gegenüber denjenigen Ansätzen abzugrenzen, die Sozialisation entweder einseitig im Sinne Durkheims (1912/1968) als „soziale Vereinnahmung“ (frz.: de la force collective)16 der Persönlichkeit verstehen oder die menschliche Entwicklung auf die biologisch-genetische Dimension reduzieren. Vielmehr lässt sich der Sozialisationsbegriff als Schnittmenge „zwischen Autonomie [des Individuums] und Vereinnahmung“ (Jäckel 1999b, 113) durch die soziale Umgebung begreifen. In Anlehnung an Berger und Luckmann lassen sich die Phasen der „primären“ und „sekundären“ Sozialisation voneinander unterscheiden. Die primäre Sozialisation umfasst die erste Phase, durch die der Mensch in seiner Kindheit zum Gesellschaftsmitglied wird. Die sekundäre Sozialisation bezieht sich hingegen auf jeden späteren Vorgang, in dessen Verlauf ein bereits sozialisierter Mensch in neue Bereiche der objektiven Welt eingeführt wird. Sich an Mead orientierend vertreten Berger und Luckmann die Ansicht, dass die primäre Sozialisation für den Menschen in der Regel die Wichtigste sei, und dass ihr die sekundäre in ihrer grundsätzlichen Struktur zweifelsfrei zu entsprechen habe (vgl. Berger u. Luckmann 1980, 141). Innerhalb der objektiven Gesellschaftsstruktur, in die der Einzelne hineingeboren wird, trifft er demnach auf „signifikante Andere“ (z.B. in der Gestalt der Mutter und/ oder des Vaters)17, die „ihm auferlegt [sind]. Ihre Bestimmungen seiner Situation sind für ihn als objektive Wirklichkeit gesetzt. So wird er also nicht nur in eine objektive Gesellschaftsstruktur hineingeboren, sondern auch in eine objektive gesellschaftliche Welt. Die signifikanten Anderen, die ihm diese Welt vermitteln, modifizieren sie im Verlauf der Übermittlung. Sie wählen je nach ihrem eigenen gesellschaftlichen Ort und ihren eigenen biographisch begründeten Empfindlichkeiten Aspekte aus. So wird die gesellschaftliche Welt für das Individuum doppelt gefiltert.“ (ebenda, 141) Die Herkunftsfamilie kann sich der Einzelne nicht aussuchen. Damit setzt die (primäre) Sozialisation dem Einzelnen einen äußeren Rahmen, innerhalb dessen sich auch die Lesesozialisation vollzieht. Diese Dissertation untersucht die Bedeutung der Familie für die Lesesozialisation. Damit beschränkt sie sich in analytischer Hinsicht weitgehend auf Einflüsse, die der primären Sozialisation zugeschrieben werden können, d.h. im Umfeld der Herkunftsfamilie begründet sind. Wenn im Folgenden von Sozialisation gesprochen wird, ist damit, wenn nicht anders vermerkt, ausschließlich die primäre Sozialisation im Familienumfeld gemeint, wenngleich die Einflüsse der Familie auch in späteren Sozialisationsphasen, wenn auch in
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Hierzu Durkheim wörtlich: „Car la force collective ne nous est pas toute du dehors; mais, puisque la société ne peut exister que dans les consciences individuelles et par elles, il faut bien qu’elle pénètre et s’organise en nous; elle devient ainsi partie intégrante de notre être et, par cela même, elle l’élève et le grandit.” (1912/1968, 299) Die Bedeutung Durkheims liegt darin, dass er erstmals versucht hat, den „Verinnerlichungsprozess gesellschaftlicher Normen“ zu beschreiben, der die Basis einer jeden Sozialisationstheorie ist (vgl. z.B. Tillmann 2000, 35). 17 Die „signifikante Bezugsperson“ innerhalb der primären Sozialisation sei zumindest in empirischer Hinsicht meistens die (leibliche) Mutter, so Esser (2001, 374). Seit einigen Jahren mehren sich auch in Deutschland die Stimmen, die dem Vater eine zunehmende Bedeutung im Rahmen der Sozialisation einräumen (vgl. z.B. im Überblick: Fthenakis 1988; Fthenakis 1992, 179ff.; Stein 2000, 56ff.).
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abgeschwächter Form, wirken, d.h. „[a]lthough socialization is a lifelong endeavor, childhood is a time on concentrated socialization.” (Miller 1995, 1292) Sozialisationseinflüsse können einerseits zielgerichtet, andererseits eher zufällig erfolgen. Im Falle von bewussten, zielgerichteten Einflüssen lässt sich in Anlehnung an Durkheim (1922/1972) auch von „planmäßiger Sozialisation“ (frz.: „socialisation méthodique“) im Sinne von Erziehung sprechen. Hierzu Durkheim: „Erziehung ist die Einwirkung, welche die Erwachsenengeneration auf jene ausübt, die für das soziale Leben noch nicht reif sind. Ihr Ziel ist es, im Kinde gewisse physische, intellektuelle und sittliche Zustände zu schaffen und zu entwickeln, die sowohl die politische Gesellschaft in ihrer Einheit als auch das spezielle Milieu, zu dem es in besonderer Weise bestimmt ist, von ihm zu verlangen.“ (Durkheim 1922/1972, 30 [kursiv im Original])
Der hier verwendete Terminus wird explizit gegenüber dem enger gefassten Begriff der Erziehung abgegrenzt. Dem ist hinzuzufügen, dass der Anteil der Erziehungseinflüsse an indirekten Sozialisationseinflüssen selbst in institutionellen Erziehungseinrichtungen (z.B. der Schule) als relativ gering einzuschätzen ist (vgl. Scherr 2002, 49). Dies bedeutet auch, dass indirekte Einflüsse seitens der Familie auf die Lesesozialisation (z.B. durch das Vorbild der Eltern) von größerer Reichweite sind als bewusste Einflüsse seitens der Eltern (z.B. rigide Leseübungen), worauf im dritten Kapitel der Arbeit näher eingegangen wird. Aus einer „Entwicklungsperspektive“ (Faulstich-Wieland 2000, 227) lassen sich Sozialisationsverläufe streng genommen nur im Rahmen eines Längsschnittdesigns nachbilden, wobei in der Forschungspraxis häufiger so genannte Hilfskonstruktionen Verwendung finden, wie z.B. die retrospektive Befragung zur Lesesozialisation in der Kindheit (z. B. Schön 1990, 337; Bonfadelli 1999, 122; Stiftung Lesen 2001, 317). Wie bereits in der Einleitung angedeutet wurde, richtet sich die engere Fragestellung ausschließlich auf die Analyse der Lesesozialisation aus einer „synchron-systematischen Perspektive“, was eine Untersuchung aus „chronologischer Perspektive“ (Schneewind 2001, 14508) automatisch ausschließt. Aus inhaltlicher Sicht fokussiert diese Arbeit die Lesesozialisation in der Familie. Sie verbindet damit die „inhaltliche“ (Lesesozialisation) mit der „institutionellen“ (Familie) Perspektive.18 Hieran anknüpfend werden im nächsten Abschnitt diejenigen Begriffe expliziert, die sich auf das Lesen beziehen. 2.1.2 Lesen, Lesesozialisation und Lesekompetenz „Wenn ein Kind lesen gelernt hat und gerne liest, entdeckt und erobert es eine zweite Welt, das Reich der Buchstaben. […].Wer noch nicht lesen kann, sieht nur, was greifbar vor seiner Nase liegt […].Wer lesen kann, hat ein zweites Paar Augen“ (Erich Kästner, 1957/2006, 90).
Das Wort „lesen“ stammt vom althochdeutschen Wort „lesan“ aus dem 8. Jahrhundert ab und bedeutet ‚den Sinn von Schriftzeichen erfassen, Schrift durch Sprechen wiedergeben, vorlesen, Vorlesungen halten, auflesen, sammeln, ernten’. Die etymologischen Wurzeln liegen in der germanischen Kultur begründet. ‚Lesen’ meinte hier das Auflesen von Runenstäbchen, die zur Weissagung ausgestreut wurden und bezog sich damit auf das Deuten von 18 In analytischer Hinsicht kann man sich dem komplexen Untersuchungsgegenstand „Sozialisation“ aus chronologischer, inhaltlicher, institutioneller und kultureller Perspektive nähern (vgl. Schneewind 2001, 14508).
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Runen im Sinne von germanischen Schriftzeichen. Unter dem Einfluss des lateinischen legere hat sich möglicherweise die Bedeutung von ‚Geschriebenes lesen’ entwickelt (vgl. Pfeifer 1989, 1006). Aus einer materialorientierten Sicht bezieht sich der hier verwendete Terminus ausschließlich auf das Lesen von gedruckten Medien, wie z.B. Büchern, Zeitungen und Zeitschriften. Es wird in dieser Arbeit im Allgemeinen keine Kategorisierung zwischen verschiedenen Druckmedien (z.B. Bücher, Zeitungen, Zeitschriften), Inhalten (z.B. Abenteuerroman; Reisebericht) und Genres (z.B. Roman; Sachtext) vorgenommen, wie es häufig auch in Verbindung mit bestimmten Funktionen (z.B. Unterhaltung, Information) des Lesens üblich ist (vgl. hierzu auch: Bonfadelli 1999, 98). Damit ist dem Argument zuzustimmen, demnach eine trennscharfe Differenzierung nach bestimmten Funktionen des Lesens problematisch ist, da beispielsweise die Lektüre von Sachbüchern sowohl unterhaltend als auch informativ sein kann (vgl. Schön 1999, 187f.). Wie Schön argumentiert, „suggeriert die aus den quantitativen Statistiken zum Leseverhalten bekannte Zuordnung, daß Männer eher Sachbücher lesen und das Publikum der (Unterhaltungs-)Literatur eher die Frauen sind, eine größere Differenz […] als sie tatsächlich ist: Bei durchaus unterschiedlicher inhaltlicher Füllung der Phantasie kann die Funktion in beiden Fällen sein, Phantasiematerial bereitzustellen.“ (1999, 197) Auch Aust hat diese Unterscheidung kritisiert: „Diese Einteilungsart behält etwas unangenehm Beliebiges: Sie kann sich nicht auf den Lesestoff beziehen, da Informationshaltigkeit kein Merkmal bestimmter Gattungen ist, sie kann auch nicht die Verwendungsabsicht des Lesers charakterisieren, da sich keine Rezeptionsweise vorstellen läßt, die Informationen verarbeitet. Information ist eine grundlegende Komponente des Leseprozesses und keine Eigenschaft einer bestimmten Leseweise. Der Informationsbegriff liegt zudem auf einer anderen Ebene als etwa der Begriff der Unterhaltung.“ (Aust 1983, 128)
Eine analytische Abgrenzung des Lesens von gedruckten Medien wird somit lediglich gegenüber dem Lesen am Bildschirm vorgenommen (vgl. auch: Bonfadelli 1999, 98). Denn es kann mit Blick auf die Untersuchungspopulation (Familien mit Kindern ab zehn Jahren in 2001/02) unterstellt werden, dass das Lesen am Bildschirm während des Zeitraums der primären Lesesozialisation in den 1990er Jahren noch keine Rolle gespielt hat.19 Dass das Lesen am Bildschirm auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch einen geringen Stellenwert im Familienumfeld einnimmt, geht aus aktuellen Schulleistungsstudien, wie z.B. der „Progress in International Reading Literacy Study“ (PIRLS) 2001 hervor. Nur vier Prozent der Eltern der untersuchten Viertklässler in Deutschland geben an, dass sie häufig Leseübungen am Computer mit ihren Kindern durchgeführt haben, wohingegen 81 Prozent dem zustimmen, dies nie getan zu haben (vgl. Mullis u.a. 2003, 100). Im Vergleich dazu stimmen 57 Prozent der Eltern der Aussage zu, dass sie ihren Kindern im Vorschulalter häufig vorgelesen haben (vgl. ebenda, 98).
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Die jüngste Alterskohorte (zehn bis elf Jahre), deren Lese- und Fernsehgewohnheiten in 2001/02 betrachtet werden kann, wurde in den Jahren 1990 und 1992 geboren. Die Online-Studie der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) und des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) ermittelte für 1997 einen Anteil von 6,5 Prozent (4,1 Mio.) der deutschen Bevölkerung (ab 14 Jahren), die das Internet nutzen. Mit Blick auf die Gruppe der 14- bis 19-Jährigen betrug der Anteil 6,3 Prozent, der im Jahre 2001 bei dieser Altersgruppe bereits bei 67,4 Prozent liegt (vgl. Van Eimeren u.a. 2003, 339f.).
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Der in der empirischen Medienwissenschaft verwendete Begriff der Mediennutzung bezieht sich im weiteren Sinne auf das Lesen gedruckter Medien sowie auf die Nutzung (Rezeption) elektronischer Medien, wie Fernsehen, Hörfunk (Radio) und anderer Tonträger (vgl. z.B. Bonfadelli 1999, 98). Wie bereits anfangs dargelegt wurde, konzentriert sich diese Arbeit hingegen auf die Analyse von Lese- und Fernsehgewohnheiten als „Resultat“ der Lesesozialisation. Obgleich die Relation zwischen Lesen und Fernsehen unter dem Stichwort „Verdrängung vs. Komplementarität“ (vgl. Kiefer 1999) sowie in kognitionspsychologisch inspirierten Arbeiten (vgl. z.B. Beentjes u. Van der Voort 1988; Reinsch 2002; Ennemoser u. Schneider 2004, 375ff.) in den letzten Jahren mehrfach untersucht worden ist, ist dieser Beziehung im Familienzusammenhang bislang vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit gewidmet worden.20 Neben Zeitbudgets der Familienmitglieder werden das soziale Umfeld und die Tageszeit betrachtet. Dies betrifft beispielsweise Fragen nach der Anwesenheit anderer Personen während der Fernsehnutzung oder nach dem Zeitpunkt der Lektüre oder des Fernsehens (z.B. vor dem Schlafengehen). Der sich aus den beiden Wörtern „Lesen“ und „Sozialisation“ zusammengesetzte Begriff „Lesesozialisation“ lässt sich allgemein wie folgt definieren: „Lesesozialisation ist ein bereichsspezifischer Ausschnitt der Mediensozialisation. Es handelt sich hierbei um den Prozess der Aneignung der Kompetenz zum Umgang mit Schriftlichkeit in Medienangeboten unterschiedlicher technischer Provenienz (Printmedien, audiovisuelle Medien, Computermedien) und unterschiedlicher Modalität (fiktional-ästhetische und pragmatische Texte). Dabei geht es nicht nur um den Erwerb der Fähigkeit zur Dekodierung schriftlicher Texte, sondern zugleich um den Erwerb von Kommunikationsinteressen und kulturellen Haltungen, die in einer literalen Kultur die Möglichkeiten der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in starkem Maße beeinflussen. (Hurrelmann, B. 1999, 111f.)
Die Lesesozialisation kann sich zum einen auf den Prozess, zum anderen auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beziehen, unter denen sich der Einzelne zum Leser oder Nichtleser entwickelt. Die aktuellere Lesesozialisationsforschung, die sich primär mit der Frage beschäftigt, wie jemand zum Leser oder Nichtleser von gedruckten Medien wird, fragt übergreifend danach, ob Kinder, Jugendliche und Erwachsene überhaupt noch lesen, und wie das Überleben des Lesens im Sinne einer Kulturtechnik gesichert werden kann (vgl. Eggert u. Garbe 1995, 7f.; Groeben u.a. 1999, 4). Diese paradigmatische Sichtweise wurde in den 1970er Jahren seitens der Schulforschung eingeleitet (vgl. Schön 1998b, 206). Die traditionelle Lesesozialisationsforschung war hingegen bis in die 1970er Jahre hinein stärker an „qualitativen“ Aspekten bzw. am inhaltlichen Gegenstand des Lesens interessiert (vgl. Eggert u. Garbe 1995, 7f.)21. Der hier verwendete Begriff der Lesesozialisation lässt sich dem in der Germanistik eher gebräuchlichen Begriff der „literarischen Sozialisation“ gegenüberstellen, der sich primär auf die „Sozialisation durch Leseinhalte“ bezieht und vor allem in Zusammenhang mit der schulischen Sozialisation verwendet wurde (vgl. z.B. Fend 1979), d.h. die „literarische Sozialisation [...] untersucht verschiedene Lektüreformen und -funktionen in lebensgeschichtlicher Perspektive“ (Eggert u. Garbe 1995, 7) oder „benennt empirische Prozesse: die tatsächliche Rolle der Literatur in der Sozialisation.“ (Graf 1980, 19) 20
Ausnahmen finden sich bei: Hurrelmann, B. (1989) sowie Hurrelmann, B. u.a. (1988). Vgl. etwa die Arbeiten von Eggert u.a. (1975), „Schüler im Literaturunterricht“, sowie Hurrelmann, B. (1982), „Kinderliteratur im sozialen Kontext“. 21
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Hinsichtlich seines Objektbereichs ist der Terminus der literarischen Sozialisation einerseits weiter, andererseits enger als der Begriff der Lesesozialisation, der gegenstandsspezifisch klarer umrissen und empirisch genauer ist (vgl. Hurrelmann, B. 1999, 113). Ersterer meint den „gesellschaftlich vermittelte[n] Erwerb der Kompetenz zur Rezeption und Verarbeitung von fiktional/ästhetischen Texten in unterschiedlichen Präsentationsformen – nicht nur in schriftsprachlicher Form, sondern auch in ‚Aufführungsformen’ wie im privatem Vorlesen, in der Autorenlesung, im szenischen Spiel, im Schauspiel, Kabarett etc. sowie in an die technischen Medien gebundenen Formen auditiver, audiovisueller oder multimedialer Art“ (Hurrelmann, B. 1999, 113). Sowohl der Textbegriff als auch derjenige der Literarizität sind allerdings erklärungsbedürftig und erfordern eine klare Definition (vgl. ebenda, 113).22 Die bereits vorgenommene Unterscheidung zwischen den Konzepten der Sozialisation und Erziehung lässt sich im Speziellen auch auf die Begriffe „Lesesozialisation“ und „Leseerziehung“ (Baumgärtner 1973) anwenden. Letzterer ist enger gefasst und bezieht sich auf diejenigen Handlungen von Menschen in ihrem Versuch „planmäßig auf die Handlungen, Kompetenzen und Einstellungen anderer Einfluss zu nehmen, um sie im Hinblick auf bestimmte Ziele [Lesen] zu fördern. Diese [..] sind aber nur ein Teil der gesellschaftlich vermittelten Einflüsse auf die Subjektentwicklung – selbst im Kontext von Erziehungsinstitutionen [z.B. der Schule].“ (Hurrelmann, B. 1999, 112) Ein weiterer verwandter Terminus ist derjenige der Lesekompetenz, der vorherrschend in der Schulleistungsforschung verwendet wird, und der sich auf die Kenntnis bezieht, „größere ‚Textmengen’ durch Strukturierung und abgestufte Verfahren [..] zu bewältigen und dabei das Textverständnis zu sichern bzw. zu verbessern entsprechend dem Anspruchsniveau der Texte und der Leseabsichten“ (Eggert u. Garbe 1995, 9). Lesekompetenz markiert damit die Unterscheidung zwischen ‚geübten’ und ‚ungeübten’ Lesern und ermöglicht es, innerhalb der alphabetisierten Gesellschaft zwischen verschiedenen Kompetenzstufen zu unterscheiden (vgl. Artelt u.a. 2004, 144f.). In analytischer Hinsicht ist der Lesekompetenzbegriff von dem der Lesefertigkeit zu unterscheiden, wobei mit Letztgenanntem die Differenz zwischen Lesern und Nichtlesern infolge der Alphabetisierung gemeint ist (vgl. Eggert u. Garbe 1995, 9). Auch die Verwendung dieses Terminus ist nicht unproblematisch, da gegenwärtig zumindest im deutschsprachigen Forschungsraum noch kein einheitliches Verständnis darüber vorliegt, was genau darunter zu verstehen ist (vgl. z. B. Groeben 2004a, 14f.). Üblicherweise wird von einem mehrdimensionalen Konstrukt ausgegangen, wobei je nach inhaltlicher Ausrichtung kognitive, emotional-motivationale und kommunikative Dimensionen unterschiedlich stark betont werden. In der (Schul-)Bildungsforschung (vgl. z.B. Baumert u.a. 2001, 15ff.) sowie in medienwissenschaftlichen Arbeiten dominieren kognitive Aspekte (vgl. im Überblick: Groeben 2002, 11ff; Groeben 2004a, 15; Hurrelmann, B. 2004c, 40; Keifert u. Müller 2004, 15f.). Literaturwissenschaftliche Untersuchungen betonen hingegen eher motivational-emotionale und literaturästhetische Dimensionen der Lesekompetenz (vgl. z.B. Rosebrock 1995, 12; Eggert u. Garbe 1995, 15f.). Insbesondere im deutschsprachigen Forschungsraum unterliegt der Begriff der Lesekompetenz einer historischen Entwicklung. Während sich dieser Terminus ursprünglich
22 Auf die Problematik einer klaren Abgrenzung dieser Begriffe haben Eggert u. Garbe (1995, 8) verwiesen. Darauf soll jedoch nicht weiter eingegangen werden.
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eher auf die Rezeption und Verarbeitung von erzählenden Texten richtete23, überwiegt gegenwärtig die primär an Informationstexten ausgerichtete, kognitionswissenschaftliche Sichtweise (vgl. z. B. Groeben 2004a, 14; Schreier 2004, 402). Der Grundgedanke führt auf das angelsächsische Verständnis von Lesekompetenz „(reading) literacy“24 zurück (vgl. Artelt u.a. 2001, 78). Lesekompetenz wird demzufolge definiert als „[…] the understanding, using, and reflecting on written texts, in order to achieve one’s goals, to develop one’s knowledge and potential, and to participate in society.” (OECD 1999, 20 [kursiv im Original])25 Der aktive Umgang mit Texten reicht damit weit über die Fähigkeit hinaus, schriftliches Material zu entziffern (vgl. Artelt u.a. 2001, 70).26 Innerhalb dieser Dissertation interessieren primär die Voraussetzungen in der Familie, die zu einer adäquaten Ausbildung der Lesekompetenz beitragen. In diesem Zusammenhang kann von einer „Außendifferenzierung“ (Groeben 2002, 12) der Lesekompetenz im Verhältnis zu den Rahmenbedingungen gesprochen werden. Damit rücken soziologische Kriterien gegenüber psychologischen Aspekten der Lesekompetenz in den Vordergrund. Diesbezügliche Aussagen sind im Rahmen der Analyse mit den vorliegenden Tagebuchdaten nur indirekt über die Angaben von Lesezeitbudgets zu treffen. Es wurde allerdings wiederholt nachgewiesen, dass Lesehäufigkeit bezogen auf die Freizeitlektüre und Lesekompetenz positiv korrelieren (vgl. z.B. Koolstra u.a. 1991, 105; Cipielewski u. Stanovich 1992, 82ff.; Guthrie u. Anderson, E. 1999, 17f.; Guthrie u.a. 1999, 249f.). Hierzu lassen sich mehrere Gründe anführen. Erstens wird durch häufiges Lesen das Vorwissen erhöht, was sich durchaus förderlich auf zukünftiges Textverstehen auswirkt. Zweitens besteht ein positiver Zusammenhang zwischen der Lesemenge und dem lesebezogenen Selbstkonzept sowie der Selbstwirksamkeitsüberzeugung (vgl. Guthrie u.a. 1999, 251). Dies regt die Wahl anspruchsvoller Texte an und erhöht infolgedessen auch die Lesekompetenz (vgl. Möller u. Schiefele 2004, 121). Auf Grundlage empirischer Studien nehmen Guthrie u.a. des Weiteren an, dass sich häufiges Lesen positiv auf die Effektivität des Lesens auswirkt, was sich etwa in einer erhöhten Lesegeschwindigkeit ausdrückt. Mit anderen Worten: „Students who 23
So zeigt sich bereits in der Studie der „International Association for the Evaluation of Educational Achievement“ (IEA) Anfang der 1990er Jahre, die zwischen den Dimensionen „Erzähltexte“, „Sachtexte“ und „Gebrauchstexte“ unterscheidet, dass das Leseverständnis deutscher Schüler bei Sach- und Gebrauchstexten generell höher ist als bei Erzähltexten (vgl. Lehmann u.a. 1995, 216ff.). Dazu bemerkt Schön: „Wäre das deutsche klassische humanistischliterarische Bildungsideal mehr als ein ideologischer Anspruch, dann wäre eine andere Reihenfolge zu erwarten, zumal sie in Ländern wie Frankreich oder den USA tatsächlich anders ist.“ (1998a, 61) 24 Perfetti und Sandak unterscheiden zwischen einer engen und weiten Definition von „literacy“ sowie einer pädagogisch ausgerichteten Definition. „This definition may entail the narrower decoding concept, but it adds comprehension, or the attainment of meaning, as the main feature of literacy. In the USA and Europe, reading as obtaining meaning from print has become the most common definition applied in pedagogy of reading.” (2001, 8976) 25 Die Konzepterstellung und Operationalisierung des Lesekompetenzbegriffs der PISA-Studie basiert auf Vorarbeiten von Kirsch und Mosenthal (Artelt u.a. 2002, 10), die in internationalen Studien, wie etwa im „International Adult Literary Survey“ (IALS) sowie amerikanischen Studien, z.B. im „National Assessment of Education Progress“ bereits eingesetzt wurden (vgl. Mosenthal 1996, 314ff.; Kirsch u.a. 1998, 17f.). 26 Das der PISA-Studie zu Grunde liegende Modell der Lesekompetenz unterscheidet grob zwischen textimmanenten und wissensbasierten Verstehensleistungen, welche auf einer untergeordneten Ebene wiederum nach Komplexitäts- und Formalitätsaspekten differenziert werden. Die fünf Dimensionen der Lesekompetenz (Ermittlung von Informationen; allgemeines Textverständnis entwickeln, Entwicklung einer textbezogenen Interpretation, Reflexion über den Inhalt eines Textes, Reflexion über die Form eines Textes) wurden zu drei Skalen verdichtet (Informationen ermitteln, textbezogene Interpretation; Reflektieren und Bewerten) (vgl. Artelt u.a. 2004, 142f.). In diesem Rahmen soll nicht näher auf die Komplexität bzw. die einzelnen Ebenen des Leseprozesses eingegangen werden (vgl. hierzu: Christmann u. Groeben 1999, 145-223).
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spend a large amount of time reading will increase in fluency of using such cognitive strategies as applying prior knowledge, finding the main idea, inferencing, and building a causal model of the text.” (1999, 251) Überdies sei anzunehmen, dass Vielleser eher dazu fähig sind, ihre kognitiven und motivationalen Leseziele miteinander zu verbinden als Wenigleser. Bei Viellesern kann vorausgesetzt werden, dass anfängliche kognitive Lernprozesse zum Textverstehen unter hoher intrinsischer Motivation ablaufen. Dadurch werden die Grundlagen geschaffen, diese Strategien auch unter niedrigen intrinsischen (aber hohen extrinsischen) Bedingungen (z.B. das Erledigen der Hausaufgaben) anzuwenden (vgl. Guthrie u.a. 1999, 253). Dies setzt allerdings ein gewisses Ausmaß an Lesekompetenz voraus. Insgesamt ist davon auszugehen, dass Lesemotivation der Lesedauer vorangeht und Letztere positiv beeinflusst (vgl. z.B. Wigfield u. Guthrie 1997, 420ff.). Es lässt sich also annehmen, dass eine hohe Lesemotivation die Lesemenge erhöht, was wiederum das Textverständnis fördert (vgl. Guthrie u.a. 1999, 250). Somit ist dem zuzustimmen, dass sich „[d]er Prozess, der zu einer Lesekompetenz führt, [..] sich nur dann entfalten [kann], wenn ‚Lesenkönnen sich stets auch mit Lesenwollen vermittelt. Daß Erkenntnis und Interesse, Kognition und Motivation aufeinander angewiesen sind und einander wechselseitig bedingen und bewirken, ist inzwischen eine kaum noch bestrittene Tatsache’“ (Fritz u. Suess 1986, 148; mit einem Zitat von Steinbach 1981, 94). 2.1.3 Familie: Institution der (Lese-)Sozialisation und Primärgruppe „J’ai commencé ma vie […] au milieu des livres. Dans le bureau de mon grand-père, il y en avait partout […]. Je ne savais pas encore lire que, déjà, je les révérais, […] serrées comme des briques sur les rayons de la bibliothèque ou noblement espacées en allées de menhirs” (JeanPaul Sartre 1964, 35).
Ziel dieses Kapitels ist es, den in dieser Untersuchung verwendeten Familienbegriff herzuleiten und den Stellenwert der Familie für die Lesesozialisation - auch unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen - kurz aufzuzeigen. Die herausragende Bedeutung der Familie im Sozialisationsprozess lässt sich daran verdeutlichen, dass diese quasi schon seit Jahrhunderten als „Vermittler der äußeren Realität“ gilt. Die Familie wird auch als „primäre Sozialisationsinstanz“ bezeichnet, da sie sowohl bewusst als auch unbewusst auf die Art und Weise wirkt, wie Kinder die Wirklichkeit erschließen und verarbeiten. Dieser Prozess vollzieht sich insbesondere über die elterlichen Einflüsse auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 30). Auch in post-modernen Gesellschaften nimmt die Familie nach wie vor eine Schlüsselfunktion innerhalb der Sozialisation ein, da sie zumindest „für die ersten und besonders prägenden Lebensjahre […] der zentrale Koordinationsort ist“ (ebenda, 30). Weder im alltäglichen noch im wissenschaftlichen Gebrauch wird der Familienbegriff hingegen einheitlich verwendet, obgleich das Wort „Familie“27 seit ungefähr Ende des 17. Jahrhunderts in der deutschen Sprache verankert ist (vgl. Nave-Herz 2004, 29f.). Selbst innerhalb einer einzelnen Wissenschaftsdisziplin, wie der Soziologie, existieren viele unterschiedliche Definitionen nebeneinander (vgl. z.B. die Auflistung bei Hill u. Kopp 27 Dessen Wurzeln liegen sowohl in der lateinischen als auch in der französischen Sprache („famille“) (vgl. Schwab 1975, 266).
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2006, 12). Generell lässt sich die Familie als eine dauerhaft angelegte Verbindung von Mann und Frau (oder einem Elternteil) mit gemeinsamer Haushaltsführung und mindestens einem eigenen (oder adoptierten) Kind definieren (vgl. ebenda, 13). Aus soziologischer Sicht lassen sich insbesondere die Dauerhaftigkeit der Beziehung, die Verbundenheit von Menschen mehrerer Generationen sowie die wechselseitige Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse als zentrale Elemente hervorheben (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 130; auch: Wurzbacher 1977, 14). Ausgeschlossen werden damit alle Lebensformen ohne Kinder, welche häufig auch im weiteren Sinne als familiale Lebensformen bezeichnet werden, wie beispielsweise Paare ohne Kinder, Einpersonenhaushalte und gleichgeschlechtliche Partnerschaften (vgl. Hill u. Kopp 2006, 13). Daneben wird der hier verwendete Terminus gegenüber einem erweiterten Familienbegriff abgegrenzt, der sowohl seitenverwandte als auch familienfremde Personen miteinschließt und die Familie in horizontaler Hinsicht erweitert (vgl. Hill u. Kopp 2006, 16; Nave-Herz u. Onnen-Isemann 2007, 316). Die Familie lässt sich als „Primärgruppe“ (Cooley 1902/1967, 23) begreifen, die sich durch andauernde persönliche Interaktionen, intensive persönliche Vereinigung mit der Gruppe, intensive Zuneigung der Gruppenmitglieder untereinander, relativ lange Dauer sowie Vielseitigkeit der Kontakte charakterisieren lässt (vgl. Cooley 1902/1967, 23)28. Hinsichtlich der Familienzugehörigkeit besteht in der Regel keine Wahlfreiheit; die Mitgliedschaft ist nur schwer aufzulösen (vgl. Schimank 2007, 224). Der Gedanke, dass die Anzahl der Mitglieder das Verhalten einer Gruppe bzw. die Interaktionen ihrer Mitglieder beeinflusst, lässt sich auf Georg Simmel (1858–1918) zurückführen, der zwischen Zweiergruppen (Dyaden) und Dreiergruppen (Triaden) unterschieden hat (vgl. Von Wiese 1928/1968, 456). Die Dyade lässt sich demgegenüber als Sonderfall der Kleingruppe benennen. Neben Simmel hat sich insbesondere Von Wiese mit der Analyse von Kleinbzw. Zweiergruppen (Dyaden) beschäftigt: „Will man [..] einen bestimmten Einzelmenschen verstehen, muß man auch wissen, in welchen Paarverhältnissen und unter welchen Paareinflüssen er steht. Will man die Entwicklung größerer Gebilde z.B. von […] Familien […] richtig erfassen, so wird man die […] möglichen Paarungen beachten müssen.“ (Von Wiese 1928/1968, 463)
Dem ist insofern zuzustimmen, da Gruppen „selten als Voll-Gruppe gleichzeitig und gemeinschaftlich handeln […], wenngleich die Präsenz der Gruppe und andere gruppendynamische Gegebenheiten und Zwänge auf das Interaktions-Muster einwirken“ (Schäfers 1999, 184). Daran anlehnend steht im Rahmen dieser Untersuchung die Betrachtung von Dyaden und Triaden im Mittelpunkt. Mit Blick auf die spezifische Fragestellung sollen
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Nach Meinung von Schimank hat Cooley die Bezeichnung „primär“ zur Beschreibung dieses Gruppentyps gewählt, weil dieser die erste Sozialisationsinstanz bezeichnet (z.B. die Familie). Dementsprechend konstruieren Primärgruppen im Besonderen das „soziale Selbst“ (Individualität) des Menschen. Die in der Primärgruppe erlernten Werte und Normen haben meist lebenslange Gültigkeit. Die Bezeichnung „primär“ erscheint insbesondere im Falle der Familie als geeignet. Dort kommt es häufig zu einer Verstärkung sozialer Normen. In ihren intensiven Beziehungen können sich die Mitglieder gegenseitig beobachten und in ihrem Verhalten korrigieren. Drittens verweist der Terminus „primär“ darauf, dass die Beziehungen dieser Gruppen die emotionalen und psychischen Grundbedürfnisse erfüllen (z.B. Vermittlung von Zuneigung, Geborgenheit, Anerkennung und Gemeinschaft) (vgl. 2007, 225).
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insbesondere Konstellationen von „Generationenpaaren“ (Von Wiese 1928/1968, 463)29 (z.B. Vater-Sohn-Dyaden) betrachtet werden. Das auf Parsons (1955) zurückzuführende ehemals idealtypische Konzept der Kernfamilie wird nachfolgend kurz dargestellt und mit Blick auf das hier verwendete Familienkonzept weiterentwickelt. Generell lässt sich die Kernfamilie als „soziales System“ verstehen, das aus sozialen Interaktionen besteht, „die in wechselseitig aufeinander bezogenen sozialen Rollen geordnet sind“ (Münch 2002, 33). Die grundlegende Struktur lässt sich als Ergebnis einer Differenzierung zweier Koordinaten oder Achsen verstehen. Während die vertikale Koordinate eine Machtbeziehung („Power“) darstellt, unterscheidet die horizontale Koordinate zwischen einer „expressiven“ und „instrumentellen“ Funktion. Durch Kreuzung der beiden Achsen ergeben sich insgesamt vier Typen von Rollenmustern (vgl. Parsons 1955b, 45). Die beiden Achsen werden durch die Dimensionen „Generation“ und (soziales) „Geschlecht“ symbolisiert (vgl. ebenda, 43; Hurrelmann, K. 2002, 130f.). Abbildung 1:
Rollenstruktur der „traditionellen“ Kernfamilie Instrumental Priority
Expressive Priority
Superior
Instrumental superior
Expressive superior
Power
Father (husband)
Mother (wife)
Inferior
Instrumental inferior
Expressive inferior
Son (brother)
Daughter (sister)
Quelle: Parsons (1955b, 46). [Originaltitel: Basic Role-Structure of the Nuclear Family].
Die Rolle des Vaters lässt sich durch Macht („Superiority“) und ein hohes Ausmaß an Instrumentalität beschreiben, während sich diejenige der Mutter dazu komplementär verhält und sich durch eine hohe „Expressivität“ sowie niedrige Instrumentalität charakterisieren lässt, wobei ihr gleichzeitig ein hohes Maß an Macht zugeschrieben wird. Im Gegensatz zur Rolle des Vaters wird derjenigen des Sohnes geringere Macht zugeschrieben, aber in Analogie hohe Instrumentalität. Entsprechend lässt sich die Rolle der Tochter durch geringe Macht und überdurchschnittliche Expressivität analog zur Mutterrolle beschreiben (vgl. Parsons 1955b, 45). Parsons betonte allerdings, dass diese Unterscheidungen relativer Natur seien: 29
Diese Unterscheidung führt auf Von Wiese (1928/1968) zurück, der zwischen „typischen“ und „atypischen Paaren“ unterscheidet, wobei erstere Geschlechts-, Generationen- und Freundschaftspaare umfassen (vgl. 463f.).
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„They are defined in terms of amounts and modes of influence on the functioning of the family as a social system. The power axis […] is, as we interpret it, simply the quantitative degree of such influence.” (Parsons 1955b, 47)
Die Unterscheidung zwischen Instrumentalität und Expressivität bezieht sich auf die „internen“ und „externen“ Funktionen des Familiensystems. Der Bereich der Instrumentalität betrifft Beziehungen des Systems zu seiner Situation außerhalb der Familie „to meeting the adaptive conditions of its maintenance of equilibrium, and ‚instrumentally’ establishing the desired relations to external goal-objects“ (Parsons 1955b, 47). Demgegenüber bezieht sich die Dimension der Expressivität auf die internen Beziehungen des Systems, „the maintenance of integrative relations between the members, and regulation of the patterns and tension levels of its component unit“ (ebenda, 47). Innerhalb dieses Modells bezieht sich die Rolle des Vaters darauf, die Verantwortung für die Familie in wirtschaftlicher Hinsicht zu übernehmen sowie für den Erhalt des sozialen Status zu sorgen. Demgegenüber bezieht sich diejenige der Mutter auf die Übernahme häuslicher Angelegenheiten, wie Haushaltsführung und Erziehungsleistungen (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 132). Die Differenzierung nach Mutter- und Vaterrolle sei, so Parsons, nicht biologisch begründet, sondern in ihrer sozialen Ausprägung vielmehr ein Beispiel eines grundlegenden Differenzierungsmodus, der gewöhnlich in allen Interaktionssystemen („Kleingruppen“) ungeachtet ihrer Konstitution auftrete (vgl. 1955a, 22f.). Während auch in Deutschland das idealtypische Modell der Kernfamilie bis in die 1970er Jahre in der Realität vorherrschend war (vgl. Zelditch 1955, 313ff.; auch: Hurrelmann, K. 2002 130f.), finden sich seit den 1980er Jahren zunehmend Belege dafür, dass die soeben beschriebenen Rollenstrukturen immer durchlässiger werden (vgl. NaveHerz 1989, 220; Nave-Herz 2004, 183). Wie bereits in der Einleitung erwähnt, hat sich das „Erziehungsverhältnis“ zwischen Eltern und Kindern tendenziell zu einem „Beziehungsverhältnis“ gewandelt, d.h. „Kinder sind heute eher gleichberechtigte Partner ihrer Eltern, was ihre Rechte, nicht aber was mögliche Pflichten betrifft, von denen sie weitgehend freigestellt sind“ (Peuckert 2005, 168). Die Familie, in denen sowohl die Rolle des Vaters als auch diejenige der Mutter expressive als auch instrumentelle Elemente enthält, lässt sich als das vorherrschende Familienmodell der Gegenwart benennen (vgl. Bertram 1997, 70f.; Jacobs u. Gerson 2004, 48f.; BMFSFJ 2005, 52) und manifestiert sich als „Doppelverdiener-Familie“. In Deutschland sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts rund drei Viertel der Mütter mit einem Kind zwischen drei und fünf Jahren erwerbstätig (vgl. Renz u. Eggen 2004, 11f.). In diesem Sinne lässt sich die Familie als eine durch „relative Gleichberechtigung“ charakterisierte Form des Zusammenlebens von (Ehe-)Partnern und Kindern beschreiben, in der die einzelnen Rollenvorschriften und Aufgaben immer wieder neu ausgehandelt werden müssen (vgl. Fend 1998, 26; Stein 2000, 63; so ähnlich: Hurrelmann, K. 2002, 133f.).30 Hier lassen sich die einzelnen Rollen weniger eindeutig als in der ursprünglichen Konstruktion voneinander abgrenzen. Beispielsweise impliziert die Rolle des Vaters sowohl instrumentelle als auch expressive Elemente, wobei sich die Rollenträger wechselseitig beeinflussen. Die Sozialisations- bzw. Erziehungsfunktion sowie die Versorgerfunktion 30
Hierzu Fend: „Die wenigen Kinder, die Eltern heute haben, erfahren [häufig] eine intensive Pflege und Zuwendung. Offene Schlafzimmer, intensiver Körperkontakt, hohe emotionale Nähe und damit auch emotionale Abhängigkeiten der Eltern von ihren Kindern verändern überkommene Formen der Autorität.“ (1998, 24)
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(vgl. Hill u. Kopp 2006, 74; Miller 1995, 1295)31 lässt sich nach dieser Vorstellung der Eltern-Dyade zuschreiben. Dies lässt sich wie folgt illustrieren. Abbildung 2:
Rollenstruktur der „modernen“ Kernfamilie Instrumental Priority
Expressive Priority
Superior
Instrumental Expressive superior
Expressive Instrumental superior
Power
Father (husband)
Mother (wife)
Instrumental Expressive inferior
Expressive Instrumental inferior
Son (brother)
Daughter (sister)
Inferior
Quelle: Eigene Erstellung. In Anlehnung an Parsons (1955a, 46).
Anzumerken gilt auch, dass die bis in die 1970er Jahre vorherrschende Form der Ein-Ernährer-Familie nicht vollständig obsolet geworden ist, sondern in der Realität neben Formen mit aufweichenden Rollenstrukturen hinzutritt (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 129). Aus diesen Ausführungen lässt sich folgern, dass es die Familie de facto nicht gibt, sondern dass verschiedene Typen von Familien nebeneinander existieren, die sich hinsichtlich ihrer Struktur, ihrer Rollenaufteilung sowie ihres Verhaltens unterscheiden. Festzuhalten gilt, dass weder die eine noch die andere Form bestimmten Vorstellungen überlegen ist. Bereits Durkheim weigerte sich, die verschiedenen Typen von Familien in eine gewisse hierarchische Ordnung zu bringen: „La famille d’aujourd’hui n’est ni plus ni moins parfaite que celle de jadis: elle est autre, parce que les circonstances sont autres. “ (Durkheim 1888/1975, 25)
Obgleich die Anzahl der so genannten Ein-Eltern-Familien im Zeitverlauf zugenommen hat32 und diese streng genommen unter den neueren Familienbegriff zu fassen sind, kann
31 Murdock betonte die Universalität der Kernfamilie und begründete dies mit ihren Funktionen, wie sexuelle Gratifikation, Reproduktion, Erziehung sowie ökonomische Versorgung. Seiner Auffassung nach sind diese Funktionen ungeachtet ihrer historisch-anthropologischen Veränderungen immer erfüllt (vgl. 1949, 10). 30 Jahre später benannte Neidhardt die Reproduktion, Sozialisation, Haushalts- und Freizeitfunktionen sowie die Funktion des emotionalen Spannungsausgleichs (1975, 67-79). Mittlerweile kann insgesamt von einem Funktionsverlust der Familie ausgegangen werden (vgl. Hill u. Kopp 2006, 81), wobei ihr nach wie vor die Vormachtstellung hinsichtlich der Sozialisation zugeschrieben wird (vgl. ebenda, 74).
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nach wie vor von einer empirischen Dominanz der „vollständigen“ Familie mit Vater, Mutter und Kind(ern) gesprochen werden. Nach Angaben für das Jahr 2000 wachsen etwa 80 Prozent der Kinder in Deutschland mit beiden Elternteilen auf (vgl. Engstler u. Menning 2003, 27). Auch mit Blick auf die gewählte Forschungsperspektive, eine Untersuchung im Querschnitt, erscheint diese Vorgehensweise gerechtfertigt. Auf Basis der vorliegenden Daten der Zeitbudgeterhebungen in Deutschland kann keine Aussage darüber getroffen werden, seit wann sich eine Familie als Ein-Eltern-Familie konstituiert. Aus diesem Grund wird die Untersuchungsgruppe auf Familien mit beiden Eltern eingeschränkt. Zumindest die meisten Kleinkinder wachsen derzeit noch mit beiden Elternteilen auf. Die Auffassung, dass die Familie innerhalb der Sozialisation von Kindern die zentrale Rolle spielt, hat sich erst seit Beginn der 1980er Jahre zunehmend etabliert. Innerhalb der Entwicklungspsychologie ist sie erst seit dieser Zeit als etwas theoretisch anderes gegenüber anderen Umweltbedingungen thematisiert worden (vgl. Kreppner 1989, 290). „Die Sozialisation der frühen Kindheit wird als gesellschaftliche Leistung heutzutage in allen Industriestaaten der Familie zugeschrieben, und zwar von beiden Eltern erwartet und von ihnen in unterschiedlich zeitlichem Umfang in den einzelnen Staaten übernommen. Insbesondere bis zum dritten Lebensjahr überwiegt fast ausschließlich die Elternerziehung.“ (Nave-Herz 2004, 88)
Gleichzeitig ist seit den 1980er Jahren auch innerhalb der Leserforschung eine Berücksichtigung der Sozialisationsperspektive zu beobachten, einhergehend mit einer stärkeren Fokussierung auf die Familie als Institution der Sozialisation. Die Familienperspektive, so Franzmann, ziehe sich bis in die Gegenwart wie ein roter Faden durch alle zentralen Arbeiten der Leserforschung (vgl. 2002, 177). Zur Position der Familie innerhalb der Lesesozialisation ist demnach Van Peer zuzustimmen, der Anfang der 1990er Jahre den Forschungsstand zusammenfassend darstellte: „[T]the family is quite a fundamental institution form bringing people into contact with literature [respectively books, magazines and newspapers]. […] this potential for learning and development is realized in very distinctive ways in different families. […] the possibilities are scattered over the whole range: from optimal opportunities for a successful growth to poor or near-absent chances for literary development.” (Van Peer 1991, 540)
Im Anschluss an die Klärung der grundlegenden Begriffe wird im nachfolgenden Abschnitt die Thematik eingegrenzt und die engere Fragestellung innerhalb der Lesesozialisationsforschung verortet.
32 Von 1988 bis 2001 hat sich die Anzahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften ungefähr verdoppelt. Der Mikrozensus des Jahres 2001 weist ungefähr 2,2 Mio. nichteheliche Lebensgemeinschaften für Deutschland aus (vgl. Statistisches Bundesamt 2003, 41).
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2.2 Einordnung der Fragestellung innerhalb der Lesesozialisationsforschung und Abgrenzung der engeren Thematik Die Fragestellung dieser Arbeit lässt sich innerhalb des breiten Forschungsfeldes „Lesesozialisation“ einordnen. Es ist bereits mehrfach versucht worden, dieses interdisziplinäre Forschungsfeld nach bestimmten inhaltlichen Kriterien zu systematisieren. Die Lesesozialisationsforschung vereint - wie bereits angedeutet wurde - verschiedene Forschungsansätze, z.B. aus der Soziologie, der Entwicklungspsychologie, der Medien-, Sprach- und Literaturwissenschaft sowie der Bildungsforschung. Die engere Fragestellung orientiert sich, wie noch zu zeigen ist, verstärkt an soziologischen Ansätzen, obgleich Überlegungen weiterer Disziplinen (z.B. der Sprach- und Medienwissenschaft) stets miteinfließen. Eine strenge Differenzierung nach einzelnen Disziplinen scheint kaum möglich, was Van Peer in seinem Überblick über die Forschung bereits treffend festgestellt hat: „[T]he information available is fragmented and scattered over a number of disciplines“ (1991, 541). Im Rahmen des Schwerpunktprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) „Lesesozialisation in der Mediengesellschaft“ (Fördernummer 1404) wurde eine Unterteilung in eine diachron-historische, diachron-individuelle sowie synchronsystematische Ebene vorgenommen (vgl. Schreier 1999, 98). Die „diachron-historische“ Sichtweise fokussiert wesentliche Veränderungen des Lesens und der Lesesozialisation im historischen Verlauf auch unter Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Bedingungen, angefangen vom Beginn einer modernen Lesekultur am Ende des 18. Jahrhunderts bis zur gegenwärtigen Mediennutzung und -umgebung. Eine Studie neueren Datums unter dem Titel „Lesekindheiten. Familie und Lesesozialisation im historischen Wandel“ beschäftigt sich mit der Frage, wie sich die Lesesozialisation in der Familie zwischen 1800 und 1980 auch unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Wandels verändert hat (vgl. Hurrelmann, B. u.a. 2005, 13). Die „diachron-individuelle“ Ebene bezieht sich hingegen auf individuelle Entwicklungsverläufe der Lesesozialisation in der Gegenwart. Gefragt wird nach dem Einfluss der verschiedenen Sozialisationsinstanzen auf die individuelle Mediennutzung. Als Beispiel lässt sich hier die Dissertation von Limmroth-Kranz zu individuellen Verläufen der Lesesozialisation anführen. Mittels biographischer Interviews suchte die Autorin unter anderem eine Antwort auf die Frage, wie individuelle Erfahrungen im Lebenslauf im Zusammenspiel mit einzelnen Institutionen der Sozialisation (z.B. Eltern, Schule, Gleichaltrige) die Lesesozialisation beeinflussen (vgl. Limmroth-Kranz 1997). In den Niederlanden haben beispielsweise Kraaykamp (2003) sowie Verboord und Van Rees (2003) den Einfluss von Elternhaus, Schule, Bibliothek und Populärkultur auf individuelle Lesegewohnheiten im Längsschnitt untersucht. Während auf der diachron-historischen und der diachron-individuellen Ebene Veränderungen und Verläufe der Lesesozialisation gesellschaftlicher und individueller Art im Zeitverlauf untersucht werden, zielt die „synchron-systematische“ Ebene, wie bereits einleitend erwähnt, auf eine Betrachtung im Querschnitt. Ein erster Schwerpunkt liegt hier in der expliziten Integration des gesamtgesellschaftlichen Umfeldes (vgl. Schreier 1999, 99). In diesem Kontext ist die Untersuchung von Bettina Hurrelmann u.a. (1993) zu erwähnen, deren Stellenwert darin liegt, dass sie die Lesesozialisation in der Familie unter expliziter Berücksichtigung des Familienumfeldes untersucht und Lesegewohnheiten im Zusammenspiel mit dem erweiterten Umfeld betrachtet. Profile der Mediennutzung, die sich aus der
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individuellen Lesesozialisation ergeben und sich etwa in Nutzungspräferenzen unterschiedlicher Medien sowie Nutzungsgewohnheiten ausdrücken, bilden einen zweiten inhaltlichen Schwerpunkt (vgl. Hurrelmann u.a. 1993, 18ff.). In diesem Bereich lässt sich auch die vorliegende Dissertation ansiedeln, die zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die Bedeutung der Familie hinsichtlich der Lesesozialisation unter veränderten gesellschaftlichen und familienimmanenten Rahmenbedingungen untersucht. Wie bereits dargelegt wurde, wird die engere Fragestellung zum einen durch die mittelmäßigen Ergebnisse deutscher Schüler bezüglich der Lesekompetenz und der Lesemotivation im Rahmen von internationalen Schulleistungsstudien motiviert. Zum anderen wird sie aber auch angeregt durch den aktuellen familienpolitischen Diskurs über frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung auch außerhalb der Familie, der bisweilen - insbesondere in Deutschland - das Monopol „frühkindlicher Bildung und Erziehung“ zugeschrieben wurde. Darüber hinaus lässt sich das Forschungsfeld analytisch in einzelne Phasen, Inhalte und Institutionen der Lesesozialisation untergliedern, wobei je nach Altersphase bestimmte Inhalte bzw. Institutionen in den Vordergrund treten. Indem unterschiedliche Altersgruppen untersucht werden, ist es zumindest punktuell möglich, Sozialisationsverläufe künstlich nachzubilden, ein Aspekt, der mit Blick auf die gewählte Querschnittsperspektive nur eine untergeordnete Rolle spielen wird.33 Anhand der folgenden Darstellung (Abbildung 3) soll die engere Fragestellung gegenüber verwandten Fragestellungen eingegrenzt werden. Abbildung 3:
Verortung des Untersuchungsgegenstandes
Primäre Lesesozialisation Phase Kleinkindalter Vorschulalter Grundschulalter
Inhalte
Institution
Sekundäre Lesesozialisation Sekundarstufe I+II
Interaktionen: Erwerb Lesepubertät Spracherwerb der Schriftsprache Lesekrise prä- und paraliterarische I. Direkte Kommunikation Elternvorbild Familie
Familie Kindergarten Tagesmutter
Familie Grundschule Gleichaltrige
Untersuchungsgegenstand: Familiale Rahmenbedingungen der Lesesozialisation
Schule Gleichaltrige Familie Untersuchungseinheit und -zeitpunkt: Familien mit Kindern ab zehn Jahren
Quelle: Eigene Erstellung.
33 Wird die Querschnittsbetrachtung als ein Punkt auf der Entwicklungskurve verstanden, in dem Sinne, dass sich die Mediennutzungsmuster von Kindern als das Ergebnis individueller Sozialisationsverläufe begreifen lässt, besteht ein fließender Übergang zwischen der diachron-individuellen und der synchron-systematischen Ebene (vgl. Schreier 1999, 99).
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Differenziert nach Altersphasen kann zwischen „primärer“ und „sekundärer Lesesozialisation“34 unterschieden werden. Letztgenannte Phase bezieht sich vor allem auf die Lesesozialisation im schulischen Umfeld, d.h. in und durch die Schule oder durch Gleichaltrige35, und wird im Rahmen dieser Arbeit nicht explizit erforscht. In Bezug auf die verwendeten Daten dient diese Phase jedoch als Messzeitpunkt. Anhand der vorliegenden Informationen über Kinder ab zehn Jahren (Schüler) sowie deren Eltern sollen Aussagen über die primäre Lesesozialisation im Sinne einer Rückwärtsinduktion getroffen werden. Die primäre Lesesozialisation lässt sich auch unter Berücksichtigung der verschiedenen Vermittlungsinhalte nochmals in die Phasen „Kleinkindalter“, „Vorschulalter“ (drei bis fünf Jahre) und „Grundschulalter“ (sechs bis zehn Jahre) untergliedern. Diese Abgrenzung entspricht weitgehend den theoretisch begründeten Altersgruppen nach soziologischen Kriterien (vgl. z.B. Heinz 2007, 163f.). Von einer differenzierten Analyse dieser einzelnen Altersphasen wird hier auch unter der Annahme abgesehen, dass sich in diesen Phasen noch keine stabilen Gewohnheiten der Mediennutzung, insbesondere des Lesens, gebildet haben. Es wird unterstellt, dass die primäre Lesesozialisation mit dem Erwerb der Lesefähigkeit (ungefähr dritte Grundschulklasse) beendet ist. Dieser Entwicklungsabschnitt stimmt ungefähr mit der in der Literatur definierten Phase des Erstlesens (sieben bis zwölf Jahre) überein, welche neben der „paraliterarischen Phase“ von hoher Bedeutung ist (vgl. Eggert u. Garbe 1995, 64). Am Ende der Primarstufe haben Kinder annahmegemäß bestimmte Gewohnheiten des Lesens sowie des Fernsehgebrauchs ausgebildet, die einer gewissen Stabilität im Zeitverlauf unterliegen. Diese Vorgehensweise lässt sich auch mit der gewählten Methode vereinbaren. Die vorliegenden Tagebuchdaten beziehen sich auf Familienmitglieder ab zehn Jahren; jüngere Kinder wären auch kaum in der Lage, ein solches Tagebuch angemessen auszufüllen. Obgleich indirekte Informationen über jüngere Kinder vorhanden sind (z.B. Altersangaben), liegen Tagebuchdaten ausschließlich für alle Familienmitglieder ab zehn Jahren vor. Eine Besonderheit der familialen Lesesozialisation liegt darin, dass hier vor allem das Wissen über die Funktion des Lesens und Schreibens sowie Kompetenzen im Bereich der Metasprache vermittelt werden (vgl. Artelt u.a. 2001, 74). Dies geschieht meist unbewusst, z.B. indem viel lesende Eltern ihren Kindern implizit die Bedeutung des Lesens „vorleben“ oder mit ihnen über Bücher sprechen, d.h. „Sprache kann auf vielfältige Weise benutzt und thematisiert werden. Neben ihrer Funktion als Medium zur Übermittlung von Handlungsanweisungen und Informationen dient sie auch dazu, Gedanken auszudrücken und zum Austausch hierüber anzuregen.“ (ebenda, 74) Auch unter der Prämisse, dass sich die Wertvorstellungen der Eltern denjenigen der Gleichaltrigen weitgehend angleichen, wird der Einfluss der Herkunftsfamilie fokussiert, der Einfluss von Gleichaltrigengruppen sowohl in inhaltlicher als auch in analytischer Hinsicht vernachlässigt. In der gegenwärtigen Jugendforschung wird unterdessen prinzipiell von einer Doppelorientierung an Gleichaltrigen und Eltern ausgegangen, wobei 34
Die sekundäre Lesesozialisation wird in der Literatur gegenwärtig im Besonderen mit Blick auf die schulische Lesesozialisation abgehandelt (vgl. im Überblick Fritzsche 2004). Theoretisch lässt sich, geht man vom lebenslangen Sozialisationsprozess aus, auch noch eine Phase der „tertiären“ Lesesozialisation nach Beendigung der Schulzeit unterstellen. Zu dieser Phase liegen bislang nur relativ wenige Forschungsarbeiten vor. Mitte der 1990er Jahre lag nach Auskunft der Stiftung Lesen bislang nur eine Studie in den USA vor, die die Entwicklung der Lesefähigkeit nach Beendigung der Schulzeit untersuchte (vgl. Stiftung Lesen 1995, 33). 35 Die Erforschung von Gleichaltrigen in ihrer Bedeutung für die Lesesozialisation stellt nach Ansicht von Rosebrock ein bislang stark vernachlässigtes Forschungsfeld dar (vgl. 2004, 250).
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sich die Einflüsse beider Instanzen eher ergänzen als widersprechen. Es wird z.B. unterstellt, dass Gleichaltrige vor allem als „Freizeitberater“, Eltern hingegen als „Karriereberater“ fungieren (vgl. Ecarius 2002, 533; Hurrelmann, K. 2004, 131). In der gegenwärtigen Forschung finden sich vielfache empirische Belege für die These, dass die Familie einen zentralen Stellenwert innerhalb der Lesesozialisation einnimmt (vgl. z.B. Köcher 1988, W2302; Fritz 1991, 25; Hurrelmann, B. 2004c, 45). Dies bedeutet, dass für die meisten Kinder bereits durch ihre Familie vorgezeichnet wird, ob sie sich in der Welt der Schriftsprache und Bücher einmal heimisch fühlen werden oder nicht (vgl. Hurrelmann, B. u.a. 1993, 16.). Vor diesem Hintergrund wird die Fragestellung gegenüber solchen abgegrenzt, die sich explizit auf die Erforschung von weiteren Institutionen der Lesesozialisation richten, wie z.B. die Schule (vgl. Fend, 1979; Haas 1995, 211ff.; Gattermaier 2003; Fritzsche 2004) oder Gleichaltrigengruppen (vgl. Rosebrock 2004, 250ff.)36. Diese Arbeit setzt auf der Familienebene an. Es werden folgende Annahmen getroffen: Im Falle der Lesesozialisation handelt es sich erstens um ein nicht direkt beobachtetes Konstrukt (vgl. auch Hurrelmann, K. 2002, 19). Die Einflüsse der primären Lesesozialisation (z.B. operationalisiert über das Vorbild der Eltern, prä- und paraliterarische Interaktionen) auf die sich ausbildenden Mediengewohnheiten der Kinder lassen sich zweitens erst zu einem späteren Zeitpunkt zuverlässig erfassen, d.h. sobald sich relativ stabile bzw. habitualisierte Formen des Lesens und der Mediennutzung ausgebildet haben. Drittens verfügen Eltern bereits über relativ feste Gewohnheiten des Lesens und der Fernsehnutzung, so dass diese als Indikator der primären Lesesozialisation herangezogen werden können. Es wird unterstellt, dass Eltern, die zum Zeitpunkt der Analyse („sekundäre Lesesozialisation“) z.B. viel lesen, auch während der primären Sozialisation ihrer Kinder viel gelesen haben (Stabilität der Medienrezeptionsgewohnheiten der Eltern im Zeitverlauf). Ferner lassen sich als Dimensionen Bildung, Buchbesitz sowie der Erwerbstätigenstatus der Eltern heranziehen. Wenn im weiteren Verlauf von Lesesozialisation gesprochen wird, ist damit stets die primäre Lesesozialisation (in der Familie) gemeint, deren Wechselwirkungen zwischen Eltern und Kindern allerdings erst zum Zeitpunkt der sekundären Lesesozialisation erfasst werden können.
36 Dass der Familieneinfluss auf die Buchnutzung deutlich stärker ist als der Einfluss von Gleichaltrigen zeigen etwa auch die Ergebnisse der deutschen Teilstudie „Neue und alte Medien im Alltag von Kindern und Jugendlichen“ für Deutschland im Jahre 1998. Während nur zehn Prozent der Sechs- bis 17-Jährigen der Aussage zustimmen, dass das Buch Gesprächsstoff mit Freunden bietet (Zeitung: drei Prozent; Zeitschrift: acht Prozent) (vgl. Krotz u.a. 1999, 32), geben 27 Prozent aller Kinder dieser Altersgruppe an, dass sie mit der Mutter über Bücher (keine Schulbücher) diskutieren (Zeitung/Zeitschrift: 16 Prozent). Bezogen auf den Vater beträgt dieser Anteil 14 Prozent, was auf den geringeren Einfluss des Vaters im Rahmen der Lesesozialisation hindeutet (Zeitungen/Zeitschriften: elf Prozent) (vgl. ebenda, 62).
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2.3 Gesellschaftliche und familienimmanente Rahmenbedingungen seit Beginn der 1990er Jahre Im Folgenden werden die Rahmenbedingungen der Lesesozialisation, die die Gesellschaft insgesamt und im Speziellen die Familie betreffen, über einen Zeitraum von rund zehn Jahren skizziert. Dieser Zeitraum reicht konkret vom Anfang der 1990er Jahre bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Sich auf Sekundärdaten aus der Literatur beziehend wird zunächst beschrieben, ob und inwieweit sich der gesellschaftliche Umgang mit Zeit verändert hat und sich überdies die Anforderungen der Gesellschaft an Bildung und Erziehung erhöht haben. Diese Frage wird des Weiteren konkret auf die Familienebene übertragen. Datengrundlage bilden Personen- und Haushaltsdaten der Zeitbudgeterhebungen 1991/92 und 2001/02 in Deutschland. Da aus früheren Jahrzehnten keine amtlichen Zeitbudgetdaten für Deutschland vorliegen, beschränken sich diese Ausführungen weitgehend auf eine Zeitspanne von zehn Jahren. Im dritten Abschnitt werden Veränderungen des Buchbesitzes und der Haushaltsausstattung mit Fernsehgeräten aufgezeigt. 2.3.1 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen werden im Folgenden untergliedert in den gesellschaftlichen Umgang mit Zeit einerseits sowie die Anforderungen an Erziehung und Bildung andererseits. Beide Aspekte sind in den letzten Jahren vermehrt öffentlich diskutiert worden. 2.3.1.1 Der Umgang mit Zeit Gesellschaftliche Strukturen in Deutschland, die sich bis in die 1970er Jahre durch eine klare Trennung des Produktions- und Reproduktionsbereichs sowie darauf abgestimmte öffentliche Zeittakte beschreiben lassen, bildeten bislang die Voraussetzung dafür, dass die zeitliche Koordination zwischen Familie und anderen gesellschaftlichen Institutionen relativ problemlos verlief (vgl. BMFSFJ 2005, 360). Das vorherrschende Zeitverständnis der Industriegesellschaft lässt sich durch starre Taktung, Zeitkontrolle und -disziplin charakterisieren. Demgegenüber lässt sich die hierzu komplementäre Familienzeit weitgehend durch die Gewährleistung von Verlässlichkeit seitens der Ehefrau und Mutter beschreiben, wobei diese in der Regel zwischen den Bereichen Arbeit und Familie vermittelte (vgl. ebenda, 359; Jurczyk u. Lange 2006, 19). Diese Strukturen haben sich seitdem verändert. Die Gesellschaft der Gegenwart wird häufig als „Wissensgesellschaft“ (z.B. Kübler 2005) bezeichnet und obgleich dieser Begriff in wissenschaftlicher Hinsicht weitgehend unklar ist, sondern eher im metaphorischen Sinne zu verstehen ist, finden sich Indizien dafür, dass Wissen und Information gegenüber früheren Dekaden wichtiger geworden sind. Zwischen 1990 bis 2000 ist beispielsweise der Anteil der im tertiären Sektor Beschäftigten von 58 auf 69 Prozent angestiegen (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 14). Innerhalb des Dienstleistungssektors ist darüber hinaus insbesondere die Zahl der Erwerbstätigen in Wissens- und Informationsberufen sowie im Dienstleistungssektor gewachsen - von rund
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22,5 Millionen im Jahre 1993 auf rund 25 Millionen in den Jahren 2001 und 2002 (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 15). Einhergehend mit diesen Veränderungen haben sich auch die Vorstellungen über „soziale Zeiten“ bzw. „Zeitinstitutionen“ verändert. Zeitinstitutionen lassen sich als Bestandteile und Ausdruck eines gesellschaftlichen Teilsystems (z.B. der Familie; der Erwerbsarbeit) verstehen, d.h. „als verfestigte soziale Beziehungen strukturieren [sie] den Umgang mit Zeit, koordinieren und regulieren das gesellschaftliche und/oder familiale Miteinander“ (Heitkötter u. Lange 2006, 1). Für die Organisation von Familienzeit sind sie insofern von Belang, indem sie für Familienmitglieder gemeinsame Zeiten quasi selbstverständlich bereitstellen, Leistungen des Arrangierens und gegenseitigen Abstimmens fördern und somit für eine gewisse Verlässlichkeit im Alltagsleben sorgen (vgl. ebenda, 1). Neben gesetzlich „formellen“ (z.B. das Schuleintrittsalter) lassen sich „informelle“ Zeitinstitutionen anführen, die sich unter anderem im Familienalltag herausbilden (vgl. ebenda, 1), wie z.B. geregelte Essenszeiten oder das Vorlesen vor dem Schlafengehen. Es ist davon auszugehen, dass sich informelle Zeitinstitutionen an Werk- und Wochenendtagen voneinander unterscheiden. Häufig müssen informelle und formelle Zeitinstitutionen koordiniert werden. Ein Argument für einen gestiegenen Koordinationsaufwand liegt in der Eigenart der veränderten Erwerbsarbeitssphäre selbst begründet. Bestimmte Dienstleistungen lassen sich beispielsweise nur eingeschränkt industriell „takten“. Anpassung an Kundenbedürfnisse, aufgabenorientiertes Arbeiten (Projektarbeit) sowie von Ort und Zeit abgekoppelte Kommunikationsmöglichkeiten haben dazu geführt, dass sich Arbeitszeiten flexibilisiert haben. Durch diese Veränderungen ergeben sich Zeitkonflikte mit formalen Zeitinstitutionen (z.B. Öffnungszeiten in Kindergärten), die sich den Erfordernissen der Gesellschaft in Deutschland noch nicht in gleichem Maße angepasst haben und nach wie vor am industriellen Zeitregime ausgerichtet sind (vgl. BMFSFJ 2005, 360; Jurczyk u. Lange 2006, 19). Überspitzt formuliert: „Die Auseinandersetzung um die Öffnungszeiten von Kindergärten oder um das Mittagessen in Kindergarten oder Schule zeigen, daß der schulische Bereich bis heute von der Vorstellung geprägt ist, daß die Versorgerehe mit einer Mutter, die beliebig für die Betreuung der Kinder zur Verfügung steht, das immer noch voll funktionierende und in der Realität vorfindbare Modell familialer Lebensform darstellt.“ (Bertram 1997, 74)
Durch die Zunahme der von Müttern geleisteten Erwerbsarbeit wird deren Zeitbudget für Haus- und Fürsorgearbeit relativ knapper. Während die durchschnittlichen Erwerbsarbeitszeiten von Individuen in Europa seit den 1980er Jahren tendenziell abgenommen haben, haben sie sich auf Familienebene erhöht, da seitdem der Anteil an Familien angestiegen ist, in denen beide Eltern erwerbstätig sind (vgl. Engstler u. Menning 2003, 126). Dies macht sich auch in einem gestiegenen Koordinationsaufwand auf der Familienebene bemerkbar (vgl. BMFSFJ 2005, 360), indem Erwerbsarbeitszeiten, Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen und informelle Betreuungsangebote stets aufeinander abzustimmen sind. Die Erwerbsarbeitszeit ist damit insgesamt ein wichtiger Taktgeber für das Familienleben, wenn auch unter anderem Vorzeichen als im industriellen Zeitalter. Sie wirkt sowohl durch „Verdopplung“, wenn beide Eltern arbeiten, als auch durch Flexibilisierung der Erwerbsarbeitszeiten. (vgl. ebenda, 361). Daraus folgt, dass Familien gegenwärtig im Allgemeinen einem höheren „inneren“ Zeitdruck ausgesetzt sind als noch vor 20
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Jahren „when they had one individual exclusively devoted to the management of […] [domestic work]“ (Daly 2001b, 3).37 Bis Ende der 1980er Jahre wurde die Dimension der Zeit in ihrem hohen Stellenwert für Familien unterschätzt und blieb daher auch innerhalb der Familienpolitik weitgehend unsichtbar (vgl. BMFSFJ 2005, 362). Erst im Zuge der soeben skizzierten Veränderungen sind zeitliche Belange von Familien zunehmend in das gesellschaftliche Bewusstsein gelangt. Übertrieben formuliert: „Family worlds are increasingly dominated by an angst about the availability of time. Family and work activities are ‘time-consuming’, stress and role overload arise when there is insufficient time to complete the required tasks, and families frequently lament the shortage of time for being together. With the recent historical shift from single-provider to dual-earner family models, time famine has become a more common aspect of everyday family experiences.” (Daly 1996, 14)
In den letzten Jahren sind mehrere politische Initiativen ins Leben gerufen worden, die sich dem Zusammenhang von Familie und Zeit widmen. Als Beispiel lässt sich die Bundesinitiative „Allianz für Familie“ benennen, die sich für familienfreundliche Arbeitszeiten einsetzt (vgl. BMFSFJ 2005, 361). Daneben ist die im Jahre 2002 gegründete „Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik e.V.“ (DGfZP) zu erwähnen, die das Ziel verfolgt, einen Beitrag zum Ausgleich zwischen Be- und Entschleunigung im Alltag zu leisten.38 Spätestens jedoch seit dem Erscheinen des Siebten Familienberichtes im Jahre 200539 ist der Zusammenhang zwischen Familie und Zeit nicht länger nur Gegenstand wissenschaftlicher Diskurse, sondern wird zunehmend öffentlich diskutiert (vgl. Jurczyk u. Lange 2006, 18). Die „Zeit-Problematik“ in Familien lässt sich auch durch einen Befund der jüngst erschienenen Kinderstudie der Organisation „United Nations International Children’s Emergency Fund“ (UNICEF) nochmals unterstreichen: Demnach nimmt sich weniger als die Hälfte der Eltern der befragten Jugendlichen im Alter von 15 Jahren regelmäßig Zeit, um mit ihnen zu reden. In Italien liegt der entsprechende Anteilswert bei annähernd 90 Prozent und damit an der Spitze der OECD-Länder gemeinsam mit Ungarn (vgl. UNICEF 2007, 24f.). 2.3.1.2 Anforderungen an Bildung und Erziehung Als grundlegende gesellschaftliche Ressource erfährt Bildung auch im Hinblick auf die zunehmende Globalisierung sowie den Bedeutungszuwachs von Information und Wissen zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine höhere Priorität als in früheren Jahrzehnten (vgl. z.B. 37
Auch wenn sich im Zuge der skizzierten Veränderungen das Bewusstsein einer größeren Zeitknappheit im Familienkontext derzeit verschärft, zeigt sich im europäischen Vergleich, dass erwerbstätige Mütter (z.B. in Frankreich und Skandinavien) im Durchschnitt nicht unbedingt weniger Zeit für Kinderbetreuung aufbringen als nichterwerbstätige Mütter in Deutschland. Zum Beispiel wenden Mütter in Norwegen, die zu höheren Anteilen als deutsche Mütter einer bezahlten Arbeit nachgehen, nach Angaben der Europäischen Kommission im Durchschnitt genauso viel Zeit für Kinderbetreuung auf wie deutsche Mütter, d.h. rund zwei Stunden und 20 Minuten (für Kinder unter sechs Jahren (vgl. Europäische Kommission 2004, 66). 38 Vgl. www.zeitpolitik.de/gesellschaft.html, Abruf am: 15.1.2007. 39 Der „Siebte Familienbericht“ hat dem Aspekt der Zeit im Familienzusammenhang ein ganzes Kapitel gewidmet (vgl. BMFSFJ 2005, 359ff.).
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Oberhuemer 2003, 38; Oberhuemer 2004, 360f.)40. Mit diesen Veränderungen haben sich auch die Anforderungen der Gesellschaft an die Erziehung und Bildung ihrer Mitglieder erhöht. Dies betrifft sowohl die frühkindliche Erziehung und Bildung als auch die Bildung und Erziehung im Schulalter. Nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist der Anteil von Erstauflagen in der Sachgruppe „Erziehung, Bildung, Unterricht“ von 1992 bis 2001 um insgesamt 39,6 Prozent angestiegen. Dies lässt sich als ein Indiz für die soeben skizzierten Veränderungen heranziehen.41 Die Erarbeitung von Rahmencurricula für die frühkindliche Erziehung in Tageseinrichtungen, Professionalisierung von Fachkräften, Qualitätssicherung von Bildungseinrichtungen, Ganztagsunterricht und ein verändertes Verständnis von Lernprozessen lassen sich als Stichworte benennen. Es ist nicht das Ziel dieses Abschnittes, die Vielfalt und Komplexität der Bildungsdiskussion im Einzelnen darzustellen, sondern vielmehr eine kurze chronologische Darstellung dieser Debatte anhand der genannten Schlüsselbegriffe nachzuzeichnen. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse über frühkindliches Lernen, z.B. innerhalb der Hirnforschung (vgl. z.B. Singer, W. 2003, 67ff.; Kasten 2003, 57ff.), haben Anfang der 1990er Jahre die politische Diskussion um die Bedeutung der frühkindlichen Bildungsphase verstärkt angeregt (vgl. Fthenakis 2003b, 22; Kasten 2003, 57; Oberhuemer 2004, 361), sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene (vgl. Fthenakis u. Oberhuemer 2004, 9; Whitehead 2004, 295). Auch vor dem Hintergrund, dass sich die Mehrheit der Frauen in Europa mittlerweile als Mutter und Erwerbstätige definiert und damit das „adaptive Familienmodell“42 bevorzugt, und dass Kinderbetreuung zunehmend als Aufgabe von Familie und Gesellschaft verstanden wird, haben sich insgesamt die Erwartungen und Anforderungen seitens der Eltern an Erziehungs- und Bildungsinstitutionen, auch im Bereich der Frühpädagogik, erhöht (vgl. Oberhuemer 2003, 38). In den 1990er Jahren wurden in vielen europäischen und außereuropäischen Ländern erstmals Rahmencurricula für den Bereich der Frühpädagogik entwickelt, etwa in Norwegen für die Arbeit mit Unterein- bis Sechsjährigen (seit 1996), in Schottland für die Arbeit mit Vierjährigen (seit 1997) und mit Dreijährigen (seit 1999), in Schweden für die Arbeit mit Ein- bis Sechsjährigen (seit 1998) und in England für die Arbeit mit Drei- bis Fünf/Sechsjährigen (seit 2000) (vgl. Oberhuemer 2004, 360). Solche Konzepte dienen pädagogischen Fachkräften als Orientierungsgrundlage ihrer Bildungs- und Erziehungsarbeit sowie als Grundlage für die Kommunikation mit den Eltern. Als politisch-administratives Steuerungselement sind sie darüber hinaus geeignet, Bildungsqualität in zeitlichen Abständen zu überprüfen, zu sichern und weiterzuentwickeln (vgl. Oberhuemer 2003, 39).43 40 Angeregt wurde die öffentliche Bildungsdiskussion in Deutschland unter anderem durch die vom „Bundesministerium für Bildung und Forschung“ (BMBF) zwischen 1996 und 1998 durchgeführten Delphi-Studien, zweistufigen Expertenbefragungen zu Wissen und Bildung. Während innerhalb des Wissensdelphis Möglichkeiten und Dimensionen der Wissensgesellschaft erhoben wurden, wurden im darauf aufbauenden Bildungsdelphi Bildungsexperten hinsichtlich der zukünftigen Gestaltung des Bildungsbereichs befragt (vgl. Gisbert 2003, 79f.; ausführlich: BMBF 1998). 41 Vgl. hierzu die Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels 1993-2002. 42 Hakim hat überzeugend nachgewiesen, dass sich rund 60 Prozent der Frauen in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts definieren als „[a]daptive women [who] prefer to combine employment and family without giving a fixed priority to either. They want to enjoy the best of both worlds.” (2003, 55) 43 Zu den Rahmencurricula von England, Norwegen und England vgl. Oberhuemer (2003, 39-50).
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Terminologische Grundlagen
Auch in Deutschland wird seit einigen Jahren die Bildungsqualität in Tageseinrichtungen und Kindergärten vermehrt in der Öffentlichkeit diskutiert, auch in Verbindung mit der Forderung, Erziehung und Bildung von Kindern unter sechs Jahren zu einer Pflichtaufgabe der Gesellschaft zu erheben.44 Die Tageseinrichtung soll, ähnlich wie in anderen europäischen Ländern auch, zu einer ersten Stufe des Bildungssystems umgestaltet werden und damit in Zukunft mehr Beachtung erfahren (vgl. Fthenakis 2004, 387). Als Beispiel lässt sich das in drei Bundesländern zwischen 1997 und 2000 durchgeführte Modellprojekt „Zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen“ anführen. Diesem Projekt unterliegt die Absicht, konkrete Vorschläge zu erarbeiten, die in Kindertagesstätten und Tagespflegeeinrichtungen zu erproben sind (vgl. Laewen u. Andres 2002, 8). In diesem Zusammenhang lässt sich auch die vom BMFSFJ 1999 ins Leben gerufene „Nationale Qualitätsinitiative“ anführen, die sich aus fünf Verbundprojekten zusammensetzt, mit der Absicht, pädagogische Qualität zu definieren und ein Instrumentarium zu deren Messung und Evaluation zu erstellen (vgl. Fthenakis 2003a, 208). Obgleich die Kultusministerkonferenz (KMK) 2000 eine neue Ausbildungsempfehlung zur Professionalisierung von Fachkräften in Kindertagesstätten und Kindergärten verabschiedet hat, wird diese noch nicht in ausreichendem Maße in die Realität umgesetzt (vgl. Fthenakis 2004, 394). Die OECD-Studie „Bildung auf einen Blick 2003“ habe erneut gezeigt, dass die Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte im Bereich der frühkindlichen Erziehung in Deutschland im internationalen Vergleich (noch) zu kurz ist und auf relativ niedrigem Niveau stattfindet (vgl. ebenda, 394). Mit Ausnahme von Deutschland und Österreich werden in der Europäischen Union (EU) Erzieherinnen und Erzieher an Hochschulen ausgebildet. In der Regel beginnt die Ausbildung nach dem Abitur und dauert drei bis vier Jahre (vgl. Von Balluseck u.a. 2003, 323).45 Mit der Veröffentlichung der PISA-Studie 2000 wurde die insbesondere von Ralf Dahrendorf (1968) und Georg Picht in den späten 1960er Jahren entfachte öffentliche Diskussion um eine „deutsche Bildungskatastrophe“ (Picht 1965) wiederbelebt, demnach deutsche Schüler, ähnlich wie auch schon in den 1970er Jahren46, in den Bereichen Lesekompetenz sowie mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung im internationalen Vergleich nur mittelmäßige Leistungen erzielten. Fast zeitgleich zur PISA-Studie 2000 wurden im Dezember 2001 die Empfehlungen des „Forum Bildung“47 herausgegeben. Die Empfehlungen beinhalten unter anderem eine stärkere Förderung von frühkindlicher Bildung in Kindertagesstätten und in der Grundschule, die intensivere individuelle Förderung im Rahmen der Ganztagsschule, eine Hinführung zu selbstgesteuerten Lernprozessen, die Überwindung von klassischen Rollenorientierungen hin zu mehr Egalität (vgl. Forum Bildung 2001, 6ff.). 44 Eine überblicksartige Darstellung von Qualitätskonzepten in der Kinderbetreuung findet sich beispielsweise bei: Esch u.a. (2006). 45 In diesem Zusammenhang kann auf die von der „European Early Child Education Research Association“ 1999 durchgeführte Konferenz in Helsinki verwiesen werden, welche als Ausgangsbasis für eine neue Richtung in der Frühpädagogik zu betrachten ist (vgl. Fthenakis 2003b, 23). 46 Der Trend sinkender Schulleistungen wurde darüber hinaus in kleineren wissenschaftlichen Studien untersucht und dokumentiert, z. B. in der 1992 durchgeführten Lesestudie an der Universität Hamburg (vgl. z.B. Lehmann u.a. 1995 oder auch die Hinweise auf weitere Studien bei: Wendel 2003, 13). 47 Das Forum Bildung wurde 1999 von Bund und Ländern gegründet. Gemeinsam haben Bildungs- und Wissenschaftsminister sowie Vertreter der Wissenschaft, Sozialpartner, Kirchen, ausgewählte Auszubildende und Studierende Empfehlungen für eine nachhaltige Bildungsreform formuliert (vgl. Forum Bildung 2001, 364).
Terminologische Grundlagen
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Ende 2004 veröffentlichte die OECD, auch für Deutschland, einen Länderbericht zur Politik der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung. Die Untersuchungen beziehen sich auf Kinder von der Geburt bis zum Grundschulalter und behandeln Fragen der Qualität, des Zugangs und der sozialen Gerechtigkeit mit Blick auf frühkindliche Betreuung (vgl. OECD 2004, 5f.). Im Jahre 2006 legte das Konsortium Bildungsberichterstattung48 im Auftrag von Bund und Ländern erstmals ein Indikatorenmodell zur langfristigen Beobachtung der Bildungsentwicklung sowie eine Strategie zur Gewinnung relevanter Daten vor. Elementare Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung, welche die bildungspolitische Diskussion weitgehend flankieren (z.B. die Frage, inwieweit Bildungseinrichtungen die Chancengleichheit in Bildungsverläufen von Kindern berücksichtigen), werden hier empirisch untermauert. In einem zweijährigen Turnus sollen auf Grundlage der amtlichen Statistik sowie ergänzender Befragungs- und Paneldaten im Bundesdurchschnitt zukünftig grundlegende Informationen zu allen Bereichen und Stufen des Bildungswesens bereitgestellt werden (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 1f.). In diesem Kontext soll das am 27.12.2004 vom Deutschen Bundestag verabschiedete Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder (Tagesbetreuungsgesetz – TAG)49 Erwähnung finden, das einerseits den Rechtsanspruch von Kindern ab drei Jahren auf den Besuch einer Tageseinrichtung gewährleistet und andererseits die Tagesbetreuung für Unter-Dreijährige regelt. So heißt es in § 24 Abs. 1, S. 2: „Ein Kind hat vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt Anspruch auf den Besuch einer Tageseinrichtung […].“ (Abs. 1, S. 1). Und weiter: „Für Kinder im Alter unter drei Jahren und im schulpflichtigen Alter ist ein bedarfsgerechtes Angebot an Plätzen in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege vorzuhalten“ (Abs. 2, S. 1). Dieses Gesetz regelt somit den Auftrag der Tageseinrichtungen und der Kindertagespflege zur Erziehung und Bildung sowie Unterstützung der Eltern, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander zu verbinden (s. § 22 Abs. 2). Neben dem Ausbau von Betreuungsplätzen (s. § 24a) sind ebenso die Sicherstellung und Weiterentwicklung der Betreuungsqualität gesetzlich verankert (s. § 22a Abs. 12). Darüber hinaus sind im Bildungsbericht der Ausbau von Ganztagsschulen50 und schulischen Betreuungseinrichtungen dokumentiert. Die Zahl der Ganztagsschulen ist nach 48
Dem kürzlich gegründeten Konsortium sind folgende Einrichtungen angehörig: das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung, das Deutsche Jugendinstitut (DJI), das Hochschul-Informations-System, das Soziologische Forschungsinstitut an der Universität Göttingen und die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, V). 49 Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder (Tagesbetreuungsausbaugesetz – TAG), in der Fassung vom 27.12.2004 (BGBl 1, 3845). 50 Im Sinne der KMK lässt sich der Begriff der Ganztagsschule an den folgenden drei Kriterien festmachen: an der zeitlichen Mindestangebotsdauer, an der Gliederung durch eine Mittagspause sowie einem vorliegenden Konzept. Dies bedeutet konkret, dass erstens an mindestens drei Wochentagen über den Vormittag hinaus ein Angebot bereitzustellen ist, das täglich mindestens sieben Stunden füllt. Zweitens soll eine Mittagspause, in der ein Mittagessen angeboten wird, den Schultag gliedern. Drittens ist das ergänzende Angebot mit dem Unterricht am Vormittag im Rahmen eines Konzeptes zu verbinden, das von der Schulleitung organisiert und verantwortet wird (vgl. KMK 2004, 4). Die KMK unterscheidet zwischen einer „voll gebundenen“, einer „teilweise gebundenen“ sowie einer „offenen Form“ der Ganztagsschule. Im Falle einer „voll gebundenen Form“ unterliegen alle Schüler der Pflicht, an mindestens drei Wochentagen für jeweils mindestens sieben volle Stunden am ganztägigen Angebot der Schule teilzunehmen, während dies im Falle der „teilweise gebundenen Form“ nur für einen Teil der Schüler gilt. Im letzten Fall ist die Teilnahme an einem Ganztagsangebot mindestens für ein Schulhalbjahr verpflichtend, ansonsten jedoch freiwillig möglich (vgl. ebenda, 5).
48
Terminologische Grundlagen
Angaben des Konsortiums Bildungsberichterstattung von 4.952 im Jahre 2001 um 38 Prozent auf 6.810 im Jahre 2004 angestiegen. Somit lässt sich mittlerweile ungefähr ein Viertel (23 Prozent) der schulischen Verwaltungseinheiten51 als Ganztagsschulen klassifizieren, wobei in Deutschland das Modell der offenen Ganztagsschule überwiegt, in denen nur einzelne Kinder auf Wunsch eine ganztägige Betreuung in Anspruch nehmen. Im Jahre 2002 haben rund 9,8 Prozent aller Schüler eine solche Betreuung in Anspruch genommen, 2004 waren es bereits 12,5 Prozent (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 57f.). Mit Blick auf die skizzierten veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Bereich der frühkindlichen und schulischen Erziehung und Bildung lässt sich folgern, dass die Lesesozialisation in Zukunft immer früher auch in institutionellen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen ihren Platz haben wird. Inwieweit es dadurch gelingen wird, die bisherigen ungleichen Bildungschancen, die in der familialen Sozialisation wurzeln, zu reduzieren, ist eine noch weitgehend offene Frage, der an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden soll. Im nachfolgenden Abschnitt wird ergänzend dargelegt, inwieweit sich neben den gesellschaftlichen Anforderungen an Bildung und Erziehung auch diejenigen der Familie gleichzeitig erhöht haben. 2.3.2 Familienimmanente Rahmenbedingungen Obgleich einerseits immer wieder von sinkenden Geburtenraten in Europa, insbesondere von Elternpaaren mit hoher Bildung, die Rede ist (vgl. Eggen u. Leschhorn 2004, 10; international: Esping-Andersen 2002, 82), hat sich die Wertschätzung von Kindern in den letzten Jahren eher erhöht, auch verbunden mit gestiegenen Anforderungen an eine gelingende Sozialisation seitens der Eltern (vgl. auch: Nave-Herz 2004, 89; Walper 2004, 232; Hill u. Kopp 2006, 324). Plakativ formuliert: „Die große Wertschätzung der Kinder […] führt zur Pädagogisierung der Kindheit, zu hohen Leistungserwartungen und festen Förderprogrammen. Kinder wachsen in perfekt eingerichteten Kinderzimmern auf, umgeben von einer Unmenge von Spielsachen und Kuscheltieren. […]. Zugleich werden ihrer Erziehung und Förderung viel Zeit, Energie und Geld gewidmet. Manchmal wird schon für Kleinkinder ein Terminkalender angelegt.“ (Textor 1993, 24)
Die folgenden Ausführungen richten sich auf die Frage, ob und inwieweit sich Zeit- und Bildungsressourcen in der Familie im Zeitraum von zehn Jahren verändert haben. Wie noch näher gezeigt wird, lassen sich Bildung und Zeit als zentrale Dimensionen der Lesesozialisation heranziehen. Als Datengrundlage dienen die Zeitbudgeterhebungen der Jahre 1991/92 sowie 2001/02. Die Analysen beziehen sich auf Mütter und Väter in Familienhaushalten.52
51 Häufig werden Ganztagsangebote an Schulzentren, die mehrere Schulen umfassen, eingerichtet. Ein solches Schulzentrum lässt sich als schulische Verwaltungseinheit bezeichnen (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 59). 52 Ausgewählt wurde jeweils die erste (i .d. R. der Vater) bzw. zweite Person (i. d. R. die Mutter) im Haushalt.
