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Parker leimt die »Ledergang« Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Lady Agatha Simpson war mehr als empört und stieß ein Grollen aus, das an das einer gereizten Löwin erinnerte. Sie hatte ihren perlenbestickten Pompadour durch die Luft geschleudert und getroffen. Doch der junge Mann auf dem Rücksitz des Motorrades hatte sich wohl instinktiv an den Fahrer geklammert und war auf dem Soziussitz geblieben. Das Motorrad preschte inzwischen mit hoher Geschwindigkeit vom Strand zur oberen Promenade und war bereits nach wenigen Augenblicken verschwunden. »Haben Sie das mitbekommen, Kindchen?« fragte Lady Agatha und wandte sich an ihre Gesellschafterin und Begleiterin. Kathy Porter, groß, schlank, vom Gesichtsschnitt her ein wenig exotisch aussehend, nickte. Sie war nicht empört, aber ärgerte sich. Sie hatte nicht aufgepaßt, wie sie sich vorwarf, und dem überholenden Motorrad keine Beachtung geschenkt. »Er hat mir den Plastikbeutel aus der Armbeuge gerissen«, stellte die ältere Dame fest. Sie war sicher über sechzig, groß, recht füllig und machte einen ungemein energischen und aktiven Eindruck, »man hat mir meinen Gewinn gestohlen, Kindchen. Das muß man sich mal vorstellen! Man hat mich schamlos angegriffen und beraubt.« »Der Inhalt des Plastikbeutels, Mylady, läßt sich bestimmt verschmerzen«, wiegelte Kathy Porter ab. »Aber nein, Kindchen.« Sie sah ihre Gesprächspartnerin entrüstet an. »Ich hatte schließlich im Bingo gewonnen. Zwei vierte und einen fünften Preis! Dafür habe ich schließlich fast zwei Pfund ausgegeben.« »Die beiden Diebe werden enttäuscht sein, Mylady«, tröstete Kathy Porter. »Das möchte ich aber nicht gerade sagen«, erregte die passionierte Detektivin sich weiter, »ich hatte da eine Sammeltasse, einen Parfümzerstäuber, zwei kleine Porzellanhunde und einen Fingerhut gewonnen. Das sind schließlich keine Kleinigkeiten.« Es war später Nachmittag. Lady Agatha Simpson, mehr als sehr vermögend, hatte eine 2
Stunde in einem der vielen Bingo-Säle von Blackpool verbracht und sich wie ein Kind über ihre Gewinne gefreut. Und nun waren ihr diese Kostbarkeiten schamlos gestohlen worden. Kathy Porter ahnte, daß dazu das letzte Wort noch gesprochen wurde. Kathy Porter hatte den perlenbestickten Pompadour inzwischen aufgehoben und ihn Lady Simpson zurückgebracht. Sie faßte prüfend nach dem Inhalt dieses altmodischen Handbeutels und nickte grimmig. Ihre tastenden Fingerkuppen umrundeten das echte Pferdehufeisen, das sich in diesem Pompadour befand. »Wo habe ich getroffen, Kindchen?« erkundigte sie sich und übersah souverän eine Gruppe von heftig diskutierenden Feriengästen, die diesen dreisten Überfall beobachtet hatten. »Mylady trafen die linke Schulter des Mannes auf dem Sozius«, antwortete Kathy Porter, »er wurde förmlich gegen den Fahrer gepreßt.« »Das beruhigt mich etwas. Kommen Sie, Kindchen, wir müssen umgehend Mr. Parker verständigen. Ich ahne, warum man mich nach Blackpool gebeten hat.« »Überfälle dieser Art scheinen hier an der Tagesordnung zu sein«, sagte Kathy Porter. »Dieser Trick mit dem vorbeifahrenden Motorrad stammt übrigens aus Italien.« »Sehen auch Sie das Motorrad?« fragte Lady Agatha. Ihre Stimme hatte ohne Übergang einen erfreut-hoffenden Ausdruck angenommen. Die Sechzigerin streckte ungeniert ihren rechten Arm aus und wies auf das Motorrad, das über eine Rampe zum Strand zurückkam. »Das ist das bewußte Motorrad, Mylady«, antwortete Kathy Porter. »Sehr schön, Kindchen.« Agatha Simpson marschierte energisch auf einen Eisstand zu und ließ sich einen Plastikbecher mit bunten Eiskugeln füllen. Kathy Porter beobachtete das Zweirad, das sehr schnell war und um eine Bankreihe kurvte. Es war unzweifelhaft, daß der Fahrer die Absicht hatte, sich noch mal mit der Lady anzulegen. Die ältere Dame kannte keine Angst. Immer dann, wenn die Situation sich kritisch zuspitzte, fühlte sie sich äußerst wohl. Sie war eine streitbare Frau, die keinem Konflikt aus dem Weg ging. Kathy Porter sah sich nach einer geeigneten Waffe um, um einem Angriff begegnen zu können. Sie entschied sich für einen leichten Sonnenschirm, in dessen Schatten der Eisverkäufer 3
stand. Sie brauchte den Schirmständer nur aus dem mit Wasser gefüllten Plastikfuß zu ziehen, um dann über eine Art Lanze zu verfügen. Da war das Motorrad auch schon heran. Der Mann auf dem Sozius, in schwarzes Leder gehüllt, mit einem Jethelm auf dem Kopf, dessen dunkel getöntes Visier geschlossen war, holte aus und warf den eben erst geraubten Plastikbeutel in Richtung Agatha Simpson. Die Lady warf prompt zurück. Sie hatte die vielen bunten Eiskugeln aus dem Plastikbecher in die rechte Hand geschüttet und benutzte sie als Wurfgeschosse. Die ältere Dame hatte ausgeholt wie ein Baseball-Werfer. Die bunten Eiskugeln zischten durch die Luft und landeten klatschend auf dem ebenfalls geschlossenen Visier des Fahrers. Die Eiskugeln wurden durch den Aufprall deformiert und breiteten sich als dünne Schicht auf dem Visier aus. Sie nahmen dem Fahrer die Sicht, der daraufhin die Kontrolle verlor. Inzwischen landete der Plastikbeutel vor Agatha Simpson Füßen. Zumindest die beiden Porzellanhunde gingen dabei scheppernd zu Bruch. Die Lady achtete jedoch nicht darauf und verfolgte die unsichere Fahrt des Motorradfahrers, dessen Vorderrad sich quer stellte. Der Fahrer aber brachte sein Zweirad wieder unter Kontrolle, gab Vollgas und ließ – absichtlich oder nicht – das Hinterrad durchtouren. Sand spritzte hoch, schuf eine Art Sichtschleier und brachte Lady Agatha dazu, ihre Hand schützend vor die Augen zu nehmen. Sekunden später war die Lage bereinigt. Das Motorrad jagte hinüber zur nächsten Rampe, veranlaßte einige Feriengäste, zur Seite zu springen, und war dann wieder verschwunden. Lady Agatha drehte sich zu Kathy um, die den Sonnenschirm noch immer in Händen hielt. »So, Kindchen, nur so kann man mit diesen Subjekten umgehen«, stellte sie zufrieden fest, »aber auch das verschwendete Eis werden die Lederlümmel mir noch ersetzen. Mein Wort darauf!« * »Wir sind glücklich, Mr. Parker, daß Sie sich noch mal für Blackpool einsetzen wollen«, sagte Robert Cornay und bekam fast feuchte Augen vor Rührung und Dankbarkeit, »wir vom Vorstand 4
des eingesessenen Handels erinnern uns noch sehr gut an das, was Sie für unsere Ferienstadt schon mal getan haben.« »Sie sollten die Worte Ihrer Freude und Dankbarkeit an Lady Simpson richten«, schlug Josuah Parker vor, »Mylady ist es, die dem Verbrechen den Kampf angesagt hat, gleich, in welcher Form es sich auch darstellen mag.« »Mylady konnte nicht kommen?« fragte Robert Cornay vorsichtig. Er war etwa sechzig Jahre alt, hatte schneeweißes Haar und ein volles Gesicht mit erstaunlich kühlen Augen. »Mylady spielt Bingo«, beantwortete der Butler die Frage. »Bingo?« Cornay sah sich im Kreis der übrigen Mitglieder des Verbandes um, dem er vorsaß und wußte nicht recht, wie er reagieren sollte. »Mylady interessiert sich selbstverständlich nur aus soziologischen Gründen für dieses recht volkstümliche Spiel«, erklärte Josuah Parker weiter. »Ach so.« Robert Cornay war beruhigt. »Soziologische Gründe… Das dachte ich mir bereits. Sie glauben, Mr. Parker, daß Lady Simpson auch mit diesem Fall fertig werden kann?« »Daran sollten Sie keine Sekunde zweifeln«, schlug der Butler vor, »Mylady benötigt allerdings einige Details, um effektiv arbeiten zu können.« »Wir haben es mit ordinärem Straßenraub zu tun, Mr. Parker«, begann Robert Cornay, der Sprecher der Vereinigung, »man spricht hier in der Stadt bereits von einer Ledergang. Es handelt sich um junge Leute, die plötzlich auf Motorrädern auftauchen und im Vorbeifahren Handtaschen stehlen: Auf das Konto dieser Gangster gehen auch Autodiebstähle, Hoteldiebstähle und Erpressung von Feriengästen.« »Die örtlichen Behörden dürften sich wahrscheinlich eingeschaltet haben«, sagte Parker. Er stand allein sechs würdigen Männern gegenüber, deren Sprecher Robert Cornay war. Man hatte sich im Club der Gesellschaft getroffen und sah darüber hinweg, daß man es nur mit einem Butler zu tun hatte. Die anwesenden Männer wußten nur zu gut, wie erfolgreich Josuah Parker als AmateuerKriminalist war. »Die Polizei hier in Blackpool tut, was sie kann«, redete Robert Cornay weiter, »aber sie schafft es einfach nicht. Sie wissen wahrscheinlich, Mr. Parker, daß unsere Stadt pro Saison von etwa sieben Millionen Feriengästen besucht wird. Darunter befinden 5
sich viele junge Menschen, die selbstverständlich mit diesen Verbrechen nichts zu tun haben. Wie soll man unter all’ diesen Gästen jene finden, die hier ihre dunklen Geschäfte betreiben?« »Sie deuten die Schwierigkeiten ungemein überzeugend an, Mr. Cornay«, antwortete der Butler, »Sie können möglicherweise nicht mit gewissen Anhaltspunkten dienen?« »Mit nichts, Mr. Parker, mit nichts«, erwiderte der Sprecher der Gesellschaft des eingesessenen Handels, »diese Ledergangster arbeiten blitzschnell und sind auf dem besten Weg, in unserer Stadt so etwas wie Angst aufkommen zu lassen.« »Kam es bereits zu Tätlichkeiten, wenn man höflichst fragen darf?« »Natürlich wurden bereits einige Feriengäste verletzt, als man sie beraubte und sie sich wehrten«, bestätigte Robert Cornay, »wir haben Angst, daß die Verletzungen schwerer werden könnten. Bisher handelte es sich nur um ein paar Fausthiebe und Hautabschürfungen.« »Meine Wenigkeit besuchte vor einer Stunde die hiesige Bibliothek«, schickte der Butler voraus, »in den hier erscheinenden Zeitungen fand sich kaum etwas über den von Ihnen geschilderten Terror.« »Weil die Zeitungen mitgezogen und geschwiegen haben«, antwortete Robert Cornay, »aber lange läßt sich das nicht mehr durchhalten, Mr. Parker.« »Seit wann wird dieser Terror, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, Mr. Cornay, in Blackpool ausgeübt?« »Seit gut drei Wochen, Mr. Parker. Es begann mit Einzelüberfällen, weitete sich dann aber aus.« »Wenn Sie gestatten, Sir, werde ich nun Mylady ins Bild setzen«, erklärte der Butler und erhob sich. Er griff nach seiner schwarzen Melone und dem altväterlich gebundenen Regenschirm. Nach einer korrekten, recht knappen Verbeugung verließ Josuah Parker den Club und begab sich ins Freie. Er wollte sich mit Mike Rander und Kathy Porter treffen, die ihren Besuch bei der Polizei inzwischen wohl absolviert hatten. Parker trat hinaus und bemerkte schon nach wenigen Augenblicken, daß man sich für ihn interessierte. * 6
Josuah Parker war keineswegs daran interessiert, unnötiges Aufsehen zu erregen. Um seine Vorstellung in die Tat umzusetzen, bog er schon bald von der breiten Straße ab und begab sich in eine schmale Seitenstraße, die zu beiden Seiten von Hinterhöfen und Rückfronten von Hotels flankiert wurde. Es handelte sich um einen Wirtschaftsweg, über den die Betriebe mit Wirtschaftsgütern versorgt wurden. Dies war für den Butler das ideale Terrain, um einen ersten Kontakt mit den Mitgliedern der Ledergang aufzunehmen. Daß es sich um Mitglieder dieser Gang handelte, war für den Butler völlig klar. Drei Motorräder, mit je zwei jungen Männern besetzt, waren ihm recht ungeniert gefolgt und versammelten sich im Schutz einiger überquellender Müllcontainer. Die sechs Personen schienen zu beratschlagen, ließen die Motoren ihrer schweren japanischen Maschinen wirkungsvoll aufheulen und rechneten wohl damit, auf diese Art den Butler schockieren zu können. Parker dachte nicht, im Traum daran, schneller, zu gehen. Ja, er schien die ganz in Leder gekleideten jungen Männer überhaupt noch nicht wahrgenommen zu haben. Gemessen und würdevoll wie ein Butler bester englischer Schule schritt er die schmale Straße hinunter. Seine schwarz behandschuhte rechte Hand jedoch hatte den obersten Knopf des schwarzen Covercoats geöffnet. Die Finger langten nach der Weste unter dem schwarzen Zweireiher und zogen einen von vielen Kugelschreibern hervor. Parker machte sich bereit, etwas für seine Gesundheit und Sicherheit zu tun. Er machte sich allerdings auch so seine Gedanken. Sein Besuch im Club und der Zweck gewisser Gespräche schienen bereits Interesse ausgelöst zu haben. Die sogenannte Ledergang, falls es sie überhaupt gab, traf bereits Vorkehrungen, ihn auszuschalten. Man schien zu wissen, woher er kam und wer er war. Dies bezog sich selbstverständlich auch auf Lady Simpson, mit der Parker offiziell nach Blackpool gereist war. Kathy Porter und Mike Rander hatten einen getrennten Weg genommen und sich sogar als frisch getrautes junges Ehepaar getarnt. Ob die Ledergang bereits von dieser List wußte, mußte sich noch zeigen. Inzwischen röhrten die Motoren noch aufdringlicher. Parker wandte sich kurz um und nahm zur Kenntnis, daß die drei Zwei7
räder lospreschten und Kurs auf ihn nahmen. Parker sah deutlich, daß die Soziusfahrer Schlaginstrumente schwangen, und kam zu dem Schluß, daß es sich wieder mal um die so sattsam bekannten Fahrradketten handelte. Der Butler befand sich in Höhe einiger Mülltonnen, die geöffnet waren. Sie boten allerdings wohl kaum Schutz, falls die jungen Schläger ihn erreichten. Parker beschäftigte sich also kurz mit dem Kugelschreiber, den er aus einer der vielen Westentaschen hervorgeholt hatte, verdrehte beide Hälften gegeneinander und löste damit die Zündung aus. Der Butler warf den Kugelschreiber fast beiläufig hinter sich auf die Straße und hakte dann seinen Universal-Regenschirm vom angewinkelten Unterarm los. Der Kugelschreiber war inzwischen auf der Straße gelandet und entpuppte sich als eine Art Nebelbombe. Explosionsartig schoß eine dichte Nebelwand hoch, die sich wie ein Vorhang ausbreitete. Parker langte mit dem bleigefütterten Griff seines Schirmes nach einer der Mülltonnen und brachte sie dazu, sich von der Stelle zu bewegen und umzukippen. Scheppernd landete das Müllgefäß auf dem Straßenbelag und ergoß seinen Inhalt auf die Fahrbahn. Eine nicht gerade appetitliche Mischung aus verfaultem Obst, Gemüse und anderen Speiseresten ergoß sich quer über den Belag und machte ihn rutschig. Parker baute sich hinter einem größeren Container auf und harrte der Dinge, die da zwangsläufig kommen mußten. Und sie kamen… die Kettenschwinger und dann die Ereignisse! Die Fahrer der Zweiräder waren durch die Nebelwand verständlicherweise stark behindert und produzierten Notbremsungen. Dennoch rauschten sie voll in den Nebel und bearbeiteten mit den Reifen ihrer schweren Maschinen die angefaulten Abfälle, zerquetschten sie zu Brei und sorgten auf diese Art dafür, daß der Straßenbelag ausgesprochen rutschig wurde. Zudem erwies sich die umgestürzte Mülltonne als ein hartnäckiges Hindernis. Zwei Fahrer krachten gegen das Blech, verloren das Gleichgewicht und behinderten den dritten Fahrer, der nach links wegzog und sich plötzlich einer brandigen Mauer gegenübersah, die ihn auflaufen ließ. Die beiden anderen Maschinen waren längst umgekippt, und die Benutzer dieser Zweiräder trudelten bäuchlings über den ObstGemüsebrei aus den wallenden Nebeln hervor und passierten Parker, der sich wieder mal als ungemein höflicher Mensch zeigte. 8
Der Butler lüftete grüßend die schwarze Melone und beobachtete interessiert die Rutschenden, die Kurs auf eine lange Pfütze nahmen. Hoch spritzte die trübe Flüssigkeit, als die jungen Männer eintauchten. Parker, der die schwarze Melone wieder aufgesetzt hatte, wandte sich um und schritt dann gemessen und ohne jede Hast zurück zur Durchgangsstraße: Es gab für ihn wichtigere Dinge, als sich mit den Verunfallten zu unterhalten. Da war schließlich eine Agatha Simpson, die inzwischen wohl ungeduldig auf ihn wartete. * »Ein Fehler, der schon fast unverzeihlich ist, Mr. Parker«, stellte Lady Agatha grollend fest, nachdem sie Parkers Geschichte kannte, »selbstverständlich hätte ich diese Lümmel verhören müssen. Damit wäre der Fall bereits gelöst gewesen.« »Mylady werden verzeihen, daß meine Wenigkeit anders disponierte«, erwiderte der Butler, während er seiner Herrin in sein hochbeiniges Monstrum half. Die ältere Dame stieg schnaufend ein und nahm im Fond des ehemaligen Londoner Taxi Platz. Kathy Porter war von der anderen Wagenseite zugestiegen und lächelte amüsiert. Sie kannte die Geplänkel zwischen Parker und Agatha Simpson nur zu gut. »Sie haben anders disponiert?« Lady Agatha schüttelte den Kopf. »Und was haben Sie sich dabei gedacht, Mr. Parker?« »Die jungen Männer, Mylady, von denen meine Wenigkeit gerade sprach, dürften nur Statisten gewesen sein, die mit der eigentlichen Ledergang wohl kaum etwas zu tun haben.« »Sehr richtig, Mr. Parker«, lautete prompt ihre Antwort, »daran dachte ich allerdings auch. Man muß immer das Ganze sehen, das dürfen Sie nie aus den Augen verlieren.« »Mit weiteren Belästigungen, Mylady, ist durchaus zu rechnen«, redete der Butler weiter, »es dürfte erwiesen sein, daß man von Myladys Absicht weiß und Störmanöver inszenieren wird.« »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben«, erklärte sie erfreut, »und. wer könnte mich verraten haben? Woher wissen die Schläger, warum man mich nach Blackpool geholt hat?« »Eine äußerst wichtige Frage, Mylady, die noch der Beantwortung harrt«, antwortete der Butler, »nach den bereits erwähnten 9
Statisten sollten Mylady mit einer Eskalation der Dinge rechnen.« »Und die Gegenseite soll mit meinem Ärger rechnen«, erwiderte Agatha Simpson, »habe ich Ihnen bereits gesagt, daß man mir die beiden Porzellanhunde zerbrochen hat? Das war eine Unverschämtheit, schließlich handelte es sich um wertvolle Preise.« »Tatsächlich, Mylady?« Parkers Stimme drückte andeutungsweise Erstaunen aus. »Nun ja, ich hatte sie im Bingo gewonnen. Aber man muß auch Verluste hinnehmen, Mr. Parker. Was werde ich jetzt tun? Ich hoffe, Sie können mir da recht hübsche Vorschläge unterbreiten.« »Mylady brauchen sich nur den recht zahlreichen Vergnügungen hinzugeben, die Blackpool seinen Gästen bietet.« »Natürlich, diese Lümmel werden dann ganz automatisch erscheinen.« Sie war einverstanden. »Hat man auch die Kinder bereits aufs Korn genommen?« Mit den Kindern meinte die ältere Dame ihre Sekretärin und Gesellschafterin Kathy Porter und den Anwalt Mike Rander. Lady Agatha hoffte, daß sie eines Tages heiraten würden und tat alles, dies zu beschleunigen. »Das Inkognito von Mr. Rander und Miß Porter dürfte inzwischen nicht mehr gewahrt werden können«, sagte Parker, »Miß Porter wurde bereits in Ihrer Begleitung gesehen, Mylady.« »Und was ist mit Mr. Rander?« wollte Lady Agatha wissen. »Wir waren zusammen bei der Polizei und haben uns Informationen aus erster Hand geholt«, schaltete sich Kathy Porter ein, »danach trennten wir uns, weil Mylady Bingo spielen wollte. Mr. Rander sieht sich Motorrad-Geschäfte an.« »Ein Ausflug, der unter Umständen gefährlich werden könnte«, entgegnete der Butler, »wissen Sie ungefähr, Miß Porter, in welchem Stadtteil Mr. Rander sich aufhalten könnte?« »Ich glaube, er ist in der Nähe des Rugby Stadions«, gab Kathy Porter Auskunft, »dort gibt es einige Firmenvertretungen von Motorradherstellern.« »Diese Niederlassungen werde ich mir sofort ansehen, Mr. Parker«, verlangte die ältere Dame, »ich glaube, daß ich wieder mal dringend gebraucht werde.« Parker, der sein hochbeiniges Monstrum längst in Fahrt gesetzt hatte, änderte sofort die Richtung und steuerte den westlichen Teil der Stadt an. Er hatte sich auf der Karte mit den Örtlichkeiten bestens vertraut gemacht und benutzte den direkten Weg ins 10
Rugby Stadion. Auch er hatte das Gefühl, daß Anwalt Mike Rander unter Umständen gegen ein Erscheinen nichts einzuwenden hatte. * Mike Rander befand sich tatsächlich in Schwierigkeiten. Vier in Leder gekleidete Männer, von denen kaum einer älter war als fünfundzwanzig Jahre, wollten ihn unbedingt niederknüppeln und hatten ihn in das Innere einer Werkstatt abgedrängt. Mike Rander nutzte gerade eine Verschnaufpause und sah sich nach geeigneter Verteidigung um. Selbstverständlich hatte er auf die Mitnahme von Schußwaffen verzichtet. Er vertrat wie Parker die Meinung, daß solche Waffen zu leicht und endgültige Tatsachen schufen. Mike Rander, einem bekannten James-Bond-Darsteller nicht unähnlich, war etwas über mittelgroß, schlank und salopp von Natur aus. Auf den ersten Blick wirkte er stets ein wenig gelangweilt und herablassend, wozu auch seine lässige Sprache beitrug. Besondere Energie und Gewandtheit traute man ihm nicht zu. Er trug eine graue Flanellhose, einen dunkelblauen Blazer, ein weißes Hemd und ein Halstuch. Er sah aus wie aus dem Ei gepellt und schien die Niederungen des Lebens überhaupt nicht zu kennen. Dieser Gesamteindruck täuschte. Mike Rander, der zusammen mit Parker viele haarsträubende Abenteuer auf der Insel und in den USA bestanden hatte, war ein bestens ausgebildeter Einzelkämpfer hohen Grades, der schnell und beinhart reagieren konnte. Nach seiner Rückkehr aus den Staaten, wo er als Syndikus für britische Firmen tätig war, hatte Agatha Simpson, die ihn schon seit vielen Jahren kannte, einfach und wie selbstverständlich an sich gezogen und ihm die Verwaltung ihres Vermögens übertragen. Dadurch war Mike Rander automatisch wieder mit Josuah Parker in Verbindung gekommen und mußte sich zwangsläufig mit Kriminalfällen befassen. Der etwa vierzigjährige Mann hatte die vier Schläger mit gezielten Würfen zurückgetrieben und sich Luft verschafft. Seine Wurfgeschosse waren gefüllte Motorenöl-Dosen gewesen, die ihr Ziel 11
gefunden hatten. Die vier Schläger standen von der kleinen Werkstatt und beratschlagten, wie sie an diesen Anwalt herankamen. Mike Rander war es unmöglich, die Werkstatt zu verlassen. Das Fenster, neben dem er stand, war vergittert. Der Anwalt hatte inzwischen neue Munition bereitgestellt, um sich seiner Haut wehren zu können. Erstaunlicherweise sah er selbst nach den ersten Angriffen immer noch sauber und gepflegt aus. Die vier Kerle hatten es nicht geschafft, ihn in einen Nahkampf zu verwickeln. Mike Rander öffnete die letzte der sechs Öldosen und klappte die aufgeschnittenen Deckel weit herum. Er stand hinter einem Pfeiler und blickte auf zwei große Stahlflaschen, deren Verbindungsschläuche im Brenner eines Schweißgerätes mündeten. Falls die Dinge sich zuspitzten, war er bereit, sich mit einem langen Feuerstrahl zu wehren. Plötzlich erschienen sie wieder auf der Bildfläche. Zwei der vier Schläger benutzten die gewölbten Deckel von Mülltonnen, um sich gegen weitere Wurfgeschosse zu sichern, doch Mike Rander ließ sich keineswegs verblüffen. Er registrierte, daß die beiden Angreifer Jethelme aufgesetzt hatten. Die getönten Visiere waren heruntergeklappt worden. Mike Rander nahm die erste geöffnete Ölkonserve in die rechte Hand und warf sie schräg gegen die Decke der Werkstatt. Die Dose krachte gegen einen Eisenträger und leerte sich. Das Öl schwappte nach unten und ergoß sich über die Helme der beiden ziemlich verdutzten Männer, die mit solch einer Reaktion nicht gerechnet hatten. Mike Rander setzte noch zwei weitere Ölkonserven ein und schaffte es mit spielerischer Leichtigkeit, die beiden Angreifer einzuölen. Ihre Visiere bedeckten sich mit einem dichten Ölfilm, der die Sicht nahm. Die Mülleimerdeckel wurden unwillkürlich gesenkt, dann weggeworfen. Die Männer mühten sich ab, den Ölfilm von den Visieren zu wischen. Als das nicht klappte, schoben sie die Visiere hoch und zeigten ihre Gesichter. Mike Rander hatte inzwischen eine weitere Konserve gegen den Eisenträger geschmettert. Nun erhielten die beiden Angreifer eine intensive Gesichtspflege und verklebten sich ungewollt die Augen. Mike Rander trat gegen eine fahrbare Werkzeugbox, die wie geschmiert losrollte und innigen Kontakt mit den beiden Männern suchte und auch fand. Sie legten sich wie nasse Handtücher über die Box und strampelten anschließend mit den Beinen in der Luft herum. Mike Rander hatte seine Deckung verlassen und verlieh 12
