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Parker stellt die „Kendo-Queen“ Günther Dönges »Sehr albern«, mokierte sich Agatha Simpson. Sie saß am Steuer ihres Landrover und beobachtete in einer Mischung aus Abwehr und Faszination die Szene vor dem Bankgebäude. Die schmale Straße in der City von London war abgesperrt worden, damit das Team ungestört arbeiten konnte. »Modefotos, Mylady«, sagte Kathy Porter, ihre Sekretärin und Gesellschafterin, »eine ungewöhnliche Kombination.« »Sollen das etwa japanische Ritter sein?« Lady Agatha deutete auf einige untersetzte, drohend aussehende Männer, die SamuraiSchwerter in Händen hielten. Die Gesichter dieser Männer wurden verdeckt von dämonisch aussehenden Masken, die Rüstungen bestanden aus Lederplatten bis zu den Oberschenkeln. In reizvollem Kontrast dazu standen die Mannequins in ihren gewagt aussehenden Kreationen. Die Damen zeigten eine Mode, die altjapanisch inspiriert war. Solche Schöpfungen der Modeindustrie basierten auf Kimonos, die in diesem Fall allerdings reichlich geschlitzt waren. Sie zeigten viel von den schlanken Linien ihrer Trägerinnen. Die Hauptpersonen: Laura Lormond, Leiterin einer Kendo-Schule, genannt „Kendo-Queen“. Kenneth Alpton, ihr Lebensgefährte im Hintergrund. William Lormond, ein besorgter Vater und Geschäftsführer. James Patlay ist geschieden und gerät in Verdacht. Lady Agatha Simpson schlägt sich mit Samurai-Rittern herum. Butler Parker lernt Kendo aus einem Handbuch. Der Chef-Fotograf arbeitete ohne Aufwand. Er verzichtete auf Scheinwerfer und Lichtblenden, hielt einen großen Fotoapparat in Händen und verschoß eine Aufnahme nach der anderen. Sein Assistent gruppierte die japanischen Ritter und die Modelle immer wieder neu, sorgte für Bewegung und scheuchte die furchterre2
gend aussehenden Ritter schließlich in den Kastenaufbau eines kleinen Lieferwagens. Die Mannequins verschwanden in der Vorhalle der Bank. Die neugierigen Zuschauer zerstreuten sich bereits, die beiden Polizeibeamten, die den Verkehr aufgehalten hatten, gaben die schmale Fahrbahn wieder frei. »Endlich«, sagte Agatha Simpson, »eigentlich eine Frechheit, eine Lady Simpson warten zu lassen.« Die passionierte Detektivin ließ ihren Landrover vorspringen, rammte um ein Haar das Heck eines vorausfahrenden Wagens und wurde dann ein wenig abgelenkt. Im Eingang des Bankgebäudes erschienen drei weitere JapanRitter, die es eilig hatten, den Kastenlieferwagen zu erreichen. Einer dieser Ritter übersah dabei fast den geländegängigen Wagen der älteren Dame, die mit einer Vollbremsung reagierte. Der Ritter warf sich im letzten Moment noch zurück und drohte, rannte dann aber weiter. »Haben Sie das gerade mitbekommen, Kindchen?« Lady Agatha war empört. »Eine automatische Geste, Mylady«, besänftigte Kathy Porter. »Papperlapapp, eine Lady Simpson läßt sich so etwas nicht bieten.« Sie reagierte auf ihre Weise, gab Gas und nahm die Verfolgung des Frechlings auf. Dabei lädierte die Forsche zwar den Kotflügel des vor ihr fahrenden Wagens, doch das focht sie nicht weiter an. In solchen Dingen war Agatha Simpson stets großzügig. Sie ließ den Landrover über die Bordsteinkante steigen und gab Gas. Der japanische Ritter nahm den Kopf herum und sah knapp hinter sich den eckigen Kühler des Rovers, worauf er sein Tempo beschleunigte und zu dem Kastenlieferwagen hastete, dessen hintere Wagentür noch weit geöffnet war. Der Wagen hatte sich jedoch schon in Bewegung gesetzt. Die beiden anderen japanischen Ritter stiegen gerade ungelenk und mühsam in den Kastenaufbau. Die schweren Rüstungen erwiesen sich als ausgesprochen hinderlich, doch sie schafften es mit Mühe und Not. Der dritte Ritter hingegen stolperte, und Lady Simpson bremste, um diesen Mann nicht zu rammen. Der Ritter raffte sich auf, beging einen Fehler. Er hielt plötzlich eine Schußwaffe in Händen und genierte sich nicht, auf die Windschutzscheibe des Landrovers zu schießen. Die Scheibe wurde voll getroffen und zeigte plötzlich viele kleine Risse, die die Sicht 3
erschwerten. Lady Agatha war eine Frau, für die der Begriff Angst nicht existierte. Bevor Kathy Porter etwas unternehmen konnte, stieg die ältere Dame bereits aus und konzentrierte sich auf den Samurai, der inzwischen hinter dem davonfahrenden Kastenwagen herrannte. Und er hätte es geschafft, wenn Lady Agatha nicht ihren Pompadour eingesetzt hätte. Es handelte sich dabei um einen perlenbestickten Handbeutel, in dem ein echtes Pferdehufeisen untergebracht war. Agatha Simpson schwang gekonnt diesen Pompadour und ließ dann die Trageschnüre los. Der Pompadour nahm sofort Fahrt auf, segelte durch die Luft und klatschte gegen den Hinterkopf des Ritters, der unmittelbar darauf eine etwas verunglückte Bauchlandung zelebrierte. Er schlitterte mit seiner Lederrüstung über den Gehweg und verlor einen Bambuskoffer. »Treffer«, sagte Lady Simpson und nickte zufrieden, »und jetzt wird dieser Flegel sich bei mir gefälligst entschuldigen.« Der Samurai war dazu vorerst nicht in der Lage. Er lag regungslos auf den Gehwegplatten und bekam nicht mit, daß Kathy Porter neben ihm erschien. Myladys Sekretärin hatte bereits den mittelgroßen Koffer aus Bambus an sich genommen und wollte ihn zurück zu dem Japan-Ritter tragen. Der Kastenwagen befand sich inzwischen auf der Rückfahrt. Der Fahrer hatte den Rückwärtsgang eingelegt und jagte in leichten Schlangenlinien auf den ruhenden Samurai zu, wobei die hintere Wagentür wieder aufgedrückt wurde. Zwei Ritter sprangen aus dem Kastenwagen und hielten ihre Schwerter schlagbereit in Händen. Ohne jede Vorwarnung drangen sie auf Kathy Porter ein, die gegen diese dämonisch aussehenden Männer keine Chance besaß. Sie schwangen ihre Schwerter und schienen fest entschlossen, Myladys Gesellschafterin zu vierteilen! * »Ich habe Sorgen«, sagte Chief-Superintendent McWarden und sah Anwalt Mike Rander und Butler Parker hilfesuchend an, »seit einigen Tagen tun sich Dinge hier in London, die auf mich wie ein Alptraum wirken.« 4
McWarden, bullig und untersetzt, etwa fünfundfünfzig, sah stets wie eine gereizte Bulldogge aus. Er befand sich im Haus des Anwalts in der Curzon Street, in dem sich auch Mike Randers Kanzlei befand. »Schütten Sie Ihr Herz aus, McWarden«, schlug der Anwalt vor, der an einen James-Bond-Schauspieler erinnerte, »ich bin sicher, daß Parker Ihnen mal wieder helfen wird.« »Meine bescheidenen Fähigkeiten stehen zu Ihrer Verfügung, Sir«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. Er war alterslos, etwas über mittelgroß und sah aus wie das Urbild eines hochherrschaftlichen englischen Butlers. Parker, in Diensten der Agatha Simpson stehend, versorgte nun auch Mike Rander, nachdem dieser aus den USA nach London zurückgekehrt war. »Es geht um Täter, wie sie mir noch nie geschildert wurden«, meinte McWarden und räusperte sich, »damit wir uns nicht mißverstehen, ich gebe jetzt nur das wieder, was Augenzeugen und Tatbeteiligte zu Protokoll gegeben haben.« »Diese Einschränkung machen Sie nicht ohne Grund«, fand der etwa vierzigjährige Anwalt, »zieren Sie sich nicht… Wir werden bestimmt nicht lachen.« »Man sagte übereinstimmend aus, von Rittern überfallen worden zu sein«, erklärte der Chief-Superintendent, »von japanischen Rittern, um ganz genau zu sein.« »Bemerkenswert, Sir, wenn ich es so ausdrücken darf«, ließ Josuah Parker sich in seiner stets höflichen Art vernehmen, »um eine Art Massensuggestion dürfte es sich kaum handeln?« »Eben das weiß ich nicht.« McWarden hob hilflos die Schultern. »Sie wissen ja, daß erst vor wenigen Tagen eine Fernsehserie beendet wurde, in der japanische Samurai und Ritter eine wichtige Rolle gespielt haben.« »Richtig, ich habe ein paar Folgen davon gesehen«, erinnerte sich Mike Rander, »sie waren spannend gemacht, McWarden.« »Darf man erfahren, Sir, mit welcher Beute diese japanischen Ritter abzogen?« fragte Butler Parker. »Es wurden Tageskassen von Supermärkten ausgeräumt, Bankfilialen ausgeraubt und einige Juweliergeschäfte dazu. Die bisherige Beute dürfte etwa hundertzwanzigtausend Pfund betragen.« »Hört sich nicht schlecht an«, erwiderte Mike Rander salopp, »damit kommt man schon ‘ne Weile aus, McWarden.« »In allen Fällen waren die Täter gekleidet wie japanische Rit5
ter«, wiederholte der Chief-Superintendent, »und sie bedrohten ihre Opfer mit Samuraischwertern. Sie können sich die Angst der Betroffenen vorstellen. Die Angst vor solch einem Schwert dürfte fast noch größer sein als die vor einem Revolver oder ähnlichem. Widerstand wurde in keinem Fall geleistet. Die Opfer waren wie erstarrt.« »Samurais als Gangster – Gangster als Samurai.« Mike Rander schüttelte den Kopf. »Eine völlig neue Masche. Sie haben natürlich bereits Ermittlungen angestellt, wie?« »Selbstverständlich, Rander«, erwiderte der ChiefSuperintendent, »sie laufen auf Hochtouren.« »Konnten die Augenzeugen belegen, Sir, ob es sich um echte Japaner handelte?« erkundigte sich Josuah Parker. »Um echte Japaner?« McWarden sah den Butler verdutzt an. »Wie kommen Sie denn darauf? Wieso echte Japaner?!« »Man berichtete Ihnen und Ihren werten Mitarbeitern von japanischen Rittern«, schickte Parker voraus, »diese Hinweise dürften sich auf die äußere Aufmachung beziehen. Die Frage erhebt sich jetzt, ob man es auch mit Japanern zu tun hatte.« »Äh… Daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht«, räumte McWarden ein und runzelte die Stirn, »aber Moment mal, Mr. Parker, diese Samurai trugen Masken, oder aber waren entsprechend geschminkt. Ob es echte Japaner gewesen sind? Tja, diese Frage kann ich wirklich nicht beantworten.« »Eine Antwort könnte den Täterkreis natürlich mächtig eingrenzen«, ließ der Anwalt sich vernehmen, »darauf wollen Sie doch hinaus, Parker, oder?« »In der Tat, Sir«, gab Josuah Parker zurück, »darf ich mich erkühnen, eine weitere Frage zu stellen?« »Natürlich, Mr. Parker«, McWarden nickte geradezu heftig. »Darum bin ich ja hier.« »Gab es Verletzungen, Sir, die von den Samuraischwertern herrühren?« »Nein, nein, ich sagte ja schon, die Augenzeugen und direkt Betroffenen waren vor Angst und Entsetzen wie erstarrt. Gott sei Dank, es gab keine Verletzungen.« »Wie waren diese Ritter denn gekleidet?« Mike Rander sah den Chief-Superintendent gespannt an. »Rüstungen eben«, meinte McWarden, »es waren Lederpanzer aus Teilstücken, wie es uns beschrieben wurde. Diese Teilstücke 6
hingen an Eisenringen und überlappten sich wie Dachschindeln. Sie haben ja die Fernsehserie gesehen, Rander. So wie diese Ritter haben die Samurai ausgesehen.« »Wie viele Überfälle und Raubzüge insgesamt, Sir, konnten bisher registriert werden?« Es war wieder Parker, der diese gezielte Frage stellte. »Und um wie viele Samurai handelte es sich jeweils?« »Es traten immer drei japanische Ritter auf«, antwortete McWarden und seufzte, »und es fanden insgesamt sechs Überfälle statt, je zwei auf Supermärkte, Bankfilialen und Juweliergeschäfte. Ich fürchte, daß das alles nur Fingerübungen gewesen sind.« »Wie soll ich denn das verstehen?« fragte der Anwalt. »Der Riesencoup war’s bisher noch nicht«, redete McWarden weiter, »aber er wird mit Sicherheit kommen, verlassen Sie sich darauf. Und dann wird’s wahrscheinlich auch Tote geben, ich hab’s einfach so im Gefühl.« »Sie haben bisher nichts an die Presse weitergegeben«, sagte der Anwalt, »in welchem Zeitraum sind diese Samurai denn aufgetreten?« »Innerhalb der vergangenen drei Tage, Rander. Und die Presse haben wir absichtlich noch nicht informiert, doch daran werde ich jetzt wohl nicht mehr vorbeikommen. Ich bin bereits aus einigen Redaktionen angerufen worden.« »Kann meine bescheidene Wenigkeit davon ausgehen, Sir, daß Ihr Sonderdezernat bereits eine interne Warnung an die einschlägige Geschäftswelt vorgenommen hat?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Selbstverständlich haben wir eine Warnung ausgegeben«, beantwortete Chief-Superintendent die Frage des Butlers, »und ich kann nur hoffen, daß man sie angenommen hat.« »Warum, zum Teufel, ziehen diese Gangster als Samurais durch die Gegend?« Mike Rander war aufgestanden und wanderte vor seinem Schreibtisch hin und her. »Wo liegt da der Trick, wenn man mal von der Kostümierung absieht?« »Der Trick, Sir, um Ihre Worte zu gebrauchen, liegt in der erwähnten Kostümierung«, bemerkte Josuah Parker, »Gangster mit Gesichtsmasken und Schußwaffen sind die Regel, um es mal so auszudrücken.« »Richtig«, bestätigte McWarden, »ich kann nur noch mal wiederholen: Die Betroffenen standen alle unter einem tiefen Schock. 7
Das Aussehen dieser Samurai-Gangster muß ihnen ganz schön in die Knochen gefahren sein. Ich glaube kaum, daß sich irgendein Betroffener dieser Wirkung entziehen kann. Man wird vor Angst und Überraschung wohl wie gelähmt sein!« * Die beiden japanischen Ritter, die aus dem Kastenaufbau des kleinen Lieferwagens gesprungen waren, rechneten nicht mit Gegenwehr. Sie sahen sich schließlich nur zwei Frauen gegenüber, die nach ihrer Erfahrung vor Schreck zu erstarren hatten. Die beiden Samurai ahnten nicht, mit wem sie es zu tun hatten. Lady Agatha befand sich längst wieder im Besitz ihres perlenbestickten Pompadours. Kathy Porter hob gerade den kleinen Koffer aus Bambus auf. Die beiden japanischen Ritter stießen dunkel klingende Kampfrufe aus und ließen ihre Schwerter durch die Luft zischen. Lady Agatha nahm das fast wohlgefällig zur Kenntnis, witterte sie doch eine Möglichkeit, sich endlich wieder mal betätigen zu können. Einer der Samurais blieb ein wenig überrascht stehen, als die ältere Dame ihn grimmig anfunkelte. Der Pompadour war bereits in heftige Schwingungen geraten. »Was soll das alberne Getue?« fragte Lady Agatha dann streng, »nehmen Sie gefälligst zur Kenntnis, daß Sie einer Dame gegenüberstehen.« Der Samurai holte mit seinem Schwert aus und schien die feste Absicht zu haben, Lady Agatha niederzustrecken. Bevor er das Schwert aber niedersausen lassen konnte, hatte die Attackierte bereits nachdrücklich zugelangt. Der im Pompadour befindliche »Glücksbringer« klatschte auf die linke Gesichtshälfte des Ritters, der laut und vernehmlich seufzte, um die Beine dann waagerecht in die Luft zu bringen. Dadurch vermochte er sein Körpergewicht nicht länger zu halten. Er krachte auf den Straßenbelag und hatte Mühe, wieder hochzukommen. Die Rüstung schien schwer zu sein und war sicher ein Hindernis. Hinzu kam die unkonventionelle Kampfweise der Agatha Simpson, die nicht gerade ladylike zu nennen war. Mylady holte mit dem rechten Fuß aus, der keineswegs zierlich ausgefallen war. Daher schätzte sie auch große, solide Schuhe, in denen sie Platz hatte. Die Spitze dieses Fußes 8
landete vor dem Schienbein des Samurai, der es inzwischen geschafft hatte, halbwegs wieder hochzukommen. Der Ritter stieß einen ordinären Fluch aus, und zwar in englischer Sprache. Dann fiel er zurück, landete auf dem Rücken und fischte mit der linken Hand verzweifelt nach dem Schwert, das einen halben Meter von ihm entfernt auf dem Asphalt lag. Lady Agatha war schneller. Sie hatte das schreckliche Kampfinstrument bereits an sich genommen und zeigte deutlich, daß sie bereit war, es auch gegen den Samurai zu verwenden. Lady Agatha, die eine begeisterte Bogenschützin und Golferin war, hatte keineswegs Angst vor dem gebogenen Schwert. Sie holte weit aus und glich in diesem Moment einer etwas reifen Amazone, die jugendliche Gewandtheit durch Robustheit ersetzte. Der Samurai warf sich im letzten Moment entsetzt auf die Seite, als Lady Agatha zuschlug. Plötzlich ereignete sich etwas Überraschendes. Das blinkende Schwert knickte nach dem Aufschlag in der Mitte durch und zersplitterte. Der Samurai kniete hoch und beging den Fehler, Mylady die Kehrseite zu präsentieren. Sie konnte einfach nicht widerstehen, holte knapp aus und setzte ihren Fuß auf die rechte Hälfte dieser Kehrseite. Wie vom Katapult geschleudert, sauste der Mann auf dem Bauch gut anderthalb Meter über den dunklen, Straßenbelag und näherte sich dem kleinen Lieferwagen. Zwei Ritter beugten sich heraus und griffen nach ihrem lädierten Kampfgenossen. Sie zerrten ihn in den Kastenaufbau. Kathy Porter lachte und hatte Tränen in den Augen. Sie hatte alles genau verfolgt, da sie ihren Gegner längst niedergekämpft hatte. Dieser Samurai war von ihrer linken Handkante erwischt worden und lag halb auf jenem japanischen Ritter, der den Bambuskoffer verloren hatte. Lady Agatha hörte hinter und neben sich aufkommenden Applaus der Menge, die sich gebildet hatte. Die Detektivin wandte sich um und nickte wohlwollend. Sie genoß es offensichtlich, auf diese Art gefeiert zu werden. In diesem Moment setzte der Kastenlieferwagen noch weiter zurück. In Sekundenschnelle wurden die beiden noch herumliegenden Ritter in den Kastenaufbau gehievt. Kathy Porter war geistesgegenwärtig genug, den Bambuskoffer unter den Landrover der Lady zu schieben. »Diese Feiglinge«, sagte Agatha Simpson, als der Wagen förm9
lich vorschoß und Fahrt aufnahm. »Mylady, Sie waren wunderbar«, antwortete Kathy Porter, »so etwas dürften die Gangster noch nicht erlebt haben.« »Schade, Kindchen, daß das Schwert zersplitterte«, erwiderte die ältere Dame und hob die halbe Klinge hoch, »ich glaube, ich hätte mich sonst etwas vergessen.« »Mr. Parker wird tief beeindruckt sein.« »Und einsehen, daß es auch ohne ihn geht«, fügte die Lady hinzu, »er wäre mit dieser Situation nie fertiggeworden.« * »Ich kann mich nur noch tief verbeugen«, sagte ChiefSuperintendent McWarden und sah die Detektivin bewundernd an. »Wenn es erlaubt ist, Mylady, möchte meine Wenigkeit sich dieser angekündigten Verbeugung vollinhaltlich anschließen«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Genieren Sie sich nicht.« Agatha Simpson deutete auf den geöffneten Bambuskoffer. »Sie müssen zugeben, daß ich ein Vermögen gerettet habe.« »Genau zweihundertzehntausend Pfund«, bestätigte McWarden, »das wird die Gangster tief treffen.« »Weiß man schon, wieviel sie insgesamt aus der Bank holten?« erkundigte sich Mike Rander. »Rund fünfhunderttausend Pfund«, warf McWarden ein, »das wäre eine Riesenbeute geworden.« »Ich werde auch den Rest herbeischaffen, nicht wahr, Mr. Parker?« Lady Agatha sah ihren Butler abwartend an. »Mylady werden dies mit der sprichwörtlichen linken Hand besorgen«, bestätigte Josuah Parker in seiner höflichen Art, »wäre ein weiterer und zusätzlicher Sherry genehm?« »Aber ja, Mr. Parker.« Sie nickte huldvoll, »dieser Sieg muß doch schließlich gefeiert werden. Auf der anderen Seite muß man ja nicht gleich eine Orgie veranstalten.« Sie war immens reich und wußte kaum, wie groß ihre Vermögen war, doch sie war sehr sparsam, wenn es um Sherry ging. Sie konnte um einen Penny hartnäckig feilschen, das Geld dann aber wieder mit vollen Händen ausgeben, wenn es galt, sich als Krimi10
nalistin zu betätigen. An diesem Mittag war sie in großzügiger Stimmung. »Mylady hörten einen englischen Fluch?« erkundigte sich Parker, nachdem er die Sherrygläser gefüllt hatte. »Eindeutig«, erwiderte Lady Agatha, »dieser Samurai muß Engländer gewesen sein.« »Dann täuschen die Samurais uns nur etwas vor«, meinte der Chief-Superintendent. »Das Schwert ist aus Bambus«, schaltete Kathy Porter sich ein. Sie hatte es gründlich untersucht und reichte es an den Butler weiter. »Dies erlaubte ich mir bereits zu bemerken«, erwiderte Josuah Parker, »ähnliche Geräte findet man im sogenannten KendoSport.« »Aha«, meinte die Detektivin, »und was ist das, Mr. Parker? Natürlich weiß ich es, aber ich möchte doch mal wissen, ob Sie orientiert sind.« »Es handelt sich um das Stockfechten, Mylady«, faßte der Butler zusammen, »es ist ein Relikt aus der Zeit der Samurai. Um diese Kunst des Kendo wirksam zu erlernen, bedarf es einiger Jahre und sehr viel Übung.« »Hier in London gibt es Schulen, die Kendo-Sport treiben«, warf der Anwalt ein. »Eine heiße Spur.« Agatha Simpsons Augen funkelten unternehmungslustig. »Die Gangster stammen aus einer dieser Kendoschulen. Für mich steht das einwandfrei fest. Ich hoffe, Mr. Parker, Sie denken auch so!« »Mylady lösen in meiner Wenigkeit Verblüffung aus«, bekannte der Butler höflich. »Das war auch so gedacht«, redete sie weiter und wandte sich an McWarden, »nehmen Sie sich diese Kendoschulen vor, mein lieber McWarden.« »Worauf Sie sich fest verlassen können, Mylady.« McWarden nickte, wenn auch ein wenig zögernd. »Legen die Kendo-Ritter nicht eine falsche Spur?« gab Mike Rander lächelnd zu bedenken. »Das könnte natürlich auch sein«, räumte McWarden ein. »Schnickschnack«, grollte die ältere Dame prompt, »begreifen Sie denn nicht, mein Junge? Die Kendoleute wollten mir doch nur Sand in die Augen streuen. Ich soll annehmen, Mitglieder solch 11
einer Sportschule würden nie mit den Rüstungen und Waffen antreten, mit denen sie trainieren. Tatsächlich aber tun sie’s! Das ist ein doppelter Trick, nicht wahr, Mr. Parker?« »Mylady lösen in meiner Wenigkeit erneut eine tiefe Verblüffung aus«, lautete Parkers ausweichende Antwort. »Das wußte ich«, sagte Agatha Simpson zufrieden, »jetzt geht es nur noch um die Kleinigkeit, die Kendo-Ritter zu überführen, aber um solche Details kümmere ich mich nicht.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Ich möchte mich verabschieden«, erklärte der ChiefSuperintendent, »ich werde eine schlagartige Gesamtfahndung einleiten.« Parker brachte McWarden zur Tür. Man befand sich im altehrwürdigen Fachwerkhaus der Lady Simpson, das in Shepherd’s Market stand, einer Oase inmitten von London. »Auf ein Wort, Mr. Parker«, bat McWarden, als man in der großen Wohnhalle war, »nehmen Sie auch an, daß die Gangster aus dem Kreis der Kendo-Sportler stammen?« »Unmöglich, Sir, ist nichts«, erwiderte der Butler, »bisher sind die Gangster allerdings noch den Beweis schuldig geblieben, daß sie mit Kendoschwertern umzugehen verstehen.« »Das stimmt allerdings.« »Mit baldiger Klärung dieser Frage dürfte auch durchaus zu rechnen sein«, fuhr Josuah Parker höflich fort, »den Verlust der zweihundertzehntausend Pfund werden die angeblichen Samurai als ausgesprochen schmerzlich empfinden.« »Sie glauben, daß die Gangster sich melden werden, Mr. Parker?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir«, lautete die Antwort des Butlers, »man dürfte sich Myladys Wagenkennzeichen gemerkt haben und zusätzlich aus der Presse erfahren, wie wehrhaft Mylady waren.« * Als Parker in den Salon zurückgehen wollte, klingelte das Telefon. Ohne seinen Schritt zu beschleunigen, schritt Parker zum Apparat und meldete sich. 12
»Genau Sie wollte ich haben«, sagte eine Stimme, »Sie sind doch der Butler von Lady Simpson, oder?« »Sie sagen es«, gab Parker höflich zurück, »kann meine Wenigkeit davon ausgehen, mit einem sogenannten Samurai zu sprechen?« »Wie kommen Sie denn darauf?« wunderte sich der Anrufer. »In der Nähe Ihrer Sprechstelle scheint man gerade dem Kendo-Sport zu huldigen«, sagte Parker, »das typische Geräusch der Bambusschwerter ist keineswegs zu überhören.« »Ihre Lady hat uns bestohlen«, tönte es aus dem Hörer unverzerrt und in gutem akzentfreiem Englisch, »Sie wissen doch, was ich meine, oder?« »Sie sprechen sicher von zweihundertzehntausend Pfund Sterling.« »Die uns gehören«, reagierte die Stimme, die einem Mann gehörte, »und Sie werden sich viel Kummer ersparen, wenn Sie uns das Geld so schnell wie möglich zurückgeben.« »Worin, wenn man höflich fragen darf, sollte der erwähnte Ärger bestehen?« wollte Josuah Parker wissen. Er zeichnete die Unterhaltung längst auf dem angeschlossenen Tonband auf. Parker hörte im Hintergrund nach wie vor das harte Klicken und Klappern von Bambusschwertern. »Sie wissen hoffentlich, was Kendo ist.« »Nur oberflächlich, wie meine Wenigkeit bekennen muß.« »Man kann die Bambusschwerter auch durch echte Samuraischwerter ersetzen«, drohte die Stimme weiter, »aber glauben Sie ja nicht, daß wir Sie direkt töten werden.« »Sie erwägen eine gewisse Steigerung, wenn ich Ihren Hinweis richtig interpretiere?« »Wir werden Sie Stück für Stück leiden lassen, bis es soweit ist. Und das ist keine leere Drohung, verlassen Sie sich darauf! Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie scharf japanische Schwerter sind?« »Wenn Sie einverstanden sind, wird man sich darüber eingehend informieren. Sie sprachen gerade in der Mehrzahl. Sie haben vor, nicht nur Lady Simpson zu töten?« »Auch die Begleiterin, auch Sie und diesen Anwalt. Sie alle stecken unter einer Decke.« »Wenn Sie gestatten, möchte ich die Aussichten dann als nicht gerade rosig bezeichnen.« 13