Terminologische Grundlagen
49
2.3.2.1 Familiale Zeitstrukturen Zeitressourcen und -restriktionen in der Familie lassen sich indirekt am Erwerbstätigenstatus der Eltern festmachen. Während in den Jahren 1991/92 91,6 Prozent der Väter in Deutschland in Vollzeit erwerbstätig waren, gilt dies in den Jahren 2001/02 „nur“ noch für 87,5 Prozent der Väter; hier lässt sich damit ein Rückgang von rund vier Prozentpunkten beobachten. Dies lässt sich als schwacher Beleg für veränderte familiale Zeitstrukturen interpretieren. Die nachfolgenden Angaben beziehen sich ausschließlich auf Mütter in ihrer Verteilung nach Erwerbstätigenstatus in den Jahren 1991 und 1992 sowie 2001 und 2002 in Deutschland. Tabelle 1: Mütter nach Erwerbstätigenstatus (in Prozent) Erwerbstätigenstatus
1991/92
2001/02
nichterwerbstätig
38,3
31,1
in Teilzeit/geringfügig
40,5
56,8
in Vollzeit
21,2
12,1
100 (N = 3.043)
100 (N = 1.965)
Anmerkung: ungewichtete Angaben. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 1991/92 und 2001/02.
Zwischen 1991/92 und 2001/02 hat sich der Anteil erwerbstätiger Mütter insgesamt um rund 7,2 Prozentpunkte erhöht, d.h. von 61,7 Prozent auf 68,9 Prozent. Während der Anteil teilzeit-erwerbstätiger Mütter in diesem Zeitraum um 16,3 Prozentpunkte angestiegen ist, hat sich demgegenüber der Anteil der in Vollzeit erwerbstätigen Mütter um 9,1 Prozentpunkte reduziert.53 Dieser so nicht erwartete Rückgang lässt sich unter anderem auf die gestiegene Arbeitslosenquote in den östlichen Bundesländern nach der Wiedervereinigung zurückführen (vgl. Bertram u. Hennig 1995, 98). Lag die Erwerbstätigenquote beispielsweise bei Müttern mit Kindern im Kindergartenalter (drei bis sechs Jahre) in den neuen Bundesländern 1991 noch bei 82,8 Prozent, ist diese in den nachfolgenden fünf Jahren um 17,5 Prozentpunkte auf 65,7 Prozent im Jahre 1996 gesunken (vgl. Walper 2004, 224).
53
Vgl. hierzu auch: Konsortium Bildungsberichterstattung (2006, 217).
50
Terminologische Grundlagen
2.3.2.2 Bildung Am Bildungsstatus der Mütter und Väter wird nun überprüft, ob sich das Bildungsniveau der Familien mit Kindern Anfang des 21. Jahrtausends gegenüber 1991/92 erhöht hat. In diesem Zeitraum hat der Anteil der Mütter mit hohem Bildungsabschluss (Abitur; Fachabitur) um circa zehn Prozentpunkte zugenommen, nämlich von 21,8 auf 31,5 Prozent. Bezüglich des mittleren Bildungsabschlusses lässt sich lediglich eine positive Veränderung von 2,4 Prozentpunkten (von 41,9 Prozent auf 44,3 Prozent) identifizieren, während der Anteil der Mütter mit niedrigem Bildungsabschluss (Hauptschulabschluss) um rund zehn Prozentpunkte gesunken ist: von 34,1 Prozent im Jahre 1991/92 auf 24,2 Prozent in den Jahren 2001/02 (vgl. Tabelle 2). Tabelle 2: Mütter nach Bildung (in Prozent) Bildung
1991/92
2001/02
niedrig
34,3
24,2
mittel
41,9
44,3
hoch
21,8
31,5
100 (N = 3.043)
100 (N = 1.965)
Anmerkung: ungewichtete Angaben. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 1991/92 sowie 2001/02.
Ein ähnliches Bild ergibt sich auch bei den Vätern. Der Anteil der Väter mit niedrigem Bildungsabschluss hat sich zwischen 1991/92 und 2001/02 um rund sieben Prozentpunkte reduziert, von 40,6 auf 34 Prozent, wohingegen der Anteil derjenigen mit hoher Bildung von 31,9 auf 37,6 Prozent angestiegen ist. Demgegenüber ist der Anteil der Väter mit mittlerem Bildungsabschluss nahezu konstant geblieben (vgl. Tabelle 3). Tabelle 3: Väter nach Bildung (in Prozent) Bildung
1991/02
2001/02
niedrig
40,6
34,0
mittel
27,3
28,4
hoch
31,9
37,6
100 (N = 3.048)
100 (N = 1.967)
Anmerkung: ungewichtete Angaben. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 1991/92 und 2001/02.
Die Daten deuten somit auf einen „Fahrstuhl-Effekt“ (Beck 1986, 122) der Bildung seit Beginn der 1990er Jahre hin, wenngleich sich dieser eher auf einem niedrigen bis moderaten Niveau bewegt.
Terminologische Grundlagen
51
2.3.3 Veränderungen des Medienbesitzes: Bücher und Fernsehgeräte Unzweifelhaft hat sich in den letzten zehn Jahren das Medienangebot und damit auch der Medienbesitz und die Mediennutzung vieler Bevölkerungsgruppen verändert, was sich am Beispiel des Fernsehens demonstrieren lässt. Lag die Zahl der verfügbaren Fernsehprogramme im Jahre 1990 durchschnittlich noch bei acht, betrug sie 2000 bereits 38 Programme (vgl. Ridder u.a. 2002, 38). Die folgenden Ausführungen beziehen sich sowohl auf Veränderungen des Buchbesitzes als auch auf die Ausstattung der Haushalte mit Fernsehgeräten. Neben den Zeitbudgeterhebungen werden Daten aus der empirischen Leseforschung herangezogen, die in etwa zeitgleich mit ersteren erhoben wurden. Buchbesitz: Da die Zeitbudgeterhebung keinerlei Informationen zum Buchbesitz bereitstellt, wird auf die Studie der Stiftung Lesen „Leseverhalten in Deutschland im neuen Jahrtausend“ aus den Jahren 1992 und 2000 zurückgegriffen. Befragt wurden insgesamt 2.530 Personen ab vierzehn Jahren in deutschen Haushalten. Es zeigt sich, dass im Laufe von acht Jahren der häusliche Buchbesitz der deutschen Bevölkerung deutlich angestiegen ist. Während gemäß dieser Studie 1992 nur 17 Prozent der Deutschen, „51 bis 100 Bücher“ im Haushalt besitzen, sind dies im Jahre 2000 bereits 24 Prozent. Demgegenüber ist der Anteil der Hausbibliotheken mit weniger als 50 Büchern um dreizehn Prozentpunkte zurückgegangen, d.h. von 64 (1992) auf 51 Prozent (2000) (vgl. Franzmann 2001, 13f.). Darüber hinaus zeigt sich, dass mit erhöhtem Buchbesitz nicht unbedingt mehr gelesen wird. Weniger Personen (ab 14 Jahre) gaben an, dass sie täglich Bücher läsen, während sich mehr Personen als Nichtleser bezeichneten. Anfang der 1990er Jahre lag der Anteil der täglichen Buchleser bei 16 Prozent, im Jahre 2000 nur noch bei sechs Prozent. Unterdessen ist der Anteil der Nichtleser von 20 Prozent (1992) auf 28 Prozent (2000) angestiegen (vgl. ebenda, 11). Dass der Einfluss der Familie auf die Lesesozialisation seit Beginn der 1990er Jahre tendenziell gesunken ist, lässt sich ebenfalls belegen. Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf Jugendliche im Alter zwischen 14 und 19 Jahren. Während 1992 noch 46 Prozent der Aussage „Bei uns zu Hause achtete man immer sehr darauf, dass ich gute Bücher las“ zustimmten, stimmten dem im Jahre 2000 nur noch 25 Prozent zu. Auch erklärten sich nur noch 41 Prozent mit der Aussage einverstanden, „Bei uns zu Hause gab es viele Bücher“, während dies 1992 immerhin noch 60 Prozent der 14- bis 19-Jährigen bejahten. Um elf Prozentpunkte gesunken ist darüber hinaus der Anteil derjenigen, die dem zustimmten, dass sie sich häufig mit ihren Eltern über ein Buch unterhalten hätten (1992: 38 Prozent; vs. 2000: 27 Prozent) (vgl. ebenda, 26). Zu erwähnen gilt in diesem Zusammenhang auch, dass die Kluft zwischen Viel- und Weniglesern im Allgemeinen immer größer zu werden scheint, d.h. die Vielleser ihre Lesegewohnheiten, auch mit Blick auf die gesellschaftlichen Anforderungen, eher ausdehnen, während Wenigleser immer weniger lesen (vgl. Schön 1998a, 49; Franzmann 2001, 30). Diese sich zum Teil widersprechenden Befunde sollen im Rahmen der empirischen Analyse immer wieder als Bezugspunkt herangezogen werden. Fernsehbesitz: Insgesamt hat sich der Anteil der Familienhaushalte (mit mindestens einem Kind) mit zwei oder mehr Fernsehgeräten zwischen 1991/92 (N = 3.254) sowie 2001/02 (N = 2.159) um rund zehn Prozentpunkte, d.h. von 49,6 auf 59,4 Prozent, erhöht. Auf Grundlage dessen ist anzunehmen, dass mittlerweile mehr als zwei Drittel der Kinder, die in den jeweiligen Familien aufwachsen, ein eigenes Fernsehgerät besitzen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Studie „Jugend Information und (Multi-)Media (JIM)“ des
52
Terminologische Grundlagen
Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest (MPFS) im Jahre 2002, demnach 66 Prozent aller deutschen Jugendlichen zwischen zwölf und 19 Jahren ein eigenes Fernsehgerät besitzen (vgl. Feierabend u. Klingler 2003, 454). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich sowohl die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als auch die Voraussetzungen in den Familien mit Blick auf die Lesesozialisation seit Beginn der 1990er Jahre verändert haben. Zum einen haben sich die gesellschaftlichen Anforderungen an institutionelle Bildungs- und Erziehungsleistungen erhöht, während gleichzeitig auch die Anforderungen an die Familien an solche Leistungen gestiegen sind. Zum anderen zeichnen sich in Familien zunehmend „Zeitkonflikte“ ab, d.h. erhöhte Anforderungen an die Zeit lassen sich nur unzureichend mit den vorhandenen Zeitressourcen vereinbaren. Darüber hinaus hat sich das Medienangebot in der Familie ausgeweitet. Familien verfügen zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der Mehrzahl nicht nur über mehrere Fernsehgeräte, sondern auch über eine höhere Anzahl an Büchern. Im nachfolgenden Kapitel werden unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes die theoretischen Dimensionen herausgearbeitet, die in engem Zusammenhang mit der Lesesozialisation in der Familie stehen. Im Zuge dessen sollen die Grundlagen der empirischen Untersuchung geschaffen werden.
3 Theoretische Dimensionen der Lesesozialisation
Im dritten Kapitel der Untersuchung werden die zentralen Dimensionen der familialen Lesesozialisation hergeleitet sowie Forschungshypothesen formuliert, die im empirischen Teil überprüft werden sollen. Ausgegangen wird von der Vorstellung, dass sich Familien hinsichtlich externer und interner Dimensionen der Lesesozialisation unterscheiden. Unter „externen“ Dimensionen werden im Folgenden diejenigen Faktoren verstanden, die die Lesesozialisation von Kindern quasi „von außen“ und eher indirekt beeinflussen, während „interne“ Dimensionen definiert werden als Merkmale, die sich in Gewohnheiten und Verhaltensweisen der Familienmitglieder niederschlagen, und die sich auch in Anlehnung an den gegenwärtigen Forschungsstand auf das Elternvorbild, Interaktionen in der Familie (z.B. prä- und paraliterarische Interaktion, direkte Kommunikation) sowie eine zurückhaltende Fernsehnutzung54 beziehen (vgl. z.B. Van Peer 1991, 543; Leseman u. De Jong 1998, 294ff.; Tullius 2001, 79; Kraaykamp 2003, 237; Hurrelmann, B. 2004b, 179; Hurrelmann, B. 2004c, 47f.). Als weitere Differenzierungsmerkmale der Lesesozialisation lassen sich Geschlecht (vgl. z.B. Rosebrock 2003, 119; Garbe 2002; Garbe 2003; Artelt u.a. 2005, 46f.) und Alter (vgl. z.B. Lehmann u.a. 1995, 49ff.; Bucher 2004, 142f.) benennen. Die Gliederung dieses Kapitels orientiert sich an der nachfolgenden Darstellung (Abbildung 4), welche die Dimensionen der Lesesozialisation zueinander in Beziehung setzt. Ausgehend von der Peripherie der Ellipse werden zunächst die externen Dimensionen der Lesesozialisation herausgearbeitet (Kapitel 3.1), die auf einer abstrakten Ebene den äußeren Rahmen der familialen Lesesozialisation bilden. Daran anschließend werden die internen Dimensionen der Lesesozialisation hergeleitet. Dazu werden neben interaktionstheoretischen Überlegungen, Ansätze der sozialen Lerntheorie und der frühen Lesesozialisation sowie sprachwissenschaftliche und kognitionstheoretische Ansätze herangezogen, um die Relation zwischen Fernsehen und Lesen zu erklären. Ergänzt werden diese Ausführungen um Gedanken zum Einfluss der soziodemographischen Merkmale Geschlecht und Alter auf die Lesesozialisation (Kapitel 3.2).
54
Vgl. hierzu das Interview von Haug (2003) mit Bettina Hurrelmann im Rahmen der Initiative „Lesen in Deutschland – Eine Initiative von Bund und Ländern zur außerschulischen Leseförderung“ unter dem Titel „Im Familienschoß kultiviert – über Jahrhunderte transportiert“, www.lesen-in-deutschland.de, Abruf am 03.08.2005.
54
Theoretische Dimensionen der Lesesozialisation
Abbildung 4:
Theoretische Dimensionen der familialen Lesesozialisation Familie
Interne Dimensionen
Interaktionen: - Prä- u. paralit. Kommunikation - Gespräche
Lesesozialisation Kind
Zurückhaltende Fernsehnutzung
Elternvorbild
Alter Vater
Geschlecht Mutter
Externe Dimensionen Zeitdimension
Bildung
Quelle: Eigene Erstellung.
Dieses Kapitel endet mit einem Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur familialen Lesesozialisation im deutschsprachigen Raum sowie einer Zusammenfassung der zentralen Forschungshypothesen. 3.1 Externe Dimensionen Im Folgenden werden die externen Dimensionen theoretisch hergeleitet, von denen angenommen wird, dass sie die Lesesozialisation eher indirekt, vermittelt über die Gewohnheiten der Eltern, beeinflussen: Bildung und Zeit. Nachdem die beiden Dimensionen zunächst weitgehend einzeln abgehandelt werden, sollen sie anschließend zusammengeführt werden. Damit wird beabsichtigt, die bisherigen theoretischen Überlegungen zur Rolle der Bildung im Rahmen der Lesesozialisation weiterzuentwickeln und bisherige Fragestellungen zu spezifizieren. 3.1.1 Bildung „An der Art und Weise, wie sie aus den Bänken traten, war abzulesen, welchen Platz im Leben zu beanspruchen sie bereits gelernt hatten, welchen Platz das Elternhaus ihnen fraglos reservierte.“ (Ulla Hahn 2001, 126f.)
Das Wort „Bildung“ lässt sich aus dem mittelhochdeutschen „bildunge“ herleiten, das soviel wie „sinnliche Vorstellung“, „Bildnis“ oder „Gestalt“ bedeutet. In der Pädagogik ist der Bildungsbegriff seit mehr als zwei Jahrhunderten fest verankert und wird definiert als „die Kultivierung der verschiedenen Facetten von Menschlichkeit […], um an den in einer
Theoretische Dimensionen der Lesesozialisation
55
Gesellschaft üblichen Lebensformen teilhaben zu können“ (Hurrelmann, K. 2002, 16). Mit anderen Worten bezieht sich Bildung auf die Übertragung von Einstellungen, Werthaltungen, Wissen und Fertigkeiten, die Menschen benötigen, um ihre sozialen Rollen als Erwachsene in der Gesellschaft ausführen zu können (vgl. Andorka 2001, 340).55 Sie lässt sich einerseits als Prozess im Sinne von Sozialisation oder Erziehung im engeren Sinne, andererseits aber auch als Ergebnis dieses Prozesses begreifen (vgl. Diefenbach 2000, 172). Letztere Auffassung wird kontrovers beurteilt. Bildung werde hier auf den Begriff der Ware verkürzt (Schäfer 2004, 16), was zu der Assoziation verleitet, sie sei käuflich zu erwerben. Häufig vergessen Befürworter dieser Auffassung, dass Bildung nicht nur Geld, sondern auch Zeit „kostet“. Nahezu trivial erscheint die Tatsache, dass Menschen nicht als „gebildete Wesen“ geboren werden, sondern Zeit benötigen, um sich im Laufe ihrer Sozialisation zu bilden. Bildungsprozesse sind „individuelle Prozesse und geschehen in der Zeit“ (Zeiher 2005, 2). Dies hat bereits Bourdieu sehr treffend formuliert: „Die Akkumulation von Kultur in inkorporiertem Zustand – also in der Form, die man auf […] deutsch ‘Bildung’ […] nennt – setzt einen Verinnerlichungsprozeß voraus, der in dem Maße wie er Unterrichts- und Lernzeit erfordert, Zeit kostet. Die Zeit muß vom Investor persönlich investiert werden.“ (Bourdieu 1983, 186)
Diese Argumentation wird an anderer Stelle wieder aufgegriffen und weiterentwickelt (vgl. Kapitel 3.1.3). In analytischer Hinsicht lassen sich strukturelle und funktionale Aspekte der Bildung unterscheiden, wobei sich Bildung auch im Sinne von „kulturellem Kapital“ (Bourdieu 1983, 185) verstehen lässt. Während sich der strukturelle, in Sozialstatus übertragbare Aspekt auf formale Bildungszertifikate (z.B. Abitur) bezieht – Bourdieu spricht von „institutionalisiertem“ kulturellen Kapital – ist der funktionale Aspekt weiter gefasst und impliziert die im Rahmen des Bildungsprozesses internalisierten Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster, die auch als „Habitus“ (Bourdieu 1984, 277ff.) bezeichnet werden (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001, 40). In diesem Zusammenhang lässt sich Bildung auch verstehen als „verinnerlichter, inkorporierter Zustand“, welcher in Form von dauerhaften Dispositionen des Organismus zu Tage tritt (vgl. Bourdieu 1983, 185).56
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Insbesondere in Deutschland wird in pädagogischen Diskursen der Bildungsbegriff häufig inflationär verwendet und nicht eindeutig definiert (vgl. Von Felden 2005, 44). Bildung, so Lenzen, fungiere als ein „Containerwort“, mit dem sich viele Bedeutungen verbinden (1997, 949). Generell, insbesondere aber in Wortverbindungen, wie Bildungspolitik, Bildungssystem usw., bezeichnet Bildung das gesamte System organisierter und institutioneller Lehrangebote für die Gesellschaft. Speziell ist mit Bildung die Aneignung von Welt durch das Subjekt über die Rezeption des klassischen Bildungsdiskurses gemeint (vgl. z.B. Von Felden 2005, 44). Lenzen unterscheidet verschiedene Dimensionen der Bildung: Erwerb von Kenntnissen, Aneignung von Kompetenzen (z.B. Lesekompetenz), Bildung im Sinne eines lebenslangen individuellen Prozesses und „normative Reflexion gesellschaftlicher Verhältnisse“ im Sinne des klassischen Bildungsverständnisses (vgl. 1997, 951ff.). Die Problematik des Bildungsbegriffes soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden. 56 Bourdieu hat in seinem Werk drei Formen des kulturellen Kapitals unterschieden: Erstens, kulturelles Kapital, das in verinnerlichtem, inkorporiertem Zustand sich in dauerhaften Dispositionen des Organismus niederschlägt; zweitens, das kulturelle Kapital in objektiviertem Zustand, etwa in Form von kulturellen Gütern, wie Gemälden, Büchern, Lexika, Instrumenten, sowie drittens, kulturelles Kapital, das in institutionellem Zustand vorliegt, z.B. in Form von Zertifikaten oder Titeln (vgl. Bourdieu 1983, 185).
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Innerhalb der Bildungsforschung zeichnet sich derzeit die Tendenz ab, auch die Familie57, neben der Schule und anderen institutionellen Bildungskontexten, im Sinne eines zentralen „Bildungsortes“ stärker zu berücksichtigen. Es wird unterstellt, dass Bildung bereits in der Familie anfängt (vgl. Brake u. Büchner 2003, 619). Die folgenden Überlegungen beziehen sich aus analytischen Gründen hingegen zunächst auf den strukturellen Aspekt der Bildung als Dimension sozialer Ungleichheit (vgl. auch: Hradil 2001, 32; Hradil 2004, 129). In Zusammenhang mit der engeren Thematik stellt sich daher die Frage, welchen Einfluss die Bildung bzw. der Bildungsstatus58 auf die familiale Lesesozialisation entfaltet. Ausgehend von empirischen Evidenzen aus der Bildungs- und Schulleistungsforschung werden zunächst Ansätze der schichtspezifischen Sozialisation skizziert, bevor eine Brücke zur engeren Fragestellung geschlagen wird. Bereits in den 1960er und frühen 1970er Jahren beschäftigte sich die Soziologie mit der Frage, inwieweit die soziale Herkunft Bildungschancen vorstrukturiert (vgl. z.B. Blossfeld 1993, 51). Die damit verbundene politische Diskussion über eine Bildungsreform gründete auf dem Nachweis, dass Kinder, die in Familien mit niedrigem Sozialstatus (z.B. Arbeiterfamilien) aufwachsen, unterdurchschnittlich häufig in höheren Bildungseinrichtungen zu finden sind (vgl. Blossfeld 1993, 51). Seit Mitte der 1990er Jahre kann von einer Renaissance eben dieser Fragestellung gesprochen werden (vgl. Krais 1996, 118; auch: Becker 2006, 27ff.)59, obgleich man sich im Zuge der Individualisierungsdebatte zwischenzeitlich – überspitzt formuliert – der „Illusion der Chancengleichheit“ (Bourdieu u. Passeron 1971) hingegeben hatte (vgl. z.B. Büchner 2003, 6f.).60 Mit PISA 2000 hat diese Auseinandersetzung erneut einen verstärkten Auftrieb erfahren und eine kaum überschaubare Anzahl von Veröffentlichungen knüpft an die PISA-Studie 2000 an (vgl. z.B. Fthenakis 2003c; Hansel 2003; Schiefele u.a. 2004; Baumert u.a. 2006).61 Ansätze der schichtspezifischen Sozialisation fragen im Allgemeinen danach, wie und warum sich soziale Ungleichheiten, die sich auf gesellschaftliche Strukturmerkmale (z.B. Bildung) zurückführen lassen, zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppierungen im Zuge des Sozialisationsprozesses reproduzieren (vgl. z.B. Steinkamp 1991, 252; Geulen 57
Funktionale Aspekte, die sich z.B. in Lesegewohnheiten der Eltern niederschlagen und somit die durch die Familie vermittelten „Bildungsinhalte“ im weiteren Sinne tangieren, werden an anderer Stelle ausführlicher behandelt (vgl. Kapitel 3.2). Mit dem Zusammenhang zwischen Bildungsleistungen von Familien und deren Bedeutung für die kulturelle und soziale Teilhabe des Einzelnen wie auch der Gesellschaft befasste sich das DFGProjekt „Familiale Bildungsstrategien als Mehrgenerationenprojekt“ (Kennziffer: 72.005.02p; Laufzeit: 01.2001– 12.2004) (vgl. hierzu z.B.: Brake u. Büchner 2003, 618–638; Büchner 2005, 176–201). 58 Die Begriffe „Bildungsstatus“ und „Bildung der Familie“ werden im Folgenden als Synonyme verwendet. 59 Vgl. hierzu auch das jüngst erschienene erste Jahresgutachten des Aktionsrats Bildung (2007) unter dem Titel „Bildungsgerechtigkeit“. 60 Büchner spricht beispielsweise von einer „Stagnation der Ungleichheitsdebatte“ (2003, 6). Nach Krais (1996, 131) hat sich ein sogenannter „harter Kern“ auch während der 1970er und 1980er Jahre weiterhin mit dem Thema Bildungsungleichheit beschäftigt. 61 Cloer bedient sich einem Ansatz der bildungswissenschaftlichen Biographieforschung, um aktuelle bildungstheoretische Probleme auf alternative Weise zu erschließen. Er bezieht sich auf den im Jahre 2001 erschienenen autobiographischen Roman „Das verborgene Wort“ von Ulla Hahn, die erinnernd-deutend über ihre Sozialisation, Bildung, Enkulturation und (Lese-)Sozialisation in den 1950er Jahren erzählt (vgl. 2005, 153f). Er fragt danach, „ob sich aus der Selbstvergewisserung der Ich-Erzählerin Kategorien des Allgemeinen erschließen lassen, die Befreiungsbewegungen aus solchen familialen Verengungen verstehen lassen“ (Cloer 2005, 155f.). Die Thematik dieses Romans verweist quasi auf ausgeprägte familiale Ungleichheitslagen hinsichtlich der kulturellen Teilhabemöglichkeiten (Bildung) und der vermittelten Weitergabe der kulturellen Bestände (Sozialisation, insbesondere Lesesozialisation) (vgl. ebenda, 151) und steht somit in einem Zusammenhang mit der engeren Fragestellung dieser Dissertation.
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2007, 142ff.). Insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren wurden im deutschsprachigen Forschungsraum Fragestellungen zur schichtspezifischen Sozialisation im Familienumfeld vermehrt diskutiert. Diese Ansätze unterstellen, dass die Familie als zentrale Vermittlungsinstanz den 'Sozialcharakter'62 an die nachwachsende Generation überträgt (vgl. Hurrelmann K. 2002, 173). Dies bedeutete konkret, „dass die durch die ungleiche berufliche […] Bildung beeinflusste Persönlichkeitsstruktur der Eltern in der familialen Interaktion durch bestimmte Erziehungspraktiken an die Kinder weitergegeben und auf diese Weise der soziale Status durch die Sozialisation 'vererbt'“ (ebenda 172) wird. Die Familie wird hier als ein Ort verstanden, wo „grundlegende Einstellungen, Wertorientierungen, Motive, Fähigkeitsprofile, Handlungsdispositionen und -strategien des Kindes entstehen, die [...] die späteren Entwicklungsprozesse deutlich kanalisieren“ (Steinkamp 1991, 258). Im idealtypischen Fall kann von einem „zirkelförmigen“ Verlauf des Sozialisationsprozesses gesprochen werden. Demzufolge habe die Sozialisation durch den Beruf bei Angehörigen niedriger Statusgruppierungen andere Züge des „Sozialcharakters“ geprägt als bei Angehörigen höherer Statusgruppierungen. Nach dieser These würden im Laufe der Sozialisation die typischen Charaktereigenschaften der Eltern an die Kinder weitergegeben. Da die schulische Sozialisation annahmegemäß besser auf die Ausprägungen des sozialen Charakters der mittleren und höheren Statusgruppierungen eingestellt sei63, falle es Kindern aus unteren Statusgruppen schwerer, gute Schulerfolge zu erzielen (vgl. Rolff 1980, 43). Mit der abnehmenden Stellung einer Familie in der Sozialstruktur ist diese demnach kumulativ-häufenden Benachteiligungen unterworfen, die die Sozialisationsprozesse insofern strukturieren, dass Kinder mit abnehmender Wahrscheinlichkeit optimale kognitive, motivationale und sprachliche Kompetenzen entwickeln, die für eine gelingende Sozialisation vorausgesetzt werden. Ferner wird behauptet, dass Individuen bestimmte Kompetenzen brauchen, um weiterführende Bildungsstadien erfolgreich zu durchlaufen (vgl. Steinkamp 1991, 252). Diese Kompetenzen umfassen etwa eine hohe Sprachfertigkeit, inklusive einer entsprechenden Wertschätzung der Sprache. Dieser Gedanke lässt sich auch auf die engere Fragestellung respektive die familiale Lesesozialisation übertragen: Je niedriger die Familie in der gesellschaftlichen Sozialstruktur positioniert ist, desto häufiger sind Kinder hinsichtlich einer gelingenden Lesesozialisation benachteiligt, indem sie beispielsweise weniger Bücher besitzen als Kinder in Familien mit höherem Sozialstatus. In dieser Dissertation wird unterstellt, dass die durch die soziale Herkunft vorstrukturierten ungleichen Bildungschancen insbesondere in der Phase der primären Sozialisation wirken, und dass sich die Einflüsse seitens der Familie im Laufe der „sekundären“ Sozialisation abschwächen (vgl. hierzu: Kapitel 2.1.1).64 Da bislang überwiegend Längsschnittstudien fehlen, konnte die These des „Sozialisationszirkels“ bislang nur unvollständig überprüft werden (vgl. Bertram 1981, 27; 60; Grundmann 1994, 163ff.; Hurrelmann, K. 2002, 174). Ein wesentlicher Teilaspekt, nämlich der Zusammenhang zwischen Berufsbedingungen der Eltern und deren Einfluss auf Wertvorstellungen, auch hinsichtlich der Erziehung bzw. Sozialisation, wurde von Melvin L. 62
Der von Riesman verwendete Terminus bezieht sich auf den „Teil des ‚Charakters’, wie er bestimmten Gruppen gemeinsam ist und der […] das Produkt dieser Gruppen darstellt“ (Riesman 1958, 21). 63 Bereits Lütkens (1959) hat die Schule als „Mittelklasseinstitution“ bezeichnet. 64 In der Literatur finden sich Belege, dass sich selbst in Gruppen mit niedrigem Sozialstatus so genannte „unerwartete“ Leser identifizieren lassen (vgl. bei Köcher 1988, W2298; Fritz 1991, 79; Hurrelmann, u.a. 1993, 299ff.).
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Kohn erstmals untersucht (vgl. Bertram 1981, 33ff.; Hurrelmann, K. 2002, 175). Demnach übernehmen Eltern diejenigen Wertvorstellungen, die sie selbst im Zuge ihrer beruflichen Sozialisation erworben haben. In Familien mit hohem sozialen Status sind dies z.B. überdurchschnittlich häufig Vorstellungen von Autonomie mit der Betonung auf Selbststeuerung, während in Arbeiterfamilien konformistische Wertvorstellungen vorherrschend sind (vgl. Kohn 1959, 344f.; Kohn 1963, 476; Kohn u. Schooler 1983, 11). Obgleich die Arbeiten Kohns vielfach rezipiert wurden (vgl. z.B. bei Neidhardt 1977, 284; Steinkamp 1991, 259ff.) und bis heute allgemein gewürdigt werden (vgl. z.B. Hurrelmann, K. 2002, 175), wird zu Recht kritisiert, dass zwischen berufsbezogenen Wertvorstellungen und Erziehungsprinzipien ein direkter Zusammenhang angenommen wird. Zwar ist die Vermutung einleuchtend, „dass Eltern über ihr Erziehungsverhalten diejenigen Einstellungen und Verhaltensweisen an die Kinder weitergeben, die ihnen in ihrem eigenen Erfahrungshorizont besonders wichtig sind“ (Hurrelmann, K. 2002, 176). Über die Art und Weise der Vermittlungsmechanismen finden sich hingegen keinerlei konkrete Hinweise (vgl. Bertram 1981, 37f.; Hurrelmann, K. 2002, 176).65 Um diese Schwächen zu überwinden, hat Bernstein als einer der ersten Sozialisationstheoretiker eine Typologie von verschiedenen Rollenstrukturen innerhalb der Familie entwickelt (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 176). Im Gegensatz zu anderen Modellen, welche familiale Interaktionsstrukturen abbilden, berücksichtigt er die die Familie umgebende Sozialstruktur (vgl. Bertram 1981, 73). Dies bedeutet, dass „der Zentrier- und Filterprozess, dem die kindliche Erfahrung innerhalb der Familie in großem Maße unterliegt, einen Mikrokosmos innerhalb der makroskopischen Gesellschaftsordnung“ (Bernstein 1973, 262) darstellt. Bernstein hat zwischen „positionalen Familien“ mit einem „geschlossenen“ Kommunikationssystem und „person-orientierten“ Familien mit einem „offenen“ Kommunikationssystem unterschieden. Positionale Familien lassen sich durch eine klare Rollentrennung gemäß Alter und Geschlecht charakterisieren. Der Handlungsspielraum der Rolle gilt als relativ begrenzt, wobei das geschlossene Kommunikationssystem die Bandbreite individueller Wahlmöglichkeiten aus den vorliegenden Alternativen mindert (vgl. Bernstein 1973, 216). In person-orientierten Familien mit einer offenen Kommunikationsstruktur sind Entscheidungen und Beurteilungen eher von den psychischen Qualitäten einer Person abhängig und weniger an den formalen Status einer Person gebunden (vgl. ebenda, 214). Sowohl Eltern als auch Kinder verfügen hier „über einen größeren Rollenspielraum […]. Es entsteht eine verbale Kommunikation besonderer Art. […]. Von einem anderen Blickwinkel lässt sich sagen, daß die Kinder die Eltern ebensosehr ‚sozialisieren’ wie die Eltern die Kinder“ (ebenda, 215).66 Indem er die Verfahren sozialer Kontrolle innerhalb dieser beiden Familientypen analysierte, wollte Bernstein zeigen, dass person-orientierte Familien Kinder schon relativ früh in ihrer sprachlichen Entwicklung fördern, während das Gegenteil in positionalen Familien zu beobachten ist (vgl. Bernstein 1973, 218). Der Umgang mit Sprache hat damit in personorientierten Familien, die häufiger über einen hohen Bildungsstatus verfügen, eine höhere Priorität als in positionalen Familien, die sich eher durch eine geringere Bildung beschrei65
Diese Schwäche hatte Kohn in seinen Ausführungen bereits deutlich gemacht: „It is, moreover, a reasonable supposition, although not a necessary conclusion, that middle- and working-class parents value different characteristics in children because of these differences in their occupational circumstances.” (Kohn 1963, 476) 66 Vgl. hierzu auch den in Kapitel 2.1.3 beschriebenen Familientyp (Abbildung 2).
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ben lassen. Daraus folgt auch, dass Strategien der sozialen Kontrolle, wie etwa Verhandeln und Befehlen, die Sprachentwicklung der Kinder beeinflussen und gleichermaßen eine Brücke zur Entfaltung der kognitiven Fähigkeiten darstellen (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 177). Die für Großbritannien geltenden Erkenntnisse Bernsteins sind auf internationaler Ebene vielfach aufgegriffen worden und haben unter anderem auch die deutsche Forschung zur Lesesozialisation inspiriert.67 Bernsteins Erkenntnisse lassen sich jedoch nur eingeschränkt auf deutsche Verhältnisse übertragen. Im deutschsprachigen Forschungsraum konnten sprachliche Gemeinsamkeiten bei Angehörigen verschiedener Statusgruppen ebenso nachgewiesen werden wie Differenzen innerhalb gleicher Statusgruppen, so dass kaum von eindeutig abgrenzbaren schichtspezifischen Sprechcodes gesprochen werden kann (vgl. Hradil 2001, 452). Die teilweise beobachteten Unterschiede im Umgang mit Sprache zwischen verschiedenen Statusgruppen lassen sich vor allem daran festmachen, dass in höheren Bildungsgruppen im Allgemeinen mehr gesprochen und geschrieben wird sowie komplexere, abstraktere und auf einem größeren Wortschatz basierende Satzkonstruktionen bevorzugt werden, während in Gruppen mit niedriger Bildung tendenziell das Gegenteil der Fall ist (vgl. z.B. Oevermann 1972, 187ff.; Neidhardt 1977, 285). Dies bedeutet, dass bildungsnähere Gruppen Sprache „an sich“ im Allgemeinen höher bewerten als bildungsfernere Gruppen. Forschungen zur Lesesozialisation in der Familie wurden bis Mitte der 1970er Jahre auf Fragestellungen reduziert, die das Leseverhalten von Kindern und Jugendlichen primär in Verbindung mit Merkmalen der sozialen Herkunft zu erklären versuchten (vgl. z.B. Gerlach u.a. 1976; Kirsch 1978). Auch rückblickend auf die vorherigen Ausführungen kann als gesichert angenommen werden, dass Bildung bzw. der Bildungsstatus der Eltern die Lesesozialisation von Kindern positiv beeinflusst und zwar indirekt über die Gewohnheiten der Eltern bzw. deren „Habitus“. Von einem direkt kausalen Zusammenhang zwischen Bildung und Lesesozialisation kann hingegen nach gegenwärtigem Stand der Forschung nicht mehr ausgegangen werden (vgl. hierzu auch: Hurrelmann, B. 2004b, 180f.). Dieser Aspekt soll in Zusammenhang mit der Dimension Zeit wieder aufgegriffen werden (vgl. z.B. Kapitel 3.1.3). Aktuelle Belege eines Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft (inklusive Bildung) und Lesesozialisation finden sich erstens im Bereich der Bildungsforschung. Dass die Lesehäufigkeit der Kinder vergleichsweise stark mit der Bildung der Eltern positiv korreliert, wurde bereits in der Lesestudie der IEA Anfang der 1990er Jahre nachgewiesen (vgl. Lehmann u.a. 1995, 105). Wie bereits in der Einleitung erwähnt, konnte PISA 2000 überdies belegen, dass in keinem anderen Land der OECD die Lesekompetenz so sehr von der sozialen Herkunft abhängig ist wie in Deutschland, ausgedrückt in einem Wert von r = 0.41 (vgl. Baumert u. Schümer 2001, 393). Darüber hinaus wurde ermittelt, dass die soziale Herkunft insgesamt 13 Prozent der Variabilität der Lesekompetenz erklärt (vgl. ebenda, 363). Zweitens finden sich in der empirischen Leseforschung immer wieder 67 Es finden sich Hinweise bei Malte Dahrendorf, dass sich die frühe Lesesozialisationsforschung in der Bundesrepublik Deutschland ab Mitte der 1960er Jahre auf Basis der fortgeschrittenen anglo-amerikanischen Sozialisationstheorie in Verbindung mit der Schichtproblematik sowie den Arbeiten Bernsteins im Bereich der Soziolinguistik entwickelt hat (vgl. Dahrendorf, M. 1980, 143). Auch innerhalb der gegenwärtigen Lesesozialisationsforschung wird nach wie vor vielfach auf Bernstein Bezug genommen (vgl. hierzu: Hurrelmann, B. 2002, 176ff.; Hurrelmann, B. 2004c, 46), ebenso innerhalb der aktuellen Bildungsforschung (z.B. bei Dijkstra u. Peschar 2003, 61; Brake u. Büchner 2005, 630).
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Hinweise auf (bildungs-)schichtspezifische Selektions- und Rezeptionsmuster quer über alle Medien (vgl. Hurrelmann, B. 2004a, 295). Ein relativ starker positiver Zusammenhang zwischen Bildung und Lesen ist in den letzten Jahren insbesondere für das Lesen von Büchern wiederholt nachgewiesen worden, während das Gegenteil für die Fernsehnutzung zutrifft (vgl. z.B. Steinborn u. Franzmann 1980, 164ff.; Van Peer 1991, 544; Bonfadelli u. Fritz 1993, 51ff.; Bonfadelli 1994, 147f.; Tullius 2001, 80; Bucher 2004, 120ff.). In einer für Deutschland (Bevölkerung ab 14 Jahren) repräsentativen Untersuchung der Stiftung Lesen für das Jahr 2000 wurde beispielsweise nachgewiesen, dass gleich nach dem Elternvorbild die Bildung den zweitstärksten Einfluss darauf hat, ob jemand zum Vielleser wird oder nicht (vgl. Tullius 2001, 80).68 Vor diesem Hintergrund lässt sich die Hypothese ableiten, dass die Bildung der Eltern einen positiven Einfluss auf die Lesesozialisation nimmt (Hypothese 1). Operationalisierung: Innerhalb der Lesesozialisationsforschung haben sich nach herkömmlicher Meinung klassische Indikatoren des sozio-ökonomischen Status, wie etwa die Bildung der Eltern, häufiger als valider erwiesen als mehrdimensionale Indikatoren, wie Lebensstil- oder Milieukonzepte. Eine gelingende Lesesozialisation lasse sich, so Groeben, am besten mit der Schulbildung der Eltern vorhersagen (2004b, 165). So konnte nachgewiesen werden, dass „fast alle Wirkungsfaktoren, die das Leseklima in der Familie ausmachen, mehr oder weniger eng mit Bildung verknüpft“ (Hurrelmann, B. u.a. 1993, 69) sind. Vor diesem Hintergrund wird auch im Rahmen dieser Dissertation am Bildungskonzept im definierten Sinne festgehalten. Die Bildung bzw. der Bildungsstatus der Familie wird in dieser Arbeit an der formalen Bildung des Vaters und der Mutter (Schulbildung) gemessen. Damit wird auch der allgemeinen Kritik an herkömmlichen schichttheoretischen Ansätzen begegnet, dass der soziale Status vielfach ausschließlich an Merkmalen des Vaters gemessen wird und die erwerbstätige Mutter in diesen Modellkonzeptionen häufig unberücksichtigt bleibt (vgl. z.B. Steinkamp 1991, 256f.); de facto trägt jedoch in immer mehr Familien auch die Mutter durch ihre Erwerbstätigkeit zur Statuserhaltung der Familie bei. Zur Operationalisierung des sozialen Status der Familie wird nebst Schulbildung häufig die berufliche Stellung (bezogen auf den derzeit ausgeübten Beruf) herangezogen.69 Auf Grundlage der vorliegenden Daten der Zeitbudgeterhebung 2001/02 ist eine Berücksichtigung der beruflichen Stellung insofern problematisch, da bei Nichterwerbstätigen keinerlei Informationen diesbezüglich vorliegen. Dies würde bei Müttern einen Informationsausfall von 20,4 Prozent bedeuten. Als Indikatoren für den Bildungsstatus der Familien werden daher sowohl die Schulbildung der Mutter als auch die Schulbildung des Vaters herangezogen. Die Variable „Schulbildung“ liegt jeweils in den drei Kategorien „niedrige Schulbildung“ (Hauptschulabschluss = 1), „mittlere Schulbildung“ (Realschulabschluss/mittlere Reife = 2) und „hohe Schulbildung“ (Fachabitur/Abitur = 3) vor. Die Bildung wurde ermittelt, indem ein Durchschnittswert über die Schulbildung der Mutter und
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In die Analysen sind folgende unabhängige Variablen eingegangen: Lesesozialisation, Buchbesitz der Eltern, Lesevorbild der Eltern, durchschnittliche Nutzungsdauer des Fernsehens, Lebensphasen, Geschlecht, Alter, Haushaltsnettoeinkommen, Berufstätigkeit, formale Bildung, Ortsgrößenklassen (vgl. Tullius 2001, 79). 69 Beispielweise hat Gattermaier (2003, 42f.) den sozialen Status einer Familie durch Indexbildung über diese beiden Kriterien ermittelt, indem er im ersten Schritt für den Bildungsabschluss und die berufliche Position Punkte vergeben hat, diese im zweiten Schritt für Vater und Mutter addiert und im dritten Schritt durch zwei dividiert hat. Diese Werte hat er zu Kategorien zusammengefasst und den Schülern zugewiesen.
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des Vaters berechnet wurde. Den drei Bildungskategorien wurden folgende Werte zugewiesen: niedrige Bildung: 1; 1,5, mittlere Bildung: 2; 2,5 und hohe Bildung: 3.70 Dieser Vorgehensweise unterliegen zwei vereinfachende Annahmen: In Anlehnung an ressourcentheoretische Überlegungen wird Bildung analog zum Einkommen zum einen als eine sich aus der Bildung beider Eltern konstituierende „Familienressource“ verstanden. Ein mittlerer Bildungsstatus lässt sich beispielsweise als Summe eines niedrigen Bildungsabschlusses des Vaters und eines hohen Bildungsabschlusses der Mutter ermitteln. Im Falle von strukturell bedingten „Bildungsasymmetrien“ zwischen Vater und Mutter wird zum anderen angenommen, dass sich diese im Zeitverlauf tendenziell angleichen. Hier wird eine Zeitspanne unterstellt, die vom Beginn der Partnerschaftsbeziehung bis zur Geburt des ersten Kindes reicht. In der Literatur finden sich Hinweise darauf, dass das Leseverhalten in späteren Lebensphasen erheblich durch den Partner mitbeeinflusst wird (vgl. z.B. Gilges 1992, 100f.). Ein wenig lesender Vater mit niedriger Bildung mag durch die Gewohnheiten seiner viel lesenden Partnerin mit hoher Bildung „nachträglich“ zum Leser sozialisiert werden. In der aktuelleren Literatur zum Partnerwahlverhalten finden sich unterdessen Belege dafür, dass sich Partner in der Regel höchstens um eine Bildungsstufe voneinander unterscheiden und nur in seltenen Fällen ein Gefälle von zwei Bildungsstufen vorliegt. Auf Basis von Mikrozensusdaten konnte Wirth zeigen, dass von allen zwischen 1958 und 1965 geschlossenen Ehen in Deutschland 48,2 Prozent so genannte bildungshomogene Ehen sind. Von den verbleibenden 51,8 Prozent der Ehen unterscheiden sich in 39,2 Prozent der Fälle die Partner um eine Bildungsstufe (vgl. Wirth 1996, 383).71 Diese Tendenz lässt sich mit den vorliegenden Daten der Zeitbudgeterhebung 2001/02 ebenfalls bestätigen. In nur 7,9 Prozent der Familien unterscheiden sich die Eltern um zwei Bildungsstufen, während in 50,7 Prozent der Familien die formale Bildung der Elternpaare übereinstimmt („Bildungssymmetrie“). In 41,4 Prozent der Familien unterscheiden sich die Elternpaare um eine Bildungsstufe („moderate Bildungsasymmetrie“). Vor diesem Hintergrund lässt sich die Familie nach wie vor als ein „Ort der Stabilisierung sozialer Ungleichheit“ (Eggen u. Leschhorn 2004, 8) bezeichnen. Plakativ formuliert: „The weak bundle together with the weak, the strong with the strong.“ (Esping-Andersen 2002, 32) Obgleich Gewohnheiten der Mediennutzung nach wie vor bildungsabhängig sind, ist der Bildungsstatus im herkömmlichen Sinne nur ein grober Indikator, um die internen Merkmale einer Familie im Sinne eines Interaktionsgefüges zu beschreiben (vgl. Hurrelmann, B. 1990, 192).72 Fritz stellte bereits zu Beginn der 1990er Jahre fest, dass sich insbesondere bei Jüngeren der Zusammenhang zwischen Lesen und Bildung gelockert habe. Bildung sei zwar nach wie vor eine notwendige, aber immer weniger eine 70 Durch die Berechnung dieses Indikators können Verzerrungen in der Stichprobe gegenüber der Grundgesamtheit hinsichtlich des hohen Bildungsabschlusses, welche sich durch Gewichtung der Daten nur teilweise ausgleichen lassen, weitgehend rückgängig gemacht werden. Einer Familie, in der die Mutter etwa über einen Realschulabschluss (mittlere Bildung: 2) und der Vater über einen Hauptschulabschluss (niedrige Bildung: 1) verfügen, wird die Kategorie „niedrige Bildung“ zugewiesen, da der Bildungsindex, der sich aus der Schulbildung von Vater und Mutter zusammensetzt, 1,5 ergibt. Der höchste Wert wurde derjenigen Familie zugewiesen, in der beide Eltern Fachabitur oder Abitur besitzen. 71 Ein ähnliches Ergebnis wurde sieben Jahre später für Baden-Würtemberg repliziert. Demnach weisen 62 Prozent aller Paare mit Kindern den gleichen Bildungsabschluss auf, während nur sieben Prozent der Partner sich in zwei oder drei Bildungsstufen unterscheiden (vgl. Eggen u. Leschhorn 2004, 8). 72 Schon 1932 hat Geiger vor einer solchen Einteilung gewarnt, weil mit ihr „erhebliche qualitative Unterschiede [...] eingeebnet und vergewaltigt werden“ (Geiger 1932/1987, 18).
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hinreichende Voraussetzung für habituelles Lesen (vgl. 1991, 38f.; vgl. auch: Schön 1998a, 55).73 Ein immer breiteres Freizeit- und Medienangebot, das mit gedruckten Medien (z.B. Büchern) um das Zeitbudget der heutigen Kinder und Jugendlichen konkurriert, ist eine mögliche Erklärung. Ergänzt werden die vorliegenden Argumente zur Bildungsdimension im Folgenden durch Überlegungen, welche die „Zeit“ als vertikale Dimension sozialer Ungleichheit explizit berücksichtigen. 3.1.2 Zeit „Die Zeit ist unendlich lang und ein jeder Tag ein Gefäß, in das sich sehr viel eingießen lässt, wenn man es wirklich ausfüllen will.“ (Johann W. Von Goethe 1812/1998, 375)
Der französische Autor Daniel Pennac stellt in seinem Buch „Wie ein Roman“ die rhetorische Frage, bei welchem Bereich seiner Zeiteinteilung er denn diese Stunde Lesen abzweigen solle (vgl. Pennac 2004, 137) und gibt sogleich die folgende Antwort: „Sobald sich die Frage nach der Zeit zum Lesen stellt, heißt das, daß die Lust fehlt. Denn genau genommen hat niemand Zeit zum Lesen. Weder die Kinder noch die Jugendlichen, noch die Erwachsenen. Das Leben hindert ständig am Lesen.“ (Ebenda, 137) Die folgenden Ausführungen sind mit der Frage befasst, wie die Zeit im Sinne einer „knappen Ressource“ die Lesesozialisation beeinflusst. Einerseits finden sich Hinweise, die der Auffassung widersprechen, dass ein größeres Freizeitbudget mit einer längeren Lesedauer und einer höheren Lesehäufigkeit einhergeht. Die soeben zitierte Studie der Stiftung Lesen konnte beispielsweise nachweisen, dass Vielleser mit 311 Minuten im Durchschnitt rund über eine Stunde weniger Freizeit pro Tag verfügen als Kaumleser (M = 370 Minuten) (vgl. Tullius 2001, 62f.).74 Andererseits finden sich aber auch Indizien dafür, dass zeitliche Restriktionen Lesedauer und -häufigkeit beeinträchtigen. Köcher konnte in ihrer Studie „Lesekarrieren – Kontinuität und Brüche“ zeigen, dass „kontinuierliche Leser“ und „Rückkehrer“ insgesamt mehr Zeit am Tag zur freien Verfügung haben als „Abbrecher“ (vgl. 1993, 217). Abbrecher hätten im Gegensatz zu kontinuierlichen Lesern und Rückkehrern seltener die Gelegenheit, „freie Zeit autonom zu gestalten. […] Sie sind überdurchschnittlich in soziale Kontakte eingebunden und teilweise auch erkennbar durch die Anforderungen ihres privaten Umfeldes überfordert“ (Köcher 1993, 217). Zu einem ähnlichen Befund kommt Kübler im Rahmen einer Sekundäranalyse, indem er feststellt: „Enorme Belastungen in Familie und Beruf können etwa das Lesen einschränken oder ganz blockieren.“ (1995, 194) Ausgehend von diesen kontroversen Befunden und in Bezug auf den öffentlichen Diskurs über eine zunehmende „Verknappung der Zeit“, insbesondere im familialen Umfeld 73
Beispielsweise kritisieren Grundmann u.a. (2003), dass ein solcher Bildungsbegriff außerschulische Aspekte der Bildung, die etwa im Zuge der Sozialisation in der Familie erworben werden, automatisch ausblenden würde (vgl. 27). Hierzu: „Die häufig anzutreffende Gleichsetzung von Bildung und erworbenen Bildungspatenten, die auf Grundlage standardisierter Bildungsinhalte erworben werden, verfehlt diejeningen Momente von Bildung, die quer zu den in der Schule vermittelten Bildungsformen und -inhalten liegen. Insofern ist der Bildungsbegriff aus seiner institutionellen Verankerung zu entgrenzen.“ (Ebenda 2003, 27) Im Rahmen dieser Arbeit werden solche Aspekte, z.B. mit den Lesegewohnheiten der Familienmitglieder, zumindest teilweise abgebildet. 74 Aus diesen Daten geht allerdings nicht hervor, ob ausschließlich in der Freizeit gelesen wurde oder nicht (vgl. Tullius 2001, 62f.).
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(vgl. Kapitel 2.3.1.1), ergibt sich die Notwendigkeit, die Zeit als Dimension der Lesesozialisation explizit zu berücksichtigen. Zeit kann nicht länger als eine selbstverständliche und beliebig manipulierbare Größe im Rahmen einer Abhandlung von ungleichen (Bildungs-)Chancen in der Familie vernachlässigt werden, sondern „must [..] be dislodged from is taken-for-granted hold on our lives. Because time is pervasive in all activity and embedded in the normalcy of everyday lives, it is infrequently scrutinized as a problematic force. […] time is becoming more problematic as family members work more, have less free time, and overall feel the speedup of work and family life.” (Daly 1996, 15) Innerhalb der soziologischen Forschung wurde die Zeitdimension lange vernachlässigt (vgl. Lüscher 1974; Balla 1978, 29)75, da sie als gesellschaftlich neutrale, naturgegebene Kategorie das soziale Geschehen vielmehr unauffällig begleitet (vgl. auch: Schöps 1980, 7).76 Erst seit Anfang der 1980er Jahre findet sie auch im Sinne einer Ressource oder Dimension sozialer Ungleichheit verstärkt Aufmerksamkeit, so auch innerhalb der Soziologie (vgl. z.B. Schöps 1980; Zerubavel 1981, xi; Bergmann 1983 462f.). Mittlerweile existiert insbesondere im anglo-amerikanischen Forschungsraum eine Vielzahl von Arbeiten, die die Zeit als Dimension sozialer Ungleichheit auch im Kontext der Familie analysieren.77 Jacobs und Gerson (2004) sprechen etwa von „Time Divides“ und Hochschild (1987) von „Time Binds“.78 Auch im deutschsprachigen Raum stoßen Fragestellungen dieser Art auf eine hohe Resonanz innerhalb der aktuellen Familienforschung (vgl. z.B. Bertram 1997; Mischau u. Oechsle 2005; Jurczyk u. Lange 2006). Im Gegensatz zu Geld lässt sich die Zeit als eine nicht-erneuerbare Ressource begreifen. Mit anderen Worten: „Unlike money […] the overall supply of time cannot be expanded. […] When time squeezes arise, it is not possible to create more time.” (Jacobs u. Gerson 2004, 2) Der Begriff der Zeitknappheit79 bezieht sich etwa in Anlehnung an Balla auf die „Defizite zwischen der zur Befriedigung von Bedürfnissen, zur Verwirklichung von angestrebten Zielen erforderlichen Zeit einerseits, und der jeweils tatsächlich verfügbaren Zeit andererseits“ (Balla 1978, 26 [kursiv im Original]). Des Weiteren heißt es bei Heinemann u. Ludes: „Nur eine begrenzte Zahl von Ereignissen und Handlungen ist innerhalb eines Zeitraumes möglich; je mehr objektiv möglich und erwartbar wird, um so weniger ist relativ in der zur Verfügung stehenden Zeit unterzubringen, um so stärker wird das Bewusstsein knapper Zeit.“ (Heinemann u. Ludes 1988, 226)
75 Abgesehen wird an dieser Stelle von einer näheren Ausführung über die ersten theoretischen Grundlagen über das Konzept der sozialen Zeit, wie es von Durkheim (1912/1968), Sorokin u. Merton (1937) und Gurvich (1964) formuliert wurde. 76 So heißt es bei Zerubavel: „While time is definitely one of the most central dimensions of the social world, it has so far been relatively neglected by sociologists, who have dealt with it […] only as an aspect of other phenomena, such as social change or leisure, and hardly ever as a topic of its own right.“ (1981, ix) 77 Im Jahre 1970 wurde die „International Association for Time-Use Research“ gegründet. Auf den im jährlichen Turnus stattfindenden Jahrestreffen werden aktuelle Beiträge zur Zeitbudgetforschung diskutiert. 78 Verwandte Begrifflichkeiten sind z.B. „time famine“, „time scarcity“, „time poverty“, „hurry sickness“ usw. (Daly 2001b, 4). Innerhalb des skandinavischen Forschungsraumes, so etwa in Norwegen, spricht Ellingsæter (2005) von „tidsklemme“ (dt.: Zeitklemme; [eigene Übersetzung]) als „Metapher für unsere Zeit“ und Kitterød (1999) von „tidspress“ (dt.: Zeitdruck; [eigene Übersetzung]). 79 Auch Bell (1976) spricht von „Zeitkosten“ (353).
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Dieses Verständnis resultiert damit nicht bereits aus der objektiven Begrenztheit von Zeit. Ob Zeit schließlich als knapp wahrgenommen bzw. erlebt wird, hängt unterdessen auch stark von soziokulturellen Rahmenbedingungen ab (vgl. Hahn 1983, 125). Aufgrund ihres relativ begrenzten Möglichkeitsspektrums nehmen Bewohner armer Länder Zeit in der Regel als weniger knapp wahr als Bewohner wohlhabender Länder. Überdies dürften sich innerhalb eines Landes etwa Angehörige verschiedener Bildungsgruppen bezüglich ihrer Zeitwahrnehmung unterscheiden. Denkbar ist überdies, dass Eltern vergleichsweise hohe Anforderungen an die Bildung und Erziehung ihrer Kinder herantragen - verbunden mit einem entsprechenden Zeitaufwand - und sie dabei (zumindest in relativer Hinsicht) gleichzeitig einem immer knapperen Zeitvorrat gegenüberstehen, was in einen Teufelskreis mündet. Ein Zusammenhang existiert beispielsweise auch zwischen der Knappheit der Zeit und der Knappheit sozialer Beziehungen, da alle Interaktionsbeziehungen bereits „ein Wirtschaften mit der Zeit [implizieren]. Jede menschliche Interkommunikation verlangt einerseits zeitliche Opfer und zwingt andererseits zur Durchsetzung von Prioritäten gegenüber anderen Zwecksetzungen bzw. Sozialbeziehungen.“ (Balla 1978, 28) Mit Blick auf die engere Fragestellung ist anzunehmen, dass eine positive Beziehung zwischen „frei disponibler Zeit“ der Eltern und deren Beitrag zur Lesesozialisation besteht. Sowohl das Vorlesen und die Anschlusskommunikation über das Gelesene als auch das Modellverhalten der Eltern kosten Zeit und finden in der Zeit statt. Gleichzeitig ist damit immer eine Entscheidung zuungunsten weiterer Alternativen der Zeitverwendung (in der Freizeit) verbunden. Zeit und Familie lassen sich generell auf verschiedenen Ebenen miteinander verknüpfen. Zunächst benötigen Familien Zeit, um überhaupt als Familie existent zu sein bzw. sich als Gruppe zu erleben. Gemeinsame Zeit bzw. zumindest partielle „co-presence“ (Giddens 1988, 257) lässt sich somit als Grundbedingung des Familienlebens benennen (vgl. BMFSFJ 2005, 363; Büchner 2005, 196). Kinder, deren Eltern „für sie keine Zeit mehr haben, werden ebenso wenig mit kulturellen Mustern einer Gesellschaft vertraut gemacht werden, wie Kinder, deren Eltern bei der Wertvermittlung ein hohes Maß an Beliebigkeit zeigen, oder aber auch nur eine geringere Bereitschaft aufweisen, mit ihren Kindern dauerhaft stabile Beziehungen aufzubauen“ (Bertram u. Hennig 1995, 93). Übertragen auf die engere Thematik bedeutet dies, dass Kinder bezüglich ihrer Lesesozialisation dann im Vorteil sind, wenn ihre Eltern (oder andere enge Bezugspersonen) vergleichsweise viel Zeit mit ihnen verbringen, indem sie sie mit kulturellen Mustern, wie Sprache und Lesen, erstmalig vertraut machen. Des Weiteren ist das Familienleben zeitlich strukturiert. Als zentrales Medium strukturiert Zeit Aktivitäten, wie beispielsweise Hausarbeit, Erwerbsarbeitszeit, Kinderbetreuung und Lesen. Ferner sind Familien in multiple und vielfach im Widerspruch zueinander stehende gesellschaftliche Teilsysteme (z.B. die Erwerbsarbeitszeiten, Schulzeiten) eingebettet, die einen mehr oder weniger direkten Einfluss auf das Familienleben ausüben (vgl. BMFSFJ 2005, 363; Jurczyk u.a. 2005, 26): Wie viel „Zeit Erwachsene in der Familie für die Arbeit an und mit Kindern einsetzen, ist davon abhängig, welche Ansprüche die (übrige) Arbeitswelt an ihre Zeit stellt“ (Zeiher 2005, 202). Darüber hinaus wird eine gewisse zeitliche Flexibilität vorausgesetzt. Damit Eltern beispielsweise überhaupt als Modell wahrgenommen werden, müssen sie quasi „zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort“ sein.
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In Bezug auf die Untersuchungspopulation wird angenommen, dass neue Formen des Lesens, wie etwa „Lesezapping“, „Portionslektüre“ (Franzmann 2001) oder auch das Lesen im Sinne einer Parallelaktivität, welche sich als Spuren einer zunehmenden „Beschleunigung“ (vgl. z.B. Rosa 2005) deuten lassen, im Rahmen der Lesesozialisation der hier betrachteten Kinder noch keine wesentliche Rolle gespielt haben. Allerdings konnten Forschungen bereits Ende der 1980er Jahre belegen, dass viele Eltern deswegen Schwierigkeiten mit dem Vorlesen haben, da sie vom Gefühl des Zeitmangels betroffen sind und es ihnen an Entspanntheit fehlt (vgl. Hurrelmann, B. u.a. 1988, 189).80 Das „Problem der Zeit“ im Rahmen der Lesesozialisation scheint somit nichts grundlegend Neues zu sein, beansprucht derzeit jedoch insgesamt eine höhere Aufmerksamkeit innerhalb der Forschung als dies bislang geschehen ist. Aus diesen Ausführungen lässt sich die Hypothese ableiten, dass zeitliche Restriktionen die Lesegewohnheiten (der Eltern) und damit gleichzeitig auch die Lesesozialisation (der Kinder) negativ beeinflussen. Familien, die sich durch einen größeren Zeitmangel beschreiben lassen als „zeitreichere Familien“, haben demnach ceteris paribus weniger Zeit zum Lesen zur Verfügung als Letztgenannte. Ferner ist anzunehmen, dass sich Familien in ihren Zeitressourcen und -routinen an Werk- und Wochenendtagen voneinander unterscheiden. Allgemein sind an Wochenenden Dispositionsspielräume der Freizeit gewöhnlich größer als an Werktagen (vgl. Lüdtke 2000, 149). Selbst vor dem Hintergrund einer zunehmenden Auflösung der Trennung zwischen Arbeit und Freizeit und einer wachsenden zeitlichen Flexibilisierung (vgl. Kapitel 2.3.1.1) gilt nach wie vor als gesichert, dass ein Großteil der Bevölkerung am Wochenende weniger Zeit mit Erwerbstätigkeit verbringt als an Werktagen, obgleich sich bei bestimmten Berufsgruppen (z.B. Selbständige) Ausnahmen finden lassen. Überprüft werden soll darüber hinaus die Forschungshypothese, dass an Wochenendtagen in Familien andere Rahmenbedingungen der Lesesozialisation vorliegen als an Werktagen. Es ist anzunehmen, dass an Werktagen im Allgemeinen weniger Zeit mit Lesen verbracht wird als am Wochenende, da es an Werktagen häufiger an der dafür notwendigen Zeit bzw. „Muße“ fehlt. Operationalisierung: Die Zeitdimension wird innerhalb dieser Untersuchung an mehreren Indikatoren festgemacht. Die Lesesozialisation in der Familie wird einerseits durch die Erwerbsarbeitszeiten der Eltern indirekt beeinflusst, da Eltern in der Regel währenddessen nicht präsent sind. Die Erwerbsarbeitszeit der Eltern sowie deren Erwerbstätigenstatus werden als „grobe“ Indikator herangezogen, um die äußeren und objektiven Zeitrestriktionen der Familie zu erfassen. Andererseits wirken sich Wochentag sowie Tageszeit auf die Zeitverwendung der Familienmitglieder aus. Zum einen wird eine Differenzierung nach Werk- und Wochenendtagen vorgenommen, zum anderen werden einzelne Tagesabschnitte analysiert (vgl. so ähnlich auch Huysmans 2001). Dazu werden die Kategorien „vor der Arbeit/Schule“ (6 bis 8 Uhr), „während der Kernarbeitszeit/Schulzeit“ (8 bis 14 Uhr), „Nachmittag/früher Abend“ (14 bis 20 Uhr“), „Abend/Nacht“ (20 bis 4 Uhr81) vorgenommen82, um die Zeitdimension um einen „qualitativen“ Aspekt zu ergänzen. 80
Hier wird auf die subjektive Dimension der Zeit, nämlich die Wahrnehmung von Zeit durch den Einzelnen hingedeutet. Aus Gründen der Komplexitätsreduktion wird in dieser Arbeit weitgehend von subjektiven Dimensionen der Zeit abstrahiert. 81 Der Anteil derjenigen, die nach Mitternacht noch lesen oder fernsehen, ist allerdings sehr gering. 82 Eine ähnliche Einteilung wurde im Rahmen der europäischen Studie „Children and their Changing Media Environment“ mit Blick auf die Fernsehnutzung vorgenommen (vgl. Krotz u.a. 1999, 50). Aus
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3.1.3 Bildung und Zeit im Spiegel „neuerer“ Chancenungleichheiten Anknüpfend an die bisherigen Ausführungen sollen nachfolgend die beiden externen Dimensionen der Lesesozialisation Bildung und Zeit simultan betrachtet werden. Ziel ist es zu erläutern, ob und inwiefern sich auf diese Weise bisherige Bildungsunterschiede der Lesesozialisation weiter spezifizieren lassen. Als Ausgangspunkt fungiert das Konzept des sozialen Kapitals, das insbesondere in der empirischen Bildungsforschung breite Anwendung gefunden hat, so etwa im Rahmen der PISA-Studie (vgl. Baumert u. Schümer 2001, 330). Coleman definiert soziales Kapital „by its function. It is […] a variety of different entities, with two elements in common: they all consist of some aspect of social structure, and they facilitate certain actions of actors […] social capital is productive, making possible the achievement of certain ends that in its absence would not be possible.” (1988, 98) Als solche Entitäten lassen sich im vorliegenden Falle Bildung und Zeit begreifen, die die Lesesozialisation auf indirekte Weise beeinflussen. Hierzu Brake u. Büchner: „Bildung verstanden als Aneignungsprozess von kulturellem Kapital, ist akkumulierte Arbeit, die einen Verinnerlichungsprozess voraussetzt und Zeit benötigt. Insofern kommt gerade der Familie als, biografisch gesehen, erstem und wesentlichen Ort, an dem die sozialen Gebrauchsweisen von Zeit eingeübt werden, große Bedeutung zu.“ (2003, 628)
Sowohl die Bildung als auch der individuelle Zeitvorrat schlagen sich indirekt in den Gewohnheiten des Lesens und des Fernsehgebrauchs sowie den Interaktions- oder Vorleseritualen der Familie am Abend nieder. Die Geschlossenheit eines sozialen Netzwerkes, wie beispielsweise das Netzwerk der Familie, erleichtert es soziales Kapital anzuhäufen. Mit dieser „intergenerational closure“ (Coleman 1988, 106) ist ein nachhaltiger Effekt verbunden, „human capital“83 in der nachfolgenden Generation zu bilden (vgl. ebenda, 109), mit anderen Worten, die nachfolgende Generation zu bilden. Von dem höchst umstrittenen Begriff des „human capital” wird in dieser Untersuchung weiterhin abstrahiert und statt dessen am Bildungsbegriff festgehalten, „approximately measured by parents’ education and [which] provides the potential for a cognitive environment for the child that aids learning“ (ebenda, 109). Es wird grundsätzlich unterstellt, dass Sozialisationseinflüsse seitens der Eltern nur dann von Kindern aufgenommen, verarbeitet und in Gewohnheiten umgesetzt werden, wenn Eltern und Kinder Zeit miteinander verbringen. Ein Mangel an Familienzeit lässt sich demnach durch hohe Bildung der Eltern kaum kompensieren: „[A] child may have a talented and highly educated parent […], but interactions with that parent are needed to convey encouragement and expectations.” (Bianchi u. Robinson 1997, 333) Das soziale Kapital der Familie in Form von gemeinsam verbrachter Zeit stellt demnach das Bindeglied zwischen Eltern und Kindern dar (vgl. Coleman 1988, 110). Übertragen auf die engere Fragestellung ist es auch die „gemeinsame“ Zeit, welche Eltern und Kinder im Rahmen der Lesesozialisation miteinander verbindet.84 sprachökonomischen Gründen werden die letztgenannten Intervalle im Folgenden auch als Nachmittags- und Abendintervall bezeichnet. 83 Im Jahre 2004 wurde das Wort „Humankapital“ zum Unwort des Jahres benannt (vgl. www.unwortdesjahres.org/ 2004.html, Abruf am 25.5.2007). 84 Coleman veranschaulicht das Konzept des „social capital“ am Beispiel des englischen Nationalökonomen John Stuart Mill (1806–1873), der bereits im Vorschulalter von seinem Vater in Latein und Griechisch unterrichtet
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Wie bereits im zweiten Kapitel dargelegt wurde, haben sich die Ansprüche der Eltern an eine gelingende Sozialisation und (Aus-)Bildung der Kinder in den letzten Jahren tendenziell erhöht, während sich das potenzielle, der Familie zur Verfügung stehende Zeitbudget eher verringert hat. Zeitknappheit kann sozial Benachteiligte und Bessergestellte gleichermaßen betreffen (vgl. Balla 1978, 28). In diesem Zusammenhang lassen sich soziale Gruppierungen, wie „Zeitarme/Einkommensreiche“ („time-poor/income-rich“) und „Zeitreiche/Einkommensarme“ („time-rich/income-poor“) gegenüberstellen. Hier lassen sich Gruppierungen, wie Angehörige des oberen Managements, höhere Beamte und Freiberufler auf der einen Seite und einfache Angestellte oder Beschäftigte in prekären Arbeitsverhältnissen auf der anderen Seite als Beispiele benennen (vgl. z.B. Bonke u.a. 2004; Jäckel u. Wollscheid 2007a, 86ff.). Insbesondere die Gruppe der Zeitarmen und Einkommensreichen („the time-poor/income-rich“) wird in der aktuelleren Forschung häufig thematisiert (vgl. Hochschild 1987; Sullivan u. Gershuny, 2004). Als horizontale Dimension sozialer Ungleichheit liegt die Zeit quer zur Bildungsdimension. Sowohl Familien mit hoher Bildung als auch Familien mit niedriger Bildung lassen sich somit auf einem Kontinuum zwischen den beiden Polen „Zeitwohlstand“ und „Zeitarmut“ ansiedeln. Zeitwohlstand und -armut werden im Zuge dessen stets relativ begriffen, indem die verbleibende Freizeit zur Erwerbszeit in Beziehung gesetzt wird. Es ist anzunehmen, dass eine höhere Komplexität interner und externer Sozialbeziehungen dazu führt, dass zeitliche Zwänge bei Gruppierungen mit einem höheren Status an Bedeutung gewinnen (vgl. Balla 1978, 28; Zeiher 2005, 207). Häufig sind es gerade Eltern mit hoher Bildung und höherem Einkommen, deren Zeit von der Erwerbsarbeitssphäre in hohem Maße „beansprucht“ wird, und die daher als „zeitarm“ gelten, während sie gleichzeitig einem vergleichsweise hohen Erwartungsdruck bezüglich der elterlichen Sorgearbeit unterliegen.85 Gleichzeitig finden sich auch Hinweise darauf, dass sowohl Männer als auch Frauen mit zunehmender Bildung weniger Zeit für Hausarbeit aufwenden als Frauen und Männer niedrigerer Bildungsgruppen (vgl. z.B. Bertram u. Hennig 1995, 106). Es ist zu vermuten, dass Mütter und Väter mit höherem Bildungsstatus im Gegenzug mehr Zeit mit Kindern und weniger Zeit mit Hausarbeit verbringen als Eltern mit geringerem Bildungsstatus. Indem Bildung und Zeit gleichzeitig analysiert werden, sollen bisherige Bildungsungleichheiten im Rahmen der Lesesozialisation näher spezifiziert werden. Dieser Gedanke wird in Abbildung 5 nochmals näher veranschaulicht. Im ersten Fall lässt sich die Familie durch eine hohe Bildung bei gleichzeitig starken zeitlichen Restriktionen beschreiben. Als Beispiel lassen sich so genannte „double-career-couples“ mit kleinen Kindern benennen („hohe Bildung/wenig Zeit“). Zweitens lassen sich Familien typisieren, die sich zwar durch einen überdurchschnittlich hohen Bildungsstatus charakterisieren lassen, die aber gleichsam wurde. Er habe wahrscheinlich keine besonderen genetischen Prädispositionen gehabt und die Bildungsaktivitäten seines Vaters seien sicherlich nicht extensiver als diejenigen von einigen seiner Zeitgenossen gewesen (Coleman 1988, 109). Grundlegend seien „the time and the effort spent by the father with the child on intellectual matters“ gewesen (ebenda, 110). Mit diesen Beispielen wollte Coleman offenbar die Bedeutung des „sozialen Kapitals“ innerhalb einer Familie für die intellektuelle Entwicklung des Kindes illustrieren. Dieser Gedanke lässt sich uneingeschränkt auf die Lesesozialisation des Kindes in der Familie übertragen. 85 Dies lässt sich auch mit folgenden Worten treffend beschreiben: „In Deutschland finden sich [..] Eltern heute im Konflikt zwischen dem Wunsch und der Notwendigkeit, erwerbstätig zu sein, den hohen Ansprüchen an die Zeit, die sie meinen, für ihr[e] Kinder aufbringen zu müssen […]. Einer geringeren Zeitmenge für elterliche Sorgearbeit steht ein erhöhter Bedarf an elterlicher Sorgezeit gegenüber; heutige Eltern haben im Vergleich zu früheren Generationen weniger Zeit für ihre Kinder, obwohl sie mehr Zeit brauchen.“ (Zeiher 2005, 207)
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auch über mehr Zeit verfügen. In diesen Familien mögen fehlende institutionelle Rahmenbedingungen (z.B. mangelnde Betreuungsmöglichkeiten) oder auch finanzielle Begünstigungen (z.B. Ehegattensplitting) die „traditionell vorherrschende“ Rollenaufteilung weiterhin begünstigen; ferner ist es vorstellbar, dass sich Elternpaare gemeinsam eine Vollzeitstelle teilen („hohe Bildung/viel Zeit“). Im dritten Fall unterscheiden sich Familien hinsichtlich der Bildungsdimension vom zweiten Familientyp: Das Bildungsniveau ist niedrig, während relativ viel Zeit vorhanden ist. Im ungünstigsten Fall lassen sich Familien sowohl durch niedrige Bildung als auch durch wenig Zeit beschreiben. Abbildung 5:
Bildung und Zeit als Dimensionen der Lesesozialisation Bildung
+
hohe Bildung/ wenig Zeit
hohe Bildung/ viel Zeit
+
-
Zeit niedrige Bildung/ viel Zeit
niedrige Bildung/ wenig Zeit
Quelle: Eigene Erstellung.
Anzumerken gilt, dass es sich hierbei lediglich um eine Modellvorstellung handelt, die von der in der Realität vorliegenden Vielfalt an Familienkonstellationen abstrahiert. Das theoretische Konzept von Coleman ist insofern von Relevanz, weil darin gleichzeitig Bildung („Human Capital“) und Zeit („Social Capital“) in Erwägung gezogen werden, um die „Leistungen“ („Outcomes“), etwa Lesekompetenz, von Kindern zu erklären. Soziales Kapital, das Kindern den Zugang zu Bildungsressourcen der Familie erlaubt, hängt jedoch nicht ausschließlich von der physischen und zeitlichen Präsenz der Eltern ab, sondern vielmehr auch von deren Aufmerksamkeitszuwendung (vgl. Coleman 1988, 111). Beispielsweise sind Bianchi und Robinson in ihren Studien über die Zeitverwendung von Kindern in den USA zu dem Schluss gekommen, dass „it may be mothers who achieve a balance between working outside the home and spending time with their children who are most successful at steering their children toward productive use of their time” (1997, 342). Im Rahmen einer Sekundäranalyse mit Daten der PISA-Studie 2000 finden sich darüber hinaus keinerlei Hinweise darauf, dass die Erwerbstätigkeit der Mutter die Bildungschancen der Kinder mindert bzw. sich negativ auf deren Lesekompetenz auswirkt (vgl. Tillmann u. Meier 2004, 398). Teilweise lässt sich sogar ein gegenteiliger Zusammenhang beobachten. In den alten Bundesländern haben diejenigen Schüler die besten Leseleistungen erreicht,
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deren Mütter in Teilzeit erwerbstätig waren (vgl. Tillmann u. Meier 2004, 398). Die Ursachen lassen sich weniger mit dem Erwerbstätigenstatus der Mutter in Verbindung bringen, sondern liegen primär im familialen Gesamtkonzept begründet. Von den untersuchten vollzeiterwerbstätigen Müttern weisen beispielsweise sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern 30 Prozent eine Hochschulreife auf, während in den neuen Ländern nur 16 Prozent der Nichterwerbstätigen und in den alten Ländern nur acht Prozent der Nichterwerbstätigen über diesen Bildungsabschluss verfügen (vgl. ebenda, 399). Der Bildungseffekt mag in diesen Fällen eine stärkere Wirkung entfalten als der Zeiteffekt. Darüber hinaus finden sich in der Literatur unter anderem Hinweise darauf, dass Mütter mit „moderaten Zeitrestriktionen“, d.h. teilzeitbeschäftigte Mütter, hinsichtlich ihrer Lebenszufriedenheit am höchsten rangieren (vgl. Trzcinski u. Holst 2003, 539ff.). Es ist anzunehmen, dass dies die „Qualität“ der Lesesozialisation positiv beeinflusst. Dieser eher „qualitative“ Aspekt der Familienzeit lässt sich mit Hilfe des vorliegenden Datenmaterials (Zeitbudgetdaten) allerdings nur unzureichend erfassen (vgl. hierzu: Kapitel 4.2.2.2). Zwischenfazit: Sowohl die Bildung der Familie als auch die zeitliche Disponibilität der Familienmitglieder (Zeitbudget) beeinflussen die Lesesozialisation. Wie gezeigt worden ist, sind Familien derzeit höheren Zeitrestriktionen ausgesetzt als noch vor etwa 20 Jahren. Es wird daher unterstellt, dass sich durch die gleichzeitige Berücksichtigung von Bildung und Zeit bisherige Ungleichheiten der Lesesozialisation teilweise aufheben und damit schwieriger nachweisen lassen. 3.2 Interne Dimensionen der Lesesozialisation Im ersten Teil der Memoiren von Elias Cannetti (1905–1994) unter dem Titel „Die gerettete Zunge“ finden sich Andeutungen, sowohl auf die Bedeutung von Interaktionen zwischen Vater und Sohn als auch auf den Einfluss des Elternvorbildes auf die Lesesozialisation des jungen Elias: „Einige Monate nachdem ich in die Schule gekommen war, geschah etwas Feierliches und Aufregendes, das mein ganzes weiteres Leben bestimmte. Der Vater brachte ein Buch für mich nach Hause. […] Er sprach sehr aufmunternd und ernst zu mir und sagte, wie schön es wäre zu lesen. Er las mir eine Geschichte vor: so schön wie diese seien auch alle anderen Geschichten im Buch. Ich solle nun versuchen, sie zu lesen, und ihm am Abend immer erzählen, was ich gelesen hätte. Wenn ich das Buch fertig hätte, werde er mir ein anderes bringen. Ich ließ mir das nicht zweimal sagen, und obwohl ich in der Schule eben erst lesen gelernt hatte, machte ich mich über das wunderbare Buch gleich her und hatte ihm jeden Abend etwas zu berichten.“ (Canetti 1977, 59)
Ausgehend von diesem Beispiel werden im Folgenden die internen Dimensionen der Lesesozialisation hergeleitet. Diese sind auf der Familienebene angesiedelt und lassen sich an den Gewohnheiten der Familienmitglieder festmachen: die Interaktionen in der Familie, das Elternvorbild und die zurückhaltende Fernsehnutzung. Neben Bildung, Geschlecht und Alter werden diese Faktoren in der Literatur als zentrale Einflussgrößen der Lesesozialisation, teilweise in abweichender Terminologie, behandelt (vgl. z.B. Van Peer 1991, 539ff.; Hurrelmann, B. 2004c, 45ff.).
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Theoretische Dimensionen der Lesesozialisation
3.2.1 Interaktionen in der Familie „The natural method of learning to read is just the same as that of learning to talk.” (Edmund B. Huey 1908/1968, 330)
Die „soziale Einbindung des Lesens“ (Hurrelmann, B. 1994a, 33; Hurrelmann, B. 2004c, 49) wird immer wieder mit einer gelingenden Lesesozialisation in Verbindung gebracht (vgl. z.B. Charlton u. Neumann 1990, 113). Kinder, deren Eltern etwa regelmäßig mit ihnen über Gelesenes sprechen bzw. gemeinsame Leseinteressen diskutieren, greifen in der Regel auch in späteren Altersphasen häufiger zur Buchlektüre als diejenigen, deren Eltern dies seltener oder nie tun (vgl. Köcher 1988, 2288; Fritz 1991, 44; Bonfadelli u. Fritz 1993, 107; Franzmann 2001, 25f.). Auf einer abstrakten Ebene soll zunächst erörtert werden, wie Interaktionen in der Familie die Lesesozialisation beeinflussen. Auf Grundlage interaktionstheoretischer Überlegungen soll geklärt werden, wie und warum Interaktionen zwischen Eltern und Kindern die Lesesozialisation beeinflussen. Daran anknüpfend werden im Speziellen zwei konkrete Formen der Interaktion näher beschrieben: die direkte Kommunikation in Gesprächen (z.B. auch während gemeinsamer Mahlzeiten) sowie präund paraliterarische Kommunikation. Dass sich „Interaktion“ und „Sozialisation“ terminologisch überschneiden, lässt sich wie folgt zum Ausdruck bringen: „Jede Sozialisation besteht immer aus Interaktion, und jede Interaktion ist gleichzeitig immer auch Sozialisation.“ (Esser 2001, 393) Das Grundkonzept des Interaktionsbegriffes richtet sich an der „Beziehung zwischen zwei oder mehr Personen [aus], die sich in ihrem Verhalten aneinander orientieren und sich gegenseitig wahrnehmen können. […] Interaktion beschreibt einen Handlungsablauf und die diesen konstituierenden Faktoren. Im Zentrum der Betrachtung stehen überschaubare soziale Systeme“ (Jäckel 1995, 463), wie z.B. die Familie. Indem Interaktion die körperliche Anwesenheit der Beteiligten voraussetzt (vgl. ebenda, 463), ist sie gleichzeitig immer auch Kommunikation, was im umgekehrten Fall nicht gelten muss (vgl. ebenda, 467).86 Mit anderen Worten: „Interaktion und Kommunikation fallen dann zusammen, wenn die Interaktionspartner anwesend sind, also zugleich auch Kommunikationspartner füreinander sein können.“ (Merten 1977, 65) Goffman hat zwischen „nicht-zentrierten“ und „zentrierten Interaktionen“ unterschieden. Erstere beziehen sich auf zwischenmenschliche Kommunikationen, die nur das Resultat eines Zusammentreffens von Personen sind, etwa, wenn sich zwei Fremde hinsichtlich ihres Auftretens quer durch einen Raum hindurch beäugen und jeder das eigene Verhalten dahingehend anpasst, da er selbst beobachtet wird (vgl. Goffman 1973, 7). Mit Interaktionen sind im Folgenden hingegen primär zentrierte Interaktionen gemeint, die dann entstehen, „wenn Menschen effektiv darin übereinstimmen, für eine gewisse Zeit einen einzigen Brennpunkt der kognitiven oder visuellen Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten, wie etwa in einem Gespräch“ (ebenda, 7). Es ist davon auszugehen, dass die Einflüsse der Familie zumindest während der primären Sozialisation relativ gleichmäßig und dauerhaft sind, z.B. indem Eltern subkulturelle Werte und Normen indirekt und dauerhaft in Familieninteraktionen an die Kinder weitergeben (vgl. Kreppner 2002, 322). Überdies ist anzunehmen, dass Kinder am Ende der primären Lesesozialisation relativ stabile Gewohn86 Dazu bemerkt Homans: „Wer an Kommunikation denkt, denkt an Kommunikation in Worten, hier aber verstehen wir unter Interaktion sowohl die verbale als auch die nichtverbale Kommunikation.“ (1978, 61)
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heiten und Einstellungen bezüglich des Lesens und Fernsehens entwickelt haben (vgl. hierzu Kapitel 2.2), von denen angenommen wird, dass sie größtenteils aus wechselseitigen Interaktionen im Familienumfeld resultieren.87 Der Ansatz des symbolischen Interaktionismus geht davon aus, dass Sozialisation im Sinne des „Hineinwachsens“ in die Welt der Erwachsenen (vgl. Miebach 1991, 50) immer in sozialen Beziehungen stattfindet und den Anfang in unserer Herkunftsfamilie nimmt. Mit anderen Worten „entwickeln [wir] unsere grundlegenden Vorstellungen davon, wer wir sind […], indem wir an relevanten sozialen Beziehungen, beginnend […] in unserer Herkunftsfamilie, teilnehmen und sie zu verstehen suchen“ (Geulen 2001, 129). Seine Identität erwirbt das Individuum, indem es die Haltungen anderer zunächst in Gestalt der „signifikanten Anderen“ einnimmt und damit auf sich selbst bezieht: „Wir sind, was wir sind, durch unser Verhältnis zu anderen.“ (Mead 1934/1973, 430) Die Identitätsbildung lässt sich somit als Prozess „symbolverhafteter Interaktion“ mit primären Bezugspersonen (z.B. Eltern) begreifen. Das „Ich“ als „spontaner Teil des Selbst“ trägt zur Entstehung der eigenen Identität bei, indem es mit anderen, deren Sichtweisen und Rollenerwartungen in eine wechselseitige Beziehung tritt (vgl. Hennen u. Springer 1996, 25). Der im Wesentlichen durch George H. Mead begründete und durch Herbert Blumer (1900–1987) weiterentwickelte Ansatz basiert auf drei grundlegenden Annahmen. Erstens handeln menschliche Individuen gegenüber Objekten auf der Grundlage der Bedeutungen, die diese für sie haben (vgl. Blumer 1969, 2). Diese Objekte können physikalischer, sozialer oder abstrakter Art sein (vgl. Münch 2003, 261). Als Beispiele physikalischer Objekte lassen sich Bücher oder das Fernsehgerät benennen, soziale Objekte können in Gestalt von Vater und Mutter auftreten, während sich abstrakte Objekte etwa auf die Handlungen der Eltern oder bestimmte Situationen des Familienlebens beziehen. Gemäß dieser Annahme liegt die Bedeutung von Objekten nicht in sich selbst begründet, wird aber auch nicht einseitig von psychischen Prozessen seitens des Akteurs festgelegt, d.h. wie Objekte erkannt werden, liegt nicht in der Einscheidung des Einzelnen (vgl. ebenda, 261f.). Diese Prämisse wird auch von anderen Ansätzen geteilt (vgl. Blumer 1969, 2), die sich vom symbolischen Interaktionismus allerdings hinsichtlich der zweiten Annahme, die auf die Quelle der Bedeutung verweist, unterscheiden (vgl. ebenda, 3). Diese Annahme ist für die weitere Argumentation grundlegend. Demnach resultieren Bedeutungen von Objekten aus den sozialen Interaktionen des Einzelnen mit anderen (vgl. ebenda, 2; Münch 2003 261f.). Sie lassen sich begreifen als „social products […] that are formed in and through the defining activity of people as they interact“ (Blumer 1969, 5). Bedeutungen ergeben sich somit aus der Art und Weise, wie sich „Alter“ in der Gegenwart „Egos“ gegenüber dem Objekt verhält, d.h. die Handlungen des Anderen dienen dazu, das Objekt für Ego zu definieren (vgl. ebenda, 3f.). Die Bedeutung, die das Kind beispielsweise einem Buch zuschreibt, resultiert demzufolge daraus, wie Eltern in seiner Gegenwart mit Büchern umgehen, indem sie ihm regelmäßig am Abend vorlesen oder auch selbst in einem Buch lesen. Aus dieser Perspektive lässt sich menschliches Handeln nicht auf einen direkten UrsacheWirkungszusammenhang reduzieren, da zwischen Objekt und Handlung stets die Bedeutung der jeweiligen Objekte liegt (vgl. Münch 2003, 260). Lesegewohnheiten, die Kinder 87 Auch wenn innerhalb der gegenwärtigen Forschung die Familie weitgehend als ein „sich entwickelndes dynamisches System“ (Kreppner 2002, 323) verstanden wird, ist von dieser Sichtweise aufgrund der gewählten Forschungsperspektive und Methodik zu abstrahieren, da eine Betrachtung von Entwicklungsverläufen ausbleibt und eine Momentaufnahme vorgenommen wird (siehe Kapitel 2.2).