der Box neuen Schwung. Bevor die Männer absteigen konnten, rollten sie bereits rasant nach draußen und sorgten dafür, daß die beiden anderen nachdrängenden Schläger irritiert wurden. Sie sprangen seitlich weg und schauten dann der Box nach, die auf abschüssiger Bahn quer über den Vorplatz der Werkstatt schoß. Mike Rander hatte dafür gesorgt, daß sie schwungvoll unterwegs blieb. Das Ende der Fahrt war jäh und niederschmetternd für die beiden Fahrgäste. Die Box donnerte gegen eine Reihe von ausgestellten Motorrädern, die sofort umstürzten. Die Ausflügler verschwanden unter den Maschinen, die ihr Gewicht hatten. Am Brüllen und Schreien war deutlich zu hören, wie nachhaltig dieser Kontakt ausgefallen war. Die zur Seite gesprungenen Schläger hatten nun doch Bedenken, als zweite Angriffswelle in die Werkstatt zu stürmen. Sie ließen sich nicht blicken, was Mike Rander nicht besonders paßte. Er konnte sich vorstellen, daß man jetzt dringend um Hilfe nachsuchte. Rander überlegte, wie er diese vertrackte Falle, die die Werkstatt bildete, mit heiler Haut verlassen konnte. Wichtig für ihn war, daß sein Blazer dabei keinen Schaden litt. * »Das sieht aber sehr gut aus, Mr. Parker.« Lady Simpson hatte sich vorgebeugt und deutete mit der ausgestreckten Hand nach vorn. Da die schußsichere Trennscheibe zwischen Fond und Vordersitzen versenkt war, konnte die ältere Dame zusätzlich etwas von ihrer majestätischen Körperfülle nach vorn schieben. »Mylady verweisen sicher auf die Motorradfahrer«, vermutete der Butler. »Auf wen denn sonst, Mr. Parker!?« Ihre Stimme klang streng. »Diese Lümmel sind doch bestimmt nicht zu ihrem Vergnügen unterwegs.« »Mylady wünschen eine Verfolgung?« Parker ging auf die Feststellung seiner Herrin nicht ein. Auch er hatte natürlich die Gruppe der Zweiradfahrer in Augenschein genommen. Auf den Motorrädern saßen junge Männer und Frauen, die heiter und ausgelassen wirkten. Auch sie trugen schwarze Lederkleidung und Jethelme, allerdings auch wehende Schals, die bunte Strickmuster auf13
wiesen. »Haben Sie etwa Mr. Rander vergessen?« Agatha Simpson ließ sich wieder in ihren Sitz zurückgleiten und faßte prüfend nach dem Glücksbringer in ihrem Pompadour. »Sicher braucht er meine Hilfe, Mr. Parker.« »Die Herrschaften auf den Zweirädern, Mylady, bewegen sich in Richtung Strand.« »Ich habe nichts dagegen, Hauptsache, Mr. Parker, Sie folgen diesen Subjekten.« »Mr. Rander dürfte sich kaum in Strandnähe befinden, Mylady, wenn ich höflichst darauf aufmerksam machen darf.« »Aha.« Sie stutzte sichtlich und räusperte sich nachhaltig. »Und wo vermute ich Mr. Rander?« »In der Nähe des Rugby Stadions, Mylady, eine Örtlichkeit, der man sich inzwischen genähert hat.« »Moment, Mr. Parker, sehen Sie doch!« Kathy deutete nach rechts. »Dort stehen Motorradfahrer.« Parker bremste, setzte zurück und warf nun seinerseits einen Blick in die schmale Straße. Er entdeckte sofort die Reklameschilder einer japanischen Zweiradfirma, ließ sein hochbeiniges Monstrum wieder anrollen und fuhr in die schmale Straße, die sich zu einem weiten Platz ausbeulte. »Hier ist es, Mr. Parker, wie ich gleich vermutete«, behauptete die ältere Dame umgehend, »dort tut sich doch etwas.« »Wenn es erlaubt ist, möchte ich mich Myladys Ansicht vollinhaltlich anschließen.« Parker gab ein wenig Gas und hielt hinter der Gruppe der Motorradfahrer, die neben ihren Maschinen standen und das Tor zu einer kleinen Werkstatt beobachteten. Die jungen Männer, die ihre Helme abgenommen hatten, achteten nicht weiter auf Parkers Privatwagen, sah er doch, was die Umrisse betraf, wie ein altes, betagtes Taxi aus. Agatha Simpson stieg sofort aus und hörte schadenfrohes Gelächter, das sie zuerst mal auf sich bezog. Ihr Pompadour geriet sofort in leichte, gefährliche Schwingung, bis sie herausfand, daß die jungen Leute über zwei in Leder gekleidete Männer lachten, die über einer Werkzeugbox hingen und Mühe hatten, wieder auf die Beine zu kommen. Die Helme dieser beiden Männer und auch die Lederbekleidung waren ölverschmiert. Als sie endlich die Box verlassen hatten, schauten die beiden jungen Männer sich wütend um und langten dann nach Fahrradketten, die zusammen mit ihnen auf den Vor14
platz befördert worden waren. Die schadenfrohen Fahrer wichen zurück und merkten wohl, daß die Dinge sich zuspitzten. Einige stiegen mit ihren Begleitern und Begleiterinnen auf die Maschinen und machten sich abfahrbereit. Die Inhaber der Fahrradketten schlugen einige Male wütend um sich und trieben die Neugierigen zurück. Deshalb machte sich bereits ein Teil von ihnen davon. Man wollte keinen Ärger haben. Die Kettenschwinger hatten sich Luft verschafft und wollten zurück zum weit geöffneten Tor der Werkstatt. Dort machte der Butler zwei weitere junge Lederträger aus, die lange Eisenrohre in Händen hielten, sich aber nicht in die Werkstatt getrauten. Es war plötzlich still geworden, was sicher mit Lady Simpson ursächlich zusammenhing. Die resolute, majestätische Dame beherrschte die Szene. In ihrem viel zu weiten Tweed-Kostüm sah sie aus wie ein leicht aus der Form geratener Racheengel. Die Augen blitzten, und der Pompadour schwang am linken Handgelenk. »Was geht hier vor?« fragte die Detektivin mit baritonal gefärbter Stimme. Die beiden Kettenträger wandten sich zu ihr um und starrten sie entgeistert an. »Ich will nicht hoffen, daß es sich nur um einen Spaß handelt«, redete Lady Agatha weiter. »Was willst denn du, Großmutter?« fragte einer der Männer respektlos und ironisch. »Dir Manieren beibringen«, erwiderte die ältere Dame und ließ den Pompadour mit Schwung und Treffgenauigkeit auf der Brust des Fragenden landen, der sich daraufhin in ein nasses Handtuch zurückverwandelte und wieder über die Werkzeugbox legte. * »Um ein Haar hätte Mr. Parker eine falsche Richtung gewählt«, sagte Agatha Simpson eine halbe Stunde später zu Mike Rander, der frisch und amüsiert am Tisch auf der Hotelterrasse saß. »Sie müssen doch inzwischen wissen, Parker, daß man sich auf Myladys Nase unbedingt verlassen kann«, meinte der Anwalt und lächelte. »In der Tat, Sir!« Parkers Gesicht blieb unbeweglich, Kathy Porter aber beeilte sich, schleunigst zur Seite zu blicken, um nicht 15
aufzulachen. Alle kannten schließlich die Rechthaberei und den Starrsinn der älteren Dame, die dazu noch souverän das aus. ihrem Gedächtnis strich, was sie eben noch gesagt hatte, falls es ihr in den Kram paßte. »Wie dem auch sei, mein lieber Junge«, flötete Lady Agatha, »haben Sie etwas Wichtiges herausgefunden? Diese Werkstatt ist das Nest der Ledergang, nicht wahr?« »Da möchte ich mich lieber nicht festlegen«, erwiderte Mike Rander, »ich weiß nur, daß ich beschattet wurde. Und dann waren plötzlich die vier Burschen da und wollten mir ans Leder.« »Und wo war der Werkstattbesitzer?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Den hatte man in seinem Büro eingeschlossen, Mylady. Er ist wahrscheinlich noch immer total eingeschüchtert.« »Demnach weiß er etwas über die Ledergang, mein Junge.« »Das wäre möglich, Mylady, aber mehr auch nicht. Und wahrscheinlich wird er sich hüten, auch nur eine Andeutung zu machen.« »Waren die Recherchen bei der Polizei aufschlußreich, Sir?« fragte der Butler. Gegen seinen Willen hatte er am Tisch seiner Herrin Platz nehmen müssen. Er saß stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, auf der Kante seines Stuhls. »Miß Porter und ich haben uns genau umgehört«, schickte der Anwalt voraus und nickte seiner Begleiterin zu, »es ist erstaunlich, was die Ledergang bisher abgestaubt hat. Da kommen hübsche Summen zusammen.« »Bereits schon jetzt einige tausend Pfund und Schmuck und Schecks im Wert von etwa zehntausend Pfund«, zählte Kathy Porter auf, »die Polizei nimmt an, daß man es vor allen Dingen auf Reiseschecks und Kreditkarten abgesehen hat. Der endgültige Schaden ist noch nicht zu übersehen.« »Und das alles innerhalb von drei Wochen«, entrüstete sich die Detektivin, »ich möchte nur wissen, warum man mich erst jetzt alarmiert hat. Der Fall könnte längst gelöst sein.« »Oft kommt die Einsicht fast zu spät«, meinte der Anwalt, »die Polizei hat bisher keinen Anhaltspunkt dafür, wer die Gang leitet. Festnahmen konnten bisher nicht vorgenommen werden. Die Gangster schlagen blitzschnell zu und sind kaum weniger schnell wieder verschwunden.« »Das wird sich ab sofort ändern«, versprach die ältere Dame, 16
»werde ich hier im Hotel bleiben, Mr. Parker?« »Deuteten Mylady nicht bereits an, das Haus wechseln zu wollen?« fragte Josuah Parker. »Mylady dachten an das Wohl der unbeteiligten Hotelgäste.« »Richtig, ich muß das irgendwann gesagt haben«, erklärte sie unverzüglich, »ein nettes Einzelhaus wäre da ganz passend.« »Meine Wenigkeit war bereits so frei, dafür Sorge zu tragen, Mylady.« »Ach ja.« Sie sah den Butler nun doch erstaunt-irritiert an. »Und wo werde ich wohnen?« »Auf Mylady wartet ein Bungalow südlich von Blackpool, aber noch im Weichbild der Stadt.« »Und wann werde ich umziehen, Mr. Parker?« »Dies kann nach dem Tee geschehen, Mylady.« »Ich glaube, ich bin sehr zufrieden«, stellte die ältere Dame fest, »natürlich wird es nicht lange dauern, bis die Liedergang weiß, wo ich zu erreichen bin, Mr. Parker, oder?« »Mylady werden bereits beobachtet«, antwortete der Butler, »auf der gegenüberliegenden Straßenseite haben sich zwei junge Männer eingefunden, deren Interesse dieser Terrasse gilt.« »Sie haben sie also auch schon gesehen?« fragte die Detektivin prompt und unverfroren, »sie fielen mir eben schon auf, Mr. Parker. Ich möchte diesen Lümmeln einen Denkzettel verpassen.« »Mylady haben bereits fest umrissene Vorstellungen?« »Sie haben doch sicher Ihre Gabelschleuder dabei, oder?« »Stets, Mylady, um es mal so auszudrücken.« »Die möchte ich mir mal ausleihen, Mr. Parker. Dazu brauche ich eine harte Tonkugel. Die beiden Flegel sollen nämlich an mich denken.« Parker hatte zwar große Bedenken, seine Zwille an Agatha Simpson weiterzugeben, doch er wollte sie nicht enttäuschen. Er griff in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers und holte die Gabelschleuder diskret hervor. Mike Rander und Kathy Porter tauschten einen schnellen Blick. Sie hatten das Gefühl, daß da wieder mal einige unübersehbare Dinge auf sie zukamen. *
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Parkers Gabelschleuder war die Weiterentwicklung jener einfachen Geräte, wie Jungen sie immer noch aus kleinen Astgabeln schneiden, um dann per Zugkraft zweier Gummis Kirschkerne oder Erbsen zu verschießen. Der Butler hatte solch ein Grundmodell selbstverständlich modifiziert und vor allen Dingen zusammenlegbar gestaltet. Die beiden Gummistränge zeichneten sich durch hohe Zugkraft aus. Spezialgeschosse aus eigener Herstellung konnten auf diese Art über erstaunlich weite Entfernung transportiert werden und verfügten auch dann noch über eine Wirkung, die frappierend war. Parker hatte die beiden Hälften der Gabelschleuder auseinandergeklappt und arretiert. Er reichte seiner Herrin eine hart gebrannte Tonmurmel, die Lady Agatha durchaus fachgerecht in die Lederschlaufe legte. Dann rückte sie sich zurecht und spannte die Gummistränge. Aber was bei Parker stets so spielend einfach und leicht aussah, erwies sich als ein kleiner Kraftakt. Lady Agatha bekam einen roten Kopf, bis sie die beiden Gummistränge halbwegs gespannt hatte. Sie visierte an Mike Rander vorbei die jungen Ledermänner an, die auf der anderen Straßenseite standen und sich aufgeregt miteinander unterhielten. Sie standen vor einem Ladenlokal, in dem mehr oder weniger künstlerisch wertvolle Andenken feilgeboten wurden. »Ich habe einen von ihnen genau im Visier«, verkündete Agatha Simpson mit gepreßter Stimme und war dann so leichtsinnig, die Lederschlaufe loszulassen. Butler Parker schloß ergeben die Augen, Mike Rander und Kathy Porter beugten sich vor, um das von Lady Agatha bezeichnete Ziel genau zu beobachten. Josuah Parker zuckte andeutungsweise zusammen, als ein Klirren und Scheppern zu vernehmen war, Mike Rander und Kathy Porter waren nun an der Reihe, die Augen zu schließen. Agatha Simpson hatte mit äußerster Treffgenauigkeit einen großen Spiegel im Andenkenladen erwischt, nachdem es ihr gelungen war, mit der Tonkugel vorher die Schaufensterscheibe in Trümmer zu legen. »War das etwa der Spiegel?« fragte die Detektivin und wandte sich an den Butler. »Und das Schaufenster«, bestätigte Parker zusätzlich. »Sehr gut«, kommentierte die ältere Dame geistesgegenwärtig ihren Meisterschuß, »genau das schwebte mir vor. Sehen Sie doch, was die beiden Lümmel machen!« 18
Die Lederjünglinge hüpften wie aufgeschreckte Frösche auf ihre Maschinen, starteten sie und preschten los, als säße ihnen der Teufel im Genick. Der Betreiber des Andenkenladens rannte inzwischen auf die Straße und belegte die jungen Männer mit lauten Verwünschungen. Er ging offensichtlich davon aus, daß sie für den Glasbruch verantwortlich waren. »Zwei Fliegen mit einer Klappe«, sagte Mike Rander und gluckste. »Vielen Danke, mein Junge«, erwiderte die ältere Dame, »ein scharfes Auge und eine sichere Hand – darauf allein kommt es an!« »Mylady waren bewundernswert«, behauptete Butler Parker. »Kein einfacher Schuß«, lobte sie sich und reichte dem Butler die Gabelschleuder zurück, »aber er war zu schaffen.« »Mylady werden die entstandenen Unkosten ersetzen?« fragte Parker und blickte auf den Geschäftsbetreiber, der inzwischen kopfschüttelnd die zersplitterte Fensterscheibe inspizierte. »Wieso?« Agatha Simpsons Stimme klang abweisend. »Weshalb soll ich den Schaden ersetzen? Weiß dieser Mann dort überhaupt, wer geschossen hat?« »Mylady wissen es«, gab der Butler zurück. »Und mich stört das überhaupt nicht«, entgegnete sie, »ich bin ja kein weiblicher Krösus und habe Geld zum Verschleudern. Der Mann wird doch wohl versichert sein, wie?« »Myladys Erlaubnis voraussetzend, wird meine Wenigkeit sich danach erkundigen«, meinte Parker und erhob sich, »zudem könnte der Mann schließlich wissen, wer die beiden jungen Motorradfahrer sind.« »Ich werde mitkommen, Mr. Parker«, sagte die Schützin streng, »ich kenne Sie! Wenn ich nicht aufpasse, zahlen Sie freiwillig… Mit solchen Leuten muß man handeln, sonst schrauben sie ihre Ansprüche ins Maßlose.« »Kathy und ich werden uns inzwischen um das Gepäck kümmern«, sagte der Anwalt amüsiert, »ich gehe davon aus, daß wir gemeinsam diesen Strandbungalow beziehen, oder?« »Das Inkognito, Sir, dürfte bereits nicht mehr anwendbar sein«, bestätigte der Butler, griff nach seiner schwarzen Melone und folgte seiner Herrin, die nun doch bereit schien, den Schaden zu begleichen. Parker wußte aus Erfahrung, daß mit hartnäckigen Verhandlungen zu rechnen war. Agatha Simpson konnte sparsam 19
bis geizig sein, wenn es um Vergleichs weise unwichtige Dinge ging. Er sollte sich wieder mal nicht getäuscht haben! Nach einer halben Stunde war der Betreiber des Geschäftes schweißgebadet und starrte auf einen Scheck, den Parker im Auftrag der Lady ausgeschrieben hatte. Der Mann, der sich als einen ausgebufften Geschäftsmann bezeichnete, begriff es einfach nicht, daß es ihm nicht gelungen war, auch nur ein einziges Pfund Gewinn zu machen. Ja, er kam sich ausgetrickst und überfahren vor. Dennoch sah er respektvoll hinter Agatha Simpson her, der es gelungen war, noch zwei kleine Porzellanhunde kostenlos herauszuschinden. * Es war dunkel geworden. Lady Agatha wollte auf die kleine Terrasse des Strandhauses, um die milde Nacht zu genießen. Von dieser Terrasse konnte man weit aufs Meer blickten, auf den nahen Strand und auch auf die Verlängerung einer Promenade, wo noch reger Publikumsverkehr herrschte. Auch das obere, beleuchtete und illuminierte Drittel des Blackpool Tower war deutlich auszumachen. Über der Stadt lag der helle Widerschein vieler bunter Lichter. Es ging auf 22.00 Uhr zu. Um diese Zeit waren die Besucher von Blackpool noch unterwegs und amüsierten sich. Die drei ins Meer führenden Vergnügungspiers waren überfüllt, ebenfalls die vielen Ballsäle und Restaurants. Wer nach Blackpool kam, hatte mit Sicherheit nicht die Absicht, sich vor Mitternacht ins Bett zu legen. »Mylady wollen entspannen?« erkundigte sich Parker, als seine Herrin ihre majestätische Fülle auf die Terrasse bewegen wollte. »Und etwas für meinen angegriffenen Kreislauf tun«, sagte sie und nickte, »ich hoffe, Sie haben sich eingedeckt, Mr. Parker?« »Meine Wenigkeit kann sofort mit einem Kognak dienen«, antwortete der Butler, »darüber hinaus möchte ich empfehlen, die Terrasse zu meiden, Mylady.« »Warum denn?« Sie sah ihn empört an. »Mylady haben der sogenannten Ledergang mit Sicherheit den Krieg angesagt«, redete der Butler weiter, »Mylady sollten mit einem heimtückischen Schuß aus dem Hinterhalt rechnen.« 20
»Sie glauben, so etwas würde man wagen?« »Mylady könnten eine Art Double auf die Terrasse schicken und somit einen Test einleiten.« »Das klingt nicht schlecht, Mr. Parker. Und was haben Sie sich da vorgestellt, was mich ersetzen könnte?« »Falls Mylady die Güte haben würde, meiner Wenigkeit in die Halle zu folgen?« Parker trat zur Seite und ließ seine Herrin passieren. Sie ging in die Halle des Strandbungalows und blieb überrascht und irritiert zugleich stehen. Sie schaute auf eine Art Zwillingsschwester, die in einem leichten Korbstuhl saß und eingenickt zu sein schien. Diese Frau trug ein Tweedkostüm, hatte grauweißes Haar und machte einen recht entspannten Eindruck. »Das ist ja direkt unheimlich«, sagte die ältere Dame, »haben Sie eine Puppe mit hierher genommen?« »Eine aufblasbare, Mylady«, antwortete Parker, »ich war so frei, sie ein wenig herzurichten.« »Und wie praktiziere ich sie auf die Terrasse?« »Dies, Mylady, läßt sich leicht bewerkstelligen«, antwortete der Butler, »Mylady brauchen sich nur einige Male kurz zu zeigen. Ein Austausch wäre dann ohne Schwierigkeiten vorzunehmen.« »Und von wo droht meinem Double Gefahr, Mr. Parker?« »Sowohl von der Promenade, Mylady, als auch von der Heide her.« »Und werde ich diese Subjekte erwischen, die auf mich schießen?« »Miß Porter und Mr. Rander haben das Haus bereits verlassen und sich taktisch günstig postiert. Man sollte allerdings betonen, daß ohne das sprichwörtliche Quentchen Glück etwaige Täter wohl kaum gestellt werden. Lady Agatha stärkte im Wohnraum des Bungalows erst mal ausgiebig ihren Kreislauf. Dazu benötigte sie zwei doppelte Kognak. Nach der Erreichung ihrer inneren Stabilität ging sie auf Parkers Vorschläge ein, ließ sich kurz auf der Terrasse sehen und war wenig später selbst überrascht, als das Double plötzlich dort Platz genommen hatte. Lady Agatha hatte umdisponiert und vor dem Fernsehgerät im Wohnraum sich in die Ecke eines Clubsofas gesetzt. Sie verfolgte ohne innere Beteiligung die Fortsetzung einer Kriminalserie und fand die Handlung mehr als albern. Immer wieder sah sie hinaus auf die Terrasse und beobachtete ihr Double, das in stattlicher 21
Fülle im Strohsessel saß und darauf wartete, attackiert zu werden. Butler Parker war sicherheitshalber im Wohnraum geblieben. Er wollte auf Lady Simpson achten, falls draußen auf der Terrasse etwas passierte. Er kannte ihr wildes Ungestüm und ihre Kampfeslust. Die resolute Frau war nur zu gern bereit, sich in jedes noch so wilde oder gefährliche Getümmel zu stürzen. * Draußen schien man in die Hände geklatscht zu haben. Lady Simpson reagierte zwar nicht, sie war vor dem Fernsehgerät eingenickt, doch Parker war hellwach und erhob sich sofort. Zwanzig Minuten waren verstrichen, seitdem er Myladys Double auf der Terrasse abgestellt hatte. Dieses Double verlor deutlich an Substanz und rutschte in sich zusammen. Ein Irrtum war ausgeschlossen, man hatte auf Agatha Simpson geschossen, auch wenn man nur das Double getroffen hatte. Die Ledergang ging ungewöhnlich hart und brutal vor und schreckte selbst vor einem Mord nicht zurück. Parker blieb an der Tür zur Terrasse stehen und wartete auf weitere Ereignisse. Seiner Schätzung nach mußte bald einer der Gangster erscheinen, der dann wohl nachsehen wollte, wo der Treffer gelandet war. Parker hielt seinen Universal-Regenschirm einsatzbereit in Händen und brauchte tatsächlich nicht lange zu warten. Ein leichtes Scharren war zu hören, und kurz darauf erschien eine schmale Gestalt zwischen dem Strauchwerk, das die Terrasse einfriedete. Parker rührte sich nicht und hoffte, daß seine Herrin weiterschlief. Im Augenblick schnarchte sie diskret und störte nicht. Die Gestalt nahm sich Zeit, die schützenden Sträucher zu verlassen, beobachtete die in sich zusammengesunkene Puppe und schob sich dann vorsichtig auf die Terrasse. Parker ging davon aus, daß er es nicht nur mit einer Person zu tun hatte. In der Nähe mußten sich weitere Mitglieder der Ledergang aufhalten. Die Gestalt hatte den Korbsessel erreicht und beugte sich vor, um die vermeintlich tote Lady in Augenschein zu nehmen. In diesem Moment schleuderte der Butler seine schwarze Melone aus 22
dem Handgelenk nach draußen. Die Kopfbedeckung verwandelte sich in eine Art Diskus. Dieser Flugkörper sirrte im Nonstop-Flug nach draußen und setzte sich mit der stahlblechbewehrten Krempe gegen den Hals der Gestalt. Das Resultat war frappierend. Wie vom Blitz getroffen sackte die Gestalt in sich zusammen und suchte Halt auf dem Double der Lady Simpson. Parker ging es darum, Verwirrung zu stiften. Er warf einige Knallerbsen auf die Terrasse. Sie detonierten und verursachten einen schwer zu ortenden Lärm. Parker begab sich nach draußen und barg die leblose Gestalt. Um Myladys Double kümmerte er sich nicht weiter. »Was ist denn, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Agatha, während in der Dunkelheit der Lärm davonjagender Motorräder zu vernehmen war. »Kann man nicht mal in Ruhe meditieren?« »Darf man sich erlauben, Myladys Mörder zu präsentieren?« Parker deutete auf die leblose Gestalt, die neben dem Clubsofa auf dem Teppich lag. »Mein Mörder?« Sie begriff erst mit gewisser Verspätung und erhob sich dann. »Hat dieses Subjekt auf mich geschossen?« »Davon sollte Mylady ausgehen«, antwortete der Butler, »der Schuß war natürlich schallgedämpft.« »Ich brauche Licht«, verlangte die Detektivin, doch Parker sorgte erst mal dafür, daß die Tür zur Terrasse geschlossen wurde. Anschließend ließ er die Rolläden herunter. »Ein Milchgesicht«, staunte Agatha Simpson, nachdem der Butler Licht gemacht hatte, »sehen Sie sich diesen Flegel an, Mr. Parker: ein Milchgesicht.« »Ich möchte mich nicht erkühnen, Mylady zu widersprechen«, antwortete der Butler, hob den Lampenschirm der Stehlampe noch etwas höher und betrachtete das Gesicht des jungen Mannes, der höchstens zwanzig Jahre zählte. Er trug schwarze Lederkleidung, war schlank und mittelgroß. Agatha Simpson hatte nicht übertrieben. Der junge Mann zeigte nur den schwachen Hauch eines Bartes. »Wann kann ich diesen Lümmel verhören?« wollte die ältere Dame wissen. »Mylady werden sich noch einige Minuten gedulden müssen«, schickte der Butler voraus, »meine Wenigkeit war gezwungen, den Bowler einzusetzen.« Während Parker sprach, untersuchte er den jungen Mann und 23
fand nur einen einfachen Flaschenöffner in der linken Brusttasche der Lederjacke. Er hielt ihn gegen das Licht und entdeckte die verwischten Schriftzüge eines Reklameaufdrucks. Parker ließ diesen Flaschenöffner in eine seiner Taschen verschwinden und legte den jungen Mann zurück auf den Teppich, öffnete die Reißverschlüsse der Ärmel und schob das Leder hoch. Parker suchte nach den typischen Einstichen, wie man sie bei Drogenabhängigen findet, konnte jedoch nichts entdecken. »Nur noch wenige Augenblicke, Mylady«, meldete er dann seiner Herrin, »man wird mit dem Verhör gleich beginnen können.« Der Butler hatte seinen Satz gerade beendet, als das Telefon läutete. Parker ging an den Apparat, hob ab und gab sich zu erkennen. Auf der Gegenseite hörte er zuerst nur spöttisches Lächeln, das dann in eine kalte Stimme überging. »Okay, Parker«, sagte diese Stimme, »zugegeben, Sie haben uns geleimt. War gut gemacht. Aber unter uns, natürlich haben wir gewußt, daß Sie nur ‘ne Puppe auf die Terrasse gesetzt hatten, sonst hätten wir nicht geschossen.« »Eine bemerkenswerte Behauptung«, antwortete der Butler höflich, »und eines Ihrer Bandenmitglieder haben Sie demnach, wie man logischerweise vermuten muß, freiwillig auf die Terrasse geschickt, damit es Mylady Rede und Antwort stehen kann.« »Nun werden Sie mal nicht pampig«, erwiderte die kalte Stimme, die einen verärgerten Unterton annahm, »schicken Sie den Knaben umgehend wieder an die frische Luft, ist das klar? Falls nicht, werden Sie noch Ihr blaues Wunder erleben! Ich warte genau fünf Minuten!« Bevor Parker antworten konnte, war auf der Gegenseite bereits aufgelegt worden. * »Eine reine Unverschämtheit«, sagte Agatha Simpson, nachdem Parker ihr Bericht erstattet hatte, »dagegen werde ich etwas unternehmen.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »In fünf Minuten also werde ich mein blaues Wunder erleben«, redete die ältere Dame weiter, »sehr schön, bis dahin sollten Sie 24