»Nehmen Sie mich ruhig auf den Arm, Parker, aber Sie werden sich wundern. Sie werden es mit der Kendo-Queen zu tun bekommen.« »Ein bemerkenswerter Name, wenn man so sagen darf. Es dürfte sich um eine Frau handeln?« »Sie werden Sie bald kennenlernen, Parker, gerade Sie!« »Wodurch könnte meine Wenigkeit Ihren Unwillen erregt haben?« »Sie sind der Kendo-Queen als gerissener Fuchs geschildert worden.« »Sie schmeicheln einem alten, müden und relativ verbrauchten Mann«, lautete Parkers Antwort. »Also, umgehend das Geld zurück an uns«, verlangte die Männerstimme, »und zwar heute noch! Bis Mitternacht muß die Übergabe erfolgen, sonst werden Sie alle Stück für Stück demontiert…« »Haben Sie möglicherweise bestimmte Zeit- und Ortsvorstellungen?« wollte Josuah Parker wissen. »Hören Sie mal genau zu, Parker.« Die Männerstimme ging auf die Frage des Butlers ein und nannte die gewünschten Daten. Parker wiederholte sie höflich und erkundigte sich dann nach weiteren Wünschen der Kendo-Queen. »Lassen Sie die Polizei aus dem Spiel«, verlangte die Männerstimme, »und versuchen Sie erst gar nicht, sich mit uns anzulegen. Sie würden doch nur draufzahlen.« »Man wird Lady Simpson umgehend informieren«, sagte der Butler, »eine Prognose hinsichtlich Myladys Reaktion vermag ich leider nicht zu geben, aber ich darf vorausschicken, daß Mylady sich im Grunde kaum mit Amateuren abgibt. Die Kendo-Queen sollte also nicht erbost sein, falls man ihre Existenz nicht zur Kenntnis nimmt.« * »Das war schon recht ordentlich«, sagte die ältere Dame etwa eine Viertelstunde später, nachdem sie das Tonband abgehört hatte, »langsam lernen Sie es, Mr. Parker, wie man mit diesen Subjekten redet.« . »Mylady rufen in meiner Wenigkeit das Gefühl einer gewissen Verlegenheit hervor«, bedankte sich Parker. 14
»Selbstverständlich werde ich das Geld nicht zurückgeben«, redete die Detektivin weiter, »aber ich werde zu diesem Treffen erscheinen, nicht wahr, Mr. Parker?« »Eine reizvolle Vorstellung, Mylady, die aber nicht ohne Gefahr ist.« »Papperlapapp, Mr. Parker, diese Kendo-Ritter haben es schließlich mit einer Lady Simpson zu tun.« »Echte Samuraischwerter sollen noch schärfer sein als Rasiermesser«, warf Mike Rander warnend ein. »Ich werde diese Schwerter entschärfen«, prophezeite die energische Dame munter, »hinter diesem Anruf steckt eine gehörige Portion Größenwahn, oder etwa nicht?« »Oder auch Selbstüberschätzung. Oder sogar Selbstsicherheit«, fügte Kathy Parker hinzu. »Falls gewünscht, könnte meine Wenigkeit sofort Mr. McWarden verständigen«, sagte Josuah Parker. »Unterstehen Sie sich, Mr. Parker!« Agatha Simpson sah ihren Butler streng an. »Das hier ist mein Fall. Man belästigte mich schließlich mit einem Schwert und so etwas kann eine Lady Simpson sich nicht bieten lassen.« »Wo soll die Geldübergabe denn stattfinden?« wollte Mike Rander wissen. »Ich kann mit der Ortsangabe nichts anfangen.« »Es handelt sich um einen nördlichen Stadtteil, Sir«, erläuterte Kathy Parker, »es gibt gerade in dieser Region eine Fülle stillgelegter Fabriken.« »Und damit perfekte und tödliche Fallen«, warnte Mike Rander noch mal. »Mr. Parker wird schon dafür sorgen, daß ich mich ungestört mit diesen Lümmeln auseinandersetzen kann«, erklärte Lady Agatha optimistisch wie immer, »aber wie war das mit den Geräuschen im Hintergrund? Sie sind sicher, Mr. Parker, daß es sich um Kendoschwerter gehandelt hat?« »Ohne Fachleuten vorgreifen zu wollen, Mylady, könnte man dies als sicher unterstellen.« »Sehr eigenartig, nicht wahr?« Kathy Porter lächelte. »Das sieht doch so aus, als wollte man die Aufmerksamkeit auf eine der Kendoschulen lenken.« »Sehr begabt, meine Liebe«, lobte die ältere Dame, »man will mich ablenken, das liegt auf der Hand. Doch ich wiederhole: Die Gangster stammen aus einer dieser Schulen! Für mich gibt es da 15
keinen Zweifel. Man belastet sich selbst, um aus dem Schußfeld zu kommen. Ich hoffe, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt.« »Völlig«, antwortete der Anwalt, »wie denken denn Sie darüber, Mr. Parker?« »Myladys Ansichten sind wie stets bestechend«, schickte der Butler voraus, »darf man darauf verweisen, daß der Tenor des Gesprächs, was die Gegenseite betrifft, den Rückschluß zuläßt, daß man es tatsächlich mit Amateuren zu tun hat?« »Das sage ich doch die ganze Zeit«, grollte Agatha Simpson. »Wieso eigentlich?« »Gangster bevorzugen, sich in einer Sprache zu äußern, Mylady«, erwiderte der Butler, »Gangster pflegen, um es lakonisch und salopp auszudrücken, einfach zu schießen. Sie würden sich nie solcher Schneidwaren bedienen, die in diesem Fall angedroht werden.« »Hier haben sich einige Subjekte aus Kendoschulen zusammengetan«, erklärte Lady Agatha nachdrücklicher. »Mr. Parker, besorgen Sie mir die Adressen der Schulen. So schwer kann das doch nicht sein…« »Myladys Anregung wird sofort aufgegriffen.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Darüber hinaus wird man sich auch mit der Beschaffung eines geeigneten Bambuskoffers befassen.« »Daran wollte ich gerade erinnern«, behauptete die Detektivin wie selbstverständlich. Bevor Parker darauf eingehen konnte, meldete sich die Türglocke. Parker begab sich in die Wohnhalle des Fachwerkhauses und öffnete einen Wandschrank neben dem verglasten Windfang und Vorflur. Er schaltete die Fernsehkamera ein, die über dem Eingang angebracht war, und nahm unbewegt zur Kenntnis, daß ein japanischer Ritter gerade den überdachten Vorbau verließ, wobei er eine unziemliche Eile an den Tag legte. Dieser Samurai in der typischen Rüstung des japanischen Mittelalters lief zu einem Ford, der vor dem Haus parkte. Wenig später war er im Wagen verschwunden, der sofort scharf anzog und die Durchgangsstraße ansteuerte. Per Fernsteuerung schwenkte Parker die versteckt installierte Fernsehkamera zur Tür und entdeckte davor ein Samuraischwert auf dem Boden. Möglicherweise hatte man wohl versucht, die Spitze dieses Schwertes in das Türblatt zu rammen. Da es aber aus zähem Stahl bestand, war die Absicht mißlungen. 16
Parker machte sich daran, das Samuraischwert zu bergen. * Bevor Josuah Parker das altehrwürdige Haus in Shepherd’s Market verließ, hielt er sich für etwa zwanzig Minuten in seinen privaten Räumen im Souterrain des Hauses auf. Hier hatte er sein privates Labor eingerichtet, in dem er in seiner Freizeit immer wieder neue Methoden zur trickreichen Bekämpfung von Gaunern und Gangstern entwickelte. Butler Parker hatte vor, das Haus allein zu verlassen. Er wollte sich möglichen Samurais als Ziel anbieten, wollte allerdings auch in der Lage sein, etwaige Angriffe zu parieren. Er rechnete fest damit, daß das Haus diskret überwacht wurde. Aus seinem gut bestückten Fundus wählte er einen Regenschirm, den er vor Jahren mal entwickelt hatte und der altväterlich aussah wie jenes Regendach, das er im Moment benutzte. Der Schirmstock bestand aus bestem Sheffieldstahl und war seiner Schätzung nach bestens geeignet, Samuraischwerter zu parieren. Äußerlich sah man dies dem Regenschirm allerdings nicht an, worauf Parker sogar den größten Wert legte. Er rüstete sich zusätzlich mit einigen Gegenständen aus, die vielleicht nutzbringend anzuwenden waren, und machte sich dann auf den Weg. Er benutzte sein hochbeiniges Monstrum, wie sein Privatwagen von Freund und Feind genannt wurde. Es handelte sich dabei um ein ehemaliges Londoner Taxi sehr alter Bauart, das sich durch kantige Formen auszeichnete. Rein äußerlich wirkte dieser Wagen langsam, vielleicht sogar asthmatisch, doch genau das Gegenteil war der Fall. Butler Parker hatte diesen Wagen nach seinen sehr eigenwilligen Vorstellungen modifiziert. Unter der eckigen Motorhaube befand sich ein Kraftwerk, das einem Rennwagen alle Ehre gemacht hätte. Die Bremsen und auch das Fahrwerk waren dementsprechend umgestaltet worden. Wenn es sein mußte, konnte Parker mit seiner Trickkiste auf Rädern, wie man sein Fahrzeug auch respektvoll nannte, eine unwahrscheinliche Geschwindigkeit vorlegen. Aus Gründen der Sicherheit hatte Parker diesen Wagen in der schmalen Gasse hinter dem Fachwerkhaus abgestellt. Zur Straße 17
hin war diese Gasse durch ein elektronisch funktionierendes Gitter abgesichert. Ein Tor schwang gehorsam zur Seite, nachdem der Butler vom Fahrersitz aus per Knopfdruck die Öffnung eingeleitet hatte. Elektrowellen einer bestimmten Frequenz setzten den Öffnungsmechanismus in Gang. Parker rollte in die Seitenstraße, um dann von dort aus die eigentliche Straße zu benützen. Während dieser Fahrt in die nahe City von London schaute er wiederholt in den Rückspiegel und entdeckte schon bald einen Volkswagen, der ihm hartnäckig folgte. Parker übersah das gelassen. Ihm kam es schließlich darauf an, Kontakt mit den japanischen Rittern aufzunehmen. Er zweifelte keine Sekunde daran, daß man versuchen würde, ihn in die Lage zu bringen, einige Wochen Gast eines Unfallhospitals zu werden. Obwohl man es wahrscheinlich mit Amateuren zu tun hatte, waren diese Leute doch recht gut informiert, was ihn, Lady Simpson, Kathy Porter und Mike Rander betraf. Parker machte es dem Verfolger bequem. Als er die Innenstadt erreichte, steuerte er ein Parkhochhaus an und brachte seinen hochbeinigen Wagen bis zum höchsten Parkdeck. Dann verließ er den Fahrersitz, korrigierte seine Kleidung, legte den ausgewechselten Regenschirm über den angewinkelten linken Unterarm und schritt gemessen und würdevoll zum Treppenhaus. Er empfand es als wohltuend, daß auf diesem Parkdeck so gut wie kein Gast zu sehen war. Es gab da zwar ein Ehepaar, das aber den Fahrstuhl benutzte, um nach unten zu gelangen. Butler Parker hatte seine Gegner richtig eingeschätzt. Sie waren allerdings noch schneller und näher, als er ausgerechnet hatte. Parker hatte das Treppenhaus fast erreicht, als die Eisentür jäh aufgestoßen wurde. Zwei Samurai erschienen auf der Bildfläche, stießen drohende Laute aus, die irgendwie an Grunzen erinnerten, zogen blitzschnell ihre Schwerter aus den Scheiden und schwangen sie ausgesprochen kriegerisch durch die Luft. »Ich gestatte mir, Ihnen meinen Gruß zu entbieten«, sagte der Butler und lüftete höflich die schwarze Melone, »darf oder muß man sogar unterstellen, daß Sie sich nicht in friedlicher Absicht eingefunden haben?« Sie, verzichteten auf eine Antwort und wollten die Schärfe ihrer leicht gebogenen Schwerter an Parkers Körper demonstrieren. 18
Josuah Parker sah sich daher genötigt, gewisse Gegenmaßnahmen zu ergreifen. * Amateure waren es nicht, die auf ihn eindrangen. Sie hatten die Kunst des Schwertkampfes genau studiert und eindeutig nur das eine Ziel, Parker erheblich zu verletzen – oder ihn gar zu töten. Sie wollten es so schnell wie möglich hinter sich bringen und verzichteten auf alle üblichen Einleitungen. »Sie zwingen meine Wenigkeit, gewisse Rücksichten hintanzustellen«, sagte Josuah Parker und hob seinen präparierten Regenschirm. Er blockte einen Schlag geschickt ab und ging sofort zum Gegenangriff über. Er nutzte die kurze Verwirrung des Samurai, der wohl damit gerechnet hatte, schon jetzt den entscheidenden Treffer anbringen zu können. Parker stach ein wenig formlos und überhaupt nicht im Sinn der japanischen Fechtkunst zu und traf die Magenpartie des Ritters, der erst mal scharf die Luft einsog, um dann leichte Konditionsschwierigkeiten zu zeigen. Der zweite Samurai witterte eine Chance, die Blöße zu nutzen, die Parker sich dabei geben mußte. Der Mann im Ritterkostüm ließ sein Schwert herumwirbeln, wollte den Butler verwirren und dann seinen Streich anbringen… Er traf voll die Luft. Butler Parker legte eine Leichtfüßigkeit an den Tag, die beachtenswert war. Vom Schwung mitgerissen, fiel der Samurai nach vorn und bot dem Butler seinen nur oberflächlich geschützten Hinterkopf dar. Natürlich konnte Josuah Parker nicht widerstehen. Blitzschnell langte er mit dem Schirmstock zu und traf genau das Ziel. Der Samurai hüstelte betroffen und klatschte auf den Zementboden des Parkdecks. Er scharrte und zappelte noch mit den Beinen, entschloß sich dann aber, erst mal Ruhe zu geben. Der erste Samurai hatte den Magenstoß inzwischen verdaut und wollte es jetzt wissen. Er stieß einen wilden Brüller aus, ließ sein Schwert herumwirbeln und es fast zu einer Scheibe werden. Er brachte den Butler dazu, sich erst mal zurückzuziehen. Parker tat dies sehr bewußt und provozierte bei dem angeblichen japanischen Ritter ein gewisses Überlegenheitsgefühl… 19
»Ihre Künste sind ausgesprochen bemerkenswert«, sagte Parker, dessen Atem ruhig ging, »falls meine Wenigkeit die Möglichkeit dazu hätte, würde man bewundernd die Kopfbedeckung lüften.« »Jetzt bist du reif«, erwiderte der Ritter hinter seiner Gesichtsmaske und wurde noch eifriger. »Ihr Englisch dürfte aus dem Süden Londons stammen«, stellte der Butler weiter fest. »Damit werden Sie kaum noch was anfangen können.« Der Ritter wurde noch zudringlicher und schneller. Er wähnte sich bereits auf der Siegerstraße und wurde unvorsichtig. Als er gerade geantwortet hatte, zeigte sich, daß er sich körperlich ungemein anstrengte. »Und jetzt!« Er fintierte, absolvierte einen blitzschnellen Rundschlag, warf sich vor, ging in Auslage, zog sich zurück und… starrte dann verdutzt auf seine Führungshand. Sie war nämlich leer und zusätzlich noch geprellt worden. Parker hatte mit seinem Regenschirm einen Konter ausgeführt und dem Ritter das blinkende Schwert aus der Hand geschlagen. »Auch die europäische Fechtkunst hat einiges zu bieten«, sagte Parker gemessen, benutzte den Schirmstock als Degen, fintierte seinerseits und fand eine geeignete Lücke zwischen zwei »Lederschuppen« des Brustpanzers. Bevor der Japan-Ritter diesem Stoß ausweichen konnte, war es bereits geschehen. Der Getroffene jaulte auf wie ein getretener Hund und verbeugte sich tief vor dem Butler. »Wenn Sie erlauben, werde ich Sie anästhesieren«, schickte der Butler voraus, um dann den schweren Stahlgriff seines Regendaches auf den Hinterkopf des Mannes zu legen. Aus der Verbeugung wurde ein Niederknien. Parker trat höflich abwartend einen halben Schritt zurück und registrierte dann die Flachlage des Samurai. »Kann man helfen?« erkundigte sich in diesem Moment eine sonore Stimme. Parker wandte sich halb zur Seite und grüßte einen Herrn, der eben erst den Aufzug verlassen hatte. Er zeigte jene englische Zurückhaltung, die sprichwörtlich war. »Vielen Dank, Sir«, gab Parker zurück und lüftete die schwarze Melone. »Sie sind gerade Zeuge einer Filmaufnahme mit versteckter Kamera, wie ich Ihnen verraten möchte.« »Dann will ich nicht länger stören.« Der Gentleman grüßte sei20
nerseits und ging zu seinem abgestellten Wagen. Als er zur Wendel fuhr, die hinunter zur Straße führte, warf er keinen einzigen Blick auf die Szene, die er gerade beobachtet hatte. Er wollte wirklich nicht stören, wie er gerade erst versichert hatte. Parker begab sich zu seinem Wagen und brachte ihn in die Nähe der beiden noch immer tief schlafenden Samurai. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er sie im Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums untergebracht hatte. * Butler Parker befand sich in Soho. Er hatte seinen Wagen auf einem Parkplatz abgestellt und betrat ein Lokal, das sich auf Fremdenverkehr spezialisiert hatte. Hier gab es Erfrischungsgetränke, Tee und Snacks. Hinter dem Tresen stand ein breitschultriger Mann, schätzungsweise ein Fünfziger, der sich schnell in Bewegung setzte, als er den Butler ausmachte. »Hallo, Mr. Parker«, grüßte der Mann respektvoll, »was kann ich Ihnen anbieten? Was kann ich für Sie tun? Welchen Tisch möchten Sie?« »Den in Ihrem Hinterzimmer, Mr. Pantree«, erwiderte der Butler, »es gibt da einige Dinge, die intensiv, jedoch ohne Eifer diskutiert werden müssen.« »Sie haben Ärger, Mr. Parker?« Ernest Pantree, wie der volle Name lautete, sah Parker besorgt an. »Dieser Ärger betrifft weniger meine Person«, antwortete der Butler, »es handelt sich – um mit der sprichwörtlichen Tür ins Haus zu fallen – um eine sogenannte Kendo-Queen.« »Davon habe ich schon gehört, Mr. Parker.« Ernest Pantree drückte eilig die Tür zu seinem Hinterzimmer auf. Parker trat ein und schaute sich flüchtig um. »Sie kennen diese Kendo-Queen, Mr. Pantree?« »Nur vom Hörensagen, Mr. Parker. Sie soll ja bisher ganz schön abgestaubt haben, oder?« »Es wurde in der Tat bisher beachtliche Beute gemacht«, gab Josuah Parker zurück, »was sagt man dazu in einschlägigen Kreisen?« »Na ja, man amüsiert sich, Mr. Parker. Und man ist von den So21
cken, verstehen Sie? Da tauchen plötzlich Amateure auf und räumen auf der ganzen Linie ab. So was hat man nicht alle Tage.« Ernest Pantree war ehemaliger Krimineller, der in einen bürgerlichen Beruf übergewechselt war, wie er behauptete. Er war Parker sehr verbunden, hatte der Butler ihm doch mal den Antritt einer längeren Haftstrafe erspart. Pantree war angeklagt gewesen, einen Mann niedergeschossen und beraubt zu haben. Praktisch vor der Verurteilung hatte Parker dann den wirklichen Täter präsentieren können. Auf den Pfaden der Tugend wandelte Pantree allerdings noch immer nicht. Inzwischen war er Hehler geworden, was Josuah Parker natürlich nicht unbekannt war. Dennoch ließ Parker sich hin und wieder bei dem Mann sehen, wenn es galt, gewisse Insider-Informationen einzuholen. Pantree wußte stets sehr gut, was sich in Kreisen der Unterwelt abspielte. »Hat man eine vage Vorstellung, wer diese Kendo-Queen sein könnte?« stellte Parker seine nächste Frage. »Eben nicht, Mr. Parker… Und das ist die Wahrheit!« Pantree lehnte sich mit seinem breiten Rücken gegen die Wand. »Glauben Sie mir, man ist hinter dieser komischen Queen her. Können Sie sich ja vorstellen. Man möchte diese Queen anzapfen.« »Was weiß man bisher von ihr, Mr. Pantree?« »Wie gesagt, sie muß Amateurin sein, Mr. Parker. Und die Kerle, die mit ihr rumziehen, sind’s bestimmt auch. Hören Sie, wer aus der Szene würde schon in Ritterrüstung durch die Gegend laufen?« »Man weiß in der Szene demnach, nach welchem Muster diese Kendo-Queen arbeitet?« »So was spricht sich blitzschnell herum, Mr. Parker.« Pantree lächelte wissend. »Die Konkurrenz soll in komischen Rüstungen herumrennen und mit Schwertern arbeiten. Das muß man sich mal vorstellen! Mit Schwertern! Wie leicht kann dabei was passieren!« »In der Tat, Mr. Pantree, nach Ihrem Weltbild sind Schußwaffen wohl angebrachter, nicht wahr?« »Bestimmt sogar, Mr. Parker. Sind Sie hinter der Kendo-Queen her?« »Mich interessiert diese neue Arbeitsweise«, sagte Parker, »würden Sie meine Wenigkeit freundlicherweise informieren, so22
bald mehr bekannt ist?« »Sie können sich darauf verlassen, Mr. Parker«, versprach Pantree, »ich sag’s noch mal: Die Leute hier sind wie der Teufel hinter diesen Amateuren her. Es geht ja schließlich um ‘ne Menge Geld. Stimmt’s eigentlich, daß die bisher fast rund fünfhunderttausend Pfund abgesahnt haben?« »Dies könnte durchaus zutreffen, Mr. Pantree.« Parker wollte sich verabschieden und ging bereits zur Tür, als sie plötzlich explosionsartig aufgestoßen wurde. Ein junger Mann, der einen recht angeschlagenen Eindruck machte, stürzte ins Hinterzimmer, maß den Butler mit kurzem Blick und ließ sich dann in einen Sessel fallen. Parker, der das Gesicht dieses Besuchers musterte, registrierte, daß es geschwollen war. »Mann«, stöhnte der Besucher, »so was hab ich noch nie erlebt. Ich könnt gerade noch abhauen, aber die beiden anderen sind fertig, restlos fertig!« »Was ist passiert?« fragte Pantree, der unangenehm überrascht zu sein schien und dem Butler einen fragendprüfenden Blick zuschickte. »Die Samurai«, lautete die Antwort, »sie waren plötzlich überall und haben uns restlos fertiggemacht.« * »Könnten Sie sich freundlicherweise näher zu dem äußern, was Sie gerade anzudeuten beliebten?« fragte Josuah Parker den jungen Mann, der stöhnend an seinem Körper tastete und dabei immer wieder das Gesicht verzog. »Wer is’ denn das? Einer mit ‘ner neuen Masche?« fragte der junge Mann. »Halt die Klappe, das ist Mr. Parker.« Pantree sah Parker entschuldigend an. »Wir haben uns in ‘ner Kendoschule umgesehen«, sagte der junge Mann jetzt, »wir wollten dem Boß des Ladens mal auf die Finger klopfen. Mann, war das ein Reinfall.« »Darf man davon ausgehen, daß Ihre Absichten nicht freundlich aufgenommen wurden?« stellte Parker seine nächste Frage. »Wir waren zu dritt«, berichtete der junge Mann weiter, »und 23
wir sin’ bestimmt nicht schlecht, das weißt du, Pantree, sonst hättest du uns ja nicht hingeschickt, oder?« »Er… äh… Er hat das mißverstanden, Mr. Parker, ich meine, das mit dem Hinschicken«, behauptete Ernest Pantree hastig. »Ich selbst bin an der Kendo-Queen überhaupt nicht interessiert, wirklich nicht!« »Es ist nicht meine Aufgabe, Sie zu kritisieren, Mr. Pantree«, erwiderte Josuah Parker, »doch lassen wir den jungen Mann weiterreden. Sie wurden also auf eine Art abgefertigt, mit der Sie keineswegs gerechnet hatten?« »Erzähl doch«, schaltete Pantree sich ein. »Kann ich?« Der junge Mann warf einen fragenden Blick auf den Butler. »Du kannst«, versicherte Pantree ihm, »aber du brauchst ja nicht in Einzelheiten zu steigen.« »Wir sind also raus zu ‘ner Kendoschule gefahren«, sagte der junge Mann und fingerte vorsichtig an seinen Rippen herum, »wir sind da ganz friedlich aufgekreuzt und haben nur ein paar Fragen gestellt. Und da sin’ sie schon über uns hergefallen.« »Wie viele waren es?« fragte Pantree. »‘ne Frau und zwei Männer«, erzählte der Geschlagene weiter, »ohne jede Warnung haben die uns auf die Hörner genommen und mit ihren Stöcken zusammengeschlagen. Wir sin’ kaum rausgekommen.« »Wo sind die beiden anderen?« wollte Pantree wissen. »Beim Arzt, ich hab die da abgeliefert«, hörte Josuah Parker, »ich glaube, die haben sich einige Rippen oder so gebrochen. Am liebsten würde ich die ganze Schule hochnehmen, ehrlich. Warum tun wir’s eigentlich nicht? So was kann man doch nicht frei herumlaufen lassen.« »Laß dir vorn einen Drink geben«, forderte Pantree den jungen Mann auf, »und häng das alles nicht an die große Glocke, klar?« Der junge Mann ging vorsichtig hinaus, und Pantree lächelte den Butler in einer Mischung aus Verlegenheit und Erwartung an. »Okay, Sie haben’s mitbekommen«, sagte er dann, »ich hatte mal die Fühler ausstrecken wollen, Mr. Parker, mehr nicht. Wenn ich was rausgefunden hätte, hätte ich die Polizei informiert.« »Sie gehen hoffentlich nicht von der Annahme aus, daß ich. Ihnen dies glaube«, erwiderte Josuah Parker, »aber dies spielt auch keine Rolle. Sie allein sind Herr Ihrer Entschlüsse.« 24
»Ich glaube, ich werde in Zukunft die Finger von dieser KendoQueen lassen, Mr. Parker.« »Ihrer Gesundheit könnte dies nur von Nutzen sein«, lautete Parkers Antwort, »könnten Sie meiner Wenigkeit sagen, welche Kendoschule besucht wurde?« »Kann ich.« Pantree nannte die Adresse. »Sie wollen da hin, Mr. Parker?« »Ich werde dieser Schule vielleicht einen Höflichkeitsbesuch abstatten«, sagte der Butler. »Da war ich gern dabei, Mr. Parker.« Pantree grinste und merkte erst mit einiger Verspätung, daß seine Worte falsch aufgefaßt werden konnten. »Ich meine, ich würd mir gern ansehen, wie Sie mit diesen Leuten fertig werden.« »Sie überschätzen meine Wenigkeit«, gab Parker in bekannter Bescheidenheit zurück, »Sie würden sich melden, falls zusätzliche Informationen an Ihr Ohr dringen würden?« »Worauf Sie sich verlassen können«, versprach Pantree, »ich steh ganz auf Ihrer Seite, Mr. Parker.« Parker schritt zur Tür und hörte plötzlich davor ein seltsames, irreguläres Scheppern, Klirren und Krachen, in das sich spitze, entsetzte Schreie mischten. Pantree stürmte an Parker vorüber, riß die Tür auf und brüllte. Auf seiner Stirn landete ein Bambusschwert, dessen Aufschlagskraft ihn gegen Parker zurückwarf. Dadurch entging der Butler einem zweiten Schwertstreich. Auch dieses Bambusschwert landete auf Pantree, der gegen seinen Willen den Butler abschirmte. Parker sah sich einem Kendokämpfer gegenüber, der eine Schutzmaske aus Draht und eine Art ritterähnliche Uniform trug, an der die besonders breiten Schultern mit Lederstücken auffielen. * »Weiter, weiter«, drängte Agatha Simpson erfreut, »Sie wurden also angegriffen. Und was geschah dann?« Parker war nach Shepherd’s Market zurückgekehrt, um Bericht zu erstatten. Im Salon befanden sich außer Lady Agatha Kathy Porter und Mike Rander. »Meine Wenigkeit hatte die feste Absicht, Mylady, sich in das 25
allgemeine Geschehen aktiv einzuschalten«, beantwortete Parker die Frage seiner Herrin, »leider war es meiner Person nicht vergönnt, einen entscheidenden Beitrag zu liefern, da die Kendokämpfer sich ungewöhnlich schnell wieder verabschiedeten.« »War das reine Taktik oder Angst vor Ihnen, Parker?« wollte der junge Anwalt wissen. »Es dürfte sich um eine taktische Maßnahme gehandelt haben«, meinte Josuah Parker, »der kurze Auftritt reichte völlig aus, um das Lokal des Mr. Pantree in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Hinzu kamen Gäste, die mehr oder weniger schwere Blessuren davontrugen.« »Pantree wurde überfallen, weil er drei Leute in die Kendoschule schickte, wie?« Kathy Porter sah Parker gespannt an. »Davon sollte man in der Tat ausgehen«, sagte Parker und nickte andeutungsweise, »man dürfte den jungen Mann verfolgt haben, der Mr. Pantree Bericht erstattete.« »Ich will Ihnen natürlich keine Vorwürfe machen«, meinte Lady Agatha, »aber ich, Mr. Parker, hätte wenigstens einen dieser Kendoschläger mitgebracht.« »Meine Wenigkeit darf mit zwei Samurai-Angehörigen dienen, Mylady.« »Wie war das?« Sie beugte sich interessiert vor. »Sie befinden sich zur Zeit noch im Kofferraum meines Wagens«, erläuterte Parker, »ich wurde von den beiden Herren in einem Parkhochhaus angegriffen.« »So liebe ich es.« Lady Agatha strahlte. »Sie lernen dazu, Mr. Parker. Recht achtsam und begabt. Ich werde die beiden Männer natürlich sofort verhören und zur Ordnung rufen.« »Sind es Weiße, die Sie erwischten, Parker?« fragte Mike Rander. »Dies, Sir, konnte meine Wenigkeit noch nicht eruieren«, erwiderte Parker, »ein Übelstand, der sich schnell beheben lassen wird.« »Na, ich laß mich überraschen.« Rander stand auf wie Lady Simpson. »Hatten die beiden Männer echte Schwerter bei sich?« erkundigte sich Kathy Porter. »In der Tat«, bestätigte Parker, »es handelte sich um scharfe Klingen. Die Absicht, meiner Wenigkeit schwere Verletzungen beizubringen, kann nicht von der Hand gewiesen werden.« 26