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im Interaktionsprozess mit primären Bezugspersonen „kultiviert“ haben, lassen sich dementsprechend nicht vereinfachend auf eine direkte Ursache zurückführen. Denn zwischen Handlung (z.B. Lesen) und Objekten (z.B. Büchern) liegt stets die Bedeutung des jeweiligen Objektes, die im Rahmen der Interaktionen innerhalb der Familie ausgehandelt worden ist (vgl. Abbildung 6).88 Drittens wird angenommen, dass die Bedeutungen im Rahmen eines interpretativen Prozesses modifiziert und angepasst werden (vgl. Blumer 1969, 2). Der Einzelne erhält somit die Chance, die Handlungen der anderen unterschiedlich zu interpretieren. Begrenzt wird er durch die Reaktion der anderen sowie durch seine Fähigkeit, aus seiner Sicht auf diese Reaktionen zu reagieren. Der Prozess der Symboldeutung ist damit als ein ständiges gegenseitiges Anpassen von Interpretationen in beständigen Verhandlungen zwischen Handlungsträgern zu verstehen (vgl. Münch 2003, 262f.). Abbildung 6:
Bedeutungszuschreibung durch interaktive Interpretation
Interaktion Kind
Eltern Interpretation
Bedeutung des Objekts (z.B. Bücher, Lesen)
Quelle: Eigene Erstellung. In Anlehnung an: Münch 2003, 263.
Angeregt durch die Sprach- und Kommunikationstheorie in der Tradition von Wygotsky (1934/1986) und Oevermann (1972) (in Deutschland) hat sich darauf aufbauend der Ansatz der sozialisatorischen Interaktion weiterentwickelt. Dieser befasst sich mit den Kommunikationsstrukturen und den Inhalten der Kommunikation des Einzelnen mit den signifikanten Anderen sowie mit den wichtigsten Gegenständen der dinglichen Umwelt für die Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 96). Im Gegensatz zu Piaget, der die Persönlichkeitsentwicklung primär auf innerorganische und -psychische Antriebe einer stufenförmigen Entwicklung zurückführt, betont dieser Ansatz, dass der Prozess der Persönlichkeitsentwicklung in ein soziales und materielles Umfeld eingebettet ist (vgl. ebenda, 97). 88
Der eigentliche Prozess der Bedeutungszuschreibung wird im Rahmen der empirischen Analyse allerdings analytisch ausgeblendet und ist lediglich implizit zu berücksichtigen.
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Kinder benötigen im Allgemeinen Strukturen, die sie in ihrer persönlichen Entwicklung voranbringen, ihnen aber gleichermaßen auch Formen probeartigen Handelns ermöglichen. Dem unterliegt die Prämisse, dass schon kleine Kinder dazu fähig sind, Handlungen und Gesten zu strukturieren und in einen Zusammenhang zu bringen, ohne die gesamte Logik der Handlungsabläufe bereits nachvollziehen zu können. Hierzu benötigt das Kind Bezugspersonen, die ihr Verhalten dem jeweiligen kindlichen Verhaltensrepertoire anpassen und ihm somit in die nächste Entwicklungsstufe bzw. „Zone der nächsten Entwicklung“ (Wygotsky 1934/1986, 243) verhelfen (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 97). Mit anderen Worten bringt das menschliche Individuum „zwar einige Dispositionen mit auf die Welt, entwickelt sich aber erst in Interaktionen mit seiner Umwelt; seine Identität ist immer das Ergebnis von Interaktionsprozessen zwischen beidem: Mensch und Welt“ (Dahrendorf, M. 1980, 129). Man könnte in diesem Zusammenhang auch von „kultureller Sozialisation“ sprechen, die stets in Interaktion mit anderen stattfindet und in deren Rahmen insbesondere die unbeabsichtigten Alltagseinflüsse zu betonen sind, die weder zeitlich noch räumlich auf ein bestimmtes Lernumfeld begrenzt sind (vgl. Hurrelmann, B. 1987, 2507). Die Sozialisation in die Familienkultur wird umso eher angeregt, je „stabiler die soziale Einbindung des Lernens, je vielfältiger die Möglichkeit zum Beobachten, zum Mittun, zur Verknüpfung mit anderen Tätigkeiten ist“ (Hurrelmann, B. 1990, 183). In Bezug auf die vorangegangenen Ausführungen ist anzunehmen, dass in bildungsnäheren Familien dieser Anregungsgrad höher ist als in bildungsferneren Familien. Als eine Form kultureller Sozialisation findet dementsprechend auch die Lesesozialisation in Interaktion mit anderen statt (vgl. Hurrelmann, B. 1990, 183). Welche Bedeutung Lesen und Fernsehen letztlich im Familienalltag einnehmen, ist unter anderem abhängig von der Art der Interaktionen in der Familie, die das Familienklima, die Rollenstrukturen und das Gesprächsverhalten tangieren (vgl. ebenda, 171). Bereits Ende der 1980er Jahre wurde nachgewiesen, dass Erwachsene tendenziell zunehmend aus der Leseerfahrung der Kinder verschwinden, d.h. in geringeren Maße als Lesemodell präsent sind, während das Fernsehen in höherem Maße in Familieninteraktionen eingebunden ist (vgl. Hurrelmann, B. 1987, 2506). Das Fernsehen lässt sich zudem als ein Verhaltensbereich begreifen, in dem sich Grenzen zwischen den Generationen symbolisch vermitteln, die sich darin manifestieren, dass Eltern länger fernsehen als Kinder (vgl. ebenda, 2508). 89 Inwieweit dies auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch zutrifft, gilt es zu überprüfen. Mittlerweile kann davon ausgegangen werden, dass rund zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen (ab zehn Jahren) ein eigenes Fernsehgerät besitzen (vgl. hierzu Kapitel 2.3.3). Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass dem Fernsehen in weit höherem Maße als dem Lesen eine „gruppenintegrierende und soziale Funktion“ für die Familie zugeschrieben werden kann. Die Eltern wurden befragt, mit wem die Kinder in der Familie in der Regel gemeinsam fernsehen oder Bücher lesen. Während dementsprechend vergleichsweise wenige Kinder meist alleine fernsahen (14 Prozent), pflegten nach Angabe der Eltern mehr als zwei Drittel der Kinder überwiegend alleine zu lesen. Immerhin 38,8 Prozent der Kinder sahen in der Regel mit der ganzen Familie fern, während nur 6,4 Prozent der Kinder 89 Der Abstand zwischen der Fernsehdauer des ältesten Kindes und der Fernsehdauer der Eltern lag an Werktagen bei rund 80 Prozent; während Mutter und Vater angegeben hatten, an Werktagen im Durchschnitt knapp zwei Stunden fernzusehen, lag dieser Wert beim ältesten Kind bei nur rund einer Stunde. Im Falle des Lesens wurden für Mütter und das älteste Kind annähernd gleich hohe Mittelwerte dokumentiert (39 Minuten; 40 Minuten), während der Durchschnittswert bei Vätern mit 25 Minuten leicht darunter lag (vgl. Hurrelmann, B. 1987, 2507f.).
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meistens mit der ganzen Familie lasen (vgl. Hurrelmann, B. 1987, 2509). Die Forschungsannahme, dass das Fernsehen im Gegensatz zum Lesen stärker in Familieninteraktionen eingebunden ist, wird im Rahmen der empirischen Analyse erneut für die Jahre 2001/02 überprüft. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob unter veränderten gesellschaftlichen und familienimmanenten Rahmenbedingungen ähnliche Befunde (insbesondere bezüglich des Fernsehens) repliziert werden können. Es ist anzunehmen, dass Normen, Wertvorstellungen und Verhaltensweisen der Eltern auf die Kinder übertragen werden, wenn Eltern und Kinder häufig und regelmäßig interagieren. Katz und Lazarsfeld sind beispielsweise davon ausgegangen, dass Primärgruppen, wie z.B. die Familie, einen Großteil der Meinungen, Einstellungen und Handlungen einer Einzelperson beeinflussen. Sie verweisen auf eindeutige Belege, welche den Einfluss der Familie auf die einzelnen Gruppenmitglieder bestätigen (vgl. Katz u. Lazarsfeld 1962, 58f.) und folgern, dass „eine Person, die den Wunsch hat, einen engen Kontakt mit anderen […] aufrechtzuerhalten, oder die innerhalb, respektive gegenüber einer Gruppe etwas erreichen will, sich mit den Meinungen und Wertungen dieser Gruppe identifizieren muß“ (ebenda, 63). Der Identifikation mit der Gruppe müsse nicht eine bewusste „Berechnung“ zu Grunde gelegt werden, sondern könne vollkommen unbewusst erfolgen (ebenda, 63). Katz und Lazarsfeld unterstellen, dass sich der Grad der Gruppenkohäsion positiv auf die gegenseitige Beeinflussung der Gruppenmitglieder auswirkt (vgl. ebenda, 101). Sich an diese Argumentation anlehnend verbindet Burt den Gedanken der Ideenübernahme qua interpersonelle Interaktion mit dem Ansatz des sozialen Kapitals. Er beschreibt, wie die Interaktionshäufigkeit („Kohäsion“) und die Einflussstärke („Contagnion“) von Mitgliedern eines Netzwerkes zusammenhängen. Die „Kohäsion“ bezieht sich auf die Stärke der Beziehung zwischen Alter und Ego, z.B. auf die Beziehungsstärke zwischen den Mitgliedern einer Familie. Die daraus resultierende Stärke des Einflusses erfolgt aufgrund „sozializing communication“ (vgl. Burt 1999, 39). Je häufiger und empathischer Ego und Alter kommunizieren, desto wahrscheinlicher ist es, dass Ego dem Verhalten Alters folgt, und es zu einem normativen Verständnis zwischen beiden kommt (vgl. ebenda, 39). Die semantische Bedeutung einer engen Beziehung liege gewöhnlich darin, dass „the connected people are some mixture of emotionally close, long-time, or frequent contacts“ (ebenda, 40). Dieser Gedanke lässt sich auch auf die Lesesozialisation in der Familie übertragen: Je häufiger Eltern und Kinder interagieren und je empathischer deren Beziehung zueinander ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder bestimmte Gewohnheiten ihrer Eltern oder deren Einstellung gegenüber einer bestimmten Verhaltensweise übernehmen, und es im Rahmen dessen zu einer normativen Verständigung kommt. Dies betrifft z.B. die Lektüre vor dem Schlafengehen oder die Einstellung gegenüber Büchern und Lektüre. Interaktionen in der Familie lassen sich, ähnlich wie Bildung, an einer „strukturellen“ sowie „funktionalen“ Dimension festmachen (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001, 42). Der strukturelle Aspekt bezieht sich auf das Vorhandensein sozialer Netzwerke innerhalb der Familie, d.h. „Eltern […] müssen existent und präsent sein und Zeit für ihre Kinder haben“ (ebenda, 42). Der funktionale Aspekt bezieht sich in erster Hinsicht auf qualitative Aspekte, wie z.B. Kommunikationsstil oder Kohäsionsgrad innerhalb der Familie, und wird insbesondere in der Familienpsychologie analysiert (vgl. Schneewind 1999, 105ff.)90. Unter 90 Beispielsweise unterscheidet Schneewind drei übergeordnete „Strukturdimensionen von Familiensystemen“, nämlich Familien mit positiv-emotionalem Klima, solche mit anregendem Klima und normativ-autoritäre Familien (1999, 103).
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der Prämisse, dass zwischen struktureller und funktionaler Dimension ein Zusammenhang vorliegt, wird im Rahmen dieser Arbeit, auch aufgrund der Datenlage, lediglich eine Analyse der strukturellen Dimension vorgenommen. Die Idee, Lesegewohnheiten unter Berücksichtigung des Gedankens sozialer Netzwerke zu erklären, wurde bereits von Dijkstra aufgenommen. Im Falle von Kindern sei die Familie das für sie „exklusive Netzwerk“ (Dijkstra 1994, 27). Übertragen auf die engere Fragestellung bedeutet dies, dass die Einstellung der Eltern gegenüber dem Lesen die „primäre literarische Sozialisation des Kindes [beeinflusst]“ (ebenda, 27).91 Anhand zweier Dimensionen soll die Reichweite familialer Interaktionen für die Lesesozialisation weiter ausgearbeitet werden: Kommunikation in der Familie und prä- und paraliterarische Interaktionen. 3.2.1.1 Direkte Kommunikation in der Familie „Es ist wahrscheinlich, dass man liest, wenn man einen Markt hat, auf dem man Diskurse über die Lektüren platzieren kann.“ (Pierre Bourdieu 2001, 127)
Die Bedeutung von Gesprächen oder direkter Kommunikation für die (Lese-)Sozialisation soll am Beispiel gemeinsamer Mahlzeiten illustriert werden. Bereits vor etwa 50 Jahren haben Bossard und Boll (1966) auf die nachhaltige Bedeutung von Gesprächen im Rahmen von Familienmahlzeiten für die Sozialisation aufmerksam gemacht: „The family meal […] holds the members of the family together over an extended period of time. […] Mealtime is the family council time, particularly today when under the stress of the differing interests of its various members the family is not likely to get together at any other time.” (Bossard u. Boll 1966, 136)
Gemeinsame Mahlzeiten zeichnen sich im Allgemeinen durch eine relativ hohe Regelmäßigkeit aus und sind häufig auch die mehr oder weniger exklusive Gelegenheit der regelmäßigen Interaktion im Familienkreis. Familienmahlzeiten lassen sich auch als Plattform „for the transmission of the family culture to its younger members” (Bossard u. Boll 1966, 135) betrachten, in deren Rahmen unter anderem Rollenstrukturen definiert und Persönlichkeitszüge entwickelt werden (vgl. ebenda, 141). Es finden sich darüber hinaus auch aktuellere Indizien dafür, dass sich, ungeachtet zunehmender zeitlicher Engpässe, Familienmitglieder nach wie vor regelmäßig zum gemeinsamen Essen zusammenfinden. In einer Zeitbudgetanalyse für die Jahre 2001 und 2002 ist nachgewiesen worden, dass in Familien, in denen beide Eltern erwerbstätig sind, Eltern und Kinder im Durchschnitt rund eine Stunde und 20 Minuten Zeit für Mahlzeiten aufwenden (vgl. BMFSFJ 2005, 371).92
91 Die insbesondere in der Familie ausgeprägte Intensität und Wechselseitigkeit der sozialen Beziehungen findet im Rahmen der Netzwerkanalyse auch unter dem Begriff der „strong ties“ ihren Niederschlag (vgl. Schenk 1994, 20). „Die starken Beziehungen werden als dauerhaft, reziprok, intim und intensiv beschrieben und beinhalten eine relativ hohe Interaktionsfrequenz.“ (ebenda, 20) 92 Inwieweit es sich tatsächlich um gemeinsam verbrachte Mahlzeiten handelt, geht aus diesen Zahlen allerdings nicht hervor. Konkret wurden „Familien mit zwei Kindern, von denen das jüngste Kind zwischen sechs und 18 Jahre alt ist“ sowie „Akademiker-Familien mit Kindern im Haushalt“ betrachtet.
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Daneben hat sich Keppler mit Tischgesprächen in Familien auseinandergesetzt, die sich verstehen lassen als „Diskussionsforen für alles, was für ihre Mitglieder von besonderem Interesse ist. […]. Da Familientischgespräche heute normalerweise Veranstaltungen sind, die keiner strengen Reglementierung unterworfen sind […], verlaufen Gespräche bei Mahlzeiten meist informell und spontan. Familienessen sind die Verbreitungsinstanz für Informationen, Nachrichten und Erfahrungen.“ (Keppler 1994, 51f.) In deren Verlauf werden neben einer allgemeinen Familienkultur häufig auch soziale und „bildende“ Kultur im weiteren Sinne vermittelt (vgl. ebenda, 52). Auch Medien bzw. Medieninhalte sind ein häufiges Diskussionsthema, d.h. „[w]as jemand in der Zeitung gelesen, im Radio gehört oder im Fernsehen gesehen hat, wird nicht selten beim Mittag- oder Abendessen rekonstruiert“ (ebenda, 52). Hier geht es ausschließlich um den Inhalt tagesaktueller Medien. Dies deutet darauf hin, dass insbesondere Inhalte nicht-tagesaktueller Medien (z.B. Bücher) seltener Gegenstand von Tischgesprächen sind. Es finden sich in der Literatur Hinweise darauf, dass Bücher gegenüber dem Fernsehen seltener im Rahmen von Familieninteraktionen thematisiert werden. Innerhalb des deutschen Teilprojektes der europäischen Studie zur Mediennutzung von Jugendlichen unter veränderten Rahmenbedingungen („Children and their Changing Media Environment“) gaben 32 Prozent der Eltern (N = 606) an, dass sie mit ihrem Kind über Bücher diskutieren, während 77 Prozent angaben, dass sie mit ihrem Kind über das Fernsehen sprechen. Unter Berücksichtigung des Alters liegen die jeweiligen Werte bei Eltern von sechs- bis achtjährigen Kindern leicht darüber, mit 36 und 85 Prozent, während nur noch 26 bzw. 61 Prozent der Eltern von 15- bis 17-Jährigen angaben, dass sie mit ihren Kindern über Bücher und Fernsehen diskutieren (vgl. Krotz u.a. 1999, 119; vgl. so ähnlich: Bucher 2004, 160ff.).93 Über Gesprächsinhalte lässt sich im Rahmen dieser Dissertation allenfalls spekulieren, da die vorliegenden Tagebuchdaten keinerlei Informationen hierzu liefern. Die Bedeutung von Familieninteraktionen für die Lesesozialisation wird daher ausschließlich auf einer abstrakten Ebene herausgestellt. Die Lesesozialisation steht darüber hinaus in enger Verbindung mit der Sprachentwicklung von Kindern. Vorläufer der Lesekompetenz, auf die im weiteren Verlauf noch näher eingegangen wird, werden durch eine stimulierende sprachliche Umgebung gefördert. Günstige Rahmenbedingungen liegen unter anderem dann vor, wenn Kinder zum Sprechen angeregt werden und auf sprachliche Äußerungen positive Rückmeldungen erhalten (vgl. Hurrelmann, B. 2004c, 45). Auch in der entwicklungspsychologischen Literatur finden sich vielerorts Hinweise auf einen positiven Zusammenhang zwischen Eltern-KindInteraktionen und der sprachlichen Entwicklung von Kindern (vgl. z.B. Oerter 1999, 33). Es konnte nachgewiesen werden, dass der Umgang mit mündlicher Sprache, d.h. insbesondere die Fähigkeit „zu segmentieren und sprachlich zu analysieren“ Lesekompetenz in späteren Phasen voraussagt (vgl. ebenda, 33). Leseman und De Jong beziehen sich auf 93
Anschlusskommunikationen, d.h. informelle und formelle Kommunikationsprozesse beim und nach dem Lesen, haben insbesondere im belletristisch-literarischen Bereich, zumindest für bestimmte Gesellschaftsgruppen, seit jeher eine tragende Rolle gespielt, ohne dass sie explizit so benannt wurden (vgl. Artelt u.a. 2005, 41). Die Literarischen Salons im Frankreich des 17. bis 19. Jahrhunderts (vgl. z.B. Rièse 1962), die Salons der Romantikerinnen in Deutschland während des 19. Jahrhunderts (vgl. z.B. Drewitz 1965) sowie die literarischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts, welche sich mit bestimmten Autoren oder Epochen beschäftigten (vgl. z.B. Arnold 1991), lassen sich als historische Beispiele formeller Anschlusskommunikation benennen. Als Beispiel informeller Kommunikationsprozesse lassen sich die Anschlusskommunikationen über Literatur zur Zeit des Großbürgertums heranziehen (vgl. hierzu: Artelt u.a. 2005, 41).
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Untersuchungen, die gezeigt hätten, dass gewöhnliche Tischgespräche die sprachliche und literarische Entwicklung von Kindern beeinflussen: „Typically, these studies demonstrate that also ordinary mealtime conversations and instructional talk […] can influence language and literacy development.“ (2001, 72) Der empirischen Analyse wird somit die folgende Hypothese zu Grunde gelegt: Je länger bzw. häufiger die Familienmitglieder interagieren bzw. direkt miteinander kommunizieren, desto stärker ist der Einfluss der Familie auf die Lesesozialisation. Operationalisierung: Im Rahmen dieser Untersuchung werden Interaktionen zwischen Eltern und Kinder über Zeitbudgets für Gespräche von Eltern und Kindern sowie für gemeinsame Mahlzeiten erfasst. Eine ähnliche Operationalisierung wurde in der PISA-Studie94 sowie in der aktuellen UNICEF-Studie „Child poverty in perspective: An overview of child well-being in rich countries“ vorgenommen (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001, 48; UNICEF 2007, 22). Direkte Aussagen über Bedeutungszuschreibungen im Rahmen dieser Interaktionen, über Gesprächsinhalte (z.B. das Lesen) oder die Beziehungsqualität95 zwischen Familienmitgliedern sind mit den vorliegenden Tagebuchdaten unterdessen nicht möglich. Darüber hinaus wird im Rahmen der hier vorgenommenen Operationalisierung in Einzelfällen danach differenziert, ob Lesen bzw. Fernsehen eine Aktivität ist, die „mit anderen/im Beisein von anderen“ oder „ohne andere/alleine“ erfolgt.96 3.2.1.2 Prä- und paraliterarische Kommunikation „The home is the natural place for learning to read, in connection with the child’s introduction to literature through story-telling, picture-reading, etc.” (Edmund B. Huey 1908/1968, 379).
Der folgende Abschnitt ist der Frage gewidmet, wie und warum „prä- und paraliterarische Kommunikationsformen“ (Hurrelmann, B. u.a. 1993, 140) die Lesesozialisation nachhaltig beeinflussen. Im Zuge dessen soll darüber hinaus auch die Bedeutung der sprachlichen Sozialisation für die Lesesozialisation näher erörtert werden, wobei Argumente des vorherigen Kapitels wieder aufgegriffen und weiter entwickelt werden. Offensichtlich bauen Kinder zu Beginn des Leseerwerbsprozesses auf ihren bisherigen sprachlichen Erfahrungen auf und integrieren diese in den Bereich der Schriftsprache. Als komplexe konstruktive Leistung lässt sich das Lesen nämlich als Teil derjenigen Mechanismen begreifen, auf denen die Entwicklung des Sprachverstehens und des Sprechens beruht, und die dem Bereich der Mündlichkeit angehören. Vorläufer des Leselernprozesses 94 Die entsprechende Frage lautete: „Wie oft kommt es im Allgemeinen vor, dass deine Eltern gemeinsam mit dir am Tisch sitzen und zu Mittag oder Abend essen?” oder „[…], dass deine Eltern sich Zeit nehmen, um einfach nur mit dir zu reden?“ Als Antwortmöglichkeiten wurden auf einer Fünferskala die folgenden Kategorien vorgegeben: „nie oder fast nie“, „ein paar Mal im Jahr“, „etwa einmal im Monat“, „mehrmals im Monat“, „mehrmals in der Woche“. (Deutsches PISA-Konsortium 2002, 249) 95 Hierzu Lamp: „[E]mpirical and theoretical considerations indicate that the amount of time spent together is a poor predictor of the quality of the infant’s relationship with either mother or father.“ (1976, 4) 96 Von einer weiteren Aufgliederung der Kategorie „mit anderen“ (z.B. nach Ehepartner, Kinder unter zehn Jahren) wurde abgesehen, da zunächst nur die Anwesenheit derjenigen Personen interessiert, die das engere soziale Umfeld repräsentieren, und von denen angenommen werden kann, dass es sich um Familienmitglieder handelt. Eine Grundauszählung der Daten hat ergeben, dass nur ein sehr geringer Prozentsatz der Befragten dokumentierte, in Anwesenheit von Nicht-Haushaltsmitgliedern zu lesen oder fernzusehen.
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sind, wie die Lesesozialisationsforschung immer wieder betont, mit dem Spracherwerb unmittelbar verbunden (vgl. Oerter 1999, 32ff.; Hurrelmann, B. 2004b, 173). Einigkeit besteht mittlerweile darin, dass die Lesesozialisation in der Familie vor Schuleintritt beginnt (vgl. z.B. Eggert u. Garbe 1995, 103; Oerter 1999, 32ff.; Langenbucher 2002, 98; Hurrelmann, B. 2004b, 173; Whitehead 2004, 299). In der Leseforschung hat sich diese Ansicht jedoch erst allmählich in der zweiten Hälfe des 20. Jahrhunderts durchgesetzt. Das „Erstlesen“ wurde noch in den 1970er Jahren in erster Linie als „schulisches Lehrprogramm“ verstanden (vgl. Hurrelmann, B. 2004b, 173). Aktuelle Forschungen zum Schriftspracherwerb sowie zur Lesesozialisation gehen daher ganz selbstverständlich davon aus, dass die Lesesozialisation mit dem Erlernen der Muttersprache beginnt. Das Beherrschen der Muttersprache ist letztlich die grundlegende Voraussetzung, um Lesen und Schreiben zu lernen. Ein Kind mag in der Schule noch so viel üben, Buchstaben in Laute zu übersetzen, wenn es nicht dazu fähig ist, die gesprochene Sprache zu verstehen (vgl. Niebuhr u. Ritterfeld 2003, 101). Neuere Erkenntnisse der Neuropsychologie beziehen sich auf die Bedeutung „sensibler Phasen“97 im Vorschulalter für die Entwicklung des menschlichen Gehirns: Bei entsprechenden Erfahrungen können demgemäß in sensiblen Phasen „bestimmte Feinverschaltungen zwischen Zellgruppen geradezu wuchern, während sie später viel spärlicher oder überhaupt nicht mehr wachsen. Jedenfalls bilden Sinnesreize das Lebenselixier der Nervenzellen. Frühe Spracherfahrungen verstärken die von ihnen erregten Nervenbahnen, schreiben sich in unser Gehirn ein“ (Butzkamm u. Butzkamm 1999, 295). Diese Erkenntnisse haben unter anderem dazu geführt, dass die Diskussion über präund paraliterarische Kommunikationsformen und deren Relevanz für die Lesesozialisation in den letzten Jahren verstärkt angeregt wurde (vgl. z.B. Franzmann 2002, 178ff.). Interaktionistische Ansätze der Spracherwerbsforschung unterstellen, dass der Mensch zwar „über einen angeborenen Instinkt für jegliche Form von Kommunikation und Sprache“ verfügt (vgl. Whitehead 2004, 296), dass aber die Entwicklung der Kommunikationsfähigkeit weder primär auf einem angeborenen sprachlichen Strukturwissen beruht, noch ausschließlich auf die Entstehung kognitiver Strukturen im Zuge der Auseinandersetzung mit der Umwelt zurückzuführen ist. Der Erwerb der Muttersprache lässt sich vielmehr als einen Teil des menschlichen Sozialisationsprozesses verstehen, der sich in wechselseitiger Interaktion mit der sozialen Umwelt vollzieht (vgl. Klann-Delius 1999, 136ff.; auch: Whitehead 2004, 296). Dieser Prozess beginnt, sobald „Mutter und Kind einen vorhersagbaren Interaktionsrahmen schaffen, welcher als Mikrokosmos für die Kommunikation und die Definition einer gemeinsamen Realität dienen kann“ (Bruner 1987, 14). Das Erlernen der Muttersprache basiere auf dem Vorhandensein eines „Language Acquisition Support System“, das auf die angeborene Fähigkeit zum Erlernen der Sprache, die so genannte „language acquisition device“ (Chomsky 1969, 32) treffe (Bruner 1987, 15)98. 97
Montessori und andere Pädagogen hätten bereits von „sensitiven Phasen“ im Zusammenhang mit dem Erwerb der Schriftsprache gesprochen (Wygotsky 1934/1986, 243). So heißt es bei Wygotsky wörtlich: „Das Lernen ist nur dann gut, wenn es Schrittmacher der Entwicklung ist. Dann werden dadurch eine ganze Reihe von Funktionen, die sich im Stadium der Reifung befinden und in der Zone der nächsten Entwicklung liegen, geweckt und ins Leben gerufen. […]. Daher ist das Lernen nur dann fruchtbar, wenn es innerhalb einer gewissen, durch die Zone der nächsten Entwicklung bestimmten Periode erfolgt. Diese Periode wird von vielen Pädagogen wie Montessori u.a. die sensitive Phase genannt.“ (1934/1986, 243) 98 Ein solches Hilfssystem ist demnach in mehrfacher Weise förderlich für den Spracherwerb des Kleinkindes. Erstens ist der erwachsene Interaktionspartner aufgrund der Konzentration auf bekannte „transaktionale Formate“,
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Ein erfolgreicher Spracherwerbsprozess setzt somit voraus, dass Eltern ihr eigenes Sprachniveau den Fähigkeiten des Kindes anpassen, das Kind aber nichtsdestotrotz als ebenbürtigen Kommunikationspartner behandeln (vgl. Bruner 1987, 32f.). Indem die Erwachsenen auf einem etwas höheren Niveau als das Kind kommunizieren und sich gleichzeitig dem Entwicklungsstand des Kindes anpassen, helfen sie ihm, in die „Zone der nächsten Entwicklung“ zu gelangen. Dies bedeutet, „was das Kind heute in der Zusammenarbeit macht, wird es morgen selbständig zu machen fähig sein“ (Wygotsky 1934/1986, 240). Prototypische Interaktionsmuster zwischen Eltern und Kindern, welche dem eigentlichen Leselernprozess vorangestellt sind und die frühe Lesesozialisation markieren, werden als „prä- und paraliterarische Kommunikationsformen“ bezeichnet (vgl. Hurrelmann, B. 2004b, 175). Das Betrachten von Bilderbüchern, Vorlesen, Erzählen und Reimspiele lassen sich als prominente Beispiele anführen, die sich zwar im Bereich der Mündlichkeit verorten lassen, jedoch als „eine Brücke zum Verstehen schriftlicher Texte“ begriffen werden können, da sie sich ebenso wie die schriftliche Kommunikation durch eine gewisse Distanz zum alltäglichen Sprachgebrauch charakterisieren lassen (vgl. Hurrelmann, B. 2004b, 175). Insbesondere das Vorlesen wird häufig als die wichtigste Einflussgröße der Lesekompetenz angeführt (vgl. den Verweis bei: Bus u.a. 1995, 2). Um Kinder auf das Lesenlernen in der Schule vorzubereiten, sind die frühe Hinführung zum Lesen sowie die Teilnahme an „literacy-related interactions“ in der Familie die wichtigsten Maßnahmen (vgl. Leseman u. De Jong 2001, 71).99 Im Rahmen einer Meta-Analyse konnten Bus u.a. zeigen, dass häufiges Vorlesen die Entwicklung des Sprachvokabulars („language growth“), die Fähigkeit einzelne Wörter zu buchstabieren („reading skills“) sowie die frühe literarische Kompetenz („emergent literacy skills“) von Kindern fördert (vgl. 1995, 1ff.).100 Dies führt dazu, dass Kinder bereits in frühen Jahren eine enge Bindung an Bücher und weitere gedruckte Medien entwickeln und auch in späteren Altersphasen mit hoher Wahrscheinlichkeit gerne und viel lesen. Die Syntax der geschriebenen Sprache weist in der Regel eine höhere Komplexität als die der gesprochenen Sprache auf. Ferner lässt sich die Schriftsprache durch eine größere Auswahl an Satzformen charakterisieren (vgl. Bus u.a. 1995, 2). Die niederländischen Forwie Situationen und Abläufe, dazu in der Lage, diejenigen Merkmale hervorzuheben, die das Kind bereits wahrnehmen kann, und die einer einfachen grammatischen Form entsprechen (vgl. Bruner 1987, 33). Eine zweite Hilfe sind die Anregung und das Vorbild, „einfache Gesten und stimmliche Äußerungen in verschiedenen kommunikativen Zusammenhängen durch komplexere lexikalische und satzähnliche Äußerungen [z.B. das Bitten] zu ersetzen“ (ebenda, 34). Drittens lassen sich sprachliche Formate insbesondere dadurch beschreiben, dass sie aus ‚Ereignissen’ bestehen, die sprachlich verabredet wurden und sprachlich wiederbelebt werden können, und die sich später als ‚Nehmen-wir-an’-Situationen charakterisieren lassen können. Viertens sind diverse psychologische und sprachliche Abläufe anzuführen, die sich von einem Format in ein anderes übertragen lassen. Beispielsweise erfolgt die Namengebung zunächst bei der Bezeichnung von Formaten und wird später auf das Bitten um Formate angewandt (vgl. ebenda, 35). 99 In der gegenwärtigen Literatur finden sich Verweise auf empirische bis in die 1950er Jahre zurückdatierende Studien, die die Auswirkungen des gemeinsamen Lesens in Eltern-Kind-Konstellationen auf die Sprach- und frühe Lesentwicklung sowie spätere Lesekompetenz analysierten (vgl. Bus u.a. 1995, 2). 100 Es handelt sich hierbei um die erste Meta-Analyse (29) quantitativer Studien, die die Häufigkeit des Vorlesens und deren Wirkung auf die Lesesozialisation analysierten. Qualitative Aspekte des Vorlesens wurden nicht erforscht. Die Autoren begründen dies damit, dass bislang gezeigt werden konnte, dass die Häufigkeit des Vorlesens mit der „Qualität“ in einem positiven Zusammenhang steht. Ferner argumentieren sie, dass die meisten Studien die Vorlese-Häufigkeit erfassen und weniger die Qualität des Vorlesens (vgl. Bus u.a. 1995, 3).
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scher beziehen sich auf eine ethnographische Studie von Cochran-Smith (1984), die gezeigt habe, dass das Vorlesen das Kleinkind mit Strukturen und Schemata von Erzählungen und literaturbezogenen Konventionen in Berührung bringt, Vorbedingungen, um letztlich Texte verstehen zu können (vgl. Bus u.a. 1995, 2). Dies lässt sich am Beispiel des gemeinsamen Bilderbuchanschauens illustrieren: „The book-reading situation has the characteristics of [..] a standard action format, with the additional qualification that its language-teaching function is more central than in other formats. […] in its basic form it consists of just three ordered elements (the attentional vocative, the query and the label). It is possible for the mother to go through the three-step-routine by herself, with the child providing minimal participation by passively attending to her and to the book. But on the great majority of occasions the child takes his turn in the cycle in a more active way and this provides the mother with a signal which she then interprets as the child’s taking over of one or more of the elements in the labelling routine.” (Ninio u. Bruner 1978, 8)
Das Vorlesen trägt somit in einer einzigartigen Weise zur frühen linguistischen Entwicklung bei, indem Kleinkinder bewusst mit der geschriebenen Sprache („written language register“) konfrontiert werden, indem sie beispielsweise mit grammatikalischen Formen der Schriftsprache in Kontakt („literate discourse rules“) kommen. Die Schriftsprache wird ihnen damit in einer Art und Weise präsentiert, wie es im Falle von Gesprächen niemals vorkommt (vgl. Bus u.a. 1995, 2). Bonfadelli u. Fritz gelangten zu dem Ergebnis, dass das Vorlesen sowie das Anschauen von Bilderbüchern (bevorzugt am Abend) mit Kindern im Vorschulalter die beliebtesten und am meisten praktizierten Formen der familialen Lesesozialisation sind (vgl. 1993, 104). In Anlehnung an Charlton lässt sich die typische Vorlesesituation in grundsätzlich vier Stadien untergliedern: In der ersten Phase wird die Vorlesesituation eingerichtet, indem Kind und Erwachsene miteinander aushandeln, ob und wie vorgelesen werden soll. Als Beispiel lässt sich das Betteln des Kindes am Abend um eine Geschichte vor dem Schlafengehen benennen. Daran schließt sich zweitens die Auswahlphase des (Vorlese-)Inhalts an. Die Erzählungen der Eltern ermöglichen dem Kind eine rückblickende Betrachtung eigener sozialer Erfahrungen. Im Idealfall werden das Leben des Kindes und die Beschreibung im Buch im Zuge der Vorlesesituation zusammengebracht. In der dritten Phase wird die Geschichte rezipiert, d.h. zwischen Vorleser und Kind findet eine intensive Kommunikation statt, wobei sich das Vorlesen je nach Alter des Kindes und Kooperationsform zwischen Eltern und Kind anders vollzieht. In der vierten und letzten Phase mündet das Vorlesen in ein Nachgespräch über das Gelesene (vgl. Charlton 1995, 114f.). Überdies finden sich Belege dafür, dass sich Vorlesesituationen nach Bildungsnähe der Familie unterscheiden. Während sich in bildungsnäheren Familien Vorlesesituationen eher in Form eines Dialogs zwischen vorlesendem Elternteil und Kind vollziehen, werden Kinder in bildungsferneren Familien eher dazu verleitet, sich passiv zu verhalten und still zuzuhören (vgl. z.B. Wieler 1998, 72f.). Prä- und paraliterarische Kommunikationsformen fördern generell die so genannte metasprachliche Bewusstheit, die im Idealfall dem eigentlichen Leseerwerbsprozess vorangestellt ist. Frith, die den Prozess des Leselernens in ein logographisches, alphabetisches und orthographisches Stadium unterteilt (vgl. 1985, 306)101, spricht von einer Phase der 101
Im „logographischen“ Stadium beginnen Kinder damit, ihnen bekannte Wörter anhand von globalen Merkmalen unmittelbar zu erkennen. Die Buchstabenfolge wird weitgehend ignoriert und phonologische Faktoren sind
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„metalinguistic awareness“, in der das Kleinkind so genannte „symbolic skills“ erwirbt, d.h. „some understanding of such difficult metalinguistic terms as ‚word’ and ‚sentence’“ (Frith 1985, 308). Niebuhr und Ritterfeld (2003) unterscheiden vier Bereiche der metalinguistischen Bewusstheit: Die pragmatische, die syntaktische und die phonologische Bewusstheit sowie die Wortbewusstheit. Die „pragmatische Bewusstheit“ wird definiert als „die Fähigkeit, über die zeitlich lineare Ausdehnung eines Textes hinaus die jeweiligen semantischen Elemente des Textes untereinander in Bezug zu setzen und zu einer Synthese zu bringen – sei er nun gehört oder gelesen, soll er nun gesprochen oder geschrieben werden“ (Niebuhr u. Ritterfeld 2003, 106). Die „syntaktische Bewusstheit“ bezieht sich auf die Kenntnis, einen Satz in Phrasen, Satzteile oder Worteinheiten zu gliedern sowie Fehler der Satzbildung zu identifizieren und zu korrigieren. Im Vorschulalter sind Kinder lediglich dazu befähigt, Sätze in semantische Einheiten zu unterteilen. Die „phonologische Bewusstheit“ bezieht sich unterdessen darauf, wie Silben und Laute sprachlich verarbeitet werden. Sie umfasst aufgabenbezogene Leistungen, die sich auf die Isolierung von einzelnen Lauten (beispielsweise die Frage, ob ein f in Affe vorkommt) oder deren Beeinflussung in einer Lautfolge (z.B. die Frage, welcher Laut in Hund zu hören ist, aber nicht in und). Während bereits 50 Prozent aller Kinder unmittelbar vor Schuleintritt dazu in der Lage sind, Wörter in Silben zu trennen, gelingt nur einem Sechstel die Unterteilung in Phoneme. Die „Wortbewusstheit“ bezieht sich sowohl auf die Vertrautheit mit dem Begriff „Wort“ als auch auf das Wissen darüber, dass Wörter als Bestandteile der Sprache bestimmte Merkmale besitzen, die bedeutungsunabhängig sind, wie z.B. die Fähigkeit, einzelne Wörter in Sätzen durch Synonyme oder strukturähnliche Wörter zu ersetzen oder Sätze in einzelne Wörter zu gliedern (vgl. Niebuhr u. Ritterfeld 2003, 106ff.). Indem prä- und paraliterarische Kommunikationsformen die metasprachliche Bewusstheit bei Vorschulkindern fördern, beeinflussen sie die Lesesozialisation positiv. Gemäß neueren Erkenntnissen aus der pädagogisch-psychologischen Lese-Rechtschreibe-Forschung scheinen sich Leseschwierigkeiten offenbar bereits im frühen Grundschulalter auszubilden und zu stabilisieren (vgl. Ennemoser u. Schneider 2004, 380). Abgesehen von einigen Satztypen (z.B. Passivkonstruktionen) beherrschen Kinder grammatikalische Satzstrukturen in einem Alter von ungefähr fünf Jahren (Satzverständnis). Verstanden wird ein schriftlicher Text dann, wenn die Informationen nacheinander erarbeitet und zueinander in Relation gesetzt werden. Nur wer über bestimmte allgemeine Schemata verfügt, um Textbedeutungen zu erarbeiten, kann lesen. Lesenkönnen korreliert damit in hohem Maße mit sekundär. Erst nachdem das Wort erkannt wurde, wird es ausgesprochen (vgl. Frith 1985, 306). Günther spricht stattdessen von einer „semantischen Phase“, in der Geschriebenes an Bedeutung gewinne. In dieser frühen Phase gehe es weniger um das Lesen von Wörtern, sondern vielmehr um das Erlernen von Bedeutungen (2004, 38). Die „alphabetische Phase“ bezieht sich auf das Wissen und den individuellen Gebrauch von Phonemen und Graphemen sowie auf deren Beziehungen zueinander. Die Buchstabenabfolge und phonologische Faktoren spielen eine zentrale Rolle. In dieser Phase ist das Kind in der Lage, neue Wörter (nicht notwendigerweise korrekt) auszusprechen (vgl. Frith 1985, 306). Günther schlägt hier den Begriff der „phonographischen Phase“ vor. Seiner Ansicht nach geht es in dieser Phase darum, den Lautbezug des Geschriebenen generell zu erkennen, nicht nur um das Erkennen von einzelnen Lauten und Buchstaben (vgl. 2004, 38). In der „orthographischen Phase“ werden Wörter als orthographische Einheiten, idealerweise Morpheme, unmittelbar erkannt, ohne dass sie laut ausgesprochen werden. Diese Phase unterscheidet sich von der logographischen dahingehend, dass ihr eine Systematik zu Grunde liegt und sie non-visuell ist. Im Unterschied zur alphabetischen ist sie non-phonologisch und operiert in größeren Einheiten (vgl. Frith 1985, 306). Günther schlägt hier den Begriff „grammatische Phase“ vor; diese bezieht sich auf die Entdeckung aller Ebenen der Sprachstruktur beim Schreiben und Lesen auf der Wort-, Satz- und Textebene (vgl. 2004, 38).
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den Vorerfahrungen der Lesenden. Diejenigen Kinder haben es beim Lesenlernen leichter, die schon früh mit Textstrukturen in Berührung kommen (vgl. Niebuhr u. Ritterfeld 2003, 104f.), wie z.B. beim Vorlesen, „das dem Kind hilft, zu bestimmten bildlichen Repräsentationen im Buch [zu gelangen und] nach und nach immer korrektere sprachliche Benennungen zu liefern“ (Hurrelmann 1994b, 20). Auf Grundlage dieser Ausführungen lässt sich die Forschungshypothese ableiten, dass häufige para- und präliterarische Interaktionen zwischen Kindern und Eltern die Lesesozialisation und damit die späteren Lesegewohnheiten sowie die Lesemotivation der Heranwachsenden positiv stimulieren. Operationalisierung: Frühe Formen der Lesesozialisation („prä- und paraliterarische Interaktion“) werden im Rahmen dieser Arbeit am Zeitbudget gemessen, das die Eltern für Vorlesen und Geschichtenerzählen aufbringen. Auch wenn damit nichts über die Inhalte bzw. die Qualität der Vorleseinteraktionen gesagt werden kann, ist anzunehmen, dass die Qualität und Häufigkeit der Vorlesesituationen in einem positiven Zusammenhang stehen (vgl. z.B. Bus 2001, 41). Bus unterstellt, dass „the frequency and quality of book reading are strongly related to the history of other interactive experiences that children share with their parents” (2001, 41). Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die Qualität von präund paraliterarischen Kommunikationen in hohem Maße von der Bildungsnähe der Familie abhängig ist. Abschließend sollen die Dimensionen „prä- und paraliterarische Sozialisation“ und „direkte Kommunikation in der Familie“ miteinander verbunden werden. Es ist davon auszugehen, dass beide Dimensionen eng miteinander verzahnt sind, wobei sich Erstere durch einen höheren Grad der Spezialisierung auszeichnet. In diesem Sinne ist dem Argument zuzustimmen, dass das Vorlesen keine isolierte Technik ist, um frühes Lernen im Bereich „Literacy“ (Fähigkeit zu Lesen und zu Schreiben; Lese- und Schreibkompetenz) anzuregen, sondern im Sinne eines grundlegenden sozialen Prozesses zu verstehen ist, d.h. „book reading is not an isolated technique to stimulate early learning in the domain of literacy but a profoundly social process, embedded in parent-child relationships“ (Bus 2001 41). 3.2.2 Elternvorbild Folgendes Zitat des amerikanischen Kinderpsychologen Bruno Bettelheim (1903–1990) hat auch ein Vierteljahrhundert später nichts von seiner Aktualität eingebüßt: „[…] high parental valuation […] makes reading so attractive to the child. […] the child responds to the parents’ emotional absorption in reading. What makes it attractive to him is that it seems to fascinate his parents. It is their secret knowledge that the child wants to be able to share. The more parental devotion to reading and the child’s belief in its magic propensities coincide, the easier time a child will have in learning to read, and the more important and enjoyable reading will be to him.” (Bettelheim u. Zelan 1982, 54)
Eine Revision der Literatur zur familialen Lesesozialisation hat ergeben, dass das Elternvorbild als zentrale Größe die Lesesozialisation nachhaltig beeinflusst (vgl. z.B. Van Peer 1991, 543; Tullius 2001, 79ff.; Hurrelmann, B. 2004c, 49). In der von der Stiftung Lesen durchgeführten Untersuchung über das Leseverhalten in Deutschland im neuen Jahrtausend wurde ermittelt, dass von allen theoretisch möglichen Faktoren das Elternvorbild den stärk-
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sten Einfluss darauf nimmt, ob ein Kind zum Vielleser wird oder nicht. Generell liegt der Anteil der Vielleser in der Bevölkerung bei etwa einem Drittel (28 Prozent). Bei Kindern, deren Eltern sich beide als Leser beschreiben lassen, beträgt der Vielleser-Anteil 52 Prozent, liegt also in dieser Gruppe um 24 Prozentpunkte über dem Durchschnitt. Im Gegensatz dazu liegt der Anteil der Vielleser in der Gruppe mit nichtlesenden Eltern weit unterhalb des Durchschnitts mit neun Prozent (Tullius 2001, 79ff.). Vor diesem Hintergrund ist dieses Kapitel hauptsächlich mit der Frage befasst, inwiefern und warum das Elternvorbild, auch unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Lesesozialisation beeinflusst. Wie bereits dargelegt wurde, zeichnet sich eine Annäherung der Geschlechtssrolleninhalte zumindest in einigen Bereichen ab. Insbesondere die Differenzierung der Vater- und Mutterrolle hat an Trennschärfe verloren. Bereits seit Ende der 1970er Jahre besteht innerhalb der Forschung Einigkeit darüber, dass beide Eltern, nämlich Mutter und Vater, innerhalb der Sozialisation ihrer Kinder eine zentrale Rolle spielen (vgl. z.B. Lamp 1976, 26ff.; Fthenakis 1992, 179ff.). Diese Auffassung hat sich unterdessen auch in der breiten Öffentlichkeit weitgehend durchgesetzt; immerhin rund zwei Drittel der Väter definieren sich in Deutschland eher als Erzieher denn als Ernährer. Daraus folgt, dass beiden Eltern eine zentrale Funktion innerhalb der Lesesozialisation zugeschrieben werden kann (vgl. z.B. Stiftung Lesen 2001, 79f.). Aus aktuelleren Studien geht hervor, dass sich mit steigender Bildung Väter zunehmend für Kindererziehung, Haushalt und „Zeit mit Kindern“ verantwortlich fühlen, dass aber umgekehrt damit auch der Zuständigkeitsbereich der Mütter diesbezüglich abnimmt (vgl. Hurrelmann, B. u.a. 2005, 326ff.). Allerdings konzentrierten sich empirische Untersuchungen bisweilen überwiegend auf die Rolle der Mutter im Rahmen der Lesesozialisation. Nur in wenigen Untersuchungen wurden beide Eltern explizit befragt (z.B. bei Hurrelmann B. u.a. 1993, 20) bzw. deren Rolle innerhalb der Lesesozialisation analysiert (vgl. Bonfadelli u. Fritz 1993, 107).102 Davon ausgehend werden dem gegenwärtigen Forschungsstand angemessen in dieser Arbeit sowohl Mutter als auch Vater in ihrer Vorbildfunktion hinsichtlich ihrer Lese- und Fernsehgewohnheiten untersucht. Damit verbunden ist die Absicht, neuere Erkenntnisse über das Zusammenspiel beider Eltern im Rahmen der Lesesozialisation zu gewinnen. Zur Erhellung dieser Problemstellung werden Ansätze sozialer Lerntheorien herangezogen. Die Persönlichkeit des Einzelnen bildet sich dann heraus, wenn der Mensch äußere Einflüsse – sowohl materieller als auch sozialer Art – verarbeitet und dieser Prozess bestimmten Lerngesetzen folgt (vgl. Hurrelmann K. 2002, 63). Dementsprechend kommt 102
Auch wenn seit dem 19. Jahrhundert zumindest in empirischer Sicht der Mutter die zentrale Rolle für eine gelingende Lesesozialisation in der „bürgerlichen Familie“ zugeschrieben wurde, zeigt sich im historischen Rückblick, dass dies keineswegs immer so war, sondern dass diese Rolle bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts dem Vater zugedacht war. So heißt es bei Wild: „Der Vater ist der Lehrer der Kinder“ (1987, 207). In der aufgeklärten Kinderliteratur überwiegt die Zahl der Jungenfiguren wie auch die Anzahl der männlichen Erwachsenen, insbesondere die Anzahl der Väter oder „Vaterfiguren“ (vgl. ebenda, 205ff.). Weiter heißt es bei Wild: „Die aufgeklärte Kinderliteratur reagiert auf die beruflich bedingte Abwesenheit des Vaters damit, daß sie die Teilhabe des Vaters an der Erziehung in quantitativ markanter Weise dargestellt. Die Zahlen signalisieren jedoch auch eine strukturelle Festlegung der Rollen von Vater und Mutter in der Figuration und im Erziehungsprozess. Dem quantitativen Übergewicht der Väter entspricht die strukturell gegebene väterliche Dominanz, die ihren Ausdruck einerseits in der Ausschließung der Mütter aus dem Erziehungsprozeß und andererseits in der zentralen Position findet, die den Vätern in Familie und Erziehung zugewiesen wird“ (1987, 206). Ein Beleg findet sich etwa bei von Goethe in „Dichtung und Wahrheit“ (1811–1814): „Mein Vater lehrte die Schwester in demselben Zimmer Italienisch, wo ich den Cellarius auswendig zu lernen hatte.“ (Von Goethe 1812/1998, 37)
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„[e]in Mensch […] ohne angeborene oder vorgeprägte Muster der Verarbeitung der äußeren Realität zur Welt und muss sein Verhalten mit Hilfe von Erfahrungen aufbauen. Erst durch Person-Umwelt-Interaktionen, die Lernprozesse darstellen, werden Verhaltensweisen und Handlungskompetenzen ausgebildet“ (Hurrelmann K. 2002, 63). Während sich die klassische, behavioristische Lerntheorie in der Tradition von John B. Watson (1878–1958) vor allem an einem mechanistischen Modell der Person-Umwelt-Beziehungen orientiert, auch unter der Prämisse, dass das menschliche Verhalten als einfache Reaktion auf Umweltimpulse erklärt werden kann (vgl. Watson, 1913; auch: Hurrelmann, K. 2002, 64), hat diese Auffassung seit den 1960er Jahren weitgehend an Bedeutung verloren (vgl. Ulich 1991, 60ff.). Spätere Varianten, wie die soziale Lerntheorie, unterstellen, dass sich Individuum und Umwelt wechselseitig beeinflussen (vgl. Hurrelmann K. 2002, 63f.). Die Begriffe „soziales Lernen“ und „Sozialisation“ überschneiden sich, wenn aus lerntheoretischer Sicht der Begriff des sozialen Lernens auf die Inhalte bezogen wird (vgl. Fischer u. Wiswede 2002, 70). Der Begriff des sozialen Lernens umfasst demnach die Übernahme von Normen, Regeln und Erwartungen des sozialen und kulturellen Umfeldes. Auch dieser Ansatz gründet auf der Prämisse eines lebenslangen sozialen Lernprozesses, welcher in der Kindheits- und Jugendphase die höchste „formative“ und beeinflussende Kraft entfaltet (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 65). Als eine besondere Form des sozialen Lernens bezieht sich die Lesesozialisation darauf, dass sich Kinder elterliche Normen, Regeln und Erwartungen in Bezug auf den Mediengebrauch (z.B. das Lesen) aneignen und diese verarbeiten.103 Als Beispiel lässt sich in diesem Kontext die Norm anführen, dass „Lesen bildet und zum Denken anregt“. Grundsätzlich lassen sich innerhalb der sozialen Lerntheorie nochmals verschiedene Forschungsrichtungen unterscheiden, auf die im Einzelnen nicht näher eingegangen werden soll.104 Sich an bisherige Arbeiten zur Lesesozialisation anlehnend, beziehen sich die folgenden Ausführungen daher primär auf die Überlegungen Banduras (vgl. auch: Bonfadelli u. Fritz 1993, 40; Bonfadelli, 1999, 106). Demnach verarbeitet der Mensch das, was er am Verhalten anderer Menschen modellhaft wahrnimmt (vgl. Bandura 1979, 31). Die Bedeutung des Modelllernens innerhalb der Sozialisation soll mit folgenden Worten nochmals zum Ausdruck gebracht werden: „[M]odelling has always been acknowledged to be one of the most powerful means of transmitting values, attitudes, and patterns of thought and behavior.” (Bandura 1986, 47f.)
Kinder konstruieren nach dieser Auffassung „generative Regelsysteme“, d.h. begriffliche Schemata und verschiedenartige Formen der Informationsverarbeitung, im Rahmen dessen sie mit anderen, insbesondere Erwachsenen, interagieren. Das Lernen am Modell vollzieht sich in ersten Linie dann, wenn der Beobachter andere in ihrem Verhalten nachahmt und sich mit ihnen identifiziert (vgl. Hurrelmann, K. 2002, 65). Bandura geht von einem weit gefassten Verständnis des Modellbegriffs aus, der neben der physikalischen Demonstration des zu erlernenden Verhaltens auch das Lernen über Medien sowie symbolische 103
Es handelt sich hierbei um eine Form des kontinuierlichen, sich unwillkürlich vollziehenden Lernens. Diskontinuierliches Lernen (z.B. eine plötzliche Einsicht) oder willkürliches Lernen (das Auswendiglernen eines Liedes) werden hier nicht näher betrachtet (vgl. hierzu: Ulich 1991, 60). 104 Vgl. hierzu die Hinweise bei: Fischer u. Wiswede (2002, 70).
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Verhaltensmuster miteinschließt (vgl. Bandura 1979, 70; Fischer u. Wiswede 2002, 70). Seiner Auffassung nach lässt sich das menschliche Verhalten durch eine ständige Wechselwirkung zwischen kognitiven Determinanten sowie Verhaltens- und Umweltdeterminanten erklären (vgl. Bandura 1979, 10).105 Bezogen auf die vorliegende Thematik stehen beispielsweise Lesekompetenz (kognitive Determinante), Lese- und Fernsehgewohnheiten (Verhaltensdeterminanten) sowie das Familienumfeld als Umweltdeterminante in einer wechselseitigen Beziehung. In dieser Arbeit wird von Persönlichkeitsfaktoren bzw. kognitiven Einflussfaktoren weitgehend abstrahiert, da dies den inhaltlichen Rahmen sprengen würde. Den Kern der Analysen bilden vielmehr Verhaltens- und Umweltfaktoren, die sich durch Lese- und Fernsehgewohnheiten der Familienmitglieder und strukturelle Dimensionen, wie Bildung und Zeit, konkretisieren lassen. Innerhalb der Argumentation Banduras wird das menschliche Individuum weder auf die Rolle „des hilflosen Objektes“ reduziert, das von seiner Umwelt, z.B. der Herkunftsfamilie, geprägt wird, noch lässt es sich als „freies“ Subjekt begreifen, „das aus sich machen kann, was immer es will“ (Bandura 1979, 10), d.h. „Menschen und ihre Umwelt determinieren einander wechselseitig“ (ebenda, 10).106 Dieser Ansatz fokussiert die Betrachtung von symbolischen, stellvertretenden und selbstregulierenden Prozessen. Man beobachtet das Verhalten anderer und die daraus folgenden Konsequenzen (vgl. Bandura 1979, 22). Kleine Kinder beobachten ihre Eltern, z.B. während der Lektüre oder während des Fernsehens, und erfahren damit gleichzeitig auch, wie sich Inhalte der Medien auf deren Verhalten auswirken. Die Buchlektüre mag beispielsweise die Eltern erheitern oder nachdenklich stimmen. Indem Sprach- und Vorstellungssymbole verarbeitet und gespeichert werden können, sind sie für das Verhalten in der Zukunft durchaus relevant (vgl. ebenda 1979, 23). Die meisten menschlichen Verhaltensweisen, die durch die Integration vieler Teilaktivitäten hervorgerufen werden (vgl. Bandura 1979, 25), werden durch die Beobachtung von Modellen erlernt. Der Beobachter stellt sich zunächst bildlich vor, wie sich das Modell „verhält“. Zu einem späteren Zeitpunkt dient diese „kodierte Information“ dann als Handlungsrichtlinie (vgl. ebenda, 31). Bildlich vorstellen lässt sich etwa ein Vater, der allabendlich zur Zeitungslektüre greift oder nach dem Frühstück das Radio einschaltet. Dieses Verhalten wird von Kindern unter Umständen zunächst nur visuell registriert; die gespeicherte Information „Vater liest Zeitung“ mag dann aber in Abhängigkeit von ihrer weiteren Entwicklung und zu einem späteren Zeitpunkt als Richtlinie des Handelns dienen.
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Es handelt sich hierbei um eine kognitive Theorie (vgl. z.B. Ulich 1991, 70), da sie die Relevanz von Erwartungen hervorhebt und ferner die Rolle stellvertretender Verstärkung sowie symbolischer und selbstregulativer Prozesse betont. Dieser Ansatz befasst sich somit nicht ausschließlich mit äußeren Einflussquellen, sondern unterstellt, dass der Mensch die Möglichkeit ergreift, selbsterzeugte Anreize und Konsequenzen zu schaffen (vgl. Fischer u. Wiswede 2002, 70). 106 In Analogie zu Piaget hebt Bandura die Bedeutung des Beobachtens, der Nachahmung sowie der strukturbildenden Abstraktionsfähigkeit des Lernenden hervor. Für beide bedeutet menschliches Lernen ein Auseinandersetzungsprozess mit der Umwelt, ein Prozess, der gleichzeitig immer auch Einwirkung und Aneignung, Anpassung und Veränderung beinhaltet (vgl. Ulich 1991, 70). Analog zu Chomskys Unterscheidung in „competence“ und „performance“, definiert als „the speaker-hearer’s knowledge of his language“ (competence) und „the actual use of language in concrete situations“ (performance) (Chomsky 1969, 4) unterscheidet die soziale Lerntheorie zwischen einer Phase des Lernens sowie einer Phase der Ausführung (vgl. Ulich 1991, 70). Mit Blick auf die Fragestellung bezieht sich die erste Phase auf den Leseaneignungsprozess, während sich die letzte Phase auf Lesegewohnheiten bezieht.
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Die informierende Funktion der Modellierungseinflüsse lässt sich als Voraussetzung für soziales Lernen heranziehen. Die modellierten Verhaltensweisen werden durch den Beobachter vor allem in Gestalt symbolischer Repräsentationen aufgenommen, welche dann zu einem späteren Zeitpunkt die entsprechende Ausführung des Verhaltens anleiten (vgl. Bandura 1979, 32f.). Gesteuert wird das Beobachtungslernen durch Aufmerksamkeits- und Behaltensprozesse, motorische Reproduktionsprozesse sowie Motivationsprozesse (vgl. ebenda, 32), die im Folgenden näher ausgeführt und auf das Lesenlernen am Modell (der Eltern) übertragen werden. Von den jeweiligen Aufmerksamkeitsprozessen hängt es zunächst ab, welche der auf den Beobachter einwirkenden Modellierungsprozesse selektiv beobachtet werden und welche dieser Darstellungen letztlich berücksichtigt werden. Der Umfang sowie die Art der Erfahrungen qua Beobachtung werden durch eine Vielzahl von Determinanten beeinflusst, die sich grob in Modellierungsstimuli, Beobachtungsmerkmale und solche Merkmale kategorisieren lassen, die mit der Struktur der menschlichen Situation zusammenhängen (vgl. Bandura 1979, 33; Bandura 1986, 51f.). Sich an Bandura anlehnend benennt Ulich erstens die Häufigkeit, mit der Modell und Beobachter einander begegnen, zweitens den Anreiz, der im Lernen der beobachteten Aktivität liegt107, drittens die generellen Charakteristika der Situation und die Interaktionsbeziehung, viertens die Merkmale des Modells (z.B. Geschlecht, Macht, affektive Bedeutung) sowie fünftens die Merkmale des Beobachters (z.B. eigene Kompetenz, Selbsteinschätzung). Darüber hinaus lässt sich die Beziehung zwischen Modell und Beobachter benennen, welche sich beispielsweise in der Art der affektiven Beziehung, der wahrgenommenen Ähnlichkeit, der relativen Bedeutung im Beziehungsnetz des jeweiligen anderen, usw. ausdrückt (vgl. Ulich 1991, 73f.). Als eine der bedeutendsten Faktoren lässt sich in diesem Zusammenhang die Interaktionssituation anführen (vgl. Bandura 1979, 33). Übertragen auf die Fragestellung bedeutet dies, dass die „Menschen, mit denen wir regelmäßig umgehen, weil wir es wollen oder müssen, [..] weitgehend [bestimmen], welche Verhaltenstypen wir regelmäßig beobachten und folglich am ehesten lernen können“ (ebenda, 33). Demzufolge werden Kinder, die im Laufe ihrer Sozialisation Lese- und Fernsehgewohnheiten ihrer Eltern regelmäßig beobachten, diese auch eher lernen können als Kinder, die dazu seltener Gelegenheit haben. Im Rahmen des Beobachtungslernens spielt überdies der Prozess des Behaltens derjenigen Tätigkeiten eine große Rolle, die in der Vergangenheit irgendwann einmal modelliert wurden. Als wichtige Gedächtnishilfen lassen sich die „symbolische Kodierung“ sowie die Wiederholung anführen (vgl. Bandura 1979, 34f.). Mit Hilfe von Symbolen ist es möglich, dass auch temporäre Erfahrungen der Modellierung im Gedächtnis gespeichert werden. Menschen können nur deshalb einen Großteil ihres Verhaltens durch die Beobachtung anderer lernen, da sie über die hoch entwickelte Fähigkeit der Symbolisierung verfügen (vgl. ebenda, 24).
107 Bestimmte Modellierungsweisen sind nach Ansicht Banduras unter Umständen besser als andere geeignet, die Aufmerksamkeit zu erregen. Kinder müsse man nicht zwingen fernzusehen, während mündliche oder schriftliche Berichte derselben Aktivitäten ihre Aufmerksamkeit kaum längere Zeit in Anspruch nehmen würden (1979, 49). Weiter heißt es: „Ferner stellen die symbolischen Darbietungsweisen [z.B. im Falle der Schriftsprache] größere Anforderungen an die kognitive Ausgangsfähigkeiten. Beobachter, die über eingeschränkte begriffliche und sprachliche Fähigkeiten verfügen, werden aus Verhaltensdarbietungen größeren Nutzen ziehen als aus verbaler Modellierung.“ (Bandura 1979, 49)
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Das Lernen über Beobachtung basiert auf zwei Repräsentationssystemen, nämlich der Vorstellung und der Sprache (vgl. Bandura 1979, 34). Insbesondere in frühen Entwicklungsphasen ist die visuelle Vorstellung für das Beobachtungslernen zentral (vgl. ebenda, 35). Die Determinanten des Nachahmungsverhaltens variieren ferner in Abhängigkeit der Entwicklungsphase. In frühen Phasen erfolgt die Nachahmungsreaktion des Kindes unmittelbar und sofort nach der Beobachtung des entsprechenden Verhaltens durch das Modell, während in späteren Entwicklungsphasen die Nachahmungsreaktionen in der Regel zeitversetzt, d.h. lange nach der Beobachtung des Modells, und in Abwesenheit desselben erfolgen (vgl. Bandura 1979, 36). Heranwachsende werden ihre Eltern somit nicht unmittelbar, sondern zeitversetzt, und in der Regel in deren Abwesenheit nachahmen. Im Zuge der Modellierung (motorischer Reproduktionsprozess) sind die symbolischen Repräsentationen ferner in angemessene Handlungen umzusetzen. Wie viel vom Gelernten tatsächlich ausgeübt wird, hängt auch vom jeweiligen Entwicklungsstand des Einzelnen, d.h. von den erforderlichen Teilfertigkeiten, ab (vgl. Bandura 1979, 36f.). Die Umsetzung des Gelernten setzt voraus, dass Kinder in der Lage sind, symbolische Erfahrungen zu machen und diese selbst motorisch zu übersetzen (vgl. ebenda, 39). Allerdings setzen Menschen nicht alles, was sie lernen, in die Tat um (motivationaler Prozess). In diesem Zusammenhang lässt sich zwischen Erwerb und Ausführung unterscheiden, denn ob eine Tätigkeit ausgeführt wird oder nicht, hängt zunächst davon ab, welchen Wert die Resultate der ausgeführten Tätigkeit für den Einzelnen haben. Gleichermaßen wirkt sich der Einfluss von antizipierten Folgen auf modelliertes Verhalten aus (vgl. ebenda, 38). Beispielsweise lässt sich nachweisen, dass die Modellierung durch Bekräftigung des Nachbildungsverhaltens zunimmt (vgl. ebenda, 38). Kinder, deren Eltern es begrüßen, wenn sie lesen, und dies z.B. durch Buchgeschenke bestätigen, werden demzufolge eher dazu neigen, Lesemotivation zu entwickeln als diejenigen, deren Verhalten nicht bekräftigt wird. Verschiedene Beobachter adaptieren unterschiedliche Kombinationen von Merkmalen. Kinder können innerhalb derselben Familie ganz verschiedene Persönlichkeitsmerkmale entwickeln, da sie sich an verschiedenen Merkmalen von Eltern und Geschwistern orientieren (vgl. Bandura 1979, 57). In der erfolgreichen Modellierung fungieren die Beobachter selbst als Verhaltensquellen für neue Mitglieder der sozialen Gruppe (vgl. ebenda, 57). Der Beitrag Banduras lässt sich dahingehend würdigen, indem dort der Versuch unternommen wurde, soziales Lernen durch Imitation zu erklären (vgl. hierzu: Fischer u. Wiswede 2002, 71). Insbesondere komplexe Verhaltensmuster (wie z.B. die Übernahme einer sozialen Rolle, die Aneignung von Gewohnheiten) werden durch die Beobachtung eines Modells erlernt (vgl. z.B. Fischer u. Wiswede 2002, 71). Auch die Internalisierung von Verstärkern (Selbstverstärkung) lässt sich mit Hilfe des Modelllernens plausibel erklären (vgl. ebenda, 72). Daher erscheint dieser Ansatz auch hier dazu geeignet, die Rolle der Eltern für die Lesesozialisation herauszustellen. Daraus lässt sich die Forschungshypothese ableiten, dass die Lese- und Fernsehgewohnheiten der Eltern die Lesesozialisation der Kinder positiv beeinflussen. Konkret bedeutet dies: Je mehr die Eltern lesen, desto mehr lesen die Kinder; gleiches gilt für die Fernsehnutzung. Operationalisierung: Das Modellverhalten der Eltern wird im Rahmen dieser Untersuchung über die mit Lesen und Fernsehen verbrachte durchschnittliche Zeit (bezogen auf Wochentag, Werktag, Wochenendtag) operationalisiert. Es wird angenommen, dass es sich hierbei um relativ stabile Nutzungsmuster im Zeitverlauf handelt. Die infolge der Sozialisation durch die Familie entwickelten Gewohnheiten werden über Lese- und
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Fernsehzeitbudgets der Kinder und Jugendlichen erfasst. Dies geschieht unter der Prämisse, dass sich die im Rahmen der primären Lesesozialisation erworbenen Lese- und Fernsehgewohnheiten im Zeitablauf als relativ stabil erweisen. 3.2.3 Zurückhaltende Fernsehnutzung Wie bereits im einleitenden Kapitel dargelegt wurde, kommt der Lesesozialisation und der damit verbundenen Entwicklung von Lesekompetenz und -motivation innerhalb der Mediensozialisation eine Schlüsselrolle zu. Eine „asymmetrische Beziehung“108 zwischen Lesen und Fernsehen ergibt sich bereits daraus, dass das Lesen in der Schule explizit gelehrt wird (vgl. z.B. Fritzsche 2004, 212), während die Vermittlung von anderen Formen der Mediennutzung nicht explizit im Lehrplan verankert ist (vgl. z.B. Hurrelmann, B. 1992b, 246; Hurrelmann, B. 1999, 112). Sich auf Argumente beziehend, die der Medienwissenschaft, der Sprachwissenschaft und der Kognitionspsychologie entlehnt sind, wird eine Antwort auf die Frage gesucht, inwieweit die Relation von Fernseh- und Lesegewohnheiten im Familienumfeld die Lesesozialisation beeinflusst. Ausgegangen wird von einer negativen Beziehung zwischen Fernsehen und Lesen, d.h. von der Annahme, dass sich eine zurückhaltende Fernsehnutzung positiv auf die Ausbildung von Lesegewohnheiten auswirkt (vgl. Van der Voort 1991, 73ff.; Van der Voort 2001, 95ff.). In der Literatur existieren aber auch Hypothesen, die eine positive Beziehung zwischen Fernsehen und Lesen postulieren.109 Im Folgenden wird lediglich auf die Verdrängungshypothese näher eingegangen, da sich diese in der Forschung allgemein durchgesetzt hat und diesbezüglich die meisten empirischen Evidenzen vorliegen (vgl. z.B. Beentjes u. Van der Voort 1988, 389ff.; Reinsch 2002, 32ff.; Ennemoser u. Schneider 2004, 375ff.; Schreier 2004, 403). Ihr unterliegt die Annahme, dass Kinder mit steigendem Fernsehkonsum weniger Zeit mit Lesen in der Freizeit verbringen.110 Auf der einen Seite besagt diese Hypothese, dass Fernsehen die Ausbildung von Lesekompetenz dergestalt beeinträchtigt, indem es diejenigen Freizeitaktivitäten verdrängt, die ansonsten die Lesekompetenz angeregt hätten, wie etwa die Freizeitlektüre (vgl. Beentjes u. Van der Voort 1988, 393). Auf der anderen Seite wird angenommen, dass Fernsehen die Ausbildung von Lesekompetenz auf eine eher indirekte Art und Weise behindert, 108
Wenn von einer „Asymmetrie“ des Lesens gegenüber dem Fernsehen gesprochen wird, dann geschieht dies nicht in Einklang mit kulturpessimistischen Stimmen, die immer wieder versucht haben, insbesondere Buch und Fernsehen zugunsten des Buches gegeneinander auszuspielen (vgl. z.B. Postman 1983; Postman 1985). 109 Während die große Mehrheit der Studien von einer negativen Beziehung zwischen Fernsehen und Lesen ausgeht („Hinderungshypothesen“), gehen einige Studien auch von positiven Beziehungen zwischen der Fernsehnutzung und Lesekompetenz aus („Förderungshypothesen“). Die Forschungslage hierzu ist jedoch als relativ prekär einzuschätzen (vgl. Vorderer u. Klimmt 2002; Schreier 2004). Untersuchungen, die sich auf Letztgenannte konzentrieren, wurden bislang primär in denjenigen Ländern durchgeführt, in denen ausländische Filme nicht synchronisiert werden und das Lesen von Untertiteln einen gewöhnlichen Rezeptionsmodus darstellt (vgl. Raeymaeckers 2002 370f.; Reinsch 2002, 32ff.). Es wurde etwa im Rahmen einer niederländischen Studie die Hypothese überprüft, dass das Lesen von Untertiteln nicht-synchronisierter Filme die Fähigkeit des Dekodierens positiv beeinflusst. Dennoch standen Fernsehdauer und Lesekompetenz in einem negativen Zusammenhang. Scheinbar wurde der beim Lesen von Untertiteln entstandene positive Effekt durch andere Faktoren aufgehoben, welche die Entwicklung der Lesekompetenz behindern (vgl. Koolstra u.a. 1991). 110 Es lassen sich aber auch Gegenargumente finden: Eine zunehmende Fernsehdauer muss nicht zwangsläufig mit einem Rückgang anderer Aktivitäten verbunden sein, sondern kann sich auch in einer Zunahme des Parallelsehens äußern (vgl. z.B. Kuhlmann u. Wolling 2004, 386ff.; Jäckel u. Wollscheid 2007b, 23f.).
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indem diejenigen Aktivitäten verdrängt werden, welche die generelle kognitive Entwicklung des Kindes fördern (vgl. ebenda, 394). Die Verdrängung des Lesens durch die Fernsehnutzung lässt sich auf verschiedene Art und Weise erklären. Die prominenteste These stammt von Himmelweit u.a. und ist unter dem Begriff „functional similarity“ bekannt. Demnach verdrängt das Fernsehen funktional ähnliche Aktivitäten, d.h. solche, die weniger „effizient“ dieselben Bedürfnisse (Unterhaltung) stimulieren, wie z.B. das Lesen von Comics (vgl. Himmelweit u.a. 1958, 329). Würde das Fernsehen beispielsweise zur Anregung der Phantasie genutzt, würde das Lesen, das gleichsam der Phantasieanregung dient, verdrängt werden (vgl. z.B. Reinsch 2002, 34). Die nachfolgende Argumentation stützt sich auf Überlegungen, die den Kommunikationsmodus fokussieren und eine analytische Trennung zwischen Medium (z.B. Buch, Fernsehen) und Kommunikationsmodus (z.B. Mündlichkeit, Schriftlichkeit) nahelegen (vgl. Koch u. Oesterreicher 1985, 17; auch: Hurrelmann, B. 1992a, 250f.). Während die Relation zwischen phonemischem und graphischem Code im Sinne einer strikten Dichotomie aufzufassen ist, lassen sich die Kommunikationsmodi „Mündlichkeit“ und „Schriftlichkeit“ als konträre „Konzeptionen sprachlicher Äußerungen“ (Koch u. Oesterreicher 1985, 17) verstehen, zwischen denen ein Kontinuum von möglichen Abstufungen denkbar ist. Als abnehmend „sprechbezogen“ und zunehmend „schreibbezogen“ lassen sich die Äußerungsformen „vertrautes Gespräch“, „Telefonat mit einem guten Freund“, „Interview“, „abgedrucktes Interview“, „Tagebucheintrag“, „Privatbrief“, „Vorstellungsgespräch“, „Predigt“, „Vortrag“, „Zeitungsartikel“, „Verwaltungsvorschrift“ charakterisieren. Die einzelnen Formen der Äußerung lassen sich jeweils in das andere Format übertragen: Aus einem Tagebuch lässt sich vorlesen und ein gesprochener Vortrag kann niedergeschrieben werden (vgl. ebenda, 17). Die extremen Ausprägungen dieser Formen in einem mehrdimensionalen Spektrum von Kommunikationsbedingungen werden als „Sprache der Nähe“ einerseits und „Sprache der Distanz“ andererseits beschrieben (vgl. Koch u. Oesterreicher 1985). Die „Sprache der Nähe“ lässt sich durch Prozesshaftigkeit, Vorläufigkeit der Äußerungen, relativ geringe Informationsdichte und Komplexität sowie einfache Äußerungsformen beschreiben, da auf die situative Umgebung und das gemeinsame Wissen vertraut werden kann. Für diese Form der Kommunikation sind Spontaneität, Expressivität sowie analoge Kommunikationselemente charakteristisch (vgl. auch: Hurrelmann, B. 1992a, 251; Hurrelmann, B. 1992b, 249). Im Gegensatz hierzu ist die „Sprache der Distanz“ eher monologisch und neigt dazu, Äußerungen sprachlich zu fixieren und zu „verdinglichen“. Elemente des situativen und soziokulturellen Kontextes werden somit weitestgehend in Sprache gefasst, was zu einer höheren Informationsdichte und -kompaktheit der Äußerungen führt. Integration und Komplexität erfordern vor allem in syntaktischer Hinsicht eine vergleichsweise höhere Elaboriertheit (vgl. Hurrelmann, B. 1992a, 251). Indem sie analytisch zwischen Medium und Kommunikationsmodus trennt, konnte Hurrelmann aufzeigen, dass sich die dem Lesen bislang zugeschriebenen Lerneffekte in geringerem Maße auf das Medium zurückführen lassen. Diese würden sich unterdessen primär aus sprachlichen Strategien herleiten, die der „Sprache der Distanz“ eigen sind (vgl. ebenda, 251). Sie räumt jedoch ein, dass die „Sprache der Distanz“ derzeit noch konkurrenzlos in gedruckten Medien ihre Vormachtstellung beibehält (vgl. ebenda, 253). Der Auffassung von Wygotski kann damit zugestimmt werden, demnach die geschriebene Sprache, „die wortreichste, exakteste und entwickeltste Form der Sprache [ist]. Man muß damit mit Worten wiedergeben, was in der
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mündlichen Sprache mit Intonation und der unmittelbaren Wahrnehmung der Situation wiedergegeben wird.“ (1934/1986, 337) Hieran anschließend werden nun die dem Lesen oftmals exklusiv zugeschriebenen Lerneffekte skizziert, um den Gedanken einer „asymmetrischen Beziehung“ zwischen Lesen und Fernsehen weiterzuentwickeln. Aufbauend auf der Fähigkeit, die Schrift zu decodieren bzw. zu entziffern, setzt das Lesen die aktive Gestaltung eines terminologisch stimmigen und in sich „sinnhaften“ Zusammenhangs voraus, der während des Leseprozesses stets in der Schwebe gehalten wird (vgl. Hörmann 1976, 193f.). Anders ausgedrückt sind Sätze selbst „als Aussagen und Behauptungen immer Anweisungen auf Kommendes, das durch ihren jeweils konkreten Inhalt vorentworfen wird. Sie bringen einen Prozeß in Gang, aus dem sich der Gegenstand des Textes als Bewußtseinskorrelat zu bilden vermag“ (Iser 1990, 180). Das Lesen wird in diesem Falle als „Prozeß einer dynamischen Wechselwirkung von Text und Leser“ (ebenda, 176) beschrieben.111 Der anfangs zu konstruierende Wort- und Satzsinn lässt sich in der Regel nicht ausschließlich im Rückblick auf bereits bekannte semantische Einheiten gewinnen; stattdessen ist eine Vielzahl von Begriffen zu rekodieren und der vermeintliche Sinn ist unter Umständen in einem anderen Wortsinn ein weiteres Mal sprachlich zu erproben. Der Wortsinn ist daher anderen Begriffen gegenüberzustellen und gegebenenfalls entsprechend anzupassen (vgl. z.B. Anderson, R. u.a. 1978, 433ff.; Anderson, J. u. Reder 1979, 390; Groeben 1982, 25ff.): „To interpret a particular situation in terms of a schema [which is common to a large number or things or situations] is to match the elements in the situation with the generic characterizations in the schematic knowledge structure. […] A schema will contain slots into which some of the specific information described in a message will fit. The information that matches slots in the schema would be said to be significant, whereas information that does not would be called unimportant.” (Anderson, R. C. u.a. 1978, 442).
Das Verstehen einer Beziehung von Sätzen und Text lässt sich ferner nicht nur auf eine Verbindung der mitgeteilten Informationen reduzieren. Informationen entfalten ihren eigentlichen Sinn erst dann, wenn sie zu bereits existierendem Wissen in Relation gesetzt worden sind. Um dies zu erreichen, sind ganze Wissensstrukturen („Schemata“) zu aktivieren und in denjenigen Fällen zu verändern, in denen die Zusammenhänge von Bereichen der Realität und Situationen in abstrakter Form abgebildet sind (vgl. z.B. Anderson, R. u.a. 1978, 433ff.). Zudem kann das Lesen als die wahrscheinlich ergiebigste Quelle des Begriffslernens gelten, da während dessen solche Begriffe gelernt werden, „die der raum-zeitliche Erfahrungsbereich des Einzelnen nicht hergibt und die auch weit über die ihm in mündlicher Kommunikation überlieferte Begrifflichkeit hinausreicht. In Texten können Begriffe in einer solchen Dichte und von einem solchen Schwierigkeitsgrad vorgegeben werden, daß die begriffliche Kompetenz des Lesenden bis aufs äußerste beansprucht wird“ (Grzesik 1992, 188f.). In diesem Zusammenhang ist jedoch von unterschiedlichen
111 Iser bezieht sich auf Husserl, der in seinen Beschreibungen des inneren Zeitbewusstseins bemerkt habe, dass jeder „ursprünglich konstituierende Prozeß […] von Protentionen [beseelt ist], die das Kommende als solches leer konstituieren und auffangen, zur Erfüllung bringen“ (Husserl 1966, 52). Damit werde ein dialektisches Moment betont, das auch den Lesevorgang wesentlich beschreibt (vgl. Iser 1990, 181).
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Qualitätsansprüchen abzusehen, die sowohl schriftliche als auch mündliche Texte an den Leser stellen. Wie bereits erwähnt wurde, deuten auch Befunde der neueren Hirnforschung darauf hin, dass der Umgang mit Sprache während des Lesens die Vorstellungskraft und die Ausbildung von Phantasie in höherem Maße begünstigen als die Fernsehnutzung (vgl. Bonfadelli u. Saxer 1986, 45f.; Singer, J. L. u. Singer, D. 1988; Hurrelmann, B. 1992a, 252). Lesen stärke quasi den „Möglichkeitssinnn“ (Musil 1952, 16) (vgl. Garbe 2006, 5), definiert als „die Fähigkeit [..], alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist. […] Möglichkeitsmenschen leben, wie man sagt, in einem feineren Gespinst, in einem Gespinst von Dunst, Einbildung, Träumerei und Konjunktiven“ (Musil 1952, 16). Demzufolge bildet das Lesen das Fundament für kreatives und phantasievolles Denken (vgl. z.B. Groeben 2004a, 27; Garbe 2006, 5). Als Beispiel lässt sich die Romanverfilmung heranziehen, die häufig von denjenigen, die den Roman bereits gelesen haben, als enttäuschend wahrgenommen wird. Dies lässt sich dadurch erklären, dass sich Filmobjekte im Gegensatz zu Vorstellungen über eine bestimmte Romanfigur durch einen „höheren Bestimmtheitsgrad“ beschreiben lassen. In dieser Bestimmtheit liegt nach Auffassung von Iser letztlich die Enttäuschung begründet, welche oftmals als „Verarmung“ empfunden wird (vgl. 1990, 223). Mit anderen Worten: „Das Bild der Kamera gibt nicht nur ein Wahrnehmungsobjekt wieder, es schließt mich auch von jener Welt aus, die ich sehe und an deren Zustandekommen ich selbst nicht beteiligt bin. Deshalb bildet weniger die Empfindung, sich den Romanhelden anders vorgestellt zu haben, den Grund der Enttäuschung. Vielmehr ist diese nur ein Epiphänomen, in dem sich die Enttäuschung über mein Ausgeschlossensein manifestiert, das mir allerdings auch anzeigt, was es heißt, in der Vorstellung ein Bild nicht-gegebener Gegenständlichkeiten zu produzieren und so in deren Gegenwart zu sein, als ob diese ein Besitz wäre. […] Die Romanverfilmung hebt die Kompositionsaktivität auf. Alles kann leibhaftig wahrgenommen werden, ohne daß ich mich dem Geschehen gegenwärtig machen muß. Deshalb empfinden wir dann auch die optische Genauigkeit des Wahrnehmungsbildes im Gegensatz zur Undeutlichkeit des Vorstellungsbildes nicht als Zuwachs, sondern als Verarmung.“ (Iser 1990, 225)
Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung einer asymmetrischen Beziehung zwischen Lesen und Fernsehen gerechtfertigt. Aus den voranstehenden Argumenten lässt sich damit die Forschungshypothese herleiten, dass sich eine zurückhaltende Fernsehnutzung im Familienumfeld förderlich auf die Ausbildung von Lesegewohnheiten und damit auf die Lesesozialisation auswirkt, d.h. je weniger die Eltern fernsehen, desto mehr lesen die Kinder. Operationalisierung: Lese- und Fernsehzeitbudgets werden gemeinsam betrachtet und zueinander in Beziehung gesetzt. Neben Zeitbudgets, die sich auf einen 24-Stunden-Tag beziehen, werden auch einzelne Tagesabschnitte betrachtet, um sich einer qualitativen Differenzierung zu nähern. Ferner wird der prozentuale Anteil des Lesens an der Gesamtmediennutzung ermittelt.
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3.2.4 Weitere Dimensionen Abschließend werden weitere Dimensionen der Lesesozialisation beschrieben, wie die Geschlechtszugehörigkeit und das Alter bzw. die Altersphase. Geschlechtszugehörigkeit: Untersuchungen zum Leseverhalten und zur -sozialisation haben bislang wiederholt Differenzen im Leseverhalten zwischen Mädchen und Jungen, unabhängig vom Alter, nachgewiesen (vgl. z. B. Köcher 1988, W2316f.; Gilges 1992, 52ff.; Hurrelmann, B. u.a. 1993, 51ff.; Garbe 2002; Hurrelmann u. Groeben 2004, 177). Es finden sich Beispiele, die darauf hinweisen, dass Geschlechtsunterschiede in den letzten Jahrzehnten eher zu- als abgenommen haben. Indem er mehrere Studien zum Leseverhalten im Längsschnitt miteinander verglich, konnte Schön zeigen, dass im Jahre 1967 noch 40 Prozent der Männer „wenigstens einmal in der Woche“ ein „Buch zur Unterhaltung“ lasen, 1992 waren es hingegen nur noch 32 Prozent. Im Gegensatz dazu betrugen die jeweiligen Werte bei Frauen 47 Prozent (1967) sowie 46 Prozent (1992) (vgl. 1998a, 51f.). Auch im Falle von Kindern wurde mehrfach demonstriert, dass sich bereits sehr früh, d.h. gegen Ende des Grundschulalters, relativ stabile Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen abzeichnen (vgl. Hurrelmann, B. 1994b, 25; Lehmann u.a. 1995, 50f.; Harmgarth 1999, 22f.). Diese Unterschiede lassen sich im Allgemeinen an drei Dimensionen konkretisieren: an der Lesequantität oder -intensität, am Lesestoff und an Lesestrategien sowie an der Lesefreude bzw. am Leseinteresse. Es hat sich gezeigt, dass Mädchen und Frauen mehr lesen als Jungen und Männer, dass sie überdies andere Inhalte bevorzugen und andere Lesestrategien anwenden, und dass sie schließlich generell lieber und damit automatisch mehr lesen (vgl. Garbe 2003, 5). Nach einer Studie des Instituts für angewandte Kindermedienforschung für das Jahr 1999 lesen 55 Prozent der zehn- bis 16-jährigen Jungen keine erzählende Literatur (mehr), gegenüber 33 Prozent der Mädchen in dieser Altersgruppe (vgl. Bischof u. Heidtmann 2002, 27). Auch im Rahmen einer Schweizer Studie konnte für die Gruppen der Zwölf- und 15-Jährigen gezeigt werden, dass Mädchen häufiger, länger und lieber lesen als Jungen (r = .32) (vgl. Bucher 2004, 124). Innerhalb der Bildungsforschung hat sich dieser Trend erneut bestätigt. Die PISA-Studie 2000 hat gezeigt, dass Mädchen am Ende der Sekundarstufe II im Allgemeinen bessere Leseleistungen aufweisen als Jungen. Sie lassen sich gleichzeitig durch ein größeres Interesse am Lesen charakterisieren und verbringen demzufolge automatisch mehr Zeit mit Lesen. In Deutschland unterscheiden sich Mädchen auf der Gesamtskala der PISA-Studie durchschnittlich um 35 Punkte (d.h. rund eine halbe Kompetenzstufe)112 von den Leseleistungen der Jungen (vgl. Stanat u. Kunter 2001, 251). Bezüglich der einzelnen Teildimensionen113 der Lesekompetenz wurde offengelegt, dass sich Jungen insbesondere hinsichtlich der Dimensionen „Reflektieren und Bewerten“ und „kontinuierliche Texte“ von Mädchen unterscheiden (vgl. ebenda, 254f.). Es ist anzunehmen, dass das Lesen in der Freizeit (insbesondere von Büchern) am ehesten der Lektüre von kontinuierlichen Texten entspricht. Ferner unterscheiden sich Mädchen und
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PISA hat insgesamt fünf Kompetenzstufen mit folgenden Werten unterschieden: Stufe I: 335–407; Stufe II: 408–480; Stufe III: 481–552; Stufe IV: 553–625; Stufe V: 626 oder mehr (vgl. Artelt u.a. 2001, 89ff.; Artelt u.a. 2004, 144f.) 113 Dies waren „Informationen ermitteln“, „Textbezogenes Interpretieren“, „Reflektieren und Bewerten“, „Kontinuierliche Texte“ und „Nicht-kontinuierliche Texte“.