sich etwas einfallen lassen, Mr. Parker.« »Mylady hegen bestimmte Wünsche?« »Aber nein«, meinte sie abwehrend, »solche Kleinigkeiten überlasse ich selbstverständlich Ihnen, Mr. Parker. Ich bestehe nur darauf, daß diesen Lümmeln eine Lektion erteilt wird.« Parker widmete sich dem jungen Mann, der inzwischen wieder zu sich gekommen war und sich erstaunt umblickte. Als er Lady Simpson sah, sprang er erstaunlich elastisch auf und wollte sie direkt angreifen. Er hätte es sich wohl überlegen sollen, denn die ältere Dame war wehrhaft und nicht gerade wählerisch in ihren Mitteln. Als der junge Mann nahe genug heran war, opferte die Lady ein paar Kubikzentimeter des Kognak, der sich noch im Schwenker befand. Sie kippte den Rest des Kreislaufstabilisierungsmittels in die Augen des Angreifers, der daraufhin auf jaulte, aus dem Kurs kam und über Myladys ausgestrecktes linkes Bein stolperte. Der Angreifer warf sich lustvoll in die Luft, die ihn natürlich nicht trug und krachte deshalb bäuchlings zu Boden. »Die Jugend von heute hat keine Erziehung mehr«, räsonierte Agatha Simpson, »sie untersteht sich einfach, wehrlose Frauen anzugreifen, Mr. Parker. Was soll man dazu sagen?« »Man könnte seiner allgemeinen und speziellen Empörung Ausdruck verleihen«, schlug Parker vor, »darf ich darauf verweisen, daß nur noch drei Minuten bis zu dem angekündigten Wunder verbleiben?« »Wird man versuchen, den Bungalow zu stürmen?« »Auch mit solch einer Möglichkeit ist zu rechnen, Mylady.« »Ich werde die Sicherung der Haustür übernehmen«, sagte sie und deutete dann auf den am Boden liegenden Lederschläger, »könnte man ihn wegschaffen, Mr. Parker?« »Einer der Wandschränke im Korridor wartet auf ihn, wenn ich so sagen darf, Mylady.« Parker schleifte den jungen Mann an den Handgelenken in den Korridor, öffnete einen Wandschrank und nahm die Zwischenbretter von den Leisten. Einige Augenblicke später stand der noch immer ausgeschaltete Besucher der Terrasse aufrecht im recht engen Wandschrank und bekam nicht mit, wie Parker die an, sich recht solide Tür schloß und mit einem Stuhl zusätzlich sicherte. Dazu kippte er ihn an und drückte die Lehne unter den Türknauf. Agatha Simpson, die alles erfreut beobachtet hatte, brachte ihren perlenbestickten Handbeutel in leichte Schwingung und baute sich rechts von der Eingangstür auf. 25
Aus dem Wohnraum hatte sie einen Schürhaken mitgenommen. Die Lady war gerüstet und wartete auf die Invasion. Josuah Parker entschuldigte sich und wollte die Sicherung der hinteren Küchentür übernehmen. Sie führte in einen kleinen Garten, der zu beiden Seiten von einem Zaun und Taxushecken begrenzt wurde. Den hinteren Abschluß bildete eine niedrige Steinmauer, hinter der bereits das Gelände anstieg und in eine Art Heidelandschaft überging. Der Butler kümmerte sich um Dinge, die eine Verteidigung ermöglichten. Er war ein Meister der Improvisation, der Dinge des Alltags blitzschnell umfunktionieren konnte. Da er sich in einer Küche befand, brauchte er nicht lange zu suchen. In den Schränken fand er alles, was ihm diente. Der Vermieter hatte den Bungalow voll ausgestattet übergeben. Parker öffnete einen Putzschrank und griff nach einer Flasche Spiritus, die er aufschraubte. Er öffnete spaltbreit die Küchentür und entleerte den Inhalt auf die Fliesen vor der Tür. Es handelte sich um einen präparierten Brennstoff, der mit Geschmackstoffen angereichert war. Der Duft nach frischen Limonen war schon fast aufdringlich. Um das spätere Feuerwerk noch festlicher zu gestalten, öffnete der Butler drei Dosen mit Streichhölzern und warf die Zündhölzer gebündelt nach draußen. Er ließ die Tür spaltbreit geöffnet und brauchte nicht lange zu warten. Kaum wahrnehmbar erschienen zwei, drei Gestalten auf der Mauer am Ende des Grundstückes und liefen schnell und in geduckter Haltung zur hinteren Küchentür, während im gleichen Moment vor der Haustür einige Motorräder im Leerlauf dröhnten. Die Absicht lag auf der Hand. Man wollte die Insassen des Bungalows zur Haustür locken, um ungehindert einsteigen zu können. Parker fand, daß die Taktik der Ledergang nicht gerade auf Phantasie schließen ließ. Man machte sich die Sache doch recht einfach. Josuah Parker war bereit, für Festbeleuchtung zu sorgen, riß ein Zündholz an und warf es im richtigen Moment auf die Steinfliesen. Danach wurde es hell. * Es waren drei in Leder gekleidete Gestalten, die sich plötzlich 26
von einem bläulich gefärbten Feuer eingeschlossen sahen. Die reichlich verstreuten Zündhölzer, deren Köpfe noch nicht durchnäßt waren, detonierten wie Miniaturbomben und sorgten für zusätzliche Verwirrung. Die nächtlichen, Besucher bremsten umgehend den eben noch vorhandenen Schwung, tanzten herum und wußten nicht so recht, wie sie sich verhalten sollten. Die Flammen züngelten, schufen Verwirrung und wohl auch Panik. Ein Besucher rutschte dazu noch aus, fiel in die züngelnden Flammen, brüllte, raffte sich wieder auf und klopfte anschließend wie wild an seiner Lederkleidung herum, die andeutungsweise brannte. »Falls Sie darauf bestehen, könnte auch noch mit Benzin gedient werden«, rief der Butler höflich nach draußen. Sein Hinweis auf diesen Brennstoff leitete den ungeordneten Rückzug ein. Die Gestalten jagten in den Garten, und der Lederträger, dessen Montur noch immer brannte, wälzte sich im Gras, um die an sich noch immer harmlosen Flammen zu ersticken. Es dauerte nicht lange, bis der Brennspiritus erlosch. Dann herrschte wieder Dunkelheit. Parker horchte in den Bungalow hinein. Das Dröhnen der Zweiräder wurde schwächer, nach wenigen Sekunden erschien Agatha Simpson in der Küche und schnupperte. Parker setzte sie mit passenden Worten ins Bild. »Vorn an der Tür ist alles verschwunden«, sagte sie etwas verärgert, »ich hatte es mit vier Motorrädern zu tun, Mr. Parker.« »Demnach wußte man sehr gut, daß Mylady an der Haustür warteten«, erklärte der Butler, »mit meiner Wenigkeit wollten sich hingegen nur drei Besucher befassen.« »Nun ja, man weiß eben, wer ich bin«, sagte sie und gab sich zufrieden, »habe ich mit weiteren Angriffen zu rechnen, Mr. Parker?« »Vorerst wohl nur mit einem Telefonanruf«, prophezeite der Butler. »Dann holen Sie dieses Subjekt aus dem Wandschrank, ich werde mit meinem Verhör beginnen.« Die Detektivin nahm im Wohnraum Platz und erfrischte ihren Kreislauf. Parker brauchte nur wenige Augenblicke, bis er mit dem jungen Lederträger erschien. Der Schläger, der er zweifelsfrei war, machte einen gehemmten Eindruck. Er sah die ältere Dame unsicher an. »Sie haben auf mich geschossen und wollten mich töten«, 27
schickte Agatha Simpson voraus, »ich sage Ihnen gleich, daß ich nachtragend und rachsüchtig bin.« »Ich… Ich habe nicht geschossen«, erwiderte der junge Mann, »ich wollte nur mal nachsehen, was auf der Terrasse passiert war.« »Und für wen sollten Sie das tun, junger Mann?« grollte die Lady. »Das sag’ ich nicht! Das kriegen Sie nicht aus mir ‘raus.« »Sehr schön«, freute sich die ältere Dame, »ein schnelles Geständnis hätte mich enttäuscht.« »Wieso denn das?« fragte der Ledergekleidete mißtrauisch. »Das Fernsehprogramm langweilt mich, ich werde mich’ mit Ihnen befassen. Mr. Parker, ist das Haus schalldicht?« »Nicht unbedingt, Mylady. Man könnte mögliche Schreie weiter unten auf der Promenade hören. Darf meine Wenigkeit anregen, den Gast in den Keller des Bungalows zu verbringen?« »Was soll ich im Keller?« Der junge Mann wich unwillkürlich einen halben Schritt zurück und musterte Agatha Simpson und den Butler, als habe er sie jetzt erst richtig gesehen. Für sein Lebensgefühl paßten die beiden Menschen überhaupt nicht in die Zeit. Sie schienen aus einem anderen Jahrhundert zu stammen. »Was soll ich im Keller?« wiederholte der junge Mann seine Frage. »Hören Sie, wenn Sie glauben, mir sowas wie ‘nen dritten Grad verpassen zu können, dann haben Sie sich aber geschnitten… Ich werd’ Sie anzeigen wegen Körperverletzung oder so, wegen Entführung und Folter!« »Sie ahnungsloses Subjekt«, meinte Lady Agatha mitleidig, »glauben Sie wirklich, später noch etwas in dieser Richtung unternehmen zu können?« »Was heißt das? Was wollen Sie damit sagen?« »Sagen Sie es ihm, Mr. Parker«, bat die Detektivin, die eine vorzügliche Schauspielerin war. Man nahm ihr das ab, was sie da gerade sagte. »Mylady will damit diskret andeuten, daß Sie möglicherweise nicht mehr in der Lage sein werden, gegen Mylady auszusagen. Mit anderen Worten und vielleicht etwas deutlicher: Sie könnten physisch nicht mehr imstande sein, Worte der Anklage zu erheben.« »Sie… Sie wollen mich…?« Er traute sich nicht, den Satz zu beenden. 28
»Mylady werden Sie nur einer intensiven Befragung unterziehen«, setzte der Butler ihm auseinander, »Sie können aber auch bereits jetzt und hier Ihre Aussagen machen, um dann in die Freiheit entlassen zu werden.« »Die… Die bringen mich doch alle zur Strecke, wenn ich rede«, gab der junge Lederträger leise zurück, »die putzen mich ab, begreifen Sie das nicht?« »Wie heißt das Subjekt, für das Sie arbeiten, junger Mann?« fragte die ältere Dame kühl. »Falls Sie mir wahrheitsgemäß antworten, wird Mr. Parker dafür sorgen, daß Ihnen nichts passiert. Sie müssen sich entscheiden.« »Sie bringen mich ‘raus aus Blackpool?« fragte der junge Mann, auf dessen Stirn sich dicke Schweißperlen gebildet hatten. »Dies ist eine verbindliche Zusage.« Parker deutete ein Nicken an. »Larry Brentman«, nannte der junge Mann umgehend einen Namen, »Larry Brentman ist unser Boß.« »Und wo finde ich dieses Subjekt? Hat es auf mich geschossen?« »Das weiß ich nicht, Lady, aber wo er steckt, das weiß ich. Sie schaffen mich wirklich ‘raus aus Blackpool?« Bevor Parker diese erneute Zusicherung geben konnte, läutete wieder das Telefon. Parker hob ab und meldete sich. Mike Rander teilte ihm mit, Kathy und er seien den Motorradfahrern gefolgt und wüßten, wo man sie findet. »Beeilen Sie sich, Mr. Parker«, sagte Rander, nachdem er eine genaue Ortsbeschreibung gegeben hatte, »allein schaffen wir es nicht, dieses Nest auszuheben.« * »Sagt Ihnen der Name Hamsford-Farm etwas?« fragte Parker den jungen Mann, nachdem er aufgelegt hatte. Agatha Simpson verhielt sich ruhig, sie spürte, daß Parker diese Frage nicht ohne zwingenden Grund an den Gast gerichtet hatte. »Klar, ich kenn’ die Farm«, antwortete der junge Mann spontan, »die liegt in Richtung Preston, da is’ ein Seitental.« »Und was spielt sich auf der gerade erwähnten Farm ab?« »Da wohnen ein paar Leute von uns«, redete der junge Mann 29
weiter, »woher kennen Sie die Farm?« »Gibt es noch einen Mr. oder Mrs. Hamsford?« »Mrs. Hamsford«, lautete die Antwort des eingeschüchterten Lederträgers, »ihr Sohn leitet die Farm.« »Mylady geht davon aus, daß Sie den Vornamen dieses Sohnes nennen werden«, sagte Parker. »Das ist Peter Hamsford«, entgegnete der junge Mann, der jetzt keine Hemmungen mehr zu haben schien. »Und was spielt sich auf der erwähnten Farm ab?« fragte der Butler. »Eigentlich nichts«, meinte der Geständige achselzuckend, »wir haben da ‘ne Werkstatt, basteln an unseren Maschinen und fahren hin und wieder ins Gelände. Sagen Sie, woher kennen Sie denn eigentlich die Farm?« »Über welche Stimmlage verfügt Mr. Larry Brentman?« Parker verzichtete darauf, die Frage zu beantworten. »Stimmlage? Wie meinen Sie das?« »Hat er eine kühle oder weiche, oder vielleicht auch höflichverbindliche Stimme?« »Larry Brentman? Nee, der hat ‘ne helle, singende Stimme. Hören Sie… sie haben mir versprochen, mich aus Blackpool zu schaffen. Ich muß weg, sonst bin ich geliefert. Die nehmen doch so oder so an, daß ich gequasselt habe.« »Eine durchaus sachliche Beurteilung der Situation«, fand Josuah Parker, »Sie stammen aus Blackpool?« »Aus Liverpool, da bin ich auch angequatscht worden.« »Von dem bereits erwähnten Larry Brentman?« »Nee, nicht direkt von ihm, aber von einem aus der Gang. Die haben mich gekeilt und dann nach Blackpool geholt.« »Mylady würde gern in Erfahrung bringen, auf welche Art Sie Ihren Lebensunterhalt bestreiten.« »Wie ich was? Ach so, wovon ich le…lebe? Na ja, das is’ ganz einfach, Brent man zahlt jedem von uns aus der Clubkasse so ‘ne Art Wochengeld. Und der Sprit ist frei.« »Um welch einen Betrag handelt es sich?« Parker konnte sehr direkt und ohne jede Umschweife fragen. »Zwanzig Pfund pro Woche bekommen wir bar auf die Hand.« »Aus wie vielen Personen besteht der Club?« lautete die nächste Frage Parkers. »Das wechselt«, lautete die Antwort, »aber im Schnitt sind im30
mer so um die zehn oder zwölf Personen auf der Farm. Hören Sie, mehr habe ich nicht auf Lager. Bringen Sie mich jetzt weg!« »Sie gehören zu den Motorradfahrern, die die Feriengäste, nun, sagen wir, belästigen?« »Das wissen Sie doch längst«, entgegnete der Mann, »hören Sie, woher wissen Sie eigentlich von der Hamsford-Farm?« »Dieser Name wurde eben per Telefon durchgegeben «, erwiderte der Butler und warf seiner Herrin einen kurzen Blick zu, »gibt es noch andere Treffpunkte der Gang?« »Das schon, aber die kenn’ ich nicht. Ich bin ja erst seit drei Wochen im Club und noch Anfänger. Aber eigentlich habe ich die Schnauze schon voll. Ich laß mich nicht gern herumkommandieren. Früher oder später war’ ich wieder nach Liverpool abgehauen.« »Ein relativ komfortabler Kofferraum wartet auf Sie«, kündigte der Butler an, »Mylady wird Ihnen die Möglichkeit verschaffen, nach Liverpool zu gelangen.« »Ohne faule Tricks?« »Sie sprechen von Dingen, die Mylady durchaus fremd sind«, erklärte der Butler würdevoll. »Was sind faule Tricks, junger Mann?« wollte Agatha Simpson umgehend wissen. Sie glaubte wahrscheinlich fest daran, daß sie so etwas tatsächlich nicht kannte! * »Wieso rechnen Sie mit einer Falle, Mr. Parker?« fragte Lady Agatha, die im Fond des hochbeinigen Monstrums saß und sich auf die kleine Auseinandersetzung auf der Hamsford-Farm freute. »Mr. Rander sprach meine Wenigkeit mit dem Zusatz >Mister< an«, erläuterte der Butler, »daraus ergibt sich schlüssig, Mylady, daß Mr. Rander nicht frei und ungeniert zu reden vermochte.« »Hat er etwas über Miß Porter gesagt?« »Dieser Name wurde mehr pauschal erwähnt, Mylady. Mr. Rander sprach hingegen laut und deutlich von der Hamsford-Farm, wo er Mylady angeblich erwartet.« »Es handelt sich um das Nest dieser Ledergangster, wie?« »Um eines der wahrscheinlich vielen Nester, Mylady. Darf man daran erinnern, daß der junge Mann von mehreren Bandenunter31
künften sprach?« »Die werde ich Stück für Stück aufrollen, Mr. Parker«, meinte die Detektivin grimmig, »eigentlich ist dieser Fall bereits gelöst. Ich weiß schließlich, daß dieser, wie heißt er noch, die Ledergang anführt.« »Mylady meinen Larry Brentman?« »Richtig«, bestätigte sie, »ich glaube nicht, daß dieser Lümmel mich eben belogen hat.« »Ich möchte mich erkühnen, Mylady beizupflichten«, gab Parker zurück, »Mr. Larry Brentman dürfte durchaus eines der führenden Mitglieder der Ledergang sein.« »Nur eines der führenden Mitglieder?« Sie hatte diesmal den feinen Unterschied mitbekommen. »Meine Wenigkeit wurde von einer Person männlichen Geschlechts angesprochen, Mylady, deren Stimme kalt und feindlich klang. Mr. Brentman hingegen soll über eine helle, singende Stimme verfügen.« »Unwichtige Kleinigkeiten«, urteilte die ältere Dame, »Sie müssen nicht immer alles auf die Goldwaage legen, Mr. Parker.« »Meine Wenigkeit wird sich bemühen, Mylady. Man dürfte übrigens bald die Abzweigung erreicht haben, die in das Seitental führt.« »Zur Hamsford-Farm, nicht wahr?« »Mylady haben stets alle Fakten abrufbereit zur Hand.« Parker deutete ein Nicken an. »An dieser Abzweigung sollte man bereits schon mit einer lebensbedrohenden Falle rechnen.« »Die ich natürlich durchschauen werde, Mr. Parker. Passen Sie also auf!« »Könnte Mylady sich dazu entschließen, bereits jetzt die Straße zu verlassen?« »Erstaunlich, Mr. Parker, genau das wollte ich gerade vorschlagen. Diese Wiesen dürften doch leicht zu befahren sein, oder?« Parker minderte die Geschwindigkeit seines Monstrums und hielt Ausschau nach einem Gatter, um auf die Wiesenfläche zu gelangen. Als er etwas Passendes gefunden hatte, hielt er kurz, stieg aus und öffnete das einfache Holzgatter. Trotz der späten Nachtstunde war noch recht viel zu erkennen. Der Mond war aufgegangen und goß sein Licht über das Land. »Darf man sich nach Ihrer Allgemeinverfassung erkundigen?« fragte Parker, der zum Kofferraum seines hochbeinigen Wagens 32
geeilt war. »Wohin fahren wir eigentlich?« kam die dumpfe, undeutliche Antwort aus dem Kofferraum. »In Richtung Liverpool«, antwortete Parker, »Sie werden allerdings einen kleinen Umweg in Kauf nehmen müssen.« Ohne sich auf eine Unterhaltung einzulassen, schritt Parker zurück zur geöffneten Wagentür, setzte sich ans Steuer und bugsierte seinen Wagen auf die weite Wiesenfläche. Sie fiel zu einem sanft geschwungenen Tal ab. Es gab vereinzelt stehende Bäume oder auch Baumgruppen, die für Sichtschutz sorgten. »Habe ich mir schon einen Schlachtplan einfallen lassen, Mr. Parker?« wollte sie wissen. »Darüber kann kein Zweifel herrschen, Mylady«, gab Parker zurück. »Natürlich nicht«, pflichtete sie Parker bei und merkte erst dann, daß die Antwort des Butlers ein wenig zurückhaltend ausgefallen war. »Meine Wenigkeit warten auf Myladys spezielle Wünsche«, redete der Butler inzwischen weiter. Er hatte die Buschgruppe erreicht und hielt. Er war ohne Licht bis hierher gefahren und wollte nun erst mal das Gelände jenseits einer kleinen Kuppe sondieren. »Ich habe keine speziellen Wünsche, Mr. Parker«, ließ die ältere Dame sich vernehmen, »was da auf mich zukommt, ist doch nur reine Routine. Ich werde Ihnen eine Freude machen.« »Mylady sind zu gütig.« Parker ahnte, was kommen würde. »Sie können frei schalten und walten«, meinte sie großzügig, »ich werde mich rechtzeitig bemerkbar machen, falls Sie über das Ziel hinausschießen sollten!« * Die Hamsford-Farm lag tatsächlich in einem Seitental und bestand aus dem eigentlichen Farmhaus, einer Scheune und einem Stallgebäude. Um diese Gebäude wucherten mannshohe Sträucher und schien es viel Unkraut zu geben. Im zweistöckigen Farmhaus brannte Licht. »Eine Annäherung per Wagen, Mylady, würde in jedem Fall frühzeitig bemerkt werden«, meinte der Butler. »Sehr richtig.« Sie war vorsichtig geworden und vermied jeden 33
Ratschlag. »Man müßte sich zu Fuß heranpirschen, Mylady, gleichzeitig aber dafür sorgen, daß eine Annäherung des Wagens registriert wird.« »Aha.« Sie nickte. »Falls Mylady einverstanden sind, könnten Mylady den Wagen bewegen und das Gros der Ledergangster auf sich ziehen.« »Sehr gut.« Die Detektivin war sofort einverstanden. »Während ich mich mit diesen Subjekten herumschlage, können Sie ungehindert an die Farm heran. Einen besseren Vorschlag hätte auch ich nicht machen können, Mr. Parker. Was wahr ist, soll wahr bleiben.« »Mylady beschämen meine Wenigkeit. Könnten Mylady mit der Abfahrt warten, bis meine Person sich der Feldscheune genähert hat?« »Aber natürlich, Mr. Parker. Eine andere Frage: Werden Kathy und Mike dort unten tatsächlich festgehalten?« »Nicht unbedingt, Mylady, da es sich in erster Linie um eine Falle handelt, die man Mylady gestellt hat. Aber Anwesende werden sicher mit weiteren Auskünften dienen können.« Parker öffnete die hintere Wagentür und beschäftigte sich mit seiner schwarzen Reisetasche, die er vor Antritt der Fahrt aus dem Kofferraum geholt hatte. Er versorgte sich mit einigen Spezialitäten, um den Fallenstellern in der Farm gebührend begegnen zu können; der Mordanschlag auf seine Herrin hatte ihn gelehrt, daß man es mit Gangstern zu tun hatte, denen es auf ein Menschenleben nicht ankam. Parker liftete grüßend seine schwarze Melone, bevor er sich in Marsch setzte. Lady Agatha hatte ihren Platz bereits gewechselt und saß am Steuer des hochbeinigen Monstrums. Sie machte einen durchaus animierten Eindruck und schien sich darauf zu freuen, in wenigen Minuten eine kleine Hetzjagd veranstalten zu können. Parker hatte keine großen Bedenken, die ältere Dame allein zu lassen. Sie befand sich in einem schußsicheren Wagen, der mit normalen Mitteln nicht zu knacken war. Obwohl Parker nichts von seiner Würde aufgab, brauchte er nur wenige Minuten, bis er die freistehende Feldscheune erreichte, die halb eingestürzt war und einen desolaten Eindruck machte. Der Butler verweilte kurz, wandte sich um und hörte im gleichen Moment auch schon den Motor seines Privatwagens. Lady Agatha 34
donnerte los und tat alles, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Bleiben Sie stehen und rühren Sie sich nicht«, sagte da eine Stimme hinter Parker. Sie war hell und hatte einen weichen, singenden Unterton, »Sie Trottel sind uns also doch auf den Leim gegangen!« Parker dachte nicht daran, sich an die Weisung zu halten, drehte sich langsam um und suchte nach dem Besitzer der Stimme. Falls der junge Ledergangster, der sich im Kofferraum seines Wagens befand, nicht gelogen hatte, mußte es sich um Larry Brentman handeln. »Habe ich das zweifelhafte Vergnügen mit Mr. Larry Brentman?« erkundigte sich Parker. »Woher kennen Sie meinen Namen? Ach so, dieser Anfänger hat also gequasselt! Das wird ihm verdammt teuer zu stehen kommen.« »Sie reden von jenem jungen Mann, der die Terrasse des Strandbungalows aufsuchte, um sich vom Tod Lady Simpsons zu überzeugen?« »Genau diesen Idioten meine ich, Parker. Aber jetzt zu Ihnen! Nehmen Sie erst mal die Flossen hoch, klar? Wir wissen inzwischen, daß Sie ‘ne Menge Tricks auf Lager haben sollen.« »Darf man daraus schließen, daß Sie gewisse Erkundigungen eingezogen haben?« »Flossen hoch«, verlangte die helle, singende Stimme noch mal. Parker konnte den Sprecher noch nicht genau ausmachen. Er befand sich irgendwo zwischen den Trümmern der Feldscheune und blieb natürlich in Deckung. »Meine Wenigkeit würde Ihren Wünschen gern nachkommen«, schickte Josuah Parker voraus, »aber könnten Sie mir freundlicherweise erklären, was Sie mit dem Ausdruck Flossen anzudeuten belieben?« »Mann, wollen Sie mich auf den Arm nehmen?!« Die helle, singende Stimme wurde wütend. »Nehmen Sie endlich die Hände hoch, sonst verpaß ich Ihnen ‘ne blaue Bohne.« »Diesem Wunsch werde ich selbstverständlich sofort entsprechen«, gab der Butler zurück und hob langsam die Arme. Seine rechte schwarz behandschuhte Hand passierte dabei den aufgeknöpften schwarzen Covercoat und griff nach einer der vielen Westentaschen unter dem ebenfalls geöffneten Zweireiher. 35