»Na, die Lümmel werden gleich was erleben.« Agatha Simpson machte einen animierten Eindruck, »ich glaube, daß ich dicht vor der Lösung auch dieses Falles stehe.« Sie bekam nicht mit, daß Kathy Porter und Mike Rander einen schnellen, etwas amüsierten Blick tauschten. Sie kannten diese Behauptungen der Lady nur zu gut. Sie wußten auch, daß sie sich am laufenden Band irrte, was sie jedoch einfach nicht zur Kenntnis nahm. Wunsch und Wirklichkeit gingen in ihrer Vorstellung nahtlos ineinander über. Parker ging voraus und führte seine Herrin in den rückwärtigen Teil des Fachwerkhauses, an das sich eine große Garage anschloß. Er öffnete den an sich etwas kleinen Kofferraum und bat die beiden japanischen Ritter höflich, ins Freie zu treten. Sie waren steifbeinig geworden und brauchten einige Zeit, bis sie endlich standen. Selbst jetzt sahen sie noch durchaus furchteinflößend aus. Ihre Gesichtsmasken waren dämonisch, fratzenhaft. Die schwarze Lederrüstung schien in der Hölle angefertigt worden zu sein. »Nehmen Sie diese albernen Masken ab«, verlangte die Detektivin barsch, »und ich weiß, daß Sie Englisch sprechen. Tun Sie also nicht so, als hätten Sie mich nicht verstanden…« Die beiden Ritter reagierten spontan. Sie hatten sich inzwischen wieder mit Aktivität aufgeladen und hielten plötzlich lange Dolche in ihren Händen, die sie aus den unergründlichen Falten ihrer Gewänder unter der Lederrüstung hervorgezogen hatten. Sie erlebten aber eine peinliche Überraschung. Lady Agatha ließ sich keineswegs verblüffen, sie schien mit solch einer Attacke wohl gerechnet zu haben, holte mit der flachen Hand aus und verabreichte dem links vor ihr stehenden Samurai eine schallende Ohrfeige. Der Getroffene flog gegen die Wand, drückte sich ab und wollte seine Peinigerin anspringen. Dabei geriet er in die Nähe von Kathy Porter, die normalerweise wie ein scheues Reh wirkte. Jetzt aber verwandelte sie sich in eine Pantherkatze und setzte ihre linke Handkante gezielt ein. Mitten im Sprung rutschte der Samurai in sich zusammen und blieb regungslos auf dem Boden liegen. Der zweite Samurai hatte es auf Parker abgesehen, der kurz reagierte. Parker trat elegant wie ein Torero zur Seite, sorgte dafür, daß der Dolch an ihm vorbeistach und hebelte den Angreifer dann 27
mit einer knappen Handbewegung von den Beinen. Der Boden dröhnte nach der Landung auch dieses Mannes. »Und wer denkt an mich?« fragte Mike Rander salopp und entspannte wieder seine Hände, die er zu Fäusten geformt hatte, »ich möchte nicht gerade nutzlos in der Gegend herumstehen.« * Josuah Parker war erleichtert, obwohl er es natürlich nicht zeigte. Lady Agatha war im Augenblick mehr als beschäftigt und verhörte die beiden japanischen Ritter, die man in einem sogenannten Gästezimmer des Hauses untergebracht hatte. Diese Räume befanden sich im Souterrain des Hauses, noch oberhalb der geheimnisvollen Katakomben, von denen nur wenige Personen wußten. Parker saß in seinem hochbeinigen Monstrum und wurde von Mike Rander begleitet, der sich dieser Fahrt angeschlossen hatte. Um Lady Simpson brauchte man sich nicht zu sorgen, denn Kathy Porter war bei der älteren Dame geblieben. »Was versprechen Sie sich vom Besuch dieser Kendoschule?« erkundigte sich der junge Anwalt. »Glauben Sie, daß die Kerle identisch mit den Gangstern sind?« »Eine äußerst schwierige Frage, Sir, deren Beantwortung ich mir zu ersparen bitte«, gab der Butler zurück. »Die Reaktion auf den Besuch durch die drei Schläger ist leicht zu deuten«, redete Mike Rander weiter, »ich kann mir gut vorstellen, wie diese Kleingangster aufgetreten sind.« »Der Besuch in der Snack-Bar des Mr. Pantree wäre demnach eine Art Überreaktion, Sir?« »Diese Kleinholzaktion ist allerdings irritierend, Parker.« »Es könnte sich durchaus um zwei verschiedene Gruppen von Samurai handeln, Sir.« »Zwei Gruppen, Parker?« Rander war überrascht. »Man sollte durchaus mit ihnen rechnen, Sir.« »Die Gangster versuchen demnach, Kendoschulen zu belasten, oder? Habe ich Sie so richtig verstanden?« »Solch eine Möglichkeit sollte man tunlichst nicht ausschließen, Sir.« »Keine schlechte Theorie.« Rander nickte nachdenklich. »Wel28
chen Eindruck hatten Sie von den beiden Knaben, die sich in der Hochgarage mit Ihnen befassen wollten?« »Es handelte sich um Schwertkämpfer, Sir, die sich in dieser speziellen Kunst auskennen.« »Okay, dann haben wir’s also mit Tätern zu tun, die sich im Milieu der Kendoschulen bewegen und sie pauschal belasten wollen. Fragt sich jetzt, woher die Täter kommen? Logischerweise doch aus dem Kreis dieser Schulen.« »Ihr Einverständnis voraussetzend, Sir, würde ich mich Ihrer Betrachtungsweise anschließen.« »Machen wir’s noch einfacher, Parker: Die Täter sind ehemalige Kendo-Sportler, die ihr Können und Wissen nutzen.« »Einfacher, Sir, könnte man es wohl kaum ausdrücken.« »Vielleicht sind sie noch aktiv in diesen Schulen tätig.« »Dies, Sir, bietet sich erneut an.« »Sie haben mich da ganz schön auf ein ganz bestimmtes Gleis gesetzt, Parker.« Rander lächelte amüsiert. »Es war auf keinen Fall meine Absicht, Sir, Sie gedanklich zu manipulieren.« »Ob Absicht oder nicht. Geschafft haben Sie’s auf jeden Fall.« Rander schmunzelte und warf Parker einen schnellen Blick zu. »Ich korrigiere mich, was meine Vermutung hinsichtlich noch aktiver Clubmitglieder betrifft. Ich hoffe, Sie sind mit dieser Korrektur einverstanden.« »Meine Wenigkeit wollte gerade eine entsprechende Anregung zur Debatte geben.« »Wie beruhigend«, spöttelte der Anwalt, »also, die KendoGangster können auch Leute sein, die die Schulen bereits hinter sich haben, aus welchen Gründen auch immer.« »Solch möglichen Gründen, Sir, sollte man nachspüren«, erklärte Josuah Parker. »Es dürfte übrigens als sicher unterstellt werden müssen, daß die zuständigen Behörden Ermittlungen dieser Art anstellen werden.« »Damit werden die Gangster aber rechnen, oder?« »Gewiß, Sir. Und aus diesen Gründen dürfte das theoretische Gedankengebäude auf einem Grund stehen, der nicht gerade als fest bezeichnet werden kann«, sagte Butler Parker, »darf ich übrigens darauf verweisen, daß man inzwischen die KendoÜbungsschule erreicht hat, die man zu besuchen beabsichtigte?« »Sie dürfen, Parker. Jetzt bin ich mal gespannt. Ich lasse mich 29
auf der ganzen Linie überraschen!« Mike Rander musterte das graue Backsteingebäude und die Toreinfahrt, die in einen Hinterhof führte. Der junge Anwalt ahnte, daß mit Zwischenfällen zu rechnen war. * »Würden Sie freundlicherweise die überaus große Güte haben, Mr. Rander und meine Wenigkeit bei der Leitung Ihres Unternehmens anzumelden?« fragte Josuah Parker in seiner unnachahmlich höflichen Art und lüftete dazu die schwarze Melone. Er hatte mit Mike Rander den Eingang zur Kendoschule erreicht und stand einem untersetzten, recht muskulös und stämmig aussehenden Mann gegenüber, der einen Kendo-Stock in Händen hielt. Der Mann trug eine Art Brustpanzer aus Leder, jedoch keinen Kopfund Gesichtsschutz. »Sie heißen?« fragte der Mann, der etwa vierzig Jahre zählte. Er sprach normal Englisch. Mike Rander stellte sich und den Butler vor und musterte dazu neugierig den Mann, der einen durchaus kriegerischen Eindruck machte. »Warten Sie im Besuchsraum«, forderte der Stämmige sie auf, »ich werde nachfragen, ob Miß Lormond Sie empfängt.« »Tun Sie das, mein Bester«, meinte Rander, »übrigens am Rand, haben Sie schon mal was von einer Kendo-Queen gehört?« »Noch nie«, lautete die Antwort des Stämmigen. Er musterte Mike Rander mit geringschätzigem Blick, warf dann einen ausgiebigen Blick auf den Butler und ließ die beiden Besucher in einen Raum treten, der fernöstlich drapiert war. Auf dem Boden lagen Matten aus Reisstroh, standen einige niedrige Lacktische, um die Sitzkissen gelegt waren. An den Wänden hingen Rollbilder mit japanischen Rittermotiven. »Ich denke gerade an Pantrees Knaben«, meinte der Anwalt ironisch, »ich kann mir vorstellen, wie man die hier bedient hat, Parker.« »Vielleicht sollte man sich innerlich auf eine ähnliche Behandlung einstellen, Sir«, antwortete Josuah Parker. »Ich darf an die beiden Ritter erinnern, die meine Wenigkeit im Parkhochhaus beehrten.« »Sie glauben, die stammen hier aus der Kendoschule?« 30
»Eine Möglichkeit, Sir, die man nicht ausschließen sollte.« »Okay, dann werde ich mich innerlich einstellen«, versprach der junge Anwalt. Er wollte noch eine Bemerkung anfügen, als die Tür geöffnet wurde. Der Stämmige erschien und verbeugte sich höflich. »Miß Lormond hat ein paar Minuten Zeit für Sie«, sagte er, »wenn Sie mir folgen wollen.« Er wartete die Zustimmung erst gar nicht ab, sondern drehte sich um und verließ den Besucherraum. Mike Rander und Josuah Parker folgten. Es ging durch einen langen, schmalen Korridor. Plötzlich war das typische Geräusch von Holzschwertern zu hören, die mit Wucht gegeneinander geschlagen wurden. Im Übungssaal schien man gerade eine Lektion durchzugehen. »Hallo«, meinte der Anwalt wenig später. Er grüßte eine mittelgroße, schlanke Frau, die eindeutig aus Asien stammte und ein fein geschnittenes Gesicht mit Mandelaugen zeigte. Dieses Gesicht schien aus edlem Porzellan zu bestehen. Die Frau, die sich ernst gab und als Laura Lormond vorstellte, trug die typische Rüstung der Kendo-Kämpfer, hielt aber kein Bambusschwert in Händen. »Sie interessieren sich für das Schwertfechten?« fragte sie höflich und in bestem Englisch. Erstaunlicherweise schien sie nur noch den Butler zu sehen. »Eine faszinierende Kunst wenn man so sagen darf.« »Sie haben schon eine gewisse Vorbildung?« »Was zwei Samurai betrifft«, bestätigte Parker gemessen, »und dies ist auch der Grund dieses Höflichkeitsbesuches, Miß Lormond.« »Mr. Parker wurde von zwei Samurai angegriffen«, schaltete der Anwalt sich ein, »das passierte in einem Parkhochhaus, um ganz genau zu sein. Und beide Ritter schwangen ziemlich leichtsinnig echte Schwerter.« »Unverantwortlich«, antwortete Miß Lormond. »Mr. Parker scheint dies alles aber gut überstanden zu haben.« »Das Glück, wie ich sagen möchte, war auf der Seite meiner Wenigkeit«, bemerkte der Butler. »Mit Glück allein vermag man gegen einen ausgebildeten Kendo-Kämpfer nicht anzukommen«, meinte die Leiterin der Kendoschule und lächelte andeutungsweise, »aber bitte, werfen Sie doch einen Blick in den Übungssaal. Vielleicht verstehen Sie dann, 31
was ich meine.« Der Stämmige schob sich an ihnen vorbei und drückte eine breite Tür auf. Mike Rander blieb stehen und war tief beeindruckt. Was sich seinen Augen darbot, war fremd, bedrohlich und dennoch faszinierend. Parkers Gesicht hingegen ließ nicht erkennen, was er dachte. In seiner typischen Art lüftete er höflich die schwarze Melone und grüßte die Gruppe der Kämpfer, die sich in zwei Reihen gegenüberstanden, gutturale Schreie ausstießen und dann aufeinander losdroschen. Sie schenkten sich nichts. * »Eine verdammt harte Angelegenheit«, kommentierte Mike Rander, nachdem er einen Moment zugeschaut hatte, »blaue Flecke dürften da als selbstverständlich gelten, oder?« »Wir schenken uns nichts«, erwiderte Laura Lormond, »aber das alles läuft nach ganz bestimmten Regeln ab.« »Sieht aber gar nicht danach aus.« Rander verfolgte das wilde Kampfgetümmel, das von harten, überlauten Rufen und Schreien begleitet wurde. »Die Gegner, Sir, sind gehalten, ihre Schläge vorher anzukündigen«, schaltete Josuah Parker sich ein, »in der Kendotechnik unterscheidet man neben der sogenannten Grundhaltung das Suburi, das Shikake-Waza, das Oji-Waza und schließlich den eigentlichen Kampf. Ich möchte darauf verweisen, daß meine Wenigkeit für die erwähnten Begriffe den neutralen Artikel wählte.« »Aha.« Rander stutzte. »Den neutralen Artikel also. Hoffentlich beleidigen Sie damit nicht unsere Meisterin und Lehrerin im Kendo.« »Sie sind erstaunlich gut orientiert, Mr. Rander«, gab Laura Lormond zurück, »Sie kennen sich im Kendo also doch aus.« »Man war so frei, mir ein entsprechendes Handbuch zu überlassen«, gab Josuah Parker zurück, »wenn ich nicht sehr irre, bedeutet Suburi die Schwertübung im Gleiten und Gehen, nicht wahr?« »Das ist völlig richtig«, bestätigte die Meisterin. »Das Shikake-Waza dürfte dann der direkte Angriff sein, während man sich unter dem Begriff Oji-Waza den getäuschten An32
griff vorzustellen hat.« »Möchten Sie nicht einen Gang mit mir machen, Mr. Parker?« fragte die attraktiv aussehende Japanerin. »Wir möchten dann mit dem eigentlichen Kampf beginnen.« »Sie laden meine Wenigkeit zu einer sportlichen Übung ein, die meine Kräfte mit Sicherheit übersteigen wird.« »Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel«, lautete die Antwort der Asiatin. »Zudem fehlt es meiner Wenigkeit an der Ausrüstung«, gab Parker zurück, »mir fehlt der Hakama, die Keikogi, die Tare, der Do und schließlich, um das allgemeine Bild abzurunden, das Hachimake.« Josuah Parker handhabte diese Fachausdrücke mit einer Selbstverständlichkeit, die Mike Rander wieder mal verblüffte. Auch Laura Lormond sah den Butler überrascht an. »Könnte man mal erfahren, wovon Sie eben geredet haben, Parker?« wollte der Anwalt schließlich wissen. »Es handelt sich natürlich um den zweiteiligen Rock, Sir, und die Baumwolljacke. Danach erlaubte ich mir den Hüftschutz zu erwähnen, den Brustpanzer, und das Stirn- oder Schweißband. Hinzufügen möchte ich noch, daß zur Ausübung des Kendo dann noch die Gesichtsmaske, genannt Men und die Kote gehören, wobei es sich um Lederhandschuhe handelt. Ohne den Shinai, den eigentlichen Schlagstock aus Bambus, wäre ein Kampf selbstverständlich nicht durchzuführen.« »Möchten Sie wirklich nicht einen Gang mit mir machen?« wiederholte Laura Lormond ihr Angebot noch mal. »Meine Wenigkeit wäre ein willenloses Opfer, Miß Lormond«, behauptete der Butler. »Sobald ich das merke, soll der Kampf beendet sein. Wären Sie mit solch einer Lösung einverstanden?« »Nun zieren Sie sich doch nicht, Parker«, drängte der Anwalt. »Man beugt sich Ihrem Wunsch«, erwiderte der Butler und deutete in Richtung Miß Lormond eine Verbeugung an, »wenn Sie gestatten, werde ich jedoch nur eine Gesichtsmaske anlegen.« »Ich könnte Ihnen eine vollständige Ausrüstung anbieten, Mr. Parker«, antwortete Laura Lormond lächelnd. »Sie werden schnell wahrnehmen, daß dies ein unnötiger Zeitverlust sein wird«, meinte Parker doppelsinnig, »gehen Sie davon aus, daß der Waffengang in wenigen Minuten beendet sein wird.« Laura Lormond wandte sich an ihre Schüler und teilte ihnen mit 33
knappen Worten mit, daß sie sich mit einem interessierten Besucher messen wolle. Die Kämpfer bauten sich in zwei gegenüberliegenden Reihen auf und nahmen so etwas wie Haltung ein. Der Butler ließ sich von Laura Lormond einen Gesichtsschutz reichen und setzte die Maske auf. Zu Mike Randers Belustigung versäumte Parker es nicht, darüber wieder seine schwarze Melone aufzusetzen. Seinen Universal-Regenschirm reichte er dem Anwalt, der sich sicherheitshalber zurückzog, um das, was kommen sollte, ungestört zu beobachten. Laura Lormond hatte sich bereits wieder ihre Gesichtsmaske übergezogen, umspannte ihren Bambusstock mit beiden ledergeschützten Händen und wartete darauf, sich mit Parker messen zu können. »Meine Wenigkeit bittet bereits im vorhinein um Verzeihung«, sagte Josuah Parker, »rechnen Sie bitte nicht mit korrekten Schlägen, wie Sie hier gelehrt werden. Sie haben es mit einem Laien zu tun.« * Sie wollte ihn provozieren, stieß einen Kampfschrei aus, fintierte und wartete auf Parkers Antwort. Er führte den Bambusstock mit beiden Händen, wich zurück, schien verwirrt zu sein, konnte gerade noch einen Scheinschlag parieren und war, wie Mike Rander es sah, dem wirklichen Schlag in Richtung Kopf schutzlos ausgeliefert. Doch es kam alles ganz anders… Parker entwickelte aus dem Zurückweichen einen Schlag, der mit Wucht die Gesichtsmaske der Asiatin traf. Sie taumelte und mußte bereits den nächsten Schlag einstecken. Parker traf ihre ledergeschützten Hände und schaffte es offenbar mit spielerischer Leichtigkeit, ihr den Bambusstock aus den Händen zu prellen. Der Schlagstock segelte noch durch die Luft, als Laura Lormond von einem dritten Schlag voll erwischt wurde, der die obere Kante der Maske traf. Sie knickte ein und lag wenig später zu Füßen des Butlers, der seine schwarze Melone lüftete und sich dann von Mike Rander den Universal-Regenschirm zurückgeben Maß. Er legte den Bambusgriff über den linken Unterarm und schaute hinunter auf die Meisterin, die regungslos auf dem Boden lag. Ihre Ge34
sichtsmaske hatte sich gelöst und war weggerutscht. »Allmächtiger, Parker, wo haben Sie denn das nun wieder aufgeschnappt?« erkundigte sich Mike Rander. »Das war ja sagenhaft.« »Meine Wenigkeit empfindet deutliche Gewissensbisse«, entschuldigte sich Parker, als Laura Lormond in diesem Augenblick die Augen öffnete und ihn verwirrt anschaute, »ich fürchte, Sie hatten es mit einer mehr als unorthodoxen Kampfweise zu tun.« »Gratulation, Mr. Parker«, sagte sie mit seltsam spröder und rauher Stimme, »das hat bisher noch keiner geschafft.« »Dies alles ist mir ungemein peinlich.« »Das braucht Ihnen überhaupt nicht peinlich zu sein. Ich habe Sie einfach unterschätzt. Und das soll nicht wieder vorkommen.« »Sie planen einen zweiten Waffengang mit meiner Wenigkeit?« »Hätten Sie was dagegen?« Die Kendo-Dame schien sich wieder unter Kontrolle zu haben. Sie sah sich nach ihren Schülern um, die die bisher gezeigte Disziplin aufgegeben hatten und sich leise miteinander unterhielten. »Vielleicht später«, fügte Laura Lormond hinzu, »darf ich Ihnen jetzt eine Erfrischung anbieten? Wir können in mein Büro gehen.« »Sie sehen mich untröstlich«, entschuldigte sich der Butler noch mal. Er hatte die Gesichtsmaske abgenommen und sich in einen überkorrekten Butler rückverwandelt. »Ich bin sicher, daß Sie Kendo bereits betrieben haben, Mr. Parker«, gab sie zurück. »Vielleicht unbewußt, Miß Lormond«, lautete Parkers Antwort, »Sie sind meiner Wenigkeit also nicht sonderlich gram?« »Ich würde Sie am liebsten sofort als Instrukteur einstellen«, antwortete sie und lächelte, »Ihr Schlag ist ungewöhnlich hart.« »Sie treiben die Röte der Verlegenheit in mein Gesicht«, behauptete Josuah Parker, »es dürfte sich um drei Glückstreffer gehandelt haben.« »Die Sie aber blitzschnell und zielsicher anbrachten«, meinte sie anerkennend, »ich glaube, Sie würden sogar mit meinen Lehrern noch fertig werden.« »Wo haben Sie Kendo gelernt?« wollte Rander wissen, während man in Laura Lormonds Büro ging. »In Japan, wo ich aufgewachsen bin«, erwiderte sie, »mein Vater war Engländer, meine Mutter Japanerin. Ich lebe schon seit vielen Jahren wieder hier in London.« 35
»Und wurden vor ein paar Stunden von einigen Schlägern belästigt, nicht wahr?« Mike Rander wechselte zum eigentlichen Thema. »Drei Schläger.« Sie nickte. »Sie benahmen sich flegelhaft und wurden zudringlich. Ich mußte sie zur Ordnung rufen. Sie wissen von diesem Zwischenfall?« »Durch einen Zufall«, meinte Mike Rander. Man hatte das spartanisch eingerichtete Büro erreicht, das ebenfalls im traditionell japanischen Stil eingerichtet war. »In diesem Zusammenhang sollte man hinzufügen, daß Mr. Rander nach einer gewissen Kendo-Queen fahndet«, schaltete der Butler sich ein, »gewissen Gerüchten zufolge soll erwähnte Kendo-Queen die Leiterin einer Kendo-Truppe sein, die sich auf gewisse kriminelle Handlungen spezialisiert hat.« »Das kann doch wirklich nur ein Gerücht sein«, erwiderte Laura Lormond und schüttelte den Kopf, »ein echter Kendo-Sportler würde so etwas nie tun.« »Es könnte sich um Kendo-Sportler handeln, die nicht mehr organisiert sind«, erwiderte der Butler. »Das wäre natürlich möglich«, räumte Laura Lormond ein. »Ich denke da an Leute, die man, sagen wir, ausgestoßen hat, weil sie die Regeln mißachteten.« »Gibt es solche Leute?« erkundigte sich der Anwalt prompt. »Immer wieder«, gestand Laura Lormond, »es sind Männer, die ihre Kenntnisse im Privatleben über den gültigen Rahmen hinaus anwenden.« »Was nicht sein darf, wie?« »Auf keinen Fall«, erklärte sie entschieden, »im Privatleben darf man sich wirklich nur angemessen zur Wehr setzen, wenn man tätlich angegriffen wird. Die Grenzen sind hier eng gezogen, weil diese Kenntnisse lebensgefährlich ausgeübt werden können.« »Kennen Sie so ein paar schwarze Schafe, Miß Lormond?« fragte der Anwalt. »Leider«, seufzte sie, »aber bitte, verstehen Sie mich, diese ehemaligen Schüler möchte ich auf keinen Fall belasten oder gar verdächtigen. Aber ich werde Ihnen versprechen, daß ich mich mit diesen Personen sofort in Verbindung setzen werde.« »Das könnte hilfreich sein«, sagte Mike Rander, »würden Sie uns aber auch verständigen, falls Sie auf einen Verdacht stoßen?« »Das kann ich Ihnen nicht versprechen«, schränkte Laura Lor36
mond sofort ein, »darüber muß ich erst noch gründlich nachdenken.« * »Das geht ja wie geschmiert«, stellte der Anwalt nach zehn Minuten fest, »und schon erscheint die Dame auf der Bildfläche.« »Miß Lormond möchte sich so schnell und unauffällig wie möglich mit ihren ehemaligen Schülern in Verbindung setzen«, pflichtete Parker dem Anwalt bei. Die beiden Männer saßen in Parkers hochbeinigem Monstrum und folgten dem dunkelgrünen Ford, der aus dem Torbogen kam. Laura Lormond war allein im Wagen, dachte überhaupt nicht daran, beschattet zu werden und schien es sehr eilig zu haben. »Mache oder nicht, das ist hier die Frage«, sagte Mike Rander, während Parker seinen hochbeinigen Wagen in Bewegung setzte. »Man sollte oder könnte echte Besorgnis, oder auch ein Täuschungsmanöver unterstellen, Sir«, lautete des Butlers Antwort. »Wie gut war Laura Lormond mit dem Bambusschwert, Parker?« »Exzellent, Sir, wäre hier der richtige Ausdruck für die Handhabung des Kendostocks.« »Und woher haben Sie diese Kenntnisse, Parker?« »Durch das Schnellstudium einschlägiger Literatur, Sir, wurde meine Wenigkeit in die Lage versetzt, die Angriffe zu parieren. Es steht allerdings zu befürchten, daß gewisse Grundregeln mißachtet werden mußten.« »Deshalb würde ich mir an Ihrer Stelle keine grauen Haare wachsen lassen, Parker.« Mike Rander lächelte. »Miß Lormond hat abgestritten, daß einige ihrer Schüler den Laden von Ernest Pantree demoliert haben. Nehmen wir ihr das ab?« »Es dürfte sich vorerst nur um eine Erklärung handeln, Sir, der man nachgehen sollte. Dies bezieht sich auch auf die beiden Samurai, die meine Person in der Hochgarage belästigten.« »Na, diese beiden Figuren dürften inzwischen von Lady Simpson eingehend befragt werden. Wahrscheinlich haben die bereits ihre ersten blauen Wunder hinter sich.« »Mylady können in der Tat sehr nachdrücklich sein«, fand der Butler. 37
»Ich denke über Ihre Theorie nach, Parker.« Rander lehnte sich entspannt zurück, »die Maskerade der Gangster, die bisher abgeräumt haben, ist tatsächlich zu eindeutig. Alles deutete wie mit dem Zeigefinger auf die Kendoschulen hin. Das muß Absicht sein.« »Es könnte sich auch um ein doppeltes Täuschungsmanöver handeln, Sir. Mylady deutete dies bereits an.« »Werden wir um Mitternacht zum vereinbarten Treff erscheinen? Falls Laura Lormond die Kendo-Queen ist, weiß sie jetzt, was sie von Ihnen zu erwarten hat.« »Man könnte möglichen Angriffen unkonventionell begegnen, Sir.« »Ich wette, Sie haben sich schon wieder was einfallen lassen, oder?« »Man sollte stets das tun, Sir, was der Gegner nicht erwartet.« »Moment mal, unsere Kendodame legt an«, sagte der Anwalt, »sie scheint uns eine erste Adresse liefern zu wollen.« »Solch eine Möglichkeit sollte man nicht ausschließen, Sir.« Parker hielt am Straßenrand und beobachtete ebenfalls Laura Lormond, die gerade ihren Wagen verließ und zu einem kleinen Reihenhaus im Norden der Stadt eilte. Sie läutete kurz und brauchte nicht lange zu warten. Die Tür wurde geöffnet, doch weder Parker noch Mike Rander konnte sehen, wer da geöffnet hatte. »Was erwartet sie wohl von uns?« Rander hatte sich eine Zigarette angezündet und sah Parker fragend an. »Die Kenntnisnahme dieser Adresse, Sir«, gab Parker zurück, »und mit weiteren Besuchsfahrten dürfte fest zu rechnen sein.« »Ob Pantree auf der richtigen Fährte war, als er drei Schläger in ihre Schule schickte?« »In der sogenannten Halb- und Unterwelt, Sir, dürfte man erheblich mehr wissen als im Sonderdezernat des Mr. McWarden«, gab Parker zurück. »Mr. Ernest Pantree dürfte die drei jungen Männer sicher nicht ohne Grund ausgerechnet in die Kendoschule der Miß Lormond geschickt haben, wenn man so sagen darf.« Parker hatte die Lage wieder mal richtig beurteilt. Laura Lormond absolvierte insgesamt vier Besuche und tat alles, damit ihre beiden Verfolger dies auch in Ruhe zur Kenntnis nehmen konnten.
