Nero wäre gewiß ein ordentlicher Schauspieler geworden, aber das Schicksal wollte, daß er Kaiser wurde. Seine Versuche,...
37 downloads
1715 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Nero wäre gewiß ein ordentlicher Schauspieler geworden, aber das Schicksal wollte, daß er Kaiser wurde. Seine Versuche, beide Karrieren in exzentrischer Manier miteinander zu verbinden, trugen ihm herbe Kritik ein und kosteten ihn schließlich den Kopf. Jürgen Malitz beschreibt in seiner Biographie Leben und Wirken dieses römischen Kaisers, der als Archetyp des narzißtischen Tyrannen und Christenverfolgers in die Geschichte eingegangen ist. Jürgen Malitz lehrt als ordentlicher Professor an der Katholischen Universität Eichstätt. Von ihm sind im Verlag C.H.Beck lieferbar: „Die Historien des Poseidonios“ (1984); „GNOMON-Bibliographische Datenbank“ (51999). Darüber hinaus ist er Herausgeber der „Epigraphischen Datenbank Eichstätt“ im Internet.
Jürgen Malitz
NERO
Verlag C.H.Beck
Mit 9 Abbildungen, einem Stammbaum Neros (Zeichnung Thomas Göthel, München) und einer Karte (nach einer Vorlage von Gertrud Seidensticker, Berlin)
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Malitz, Jürgen: Nero /Jürgen Malitz. – Orig.-Ausg. – München : Beck, 1999 (C.H. Beck Wissen in der Beck’schen Reihe ; 2105) ISBN 3 406 44605 1
Originalausgabe ISBN 3 406 44605 1 Umschlagmotiv: Nero, römischer Kaiser (54–68 n.Chr.), Kopf einer Kolossalstatue (Glypthothek München), Photo: Stefan von der Lahr Umschlagentwurf von Uwe Göbel, München © C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), München 1999 Gesamtherstellung: C. H. Beck’sche Buchdruckerei, Nördlingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff) Printed in Germany
Inhalt I. Augustus’ Ururenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
II. Thronfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
III. Quinquennium Neronis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
IV. Muttermord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
V. „Welch ein Künstler“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
VI. Der Princeps und das Volk von Rom . . . . . . . . . . .
50
VII. Die Provinzen des Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
VIII.Der Brand Roms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
IX. Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
X. Griechenlandfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
XI. Das Ende der Dynastie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
XII. Quo vadis? Neros „Nachleben“ . . . . . . . . . . . . . . .
113
Stammtafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119
Karte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120
Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
122
Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
124
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
125
I. Augustus’ Ururenkel Als der spätere Kaiser Nero, zur Welt gekommen am 15. Dezember des Jahres 37, neun Tage nach seiner Geburt in einer feierlichen Zeremonie seinen Namen erhalten sollte, waren nicht nur die Eltern anwesend. Zugegen war auch der regierende Princeps Gaius Caligula. Der Vater, Domitius Ahenobarbus, war offenbar gesundheitlich nicht mehr ganz auf der Höhe; jedenfalls bat die Mutter Agrippina ihren Bruder Caligula, dem Knaben einen Namen zu geben. Caligula war etwas irritiert über die Geburt eines Knaben, der durch seine Abkunft vom Begründer der Dynastie, dem vergöttlichten Augustus, in Zukunft die Phantasie des hauptstädtischen Klatsches bewegen würde. Caligula war immer gut für einen bisweilen auch sehr zynischen Scherz auf Kosten anderer, und so verwies er auf seinen Onkel Claudius, der bei Hofe schon immer das Leben eines skurrilen, aber unvermeidlichen Familienangehörigen fristen mußte: Dessen Namen möge der Knabe erhalten. Jeder wußte, was der Princeps meinte – mochte das Kind nun Claudius’ Vornamen Tiberius oder seinen Beinamen Nero erhalten: er wollte mit diesem Vorschlag deutlich machen, daß der junge Neffe ebensowenig wie der alternde Onkel Aussicht auf seine Nachfolge haben würde. Doch Agrippinas Sohn, der, in der Tradition der väterlichen Familie und ohne Berücksichtigung des kaiserlichen Scherzes, Lucius Domitius Ahenobarbus genannt wurde, sollte später von Claudius adoptiert und sein Nachfolger werden. Agrippina, damals 21 oder 22 Jahre alt, war die Tochter eines höchst populären Prinzen des Herrscherhauses, des Nero Claudius Drusus mit dem Beinamen Germanicus, der, vierunddreißigjährig, im Jahre 19 auf einer diplomatischen Mission im Osten des Reiches überraschend gestorben war. Die Ehen der römischen Aristokratie waren sorgfältig arrangiert: der Vater Cn. Domitius Ahenobarbus, im Jahre 28 auf Geheiß des Tiberius mit der dreizehnjährigen Agrippina vermählt, war durch seine Abstammung von Augustus’ Schwester ein Großneffe des 7
Princeps und galt mithin als adäquater Partner für das junge Mädchen, das selbst eine Urenkelin des Augustus war. Die Domitier gehörten zu den Stützen der augusteischen Herrschaft. Der Großvater des Bräutigams hatte sich im Bürgerkrieg rechtzeitig auf die Seite des Siegers geschlagen, der Vater hatte sich als erfolgreicher und sogar loyaler Kommandeur an der Germanenfront bewährt. In seinem Testament hat Augustus ihn als einen der Testamentsvollstrecker eingesetzt. So konnte die Eheschließung seines Sohnes mit Agrippina geradezu als späte Belohnung für familiäre Verdienste um das Herrscherhaus gelten. Im Jahre 32 ließ Tiberius ihn zum Konsul wählen. Agrippina war in der Tat für jeden Aristokraten eine exzellente Partie: die Tochter des Germanicus und der älteren Agrippina gehörte zum inneren Verwandtschaftskreis der Herrscherfamilie. Ihr Vater, Nero Claudius Drusus, durch seine Großmutter Octavia ein Großneffe des ersten Princeps, hatte seinen Beinamen Germanicus nicht nur von seinem Vater Drusus, dem populären Stiefsohn des Augustus, übernommen, sondern durch Feldzüge in Germanien selbst neu erworben. Sein Charisma war unbestritten, er war ein gebildeter, übrigens gerade gegenüber der griechischen Kultur sehr aufgeschlossener Mann. In der Erinnerung der Öffentlichkeit wurden seine Vorzüge noch überhöht durch seinen frühen, von vielen als mysteriös empfundenen Tod. Agrippinas Mutter hieß gleichfalls Agrippina – ein neuer, sehr selbstbewußt gewählter Frauenname innerhalb der Großen Familien Roms: Nero war Urenkel der einzigen Tochter des Augustus, Julia, der Frau des M. Vipsanius Agrippa, viele Jahre hindurch der wichtigste Gefolgsmann des Kaisers aus bloß ritterlichem Stande. So ist Caligulas böser Scherz begreiflich: man mußte Agrippinas Sohn, unabhängig von seiner individuellen Begabung, bei allen Überlegungen über Nachfolge-Fragen im Auge behalten. Die antiken Kritiker Neros sahen schon in den Eltern manche Züge angelegt, die Neros Weg vorgezeichnet haben könnten. Agrippina, die Mutter des nach fast zehnjähriger Ehe geborenen Knaben, muß schon damals ungewöhnlich macht8
bewußt gewesen sein, aufgewachsen in dem Glauben, ihr Vater Germanicus sei durch einen Giftmord von Tiberius um die ihm zustehende Nachfolge gebracht worden. Ihre Mutter, Germanicus’ Witwe, und zwei ihrer Brüder waren den Intrigen von Tiberius’ Prätorianerpräfekten Seian zum Opfer gefallen. Nur mit knapper Not war ihr Bruder Caligula durch eine Intervention des Tiberius dem gleichen Schicksal entgangen. Auch der Biograph Sueton meinte, bei den väterlichen Vorfahren Neros seien manche der unerfreulichen Züge des Herrschers angelegt gewesen. Des Großvaters Freude an grausamen Gladiatorenspielen soll so groß gewesen sein, daß er von Augustus getadelt wurde; der Vater galt als jähzornig und brutal – und beide hatten, wie Sueton vermerkt, eine unstandesgemäße Freude an Wagenrennen und Theateraufführungen. Über Agrippinas Leben vor der Geburt des Sohnes ist außer der Eheschließung im Jahre 28 nichts bekannt. Unabhängig vom Schicksal ihrer Eltern bot ihr Mann Domitius, trotz des erheblichen familiären Reichtums, vielleicht weniger politische Perspektiven als sie ursprünglich gehofft hatte: Am Ende der Herrschaft des Tiberius geriet Domitius in eine politische Affäre, die ihn das Leben hätte kosten können, wäre Tiberius nicht im Jahre 37 gestorben. Knapp einer Katastrophe entronnen, hat Domitius in den Jahren bis zu seinem Tod im Jahre 40 keine Spuren mehr hinterlassen. Wenn seine Worte über die Geburt seines Sohnes nicht authentisch sind, dann sind sie doch gut erfunden: Ein Kind von Agrippina und ihm könne nichts anderes als ein Unglück für das Gemeinwesen sein. In den ersten beiden Regierungsjahren ihres Bruders Caligula konnte Agrippina zusammen mit ihren beiden Schwestern Drusilla und Julia Livilla die ihr gemäße Rolle als Dame des Herrscherhauses spielen. Die Schwestern erhielten die Ehrenrechte von vestalischen Jungfrauen; der übliche Eid der Soldaten und Magistrate auf den Herrscher wurde so abgeändert, daß auch das Wohlergehen der Schwestern mit einbezogen wurde. Wohl schon ein Jahr vor dem Tod des Domitius endete Agrippinas hauptstädtisches Leben in einem Skandal. Der Tod 9
der Lieblingsschwester Drusilla hatte Caligula hart getroffen, und es ist möglich, daß die beiden überlebenden Schwestern, Agrippina und Julia Livilla, das Mißtrauen ihres reizbaren Bruders nicht immer genügend in Rechnung gestellt haben: Sehr bald witterte er in seinem ebenfalls entfernt mit Augustus verwandten Schwager M. Aemilius Lepidus einen gefährlichen Konkurrenten. Agrippina wurde des Ehebruchs mit ihrem Schwager beschuldigt und gezwungen, die Aschenurne ihres hingerichteten Liebhabers vom Ort seiner Verhaftung nach Rom zu tragen. Caligula überließ nichts dem Zufall und verbannte seine beiden Schwestern auf eine karge Mittelmeerinsel. Der Wahrheitsgehalt der Vorwürfe gegen Agrippina, im Stil der Zeit angereichert mit heftigen sexuellen Verdächtigungen, entzieht sich einer Nachprüfung, doch ist es keineswegs auszuschließen, daß Agrippina schon vor dem Tode des Domitius jedes Mittel recht gewesen ist, ihrem Sohn und mittelbar sich selbst die Aussicht auf die Herrschaft zu sichern: Der Liebhaber Lepidus hätte der Vormund Neros werden können. Nero, damals im vierten Lebensjahr, wurde von Caligula um sein Erbe betrogen. Er gab ihn in die Obhut seiner Tante Domitia Lepida, der Schwester seines Vaters. Im Hause dieser schwerreichen, aber für ihre Knauserigkeit bekannten Dame sollte der Knabe unter ganz dürftigen Bedingungen aufwachsen. Solange Caligula am Leben war, würde dieser Ururenkel des Augustus keine Aussichten auf die Erringung einer standesgemäßen Position haben.
II. Thronfolger Nero hat nicht lange bei seiner geizigen Tante leben müssen. Caligula wurde am 24. Januar 41 ermordet. Die Prätorianer ließen dem Senat nicht viel Zeit für Debatten, sondern riefen Claudius zum Princeps aus. Die Öffentlichkeit war damals überrascht, aber Claudius war immer schon Mitglied des 10
Hofes und nach den Kränkungen vieler Jahre voller Ehrgeiz. Die Prätorianer erkannten, daß er als einziger in der Lage sein würde, alle materiellen Ansprüche der Leibgarde zu erfüllen, und dies reichte als Argument für die Ausrufung zum Imperator aus. Der Senat hatte sich zu fügen. Agrippina durfte heimkehren und erhielt ihr Vermögen und ihren Sohn zurück. Sie suchte sofort einen neuen Ehemann, um Einfluß zu gewinnen. Der vorsichtige Galba, im Jahre 68 Neros Nachfolger, entzog sich Agrippinas Werben. So wurde der sehr vermögende und einflußreiche C. Sallustius Passienus Crispus für wenige Jahre (bis 47) ihr Mann; sein Testament kam Agrippina und ihrem Sohn zugute. Es kann nicht überraschen, daß nicht jeder vom natürlichen Tod des Gatten überzeugt war. Agrippina war erfolgreich darauf bedacht, sich den neuen Herrscher, der als Bruder des Germanicus zugleich ihr Onkel war, gewogen zu machen. Ein frühes Beispiel für ihr Bemühen, den Sohn der Öffentlichkeit in Erinnerung zu bringen, ist Neros sorgfältig vorbereiteter Auftritt beim Troiaspiel der vornehmen Jugend anläßlich der von Claudius im Jahre 47 organisierten Säkularfeiern. Der Ururenkel des Augustus erhielt rauschenden Beifall, mehr als der Sohn des regierenden Princeps, der um drei Jahre jüngere Britannicus. Claudius hat solchen Auftritten, selbst wenn sie zu Lasten seines Sohnes gingen, nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Claudius’ Frau Valeria Messalina, die Mutter des Britannicus, reagierte anders. Sie erkannte in Agrippina eine Bedrohung für die Zukunft des Britannicus. Messalina wurde kaum ein Jahr später auf Befehl des Claudius getötet. Die antiken Berichte sprechen von einer skurrilen Heiratszeremonie Messalinas mit C. Silius, dem, wie es hieß, Schönsten aller Römer, die den Princeps bei aller Duldsamkeit zum Handeln gezwungen habe. Messalina galt zwar als sexuell unersättlich, doch könnte dieser „amour fou“ Teil eines politischen Plans gewesen sein, die Herrschaft des umstrittenen Claudius vorzeitig zu beenden; C. Silius wäre dann Vormund des Britannicus geworden. Nur schwer gelang es loyalen Bera11
tern, Claudius von der Notwendigkeit zu überzeugen, Messalina als Hochverräterin sterben zu lassen. Der Witwer, dessen Präferenzen für das eheliche Zusammenleben, bei aller Freude am Umgang mit einfacheren Damen des Hofes, stadtbekannt waren, wurde sogleich zum Spielball der aristokratischen Familienpolitik. Agrippina, unterstützt von dem mächtigen Freigelassenen Pallas, hat schließlich alle Konkurrentinnen überwunden und Claudius zur Heirat bewogen: Dies war schon deshalb nicht selbstverständlich, weil die verwandtschaftliche Nähe von Onkel und Nichte als Ehehindernis galt. Ein wohlinszenierter Senatsbeschluß sorgte für die Aufhebung dieser überkommenen Regelung. Es war allerdings nicht nur die attraktive Nichte selbst, die den bald sechzigjährigen Claudius zu dieser Verbindung veranlaßt haben dürfte; ebenso anziehend war die Überlegung, daß es in seinem eigenen Interesse sein werde, den Ehrgeiz Agrippinas unter Kontrolle zu haben: Kein anderer Mann sollte Stiefvater Neros werden können. Mit ihrer Hochzeit zu Beginn des Jahres 49 hatte Agrippina eine Stellung erreicht, die noch ein Jahr zuvor kein vernünftiger Augur oder Astrologe vorauszusagen gewagt hätte. Agrippina hat sich mit eindrucksvoller Energie um den Ausbau ihrer Position am Hof gekümmert, und sie führte den Kampf um die Zukunft Neros von Anfang an mit äußerster Rücksichtslosigkeit. Seine Stellung war schon zuvor durch die Anbahnung einer Ehe mit der zehnjährigen Octavia, der Tochter des Claudius, gefördert worden. Octavia war bereits mit L. Junius Silanus verlobt, der ebenfalls ein Ururenkel des Augustus war und somit die Grundbedingung für eine Berücksichtigung bei Nachfolgefragen erfüllte. Agrippina gewann Lucius Vitellius, einen der einflußreichsten Berater des Herrschers, für ihre Pläne. Der junge Silanus wurde des Inzests mit seiner Schwester angeklagt und aus dem Senat verstoßen. Sein Freitod am Hochzeitstag Agrippinas war freilich kein Schuldeingeständnis, sondern nur der letzte Versuch, das Familienvermögen vor der Konfiszierung zu retten, die der unvermeidliche Schuldspruch mit sich gebracht hätte. Da es genügend Senatoren 12
Nero als Kind. Die Bulla um seinen Hals zeigt, daß er noch nicht volljährig ist. (Paris, Louvre).
13
gab, die sich über die weiteren Pläne Agrippinas im klaren waren, erreichte sie einen Senatsbeschluß, mit dem Claudius aufgefordert wurde, seine Tochter doch dem jungen L. Domitius Ahenobarbus anzuvertrauen. Der stadtrömischen Öffentlichkeit blieb die Konsequenz solcher Förderung von Agrippinas Sohn nicht verborgen; noch besser wußten diejenigen Bescheid, die von Agrippina direkt für ihre Zwecke eingesetzt wurden. Sie beschränkte sich dabei nicht auf die Gewinnung zuverlässiger Gefolgsleute im Senat und im Bereich der Prätorianerkaserne. Erheblichen Weitblick zeigt Agrippinas Entscheidung, die Ausbildung des damals 13jährigen Nero nicht irgendeinem der durchaus renommierten Lehrer (oft unfreier Herkunft) anzuvertrauen, wie es sonst in aristokratischen Häusern üblich war, sondern einem der bekanntesten Intellektuellen der Hauptstadt, der zudem noch Mitglied des Senats war. Agrippina berief im Jahre 49 L. Annaeus Seneca zum „Tutor“ des jungen Prinzen; zwei griechische Hauslehrer waren daneben fast ohne Bedeutung. Mit Agrippina verband Seneca ein starkes Gefühl der Dankbarkeit (über das er, sehr diskret, nie gesprochen oder geschrieben hat), und gegenüber Claudius empfand er nichts als einen ganz unphilosophischen Haß. Der ehrgeizige, aus einer ritterlichen Familie Spaniens stammende Philosoph und Schöngeist war im Jahre 41, zur Zeit Caligulas, einer höfischen Intrige zum Opfer gefallen. Der asthmatische Gelehrte entkam als angeblicher Liebhaber der Julia Livilla nur knapp der Todesstrafe und hatte seitdem auf Korsika ein Leben ganz ohne die geistigen Anregungen der Hauptstadt ertragen müssen. Alle Bitten um Begnadigung, auch solche um den Preis völliger Selbstverleugnung, waren fehlgeschlagen. Agrippina erreichte schließlich bei Claudius nicht nur die Begnadigung, sondern auch noch die Verleihung einer Prätur für den Heimkehrer. Zugleich beauftragte sie ihn mit der Erziehung des Prinzen. Natürlich wußte er genau, was von ihm erwartet wurde: wenig Philosophieunterricht – dafür standen griechische Lehrer zur Verfügung –, sondern vielmehr die Erziehung des Knaben zu einem gewandten Redner und 14
Stilisten – und, wann immer die Zeit dafür reif sein würde, zum Thronfolger. Mit Plänen für eine sorgfältige Ausbildung ihres Sohnes gab sich Agrippina noch nicht zufrieden. Ein entscheidender Schritt war die von ihr durchgesetzte Adoption Neros durch Claudius am 25. Februar 50. Der Herrscher, der doch selbst einen legitimen und gesunden Sohn hatte, mag das durch entfernt vergleichbare, von ihm als schmeichelhaft empfundene Präzedenzfälle aus der Spätzeit des Augustus gerechtfertigt haben. Nero hieß jetzt mit vollem Namen Tiberius Claudius Nero Caesar oder auch Nero Claudius Caesar Drusus Germanicus; er war drei Jahre älter als Claudius’ leiblicher Sohn Britannicus. Ganz in Agrippinas Sinn hat Claudius den Adoptivsohn auf eine für politische Beobachter gewiß überraschende Weise durch Ehrungen gefördert, die ihn, nach dem Vorbild früherer Erbfolgevorbereitungen unter Augustus und Tiberius, eher zum Thronfolger designierten als den eigenen Sohn. Der Förderung Neros durch den Stiefvater entsprach das Auftreten Agrippinas in der Öffentlichkeit. Im Zusammenhang mit der Adoption Neros wurde Agrippina durch einen Beschluß des Senats der ehrende Name „Augusta“ zuerkannt – eine Auszeichnung, die Livia, die Frau des Augustus, offiziell erst nach ihrem Tod erhalten hatte. Die geradezu sensationelle Aufnahme von Agrippinas Porträt auf die Rückseite von kaiserlichen Prägungen signalisierte, daß Claudius’ neue Frau in ganz kurzer Zeit erheblichen Einfluß am Hof gewonnen hatte. Nero erhielt bereits im Jahre 51, mit dreizehn Jahren, also ein Jahr früher als üblich, die „toga virilis“ als Zeichen der Volljährigkeit. Die Auszeichnungen häuften sich. Er wurde zum „princeps iuventutis“ ernannt, wurde in die großen Priesterkollegien aufgenommen, wurde für das Jahr 57, wenn er neunzehn Jahre alt sein würde, vorzeitig zum Konsul designiert, und schließlich erhielt er sogar diejenige Vollmacht, die als unmißverständliches Zeichen der Designation für die Nachfolge galt: die prokonsularische Gewalt über alle Provinzen des Reiches. Die Öffentlichkeit in Rom selbst, aber auch außerhalb der Hauptstadt, konnte den Münzen dieser Jahre entnehmen, 15
Agrippina. (Vatikanische Museen, Galleria Chiaramonti).
daß Nero von Claudius eher als Thronfolger in Betracht gezogen wurde als sein eigener Sohn. Claudius, der sich die langen Jahre vor seiner Berufung zum Princeps mit historischen Studien vertrieben hatte, erkannte offenbar nicht die Konsequenzen, die eine Bevorzugung Neros vor seinem leiblichen Sohn Britannicus haben mußte. Neros Volljährigkeit im Jahre 51 wurde sogleich genutzt, ihn während eines Circusspiels im Triumphalgewand neben dem noch in die Toga der Kinder gekleideten Britannicus auftreten zu lassen, um die – allein schon altersbedingte – zweitrangige Stellung des Britannicus deutlich zu machen. Der Status der Volljährigkeit erlaubte es jetzt auch, Nero im Senat auftreten zu lassen, um seine bei Seneca erlernte Kunst der Rede unter Beweis zu stellen. Gleich nach den ersten Ehrenbeschlüssen dankte der Vierzehnjährige in einer gewiß von Senecas Hilfe beflügelten Rede, und ein Jahr später demon16
strierte er Sohnesliebe mit einem vor dem Senat abgelegten Gelübde, nach der Genesung des erkrankten Herrschers Festspiele auszurichten. Im Jahre 53, nach der Eheschließung mit der unglücklichen Octavia, war die Zeit für einen anspruchsvolleren rhetorischen Aufritt im Senat gekommen. Tief in die Alte Geschichte zurück reichte seine Redeübung über die Beziehungen zwischen Troia, der Heimat des Aeneas, und des von Aeneas’ Nachkommen gegründeten Rom; am Ende gewährte der Senat den Antrag auf Streichung aller Abgaben – so, wie es vorher abgesprochen worden war. Nero ist mehr als einmal in diesem Stil als Wohltäter für belastetete Gemeinden aufgetreten. Die Stadt Bononia (Bologna) erhielt nach einer Feuersbrunst finanzielle Unterstützung, Rhodos bekam seine Freiheit zurück, und das von einem Erdbeben verwüstete syrische Apameia erhielt auf Antrag des Prinzen eine fünfjährige Stundung seiner Steuerzahlungen. Mit solchen Reden konnte Nero nicht nur die in Senecas Unterricht erzielten Fortschritte unter Beweis stellen, sondern auch Popularität in den von ihm bedachten Städte gewinnen. Wenn auch das Volk von Rom zu Beifallsstürmen für Nero manipuliert werden konnte, so war dies freilich nur ein Teil der Öffentlichkeit. Am Hofe gab es immer noch Leute, die schon aus Furcht vor Agrippina die Erinnerung an Britannicus wachhielten. Neros eigene Tante, Domitia Lepida, bei der er kurz vor Caligulas Tod einige sparsame Monate hatte verbringen müssen, war zugleich die Mutter Messalinas und damit die Großmutter des Britannicus. Ihre Versuche, Einfluß auf Nero zu gewinnen, weckten den Argwohn Agrippinas und führten zu einer Anklage wegen angeblicher magischer Anschläge auf Agrippina und der Störung der öffentlichen Ordnung durch schlecht beaufsichtigte Sklaven. Lepidas Tod war ein weiteres Zeichen für den Machtkampf zwischen Agrippina und ihren Gegnern am Hof, die ihre Ziele sehr genau kannten. Ein wichtiger Augenblick für die Freunde des Britannicus würde der Tag seiner Volljährigkeit sein. Im Februar des Jahres 55, an seinem vierzehnten Geburtstag, wür17
de er die „toga virilis“ erhalten. Claudius schien mittlerweile bewußt geworden zu sein, welcher Fehler die Ausgrenzung des Britannicus gewesen war. Aber zur Volljährigkeitserklärung ist es nicht gekommen. Claudius starb am 13. Oktober 54, an einer Pilzvergiftung, wie es hieß, und dieser Tod kam Agrippinas Plänen so gelegen, daß die Mutmaßungen über einen Giftmord verständlich sind. Unerklärliche Todesfälle luden in der Antike leicht zu solchen Spekulationen ein; es ist natürlich unmöglich, hier eine sichere Aussage zu machen. Wenn es kein Giftanschlag war, sondern nur eine Pilzvergiftung (Claudius scheint allerdings der einzige bei Tisch gewesen zu sein, der erkrankte), so werden die von Agrippina hinzugezogenen Ärzte ihres Vertrauens wenig getan haben, dem Kranken zu helfen. Gerade damals hatte sein getreuer Freigelassener Narcissus einen Erholungsurlaub antreten müssen. Die Stunden, in denen der Princeps mit dem Tode rang, wurden zur Regelung der Nachfolge genutzt – es mußte schnell gehandelt werden, umso mehr, wenn Claudius’ Pilzvergiftung zufällig aufgetreten sein sollte. Claudius hatte selbstverständlich ein Testament hinterlegt, in dem er sich über die künftige Rolle von Nero und Britannicus geäußert hatte. Das Testament ist auf Anordnung von Agrippina nicht verlesen worden. Viel spricht dafür, daß Sohn und Stiefsohn zu gleichen Teilen berücksichtigt wurden, ganz wie es auch Tiberius in seinem Letzten Willen gehalten hatte, in dem er den Enkel Tiberius Gemellus und den Großneffen Caligula gleichberechtigt genannt hatte. Seit dem Präzedenzfall der Ausrufung des Claudius zum Princeps war die Zustimmung der Prätorianer der wichtigste Faktor. Agrippina hatte bereits im Jahre 51 dafür gesorgt, daß Sextus Afranius Burrus, der wohl auch als Offizier ausgewiesen war, aber mehr noch durch langjährige Tätigkeit als Procurator im kaiserlichen Dienst, die beiden Prätorianerpräfekten abgelöst und das alleinige Kommando erhalten hatte. Burrus verdankte seine Beförderung ausschließlich Agrippina, doch war er zugleich ohne weitergehenden persönlichen Ehrgeiz und von niemals bezweifelter Kompetenz und Gradlinigkeit. 18
Um die Mittagszeit des 13. Oktober 54, als die Straßen Roms weniger belebt waren, trat der siebzehnjährige Nero zusammen mit Burrus vor die gerade diensthabenden Prätorianer. Der Präfekt bedeutete ihnen, was von ihnen erwartet würde, und schon wurde Nero schallend begrüßt. Eine Sänfte brachte ihn in das Lager der Prätorianer; der junge Mann hielt eine den Umständen entsprechende Rede, die schon deswegen gut aufgenommen wurde, weil er jedem Prätorianer die stattliche Summe von 15000 Sesterzen, also von fünf Jahresgehältern, zu schenken versprach. Dieser Zusage folgte die Ausrufung zum Imperator. Wenig später übernahm der Senat die Entscheidung der Prätorianer und faßte alle für Neros Bevollmächtigung erforderlichen Beschlüsse. Der reibungslose Ablauf dieser Machtübernahme ist nicht allein erklärbar durch gute Regie; möglich war diese rasche Akzeptanz des Siebzehnjährigen erst durch die entschiedene Abneigung vieler Senatoren gegen das Willkür-Regiment des alternden Claudius, der in einer Mischung von gelehrter Zerstreutheit und bizarrer Grausamkeit in den letzten Jahren den Senatoren und Offizieren unerträglich geworden war. Agrippina hatte ihren Sohn gut auf die Thronfolge vorbereitet. Caesars Erbe Oktavian, der spätere Augustus, war nur wenig älter gewesen, als er im Jahre 44 v. Chr. das Testament Caesars annahm und mit einer für sein Alter erschreckenden Übersicht und Disziplin den Kampf gegen seine Feinde aufnahm. Es ist nicht sicher, ob Agrippina den Sohn des schwierigen Vaters Domitius wirklich für herrschaftsfähig gehalten hat. Ihr ging es gar nicht allein um die Position des Sohnes. Offenkundig hat sie über die Möglichkeiten nachgedacht, wenigstens mittelbar ein Stück der Machtfülle zu besitzen, die sie – in Rom – als Frau niemals im eigenen Namen hätte haben können. Als Nero später den Mord an seiner Mutter zu rechtfertigen hatte, behauptete er, Agrippina habe im Jahre 54 mit dem Gedanken gespielt, selbst vor die Prätorianer zu treten. Wenigstens ihre Feinde dürften diesen Vorwurf nicht für völlig abwegig gehalten haben. 19
Die erhaltenen Zeugnisse über Neros Jugend sind wohl alle gefärbt durch die Kenntnis der späteren Entwicklung. So gibt es keine einzige Nachricht über Nero vor dem Jahre 54, die die Annahme erlaubte, daß neben dem brennenden Ehrgeiz der Mutter und der Verwandtschaft mit Augustus irgendein anderer Vorzug den jungen Mann zum Anwärter auf die höchste Machtstellung erscheinen lassen könnte. Nero war ganz unter dem Einfluß dieser hemmungslos ehrgeizigen Mutter herangewachsen. Widersprochen hat er dem stählernen Willen seiner Mutter nie; aber manche Zeugnisse legen wenigstens rückblickend die Vermutung nahe, daß er sich solchen Überforderungen zeitweise zu entziehen versucht hat. Seneca hatte für eine umfassende Ausbildung in den Fächern gesorgt, die für einen künftigen Princeps, im Grund aber für jeden jungen Aristokraten unabdingbar waren. Die Mutter sorgte dafür, daß der Unterricht in Philosophie eingeschränkt blieb, vermutlich voller Sorge, der junge Mann könne durch hochfliegende philosophische Gedanken das Interesse an der ihm zugedachten Stellung verlieren. Vielleicht hat Agrippina gelegentlich gespürt, daß der Ehrgeiz ihres Sohnes nicht so zielbewußt auf das höchste Staatsamt gerichtet war, wie sie es sich wohl gewünscht hat. Neros ausgeprägtes Interesse an Poesie, Malerei und Schauspielkunst war nicht grundsätzlich standeswidrig – eine andere Frage war es, ob er die Kraft haben würde, solche Neigungen der überkommenen Rolle eines römischen Aristokraten unterzuordnen. Prätorianer und Senat waren mit dem Thronfolger einverstanden. Das Militär war gewonnen durch Geld und durch die Erinnerung an Neros Großvater Germanicus; die meisten Senatoren waren froh über das Ende des claudischen Regimes und konnten Nero als Nachfahren des Augustus auch unter den üblichen dynastischen Überlegungen akzeptieren. Die Persönlichkeit der einflußreichsten Männer in Neros Umgebung, Seneca und Burrus, garantierte zunächst eine wohltuende Abkehr von allem, was Claudius in den letzten Jahren so unbeliebt gemacht hatte. Und der junge Herrscher gab auch der Öffentlichkeit zu erkennen, daß er die Zeichen der Zeit 20
verstand: Die erste Parole, die der neue Oberbefehlshaber an seine Garde ausgab, lautete: Die Beste Mutter („Optima Mater“).