Parker wußte sehr wohl, wonach er griff! * Der grelle Lichtblitz, einer kleinen Sonne gleich, was die Intensität betraf, wischte die Dunkelheit weg. Parker, der die Augen fest geschlossen hielt, brauchte einen Augenblick, bis die leicht gestörte Netzhaut wieder einigermaßen funktionierte. Der Butler trat nach links zur Seite, entwickelte dabei jedoch keine unnötige Schnelligkeit. Er kannte die Wirkung dieser kleinen Lichtblitzbombe. Wer immer auch von diesem Licht unvorbereitet getroffen wurde, war für einige Minuten so gut wie blind und verlor jede Orientierung. Parker hatte diese Verteidigungswaffe in seinem privaten Labor im Haus der Lady konstruiert und sich, dabei an gewisse Vorbilder aus dem militärischen Bereich gehalten. Der Lichtblitz, untergebracht in einem ganz normal aussehenden Kugelschreiber, gab ihm die Zeit, sich an Larry Brentman heranzumachen. Parker stand hinter brüchigem Fachwerk und hörte im Innern der verfallenen Feldscheune Stöhnen, Flüche und dann das Brechen von morschem Holz. Der Butler verzichtete darauf, sich mit den Gangstern zu befassen, die sich in der Feldscheune befanden. Sein Ziel war und blieb die Farm, bestand doch immerhin die Möglichkeit, daß Kathy Porter und Mike Rander dort festgehalten wurden. Josuah Parker lustwandelte auf den Gebäudekomplex zu und nutzte die natürliche Deckung, die sich ihm bot. Die ersten Sträucher waren erreicht, bis zur Farm war es nicht mehr sonderlich weit. Von der Feldscheune drangen Rufe und Kommandos an sein Ohr. Offensichtlich suchte man nach ihm, schwärmte aus und wollte sich für den Lichtblitz rächen. Parker stand inzwischen vor der Längswand der Scheune und fand hier einen passenden Eingang. Eine zweigeteilte Stalltür war weit geöffnet, im Hintergrund war Licht zu sehen. Parker verzichtete auf diese Einladung. Die Stalltür war für seinen Geschmack nun doch zu freundlich geöffnet. Man schien in diesem langgestreckten Gebäude nur auf ihn zu warten. Parker war nicht bekannt, ob die Ledergangster per Sprechfunk untereinander in Verbindung standen, doch er ging davon aus. Wahr36
scheinlich wußte man hier bereits, daß es ihm gelungen war, die erste Sperre zu überwinden. Dennoch hinterließ Parker eine Art Visitenkarte. Er warf eine kleine Blechkugel in das Gebäude, das auf den ersten Blick hin wie eine Art Spinne aussah, die allerdings nur über vier lange Beine aus Metallstiften verfügte in verschiedenen Längen. Auch dieses freundliche Spielzeug stammte natürlich aus seinem privaten Labor und hatte die Eigenschaft, die Stiftbeine bewegen zu können. Dazu hatte Parker nur die Sperre der aufgezogenen Feder gelöst. Die Blechspinne war inzwischen auf den Ziegeln der langen Stallgasse gelandet. Die entsperrten Stiftbeine begannen mit ihren Bewegungen und ließen die Blechspinne marschieren. Diese Bewegungen wurden von einem fremdartigen Schnarren untermalt. Parker wunderte sich überhaupt nicht, als im Stallgebäude mehrfach ein >Ploppen< zu vernehmen war, ein sicheres Zeichen dafür, daß es dort einige Schützen gab, die auf den vermeintlichen Eindringling schossen. Der Butler schritt inzwischen weiter und kümmerte sich nicht mehr um die Schießübungen. Er wollte so schnell wie möglich an den Mann heran, der ihn zur HamsfordFarm gebeten hatte. Parker erreichte das Ende des Stallgebäudes und konnte zur Scheune und zum Platz vor dem Farmhaus blicken. Über dem Eingang war eine einfache Lampe eingeschaltet worden, deren Birne allerdings grelles, weitreichendes Licht warf. Parker machte einige Motorräder aus, die vor der Hauswand abgestellt waren und dann einen dunklen Ford, der neben einem freistehenden Baum stand. Der Butler beobachtete einen mittelgroßen Mann, der in der Tür des Farmhauses erschien, sich kurz nach allen Seiten umschaute und dann mit schnellen Schritten hinüber zum Baum ging. Sein Ziel war der Ford. Dieser Mann wollte sich offensichtlich absetzen, ihm schien der Boden bereits zu heiß geworden zu sein. Parker aktivierte seinen Universal-Regenschirm. Ruckartig verdrehte er den mit Blei ausgegossenen Bambusgriff gegen den Schirmstock und hob das altväterlich aussehende Regendach. Dann visierte er kurz den Mittelgroßen an und drückte auf einen der leicht hervorstehenden Zierringe des Griffs. Angetrieben von komprimierter Kohlensäure, für die Parker sich 37
seit einiger Zeit endgültig entschieden hatte, schoß ein bunt gefiederter Pfeil unten aus dem Schirm hervor, sirrte durch die Luft und strandete in der linken Gesäßhälfte des Mannes, der zusammenzuckte, als sei er von einem elektrischen Schlag getroffen worden. Der Mann langte nur recht zögernd nach dem stricknadelgroßen Pfeil, zog ihn aus der Sitzfläche und warf dieses seltsame Geschoß fast angewidert weit von sich. Er rannte plötzlich los, erreichte den Wagen und riß die Fahrertür auf. Wenige Augenblicke später heulte der Motor auf, der Wagen setzte sich in Bewegung und fuhr ohne Licht in die Dunkelheit. Josuah Parker kannte die recht schnelle Wirkung jenes Präparats, mit dem die Pfeilspitze imprägniert war. Weit konnte der Fahrer nicht kommen. Schon nach wenigen Minuten würde er von schwerer Müdigkeit erfaßt werden und den Entschluß fassen, eine kleine Schlafpause einzulegen. Der Butler löste sich aus der näheren Umgebung der Farm und schritt ebenfalls wieder in die Dunkelheit. Er kümmerte sich nicht weiter um die Rufe und Schreie im Farmhaus, die darauf hindeuteten, daß man sich nach wie, vor angegriffen fühlte und sich wechselseitig vor ihm warnte. Der Butler machte sich auf den Weg, den Fahrer des Ford zu bergen. * »Da sind Sie ja endlich, Mr. Parker«, sagte Agatha Simpson eine halbe Stunde später, nachdem der Butler hinter seinem hochbeinigen Monstrum den Ford angehalten hatte und ausgestiegen war. »Darf man sich nach Myladys Befinden erkundigen?« fragte Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. »Mir geht es wunderbar«, gab sie zurück und nickte wohlwollend, »ich habe es diesen Lümmeln gezeigt, Mr. Parker.« »Mylady hatten Kontakt mit den Ledergangstern?« »Nicht direkt«, lautete die Antwort, »aber es hätte durchaus dazu kommen können, Mr. Parker.« »Mylady lenkte einige motorisierte Gangster ab?« »Indirekt, Mr. Parker«, gab sie unwirsch zurück, »es waren nur zwei lächerliche Motorradfahrer, die mir folgten. Ich scheuchte sie 38
in eine Art Sandgrube, aber leider sprangen sie von ihren Maschinen ab. Doch kommen wir zu Ihnen, Mr. Parker… Haben Sie etwas erreicht? Wo sind Kathy und Mike?« »Mylady werden schon bald dazu einige Angaben bekommen.« Parker berichtete, stichwortartig von seinem gezielten Pfeilschuß und von dem Fahrer des Ford, den er tatsächlich am Ausgang des Seitentals entdeckt hatte. »Der Benutzer des Ford hatte sich bereits dem Tiefschlaf hingegeben, Mylady und seinen Wagen von der Straße gebracht. Meine Wenigkeit war so frei, ihn weiter mitzunehmen.« »Habe ich damit diesen Larry Brentman erwischt, oder wie immer er auch heißen mag?« »Möglicherweise, Mylady, doch zur Zeit ist der Klang seiner Stimme nicht in Erfahrung zu bringen.« »Wann wird dieses Subjekt wieder zu sich kommen, Mr. Parker? Und wohin werde ich es bringen?« »Mylady stehen der gesamte Strand zur Verfügung«, antwortete der Butler, »aus Zeitgründen werden Mylady sicher darauf verzichten, zum Strandbungalow zurückzufahren.« »Das würde allerdings nur Zeit kosten«, pflichtete sie ihm bei, »fahren Sie voraus, Mr. Parker, suchen Sie ein hübsches Fleckchen Erde! Ich möchte mich gleich völlig ungestört mit diesem Lümmel unterhalten können…« Parker ging zurück zum Ford, setzte sich ans Steuer und übernahm die Führung des kleinen Konvoi. Agatha Simpson blieb hinter ihm und folgte ihm ohne jede Eskapade. Als Parker einen ruhigen Küstenstreifen erreichte, bog er von der Durchgangsstraße ab und stellte den Ford auf eine Heidefläche, die steil zur Küste abfiel. Zur Straße hin wurden dieser Wagen und auch sein hochbeiniges Monstrum durch Felsklippen und vom Wind zerzauste Bäume geschützt. Parker kümmerte sich um seinen Mitfahrer, der auf dem Rücksitz lag und grunzende Töne von sich gab. Parker hatte die hintere Wagentür geöffnet und ging dann seiner Herrin entgegen, die sich bereits energisch näherte. »Eine Durchsicht der diversen Taschen war ergebnislos«, berichtete der Butler, »sicherheitshalber habe ich die Hände des Mannes gefesselt.« »Er wollte sich also absetzen«, erinnerte die ältere Dame und warf einen Blick auf das Gesicht des Mittelgroßen. Dazu hatte der 39
Butler seine Miniatur-Taschenlampe eingeschaltet, einen Kugelschreiber, der in dieser Form sogar im normalen Handel angeboten wurde. Das Gesicht des Mannes war voll, fast aufgeschwemmt. Am rechten Mundwinkel gab es eine wulstige Narbe, die nach Parkers Einschätzung von einem Messer herrührte. »Ein unangenehmer Typ«, urteilte die Detektivin, »er ahnt noch nicht, was auf ihn wartet.« Der Mittelgroße fuhr plötzlich ruckartig hoch und blinzelte in das grelle Licht der Kugelschreiber-Taschenlampe. Danach merkte er, daß seine Hände mit den Schnürsenkeln seiner Schuhe gefesselt waren. Er richtete sich mühsam auf. »Was is’ los?« fragte er dann mit belegter Stimme. »Die Fragen stelle ich, junger Mann«, herrschte die Lady ihn an, »ob Sie nun Brentman heißen oder nicht, ist mir egal. Ich will nur wissen, wo Miß Porter und Mr. Rander festgehalten werden. Sie sollten schnell antworten. Ich glaube, daß ich ziemlich verärgert bin.« »Sind Sie diese Lady?« fragte der Mittelgroße und räusperte sich, »ich will Ihnen mal was sagen: Wenn Ihren beiden Leuten nichts passieren soll, dann hauen Sie ab und vergessen Sie, was war…« »Geht man recht in der Annahme, daß Sie Mr. Larry Brentman sind?« fragte Parker in seiner höflichen Art. Er hatte zwar herausgehört, daß er es mit einer hellen, singenden und weichen Stimme zu tun hatte, doch er wollte eine letzte Gewißheit. »Woher kennen Sie den Namen Brentman?« fragte der Mittelgroße und hüstelte. »Sind Sie es oder nicht?« schaltete die ältere Dame sich grimmig ein, »antworten Sie schnell!« »Sie können mich mal«, lud der Mittelgroße die resolute Frau leichtsinnigerweise ein. Agatha Simpson ging darauf natürlich nicht näher ein, doch sie revanchierte sich mit einer ihrer berüchtigten Ohrfeigen. Es dauerte fast eine halbe Minute, bis der Mittelgroße danach den Unterkiefer wieder andeutungsweise zu bewegen vermochte… * »Ich könnte mich schwarz ärgern«, sagte Mike Rander zu seiner 40
Begleiterin, »ich bin wie ein Trottel aufgelaufen, Kathy.« »Das sagten Sie schon einige Male, Mike.« Kathy Porters Stimme klang ein wenig amüsiert. »Wer rechnete denn damit, daß dieses Ehepaar mit den Gangstern zusammenarbeitete?« »Ich hätte eben Lunte riechen müssen, als ich den Hilferuf hörte«, warf Mike Rander sich weiter vor. »Ich bin ja ebenfalls darauf hereingefallen, Mike.« Sie sah alles ganz deutlich vor sich. Mike Rander und sie hatten den Strandbungalow verlassen, um angreifende Ledergangster abzufangen. So war es mit dem Butler vereinbart worden. Doch dann waren sie beide von diesem angeblichen Ehepaar abgelenkt und prompt auch noch hereingelegt worden. Mike und Kathy hatten Schreie und Stöhnen gehört, waren natürlich hinunter zur Promenade gelaufen und hatten dann plötzlich in die Mündungen von zwei schallgedämpften Pistolen sehen müssen. Und nun saßen Mike und Kathy in diesem Hinterraum, der zu einer Werkstatt gehörte und einem fensterlosen Bunker glich. Die Tür war feuerhemmend und entsprechend solide. An einen Ausbruch war überhaupt nicht zu denken. »Wie mag’s wohl Lady Simpson und Parker gehen?« Rander lehnte sich gegen eine ausgediente Werkbank. »Sie sind bestimmt schon unterwegs, um uns hier herauszuholen, Mike.« Kathy Porter schien nicht ganz bei der Sache zu sein. Im trüben Licht einer nackten, kleinkerzigen Glühbirne suchte sie im alten, verrosteten Eisengerümpel. »Wir haben diese Ledergangster glatt unterschätzt«, redete der Anwalt weiter, »ich weiß, Kathy, ich hab’s auch schon ein paar Mal gesagt, aber dadurch komme ich wenigstens in Fahrt.« »Und wohin soll die Fahrt gehen, Mike?« »Wir müssen hier ‘raus«, sagte der Anwalt, »wir haben es nicht nur mit jungen Typen zu tun, die auf ‘ner schiefen Bahn rutschen, hier geht es um eine echte Gang.« »Was halten Sie von diesem Schraubstock, Mike?« Kathy Porter hatte leere Kartons von der Werkbank gehoben und deutete auf einen verrosteten Eisenklotz, der einen unbrauchbaren Eindruck machte. Dann aber, als sie an der Spindel drehte, knirschte es in der Windung, die Backen des Schraubstocks schlossen sich langsam. »Nicht schlecht.« Rander baute sich neben Kathy Porter auf und nickte langsam, »Sie meinen, Kathy, wir sollten uns was in Par41
kers Sinn einfallen lassen, wie?« »Genau darauf will ich hinaus, Mike. Mr. Parker würde bereits improvisieren.« »Und aus dem Schraubstock eine Waffe basteln. Ich habe kapiert, Kathy. Moment mal, ich glaube, ich habe da drüben eine Blattfeder gesehen. Einen Augenblick!« Er stieg über leere Ölkanister und Eisenschrott, bückte sich und nahm eine Blattfeder hoch, die gegen die Wand gestellt worden war. »Ein Katapult, Mike?« Sie hatte sofort begriffen. »Das werden wir gleich haben, Miß Porter«, erwiderte der Anwalt in gespielter Höflichkeit, »wenn wir die Blattfeder einspannen und unter Druck setzen, können wir damit ‘ne ganz schöne Ladung auf den Weg bringen.« Sie wußten genau, was sie zu tun hatten. Mit schwarzem Altöl, das er in einer Konservendose fand, behandelte Mike Rander die Spindel und machte sie gängig. Dann spannte er die Blattfeder ein und bog sie versuchsweise nach hinten. Er mußte sich anstrengen, bis er dieses Stück Stahl um einige Zentimeter auf Spannung brachte. Zusammen mit Kathy rückte er dann die Werkbank so zurecht, daß er hinter sie schlüpfen konnte. Sie mühten sich ab, aber sie gönnten sich keine Pause. Nachdem sie die Blattfeder justiert hatten, suchten sie nach einem geeigneten Geschoß. Kathy Porter fand dann das, was sie brauchten, nämlich einen Bremsklotz aus ölgetränktem Holz. Unter geringer Spannung der eingeschraubten Blattfeder schoß Mike Rander das mächtige Stück Holz in Richtung Feuertür und nickte zufrieden. Die Richtung hatte auf Anhieb gestimmt. »Provozieren wir einen Besuch, Kathy, oder warten wir, bis sich einer der Gangster blicken läßt?« fragte er dann seine Begleiterin. »Mir wird’s hier langsam langweilig«, erwiderte Kathy Porter, »ich könnte ein paar leere Dosen gegen die Tür werfen, Mike. Wetten, daß wir dann Besuch bekommen werden?« * »Ihre Einsichtsfähigkeit, Mr. Brentman, ist geradezu bemerkenswert«, urteilte Josuah Parker, nachdem der Mittelgroße aus seiner leichten Benommenheit aufgetaucht war, »ich darf noch mal rekapitulieren? Sie sind Larry Brentman und widmen sich 42
dem Nachwuchs der Ledergang, wenn man es mal so umschreiben darf?« »Ich bin Larry Brentman«, sagte der Gangster mit seiner hellen, singenden Stimme, die immer noch brüchig klang. Er bewegte vorsichtig den Unterkiefer und maß die ältere Dame mit einem ausgesprochen scheuen Blick. Er hatte nicht die Absicht, Mylady noch mal zu irgendeiner Handlung einzuladen und dadurch eine Ohrfeige zu riskieren. »Wo werden Miß Porter und Mr. Rander festgehalten?« fragte der Butler weiter. »Keine Ahnung«, lautete die Antwort, die allerdings sofort korrigiert wurde, »Moment, Lady, ich weiß es nicht genau, ich könnte es mir vorstellen.« »Dann tun Sie’s«, förderte Agatha Simpson grollend, »ich sage Ihnen gleich, Brentman, ich warte nur darauf, Sie noch mal zu ohrfeigen.« »Das ist… Körperverletzung«, beschwerte sich Brentman und zog hastig den Kopf ein, als Lady Agatha mit ihrer rechten Hand andeutungsweise ausholte, »nein, nein, ich rede ja schon. Ihre Leute werden wahrscheinlich in ‘ner Werkstatt festgehalten.« »Sie denken an einen Betrieb in der Nähe des Rugby Stadions?« »An welchen Betrieb?« Der Mann stutzte, schüttelte dann aber den Kopf, »ich spreche von einer Werkstatt am Nordbahnhof.« »Die genaue Adresse, Mr. Brentman«, bat Parker höflich wie stets. Brentman zögerte noch einen Moment, nannte dann aber eine Straße und bezeichnete die genaue Lage der Werkstatt. »Mylady würden sicher zusätzlich gern erfahren, wer der Besitzer dieser Werkstatt ist«, fragte der Butler weiter. »Die gehört einem Walt Sluttons«, kam umgehend die Antwort, »aber der Mann hat überhaupt keine Ahnung, was in seinem Laden läuft. Der ist dauernd betrunken und kümmert sich um nichts.« »Was läuft in diesem Laden, von dem Sie gerade sprechen?« wollte die ältere Dame wissen. »Hoffentlich antworten Sie nicht, Brentman! Sie wissen, worauf ich nur warte, ja?« »Die Werkstatt ist unser Treff«, erwiderte Brentman, der genau wußte, worauf die Detektivin wartete, »hören Sie, Lady, wenn Sie glauben, daß ich was mit kriminellen Sachen zu tun habe, dann sind Sie auf dem Holzweg. Wir sind nur so ‘ne Art Jugendclub.« »Den Sie aber leiten, nicht wahr? Und Ihre Mitglieder sind diese 43
Jünglinge in Leder, die die Feriengäste hier in Black-Pool ausrauben…« »Niemals, Mylady«, behauptete Brentman sofort und schüttelte wegen seines schmerzenden Unterkiefers nur vorsichtig den Kopf, »damit haben wir überhaupt nichts zu tun.« »Aber Sie lockten Mylady und meine Wenigkeit hinaus zur Hamsford-Farm«, schaltete der Butler sich ein, »zumindest wußten Sie, daß Mylady kommen würde.« »Aber nein«, log Brentman fast verzweifelt, »wir hatten mit ‘nem Überfall durch ‘nen anderen Jugendclub gerechnet. Wir sind deswegen auf der Farm angerufen worden.« »Sie verwickeln sich in Widersprüche, die man nur als albern bezeichnen kann«, tadelte der Butler, »vor wenigen Augenblicken gaben Sie bereits zu wissen, wo man Mr. Rander und Miß Porter unter Umständen festhalten könnte.« »Okay, dann eben Widersprüche«, sagte Brentman. Seine Stimme hatte an Brüchigkeit verloren und wurde wieder hell und singend, »was ich auch gesagt habe, ich hab’s unter Zwang getan. Falls sie mich bei der Polizei abliefern streite ich alles ab.« »Mr. Parker, Sie sollten mich für ein paar Minuten mit diesem Subjekt allein lassen«, forderte Agatha Simpson, »Ich denke, er sollte spüren, wie mein Glücksbringer wirkt.« »Was soll denn das schon wieder sein? Wollen Sie drohen, Lady? Ich häng’ Ihnen ‘nen Prozeß an den Hals, der sich gewaschen hat.« Larry Brentman hatte seinen Schock überwunden und wurde wieder frech. »Sie gehen davon aus, Mr. Brentman, daß Sie noch in der Lage sein werden, einen Prozeß zu führen?« wunderte sich Parker andeutungsweise. »Und wer sollte mich daran hindern?« wollte Brentman wissen. »Ein Mann, der über eine kalte, herrische Stimme verfügt«, antwortete Josuah Parker gemessen, »er war so frei, Mylady mit Worten zu bedrohen, als Mylady sich im Strandbungalow aufhielt. Bei dieser Gelegenheit stellte der Besitzer der Stimme klar und eindeutig fest, daß er der sogenannte Boß der Ledergangster ist.« »Kalte, herrische Stimme?« Larry Brentman schaute den Butler nachdenklich an. »Ihre Reaktion sagt deutlich aus, daß Sie diesen Mann kennen«, fuhr der Butler fort, »und jener Mann wird natürlich annehmen, daß Sie Interna ausgeplaudert haben.« 44
»Niemals, da kennen Sie aber… Ne, so fragt man Leute aus!« »Diesen Boß gibt es also«, stellte der Butler fest, »und Sie dürften so etwas wie Vormann oder Unterführer sein.« »Alles reiner Blödsinn! Jeder, der mich kennt, weiß genau, daß ich niemals singen werde…« »Man könnte entsprechende Behauptungen lancieren, die das genaue Gegenteil beweisen, Mr, Brentman.« »Auch das würd’ nicht ziehen.« Brentmans Stimme verlor prompt wieder an Wohlklang. Dem Mann war deutlich anzusehen, daß er sich ernste Sorgen machte. »Wo bringe ich dieses Subjekt unter, Mr. Parker?« fragte Agatha Simpson, »ich möchte mich endlich um die Kinder kümmern.« »Darf man sich erlauben, den Kofferraum vorzuschlagen?« antwortete der Butler. »Der ist doch schon besetzt«, erinnerte die ältere Dame. »Den Kofferraum des Ford, Mylady«, Präzisierte der Butler seinen Vorschlag. »Einverstanden«, gab sie zurück, »aber lösen Sie die Handbremse, Mr. Parker. Falls dieses Subjekt zu arg zappelt, soll der Wagen rollen und ins Meer stürzen.« »Myladys Wunsch wird von meiner Wenigkeit mit großem Vergnügen in die Tat umgesetzt werden«, erwiderte der Butler, der nur zu genau wußte, daß seine Herrin natürlich bluffte. Er unterstellte es ihr zumindest. * Nach der vierten leeren Öldose war deutlich zu hören, daß ein Riegel draußen an der Feuertür zurückgezogen wurde. Mike Rander, der hinter der Werkbank stand, zog mit aller Kraft die eingespannte Blattfeder zu sich heran und benutzte dazu den schweren Bremsklotz. Kathy Porter war zur Seite getreten und blieb unter der nackten Glühbirne stehen. Sie legte sich rücklings über eine Holzkiste und sorgte für malerisches Aussehen. Es ging ihr darum, die Eintretenden abzulenken. Sie sollten Mike Rander und das Behelfskatapult nicht auf den ersten Blick hin sehen. Die Tür wurde vorsichtig aufgezogen. Mike Rander hatte Mühe, sein angestrengtes Keuchen zu unterdrücken. Es kostete ihn alle Kraft, die schwere Feder in der augenblicklichen Stellung festzu45
halten. Es klappte eigentlich nur deshalb, weil er den schweren Bremsklotz quer über das Ende der Blattfeder geschoben hatte. Zwei in Leder gekleidete Männer standen in der halb geöffneten Tür und starrten auf Kathy Porter. Die beiden jungen Männer hielten Schußwaffen in Händen. Es handelte sich einmal um ein doppelläufiges Schrotgewehr, zum anderen um eine Pistole. »Was is’ los?« fragte der Schrotgewehrträger. »Dort drüben«, keuchte Kathy und bewies, wie gut sie als Schauspielerin war. Mit einer äußerst dramatischen Geste deutete sie von Mike Rander weg in eine der dunklen Ecken des Bunkers. Genau in diesem Moment gab der Anwalt den schweren Holzklotz frei. Die Blattfeder entspannte sich augenblicklich, schnellte vor und beförderte den Bremsklotz Richtung Tür. Der junge Lederträger, der das Schrotgewehr hielt, merkte gerade noch, daß sich etwas bewegte, wollte reagieren, sein Gewehr herumreißen, doch er schaffte es nicht mehr. Der mächtige Holzklotz krachte gegen das Schloß des Gewehres, das seinerseits in Richtung Brustbein des Mannes getrieben wurde. Der Aufprall war derart stark, daß der junge Mann sofort sein Gleichgewicht verlor und gegen seinen Partner rutschte. Bevor der seine Pistole hochnehmen konnte, landete eine halb gefüllte Öldose an seinem Kopf. Das zähe Schmiermittel klatschte und schwappte in die Augen des Pistolenträgers, der sofort die Sicht verlor. »Maßarbeit, Kathy«, rief Mike Rander, flankte über die Werkbank und nahm erst mal beide Waffen an sich. Kathy Porter, die die Ölkonserve geworfen hatte, fing die Pistole auf, die der Anwalt ihr zuwarf. Mike Rander stieg über die beiden stöhnenden Männer, die vorerst nicht auf den Gedanken kamen, um Hilfe zu rufen. Bevor sie es tun konnten, langte der Anwalt kurz mit dem Gewehrkolben zu und sorgte dafür, daß die beiden Ledergangster in eine leichte Ohnmacht fielen, unnötige Härte lag Mike Rander ohnehin fern. »Machen wir uns auf den Weg, Kathy«, sagte er dann und übernahm die Führung, »es könnte sein, daß Lady Simpson und Parker uns inzwischen brauchen.« Kathy und Mike durcheilten einen schmalen Korridor, durch den sie dann einen regulär eingerichteten Werkstattraum erreichten. Sie pirschten vorsichtig hinein, doch sie fanden keinen weiteren 46
Ledergangster. Bis auf die beiden Bewacher schien man ausgeflogen zu sein. »Über der Werkstatt gibt’s eine Wohnung«, sagte der Anwalt und deutete mit dem Doppellauf des Gewehres nach oben, »möglich, daß das Ehepaar da wohnt, wie? Wie wär’s mit einem Besucht?« »Vorn im Verkaufsraum gibt es ein Telefon, Mike«, erwiderte Kathy, »wir sollten vielleicht im Strandbungalow anrufen, oder?« »Moment, da gehe ich lieber mit«, entgegnete Mike Rander, »mein Bedarf an weiteren Abenteuern in dieser Nacht ist vorerst gedeckt.« Mike Rander ging wieder voraus, schob vorsichtig die Schiebetür zum Verkaufsraum auf und… mußte sofort danach einen harten, schmetternden Schlag einstecken, der seine Brust traf. * »Wie fühlen Sie sich, mein Junge?« erkundigte sich Agatha Simpson besorgt und mitleidig, »wer konnte denn ahnen, daß Sie es sind, Mike?« »Wie ich mich fühle? Als ob ein Pferd mich getreten hätte, Mylady.« Mike Rander saß auf einem Hocker im Verkaufsraum und massierte die Brustpartie. Er war vom Pompadour und dem darin befindlichen Glücksbringer voll erwischt worden. »Wer konnte denn auch ahnen, daß Sie ohne meine Hilfe freikommen würden«, redete die ältere Dame weiter, »Sie können froh sein, Mike, daß ich nicht voll zugeschlagen habe.« »Dann läge ich wohl schon auf der Intensivstation«, flachste der Anwalt, »aber jetzt weiß ich endlich, wie Ihre Nahkampfwaffe wirkt, Mylady. Ein Morgenstern aus dem Mittelalter ist nichts dagegen.« »Ich müßte mich eigentlich mit den beiden Flegeln befassen, die Kathy und Sie bewacht haben, Mike.« »Die sind erst mal sicher, Mylady. Wir haben sie dort hinten im Bunker eingeriegelt. Wo steckt Parker?« »Er unterhält sich mit dem Ehepaar Sluttons«, erwiderte Lady Agatha, »Sie wissen hoffentlich, wer das ist?« »Die Besitzer der Werkstatt hier, oder?« 47