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Jungen bezüglich ihres generellen Interesses am Lesen sowie der Lesefreude114. Beispielsweise stimmen 54,5 Prozent der Jungen, aber nur 29,1 Prozent der Mädchen, der Aussage zu, „nicht zum Vergnügen zu lesen“. Daneben geben 17,5 Prozent der Mädchen gegenüber 9,1 Prozent der Jungen an, dass sie mehr als eine Stunde täglich zum Vergnügen lesen (vgl. Stanat u. Kunter 2001, 263). Bei annähernd gleichem Interesse und gleich hoher Freude am Lesen, weichen Mädchen und Jungen in puncto Lesekompetenz hingegen kaum voneinander ab. Geschlechtsunterschiede im Bereich der Lesekompetenz lassen sich insofern größtenteils über unterschiedliche Interessens- und Motivationsstrukturen von Mädchen und Jungen erklären (vgl. ebenda, 265), die im Zuge der Lesesozialisation erworben werden. In Einklang mit vorliegenden Forschungsarbeiten soll auch hier von der theoretischen Annahme ausgegangen werden, dass die Lesesozialisation von Mädchen und Jungen ungleich verläuft und sich im Zuge dessen Disparitäten hinsichtlich der Lesegewohnheiten ausbilden. Obgleich sich in den letzten Jahren die Grenzen der traditionellen Geschlechterrollen immer mehr gelockert haben und sich die Rollen von Mutter und Vater zumindest in einigen Dimensionen angenähert haben (z.B. hinsichtlich der Partizipation am Erwerbsleben), kann nach wie vor davon ausgegangen werden, dass Männer und Frauen unterschiedliche Rollen innerhalb der Lesesozialisation einnehmen. Dies wird folglich auch von Kindern unterschiedlich wahrgenommen, obgleich sich – wie bereits mehrfach erwähnt wurde – auch Väter zunehmend als Erzieher begreifen. Daraus lässt sich schließen, dass sie sich auch tatsächlich aktiv an der Erziehung ihrer Kinder beteiligen115. Nichtsdestotrotz kommen Kinder nach wie vor häufiger und zeitlich länger mit Leselehrerinnen in Kontakt als mit männlichen Vorbildern, sei es in der Familie, im Kindergarten oder in der Schule (vgl. Groeben u.a. 1999, 11).116 Dies lässt sich auch auf Basis des hier vorliegenden Datenmaterials belegen. Im Rahmen einer bivariaten Analyse mit Tagebuchdaten der Zeitbudgeterhebung 2001/02 hat sich ergeben, dass in Familien mit mindestens einem Kind im Vorlesealter (unter zehn Jahren; N = 268), 25 Prozent der Mütter täglich (im Durchschnitt über drei Tage betrachtet) vorlesen, während dies nur auf 10,3 Prozent der Väter zutrifft. Es ist anzunehmen, dass sich die Geschlechterdifferenzen mit Blick auf die Präsenz von Lesevorbildern in Kindergarten und Schule nochmals verstärken. Als Beispiel lässt sich eine repräsentative Studie des MPFS heranziehen, demnach im Jahre 2003 87 Prozent der Grundschullehrer weiblich, aber nur 13 Prozent männlich waren (vgl. MPFS 2003b, 5f.). Demzufolge scheinen Mädchen vom Leseunterricht in der Grundschule einen höheren Nutzen zu ziehen als Jungen und umgekehrt scheint bei Jungen das Interesse am Lesen anzusteigen, wenn der Vater als Lesevorbild präsent ist (vgl. Groeben u.a. 1999, 11).
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Die „Leselust“ (Lesefreude) wurde durch die folgende Skala mit den folgenden Items erhoben: „Ich lese nur, wenn ich muss“, „Lesen ist eines meiner liebsten Hobbies“, „Es fällt mir schwer, Bücher zu Ende zu lesen.“, „Ich freue mich, wenn ich ein Buch geschenkt bekomme“, „Für mich ist Lesen Zeitverschwendung“, „Ich gehe gern in Buchhandlungen oder Büchereien“, „Ich lese nur, um Informationen zu bekommen, die ich brauche“, „Ich kann nicht länger als ein paar Minuten stillsitzen und lesen“. (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2002, 286f.) 115 Gemäß einer Sekundäranalyse mit den Daten der Zeitbudgeterhebung 2001/02 liegt der Schwerpunkt bei Vätern in Paarhaushalten mit Kindern innerhalb der Haus- und Familienarbeit mit rund einer halben Stunde eindeutig bei der Kinderbetreuung (vgl. Döge u. Volz 2004, 198). 116 Im historischen Rückblick seien, so Malte Dahrendorf, Frauen – zumindest in der bürgerlichen Kernfamilie seit dem 19. Jahrhundert – durch ihre relativ fest definierte Rolle als „Hausfrau und Mutter“ sowie ihrer damit verbundenen „Freistellung“ außer-häuslicher Erwerbsarbeit geradezu dazu vorbestimmt gewesen, die Lesekultur zu dominieren, verfügten sie über die entsprechende Muße bzw. Zeit, um sich der Lektüre zu widmen (1996, 79f.).
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In Anlehnung an die soziale Lerntheorie, demzufolge mit zunehmender Attraktivität eines Modells die Aufmerksamkeit des Beobachters steigt und dieser das Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit speichert und später ausführt (vgl. Bandura 1979, 33), ist deshalb anzunehmen, dass das Modell des Vaters für den Sohn attraktiver erscheint als das der Mutter. Folglich wird der Sohn das Verhalten des Vaters mit höherer Wahrscheinlichkeit imitieren als das der Mutter. Umgekehrt ist zu vermuten, dass sich Mädchen stärker durch das Vorbild der Mutter beeinflussen lassen als durch das Vorbild des Vaters. Übertragen auf die Lesesozialisation bedeutet dies, dass Mädchen nach wie vor stärker begünstigt und gefördert werden als Jungen, da sie häufiger mit weiblichen Lesevorbildern in Kontakt kommen, die unter Umständen eher dazu in der Lage sind, besser auf die jeweiligen Lesepräferenzen und -interessen von Mädchen einzugehen, was die nachhaltige Ausbildung von Lesegewohnheiten anregt (vgl. z.B. auch: Bucher 2004, 172). In diesem Zusammenhang ist jedoch eine Einschränkung vorzunehmen. Mit Blick auf sich angleichende Geschlechterrollen konnte bereits empirisch nachgewiesen werden, dass in höheren Bildungsgruppen Geschlechtsunterschiede weniger stark zur Geltung kommen als in niedrigeren Bildungsgruppen (vgl. z.B. Schön, 1998a, 53; Bucher 2004, 74). Darüber hinaus finden sich Belege, die dem soeben formulierten Zusammenhang teils widersprechen: Bonfadelli und Fritz konnten nachweisen, dass das Vorbild des Vaters offenbar einen stärkeren Einfluss auf die Lesesozialisation von Söhnen und Töchtern entfaltet als das Vorbild der Mutter (vgl. 1993, 103; auch: Bonfadelli u. Saxer 1986, 84). Dies überrascht insofern, da der Mutter und nicht dem Vater bislang immer wieder die Hauptrolle im Rahmen der Lesesozialisation zugeschrieben wurde. Überprüft werden soll daher die Forschungshypothese, dass weibliche Leser in der Familie (Mutter, Tochter) generell länger und häufiger lesen als männliche Leser (Vater, Sohn), dass sich diese Unterschiede jedoch mit zunehmender Bildung aufheben. Alter: In Anlehnung an entwicklungspsychologische Ansätze kann unterstellt werden, dass sich Lesegewohnheiten im Altersverlauf verändern. In der Leseforschung wird von einem sattelförmigen „Leseknick“ gesprochen, der einmal nach der Erstlesephase mit einem Alter von ungefähr neun oder zehn Jahren auftritt und ein zweites Mal mit dem Beginn der Pubertät, d.h. zwischen elf und vierzehn Jahren (vgl. z.B. Schön, 1990, 318). Mit Blick auf sozialisationstheoretische Überlegungen ist ferner davon auszugehen, dass mit zunehmendem Alter der Kinder direkte Einflüsse seitens der Eltern auf die Lesesozialisation abnehmen und der Einfluss von Gleichaltrigen zunimmt (vgl. z.B. Geulen 2007, 152). In diesem Zusammenhang lässt sich die Forschungshypothese ableiten, dass der direkte Einfluss des Elternvorbildes auf die Lese- und Fernsehgewohnheiten mit zunehmendem Alter abnimmt. Auch wenn das „Alter“ im Rahmen dieser Arbeit nur am Rande thematisiert wird, da sich auch von methodischer Seite „Altersverläufe“ streng genommen nur im Längsschnitt erfassen lassen, wird unterstellt, dass jüngere Kinder tendenziell häufiger und länger lesen als ältere, da Letztere über ein breiteres Interessenspektrum sowie ein knapperes (Frei-)Zeitbudget, auch bedingt durch zunehmende schulische Verpflichtungen, verfügen.
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3.3 Lesesozialisation in der Familie im deutschsprachigen Raum: Stand der Forschung Den Abschluss des theoretischen Teils dieser Arbeit bildet ein Überblick über den Stand der Forschung zum Thema „Lesesozialisation in der Familie“ im deutschsprachigen Raum. Erstens werden Forschungsarbeiten berücksichtigt, die sich mit der Thematik im engeren Sinne auseinandersetzen, zweitens werden Studien herangezogen, in denen die familiale Lesesozialisation lediglich als Teilaspekt Beachtung findet. Darüber hinaus werden drittens international vergleichende Studien angeführt, in denen Deutschland berücksichtigt wird. Die Studien werden steckbriefartig nach Titel, Fragestellung und Zielsetzung, Forschungsdesign sowie zentralen Ergebnissen dargestellt. Im Zuge der Ergebnisinterpretation wird im Einzelnen auf Teilergebnisse dieser Studien oder methodische Besonderheiten eingegangen. Abbildung 7:
Zentrale Studien zur Lesesozialisation
Studien zur Lesesozialisation in der Familie (im engeren Sinne) Fragestellung/ Zielsetzung Methodik: ForschungsZentrale Befunde design, Stichprobe Familie und Lesen, Köcher (1988) Das Elternhaus hat einen dauerhaften Einfluss retrospektive Befragung der Inwieweit beeinflusst die auf die Beziehung zum Buch. Besonders wirkbundesdeutschen BevölkeLeseförderung im Elternsam ist das unbewusste Hinführen zum Lesen rung (ab 16 Jahren), reprähaus die Zugangschancen („Verführung“), weniger die bewusste „Lesesentative Quotenauswahl, zur Lesekultur? erziehung“. N = 2.128 Ziel: Identifikation von Zentrale Faktoren: Elternvorbild, Intensität der ergänzende SekundärEinflussfaktoren der LeseLeseerziehung, schulische Impulse analyse einer Befragung aus sozialisation Ein intensiver Fernsehkonsum korreliert hoch dem Jahre 1985 von achtmit einer geringen Lesefrequenz. bis zwölfjährigen Kindern Die Leseförderung und das Erleben des Elternzum Leseverhalten, Einvorbildes hängen positiv mit dem sozialen stellungen zu Büchern und Status der Familie zusammen. Lektürevorlieben Lesesozialisation. Leseklima in der Familie, Hurrelmann u.a. (1993) Das Leseverhalten der Kinder hängt mit der Welchen Beitrag leistet die Fragebogenerhebung von Bildung der Eltern zusammen. Familie zur Entwicklung Familien mit Kindern am Mütter lesen durchschnittlich länger als Väter von Lesegewohnheiten Ende des Grundschulalters und Kinder. Mädchen lesen häufiger und lieber von Kindern? repräsentative Zufallsstichals Jungen. probe für die Stadt Köln, Die Mutter hat einen stärkeren Einfluss auf das N = 200 Leseverhalten des Kindes als der Vater. Vor Fallstudien: teilstrukturierte allem Mütter unterhalten sich mit ihren Kindern Intensivinterviews mit über Bücher. ausgewählten Familien Die „soziale“ Einbindung des Bücherlesens wirkt sich insbesondere positiv auf die Lesedauer am Wochenende aus. Am Wochenende lesen Kinder länger als an Werktagen. Eltern und Kinder lesen bevorzugt vor dem Einschlafen oder wenn sie alleine sind. Kinder, die von beiden Eltern überdurchschnittliche Anregung erfahren, haben die besten Chancen sich zu Viellesern zu entwickeln. Häufige Interaktionen begünstigen die Lesesozialisation.
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Studien zur Lesesozialisation in der Familie (im engeren Sinne) Fragestellung/ Zielsetzung Methodik: ForschungsZentrale Befunde design, Stichprobe Lesen im Lebenslauf. Lesesozialisation und Leseverhalten 1930 – 1996 im Spiegel lebensgeschichtlicher Erinnerungen, Limmroth-Kranz (1997) Viele Leser entwickeln sich nach den Fokussierte Interviews mit Welche Bedeutung hat das Wirkungsrichtungen der Lesesozialisation, aber Angehörigen dreier LeserLesen im Lebenslauf? es lassen sich auch solche identifizieren, die generationen (1929–1949, Welcher Zusammenhang sich diesen Einflüssen widersetzen 1950–1960, 1961–1970), besteht zwischen Lesen („unerwartete Nichtleser“). lesebiographischer Ansatz; und Lebensweise? Daneben lassen sich Gruppen identifizieren, die diachron-individuelle Ebene Ziel: Selbstthematisierung erst später, d.h. als Erwachsene den Weg zum der Lesebiographie durch Lesen fanden (z.B. über Lehrer, Partner oder die Befragten andere Personen), obgleich Anregungen im Elternhaus vorlagen („unerwartete Leser“). Die Beeinflussung der Lesekompetenz von Kindern durch ihre Eltern, Keifert u. Müller (2004) Leseförderung spielt nur eine geringe Rolle in Fragebogenerhebung von Wo liegen die Mögder Lesesozialisation. Viele Eltern unter700 Eltern der Schüler aus lichkeiten der Eltern zur schätzen die Bedeutung der Familie für die fünf Grundschulen, im Förderung der LeseLesesozialisation. April, Mai 2003 in Unterkompetenz ihrer Kinder? Eltern werden nur unzureichend von Seiten der franken, Niederbayern und Schule und des Kindergartens in puncto SprachSchwaben (keine repräsenund Lesesozialisation unterstützt. tative Stichprobe); N = 426 Lesekindheiten. Familie und Lesesozialisation im historischen Wandel, Hurrelmann u.a. (2005) Grundlagen der Lesekompetenz werden vor diachron-historische BeWie hat sich der Erwerb Schuleintritt im Familienumfeld gelegt. trachtung; Untersuchungsvon Lesekompetenz in In der Alphabetisierungsphase wird die Familie querschnitte: um 1830, um einem Zeitraum von rund durch die Schule als zentrale Institution teil1900, um 1980 150 Jahren gewandelt? weise abgelöst. Quellen: ErziehungsratgeZiel: Vergleich der bildungsbedingte Ungleichheiten der Leseber, Kinderliteratur; autosozialhistorischen sozialisation biographische Zeugnisse, Rahmenbedingungen in Mangelnde Anpassung der Lesesozialisation an Fragebogenauskünfte junger der Biedermeierzeit, Erwachsener über die eigene die Mediengesellschaft: Vor allem in Familien Kaiserzeit und der Zeit des mit hoher Bildung werden neue Medien nicht Lesesozialisation (um Eintritts in die Medienmit Kompetenzförderung verbunden; Lesen 1980); vernetzter Vergleich gesellschaft wird überdurchschnittlich gefördert. der drei Quellen Die Untersuchungspopulation stammt primär aus der Mittelschicht. Studien über die familiale Lesesozialisation im weiteren Sinne (familiale Lesesozialisation als Teilaspekt) Lesen im Medienumfeld, Fritz (1991) Der Bildungseinfluss ist bei Jüngeren geringer Sekundäranalyse der Studie Welche Rolle nimmt das ausgeprägt als bei Älteren. „Kommunikationsverhalten Buch im Medienverbund Die spätere Lesehäufigkeit wird nachhaltig und Medien“ (Bertelsmann ein? Welchen Einfluss hat durch Anregungen seitens der Eltern Stiftung), 1988/1989; Bildung auf Gewohnheiten beeinflusst. Befragung der des Lesens verschiedener Während „unerwartete Leser“ (niedrige bundesdeutschen Altersgruppen? Bildung) durch Sozialisationseinflüsse zum Bevölkerung ab 14 Jahren, Leser sozialisiert werden, werden „unerwartete N = 3.205; Befragung von Nichtleser“ eher durch äußere Faktoren Mitgliedern verkabelter beeinflusst (z.B. berufliche Beanspruchung). Haushalte 1988/1989, N = 468
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Studien über die familiale Lesesozialisation im weiteren Sinne (familiale Lesesozialisation als Teilaspekt) Fragestellung/ Zielsetzung Methodik: ForschungsZentrale Befunde design, Stichprobe Lesesozialisation. Lesen im Alltag von Jugendlichen, Bonfadelli u. Fritz (1993) Lesen spielt im Alltag von Jugendlichen eine Leitfadengespräche mit Welche Faktoren sind zentrale Rolle; mindestens zwei Drittel greifen Jugendlichen (N = 93), entscheidend, ob sich im wöchentlich zum Buch. Zuge der Sozialisation eine persönliche Interviews mit Das Buch konkurriert mit anderen Medien, die 13- und 18-Jährigen in Bindung zum Buch noch häufiger genutzt werden als das Buch. Deutschland, zufällige entwickelt? Welche Geschlechts- und bildungsspezifische Gewohnheitsstrukturen des Quotenauswahl, disproportionale Schichtung, Unterschiede Lesens lassen sich N = 466 beobachten? Lesesozialisation. Lesekarrieren – Kontinuität und Brüche, Köcher (1993) Je stärker in der Kindheit das Leseinteresse geInterviews mit 14- bis 29Welche Gründe führen fördert wird, desto geringer ist die WahrscheinJährigen in Westzum Abbruch von deutschland: N = 936, davon lichkeit, dass die Lesekarriere später beendet Lesekarrieren und wo wird. n = 368 kontinuierliche bestehen Chancen, dass Kontinuierliche Leser und „Rückkehrer“ haben Leser, n = 211 Rückkehrer Abbrecher zum Lesen mehr „freie Zeit“ als Nichtleser. Nichtleser sind und n = 357 Abbrecher; zurückfinden? in hohem Maße in soziale Kontakte N = 40 qualitative eingebunden und unterliegen teilweise hohen Tiefeninterviews Anforderungen seitens ihres privaten Umfeldes. Leseverhalten im neuen Jahrtausend, Stiftung Lesen (Hrsg.) (1993, 2001) Verminderung der Lesefrequenz der Unter-30Befragung der deutschWie hat sich das Jährigen. sprachigen Bevölkerung ab Leseverhalten in Die Zahl der gelesenen Bücher hat 14 Jahren (N = 2.550) im Deutschland gegenüber zugenommen, insbesondere bei Viellesern. März/April 2000; 1992 geändert? Veränderte Lesestrategien (z.B. „LeseLeitfadeninterviews mit Welche Lesestrategien und zapping“). ausgewählten Teilnehmern Lesestile praktizieren Der Familieneinfluss auf die Lesesozialisation ab 14 Jahren, N = 120 Jugendliche, die mit vielen hat abgenommen. retrospektive Erfassung der Medien aufgewachsen Lesesozialisation sind? Leseverhalten und Leseförderung. Zur Rolle von Schule, Familie und Bibliothek im Medienalltag Heranwachsender, Bucher (2004) Ein negativer Zusammenhang zwischen schriftliche Befragung von Welche Rolle spielen Fernsehen und Lesen besteht auch nach zwölf- bis 15-jährigen Schule, Familie und Schülern und Deutschlehrern Kontrolle von Schicht und Bildung. Bibliothek im Es besteht ein hoher Zusammenhang zwischen im Kanton Zürich; im Medienalltag von Bildung und Lesen bzw. Fernsehen. Frühjahr 2001. N = 1.284 Heranwachsenden? Schüler; N = 128 Lehrer Lesesozialisation als Teilaspekt in internationalen Schulleistungsstudien Leseverständnis und Lesegewohnheiten deutscher Schüler und Schülerinnen, Lehmann u.a. (1995) Schüler, die gemeinsamen Familienaktivitäten Deutsche Teilstudie der Mittels welcher Faktoren im Alltag einen hohen Wert beimessen, weisen „Reading Literacy Study“ lässt sich die eine hohe Lesekompetenz auf. der IEA 1991, Befragung Lesehäufigkeit in der Das Leseverständnis korreliert positiv mit der von Schülern der dritten Freizeit voraussagen? familialen Betreuung/Versorgung (Interaktion). (N = 4.853) und achten Welcher Zusammenhang Geschlechtsunterschiede hinsichtlich des Schulklasse, (N = 1.332); besteht zwischen Buchlesens zugunsten der Mädchen sind in der Sekundäranalyse Lesegewohnheiten und dritten Klasse stärker ausgeprägt als in der Leseverständnis? achten Schulklasse. Die Bildungsnähe des Elternhauses und die Lesehäufigkeit hängen zusammen. Es besteht ein negativer Zusammenhang zwischen Fernsehnutzung und Lesehäufigkeit.
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Lesesozialisation als Teilaspekt in internationalen Schulleistungsstudien Fragestellung/ Zielsetzung Methodik: ForschungsZentrale Befunde design, Stichprobe PISA-Studie 2000, OECD [insgesamt 32 Teilnehmerländer] Die Lesekompetenz hängt insbesondere in Repräsentative Befragung Welche Beziehungen Deutschland von der sozialen Herkunft ab. aller 15-jährigen Schüler bestehen zwischen Geschlechtsunterschiede bestehen hinsichtlich (internationale Population) strukturellen Merkmalen Lesekompetenz, Lesefreude und Lesefrequenz. bzw. aller Neuntklässler der Familie und der (nationale Teilstudie); im Lesekompetenz? Drei-Jahres-Zyklus angelegte Studie mit wechselnden Themenschwerpunkten. PIRLS 2001, IEA [insgesamt 35 Teilnehmerländer] Länderübergreifend besteht ein positiver Erste Studie einer im FünfErfassung der Zusammenhang zwischen prä- und Jahres-Zyklus konzipierten Lesekompetenz von paraliterarischen Aktivitäten und Trendstudie; eine der Viertklässlern im Leseleistungen in der vierten Klasse. größten Erhebungen von internationalen Vergleich Es besteht ein hoher Zusammenhang zwischen Schülerleistungen im unter Berücksichtigung Kinderbuchbesitz und Leseleistung bei Bereich der Lesekompetenz; schulischer und häuslicher Viertklässlern. Befragung von Schülern, Rahmenbedingungen Länderübergreifend haben Kinder mit hohen Eltern, Lehrern und Leseleistungen viel lesende Eltern (mehr als Schulleitern; sechs Stunden pro Woche) mit einer positiven deutsche Teilstichprobe: Einstellung zum Lesen. N = 4.000, Schüler der Im internationalen Vergleich weisen vierten Schulklasse Schülerinnen höhere Lesekompetenzen auf als männliche Schüler.
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3.4 Zusammenfassung der zentralen Hypothesen Die zentralen Forschungshypothesen werden abschließend kurz resümiert und dienen somit als „Brücke“ zum empirischen Teil dieser Untersuchung. Je höher die Bildung in der Familie, desto länger ist die durchschnittliche Lesedauer der Familienmitglieder. Bildung hat einen positiven Einfluss auf die durchschnittliche Lesedauer und einen negativen Einfluss auf die Fernsehdauer der Familienmitglieder (Hypothese 1). Die Ressource „Zeit“ beeinflusst die Lesedauer und die Fernsehdauer der Familienmitglieder positiv: Je mehr Zeit die Familienmitglieder zur „freien Verfügung“ haben, desto mehr Zeit verbringen sie mit Lektüre und Fernsehnutzung (Hypothese 2). Durch eine Differenzierung der Zeitstruktur sind eindeutige und bisherige Bildungseffekte schwieriger nachzuweisen (Hypothese 3). Zentrierte Interaktionen in der Familie, d.h. Gespräche und gemeinsame Mahlzeiten, stehen in einem positiven Zusammenhang mit der Lesedauer der Kinder (Hypothese 4). Prä- und paraliterarische Interaktionen (z.B. Vorlesen und Erzählen) zwischen Eltern und jüngeren Geschwistern wirken sich positiv auf die Lesegewohnheiten von Heranwachsenden aus: Je häufiger Eltern und Kinder diesbezüglich interagieren, desto mehr lesen die Heranwachsenden später (Hypothese 5). Die Lese- und Fernsehdauer der Eltern (Lesevorbild) wirkt sich positiv auf die Lese- und Fernsehdauer der heranwachsenden Kinder in der Familie aus (Hypothese 6). Das Elternvorbild hat einen höheren Einfluss auf die Lesegewohnheiten der Heranwachsenden, je häufiger Eltern und Kinder im Alltag interagieren (Hypothese 7). Eine zurückhaltende Fernsehnutzung wirkt sich positiv auf die Lesedauer der Familienmitglieder aus (Hypothese 8). Mit zunehmendem Alter der Kinder sinkt der Einfluss der Eltern auf die Lesesozialisation (Hypothese 9). Mädchen lesen im Durchschnitt länger als Jungen, wobei sich mit zunehmender Bildung die Geschlechtsunterschiede verringern (Hypothese 10). Die Aktivität des Fernsehens ist stärker in den Familienalltag eingebunden, d.h. sie wird häufiger mit anderen zusammen ausgeübt als das Lesen (Hypothese 11).
4 Methodik und Forschungsdesign
Das vierte Kapitel zielt darauf ab, die dieser Untersuchung zu Grunde liegende Forschungsmethode darzustellen sowie das verwendete Datenmaterial zu beschreiben. Dem geht eine Begründung der Forschungsstrategie und der Datenwahl voraus. 4.1 Begründung der Forschungsstrategie und der Datenauswahl Zur Erklärung der hier gewählten Forschungsmethode – eine Sekundäranalyse auf Basis von Tagebuchdaten der Zeitbudgeterhebung 2001/02 – lassen sich sowohl methodische als auch inhaltliche Argumente heranziehen, die im Folgenden skizziert werden sollen. In früheren Untersuchungen zur familialen Lesesozialisation wurden in der Regel Erwachsene entweder retrospektiv über ihre frühe Lesesozialisation befragt (vgl. Köcher 1988, W2329; Fritz 1991, 154; Stiftung Lesen 1995, 317)117 oder ein Elternteil (in der Regel die Mutter) und gegebenenfalls ein Kind zur Lesesozialisation und Mediennutzung interviewt (vgl. z.B. Reinsch u.a. 1999, 61ff.). Daneben finden sich Untersuchungen, in denen biographische Interviews durchgeführt wurden, um die Bedeutung des Lesens für die persönliche Entwicklung zu erschließen (vgl. z.B. Schön 1990; Limmroth-Kranz, 1997). In Anlehnung an den Forschungsstand werden in dieser Dissertation nicht Individuen, sondern Eltern-Kind-Dyaden oder „ganze“ Familien untersucht. Die Analyse vollständiger Familienkonstellationen haben bereits Hurrelmann, B. u.a. (1993, 19) vorgenommen. Aus analytischen Gründen beschränkt sich die vorliegende Untersuchung weitgehend auf Mutter-Kind- bzw. Vater-Kind-Dyaden sowie Eltern-Kind-Triaden. Diese Vorgehensweise lässt sich im Rahmen einer Sekundäranalyse mit den Daten der aktuellen Zeitbudgeterhebung in Deutschland der Jahre 2001/02 realisieren. Diese weitgehend repräsentativen 117
Hierbei werden Erwachsene oder ältere Jugendliche zu ihren Lesegewohnheiten, Einstellungen zum Lesen in der Kindheit oder über Vorleseaktivitäten ihrer Eltern in der Kindheit befragt (vgl. z.B. Hurrelmann 2004b, 180). Als Kritikpunkt lässt sich anführen, dass Informationen zum Konstrukt der Lesesozialisation häufig nur durch wenige mehr oder weniger zufällig ausgewählte Items erhoben werden, und dass deren Effekt am selbst berichteten Leseverhalten der Befragten zum Befragungszeitpunkt gemessen wird (vgl. ebenda, 180). In der Studie der Stiftung Lesen für 2000 wird die Lesesozialisation beispielsweise durch die folgenden Fragen abgebildet. „Versuchen Sie doch bitte einmal, sich daran zu erinnern, wie es in Ihrer Kindheit und Jugend war. Welche Aussagen treffen nach Ihrer Ansicht zu? 1. Bei uns zu Hause achtete man immer sehr darauf, daß ich gute Bücher las. 2. Ich habe mir oft Bücher in der Bibliothek oder Bücherei ausgeliehen. 3. Ich habe häufig mit meinen Freunden Bücher ausgetauscht. 4. Ich durfte nahezu alles lesen, was ich wollte, 5. Ich fand den Deutschunterricht sehr interessant. 6. Ich wurde ziemlich oft zum Lesen gezwungen, obwohl ich lieber etwas anderes gemacht hätte. 7. Ich habe als Kind oft Bücher geschenkt bekommen. 8. Ich habe mich oft mit meinen Eltern über ein Buch unterhalten. 9. Meinen Eltern war es egal, ob ich las oder nicht. 10. Im Kindergarten wurde uns häufig vorgelesen. 11. Zu Hause war es nicht besonders gern gesehen, wenn ich las. 12. Als Kind habe ich begeistert gelesen, in der Pubertät wurde anderes wichtiger. 13. Meine Lesevorlieben haben sich oft geändert. 14. Meine persönlichen Einstellungen wurden von Büchern beeinflußt. 15. Ich habe oft Bücher gelesen, die mir von Freunden empfohlen wurden. 16. Bei uns zu Hause gab es viele Bücher. 17. Bei uns zu Hause wurde regelmäßig Zeitung gelesen. 18. In der Schule hat der Lehrer im Unterricht oft mit Zeitungen gearbeitet.“ (Stiftung Lesen 2001, 317 [Frage 40]).
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Daten eignen sich dazu, Familienkonstellationen auch mit Blick auf die engere Fragestellung dieser Arbeit zu analysieren. Es liegen differenzierte Informationen sowohl zu soziodemographischen Merkmalen der Familienmitglieder als auch zur Mediennutzung (insbesondere zu Lese- und Fernsehzeitbudgets) aller Personen ab zehn Jahren in Familienhaushalten mit deutscher Bezugsperson vor. Im Zuge dessen lassen sich beispielsweise Zusammenhänge zwischen der Lesedauer der Eltern und der Lesedauer der Kinder differenziert untersuchen (z.B. auch unter Berücksichtigung der Bildung und des Geschlechts). Obwohl die Zeitbudgeterhebung ursprünglich nicht mit Blick auf die hier verfolgte Thematik konzipiert wurde, sondern von einer anderen Zielsetzung geleitet wurde118, eignet sie sich gerade deshalb als Datenbasis zur Erforschung der Lesesozialisation in der Familie. Dies lässt sich dadurch begründen, weil es sich beim Thema Lesen um einen „im höchsten Maße wertbesetzten Bereich“ (Groeben 2004a, 13) handelt, der mit dem Problem sozialer Erwünschtheit seitens der Befragten behaftet ist. Generell bestehe die Gefahr, so Bonfadelli, dass sich aktive Leser (zum Zeitpunkt der Befragung) stärker an ihre Leseerfahrungen erinnern als die zu diesem Zeitpunkt kaum lesenden Erwachsenen (1999, 122). In einem anderen Kontext hat Hurrelmann bereits zu Beginn der 1990er Jahre festgestellt, dass infolge „der Lesewerbung der letzten Jahre [..] das Bücherlesen erfolgreich und breitenwirksam normativ so hoch besetzt worden [ist], daß die traditionellen Fragen an die Eltern, […] wie etwa die Frage nach der Häufigkeit des Vorlesens – bei den Befragten kaum mehr als Reflexe sozialer Erwünschtheit hervorrufen“ (Hurrelmann, B. 1992a, 257). Ebenso wie die positive Einstellung zum Lesen hat sich somit auch das Vorlesen als pädagogisch erwünschtes Verhalten der Eltern durchgesetzt, so dass auf direkte Fragen kaum noch von zuverlässigen Angaben auszugehen ist (vgl. Hurrelmann, B. 1992a, 258; auch: Hofferth 1999; Hofferth 2006). Um dieses Problem zu lösen, ist es erforderlich, sich dem Forschungsgegenstand auf indirektem Wege zu nähern. Durch die offene Erfassung von Aktivitäten durch die Befragten, die sich zu 1.440 Minuten bzw. 24 Stunden eines Tages aufsummieren (müssen), werden die Befragten nicht bewusst dazu angeregt, z.B. ihre tägliche Lesedauer zu überschätzen. Das gesamte Aktivitätsspektrum eines Tages wird erfasst. Auf diese Weise wird Lesen oder auch die Mediennutzung insgesamt nicht automatisch in den Mittelpunkt gerückt. In der Studie zum „Leseklima in der Familie“ geben circa 90 Prozent der Mütter und circa 60 Prozent der Väter an, dass sie ihrem Kind (im Vorschulalter) mehrmals in der Woche vorlesen. Diese Angaben scheinen nach Auffassung der Autoren jedoch keinesfalls nachweisbar mit dem Leseverhalten der Kinder zu korrespondieren (vgl. Hurrelmann, B. 1992a, 257). Im Rahmen der PIRLS-Studie geben etwa 60 Prozent der Eltern an, dass sie ihren Kindern regelmäßig vorlesen (vgl. Mullis u.a. 2003, 98). Durch die relativ zeitnahe Erhebung von Aktivitäten der einzelnen Familienmitglieder an bestimmten Tagen wird im Rahmen der Zeitbudgeterhebung auf der Verhaltensebene der Familienmitglieder und nicht wie bislang überwiegend üblich auf der Einstellungsebene angesetzt (vgl. Hurrelmann, B. 1992a, 258). Dies führt zu einer höheren Zuverlässigkeit der Befunde. Auch aus inhaltlicher Sicht überzeugt das Argument, diese Daten zur Analyse der Fragestellung zu verwenden. Die theoretischen Dimensionen der Lesesozialisation lassen 118 Die Zeitbudgeterhebung wurde insbesondere mit Blick auf frauen- und familienpolitische Fragestellungen und Fragestellungen, welche ehrenamtliche Tätigkeiten und informelles Lernen tangieren, konzipiert (vgl. z.B. Ehling 2004, 11).
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sich mit dem vorliegenden Datenmaterial weitgehend abbilden. Neben Lese- und Fernsehzeitbudgets werden unter anderem Informationen zu Interaktionen in der Familie (z.B. Vorlesen und Erzählen; Gespräche und gemeinsame Mahlzeiten) sowie genaue Angaben zur Dimension der Zeit (z.B. Erwerbsarbeitszeit; Differenzierung nach Tageszeit) bereitgestellt. Ferner liegen Angaben zu sozio-demographischen Merkmalen aller Familienmitglieder (ab zehn Jahren) vor (z.B. Bildung, Erwerbstätigenstatus, Alter). Auf dieser Datenbasis lassen sich sowohl die externen als auch internen Dimensionen der Lesesozialisation weitgehend abbilden.119 4.2 Beschreibung der Daten Dieses Kapitel befasst sich mit der Beschreibung des Datenmaterials. Nach einer Einführung in die Zeitbudgetforschung und deren Methodik wird im Einzelnen auf die Zeitbudgeterhebung des Statistischen Bundesamtes in Deutschland eingegangen. Neben einer näheren Darstellung der Erhebungsinstrumente (insbesondere des Tagebuchs) werden das Stichprobenverfahren und die Gewichtungsmethode kurz dargestellt. 4.2.1 Grundlagen der Zeitbudgetforschung Innerhalb der empirischen Sozialforschung gehört die Erfassung von Zeitbudgets120 zu den ältesten Techniken der Datenerfassung (vgl. Von Rosenbladt, 1968, 51). Der Begriff der Zeitbudgetforschung („time-use research“) bezieht sich generell auf ein methodisches Instrumentarium zur Untersuchung eines vielfältigen, interdisziplinären Themenspektrums (vgl. z.B. Von Rosenbladt 1968, 50; Szalai 1972, 4f.; Statistisches Bundesamt 2004).121 Dies lässt sich mit den Worten von Harvey treffend beschreiben: „There is virtually no avenue of human endeavor that is immune to some dimension of temporality. How long? When? Before or after? How often? At least one of these questions is likely to be relevant to any given endeavor, issue, or policy. Consequently, time use data are highly relevant across a virtually unlimited array of concerns, an array far too broad to exhaust.” (Harvey 1999, 8f.)
In vielen Ländern der OECD gehören Zeitbudgeterhebungen mittlerweile zu den zentralen nationalen Statistiken. Diesen unterliegt das allgemeine Ziel, die Lebens- und Arbeitsver119
Als Forschungsstrategie erscheint eine Sekundäranalyse mit Tagebuchdaten unterdessen auch unter Berücksichtigung der begrenzten finanziellen und zeitlichen Ressourcen als geeignet. Erfahrungsgemäß ist die Feldarbeit innerhalb einer Primärerhebung im Rahmen eines einzelnen Dissertationsprojektes sowohl mit relativ hohen Kosten als auch mit relativ hohem zeitlichen Aufwand verbunden (vgl. auch Diekmann 2002, 172f.). 120 Der Begriff des Zeitbudgets wurde ursprünglich im methodisch-technischen Sinne verwendet, auch in Analogie zum Begriff des Geldbudgets: „A time budget is a log or diary of the sequence and duration of activities engaged in by an individual over a specific period, most typically the 24-hour day.” (Converse 1968, 42) 121 Die Forschungsdisziplinen reichen von den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften über die Naturwissenschaften bis hin zu den Geowissenschaften (vgl. z.B. die Beiträge in: Statistisches Bundesamt 2004). Traditionell wurden Zeitbudgeterhebungen innerhalb der amerikanischen und westeuropäischen Soziologie, abgesehen von wenigen Ausnahmen, primär innerhalb der Freizeitforschung („leisure studies“) eingesetzt (vgl. Szalai 1966, 5). In methodischer Hinsicht sind insbesondere die frühen Studien „Leisure: A Suburban Study“ von Lundberg u.a. (1934) und „Time-Budgets of Human Behavior“ von Sorokin u. Berger (1939) zu würdigen (vgl. Szalai 1966, 5).
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hältnisse der nationalen Bevölkerung differenziert abzubilden (vgl. Ehling u.a. 2001, 427). Mit den für Deutschland vorliegenden Zeitbudgeterhebungen des Statistischen Bundesamtes der Jahre 1991/92 sowie 2001/02 wird an die westeuropäische Forschungstradition angeknüpft, die sich seit Mitte der 1960er Jahre, ausgehend von dem in zwölf europäischen Ländern durchgeführten internationalen Zeitbudgetprojekt „Multinational Comparative Time-Budget Project“ (vgl. Szalai u. Scheuch 1972a), zunehmend weiterentwickelt hat (vgl. z.B. Ehling u. Schäfer 1988, 453f.). Das von der UNESCO geförderte Projekt wird häufig als „Meilenstein“ der europäischen Zeitbudgetforschung bezeichnet (vgl. z.B. Von Rosenbladt 1968, 49; Ehling u. Schäfer 1988, 452). Zeitbudgeterhebungen sind unmittelbar mit der Frage verknüpft, wer welche Aktivitäten wie lange wo unter Anwesenheit wessen hauptsächlich oder nebenbei ausübt (vgl. z.B. Harvey 1999, 27). Insbesondere die Erfassung der sozialen Dimension im Rahmen von Zeitbudgetanalysen erfährt gegenwärtig eine zunehmende Bedeutung (vgl. z.B. Gershuny u. Sullivan 1998, 72ff.; Tindale 1999, 155ff.; Harvey u. Royal 2000; Huysmans 2001)122 und ist auch für die Beantwortung der hier relevanten Fragestellung von Relevanz. Interaktionen in der Familie lassen sich zumindest punktuell mit den hier vorliegenden Daten abbilden. Des Weiteren lassen sich innerhalb der Zeitbudgetforschung verschiedene Instrumente der Zeiterfassung unterscheiden, wie das Interview123, die Beobachtung und das Tagebuch (vgl. Ehling 1991, 30ff.; Gershuny 2001, 15752ff.). Auf die Tagebuchmethode und deren Besonderheiten soll an dieser Stelle näher eingegangen werden, da die hier verwendeten Daten weitgehend mit dieser Erhebungsmethode gewonnen wurden: „A time diary places activities in their natural temporal context. By its nature, the diary provides a record of all activities during a specified period (day, week), along with a potentially rich array of contextual information.” (Harvey 1999, 19)
In Anlehnung an Harvey (1999) lassen sich verschiedene Tagebuchdesigns (zu denen im weiteren Sinne auch das Interview gehört) nach bestimmten Kriterien unterscheiden. Erstens lassen sich Tagebücher mit vorgegebenen Aktivitätskategorien („aktivitätsorientiertes Design“)124 und solche mit offenen Kategorien unterscheiden, wobei im letzteren Fall eine nachträgliche Codierung vorgenommen wird. Zweitens lassen sich solche mit fest definierten Zeitintervallen (z.B. Zehn-Minuten- oder Fünfzehn-MinutenIntervalle) und solche mit offenen Zeitvorgaben differenzieren. In der europäischen Zeitbudgetforschung werden üblicherweise Tagebücher mit zehnminütigen Zeitintervallen verwendet.125 Drittens lassen sich Tagebücher als „Yesterday-Tagebücher“ oder „Tomorrow122
Vgl. zu „Interaktionsmustern“ bereits Sorokin u. Berger (1939, 3), Von Rosenbladt (1968, 61f.), Szalai (1972, 5). Kritisiert wurde die bisherige Zeitbudgetforschung mit Blick auf die weitgehende Vernachlässigung der „sozialen Dimension“ unter anderem von Tietze u. Roßbach (1991, 15). 123 Das Interview bezieht sich in der Regel auf die Zeitverwendung des Vortages („Yesterday Interview“). In diesem Fall wird der Ablauf des Vortages rekonstruiert, wobei dies häufig durch Einsatz einer fest definierten Aktivitätenliste erfolgt (vgl. Ehling u.a. 2001, 429). Innerhalb der Medienforschung wird diese Erfassungsmethode z.B. innerhalb der Studie „Massenkommunikation“ angewendet (vgl. Ridder u.a. 2002, 18). 124 Als Beispiel lassen sich die Zeitbudgeterhebungen des Social and Cultural Planning Office (SCP) in den Niederlanden anführen, in denen den Befragten eine vorkodierte Liste mit Aktivitäten vorgegeben wurde (vgl. De Haan u.a. 2004, 9). 125 Als Ausnahme lässt sich die niederländische Zeitbudgetuntersuchung des SCP anführen, die Zeitbudgets in Fünfzehn-Minuten-Intervallen erfasst (vgl. De Haan u.a. 2004, 9).
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Tagebücher“ konzipieren. Während im Falle des Yesterday-Diary die Daten meist im Rahmen von persönlichen oder telefonisch-gestützten Interviews über die Zeitverwendung des Vortages erhoben werden, werden die auch als „left behind diaries“ bezeichneten „Tomorrow-Tagebücher“ den Befragten in der Regel zugesandt oder persönlich übergeben. Viertens variieren Tagebücher nach der Anzahl der erhobenen Tage. Während sich die Daten aus Tagebuchstudien, die sich nur auf einen einzigen Tag beziehen, zumindest für solche Fragestellungen, die sich auf eher unregelmäßig ausgeführte Aktivitäten (z.B. Theaterbesuche) beziehen, als relativ unzuverlässig erweisen, sind Tagebuchstudien, die sich auf sieben Tage beziehen, häufig mit zu hohem Aufwand für die Befragten verbunden. Daher beziehen sich die meisten Tagebuchstudien auf zwei bis drei Tage (vgl. Harvey 1999, 22f.)126. Das von den Befragten selbst zu führende Tagebuch mit offenen Aktivitätskategorien und vorgegebenen Zehn-Minuten-Intervallen hat sich im internationalen Rahmen als bevorzugtes Erhebungsinstrument etabliert (vgl. z.B. Scheuch 1972a, 69ff.; Ehling 1991, 34) und wird in Kombination mit einem Personen- und Haushaltsfragebogen auch in den Zeitbudgeterhebungen des Statistischen Bundesamtes eingesetzt. Diese Form hat im Vergleich zu alternativen Designs eine Reihe von Vorteilen, die an dieser Stelle kurz skizziert werden sollen: Indem die Befragten die ausgeführten Aktivitäten in eigenen Worten dokumentieren, können diese zu einheitlichen Tätigkeitsklassen zusammengefasst werden und eine feinere Gliederungstiefe als bei vordefinierten Kategorien angestrebt werden.127 Des Weiteren erlaubt ein solches Erhebungsdesign Haupt- und (ggf. mehrere) Nebentätigkeiten gleichzeitig abzubilden. Dadurch bleibt die Grenze eines 24-Stunden-Tages für Primärtätigkeiten bestehen. Ferner lassen sich Angaben zum sozialen (Anwesenheit anderer) und räumlichen Umfeld (Ort der Ausführung) erfassen, und zudem ist es möglich, Informationen über mehrere Tage und für alle Personen eines Haushalts bzw. einer Familie zu gewinnen. Indem das Tagebuch den Befragten gestattet, das Tätigkeitsspektrum chronologisch zu erfassen, lässt sich schließlich dem Problem entgegenwirken, dass Angaben aufgrund „sozialer Erwünschtheit“ verzerrt werden (vgl. Ehling 1991, 34f.).128 Diesen Vorteilen stehen auch einige Nachteile gegenüber. Die unstandardisierte Erhebungsform geht zunächst mit der Problematik einher, dass die Haushaltsmitglieder einzelne Aktivitäten zum Teil undifferenziert und uneindeutig dokumentieren. Einige mögen beispielsweise angeben, dass sie gelesen haben, nicht jedoch, dass sie ein Buch oder Zeitung gelesen haben. Um dem vorzubeugen ist es erforderlich, die Haushaltsmitglieder intensiv in das Verfahren einzuführen (Ehling, 1991, 39). Ein Zeitraster von mindestens fünf bzw. zehn Minuten macht eine intensive Selbstbeobachtung der Probanden 126
In der Literatur finden sich überdies Hinweise, dass bei längeren Tagebuchaufzeichnungen die Qualität der Einträge deutlich nachlässt (vgl. Ehling 2004, 19). 127 In der Forschungspraxis ist die Analyse von sehr fein differenzierten Aktivitätskategorien jedoch in vielen Fällen nur begrenzt möglich, da nur ein sehr kleiner Anteil der Befragten eine solch differenzierte Dokumentation vornimmt. 128 Es finden sich einige Studien im internationalen und nationalen Forschungsraum, welche sich mit der Überprüfung von messtheoretischen Gütekriterien in Zeitbudgeterhebungen befassen. Zur vertiefenden Lektüre über die Überprüfung von Validität und Reliabilität von Tagebüchern innerhalb der Zeitbudgetforschung vgl. z.B. Anderson, D. R. u.a. (1985, 1345ff.), Robinson (1985, 33ff.) sowie Robinson (1999, 76ff.). Für den deutschsprachigen Forschungsraum lassen sich beispielsweise die Untersuchungen von Krekeler (1995) sowie Reinsch u.a. (1999) benennen. Reinsch u.a. resümieren in ihrer Sekundäranalyse, dass die Tagebuchmethode im Allgemeinen relativ gute Reliabilitäts- und Validitätskennwerte aufweise und direkten Einschätzfragen eindeutig überlegen sei (1999, 70).
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erforderlich und kann dadurch gleichzeitig stark beeinflussend auf das tatsächliche Verhalten wirken. Die Qualität der Aufzeichnungen hängt ferner auch von der Schreibkompetenz der Probanden ab (vgl. Weber 1970, 66f). Aufgrund dessen sind Personen mit hohem Bildungsabschluss in Zeitbudgeterhebungen üblicherweise überrepräsentiert (vgl. Ehling u. Bihler 1996, 269). Zudem sind die Auswertungen von Tagebüchern mit höherem Aufwand verbunden als die Auswertungen von standardisierten Fragebögen, da der Forscher die einzelnen Aktivitäten erst im Nachhinein einzelnen Klassen zuordnet (vgl. Ehling 1991, 39), was auch mit vergleichsweise hohen Kosten einhergeht (vgl. ebenda, 35). Insgesamt überwiegen jedoch die Vorteile dieser Methode deutlich. Das „selbstgeführte Tagebuch“ gilt nach wie vor als das zentrale Erfassungsinstrument allgemeiner Zeitbudgets (vgl. ebenda, 34). Robinson folgerte auf Grundlage seiner Studien, dass „the burden of evidence clearly points to the strong likelihood that time diaries are the only viable method of obtaining valid and reliable data on activities“ (1985, 60). Auch innerhalb der empirischen Medien- und Leseforschung erfreuen sich Zeitbudgeterhebungen einer relativ hohen Beliebtheit, wobei auch hier unterschiedliche Erhebungsinstrumente eingesetzt werden (vgl. z.B. Tietze u. Peek 1991; Reinsch u.a. 1999, 55ff.). Als prominentes Beispiel einer repräsentativen Zeitbudgetstudie lässt sich die von der ARD/ZDF-Medienkommission und der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegebene Studie „Jugend und Medien“ (1986) heranziehen, die unter anderem darauf abzielte, die Mediennutzung Jugendlicher in Zusammenhang mit deren Wert-, Bedürfnis- und Lebensorientierungen zu betrachten (vgl. Bonfadelli u.a. 1986, 12f.). Die Mediennutzung wurde hier direkt über aktivitätsorientierte Zeitbudgets erfasst, eine insbesondere in der empirischen Medienforschung häufig angewandte Methode (vgl. z.B. Tietze u. Roßbach, 1991; Jäckel u. Wollscheid 2004b). In Europa, etwa in den Niederlanden, haben Zeitbudgetanalysen eine längere Tradition innerhalb der Lese- und Medienforschung, die bis in die Mitte der 1930er Jahre zurückreicht (vgl. z.B. Knulst u. Kraaykamp 1998, 24; Raeymaeckers 2002, 371).129 Die seit 1975 in Fünfjahresabständen auf nationaler Ebene durchgeführten Zeitbudgeterhebungen erfassen Aktivitätsbudgets von Individuen über eine vollständige Woche (vgl. De Haan u.a. 2004, 9). In der niederländischen Literatur findet sich eine Reihe von Beiträgen, die insbesondere die Beziehungen zwischen Lese- und Fernsehbudgets auf Basis von Zeitbudgetdaten (teilweise auch im Längsschnitt) untersuchen, wobei relativ feingegliederte Angaben zum Lesen untersucht werden (vgl. hierzu z.B. Knulst u. Kraaykamp 1998; Huysmans u.a. 2005, 64). Beispielsweise wird zwischen den Büchergenres „Literatur“, „Kunst/Kultur“, „Liebesroman“ sowie „Thriller“ unterschieden (vgl. Huysmans u.a. 2005, 63), so dass differenziertere Aussagen über die Leseinhalte verschiedener Gruppierungen möglich sind.
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Die erste Studie, die Informationen über Lesezeitbudgets bezüglich Lesegewohnheiten bereitstellt, wurde in den Jahren 1934/35 durchgeführt, wobei lediglich Angestellte und Bedienstete einbezogen wurden. In den Jahren 1955/56 führte das Central Bureau of Statistics in den Niederlanden eine national repräsentative Zeitbudgetstudie mit den gleichen Methoden durch, wobei die Erfassung der Aktivitäten auf die Zeit nach Feierabend bzw. das Wochenende beschränkt war. In den Jahren 1962/63 wurde diese Zeitbudgeterhebung wiederholt durchgeführt. Seit 1975 werden Zeitbudgeterhebungen in den Niederlanden in einem Abstand von fünf Jahren kontinuierlich durchgeführt, wobei im Gegensatz zu früheren Studien Zeitbudgets einer ganzen Woche (jeweils über 24 Stunden) erfasst werden (vgl. Knulst u. Kraaykamp 1998, 24).
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Methodik und Forschungsdesign
4.2.2 Zeitbudgeterhebungen in Deutschland Bei der Zeitbudgeterhebung 2001/02 des Statistischen Bundesamtes handelt es sich um die zweite und derzeit aktuellste repräsentative Zeitbudgeterhebung in Deutschland. Im Großen und Ganzen basiert die Sekundäranalyse auf diesen Daten, nur in Einzelfällen werden aus Vergleichsgründen Daten der Studie aus den Jahren 1991/92 verwendet. Im Rahmen der Erhebung in 2001/02 wurde die Zeitverwendung aller Personen ab zehn Jahren in deutschen Haushalten an drei Tagen (ein Tag am Wochenende) erhoben. Insgesamt liegen für die Jahre 2001/02 35.813 Tagebücher von 12.012 Personen (ab zehn Jahren) in 5.171 Haushalten vor. Ursprünglich wurde eine Stichprobe von 5.400 Haushalten mit 12.600 und 37.700 Tagebüchern generiert; der hier verwendete Datensatz bezieht sich auf den Scientific-Use-File, der sich auf eine 95-Prozent-Stichprobe dieser Daten bezieht (vgl. Statistisches Bundesamt 2005, 2). 4.2.2.1 Stichprobenziehung und Gewichtung Die Grundgesamtheit umfasst alle im Mikrozensus 1999 nachgewiesenen privaten Haushalte in Deutschland am Ort des Hauptwohnsitzes (vgl. Ehling u.a. 2001, 433). Die Stichprobenziehung erfolgte nach einem repräsentativen Quotenverfahren mit freiwilliger Teilnahme, wobei eine Quotierung nach den Merkmalen „Bundesland“, „Haushaltstyp“, „soziale Stellung der Bezugspersonen“ sowie „Gemeindegrößenklasse“ durchgeführt wurde. Die Grundidee der Quotenauswahl lässt sich in formaler Hinsicht mit derjenigen der geschichteten Stichprobenziehung vergleichen. Auf Grundlage einer Partition wird die Grundgesamtheit in Teilgesamtheiten bzw. Schichten zerlegt. Die Teilstichproben werden mehr oder weniger willkürlich gezogen, während im Falle einer gewöhnlichen geschichteten Stichprobenziehung beabsichtigt wird, für jede Teilgesamtheit einen Auswahlgenerator zu konzipieren (vgl. Rohwer u. Pötter 2001, 330). Entgegen früheren Auffassungen wird derzeit eher die Ansicht vertreten, dass Quotenstichproben im Vergleich zu Zufallsverfahren nicht grundsätzlich zu kritisieren sind (vgl. z.B. Diekmann 2002, 341ff.). Es kann prinzipiell nicht eindeutig darüber entschieden werden, ob durch eine Zufallsstichprobe repräsentativere Resultate erzielt werden als durch eine Quotenstichprobe (vgl. ebenda, 332). Ein wesentlicher Vorzug der Quotenauswahl gegenüber der Zufallsauswahl besteht vor allem darin, dass sie kostengünstiger als diese ist (vgl. Gehring u. Weins 2004, 183). Um den Stichprobenumfang auf die Bundesländer und Quotierungsgruppen aufzuteilen, wurde der Mikrozensus 1999 als Datengrundlage herangezogen. Die Grundgesamtheit bezieht sich damit im engeren Sinne auf alle im Mikrozensus ausgewiesenen Privathaushalte am Ort der Hauptwohnung (vgl. ausführlich: Ehling u.a. 2001, 432ff.). Um Informationen über den Ablauf eines gesamten Jahres zu erhalten und saisonal bedingte Verzerrungen (z.B. wetterbedingte Schwankungen der Mediennutzung) zu vermeiden, fand die Erhebung über zwölf Monate verteilt zwischen April 2001 und Ende März 2002 statt (vgl. ebenda, 433). Da es sich im Falle der Gesamtstichprobe um eine nicht-proportionale Stichprobe handelt, sind die Daten der Zeitbudgeterhebung mit dem jeweiligen Faktor zu gewichten, um eine weitgehende Repräsentativität zu gewährleisten. Da bestimmte Haushaltstypen, die nur einen sehr geringen Anteil an der Grundgesamtheit ausmachen (z.B.
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Methodik und Forschungsdesign
Alleinerziehenden-Haushalte) für gewisse Fragestellungen zentral sind (z.B. familienpolitische Fragestellungen), wurden diese im Rahmen der Quotenauswahl zu überproportionalen Anteilen in die Stichprobe einbezogen. Die Stichprobe wurde unterdessen nicht-proportional auf die Quotierungsmerkmale „Haushaltstyp“ und „soziale Stellung der Bezugsperson“ aufgeteilt; ferner wurden auch die Wochentage nicht proportional in der Erhebung berücksichtigt. Haushalte mit Kindern sowie Alleinerziehende wurden überproportional berücksichtigt (vgl. Ehling 2004, 14). Im Falle der Quotierung nach der sozialen Stellung der Bezugsperson wurden kleinere Gruppen, wie Selbständige, Beamte und sonstige Nichterwerbstätige zu überproportionalen Anteilen in der Stichprobe berücksichtigt (vgl. Ehling u.a. 2001, 434). Dies führte unter anderem dazu, dass Personen mit höherem Bildungsabschluss (häufig Beamte oder Selbständige) in der Stichprobe überproportional vertreten sind. Falls den Auswertungen die Person und nicht der einzelne Tagebuchtag als Analyseeinheit zu Grunde liegt, wird – wenn nicht anders angegeben – der Gewichtungsfaktor „Personen-Struktur“ herangezogen. Liegen den Auswertungen hingegen einzelne Tagebuchtage zu Grunde, etwa bei einer Differenzierung nach Werk- und Wochenendtagen, werden die Angaben mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung“ gewichtet. In Tabelle 4 werden die gewichteten und ungewichteten Anteile von Vätern und Müttern in der Stichprobe (und im Mikrozensus) nach Bildungsgruppen ausgewiesen. Durch die Gewichtung lassen sich die Verzerrungen zugunsten hoher Bildungsgruppen zumindest teilweise ausgleichen. Tabelle 4: Väter und Mütter nach Bildung (in Prozent) Väter 1)
Bildung niedrig
ungewichtet 29,5
Mütter gewichtet 32,2 (43)2)
ungewichtet 19,2
gewichtet 21,9 (36)2)
mittel
28,5
30,9 (31)
48,5
50,7 (41)
hoch
42,0
37,0 (26)
32,3
27,4 (23)
100 (N = 758)
100
100 (N = 758)
100
1) niedrig = Hauptschulabschluss/Schule ohne Abschluss verlassen; mittel = Realschulabschluss; mittlere Reife; hoch = Fachabitur; Abitur 2) Die Angaben über die Verteilung des Bildungsmerkmals entstammen dem Mikrozensus 2002 und beziehen sich auf die Altersgruppe 35 bis 55 Jahre; in dieser Altersgruppe befinden sich 91 Prozent der Väter bezogen auf die Stichprobe (gewichtet) und 86 Prozent der Mütter in der Stichprobe. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02; Mikrozensus 2002.
Ein Vergleich der Stichprobe mit den Mikrozensusdaten (Angaben in Klammern) zeigt, dass sich die Stichprobe durch einen höheren Anteil an Personen mit hoher Bildung zusammensetzt als die Grundgesamtheit. Da mit Blick auf die zu Grunde gelegten Mikrozensusdaten aus forschungspragmatischen Gründen nur von einer „hypothetischen Grundgesamtheit“ ausgegangen werden kann, geschieht dies unter der Annahme, dass die Verteilung, wie hier dargestellt, auf Familien übertragbar ist.130 Im Rahmen der 130
Um Informationen über die exakte Verteilung der relevanten Merkmale in der Grundgesamtheit zu erhalten (z.B. über Familien mit Kindern), wären Sonderauswertungen des Mikrozensus erforderlich, was mit relativ hohem Aufwand (z.B. Kosten) verbunden wäre. Aus diesem Grund werden die Personendaten des Mikrozensus
108
Methodik und Forschungsdesign
Ergebnisinterpretation gilt es, diese Verzerrungen stets implizit zu berücksichtigen. Von einer Nachgewichtung (Redressment)131 wird abgesehen, da dieses Verfahren in der Forschungspraxis als äußerst umstritten gilt (vgl. Diekmann 2002, 365)132. Eine abschließende Bemerkung sei an dieser Stelle angebracht: Statistische Angaben, die sich auf weniger als 50 Tagebuchtage (bzw. 30 Personen) beziehen, lassen sich nur eingeschränkt als repräsentativ bezeichnen. Ergebnisse, die sich auf mehr als 200 Tagebuchtage beziehen, können hingegen als uneingeschränkt repräsentativ bezeichnet werden (vgl. Statistisches Bundesamt 2005, 3). Eine Berechnung stichprobenbedingter Fehler wurde unterlassen. Um die Anzahl von nicht-stichprobenbedingten Fehlern möglichst gering zu halten, wurden ein Pretest sowie umfangreiche Plausibilitätsüberprüfungen durchgeführt (vgl. ebenda 3). 4.2.2.2
Erhebungsdesign und -instrumente
Das Design der Zeitbudgeterhebung basiert auf drei verschiedenen Instrumenten: einem Tagebuch, einem Personenfragebogen und einem Haushaltsfragebogen. Dadurch werden neben Angaben zur Zeitverwendung unter anderem Informationen zur Soziodemographie der Haushaltsmitglieder sowie Angaben zur Medienausstattung bereitgestellt. Den Kern der Erhebung bildet unterdessen das von den Befragten selbst zu führende Tagebuch. Die Teilnehmer wurden gebeten, die an drei ausgewählten Tagen ausgeführten Aktivitäten in ZehnMinuten-Intervallen differenziert zu dokumentieren. Daneben wurden Angaben zur Anwesenheit Dritter, dem Ort der Tätigkeitsausübung sowie Informationen zu einer weiteren Nebenaktivität erhoben (vgl. Ehling u.a. 2001, 430f.). Die Belastung der Befragten an der Zeitbudgeterhebung ist insofern begrenzt, da diese freiwillig ist. Die Teilnehmer erhielten eine Aufwandsentschädigung (vgl. Statistisches Bundesamt 2005, 3). Von einer Differenzierung nach dem Ort der Mediennutzung wird innerhalb dieser Dissertation abgesehen. Eine Grundauszählung, differenziert nach Lesen und Fernsehen „zu Hause“ bzw. „nicht zu Hause“, hat gezeigt, dass der Anteil des Zeitbudgets für Lesen und Fernsehen, der auf außerhäusliche Mediennutzung entfällt, am Gesamtzeitbudget für Lesen und Fernsehen bei Mutter, Vater und Kind mit zehn Prozent oder weniger relativ gering ausfällt und daher bedeutungslos ist. Daher wurde auf eine Differenzierung in häusliche und außerhäusliche Mediennutzung verzichtet. Außerdem beschränken sich die Analysen vor dem Hintergrund einer stärkeren Fokussierung auf das Lesen in dieser Untersuchung auf die Mediennutzung als Hauptaktivität. Die angegebenen Aktivitäten sind abschließend in ein Aktivitätenschema mit insgesamt 230 Kategorien überführt worden. Durch die ex post durchgeführte Kodierung ist eine Untergliederung in bis zu drei Ebenen möglich (vgl. Ehling 2001, 429). Die Aktivität „Massenmedien“ (erste Gliederungsebene) lässt sich beispielsweise in die Kategorien zum Vergleich herangezogen, unter der Annahme, dass die Bildungsvariable in ihrer Verteilung in der Gesamtbevölkerung (zwischen 30 und 60 Jahren) nicht von ihrer Verteilung in den interessierenden Familien abweicht. 131 Dieses im Nachhinein angewandte Gewichtungsverfahren dient dazu, Verteilungen der Stichprobe an bekannte Verteilungen der Grundgesamtheit, z.B. hinsichtlich der Bildung, anzupassen. Die Fälle der Stichprobe werden dabei so gewichtet, dass die Verteilungen in der Stichprobe mit den Angaben der Grundgesamtheit, z.B. der amtlichen Statistik, übereinstimmen (vgl. Diekmann 2002, 365). 132 Nach Auffassung von Diekmann (2002) ist das Redressment allenfalls pragmatisch zu begründen und entzieht sich einer statistischen Rechtfertigung (366).
Methodik und Forschungsdesign
109
„Lesen“, „Fernsehen und Video“, „Radio, Musik oder andere Tonmedien“ sowie „Computer“ unterteilen (zweite Gliederungsebene). Auf dritter Ebene lässt sich die Kategorie „Lesen“ weiter ausdifferenzieren in „Zeitschriften lesen“, „Bücher lesen“ „sich Vorlesen lassen und Zuhören beim Vorlesen“. Daneben wurden auch sogenannte Restkategorien gebildet, wie z.B. „andere eindeutig bestimmte Tätigkeiten“ oder „nicht genau bezeichnete Tätigkeiten“. Ein entscheidender Vorteil dieses Designs liegt darin, dass einzelne Unterkategorien unter gleichzeitiger Berücksichtigung raum-zeitlicher und sozialer Informationen im Rahmen einer Sekundäranalyse beliebig zu neuen Kategorien zusammengefasst werden können. Familieninteraktionen werden beispielsweise über die Kategorien „Gespräche mit Kindern über zehn Jahren“ sowie „gemeinsame Mahlzeiten mit Kindern über zehn Jahren“ abgebildet. Im Falle des Lesens lassen sich z.B. die Variablen „Lesen in Abwesenheit anderer Personen“ oder „Lesen in Anwesenheit anderer Personen“ nachträglich bilden (vgl. Anhang III Aktivitätskategorien). Eine grundlegende Änderung des Erhebungsdesigns gegenüber 1991/92 bezieht sich auf den Umstieg auf eine rein schriftliche Erhebung der Personen- und Haushaltsmerkmale. Während 1991/92 in Ergänzung zu den Tagebüchern im Rahmen eines zweiten Interviewerbesuchs und nachträglich des Schlussinterviews eine Vollständigkeitskontrolle der Tagebücher vollzogen werden konnte, war dies innerhalb der postalischen Befragung nicht mehr möglich (vgl. Ehling u.a. 2001, 430). 4.2.2.3 Auswertungsstrategien Die Haushalts-, Personen- und Tagebuchdaten liegen in vier einzelnen Datensätzen vor. Die Tagebuchdaten sind einerseits als aufsummierte Zeitbudgets pro Hauptaktivität und Tagebuchtag verfügbar („Wie viel Zeit wurde pro Tag insgesamt mit Lesen als Hauptaktivität verbracht?“). Andererseits lassen sich auf Basis des Takt-Datensatzes, der differenziertere Informationen über die einzelnen Zeittakte à zehn Minuten (6 * 24 = 144) bereitstellt, mit Hilfe von Syntaxbefehlen individuelle Variablen ermitteln, z.B. wie viel Zeit zwischen 6 und 8 Uhr morgens mit (Zeitung-)Lesen verbracht wird oder wie viel Zeit zwischen 14 und 20 Uhr mit anderen Personen oder alleine ferngesehen wird. Im Originaldatensatz waren die Informationen über die einzelnen Familienmitglieder ursprünglich zeilenweise, d.h. untereinander, angeordnet. Die Analyse auf Familienebene erforderte daher zunächst die Zuordnung der einzelnen Familienmitglieder zueinander mit Hilfe von Identifikationsvariablen (Haushaltsvariable). Insgesamt konnte auf diesem Weg in 758 Fällen die Familienmitglieder weitestgehend eindeutig zugeordnet werden (Vater = erste Person im Haushalt; Mutter = zweite Person im Haushalt; Kind(er) = dritte, vierte usw. Person im Haushalt). Im transformierten Datensatz, der dieser Untersuchung zu Grunde liegt, werden die einzelnen Familien als Fälle betrachtet. Abschließend ist an dieser Stelle eine Anmerkung zur Auswertungsstrategie von Tagebuchdaten erforderlich, die im Rahmen dieser Dissertation zur Anwendung kommt. Generell werden in klassischen Zeitbudgetanalysen Mittelwerte über „Ausübungstage“ ermittelt, d.h. es werden die prozentualen Anteile derjenigen Tage(-bücher) bezogen auf alle vorliegenden Tage(-bücher) betrachtet, an denen die Personen dokumentieren, dass sie die jeweilige Tätigkeit ausgeübt haben (vgl. z.B. Von Rosenbladt 1968, 62f.; Jäckel u. Wollscheid 2004a, 376). Die Analyseeinheit ist in diesen Fällen nicht, wie in her-
110
Methodik und Forschungsdesign
kömmlichen Befragungsstudien üblich, die einzelne Person, sondern der singuläre Tag bzw. die Tagebucheinträge einer Person an einem der drei vorliegenden Tage (vgl. hierzu auch: Jäckel u. Wollscheid 2007a, 92). Die in dieser Untersuchung vorgenommenen Analysen beziehen sich jeweils auf alle Personen(-tage) der relevanten Teilstichproben, unabhängig davon, ob die jeweilige Aktivität (z.B. Lesen) an dem entsprechenden Tag tatsächlich dokumentiert wurde oder nicht. Da es sich im Falle der hier betrachteten Aktivitäten um Tätigkeiten handelt, von denen unterstellt werden kann, dass sie in einem wöchentlichen Rhythmus (Lesen) wenn nicht sogar in einem täglichen Rhythmus (Fernsehen) ausgeübt werden, ist zu erwarten, dass die Varianz zwischen den einzelnen Tagen relativ gering ist. Bezüglich der Zeitdimension lassen sich Wochenendtage und Werktage getrennt analysieren. Unter der Annahme, dass sich Gewohnheiten in Verbindung mit der Lesesozialisation genauer über Durchschnittswerte (über drei Tage berechnet) pro Tag abbilden lassen und sich insbesondere Lesegewohnheiten eher im wöchentlichen als im täglichen Rhythmus manifestieren (vgl. z.B. Hamm u. Langen 2001, 50; Bucher 2004, 114), werden Familien bzw. einzelne Familienmitglieder und deren durchschnittliche Zeitverwendung (z.B. für das Lesen) analysiert. Nur in Einzelfällen wird von dieser Betrachtungsweise abgewichen. 4.2.3 Darstellung der Untersuchungsstichprobe Die Untersuchungsstichprobe umfasst 758 Familien (Vater-Mutter-Kind-Konstellationen) mit Kindern zwischen zehn und 19 Jahren (Schüler). Für jedes Familienmitglied ab zehn Jahren liegen – wie bereits oben erwähnt – Angaben zur Zeitverwendung an drei Tagen (zwei Wochentage, einen Tag am Wochenende) vor. Dies ermöglicht eine differenzierte Berücksichtigung der Zeitdimension. Im Folgenden wird die relevante Teilstichprobe hinsichtlich ihrer Verteilung nach relevanten soziodemographischen Variablen dargestellt. Tabelle 5: Familien mit Kindern ab zehn Jahren nach soziodemographischen Merkmalen Merkmal Bildungsstatus niedrig mittel hoch Erwerbstätigenstatus der Mutter in Vollzeit in Teilzeit/ geringfügig nichterwerbstätig Erwerbstätigenstatus des Vaters in Vollzeit in Teilzeit/ geringfügig nichterwerbstätig
Angaben in Prozent (ungewichtet)
N = 758
100
30,1 47,9 22,0 13,3 60,3 26,4 91,3 2,9 5,8
Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
5 Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Die zentralen Ergebnisse der empirischen Untersuchung werden im Folgenden dokumentiert, interpretiert und diskutiert und in den aktuellen Forschungskontext eingebunden. Die Untersuchungsstichprobe bezieht sich – wenn nicht anders vermerkt – auf Familien mit Kindern zwischen zehn und 19 Jahren in schulischer Erstausbildung (Schüler) (N = 758). Die Einflüsse der externen und internen Dimensionen auf die Lesesozialisation werden durchgängig am Verhalten des „ersten“ Kindes133 im Haushalt gemessen. Damit werden lediglich Medienzeitbudgets der Mutter, des Vaters sowie des ersten Kindes im Familienhaushalt in den Analysen berücksichtigt. Die inhaltliche Struktur dieses Kapitels orientiert sich im Wesentlichen am theoretischen Konzept dieser Untersuchung (vgl. Abbildung 4). In diesem sind externe und interne Dimensionen der Lesesozialisation aufeinander bezogen, wobei Erstgenannte außerhalb der Ellipse und Letztgenannte im Inneren der Ellipse angesiedelt sind. Externe Dimensionen, wie Bildung und Zeit, werden als „äußere“ Faktoren modelliert, welche die Lesesozialisation des Kindes quasi indirekt beeinflussen. Interne Dimensionen werden an Interaktionen, am Vorbild der Eltern sowie einem zurückhaltenden Fernsehgebrauch festgemacht und lassen sich direkt am Verhalten der Eltern beobachten, beeinflussen die Lesesozialisation somit eher auf direkte Weise. Des Weiteren werden Geschlecht und Alter (auf der Individualebene) als Dimensionen der Lesesozialisation berücksichtigt; sie werden im Rahmen der engeren Fragestellung allerdings eher am Rande abgehandelt. Im ersten Teilkapitel werden Lese- und Fernsehzeitbudgets der Familienkonstellationen unter Berücksichtigung des zeitlichen und sozialen Kontextes zunächst deskriptiv dargestellt (Kapitel 5.1). Daran anknüpfend befasst sich das zweite Teilkapitel mit den Auswirkungen der externen Dimensionen Zeit und Bildung auf die Lesesozialisation. Im ersten Schritt werden diese mit der Lese- und Fernsehdauer der Eltern in Beziehung gesetzt, um die familialen Rahmenbedingungen der Lesesozialisation zu analysieren. Im zweiten Schritt wird der Einfluss der externen Dimensionen auf die Lese- und Fernsehdauer der Kinder gemessen, um schließlich die Wirkung der Bildungs- und Zeitdimension auf die Lesesozialisation zu analysieren (Kapitel 5.2). Das daran anknüpfende Teilkapitel bezieht sich auf den Einfluss der internen Dimensionen auf die Lesesozialisation. Sich an die Struktur des dritten Kapitels anlehnend, ist die Analyse der Dimension Interaktionen der des Elternvorbildes vorangestellt (Kapitel 5.3). Im vierten Teilkapitel werden darauf aufbauend Interaktionen und Elternvorbild gemeinsam betrachtet, um Familienkonstellationen von Eltern-Kind-Dyaden zu identifizieren, die sich in ihren Voraussetzungen mit Blick auf die Lesesozialisation unterscheiden. Mutter-Kind-Dyaden sowie Vater-Kind-Dyaden werden nacheinander unter gleichzeitiger Betrachtung der externen Dimensionen (Bildungsstatus der Familie, Zeitrestriktionen) 133
Es handelt sich hierbei um das Kind im Haushalt, das im Haushaltsfragebogen der Zeitbudgeterhebung 2001/2002 als erstes genannt wurde (in der Regel das älteste Kind).
112
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
untersucht. Der finale Abschnitt dieses Teilkapitels konzentriert sich auf das Lesevorbild der Eltern, wobei gleichgerichtete und zuwiderlaufende Einflüsse des Elternvorbildes auf die Lesesozialisation von Kindern untersucht werden sollen (Kapitel 5.4). Indem möglichst alle Dimensionen der Lesesozialisation gleichzeitig berücksichtigt werden, wird im fünften Teilkapitel der Untersuchung eine weitere Spezifikation vorgenommen. Ziel ist es, auf Grundlage von Clusteranalysen Familientypen zu generieren, die sich hinsichtlich der internen und externen Rahmenbedingungen unterscheiden (Kapitel 5.5). 5.1 Lese- und Fernsehzeitbudgets in Familien Im ersten Teilkapitel sollen Lese- und Fernsehzeitbudgets der einzelnen Familienmitglieder (Mutter, Vater, Kind) unter Berücksichtigung der Zeitdimension sowie des sozialen Umfeldes beschrieben werden. Die Analyse zielt konkret auf die Frage ab, wer wann wie lange unter der Anwesenheit anderer oder alleine liest oder fernsieht. 5.1.1 Zeitlicher Rahmen des Lesens und der Fernsehnutzung Dieser Abschnitt befasst sich mit den Lesegewohnheiten von Familien unter Berücksichtigung der Zeitdimension. Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass Zeit die Lese- und Fernsehgewohnheiten der Familienmitglieder und somit auch die Lesesozialisation der Kinder beeinflusst: Je mehr Zeit die Familienmitglieder zur freien Verfügung haben, desto mehr Zeit verbringen sie mit Lesen und Fernsehen (Hypothese 2). Zum einen werden Lese- und Fernsehzeitbudgets nach Werk- und Wochenendtagen differenziert, zum anderen einzelne Tagesintervalle betrachtet. Ausgehend von der Vorstellung eines durchschnittlichen Arbeits- bzw. Schultages wurde eine Einteilung in die Zeitfenster „vor der Schule“ (6 bis 8 Uhr), „während der Schule“ (8 bis 14 Uhr), „Nachmittag/Abend“ (14 bis 20 Uhr) sowie „Abend/Nacht“ (20 bis 4 Uhr) vorgenommen. Aus sprachökonomischen Gründen werden die beiden letztgenannten Intervalle im Folgenden als Nachmittags- und Abendintervall bezeichnet (vgl. hierzu: Kapitel 3.1.2). Die Ergebnisse basieren auf einfaktoriellen Varianzanalysen. Die Varianzanalyse ist ein statistisches Verfahren, das den Einfluss einer (oder mehrerer) unabhängiger Variablen auf eine (oder mehrere) abhängige Variablen beschreibt. Während unabhängige Variablen lediglich nominales Skalenniveau voraussetzen, müssen abhängige Variablen metrisch skaliert sein (vgl. Backhaus u.a. 2006, 120). Varianzanalysen gründen auf der Frage, ob sich die beobachteten Mittelwerte (z.B. Lesezeitbudgets) in der Grundgesamtheit signifikant voneinander unterscheiden oder ob sie nur rein zufällig in der betrachteten Stichprobe vorliegen (vgl. Brosius 1998, 444). Üblicherweise werden ergänzend zu Varianzanalysen Eta2-Koeffizienten berechnet, um ein Maß für die Stärke des Zusammenhangs zwischen unabhängigen und abhängigen Merkmalen zu erhalten. Eta2 stellt die gleichen Voraussetzungen an das Skalenniveau wie die Varianzanalyse und misst den Teil der Streuung in der abhängigen Variablen, welcher durch die unabhängige Variable erklärt werden kann (vgl. Chen u. Popovich 2002, 38ff.). Tabelle 6 bezieht sich auf die Lesezeitbudgets der einzelnen Familienmitglieder. Es wurden jeweils separate Varianzanalysen für Mütter, Väter und Kinder berechnet, wobei als
113
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
unabhängige Variable der Wochentag und als abhängige Variable die Lesedauer bzw. das Lesezeitbudget berücksichtigt wurden. Sowohl Väter als auch Kinder unterscheiden sich (statistisch) signifikant zwischen Wochenend- und Werktagen: Väter lesen mit 36 Minuten am Wochenende durchschnittlich zehn Minuten länger als an Werktagen (M = 26 Minuten); bei Kindern beträgt die Differenz rund sieben Minuten (Werktag: M = 24 Minuten; Wochenendtag: M = 31 Minuten). Diese Unterschiede sind bei Müttern unterdessen nicht signifikant und relativ unbedeutend. Tabelle 6: Lesezeitbudgets von Familien nach Wochentag Werktag (Mo – Fr) Lesen
Wochenendtag (Sa – So) F-Wert Eta2
Familie (N = 758)
M
SD
M
SD
0 bis 24 Uhr
Mütter
32
40
37
57
3,541
.003
insgesamt
Väter
26**
40
36**
52
16,739
.011
Kinder
24*
42
31*
52
6,573
.005
5
28,468
.020
davon… 6 bis 8 Uhr1) (vor der Schule)
Mütter
3**
9
1**
Väter
2
7
1
8
3,062
.002
Kinder
1
6
1
6
1,585
.001
8 bis 14 Uhr
Mütter
7**
16
10**
24
8,116
.006
(während der Schule)
Väter
7**
18
14**
26
35,415
.024
Kinder
3**
15
10**
26
33,935
.023
14 bis 20 Uhr
Mütter
10**
22
14**
33
9,655
.007
(Nachmittag/Abend)
Väter
9**
21
13**
30
9,552
.007
Kinder
9
23
11
28
3,088
.002
Mütter
11
24
11
28
0,016
.000
20 bis 4 Uhr (Abend/Nacht)
Väter
8
22
8
23
0,024
.000
Kinder
10*
23
7*
18
6,730
.005
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung gewichtet“ (vgl. hierzu Kapitel 4.2.2.1). 1) Der Anteil der Tage, an denen die Befragten Lesen dokumentierten (Ausübungstage), liegt im Falle des Tagesintervalls „6 bis 8 Uhr“ bei rund zehn Prozent (Vater) und weniger. **p < .01; *p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Entgegen der herrschenden Meinung bezüglich geschlechtsspezifischer Unterschiede hinsichtlich der Lesedauer kann zumindest mit Blick auf Wochenendtage festgestellt werden, dass sich die Lesegewohnheiten von Müttern und Vätern weitgehend angleichen: Väter lesen an Wochenendtagen durchschnittlich 36, Mütter 37 Minuten. Es ist anzunehmen, dass Familien am Wochenende über größere zeitliche Disponibilitäten verfügen als an Werktagen und sich Familienmitglieder (vor allem Elternpaare) vor diesem Hintergrund auch in
114
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
ihren Freizeit- bzw. Lesegewohnheiten an Wochenendtagen eher angleichen als an Werktagen. Differenziert nach Tagesintervallen liegen bei Vätern und Kindern die stärksten Effekte für das Intervall „8 bis 14 Uhr“ vor. Während dieser Zeit sind Kinder üblicherweise in der Schule, während Väter mehrheitlich außer Haus einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Für das Zeitintervall „14 bis 20 Uhr“ zeigen sich zumindest bei Kindern keine signifikanten Unterschiede zwischen Werk- und Wochenendtagen. Bei Müttern und Vätern lässt sich diesbezüglich eine Differenz von etwa vier Minuten beobachten, wobei der Effekt mit Eta2 = .007 relativ gering ausfällt und kaum sinnvoll interpretiert werden kann. Mit Blick auf die Abendlektüre unterscheiden sich die Kinder im Gegensatz zu den Eltern signifikant hinsichtlich der Lesedauer zwischen Werk- und Wochenendtagen. Die soeben beobachtete Tendenz, dass am Wochenende durchschnittlich mehr Zeit mit Lesen verbracht wird als an Werktagen, kehrt sich in diesem Fall ins Gegenteil um: Kinder lesen an einem Wochenendtag am Abend durchschnittlich drei Minuten weniger als an Werktagen (M = 10 Minuten) (vgl. Tabelle 6). Es ist anzunehmen, dass konkurrierende Freizeitaktivitäten am Abend (z.B. Ausgehen) insbesondere bei älteren Kindern (Jugendlichen) die Abendlektüre am Wochenende verdrängen. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass die Zeitdimension (gemessen an Tagesintervallen sowie differenziert nach Wochentag) vor allem die Lesegewohnheiten von Vätern und Kindern und damit auch die Lesesozialisation beeinflusst. Bei Müttern scheint sich die Zeitdimension hingegen weniger deutlich in ihren Lesegewohnheiten bzw. ihrer Lesedauer niederzuschlagen. Weitere Analysen beziehen sich primär auf das Lesezeitbudget „insgesamt“ sowie auf die Zeitintervalle „Nachmittag“ und „Abend“, da sich die Leseaktivitäten der Familienmitglieder größtenteils auf diese Zeitfenster konzentrieren. Eine Unterscheidung nach Werkund Wochenendtagen wird ferner nur dann weiter eingehalten, falls sich diesbezüglich bereits statistisch signifikante Unterschiede gezeigt haben. Es ist in der Zeitbudgetforschung üblich, so genannte Ausübungstage zu betrachten, d.h. diejenigen Tagebuchtage, an denen die Befragten dokumentieren, dass sie die jeweilige Aktivität (hier: mindestens zehn Minuten) ausgeübt haben. Davon abweichend werden nachfolgend Anteilswerte von ausübenden Personen betrachtet. Ausübende Personen werden definiert als diejenigen, die im Durchschnitt (über drei Tage berechnet) mindestens zehn Minuten gelesen haben. Dieser Vorgehensweise liegt die Annahme zu Grunde, dass es sich im Falle des Lesens um eine Gewohnheit handelt, die eher einem wöchentlichen als einem täglichen Rhythmus folgt (vgl. hierzu: Kapitel 4.2.2.3). Lesegewohnheiten lassen sich daher zuverlässiger über Durchschnittswerte erfassen als über Angaben zu einem einzigen Tag, von denen streng genommen nicht auf individuelle Gewohnheiten („habits“) geschlossen werden kann (vgl. Rosengren 1994, 53). Die Berechnungen wurden mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet. Folglich lassen sich 82,2 Prozent der Mütter, 78,5 Prozent der Väter und 62,5 Prozent der Kinder (ab zehn Jahren) als Leser im Wochenrhythmus definieren. Unter der Prämisse, dass die betrachteten drei Tage eine durchschnittliche Woche abbilden, bedeutet dies, dass ein Drittel der Heranwachsenden seltener als einmal pro Woche zehn Minuten und länger liest. Diese Werte lassen sich damit als Indizien für die aus der Leseforschung bekannte „Drittelthese“ heranziehen. Diese bezieht sich auf das Phänomen, dass sich die Bevölkerung eines Landes jeweils in ein Drittel Vielleser, Durchschnittsleser und Nichtleser einteilen lässt (vgl. z.B. Franzmann 1998, 134; Schön 1998a, 46).
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
115
Differenziert nach Zeitintervallen wurden die höchsten Anteilswerte bei ausübenden Personen für das Zeitintervall „14 bis 20 Uhr“ berechnet: bei Müttern liegt der Leseranteil mit 50,7 Prozent an der Spitze, gefolgt von Vätern mit 47,2 Prozent und Kindern (41,5 Prozent). Am Abend sind es immerhin noch 42,7 Prozent der Mütter, 36,2 Prozent der Kinder und 34 Prozent der Väter, die lesen. Mütter scheinen im Vergleich zu Vätern und Kindern damit die höchste Präferenz für die Abendlektüre zu haben. Hinsichtlich der Fernsehdauer zeigen sich bei allen Familienmitgliedern relativ große Unterschiede zwischen Werk- und Wochenendtagen, wobei bei Vätern mit durchschnittlich 50 Minuten die Differenz am größten ist (Effektstärke: Eta2 = .051). Mit durchschnittlich 21 Minuten bzw. 28 Minuten sind die Abweichungen zwischen Werk- und Wochenendtagen bei Müttern und Kindern vergleichsweise moderat. Dies ist nicht weiter erstaunlich, da die überwiegende Mehrzahl der Väter einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht. Die Fernsehnutzung wird sich somit zumindest an Werktagen größtenteils in die Abendstunden verlagern. Die Zeitdimension beeinflusst die Fernsehgewohnheiten des Vaters folglich in stärkerem Maße als die Fernsehgewohnheiten der übrigen Familienmitglieder, was sich an den entsprechenden Eta2-Werten ablesen lässt. Ein „Mehr“ an frei disponibler Zeit führt somit zu einem höheren Anstieg der Fernsehdauer der Väter an Wochenendtagen im Vergleich zu den übrigen Familienmitgliedern. An Werktagen unterscheiden sich Mütter, Väter und Kinder nur geringfügig hinsichtlich ihrer durchschnittlichen Fernsehdauer: Mütter sehen an einem Werktag im Durchschnitt 90 Minuten, Väter 96 und Kinder 105 Minuten fern. Die niedrigere Fernsehdauer bei Müttern ist insofern überraschend, da Mütter annahmegemäß an Werktagen über mehr frei disponible Zeit134 verfügen als Väter, die zu 87,5 Prozent vollzeiterwerbstätig sind, während dies nur auf 12,1 Prozent der Mütter zutrifft. Die Forschungshypothese, dass Zeit die Fernsehdauer positiv beeinflusst, lässt sich in diesem Fall nicht bestätigen (Hypothese 2). An Wochenendtagen weichen insbesondere Mütter und Väter bezüglich ihrer Fernsehdauer deutlich voneinander ab. Letztere verbringen durchschnittlich 142 Minuten, Erstgenannte aber nur 111 Minuten mit Fernsehen; mit 133 Minuten nähert sich die Fernsehdauer der Kinder eher der Fernsehdauer der Väter an. An Wochenendtagen lassen sich diese Zeitmuster im Vergleich zu Werktagen eher als Ausdruck individueller Präferenzen interpretieren, da davon auszugehen ist, dass an Wochenendtagen der „Möglichkeitsspielraum“ in der Freizeit höher ist als an Werktagen. Neben einer längeren Dauer der Freizeit ist in der Regel auch eine höhere Zeitautonomie (z.B. bezüglich der Tageszeit) gegeben, so dass die Auswahl der potenziellen Freizeitaktivitäten damit größer ist als an Werktagen, welche sich generell durch eine begrenzte Freizeitlänge und eingeschränkte Zeitautonomie beschreiben lassen. Diese Ergebnisse lassen sich unter Berücksichtigung von Tagesintervallen weiter spezifizieren. Im Allgemeinen ergeben sich für alle Familienmitglieder signifikante Unterschiede zwischen Werk- und Wochenendtagen, von zwei Ausnahmen abgesehen: bei Müttern zwischen 8 und 14 Uhr sowie bei Kindern zwischen 14 und 20 Uhr. Dies lässt sich als Ausdruck von hoher zeitlicher Flexibilität, zumindest bezüglich der Fernsehdauer und unabhängig vom Wochentag, interpretieren. Zwischen 14 und 20 Uhr liegt die durchschnittliche Fernsehdauer bei Kindern, ungeachtet des Wochentages, bei etwa einer Drei134 „Frei disponible Zeit“ wird nicht mit „reiner“ Freizeit gleichgesetzt, sondern als Zeit verstanden, über deren Verwendung man relativ individuell entscheiden kann.