III. Quinquennium Neronis Der wohlinszenierte Übergang der Macht auf den siebzehnjährigen Nero zeigt, wie vollständig sich die von Augustus geschaffene politische Ordnung innerhalb von wenigen Jahrzehnten durchgesetzt hatte. Kein einziger realitätsbewußter Senator wäre damals auf den Gedanken gekommen, Nero seine Position streitig zu machen: zu verbindlich für die Legitimation war die Verwandtschaft des Herrschers mit Augustus. Agrippina beurteilte dies ebenso; nur kurze Zeit nach Neros Ausrufung zum Imperator beauftragte sie, vermutlich unter formaler Berufung auf einen Geheimbefehl des jungen Princeps, zwei ergebene Handlanger in Kleinasien damit, den dort amtierenden Prokonsul Iunius Silanus durch Gift zu beseitigen. Das einzige „Vergehen“ des als harmlos geltenden Mannes (Caligula hatte ihn als „goldenes Schaf“ verspottet) war seine Verwandtschaft mit Augustus als Ururenkel, die also der Neros in keiner Weise nachstand. Die Ausübung der Herrschaft durch einen sehr jungen, an den politischen Tagesgeschäften nicht übermäßig interessierten Princeps war keine große Herausforderung für die Umgebung Neros. Die „Rolle“ des Herrschers war durch Augustus und seine Nachfolger so klar vorgegeben, daß Desinteresse oder Fehlverhalten eines Nachfolgers das System nicht sofort zum Einsturz bringen konnten. Die große Mehrzahl der Senatoren hatte sich mit der „Monarchie“ seit langem abgefunden. So starb Caligula, der in seinen letzten beiden Jahren kaum eine Möglichkeit zur politischen Provokation der Senatorenschicht ausgelassen hatte, nicht etwa durch senatorische Attentäter, sondern durch einen Prätorianeroffizier, den er ungeschickterweise immer wieder persönlich beleidigt hatte. Umso sicherer würde die Position des unerfahrenen Nero sein, 21
wenn er sich nur an gute Berater hielt, die wußten, worauf es ankam. Die Rede, die Seneca als erste Ansprache Neros vor dem Senat formuliert hatte, klang verheißungsvoll. Nero sprach über den Vorzug seiner jungen Jahre, die es ihm ermöglichten, die Herrschaft ohne alte Feindschaften antreten zu können, und über seinen Vorsatz, auf guten Rat zu hören und sich am Vorbild des Augustus zu orientieren. Soweit Nero konkret wurde, lief alles auf die Abschaffung von Mißständen des vergangenen Regimes hinaus. Claudius’ abschreckende Freude an persönlicher Rechtsprechung sollte der Vergangenheit angehören, und – für den Senat eine wichtige Ankündigung – der peinliche Einfluß von „Ministern“ aus dem Freigelassenenstand sollte ein Ende haben. Schließlich versprach der junge Herrscher, anders als sein Vorgänger, auf die Einhaltung der traditionellen Befugnisse des Senats zu achten – für das Selbstverständnis der meisten Senatoren eine hochwillkommene Ankündigung. Agrippinas ungezügelter Ehrgeiz stellte freilich ein Element der Unsicherheit dar. So gehörte zu den ersten Münzen Neros eine Prägung, die Agrippina auf der Vorderseite zeigte, auf der gewöhnlich das Porträt des Herrschers zu finden war. Eine ganz unübliche Ehrung sehr bald nach Claudius’ Tod war auch das vom Senat verliehene Recht auf zwei Amtsdiener, Lictoren genannt, die Agrippina bei Auftritten in der Öffentlichkeit vorangingen – bisher hatten nur Magistrate das Recht auf solche Amtsdiener gehabt und die oberste Vestalin. Überdies hat sie in den ersten Monaten der Herrschaft Neros nichts unversucht gelassen, ihre Position ohne jede Rücksicht auf das Ansehen des Sohnes auszubauen; Burrus und Seneca, die doch Agrippina ihre jetzigen Positionen zu verdanken hatten, standen vor einer schwierigen Aufgabe. Tacitus berichtet von einem diplomatischen Meisterstück Senecas, mit dem es ihm gelang, eine außenpolitische Blamage zu verhindern. Zu Beginn einer Audienz, die Nero einer armenischen Gesandtschaft gewährt hatte, machte Agrippina Anstalten, sich neben Nero zu setzen und damit auf ihre Weise gleichberechtigte Teilnahme an der Macht zu demonstrieren. Während alle 22
Nero und Agrippina. Aureus, ca. 54/55 n. Chr. Links die Büste des jungen Nero, rechts die Büste seiner Mutter. Die Legende für Agrippina steht auf der hier abgebildeten Vorderseite der Münze und vermittelt deshalb den Eindruck, die Kaiserinmutter selbst könne eine solche Prägung veranlassen: Agrippina Aug(usta) divi Claud(i uxor) Neronis Caes(aris) mater.
anderen starr vor Schreck waren und nicht wagten, irgendetwas zur Rettung der Situation zu unternehmen, hatte Seneca die Geistesgegenwart, Nero aufzufordern, aufzustehen, seine Mutter zu begrüßen, und sie dann wegzukomplimentieren oder ihr einen passenden Platz im Hintergrund anzuweisen. Nero ist diesem guten Rat gefolgt. Die ersten fünf Jahre der neronischen Herrschaft sind vom späteren Kaiser Traian als ein vorbildlicher Abschnitt der römischen Geschichte bezeichnet worden, als „Quinquennium Neronis“. Welche Kriterien Traian dabei anlegte, oder welche historische, möglicherweise apologetische Tradition er dabei übernahm, ist im Einzelnen umstritten, doch kann kein Zweifel daran bestehen, daß diese ersten Jahre Neros von der senatorischen Oberschicht durchaus gewürdigt wurden – denn es waren ja in erster Linie die Senatoren, welche die historische Überlieferung bestimmten, und deren Kriterien für einen „guten“ Herrscher sind überschaubar. Je mehr Vollmachten – in der Hauptstadt, in Italien, in den Provinzen – an den Senat delegiert wurden, desto eher konnte ein Princeps der Unter23
Stützung der Senatoren gewiß sein. Die schon erwähnte „Regierungserklärung“ des jungen Herrschers war in den Details nicht innovativ. Ähnlich hatten schon Caligula und Claudius zu Beginn ihrer Herrschaft gesprochen, doch hatten sie die guten Vorsätze bald vergessen. Nero dagegen hat sich mehrere Jahre an seine „Regierungserklärung“ gehalten und dem Senat die – oft sehr geringfügigen – Freiheiten und Kompetenzen gelassen, die für das Selbstverständnis dieser Institution eminent wichtig waren. Tacitus, in dessen Annalen ein Bericht über die ersten Jahre erhalten ist, betont die wohlmeinende Sorgfalt Neros (und seiner Berater) bei allen den Senat betreffenden Fragen; konkretisiert wird diese vom Senat begrüßte Politik durch Beispiele, deren relativ geringe Relevanz nur noch unterstreicht, wie wenig wirkliche Kompetenzen dem Senat geblieben waren. Schon die Entlastung der Quästoren von der kostspieligen Pflicht, in ihrem Amtsjahr Gladiatorenspiele in der Hauptstadt zu veranstalten, wurde als Zeichen allerhöchsten Wohlwollens gerühmt. Noch ein ganz schwacher Abglanz republikanischer Streitigkeiten zwischen Amtsträgern reichte aus, die Senatoren alte Bedeutung fühlen zu lassen, und man war schon damit zufrieden, wenn sich der Princeps in diese „senatorische“ Frage nicht einmischte. Selbständigkeit wollte man demonstrieren, aber man nahm auch Wohltaten des Kaisers gerne an. Es wurde als Beweis kaiserlicher Hochachtung vor dem Senatorenstand gepriesen, daß Nero im Jahre 58 dem Vermögen dreier verarmter Herren so aufhalf, daß sie wieder den nötigen Census erfüllten. So ist verständlich, daß es dem senatorischen Selbstverständnis keineswegs widersprach, den Princeps bei passender Gelegenheit mit schmeichelhaften Anträgen zu überraschen. Da gab es denn auch Karrieristen, die den Kaiser der Gefahr aussetzten, sich durch Annahme einer solchen Ehrung zu kompromittieren, etwa mit dem Antrag, das römische Kalenderjahr möge mit dem Dezember, dem Geburtsmonat des Herrschers, beginnen. Einem zunächst „bescheiden“ abgelehnten Antrag ist Nero später gefolgt, als er, jung an Jahren, den Titel „Vater des Vater24
landes“ annahm. Gesten ostentativer Zurückhaltung, die politisch nichts kosteten, waren ebenso wichtig für den Nachruhm des „Quinquennium Neronis“ wie konkrete politische Entscheidungen zugunsten einer gewissen Kompetenzerweiterung des Senats. Die innenpolitisch ganz entspannte Lage der ersten Regierungsjahre Neros ist auch an der Münzprägung ablesbar. Das in diesen Jahren auf den Gold- und Silbermünzen verkündete SC („ex senatus consulto“ – auf Senatsbeschluß) ist nicht als Hinweis auf die Autorisation der ensprechenden EdelmetallPrägung durch den Senat zu verstehen, sondern als Hinweis des Kaisers, daß er die durch seine Titulatur formulierten Ehrungen dem Senat verdankt. Welchen Anteil am guten „Quinquennium Neronis“ hatte Nero selbst? Die antiken Berichte lassen nur schwer erkennen, ob Nero in den ersten Jahren überhaupt direkten Einfluß auf die politischen Tagesgeschäfte genommen hat – oder ob er sich auf seine Berater und Spezialisten verließ, zugunsten der herrscherlichen Freizeit. Von politischer Weitsicht Neros ist im „Quinquennium Neronis“ nicht viel zu spüren. Wenn überhaupt kaiserliche Initiativen in den ersten Jahren ausdrücklich als persönliche Entscheidung genannt werden, dann handelt es sich um wohlgemeinte, aber inkompetente Einfälle, wie die Abschaffung der Steuern im Jahre 58. Es bedurfte dann einiger Fachgespräche, um den Vorschlag wieder zurückzuziehen. Nachweislich eigene Entscheidungen Neros sind in der Regel höchst problematisch, wie etwa im Jahre 61 (also nach dem „Quinquennium“) die Entsendung des Freigelassenen Polyclitus zur Durchsetzung seiner Britannienpolitik. Wann immer es in seinen letzten Jahren zu krisenhaften Entwicklungen kam und er allein entscheiden mußte, geriet Nero in Panik. Solange Burrus und Seneca als Berater unangefochten waren, richtete Nero mit seinen Einfällen keinen Schaden an. Selbst die Neider konnten nicht bestreiten, daß die beiden in gegenseitigem Einvernehmen für den reibungslosen Ablauf der Regierungsgeschäfte sorgten, längstens bis zu Burrus’ Tod im Jahre 62. Burrus hatte als Prätorianerpraefekt eine offizielle Position 25
inne und wird Nero vor allem in Fragen der militärischen Sicherheit beraten haben. Für die persönliche Beratung des Kaisers und die Gestaltung politischer Richtlinien war vor allem Seneca zuständig. Niemals vorher hat der „Berater“ eines Princeps („amicus“) einen solchen Einfluß ausüben können. Unter den Nachfolgern des Augustus war Nero mindestens in seinen Anfangsjahren der erste, der sich öffentliche Ansprachen erkennbar vorformulieren ließ. Seneca hat großen Wert auf die öffentliche Wahrnehmung seiner Rolle als Erzieher („educator“) und Berater („amicus“) gelegt. Mit der im Jahre 55 veröffentlichten Schrift „Über die Milde“ („De dementia“) wandte er sich nicht nur als Erzieher an seinen jungen Schutzbefohlenen, er ließ auch die literarische Öffentlichkeit wissen, nach welchen Maßstäben er den Herrscher zu erziehen und zu beraten gedachte. Dennoch ist es schwierig, gesicherte Spuren von Senecas Tätigkeit im politischen Tagesgeschäft zu finden. Gerade bei Entscheidungen, die ein persönliches Interesse des Philosophen aus Spanien vermuten lassen – etwa beim Sklavenrecht oder der Provinzverwaltung – fehlt jeder Hinweis auf direkte Einflußnahme. Im Jahre 56 war Seneca sogar für drei Monate Konsul. Weder für diese Zeit noch für die anderen Jahre wird Seneca als Teilnehmer an einer Senatssitzung erwähnt, obwohl alle Wert darauf gelegt hätten, seine Meinung zu hören; offenbar hat er es gerade deshalb vermieden, an wichtigen Sitzungen teilzunehmen. Nero hat ihn also auch nicht in den Senat befohlen; vielleicht wollte er die Sitzungen dadurch freizügiger erscheinen lassen. Selbst in den Schriften, die nach seinem Rückzug aus der Öffentlichkeit entstanden sind, fehlt jeder Bezug auf seine langjährige Tätigkeit als wichtigster Berater des Herrschers. Seneca hat immer Wert darauf gelegt, nach den anspruchsvollen moralischen Kriterien der Stoa zu leben. Häufig muß er die großen Schwierigkeiten bei der Bewältigung seiner Aufgaben empfunden haben. Der gerade erwähnte Fürstenspiegel „Über die Milde“ ist vermutlich nach dem Tod des Britannicus veröffentlicht worden; vielleicht gehörte Seneca zu denen, die 26
den gewaltsamen Tod eines potentiellen Thronfolgers für verantwortbar hielten, wenn es um die Vermeidung eines Bürgerkriegs ging. Ein weiteres Beispiel für die enormen Gewissenskonflikte, denen Seneca sich in seiner Rolle bei Hofe aussetzte, ist die Beteiligung am „Krisenmanagement“ nach Agrippinas Ermordung. Er hatte die Katastrophe kommen sehen, war aber wohl nicht eingeweiht in die Vorbereitung der Tat. Dafür war er dabei, als Nero den unmittelbaren Mordbefehl gab, und er schrieb auf Neros Anweisung die vor dem Senat zu verlesende Erklärung über den Hergang des angeblichen Attentatsplans Agrippinas und ihren Tod. Wer unter den Senatoren Senecas Stil kannte, wußte sofort, daß nicht der Kaiser selbst den Bericht abgefaßt hatte. Aus der Rückschau fällt es leicht, Senecas Konzessionen an die höfische Realität und den eigenen Ehrgeiz zu kritisieren. Ohne Zweifel setzte er sich den Kritteleien von philosophischen Fachgenossen aus, wenn er die Lehren deü Stoa – nach denen zu leben er sich bemühte – mit den Ränken am Kaiserhof in Einklang brachte. Senecas Stolz darauf, seiner philosophischen Konfession im Kern treu geblieben zu sein, gründete sich auf Gespräche mit Nero unter vier Augen, in denen er nach bestem Wissen und Gewissen versuchte, seiner Aufgabe als Erzieher gerecht zu werden. Tacitus, der einen unbestechlichen Blick für jede Heuchelei, für jeden Selbstbetrug besaß, hielt Seneca für einen gelegentlich etwas eitlen und reichen, im Grundsatz aber aufrichtigen und pflichtbewußten Mann. Die spätere Vorstellung von einem vorbildlichen „Quinquennium“ der ersten fünf Jahre von Neros Herrschaft wurde erleichtert durch das Fehlen großer innen- oder außenpolitischer Probleme, die Nero auf die Probe gestellt hätten. Tacitus sagt etwa zum Jahre 57, daß er nichts wirklich Interessantes zu berichten habe, es sei denn, man zähle dazu die Bauarbeiten am neuen Amphitheater. Noch im Jahre 58, also gegen Ende des „Quinquenniums“, wurde im Senat der Antrag gestellt, Nero das Konsulat auf Lebenszeit zu verleihen, um ihn auf diese Weise möglichst stark 27
Porträtherme des Seneca. (Berlin, Staatliche Museen, Antiken-Sammlung, Inv.-Nr. 391)
an den Senat als Institution zu binden. Nero lehnte den Antrag ab – zur Erleichterung der Mehrheit der Senatoren. Nach dem Tod des Burrus und Senecas Abschied gab Nero seine Zurückhaltung auf, weil er sich zusehends weniger Gewinn von einem senatsfreundlichen Kurs versprach. Die erste Anklage wegen Hochverrats (,,maiestas“-Prozeß) wird im Jahre 62 zugelassen. Sie markiert den Anfang vom Ende der Rücksichtnahme auf den Senat. Am Ende, im Jahre 67, bei der „Befreiung“ Griechenlands, hat Nero den Senat nicht einmal mehr einer Erwähnung für würdig befunden. Im Jahre 54, bei der „Thronbesteigung“, waren die Erwartungen der Senatsaristokratie keineswegs unerfüllbar hochgeschraubt. Niemand erwartete von Nero ein „Regierungsprogramm“ im modernen Sinne, und man war völlig zufrieden, wenn die bekannten Mißstände des claudischen Regimes vermieden wurden. Solange der Kaiser sich an bewährte Tugenden wie „civilitas“ und „liberalitas“ halten würde, kam niemand 28
auf den Gedanken, tiefgreifende Reformen und wagemutige Pläne einzufordern. Insgesamt traten die relativ guten ersten Jahre Neros in der Erinnerung noch stärker hervor durch den Vergleich mit den Schrecken seiner Spätzeit, und die Teilnahme von späteren Opfern Neros am Regiment dieser ersten Jahre ließ es den senatorischen Berichterstattern geboten erscheinen, ihre Mitwirkung dadurch zu erklären, daß die bescheidenen Vorzüge der ersten Regierungsjahre noch stärker hervorgehoben wurden.
IV. Muttermord Nero hatte den Ränken seiner Mutter den Thron zu verdanken, und die Intensität ihrer Einflußnahme ließ erwarten, daß es über kurz oder lang zu einer Krise kommen würde. Hinzu kamen die Interessen von Burrus und Seneca, deren Dankbarkeit gegen Agrippina für vergangene Wohltaten auf die Dauer von der Dankbarkeit gegenüber dem jungen Herrscher für gegenwärtige Wohltaten abgelöst wurde. Es gab erste Zeichen von Selbständigkeit des jungen Herrschers – und die erste Krise für Agrippinas ehrgeizige Pläne, an der Macht teilzuhaben, kam unerwartet schnell, kaum ein Jahr nach Claudius’ Tod. Zu den erzieherischen Hinweisen, die Nero gewiß öfter zu ertragen hatte, gehörten Agrippinas Bemerkungen über die grundsätzliche staatspolitische Bedeutung seiner Ehe mit Claudius’ Tochter Octavia – damals dreizehn Jahre alt und von wesentlich zurückhaltenderer Ausstrahlung als so viele andere schöne Frauen bei Hofe. Die Ehe war offensichtlich eine rein dynastische Formalität. Dafür verliebte sich Nero unsterblich in eine junge griechische Freigelassene namens Acte, die sich ihrerseits wohl auch um die Aufmerksamkeit des jungen Herrschers bemüht hat. Zunächst gelang es Nero, die Beziehung vor seiner Mutter geheimzuhalten, dann mußte er sich ihre Vorwürfe anhören – doch wohl die, daß er seine Ehefrau vernachlässige und damit die Geburt eines legitimen Nachfolgers aufs Spiel setze. 29
Viel spricht dafür, daß Neros Gefühle für Acte echt waren und – was weniger selbstverständlich ist – daß auch Acte in Nero nicht allein den Herrscher über das Römische Reich sah: Sie hat ihn im Jahre 68, zusammen mit zwei Ammen, begraben. Die intensive Beziehung zu Acte dauerte mindestens drei Jahre. Selbst an eine Hochzeit hat Nero zeitweise gedacht, ohne die politische Bedeutung seiner Ehe mit Octavia zu berücksichtigen; es gab Konsulare, die im Senat die vornehme Herkunft Actes beschwören wollten, um das Ehehindernis ihres Status als Freigelassene aus der Welt zu schaffen. Agrippina spürte, wie die Berater Neros die unerwartet ernste Liebesbeziehung dazu benutzten, Neros Vertrauen durch den Beistand zu gewinnen, den sie seiner Beziehung zu Acte gegen den Willen und den Widerstand der Mutter angedeihen ließen. Als heftige Vorwürfe nichts fruchteten, versuchte sie mit Entgegenkommen und guten Worten ihren alten Einfluß auf den Sohn zurückzuerobern. Sie muß über den schnellen Machtverlust innerhalb so weniger Monate ungeheuer erbittert gewesen sein. Ein schwer wiedergutzumachender Fehler war ihre zornige Bemerkung, daß sie ein generöses Geschenk aus eben dem kaiserlichen Fundus – mit dem Nero sie hatte versöhnen wollen – erhalte, den der Sohn allein ihr zu verdanken habe; mochte das noch eine undiplomatische Bemerkung gewesen sein, die Nero bald zu Ohren kam, so waren die unbeherrschten Reden über die Vorzüge von Claudius’ Sohn Britannicus alarmierend. Und es waren Fehler, die sich rächen sollten, wenn die für ihre verletzenden Reden offenbar berüchtigte „Tochter des Germanicus“, wie sich gerne nannte, den stolzen Burrus als Krüppel beschimpfte und Seneca als ehrgeizigen professoralen Schwätzer. Nur kurze Zeit später starb der, den Agrippina als würdigen Ersatz für ihren Sohn bezeichnet haben soll: Britannicus, der Sohn des Claudius, damals dreizehn Jahre alt. Es gab immer noch Kräfte am Hof, die ein Auge auf die politische Zukunft des Knaben hatten, und der Junge selbst hatte dazu beigetragen, Neros Argwohn noch zu verschärfen: Bei einer ausgelas30
senen Veranstaltung an den Saturnalien hatte Nero ihm die Aufgabe zugeteilt, ein Lied vorzutragen, wohl in der eitlen Erwartung, daß sich der Sohn des Claudius so blamieren werde wie früher sein Vater bei gesellschaftlichen Auftritten. Das Gegenteil war der Fall: Der junge Britannicus, der ohnehin als guter Sänger galt, improvisierte selbstsicher ein Lied über das Schicksal eines Prinzen, der seines Herrschaftsrechts beraubt worden sei – wenn diese Szene ein Maßstab sein kann, so hatte der versponnene Claudius einen vielversprechenden Sohn hinterlassen. Die antiken Berichte über den plötzlichen Tod des Jungen, herbeigeführt durch ein von der erfahrenen Giftmischerin Locusta zusammengebrautes Elixier, sind nicht ohne weiteres glaubwürdig, da nur wenige Gifte bekannt waren, die schnell und zuverlässig wirkten, gleichzeitig aber dem Opfer diskret verabreicht werden konnten. Vielleicht war Locusta, die später auch Schüler in ihrer Kunst unterrichtete, tatsächlich eine seltene Meisterin in ihrem Fach. Britannicus starb während eines Gastmahls, sozusagen in aller Öffentlichkeit; die Verabreichung eines Giftes in Gegenwart Neros wäre ein Akt von zynischer Offenheit gewesen: niemand, dem seine Karriere lieb war, hätte es wagen können, den anwesenden Princeps der Anstiftung zu beschuldigen. Claudius’ Sohn nahm ein Getränk, das angeblich erst von den Vorkostern geprüft, aber glühendheiß serviert, dann mit kälterem, vergiftetem Wasser trinkbar gemacht worden war. So könnte der Tod herbeigeführt worden sein – andererseits glichen die Konvulsionen des Britannicus denen eines epileptischen Anfalls. Nero beobachtete den Zusammenbruch seines jungen Rivalen und kommentierte die Krämpfe mit einem Hinweis auf frühere epileptische Anfälle. Der spätere Kaiser Titus, der älteste Sohn Vespasians, war ein Zeuge des Vorfalls. Für die Überlieferung stand jedenfalls zweifelsfrei fest, daß Britannicus auf Befehl Neros vergiftet worden sei; der Verdacht der Zeitgenossen wurde durch die Umstände von Britannicus’ ungewöhnlich schneller Beerdigung unter Ausschluß der Öffentlichkeit noch verstärkt. Jene, die von der Mitschuld Neros 31
überzeugt waren, beruhigten ihr Gewissen mit der politischen Überlegung, daß die Existenz eines Rivalen wie Britannicus in dea nächsten Jahren ein ernsthaftes Risiko für geordnete Regierungsgeschäfte geworden wäre; Kenner der Zeitgeschichte verwiesen zur Entschuldigung darauf, daß auch nach Tiberius’ und Caligulas’ Herrschaftsantritt mögliche Konkurrenten ums Leben gekommen waren. Böse Zungen behaupteten, Nero habe nach Britannicus’ Tod Seneca und andere Berater mit umfangreichen Schenkungen an sich gebunden; solche Gaben wären freilich auch schwer abzulehnen gewesen. Für Agrippina, Teilnehmerin an diesem Gastmahl, war Britannicus’ plötzlicher Tod ein harter Schlag: Tacitus spricht von ihrem blanken Entsetzen und suggeriert dem Leser, sie habe erkannt, daß ihr Sohn nicht weniger skrupellos sein könne als sie selbst. Vor dem Jahre 54 soll sie die Prophezeiung erhalten haben, daß ihr Sohn herrschen, aber auch seine Mutter töten werde. „Soll er mich töten, wenn er nur herrscht“, soll ihre Antwort gewesen sein. Vielleicht dachte sie jetzt anders darüber. Fortan war sie bemüht, eine eigene Machtposition aufzubauen, die ihrem Sohn, wollte er allzu eigenständig werden, Furcht einflößen sollte. Nach dem Tod des Britannicus entdeckte sie die unglückliche Octavia als Bündnispartnerin, warb um die letzten Sprößlinge des republikanischen Adels, raffte noch größere Reichtümer zur späteren Gewinnung politischer Verbündeter zusammen, und – für Neros Berater vielleicht das stärkste Alarmsignal – sie kümmerte sich in betonter Leutseligkeit um die Sympathien der Prätorianeroffiziere ihrer Leibwache, die ihr als Kaiserinmutter zugewiesen worden waren. Nero reagierte höchst geschickt: Kurze Zeit nach Britannicus’ Tod mußte sie das Zentrum der Macht räumen und in die benachbarte Villa ihrer Großmutter Antonia umziehen. Hier wurde ihr auf Befehl des Sohnes nicht nur die Leibwache von Prätorianern entzogen, sondern auch die Truppe germanischer Leibwächter. Dies war ein deutliches Signal an die Öffentlichkeit: Die Zeiten, als die Mutter des Kaisers auf Münzen abgebildet wurde, waren endgültig vorbei. Agrippina wurde an 32
den Rand des politischen Lebens gedrängt. Die Besucherzahl bei der Kaiserinmutter ging schnell zurück; nur der Sohn selbst kam regelmäßig, um demonstrativ seine Aufwartung zu machen und nach kurzer und kühler Begrüßung umso schneller wieder zu gehen. Die Freundschaften vergingen rasch, dafür blieben Agrippina die vielen erbitterten Feinde, die sie sich in den vergangenen Jahren gemacht hatte. Iunia Silana hatte mehrere Rechnungen offen: Mitglieder ihrer Familie gehörten zu Agrippinas Opfern; so bedurfte es nur noch der zusätzlichen Kränkung durch die spitze Bemerkung Agrippinas über Silanas Liebe zu einem denn doch viel jüngeren Mann, um Agrippina hochverräterischer Umtriebe gegen den Princeps zu bezichtigen. Neros Tante Domitia, ebenfalls eine zuverlässige Feindin Agrippinas, sorgte dafür, daß die Anklage bei passender Gelegenheit Nero vorgetragen wurde: zu später Stunde, als der Wein schon mäßigenden Einfluß auf Neros Konzentration und Urteilskraft ausgeübt hatte. Der Vorwurf, der zu vorgerückter Stunde erhoben wurde, war vermutlich völlig aus der Luft gegriffen, doch bestens geeignet, Nero von der Gefährlichkeit seiner Mutter zu überzeugen: Sie plane, sich mit Rubellius Plautus zum Sturz des Kaisers zu verbünden – der stammte zwar nicht direkt von Augustus ab, aber doch immerhin von Augustus’ Schwester Octavia. In Krisensituationen hat Nero immer in Panik reagiert, mit und ohne Wein. Zitternd vor Angst wollte er seine Mutter und Rubellius Plautus ohne weitere Nachprüfung hinrichten lassen. Burrus hatte Agrippina nicht nur seinen Posten zu verdanken, er war sich auch der Unmöglichkeit bewußt, gegen die bei den Prätorianern offenbar sehr angesehene „Tochter des Germanicus“ ohne Prozeß und Schuldgeständnis vorzugehen und setzte durch, daß Agrippina erst einmal verhört werden müsse; Nero vertraute auch am nächsten Tag Burrus so wenig, daß er Seneca und einige Freigelassene hinzuzog, als Burrus mit einem Verhör in strengem Ton begann. Agrippina hat die Anklage mit Geistesgegenwart und den von ihr zu erwartenden Boshaftigkeiten abwehren können 33
offensichtlich gab es keinerlei Hinweise auf eine tatsächliche Absprache mit Rubellius Plautus; Krönung ihrer erfolgreichen Verteidigung war die Gewährung einer Audienz bei Nero; der – echte oder gespielte – Zorn Agrippinas wurde besänftigt durch die Beförderung einiger ihr nahestehender Senatoren und Ritter; die Anklagevertreter wurden verbannt oder zum Tode verurteilt. Die offizielle Begründung der Besetzung wichtiger Posten durch entsprechende Wünsche Agrippinas ließ sie kurzfristig fast so mächtig wie früher erscheinen. Nach der peinlichen Affäre um Silanas folgenlose Anklage muß es Nero gelungen sein, seine Mutter mehr und mehr in die politische Bedeutungslosigkeit zu treiben – wenigstens verglichen mit ihrer Rolle in den ersten Monaten seiner Herrschaft. Nero muß sich seit 55 vor den Drohungen der Mutter sicherer gefühlt haben. Persönliche Begegnungen wurden immer seltener: Wenn sie nach Rom kam, sorgte er dafür, ihr den Aufenthalt in der Hauptstadt durch Rechtsstreitigkeiten aller Art lästig zu machen, und wenn einer Notiz bei Sueton Glauben zu schenken ist, ließ er seine Mutter auch auf ihren Landsitzen durch bestellte Störenfriede schikanieren. Vier lange Jahre war Agrippina in den Hintergrund gedrängt und hatte keine andere Wahl, als alle Demütigungen hinzunehmen. Trotzdem hat sich Nero im März des Jahre 59 entschlossen, seine Mutter töten zu lassen. Was hat ihn zu einem solchem Befehl getrieben, der bei den Zeitgenossen Schreckensszenen der Mythologie und die Erinnerung an die dekadenten Fürstenhöfe der hellenistischen Zeit hervorrufen mußte? Neros Entschluß zum Muttermord gerade im Frühjahr 59 ist in der erhaltenen Überlieferung nicht ohne weiteres verständlich. Was vermutlich unverändert blieb, waren die mit der bereits bekannten Intensität vorgebrachten mütterlichen Ratschläge und Mahnungen. Eigentlich ist es überraschend, daß Nero es zu Lebzeiten der Mutter nicht gewagt hat, seine künstlerischen Interessen wirklich auszuleben: Das tat er tatsächlich erst nach ihrem Tod. Das Maß seiner Frustration über die Mutter wird aus der von Sueton zitierten „Drohung“ deutlich, sich (wie 34
früher einmal der mit Augustus unzufriedene Tiberius) nach Rhodos ins Privatleben zurückziehen zu wollen. Wenn beiläufigen Bemerkungen Suetons zu glauben ist, war Nero schon lange vor dem Frühjahr 59 so entnervt von den bedrohlichen Ratschlägen und privaten Einflußnahmen seiner Mutter, daß er dreimal vergeblich versuchte, sie mit Gift zu beseitigen: Diese Versuche schlugen fehl, weil sich Agrippina auf solche Giftanschläge vorbereitet hatte. Welche Schwierigkeiten schon die Zeitgenossen hatten, Neros Entscheidung mit einem konkreten Anlaß zu begründen, zeigt Tacitus’ Darstellung, welche die neue und letzte Krise genauso mit dem Einfluß einer Frau erklärt wie im Jahre 55 die erste Entfremdung von der Mutter mit der Liebe zu Acte. Im Jahre 59 soll es Sabina Poppaea gewesen sein, Neros neue Liebe, die den Herrscher solange mit spitzen Bemerkungen über seine Abhängigkeit von der Mutter quälte, bis sich Nero schließlich zum Mord entschloß. Poppaea, etwa sechs Jahre älter als Nero, war nicht nur attraktiv, sondern auch äußerst ehrgeizig. Nach den üblichen Kriterien konnte nur ein entschlossener Schmeichler ihre Herkunft als vornehm bezeichnen. Der Vater T. Ollius stammte nicht aus senatorischer Familie und starb als Quaestor und Anhänger Seians im Jahre 31. Ihr Name Poppaea erklärt sich durch die ungewöhnliche Anknüpfung an den Großvater mütterlicherseits, C. Poppaeus Sabinus, Konsul im Jahre 9 n. Chr. und viele Jahre lang Statthalter in einer Donauprovinz. Ihre erste Ehe, aus der sie einen im Jahre 66 von Nero getöteten Sohn hatte, schloß sie mit einem Prätorianerpräfekten des Claudius; diese Ehe hielt wohl nicht lange – die zweite schloß sie mit dem bei Nero wohlgelittenen Salvius Otho, als dessen Ehefrau sie das Verhältnis mit dem Kaiser begann. Dieses Dreierverhältnis muß einige Zeit Stadtgespräch gewesen ein, bi^Nero seinen Freund und Nebenbuhler im Jahre 58 in das ferne Lusitanien (Portugal) versetzte, wo er sich – für alle Kenner des römischen Nachtlebens überraschend – als Statthalter bewährte. Agrippina wird über diese Dame ohne Ahnen, aber mit Vergangenheit, verächtlich gesprochen haben; im Unterschied zur 35