»Richtig, mein lieber Mike. Sobald Mr. Parker zurück ist, werde ich Ihnen noch einen zweiten Kreislaufbeschleuniger reichen lassen. Es muß ja nicht gleich viel sein.« Butler Parker und Kathy Porter kehrten aus dem Obergeschoß des Hauses zurück. Die Gesellschafterin und Sekretärin der älteren Dame schüttelte den Kopf, als Mike Rander sie fragend anschaute. »Die Sluttons dort oben sind nicht unser Ehepaar«, meinte sie dann, »schade eigentlich, Mike, es hätte so gut zusammen gepaßt.« »Die beiden Gauner werden uns früher oder später noch mal über den Weg laufen«, erwiderte der Anwalt, »die Sluttons haben natürlich keine Ahnung, was sich hier unten in der Werkstatt tut, wie?« »Sie geben sich zumindest ahnungslos, Mike, doch das nehme ich ihnen nicht ab. Es ist vor allen Dingen diese Helen Sluttons. Sie macht auf mich einen aufgeweckten Eindruck; ihr Mann scheint tatsächlich ein Trinker zu sein.« »Mr. Rander braucht vielleicht noch eine kleine Erfrischung«, sagte Agatha Simpson zu Parker. Der Butler holte sofort die flache, lederumspannte Taschenflasche aus dem Covercoat und schraubte den ovalen Verschluß ab, der als silberner Trinkbecher diente. Lady Agatha überwachte mißtrauisch die Abfüllung des alten Kognaks und hob mißbilligend die linke Augenbraue, als Parker mit der flüssigen Kreislaufanregung nicht gerade sparsam umging. »Wollen Sie Mr. Rander betrunken machen?« fragte sie, als Parker den Silberbecher dem Anwalt reichte. »Keineswegs und mitnichten, Mylady.« gab der Butler zurück, »aber in Anbetracht der schweren körperlichen Schädigung sollte man einem Schock vorbeugen.« »Das meine ich allerdings auch«, warf der Anwalt lächelnd ein, der den vorzüglichen Kognak genoß, »ich denke, ich könnte noch einen vertragen, Parker.« »Ausgeschlossen!« Die Lady sah Rander streng an. »Wir wollen schließlich keine Orgien einleiten, mein lieber Junge. Sie gehören ins Bett. Ich denke, wir sollten losfahren.« »Darf man Mylady auf den jungen Mann im Kofferraum meines Wagens aufmerksam machen?« fragte Parker. »Es wurde ihm versprochen, Blackpool sicher verlassen zu können.« 48
»Ich werde mit Ihnen fahren Parker«, entschied der Anwalt und erhob sich vom Hocker, »Kathy, leisten Sie inzwischen Mylady Gesellschaft, ja? Und noch etwas: Was wird aus diesem Brentman im Ford? Wollen wir ihn der Polizei in die Hände spielen?« »Wie denke ich darüber, Mr, Parker?« Die Detektivin wandte sich an den Butler. »Mr. Brentman, Mylady, dürfte im Augenblick strafrechtlich kaum zu belangen sein«, lautete Parkers Antwort, »Mylady wollen sicher die Hamsford-Farm anrufen und dort hinterlassen, wo man Mr. Larry Brentman finden kann.« »Tatsächlich?« Sie schien mit dieser Empfehlung nicht ganz einverstanden zu sein. »Ich könnte immerhin noch mehr Details aus diesem Subjekt herausholen, Mr. Parker. Das ist alles nur eine Frage der Verhörtechnik.« »Er hat sich immerhin schon um Kopf und Kragen geredet«, schaltete der Anwalt sich ein, »aber wie wär’s denn damit, wenn Parker und ich in der Nähe des Fords warten und alles beobachten?« »Sie gehören eigentlich ins Bett, Mike. Wenn einer beobachtet, dann doch wohl ich.« Agatha Simpson witterte ein weiteres Abenteuer. »Mylady sollten und könnten vielleicht zusammen mit Miß Porter auf Besucher warten, die sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am und im Strandbungalow zeigen werden.« »Das klingt allerdings auch nicht schlecht, Mr. Parker.« Sie nickte zögernd, war schließlich aber einverstanden. »Und wie komme ich zum Bungalow? Wollen Sie mich dort absetzen? Oder halt, noch besser: Hier stehen doch einige recht hübsche Motorräder herum. Ich werde mir eins ausleihen.« »Mylady gedenken, ein Motorrad zu benutzen?« Parkers Stimme drückte andeutungsweise Staunen aus, in das sich auch eine Spur von echter Bestürzung mischte. »Warum denn nicht?« Sie ging auf eine schwere Maschine zu, die chromfunkelnd und pferdestark im Ausstellungsraum standen. »Sie wissen doch, Mr. Parker, wie vertraut ich mit technischen Geräten bin.« »Guter Gott, Parker, verhindern Sie das«, flüsterte Mike Rander dem Butler zu, »sie wird sich den Hals brechen.« »Ein nettes Maschinchen«, urteilte die ältere Dame und sah sich das schwere Motorrad begeistert an, »ich fuhr schon Motorrad, 49
als solche Zweiräder gerade in Mode kamen.« »Es müssen bewegende und auch anregende Stunden im Leben Myladys gewesen sein«, sagte Parker und trat neben sie. Dann beschäftigte er sich mit dem Tankdeckel und anschließend mit dem Zündschloß. Er richtete sich auf und teilte seiner Herrin mit, der Tank sei leider leer, die Zündsperre eingerastet. »Was bedeutet das?« fragte sie unwirsch. »Es wird doch wohl irgendwo Benzin geben, oder?« »Nicht um diese Zeit, Mylady«, erklärte Mike Rander hastig, »bis wir welches gefunden haben, könnten einige Gangster sich vom Bungalow zurückgezogen haben.« »Nun ja, dann eben nicht.« Sie war verärgert. »Mr. Parker, dann setzen Sie Kathy und mich eben mit dem Wagen ab, bevor sie ‘raus zum Ford fahren. Aber eine Fahrt mit dem Zweirad werde ich nachholen, das verspreche ich mir.« »Und sie wird es wahrmachen«, sagte Mike Rander leise zu Kathy, »mir graut schon jetzt davor!« Parker verzichtete auf jeden Kommentar, ging ans Telefon und griff nach einer Papptafel, auf der Telefonnummern und Namen verzeichnet waren. Er wunderte sich überhaupt nicht, als er den Namen eines gewissen Peter Hamsford entdeckte. Parker wählte die Nummer und brauchte nicht lange zu warten, bis auf der Gegenseite abgehoben wurde. »Peter Hamsford«, sagte eine vorsichtig klingende Stimme, die leider weder kalt noch herrisch klang, wie Parker insgeheim gehofft hatte. »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor, »ich erlaube mir, wegen eines Mr. Larry Brentman anzurufen, den Sie inzwischen wohl vermissen. Sie könnten ihn jederzeit an einem bestimmten Platz der Küste abholen.« Parker beschrieb den Standort des Ford und legte dann auf. Er war gespannt, wie die Dinge sich weiter entwickeln würden. * »Diese Knaben lassen aber verdammt lange auf sich warten«, sagte Mike Rander. Er befand sich zusammen mit Josuah Parker an der Küste und beobachtete den Ford, der nach wie vor auf der abfallenden Wiese stand. Seit dem Anruf war gut eine Stunde 50
verstrichen. Lady Agatha und Kathy Porter waren im Strandbungalow abgesetzt worden und hatten sich darauf eingerichtet, von einer Abordnung der Gangster besucht zu werden. »Man dürfte auf keinen Fall per Kraftrad oder Auto kommen, Sir«, meinte der Butler, »selbstverständlich gehen die Gangster davon aus, daß man sie hier erwartet.« »Werden sie denn überhaupt kommen?« »Mr. Larry Brentman ist für die Gang ein Sicherheitsrisiko, Sir, man wird kommen müssen.« Die beiden Männer hatten Deckung hinter einigen bizarren Felsklippen genommen und konnten von ihrem Standort aus über die Steilküste zum schmalen Strand und schäumenden Meer schauen. Parker schien sich gerade für diese Blickrichtung besonders zu interessieren. »Endlich«, sagte der Anwalt, als sich nach weiteren zehn Minuten etwas oben an der Straße rührte. Man hörte Motorräder, dann den Motor eines Wagens. Für einen Moment blendeten die Scheinwerfer dieses Wagens auf. »Die Brüder trauen sich nicht«, stellte der Anwalt fest, als plötzlich wieder Ruhe herrschte. Er hatte seinen Satz gerade beendet, als erneut der Lärm von Motorrädern zu vernehmen war. »Es dürfte sich meiner bescheidenen Ansicht nach um ein Ablenkungsmanöver handeln, Sir«, sagte der Butler, »darf man sich erlauben, Ihre Aufmerksamkeit auf die Klippen zu richten?« »Man darf«, gab Rander zurück und orientierte sich neu, »und was erwarten Sie aus dieser Richtung?« »Die Gangster, Sir«, erwiderte Parker knapp. »Ach nee! Sie glauben, daß die Kerle aus dem Wasser kommen?« »Ein Weg, der sich anbietet, Sir.« Parker hob die Spitze seines Universal-Regenschirms an und deutete damit auf eine schmale, tief ausgewaschene Rinne, die hinunter zum schmalen Strandstreifen führte. Rander beugte sich vor, nahm das Nachtglas und beobachtete diesen Aufstieg. Ein paar Augenblicke später nickte er. »Treffer, Parker«, sagte er noch leiser als vorher, »zwei Typen pirschen sich da ‘rauf.« »Während man oben auf der Straße für Ablenkung sorgt, Sir.« Parker bezog sich auf den Lärm, der wieder überdeutlich zu hören war. Und erneut wurden die Scheinwerfer eines Wagens einge51
schaltet. Die beiden Gangster hatten inzwischen die Ausläufer der Wiese erreicht und robbten langsam auf den Ford zu. Rander beobachtete sie und machte einen Gegenstand aus, der von einer der beiden Gestalten nachgezerrt wurde. »Das sieht nach einem Kanister aus«, sagte er leise. »… der Benzin beinhalten dürfte, Sir.« »Sie glauben, daß man den Ford anzünden wird?« »Auf einen Mord kommt es den Gangstern mit Sicherheit nicht an, Sir.« »Dann haben wir’s tatsächlich nicht nur mit einer jugendlichen Gang zu tun, Parker.« »In der Tat, Sir! Schon die Attacke auf Mylady ließ dies erkennen.« Mike Rander regulierte die Feineinstellung des Nachtglases und konnte den Benzinkanister deutlich ausmachen. Die beiden kriechenden Gestalten hatten inzwischen den Ford erreicht und verschwanden hinter ihm. Wenig später erschienen sie wieder und verzichteten diesmal auf unnötige Deckung. Sie rannten hintereinander in Richtung Straße. Josuah Parker, der seine Gabelschleuder bereits zusammengesetzt hatte, benutzte eine hart gebrannte Tonmurmel. Mühelos spannte er die starken Gummistränge, nachdem er sein Geschoß in die Lederschlaufe gelegt hatte. »Aufpassen, Parker«, sagte Mike Rander eindringlich, »sie haben den Benzinkanister zurückgelassen.« »Und dürften ihn gleich zünden, Sir, wenn ich diese Vermutung aussprechen darf.« Parker zuckte mit keiner Wimper, als kurz darauf unter dem Heck des Ford eine Explosion erfolgte. Eine Flammensäule stieg hoch gegen den nächtlichen Himmel. Die Wucht der Detonation riß augenblicklich den Benzintank des Ford auf und setzte den Wagen in Brand. Eine zweite Detonation folgte. Parker hatte die Lederschlaufe losgelassen und hoffte seinerseits auf einen Treffer. Er brauchte nicht lange zu warten. * »Möglicherweise stimmt dieses Bild Sie ein wenig nachdenk52
lich«, schickte Josuah Parker voraus und deutete mit seiner Schirmspitze auf den brennenden Wagen. Neben ihm stand Larry Brentman. »Diese dreckigen Schweine«, flüsterte er leise, »wollten mich umbringen.« »Es handelte sich keineswegs um Schweine, wie Sie zu sagen belieben«, erwiderte der Butler, »es handelt sich um Ihre Freunde, Mr. Brentman, für die Sie zu einem Sicherheitsrisiko geworden sind.« »Die wollten mich einfach umbringen«, wiederholte Larry Brentman und schluchzte fast. Er wußte längst von Parker, daß man sich mit der Hamsford-Farm in Verbindung gesetzt hatte. »Mr. Peter Hamsford scheint bereits Ihre Nachfolge angetreten zu haben«, redete der Butler weiter. Er war allein mit Brentman. Mike Rander kümmerte sich um den Gangster, den Parker mit der Tonmurmel voll erwischt hatte. »Peter Hamsford«, gab Brentman zurück. Seine helle, singende Stimme klang wieder brüchig, »auf diesen Moment hat er nur gewartet. Das mit dem Benzinkanister trau’ ich ihm glatt zu.« »Man könnte sich durchaus vorstellen, daß Sie Mr. Peter Hamsford nun nicht mehr sonderlich schätzen, Mr. Brentman.« »Diesen Kerl hab’ ich nie gemocht«, behauptete Brentman da, »er war immer scharf darauf, die erste Geige zu spielen.« »Den Part dürfte Peter Hamsford nun übernommen haben, Mr. Brentman. Für ihn sind Sie nun tot. Er mußte davon ausgehen, daß Sie sich noch im Kofferraum befanden.« »Dem werd’ ich die Suppe versalzen.« Brentman starrte auf den noch immer brennenden Wagen, der langsam ausglühte. »Eine Absicht, die man nur als ausgesprochen löblich bezeichnen kann«, lautete Parkers Antwort, »die Leder-Gang, wie Mylady sie bezeichnet, wurde keineswegs von Ihnen gegründet und geführt, nicht wahr?« »Natürlich nicht.« Brentman starrte unvermindert auf den glühenden Wagen. »Auch Mr. Peter Hamsford dürfte nur eine Art Vormann sein, wie Sie einer waren?« »Stimmt, Mr. Parker«, erwiderte Brentman, »haben Sie geahnt, daß man den Wagen in Brand setzen würde?« »Es war zu vermuten, Mr. Brentman«, entgegnete der Butler, »Sie sollten vielleicht in Stichworten andeuten, wie Sie Mitglied 53
dieser Gang wurden.« »Das ist schnell erzählt«, meinte Brentman und entspannte sich etwas. Er war noch immer an den Händen gefesselt und konnte keinen Ausfall unternehmen, »das ist mit wenigen Worten erklärt, Mr. Parker. Ich bin in Manchester gekeilt worden, verstehen Sie? Man hatte mich da angequasselt und mir so ‘ne Art Monatsfixum angeboten.« »Wieso interessierte man sich ausgerechnet für Sie, Mr. Brentman? Meine Wenigkeit sollte vielleicht davon ausgehen, daß Sie bereits in Manchester Mitglied einer ähnlichen Gruppierung waren, die als Fortbewegungsmittel das Motorrad bevorzugt.« »So ungefähr.« Brentman nickte. »Als ich hierher nach Blackpool kam, waren schon ‘ne Menge Leute da, die schwere Maschinen mitgebracht hatten. Die meisten davon kommen aus Liverpool und Manchester.« »Und der Sitz dieser Gruppierung ist die Hamsford-Farm?« »Stimmt, Mr. Parker. Jetzt pack’ ich nämlich aus. Nach dieser Schweinerei da mit dem Wagen hab’ ich keine Hemmungen mehr.« »Die Art allein, wie man Sie zu töten gedachte, war wenig fein«, urteilte der Butler. »Ich sollte geröstet werden!« Larry Brentman holte tief Luft und brauchte einige Sekunden, bis er weiterreden konnte. »Aber die mach’ ich dafür fertig.« »Wir sprachen von der Hamsford-Farm«, erinnerte der Butler höflich. »Das ist unser Hauptquartier«, redete Brentman weiter, »Laura Hamsford ist die Mutter von Peter und hat so ‘ne Art Übernachtungsheim aufgezogen. Nichts als Tarnung, sage ich Ihnen!« »Innerhalb von drei Wochen sollen, überschlägig gerechnet, rund zehntausend Pfund erbeutet worden sein.« »Das könnte ungefähr hinhauen.« Larry Brentman nickte. »Und an wen ging der Löwenanteil dieser Beute?« stellte der Butler die nächste Frage. Nun hing alles davon ab, ob Brentman noch immer unter Schock stand und den Namen des Bandenboß preisgab. »An keinen«, kam die überraschende Antwort. »Würden Sie dies freundlicherweise wiederholen?« fragte der 54
Butler. »Die Beute haben wir behalten und in die Clubkasse geworfen«, berichtete Larry Brentman weiter, »und diese Kasse wird von Laura Hamsford verwaltet. Das ist die reine Wahrheit.« »Sie brauchten keinen Anteil abzuführen?« wunderte sich der Butler andeutungweise, was den Klang seiner Stimme betraf. »Keinen Anteil«, versicherte Larry Brentman, »wir konnten den ganzen Kies behalten.« »Und was geschah mit den Reiseschecks und Kreditkarten?« »Auch die verwaltet Laura Hamsford, Mr. Parker. Die macht das alles zu Geld, aber wie, das weiß ich nicht.« »Erhielten Sie und die anderen Clubmitglieder über Ihre Fixbeträge hinaus Bargeld?« »Nee, eigentlich nicht. Laura rückte immer nur dann mit Zaster ‘raus, wenn wir ‘ne neue Maschine brauchten.« »Sie verfügt wohl kaum über eine kalte, herrische Männerstimme, von der zu sprechen ich mir bereits erlaubte.« »Nee, ganz sicher nicht. Laura Hamsford keift.« »Und wer ist dann der Besitzer der gerade erwähnten Stimme, den Sie mit Sicherheit kennen? Bevor Sie antworten, sollten Sie sich den Wagen noch mal ansehen. Der Befehl, ihn anzuzünden, kann eigentlich nur von dieser Person stammen.« »Sie brauchen mich gar nicht anzuheizen, Mr. Parker«, sagte Larry Brentman, »der Boß, den ich kenne, heißt John Hudders.« * »Und wo finde ich dieses Subjekt?« fragte Lady Simpson. Butler Parker und Mike Rander waren in den Strandbungalow zurückgekehrt, wo sich bisher nichts ereignet hatte. Die Ledergangster schienen nach der Brandlegung an der Küste so etwas wie eine Pause eingelegt zu haben. »Mr. John Hudders, Mylady, ist der Besitzer eines Unternehmens, das sich auf die Fotografie spezialisiert hat«, gab Parker Auskunft, »seine Mitarbeiter schwärmen Tag für Tag aus, um Feriengäste zu fotografieren.« »Vergessen Sie die Nacht nicht, Parker«, warf Mike Rander ein, »während dieser Stunden grasen Hudders’ Fotografen die Ballsäle und Restaurants ab und knipsen Erinnerungsfotos am laufenden 55
Band.« »Sie haben bereits Kontakt mit diesem Gangster aufgenommen?« wollte die ältere Dame wissen. »Damit würde Mylady gewisse Trumpfkarten möglicherweise zu früh ausspielen«, schaltete der Butler sich ein, »die Ledergang dürfte im Augenblick der Ansicht sein, daß man Mr. Larry Brentman aus dem Weg geräumt hat.« »Sehr schön, Mr. Parker«, lobte Lady Agatha, »dieser Hudders wird Augen machen, wenn ich morgen in seinem Büro erscheine. Sie haben die Adresse seiner Firma und der Privatwohnung?« »Mylady brauchen diese Fakten nur bei meiner Wenigkeit abzurufen.« »Und wo steckt Larry Brentman jetzt?« erkundigte sich Kathy Porter. Sie bezog sich auf den Informanten aus dem Kofferraum des Ford. »Ist es sicher, daß er die Wahrheit gesagt hat, Mr. Parker?« »Eine gute Frage, Miß Porter, die gesundes Mißtrauen erkennen läßt«, erwiderte der Butler, »meine Wenigkeit und Mr. Rander tauschten ihn gegen jenen jungen Mann, dem die sichere Rückkehr in seine Heimatstadt versprochen wurde.« »Ist der Lümmel tatsächlich von Ihnen freigesetzt worden?« Mylady sah den Butler streng an. »Immerhin gehörte er zu den Gangstern, die den Bungalow hier stürmen wollten.« »Ihm wurde ein sicheres Verlassen von Blackpool zugesagt, Mylady«, erinnerte der Butler, »zudem dürfte es sich in seinem Fall nur um einen harmlosen Mitläufer gehandelt haben.« »Zusicherung hin, Zusicherung her, Mr. Parker«, grollte Lady Agatha, »man kann ja auch schließlich mal etwas vergessen. Dieser junge Mann ist also nicht mehr verfügbar?« »Er dürfte Blackpool bereits meilenweit hinter sich gelassen haben, Mylady. Im Kofferraum befindet sich zur Zeit Larry Brentman, der um Quartier bittet.« »Hier, in diesem Bungalow?« Myladys Stimme klang entrüstet. »Der Mann hat Todesangst«, erklärte Mike Rander, »der in Brand gesetzte Ford hat ihn mächtig geschockt. Ich denke schon, daß er die Wahrheit gesagt hat, was John Hudders betrifft.« »Schaffen Sie ihn meinetwegen in den Keller, Mr. Parker«, sagte die ältere Dame, »morgen kann ich dann feststellen, ob er die Wahrheit gesagt hat. Und er wird mich kennenlernen, falls er mir mit einem falschen Namen gekommen ist.« 56
»Auf diese Konsequenz, Mylady, wurde Mr. Larry Brentman bereits hingewiesen«, antwortete der Butler, »wenn Sie erlauben, wird meine Wenigkeit die Umquartierung vornehmen.« »Sollte ich nicht vielleicht noch in dieser Nacht zur HamsfordFarm fahren? Ich fühle mich noch sehr frisch. Und im Fernsehen gibt es nichts, was mich ablenken könnte.« »Da man Mylady wahrscheinlich dort erwartet, sollte man die Gangster eben nicht besuchen«, schlug Josuah Parker vor, »Mylady lieben es ja ohnehin, stets das zu tun, was man nicht erwartet.« »Das ist richtig. Darum habe ich ja immer Erfolg«, sagte die Detektivin ohne jede falsche Bescheidenheit, »nun gut, dann werde ich ein wenig meditieren. Sollte sich etwas tun, möchte ich sofort informiert werden.« Parker verschwieg seiner Herrin, daß er draußen vor dem Strandbungalow einige Motorradfahrer ausgemacht hatte. Er wollte die Aktivität der älteren Dame nicht unnötig in Gang setzen. Kam sie nämlich erst mal in Fahrt, dann war sie erfahrungsgemäß nicht mehr zu stoppen. * »Mr. Peter Hamsford?« fragte Parker, nachdem er den Telefonhörer abgehoben hatte. Der Butler befand sich allein im Wohnraum des Bungalows, die übrigen Mitbewohner waren bereits ins Zimmer gegangen. Parker kam gerade aus dem Keller, als das Telefon sich meldete. »Hamsford«, sagte die Männerstimme, »hören Sie, Parker, ich habe erfahren, daß am Strand ein Ford ausgebrannt sein soll.« »Das Leben ist voller Tücken, Mr. Hamsford, wenn ich so sagen darf.« »Erfreulicherweise saß kein Mensch darin«, redete Peter Hamsford weiter, »die Polizei und die Feuerwehr, die da an der Küste waren, haben das einwandfrei festgestellt.« »Eine erfreuliche Tatsache«, kommentierte Parker diese Feststellung. »Derjenige, der den Ford benutzt hat, ist also mit dem Leben davongekommen.« »Dieser Schluß drängt sich förmlich auf, Mr. Hamsford.« 57
»Hätte man eigentlich davon ausgehen müssen, Parker.« Peter Hamsford am anderen Ende der Leitung lachte leise. »Mr. Brentman dürfte mit der Umquartierung durchaus einverstanden gewesen sein.« »Wer sollte das sein? Ich kenne keinen Brentman.« »Natürlich nicht, Mr. Hamsford. Sie brauchen übrigens nicht zu befürchten, daß diese Unterhaltung mitgeschnitten wird.« »Bandaufzeichnungen sind vor Gericht kein Beweismittel, ich weiß, Mr. Parker. Hören Sie, ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen.« »Rechnen Sie mit einem interessierten Ohr, wenn ich es so umschreiben darf.« »Schicken Sie den Kofferraumbenutzer ‘raus in die Stadt. Dafür werden ein paar scharfe Motorradfahrer vergessen, daß es Sie und Ihre Begleiter gibt.« »Sie rufen im Auftrag eines gewissen Mr. Bundell an?« »Bundell?« Peter Hamsfords Antwort deutete schon klangmäßig an, wie wenig er mit diesem Namen anzufangen wußte. Das war kein Wunder, denn Parker hatte ihn aus dem Moment heraus erfunden. »Mr. Haie Bundell«, wiederholte der Butler, »er soll jener Mann sein, dessen Stimme hart und herrisch klingt. Sie werden sie sicher schon einige Male gehört haben.« »Ach so, Sie meinen Bundell…« Peter Hamsford ging nun auf diesen erfundenen Namen ein. Er glaubte wohl, Brentman habe einen falschen Namen ins Spiel gebracht. »Mr. Hale Bundell«, sagte Parker erneut, »nach den jüngsten Informationen soll dieser Mann Motorradfahrer hier in Blackpool zusammengezogen haben.« »Wissen Sie denn auch, wo dieser Bundell wohnt?« erkundigte sich Peter Hamsford. »Nach meinen Informationen zieht er es vor, seine Unterkünfte zu wechseln«, schwindelte der Butler weiter, »mein Informant hat da einige Hotels und Pensionen genannt.« »Das stimmt.« Peter Hamsford schien nun fest davon überzeugt zu sein, daß Brentman einen falschen Namen genannt haben mußte. »Schön, Parker, Sie haben da also einen brandheißen Tip bekommen. Ich spreche für Bundell, um ganz genau zu sein. Er hat Ihnen den Vorschlag gemacht. Schicken Sie Larry Brentman aus dem Haus. Er müßte bei Ihnen sein. Und schon haben Sie 58
nichts mehr zu befürchten.« »An dem jungen Motorradfahrer, der Myladys Tod feststellen sollte, sind Sie nicht weiter interessiert?« »Überhaupt nicht. Der Junge war nur ein Anfänger, der sich seine Sporen verdienen sollte. Vergessen wir ihn. Wie denken Sie über Bundells Vorschlag?« »Mylady konnte bisher erfreuliche Erfolge verbuchen, was die Auseinandersetzung mit der Ledergang betrifft.« »Sie soll sich nur nicht täuschen, Parker. Machen Sie ihr das klar! Und überhaupt: Sie sind es doch, der alles einfädelt. Wir wissen genau Bescheid.« »Sie überbewerten meine bescheidene Person«, schränkte der Butler ein, »was nun Mr. Brentman angeht, sollten Sie keineswegs mit ihm rechnen.« »Ich hatte Ihnen gerade ein Angebot gemacht, Parker.« »Ein Angebot, das einer Aufforderung zum Mord gleichkommt«, erwiderte der Butler, »nach seinem Hinweis auf den eben erwähnten Mr. Bundell dürfte er für Sie als Verräter gelten.« »Hören Sie, das mit dem Ford war doch nur als Warnung gedacht. Wir wußten gleich, daß Brentman nicht im Wagen sein würde.« »Darf man sich nach jenem Mann erkundigen, der auf der Wiese zurückblieb?« fragte Parker, ohne auf die Behauptung von Peter Hamsford einzugehen. »Der ist sauer auf Sie und läuft mit ‘ner dicken Beule durch die Gegend«, lautete die Antwort, »warum haben Sie ihn eigentlich von den Beinen geholt, Parker?« »Mr. Rander interessierte sich für den Tascheninhalt dieses Benzinkanisterträgers, wenn ich ihn so bezeichnen darf.« »Dann hat er sich aber in den Finger geschnitten. Die Taschen waren leer, Parker.« »Selbst unwichtige Kleinigkeiten können zu einer Lawine werden, Mr. Hamsford«, bluffte der Butler, »um aber auf Mr. Brentman zurückzukommen: er ist und bleibt Gast der Lady-Simpson. Es steht Ihnen selbstverständlich frei, ihn mit Gewalt aus dem Haus zu holen.« Parker legte auf und wußte, daß der Rest der Nacht ohne Zwischenfall verlaufen würde.