116
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
viertelstunde. An Werktagen weisen Kinder mit insgesamt 105 Minuten den höchsten Wert hinsichtlich der Fernsehnutzung auf, gefolgt von Vätern mit 96 Minuten (vgl. Tabelle 7). Die von Bettina Hurrelmann vor etwa 20 Jahren formulierte These, dass sich familiale Rollenstrukturen bzw. Generationengrenzen symbolisch in der längeren Fernsehdauer von Eltern im Vergleich zu Kindern niederschlagen (vgl. Hurrelmann, B. 1987, 2508; Kapitel 3.2.1), kann mit den vorliegenden Daten nicht (mehr) bestätigt werden. Insgesamt lassen sich diese Zahlen somit als ein Indiz für die aus der Familienforschung stammende Annahme einer sich angleichenden Struktur der Eltern- und Kinderrolle beurteilen. Bereits im einführenden Teil dieser Untersuchung wurde erwähnt, dass sich Kinder und Eltern heutzutage eher als gleichberechtigte Partner im Familienumfeld begegnen. (vgl. Kapitel 2.1.3). Tabelle 7: Fernsehzeitbudgets von Familien nach Wochentag Werktag (Mo–Fr) Fernsehen insgesamt
Familie (N = 758)
M
SD
Wochenendtag (Sa–So) M
SD
F-Wert
Eta2
Mütter
90**
81
111**
95
18,124
.013
Väter
96**
81
142**
113
77,779
.051
Kinder
105**
99
133**
122
21,886
.015
davon.... 8 bis 14 Uhr
14 bis 20 Uhr
20 bis 4 Uhr
Mütter
2
11
3
14
2,418
.002
Väter
2**
11
7**
23
39,837
.027
Kinder
9**
28
24**
42
66,563
.045
Mütter
19**
35
27**
48
14,077
.010
Väter
19**
36
40**
58
68,717
.045
Kinder
48
55
46
62
0,315
.000
Mütter
69**
62
80**
70
8,791
.006
Väter
75**
63
95**
79
26,042
.018
48**
63
63**
70
15,825
.011
Kinder N = 2.265
n = 1.474
n = 791
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Person-Zeitverwendung“ gewichtet. 1) Anteil der Tage, an denen die Aktivität „Fernsehen“ ausgeübt wurde (Ausübungstage), liegt im Falle des Intervalls „6 bis 8 Uhr“ bei einem Prozent oder weniger. Es werden daher keine Werte ausgewiesen. **p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
In summa konnte in diesem Abschnitt gezeigt werden, dass die Zeitdimension die Leseund Fernsehgewohnheiten von Müttern, Vätern und Kindern nicht in gleichem Maße beeinflusst. Die Hypothese, dass frei verfügbare Zeit sowie Fernseh- und Lesedauer der Familienmitglieder positiv zusammenhängen, lässt sich insbesondere bei Vätern und Kindern bestätigen, während sich bei Müttern nur schwache Zusammenhänge nachweisen
117
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
lassen. Die Frage, inwieweit solche Unterschiede zwischen Müttern und Vätern die Lesesozialisation der Kinder strukturieren, wird in Kapitel 5.2 wieder aufgegriffen. Als überraschend lässt sich überdies beurteilen, dass sich Geschlechtsunterschiede zwischen Müttern und Vätern – an Wochenendtagen bezüglich des Lesens und an Werktagen hinsichtlich der Fernsehdauer – nahezu aufheben. 5.1.2 Sozialer Kontext des Lesens und der Fernsehnutzung Gegenstand dieses Abschnitts ist die Frage, inwieweit die Aktivitäten des Lesens und des Fernsehens sich als soziale, d.h. mit anderen verbrachte Tätigkeiten, begreifen lassen. Obwohl die Lesesozialisation mit dem Erwerb der Sprache im Familienumfeld beginnt und auch para- und präliterarische Kommunikationsformen die Anwesenheit Dritter voraussetzen, ist das Lesen nach Abschluss der primären Lesesozialisation insbesondere als eine Aktivität zu verstehen, die sich quasi in „Einsamkeit“ (vgl. Schön 1987, 223), d.h. in Abwesenheit von anderen, vollzieht. Daran anknüpfend wurde der Zusammenhang überprüft, dass sich Lese- und Fernsehgewohnheiten hinsichtlich ihrer Einbettung in den Familienalltag voneinander unterscheiden: Es wird häufiger mit anderen ferngesehen als im Beisein von anderen gelesen. Mit anderen Worten ist Fernsehen stärker in den Familienalltag integriert als Lesen (Hypothese 11). Der soziale bzw. interaktive Aspekt wurde durch die beiden Kategorien „mit anderen“ und „alleine/ohne andere“ operationalisiert (vgl. Kapitel 3.2.1.1). Die zeitliche Dimension des Lesens konnte somit um einen weiteren (eher qualitativen) Aspekt ergänzt werden. Die in Tabelle 8 dokumentierten Mittelwertvergleiche stimmen mit der obigen Vermutung überein. Mütter verbringen mit durchschnittlich 27 Minuten (über drei Tage berechnet)135 rund 82 Prozent ihrer Lesezeit alleine und damit nur etwa 18 Prozent ihres Lesezeitbudgets (M = 7) in Anwesenheit von anderen Personen. Mit rund acht Minuten verbringen Väter einen 28-prozentigen Anteil ihrer Lesezeit im Beisein von anderen, während Kinder im Durchschnitt nur rund 15 Prozent bzw. vier Minuten in Anwesenheit anderer lesen. Tabelle 8: Lesezeitbudgets von Familien nach sozialem Kontext Lesezeitbudget (N = 758) insgesamt mit anderen alleine
Mütter
Väter
Kinder
M
SD
%
M
SD
%
M
SD
%
33
34
100
29
33
100
26
36
100
7
14
18
8
15
28
4
13
15
27
30
82
21
27
72
23
33
85
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet (vgl. hierzu Kapitel 4.2.2.1). Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02. 135 Von einer differenzierten Betrachtung des Lesens nach Werk- und Wochenendtagen wird an dieser Stelle abgesehen, da Lesegewohnheiten, wie bereits erwähnt, im Allgemeinen eher einem wöchentlichen als einem täglichen Rhythmus unterliegen, im Gegensatz zum Fernsehen.
118
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Insbesondere die Abweichung zwischen Vätern und Kindern hinsichtlich des sozialen Kontextes lässt sich unter Umständen darauf zurückführen, dass Väter und Kinder dem Lesen unterschiedliche Funktionen (Information vs. Unterhaltung) zuweisen und überdies verschiedene Leseinhalte (Tageszeitung vs. Roman) bevorzugen. Es erscheint plausibel, dass sich neben Lesegewohnheiten in zeitlicher Hinsicht auch situative Gewohnheiten im Verlauf der Lesesozialisation entwickeln. Dies betrifft z.B. die Frage, welche Lektüre wann in Anwesenheit Dritter bzw. welche in Abwesenheit anderer gelesen wird. Die Zeitung wird vermutlich häufiger im Beisein von anderen Familienmitgliedern am Morgen – oftmals während des Frühstücks – gelesen136, während die Buchlektüre tendenziell „eher ein Vorgang des Rückzugs [ist], dessen Ertrag in anderen Kommunikationszusammenhängen eingebracht werden kann“ (Jäckel 1999a, 701). In den vergleichsweise niedrigen Maßzahlen der mit anderen verbrachten Lesezeit mag sich insbesondere bei Heranwachsenden ein individuelles Bedürfnis nach Zurückgezogenheit und Ruhe ausdrücken (vgl. z.B. Schön 1996, 163). Dies lässt sich wie folgt beschreiben: „Those who read [...] shut off the outside world or sit somewhere where they may be in peace – preferably their own room. That the act of reading involves also symbolically turning one's back on the surrounding reality and constructing a room of one's own has been reiterated by scholars. But one also escapes to another world – away from that in which he normally lives.” (Boethius 1995, 153)
Im Gegensatz hierzu lässt sich das Fernsehen, ungeachtet der zunehmenden Mehrfachausstattung mit Fernsehgeräten in Familienhaushalten, nach wie vor als ein „Familienmedium“ charakterisieren. Bettina Hurrelmann u.a. (1996) sprechen metaphorisch vom „Familienmitglied Fernsehen“. Vor diesem Hintergrund interessiert, wie viel Zeit die einzelnen Familienmitglieder differenziert nach Wochentag tatsächlich gemeinsam oder mit anderen fernsehen. Zur Überprüfung dieses Zusammenhangs wurden wiederum einfaktorielle Varianzanalysen berechnet. Tabelle 9: Fernsehzeitbudgets von Familien nach sozialem Kontext und Wochentag Werktag (Mo – Fr) Fernsehen mit anderen
alleine
Familie (N = 758)
M
Wochenendtag (Sa – So) SD
M
SD
F-Wert
Eta2
Mütter
58**
64
77**
81
21,487
.015
Väter
59**
66
85**
88
40,239
.027
Kinder
47**
70
66**
89
18,318
.013
Mütter
31
53
33
64
0,494
.000
Väter
37**
60
57**
Kinder
58
81
68
85 105
25,45 3,712
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Person-Zeitverwendung“ gewichtet. **p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02. 136
Die Zeitung wird häufig als „Morgenmedium“ bezeichnet (vgl. z.B. Fritz u. Klingler 2006, 222).
.017 .003
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
119
Sowohl Väter als auch Mütter verbringen an Werk- und Wochenendtagen gleichermaßen etwa zwei Drittel ihres Fernsehzeitbudgets im Beisein Dritter. An Werktagen liegt dieser Wert jeweils bei circa 60 Minuten, an Wochenendtagen bei durchschnittlich 77 Minuten (Mütter) bzw. 85 Minuten (Väter). Lediglich Kinder sehen mit knapp einer Stunde zumindest an Werktagen circa zehn Minuten länger alleine fern als gemeinsam mit anderen. Dies lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass Kinder und Jugendliche in der Mehrzahl über ein eigenes Fernsehgerät verfügen. Es ist allerdings anzunehmen, dass sich hier erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Altersgruppen ergeben, d.h. insbesondere ältere Kinder zunehmend alleine fernsehen. Dies soll aber an dieser Stelle nicht weiter analysiert werden. In summa konnte gezeigt werden, dass das Fernsehen sowohl in Gemeinschaft mit anderen als auch alleine genutzt wird, während in erster Linie in Abwesenheit anderer Personen gelesen wird.
120
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
5.2 Externe Dimensionen und deren Einfluss auf die Lesesozialisation Aufbauend auf den vorherigen Ausführungen werden in diesem Kapitel der Untersuchung Lese- und Fernsehgewohnheiten von Eltern und Kindern mit den externen Dimensionen Bildung und Zeit verknüpft, analysiert und miteinander verglichen. Dieser Vorgehensweise unterliegt die Absicht, „neuere“ Erkenntnisse über ungleiche Bildungschancen in der Familie zu eruieren. Es wird unterstellt, dass Bildung die Lesedauer positiv und die Fernsehdauer negativ beeinflusst. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass sich die Ressource Zeit positiv auf die Lese- und Fernsehdauer auswirkt. Die nachfolgenden Analysen zielen daher primär darauf ab, die bisherigen Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Bildung, Lesedauer und Lesesozialisation der Kinder näher zu spezifizieren, indem die Zeit- und Bildungsdimension verknüpft werden. Es wird erwartet, dass sich durch eine Differenzierung der Zeitstruktur bisherige Bildungseffekte weniger eindeutig nachweisen lassen. Vorliegende Forschungen werden damit um den Zeitaspekt ergänzt. Die Zeitdimension wurde erstens durch die Unterscheidung nach Werk- und Wochenendtag operationalisiert und zweitens am Erwerbstätigenstatus der Eltern gemessen. Darüber hinaus werden einzelne Zeitfenster betrachtet. Die Bildung der Familie wurde operationalisiert, indem die Angaben zur formalen Schulbildung der Mutter und des Vaters zusammengefasst wurden (vgl. Kapitel 3.1.1). Neben eindimensionalen werden mehrdimensionale Varianzanalysen verwendet, um die oben genannten Zusammenhänge zu überprüfen. Die hier verwendeten Daten erfüllen die Voraussetzungen der Varianzanalysen hinsichtlich der Skalierung uneingeschränkt: Die unabhängigen Variablen, wie Bildung, Erwerbstätigenstatus oder Erwerbsarbeitszeit, sind mindestens nominal skaliert, die jeweiligen abhängigen Variablen Lese- und Fernsehzeitbudgets (in Minuten) sind metrisch skaliert (vgl. hierzu auch: Kapitel 5.1.1). Die Daten sind überdies an folgende Voraussetzungen gebunden: Normalverteilung der Werte in der Grundgesamtheit, Additivität der Einflussgrößen, Varianzhomogenität sowie Zufallsauswahl. Varianzanalysen sind generell jedoch relativ robust gegenüber Verletzung der oben genannten Anwendungsvoraussetzungen, insbesondere bei annähernd gleicher Zellbesetzung (vgl. Backhaus u.a. 2006, 151). 5.2.1 Lese- und Fernsehzeitbudgets der Eltern unter Berücksichtigung von Bildung und Zeit Die Ergebnisse beziehen sich zunächst auf die Lese- und Fernsehgewohnheiten der Mütter und Väter, um die familienimmanenten Rahmenbedingungen der Lesesozialisation aufzuzeigen. Jeweils getrennt für Mütter und Väter wurde die Forschungshypothese überprüft, dass höhere Bildungsgruppen insgesamt eine längere Lesedauer aufweisen als niedrigere Bildungsgruppen (Hypothese 1). Überdies wurde unterstellt, dass sich die einzelnen Bildungsgruppen nochmals hinsichtlich Werk- und Wochenendtagen unterscheiden. Eltern unterliegen an Werktagen annahmegemäß vergleichsweise stärkeren Zeitrestriktionen (z.B. bedingt durch Berufstätigkeit oder sonstige Verpflichtungen), während sie an Wochenendtagen in der Mehrzahl über eine höhere Zeitsouveränität verfügen. Mit anderen Worten: Je mehr Zeit einzelnen Familienmitgliedern zur Disposition steht, desto länger ist ihre individuelle durchschnittliche Lesedauer (Hypothese 2).
121
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion 5.2.1.1 Lese- und Fernsehzeitbudgets der Mütter
Sowohl für Werktage als auch für Wochenendtage wurden eigenständige eindimensionale Varianzanalysen mit den Variablen Bildung (unabhängige Variable) und Lesedauer (abhängige Variable) berechnet. Nur an Wochenendtagen unterscheiden sich Mütter in Familien mit unterschiedlichem Bildungsstatus signifikant (p < .05) hinsichtlich ihrer durchschnittlichen Lesedauer (bezogen auf den Tag am Wochenende). Diejenigen mit hoher Bildung lesen mit 48 Minuten im Mittel 20 Minuten länger als Mütter mit niedriger Bildung (M = 28 Minuten). Mit Eta2 = .015 erweist sich der Effekt zwischen den Bildungsgruppen als aussagekräftig auf niedrigem Niveau. Überraschenderweise zeigen sich unterdessen für Werktage keine signifikanten Unterschiede zwischen den Bildungsgruppen. Mütter mit hoher und niedriger Bildung unterscheiden sich mit sieben Minuten nur wenig hinsichtlich ihrer durchschnittlichen Lesedauer pro Werktag (vgl. Tabelle 10). Zumindest an Werktagen scheinen sich herkömmliche Bildungsunterschiede bezüglich der Lesedauer tendenziell aufzuheben. Ungleiche Bildungschancen der Lesesozialisation, welche in familialen Rahmenbedingungen wurzeln, sind damit zumindest an Werktagen in diesem Fall nicht eindeutig nachzuweisen. Tabelle 10: Lesezeitbudgets von Müttern nach Wochentag und Bildung Lesen
Bildung1)
M
SD
n
F-Wert
Eta2
niedrig
28
36
443
2,386
.005
1,094
.002
1,481
.003
Werktag (Mo–Fr) insgesamt
mittel
33
43
703
hoch
35
39
328
6
15
443
davon… 8 bis 14 Uhr
14 bis 20 Uhr
niedrig mittel
7
16
703
hoch
9
18
328
niedrig
8
18
443
mittel
11
24
703
hoch
9
21
328
122
Lesen
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Bildung1)
M
SD
n
F-Wert
Eta2
niedrig
28*
49
237
3,344
.015
1,117
.005
0,486
.002
Wochenendtag (Sa–So) insgesamt
mittel
39*
58
383
hoch
48*
67
171
niedrig
11
24
237
mittel
8
21
383
hoch
14
30
171
davon… 8 bis 14 Uhr
14 bis 20 Uhr
niedrig
12
32
237
mittel
15
33
383
hoch
14
23
171
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Person-Zeitverwendung“ gewichtet. 1)
Es wurde ein Bildungsindex gebildet, indem die Angaben zur formalen Schulbildung der Mutter und des Vaters (Fachabitur/Abitur = 3, Realschule/mittlerer Abschluss = 2, Hauptschule = 1) addiert und durch zwei dividiert wurden. Aus diesen Werten wurden die Kategorien „hoch“ (= 3), „mittel“ (= 2; 2,5) und „niedrig“ (= 1; 1,5) gebildet (vgl. Kapitel 3.1.1) * p <. 05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Wie bereits erwähnt, gelangte Fritz zu Beginn der 1990er Jahre zu dem Ergebnis, dass höhere Bildung nicht mehr zwangsläufig mit einer höheren Buchlesehäufigkeit einhergeht, während Weniggebildete nicht automatisch weniger lesen als Höhergebildete. Insbesondere bei jüngeren Altersgruppen sei der Zusammenhang zwischen Bildung und Lesen in der Freizeit relativ gering (vgl. 1991, 39). In die gleiche Richtung deutet der Befund einer niederländischen Zeitbudgetstudie für die Jahre 1995 und 2000 von Huysmanns u.a. (2005). Im Wochendurchschnitt ist die durchschnittliche Lesedauer bei Personen (ab zwölf Jahren) mit niedriger Bildung („primary education“) von 61 auf 71 Minuten in einem Zeitraum von fünf Jahren angestiegen, wohingegen bei Personen der höchsten Bildungsstufe („university education“) überraschenderweise ein Rückgang um 21 Minuten – von 100 (1995) auf 79 Minuten (2000) – beobachtet wurde. Im Jahre 2000 lag die Diskrepanz zwischen Personen mit hoher und denen mit niedriger Bildung insgesamt nur noch bei acht Minuten (vgl. Huysmans u.a. 2005, 64f.). Auch wenn sich die verschiedenen Bildungsgruppen in quantitativer Hinsicht damit offenbar annähern, ist nach wie vor von qualitativen Bildungsunterschieden auszugehen, die sich etwa an Leseinhalten bzw. -vorlieben festmachen lassen: „[R]eading is marked by clear social differentiation in book preferences.“ (Kraaykamp u. Dijkstra 1999, 227) Aus der Buchmarktforschung ist weitgehend bekannt, dass höhere Bildungsgruppen überdurchschnittlich häufig sowohl sprachlich als auch inhaltlich „komplexere“ Literatur rezipieren, während Gruppen mit niedriger Bildung eher dazu neigen inhaltlich und sprachlich einfachere Textformate zu wählen (vgl. z.B. ebenda, 203ff.). Belege hierzu finden sich
123
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
abermals in der soeben zitierten niederländischen Zeitbudgetstudie: „People with higher education level still spent three times as much time reading literary books in 2000 as those with a lower education level, but the differences in 1995 were even greater.“ (Huysmans u.a. 2005, 65) Auch in der bereits mehrfach zitierten Studie der Stiftung Lesen finden sich ähnliche Hinweise. Beispielsweise geben hier 37 Prozent der Befragten ab 14 Jahren mit hoher Bildung (Abitur oder Studium) an, dass sie häufig oder gelegentlich klassische Literatur (z.B. Romane, Erzählungen Dramen) lesen, während dies nur 15 Prozent derjenigen mit niedriger Bildung (Hauptschulabschluss, ohne Schulabschluss) bejahen. Demgegenüber stimmen 30 Prozent der Befragten mit niedriger Bildung der Aussage zu, häufig oder gelegentlich Liebes-, Schicksals- und Heimatromane sowie Alltagsgeschichten zu lesen; während der entsprechende Anteil bei Höhergebildeten nur bei 20 Prozent liegt (vgl. Stiftung Lesen, 2001, 258ff.). Im Rahmen der hier vorgenommenen Sekundäranalyse ist eine qualitative Differenzierung nach Lesegenres oder -inhalten grundsätzlich nicht möglich. Überdies werden, wie in der aktuelleren Lesesozialisationsforschung im deutschsprachigen Raum, qualitative Aspekte, die sich etwa auf Leseinhalte und -präferenzen beziehen, weitgehend vernachlässigt. Stattdessen richtet sich das Erkenntnisinteresse dieser Untersuchung primär auf die Frage, ob überhaupt noch und wann (regelmäßig) gelesen wird (vgl. Kapitel 2.1.2, Eggert u. Garbe 1995, 8). Im Rahmen dieser Untersuchung werden neben Zeitbudgets (über einen Tag aufsummiert) ergänzend einzelne Tagesintervalle betrachtet, um bisherige Befunde der Lesesozialisationsforschung in zeitlicher Hinsicht näher zu spezifizieren. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Abendlektüre der Mütter. Da sich bislang keine Unterschiede an Werk- und Wochenendtagen gezeigt haben (vgl. Tabelle 6), wird von einer entsprechenden Differenzierung abstrahiert; stattdessen werden Durchschnittswerte (über drei Tage berechnet) analysiert. Tabelle 11: Abendlektüre von Müttern nach Bildung Abendlektüre
Bildung niedrig
M 7**
SD
n
F-Wert
Eta2
14
228
6,068
.025
mittel
13**
21
362
hoch
15**
18
167
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet. **p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
In Bezug auf die Abendlektüre lässt sich weiterhin von einem Bildungseffekt sprechen (vgl. Tabelle 11). Mütter in unterschiedlichen Bildungsgruppen unterscheiden sich signifikant in ihrer durchschnittlichen Lesedauer; bei einem Wert von Eta2 = .025 kann von einer Effektstärke auf mittlerem Niveau gesprochen werden. Abends lesen Mütter mit hoher Bildung mit rund einer Viertelstunde im Durchschnitt doppelt so lange wie diejenigen am unteren Ende der Bildungsskala (M = 7 Minuten). Allerdings unterscheiden sich Höhergebildete nur unwesentlich von denjenigen mit mittlerem Bildungsstatus. Die hohen Standardabweichungen sind ferner ein Indiz dafür, dass innerhalb der einzelnen Bildungsgruppen große Unterschiede vorliegen. Aus diesem Grund werden in einem weiteren Schritt
124
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Familienkonstellationen einzelner Bildungsgruppen nach weiteren Dimensionen der Lesesozialisation getrennt analysiert (vgl. hierzu Kapitel 5.5). Unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Zeitdimension konnten zumindest Hinweise gefunden werden, dass sich die Lesegewohnheiten von Müttern unterschiedlicher Bildungsgruppen an Wochenendtagen und am Abend sichtbar voneinander unterscheiden. Die Annahme, dass sich durch eine Differenzierung der Zeitstruktur bisherige Bildungseffekte weniger eindeutig aufzeigen lassen, lässt sich in diesem Fall damit insgesamt bestätigen (Hypothese 3). Die Zeitdimension wurde ferner am Erwerbstätigenstatus gemessen, um zumindest einen groben Indikator für die Zeitressourcen der Familie zu erhalten. Dieser Vorgehensweise unterliegt die Prämisse, dass die Zeit der Eltern die Lesesozialisation zumindest auf indirekte Weise positiv beeinflusst. Um dies zu analysieren, wurde eine zweifaktorielle Varianzanalyse mit den unabhängigen Variablen Bildung und Erwerbstätigkeit der Mutter durchgeführt. Weil sich im Zuge einer gleichzeitigen Differenzierung nach Werk- und Wochenendtagen die Ergebnisse aufgrund zu geringer Fallzahlen in den einzelnen Zellen kaum noch sinnvoll interpretieren lassen, wird auf eine Unterscheidung nach Wochentag verzichtet. Zudem kann unterstellt werden, dass sich zumindest die Lesegewohnheiten am Abend an Werk- und Wochenendtagen nicht wesentlich voneinander unterscheiden (vgl. hierzu bereits Tabelle 6). Tabelle 12: Lesezeitbudgets von Müttern nach Erwerbstätigenstatus und Bildung Bildung insgesamt
niedrig
mittel
hoch
M
SD
n
M
SD
n
M
SD
n
28**
30
227
35**
36
363
39**
34
166
F-Wert
Eta2
6,918
.029
Erwerbstätigenstatus nichterwerbstätig
26**
23
57
45**
44
145
50**
38
25
in Teilzeit
30**
30
102
31**
30
212
34**
28
49
in Vollzeit
26**
40
41
23**
23
98
29**
31
27
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet. ** p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Die in Tabelle 12 dokumentierten Ergebnisse lassen sich erneut als Beleg für die oben genannte Forschungsannahme interpretieren, dass durch die gleichzeitige Betrachtung von Zeitressourcen und Bildung bisherige Bildungseffekte schwieriger nachzuweisen sind. Lediglich bei nichterwerbstätigen Müttern, die im Vergleich zu erwerbstätigen Müttern annahmegemäß über einen höheren Anteil an frei disponiblen Zeitressourcen verfügen, sind sichtbare Unterschiede zwischen den Bildungsgruppen zu erkennen: Nichterwerbstätige am unteren Ende der Bildungsskala lesen im Durchschnitt 26 Minuten, während Mütter mit mittlerer Bildung 45 Minuten lesen. Diejenigen am oberen Ende der Bildungsskala verbringen mit durchschnittlich 50 Minuten nahezu doppelt so viel Zeit mit Lesen wie Erstgenannte. Bildungsunterschiede erweisen sich hingegen als unbedeutend, falls man sich auf die Teilgruppe der in Vollzeit Erwerbstätigen beschränkt. Mütter mit niedrigem
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
125
Bildungsstatus unterscheiden sich in diesem Fall im Durchschnitt lediglich um drei Minuten von denjenigen mit hohem Bildungsstatus (vertikale Betrachtung). Innerhalb der hohen und mittleren Bildungsgruppe bestehen allerdings große Diskrepanzen hinsichtlich der Lesedauer unter gleichzeitiger Betrachtung der Zeitdimension. Nichterwerbstätige und in Vollzeit erwerbstätige Mütter mit hoher Bildung unterscheiden sich beispielsweise um 21 Minuten hinsichtlich ihrer durchschnittlichen Lesedauer (Nichterwerbstätige: M = 50 Minuten vs. Vollzeit-Erwerbstätige: M = 29 Minuten). Sie unterscheiden sich damit annähernd genauso sehr in ihren Lesegewohnheiten wie Nichterwerbstätige mit niedriger und hoher Bildung (niedrige Bildung: M = 26 Minuten; vs. hohe Bildung: M = 50 Minuten). Sowohl bei in Vollzeit erwerbstätigen als auch bei in Teilzeit erwerbstätigen Müttern lassen sich auf den ersten Blick keine bedeutsamen Bildungsunterschiede bezüglich der durchschnittlichen Lesedauer erkennen. Die Rahmenbedingungen der Lesesozialisation scheinen sich unter diesem Aspekt quer über alle Bildungsgruppen anzugleichen. Jedoch ist anzunehmen, dass zumindest die Ursachen dieser vermeintlich homogenen Lesegewohnheiten verschiedene sind, wenngleich auf Basis der vorliegenden Tagebuchdaten darüber nur spekuliert werden kann. Die relativ kurze Lesedauer von Müttern mit niedriger Bildung mag primär Ausdruck des entsprechenden (Bildungs-)Habitus sein, während sich die entsprechenden Werte bei Höhergebildeten möglicherweise eher als Folge von Zeitrestriktionen interpretieren lassen. Die folgenden Analysen beschränken sich auf nichterwerbstätige Mütter in unterschiedlichen Bildungsgruppen, die sich signifikant und relativ bedeutsam bezüglich ihrer durchschnittlichen Lesedauer unterscheiden. Es lassen sich Effekte von Eta2 = .059 (Gesamtlesedauer) und Eta2 = .061 (Abendlektüre) ausweisen. Sichtbare Bildungsunterschiede bezüglich der Lesedauer sind damit ausschließlich bei denjenigen zu beobachten, die annahmegemäß über vergleichsweise viel frei disponible Zeit bzw. eine hohe „Zeitsouveränität“ (Hörning u.a. 1990, 16) verfügen, während diejenigen, die in zeitlicher Hinsicht stärker eingeschränkt sind, sich kaum in ihrer Lesedauer unterscheiden. Dieser Befund stützt ein weiteres Mal die Forschungsannahme, dass sich bildungsbedingte Unterschiede des Lesens, zumindest in quantitativer Hinsicht, durch die simultane Betrachtung der Zeitdimension schwieriger nachweisen lassen und sich teilweise neutralisieren (Hypothese 3). Wie bereits erwähnt wurde, konnte Köcher schon vor mehr als zehn Jahren zeigen, dass regelmäßigen Lesern und solchen, die zum Lesen als Freizeitbeschäftigung zurückgekehrt sind („Rückkehrer“), täglich bedeutend mehr Zeit zur freien Verfügung steht als Nicht- oder Weniglesern. In diesem Kontext ist von besonderer Relevanz, dass es Erstgenannten eher möglich ist, ihre Freizeit flexibel zu gestalten (vgl. Köcher 1993, 217). Zeit lässt sich damit als entscheidende Rahmenbedingung der Lesesozialisation begreifen. Insgesamt untermauern die soeben aufgezeigten Befunde das Argument, die Zeitdimension zur Untersuchung der familialen Lesesozialisation explizit heranzuziehen. Die folgenden Ausführungen richten sich auf die Fernsehdauer. Getrennt für Werkund Wochenendtage wurde die Forschungshypothese überprüft, dass Mütter mit höherer Bildung im Durchschnitt weniger Zeit mit Fernsehen verbringen als Mütter niedrigerer Bildungsgruppen. Ferner wurde unterstellt, dass sich hinsichtlich einzelner Tagesintervalle diese Unterschiede näher spezifizieren lassen (vgl. Tabelle 13).
126
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Tabelle 13: Fernsehzeitbudgets von Müttern nach Wochentag, Zeitintervall und Bildung Fernsehen
Bildung
M
niedrig
100**
SD
n
F-Wert
Eta2
443
7,673
.010
3,171
.007
5,446
.012
6,517
.029
3,513
.016
4,134
.019
Werktag (Mo–Fr) insgesamt
82
mittel
89**
81
703
hoch
69**
74
328
niedrig
21*
35
443
davon… 14 bis 20 Uhr
20 bis 4 Uhr
mittel
20*
36
703
hoch
13*
32
328
niedrig
76**
63
443
mittel
68*
63
703
hoch
56*
57
328
Wochenendtag (Sa–So) insgesamt
niedrig
128**
103
237
mittel
109**
91
383
hoch
79**
80
171
niedrig
33*
54
237
davon… 14 bis 20 Uhr
20 bis 4 Uhr
mittel
28*
47
383
hoch
15*
35
171
niedrig
91*
75
237
mittel
78*
68
383
hoch
62*
63
171
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Person-Zeitverwendung“ gewichtet. **p < .01, *p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Bildungsgruppen erweisen sich erwartungsgemäß als durchgängig signifikant (p <= .05). In Analogie zum Lesen ergeben sich für Wochenendtage größere Unterschiede zwischen den Bildungsgruppen als für Werktage. Dies gilt sowohl für die Fernsehdauer insgesamt als auch für einzelne Zeitfenster. Bei Wochenendtagen wurde für die Gesamtdauer ein Effekt von Eta2 = .029 ermittelt, für Werktage ein vergleichsweise niedrigerer Wert von Eta2 = .010. Konkret bedeutet dies, dass sich Mütter mit niedriger Bildung von denjenigen mit hoher Bildung bezüglich ihrer mittleren Fernsehdauer an Werktagen rund um eine halbe Stunde unterscheiden, während diese Diskrepanz am Wochenende rund 50 Minuten beträgt. Beispielsweise sehen Mütter mit niedrigem Bildungsstatus an Wochenendtagen im Durchschnitt 128 Minuten fern, während diejenigen mit hohem Bildungsstatus 79 Minuten fernsehen. Bei Müttern mit mittlerem Bildungsstatus
127
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
liegt die durchschnittliche Fernsehdauer mit 109 Minuten ungefähr dazwischen (vgl. Tabelle 13). Die Zeitdimension scheint folglich die Fernsehgewohnheiten der Mütter mit niedriger Bildung stärker zu beeinflussen als diejenigen mit hoher Bildung. Mütter mit hoher Bildung weichen an Wochenendtagen in ihrer durchschnittlichen Fernsehdauer lediglich um etwa 13 Prozent von Werktagen ab, während diese Differenz bei Niedriggebildeten bereits circa 22 Prozent beträgt.137 In diesem Kontext könnte man auch von einer geringeren „Zeitelastizität“ der Höhergebildeten bezüglich der Fernsehdauer sprechen: Mehr Freizeit schlägt sich damit nur geringfügig in einem Anstieg der Fernsehdauer nieder. Insgesamt konnte somit im Falle der Fernsehnutzung – auch in Analogie zum Lesen – demonstriert werden, dass bildungsbedingte Unterschiede an Wochenendtagen eher zur Geltung kommen als an Werktagen, d.h. sobald eine höhere zeitliche Flexibilität gegeben ist. Des Weiteren wurde eine simultane Betrachtung des Erwerbstätigenstatus und der Bildung mit Blick auf die Fernsehdauer insgesamt sowie für das Abendintervall vorgenommen. Weil sich die soeben dokumentierten Ergebnisse als statistisch signifikant erweisen, wird weiterhin an der Unterscheidung zwischen Werk- und Wochenendtag festgehalten. Hier wurden unterdessen lediglich für Werktage signifikante Unterschiede zwischen den Bildungsgruppen für die Fernsehdauer insgesamt berechnet. Die in Tabelle 14 ausgewiesenen Ergebnisse beziehen sich daher ausschließlich auf Fernsehzeitbudgets von Müttern an Werktagen, gruppiert nach Bildung und Erwerbstätigenstatus. Tabelle 14: Fernsehzeitbudgets von Müttern an Werktagen nach Erwerbstätigenstatus und Bildung Bildung
niedrig
mittel
F-Wert
Eta2
M
SD
n
SD
n
M
SD
n
100**
81
227
89**
81
363
69**
73
166
7,673
.010
106**
82
47
104**
93
102
82**
83
41
6,510
.014
in Teilzeit
95**
81
125
81**
72
212
66**
71
98
in Vollzeit
100**
81
25
76**
66
49
50**
58
27
insgesamt
M
hoch
Erwerbstätigenstatus nichterwerbstätig
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung“ gewichtet. **p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Während Mütter mit niedriger Bildung sich nicht wesentlich hinsichtlich ihrer durchschnittlichen Fernsehdauer unterscheiden (vertikale Betrachtung), lassen sich für die mittlere und hohe Bildungsgruppe differenziert nach der Zeitdimension vergleichsweise klare Unterschiede aufzeigen. Mit durchschnittlich 104 Minuten sehen nichterwerbstätige Mütter mit mittlerem Bildungsstatus an Werktagen durchschnittlich rund eine halbe Stunde länger fern als Vollzeit-Erwerbstätige mit 76 Minuten. Innerhalb der Gruppe mit hoher Bildung 137 Um diese Prozentanteile zu ermitteln, wurde im ersten Schritt der kleinere Wert (Werktag) zum größeren Wert (Wochenendtag) in Beziehung gesetzt. Im zweiten Schritt wurde das Ergebnis von 100 subtrahiert. Beispiel: 100/129 = 78; 100 Prozent – 78 = 22 Prozent.
128
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
ergibt sich ein ähnlicher Befund auf niedrigerem Niveau: Erwerbstätige Mütter in Vollzeit sehen an Werktagen im Durchschnitt 50 Minuten fern, während Nichterwerbstätige 82 Minuten fernsehen (vertikale Betrachtung). Bezüglich der Zeitdimension unterscheiden sich Vollzeit erwerbstätige Mütter in verschiedenen Bildungsgruppen offensichtlich weitaus stärker hinsichtlich ihrer Fernsehgewohnheiten als nichterwerbstätige Mütter: Niedrigergebildete weisen eine durchschnittliche Fernsehdauer von 100 Minuten, Höhergebildete nur eine mittlere Fernsehdauer von 50 Minuten auf. Bei Müttern mit mittlerer Bildung liegt der Wert mit 76 Minuten dazwischen (horizontale Betrachtung). Bei Nichterwerbstätigen liegt die Differenz zwischen Niedrigund Höhergebildeten bei 34 Minuten, während sie bei Vollzeit-Erwerbstätigen 50 Minuten beträgt. Werden die Bildungs- und Zeitdimension gleichzeitig betrachtet, scheinen sich Bildungsunterschiede der Fernsehdauer tendenziell zu verstärken, während sich bezüglich der Lesedauer ein gegenteiliges Bild ergibt (vgl. hierzu Tabelle 12). Vollzeit erwerbstätige Mütter mit hoher Bildung unterscheiden sich demnach von denjenigen mit niedriger Bildung weniger in ihrer durchschnittlichen Lesedauer, sondern vielmehr in ihrer Fernsehdauer, die vergleichsweise kurz ist. Unterschiedliche „Bildungschancen“ im Zuge der Lesesozialisation lassen sich in diesem Zusammenhang allenfalls auf die Fernsehgewohnheiten der Mütter zurückführen, jedoch nicht an deren Lesegewohnheiten festmachen. Zumindest der relative Leseanteil (gemessen an der Medienzeit) ist damit bei in Vollzeit erwerbstätigen Müttern mit hoher Bildung höher als bei Vollzeit-Erwerbstätigen mit niedriger Bildung. Herkömmliche Bildungsungleichheiten scheinen sich damit nicht zu verflüchtigen, sondern bleiben unterdessen durch die gleichzeitige Betrachtung der Zeitdimension auf einer anderen Ebene weiterbestehen. Die nachfolgenden Analysen konzentrieren sich auf Vollzeit-Erwerbstätige, um den Bildungseffekt unter Konstanthaltung der Zeitdimension (Erwerbstätigkeit) näher zu explorieren. In der Familienforschung zieht gerade die Gruppe der in Vollzeit erwerbstätigen Eltern derzeit eine vergleichsweise hohe Aufmerksamkeit auf sich (vgl. z.B. Hochschild 1987; Jacobs u. Gerson 2004; BMFSFJ 2005, 391f.). In Tabelle 15 lassen sich signifikante Bildungsunterschiede zwischen den Gruppierungen ablesen, sowohl mit Blick auf die Fernsehdauer insgesamt als auch auf die Fernsehdauer am Abend. Diese erweisen sich als relativ aussagekräftig für Wochenendtage mit Werten von Eta2 =.102 (Gesamtdauer) und Eta2 = .066 (Abendintervall). Für die Fernsehdauer insgesamt wurde für Werktage ein vergleichsweise geringerer Wert ermittelt (Eta2 = .058), während sich im Falle des Abendintervalls kein großer Unterschied zu Wochenendtagen beobachten lässt (Eta2 =.057).
129
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Tabelle 15: Fernsehzeitbudgets von Vollzeit erwerbstätigen Müttern nach Wochentag und Bildung Fernsehen
Bildung
M
niedrig
100**
SD
n
F-Wert
Eta2
46
4,906
.058
4,851
.057
5,340
.102
3,302
.066
Werktag (Mo–Fr) insgesamt
Abend
81
mittel
76**
66
92
hoch
50**
58
53
niedrig
82**
61
46
mittel
62**
54
92
hoch
44**
53
53
Wochenendtag (Sa–So) insgesamt
Abend
niedrig
165**
140
43
mittel
109**
78
70
hoch
68**
77
22
niedrig
108*
87
43
mittel
78*
57
70
hoch
57*
59
22
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung“ gewichtet. **p < .01; * p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Auch hier zeigte sich wiederum, dass Bildungsunterschiede der Fernsehnutzung durch die ergänzende Berücksichtigung der Zeitdimension eine weitere Spezifikation erfahren. Die Unterschiede erweisen sich dann als besonders evident, wenn in Vollzeit erwerbstätige Mütter nichtsdestotrotz über eine gewisse zeitliche Flexibilität vor allem an Wochenendtagen verfügen. 5.2.1.2 Lese- und Fernsehzeitbudgets von Vätern Die nachfolgenden Analysen konzentrieren sich auf Väter. Es wurde bereits nachgewiesen, dass sich Väter in ihrer Lesedauer zwischen Werk- und Wochenendtagen signifikant voneinander unterscheiden (vgl. Kapitel 5.1.1). Überprüft wurde die Hypothese, dass Höhergebildete im Allgemeinen länger lesen als Bildungsferne. Ergänzend wurde angenommen, dass sich diesbezüglich Unterschiede nach Tageszeit und Wochentag ergeben. Für die Lesedauer insgesamt sowie für die Nachmittagslektüre („14 bis 20 Uhr“) lassen sich stärkere Abweichungen zwischen den einzelnen Bildungsgruppen an Wochenendtagen (Eta2 = .029) nachweisen als an Werktagen (Eta2 = .017). Bezogen auf die Lesedauer insgesamt unterscheiden sich Väter mit niedrigem Bildungsstatus (M = 21 Minuten) an Werktagen im Durchschnitt um eine Viertelstunde von denjenigen mit hoher Bildung (M = 36 Minuten) aber nur um vier Minuten von denjenigen mit mittlerer Bildung
130
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
(M = 25 Minuten). An Wochenendtagen beträgt diese Differenz knapp eine halbe Stunde; Väter mit niedriger und Väter mit mittlerer Bildung weichen unterdessen nur um rund zehn Minuten voneinander ab (vgl. Tabelle 16). Tabelle 16: Lesezeitbudgets von Vätern nach Wochentag und Bildung Lesen
Bildung
M
SD
n
F-Wert
Eta2
8,464
.017
0,784
.002
3,369
.007
6,859
.029
0,236
.001
5,661
.024
12,003
.047
Werktag (Mo–Fr) insgesamt
niedrig
21**
33
443
mittel
25**
40
703
hoch
36**
49
328
davon… 8 bis 14 Uhr
14 bis 20 Uhr
niedrig
7
20
443
mittel
6
16
703
hoch
8
21
328
niedrig
7*
16
443
mittel
8*
20
703
hoch
12*
28
328
niedrig
26**
42
237
Wochenendtag (Sa–So) insgesamt
mittel
36**
55
383
hoch
53**
58
171
davon… 8 bis 14 Uhr
14 bis 20 Uhr
niedrig
13**
25
237
mittel
14**
26
383
hoch
15**
26
171
niedrig
9**
21
237
mittel
12**
32
383
hoch
22**
36
171
Abendlektüre 20 bis 4 Uhr
niedrig
3**
10
228
mittel
8**
18
362
hoch
14**
19
167
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte nach Wochentagen sind mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung“ gewichtet. Im Falle der Abendlektüre sind sie mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet. **p < .01, *p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
131
Erneut lässt sich damit belegen, dass größere zeitliche Spielräume bildungsbedingte Diskrepanzen bezüglich der Lesedauer vergrößern. Die häufig empirisch bestätigte Forschungsannahme, demnach Frauen länger und lieber lesen als Männer, lässt sich in einem Fall entkräften. Väter mit hoher Bildung lesen mit 53 Minuten an Wochenendtagen durchschnittlich fünf Minuten länger als Mütter (M = 48 Minuten). Geschlechtsunterschiede bezüglich der Lesedauer scheinen sich zumindest in Familien mit hoher Bildung weitgehend zu verflüchtigen. Ausgehend von bisherigen Analysen, die auf weitgehend gleiche Lesegewohnheiten am Abend hindeuten, wurde von einer Differenzierung nach Wochentagen abgesehen (vgl. Kapitel 5.1.1). Im Falle der Abendlektüre erübrigte sich eine Differenzierung nach Wochentagen auch unter der Annahme, dass sich Lesegewohnheiten in den Abendstunden nicht wesentlich an Werk- und Wochenendtagen voneinander unterscheiden. Diesbezüglich wurde ein Bildungseffekt von Eta2 =.047 ermittelt, der sich als relativ aussagekräftig beurteilen lässt. Während Väter mit hoher Bildung am Abend im Durchschnitt 14 Minuten lesen, liegt dieser Wert bei denjenigen mit mittlerer Bildung mit acht Minuten bereits deutlich darunter. Väter mit niedrigem Bildungsstatus lesen in diesem Tagesintervall durchschnittlich lediglich drei Minuten. Daraus lässt sich folgern, dass in Familien mit niedriger Bildung das Lesevorbild des Vaters zumindest am Abend weitgehend verschwindet. Mit Blick auf die Fernsehdauer offenbaren sich die größten Differenzen zwischen Vätern mit unterschiedlicher Bildung an Werktagen (z.B. Fernsehen insgesamt: Eta2 = .040). Hier zeichnet sich ein gegensätzliches Bild als im Falle der Lesedauer ab. Väter mit niedriger Bildung sehen an Werktagen im Durchschnitt 117 Minuten, Väter mit mittlerer Bildung 93 Minuten fern, während diejenigen mit hoher Bildung nur noch 69 Minuten fernsehen. Innerhalb dieser Gruppierung heben sich Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Fernsehdauer an Werktagen auf. Mit 69 Minuten sehen Mütter im Mittel an Werktagen genauso lange fern wie Väter (vgl. Tabellen 13 u. 14). Bezüglich der Lesegewohnheiten wurde bereits für höhere Bildungsgruppen nachgewiesen, dass sich Geschlechtsunterschiede weitgehend auflösen. Insgesamt lässt sich damit die Forschungsannahme bestätigen, dass sich Differenzen zwischen Männern und Frauen – zumindest im Umgang mit Medien – tendenziell immer mehr auflösen (Hypothese 10). Inwieweit sich die Rollenstrukturen der Eltern mit Blick auf die Lesesozialisation tatsächlich angleichen, bleibt weiterhin eine offene Frage, der im Verlauf der empirischen Untersuchung weiter nachgegangen werden soll. Für das Abendintervall lassen sich hinsichtlich der Fernsehdauer zwischen den einzelnen Bildungsgruppen geringere Differenzen identifizieren als für das Nachmittagsintervall, was sich in einem schwächeren Effekt ausdrückt. Am Wochenende verbringen Väter mit niedriger Bildung am Abend im Durchschnitt 24 Minuten mehr Zeit mit Fernsehen als diejenigen mit hoher Bildung. Am Nachmittag beträgt die Differenz 29 Minuten: Väter mit niedriger Bildung sehen im Durchschnitt 52 Minuten, diejenigen mit hoher Bildung jedoch lediglich 23 Minuten fern (vgl. Tabelle 17).
132
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Tabelle 17: Fernsehzeitbudgets von Vätern nach Wochentag und Bildung Fernsehen
Bildung
M
niedrig
117**
SD
n
F-Wert
Eta2
443
20,789
.040
19,011
.037
8,985
.018
6,224
.027
6,852
.029
2,742
.012
Werktag (Mo–Fr) insgesamt
90
mittel
93**
79
703
hoch
69**
63
328
niedrig
29**
43
443
davon… 14 bis 20 Uhr
20 bis 4 Uhr
mittel
17**
33
703
hoch
10**
23
328
niedrig
84**
65
443
mittel
75**
64
703
hoch
59*
56
328
Wochenendtag (Sa–So) insgesamt
niedrig
162**
120
233
mittel
143**
112
383
hoch
107**
94
171
52**
65
233
davon… 14 bis 20 Uhr
20 bis 4 Uhr
niedrig mittel
38**
58
383
hoch
23**
38
171
niedrig
101**
79
233
mittel
98**
81
383
hoch
77**
70
171
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung“ gewichtet. **p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Insbesondere am Nachmittag lassen sich relativ große Bildungsunterschiede bezüglich der Fernsehdauer bei Vätern beobachten, was sicherlich mit Folgen für die Lesesozialisation verbunden ist. Insbesondere in Familien mit niedriger Bildung sind Väter somit nicht nur am Abend, sondern bereits am Nachmittag in vergleichsweise hohem Ausmaß als Fernsehvorbild präsent, während sie als Lesevorbild nahezu aus dem Alltag der Kinder verschwinden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Bildungsunterschiede hinsichtlich der Lese- und Fernsehdauer bei Vätern insgesamt eindeutiger nachweisen lassen als bei Müttern. Während Bildungsunterschiede beim Lesen verstärkt an Wochenendtagen zum Ausdruck kommen, kehrt sich dieser Zusammenhang im Falle der Fernsehdauer ins Gegenteil um. Bildungsunterschiede kommen hier bei Vätern (anders als bei Müttern) stärker
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
133
an Werktagen zur Geltung. Die Hypothese, dass bisherige Bildungseffekte durch eine Differenzierung der Zeitstruktur schwieriger nachweisbar sind, lässt sich generell primär für Mütter verifizieren. 5.2.2 Lese- und Fernsehzeitbudgets der Kinder unter Berücksichtigung von Bildung und Zeit Um den Einfluss von Zeit und Bildung auf die Lesesozialisation im Sinne einer Rückwärtsinduktion zu untersuchen, wurden die Dimensionen Bildung und Zeit abschließend mit den Lese- und Fernsehzeitbudgets der Kinder in Beziehung gesetzt. Es wurde vorab unterstellt, dass die im Rahmen der primären Lesesozialisation ausgebildeten Lese- und Fernsehgewohnheiten sich im Zeitverlauf als relativ stabil erweisen und sich daher auch zu einem späteren Zeitpunkt zuverlässig erfassen lassen (vgl. Kapitel 2.2). Betrachtet werden im Folgenden Kinder zwischen zehn und 19 Jahren. Da die Zeit- und Bildungsdimension bislang an Merkmalen der Eltern (z.B. deren Bildungs- und Erwerbstätigenstatus) festgemacht worden sind, und deren Einfluss auf die Lese- und Fernsehdauer der Eltern untersucht wurde, ist von vergleichsweise schwächeren Effekten auszugehen, falls man die Wirkung derselben Merkmale auf die Lese- und Fernsehdauer der Kinder erfasst. In diesem Zusammenhang kann von indirekten Effekten der externen Dimensionen auf die Lesesozialisation gesprochen werden. Aus Sicht des modernen Sozialisationskonzeptes setzen sich Kinder überdies mit zunehmendem Alter „aktiv“ mit den sie umgebenden Sozialisationseinflüssen auseinander und entwickeln individuelle Gewohnheiten und Vorlieben, die sich unter Umständen auch gegen Wert- und Normvorstellungen sowie Gewohnheitsstrukturen ihres unmittelbaren Familienumfeldes richten können. Zunächst interessiert der Leseranteil (in Prozent), definiert als ausübende Personen in den jeweiligen Bildungsgruppen. In Familien mit hoher Bildung lassen sich nach eigenen Berechnungen mit Zeitbudgetdaten 74,5 Prozent der Kinder als regelmäßige Leser im Wochenrhythmus beschreiben; die entsprechenden Anteilswerte liegen bei Kindern in Familien mit mittlerer Bildung bei 62,8 Prozent und bei denjenigen, die in Familien mit niedriger Bildung aufwachsen, lediglich noch bei 55,7 Prozent. Auf den ersten Blick lässt sich damit erkennen, dass der Bildungsstatus der Familie die Lesedauer der Kinder und damit die Lesesozialisation positiv beeinflusst. Während immerhin drei Viertel der Kinder in Familien mit hoher Bildung und zwei Drittel der Kinder in Familien mit mittlerem Bildungsstatus regelmäßig lesen, betrifft dies nur noch etwas mehr als die Hälfe der Kinder in Familien mit niedriger Bildung. Mit Blick auf das Abendintervall bewegen sich die Angaben auf niedrigerem Niveau, deuten jedoch in die gleiche Richtung: Während 47,9 Prozent der Kinder in Familien mit hoher Bildung am Abend regelmäßig lesen, sind dies in der mittleren Bildungsgruppe noch 38,8 Prozent, in der niedrigen Bildungsgruppe nur noch 26 Prozent. Indem Bildung und Zeit als externe Dimensionen der Lesesozialisation gleichzeitig berücksichtigt werden, treten – ähnlich wie bei vorherigen Analysen – bildungsbedingte Unterschiede an Wochenendtagen stärker in Erscheinung als an Werktagen. Kinder in Familien mit hoher Bildung lesen an Wochenendtagen durchschnittlich 46 Minuten und übertreffen damit die Lesedauer derjenigen um mehr als das Zweifache (rund 54 Prozent), die in Familien mit niedriger Bildung aufwachsen (M = 21 Minuten). Kinder
134
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
in Familien mit mittlerer Bildung lesen an Wochenendtagen im Durchschnitt 32 Minuten (vgl. Tabelle 18). Tabelle 18: Lesezeitbudgets von Kindern nach Wochentag und Bildung Lesen
Bildung
M
SD
n
F-Wert
Eta2
7,032
.014
6,061
.012
5,909
.025
3,601
.016
Werktag (Mo–Fr) insgesamt
Abend
niedrig
18**
34
443
mittel
25**
43
703
hoch
32**
49
328
6**
18
443
niedrig mittel
11**
24
703
hoch
13**
24
328
niedrig
21*
41
237
Wochenendtag (Sa–So) insgesamt
Abend
mittel
32*
52
383
hoch
46*
65
171
niedrig
4*
13
237
mittel
7*
19
383
hoch
11*
21
171
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung“ gewichtet. 1)
Es wurde ein Bildungsindex gebildet, indem die Angaben zur formalen Schulbildung der Mutter und des Vaters (Fachabitur/Abitur = 3, Realschule/mittlerer Abschluss = 2, Hauptschule = 3) addiert und durch zwei dividiert wurden. Aus diesen Werten wurden die Kategorien hoch (= 3), mittel (= 2; 2,5) und niedrig (= 1; 1,5) gebildet (vgl. Kapitel 3.1.3) **p < .01; *p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Die geringeren Diskrepanzen an Werktagen von 44 Prozent zwischen niedriger und hoher Bildungsgruppe lassen sich unter Umständen darauf zurückführen, dass Heranwachsende durch schulische Verpflichtungen stärkeren zeitlichen Restriktionen unterliegen, so dass insbesondere Vielleser, die vermehrt in mittleren und höheren Bildungsgruppen vorkommen (vgl. z.B. Tullius 2001, 62), ihr gewünschtes Lesepensum reduzieren. Darüber hinaus ist denkbar, dass auch außerschulische Freizeitverpflichtungen mit einer höheren Priorität gegenüber dem Lesen an Werktagen „freie Zeitfenster“ an den Rand drängen. Fölling-Albers (2000) spricht in diesem Kontext von einer „Scholarisierung der Freizeit“. Diese Befunde lassen sich durch die simultane Betrachtung der Geschlechtsdimension weiter spezifizieren. Dem liegt die Forschungshypothese zu Grunde, dass die Lesesozialisation bei Mädchen und Jungen ungleich verläuft, und Mädchen mehr Zeit mit Lektüre verbringen als Jungen. Wie sich Geschlechts- und Bildungsunterschiede zueinander verhalten, ob sie sich gegenseitig verstärken, und wie sie sich durchmischen, gilt hingegen noch als relativ unerforscht (vgl. Rosebrock 2003, 120). An bisherigen Befunden
135
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
anknüpfend, die auf geringere Geschlechtsunterschiede mit Blick auf Lesegewohnheiten, Lesevorlieben und -häufigkeit in höheren Bildungsgruppen hinweisen (vgl. z.B. Schön 1998a, 53; Bucher 2004, 74), wird unterstellt, dass sich Geschlechtsunterschiede im Zuge der Lesesozialisation in Familien mit hoher Bildung weniger stark ausbilden als in Familien mit niedriger Bildung (Hypothese 10). Aus Tabelle 19 lässt sich entnehmen, dass an Werktagen vergleichsweise geringe Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Lesedauer existieren. Am ehesten kann mit Blick auf die mittlere Bildungsgruppe von einem Geschlechtseffekt gesprochen werden: Töchter lesen im Durchschnitt mit knapp einer halben Stunde (M = 29 Minuten) rund acht Minuten länger als Söhne mit 21 Minuten. Daraus lässt sich schließen, dass zumindest an Werktagen relativ „geschlechtsneutrale“ Muster der Lesesozialisation vorherrschen. Die Unterschiede zwischen Töchtern und Söhnen sind für Wochenendtage insgesamt bedeutsamer, ausgedrückt in einem Effekt von Eta2 = .025. Töchter, deren Eltern über einen mittleren Bildungsstatus verfügen, lesen mit 45 Minuten an Wochenendtagen durchschnittlich 27 Minuten länger als Söhne (M = 18 Minuten). Sie verbringen damit sogar sechs Minuten mehr Zeit mit Lesen als Töchter, deren Eltern über einen hohen Bildungsstatus verfügen (M = 39 Minuten). Dies ist erstaunlich! Es ist zu vermuten, dass in diesem Falle andere Faktoren zusätzlich wirksam werden, und den positiven Effekt in der hohen Bildungsgruppe schmälern. Stärkere Zeitrestriktionen in Familien mit hoher Bildung mögen sich unter Umständen negativ auf die Lesedauer der Eltern sowie die Interaktionsdauer auswirken, was sich wiederum negativ auf die Lesesozialisation der Kinder übertragen könnte. Des Weiteren ist aus der aktuelleren kultursoziologischen Forschung bekannt, dass höhere Bildungsgruppen in der Freizeit aus einem breiteren Aktivitätsspektrum wählen als niedrigere Bildungsgruppen, die sich auf ein engeres Tätigkeitsspektrum beschränken. Dieser Zusammenhang ist unter dem Begriff „omnivorous consumption“ bekannt und wird dem des „univorous consumption“ gegenübergestellt (vgl. z.B. Peterson 1992, 252f.). Dies würde erklären, dass höhere Bildungsgruppen zumindest einen Teil ihrer potenziellen Lesezeit durch alternative Tätigkeiten substituieren, um pointiert formuliert den Anforderungen des „omnivorous consumption“ gerecht zu werden. Tabelle 19: Lesezeitbudgets von Töchtern und Söhnen nach Wochentag und Bildung Söhne Lesen
Bildung
M
Töchter SD
n
M
SD
n
F-Wert
Eta2
7,032
.014
6,061
.012
Werktag (Mo–Fr) insgesamt
Abend
niedrig
17**
34
201
19**
34
242
mittel
21**
41
369
29**
45
334
hoch
33**
52
157
32**
49
171
6**
18
201
7**
18
242
niedrig mittel
9**
20
369
13**
28
334
hoch
11**
21
157
14**
27
171
136
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Söhne Lesen
Bildung
Töchter
M
SD
n
M
SD
n
F-Wert
Eta2
15**
32
111
27**
46
126
5,909
.025
3,601
.016
Wochenendtag (Sa–So) insgesamt
Abend
niedrig mittel
18**
36
199
45**
62
184
hoch
53**
73
84
39**
56
87
2*
10
111
6*
16
126
niedrig mittel
4*
14
199
10*
23
184
hoch
10*
18
84
12*
25
87
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung“ gewichtet. **p < .01, *p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Überraschenderweise kehrt sich innerhalb der hohen Bildungsgruppe – ähnlich wie im Fall der Eltern – das bislang beobachtete geschlechtsspezifische Lesemuster ins Gegenteil um: Mit 53 Minuten wenden Söhne im Mittel rund eine Viertelstunde mehr Zeit für Lektüre auf als Töchter mit 39 Minuten. Es ist anzunehmen, dass vor allem in diesen Familien häufig beide Eltern gleichermaßen als Lesemodell agieren. Die Unterschiede lassen sich unter Umständen weniger als Ausdruck geschlechtsspezifischer Sozialisationsmuster deuten, sondern sind zumindest teilweise auch als individuell entwickelte Präferenzen zu interpretieren. Gemäß theoretischer Erwartungen kehrt sich der soeben beobachtete Zusammenhang im Falle der Abendlektüre wieder um: Töchter weisen mit zwölf Minuten eine etwas längere Lesedauer auf als Söhne. Die Hypothese, dass Mädchen mehr und annahmegemäß lieber lesen als Jungen, lässt sich zumindest für das Abendintervall bestätigen, obgleich sich die Unterschiede auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau bewegen. Die durchgängig hohen Standardabweichungen sind hingegen ein Indiz für eine hohe Heterogenität innerhalb der einzelnen Bildungsgruppen. Die Befunde lassen sich daher nur eingeschränkt verallgemeinern. An dieser Stelle sollen diese Resultate mit denjenigen Ergebnissen in Verbindung gebracht werden, die auf die Gewohnheiten der Eltern referieren. Wie bereits dargelegt wurde, weisen Väter mit hoher Bildung am Wochenende eine um fünf Minuten längere Lesedauer auf als Mütter dieser Gruppe (vgl. Kapitel 5.2.1). Die zeitlich etwas längere Präsenz des Vaters als Lesevorbild am Wochenende mag sich unter Umständen in der Lesesozialisation von Söhnen niederschlagen. Auf Grundlage der sozialen Lerntheorie wurde vermutet, dass sich Söhne tendenziell stärker am Modell des Vaters orientieren als Töchter, die sich im Gegensatz eher am Verhalten der Mutter orientieren (vgl. Kapitel 3.2.2). Die nachfolgenden Analysen beziehen sich auf die Fernsehnutzung und richten sich auf die Frage, inwiefern Bildung und Zeit die Fernsehnutzung der Kinder beeinflussen. Unterstellt wird eine negative Beziehung zwischen Fernsehdauer und Bildungsstatus. In Analogie zum Lesen beschränkt sich die Analyse auf das Fernsehzeitbudget insgesamt sowie auf das Abendintervall von 20 bis 4 Uhr.
137
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion Tabelle 20: Fernsehzeitbudgets von Kindern nach Wochentag und Bildung Fernsehen
Bildung
M
SD
n
F-Wert
Eta2
niedrig
122**
110
443
7,451
.015
5,184
.011
3,172
.014
1,661
.007
Werktag (Mo–Fr) insgesamt
Abend
mittel
99**
91
703
hoch
90**
95
328
niedrig
57**
70
443
mittel
43**
56
703
hoch
47**
64
328
Wochenendtag (Sa–So) insgesamt
Abend
niedrig
147*
126
233
mittel
134*
120
383
hoch
105*
116
171
69
70
233
niedrig mittel
63
63
383
hoch
52
52
171
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung“ gewichtet. **p < .01, *p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Sowohl an Werktagen als auch an Wochenendtagen unterscheiden sich Kinder in Familien mit unterschiedlichem Bildungsstatus in ihrer durchschnittlichen Fernsehdauer signifikant. Die Forschungshypothese, dass Kinder und Jugendliche in bildungsnäheren Familien weniger fernsehen als diejenigen in bildungsferneren Familien, lässt sich damit bestätigen (Hypothese 1). Kinder, die in Familien mit niedriger Bildung aufwachsen, sehen an Werktagen im Durchschnitt eine halbe Stunde länger fern als diejenigen, deren Eltern eine hohe Bildung aufweisen. Am Abend bewegen sich die bildungsbedingten Differenzen allerdings auf einem eher niedrigen Niveau und sind an Wochenendtagen nicht mehr signifikant. Das Fernsehen wird in unterschiedlichen Rezeptionssituationen genutzt, wie alleine oder mit anderen. Signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Bildungsgruppen werden lediglich für die Fernsehnutzung „alleine“ an Werktagen ermittelt. Kinder in Familien mit niedriger Bildung sehen im Durchschnitt 69 Minuten ohne andere fern im Gegensatz zu Kindern in Familien mit mittlerer (M = 55 Minuten) oder hoher Bildung (M = 45 Minuten). Sehen Kinder gemeinsam mit anderen fern, erweisen sich die Unterschiede zwischen den Bildungsgruppen als nicht signifikant.
138
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Tabelle 21: Fernsehzeitbudgets von Kindern nach Wochentag, Bildung und Rezeptionssituation Fernsehen
Bildung
M
SD
n
F-Wert
Eta2
443
1,485
.003
5,669
.012
0,545
.002
2,939
.013
Werktag (Mo–Fr) mit anderen
alleine
niedrig
53
73
mittel
44
67
703
hoch
45
71
328
niedrig
69**
96
443
mittel
55**
75
703
hoch
45**
63
328
Wochenendtag (Sa–So) mit anderen
alleine
niedrig
65
93
233
mittel
69
90
383
hoch
57
57
171
niedrig
82
116
233
mittel
65
100
383
hoch
48
92
171
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung“ gewichtet. **p < .01, *p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Die Tendenz, dass Kinder und Jugendliche in Familien mit niedriger Bildung häufiger über ein eigenes Fernsehgerät verfügen als diejenigen, die in Familien mit hoher Bildung aufwachsen, spiegelt sich in diesem Ergebnis wider. Nach Angaben der JIM-Studie 2002 besitzen 70 Prozent aller Hauptschüler ein eigenes Fernsehgerät, während lediglich 60 Prozent aller Gymnasiasten über ein eigenes Gerät verfügen (vgl. MPFS 2003a, 16). Bislang wurde die Zeitdimension fixiert an gesellschaftlichen Zeitinstitutionen, wie etwa an der Unterscheidung „Werk- vs. Wochenendtag“ und an Zeitintervallen. Um Zeit schließlich auf derselben Ebene zu analysieren wie Bildung (Familie), wurden Erwerbstätigenstatus der Mutter und Bildungsstatus als unabhängige Variablen herangezogen. Diese wurde im Rahmen einer zweifaktoriellen Varianazanalyse einerseits mit der Lesedauer der Kinder und andererseits mit deren Fernsehdauer als abhängige Variable verknüpft. Von aktuellen Lese- und Fernsehzeitbudgets zum Zeitpunkt der sekundären Lesesozialisation lässt sich somit rückwirkend auf die primäre Lesesozialisation schließen (vgl. Kapitel 2.2). Dieser Vorgehensweise unterliegt die Prämisse, dass sich Einflüsse externer Dimensionen, wie Bildung und Zeit, eher indirekt über das Verhalten der Eltern vermitteln. Aus Gründen der Komplexitätsreduktion beschränken sich die Analysen auf Zeitbudgets bezogen auf einen Durchschnittstag (über drei Tage berechnet). Kinder unterschiedlicher Bildungs- und Zeit-Gruppierungen unterscheiden sich signifikant in ihrer durchschnittlichen Lesedauer. Die Ergebnisse lassen sich jedoch nicht für alle Bildungsgruppen eindeutig in Übereinstimmung mit den theoretischen
139
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Vorüberlegungen interpretieren, sondern lassen sich eher als widersprüchlich beurteilen. Allenfalls für die mittlere Bildungsgruppe lässt sich die Annahme eines positiven Zusammenhangs zwischen Zeit und Lesesozialisation bestätigen (Hypothese 2): Heranwachsende in Familien mit relativ vielen freien Zeitressourcen (Mutter: nichterwerbstätig) lesen im Durchschnitt deutlich länger (M = 33 Minuten) als diejenigen in Familienkonstellationen mit wenig „frei disponibler“ Zeit (M = 14 Minuten). Insbesondere für Kinder der hohen Bildungsgruppe lassen sich widersprüchliche Ergebnisse erkennen: Während Kinder, die in Familien mit hoher Bildung und wenig freier Zeit (in Vollzeit erwerbstätige Eltern) durchschnittlich 37 Minuten lesen, weisen diejenigen in „zeitreicheren“ Konstellationen (Mutter nichterwerbstätig) lediglich 28 Minuten Lesedauer auf. In Familienkonstellationen mit niedriger Bildung deuten die Ergebnisse in die gleiche Richtung; die Differenzen zwischen den einzelnen Teilgruppen sind jedoch sehr gering und lassen sich kaum sinnvoll erläutern. Tabelle 22: Lesezeitbudgets von Kindern nach Erwerbstätigenstatus der Mutter und Bildung Bildung
niedrig
mittel
hoch
Lesezeit
M
SD
n
M
SD.
n
M
SD
n
insgesamt
19**
28
225
27**
37
361
36**
43
166
nichterwerbstätig
19**
26
57
33**
42
101
28**
32
41
in Teilzeit
19**
28
145
27**
37
211
40**
46
99
in Vollzeit
23**
39
23
14**
22
49
37**
46
26
F-Wert
Eta2
6,418
.027
Erwerbstätigenstatus
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet. **p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Insgesamt lässt sich die soeben zitierte Forschungshypothese für Kinder in Familien mit hoher Bildung einerseits und für Kinder in Familien mit niedriger Bildung andererseits nicht bestätigen. Es findet sich kein Beleg für einen positiven Zeiteffekt auf die Lesesozialisation. Im theoretischen Teil dieser Arbeit wurden ähnliche, sich widersprechende Befunde bereits diskutiert (vgl. Kapitel 3.1.3). Kinder, deren Mütter in Teilzeit erwerbstätig sind und die in Familien mit hohem Bildungsstatus aufwachsen, weisen erstaunlicherweise von allen Gruppierungen die längste durchschnittliche Lesedauer (M = 40 Minuten) auf. Dies lässt sich als Indiz für einen sattelförmigen Zusammenhang zwischen familialen Zeitressourcen und Lesesozialisation deuten. Bianchi und Robinson fanden in ihren Untersuchungen mit amerikanischen Zeitbudgetdaten für drei- bis elfjährige Kinder einen ähnlichen Zusammenhang, der sich jedoch als statistisch nicht signifikant erwiesen hat (vgl. 1997, 341). Wie bereits dargelegt wurde, sind in Teilzeit erwerbstätige Mütter denjenigen, die nichterwerbstätig oder in Vollzeit erwerbstätig sind, in ihrer Lebenszufriedenheit überlegen. Dies mag sich in „qualitativer“ Hinsicht auch auf die Lesesozialisation übertragen.
140
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Die Analyse wurde für die Fernsehdauer repliziert. Überraschenderweise unterscheiden sich Kinder – wie aus Tabelle 23 hervorgeht – in Familien mit unterschiedlichem Bildungsstatus in ihrer Fernsehdauer nur geringfügig, falls Mütter nichterwerbstätig sind. Die durchschnittliche Fernsehdauer liegt bei etwa eineinhalb Stunden. Sichtbare Unterschiede offenbaren sich hingegen in Familien mit Vollzeit erwerbstätigen Müttern. Die durchschnittliche Fernsehdauer liegt bei Kindern mit niedrigem Bildungsstatus bei knapp drei Stunden (M = 172 Minuten), während sie bei Kindern in Familien mit hoher Bildung bei knapp zwei Stunden liegt (M = 119 Minuten). Vor allem in Familien mit niedriger Bildung (vertikale Betrachtung), scheint die längere Abwesenheit der Mutter aufgrund längerer Erwerbszeiten eine extensivere Fernsehdauer zu begünstigen: Kinder, deren Mutter nichterwerbstätig ist, sehen im Durchschnitt rund eineinhalb Stunden fern (M = 95 Minuten), wohingegen die Fernsehdauer derjenigen mit einer in Vollzeit erwerbstätigen Mutter das Zweifache beträgt (M = 172 Minuten). In Familien mit hoher Bildung lässt sich unterdessen ein vergleichsweise moderater Zeiteffekt identifizieren, auch wenn die Werte in die gleiche Richtung deuten. Es ist anzunehmen, dass die Fernsehdauer – im Gegensatz zur Lesedauer – durch Eltern eher sanktioniert wird, falls diese anwesend sind. Eine längere Abwesenheit der Mutter würde demzufolge dazu führen, dass sich Kinder Regeln dieser Art unter Umständen widersetzen, was sich in einer vergleichsweise langen Fernsehdauer der Kinder, deren Mütter in Vollzeit erwerbstätig sind, im Vergleich zu den beiden anderen Gruppierungen manifestiert (vgl. Tabelle 23). Tabelle 23: Fernsehzeitbudgets von Kindern nach Erwerbstätigenstatus der Mutter und Bildung Bildung
niedrig
mittel
Fernsehzeit
M
n
M
SD
n
insgesamt
129**
88
225
112**
77
361
95**
82
166
95**
83
57
102**
76
101
93**
79
41
in Teilzeit
137**
82
145
118**
78
211
89**
77
99
in Vollzeit
172**
107
23
109**
73
49
119**
104
26
SD
hoch M
SD
F-Wert
Eta2
5,213
.022
n
Erwerbstätigenstatus nichterwerbstätig
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet. **p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Dieses Ergebnis steht in Einklang mit einer Schlussfolgerung von Bettina Hurrelmann u.a., demnach Eltern mit hoher Bildung Fernsehen in höherem Maße sanktionieren als etwa Eltern mit mittlerer Bildung, die sich durch „eine liberalere Haltung dem Fernsehgebrauch der Kinder gegenüber“ (2005, 379) beschreiben lassen. Die gleichzeitige Betrachtung der Bildungs- und Zeitdimension auf der Familienebene deutet zumindest im Fall der Fernsehnutzung auf „veränderte“ Bildungschancen bezüglich der Lesesozialisation hin. Stark voneinander abweichende Bildungschancen lassen sich primär in Familienkonstellation mit hohen Zeitengpässen beobachten, während sich in zeitlich begünstigten Familien tendenziell annähernde Bildungschancen offenbaren. Aus-
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
141
schließlich in Familien mit mittlerer Bildung scheint die Zeitdimension kaum einen Einfluss auf die Fernsehdauer zu haben; die durchschnittliche Fernsehdauer liegt hier über alle Gruppierungen bei etwa zwei Stunden. In summa lassen sich bisherige Befunde durch die simultane Betrachtung der Zeit- und Bildungsdimension weiter spezifizieren. Während sich mit Blick auf das Lesen, Unterschiede zwischen den einzelnen Bildungsgruppen insbesondere bei „zeitärmeren“ Gruppen reduzieren, lässt sich das Gegenteil im Falle der Fernsehnutzung feststellen: „Zeitarmut“ scheint hier die Kluft zwischen gebildeten Wenigsehern und Vielsehern mit niedriger Bildung eher zu vergrößern. Bei Kindern lässt sich der Einfluss der Zeitdimension jedoch insgesamt als relativ schwach beurteilen. In diesem Fall kann nicht von einem eindeutigen Zusammenhang gesprochen werden. 5.3 Interne Dimensionen und deren Auswirkungen auf die Lesesozialisation Als interne Dimensionen der Lesesozialisation wurden im dritten Kapitel familienimmanente Interaktionen und das Vorbild der Eltern beschrieben. Die nachfolgenden Ausführungen zielen daher darauf ab, Einflüsse der internen Dimensionen auf die Lesesozialisation näher zu untersuchen. Wirkungen externer Dimensionen, denen bislang hohe Aufmerksamkeit gewidmet worden ist (z.B. Bildung), werden im Zuge dessen weitgehend konstant gehalten bzw. kontrolliert. Zur Überprüfung der Hypothesen werden bivariate und partielle (einseitige) Korrelationsanalysen verwendet. Für die Analyse der intervallskalierten Zeitbudgetdaten wird der Korrelationskoeffizient nach Pearson verwendet, welcher in der Forschungspraxis geläufig ist (vgl. Chen u. Popovich 2002, 9). Mit diesem Maß lässt sich die Stärke des Zusammenhangs zwischen internen Dimensionen der Lesesozialisation sowie Lese- und Fernsehdauer der Kinder messen. Die möglichen Werte liegen in einem Intervall zwischen +1 und -1 (vgl. ebenda, 10). 5.3.1 Interaktionen sowie Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern Den Analysen dieses Abschnitts liegt die Hypothese zu Grunde, dass familienimmanente Interaktionen die Lesesozialisation positiv beeinflussen: Je häufiger und länger Eltern und heranwachsende Kinder interagieren, desto mehr wird die sprachliche Sozialisation und damit die Lesesozialisation angeregt. Mit anderen Worten: In Familien, in denen Eltern und Kinder häufig interagieren, lesen Kinder länger und sehen weniger fern als in Familien, in denen die Familienmitglieder seltener interagieren. Ausgehend von dieser abstrakten Forschungsannahme wurden zwei konkretere Teilhypothesen deduziert, von denen sich eine auf Kommunikation (Gespräche und gemeinsame Mahlzeiten) in der Familie bezieht, die andere prä- und paraliterarische Interaktionen tangiert.
142
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
5.3.1.1 Kommunikation in der Familie Basierend auf interaktionistischen Ansätzen wird argumentiert, dass Kinder in Familien mit hoher Kommunikationsdichte mehr lesen und weniger fernsehen, wohingegen Kinder, die in Familien mit geringer Kommunikationsdichte aufwachsen, tendenziell länger fernsehen und weniger lesen. Als Indikator für Kommunikation bzw. Interaktionen138 wurden Zeitbudgets berechnet, die Eltern und Kinder (ab zehn Jahren) für Gespräche und gemeinsame Mahlzeiten aufbringen. Ferner wird implizit unterstellt, dass zwischen Familien mit unterschiedlichem Bildungsstatus Qualitätsunterschiede hinsichtlich des Gesprächsverlaufs und -inhalts bestehen. Diesbezüglich kann jedoch auf Grundlage der vorliegenden Zeitbudgetdaten keine direkte Aussage getroffen, sondern allenfalls spekuliert werden (vgl. Kapitel 3.1.3). Die folgenden Ausführungen richten sich auf die Frage, inwieweit sich die Interaktionsdauer in der Familie an Werk- und Wochenendtagen unterscheidet, auch unter der Annahme, dass Familien an Werktagen stärkeren Zeitrestriktionen unterliegen als an Wochenendtagen. Mütter wenden an Werktagen im Durchschnitt rund 66 Minuten, an Wochenendtagen 91 Minuten für Gespräche und Mahlzeiten mit Kindern auf. Bei Vätern liegen die entsprechenden Werte zwischen Werk- und Wochenendtagen weiter auseinander (Eta2 = .139): An Wochenendtagen verbringen Väter und Kinder fast doppelt so viel Zeit mit Gesprächen und Mahlzeiten (M = 91 Minuten) als an Werktagen (M = 43 Minuten). Zumindest an Wochenenden gleichen sich damit die zeitlichen Muster von Vätern und Müttern mit Blick auf Interaktionen mit heranwachsenden Kindern an. Tabelle 24: Zeit für Interaktionen mit Kindern an Werk- und Wochenendtagen Werktag
Wochenendtag
Interaktionen
M
SD
M
SD
F-Wert
Eta2
Väter (N = 758)
43**
42
91**
77
234,26
.139
66**
51
93**
73
Mütter (N = 758)
(N = 1.474)
61,599
.043
(N = 791)
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Angabe zur Stichprobengröße bezieht sich auf die Anzahl der Tagebuchtage (zwei Werktage und ein Tag am Wochenende) von 758 Personen. Im Falle von 33 Personen liegen jeweils zwei Tagebücher vor, die an Wochenendtagen geführt wurden. Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung“ gewichtet. **p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
In einer aktuelleren Studie zur familialen Lesesozialisation findet sich ein weiterer Beleg für diesen Zusammenhang; die Autoren sprechen in diesem Kontext etwa von einem „Wochenendvater“. Die Mutter sei dagegen „Hauptbezugsperson für Anschlusskommunikation über Gelesenes“ (Hurrelmann, B. u.a. 2005, 329) und darüber hinaus häufiger beim Fernsehen der Kinder anwesend als der Vater (vgl. ebenda, 328f.).139 Auch wenn auf 138
Die Begriffe „Kommunikation“ und „Interaktionen“ werden im Folgenden, falls nicht anders vermerkt, synonym verwendet (vgl. hierzu auch Kapitel 3.2.1). 139 Dieses Ergebnis wurde im Rahmen einer Fragenbogenerhebung gewonnen, die im Wintersemester 2001/02 an der Universität zu Köln durchgeführt wurde. Befragt wurden Studierende der Geburtsjahrgänge 1975 bis 1980.
143
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Grundlage der hier vorliegenden Tagebuchdaten keine Aussagen über Kommunikationsinhalte möglich sind, ist anzunehmen, dass Interaktionen zwischen Müttern und Kindern bezüglich ihrer Wirkung auf die Lesesozialisation eine andere „Qualität“ haben als Interaktionen zwischen Vätern und Kindern. Getrennt für Werktage und Wochenendtage wurde die Forschungsannahme überprüft, dass zwischen Interaktionen und Lesesozialisation ein positiver Zusammenhang besteht, d.h. mit zunehmender Interaktionsdauer steigt die Lesedauer, wohingegen die Fernsehdauer abnimmt (Hypothese 4). Dazu wurde der Pearson-Korrelationskoeffizient berechnet (rp). Die Betrachtung von Werktagen führte zu nicht signifikanten Korrelationen, die hier nicht im Einzelnen dokumentiert werden sollen. Die anschließenden Ergebnisse beschränken sich daher auf Wochenendtage. Unter der Prämisse, dass sich die Interaktionsdauer verschiedener Bildungsgruppen voneinander unterscheidet, wurde der Bildungseinfluss herausgerechnet. Tabelle 25: Zusammenhang zwischen Interaktionsdauer sowie Lese- und Fernsehdauer der Kinder an Wochenendtagen Interaktionsdauer (N = 791)
Lesedauer
Fernsehdauer
Mutter
0,130**
-0,141**
Vater
0,112**
-0,122**
Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung“ der Mutter bzw. des Vaters gewichtet. Der Bildungseinfluss wurde herausgerechnet. **p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Während Interaktions- und Lesedauer des Kindes positiv korrelieren (rp = 0,130), korrelieren Interaktions- und Fernsehdauer negativ (rp = -0,141) bei Mutter-Kind-Dyaden. Bei Vater-Kind-Konstellationen liegen die Werte nochmals leicht darunter, mit rp = 0,112 (Lesedauer) und rp = -0,122 (Fernsehdauer). Die Werte liegen jedoch insgesamt auf einem relativ niedrigen Niveau. Unter der Annahme, dass die Interaktionsqualität (z.B. Gesprächsinhalte) in Familien mit unterschiedlichem Bildungsstatus variiert (vgl. Kapitel 3.1.1), wurde diese Forschungshypothese nochmals getrennt für einzelne Bildungsgruppen analysiert (vgl. Tabelle 26).
Die Befragten (N = 145) waren zum einen 121 Studierende des Fachs Deutsch an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln (Lehramt Primarstufe, Sekundarstufe I, Sonderpädagogik) und zum anderen 24 Studierende anderer Fakultäten (Lehramt Sekundarstufe II, Magister Germanistik und einige andere) (vgl. Hurrelmann u.a. 2005, 326).
144
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Tabelle 26: Zusammenhang zwischen Interaktions- sowie Lese- und Fernsehdauer der Kinder an Wochenendtagen nach Bildung Interaktionsdauer (N = 791)
Lesedauer/ Kind
Fernsehdauer/ Kind
niedrige Bildung (n = 237) Mutter
0,140*
- 0,009
Vater
0,156*
- 0,072
Mutter
0,187**
- 0,219**
Vater
0,149*
- 0,167**
mittlere Bildung (n = 383)
hohe Bildung (n = 171) Mutter
- 0,007
- 0,125
Vater
- 0,010
- 0,075
Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung“ der Mutter bzw. des Vaters gewichtet. **p < .01, *p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Bei der mittleren Bildungsgruppe finden sich Hinweise für den soeben postulierten Zusammenhang, sowohl hinsichtlich des Lesens als auch bezüglich der Fernsehnutzung. Die Zeit, die sich auf Interaktionen zwischen Müttern und Kindern bezieht, korreliert positiv mit der Lesedauer (rp = 0,187) und negativ mit der Fernsehdauer (rp = -0,219) des Kindes. Im Falle von Vater-Kind-Dyaden liegen die Werte etwas niedriger. Für Familien mit niedriger Bildung ergeben sich lediglich beim Lesen signifikante Werte. Keine signifikanten Zusammenhänge wurden für die höchste Bildungsgruppe ermittelt. Die Ergebnisse lassen sich quasi als Anzeichen für unterschiedliche „Qualität“ der Kommunikation in den einzelnen Bildungsgruppen deuten. Die günstigsten Voraussetzungen liegen demnach in Familien mit mittlerer Bildung vor, die sich durch einen positiven Zusammenhang zwischen Interaktionsdauer und Lesesozialisation beschreiben lassen. Unterstützen lässt sich diese Vermutung durch ein Ergebnis aus der aktuelleren Lesesozialisationsforschung. Bettina Hurrelmann u.a. konnten nachweisen, dass sich Familien mit mittlerer Bildung gegenüber denjenigen mit niedriger oder hoher Bildung durch eine liberalere Haltung bezüglich der Fernsehnutzung und des Vorlesens charakterisieren lassen (2005, 397). Sie folgern daraus, dass „in der mittleren Schicht bessere Bedingungen für produktive Interaktionen von Teilbereichen der Lese- und Medienkompetenz gegeben sind“ (ebenda, 380).140 Insgesamt lassen sich diese Resultate allerdings nur als schwacher Beleg für die Forschungshypothese bewerten, dass Interaktionen in der Familie die Lesesozialisation positiv beeinflussen (Hypothese 4). Der Indikator „Zeit für gemeinsame Gespräche und Mahlzeiten“ scheint in diesem Kontext nur punktuell geeignet, Interaktionen in der Familie, die in einem engen Zusammenhang mit der Lesesozialisation stehen, abzubilden.
140
Insbesondere in der sozialen Mittelschicht haben sich seit den 1970er Jahren die Rahmenbedingungen der Lesesozialisation insofern verbessert, da es zu einem Abbau statusbedingter Ungleichheit der familialen Beziehungungsstrukturen gekommen ist (vgl. Hurrelmann B. u.a. 2005, 405f.).
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
145
5.3.1.2 Prä- und paraliterarische Interaktion Untersuchungen, die in der Forschung zum (Schrift-)Spracherwerb angesiedelt sind, haben gezeigt, dass die Lesesozialisation umso eher gelingt, je früher Kinder an Bücher herangeführt werden. Die Entwicklung der Sprachfähigkeit ist unmittelbar mit der Leseentwicklung verbunden. Die prä- und paraliterarische Kommunikation, Sozialisation oder Interaktion (z.B. Vorlesen, Geschichten erzählen, Reime bilden) lässt sich als eine weitere Form von familialen Interaktionen benennen und wird auf Basis der vorliegenden Tagebuchdaten über die Aktivitätskategorie „Vorlesen/Erzählen“ erfasst. Die Stichprobe reduzierte sich damit auf diejenigen Familien, in denen mindestens ein Kind im Vorlesealter (unter zehn Jahren) und ein älteres Kind (über zehn Jahren) lebt (N = 267 Familien). Zunächst wurden die Zeitbudgets von Müttern und Vätern für die Aktivität „Vorlesen und/oder Geschichten erzählen“ addiert. Es interessierte, in wie vielen Familien noch regelmäßig vorgelesen wird. Eine Grundauszählung hat gezeigt, dass dies bei 30 Prozent der betrachteten Familien (n = 82) noch zutrifft. Dieser Wert lässt sich als weitgehend zuverlässig beurteilen, da eine offene Erfassung von Aktivitäten in diesem Falle nicht zu einer Überschätzung der „sozial erwünschten“ Aktivität „Vorlesen/Erzählen“ führt. Anzunehmen ist, dass in Familien, in denen prä- und paraliterarische Interaktionen mit jüngeren Kindern stattfinden, auch ältere Geschwister mehr lesen als in Familien, in denen prä- und paraliterarische Interaktionen nicht zum Alltag gehören. Es wird unterstellt, dass es sich bei prä- und paraliterarischen Interaktionen um eine im Zeitablauf relativ stabile Gewohnheit handelt. Dies bedeutet konkret, dass Eltern, die zum Dokumentationszeitraum angeben, dass sie vorgelesen oder Geschichten erzählt haben, dies auch schon zu einem früheren Zeitpunkt bei älteren Geschwistern praktizierten. Zunächst werden Familien mit und ohne prä- und paraliterarischer Interaktion in ihrer prozentualen Verteilung hinsichtlich Bildung und Zeitressourcen dargestellt. Als Indikatoren für Bildung und Zeitressourcen wurden der Bildungsstatus der Familie sowie der Erwerbstätigenstatus der Mutter herangezogen. Es zeigen sich allerdings keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen hinsichtlich ihrer Verteilung der beiden Merkmale. Gegenüber der Gesamtstichprobe sind Familien mit hoher Bildung in der Gruppe „mit prä- und paraliterarischer Interaktion“ jedoch mit 24 Prozent überdurchschnittlich häufig vertreten, während Vollzeit erwerbstätige Mütter in dieser Gruppe mit 5,3 Prozent (vs. 9,4 Prozent) unterdurchschnittlich repräsentiert sind (vgl. Tabelle 27).