Freigelassenen Acte war der Gedanke an eine Legalisierung der Beziehung (nach einer Scheidung) aber nicht ganz unrealistisch, und die durch die Geburt eines Sohnes bereits erwiesene Fruchtbarkeit Poppaeas erlaubte es, auf einen Erben zu hoffen. Agrippina ließ wohl kaum etwas unversucht, um die sich offenbar anbahnende Änderung der ehelichen Verhältnisse des Sohnes zu verhindern. Die wenigen über Poppaeas Persönlichkeit erhaltenen Nachrichten machen das durchaus verständlich; sie war nicht nur erfahren in der Herstellung von exotischen Elixieren zur Gewinnung eines prachtvollen Teints, sondern muß auch geistige Interessen gehabt haben; viel spricht dafür, daß sie mit der Religion der Juden sympathisierte: Flavius Josephus, der berühmte Historiker des Jüdischen Krieges, war im Jahre 63 als Gesandter bei ihr und schätzte sie als Förderin jüdischer Belange. Spätere senatorische Historiker, die sich keineswegs durch mannhaftes Auftreten gegenüber Nero ausgezeichnet hatten, wußten widrige Einzelheiten über Agrippinas Versuche zu berichten, Nero durch eine inzestuöse, auch nach antiken Maßstäben alptraumhafte Beziehung an sich zu binden. Wer Nero – nachträglich – besonders übelwollte, ließ die Initiative gar vom Sohn selbst ausgehen. Alle diese Gefährdungen Neros bestanden nur in der Phantasie späterer Berichterstatter – Nero hielt die Mutter, im Gegenteil, möglichst fern: Das spätere, dem Mord vorangehende Treffen war eine Zusammenkunft nach längerer Vermeidung aller persönlicher Kontakte und wurde als „Versöhnung“ gefeiert. Trotz dieses persönlichen Abstands zwischen Mutter und Sohn war Nero im Frühjahr 59 entschlossen, sich Agrippinas zu entledigen. Burrus und Seneca erfuhren nichts von Neros Plänen. Zuerst wurde ein Giftmord erwogen, doch war Agrippina nach dem Erlebnis von Britannicus’ Zusammenbruch bei Tisch, wie Nero ermittelt hatte, gegen solche Anschläge gewappnet. Naheliegend wäre es gewesen, Prätorianer für die Tat einzusetzen, die auch sonst gewohnt waren, Todesurteile zu übermitteln; auch ohne ausdrückliche Hinweise wird Nero aber gewußt haben, daß die Loyalität seiner Gardetruppen in 36
diesem Falle nicht über jeden Zweifel erhaben war. So blieben nur die Flottensoldaten in Misenum, deren Kommandeur Anicetus war, einer der Erzieher des jungen Nero und – aus unbekannten Gründen – ein Feind Agrippinas. Er schlug Nero die Konstruktion eines Schiffes vor, dessen Kabine so präpariert sein sollte, daß die nichtsahnende Agrippina bei passender Gelegenheit von den herabstürzenden Balken erschlagen werden würde. In Kampanien wurde alles vorbereitet, und am Fest der Quinquatrien, im März des Jahres 59, lud Nero seine Mutter zu einem Versöhnungsbesuch ein, über den sich Agrippina mütterlich gefreut haben soll. In einer Villa in Bauli fand eine Abendveranstaltung zu ihren Ehren statt; anders wohl als in den letzten Jahren wurde ihr der Ehrenplatz angewiesen. Bis in die Nacht hinein unterhielt Nero seine Mutter, um den von Anicetus vorbereiteten Anschlag bei Dunkelheit ausführen zu können. Zu vorgerückter Stunde wurde Agrippina mit zwei Begleitern auf das zu ihren Ehren bereite neue Schiff geleitet. Gerade noch sprach Agrippinas Hofdame Acceronia vom gelungenen Verlauf des Abends und der Reue des Sohns über die schlechte Behandlung der Mutter, als auch schon das Zeichen zum Einsturz der Kabine gegeben wurde: Ein Begleiter wurde erschlagen. Acerronia und Agrippina, zusammengekauert in den Trümmern der Kabine, bemerkten zu ihrer Überraschung, daß das Schiff nicht gerettet, sondern versenkt werden sollte. Acceronia, eben noch als treue Freundin zu Füßen Agrippinas sitzend, geriet in Panik und gab sich durch aufgeregtes Schreien als die Mutter des Kaisers aus. Die vorsichtig schweigende Agrippina mußte mit ansehen, wie Acceronia an ihrer Stelle von den Matrosen erschlagen wurde. Leicht an der Schulter verletzt, schwamm sie in Richtung Ufer und wurde von Fischerbooten aufgenommen, die den Schiffbruch bemerkt hatten. Agrippina hatte keinen Zweifel mehr an Neros Absicht, sie unauffällig, ohne Dolch und Gift, aus dem Wege zu räumen, hielt es aber für klüger, sich ganz still zu verhalten. Ihr Freigelassener Agermus erhielt den Auftrag, Nero schnellstens von 37
der glücklichen Rettung aus einem Schiffbruch zu berichten, und sie bat zugleich darum, sich zunächst vom Schrecken erholen, zu dürfen. Inzwischen hatte sich die Nachricht von Agrippinas Rettung aus einem Schiffbruch herumgesprochen. Mitten in der Nacht machten sich die Anwohner auf den Weg, um der Geretteten zu huldigen – ein interessantes Zeugnis für ihre Wirkung in der Öffentlichkeit nach all den Jahren der Ausgrenzung. Alles dieses spielte sich in den ersten Stunden nach Mitternacht ab. Die Nachricht von Agrippinas Rettung stürzte Nero in blankes Entsetzen. Wieder einmal geriet er in Panik. Jetzt fürchete er sich wirklich vor seiner Mutter. Was würde geschehen, wenn sie die Hilfe von Matrosen und Prätorianern gegen Nero mobilisieren würde? Wenn Tacitus ihre vorsichtigen Überlegungen richtig gedeutet hat, bestand allerdings keinerlei Anlaß zu solchen Befürchtungen: In der Stunde ihrer höchsten Not dachte Agrippina nicht an einen Putsch, sondern an das Testament ihrer von den Matrosen erschlagenen wohlhabenden Freundin. Wie auch sonst in ganz schwierigen Situationen, wandte sich Nero an Burrus und Seneca, denen er wohlweislich bisher seine Plänen verschwiegen hatte. Was immer dann besprochen worden ist – Tacitus läßt die beiden Herren erst einmal abwartend schweigen, um Nero den ganzen Ernst der Lage vor Augen zu führen –, so ist der dann eingeschlagene Weg zur Kontrolle der Situation durchaus verständlich. Burrus hat die Einbeziehung der Prätorianer in den jetzt für nötig befundenen Mord an der Mutter des Kaisers abgelehnt mit der Begründung, die Loyalität der Truppe gegenüber allen Angehörigen des Kaiserhauses würde zu einer Befehlsverweigerung führen: Nero möge sich an den Flottenpräfekten Anicetus wenden. Zum Glück für den Kaiser war Anicetus, als alter Feind der Agrippina, zu allem bereit. Kaum waren diese Entscheidungen getroffen, traf Agermus mit seinen Nachrichten ein. Nero war jetzt wieder bei Sinnen; skrupellos warf er Agrippinas Boten ein Schwert vor die Füße und ließ ihn als Attentäter festnehmen. Ob Burrus und Seneca auch hier als Berater haben zusehen müssen? 38
Es dauerte nicht lange, bis Anicetus’ Flottensoldaten Agrippinas Villa erreichten und zunächst alle Schaulustigen vertrieben. Agrippinas Hauspersonal wurde verhaftet oder floh. Als Anicetus sich schließlich dem von mattem Licht erhellten Schlafzimmer Agrippinas näherte, war nur noch ein einziges Mädchen bei ihr. Selbst sie machte sich jetzt davon. „Auch du verläßt mich?“, soll Agrippina gefragt haben. In den letzten Momenten ihres Lebens muß Agrippina von außergewöhnlicher, sozusagen kaiserlicher Gefaßtheit gewesen sein: wenn es darum ginge, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, so sei sie jetzt wiederhergestellt; wenn die Herren als Mörder kämen, so könne sie nicht glauben, daß ihr Sohn einen Muttermord befohlen habe. Anicetus hatte zwei Begleiter, die den Befehl hatten, den Mord auszuführen. Sie haben kein Wort gesprochen, sondern nur mit Knüppeln zugeschlagen. Agrippinas letzte überlieferten Worte galten dem Feldwebel, der ihr mit seinem Schwert den Todesstoß gab: „Triff den Bauch“ (ventrem feri). Dies sollte wohl in dem Sinne zu verstehen sein, daß der Leib getroffen werden sollte, der den Muttermörder hervorgebracht hatte. Es ist eine in vieler Hinsicht makabre Geste, voller Anspielungen. Caesar hatte noch im Moment seines Todes daran gedacht, sich beim Niedersinken keine unziemliche Blöße zu geben. Agrippina dagegen entblößt sich, gegen alle Regeln des weiblichen Verhaltens, und sie läßt vielleicht bewußt symbolisch den Ort der weiblichen Fruchtbarkeit zerstören, der die Grundlage für eine Fortsetzung der Dynastie gewesen war. Die Tote wurde ähnlich schnell bestattet wie damals Britannicus, nur ohne jede Ehrerweisung, eher wie eine Verbrecherin – sie erhielt zunächst nicht einmal ein Grabmal. Erst später wagten es Angehörige ihres Haushalts, der Toten einen ganz bescheidenen Stein zu setzen. Noch vor Tagesanbruch war Agrippina tot – keine sechs Stunden nach dem Abschied von Nero. Jetzt war er einem Nervenzusammenbruch nahe. Burrus wußte Rat; er schickte einige Prätorianer zu Nero, die den Herrscher zur Rettung aus 39
großer Gefahr beglückwünschten. Mitglieder des Hofstaats verrichteten Dankgebete in den Tempeln. Trotzdem wahrte Nero nur mit Mühe seine Fassung; noch wagte er es nicht, nach Rom zurückzukehren. Er suchte Zuflucht in Neapel und schickte von dort aus einen Bericht über den Tod seiner Mutter an den Senat. Jeder, der mit Verständnis zuhörte, merkte dem Schreiben an, daß nicht der Kaiser, sondern Seneca der Verfasser der Rechtfertigung war. Es war eine besondere Art von Eitelkeit, sich selbst in einem solchen Schreiben stilistisch zu verewigen. Seneca machte Agermus zum Attentäter und ließ Agrippina nach der Aufdeckung des Plans von eigener Hand sterben. Alles, was man ihr in der Vergangenheit hatte vorwerfen können, wurde erwähnt und noch gewaltig übertrieben. Seneca hatte keinen Anteil an Neros Plänen gehabt, und für sich selbst meinte er wohl, seine Hilfe bei der Bewältigung der Krise damit rechtfertigen zu können, daß es keine sinnvolle Alternative gäbe. Mancher wird froh gewesen sein, daß Neros Position nicht weiter durch seine unberechenbare Mutter gefährdet werden konnte. So ähnlich hatte man schon dem Tod des Britannicus einen Vorteil abgewinnen können. Die Senatoren überschlugen sich in ausgefeilten Dank- und Ehrenbeschlüssen, doch hatte Nero nicht viel Freude daran. Er wurde jetzt von Alpträumen gequält. Das schlechte Gewissen hat ihn nie verlassen. Selbst auf seiner späteren Griechenlandreise, für die er sich doch sehr viel Zeit genommen hatte, vermied er einen Besuch in Eleusis und in Athen, sonst immer im Pflichtprogramm der antiken Griechenlandbesucher. Es ist gut möglich, daß er die Furien fürchtete.
V. „Welch ein Künstler“ „Qualis artifex pereo“, soll Nero kurz vor seinem Tode gejammert haben: „Welch ein Künstler stirbt mit mir!“ Diese Worte sind mit einiger Sicherheit authentisch – sie entsprechen 40
der in den letzten Jahren seines Lebens immer stärker werdenden Identifikation als Künstler, vor allem als Kitharaspieler, der speziellen Bedeutung des Wortes „artifex“. Nero widersprach mit seiner Lust an Bühnenauftritten allen sozialen Maßstäben der römischen Führungsschicht. Solches „Künstlertum“ wurde ihm von den Verschwörern des Jahres 65 vorgehalten, und auch in den Pamphleten des Jahres 68, kurz vor seinem Sturz, spielte der Vorwurf, ein „Zitherspieler“ zu sein, nicht die geringste Rolle. Der Tod so vieler wirklicher oder vermeintlicher Rivalen, die Ermordung Agrippinas und das grausame Ende der Octavia haben ihm vermutlich nicht weniger geschadet als die irritierende Fixierung auf die „Kunst“, denn es war in Rom nicht möglich, beides gleichzeitig zu sein: ein Princeps, der den seit Augustus verbindlichen Rollenerwartungen entsprach, und ein – nach den Maßstäben der aristokratischen Standesgenossen – „marginaler“ Künstler. Breite kulturelle Interessen und die Gabe, sich mündlich und schriftlich stilvoll auszudrücken, gehörten zum guten Ton der römischen Elite. Neros Vorgänger sind dabei keine Ausnahme. Sueton hat die intellektuellen Interessen der einzelnen Herrscher in seinen Kaiserbiographien stets erwähnt. Caesars universelle Begabung steht am Anfang der iulisch-claudischen Dynastie: Als Redner nahm er es mit allen Zeitgenossen auf, und als Verfasser der Kommentarien über seine Feldzüge in Gallien war er ein Schriftsteller ersten Ranges. Auch das Dilettieren in der Dichtkunst war erlaubt; Caesar hatte freilich genug Qualitätsgefühl, um seine Manuskripte der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Auch Augustus versuchte sich an eigenen poetischen Werken, nicht ohne spätere Selbstkritik und folgende Verbrennung einschlägiger Manuskripte. Sofern er selbst publizierte, waren es „politische“ Veröffentlichungen wie seine Autobiographie und, postum, sein Tatenbericht, bei dessen Formulierung er um jedes einzelne Wort gerungen hatte. Um die Dichtkunst kümmerte sich Augustus lieber als Patron. Tiberius, der ernste Nachfolger, schrieb nicht nur lateinische, sondern auch griechische Verse und paradierte mit seiner 41
Kenntnis entlegenster Details der griechischen Mythologie im Stile eines alexandrinischen Gelehrten. Caligula hat sich, soweit bekannt, für solche Dinge keine Zeit genommen und wollte auffallen durch seine snobistischen Urteile über die Klassiker Vergil und Livius. Selbst der kritische Tacitus kann aber nicht umhin, Caligulas rednerische Begabung zu erwähnen. Einen ganz anderen intellektuellen Typ verkörperte Neros Vorgänger Claudius; er hatte in den Jahrzehnten vor seiner unerwarteten Berufung zum Nachfolger Caligulas versucht, sich einen Namen als Historiker und Antiquar zu machen. So konnte er als Princeps auf ein umfangreiches wissenschaftliches Oeuvre zurückblicken, mit Werken nicht nur zur römischen Geschichte, sondern auch zur Geschichte der Etrusker und Karthager. Bei Neros Zeitgenossen aber tauchte immer wieder der Name des Germanicus auf, Neros Großvater mütterlicherseits. Ihm wurden eine bewundernswerte Beherrschung der griechischen Sprache nachgesagt und eine ungewöhnlich breite literarische Bildung. Germanicus’ kompetente Übersetzung der „Phainomena“ des Aratos, einer von Gelehrsamkeit überströmenden astronomischen Dichtung hellenistischer Zeit, ist heute noch erhalten. Nero konnte in Griechenland auch auf den Spuren seines Großvaters wandeln. Germanicus war sogar im Jahre 19 in Alexandreia gewesen, dem Reiseziel, das Nero nie erreicht hat: Germanicus’ Interesse an den Antiquitäten Ägyptens war so groß, daß er gegen das ausdrückliche Verbot des Tiberius dorthin reiste. Neros Vorlieben gingen von Anfang an über die gewohnten Fächer des aristokratischen Bildungskanons hinaus: nicht nur Poesie, sondern auch Musik und Bildhauerei gehörten dazu, Disziplinen, die noch nie eines vornehmen Römers für würdig gegolten hatten. Bei seinen ersten Lehrern, Beryllus und Anicetus, fand der junge Nero mehr Verständnis als bei seiner Mutter – beide wurden später auf ausdrücklichen Wunsch des Kaisers mit hohen Ämtern belohnt. Beryllus wurde verantwortlich für den Schriftverkehr mit dem Osten des Reiches, Anicetus wurde Befehlshaber der Flotte in Misenum und hat sich, wie 42
bereits erwähnt, für den Mord an Agrippina zur Verfügung gestellt. Im Jahre 50 war Seneca von Agrippina als Lehrer eingesetzt worden. Senecas literarischer Ruf gab seiner erzieherischen Aufgabe einen besonderen Rang und machte nebenbei deutlich, was von Nero erwartet wurde. Daß Seneca den Auftrag hatte, den Anteil der Philosophie bei seinem Unterricht gering zu halten, liest sich beinahe wie ein (späterer) Vorwurf gegen Seneca, einen Tyrannen unterrichtet zu haben. Wenn Neros Zielstrebigkeit bei der Verfolgung seiner Interessen ein Maßstab ist, dann gab es von Anfang an einen stillen Kampf zwischen ihm und Agrippina, der gar nicht der verbreiteten Vorstellung von der Allmacht Agrippinas über ihren heranwachsenden Sohn entspricht. Die Eigenwilligkeit des Knaben lebte sich vorerst aus in heftiger Begeisterung für berühmte Wagenlenker; Gespräche darüber waren verboten, und die Erzieher hatten den Befehl, Neros Begeisterung zu zügeln. Wer wollte, konnte hier ein ungünstiges Erbteil aus der väterlichen Familie erkennen; schon der Großvater, der Konsul des Jahres 16 n. Chr., war unrühmlich aufgefallen als begeisterter Wagenlenker, einer grundsätzlich unstandesgemäßen Neigung. Auch die in den Quellen immer zugleich mit der Musik erwähnte Beschäftigung mit Malerei und Bildhauerei war für einen Knaben dieses Alters – und dieses Standes – ganz ungewöhnlich. Was die Mutter vor der Thronbesteigung offenbar erfolgreich verhindert hatte, versuchte Nero als Princeps sogleich durchzusetzen; Burrus und Seneca konnten auch nicht mehr tun, als die größten Peinlichkeiten zu verhindern – und sich dadurch zugleich Freiräume für politische Entscheidungen des Beraterstabes schaffen. Der damals berühmteste Kitharasänger, Terpnus, wurde an den Hof berufen, um dem Kaiser zunächst Tag für Tag bis in die Nacht hinein vorzusingen und schließlich auch zu unterrichten. Noch ein weiterer „Star“ der Zeit wurde hinzugezogen, Menekrates. Fortan arbeitete Nero unermüdlich an seiner Ausbildung als Sänger, streng bemüht um eine Verbesserung seiner Stimme, die nicht perfekt für diese Disziplin war. Keine der Mühen von Berufskünstlern ließ er aus, um sich für eine veritable Bühnen-Laufbahn vorzubereiten. Bleiplatten 43
auf der Brust sollten die Muskulatur stärken, angeblich abträgliche Speisen wurden vermieden, und Abführmittel sollten für die innere Reinigung des angehenden Künstlers sorgen. Solche Mühen erklärten sich durch den unbändigen Wunsch, öffentlich aufzutreten und den verdienten Beifall zu genießen. Agrippinas Meinung zu alledem war nie strittig, aber sie hatte seit 55 immer weniger zu sagen. Ihre Ablehnung war verständlich, denn diese Neigungen widersprachen allen Regeln der römischen Elite. Selbst wenn man gerne professionellen Musikern zuhörte und in diesen Künsten gelegentlich sogar selbst dilettierte, gehörte die Ausübung solcher musikalischen Interessen bestenfalls in den strikt privaten Bereich, und selbst dort setzte man sich noch kritischen Bemerkungen aus. Calpurnius Piso, der nominelle Anführer der Verschwörung des Jahres 65, besaß ebenfalls die Gabe, zur Kithara zu singen, doch war er vorsichtig genug, nur im kleinsten Kreis seine Kunst zum Besten zu geben. Das Beispiel zeigt, daß Neros Interesse an der Ausübung seiner Kunst keineswegs ein Einzelfall war. Schon Augustus hatte – zum Teil wohl vergeblich – gesetzliche Bestimmungen erlassen, um die jeunesse doree an unstandesgemäßen Bühnenauftritten und Gladiatorenkämpfen zu hindern. Was man aber bei den an einer politischen Karriere desinteressierten „Schwarzen Schafen“ der Großen Familien gerade noch hinnahm, bekam eine andere Dimension, wenn der Princeps selbst es wagte. Die geradezu exhibitionistische Freude an Auftritten mußte Neros Ansehen bei der politischen Elite gefährden und war geeignet, seine Position langfristig zu untergraben. Nero war sich dieser grundsätzlichen Regelverletzung durchaus bewußt: Nicht ohne Grund sprach er später davon, daß ihm als Princeps alles erlaubt sei. Bis zu Agrippinas Tod blieb Neros Kunst ein privates Vergnügen. Seine einschlägigen Interessen müssen viel Zeit verschlungen haben. Malerei und Bildhauerei werden erwähnt, ohne daß weitere Einzelheiten bekannt sind. Ein weiteres, nicht ungefährliches Vergnügen für Nero waren Wagenrennen – sie erforderten viel Übung in der Beherrschung der Pferdegespanne. In Griechenland war Nero später 44
in der Lage, sogar einen Zehnspänner zu lenken; ein anderes Mal stürzte er allerdings aus dem Wagen, dachte aber, halb ohnmächtig, nicht an seine Gesundheit, sondern nur an den korrekten Sitz des Siegerkranzes. Neben der Musik gehörte das Interesse an der Poesie zu den ernsthafteren Seiten des „Künstlers“. Neros Verse entsprachen dem Geschmack der Zeit, dürften aber den Gelegenheitsepigrammen seiner kaiserlichen Vorgänger weit überlegen gewesen sein. Manches war wohlgelungen, denn allein so erklärt sich der kolportierte Vorwurf von Neros Liebe zum Plagiat. Tacitus erzählt zum Jahre 59 – nach Agrippinas Tod – von Neros Gastmählern für begabte, aber noch nicht bekannte Verseschmiede, denen er aufmerksam zuhörte, wenn sie den Gastgeber mit neuen Versen beeindrucken wollten, angeblich zum Nutzen seiner dann wenig später produzierten eigenen Verse. Doch schon bei Seneca finden sich für das Jahr 51 Erwähnungen von Neros poetischer Begabung. Eine ausdrückliche Ehrenrettung des Dichters unternimmt Sueton. Der Biograph fand in den kaiserlichen Archiven Manuskripte mit einigen der berühmteren Verse Neros, die ihn eindeutig bei selbständiger poetischer Arbeit zeigten. Der Kaiser sorgte für eine Veröffentlichung seiner Gedichte und Lieder, mit dem bezeichnenden Titel „Liber Dominicus“, (Buch des Meisters), das Vitellius im Jahre 69 hervorholen läßt, um sich bei seinen Gästen beliebt zu machen. Nur ganz wenige Verse des Kaisers sind erhalten – berühmt waren etwa ein Gedicht über das schöne Haar von Poppaea und das Epos über Troia, aus dem einige Verse erhalten sind. Anders als sonst wurde hier nicht der wackere Familienvater Hektor, sondern Paris zum Helden erhoben. Der kaiserliche Dichter hatte große Pläne; noch bevor er mit der eigentlichen Arbeit am Epos über die römische Geschichte begann, als Konkurrent von Vergil und Lucan, ließ er sich beraten über den empfehlenswerten Umfang eines solches Werkes. Schmeichler schlugen ihm gleich vierhundert Bücher vor – ein interessantes Zeugnis über die Hofschranzen, gegen die sich Burrus und Seneca durchzusetzen hatten. 45
Begreiflich ist, daß Zeitgenossen Agrippinas Einreden gegen Neros Künstlertum auch zu den Motiven für den Muttermord gerechnet haben, denn unmittelbar danach hat Nero es erstmals gewagt, (halb-)öffentlich aufzutreten, als Kitharöde und als Wagenlenker. Wortreich suchte er nach Rechtfertigungen: Die homerischen und andere alte Helden seien Wagenlenker gewesen, und der Gesang zur Kithara sei schon dadurch geadelt, daß Apollo der Schutzherr dieser Kunst sei. Ohne die Unterstützung durch Agrippina sahen Seneca und Burrus jetzt keine andere Möglichkeit, als wenigstens einen der beiden Wünsche halbwegs zu erfüllen; bezeichnenderweise zogen sie das Wagenrennen wegen seiner männlichen, militärischen Aspekte vor. Ein für die Öffentlichkeit zuerst nicht zugänglicher, privater Rennplatz Caligulas jenseits des Tiber wurde hergerichtet, um Nero Gelegenheit zu Wagenrennen zu geben. Es dauerte nicht lange, da wurden auch Zuschauer eingelassen, die den herrscherlichen Rennfahrer mit Komplimenten überschütteten. Bald durften auch andere Wagenlenker aus dem senatorischen Hochadel ihrem Vergnügen nachgehen, zur Verwunderung von Tacitus, der sich die Teilnahme nicht durch Freiwilligkeit, sondern nur durch Bestechung erklären mochte. Im selben Jahr 59 ließ Nero die „Iuvenalia“ feiern, aus Anlaß der Niederlegung seines ersten Bartes. Was früher als Fest im Kreis der Familie gefeiert wurde, war jetzt eine öffentliche Veranstaltung mit Aufführungen sowohl in griechischer als auch lateinischer Sprache. Männer und Frauen von Stand traten auf die Bühne. Das Niveau der Veranstaltung war wohl nicht einheitlich: Spötter machten sich lustig über die Auftritte von Konsularen und die Tanzfiguren einer achtzigjährigen Dame von unverwüstlicher Energie. Und am Ende des Festes trat der Kaiser schließlich selbst auf; vorsichtig stimmte er die Kithara und ließ sich von seinen Gesangslehrern helfen, den richtigen Anfangston zu treffen. Für Applaus war gesorgt. Seit den Iuvenalia des Jahres 59 gibt es die „Augustiani“, eine Gruppe junger Römer aus der Oberschicht, die im Stil des Theaterpublikums von Alexandreia Beifall in allerlei akusti46
sehen Variationen zu bieten hatten und sich davon eine schnellere Karriere versprechen durften. Gleich im Jahre 60 richtete Nero ein im (römischen) Fünfjahres-Rhythmus zu organisierendes Fest griechischen Stils ein, später nach seinem Urheber „Neronia“ genannt. Zum musischen Teil des mehrtägigen, nach griechischer Tradition gestalteten Programms gehörten Rezitationen und musikalische Darbietungen, ganz „unrömisch“ waren dagegen die athletischen Wettbewerbe, bei denen die Teilnehmer nackt auftraten und bei Beobachtern alten Schlages Gedanken an das – angeblich – östliche Laster der Homosexualität weckten. Nero trat nicht persönlich auf, vielleicht ein Beweis für seine damals noch vorhandene Fähigkeit, die mögliche negative Wirkung eines kaiserlichen Auftrittes zu bedenken. Der Versuch, das neue Fest durch die Berufung auf das entfernt vergleichbare Vorbild der von Augustus eingerichteten (freilich nur von Griechen gefeierten) Spiele zur Erinnerung an den Sieg von Actium besser zu legitimieren, ist noch erkennbar. Nero erhielt gleich zwei erste Preise. Den Siegespreis für lateinische Dichtung und Redekunst nahm er dankend an; den Preis für die beste Darbietung auf der Kithara nahm er nicht an, sondern ließ ihn zu Füßen einer Statue des Augustus niederlegen, womit er demonstrieren wollte, daß das Standbild des Augustus durch einen solchen Preis keineswegs entehrt werde. Die Botschaft wurde verstanden. Die Überlieferung betont Neros unbezähmbaren Drang zum öffentlichen Auftritt; dabei wird leicht übersehen, daß Nero nach den Festspielen des Jahres 60 noch sehr lange bis zum ersten uneingeschränkt öffentlichen Auftritt gewartet hat: Erst im Jahre 64 ist er so öffentlich aufgetreten wie andere professionelle Künstler auch, aber selbst dann nicht in Rom, sondern im griechisch geprägten Neapel. Die Risiken eines Auftritts in Rom waren Nero also bewußt. Das erste Publikum bestand aus dem zivilen und militärischen Gefolge Neros, es kamen Neugierige aus den umgebenden Landstädten, und vor allem aus dem begeisterungsfähigen Volk von Neapel. Selbst ein kleiner Erdstoß, der das Theater 47
Nero als Apollo mit der Lyra. As (Messing), ca. 64/65 n. Chr.
plötzlich erzittern ließ, tat der Vorstellung keinen Abbruch. Nero war begeistert, von sich selbst und von seinem Publikum, das ihn mit ganz verschieden moduliertem Beifall erfreute. Der Generalprobe in Neapel sollte sich eine Reise nach Griechenland zu weiteren Auftritten anschließen, vergleichbar der dann im Jahre 66 begonnenen Griechenlandreise. Nero war schon unterwegs, als er sich in Benevent aus ungeklärten Gründen zum Bleiben entschloß. Die erste Wiederholung der Neronia stand für das Jahr 64 an, doch war der Sommer des großen Feuers ein denkbar ungeeigneter Termin; so wurde die Wiederholung auf das Jahr 65 gelegt. Viele Senatoren fürchteten Neros Wunsch na.ch einem persönlichen Auftritt. Bei den ersten Neronia war es noch gelungen, den Kaiser mit der Verleihung aller ersten Preise zufriedenzustellen. Diesmal setzte Nero seinen Wunsch durch; wenn es wirklich um mehr als bloßen Exhibitionismus ging, dann wollte er vielleicht dem Senat seine persönliche Entscheidungsfreiheit zeigen und bei der stadtrömischen Plebs Popularität gegen den Senat gewinnen. Die Inszenierung des ersten Auftritts in Rom war sorgfältig vorbereitet. Dem allgemeinen Ruf nach einem Auftritt des Kai48
sers mit seiner „göttlichen Stimme“ beantwortete er mit der Ankündigung, in seinen Gärten zu singen. Den Ausschlag gab dann eine Petition der diensthabenden Prätorianer, die sich den Wünschen des Volkes anschlossen. Erst jetzt ließ sich Nero in die Liste der auftretenden Künstler eintragen; daß es der Kaiser war, der die Bühne betrat, nicht ein beliebiger Künstler, konnte man freilich daran erkennen, daß er von beiden Prätorianerpräfekten, die die Instrumente trugen, von weiteren Prätorianeroffizieren und dem üblichen großen Gefolge begleitet wurde. Als Ansager für seinen Auftritt stellte sich der Konsular Cluvius Rufus zur Verfügung, ein auch nach Neros Tod unbescholtener Mann, der einen guten Ruf hatte als Historiker der neronischen Zeit und als Verfasser eines Werkes über Schauspieler. Er gehörte mit einiger Sicherheit zu denen, die Neros Auftritt für weniger katastrophal hielten als später etwa Tacitus. So völlig verfehlt war Neros Stolz auf seine Begabung wohl nicht: Die „falschen“ Neros, die nach seinem Tod im Osten regen Zulauf bekamen, mußten recht gute Musiker sein, um glaubwürdig zu wirken. Er bemühte sich um ein reichhaltiges Bühnen-Repertoire. Sueton nennt einige seiner Paraderollen. Nicht nur vergleichsweise klassische Partien wie die „Antigone“ waren dabei, sondern auch aufregende Rollen: „Kanake in Geburtswehen“, über den Freitod der Kanake nach der inzestuösen Verbindung mit ihrem Bruder, und Stücke, von denen man denken möchte, das der Mörder Agrippinas sie besser nicht ausgesucht hätte, „Orest der Muttermörder“ und „Der geblendete Ödipus“. Neros Beliebtheit bei der stadtrömischen Bevölkerung dürfte durch solche kaiserlichen Demonstrationen volkstümlichen Geschmacks eher noch gestiegen sein, und es ist möglich, daß er gelegentlich an den politischen Nutzen seiner „künstlerischen“ Konfrontation mit der Senatsaristokratie dachte. Umgekehrt wurden seine Auftritte zusehends zur Kontrolle politischer Gegner benutzt. Wer, wie Thrasea Paetus, sich der Opfer für die „göttliche Stimme“ des Kaisers entzog, galt sofort als Gegner; wer den Besuch kaiserlicher Auftritte mied oder als Zuhörer durch sein Mienenspiel Langeweile oder 49
gar Mißbilligung erkennen ließ, womöglich einschlief während der Vorstellung, wie der spätere Kaiser Vespasian, der lief Gefahr, den Spitzeln des Kaisers – in Zivil und in Uniform – aufzufallen, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Gelegentlich wurde vermutet, daß Nero mit seinen philhellenischen Initiativen und persönlichen Bühnenauftritten das erzieherische Ziel verfolgte, in Rom bisher weniger geachtete Elemente der griechischen Kultur heimisch zu machen. Auf dem von ihm gewählten egozentrischen Weg konnte dies schwerlich gelingen. Am Ende diente Neros Kunst vor allem der Repression.