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* Agatha Simpson befand sich in bester Stimmung. Sie war dabei, ihren Kreislauf zu stärken, als Butler Parker und Mike Rander am Abend zurückkehrten. Sie hielt sich in der großen Wohnhalle vor dem offenen Kamin auf und nickte huldvoll, als die beiden Männer eintraten. »Darf man sich respektvoll nach dem werten Befinden erkundigen?« fragte Parker. »Ich habe einen sehr anstrengenden Nachmittag hinter mir«, gab Lady Agatha zurück, »die beiden Lümmel im Gästezimmer haben sich erfrecht, mich anzugreifen.« »Eindeutig ohne jeden Erfolg, Mylady.« Rander lächelte wissend. »Nun ja, ich habe sie zur Ordnung gerufen«, meinte die ältere Dame, die Zimperlichkeit nicht kannte, »die beiden Ritter klagen jetzt wahrscheinlich über Kopfschmerzen.« »Mylady sahen sich gezwungen, deutlich zu werden?« fragte der Butler. »Sehr deutlich sogar«, stimmte Agatha Simpson zu, »aber lassen Sie sich von Miß Porter erzählen, was passiert ist.« »Die beiden Samurai wollten Mylady mit Jiu-Jitsu überrumpeln«, berichtete Kathy Porter, die seitlich hinter der Detektivin Aufstellung genommen hatte. »Es blieb natürlich bei diesem dilettantischen Versuch«, schaltete die ältere Dame sich sofort wieder ein und deutete auf ihren perlenbestickten Handbeutel, der vor ihr auf dem Couchtisch lag, »diese beiden Subjekte kühlen gerade ihre Gesichtsbeulen und Schwellungen an den Beinen.« »Schwellungen an den Beinen?« wunderte sich der Anwalt. »Ich habe natürlich gegen die Schienbeine dieser Flegel getreten«, erklärte Agatha Simpson wie selbstverständlich, »das brachte sie sofort aus dem Gleichgewicht.« »Ich brauchte überhaupt nicht einzugreifen«, meinte Kathy Porter, »es ging alles blitzschnell über die Bühne.« »Waren die beiden Gäste danach in der Lage, Mylady, gewisse Angaben zu machen?« forschte Parker höflich. »Das eigentlich weniger«, räumte die kriegerische Lady ein, »aber dies läßt sich ja nachholen, denke ich. Mir ging es erst mal darum, diesen Rittern Respekt beizubringen.« 39
Parker erkundigte sich, ob Bedenken bestünden, daß er nach den beiden Samurai sehen dürfe, und Agatha Simpson verzichtete auf jeden Einwand. Sie wollte sich von Mike Ränder jetzt berichten lassen, was man in der Kendoschule erreicht hatte. Parker verbeugte sich knapp und begab sich ins Souterrain des Hauses. Die beiden Ritter lagen auf ihren schmalen Couchbetten und machten einen angeschlagenen Eindruck. Sie litten noch unter den Nachwirkungen des Besuches, den Lady Agatha ihnen abgestattet hatte. Parker grüßte knapp, aber nicht unhöflich und erkundigte sich nach dem allgemeinen Befinden der Herren. Sie starrten ihn an und schlossen die Augen. »Bitte, mißverstehen Sie mein Kommen nicht«, schickte Parker voraus, »selbst mit dem Versuch einer Befragung brauchen Sie keineswegs zu rechnen. Es ist mir nur ein Herzensbedürfnis, Sie zu warnen, da Lady Simpson sich bald anschicken wird, das Verhör fortzusetzen.« »Halten Sie uns bloß diese alte Furie vom Leib«, sagte einer der beiden Männer, »zum Teufel, so was haben wir noch nie erlebt.« »Sie wurden handgreiflich, wie meiner Wenigkeit berichtet wurde.« »Wir wollten raus, mehr nicht«, redete der vorgebliche Samurai in englisch weiter, »wir sind doch gekidnappt worden – oder etwa nicht? Das ist gegen das Gesetz. Mann, Sie können sich schon jetzt auf ’ne sagenhafte Schadenersatzklage einrichten, darauf können Sie Gift nehmen.« »Darf man höflich daran erinnern, daß Sie die eindeutige Absicht hatten, meine Wenigkeit mit echten Schwertern zu attackieren?« »Das müssen Sie erst mal beweisen«, erwiderte der japanische Ritter, dessen Gesichtsbemalung bereits erheblich gelitten hatte, wie auch die seines Partners. Die bunten Streifen, die diesen Gesichtern ein dämonischhöllisches Aussehen verliehen hatten, liefen ineinander über und zeigten die weiße Haut der beiden Männer. »Diese Absicht besteht keineswegs«, meinte Josuah Parker, »Mylady hat angeordnet, daß gewisse Dinge intern zu regeln sind.« »Was soll denn das heißen?« fragte der zweite Samurai, der natürlich keiner war. Er hatte bisher aufmerksam zugehört. 40
»Es besteht die Absicht, Sie zu treuen Händen an Interessenten weiterzureichen.« »Ich verstehe kein Wort.« »Die Beute, die Ihre Gruppe bisher machen konnte, hat den Appetit einiger Vertreter der sogenannten Unterwelt gereizt«, behauptete Parker, »Mylady wird Sie, meine Herren, diesen Personen in die Hände spielen, die dann von Mylady beschattet werden.« »Sind Sie verrückt? Das wäre ja glatter Mord!« Der zweite Samurai richtete sich auf. »Keineswegs«, widersprach Parker, »Sie brauchen diesen Personen ja nur mitzuteilen, für wen Sie Ihre Schwerter schwangen, wenn ich es mal so ausdrücken darf.« »Sie wissen doch genau, mit welchen Methoden diese Kerle arbeiten.« Das sagte der erste Samurai, der eindeutig in Panik geriet. »Ihnen steht frei, schnell und präzise zu antworten.« »Wir können doch unsere Organisation nicht in die Pfanne hauen«, beschwerte sich der Samurai. »Die Entscheidung liegt ausschließlich bei Ihnen.« »Und was ist, wenn wir hier auspacken?« Der zweite Samurai stand auf, doch er hatte keineswegs die Absicht, den Butler anzugreifen, wie deutlich zu erkennen war. »Meine Wenigkeit möchte Sie auf keinen Fall drängen.« »Geben Sie uns ‘ne Stunde Zeit, damit wir überlegen können.« »Dreißig Minuten müßten reichen, meine Herren«, erklärte der Butler, »Mylady gedenkt, eine Kendoschule zu besuchen, deren Leiterin man die Kendo-Queen nennt.« »Und damit ist sie genau auf der falschen Spur«, sagte der zweite Samurai und lächelte spöttisch, »aber bitte, wie die Lady will.« »Sie kennen den Ausdruck >Kendo-Queen<, meine Herren?« »Es gibt mehrere davon«, sagte der erste angebliche Samurai und winkte ein wenig überheblich ab. »Dies alles können Sie jenen Personen auseinandersetzen, die brennend an Ihrer Aussage interessiert sind«, meinte Josuah Parker und wandte sich der Tür zu, »es sei denn, Sie bestehen darauf, Mylady zu informieren. Ich werde mir erlauben, in dreißig Minuten noch mal vorzusprechen.« Parker verließ das Gästezimmer und wußte bereits im vorhinein, 41
wie die beiden angeblichen Samurai sich entschließen würden. Sie hatten die Unterwelt zu fürchten und würden sich Lady Agatha anvertrauen und sie wahrscheinlich mit falschen Tips und Hinweisen bedienen. Doch dies machte dem Butler nichts aus. Er war ohnehin der Ansicht, daß auch diese beiden Männer nicht wußten, von wem sie gesteuert worden waren. Die Kendo-Queen im Hintergrund war eine Frau, die ihre Spuren sicher geschickt verwischt hatte… falls diese sogenannte »Kendo-Queen« überhaupt die Organisation anführte! * »Natürlich werde ich die beiden Subjekte im eigenen Saft schmoren lassen«, sagte Lady Agatha. »Sie haben zufällig recht, Mr. Parker, diese Flegel werden mir nichts als Lügen auftischen.« »Zumal sie sicher kaum wissen dürften, wer ihr Auftraggeber ist«, fügte der Butler hinzu. »Aber ich weiß es.« Agatha Simpson nickte wieder mal sehr nachdrücklich. »Es ist diese Laura Lormond, das spüre ich in den Fingerspitzen.« »Dieser Verdacht drängt sich auf«, fand Mike Rander, »denken wir doch an Ernest Pantree. Er weiß, was so in Kreisen der Unterwelt geredet wird. Er hat nicht umsonst seine drei Schläger in die Kendoschule geschickt.« »Für mich ist der Fall eigentlich schon gelöst«, erklärte die Detektivin optimistisch wie stets, »ich brauche diese Lormond nur noch zu überführen, doch das werde ich Ihnen überlassen, Mr. Parker, damit auch Sie mal ein Erfolgserlebnis haben.« »Mylady sind zu gütig.« In Parkers Pokergesicht rührte sich kein Muskel. »Wird es nicht Zeit, zu diesem Treffpunkt zu fahren?« Lady Agatha deute auf die alte Wanduhr in einer Ecke der Wohnhalle. »Ich frage mich, ob ich nicht eines der Schwerter mitnehmen soll, die mir die beiden Samurai ins Haus gebracht haben. Eigentlich eine hübsche Vorstellung, mal ein Samuraischwert zu benutzen.« »Wollen wir nach dem Besuch in der Kendoschule tatsächlich noch zu diesem Treffen?« warf Mike Rander ein. »Wird das überhaupt noch etwas bringen?« 42
»Sie wollen mich um ein hübsches Intermezzo bringen, Mike?« fragte Lady Agatha und wandte sich dann dem Butler zu. »Sagen Sie doch was, Mr. Parker… Sie wissen doch, wie meine Antwort lautet.« »Man könnte in der Tat auf diese Art herausfinden, Sir, ob Miß Lormond erscheinen wird.« »Sie selbst wird bestimmt nicht kommen, falls Sie den Treff arrangiert haben sollte, oder?« »Miß Lormond – vorausgesetzt, sie ist die erwähnte KendoQueen – dürfte sich inzwischen echte Chancen ausrechnen«, argumentierte Josuah Parker, »Miß Lormond wird annehmen, Mylady berechnen zu können.« »Wollen Sie mir diese Fahrt etwa auch ausreden, Kindchen?« Agatha Simpson sah Kathy Porter erwartungsvoll an. »Das nicht, Mylady, doch man sollte mit bösen Überraschungen rechnen«, erwiderte Myladys Sekretärin, »die Gangster hatten Zeit, den Schauplatz zu präparieren.« »Sie rechnen hoffentlich damit, Mr. Parker.« Lady Agathas Blick wurde streng, als sie Parker anschaute. »Wo genau erwartet man mich?« »Um Mitternacht bei den Royal Albert Docks, Mylady, eine Gegend, die nur als recht unübersichtlich bezeichnet werden kann.« »Und wo genau dort?« lautete Mike Randers Frage. »Auf dem Gelände einer ehemaligen Reparaturwerft, Sir, die sich im Stadium der fortgeschrittenen Demontage befindet.« »So was hatte ich vermutet. Die Vorteile liegen einzig und allein auf der Gegenseite.« »Oder auch nicht, mein lieber Junge.« Lady Agathas Wangen färbten sich rosig. »Ich werde selbstverständlich meinen Sportbögen mitnehmen. Das ist stilvoll und paßt zu diesen Samurai, nicht wahr, Mr. Parker?« »Voll und ganz, Mylady«, bestätigte Josuah Parker, »Myladys Waffe könnte auf der erwähnten Gegenseite einige Verwirrung und Verblüffung auslösen. Man sollte allerdings auch nicht ausschließen, daß man mit Schußwaffen dienen wird.« »Treffen Sie alle Vorbereitungen, Mr. Parker, ich verlasse mich auf Sie. Mit Details gebe ich mich nicht ab, mich interessiert nur die große Linie eines Kriminalfalls.« Parker deutete eine Verbeugung an und begab sich dann in seine privaten Räume. Im sogenannten Labor, einem großen Raum, 43
der mit technischem Gerät vollbepackt war, öffnete er zwei eingebaute Wandschränke und nahm sich viel Zeit. Es galt schließlich, wieder mal Schaden von Lady Agatha abzuwenden. Als er seine Wahl getroffen hatte und wieder ins Erdgeschoß gehen wollte, meldete sich das Telefon, das er nach unten durchgestellt hatte. Parker hob ab, nannte seinen Namen und hörte erst mal ein leises, amüsiertes Lachen. »Darf ich Sie zu Ihrer offensichtlich guten Laune beglückwünschen?« fragte Parker höflich. »Dürfen Sie, Parker«, erwiderte die undeutliche Stimme, die er bereits schon mal gehört hatte, »Sie vergessen doch nicht unseren Treff, oder?« »Man wird sich pünktlich einfinden.« »Haben Sie die Polizei eingeschaltet?« »Sie stand und steht nicht zur Debatte.« »Vergessen Sie nicht, das Geld mitzubringen! Meine KendoQueen rechnet fest damit…« »Sie sprechen nicht zufällig von Miß Lormond?« Nachdem Parker diese Frage gestellt hatte, wurde es auf der Gegenseite für einen Moment ruhig. Dann erfolgte ein Räuspern, das in ein leichtes Hüsteln überging. »Wer ist Miß Lormond?« wollte die undeutliche Stimme wissen. »Es handelt sich um eine Fangfrage«, bekannte der Butler, »in einer Stunde wird Lady Simpson Ihnen das Beutegeld zurückerstatten. Nach welchem Modus soll die Übergabe abgewickelt werden?« »Sehr einfach, Parker: Sie stellen die Tasche mit dem Geld ab und verschwinden wieder. Mehr brauchen Sie gar nicht zu tun. Sobald wir wissen, daß wir nicht geleimt worden sind, können Sie ohne Ärger wieder verschwinden.« Parker legte auf, doch er wählte umgehend eine ganz bestimmte Nummer. Es meldete sich ein gewisser Horace Pickett, der dem Butler umgehend bestätigte, daß er seine Freunde schon vor Stunden in Marsch gesetzt habe. * Horace Pickett war ein weißhaariger Gentleman alter Schule, etwa sechzig Jahre alt und etwa so groß wie Parker. Er trug aller44
dings einen leichten Bauchansatz, hielt sich jedoch straff und erinnerte an einen pensionierten Offizier. Dazu trug der gepflegte Schnurrbart bei, der sorgfältig gestutzt war. Pickett trug in dieser Nacht einen dunklen Staubmantel, einen Travellerhut und eine kleine Herrenhandtasche. Man sah diesem Mann keineswegs seine bewegte Vergangenheit an. Horace Pickett war mal so etwas wie der König der Taschendiebe gewesen, hatte sich selbst jedoch stets als Eigentumsumverteilter bezeichnet. Er hätte es für tief unter seiner Würde gehalten, Leute mit normalem Einkommen mit seinen geschmeidigen Fingern zu beehren. Seine seinerzeitige Klientel hatte aus Kreisen bestanden, die einen Geldverlust ohne weiteres verschmerzten. Inzwischen wandelte Horace Pickett nur noch auf dem Pfad der Tugend. Er fühlte sich dem Butler unendlich verpflichtet und machte sich eine Ehre daraus, hin und wieder für ihn tätig zu sein. Picketts Verbindungen erwiesen sich dabei immer wieder als unbezahlbar. Pickett hatte das hochbeinige Monstrum des Butlers in einer vorher ausgemachten Straße überholt, seinen Wagen verlassen und lächelte Parker erfreut an. »Alles bereit«, sagte Pickett, »acht Bekannte von mir haben das Gelände schon seit Stunden besetzt.« »Diese Mitarbeiter sind sich der Gefahr der Lage voll bewußt, Mr. Pickett? Es handelt sich um Gegner, die mit recht ungewöhnlichen Mitteln kämpfen werden.« »Ich weiß Bescheid, Mr. Parker, und habe alles weitergegeben. Wir müssen mit falschen und echten Schwertern rechnen, nicht wahr?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mr. Pickett. Mylady bedankt sich übrigens bereits jetzt und hier für Ihre wertvolle Mitarbeit. Der entsprechende Scheck für Ihre Mitarbeiter wird morgen per Post an Sie abgehen.« »Wogegen ich protestierte, Mr. Parker«, verwahrte sich Horace Pickett, »Sie wissen doch genau, daß ich kein Geld annehme, wenn es sich um Lady Agatha oder um Sie handelt.« »Eine Aufwandsentschädigung, über die Sie nach Belieben verfügen können, Mr. Pickett. Könnte man bereits einen ersten Lagebericht bekommen?« »Das Werftgelände ist von Mauern und hohen Drahtzäunen abgesichert«, berichtete Pickett, »es gibt aber eine Menge Durch45
schlüpfe. Tagsüber scheinen Kinder dort zu spielen. Außer einigen Montagehallen, die allerdings leer sind, gibt es nur noch ausgedehnte Kelleranlagen und zwei Steinbaracken.« »Man wies meine Wenigkeit an, die Geldtasche zwischen diesen beiden Steinbaracken abzulegen, Mr. Pickett.« »Dann könnten Sie normalerweise ganz schön ins Kreuzfeuer genommen werden.« »Eine Vorstellung, mit der man rechnen sollte. Sie haben dagegen bereits etwas unternommen?« »Ich habe drei rostige Blechwannen abstellen lassen, die mit einigen Kilo Mehl gefüllt sind, Mr. Parker. So hatten Sie’s ja bestellt.« »Sie haben also den erbetenen kleinen Sprengsatz angebracht, Mr. Pickett?« »Möglich, daß er etwas zu groß ausgefallen ist, Mr. Parker«, erwiderte der ehemalige Eigentumsumverteilter, »aber die Fernzündung steht. Ich selbst werde sie übernehmen.« »Ich möchte nicht versäumen, mich herzlichst zu bedanken, Mr. Pickett.« »Sie wissen doch, wie gern ich für Sie so etwas übernehme, Mr. Parker.« »Es ist immer wieder eine tiefe Freude, mit Ihnen zusammenarbeiten zu können, Mr. Pickett. Darf ich noch mal auf den Zeitpunkt der Zündung zurückkommen?« »Sie werden einen Lichtblitz auslösen, nicht wahr?« »Wie telefonisch besprochen.« Josuah Parker nickte. »Schärfen Sie Ihren Bekannten oder Freunden ein, daß sie sich auf keinen Fall in die Geschehnisse einschalten dürfen. Die zu erwartenden Gegner werden mit einiger Sicherheit scharfe Schwerter verwenden.« »Sie sollen später nur die Gangster verfolgen, ich weiß, Mr. Parker.« »Dann sollte man jetzt den Tatsachen ins Auge sehen, Mr. Pickett.« Parker lüftete seine schwarze Melone. »Ich wünsche eine überaus gute Verrichtung, wenn ich so sagen darf.« Die beiden Männer trennten sich. Parker schritt gemessen zurück zu seinem hochbeinigen Monstrum und setzte sich ans Steuer. »Endlich«, meinte die ältere Dame, die deutliche Zeichen von Ungeduld verriet, »ich möchte mir diese Kendo-Queen aus der 46
Nähe ansehen, Mr. Parker. Hoffentlich werde ich nicht enttäuscht.« * Josuah Parker hatte keine Bedenken, das Gelände zu betreten, das der Anrufer ihm als Treffpunkt bezeichnet hatte. Gleich nach diesem Gespräch hatte der Butler sich mit Horace Pickett in Verbindung gesetzt und seine Gegenmaßnahmen eingeleitet. Er konnte deshalb sicher sein, daß die Kendo-Gangster nicht wußten, daß dieses ehemalige Werftgelände inzwischen ein wenig präpariert worden war. »Sehr unheimlich«, fand Lady Agatha und nickte zufrieden, als Parkers hochbeiniges Monstrum sich langsam den beiden Steinbaracken näherte. Ihre Feststellung wurde nicht aus einer gewissen Angst heraus getroffen, eher war das Gegenteil der Fall. Agatha Simpson liebte solche Unternehmungen, zumal sie überhaupt kein Gefühl für Angst kannte. »Mag der Henker wissen, wo die Samurai stecken«, meinte der Anwalt und gab sich alle Mühe, in der herrschenden Dunkelheit etwas zu erkennen, »ich bezweifle fast, daß sie überhaupt gekommen sind, Parker. Vielleicht weiß man inzwischen, wie gut Sie sind im Kendo.« »Nun übertreiben Sie nicht gleich, Mike«, warf Lady Agatha schnell ein, »Mr. Parker wird halt an eine Anfängerin geraten sein.« »Wenn es erlaubt ist, wird meine Wenigkeit erst mal eine Sondierung der allgemeinen Lage vornehmen«, erklärte der Butler, »darf ich Sie bitten, sich einen Moment zu gedulden?« Er wartete die Antwort seiner Herrin nicht ab, sondern drückte die Fahrertür auf und stieg aus. Da er die Lichter des Wagens ausgeschaltet hatte, war er in der Dunkelheit nicht auszumachen. Sein schwarzer Covercoat und die in gleicher Farbe gehaltene Melone ließen ihn zu einem Teil der Nacht werden. Parker rechnete durchaus mit einem Angriff. Er war in der Kendoschule gewesen und hatte dort bewußt gezeigt, daß man Kendokämpfer nicht zu scheuen braucht. Die Kendo-Gangster mußten einfach ein Interesse daran haben, ihre Gegner gründlich auszuschalten. Ob Laura Lormond allerdings die gesuchte Kendo47
Queen war, mußte sich erst noch herausstellen. Parker hatte sich, was sie betraf, noch nicht festgelegt. Sein Wissensstand war noch zu gering. Parker, der einige Schritte getan hatte, hörte plötzlich von den fast demontierten Montagehallen her das aufgeschreckt-wütende Fauchen einer Katze und wußte damit, daß er nicht allein auf dem ehemaligen Werftgelände war. Dieses Fauchen war mit Horace Pickett vereinbart worden und zeigte an, daß sich Besucher eingestellt hatten. Der Butler hakte seinen Universal-Regenschirm vom angewinkelten linken Unterarm und machte sich bereit, etwaige Angriffe zu parieren. Wahrscheinlich hatten die Kendo-Gangster sich außerhalb vom Gelände aufgehalten und rückten erst an, nachdem sie sicher sein konnten, daß der hochbeinige Wagen nicht von Polizeiwagen begleitet wurde. Wo die angeblichen Samurai sich aufgehalten hatten, konnte der Butler sich leicht vorstellen. Er dachte an den Kastenlieferwagen, von dem Kathy Porter und Lady Simpson berichtet hatten, als sie Zeugen des Banküberfalls gewesen waren. An einem nächtlichen Schwertkampf war Josuah Parker nicht interessiert. Die Gefahr einer schweren Verletzung war unter diesen Sichtverhältnissen einfach zu groß… Er war stehengeblieben und wartete, bis die Gangster sich seiner Schätzung nach genähert hatten. Er rechnete mit sportlich durchtrainierten und daher schnellen Kämpfern. Lange durfte er nicht warten, um seinen Lichtblitz zu zünden. Im Licht der Scheinwerfer hatte er vor wenigen Augenblicken zwei Eisenträger gesehen, die senkrecht im Boden standen und wohl früher die Stützen eines Daches waren. Parker erreichte sie und tastete mit der linken, schwarz behandschuhten Hand nach ihnen. Als er den Kontakt hergestellt hatte, schloß er fest die Augen und zündete das vorbereitete Blitzlicht. Dieser Blitzlichtwürfel, groß dimensioniert und aus seinem privaten Labor stammend, befand sich an der Spitze des Universalschirmes. Grellweißes Licht flammte auf und tauchte die Umgebung in unwirklich-kalkiges Licht. Parker öffnete die Augen und hatte Mühe, die Blendwirkung zu überspielen, die sich trotz der geschlossenen Augen bemerkbar machte. Doch er sah genug. Knapp vor ihm standen zwei KendoGangster, die gerade ihre Schwerter schwangen. Obwohl diese 48
Männer völlig geblendet sein mußten, schlugen sie hart und blitzschnell zu. * »Teufel, das war eng«, stieß Mike Rander hervor und drückte seine Wagentür auf. Er hatte gerade mitbekommen, wie die beiden »japanischen Ritter« zuschlugen in der festen Absicht, Parker der Länge nach zu durchschneiden. Der Butler jedoch war elegant nach hinten ausgewichen und sorgte dafür, daß die Klingen der Schwerter an den Eisenträgern entlangschrammten. Funken sprühten, und vom Schwung mitgerissen, fielen die beiden Angreifer nach vorn. Sie trugen Kendo-Gesichtsmasken und waren auf normale Art sicher nicht auszuschalten, doch Josuah Parker fand auch in dieser Situation das richtige Mittel. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Regendaches angelte er zielsicher nach der Kniekehle eines der Männer. Ein kurzer, energischer Ruck erfolgte. Der »Ritter« brüllte auf und legte sich anschließend mit dem Rücken auf den Boden. Dem zweiten »Ritter« wurde ein Schlag auf die rechte Kniescheibe gesetzt. Der Getroffene jaulte wie ein mondsüchtiger Hund und nahm übel. Er tanzte auf dem noch intakten Bein und vergaß völlig, daß er ein Schwert in Händen hielt. Bevor er sich daran wieder erinnern konnte, lag dann auch er auf dem schuttbedeckten Boden. Butler Parker hatte es nicht versäumt, ihm das Standbein wegzuziehen. Mike Rander aber sah inzwischen nichts mehr. Was er da gerade mitbekommen hatte, war blitzschnell geschehen und nur noch Nachklang auf der Netzhaut seiner Augen gewesen. Er duckte sich instinktiv und hörte in der Nähe ein scharrendes Geräusch. Dann spürte der Anwalt an seiner linken Seite einen scharfen Luftzug. Rander drückte sich vom Boden ab, warf sich waagrecht in die Luft und trat mit dem rechten Fuß halbhoch in die Luft. Er traf auf harten Widerstand, hörte Grunzen und sofort danach einen dumpfen Fall. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Eine Detonation war zu hören, und eine Sekunde danach wirbelte dichter Staub durch die Luft, der einen grauweißen Schimmer aufwies. Rander dachte sofort an die Mehlbombe, die Parker hatte 49