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* »Dieser Bluff mit einem Mann, der überhaupt nicht existiert, war recht nett«, urteilte die Detektivin am anderen Morgen, als sie am Frühstückstisch saß. Parker hatte in der Küche des Hauses gekocht und servierte Lady Agatha wunschgemäß nur das, was ihre strenge Diät zuließ. »Mit der Nennung des erfundenen Namens Bundell, Mylady, dürfte Mr. John Hudders sich vorerst noch sicher fühlen«, antwortete der Butler. Er reichte gebratene Nierchen, Schinken, Räucherfisch, eine Käseplatte, verschiedene Brotsorten und Landbutter. Lady Agatha trank dazu starken Kaffee und entwickelte wieder mal einen unheimlichen Appetit. Sie übersah souverän Kathy Porters und Mike Randers amüsierte Blicke. »Wann werde ich mich mit diesem Fotografen unterhalten können?« wollte sie wissen. »Mr. John Hudders, Mylady, kann jederzeit aufgesucht werden. Er befindet sich nach dem letzten Stand der Dinge in den Räumen seiner Firma.« »Und woher wissen Sie das, Mr. Parker?« »Meine Wenigkeit konnte dies vor etwa zehn Minuten in Erfahrung bringen, Mylady«, sagte Parker weiter, »meine Wenigkeit rief unter einem Fremdnamen in der Firma an und bat um einen Termin mit Mr. John Hudders.« »Hoffentlich haben Sie’s geschickt angestellt«, erwiderte die ältere Dame und sah den Butler zweifelnd an, »ich möchte nämlich nicht, daß dieses Subjekt sich absetzt.« »Mr. Hudders dürfte aus seiner Sicht kaum Befürchtungen hegen müssen, Mylady«, gab Josuah Parker zurück, »im Fall einer Konfrontation vor Gericht würde Aussage gegen Aussage stehen.« »Diesen Gangsterboß kennen wahrscheinlich nur Larry Brentman und Peter Hamsford«, schaltete Mike Rander sich ein, der zusammen mit Kathy bereits gefrühstückt hatte, sich aber noch im Raum befand, »diese Lederjünglinge sind doch nur Statisten.« »Die aber bisher erstaunliche Beute gemacht haben, mein Junge«, erinnerte die Detektivin, um sich dann an Parker zu wenden, »ich hoffe, Sie haben den Apfelkuchen nicht vergessen.« »Keineswegs, Mylady.« »Sie können ihn mit einem Hauch Sahne servieren, Mr. Parker, 60
aber nur mit einem Hauch!« Während der Butler den Raum verließ, kam Mike Rander noch mal auf die bisher gemachte Beute der Ledergangster zurück. Er erinnerte daran, daß die jugendlichen Gangster diese Beute für sich hatten behalten dürfen. »Ich ziehe daraus natürlich eine Schlußfolgerung, Mike«, antwortete Agatha Simpson umgehend. »Natürlich, Mylady.« Rander tauschte einen schnellen Blick mit Kathy Porter aus. Beide warteten nun darauf, daß Lady Agatha ihre Schlußfolgerung bekanntgab, doch sie schwieg sich natürlich aus. »Und was denken Sie zum Beispiel, Kindchen?« Lady Agatha versuchte es bei ihrer Gesellschafterin und Sekretärin. »Dem Boß dieser Gang geht es um andere Dinge als um die bisher, gemachte Beute, Mylady.« »Richtig, liebe Kathy.« Die ältere Dame nickte wohlwollend. »Genau das ist es nämlich. Es geht um völlig andere Dinge. Das ahnte ich schon nach den ersten Stunden.« »Aber um was geht es, Mylady?« fragte Mike Rander gespielt hilflos. »Sie können uns da bestimmt weiterhelfen, nicht wahr?« »Nicht jetzt«, entschied sie, als Parker noch immer nicht auftauchte, »wir wollen die Dinge doch nicht übers Knie brechen, mein Junge. Etwas Spannung muß schließlich bleiben.« »Dieser Hudders, falls er tatsächlich der Bandenboß ist, Mylady, bereitet einen einmaligen Coup vor«, tippte Mike Rander nun an. »Sie kommen der Wahrheit bereits sehr nahe, Mike.« Die Detektivin nickte hoheitsvoll. Als Parker im Raum erschien, um den frisch gebackenen Apfelkuchen zu servieren, setzte sie ihm das als eigene Meinung vor, was Kathy und Mike eben erst gesagt hatten. »Wenn ich mich erkühnen darf, möchte meine Wenigkeit sich der Meinung Myladys vollinhaltlich anschließen«, erwiderte Josuah Parker, »es dürfte gar nicht um die Belästigung der Feriengäste gehen. Sie werden nur als eine Art Ablenkung benutzt, um die Polizei zu binden.« »Richtig, Mr. Parker, das sagte ich bereits«, behauptete die ältere Dame, um dann in einer Mischung aus Enttäuschung und Empörung auf das Stück Apfelkuchen zu deuten, das mit einem kleinen Sahneklecks verziert war, »das soll ein Hauch Sahne sein, Mr. Parker?« 61
»In der Tat, Mylady!« »Das ist die Andeutung eines nur schwachen Hauches«, tadelte sie, »Sie wollen mich wohl aushungern? Vor mir liegt noch ein harter Tag. Für das, was ich noch zu tun habe, brauche ich Energie, Mr. Parker. Bitte, hauchen Sie noch mal kräftig nach. Dieser Mr. Hudders ist bestimmt ein hartnäckiger Lügner!« * »Ich weiß nicht, warum ich mir das alles angehört habe«, sagte John Hudders eine Stunde später, »ich habe große Lust, Sie wegen Verleumdung anzuklagen, Mylady.« »Genieren Sie sich nicht, junger Mann«, kam prompt die grollende Antwort, »ich habe einen erstklassigen Anwalt.« »Sie behaupten hier, ich sei ein Gangsterboß«, empörte sich John Hudders, »ich kenne weder einen Larry Brentman, einen Peter Hamsford, noch eine Ledergang. Wer hat sich denn das alles aus den Fingern gesogen?« Der etwa fünfundvierzigjährige John Hudders war mittelgroß, schlank, sah drahtig aus und verfügte über jene Stimme, die Parker vom Telefon her kannte. Sie war kalt, herrisch und ungeduldig. Hudders wohnte und arbeitete in einer ehemaligen Strandpension, in der auch seine Labors untergebracht waren. Die Einrichtung seiner Räume, die Mylady und Parker bisher gesehen hatten, war sachlich neutral. Auch das Privatbüro zeigte keinen Luxus. John Hudders kleidete sich sportlich-unauffällig. »Wollen Sie behaupten, ich hätte gelogen?« erkundigte sich die ältere Dame mit gefährlicher Freundlichkeit. »Sie sind belogen worden«, sagte John Hudders, »man hat Ihnen einen Bären aufgebunden, Mylady. Wahrscheinlich will man Sie auf eine falsche Spur setzen. Ich befasse mich nur mit Fotografien. Sie können sich überall hier in Blackpool erkundigen, Sie werden kein abfälliges Urteil über mich hören. Und darauf bin ich stolz!« »Sie wissen genau, Mr. Hudders, daß Sie sich mit meiner Wenigkeit noch niemals per Telefon unterhalten haben?« schaltete der Butler sich ein. »Warum hätte ich mit Ihnen sprechen sollen, Mr. Parker?« gab John Hudders zurück, »ich wiederhole noch mal, in meinem Be62
trieb gibt es keine Unregelmäßigkeiten. Meine Angestellten fertigen Schnappschüsse an, schließen Kaufverträge mit den Kunden ab und liefern prompt die Fotos.« »Könnten sich darunter Aufnahmen befinden, die der strengsten Diskretion unterliegen?« fragte der Butler weiter. »Wie soll ich das verstehen?« John Hudders runzelte die Stirn, er schien nicht verstanden zu haben. »Ihre Angestellten, Mr. Hudders, könnten doch in bestimmten Fällen Fotos von Personen aufnehmen, die an solchen Aufnahmen nicht interessiert sind.« »In solchen Fällen brauchen sie ja nur einen Lieferungsvertrag abzulehnen, Mr. Parker.« »Wenn Sie erlauben, möchte ich das reden, was man gemeinhin Klartext zu nennen pflegt«, sagte Parker in seiner höflichen Art, »Erpressungen kommen in Ihrem Betrieb also nicht vor? Können Sie auch für Ihre Angestellten die Hände ins Feuer legen?« »Jetzt reicht es mir aber!« John Hudders drückte auf einen Klingelknopf, der auf der Schreibtischplatte angebracht war. Dann stand er auf und blickte erwartungsvoll zur Tür. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie recht abrupt aufgestoßen wurde. Zwei junge Männer erschienen auf der Bildfläche und sahen ihren Herrn und Meister erwartungsvoll an. »Die Herrschaften wollen gehen«, sagte John Hudders. »Aber nein«, widersprach Lady Simpson, »wie kommen Sie denn darauf, mein Lieber?« »Die Herrschaften werden gehen«, korrigierte Hudders und lieferte eine entsprechende Handbewegung dazu. Sie besagte deutlich, daß die jungen Männer durchaus Gewalt anwenden durften. »Wir bringen Sie zum Ausgang«, meinte einer der beiden jungen Männer und näherte sich dem Butler, der harmlos und verletzbar aussah. Der junge Mann baute sich dicht vor dem Butler auf und… wollte dann ohne Ansatz mit seiner großen Faust in Parkers Magenpartie schlagen. Er hatte den Covercoat noch nicht ganz erreicht, als er seine Faust blitzschnell wieder wegzog und sich dann tief vor dem Butler verbeugte. Dazu produzierte der junge Mann Heultöne, die an die eines Nebelhorns erinnerten. »Was ist denn?« fragte John Hudders irritiert, als der Bursche ohne jeden Übergang mit einer Tanzimprovisation begann, die auf eine gewisse Kreativität hindeutete. Er hatte sein linkes Bein an63
gehoben und sprang auf dem anderen herum. »Was ist?« fragte Hudders noch mal. Seine Stimme klang kalt, herrisch und gereizt. »Mein Fuß! Meine Zehen!« Der junge Mann hüpfte weiter herum und verzog dazu sein Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse. Butler Parker hatte ihm im entscheidenden Moment die scharfe Spitze seines Universal-Regenschirms auf das Oberleder des leichten Sommerschuhs gesetzt. »Wie lange muß ich noch warten?« herrschte Hudders seine Mitarbeiter an. Der noch Unversehrte beging den Fehler, nach dem Oberarm der Lady greifen zu wollen. Bevor es jedoch zu einem Kontakt kam, legte der junge Mann sich flach auf den Schreibtisch und rutschte mitsamt der Post auf Hudders zu, der instinktiv zur Seite sprang, worauf der Rutschende auf der anderen Seite des Schreibtisches auf den Boden klatschte. Agatha Simpson betrachtete inzwischen wohlwollend ihre flache Hand, die diesen Energieschub ausgelöst hatte. Dann ging sie, langsam auf John Hudders zu, der automatisch zurückwich. »Ich werde Ihnen jetzt Manieren beibringen«, sagte sie freudig, »danach sind Sie ein völlig neuer Mensch!« * »Konnte er Ihre Prophezeiung bestätigen, Mylady?« fragte Mike Rander lächelnd. Er und Kathy Porter hatten sich gerade die Geschichte der Lady Simpson und des Butlers angehört. »Fragen Sie Mr. Parker«, wich Lady Agatha aus. »Mr. Hudders war leider nicht in der Lage, zu Myladys Ankündigung Stellung zu nehmen«, lautete Parkers Antwort, »Mr. Hudders’ Gleichgewichtsgefühl war ein wenig gestört, als Mylady die Firma verließ.« »Das muß eine verdammt saftige Ohrfeige gewesen seih«, meinte Kathy Porter, »er wird natürlich Anzeige erstatten, oder?« »Eine Frage, die sich nur schwer beantworten läßt, Miß Porter«, redete der Butler weiter, »man wird sehen, wie weit Mr. Hudders an Schlagzeilen interessiert ist.« »Haben Sie seine Stimme wiedererkannt, Mr. Parker?« erkundigte sich Kathy nun. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Miß Porter«, 64
sagte der Butler, »aber ein Irrtum muß immerhin einkalkuliert werden.« »Unsinn, Mr. Parker! Für mich ist dieser Hudders der Bandenboß«, urteilte die ältere Dame, »wieso hält er sich sonst zwei junge Schläger? Geschäftsüblich ist das gerade nicht. Oder nehmen Sie an, daß ein noch Unbekannter die Stimme dieses Subjektes imitiert hat?« »Dies, Mylady, wollte meine Wenigkeit andeuten.« »Papperlapapp, Mr. Parker. Sie komplizieren alles unnötig… Ich werde mich auf diesen Hudders konzentrieren und ihn überführen. Kümmern Sie sich um die Details!« »Sehr wohl, Mylady.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Wir haben unseren Gast bisher noch gar nicht gefragt, ob er Hudders persönlich kennt«, erinnerte Mike Rander. »Wie geht es diesem Brentman inzwischen?« fragte Agatha Simpson. »Er schläft«, berichtete Kathy Porter und lächelte, »ich fürchte, einige Tropfen von meinem Schlafmittel sind in seinem Frühstückskaffee gelandet.« »Seit wann nehmen Sie Schlafmittel, Kindchen?« fragte Lady Agatha besorgt, um dann erst zu verstehen. Sie lächelte ebenfalls und nickte wohlwollend. »Sie lernen es, Kathy. Sehr schön, was Ihnen da passiert ist. Wann kann man ihn sprechen?« »Er dürfte erst gegen Mittag wieder aufwachen, Mylady.« »Schade«, bedauerte die Detektivin, »ich hätte gern von ihm eine Beschreibung dieses Hudders. Was werde ich bis dahin unternehmen, Mr. Parker?« »Falls Mr. Hudders der gesuchte Bandenführer ist, Mylady, weiß man jetzt, daß der Name Bundell nur zur Ablenkung ins Spiel gebracht wurde. Man weiß ferner, daß Mr. Larry Brentman mit Aussagen gedient hat. Daraus wäre zu schließen, daß man versuchen wird, Mr. Brentman möglichst schnell umzubringen.« »Sagte ich Ihnen das nicht schon während der Rückfahrt?« fragte die ältere Dame sofort. »Meine Wenigkeit wird diese Hinweise bedauerlicherweise überhört haben«, entschuldigte sich der Butler, der mit Sicherheit nichts gehört hatte. »Man wird mich also hier im Strandbungalow attackieren?« wollte Agatha Simpson wissen. 65
»Mit einem massierten Einsatz der Ledergangster muß durchaus gerechnet werden, Mylady.« »Ausgezeichnet.« Sie nickte zufrieden. »Und wann kann ich mit diesem Angriff rechnen?« Das Läuten des Telefons enthob den Butler einer präzisen Antwort. Er entschuldigte sich, ging an den Apparat und hob ab. Er erkannte sofort die kalte, herrische Stimme von John Hudders. »Sie werden Blackpool nur in einem Leichenwagen verlassen«, sagte der Mann, den Larry Brentman als Gangsterboß benannt hatte, »Sie und Ihre Begleiter, Parker, mein Wort darauf!« »Sie scheinen sich in einer Gemütsverfassung zu befinden, die man sicher als emotional aufgeheizt bezeichnen muß«, antwortete der Butler, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Brentman interessiert mich nicht mehr«, redete der Anrufer weiter, »jetzt geht’s nur noch um Sie und die drei anderen Schnüffler.« »Auf welchem Fuß, wenn man fragen darf, tanzte einer Ihrer Mitarbeiter in Ihrem Büro?« fragte Parker. »Auf welchem Fuß? Was soll die blöde Frage?« John Hudders’ Stimme drückte Überraschung aus. »Falls Sie diese Frage nicht beantworten können, muß man wohl davon ausgehen, daß Sie die Stimme Mr. Hudders’ nur imitieren«, setzte Parker seinem Gesprächsteilnehmer auseinander. »In diesem Fall aber wäre Mr. Hudders dann sicher nicht der gesuchte Gangsterboß.« Auf der Gegenseite wurde aufgelegt. * »Er hat also nicht widersprochen, als Sie von drei jungen Männern sprachen, Mr. Parker?« vergewisserte sich die ältere Dame noch mal, als sie auf dem Rücksitz von Parkers hochbeinigem Monstrum Platz genommen hatte. »Es erhob sich kein Widerspruch, Mylady«, antwortete der Butler, während er die Wagentür schloß. »Ich ahnte es ja gleich, daß dieser Brentman mich angelogen hat«, meinte sie, als der Butler am Steuer saß und seinen Privatwagen anrollen ließ. »Der echte Hudders ist also unschuldig und hat mit den Ledergangstern nichts zu tun, oder?« 66
»Eine Befragung des Mr. Brentman steht noch aus, Mylady«, erinnerte Josuah Parker, »alles hängt davon ab, ob er Mr. Hudders je persönlich Auge in Auge gegenüberstand.« »Und wozu jetzt diese Ausfahrt, Mr. Parker?« »Mr. Rander und Miß Porter werden Mr. Brentman aus dem Strandbungalow schaffen, Mylady. Sein Aufenthalt dort ist nicht mehr sicher.« »Haben Sie den Wagen dazu an den Kellerausgang gefahren?« »Es entstand hoffentlich der Eindruck, Mylady, daß Mr. Brentman in den Kofferraum des Wagens geschafft wurde.« Parker hatte mit seinem Wagen inzwischen die nahe Straße erreicht und fuhr in Richtung Süden. Nach einem kurzen Blick in den Rückspiegel entdeckte er auf Anhieb einen Pulk von Motorradfahrern. »Werde ich bereits verfolgt?« Agatha Simpson hatte den Blick mitbekommen. »Es hat den Anschein, Mylady«, gab der Butler zurück, »auf einen Angriff werden Mylady allerdings noch ein wenig warten müssen. Es herrscht zuviel Verkehr auf der Straße.« Parker blieb nicht lange auf der Route. Er nutzte die erste Gelegenheit, um ins Landesinnere abzubiegen. Die Motorradfahrer folgten nicht, sie waren plötzlich verschwunden. »Machen Sie es diesen Ledergangstern nicht zu schwer«, warnte die Detektivin, die sich umgedreht und durch das Rückfenster gesehen hatte, »es wird Zeit, daß diese Subjekte mich endlich richtig kennenlernen.« »Der Kontakt ist bereits wiederhergestellt«, meldete Parker nach wenigen Augenblicken, »diesmal handelt es sich um einen japanischen Geländewagen, der zu den ebenfalls japanischen Krafträdern passen dürfte.« »Endlich mal eine gute Nachricht«, freute sie sich und rückte sich in den Polstern zurecht, »Sie werden diesen Geländewagen an einer passenden Stelle auflaufen lassen?« »Nur, wenn Mylady besonderen Wert darauf legen.« »Was könnte mir sonst noch vorschweben?« Sie beugte sich vor. »Mylady haben vielleicht die Absicht, nur für Verwirrung zu sorgen.« »Das ist immer meine Absicht«, meinte sie und nickte nachdrücklich, »aber gut, ich lasse Ihnen freie Hand, Mr. Parker. Warum sollen nicht auch Sie mal ein Erfolgserlebnis haben!« 67
Josuah Parker bedankte sich höflich für diese Erlaubnis und zog den schweren Geländewagen geschickt hinter sich her. Als man allein und unter sich auf dieser schmalen Straße war, ließ er den verfolgenden Wagen zuerst herankommen, um dann jedoch Gas zu geben. Der mächtige Motor unter der eckigen Motorhaube dröhnte diskret auf und ließ das hochbeinige Monstrum schneller werden. Nach wenigen Augenblicken war der japanische Geländewagen, der mit einem Allrad-Antrieb ausgestattet war, sehr klein geworden. »Wollen Sie Ihren Öltrick einsetzen?« fragte Lady Agatha. »Oder werden Sie ein paar Krähenfüße auf die Fahrbahn werfen?« »Ihre Erlaubnis voraussetzend, Mylady, könnte man auf beide Methoden verzichten«, antwortete der Butler, »die Insassen des Geländewagens dürften inkompetent sein, was den Fall angeht.« »Richtig, so sehe ich es auch.« Sie nickte. »Mylady haben auch den Wagen gesehen, der dem Geländefahrzeug folgte?« »Ein zweiter Wagen?« Sie runzelte die Stirn, drehte sich augenblicklich um und blickte auf die Straße. Sie konnte weit und breit kein Fahrzeug ausmachen. »Es handelt sich um einen Bentley, Mylady. Ein Wagen dieser Marke und Klasse stand vor dem Haus, in dem die Firma Hudders ihren Sitz hat.« »Und warum erfahre ich das erst jetzt?« grollte sie. »Meine Wenigkeit wollte erst sicher sein, Mylady. Dies ist inzwischen der Fall.« »Nun gut, und was wird geschehen?« Die Detektivin schaute sich erneut um und konnte endlich den Geländewagen ausmachen. Er war klein wie ein schwarzer Punkt. Kurz danach entdeckte die ältere Dame dann einen zweiten Punkt, der sich dem ersten näherte. »Mylady können davon ausgehen, daß die Insassen der beiden Fahrzeuge sich ausgiebig miteinander beschäftigen werden«, prophezeite der Butler, »meiner bescheidenen Ansicht nach wird man sich gegenseitig ins Gehege kommen…« * Genau das war der Fall! 68
Butler Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum in einem kleinen Dorf gewendet und war dann zurückgefahren. Schon von weitem machte er die beiden Wagen aus, die offensichtlich von der schmalen Straße abgekommen waren. Der japanische Geländewagen lag auf der Seite und sah ramponiert aus. Der Bentley hing im Straßengraben und präsentierte Blechschäden. Josuah Parker schritt auf die beiden Wagen zu und entdeckte zusätzlich Schußspuren in den Karosserien. Man hatte sich also beschossen und nichts geschenkt. Von den Insassen der Wagen war allerdings weit und breit nichts zu sehen. Sie hatten sich zu Fuß davongemacht. »Weit können sie nicht sein, Mr. Parker«, sagte die Detektivin, die nachgekommen war und die beiden Wagen inspizierte, »es müßte doch Spuren von ihnen geben, Mr. Parker.« »Sie führen dort hinüber zu einer kleinen Farm, Mylady.« Parker deutete mit der Schirmspitze zuerst auf das Gras, dann auf das Dach eines Farmhauses, das hinter einer Baumgruppe gerade noch zu erkennen war. »Worauf warte ich eigentlich noch?« Agatha Simpson machte wieder mal einen äußerst animierten Eindruck und freute sich auf einen Zwischenfall. »Man hat nicht nur geschossen, Mylady, es muß auch Blut geflossen sein«, meldete Parker, der sich das Innere der Fahrzeuge genauer angesehen hatte. »Ich habe nichts dagegen«, gab sie zurück, »aber wieso hat es zwischen den Ledergangstern Streit gegeben?« »Es dürfte sich um die Vertreter zweier Gruppierungen gehandelt haben, Mylady.« »Natürlich, zwei Gruppierungen.« Sie nickte wissend, sah den Butler dennoch erwartungsvoll an. »Einmal dürfte es sich um die Ledergangster gehandelt haben«, schickte Josuah Parker voraus, geduldig und höflich wie stets, »im Bentley hingegen dürften Mitarbeiter des Mr. John Hudders gewesen sein.« »Und was folgere ich daraus?« »Mr. John Hudders muß nicht unbedingt der Boß der Ledergangster sein, Mylady. Man könnte seine Stimme nachgeahmt haben. Mr. Larry Brentman wird da sicher für eine Klärung sorgen können.« »Fahren wir«, meinte die resolute Dame, »die Theorie überlasse 69
ich Ihnen, Mr. Parker, ich bin eine Frau der Praxis!« Sie ging zurück zum hochbeinigen Monstrum des Butlers und nahm im Fond Platz. Parker setzte sich ans Steuer und bugsierte seinen Wagen ein Stück die Straße hinunter, bis er die Abzweigung gefunden hatte, die hinunter zur Farm führte. Als die Gebäude in Sicht kamen, visierte er sofort die Scheune an, deren Tor weit geöffnet war. Parker gab Vollgas und brauste mit seinem Vehikel auf die Scheune zu. Es dauerte wirklich nur wenige Sekunden, bis er auf der Tenne eine Vollbremsung vornehmen konnte. Der Wagen schlitterte noch einen halben Meter weiter und stand dann. Parker stieg aus und half seiner Herrin aus dem Wagen. Dann hakte er mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms nach einigen Brettern, die man in einem Seitenstand hochgestellt hatte. Diese Bretter gerieten prompt aus dem Gleichgewicht, stürzten um und verursachten bei ihrer Landung auf dem festgestampften Boden eine ansehnliche Staubwolke, die nach draußen wallte. »Ich hätte es kaum anders gemacht, Mr. Parker«, sagte Lady Agatha und hüstelte, »und was soll das?« »Möglicherweise lassen sich einige Herren anlocken, die noch gut zu Fuß sind«, gab der Butler zurück, »Mylady haben natürlich nicht vergessen, daß die Gangster, mit Schußwaffen versorgt sind.« »Darauf wollte ich Sie eben aufmerksam machen«, meinte sie, »ich weiß schließlich, wie leichtsinnig Sie sind, Mr. Parker.« Der Butler machte drei Männer aus, die aus der Milchkammer des Stallgebäudes kamen. Sie hielten tatsächlich Schußwaffen in Händen, wie bereits an ihrer Haltung zu erkennen war. Zwei Männer trugen schwarze Lederkleidung, der dritte Mann präsentierte sich in Jeans und Sporthemd. Parker disponierte um und bückte sich nach einem etwa zwei Meter langen Brett. Er baute sich an der Scheunentür so auf, daß er dieses Brett mit Schwung sensenartig nach draußen bewegen konnte. Dann wartete er auf den rechten Augenblick. * Was nicht lange dauerte. Die Gangster bildeten so etwas wie einen Schulterschluß, scho70
ben sich vorsichtig an die Staubwolke heran und rechneten wohl damit, daß Parkers Wagen während der Einfahrt in die Scheune vom Kurs abgekommen war. Der Butler warf einen kurzen Blick auf Agatha Simpson. Der Pompadour an ihrem rechten Handgelenk pendelte munter. Sie löste ihn gerade und nahm die langen Halteschnüre in die Hand, um noch besser zulangen zu können. Sie machte einen munteren Eindruck. Parker tat einen halben Schritt vor, um das Brett mit Schwung nach draußen bewegen zu können. Dann konzentrierte er sich und vollführte einen Sensenhieb. Das Brett schwang kraftvoll ins Freie und irritierte die Männer, die eine Bewegung wahrnahmen, sie aber nicht zu identifizieren vermochten. Alle drei Schützen verfehlten das schmale Brett. Bevor sie aber das Ziel erneut aufnehmen konnten, waren sie bereits erwischt worden. Das Resultat war erstaunlich. Die Männer verloren fast im gleichen Moment Waffen, Übersicht und Gleichgewicht. Sie wurden zurückgeschmettert, stolperten, behinderten sich gegenseitig und landeten auf dem Boden. Lady Agatha stürmte wie eine Walküre aus der Scheune und wirbelte ihren Pompadour kriegerisch durch die Luft. Sie erwischte zwei Gangster, die gerade wieder aufstehen wollten. Den ersten Mann erledigte sie mit dem perlenbestickten Handbeutel, den zweiten mit einem gezielten Fußtritt. Da sie stets recht bequeme, aber derbe Schuhe trug, fiel dieser Fußtritt nicht gerade sanft aus. Parker hatte den dritten Mann mit dem Schirmgriff getroffen, hielt sich jedoch nicht lange auf, sondern wechselte hinüber zur Milchkammer, deren Tür er mit der Schirmspitze öffnete. Durch den leeren Raum kam er in die Küche des Farmhauses, hörte Stimmen und folgte ihnen. Dann sah er drei weitere Männer, die einen recht kläglichen Eindruck machten. Einer trug wieder schwarze Lederkleidung, die beiden anderen Männer Sportanzüge. Alle litten an Verletzungen, wie blutgetränkte Notverbände zeigten. Schnell waren sie nicht auf ihren Beinen. Sie brauchten einige Zeit, bis sie sich zu Parker umgedreht hatten, der höflich seine schwarze Melone liftete. »Ich möchte mir erlauben, den Herren einen erträglichen Vormittag zu wünschen«, sagte der Butler, »unter Ihnen scheint es augenblicklich zu Mißverständnissen gekommen zu sein.« 71