VI. Der Princeps und das Volk von Rom Die Sorge um das Wohlergehen der einfachen stadtrömischen Bevölkerung gehörte zu den wichtigen Aufgaben des Herrschers. Augustus hatte in seinem Tatenbericht Wert gelegt auf seine Großzügigkeit gegenüber der „plebs urbana“. Dabei ging es ihm weniger um philosophische Mildtätigkeit gegenüber Bedürftigen als um die Gewährleistung von Ruhe und Ordnung im Zentrum der Macht. Die letzten Jahrzehnte der Republik hatten gezeigt, welcher politische Druck durch die Mobilisierung unzufriedener Massen ausgeübt werden konnte. Augustus monopolisierte deshalb alle Spenden und Wohltaten – sie reichten von Getreidelieferungen bis zu Geschenken von Bargeldbeträgen – für das Herrscherhaus und einige loyale Gefolgsleute. Kein anderer Aristokrat sollte noch einmal die Möglichkeit haben, die Unzufriedenheit der stadtrömischen Bevölkerung über die Lebensmittelversorgung oder andere aktuelle Mißstände zum eigenen Nutzen zu instrumentalisieren. Auch ohne Polizei im modernen Sinne war die öffentliche Ordnung durch die Prätorianer gewährleistet, soweit es sich um unerwünschte Meinungsäußerungen einzelner oder kleinerer Gruppen handelte. Die Kontrolle von großen, Anonymität gewährenden Versammlungen im Theater oder im Circus war 50
dagegen weitaus schwieriger und ohne offene Gewaltanwendung in der Regel unmöglich. Da es keine politischen Versammlungen im Stil der Republik mehr gab, war nur noch im Theater und im Circus Gelegenheit zu einer einigermaßen freien Meinungsäußerung. Nur noch hier stieß der Kaiser auf die öffentliche Meinung, ohne sich sofort wehren zu können. Die Stimmung im Theater konnte in schwierigen politischen Situationen Signalwirkung haben; eine wichtige Aufgabe war es deshalb, die Erwartung der Plebs auf eine geregelte oder gar verbesserte Getreideversorgung zu erfüllen und darüber hinaus durch Attraktionen aller Art bei diesem Teil der Bevölkerung alle Kritik zu unterbinden. Die „anonyme“ Masse der „plebs urbana“ war durch drastische Vergünstigungen weitgehend manipulierbar, aber doch wohl nicht immer und in jeder Weise. Die falsche Einschätzung der öffentlichen Meinung konnte in einer ohnehin schwierigen Situation sehr nachteilige Folgen haben; ein Beispiel aus der Zeit Neros sind die spontanen Demonstrationen der Freude über die (falsche) Nachricht, daß sich Nero mit der beim Volk beliebten Octavia versöhnt habe. Ein weiteres Beispiel sind Klagen über die Steuerpächter, die Nero veranlaßten, den Beschwerden nachzugehen. Das Wohlwollen dieses Teils der „Öffentlichkeit“ wurde immer dann besonders wichtig, wenn der Princeps Schwierigkeiten mit der politischen Elite hatte. Über die Vergabe von materiellen Wohltaten hinaus hatte das Volk aber noch weitere Erwartungen, die nicht zu erfüllen ein Fehler sein konnte. „Das Volk“ liebte es, wenn die höheren Stände, und auch der Princeps, die eigenen Vergnügungen nicht demonstrativ ablehnte. Einer der größeren Fehler Caesars in den letzten Monaten seines Lebens war es, noch in seiner Circus-Loge Akten abzuzeichnen, statt den blutigen Spielen zuzuschauen. Der Ausdruck „öffentlichen“ Mißmuts war so stark, daß Caesar sein Verhalten änderte. Augustus hat aus diesem Fehler gelernt und demonstrativ Interesse an den Vorgängen in der Arena bekundet. Besuche im Theater und im Circus gehörten seitdem zum Pflichtprogramm aller Nachfolger des Augustus; hier war auch Gelegenheit, durch die Sitzordnung in 51
der kaiserlichen Loge die augenblicklichen Machtverhältnisse vor Augen zu führen oder die Wirkung einer neuen Personalkonstellation zu erproben. Nero brauchte kein Interesse an den Circusspielen und Wagenrennen zu heucheln, er fühlte sich schon immer zu solchen Vergnügungen hingezogen, und viel mehr, als es bei einem jungen Aristokraten für schicklich befunden wurde. Über das gewohnte Maß hinaus ging wohl auch sein Vergnügen, sich ganz persönlich auf die verborgeneren Annehmlichkeiten der Großstadt einzulassen; von allen Angehörigen des Kaiserhauses scheint er der erste gewesen zu sein, der sich im Schutze der Dunkelheit, als Sklave verkleidet, um eine bessere Kenntnis des Nachtlebens bemühte. Erst trieb er sich allein herum, später, nach einigen gefährlichen Schlägereien, wurde er von Prätorianern und Gladiatoren in Zivil geschützt. So war Nero wohl derjenige unter den Nachfolgern des Augustus, der die Untiefen der Stadt Rom am besten kannte. Früher einmal hatte sich sein Großvater Germanicus unerkannt unter die Soldaten seiner Rheinarmee gemischt, um die wahre Stimmung der Truppe kennenzulernen. Es gibt aber keinen Hinweis darauf, daß Nero seine gute Kenntnis mancher Quartiere Roms dazu genutzt hat, mehr über die sozialen Nöte der Plebs zu erfahren. Dafür erfüllte er gerne die Erwartung auf großzügig finanzierte Festlichkeiten, wie sie ja auch Augustus veranstaltet hatte. Um den traditionellen Charakter seiner „spectacula“ zu unterstreichen, ließ Nero dem Ritterstand besondere, von den Senatoren getrennte Sitzplätze anweisen, um so den eigenen ständischen Rang der Ritter zu unterstreichen. Die neronischen Extravaganzen bei den Spielen sind nicht sensationeller als das, was Claudius angeboten hatte. Im Unterschied zu seinem Vorgänger, der sich mit sadistischem Eifer am Tod der Gladiatoren nicht hatte satt sehen können, hat Nero allerdings weniger Gladiatorenspiele als seine Vorgänger gegeben. Hier ist vielleicht eigene Initiative spürbar – wenn wirklich irgendein „erzieherischer“ Impuls bei Nero auszumachen ist, dann ist es der, in Rom Spiele griechischer Tradition einführen zu wollen. 52
Die politischen Möglichkeiten, die sich aus dem geschickten Umgang mit der Plebs ergaben, hatte Nero schon in jungen Jahren erfahren. Sein erster öffentlicher Auftritt in dem von Agrippina inszenierten Kampf um die Macht war die Teilnahme am Troiaspiel, einem traditionellen Reiter-Kampfspiel der aristokratischen Jugend. Der (ganz spontane?) Beifall, den er erhielt, signalisierte Claudius und seinen Vertrauten, daß die Aura des Germanicus immer noch von Bedeutung war. Der Erklärung von Neros Volljährigkeit im Jahre 51 wurde nicht nur durch einen Auftritt im Senat Nachdruck verliehen; seine Position als Thronfolger wurde überdies mit einer Getreidespende (congiarium) an das Volk unterstrichen. Der Beliebheit beim Volk von Rom dienten auch die Circusspiele und Tierhetzen nach der Hochzeit mit Claudia im Jahre 53. Bis zum Ende war Nero konsequent auf seine Popularität beim Volk von Rom bedacht, keineswegs nur wegen seiner Sucht nach Beifall, sondern in dem Bewußtsein, daß er auf diesen Teil der öffentlichen Meinung weniger leicht verzichten konnte als auf den kritischeren Teil der Senatoren. „Brot und Spiele“, spottete später der Dichter Juvenal, seien die Bedürfnisse der Masse und ein Garant für die öffentliche Ordnung. Ganz ohne diesen kulturkritischen Mißmut hatte schon Augustus diese Verhältnisse erkannt. Die Aufsicht über die Kornversorgung der Hauptstadt war in den Krisenjahren der untergehenden Republik gelegentlich zentralisiert worden, da die sonst zuständigen Magistrate dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen waren. Der persönlichen Vollmacht für die „annona“, die Getreideversorgung, wie sie Pompeius in den fünfziger Jahren besessen hatte, ist Augustus sehr lange ausgewichen, um sich nicht dem Vorwurf einer weiteren Ausdehnung seiner Macht auszusetzen – und dem Risiko eines Mißerfolgs, der dann allein ihm zur Last gelegt worden wäre. Mehrere Versorgungskrisen in den Jahrzehnten seiner Herrschaft führten ihn schließlich zu der Erkenntnis, daß diese für die Hauptstadt ganz zentrale Frage am besten in den Verantwortungsbereich des Herrschers gehöre. Der erste „praefectus annonae“ ist in 53
den letzten Regierungsjahren des Augustus ernannt worden. Auf die regelmäßige Ankunft der Getreideschiffe hatten Augustus’ Nachfolger sorgfältig zu achten, und wenn es zu Störungen kam, wurde es schnell unruhig in Rom. Claudius etwa wurde einmal während einer Versorgungskrise von demonstrierenden Plebejern tätlich angegriffen und mit Mühe von seinen Prätorianern vor Schlimmerem bewahrt. So ließ Nero – wie seine Vorgänger – in der stadtrömischen Öffentlichkeit auch keinerlei Zweifel an seiner Verantwortung für die Getreideversorgung aufkommen. In Krisensituationen handelte er großzügig, und ein Teil seiner bedeutenden Bauprojekte diente der weiteren Verbesserung der Getreideversorgung. Er griff immer dann ein, wenn er aufgrund besonderer Umstände mit seinen unerschöpflichen finanziellen Mitteln eine Preissteigerung auffangen mußte oder Transportverluste schnell zu ersetzen waren. Ein interessantes Beispiel für die geschickte Eindämmung einer Panik nach der Zerstörung von dreihundert Kornschiffen im Jahre 62 ist die demonstrative Vernichtung großer Mengen verdorbenen Getreides. Selbst dann stiegen die Preise nicht – wer wollte da noch zweifeln, daß der Kaiser gut vorgesorgt hatte und dreihundert Schiffsladungen leicht würde ersetzen können. Des Kaisers Sorge um die städtische Getreideversorgung wurde auch benutzt, um den kurzfristigen Abbruch seiner Griechenlandreise im Jahre 64 zu erklären. Das Getreide für das Volk von Rom, vor allem für die etwa 200 000 offiziellen Empfänger kostenlosen Getreides, kam mit Transportschiffen überwiegend aus Ägypten und Nordafrika. Da Rom keinen eigenen Hafen besaß, liefen die Schiffe zumeist Ostia an. Unter Claudius wurde der Hafen vergrößert, und zusätzlich wurde eine Anbindung an den Tiber geschaffen, um so den Weitertransport des Getreides nach Rom zu erleichtern. Im Jahre 46 waren diese Arbeiten weit fortgeschritten, doch der endgültige Abschluß des Projekts fällt in die Zeit Neros. Die Abbildung des neues Hafens auf Münzen demonstrierte der Öffentlichkeit, wie sehr sich Nero um seine Pflichten kümmerte. Der Seesturm des Jahres 62 zeigte, daß die Vergrößerung des Hafens allein keine endgültige Sicherung der Transportwege 54
Der Hafen von Ostia: Oben der Leuchtturm, links und rechts Anlagestellen, in der Mitte Schiffe. Die Legende lautet: Port(us) Ost(iensis) Augusti. Sesterz (Messing), 64/68 n. Chr.
darstellte. Nero griff deshalb ein Großprojekt der caesarischen Zeit zur Verbesserung der hauptstädtischen Lebensmittelversorgung auf. Caesar hatte die Absicht gehabt, den Hafen von Terracina, südlich von Ostia, mit einem Kanal an den Tiber anzubinden. Nero ging noch einen Schritt weiter – er ließ (vermutlich seit dem Jahre 64) Kanalbauten beginnen, die den Hafen von Puteoli, wo die Getreideschiffe aus Alexandreia anzulegen pflegten, mit dem Tiber verbinden sollten. Diese Arbeiten sind spätestens nach Neros Sturz aufgegeben worden, doch können die Klagen der in ihrer Villenruhe gestörten Senatoren und Ritter – auch über den Qualitätsverlust mancher Weinberge der Gegend wurde gemurrt – kein abschließendes Argument gegen die Realisierbarkeit des Projekts sein. Bauarbeiten dieses Umfangs machten der stadtrömischen Öffentlichkeit also noch in den letzten Jahren Neros deutlich, daß der Kaiser nicht ausschließlich an seine Kunst dachte. Die Popularität Neros bei den Schichten der Bevölkerung, denen an der Sicherung und Erweiterung der Getreideversorgung besonders liegen mußte, blieb bis in die letzten Wochen 55
ungebrochen. Die „Unruhen“, die Nero nach Griechenland gemeldet wurden und zu seiner vorzeitigen Rückreise führten, sind nicht mit einer Vernachlässigung der „plebs urbana“ zu erklären, sondern mit Entwicklungen außerhalb seiner Kontrolle in Nordafrika, wo der Legat Clodius Macer begonnen hatte, eigene Pläne zu schmieden. Wenn es Versorgungsprobleme seit dem Frühjahr 68 gab, dann wegen der damals beginnenden Obstruktion der nordafrikanischen Getreideroute. Zu den Faktoren, die Neros Ende beschleunigten, zählte Tacitus jedenfalls nicht die Versorgungsfrage. Erst in den allerletzten Wochen seiner Herrschaft konnte sich Nero auch nicht mehr auf das Volk von Rom verlassen. In jedem Fall waren die Stimmen des Protestes in der Öffentlichkeit lauter zu hören als der bisher übliche Beifall. Versuche, Aushebungen in Rom selbst durchzuführen, waren kläglich gescheitert. Der Kaiser hat das vielleicht nicht mehr richtig wahrgenommen; noch unmittelbar vor seinem Tod dachte er daran, sich mit einer Rede an das Volk von Rom zu wenden. Der Sieger Galba zog als unzeitig strenger alter Herr in Rom ein; es dauerte nicht lange, daß sich die Erinnerung an Neros Großzügigkeit und Volksnähe verklärte. Diese nachträgliche Popularität endete nicht mit Galba, sondern blieb unter Otho und Vitellius im Jahre 69 überraschend lange erhalten und mußte deshalb von beiden Nachfolgern in Rechnung gestellt werden. Otho demonstrierte in Kleidung und Frisur seinen Respekt für den toten Vorgänger. Er übernahm schließlich Neros Namen in seine Titulatur und ließ sich eine große Summe zur Fertigstellung des „Goldenen Hauses“ genehmigen: mit solchen Gesten und Maßnahmen meinte er, seine Position in der Hauptstadt festigen zu können. Auch Vitellius, der früher Nero bei seinen Ausflügen in das Nachtleben der Stadt begleitet hatte, meinte auf die Anhänger Neros nicht ganz verzichten zu können. Er ließ für Nero eine Totenfeier auf dem Marsfeld abhalten; in froher Runde bat er gelegentlich darum, Stücke aus dem „Liber Dominicus“, Neros Liederbuch, vorzutragen. Erst unter Vespasian war es vorbei mit solchen Reminiszenzen, und 56
man tat gut daran, die musikalische Begabung seines Sohnes Titus nicht allzusehr zu loben. Nero hatte also durchaus Erfolg bei seinen Bemühungen um hauptstädtische Popularität. Die politische Bedeutung solcher Beliebtheit war unstrittig, auch bei seinen Vorgängern, doch war es ein Fehler, den Beifall im Theater höher zu bewerten als das Ansehen bei der politischen und militärischen Elite.
VII. Die Provinzen des Reiches Daß ein Princeps sich um die Wohlfahrt der Provinzen und auch um die Mehrung des Reiches zu kümmern hatte, konnte jeder Römer in den „res gestae“, dem Tatenbericht des Augustus nachlesen, der auf Bronzetafeln am Mausoleum des Dynastie-Gründers verewigt worden war – auch als Hinweis für die Nachfolger. Augustus, hatte noch fast alle Provinzen aus erster Hand gekannt, ebenso Tiberius. Caligula wollte immerhin eine Art Feldzug nach Britannien unternehmen, und selbst der unmilitärische Claudius hatte sich eine britannische Kampagne organisieren lassen, um dadurch ein wenig Waffenruhm für sich zu gewinnen. Nach dem Triumph wurde sein Sohn „Britannicus“ genannt. Nero dagegen hat Italien bis zum Jahre 66 niemals verlassen. Dies ist erklärbar zum einen durch seine egozentrische Abwendung von allen militärischen Traditionen Roms zugunsten seiner künstlerischen Neigungen, zum anderen durch die Einschätzung, daß die Aufsicht über die Provinzen auch ohne persönliche Anwesenheit des Princeps möglich sei. Es kam hinzu, daß es nach Claudius’ englischen Abenteuern zunächst keinen Kriegsschauplatz gab, der so wichtig und gefährdet war, daß dies durch seine kaiserliche Anwesenheit hätte unter Beweis gestellt werden müssen. Erst die späten Pläne für einen Feldzug zum Kaukasos belegen, daß auch Nero den militärischen Aspekt als Teil der öffentlichen Rolle des Princeps nicht mehr ignorieren wollte und konnte. 57
Die römische „Außenpolitik“ mindestens in den ersten Jahren lag in den Händen von Seneca, Burrus und anderen erfahrenen Beratern. Nicht nur militärische Fragen wurden zunächst an den Rand gedrängt, in der Hoffnung auf Ruhe an allen Grenzen. Fragen der Provinzverwaltung wurden in der „Regierungserklärung“ nicht angesprochen. Dies ist deshalb überraschend, weil sowohl Seneca als auch Burrus aus Provinzen kamen. Gerade von Seneca wäre ein spezifisch stoisch„fürsorglicher“ Akzent zu erwarten gewesen. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß er sich für diesen Teil seiner Beratungsaufgaben besonders engagiert hat. Die Verwaltung der Provinzen war seit Augustus im allgemeinen besser organisiert als zu Zeiten der Republik. Erpresser großen Stils wie der durch Ciceros Anklage berühmte Verres gehörten der Vergangenheit an. Versuche, sich zu bereichern, gab es natürlich immer, doch waren sich die Begehrlicheren unter den Provinzverwaltern etwa zur Zeit des Augustus oder des Tiberius darüber im klaren, daß Exzesse republikanischen Stils nicht geduldet werden würden. In neronischer Zeit gab es eine ganze Reihe von Korruptions-Prozessen, die die Wohlfahrt der Provinzbevölkerung berührten. Einige der Schuldigen entkamen der Verurteilung durch Intervention des Kaisers, weil er den Betroffenen verpflichtet war. Zur Entschuldigung Neros kann hinzugefügt werden, daß auch der Senat selbst in vielen Fällen keinen besonderen Eifer an den Tag legte, belastete Standesgenossen zu verurteilen. Kaum ein Provinzstatthalter ist während seiner Amtszeit ärmer geworden. Es gab nur sehr wenige, philosophisch gesonnene Senatoren, die die Fürsorge für die ihnen anvertraute Bevölkerung ernst nahmen und dem Gespött der Standesgenossen über solche Korrektheit standhielten. Wer sich strikt oder gar demonstrativ an die Regeln hielt, konnte – wie der spätere Kaiser Otho, der sich in seiner Provinz Lusitania ganz anders benahm, als es seine Freunde aus dem römischen Nachtleben erwartet hatten – der Aufmerksamkeit sicher sein. 58
Nicht überall im Reich blieben die in den Provinzen stationierten Truppen in ihren Feldlagern. Die „Pax Romana“ war ein bewaffneter Friede, der in der neronischen Zeit an drei Stellen gefährdet war: in Britannien, in Armenien und über das Jahr 68 hinaus in Iudaea. Britannien war durch Caesar römisches Interessengebiet geworden. Seine Invasionen von Südengland in den Jahren 55 und 54 waren bloß ein allererster Schritt der Gewinnung der Insel für das Römische Reich – selbst wenn Caesar selbst dies in seinen Berichten an den Senat etwas zuversichtlicher formuliert hatte. Augustus hatte sich dann auf geschickte Diplomatie mit den romfreundlichen Königen Südenglands beschränkt, und auch Tiberius kümmerte sich um drängendere Fragen als um die Gewinnung des fernen Britannien. Caligula, bislang ohne militärische Verdienste, hat sich ernsthaft mit der Planung einer Invasion der Insel beschäftigt, die ihn allein schon wegen der damit verbundenen Überquerung und „Bezwingung“ des Ozeans reizte, hat aber aus nicht mehr zu ermittelnden Gründen schon an der Kanalküste haltgemacht. Auch Claudius brauchte den Nachweis militärischer Befähigung. Die Risiken der Angriffsphase wurden Aulus Plautius überlassen. Die kaiserliche Propaganda ließ dann Claudius höchstpersönlich dem vom britischen Widerstand erschöpften Feldherrn zu Hilfe kommen. Nach nur sechzehn Tagen hatte Claudius die Kämpfe zugunsten der Römer entschieden und durfte im Jahre 46 einen Triumph über Britannien feiern, das zur kaiserlichen Provinz gemacht wurde; zuverlässige Klientelkönige sollten dafür sorgen, Unabhängigkeitswünsche anderer Stämme einzuschränken. Neros Befehlshaber hatten den Auftrag, das Erreichte zu sichern und nur bei günstiger Gelegenheit Geländegewinne zu machen. Didius Gallus, noch von Claudius ernannt, begnügte sich mit der Erhaltung des Status quo, was – trotz des Spotts von Zeitgenossen – schwierig genug gewesen sein dürfte. Sein Nachfolger Quintus Veranius hatte sich die Eroberung von Wales vorgenommen. Doch Veranius starb sehr bald, und sein Nachfolger C. Suetonius Paulinus war ein ehrgeiziger Militär, 59
von dem Wunsch beseelt, es dem im Osten so erfolgreichen Corbulo gleichzutun. Der Vormarsch in Wales wurde im Jahre 58 gestoppt durch die Nachrichten von einer Revolte der Icener (im Gebiet des heutigen Norfolk und Suffolk). König Prasutagus, der ein gutes Urteil über römische Bräuche besaß, hatte neben seinen Töchtern auch Nero zum Erben gemacht, in der Hoffnung, so ihre Position sichern zu können. Prasutagus’ Entgegenkommen wurde schlecht gelohnt. Die Umwandlung des Gebiets der Icener in eine römische Provinz begann damit, daß die Römer vor Ort seine Witwe Boudicca und die Töchter mit jeder erdenklichen Willkür behandelten. Diese Übergriffe führten in kurzer Zeit zum Aufstand der Icener und ihrer Verbündeten. Schwer nachprüfbar ist die Nachricht, daß nicht allein Brutalitäten untergeordneter römischer Soldaten und Beamter zum Aufstand führten, sondern auch die überzogenen Forderungen römischer Finanziers, die Kredite zur Unzeit zurückforderten – darunter angeblich Seneca. Keinem Stoiker waren Geldgeschäfte verboten, und gegen Senecas schuldhaften Anteil an solchen Transaktionen spricht, daß sich Tacitus über diesen von den Gegnern des Philosophen mit Genuß vorgebrachten Vorwurf ausgeschwiegen hat. Suetonius stieß auf heftigen Widerstand, und die Rebellen wurden obendrein von einer Frau geführt, der erschreckend energischen Boudicca. Die römischen Offiziere dürften sich an die alten Epen ihrer Schullektüre erinnert haben, wenn sie die Königin in ihrem Streitwagen über das Schlachtfeld fahren sahen. Unter erheblichen Verlusten der römischen Zivilbevölkerung wurden Camulodonum, Londinium und Verulamium von den Rebellen erobert. Viele römische Geschäftsleute mußten dort für ihren schnell erworbenen Wohlstand büßen. Im Jahre 61 konnte Suetonius Boudicca und ihre Truppen schlagen. Der Kampf der Königin war vergeblich gewesen; wie früher Kleopatra nahm sie Gift, um nicht im Triumph vorgeführt zu werden. Im darauffolgenden Winter gab es für die römischen Truppen immer noch keine Ruhe, sondern dauernde Kampfbereitschaft. Suetonius’ Härte gegenüber seinen Soldaten war nicht 60
geringer als die des Corbulo an der Ostgrenze. Der Procurator Decianus Catus, dessen Mißwirtschaft die Rebellion mitausgelöst hatte, wurde ersetzt durch einen Kenner des Westens: C. Iulius Alpinus Classicianus gehörte zur romanisierten Oberschicht der Treverer. Seine Briefe nach Rom veranlaßten Nero, persönlich einzugreifen. Als Antwort auf – wie Tacitus jedenfalls schreibt – unredliche Vorwürfe gegen Suetonius Paulinus schickte Nero im Jahre 61 nicht einen hochrangigen Senator, sondern den Freigelassenen Polyclitus, um die Probleme vor Ort zu lösen. Nero setzte sich damit dem Vorwurf aus, wie früher Claudius seinen Freigelassenen zu viel Macht einzuräumen. Polyclitus muß ein fähiger Mann gewesen sein; er setzte – wohl zur Empörung des Suetonius und traditionell „imperialistischer“ Senatorenkreise in Rom – die kaiserliche Direktive durch, daß die Zeit militärischer Aktionen vorbei sei. Andererseits wurde Suetonius nicht gleich gedemütigt; erst als sich ein Jahr später ein vertretbarer Anlaß bot, wurde er durch Petronius Turpilianus ersetzt, der sich mit der Sicherung des Friedens zu beschäftigen hatte. Auf ihn konnte sich Nero besonders verlassen – im Jahre 65 erhielt er die Ehrenabzeichen eines Triumphators für seinen Anteil an der Niederschlagung der Pisonischen Verschwörung. Die Krise um das Königreich Armenien, Brennpunkt römischer Ostpolitik von 53 bis 64, zog sich viele Jahre hin. Der persönliche Anteil Neros an der Formulierung der Grundsätze der Armenienpolitik geht aus den Quellen nicht ausdrücklich hervor, doch rechtfertigt das aktive Eingreifen auf dem britannischen Kriegsschauplatz die Annahme, daß Nero seit den sechziger Jahren in außenpolitischen Grundsatzfragen eine – wenn auch wechselnde – eigene Meinung hatte; die schließlich diplomatische Lösung der armenischen Frage ermöglichte ihm im Jahre 65 eine grandiose Inszenierung seiner nicht ausschließlich auf militärische Entscheidungen fixierten Politik. Armenien lag zwischen dem Römischen Reich und den Parthern und war aufgrund dieser Position von besonderer Bedeutung für die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Römern und Parthern. Augustus hatte die Parther nicht für so bedroh61
lieh gehalten, um Caesars mit seiner Ermordung hinfällig gewordenen Kriegsplan gegen die Parther erneut aufzunehmen. Allen Erwartungen der römischen Öffentlichkeit zum Trotz hatte er sich am Ende für eine diplomatische Regelung der römisch-parthischen Beziehungen entschieden. Armenien wurde als von Rom abhängiger Staat behandelt, doch nicht immer gelang es Augustus und seinen Nachfolgern, einen romtreuen König einzusetzen; der römische Anspruch auf Einfluß in Armenien wurde durch solche Rückschläge natürlich nicht geringer. Gegen Ende von Claudius’ Herrschaft, im Jahre 52, kam es zu einer unerwarteten Kräfteverlagerung. Eine Revolte am armenischen Königshof führte zu einer parthischen Invasion, die von den wenigen römischen Truppen vor Ort nicht abgewehrt werden konnte. Kurz nach Claudius’ Tod traf dann in Rom die Nachricht von der Einnahme Armeniens durch Tiridates ein, einem Bruder des Partherkönigs Vologaeses. Der dadurch dokumentierte Vorrang parteiischer Interessen in Armenien zu Lasten der traditionellen römischen Präsenz konnte nicht unbeantwortet bleiben. Zu den selbstverständlichen Aufgaben des Princeps gehörte die Sicherung der Grenzen des Reiches und des römischen Einflusses in den Randstaaten. Im Jahre 55 wurde der militärisch bewährte Cn. Dominus Corbulo beauftragt, den römischen Einfluß auf Armenien zurückzugewinnen; die Öffentlichkeit hielt es für ein Zeichen kaiserlichen Selbstbewußtseins, einem so tüchtigen Militär zu vertrauen. Nero selbst wird an dieser Entscheidung weniger direkten Anteil gehabt haben als drei Jahre später bei der Entsendung des Polyclitus nach Britannien. Corbulo erhielt ein weiträumiges Kommando und bereitete seine aus mehreren Provinzen zusammengezogenen Truppen in Kappadokien auf den Feldzug vor; auch Klientelfürsten wurden in die militärische Planung einbezogen. Erst im Jahre 58, nach langer Vorbereitung, wurde der Angriff eröffnet. Corbulos Kriegsziel war nicht die Beseitigung des Tiridates – er machte ihm (im Namen Neros) das Angebot, seinen Thron behalten zu dürfen um den Preis der Anerken62
nung der römischen Oberhoheit. Der Bruder des Partherkönigs lehnte dies ab und zog es vor, die Flucht zu ergreifen. In Rom suchte man nach passendem Ersatz. Ob Nero an der Auswahl des römischen Kandidaten für den jetzt verwaisten Thron Armeniens beteiligt war? Sicher kannte er ihn persönlich, denn der jetzt erwählte Tigranes hatte lange als Sohn eines früheren, gescheiterten römischen Prätendenten in Rom gelebt und galt als williges Werkzeug römischer Interessen. Ein starkes römisches Truppenkontingent sollte jetzt seine Position sichern, zugleich erhielten benachbarte Fürsten Landschenkungen an den Grenzen Armeniens, um sie für den Schutz des Gebietes zu gewinnen. Doch Tigranes beging gleich nach seiner Ankunft in Armenien den Fehler, parthische Interessen durch einen Angriff auf Adiabene zu verletzen, das die Parther als ihnen zugehörig betrachteten. Es ist überraschend, daß die römischen Berater vor Ort nicht in der Lage waren, Tigranes an diesem Abenteuer zu hindern. Vologaeses schickte seinen Bruder, den vertriebenen Tiridates, gegen Tigranes vor und rückte seinerseits demonstrativ in Richtung Syrien, um Corbulo von einem Marsch nach Armenien abzuhalten. Zu Vologaeses’ politischen Grundsätzen gehörte es, einem offenen militärischen Konflikt mit den Römern tunlichst aus dem Weg zu gehen. Als ihm Corbulo die Möglichkeit gab, ein weiteres Vorrücken der Römer zu vermeiden und sein Gesicht zu wahren, nahm er das Angebot an, Gesandte nach Rom zu schicken, die über den armenischen Thron verhandeln sollten. Über den Verlauf der Verhandlungen zu Beginn des Jahres 62 in Rom ist nur bekannt, daß die Gesandten unverrichteter Dinge zurückgekehrt sind. Es war die Zeit, als Burrus starb. Wenn Corbulo zu Beginn der Krise die Direktiven erhalten haben sollte, die seiner tatsächlichen diplomatischen Vorsicht entsprachen, so sprach der neue Legat für Kappadokien und Galatien, Caesennius Paetus, offen über die Vorzüge direkter römischer Herrschaft in Armenien und provozierte damit einen Angriff der Parther, dem er dann aber nicht standhielt. Corbulo entsandte – vergeblich – Truppen zu seiner Entlastung. Cae63
sennius Paetus ergab sich unerwartet schnell und schloß mit dem Partherkönig ein Abkommen, das die geschlagenen Römer aus Armenien entkommen ließ. Vologaeses blieb maßvoll und wollte erneut über die römische Anerkennung seines Bruders als König von Armenien verhandeln. Corbulo hat jede weitere Aktion zur Rückgewinnung Armeniens abgelehnt; diese Zurückhaltung entsprach den Maximen schon der augusteischen Ostpolitik; auch Nero wollte sich nicht auf eine direkte militärische Konfrontation einlassen, denn schon die geographische Ferne eines solchen Kriegsschauplatzes mußte zur Vorsicht mahnen. Als dann die Gesandten des Vologaeses zu Beginn des Jahres 63 in Rom mit dem Angebot eintrafen, Tiridates werde um römischen Schutz bitten, wenn er dafür staatsrechtlich anerkannt werde, war dies für die Berater des Princeps ein Schock. Bei Hofe hatte man sich allein aufgrund der beschönigenden Briefe des Caesennius Paetus eine Meinung gebildet – jetzt gab ein Centurio der syrischen Armee, der den Parthern das Geleit gegeben hatte, den staunenden Herren auf Befragen Auskunft über die tatsächlichen Verhältnisse, die römische Niederlage und die Räumung Armeniens. Nero beriet darüber nicht mit seinen Freigelassenen, sondern im Kreise senatorischer Berater. Man konnte in Rom wissen, daß Vologaeses einen großen Konflikt mit den Römern vermeiden wollte; deswegen hielt man den Beschluß zu einem umfassenden Truppenaufmarsch im Kriegsgebiet für ein gutes Mittel, um den römischen Wünschen Nachdruck zu verleihen. Vologaeses suchte einen diplomatischen Ausweg; der für beide Seiten tragbare Kompromiß vor der Schwelle eines unwägbaren Krieges war die – schon früher angebotene – Bereitschaft des Tiridates, seine königliche Stirnbinde, das Diadem, vor einem Standbild Neros niederzulegen und feierlich zu erklären, es erst wieder in Rom anzulegen, wenn er es aus den Händen Neros empfangen hätte. Für den Parther Tiridates war das eine ungewohnte Geste der Demut; seine künftigen armenischen Untertanen waren andererseits gewohnt, daß ihre Herrscher von der Gunst Roms abhängig waren. 64
Diese Einigung erfolgte im Jahre 63, doch mit der Abreise nach Rom ließ sich Tiridates dann sehr viel Zeit. Erst einmal begab er sich zu seinem Bruder, dem Partherkönig, um die Reise vorzubereiten und weitere Bedingungen auszuhandeln; eine Tochter blieb als Geisel bei Corbulo. Auch Nero hat die Zeit bis zur Ankunft des Tiridates für die Gewinnung der öffentlichen Meinung genutzt – es war wichtig, dem römischen Publikum den Ausgang der langen Kämpfe als militärischen Erfolg zu vermitteln. Der Abschluß der Kämpfe wurde mit der feierlichen Schließung der Tore des Ianus-Tempels begangen, als Zeichen für den reichsweiten Frieden unter der Vorrangstellung der Römer; davon, daß Roms Stellung im Osten jetzt im Grunde schwächer geworden war, wollte niemand sprechen. Eine neun Monate währende Reise führte Tigranes von Armenien nach Italien, das er im Sommer 66 erreichte. Pro Tag soll diese Reise 800 000 Sesterzen verschlungen haben, das entspricht fast einem senatorischen Grundvermögen dieser Zeit. Wo immer die Reisegesellschaft eintraf, mußten die örtlichen Honoratioren ihre Freigebigkeit unter Beweis stellen; so war die Reise auch eine Belastung für sämtliche Provinzen, die Tigranes durchquerte. Parthische Adlige begleiteten ihn, dazu auch Römer, unter ihnen ein Schwiegersohn Corbulos, Annius Vinicianus. Es war ausgehandelt worden, daß Tigranes den Provinzstatthaltern keine Aufwartung machen müsse und behandelt werden würde wie ein Senator konsularischen Ranges. Die Reise wurde noch dadurch verlangsamt, daß sich Tigranes als Anhänger des Gottes Mithras weigerte, – mit Ausnahme des Übergangs über den Hellespont – eine Seefahrt anzutreten. Zu Pferde legte er die gesamte Reisestrecke zurück, neben ihm, ebenfalls zu Pferde, seine Frau, die ihr Gesicht nicht mit dem üblichen Schleier, sondern mit einem Helm vor zudringlichen Blicken schützte. Die Reiseroute in Italien selbst war dann noch einmal von Nero vorgegeben. Nach der Ankunft in Oberitalien wurde Tigranes, dem ein zweispänniger Wagen zur Verfügung gestellt wurde, nicht etwa direkt nach Rom geleitet, sondern er erhielt die Anweisung, Nero in Neapel zu treffen, des Kaisers Lieblingsstadt. 65
Wie ihm befohlen wurde, huldigte Tiridates dort seinem römischen Oberherrn, mit der einen Einschränkung, daß er sich seinen Dolch auch während des Zusammenseins mit Nero nicht abnehmen ließ, sondern nur erlaubte, ihn durch Festnageln an die Scheide unbrauchbar machen zu lassen. Von Neapel aus reisten Nero und Tigranes dann nach Rom über Puteoli, wo ein reichgewordener Freigelassener des Kaisers, Patrobius, aufwendige Gladiatorenspiele veranstaltete. Tigranes stellte dabei, so wird berichtet, seine Künste als Bogenschütze unter Beweis. Mit einem einzigen Pfeilschuß soll er zwei Stiere getötet haben; die Zuschauer, die solche Exzesse liebten, werden begeistert gewesen sein. Der zentrale Festakt auf dem Forum der Hauptstadt war auf das genaueste vorbereitet. Schon in der Nacht hatten die Zuschauer ihre Plätze eingenommen, Soldaten und Zivilisten getrennt. Bei Tagesanbruch erschien Nero in der Tracht eines römischen Triumphators, begleitet von Senatoren und Prätorianern. Sobald er auf seinem Amtsstuhl auf der Rednertribüne Platz genommen hatte, bahnte sich Tigranes mit seinem Gefolge durch das Spalier der Prätorianer einen Weg und huldigte dem Kaiser, als sei der eine Inkarnation des Mithras: „Herr, ich bin der Nachkomme des Arsakes und der Bruder der Könige Vologaeses und Pakoros, und nun doch Dein Sklave. Ich bin zu Dir gekommen, um Dich wie Mithras anzubeten. Ich werde das sein, wozu Du mich bestimmst, bist Du doch mein Glück und mein Schicksal.“ Der Princeps antwortete hoheitsvoll: „Du hast wohl getan daran, persönlich hierher zu kommen, damit Du von Angesicht zu Angesicht meine Gnade erfahren kannst. Denn was Dir weder dein Vater hinterließ noch deine Brüder Dir übergaben und für Dich bewahrten, das gewähre ich Dir jetzt. Ich mache Dich zum König von Armenien, damit sowohl Du als auch jene erkennen, daß ich die Macht besitze, Königreiche wegzunehmen wie auch zu verleihen.“ (Cassius Dio 63, 5, 3). Diese Inszenierung wurde selbst von sonst skeptischen Berichterstattern zu den Glanzpunkten der neronischen Zeit gezählt. Eine programmatische Demonstration war auch die 66
Ausrufung Neros zum Imperator, zum siegreichen Feldherrn, zum elften Mal – die diplomatische Lösung der ArmenienFrage wurde dadurch wie der Sieg in einer Feldschlacht bewertet. Die letzte Stufe dieser militärischen Ausgestaltung einer diplomatischen Lösung war dann der Entschluß Neros, sich den Vornamen „Imperator“ zuzulegen als höchstes Zeichen seiner Verbundenheit mit den römischen Traditionen. Reich beschenkt kehrte Tiridates in die Heimat zurück, zur Beschleunigung der Rückreise diesmal ganz ohne Furcht vor Seefahrten. Die Ankündigung, seine von den Römern zerstörte Hauptstadt Artaxata „Neronia“ zu nennen, führte zur großzügigen Abordnung römischer Handwerker zum Wiederaufbau der Stadt. Bis zur Alanen-Invasion des Jahres 72 konnte er ungefährdet über Armenien herrschen. So schien ein jahrelang gefährdeter Bereich der Ostgrenze jetzt endgültig gesichert zu sein: der Kompromiß mit den Parthern bürgte für Stabilität. Die öffentliche Reaktion auf das Huldigungsfest des Armeniers bestärkte im Sommer des Jahres 66 Neros Gewißheit, sich für längere Zeit von Rom und Italien entfernen zu können. Was dem modernen Betrachter eher als geschickte Ausnutzung einer für Rom keineswegs vorteilhaften Situation erscheint, galt im Osten des Reiches nicht als ein Indiz für Neros Schwäche, der man sich politisch oder militärisch bedienen konnte. Seit der Zeremonie des Jahres 66 genoß Nero unbestrittene Popularität im Osten, nicht zuletzt bei den Parthern selbst. Nero war das bekannt – in den letzten Tagen seiner Herrschaft konnten die Parther ihm sogar als letzte Zuflucht vor seinen Verfolgern erscheinen. Die gefährliche Entwicklung in einem anderen Teil der Ostgrenze, in Judaea, hat Nero nur noch in ihren Anfängen miterlebt; die Ernennung des Vespasian zum Kommandeur des Krieges gegen die Juden sollte Folgen haben, die damals niemand absehen konnte. Als er Vespasian von Griechenland aus nach Judaea schickte, wählte Nero einen militärisch bewährten Offizier aus, von dem er aber aufgrund seiner ritterlichen Herkunft keinen weitergehenden politischen Ehrgeiz zu fürchten hatte, anders als im Falle Corbulos. Noch kurz vor seiner Er67
nennung soll Vespasian dadurch unangenehm aufgefallen sein, daß er während einer Darbietung Neros zum allerhöchsten Mißfallen vom Schlaf übermannt worden war. Was für die spätere jüdische Geschichte durch die Zerstörung des Tempels im Jahre 71 zum epochalen Einschnitt wurde, war für römische Beobachter zunächst keine besondere Bedrohung. Nach längerer Mißwirtschaft durch die Nachkommen des Herodes war das Land der Juden im Jahre 6 von Augustus zu einer Provinz gemacht worden, die von einem Statthalter ritterlicher Herkunft, einem sogenannten Praefecten, und einigen wenigen Hilfstruppen verwaltet wurde. Der berühmte Pontius Pilatus hatte keinen besonderen Karrieresprung gemacht, als er nach Judaea versetzt wurde. Die Einrichtung einer solchen Praefectur zeigt, wie man Judaea in Rom zunächst einschätzte: Sardinien, Korsika und die wilderen Teile der Iberischen Halbinsel waren damals ebenfalls Praefecturen – für die zivile Verwaltung schwierige Gebiete, doch ohne größere Bedeutung. Obwohl sich bald herausstellte, daß die Verwaltung Iudaeas alles andere als leicht war, hatten die Verantwortlichen in Rom keine glückliche Hand bei der Auswahl der Praefecten. So schickte Claudius den vom jüdischen Glauben abgefallenen Tiberius Iulius Alexander aus Alexandreia und wird die frommen Juden damit nicht sehr erfreut haben. Und Gessius Florus, im Jahre 64 ernannt, wurde nicht wegen besonderer Fachkenntnisse, sondern aufgrund guter Beziehungen seiner Frau zu Poppaea entsandt. Eigentlich war er vollkommen ungeeignet für seinen Posten: Er war griechischer Herkunft und machte keinen Hehl aus seiner Sympathie für die in Iudaea ansässigen Griechen. Auslöser für den Aufstand war schließlich Florus’ korruptes Verhalten beim Streit zwischen Griechen und Juden um Einfluß in Caesarea und schließlich die Konfiskation ausstehender Steuerzahlungen aus dem Tempelschatz. Zu Beginn des Sommers 66 kam es zu ersten Tätlichkeiten – ungefähr zum Zeitpunkt von Tiridates’ Empfang in Rom. Wenig später setzte sich ein Teil der Priesterschaft Jerusalems mit der Entscheidung durch, die traditionellen, im kaiserlichen Auftrag gemachten Opfer nicht mehr zu 68
vollziehen. Als im Verlauf der innerjüdischen Auseinandersetzungen um diese Entscheidung römische Hilfstruppen ermordet wurden, war der Krieg unvermeidlich. Cestius Gallus, der Statthalter Syriens, war der Situation nicht gewachsen und erlitt im Verlauf des Jahres 66 empfindliche Niederlagen, die Nero zum Handeln zwangen. In Griechenland, spätestens im Frühjahr 67, wurde Vespasian ernannt, der lange Jahre auf ein adäquates Kommando hatte warten müssen. Jetzt gehörte er zur Begleitung Neros und war den Schikanen der Höflinge ausgesetzt. Vespasian errang gleich in den ersten Monaten seines Kommandos glänzende militärische Erfolge; jüdische Kriegsgefangene wurde nach Korinth geschickt, um bei den Kanalbauarbeiten am Isthmus zu helfen. Niemals hätte sich Nero vorstellen können, daß der künftige Sieger über die Juden weit größere Ambitionen entwickeln würde. Nach den geltenden Vorstellungen konnte er gar kein Konkurrent um die Macht sein. Erst spätere Autoren zeigen einen von Angstträumen vor dem Nachfolger Vespasian heimgesuchten Nero – eine literarische Vergeltung für die Furcht, die Vespasian in Griechenland vor Nero und seinen Hofschranzen gehabt hatte.