vorbereiten lassen. Er war inzwischen auf dem Boden gelandet und rollte sich auf dem Rücken ab. Deshalb sah er wesentlich deutlicher, was sich abgespielt hatte. Von einigen Stellen des Geländes her bissen sich Lichtfinger in die dicke Mehlwolke und erhellten notdürftig die Szene. Schemenhaft waren unförmig aussehende Gestalten auszumachen, die die Flucht ergriffen und mit Armen und Händen durch den Mehlstaub wedelten, um etwas zu erkennen. Es handelte sich um KendoGangster, die das dringende Bedürfnis hatten, sich so schnell wie möglich zu empfehlen. Rander machte eine große, stattliche Gestalt aus. Sie marschierte zielsicher und energisch auf den Kendo-Gangster zu, den Rander mit einem Fußtritt auf den Boden geschickt hatte. Dieser Mann, der die typische Kleidung der Kendosportler trug, wollte gerade aufstehen und seinen Freunden folgen. Er kam jedoch nicht weit. Die majestätische Gestalt löste aus ihrer rechten Hand ein Wurfgeschoß, das durch den dichten, wallenden Mehlstaub zischte und sich auf den Hinterkopf des Flüchtenden legte. Der »Ritter« absolvierte einen Salto vorwärts und landete erneut auf dem Schutt, diesmal aber auf der Bauchseite. Die fällige Gestalt der Werferin sah allerdings nicht, daß hinter ihr ein schwertschwingender Kendokämpfer auftauchte, der um ein Haar mit Agatha Simpson zusammengestoßen wäre, denn sie war es gewesen, die den Gegenstand geschleudert hatte. Bevor Mike Rander eine Warnung ausstoßen konnte, flog aus dem wallenden Staub eine schlanke Gestalt durch die Luft und sprang den Schwertschwinger an. Kathy Porter hatte sich eingesetzt. Sie war wesentlich perfekter als Mike Rander, was den Sprung betraf, und fällte mit beiden Füßen den »Ritter«, bevor er mit seinem Schwert zuschlagen konnte. Der Angreifer fiel zu Boden, raffte sich wieder auf und sah sich dann der älteren Dame gegenüber, die auf die Gefahr aufmerksam geworden war. Agatha Simpson erledigte den Rest auf ihre typische Art. Sie verzichtete auf alle Regeln fairer Kampfweise und trat schlicht und einfach gegen das Schienbein des Mannes, der gerade kniete. Der Kendo-Ritter brüllte und fiel auf die Seite. Lady Agatha hatte bereits das Kendoschwert aufgehoben und zeigte die deutliche Neigung, es auch zu verwenden. Sie war bereit, die Leder50
Bambus-Rüstung des Mannes auf ihre Durchlässigkeit zu testen. »Mylady waren bewundernswert«, ließ Parker sich in diesem Moment vernehmen, »dies zu sagen, muß meine Wenigkeit sich einfach erkühnen.« »Stören Sie mich nicht, Mr. Parker«, grollte die Detektivin, da Parker sich scheinbar ungewollt so aufbaute, daß sie den stöhnenden Krieger mit dem Schwert nicht erreichen konnte. »Er hat die Nase restlos voll, Mylady«, schaltete Mike Rander sich zusätzlich ein. »Nun gut, das hört sich schon besser an.« Sie nickte, zögerte jedoch noch. »Auf der anderen Seite, Mike, habe ich eigentlich nicht besonders hart zugetreten. Eigentlich schade.« »Ohne einen Gipsverband wird’s bei ihm sicher nicht abgehen«, prophezeite Mike Rander, »ich denke wirklich, daß er restlos bedient ist.« »Ich werde menschlich sein.« Sie schluckte ihren Grimm hinunter und reichte Parker das Schwert, »aber ich werde ihn als Beute mit nach Hause nehmen. Gibt es irgendwelche Einwände?« Es gab keine, und Lady Agatha hatte Zeit, sich über den Mehlstaub zu beschweren. Sie tat es gründlich und ausgiebig. * »Wie komme ich denn zu diesem Geschenk?« wunderte sich Chief-Superintendent McWarden eine Stunde später. Er war gerade im Haus der Lady eingetroffen und hatte von Agatha Simpson gehört, man habe zwei Samurai-Gangster für ihn bereitgestellt. McWarden war prompt mißtrauisch geworden. Solch eine Großzügigkeit war er nicht gewöhnt. »Damit beweise ich Ihnen wieder mal, wie eng ich mit Ihnen zusammenarbeite, mein lieber McWarden«, flötete die Lady, »und das natürlich im Gegensatz zu Ihnen. Sie verschweigen mir ja, was Sie können! Oder sollte sich das jetzt geändert haben?« »Was ist denn eigentlich passiert?« wollte der ChiefSuperintendent wissen. »Sind Sie von diesen Samurai überfallen worden?« »Mr. Parker wird Ihnen einige Stichworte liefern«, erwiderte die ältere Dame, »während Sie am Schreibtisch kleben, mein lieber McWarden, bin ich aktiv und tue etwas für die Sicherheit der Bür51
ger.« »Auch Schreibtischarbeit kann sich lohnen, Mylady«, konterte McWarden prompt, »blinder Aktionismus bringt nichts, lassen Sie sich das von einem Profi sagen.« »Sie fühlen sich doch hoffentlich nicht angegriffen?« Die Detektivin säuselte genußvoll. »Aber nein«, behauptete McWarden verbissen, »es war nur eine grundsätzliche Feststellung.« »Sie haben also einen kleinen Erfolg zu verzeichnen?« erkundigte sich Lady Simpson ungläubig. »Sämtliche Kendoschulen in London sind von uns abgeklappert und durchleuchtet worden, Mylady«, meinte der ChiefSuperintendent und zwang sich zur Ruhe, »und all diese Schulen werden von uns beschattet, rund um die Uhr. Wir beschäftigen uns mit jeder Person, die diese Schulen besucht und gehen dabei zurück bis in die nähere Vergangenheit.« »Sie lassen diese widerlichen Computer füttern, nicht wahr?« »Sie arbeiten schnell und genau.« »Und sind doch nur Idioten«, fand Lady Agatha salopp, »sie haben keine Phantasie, mein bester McWarden. Ich meine jetzt natürlich die Computer.« »Wenn die Kendo-Gangster aus einer der Kendoschulen stammen, dann werden wir sie ermitteln, Mylady.« »Befragen Sie die beiden Samurai, die ich Ihnen frei Haus liefere, McWarden.« »Dafür bedanke ich mich selbstverständlich, aber ich gehe davon aus, daß sie kein Wort sagen werden. Wahrscheinlich haben Sie bereits auf Granit gebissen, wie?« »Ich hatte noch keine Zeit, mich mit diesen Subjekten zu befassen«, erklärte die ältere Dame wegwerfend. »Haben Sie hier bei Ihnen vielleicht noch andere Samurai einquartiert, Mylady?« tippte der Chief-Superintendent an. »Wollen Sie mir etwa unterstellen, ich würde Leute gegen ihren Willen festhalten?« reagierte die ältere Dame ärgerlich. Ihre Stimme ging in ein erstes Grollen über. »Niemals, Mylady«, sagte McWarden hastig, obwohl er anderer Ansicht war. »Das wollte ich mir auch ausgebeten haben!« Sie sah ihn flammend an. »Darf ich jetzt erfahren, was sich so zugetragen hat?« McWar52
den wechselte das Thema. Er wollte sich nicht länger mit der spitzzüngigen Lady anlegen. Butler Parker bekam damit sein Stichwort und beeilte sich, dem Chief-Superintendent einen kurzen Bericht zu liefern. »Sie sind mit echten und scharfen Samuraischwertern angegriffen worden, Mylady?« McWarden sah die ältere Dame respektvoll an. »Ich hätte gern in der gleichen Weise geantwortet«, erwiderte sie und maß den Butler mit anklagendem Blick, »doch Mr. Parker mußte sich ja wieder mal zur falschen Zeit einschalten.« »Sie können sich darauf verlassen, daß ich die beiden Kerle Tag und Nacht verhören werde«, versprach McWarden. »Sie werden auf Granit beißen, wie Sie’s vermuteten, McWarden«, schaltete Mike Rander sich ein, »und ich bezweifle langsam, daß sie aus Kendoschulen stammen. Nein, nein, wir müssenden Hebel woanders ansetzen, aber fragen Sie mich bloß nicht, wo…« »Fragen Sie mich, mein lieber Mike«, warf Agatha Simpson ein. »Was hiermit geschehen ist, Mylady.« Rander sah die ältere Dame lächelnd und erwartungsvoll an. Er wußte, was geschehen würde. Und es geschah prompt – wie stets. Lady Agatha gab den Blick weiter an Parker. »Zieren Sie sich nicht, Mr. Parker«, meinte sie wohlwollend, »was, glauben Sie, vermute ich?« »Alles und nichts, Mylady, wenn ich es so vage ausdrücken darf.« »Aha.« Sie räusperte sich und war einen Moment verwirrt. Doch dann fing sie sich wieder und nickte nachdrücklich, als sei eine Bemerkung von größter Tragweite gegeben worden. »Genau das wollte ich sagen, nicht mehr und nicht weniger. Man darf sich nicht in Details verstricken, man muß immer die größeren Zusammenhänge im Auge behalten.« Kathy Porter und Mike Rander wandten sich ab, damit man ihr Lächeln nicht mitbekam. McWarden erlitt einen leichten Hustenanfall und hatte es dann eilig, sich zu verabschieden. * »Was halten Sie davon, Mr. Parker, wenn ich in Zukunft von 53
meinen Gästen einen gewissen. Pensionspreis nehme?« fragte Agatha Simpson, als McWarden gegangen war und sie zusammen mit dem Butler ins Souterrain des Hauses schritt. »Mylady befürchten ein Ansteigen der allgemeinen Lebenshaltungskosten?« »Zusammen mit dem Subjekt vom Fabrikgelände muß ich jetzt schließlich drei Samurai durchfüttern«, beschwerte sich die ältere Dame, »und das bei den heutigen Preisen.« »Die beiden angeblichen Ritter aus dem Parkhaus, Mylady, zeichneten sich bisher durch eine strikte Appetitlosigkeit aus«, meinte Parker. Er verzog keine Miene, zumal er wußte, daß Lady Agatha es durchaus ernst meinte. »Sie werden das nachholen, was sie bisher nicht gegessen haben«, vermutete die Lady grollend. »Das Stadium der Appetitlosigkeit, Mylady, wird sich mit Sicherheit ausdehnen«, beruhigte der Butler seine Herrin, »dies wird sich auch auf den dritten Herrn erstrecken, der nun Gast des Hauses ist.« »McWarden glaubt, daß ich auf Granit beißen werde«, wechselte sie das Thema, »er soll sich wundern.« »Die Gäste, die inzwischen auf drei Personen angewachsen sind, Mylady, flüstern nur miteinander«, berichtete Parker, »sie dürften davon ausgehen, daß man sie abhört.« »Was Sie doch hoffentlich auch tun, oder?« »Ein Bandgerät würde aufzeichnen, was die drei Herren eventuell zu sagen hätten, Mylady.« Parker nickte bestätigend. »Diese Lümmel werden gleich laut und deutlich antworten«, verkündete die Detektivin kriegerisch. »Ob sie diese Laura Lormond kennen?« »Die sogenannte Kendo-Queen, Mylady? Man sollte davon ausgehen, daß sie sich auf sie beziehen werden.« »Damit wäre der Fall dann gelöst.« Sie lächelte triumphierend. »Mehr theoretisch, Mylady, als praktisch«, schränkte Parker ein, »man hätte es mit diversen Behauptungen zu tun, die keine Beweiskraft haben. Darüber hinaus ist damit zu rechnen, daß Miß Lormond für die jeweiligen Tatzeiten wahrscheinlich mit entsprechenden Alibis aufwarten wird.« »Ist sie nun die Kendo-Queen, die ich suche?« »Sie könnte es durchaus sein, Mylady.« »Ist sie es, oder ist sie es nicht!?« 54
»Wenn Sie gestatten, Mylady, möchte ich mich einer Antwort entziehen«, erwiderte der Butler, »der allgemeine Stand der Dinge läßt eine genaue Antwort nicht zu, wenn ich es so umschreiben darf.« »Ich werde Ihnen etwas sagen, Mr. Parker: Sie ist es! Sie belastet sich absichtlich und läßt sich belasten. Ein Trick, aber das sagte ich Ihnen ja schon.« »Eine Theorie, die bestechend ist, Mylady.« »Ich weiß«, meinte sie bescheiden, »für so etwas habe ich eben ein feines Gespür.« Sie hatten inzwischen die Tür erreicht, hinter der die Samurai untergebracht waren. Es handelte sich um die beiden »Ritter« aus dem Parkhaus, dann um jenen Samurai, den Parker auf dem Fabrikgelände zu einem Besuch nach Shepherd’s Market eingeladen hatte. Die drei Männer, die einen Teil ihrer phantastischen Rüstung abgelegt hatten, saßen schweigend und desinteressiert auf den beiden Bettcouches und rührten sich nicht. »Mylady«, verkündete Parker, der den Raum zuerst betreten hatte, »es empfiehlt sich, meine Herren, aufzustehen.« »Und zwar sehr schnell«, grollte Lady Agatha, die ihre majestätische Fülle ins Gästezimmer schob, »oder muß ich Ihnen erst Beine machen?« Die drei »Ritter« sahen den schwingenden Pompadour in ihrer rechten Hand und wurden ausgesprochen munter. Sie sprangen auf und deuteten sogar so etwas wie Verbeugungen an. »Schon besser«, meinte die Detektivin, »und jetzt will ich wissen, für wen Sie Ihre Schwerter geschwungen haben. Sie haben sich doch inzwischen wohl auf ein paar hübsche Lügen einigen können, wie?« »Wieso sollten wir Ihnen einen Tip geben, wenn Sie uns doch nicht glauben?« fragte der Kendo-Ritter, der für seine beiden Partner sprach. Er fragte in leicht ruppigem Ton. »Ob man Ihnen Glauben schenken kann, wird sich bald erweisen«, schaltete der Butler sich ein, »Mylady hat sich entschlossen, Ihnen das zu schenken, was ein kostbares Gut ist, nämlich die Freiheit.« »Was ist denn das wieder für ein Trick?« Der Kendo-Ritter stutzte und sah die ältere Dame mißtrauisch an. »Was kann ich dafür, wenn Sie gleich wieder eingefangen wer55
den, nachdem Sie mein gastliches Haus verlassen haben?« Sie lächelte boshaft. »Und zwar von Interessenten, die an der bisherigen Beute der Kendo-Ritter teilhaben möchten«, erklärte Parker, der sich vorher mit seiner Herrin abgestimmt hatte, was dieses Gespräch betraf. »Ich war so frei, dieses Thema bereits in Ihrer Gegenwart anzuschneiden.« »Sie wollen uns an Gangster ausliefern?« Der Kendo-Ritter schluckte. »Keineswegs und mitnichten. Sie müssen Mylady völlig mißverstanden haben«, korrigierte Parker umgehend. »Mylady wird Ihnen nur die Freiheit schenken, oder – um es noch anders und präziser auszudrücken – die Gastfreundschaft kündigen.« »Okay, wir passen.« Der Mann sah sich kurz zu den anderen Gästen um, die im Takt nickten. »Wir haben auch den neuen Mann überzeugt.« »Diesen Flegel, der mich hinterrücks mit einem Samuraischwert angreifen wollte?« Agatha Simpson sah den »Ritter« an, der an dem Überfall auf dem ehemaligen Werftgelände teilgenommen hatte. »Ich… Ich hätte doch niemals zugeschlagen«, verteidigte sich der Mann sicherheitshalber. Er wußte inzwischen, wie energisch die ältere Dame sein konnte. »Sie gehören einer einzigen Organisation an und kennen sich?« fragte Josuah Parker. Er maß die beiden Männer aus dem Parkhochhaus, um dann den dritten »Ritter« anzusehen. »Wir kennen uns«, räumte der Wortführer ein, »wir stammen aus einer Organisation.« »Die von wem geführt wird, junger Mann?« Lady Agatha musterte drohend den Wortführer. »Das sage ich Ihnen, Lady, wenn Sie dafür sorgen, daß wir ungeschoren verduften können.« »Bedingungen gibt es bei mir nicht«, entschied die Detektivin, »oder bin ich da vielleicht anderer Meinung, Mr. Parker?« »Mylady werden in diesem Fall sicher eine rühmliche Ausnahme machen«, sagte Parker höflich. »Nun denn, einverstanden«, meinte die ältere Dame gereizt, »aber ich handele gegen meine Überzeugung. Nun reden Sie schon, bevor ich es mir noch anders überlege.« »Unsere Queen heißt Laura Lormond«, gab der »Ritter« Aus56
kunft, »aber wir sind schon lange nicht mehr in ihrer Schule. Sie hat uns privat ausgebildet, doch sie wird natürlich alles abstreiten.« * Sie sahen nicht sehr ritterlich aus, als sie das Haus durch den Haupteingang verließen. Butler Parker hatte darauf bestanden, daß sie ihre Kendoausrüstung zurückließen, und sie waren seiner dringenden Bitte schleunigst nachgekommen. In kurzen Unterhosen und Unterhemden marschierten sie in die Nacht, ein wenig geniert und unsicher zugleich. »Hoffentlich habe ich keinen Fehler begangen«, meinte Lady Agatha, die diesen Abmarsch am Bildschirm verfolgte, »selbstverständlich haben die Lümmel mich nach Strich und Faden belogen.« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit«, pflichtete der Butler ihr bei, »doch Mr. Picketts Freunde werden die drei Männer in Empfang nehmen.« »Damit werden sie doch rechnen, Mr. Parker«, sorgte sie sich. »Einer von Mr. Picketts Freunden fährt ein Taxi«, antwortete der Butler, »dieses Taxi wird genau im richtigen Moment neben den drei Unterhosenträgern erscheinen. Man kann wohl sicher sein, daß die Kendo-Ritter diese Gelegenheit nutzen werden.« »Dann werde ich jetzt noch ein wenig meditieren«, entschied Lady Simpson, »ich möchte ab sofort nicht mehr gestört werden, Mr. Parker.« »Mylady werden sich in Mylady versenken können«, beruhigte Parker seine Herrin, die seit einigen Wochen einen Videorekorder besaß und sich einige Dutzend bespielte Kassetten besorgt hatte. Von einer Meditation konnte also überhaupt keine Rede sein. Lady Agatha wollte sich einen spannenden Film ansehen, doch darauf ging Parker in seiner diskreten Art natürlich nicht ein. Die Detektivin schritt mit der imponierenden Würde einer regierenden Herrscherin über die breite Freitreppe ins Obergeschoß des Hauses, nickte ihrem Butler von der Galerie aus noch mal huldvoll zu und begab sich dann in ihre Räume. Parker wartete, bis sie verschwunden war, dann betrat er die Bibliothek des Hauses, in der sich Kathy Porter und Mike Rander aufhielten. 57
»Mylady läßt sich entschuldigen«, schickte der Butler voraus, »darf man fragen, ob Mr. Pickett sich inzwischen gemeldet hat?« »Vor etwa zehn Minuten«, erwiderte der Anwalt, »seine Freunde haben die Kerle beschattet, die das Werftgelände fluchtartig verlassen haben.« »Man weiß demnach, wo die Kendo-Ritter sich aufhalten, Sir?« »Sieht so aus, Parker, und sie scheinen sich ein recht eigenartiges Versteck gesucht zu haben.« »Darf meine Wenigkeit unterstellen, daß man in der KendoAusbildungsstätte der Miß Laura Lormond verschwunden ist, Sir?« »Stimmt, Volltreffer, Parker! Sind Sie Hellseher?« Rander lächelte. »Man scheint geradezu verbissen alle Spuren auf Miß Lormond lenken zu Wollen, Sir.« »Haben die drei Knaben, die Sie eben auf die Straße geschickt haben, ebenfalls diese Kendo-Queen belastet?« »Das war der Fall, Sir.« »Die Täter müssen eindeutig aus dem Kendo-Milieu kommen, Mr. Parker«, warf Kathy Porter ein. »Wollen wir sie besuchen? Noch in dieser Nacht?« »Dies, Miß Porter, würde vielleicht gewissen Erwartungen entsprechen«, sagte Josuah Parker, »und gerade deshalb sollte man von solch einem Besuch Abstand nehmen, wenn ich raten darf.« »Und was ist mit den vier Adressen, die die Kendo-Queen uns so prompt geliefert hat?« fragte der Anwalt. »Auch in diesem Fall, Sir, sollte man eine gewisse Trägheit walten lassen«, antwortete der Butler, »das Bemühen der Gegenseite, Spuren zu liefern, dürfte sich meiner bescheidenen Ansicht nach noch zusätzlich verstärken.« »Also schön, legen wir ‘ne kleine Ruhepause ein, Parker.« Mike Rander erhob sich. »Was dagegen, daß ich rüber in mein Haus gehe?« »In Anbetracht gewisser Schneidwaren, Sir, sollte man von solch einem nächtlichen Spaziergang wohl Abstand nehmen«, meinte Parker, »die Gegenseite dürfte inzwischen danach gieren, einen ersten Erfolg verzeichnen zu können, um so…« »Die Geisterstimme«, sagte Kathy Porter, als das Telefon in diesem Moment läutete. Parker hob ab und nannte seinen Namen. Tatsächlich hörte er die ihm bereits bekannte undeutliche Stimme. 58
»Sie sind ein harter Brocken, Parker«, sagte diese Stimme, »aber lassen Sie sich gesagt sein, daß es japanische Schwerter gibt, die auch Steine spalten können.« »Die Fama berichtet in der Tat davon«, erwiderte Josuah Parker. »Sie haben mich auf dem Werftgelände hereingelegt«, hörte Parker weiter, »ich weiß jetzt, daß Sie nicht im Traum daran denken, das gestohlene Geld zurückzugeben. Und ich weiß jetzt auch, daß Sie sich im Kendo bestens auskennen.« »Sie spielen auf ein spezielles Ereignis an?« »Schon gut, wir verstehen uns.« Die undeutliche Stimme ließ sich nicht weiter herausfordern. »Noch mal, Parker, werden Sie mit Ihren Künsten kein Glück haben, mein Wort darauf. Hoffentlich wissen Sie, was ein japanischer Kampfbogen ist?« »In etwa, um mich vorsichtig und auch ein wenig pauschal auszudrücken.« »Dann warten Sie auf den ersten Pfeil, Parker.« Auf der Gegenseite wurde aufgelegt, Parker tat es ebenfalls. Er nahm die Warnung keineswegs auf die leichte Schulter… Josuah Parker befand sich in seinen privaten Räumen und öffnete die Tür zum Fundus. In einem mittelgroßen, fensterlosen Raum waren spezielle Ausrüstungsgegenstände und Kleidungsstücke untergebracht, die er nicht jeden Tag brauchte. Diese Dinge waren im Lauf der Zeit zusammengekommen und hingen mit Kriminalfällen zusammen, die der Butler längst hinter sich gebracht hatte. Zielsicher schritt er in eine Ecke des Raumes und sichtete hier eine recht sonderbare Art von Unterkleidern. Es handelte sich um Kettenhemden und Brust- und Rückenpanzer aus dünnem, aber zähem Stahlblech. Er hatte diese Dinge schon früher mal benutzen müssen, um Machenschaften seiner Gegner abzuwehren. Gerade nach dem soeben erfolgten Anruf war er der Ansicht, daß er sich keineswegs zu genieren brauchte, auf diese schützenden Hilfen noch mal zurückzugreifen. Er entschied sich für je einen Brust- und Rückenschild, die durch Ledergurte miteinander verbunden werden konnten. Parker probierte sie gleich an Ort und Stelle aus. Nachdem er seinen schwarzen Zweireiher wieder übergezogen hatte, prüfte er sein Aussehen im Spiegel. Da er sich stets korrekt und aufrecht hielt, waren die beiden Panzereinlagen unter dem Jackett so gut wie gar nicht zu sehen. Sie waren in jedem Fall stark genug, eintref59
fende Pfeile abprallen zu lassen. Parker dachte natürlich an die Lady, an Kathy Porter und auch an Mike Rander. Dank seiner Verbindungen hätte er es leicht bewerkstelligen können, auch sie mit solchen Panzern auszurüsten. Die Anfertigung dieser Schalen hätte nur wenige Stunden in Anspruch genommen. Doch Parker kannte die Eigenwilligkeit der Lady Agatha. Sie hätte nie solch einen Panzer angezogen und auch auf ein Kettenhemd verzichtet. Dazu war sie einfach zu stolz. Was Kathy Porter und Mike Rander betraf, konnte Parker sie wohl dazu überreden, vorerst auf Ausfahrten oder Spaziergänge zu verzichten. Beide würden den Sinn solch einer Vorsichtsmaßnahme sofort begreifen. Parker suchte weiter in seinem Fundus und tauschte seinen Regenschirm noch mal aus. Er wählte ein Regendach, das zwar völlig regulär aussah, es aber in sich hatte. Der Schirmstock bestand auch hier aus Stahlrohr und war bestens geeignet, als Kendoschwert eingesetzt zu werden. Die Bespannung war durch ein seidenbespanntes, dichtes Stahlnetz ersetzt worden, das Parker per Knopfdruck blitzschnell zur Entfaltung bringen konnte. Seiner Schätzung nach war dieser Schirm durchaus in der Lage, ankommende Pfeile aufzufangen. Natürlich plante der Butler keine gemeinsamen Ausfahrten mit seiner Herrin. Es war seine Absicht, etwaige Bogenschützen auf sich zu konzentrieren. Dazu gehörte es, daß er sich als bequem erreichbares Ziel anbot. Er konnte sich leicht vorstellen, daß die Gegenseite sich auf ihn konzentrierte. Schließlich hatte er die bisherigen Pläne der Kendo-Ritter nachhaltig durchkreuzt. Sie mußten einfach daran interessiert sein, ihn aus dem Weg zu räumen. »Sie wollen noch ausgehen, Parker?« fragte Mike Rander, der sich in der Wohnhalle des Hauses aufhielt. »Ich möchte mir die Freiheit nehmen, Sir, die Beine noch ein wenig zu vertreten«, erwiderte Parker höflich. Er hatte sich bereits den schwarzen Covercoat übergezogen. »Legen Sie Wert auf Begleitung, Parker?« »Keineswegs, Sir«, meinte der Butler, »es würde meine Wenigkeit ungemein beruhigen, wenn Sie das Haus hüten würden, wenn ich es mal so umschreiben darf.« »Was haben Sie vor, Parker? Hand aufs Herz! Um was geht es?« 60
»Es geht um den Sauerstoff der nächtlichen Parkanlagen, Sir.« »Wen wollen Sie herausfordern? Was hat diese undeutliche Stimme eben am Telefon angedroht?« »Es handelte sich um eine der bekannten vagen Drohungen, Sir.« »Niemals, Parker, Sie machen mir da was vor, Sie verschweigen etwas!« »Man beabsichtigt, Sir, ab sofort Bogenschützen einzusetzen«, räumte der Butler ein, »es ist meine Absicht, die Herren noch in dieser Nacht herauszufordern.« »Jetzt? Weit nach Mitternacht?« »Es ist meine Absicht, Sir, meine Wenigkeit treffen zu lassen«, lautete die Antwort des Butlers, »Sie dürfen versichert sein, daß ich solch einen Treffer natürlich nur vortäuschen werde.« Josuah Parker hatte sich für sein hochbeiniges Monstrum entschieden. Stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, saß er am Steuer seines Wagens und verließ Shepherd’s Market. Er fuhr langsam, damit man ihn verfolgen konnte. Es dauerte auch gar nicht lange, bis er hinter sich Scheinwerfer ausmachte, die ihm mehr als beharrlich folgten. Parker hatte seinen ursprünglichen Plan geändert. Mit etwaigen Bogenschützen wollte er sich auf einem übersichtlichen Gelände messen. Dazu gehörte es, daß er die City von London hinter sich ließ. Er fuhr in Richtung Norden, schien sich der Kendoschule der Laura Lormond nähern zu wollen, bog dann wieder nach Süden und wählte die Schnellstraße zum Flughafen. Weit vor Heathrow lag auf der rechten Seite der Schnellstraße ein Sanierungsgebiet. Hier waren uralte Häuser gleich zeilenweise abgerissen worden. Man hatte den Boden planiert, der darauf wartete, Grundmauern für neue Häuser aufzunehmen. Hier stoppte Parker und warf einen weiteren, prüfenden Blick in den Rückspiegel. Die Scheinwerfer, die ihm gefolgt waren, wurden gerade gelöscht. Parker stieg aus, schloß die Wagentür und machte sich gemessen auf den Weg. Sein Ziel schienen einige Baubaracken zu sein, die schemenhaft in der Dunkelheit zu erkennen waren. Nach einigen Schritten blieb er jäh stehen und hörte hinter sich schnelles Hasten, das aber sofort abbrach. Die Verfolger waren also bereits hinter ihm. Sie mußten annehmen, daß Parker sich hier nicht gerade aus Langeweile herumtrieb. Vielleicht ging man 61