146
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Tabelle 27: Familien ohne und mit prä- und paraliterarischer Interaktion nach Bildung und Erwerbstätigenstatus der Mutter (in Prozent) Gesamtstichprobe (N = 267)
ohne prä- und paraliterarische Interaktion (n = 185)
mit prä- und paraliterarischer Interaktion (n = 82)
niedrig
28,9
30,3
26,0
mittel
53,0
54,5
50,0
hoch
18,1
15,2
24,0
nichterwerbstätig
47,5
46,0
50,9
in Teilzeit
43,1
42,7
43,9
in Vollzeit
9,4
11,3
5,3
Bildung1)
Erwerbstätigenstatus2)
1) Anmerkung: gewichtet mit Haushaltsstruktur-Faktor. χ2 (2, N = 267) = 1,778, nicht sig., Cramer’s V = .109. 2) Anmerkung: gewichtet mit Personen-Struktur-Faktor. χ2 (2, N = 267) = 1,720, nicht sig., Cramer’s V = .097. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Diese Befunde deuten zumindest darauf hin, dass Familien, in denen frühe Formen der Lesesozialisation, d.h. prä- und paraliterarische Interaktionen, stattfinden, im Durchschnitt nicht nur über eine höhere Bildung, sondern auch über mehr Zeitressourcen verfügen (Hypothesen 1 u. 2). Günstige Rahmenbedingungen der Lesesozialisation sind damit nicht nur an Bildungs-, sondern auch an Zeitressourcen der Familie gebunden. Anschließend wurde überprüft, ob sich die älteren Geschwister (ab zehn Jahren) in den beiden Familientypen hinsichtlich ihrer Lese- und Fernsehdauer unterscheiden (vgl. Tabelle 28). Tabelle 28: Lese- und Fernsehdauer von Geschwisterkindern in Familien ohne und mit präund paraliterarischer Interaktion
Zehn- bis 19-Jährige Lesen (insgesamt)
ohne prä- und paraliterarische Interaktion (n = 185) M SD
mit prä- und paraliterarischer Interaktion (n = 82) M SD
F-Wert
Eta2
30
43
40
44
1,534
.010
Abendlektüre
9
15
14
17
2,462
.016
Fernsehen
93 n = 78
78
82 n = 34
59
0,852
.006
Zwölf- bis 15-Jährige
M
SD
M
SD
F-Wert
Eta2
40
43
51
4,089
.030
Lesen (insgesamt) Abendlektüre Fernsehen
30 9*
15
16*
19
2,414
.018
114*
80
85*
61
4,119
.030
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkungen: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet. *p < .05. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
147
Obwohl die Unterschiede für alle Altersgruppen nicht signifikant sind, weisen die Mittelwertunterschiede darauf hin, dass Kinder, die in Familien mit prä- und paraliterarischer Interaktion aufwachsen, auch im Anschluss an die primäre Lesesozialisation im Durchschnitt länger lesen und weniger fernsehen als diejenigen, die in Familien ohne prä- und paraliterarische Interaktion aufwachsen. Differenziert nach Altersgruppen wurden statistisch signifikante Unterschiede lediglich für die Gruppe der Zwölf- bis 15-Jährigen im Falle der Abendlektüre ermittelt. Aus diesem Grund beschränken sich die folgenden Ausführungen auf diese Altersgruppe. Zwölf- bis 15-jährige, die in Familien mit prä- und paraliterarischer Sozialisation aufwachsen, lesen am Abend im Durchschnitt mit 16 Minuten sieben Minuten länger als diejenigen, die in Familien ohne prä- und paraliterarische Interaktion aufwachsen. Die gezielte Hinführung jüngerer Geschwister zum Lesen, beispielsweise durch Erzählen und Vorlesen (am Abend), scheint damit in einem positiven Zusammenhang mit der Abendlektüre der älteren Geschwister zu stehen. Es findet sich damit ein Nachweis für den Zusammenhang, dass sich prä- und paraliterarische Kommunikation (zwischen Eltern und Kindern) positiv auf die Lesesozialisation – auch in späteren Phasen – auswirkt (Hypothese 5). Umgekehrt sehen Zwölf- bis 15-Jährige in Familien mit prä- und paraliterarischer Sozialisation mit durchschnittlich 85 Minuten pro Tag (über drei Tage berechnet) eine halbe Stunde weniger fern als diejenigen in Familien ohne prä- und paraliterarische Kommunikation. Es ist zu vermuten, dass Familien, die sich durch vergleichsweise günstige Voraussetzungen (bezüglich der frühen Lesesozialisation) beschreiben lassen, der Fernsehrezeption allgemein einen geringeren Stellenwert beimessen als Familien, die sich durch relativ ungünstige Voraussetzungen charakterisieren lassen. Es ist anzunehmen, dass dies im Besonderen auf Familien mit hoher Bildung zutrifft. Diese Argumentation lässt sich weiter durch einen Befund aus der aktuelleren Forschung erhärten. Insbesondere für Familien mit hoher Bildung sei „das Muster der ‚Verführung zum Lesen’, verbunden mit der Minimierung des Fernsehens, […] charakteristisch“ (Hurrelmann u.a. 2005, 410). In summa konnte damit gezeigt werden, dass prä- und paraliterarische Interaktionen in der Familie die Lesesozialisation und damit die Lesedauer der Kinder positiv und dauerhaft beeinflussen. Insbesondere scheint sich eine nachhaltige Wirkung bei Zwölf- bis 15Jährigen bezüglich der Abendlektüre einzustellen. Dies lässt sich damit erklären, dass präund paraliterarische Formen der Sozialisation, etwa Lesen und Vorlesen, primär am Abend stattfinden und deren nachhaltige Wirkungen sich schließlich in späteren Phasen der Sozialisation in abendlichen Lesegewohnheiten ausdrücken. Mit Blick auf die relativ kleine Stichprobe lassen sich die Befunde in diesem Fall jedoch kaum verallgemeinern. Vor diesem Hintergrund wurden die Analysen nicht weiter ausdifferenziert. Die nachfolgenden Untersuchungen richten sich nunmehr auf die Bedeutung des Elternvorbildes für die Lesesozialisation. 5.3.2 Elternvorbild sowie Lese- und Fernsehgewohnheiten von Kindern In der Lesesozialisationsforschung gilt mittlerweile als gesichert, dass das Vorbild der Eltern die Ausbildung von Lese- und Fernsehgewohnheiten von Kindern dauerhaft beeinflusst. Es wurde wiederholt nachgewiesen, dass Kinder viel lesender Eltern sich mit größerer Wahrscheinlichkeit zu Viellesern entwickeln als Kinder wenig lesender Eltern und
148
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Erstere auch seltener dem so genannten „Leseknick“ zum Opfer fallen. Umgekehrt wurde aber auch mehrfach belegt, dass das Nichtvorhandensein des Lesevorbildes die Ausbildung von stabilen Lesegewohnheiten und -interessen dauerhaft beeinträchtigt (vgl. z.B. Tullius 2001, 80f.; Jäckel u. Wollscheid 2006, 591). Im Folgenden soll nun die These überprüft werden, dass sich das Elternvorbild positiv auf die Lesesozialisation auswirkt. Mit anderen Worten wird unterstellt, dass die Lesedauer der Eltern die Lesedauer der Kinder positiv beeinflusst (Hypothese 6). Dieser Gedanke lässt sich gleichermaßen auf Fernsehgewohnheiten übertragen. Lese- und Fernsehzeitbudgets der Familienmitglieder werden an deren täglicher Lese- und Fernsehdauer im Durchschnitt (über drei Tage berechnet) gemessen. Neben aufsummierten Zeitbudgets über 24 Stunden wird das Zeitbudget am Abend analysiert. Die Fokussierung auf das Abendintervall, insbesondere in Bezug auf das Lesen, lässt sich damit begründen, dass Mütter, Väter und Kinder bevorzugt am Abend vor dem Einschlafen lesen (vgl. z.B. Hurrelmann, B. u.a. 1993, 39). 5.3.2.1 Einfluss des Elternvorbildes auf die Lesegewohnheiten von Kindern Zunächst wird unterstellt, dass sich die Einflüsse des Elternvorbildes auf die Lesesozialisation in unterschiedlichen Altersgruppen sowie bei Töchtern und Söhnen voneinander unterscheiden. Die folgenden Ausführungen richten sich einerseits auf den Zusammenhang, dass mit zunehmendem Alter der Einfluss der Eltern auf die Lesesozialisation abnimmt (Hypothese 9), und dass andererseits Töchter und Mütter insgesamt mehr Zeit mit Lesen verbringen als Söhne und Väter (Hypothese 10). Damit rücken die Dimensionen Elternvorbild, Alter und Geschlecht ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Mutter-KindDyaden und Vater-Kind-Dyaden141 werden nacheinander behandelt, wobei der Bildungseinfluss kontrolliert wurde. Tabelle 29 bezieht sich auf Mutter-Kind-Dyaden. Tabelle 29: Zusammenhang zwischen Lesedauer von Müttern und Kindern nach Alter und Geschlecht alle
Söhne
Töchter
Lesen
insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
alle (N = 758)
0,185**
0,178**
0,095
0,119*
0,286**
0,228**
10 bis 11 (n = 158)
0,276**
0,164**
0,175
0,040
0,414**
0,250**
12 bis 15 (n = 390)
0,186**
0,188**
0,047
0,091
0,342**
0,252**
16 bis 19 (n = 211)
0,122
0,202*
0,136
0,257*
0,102
0,176
Alter (in Jahren)
Anmerkung: Der Bildungseinfluss wurde herauspartialisiert. Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ der Mutter gewichtet. **p < .01, *p < .05. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02. 141
Auf eine Differenzierung nach Werk- und Wochenendtagen wurde verzichtet. So konnte bereits gezeigt werden, dass sich Mütter diesbezüglich nicht signifikant in ihrer Lesedauer unterscheiden (vgl. hierzu: Tabelle 6). Auch in der Literatur wird im Allgemeinen keine Differenzierung zwischen Werk- und Wochenendtagen vorgenommen (z.B. bei Hurrelmann, B. u.a. 1993, 109).
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
149
Insgesamt wurden zwischen Mutter und Kindern relativ schwache Zusammenhänge ermittelt, sowohl für die Lesedauer insgesamt, mit rp = 0,185, als auch für die Lesedauer am Abend (rp = 0,178). Differenziert nach Altersgruppen lassen sich mit zunehmendem Alter der Kinder abnehmende Korrelationen bei Mutter-Kind-Dyaden bezüglich der Lesedauer (insgesamt) beobachten. Der Spitzenwert findet sich bei Müttern und Zehn- bis Elfjährigen (rp = 0,276). Der Effekt des mütterlichen Vorbildes scheint damit am Ende der primären Lesesozialisation noch vergleichsweise stark zu sein und sich im Verlauf der sekundären Lesesozialisation abzuschwächen. Dieser Befund stimmt mit sozialisationstheoretischen Überlegungen überein, demnach der Einfluss der Eltern (in diesem Fall der Mutter) auf die Lesesozialisation mit zunehmendem Alter der Kinder abnimmt (Hypothese 9). Darüber hinaus deutet das Ergebnis auf den in der Leseforschung vielfach nachgewiesenen „Leseknick“ hin, demnach die Lesemotivation und -häufigkeit ab einem Alter von circa zwölf Jahren häufig sinkt (vgl. Harmgarth 1999, 18). Diese Beobachtungen gelten ausschließlich für die Lesedauer insgesamt. Für die Abendlektüre konnte ein anderes Bild gezeichnet werden. Mit steigendem Alter der Kinder nehmen die entsprechenden Korrelationen zu und erreichen bei Konstellationen mit 16- bis 19-Jährigen ihren Höhepunkt (rp = 0,202). Dies lässt sich dadurch erklären, dass ältere Kinder am Abend möglicherweise weniger zeitlich restringiert sind als jüngere, da sie in der Regel später zu Bett gehen bzw. einschlafen. Jüngere Kinder haben damit am Abend relativ gesehen weniger Lesezeit zur Verfügung. Dies bedeutet, dass die abendlichen Zeitmuster von Müttern und älteren Kindern – auch im Hinblick auf die Lektüre – sich wahrscheinlich stärker ähneln als die von Müttern und jüngeren Kindern. Differenziert nach Geschlecht liegen die Werte bei Mutter-Tochter-Konstellationen mit rp = 0,286 und rp = 0,288 deutlich über dem Durchschnitt, während sich bei MutterSohn-Konstellationen lediglich im Falle der Abendlektüre ein signifikanter, jedoch vergleichsweise schwacher Zusammenhang zeigt (rp = 0,119). Das Vorbild der Mutter scheint damit einen stärkeren Einfluss auf die Lesesozialisation der Töchter zu haben als auf die Lesesozialisation der Söhne. Dieses Ergebnis stimmt somit mit der Annahme der sozialen Lerntheorie überein, demnach die Ähnlichkeit des Modells (Mutter) mit dem Lerner (Kind) die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das jeweilige Verhalten erlernt wird. Demnach würde die Zugehörigkeit zum gleichen Geschlecht dazu führen, dass Töchter mit höherer Wahrscheinlichkeit das Verhalten der Mutter nachahmen als Söhne (vgl. Kapitel 3.2.2). Werden Alter und Geschlecht gleichzeitig berücksichtigt, lässt sich der bereits diskutierte Zusammenhang eines abnehmenden Einflusses des elterlichen Vorbildes auf die Lesesozialisation im Fall von Mutter-Tochter-Dyaden ein weiteres Mal bestätigen. Die höchsten Werte zeigen sich bei Mutter-Tochter-Konstellationen mit zehn- bis elf-jährigen Töchtern (rp = 0,414) im Hinblick auf die Lesedauer insgesamt. Der Einfluss des Vorbildes auf die Lesesozialisation lässt sich bei dieser Altersgruppe relativ „zeitnah“ an der Phase der primären Lesesozialisation abbilden (vgl. Abbildung 3). Bei 13- bis 15-jährigen Töchtern sinkt dieses Maß auf rp = 0,342, ist aber immer noch relativ hoch. Bettina Hurrelmann u.a. (1993), die in ihrer Kölner Studie Familien mit Kindern zwischen sechs und zehn Jahren untersucht haben, sind zu einem ähnlichen Resultat gelangt, welches sich jedoch auf Kinder beiderlei Geschlechts bezieht. Demnach liegt ein signifikanter (p < .001) und relativ starker Zusammenhang zwischen der durchschnittlichen Lesedauer von Mutter und Kind mit rp = 0,48 vor. Im Falle der Vater-Kind-Dyade ergab sich ein leicht niedrigerer Wert von
150
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
rp = 0,36 (vgl. Hurrelmann, B. u.a. 1993, 109).142 Bezogen auf die Abendlektüre zeigen sich nur minimale Unterschiede zwischen den beiden Altersgruppen mit einem Wert von rund rp = 0,250. Im Falle von Dyaden mit älteren Töchtern zeigen sich keine signifikanten Zusammenhänge mehr. Bei Mutter-Sohn-Dyaden wurde lediglich im Falle der Abendlektüre ein signifikanter Zusammenhang ermittelt, der mit rp = 0,119 bezogen auf Zehn- bis 19-Jährige als relativ schwach zu beurteilen ist. In Widerspruch zu sozialisationstheoretischen Überlegungen steht dieser Wert bei Konstellationen mit 16- bis 19-jährigen Söhnen, der mit rp = 0,257 vergleichsweise hoch ist. Diese Gruppe scheint sich somit von den Lesegewohnheiten der Mutter am Abend nachhaltig beeinflussen zu lassen. Die in Tabelle 30 dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf Vater-Kind-Konstellationen. Tabelle 30: Zusammenhang zwischen Lesedauer von Vätern und Kindern nach Alter und Geschlecht alle Lesen
insgesamt
alle (N = 758)
0,155**
Abend 0,069
Söhne (n = 377)
Töchter (n = 382)
insgesamt
Abend
insgesamt
0,100
- 0,026
0,189**
Abend 0,143*
Alter (in Jahren) 10 bis 11 (n = 158)
0,023
0,225
- 0,167
12 bis 15 (n = 390)
0,153**
- 0,139 0,108*
- 0,061
0,021
- 0,168 0,283**
- 0,088 0,179*
16 bis 19 (n= 211)
0,231**
0,040
0,057
- 0,083
0,388**
0,161
Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ des Vaters gewichtet. **p < .01, *p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Lesedauer des Vaters und Lesedauer des Kindes korrelieren insgesamt relativ schwach mit einem Wert von rp = 0,155; hinsichtlich des Abendintervalls zeigt sich kein signifikanter Zusammenhang mit rp = 0,069. Bei Mutter-Kind-Dyaden liegen die korrespondierenden Werte auf einem etwas höheren Niveau (vgl. Tabelle 29) und lassen sich damit auch in Übereinstimmung zur vorherrschenden Meinung innerhalb der Lesesozialisationsforschung deuten, dass dem Lesevorbild der Mutter nach wie vor die zentrale Rolle zuzuschreiben ist. Dies ergibt sich schon alleine daraus, dass Mütter insgesamt mehr Zeit mit Kindern verbringen als Väter. Anders ausgedrückt: „In der Regel erscheint die Mutter als zentrale Bezugsperson der Kleinkinder, während der Vater seine Zeit überwiegend außerhalb der Familie verbringt.“ (Hurrelmann, B. u.a. 2005, 311) In Betrachtung verschiedener Altersgruppen widersprechen die Werte den sozialisationstheoretischen Überlegungen mit Blick auf die Lesedauer insgesamt: Während sich bei Vater-Kind-Dyaden mit Zehn- bis Elfjährigen kein signifikanter Zusammenhang zeigt, steigt der entsprechende Wert bei Konstellationen mit 16- bis 19-Jährigen auf rp = 0,231 und liegt damit an der Spitze. Die Wirkung des Lesevorbilds scheint hier im Zeitverlauf sogar zuzunehmen. 142
Die Daten über die Lesedauer wurden mittels einer aktivitätsorientierten Befragung von Mutter, Vater und Kind erhoben, wobei die Lesedauer des Kindes über die Mutter erfragt wurde. Die Kinder gaben lediglich Auskunft über ihre Lesefreude sowie über die Lesefrequenz (vgl. Hurrelmann, B. u.a. 1993, 20ff.).
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
151
Bandura argumentiert, dass in späteren Entwicklungsphasen Vorbilder (z. B. das Lesevorbild) häufig sehr lange nach der Beobachtung des Modells imitiert werden (vgl. Bandura 1979, 36); dies gelte im Besonderen für komplexe Verhaltensweisen (ebenda, 39). Differenziert nach Geschlecht zeigt sich lediglich bei Vater-Tochter-Dyaden ein signifikanter Zusammenhang bezüglich der Lesedauer (insgesamt: rp = 0,189; am Abend: rp = 0,143). Zwischen der Lesedauer der Väter und der der Söhne liegen keine signifikanten Zusammenhänge vor. Die Hypothese, dass das Elternvorbild die Lesesozialisation der Kinder positiv beeinflusst, lässt sich somit für Söhne nicht eindeutig bestätigen. Im Falle der Abendlektüre wurde sogar ein negativer Zusammenhang ermittelt, was in Widerspruch zu den theoretischen Überlegungen steht. In summa scheinen sich damit primär Töchter vom Lesevorbild des Vaters positiv beeinflussen zu lassen. Auch bei simultaner Berücksichtigung der Dimensionen Geschlecht und Alter ergeben sich ausschließlich bei Vater-Tochter-Dyaden signifikante Werte. Die Ergebnisse zeigen jedoch in die umgekehrte Richtung als bei Mutter-Tochter-Konstellationen: Bei Konstellationen mit älteren Töchtern (zwischen 16 und 19 Jahren) wurde ein Spitzenwert von rp = 0,388 berechnet. Mit steigendem Alter nimmt damit offenbar der Einfluss des Vaters auf die Lesesozialisation von Töchtern zu. Dies widerspricht der Annahme, dass mit steigendem Alter des Kindes der Einfluss der Familie auf die Lesesozialisation abnimmt (Hypothese 9). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Lesevorbild der Mutter insgesamt einen stärkeren Einfluss auf die Lesesozialisation von Kindern nimmt als das Lesevorbild des Vaters. Überdies wirkt sich das elterliche Lesevorbild stärker auf die Lesesozialisation von Töchtern als auf die von Söhnen aus. Daraus lässt sich schließen, dass die Aktivität des Lesens nach wie vor „weiblich“ konnotiert ist. In diesem Kontext ist überdies denkbar, dass das Lesevorbild der Mutter in seiner Wirkung auf die Lesesozialisation durch weitere weibliche Vorbilder ergänzt und verstärkt wird, die in außerfamilalen Sozialisationsinstitutionen ihren Platz haben, z.B. Kindergärtnerinnen oder Grundschullehrerinnen. In der Lesesozialisationsforschung besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass „Leselehrer“ mehrheitlich weiblich sind (vgl. Muth 1993, 9; Groeben u.a. 1999, 11). Darüber hinaus nimmt der Einfluss der Mutter auf die Lesesozialisation im Verlaufe der Sozialisation sichtbar ab, während der Einfluss des Vaters mit steigendem Alter der Töchter zunimmt. In diesem Fall lässt sich die Vorstellung eines andauernden Effekts des elterlichen Lesevorbildes auf die Lesesozialisation empirisch untermauern. In Bezug auf Söhne lässt sich dieser Zusammenhang für Mutter-Sohn-Dyaden im Hinblick auf die Abendlektüre beobachten. Konzentriert man sich auf die Abendlektüre ist zu vermuten, dass während der Pubertät die Identifikation mit dem gegengeschlechtlichen Elternvorbild bzw. Lesevorbild an Bedeutung gewinnt. Im Rahmen bisheriger Analysen wurden insbesondere bei Familien mit mittlerer Bildung vergleichsweise starke und signifikante Zusammenhänge, etwa zwischen familienimmanenten Interaktionen und der Lesesozialisation, ermittelt (vgl. Tabelle 26). Davon ausgehend ist anzunehmen, dass sich die bislang ermittelten Werte durch Fokussierung auf diese Bildungsgruppe unter Umständen erhöhen. Zum einen interessierte die Einflussstärke des Elternvorbildes auf die Lesesozialisation in Familien der mittleren Bildungsgruppe, zum anderen Unterschiede zwischen Töchtern und Söhnen in dieser Familie.
152
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Tabelle 31: Zusammenhang zwischen Lesedauer von Eltern und Kindern mit mittlerer Bildung alle (N = 363)
Söhne (n = 190)
Töchter (n = 173)
Lesen
insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
Vater
0,215**
0,090
0,095
- 0,043
0,303**
0,199*
Mutter
0,267**
0,297**
0,194*
0,341**
0,267**
0,347**
Anmerkung: Der Einfluss des Alters wurde herausgerechnet. Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ des Vaters bzw. der Mutter gewichtet. **p < .01, *p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Mit rp = 0,215 und rp = 0,267 lassen sich annähernd gleich hohe Werte bei Vater-KindDyaden und Mutter-Kind-Dyaden beobachten. Die Vermutung, dass der Einfluss des Elternmodells in der mittleren Bildungsgruppe vergleichsweise hoch ist, lässt sich damit belegen. Differenziert nach Geschlechtszugehörigkeit erweisen sich die Zusammenhänge im Falle der Vater-Sohn-Dyade wiederum als nicht signifikant, wohingegen bei Töchtern von einer annähernd gleichen Bedeutung des mütterlichen und väterlichen Vorbildes gesprochen werden kann. Die Werte liegen im Falle der Mutter-Tochter-Dyade bei rp = 0,341, im Falle der Vater-Tochter-Dyade bei rp = 0,303 (Lesen insgesamt). Bezüglich der Abendlektüre konnten ebenfalls positive und signifikante Korrelationen ermittelt werden, die sich allerdings auf einem niedrigeren Niveau befinden. Die Werte deuten allerdings darauf hin, dass am Abend das Lesevorbild der Mutter – zumindest in der mittleren Bildungsgruppe – eine stärkere Wirkung auf die Lesesozialisation nimmt als das Lesevorbild des Vaters. Die nachstehenden Ausführungen beziehen sich erneut auf Mutter-KindKonstellationen. Ausgehend von theoretischen Überlegungen über die Zeit als Dimension der Lesesozialisation, stellte sich anschließend an bisherige Analysen die Frage, inwieweit Zeitrestriktionen den Einfluss des Elternvorbildes auf die Lesesozialisation beeinflussen. Bislang wurde behauptet, dass das Elternvorbild einen stärkeren Einfluss auf die Lesesozialisation nimmt, je häufiger Eltern und Kinder interagieren (Hypothese 7). Auch wenn ein linearer und positiver Zusammenhang zwischen frei disponibler Zeit der Eltern und Interaktionsdauer an dieser Stelle ausgeschlossen wird, drängt sich die Frage auf, ob und inwieweit die Zeitdimension den Zusammenhang zwischen Elternvorbild und Lesedauer der Kinder tangiert. Es wird von einem schwachen positiven Zusammenhang ausgegangen. Da keine Daten im Längsschnitt vorliegen, musste von der vereinfachenden Annahme ausgegangen werden, dass die zeitlichen Rahmenbedingungen der Familie im Zeitverlauf relativ stabil sind (vgl. Kapitel 2.2). Gemessen wird die Zeitdimension am Erwerbstätigenstatus der Mutter.143
143
Da der Anteil der in Vollzeit erwerbstätigen Väter mit etwa 91 Prozent sehr hoch ist, erübrigte sich eine differenzierte Analyse bei Vätern.
153
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion Tabelle 32: Zusammenhang zwischen Lesedauer von Müttern und Kindern nach Erwerbstätigenstatus der Mütter alle (N=758)
Söhne (n= 376)
Töchter (n=382)
Lesen
insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
Erwerbstätigenstatus nichterwerbstätig (n = 200)
0,211**
0,217**
0,052
0,153
0,390**
0,266**
in Teilzeit (n = 457)
0,173**
0,138*
0,105
0,112
0,228**
0,150
in Vollzeit (n = 101)
0,143
0,170
0,115
0,043
0,174
0,421**
Anmerkung: Der Bildungseinfluss wurde herauspartialisiert. Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ der Mutter gewichtet. **p < .01, *p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Die in Tabelle 32 dokumentierten Ergebnisse lassen sich dahingehend interpretieren, dass zunehmende Zeitrestriktionen (z.B. bedingt durch längere Erwerbsarbeitszeitdauer) mit einem sinkenden Effekt des Elternvorbildes auf die Lesesozialisation einhergehen. Bei Konstellationen mit nichterwerbstätigen Müttern und Kindern lässt sich ein positiver Zusammenhang zwischen Lesedauer der Mutter und Lesedauer des Kindes nachweisen, der mit rp = 0,211 auf einem höheren Niveau liegt als bei anderen Konstellationen, die sich durch höhere Zeitrestriktionen beschreiben lassen. Bezüglich der Abendlektüre deuten die Werte in die gleiche Richtung. Darüber hinaus werden Zeit und Geschlecht gleichzeitig berücksichtigt. Rückblickend auf bisherige Analysen ist zu vermuten, dass sich die erwarteten Effekte weitestgehend bei Mutter-Tochter-Konstellationen nachweisen lassen. Diese Vermutung lässt sich bestätigen. Bei Mutter-Tochter-Dyaden lassen sich allerdings widersprüchliche Resultate beobachten. Während die Stärke des Zusammenhangs zwischen Lesedauer der Mutter und Lesedauer der Tochter (bezogen auf die Lektüre insgesamt) mit zunehmenden Zeitrestriktionen abnimmt und bei Dyaden mit Vollzeit erwerbstätigen Müttern auf ein nicht signifikantes Niveau sinkt, deuten die Werte bezogen auf die Abendlektüre in die gegenläufige Richtung: Lesedauer von Vollzeit-Erwerbstätigen und Lesedauer von Töchtern korrelieren mit rp = 0,421 relativ stark, wohingegen dieser Wert bei Dyaden mit nichterwerbstätigen Müttern sich weit unterhalb dieses Niveaus bewegt (rp = 0,266). In Vollzeit erwerbstätige Mütter widmen sich möglicherweise insbesondere am Abend der Lektüre und dann unter Umständen weit intensiver als Teilzeit- Erwerbstätige oder Nichterwerbstätige, die annahmegemäß insgesamt über eine höhere zeitliche Flexibilität verfügen. Daraus folgt eine vergleichsweise nachhaltige Wirkung des Lesevorbildes Vollzeit erwerbstätiger Mütter auf die Lesesozialisation von Töchtern am Abend. Auch Bettina Hurrelmann u.a. konnten bereits nachweisen, dass Kinder, deren Eltern gewöhnlich abends vor dem Einschlafen lesen, gleichfalls diese Gewohnheiten übernehmen (1993, 118f.). Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Lesesozialisation ist in der aktuelleren Lesesozialisationsforschung stets mit Fragestellungen verbunden, welche sich auf das Lesen in Relation zum sonstigen Mediengebrauch beziehen (vgl. z.B. Eggert u. Garbe 1995, 7). Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf die Relation zwischen Lesen und Fernsehen. Der nachfolgende
154
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Abschnitt konzentriert sich abschließend auf den Einfluss des Elternvorbildes auf die Fernsehgewohnheiten der Kinder. 5.3.2.2 Einfluss des Elternvorbildes auf die Fernsehgewohnheiten der Kinder Diese Ausführungen basieren zum einen auf der Überlegung, dass das Fernsehvorbild der Eltern (in Analogie zum Lesevorbild) die Fernsehdauer der Kinder positiv beeinflusst und damit auch eine indirekte Wirkung auf die Lesesozialisation entfaltet (Hypothese 6). Zum anderen wird argumentiert, dass Fernsehen stärker in den Familienalltag eingebunden ist als Lesen (Hypothese 11). Demzufolge ist von einem vergleichsweise höheren Einfluss des Elternvorbildes auf die Fernsehgewohnheiten der Kinder auszugehen. In Anlehnung an vorherige Analysen wurde überdies unterstellt, dass sich bezüglich dieses Zusammenhangs Unterschiede nach Alter und Geschlecht beobachten lassen. Die Dimensionen Elternvorbild, Alter und Geschlecht rücken damit erneut in den Vordergrund. Der Bildungseinfluss wurde analog zur bisherigen Vorgehensweise kontrolliert. Die in Tabelle 33 dokumentierten Werte beziehen sich auf Mutter-Kind-Konstellationen. Tabelle 33: Zusammenhang zwischen Fernsehdauer von Müttern und Kindern nach Alter und Geschlecht Söhne (n = 376)
Töchter (n = 282)
Fernsehen
alle (N = 758) insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
alle
0,364**
0,300**
0,335**
0,313
0,397**
0,288**
10 bis 11 (n=158)
0,319**
0,152
0,254*
0,038
0,370**
0,290*
12 bis 15 (n=390)
0,345**
0,369**
0,248**
0,323**
0,443**
0,412**
16 bis 19 (n=211)
0,427**
0,308**
0,466**
0,408**
0,395**
0,206
Alter (in Jahren)
Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ der Mutter gewichtet. Der Bildungseinfluss wurde herausgerechnet. **p < .01, *p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Insgesamt stimmen die Ergebnisse mit der Überlegung überein, dass das Vorbild der Eltern bzw. der Mutter die Fernsehdauer der Kinder positiv beeinflusst (Hypothese 6). Die Werte liegen mit rp = 0,364 (Fernsehen/insgesamt) sowie rp = 0,300 (Abendfernsehen) auf einem vergleichsweise hohen Niveau: Die Fernsehdauer der Mütter korreliert insgesamt stärker mit der Fernsehdauer der Kinder als dies im Falle der Lesedauer beobachtet wurde. Dies lässt sich unter anderem damit erklären, dass die Aktivität des Fernsehens generell in stärkerem Maße in das Familienumfeld eingebettet ist als die Tätigkeit des Lesens. Wie bereits nachgewiesen wurde, wird häufiger mit anderen zusammen ferngesehen als im Beisein von anderen gelesen. In zeitlicher Hinsicht verbringen die einzelnen Familienmitglieder darüber hinaus insgesamt mehr Zeit mit Fernsehen als mit Lesen. Unter Berücksichtigung des Alters findet sich unterdessen kein Hinweis auf die Forschungsannahme, dass der Elterneinfluss auf die Lesesozialisation mit zunehmendem Alter
155
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
der Kinder sinkt (Hypothese 9). Vielmehr deuten die Werte darauf hin, dass die Wirkung des Elternvorbildes (hier: der Mutter) im Laufe der sekundären Sozialisation zunimmt und somit von einem längerfristigen Sozialisationseffekt gesprochen werden kann. Eine alternative Begründung findet sich mit Blick auf die veränderte Medienausstattung der Kinder mit zunehmendem Alter: Laut der JIM-Studie 2002 besitzen im Jahre 2002 56 Prozent der Zwölf- bis 13-Jährigen ein eigenes Fernsehgerät, während dieser Anteil bei 18- bis 19-Jährigen bereits um 16 Prozentpunkte darüber lag (72 Prozent) (vgl. MPFS 2003a, 15). Der Besitz eines eigenen Fernsehgerätes wirkt sich annahmegemäß positiv auf die Dauer der Fernsehnutzung bei Heranwachsenden aus. Indirekt mag sich dies in einem höheren Wert, wie in Tabelle 33 dokumentiert, niederschlagen. Unter Berücksichtigung des Geschlechts zeigt sich nur ein unwesentlicher Unterschied zwischen Töchtern und Söhnen. Diese geringe Differenz lässt sich kaum sinnvoll interpretieren, auch in Anbetracht dessen, dass sich Mädchen und Jungen generell hinsichtlich ihrer durchschnittlichen Fernsehdauer relativ ähnlich sind (vgl. z.B. Krotz u.a. 1999, 103). Erst durch die gleichzeitige Betrachtung der Dimensionen Geschlecht und Alter ergeben sich Diskrepanzen zwischen Mutter-Sohn-Dyaden und Mutter-Tochter-Dyaden, insbesondere mit Blick auf die Fernsehdauer am Abend. Während im erstgenannten Fall die Ergebnisse mit den oben diskutierten übereinstimmen, d.h. die Stärke des Zusammenhangs mit steigendem Alter zunimmt, lässt sich dies mit Blick auf Mutter-Tochter-Dyaden nicht eindeutig nachweisen. Spitzenwerte zeigen sich hier bei Konstellationen mit Töchtern der mittleren Altersgruppe, mit rp = 0,443 für die Fernsehdauer insgesamt und rp = 0,412 für die Fernsehdauer am Abend. Demgegenüber lassen sich annähernd gleich hohe Werte bei der jüngeren und älteren Altersgruppe beobachten. Die Analysen wurden mit Vater-Kind-Dyaden repliziert; die soeben diskutierten Ergebnisse lassen sich weitestgehend reproduzieren. Differenziert nach Geschlecht zeigt sich allerdings für Konstellationen mit 16- bis 19-jährigen Söhnen, dass das Vorbild des Vaters die Fernsehdauer in höherem Maße beeinflusst als das Vorbild der Mutter. In dieser Altersgruppe liegen die Werte mit rp = 0,600 (Fernsehen/insgesamt) und rp = 0,658 (Fernsehen am Abend) auf einem relativ hohen Niveau. Zumindest im Fall der Fernsehdauer findet sich ein Beleg für die Überlegung, dass Töchter das Vorbild der Mutter und Söhne das Vorbild des Vaters mit höherer Wahrscheinlichkeit imitieren als umgekehrt (vgl. Tabelle 34). Tabelle 34: Zusammenhang zwischen Fernsehdauer von Vätern und Kindern nach Alter und Geschlecht alle
Söhne (n = 376)
Töchter (n = 282)
Fernsehen
insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
alle (N = 758) Alter (in Jahren)
0,370**
0,328**
0,357**
0,328**
0,384**
0,329**
10 bis 11 (n = 158)
0,229**
0,094
0,091
-0,013
0,225*
0,209*
12 bis 15 (n = 390)
0,396**
0,392**
0,319**
0,334**
0,472**
0,507**
16 bis 19 (n= 211)
0,428**
0,360**
0,600**
0,658**
0,261*
0,055
Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ der Mutter gewichtet. Der Bildungseinfluss wurde herausgerechnet. **p < .01, *p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
156
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
In summa konnte gezeigt werden, dass der „Sozialisationseffekt“ des Fernsehens insgesamt stärker ist als der des Lesens, auch in Übereinstimmung mit der These, dass das Fernsehen sowohl in zeitlicher als auch in „sozialer“ Hinsicht stärker in den Familienalltag eingebunden ist als das Lesen. Die Vermutung, dass der Elterneinfluss auf die Lesesozialisation abnimmt, lässt sich lediglich im Fall der Mutter-Kind-Dyade und bezüglich der Lesedauer (insgesamt) verifizieren. Die Daten deuten vielmehr darauf hin, dass mit steigendem Alter der Zusammenhang zwischen Elternvorbild und Lesesozialisation zunimmt. Dies gilt im Besonderen für die Fernsehnutzung. Darüber hinaus scheint das Lesevorbild der Eltern ausschließlich die Lesegewohnheiten von Töchtern bedeutend zu beeinflussen. Keine grundlegenden Geschlechtsunterschiede lassen sich bezüglich der Sozialisation zur Fernsehnutzung beobachten. 5.4 Zweidimensionale Familienkonstellationen Dieser Untersuchung liegt der Gedanke zu Grunde, dass beide Eltern eine zentrale Rolle innerhalb der Lesesozialisation einnehmen. Nur vereinzelt wurde bisher jedoch nachgewiesen, dass neben der Mutter auch der Vater für die Lesesozialisation von hoher Bedeutung ist (etwa bei Bonfadelli u. Saxer 1986, 84; Bucher 2004, 160f.). Die Mutter wird in der Regel als die zentrale Bezugsperson für die Lesesozialisation bezeichnet (vgl. z.B. Hurrelmann, B. u.a. 1993, 34; Harmgarth 1999, 31; Hurrelmann, B. u.a. 2005, 329). Darüber hinaus verbringen Mütter gewöhnlich insgesamt mehr Zeit mit Kindern als Väter. Wie bereits dargelegt wurde, verbringen sie zumindest an Werktagen durchschnittlich rund eine halbe Stunde mehr Zeit als Väter mit Interaktionen, gemessen am Zeitbudget für Gespräche und gemeinsame Mahlzeiten mit Kindern. Gleichzeitig wurde aber auch gezeigt, dass sich Mütter und Väter in ihrer durchschnittlichen Interaktionszeit, zumindest an Wochenendtagen, annähern (vgl. Tabelle 24). Dies spricht für eine gemeinsame Betrachtung von Müttern und Vätern innerhalb dieser Fragestellung. Die folgenden Analysen beziehen sich auf Familientypen der Lesesozialisation. Typologien, in der Methodenliteratur auch als multidimensionale Formen der Klassifikation bekannt (vgl. Bailey 1994, 4), werden in der Lesesozialisationsforschung relativ häufig eingesetzt (z.B. bei Fritz 1991, 51ff.; Hurrelmann, B. u.a. 1993, 95ff.; Tullius 2001, 61ff.; Böck u. Wallner-Paschon 2002, 19ff.; Hurrelmann, B. u.a. 2005, 329ff.; Jäckel u. Wollscheid 2006, 591). Im ersten Teil dieses Kapitels werden Familienkonstellationen144 untersucht, die sich weiter in Mutter-Kind-Dyaden und Vater-Kind-Dyaden untergliedern. Ausgehend von der Familienebene wurden diese vorab hinsichtlich der internen Dimensionen Elternvorbild und Interaktionen strukturiert (Kapitel 5.4.1). Im zweiten Teil wird ein Perspektivenwechsel vorgenommen, indem Eltern-Kind-Triaden anstelle von Eltern-Kind-Dyaden betrachtet werden, mit der Absicht, den gemeinsamen Einfluss von Mutter und Vater auf die Lesesozialisation zu studieren. Die Analyse von Auswirkungen familialer Interaktionen auf die Lesesozialisation hat im Rahmen dieser Untersuchung bislang einen vergleichsweise bescheidenen Erklärungsbeitrag geliefert, so dass die Dimension „Interaktion“ in diesem Teilkapitel analytisch ausgeblendet wird. Gleichzeitig haben die theoretischen Vorüberlegungen nahegelegt, beide Eltern hinsichtlich 144 Die Begriffe „Eltern-Kind-Dyade“ bzw. „Eltern-Kind-Triade“, „Typ“, „Konstellation“, „Gruppierung“ werden im Folgenden als Synonyme verwendet.
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
157
ihres Vorbildverhaltens zu betrachten. Dies wirft die Frage auf, inwieweit Mutter und Vater – insbesondere in ihrer Beziehung zueinander – die Lesesozialisation von Tochter und/oder Sohn tangieren (Kapitel 5.4.2). Aus Gründen der Komplexitätsreduktion konzentrieren sich die Analysen auf die Lesesozialisation im engeren Sinne. Es werden ausschließlich Lesezeitbudgets betrachtet, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Familienkonstellationen herauszuarbeiten. Ziel dieses Kapitels ist es, ungleiche Chancen der familialen Lesesozialisation zu identifizieren, welche sich an internen und externen Dimensionen festmachen lassen. 5.4.1 Eltern-Dyaden differenziert nach Interaktion und Elternvorbild Ausgangpunkt dieses Teilkapitels bilden die theoretischen Überlegungen, dass sich Kinder umso eher zu regelmäßigen Lesern entwickeln, je häufiger sie mit Eltern interagieren, und dass sie umso mehr lesen, je mehr ihre Eltern lesen bzw. je häufiger ihre Eltern als Lesevorbild präsent sind. Daran anknüpfend soll im Wesentlichen der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit das Elternvorbild einen größeren Einfluss auf die Lesesozialisation von Kindern nimmt, je häufiger Eltern und Kinder im Alltag interagieren (Hypothese 7).145 Lesevorbild und Interaktionen als Dimensionen der Lesesozialisation sollen somit gemeinsam und in ihrer Beziehung zueinander betrachtet werden. Interaktionen in der Familie wurden erfasst über das Zeitbudget, das Mütter bzw. Väter und Kinder für gemeinsame Gespräche und Mahlzeiten aufwenden. Das Lesevorbild der Eltern wurde an der mittleren Lesedauer von Müttern bzw. Vätern gemessen. Ausgehend von Durchschnittswerten (über drei Tagebuchtage berechnet)146, wurden vorab – sowohl für Mutter-Kind-Dyaden als auch für Vater-Kind-Dyaden – jeweils neun Typen der Lesesozialisation gebildet, die sich hinsichtlich der Interaktionsdauer sowie der Lesedauer der Eltern voneinander unterscheiden: Vielleser/hohe Interaktion (Typ 1), Vielleser/mittlere Interaktion (Typ 2), Vielleser/geringe Interaktion (Typ 3), Durchschnittsleser/hohe Interaktion (Typ 4), Durchschnittsleser/mittlere Interaktion (Typ 5), Durchschnittsleser/geringe Interaktion (Typ 6), Wenigleser/hohe Interaktion (Typ 7), Wenigleser/mittlere Interaktion (Typ 8), Wenigleser/geringe Interaktion (Typ 9). Diese Typen lassen sich innerhalb der nachfolgenden Abbildung einordnen.
145 Es ist anzunehmen, dass beispielsweise Bücher bzw. deren Inhalte umso eher Gegenstand von Gesprächen im Familienzusammenhang sind, je häufiger Eltern lesen. Dies wirkt sich zusätzlich positiv auf die Lesesozialisation aus. Darüber lassen sich auf Grundlage der vorliegenden Daten allenfalls Vermutungen anstellen. 146 Diese Werte repräsentieren annahmegemäß einen durchschnittlichen Wochentag (vgl. hierzu Kapitel 4.2.2).
158 Abbildung 8:
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion Typologie der Lesesozialisation nach Lesevorbild und Interaktionen Lesevorbild: Lesedauer
+
Vielleser/ geringe Interaktion
Vielleser/ hohe Interaktion Interaktionen
-
Durchschnitt
+ Wenigleser/ hohe Interaktion
Wenigleser/ geringe Interaktion
Quelle: Eigene Erstellung.
Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden lediglich die vier Extremtypen (Typen 1, 7, 9, 3) explizit den vier Feldern des Koordinatenkreuzes zugeordnet. Vielleser werden kategorisiert, indem der Durchschnittswert (jeweils auf- oder abgerundet auf 30 Minuten) mit dem Faktor 1,5 multipliziert wurde. In diesem Fall ergibt sich ein Wert von etwa 45 Minuten (30 Minuten * 1,5). Bei Weniglesern wurde der Durchschnittswert mit dem Faktor 0,5 multipliziert. Dementsprechend sind mit Weniglesern diejenigen Personen gemeint, die 15 Minuten (30 Minuten * 0,5) oder weniger im Durchschnitt lesen. Durch diese Vorgehensweise ist gewährleistet, dass sich Wenig- und Vielleser durch einen gleichen Abstand vom Durchschnittswert (eine Viertelstunde) unterscheiden. Die Entscheidung für diese Berechnungsformel beruht vor allem auf forschungstechnischen Überlegungen: Das Statistische Bundesamt empfiehlt eine Mindestfallzahl von 30 Personen (bzw. 50 Tagebuchtage) im Rahmen der Ergebnisdarstellung, um annähernd interpretationsfähige Aussagen treffen zu können (vgl. Statistisches Bundesamt 2005, 3). Da die einzelnen Typen nochmals hinsichtlich soziodemographischer Merkmale (z.B. Bildung) beschrieben werden sollen, wurde diese Grenze hier auf etwa 50 Personen pro Familientyp erhöht. Bei Mutter-Kind-Dyaden wurde in Bezug auf die Dimension „Interaktionen“ aufgrund zu niedriger Fallzahlen bei einzelnen Typen (siehe oben) von dieser Berechnungsformel abgewichen (vgl. hierzu: Kapitel 4.2.2.1). Obwohl Mütter im Durchschnitt 80 Minuten für Gespräche und gemeinsame Mahlzeiten mit Kindern aufwenden, wurde der obere Grenzwert bei 90 (anstatt bei 120 Minuten) und der untere Grenzwert bei 45 Minuten festgelegt. Hätte man an der ursprünglichen Berechnungsformel festgehalten und die Obergrenze bei 120 Minuten fixiert, würde etwa die Konstellation „Vielleser/hohe Interaktion“ nur 37 Fälle inkludieren. Weiterführende Analysen hätten damit kaum zu aussagekräftigen Ergebnissen geführt. Durch diese Vorgehensweise konnte die Fallzahl immerhin auf 80 erhöht werden, was eine Untergliederung der einzelnen Typen nach Bildung und Erwerbstätigenstatus erlaubt. Bei Vater-Kind-Dyaden konnte die
159
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
herkömmliche Strategie beibehalten und auf Basis des Mittelwertes (M = 60 Minuten) eine Untergrenze von 30 Minuten (Interaktion/gering) und eine Obergrenze von 90 Minuten (Interaktion/hoch) bestimmt werden. Die beiden Typologien werden zunächst in ihrer prozentualen Verteilung dargestellt. Tabelle 35: Eltern-Kind-Dyaden nach Lese- und Interaktionsdauer (in Prozent) Typ
Mutter-Kind (N = 757)
Vater-Kind (N = 757)
n
n
%
%
1: Vielleser/hohe Interaktion
80
10,6
41
5,4
2: Vielleser/mittlere Interaktion
80
10,6
105
13,9
3: Vielleser/geringe Interaktion
57
7,5
40
5,3
4: Durchschnittsleser/hohe Interaktion
96
12,7
55
7,3
5: Durchschnittsleser/mittlere Interaktion
120
15,9
145
19,1
6: Durchschnittsleser/geringe Interaktion
67
8,9
66
8,7
7: Wenigleser/hohe Interaktion
93
12,3
53
7,0
8: Wenigleser/mittlere Interaktion
95
12,5
175
23,1
9: Wenigleser/geringe Interaktion
69
9,1
78
10,3
Mutter-Kind-Dyade: Vielleser > = 45 Min.; Durchschnittsleser: > 15 bis < 45 Min.; Wenigleser: < = 15 Min.; hohe Interaktion: > = 90 Min.; mittlere Interaktion: > 45 bis < 90 Min.; geringe Interaktion: < = 45. Vater-Kind-Dyade: Vielleser > = 45 Min.; Durchschnittsleser: > 15 bis < 45 Min.; Wenigleser: <= 15 Min.; hohe Interaktion: > = 90 Min.; mittlere Interaktion: > 30 bis < 90 Min.; geringe Interaktion: < = 30. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Bei Mutter-Kind-Dyaden machen Durchschnittsleser mit mittlerer Interaktion (Typ 5) mit 15,9 Prozent den größten Anteil an der Gesamtstichprobe aus, gefolgt vom Durchschnittsleser mit hoher Interaktion (Typ 4) mit 12,7 Prozent. Die kleinste Gruppierung bilden Vielleser mit geringer Interaktion mit 7,5 Prozent (Typ 3). Insgesamt verteilen sich die neun Typen jedoch relativ gleichmäßig über die Gesamtstichprobe. Mit Blick auf Vater-Kind-Dyaden ergibt sich ein anderes Bild mit relativ großen Gruppierungen einerseits (z.B. Typ 5, Typ 8) und sehr kleinen Gruppierungen andererseits (z.B. Typ 1, Typ 3). Obgleich vor diesem Hintergrund eine geringere Ergebnisqualität, zumindest in statistischer Hinsicht, zu erwarten ist, werden Vater-Kind-Konstellationen nicht vernachlässigt. Mit Blick auf den gegenwärtigen Forschungsstand lässt die Konzentration auf Vater-Kind-Dyaden interessante und neuartige Befunde erwarten, da es sich hierbei, wie soeben erwähnt, um ein weitgehend vernachlässigtes Forschungsterrain handelt. Im ersten Schritt werden Eltern-Kind-Dyaden in ihrer Verteilung nach Bildung und Erwerbstätigkeitsstatus dargestellt, um den Zusammenhang zwischen externen (Bildung und Zeit) und internen Dimensionen (Interaktionen und Lesevorbild) der Lesesozialisation zu analysieren. Im zweiten Schritt werden die Kinder, die sich diesen Familienkonstellationen zuordnen lassen, hinsichtlich ihrer Lesegewohnheiten untersucht. Abschließend werden die Analysen der Lesesozialisation um weitere Dimensionen ergänzt, wie etwa die Unterscheidung nach Werk- und Wochenendtagen sowie Geschlecht.
160
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
5.4.1.1 Mutter-Kind-Dyaden Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf Mutter-Kind-Dyaden. Es wurde zunächst überprüft, ob sich die neun Mutter-Kind-Dyaden hinsichtlich ihrer Verteilung nach Bildung und Zeitressourcen signifikant voneinander unterscheiden. Als statistisches Verfahren sind Kontingenzanalysen geeignet. Diese dienen dazu, Zusammenhänge zwischen kategorialen Variablen zu untersuchen (vgl. z.B. Backhaus u.a. 2006, 230). Bezüglich der Bildung unterscheiden sich die neun Typen signifikant. Tabelle 36: Mutter-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Bildung (in Prozent) Bildung1) Typ (N = 757)
niedrig
mittel
hoch
1: Vielleser/hohe Interaktion (n = 80)
17,3
67,3
15,4
2: Vielleser/mittlere Interaktion (n = 57)
25,0
45,8
29,2
3: Vielleser/geringe Interaktion (n = 69)
32,4
52,9
14,7
4: Durchschnittsleser/hohe Interaktion (n = 93)
32,7
51,0
16,3
5: Durchschnittsleser/mittlere Interaktion (n = 80)
41,1
41,1
17,8
6: Durchschnittsleser/geringe Interaktion (n = 96)
50,0
38,9
11,1
7: Wenigleser/hohe Interaktion (n = 120)
33,3
58,7
7,9
8: Wenigleser/mittlere Interaktion (n = 67)
40,9
43,9
15,2
9: Wenigleser/geringe Interaktion (n = 95)
23,9
56,5
19,6
33,2
50,5
16,3
Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet. 1)
Es wurde ein Bildungsindex gebildet, indem die Angaben zur formalen Schulbildung der Mutter und des Vaters (Fachabitur/Abitur = 3, Realschule/mittlerer Abschluss = 2, Hauptschule = 3) addiert und durch zwei dividiert wurden. Aus diesen Werten wurden die Kategorien hoch (= 3), mittel (= 2; 2,5) und niedrig (= 1; 1,5) gebildet (vgl. Kapitel 3.1.3) Kontingenzanalyse: χ2 (9, N = 758) = 27,606, *p < .05, Cramer’s V = .172. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Aus Tabelle 36 geht hervor, dass Mütter mit mittlerer Bildung in der ersten Konstellation (Vielleser/hohe Interaktion) gegenüber der Gesamtstichprobe (50,5 Prozent) mit 67,3 Prozent weit überrepräsentiert sind. Demgegenüber sind diejenigen mit niedriger Bildung mit 17,3 Prozent stark unterrepräsentiert. Mütter mit hoher Bildung sind mit 29,2 Prozent überdurchschnittlich häufig in der zweiten Konstellation (Vielleser/mittlere Interaktion) zu finden (Gesamtstichprobe: 16,3 Prozent). Diejenigen mit geringer Bildung sind überproportional in Konstellationen vertreten, die sich durch eine durchschnittliche Lesedauer sowie eine geringe oder mittlere Interaktionsdauer beschreiben lassen (Typ 5, Typ 6) sowie in Gruppierungen mit Weniglesern und durchschnittlicher Interaktionsdauer (Typ 8). Mütter mit niedriger Bildung finden sich erwartungsgemäß überdurchschnittlich häufig in Konstellationen, die sich durch eine mittlere oder niedrige Ausprägungen der beiden Dimensionen beschreiben lassen, wohingegen Mütter mit mittlerer oder hoher Bildung generell überproportional in solchen Konstellationen vertreten sind, die sich durch
161
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
eine längere Lese- und Interaktionsdauer beschreiben lassen. Tendenziell spiegeln sich Bildungsunterschiede in dieser Typologie erwartungsgemäß wider, obgleich diese nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Anschließend werden die neun Mutter-Kind-Dyaden in ihrer Verteilung nach zeitlichen Ressourcen dargestellt. Dem unterliegt der Gedanke, dass die Zeitdimension sowohl die Lesedauer der Mutter (Lesevorbild) als auch die Interaktionsdauer positiv beeinflusst. Die Zeitdimension wurde zunächst über den Erwerbstätigenstatus der Mutter operationalisiert. Hinsichtlich des Erwerbstätigenstatus unterscheiden sich die neun Typen signifikant. Während in Vollzeit erwerbstätige Mütter tendenziell überdurchschnittlich häufig bei Typen mit Weniglesern und gering Interagierenden zu finden sind (Typ 6, Typ 9), sind Nichterwerbstätige oder in Teilzeit Erwerbstätige, die über relativ viel frei disponible Zeit verfügen, überproportional in solchen Konstellationen vertreten, die sich durch gegenläufige Zeitmuster beschreiben lassen. Beispielsweise sind annähernd zwei Drittel der Vielleser mit langer Interaktionsdauer (Typ 1) nichterwerbstätig, während nur ein vergleichsweise geringer Teil in dieser Gruppierung (7,7 Prozent) Vollzeit erwerbstätig ist. Tabelle 37: Mutter-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Erwerbstätigenstatus der Mutter (in Prozent) Erwerbstätigenstatus Typ (N = 757)
nichterwerbstätig
in Teilzeit
1: Vielleser/hohe Interaktion (n = 80)
59,6
32,7
in Vollzeit 7,7
2: Vielleser/mittlere Interaktion (n = 57)
43,8
43,8
12,5
3: Vielleser/geringe Interaktion (n = 69)
45,7
40,0
14,3
4: Durchschnittsleser/hohe Interaktion (n = 93)
28,6
53,1
18,4
5: Durchschnittsleser/mittlere Interaktion (n = 80)
34,7
48,6
16,7
6: Durchschnittsleser/geringe Interaktion (n = 96)
20,0
48,6
31,4
7: Wenigleser/hohe Interaktion (n = 120)
42,9
39,7
17,5
8: Wenigleser/mittlere Interaktion (n = 67)
39,4
40,9
19,7
9: Wenigleser/geringe Interaktion (n = 95)
17,8
42,2
40,0
37,6
43,2
19,1
Anmerkung: Die Werte sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet. Kontingenzanalyse: χ2 (9, N = 758) = 39,056, *p < .01, Cramer’s V = .205 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Als weiterer Indikator der Zeitdimension wurde die durchschnittliche Erwerbsarbeitsdauer der Mutter in Minuten (über drei Tage berechnet) herangezogen. Zeitrestriktionen sollen damit präziser erfasst werden. Da die Erwerbsarbeitsdauer (abhängige Variable) metrisch skaliert ist, wurde eine eindimensionale Varianzanalyse verwendet. Auch hier liegen statistisch signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Typen vor. Viel lesende Mütter, die überdurchschnittlich häufig mit ihren Kindern interagieren (Typ 1), verbringen im Durchschnitt z.B. relativ wenig Zeit mit Erwerbstätigkeit, während diejenigen, die der neunten Konstellation (Wenigleser/geringe Inter¬aktion) angehören,
162
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
sich durch überdurchschnittlich lange Erwerbszeiten (M = 211 Minuten) charakterisieren lassen (vgl. Tabelle 38). Tabelle 38: Mutter-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Erwerbsarbeitszeit der Mutter Erwerbsarbeitszeit Typ (N = 757)
M
SD
1: Vielleser/hohe Interaktion (n = 80)
35**
71
2: Vielleser/mittlere Interaktion (n = 57)
89**
126
3: Vielleser/geringe Interaktion (n = 69)
102**
134
86**
107
4: Durchschnittsleser/hohe Interaktion (n = 93) 5: Durchschnittsleser/mittlere Interaktion (n = 80)
114**
137
6: Durchschnittsleser/geringe Interaktion (n = 96)
182**
177
7: Wenigleser/hohe Interaktion (n = 120)
100**
124
8: Wenigleser/mittlere Interaktion (n = 67)
102**
150
9: Wenigleser/geringe Interaktion (n = 95)
211**
177
2
Eta
.107
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Angaben sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet. **p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Der geringe Wert der ersten Konstellation (M = 35 Minuten) lässt sich darauf zurückführen, dass rund zwei Drittel der zugehörigen Mütter nichterwerbstätig und nur 7,7 Prozent in Vollzeit erwerbstätig sind (vgl. Tabelle 37). Generell scheinen damit Zeitrestriktionen sowohl die Lesedauer als auch die Interaktionsdauer zwischen Müttern und Kindern zu reduzieren: In Gruppierungen mit Weniglesern und/oder Weniginteragierenden liegt der Anteil der in Vollzeit erwerbstätiger Mütter prinzipiell über dem Durchschnitt von 19,1 Prozent. So liegt dieser Anteil in der neunten Gruppierung bei 40 Prozent. Daran schließt sich die Frage an, inwieweit sich die Kinder dieser Mutter-KindDyaden mit Blick auf ihre Lesesozialisation unterscheiden. Als Indikatoren werden die durchschnittliche Lesedauer insgesamt sowie die Lesedauer am Abend von Kindern herangezogen. Es wird erwartet, dass sich durch die gleichzeitige Betrachtung der beiden internen Dimensionen Lesevorbild und Interaktion bisherige Befunde weiter ausdifferenzieren lassen. Zur Überprüfung dieser Zusammenhänge wurden Varianzanalysen verwendet.
163
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion Tabelle 39: Lesedauer von Kindern in Mutter-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ Lesen
insgesamt
am Abend
Typ (N = 757)
M
SD
M
SD
1: Vielleser/hohe Interaktion (n = 80)
39**
47
14
23
2: Vielleser/mittlere Interaktion (n = 57)
36**
38
10
15
3: Vielleser/geringe Interaktion (n = 69)
22**
32
7
13
4: Durchschnittsleser/hohe Interaktion (n = 93)
33**
39
10
15
5: Durchschnittsleser/mittlere Interaktion (n = 80)
25**
35
10
17
6: Durchschnittsleser/geringe Interaktion (n = 96)
25**
36
9
13
7: Wenigleser/hohe Interaktion (n = 120)
19**
28
6
11
8: Wenigleser/mittlere Interaktion (n = 67)
18**
28
7
13
9: Wenigleser/geringe Interaktion (n = 95)
18**
34
5
15
Eta2
.043
.026
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Angaben sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ des Kindes gewichtet. **p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Kinder, die sich den einzelnen Dyaden zuordnen lassen, unterscheiden sich erwartungsgemäß signifikant hinsichtlich ihrer Lesedauer insgesamt. Diejenigen der ersten Konstellation lesen etwa täglich durchschnittlich 39 Minuten, gefolgt von Kindern der zweiten Konstellation (M = 36 Minuten). Letztgenannte unterscheiden sich von Kindern der ersten Konstellation durch eine mittlere anstatt einer hohen Interaktionsdauer. In Konstellationen mit wenig lesenden Müttern (Typen 7, 8, 9) verbringen Kinder mit etwas weniger als 20 Minuten rund 50 Prozent weniger Zeit mit Lesen als Kinder der ersten Konstellation. Dieser Befund lässt sich als eindeutiger Hinweis für die Hypothese interpretieren, dass sich die Lesedauer der Eltern positiv auf die Lesedauer der Kinder auswirkt (Hypothese 6). Des Weiteren interessiert der Zusammenhang, dass das Elternvorbild einen höheren Einfluss auf die Lesegewohnheiten der Kinder entfaltet, je häufiger Eltern und Kinder im Alltag interagieren. Mit Blick auf die dritte Konstellation (Vielleser/geringe Interaktion) findet sich ein Indiz für diesen Zusammenhang. Der relative niedrige Wert von 22 Minuten lässt sich dadurch erklären, dass der Einfluss des Lesevorbildes durch eine vergleichsweise geringe Interaktionsdauer quasi neutralisiert wird. Eine weitere Erklärung ergibt sich durch eine nähere Betrachtung der Bildungsverteilung. In der dritten Gruppierung sind Mütter mit hoher Bildung leicht unterrepräsentiert, was sich in Erwartung der Theorie negativ in der Lesedauer der Kinder ausdrückt. Daraus lässt sich folgern, dass weder Lesevorbild noch Interaktionen zwischen Müttern und Kindern im Einzelnen genügen, um die Lesedauer der Kinder zu erhöhen. Eine überdurchschnittlich lange Lesedauer der Mutter scheint eine unterdurchschnittlich niedrige Ausprägung der Interaktionsdauer offenbar nicht auszugleichen. Wie bereits dargelegt (vgl. Kapitel 5.3), hat das Lesevorbild der Eltern insgesamt eine höhere Wirkung auf die Lesesozialisation als familiale Interaktionen, gemessen an der Zeit, die mit Gesprächen und gemeinsamen Mahlzeiten verbracht wird. Kinder, die mit wenig
164
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
lesenden Müttern aufwachsen, unterscheiden sich ungeachtet der Interaktionsdauer nur unwesentlich in ihrer Lesedauer. Offenbar liegt in diesen Fällen kein bedeutender Zusammenhang zwischen Interaktionsdauer und Lesesozialisation vor. Die Vermutung, dass Interaktionen in der Familie die Lesedauer der Kinder anregen (Hypothese 4), lässt sich hier nicht weiter untermauern. Bezüglich der Abendlektüre liegen keine statistisch signifikanten Unterschiede vor, wobei sich die Ergebnisse dennoch in Einklang mit theoretischen Überlegungen interpretieren lassen: Kinder der ersten Gruppierung lesen mit 14 Minuten im Durchschnitt am Abend vier Minuten länger als diejenigen der zweiten Gruppierung, die sich unter den gleichen Bedingungen bezüglich der Lesedauer nur durch eine mittlere Interaktionsdauer (im Vergleich zu einer hohen) von der ersten Gruppierung unterscheidet. Die Analyse wird nun um den Einfluss der Zeitdimension ergänzt, indem im Zuge einer zweifaktoriellen Varianzanalyse die Lesedauer von Kindern der neun Dyaden an Werk- und Wochenendtagen berechnet wurde (vgl. Tabelle 40). Tabelle 40: Lesedauer von Kindern in Mutter-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Wochentag Werktag
Wochenendtag
Lesen
insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
Typ (N=757)
M
SD
M
SD
M
SD
M
SD
1: Vielleser/hohe Interaktion (n = 80)
35**
53
17*
32
46**
64
8*
22
2: Vielleser/mittlere Interaktion (n = 57)
31**
46
12*
24
46**
63
7*
17
3: Vielleser/geringe Interaktion (n = 69)
23**
40
7*
17
21**
44
7*
23
4: Durchschnittsleser/hohe Interaktion (n = 93)
29**
41
10*
21
41**
59
9*
20
5: Durchschnittsleser/mittlere Interaktion (n = 80)
25**
41
11*
25
26**
48
7*
19
6: Durchschnittsleser/geringe Interaktion (n = 96)
24**
40
9*
17
24**
42
7*
16
7: Wenigleser/hohe Interaktion (n = 120)
13**
30
5*
16
30**
54
7*
17
8: Wenigleser/mittlere Interaktion (n = 67)
18**
38
8*
19
18**
33
5*
16
9: Wenigleser/geringe Interaktion (n=95)
18**
43
7*
23
20**
43
2*
9
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Angaben sind mit dem Faktor „Zeitverwendung-Struktur“ des Kindes gewichtet. **p < .01, *p < .05. Lesen insgesamt: Eta2 = 026. .Abendlektüre: Eta2 =.014. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
In vorausgehenden Analysen konnte bereits gezeigt werden, dass sich Kinder in ihrer durchschnittlichen Lesedauer an Werk- und Wochenendtagen generell kaum voneinander unterscheiden (vgl. Kapitel 5.1). Dieses Ergebnis konnte für fünf der ingesamt neun Typen repliziert werden (Typen 3, 5, 6, 8, 9). Dieses Muster zeichnet sich damit primär in Familienkonstellationen mit relativ ungünstigen bzw. mittelmäßigen Rahmenbedingungen der Lesesozialisation ab. Die Zeitdimension scheint hier also keinen positiven Einfluss auf die Lesesozialisation zu nehmen. In Vielleser-Konstellationen mit hoher und mittlerer Interaktion (Typ 1; Typ 2) sowie in der vierten Konstellation (Durchschnittsleser/hohe Interaktion) lassen sich jedoch sicht-
165
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
bare Unterschiede der Lesedauer zwischen Werk- und Wochenendtagen erkennen. Insbesondere an Werktagen wirken sich Zeitrestriktionen offensichtlich hemmend auf die durchschnittliche Lesezeit aus, wohingegen sich den Erwartungen entsprechend an Wochenendtagen mehr freie Zeit auch in einer längeren Lesedauer niederschlägt. Dies lässt sich auch mit einem Befund aus der Literatur vereinbaren, demnach Kinder, die in Familien mit gemeinsamen Lesesituationen und Buchinteressen aufwachsen, vor allem an Wochenendtagen viel Zeit mit Lesen verbringen (vgl. Hurrelmann, B. 1993, 39). Erstaunlicherweise scheint eine hohe Interaktion primär die Lesedauer derjenigen Kinder am Wochenende positiv zu beeinflussen, die sich der siebten Konstellation zuordnen lassen (Wenigleser/hohe Interaktion): Während diese an Werktagen im Durchschnitt lediglich rund 13 Minuten lesen, liegt der entsprechende Wert an Wochenendtagen immerhin bei 30 Minuten. Als mögliche Ursache für diese Diskrepanz sind individuelle Zeitrestriktionen (z.B. bedingt durch schulische Verpflichtungen) an Werktagen denkbar, die dazu führen, dass insbesondere an Wochenendtagen gelesen wird. Mit Blick auf das Abendintervall kehren sich die Verhältnisse um: Im Allgemeinen sind die Lesewerte an Werktagen höher als an Wochenendtagen. In diesem Zusammenhang ist denkbar, dass an Wochenenden insbesondere ältere Kinder außerhäusliche Aktivitäten gegenüber der Lektüre bevorzugen. Anschließend wurde die Hypothese überprüft, dass Töchter im Allgemeinen mehr lesen als Söhne (Hypothese 10). Anknüpfend an bisherige Analysen drängt sich damit die Frage auf, inwieweit sich innerhalb der einzelnen Dyaden Unterschiede zwischen Töchtern und Söhnen aufzeigen lassen. Tabelle 41: Lesedauer von Söhnen und Töchtern in Mutter-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ Söhne
Töchter
Lesen
insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
Typ (N = 757)
M
SD
M
SD
M
M
1:Vielleser/hohe Interaktion (n = 80)
26**
38
10
16
50**
52
17
28
2:Vielleser/mittlere Interaktion (n = 57)
32**
45
9
13
40**
30
12
17
3:Vielleser/geringe Interaktion (n = 69)
22**
33
3
8
22**
32
12
16
4:Durchschnittsleser/hohe Interaktion (n = 93)
24**
37
6
10
40**
40
13
18
SD
SD
5:Durchschnittsleser/mittlere Interaktion (n = 80)
21**
32
9
18
29**
37
10
17
6:Durchschnittsleser/geringe Interaktion (n = 96)
25**
37
10
17
25**
35
8
14
7:Wenigleser/hohe Interaktion (n = 120)
13**
13
3
7
24**
32
8
13
8:Wenigleser/mittlere Interaktion (n = 67)
17**
17
7
13
18**
23
7
14
9:Wenigleser/geringe Interaktion (n = 95)
21**
36
5
11
16**
34
5
17
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Angaben sind mit dem Faktor „Personen-Struktur Kind“ gewichtet. **p < .01. Lesedauer insgesamt: Eta2 = .043; Lesedauer abends: Eta2 = .026. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
166
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Die größten Diskrepanzen zwischen Töchtern und Söhnen zeigen sich innerhalb der ersten Konstellation (Vielleser/hohe Interaktion): Töchter lesen mit 50 Minuten im Durchschnitt insgesamt etwa doppelt so lange wie Söhne mit 26 Minuten. Eine überdurchschnittliche Interaktionsdauer einhergehend mit einer überdurchschnittlichen Lesedauer der Mutter scheint damit im Wesentlichen die Lesesozialisation von Töchtern positiv zu beeinflussen. Die Lesedauer der Söhne liegt in dieser Gruppierung nur knapp über dem Durchschnitt (Typ 5: 21 Minuten). Demzufolge scheinen Söhne relativ resistent gegenüber günstigen familialen Rahmenbedingungen der Lesesozialisation zu sein. In der dritten Konstellation (Vielleser/niedrige Interaktion) unterscheiden sich Töchter und Söhne bezüglich ihrer Lesedauer insgesamt mit 22 Minuten überraschenderweise nicht voneinander. Das „förderliche“ Lesevorbild der Mutter beeinflusst in diesem Fall offenbar weder die Lesedauer der Tochter noch die des Sohnes. Eine mögliche Erklärung findet sich mit Blick auf die unterdurchschnittliche Interaktionsdauer zwischen Müttern und Kindern, die diese Konstellation charakterisiert. Es ist denkbar, dass die geringe Interaktionsdauer die Wirkung des Lesevorbildes neutralisiert, was die vergleichsweise niedrigen Werte der Lesedauer nahe legen. Wider Erwarten lässt sich diese Konstellation darüber hinaus durch eher geringe Zeitrestriktionen beschreiben. Der Anteil nichterwerbstätiger Mütter liegt mit 45,7 Prozent weit über dem Durchschnitt (37,6 Prozent). Gleichzeitig liegt der Anteil der Familien mit hoher Bildung etwas unter dem Durchschnitt mit 14,3 Prozent. Eine kürzere Interaktionsdauer lässt sich in diesem Zusammenhang somit weniger als eine „Frage der Zeit“ verstehen, sondern unter Umständen eher als Aspekt der Beziehungsqualität in der Familie deuten, obgleich mit den hier vorliegenden Daten hierzu keine direkte Aussage getroffen werden kann. Ein entscheidender Hinweis findet sich in der vielzitierten Studie „Leseklima in der Familie“. Wie sich zeigt, lesen Kinder in rigiden und interaktionsarmen Familien, die sich zudem durch relativ schwache Bindungen und ein autoritäres Klima beschreiben lassen, weniger als die, die in offenen, interaktionsreichen und kohäsiven Familien leben (vgl. Hurrelmann, B. u.a. 1993, 46f.). Köcher (1988) gelangte in ihrer Studie „Familie und Lesen“ zu einem ähnlichen Resultat: In lesefreundlichen Familien sei der Umgang zwischen Eltern und Kindern liebevoller, harmonischer und freier als in leseferneren Familien. Des Weiteren werde in diesen Familien mehr gemeinsam unternommen und gleichzeitig der individuelle Freiraum der Familienmitglieder stärker respektiert (W 2285).147 Für das Abendintervall lassen sich weiterhin Geschlechtsunterschiede bezüglich der Lesedauer beobachten: Töchter, die der dritten Gruppierung angehören, lesen am Abend mit rund zwölf Minuten im Durchschnitt neun Minuten länger als Söhne, die am Abend nur etwa drei Minuten lesen. Die Unterschiede sind jedoch statistisch nicht signifikant, so dass sich die Resultate nicht verallgemeinern lassen. Das bislang weitgehend stabile Verhältnis zwischen Geschlecht und Lesedauer kehrt sich unvermutet bei eher ungünstigen Voraussetzungen in der neunten Gruppierung zugunsten von Söhnen um, die mit 21 Minuten durchschnittlich sechs Minuten länger lesen als Töchter. Über die genaueren Ursachen von Geschlechtsunterschieden in Bezug auf das Lesen herrscht in der aktuelleren Forschung nach wie vor Uneinigkeit (vgl. Hurrelmann u. Groeben 2004, 178), insbesondere in Zusammenhang mit weiteren Faktoren, wie etwa soziale Schicht (vgl. Rosebrock 2003, 120). Hinweise auf eventuelle Ursachen geschlechts147
Auch die Befunde von Lehmann u.a. (1995, 106) deuten in eine ähnliche Richtung.
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
167
spezifischer Unterschiede finden sich bei näherer Betrachtung der sozialisatorischen Rahmenbedingungen, wie Elternvorbild und familialen Interaktionsstrukturen. Diese scheinen eher den Bedürfnissen von Töchtern als den Bedürfnissen von Söhnen gerecht zu werden. Bucher argumentiert, dass die Leseinteressen der Mütter eher mit den Interessen der Töchter als mit denjenigen der Söhne übereinstimmen und sich infolgedessen auch mehr Möglichkeiten der Kommunikation über Lektüre bieten (vgl. 2004, 172).148 In summa konnte gezeigt werden, dass das Lesevorbild der Mutter sowie Interaktionen mit Kindern die Lesesozialisation von Töchtern stärker beeinflussen als die Lesesozialisation von Söhnen. Bei vergleichsweise ungünstigen Voraussetzungen hinsichtlich Lesevorbild und Interaktionen sind herkömmliche Geschlechtsunterschiede weniger eindeutig. Des Weiteren zeichnen sich die Einflüsse interner Dimensionen auf die Lesesozialisation an Wochenendtagen stärker ab als an Werktagen. Die Vermutung, dass das Elternvorbild einen stärkeren Einfluss auf die Lesesozialisation nimmt, je länger Eltern und Kinder interagieren, lässt sich somit insbesondere für Wochenendtage empirisch stützen. Auf Basis dieser Ausführungen lässt sich folgern, dass günstige Voraussetzung, die sich mit den Gewohnheiten der Mutter verbinden lassen, die Lesesozialisation von Töchtern damit in höherem Maße anregen als die von Söhnen. Inwieweit dies in Bezug auf die Überlegungen Banduras auf die stärkere Imitation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil zurückzuführen ist, soll im nachfolgenden Abschnitt für Väter und Söhne analysiert werden. 5.4.1.2 Vater-Kind-Dyaden Die vorherigen Analysen wurden auf Vater-Kind-Dyaden übertragen. Unter Berücksichtigung der externen Dimensionen werden die neun Typen zunächst hinsichtlich ihrer Verteilung nach Bildung und Zeitressourcen dargestellt. Wie erwartet unterscheiden sich die neun Typen signifikant in ihrer Bildungsverteilung. Väter mit hoher Bildung sind überproportional in Vielleser-Konstellationen mit mittlerer Interaktionshäufigkeit (Typ 2: 36,4 Prozent) und Vielleser-Konstellationen mit geringer Interaktionshäufigkeit (Typ 3: 27,3 Prozent) vertreten. Väter mit niedriger Bildung finden sich hingegen überdurchschnittlich häufig in Gruppierungen wieder, die sich durch eine geringe oder mittlere Lesedauer beschreiben lassen (Typ 7: 43,3 Prozent; Typ 6: 40,9 Prozent). Während Bildung und Lesedauer offensichtlich positiv korrelieren, zeichnet sich mit Blick auf die Interaktionsdauer kein klarer Bildungszusammenhang ab. Es finden sich jedoch Hinweise darauf, dass Väter mit hoher Bildung zu leicht unterdurchschnittlichen Anteilen in Konstellationen mit langer Interaktionsdauer vertreten sind (z.B. Typ 7).
148 So heißt es etwa bei Bettina Hurrelmann u.a.: „Vermutlich führt eine verengte Vorstellung von Lesesozialisation, die sich auf fiktionale Texte konzentriert, zu einer stärkeren Korrespondenz mit ‚weiblichen’ Lesebedürfnissen und zu einer Vernachlässigung vieler Formen informatorischen Lesens schon im Kindesalter.“ (1993, 80)
168
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Tabelle 42: Vater-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Bildung (in Prozent) Bildung Typ (N = 757)
niedrig
mittel
hoch
1: Vielleser/hohe Interaktion (n = 41)
16,7
66,7
16,7
2: Vielleser/mittlere Interaktion (n = 105)
24,2
39,4
36,4
3: Vielleser/geringe Interaktion (n = 40)
22,7
50,0
27,3
4: Durchschnittsleser/hohe Interaktion (n = 55)
35,9
46,2
17,9
5: Durchschnittsleser/mittlere Interaktion (n = 145)
28,1
52,8
19,1
6: Durchschnittsleser/geringe Interaktion (n = 66)
40,9
43,2
15,9
7: Wenigleser/hohe Interaktion (n = 53)
43,3
43,3
13,3
8: Wenigleser/mittlere Interaktion (n = 175)
35,5
53,7
10,7
9: Wenigleser/geringe Interaktion (n = 78)
32,7
55,8
11,5
31,8
50,1
18,1
Legende: Vater-Kind-Dyade: Vielleser >= 45 Min.; Durchschnittsleser: >15 bis < 45 Min.; Wenigleser: <= 15 Min.; hohe Interaktion: >= 90 Min.; mittlere Interaktion: > 30 bis < 90 Min.; geringe Interaktion: <= 30 Anmerkung: Die Angaben sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet. Kontingenzanalyse: χ2 (9, N = 758) = 30,078, *p < .05, Cramer’s V = .176. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Eine längere Interaktionsdauer scheint bei Vater-Kind-Dyaden negativ mit Bildung zu korrelieren. Dies widerspricht dem Ergebnis aus der aktuelleren Lesesozialisationsforschung, dass Väter mit hoher Bildung tendenziell mehr Zeit mit Kindern verbringen als diejenigen mit niedriger Bildung und somit stärker in die Handlungsabläufe des Familienalltages eingebunden sind als Väter mit niedriger Bildung (vgl. Hurrelmann, B. u.a. 2005, 330). Ein negativer Zusammenhang zwischen Interaktionsdauer und Bildung lässt sich möglicherweise darauf zurückführen, dass Väter mit hoher Bildung im Vergleich zu denjenigen mit mittlerer oder niedriger Bildung insgesamt zeitlich stärker eingeschränkt sind, was sich letztlich negativ in der Interaktionsdauer widerspiegelt. In diesem Kontext stellt sich die Anschlussfrage, inwieweit sich die neun Konstellationen hinsichtlich der Zeitdimension, gemessen an der Erwerbsarbeitszeit149 der Väter, unterscheiden. Insgesamt unterscheiden sich die neun Typen signifikant. Väter der zweiten (Vielleser/mittlere Interaktion) und der dritten Gruppierung (Vielleser/niedrige Interaktion) wenden im Durchschnitt (über drei Tage berechnet) jeweils etwa sechs Stunden für Erwerbsarbeit auf und erzielen damit Spitzenwerte. Ein ähnliches Mutter lässt sich bei Konstellationen mit Weniglesern und gleichen Interaktionsmustern (Typ 8; Typ 9) beobachten. Durchschnittsleser mit geringer Interaktiondauer sowie Vielleser mit längeren Interaktionszeiten weisen die niedrigsten Werte auf, mit 192 Minuten (Typ 6) und 208 Minuten (Typ 1). 149
Aufgrund der Tatsache, dass mit rund neun Prozent nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Väter in Teilzeit erwerbstätig oder nichterwerbstätig ist, wurden Zeitrestriktionen lediglich am Zeitbudget für Erwerbstätigkeit gemessen.
169
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion Tabelle 43: Vater-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Erwerbsarbeitszeit des Vaters Erwerbsarbeitszeit Typ (N = 757)
M
SD
1: Vielleser/hohe Interaktion (n = 41)
208**
270
2: Vielleser/mittlere Interaktion (n = 105)
365**
268
3: Vielleser/geringe Interaktion (n = 40)
378**
296
4: Durchschnittsleser/hohe Interaktion (n = 55)
270**
277
5: Durchschnittsleser/mittlere Interaktion (n = 145)
286**
272
6: Durchschnittsleser/geringe Interaktion (n = 66)
192**
265
7: Wenigleser/hohe Interaktion (n = 53)
330**
299
8: Wenigleser/mittlere Interaktion (n = 175)
357**
280
9: Wenigleser/geringe Interaktion (n = 78)
360**
295
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Werte werden mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet. **p < .01, Lesedauer insgesamt: Eta2 = .095. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Auch wenn von sogenannten „zeitarmen“ Vätern bzw. Familien nicht direkt auf ungünstige Voraussetzungen der Lesesozialisation geschlossen werden kann und umgekehrt (siehe z.B. Typ 2), lässt sich insgesamt über alle Gruppierungen nachweisen, dass die Dauer der Erwerbsarbeit mit der Interaktionszeit (Zeit für Gespräche und gemeinsame Mahlzeiten) negativ korreliert, was sich in einem Wert von rp = - .314 (p < .01) niederschlägt. Die Analysen konzentrieren sich nun auf die Einflüsse interner Dimensionen auf die Lesesozialisation, was mit einem Wechsel der Elternperspektive auf die Kindperspektive verbunden ist. In diesem Zusammenhang interessiert, inwieweit sich die Kinder der neun Gruppierungen hinsichtlich ihrer Lesedauer insgesamt sowie bezüglich ihrer Lesedauer am Abend voneinander unterscheiden. Damit wird in direkter Weise auf die engere Forschungsfrage Bezug genommen, inwieweit familienimmanente Rahmenbedingungen die Lesesozialisation beeinflussen. Die günstigsten Voraussetzungen bezüglich Lesevorbild und Interaktionen lassen sich bei den ersten beiden Gruppierungen beobachten, die sich durch eine überdurchschnittliche Lesedauer des Vaters sowie durch eine mittlere (Typ 2) oder hohe Interaktionsdauer (Typ 1) charakterisieren lassen. Kinder dieser Gruppierungen lesen durchschnittlich 40 Minuten pro Tag und liegen damit an der Spitze. In der dritten Konstellation, die sich durch viel lesende und interaktionsarme Väter beschreiben lässt, liegt die durchschnittliche Lesedauer der Kinder bereits bei rund einer halben Stunde und damit nur leicht über dem Durchschnitt. Damit findet sich ein weiterer Beleg für die Hypothese, dass das Lesevorbild der Eltern einen höheren Einfluss auf die Lesesozialisation der Kinder entfaltet, je mehr Eltern und Kinder interagieren (Hypothese 7) (vgl. Tabelle 44).
170
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Tabelle 44: Lesedauer von Kindern in Vater-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ Lesen
insgesamt
am Abend
Typ (N = 757)
M
SD
1: Vielleser/hohe Interaktion (n = 41)
40**
53
M 8*
SD 10
2: Vielleser/mittlere Interaktion (n = 105)
41**
45
15*
22
3: Vielleser/geringe Interaktion (n = 40)
32**
39
12*
26
4: Durchschnittsleser/hohe Interaktion (n = 55)
26**
33
5*
10
5: Durchschnittsleser/mittlere Interaktion (n = 145)
22**
30
7*
13
6: Durchschnittsleser/geringe Interaktion (n = 66)
19**
32
6*
11
7: Wenigleser/hohe Interaktion (n = 53)
21**
31
9*
16
8: Wenigleser/mittlere Interaktion (n = 175)
23**
30
8*
14
9: Wenigleser/geringe Interaktion (n = 78)
19**
36
7*
14
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Angaben sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ des Kindes gewichtet. **p < .01. Lesedauer insgesamt: Eta2 = .047; Lesedauer abends: Eta2 = .038. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Darüber hinaus findet sich in der zweiten Konstellation, „Vielleser/mittlere Interaktion“, mit 36,4 Prozent ein überdurchschnittlich hoher Anteil an Vätern mit hoher Bildung, während sich die erste Konstellation durch relativ geringe Zeitrestriktionen beschreiben lässt. Diese Ergebnisse sind damit gleichermaßen ein Indiz für die Überlegung, dass Bildung und Zeitressourcen der Väter bzw. der Familie die Lesesozialisation der Kinder positiv tangieren (Hypothesen 1 u. 2). Kinder der sechsten und neunten Gruppierung lesen mit durchschnittlich 19 Minuten unterdurchschnittlich viel. Neben den negativen Einflüssen, welche sich an Lese- und Interaktionsdauer manifestieren, mögen Bildungsund Zeitressourcen auch hier die Lesegewohnheiten der heranwachsenden Kinder darüber hinaus (mit-)beeinflussen. In der sechsten Gruppierung liegt der Anteil der Väter mit niedriger Bildung mit 40,9 Prozent weit über dem Durchschnitt von 31,8 Prozent. Daran schließt sich die Frage an, ob sich Kinder der neun Dyaden bezüglich der Lesedauer insgesamt und am Abend an Werk- und Wochenendtagen nochmals voneinander unterscheiden.
171
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Tabelle 45: Lesedauer von Kindern in Vater-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ nach Wochentag Werktag
Wochenendtag
Lesen
insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
Typ (N = 757)
M
SD
M
SD
M
SD
M
1: Vielleser/hohe Interaktion (n = 41)
33**
56
2: Vielleser/mittlere Interaktion (n = 105)
39**
39
8**
15
53**
68
7**
15
18**
31
46**
56
11**
24
3: Vielleser/geringe Interaktion (n = 40)
31**
42
4: Durchschnittsleser/hohe Interaktion (n = 55)
23**
36
14**
31
32**
59
8**
24
6**
14
33**
55
4**
12
SD
5: Durchschnittsleser/mittlere Interaktion (n = 145)
18**
32
8**
20
30**
51
6**
17
6: Durchschnittsleser/geringe Interaktion (n = 66)
18**
38
5**
13
22**
45
7**
20
7:Wenigleser/hohe Interaktion (n = 53)
20**
42
12**
28
21**
38
4**
13
8:Wenigleser/mittlere Interaktion (n = 175)
21**
34
9**
21
27**
49
6**
16
9:Wenigleser/geringe Interaktion (n = 78)
21**
43
8**
20
16**
42
5**
19
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Angaben sind mit dem Faktor „Personen-Zeitverwendung“ des Kindes gewichtet. **p < .01, *p < .05. Lesedauer insgesamt: Eta2 = .030; Lesedauer abends: Eta2 = .022. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Bei Dyaden mit günstigen Voraussetzungen (Typ 1, Typ 2), unterscheiden sich die Kinder erwartungsgemäß relativ deutlich in ihren Lesegewohnheiten an Werktagen und am Wochenende. Beispielsweise lesen Kinder der ersten Gruppierung an Wochenendtagen im Durchschnitt 20 Minuten länger (M = 53 Minuten) als an Werktagen (M = 33 Minuten). Erstaunlicherweise ist diese Diskrepanz zwischen Werk- und Wochenendtagen bei VaterKind-Dyaden größer als bei Mutter-Kind-Dyaden. Während Kinder in Vater-KindKonstellationen an Wochenendtagen rund 38 Prozent mehr Zeit mit Lektüre verbringen als an Werktagen, liegt dieser Anteil in Mutter-Kind-Konstellationen nur bei 24 Prozent.150 Das positive Vorbild des Vaters scheint damit die Lesedauer des Kindes an Wochenenden stärker zu beeinflussen als das der Mutter. Des Weiteren finden sich solche Unterschiede, allerdings auf niedrigerem Niveau, in der vierten und fünften Gruppierung. Kinder des fünften Typs lesen z.B. an Wochenendtagen im Durchschnitt eine halbe Stunde, während sie an Werktagen mehr als ein Drittel weniger Zeit mit Lesen verbringen (M = 18 Minuten). Insgesamt lassen sich die Rahmenbedingungen dieser Typen im Vergleich zu Erstgenannten (Typ 1, Typ 2) als ungünstig beurteilen. In Konstellationen mit wenig lesenden Vätern unterscheiden sich die Kinder hingegen nicht wesentlich in ihrer Lesedauer an Werk- und Wochenendtagen (Typen 7, 8, 9). Die durchschnittliche Lesedauer liegt in diesem Fällen bei ungefähr 20 Minuten. Bei vergleichsweise geringer zeitlicher Präsenz des Lesevorbildes (Vater) scheinen sich offensichtlich weder familiale Interaktionen noch größere zeitliche Spielräume an 150 Zur Berechnung dieser Anteilswerte wurde zunächst der niedrigere Wert an Werktagen zum höheren Wert an Wochenendtagen in Beziehung gesetzt. Der Ergebniswert wurde danach von 100 subtrahiert. Beispiel (VaterKind-Dyade/Typ 1: 33/53 = 62,2; 100 – 62,2 = 37,8 Prozent.