VIII. Der Brand Roms Nach dem Tod seiner Tochter Claudia Augusta im Jahr 63, wenige Monate nach der Geburt, suchte Nero Trost in noch größerer Extravaganz und gewagten Plänen. In Neapel erlaubte er sich zu Beginn des Jahres 64 mehr Freiheiten denn je auf der Bühne: Zum erstenmal trat er nicht in seinen eigenen Gärten auf, wie in Rom, sondern ganz unverhohlen öffentlich. Neapel war durch die griechische Prägung Neros Lieblingsstadt. Bei alledem vergaß der Kaiser nicht seine Sicherheit. Torquatus Silanus, ein potentieller Rivale durch die entfernte Verwandtschaft mit Augustus und die kompromittierende 69
Vorliebe, seinem Hauspersonal Amtsbezeichnungen wie den Freigelassenen des kaiserlichen Hofs zu geben, erhielt den Befehl zum Selbstmord. Der Auftritt in Neapel war so etwas wie eine Generalprobe für größere Veranstaltungen. Nero plante, wie schon erwähnt, eine Reise nach Griechenland, die aber kurzfristig verschoben wurde. Dann wurde ein Besuch der Provinzen des Ostens und Alexandreias geplant; schon hatten die Bauleute Ägyptens den Auftrag bekommen, für den hohen Besuch ein Bad zu errichten. Der letzte Angehörige des Kaiserhauses, der sich dort aufgehalten hatte, war Neros Großvater Germanicus gewesen, der dort zum Verdruß des strengen Tiberius seine Popularität gepflegt und genossen hatte. Der Besorgnis über eine längere Abwesenheit begegnete Nero in einem beruhigenden Edikt an das Volk von Rom: Er werde nicht lange fort sein, und alles sei wohlgeordnet. Doch auch diese Reise kam nicht zustande; offizielle Begründung waren ungünstige Vorzeichen oder ganz einfach Neros Erkenntnis, daß er der Hauptstadt nicht sicher sein könnte. Ein Edikt verkündete, daß der Kaiser auf seine persönlichen Wünsche verzichte, um den Bürgern die Sorgen zu ersparen, die seine Abwesenheit vielleicht mit sich bringen würde. Vorläufiger Abschluß aller Reisepläne waren Festlichkeiten, die der stadtrömischen Bevölkerung vor Augen führten, wie angenehm die Fürsorge des Princeps für Vergnügungswillige war. Angesichts des sehr freizügigen Charakters mancher Lustbarkeiten mochten sittenstrengere Senatoren erkennen, daß Nero und sein Hofstaat desto besser erträglich seien, je weiter weg sie künftig ihre Reisen führen würden. Die eigenartigen Hochzeitsfeierlichkeiten des Princeps mit dem schönen Pythagoras gaben den Festtagen einen besonderen orgiastischen Akzent. Das ausschweifende Leben bei Hofe nahm ein jähes Ende durch den Großbrand, der in der Nacht des 18. Juli ausbrach und weite Teile der Hauptstadt zerstörte. Größere Brände in der Hauptstadt hatte es immer wieder gegeben, zuletzt in der Zeit des Tiberius; die enge Bauweise der Häuser und die Sorglosigkeit der Bewohner erleichterten den Ausbruch solcher 70
Brände. Augustus hatte als erster eine reguläre Feuerwehr (die „vigiles“) organisiert, doch reichte diese Vorsorge niemals aus, um Großbrände wirklich eindämmen zu können. Das Feuer brach im Circus Maximus aus, griff auf benachbarte Läden und Buden mit leicht brennbarem Material über; aufkommender Wind tat ein übriges, und bald war das Feuer nicht mehr einzudämmen. Von den vierzehn Stadtbezirken, die Augustus eingerichtet hatte, blieben nur vier verschont; drei Bezirke galten als völlig zerstört. Rom brannte sechs Tage lang, nach einem ersten Verlöschen der Flammen dann noch einmal drei Tage. Augustus hatte mit der Einrichtung einer Feuerwehr ein Zeichen dafür gegeben, daß Sicherheitsfragen zu den Pflichten des Herrschers gehörten. Er selbst war zusammen mit seiner Frau Livia bei Bränden zugegen, um die Helfer anzuspornen – was Livia dann sogar als Witwe fortsetzte, zum Schrecken ihres Sohnes Tiberius. Claudius hat sich einmal zwei Tage und Nächte lang in der Nähe eines schwer zu löschenden Feuers aufgehalten, um mit Geld und guten Worten Beistand zu leisten. Das wurde natürlich auch von der Bevölkerung im Jahre 64 erwartet, und gerade diesen Erwartungen hat Nero nicht oder wenigstens nur verspätet entsprochen. Er hielt sich beim Ausbruch des Brandes in Antium auf, 60 Kilometer von Rom entfernt, und kam jedenfalls nicht sofort, sondern erst dann, als sein Palast, die Domus Transitoria, von den Flammen bedroht wurde – vielleicht haben spätere Berichterstatter die Verspätung seiner Ankunft bewußt übertrieben. Nach seiner Ankunft leistete er allerdings tatkräftig Hilfe für die vom Feuer Bedrohten oder schon Obdachlosen. Seine Gärten standen den Bedürftigen zur Verfügung; eilends wurden behelfsmäßige Unterkünfte errichtet. Aus Ostia und anderen benachbarten Städten wurden verbilligte Lebensmittel herangeschafft. Durch sein verspätetes Eintreffen hatte sich Nero dem Zorn der öffentlichen Meinung ausgesetzt; manche, die gerade noch von des Kaisers Auftritt auf den Bühnenbrettern Neapels gehört hatten, müssen Nero auch die willentliche Brandstiftung 71
zugunsten eigener Baupläne zugetraut haben. Ein Gerücht ergab das andere, man war sich schließlich ganz sicher, dunkle Gestalten beim Brandstiften gesehen zu haben, und so setzte sich bei den Opfern der Brandkatastrophe die Vorstellung fest, daß der Kaiser selbst und seine Helfershelfer, allen voran der widrige Tigellinus, die Katastrophe ausgelöst hätten. War es denn nicht ganz im Stil des bühnenreifen Kaisers, daß er, wie man flüsterte, auf einem Turm oder auf dem Dach seines Palastes, vom Brand Troias gesungen hätte, mit den Flammen der Hauptstadt als realistischer Kulisse? Tacitus hat sich für die Richtigkeit dieses Gerüchts nicht verbürgt. Die „Pisonische Verschwörung“ des Jahres 65 war damals schon im Entstehen begriffen; der mutige Prätorianeroffizier, der vor seiner Hinrichtung Nero als Brandstifter beschimpfte, wird Nero auch die Arien über den Untergang Troias zugetraut haben. Der Zorn der öffentlichen Meinung war kaum noch zu bändigen, als bekannt wurde, daß der Brandherd für das erneute Aufflackern des Brandes ausgerechnet in einem Garten des Tigellinus lokalisiert werden konnte. Dem Prätorianerpräfekten traute man jede Schandtat zu, eine Brandstiftung zur Beförderung der kaiserlichen Baupläne eingeschlossen. Alle Schenkungen, Bestechungen und Gelübde fruchteten nichts: Das Gerücht, Nero und seine Paladine seien für die Zerstörungen verantwortlich, wollte nicht weichen. Kundige Berater, vielleicht Tigellinus selbst, benannten eine religiöse Gruppe aus dem Umfeld der Juden, auf die der Volkszorn gelenkt werden könne. Tacitus ist der erste heidnische Autor, der in diesem Zusammenhang Christus und die Christen erwähnt: „Aber das entsetzliche Gerücht, Nero selber habe den Brand anlegen lassen, wollte sich durch keine teilnahmsvolle Unterstützung, durch keine Schenkungen und Sühnezeremonien aus der Welt schaffen lassen. Um ihm ein Ende zu machen, schob er daher die Schuld auf andere und strafte mit ausgesuchten Martern die wegen ihrer Verbrechen verhaßten 72
Leute, die das Volk Christen nennt. Der Stifter dieser Sekte, Christus, ist unter der Regierung des Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden. Der unheilvolle Aberglaube wurde dadurch für den Augenblick unterdrückt, trat aber später wieder hervor und verbreitete sich nicht bloß in Iudaea, wo er entstanden war, sondern auch in Rom, wo alle furchtbaren und verabscheuungswürdigen religiösen Gebräuche, die es in der Welt gibt, sich zusammenfinden und ausgeübt werden. Man verhaftete also zuerst Leute, die sich offen als Christen bekannten, und auf ihre Anzeige hin dann eine riesige Menge Menschen. Sie wurden nicht gerade der Brandstiftung, aber doch des Hasses gegen das Menschengeschlecht überführt. Bei ihrer Hinrichtung wurden sie zusätzlich noch zu Zirkusattraktionen gemacht. In Tierhäuten steckend, wurden sie entweder von Hunden zerfleischt oder ans Kreuz geschlagen oder angezündet, um nach Eintritt der Dunkelheit als Fackeln zu dienen. Nero hatte seine eigenen Parkanlagen für dieses Schauspiel hergegeben und verband es mit einer Zirkusaufführung; in der Tracht der Wagenlenker trieb er sich unter dem Volk herum oder fuhr auf dem Rennwagen. So regte sich das Mitleid mit jenen Menschen. Obwohl sie schuldig waren und die härtesten Strafen verdient hatten, fielen sie ja doch nicht dem Allgemeinwohl, sondern der Grausamkeit eines einzigen zum Opfer.“ (Tac. Ann. 15,44). Wenn Nero auch erst viel später von christlichen Autoren zu den Christenverfolgern gezählt wird, besteht kein triftiger Grund, Tacitus’ Bericht zu bezweifeln. Für die meisten Beobachter werden die Christen damals als jüdische Sekte gegolten haben, die sich im großen und ganzen ähnlich verhielt wie die Juden Roms, die seit Caesar einen Sonderstatus genossen. Privilegien erlaubten es ihnen, ihren religiösen Pflichten selbst dann nachzukommen, wenn dadurch die üblichen Verrichtungen des Herrscherkults zurücktreten mußten. Ebensogut hätte Nero von seinen Beratern auf die Juden Roms als Brandstifter hingewiesen werden können, denen man auch immer wieder 73
den Vorwurf machte, keinen Anteil zu nehmen am Herrscherkult und am täglichen Leben, wie es die Griechen und Römer verstanden: Solche Zurückhaltung wurde dann als „Haß auf das Menschengeschlecht“ beschimpft. Bis zum Ausbruch des Aufstands in Judaea sollten nur noch zwei Jahre vergehen. Es gibt Hinweise, daß es in gehobenen Kreisen des Kaiserhofs Männer und Frauen gab, die mit dem Judentum sympathisierten – gerade so könnte es sich erklären, daß nicht die Juden, sondern die jüdische „Splittergruppe“ der Anhänger Christi zu Sündenböcken gemacht wurden. In diesen Jahren hatte die römische Gemeinde durch das Wirken von Paulus und von Petrus weiteren Zulauf erhalten. Nero hatte sich seine Opfer geschickt ausgesucht; in der Oberschicht genossen die Christen so wenig Sympathie, daß Sueton aufgrund seiner Lektüre über den Brand von Rom zu dem Schluß kam, daß der Kaiser damals eine gemeingefährliche Sekte im Interesse der öffentlichen Sicherheit eingedämmt habe. Ähnliche Abneigung konnte Nero beim Volk von Rom voraussetzen, bei dem er sich doch von allem Verdacht reinwaschen wollte. Tacitus’ Hinweis auf das Mitleid, daß sich in der Öffentlichkeit angesichts der Grausamkeit der vielen Hinrichtungen geregt haben soll, ist überraschend; es geht dabei einerseits um die Opfer, andererseits natürlich auch um Kritik an der Grausamkeit Neros. War das Volk von Rom erschrocken über die große Zahl der Hinrichtungen oder angerührt vom tapferen Verhalten der Opfer, darunter auch Petrus und Paulus, wie später vermutet wurde? Der grausame Einfall, die Todgeweihten durch Einhüllen in pechgetränkte Gewänder zu lebenden Fackeln zu machen, scheint ein persönlicher Beitrag des Tigellinus gewesen zu sein und diente Späteren als Beispiel für die Exzesse von Neros Handlangern. So ist es schwer verständlich, daß die Leiden der Christen des Jahres 64 bei den frühen christlichen Autoren gar nicht erwähnt werden; erst Tertullian, der am Ende des zweiten Jahrhunderts schreibt, macht Nero zum Verfolger der Christen um ihres Glaubens willen. Die Gruppe, der die Schuld am Brand Roms zugewiesen wurde, ist zu solch besonders grausamen Todesstrafen aller74
dings nicht wegen ihres Bekenntnisses zu einem neuen Glauben verurteilt worden, sondern wegen der angeblichen Brandstiftung: Der von Tacitus geschilderte Vollzug des Todesstrafe entspricht der Strafe für überführte Brandstifter. Wer trotz der erfolterten Geständnisse der Christen nicht von der Vorstellung lassen wollte, daß Nero ein Interesse daran gehabt hatte, die Stadt anzuzünden, konnte auf die Bauten verweisen, die der Princeps nach dem Brand errichten ließ. Dabei verstieß Nero gegen keine Tradition der Dynastie, wenn er viel und gerne bauen ließ – ganz im Gegenteil. In seinem Tatenbericht hatte sich schon Augustus seiner Bauten in Rom gerühmt; die Errichtung nützlicher Bauwerke und prächtiger Tempel durch den Herrscher oder seine Freunde gehörte zur Fürsorge für das Gemeinwohl. In der Tat hatte Augustus das Stadtbild von Rom völlig verändert, und er war stolz darauf. Sueton zitiert Augustus mit den Worten, daß er Rom als eine Stadt aus Ziegeln vorgefunden und als eine Stadt aus Marmor hinterlassen habe. So vererbte Augustus an seine Nachfolger die Pflicht, Rom weiter zu verschönern – falsche Sparsamkeit mußte zu einem ungünstigen Vergleich mit dem Gründer der Dynastie führen; auch der zurückhaltende Tiberius erlaubte sich keinen Zweifel an dieser Tradition, und selbst einige von Caligulas Bauten fanden allgemeine Anerkennung. Große Bauwerke hatte auch Claudius auf den Weg gebracht, darunter Wasserleitungen in der Hauptstadt und mehrere große Projekte, die der Verbesserung der Lebensmittelversorgung Roms dienen sollten. Hohe Baukosten bei Wasserleitungen, Tempeln und Stadtmauern hatten Anspruch auf öffentliche Anerkennung – schwieriger war es für den Herrscher, rein persönlichen Bauluxus in der Öffentlichkeit zu vermitteln. An die architektonischen Extravaganzen der Aristokratie war das Volk schon seit den letzten Jahrzehnten der Republik gewöhnt, und niemand nahm es Augustus oder einem seiner Nachfolger übel, wenn der Wohnsitz des Herrschers dem Ansehen einer Weltmacht entsprach. Die Ansprüche der hohen Herren waren groß und wurden immer größer; wer sich im Bereich der Hauptstadt aus 75
Gründen der Diskretion zurückhielt, erlaubte sich dafür umsomehr Luxus in Kampanien. Die prächtigeren Häuser Pompeiis, und in ihnen die Wandgemälde mit ausgedehnten Wohnlandschaften, können einen Eindruck vom kostspieligen Geschmack der Zeit vermitteln. Nero hatte schon vor dem Brand der Stadt nützliche Bauten vollendet, die in claudischer Zeit begonnen worden waren, und dazu eigene Bauten errichten lassen. Zu diesen vor dem Brand Roms vollendeten Projekten gehörten etwa die Fertigstellung des Hafens von Ostia, ein großer Markt (Macellum Magnum), ein Amphitheater auf dem Marsfeld und, als Glanzstück, luxuriöse Thermen, die später noch von den ärgsten Feinden Neros gerühmt wurden. Diese und einige andere nach dem Brand wiederhergestellten Bauten erscheinen auf Münzen, um die Öffentlichkeit auf diese Wahrnehmung der herrscherlichen Verpflichtungen hinzuweisen. Sehr umsichtig wurde nach dem Brand des Jahres 64 die Notwendigkeit vieler Neubauten und Reparaturen in den verwüsteten Stadtbezirken dazu genutzt, neue Sicherheitsvorschriften zur Vermeidung ähnlicher Brandkatastrophen zu erlassen, die teilweise schon Augustus angeordnet hatte, aber nicht hatte durchsetzen können. Alte Leute murrten über die ungemütlich verbreiterten Straßen und die streng kontrollierten Obergrenzen bei der Höhe von Neubauten, durch die man mehr als bisher Gefahr liefe, einen Sonnenbrand zu bekommen; tatsächlich aber machten sich Nero und seine städtebaulichen Berater hochverdient um die künftige Sicherheit der Stadt. Der Kaiser stellte seine Schiffe zur Verfügung, die die ungeheuren Mengen von Bauschutt den Tiber hinunter kostenlos nach Ostia abtransportierten. Die vielen erforderlichen Neubauten finanzierte Nero nur zum geringeren Teil selbst – konkret benannt werden die von ihm bezahlten neuartigen Vorbauten, die den Zugriff der Flammen auf die Häuser verlangsamen sollten. Wer den Wiederaufbau von Privatwohnungen finanzierte, erhielt attraktive Vergünstigungen, bis hin zur Gewährung des vollen Bürgerrechts für diejenigen, die bisher nur ein eingeschränktes Bürgerrecht hatten. 76
Es ist mit dem gewaltsamen Ende Neros zu erklären, daß der durchaus traditionelle und förderliche Aspekt vieler seiner Bauprojekte abgewertet oder gar verschwiegen wird und dafür von der Überlieferung ein einzelnes Bauwerk als Beleg für den Größenwahn seiner Baupolitik herausgestellt wird, das „Goldene Haus“ (Domus Aurea), die nach dem Brand begonnene und bis 68 nicht vollendete Palastanlage mitten in Rom. Nero nutzte die Zerstörungen im Stadtkern Roms zwischen Palatin und Esquilin für den Bau einer weiträumigen und architektonisch höchst innovativen Anlage; es kann nicht überraschen, daß manche Gegner des Kaisers sein Projekt, das sehr viele bisher anderweitig genutzte und bewohnte Grundstücke einbezog, mit dem Brand selbst in Verbindung brachten, der doch erst das künftige Baugelände freigelegt hatte. Vor dem Brand hatte Nero in der sog. Domus Transitoria gewohnt, einer Erweiterung des von Tiberius und von Caligula bewohnten Palastes mit Anbindung an die kaiserlichen Gärten auf dem Esquilin. Dieser Bau hat sich wohl noch an die üblichen Regeln herrscherlichen Wohnens gehalten. Die „Domus Transitoria“ war ein Opfer der Flammen geworden; die Gelegenheit zum Neubau nutzte Nero für eine völlig neue Konzeption von ungewöhnlich weiträumigem Zuschnitt; den mit der Ausführung des Projekts betrauten – sonst nicht bekannten – Architekten Severus und Celer ging der Ruf waghalsiger und verschwenderischer Entwürfe an der Grenze des technisch Möglichen voraus. Sueton hat das „Goldene Haus“ (in einem Abschnitt über die Verschwendungssucht des Kaisers) so beschrieben: „Um sich einen Begriff davon zu machen, welche gewaltigen Ausmaße dieser Palast hatte und wie reich geschmückt er war, dürften folgende Angaben genügen: Die Vorhalle war so hoch, daß ihn eine Halle mit drei Säulenreihen in einer Länge von 300 Metern umgab. Auch ein künstlicher Teich befand sich innerhalb dieser Anlagen, der wie ein Meer ringsum von Bauten umgeben war, die Städte darstellen sollten. Dazu gab es noch Ländereien mit Kornfeldern, 77
Weinbergen, Wiesen und Wäldern in buntem Wechsel, mit einer Fülle von zahmen und wilden Tieren aller Art. Die „Innenräume des Palastes waren alle vergoldet und mit Edelsteinen und Perlmutt ausgelegt. Die Speisesäle hatten mit Elfenbeinschnitzereien verzierte Kassettendecken, deren Täfelung verschiebbar war, damit man Blüten auf die Gäste herabregnen lassen konnte. Auch besaßen sie ein Röhrenwerk, durch das man duftende Essenzen herabsprühte. Der Bankettsaal hatte die Form einer Rotunde, deren Kuppel sich wie das Weltall Tag und Nacht beständig drehte. In den Bädern gab es Wasser aus dem Meer und aus der Albulaquelle. Als er nun diese Prachtgebäude nach der Fertigstellung einweihte, fand er keine anderen Worte der Zufriedenheit als: Jetzt fange ich endlich an, wie ein Mensch zu wohnen.’“ (Sueton, Nero 31). Als Nero starb, war der Bau immer noch nicht ganz abgeschlossen; Otho, für wenige Monate im Besitz der Macht und durchaus ein Bewunderer von Neros Geschmack, versuchte den Bau fortzusetzen. Nach ihm fand sich aber keiner mehr, der den umstrittenen Palast vollenden wollte. Vitellius, dem Nachfolger Othos im Jahre 69, gefiel die „Domus Aurea“ nicht, noch weniger seiner Frau. Als dann Vespasian im Jahre 71 als Sieger nach Rom kam, wurden das „Goldene Haus“ und das gesamte Grundstück einer provozierend anderen Verwendung zugeführt. Was lag näher, als das kaiserliche Grundstück wirklich öffentlich zu machen durch den Bau des größten Amphitheaters, das Rom je gesehen hatte, das Colosseum? Es lag an der Stelle, wo Nero, der blutige Gladiatorenspiele nicht mochte, einen schönen Teich hatte anlegen lassen. Die bis zum Jahre 68 fertigen Trakte der „Domus Aurea“ wurden von den Nachfolgern entweder niedergerissen oder fast bis zur Unkenntlichkeit in eigene Bauten integriert. Hätte Nero länger gelebt – im Jahre 64, bei Baubeginn, war er erst 27 Jahre alt – und hätten seine Architekten mehr Zeit gehabt, wäre er vielleicht als einer der großen Bauherren in die römische Geschichte eingegangen. 78
Das relativ wenige, was jetzt noch sicher als Teil der ursprünglichen „Domus Aurea“ zu erkennen ist, weist die beteiligten Architekten und Künstler als Meister ihres Fachs aus. Etwas völlig Neues war etwa der Gewölbebau des achteckigen Raums im Zentrum der Anlage, für den es in der römischen Architektur keinen bekannten Vorläufer gibt. Nicht weniger innovativ als die Bautechnik war die Innendekoration, eine Schöpfung des Malers Famulus, der (ganz Römer und seiner Bedeutung gewiß) nicht im Malerkittel, sondern in der Toga die Wände mit Mustern und Farben ausgestaltete, wie es sie auch nicht in den gewagtesten Villen von Pompeii gab. Die erste Entdeckung solcher Fresken in den Kellern (oder Höhlen, „Grotten“) unter den späteren Bädern Traians am Ende des 15. Jahrhunderts führte zum Begriff des „Grotesken“; die Innendekoration gab Künstlern der Renaissance viele Anregungen. Was aus der Rückschau ein gewagter architektonischer Entwurf der Avantgarde ist, der Neros Präsenz in Rom einen ganz anderen Charakter hätte geben können, wurde von den Zeitgenossen nur als Beispiel für des Kaisers Maßlosigkeit abgetan. Bei genauerem Hinsehen läßt sich allerdings feststellen, daß es gar nicht die ungewöhnliche Pracht der Ausstattung der neuen Palastanlage war, die Mißfallen erregte: Edelmetalle, Elfenbein, Edelsteine waren durchaus vertraute Materialien beim Bau von Luxus-Villen und standen dem Herrscher in gewisser Weise zu. Was die stadtrömische Bevölkerung wohl aller Schichten irritiert hat, war nicht die Ausstattung des Neubaus, sondern die unerhörte Größe der Anlage, die einen Bereich des Stadtkerns einbezog, der bisher – vor dem Brand – der privaten Nutzung zur Verfügung gestanden hatte. Neros Palast war kein – wenn auch riesiger – Palast mehr im üblichen Sinne, er war eine kaiserliche Palast- und Gartenanlage von einem Zuschnitt, der nach bisherigen Maßstäben weit vor die Tore Roms gehörte; die später von Hadrian genutzte Villen-Anlage in Tibur bietet sich zum Vergleich an. Um die Zeitgenossen noch besser zu verstehen, müßte man genau wissen, über welche Fläche sich die Anlage der „Domus Aurea“ denn nun tatsächlich erstreckt 79
Gewölbesaal der „Domus Aurea“.
80
hat; schon die mit Abstand vorsichtigste Schätzung kommt immerhin auf die Fläche des heutigen Vatikanstaates.