davon aus, daß er sich mit einem Informanten treffen wollte. Josuah Parker schritt weiter und fühlte sich im Schutz der beiden Stahlblechschalen recht wohl. Unter dem schwarzen Covercoat trug er noch zusätzlich ein aufgebundenes Kettenhemd, das seine unteren Gliedmaßen schützen sollte. Schließlich wußte er ja nicht, wie gut die angekündigten Bogenschützen waren. Er hatte die erste Baracke fast erreicht, als er plötzlich wie von einer harten, unsichtbaren Faust im Rücken getroffen wurde. Der Stoß war ungemein kraftvoll und brachte ihn fast aus dem Gleichgewicht. Parker lieb aber einen Moment stehen, um dann in den Knien einzuknicken. Er griff hinter sich und zog mit schnellem Ruck einen zersplitterten Pfeil aus seinem Covercoat. Die Spitze war abgebrochen. Im gleichen Moment erreichten ihn zwei weitere Pfeile. Auch sie wären unweigerlich in seinem Rücken gelandet, wenn er sich nicht entsprechend geschützt hätte, richtete aber ebenfalls keinen Schaden an und splitterten weg. Mit drei Schützen hatte er es also zu tun. Wenigstens! Parker rollte sich auf die Seite und sorgte dafür, daß die Pfeilschäfte gut zu sehen waren. Dann langte er in die Innentasche seines Covercoats und versorgte sich mit jenen Überraschungen, die er mitgenommen hatte. Es war selbstverständlich seine Absicht, die Bogenschützen möglichst nachhaltig aus dem Verkehr zu ziehen. Sie kamen schnell heran und waren mißtrauisch. Parker machte drei Gestalten aus, die sich halbkreisförmig vor ihm aufbauten. Er ging davon aus, daß sie neue Pfeile auf die Sehnen ihrer Bogen gelegt hatten. Diese Männer wollten töten, waren potentielle Mörder… Parker durchkreuzte erneut ihre Absichten. In Parkers linker, schwarz behandschuhter Hand lag der Kolben einer recht abenteuerlich aussehenden Schußwaffe. Der Lauf endete in einer trichterförmig aussehenden Mündung, deren Durchmesser rund fünfzehn Zentimeter betrug. Parker hob diese eigenartige Mündung leicht an und drückte ab. Eine Detonation erfolgte, und aus dem Trichter schoß eine seltsame Ladung, ein Gemisch aus zähem Schleim und feinen Schrotkörnern. Der Trichter sorgte dafür, daß das Zeug sich entsprechend ausbreitete und alle drei Gestalten bedachte. Zwei Pfeile landeten dicht neben Parker im Erdreich, der dritte 62
Pfeil sirrte in die Nacht. Parker hörte Fluchen, Husten und unterdrückte Schreie, erhob sich und schritt auf die drei Gestalten zu, die im Moment sehr mit sich beschäftigt waren. Sie hatten ihre Kampfbogen weggeworfen und wischten sich den zähen Schleim aus den Gesichtern. Dazu husteten sie immer intensiver und erinnerten an Kettenraucher am frühen Morgen. Parker hatte den Schirm umgedreht und benutzte den bleigefütterten Griff, um die drei Gestalten zu Boden zu strecken. Dann machte er sich auf den Weg zu seinem hochbeinigen Wagen. Er wollte die Entnervten so schnell wie möglich in Sicherheit bringen. * »Gesundheitliche Schäden brauchen Sie vorerst nicht zu befürchten«, sagte Josuah Parker eine halbe Stunde später zu den drei Gestalten, die nebeneinander auf einem Betonboden saßen und noch immer mit ihren Gesichtern beschäftigt waren. Im Licht einiger tief hängenden Strahler war zu erkennen, daß auch die Schrotkömer gewirkt hatten. Die Hände der potentiellen Mörder waren getroffen worden und bluteten aus vielen kleinen Wunden. »Sie werden sicher verstehen, daß meine Wenigkeit eine gewisse Verärgerung nicht unterdrücken kann«, redete Parker weiter, »immerhin hatten Sie unbestreitbar die Absicht, mich mit ihren Pfeilen niederzustrecken. Billigen kann ich solch eine Handlungsweise keineswegs.« Die Männer trugen die typische Tracht der Kendosportler, allerdings keine Gesichts- und sonstigen Schutzmasken. Es waren europäische Gesichter, die sich Parker zeigten. »Meine Verärgerung wird mit Sicherheit einer gewissen Neugier weichen«, meinte Parker und betrachtete einen der erbeuteten Kampfbogen, »ich möchte sagen, daß meine Wenigkeit sich förmlich herausgefordert fühlt.« Während Parker dies sagte, legte er einen Pfeil auf die Bogensehne und strammte sie. Absichtslos richtete die Pfeilspitze sich dabei auf die drei Gestalten. »Passen Sie auf«, stieß der mittlere der drei Männer hervor und beugte sich zur Seite, »so was kann leicht ins Auge gehen.« »In der Tat und im wahrsten Sinne des Wortes«, meinte Parker und nickte bestätigend, »seien Sie einem alten, müden und rela63
tiv verbrauchten Mann nicht sonderlich gram, falls er wider Willen treffen sollte.« »Sind Sie wahnsinnig!« Parker hatte den Pfeil von der Sehne gelassen, und das unheimliche Geschoß war zwischen die Beine jenes Mannes geschrammt, der rechts saß. Hastig zog der Mann die Beine an und wiederholte dann noch mal, daß er Parker für wahnsinnig hielt. »Wie gut sind Ihre Kendorüstungen?« erkundigte sich der Butler. »Hören Sie, was wollen Sie eigentlich?« Der Mann, der diese Frage stellte, beobachtete mit Unruhe, daß Parker bereits einen weiteren Pfeil auflegte. Alle drei Kendo-Ritter wären wohl liebend gern aufgestanden, doch Parker hatte ihnen die Hände auf dem Rücken gefesselt. Ihre Bewegungsfreiheit war empfindlich eingeschränkt. »Sie wissen nicht zufällig, wer Sie bezahlt?« wollte der Butler wissen. Dann sagte er »Hoppla«, als der Pfeil dicht am linken Ohr des Fragenden vorbeizischte und im Holz eines alten Schrankes steckenblieb. »Sie glauben doch nicht, daß wir singen werden, oder?« »Damit rechnet meine Wenigkeit allerdings fest«, erwiderte der Butler in seiner überaus höflichen Art, »ich möchte davon ausgehen, daß Sie schon bald recht kommunikationsfreudig sein werden.« Ein weiterer Pfeil wurde von ihm auf die Sehne gesetzt. »Hören Sie, man kann ja über alles reden«, sagte der Mann, der das Wort genommen hatte, »Sie können uns doch nicht abschlachten, oder? Das war doch verdammt unfair.« »Es wäre auf keinen Fall jene Art, die man die feine englische zu nennen pflegt«, pflichtete Parker ihm bei, »auf der anderen Seite hegten Sie ebenfalls diese Absicht, wenn mich nicht alles täuschte.« »Und ob Sie sich getäuscht haben! Wir wollten Ihnen nur ‘ne Lektion erteilen, aber niemals treffen… Sie haben’s ja mitbekommen. Sind Sie getroffen worden?« »Von drei Pfeilen, wenn ich mich recht erinnere«, gab Josuah Parker zurück, »aber ich möchte noch mal auf meine Frage zurückkommen, bevor der Pfeil sich vielleicht zufällig löst. Für wen arbeiten Sie?« »Für die Kendo-Queen«, lautete prompt die Antwort, »wir nennen Sie aber auch das >Mandelauge<, so komisch es klingt.« 64
»Könnten Sie sich zu dem Begriff >Mandelauge< ein wenig deutlicher erklären?« bat Parker. Er befand sich mit den drei Kendo-Rittern in der Lagerhalle eines Speditionsunternehmens. Dank seiner Verbindungen war es leicht für ihn gewesen, diesen Dachboden benutzen zu dürfen. »Wir kennen nur diese Mandelaugen«, sagte der Mann hastig, denn die Pfeilspitze zeigte wieder deutlich auf seine Brust. »Ich bin sicher, daß Sie Ihre Hinweise noch ausweiten werden.« »Sie trägt immer ‘ne Halbmaske«, redete der Mann noch hastiger weiter, »und wir können immer nur ihre Mandelaugen sehen, wissen Sie, solche Augen wie sie die Japaner und die Chinesen haben. Mehr wissen wir nicht.« »Woher stammen Ihre diversen Fertigkeiten in Sachen Kendo und Kampfbogen?« wollte der Butler wissen. »Sie hat uns das alles beigebracht«, meinte der Mann und atmete erleichtert auf, als die Pfeilspitze auf seinen Nebenmann deutete, »sie hat uns gedrillt.« »Schon gut anderthalb Monate«, fügte der andere Mann hinzu, der vom Pfeil bedroht wurde, »wir haben jeden Tag trainiert.« »Und woher wissen Sie, daß es sich um eine Frau handelte, von der Sie trainiert wurden?« stellte der Butler seine nächste Frage. »So was sieht man doch«, keuchte der dritte Mann, der sich von der Spitze des Pfeils nicht mehr irritieren ließ, da Parker den Bogen ein wenig gesenkt hatte, »sie ist eine Frau, das konnte man ganz klar sehen.« »Wo fanden die Kurse in Kendo statt?« »In einem Lagerkeller«, wiederum erfolgte prompt die Antwort, »daneben haben wir auch gewohnt.« »Wie viele Kendosportler wurden von der Kendo-Queen ausgebildet?« Parker fragte höflich und gelassen. »Zwölf Mann sind wir gewesen«, hörte der Butler, »aber ein paar davon sitzen ja jetzt.« »Wo befindet sich der Lagerkeller den Sie freundlicherweise erwähnten?« fragte Parker weiter. Der Butler bekam eine Adresse genannt, die er wiederholte. Dann entschuldigte er sich und ging hinüber in einen Büroverschlag, in dem sich ein Telefon befand. Er rief das Sonderdezernat an, dem Chief-Superintendent McWarden vorstand. Knapp und deutlich gab der Butler die eben gehörte Adresse durch, doch er sprach aus Gründen der Akustik in die Höhlung seiner schwar65
zen Melone. Dadurch erhielt seine Stimme eine Tieforientierung, die mit Echo gepaart war. Als man nach seinem Namen fragte, legte der Butler auf und widmete sich wieder den drei KendoRittern. »Ich hoffe in Ihrem Interesse, meine Herren, daß Sie die richtige Adresse nannten«, sagte Parker, »falls Sie meine Wenigkeit getäuscht haben sollten, würden Sie sich meinen Unwillen zuziehen.« »Und was jetzt?« fragte der Mann, der die Adresse genannt hatte. »Wollen Sie uns hier festhalten?« »Nur bedingt«, erwiderte Parker, »doch ich möchte Sie schon jetzt darauf hinweisen, daß Sie im Lauf des morgigen Tages die Freude haben werden, sich mit einem versierten Kendosportler messen zu können.« »Was soll denn das bedeuten?« »Es geht darum, meine Herren, ob Sie wirklich erst anderthalb Monate trainiert worden sind«, erwiderte der Butler, »eine junge Dame, die übrigens ebenfalls über Mandelaugen verfügt und Kendo-Queen genannt wird, könnte sich möglicherweise mit Ihnen messen.« »Sie wollen uns hier festhalten? Das ist ungesetzlich! Sie können uns überhaupt nichts nachweisen, Sie sind ja noch nicht mal verletzt.« »Ich bestehe darauf, daß Sie meiner freundlichen Einladung Folge leisten, meine Herren«, gab Josuah Parker zurück, »für eine adäquate Unterbringung wird meine Wenigkeit selbstverständlich Sorge tragen. Wären Sie mit einigen Eisenspinden einverstanden, die dort im Hintergrund stehen? Ich fürchte allerdings, daß Sie den Rest der Nacht stehend verbringen müssen…« * »Ich komme absolut nicht zufällig vorbei«, sagte McWarden grimmig, als Agatha Simpson ihm diese Frage gestellt hatte, »ich bin dienstlich hier.« »Wollen Sie mir etwa einen Teilerfolg melden, mein lieber McWarden?« erkundigte sich die ältere Dame. Sie saß am üppig gedeckten Frühstückstisch und aß mit großem Appetit. Es gab gebackene Nieren, Eier mit Speck, Räucherfisch, diverse Brotsor66
ten und gesalzene Butter. Dazu trank sie sehr unenglisch einen starken Kaffee. »Meine Dienststelle ist in den Morgenstunden anonym angerufen worden«, antwortete McWarden und bedachte den servierenden Butler mit einem scharfen Blick, »man nannte uns eine Adresse, unter der wir die Kendo-Gangster finden sollten.« »Haben Sie sie gefunden?« Lady Agatha nickte Parker wohlwollend zu, der seiner Herrin gebratene Würstchen vorlegte. »Nein, nein Mr. Parker, nur zwei davon, Sie wissen doch genau, daß ich Diät halten muß.« »Diät?« McWarden sah die Hausherrin entgeistert an. »Das nennen Sie Diät, Mylady?« »Eine Frage der Auslegung, Sir?« schaltete der Butler sich ein. »Eben«, erklärte Agatha Simpson, »Unregelmäßigkeit ist aller Laster Anfang, McWarden, aber bleiben Sie beim Thema. Was haben Ihre Leute denn nun entdeckt?« »Ein leeres Nest«, antwortete McWarden gereizt, »neben einem Lagerkeller fanden wir auch eine Art Massenunterkunft für etwa ein Dutzend Männer, aber wie gesagt, alles war ausgeflogen und in größter Eile geräumt.« »Wo befindet sich dieser Lagerkeller, mein lieber McWarden? Ich würde Sie ja einladen zu einem kleinen Happen, aber ich denke, das hier entspricht kaum Ihrem Geschmack.« »Sagen Sie das nicht, Mylady.« McWarden schielte begehrlich auf die Würstchen. »Nun gut, eine halbe Tasse Kaffee wird sich noch finden, nicht wahr, Mr. Parker?« Sie sah ihren Butler warnend an. Parker deutete eine knappe Verbeugung an und servierte McWarden eine normal gefüllte Tasse. Agatha Simpsons Blick drückte daraufhin Entrüstung aus. »Sie wollten Mylady nähere Angaben hinsichtlich des gerade erwähnten Lagerkellers machen, Sir«, erinnerte Parker, um seine Herrin abzulenken. »Richtig. Ja, erstaunlicherweise befindet sich dieser Keller ganz in der Nähe der Kendoschule von Miß Lormond. Ich bin sicher, daß dieser Name Ihnen etwas sagt.« »Sie haben sich mit der Dame unterhalten, Sir?« forschte der Butler. »Sie steht ja aller Wahrscheinlichkeit nach auf der Liste, die Ihre Mitarbeiter zusammengestellt haben.« »Es ist die Liste sämtlicher Kendoschulen im Großraum von 67
London.« Der Chief-Superintendent nickte bekräftigend. »Und die Dame wird in ihren Kreisen die Kendo-Queen genannt.« »Eine geradezu poetische Umschreibung, Sir, wenn man so sagen darf. Mylady stellte bereits einen Kontakt mit der betreffenden Dame her.« »Ich weiß, ich weiß…« McWarden schmunzelte. »Ich habe inzwischen auch erfahren, wie gut Sie im Kendo sind, Mr. Parker. Was heißt gut, Sie müssen ein As sein, wie ich hörte.« »Sie beschämen meine Wenigkeit, Sir.« »Sie haben meine Dienststelle nicht angerufen, wie?« »Sir, eine positive oder negative Antwort würde an den Tatsachen kaum etwas ändern«, wich Parker aus, »Miß Lormond vermochte sich zu dem Lagerkeller und der Massenunterkunft nicht näher zu äußern?« »Sie will davon angeblich nichts gewußt haben, doch das glaube, wer will.« »Für mich ist sie die gesuchte Kendo-Queen«, platzte Lady Agatha heraus und sah McWarden flammend an, »sie belastet sich selbst, um uns zu verwirren, doch so etwas verfängt bei einer Lady Simpson nicht. Für mich ist sie der Kopf der KendoGangster, McWarden.« »Erbrachten Ihre Verhöre Ergebnisse, Sir?« erkundigte sich Parker bei dem Chief-Superintendent. ,»Sie sprechen von den beiden Kerlen, die Sie mir zur Verfügung gestellt haben, nicht wahr? Nein, ich ahnte ja bereits, daß wir auf Granit beißen würden. Sie streiten alles ab und wollen sogar eine Klage gegen Sie, Mylady, anstrengen.« »Diese Subjekte trieben sich natürlich rein zufällig auf dem ehemaligen Werftgelände herum, wie?« Die Detektivin lachte spöttisch. »So argumentieren sie tatsächlich«, erwiderte McWarden, »ich fürchte, ich werde die Leute bald wieder auf freien Fuß setzen müssen. Ich habe keine juristische Handhabe gegen sie.« »Man könnte sie an der sogenannten langen Leine führen, Sir, und hoffen, daß sie früher oder später Kontakt mit ihrer KendoQueen aufnehmen.« »Genau das werde ich natürlich machen, aber viel Hoffnung habe ich da nicht. Wir haben es mit geschulten und raffinierten Gangstern zu tun. Da wäre aber noch etwas, worüber ich mit Ihnen sprechen muß.« 68
»Meine Wenigkeit steht zu Ihrer Verfügung, Sir.« »In der Gegend von Heathrow, Mr. Parker, muß ein seltsamer Kampf stattgefunden haben«, redete der Chief-Superintendent weiter, »man hörte einen donnerartigen Schuß und fand dann später im Holzrahmen eines Barackenfensters einen Pfeil.« »Sehr seltsam«, fand Lady Simpson und tat erstaunt, »was folgern Sie daraus, mein lieber McWarden?« »Vorerst nichts, Mylady, aber ich könnte mir vorstellen, daß diese Samurai jetzt auch noch mit Pfeil und Bogen durch die Gegend ziehen.« »Und was tut die Polizei dagegen?« Sie sah ihn entrüstet an. »Geschädigte haben sich bisher nicht gemeldet«, redete McWarden weiter, »es scheint also nichts passiert zu sein. Da wäre aber noch etwas. Die Mitarbeiter von der Spurensicherung haben eine, sagen wir mal, recht seltsame Masse an einigen Steinbrocken entdeckt, auch Schrotkügelchen.« »Das wird ja immer besser«, wunderte sich die ältere Dame. »Mr. Parker, haben Sie das gerade mitbekommen?« »Sehr rätselhaft«, schloß sich auch Butler Parker dieser Verwunderung an, »weiß man, um welche Masse es sich handelt?« »Unsere Techniker und Chemiker arbeiten gerade daran«, erwiderte der Chief-Superintendent, »aber soviel steht bereits fest, in dieser klebrigen und zähen Masse sind Chemikalien enthalten, die die Augen und Atemorgane reizen.« »Auf was für Ideen gewisse Leute kommen! Es ist doch einfach nicht zu glauben, nicht wahr, Mr. Parker?« »Die Welt, Mylady, ist und bleibt ein einziges Phänomen«, gab Josuah Parker höflich zurück. »Sehr hübsch ausgedrückt.« McWarden lächelte, wenn auch ein wenig verbissen. »Aber das wollen wir wohl besser nicht weiter vertiefen, nicht wahr, Mr. Parker?« »Bleiben wir bei dieser Kendo-Queen«, schlug Lady Agatha vor, »Sie sind also, bisher keinen Schritt weitergekommen, nicht wahr?« »Wenn Sie mich so direkt fragen…« McWarden schüttelte den Kopf. »Wie gesagt, ich lasse sämtliche Kendoschulen überwachen, und wir befassen uns natürlich auch mit Leuten, die solche Schulen mal besucht haben. Ich muß sagen, daß man uns ausnahmslos Einblick in die Schülerlisten gewährt hat.« »Demnach werden Ihre Computer wohl auf Hochtouren laufen«, 69
vermutete die Detektivin. »Unterschätzen Sie die Computer nicht«, meinte McWarden, »sie werden uns schon das aussortieren, wonach wir suchen. Haben Sie denn inzwischen was erreicht, Mylady?« »Wie beurteile ich die augenblickliche Situation, Mr. Parker?« Sie wandte sich an ihren Butler. »Mylady grenzen den Fall bereits intensiv ein«, meinte Josuah Parker, »mit Ergebnissen ist durchaus zu rechnen, wenngleich man über den Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nichts Konkretes sagen sollte.« * »Jetzt möchte ich endlich die beiden Schutzschilde sehen«, forderte Agatha Simpson, als Chief-Superintendent McWarden gegangen war, »und anschließend werde ich die drei Subjekte vernehmen, die Sie in der Lagerhalle untergebracht haben.« Josuah Parker verließ für einen Moment den Salon und holte Brust- und Rückenschild aus seinen privaten Räumen. Als er wieder die Wohnhalle betrat, erschienen Kathy Porter und Mike Rander, die sich bisher in der Bibliothek aufgehalten hatten. Sie waren McWarden aus dem Weg gegangen, um keine Fragen beantworten zu müssen. »Donnerwetter«, meinte der junge Anwalt, als Parker im Salon die beiden Schilde präsentierte. »Tiefe Dellen«, stellte Kathy Porter fest, »Sie wären auf jeden Fall tot gewesen, Mr. Parker!« »Die Gegenseite dürfte das verschärft haben, Miß Porter, was man die allgemeine Gangart zu nennen pflegt«, äußerte sich der Butler zu dieser Feststellung, um sich dann seiner Herrin zuzuwenden, »ein Verhör, Mylady, dürfte kaum Ergebnisse zeigen. Man sollte wohl davon ausgehen, daß diese angeblichen KendoRitter keineswegs wissen, für wen sie arbeiten.« »Für diese Laura Lormond«, meinte die ältere Dame wie selbstverständlich, »das erkläre ich doch fast ununterbrochen, Mr. Parker. Warum wollen Sie denn nicht eingestehen, daß ich wieder mal den Nagel auf den Kopf getroffen habe?« »Womit haben Sie die drei Knaben eigentlich außer Gefecht gesetzt?« schaltete der Anwalt sich ein. 70
»McWarden hat da doch von einer zähen und klebrigen Masse erzählt«, fügte Kathy Porter hinzu. Sie hatten die Unterhaltung im Salon über die Wechselsprechanlage mitgehört. »Meine Wenigkeit geniert sich fast, Miß Porter, die Zusammensetzung preiszugeben«, antwortete Parker. »Okay, genieren Sie sich, aber reden Sie«, sagte Mike Rander amüsiert. »Es handelte sich um eine Mischung aus Porridge und Tapetenkleister«, erklärte Parker gemessen, »diese Grundsubstanz wurde, wie die Chemiker der Polizei bereits herausfanden, zusätzlich mit schwarzem Pfeffer und einigen anderen Reizmitteln versetzt.« »Haferbrei und Tapetenkleister?« Kathy Porter lachte. »Eine Substanz, Miß Porter, die die Augen und Nasenlöcher umgehend verklebt«, erläuterte der Butler, »sicherheitshalber ging meine Wenigkeit davon aus, daß mögliche Angreifer vielleicht Gesichtsmasken trugen, die dann ebenfalls zugedeckt worden wären.« »Und womit haben Sie die Ladung verschossen?« erkundigte sich Mike Rander. »Mittels eines Vorderladers, Sir«, gab Parker höflich Auskunft, »er stammt aus meiner bescheidenen Waffensammlung. Ich möchte nicht verhehlen, daß meine Wenigkeit noch einige Gramm Schrotkugeln in die Masse einfügten.« »Lassen Sie das patentieren, Parker«, schlug der Anwalt vor, während Agatha Simpson ein wenig grimmig dreinblickte. Es paßte ihr nicht, daß Parker wieder mal tief in seine Trickkiste gegriffen hatte. Sie selbst wäre nur zu gern auf solch eine Idee gekommen, um die Kendo-Ritter zu überwältigen. »Was für eine Verschwendung von Haferbrei«, meinte sie schließlich, »ich muß mich doch sehr wundern, Mr. Parker… Das alles kostet doch Geld!« »Diesen Betrag werde ich selbstverständlich aus meiner privaten Schatulle bezahlen, Mylady«, versprach der Butler, »darf man noch mal auf die sogenannten Kendo-Gangster zurückkommen?« »Ich bitte sogar darum«, grollte Agatha Simpson, »wir wollen uns doch nicht über Albernheiten unterhalten. Haferbrei und Tapetenkleister! Und so etwas gegen Gangster!« »Aber es hat gewirkt«, warf Mike Rander ein. »Reiner Zufall«, erklärte die ältere Dame neidisch. »Die Gangster, Mylady, dürften die Wahrheit gesagt haben, was 71
ihre Unterkunft und ihren Trainingssaal betrifft«, schickte Parker voraus, »die Nähe zur Kendoschule der Miß Lormond sollte nachdenklich stimmen.« »Sie meinen, daß diese Kendo-Queen absichtlich belastet werden soll, Mr. Parker?« warf Kathy Porter ein. »Dieser Eindruck drängt sich förmlich auf, Miß Porter.« »Kann man denn innerhalb von rund sechs Wochen Kendo lernen?« fragte Mike Rander. »Dies sollte tunlichst bezweifelt werden, Sir«, gab der Butler zurück. »Selbstverständlich lernt man so etwas innerhalb von anderthalb Monaten, mein lieber Junge«, stellte die energische Lady verächtlich fest, »ich würde nur ein paar Tage brauchen.« »Mylady sind eine Ausnahmeerscheinung«, ließ der Butler sich vernehmen. »Ich weiß.« Sie nickte huldvoll. »Ein normaler Mensch hingegen vermag solch eine Lernfähigkeit und Geschicklichkeit nicht aufzubringen«, redete der Butler weiter, »meine Wenigkeit war so frei, gewisse Erkundigungen einzuziehen.« »Die Frage ist und bleibt, wer die angeblichen Kendo-Ritter sind«, faßte Mike Rander zusammen, »sollte man McWarden nicht Fingerabdrücke zuspielen?« »Auf keinen Fall!« Agatha Simpson schüttelte energisch den Kopf. »Das hier ist mein Fall, Mike! Nein, nein, Mr. Parker wird gleich sagen, woran ich bereits die ganze Zeit über denke, nicht wahr?« »Miß Lormond hat eingewilligt, Mylady, die drei Gangster zu testen«, erwiderte der Butler, »Ihr Einverständnis voraussetzend, könnte dies in einer Stunde geschehen.« »Genau das wollte ich vorschlagen«, behauptete die Detektivin prompt, »und dabei wird sie sich verraten, verlassen Sie sich darauf, Mr. Parker!« * »Ich weiß nicht, mit welchen miesen Tricks Sie gearbeitet haben, Parker«, sagte die undeutliche Stimme. Das Telefon hatte in dem Augenblick geklingelt, als das »Quartett« sich anschickte, 72