172
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Wochenendtagen positiv auf die Lesesozialisation der Kinder auszuwirken. Als Dimension der Lesesozialisation entfaltet Zeit folglich nicht schon allein durch ihre „quantitat-ive Existenz“ einen förderlichen Einfluss auf die Lesesozialisation, sondern primär in Zusammenspiel mit herkömmlichen Faktoren, wie etwa Lesevorbild oder Bildung. An dieser Stelle zeichnen sich gleichzeitig die Grenzen der vorliegenden Daten ab, auf deren Grundlage keinerlei Aussagen zu qualitativen Aspekten von Interaktionen im Familienumfeld möglich sind. Für Kinder in Gruppierungen, die sich durch relativ günstige Voraussetzungen charakterisieren lassen, konnte unterdessen gezeigt werden, dass Zeit die Lesesozialisation in höherem Maße beeinflusst als für Kinder in Gruppierungen mit weniger förderlichen Voraussetzungen. So lesen Kinder der ersten Vater-Kind-Dyade an Werktagen deutlich weniger als an Wochenendtagen. Ein anderes Muster zeichnet sich mit Blick auf die neunte Gruppierung ab, in der Zeitrestriktionen die Lesesozialisation kaum beeinflussen: Die durchschnittliche Lesezeit an Werktagen übertrifft diejenige an Wochenendtagen um etwa fünf Minuten. Damit kehrt sich der bislang postulierte Zusammenhang sogar ins Gegenteil um. Diese Konstellation lässt sich insgesamt allerdings durch relativ ungünstige Voraussetzungen charakterisieren. Die Zeitdimension beeinflusst folglich nur in solchen Familien die Lesesozialisation positiv, in der weitere förderliche Voraussetzungen (z.B. Bildung) vorliegen. Bezüglich des Abendintervalls kehrt sich der soeben beobachtete Zusammenhang ins Gegenteil um, d.h. die durchschnittliche Lesedauer an Werktagen liegt im Allgemeinen über derjenigen an Wochenendtagen. Eine Ausnahme findet sich bei der Konstellation „Durchschnittsleser/geringe Interaktion“ (Typ 6). Die Differenz zwischen Werk- und Wochenendtagen ist mit zwei Minuten jedoch kaum sinnvoll zu interpretieren. Konzentriert man sich auf Werktage und auf die Abendlektüre liegt die durchschnittliche Lesedauer der Kinder der zweiten Gruppierung („Vielleser/mittlere Interaktion“) mit 18 Minuten an der Spitze. In Relation zur Lesedauer insgesamt verbringen Kinder dieser Gruppierung rund 46 Prozent ihrer Lesezeit am Abend. Kinder der ersten Konstellation („Vielleser/hohe Interaktion“) verbringen nur 8 Minuten, d.h. etwa 24 Prozent ihrer gesamten Lesezeit, am Abend. Dies ist erstaunlich, da die Voraussetzungen der ersten Konstellation in Bezug auf die Interaktionsdauer denjenigen der zweiten Konstellation quasi „überlegen“ sind. Eine mögliche Erklärung findet sich bei näherer Betrachtung der Bildung: Mit 36,4 Prozent liegt der Anteil der Väter mit hoher Bildung in der zweiten Gruppierung um etwa 20 Prozentpunkte über dem jeweiligen Anteil der ersten Gruppierung. Es ist zu vermuten, dass sich der „Lesehabitus“ höherer Bildungsgruppen insbesondere an der Abendlektüre festmachen lässt. Diese Ausführungen legen daher den Schluss nahe, dass sich bildungsbedingte Ungleichheiten mit Blick auf die Lesesozialisation weniger an der allgemeinen Lesedauer als an spezifischen Lesesituationen (z.B. der Tageszeit) aufzeigen lassen. Bei Bettina Hurrelmann, u.a. findet sich etwa der Hinweis, dass „Eltern (Vor-)Lese- und Fernsehsituationen umso stärker gegeneinander profilieren, je höher der Bildungsstatus der Familie ist“ (2005, 378). Eine höhere Bildung sei tendenziell mit einer stärkeren Kontrolle des Fernsehgebrauchs verbunden (vgl. ebenda, 379f.). Vor diesem Hintergrund ist denkbar, dass Kinder der zweiten Gruppierung am Abend tendenziell länger lesen als diejenigen der ersten Konstellation, wo der Anteil der Väter mit mittlerer Bildung dominiert.
173
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Abschließend sollen in Analogie zu Mutter-Kind-Dyaden Geschlechtsunterschiede in den einzelnen Konstellationen untersucht werden. Dazu wurden Töchter und Söhne der neun Vater-Kind-Dyaden hinsichtlich ihrer Lesedauer insgesamt sowie am Abend einander gegenübergestellt. Tabelle 46: Lesezeitbudgets von Töchtern und Söhnen in Vater-Kind-Dyaden „Lesevorbild/Interaktion“ Söhne
Töchter
Lesen
insgesamt
Abend
Typ (N = 757)
M
M
SD
SD
insgesamt
Abend
M
SD
M
SD
1:Vielleser/hohe Interaktion (n = 41)
18**
33
4*
8
57**
59
10*
11
2:Vielleser/mittlere Interaktion (n = 105)
40**
50
10*
16
41**
40
19*
26
3: Vielleser/geringe Interaktion (n = 40)
26**
34
7*
11
37**
44
17*
35
4: Durchschnittsleser/hohe Interaktion (n = 55)
21**
30
4*
8
31**
35
6*
12
5: Durchschnittsleser/mittlere Interaktion (n = 145)
14**
25
4*
8
29**
32
10*
15
6: Durchschnittsleser/geringe Interaktion (n = 66)
23**
42
6*
12
16**
20
5*
11
7: Wenigleser/hohe Interaktion (n = 53)
19**
32
9*
18
23**
31
9*
15
8: Wenigleser/mittlere Interaktion (n = 175)
18**
23
8*
13
29**
35
9*
15
9: Wenigleser/geringe Interaktion (n = 78)
26**
41
10*
19
15**
32
5*
10
Legende: M: Arithmetisches Mittel in Minuten; SD: Standardabweichung des Mittelwertes. Anmerkung: Die Angaben sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ des Kindes gewichtet. **p < .01. Eta2 (insgesamt): .047; Eta2 (abends): .038. Werden Töchter und Söhne im Rahmen einer einfaktoriellen ANOVA separat untersucht, unterscheiden sich nur Töchter der neun Gruppierungen signifikant (insgesamt: **p < .01, am Abend: *p < .05) mit Eta2 (insgesamt): .084; Eta2 (abends): .068. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Wesentliche Unterschiede zwischen Töchtern und Söhnen lassen sich innerhalb der ersten Gruppierung (Typ 1) identifizieren: Während sich Töchter dieser Konstellation durch eine mittlere Lesedauer von knapp einer Stunde charakterisieren lassen, weisen Söhne nur eine durchschnittliche Lesedauer von circa 20 Minuten auf. Dieses Ergebnis ist frappierend und widerspricht damit teilweise der Forschungshypothese, dass sich das Lesevorbild der Eltern (hier: des Vaters) positiv auf die Lesesozialisation (hier: von Söhnen) auswirkt. Die Differenz zwischen Töchtern und Söhnen beträgt innerhalb dieser Konstellation rund 40 Minuten, d.h. Töchter verbringen hier mehr als dreimal so viel Zeit mit Lektüre wie Söhne. Letztere scheinen zumindest in diesem Fall nahezu immun gegenüber Einflüssen seitens des Vaters in puncto Lesevorbild zu sein. Bei „interaktionsärmeren“ Konstellationen (Typ 3) lässt sich ein ähnliches Muster beobachten: Die durchschnittliche Lesedauer von Töchtern übertrifft diejenige von Söhnen lediglich um 11 Minuten und liegt insgesamt auf einem weit niedrigerem Niveau als die soeben beschriebene. In Betrachtung der zweiten Konstellation, die sich ebenso wie die erste durch relativ günstige Voraussetzungen beschreiben lässt („Vielleser/mittlere Interaktion“), finden sich wider Erwarten keinerlei Hinweise auf Geschlechtsunterschiede bezüglich der Lesedauer insgesamt. Sowohl Töchter als auch Söhne verbringen durchschnittlich rund 40 Minuten
174
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
mit Lektüre. Dies verlangt nach einer weiteren Erklärung, in deren Rahmen möglicherweise weitere Faktoren (wie etwa Bildung) eine tragende Rolle spielen. Während das Bildungsniveau der ersten Konstellation – wie bereits ausführlicher dargelegt wurde – weit über dem Durchschnitt liegt, ist das Gegenteil in der zweiten Konstellation zu beobachten. Neben dem Elternvorbild scheint damit die Bildung die Lesesozialisation von Söhnen entscheidend zu beeinflussen. Die Vermutung, dass mit zunehmender Interaktionsdauer zwischen Eltern und Kindern die Auswirkung des Elternvorbildes auf die Lesesozialisation zunimmt, lässt sich damit ausschließlich für Töchter untermauern (Hypothese 7). Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass die Bildungsdimension einen stärkeren Einfluss auf die Lesesozialisation von Söhnen im Vergleich zu Töchtern nimmt. Darüber hinaus findet sich ein Beleg für die Hypothese, dass sich Geschlechtsunterschiede mit zunehmender Bildung verringern, wenn nicht sogar aufheben (Hypothese 10). Für das Abendintervall zeigt sich allerdings, dass Töchter der zweiten Gruppierung mit 19 Minuten im Durchschnitt fast doppelt so viel Zeit mit Lektüre verbringen wie Söhne (M = 10 Minuten). Auch wenn auf Basis der vorliegenden Tagebuchdaten keinerlei Informationen über präferierte Lektüregenres vorliegen, hat eine Durchsicht der Literatur gezeigt, dass Mädchen insbesondere erzählende Texte mögen, Jungen hingegen lieber zu Sachtexten greifen (vgl. Rosebrock 2003, 119). Qualitative Differenzen der Lektüreinhalte spiegeln sich möglicherweise ebenfalls in zeitlichen Lektüremustern wider. So heißt es etwa bei LimmrothKranz: „Die Beschaffenheit der Lesezeit ist [..] ein entscheidender Faktor, der bestimmt, welche Art von Lektüre […] überhaupt gewählt wird.“ (1997. o.S.). Dennoch lassen sich überdies zwei Gruppierungen identifizieren, bei denen sich die herkömmlichen Geschlechtsunterschiede ins Gegenteil verkehren: „Durchschnittsleser/ geringe Interaktion“ (Typ 6) sowie Wenigleser/geringe Interaktion (Typ 9). Söhne der neunten Konstellation verbringen mit 26 Minuten im Durchschnitt elf Minuten mehr Zeit mit Lesen als Töchter (M = 15 Minuten). Die Ergebnisse, die sich auf Kinder der sechsten Konstellation beziehen, deuten in dieselbe Richtung. Diese beiden Familientypen lassen sich durch eher ungünstige Voraussetzungen hinsichtlich der familialen Lesesozialisation beschreiben. Daraus lässt sich schließen, dass Söhne sowohl gegenüber günstigen als auch gegenüber ungünstigen Einflüssen seitens der Familie nahezu resistent sind, ganz im Gegensatz zu Töchtern: Während positive Familieneinflüsse deren Lesesozialisation begünstigen, wirken sich negative Einflussfaktoren gewissermaßen hemmend auf deren Leseentwicklung aus. Die Vermutung, dass sich gemäß der sozialen Lerntheorie Töchter tendenziell stärker am Modell der Mutter orientieren als Söhne, und dass sich umgekehrt Söhne eher am Modell des Vaters orientieren als Töchter, lässt sich damit insgesamt nicht bestätigen. Die Analyse von Vater-Kind-Dyaden hat gezeigt, dass sich der positive Zusammenhang zwischen Interaktionsdauer und Einflussstärke des Lesevorbildes auf die Lesesozialisation (Hypothese 7) nur für Töchter empirisch bestätigen lässt. Insbesondere der Bildungshabitus scheint sich neben dem Vorbild des Vaters positiv auf die Lesesozialisation von Söhnen auszuwirken. In höheren Bildungsgruppen lösen sich Geschlechtsunterschiede in puncto Lesedauer insgesamt nahezu auf. Außerdem kann insbesondere mit Blick auf Wochenendtage von einem relativ starken Bildungseffekt gesprochen werden, d.h. wenn Familien gleichzeitig über ein größeres gemeinsames Zeitkontingent verfügen.
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
175
Die nachfolgenden Analysen richten sich auf die simultane Betrachtung des Lesevorbildes der Mutter und des Vaters, um die bisherigen Befunde bezüglich des Elternvorbildes weiter zu spezifizieren. 5.4.2 Gleichgerichtete und zuwiderlaufende Einflüsse des Elternvorbildes auf die Lesesozialisation Die Ausführungen dieses Abschnitts beschränken sich auf das Elternvorbild und dessen Auswirkungen auf die Lesesozialisation. Im Unterschied zu vorherigen Analysen werden das Vorbild der Mutter und das des Vaters gemeinsam analysiert. Dieser Fragestellung wurde – abgesehen von einigen Ausnahmen (vgl. z.B. Bonfadelli u. Saxer 1986, 84, Hurrelmann, B. u.a. 1993, 38; Tullius 2001 80) – bisher nur wenig Beachtung geschenkt. Ausgangspunkt bildet die Überlegung, dass die Wahrscheinlichheit, sich zu Viellesern zu entwickeln, für Kinder dann am größten ist, falls beide Eltern Vielleser sind (vgl. hierzu Tullius 2001, 80). Damit verbunden ist die Frage, wie sich in einer Familie gleichgerichtete oder zuwiderlaufende Einflüsse seitens des Elternvorbildes im Einzelnen auf die Lesesozialisation auswirken. Im Rahmen der Klassifikation von Familientypen wurde an der gewählten Vorgehensweise weitgehend festgehalten, obgleich die Perspektive von Eltern-Kind-Dyaden auf Eltern-Kind-Triaden ausgeweitet wurde. Auf Grundlage von Durchschnittswerten der Lesedauer (über drei Tage berechnet) ließen sich wiederum neun Typen konstruieren, welche sich hinsichtlich der Lesedauer der Mutter und der des Vaters voneinander unterscheiden. Vielleser werden definiert, indem die jeweiligen Durchschnittswerte (hier: rund 30 Minuten) mit dem Faktor 1,5 multipliziert wurden. Bei Weniglesern wurden diese mit dem Faktor 0,5 multipliziert. Die Familienkonstellation „Vielleser/Vielleser“, die sowohl Mütter als auch Väter inkludiert, die jeweils eine Dreiviertelstunde oder länger lesen, zeichnet sich durch die „besten“ Voraussetzungen (hinsichtlich des Elternvorbildes) aus. Dazu in Kontrast stehen Familienkonstellationen, die sich durch ein unterdurchschnittliches Lesevorbild beider Eltern charakterisieren lassen. Die Einflüsse auf die Lesesozialisation deuten in beiden Fällen in die gleiche Richtung. Im Gegenzug lassen sich aber auch Familientypen identifizieren, wo sich die Einflüsse der Eltern auf die Lesesozialisation widersprechen, wie etwa, wenn die Mutter überdurchschnittlich viel, der Vater aber nur wenig liest. Hier liegen zuwiderlaufende Einflüsse seitens der Eltern auf die Lesesozialisation vor, und es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wessen Einfluss auf die Lesesozialisation des Kindes schließlich überwiegt. Die Extremtypen gleichgerichteter und zuwiderlaufender Einflüsse auf die Lesesozialisation sollen vorab nochmals vereinfachend dargestellt werden (vgl. Abbildung 9).
176 Abbildung 9:
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion Gleichgerichtete und zuwiderlaufende Einflüsse des Lesevorbildes Lesedauer: Mutter
+ Mutter: Vielleser/ Vater: Vielleser
Mutter: Vielleser/ Vater: Wenigleser
-
Lesedauer: Vater
Durchschnitt
Mutter: Wenigleser/ Vater: Wenigleser
+ Mutter: Wenigleser/ Vater: Vielleser
Quelle: Eigene Erstellung.
Bevor die Wirkungen des Elternvorbildes auf die Lesesozialisation im Einzelnen analysiert werden, werden die neun Typen hinsichtlich ihrer Verteilung nach Bildung und Zeit dargestellt, um eine Brücke zwischen internen und externen Dimensionen der Lesesozialisation herzustellen. Tabelle 47: Eltern-Kind-Triaden nach Bildung (in Prozent) Bildung Typ (N = 757)
niedrig
mittel
hoch
1. Mutter Vielleser/Vater Vielleser (n = 89)
18,4
53,1
28,6
2. Mutter Vielleser/Vater Durchschnittsleser (n = 69)
28,6
51,4
20,0
3. Mutter Vielleser/Vater Wenigleser (n = 59)
30,6
55,6
13,9
4. Mutter Durchschnittsleser/Vater Vielleser (n = 66)
30,6
44,4
25,0
5. Mutter Durchschnittsleser/Vater -leser (n = 109)
38,7
41,9
19,4
6. Mutter Durchschnittsleser/Vater Wenigleser (n = 108)
45,3
45,3
9,4
7. Mutter Wenigleser/Vater Vielleser (n = 32)
29,4
29,4
41,2
8. Mutter Wenigleser/Vater Durchschnittsleser (n = 88)
32,7
53,8
13,5
35,9
52,6
11,5
33,3
48,8
17,9
9. Mutter Wenigleser/Vater Wenigleser (n = 137)
Legende: Vielleser: >= 45 Minuten; Durchschnittsleser: >15 bis < 45 Min.; Wenigleser: < 15 Min. Anmerkung: Die Angaben sind mit dem Faktor „Haushalts-Struktur“ gewichtet, da die Untersuchungseinheit in diesem Fall die Familien-Triade ist. Kontingenzanalyse: χ2 (9, N = 758) = 24,192, *p < .05 nicht signifikant, Cramer’s V = 170. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
177
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Hinsichtlich ihrer Bildungsverteilung unterscheiden sich die neun Typen nicht signifikant, obgleich sich die jeweiligen Prozentangaben in Übereinstimmung mit den theoretischen Vorüberlegungen (positiver Zusammenhang zwischen Bildung und Lesedauer) interpretieren lassen. Insbesondere in Familien mit viel lesenden Vätern (Typen 1, 4, 7) liegt der Anteil der Familien mit hoher Bildung weit über dem Durchschnitt von 17,9 Prozent. So liegt dieser in der siebten Konstellation bei 41,2 Prozent und damit 23,3 Prozentpunkte über dem Durchschnitt (17,9 Prozent) (vgl. Tabelle 47). Familienkonstellationen mit viel lesenden Vätern lassen sich allesamt durch ein überdurchschnittliches Bildungsniveau beschreiben, während sich vice versa diejenigen mit wenig lesenden Vätern durch ein unterdurchschnittliches Bildungsniveau charakterisieren lassen. Innerhalb der sechsten Gruppierung (M: Durchschnittsleser/V: Weniglesen) liegt der Anteil der Familien mit niedriger Bildung bei circa 45 Prozent und damit zwölf Prozentpunkte über dem Durchschnitt von 33,3 Prozent. Bei Konstellationen mit viel lesenden Müttern sind diese Relationen weniger eindeutig. Bildung hängt damit offensichtlich in höherem Maße mit der Lesedauer des Vaters als mit der Lesedauer der Mutter zusammen. Um die Verteilung der Zeitressourcen darzustellen, lässt sich die von Müttern und Vätern jeweils durchschnittliche Zeit für Erwerbsarbeitszeit (über drei Tage berechnet) heranziehen. Mit Hilfe von einfaktoriellen Varianzanalysen wurde somit überprüft, ob sich Mütter oder Väter der neun Typen signifikant bezüglich ihrer durchschnittlichen Erwerbsarbeitszeit unterscheiden. Tabelle 48: Erwerbsarbeitszeit der Eltern in Eltern-Kind-Triaden (in Minuten) Mutter Typ (N = 757)
M
Vater SD
M
SD
1. M: Vielleser/V: Vielleser (n = 89)
69**
119
298*
238
2. M: Vielleser/V: Durchschnittsleser (n = 69)
87**
121
339*
227
3. M: Vielleser/V: Wenigleser (n = 59)
61**
99
390*
182
4. M: Durchschnittsleser/V: Vielleser (n = 66)
66**
106
286*
233
5. M: Durchschnittsleser/V: Durchschnittsleser (n = 109)
123**
135
297*
245
6. M: Durchschnittsleser/V: Wenigleser (n = 108)
155**
160
367*
265
7. M: Wenigleser/V: Vielleser (n = 32)
132**
133
247*
204
8. M: Wenigleser/V: Durchschnittsleser (n = 88)
122**
164
293*
284
9. M: Wenigleser/V: Wenigleser (n = 137)
136**
156
321*
252
Legende: M=Mutter; V=Vater; Vielleser: >=45 Min.; Durchschnittsleser: >15 bis <45 Min.; Wenigleser: <15 Min. Anmerkung: Die Angaben sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ gewichtet. **p < .01. Erwerbszeit/Mutter: Eta2 = .052; Erwerbszeit/Vater: Eta2 = .038. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
In Übereinstimmung mit der Hypothese, dass „freie“ Zeitressourcen die durchschnittliche Lesedauer positiv beeinflussen, lässt sich darlegen, dass viel lesende Mütter (Typ 1, Typ 2, Typ 3) zeitlich insgesamt weniger restringiert sind als wenig lesende (Typ 7, Typ 8, Typ 9). Wenigleserinnen verbringen ungefähr doppelt so viel Zeit mit Erwerbsarbeit wie
178
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Vielleserinnen. Bei Vätern lässt sich ein ähnliches Muster beobachten: Vielleser (Typ 1, Typ 4, Typ 7) wenden im Schnitt rund 100 Minuten weniger Zeit für Erwerbsarbeit auf als Wenigleser (Typ 3, Typ 6, Typ 9). Wie sich diese Rahmenbedingungen schließlich in den Lesegewohnheiten der Kinder niederschlagen, soll nun näher beleuchtet werden. Geleitet von der primären Zielsetzung, den Einfluss des Elternvorbildes auf die Lesesozialisation zu untersuchen, stellt sich die Frage, inwieweit die Kinder der neun Familienkonstellationen in ihrer Lesedauer über den Tag verteilt und am Abend differieren. Wie erwartet unterscheiden sich die Kinder signifikant in ihrer durchschnittlichen Lesedauer insgesamt und am Abend. Dabei ist die Differenz zwischen Kindern der ersten Konstellation mit quasi „idealen“ Voraussetzungen und denjenigen der achten und neunten Konstellation mit vergleichsweise „ungünstigen“ Bedingungen am größten. Während Kinder, die sich der ersten Gruppierung zuordnen lassen, täglich rund 49 Minuten im Durchschnitt lesen, verbringen diejenigen der neunten Gruppierung lediglich etwa eine Viertelstunde am Tag mit Lesen. Damit verbringen Erstgenannte mehr als dreimal so viel Zeit mit Lesen als Letztgenannte. Diese Tendenz lässt sich gleichermaßen für das Abendintervall beobachten. Damit lässt sich die Vermutung bestätigen, dass Kinder, die in Familien aufwachsen, in denen beide Eltern viel lesen, bessere Chancen haben sich zu Viellesern zu entwickeln als diejenigen, von denen nur ein oder kein Elternteil liest (vgl. Tabelle 49). Tabelle 49: Lesedauer von Kindern in Eltern-Kind-Triaden (in Minuten) Lesen
insgesamt
am Abend
Typ (N = 757)
M
SD
M
SD
1. M: Vielleser/V: Vielleser (n = 89)
49**
49
16**
23
2. M: Vielleser/V: Durchschnittsleser (n = 69)
28**
36
8**
13
3. M: Vielleser/V: Wenigleser (n = 59)
24**
30
8**
15
4. M: Durchschnittsleser/V: Vielleser (n = 66)
26**
32
9**
16
5. M: Durchschnittsleser/V: Durchschnittsleser (n = 109)
28**
40
11**
18
6. M: Durchschnittsleser/V: Wenigleser (n = 108)
22**
30
6**
13
7. M: Wenigleser/V: Vielleser (n = 32)
36**
52
14**
24
8. M: Wenigleser/V: Durchschnittsleser (n = 88)
15**
23
4**
9
9. M: Wenigleser/V: Wenigleser (n = 137)
16**
25
6**
10
Legende: Vielleser: >= 45 Min.; Durchschnittsleser: >15 Min. bis < 45 Min.; Wenigleser: < 15 Min. Anmerkung: Die Angaben sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ des Kindes gewichtet. **p < .01. Lesedauer insgesamt: Eta2 = .078; Lesedauer abends: Eta2 = .053. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Im Folgenden interessieren insbesondere die Auswirkungen zuwiderlaufender Einflüsse des Elternvorbildes auf die Lesesozialisation. Einflüsse dieser Art finden sich etwa bei Familien der dritten und siebten Gruppierungen. Auch vor dem Hintergrund bisheriger Forschungen ist erstaunlich, dass Kinder, die in Familien mit einem viel lesenden Vater und einer wenig lesenden Mutter aufwachsen (Typ 7), mit durchschnittlich 36 Minuten deutlich mehr lesen als diejenigen, die in Familien mit einer viel lesenden Mutter und einem wenig lesenden
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
179
Vater aufwachsen (M = 24 Minuten, Typ 3). Das Lesevorbild des Vaters scheint in diesem Fall die Lesesozialisation nachhaltiger zu beeinflussen als das Lesevorbild der Mutter. Auch die Schweizer Forschergruppe um Ulrich Saxer und Heinz Bonfadelli konnte bereits vor rund 20 Jahren zeigen, dass die Lesedauer des Vaters stärker mit der Lesedauer der Kinder, insbesondere mit derjenigen der Söhne, korreliert (vgl. Bonfadelli u. Saxer 1986, 84; auch Bonfadelli u. Fritz, 1993, 103). Dem widersprechen Bettina Hurrelmann u.a. die in ihrer Untersuchung der Mutter die höchste Wirkungskraft im Rahmen der Lesesozialisation zuschreiben. Die Lesehäufigkeit und -dauer der Mutter sei für die Lesefreude und -frequenz der Kinder von tragender Bedeutung, während das Leseverhalten des Vaters eher am Rande eine Rolle spiele, was insbesondere für die Vermittlung der Lesekultur gelte (vgl. Hurrelmann, B. u.a. 1993, 38). Gleichzeitig konnten sie allerdings nachweisen, dass die Leseerfahrung des Vaters für die Lesefreude des Kindes von größerer Bedeutung ist (rp = .25) als die der Mutter (rp = .18) (vgl. ebenda, 114). Des Weiteren argumentieren sie, dass sich Leseerfahrungen in Abhängigkeit des Bildungsniveaus unterschiedlich ausbilden, wie beispielsweise die Kultivierung ästhetisch-reflexiver Leseerfahrungen. So bewerten Mütter mit hoher und mittlerer Bildung in der von Hurrelmann u.a. untersuchten Stichprobe sprachliche Aspekte des Geschriebenen höher und genießen auch die Darstellungsweise eines Buches mehr als diejenigen mit niedriger Bildung (vgl. ebenda, 113). Die Lesefreude des Kindes wird jedoch maßgeblich durch die ästhetisch-reflexive Leseerfahrung der Eltern beeinflusst (vgl. ebenda, 114). Dass eine höhere Lesefreude wiederum mit einer längeren Lesedauer einhergeht, ist aus der Leseforschung weitgehend bekannt und wird im Rahmen dieser Untersuchung implizit angenommen (vgl. Kapitel 2.1.2). Ausgehend von diesen teils widersprüchlichen Befunden aus der Literatur ist nun wieder eine Verbindung zu der hier dargestellten Familientypologie herzustellen, indem als weiterer Erklärungsfaktor die Bildung näher betrachtet wird. In Konstellationen mit viel lesenden Vätern ist das Bildungsniveau insgesamt höher als in Konstellationen mit viel lesenden Müttern. Während 41,7 Prozent der Familien mit viel lesenden Vätern und wenig lesenden Müttern sich durch eine hohe Bildung beschreiben lassen (Typ 7), liegt dieser Anteil in Familien mit viel lesenden Müttern und wenig lesenden Vätern (Typ 3) bei nur 13,9 Prozent. Es ist damit wahrscheinlich, dass die förderliche Wirkung des Lesevorbildes seitens des Vaters auf die Lesedauer des Kindes durch den positiven Bildungseinfluss ergänzt oder gar von diesem überlagert wird. Überdies ist in Bezug auf oben zitierte Ergebnisse denkbar, dass die längere Lesedauer der Kinder in der siebten Konstellation gleichzeitig durch die für höhere Bildungsgruppen charakteristische Priorisierung ästhetischreflexiver Aspekte der Lektüre stimuliert wird. Darüber lassen sich auf Grundlage der hier vorliegenden Zeitbudgetdaten allerdings nur Vermutungen anstellen. Insgesamt lässt sich die relativ lange Lesedauer des Kindes somit weder eindeutig auf das Lesevorbild des Vaters noch auf die Bildung zurückführen. Darüber hinaus konnte ein weiteres Mal gezeigt werden, dass Bildung und Lesedauer bei Vätern wesentlich stärker korrelieren als bei Müttern. In diesem Zusammenhang lässt sich eine weitere Feststellung von Bettina Hurrelmann heranziehen, demnach die Kompetenz für den Bereich des Lesens Müttern umso eher zugeschrieben wird, je niedriger die soziale Schicht ist, der die Familie angehört. Im Gegenzug wird die Rolle des Experten dem Vater umso eher zugedacht, je höher die soziale Schicht und je bedeutungsvoller das Lesen für den Familienalltag ist (vgl.
180
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Hurrelmann, B. 1990, 186). Interessanterweise scheint sich die eher herkömmliche Vorstellung der Mutter als „Leselehrerin“ in Familien mit hoher Bildung teilweise umzukehren bzw. auf den Vater zu übertragen. Unter Berücksichtigung der Zeitdimension stellte sich des Weiteren die Frage, wie sich die Kinder der neun Typen hinsichtlich ihrer Lesegewohnheiten an Werk- und Wochenendtagen voneinander unterscheiden. Insgesamt wurden signifikante Unterschiede berechnet, wobei die Werte an Wochenendtagen in Übereinstimmung mit den theoretischen Überlegungen insgesamt höher sind als an Werktagen. Bei näherer Betrachtung findet sich jedoch auch eine Ausnahme der bislang beobachteten Beziehung: Kinder der fünften Gruppierung unterscheiden sich mit 27 Minuten nicht in ihrer Lesedauer an Werk- und Wochenendtagen. Die Zeitdimension scheint sich hier nicht wesentlich in ihren Lesegewohnheiten niederzuschlagen. Bezüglich des Abendintervalls kehrt sich dieser Zusammenhang, auch übereinstimmend mit bisherigen Befunden, ins Gegenteil um (vgl. Tabelle 50). Tabelle 50: Lesedauer von Kindern in Eltern-Kind-Triaden nach Wochentag (in Minuten) Werktag
Wochenendtag
Lesen
insgesamt
Abend
Typ (N = 757)
M
SD
M
insgesamt
Abend
M
SD
M
1. M: Vielleser/V: Vielleser (n = 89)
46**
59
18**
31
2. M: Vielleser/V: Durchschnittsleser (n = 69)
26**
39
9**
20
55**
65
11**
24
34**
57
6**
15
3. M: Vielleser/ V: Wenigleser (n = 59)
22**
36
11**
25
27**
51
2**
9
4. M: Durchschnittsleser/V: Vielleser (n = 66)
24**
36
10**
5. M: Durchschnittsleser/V: Durchschnittsleser (n = 109)
22
31**
48
7**
18
27**
45
12**
24
27**
47
10**
23
6. M: Durchschnittsleser/V: Wenigleser (n = 108)
17**
7. M: Wenigleser/V: Vielleser (n = 32)
32**
32
6**
17
31**
55
8**
24
66
16**
35
45**
62
10**
25
8. M: Wenigleser/V: Durchschnittsleser (n = 88) 9. M: Wenigleser/ V: Wenigleser (n = 137)
12**
27
4**
12
22**
39
4**
13
15**
32
7**
18
19**
42
4**
13
SD
SD
Legende: Vielleser: >= 45 Min.; Durchschnittsleser: > 15 bis < 45 Min.; Wenigleser: < 15 Min. Anmerkung: Die Angaben sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ des Kindes gewichtet. **p < .01. Lesedauer insgesamt: Eta2 = .050; Lesedauer abends: Eta2 = .030. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Des Weiteren wurde unter Berücksichtigung der Geschlechtsdimension unterstellt, dass sich Töchter und Söhne innerhalb der einzelnen Konstellationen bezüglich ihrer Lesedauer voneinander unterscheiden (vgl. Tabelle 51). In Anlehnung an bisherige Befunde ist davon auszugehen, dass sich Töchter insgesamt eher als Söhne vom Lesevorbild der Eltern beeinflussen lassen. Dieser Vermutung entsprechend weisen Töchter in nahezu allen Familienkonstellationen sichtbar höhere Lesezeiten auf als Söhne. Die größte Diskrepanz zeigt sich erwartungsgemäß innerhalb der ersten Konstellation, mit „zweifachem“ Lesevorbild. Mit rund einer Stunde (M = 61 Minuten) verbringen Töchter durchschnittlich 23 Minuten mehr Zeit mit Lektüre als Söhne. Das Vorbild der Eltern nimmt damit offenbar de facto einen
181
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
stärkeren Einfluss auf die Lesesozialisation von Töchtern als auf die Lesesozialisation von Söhnen. Bei näherer Betrachtung finden sich Indizien für die Annahme, dass sich Söhne stärker durch das Lesevorbild des Vaters beeinflussen lassen als durch das Vorbild der Mutter. Söhne, die in Familien aufwachsen, in denen der Vater überdurchschnittlich viel, die Mutter jedoch wenig liest (siebte Konstellation), lesen an einem durchschnittlichen Wochentag rund 31 Minuten und weichen damit nur sieben Minuten von denjenigen ab, deren Eltern überdurchschnittliche viel lesen. Auch Töchter der siebten Konstellation weisen mit 41 Minuten eine vergleichsweise lange Lesedauer auf, die lediglich von denen der ersten Gruppierung übertroffen wird. Auch Töchter lassen sich, wie die Daten nahelegen, stärker durch das Lesevorbild des Vaters beeinflussen als durch das der Mutter (Typ 3: M = 27 Minuten). Darüber hinaus mag auch hier die Bildung zusätzlich wirksam sein. Tabelle 51: Lesedauer von Söhnen und Töchtern in Eltern-Kind-Triaden (in Minuten) Söhne
Töchter
Lesen
insgesamt
Abend
insgesamt
Abend
Typ (N = 757)
M
SD
M
SD
M
SD
M
SD
1. M: Vielleser/V: Vielleser (n = 89)
38**
47
10**
14
61**
49
22**
29
2. M: Vielleser/V: Durchschnittsleser (n = 69)
16**
36
4**
8
27**
25
9**
15
3. M: Vielleser/V: Wenigleser (n = 59)
21**
26
8**
16
27**
34
8**
14
4. M: Durchschnittsleser/V: Vielleser (n = 66)
23**
33
6**
12
28**
32
10**
17
5. M: Durchschnittsleser/V: Durchschnittsleser (n = 109)
22**
37
6**
11
34**
35
10**
15
6. M: Durchschnittsleser/V: Wenigleser (n = 108)
24**
34
11**
19
33**
46
12**
18
7. M: Wenigleser/V: Vielleser (n = 32)
31**
54
8**
16
41**
52
20**
31
8. M: Wenigleser/V: Durchschnittsleser (n = 88)
14**
18
3**
8
17**
27
5**
10
9. M: Wenigleser/V: Wenigleser (n=137)
15**
27
6**
11
17**
24
5**
10
Legende: Vielleser: >= 45 Min.; Durchschnittsleser: > 15 Min. bis < 45 Min.; Wenigleser: < 15 Min. Anmerkung: Die Angaben sind mit dem Faktor „Personen-Struktur“ des Kindes gewichtet. **p < .01. Lesedauer insgesamt: Eta2 = .078; Lesedauer abends: Eta2 = .053. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Im Falle eines fehlenden positiven Lesevorbildes der Eltern liegen nur minimale Geschlechtsunterschiede vor. Dies lässt sich mit Blick auf sozialisationstheoretische Überlegungen dadurch erklären, dass Geschlechtsunterschiede im Allgemeinen ein Ausdruck familialer Voraussetzungen bezüglich der Lesesozialisation sind, die in diesem Falle eher ungünstig sind. Geschlechtsunterschiede sind damit in erster Linie „sozial konstruiert“ und lassen sich auf familiale Rahmenbedingungen zurückführen. In summa konnte gezeigt werden, dass günstige Rahmenbedingungen bezüglich des Lesevorbildes beider Eltern lediglich die Lesesozialisation von Töchtern nachhaltig beeinflussen. Die Bildung scheint demgegenüber insbesondere die Lesesozialisation von Söhnen zu stimulieren. Generell scheint sie die Lesegewohnheiten von männlichen Lesern in der Familie nachhaltiger zu beeinflussen als die von weiblichen Lesern. Des Weiteren wirkt
182
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
sich das Lesevorbild des Vaters offensichtlich insgesamt stärker auf die Lesesozialisation aus als das Vorbild der Mutter. Inwieweit es sich hierbei um einen „verdeckten“ Bildungseffekt handelt, lässt sich nicht eindeutig klären. Geschlechtsunterschiede zwischen Heranwachsenden sind abgemildert, falls der Vater als Lesevorbild präsent ist (im positiven Fall), oder falls keine Anregung seitens der Eltern vorhanden ist (im negativen Fall).
183
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion 5.5 Mehrdimensionale Typologien der Lesesozialisation in verschiedenen Bildungsgruppen
In diesem Teilkapitel sollen in einem weiteren Analyseschritt alle der theoretisch beschriebenen Dimensionen der Lesesozialisation gemeinsam berücksichtigt werden. Die Argumentationsfolge baut auf folgendem Konzept auf. Abbildung 10: Analysekonzept der familialen Lesesozialisation Rahmenbedingungen in der Familie extern Bildung
intern Zeit
hoch
Durchschnittstag Werktag Wochenende
mittel
Durchschnittstag Werktag Wochenende
niedrig
Lesesozialisation
Eltern-Dyade
Kind
Elternvorbild
Lesen
Interaktionen
Fernsehen
Zeitrestriktionen zurückhaltende Fernsehnutzung
Durchschnittstag Werktag Wochenende Vorgruppierung
Clusteranalysen
Quelle: Eigene Erstellung.
Ausgehend von der Erkenntnis, dass die Bildung eines der zentralen Unterscheidungsmerkmale der Lesesozialisation darstellt, werden Familien verschiedener Bildungsgruppen zunächst separat untersucht, um sie dann anschließend miteinander zu vergleichen. Ausgegangen wird von der Überlegung, dass sich innerhalb jeder Bildungsgruppe nochmals verschiedene Typen der Lesesozialisation finden lassen. Damit soll der Kritik bezüglich des eher „grobmaschigen“ Merkmals Bildung (vgl. Groeben 2004b, 164f.) begegnet werden. Neben einer Betrachtung eines Durchschnittstages (über drei Tage berechnet) wird des Weiteren eine getrennte Analyse für Werk- und Wochenendtage vorgenommen, um den Zeitaspekt näher zu spezifizieren. Auch in Bezug auf vorherige Ergebnisse ist anzunehmen, dass sich Diskrepanzen zwischen einzelnen Bildungsgruppen stärker an Wochenendtagen als an Werktagen herausbilden. Durch die Betrachtung von ElternDyaden sollen in jeder Bildungsgruppe verschiedene Typen von familialen Rahmenbedingungen der Lesesozialisation identifiziert werden (Kapitel 5.5.1). Daran anschließend sollen in jeder Bildungsgruppe verschiedene Typen von Kindern151 gefunden werden, die sich in ihren Lese- und Fernsehgewohnheiten voneinander unterscheiden (Kapitel 5.5.2). Als Verfahren der Typenbildung werden Clusteranalysen verwendet, welche sich dazu
151
Pro Eltern-Dyade jeweils ein Kind (das älteste Kind).
184
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
eignen, beliebig viele theoretisch relevante Merkmale zur Gruppenbildung gleichzeitig heranzuziehen. In diesem Zusammenhang stellen sich folgende Fragen: Welche und wie viele Typen der Lesesozialisation (Eltern-Dyaden; Kinder) lassen sich in den einzelnen Bildungsgruppen finden und nach welchen Dimensionen unterscheiden sich diese? Wie unterscheiden sich die Typologien an Werk- und Wochenendtagen? Lassen sich über alle Bildungsgruppen ähnliche Clusterstrukturen identifizieren? Welche Unterschiede bezüglich der Clusterstrukturen ergeben sich zwischen den einzelnen Bildungsgruppen? Wie unterscheiden sich die einzelnen Cluster hinsichtlich ihres relativen Leseanteils? Die Ergebnisse wurden im Zuge eines sukzessiven Clusterbildungsprozesses gewonnen. Im ersten Schritt wurden auf Grundlage der soeben formulierten Fragen drei bis fünf Clusterlösungen mittels eines WARD-Algorithmus berechnet. Die aggregierten Mittelwerte (pro Cluster) flossen im zweiten Schritt als Startpartition in K-Means-Verfahren ein. Aufgrund der Möglichkeit, Clusterzentren beliebig zu verschieben, lassen sich die Clusterlösungen weiter optimieren (vgl. Wiedenbeck u. Züll 2001, 14).152 Auch unter Zuhilfenahme der F-Statistiken wurden schließlich interpretierbare und valide Clusterlösungen (endgültige Clusterzentren) ausgewählt. Die Berechnungen wurden vorab sowohl mit als auch ohne „Ausreißer“ durchgeführt.153 Um die Cluster zu beschreiben, werden Mittelwerte, F-Werte sowie Angaben zur Signifikanz herangezogen. In formaler Hinsicht wird die Validität der Clusterlösungen dergestalt überprüft, indem die mittels WARD- und K-Means-Algorithmus generierten Typologien zueinander in Beziehung gesetzt werden.154 5.5.1 Rahmenbedingungen der Lesesozialisation in Familien mit unterschiedlicher Bildung Diese Analysen basieren auf der Annahme, dass sich innerhalb der einzelnen Bildungsgruppen Typen familialer Rahmenbedingungen identifizieren lassen, die sich bezüglich verschiedener Merkmale voneinander unterscheiden. Durch eine Fokussierung auf ElternDyaden soll die Beziehung zwischen externen und internen Dimensionen analysiert werden. Dies betrifft Bildung und Zeit einerseits und Elternvorbild, familale Interaktionen, individuelle Zeitrestriktionen sowie eine zurückhaltende Fernsehnutzung andererseits. Bisherige Analysen haben gezeigt, dass sich Elternpaare bezüglich ihrer Lesegewohnheiten eher ähneln als dass sie sich unterscheiden. In nur acht Prozent der Familien lassen sich 152
Das Verfahren endet, wenn mit einem neuen Schritt keine neue Gruppierung gebildet wird. Die sich ergebende Gruppierung hat die Minimal-Distanz-Eigenschaft, d.h. bei jedem Schritt sinkt auch die globale Binnenvarianz. Im Zuge dessen wird nicht immer ein globales, sondern unter Umständen nur ein lokales Minimum erzielt (vgl. Wiedenbeck u. Züll 2001, 14). 153 Als "Ausreißer" wurden alle Objekte definiert, die einzeln ein Cluster bildeten oder höchstens paarweise zu einem Cluster zusammengefasst wurden. Ausreißer wurden mit Hilfe des Single-Linkage-Verfahrens identifiziert, welches aufgrund seiner kontrahierenden Eigenschaft zur Kettenbildung neigt, während der WARD-Algorithmus eher dazu tendiert, gleich große Cluster zu bilden (vgl. Backhaus u.a. 2006, 528). Aus der inhaltlichen Plausibilität der Clusterlösung leitete sich die Entscheidung ab, ob eine Clusterlösung mit oder ohne Ausreißer ausgewählt wurde. Eine Elimination von Ausreißern ist stets mit einer Manipulation der Daten und Ergebnisse verbunden. Ein Ausschluss von Ausreißern wurde nur dann vorgenommen, wenn sich dadurch die Validität des Ergebnisses wesentlich verbesserte. 154 Eine detaillierte Beschreibung der Clusteranalyse findet sich in Anhang I.
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
185
Mütter als Vielleser, Väter hingegen als Wenigleser beschreiben, während in immerhin 18 Prozent der Familien beide Eltern wenig lesen (vgl. Kapitel 5.4). Aus diesem Grund wurden die Zeitbudgets beider Eltern zusammengefasst, um die Rahmenbedingungen der Lesesozialisation zu operationalisieren. Eine Ausnahme betrifft die Dimension der familialen Interaktionen. Es ist anzunehmen, dass sich Interaktionszeiten von Müttern und Vätern häufig überschneiden, obgleich Mütter zumindest an Werktagen insgesamt länger mit Kindern interagieren als Väter (vgl. Kapitel 5.3). Aus diesem Grund werden familiale Interaktionen am Zeitbudget der Mutter für Gespräche und gemeinsame Mahlzeiten mit Kindern gemessen. In Anlehnung an die herkömmliche Vorgehensweise werden sowohl die Lesedauer insgesamt als auch die Lesedauer am Abend als Indikatoren des Elternvorbildes berücksichtigt. Aufgrund der hohen Korrelation zwischen „Fernsehdauer insgesamt“ und „Fernsehdauer am Abend“ (rp > = 0,8) findet nur die „Fernsehdauer insgesamt“ Berücksichtigung.155 Der entsprechende Wert in puncto Lesedauer lag generell unterhalb dieses Grenzwertes. Mit Blick auf die engere Fragestellung liegt es darüber hinaus nahe, das Lesevorbild der Eltern stärker zu berücksichtigen. Im Rahmen erster Berechnungen wurden daher stets beide Lesevariablen mitberücksichtigt. Falls die Variable „Abendlektüre“ keinen weiteren Erklärungsbeitrag lieferte, wurde sie aus den Analysen ausgeschlossen. Um die Forschungsannahme zu überprüfen, dass eine zurückhaltende Fernsehnutzung die Lesesozialisation positiv stimuliert, wurde überdies der relative Leseanteil156 berechnet. Mittels einfaktorieller Varianzanalysen konnte überprüft werden, ob sich die jeweiligen Cluster in ihrer relativen Lesedauer (in Prozent) voneinander unterscheiden. Die Rahmenbedingungen der Lesesozialisation lassen sich demnach umso günstiger bewerten, je höher der Leseanteil im Vergleich zum Fernsehanteil ist. Die methodische Vorgehensweise wird in der nachfolgenden Abbildung nochmals zusammenfassend visualisiert.
155
Backhaus u.a. legen diesen Wert bei rp > .09 fest (2006, 550). Hierzu wurde auf Basis der Zeitbudgetdaten eine Variable berechnet, die sich auf den prozentualen Anteil des Lesens an der Gesamtmedienzeit für Lesen und Fernsehen bezieht. Diejenigen Fälle wurden jeweils ausgeschlossen, bei denen sich im Zähler und/oder Nenner eine Null befindet. Hier gaben die Befragten an, dass sie an dem jeweiligen Tag nicht gelesen oder ferngesehen hätten.
156
186
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Abbildung 11: Analysekonzept der familialen Rahmenbedingungen: Eltern-Dyaden nach Bildung und Zeit Rahmenbedingungen der Lesesozialisation extern Bildung
intern Zeit
Eltern-Dyade
hoch
Durchschnittstag Werktag Wochenende
Elternvorbild: Lesedauer insgesamt (in Min.) Lesedauer am Abend (in Min.) Fernsehdauer insgesamt (in Min.)
mittel
Durchschnittstag Werktag Wochenende
Interaktionen: Zeit für Gespräche, Mahlzeiten (in Min.)
niedrig
Durchschnittstag Werktag Wochenende Vorgruppierung
Zeitrestriktionen: Erwerbsarbeitszeit (in Min.) Zurückhaltende Fernsehnutzung: relativer Leseanteil (in Prozent)* Clusteranalysen/*Varianzanalysen
Quelle: Eigene Erstellung.
Im Allgemeinen handelt es sich bei Clusteranalysen um explorative bzw. „strukturen-entdeckende Verfahren“ (Backhaus u.a. 2006, 7) der Datenanalyse, aufgrund dessen sich eine Hypothesenprüfung im strengen Sinne erübrigt.157 Auf Grundlage einer Vorstudie (vgl. Jäckel u. Wollscheid 2006) wird jedoch angenommen, dass sich in jeder Bildungsgruppe vier oder fünf relativ gleich große homogene Cluster identifizieren lassen, die sich beschreiben lassen als „Vielleser/Wenigseher“, „Vielseher/Wenigleser“, „Wenigleser/-seher“, „Vielseher/-leser“ und „Durchschnittsleser/-seher“ und die sich gleichzeitig hinsichtlich der übrigen Dimensionen voneinander unterscheiden. Zur vorläufigen Kategorisierung der Typologien wurde auf die in Kapitel 5.4 verwendete Berechnungsformel zurückgegriffen. Vielleser bzw. -seher werden definiert, indem der Durchschnittswert mit dem Wert 1,5 multipliziert wurde; bei Weniglesern bzw. Wenigsehern liegt der entsprechende Wert bei 0,5. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass Elternpaare bzw. -dyaden die Analyseeinheit bilden, was mit Konsequenzen bezüglich der jeweiligen Durchschnittswerte verbunden ist. Im Falle des Lesens wird unterstellt, dass es sich weitgehend um eine „individuelle“ Tätigkeit handelt (vgl. Kapitel 5.1). Deshalb sind die addierten Lesezeiten über Mütter und Väter in die Berechnung eingegangen. Als Vielleser werden demnach diejenigen Elternpaare typisiert, die sich durch eine durchschnittliche Lesedauer von 90 Minuten oder mehr ([30 + 30 = 60] * 1,5) charakterisieren lassen. Unter Weniglesern werden Elternpaare subsummiert, deren durchschnittliche Lesedauer bei 30 Minuten oder weniger ([30 + 30 = 60] * 0,5) liegt. 157
Die Entscheidung für eine optimale Clusterlösung sei immer auf Basis inhaltlicher Kriterien zu treffen, so Laatz (1993, 412), und beruhe daher in geringerem Maße auf formalen Kriterien. Hierzu auch Hammett u.a.: „Although cluster analysis is designed to reveal multiple homogeneous groups within a sample, determining the optimal number of clusters in a solution is not self-evident from the analysis.“ (2003, 453)
187
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Im Falle der Fernsehnutzung konnte bereits nachgewiesen werden, dass sowohl Väter als auch Mütter im Durchschnitt etwa zwei Drittel ihrer Fernsehzeit (rund 60 Minuten) im Beisein anderer verbringen, während sie etwa 30 Minuten alleine fernsehen. Davon ausgehend wird unterstellt, dass Elternpaare etwa zwei Drittel der Fernsehzeit gemeinsam und jeweils ein Drittel der Fernsehzeit alleine verbringen. Bei der Berechung sind der gemeinsamen Dauer von 60 Minuten jeweils eine halbe Stunde „Individualfernsehzeit“ (pro Elternteil) hinzugefügt worden. Demzufolge werden als Vielseher diejenigen bezeichnet, die ([60 + 30 + 30] * 1,5) 180 Minuten oder länger fernsehen, während sich Wenigseher durch eine durchschnittliche Fernsehdauer von ([60 + 30 + 30] * 0,5) 60 Minuten oder weniger beschreiben lassen. Die Ergebnisse der Clusteranalysen werden im Folgenden zunächst getrennt nach Bildungsgruppen dargestellt und anschließend miteinander verglichen. 5.5.1.1 Familien mit hoher Bildung Diese Ausführungen beziehen sich auf Eltern-Dyaden (Familien) mit hoher Bildung. In Betrachtung eines Durchschnittstages erweist sich eine Vier-Cluster-Lösung mit zwei kleineren, einem mittelgroßen und einem größeren Cluster158 als inhaltlich plausibel. Die einzelnen Gruppierungen lassen sich beschreiben als „Vielleser/-seher“ (Cluster 4), „Durchschnittsleser/-seher mit langer Interaktionsdauer“ (Cluster 2), „relativ zeitarme Durchschnittsleser/-seher“ (Cluster 3) sowie „Durchschnittsleser/-seher mit mittlerer Erwerbsarbeitszeit“ (Cluster 1). Die Zeitbudgets für Erwerbsarbeit und Fernsehen weisen die höchste Trennschärfe unter den Variablen auf, abzulesen an den jeweiligen F-Werten, wohingegen sich die Gruppen entgegen der soeben formulierten Erwartungen nicht signifikant hinsichtlich der Lesedauer unterscheiden (vgl. Tabelle 52). Tabelle 52: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit hoher Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation Zeitbudget (in Minuten) Lesen
Cluster 1 (n=76/45,5%)
Cluster 2 (n=19/11,4%)
Cluster 3 (n=50/29,9%)
Cluster 4 (n=22/13,2%) 100
F-Wert
77
66
70
Fernsehen
134**
106**
134**
282**
18,775
2,019
Erwerbsarbeit
440**
36**
749**
249**
35,4
Interaktionen
87**
99**
53**
87**
8,487
** p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Bezüglich des relativen Leseanteils unterscheiden sich die vier Typen signifikant (p < .05), allerdings mit einem relativ schwachen Effekt von Eta2 = .057. In drei Gruppierungen findet sich ein relativer Leseanteil von mehr als 40 Prozent: im ersten (42 Prozent), im zweiten (41 Prozent) und dritten Cluster (42 Prozent). Nur im vierten Cluster liegt dieser Wert mit 158
Die Begriffe „Cluster“, „Typen“ und „Gruppierungen“ werden im Folgenden synonym verwendet.
188
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
rund 23 Prozent wesentlich niedriger, obgleich die absolute Lesedauer mit 100 Minuten an der Spitze liegt. Im Folgenden wurde eine getrennte Analyse für Werk- und Wochenendtage durchgeführt. Eine Vier-Cluster-Lösung lässt sich für Werktage replizieren. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Analyseeinheit hier streng genommen nicht die Eltern-Dyade, sondern der einzelne Tagebuchtag einer Eltern-Dyade ist. Da jeweils zwei Tagebuchtage pro Eltern-Dyade vorliegen, was mit einer Verdopplung der Stichprobengröße einhergeht, ist es möglich, dass sich die Angaben einer Eltern-Dyade (über zwei Tagebuchtage) zwei verschiedenen Clustern zuordnen lassen, auch unter der Voraussetzung, dass sich deren Mediengewohnheiten an zwei Werktagen bedeutend voneinander unterscheiden. Eine Grundauszählung der einzelnen Fälle hat allerdings gezeigt, dass sich in den jeweiligen Clustern mehr als die Hälfte der Fälle (Tagebuchtage der Eltern-Dyade) jeweils im selben Cluster wiederfinden, im vierten Cluster liegt dieser Anteil leicht darunter mit 49 Prozent. Am stärksten diskriminieren hier Erwerbsarbeit (F = 1285,364) sowie Interaktionsdauer (F = 12,81). Alle Cluster lassen sich durch eine eher durchschnittliche Leseund Fernsehdauer charakterisieren. Durch eine vergleichsweise lange Erwerbsarbeitszeit lassen sich das erste (M = 1088 Minuten) und vierte Cluster (M = 798 Minuten) beschreiben. Gleichsam zeichnen sich sichtbare Unterschiede zwischen den Gruppen hinsichtlich der Interaktionsdauer ab. Während Eltern des ersten Clusters an Werktagen im Durchschnitt lediglich 37 Minuten mit ihren Kindern interagieren, wenden Eltern des zweiten Clusters hierzu knapp doppelt soviel Zeit auf (M = 73 Minuten). Die relativ kurze Interaktionsdauer der ersten Gruppierung lässt sich als Ausdruck von Zeitarmut interpretieren; die Erwerbsarbeitsdauer nimmt hier mit rund 18 Stunden einen Spitzenwert ein. Das dritte Cluster, das 40 Prozent der Stichprobe in sich vereint und damit das größte Cluster ist, lässt sich durch eine eher moderate Länge der elterlichen Erwerbsarbeitsdauer beschreiben (M = 522 Minuten) (vgl. Anhang II, Tabelle A). Das zweite Cluster weist neben mittleren Lese-, Fernseh- und Interaktionszeiten eine erstaunlich niedrige Erwerbsarbeitsdauer auf. Dieser Wert von nur 40 Minuten an Werktagen verlangt nach einer Erklärung. Den Befragten war es im Rahmen der Erhebung möglich zu dokumentieren, ob es sich im Falle des jeweiligen Tagebuchtages um einen „normalen“ oder „außergewöhnlichen“ Tag (wie etwa Krankheits- oder Urlaubstage) handelte.159 In 67,5 Prozent der Fälle wurden die Tage als „außergewöhnlich“ klassifiziert. Da sich die Zeitbudgets auf summierte Werte über Väter und Mütter (Eltern-Dyaden) beziehen, werden hier exemplarisch die Angaben der Väter betrachtet. Es ist somit anzunehmen, dass mehr als zwei Drittel der Elternpaare in der zweiten Gruppierung an den betreffenden Tagen keiner Erwerbsarbeit nachgingen, was sich schließlich in einem niedrigen Wert für Erwerbsarbeitszeit niederschlägt. Hinsichtlich der Lese- und Fernsehdauer unterscheiden sich die vier Cluster insgesamt auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Keine signifikanten Unterschiede zwischen den Clustern wurden daher auch bezüglich des relativen Leseanteils ermittelt. Die einzelnen Werte unterscheiden sich maximal um elf Prozentpunkte. Während der relative Leseanteil im ersten Cluster bei 32 Prozent liegt, beträgt dieser Wert im vierten Cluster immerhin 43
159
Die entsprechende Frage im Tagebuch (ergänzende Informationen zum Tagebuch, Frage 3) lautete: „Wie verliefen die im Tagebuch beschriebenen Tage?“ Als Antwortkategorien wurden vorgegeben: „ganz normal“; „außergewöhnlich, da z.B. Urlaub, Krankheit, Familienfest“.
189
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Prozent. Dazwischen liegen die Werte des dritten (38,8 Prozent) und zweiten Clusters (42,2 Prozent). Die anschließenden Analysen richten sich auf Eltern-Dyaden an Wochenendtagen. Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass sich die bisherigen Resultate weiter ausdifferenzieren lassen. Lüdtke konnte beispielsweise nachweisen, dass individuelle Aktivitätsmuster (von Großstadtbewohnern) an Sonntagen heterogener sind als an Werktagen (vgl. 2001, 149). Es lassen sich fünf theoretisch plausible Cluster identifizieren; mit fünf Objekten ist das fünfte Cluster jedoch sehr klein. In weitgehender Übereinstimmung mit bisherigen Vorüberlegungen lassen sich die Cluster benennen als „Wenigleser/-seher“ (Cluster 1), „Vielleser/Durchschnittseher“ (Cluster 2), „Vielleser/-seher“ (Cluster 3), „Durchschnittsleser/-seher“ (Cluster 4) sowie „Vielleser/Wenigseher“ (Cluster 5). Während Vielleser/seher etwa 40 Prozent der Eltern-Dyaden inkludieren, liegt der Anteil der Stichprobe am Cluster „Vielleser/Wenigseher“ nur bei 3,2 Prozent. Während sich die ersten drei Gruppierungen jeweils durch eine überdurchschnittlich lange Interaktionsdauer von über 90 Minuten beschreiben lassen, lässt sich im fünften Cluster die gegenläufige Tendenz beobachten (M = 50 Minuten). Überdies lassen sich das vierte und fünfte Cluster durch eher ungewöhnlich lange Erwerbsarbeitszeiten an Wochenendtagen beschreiben. Die herkömmliche Trennung zwischen Arbeit und Freizeit an Werkund Wochenendtagen scheint insbesondere bei diesen Gruppierungen nicht zuzutreffen. Dies trifft z.B. insbesondere auf Selbständige, Beschäftigte in Krankenhäusern oder im Gaststättengewerbe zu. Daher verwundert es nicht, dass die Variable „Erwerbsarbeit“ am stärksten zwischen den Gruppen trennt, gefolgt von der Fernsehdauer. Im Vergleich zu bisherigen Analysen weisen die Lesevariablen an Wochenenden eine höhere Trennkraft zwischen den Clustern auf als an Werktagen, mit F = 29,979 (Lesen insgesamt) sowie F = 29,897 (Lesen am Abend). Hinsichtlich der Interaktionsdauer unterscheiden sich die fünf Gruppen hingegen nicht signifikant, obgleich die Diskrepanz zwischen dem ersten und dem fünften Cluster etwas mehr als eine Zeitstunde beträgt (vgl. Tabelle 53). Tabelle 53: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit hoher Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation (Wochenendtage) Zeitbudget (Minuten)
Cluster 1 (n = 39/ 25 %)
Cluster 2 (n = 29/ 18,6%)
Lesen insgesamt
35**
191**
89**
45**
100**
29,973
7**
78**
15**
17**
62**
29,894
Fernsehen
42**
106**
311**
161**
6**
74,036
Erwerbsarbeit
27**
14**
14**
442**
982**
Interaktionen
116
95
92
75
50
Abendlektüre
Cluster 3 (n = 63/ 40,4 %)
Cluster 4 (n = 20/ 12,8 %)
Cluster 5 (n = 5/ 3,2 %)
F-Wert
467,62 0,137
Anmerkung. Es wurden 15 Ausreißer identifiziert und eliminiert. ** p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Bezüglich des relativen Leseanteils sind die Unterschiede zwischen den Gruppen statistisch signifikant (p < .01) und relativ bedeutend, ausgedrückt durch Eta2 = .491. Im fünften, zweiten und ersten Cluster kehrt sich das bislang beobachtete Verhältnis zwischen Lesen
190
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
und Fernsehen ins Gegenteil um. Im zweiten Cluster liegt dieser Wert bei 67,6 Prozent und beansprucht damit rund zwei Drittel der Medienzeit. Für das erste Cluster wurde ein Wert von 57,9 Prozent berechnet, der immer noch oberhalb des Fernsehanteils liegt. Im fünften Cluster wurde gar ein Leseanteil von 96 Prozent ermittelt, obgleich sich dieser Befund aufgrund der geringen Stichprobengröße nicht sinnvoll interpretieren lässt. In knapp 50 Prozent der Familien ist damit das Lesevorbild der Eltern gegenüber dem Fernsehvorbild zumindest an Wochenendtagen stärker präsent. Hier kann von relativ günstigen Rahmenbedingungen der Lesesozialisation gesprochen werden. In der dritten und vierten Gruppierung kehrt sich dieses Verhältnis allerdings um, der relative Leseanteil liegt hier nur noch bei annähernd 20 Prozent, d.h. bei 20,1 Prozent im dritten und bei 20,7 Prozent im vierten Cluster. In Familien mit hoher Bildung lassen sich somit insbesondere an Wochenendtagen vergleichsweise große Diskrepanzen zwischen den einzelnen Clustern beobachten. Das dritte Cluster hebt sich mit einer durchschnittlichen Fernsehdauer von rund sechs Stunden deutlich von den übrigen Clustern ab. Die Annahme, dass ein „Mehr“ an Zeit mit höheren Leseanteilswerten einhergeht, trifft auf 43,6 Prozent dieser Familien zu, während sie für etwas mehr als die Hälfte nicht gilt. Insgesamt konnte die Analyse zeigen, dass sich Familien mit hoher Bildung an Wochenendtagen stärker in ihren Voraussetzungen bezüglich der Lesesozialisation unterscheiden. Die postulierte Clusterstruktur lässt sich mit den vorliegenden Daten daher ausschließlich an Wochenendtagen abbilden. Die Analysen werden im Folgenden mit Eltern-Dyaden der mittleren Bildungsgruppe repliziert. 5.5.1.2 Familien mit mittlerer Bildung Bei Eltern-Dyaden, die sich durch eine mittlere Bildung beschreiben lassen, erweist sich zunächst eine Lösung mit fünf Clustern als inhaltlich plausibel. Auch hier lassen sich die Gruppierungen am ehesten mit den Variablen „Erwerbsarbeit“ sowie „Fernsehen“ voneinander abgrenzen.160 Das erste, zweite und dritte Cluster lassen sich durch eine überdurchschnittliche Fernsehdauer beschreiben, die zwischen rund dreieinhalb Stunden (Cluster 2 und 3) bis etwa sechseinhalb Stunden (Cluster 1) reicht. Orientiert man sich an der bisherigen Definition des Vielsehers, lassen sich somit rund zwei Drittel der ElternDyaden mit mittlerer Bildung unter diesen Begriff fassen. Das dritte Cluster unterscheidet sich vom ersten und zweiten Cluster primär durch kurze Erwerbsarbeitszeiten. Dieser Wert lässt sich teilweise dadurch erklären, dass der Anteil nichterwerbstätiger Mütter mit rund 53 Prozent hier an der Spitze liegt, gegenüber Anteilswerten von 6,6 Prozent im zweiten und 45,5 Prozent im ersten Cluster.161 Die vierte Gruppierung lässt sich bezüglich der Lese- und Fernsehdauer als Durchschnittscluster mit gleichzeitig überdurchschnittlich langer Interaktionsdauer von rund eineinhalb Stunden beschreiben. Die Rahmenbedingungen lassen sich hier als vergleichsweise günstig beurteilen. Daneben lässt sich das fünfte Cluster durch eine mittlere Fernsehdauer 160
Da sich die einzelnen Typen auch hier vergleichsweise gering durch das Lese-Kriterium diskriminieren lassen, wurde die Variable „Abendlektüre“ durchgängig ausgeschlossen. In vorausgehenden Analysen haben sich die Unterschiede als nicht signifikant erwiesen. 161 Dies hat eine Grundauszählung des Merkmals „Erwerbstätigenstatus“ der zweiten Person im Haushalt (Mutter) ergeben.
191
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
und eine kurze Lesedauer (M = 40 Minuten) charakterisieren. Hier finden sich ferner Hinweise auf zeitliche Einschränkungen: Mit 54 Minuten liegt die durchschnittliche Interaktionszeit unterhalb des Durchschnitts, während die Erwerbsarbeitszeit mit 874 Minuten den Spitzenwert einnimmt (vgl. Tabelle 54). Tabelle 54: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit mittlerer Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation Zeitbudget (Minuten) Lesen
Cluster 1 (n = 66/ 19 %)
Cluster 2 (n = 106/ 30,4 %)
Cluster 3 (n=51/ 14,6 %)
Cluster 4 (n = 83/ 23,9 %)
Cluster 5 (n = 42/ 12,1 %)
F-Wert
64**
61**
72**
59**
40**
2,734
Fernsehen
319**
195**
212**
119**
159**
46,259
Erwerbsarbeit
365**
598**
47**
378**
874**
787,638
Interaktionen
76**
72**
86**
92**
54**
7,474
Anmerkung: Es wurden 14 Ausreißer eliminiert. ** p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Darüber hinaus unterscheiden sich die fünf Cluster signifikant (p < .01) hinsichtlich ihres relativen Leseanteils mit einem Effekt von Eta2 = .103. Die größten Anteilswerte lassen sich beim vierten (34,5 Prozent) und dritten (34,3 Prozent) Typ beobachten. Beim zweiten Typ liegt dieser nur noch bei 24,2 Prozent. Im fünften Cluster beträgt der Leseanteil nur noch ein Fünftel der Medienzeit (19,8 Prozent). Auch wenn man sich auf Werktage fokussiert, erweist sich eine Fünf-Cluster-Lösung als interpretierbar.162 Erneut lassen sich die Cluster vor allem durch Erwerbsarbeit (F = 1202,1) und Fernsehen (F = 47,77) voneinander abgrenzen. Hinsichtlich der absoluten Lesedauer unterscheiden sie sich nur unwesentlich und lassen sich umschreiben als „Vielseher mit geringen Zeitrestriktionen“ (Cluster 1), „zeitarme Vielseher“ (Cluster 2), „Durchschnittsleser/-seher“ (Cluster 3), „zeitarme Wenigleser/Durchschnittsseher“ (Cluster 4) sowie „extreme Vielseher“ (Cluster 5). Zeitarme Vielseher und Durchschnittsleser/-seher lassen sich als die größten Gruppierungen identifizieren (vgl. hierzu Anhang II, Tabelle B). Ein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen zeigt sich unterdessen im Falle des relativen Leseanteils (p < .01), der sich allerdings als relativ schwach beurteilen lässt (Eta2 = .091). Die Anteilswerte liegen im dritten Cluster bei 41,4, im ersten Cluster bei 35,3 Prozent und liegen damit über dem Durchschnitt (29,5 Prozent). Die Rahmenbedingungen der Lesesozialisation lassen sich folglich als relativ günstig beurteilen und gleichen sich teilweise den Voraussetzungen in Familien mit hoher Bildung an. Das zweite und vierte Cluster weisen Anteilswerte von 27,5 Prozent und 22,4 Prozent auf und rangieren damit leicht unter dem Durchschnittswert. Als vergleichsweise ungünstig lassen sich die
162
Im Rahmen der Analyse waren ursprünglich pro Eltern-Dyade Informationen über zwei Werktage zu berücksichtigen. Dies führte jedoch zu Rechenkapazitätsproblemen des Computerprogramms Statistical Package for the Social Sciences (SPSS). Deshalb wurde aus der Originalstichprobe eine 50-prozentige Zufallsstichprobe gezogen und den Analysen zu Grunde gelegt. Diese Vorgehensweise war ausschließlich im Falle der mittleren Bildungsgruppe notwendig. Daneben wurden zehn Ausreißer identifiziert und ausgeschlossen.
192
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Voraussetzungen in der fünften Gruppierung beurteilen. Mit einem Anteil von 16,3 Prozent nimmt die Aktivität des Lesens in Relation zur Fernsehnutzung eine Nischenposition ein. Aufgrund mangelnder Stabilität der Cluster-Lösung lassen sich die Ergebnisse jedoch nur eingeschränkt interpretieren. Im Rahmen des K-Means-Verfahrens konnten lediglich 27,4 Prozent der Fälle denselben Clustern des WARD-Verfahrens zugewiesen werden. Nur die Objekte des zweiten Clusters wurden korrekt zugeordnet. Die nachfolgenden Befunde beziehen sich auf Wochenendtage. Auch in diesem Fall wurde eine Fünf-Cluster-Lösung mit zwei größeren, zwei kleineren und einem winzigen Cluster als inhaltlich plausibel erachtet. Wie bisher sind es Erwerbsarbeitszeit und Fernsehdauer, die am stärksten zwischen den Clustern diskriminieren, während sich die Cluster bezüglich der Lesedauer nicht signifikant voneinander unterscheiden. An Wochenendtagen lassen sich vier der fünf Typen als Vielseher kategorisieren. So liegt die Fernsehdauer im dritten und fünften Cluster bei etwa drei Stunden, im ersten Cluster bei annähernd fünf Stunden, während sie im vierten Cluster mit circa neun Stunden deutlich an der Spitze liegt. Eltern des zweiten Clusters lassen sich im Gegensatz hierzu eindeutig als Wenigseher beschreiben. Tabelle 55: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit mittlerer Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation (Wochenendtage) Zeitbudget (Minuten) Lesen Fernsehen
Cluster 1 (n=151/ 39,4 %) 74 280**
Cluster 2 (n=112/ 29,2 %) 84
Cluster 3 (n=48/ 12,5 %)
Cluster 4 (n=62/ 16,2 %)
Cluster 5 (n=10/ 2,6 %)
61
74
25
57**
203**
532**
215**
Erwerbsarbeit
16**
13**
496**
29**
1113**
Interaktionen
103**
130**
62**
99**
44**
F-Wert 1,498 294,179 1006,08 7,119
** p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Vor allem im fünften und dritten Cluster lassen sich in puncto Erwerbsarbeitszeit vergleichsweise hohe Werte beobachten. Zumindest für einen kleinen Teil der Familien scheinen externe Zeitrestriktionen selbst an Wochenendtagen nicht vollständig ihre Gültigkeit zu verlieren. Die zweite Gruppierung lässt sich überdies durch eine überdurchschnittlich lange Interaktions- (M = 130 Minuten) und Lesedauer (M = 84 Minuten) beschreiben. Hier lassen sich die Rahmenbedingungen der Lesesozialisation als vergleichsweise günstig beschreiben. Insgesamt stehen damit an Wochenendtagen rund einem Drittel Wenigseher-Familien zwei Drittel Vielseher-Familien gegenüber (vgl. Tabelle 55). Hinsichtlich des relativen Leseanteils unterscheiden sich die Cluster signifikant (p < .01) und relativ bedeutend, was sich in einem Effekt von Eta2 = .321 ausdrückt. Mit 55,9 Prozent liegt der Leseanteil des zweiten Clusters weit über dem Durchschnitt von 28 Prozent. Im dritten Cluster lässt sich nur noch ein entsprechender Wert von rund 30 Prozent beobachten. In den verbleibenden Clustern liegen die Werte lediglich noch bei 17,4 Prozent (Cluster1), 11,6 Prozent (Cluster 4) sowie 8,9 Prozent (Cluster 5). In diesen Konstellationen nimmt das Lesen gegenüber der Fernsehnutzung nur noch eine Randstellung ein, was mit entsprechenden Folgen für die Lesesozialisation verbunden
193
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
sein mag. Hier zeigt sich deutlich, dass die Tätigkeiten des Lesen und des Fernsehens in Bezug auf die Sozialisation in der Familie ungleiche Chancen haben (vgl. Hypothese 11). In Analogie zu Familien mit hoher Bildung nehmen die Unterschiede bezüglich des relativen Leseanteils an Wochenendtagen gegenüber Werktagen zu. Dieses Ergebnis lässt sich auch als weiteren Beleg für die Forschungshypothese interpretieren, dass sich durch die gleichzeitige Betrachtung der Zeit- und Bildungsdimension bisherige Bildungsunterschiede näher spezifizieren lassen. 5.5.1.3 Familien mit niedriger Bildung Abschließend wurden Eltern-Dyaden mit niedriger Bildung analysiert, wobei sich die folgenden Ergebnisse auf einen durchschnittlichen Wochentag beziehen. Eine Lösung mit vier ungefähr gleich großen Clustern erweist sich als interpretierbar.163 Abgesehen von der Interaktionsdauer unterscheiden sich die vier Gruppierungen signifikant in ihrer durchschnittlichen Lese-, Fernseh- und Erwerbsarbeitsdauer. Wie bisher trennen Zeit für Erwerbsarbeit und Fernsehen am meisten zwischen den Gruppierungen. Das erste und vierte Cluster lassen sich durch eine überdurchschnittliche Fernsehdauer, allerdings mit unterschiedlichen Ausprägungen, sowie eine mittlere Lesedauer beschreiben („Durchschnittsleser/ Vielseher“). Sie unterscheiden sich überdies in der Zeitdimension: Im ersten Cluster ist die mittlere Erwerbsarbeitszeit mit 91 Minuten vergleichsweise niedrig, im vierten Cluster liegt sie hingegen bei 442 Minuten. Die längste Erwerbsarbeitsdauer lässt sich im zweiten Cluster beobachten (M = 712 Minuten). Während die Fernsehdauer die Dreistundenmarke erreicht, lässt sich mit 36 Minuten hier gleichzeitig die niedrigste Lesedauer beobachten. Eine mittlere Lese- und Fernsehdauer beschreiben das dritte Cluster. Der Anteil der Familien mit niedriger Bildung, die sich dieser Gruppierung zuordnen lassen, liegt allerdings nur bei etwas mehr als einem Viertel (vgl. Tabelle 56). Tabelle 56: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit niedriger Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation Zeitbudget (Minuten) Lesen Fernsehen
Cluster 1 (n=55/25,7 %) 61*
Cluster 2 (n=44/20,6 %) 36*
Cluster 3 (n=58/27,1 %)
Cluster 4 (n=57/26,6 %)
56*
53*
F-Wert 3,905
252**
180**
148**
320**
38,381
Erwerbsarbeit
91**
712**
424**
442**
374,756
Interaktionen
80
71
65
66
1,779
Anmerkung: Es wurden 13 Ausreißer ausgeschlossen. ** p < .01; * p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Des Weiteren unterscheiden sich die vier Typen signifikant (p < .01) in ihrem relativen Leseanteil, mit einem Effekt von Eta2 = .106. Mit 27,3 Prozent weist das dritte Cluster den 163
Die Variable „Abendlektüre“ wurde auch hier durchgängig ausgeschlossen, da sie nicht signifikant zwischen den Gruppen trennt.
194
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
höchsten Leseanteil auf, gefolgt von 22,4 Prozent des ersten und 19,9 Prozent des zweiten Clusters. Im vierten Cluster liegt dieser Anteil nur noch bei 13,1 Prozent. Die Rahmenbedingungen der Lesesozialisation lassen sich in bildungsferneren Familien damit insgesamt als deutlich ungünstiger beurteilen als in bildungsnäheren Familien. Lediglich das dritte Cluster nähert sich den Voraussetzungen der mittleren oder hohen Bildungsgruppen an. Diese Ähnlichkeiten lassen sich mit den vorliegenden Daten allerdings ausschließlich an quantitativen Größen wie Zeitbudgets erfassen. Auch für Werktage164 wird eine Vier-Cluster-Lösung dokumentiert. Die Differenzen in puncto Lesedauer haben sich im Vergleich zu den soeben dargestellten Gruppierungen leicht verschärft, während sich die Differenzen hinsichtlich der Fernsehdauer verringert haben. Am stärksten zwischen den Gruppen trennt wiederum die Erwerbsarbeitszeit. Während sich vergleichsweise lange Erwerbsarbeitszeiten im vierten (M = 1129 Minuten) und ersten Cluster (M = 836 Minuten) beobachten lassen, liegt der hierzu korrespondierende Wert im dritten Cluster eher im mittleren Bereich (M = 528 Minuten). Ein ungewöhnlich niedriger Wert von 67 Minuten findet sich in der zweiten Gruppierung. Dies lässt sich teilweise dadurch erklären, dass der Anteil der von den Befragten attestierten „ungewöhnlichen Tage“ mit rund 50 Prozent über dem Durchschnitt (von etwa 30 Prozent) liegt, wie eine Grundauszählung gezeigt hat. Mit Ausnahme des vierten Clusters, das sich durch eine mittlere Fernsehdauer beschreiben lässt, lassen sich alle anderen Cluster als Vielseher charakterisieren, deren Fernsehdauer zwischen dreieinhalb (Cluster 1) und vier Stunden (Cluster 2) schwankt. Damit lassen sich rund 90 Prozent der Familien mit niedriger Bildung an Werktagen durch eine Fernsehdauer von dreieinhalb Stunden oder länger charakterisieren (vgl. Anhang II, Tabelle C). Keine signifikanten Unterschiede zeigen sich unterdessen in Betrachtung des relativen Leseanteils. Die Anteilswerte reichen von 20,4 Prozent im ersten Cluster, 22,1 Prozent im zweiten, 23,1 Prozent im vierten bis zu 25,6 Prozent im dritten Cluster. Wenngleich diese Werte insgesamt auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau liegen, zeigen sich in diesem Fall keine extremen Abweichungen der Werte nach unten. Auch an Wochenendtagen erweist sich eine Vier-Cluster-Struktur als inhaltlich plausibel. Mit Ausnahme des zweiten Clusters lassen sich alle übrigen Cluster als Vielseher kategorisieren. Die Spannbreite der durchschnittlichen Fernsehdauer reicht von etwa vier Stunden im dritten Cluster, über sechs Stunden im ersten bis zu rund zehn Stunden im vierten Cluster. Letzteres umfasst jedoch lediglich 9,3 Prozent der Stichprobe. Als stark diskriminierend erweisen sich erneut Erwerbsarbeit und Fernsehen. Die durchschnittliche Erwerbsarbeitszeit weicht im dritten Cluster mit rund sieben Stunden (M = 495 Minuten) deutlich von den übrigen Werten ab. In diesem Fall dokumentierten mehr als zwei Drittel der Befragten, dass es sich um „normale Tage“ handele. Es scheint also eine Gruppe zu geben, für die Erwerbsarbeit an Wochenendtagen durchaus normal ist (z.B. bedingt durch Schichtarbeit am Wochenende).
164
Auch hier sind pro Eltern-Dyade zwei Tagebuchtage in die Analyse eingegangen. Eine Grundauszählung hat allerdings gezeigt, dass pro Cluster 50 Prozent oder mehr der Fälle im jeweiligen Cluster doppelt vorliegen.
195
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion Tabelle 57: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit niedriger Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation (Wochenendtage) Zeitbudget (Minuten) Lesen
Cluster 1 (n=77/34,1%)
Cluster 2 (n=88/38,9%)
Cluster 3 (n=40/17,7%)
Cluster 4 (n=21/9,3%)
F
65*
44*
42*
74*
362**
126**
242**
665**
203,624
Erwerbsarbeit
21**
31**
495**
0
419,092
Interaktionen
80
86
70
73
0,822
Fernsehen
3,336
Anmerkung: Es wurden elf Ausreißer identifiziert und ausgeschlossen. ** p < .01; * p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Bezüglich der relativen Lesedauer lässt sich ein signifikanter Unterschied zwischen den vier Gruppen (p < .01) beobachten, der mit einem Effekt von Eta2 = .089 jedoch vergleichsweise schwach ist. In der zweiten Gruppierung nimmt der relative Leseanteil mit 27,6 Prozent den höchsten Wert innerhalb der niedrigen Bildungsgruppe ein. Der entsprechende Wert liegt in der dritten Gruppierung mit 17,2 Prozent bereits um rund zehn Prozentpunkte niedriger. In der ersten und vierten Gruppierung lassen sich Leseanteile von 13,7 (Cluster 1) und 9,9 Prozent (Cluster 4) beobachten und befinden sich damit auf einem sehr niedrigen Niveau. Das Lesen nimmt damit in rund zwei Drittel der Familien mit niedriger Bildung selbst an Wochenendtagen einen relativ geringen Stellenwert ein. In diesem Fall scheint die Zeitdimension primär die Fernsehdauer der Eltern positiv zu beeinflussen. Ungleiche Chancen bezüglich der Lesesozialisation scheinen sich in Familien mit niedriger Bildung im Vergleich zu anderen Bildungsgruppen an Wochenendtagen gegenüber Werktagen zu erhöhen. Die Annahme, dass mehr Zeit am Wochenende die Fernseh- und Lesedauer der Eltern positiv beeinflusst, mag damit nur auf die Fernsehnutzung zutreffen. 5.5.1.4 Vergleichende Analyse der Bildungsgruppen Bezug nehmend auf die eingangs gestellten Fragen werden in diesem Kapitel die zentralen Befunde der Clusteranalysen zusammengefasst und Familien unterschiedlicher Bildungsgruppen miteinander verglichen. Abgesehen von einer Ausnahme lassen sich die Cluster-Lösungen insgesamt als relativ valide beurteilen. Im Rahmen von Kreuzvalidierungen der Ergebnisse, welche durch Ward- und K-Means-Verfahren generiert wurden, wurden jeweils über 80 Prozent der Fälle denselben Clustern zugeordnet. In jeder Bildungsgruppe ließen sich sowohl für Werk- als auch für Wochenendtage zwischen vier bis fünf Cluster identifizieren, die sich im Besonderen hinsichtlich der Zeitdimension (Erwerbsarbeitszeit) sowie des Fernsehvorbildes (Fernsehdauer) voneinander abgrenzen lassen. Damit unterscheiden sie sich gleichzeitig in ihrem relativen Leseanteil. Die Abweichungen zwischen den Clustern in verschiedenen Bildungsgruppen sind an Wochenendtagen stärker ausgeprägt als an Werktagen. Dies gilt im Besonderen für die hohe und mittlere Bildungsgruppe, was sich in den jeweiligen Eta2-Werten ausdrückt (vgl. Tabelle 58).
196
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Tabelle 58: Zusammenhangsmaße nach Bildungsgruppe und Wochentag Wochendurchschnitt hohe Bildung
2
Eta = 0,057 2
Werktag
Wochenendtag
nicht-sig.
Eta2= 0,491
2
mittlere Bildung
Eta = 0,103
Eta = 0,091
Eta2= 0,321
niedrige Bildung
Eta2= 0,106
nicht-sig.
Eta2= 0,089
Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Die vorab postulierte Clusterstruktur lässt sich lediglich eindeutig identifizieren in Familien mit hoher Bildung an Wochenendtagen, wo sich Wenigleser/-seher, Vielleser/Durchschnittsseher, Vielseher/-leser, Durchschnittsleser/-seher, sowie Vielleser/Wenigseher voneinander abgrenzen lassen. Während sich in diesem Falle drei verschiedene VielleserTypen beobachten lassen, finden sich in Familien mit mittlerer und niedriger Bildung unterschiedliche Vielseher-Typen. Die Fernsehdauer liegt in Familienkonstellationen mit hoher Bildung im Allgemeinen auf einem niedrigeren Niveau als in denen mit mittlerer oder niedriger Bildung. Die Chancenungleichheit der Aktivitäten Lesen und Fernsehen nimmt damit generell mit abnehmender Bildung zu. Insgesamt unterscheiden sich die Gruppierungen im Einzelnen stärker hinsichtlich ihres relativen Leseanteils, weniger in Bezug auf die absolute Lesedauer. In Familien mit hoher Bildung lässt sich am ehesten von einer zurückhaltenden Fernsehnutzung, verbunden mit positiven Impulsen auf eine gelingende Lesesozialisation, sprechen. In der mittleren Bildungsgruppe lassen sich einerseits Familientypen identifizieren, die sich dem „Habitus“ der hohen Bildungsgruppe annähern, andererseits finden sich hier aber auch Familientypen, die dem „Habitus“ niedriger Bildungsgruppen ähnlich sind. In Familien mit niedriger Bildung liegen die relativen Leseanteilswerte an Wochenendtagen, abgesehen von einer Ausnahme, auf einem niedrigeren Niveau als an Werktagen. Ein „Mehr“ an frei disponibler Zeit ist hier nicht mit einem „Mehr“ an Lesezeit verbunden. Der postulierte Zusammenhang zwischen Zeit und Lesedauer lässt sich damit nicht quer über alle Bildungsgruppen bestätigen. Allerdings gilt es auch mit Blick auf die verwendete Methode der Datenerfassung zu hinterfragen, inwieweit die Ergebnisse an Wochenendtagen als reliabel gelten. Erfasst wurden die Lese- und Fernsehzeiten eines einzigen Tages am Wochenende mittels eines halbstandardisierten Tagebuches. Streng genommen lässt sich von den gewonnenen Ergebnissen weniger auf Gewohnheiten als auf das Verhalten eines einzigen Tages am Wochenende schließen. Dies gilt insbesondere für das Lesen, das generell eher einem wöchentlichen als einem täglichen Rhythmus genügt.
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
197
5.5.2 Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern nach Bildungsgruppen Anknüpfend an die vorangegangenen Ausführungen wird nun ein Perspektivenwechsel von Eltern-Dyaden auf Kinder vorgenommen, um den Sozialisationsaspekt ganzheitlich zu erfassen. Untersucht werden die Kinder165 der drei Bildungsgruppen in ihren Lese- und Fernsehgewohnheiten. In dieser Arbeit wird angenommen, dass sich im Laufe der primären Lesesozialisation Lese- und Fernsehgewohnheiten entwickeln, die sich erst zu einem späteren Zeitpunkt, d.h. während der sekundären Sozialisation, zuverlässig erfassen lassen. In diesem Zusammenhang wird ferner unterstellt, dass sich in jeder Bildungsgruppe einzelne Typen von Kindern herauskristallisieren, die sich in ihren Lesegewohnheiten sowie in ihrem Fernsehgebrauch voneinander unterscheiden. Die Bildung wurde ebenso wie in bisherigen Analysen am formalen Bildungsabschluss der Eltern gemessen. Des Weiteren wird angenommen, dass die Klassifikationen zwischen Werk- und Wochenendtagen in ihrer Struktur divergieren. Als Indikatoren der Lesesozialisation werden Lese- und Fernsehzeitbudgets von Heranwachsenden zwischen zehn bis 19 Jahren herangezogen. Neben der Lese- und Fernsehdauer insgesamt werden einzelne Zeitfenster (am Nachmittag: 14 bis 20 Uhr, am Abend: 20 bis 4 Uhr) berücksichtigt, in denen üblicherweise gelesen oder ferngesehen wird.166 Darüber hinaus soll der relative Leseanteil betrachtet werden, um eine genauere Aussage über das Verhältnis von Lese- und Fernsehdauer machen zu können. In Anlehnung an die bisherige Argumentation wird unterstellt, dass sich in jeder Bildungsgruppe vier bis fünf relativ in sich homogene Cluster eruieren lassen, die sich charakterisieren lassen als „Vielleser/Wenigseher“, „Wenigleser/Vielseher“, „Durchschnittsleser/-seher“, „Wenigleser/-seher“ sowie „Vielleser/-seher“. Zur Ermittlung der jeweiligen Richtwerte wurde an der bisherigen Berechnungsformel festgehalten.167 Als Vielleser werden Kinder kategorisiert, die (30 * 1,5 = 45) 45 Minuten oder länger lesen, als Wenigleser diejenigen definiert, die (30 * 0,5 = 15) 15 Minuten oder weniger lesen. Als Vielseher gelten demnach Kinder, die (120 * 1,5 = 180) 180 Minuten oder länger fernsehen, während als Wenigseher diejenigen gelten, die (120 * 0,5 = 60) 60 Minuten oder weniger fernsehen. Der Aufbau dieses Teilkapitels orientiert sich an Abbildung 12.
165
Es wurde jeweils das erste Kind einer Familie betrachtet. Bisherige Analysen haben gezeigt, dass insbesondere am Abend gelesen wird, während sowohl am Nachmittag als auch am Abend häufig ferngesehen wird (vgl. hierzu Kapitel 5.1). 167 Vielleser bzw. -seher werden definiert, indem die entsprechenden Durchschnittswerte mit dem Faktor 1,5 multipliziert wurden, während die Durchschnittswerte (über drei Tage berechnet) bei Weniglesern bzw. -sehern jeweils mit dem Faktor 0,5 multipliziert wurden. Die Durchschnittswerte von 26 Minuten (Lesen) und 115 Minuten (Fernsehen) wurden aufgerundet auf 30 Minuten (Lesen) und 120 Minuten (Fernsehen). 166
198
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Abbildung 12: Analysekonzept der Lesesozialisation: Kinder nach Bildung und Zeit Familiale Rahmenbedingungen Bildung
Zeit
Lesesozialisation Kind
hoch
Durchschnittstag Werktag Wochenende
Lesegewohnheiten Lesen/insgesamt Lesen/am Abend (20 bis 4 Uhr)
mittel
Durchschnittstag Werktag Wochenende
Fernsehgewohnheiten Fernsehen/insgesamt Fernsehen/Nachmittag (14 bis 20 Uhr) Fernsehen/am Abend (20 bis 4 Uhr)
niedrig
Durchschnittstag Werktag Wochenende Vorgruppierung
Zurückhaltende Fernsehnutzung relativer Leseanteil (in Prozent)* Clusteranalysen/*Varianzanalysen
Quelle: Eigene Erstellung.