»Keine Gegenwehr?« hörte der Butler die Stimme seiner Herrin hinter sich. Die Lady war ihm gefolgt und nun enttäuscht, sich nicht noch mal beruhigend einschalten zu können. »Die Herrschaften dürften im Moment nur an Ruhe interessiert sein, Mylady«, sagte der Butler, »aber sie werden Mylady sicher gern sagen, wo man die Bewohner dieser Farm finden kann.« Sie sagten es sogar sehr gern, nachdem Mylady sich vor ihnen aufgebaut hatte. Danach befanden sich drei Farmbewohner im Keller des Hauses, wo man sie in einen Kartoffelverschlag eingesperrt hatte. »Ihr Einverständnis voraussetzend, meine Herren, wird man Sie und Ihre Freunde draußen ebenfalls in den Keller bitten«, schickte Parker voraus, »würden Sie Lady Simpson freundlicherweise sagen, ob Sie Ihre diversen Auftraggeber bereits von der Panne dort oben auf der Straße verständigt haben?« »Ich hoffe, Sie werden nicht reden!« Agatha Simpson hatte den Satz noch nicht ganz beendet, als sie den Pompadour auf die nahe Tischplatte klatschen ließ. Der Glücksbringer im Handbeutel schlug eine Delle in das harte Holz. Damit waren die drei Gangster bereits überredet. Sie überboten sich in ihren Aussagen und redeten erst mal durcheinander, eifrig und rückhaltlos. Parker ordnete das Durcheinander der Stimmen, dann die Aussagen und geleitete die drei Männer nach unten in den Keller, was wegen der Schußverletzungen, die nur oberflächlicher Natur waren, nicht besonders schnell vonstatten ging. Parker sperrte die Gangster in die ausgemauerte Vorratskammer, die mit einer soliden Eisentür geschlossen werden konnte. Anschließend kümmerte er sich um die drei Männer, die nach wie vor tief beeindruckt vor dem geöffneten Scheunentor lagerten. »Mylady wünscht Sie zu sprechen«, sagte Parker, nachdem er zwei Eimer Brunnenwasser über sie ergossen hatte, »Sie sollten sich einer gewissen Eile befleißigen, Mylady wartet nicht gern.« Die Lederträger standen zuerst, dann raffte sich auch der Mann in den Jeans auf. Sie sahen Parker scheu an, waren noch recht unsicher auf den Beinen und klagten über Prellungen, die eindeutig mit dem Brett zusammenhingen. Schwankend marschierten sie dann zum Farmhaus und nahmen in der Küche Platz. Sie schauten sich nach ihren Freunden um und wirkten eingeschüchtert, als sie sie nicht entdecken konnten. »Darf man Ihnen empfehlen, schnell und präzise zu antwor72
ten?« schickte Josuah Parker voraus. »Gegen Lügen und Ablenkungsmanöver ist Mylady ungemein allergisch.« * »Es war so, wie ich es gleich vermutete«, erklärte die ältere Dame, nachdem sie zusammen mit ihrem Butler in den Strandbungalow zurückgekommen war, »im japanischen Geländewagen saßen drei Ledergangster, im Bentley drei Subjekte dieses John Hudders. Aber Mr. Parker wird Ihnen die Details erzählen, sie sind für mich unwichtig.« Parker berichtete relativ knapp, was sich ereignet hatte. Anschließend gab er seinem Bedauern darüber Ausdruck, daß keine weiteren Gangster auf der Farm erschienen waren. »Man hatte wohl geahnt, daß Mylady nur darauf wartete«, sagte Kathy Porter. »Eben, mein Kind.« Sie nickte zustimmend und wohlwollend. »Man wollte sich nicht noch tiefer in die Nesseln setzen.« »Und wo stecken die sechs Männer jetzt?« erkundigte sich Mike Rander. »Mylady war der Ansicht, daß man sich mit unwichtigen Statisten nicht belasten sollte«, erklärte der Butler, »sie wurden freigesetzt, wenn man so sagen darf.« »Ich hatte erhebliche Bedenken«, schaltete Agatha Simpson sich ein, »aber was soll ich mit solchen Flegeln, die nichts als Handlanger sind? Die Farmleute wollten ohnehin keine Anzeige erstatten, weil man sie in den Keller eingesperrt hatte. Natürlich haben sie Angst und wollen keine Racheaktion auslösen.« »Okay, streichen wir diese Knaben also«, meinte der Anwalt, »Sie haben die Gangster verhört, Mylady?« »Drei von ihnen sind von diesem Subjekt namens Hudders auf mich angesetzt worden«, erläuterte die Detektivin, »die anderen drei gehören eindeutig der Ledergang an. Ihren Boß aber kennen sie nicht, was ich ihnen sogar abnehme, nicht wahr, Mr. Parker?« »Mylady sind Herrin der Situation«, entgegnete der Butler, »hinzuzufügen sei vielleicht noch, daß weder Larry Brentman noch Peter Hamsford wissen dürften, wer ihr Bandenführer ist.« »Im Fall Brentman stimmt das sogar«, pflichtete der Anwalt dem Butler sofort bei, »nachdem er wieder wach war, haben Ka73
thy und ich uns mit ihm unterhalten. Seinen Boß hat er noch nie gesehen, er verkehrte nur per Telefon mit ihm und kennt ausschließlich diese kalte, herrische Stimme.« »Die imitiert wird«, meinte die ältere Dame und schaute stolz in die Runde. Sie hatte die Namen richtig eingeordnet und war stolz. »Dieser Verdacht erhärtet sich immer mehr, Mylady«, bestätigte der Butler, »man scheint es von Anfang an darauf angelegt zu haben, John Hudders als mutmaßlichen Bandenboß in den Vordergrund zu schieben. Daraus ergibt sich selbstverständlich eine Konsequenz.« »Darum möchte ich aber auch gebeten haben.« Agatha Simpson drückte satte Zufriedenheit aus, sah den Butler aber erwartungsvoll an. »Mr. John Hudders’ Weste dürfte nicht ganz fleckenlos sein«, redete Parker weiter, »man könnte sich durchaus vorstellen, daß er und seine Mitarbeiter gewisse Fotos dazu benutzen, um den Umsatz des Hauses illegal anzuheben.« »Sehr richtig, Mr. Parker.« Lady Agatha nickte. »Und wie geht das vor sich? Ich frage nur aus Kontrollgründen, damit wir nicht aneinander vorbeireden.« »Gewiß, Mylady. Es könnten Fotos geschossen werden, die die Abgelichteten nicht sonderlich schätzen, um es mal so auszudrücken.« »Aufnahmen, mit denen man kleine und große Erpressungen durchführen kann«, schaltete Mike Rander sich ein, »ich denke da zum Beispiel an Ehepartner, die allein in Blackpool sind und sich amüsieren wollen.« »Ich werde auch diesem Hudders das Handwerk legen«, versprach die ältere Dame, »Erpressung ist niederträchtig. Erinnern Sie mich daran, Mr. Parker, daß ich diesem Hudders eine deutliche Verwarnung erteile… Aber sehr schade, daß er also nicht der Anführer der Ledergang ist.« »Vieles spricht dagegen, Mylady«, ergänzte der Butler, »der Schußwechsel zwischen den beiden verfolgenden Gruppen deutet darauf hin.« »Erpressung kann es nicht sein, was der Bandenboß durchziehen will«, sagte der Anwalt, »wir gingen davon aus, daß die jungen Schläger und Lederträger nur darum so aktiv sind, um die Polizei abzulenken. Wir rechnen mit einem geplanten Riesencoup.« 74
»Alle bisher bekannten Fakten deuten in der Tat daraufhin, Sir«, pflichtete der Butler Mike Rander bei, »dazu gehört auch die Tatsache, daß die Ledergangster die bisher gemachte Beute für sich behalten konnten. Sie werden, wenn man daran erinnern darf, von Mrs. Laura Hamsford vereinnahmt und verwaltet.« »Könnte sie nicht der Boß der Gang sein?« warf Kathy Porter ein. »Aber gutes Kind«, meinte die Detektivin und schüttelte mildverweisend den Kopf. »Welchen Riesencoup sollte eine solche Frau denn durchführen wollen?« »Überhaupt keinen«, antwortete Kathy Porter, »in drei Wochen raffte sie auf dem Umweg über die jugendlichen Schläger und Gangster rund zehntausend Pfund zusammen. Das ist doch eine erkleckliche Summe!« »Und sie ist es dann auch, die Hudders’ Stimme imitiert?« fragte Lady Agatha ironisch. »Wir kennen Mrs. Laura Hamsford nicht, Mylady«, entgegnete Kathy Porter ruhig, »und hatten auch noch keinen Kontakt zu ihrem Sohn Peter.« »Ein Besuch, den man unbedingt nachholen sollte«, ließ der Butler sich vernehmen. »Es sollte vielleicht auch noch geklärt werden, woher die Schläger und Gangster wußten, daß Mylady von den Mitgliedern des Verbandes des eingesessenen Handels gebeten wurde, hier in Blackpool helfend einzugreifen.« »Ich traue diesem Vorsitzenden nicht, Mr. Parker«, erklärte die Detektivin umgehend. Sie war selbstverständlich schon wieder in der Lage, mit einer neuen Theorie aufzuwarten, »wie heißt dieser Mann noch?« »Mylady sprechen von Mr. Robert Cornay«, sagte der Butler, »Mylady werden gewiß auch ihn noch mit Ihrem Besuch beehren.« »Und er wird harte Fragen zu hören bekommen«, drohte sie grimmig, »einer Lady Simpson macht man nichts vor!« * Sie trafen sich auf dem Gelände einer großen Go-Cart-Bahn in der Nähe des Central Pier. Chief-Superintendent McWarden, ein untersetzter, leicht beleibter Fünfundfünfziger, dessen Gesicht an 75
das einer stets leicht gereizten Bulldogge erinnerte, stand auf einer der kleinen Tribünen und schaute sich das Treiben auf dem verschlungenen Rundkurs an. Hinter ihm hatten sich Lady Simpson und Butler Parker aufgebaut. Man schien sich nicht zu kennen, doch man unterhielt sich vorsichtig miteinander. Um Lippenbewegungen nicht zu zeigen, blickte McWarden immer wieder in einen aufgeschlagenen Reiseführer. »Larry Brentman ist hinter Schloß und Riegel und verdammt zufrieden«, berichtete der Chief-Superintendent, »Miß Porter und Rander haben ihn mir zugespielt.« »Sie sind mir hoffentlich dankbar, mein lieber McWarden«, antwortete die ältere Dame, »er wird später mal ein wichtiger Kronzeuge für die Anklage sein.« »Ich und dankbar?« McWarden verschluckte sich fast. »Ich bin zuständig für London, aber nicht für Blackpool. Meine Kollegen waren erst gar nicht begeistert, als ich mich hier einschaltete.« »Sie leiten immerhin ein Sonderdezernat, Sir, das dem Innenministerium direkt unterstellt ist«, erinnerte der Butler gemessen, »Ihre Kompetenzen sind größer, als Sie einräumen wollen, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf.« »Lassen wir das.« McWarden blätterte im Reiseführer und mußte ohnehin eine Pause einlegen, weil ein Pulk von Go-Carts an der Tribüne vorbeiknatterte und dabei einen Höllenlärm verursachte. »Ich werde jetzt die Mitglieder des Handelsverbandes überprüfen lassen«, redete der Chief-Superintendent weiter, als wieder Ruhe herrschte, »und ich lasse nachprüfen, wo man wann wohl einen Riesencoup landen könnte. Ich denke an Lohngelder oder Wochenendeinnahmen.« »Vergessen Sie dieses Subjekt Hudders nicht«, mahnte Lady Agatha, »aber der gehört mir, um es ganz deutlich zu sagen, mein lieber McWarden. Erst nach meiner Unterhaltung mit ihm können Sie ihn haben, früher nicht.« »Man sollte dem armen Teufel Polizeischutz zubilligen«, spottete McWarden. »Seien Sie gefälligst nicht albern«, raunzte die ältere Dame, »es geht hier immerhin um echtes Gangstertum, nicht wahr, Mr. Parker?« »Unbestreitbar, Mylady.« »Und ob«, fügte McWarden hinzu, »die Vorfälle in Blackpool sind bereits meinem Dezernat gemeldet worden. Früher oder spä76
ter wäre ich und ein paar von meinen Mitarbeitern hierher gekommen. Aber zurück zur Sache: Gibt es bereits eine Spur, die auf diesen Bandenboß hindeutet?« »Sehr viele Spuren sogar«, erwiderte die ältere Dame prompt. »Sehr viele Spuren, Sir, die allerdings auf verschiedene Personen hinweisen«, präzisierte der Butler, »wie kann man sich mit Ihnen in Verbindung setzen?« »Ich habe bei der hiesigen Polizei einen Sonderanschluß, der rund um die Uhr besetzt ist«, antwortete der ChiefSuperintendent und nannte Parker dann die Telefonnummer, »so, und nun werde ich verschwinden. Ich möchte nicht unnötig auffallen.« McWarden tauchte in der Menge unter und war schon bald nicht mehr zu sehen. Agatha Simpson verließ die Tribüne, gefolgt von Butler Parker, der mit einem gewissen inneren Unbehagen bemerkte, daß seine Herrin zielsicher das Depot der Go-Carts ansteuerte, die man mieten konnte. »Bevor er mit seinen Ermittlungen richtig beginnt, werde ich diesen Fall bereits gelöst haben, Mr. Parker, nicht wahr?« fragte sie. »Vieles, Mylady, spricht dafür«, versicherte der Butler, »Mylady wollen sich noch ein wenig ergehen, bevor man zu den Hamsfords hinausfährt?« »Ergehen?« Sie blieb stehen, lächelte und deutete dann auf die niedrigen Vierrad-Fahrzeuge, die von kleinen Motoren angetrieben würden und kaum etwas anderes waren als fahrbare Gartenliegen. »Mr. Parker, ich denke, ich werde ein paar schnelle Runden drehen. Man darf nicht aus der Übung kommen.« Parker konnte kaum etwas erschüttern, doch jetzt gestattete er sich den Luxus, seine linke Augenbraue ein wenig hochzuziehen… * »Ich ahne Schreckliches«, sagte Mike Rander eine Stunde später, »Lady Simpson setzte sich in solch ein Ding, Parker?« »Mylady wäre nicht aufzuhalten gewesen, Sir«, berichtete der Butler, »Mylady nahm Platz in einem Go-Cart und beherrschte schon nach wenigen Augenblicken die Szene.« »Allmächtiger Gott, warum habe ich das verpaßt«, seufzte der 77
Anwalt. »Mylady gab selbstverständlich sofort Vollgas und rollte ein Feld von jungen Fahrern auf, das in Anbetracht einer sich nähernden Kurve das Tempo minderte. Mylady übersah möglicherweise die Bahn-Schikane und sorgte dafür, daß die Fahrer vor Mylady ihr Heil darin suchten, in die übereinandergeschichteten Reifen zu fahren. Es herrschte danach ein bewegendes Bild.« »Nämlich, Parker? Lassen Sie sich nicht alles mühsam aus der Nase ziehen! Was passierte dann?« »Mylady nutzte diese frisch geschaffene Gasse und kürzte danach einige Spitzkehren ab. Dabei ging allerdings ein Teil des Rasengrüns in eine ackerähnliche Landschaft über. Es war beeindruckend, wie die Erdschollen durch die Luft flogen, Sir.« »Warum mußte ich so etwas verpassen!« Rander gluckste vor Lachen. »Mylady fand später zurück auf die eigentliche Bahn«, schilderte der Butler, »der Kurs hatte sich inzwischen bis auf einige recht verwegene Sportler geleert. Diese Fahrer sollten es noch bereuen, wenn ich es so andeuten darf.« »Erklären Sie mir das deutlicher, Parker.« Mike Rander grinste unverhohlen. Er sah alles genau vor sich. »Mylady glaubte wohl, überrundet zu werden«, sagte der Butler, »tatsächlich aber hatten die Fahrer inzwischen ebenfalls die Flucht ergriffen und gedachten, sich in Sicherheit zu bringen. Mylady wurde von einer geradezu begeisterten Menge angefeuert, während von weither bereits die Signalhörner der Polizei und diverser Feuerwehren zu hören waren. Mylady mußte dann mit einem gewissen Handicap kämpfen, da der Schutzhelm über ihre Augen gerutscht war.« »Was hat sie noch angestellt, Parker? Mann, spannen Sie mich nicht auf die Folter!« »Lady Simpson brachte einige Angestellte dazu, sich als Artisten zu betätigen«, meinte Parker gemessen, »diese Männer wollten Mylady stoppen und bauten sich ungemein leichtsinnig auf der Zielgeraden auf. Mylady stachelte die Männer zu sportlichen Höchstleistungen an. Einer von ihnen sprang aus dem Stand etwa anderthalb Meter hoch und klammerte sich an der Brüstung der Haupttribüne fest, um Mylady passieren zu lassen. Ein zweiter Bahnangestellter hechtete mit einem verunglückten Kopfsprung in einen Zierteich, der wohl flacher war, als er angenommen hat78
te. Der Mann blieb bäuchlings im Schlamm stecken und belegte Mylady mit Flüchen, die meine bescheidenen Ohren nur höchst selten zu hören bekommen.« »Und Mylady raste weiter, wie?« Rander lachte nur noch. »Und durchbrach den erfreulicherweise leichten Bretterzaun des Geländes«, nahm Parker seine Erzählung wieder auf, »Mylady fädelte sich in den allgemeinen Straßenverkehr ein und sorgte für Chaos an einer Kreuzung.« »Gut, daß da nichts passiert ist«, meinte der Anwalt. »So gut wie nichts, Sir«, schickte Parker voraus, »ein ausweichender Personenwagen überrannte einen Hydranten und sorgte für ein ungewöhnliches Wasserspiel. Ein zweiter Wagen rollte über eine breite Treppe hinunter zum Strand und zerstörte dabei nach überschlägiger Rechnung etwa vier Strandkörbe, einen Speiseeiswagen und ein Tretboot.« »Warum konnte das alles nicht fotografiert werden!?« Rander wischte sich Tränen aus den Augenwinkeln. »Und wo landete Mylady schließlich?« »In einem Blumenladen, Sir«, schloß Josuah Parker seinen Kurzbericht, »Mylady benutzte den regulären Eingang, nahm dann Kontakt mit der kleinen Verkaufstheke auf und ließ vor einem Wandregal höchstens anderthalb bis zwei Dutzend Vasen und Übertöpfe zu Bruch gehen. Danach allerdings war die Testfahrt beendet.« »Ein Wunder, daß ihr nichts passiert ist, wenn man mal von den paar harmlosen Prellungen absieht, Parker.« »Der Begriff Wunder, Sir, dürfte hier voll und ganz angebracht sein.« »Und Sie waren natürlich wieder mal an allem schuld, wie?« »Mylady wird den Betreiber der Go-Cart-Bahn auf Körperverletzung verklagen«, entgegnete der Butler, »Mylady gab zu Protokoll, daß das Gasgestänge klemmte.« »Demnach kommt auf mich als Anwalt wieder einiges zu«, prophezeite Mike Rander. »Damit ist fest zu rechnen, Sir«, pflichtete Parker dem Anwalt bei, »Mylady wird selbstverständlich auch noch Schadenersatz fordern. Lady Simpson macht auf meine Wenigkeit den Eindruck eines Menschen, der leicht verärgert ist.«
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* Laura Hamsford entpuppte sich als eine kleine, aber sehr energische Frau, die etwa sechzig Jahre zählte. Sie sah Butler Parker und Mike Rander mißtrauisch an, die gerade das hochbeinige Monstrum verlassen hatten. Sie gingen auf das Farmhaus zu. Parker liftete höflich seine schwarze, runde Kopfbedeckung. »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte er sich vor. »Mike Rander«, sagte der Anwalt, »wir sind hinter Knaben her, die in schwarzer Lederkleidung durch die Gegend brausen und Blackpool unsicher machen.« »Und was wollen Sie hier?« fragte Laura Hamsford knapp. »Vielleicht sollte man die üblichen Präliminarien unterlassen, Mrs. Hamsford«, schlug Josuah Parker vor, »Mr. Larry Brentman war bereits so entgegenkommend, Angaben zur Gang und zu speziellen Personen zu machen.« »Ich kenne Brentman«, sagte Laura Hamsford, »wenn er den Mund aufmacht, lügt er bereits.« »Wie Ihr Sohn Peter, Mrs. Hamsford?« erkundigte sich der Butler, »ich hatte bereits das zweifelhafte Vergnügen, mich mit ihm zu unterhalten.« »Ich denke, Sie sollten das Grundstück verlassen«, entrüstete sich Laura Hamsford, »ich habe es nicht nötig, mich beleidigen zu lassen.« »Ihr Sohn Peter ist abwesend?« Parker hatte sich längst vergewissert. Die Farm war leer, was die jugendlichen Lederträger betraf. Weit und breit war kein einziges Motorrad zu sehen. »Peter ist beruflich unterwegs«, antwortete Laura Hamsford, »auch ihm werden Sie nichts anhängen können. Was man Ihnen auch erzählt haben mag, es sind nichts als Verleumdungen gewesen.« »Larry Brentman wird sich als Kronzeuge der Anklage ganz gut machen, Mrs. Hamsford«, sagte Mike Rander lächelnd, »und Ihre Rolle innerhalb der Gang wird da ganz besonders zur Sprache kommen.« »Ich weiß noch nicht mal, was eine Gang ist.« Sie lächelte zurück und fühlte sich sicher. »Wie gesagt, Brentman ist ein notorischer Lügner. Er hat hier mal gewohnt, aber ich mußte ihn an die frische Luft setzen. Er zog ein paar Leute nach sich, die einen kriminellen Eindruck auf mich machten.« 80
»Sie verwahren und verwalten weder Bargeld noch Kreditkarten und Reiseschecks?« erkundigte sich der Butler. »Lächerlich. Wie sollte eine Frau wie ich an Kreditkarten und Reiseschecks kommen? Ich bin froh, wenn ich mit meinem Geld gerade über die Runden komme. Brentman scheint Ihnen ja unmögliche Dinge erzählt zu haben.« Sie war sich ihrer Sache völlig sicher; Ihr war klar, daß im Fall einer Anklage Aussage gegen Aussage stand. Ihre Chance, mit einem Freispruch davonzukommen, war groß genug. »Lady Simpson hat mit diesen Schutzbehauptungen gerechnet«, schickte der Butler voraus, »Mylady, die Ihnen ja nicht unbekannt sein dürfte, wird daraus ihre Konsequenzen ziehen.« »Und wie sollen die aussehen?« Laura Hamsford lachte ironisch. »Mylady wird einen Privatkrieg gegen Sie führen, Mrs. Hamsford«, redete der Butler weiter, »ich darf Ihnen versichern, daß Mylady ungewöhnlich hartnäckig ist.« »Und ich kann zurückschlagen«, entgegnete Laura Hamsford, »ich habe keine Angst vor Ihrer Lady!« »Mylady ist der Ansicht, daß Sie, Mrs. Hamsford, der sogenannte Boß der Ledergang sind.« »Eine Frau als Bandenboß?« Sie lachte erneut. »So ungewöhnlich ist das gar nicht«, schaltete Mike Rander sich ein, »Mr. Parker und ich haben da unsere Erfahrungen.« »Schön, reden wir ganz offen«, meinte Laura Hamsford und wurde ernst, »wer sich mit mir anlegen will, kann sich auf einiges gefaßt machen, richten Sie das dieser Lady aus! Und auch die Polizei habe ich nicht zu fürchten. Die kann hier alles auf den Kopf stellen, wird aber nichts finden. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?« »Sie fürchten nicht, daß Bandenmitglieder Sie belasten könnten, Mrs. Hamsford?« fragte der Butler. »Ich kenne keine Bande.« Nun lächelte sie wieder ironisch. »Demnach ist die Ledergang aufgelöst worden«, stellte Butler Parker fest, »einen anderen Schluß läßt Ihre Bemerkung nicht zu.« »Denken Sie doch, was Sie wollen… Und nun gehen Sie endlich, sonst rufe ich die Polizei! Ich lasse mich nicht beleidigen.« »Ihr Leben hier auf dem Land wird sicher nicht ausgesprochen friedlich verlaufen, Mrs. Hamsford«, antwortete der Butler gemessen, »dies gilt natürlich auch für Ihren Sohn Peter, der die 81
Ledergang zusammen mit Mr. Brentman führte. Lady Simpson wird Ihnen kaum Ruhe gönnen.« Parker grüßte und ging zusammen mit Mike Rander zum hochbeinigen Monstrum zurück. Laura Hamsford blieb in der Tür des Farmhauses stehen und sah ihnen nach. Ihr Gesicht wirkte kalt. Sie hatte gut verstanden und ahnte wohl, was noch auf sie zukam. »Ist die Gang nun aufgelöst worden oder nicht, Parker?« fragte der Anwalt, als man die Farm verließ. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir«, lautete die Antwort des Butlers, »in Anbetracht der allgemeinen Zuspitzung der Lage wird man die jungen Lederträger in ihre Heimatstädte zurückgeschickt haben.« »Auf diese Knaben kommt’s ja kaum an, Parker.« »Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich Ihre Ansicht teilen«, redete der Butler weiter, »die jungen Leute dürften inzwischen gemerkt haben, wie gefährlich es ist, den Pfad der sogenannten Tugend zu verlassen.« »Hoffentlich haben sie kapiert«, meinte der Anwalt, »falls nicht, landen sie eines Tages unweigerlich hinter Gittern. Aber ist diese Laura Hamsford nun der Bandenboß gewesen?« »Dies sollte man nach wie vor nicht ausschließen, Sir. Wichtig wäre es jedoch, Peter Hamsford zu sehen und zu sprechen.« »Der dürfte längst über alle Berge sein, Parker. Da haben wir vielleicht nicht rechtzeitig genug zugepackt.« »Er wird sich bemühen, bald wieder in Erscheinung zu treten, Sir.« »Um sich mit Mylady anzulegen?« »Davon erlaube ich mir auszugehen, Sir. Meiner bescheidenen Ansicht nach hat er Blackpool auf keinen Fall verlassen.« »Könnte er sich auf dem Farmgelände aufhalten, Parker? Dort kennt er sich doch bestens aus, dort kann er untertauchen.« »Eine Möglichkeit, Sir, die man unbedingt in Betracht, ziehen sollte«, erwiderte Butler Parker, »vielleicht sollte man von einer taktisch günstigen Position aus die Hamsford-Farm beobachten. Würden Sie meiner Wenigkeit eine Frage gestatten?« »Mann, Parker, das wissen Sie doch«, erklärte der Anwalt fast ungeduldig. »War Mrs. Laura mit jener Frau identisch, die Miß Porter und Sie überrumpelte, bevor man Sie in die Werkstatt verbrachte?« 82
»Nein, sie war’s eindeutig nicht«, antwortete Rander, »verdammt, Parker, dieses Ehepaar, das uns in die Falle lockte, hatte ich fast schon vergessen.« »Da wäre das Ehepaar Sluttons«, erinnerte Josuah Parker höflich, »Mr. Walt Sluttons betreibt die bewußte Werkstatt am Nordbahnhof, Sir. Bei Gelegenheit sollte man Walt und Helen Sluttons einen Höflichkeitsbesuch abstatten.« »Und ob, Parker!« Mike Rander nickte. »Das könnte uns vielleicht näher an den Bandenboß heranbringen. Fahren wir sofort in die Stadt, oder halten wir Ausschau nach Peter Hamsford?« »Er könnte schneller auftauchen als man denkt, Sir. Mylady dürfte im Moment keine Aktivitäten entwickeln, wenn ich so sagen darf. Man könnte sich also ein wenig Zeit nehmen.« Parker ahnte nicht, wie falsch er mit seiner Einschätzung lag, was Agatha Simpson betraf! * Mit der Energie eines Kampfpanzers marschierte die ältere Dame etwa um diese Zeit ins Privatbüro des John Hudders. Der Pompadour hing wurfbereit in den Fingern ihrer rechten Hand. Kathy Porter, die ihre Chefin begleitete, hatte Mühe, Lady Agatha zu folgen. Nach ihrem Abenteuer auf dem Go-Cart und nach einer kurzen Erholungspause war die resolute Dame wieder voll aktiv. Sie hatte noch eine Rechnung mit Hudders zu begleichen. Der Chef des Foto-Ateliers saß hinter seinem Schreibtisch und wurde völlig überrascht, als Agatha Simpson den Raum betrat. Die Tür flog weit auf, knallte gegen die Wand und ließ einige Quadratzentimeter Putz abbröckeln. John Hudders sprang auf und übersah den geöffneten Tresor hinter sich. Er starrte die Sechzigerin an. »Drei Ihrer Lümmel haben mich verfolgt und hätten auf mich geschossen, wenn ich nicht aufgepaßt hätte«, begann Agatha Simpson in ihrer direkten Art, »aber von diesen Subjekten weiß ich inzwischen, auf welche Art Sie tatsächlich Ihr Geld verdienen.« »Lady Simpson?« John Hudders kam erst jetzt dazu, den Namen der älteren Dame zu nennen. 83
»Falls Sie auf den Klingelknopf Ihres Schreibtisches drücken, werde ich noch wütender, junger Mann. Setzen Sie sich!« John Hudders plumpste in den Sessel und schluckte vor Aufregung. Mit diesem Besuch hatte er ganz sicher nicht gerechnet. »Sie streiten natürlich ab, mir drei Gangster auf den Hals gehetzt zu haben, wie?« »Ich weiß von nichts, Mylady«, versicherte John Hudders. »Sie erpressen auch nicht mit gewissen Fotos, wie?« »Wer behauptet das? Erpressungen kenne ich nicht. Mein Betrieb wird korrekt geführt.« »Und was ist dort im Tresor?« Lady Agatha deutete auf den Panzerschrank, und John Hudders bekam sofort einen roten Kopf. Er sprang auf und wollte die schwere Tür zudrücken. Hudders hatte den Tresor noch nicht ganz erreicht, als ihn der Pompadour einholte, den Lady Agatha auf die Luftreise geschickt hatte. Der Glücksbringer, nämlich das echte Pferdehufeisen, landete zwischen Hudders’ Schulterblättern und brachte den Mann leicht aus dem Kurs. John Hudders legte sich auf den nicht stabilen Papierkorb und drückte ihn mit seinem Körpergewicht ein. Lady Agatha schritt um den Schreibtisch und griff in den Tresor. Sie zog einige Mappen hervor, in denen sich eine Vielzahl von Fotonegativen in Streifenform befanden. »Das sind die Aufnahmen, mit denen er sein illegales Geld macht«, erklärte sie ihrer Gesellschafterin und Sekretärin. »Es ist gut möglich, Mylady, aber dazu müßte man sich die Negative erst mal genau ansehen.« »Schnickschnack, Kindchen. Man merkt, daß Sie von Mr. Parker bereits beeinflußt sind. Was ist das dort für ein Kasten, Kathy?« »Ein Aktenvernichter, Mylady«, erwiderte Kathy, nachdem sie einen kurzen Blick auf das fast kühlschrankgroße Gerät geworfen hatte. »Sehr hübsch.« Agatha Simpson hatte sofort wieder eine Idee, »vernichten Sie die Negative, Kindchen, genieren Sie sich nicht! Ich werde inzwischen den Tresor räumen!« Kathy Porter lächelte, nickte und war sofort einverstanden. Sie nahm die Negativstreifen und fütterte damit das eingeschaltete Gerät. Mit einem diskreten Summen fraß der Aktenvernichter alles in sich hinein, was man ihm reichte. Er zerschnitt die Filmstreifen in Sekunden und machte es unmöglich, sie später noch mal puzzleartig zusammenzusetzen. Lady Agatha räumte inzwi84