das altehrwürdige Fachwerkhaus zu verlassen. Parker hatte abgehoben und die Stimme sofort wiedererkannt. »Meine Wenigkeit vermag Ihren Ärger durchaus zu verstehen«, antwortete der Butler höflich, »offensichtlich geht es Ihnen nicht mehr allein um das Geld, das Sie vermissen.« »Damit liegen Sie richtig, Parker. Sie haben mir meine ganze Truppe versaut und durcheinandergebracht.« »Darf ich dies als Kompliment verbuchen?« erkundigte sich der Butler. »Jetzt geht’s nur noch um Sie, Parker, nur um Sie allein!« »Sie scheinen äußerst rachsüchtig zu sein.« »Ich laß’ mir meine Tour nicht vermasseln, Parker. Aber ich will Ihnen noch eine letzte Chance geben.« »Mit solch einem Angebot war fast zu rechnen.« »Schicken Sie die drei Leute los, die Sie irgendwo festhalten! Wahrscheinlich halten Sie sie in dieser Fachwerkbude der Lady Simpson fest. Und rücken Sie das Geld raus, das Sie mir gestohlen haben! Dann können sich von mir aus unsere Wege trennen…« »Ihr Angebot entbehrt jeder Realität«, meinte Parker, »Sie dürften dicht vor der Entlarvung und Kapitulierung stehen. Ihre zu deutlichen Hinweise auf Miß Lormond muß man schon fast als rührend bezeichnen.« »Dann Kampf bis aufs Messer, Parker!« »Versuchten Sie den nicht bereits? Wie steht es um die Kampfmoral Ihrer Ritter? Könnten die Herren verunsichert sein?« »Das lassen Sie meine Sorge sein, Parker. Ich habe noch allerhand zu bieten.« »Sie werden begreifen und verstehen, daß ich Ihnen in dieser Hinsicht mitnichten eine glückliche Verrichtung wünschen möchte. Sie erlauben, daß ich dieses Gespräch jetzt als beendet betrachte.« Parker legte auf und begab sich vor das Haus. In seinem hochbeinigen Monstrum hatten Lady Simpson, Kathy Porter und Mike Rander bereits Platz genommen. Parker übernahm das Steuer und berichtete kurz von dem Anruf. »Ich bleibe dabei, daß wir es mit Miß Lormond zu tun haben«, sagte die ältere Dame halsstarrig, »sie läßt natürlich anrufen, um den Schein zu wahren, Mr. Parker. Und ausgerechnet diese Kendo-Queen haben Sie in die Lagerhalle eingeladen! Das kann ja 73
heiter werden. Wahrscheinlich wird sie mit all ihren Kendolümmeln erscheinen…« »Miß Lormond weiß zur Zeit nicht, Mylady, wo der Test stattfinden wird«, gab Josuah Parker zurück, »Mylady werden Miß Lormond an einer bestimmten Stelle treffen können und sie erst danach zu Lagerhalle beordern.« »Nun ja.« Sie wußte im Moment nicht recht, wo und wie sie zu einer weiteren Kritik ansetzten konnte. Da der rettende Einfall sich nicht einstellte, räusperte sie sich explosionsartig. »Angenommen, diese Laura Lormond hat mit der eigentlichen Kendo-Queen nichts zu tun, Parker«, schaltete Mike Rander sich für die ältere Dame ein, »angenommen, sie wird absichtlich belastet, wird man sie dann nicht beobachten und vielleicht verfolgen? Damit bekommen unsere Gangster heraus, wo der Test stattfinden wird.« »Genau das wollte ich gerade sagen.« Agatha Simpson nickte bekräftigend, »ich hätte es wirklich nicht besser ausdrücken können, mein Junge.« »Etwaige Verfolger wird man abschütteln«, sagte Parker höflich, »an eine Möglichkeit, wie Sie gerade geäußert wurde, ist selbstverständlich gedacht worden.« Kathy Porter lächelte andeutungsweise. Sie war wieder mal nicht enttäuscht worden. Wenn Butler Parker etwas vorbereitete, dann stets gründlich. Er war einfach nicht in Verlegenheit zu bringen. * »Ich traue dieser Frau nicht über den Weg, Mr. Parker«, sagte die Detektivin recht ungeniert und laut, »Sie müssen doch bemerkt haben, wie groß dieser Bambuskoffer ist, den Sie mitgebracht hat.« »Er ist meiner bescheidenen Aufmerksamkeit keineswegs entgangen, Mylady. Er dürfte die Kendoausrüstung der Miß Lormond aufgenommen haben.« »Und wohl auch einen Peilsender«, redete sie weiter, »natürlich wird sie damit ihre Helfershelfer hierher dirigieren. Vielleicht hat sie auch ein Funksprechgerät mitgebracht.« »Mr. Rander hat die beiden Schiebetore zur Lagerhalle fest ab74
gesperrt, Mylady.« »Dennoch, ich habe…« Sie verzichtete darauf, ihren Satz zu Ende zu sprechen und musterte Laura Lormond, die aus dem Büroverschlag kam, dessen Telefonzuleitung von Parker vorher unterbrochen worden war. Lady Agatha starrte die Kendo-Queen an, die sich umgekleidet hatte. Als Frau war sie kaum wiederzuerkennen. Sie trug das typische Kostüm der Kendokämpfer und sah darin bedrohlich und bizarr aus. Noch hatte Laura Lormond sich ihren Gesichtsschutz nicht übergestreift. »Ich habe gehört, Mylady, was Sie da gerade gesagt haben«, meinte sie im Plauderton, »es ließ sich leider nicht vermeiden.« »Dann wissen Sie jetzt auch, meine Liebe, wie ich Sie einschätze«, antwortete Lady Agatha ohne jede Verlegenheit. »Daran kann ich im Augenblick nichts ändern«, sagte Laura Lormond, »wahrscheinlich spricht vieles gegen mich, aber lassen Sie’s sich gesagt sein, daß ich mit Gangstern nichts zu tun habe.« »Aber man nennt Sie immerhin die Kendo-Queen, wollen Sie das etwa abstreiten?« »Ich kenne meinen Spitznamen.« Laura Lormond lächelte. »Und ich bin in London auch die einzige Frau, die eine Kendoschule leitet. Gewisse Leute wollen daraus wohl Nutzen ziehen und mich belasten.« »In Ihrer Nähe, meine Liebe, ich meine, in Nähe Ihrer Schule wurde die Massenunterkunft der Kendo-Gangster entdeckt. Was sagen Sie denn dazu?« »Die hat man wohl absichtlich dort eingerichtet, um mich später belasten zu können.« »Einen besseren Schutz als diese Belastungen könnte ich mir gar nicht vorstellen.« Lady Agatha geriet ein wenig in Rage. Die kühle, beherrschte Art der Kendolehrerin gefiel ihr nicht. »Alles spricht gegen mich.« Laura Lormond nickte nachdenklich. »Und ich bin mir sicher, daß der, der das inszeniert hat, mich recht gut kennen muß.« »Er muß aus dem Kendo-Milieu kommen«, schaltete Mike Rander sich ein. »Ganz sicher sogar«, pflichtete Laura Lormond ihm bei, »er hat ja, wie ich von Mr. Parker gehört habe, seine Leute entsprechend ausgebildet.« »Sie erinnern mich an Mr. Parker«, schickte die ältere Dame voraus, »auch er hat auf alles eine passende Antwort. Was sagen 75
Sie denn dazu: Einige Subjekte, die sich mir anvertrauten, erklärten klipp und klar, daß sie von einer Frau ausgebildet wurden.« »Muß das unbedingt stimmen, Mylady?« »Falls Sie einverstanden sind, Miß Lormond, werde ich Ihnen den ersten Kendo-Ritter vorführen«, warf der Butler ein, »wenn Sie sich einen Moment gedulden wollen.« Parker verschwand hinter den abgestellten Möbeln und öffnete einen Spind. Der Gangster, der einige Stunden stehend verbracht hatte, machte einen steifbeinigen Eindruck und war völlig außer Form. Er sah den Butler anklagend an. »Sie werden innerhalb weniger Minuten Ihre Künste unter Beweis stellen können«, verhieß Parker ihm, »eine Meisterin im Kendo wird testen, was Sie gelernt haben.« »Eine Meisterin im Kendo?« »Möglicherweise sogar Ihre Lehrmeisterin«, redete Josuah Parker weiter, »aber dies werden Sie ja wohl recht schnell herausfinden.« »Was soll das alles?« Der Gangster, der in der vergangenen Nacht den Butler mit einem Pfeil töten wollte, sah entgeistert drein. »Meine bescheidende Wenigkeit möchte herausfinden, wie intensiv Sie geschult wurden«, sagte Parker, »machen Sie sich auf einen harten Waffengang gefaßt. Miß Lormond wird Ihnen sicher kaum etwas schenken.« »Ich protestiere«, entgegnete der Gangster. »Ich erlaube mir, Ihren Protest zur Kenntnis zu nehmen«, lautete die Antwort des Butlers. »Sie können ihn später sogar noch schriftlich formulieren, falls Sie darauf bestehen.« * Laura Lormond hatte sich ihre Schutzmaske übergestülpt und warf dem Kendo-Gangster ein zweites Bambusschwert zu. Der Mann griff bewußt nicht danach, er wollte den Kampf nicht annehmen. »So ein Feigling«, sagte die Detektivin, »ich werde diesem Flegel gleich Beine machen.« Sie stand zusammen mit Parker, Kathy Porter und Mike Rander im Halbkreis vor der Treppe, die ins Erdgeschoß führte. Sie hatte 76
sich auf den Kampf gefreut und fürchtete nun, enttäuscht zu werden. Laura Lormond schien überhaupt nicht zur Kenntnis genommen zu haben, daß die Testperson sich verweigern wollte. Sie stieß einige harte Rufe aus, fintierte und schlug dann hart und zielsicher auf den Mann ein, der empfindlich getroffen wurde und laut brüllte. »Ich bin gespannt, ob er sich wehren wird«, sagte Mike Rander zu Parker, »unsere Kendo-Queen setzt ihm ganz schön zu.« Der Anwalt hatte nicht übertrieben. Laura Lormond griff mit kleinen, schnellen Schritten an, zog sich zurück, fintierte wieder und versetzte dem Mann erneut zwei harte Schläge, die dessen Kopf und Hals trafen. »Sehr hübsch«, fand Lady Agatha, »ich glaube, ich werde in Zukunft ebenfalls Kendo treiben, Mr. Parker.« »Mylady werden mit Sicherheit eine wahre Meisterin werden«, lautete die Antwort des Butlers. Dann konzentrierte er sich wieder auf den Gangster, der sich nicht weiter bestrafen lassen wollte. Der Mann bückte sich, riß das gekrümmte Bambusschwert an sich und griff nach einer Gesichtsmaske, die Laura Lormond ebenfalls mitgebracht hatte. Er zog sie sich über und ging dann unverzüglich und wütend auf die Frau los. Laura Lormond ließ sich zurücktreiben, blockierte einige Schläge ab und ging danach sofort wieder zum Angriff über. Nun schien sie noch härter und plazierter zu schlagen. Der Kendo-Gangster war nach wenigen Augenblicken nicht mehr in der Lage, diesem Wirbel von kompliziert ausgeführten Hieben auszuweichen. Er mußte ungemein viel einstecken und ging schließlich keuchend und stöhnend in die Knie. »Eine Schnellausbildung, Mylady, und noch dazu eine schlechte«, kommentierte Laura Lormond, als sie sich die Gesichtsmaske abstreifte, »dieser Mann hat von Kendo keine Ahnung.« »Er hat immerhin ein paar Stunden in einem engen Spind zugebracht«, warf Mike Rander entschuldigend ein. »Einem echten Kendokämpfer hätte das kaum etwas ausgemacht«, erwiderte die Frau, die man Kendo-Queen nannte, »kann ich jetzt auch noch die beiden anderen Männer testen?« »Ich gehöre nicht dazu«, sagte der Anwalt und lächelte, »ich mache Sie schon jetzt darauf aufmerksam, daß ich verdammt schnell laufen kann. Da werden Sie kaum mitkommen.« 77
Josuah Parker präsentierte Laura Lormond nun auch noch die beiden anderen Bogenschützen. Auch sie mußten schon nach wenigen Augenblicken die Waffen strecken. Die drei Gangster saßen benommen und stöhnend auf dem Betonboden. »Und wie steht es mit dem Kampfbogen, Miß Lormond?« erkundigte sich Kathy Porter. »Kennen Sie sich auch darin aus?« »Selbstverständlich, Miß Porter.« Laura Lormond lächelte flüchtig. »Sollen die Männer auch in dieser Übung getestet werden?« »Darum wollte meine Wenigkeit Sie gerade bitten«, erklärte Josuah Parker, »entsprechende Bogen und Pfeile konnte meine Wenigkeit in der vergangenen Nacht sicherstellen.« »Echte japanische Bogen«, sagte sie, als Parker die Waffen brachte, »darf ich mal, Mr. Parker?« Sie wartete seine Erlaubnis nicht ab, nahm ihm einen Bogen aus der Hand und legte einen Pfeil auf die Sehne. Parker baute sich wie zufällig vor seiner Herrin auf. Er hatte den Regenschirm vom angewinkelten Unterarm genommen und war bereit, Schaden von Mylady abzuwenden. Parker trug noch den Schirm, den er in der letzten Nacht bei sich hatte. Falls Laura Lormond sich in der Richtung irren sollte, konnte er noch rechtzeitig das Schirmdach entfalten und den Pfeil wirkungslos werden lassen. »Sehen Sie den Knopf dort oben in der Kommode?« fragte die Kendo-Queen und deutete mit der Pfeilspitze auf übereinander getürmte Möbelstücke, die zwölf bis fünfzehn Meter entfernt waren. »Ich bin ja nicht kurzsichtig«, räsonierte die ältere Dame, die sich angesprochen fühlte. Laura Lormond nickte, stammte die Sehne und entließ den Pfeil. Er war kaum zu sehen, sirrte durch die Luft und… blieb im Knopf der Kommode stecken. »Sagenhaft«, meinte der Anwalt, »Kathy, da kommen wir nicht mit, oder?« »Eine Kleinigkeit«, meinte die Lady und ließ sich von Parker den zweiten Bogen geben. Sie legte ebenfalls einen Pfeil auf und schoß. Er landete in einer Glühbirne, die explosionsartig zersprang. »Bitte«, sagte Agatha Simpson ungerührt und schaute triumphierend in die kleine Runde, »ich sagte ja schon, eine Kleinigkeit. Man muß nur wissen, wie man es macht!«
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* Höflicherweise verzichtete man darauf, Mylady danach zu fragen, ob sie sich die Glühlampe auch tatsächlich als Ziel ausgesucht hatte. Mike Rander und Kathy Porter allerdings wandten die Köpfe ab und bedachten sich gegenseitig mit einem Lächeln. Laura Lormond, die die Art der Lady Simpson sicher nicht kannte, machte einen etwas überraschten Eindruck. In Parkers Gesicht rührte sich kein Muskel. »Und jetzt Sie, Mr. Parker«, drängte Lady Agatha und nickte ihrem Butler aufmunternd zu. »Welches Ziel bevorzugen Mylady?« erkundigte sich Parker. »Nun, nehmen Sie den Kommodenknopf«, forderte sie ihn auf, »natürlich werden Sie ihn nicht treffen, das weiß ich bereits jetzt.« »Die griechische Göttin der Jagd möge meiner Wenigkeit huldvoll geneigt sein.« Parker legte einen Pfeil auf die Sehne, spannte schnell und kraftvoll, um dann den Pfeil abzuschießen. »Donnerwetter, Parker, wo haben Sie das denn her?« wunderte sich Mike Rander, als der Pfeil dicht neben dem der Kendo-Queen im Zierknopf landete. »Reiner Zufall«, kommentierte die ältere Dame abfällig. »Können Sie diesen Schuß noch mal wiederholen?« fragte Laura Lormond. Sie sah Parker nachdenklichirritiert an. »Ihr Wunsch wird mir Befehl sein.« Blitzschnell legte Parker den nächsten Pfeil auf und schoß ihn im Hochnehmen des Bogens ab. »Das darf doch nicht wahr sein!« Kathy Porter war total verblüfft, als sie den Pfeil ebenfalls im Knopf entdeckte. »Wo haben Sie das gelernt?« wollte Laura Lormond wissen. »Sie müssen bei einem Bogenmeister in Japan in die Schule gegangen sein.« »Das Studium eines entsprechenden Handbuches brachte mich in die Lage, Miß Lormond, mit Pfeil und Bogen umzugehen.« »Das nehme ich Ihnen nicht ab«, erwiderte die Frau, die von ihren Schülern Kendo-Queen genannt wurde. »Sie dürfen versichert sein, daß meine Wenigkeit sich strikt an die Wahrheit hält«, lautete Parkers Antwort. »Im vorliegenden Fall dürfte allerdings durchaus der sprichwörtliche Zufall seine Hand im Spiel gehabt haben.« 79
»Das sage ich doch«, räsonierte die Detektivin, »aber wir sollten beim Thema bleiben, Sie glauben also, Miß Lormond, daß diese Subjekte dort im Schnellverfahren ausgebildet worden sind?« »Alle drei Männer sind nur unzureichend unterrichtet worden«, wiederholte Laura Lormond ihr Urteil. »Könnten die drei Männer sich verstellt haben?« frage Kathy Porter. »Sie meinen, ob sie absichtlich schlecht aussehen wollten?« Laura Lormond schüttelte den Kopf. »Nein, nein, das hätte ich an gewissen Arm- und Handbewegungen sofort festgestellt.« »Und diese drei Knaben haben Sie vorher auch noch nie gesehen?« vergewisserte sich Mike Rander. »Mit Sicherheit nicht, Mr. Rander«, erwiderte sie und schüttelte zusätzlich den Kopf, »ich wiederhole noch mal: Keiner meiner Schüler ist von mir losgeschickt worden, um ungesetzliche Dinge zu begehen. Ob Sie das nun glauben oder nicht.« »Haben Sie möglicherweise einen bestimmten Verdacht, was die Person betrifft, die Ihren Namen vorschiebt?« wollte Josuah Parker wissen. »Ich bin völlig ahnungslos«, erwiderte sie etwas zu schnell, »ich habe nicht den leisesten Verdacht, Mr. Parker.« »Sie hatten auch keinen Anlaß, möglichen Spuren privat nachzugehen?« Parker spielte auf die vier Besuche an, die sie nach dem ersten Besuch in der Kendoschule unternommen hatte. »Warum sollte ich?« schwindelte sie. »Mir ist klar, daß ich inzwischen wohl auch von der Polizei überwacht werde. Beamte eines Sonderdezernats waren bereits in meiner Schule und stellten ähnliche Fragen, aber wie gesagt, ich kann wirklich nicht helfen.« »Sie sind also ein ahnungsloser Engel, meine Liebe, wie?« Agatha Simpson sprach spitz und ironisch. »Ein Engel sicher nicht, aber ahnungslos«, bestätigte Laura Lormond lächelnd, um dann auf die drei Männer zu weisen, die nach wie vor mitgenommen auf dem Betonboden saßen und sich mühsam ihre Prellungen massierten. »Werde ich noch gebraucht? Soll es noch weitere Tests geben?« »Darf ich mir gestatten, Ihnen meinen tief empfundenen Dank auszusprechen?« Parker lüftete seine schwarze Melone. »Sie haben den anstehenden Fall vorangetrieben.« »Tatsächlich?« staunte sie. 80
»Er ist praktisch schon gelöst, es handelt sich nur noch um Kleinigkeiten«, schaltete die ältere Dame sich ein, »mir kann man keinen Sand in die Augen streuen, meine Liebe.« »Sie trauen mir nach wie vor nicht über den Weg, wie?« Laura Lormond lächelte unbefangen. »Sie sagen es, mein Kind, Sie sagen es!« Lady Agatha nickte bekräftigend. * »Alles abgeräumt, Parker«, meinte der junge Anwalt am frühen Nachmittag und zuckte die Achseln, »McWarden hat jetzt die Gangster, die bisher unseren Weg gekreuzt haben. Irgendwie bin ich froh, daß wir wieder freien Rücken haben.« »Dies war auch die Absicht, Sir«, antwortete Josuah Parker, der am Steuer seines hochbeinigen Monstrums saß, »die Gangster aus Myladys Haus und jene aus dem Lagerschuppen dürften bei der Polizei gut aufgehoben sein.« »Und kein Wort sagen.« »Damit dürfte fest zu rechnen sein.« Parker dachte kurz an die drei Gangster, die nach ihrem Test McWarden übergeben worden waren. Auch die Gasträume im Fachwerkhaus der Lady waren nun leer. Parker hatte es verstanden, Myladys Bedenken aus dem Weg zu räumen. Seiner Ansicht nach waren diese angeblichen Kendo-Ritter nicht in der Lage, etwas über die Kendo-Queen auszusagen. Wahrscheinlich waren sie tatsächlich so ausgebildet und abgerichtet worden, daß sie die Person im Hintergrund nicht kennen konnten. Man befand sich auf dem Weg zur Kendoschule der Laura Lormond und wollte unterwegs Horace Pickett aufnehmen, mit dem man sich telefonisch verabredet hatte. Der ehemalige Eigentumsübertrager stand an der vereinbarten Stelle und bot ein Bild der Seriosität, die er inzwischen ja auch verkörperte. Er stieg zu Rander in den Fond des Wagens. »Ist man weitergekommen?« erkundigte er sich. »Meine Freunde haben inzwischen weiter nachgeforscht. Es steht fest, daß man hinter vorgehaltener Hand von der Kendo-Queen spricht. Sie muß eine Realität sein.« »Aber man hat keine Ahnung, wer sie sein könnte, Pickett, 81
wie?« fragte der Anwalt. »Man sagt, das sei diese Laura Lormond, Sir. Aber das kommt mir ziemlich vordergründig vor.« »Wie war das mit den Gangstern, die Ihre Freunde vom Werftgelände aus verfolgt haben, Pickett?« »Sie sind ganz eindeutig in der Schule dieser Lormond verschwunden. Das steht einwandfrei fest.« »Was sagen Sie denn dazu, Parker? Sollte Lady Simpson mit ihrer Vermutung recht haben?« »Ich muß sagen, daß selbst Anfänger bemerkt haben müssen, daß sie beschattet wurden«, warf Horace Pickett ein, »ich gehe wenigstens davon aus.« »Ein Punkt, der zu denken gibt«, fand Josuah Parker. »Dreh- und Angelpunkt bleibt diese Kendoschule«, sagte Rander, »die Lormond muß doch wenigstens ahnen, wer ihr da einen Streich spielt.« »Dies, Sir, ist auch meine bescheidene Meinung«, antwortete der Butler. »Warum befassen wir uns nicht endlich mit dem Privatleben der Kendo-Queen, Parker?« »Das tue ich doch bereits, Sir«, warf Horace Pickett lächelnd ein, »Mr. Parker hat mich längst darauf angesetzt. Und wir haben uns auch um vier bestimmte Adressen gekümmert.« »Ach nee.« Rander war ehrlich überrascht. »Und so was erfahre ich erst jetzt?« »Meine Wenigkeit wollte Sie nicht unnötig belasten, Sir«, erwiderte der Butler, um sich dann Pickett zuzuwenden, »Ihre Freunde und Sie sind zu bestimmten Resultaten gelangt?« »Laura Lormond ist geschieden«, berichtete Horace Pickett weiter, »das ging vor etwa einem halben Jahr über die Bühne. Ihr Mann heißt James Patlay und ist Kaufmann. Er macht in Spielwaren, die er aus Hongkong einführt. Und dann gibt es da noch den Vater von Laura Lormond. Er dürfte Mitte Fünfzig sein, lebt in einem Haus neben der Kendoschule und ist für seine Tochter als eine Art Geschäftsführer tätig.« »Hat die Lormond keinen Freund oder so?« wollte der Anwalt wissen. »Auch den kann ich anbieten«, berichtete Horace Pickett weiter, »er ist angeblich Journalist, aber ich habe nicht herausbekommen, was und für wen er schreibt. Dieser Mann heißt Kenneth 82
Alpton und arbeitet als Lehrer in der Kendoschule.« »Das ist doch schon was«, freute sich Mike Rander, »was diese Laura Lormond betrifft, Pickett, so hat sie ihren Mädchennamen wieder angenommen, oder?« »Genau, Sir, ich hätte das gleich sagen sollen. Ihr Vater heißt William Lormond.« »Ihre diskreten Ermittlungen sind wieder mal exzellent, Mr. Pickett«, schickte der Butler voraus, »Sie werden sicher umgehend mit den Angaben zu jener Person dienen können, die den Lagerkeller gemietet hat, nicht wahr?« »Wo sich auch so eine Art Massenquartier befand, ja? Klar, auch das haben wir rausbekommen. Die hat ein Mr. Miller gemietet. Seine Adresse, die er hinterlassen hat, ist falsch. In der Sache sind wir keinen Schritt weitergekommen.« »Das war fast zu vermuten.« Parker nickte andeutungsweise. »Dieser Mieter hat selbstverständlich alle Spuren verwischt. Er dürfte die Person sein, nach der zu suchen ist.« »Haben Sie weitere Aufträge für mich, Mr. Parker?« wollte Horace Pickett wissen. »In der Tat.« Der Butler reichte einen Zettel nach hinten. »Sie werden vier Adressen finden, Mr. Pickett, die sich offensichtlich auf ehemalige Kendoschüler beziehen. Darf ich um diskrete Überwachung bitten? Es könnte förderlich sein zu erfahren, wer die Personen sind, die sich hinter diesen Adressen verbergen.« »Das geht sofort über die Bühne«, versprach Pickett, während Parker kurz hielt, damit der ehemalige Eigentumsumverteiler aussteigen konnte. »Ich möchte zu besonderer Vorsicht raten«, mahnte der Butler, »Ihre Freunde haben es mit Personen zu tun, die rasiermesserscharfe Klingen zu handhaben verstehen.« * »Ich weiß, daß auch Sie mir nicht trauen, Mr. Parker«, sagte Laura Lormond, nachdem sie das Besucherzimmer betreten hatte. Sie trug einen Kimono, der ihre Formen wirkungsvoll unterstrich. Gerade in dieser Kleidung fielen die mandelförmig geschnittenen Augen besonders auf. »Es handelt sich nur um einen zufälligen Besuch«, behauptete 83