Die einzelnen Teilstichproben werden in Tabelle 59 zunächst in ihrer Verteilung nach Geschlecht, Alter und Schulbildung dargestellt. Kinder, die einen hohen Bildungsabschluss (Abitur oder Fachabitur) anstreben, sind in Familien mit hoher Bildung mit 78,6 Prozent eindeutig überrepräsentiert, während Haupt- und Realschüler überdurchschnittlich häufig in Familien mit niedriger Bildung vertreten sind. Dies lässt sich wiederum als Nachweis für den aus der Bildungsforschung allgemein bekannten Zusammenhang zwischen Bildung der Eltern und Bildung der Kinder interpretieren. (vgl. hierzu auch Kapitel 3.1.1). In der aktuellen Forschung mehren sich die Stimmen, die von einer zunehmenden Chancenungleichheit im Zuge der Bildungsexpansion sprechen (vgl. z.B. Becker 2006, 27ff.; Becker und Lauterbach 2007, 9ff.).
199
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion Tabelle 59: Kinder nach Geschlecht, Schulbildung und Alter in Familien mit unterschiedlicher Bildung (in Prozent) Bildung
hoch (n = 166)
mittel (n = 361)
niedrig (n = 225)
insgesamt
männlich
48,8
53,2
46,1
49,7
weiblich
51,2
47,7
53,9
50,3
Gymnasium
78,6
55,9
45,6
57,8
Haupt-/Realschule
12,5
31,2
50,0
34,1
8,9
9,9
4,4
8,0
10 bis 11
18,5
24,2
17,1
20,8
12 bis 14
41,7
39,1
41,2
40,3
15 bis 17
26,2
27,0
33,3
28,7
18 und älter
13,7
9,6
8,3
10,1
Geschlecht
Schulbildung
Grundschule Alter
Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Kinder, die sich den verschiedenen Bildungsgruppen zuordnen lassen, werden zunächst separat untersucht und im Anschluss miteinander verglichen. Die Analysen zielen überdies darauf ab, eine Beziehung zu den soeben untersuchten Eltern-Dyaden herzustellen. 5.5.2.1 Kinder in Familien mit hoher Bildung In Betrachtung eines durchschnittlichen Wochentages (über drei Tage ermittelt) lassen sich Kinder, die in Familien mit hoher Bildung aufwachsen, in vier Cluster bezüglich ihrer durchschnittlichen Lese- und Fernsehdauer gruppieren. Die Cluster lassen sich in Übereinstimmung mit bisherigen Vorüberlegungen als „Wenigseher/Durchschnittsleser“ (Cluster 1), „Vielleser/Durchschnittsseher“ (Cluster 2), „Vielseher/Durchschnittsleser“ (Cluster 3) sowie „Durchschnittleser/-seher“ (Cluster 4) beschreiben, wobei Wenigseher und Durchschnittsleser/-seher die größten Cluster bilden. Am stärksten diskriminieren Fernsehen/insgesamt sowie Lesen/insgesamt. Wenigseher weisen eine durchschnittliche Fernsehdauer von etwa einer halben Stunde auf, obgleich die Lesedauer mit 23 Minuten nur leicht darunter liegt. Dieses Cluster lässt sich erstaunlicherweise nicht bei den korrespondierenden Eltern-Dyaden finden (vgl. Tabelle 52), die annahmegemäß die Voraussetzungen der familialen Lesesozialisation repräsentieren. Bei Kindern finden sich damit eindeutigere Belege für die Annahme einer negativen Beziehung zwischen Bildung und Fernsehdauer im Vergleich zu den Eltern. Möglicherweise lässt sich dieser Wert auch als Indiz für etwaige Sanktionsmechanismen seitens der Eltern bezüglich der Fernsehnutzung deuten. So argumentieren Bettina Hurrelmann u.a., dass insbesondere in höheren Bildungsgruppen die Fernseherziehung eher mit Ermahnungen und Einschränkungen einhergeht (vgl. 2005, 379). Dies schlägt sich unter Umständen später in einem eher zurückhaltenden Fernsehgebrauch seitens der Kinder
200
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
nieder. Vielleser, die sich durch eine durchschnittliche Lesedauer von etwa zweieinhalb Stunden beschreiben lassen (Cluster 2), sehen mit rund 50 Minuten immerhin knapp 20 Minuten länger fern als Kinder des ersten Clusters. Keine Hinweise auf einen Verdrängungseffekt des Lesens durch das Fernsehen finden sich innerhalb der dritten und vierten Gruppierung. Vielseher des dritten Clusters verbringen mit circa einer halben Stunde etwa genauso viel Zeit mit Lektüre wie Durchschnittsseher (Cluster 4) (vgl. Tabelle 60). Tabelle 60: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit hoher Bildung Zeitbudget (Minuten)
Cluster 1 (n=72/43,4%)
Cluster 2 (n=17/10,2%)
Cluster 3 (n=23/13,9%)
Cluster 4 (n=54/32,5%)
Lesen/insgesamt
23**
140**
32**
32**
85,508
Lesen/am Abend
11**
31**
8**
11**
8,215
Fernsehen/insgesamt
32**
51**
242**
113**
Fernsehen/Nachmittag
15**
18**
94**
41**
55,522
Fernsehen/am Abend
14**
30**
121**
62**
76,712
F-Wert
246,35
** p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Des Weiteren unterscheiden sich die vier Cluster signifikant (p < .01) und relativ bedeutend, mit Eta2 = 0,368, hinsichtlich ihres relativen Leseanteils. Im zweiten Cluster liegt der relative Leseanteil an der Spitze mit 75,6 Prozent, gefolgt von einem Wert von 44,4 Prozent im ersten Clusters, welcher immer noch sichtbar über dem Durchschnitt von 34,7 Prozent liegt. Im Gegenzug lassen sich die Kinder des vierten und dritten Clusters durch vergleichsweise geringe Leseanteilswerte beschreiben, mit 19,7 und 11,5 Prozent. Während sich etwas mehr als die Hälfte der Kinder in Familien mit hoher Bildung durch ein „ausgewogenes“ Verhältnis von Lese- und Fernsehgewohnheiten beschreiben lassen, trifft dies auf die übrigen 44 Prozent nicht zu. Hier dominiert eindeutig die Fernsehnutzung gegenüber dem Lesen. In diesem Verhaltensmuster drückt sich möglicherweise auch ein für die Jugendphase typisches „Protestverhalten“ gegenüber den Eltern inklusive deren „Bildungshabitus“ aus. Im Zuge der Analyse von Werktagen hat sich eine Lösung mit fünf Typen, d.h. mit einem größeren und vier kleineren Clustern, als theoretisch plausibel erwiesen. Diese lassen sich klassifizieren als „Wenigseher“ (Cluster 2), „Vielseher/Durchschnittsleser“ (Cluster 3), „Vielleser/Wenigseher“ (Cluster 4), „Durchschnittsseher/am Nachmittag“ (Cluster 1) sowie „Durchschnittsseher/am Abend“ (Cluster 5). Am stärksten trennen Fernsehen/insgesamt sowie Fernsehen/am Abend (vgl. hierzu: Anhang II, Tabelle D). Durch Differenzierung in ein Nachmittags- und ein Abendintervall lassen sich die aus der Literatur bekannten Befunde über Vielleser oder -seher und Wenigleser oder -seher (vgl. z.B. Bucher 2004, 93f.) somit für einzelne Zeitfenster spezifizieren. Wiederholt bilden Wenigseher die größte Gruppierung, mit 47,3 Prozent. Eine mögliche Ursache für die zurückhaltende Fernsehnutzung könnte in institutionell bedingten Zeitrestriktionen liegen, wie z.B. Nachmittagsunterricht in der Schule. Es ist anzunehmen, dass institutionell begründete Zeitrestriktionen mit steigendem Alter der Kinder zunehmen.
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
201
Im Zuge einer näheren Betrachtung der Altersstruktur findet sich jedoch kein Beleg für diese Annahme, da die Altersstruktur dieses Clusters nicht wesentlich von derjenigen der Gesamtstichprobe abweicht. Im Falle des ersten und fünften Clusters lassen sich Unterschiede, die sich auf die zeitliche Priorisierung der Fernsehnutzung beziehen, zumindest teilweise durch die Altersstruktur und damit verbundene Gewohnheiten erklären. Während sich das Cluster der Nachmittagsseher überproportional aus jüngeren Kindern zusammensetzt, lässt sich das Cluster der Abendseher durch einen überdurchschnittlich hohen Anteil älterer Kinder beschreiben. So sind etwa drei Viertel der Kinder des ersten Clusters jünger als 15 Jahre alt, während über die Hälfte der Kinder des fünften Clusters 15 Jahre und älter sind (vgl. Anhang II, Tabelle E). Es ist anzunehmen, dass Jüngere insbesondere am Abend durch frühere Zeiten des Zubettgehens zeitlich stärker eingeschränkt sind als Ältere, während sie am Nachmittag annahmegemäß über mehr frei disponible Zeit verfügen. Insbesondere für ältere Kinder dürften schulische Verpflichtungen (z.B. Hausaufgaben, Nachmittagsunterricht) am Nachmittag eine größere Rolle spielen als für jüngere. Damit verbunden ist auch eine zeitliche Verlagerung der Fernsehnutzung in den späteren Abend. Darüber hinaus zeigt sich, dass sich Vielleser durch eine jüngere Altersstruktur, Vielseher hingegen durch eine ältere Altersstruktur beschreiben lassen. Auch bezüglich des relativen Leseanteils unterscheiden sich die fünf Typen signifikant (p < .01) mit einer Effektstärke von Eta2 = .383. Erwartungsgemäß liegt der relative Leseanteil bei Viellesern an der Spitze mit 71,8 Prozent, gefolgt von einem 46,7prozentigen Anteil bei Wenigsehern, der immer noch um mehr als zehn Prozentpunkte über dem Durchschnitt (35,3 Prozent) liegt. Abend- und Nachmittagsseher lassen sich durch wesentlich niedrigere Werte beschreiben, mit 14,6 Prozent (Cluster 5) und 13,5 Prozent (Cluster 1), die lediglich von Vielsehern unterboten werden (7,5 Prozent). Bei immerhin einem Drittel der Kinder mit hoher Bildung nimmt das Lesen an Werktagen eine Nischenposition gegenüber der Fernsehnutzung ein, während für zwei Drittel das Lesen gegenüber der Fernsehnutzung eine höhere Priorität einnimmt. Eine abschließende Bemerkung scheint an dieser Stelle angebracht. Pro Kind sind an Werktagen jeweils zwei Tagebuchtage in die Analysen eingegangen. Eine Grundauszählung hat gezeigt, dass die Anteilswerte der Tagebuchtage pro Kind, die einem einzigen Cluster zugeordnet werden, in Cluster 4 und 2 bei 56 und 61 Prozent liegen, in den übrigen Clustern jedoch nur bei 35 (Cluster 5) 31,5 (Cluster 3) und 25 Prozent (Cluster 1). Vor diesem Hintergrund lassen sich Lese- und Fernsehgewohnheiten an Werktagen bei Kindern als weniger stabil beurteilen als bei Erwachsenen, was eine eindeutige Interpretation der Ergebnisse erschwert. Die Analysen wurden mit Wochenendtagen repliziert. In diesem Fall hat sich eine Vier-Cluster-Lösung mit einem großen, einem mittleren und zwei kleineren Clustern als inhaltlich plausibel erwiesen: „Durchschnittsseher“ (Cluster 1), „Vielseher“ (Cluster 2), „Wenigseher/Durchschnittsleser (Cluster 3) sowie „Vielleser/Wenigseher“ (Cluster 4). Am stärksten diskriminieren Fernsehen/insgesamt sowie Fernsehen/abends (vgl. Tabelle 61).
202
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Tabelle 61: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit hoher Bildung (Wochenendtage) Zeitbudget (Minuten) Lesen/insgesamt Lesen/Abend Fernsehen/insgesamt
Cluster 1 (n=45/29 %)
Cluster 2 (n=18/11,6 %)
Cluster 3 (n=72/46,5 %)
Cluster 4 (n=20/12,9 %)
F-Wert
17**
44**
26**
174**
127,473
4**
3**
11**
33**
11,733
134**
211**
19**
41**
209,205
Fernsehen/Nachmittag
52**
39**
7**
14**
18,554
Fernsehen/Abend
51**
161**
8**
20**
150,884
Anmerkung: Es wurden 16 Ausreißer identifiziert und ausgeschlossen. ** p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Auch an Wochenendtagen bilden „Wenigseher/Durchschnittsleser“ mit 46,5 Prozent erneut die größte Gruppierung gefolgt von „Durchschnittssehern“. Für eine relativ große Gruppe von Kindern in Familien mit hoher Bildung hat Fernsehen damit offenbar eine relativ geringe Bedeutung im Alltag. Hinweise über mögliche Ursachen finden sich in Untersuchungen über die Funktionen der Medien. Dort wird dem Fernsehen häufig zugeschrieben, ein Mittel gegen Langeweile zu sein (vgl. z.B. Bucher 2004, 103). Das Argument, dass sich Kinder, die in einem anregungsreicherem (häufig „bildungsreicherem“) Umfeld aufwachsen, in der Regel weniger langweilen als diejenigen, die in einem anregungsärmeren bzw. „bildungsärmeren“ Umfeld aufwachsen, mag teilweise erklären, warum ein relativ großer Anteil der Kinder mit hohem Bildungsstatus, dem Fernsehen eine zeitlich geringe Bedeutung beimisst (vgl. MPFS 2005, 53). Mit Blick auf Vielleser- und Vielseher-Gruppierungen an Werk- und Wochenendtagen zeigt sich, dass erstere ihre durchschnittliche Lesedauer an Wochenendtagen gegenüber Werktagen um rund 40 Minuten erhöhen, während Vielseher gegenüber Werktagen das Fernsehzeitbudget um durchschnittlich 82 Minuten reduzieren (von 293 Minuten auf 211 Minuten). Die Fernsehnutzung mag sich damit eher dem Rhythmus des Alltags anpassen, während das Lesen nicht nur Zeit, sondern darüber hinaus auch die jeweilige Muße einfordert, an der es an Werktagen häufiger mangelt als an Wochenendtagen. Mit anderen Worten: „Von grundsätzlicher Bedeutung für […] Lesezeiten ist die Tatsache, daß die Leser […] bestimmte Ansprüche an die Kontexte, in denen sie lesen möchten stellen: Ruhe, vor allem die ‘innere Ruhe’, Wachheit, Muße um sich zu entspannen sowie das Gefühl, frei von zeitlichen Limits zu sein und nicht sofort wieder gestört zu werden, sind nahezu unabdingbare Voraussetzungen.“ (Limmroth-Kranz 1997, IV 1. Lesezeiten, o.S.).
Bedeutend unterscheiden sich die vier Cluster auch hinsichtlich des relativen Leseanteils (Eta2 = .537, p > .01). Während sich das vierte und dritte Cluster, mit 82 Prozent und 63,1 Prozent, durch überdurchschnittlich hohe Anteilswerte charakterisieren lassen, stehen das zweite und erste Cluster hierzu in Kontrast, mit Anteilswerten von 16,3 Prozent und 10,4 Prozent. Inwieweit sich diese Clusterstrukturen in anderen Bildungsgruppen reproduzieren lassen oder von bisherigen Befunden abweichen, soll des Weiteren untersucht werden.
203
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion 5.5.2.2 Kinder in Familien mit mittlerer Bildung
Bezogen auf einen durchschnittlichen Wochentag lassen sich Kinder mit mittlerer Bildung in fünf homogene Gruppen kategorisieren, die sich wie folgt benennen lassen: „Durchschnittsseher/-leser“ (Cluster 1), „Wenigseher“ (Cluster 2), „Durchschnittsseher/knapp drei Stunden“ (Cluster 3), „Vielleser“ (Cluster 4) sowie „Vielseher/sechs Stunden“ (Cluster 5). Am stärksten diskriminieren die Merkmale „Fernsehen/insgesamt“ sowie „Fernsehen am Nachmittag“. Auch bei Kindern mit mittlerer Bildung bilden Durchschnittsseher/-leser sowie Wenigseher die größten Gruppierungen. Vielleser und Vielseher konstituieren jeweils ein kleines Cluster mit Anteilswerten unter zehn Prozent. Abgesehen von Viellesern lassen sich niedrige absolute Lesezeiten quer über alle Gruppierungen beobachten (vgl. Anhang II, Tabelle F). Zieht man hingegen den relativen Leseanteil als weiteres Beschreibungskriterium heran, lassen sich signifikante (p < .01) und relativ bedeutsame Unterschiede zwischen den Clustern beobachten (Eta2 = .397). Während Vielleser einen 70,9-prozentigen Leseanteil aufweisen, liegt dieser im zweiten Cluster nur noch bei einem Drittel, mit 33,3 Prozent. Mit Anteilswerten von 15,3 (Cluster 1), 9,3 (Cluster 3) und 3,3 Prozent (Cluster 5) nimmt das Lesen in den übrigen Gruppierungen einen sehr niedrigen Stellenwert ein. Dies bedeutet umgekehrt, dass das Lesen nur noch für etwa ein Drittel der Kinder in Familien mit mittlerer Bildung einen vergleichsweise hohen Stellenwert genießt, während es für zwei Drittel bereits nur noch eine „Nischenposition“ einnimmt. Hier knüpfen die Analysen für Werktage168 an. Wiederholt erweist sich eine Lösung mit fünf Clustern als inhaltlich plausibel, welche sich charakterisieren lassen als „Durchschnittsseher/Abend“ (Cluster 1), „Vielleser“ (Cluster 2), „Wenigseher/-leser“ (Cluster 3), „Durchschnittsseher/Nachmittag“ (Cluster 4) sowie „Vielseher“ (Cluster 5). Am stärksten zwischen den Gruppierungen trennen die Merkmale „Fernsehen“ sowie „Fernsehen/Abend“ (vgl. Tabelle 62). Tabelle 62: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit mittlerer Bildung (Werktage)
Zeitbudget (Minuten) Lesen Lesen/Abend Fernsehen Fernshen/Nachmittag Fernsehen/Abend
Cluster 1 (n = 69/ 18,2 %)
Cluster 2 (n = 34/ 9,0 %)
Cluster 3 (n = 186/ 49,2 %)
Cluster 4 (n = 52/ 13,8 %)
12**
118**
15**
1**
54**
7**
10**
7**
52,068
141**
67**
28**
141**
280**
399,849
30**
27**
16**
113**
127**
181,112
105**
24**
9**
13**
119**
231,224
21**
Cluster 5 (n = 37/ 9,8 %) 22**
F-Wert 85,697
** p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02. 168 Im Rahmen der Analyse waren ursprünglich pro Kind Informationen über zwei Werktage zu berücksichtigen. Dies führte jedoch zu Rechenkapazitätsproblemen des Computerprogramms SPSS. Deshalb wurde aus der Originalstichprobe eine 50-prozentige Zufallsstichprobe gezogen und den Analysen zu Grunde gelegt. Diese Vorgehensweise war ausschließlich im Falle der mittleren Bildungsgruppe notwendig. Daneben wurden zehn Ausreißer identifiziert und ausgeschlossen.
204
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Mit einem Anteil von 49,2 Prozent bilden „Wenigseher/-leser“ die mit Abstand größte Gruppierung. Hier zeichnen sich Ähnlichkeiten zur hohen Bildungsgruppe ab, wo Wenigseher/-leser an Werktagen ebenfalls das größte Cluster bilden. Vielleser und Vielseher enthalten jeweils Anteilswerte von rund zehn Prozent der Stichprobe und stellen somit kleine Gruppierungen dar. Hinsichtlich des relativen Leseanteils unterscheiden sich die Cluster signifikant (p < .01), mit Eta2 = .314. Der höchste Leseanteil lässt sich bei Viellesern mit 66,7 Prozent beobachten, gefolgt von einem 36,2-prozentigen Anteil im dritten Cluster. In den übrigen Clustern finden sich vergleichsweise niedrige Werte, mit 11 Prozent (Cluster 4), 6,2 Prozent (Cluster 5) und 5,6 Prozent (Cluster 1). Das Lesen nimmt in diesen Gruppierungen somit eine vergleichsweise geringe Bedeutung ein. Eine Konzentration auf Wochenendtage führt zu einer Lösung mit zwei größeren und drei kleineren Clustern. „Durchschnittsseher“ (Cluster 1) und „Wenigseher/-leser“ (Cluster 2) bilden erneut die größten Gruppierungen. Daneben lassen sich „Vielleser“ (Cluster 4) sowie zwei Vielseher-Gruppierungen identifizieren: „Vielseher/fünf Stunden“ (Cluster 5) und „Vielseher/sieben Stunden“ (Cluster 3). Auch hier weisen die Fernsehen sowie Fernsehen/Abend die höchste Trennkraft auf (vgl. Tabelle 63). Tabelle 63: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit mittlerer Bildung (Wochenendtage)
Zeitbudget (Minuten) Lesen Lesen/Abend
Cluster 1 (n = 147/ 38,4%) 23**
Cluster 2 (n = 131/ 34,2%) 19**
Cluster 3 (n= 28/ 7,3%) 5**
Cluster 4 (n = 37/ 9,7%) 163**
Cluster 5 (n = 40/ 10,4%) 19**
F-Wert 134,954
6**
4**
1*
28**
2**
17,290
144**
35**
431**
63**
291**
468,751
Fernsehen/Nachmittag
47**
15**
208**
27**
69**
136,500
Fernsehen/Abend
79**
8**
115**
22*
187**
146,044
Fernsehen
** p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Im Vergleich zu Werktagen lassen sich an Wochenendtagen sowohl höhere Werte bei Viellesern als auch bei Vielsehern beobachten. Bei Viellesern liegt die Differenz zwischen Werk- und Wochenendtagen etwa bei 45 Minuten (Werktage: 118 Minuten; Wochenendtag: 163 Minuten). Allerdings zeigt sich hier, dass diese Kinder mehr über den Tag verteilt lesen und Lektüre weniger auf den Abend verlagern als an Werktagen. Während sich an Wochenendtagen ein 17,2-prozentiger Anteil, bezogen auf das gesamte Lesezeitbudget (28/163 = 17,2 Prozent), auf den Abend verteilt, beträgt dieser Wert an Werktagen etwa 46 Prozent (54/118 = 45,8 Prozent). Dieser Zusammenhang kehrt sich bei Vielsehern (Cluster 5) ins Gegenteil um: Während sich an Werktagen die Fernsehzeit nahezu gleichmäßig über den Nachmittag und den Abend verteilt, wird diese an Wochenendtagen stärker auf das Abendintervall verlagert: 64 Prozent der Fernsehnutzung finden am Abend statt. Überraschenderweise trifft dies nicht auf „Vielseher/sieben Stunden“ (Cluster 3) an Wochenendtagen zu: 48,2 Prozent der Fernsehzeit verteilen sich
205
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
auf den Nachmittag, 26,7 Prozent auf den Abend. Die übrigen 25,1 Prozent verteilen sich über die verbleibenden Zeitfenster. Bezüglich des relativen Leseanteils unterscheiden sich die fünf Cluster signifikant (p < .01) mit Eta2 = .432. Bei Viellesern (Cluster 4) beträgt der relative Leseanteil rund 75 Prozent, bei Wenigsehern (Cluster 2) liegt er mit 35,2 Prozent bereits erheblich niedriger. Im ersten Cluster („Durchschnittseher) liegt er nur noch bei 10,6 Prozent, wird aber von den Werten der Vielseher-Gruppierungen unterboten, mit 5,2 Prozent (Cluster 5) und 1,1 Prozent (Cluster 3). 5.5.2.3 Kinder in Familien mit niedriger Bildung Kinder, die in Familien mit niedriger Bildung aufwachsen, lassen sich bezüglich Lese- und Fernsehgewohnheiten in fünf homogene Cluster gruppieren. Am stärksten zwischen den Gruppen trennt die Variable „Fernsehen“. Demzufolge lassen sich die Cluster beschreiben als „Vielseher“ (Cluster 1), „Durchschnittsseher“ (Cluster 2), „Wenigseher“ (Cluster 3), „Durchschnittsseher/Wenigleser“ (Cluster 4) sowie „Vielleser/Durchschnittsseher“ (Cluster 5) (vgl. Tabelle 64). Tabelle 64: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit niedriger Bildung
Zeitbudget (Minuten) Lesen Lesen/Abend Fernsehen
Cluster 1 (n = 35/ 15,6%) 10**
Cluster 2 (n = 67/ 29,8%) 19**
Cluster 3 (n = 45/ 20%)
Cluster 4 (n = 64/ 28,4%)
19**
12**
Cluster 5 (n = 14/ 6,2 %) 95**
F - Wert 46,612
1**
5**
7**
5**
30**
18,741
271**
158**
25**
83**
107**
422,540
Fernsehen/Nachmittag
101**
65**
13**
38**
50**
59,125
Fernsehen/Abend
127**
79**
10**
33**
43**
86,056
** p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Die beiden Durchschnittsseher-Cluster (Cluster 1, Cluster 4) bilden die größten Gruppierungen, gefolgt von Wenigsehern (Cluster 3). Mit knapp einer halben Stunde Fernsehdauer und 20 Minuten Lesedauer gleichen sich Lese- und Fernsehzeitbudgets im dritten Cluster tendenziell an. Diese Gruppierung lässt sich quer über alle Bildungsgruppen identifizieren, nimmt allerdings in Abhängigkeit vom Bildungsstatus eine unterschiedlich hohe Priorität ein (hohe Bildung: 43,4 Prozent; mittlere Bildung: 26,9 Prozent; niedrige Bildung: 20 Prozent). Mit rund sechs Prozent konstituieren Vielleser das kleinste Cluster. In anderen Bildungsgruppen liegen die jeweiligen Anteilswerte bei acht Prozent in der mittleren Bildungsgruppe und bei rund zehn Prozent in der hohen Bildungsgruppe. Vielleser lassen sich darüber hinaus durch eine mittlere Fernsehdauer beschreiben und befinden sich damit auf einem höheren Niveau als in höheren Bildungsgruppen. Darüber hinaus unterscheiden sich die Cluster erwartungsgemäß signifikant (p < .01) in ihrem relativen Leseanteil mit Eta2 = .346. Im Vergleich zu höheren Bildungsgruppen
206
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
liegt dieser Wert bei Viellesern (Cluster 5) nur bei 46,8 Prozent und damit auf einem niedrigeren Niveau als der Fernsehanteil; bei Wenigsehern (Cluster 3) liegt der Leseanteil bei 38,8 Prozent. Sehr niedrige Anteilswerte finden sich im vierten (11,1 Prozent), zweiten (9,6 Prozent) und ersten Cluster (3,2 Prozent). In etwa drei Viertel der Familien mit niedriger Bildung nimmt Lesen für Kinder einen sehr geringen Stellenwert in der Freizeit ein. Geringere Bildungschancen in diesen Familien schlagen sich damit auch in der Lesesozialisation nieder. Die Untersuchung von Werktagen169 führte zu einer Fünf-Cluster-Lösung. Auch in diesem Fall unterscheiden sich die Cluster insbesondere bezüglich der Fernsehdauer. Drei Gruppierungen lassen sich insgesamt durch eine überdurchschnittliche Fernsehdauer beschreiben und werden als „Vielseher/Nachmittag“ (Cluster 1), „Vielseher/Abend“ (Cluster 4) sowie „Vielseher/acht Stunden“ (Cluster 5) kategorisiert. Sie umfassen insgesamt aber nur 16,5 Prozent der Gesamtstichprobe. Daneben lassen sich „Durchschnittsseher/-leser“ (Cluster 2) sowie „Wenigseher/Durchschnittsleser“ (Cluster 3) identifizieren. Letztgenannte umfassen rund 50 Prozent der Stichprobe und bilden damit mit Abstand das größte Cluster. Die Unterschiede bezüglich der Lesedauer erweisen sich als signifikant (p < .05), gleichwohl die Trennkraft der Lesevariablen sehr gering ist. Im Gegensatz zu vorherigen Betrachtungen lässt sich hier kein eigenes Cluster mit Viellesern finden (vgl. Tabelle 65). Tabelle 65: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit niedriger Bildung (Werktage)
Zeitbudget (Minuten) Lesen Lesen/Abend
Cluster 1 (n = 37/ 8,3%) 32*
Cluster 2 (n = 149/ 33,6%) 19*
Cluster 3 (n = 221/ 49,9%) 19*
Cluster 4 (n = 27/ 6,1%) 2*
Cluster 5 (n = 9/ 2,1%) 10*
F-Wert 2,942
9*
5*
9*
1*
0*
Fernsehen
275**
139**
37**
290**
478**
Fernsehen/Nachmittag
170**
61**
23**
53**
181**
159,920
79**
69**
12**
191**
248**
238,535
Fernsehen/Abend
2,425 816,761
** p < .01; * p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Obgleich sich die Cluster mit p < .01 signifikant hinsichtlich ihres relativen Leseanteils unterscheiden, ist der Effekt mit Eta2 = .148 vergleichsweise schwach. Im dritten Cluster wurde mit 31,2 Prozent der größte Wert ermittelt. Während die entsprechenden Werte im ersten und zweiten Cluster noch bei 8,9 und 9,8 Prozent liegen, lassen sich im vierten und fünften Cluster lediglich Anteilswerte von 0,6 Prozent und 1,5 Prozent beobachten. Das Lesen scheint hier nahezu völlig aus dem Alltag der Kinder verschwunden zu sein.
169 Auch hier sind pro Kind zwei Tagebuchtage in die Analyse eingegangen. Eine Grundauszählung hat gezeigt, dass in Cluster 3 und 2 die Anteile der Fälle, die zweifach vorliegen, bei 72 und 48 Prozent liegen, in den verbleibenden Clustern (Cluster 1 und 4) jedoch nur bei 15 bzw. 16,2 Prozent. Im fünften Cluster liegen ausschließlich Werte über einen einzigen Tag vor.
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
207
Die Analyse wurde abschließend für Wochenendtage repliziert. Eine Lösung mit fünf Clustern erweist sich auch hier als interpretierbar, wobei wiederholt die Merkmale „Fernsehen“ sowie „Fernsehen/Nachmittag“ die höchste Trennschärfe aufweisen. Keine signifikanten Unterschiede zeigen sich unterdessen in puncto Abendlektüre. Die fünf Typen lassen sich beschreiben als „Durchschnittsseher“ (Cluster 1), „Wenigseher“ (Cluster 2), „Vielseher/sieben Stunden“ (Cluster 3), „Vielseher/vier Stunden“ (Cluster 4) sowie „Vielseher/fünf Stunden“ (Cluster 5). Wenigseher (35,9 Prozent) und Durchschnittsseher (29 Prozent) bilden ebenfalls an Wochenenden die Mehrheit in Familien mit niedriger Bildung, wenngleich sich kein Vielleser-Cluster identifizieren lässt. Vielseher unterschiedlicher Ausprägung machen allerdings etwa ein Drittel der Stichprobe aus (vgl. Anhang II, Tabelle G). Darüber hinaus unterscheiden sich die fünf Gruppierungen signifikant hinsichtlich ihres relativen Leseanteils (p < .01) mit einem relativ schwachen Effekt von Eta2 = .180. In der Gruppe der Wenigseher (Cluster 2) liegt der relative Leseanteil an der Spitze mit 34,5 Prozent. Bei Durchschnittssehern (Cluster 1) beträgt dieser Wert bereits nur noch 16,4 Prozent. Für Kinder des vierten, fünften und dritten Typs scheint das Lesen nur noch einen geringen Wert zu haben: Die Anteile liegen mit 6,8 Prozent (Cluster 4), 3,8 Prozent (Cluster 5) und 2 Prozent (Cluster 3) auf einem sehr geringen Niveau. Diese Ergebnisse lassen sich dahingehend interpretieren, dass insbesondere in Familien mit niedriger Bildung das Lesen quasi durch das Fernsehen verdrängt wird. Die viel umstrittene „Verdrängungshypothese“ mag zumindest in diesem Kontext eine gewisse Gültigkeit erfahren (vgl. Kapitel 3.2.4). Über direkte Auswirkungen der Lese- und Fernsehdauer, z.B. auf die Lesekompetenz, lassen sich auf Grundlage der hier vorliegenden Querschnittsdaten allerdings keine Aussagen machen. In der Literatur zeichnet sich jedoch ein Konsens bezüglich eines schwachen negativen Zusammenhangs zwischen Fernsehdauer und Lesekompetenz ab (vgl. Ennemoser u. Schneider 2004, 377). 5.5.2.4 Vergleichende Analyse der Kinder in unterschiedlichen Bildungsgruppen Im Folgenden werden die zentralen Ergebnisse der vorangestellten Analysen vergleichend zusammengefasst. In jeder Bildungsgruppe konnten in Erwartung mit den theoretischen Vorüberlegungen jeweils vier bis fünf homogene Cluster, sowohl für durchschnittliche Wochentage als auch getrennt für Werk- und Wochenendtage identifiziert werden. Quer über alle Bildungsgruppen lassen sich Vielseher, Durchschnittsseher und Wenigseher/-leser finden; Vielleser finden sich primär in der mittleren und hohen Bildungsgruppe, in Familien mit niedriger Bildung ist diese Gruppe sehr klein. Die Cluster-Lösungen lassen sich allgemein als relativ valide beurteilen. Durch Kreuzvalidierung mit Ergebnissen, welche durch WARD und K-Means-Verfahren gewonnen wurden, lassen sich jeweils 82 Prozent oder mehr der Fälle denselben Clustern zuordnen. Innerhalb der einzelnen Bildungsgruppen lassen sich bei Kindern bezüglich des relativen Leseanteils größere Diskrepanzen zwischen den Clustern beobachten als bei ElternDyaden, ausgedrückt in vergleichsweise höheren Eta2-Werten, die in Tabelle 66 zusammenfassend dargestellt werden. Insbesondere in der hohen und mittleren Bildungsgruppe lassen sich sichtbare Unterschiede zwischen den einzelnen Clustern entdecken,
208
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
während die einzelnen Gruppierungen in der niedrigen Bildungsgruppe weniger stark differieren. Tabelle 66: Zusammenfassung: Zusammenhang „Leseanteilswerte der Cluster“ nach Bildungsgruppen - Kinder Wochendurchschnitt
Werktag
Eta = 0,368
Eta = 0,383
Eta2 = 0,537
mittlere Bildung
Eta2 = 0,397
Eta2 = 0,314
Eta2 = 0,432
2
Eta = 0,346
2
Wochenendtag
hohe Bildung niedrige Bildung
2
2
Eta = 0,148
Eta2 = 0,180
Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Während sich bei Kindern, die in Familien mit hoher und mittlerer Bildung aufwachsen, größere Zeitressourcen an Wochenendtagen positiv auf die durchschnittliche Lesedauer und negativ auf die durchschnittliche Fernsehdauer auszuwirken scheinen, wirkt sich der Zeitfaktor offenbar kaum auf die Lese- und Fernsehdauer der Kinder aus, die in bildungsferneren Familien aufwachsen. Während sich in bildungsnahen Familien Kinder vor allem an Wochenendtagen sichtbar hinsichtlich ihrer Lesegewohnheiten unterscheiden, Lesen damit eher als Ausdruck individualisierten Verhaltens zu deuten ist, scheinen in bildungsferneren Gruppen Lesegewohnheiten stärker an den Bildungshabitus gebunden zu sein. Neben der Fernsehdauer hat sich der relative Leseanteil generell als geeignetes Merkmal zur Differenzierung einzelner Bildungsgruppen bewährt, während sich die absolute Lesedauer als weniger geeignet erwiesen hat. Insgesamt nimmt das Lesen bei Kindern, die in Familien mit hoher und mittlerer Bildung aufwachsen, erwartungsgemäß eine höhere Bedeutung ein als bei denjenigen, die in bildungsferneren Familien aufwachsen. Im Rahmen dieser Analysen konnte der Zusammenhang zwischen Bildung der Herkunftsfamilie und Lesesozialisation nochmals bekräftigt werden. Als überraschend lässt sich überdies das Resultat beurteilen, dass sich in jeder Bildungsgruppe eine vergleichsweise große Gruppe von „fernsehabstinenten“ Kindern ausmachen lässt, wobei diese Gruppe mit zunehmender Bildung an Bedeutung gewinnt. Über die Ursachen dieser Medienabstinenz lässt sich auf Grundlage der vorliegenden Daten allerdings keine eindeutige Aussagen machen. 5.5.3 Zusammenführung der Ergebnisse: Eltern-Dyaden und Kinder Abschließend sollen die zentralen Ergebnisse, die sich auf Eltern-Dyaden einerseits und auf die zugehörigen Kinder in verschiedenen Bildungsgruppen andererseits beziehen, zusammengeführt und vergleichend diskutiert werden. Im Zuge dessen wird auf die eingangs gestellten Fragen Bezug genommen. In jeder Bildungsgruppe lassen sich vier oder fünf relativ homogene Teilgruppen (Cluster) von Eltern-Dyaden und Kindern identifizieren, in denen Lesen und Fernsehen eine unterschiedliche Priorität einnehmen. Dabei erweisen sich die Fernsehdauer sowie der relative Leseanteil als die am stärksten trennenden Merkmale zwischen den Clustern. Bei Eltern-Konstellationen lässt sich überdies die Erwerbsarbeitszeit benennen.
209
Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
Zeitrestriktionen schaffen damit unterschiedliche Rahmenbedingungen der Lesesozialisation innerhalb einer Bildungsgruppe. Innerhalb einer Bildungsgruppe unterscheiden sich Kinder verschiedener Typen in weit stärkerem Maße hinsichtlich der relativen Lesedauer als Eltern (horizontale Betrachtung). Bei Eltern sind diesbezügliche Unterschiede eher vertikaler Natur, d.h. zwischen den einzelnen Bildungsgruppen, erkennbar. Der (Bildungs-)Habitus beeinflusst damit die Lesegewohnheiten der Eltern nachhaltiger als die der Kinder. Eltern derselben Bildungsgruppe sind damit weitaus homogener als Kinder derselben Bildungsgruppe, festgemacht am Bildungsstatus der Familie (siehe Tabelle 67). Tabelle 67: Relativer Leseanteil bei Eltern-Dyaden und Kindern nach Bildung (in Prozent) Cluster
1
2
3
4
5
Differenz (1-5)
16,6
17,9
Eltern hohe Bildung
42
41
42
23
mittlere Bildung
34,5
34,3
24,2
19,8
19
niedrige Bildung
27,3
22,4
19,9
13,1
14,2
hohe Bildung
75,6
44,4
19,7
11,5
64,1
mittlere Bildung
70,9
33,3
15,3
9,3
3,3
67,6
niedrige Bildung
46,8
38,8
11,1
9,6
3,2
43,6
Kinder
Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Die anfangs postulierten Typen lassen sich, abgesehen von Eltern-Dyaden mit hoher Bildung am Wochenende, ausschließlich bei Kindern identifizieren. In diesem Fall konnte also gezeigt werden, dass es Vielleser, Vielseher, Wenigleser, Wenigseher und Durchschnittsleser/-seher in jeder Bildungsgruppe gibt. Des Weiteren lässt sich bekräftigen, dass sich der Bildungshabitus bei Eltern stärker in Lese- und Fernsehgewohnheiten niederschlägt als dies bei Kindern der Fall ist, deren Leseund Fernsehgewohnheiten sich unter Umständen durch weitere Faktoren wie Geschlecht, Alter und Schulbildung stärker beeinflussen lassen. Überdies lassen sich dennoch homogene Clusterstrukturen quer über alle Bildungsgruppen erkennen, wie etwa Viel- oder Durchschnittsseher. Während sich Vielleser nahezu ausschließlich in der mittleren und hohen Bildungsgruppe identifizieren lassen, sind Vielseher in allen Bildungsgruppen vertreten. Die Ergebnisse stehen somit in Einklang mit der These, welche auf das Fernsehen als „nivellierendes Medium“ verweist (z.B. Jäckel 1996, 150). Hierzu bemerkte Scheuch bereits vor mehr als 30 Jahren: „Bei der Benutzung des Fernsehens ist [..] auffällig, daß sich die Sehgewohnheiten von Gruppen mit unterschiedlicher Schulbildung verhältnismäßig wenig voneinander unterscheiden.“ (Scheuch 1972b, 36) Während sich in höheren Bildungsgruppen Lesen und Fernsehen tendenziell eher ergänzen, lassen sich vor allem in der niedrigen Bildungsgruppe Verdrängungstendenzen des Lesens durch das Fernsehen primär bei Kindern beobachten. Vor allem die Analyse der einzelnen Tagebuchtage hat jedoch offengelegt, dass es durchaus problematisch sein kann, von gleich bleibenden stabilen Mediennutzungs-
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Zentrale Ergebnisse: Interpretation und Diskussion
gewohnheiten verschiedener Gruppen zu sprechen. Insbesondere Kinder unterscheiden sich nicht nur an einzelnen Werktagen häufig erheblich in ihrer Intensität der Lese- und Fernsehdauer, sondern auch an Wochenendtagen, von denen hier lediglich Informationen über einen einzigen Wochenendtag vorliegen. 5.6 Grenzen der methodischen Vorgehensweise Inhaltliche und methodische Grenzen, welche sich im Rahmen der empirischen Untersuchung ergaben, werden an dieser Stelle skizziert. Ein grundlegendes Problem der Sekundäranalyse liegt darin, dass die Daten ursprünglich zu einem anderen als dem zu erforschenden Zweck erhoben wurden. Was die engere Fragestellung angeht, waren im Rahmen der Zeitbudgetanalyse z.B. keine Aussagen über „qualitative“ Aspekte der Lesesozialisation möglich, etwa über die Bedeutung des Lesens für die Familienmitglieder sowie Funktionen oder Motive des Lesens. Hierzu wurde punktuell auf Sekundärstudien zurückgegriffen, obgleich dies zwangsläufig auch mit gewissen Einschränkungen (z.B. hinsichtlich Vergleichbarkeit der Stichproben) verbunden war. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die forschungsleitende Prämisse, dass die familialen Einflussfaktoren der primären Lesesozialisation im Zeitablauf relativ stabil seien, so dass sie sich als Indikator der primären Lesesozialisation eignen. Vom Zeitverlauf der sekundären Sozialisation wurde auf nicht direkt beobachtbare Rahmenbedingungen der primären Lesesozialisation geschlossen. Ein möglicher Einwand gegen diese Vorgehensweise betrifft die Zeitdimension. Mit Daten über die Entwicklung der Erwerbsbeteiligung von Müttern lässt sich aufzeigen, dass sowohl deren Beteiligungsgrad als auch deren zeitlicher Umfang der Erwerbstätigkeit bedeutend vom Alter der Kinder abhängen. Nach Angaben des Mikrozensus waren im Jahre 2000 (bezogen auf die Erwerbstätigen) immerhin 69,1 Prozent der Mütter mit jüngstem Kind zwischen sechs und 14 Jahren erwerbstätig, während nur 30,5 Prozent derjenigen mit dem jüngsten Kind unter drei Jahren erwerbstätig waren (vgl. Engstler u. Menning 2003, 107). Auf Basis der vorliegenden Querschnittsdaten lässt sich vom jetzigen Erwerbstätigenstatus der Eltern nicht direkt auf deren Erwerbstätigenstatus zu einem früheren Zeitpunkt rekurrieren. Mütter, die sich zum Untersuchungszeitpunkt (sekundäre Lesesozialisation der Kinder) quasi als „zeitarm“ beschreiben lassen, könnten unter Umständen während der primären (Lese-)Sozialisation ihrer Kinder „zeitreich“ gewesen sein. Da jedoch lediglich Querschnittsdaten über dieselbe Personengruppe vorliegen, lassen sich über etwaige Veränderungen der familialen Zeitressourcen im Laufe der Lesesozialisation keine eindeutigen Angaben machen. Wünschenswert wäre, dass den Zeitbudgeterhebungen 1991/92 sowie 2001/02 weitere folgen werden. Dann könnten Veränderungen von gesellschaftlichen und familienimmanenten Rahmenbedingungen der Lesesozialisation über einen längeren Zeitraum dargestellt werden und die statische Betrachtungsweise um einen dynamischen Aspekt ergänzt werden. Geleitet von der Absicht, die Rahmenbedingungen der Lesesozialisation in Familien unterschiedlicher Bildungsgruppen zu untersuchen, stellte sich ferner das Problem, dass Familien mit niedriger Bildung in der vorliegenden Stichprobe unterrepräsentiert sind und als zentrale „Problemgruppe“ damit kaum vollständig erfasst werden. Gerade Personen am unteren Ende der Bildungsskala sind häufig nur unzureichend in der Lage, mit einem kom-
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plexen Erhebungsinstrument, wie z.B. dem Tagebuch, umzugehen bzw. dieses angemessen zu führen. Familien, deren Rahmenbedingungen mit Blick auf die Lesesozialisation als „defizitär“ zu beschreiben sind, lassen sich mit den vorliegenden Daten somit nur am Rande abbilden. Alternative Verfahren, wie etwa teilnehmende Beobachtung oder Leitfadeninterviews, erscheinen in diesem Zusammenhang als besser geeignet, um detaillierte Informationen über diese Gruppe zu erhalten, da sie geringere Anforderungen an die Lese- und Schreibkompetenz der Probanden stellen. In diesem Zusammenhang bieten sich z.B. auch Gruppeninterviews oder -diskussionen mit Eltern und Kindern aus bildungsfernen Milieus über die Ursachen familialer Fernseh- und Lesegewohnheiten an.170 Darüber hinaus ist die Aussagekraft der Ergebnisse dadurch eingeschränkt, dass von Informationen über quantitative Zeitbudgets nicht direkt auf die dem Verhalten vorausgehenden Motivationen oder Verhaltensdispositionen der Befragten geschlossen werden kann. Mit anderen Worten: „[T]he convenience and elegance of the quantitative diary measures may not translate straightforwardly into conclusions about human behavior, either in terms of what they mean subjectively to individuals, or objectively in terms of what is produced as a result. For example, an increase in such a simple activity as television watching can represent a shift toward increased laziness, a reaction to the dangers that lie outside the confines of one’s home, an improvement in television’s ability to meet audience needs, the use of a more efficient mode of learning about human behaviour, or the only activity left to individuals after the more exhausting aspects of their lives.” (Robinson 1999, 55)
Tagebucheinträge seien zu betrachten als „something akin to the physical artifacts (like bones and tools) available to anthropologists. In their patterns and traces, they invite several insightful speculations about the nature of human behavior.“ (Robinson 1999, 55) Im Rahmen von potenziellen Folgestudien, die an hier gewonnenen Erkenntnissen anknüpfen könnten, bieten sich qualitative Methoden an, um etwa einzelne Familientypen (z.B. Familien mit gleichgerichteten oder entgegengerichteten Einflüssen) näher zu explorieren. In qualitativen Leitfadeninterviews mit Elternpaaren wäre es möglich, ergänzende Informationen über die individuelle Lesemotivationen, die Bedeutung des Lesens für die Familie, den Umgang mit der Ressource „Zeit“ in der Familie sowie Interaktionssituationen sowie die wahrgenommene „Interaktionsqualität“ zu gewinnen. In summa erlaubt die hier gewählte Methode eine von mehreren Sichtweisen, von denen letztlich keine „besser“ als die andere ist und somit den „Königsweg“ der Lesesozialisationsforschung darstellt. Des Weiteren erhebt diese Dissertation nicht den Anspruch, das komplexe Konstrukt „Lesesozialisation in der Familie“ in all seinen Facetten zu durchdringen, da dadurch nicht zuletzt der Blick auf das Wesentliche verlorengehen würde. Insgesamt überwiegen jedoch die Vorzüge einer Sekundäranalyse mit Tagebuchdaten angesichts der engeren Problemstellung, die Lesesozialisation im Kontext der Familie differenziert zu untersuchen.
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In diesem Zusammenhang ist auf die Studie „Lesesozialisation in schriftfernen Lebenswelten“ zu verweisen, die mit Hilfe von Einzelfallanalysen Lektüregewohnheiten von Hauptschulabsolventen exploriert (vgl. Pieper u.a. 2002; Pieper u.a. 2004).
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Abschließend soll die Problemstellung dieser Untersuchung nochmals expliziert und somit einen Bogen zur eingangs gestellten Frage gespannt werden. Die zentralen Befunde werden resümiert, thematisch verwandte Forschungsfelder gestreift und damit die engere Thematik in einen breiteren gesellschaftlichen Rahmen eingebettet. Diese Untersuchung gründete auf der Frage, ob und inwieweit die Familie als Institution der Lesesozialisation auch unter veränderten Rahmenbedingungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch von Bedeutung ist. In Übereinstimmung mit aktuelleren Studien konnte nachgewiesen werden, dass sich Kinder umso eher zu eifrigen Lesern entwickeln, je höher die Bildung der Eltern ist, je mehr die Eltern selbst lesen – und damit als Lesevorbild präsent sind – und je häufiger Eltern und Kinder interagieren (z.B. im Rahmen von Vorlesesituationen). Familien, die sich durch „optimale“ Voraussetzungen der Lesesozialisation auszeichnen, lassen sich durch das Zusammenspiel dreier Faktoren beschreiben: Lesevorbild der Eltern, regelmäßige (präund paraliterarische) Interaktionen zwischen Eltern und Kindern sowie eine hohe Bildung der Familie. Was die Lesegewohnheiten der Kinder betrifft, zeichnen sich jedoch sichtbare Unterschiede zwischen Töchtern und Söhnen ab. Erstere lassen sich offenbar stärker von direkten Verhaltenseinflüssen, wie Elternvorbild und familialen Interaktionen, beeinflussen, während bei Söhnen offensichtlich Bildungseffekte eine größere Rolle für die Entwicklung von stabilen Lesegewohnheiten spielen. In Familien mit hoher Bildung sind Geschlechtsunterschiede schließlich weniger eindeutig nachzuweisen und schwinden nahezu vollkommen. Bildung hat scheinbar einen nivellierenden Einfluss auf die Lesegewohnheiten von Müttern und Vätern einerseits und auf die Lesegewohnheiten von Töchtern und Söhnen andererseits. Es ist anzunehmen, dass Lesen in bildungsnahen Familien eher als „geschlechtsneutrale“ kulturelle Praxis vermittelt wird, die losgelöst von der Mutter- bzw. Vaterrolle betrachtet wird. Ferner wurde nachgewiesen, dass in nur einem Drittel der Familien mit mindestens einem Kind unter zehn Jahren Eltern regelmäßig Geschichten erzählen oder vorlesen. Im Vergleich zu herkömmlichen themenverwandten Befragungsstudien erscheint dieser Wert erstaunlich niedrig, lässt sich allerdings als relativ zuverlässig beurteilen, da mit Hilfe der gewählten Forschungsstrategie „Effekte sozialer Erwünschtheit“ weitgehend ausgeschaltet wurden. Dieser durchaus besorgniserregende Befund legt Überlegungen zu Konzepten der Leseförderung nahe, die sich auf die ganze Familie beziehen und dabei gleichzeitig auch Institutionen, wie etwa frühkindliche Betreuungseinrichtungen (Kindergärten, Kindertagesstätten) zukünftig früher und stärker einbinden. Als Maßnahme zur frühzeitigen Intervention in die Leseentwicklung von Kleinkindern, lassen sich „Family Literacy“-Programme171 benennen, die aufgrund ihrer 171
Die Grundlagen liegen in der insbesondere im anglo-amerikanischen Sprachraum stark verbreiteten EmergentLiteracy Forschung, die sich mit der Aneignung schriftsprachlicher und literaler Fähigkeiten seit der frühen Kindheit beschäftigt. Dieser Ansatz geht davon aus, dass diejenigen Kleinkinder, die in einer „lesefreundlichen“
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familienpädagogischen und literalen Ausrichtung dazu geeignet sind, die Ingangsetzung von familialen Lesekulturen anzuregen und Lesefreude in die Lebenswelt der Kinder und Erwachsenen zu transportieren (vgl. Brandenburg 2006, 50). Solche Konzepte bieten sich insbesondere in Familien mit niedriger Bildung an, in denen Eltern oftmals nicht mehr ausreichend dazu befähigt sind, prä- und paraliterarische sowie metasprachliche Kompetenzen adäquat zu vermitteln.172 In Hamburg wurde etwa im Jahre 2004 das Modellprojekt FLY (Family Literacy) ins Leben gerufen, mit dem Ziel, Lese- und Schreibkompetenzen in der Familie zu fördern (vgl. Artelt u.a. 2005, 94; Brandenburg 2006, 7). Dem Mechanismus eines sich sozial reproduzierenden funktionalen Analphabetismus ist gegenzusteuern, indem Eltern unterstützt werden, „sprachliche und schriftsprachliche Interaktionen mit ihren Kindern in den familialen Alltag zu integrieren“ (Brandenburg, 7). Die Möglichkeiten der Kooperation zwischen Eltern und Schule mit Blick auf die Förderung des Spracherwerbs sollen dadurch weiter ausgeschöpft werden, wobei neben den Kindern auch die Eltern und die Schule profitieren sollen (vgl. ebenda, 116). Dem Zeitaspekt wurde in dieser Untersuchung – auch angesichts einer zunehmenden „Zeitnot“ einzelner Gesellschaftsgruppen – eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die empirische Untersuchung stellte darauf ab, das Zusammentreffen der Merkmale Zeit und Bildung sowie deren Einfluss auf die Lesesozialisation zu analysieren. Diese Untersuchung hat wiederholt und in verschiedenen Zusammenhängen dargelegt, dass Bildungseffekte qua Differenzierung der Zeitstruktur weniger sichtbar sind als bisher. Mütter in unterschiedlichen Bildungsgruppen unterscheiden sich etwa an Werktagen nur unbeachtlich hinsichtlich ihrer Lesegewohnheiten, gemessen in Zeitbudgets. Ein ähnliches Muster zeigt sich bei erwerbstätigen Müttern (in Teilzeit oder Vollzeit), was deren absolute Lesedauer angeht. Ungleiche Chancen in puncto Lesesozialisation scheinen sich in „zeitärmeren“ Familien unterschiedlicher Bildungsgruppen demzufolge tendenziell aufzuheben, während sie in „zeitwohlhabenderen“ Familien weiterhin fortbestehen. Im Rahmen einer gegliederten Betrachtung, etwa bestimmter Zeitfenster (am Abend) oder am Wochenende, lassen sich Bildungseffekte unterdessen klar nachweisen. In „zeitarmen“ Familien sind Bildungsunterschiede damit erst „auf den zweiten Blick“ erkennbar, nämlich im Zuge einer Mikrobetrachtung von familialen Zeitverwendungsmustern. Auch vor dem Hintergrund, dass insbesondere Mütter mit hoher Bildung derzeit immer früher und zu höheren Anteilen als etwa noch vor zwanzig Jahren in Teil- oder Vollzeit erwerbstätig sind, ist es denkbar, dass sich insbesondere in Familien mit hoher Bildung die „zeitlichen“ Rahmenbedingungen der Lesesozialisation langfristig verändern werden.
Umgebung aufwachsen, neue und andere Formen des Sprachverhaltens entwickeln als diejenigen, die in einer „lesefeindlichen“ Umgebung aufwachsen. Nach diesem Ansatz sind Mündlichkeit und Schriftlichkeit als sich gegenseitig unterstützende, aber verschiedene Entwicklungsstränge in Gang zu setzen (vgl. Brandenburg 2006, 50). 172 Chancen für die Lesesozialisation in sozial benachteiligten Familien mögen sich aus dem Ausbau von Familienoder Eltern-Kind-Zentren ergeben, die unter Umständen entsprechende pädagogische Angebote bereitstellen und in hohem Maße mit den Eltern kooperieren. Formen der Erziehungspartnerschaften, deren Ziel in der Unterstützung von Eltern in ihren Erziehungsleistungen durch Fachpersonal besteht, könnten sich im Speziellen auf die Anleitung der Eltern mit Blick auf die Lesesozialisation richten (vgl. hierzu auch Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 46).
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Schlussbemerkungen und Ausblick
Zweifelsohne bedarf es neben einer entsprechenden Bildung eines bestimmten „Budgets“ an frei disponibler Zeit innerhalb der Familie, um vergleichsweise optimale Voraussetzungen einer gelingenden Lesesozialisation zu gewährleisten. Im Rückblick auf die skizzierten Veränderungen ist jedoch anzunehmen, dass sich unterschiedliche Chancen der Lesesozialisation in Zukunft eher auf einzelne Tage (wie das Wochenende) oder Zeitfenster (Abend) verlagern werden, da die Familie als Institution der Lesesozialisation auch durch die zunehmende Verlagerung der Kinderbetreuung in Ganztagseinrichtungen an Werktagen und tagsüber an Bedeutung verlieren wird. Dennoch ist anzunehmen, dass bildungsbedingte „Habituseffekte“ nicht vollständig durch „Zeitrestriktionen“ eliminiert werden, sondern sich eher an qualitativen Größen, wie etwa Gestaltung des Vorlesedialogs, Anleitung zur Lektüre usw., festmachen lassen. Offen bleibt, inwieweit sich durch die derzeitigen familien- und bildungspolitischen Entwicklungen und deren konkrete Umsetzung (z.B. flächendeckendes Angebot von Ganztagskindergärten, -schulen) bisherige Chancenungleichheiten der primären Lesesozialisation abbauen lassen oder ob sie sich in anderen Formen manifestieren. Hierin liegen einerseits Potenziale für alternative Sozialisationsinstitutionen, einem zunehmendem Gefälle der kindlichen Leseleistungen, -motivationen und -intensität entgegenzuwirken, aber auch Gefahren in puncto „neuer“ Chancenungleichheiten. Es finden sich beispielsweise aktuelle Hinweise darauf, dass Kleinkinder, deren Eltern über eine niedrige Bildung verfügen, seltener einen Kindergarten besuchen als diejenigen, deren Eltern eine hohe Bildung aufweisen. Im Jahre 2004 haben 85,9 Prozent der ab Dreijährigen, deren Eltern über die allgemeine Hochschulreife (Abitur) verfügen, einen Kindergarten besucht, wohingegen nur 81,0 Prozent der ab Dreijährigen einen Kindergarten besucht haben, deren Eltern über einen Hauptschulabschluss verfügen (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 36)173. Im Hinblick auf eine stärkere Verzahnung von frühkindlichen Tageseinrichtungen, der Grundschule und der Familie, wie sie vielerorts gefordert wird (z.B. Artelt u.a. 2005, 104), bedeutet dies für die zukünftige Lesesozialisationsforschung eine Ausweitung der hier bearbeiteten Problemstellung auf eben diese Betreuungs- und Bildungsarrangements und deren Zusammenspiel. Beispielsweise wurden in einer niederländischen Studie, die die Auswirkungen seitens der Eltern, der Bibliothek und der Schule auf die Lesesozialisation untersucht, beachtliche Einflüsse seitens der Schule auf die spätere Präferenz für Literatur im Erwachsenenalter nachgewiesen (Kraaykamp 2003, 256). So folgert Kraaykamp, dass „the school can compensate for certain deficiencies incurred in the parental home by an intensive exposure to cultural products in the curriculum“ (2003, 256). Gleichzeitig wird damit aber auch deutlich, dass die Wurzeln einer gelingenden Lesesozialisation auch in Zukunft in der Familie ihren Platz haben werden. Ganztägige Betreuungsformen können die Familien nicht ersetzen, sondern lediglich ergänzen, z.B. indem Phasen der Wiederholung und Übung, die bislang auf die Hausaufgaben „abgeschoben“ wurden, in den Unterricht integriert werden und damit die Familie entlasten (vgl. Ipfling 2005, 301).
173
Vgl. zu dieser Thematik auch Kreyenfeld (2007, 99ff.).
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„Schule beansprucht immer nur einen Teil der Lebenszeit. Sie ist […] im Jahreslauf durch Ferien mehrfach unterbrochen und sie beansprucht nicht den ganzen Tag der Schüler. Der Bildungsprozess hat deshalb im Leben eines Menschen faktisch eine schulische und eine außerschulische Komponente. Beide sind aufeinander bezogen, ja geradezu aufeinander angewiesen.“ (Rekus 2005 285)
Inwieweit eine flächendeckende Versorgung mit Ganztagsschulen in Deutschland und die damit teilweise verbundene „zeitliche Umverteilung“ von Freizeitaktivitäten den im Rahmen der Lesesozialisation entstehenden sozialen Ungleichheiten entgegenwirken kann, ist eine weitgehend offene, doch für die zukünftige Forschung dringliche Frage.174 Der Trend, neben der schulischen auch die außerschulische Bildungskomponente zu stärken, manifestiert sich in einer Zunahme nationaler und regionaler Leseförderungsprojekte, welche im Speziellen die Familie adressieren (vgl. im Überblick Artelt u.a. 2005, 81ff.). In Anlehnung an das Konzept, das dem Leseprojekt „Bookstart“ in Großbritannien zu Grunde liegt, nämlich Kinder und Eltern so früh wie möglich an das (Vor-)Lesen heranzuführen175, wurde im November 2006 im Freistaat Sachsen gemeinsam mit der Stiftung Lesen ein dreijähriges Modellprojekt „Lesestart – mit Büchern wachsen“ ins Leben gerufen. Im Februar 2007 wurde in Hamburg ein ähnliches Projekt initiiert, begleitet von Veranstaltungen, in denen Bilderbücher und die gesprochene Sprache im Mittelpunkt stehen. Angedacht sind eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des Projektes. Hierzu sollen Daten zum Lese- und Spielverhalten von Eltern und Kindern in den Jahren 2007 und 2008 erhoben werden.176 Auf nationaler Ebene wird die Stiftung Lesen gemeinsam mit Wirtschaftsunternehmen der Papier- und Druckindustrie im Sommer 2008 die nationale Kampagne „Lesestart – Die Leseinitiative für Deutschland“ anstoßen. In den darauf folgenden zwei Jahren sollen bundesweit rund 500.000 Kleinkinder mit LesestartMaterialien versorgt werden.177 Abschließend sollen Forschungsfragen formuliert werden, die die Ergebnisse dieser Arbeit weiterführen. Diese Untersuchung hat gezeigt, dass Töchter von günstigen Rahmenbedingungen in der Familie in puncto Lesesozialisation insgesamt in höherem Maße profitieren als Söhne. Hier könnten weitere Untersuchungen ansetzen, die primär auf die Lesesozialisation von Jungen abzielen und danach fragen, ob und inwieweit alternative Institutionen der Sozialisation, wie z.B. Gleichaltrige oder Jugendgruppen, von höherer Bedeutung für die Lesesozialisation sind als die Familie. Konzentrierte sich die bisherige Forschung insbesondere auf weibliche Lesevorbilder, lässt sich daraus die Forderung ableiten, in Zukunft vermehrt den Einfluss beider Eltern sowie männlicher Vorbilder im Rahmen der Lesesozialisation zu erforschen. Die Familie 174 So weisen Radisch u. Klieme darauf hin, dass weitgehend Unklarheit darüber besteht, inwieweit sich eine ganztägige Schulorganisation auf die Entwicklung der Schüler auswirkt (vgl. 2004, 165). 175 Die englische Autorin und Publizistin Wendy Cooling legte im Jahre 1992 den Grundstein für das Leseprojekt „Bookstart“ in Großbritannien mit der Forderung, allen Kindern die Chancen zu geben, mit Büchern aufzuwachsen. Im Laufe der Jahre entwickelte sich das zunächst nur durch öffentliche Spenden und gelegentlichen EUGeldern finanzierte Projekt zu einem nationalen, von der Regierung geförderten Projekt. Ziel dieses Projektes ist es, Kinder und Eltern so früh wie möglich, d.h. kurz nach der Geburt, an das (Vor-)Lesen heranzuführen. Im Rahmen von kinderärztlichen Untersuchungen werden so genannte „Buchtaschen“ an die Eltern verteilt, in denen sich diverse Bilderbücher und Anleitungen an die Eltern zum Vorlesen befinden. Seit 2005 wurden zwei weitere „Buchpakete“ für ältere Kinder entwickelt, so dass eine Leseförderung aller Vorschulkinder gewährleistet wird (vgl. www.buchstart-hamburg.de/tasche-faq.php, Abruf am 8.2.2007. 176 Vgl. ebenda. 177 Vgl. ebenda.
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Schlussbemerkungen und Ausblick
wurde in dieser Dissertation als Lebensgemeinschaft mit Mutter, Vater und mindestens einem Kind (ab zehn Jahren) betrachtet. Alternative Familienformen, wie die etwa Alleinerziehendenfamilie oder Patchworkfamilie, die mittlerweile gleichberechtigt neben der „traditionellen“ Zwei-Eltern-Familie existieren und in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen werden, wurden analytisch ausgeklammert. Noch ist der Anteil von Kleinkindern, der in einer Alleinerziehenden-Familie aufwächst, relativ gering; in nur acht Prozent aller Alleinerziehenden-Familien wachsen Kinder unter drei Jahren auf (vgl. Nöthen 2006, 26). In Zukunft ist jedoch von einem Anstieg der Alleinerziehenden-Familien mit jüngeren Kindern auszugehen: Während es 2001 bereits 2,35 Millionen Alleinerziehende in Deutschland gab, erhöhte sich diese Zahl bis zum Jahre 2004 auf rund 2,5 Millionen (vgl. ebenda, 26). Die vorliegende Untersuchung wäre in Zukunft für alternative Familienformen zu replizieren und den vorliegenden Befunden vergleichend gegenüberzustellen. Des Weiteren hat sich diese Arbeit darauf konzentriert, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern im Rahmen der Lesesozialisation zu erforschen. Ein weitgehend blinder Fleck innerhalb der Forschung bezieht sich beispielsweise auf die Heranführung zum Lesen jüngerer durch ältere Geschwister. Ferner wäre zu untersuchen, welche Rolle Großeltern, Tagesmutter oder weitere Personen, wie etwa Lesepaten178, für die Lesesozialisation von Kindern und Jugendlichen einnehmen. Lassen sich z.B. durch den Einsatz von Lesepaten in sozial benachteiligten Familien diesbezügliche Chancenungleichheiten beseitigen? Auch vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung ab 2007 geplanten Ausweitung des Angebots an Möglichkeiten der Ganztagsbetreuung von Kindern unter drei Jahren, erfährt die Fragestellung dieser Arbeit in Zukunft eine neue Dimension. Die primäre Lesesozialisation wird in Zukunft sowohl in der Familie als auch in institutionellen Betreuungseinrichtungen eine wichtige Rolle spielen. Interessant wäre auch ein Vergleich zwischen Kindern, die in mehreren Betreuungsarrangements gleichzeitig sozialisiert werden mit solchen, die überwiegend in der Familie aufwachsen. Zu untersuchen wäre, ob darüber hinaus durch die zunehmende außerfamiliale Betreuung bisherige „Chancenungleichheiten“ auf einer institutionellen Ebene fortbestehen (etwa bedingt durch die Wahl des Betreuungsarrangements), oder ob es gelingt, diese zumindest zu verringern. In diesem Zusammenhang könnten internationale Studien als wichtige Informationsquelle dienen, da z.B. in skandinavischen Ländern, die hierzulande geplanten familien- und bildungspolitischen Reformen sowie teils realisierten Maßnahmen (z.B. Elterngeld) schon länger umgesetzt sind. Solche Maßnahmen, die darauf abzielen, beide Eltern darin zu unterstützen, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren und damit „lebbar“ zu machen, dürften nicht nur dem Problem abnehmender Geburtenzahlen entgegenzuwirken, sondern auch indirekt dazu beitragen, dass nicht nur Mütter sondern auch Väter in zeitlicher Hinsicht eine Chance haben, die Lesesozialisation ihrer Kinder aktiv zu fördern!
178 Vorlesepaten betätigen sich als ehrenamtliche Vorleser, etwa in Kindergärten, in Büchereien oder in der Grundschule und werden von Referentinnen der Stiftung Lesen in einem eintägigen Seminar geschult (vgl. www.stiftunglesen.de/eltern/fragen/fragen_01.html#1, Abruf am 16.5.2007).
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Sonstige Quellen: BÖRSENVEREIN DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS (1993-2002): Buch und Buchhandel in Zahlen. GESETZ ZUM QUALITÄTSORIENTIERTEN UND BEDARFSGERECHTEN AUSBAU DER TAGESBETREUUNG FÜR KINDER (Tagesbetreuungsausbaugesetz – TAG), in der Fassung vom 27.12.2004 (BGBl 1, 3845).
Anhang I: Clusteranalyse
Mit dem Begriff der Clusteranalyse sind weitgehend explorative Verfahren der Klassifikation gemeint, die eine Gruppe von heterogenen Objekten zu möglichst homogenen Teilgruppen zusammenfassen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Menge aller theoretisch interessierenden Merkmale zur Bildung von Gruppen heranziehen. Ein wesentlicher Vorteil von Clusteranalysen liegt in ihrer breiten Anwendbarkeit, was mit relativ geringen Einschränkungen, z.B. bezüglich der Daten und der Variablenauswahl, einhergeht. Damit verbunden ist allerdings die Gefahr, die Daten im Hinblick auf die gewünschten Ergebnisse zu manipulieren (vgl. z.B. Backhaus u.a. 2006, 490). Auf Clusteranalysen basierende Studien werden häufig kritisiert, da sie ihre methodische Vorgehensweise im Einzelnen nur unzureichend dokumentieren (vgl. z.B. Krotz 1991, 322). Dies ist insofern problematisch, da verschiedene Verfahren der Clusterbildung zu unterschiedlichen Resultaten führen (vgl. Aldenderfer u. Blashfield 1985, 15). Die Ergebnisse lassen sich daher nur unter Berücksichtigung der gewählten Methode vollständig nachvollziehen. Aus diesem Grund wird die methodische Vorgehensweise an dieser Stelle im Einzelnen dokumentiert, sofern dies nicht schon an entsprechender Stelle im Text geschehen ist. Mittels Clusteranalyse war es möglich, die zentralen Dimensionen der Lesesozialisation gemeinsam zu berücksichtigen, mit dem Ziel Typologien zu finden, die sich im Hinblick auf die familienimmanenten Rahmenbedingungen der Lesesozialisation unterscheiden. Der Auswahlprozess der Variablen wurde weitgehend durch theoretische Vorüberlegungen gesteuert (vgl. Aldenderfer u. Blashfield 1985, 20). Einerseits wurden Variablen berücksichtigt, die sich auf die externen Dimensionen der Lesesozialisation beziehen, wie Zeit (ausgedrückt in der elterlichen Zeit für Erwerbstätigkeit) und Bildung. Andererseits flossen Lese- und Fernsehdauer sowie die Interaktionsdauer (Zeit für gemeinsame Gespräche und Mahlzeiten) als Indikatoren der internen Dimensionen in die Analyse ein. Den Clusteranalysen wurde eine Gruppierung der Bildungsgruppen vorangestellt, die anschließend einzeln einer Clusteranalyse unterzogen wurden. Damit wurde auch der Problematik der Behandlung gemischt-skalierter Variablen innerhalb der Clusteranalyse begegnet.179 Wesentliche Entscheidungen im Rahmen der Clusteranalyse betreffen die Wahl eines Proximitätsmaßes sowie die eines Fusionierungsalgorithmus. Der Clusteranalyse liegt eine Rohdatenmatrix zu Grunde, die sich aus K Objekten und J Variablen zusammensetzt (vgl. Backhaus u.a. 2006, 493). Diese Matrix setzt sich aus den objektbezogenen metrischen oder nicht-metrischen Werten der Variablen zusammen. Mit Hilfe einer statistischen Maßzahl bzw. eines Proximitätsmaßes ist es möglich, die Distanz oder Ähnlichkeit zwischen den 179 Beispielsweise geht die Transformation von Variablen von einem höheren auf ein niedrigeres Skalenniveau in der Regel (durch Dichotomisierung) mit einem hohen Informationsverlust einher (vgl. Backhaus u.a. 2006, 508f.).
242
Anhang I: Clusteranalyse
Objekten zu erfassen und die Ausgangsmatrix in eine Distanz- oder Ähnlichkeitsmatrix zu überführen (vgl. Backhaus u.a. 2006, 493). Eine solche Matrix besteht hier z.B. aus Familien mit mittlerer Bildung, die sich jeweils durch vier oder fünf Variablen beschreiben lassen, wie die Lesedauer insgesamt, die Lesedauer am Abend, die Fernsehdauer, die Interaktionsdauer sowie die Erwerbsarbeitszeit. Die Entscheidung für ein bestimmtes Proximitätsmaß, d.h. ein Distanz- oder Ähnlichkeitsmaß, wird durch das Skalenniveau der relevanten Variablen mitbeeinflusst (vgl. ebenda, 332; Wiedenbeck u. Züll 2001, 2f.). In dieser Untersuchung werden ausschließlich metrische Variablen („Zeitbudgets“) in der Clusteranalyse berücksichtigt. Um die Beziehung zwischen den einzelnen Objekten (hier: Eltern-Dyaden, Kinder) zu quantifizieren, wird daher deren Distanz zueinander gemessen. Mit Hilfe eines Distanzmaßes lässt sich damit im konkreten Fall die Unähnlichkeit zweier Familienkonstellationen hinsichtlich der Variablen „Lesedauer“, „Fernsehdauer“, „Interaktionszeit“ und „Erwerbsarbeitszeit der Eltern“ quantifizieren. Mit Blick auf das Skalenniveau, die gewählten Fusionierungsalgorithmen (SingleLinkage, WARD; K-Means) sowie in Anlehnung an die gängige Forschungspraxis wird die quadrierte Euklidische Distanz als Maß für die Distanz zwischen den Objekten gewählt. Ausgehend von den Differenzwerten pro Eigenschaft für ein Objektpaar lässt sich die Berechnung der quadrierten Euklidischen Distanz erläutern. Nach Addition der quadrierten Differenzwerte wird aus der Summe die Quadratwurzel berechnet. Große Differenzen werden im Rahmen dessen somit stärker berücksichtigt als kleinere Differenzen. In diesem Kontext gilt es zu erwähnen, dass die Ähnlichkeitsreihenfolge der Objekte durch die Wahl des Distanzmaßes beeinflusst wird (vgl. Backhaus u.a. 2006, 504). Die daraus resultierende Distanzmatrix bildet die Grundlage der Algorithmen, die die Objekte zu relativ homogenen Gruppen zusammenzufassen. Dies betrifft die Frage nach dem geeigneten Fusionierungsalgorithmus. In dieser Arbeit werden zum einen agglomerativ-hierarchische Verfahren, wie WARD und Single-Linkage verwendet. Diese fassen, ausgehend von der feinsten Partition (der Anzahl der Untersuchungsobjekte) die Objekte mit der geringsten Distanz zueinander zu möglichst homogenen Gruppen zusammen (vgl. Backhaus u.a. 2006, 514f.). Das Single-Linkage-Verfahren, auch unter der Bezeichnung „nearest neighbour“ bekannt, führt diejenigen Objekte zusammen, welche die kleinste Distanz zueinander aufweisen. Es zählt zu den kontrahierenden Verfahren und tendiert dazu, wenige große und viele kleine Gruppen zu bilden. Daher eignet es sich zur Identifikation von „Ausreißern“ (vgl. Backhaus u.a. 2006, 517f.), die unter Umständen aus den Analysen ausgeschlossen werden. Mit dem Ausschluss von Ausreißern ist stets das Problem einer subjektiv gesteuerten Manipulation der Daten verbunden, die es kritisch zu hinterfragen gilt. Allerdings können Ausreißer den Fusionierungsprozess dergestalt beeinflussen, dass das Auffinden von Zusammenhängen zwischen anderen Objekten behindert wird und sich dadurch Verzerrungen ergeben (vgl. ebenda, 529). Das WARD-Verfahren, das im Rahmen dieser Untersuchung verwendet wird, gilt als relativ anfällig gegenüber Ausreißern (vgl. ebenda, 528). Dies spricht für eine Elimination von Ausreißern oder zumindest für eine diesbezügliche Exploration der Daten, auf deren Grundlage dann zu entscheiden ist, ob weitere Analysen entweder mit oder ohne Ausreißer durchgeführt werden, wie etwa KMeans-Verfahren. Dieser Prozess soll dazu dienen, eine Annäherung an die „bestmögliche Lösung“ zu erzielen.
Anhang I: Clusteranalyse
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Clusteranalysen werden im ersten Schritt zunächst mit Ausreißern durchgeführt – sowohl im Rahmen des WARD-Verfahrens als auch im daran anschließenden K-Means-Verfahren. Im zweiten Schritt wird dieser Prozess wiederholt und dem WARD-Verfahren das SingleLinkage-Verfahren vorgeschaltet: hier werden diejenigen Objekte als Ausreißer identifiziert und anschließend aus den Daten eliminiert, die einzeln oder paarweise ein Cluster bildeten. Da der prozentuale Anteil der Ausreißer häufig bei 10 Prozent oder weniger lag, wird in Einzelfällen darauf verzichtet, Ausreißer auszuschließen. Im Rahmen des WARD-Algorithmus werden diejenigen Objekte zu Gruppen zusammengefasst, die die Varianz (Fehlerquadratsumme) in einer Gruppe möglichst wenig erhöhen (vgl. Backhaus u.a. 2006, 522f.). Dies bedeutet, dass die einzelnen Familien schrittweise zu immer größeren Gruppen zusammengefasst werden, d.h. in jedem Schritt werden die Objekte mit dem geringsten Zuwachs an Varianz zusammengeführt. Wichtig ist, dass die Entscheidung über die bestmögliche Clusteranzahl beim Anwender selbst liegt, die Clusterlösung quasi „im Auge des Betrachters entsteht“.180 Um die mittels des WARD-Algorithmus gefundenen Clusterlösungen zu stabilisieren, werden in dieser Untersuchung anschließend K-Means- bzw. Clusterzentren-Verfahren als Form partionierender Algorithmen angewendet. Die Anwendung von K-Means-Verfahren setzt eine Vorstellung über die Anzahl möglicher Cluster voraus. Auf Basis von theoretischen Vorüberlegungen wird mit Hilfe von WARDAlgorithmen zunächst eine Reihe von möglichen Clusterlösungen ermittelt. Es wird angenommen, dass sich innerhalb einer jeden Bildungsgruppe drei bis fünf inhaltlich abgrenzbare Typen identifizieren lassen.181 Die „vorläufigen“ Clusterlösungen fließen dann als Startwerte in anschließende K-Means-Verfahren ein. Die Kombination von WARDund K-Means-Verfahren ist auch in der Forschungspraxis relativ geläufig, auch in der Lesesozialisationsforschung (vgl. z.B. Hurrelmann, B. u.a. 2005, 335). Validierung von Clusterlösungen: Zur Validierung der Clusteranalysen bieten sich sowohl inhaltliche als auch formale Verfahren an. Die inhaltliche Validierung betrifft die Frage, ob die gefundenen Ergebnisse mit der zu Grunde liegenden Forschungshypothese übereinstimmen bzw. ob sich die Cluster sinnvoll interpretieren lassen. Es handelt sich hierbei um das zentrale Beurteilungskriterium. Die gefundenen Cluster sind daher zunächst einer allgemeinen Plausibilitätsprüfung zu unterziehen. Des Weiteren werden mit Hilfe von Kreuztabellen die Lösungen des WARD- und des K-Means-Verfahrens miteinander verglichen. Je höher der Anteil der Objekte (beider Verfahren), die denselben Clustern zugeordnet werden, desto valider ist die Lösung zu beurteilen (vgl. Wiedenbeck u. Züll 2001, 16f.). Darüber hinaus lässt sich die F-Statistik heranziehen, um die Diskriminanzkraft der einzelnen Variablen zu beurteilen. Cluster werden umso besser durch Variablen beschrieben, deren F-Werte besonders hoch liegen (vgl. ebenda, 16).
180
Backhaus u.a. (2006) verweisen auf eine Untersuchung, die gezeigt habe, dass das WARD-Verfahren eine vergleichsweise gute Partition findet und die einzelnen Elemente richtig zuordnet, unter den Voraussetzungen, dass ein Distanzmaß verwendet wird, lediglich metrische Variablen in die Analyse einfließen, die zudem relativ unkorreliert sind, Ausreißer vorher eliminiert wurden und davon ausgegangen werden kann, dass die zu findenden Cluster ungefähr die gleiche Gruppengröße besitzen (vgl. 528). 181 Strategien, um eine plausible Cluster-Lösung im Rahmen des Agglomerationsprozesses mit Hilfe graphischer Methoden zu finden (z.B. mit Hilfe eines Dendogramms) erweisen sich aufgrund eingeschränkter Möglichkeiten der Visualisierung von Clusterlösungen, insbesondere mit Hilfe des Computerprogramms SPSS als schwierig zu realisieren, insbesondere auf Grund der relativ hohen Fallzahlen (vgl. auch Wiedenbeck u. Züll 2001, 10).
Anhang II: Ergebnisse der Clusteranalysen Tabelle A: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit hoher Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation (Werktage) Zeitbudget (Minuten) Lesen Fernsehen
Cluster 1 (n=73/23,5%)
Cluster 2 (n=45/14,5%)
52** 128*
63**
Cluster 3 (n= 122/39,4%) 79**
112*
Cluster 4 (n=70/22,6%)
F-Wert
52**
4,442
152*
106*
Erwerbsarbeit
1088**
40**
522**
798**
1285,364
3,684
Interaktionen
37**
73**
78**
63**
12,817
Anmerkung: Es wurden 18 Ausreißer eliminiert. ** p < .01; * p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Tabelle B: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit mittlerer Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation (Werktage) Zeitbudget (Minuten)
Cluster 1 (n = 63/ 17,1%)
Cluster 2 (n = 100/ 27,2 %)
Cluster 3 (n = 93/ 25,3 %)
Cluster 4 (n = 49/ 13,3 %)
Cluster 5 (n = 63/ 17,1 %)
F-Wert
Lesen
66*
55*
54*
35*
66*
2,592
Fernsehen
188**
180**
91**
118**
307**
47,770
Erwerbsarbeit
45**
854**
560**
1142**
514**
1202,1
Interaktionen
75**
55**
81**
49**
66**
7,147
** p < .01. * p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Tabelle C: Clusterzentren: Eltern-Dyaden mit niedriger Bildung nach internen Dimensionen der Lesesozialisation (Werktage) Zeitbudget (Minuten) Lesen
Cluster 1 (n=117/26,4%)
Cluster 2 (n=106/23,9%)
Cluster 3 (n=171/38,6%) 60**
Cluster 4 (n=49/11,1%)
45**
61**
Fernsehen
201**
255**
217**
127**
9,510
Erwerbsarbeit
836**
67**
528**
1129**
1861,632
Interaktionen
57**
78**
63**
52**
4,641
** p < .01; * p < .05 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
28**
F 5,167
Anhang II: Ergebnisse der Clusteranalysen
245
Tabelle D: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit hoher Bildung (Werktage)
Zeitbudget (Minuten)
Cluster 1 (n = 40/ 12,2%)
Cluster 2 (n = 155/ 47,3%)
Cluster 3 (n= 32/ 9,8%)
Cluster 4 (n = 43/ 13,1%)
Cluster 5 (n = 58/ 17,7%)
F-Wert
Lesen/insgesamt
22**
17**
32**
132**
22**
101,927
Lesen/Abend
8**
9**
8**
49**
9**
33,996
Fernsehen/insgesamt
138**
21***
293**
56**
126**
363,947
Fernsehen/Nachmittag
98**
13**
102**
29**
21**
98,199
Fernsehen/Abend
24**
7**
164**
25**
101**
192,952
** p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Tabelle E: Altersstruktur der Cluster (in Prozent): Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit hoher Bildung (Werktage)
Alter in Jahren
Cluster 1 (n = 40/ 12,2%)
Cluster 2 (n = 155/ 47,3%)
Cluster 3 (n= 32/ 9,8%)
10 bis unter 12
17,1
24,7
0
25,6
5,2
18
12 bis unter 15
58,5
37,0
43,8
37,2
43,1
41,5
15 bis unter 18
17,1
24,0
50,0
23,3
31,0
26,8
18 oder älter
7,3
14,3
6,3
14,0
20,7
13,7
Cluster 4 (n = 43/ 13,1%)
Cluster 5 (n = 58/ 17,7%)
insgesamt
2
Kontingenzanalyse: χ (12, N = 328) = 33,676, **p < .01, Cramer’s V = .185. Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Tabelle F: Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit mittlerer Bildung
Zeitbudget (Minuten)
Cluster 1 (n = 114/ 31,6 %)
Cluster 2 (n = 97/ 26,9 %)
Lesen/insgesamt
21**
16**
21**
114**
13**
84,236
7**
6**
6**
34**
2**
28,499
Fernsehen/insgesamt
98**
34**
172**
50**
310**
725,474
Fernsehen/Nachmittag
40**
16**
75**
22**
131**
110,536
Fernsehen/Abend
47**
12**
78**
21**
125**
85,579
Lesen/Abend
Cluster 3 (n= 98/ 27,1 %)
** p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Cluster 4 (n = 29/ 8 %)
Cluster 5 (n = 23/ 6,4 %)
F-Wert
246
Anhang II: Ergebnisse der Clusteranalysen
Tabelle G:Clusterzentren: Lese- und Fernsehzeitbudgets von Kindern in Familien mit niedriger Bildung (Wochenendtage)
Zeitbudget (Minuten) Lesen Lesen/Abend Fernsehen
Cluster 1 (n=69/ 29%)
Cluster 2 (n=85/ 35,9%)
Cluster 3 (n=18/ 7,6%)
Cluster 4 (n=35/ 14,8 %)
Cluster 5 (n=30/ 12,7 %)
F-Wert
38**
18**
10**
22**
11**
3,658
6
6
0
3
5
0,476
128**
33**
424**
251**
193**
353,146
Fernsehen/Nachmittag
20**
14**
186**
63**
136**
167,030
Fernsehen/Abend
86**
6**
170**
151**
30**
140,426
** p < .01 Quelle: Eigene Erstellung. Datenbasis: Zeitbudgeterhebung 2001/02.
Anhang III: Aktivitätskategorien der Zeitbudgeterhebung 2001/02 Lese- und Fernsehzeitbudgets 81 Lesen 810 Nicht genauer bezeichnete Aktivitäten 811 Zeitung lesen 812 Zeitschriften lesen 813 Bücher lesen 814 Sich vorlesen lassen 819 Andere eindeutig bestimmte Tätigkeiten 82 Fernsehen 820 Nicht genauer bezeichnete Aktivitäten 821 Fernsehen 822 Video anschauen Interaktionen Prä- und Paraliterarische Interaktionen Vorlesen und Erzählen 388 Vorlesen/ Geschichten erzählen Gespräche und gemeinsame Mahlzeiten 51 Soziale Kontakte 511 Gespräche (mit Kindern über zehn Jahre) 38 Kinderbetreuung 384 Gespräche mit eigenen Kindern bzw. Kindern, die im Haushalt leben (mit Kindern über zehn Jahre) 02 Essen und Trinken: 020 Nicht genauer bezeichneten Tätigkeiten (mit Kindern über zehn Jahre) 021 Mahlzeiten einnehmen (mit Kindern über zehn Jahre) Zeitrestriktionen 1 Erwerbstätigkeit 100 Nicht genauer bezeichnete Erwerbstätigkeit 11 Haupterwerbstätigkeit 110 Nicht genauer bezeichnete Haupterwerbstätigkeit 111 Bezahlte Arbeitszeit der Haupterwerbstätigkeit (ohne Zeiten der Qualifizierung/ Weiterbildung, siehe 13) 12 Nebenerwerbstätigkeit 120 Nicht genauer bezeichnete Nebenerwerbstätigkeit 121 Arbeitszeit der Nebenerwerbstätigkeit, sofern sie im Tagebuch erkennbar ist (ohne Zeiten der Qualifizierung/Weiterbildung, siehe 13)
248
Anhang III: Aktivitätskategorien der Zeitbudgeterhebung 2001/02
13 Qualifizierung/ Weiterbildung für den Beruf während der Arbeitszeit 130 Nicht genauer bezeichnete Tätigkeit 131 Besuch von Unterricht und Lehrveranstaltungen für den Beruf innerhalb der Arbeitszeit (z.B. von Seminaren, Kursen, Konferenzen usw.) 132 Besuch von Informationsveranstaltungen, Messen und ähnliches 133 Lernen in selbstorganisierten Gruppen (z.B. mit Kolleginnen) 134 Selbstlernen, insbesondere durch Nutzung von Fachbüchern und -zeitschriften, Unterrichts-, Fernunterrichtsmaterialien, Lehrbriefen und ähnlichen Druckerzeugnissen 135 Selbstlernen, insbesondere durch Nutzung des Computers – ohne Internet (z.B. Lernprogramme auf CD-ROM) 136 Selbstlernen – insbesondere durch Nutzung des Internets (z. B. Internet Based Learning oder Online-Recherche) 137 Selbstlernen, insbesondere durch Nutzung von Fernsehen/Video und Radio 138 Sonstiges Selbstlernen 139 Andere eindeutig bestimmte Tätigkeiten 14 Tätigkeiten in Verbindung mit der Erwerbstätigkeit 140 Nicht genauer bezeichnete Tätigkeiten 141 Unbezahlte Arbeit für den Erwerbsbereich außerhalb der Arbeitszeit 142 Mit der Erwerbstätigkeit eines anderen verbundene, unbezahlte Zeit 143 Praktikum 149 Andere eindeutig bestimmte Tätigkeit 15 Mit eigener Arbeitssuche verbundene Zeit 150 Nicht genauer bezeichnete Tätigkeiten 151 Arbeitssuche über das Arbeitsamt oder einer Arbeitsvermittlungsagentur 152 Eigene Arbeitssuche 159 Andere eindeutig bestimmte Tätigkeiten 16 Mit Erwerbstätigkeit verbundene Pausen 161 Pause während der Arbeitszeit (sowohl Haupt- als auch Nebenerwerbstätigkeit) 19 Wegezeiten Erwerbstätigkeit (Bereich 1) 911 Auf dem Weg zur Arbeit (Haupterwerb) 912 Auf dem Weg zur Arbeit (Nebenerwerb) 913 Wegezeiten Qualifizierung/Weiterbildung während der Arbeitszeit