schen den Tresor leer und belieferte Kathy Porter mit weiterem Material. John Hudders war inzwischen wieder auf den Beinen, doch er wirkte wie gelähmt. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand und sah dem Zerstörungswerk zu. Agatha Simpson schien sich in ein großes Kind verwandelt zu haben, das ein neues Spielzeug entdeckt hatte. »Wir werden gleich in Ihre Wohnung gehen, Hudders«, sagte sie fröhlich, »ich glaube, daß ich auch dort noch einiges finde.« »Ich… Ich werde Sie verklagen«, erwiderte Hudders ohne jeden Nachdruck. »Und ich werde Ihnen die Hölle heiß machen, Sie Subjekt, falls Sie noch mal versuchen, ahnungslose Feriengäste auszunehmen«, drohte die ältere Dame, »Sie können froh sein, daß Sie nicht der Boß der Ledergang sind.« »Sie werden mir für jeden Schaden aufkommen«, flüsterte John Hudders. Seine Stimme klang bereits müde. Er war kaum zu verstehen. Der Aktenvernichter war gefräßig und wurde weiter gefüttert. »Wo sind denn Ihre Mitarbeiter, Hudders?« erkundigte sich die ältere Dame ironisch. »Haben die sich nach der Schießerei mit den Ledergangstern abgesetzt? Kommen Sie, gehen wir hinauf in Ihre Wohnung! Ich werde dafür sorgen, daß Sie noch lange an mich denken!« * »Wer sagt’s denn, Parker?« Mike Rander, der durch das Glas die Hamsford-Farm beobachtet hatte, reichte den Feldstecher an Parker weiter, »sehen Sie diesen Wagen mal an…« Parker hob das Fernglas an und beobachtete das Farmhaus, vor dem ein kleiner Lieferwagen eingetroffen war. Auf der Plane, die die Ladefläche überspannte, war eine Firmenaufschrift zu lesen, wenngleich sie auch ein wenig verwaschen war. »Ein Wagen, der zum Go-Cart-Park gehört, Sir«, meldete der Butler sachlich-höflich, »ein recht interessantes Zusammentreffen.« »Sie denken an die Solofahrt von Mylady?« »In der Tat, Sir! Falls meine Augen mich nicht trügen, dürfte 85
gerade ein junger Mann ausgestiegen sein, der Peter Hamsford sein könnte.« »Diesen Wagen werden wir uns schnappen, Parker: Oder brausen wir ‘runter zur Farm?« »Man könnte vielleicht das Verladen wichtiger Dinge verhindern, Sir.« »Eben, warten wir also, bis der Wagen wieder abhaut, Parker. Wir haben ja Zeit. Lady Simpson wird mit Sicherheit meditieren.« »Es wäre zu hoffen, Sir.« »Auch eine Lady Simpson braucht mal ‘ne Verschnaufpause«, behauptete der Anwalt optimistisch, »und zudem ist ja Miß Porter bei ihr. Nein, nein, ich glaube nicht, daß sich in Blackpool was tut.« Parker beobachtete den kleinen Lieferwagen. Der junge Mann war im Farmhaus verschwunden und kam zurück. Er trug zusammen mit Laura Hamsford einen großen Wäschekorb aus Weidengeflecht. Beide mühten sieb ab, der Inhalt schien recht schwer zu sein. Es dauerte eine Weile, bis der Behälter auf der Ladefläche stand. »Da soll doch was verschwinden, Parker«, meinte der Anwalt, »man scheint Belastungsmaterial wegschaffen zu wollen. Ziemlich leichtsinnig, so kurz nach unserem Besuch.« »Eine treffliche Bemerkung, Sir.« »Diese Laura Hamsford ist eine clevere Frau«, schickte Mike Rander voraus, »rechnet sie nicht damit, beobachtet zu werden?« »Dies sollte man als sicher unterstellen, Sir.« »Dann türkt sie uns was vor, wie?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir, wobei zu überlegen ist, ob Mrs. Laura Hamsford es vielleicht mit einem doppelten Trick versucht.« »Während wir uns an den Wagen hängen, erscheint ihr Sohn auf der Rückseite der Farm, wie?« »Solch eine Vorstellung möchte Mrs. Laura Hamsford vielleicht provozieren, Sir, es könnte aber auch sein, daß der Kleinlieferwagen genau die Dinge enthält, die man in Sicherheit bringen möchte.« »Dann werden wir getrennt vorgehen, Parker. Nehmen Sie den Wagen, ja? Ich bleibe hier und beobachte weiter die Farm.« »Ein trefflicher Vorschlag, Sir. Darf ich mich erkühnen, eine Warnung auszusprechen?« 86
»Erkühnen Sie sich, Parker…« Mike Rander lachte. »Man sollte vielleicht auf Einzelaktionen verzichten, Sir.« »Ich werde schon nicht vorpreschen«, antwortete der Anwalt, »fahren Sie los, wenn’s soweit ist. Ich passe auf.« Es dauerte nicht lange, bis der Lieferwagen sich in Bewegung setzte. Nachdem er hinter einer Baumgruppe verschwunden war, setzte der Butler sich ans Steuer seines hochbeinigen Monstrums und nahm die Verfolgung auf. Mike Rander blieb zurück, um weiter die Farm zu beobachten. Als Parker die nahe Straße erreichte und zum Lieferwagen aufschloß, wurde der plötzlich immer schneller und schien die Absicht zu haben, den Verfolger abzuhängen. Butler Parker nutzte keineswegs die Kraft seines Motors, um den Lieferwagen einzuholen, sondern ließ sich immer wieder zurückfallen und ermunterte den Fahrer des Lieferwagens, die scheinbare Flucht fortzusetzen. Parker wußte inzwischen mit fast letzter Sicherheit, daß Laura Hamsford bewußt ein Ablenkungsmanöver eingefädelt hatte, um für Verwirrung zu sorgen. Sie war davon ausgegangen, daß man ihre Farm beobachtete und hatte daher einen Wagen bestellt, an den man sich hängen sollte. Warum es sich um einen Lieferwagen des Go-Cart-Parks handelte, mußte allerdings erst noch geklärt werden. Parker ging davon aus, daß dies nichts mit einem Zufall zu tun hatte. Erst nach einer halben Stunde beschleunigte er sein hochbeiniges Monstrum und schloß zum kleinen Lieferwagen auf. Er überholte ihn und warf einen Blick auf den Fahrer. Parker setzte sich vor und drosselte das Tempo. Wenig später standen beide Wagen. Man befand sich auf einer regulären Straße, auf der allerdings nur wenig Verkehr herrschte. Parker stieg aus, blieb aber stehen. Der Fahrer des Lieferwagens sprang förmlich auf die Straße und kam auf den Butler zu. Der Zorn des Mannes war gespielt, wie der Butler sofort erkannte. »Sind Sie verrückt?« brüllte er, »warum stoppen Sie mich? Was soll das bedeuten?« »Habe ich es zufällig mit Mr. Peter Hamsford zu tun?« erkundigte sich der Butler. »Doch, ich bin Peter Hamsford«, lautete die überraschende Antwort, »und auf der Ladefläche, Parker, stehen zwei Freunde, die Sie genau im Visier haben.« 87
»Eine Tatsache, die mich stutzig werden läßt«, sagte Parker höflich. »Das ist kein Trick, Parker.« »Meine Wenigkeit wird sich hüten, Sie unterschätzen zu wollen«, entgegnete Josuah Parker, »haben Sie bestimmte Vorstellungen darüber, wie es nun weitergehen soll?« »Klar doch, Parker«, sagte der Mann, der sich als Peter Hamsford zu erkennen gab, »ich werde zu Ihnen in den Wagen steigen, und dann fahren wir gemeinsam zurück nach Blackpool.« »Ein Vorschlag, dem meine Wenigkeit im Moment nichts entgegenzusetzen hat.« »Später werden wir uns dann in aller Ruhe unterhalten«, redete der junge Mann weiter, »steigen Sie ein, Parker! Sie sind von den Socken, wie?« »Ich möchte keineswegs verhehlen, daß die Dinge eine Wendung angenommen haben, mit der meine Person nicht gerechnet hat«, räumte der Butler ein und tat das, was man von ihm verlangte. Der junge Mann war in den Fond des hochbeinigen Monstrums geschlüpft und brachte sich damit bereits um alle Chancen, doch das konnte er natürlich nicht ahnen. Parker wendete den Wagen und beobachtete den kleine Lieferwagen, der allerdings nicht bewegt wurde. Der Fahrgast im Fond hatte diesen Blick mitbekommen und lachte leise. »‘reingefallen, Parker«, sagte er dann, »ich bin allein.« »Sie waren sehr überzeugend. Ich habe es tatsächlich mit Mr. Peter Hamsford zu tun?« »Worauf Sie sich verlassen können. Ihr Begleiter kann oberhalb der Farm warten, bis er schwarz wird. Da wird sich nichts tun.« »Ihre Mutter ist eine bemerkenswerte Frau, Mr. Hamsford.« »Die ist ganz schön gerissen, Parker.« »Aber sie ist nicht der Boß der Ledergangster, um es mal so volkstümlich auszudrücken.« »Nein«, erwiderte Peter Hamsford und lachte leise, »damit hat sie überhaupt nichts zu tun.« »Dann sollte meine Wenigkeit wohl davon ausgehen, daß Ihre Mutter eine Art Strohmann vorgeschoben hat, der den Boß spielt?« »Zerbrechen Sie sich nicht unnötig den Kopf, Parker«, sagte der Mann, der sich als Peter Hamsford vorgestellt hatte, »überlegen Sie lieber mal, was wohl aus Ihnen wird… Es gibt da ‘ne Menge 88
Möglichkeiten!« * Laura Hamsford trat aus dem Farmhaus und machte einen gespannt-erwartungsvollen Eindruck. Parker, der am Steuer seines Wagens saß, hielt, um dann sofort die Hände hochzunehmen und auszusteigen, nachdem er vorsichtig die Fahrertür auf gedrückt hatte. Seine Vorsicht hing mit der Schrotflinte zusammen, die Laura Hamsford auf ihn richtete. »Ich wußte, daß Sie mir auf den Leim gehen«, sagte die Frau und entspannte sich. Bevor das Mißtrauen in ihr hochsteigen konnte, hatte der Butler bereits mit seinem UniversalRegenschirm zugeschlagen. Laura Hamsford kreischte wenig fraulich, als das Schrotgewehr auf dem Boden landete. »Was ist mit Peter?« schrie sie dann und rannte zur hinteren Wagentür. Laura Hamsford öffnete und schob ihren Oberkörper hinein, hüstelte plötzlich und wurde langsamer in ihren Bewegungen. Sie richtete sich auf, nahm ihren Oberkörper zurück und sah den Butler aus glänzenden Augen an. Sie machte plötzlich einen sehr friedlichen Eindruck. »Ihr Sohn, Mrs. Hamsford, nutzte die Zeit, um in einen erquickenden Schlaf zu fallen«, erläuterte der Butler, »auch Sie werden sich jetzt wahrscheinlich entspannen.« »Mir ist so komisch«, erwiderte sie langsam. »Lachgas«, erklärte Parker, »Sie haben eben davon eine sicher beachtliche Dosis eingeatmet.« Parker nahm fast galant ihren rechten Unterarm und führte Laura Hamsford ins Farmhaus. In der Küche drückte er sie in die Ecke eines einfachen Sofas. Die Frau ließ alles mit sich geschehen und schloß die Augen. Parker ging noch mal nach draußen, um die Fondtür seines Wagens zu schließen. Im Augenblick war Peter Hamsford für ihn unwichtig. »Sie haben soeben deutlich gemacht, daß mein Fahrgast Ihr Sohn Peter ist«, schickte Parker voraus, »Sie können mich gut verstehen, Mrs. Hamsford?« »Gut«, sagte sie leise und nickte. »Sie sind die Verwalterin der bisher gemachten Beute, Mrs. Hamsford? Es muß sich etwa um zehntausend Pfund handeln, 89
nicht wahr? Von Kreditkarten und Euroschecks ganz zu schweigen.« »Zehntausend Pfund? Dreizehntausend«, korrigierte sie leise. Die Dosis Lachgas hatte sie nicht vollends in den Schlaf gebracht. Sie verstand und konnte antworten, doch ihr sonst wohl fester Wille war aufgeweicht worden. »Dreizehntausend Pfund«, faßte Parker zusammen, »und wo finde ich das Geld? Sie haben es hier auf der Farm versteckt, nicht wahr? Sie haben sich ein raffiniertes Versteck einfallen lassen. Wo ist dieses Versteck?« »Unter dem alten Schweinetrog«, sagte sie prompt. »Warum dürfen Sie die Beute behalten, Mrs. Hamford?« stellte der Butler die nächste Frage, ruhig, jedoch eindringlich. »Der Boß braucht das Geld nicht.« »Er wartet auf einen höheren Betrag, nicht wahr?« »Wir werden alle reich werden«, freute sie sich und lächelte. »Und wodurch, Mrs. Hamsford? Handelt es sich um Lohngelder? Um die Einnahmen aus einem Vergnügungspark?« »Vergnügungspark«, lautete die umgehende Antwort, »wir werden alle steinreich werden.« »Der Boß der Gang und Sie, nicht wahr?« »Peter, ich und der Boß.« Sie nickte. »Und wo findet man diesen Boß?« fragte Parker höflich weiter, »nur Peter und Sie kennen ihn.« »Das darf ich nicht sagen«, sperrte sie sich. »Meiner Wenigkeit dürfen Sie dieses Geheimnis durchaus anvertrauen«, antwortete der Butler ruhig, aber eindringlich. »Wann soll der große Coup denn stattfinden?« »In einer Woche, im Vergnügungspark hinter der Werkstatt«, hörte Parker, »aber den Boß verraten wir nicht. Peter und ich werden steinreich und…« Laura Hamsford richtete sich auf, ihre Augen öffneten sich. Sie starrte den Butler nachdenklich an und atmete tief durch. »Was war?« fragte sie dann scharf. »Ich möchte nicht verhehlen, mich herzlichst bei Ihnen zu bedanken«, antwortete Josuah Parker, »Sie waren so freundlich und entgegenkommend, mir einige wertvolle Hinweise zu geben.« »Nichts habe ich gesagt, nichts«, brauste sie auf und machte einen verwirrt-nachdenklichen Eindruck, »ich habe nichts gesagt, das weiß ich ganz genau.« 90
»Sie äußerten sich zum Thema Reichtum, Mrs. Hamsford«, meinte der Butler höflich, »in diesem Zusammenhang sprachen Sie von den hohen Einnahmen eines gewissen Vergnügungsparks, zu dem auch die Go-Cart-Bahn gehört, bei der Ihr Sohn beschäftigt ist.« »Das habe ich niemals gesagt«, stieß sie wütend hervor, »Sie wollen mir Dinge in den Mund legen, die ich nie gesagt habe! Sie wollen mich ‘reinlegen!« »In einer Woche, hinter dem Vergnügungspark«, zitierte der Butler jetzt wortwörtlich. Laura Hamsford senkte den Blick und preßte die Lippen fest aufeinander. »Sie erwähnten auch den Namen jener Person, die die Ledergang zur Ablenkung der Polizei gründete«, fügte der Butler hinzu, was zwar nicht den Tatsachen entsprach, Laura Hamsford jedoch veranlaßte, jäh wieder den Kopf anzuheben. »Ich habe keinen Namen genannt«, behauptete sie wütend. »Sie sprachen deutlich von einem gewissen Mr. Cornay«, sagte Parker und beobachtete sie. Laura Hamsfords Augen schlossen sich ein wenig, doch Parker fuhr fort, »in dessen Umgebung es eine Person gibt, die der wahre Drahtzieher ist.« »Das habe ich nicht gesagt«, erklärte sie wütend, »Sie wollen mich überrumpeln.« »Dies ist bereits geschehen«, gab Parker zurück, »weder Mr. Cornay noch seine Verbandsfreunde kommen als Boß in Betracht.« »Von mir werden Sie nichts mehr hören«, sagte Laura Hamsford und senkte den Blick, als habe sie Angst, sich zu verraten. Dann drückte sie sich hoch und schwankte leicht, »wo ist mein Junge?« »Nach wie vor in meinem Wagen, Mrs. Hamsford«, antwortete der Butler, »Sie sollten sich vielleicht ein wenig um ihn kümmern.« Die Frau nickte und ging vorsichtig nach draußen, dicht gefolgt von Parker, der dieser Raffinierten nicht traute. Doch sie war wohl noch zu benommen, um ihren Gegner anzugreifen. Parker öffnete die hintere Wagentür und deutete auf den jungen Mann, der in der Wagenecke saß und schlief. »Ihr Sohn war übrigens so freundlich, meiner Wenigkeit gegenüber den Namen Sluttons zu erwähnen«, sagte Parker unvermittelt und traf damit genau den Punkt. Laura Hamsford fuhr herum und starrte den Butler an. 91
»Das hat Peter nie gesagt«, sagte sie dann aufgebracht. »Er rutscht von seinem Sitz«, mahnte Parker, und Laura Hamsford widmete sich wieder ihrem schlafenden Sohn. Parker half diskret ein wenig nach und schob die Frau in den Fond des Wagens. Als die Tür klickte, merkte Laura Hamsford erst, was mit ihr passiert war. Sie wollte sofort wieder die Tür öffnen, doch die gab nicht nach. Parker lüftete höflich die schwarze Melone, setzte sich ans Steuer seines hochbeinigen Monstrums und schaltete das Gebläse für den Fond ein. Frischluft zirkulierte bald durch die hintere Wagenhälfte und sorgte dafür, daß die Insassen aus ihrer Benommenheit erwachten. Sie hatten sich anschließend viel zu sagen und kamen gar nicht auf die Idee, daß Parker dieses anregende Zwiegespräch über die eingeschaltete Bordsprechanlage verfolgen konnte. * »Die Sluttons«, meinte Anwalt Rander, der zu Parker in den Wagen gestiegen war und gerade gehört hatte, was Parker in Erfahrung bringen konnte. »Walt und Helen Sluttons«, wiederholte der Butler, der seinen Wagen in die Stadt zurücklenkte, »es sind die Betreiber der Werkstatt am Nordbahnhof, in der man Miß Porter und Sie festhielt, Sir.« »Was haben diese Sluttons mit dem Vergnügungspark zu tun, Parker?« »Nicht weit von dieser Werkstatt, Sir, gibt es einen Vergnügungspark«, erklärte der Butler, »doch um ihn muß es sich nicht unbedingt handeln. Da Peter Hamsford Angestellter einer GoCart-Bahn ist, könnte es sich um diesen Komplex handeln.« »Am Central Pier, nicht wahr?« »Angeschlossen an den Go-Cart-Kurs, Sir, gibt es weitere Attraktionen, die dem Volksvergnügen dienen«, erläuterte der Butler, »die Einnahmen dürften beträchtlich sein.« »Kaum zu glauben, daß ein älteres Ehepaar kriminell sein soll«, wunderte sich der Anwalt. »Alter schützt vor Gier und Torheit nicht«, entgegnete der Butler, »Mr. Sluttons dürfte ein Vertragspartner dieses Vergnügungs92
parks sein, sonst könnte er wohl kaum Einblick in die Umsätze gewonnen haben.« »Vielleicht repariert er die Go-Carts, Parker?« »Damit, Sir, haben Sie den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen«, antwortete Josuah Parker, »ich erinnere, daß in der Werkstatt einige Go-Carts standen.« »Ich tu’s auch, Parker, ich habe diese Feuerstühle gesehen. Damit dürfte die Querverbindung wohl klar sein. Was machen wir jetzt mit den Hamsfords? Liefern wir sie doch bei McWarden ab, wie?« »Eine Lösung, die sich förmlich aufdrängt, Sir.« Parker warf einen Blick in den Fond des Wagens. Laura und Peter Hamsford schliefen. Im Fond herrschte wieder frische Luft, doch die beiden Mitfahrer hatten zuviel vom Lachgas inhaliert. Sie machten einen entspannten und friedlichen Eindruck. »Und die Beute liegt unter dem Schweinetrog der Farm«, meinte der Anwalt, »darauf hätte man erst mal kommen müssen. McWarden wird jubeln.« »Und Beweisstücke in die Hand bekommen Sir, die eine Überführung der beiden Hamsfords erst möglich macht.« »Picken wir Lady Simpson und Kathy auf, Parker?« »Falls Mylady noch im Strandbungalow ist«, meinte der Butler. »Sie glauben doch wohl nicht, daß Mylady schon wieder aktiv geworden ist, Parker? Malen Sie nicht den Teufel an die Wand!« »Inzwischen ist einige Zeit verstrichen, Sir.« »Lassen wir uns überraschen, Parker. Sie haben mich plötzlich nervös gemacht.« Diese Nervosität steigerte sich noch, als man den Strandbungalow wieder verließ. Lady Agatha und Kathy Porter wurden nicht angetroffen. Mit Lippenstift hatte Kathy Porter auf den Spiegel im Vorflur den Namen Hudders aufgemalt, um wenigstens einen Anhaltspunkt zu hinterlassen. Parker war daraufhin unterwegs zum Firmensitz von John Hudders. »Immerhin, das Haus steht noch«, sagte Mike Rander erleichtert, als sie den Parkplatz erreichten, »warten Sie einen Moment, Parker, ich werde mal nachfragen, ob und wann ein Tornado durchs Haus gezogen ist.« Schon nach wenigen Augenblicken kam Mike Rander lachend wieder zurück und nahm neben Josuah Parker Platz. »Hudders ist mit einem Nervenzusammenbruch in eine Klinik 93
geschafft worden«, sagte er, während Parker weiterfuhr, »Lady Simpson hat ihre Visitenkarte abgegeben und ist vor einer halben Stunde gegangen.« »Es erhebt sich die Frage, welchen Weg Mylady genommen hat, Sir. Die Werkstatt der Sluttons ist Mylady vertraut.« »Sie könnte aber auch dem Verband des eingesessenen Handels einen Besuch abstatten, Parker. Aber schön, fahren wir erst mal zu den Sluttons, bevor die sich absetzen. Es könnte ja sein, daß sie Verdacht geschöpft haben. Wir nehmen die Hamsfords einfach mit.« Parker steuerte den Nordbahnhof an, durchfuhr die engen Straßen und hielt dann vor der Werkstatt der Sluttons, deren Tor geschlossen war. Der ganze Komplex machte einen verlassenen Eindruck. Parker stieg aus, näherte sich dem Tor und wurde bereits erwartet, wie sich zeigte. Ein älterer Mann, der fünfundfünfzig Jahre alt sein mochte und völlig durchschnittlich aussah, forderte ihn mit kalter, herrischer Stimme auf, die Hände hochzunehmen. Was Parker dann auch tat, zumal dieser Mann ihn in die Mündung einer schallgedämpften Pistole blicken ließ. * »Sie wissen also Bescheid, Parker, wie?« fragte Walt Sluttons und deutete auf den hochbeinigen Wagen. Parker wandte sich um und nahm zur Kenntnis, daß Mike Rander sich ans Steuer gesetzt hatte. Der Motor des Monstrums arbeitete im Leerlauf. »Sie verweisen auf Mrs. Laura Hamsford samt Sohn Peter?« fragte der Butler. »Die haben gequasselt, wie?« Die kalte, herrische Stimme klang wieder normal. »Nicht unbedingt«, beantwortete der Butler die Frage, »es gab Andeutungen, doch sie führten nicht direkt zu Ihnen, um der Wahrheit die Ehre zu geben.« »Aber Sie sind hier«, meinte Walt Sluttons. »Zufälligerweise auch Lady Simpson und Miß Porter?« fragte der Butler in seiner höflichen Art. »Die sind auf der Go-Cart-Bahn«, antwortete Walt Sluttons, »ich bin eben angerufen worden.« 94
»Sie arbeiten für diese Bahn, Mr. Sluttons?« »Das wissen Sie doch längst! Schinden Sie keine Zeit heraus, Parker! Die Hamsford haben ausgepackt, sonst wären die ja nicht in Ihrem Wagen.« »Darf man in Erfahrung bringen, was Sie für die nahe Zukunft planen?« »Ich werde improvisieren müssen«, gab Walt Sluttons zurück, »Sie und die Hamsfords können solange in dem Werkstattbunker bleiben.« »Sie rechnen sich tatsächlich noch gewisse Chancen aus?« wunderte sich der Butler, um dann mit dem Kinn auf seinen schwarzen Binder zu deuten, »würden Sie in Ihrem Interesse vielleicht einen Blick auf das Mikrofon werfen, das in der Zierperle versteckt ist?« »Mikrofon?« Sluttons atmete tief durch und beugte sich tatsächlich ein wenig vor. Er war mißtrauisch, doch er wollte es genau wissen. In diesem Augenblick röhrte das Monstrum auf und wurde quasi aus dem Stand zu einer Rakete. Mit bestürzender Rasanz schoß der hochbeinige Wagen vor und nahm Kurs auf Parker und Sluttons. Parker hatte keine Schwierigkeiten, den Mann zu entwaffnen, der instinktiv zur Seite gesprungen war. Parker erledigte das mit der Wölbung seiner altmodischen Kopfbedeckung, die mit solidem Stahlblech ausgefüttert war. Walt Sluttons verlor nicht nur die Waffe, sondern auch die Besinnung. Er landete an der Hauswand und sackte langsam zusammen. Sekunden danach splitterte das Tor der Werkstatt auseinander. Man hörte einen Schrei, dann waren nur noch durcheinanderwirbelnde Bretter, Staub und Mörtel zu sehen. Das hochbeinige Monstrum hatte sich trotz einer Vollbremsung halb in die Werkstatt geschoben und dabei Helen Sluttons veranlaßt, blitzschnell in eine Arbeitsgrube zu springen. Dabei hatte sie ihr Gewehr verloren. Es lag verbogen auf dem Zementboden. »Da haben wir’s aber mit zwei verdammt harten Frauen zu tun«, sagte Mike Rander, nachdem man Helen Sluttons geborgen hatte. Sie stand unter einem Schock und war nicht ansprechbar, »ich werde McWarden anrufen, Parker. Er könnte eigentlich mit einem Transportwagen kommen.«
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* »Wie ich es gleich vermutet habe«, sagte Lady Simpson eine halbe Stunde später zu McWarden, der zusammen mit Parker und Mike Rander auf der Tribüne der Go-Cart-Bahn erschienen war, »als eigentliche Täter kamen nur diese Sluttons in Betracht.« »Wann werden Sie endlich mal einen Fall lösen, der noch gar nicht passierte«, meinte der Mann vorn Yard grimmig. »Sie werden vorlaut, McWarden«, sagte sie, »es war doch klar, daß man John Hudders’ Stimme imitierte, um ihn als Bandenboß ins Gespräch zu bringen. Eine Lady Simpson läßt sich nicht täuschen.« »Ich nehme alles zurück«, sagte McWarden und deutete dann auf die Co-Carts, die um die Bahn wischten, »man hat mir erzählt, daß Sie bereits ein paar Runden gedreht haben.« »Was ist denn schon dabei?« Sie nickte entschlossen, schaute sich um und lächelte Parker ungemein freundlich an. »Und Sie, Mr. Parker, werden mich dabei begleiten.« »Es gibt keine Doppelsitzer, Mylady«, unterrichtete Parker seine Herrin, »dürfte man vielleicht anregen, auf eine Fahrt zu verzichten.« »Papperlapapp, Mr. Parker«, gab sie energisch zurück, »ich werde McWarden beweisen, wie gut ich solch einen Untersatz beherrsche. Das wäre doch gelacht!« Es dauerte nur wenige Minuten, bis Lady Agatha losdonnerte und auf dem Kurs für einige Unruhe sorgte. Dann entdeckte sie eine Lücke in der Absperrung und… lenkte den kleinen, niedrigen, bodennahen Wagen entschlossen vom Kurs und steuerte die nahe Straße an, ein Entschluß, den Parker zuerst nicht so recht begreifen konnte. Parker saß nämlich im zweiten Go-Cart und folgte höflich, aber ebenfalls sehr schnell seiner Herrin, die sich offensichtlich auf ein ganz bestimmtes Ziel konzentrierte. Und dann machte der Butler dieses Ziel aus! Auf der Straße näherten sich junge Leute, die schwarze Lederkleidung trugen und zur Go-Cart-Bahn wollten. Als sie Agatha Simpson ausmachten, kam es verständlicherweise zu einigen Gesten, die mißverstanden werden konnten. Und Lady Agatha mißverstand wieder mal gründlich! Sie korrigierte ihren Kurs und rauschte auf die Reihe der jungen Lederträger zu, die zuerst ü96
berhaupt nicht begriffen, was da auf sie zukam. Um eine Katastrophe zu vermeiden, überholte Parker die ältere Dame, drängte sie ein wenig vom Kurs ab und hielt dann seinerseits auf die Schwarzledernen zu. Sie blieben nicht lange hohnbereit stehen, sondern spritzten auseinander und ergriffen hastig die Flucht. Lady Agatha hatte sich inzwischen durch ein Blumenbeet gewühlt und wieder festen Boden unter den kleinen Rädern. Sie begann mit ihrer Jagd auf die Lederträger und scheuchte sie in eine Seitenstraße. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die jungen Männer nebeneinander auf dem oberen Querbalken eines Bretterzauns saßen. Parker, höflich wie stets, lüftete beim Vorbeifahren seine schwarze Melone und nahm die Verfolgung der Lady Agatha auf. Er wußte, daß da keine leichte Arbeit vor ihm lag und kalkulierte bereits jetzt schon ein mittleres Chaos ein.
-ENDE-
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