Mike Rander, »wir suchen einen Mr. Miller, der in Ihrer unmittelbaren Nachbarschaft diesen Lagerkeller und das Massenquartier gemietet hat. Wir haben Ihnen ja bereits davon erzählt.« »Selbst der Vermieter vermag zu dieser Person keine Angaben zu machen«, schaltete Josuah Parker sich ein, »die Verhandlungen wurden per Telefon geführt, bedauerlicherweise.« »Ist Kenneth Alpton zufällig greifbar?« fragte der Anwalt, bevor Laura Lormond antworten konnte. »Aber ja«, gab sie zurück, »er trainiert gerade eine Karateklasse. Möchten Sie sich das ansehen?« »Es handelt sich um Ihren, sagen wir, Lebensgefährten, Miß Lormond?« tippte der Butler an. »Richtig«, bestätigte sie, »und mein Vater leitet den geschäftlichen Teil meiner Schule. Das werden Sie sicher auch schon wissen. Mein geschiedener Mann, er heißt James Patlay, importiert Spielwaren und unterhält einige kleine Lokale in Soho. Meine Verbindungen zu ihm sind gleich Null.« Sie lächelte ironisch, während sie ihre Gäste durch einen schmalen Korridor führte. Dann öffnete sie eine dick wattierte Tür und ließ Parker und Rander eintreten. Auf einer viereckigen und überdimensional großen Ledermatte übten Karateschüler und wurden von einem schmalhüftigen, fast zierlichen Mann unterwiesen, der sich als Miß Lormonds Freund entpuppte. Sie hatte ihn herangewinkt, und Kenneth Alpton glitt geschmeidig auf die beiden Besucher zu. Er trug die typische Kleidung der Karatekämpfer und hatte schnelle, hellwache Augen. »Wir stehen nach wie vor im Mittelpunkt des Interesses«, sagte sie zu ihrem Freund, »wahrscheinlich verdächtigt man inzwischen auch dich, Ken.« »Was in der Natur der Sache liegt, Mr. Alpton«, antwortete der Butler, »die gesuchte Person muß mit den Verhältnissen dieser Schule recht vertraut sein.« »Wahrscheinlich wissen Sie längst, wie viele Schüler wir hier durchschleusen«, antwortete Kenneth Alpton, »daß man Miß Lormond unbedingt belasten will, liegt klar auf der Hand. Man merkt doch die Absicht!« »Eine völlig richtige Feststellung, Mr. Alpton«, gab Parker zurück, »der Ordnung halber möchte und muß ich Sie fragen, ob Sie die Person sind, die sich verschiedentlich mit meiner Wenigkeit per Telefon unterhalten hat.« 84
»Warum sollte ich meine Freundin in Schwierigkeiten bringen?« »Heißes Interesse an Bargeld könnte ein Motiv sein.« »Ich habe mit diesen Kendo-Gangstern nichts zu tun«, gab Kenneth Alpton zurück, »wär’s aber der Fall, würde ich es natürlich nicht zugeben.« »Auch Sie können sich nicht vorstellen, wer Ihrer Lebensgefährtin Schaden zufügen möchte?« »Ich muß auf der ganzen Linie passen. Okay, ich kenne da zwar einen Mann, doch der hat von Kendo und Karate überhaupt keine Ahnung.« »Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie Miß Lormonds ehemaligen Mann meinen?« »James Patlay!« Der Karate-Instrukteur nickte. »Er ist gierig wie ein Hai, wenn es ums Geld geht. Und er haßt Laura.« »Für diesen Haß muß es sicher Gründe geben.« »Nachdem er sie ein paarmal bestohlen hat, hat sie ihn verprügelt und rausgeworfen«, erklärte Kenneth Alpton, »und sie muß ihn mächtig verprügelt haben!« »Eine alte Geschichte«, Wehrte Laura Lormond ab, »ich glaube nicht, daß James mich vorschiebt, um als Gangster arbeiten zu können. Nein, nein, das kann ich mir einfach nicht vorstellen.« »Sie interessieren sich für Karate?« fragte Kenneth Alpton. Er hatte mitbekommen, daß Mike Rander das Treiben auf der Matte beobachtete. »Nur am Rand«, meinte Rander, »ich halte mich lieber an eine gerade Rechte.« »Damit kämen Sie gegen einen Karatekämpfer nie an.« »Eben.« Rander wirkte in diesem Moment sehr phlegmatisch. »Aber ich möchte es erst gar nicht ausprobieren.« »Warum eigentlich nicht? Wo Sie doch schon mal hier sind? Wie wäre es mit einer Demonstration für meine Schüler? Bitte, machen Sie doch mit… Ich verspreche Ihnen, meine Karateschläge nur anzudeuten.« »Wollen Sie mich lächerlich machen?« Rander hob abwehrend die Hände. »Eine kleine Durcharbeitung des Körpers könnte auf keinen Fall schaden, Sir«, warf Josuah Parker ein. »Also schön.« Rander streifte sich das Jackett ab und reichte es an den Butler weiter. »Aber es bleibt beim Andeuten, klar?«
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* Mike Rander wirkte auf der Matte phlegmatisch und untrainiert. Kenneth Alpton umtänzelte den Anwalt, fintierte und trug Schläge vor, ohne sie allerdings konsequent abzufeuern, wich zurück, fintierte erneut und genoß seine Überlegenheit. Seine Schüler hatten einen Halbkreis gebildet und begutachteten diesen so ungleichen Kampf. »Sie können selbstverständlich versuchen, einen Schlag anzubringen«, rief Kenneth Alpton, »genieren Sie sich nicht!« »Dann sagen Sie mir, wann Sie endlich stehenbleiben«, erwiderte der Anwalt und versuchte seinerseits, auf Alpton einzudringen. »Ist Mr. Rander wirklich so unbegabt?« fragte Laura Lormond, die neben Josuah Parker stand. »Wie der Augenschein es zu lehren scheint«, erwiderte der Butler höflich. »Ich traue ihm nicht, Mr. Parker.« »Normalerweise verzichtet Mr. Rander auf die Argumentationskraft seiner Fäuste«, entgegnete der Butler. Bevor er sich näher zu diesem Thema äußern konnte, lief Kenneth Alpton voll auf. Mike Rander hatte im richtigen Augenblick seine Rechte vorschnellen lassen und traf den Kinnwinkel des Karatelehrers. Alpton verdrehte die Augen und fiel um wie ein gefällter Baum. »Mein Gott, das habe ich nicht gewollt«, entschuldigte sich Rander. »Schon… gut.« Alpton war voll durchtrainiert, hatte sich bereits wieder unter Kontrolle und erhob sich. »Schluß der Vorstellung«, schlug der Anwalt vor, »wie leicht kann da was passieren.« »Sie müssen mir Revanche geben, Rander«, forderte der Karatelehrer hartnäckig, »wie stehe ich sonst vor meinen Schülern da…« Er hatte den Satz noch nicht beendet, als er ausfiel und Rander attackierte. Jeder im Trainingsraum sah deutlich, daß Alpton zur Sache kommen wollte. Der Mann war fest entschlossen, sich für die Niederlage zu rächen. Er umkreiste den Anwalt, der geschickt zur Seite gewichen war, ließ seine ausgestreckten Hände kreisen, fintierte erneut und fiel dann aus. Um ein Haar hätte er Mike 86
Rander erwischt, doch es wurde ein Wischer, was als harter Handkantenschlag gedacht war. Mike Rander schien animiert worden zu sein, seine Hände ebenfalls zu heben. Er imitierte die Bewegungen des Karatelehrers, wirkte dabei natürlich ungelenk und anfängerhaft und schaffte es dennoch, einen zweiten Schlag anzubringen, doch diesmal mit der linken Handkante. Sie landete seitlich auf den kurzen Rippen des Karatelehrers, der scharf die Luft einsog und dann Wirkung zeigte. »Mit harten Bandagen«, rief Kenneth Alpton. Man hörte, daß ihm die Luft knapp geworden war. »Machen Sie keinen Unsinn, Alpton«, erwiderte Mike Rander, dessen Stimme keinerlei Zeichen von Anstrengung erkennen ließ. »Mit harten Bandagen, Rander!« Kenneth Alpton wickelte ein beachtliches Repertoire an Schlägen ab, doch er traf nicht. Mike Rander verstand es immer wieder, sich im letzten Moment den Handkanten zu entziehen. Dafür traf aber er. Er hatte sich auf den Oberkörper seines Gegners konzentriert und traktierte ihn mit gezielten Schlägen. »Er ist doch ein Meister«, kommentierte Laura Lormond leise, »er spielt ja mit meinem Freund.« »Möglicherweise hat auch Mr. Rander einen Blick in ein entsprechendes Handbuch geworfen«, antwortete der Butler höflich. »Machen Sie mir nichts vor, er betreibt Karate schon seit Jahren und ist niemals aus der Übung gekommen. Sehen Sie sich doch meinen Freund an.« Kenneth Alptons Gesicht war schweißnaß, Mike Rander hingegen wirkte frisch und trocken. »Hören wir auf, alter Knabe«, schlug Rander schließlich vor, »mir geht langsam die Luft aus.« »Okay«, keuchte Alpton und ließ die Arme sinken. Als Rander es ebenfalls tat, riß der Karatelehrer blitzschnell seine Hände hoch und wollte Randers Hals erreichen. »Hoffentlich habe ich das nicht mißverstanden«, sorgte sich Rander eine Sekunde später, als Kenneth Alpton auf der Matte lag und sich nicht rührte. Der Anwalt hatte den Schlag nicht nur pariert, sonder seinerseits geantwortet und auch voll getroffen. * 87
»Ich habe das alles von der Tür aus verfolgt«, sagte William Lormond, der Vater der sogenannten Kendo-Queen, »und auch Sie werden’s mitbekommen haben: Dieser Alpton ist ein Miststück. Er hatte den Kampf beendet, doch dann wollte er noch schnell einen Schlag anbringen. Aber das ist typisch für ihn.« William Lormond – etwa fünfundfünfzig, mittelgroß, schlank und sportlich – trug eine Art Kimono, der bis zu den Waden reichte. Seine Füße steckten in leichten Sandalen. »Darf man unterstellen, Sir, daß Sie Mr. Kenneth Alpton nicht sonderlich gewogen sind?« erkundigte sich Josuah Parker. »Er ist ein Miststück«, wiederholte Laura Lormonds Vater noch mal, »aber meine Tochter will das nicht einsehen… Liebe macht eben blind!« »Liebe ist vorhanden, Sir?« wunderte sich der Butler. »Sie scheint diesem Kerl verfallen zu sein«, meinte William Lormond fast traurig, »ich kann tun, was ich will, sie übersieht und überhört alles. Das scheint wohl mit der verpfuschten Ehe zusammenzuhängen, die sie bereits hinter sich hat.« »Diese Ehe hätten Sie zu keinem Zeitpunkt als glücklich bezeichnet, Sir?« fragte der Butler. Er, Mike Rander und William Lormond befanden sich im Büro der Kendoschule, einem völlig normal eingerichteten Raum. »Sie war zu keinem Zeitpunkt glücklich«, antwortete William Lormond und schüttelte geradezu heftig den Kopf, »meine Tochter ist romantisch und irgendwie naiv. Sie läßt sich leicht etwas vormachen.« »Mr. James Patlay wohnt in Soho, nicht wahr?« »Der Ehemalige meiner Tochter? Ja, das ist richtig. Er haßt sie, was ich fast verstehen kann. Er ist von Laura durchgeprügelt worden, daß es ‘ne reine Freude war. Er hat sie betrogen, bestohlen und wollte sie zu ein paar Sachen überreden, die sie bestimmt ins Gefängnis gebracht hätten.« »Darf und könnte man dazu mehr erfahren?« »Sie sollte Wechsel unterschreiben und Bürgschaften leisten. Patlay wollte eine Kette von japanischen Lokalen aufziehen. Er hat’s bis zu drei kleinen Imbißbuden gebracht, mehr nicht.« »Und was gefällt Ihnen, wenn man fragen darf, an Mr. Kenneth Alpton nicht sonderlich?« »Er nimmt Laura ebenfalls aus und ist stets in Geldschwierigkei88
ten. Ich weiß, wovon ich rede, ich führe hier nämlich die Bücher. Die Entnahmen sind unverantwortlich. Alpton ist ein Spieler, der einen Schuldenberg aufgetürmt hat. Ich möchte nur mal wissen, wann er endlich zur Kasse gebeten wird. Seine Gläubiger sind nämlich harte Leute, die keinen Spaß verstehen.« »Hat Ihre Tochter mit Ihnen über die Kendo-Gangster gesprochen?« Mike Rander hatte sich mit dieser Frage eingeschaltet. »Hat sie, Mr. Rander, und ich fürchte, sie weiß sogar, für wen sie den Kopf hinhalten soll.« »Mit einem Tip wäre uns sehr gedient, Mr. Lormond.« »Ich halte Alpton für den Gangster, der ehemalige Schüler auf die Banken angesetzt hat. Ich kann’s zwar nicht beweisen, aber ich glaube fest daran. Und meine Tochter scheint inzwischen ebenfalls Verdacht geschöpft zu haben.« »Den sie aber auf keinen Fall Ihnen gegenüber äußern würde, wie?« fragte der Anwalt. »Ganz sicher nicht«, bestätigte William Lormond, »wie gesagt, sie ist ihm doch hörig. Wissen Sie, ich habe sogar Angst, sie könnte da mitgemischt haben.« »Diese Aussage wird Ihnen sicher nicht leichtgefallen sein, Sir«, meinte Josuah Parker. »Weiß Gott nicht, aber vielleicht ist da noch was zu retten, verstehen Sie?« Mike Rander und Butler Parker verließen das Büro und gingen über die Treppe nach unten. Im Vorraum erwartete sie Laura Lormond. »Wie geht’s Ihrem Freund?« wollte Mike Rander wissen. »Er hat sich wieder erholt«, sagte sie hastig, »hören Sie, ich kann mir sehr genau vorstellen, was mein Vater Ihnen alles erzählt hat. Glauben Sie ihm kein Wort! Er haßt meinen Freund, weil er selbst an Einfluß verloren hat, was meine Schule betrifft. Hat er Ihnen gesagt, wieviel Geld er heimlich abgehoben hat? Hat er Ihnen gesagt, daß mein Freund Kenneth ihm auf die Schliche gekommen ist?« »Diese Tatsachen überwältigen schier meine Wenigkeit«, gestand Josuah Parker. »Aber sie entsprechen den Tatsachen«, redete Laura Lormond weiter, »mein Freund Kenneth hat mit den Kendo-Gangstern nichts zu tun, dafür lege ich die Hand ins Feuer. Und noch etwas: Denken Sie doch an die Männer, die ich getestet habe. Wenn 89
mein Freund Gangster im Kendo ausgebildet hätte, dann hätten sie bestimmt mehr zu bieten gehabt – oder etwa nicht?« * Er war eine Art Dressman, groß, breitschultrig, schmalhüftig und mit einem sportlich-markant geschnittenen Gesicht ausgestattet. Er wußte mit Sicherheit, wie gut er aussah. »Aha, auch Sie in Sachen Kendo-Queen«, sagte er lässig, »die Polizei war bereits bei mir, ein Chief-Superintendent sogar, der eine Menge alberner Fragen gestellt hat.« »Die Sie alle bestens beantworten konnten, ja?« fragte Mike Rander. »Ich habe mit diesen Kendo-Gangstern nichts zu tun«, redete James Patlay weiter, »wie, zum Teufel, soll ich an diese KendoTypen rankommen? Ich hasse dieses Herumfuchteln mit Bambusschwertern, von Karate mal ganz zu schweigen. So was ist doch nur für Leute, die nicht mehr ganz richtig im Kopf sind, oder?« »Sie haben sich im Streit von Ihrer damaligen Frau getrennt?« »Sie hat mich nach Strich und Faden verprügelt«, meinte James Patlay ungeniert und lächelte, »und das auch noch vor Zeugen. Ich bin abgezogen wie ein begossener Pudel. Das heißt, ich bin weggetragen worden. Und anschließend hab’ ich ein Krankenbett bevölkert, um ganz ehrlich zu sein. Hören Sie, möchten Sie mit ‘ner Frau zusammenleben, die Sie nach Belieben vertrimmen kann? Mir hat’s gereicht!« Die drei Männer saßen in der Nische eines kleinen japanischen Eßlokals in Soho. Es gab nur wenige Gäste, man konnte sich ungestört unterhalten. »Ihre Offenheit ehrt Sie, Mr. Patlay, wenn man so sagen darf«, warf Josuah Parker ein. »Warum sollte ich was verschweigen?« James Patlay winkte ab. »Entweder wissen Sie längst, wie das damals war, oder aber Sie werden es früher oder später hören. Nein, nein, ich war froh, als Schluß war.« »Sie sollen Ihre damalige Ehefrau um erhebliche Beträge erleichtert haben.« »Ich brauchte Geld, um uns ein paar Lokale einzurichten, aber sie zog nicht mit. Aber unter Eheleuten gibt’s schließlich keinen 90
Diebstahl, oder? Ihr Vater hat sich da immer eingemischt, dieser saudumme Kerl. Dabei bediente auch er sich ganz schön, denn er brauchte Geld für seine Liebschaften. Wahrscheinlich zapft er seine Tochter noch immer an.« »Wie der jetzige Freund Ihrer ehemaligen Frau, Mr. Kenneth Alpton.« »Das ist doch ein Zocker, wie er im Buch steht, meine Herren«, lautete Patlays Antwort, »der bedient sich ebenfalls.« »Bringt die Kendoschule denn soviel ein?« »Im Grund schon, aber Alpton und Lauras Vater langen einfach zu heftig zu. Ich möchte wetten, daß Laura bis zum Hals verschuldet ist.« »Demnach braucht sie also viel Geld«, stellte Mike Rander fest, »rundheraus, Patlay, könnte sie die Kendo-Queen sein, die die Überfälle inszeniert hat?« »Nee, kann ich mir nicht vorstellen, das heißt, auf der anderen Seite… Nein, ich weiß nicht, ich werde dazu nichts sagen, schließlich war sie mal meine Frau.« »Sie erklärten soeben, daß Sie mit den Kendo Gangstern auf keinen Fall etwas zu tun haben«, faßte Parker zusammen. »Ich hasse diesen Sport, aber das sagte ich Ihnen ja bereits.« »Trauen Sie Kenneth Alpton zu, eine Gang gegründet zu haben?« »Den kenne ich zu wenig, meine Herren. Aber vielleicht halten Sie sich mal an Lauras Vater.« »Ist er denn in der Kunst des Kendo bewandert?« fragte Josuah Parker. »Und ob! Früher hat er immer mittrainiert, das weiß ich genau. Auf der anderen Seite möchte ich ihm natürlich nichts anhängen, verstehen Sie? Wissen Sie, ich will mit den Lormonds nichts zu tun haben, sonst tauchen die hier eines Tages auf und knüppeln mich zusammen. Mein Bedarf ist reichlich gedeckt.« Parker und Ränder blieben nur noch wenige Minuten. Dann verließen sie Laura Lormonds ehemaligen Mann und gingen zurück zum hochbeinigen Wagen Parkers. »Nun, Parker, was ist Ihr Eindruck?« erkundigte sich der Anwalt, nachdem man im Wagen Platz genommen hätte. »Miß Laura Lormond müßte die gesuchte Kendo-Queen sein«, erwiderte Josuah Parker höflich. »Was Sie nicht sagen? Und wie kommen Sie darauf?« Rander 91
war ehrlich überrascht. »Miß Lormond versuchte allzu deutlich, eine falsche Spur zu legen«, gab der Butler zurück, »ich darf noch mal daran erinnern, daß Miß Lormond sinngemäß sagte, Ihr Freund Kenneth Alpton könne mit den Kendo-Gangstern nichts zu tun haben, weil die bisher bekannten Kendo-Ritter einfach zu schlecht ausgebildet worden seien. Sie nahm dies auch für sich in Anspruch.« »Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen, Parker. Sie hat sich tatsächlich ganz normale Ganoven besorgt und sie soweit ausgebildet, daß sie als Kendo-Gangster auftreten konnten.« »Dies, Sir, ist in der Tat meine bescheidene Überlegung«, redete der Butler weiter, »Miß Lormond hat bewußt alle Spuren auf ihre Person und ihre Schule gelenkt, wo das Kendo in Perfektion gelehrt wird.« »Du liebe Zeit«, seufzte Mike Rander, »demnach hätte Lady Simpson ja von Anfang an die richtige Nase gehabt.« »In der Tat, Sir. Es gilt allerdings, Miß Lormond zu überführen, was gewiß nicht leichtfallen wird.« »Ich hoffe, Sie haben was auf Lager, Parker?« »Möglicherweise, Sir«, antwortete der Butler, »aber gewisse vage Vorstellungen bedürfen noch einer gründlichen Klärung.« * »Sie wollen mich noch um diese Zeit sprechen?« wunderte sich Laura Lormond und starrte den Butler an, der grüßend seine schwarze Melone lüftete und vor der Tür zur Kendoschule stand. »Meine Arbeit im Dienst der Lady Simpson ließ keine frühere Stunde zu«, entschuldigte sich der Butler, »meiner Wenigkeit ist bekannt, daß dreiundzwanzig Uhr gerade überschritten wurde.« »Kommen Sie herein, Mr. Parker.« Sie hakte die Sicherheitskette aus und ließ Parker eintreten, Sie trug einen Kimono, der knapp bis zu den Knien reichte. Ihre Mandelaugen musterten neugierig den Butler. »Es handelt sich um eine, sagen wir, delikate Sache«, begann Parker, als die Tür sich hinter ihm schloß, »es geht, um sehr genau zu sein, um Mr. Kenneth Alpton, der hoffentlich nicht hier in Ihrer Wohnung ist.« »Nein, nein, ich bin allein«, erwiderte sie hastig. Daß Laura 92
Lormond schwindelte, sah Parker ihr an den Augen an. »Nach meinen bescheidenen Ermittlungen steht beweiskräftig fest, daß Mr. Kenneth Alpton der gesuchte Chef der KendoGangster ist«, sagte der Butler, während man einen fernöstlich eingerichteten Wohnraum betrat, in dem es penetrant nach Weihrauch und Räucherstäbchen roch. »Kenneth soll ein Gangster sein?« Sie sah ihn empört an. »Meine Wenigkeit hatte verschiedentlich die Möglichkeit, sich mit einem Mann per Telefon zu unterhalten, der im Auftrag der sogenannten Kendo-Queen sprach«, schickte Parker weiter voraus, »meine bescheidene Wenigkeit war so frei, gewisse Sonogramme anzufertigen.« » Sonogramme?« »Sprachschwingungen, die unverwechselbar sind, Miß Lormond, selbst dann, wenn man die Stimme verstellt. Während des jüngsten Besuches nahm ich mir die Freiheit, Mr. Alptons Stimme erneut aufzuzeichnen. Dies hier sind die Ergebnisse.« Parker schob Laura Lormond zwei Papiere zu, auf der Schwingungskurven zu sehen waren. Sie konnte damit offensichtlich nichts anfangen. »Wenn Sie die Kurven zur Deckung bringen, werden Sie unschwer feststellen, Miß Lormond, daß sie identisch sind«, redete Parker gemessen weiter, »daraus ergibt sich, daß der anonyme Anrufer und Mr. Kenneth Alpton ein und dieselbe Person sind. Dies ist selbst vor einem Gericht beweiskräftig, wenn ich darauf aufmerksam machen darf. Die Gespräche am Telefon wurden selbstverständlich aufgezeichnet, um die Beweiskraft noch zusätzlich zu untermauern.« »Kenneth soll der Chef der Kendo-Gangster sein?« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist doch ein Bluff.« »Ob es sich um einen Bluff handelt, müssen Sie entscheiden, Miß Lormond«, erwiderte der Butler, »aber ich werde diese Unterlagen umgehend und in Ihrer Gegenwart vernichten, falls Sie meine Wenigkeit entsprechend honorieren.« »Sie wollen Geld?« »Vielleicht ein Drittel dessen, was Ihre angelernten Kendo-Ritter bisher einsammeln konnten. Ein Butler ist nicht gerade mit irdischen Glücksgütern gesegnet.« »Warten Sie hier, ich werde Mr. Alpton holen«, sagte sie. Ihre Stimme wurde plötzlich hart, »ich bin sofort wieder zurück.« 93
Sie verließ schnell den Raum, und Parker hakte seinen Universal-Regenschirm vom angewinkelten, linken Unterarm los. Er nahm ihn in die rechte Hand und brauchte nicht lange zu warten. Die Frau stürmte förmlich zurück in den Raum und hielt Pfeil und Bogen in den Händen. Hinter ihr war Kenneth Alpton zu sehen. »Sie verdammter Schnüffler«, sagte sie, »glauben Sie wirklich, daß ich mich auf Ihr Angebot einlasse?« »Die Ergebnisse meiner Recherchen habe ich bei einem Anwalt deponiert«, antwortete Parker und sprach ein wenig schneller als sonst, »was wollen Sie mit dem Kampfbogen?« »Was wohl?« Sie lachte kurz und spöttisch. »Denken Sie an die Unterlagen, die sich bei meinem Anwalt befinden!« »Wenn Sie tot sind, sind die wertlos«, schaltete Kenneth Alpton sich höhnisch ein, »wir sind ja sowieso stark belastet, zu stark, Parker… Haben Sie begriffen? Wir haben uns selbst belastet, um aus der Schußlinie zu kommen. Ihr Tod wird das noch deutlicher machen.« »Man könnte sich ja vielleicht auf eine Art verständigen und einigen«, schlug Parker vor. »Miß Lormond, es geht doch darum, Ihren Freund vor Gericht zu bringen. Gewiß, er wird einen Teil der Schuld auf Sie abschieben, doch dies wird man ihm sicher nicht abnehmen.« »Er will uns auseinanderbringen, Laura«, spottete Alpton. »Nur über meine Leiche«, erklärte sie und hob den Bogen, »oder über Ihre, Parker.« »Ich… Ich bin nicht allein hier!« »Das nehme ich Ihnen nicht ab, aber selbst wenn! Dann ist der Gangsterchef eben hier gewesen und hat Sie erledigt, Parker. Nein, nein, Sie haben sich zu weit vorgewagt…« »Muß ich Ihren Gesten entnehmen daß Sie beabsichtigen, einen Pfeil auf meine Wenigkeit abzuschießen?« »Entnehmen Sie!« Sie hob den Bogen in die richtige Schußposition und spannte die Sehne. Parker trat einen Schritt zurück und drückte dabei auf einen versteckt angebrachten Knopf am Schirmstock. Genau in dem Moment, als der Pfeil sich von der Sehne trennte, spannte sich der Spezialschirm blitzschnell auf. Es gab ein reißendes Geräusch, als der Pfeil sich in das dichte Stahldrahtgeflecht bohrte und seine Energie verlor. Josuah Parker 94
hatte aus gutem Grund den Schirm mitgenommen um erwartet, daß man auf solche Art auf ihn schießen würde. Laura Lormond verlor die Kontrolle. Sie warf den Bogen weg, hielt plötzlich einen langen Kendodolch in der linken Hand und drang auf Parker ein. Ihr Freund, dem sie laut Aussage ihres Vaters verfallen war, folgte ihr auf dem Fuß. Parker legte den Schirm zur Seite und stellte sich den beiden Angreifern. Er nahm seine schwarze, stahlblechgefütterte Melone vom Kopf und brauchte nur wenige Augenblicke, um die beiden Kendokämpfer nachhaltig außer Gefecht zu setzen. Nachdem sie sich auf dem Teppich ausgebreitet hatten, ging Parker zum Telefon und rief Lady Agatha an. Sie schien auf diesen Anruf gewartet zu haben, denn sie meldete sich umgehend. »Ich möchte mir gestatten, den glücklichen Verlauf der abgesprochenen Aktion zu vermelden«, sagte der Butler. »Und, Mr. Parker? Laura Lormond ist die Kendo-Queen, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady«, antwortete Parker, »und Mr. Kenneth Alpton ist oder war ihr Helfershelfer.« »Was sagen Sie nun, Mr. Parker?«
ENDE Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Auslese Band 234 Günter Dönges
PARKER macht die »Sichel« schartig Triumph lag in Myladys Stimme. »Ich wußte es von Anfang an, aber auf mich wollte ja keiner hören.« »Mylady nötigen tiefsten Respekt ab.« »Das weiß ich«, sagte sie in ihrer bescheidenen Art, »nehmen Sie sich in Zukunft an mir ein Beispiel, aber Sie werden es bestimmt noch lernen.« »Meine Wenigkeit wird sich bemühen, Mylady nachzueifern«, lautete Parkers Antwort. Als er aufgelegt hatte, um McWarden zu verständigen, fürchtete er sich ein wenig. Er ahnte, was ihn im Haus der Lady Simpson erwartete…
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