IX. Opposition Nero hatte am Hof des Claudius erlebt, wie unsicher die Position eines Princeps trotz aller Ehrenbezeugungen und Schmeicheleien war. Unzufriedenheit an der Amtsführung und persönlicher Ehrgeiz der Kritiker konnten eine für den Amtsinhaber lebensgefährliche Verbindung eingehen. Es waren nicht senatorische Moralisten, vor denen er sich in seinen ersten Jahren in acht zu nehmen hatte: Diese Gruppe hatte er mit seiner von Seneca redigierten Antrittsrede gewonnen. Auf die Zufriedenheit des Senats mit dem neuen Regime konnte er sich zunächst verlassen und ebenso auf die Loyalität der von Burrus geführten Prätorianer. Überhaupt war es nicht so schwer, Sympathien zu gewinnen, wenn der Princeps alles besser zu machen versprach als Claudius. Eine näherliegende Gefahr war die Existenz von Männern, deren Verwandtschaft mit dem Gründervater der Dynastie nicht entfernter war als die Neros selbst – denn die einzige Regel der damaligen Erbfolge besagte, daß ein Anwärter mit Augustus verwandt sein mußte. Die Familien- und Heiratspolitik des Augustus hatte dazu geführt, daß es im Laufe der Jahre eine ganze Reihe solcher (gewollter und auch ungewollter) potentieller Thronfolger gab. Kein einziger dieser letzten Blutsverwandten des Augustus hat Nero überlebt. Einmal abgesehen von Britannicus, den das Schicksal eines störenden Thronprätendenten schon im Jahre 52 ereilte, und von Agrippina, deren zorniges Geltungsbewußtsein von Nero mehr und mehr als Bedrohung empfunden wurde, galten solche Männer schon allein durch ihre gleichrangige Verwandtschaft mit Augustus als gefährlich für die Sicherheit des Princeps. Marcus Iunius Silanus (Konsul im Jahre 46), dessen unerschütterliche, vom Wohlstand verstärkte Gemütsruhe 81
ihm bei Caligula den Spitznamen „das goldene Schaf“ eingebracht hatte, wurde gleich im Jahre 51 durch einen Befehl von Agrippina getötet; als letzter Konkurrent, dessen Verwandtschaft mit Augustus von interessierter Seite ausdrücklich als gleichwertig mit der Neros selbst bezeichnet werden konnte, mußte Rubellius Plautus im Jahre 60 auf seine kleinasiatischen Besitzungen ins Exil gehen und wurde im Jahre 62 getötet. Im Jahre 64 hatte Decimus Iunius Silanus Torquatus zu sterben, Bruder des Opfers vom Jahre 51 und ein Ururenkel wie Nero. Es gab seitdem keinen männlichen Nachfahren des Augustus mehr, und übrigens auch keine junge Frau, wie Neros Gattin Octavia, deren hohe Stellung die Liebe eines ehrgeizigen jungen Adligen hätte entflammen können. Die prätorianische Leibwache des Kaisers hatte den Eid auf das gesamte Kaiserhaus geleistet; nur von der „Domus Augusta“ war zu erwarten, daß sie die Hoffnungen der Truppe auf Belohnung würde einlösen können – noch der hochgemuteste Senator würde innerhalb weniger Tage ein armer Mann sein, wollte er ihre Ansprüche zu erfüllen versuchen. Ein Princeps konnte sich demnach fast alles erlauben, ohne die Loyalität seiner Prätorianer zu verlieren; Neros künstlerische Eskapaden waren ein Exempel – etwa als er in seinen letzten Jahren, im Jahre 65 oder später, auf der Bühne als „rasender Herkules“ in Fesseln gelegt wurde. Solche loyale Naivität war von den Offizieren des Prätorianer Corps nicht immer zu erwarten; es war ein Zeichen für Caligulas Überheblichkeit, daß er sich über die hohe Stimme eines seiner Offiziere lustig machte und seinen spöttischen Reden mit zweideutigen Gesten noch Nachdruck verlieh: Dies war der Anfang der Verschwörung, die mit seinem Tode endete. Neros Prätorianerkommandeur Burrus leistete nur einmal passiven Widerstand gegen die Zumutungen des jungen Herrschers: Seine Prätorianer mochten den Kaiser noch bei den unsäglichsten Eskapaden beschützen, doch sollten sie keine Mithilfe bei der Ermordung Agrippinas leisten. Dies war eine Aufgabe für die Matrosen der kaiserlichen Flotte und ihre freigelassenen Kapitäne. 82
Als Burrus im Jahre 62 starb, wurde der Posten von Nero aus Sicherheitsgründen doppelt besetzt. Faenius Rufus, bisher für die Getreideversorgung zuständig, war offenbar unvermeidlich: Er erhielt den Posten aufgrund seiner nachweislich kompetenten und unbestechlichen Amtsführung; der zweite, Ofonius Tigellinus, war der eigentliche Kandidat Neros, ein Mann von zwielichtiger Vergangenheit im Umfeld der Schwestern Caligulas und ein Förderer noch der extravagantesten Wünsche des Princeps. Bis in die frühen sechziger Jahre konnte sich Nero im großen und ganzen sicher fühlen; zwar war die Ermordung seiner Mutter wenigstens bei einem Teil der Prätorianer unvergessen, doch reichte dies nicht aus, um seine Position wirklich zu gefährden. Erst Burrus’ Tod im Jahre 62 und Senecas freiwilliger Rückzug aus der Öffentlichkeit – für viele Beobachter ein beunruhigendes Signal – verführten Nero zu einem immer zügelloseren Ausleben seiner privaten künstlerischen Ambitionen. Sein öffentliches Auftreten als Künstler und Schauspieler war eine Herausforderung und für manchen standesbewußten Senator fast so verwerflich wie der Muttermord. Nero war zu der Überzeugung gekommen, daß dem Senatorenstand fast alles zuzumuten sei, allenfalls um den Preis satirischer Verse – die mit Verbannung bestraft wurden – oder schlechtgelaunter Mienen bei kaiserlichen Festen. Eine unterschwellige Veränderung in der Haltung von Teilen der römischen Führungsschicht wird frühestens seit dem Jahre 62 faßbar, als satirische Verse über den Princeps gerichtsnotorisch wurden und als einer der Senatoren, die als besonders sittenstreng und vorbildlich galten, Thrasea Paetus, im Senat etwas von seiner Kritik am Princeps hatte durchblicken lassen. Der Brand Roms, verbunden mit dem, wie viele es sahen, Fehlverhalten Neros bei der Bekämpfung des Brandes, muß ein weiterer Faktor für die verbreitete Unzufriedenheit gewesen sein. Vielleicht gab es damals bereits Überlegungen für einen Anschlag auf das Leben des Kaisers. Eine regelrechte Verschwörung gegen Nero, mit dem Ziel seiner Ermordung und der Ausrufung eines Nachfolgers, ent83
stand im Vorfeld der für das Jahr 65 angekündigten Feier der neronischen Festspiele, auf denen wiederum, in den Augen der traditionellen Senatorenschaft, mit einer Verhöhnung aller hergebrachten römischen Traditionen zu rechnen war. Nicht völlig auszuschließen ist die Möglichkeit, daß die erneute Schwangerschaft von Poppaea zusätzliche Befürchtungen weckte – die Geburt eines Thronfolgers würde Nero noch unerträglicher machen. Jene, die sich mehr und mehr über Neros Auftreten entrüsteten, dachten dabei nicht an die Wiederherstellung der Republik, sondern daran, wer durch Herkunft und Persönlichkeit in der Lage sein würde, Nero zu ersetzen und zugleich vermittelbar sein könnte für den Senat. L. Calpurnius Piso stammte noch von der republikanschen Aristokratie ab und hatte unter Caligula ins Exil gehen müssen. Unter Claudius wurde er Konsul und spielte in der Gesellschaft der Hauptstadt eine führende Rolle. Zu den Ratgebern Neros gehörte er nicht, und er zeigte auch keinen offenen politischen Ehrgeiz – dafür setzte er sich, im Stil der Altvordern, als Redner für seine Klienten vor Gericht ein. Er galt als freigiebig, aber nicht als Verschwender, und er war freundlich im Umgang auch mit Unbekannten, ohne herablassend zu wirken. Im Unterschied zu Nero entsprach er sogar dem männlichen Schönheitsideal eines Edelmanns. Sein Hofstaat signalisierte der Öffentlichkeit, daß er keinen asketischen Lehren anhing, und ganz zeitgemäß verschmähte er es auch nicht, seine – dilettantische – künstlerische Begabung als Tragödienschauspieler in Privatvorstellungen publik zu machen. In gewisser Weise verkörperte er den neronischen Zeitgeist in einer für strengere Gemüter gerade noch akzeptablen Weise. Tacitus selbst hielt das nominelle Oberhaupt der Verschwörung für einen Versager, der dem Ruhm seiner Vorfahren am Ende keine Ehre erweisen sollte. Piso hat sich, seiner Art entsprechend, keineswegs vorgedrängt; Tacitus legt in seinem Bericht Wert auf den bemerkenswerten Umstand, daß die Verschwörung von Prätorianeroffizieren ausging, die Neros Treiben nicht mehr länger ertragen 84
wollten. Die Motive dieser Gruppe sind zweifelsfrei überliefert: Vor seiner Hinrichtung hat Subrius Flavus Neros Frage beantwortet, was ihn denn zum Bruch seines Diensteides bewogen habe: „Keiner Deiner Soldaten war Dir treuer als ich, solange Du unsere Liebe verdientest. Aber ich begann Dich zu hassen, als Du zum Muttermörder und zum Gattenmörder, zum Wagenlenker, Schauspieler und Brandstifter wurdest“ (Tac, Ann. XV, 67). Das ist ein Indiz für die verheerende Wirkung, die Neros Fehlverhalten auf Männer mit sittlichen Maßstäben hatte – und auf Frauen, darunter die Freigelassene Epicharis, die auch unter der Folter ihren Grundsätzen treu blieb. Ein Teil der Verschwörer hatte auch sehr persönliche Motive für die Teilnahme. Dem Dichter Lucan, einem Neffen Senecas, wurde verletzte literarische Eitelkeit nachgesagt, und Faenius Rufus, einer der beiden Prätorianerkommandeure, soll einfach Angst vor seinem bei Nero beliebteren Kollegen Tigellinus gehabt haben. Der Kreis der Verschworenen war recht weit gezogen: Vom effeminierten Lebemann bis zur Freigelassenen mit Vergangenheit gab es viele eher unerwartete Teilnehmer an einer Verschwörung zur Wiederherstellung geordneter Verhältnisse. Lange wurde über die Ausführung der Tat beraten. Die beste Gelegenheit, Nero zu töten, bot sich während eines seiner Aufenthalte in der Villa Pisos am Golf von Neapel. Piso lehnte diesen Plan ab, vordergründig mit dem Hinweis auf die Verletzung des Gastrechts; tatsächlich, meinten kritische Beobachter, wollte Piso nach Neros Tod nicht so weit entfernt vom Zentrum des Geschehens in Rom sein. Ehrgeizig, wie er denn doch geworden war, fürchtete er die Ansprüche des jungen L. Iunius Silanus, der manchen Senatoren aufgrund seiner etwas strikteren Lebensführung attraktiv erscheinen mochte – ganz zu schweigen von dem Umstand, daß er weitläufig mit Augustus verwandt war. Und den Konsul Vestinus fürchtete er, dem sogar republikanische Sympathien nachgesagt wurden. Schließlich einigte man sich darauf, Nero während der Ludi Ceriales im April umzubringen. Während der Circusspiele an diesem Tage würde Nero seine bestens gesicherte neue Palastanlage, die „Domus Aurea“, verlassen, um den Rennen zuzu85
schauen. Die Tat sollte ähnlich eingeleitet werden wie Caesars Ermordung an den Iden des März. Der für seine Körperkraft bekannte Lateranus sollte Nero als Bittsteller zu Füßen fallen und ihn dann festhalten – die übrigen Attentäter unter den Prätorianern würden den Rest erledigen. Piso sollte in der Nähe auf Faenius Rufus warten, der ihn ins Lager bringen sollte zur Ausrufung als neuen Princeps durch die Prätorianer – ganz so, wie damals Burrus den jungen Nero den Truppen vorgestellt hatte. Eitelkeit und Nervenschwäche führten zum Untergang der Verschworenen. Der Senator Flavius Scaevinus, der eben noch viele Stunden mit Pisos engstem Vertrauten Natalis konferiert hatte, weckte die Neugierde seines Freigelassenen Milichus durch seine beredte Abschiedsstimmung; er erneuerte sein Testament wieder einmal und überschüttete das Personal seines Haushalts mit überraschenden letztwilligen Verfügungen und Schenkungen. Als dann noch der Dolch seines Herrn neu geschliffen werden mußte, wurde Milichus mißtrauisch und besprach die Seltsamkeiten des Tages mit seiner Frau. Seine realistische Gefährtin bewog ihn dazu, seine Beobachtungen so schnell wie möglich gewinnbringend bei Hofe vorzutragen. Bald stand er vor Nero und breitete alles aus, was er wußte. Natalis und Scaevinus, die Meister der tapferen Ankündigungen, hielten nicht einmal dem Anblick der Folterinstrumente stand und nannten um die Wette Namen, vielleicht sogar solche, die gar nichts mit der Verschwörung zu tun hatten. Daß Seneca jetzt, vermutlich zu Unrecht, hineingezogen werden konnte, wird Nero besonders gefreut haben. Für Freigeborene war die Folter in der Regel nur eine Drohung; für die Freigelassene Epicharis galt diese Zurückhaltung nicht: Keine Qual hat ihren Mut und ihre Verschwiegenheit brechen können, und in einem unbeobachteten Moment gelang es ihr, den weiteren Schmerzen durch Selbstmord ein Ende zu bereiten. In Rom wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Überall patrouillierten Truppen. Den Ernst der Lage konnten Beobachter daran ausmachen, daß die regulären Truppen mit germanischen Leibwächtern kombiniert wurden. Einer tat sich dabei 86
mit besonderem Diensteifer hervor: der redliche Faenius Rufus, einer der wichtigsten Mitverschworenen, auf den bisher noch kein Verdacht gefallen war. Er zuckte mit keiner Wimper, als Subrius Flavus ihn beim Verhör gestenreich dazu veranlassen wollte, den neben ihm stehenden Kaiser anzugreifen. Piso, der sich so große Hoffnungen auf die erste Stellung im Gemeinwesen gemacht hatte, war in diesen Stunden wie gelähmt – nicht umsonst hat Tacitus ihn bei seiner durchaus ausführlichen Schilderung gar nicht berücksichtigt. Auf den Vorschlag von Vertrauten, durch einen Appell an die Truppen und an das Volk von Rom alles zu wagen, reagierte er nicht. Er zog es vor, in seinem Garten auf das Verhaftungskommando zu warten. Wie sinnvoll ein Aufruf an die Truppen gewesen wäre, sah er an dem Kommando, das vor seiner Villa Posten bezog und warten sollte, bis er sich den Tod gegeben hatte: Nur Rekruten und Soldaten mit geringer Diensterfahrung waren dazu ausgewählt worden. Noch das Testament des Mannes, der Neros Nachfolger werden sollte, erwies ihn als Fehlbesetzung: Hemmungslose Schmeicheleien sollten seine Frau Satria Galla schützen, die er einem seiner Freunde abspenstig gemacht hatte. Zu den Opfern von Neros Vergeltung gehörte auch Seneca. Schon lange hatte er sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen und alles vermieden, was die Aufmerksamkeit Neros hätte auf sich ziehen können. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß Seneca auch nur mittelbaren Anteil an Pisos Plänen gehabt hat; Neros Argwohn wurde aber schon durch die Mitteilung des redseligen Verschworenen geweckt, daß Piso einmal Seneca bekümmert habe mitteilen lassen, wie sehr er es bedauere, keinen Kontakt mehr zu ihm zu haben. Diese Aussage ließ Nero sogleich durch ein Verhör Senecas überprüfen, der sich damals in der Nähe der Hauptstadt auf einem seiner Landsitze aufhielt. Senecas Antwort bestätigte die Version der Botschaft an Piso, wie sie beim Verhör der Verschworenen zitiert worden war, doch war Nero an einer Entlastung des alten Lehrers nicht mehr interessiert. Rasend vor Zorn setzte er die Verwicklung 87
Senecas in die Verschwörung voraus und wurde dabei noch bestärkt durch Tigellinus und Poppaea. Überbringer des Todesurteils war der Prätorianeroffizier Gavius Silvanus, selbst Teilnehmer an der Verschwörung. In der Hoffnung, mit dem Leben davon zu kommen, verweigerte er sich nicht diesem Befehl. Immerhin brachte er es nicht über sich, Seneca persönlich das Todesurteil zu verlesen, sondern schickte einen Feldwebel in Senecas Haus. Seneca hatte keinerlei Zweifel, daß der Tod unausweichlich war. Mit den letzten Stunden seines Lebens und Sterbens, die dem Vorbild des Sokrates nachempfunden waren, hat er seine Zeitgenossen und die Nachwelt tief beeindruckt. Er starb so, wie er es in seinen Schriften gepredigt hatte, und niemand hatte mehr Zweifel daran, daß Leben und Lehre, oder besser: Sterben und Lehre in eindrucksvoller Übereinstimmung waren. Thrasea Paetus, Neros Opfer im Jahre 66 und durchaus kritisch eingestellt gegenüber Neros Minister, orientierte sich in der Stunde seines Todes auch an Seneca. Tacitus, Kenner aller Ehrlichkeit und aller Heuchelei, schließt seinen Bericht über Senecas Tod mit einem Hinweis auf seine gemäß testamentarischer Verfügung äußerst einfache Bestattung – diese Bestimmungen habe er verfaßt noch als unumstrittener Minister Neros, zu einer Zeit, als er zu den einflußreichsten und reichsten Männern Roms gehört habe. Später erzählte man sich von der besonderen Grausamkeit der Verhöre, bei der die Verdächtigen unter der Last ihrer doppelt und dreifach verschlungenen Ketten beinahe zusammenbrachen. Mindestens neunzehn Männern und Frauen hat die Verschwörung das Leben gekostet, dreizehn mußten ins Exil. Die Prätorianer erhielten ein üppiges Geldgeschenk zur Belohnung ihrer zweifelhafter gewordenen Treue. Drei Männer hatten in Neros Augen das Hauptverdienst an der Niederschlagung der Verschwörung und erhielten, gleichsam als Belohnung für kriegerische Verdienste allerhöchsten Ranges, die „ornamenta triumphalia“: Tigellinus, Cocceius Nerva (später, im Jahre 96, würde er selbst für zwei Jahre ein unbescholtener Princeps werden) und der amtierende Konsul Pe88
tronius Turpilianus, der Nero noch im Jahre 68 treugeblieben ist. Der wachsame Tigellinus durfte, bei allem Vertrauen, die Prätorianer nicht allein anführen; sein neuer Kollege wurde ein Mann, bei dem Nero sicher war, daß er keinerlei Skrupel haben würde. Nymphidius Sabinus hatte bisher als Prätorianeroffizier Karriere gemacht. Er genoß die von ihm selbst geschaffene Aura, ein illegitimer Sohn Caligulas zu sein und befleißigte sich, einer gewissen finsteren Ähnlichkeit mit dem vermeintlichen Erzeuger Nachdruck zu verleihen. Nur für kurze Zeit wird Nero sich über den- Antrag gefreut haben, den Monat seiner Geburt „Neroneius“ zu nennen; die Opposition der führenden Kreise wurde von ihm deutlicher denn je wahrgenommen. Geringfügige Zeichen von geistiger Selbständigkeit reichten jetzt aus, um von Anklägern vor Gericht gezerrt zu werden. Im Jahre 66 wurde der letzte denkbare dynastische Konkurrent getötet, der junge L. Iunius Silanus Torquatus, der Sohn des im Jahre 51 ermordeten Silanus, also eine Enkel-Generation weiter von Augustus entfernt als Nero. In den letzten Jahren Neros gab es noch eine andere, indirektere Form der Opposition, die Nero nicht weniger zu fürchten begann als diejenige, die auf die Verabredung eines Attentats hinausliefen. Die Vertreter einer passiven, aber darum doch auch von der Öffentlichkeit wahrgenommenen Opposition werden gewöhnlich als Stoiker bezeichnet; nicht in jedem einzelnen Fall werden sich die Mitglieder der sogenannten „stoischen Opposition“ dieser philosophischen Konfession ohne Einschränkung zurechnen lassen können. Für Stoiker war es leicht, sich mit dem Prinzipat in seiner augusteischen, wohlgeordneten Form abzufinden. Es gab keinen stoischen Lehrsatz, der sich ausdrücklich gegen die neue Staatsform hätte anführen lassen. Im Gegenteil: Bekannte Stoiker waren Berater an hellenistischen Königshöfen gewesen. Seneca selbst, der sich zu den Lehren der Stoa bekannte, hielt sein philosophisches Credo mit seiner Tätigkeit für Nero die längste Zeit für vereinbar. Wer wollte, konnte die stoische Philosophie zur „offiziellen“ Staatsphilosophie erklären. 89
Aber Nero ist der erste Princeps, der sich von der stoischen Philosophie bedroht fühlte, und zwar wegen des politischen Einflusses derer, die ihre Kritik in stoischem Geist formulierten. Der bekannteste Vertreter dieser Regimekritiker, die – wenigstens von ihren Gegnern – als doktrinäre Stoiker beschimpft wurden, ist Thrasea Paetus. Im Jahre 66 wurde er zum Tode verurteilt und starb nach dem Vorbild des Sokrates – nicht lange vor Neros Griechenlandreise. Thrasea Paetus war kein Vertreter des senatorischen Hochadels, sondern gehörte zu den sozialen Aufsteigern aus Oberitalien, die sich viel auf ihre konservativen Grundsätze zugute hielten. Seinen Eintritt in den Senat hatte er vielleicht Agrippina zu verdanken. Seneca gehörte zu seinen Förderern: Im Jahre 56 wurde er für drei Monate Konsul. Thrasea und seine Freunde waren keine Gegner des Prinzipats, sondern maßen Nero an seiner Regierungserklärung des Jahres 51, derzufolge er die übliche Aufgabenteilung zwischen Princeps und Senat respektieren wolle. Der soziale Aufsteiger übernahm so die Senatorenrolle in viel stärkerem Maße als die übriggebliebenen Aristokraten aus den Großen Familien. Nero fühlte sich von Kritikern dieses Schlages vielleicht nicht in seiner Existenz bedroht, hatte aber allen Grund, um sein ohnehin geschädigtes Ansehen in der senatorischen Öffentlichkeit zu fürchten. Nachdem er sich im Jahre 63 geweigert hatte, Thraseas Glückwünsche zur Geburt der Tochter Claudia Augusta entgegenzunehmen, hat Thrasea nur noch ganz selten an den Senatssitzungen teilgenommen. Der Rückzug vom politischen Leben war als Protest nicht eigentlich strafbar, doch erregte Thraseas Verhalten über die Grenzen der Hauptstadt hinaus Aufsehen. Für Nero war das ein stiller Vorwurf, der ihn an die gebrochenen Versprechen der Regierungserklärung von 51 erinnern mußte. Stoisch an diesem Verhalten war allenfalls das unerschütterliche Festhalten an einer einmal für richtig erkannten Politik. Nero veranlaßte einen persönlichen Gegner Thraseas, dieses Verhalten im Senat zum Hochverrat zu erklären und eine entsprechende Bestrafung zu fordern. Während der Anklage war 90
der Senat von Truppen umstellt. Das Urteil gegen Thrasea lautete auf die Todesstrafe, sein nicht minder überzeugungstreuer Schwiegersohn, Helvidius Priscus, mußte in Exil. Thrasea hat auf eine Verteidigung im Senat verzichtet und zog es vor, die Verkündung des ohnehin zu erwartenden Urteils zu Hause abzuwarten. Seinen Tod hat er ganz nach dem Vorbild des Sokrates stilisiert; sein letztes Gespräch führt er mit einem Philosophen über die Unsterblichkeit der Seele. Bemerkenswert konsequent ist das Fehlen jeder Äußerung gegen den Princeps. Thraseas Worte an den Quaestor, der das Todesurteil zu überbringen hatte, wurden sein politisches Vermächnis – eine Mahnung zur Festigkeit („constantia“), nicht aber zum aktiven Widerstand gegen den Tyrannen. Niemand im Senat hatte eine Möglichkeit gehabt, Thrasea zu helfen – dafür wurde er einer der „Märtyrer“ im Kampf gegen die Tyrannis, für Spätere durchaus auf einer Stufe mit Caesars Gegner Cato, über den er eine Biographie geschrieben hatte. Kritik an Nero konnte in den letzten Jahren seiner Herrschaft ganz unerwartete Formen annehmen. Einer von Neros Lehrmeistern des guten oder auch zweifelhafteren Geschmacks war lange Jahre C. Petronius gewesen. Im Privatleben ein Lebemann von höchstem Raffinement, war er gleichwohl ein kompetenter Konsul und Provinzverwalter. Die Feindschaft des Tigellinus richtete Petronius im Jahre 66 zugrunde; nachdem das Urteil unausweichlich geworden war, gab er sich den Tod in einer Parodie auf den Tod des Sokrates, indem er mit schwächerwerdenden Kräften nicht über letzte philosophische Fragen sprach, sondern so leichte Konversation trieb wie sonst auch. Sein letzter Gruß an Nero waren nicht Schmeicheleien im Testament, wie sie verschiedene Opfer Neros erfanden, um wenigstens einen Teil ihres Vermögens für die Nachkommen zu retten, sondern ein persönlicher Brief an den Princeps, in dem er alle von Nero geschätzten sexuellen Extravaganzen aufzählte. Das bedenkenlos harte Vorgehen gegen vermeintliche und tatsächliche Gegner in den Jahren 65 und 66 erklärt sich in erster Linie durch Neros zunehmende Unsicherheit und durch 91
Ratgeber wie Nymphidius und Tigellinus. Gleichzeitig dürften Nero und seine Berater auch an die schon längere Zeit geplante Griechenlandreise gedacht haben, an die sich möglicherweise auch ein Feldzug in den Kaukasus anschließen sollte. Ob nun geplant oder nicht, Nero hatte nach menschlichem Ermessen für die Zeit seiner Abwesenheit keinen Kritiker von Rang zurückgelassen; und die Hoffnung auf Kommandostellen trat bei vielen an die Stelle kritischer Überlegungen. Erst als zweifelsfrei feststand, daß die Prätorianer Nero im Stich gelassen hatten, gab es wieder eine Opposition in Rom.
X. Griechenlandfahrt Nero hielt den Sommer des Jahres 66 für bestens geeignet, um die Vorbereitungen für die längst geplante Griechenlandreise ernsthaft abzuschließen. Die Pisonische Verschwörung des Vorjahres war gescheitert; der unbequeme Thrasea Paetus war spätestens im Sommer 66 tot, und auch der letzte vermeintliche Rivale aus der Familie der Silani. Selbst der minderjährige Sohn seiner Frau Poppaea aus erster Ehe wurde beseitigt. Antonia, die Tochter des Claudius und damit eine gute politische Partie für ehrgeizige Gegner, hatte ebenfalls sterben müssen. Ein Umsturzversuch im Stile der Pisonischen Verschwörung war also bis auf weiteres nicht zu befürchten. Nach dem Besuch des Tiridates zu Beginn des Jahres 66 erfreute sich Nero einer gewissen Popularität; in Rom würde man sich an die Festlichkeiten der neuen Ostpolitik erinnern und Verständnis dafür haben, daß der Kaiser die Stellung Roms in der Welt noch weiter festigen wollte. Der begeisterte Empfang, auf den er im Osten rechnen konnte, würde oppositionelle Gedanken in seiner Umgebung, wenn überhaupt noch vorhanden, weiter schwächen. Vor einem Attentat konnte er sich im Kreis der Prätorianer sicher fühlen. Der Aufbruch im September des Jahres 66 war keine kurzfristige, geschweige denn spontane Entscheidung. Die Reise war 92
für mindestens zwei Jahre geplant; die überstürzte Rückkehr nach Rom Ende 61 läßt die Länge der geplanten Abwesenheit vom Zentrum der Macht leicht vergessen. Schon weit vor dem September 66 müssen die Direktiven des Hofs in den Osten geschickt worden sein. Es gab Baumaßnahmen in Olympia und in Korinth, Neros geplantem Hauptquartier in Griechenland. In Alexandreia wurden Thermen für den kaiserlichen Besuch gebaut, und die alexandrinische Münzprägung mit der Nennung der einschlägigen Reiseziele des Kaisers zeigt, wie sorgfältig die „Öffentlichkeitsarbeit“ für den Osten organisiert worden ist. Die politischen Geschäfte in seiner Abwesenheit würden die Freigelassenen Helius und Polyclitus führen, unterstützt von Nymphidius Sabinus. Hinter sich ließ Nero einen verängstigten, vieler wichtiger Persönlichkeiten beraubten Senat; Beobachter notierten, daß die Delegation des Senats keines zeremoniellen Abschiedskusses gewürdigt wurde. Die Senatoren in seiner Begleitung werden sich nicht alle freiwillig angeschlossen haben, doch nicht jeder der senatorischen Reisegefährten Neros war eine Geisel oder ein Schmeichler. Freiwillig hatte sich etwa der angesehene Cluvius Rufus angeschlossen, der jeder Illoyalität unverdächtig war und lieber Bücher über die Schauspielkunst verfaßte. Für die Sicherheit des Princeps sorgten Tigellinus und seine Prätorianer, für den Beifall eine Abordnung ausgewählter Claqueure, die sogenannten Augustiani. Seine neue Ehefrau Statilia Messalina, die er in den ersten Monaten des Jahres 66 geheiratet hatte, blieb überraschenderweise zu Hause. Das ganz persönliche Wohlergehen war die Sorge des skandalösen Eunuchen Sporus, der angeblich solche Ähnlichkeit hatte mit der geliebten Poppaea, fürsorglich überwacht von der sinistren und mit allen Absonderlichkeiten des Hofes vertrauten Calvia Crispinilla. Nero hatte die Griechen vorab wissen lassen, daß er auf allen einschlägigen Festspielen, die im unterschiedlichen Vierjahresrhythmus abgehalten wurden, als Wettbewerber aufzutreten gedenke. Der allerhöchste Wunsch führte zur Abänderung des 93
üblichen Festkalenders: Nero bekam so Gelegenheit, innerhalb eines Jahres an den Spielen in Olympia, Delphi, am Isthmus und- den Nemeen in Argos teilzunehmen. Es war sein ausdrücklicher Wille, als „Periodonikes“ heimzukehren, als Sieger bei allen vier großen Festspielen. Nach der Überfahrt kam Nero auf Korfu an und absolvierte einen ersten Auftritt. Dann reiste er demonstrativ nach Actium, zu Ehren des von Augustus verehrten Apollon und zum Zeugnis, daß er sich in seinen philhellenischen Bestrebungen nicht nur auf seinen Großvater Germanicus, sondern auch auf Augustus selbst berufen könne. In Korinth verbrachte er den Winter. Das Jahr 67 sah Nero als Teilnehmer an den großen Festspielen. Nicht nur der Festkalender wurde ihm zuliebe geändert, wie etwa in Olympia, sondern auch das seit undenklichen Zeiten feststehende Repertoire. Der Kaiser sollte die Gelegenheit erhalten, in allen von ihm gewünschten Disziplinen aufzutreten. Bei den Isthmischen Spielen in Korinth durfte er sich deshalb um den neu ausgeschriebenen Preis für Schauspieler bewerben, in Olympia wurde ebenfalls ein neuer Wettbewerb für Schauspieler und für Kitharöden ausgelobt. Der Kaiser scheint alle diese Wettbewerbe sehr ernst genommen zu haben. Die Haare hatte er sich ganz stilecht in den Nacken wachsen lassen. Ganz aufgeregt war er bei seinen Auftritten und fühlte sich wie ein Konkurrent unter vielen. Die Nervosität der Schiedsrichter, die wußten, was sie zu tun hatten, scheint Nero nicht bemerkt zu haben. Im Osten, der sich oftmals von „Italien“, vom „Westen“ vernachlässigt fühlte, waren mit solchen Auftritten durchaus Popularitätserfolge zu erzielen. Der Präfekt von Ägypten hielt es für angezeigt, Neros Erfolge auf Münzbildern zu propagieren. Beinahe hätte die Reise – und die Geschichte der Dynastie – ein unerwartetes Ende genommen. Nero hatte es sich nicht nehmen lassen, höchstpersönlich als Lenker eines Gespanns von zehn Pferden anzutreten: Es reichte ihm nicht, die Pferde in seinem Namen von einem professionellen Rennfahrer zügeln zu lassen, wie es etwa Tiberius noch als Thronfolger (also mit 94
Billigung des Augustus) und später Germanicus im Jahre 17 vorgezogen hatten. Mit knapper Not überstand er einen schweren Sturz, wiederbelebt durch die Freude über den ihm trotz seines Mißgeschicks zugesprochenen Siegespreis. 1808 Preise soll Nero ingesamt gewonnen haben; einige davon sind ihm wohl schon vorab nach Italien gesandt worden. Für die Preisrichter lohnte sich die freundliche Bewertung: Es gab dafür das sonst so sparsam verliehene römische Bürgerrecht und eine stattliche Summe Geldes. Auf die in Olympia und in Delphi gewonnenen Lorbeerkränze war Nero besonders stolz: Als er später in Rom als „Sieger“ einzog, hatte er den olympischen Lorbeer auf seinem Kopf und den delphischen in der rechten Hand. Seine Eitelkeit wurde immer skurriler – der Freigelassene Helius ließ in Rom den Senator Sulpicius Camerinus hinrichten, weil er nicht auf den in der Familie traditionellen Beinamen „Pythicus“ verzichten wollte, der jetzt allein Nero als Sieger bei den delphischen Spielen zustehen sollte. Falls es neben den zufriedenen Schiedsrichtern noch mehr Griechen gab, die sich geldwerte Vorteile vom Besuch des Kaisers versprochen hatten, so wurden sie gelegentlich enttäuscht. Nero nahm die Festspiele ernst, er nahm aber auch die üblichen Sieges-Preise ernst: Ungerührt nahm er die ihm offerierten Preisgelder auch tatsächlich an, und als Kenner ließ er es sich auch nicht nehmen, auf seiner Rundreise die schönsten Kunstwerke der kaiserlichen Sammlung einzuverleiben. Die erhaltenen Quellen konzentrieren sich zwar auf die Extravaganzen des kaiserlichen Auftretens, aber es ist nicht auszuschließen, daß Nero sich vorgenommen hatte, etwas im Sinne seiner Förderung des Griechentums im Imperium Romanum zu bewirken. Schon den ersten Berichterstattern fiel auf, daß der Philhellene Nero ausgerechnet Athen und Sparta nicht besucht hat. Vielleicht haben ihn die Korinther in ihrer lokalen Eifersucht auf Athen und Sparta so mit Schmeicheleien und Festen überschüttet, daß er schließlich nur noch Korinth von den „großen“ Städten mit seiner Gegenwart ehren wollte. Es ist aber auch denkbar, daß hinter der offensichtlichen Bevorzugung Korinths das Konzept eines „römischen“, im Unterschied 95
zum „klassischen“ Griechenland steht: als wirklicher Teil des Imperiums, nicht bloß als Provinz. Nero wußte durchaus, wie er seine Popularität in Griechenland über den Theater-Beifall hinaus nachhaltig steigern konnte. Im November 67, also nach seiner so erfolgreichen Rundreise durch die Festspiel-Stätten, inszenierte er mit großem Gepränge die „Befreiung Griechenlands“ von Steuerbelastung und römischer Rechtsprechung. In einer kleinen Stadt Boiotiens hat sich auf einer Inschrift der Wortlaut von Neros Ansprache an die im Theater von Korinth versammelten Griechen erhalten (in Olympia hatte er gerade den ersten Preis als Herold gewonnen) – ein wichtiges Zeugnis auch für die überschwengliche Redeweise Neros in den letzten Monaten seines Lebens. Damals war er wohl zunehmend von seiner eigenen unvergleichlichen Bedeutung und von den ihm zukommenden göttlichen Schutz überzeugt; die pausenlosen griechischen Schmeicheleien bestärkten ihn noch in dieser Steigerung seiner Selbstwahrnehmung: „,Der Imperator Caesar verkündet: In dem Wunsch, das mir erwiesene Wohlwollen und die Verehrung des edelsten Hellas zu vergelten, befehle ich, daß so viele Einwohner der Provinz wie möglich sich am 28. November in Korinth einzufinden haben‘. Als die Menge in der Versammlungsstätte zusammengekommen war, sprach der Kaiser die folgenden hier niedergeschriebenen Worte: ,Ein unerwartetes Geschenk gebe ich Euch, Ihr Männer aus Griechenland (falls überhaupt etwas von einem Manne so hohen Sinnes, wie ich es bin, unverhofft sein kann), ein so großes Geschenk, das von mir zu fordern Euch nicht eingefallen wäre. Nehmt Ihr alle, die Ihr Achaia und das bis jetzt Peloponnes genannte Land bewohnt, die Freiheit entgegen und die Steuerfreiheit, eine Gabe, die Ihr nicht einmal in den glücklichsten Abschnitten Eurer Geschichte alle besessen habt, denn entweder ward Ihr anderen oder Euch einander Untertan. Ich wünschte, dieses Geschenk zur Blütezeit von 96
Hellas geben zu können, damit sich dieser Gunst mehr Menschen erfreuen könnten, und deswegen tadle ich den Lauf der Zeit, daß er mich um die Größe meiner Gabe gebracht hat. Aber jetzt tue ich Euch wohl nicht aus Mitleid, sondern aus Wohlwollen, und ich danke damit Euren Göttern, deren Fürsorge für mich zu Wasser und zu Lande ich immer gespürt habe und die mir Gelegenheit gegeben haben, Euch eine solche Wohltat zu erweisen. Städte nämlich haben auch andere Herrscher befreit, allein Nero aber hat eine ganze Provinz befreit.’“ (Dessau, ILS 8794). Die „Freiheit Griechenlands“ war eine seit zweihundert Jahren mit wechselndem Erfolg im Kampf um die öffentliche Meinung der Griechen eingesetzte Floskel, die niemals von der nostalgischen Erinnerung an die großen Epochen ihrer Vergangenheit lassen wollte. Ein passendes Beispiel ist der Name des thebanischen Honoratioren, der in der boiotischen Kleinstadt zuständig war für die dann erwartete schwülstige Dankadresse an den fernen Nero – er führt keinen geringeren Namen als den des Epameinondas, des größten Staatsmanns von Theben im 4. Jh. v. Chr. Achaia erhielt also die Freiheit, und es war beabsichtigt, die Peloponnes so bald wie möglich nach dem Princeps zu benennen – so erklärt sich Neros auf den ersten Blick verwirrende Einschränkung „bis jetzt“ bei der Erwähnung des Namens der Peloponnes. Lange hat das Geschenk der Freiheit an die Griechen nicht vorgehalten; Vespasian nahm lokale Unruhen zum Anlaß, die Befreiung Griechenlands zurückzunehmen. Als Akt des „Philhellenismus“ hinterließ Neros Befreiung aber einen überraschend tiefen Eindruck in der griechischen Öffentlichkeit; selbst die Ausplünderung der Kunstsammlungen zugunsten der kaiserlichen Haushaltung rückte dadurch in den Hintergrund. Spätere griechische Autoren wie Plutarch und Pausanias führen die Befreiung Griechenlands an, um Nero, wie sie meinen, ein wenig Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Nero beließ es nicht bei dieser Inszenierung der griechischen Freiheit, die nicht viel kostete, da die Abgaben der Provinz 97
Achaia unerheblich waren. Sein Interesse an waghalsigen Wasserbauprojekten, das für Italien im Zusammenhang mit der Verbesserung der Lebensmittelversorgung gut bezeugt ist, hatte ihn für den Plan beflügelt, Griechenland mit der Durchstechung des Isthmus von Korinth zu beglücken. Dieses Unternehmen war für Griechenland eines der großen, seit Jahrhunderten von wagemutigen Planern immer wieder ins Auge gefaßten Verkehrs- und handelspolitischen Projekte zur Vermeidung der schwierigen Umschiffung der Peloponnes. Demetrios Poliorketes hatte davon im 3. Jh. v. Chr. gesprochen, Caesar hatte den Auftrag gegeben (ohne daß über den Plan gespottet worden ist), Caligula hatte es ihm gleichtun wollen. Jetzt hatte Nero die Absicht, sich auf solche Weise um die Griechen und den Handel verdient zu machen. Die Arbeiten wurden im Jahre 67 begonnen, nach der „Befreiung“ Griechenlands; mit einem goldenen Spaten, den er aus den Händen des nicht mehr amtierenden Procurators empfangen hatte, hob Nero die erste Erde aus. Nicht die musischen Griechen, sondern 6000 kriegsgefangene Juden, schon von Vespasian, dem neuen Kommandeur in Iudaea, in Marsch gesetzt, mußten die Arbeit leisten. Vielleicht wurden sogar Prätorianer an die Spaten befohlen, die sich aber in diesem Falle nicht besonders geehrt gefühlt haben dürften. Etwa ein Fünftel der insgesamt zu bewältigenden Strecke von sechs Kilometern ist ausgehoben worden; Vespasian und die späteren Kaiser hielten den Aufwand angesichts der bautechnischen Schwierigkeiten nicht mehr für verhältnismäßig. Erst im Jahre 1897 ist die Durchstechung des Isthmus realisiert worden. Bei allen diesen Ablenkungen hatte Nero Zeit, sich um seine Sicherheit zu kümmern, und er war immer noch von genügend Leuten umgeben, deren eigenes Wohlergehen von Neros Überleben abhängig war. In Rom sorgte der Stellvertreter Helius mit einschüchternden Verhaftungen und Hinrichtungen Unschuldiger für Ruhe. Im Senat sah Nero damals wohl nur noch ein Hindernis. Bei seinem ersten Spatenstich für den Isthmus hatte er bei seinen Glück- und Segenswünschen von sich und dem 98
römischen Volk gesprochen, nicht mehr, wie eigentlich üblich, vom Senat. Meldungen von einer Verschwörung des Vinicianus, eines Schwiegersohns des seit Jahren im Osten kommandierenden Corbulo, haben Nero veranlaßt, den Feldherrn auf das Schmeichelhafteste nach Korinth einzuladen. Es ist bezeichnend, daß diese Komplimente von Corbulo für bare Münze genommen wurden und er auf einen ehrenvollen Empfang, vielleicht sogar auf eine weitere Beförderung hoffte. Erst als ihm nach seiner Ankunft im Hafen von Korinth der Zutritt zum Kaiser verwehrt wurde, erkannte Corbulo seine ausweglose Lage. Auf Hilfe konnte er offensichtlich nicht rechnen; was ihm als letzte Vergünstigung blieb, vor einer offiziellen Anklage und der dann unabwendbaren Konfiszierung des Familienvermögens, war der Freitod. Nero verließ sich damals lieber auf Kommandeure wie Vespasian, dessen vergleichsweise niedrige Herkunft jeden höheren politischen Ehrgeiz ausschließen mußte. Es ist ein Zeichen für die damals fast nicht zu erschütternde Macht eines Princeps aus der Familie des Augustus, wie Nero mit Corbulo und auch den Kommandeuren der Rheinarmee umgehen konnte, den Brüdern Scribonius. Beide, aus unbekannten Gründen bei Nero denunziert, machten sich auf die lange Reise vom Rhein bis nach Korinth, wo sie sich rechtfertigen wollten. Es erging ihnen nicht anders als Corbulo. Diese und andere Vorgänge – vielleicht der Ausfall von Getreideschiffen und von Soldzahlungen – scheinen die Lage in Rom destabilisiert zu haben. Helius rief nachgerade um Hilfe, und als alle seine Depeschen nichts nutzten, machte er sich selbst, mitten im Winter, auf die Reise, trotz der für die Schifffahrt ganz ungünstigen Witterung. Helius’ Ankunft in Griechenland war unerwünscht, denn Nero verfolgte gerade damals große, beinahe phantastische Pläne, die heute nur noch in Umrissen zu erkennen sind. Er hatte die Absicht, sich nach Abschluß seiner PeriodonikenReise militärischen Unternehmungen zu widmen, um auf diese Weise das ihm immer noch fehlende soldatische Prestige zu 99
gewinnen. Die Quellen berichten über die Vorbereitung eines Feldzuges an der Nordostgrenze des Reiches, im Gebiet des Kaukasos oder des Schwarzen Meeres. Nachrichten über die gleichzeitige Planung eines Feldzuges nach Äthiopien sind ebenfalls erhalten, doch ist nicht klar, wie sich die beiden Unternehmen zeitlich zueinander verbinden sollten; ein Aufenthalt Neros in Alexandreia war ja ohnehin angekündigt. Eine Abteilung von Prätorianern hatte vorab den Befehl erhalten, die Marschroute nach Äthiopien zu erkunden; die Stärke der römischen Truppen in Ägypten war im Jahre 66 bereits um 2000 Mann erhöht worden. Auch Hilfstruppen, darunter germanische Reiter, waren nach Ägypten in Marsch gesetzt worden. Das militärische Ziel einer solchen Unternehmung ist schwer zu beurteilen – auf jeden Fall hätte Nero von einem ausgesprochen exotischen, weitgehend unbekannten Kriegsschauplatz berichten können, den nicht einmal Alexander der Große betreten hatte. Realitätsnäher sind die Nachrichten über Planungen für einen Feldzug im Bereich der Nordost-Grenze des Reiches. Tacitus spricht ausdrücklich von einem Krieg, den Nero gegen die, wie es im überlieferten Text heißt, Albaner („Albani“) geplant habe, ein Volk am Kaspischen Meer, gegen das schon vor mehr als hundert Jahren Pompeius Krieg geführt hatte. Viel spricht dafür, daß Tacitus, wie Mommsen vermutet hat, die Alanen („Alani“) gemeint hat, ein Volk im Gebiet des heutigen Georgien, nördlich von Tiflis. In diesem Falle wäre es um die Sicherung der Nordküste des Schwarzen Meeres und der angrenzenden Gebiete gegangen, die seit einigen Jahren unter Invasionen hungriger Barbarenstämme zu leiden hatten. Die Alexander-Nachahmung – Nero war jetzt erst 31 Jahre alt und trotz aller Ausschweifungen, wie erstaunte Beobachter zu berichten wußten, kerngesund – dürfte dabei auch eine Rolle gespielt haben; in Italien hatte er eine neue Legion von „Langen Kerls“ ausheben lassen, die eine für Legionäre ungewöhnliche Größe von ca. 1,80 m haben mußten. Zur ernsthaften Erprobung von Neros militärischen Fähigkeiten bei diesen Feldzügen ist es nicht mehr gekommen – 100
Spätes Portrait Neros (München, Glyptothek 321).
sicher hätte er die Erfahrung Corbulos bald schmerzlich vermißt. Helius’ Bericht über die Lage in Rom ließ Nero keine andere Wahl, als seine Reise abzubrechen und zurückzukehren; im Dezember 67 oder wenig später betrat er wieder den Boden Italiens. Der gut inszenierten Rückkehr des Siegers merkte man nicht an, daß sie früher als beabsichtigt war. Nero hatte offensichtlich keine Eile. Der Periodonike reiste, trotz der KatastrophenMeldungen des Helius, nicht sofort nach Rom, sondern ließ sich in Neapel feiern, der Stadt seines ersten eigenen künstlerischen Auftritts. Im Stil der Festspiel-Sieger alter Zeit betrat er die Stadt auf einem von weißen Pferden gezogenen Wagen durch eine Schneise, die in die Stadtmauer geschlagen worden war. So umständlich betrat er auch Antium, Alba und schließlich Rom – offenbar ungehindert von den Unruhen, die ihm Helius gemeldet hatte. Einen ungewöhnlichen „philhellenischen“ Akzent setzte Nero dadurch, daß er auf Augustus’ 101
Triumphwagen in Rom einzog. Er stellte sich damit dar wie ein Triumphator aus dem Reich der Musen. Er trug dabei die durch einige Extravaganzen verfremdete Kleidung eines echten – militärischen – Triumphators, aber auf den Tafeln, die während des Zuges getragen wurden, standen nicht, wie in alter Zeit, die Namen bezwungener Völker und Städte, sondern die Namen derer, die er im Künstlerwettstreit besiegt hatte, und eine Auflistung seines Repertoires. Nicht nur Senatoren und Ritter zogen pflichtgemäß mit; dem Wagen des Siegers folgten die Claqueure der Griechenlandfahrt anstelle der kampferprobten Soldaten, die sonst dem Wagen eines Triumphators folgten. Der Historiker Cassius Dio zitiert die Sprechchöre, die den Sieger erfreuen sollten: „Heil dir, Olympiasieger, heil pythischer Sieger! Augustus! Augustus! Heil Nero, unserem Hercules! Heil Nero, unserem Apollo! Der einzige Sieger der Großen Tour! Der einzig Eine vom Beginn der Zeit! Augustus! Augustus! Göttliche Stimme! Selig die sie hören dürfen!“ (Cassius Dio 63,20). Ziel des üblichen Triumphzuges war der Tempel des Jupiter auf dem Capitol; Nero zog auf einer anderen Route zum Tempel des Apollon auf dem Palatin und dankte seinem Schutzherrn. Das alles stand in eigenartigem Kontrast zu den geplanten Feldzügen im Süden und im Nordosten, über die doch damals auch gesprochen worden sein muß. Am Abend ließ er die vielen Preise und Standbilder, die ihn bei der Ausübung seiner Kunst zeigten, in seinem Schlafzimmer aufbauen. Dem „Triumphzug“ folgten weitere Festlichkeiten und Auftritte, bei denen der Kaiser sich angeblich auch einmal besiegen ließ, um der Ehrlichkeit seiner griechischen Siege mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Lange hat Nero es in Rom nicht ausgehalten, zumal er – nach solchen Sprechchören – offenbar keine Furcht mehr vor Unruhen hatte. Schon kurze Zeit nach diesen Festlichkeiten zog er wieder nach Neapel, zur Pflege seiner Kunst.
102
XI. Das Ende der Dynastie Nero hatte im Jahre 68 erreicht, daß niemand mehr am Leben war, der direkt oder indirekt seine Herkunft auf Augustus zurückführen konnte: Nach allen Erfahrungen der letzten Jahre stand ihm jetzt niemand mehr im Wege. Wenn er sich deshalb sicher fühlte, so war das keineswegs wirklichkeitsfremd. Tacitus, der die Vorgänge am Ende von Neros Herrschaft genau studiert hat, betont, Neros Sturz gehe weniger auf die Macht seiner Gegner als vielmehr auf seine eigenen Fehler zurück. Die ersten Meldungen von einem Aufstand im Westen erreichten Nero in Neapel angeblich am Todestag seiner Mutter, also am 20. oder 21. März (die Römer liebten es, auf solche Zufälle zu achten). Wer erwartet hatte, Nero würde in Panik geraten, sah sich getäuscht. Er ließ sich so wenig in seiner Ruhe stören, daß manche es für möglich hielten, Nero wolle die Meldungen zum Anlaß nehmen, die westlichen Provinzen noch mehr als bisher auszuplündern. Mit besonderer Aufmerksamkeit widmete er sich den Kämpfen der Athleten, bei denen er sich gelegentlich wie ein kundiger Schiedsrichter und Trainer aufführte. Die immer neuen Boten mit schlechten Nachrichten aus Gallien bekamen seinen Zorn zu spüren. Wenn die Nachricht glaubwürdig ist, daß er acht Tage lang keine Depesche aus dem Westen beantwortet haben soll, wird deutlich, daß Nero von dem Wahn erfaßt war, seine Beliebtheit, die er in den vergangenen Monaten im Osten genossen hatte, habe ihn unangreifbar gemacht. Sein „Künstlertum“ nahm zunehmend abstruse Formen an. In den letzten Wochen seiner Herrschaft war es sein wichtigstes Problem, seine Stimme für künftige Auftritte zu schonen. Wichtige Ansprachen, selbst Appelle oder Tagesbefehle an die Prätorianer ließ er deshalb von anderen geben; wenn eine persönliche Äußerung wirklich unumgänglich war, stand sein Stimmlehrer neben ihm, dessen Aufgabe es war, ihn vor einer Überanstrengung seiner Stimme zu bewahren. 103
Corbulo hatte sich im Jahr zuvor widerstandslos in sein Schicksal ergeben. Wenn Nero in den ersten Meldungen vom Abfall des C. Iulius Vindex, des Statthalters der Provinz Gallia Lugdunensis, zunächst nur den willkommenen Anlaß für eine strafweise Plünderung Galliens sehen wollte, so ist das fast begreiflich. Vindex gehörte nicht der römischen Aristokratie an, er war der Nachkomme einer vornehmen Keltenfamilie Aquitaniens. Seine Gefolgschaft, auf die er bei der Planung seiner Rebellion gegen die Ausbeutung Galliens durch die neronischen Steuerforderungen setzen konnte, erklärt sich nicht nur durch seinen Rang als römischer Senator, sondern auch mit seiner Herkunft aus der alten Führungsschicht Aquitaniens. Wenn ihn spätere Berichterstatter gelegentlich zum keltischen „Nationalisten“ gegen Rom gemacht haben, so entspricht dies jedenfalls nicht seiner Münzprägung, in der er zur Befreiung der ganzen römischen Welt von der Herrschaft des Tyrannen aufruft. Vindex war aber nicht der Mann, der die Kommandeure der Rheinarmee veranlassen konnte, die Angst um ihr Leben zu vergessen und sich an einer Revolte zu beteiligen – trotz allem, was Nero sich bisher erlaubt hatte. Die meisten, die Informationen von Vindex’ Plänen erhielten, meldeten dies beflissen weiter nach Rom. Der Statthalter in Spanien war P. Sulpicius Galba, ein alter Herr von 73 Jahren und von republikanischem Adel. Manche sagten ihm gut verhüllten Ehrgeiz nach – einem Heiratsantrag Agrippinas im Jahre 41 hatte er sich freilich entzogen; seit dem Jahre 60 war er in einer der spanischen Provinzen (Hispania Tarraconensis) ein korrekter Statthalter und ganz vorsichtig auf ein möglichst langes Leben bedacht. Wenn er reiste, führte er einen Wagen mit Goldmünzen mit sich, für alle Fälle. Von den Statthaltern des Jahres 68 war er der einzige, vor dem sich Nero im Blick auf seine Herkunft wirklich zu fürchten hatte, selbst wenn er nicht mit Augustus verwandt war, sondern nur darauf verweisen konnte, schon die Förderung von Livia, der Frau des Augustus, genossen zu haben. Er hat offenbar zu den wenigen gehört, die Nero nicht sofort von den Unruhen im Westen berichtet haben, und so erklärt sich die Nachricht, daß 104
Nero im März oder wenig später den Auftrag erteilte, Galba umzubringen. Vindex hat Galba nicht nur, wie die anderen Statthalter, um Unterstützung gebeten, sondern ihn aufgrund seines unbestrittenen Ansehens auch aufgefordert, die Führung der Revolte zu übernehmen und sich zum Nachfolger Neros zu erklären. Galba hat sich darauf erst eingelassen, als ihm durch einen mißlungenen Anschlag auf sein Leben klargeworden war, daß er ohnehin schon bei Nero kompromittiert war. Die Unterstützung zweier anderer Amtsträger im Westen, des Statthalters von Lusitanien, Otho, und des Quaestors in der Provinz Hispania Baetica, A. Caecina Alienus, veranlaßte ihn – immer mit Vorbehalt – zu stärkerer Aktivität. Eine Erklärung gegen Nero am 2. April 68 war noch vorsichtig. Auf dem Marktplatz von Neukarthago, umgeben von Bildern der Opfer Neros und begleitet von einem jungen Mann, der auf den Balearen sein Exil hatte fristen müssen, beklagte er ganz allgemein die schlimme Gegenwart und verließ sich offenbar vor allem auf die Sprache der Bilder. Die arrangierten Hochrufe auf den Imperator ließen zwar nicht lange auf sich warten, doch wollte er sich auch dann noch nicht auf die Annahme der Nachfolge Neros einlassen. Lieber ließ er sich „Legat des Senats und des römischen Volkes“ nennen. Die gleichzeitig beginnende Aushebung von Truppen machte aber dennoch deutlich, daß er es ernst meinte. Galba, der acht Jahre lang alles vermieden hatte, was das Mißtrauen Neros hätte wecken können, war wie vernichtet, als im Mai die Meldung eintraf, daß Verginius Rufus, der Statthalter von Obergermanien, die Truppen des Vindex bei Besançon (Vesontio) geschlagen hatte. Die unmittelbare Vorgeschichte dieser Schlacht ist nicht klar. Verginius dürfte nicht zu den Bewunderern des Princeps gehört haben, doch ist er auch nicht bei der ersten sich bietenden Gelegenheit von Nero abgefallen. Viel spricht dafür, daß Verginius Rufus damals noch loyal war. Später, als er unter den Flaviern hohes Ansehen genoß, wurde gnädig ein Mantel der Schweigens über seine unerwartet lange Loyalität zu Nero gebreitet. 105
Der Kampf zwischen den Legionssoldaten aus Obergermanien und Vindex’ überwiegend keltisch geprägten Truppen vor Vesontio muß aber auch nicht auf einen klaren Befehl von Verginius zurückgehen, sondern könnte sich durch die Undiszipliniertheit und Beutelust der Truppen des Vindex entwickelt haben, die sich den immer noch loyalen Truppen des Verginius überlegen fühlen wollten. Sollten Verginius und Vindex tatsächlich über eine gemeinsame Fortführung des Kampfes gegen Nero miteinander verhandelt haben, so konnten sie sich jedenfalls nicht auf ihre Truppen verlassen. Den Legionären war die Beute wichtiger als der Kampf der hohen Herren gegen den fernen Nero. Als Vindex nach der Niederlage den Freitod gesucht hatte, lehnte Verginius den ihm angebotenen Imperator-Titel vernünftigerweise ab – ein Statthalter ritterlicher Herkunft aus Oberitalien war denkbar ungeeignet als Bewerber um die höchste Macht. Galbas Verzweiflung über die Nachricht von Vesontio läßt erkennen, für wie stark er Neros Position immer noch hielt. In Oberitalien standen die Konsulare Rubrius Gallus und Petronius Turpilianus, der sich schon während der Pisonischen Verschwörung als unbedingt zuverlässig erwiesen hatte. Weitere Truppen aus Illyricum hatten Marschbefehle erhalten und nicht gemeutert. Hätte Nero nur den Mut besessen, sich z.B. sofort zu den Truppen nach Oberitalien zu begeben und die Initiative zu ergreifen, wäre vermutlich alles anders verlaufen. Nero hat seine Chancen nicht genutzt; er versagte, wie immer, wenn er in Bedrängnis geriet und keine Berater von der Kompetenz eines Burrus oder Seneca hatte. Die Nachricht von Vindex’ Abfall hatte Nero in Neapel entgegengenommen. Ein ganze Woche lang versuchte er, die Rebellion einfach totzuschweigen. Aber Vindex wußte, wie auch er die Öffentlichkeit Italiens und Roms erreichen konnte. Aus dem Westen kamen scharf formulierte Flugschriften, die Nero in seiner Eitelkeit trafen: Vindex nannte den Princeps, ganz im Sinne der senatorischen Kritiker, einen schlechten Zitherspieler, 106
und redete Nero – wie früher Britannicus – mit seinem ursprünglichen Namen Ahenobarbus an. Der Spott über seine Kunst traf Nero heftiger als jede militärische Bedrohung seiner Herrschaft. Er, der in den letzten Monaten jeden ernsthaften Kontakt mit dem Senat abgelehnt hatte, schrieb jetzt in verletztem Stolz an die Senatoren und forderte sie auf, Vindex für seine Beschimpfungen zu bestrafen. Immer wieder ließ er sich von seiner Umgebung bestätigen, daß Vindex seine künstlerische Begabung völlig zu Unrecht in den Schmutz ziehe. In diesen Wochen der Entscheidung zeigte es sich, daß Nero mehr und mehr die Nerven verlor; der 31jährige Princeps schwankte hilflos zwischen Depression und Wunschdenken. Wenn einmal unerwartet gute Nachrichten eintrafen, war er gerade noch in der Lage, Spottgedichte auf die Führer des Aufstands zu drechseln und mit zweideutigen Handbewegungen zu begleiten. Es gab niemanden mehr, der willens war, ihm guten Rat zu geben: Als Tröster in der Not werden nur einmal seine Ammen genannt, die ihn schließlich auch begraben haben. Über Nymphidius Sabinus, den einen der beiden Prätorianerpräfekten, ist aus diesen Wochen nur bekannt, daß er Nero rechtzeitig verraten hat. Tigellinus, Neros böser Geist in den vergangenen Jahren, fehlte aus Krankheitsgründen, und die energische Poppaea war tot. Selbst die etruskische Kunst der Eingeweideschau, der sich der Herrscher jetzt in seiner Verzweiflung zugewandt hatte, vermochte ihn nicht mit günstigen Ergebnissen zu beruhigen. Wer am Hof die Flugschriften des Vindex gelesen hatte, mußte einsehen, daß der Princeps in dieser Krise tatsächlich eher ein schlechter Zitherspieler als ein würdiger Inhaber des höchsten Amtes war. Hochgestellte, offenbar noch loyale Senatoren wurden zu einer Beratung über Gegenmaßnahmen einbestellt, mußten sich aber nach flüchtiger Lagebesprechung Vorführungen einer neuen Wasserorgel anhören. Aus diesen Tagen stammt wohl Neros öffentliches Gelübde, nach dem Sieg über seine Widersacher nicht nur als Kitharöde aufzutreten wie sonst auch schon, sondern zusätzlich als Wasserorgel-Virtuose 107
und Flötenspieler, als Sackbläser und zu guter letzt als Balletttänzer – womit er bereit gewesen wäre, in der Öffentlichkeit sogar den sozial am wenigstens geachteten Part eines Tänzers und Pantomimen zu übernehmen. Mindestens gut erfunden ist die von ihm überlieferte Bemerkung, daß er, wenn alles mißlinge, wenigstens von seiner Kunst würde leben können. Vielleicht sollten ja selbst solche Äußerungen zur demonstrativen Mißachtung von Vindex’ Aufstand gehören; die Meldung von Galbas Abfall, die spätestens Mitte April in Rom eintraf, zeigte dann aber doch, daß die Lage wirklich außer Kontrolle geriet. Galba war ein ernsthafter Konkurrent, trotz, oder gerade wegen, seines hohen Alters. Neros alter Freund Otho, den er vor vielen Jahren nach Lusitanien geschickt hatte, um seine Liebe zu Poppaea nicht weiter stören zu lassen, machte sich schon Hoffnungen auf eine Adoption durch den kinderlosen alten Herrn, der sich anschickte, Neros Nachfolger zu werden. Die Nachrichten über die letzten Wochen sind zum Teil so grell, daß Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit erlaubt sind. In Oberitalien standen loyale Truppen, weitere Truppen befanden sich auf dem Marsch dorthin. Nero soll sich am Ende doch entschlossen haben, den Aufständischen entgegenzuziehen, doch lesen sich die entsprechenden Notizen bei Sueton eher als Produkte einer blühenden Phantasie. Sollte sich Nero wirklich nur um seine musikalische Ausrüstung, um die Transportmöglichkeiten für die Damen seines Hofes und um die weitgehend naturgetreue Kostümierung eines Amazonenkorps gekümmert haben? Realistischer erscheint die Nachricht, daß in den letzten Tagen Aushebungen in Rom selbst befohlen wurden, in früheren Krisenzeiten immer ein Zeichen allerhöchster Not. Offensichtlich war die Lage schon so schlecht, daß sich die in Frage kommenden Rekruten diesen Befehlen entziehen konnten. Ein Eingeständnis der drohenden Katastrophe war dann auch der Versuch, geeignete Sklaven zu mustern. Authentisch ist wohl auch, daß Nero eine Abgabe in Gold- und Silbermünzen befohlen habe, mit der zusätzlichen Vorschrift, daß nur stempelfri108
sehe Münzen abgeliefert werden dürften. Der Wert gebrauchter und neuer Münzen war grundsätzlich gleich – wollte der Künstler nur „schöne“ Münzen sehen? Der Princeps wurde zunehmend im Stich gelassen. Das Verhalten der beiden Prätorianerpräfekten in seiner Umgebung macht die Isolation deutlich. Von Ofonius Tigellinus’ Position ist kein Wort überliefert; vermutlich war er krank. Von Nymphidius Sabinus ist gewiß, daß er in diesen Wochen nur an seine eigene Zukunft dachte. Er hatte Neros versagende Führungskraft aus nächster Nähe miterlebt und verhielt sich entsprechend. Claudius’ vom Senat später anerkannte Ernennung durch die Prätorianer im Jahre 41 hatte gezeigt, welche Rolle der geschickte Einsatz der Prätorianersoldaten im Kampf um die Macht spielen konnte. In den letzten Wochen seiner Herrschaft hat sich Nero noch auf eine ganz besondere Attraktion vorbereitet: In der Rolle des Herkules wollte er als Löwenbändiger auftreten. Schon wurde ein Tier abgerichtet, das dem Versuch des Princeps, es zu erwürgen, keinen Widerstand leisten würde. Die wirklichen Gegner verhielten sich anders. Die Nachricht vom Selbstmord des Vindex und Verginius’ Zurückhaltung hat Nero vermutlich nicht mehr erreicht, denn Anfang Juni hielt er seine Position für aussichtslos. Am 9. Juni erklärte der Senat Galba zum Princeps und verurteilte Nero zum Tode. Die militärische Macht in Rom lag damals in den Händen des Nymphidius Sabinus. Er verhandelte mit dem Senat über die Loyalität der Prätorianertruppen. Gleichzeitig erklärte er seinen Kollegen Tigellinus zum Hauptschuldigen an den Exzessen der letzten Jahre und ließ es zu, daß einige der besonders verhaßten Freigelassenen des Hofes unter Anklage gestellt wurden. Nymphidius selbst war wohl immer noch nicht vom Erfolg Galbas völlig überzeugt, denn in diesen Junitagen sprach er beziehungsreich davon, ein illegitimer Sohn Caligulas zu sein. In der Nacht, als Nero vergeblich um militärische Begleitung für seine Flucht bat, verkündete Nymphidius im Prätorianerlager die angeblichen Fluchtpläne des Princeps; die Senatoren in 109
der Begleitung des Präfekten machten noch dem zögerlichsten Offizier deutlich, daß der Princeps jetzt alle Möglichkeiten verspielt hatte. Wem von den Soldaten selbst das völlige Versagen Neros in den letzten Wochen nicht ausreichend schien, um den Eid auf den Imperator und sein Haus zu vergessen, dem wurde der Herrscherwechsel erträglich durch das enorme Geldgeschenk, das Nymphidius im Namen des Princeps Galba in Aussicht stellte: zehn Jahresgehälter (Nero hatte zu Beginn seiner Herrschaft die Hälfte gezahlt). Suetons Bericht über Neros letzte Stunden sind bemerkenswert detailliert, ohne daß sie im einzelnen überprüft werden können; der überaus sorgfältige Biograph scheint aber keinerlei Zweifel an der Zuverlässigkeit der ihm vorliegenden Quellen gehabt zu haben. In der Nacht, als Nymphidius im Prätorianerlager auftrat und neue Meldungen vom Abfall der Truppen eintrafen, hat Nero sich endgültig zur Flucht entschlossen. Vielleicht wollte er Galba um Gnade bitten, vielleicht wollte er zu den Parthern. Die Räume des Palastes leerten sich; nur noch einige Freigelassene und die treue Locusta waren bei ihm, von der er ein Gefäß mit Gift für alle Fälle erhielt. Seine Befehle wurden immer unwilliger ausgeführt. „Ist es denn so schwer, zu sterben?“, soll ihm zugerufen worden sein. Später fand man den Entwurf einer Rede, mit der sich Nero an das Volk von Rom wenden wollte: Um Vergebung für die Verbrechen der Vergangenheit wollte er bitten oder darum, ihm die Präfektur von Ägypten zu überlassen – so dachte er bis zuletzt an seine Reise nach Alexandreia. Die Furcht, auf dem Wege zum Forum erschlagen zu werden, ließ ihn zögern; er verschob die Rede auf den nächsten Tag. Um Mitternacht wurde ihm gemeldet, daß die diensttuende Prätorianereinheit vom Palast abgezogen sei – wenigstens hatte sich kein Prätorianer gefunden, das Todesurteil zu vollstrecken. Nero war jetzt fast allein in seinem Palast. Er klopfte vergeblich an den Zimmertüren derer, die sich bisher glücklich geschätzt hatten, in unmittelbarer Nähe des Kaisers wohnen zu dürfen. Als er in sein eigenes Zimmer zurückkehrte, hatten 110
auch seine Kammerdiener die Flucht ergriffen, nicht ohne die kostbaren Bettdecken und sogar Locustas Giftdöschen mitzunehmen. Auch die Gladiatoren des Palastes, die sich wohl für Aufträge besonderer Art bereitzuhalten hatten, waren verschwunden: Selbst der bewährte Leibwächter Spiculus, ein ehemaliger Gladiator, war nicht mehr da, von dem Nero sich den Tod geben lassen wollte. „Habe ich denn weder Freund noch Feind?“, soll Nero ausgerufen haben. Nur sehr wenige haben ihn nicht im Stich gelassen. Der Freigelassene Phaon, in den vergangenen Jahren zuständig für die Finanzen des Reiches, bot ihm ein Versteck in seiner Villa in der Nähe von Rom an. Mit vier Begleitern, darunter auch Sporus, machte sich Nero auf den Weg. Stimmen drangen an sein Ohr, als die Gruppe die Straßen passierte: „Die verfolgen Nero!“ und: „Gibt es in der Stadt etwas Neues über Nero?“ Als Neros Pferd scheute und er in der Aufregung sein Gesicht nicht mehr verhüllte, erkannte ihn ein Prätorianer Veteran und grüßte militärisch. Mit Mühe erreichte Nero das Landgut. Phaon hatte Wert auf die unerkannte Ankunft des Flüchtlings gelegt und ließ ihm zunächst ein unterirdisches Versteck anweisen. Nero lehnte das ab: Er wollte nicht schon lebendigen Leibes unter die Erde gehen. Das angebotene verschimmelte Brot nahm er nicht an, stillte aber doch den großen Durst. Wehleidig verglich er das Pfützenwasser, das sich ihm zuerst anbot, mit dem aus Schnee zubereiteten Luxus-Getränk, das ihn bei Hofe erfreut hatte. Es gehörte zum aristokratischen Selbstverständnis der römischen Elite, in aussichtlosen Situationen auf ehrenvolle Weise einer Hinrichtung von Henkershand zuvorzukommen. Viele Opfer Neros in den letzten Jahren hatten ihr Leben durch einen Tod von eigener Hand noch weiter geadelt. Jeder wußte, wie Seneca, wie Thrasea Paetus, wie Petronius gestorben waren, und man behielt es ebenso im Gedächtnis, wenn Männer, die im Leben ernste Grundsätze paradierten, keine Haltung im Angesicht des Todes bewahrten, wie einige der Teilnehmer an der Pisonischen Verschwörung, allen voran Calpurnius Piso selbst. 111
Die letzten Getreuen wußten Nero jetzt keinen besseren Rat mehr zu geben, als sich einem schmählichen Ende durch den Freitod zu entziehen. Jetzt wurde schnell eine Begräbnisstätte ausgehoben, viel kümmerlicher als selbst das Grab der Mutter. Als die Grube fertig war, hörte man Nero nur noch schluchzen. Hier sollen die berühmten Worte gefallen sein, die – wenn sie authentisch sind – ein zentrales Zeugnis für Neros Selbstverständnis in den letzten Jahren seiner Herrschaft sind: „Qualis artifex pereo!“ (Welch ein Künstler stirbt mit mir!) Boten Phaons trafen ein, die die Nachrichten über die im Senat verkündete Erklärung zum Staatsfeind und das Todesurteil „nach der Sitte der Vorfahren“ überbrachten – er sollte zu Tode gepeitscht werden. Selbst die Auskunft darüber, auf wie grausame Weise die Todestrafe vollstreckt werden würde, reichte nicht aus, um Neros Entschlußkraft zu stärken; wieder und wieder zögerte er, einen seiner beiden Dolche zu benutzen. Lieber dachte er an die Totenklage, die er sich von Sporus wünschte – dem er also tatsächlich die Rolle einer Frau bei seinem Begräbnis zuwies. Erst als eine berittene Abteilung der Prätorianer zu hören war, wußte Nero, daß es keinen Ausweg mehr geben würde. Epaphroditos, einer seiner freigelassenen Minister, half ihm, den Dolch zu halten, den er sich in den Hals stieß. Der Prätorianer, der den Sterbenden antraf, hatte nicht den Mut, sich zu seinem Befehl, seinen Dienstherrn festzunehmen, offen zu bekennen; stattdessen gab er vor, die Wunde versorgen zu wollen. „Das ist Treue“, sollen Neros letzte Worte gewesen sein. Niemand hatte ernsthaft damit gerechnet, daß sich Nero gefangennehmen lassen würde. Icelus, einer der Freigelassenen Galbas, der zu Beginn von Galbas Proklamation verhaftet wurde, jetzt aber schon wieder frei war und im Namen seines Herrn wichtige Entscheidungen treffen durfte, befahl, daß Neros Leichnam nicht weiter geschändet werde dürfe; der Tote solle ohne großen Aufwand, aber mit Anstand bestattet werden. Das war keine sentimentale Entscheidung: Man wußte, daß Nero bei der stadtrömischen Bevölkerung immer noch Anhänger hatte. 112
Als „Staatsfeind“ konnte Nero nicht im Mausoleum des Augustus bestattet werden; dafür wurde seine Urne nach der Einäscherung in das Familiengrabmal der Domitii gebracht – Britannicus hatte recht bekommen. Die Kosten des Begräbnisses, immerhin 200 000 Sesterzen, übernahmen Acte, die nach mehr als zehn Jahren erstmals wieder erwähnt wird, und seine Ammen Ecloge und Alexandria. Ein Sarkophag aus purpurrotem Marmor nahm das auf, was nach der Einäscherung von Nero übriggeblieben war. Nur wenige Wochen sollte es dauern, bis Blumen an Neros Grabmal niedergelegt wurden und die Erinnerung an ihn politisch wieder opportun wurde.
XII. Quo Vadis? Neros „Nachleben“ Die widersprüchlichen Aussagen über die letzten Stunden Neros führten schnell zu dem Gerücht, er sei in Wirklichkeit gar nicht tot, sondern bereite seine triumphale, diesmal wirklich militärische Rückkehr nach Rom vor. Offensichtlich gab es Gruppen, die Interesse an der Verbreitung solcher Gerüchte hatten. Galba hatte nicht den geringsten Zweifel, daß der stadtrömische Pöbel die großzügigen Ausgaben Neros vermißte. Auch Othos und Vitellius’ schon erwähnte Sorge um eine öffentliche Demonstration ihres ehrendes Gedenkens an den Vorgänger macht dies deutlich. Der erste „falsche“ Nero, der gleich zur Zeit von Galbas Herrschaft Kleinasien in Unruhe versetzte, stammte aus dem Milieu der vom echten Nero durch seine Wohltaten umworbenen Unterschicht: ein Mann unklarer Herkunft, vermutlich ein Freigelassener aus Italien, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Nero hatte – das volle Künstlerhaar wird erwähnt – und dazu nicht ohne Begabung als Sänger und Musiker. Seine Anhängerschaft setzte sich überwiegend aus entlaufenen Sklaven zusammen, die verständlichen Schrecken bei den Besitzenden verbreiteten. Es gab genügend Leute, die es durchaus für möglich hielten, daß Nero doch noch aus Italien entkommen sei. 113
Nach der Gefangenahme und Hinrichtung des falschen Nero wurde der Leichnam auf dem Transport nach Italien in den Städten Kleinasiens zur Schau gestellt, um jeden Zweifel am Ausgang der „Rückkehr“ Neros zu zerstreuen. Wenn sich die Sehnsucht nach einer Rückkehr Neros beschränkt habe dürfte auf die Profiteure des alten Regimes und die weniger nachdenklichen Besucher des Theaters und der Arena, so waren die Verhältnisse im Osten des Reiches anders. Nero genoß dort über seinen Tod hinaus wirkliche Popularität; dies erklärt sich zum Teil durch die tiefsitzende Verstimmung auch der griechischen Oberschicht über die „westlichen“ Präferenzen des Augustus (allein schon bedingt durch die Distanzierung von der betont „philhellenischen“ Politik des Marcus Antonius) und die seiner Nachfolger. So enthusiastisch wie Nero hatte noch kein römischer Machthaber den Griechen geschmeichelt, von denen viele über ihren nostalgischen Gefühlen für vergangene politische und kulturelle Größe die Realität gerne verdrängten. Die skurrilen und peinlichen Aspekte von Neros Griechenlandreise wurden schließlich entschuldigt durch die „Befreiung“ Griechenlands. Im kollektiven Gedächtnis erschien sie noch attraktiver dadurch, daß Vespasian sie bei nächster Gelegenheit wieder zurückgenommen hat. Hochgebildete Männer wie Plutarch und Pausanias führen Neros Wohltaten für Griechenland gegenüber seinen Vergehen ins Feld. So gesehen hätte Neros weitere Ostpolitik trotz aller Seltsamkeiten sogar noch nützliche Ergebnisse haben können. Eine Diskrepanz zwischen moderner Beurteilung und zeitgenössischer Wahrnehmung ist auch beim Verhalten der Parther gegenüber Nero festzustellen. Die Parther haben das Ergebnis der Kämpfe um Armenien keineswegs als Schwächezeichen des Imperiums gewertet; sie waren zufrieden mit dem Erreichten und hielten Nero für den Archegeten einer Politik des Ausgleichs. König Vologaeses soll darum gebeten haben, das Andenken des toten Princeps zu ehren. Die Vorstellung von einer sozusagen sentimentalen Neigung der Partherkönige für die Politik und die Person Neros – Tiridates wird demnach günstig 114
über seinen römischen Aufenthalt gesprochen haben – wird bestätigt durch Nachrichten über einen weiteren „falschen“ Nero, der die parthische Unterstützung für eine Rückkehr Neros in seine Pläne einbezogen hat. Das Unternehmen dieses sonst unbekannten Terentius Maximus wurde, wie schon beim „falschen“ Nero des Jahres 69, erleichtert durch gewisse künstlerische Fähigkeiten und äußere Ähnlichkeit – die zehn Jahre nach dem Verschwinden des Princeps nicht mehr so schwer vorzutäuschen waren. Sein Zulauf in Kleinasien war offenbar nicht unbeträchtlich. Terentius Maximus versuchte – für kurze Zeit mit Erfolg – einem Konflikt des Parthers Artabanos mit Titus für den Fortgang seiner Pläne zu instrumentalisieren, wurde dann aber doch an die Römer ausgeliefert. Solche hochstaplerischen Unternehmungen taten der im Osten verbreiteten Popularität des „philhellenischen“ Princeps keinen Abbruch: Mancher, der unzufrieden war mit den gegenwärtigen Verhältnissen, sprach in den ersten Jahrzehnten nach Neros Tod, solange es noch biographisch sinnvoll sein konnte, von der Rückkehr des Kaisers – Nero war ja im Moment seines „Verschwindens“ erst 32 Jahre alt. „Denn soweit es von allem übrigen abhing, hätte Nero nichts gehindert, bis in alle Ewigkeit zu herrschen, wünscht sich doch bis zum heutigen Tag jedermann, Nero wäre noch am Leben. Die meisten glauben sogar, daß er noch lebt, obwohl er nicht nur einmal, sondern in gewisser Weise viele Male gestorben ist gleich denen, die fest daran glaubten, daß er noch lebe“, schreibt Dion von Prusa in einer um die Jahrhundertwende geschriebenen Rede (21,10). Auf eine etwas andere Weise hatten auch die Juden Interesse an der „Rückkehr“ Neros: nicht um die alte Herrlichkeit wiederherzustellen, sondern – ganz im Gegenteil – um sich an Vespasian und Titus wegen der Zerstörung des jüdischen Gemeinwesens zu rächen. Terentius Maximus wurde in einer jüdischen Prophetie zu dem Mann, der von Parthien her den Euphrat überschreiten und mit bewaffneter Macht Rom züchtigen werde. 115
Peter Ustinov als Nero (Quo Vadis, 1951).
116
Anderen Zwecken diente auch die christliche Vorstellung von einer „Wiederkehr“ Neros. Trotz der überraschend spät einsetzenden christlichen Überlieferung vom Christenverfolger Nero dürfte sein Bild in den Christengemeinden ähnlich gewesen sein wie bei den Juden. Die spätestens am Ende des 1. Jahrhunderts verbreitete Tradition vom Martyrium der Apostel Petrus und Paulus im Zusammenhang der neronischen Verfolgung mußte dieses Bild nachhaltig verfestigen. Vielleicht ist schon das Ungeheuer in der Apokalypse (13, 1) ein Bild für Nero, der zurückkehren wird, um Rom zu zerstören. Für die christlichen Autoren der Spätantike wurde Nero, der Brandstifter und Christenverfolger, zur Inkarnation des Antichrist, der dereinst zum Weltgericht kommen werde. Die Erinnerung an Neros Popularität bei der stadtrömischen Bevölkerung ging gleichwohl nicht völlig verloren. Auf den sog. Kontorniaten, großen Bronzemünzen in Medaillenform, erscheint neben unbestritten verdienstvollen Herrschern wie Traian, überraschenderweise auch Nero. Reminiszenzen an die Circusspiele stehen dabei im Vordergrund und sollten wohl die Erinnerung an diesen Aspekt von Neros Herrschaft wachrufen, vielleicht in bewußter Opposition zu christlichen Herrschern des 4. und 5. Jahrhunderts. Außerhalb des Kreises der historisch Interessierten reduziert sich auch in der Neuzeit die Erinnerung an Nero auf den Brand Roms und seinen Anteil an der Christenverfolgung. Eine entscheidende Rolle für das Bild Neros im 20. Jahrhundert hat dabei einer der großen Bestseller der Buchgeschichte gespielt, der 1896 erstmals veröffentlichte Roman »Quo Vadis« des polnischen Schriftstellers Henryk Sienkiewiczs, der im Jahre 1905 dafür den Nobelpreis für Literatur erhielt. In diesem Buch wird Nero ganz aus dem Blick seines Anteils an der Christenverfolgung gesehen – übrigens keineswegs als „Hauptfigur“ der Zeit, sondern als überforderter Dilettant. Noch verstärkt worden ist dieses literarische Porträt in der Verfilmung des Buches aus dem Jahre 1954. Es wird nur wenige geben, die sich heute für die Geschichte Neros interessieren und nicht auch den leierspielenden Peter Ustinov vor Augen haben. 117
Die Marketingspezialisten der Computerindustrie bilden dabei keine Ausnahme. Eine neue Software zum „Brennen“ von CD-ROM’s trägt den traditionsbewußten Namen „NERO BURNING ROM“.
120
121
Zeittafel 37
Nero (bis zum Jahre 50 heißt er offiziell Lucius Domitius Ahenobarbus) wird als Sohn des Cn. Domitius Ahenobarbus und der Julia Agrippina (damals 23 Jahre alt) in Antium geboren (15. Dezember). 37–41 Caligula 41–54 Claudius 49 Claudius heiratet seine Nichte Agrippina. Seneca wird Neros Erzieher. Erstes Auftreten Neros in der Öffentlichkeit. Nero wird mit Octavia (ca. 10 Jahre alt), der Tochter des Claudius, verlobt. 50 Claudius adoptiert Nero (25. Februar). 51 Nero wird volljährig, ein Jahr früher als üblich. Er spricht im Senat. 53 Nero heiratet Octavia. Die Parther fallen in Armenien ein. 54 Tod des Claudius (13. Oktober). Nero wird zum Princeps ernannt. Seine Ratgeber sind Burrus und Seneca. Die „Regierungserklärung“ wird gut aufgenommen. Agrippina läßt Iunius Silanus als Konkurrenten ermorden. Die Parther besetzen Armenien. Ernennung Corbulos zum Oberbefehlshaber im Osten. 55 Entlassung des Pallas. Tod des Britannicus. Seneca veröffentlicht „De dementia“. Entmachtung Agrippinas. Nero liebt die Freigelassene Acte. 56 Nächtliche Eskapaden Neros in Rom. Senatsdebatten über untergeordnete Fragen werden als Zeichen neuer Freizügigkeit empfunden. 57 Bau eines Amphitheaters. Großzügiges Geldgeschenk („congiarium“) an das Volk von Rom. 58 Nero unterstützt verarmte Senatoren. Corbulo diszipliniert die Truppen vor Beginn seines Feldzuges und erobert das armenische Artaxata. Ehrenbeschlüsse für Nero. Nero lehnt es ab, Konsul auf Lebenszeit zu werden. Angriffe auf Seneca. Poppaea Sabina wird Neros Geliebte. Thrasea Paetus im Senat. 59 Ermordung Agrippinas. Erste halböffentliche Auftritte Neros als Kitharöde und Wagenlenker bei den Iuvenalia. Corbulo erobert Tigranocerta in Armenien. 60 Corbulo setzt Tigranes als König von Armenien ein. Einrichtung der „Neronia“. Rubellius Plautus wird als vermeintlicher Konkurrent ins Exil geschickt. 61 Aufstand der Boudicca in Britannien. 62 Das Maiestas-Gesetz (Hochverrats-Gesetz) wird wieder eingesetzt. Tod des Burrus. Faenius Rufus und Ofonius Tigellinus kommandieren die Prätorianer. Seneca zieht sich aus der Öffentlichkeit zurück. Hinrichtung der Konkurrenten Cornelius Sulla in Massilia
122
63 64
65 66
67
68
und Rubellius Plautus in Kleinasien. Nero läßt sich von Octavia scheiden; wenig später wird auch sie hingerichtet (9. Juni). Nero heiratet Poppaea Sabina. Wachsender Einfluß des Prätorianerpräfekten Ofonius Tigellinus auf Nero. Nach der Vertreibung des Tigranes neue Kämpfe gegen die Parther. Geburt der Tochter Claudia Augusta, die wenige Monate später stirbt. In Neapel tritt Nero erstmals öffentlich als Kitharöde auf. Kurzfristiger Abbruch einer geplanten Reise nach Griechenland. Brand Roms (18./19. Juli). Hinrichtung von Christen als angeblichen Brandstiftern. Wiederaufbau der Stadt; Beginn der Arbeiten an Neros neuer Palastanlage („Domus Aurea“). Pisonische Verschwörung. Tod Senecas auf Befehl Neros. Nymphidius Sabinus wird zweiter Kommandeur der Prätorianer. Tod der Poppaea. Prozeß und Tod des Thrasea Paetus. Nero heiratet Statilia Messalina. König Tiridates von Armenien huldigt Nero in Rom und empfängt aus seiner Hand das Diadem. Beginn des Aufstands in Iudaea. September: Beginn der Griechenlandreise. Teilnahme Neros an den griechischen Festspielen. Er erhält 1808 Preise. Beginn der Arbeiten am Isthmus-Kanal. Selbstmord Corbulos in Korinth. Vespasian wird nach Judaea entsandt. 28. November: Nero „befreit“ Griechenland von Abgaben und gewährt Selbstverwaltung. Vermutlich Planung von Feldzügen in Georgien und Äthiopien. Vorzeitige Rückreise Neros nach Italien. 20. März: Nero erhält in Neapel die ersten Nachrichten über den Aufstand des C. Iulius Vindex in Gallien. 2. April: Galba wird von seinen Truppen in Spanien zum Imperator ausgerufen. Im Mai trifft die Nachricht vom Sieg des Verginius Rufus über Vindex ein. 9. Juni: der Senat erklärt Galba zum Princeps. Tod Neros (9. Juni oder wenig später).
Wir danken den folgenden Bildgebern: S. 13: Bildarchiv Foto Marburg; S. 16, 80: Deutsches Archäologisches Institut, Rom; S. 23, 48, 55: Hirmer Fotoarchiv, München; S. 28: Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin; S. 116: Interfoto, München; S. 101: Foto: Stefan von der Lahr.
123
Literaturverzeichnis, A. A. Barrett, Agrippina. Mother of Nero, London, 1996. A. Boethius, The Golden House of Nero, Ann Arbor, 1960. P. A. Brunt, The Revolt of Vindex and the Fall of Nero, Latomus 18, 1959, 531–559. M. P. Charlesworth, Nero: Some Aspects, The Journal of Roman Studies 40,1950,69–76. K. Christ, Geschichte der römischen Kaiserzeit, München, 1992. W. Eck, Agrippina, die Stadtgründerin Kölns, Köln, 1993. –, Augustus und seine Zeit, München, 1998. J. Eisner & J. Masters (Eds.), Reflections of Nero. Culture, History & Representation. London, 1994. M. Fuhrmann, Seneca und Kaiser Nero. Eine Biographie, Berlin, 1997. M. Grant, Nero. London, 1970. M. Griffin, Nero. The End of a Dynasty, London, 1984. –, Seneca. A Philosopher in Politics, Oxford, 1976. M. Heil, Die orientalische Außenpolitik des Kaisers Nero, München, 1997. B. W. Henderson, The Life and Principate of the Emperor Nero, London, 1905 (Nachdruck Rom 1968). W. Kierdorf, Sueton, Lebendes Claudius und Nero, Paderborn (u.a.), 1992. O. Murray, The »quinquennium Neronis« and the Stoics, Historia 14, 1965,41–61. R. Rilinger, Seneca und Nero. Konzepte zur Legitimation kaiserlicher Herrschaft, Klio 78 (1), 1996,130–157. R. S. Rogers, Heirs and Rivals to Nero. Transactions and Proceedings of the American Philological Association 86, 1955, S. 190–212. V. Rudich, Political Dissidence under Nero. The Price of Dissimulation, London, 1993. Chr. Schubert, Studien zum Nerobild in der lateinischen Dichtung der Antike, Stuttgart & Leipzig, 1998. D. Shotter, Nero. London, 1996. G. Walter, Nero. Aus dem Französischen übersetzt von Werner Krauss, Zürich & Freiburg, 1956. B. H. Warmington, Nero: Reality and Legend. London, 1969. Fr. Weege, Das Goldene Haus des Nero, Jahrbuch des Kaiserlich Deutschen Archäologischen Instituts 28,1913,127–244. Th. Wiedemann, The Julio-Claudian Emperors, Bristol, 1989. Unter den literarischen Darstellungen Neros und der Geschichte seiner Zeit sind zwei hervorzuheben: der im Jahre 1896 erschienene Roman „Quo Vadis“ von Hendryk Sinkiewizs, sowie „Der falsche Nero: Roman“ von Lion Feuchtwanger, zuerst 1936 in Amsterdam veröffentlicht (Neuausgabe 1994 im Aufbau-Verlag, Berlin).
124
Register Acceronia 37 Achaia 96ff. Acte 29f., 35f., 113 Actium 47, 94 Adiabene 63 Aemilius Lepidus, Marcus 10 Aeneas 17 Afranius Burrus, Sextus 18ff., 22, 25, 28ff., 33, 36, 38f., 43, 45f., 58, 63, 81ff., 86, 106 Agermus 37f., 40 Agrippina (d. Ältere) 8 Agrippina (d. Jüngere) 7ff., 14f., 17ff., 27, 29f., 32ff., 43ff., 49, 53, 81f., 90, 104 Ägypten 42, 54, 70, 94, 100, 110 Alanen (Alani) 67, 100 Alba 101 Albaner (Albani) 100 Alexander der Große 100 Alexandreia 42, 46, 55, 68, 70, 93, 100, 110 Alexandria 113 Anicetus 37ff., 42 Annaeus Seneca, Lucius 14, 16f., 20, 22f., 25ff., 32f., 36, 38, 40, 43, 45f., 58, 60, 81, 83, 85ff., 106.111 Annius Vinicianus 65 Antium 71, 101 Antonia (d. Jüngere) 32 Antonia (Tochter des Claudius) 92 Antonius, Marcus 114 Apameia 17 Aquitanien 104 Aratos 42 Argos 94 Armenien 59, 61ff., 114 Arsakes 66 Artabanos 115 Artaxata 67
Athen 40, 95 Äthiopien 100 Augustus 7ff., 15, 19ff., 26, 33, 35, 41, 44, 47, 50ff., 57ff., 61f., 69, 71, 75f., 81f., 85, 89, 94f., 99, 101, 103f., 113f. Bauli 37 Beryllus 42 Besancon 105f. Boiotien 96 Bononia (Bologna) 17 Boudicca 60 Britannicus 11, 15ff., 26, 30ff., 36, 39f., 57, 81, 107, 113 Britannien 57, 59 Burrus, s. Afranius Burrus Caecina Alienus, Aulus 105 Caesar 19, 39, 41, 51, 55, 59, 62, 73, 86, 91, 98 Caesarea 68 Caesennius Paetus 63f. Caligula 7ff., 14, 17f., 21, 24, 32, 42, 46, 57, 59, 75, 77, 82ff., 89, 98, 109 Calpurnius Piso, Lucius 44, 84ff., 111 Calvia Crispinilla 93 Camulodonum 60 Capitol 102 Cassius Dio 66, 102 Cato 91 Celer 77 Cestius Gallus 69 Christen 72ff. Christus 72ff. Cicero 58 Claudia Augusta (Tochter des Nero) 69, 90 Claudia, s. Octavia (Tochter des Claudius)
125
Claudius 7, 10ff., 14ff., 18ff., 22, 24, 29ff., 35, 42, 52ff., 57, 59, 61f., 68, 71,75, 81,84,92, 109 Claudius Nero Drusus, s. Germanicus Clodius Macer 56 Cluvius Rufus 49, 93 Cocceius Nerva 88 Corbulo, s. Domitius Corbulo Decianus Catus 61 Delphi 94f. Demetrios Poliorketes 98 Didius Gallus 59 Dion von Prusa 115 Domitia Lepida 10, 17, 33 Domitier (Domitii) 8, 113 Domitius Ahenobarbus, Gnaeus 10,19 Domitius Ahenobarbus, Lucius (= Nero) 7, 14 Domitius Corbulo, Gnaeus 60ff., 67, 98, 101, 104 Drusilla 9f. Drusus (d. Ältere) 8 Ecloge 113 Eleusis 40 Epameinondas 97 Epaphroditos 112 Epicharis 85f. Esquilin 77 Etrusker 42 Euphrat 115 Faenius Rufus 83, 85ff. Famulus 79 Flavier 105 Flavius Josephus 36 Flavius Scaevinus 86 Galatien 63 Galba, s. Sulpicius Galba Gallia Lugdunensis 104 Gallien 41, 103f.
126
Gavius Silvanus 88 Georgien 100 Germanicus 7ff., 11, 20, 30, 33, 42, 52f., 70, 94, 95 Germanien 8 Gessius Florus 68 Golf von Neapel 85 Griechen 74, 98, 114 Griechenland 28, 42, 44, 56, 67, 69, 70, 93, 96ff., 114 Hadrian 79 Helius93, 95, 98 f., 101 Hellas 97 Hellespont 65 Helvidius Priscus 91 Herodes 68 Hispania Baetica 105 Hispania Tarraconensis 104 Iberische Halbinsel 68 Icelus 112 Icener 60 Illyricum 106 Isthmus 69, 94, 98 Italien 23, 57, 65, 61, 94, 98, 100 f., 106, 113f. Iudaea 59, 67 f., 73, 98 Iulia (Tochter des Augustus) 8 IuliaLivilla 9 f., 14 Iulius Alexander, Tiberius 68 Iulius Alpinus Classicianus, Gaius 61 Iulius Vindex, Gaius 104 ff. Iunia Silana 33 f. Iunius Silanus Torquatus, Decimus 69, 82 Iunius Silanus Torquatus, Lucius 85, 89 Iunius Silanus, Marcus (Konsul 46) 21,81 Iunius Silanus, Lucius 12 Jerusalem 68 Juden 36, 67ff., 72 ff., 98, 117 Juvenal 53
Kampanien 37, 76 Kappadokien 62f. Karthager 42 Kaspisches Meer 100 Kaukasos 57, 92, 100 Kleinasiens 113ff. Kleqpatra 60 Korfu 94 Korinth 69, 93ff., 98f. Korsika 14, 68 Lateranus 86 Livia 15, 71, 104 Livius 42 Locusta 31, 110f. Londinium 60 Lucan 45, 85 Lusitanien (Lusitania) 35, 58, 105, 108 Menekrates 43 Messalina, s. Valeria Messalina Milichus 86 Misenum 37, 42 Mommsen, Theodor 100 Narcissus 18 Natalis 86 Neapel 40, 47f., 65f., 69ff., 101ff., 106 Nero Claudius Drusus, s. Germanicus Nerva 88 Neukarthago 105 Nordafrika 54, 56 Norfolk 60 Nymphidius Sabinus 89, 92f., 107, 109, 110 Obergermanien 105f. Oberitalien 65, 90, 106, 108 Octavia (Schwester des Augustus) 8, 33 Octavia (Tochter des Claudius) 12, 17, 29f., 32, 41, 51, 53, 82
Octavian, s. Augustus Ofonius Tigellinus 72, 83, 85, 88f., 91ff., 107, 109 Ollius, Titus 35 Olympia 93ff. Ostia 54f., 71, 76 Otho, s. Salvius Otho Pakorus 66 Palatin 77, 102 Pallas 12 Parther 61, 62ff., 67, 110, 114 Parthien 115 Patrobius 66 Paulus 74, 117 Pausanias 97, 114 Peloponnes 96ff. Petronius Turpilianus 61, 88f., 106 Petronius, Gaius 91, 111 Petrus 74, 117 Phaon 111, 112 Piso, s. Calpurnius Piso Plautius, Aulus 59 Plutarch 97, 114 Polyclitus 25, 61f., 93 Pompeii 76, 79 Pompeius 53, 100 Pontius Pilatus 68, 73 Poppaea, s. Sabina Poppaea Poppaeus Sabinus, Gaius 35 Portugal, s. Lusitanien Prasutagus 60 Puteoli 55, 66 Pythagoras 70 Rhein 99 Rhodos 17, 35 Rom 10, 15, 17, 19, 34, 40, 41, 47f., 50, 52ff., 56,57, 61ff., 73ff., 83, 85ff., 92f., 95, 98f., 101f., 104, 106, 108ff., 113, 115, 117 Römer 59, 61, 63ff., 67, 74, 103, 115 Rubellius Plautus 33f., 82
127
Rubrius Gallus 106 Sabina Poppaea 35f., 45, 68, 84, 88, 92f., 107f. Sallustius Passienus Crispus, Gaius 11 Salvius Otho 35, 56, 58, 78, 105, 108, 113 Sardinien 68 Satria Galla 87 Schwarzes Meer 100 Scribonius 99 Seian 9, 35 Seneca, s. Annaeus Seneca Severus 77 Sienkiewicz, Henryk 117 Silani 92 Silius, Gaius 11 Sokrates 88, 90f. Spanien 14, 26, 104 Sparta 95 Spiculus 111 Sporus 93, 111 Statilia Messalina 93 Subrius Flavus 85, 87 Südengland 59 Sueton 9, 34f., 41, 45, 49, 77f., 108,110 Suetonius Paulinus, Gaius 59ff. Suffolk60 Sulpicius Camerinus 95 Sulpicius Galba 11, 56, 104ff., 108ff., 112f. Syrien 63, 69 Tacitus 22, 24, 27, 32, 35, 38, 42, 45f., 49, 56, 60f., 72ff., 84f., 87f., 100, 103 Terentius Maximus 115 Terpnus 43
Terracina 55 Tertullian 74 Theben 97 Thrasea Paetus 49, 83, 88, 90ff., 111 Tiber 46, 54f., 76 Tiberius 7ff., 15, 18, 32, 35, 41f., 57f., 70f., 73, 75, 77, 94 Tiberius Gemellus 18 Tibur 79 Tiflis 100 Tigellinus, s. Ofonius Tigellinus Tigranes 63, 65f. Tiridates 62ff., 92, 114 Titus 31, 57, 115 Traian 23, 79, 117 Treverer 61 Troia 17, 45, 72 Ustinov, Peter 117 Valeria Messalina 11f., 17 Veranius, Quintus 59 Vergil 42, 45 Verginius Rufus 105f., 109 Verres 58 Verulamium 60 Vesontio, s. Besancon Vespasian 31, 50, 56, 67ff., 78, 97ff., 114f. Vestinus 85 Vindex, s. Julius Vindex Vinicianus 99 Vispsanius Agrippa, Marcus 8 Vitellius (röm. Kaiser) 45, 56, 78, 113 Vitellius, Lucius 12 Vologaeses 62ff., 66, 114 Wales 59f.